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German Pages 236 [358] Year 2014
R EN É DESCA RT ES
Die Passionen der Seele
Übersetzt und herausgegeben von Christian Wohlers
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 663
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INHALT
Descartes’ Theorie der Praxis. Von Christian Wohlers . . . xvii 1. Die Stellung der Passionen der Seele innerhalb der praktischen Philosophie Descartes’. . . . . . . . . . . . . . . . . xxiii 2. Willensfreiheit und Gottesidee. Die Stellung der Passionen der Seele innerhalb der Metaphysik Descartes’. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lvi 3. Descartes’ Theorie der Praxis. Über die Einheit von Seele und Körper im Menschen . . . . . . . . . . . . . . lxxxiii 4. Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cvii
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cix René Descartes DIE PASSIONEN DER SEELE
Erster Teil Über die Passionen im allgemeinen. Und bei dieser Gelegenheit über die Natur des Menschen insgesamt 1 Was im Hinblick auf den einen Gegenstand eine Passion ist, ist immer eine Aktion in irgendeiner anderen Hinsicht . 3 2 Um die Passionen der Seele zu erkennen, sind die Funktionen der Seele von denen des Körpers zu unterscheiden . 4 3 Welcher Regel man zu diesem Zweck folgen muß . . . . . . . . 4 4 Die Wärme und die Bewegung der Körperglieder rühren vom Körper her, und die Gedanken von der Seele . . . . . . . . 4 5 Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die Seele dem Körper Bewegung und Wärme verleiht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 6 Welcher Unterschied zwischen einem lebenden und einem toten Körper besteht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
VI Inhalt
7 Kurze Erklärung der Körperteile und einiger ihrer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 8 Was das Prinzip all dieser Funktionen ist . . . . . . . . . . . . . . 7 9 Wie die Bewegung des Herzens zustande kommt . . . . . . . . 8 10 Wie die Lebensgeister im Gehirn produziert werden . . . . . 8 11 Wie die Bewegungen der Muskeln zustande kommen . . . . 9 12 Wie die Objekte von außen auf die Sinnesorgane einwirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 13 Die Aktion der Objekte von außen kann die Spiritus verschieden in die Muskeln leiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 14 Die Verschiedenheit zwischen den Spiritus kann ebenfalls ihre Läufe abwandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 15 Was die Ursachen ihrer Verschiedenheit sind . . . . . . . . . . . 12 16 Wie alle Körperglieder ohne Unterstützung der Seele durch die Objekte der Sinne und die Spiritus bewegt werden können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 17 Was die Funktionen der Seele sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 18 Über den Willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 19 Über die Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 20 Über die Vorstellungen und andere Gedanken, die von der Seele ausgebildet werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 21 Über die Vorstellungen, die nur den Körper als Ursache haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 22 Über den Unterschied zwischen den anderen Wahrnehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 23 Über die Wahrnehmungen, die wir auf außerhalb von uns befindende Objekte beziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 24 Über die Wahrnehmungen, die wir auf unseren Körper beziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 25 Über die Wahrnehmungen, die wir auf unsere Seele beziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 26 Die Vorstellungen, die nur von der zufälligen Bewegung der Spiritus abhängen, können ebenso wirkliche Passio-
Inhalt
VII
nen sein wie die Wahrnehmungen, die von den Nerven abhängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 27 Die Definition der Passionen der Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 28 Erklärung des ersten Teils dieser Definition . . . . . . . . . . . . 20 29 Erklärung des zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 30 Die Seele ist mit allen Teilen des Körpers gemeinsam vereint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 31 Es gibt im Gehirn eine kleine Drüse, in der die Seele ihre Funktionen ganz besonders ausübt, mehr als in den anderen Teilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 32 Wie man erkennt, daß diese Drüse der Hauptsitz der Seele ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 33 Der Sitz der Passionen ist nicht im Herzen . . . . . . . . . . . . . 23 34 Wie die Seele und der Körper aufeinander einwirken . . . . . 23 35 Beispiel für die Weise, wie die Eindrücke der Objekte sich in der Drüse vereinen, die sich in der Mitte des Gehirns befindet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 36 Beispiel für die Weise, wie Passionen in der Seele hervorgerufen werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 37 Wie in Erscheinung tritt, daß alle Passionen durch irgendeine Bewegung der Spiritus verursacht werden . . . . 26 38 Beispiel für die Körperbewegungen, die die Passionen begleiten und überhaupt nicht von der Seele abhängen . . . 26 39 Wie dieselbe Ursache bei verschiedenen Menschen verschiedene Passionen verursachen kann . . . . . . . . . . . . . . 27 40 Was die Hauptwirkung der Passionen ist . . . . . . . . . . . . . . . 27 41 Welche Macht die Seele im Hinblick auf den Körper hat . 27 42 Wie man in seinem Gedächtnis die Dinge findet, an die man sich erinnern will . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 43 Wie die Seele sich etwas vorstellen, aufmerksam sein und den Körper bewegen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 44 Jeder Wille ist von Natur aus mit einer Bewegung der Drüse verbunden, aber man kann sie durch Bemühung oder durch Gewöhnung mit anderen verbinden . . . . . . . . . 29
45 Welche Macht die Seele im Hinblick auf ihre Passionen hat 30 46 Welcher Grund verhindert, daß die Seele nicht völlig über ihre Passionen verfügen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 47 Worin die Kämpfe bestehen, die man sich gewöhnlich zwischen dem unteren und dem oberen Teil der Seele vorstellt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 48 Woran man die Kraft oder die Schwäche der Seelen erkennt, und was das Übel der schwächsten ist . . . . . . . . . . 33 49 Die Kraft der Seele reicht ohne die Erkenntnis der Wahrheit nicht aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 50 Es gibt keine so schwache Seele, die, wenn sie richtig geleitet wird, nicht absolute Macht über ihre Passionen erwerben könnte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Zweiter Teil Über Anzahl und Ordnung der Passionen sowie die Erklärung der sechs ursprünglichen 51 Welches die ersten Ursachen der Passionen sind . . . . . . . . . 37 52 Was der Nutzen der Passionen ist und wie man sie aufzählen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Ordnung und Aufzählung der Passionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Verwunderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Wertschätzung und Geringschätzung, Edelmut oder Hochmut und Demut oder Unterwürfigkeit . . . . . . . . . . . . 55 Verehrung und Verachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Liebe und Haß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Hoffnung, Furcht, Eifersucht, Gelassenheit und Verzweiflung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Unentschlossenheit, Mut, Kühnheit, Wetteifer, Feigheit und Schrecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Gewissensbiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38 38 39 39 39 40 40 41 41
Inhalt
IX
61 Freude und Traurigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 62 Spott, Neid und Mitleid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 63 Zufriedenheit mit sich selbst und Reue . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 64 Gunst und Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 65 Empörung und Zorn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 66 Stolz und Scham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 67 Ekel, Bedauern und Fröhlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 68 Weshalb diese Aufzählung der Passionen unterschiedlich zu der gemeinhin akzeptierten ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 69 Es gibt nur sechs ursprüngliche Passionen . . . . . . . . . . . . . . 44 70 Über Verwunderung. Ihre Definition und ihre Ursache . 44 71 Bei dieser Passion geschieht weder im Herzen noch im Blut irgendeine Änderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 72 Worin die Kraft der Verwunderung besteht . . . . . . . . . . . . 45 73 Was Staunen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 74 Wozu alle Passionen dienen und wobei sie schaden . . . . . . 46 75 Wozu insbesondere die Verwunderung dient . . . . . . . . . . . 47 76 Wobei Verwunderung schaden und wie man ihren Mangel ersetzen und ihr Übermaß korrigieren kann . . . . . . . . . . . . 47 77 Es sind weder die blödesten noch die geschicktesten Leute, die am ehesten zur Verwunderung gebracht werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 78 Ein Übermaß an Verwunderung kann in eine Haltung übergehen, wenn man versäumt, es zu korrigieren . . . . . . . 48 79 Die Definitionen der Liebe und des Hasses . . . . . . . . . . . . . 49 80 Was es heißt, sich willentlich zu verbinden oder zu trennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 81 Über die Unterscheidung, die man gewöhnlich zwischen der Liebe aus Begehrlichkeit und der aus Wohlwollen macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 82 Wie sehr unterschiedliche Passionen darin übereinstimmen, daß sie an der Liebe teilhaben . . . . . . . . . . . . . . . . 50 83 Über den Unterschied zwischen einfacher Zuneigung, Freundschaft und Ergebenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
X Inhalt
84 Es gibt nicht ebenso viele Arten von Haß wie von Liebe . 52 85 Über Gefallen und Schrecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 86 Die Definition des Verlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 87 Verlangen ist eine Passion ohne irgendein Gegenteil . . . . 54 88 Welches die verschiedenen Arten des Verlangens sind . . . 54 89 Was das Verlangen ist, das aus dem Schrecken entspringt . 55 9 0 Was das Verlangen ist, das aus dem Gefallen entspringt . 55 91 Die Definition der Freude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 92 Die Definition der Traurigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 93 Was die Ursachen dieser beiden Passionen sind . . . . . . . . . 57 94 Wie diese Passionen durch die Güter und die Übel hervorgerufen werden, die nur den Körper betreffen; und worin Kitzel und Schmerz bestehen . . . . . . . . . . . . . . 58 95 Wie sie auch durch Güter und Übel hervorgerufen werden können, die die Seele überhaupt nicht bemerkt, obwohl sie ihr zukommen; wie etwa das Vergnügen daran, etwas zu riskieren, oder sich an ein vergangenes Übel zu erinnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 96 Welche Bewegungen des Bluts und der Spiritus die fünf vorangegangenen Passionen verursachen . . . . . . . . . . . . . . 60 97 Die Haupterfahrungen, die dazu dienen, diese Bewegungen bei der Liebe zu erkennen . . . . . . . . . . . . . . . 60 98 Beim Haß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 99 Bei der Freude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 100 Bei der Traurigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 101 Beim Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 102 Die Bewegung des Bluts und der Spiritus bei der Liebe . 62 103 Beim Haß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 104 Bei der Freude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 105 Bei der Traurigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 106 Beim Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 107 Was die Ursache dieser Bewegungen bei der Liebe ist . . . 65 108 Beim Haß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Inhalt
XI
109 Bei der Freude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 110 Bei der Traurigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 111 Beim Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 112 Was die äußeren Zeichen dieser Passionen sind . . . . . . . . . 68 113 Über die Aktionen an den Augen und im Gesicht . . . . . . 68 114 Über die Veränderungen der Farbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 115 Wie die Freude erröten macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 116 Wie die Traurigkeit erbleichen läßt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 117 Wie man oft errötet, wenn man traurig ist . . . . . . . . . . . . . 70 118 Über das Zittern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 119 Über Trägheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 120 Wie sie durch Liebe und Verlangen verursacht wird . . . . . 72 121 Sie kann auch durch andere Passionen verursacht werden . 73 122 Über Ohnmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 123 Weshalb man nicht aus Traurigkeit ohnmächtig wird . . . 74 124 Über das Lachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 125 Weshalb es die größten Freuden nicht begleitet . . . . . . . . . 74 126 Welches die Hauptursachen des Lachens sind . . . . . . . . . . 75 127 Was die Ursache des Lachens bei der Empörung ist . . . . . 76 128 Über den Ursprung der Tränen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 129 Über die Weise, wie Dämpfe sich in Wasser verändern . 77 130 Wie etwas, das dem Auge Schmerzen zufügt, hervorruft, daß es weint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 131 Wie man aus Traurigkeit weint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 132 Über das Stöhnen, das die Tränen begleitet . . . . . . . . . . . . 79 133 Weshalb Kinder und alte Leute leicht weinen . . . . . . . . . . 79 134 Weshalb einige Kinder erbleichen, statt zu weinen . . . . . . 80 135 Über die Seufzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 136 Woher die Wirkungen der Passionen kommen, die gewissen Menschen eigentümlich sind . . . . . . . . . . . . . 81 137 Über den Nutzen der fünf hier erklärten Passionen, insofern sie sich auf den Körper beziehen . . . . . . . . . . . . . 82 138 Über ihre Mängel und die Mittel, sie zu korrigieren . . . . 83
XII Inhalt 139 Über den Nutzen derselben Passionen, insofern sie der Seele zukommen; und zuerst über Liebe . . . . . . . . . . . . . . 83 140 Über den Haß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 141 Über Verlangen, Freude und Traurigkeit . . . . . . . . . . . . . . 85 142 Über Freude und Liebe verglichen mit Traurigkeit und Haß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 143 Über dieselben Passionen, insofern sie sich auf das Verlangen beziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 144 Über die Akte des Verlangens, deren Ereignis nur von uns abhängt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 145 Über die Akte des Verlangens, die nur von anderen Ursachen abhängen; und was das Schicksal ist . . . . . . . . . 88 146 Über die Wünsche, die von uns und einem anderen abhängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 147 Über die inneren Regungen der Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 148 Die Übung der Tugend ist ein wirkungsvolles Heilmittel gegen die Passionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Dritter Teil Über die besonderen Passionen 149 Von Wertschätzung und Geringschätzung . . . . . . . . . . . . 92 150 Diese beiden Passionen sind nur Arten der Verwunderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 151 Man kann sich selbst wertschätzen oder geringschätzen . 93 152 Aus welcher Ursache man sich selbst wertschätzen kann . 93 153 Worin Edelmut besteht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 154 Edelmut verhindert, daß man andere Leute geringschätzt . 94 155 Worin tugendhafte Demut besteht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 156 Was die Eigenschaften des Edelmuts sind, und wie er als Heilmittel gegen die Störungen durch die Passionen dient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 157 Über Hochmut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
Inhalt
XIII
158 Seine Wirkungen sind denen des Edelmuts entgegengesetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 159 Über lasterhafte Demut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 160 Welche Bewegung der Spiritus bei diesen Passionen stattfindet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 161 Wie Edelmut erworben werden kann . . . . . . . . . . . . . . . 100 162 Über Verehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 163 Über Verachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 164 Über den Gebrauch dieser beiden Passionen . . . . . . . . . 102 165 Über Hoffnung und Furcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 166 Über Gelassenheit und Verzweiflung . . . . . . . . . . . . . . . 103 167 Über Eifersucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 168 Wobei diese Passion ehrenhaft sein kann . . . . . . . . . . . . 103 169 Wobei sie tadelnswert ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 170 Über Unentschlossenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 171 Über Mut und Kühnheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 172 Über Wetteifer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 173 Wie Kühnheit von Hoffnung abhängt . . . . . . . . . . . . . . 106 174 Über Feigheit und Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 175 Über den Nutzen der Feigheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 176 Über den Nutzen der Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 177 Über den Gewissensbiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 178 Über Spott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 179 Weshalb die unvollkommensten Leute gewöhnlich die größten Spötter sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 180 Über den Nutzen des Scherzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 181 Über den Nutzen des Lachens beim Scherz . . . . . . . . . . 110 182 Über Neid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 183 Wie Neid gerechtfertigt oder ungerechtfertigt sein kann 111 184 Woher es kommt, daß neidische Leute dazu neigen, einen bleiernen Teint zu haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 185 Über Mitleid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
XIV Inhalt 186 Welche Leute am meisten zum Mitleid neigen . . . . . . . . 112 187 Wie die edelmütigsten Leute von dieser Passion ergriffen werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 188 Welche Leute nicht von dieser Passion ergriffen werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 189 Weshalb diese Passion Weinen hervorruft . . . . . . . . . . . 114 190 Über Zufriedenheit mit sich selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 191 Über Reue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 192 Über Gunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 193 Über Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 194 Über Undankbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 195 Über Empörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 196 Weshalb Empörung manchmal mit Mitleid und manchmal mit Spott verbunden ist . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 197 Empörung wird oft von Verwunderung begleitet und ist nicht mit der Freude unvereinbar . . . . . . . . . . . . 117 198 Über den Nutzen der Empörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 199 Über Zorn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 200 Weshalb diejenigen, die der Zorn erröten läßt, weniger zu fürchten sind als diejenigen, die er erbleichen läßt . . 119 201 Es gibt zwei Arten von Zorn; und Leute mit größerer Güte neigen am meisten zur ersten . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 202 Es sind die schwachen und niedrigen Seelen, die sich am meisten zu der anderen Art des Zorns hinreißen lassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 203 Edelmut dient als Heilmittel gegen die Übermäßigkeiten des Zorns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 204 Über Stolz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 205 Über Scham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 206 Über den Nutzen dieser beiden Passionen . . . . . . . . . . . 123 207 Über Unverschämtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 208 Über Ekel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 209 Über Bedauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
Inhalt
XV
210 Über Fröhlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 211 Ein allgemeines Heilmittel gegen Passionen . . . . . . . . . 125 212 Allein von den Passionen hängt das gesamte Wohl oder Übel dieses Lebens ab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 * * *
DIE BESCHREIBUNG DES MENSCHLICHEN KÖRPERS UND ALLER SEINER FUNKTIONEN Erster Teil. Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Zweiter Teil. Über die Bewegung des Herzens und des Blutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Dritter Teil. Über die Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Abschweifung, in der die Ausformung eines Tieres abgehandelt wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Vierter Teil. Über die Teile, die sich im Samen ausformen . 155 Fünfter Teil. Über die Ausbildung der festen Teile . . . . . . . . 172 Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Gesamtindex Deutsch – Französisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
DESCARTES’ THEORIE DER PRAXIS
Zur Einleitung in die Passionen der Seele Im Mai 1643 bezieht René Descartes eine neue Wohnung in Egmond de Hoef. Schon am 6./16. Mai 16431 beginnt mit einem Schreiben Elisabeths von der Pfalz an ihren Freund und Lehrer der bis zu Descartes’ Tod in Stockholm 1650 fortdauernde Briefwechsel, der die bisherigen mündlichen Unterredungen ablöst und in dem Descartes sich, angespornt durch teilweise bohrende Nachfragen seiner Freundin, zu den ansonsten von ihm nicht behandelten Fragen der Moralphilosophie äußert. Am 13. September 1645 bittet Elisabeth Descartes, die Passionen zu definieren.2 Descartes erbittet sich am 15. September 1645 Bedenkzeit aus,3 äußert sich dann aber zu diesem Thema bereits im Brief vom 6. Oktober 1645,4 der als Keimzelle der späteren Passionen der Seele betrachtet werden kann. In ihrer Antwort vom 28. Oktober 1645 richtet Elisabeth an Descartes die kritische Frage, inwiefern die »besondere Regung der Lebensgeister dazu dient, die Leidenschaften zu bilden«5 und erhält am 3. November 1645 die Antwort, er habe über die Systematik der Passionen nachgedacht, sei aber noch zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen.6 Am 6. März 1646 schreibt Descartes Chanut, er werde morgen nach Den Haag gehen,7 und tatsächlich schreibt Elisabeth erst am 25. April 1646 wieder einen Brief8 an Descartes, der sich also irgendwann zwischen dem 7. März 1 2 3 4 5 6 7 8
AT III, 660–662 = PhB 659, 2–5. AT IV, 289–290 = PhB 659, 141. AT IV, 296 = PhB 659, 153. AT IV, 309–313 = PhB 659, 169–173. AT IV, 322 = PhB 659, 183. AT IV, 332 = PhB 659, 191. AT IV, 376. AT IV, 403–406 = PhB 659, 214–219.
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und dem 24. April 1646 in Den Haag aufgehalten haben kann. Während seines dortigen Aufenthaltes übergibt Descartes Elisabeth seinen inzwischen erstellten ersten Entwurf der Passionen, den Elisabeth in ihrem Brief erwähnt, und zu dem Descartes im Mai 1646 nähere Erläuterungen gibt.9 Im Juli 1646 bittet Elisabeth Descartes, seinen Entwurf der Passionen mit nach Berlin nehmen zu dürfen;10 zu einer Rückgabe dieses Manuskripts ist es offenbar nie gekommen, denn Descartes schreibt Elisabeth am 20. November 1647, er habe die Passionen »aus einer äußerst wirren Rohfassung (. . . ) transkribieren lassen«.11 Diese Transkription schickt Descartes mitsamt einiger Briefe an Elisabeth über Chanut an Christine von Schweden.12 1649 überarbeitet Descartes seinen ursprünglichen Entwurf und überläßt ihn einem unbekannten Freund oder Bewunderer zum Druck, der ihn in zwei der Originalausgabe der Passionen vorangestellten, bemerkenswert langatmigen Briefen zur Herausgabe seines Manuskripts gedrängt hatte. Die Passionen der Seele erscheinen 1649 bei Henri leGras in Paris und identisch 1650 bei Elzevier in Amsterdam. Descartes hat den Druck nicht mehr überwachen können. Der einzige beachtenswerte Satz im Briefwechsel zwischen dem unbekannten Herausgeber und Descartes ist dessen Aussage in der zweiten Antwort vom 14. August 1649, es sei »nicht seine Absicht gewesen, die Passionen als Rhetor zu erklären und noch nicht einmal als Moralphilosoph, sondern allein als Physiker«.13 Descartes wendet sich damit von der Behandlungsart der Passionen in Aristoteles’ Rhetorik genauso ab wie von der sei-
9
AT IV, 406–412 = PhB 659, 220–229; AT IV, 413–415 = PhB 659, 230–233. 10 AT IV, 449 = PhB 659, 235 11 AT V, 91 = PhB 659, 323. 12 AT V, 86 = PhB 659, 437; die umfangreiche Post ging mit einer Verspätung von einem Monat von Den Haag nach Schweden ab (am 17. Dezember 1647: AT V, 109). 13 AT XI, 326.
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ner direkten Vorgänger – oder behauptet das zumindest.14 Aber »expliquer les Passions seulement en Physicien« ist mit »die Leidenschaften als Physiker erklären« mißverständlich und damit unzureichend übersetzt. Denn mit dem Ausdruck physicien hat es bei Descartes die besondere Bewandtnis, daß ein Physiker jemand ist, der um mechanische Vorgänge weiß, und daß jemand, der über ein solches Wissen verfügt, damit auch ein Wissen um die Funktionen des menschlichen Körpers besitzt, der ja nichts anderes ist als eine nach mechanischen Gesetzen funktionierende Maschine. Descartes’ Aussage, er wolle die Passionen als Physiker erklären, läßt sich also durchaus dahingehend verstehen, daß er sie als Physiologe, Mediziner oder Arzt zu erklären versuchte. Dem entspricht Descartes’ ebenso bemerkenswertes wie ungerechtfertigtes Vertrauen in seine Fähigkeiten als Arzt, das ihn dazu bringt, im Brief an Elisabeth vom 18. Mai 1645 seiner Freundin eine Ferndiagnose ihrer Erkrankung mitzuteilen, die zwar mit der Behauptung, die Ursache eines schleichenden Fiebers sei Traurigkeit,15 so etwas wie die Initialzündung zu der Beschäftigung mit den Passionen enthält, und deren Grundgedanken Elisabeth durchaus zutreffend als Versuch zu würdigen weiß, 14
Descartes war wahrscheinlich mit folgenden Werken zu diesem Themenkreis vertraut: Thomas von Aquin: Summa theologica. quaestiones 22–48. Douai 1614 [verfaßt 1267–1273]; Juan Luis Vives: De anima et vita. Brügge 1538; Guillaume duVair: De la sainte philosophie; De la philosophie morale des stoïques; De la constance et consolation ès calamitées publiques. in: Œuvres. Paris 1614; Justus Lipsius: Les deux livres de la constance. Tours 1594; Manuductionis at stoicam philosophiam libri tres. Paris 1604; Physiologiae stoïcorum libri tres. Antwerpen 1604; Pierre Charron: De la Sagesse. Bordeaux 1601; Jean-Pierre Camus: Diversités. Paris 1612; Caspar Schoppe (Scioppius): Elementa Stoïcae philosophiae moralis. Mainz 1606; Nicolas Coëffetau: Tableau des Passions humaines, de leurs causes et de leurs effets. Paris 1620; Francisco Suárez: Tractatus quinque ad Primam Secundae D. Thomae. Mainz 1629; Pierre leMoyne: Les peintures morales. Paris 1640–1643; Jean-François Senault: De l’usage des Passions. Paris 1641; Marin Cureau de la Chambre: Les caractères des passions. Paris 1645. 15 AT IV, 201 = PhB 659, 69.
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»meinen Körper mit meiner Seele heilen zu wollen«16 , dessen therapeutische Erprobung sie indes lieber unterläßt. Mit gutem Grund: Als Descartes 1650 in Stockholm an einer Lungenentzündung erkrankt, ist es unter anderem auch der abenteuerliche Koffeincocktail, mit dem er sich zu kurieren versuchte, der seinen Tod herbeiführt. Aber aus einem anderen Grunde wäre es zumindest schief, Descartes’ programmatische Aussage im Brief an den Herausgeber der Passionen als Vorhaben einer im heutigen Sinne naturwissenschaftlichen Erklärung der Leidenschaften zu verstehen, nämlich weil der deutsche Ausdruck Leidenschaft nur einen Teilaspekt des Cartesischen Begriffs Passion trifft. Unter einer Leidenschaft verstehen wir heute einen heftigen und anhaltenden Gefühlszustand, der den Gebrauch des Verstandes und der Vernunft für sich vereinnahmt und uns beherrscht, sei es, daß die Leidenschaft uns unfähig macht, an irgend etwas anderes zu denken als an das, was sie verlangt – wie wenn man leidenschaftlich verliebt ist –, sei es, daß sie uns ein Ziel setzt – wie wenn man etwas so leidenschaftlich verfolgt, daß man es zu seinem Beruf macht. Descartes begreift unter Passionen zwar auch solche Gefühls- oder Gemütszustände, aber er bezieht eben auch Dinge wie Edelmut (générosité) mit ein, die wir als eine ganz im Gegensatz zur Leidenschaft stehende Tugend bezeichnen würden; und auch Dinge wie Verwunderung (admiration), die wir weder als Tugend noch als Leidenschaft bezeichnen würden. Descartes versteht unter Passionen die gesamte Spannbreite aller über bloß singuläre Empfindungen, Wahrnehmungen und Erkenntnisse hinausgehenden Komplexe, die im Menschen ablaufen, wenn er sich in der Welt orientiert und positioniert. Zu den Passionen gehören deshalb Leidenschaften im engeren Sinne genauso wie feste Grundhaltungen (habitudes), Tugenden (vertus) und Laster (vices). Die Passionen der Seele sind also kein Werk über Gefühle, sondern ein Werk über im Menschen aktivierbare Programme, Schemata, Komplexe oder Automatismen und deren Verhinde16
24. Mai 1645: AT IV, 208 = PhB 659, 77.
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rung, Bestärkung oder Veränderung. Und Descartes stellt die Passionen gleich zu Beginn in den größeren Zusammenhang der aristotelisch-scholastischen Metaphysik, wenn er darauf abhebt, daß es sich bei Passionen um ein korrelatives Phänomen handelt, weil es derselbe Vorgang ist, der im Hinblick auf das, woran oder womit er geschieht, Passion ist, und Aktion im Hinblick auf das, was ihn initiiert oder durchführt. Deshalb ist eine Passion der Seele etwas, dem eine Aktion des Körpers korreliert – und die Pointe ist, daß es andere Phänomene geben muß, bei denen die Rollenverteilung gerade umgekehrt ist, bei denen also die Seele agiert und der Körper »pathiert«, also etwas im Körper »passiert«. Auch wenn sich gewisse falsche Assoziationen nicht ganz ausschließen lassen – wie etwa die der »Passion« an gewisse christliche Mythen, die Descartes überhaupt nicht thematisiert –, scheint es mir daher das Beste zu sein, die französischen, bzw. lateinischen, bzw. altgriechischen Begriffe in der Übersetzung beizubehalten: Descartes schreibt über die Passionen der Seele, und er schreibt in dem Bewußtsein, daß diesen Passionen immer Aktionen im Körper korrelieren. Er schreibt, mit anderen Worten, letztlich über die Einheit von Seele und Körper im Menschen. Es ist Elisabeth, die anläßlich ihrer gemeinsamen Lektüre von Senecas De beata vita Descartes den Hinweis gibt, der ihn dazu bringt, sich mit den Passionen auseinanderzusetzen. Elisabeth relativiert nämlich Descartes’ berühmten ersten Satz des Discours de la Méthode, demzufolge »der gesunde Menschenverstand die am besten verteilte Sache auf der Welt« ist17 mit dem Hinweis, es gebe »Krankheiten, die das Vermögen ganz wegnehmen, die Vernunft zu gebrauchen und folglich auch das Vermögen, eine vernunftgemäße Befriedigung zu erlangen, und andere, die die Kraft vermindern und verhindern, daß man den Maximen folgt, die der gesunde Menschenverstand aufgestellt haben wird, und so auch 17
PhB 624, 4/5 = PhB 643, 3 = AT VI, 1.
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den gemäßigsten Menschen noch dazu bringen, sich seinen Passionen auszuliefern und weniger fähig machen, sich aus den Zufällen des Schicksals herauszuwinden, für die eine rasche Entscheidung nötig ist«.18
Descartes gibt Elisabeths Einwand zu: »Dies lehrt mich, daß das, was ich über alle Menschen im allgemeinen sagte, nur für diejenigen gelten darf, die freien Gebrauch von ihrer Vernunft machen und so den Weg kennen, den man einschlagen muß, um zu dieser Glückseligkeit zu gelangen«.19
Die Passionen der Seele reagieren auf Fragestellungen innerhalb eines Kontextes, der viel zu weit ist, als daß man dieses Werk eingeschränkt als bloße Affektenlehre lesen könnte. Ich möchte deshalb in dieser Einleitung diesen Kontext umreißen und dadurch den Ort der Passionen der Seele innerhalb der Cartesischen Systematik andeuten. Grundsätzlich sehe ich drei Aspekte, deren Betrachtung dies leisten kann, nämlich (1) die Stellung dieses Werkes innerhalb der praktischen Philosophie Descartes’, (2) seine Stellung innerhalb der Metaphysik und (3) die Antwort auf die bereits genannte Leitfrage nach der Einheit von Seele und Körper im Menschen. Es geht mir in dieser Einleitung also darum, die unmittelbar an das Puzzleteil, das der Leser schon in den Händen hält, nämlich die Passionen der Seele, angrenzenden Teile des Puzzles vorzulegen; dies bringt es mit sich, daß über dieses Teil selbst zugunsten eines weiteren Kontextes wenig bis gar nichts gesagt wird. Gleichzeitig blendet die folgende Darstellung viele beachtenswerte Bestandteile aus, die eine vollständige Darstellung der Cartesischen Ethik beinhalten müßte, insbesondere ihre historischen Bezüge zum Stoizismus und anderen moralphilosophischen Schulen, oder auch die Positionierung Descartes’ innerhalb der vor allem von den Jesuiten geführten Auseinandersetzung um den Molinismus. Hierfür sei auf die umfangreiche Sekundärliteratur verwiesen. 18 19
An Descartes, 16. August 1645: AT IV, 269 = PhB 659, 109. 1. September 1645: AT IV, 282 = PhB 659, 129.
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1.
Die Stellung der Passionen der Seele innerhalb der praktischen Philosophie Descartes’
a)
Morale par provision und morale définitive
xx i ii
Keine Thematisierung der Moralphilosophie Descartes’ kann den Unterschied übergehen zwischen der von ihm so genannten morale par provision und der dieser gegenüberstehenden, von ihm aber nicht so genannten morale définitive. Die erstere Moral ist jene, von der Descartes im dritten Abschnitt des Discours de la Méthode spricht, die andere jene, die er im Lettre-Préface, dem Vorwort zur französischen Übersetzung der Principia philosophiae, »la plus haute et la plus parfaite morale«20 nennt. Diese morale définitive hat Descartes niemals in Gänze ausgearbeitet und muß deshalb aus späteren Schriften rekonstruiert werden. Kandidaten für eine solche Rekonstruktion sind die Briefe an Elisabeth von der Pfalz, an Pierre Chanut, den französischen Diplomaten und späteren Botschafter Frankreichs in Schweden, an die schwedische Königin Christine, an den Jesuitenpater Mesland – und die Passions de l’Âme, die mit der Affektenlehre ein Thema behandeln, das jedenfalls nicht in die theoretische Philosophie zu gehören scheint. Zudem sind die Passionen der Seele der einzige veröffentlichte Text aus der Reihe der eben genannten Kandidaten, und da es sich bei diesem Text zudem um Descartes’ letzte Veröffentlichung handelt, kommt den Passionen gleichsam automatisch eine besondere Rolle bei der Rekonstruktion der morale définitive zu: Nämlich zum einen, weil ein veröffentlichter Text mit einiger Wahrscheinlichkeit weniger bloße Vorüberlegungen enthalten mag als Äußerungen in Briefen, und weil ein letztes Werk immer die etwas ehrfurchtgebietende Aura eines Testaments umgibt. Letzteres ist freilich schnell entzaubert, denn Descartes wußte nicht – wenn man die Äußerungen dunkler Vorahnung einmal beiseite läßt, die sich immer finden, wenn man sie sucht –, daß er in Stockholm sterben würde (er 20
AT IX, 14 = PhB 624, 160/161.
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war von seiner Koffeintherapie völlig überzeugt). Nun erweist sich indes die Behauptung, die Passionen der Seele enthielten deshalb Äußerungen über die morale définitive, weil sie Descartes’ Affektenlehre ausführen, alsbald als ausgesprochen schwierige Behauptung, die einen ganzen Sack voller Probleme öffnet und einigermaßen ungeordnet ausbreitet, und zwar obwohl das hinter dieser Ansicht stehende Argument verblüffend einfach zu sein scheint: Descartes habe im Discours Regeln der Moral beschrieben, die nicht dem methodischen Zweifel unterworfen werden und deshalb noch gar nicht auf der Basis der grundgelegten Metaphysik stehen könnten; weil nun die Passionen ein Werk seien, das Descartes nach den Meditationen und den Prinzipien verfaßt habe, sei davon auszugehen, daß jene Textpassagen der Passionen, in denen er moralphilosophische Themen behandele oder zumindest streife, auf der Basis der durch den Zweifelsprozeß grundgelegten Metaphysik stünden und deshalb als Aussagen zur morale définitive gelten könnten. Aber dieser zunächst einleuchtenden Argumentation ist mit Vorsicht zu begegnen, weil sie etliche Dinge voraussetzt, die keineswegs schon ausgemacht sind. So stellt sich zunächst die Frage, in welchem pointierten, d. h. über die banale Feststellung, daß die Passionen zeitlich nach den Meditationen verfaßt wurden, hinausgehenden Sinne die in den Passionen enthaltene Theorie eigentlich auf der Basis der grundgelegten Metaphysik steht. Es stellt sich dann die Frage, inwiefern die Psychologie (nennen wir sie mal so) der Passionen eine Grundlage für eine Moralphilosophie abgibt; und es stellt sich die Frage nach dem Cartesischen Verständnis von Praxis überhaupt. Versucht Descartes tatsächlich, Moral unmittelbar auf eine metaphysische Basis zu stellen und sie grundzulegen in einer Weise, die der Grundlegung der Physik in der Metaphysik analog ist, oder hat Moral ihre nächste Grundlage nicht vielmehr in der Psychologie, so daß sie nur vermittelt über diese Psychologie in der Metaphysik grundgelegt ist? Nun scheinen gegen den Gedanken einer zweiten Grundlegung der Moral durch eine auf metaphysischer Basis stehende Psychologie, die die nächste Grundlage der Moral bildet, so daß die Metaphysik ihre Grund-
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sätze gleichsam durch die Psychologie hindurch an die Moral weiterreicht, die Äußerungen Descartes’ zu sprechen, in denen er das Abhängigkeitsverhältnis von Metaphysik, Physik und Moral bestimmt. So spricht er in seiner berühmtesten diesbezüglichen Aussage im Lettre-Préface von der Metaphysik als den Wurzeln eines Baumes, der Physik als dessen Stamm, und der Medizin, Mechanik und Moral als seinen drei Hauptästen.21 Keine Rede also davon, daß Moral ihrerseits grundgelegt wäre in einer Psychologie, sondern die Rolle der Vermittlerin zwischen Metaphysik und Moral kommt in diesem Bild vielmehr der Physik zu. Der einzige Ausweg, der es erlaubt, den Gedanken einer Gründung der Moral in der Psychologie mit der Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse in der Baum-Metapher zu vermitteln, besteht also darin, Psychologie als eine Art der Physik aufzufassen – und genau das abzuhandeln hat Descartes in seinem zweiten Brief an den Herausgeber angekündigt, und genau das hat er vorher schon im Lettre-Préface vertreten, in dem er behauptet, die morale définitive gründe »auf einer vollständigen Erkenntnis der anderen Wissenschaften« – und nicht etwa der Metaphysik – und sei deshalb »die letzte und höchste Stufe der Weisheit«.22 Zudem fällt auf, daß viele Rekonstruktionen der morale définitive die morale par provision letztlich irgendwie in die morale définitive integrieren. Dies mag man auf die banale Tatsache zurückführen, daß die drei oder vier Maximen der morale par provision im Discours ganz entgegen jener Erwartung, die diese Bezeichnung hervorruft, die mit Abstand systematischste Äußerung Descartes’ zur Moral darstellen, während alles andere einigermaßen mühsam aus Briefen rekonstruiert werden muß, in denen Descartes sich im Vergleich mit seinen veröffentlichten Werken für ihn ganz untypisch mit Werken anderer Autoren auseinandersetzt, an deren Aufbau er sich zunächst abarbeitet. Die Frage nach den Passionen ergibt sich erst im Verlaufe dieser Lektüre, und das deutet eher darauf hin, daß die Psychologie, die 21 22
AT IX, 14 = PhB 624, 160/161. Ebd.
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Lehre von den Passionen oder die Affektenlehre, in Abhängigkeit von der Moral steht und nicht umgekehrt. Aber die Rückkehr etlicher Rekonstrukteure der morale définitive Descartes’ zu den vier Maximen der morale par provision kann sich nicht zuletzt auf den Discours selbst stützen, in dessen Präambel Descartes von »einigen Regeln der Moral spricht, die er aus dieser Methode gewonnen«23 habe. Dies wiederum führt auf das knifflige Problem des Verhältnisses von grundgelegter Metaphysik und Methode bei Descartes, das sich hier auf die einfache Behauptung reduzieren läßt, daß sich etwas durchaus aus der Methode Descartes’ gewinnen läßt, ohne deshalb schon auf der Basis der im Zweifelsprozeß geläuterten Metaphysik zu stehen. Denn nicht zuletzt soll ja auch die Metaphysik selbst ein Ergebnis der Anwendung der Methode sein, und das läßt sich – so habe ich zumindest es vor einiger Zeit mir klarzumachen versucht – nur erklären, indem man nicht nur die Methode als etwas außerhalb der Metaphysik stehendes versteht, sondern auch die Bestandteile der sich dann läuternden Metaphysik als hergebrachte Elemente der Metaphysik anerkennt. Wenn die Grundlegung der Metaphysik gelingt, dann gibt es vorderhand keinen Grund, weshalb nicht auch die Grundlegung der Moral gelingen sollte, die zwar von der Denkbewegung des hyperbolischen Zweifels ausgenommen ist, nicht jedoch von der Methode insgesamt, die, weit entfernt davon, einfach eine Methode des Zweifelns zu sein, es erlaubt, die vier Maximen des Discours hervorzubringen. Genauso wie am Ende des hyperbolischen Zweifels dieselben metaphysischen Grundideen von Ich, Welt und Gott in geläuterter Form (was immer das sein mag) stehen, mögen am Ende in der morale définitive die vier Maximen der morale par provision als Regeln der morale définitive stehen. Mir scheint deshalb dringender als der Versuch, die morale définitive zu rekonstruieren, die Frage zu sein, was es eigentlich mit der morale par provision auf sich hat. Dieser Ausdruck hat zwei Bestandteile, die zumeist nicht übersetzt werden, weil 23
PhB 624, 2/3 = PhB 643, 2 = AT VI, 1.
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jede Übersetzung unklarer wäre als die bloße Übernahme der französischen bzw. lateinischen Ausdrücke. In der deutschen Alltagsprache versteht man unter Moral gemeinhin einen Kanon hergebrachter Regeln, durch die das menschliche Verhalten von außen her unter Bedingungen gestellt wird. Ein Mensch gilt dann als moralisch, wenn er ein diesen Regeln entsprechendes Leben führt, und wenn die Bereitschaft, diesen Regeln zu gehorchen, ihm nicht erst abgefordert werden muß, bzw. die Zeit, in der sie ihm tatsächlich abgefordert werden mußte, mit der Zeit seiner Erziehung zusammenfällt, die wiederum als praktisch abgeschlossen gelten kann. Wir werden, sagt Descartes in den Principia, »als Kinder geboren«,24 und deshalb reicht es nicht, wenn der Kanon moralischer Regeln nur faktische gesellschaftliche Gültigkeit besitzt, sondern Moralität bedarf subjektiver Gültigkeit, d. h. der Akzeptanz dieser Regeln durch den einzelnen Menschen. Auch das einfachste Verständnis menschlicher Moralität muß also ein gewisses moralisches Vermögen des Menschen voraussetzen, nämlich zumindest das, zunächst äußere Regeln zu den seinigen zu machen. Moralität ist demzufolge die prinzipielle Fähigkeit des Menschen, über einen solchen Kanon moralischer Regeln zu verfügen als seien seine Inhalte angeborene Fähigkeiten. Aber Descartes ist sich der grundsätzlichen historischen Bedingtheit moralischer Regeln und damit der grundsätzlichen Pluralität moralischer Kanons bewußt, und deshalb steht am Beginn der morale par provision die Frage nach der Wahl des Kanons. Es ist gut, sagt Descartes schon im ersten Abschnitt des Discours de la Méthode, »etwas über die Sitten verschiedener Völker zu wissen, damit wir unvoreingenommener über unsere urteilen und nicht denken (. . . ), alles, was nicht unseren Gewohnheiten entspricht, sei lächerlich und gegen die Vernunft«.25 Sitten, das sagt Descartes hier ganz klar, sind Gewohnheiten; aber er läßt unbestimmt, ob sie vielleicht mehr als bloße Gewohnheiten sind. Denn wenn nicht alles, was nicht unseren Gewohnheiten ent24 25
AT VIII/1, 5. PhB 624, 12/13 = PhB 643, 7 = AT VI, 6.
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spricht, nicht der Vernunft widerspricht, so ist darin die Frage aufgeworfen, ob und inwiefern das, was bei uns wie bei anderen zunächst bloße Gewohnheit ist, in einem Verhältnis einer irgendwie gearteten Entsprechung zur Vernunft stehen kann. Das philosophische Interesse richtet sich nun genau auf die Frage, was dieses Verhältnis der Entsprechung denn nun genau ist, worin also die Beziehung menschlicher Moralität zur Vernunft besteht; aber Descartes läßt dieses Interesse an dieser Stelle unbefriedigt, und er läßt damit auch die Weise der Grundlegung von Moral in der Metaphysik unbestimmt. Descartes konstatiert das empirische Datum, daß sich das menschliche Individuum zwar einer potentiellen Vielzahl sittlicher Kanons gegenübersteht, aber sich immer schon in einer bestimmten Gesellschaft befindet, so daß es eine Wahl nur treffen kann zwischen denjenigen Kanons, die in der Gesellschaft, in der es lebt, auch zur Verfügung stehen. Trifft man diesbezüglich eine unrealistische Wahl, wird man zum Fremden im eigenen Land; damit fallen alle jene Dinge heraus, die »bei anderen großen Völkern (. . . ) allgemein üblich und akzeptiert sind«, die uns aber »ziemlich verrückt und lächerlich erscheinen«.26 Deshalb ist Descartes’ erster Grundsatz der Moral, »den Gesetzen und Gewohnheiten meines Landes zu gehorchen, indem ich beharrlich die Religion aufrechterhielt, in der ich durch Gottes Gnade seit meiner Kindheit unterrichtet worden war, und indem ich mich in allem anderen entsprechend den maßvollsten und am weitesten von Übertreibung entfernten Meinungen regierte, die bei den Verständigsten unter denen, mit denen ich leben würde, in der Praxis allgemein anerkannt waren«.27
Was Descartes hier beschreibt, ist die Wahl eines moralischen Kanons, die in Cartesischer Ausdrucksweise selbst nur eine »moralische Gewißheit« besitzt. Denn wenn die Wahl des moralischen Kanons der französischen katholischen Gesellschaft seiner Zeit 26
Disc. I: PhB 624, 18/19 = PhB 643, 10 = AT VI, 10. Disc. PhB 624, 49/41 = PhB 643, 21 = AT VI, 22–23; vgl. Pierre Charron: De la sagesse III, 118–119. 27
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dem Umstand geschuldet ist, daß Franzosen keine Perser oder Chinesen sind, wird die Wahl der katholischen Moral als eine naheliegende charakterisiert, gegen die keine Vernunftgründe sprechen, aber es liegt darin auch, daß noch ganz unausgemacht ist, inwiefern katholische Moral aus der Vernunft folgen sollte. Descartes ist also weit davon entfernt, die katholische Moral inhaltlich aus der Vernunft zu deduzieren. Für die göttliche Gnade, als Christ erzogen worden zu sein, gilt dasselbe wie für die göttliche Offenbarung, von der Descartes im Lettre-Préface sagt, daß sie keine Stufe der Weisheit darstelle, »weil sie uns nicht über Stufen leitet, sondern uns mit einem Schlag zu einem unfehlbaren Glauben erhebt«,28 und damit steht göttliche Offenbarung quer zu den Stufen der Weisheit, nämlich quer zu (1) der Erkenntnis jener Grundbegriffe, »die aus sich selbst heraus so klar sind, daß man sie ohne Meditation erlangen kann«, (2) quer zu dem, was uns die sinnliche Erfahrung erkennen läßt, (3) quer zu dem, was wir aus der Unterhaltung mit anderen Menschen und (4) der Lektüre erfahren, und quer vor allem auch zu der fünften Stufe, auf der erst so etwas wie Philosophie stattfindet, nämlich wenn wir versuchen, »die ersten Ursachen und die wahren Prinzipien zu suchen, aus denen man die Gründe alles dessen deduzieren kann, das zu wissen möglich ist«.29 Kann man sich vorstellen, daß diese Ortsbestimmung der katholischen Moral beim Klerus und den katholischen Theologen Beifall gefunden hat? Daß ein Kanon moralischer Regeln in dem Sinne moralisch ist, daß er moralische Regeln enthält, ist eine Banalität, für die man keine Philosophie benötigt; daß aber die Wahl eines moralischen Kanons selbst bloß moralische Gewißheit beanspruchen kann, ist eine bedeutende philosophische Erkenntnis, der Descartes Rechnung trägt, indem er anerkennt, daß es in jeder Gesellschaft, die sich durch die Verpflichtung auf einen bestimmten moralischen Kanon definiert, gemäßigte und ungemäßigte Menschen gibt. Dort, wo die Herleitung des moralischen Kanons nicht er28 29
PhB 624, 144/145 = AT IX, 5. Ebd.
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Einleitung
folgt und die Möglichkeit einer solchen Herleitung überhaupt unbestimmt gelassen wird, ist es besser, sich die gemäßigsten Vertreter dieses moralischen Kanons zum Vorbild zu nehmen. »Der Plan einer Privatperson, den Staat zu reformieren, indem sie ihn von den Fundamenten her veränderte und umstürzte, um ihn wiederzuerrichten«30 hat wenig Aussicht auf Erfolg und ist vor allem abzulehnen, weil Staaten »schwer wieder aufzurichten [sind], wenn sie abgerissen sind, und ebenso schwer aufrechtzuerhalten, wenn sie erschüttert werden, ihr Zusammenbruch aber (. . . ) immer heftig« ist.31 Deshalb kann Descartes »jene verwirrten und unruhigen Charaktere überhaupt nicht akzeptieren, die, ohne Geburt oder Zufall [fortune: hier so etwas wie »sich in der Tat beweisende Geschicklichkeit«] zur Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten berufen zu sein, es nicht unterlassen, Ideen zu irgendwelchen neuen Reformationen auszuhecken«.32 Die bloß moralische Gewißheit der Wahl eines bestimmten moralischen Kanons ist jene »certitudo moralis«, die Descartes am Ende seiner Principia rückblickend auf das von ihm Dargelegte für seine Physik in Anspruch nimmt: »Damit (. . . ) nicht die Vortäuschung von Wahrheit (veritati fraus) entstehe, muß beachtet werden, daß es mancherlei gibt, was für moralisch gewiß gehalten wird (habentur certa moraliter), will sagen: insofern es für die Anwendung im wirklichen Leben ausreicht, obwohl es, wenn es auf die absolute Macht Gottes bezogen wird, ungewiß ist«.33
Descartes gibt als Beispiel moralischer Gewißheit die Entschlüsselung eines verschlüsselten Briefes: Wenn es gelingt, aus einem verschlüsselten Brief eine sinnvolle Aussage zu gewinnen aufgrund eines Verfahrens, das zunächst eine bloße Annahme ist, 30
Disc. II: PhB 624, 24/25 = PhB 643, 13 = AT VI, 13. Disc. II: PhB 624, 24/25 = PhB 643, 13 = AT VI, 14. 32 Disc. II: PhB 624, 26/27 = PhB 643, 14; »Il faut laisser le monde où il est, ces brouillons et remueurs de ménage, sous prétexte de reformer, gâtent tout« (Pierre Charron: De la sagesse II, 208). 33 Prin. IV, 205: PhB 566, 630/631 = AT VIII/1, 327–328. 31
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dann zeigt der Erfolg der Entschlüsselung, daß diese Annahme gerechtfertigt war. Ebenso, wenn Descartes aus »einigen wenigen Prinzipien« Erklärungen über den Aufbau der Welt gewinnt. Die Richtigkeit der Prinzipien erweist sich für Descartes rückwirkend durch ihre Fähigkeit, Phänomene der Welt zu erklären. Damit ist, und das ist ein Grundcharakteristikum der Cartesischen Physik, Naturwissenschaft immer »fiktiv«, d. h. sie begnügt sich damit, brauchbare Erklärungen empirischer Phänomene beizubringen, und auch wenn die dafür aktivierten Prinzipien aus der Perspektive absoluten Wissens gesehen unsinnig sein mögen, sind sie richtig in dem einzigen wichtigen Hinblick darauf, ob sie für den Gebrauch des Menschen hinreichen. Diese Fiktivität ist unhintergehbar, weil der Mensch nicht die Perspektive absoluten Wissens einnehmen kann. Zwischen der Welt und ihrer Erklärung bleibt so ein unaufhebbarer Graben, der bewirkt, daß die Erklärung nicht in eigentlichem Sinne wahr, sondern nur gelungen sein kann, nämlich dann, wenn sie stimmig ist, d. h. ihren eigenen Prinzipien nicht widerstreitet und mit den Phänomenen übereinstimmt. In diesem Fall ist sie moralisch gewiß, nämlich »insofern es für die Anwendung im wirklichen Leben ausreicht (quantum sufficit ad usum vitae)«. Oder sogar, wie Descartes dann in Prin. IV, 206 ankündigt »vielmehr sogar mehr als bloß moralisch (imo plusquam moraliter)«. Mehr als bloß moralisch gewiß ist »dasjenige, was sich auf das metaphysische Fundament stützt, daß Gott von höchster Güte und geringstem Trug ist und daß daher das Vermögen, das er uns gegeben hat, um das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, sofern wir uns seiner recht bedienen, nicht irren kann, und daß das, was wir mit seiner Hilfe deutlich erfaßt haben, kein Irrtum ist. Von dieser Art sind die Beweise der Mathematik; von dieser Art ist auch die Erkenntnis, daß materielle Dinge existieren, und ebenso von dieser Art sind alle evidenten Vernunfterkenntnisse, die aus ihnen entstehen«.34 34
PhB 566, 632/633 = AT VIII/1, 328.
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Wenn Descartes den methodischen Zweifel in Prin. I, 3 mit dem Argument »einstweilen allein auf die Betrachtung der Wahrheit« einschränkt, weil »sonst sehr oft die Gelegenheit vorbeizöge, die Dinge zu tun, die keinen Aufschub dulden, bevor wir uns unserer Zweifelsgründe entledigen könnten«, so daß wir »im praktischen Leben nicht selten gezwungen sein [werden], das zu wählen, was bloß wahrscheinlich ist, oder zuweilen sogar, uns auch dann zu etwas zu entschließen, wenn von zwei Möglichkeiten keine die Wahrscheinlichere ist«,35 dann ist darin also keineswegs eindeutig nur das praktische Leben im Sinne des Bereichs des ethisch relevanten menschlichen Agierens ausgeschlossen, sondern alles, was zu tun keinen Aufschub duldet. Der Arzt, der einen kranken Menschen heilen soll, hat nicht beliebig viel Zeit, um seine Behandlung auf eine Diagnose zu gründen, die einem radikalen Zweifel standhält, sondern er muß sich auf Anzeichen, Merkmale oder Symptome verlassen, die nach seiner Erfahrung auf eine Krankheit hindeuten, die am besten mit jener Behandlungsmethode zu heilen ist, mit jener anderen aber nicht. Wenn nun die Symptome sowohl Anzeichen für die eine wie für die andere Krankheit sein können, dann hat er keine empirischen Daten für eine Entscheidung. Von Moralität im Sinne der in diesem Zusammenhang sich dem heutigen Leser sofort aufdrängenden »ethischen Fragen« ist hier schlicht überhaupt nicht die Rede. Wenn dem so ist, nämlich wenn alles menschliche Handeln immer nur eine zunächst moralische Gewißheit besitzt, die sich erst durch den Erfolg zur Gewißheit steigert oder durch den Mißerfolg selbst aufhebt, dann wird freilich umso unklarer, weshalb es des Zusatzes bedürfen sollte, der diese Moral als provisorisch oder vorläufig charakterisiert. Denn Vorläufigkeit ist kein Akzidenz, sondern ein Wesensattribut der Moral. Nun kommt der Ausdruck provision in der Passage, in der Descartes die morale par provision einführt, zweimal vor:
35
PhB 566, 10/11 = AT VIII/1, 5.
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»Aber es genügt nicht, die Unterkunft abzureißen, in der man wohnt, Baumaterial und Architekten zu besorgen [faire provision de], oder sich selbst in der Architektur zu üben, und außerdem den Plan dazu sorgfältig ausgearbeitet zu haben, bevor man beginnt, sie wieder aufzubauen, sondern es ist auch nötig, sich mit einer anderen versorgt zu haben, in der man in der Zeit, in der man an ihr arbeitet, angenehm untergebracht sein kann. Genauso bildete ich mir eine vorläufige Moral [morale par provision], damit ich in meinen Handlungen nicht unentschlossen bliebe, während die Vernunft mich verpflichete, es in meinen Urteilen zu sein, und damit ich es nicht unterlassen würde, währenddessen so glücklich weiterzuleben, wie ich konnte«.36
Das ist ein Teil jener Folge von architektonischen Metaphern, mit denen Descartes sein Vorhaben der metaphysischen Grundlegung der Wissenschaften illustriert. Descartes spricht von drei Häusern, einem, das es einzureißen gilt, einem, das an die Stelle des dann eingerissenen tritt, und einem dritten, in dem man in der Zwischenzeit wohnt. Das einzureißende Haus ist die Philosophie der Scholastik, das neu zu errichtende die Cartesische Wissenschaft, und zwar die Wissenschaft insgesamt, also nicht nur die Metaphysik, die nur das Fundament oder den Keller des Hauses bildet. Dieses Haus besitzt so viele Zimmer, wie es Einzelwissenschaft gibt, die auf dem Fundament der Metaphysik stehen; nur die Zimmer des Erdgeschosses sind direkt mit dem Keller und damit dem Fundament verbunden. Das dritte Haus ist eine Art Notunterkunft, in der der Bauherr in der Zwischenzeit wohnt, und die er nach der Fertigstellung des neuen Hauses verläßt und einreißt. Es symbolisiert die bloß vorläufige Moral. Die Aufgabe der morale par provision besteht, so sagt Descartes, dafür zu sorgen, daß »ich in meinen Handlungen nicht unentschlossen bliebe, während die Vernunft mich verpflichete, es in meinen Urteilen zu sein«. Auch diese Aussage aber läßt sich nicht einfach auf den Gegensatz von theoretischer Philoso36
PhB 524, 40/41 = PhB 21 = AT VI, 22.
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Einleitung
phie und moralisch-praktischer Philosophie abbilden, denn das würde bedeuten, daß die morale par provision dazu dienen sollte, Entschlossenheit in den moralischen Handlungen zu ermöglichen, ohne dafür zu urteilen, während auf der anderen Seite gerade Urteilsenthaltung es möglich machen soll, das neue Haus zu errichten. In der Tat ist die Metaphorik in diesem Fall reichlich unbefriedigend, denn es ist befremdlich, daß offenbar sowohl das moralische Handeln als auch die theoretische Tätigkeit unter das Gebot der Urteilsenthaltung fallen sollen: Das moralische Handeln, weil es ohne theoretische Grundlegung auskommen muß, und die theoretische Tätigkeit, weil ohne Zweifel, also Urteilsenthaltung, das alte Haus gar nicht einzureißen ist, gleichzeitig das neue aber geplant und errichtet werden soll – was Urteilen voraussetzt. Die Pointe der Metapher ist indes, daß die Unterkunft, in der derjenige zwischenzeitlich wohnt, der sich ein neues Haus errichtet, ihn überhaupt erst in die Lage versetzt, das neue Haus zu errichten. Deshalb können die Regeln der morale par provision nicht einfach ethische Regeln sein, sondern müssen Regeln menschlicher Praxis überhaupt darstellen. Damit umfaßt der Bereich dessen, was auf dem Weg zur Grundlegung der geläuterten Metaphysik der morale par provision unterstellt wird, das menschliche Handeln insgesamt: Der methodische Zweifel steht auf der Basis der morale par provision – vielleicht die Methode überhaupt, von der er nur ein Teil ist?
b)
Urteilsenthaltung
Der Geltungsbereich der morale par provision geht über moralische Praxis hinaus auf menschliche Praxis überhaupt. Morale par provision eröffnet die Möglichkeit, in allen jenen Fällen des Lebens zu handeln, in denen wir die Prinzipien unseres Handelns nicht bis auf unbezweifelbare Grundsätze zurückführen können und deshalb darauf angewiesen sind, mit provisorischen Grundsätzen, also theoretischen Hypothesen oder vorläufigen praktischen Maximen, zu operieren. Gerade wenn aber die morale par
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provision nicht neben der theoretischen Vernunft herläuft und nicht nur menschliches Handeln in ethischer Hinsicht, sondern auch technisch-praktisches Handeln ermöglicht, dann stellt sich dringend die Frage, wie ein solches Handeln, das doch wohl irgendwie Urteilen beinhaltet, möglich sein soll, wenn es gleichzeitig der Vernunftforderung nach Urteilsenthaltung entsprechen soll. Nun dient die Thematisierung der Urteilsenthaltung zunächst nicht einer Handlungstheorie, sondern der Lösung eines ganz anderen Problems, nämlich dem der Entstehung des Irrtums. Descartes kann – das sei an dieser Stelle zugestanden – zu Beginn der vierten Meditation auf seinen Nachweis zurückgreifen, daß Gott existiert und kein Betrüger ist, weil es Gottes Wesen widerspricht, uns unablässig zu täuschen, uns also wie ein böser Dämon die Welt nur vorzugaukeln. Gott hat uns also kein Erkenntnisvermögen gegeben, das uns unablässig täuscht, sondern ein solches, das uns die Wahrheit anzeigen kann. Wie aber ist es dann eigentlich möglich, daß wir uns überhaupt irren? Descartes argumentiert bekanntlich so, daß unsere Erkenntnis prinzipiell unbegrenzt, d. h. potentiell, wenn auch nie faktisch unendlich ist, daß aber unser Wille oft weiter auslangt, d. h. sich auf Dinge erstreckt, über die wir unzureichende oder auch gar keine Erkenntnis besitzen: »Weder die Kraft, zu wollen, die ich von Gott habe, für sich genommen [ist] die Ursache meiner Irrtümer (. . . ), denn sie ist äußerst umfassend und in ihrer Art vollkommen, noch die Kraft, einzusehen; denn alles, was ich einsehe, sehe ich zweifellos richtig ein, da ich es ja von Gott habe, daß ich einsehe, und es insofern unmöglich ist, daß ich mich täusche«.37
Alle Täuschung, sagt Descartes schon in den Regulae ad directionem ingenii »geschieht niemals durch eine verkehrte Ableitung, sondern allein dadurch, daß bestimmte unzureichend eingesehene Experimente vorausgesetzt oder Urteile blindlings und
37
Med. IV: PhB 597, 116/117 = PhB 598, 64 = AT VII, 58.
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ohne Fundament gefällt werden«.38 Dies betrifft vor allem das häufigste menschliche Vorurteil, nämlich daß es in den äußeren Objekten irgendetwas gebe, »das unseren Ideen oder Empfindungen von ihnen ähnlich sei«.39 Denn selbst wenn die Erkenntnis Gottes uns das vormalige Vorurteil, daß es überhaupt »bestimmte Dinge außerhalb von mir gebe, von denen diese Ideen herrühren, und denen sie ganz ähnlich [sind]«,40 insofern wieder als Wahrheit einsetzt, als es ja tatsächlich außerhalb von mir solche Dinge gibt, bleibt es dennoch ein Vorurteil, zu meinen, unsere Ideen von diesen Dingen seien diesen Dingen selbst gleich. Das nämlich ist eine Behauptung, die über unsere Erkenntnis hinausgeht, weil wir die äußeren Objekte nur durch die Ideen erkennen können, die wir von ihnen haben; um die Entsprechung dieser Ideen mit den wirklichen Objekten behaupten zu können, müßten wir über eine Erkenntnis dieser Objekte verfügen, die diese Ideen umgeht; eine solche Erkenntnis aber gibt es nicht, und deshalb ist alle unsere Erkenntnis prinzipiell fiktiv, weil sie immer eine Erkenntnis unserer Ideen von den Objekten, nicht der Objekte selbst ist. Wahrheit der Erkenntnis kann sich so immer nur messen an der Vereinbarkeit mit anderen Erkenntnissen und daran, daß keine empirischen Daten auftreten, die dieser Erkenntnis widersprechen und sie so widerlegen. Dieses und die anderen aus unserer Kindheit stammenden Vorurteile sind daraus entstanden, daß der Mensch in der Kindheit die Vernunft nicht unabhängig von der Sinnlichkeit gebrauchen konnte. Ursprünglich sind uns die Sinneswahrnehmungen »von der Natur eigentlich nur gegeben, um für den Geist kenntlich zu machen, wenn etwas für das Zusammengesetzte, von dem er ein Teil ist, angenehm oder unangenehm ist«,41 d. h. der Geist bildet Verallgemeinerungen aus Erfahrungen des Angehmen und Unangehmen, des Zuträglichen und Unzuträglichen, des Nützlichen und 38 39 40 41
Reg. II: PhB 613, 10–12/11–13 = Crap. 5. Diop. I: PhB 643, 74 = AT VI, 85. Med. III: PhB 597, 70/71 = PhB 598, 40 = AT VIII, 35. Med. VI: PhB 597, 168/169 = PhB 598, 90 = AT VII, 83.
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Schädlichen und versteht diese Verallgemeinerungen als gültige Urteile über die Dinge selbst, die er als schön und häßlich, gut und übel oder richtig und falsch beurteilt. Wenn der Wille diese Urteile aber unterläßt, übt er Urteilsenthaltung: »Wenn ich (. . . ) nicht ausreichend klar und deutlich erfasse, was das Wahre ist, ist es klar, daß ich richtig handele und mich nicht täusche, wenn ich nur davon absehe, ein Urteil zu fällen. Behaupte oder bestreite ich aber, dann verwende ich die Freiheit der Willkür nicht richtig, und ich täusche mich völlig, wenn ich mich auf die Seite dessen schlage, was falsch ist; vertrete ich indes die andere, treffe ich zwar durch Zufall die Wahrheit, werde deshalb aber noch nicht der Verantwortung dafür entbunden sein: Denn es ist durch das Natürliche Licht offenkundig, daß stets die Erfassung des Verstandes der Bestimmung des Willens vorhergehen muß«.42
Es scheint mir offenkundig zu sein, daß Urteilsenthaltung in der Unterlassung von Bewertungsurteilen besteht. Eine solche Enthaltung ist aber nur dann möglich, wenn bereits Erkenntnisurteile vorliegen; denn wenn der Verstand dem Willen etwas vorlegt, damit dieser es behauptet oder bestreitet, bzw. anstrebt oder vermeidet, dann setzt dies voraus, daß der Verstand bereits durch irgendetwas angeregt wurde und er eine Idee dessen entwickelt hat, was ihn angeregt hat. Wenn Descartes in den Regulae eine Ausrichtung der Geisteskraft einfordert, »über alles, was es gibt, zuverlässige und wahre Urteile zustandezubringen«,43 dann setzt das voraus, daß es etwas gibt, worüber Urteile abgegeben werden können. Das, »was es gibt«, kann nur etwas sein, was der Verstand bereits konstituiert hat, weil wir die Dinge nicht direkt erkennen, wie sie an sich sind, sondern durch die Ideen von ihnen, die wir unter Aktivierung bestimmter angeborener Erkenntnisfunktionen zustande bringen. 42 43
Med. IV: PhB 597, 120/121 = PhB 598, 66 = AT VII, 59–60. PhB 613, 2/3 = Crap. 1.
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Nun gibt es, so behauptet Descartes, nur zwei Tätigkeiten des Verstandes, nämlich Intuition und Deduktion.44 Unter Intuition versteht Descartes »nicht das Vertrauen in die unbeständigen Sinne oder das trügerische Urteil einer schlecht zusammensetzenden Anschauung, sondern einen so einfachen und deutlichen Begriff des reinen und aufmerksamen Geistes, daß über das, was wir einsehen, schlichtweg kein Zweifel mehr übrigbleibt«.45
Descartes’ Abweis eines vermeintlichen Urteils, das deshalb trügerisch ist, weil es auf der Aktivität einer schlecht synthetisierenden Anschauung beruht, ist freilich noch viel zu freundlich formuliert, denn die Anschauung urteilt nicht schlecht, sondern überhaupt nicht. Das schließt nicht aus, daß die Anschauung den Gegenstand in gewisser Weise synthetisiert. Descartes beschreibt diesen Vorgang wiederholt sachlich übereinstimmend, wann immer sich ihm Gelegenheit bietet: Die vom betrachteten Objekt ausgehenden (nicht notwendigerweise von ihm ausgesandten!) Lichtstrahlen erzeugen auf den Netzhäuten der Augen zwei Zeichnungen; dadurch werden die mit den Netzhäuten verbundenen Sehnerven in einer solchen Weise angeregt, daß sie dort, wo sie zusammenlaufen, nämlich in der berüchtigten Zirbeldrüse, gemeinsam ein Abbild dieser Zeichungen zusammensetzen. Nun gibt es keineswegs »in unserem Gehirn wiederum andere Augen (. . . ), mit denen wir [dieses Abbild] wahrnehmen könnten«, denn ein solches Modell würde nicht nur das Problem einfach verschieben, sondern wäre auch ganz untauglich für die Erklärung irgendwelcher anderen sinnlichen Wahrnehmungen als der visuellen. Deswegen sind es vielmehr »die Bewegungen, durch die diese Abbildung gebildet wird, die von der Natur dazu eingerichtet sind, unsere Seele solche Empfindungen haben zu lassen«.46 Der Begriff Intuition bezeichnet weder diese 44 45 46
Reg. III: PhB 613, 16/17 = Crap. 8. PhB 613, 16–18/17–19 = Crap. 8. Diop. VI: PhB 643, 110 = AT VI, 130.
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Synthesis des Gegenstandes in der Anschauung, noch eine ästhetische Erkenntnis, die irgendwie ohne Begriffe vor sich ginge, sondern die Konstitution des Gegenstandes als Erkenntnisgegenstand. Intuition erfaßt den Gegenstand als Begriff, und zwar als »so einfachen und deutlichen Begriff des reinen und aufmerksamen Geistes, daß über das, was wir einsehen, schlichtweg kein Zweifel übrigbleibt«. Wenn Descartes die Möglichkeit, diesen »einfachen und deutlichen Begriff« dem Zweifel zu entziehen, in eine Abhängigkeit von der Tatsache bringt, daß er ein Begriff des »reinen Geistes« ist, dann läßt sich das leicht dahingehend mißverstehen, daß dieser Begriff deshalb dem Zweifel entzogen sein könne, weil er ein reiner Verstandesbegriff in einem transzendentalen Sinne sei. Darum geht es hier aber nicht, sondern darum, daß die Konstitution des Objekts als Erkenntnisgegenstand, und zwar auch und gerade des empirischen Objekts, allein durch den Geist erfolgt, oder, wie Descartes später in der vierten Meditation präzisiert, durch den bloßen Verstand, durch den »ich nur die Ideen [erfasse], über die ich ein Urteil fällen kann«.47 Der Begriff Intuition weist so einen doppelten Charakter auf, sie ist, wie Descartes ja ganz ausdrücklich sagt, einerseits eine Tätigkeit des Verstandes, nämlich einen Erkenntnisgegenstand zu konstituieren, und sie ist anderseits dieser Erkenntnisgegenstand selbst. Umgekehrt tritt die Deduktion eher als Tätigkeit des Verstandes hervor denn als Erkenntnisgegenstand; Deduktion ist jene Tätigkeit, durch die der Verstand einzelne intuitiv erkannte Gegenstände zu größeren Erkenntnissen kombiniert. Wenn der Verstand eine Kette von Deduktionen insgesamt auffaßt, kann er sie wiederum als abgeschlossene Tätigkeit und damit als einzelnen Erkenntnisgegenstand betrachten, d. h. als ein intuitiv erkanntes Element zu weiterer Erkenntnis.48 Die Unterscheidung 47
PhB 597, 112/113 = PhB 598, 62 = AT VII, 56. Man störe sich hier nicht daran, daß Descartes die Induktion, die man gemeinhin der Deduktion gegenüberstellt, nicht zu kennen scheint. Das ist nicht der Fall, denn seine analytische Methode setzt gerade induktive Denkbewegungen voraus, nicht zuletzt auch in den Regulae ad directionem ingenii selbst. Denn Descartes versucht hier, allgemeine 48
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zwischen Erkenntnisurteilen auf der einen und Bewertungsurteilen auf der anderen Seite ist bei Descartes nicht unter dieser Bezeichnung, aber sachlich vorhanden. Sie ist deshalb vorhanden, weil sie keine opportune oder pragmatische Unterscheidung ist, sondern eine Unterscheidung von Vermögen im Verstand selbst. Das Verhältnis von Verstand und Wille läßt sich demnach nicht einfach daran festmachen, daß der Verstand erkennt und der Wille urteilt; denn wenn der Verstand dem Willen etwas zur Beurteilung vorlegt, muß dem eine Synthesis ohne Urteil in der Anschauung nicht weniger schon vorausgegangen sein wie ein Erkenntnisurteil des Verstandes. Hieraus erklärt sich, daß Descartes zuweilen den Willen als eine besondere Form des Verstandes und zuweilen als eine sich vom Verstand entweder lösende oder unabhängig von ihm agierende Instanz bestimmt. Wir können, sagt Descartes in Regel XII, »beim Verstand zwei Vermögen unterscheiden, das eine, durch das er ein Ding intuitiv und denkend erkennt, und das andere, durch das er behauptend oder bestreitend urteilt«.49 Der Wille als Vermögen der Bewertungsurteile, der Zustimmung oder Ablehnung, Bejahung und Verneinung, stellt
Regeln des Denkens, die man auch sehr gut als Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens, als Regeln des Denkens beim Lösen jedweder, also auch alltäglicher, Probleme verstehen kann, zu analysieren, bis diese Regeln auf die Tätigkeiten des Geistes selbst zurückgeführt sind und sich die Regeln, mit deren Darstellung er begonnen hat, als Folgerungen aus jenen zeigen lassen, die er zuletzt gefunden hat, die aber hierarchisch betrachtet die ersten sind. Aus der Perspektive des reinen Verstandes ist Denken immer ein schlußfolgerndes Voranschreiten, d. h. auch die Induktion ist ein Beginnen mit etwas und Schlußfolgern auf etwas anderes, und es spielt für den Verstand überhaupt keine Rolle, ob das, womit er beginnt, ein für den Menschen erstes oder ein an sich erstes; oder ein für den Menschen letztes oder an sich letztes ist. So betrachtet ist eben auch das, was man Induktion nennt, eine Deduktion. Den Ausdruck Induktion benutzt Descartes deshalb nur für etwas ganz anderes, nämlich die Aufzählung (enumeratio). 49 PhB 613, 106/107 = Crap. 47.
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sich so dar als eine besondere Fähigkeit des Verstandes selbst. Aber es ist, sagt Descartes in derselben Regel XII, »ein und dieselbe Kraft, die wir Sehen, Berühren usw. nennen, wenn sie sich mit der Anschauung dem Gemeinsinn zuwendet; oder Sich-Erinnern, wenn der Anschauung allein (. . . ); oder Anschauen bzw. Begreifen, wenn der Anschauung, um neue Gestalten zu konstruieren; oder Einsehen, wenn sie schließlich alleine tätig ist«.50
Diese eine Grundkraft des Geistes nennt man entsprechend der hier genannten Funktionen entweder (in umgekehrter Reihenfolge) reinen Verstand (intellectus purus), Anschauung (imaginatio), Gedächtnis (memoria) oder Sinn (sensus).51 Das aber sind Spezifizierungen innerhalb des Geistes, die weit von der Auffassung von Geistesvermögen als Institutionen entfernt ist, wie sie in späteren Erkenntnistheorien vertreten wird. Descartes teilt den menschlichen Geist nicht in Bezirke oder Institutionen ein, und deshalb kann er in der zweiten und später in der dritten Meditation den Begriff des Denkens weit fassen und Einsehen, Behaupten, Bestreiten genauso darunter begreifen wie Wollen oder Nicht-Wollen, Vorstellen und sinnlich Wahrnehmen,52 bzw. in der dritten Meditation Zweifeln, Behaupten, Bestreiten, Einsehen oder Nicht-Einsehen, Wollen oder Nicht-Wollen, Vorstellen und sinnlich Wahrnehmen.53 Deshalb kann der Wille als Teil des Verstandes gelten, nämlich gewissermaßen als Schlußstein, dem nach der Konstitution des Gegenstandes in der Synthesis der Anschauung und der Bestimmung dieses Gegenstandes als Exemplar dieser oder jener Art, Gattung, Gruppe oder Menge im Erkenntnisurteil der Verstand »in den einzelnen Vorfällen des Lebens (. . . ) im Vorwege anzeigt, was zu wählen sei«.54 50 51 52 53 54
PhB 613, 98/99 = Crap. 43–44. PhB 613, 98/99 = Crap. 44. AT VII, 28 = PhB 597, 56/57 = PhB 598, 32. AT VII, 34 = PhB 597, 68/69 = PhB 598, 39. Reg. I: PhB 613, 6/7 = Crap. 3.
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Es scheint mir deshalb schwierig zu sein, diesbezüglich einen Gegensatz zu jenen Äußerungen Descartes konstatieren zu wollen, in denen er eine andere Ansicht zu vertreten scheint, wie etwa in den Principia. Alle modi cogitandi, führt Descartes dort zwar aus, »die wir in uns erfahren, [können] auf zwei allgemeine zurückbezogen werden, von denen der eine die Erfassung – also die Tätigkeit des Verstandes –, der andere das Wollen – also die Tätigkeit des Willens – ist. Denn Empfinden, Vorstellen und reines Einsehen sind nur verschiedene Weisen des intellektuellen Erfassens, ebenso wie Begehren, Abhaltenwollen, Behaupten, Bestreiten, Zweifeln verschiedene Weisen des Wollens sind«.55
Aber im anschließenden Art. 33 wiederholt er seine Behauptung, daß wir uns nicht täuschen, sofern wir in bezug auf das, was wir erfassen, überhaupt nichts behaupten oder verneinen,56 und dies ermöglicht ihm die starke Behauptung des Artikels 34, daß »zum Urteilen sicherlich Verstand erforderlich [ist], weil wir über ein Ding, das wir auf keine Weise erfassen, keine Urteile fällen können«, daß aber eben »außerdem auch Wille nötig [ist], damit dem auf irgendeine Weise erfaßten Ding [zugestimmt wird] (assensio praebari)«.57 Das Auseinanderdriften von Verstand und Wille 55
Prin. I, 32: PhB 566, 40/41 = AT VIII/1, 17. Prin. I, 33: PhB 566, 40/41 = AT VIII/1, 40. 57 Prin. I, 34: PhB 566, 40/41 = AT VIII/1, 18. Ich korrigiere hier meine Übersetzung von assensium praebari in der angegebenen Weise, weil das von mir gesetzte Geltung verschaffen zu sehr in Richtung einer Durchsetzung zunächst subjektiver Erkenntnis in einer Allgemeinheit oder gar Öffentlichkeit geht. Eine solche Bedeutung scheint mir hier mitzuschwingen, im Vordergrund aber steht die Tätigkeit des Zustimmens bzw. Ablehnens selbst. – Ebenfalls anders würde ich heute im Falle der modi cogitandi verfahren. Natürlich sind das gedankliche Zugriffe; aber diese Übersetzung nimmt die historische Perspektive auf die Metaphysik der Scholastik weg, in deren Terminologie Descartes hier und an allen anderen Stellen, an denen er diesen Ausdruck verwendet, sicherlich nicht zufälligerweise operiert. Descartes behauptet hier, daß es möglich ist, der Seele als denkendem Ding Substantialität zuzusprechen, und weil er diese 56
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wird dadurch möglich, daß für das Erteilen von Zustimmung »eine vollständige und allumfassende intellektuelle Erfassung des Dinges nicht erforderlich« ist,58 und daraus ergibt sich zur Vermeidung von Irrtümern die auch in Prin. I, 43 aufgestellte Forderung, stets nur dem klar und deutlich Erfaßten zuzustimmen.59 In der Cartesischen Theorie gehört die Tätigkeit, Bewertungsurteile abzugeben, zum Willen, die dem vorangehende Tätigkeit, Erkenntnisurteile zu fällen, gehört zum Verstand. Verstand und Wille überlappen also hinsichtlich der Fähigkeit des Urteilens, ihnen ist die Urteilskraft gemeinsam. Wenn aber der zwischen beiden bestehende Unterschied nicht in einer verschiedenen Geisteskraft liegt, etwa derart, daß der Verstand die Institution einer bloßen Erkenntniskraft und der Wille der einer Beurteilungskraft ist, sondern beiden die allgemeine Urteilskraft zukommt, und wenn der zwischen beiden bestehende Unterschied sich auch nicht an verschiedenen Gegenstandsbereichen festmachen läßt, etwa derart, daß der Verstand allein auf theoretischen Erkenntnisgewinn aus wäre, der Wille hingegen allein auf menschliche ethische Praxis, dann kann der Unterschied zwischen beiden nur in der Eigenschaft liegen, die dem Verstand abgeht, dem Willen aber in herausragender Weise zukommt: der Freiheit.
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Willensbestimmung durch den Verstand und Willensfreiheit
»Es ist«, so behauptet Descartes in den Principia, »selbstverständlich, daß es eine Freiheit der Willkür gibt«,60 denn das ist so61 Behauptung im Blick hat, spricht er von dem Denken als einer Substanz, die in verschiedenen Modi vorkommen kann. 58 Prin. I, 34: PhB 566, 40/41 = AT VIII/1, 18. 59 PhB 566, 48/49 = AT VIII/1, 21. 60 Prin. I, 39: PhB 566, 44/45 = AT VIII/1, 19. 61 Ich korrigiere meine Übersetzung in PhB 566: »Daß es aber in unserem Willen Freiheit gibt und wir vielem nach eigenem Belieben zustimmen oder nicht zustimmen können, ist so offensichtlich, daß der
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offensichtlich, »daß der freie Wille zu den ersten und allgemeinsten Grundbegriffen gezählt werden muß, die uns angeboren sind«. Die Freiheit des Willens ist keine bloß moralische Erkenntnis, keine bloß praktisch oder regulativ gebotene Annahme, deren Beweis erst in einer philosophischen Erkenntnis zutage tritt, sondern sie ist eine jedem Menschen zugängliche empirische Erkenntnis62 von einer solchen Klarheit, daß es keiner weiteren philosophischen Untersuchung bedarf, um sie als allgemeinen Grundbegriff behaupten zu können. Der einfachste Fall dieser Erkenntnis oder Erfahrung besteht darin, daß wir den Willen haben können, äußerem Zwang zu widerstehen. Nun zeigt die alltägliche Erfahrung alsbald, daß, den Willen zu einem solchen Widerstand zu haben, noch nicht dasselbe ist wie dem Zwang tatsächlich zu widerstehen. Umgekehrt aber hebt der tatsächliche Nichtvollzug eines Vorhabens den diesem Vorhaben zugrundeliegenden Willen keineswegs schon auf. Denn ein böswilliger Dämon mag mir die Objekte der äußeren Welt nur vorgaukeln und es mag diese Objekte, falls es sie tatsächlich gibt, nicht in der Weise geben, wie ich sie in meinen Sinneseindrücken erfahre; aber es ist unbestreitbar, daß ich diese Sinneseindrücke tatsächlich habe – und genauso bleibt es wahr, daß ich den Willen habe, einem Zwang zu widerstehen, auch wenn ich diesem Willen, aus welchen Gründen auch immer, nicht Rechnung trage, also dem Zwang dennoch Folge leiste. Wenn ich also einem äußeren Zwang Folge leiste, bedeutet das nur, daß ich einen Willen produziere, ihm Folge zu leisten, der stärker als mein ursprünglifreie Wille zu den ersten und allgemeinsten Grundbegriffen gezählt werden muß, die uns angeboren sind«. Descartes schließt hier von der Offensichtlichkeit der Freiheit des Willens darauf, daß diese Freiheit ein allgemeiner Grundbegriff ist, nicht umgekehrt. 62 Ich kann mich, so stellt Descartes in der vierten Meditation fest, »nicht beklagen, daß ich von Gott keinen ausreichend umfassenden und vollkommenen Willen, bzw. eine etwa nur eingeschränkte Freiheit der Willkür erhalten hätte, erfahre ich doch, daß diese Freiheit, bzw. der Wille durch überhaupt keine Grenzen eingeschränkt wird« (Med. IV: PhB 597, 114/115 = PhB 598, 63 = AT VII, 56).
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cher Wille ist. Der Konflikt in der menschlichen Willkür besteht demnach nicht zwischen einerseits dem, was mir von außen abverlangt wird, und anderseits dem, was ich privat will, sondern er besteht in einem inneren Konflikt zwischen dem Willen, das zu tun, was ich »eigentlich« will, und meinem anderen Willen, dem Folge zu leisten, was man von mir fordert. Wenn seinem späteren Bericht im Discours de la Méthode Descartes 1633 seinen Entwurf Le Monde aufgrund der Erkenntnis verwirft, daß die Autorität gewisser »Personen, denen ich mich unterwerfe, (. . . ) kaum weniger über meine Handlungen vermag als meine eigene Vernunft über meine Gedanken«,63 dann erstreckt sich die Autorität dieser Personen nur deshalb über meine Handlungen hinaus auch auf meinen Willen, weil ich mich diesen Personen unterwerfe, und weil diese Unterwerfung ein Akt des Willens ist, der zwar die Oberhand über meinen ursprünglichen Willen gewinnen und mir in bezug auf ihn das subjektive Empfinden von Unfreiheit bescheren kann, der aber nicht mehr und nicht minder ein Akt der Freiheit ist wie mein ursprünglicher Wille, der äußeren Forderung zu widerstehen. Die empirische Erkenntnis, daß unser Wille frei von äußerem Zwang durch andere Personen oder Institutionen sein kann, stellt für Descartes nur den Ansatzpunkt dar, das Thema der Willensfreiheit anzugehen. Das kann nicht anders sein, weil es zwar eine empirische Erkenntnis ist, seine Willensfreiheit zu konstatieren, die Bestimmung des Willens selbst aber keine empirische Erkenntnis, sondern ein Akt der reinen Vernunft ist, der deshalb nicht Gegenstand intersubjektiver Erfahrung sein kann. Der Versuch, menschliche Willensbestimmung anhand eines Gegensatzes von Privatwille und äußerem Zwang einzusehen, muß an der unüberwindlichen Hürde scheitern, daß sich zwar die faktischen Handlungen, nicht aber der diesen Handlungen zugrundeliegende Wille beobachten läßt. Schon die Behauptung, daß beobachtbaren Vorgängen ein Willensakt zugrunde liegt – daß also diese Vorgänge Handlungen sind – ist eine moralisch (prak63
PhB 624, 104/105 = PhB 643, 53 = AT VI, 60.
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tisch), aber nicht absolut (theoretisch) vertretbare Unterstellung. Wir können niemals mit Gewißheit wissen, ob jener Vorgang, den wir beobachten, Resultat eines Willensaktes ist oder ein bloß mechanischer Vorgang wie die Bewegungen von Automaten, die »nicht dafür verantwortlich gemacht [werden], daß sie alle Bewegungen, zu denen sie eingerichtet sind, sorgfältig ausführen, weil sie sie mit Notwendigkeit so ausführen«.64 Willensbestimmung ist etwas unausweichlich subjektives, das sich äußerer Beobachtung grundsätzlich und nicht etwa nur aufgrund unzureichender Untersuchung entzieht. Denn einen vollzogenen, und mehr noch einen unterlassenen Vorgang als Handlung zu verstehen, bedeutet, von der Außen- zur Innenperspektive zu wechseln und diesem Vorgang einen Akt des freien Willens zu unterstellen. Das ist nur als Analogieschluß möglich, also durch einen Perspektivenwechsel, der unausweichlich hypothetisch bleiben muß: Ich, der ich jenen Menschen dort beobachte, sehe, daß er dieses oder jenes tut oder unterläßt. Ich setze dabei voraus, daß er genau das hatte tun oder unterlassen wollen, es aber tut oder unterläßt, weil ein äußerer Zwang ihn dazu bringt oder davon abhält. Das kann ich mir nur verständlich machen, wenn ich unterstelle, daß er einen Willen gebildet hat, es zu tun oder zu unterlassen, der stärker ist als sein unterstellter ursprünglicher Wille, es zu unterlassen oder zu tun. All das mag sein: Aber auch wenn sicher ich es bin, der eine solche Hypothese bildet, ist es dennoch nur möglicherweise er, der dies so vollzieht. Dort, wo Descartes mit dem Gegensatz zwischen subjektiver Willensbildung und äußerem Zwang operiert, dient diese Operation deshalb nur der Vorbereitung darauf, innerhalb des menschlichen Geistes einen analogen Gegensatz zu thematisieren, nämlich den zwischen dem Verstand, bzw. dessen Erkenntnisurteilen auf der einen, und dem per definitionem freien Willen auf der anderen Seite. Genauso, wie der auf eine Person ausgeübte Zwang durch eine andere Person oder Institution dieser Person äußerlich ist, so daß das willentliche Sich-in-Beziehung64
Prin. I, 37: PhB 566, 42/43 = AT VIII/1, 18–19.
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Setzen der Einzelperson zu diesem äußeren Zwang in jedem Fall ein Akt der freien Willensbestimmung bleibt, genauso ist innerhalb der Einzelperson dem Willen das, was der Verstand dem freien Willen zu Beurteilung vorlegt, äußerlich. Deshalb läßt sich das Verhältnis zwischen einer Proposition durch den Verstand und der Bildung eines sich auf diese Proposition beziehenden Willens nicht einfach als kausale Notwendigkeit erklären, sondern bleibt ein Akt der Freiheit. Aber das Verhältnis von Wille und Verstand ist nicht einfach das zweigliedrige von Verstand und Wille allein, sondern ein viergliedriges: Denn auf der Seite des Willens ist zu unterscheiden zwischen (1) der Form,65 daß ich einen Willen habe, und (2) dem Inhalt, worauf oder wogegen sich dieser Wille richtet; und auf der Seite des Verstandes zwischen (3) der theoretischen Erkenntnis durch den Verstand, daß ein Wille vorliegt und er diesen oder jenen Inhalt hat, und (4) der propositionalen Funktion des Verstandes, dem Willen bestimmte Inhalte vorzulegen, die dieser dann unter Ausübung der ihm eigenen Freiheit bewerten, d. h. ihnen zustimmen oder sie ablehnen und sie dann anstreben oder ihnen ausweichen kann. Descartes gesteht also sowohl dem Verstand als auch dem Willen Passivität und Aktivität zu: Dem Verstand die Passivität, den Status des Willens zu erkennen, aber auch die Aktivität, dem Willen bestimmte Inhalte vorzulegen; dem Willen die Passivität, vom Verstand bestimmte Inhalte zu empfangen, aber auch die Aktivität, diese Inhalte zu bewerten. Das eigentliche philosophische Problem besteht deshalb einerseits in der Bestimmung der Freiheit des Willens im Hinblick auf dessen Verhältnis zum Verstand: Wie kann ein Wille frei sein, wenn der Verstand »in den einzelnen Vorfällen des Lebens (. . . ) 65
In der dritten Meditation unterscheidet Descartes alle Gedanken in solche, die »gewissermaßen Bilder der Dinge sind«, und solche, die sich durch eine »bestimmte Form« von jenen Gedanken unterscheiden, also darüber hinaus »etwas über das bloße Abbild eines Dinges Hinausgehendes« sind. Letztere sind entweder Urteile oder Willensakte (Med. III: PhB 597, 72/73 = PhB 598, 41 = AT VII, 37).
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dem Willen im Vorwege anzeigt, was zu wählen sei«,66 der Verstand dem Willen also die Freiheit nimmt, so daß wir uns keineswegs mehr »zu dem, was uns vom Verstand vorgelegt wird, um es zu behaupten oder zu bestreiten, bzw. anzustreben oder zu vermeiden, so verhalten können, daß wir empfinden, keine äußere Kraft bestimme uns zur Entscheidung«?67 Denn frei sind wir doch wohl dann, wenn die Inhalte, die uns der Verstand vorlegt, nicht von sich aus schon die Kraft haben, unseren Willen automatisch zu bestimmen, sondern wenn die Kraft, unseren Willen zu bestimmen, im Willen selbst liegt. So betrachtet müßte jener Zustand der Indifferenz, wenn der Verstand dem Willen entweder überhaupt keine oder gleich starke Gründe vorlegt, diesem oder jenem Inhalt zuzustimmen oder ihn abzulehen, ihn anzustreben oder ihm auszuweichen, den höchsten Grad der Willensfreiheit darstellen. Descartes ist bekanntlich anderer Ansicht: »Um frei zu sein, ist es (. . . ) nicht nötig, daß ich mich nach beiden Seiten hin tatsächlich gleich verhalten kann, sondern im Gegenteil: Je mehr ich zu der einen Seite neige – entweder weil ich auf dieser Seite den Grund des Wahren und Guten evident einsehe, oder weil Gott mein innerstes Denken so angelegt hat – desto freier wähle ich sie«.68
Die Freiheit des Willens ist, denn nichts anderes behauptet Descartes hier ja, umso mehr gewährleistet, je weniger Verstand und Wille auseinanderfallen. Die Unterlassung eines bestimmten Bewertungsurteils oder die Unterlassung von Bewertungsurteilen überhaupt ist nur die erkennbare Folge jener Indifferenz, die den Zustand der Ausgeglichenheit des Willens bezeichnet, »wenn kein Grund mich mehr zu der einen Seite als zu der anderen drängt«. Aber diese Indifferenz ist, so Descartes, »der niedrigste Grad der Freiheit«, und zwar deshalb, weil sie »ein Mangel (defectum) an Erkenntnis« ist: 66 67 68
Reg. I: PhB 613, 6/7 = Crap. 3. Med. IV: PhB 597, 116/117 = PhB 598, 64 = AT VII, 57. Med. IV: PhB 597, 116/117 = PhB 598, 64 = AT VII, 58.
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»Wenn ich nämlich immer klar sähe, was das Wahre und das Gute ist, müßte ich niemals über das, was zu beurteilen oder zu wählen wäre, einen Entschluß fassen, und könnte so niemals indifferent, obwohl doch völlig frei sein«.69
Urteilsunterlassung ist eine Form der Indifferenz, die sich »ja sogar über das hinaus, von dem der Verstand schlicht überhaupt nichts erkennt, allgemein auch auf alles [erstreckt], was von ihm zu derselben Zeit, zu der der Wille darüber einen Entschluß faßt, nicht hinreichend transparent erkannt wird«.70
Denn sowohl wenn die Propositionen des Verstandes von sich aus schon indifferent sind, als auch wenn der Verstand überhaupt keine Proposition vorlegt, liegt der Defekt der Erkenntnis, der den Willen dazu bringt, a judicio abstinere,71 im Verstand und nicht im Willen. Dies ist also nicht eigentlich eine Urteilsenthaltung im Sinne einer positiven Entscheidung, kein Urteil zu fällen, sondern jener Zustand, in dem es gar nicht erst zur Urteilsfindung kommen kann, weil aufgrund eines Mangels im Verstand dem Willen nichts an die Hand gegeben wird, was ihm zu einer Entscheidung verhilft, und die Cartesische Forderung ins Leere läuft, daß »stets die Erfassung des Verstandes der Bestimmung des Willens vorhergehen muß«.72 Etwas anderes ist aber die prinzipielle Fähigkeit des Willens, in allen Fällen Urteile nach Belieben fällen zu können, also auch entgegen einer starken, fast zwingenden Empfehlung des Verstandes. Denn, das betont Descartes bereits im ersten Brief an Mesland vom 2. Mai 1644 unter Bezugnahme auf seine entsprechende Äußerung in der vierten Meditation,73 »ex magna luce in intellectu sequitur magna propensio in volunate«, und diese Neigung im Willen ist so stark, daß »es sehr schwer und sogar, wie ich glaube, unmöglich ist, den 69 70 71 72 73
Med. IV: PhB 597, 116/117 = PhB 598, 64 = AT VII, 58. Med. IV: PhB 597, 118/119 = PhB 598, 65 = AT VII, 59. Med. IV: PhB 597, 124/125 = PhB 598, 68 = AT VII, 62. Med. IV: PhB 597, 120/121 = PhB 598, 66 = AT VII, 60. AT VII, 59 = PhB 597, 118/119 = PhB 598, 65.
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Lauf unseres Bedürfnisses aufzuhalten, solange man in diesem Gedanken verharrt«.74 Descartes stellt diesen Punkt in seinem Brief an Mersenne vom 27. Mai 164175 klar heraus: »Um meine Meinung noch deutlicher zu erklären, wünsche ich, daß man zuallererst beachte, daß für mich Indifferenz im eigentlichen Sinne jener Zustand zu bedeuten scheint, in dem der Wille sich befindet, wenn er nicht durch die Erkenntnis dessen, was 74
AT IV, 116 = Bense, 279. Mit diesem Brief hat es die besondere Bewandtnis, daß von ihm auch eine lateinische Fassung existiert, die die Herausgeber von AT für ein Brieffragment an Mesland halten und auf den 9. Februar 1645 (AT IV, 172–175) datieren, also auf denselben Tag, an dem Descartes Mesland auch einen französischen Brief geschrieben hat (AT IV, 161–172). Nun ist nicht recht ersichtlich, weshalb Descartes seine erhaltenen Briefe an Mesland vom 2. Mai 1644 (AT IV, 110–120 = Bense, 275–282), vom 9. Februar 1645 (AT IV, 161–172), Mai 1645 (AT IV, 215–217) und von 1645/1646 (AT IV, 344–348 = Bense, 332–334) alle auf französisch schreibt, dem Brief vom 9. Februar allerdings ein lateinisches Fragment anfügt oder am selben Tag einen Fragment gebliebenen zweiten Brief auf Latein schreibt, der fast wörtlich wiederholt, was er bereits 1641 an Mersenne auf französisch geschrieben hat. Nun ist auch die Datierung des Briefes an Mersenne fraglich, denn er ist der Mittelteil des undatierten Briefes Nr. 112 der Ausgabe von Claude Clerselier, den AT von dem Rest mit dem Argument abtrennt, es sei ein Fragment »postérieur aux Méditations« (AT III, 378), wohingegen der erste Teil auf einen Zeitpunkt vor der Veröffentlichung des Discours zu datieren sei, weil er die Beobachtung der Parhelien durch Gassendi erwähnt, die Descartes in den Météores verarbeitet hat (PhB 643, 301–311 = AT VI, 354–366). AT datiert diesen ersten Teil als Brief an Mersenne auf den 6. Mai 1630 (AT I, 147–150 = Bense, 51–53). Der letzte Teil hingegen setzt sich mit den Vorschlägen Mersennes zum Titel des Discours de la Méthode auseinander und ist daher auf die Zeit zu datieren, in der ein solches Thema relevant war, also z. B. auf den März 1637 (AT I, 347–351 = Bense, 77–79). Aber so einleuchtend die Datierungen der beiden Außenteile des Briefes Clerselier Nr. 112 sein mögen, so wenig einleuchtend ist die Datierung des hier relevanten Mittelteils. Denn Descartes erwähnt in dem letzten, auf März 1637 datierten Teil einen »vor etwa acht Jahren lateinisch geschriebenen Anfang der Metaphysik« (Bense, 78 = AT I, 75
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wahr oder was gut ist, dazu gebracht wird, eher einer Partei als der anderen zu folgen. Und in diesem Sinne habe ich sie aufgefaßt, als ich sagte, der niedrigste Grad der Freiheit bestehe darin, sich zu Dingen bestimmen zu können, denen wir ganz indifferent gegenüberstehen. Aber vielleicht gibt es andere Leute, die unter dem Wort Indifferenz jenes positive Vermögen verstehen, das wir besitzen, uns zu dem einen oder dem anderen von zwei Gegensätzen zu bestimmen, d. h. dieselbe Sache zu verfolgen oder 350), also die 1629 begonnen späteren Meditationen, auf die Descartes sich bekanntlich bereits 1637 im Discours zusammenfassend beziehen kann. Der hier relevante Mittelteil des Briefes ist also keineswegs zwingend auf die Zeit nach der Veröffentlichung der Meditationen 1641 zu datieren, sondern kann irgendwann nach 1629 geschrieben worden sein – und damit läßt er sich aufgrund seines Inhalts leztlich gar nicht datieren, weil alle Briefe Descartes’ (mit zwei oder drei irrelevanten Ausnahmen) nach 1629 geschrieben sind, also nach seiner endgültigen Übersiedelung in die Niederlande. Völlig nebulös ist aber auch die Datierung und Einordnung des lateinischen Brieffragments. Descartes und Mesland lernten sich, wie Baillet berichtet, der die Freundschaft mit Mesland als eine der »Eroberungen« Descartes’ durch seine Meditationen (Baillet II, 161) bezeichnet, erst nach 1641 kennen – wobei unklar ist, ob sie sich überhaupt jemals persönlich begegnet sind. Baillet berichtet von dem Plan Meslands, eine Zusammenfassung der Meditationen für den Gebrauch an den Jesuitenschulen zu verfassen, was Descartes, dem die Zustimmung gerade der Jesuiten zu seiner Metaphysik sehr erwünscht gewesen wäre, sicherlich nicht ungelegen gekommen sein dürfte. Die erhaltenen Briefe Descartes’ an Mesland aber stammen alle aus der Zeit nach der Veröffentlichung der Principia und thematisieren die Problematik der durch die Cartesische Physik möglichen Erklärung der Transsubstantiation. Dabei ist das Thema der Willensfreiheit schlicht ein Fremdkörper. Bei Baillet findet sich im Zusammenhang mit dem Briefwechsel zum Thema der Transsubstantiation (Baillet II, 519 ff.) kein Hinweis auf das lateinische Brieffragment zum Thema der Willensfreiheit. Es stellt sich also die Frage, wie dieses lateinische Fragment in den Zusammenhang mit einem ganz anderen Thema und damit mit Mesland gekommen ist. Nun ist die einzige handschriftliche Quelle, die das lateinische Fragment in Zusammenhang mit Briefen an Mesland bringt, eine Sammlung aus der Bibliothek Mazarins, in der die beiden Briefe an Mesland vom 9. Februar
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vor ihr zu fliehen, sie zu behaupten oder sie zu bestreiten. Dazu habe ich zu sagen, daß ich niemals bestritten habe, daß sich dieses positive Vermögen im Willen findet. Ganz im Gegenteil vertrete ich die Einschätzung, daß man sie dort nicht nur dann jedesmal antrifft, wenn der Wille sich zu jenen Arten von Aktionen bestimmt, bei denen er durch das Gewicht keines Grundes mehr zu der einen Seite als zu der anderen gebracht wird, sondern sie sich in alle seine anderen Aktionen gemischt findet, so daß der Wille 1645 gemeinsam unter den Titel Sentiments de Monsieur Descartes, envoyé par lui au Père Mélan, Jesuite, sur le St Sacrément et sur la Liberté (AT IV, 172) gestellt werden. Das beweist aber nur, daß irgend jemand in der Bibliothek Mazarins Briefe Descartes’ gesammelt hat, die sich unter diesen Titel bringen lassen, es ist aber alles andere als ein Beweis, daß die beiden nebeneinandergestellten Briefe tatsächlich beides Briefe an Mesland vom 9. Februar 1645 sind. All das wäre völlig irrelevant, wenn nicht die Herausgeber von AT daraus geschlossen hätten, es handele sich bei dem korrelierenden Mittelteil aus dem französischen Brief an Mersenne, Clerselier Nr. 112 um eine Übersetzung eben dieses lateinischen Fragments. Das scheint mir eine ziemlich abenteuerliche Konstruktion zu sein: Mit dem Argument, der Mittelteil des Briefes Clerselier Nr. 112 müsse auf einen Zeitpunkt nach 1641 zu datieren sein, lösen die Herausgeber von AT es von den anderen beiden Teilen ab und erklären es für eine Übersetzung eines späteren Briefes von 1645. Das ergibt nur Sinn, wenn man sich denkt, daß Descartes diesen Text um 1641 zuerst auf Latein geschrieben und dann für seinen Brief an Mersenne ins Französische übersetzt, später aber an Mesland das lateinische Original versandt hat. Ist das glaubwürdig? Es ist doch viel wahrscheinlicher, daß derjenige, der in der Bibliothek Mazarins die Sammlung Cartesischer Gedanken zu erstellen begann, diesen Teil des französischen Briefs an Mersenne in Lateinische übersetzt hat, bzw. eine solche Übersetzung bereits vorgefunden hat. In der Tat stammen die beiden dann von AT als Briefe vom 9. Februar ausgegebenen Texte aus der Sammlung Sentiments de Mr Descartes et de ses Sectateurs sur le ‹Mystère de l’Eucharistie› (AT IV, 171). Mir scheint eine einfache Lektüre beider Texte dafür zu sprechen, daß das lateinische Fragment eine Übersetzung des französischen Briefteiles ist und nicht umgekehrt; mit anderen Worten: Ich halte das lateinische Brieffragment an Mesland für unecht. Zu dieser Einschätzung bringen mich die erstaunlichen Unebenheiten in der Argumentation im lateinischen Brieffragment, die selbstredend
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sich niemals bestimmt, ohne sie in Gebrauch zu nehmen. Das geht so weit, daß, selbst wenn ein äußerst evidenter Grund uns zu einer Sache bringt, so daß es moralisch gesprochen schwierig für uns ist, das Gegenteil zu tun, wir es nichtsdestotrotz absolut gesprochen können: denn es steht uns immer frei, uns selbst daran zu hindern, ein Gut zu verfolgen, das wir klar erkannt haben, oder eine evidente Wahrheit zuzugeben, sofern wir nur denken, es sei ein Gut, dadurch die Freiheit unserer freien Willkür zu bezeugen«.76
Worin besteht nun aber der Unterschied zwischen dem »Zustand (. . . ), in dem der Wille sich befindet, wenn er nicht durch die Erkenntnis dessen, was wahr oder was gut ist, dazu gebracht wird, eher einer Partei als der anderen zu folgen« und jenem positiven Vermögen, »uns zu dem einen oder dem anderen von zwei Gegensätzen zu bestimmen, d. h. dieselbe Sache zu verfolgen oder vor ihr zu fliehen, sie zu behaupten oder sie zu bestreiten«? schon von anderen Interpreten bemerkt wurden. Ein Beispiel: Descartes spricht in diesem Fragment davon, daß, wenn wir unser eigenes Urteil den Befehlen anderer gegenüberstellen, wir uns für freier halten, wenn wir Dinge tun, die uns nicht von anderen vorgeschrieben werden und in denen wir unserem eigenen Urteil folgen dürfen, als wenn wir Dinge tun, die uns verboten sind. Was ist das für ein seltsamer Gegensatz? Weshalb sind wir unfreier, wenn wir Dinge tun, die uns verboten sind, als wenn wir Dinge tun, die uns nicht geboten sind? Zwar folgen wir in letzteren voraussetzungsgemäß »unserem eigenen Urteil« – aber das tun wir immer, denn genau das ist Willensbestimmung, die also immer frei ist. Deshalb könnte man doch genausogut argumentieren, daß für die Überwindung eines äußeren Verbots ein größeres Maß an Freiheit nötig ist, als wenn wir ohne äußeres Gebot unseren Willen nach eigenem Gutdünken bestimmen können. Denn der Akt der Willensbestimmung erfolgt in beiden Fällen frei, bei einem äußeren Verbot ist aber zusätzlich noch dieser Zwang (also die Angst) zu überwinden. Diese Schwierigkeit hebt der französische Originalbrief von wann-auch-immer an wer-es-auchsein-mag auf, denn dort heißt es: »Wenn wir unser eigenes Urteil den Befehlen anderer gegenüberstellen, sagen wir gewöhnlich, daß wir freier sind, die Dinge zu tun, in bezug auf die uns nichts befohlen ist, und bei denen es uns erlaubt ist, unserem eigenen Urteil zu folgen, als diejenigen zu tun, die uns befohlen oder verboten sind« (AT III, 380). 76 AT III, 378–379 = Bense, 237–238
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Descartes sagt, das letztgenannte positive Vermögen sei immer im Willen vorhanden, also nicht nur in jenen Fällen, in denen keine evidenten Gründe uns mehr zu der einen als zu der anderen Seite ziehen, sondern auch in allen anderen. Deshalb besteht dieses Vermögen »absolut« immer, auch dann, wenn es »moralisch gesprochen schwierig für uns ist, das Gegenteil zu tun«. Denn auch wenn wir moralisch (also faktisch) kaum umhin können, eine Erkenntnis und die sich daraus ergebenden Handlungsmaximen zuzugestehen, steht es uns absolut (also theoretisch) »immer frei, uns selbst daran zu hindern, ein Gut zu verfolgen, das wir klar erkannt haben, oder eine evidente Wahrheit zuzugeben, sofern wir nur denken, es sei ein Gut, dadurch die Freiheit unserer freien Willkür zu bezeugen«. »Wenn wir unser eigenes Urteil den Befehlen anderer gegenüberstellen, sagen wir gewöhnlich, daß wir freier sind, die Dinge zu tun, in bezug auf die uns nichts befohlen ist, und bei denen es uns erlaubt ist, unserem eigenen Urteil zu folgen, als diejenigen zu tun, die uns befohlen oder verboten sind; gleichwohl können wir, wenn wir unsere Urteile oder unsere Erkenntnisse einander gegenüberstellen, nicht ebenso sagen, daß wir freier wären, die Dinge zu tun, die uns weder gut noch schlecht zu sein scheinen, oder in denen wir genausoviel Gutes wie Schlechtes sehen, als diejenigen zu tun, in denen wir viel mehr Gutes als Schlechtes wahrnehmen. Denn die Größe der Freiheit besteht entweder in der großen Leichtigkeit, mit der wir uns bestimmen, oder in dem großen Gebrauch jenes positiven Vermögens, das wir besitzen, dem Schlechteren zu folgen, obwohl wir das Bessere erkennen. Nun verhält es sich so, daß, wenn unsere Wahl auf die Dinge fällt, von denen unsere Vernunft uns überzeugt, sie seien gut, wir uns mit großer Leichtigkeit bestimmen; wenn wir das Gegenteil tun, machen wir größeren Gebrauch von jenem positiven Vermögen; und so können wir immer mit größerer Freiheit handeln in bezug auf die Dinge, in denen wir mehr Gutes als Schlechtes sehen, als in bezug auf jene, die wir indifferent nennen«.77 77
AT III, 380–381 = Bense, 238–239.
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Descartes bringt die Größe oder das Ausmaß der Freiheit in einen Zusammenhang mit der Leichtigkeit der Wahl. Wenn wir etwas als gut erkennen, dann folgt die Bestimmung unseres Willens leichter, als wenn wir gegen dieses Urteil angehen, weil wir die Freiheit unserer Willkür unter Beweis stellen wollen. Denn für letzteres ist ein weiterer Akt des Willens nötig, der die Fortsetzung der Erkenntnis des Guten in die Bestimmung des Willens, dieses Gute auch zu verfolgen, durchkreuzt, indem er einen ganz anderen Aspekt dazwischenschiebt, nämlich den, daß wir die grundsätzlich immer fortbestehende Freiheit unseres Willens demonstrieren wollen. Es folgt also deshalb »aus dem großen Licht im Verstand eine starke Neigung im Willen«,78 weil bereits das Bewertungsurteil, in dem das, was dem Willen vom Verstand vorgelegt wird, ein Akt des Willens ist, der darin in denkbar engster Nähe zum Verstand agiert. Die größere Leichtigkeit, dieses als gut Erkannte dann zum Inhalt, d. h. zum Ziel eines sich darauf richtenden Willens zu machen, ergibt sich daraus, daß dieser zusätzliche Akt eine bereits im Willen vollzogene Bewertung fortschreibt, wohingegen es eines anderen Aktes bedarf, der einen Widerspruch des Willens mit sich selbst herbeiführt, um diese Fortschreibung zu unterbrechen. Die Freiheit des Willens besteht in dem autonomen Akt oder Vollzug der Willensbestimmung, und dieser Akt oder Vollzug ist frei, gleichgültig, woher die Propositionen stammen, die dem Willen zur Wahl vorliegen und dann den Inhalt des bestimmten Willens bilden. Was sich diesem Prozeß der Autonomie in den Weg stellt, führt zur Aufhebung der Willensfreiheit. Umgekehrt verschwindet gerade in der Ausübung der Autonomie die Indifferenz, die deshalb die niedrigste Form der Freiheit ist, weil die Autonomie des Willens dabei gleichsam auf der Türschwelle stehenbleibt. Der höchste Grad der Freiheit des Willens besteht in der Übereinstimmung des Willens mit sich selbst. Diese Übereinstimmung ist dreigliedrig: Sie setzt ein dem Erkenntnisurteil durch 78
Med. IV: PhB 597, 118/119 = PhB 598, 65 = AT VII, 59.
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den Verstand entsprechendes Bewertungsurteil des Willens voraus und schreibt dieses Bewertungsurteil in eine Handlungsmaxime als Willensbestimmung in engerem Sinne fort. Wo eines dieser Glieder fehlt, herrscht Orientierungslosigkeit, also irgendeine Form der Nichtübereinstimmung zwischen den Erkenntnissen des Verstandes, den Bewertungen des Willens und den Handlungsmaximen als daraus resultierender Willensbestimmung in engerem Sinne. Orientierungslosigkeit ist für Descartes der Alptraum der Unfreiheit. Eine orientierungslose Person ist gerade deshalb unfrei, weil sie nicht weiß, was zu tun ist, und deshalb zur Untätigkeit verdammt ist; frei hingegen ist eine Person dann, wenn sie keine endlosen inneren Kämpfe der Unentschlossenheit quälen, sondern wenn sie von guten Gründen geleitet richtige Bewertungen abgibt und sie ihren Willen mit dementsprechenden Maximen ausstatten kann. Woher die Anknüpfungspunkte stammen, die es erlauben, den Willen tatsächlich so auszustatten, ist dabei ganz zweitrangig. Die Freiheit, zwischen Alternativen nicht zu wählen, weil wir keine Gründe haben, die uns zur Entscheidung bringen, ist deshalb die niedrigste Freiheit, weil sie uns nicht zum Handeln bringt. Freiheit auszuüben, indem man einer als gut erkannten Maxime entgegenhandelt, ist absolute Freiheit, aber moralischer Trotz.
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Willensfreiheit und Gottesidee. Die Stellung der Passionen der Seele innerhalb der Metaphysik Descartes’
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Regulative Funktion der Gottesidee
Glaubensartikel gleichgültig welcher Religionsgemeinschaft sind zunächst empirische Propositionen des Verstandes, zu denen der menschliche Wille sich frei in ein Verhältnis setzen kann. Damit die von Religionsgemeinschaften vertretenen Glaubensinhalte eine den Willen zwingende oder nötigende Kraft besitzen, reicht die selbst bloß empirische Behauptung ihrer Gottgege-
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benheit sicherlich nicht aus, sondern diese Glaubensinhalte erlangen nur dann willensbestimmende Kraft, wenn sie sich aus der Idee Gottes selbst ableiten lassen und darin mehr sind als bloß empirische Propositionen, und wenn außerdem die Idee Gottes (und damit auch die in ihr mitgedachten Glaubenslehren und Sakramente) eine den Willen notwendig bestimmende Kraft zugesprochen werden kann. In diesem Sinne ließe sich argumentieren, daß gläubigen Menschen die Idee Gottes als Inbegriff der Wahrheit selbst gelte, der niemand seine Zustimmung verweigern könne und der deshalb eine den Willen notwendig bestimmende Kraft zugesprochen werden müsse, oder doch zumindest eine Kraft, die erheblich größer sei als die bloß empirischer Propositionen. Und damit wäre Descartes’ Theorie der Willensfreiheit maßgeschneidert für eine Philosophie der Unterwerfung unter die Autorität der Kirche, so daß letztlich die katholische Moral in den Stand der morale définitive gehoben würde, nämlich mit dem Hinweis, daß Gott für gläubige Menschen der Inbegriff des Zustandes vollkommener Orientierung sei und darin den Inbegriff des Zustandes der absoluten vernunftgemäßen Bestimmung des Willens darstelle. Und in der Tat bestreiten ja selbst die schärfsten Kritiker der Religion selten, daß die Idee Gottes mitsamt ihrer Attribute und der durch eine lange Tradition der Schriftexegese als Offenbarungen geltenden Glaubensinhalte gläubigen Menschen Orientierung gibt. Aber Descartes hat bereits gezeigt, daß der Wille jeder Proposition des Verstandes, also auch der Idee Gottes und der in ihr mitgedachten Inhalte, seine Zustimmung verweigern kann, weil die Propositionen des Verstandes dem Willen stets zunächst äußerlich sind und er sich ihnen gegenüber frei in Position bringen kann, gleichgültig, ob ihre Inhalte nun empirischen oder transzendentalen Ursprung sind. Denn der Gegensatz zwischen den Propositionen des Verstandes und der Freiheit des Willens, sich ihnen gegenüber frei positionieren zu können, ist der im menschlichen Geist liegende Gegensatz zwischen Wille und Verstand selbst. Die Idee Gottes kann also selbst dann keine den
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Willen im Hinblick auf bestimmte Glaubensinhalte direkt nötigende Wirkung haben, wenn sich diese Glaubensinhalte aus der Idee Gottes ableiten lassen sollten. Die Freiheit des Willens besteht darin, daß der Wille sich mit dem Verstand sowohl in Übereinstimmung bringen, als auch ganz gegen ihn stellen kann. In beiden Fällen aber ist menschliche Freiheit gegeben, die sich also in dem freien Akt der Bestimmung des Willens gemäß einer Proposition des Verstandes nicht weniger manifestiert als in dem freien Akt des Widerstehens gegen sie. Freiheit manifestiert sich deshalb auch nicht weniger in den Fällen der Indifferenz, in denen die Propositionen des Verstandes von sich aus keine Tendenz zu einer bestimmten Willensbestimmung vorgeben; und Freiheit manifestiert sich deshalb auch in dem Zustand des bereits erfolgten Bestimmtseins dieses Willens, also auch dann, wenn der Wille bereits gewählt und sich so selbst der Möglichkeit begeben hat, anders zu wählen: denn Freiheit bedeutet die Aufhebung der Orientierungslosigkeit, die nur auf der Basis eines bestimmten Willens möglich ist. Da Verstand und Wille durch die Urteilskraft miteinander verknüpft sind, rufen richtige oder wahre und allemal evidente oder klare und deutliche Erkenntnisurteile des Verstandes eine starke Neigung im Willen hervor, hinsichtlich seiner Bewertungsurteile dem Verstand zu entsprechen. Aber eine Neigung zu einer Willensbestimmung ist noch nicht diese Bestimmung selbst, und deshalb ist das einzige, was die Idee Gottes bewirken kann, der menschlichen Willkür eine Grundhaltung einzugeben, dem zu folgen, zu entsprechen oder wenigstens nicht zuwider zu handeln, was entweder aus der Idee Gottes folgt oder ihr zumindest nicht widerstreitet. Die Idee Gottes hat regulative Funktion. Descartes führt dies im Brief an Elisabeth vom 15. September 1645 aus: »Es kann, wie mir scheint, nur zwei Dinge geben, die erforderlich sind, um stets in der richtigen Verfassung zu sein, gut zu urteilen: Das eine ist die Erkenntnis der Wahrheit und das andere eine Ge-
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wohnheit, die veranlaßt, daß man sich an diese Erkenntnis erinnert und ihr immer dann zustimmt, wenn der Anlaß es erforderlich macht «.79
Gutes Urteilen ist die Fähigkeit des Menschen, in bezug auf bereits vorliegende Erkenntnisse angemessene Bewertungsurteile abzugeben. Die singuläre Erkenntnis einer Wahrheit beinhaltet noch keine Zustimmung zu dieser Wahrheit, sondern nur eine »große Neigung«, ein entsprechendes Bewertungsurteil abzugeben und den Willen dementsprechend zum Handeln zu bestimmen; und sie beinhaltet allemal noch keine feste Grundhaltung, eine solche Zustimmung stets erneut zu erteilen, denn »da wir nicht unablässig auf denselben Sachverhalt aufmerksam sein können, so klar und evident die Gründe auch gewesen sein mögen, die uns vorher von seiner Wahrheit überzeugt haben, können wir später durch falsche Anscheine davon abgebracht werden, sie zu glauben, wenn wir sie uns nicht durch lange und wiederholte Meditation unserem Geist so sehr eingeprägt haben, daß sie sich in eine Gewohnheit/feste Grundhaltung verwandelt hat«.80
Eine feste Grundhaltung, eine bestimmte Wahrheit zu glauben, wird spätestens dann zu einer Tugend, wenn sie sich darauf richtet, allgemein oder grundsätzlich der Wahrheit Glauben zu schenken, und deshalb hat man umgekehrt auch durchaus Recht, Tugenden als Gewohnheiten zu bezeichnen, »denn wir scheitern in der Tat kaum deshalb, weil uns in der Theorie die Erkenntnis dessen fehlt, was wir tun müssen, sondern nur, weil sie uns in der Praxis fehlt, d. h. weil wir keine feste Haltung haben, sie zu glauben«.81
Feste Grundhaltungen, also Tugenden, sind deshalb nötig, weil unser Wissen nicht nur eingeschränkt ist, sondern dieses eingeschränkte Wissen uns auch nicht unablässig bewußt sein kann 79 80 81
AT IV, 291 = PhB 659, 145. AT IV, 295–296 = PhB 659, 151–153. AT IV, 296 = PhB 659, 153.
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und deshalb aus der Erinnerung geholt werden muß, ohne die gedanklichen Schritte wiederholen zu können, die uns seine Wahrheit einst erkennen ließen. Bereits erkanntes Wissen, so komplex sein ursprünglicher Erkenntnisprozeß auch gewesen sein mag, steht uns deshalb nur noch als singuläre Proposition zur Verfügung, die von sich aus noch nicht überzeugend ist, sondern dies nur sein kann, wenn ihr von der Seite einer festen Grundhaltung oder Tugend her Wahrheit zuerkannt wird. Tugend ist so betrachtet die Fähigkeit des Menschen, Erkenntnisse des Verstandes so mit dem Urteil, daß diese Erkenntnis wahr ist, zu verbinden, daß bei späterem Auftreten dieser Erkenntnis ihre Wahrheit gewissermaßen als Eigenschaft an dem erkannten Ding oder Sachverhalt selbst auftritt. Damit steht der Wille nicht nur dem Verstand und seinen Propositionen gegenüber, sondern er steht zwischen ihnen und den festen Grundhaltungen. Nun ist eine feste Grundhaltung dann ein bloßes Vorurteil, wenn sie Erkenntnisse mit der Eigenschaft der Wahrheit konnotiert, die in Wirklichkeit falsch sind. Vorurteile stammen aus der zu engen Verwobenheit des Verstandes und des Willens mit den körperlichen Empfindungen in der Kindheit und führen dazu, daß die Urteilskraft mit sich selbst in Widerspruch gerät, nämlich in den Widerspruch zwischen einem aktuellen oder unterdrückten Erkenntnisurteil, daß ein Ding oder Sachverhalt nicht als wahr zu beurteilen ist, und dem aus der Kindheit stammenden Bewertungsurteil, daß es wahr sei – dasselbe gilt vice versa für falsche Sachverhalte. Eine feste Grundhaltung hingegen, die den Willen daran erinnert, einem vorher als wahr erkannten Ding oder Sachverhalt erneut Wahrheit zuzusprechen, setzt den Willen in Übereinstimmung mit dem Verstand und sorgt daher für die Einheit der Urteilskraft. Tugenden setzen den Menschen in die Lage, nicht mit sich selbst in Widerspruch zu geraten. Was sind hinsichtlich der Erkenntnis die Haupttugenden? Weil »nur Gott allein alle Dinge vollkommen weiß, ist es nötig, daß wir uns damit begnügen, die Dinge zu wissen, die uns am meisten von Nutzen sind«, und »unter diesen ist das erste und grundlegend-
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ste, daß es einen Gott gibt, von dem alle Dinge abhängen, dessen Vollkommenheiten unendlich sind, dessen Macht unermeßlich ist und dessen Ratschlüsse unfehlbar sind: denn dies lehrt uns, alle Dinge, die uns passieren, so gut aufzunehmen, als seien sie ausdrücklich von Gott gesandt; und weil das wahre Objekt der Liebe die Vollkommenheit ist, empfinden wir uns, wenn wir unseren Geist dazu erheben, Gott zu betrachten, wie er ist, auf natürliche Weise dermaßen dazu geneigt, ihn zu lieben, daß wir sogar aus unseren Betrübnissen Freude ziehen, indem wir erwägen, daß sich darin, daß wir sie empfangen, sein Wille vollzieht«.82
Wir fühlen uns dann dazu geneigt, Gott zu lieben, wenn wir Gott betrachten, »wie er ist«. Gott betrachten, »wie er ist«, bedeutet, Gott zu denken. Die Erkenntnis der Idee Gottes und der Glaube an Gott sind identisch, und deshalb sind »religiöse Gefühle« dem Glauben äußerlich. In Artikel 190 der Passionen macht Descartes ganz klar, daß die Liebe zu Gott eben keine Passion im Sinne dessen ist, was man in der deutschen Sprache eine Leidenschaft nennt, nämlich wenn er sich über jene Leute mokiert, »die glauben, ergeben zu sein, aber nur frömmelnd und abergläubisch sind, d. h. die unter dem Deckmantel, oft zur Kirche zu gehen, viele Gebete aufzusagen, kurze Haare zu tragen, zu fasten und Almosen zu geben, denken, ganz vollkommen zu sein und sich vorstellen, sie seien so große Freunde Gottes, daß sie nichts tun könnten, was ihm mißfällt und daß alles, was ihnen ihre Passion diktiert, in gutem Eifer geschehe, auch wenn sie ihnen manchmal die größten Verbrechen diktiert, die von Menschen begangen werden können, wie Städte zu verraten, Fürsten zu töten und ganze Völker auszurotten, einfach weil sie nicht ihren Meinungen folgen«.83
Wenn wir »Gott betrachten, wie er ist«, denken wir ein allmächtiges und allwissendes Wesen. Wenn Gott aber allmächtig und allwissend ist, dann sind auch die Dinge, die wir aus Freiheit tun, 82 83
AT IV, 291–292 = PhB 659, 145–147. AT XI, 472.
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in diese Allmacht und Allwissenheit mit einbegriffen. Dann aber ist unsere Freiheit scheinbar, weil Gott alles im Vorwege weiß und bestimmt, also auch das, was wir aus Freiheit tun. Wie läßt sich also die Freiheit unseres Willens mit der göttlichen Allmacht vereinbaren? Elisabeth ist offenbar ganz unzufrieden mit dem, was Descartes in § 40 des ersten Teils der Principia hierzu ausgeführt hat, nämlich daß wir uns »leicht in großen Schwierigkeiten verlieren [können], wenn wir [die] vorausbestimmte Ordnung Gottes mit der Freiheit unserer Willkür vereinigen und beide zur selben Zeit zu begreifen versuchen«,84 eine Schwierigkeit, die entgegen seiner eigenen Ankündigung Descartes auch im folgenden § 41 nicht zu lösen vermag, wenn er uns auf die Begrenztheit unseres Verstandes hinweist, der uns zwar in die Lage versetzt, »klar und deutlich zu erfassen«, daß es in Gott eine Macht gibt, durch die er »alles, was ist oder sein könnte, von Ewigkeit her nicht nur vorausgewußt, sondern sogar gewollt und vorausbestimmt hat«, daß wir aber diese Macht, weil sie unendlich ist, nicht ausreichend begreifen können, »so daß wir sehen könnten, auf welche Weise sie die freien Handlungen der Menschen unvorherbestimmt läßt«. Im Januar 1646 antwortet Descartes auf Elisabeths wiederholte Einwendungen durch einen Vergleich, der gewisse Parallelen zu den Äußerungen in Art. 146 der Passionen aufweist:85 »Wenn ein König, der Duelle verboten hat und ganz sicher weiß, daß zwei in verschiedenen Städten wohnende Edelleute seines Königreiches sich im Streit befinden und so sehr gegeneinander aufgebracht sind, daß nichts sie daran hindern könnte, gegeneinander zu kämpfen, wenn sie aufeinandertreffen; wenn also, sage ich, dieser König einem von beiden den Auftrag erteilt, an einem bestimmten Tag in die Stadt zu gehen, in der der andere sich aufhält, 84
PhB 566, 46/47 = AT VIII/1, 20. AT XI, 439–440. Dieser Vergleich ist möglicherweise von Pierre Charron angeregt: »Car Dieu et nature sont au monde, comme en un état, le roi son autheur et fondateur, et la loi fondamentale qu’il a bâti pour la conservation et règle dudit état« (De la sagesse II, 82–83). 85
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und er außerdem dem anderen den Auftrag erteilt, am selben Tag an den Ort zu gehen, an dem sich der andere befindet, dann weiß er wohl sicher, daß sie sich dort unausweichlich treffen und gegeneinander kämpfen und somit seinem Verbot zuwiderhandeln, aber er zwingt sie deswegen überhaupt nicht dazu. Und seine Kenntnis [dieser Umstände] und sogar sein Wille, sie auf diese Weise dazu zu bestimmen, verhindert nicht, daß sie, wenn sie aufeinandertreffen, genauso willentlich und genauso frei gegeneinander kämpfen, wie sie es getan hätten, wenn der König nichts [von diesen Umständen] gewußt hätte und sie bei irgendeiner anderen Gelegenheit aufeinander getroffen wären; deshalb können sie genauso gerecht bestraft werden, da sie seinem Verbot zuwiderhandeln. Was nun ein König in bezug auf manche freien Handlungen seiner Untertanen tun kann, das tut Gott unfehlbar, der ein unendliches Vorwissen und eine unendliche Macht in bezug auf alle freien Handlungen der Menschen besitzt. Und er wußte, schon bevor er uns in diese Welt schickte, alle Neigungen unseres Willens genau, die er selber ja in uns hineingelegt hat, und er hat auch alle sich außerhalb von uns befindenden anderen Dinge so angeordnet, daß sich bestimmte Gegenstände unseren Sinnen zu einer bestimmten Zeit darbieten; und er wußte, daß unsere freie Willkür uns bei diesen Gelegenheiten zu einer bestimmten Sache bestimmen würde; und er wollte dies so, ohne unsere freie Willkür deswegen dazu zwingen zu wollen. Genauso, wie man in diesem König zwei verschiedene Grade des Willens unterscheiden kann – einen Grad, durch den er wollte, daß diese Edelleute gegeneinander kämpfen, da er es ja veranlaßt hat, daß sie aufeinandertreffen, und einen anderen Grad, durch den er dies nicht wollte, da er ja die Duelle verboten hat – ebenso unterscheiden die Theologen in Gott einen absoluten bzw. unabhängigen Willen, durch den er will, daß alle Dinge geschehen, wie sie geschehen, und einen Willen, der relativ ist und sich auf Verdienst oder Verfehlung der Menschen bezieht und durch den er will, daß man seinen Gesetzen gehorcht«.86
86
AT IV, 353–354 = PhB 659, 207–209.
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Löst dies das von Elisabeth aufgeworfene schwerwiegende Problem? Wohl kaum. Dennoch ist diese kurze Geschichte in mehrerlei Hinsicht ein kleines Meisterwerk, nämlich rhetorisch und philosophisch, aber auch politisch oder strategisch. Denn Descartes kleidet in diesem Text seine Theorie der Willensfreiheit in eine Metapher, die gleichwohl kaum einen Zweifel daran läßt, daß die eigentliche Antwort Descartes’ auf die Frage Elisabeths nur dahin gehen kann, daß sich Willensfreiheit und göttliche Allmacht und Allwissenheit überhaupt nicht miteinander vereinbaren lassen – und daß diese Unvereinbarkeit in der philosophischen Theorie zulasten der Gottesidee geht. Was haben wir hier? Auf der Ebene der Rhetorik (oder wenn man will: der Didaktik) den Kniff, das uns unverständliche Große – die Allmacht und Allwissenheit Gottes – durch das für uns verständliche Kleine – die Macht und Kenntnis eines Monarchen – zu erklären. Die Willensakte dieses Monarchen treten seinen Untertanen als Gesetze gegenüber. Darin liegt, daß diese Gesetze der freien Willkür der Untertanen äußerlich sind und es in ihrer Macht liegt, ihnen Folge zu leisten oder nicht. Dies führt dazu, daß zwei Gesetze des Monarchen, nämlich (1) das Verbot, sich zu duellieren, und (2) das Gebot, an einem bestimmten Tag in eine bestimmte Stadt zu gehen, in Kombination mit den inhaltlich übereinstimmenden Willensakten zweier seiner Untertanen miteinander in Konflikt geraten. Die Untertanen bestimmen ihre jeweilige Willkür so, daß sie dem Gebot, an einem bestimmten Tag in eine bestimmte Stadt zu gehen, Folge leisten, gleichzeitig aber auch ihrem privaten Antrieb folgen, sich zu duellieren. Der philosophisch entscheidende Punkt an dieser Konstruktion ist nun aber nicht, daß der Monarch offenbar Gesetze erlassen kann, die miteinander in Widerstreit geraten können, sondern daß diese Gesetze deshalb miteinander in Widerstreit geraten, weil die gesetzgeberische Gewalt des Monarchen, bzw. die von ihm erlassenen Gesetze für seine Untertanen Propositionen des Verstandes zur Willensbestimmung sind, die keineswegs automatisch oder notwendig und auch offenbar keineswegs mit größerer Überzeugungskraft zur Willensbestimmung führen als die aus ih-
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rem privaten Antrieb stammenden Propositionen. Anders als es zunächst den Anschein hat, thematisiert Descartes hier also gar nicht den Willen des Monarchen und den Konflikt, der sich aus seiner offenkundig ungeschickten Gesetzgebung ergibt, sondern er konstatiert die menschliche Willensfreiheit auch in Anbetracht einer sich absolutistisch gebenden, letztlich aber eingeschränkt wirksamen Gesetzgebung. Nun behauptet Descartes eine Parallele zwischen der Gesetzgebung des Monarchen und dem Willen Gottes. Er sagt, daß die Verfügungsgewalt des Monarchen sich nur auf einige Handlungen seiner Untertanen richtet, die Gottes aber auf alle Handlungen des Menschen. Wenn der Mensch dieser Verfügungsgewalt zuwiderhandelt, kann er bestraft werden, genauso wie der Monarch seine Untertanen gerecht bestraft, weil sie aus freier Willensbestimmung heraus seinem Verbot zuwiderhandeln und sich duellieren. Wenn aber der Mensch der Verfügungsgewalt Gottes zuwiderhandeln kann, dann mußte er vorher doch wohl in der Lage gewesen sein, seinen Willen dementsprechend bestimmen. Damit ist die Konstellation eingeschränkter Macht, die sich hinsichtlich des Monarchen in bezug auf seine Untertanen ergibt, die grundlegende Konstellation, die in dieser kurzen Geschichte auf Gott übertragen wird. Gott hat also keine uneingeschränkte Macht über unseren Willen, sondern eine, der wir widerstehen können. Und um die naheliegende und richtige Folgerung nicht ziehen zu müssen, daß Gott in bezug auf die Willensbestimmung des Menschen nicht allmächtig ist, versteckt Descartes sich strategisch hinter der nebulösen Unterscheidung der Theologen zwischen einem absoluten Willen Gottes, durch den alles so geschieht, wie er es in seiner Allmacht und Allwissenheit bestimmt, und einem relativen Wissen, durch das Gott das, was er bestimmt und wovon er immer schon weiß, daß es geschehen wird, in Gebote kleidet, denen die Menschen freiwillig folgen sollen. Es scheint mir ziemlich eindeutig zu sein, daß es in dieser Konstruktion die göttliche Allmacht ist, die auf der Strecke bleibt, und nicht die menschliche Willensfreiheit – und das ist wohl kaum der Fels, auf dem sich eine Kirche bauen ließe. Gott ist
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derjenige, der zwar dem Willen inhaltlich bessere Propositionen zur Willensbestimmung vorlegt – denn so frei die Entscheidung, sich zu duellieren, auch sein mag, so blödsinnig ist sie –, aber auch eine inhaltlich bessere Proposition hat formal dieselbe zwingende Kraft wie eine inhaltlich schlechtere – nämlich gar keine. Es ist unausweichlich, daß Gott, wenn wir ihn uns als Gesetzgeber vorstellen, ein Akteur innerhalb unserer Welt ist. Wenn er aber agiert wie ein Monarch, dann ist er nicht mehr allmächtig, weil seine Gebote unserer freien Willkür nicht anders gegenüberstehen als die Gebote eines Monarchen. Und dies bedeutet nichts anderes, als daß die Vorstellung von Gott wie sie von Propheten, Religionsstiftern, Glaubensgemeinschaften und Kirchen propagiert, verkündet wird, defizitär ist im Hinblick auf die transzendentale Vernunftidee von Gott, die wir im Denken erfassen. Es ist nur scheinbar paradox, daß diese verkündeten Gottesvorstellungen umso defizitärer sind, mit je mehr Inhalten sie angereichert werden, weil die Verweltlichung dieser Gottesidee größer ist, je mehr Eigenschaften ihr zugesprochen werden, die für den Menschen verständlich sind – denn diese Eigenschaften sind unausweichlich der Kultur entnommen, in der der Mensch sich jeweils befindet. Damit soll nicht gesagt werden, daß sich die theologische Diskussion über verschiedene Gottesbilder oder der fragende Austausch gläubiger Menschen darüber einfach als Folklore abtun ließen, so, als gäbe es zwischen den verschiedenen Gottesbildern keine Unterschiede, die man bewerten könnte und müßte. Als Elisabeth am 30. November 1645 Descartes ihren Kummer über den mit seiner Heirat verbundenen Übertritt eines ihrer Bürder zum Katholizismus gesteht87 , merkt Descartes an, die Anhänger des Protestantismus sollten in Anbetracht der Tatsache, daß sie ihre Religion nur besäßen, weil ihre Eltern die römisch-katholische verlassen hätten, keinen Grund haben, sich über Religionsübertreter zu mokieren.88 Darin zeigt sich die Stärke der Cartesischen Position, das Den87 88
AT IV, 335 = PhB 659, 197. AT IV, 352 = PhB 659, 205.
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ken Gottes und den Glauben an Gott gleichzusetzen, weil diese philosophische Grundhaltung es erlaubt, einen Gutteil von religiösem Zwist als das zu bewerten, was er ist, nämlich als dummes Zeug, was auch erlaubt, viele Formen der Religionsausübung zu akzeptieren, gegen die der sich gottesfürchtig gebende pedantische Schriftgelehrte zu Felde zieht. Vor allem aber zeigt sich, daß eine philosophisch haltbare Gottesidee letztlich inhaltlich unbestimmt bleiben muß. Nun wird man aber von einer Idee mit regulativer Funktion doch wohl zu recht verlangen können, daß sie irgendetwas regelt. Was aber? »Die alltägliche Meinung«, sagt Descartes in Art. 146 der Passionen, »es gebe jenseits von uns eine Schicksalsgöttin, die nach ihrem Vergnügen Dinge geschehen oder nicht geschehen läßt, ist (. . . ) gänzlich abzulehnen«.89 Aber die Vorstellung einer eingeschränkt mächtigen Schicksalgöttin, die innerhalb der Welt agiert, ist nur graduell verschieden von der Vorstellung eines allmächtigen, allwissenden Gottes, der »alles durch die göttliche Vorsehung [leitet], deren ewiger Beschluß solchermaßen unfehlbar und unwandelbar ist, daß – die Dinge ausgenommen, die eben dieser Beschluß von unserer freien Willkür hat abhängen lassen wollen –, wir denken müssen, daß im Hinblick auf uns nichts geschieht, das nicht notwendig und gleichsam unausweichlich wäre, so daß wir nicht ohne Irrtum verlangen können, daß es in anderer Weise geschieht«.90
Das ist einerseits theoretisch nicht verständlich zu machen, solange wir Gott wie eine Fortuna als innerweltlich handelnde Person verstehen; anderseits aber können wir uns seinen Eingriff in die Welt nur so vorstellen, als handele er wie eine innerweltliche Person, und wir können uns deshalb seine Allmacht und Allwissenheit schlichtweg nicht mit unserer Freiheit vereinbar vorstellen. Aber Gott ist kein Gegenstand theoretischer Erkenntnis, sondern eine Idee, die wir in ihrer regulativen Funktion nur 89 90
AT XI, 439. AT XI, 439.
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treffen, wenn wir uns genau das vorstellen, was wir theoretisch gar nicht wissen können, nämlich daß er in dieser Welt (meinetwegen von außen her) allmächtig und allwissend wirkt und er gleichzeitig auch gewollt hat, uns bestimmte Handlungen aus Freiheit zu erlauben. Regulativ ist diese Vorstellung deshalb, weil sie uns abverlangt, bei allen unseren Akten des Verlangens – d. h. bei allen Bestimmungen unseres Willens – zu unterscheiden, ob sie sich auf Dinge beziehen, die ganz in unserer Macht, ganz in einer anderen Macht oder teilweise in unserer, teilweise in einer anderen Macht liegen: »Weil aber der größte Teil unserer Akte des Verlangens sich auf Dinge erstrecken, die weder gänzlich von uns, noch von einem anderen abhängen, müssen wir bei ihnen exakt unterscheiden, was von uns abhängt, um unser Verlangen sich allein darauf erstrecken zu lassen. Was das darüber Hinausgehende betrifft, müssen wir den Erfolg zwar als völlig unausweichlich und unwandelbar einschätzen, damit unser Verlangen sich nicht damit beschäftigt, aber wir dürfen es dennoch nicht unterlassen, die Gründe zu betrachten, die ihn uns mehr oder weniger erhoffen lassen, damit diese Gründe dazu dienen, unsere Aktionen zu regeln«.91
Wir sollen Vernunft nicht gebrauchen, um durch die Erkenntnis, daß Gott alles im Vorwege geregelt hat, in Lethargie zu verfallen, sondern damit wir unterscheiden lernen, was wir mit Aussicht auf Erfolg wollen können. Das, was wir mit Aussicht auf Erfolg wollen können, ist genau das, was nur von uns abhängt. Wenn wir das wissen, richten wir unser Verlangen nicht auf Dinge, zu deren Erlangung wir nichts beitragen können, und verhindern so, uns in vergebliche Bemühungen zu verrennen. Aber wir unterstellen, daß das, was nicht von uns abhängt, nicht durch irgendeinen Zufall entweder geschieht oder unterbleibt, sondern daß es eine vernunftgesteuerte Macht gibt, deren Agieren für uns hypothetisch nachvollziehbar ist. Das erlaubt es uns, die Erfüllung der Dinge zu erhoffen, die außerhalb unserer Macht liegen. Wenn 91
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aber diese Hoffnung sich nicht auf irgendein Gefühl gründet, sondern auf die Vorstellung, daß die Welt mit Vernunftgesetzen vereinbar ist, dann sind wir gerade in den Fällen, in denen wir nicht wissen, was geschehen wird, auf unsere Vernunft zurückverwiesen, und wir bestimmen unsere Handlungsmaximen aus Vernunft und folgen dieser Maxime, auch wenn der Verstand uns keine Proposition liefern kann, die uns einen Hinweis böte, was wir wählen sollen. »Wenn wir zum Beispiel an einem Ort zu tun haben, zu dem wir auf zwei verschiedenen Wegen gehen können, von denen der eine gewöhnlich sehr viel sicherer ist als der andere, dann mag es vielleicht der Beschluß der Vorsehung sein, daß wir unausweichlich ausgeraubt werden, wenn wir auf dem als sicherer einschätzten Weg gehen, wohingegen wir umgekehrt den anderen ohne irgendeine Gefahr nehmen können. Dennoch dürfen wir deswegen weder unentschlossen sein, den einen oder den anderen zu wählen, noch dürfen wir uns auf der unwandelbaren Fügung durch diesen Beschluß ausruhen. Die Vernunft aber verlangt, daß wir den Weg wählen, der gewöhnlich der sicherere ist, und unser diesbezügliches Verlangen muß erfüllt werden, wenn wir ihm gefolgt sind, welches Übel uns dadurch auch geschehen sein mag. Denn da dieses Übel im Hinblick auf uns unausweichlich war, hatten wir keinerlei Anlaß, zu wünschen, seiner entledigt zu sein, sondern nur, das Beste zu tun, was unser Verstand erkennen konnte, so wie wir es, wie ich voraussetze, getan haben. Es ist gewiß, daß, wenn man sich darin übt, so Fügung vom Schicksal zu unterscheiden, man sich leicht angewöhnt, seine Akte des Verlangens so zu regeln, daß sie uns immer völlige Zufriedenheit verschaffen, da ihre Erfüllung nur von uns abhängt«.92
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AT XI, 439–440.
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Konstitutive Funktion der Gottesidee
Die Idee Gottes ist nicht die einzige, aber die zentrale regulative Idee des menschlichen Geistes. Darauf deutet bereits die Reihenfolge der regulativen Ideen im Brief an Elisabeth vom 15. September 1645 hin, in dem Descartes die Idee Gottes deshalb an die erste Stelle stellt, weil sie das »erste und grundlegenste (la première et la principale chose)«93 der Dinge ist, die wir wissen müssen, damit sie als feste Grundhaltungen oder Tugenden den beiden Dingen assistieren können, »die erforderlich sind, um stets in der richtigen Verfassung zu sein, gut zu urteilen«, nämlich »die Erkenntnis der Wahrheit und (. . . ) eine Gewohnheit, die veranlaßt, daß man sich an diese Erkenntnis erinnert und ihr immer dann zustimmt, wenn der Anlaß es erforderlich macht «.94 Die Idee Gottes ist deshalb die »erste und grundlegenste«, weil Gott als Schöpfer einer Grundordnung der Welt gedacht wird, an der der denkende Mensch teilhat, und er deshalb als Garant aufzutreten vermag, daß diese Grundordnung der menschlichen Erkenntniskraft prinzipiell zugänglich ist. Um diese regulative Funktion der Gottesidee zu gewährleisten, ist es nötig, die Teleologie, die ein Wissen um die Ziele Gottes voraussetzt, die wir nicht erkennen können, aus der Physik herauszutrennen und Naturkausalität als alleinige Grundordnung der Welt einzusetzen. Der Mensch denkt Naturkausalität als Verkettung von Ursachen und Wirkungen in der Zeit und kann deshalb nicht umhin, sich Gott als einen am Anfang der Welt stehenden Schöpfer der Dinge und Geber der Naturgesetze zu denken, also als jemand, der, wie man sagt, den ersten, das Weltgeschehen in Gang setzenden Anstoß gibt, und der, selbst wenn man ihn als jenseitig versteht, zumindest in diesem Akt des ersten Anstoßes diesseitig, innerweltlich gedacht wird. Das Problem, daß ein solcher Gott sich dann nicht mehr als allmächtig und allwissend denken läßt, wenn er uns gleichzeitig auch die Freiheit des Willens gegeben hat – 93 94
AT IV, 291 = PhB 659, 145. Ebd.
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und die menschliche Willensfreiheit ist für Descartes ein unumstößliches Faktum –, versucht Descartes zu umgehen, indem er darauf hinweist, daß die göttliche Ebene, auf der Naturkausalität und Freiheit dann doch miteinander vereinbar sind, uns unzugänglich ist. Worauf basiert diese regulative Funktion der Gottesidee? Es ist auffällig, daß Descartes die anstoßgebende Rolle Gottes in seinem liegengelassenen Entwurf der Physik von 1633, Le Monde ou Traité de la Lumière, in dem er die von Gott geschaffene Materie in eine Art von Reservat verfrachtet und sie sich nach den von Gott gegebenen Naturgesetzen von selbst in genau die Welt entwickeln läßt, die wir um uns herum wahrnehmen – es ist auffällig, daß Descartes diese Rolle Gottes als mit den Einzelheiten nicht befaßter Antipode des denkenden Ich in den Meditationen beträchtlich ausweitet, nämlich keineswegs nur dahingehend, daß er Gott in einzelne Abläufe der Natur eingreifen ließe, sondern indem er Gott den Menschen in der Zeit erhalten läßt. Damit steht die Idee Gottes in einer konstitutiven Beziehung zu dem Ich und damit zu dem zweiten Ding, das wir wissen müssen, wenn wir immer richtig urteilen wollen, nämlich der »Natur unserer Seele, insofern sie ohne den Körper weiterbesteht (subsister), viel edler ist als er und fähig, eine Unzahl an Zufriedenheiten zu genießen, die sich in diesem Leben nicht finden: denn dies hindert uns, den Tod zu fürchten und löst unsere Zuneigung dermaßen von den Dingen dieser Welt, daß wir alles, was der Macht des Schicksals unterliegt, nur mit Geringschätzung betrachten«.95
Der Weiterbestand der Seele nach dem Tode des Menschen bleibt eine Hoffnung, weil der Aufweis der realen Unterschiedenheit von Seele und Körper eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung dieses Weiterbestandes ist, der also von dem Willen Gottes abhängig bleibt, über den wir keine Erkenntnis haben können. Descartes hat deshalb den dahingehenden Untertitel 95
AT IV, 292 = PhB 659, 147.
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der ersten Auflage der Meditationen Paris 1641, in dem ein Beweis der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele angekündigt wird, in der von ihm überwachten zweiten Auflage Amsterdam 1642 dahingehend sachlich korrekt ändern, daß in den Meditationen sehr wohl Gottes Existenz und die animae a corpore distinctio demonstratur, nicht aber die immortalitas animae.96 Indes bedarf es des Eingriffs Gottes nicht erst zur Erhaltung der Seele nach dem Tod, sondern bereits zur Erhaltung des Menschen in diesem Leben. Das ist zunächst ganz traditionell christlich formuliert und sicher auch gedacht: Wenn Gott der Schöpfer aller Dinge ist, dann ist er auch der Schöpfer jedes einzelnen Menschen. Um dies darzutun, argumentiert Descartes, daß »die gesamte Zeit des Lebens in unzählige Teile geteilt werden kann, deren einzelne von den übrigen in keiner Weise abhängen«,97 so daß daraus, daß ich zuvor gewesen bin, keineswegs folgt, daß ich jetzt bin, »es sei denn, irgendeine Ursache erschafft mich gewissermaßen in diesem Moment erneut, will sagen: erhält mich«.98 Descartes identifiziert also Schöpfung und Erhaltung des Menschen durch Gott und spricht ihm die Funktion zu, mich in der Zeit zu erhalten, indem er mich keineswegs nur wie ein mechanisches Uhrwerk einmal in Bewegung setzt und ansonsten die von ihm geschaffenen Naturgesetze wirken läßt, sondern indem er mich permanent erschafft. Aber das ist die einfachste Interpretation dieser Cartesischen Theorie, in der ganz unberücksichtigt bleibt, daß diese Argumentation vor dem Hintergrund des hyperbolischen Zweifels, bzw. seiner beginnenden Überwindung stattfindet. Descartes entwickelt auch in der dritten Meditation noch keine Theorie der Erhaltung des Menschen, sondern er sucht einen geeigneten Ausweg aus einer Schwierigkeit, die sich aus dem hyperbolischen Zweifel ergibt. Wenn Descartes davon spricht, daß Gott mich erhält, dann ist das im Rahmen der dritten Meditation bestenfalls 96 97 98
PhB 597, XXIV-XXV. Med. III: PhB 597, 96/97 = PhB 598, 53 = AT VII, 48–49. Med. III: PhB 597, 96/97 = PhB 598, 53 = AT VII, 49.
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perspektivisch schon der gesamte, aus Seele und Körper zusammengesetzte und sich in einer realen Außenwelt orientierende Mensch, sondern zunächst einmal nur ein denkendes Etwas. Dieses denkende Etwas ist noch kein Ich, das sich einer Gesamtheit von Dingen gegenübersieht, die man als Welt bezeichnen könnte, sondern eine Abfolge bloßer Einzelakte des Denkens. Diese Einzelakte des Denkens sind ungenau beschrieben, wenn man sie als Gedanken bezeichnet: Denn ein Gedanke konstituiert einen Gegenstand des Denkens – auch wenn dieser Gegenstand vielleicht nur innerhalb meines Denkens existiert –, dem ein Ich korreliert, das Träger dieses Gedankens ist. Diese Grundkonstellation von Ich vs. Gegenstand besteht aber auf dem höchsten Punkt des hyperbolischen Zweifels noch gar nicht, weil der Zweifel dadurch hyperbolisch wird, daß er von dem Zweifel an der Bewertung dieses oder jenes Sachverhalts zum Zweifel an der Erkenntis zuerst dieses und später überhaupt aller Sachverhalte überschwappt. Dadurch nimmt der Zweifel aber letztlich die Unterschiede zwischen den Gedanken weg, weil er die Inhalte nicht mehr einzeln hinsichtlich ihrer Plausibilität betrachtet, sondern er unter der Prämisse, daß der böswillige Dämon mich ja tatsächlich täuscht, Gedanken nur noch in die beiden Kategorien einteilt, ob an ihnen gezweifelt werden kann oder nicht. Unter die Kategorie dessen, woran gezweifelt werden kann, fallen schlichtweg alle Inhalte und damit alle Gedanken, unter die Kategorie dessen, woran nicht gezweifelt werden kann, fällt das Denken als bloße Prozessualität, also das letztlich gedankenlose Denken – und die Idee Gottes. Wie aber kann sich in einer reinen Prozessualität des Denkens plötzlich ein inhaltlich abgegrenztes Denken – also doch wohl nichts anderes als ein Gedanke – aus diesem reinen Fluß herausheben? Nun, einfach deshalb, weil dieser besondere Gedanke immer schon anwesend war, nämlich in der Form des täuschenden böswilligen Geistes. Deshalb ist die erste Form des Cartesischen Evergreens nicht »Ich denke, also bin ich«, sondern »Er täuscht mich, also bin ich«. Das Ich konstituiert sich über das Denken eines Antipoden seiner selbst, über ein AntiIch, über Gott.
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Wie ist vor diesem Hintergrund die zunächst ganz konventionell christlich, religiös oder theologisch daherkommende Cartesische Aussage, daß Gott mich erschafft und erhält, zu verstehen? Descartes präzisiert diese konventionelle Aussage dahingehend, daß Gott mich in der Zeit erhält, und in dieser Präzisierung benennt Descartes das Gott, Ich und Welt verbindende Element. Im Prozeß des hyperbolischen Zweifels verschwinden deshalb die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Gedanken und damit die Gedanken überhaupt, weil sie bis ins Unendliche zeitlich fragmentiert, atomisiert werden. Dadurch wird aber auch das Ich, das diese Gedanken denkt, zeitlich ins Unendliche hinein fragmentiert und atomisiert; denn zeitlich unendlich kleine Gedanken konstituieren zeitlich unendlich kleine Gegenstände – also überhaupt keine –, die unendlich vielen Ichs in der Zeit korrelieren – also überhaupt keinem. Wenn dieses atomisierte Ich dann – zum bemerkenswert geringen Erstaunen vieler Descartes-Forscher – doch etwas inhaltlich Bestimmtes in sich antrifft, nämlich Gott, dann denkt das Ich (das es so eigentlich noch gar nicht gibt) diesen Gott als ewig. Was ewig ist, dauert unendlich lang und hat weder einen Anfang noch ein Ende in der Zeit. Das Ich katapultiert sich durch das Denken Gottes in das Bewußtsein, in der Zeit zu sein, indem es ein Gegenüber denkt, das es in der Zeit zu erhalten vermag, weil es selbst sich in der Zeit durchhält. Im Denken von etwas, das sich in der Zeit durchhält, wird Substanz gedacht, nämlich Substanz als Gegenstand überhaupt, also Gott, und Substanz als das, was diesem Gegenstand überhaupt gegenüberliegt, das Ich. Durch das Denken Gottes wandelt sich das »Ich denke« in ein »Ich denke«. Dadurch entsteht zunächst die Zweiteilung von Ich, der sich in der Zeit durchhaltenden denkenden Substanz, und dem, was Nicht-Ich ist, das ist die Vielzahl der Dinge, von denen einige sich länger, andere kürzer in der Zeit durchhalten und von denen eines (angeblich) sich ewig durchhält. Diesen ewigen Gegenstand denkt das Ich dann aber keineswegs schon als Vernunftidee, sondern als ein besonderes Ding innerhalb der Welt, das verantwortlich ist für die Existenz der Gesamt-
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heit der Dinge in der Zeit, die wir Welt nennen. Dadurch also, daß Gott mich in der Zeit erhält, schafft er die zeitliche Ordnung der Welt, ein Früher und Später, dem ich ebenso unterworfen bin. Darin ist eine Entsprechung zwischen meinem Denken und der Grundordnung der Welt gegeben, nämlich die Entsprechung zwischen dem bloßen Früher und Später der Dinge in der Welt und der gedanklichen Ordnung dieser zunächst bloß zeitlichen Abfolge. Wir fragen danach, weshalb eigentlich deshalb, weil zuerst Dieses-hier war, jetzt Dieses-andere-hier ist; wir übertragen dadurch also die zeitliche Ordnung der Welt in eine gedankliche Abfolge der Dependenz, die wir dann als kausale Ordnung der Welt wieder unterstellen; und wir unterstellen, daß kausale Zusammenhänge in der Welt nicht chaotisch das eine Mal so, das andere Mal wieder anders vonstatten gehen, sondern über ihre grundsätzliche Kausalität hinaus nach Naturgesetzen geschehen, die wir als von Gott gestiftet unterstellen. Die Entstehung der metaphysischen Grundkonstellation von Gott, Ich und Welt ist also mit dem Bewußtsein identisch, daß das Ich, die Welt und eben auch Gott der Zeit unterstehen. Innerhalb der zunächst bloß zeitlichen Ordnung, in die das Denken sich dadurch katapultiert, daß es sich durch das Denken Gottes als Ich konstituiert, gibt es zunächst nur die Unterscheidung zwischen Ich und Nicht-Ich. Gott gehört zu dem, was Nicht-Ich ist, und damit gehört er zunächst dem Bereich an, von dem er auszunehmen ist, wenn er seine Grundvertrauen stiftende Rolle für das nicht nur zeitlich konstituierte, sondern sich im tätigen Erkennen etablierende Ich beibehalten soll, nämlich zum Bereich dessen, was das Ich später Außenwelt nennen wird. Erst an dieser Stelle werden Gottesbeweise notwendig, nämlich erst dann, wenn die zunächst einmal empirisch auftretende Idee Gottes als Vernunftidee zu erweisen ist, d. h. als eine im menschlichen Geist verankerte Idee, die zwar anhand kontingenter empirischer Erfahrungen aktiviert werden mag, deshalb aber keineswegs eine bloß empirische Erfahrung ist. Genau dies versucht Descartes darzulegen, wenn er die im Menschen anzutreffende
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»althergebrachte Meinung (vetus opinio)«,99 daß es einen Gott gibt, der »ewig, unendlich, allwissend, omnipotent und Schöpfer aller Dinge« ist100 als Idee eines Wesens zu zeigen versucht, das mit genau den angegebenen Wesenseigenschaften notwendig auch außerhalb dieser Idee existiert. Bekanntlich bedarf es hierfür zweier Beweise, nämlich des ideologischen Gottesbeweises, der zunächst zeigt, daß unsere Idee Gottes ihren Ursprung nicht in uns, sondern in dem Wesen selbst hat, dessen Idee wir haben, und in einem zweiten Schritt des ontologischen Gottesbeweises, der zeigt, daß die Notwendigkeit, in der Idee Gottes seine Existenz immer schon mitzudenken, mit der Notwendigkeit der Existenz Gottes jenseits dieser Idee identisch ist, daß also nicht unsere Idee von Gott notwendig existiert (denn das wäre eine bloß anthropologische Behauptung), sondern Gott selbst notwendig existiert. Daher Descartes’ schon am 25. November 1630 gegenüber Mersenne deutlich enthusiastische Äußerung, er habe einen evidenten Beweis für die Existenz Gottes gefunden, der »gewisser als irgendeine Proposition der Geometrie« sei und deshalb »jeden dazu bringen würde, zu glauben, daß es Gott gibt«.101 Daher auch der an unzähligen Stellen der Meditationen und insbesondere den Erwiderungen zu findende Vergleich der Erkenntnis Gottes mit der mathematischen Erkenntnis, daß die Summe der Winkel im Dreieck zwei rechten Winkeln entspricht. Die Erkenntnis der Existenz Gottes ist deshalb sogar »gewisser« als mathematische Erkenntnis, weil die mathematische Erkenntnis dem hyperbolischen Zweifel ausgesetzt werden kann und erst durch die Erkenntnis der Eigenschaft Gottes, uns nicht zu täuschen, wieder eingesetzt wird. Deshalb kann ein Atheist sehr wohl erkennen, daß die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten entsprechen, aber dies ist »kein wahres Wissen (. . . ), weil keine Erkenntnis, die in Zweifel gezogen werden kann, Wissen genannt werden zu dürfen scheint. 99 100 101
Med. I: PhB 597, 38/39 = PhB 598, 22 = AT VII, 21. Med. III: PhB 597, 80/81 = PhB 598, 45 = AT VII, 40. AT I, 181–182.
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Da nun vorausgesetzt wird, daß er ein Atheist ist, kann er nicht sicher sein, nicht in dem betrogen zu werden, was ihm äußerst evident zu sein scheint, wie hinlänglich aufgezeigt worden ist. Und auch wenn ihm dieser Zweifel vielleicht gar nicht kommt, so kann er ihm doch kommen, wenn er es prüft oder der Einwand von jemand anderem vorgebracht wird; und dagegen wird er niemals gefeit sein, wenn er nicht zuvor Gott erkennt«.102
c)
Soziale Funktion der Gottesidee
Indifferenz kann nicht »zum Wesen der menschlichen Freiheit« gehören, weil wir »nicht nur dann frei [sind], wenn die Unkenntnis des Richtigen uns indifferent sein läßt, sondern sehr viel mehr auch wenn eine klare Erfassung uns drängt, etwas anzustreben«.103 Da nun der Mensch »bereits eine von Gott bestimmte Natur alles Guten und Wahren vorfindet und seinen Willen gar nicht auf irgendetwas anderes richten kann, ist es evident, daß der Mensch desto williger und demnach auch freier das Gute und das Wahre vertritt, je klarer er es sieht«.104
Der Mensch kann seinen Willen nicht deshalb nur auf die von Gott bestimmte Natur alles Guten und Wahren richten, weil sein Wille dazu von der Idee Gottes genötigt worden wäre, sondern weil es gar keine andere solche Natur neben der von Gott gesetzten gibt, auf die der Wille sich richten könnte. Die faktisch von Gott gesetzte Natur ist nicht deshalb die Natur des Guten und Wahren, weil Gott durch die Idee des Guten und Wahren – also gewissermaßen durch eine andere Natur des Guten und Wahren – dazu genötigt worden wäre, sie so zu erschaffen, sondern
102 103 104
Resp II: PhB 598, 151 = AT VII, 141. Resp. VI: PhB 598, 413 = AT VII, 433. Resp. VI: PhB 598, 413 = AT VII, 432.
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Einleitung
die Natur ist deshalb gut und wahr, weil Gott sie so erschaffen hat; denn wenn Gott »gewollt hat, daß einige Wahrheiten notwendige seien, so heißt das nicht, daß er sie notwendigerweise gewollt hat; denn es ist etwas ganz anderes, zu wollen, daß sie notwendig seien, und es notwendigerweise zu wollen oder genötigt zu sein, es zu wollen«.105
Kein Umstand hat Gott gedrängt, »die Welt in der Zeit zu erschaffen« oder zu wollen, daß »die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten entsprechen«, sondern weil Gott »die Welt in der Zeit erschaffen wollte, deshalb ist es so besser, als wenn sie von Ewigkeit her geschaffen wäre; und weil er gewollt hat, daß die drei Winkel eines Dreiecks notwendig zwei rechten entsprechen, deshalb ist dies jetzt wahr und kann nicht anders sein«.106
Die Vorstellung einer solchen von Gott geschaffenen Natur setzt neben das Grundvertrauen in unseren eigenen Geist ein Grundvertrauen in die Struktur der Welt, die insgesamt eine Natur des Guten und Wahren darstellt und der der Mensch gegenübersteht, ohne sie gewollt zu haben, oder ihr entrinnen zu können, weil er selbst ein Teil in ihr ist. Natur ist alles, was der Mensch vor- und in das der Mensch sich hineingesetzt findet, also auch die faktisch gültige soziale Ordnung. Der Mensch ist darauf verwiesen, sich in bezug auf die Natur zu positionieren, die er vorfindet, und diese Positionierung ist ein Akt der freien Willkür, der umso besser gelingt, je besser die Natur erkannt wird. Die Freiheit des Menschen ist gerade dann in höherem Maße gegeben, wenn einer klaren Erkenntnis des Faktischen durch den Verstand eine umso größere Neigung im Willen folgt, dieser Erkenntnis zuzustimmen. Da also der Mensch eine soziale Ordnung vorfindet, die ihm zunächst einmal genauso gegeben ist wie irgendwelche
105 106
an Mesland, 2. Mai 1644: Bense, 281 = AT IV, 118–119. PhB 598, 413 = AT VII, 433.
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anderen Dinge und Sachverhalte in der Welt, gilt es, umwillen der Orientierung des Menschen in der faktisch gültigen sozialen Ordnung möglichst klare und deutliche Erkenntnis von ihr zu gewinnen. Deshalb kann Descartes »jene verwirrten und unruhigen Charaktere überhaupt nicht akzeptieren, die, ohne Geburt oder Zufall zur Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten berufen zu sein, es nicht unterlassen, Ideen zu irgendwelchen neuen Reformationen auszuhecken«;107 denn Staaten sind »schwer wieder aufzurichten, wenn sie abgerissen sind, und ebenso schwer aufrechtzuerhalten, wenn sie erschüttert werden, ihr Zusammenbruch aber ist immer heftig«.108
Anderseits aber läßt sich genausowenig, wie sich aus der Idee Gottes irgendeine bestimmte Form der Religion ableiten läßt, aus ihr eine bestimmte Form sozialer Ordnung folgern. Denn faktisch bestehende soziale Ordnungen basieren auf faktisch gültigen Moralkodizes, deren Wahl oder teilweise Veränderung selbst nur Anspruch auf moralische Gewißheit erheben kann. Deshalb folgt die monarchistische Staatsstruktur des vorrevolutionären Frankreich aus der Idee Gottes genausowenig, wie ein idealer philosophischer Staat schon allein deshalb gut ist, weil er auf Vernunftprinzipien zu basieren vorgibt. Denn der absolutistische Staat gründet auf der Idee Gottes nur mithilfe einer Unzahl weiterer traditioneller Ansichten über Gottes Willen, denen als selbst empirisches Faktum Rechnung zu tragen ist, die deshalb aber keineswegs schon aus der Idee Gottes tatsächlich ableitbar erwiesen wären; und der ideale Staat eines noch so wohlmeinenden Philosophen mag zwar auf Vernunftprinzipien gegründet sein, er ist deshalb aber gleichwohl nur eine wissenschaftliche Hypothese, deren Wahrheit sich an der empirisch vorfindlichen Welt erweisen müßte, eine Welt, die der Versuch, diese Hypothese zu erweisen, unweigerlich aufheben müßte – und das bedeutet für Descartes eben nicht, daß die reale Welt 107 108
Disc. II: PhB 624, 26/27 = PhB 643, 14. Disc. II: PhB 624, 24/25 = PhB 643, 13 = AT VI, 14.
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Einleitung
des Umsturzes bedarf, sondern daß die Hypothese falsch ist. Aus der Idee Gottes folgt deshalb weder irgendeine bestimmte Staatsform, noch irgendeine bestimmte Gesellschaftsform, und auch kein bestimmter Moralkodex, also auch nicht die Cartesische morale par provision – sondern es folgt, daß alle Moral grundsätzlich und unhintergehbar immer nur par provision sein kann. Unhintergehbar ist damit aber auch der Umstand, daß es zwar niemals eine endgültige Moral geben kann, daß aber der Mensch niemals ganz ohne Moral sein kann, denn »auch wenn jeder einzelne von uns eine von den anderen getrennte Person ist – deren Interessen folglich auf irgendeine Weise verschieden von denjenigen der übrigen der Welt sind –, [muß] man gleichwohl immer denken (. . . ), daß man alleine nicht bestehen könnte, und man in der Tat einer der Teile des Universums ist, und zwar wiederum insbesondere einer der Teile dieser Erde, einer der Teile dieses Staates, dieser Gesellschaft, dieser Familie, mit dem man durch seinen Wohnsitz, durch seinen Eid und seine Geburt verbunden ist. Und man muß immer die Interessen des Ganzen, von dem man ein Teil ist, vor den Interessen seiner eigenen Person im besonderen bevorzugen; indessen mit Maß und Umsicht, denn es wäre nicht richtig, sich einem großen Übel auszusetzen, um seinen Eltern oder seinem Land ein nur kleines Gut zu verschaffen. Und wenn ein einziger Mensch für sich allein mehr Wert ist als der ganze Rest seiner Stadt, gäbe es für ihn keine Rechtfertigung, sich zu opfern, um sie zu retten. Wenn man aber alles auf sich selbst bezöge, würde man sich nicht scheuen, den anderen Menschen sehr zu schaden, wenn man glaubte, daraus irgendeine kleine Annehmlichkeit zu gewinnen; und man hätte keinerlei wahre Freundschaft, keinerlei Treue, und allgemein keinerlei Tugend. Wenn man statt dessen sich selbst als Teil der Allgemeinheit betrachtet, bereitet es einem Vergnügen, allen Leuten etwas Gutes zu tun und man fürchtet sogar nicht, sein Leben im Dienst für den anderen zu riskieren, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet; ja man würde, wenn es
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möglich wäre, sogar seine Seele riskieren, um die anderen zu retten«.109
Nicht alles, was einem freien Willen entspringt, ist deshalb auch schon gut und wahr, und nicht alles, was nur moralische Gewißheit beanspruchen kann, ist deshalb schon schlecht und unwahr. Unbestreitbar gut und wahr ist freilich nur das, was wir klar und deutlich erkennen. Was aber erkennen wir hinsichtlich der menschlichen Gesellschaft empirisch und gleichzeitig klar und deutlich? »Ich gestehe, daß es schwierig ist, genau zu bemessen, inwieweit die Vernunft gebietet, daß wir uns für die Allgemeinheit interessieren; aber das ist auch etwas, worin es nicht notwendig ist, ganz exakt zu sein: Es reicht, seinem Gewissen zu genügen und man kann dabei vieles seiner Neigung überlassen. Denn Gott hat die Ordnung der Dinge so eingerichtet und die Menschen miteinander zu einer so engen Gesellschaft verbunden, daß auch dann, wenn jeder alles auf sich selbst bezöge und keinerlei Nächstenliebe für die anderen hätte, er es nicht unterlassen würde, sich gewöhnlich mit allem, was in seiner Macht steht, für sie einzusetzen, sofern er von Klugheit Gebrauch macht, vor allem, wenn er in einem Jahrhundert lebt, in dem die Sitten nicht verdorben wären. Darüber hinaus sind genauso, wie es höher und ruhmreicher ist, den anderen Menschen Gutes zu tun, als sich nur um sich selbst zu kümmern, diejenigen die größten Seelen, die die meiste Neigung dazu haben und am wenigsten Wert auf die Güter legen, die sie besitzen«.110
Wenn wir aus dem Fenster blicken, sehen wir Hüte und Mäntel die Straße überqueren, unter denen sich doch Automaten verbergen könnten.111 Aber wir urteilen, daß es sich um Menschen 109
an Elisabeth, 15. September 1645: AT IV, 293–294 = PhB 659, 147–149. 110 an Elisabeth, 6. Oktober 1645: AT IV, 316–317 = PhB 659, 177– 179. 111 Med. II: PhB 597, 62/63 = PhB 598, 35 = AT VII, 32.
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handelt, und dieses Urteil ist dadurch gerechtfertigt, daß wir es nicht mit unseren Augen fällen, sondern indem wir unseren Verstand gebrauchen und darin den theoretischen Teil der Urteilskraft aktivieren, die uns von der Natur gegeben ist, um unserer Orientierung in der Welt zu dienen, und deren Urteile nur durch einen Akt des Willens in Zweifel gezogen werden können, für den der Geist »die ihm eigene Freiheit«112 verwenden kann und aufwenden muß. Sobald der Geist jedoch erkannt hat, daß Gott uns unsere Urteilskraft nicht in betrügerischer Absicht gegeben hat, wird die Neigung im Willen, dem klar und deutlich Erkannten die Zustimmung zu geben, so groß, daß es kaum möglich ist, an ihm zu zweifeln. Wenn wir urteilen, daß Hüte und Mäntel, die die Straße überqueren, Menschen sind, dann folgen wir einer Gewohnheit, dieses Urteil so zu fällen: Wir fällen das in der Erfahrung begründete Vorurteil, daß sich ausgedehnte Dinge, die sich nicht nur auf einer Straße von selbst bewegen, sondern mit denen wir auch sprachlich kommunizieren können, Dinge sind, die uns deshalb gleichen, weil ihr Verhalten unserem eigenen Verhalten gleicht, wenn wir es uns von außen betrachtet vorstellen. Es würde dem hyperbolischen Zweifel nicht standhalten, aber es ist ein gutes regulatives Prinzip, davon auszugehen, daß Hüte und Mäntel, die die Straße überqueren, keine Automaten sind, sondern Menschen, die über einen Geist verfügen, der sie in die Lage versetzt, sich bewußt in der Welt zu positionieren und frei in ihr handeln, indem dieser Geist genau wie der unsrige in der Lage ist, ihren Körper, den allein wir an ihnen wahrnehmen können, zu lenken. Wir betrachten diese ausgedehnten Dinge dann nicht mehr als bloß ausgedehnt, sondern als andere Ichs, und wenn unsere Gewohnheit, dies so zu tun, keinerlei bewußter Denkvorgänge mehr bedarf, ist sie eine Passion, so wie etwa die Liebe eines guten Vaters zu seinen Kindern eine Passion ist, die sie ihn »als anderes Ich« betrachten läßt, so
112
Med. PhB 597, 22/23 = PhB 598, 13 = AT VII, 12.
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»daß er nichts von ihnen zu erhalten verlangt und er sie nicht anders besitzen will, als er sie schon besitzt, und auch nicht mit ihnen noch enger verbunden sein will, als er es bereits ist, (. . . ) [und er] auf ihr Wohl aus wie auf sein eigenes, oder sogar mit größerer Sorge: Denn da es sich ihm so darstellt, daß er und sie ein Ganzes sind, von dem er keineswegs der bessere Teil ist, bevorzugt er oft ihre Interessen vor den seinigen und fürchtet sich nicht davor, sich zu verlieren um sie zu retten«.113
Um Dinge und Sachverhalte mit ausreichender Verläßlichkeit zu beurteilen, bedarf es eines Anlasses, der das menschliche Erkenntnisvermögen zuallererst aktiviert; es bedarf fester Haltungen, die in bezug auf das Ding oder den Sachverhalt bestimmte Reaktionsschemata abrufen, und es bedarf der Anbindung dieser Reaktionsschemata an ein allgemeines Bewußtsein dessen, was gut und was schlecht ist. Es bedarf also zunächst der admiration, der Verwunderung, in der ein Ding oder Sachverhalt als der Reaktion bedürftig oder würdig beurteilt wird; es bedarf der Aktivierung der Hauptpassionen und ihrer Derivate, um eine Positionierung des Menschen zu dem, was mit admiration wahrgenommen wurde, herzustellen; und es bedarf der Anbindung dieser Reaktion an die Tugend der générosité, des Edelmuts, der als oberste Kontrollinstanz die Passionen überwacht.
3.
Descartes’ Theorie der Praxis. Über die Einheit von Seele und Körper im Menschen
Wer in der Welt frei handeln will, muß eine Übereinstimmung von Verstand und Wille herbeiführen oder zumindest zulassen und sich dann vor allem darum kümmern, seinen Körper seinem Willen zu unterstellen. Wie aber kann eine nicht ausgedehnte denkende Seele ein ausgedehntes Ding wie den Körper bewe113
Passionen, Art. 82, S. 50
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Einleitung
gen, bzw. die spiritus animales lenken, die nichts anderes sind als kleine Körper? Es ist Elisabeth von der Pfalz, die Descartes diesbezüglich mit hartnäckigen Nachfragen in die Enge treibt. Elisabeth kleidet ihre Skepsis, daß die Cartesische Philosophie dieses Problem lösen könne, bereits in ihrem ersten Brief vom Mai 1643 in die Bitte, »mir zu sagen, wie die Seele des Menschen die spiritus animales des Körpers dazu bestimmen kann, willentliche Aktionen auszuführen (denn sie ist ja nichts als eine denkende Substanz). Denn es scheint, daß jede Bestimmung zu einer Bewegung durch den Antrieb des bewegten Dings geschieht, wie wenn es durch das Ding, das es bewegt, oder durch die Beschaffenheit und Gestalt der Oberfläche des letzteren gedrückt wird. Für die ersten beiden Bedingungen ist Berührung erforderlich und für die dritte Ausdehnung. Sie schließen Ausdehnung aus Ihrem Begriff der Seele völlig aus, und Berührung scheint mir mit einem immateriellen Ding unvereinbar zu sein. Deshalb bitte ich Sie um eine noch genauere Definition der Seele als in Ihrer Metaphysik, das heißt um [eine Definition der Seele] als Substanz, getrennt von ihrer Aktion, dem Denken«.114
Wenn Elisabeth Descartes »um eine noch genauere Definition der Seele« bittet, in der die Seele »getrennt von ihrer Aktion« als Substanz betrachtet wird, dann ist es nicht schwer, sich die dahinter stehende Vermutung auszumalen: Ließe sich nicht die Seele als Substanz denken, deren Substantialität von ihrer Aktivierung im konkreten Denkakt ganz unabhängig wäre? In diesem Modell würde die Seele als ausgedehnte körperliche Substanz gedacht, der ihre Denkakte nur als Akzidenzen zukämen, und vielleicht ließe sich auf dieser Basis ein Weg finden, die Möglichkeit einer Einwirkung der Seele auf den Körper qua ihrer körperlich gedachten Substantialität zu erklären. Nun ist das eine Konzeption, die Descartes selbst bei größter Sympathie für Elisabeth nicht 114
3–5.
Elisabeth an Descartes, 6./16.Mai 1643: AT III, 661 = PhB 659,
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einräumen kann, weil das Denken das Wesenattribut der res cogitans ist und es der Seele nicht akzidentell zukommt wie einem Auto rote Farbe. Zwar kann Descartes einräumen, daß einzelne konkrete Denkinhalte, also einzelne inhaltlich gekennzeichnete Gedanken, der res cogitans akzidentell sind: denn aus dem Begriff einer res cogitans folgt in keiner Weise, daß sie dieses oder jenes zu denken hätte. Aber es ist von ihr nicht abzutrennen, daß sie denkt, und das Problem besteht für Descartes zunächst gar nicht darin, res cogitans als Substanz vorauszusetzen und ihre Verbundenheit mit dem Körper zu bestimmen, sondern darin, überhaupt erst einmal zu zeigen, daß die res cogitans, das denkende Ding oder Etwas überhaupt eine Substanz sein kann. Überall, wo Descartes dies noch gar nicht gezeigt hat, spricht er deshalb auch vorsichtig erst einmal von einer res und nicht von einer substantia cogitans. Descartes scheint die hinter Elisabeths Nachfrage stehende Vermutung durchaus erfaßt zu haben, denn er antwortet am 21. Mai 1643, indem er ihre Frage schlicht überhaupt nicht beantwortet, sondern statt dessen an sie appelliert, die sich wechselseitig ausschließenden Grundbegriffe der Ausdehnung und des Denkens als Wesensattribute des Körpers und der Seele anzuerkennen und sie nicht miteinander zu vermengen. Descartes setzt voraus, daß die gesamte Erkenntnis, die wir von unserer Seele haben können, von zwei Dingen abhängt, nämlich »daß die Seele denkt, [und] die andere, daß die Seele, wenn sie mit dem Körper vereint ist, mit ihm wirken (agir) und leiden (pâtir) kann«.115 Was dann aber folgt, ist alles andere als die von Descartes angekündigte Erklärung, »wie ich die Einheit (union) von Seele und Körper auffasse und wie die Seele die Kraft hat, ihn zu bewegen«,116 sondern eine Bestärkung der Unvereinbarkeit der Wesensattribute von Seele und Körper. Denn Descartes weist zunächst darauf hin, daß Ausdehnung und Denken eben keine allgemeinen Grundbegriffe (Universalien oder Kategorien) sind, 115 116
an Elisabeth, 21. Mai 1643: AT III, 664 = PhB 659, 7–9. an Elisabeth, 21. Mai 1643: AT III, 665 = PhB 659, 9.
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die sich auf allerlei Dinge ganz verschiedener Natur anwenden lassen, sondern besondere Begriffe, die Körper und Seele unter Ausschluß des jeweils anderen Begriffs zukommen, nämlich der »Begriff der Ausdehnung, aus dem diejenigen der Gestalt und der Bewegung folgen« für den Körper im besonderen, und »den des Denkens, in dem die Wahrnehmungen des Verstandes sowie die Neigungen des Willens enthalten sind« für die Seele allein; und Descartes fügt als dritten Begriff »für die Seele und den Körper zusammen (. . . ) den Begriff ihrer Einheit [hinzu], von dem der Begriff der Kraft der Seele abhängt, den Körper zu bewegen, und des Körpers, auf die Seele einzuwirken (agir), indem er ihre Empfindungen und Passionen verursacht«.117
Descartes ergänzt also seine bereits bekannte Position, daß der Seele Denken und dem Körper Ausdehnung als Wesensattribute zukommen, und daß diese beiden Wesensattribute einander ausschließen, wenn man die Seele oder den Körper jeweils allein in den Blick nimmt, um einen dritten Grundbegriff, nämlich dem der Einheit von Seele und Körper. Es ist beachtenswert, daß Descartes hier von Einheit (union) und nicht von Vereinigung (unfication) spricht: Denn Descartes ist gerade dabei, Elisabeth ein Denken auszureden, das sich zunächst Seele und Körper als einander ausschließende Dinge erarbeitet und dann versucht, sie irgendwie im Denken wieder zu vereinigen. Nun stellt sich die Frage, wovon diese drei Grundbegriffe Ausdehnung, Denken und Einheit eigentlich Grundbegriffe sein sollen; denn Descartes hat kurz zuvor darauf hingewiesen, daß sie keine allgemeinen Grundbegriffe des Denkens überhaupt sind, in denen Grundfunktionen des Denkens selbst aktiviert würden und die das Denken deshalb allgemein auf alle Gegenstände anwenden könnte, sondern solche, die sich in bislang unklarer Weise auf einen Denkinhalt beziehen, also Grundbegriffe in bezug auf einen Gegenstand oder Gegenstandsbereich sind. Sie 117
Ebd.
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sind, mit anderen Worten, ontologische Grundbegriffe, wenn auch Grundbegriffe nicht einer naiven Ontologie, die vermeinte, die Dinge der Welt wie in einem Schaufenster betrachten zu können, ohne daß der Betrachter daran irgendeinen Anteil hätte, sondern die gerade deshalb als ontologische Grundbegriffe gelten können, weil das Denken sie nicht weiter reduzieren kann. Die angesprochenen Grundbegriffe stehen also auf der Ebene eines Denkens, das sich der Welt bereits zuwendet und allgemeinste Grundstrukturen dieser Welt, insofern sie gedacht wird, zu bestimmen sucht. Deshalb bilden sich in Ausdehnung, Denken und Einheit auch nicht einfach drei Erkenntnisvermögen ab, sondern, das führt Descartes im späteren Brief an Elisabeth vom 28. Juni 1643 aus, jeweils verschiedene Aktivierungen und Kombinationen von Erkenntnisvermögen. Descartes bemerkt »einen großen Unterschied zwischen diesen drei Arten von Grundbegriffen darin, daß die Seele sich nur durch den reinen Verstand begreifen läßt, und der Körper, das heißt die Ausdehnung, die Gestalten und die Bewegungen sich ebenfalls durch den Verstand allein erkennen lassen, aber viel besser durch den Verstand unterstützt durch die Anschauung, und daß schließlich die Dinge, die zu der Einheit von Seele und Körper gehören, sich durch den Verstand allein und auch durch den Verstand unterstützt von der Anschauung nur dunkel erkennen lassen, aber sehr klar durch die Sinne. Daher kommt es, daß Leute, die nie philosophieren und sich nur ihrer Sinne bedienen, nicht daran zweifeln, daß die Seele den Körper bewegt und daß der Körper auf die Seele einwirkt; aber sie betrachten beide als ein einziges Ding, das heißt, sie begreifen ihre Einheit. Denn die zwischen zwei Dingen bestehende Einheit zu begreifen bedeutet, beide als ein einziges Ding zu begreifen«.118
Einheit, Denken und Ausdehnung ermöglichen klare und deutliche Erkenntnis des Menschen, der Seele und des Körpers; wir erlangen klare und deutliche Erkenntnis von der Seele dann und 118
an Elisabeth, 28. Juni 1643: AT III, 691–692 = PhB 659, 21–23.
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nur dann, wenn wir ihr allein Denken, aber keine Ausdehnung zuschreiben, klare und deutliche Erkenntnis vom Körper überhaupt dann und nur dann, wenn wir ihm allein Ausdehnung, aber kein Denken zuschreiben, und klare und deutliche Erkenntnis vom Menschen dann und nur dann, wenn wir ihn als Einheit von Seele und Körper begreifen. Descartes entschuldigt das Ausbleiben einer Antwort im ersteren Brief an Elisabeth denn auch damit, daß seine Aufgabe zunächst darin hatte bestehen müssen, die Dinge darzutun, die sich uns nur erschließen, wenn wir die Vorurteile unserer Jugend beiseite lassen, also wenn wir die Seele nicht als selbst ausgedehnten Teil des ausgedehnten Körpers und den Körper nicht als denkend betrachten, sondern eine Erkenntnis von ihnen zu erlangen versuchen, die auf Grundbegriffe zurückgreift, die sich nicht weiter zurückführen lassen und sich deshalb als Wesensattribute der jeweiligen Substanzen bezeichnen lassen. »Auch betrachte ich es so, daß die gesamte Wissenschaft der Menschen nur darin besteht, diese Grundbegriffe gut zu unterscheiden und sie nur den Dingen zuzuschreiben, zu denen sie gehören. Denn wenn wir irgendeine Schwierigkeit mittels eines Grundbegriffs erklären wollen, der nicht zu ihr gehört, ist es unausweichlich, daß wir uns täuschen; und genauso, wenn wir einen dieser Grundbegriffe durch einen anderen erklären wollen: Denn da sie ursprünglich sind, kann jeder dieser Begriffe nur aus sich selbst verständlich gemacht werden. Da nun der Gebrauch der Sinne uns die Grundbegriffe der Ausdehnung, der Gestalten und der Bewegungen viel vertrauter gemacht hat als die anderen, besteht die Hauptursache unserer Irrtümer darin, daß wir uns gewöhnlich dieser Grundbegriffe bedienen wollen, um Dinge zu erklären, zu denen sie nicht gehören, wie etwa wenn man sich der Anschauung bedienen will, um die Natur der Seele zu begreifen, oder auch wenn man die Weise, wie die Seele den Körper bewegt, durch die Weise begreifen will, in der ein Körper durch einen anderen Körper bewegt wird«.119 119
an Elisabeth, 21. Mai 1643: AT III, 666 = PhB 659, 9–11.
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Elisabeths Frage läßt sich also nur beantworten, wenn man eine Weise findet, die Grundbegriffe, »die zu der Einheit der Seele mit dem Körper gehören, ohne diejenigen [zu begreifen], die zu dem Körper oder der Seele allein gehören«.120 Aber auch in dem, was dann folgt, nennt Descartes die Kraft, mit der die Seele den Körper bewegt, nicht, sondern zieht eine erstaunliche Analogie zwischen der Kraft der Seele, den Körper zu bewegen, und der Schwerkraft, die einen Körper zum Erdmittelpunkt hin zieht. Diese Analogie wird indes geradezu befremdlich, wenn Descartes versichert, es bereite uns »keine Mühe, zu begreifen wie die Schwerkraft (pesanteur) diesen Körper bewegt, noch auch wie sie mit ihnen verbunden ist«,121 und dafür nur ins Feld zu führen weiß, daß »wir in uns selbst erfahren, daß wir einen besonderen Grundbegriff besitzen, um das zu begreifen«.122 Ein Blick auf die entsprechende Stelle in den späteren Principia, auf die Descartes hier bereits hinweist, zeigt, daß Descartes die Schwerkraft (vis gravitatis) durch den Druck zu erklären versucht, den die Kügelchen der Himmelsmaterie durch ihre Bewegung zur Erde hin auf die Körper ausüben, die sich auf der Erdoberfläche befinden,123 und dieser Druck macht es doch wohl keineswegs überflüssig, sondern ganz im Gegenteil unausweichlich, sich die Übertragung dieser Kraft durch die Berührung zweier Körper vorzustellen. Aber Descartes widersteht zudem auch der Versuchung, zu argumentieren, daß sich für die Übertragung der Schwerkraft zwar zwei Körper berühren müßten (gleichgültig, ob die einen die anderen irgendwie von unten ziehen oder von oben drücken), daß aber die Kraft selbst nichts Körperliches ist, sondern er ist ganz im Gegenteil bemüht, die selbst innerhalb der Physik unbestreitbare ontologische Differenz zwischen bloßen Dingen und den zwischen ihnen wirkenden Kräften möglichst zu nivellieren und Kräfte auf Bewegungen oder sogar nur, wie 120 121 122 123
AT III, 666 = PhB 659, 11. AT III, 667 = PhB 659, 13. Ebd. Prin. IV, 20: PhB 566, 404/405–406/407 = AT VIII/1, 212.
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im Falle des Lichts, auf bloße Tendenzen zu Bewegungen zu reduzieren. Das erlaubt es ihm, den französischen Ausdruck der pesanteur sowohl für Gewicht, als auch für Schwere und eben auch für Schwerkraft zu benutzen, auch wenn er in lateinischen Texten mitunter einen Unterschied zwischen gravitas = Gewicht, Schwere und vis gravitatis = Schwerkraft macht. Im späteren französischen Vorwort zu den Principes dient Descartes gerade die pesanteur als Beispiel für Dinge, die immer schon von jederman vorausgesetzt wurden, deren Natur wir aber, »obgleich die Erfahrung uns sehr klar zeigt, daß die sogenannten schweren Körper zum Mittelpunkt der Erde herabsinken«124 keineswegs schon erkannt haben. Umso weniger aber ist der Vergleich mit der Schwerkraft oder irgendeiner anderen in der physischen Realität wirkenden Kraft geeignet, die Einwirkung der Seele auf den Körper zu erklären, und deshalb kassiert Descartes diesen Vergleich im Brief an Elisabeth auch gleich wieder ein, und sagt, wir machten »schlechten Gebrauch von diesem Grundbegriff, wenn wir ihn auf die Schwerkraft anwenden, die nichts real vom Körper verschiedenes ist, (. . . ) sondern der uns gegeben ist, um die Weise zu begreifen, in der die Seele den Körper bewegt«.125 Was aber dieser falsch verwendete Grundbegriff denn nun eigentlich ist, bleibt rätselhaft, und Elisabeth ist mit Descartes’ Antwort denn auch keineswegs zufrieden: »Es wäre mir einfacher«, so gesteht sie Descartes ihr Unverständnis in einer Weise, die einem Vorwurf gleichkommt, »der Seele Materie und Ausdehnung zuzugestehen, als einem immateriellen Seienden die Fähigkeit, einen Körper zu bewegen und von ihm bewegt zu werden«.126 Und genau das scheint Descartes Elisabeth auch einzuräumen: »Aber da Ihre Hoheit bemerkt, daß es einfacher ist, der Seele Materie und Ausdehnung zuzuschreiben, als die Fähigkeit, einen Körper zu bewegen und von ihm bewegt zu werden, ohne Materie zu haben, bitte ich Sie, der Seele diese Materie und diese Ausdeh124 125 126
PhB 624, 148/149 = AT IX, 8. AT III, 667–668 = PhB 659, 13. 10./20. Juni 1643: AT III, 685 = PhB 659, 17.
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nung frei zuschreiben zu wollen; denn das ist nichts anderes, als sie mit dem Körper einig aufzufassen«.127
Aber Descartes versteht die Ausdehnung der Seele hier ganz anders als Elisabeth, denn er argumentiert weiter, daß der Versuch, der Seele Materie und Ausdehnung zuzuschreiben, auf eine Unterscheidung zwischen der Materie des Körpers und der Materie der Seele und damit auch auf eine Unterscheidung zwischen der Ausdehnung der Materie und der Ausdehnung des Denkens hinausläuft und so von selbst auf die Unterscheidung zwischen Seele und Körper zurückführt. Descartes spricht von der Ausdehnung der Seele im Hinblick auf deren Anwesenheit im gesamten menschlichen Körper; und deshalb ist die Ausdehnung, die man ihr zusprechen kann, wenn man die Seele als mit dem Körper einig auffassen will, die Ausdehnung des Körpers, und die Materie, die man ihr dabei zusprechen mag, die Materie des Körpers. Das aber hebt die Unterscheidung zwischen Seele und Körper nicht nur nicht auf, sondern führt geradezu auf sie zurück. In derselben Weise hatte Descartes auch in den sechsten Erwiderungen bereits argumentiert, als er ausführte, der Geist könne »eine Qualität desjenigen Körpers genannt werden, mit dem er verbunden ist, obwohl er tatsächlich eine Substanz ist«.128 Dies nämlich erlaubt, sich das Gewicht eines ausgedehnten Körpers einerseits als etwas vorzustellen, was dem gesamten Körper zukommt und insofern über diesen gesamten Körper verteilt ist, und anderseits als etwas, was man sich als in einen mathematischen Punkt konzentriert denken kann und insofern als unausgedehnt. Und das ist »exakt die Weise, in der ich mir jetzt einsichtig mache, daß der Geist mit dem Körper dieselbe Ausdehnung besitzt: Der gesamte Geist ist im gesamten Körper, aber es ist eben auch der gesamte Geist in jedem beliebigen Teil des Körpers«.129 Elisabeth aber hat nicht bestritten, daß die Seele mit dem gesamten Körper vereint sein kann, denn ihr ist die Cartesische 127 128 129
28. Juni 1643: AT III, 694 = PhB 659, 25–27. Resp. VI: PhB 598, 422 = AT VII, 442. Resp. VI: PhB 598, 422 = AT VII, 442.
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Theorie sehr wohl bekannt, daß einerseits die gesamte Seele mit dem gesamten Körper verbunden und in jedem Teil des Körpers vollständig vorhanden ist, sie aber anderseits ihren Hauptsitz, d. h. die zentrale Stätte ihrer Einwirkung auf den Körper, in der Zirbeldrüse im Gehirn hat. Ihr Problem löst diese Theorie indes nicht, weil das Problem nicht darin besteht, den Ort der Einwirkung der Seele auf den Körper zu bestimmen (was ein rein physiologisches oder medizinisches Problem und von untergeordneter Bedeutung ist), sondern darauf, wie diese Einwirkung zu denken ist; und ihre Frage richtet sich deshalb darauf, ob man nicht das, was wir Seele nennen, auf eine oder eine Kombination aus mehreren Funktionen des menschlichen Körpers zurückführen könne. Und auf diese Frage bleibt Descartes die Antwort schuldig und weist statt dessen darauf hin, daß der menschliche Geist nicht fähig sei, »gleichzeitig die Unterscheidung zwischen Seele und Körper und ihre Einheit zu begreifen, weil es dafür nötig ist, sie als ein einziges Ding zu begreifen und gleichzeitig auch als zwei Dinge, was sich widerspricht«.130 Aber die Behauptung, der menschliche Geist könne die Einheit des Menschen und die Verschiedenheit von Seele und Körper nicht gleichzeitig begreifen, ist keineswegs identisch mit der Behauptung, die Einheit des Menschen sei überhaupt keiner klaren und deutlichen Erkenntnis zugängig, denn er räumt ein, daß diese Einheit »sehr klar durch die Sinne« erkannt werden könne. Nun ist die Erkenntnis durch die Sinne, wie Descartes in den sechsten Erwiderungen ganz in Übereinstimmung mit seiner Erkenntnistheorie der Regulae ad directionem ingenii sagt, nichts weiter als ein automatischer Rückgriff auf frühere Urteile des Verstandes, der so schnell erfolgt, daß die Inanspruchnahme dieses Vorurteils wie eine einzelne Sinneswahrnehmung erscheint; denn das, »was wir von frühester Kindheit an über Dinge, die unsere Sinne affizierten, beurteilt oder auch schlußfolgernd geschlossen ha130
AT III, 693 = PhB 659, 25.
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ben, beziehen wir auf den Sinn (. . . ) Denn wir schlußfolgern und urteilen darüber aufgrund von Gewohnheit so schnell, oder erinnern uns vielmehr an die von uns bereits seit langem über ähnliche Dinge gefällten Urteile, daß wir diese Operationen nicht von einer einzelnen Sinneswahrnehmung unterscheiden«.131
Gemeint ist also mit der Erkenntnis durch die Sinne, die die Einheit des Menschen zu einer evidenten Erkenntnis macht, keineswegs ein tumbes Glotzen, sondern eine letztlich empirische Erkenntnis des Verstandes im Gegensatz zu einem reinen Denken. Wenn Descartes also behauptet, die Einheit von Seele und Körper könne sehr klar durch die Sinne erkannt werden, dann folgt die Klarheit dieser Erkenntnis keineswegs aus den Sinnen, sondern aus wiederholten empirischen Erkenntnissen, die stets dasselbe besagen und so insgesamt eine Erfahrung ausmachen, die bei einem erneuten Auftreten einer solchen einzelnen Erkenntnis automatisch aktiviert wird. Diese Erfahrung kann deshalb gleichzeitig klar und deutlich und eine Erkenntnis der Sinne sein, weil die empirische Einzelerkenntnis nur noch der Auslöser einer allgemeinen Erfahrung ist. Deshalb kann die empirische Einzelerkenntnis eine verworrene Sinneswahrnehmung sein und dennoch darin die Einheit der Seele mit dem Körper klar zeigen. In seiner vielleicht berühmtesten Textpassage zur Einheit von Seele und Körper im Menschen, in der Descartes die Frage aus Aristoteles’ De anima, »ob die Seele auf diese Art Vollendung für den Körper ist, wie der Schiffer für das Schiff«,132 negativ beantwortet, zeigt Descartes dies: »Durch diese Empfindungen des Schmerzes, des Hungers, des Durstes usw. lehrt die Natur auch, daß ich zu meinem Körper nicht etwa nur so hinzugefügt bin, wie ein Seemann sich auf einem Schiff aufhält, sondern daß ich mit ihm auf engste verbunden und gewissermaßen vermischt bin, so daß ich mit ihm zu einem einzigen Etwas zusammengesetzt bin. Andernfalls würde ich, der 131 132
Resp. VI: PhB 598, 418 = AT VII, 438. 413a: PhB 476, 65.
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ich nichts anderes als ein denkendes Ding bin, auch dann keine Schmerzen empfinden, wenn der Körper verletzt wird, sondern ich würde die Verletzung durch den reinen Verstand erfassen, so wie der Seemann durch das Sehvermögen erfaßt, wenn am Schiff irgendein Schaden entsteht; und wenn der Körper nach Essen oder Trinken verlangt, würde ich dies ausdrücklich einsehen und nicht die verworrenen Empfindungen des Hungers und des Durstes haben. Denn sicherlich sind diese Empfindungen des Durstes, des Hungers, des Schmerzes usw. nichts anderes als gewisse verworrene gedankliche Zugriffe (modi cogitandi), die aus der Vereinigung und gewissermaßen der Vermischung des Geistes mit dem Körper herrühren«.133
Die verworrenen Empfindungen des Schmerzes, Hungers usw. legen gerade deshalb von der engsten Verbundenheit der Seele mit dem Körper Zeugnis ab, weil sie verworren sind. Denn »wenn ein Engel in einem menschlichen Körper wäre, würde er nicht wie wir sinnlich wahrnehmen, sondern nur die Bewegungen erfassen, die von den äußeren Objekten verursacht werden, und würde sich dadurch vom wahren Menschen unterscheiden«.134
Die Verworrenheit der einzelnen Sinnesempfindung ist also nicht nur mit der Klarheit der Erkenntnis der Einheit von Seele und 133
Med. VI: PhB 597, 164/165 = PhB 598, 88 = AT VII, 81. Die kurze Bemerkung des Aristoteles diskutiert schon Pierre Charron dahingehend, daß die Seele im Körper eben nicht hause »comme un maître en sa maison, le pilote en son navire, le cocher en son coche«; und auch Charron hebt darauf ab, daß die Seele »une substance toute distincte du corps, subsistant de soi« sei. Charron löst das Problem der Verbindung von Seele und Körper letztlich genauso wie Descartes (nur sieht er deutlich weniger Probleme darin): »L’âme est au corps comme la forme en la matière, étendue et répandue par tout icelui [ = celui] donnant vie, mouvement, sentiment, à toutes ses parties, et tous les deux ensemble ne font qu’une hypostase, un subjet entier, qui est l’animal, et n’y a point de milieu qui les noue et lie ensemble; car entre la matière et la forme, il n’y a aucun milieu (. . . ): l’âme donc est toute en tout le corps« (De la sagesse I, 70–71). 134 an Regius, Januar 1652: AT III, 493.
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Körper vereinbar, sondern sie ist geradezu eine Bedingung für die Klarheit dieser Erkenntnis, die inhaltlich nichts anderes ist als Einsicht in die Tatsache der Verworrenheit der singulären Sinneswahrnehmungen und -empfindungen; denn die Einsicht, daß etwas verworren ist, kann als Erkenntnis gerade dann klar und deutlich sein, wenn sie besagt, daß die Verworrenheit dessen, was dort wahrgenommen wird, unaufhebbar ist. Das zeigt Descartes in seiner Aristoteles-Kontrafaktur: Ein Schiffer navigiert sein Schiff, indem er bestimmte Gegebenheiten verstandesmäßig erfaßt. Er sieht die Sterne, anhand derer er die Position des Schiffes in der Breite errechnen kann; er betrachtet sein Schiffschronometer, anhand dessen er die Position seines Schiffes in der Länge bestimmen kann; seine Erfahrung zeigt ihm, daß jene Wolkenformation dort auf einen beginnenden Orkan hindeutet; deshalb gibt er Anweisungen, die nicht dem Schiff selbst, sondern dem Maschinisten im Maschinenraum anzeigen, daß er die Geschwindigkeit ändern soll; oder er läßt eine ganze Mannschaft von Seeleuten die Masten entern um Segel zu setzen; er läßt den Steuermann das Steuerrad drehen, damit eine Mechanik das Ruder entsprechend seinen Vorausplanungen bewegt. Bei all dem ist er ein umso besserer Schiffer, je klarer und deutlicher seine Überlegungen und Berechnungen sind. Und wenn er nicht nur ein Freizeitkapitän, sondern ein alter Seebär ist, dann hat er ein Gespür dafür, wie sein Schiff in bestimmten Situationen reagieren wird und welche Entscheidungen er in bestimmten Situationen zu treffen hat – denn dies sind genau jene scheinbaren Erkenntnisse der Sinne selbst, hinter denen unzählige Verstandeserkenntnisse stehen, die aber so rasch abgerufen werden, daß sie uns wie Sinneswahrnehmungen erscheinen. Aber gleichwohl ist der Schiffer mit seinem Schiff nicht in der Weise verbunden, wie er es mit seinem eigenen Körper ist. Sein Schiff bleibt – allem Seemansgarn zum Trotz – ein äußerer Gegenstand, von dem er gerade deshalb klare und deutliche singuläre Erkenntnisse gewinnen kann, weil dieser Gegenstand zwar sein Schiff, aber nicht sein Körper ist. Umgekehrt zeigt die Tatsache, daß ich dunkle, verworrene Empfindungen von etwas habe, was ich noch gar nicht erkannt habe, daß ich
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mit einem Körper aufs engste verbunden bin, den von meinem denkenden Ich zu abstrahieren, d. h. als Objekt außerhalb der Einheit des Menschen zu denken, einiger Anstrengung bedarf. Dies wird noch deutlicher anhand des Cartesischen Bildes mit dem Engel. Ein Engel, der sich in einem menschlichen Körper befindet, würde, so behauptet Descartes, »nur die Bewegungen erfassen, die von den äußeren Objekten verursacht werden«, und das sind die Bewegungen der Nerven des für ihn ganz ungewohnten Körpers. Er bedürfte einiger Erfahrung, hinter diesen Bewegungen äußere Gegenstände zu erkennen, die noch jenseits des für ihn äußeren Körpers liegen, in dem er wohnt. Gerade weil der Engel also seine Vernunft nicht wie wir Menschen im Verlaufe seines Erwachsenwerdens allmählich aus der Versenkung in die Sinne löst, sondern mit dem vollen Gebrauch der Vernunft ausgestattet in den Körper fährt, fiele es ihm ungleich schwerer, den Wust verworrener Sinnesempfindungen zur Gegenstandskonstitution zu nutzen. Der Engel würde also keineswegs die Bewegung des äußeren Gegenstandes, sondern die Bewegung des Nervenstrangs verstandesmäßig erkennen, und seine Welt wäre nicht die empirische Welt des Menschen, sondern bestände aus den Bewegungen des Gefängnisses, in dem er sich befindet. Er würde dieses Gefängnis eben nicht als seinen eigenen Körper wahrnehmen, sondern als die ihm äußere Welt. Die Pointe daran ist nun nicht, daß der Engel sich deshalb in einer trostlosen Welt befände, weil er über die empirische Außenwelt bemerkenswert schlecht informiert ist, sondern daß wir über die empirische Außenwelt gerade deshalb besser informiert sind, weil die dafür notwendigen Bewegungen unseres Körpers, die die Bewegungen der Dinge der Außenwelt an unsere Seele übermitteln, als solche für uns unbewußt bleiben. Deshalb bedarf es eines besonderen Aktes der Abstraktion, wenn wir unseren eigenen Körper als Objekt der äußeren Welt betrachten wollen. Damit wir unseren eigenen Körper betrachten können, wie der Schiffer sein Schiff betrachtet, bedarf es der Loslösung von den naturgegebenen Automatismen, die uns die Befindlichkeit unseres Körpers unverzüglich melden. Umgekehrt mag der Schiffer seine Ver-
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trautheit mit seinem Schiff bis ins Legendäre hinein steigern: Sein Schiff wird ihm dennoch keine Schmerzen signalisieren, und die Schmerzen, die er empfindet, wenn sein Schiff auf einen Felsen aufläuft, werden nicht die des Schiffes, sondern seine eigenen sein. Der Engel hingegen wird weder solche Schmerzen spüren (denn er spürt nichts), noch einen äußeren Gegenstand erkennen, weil er nicht wie wir eine von den Bewegungen unserer mechanischen Wahrnehmungsorgane unterschiedene Idee dieses Gegenstandes bilden kann, und er könnte deshalb anders als wir diese Idee nicht klar und deutlich erkennen und als äußeren Gegenstand in Geltung setzen. Die verworrenen Empfindungen des Hungers, des Durstes usw. können also nur deshalb von der Einheit der Seele mit dem Körper Zeugnis ablegen, weil zwischen Hunger »einerseits und anderseits dem Willen, Essen zu sich zu nehmen, bzw. zwischen der Empfindung des Schmerz erregenden Dinges, und dem von dieser Empfindung her entstandenen Gedanken der Traurigkeit (. . . ) schlicht überhaupt keine Verwandtschaft (affinitas) [besteht] (zumindest keine, die ich einsehen kann)«. Denn »auf welche Weise (. . . ) sich aus dieser irgendwie gearteten Empfindung des Schmerzes eine bestimmte Traurigkeit des Gemüts, und aus der Empfindung des Kitzels eine bestimmte Freude ergibt (. . . ), dafür hatte ich freilich keine andere Begründung als: weil ich dies so von der Natur gelernt habe«.135
Aber Descartes hat auch später keine andere: Die vielleicht am häufigsten verwendete Redewendung in den Passionen der Seele ist, daß »die Lebensgeister die Zirbeldrüse in gerade jener Weise bewegen, daß in der Seele dadurch die Empfindung von . . . stattfindet«. Deshalb ist auch jetzt die Frage Elisabeths, wie die unausgedehnte Seele auf den ausgedehnten Körper einwirken kann (und umgekehrt), noch unbeantwortet. Denn bislang hat Descartes die Einheit von Seele und Körper im Menschen als Tatsache gezeigt, die wir durch unsere Sinne erfahren, indem wir auf 135
Med. VI: PhB 597, 154/155 = PhB 598, 83 = AT VII, 76.
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ein Vorurteil unserer Kindheit zurückgreifen, das in bislang unklarer Weise von dem Verdikt ausgenommen ist, wir sollten uns zumindest einmal im Leben von unseren Vorurteilen befreien. Immerhin hat Descartes gezeigt, daß wir trotz der Verworrenheit einzelner körperlicher Empfindungen, sinnlicher Wahrnehmungen und Passionen indirekt, deshalb aber nicht weniger klar und deutlich von der Einheit des Menschen Erkenntnis erlangen können, weil alle diese singulären sinnlichen Erfahrungen diese Einheit immer schon voraussetzen. Und Descartes hat gezeigt, daß gerade die Unbewußtheit der körperlichen Vorgänge, die sich irgendwie in seelische Akte verlängern, uns ermöglicht, eine äußere Welt – im Rahmen der prinzipiellen Einschränkung, daß es sich dabei niemals um die Welt an sich handelt – mit dem Anspruch auf Objektivität zu konstituieren. Wenn es aber darum geht, zu zeigen, wie Seele und Körper aufeinander einwirken, ist Descartes die Antwort schuldig geblieben, und es hat den Anschein, als wolle er uns damit abspeisen, daß wir diesbezüglich ein Vorurteil in Anspruch nehmen müssen, das wir nicht erklären können. Nun bezeichnet Descartes die Einheit von Seele und Körper im Menschen nicht als Einheit zweier Dinge, sondern als unio substantialis. Was ist eine substantielle Einheit? Descartes definiert Substanz in den Überlegungen more geometrico, dem Appendix zu den zweiten Erwiderungen, als »Ding, an dem irgendetwas unmittelbar wie an einem Subjekt anhaftet, bzw. durch das irgendetwas existiert, was wir erfassen, das heißt irgendeine Eigenschaft oder irgendeine Qualität oder irgendein Attribut, deren bzw. dessen Idee in uns ist«.136
In den vierten Erwiderungen bezeichnet Descartes das als »Grundbegriff der Substanz, daß sie durch sich selbst, das heißt ohne die Hilfe irgendeiner anderen Substanz existieren kann«,137 und in den Principia als »Ding, das so existiert, daß es keines anderen 136 137
PhB 598, 170 = AT VII, 161. PhB 598, 234 = AT VII, 226.
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Dinges bedarf, um zu existieren«,138 und fügt sogleich hinzu, daß gemäß dieser Definition allein Gott als Substanz gelten dürfe, weil nur er überhaupt keines anderen Dinges zu seiner Existenz bedarf. Substanz bezeichnet stets etwas, das als ein Zugrundeliegendes gedacht wird. Wird dieses Zugrundeliegende als Ding gedacht, das schlichtweg keines anderen Dinges bedarf, um zu existieren, dann ist nur Gott Substanz. Aber wir benutzen diese Bezeichnung auch für Dinge innerhalb der Welt, wenn sie keiner anderen Dinge außer Gott zu ihrer Existenz bedürfen. Wir denken sie als Substanz, indem wir sie als Grund jener Eigenschaften, Qualitäten oder Attribute denken, die wir erkennen. Descartes präzisiert dies ganz konform mit der aristotelisch-scholastischen Tradition dahingehend, daß einer Substanz zwar die eine oder andere Eigenschaft oder Qualität zukommen oder auch fehlen mag, sie aber immer durch mindestens ein Wesensattribut gekennzeichnet ist, das allein ausreichend ist, um die Substanz als gerade diese Substanz zu erkennen; denn »wir erkennen die Substanzen nicht unmittelbar (. . . ), sondern nur dadurch, daß wir bestimmte Formen oder Attribute erfassen, die an einem Ding sein müssen, um zu existieren. Das Ding, an dem sie sind, nennen wir Substanz«.139
Und gegenüber Bourdin betont Descartes, er habe »immer gemeint, daß nichts anderes erforderlich ist, um eine Substanz zu manifestieren, als ihre vielfältigen Attribute, so daß wir desto vollkommener die Natur einer Substanz einsehen, je mehr ihrer Attribute wir erkennen«.140
Descartes schließt also keineswegs aus, daß Substanzen mehrere Attribute zugesprochen werden können; indes verschmilzt der Begriff des Attributs in diesem Fall etwas undeutlich mit dem einer Eigenschaft, denn Descartes hat im Wachs-Beispiel der 138 139 140
Prin. I, 51: PhB 566, 56/57 = AT VIII/1, 24. PhB 598, 230 = AT VII, 222. PhB 598, 365 = AT VII, 360.
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zweiten Meditation141 deutlich gemacht, daß die Eigenschaften einer Substanz immer Derivate einer einzigen Wesenseigenschaft sind, nämlich Derivate entweder der Ausdehnung oder Derivate des Denkens. Deshalb sind Seele und Körper durch die jeweiligen Attribute des Denkens und der Ausdehnung bereits als vollständige Substanzen konstituiert. Descartes ist hinsichtlich der Unterscheidung von Wesensattributen und Eigenschaften terminologisch nicht eben stringent; aber er ist es gleichwohl in der Sache, denn »die Substanz [wird] zwar aus jedem beliebigen Attribut erkannt, gleichwohl aber kommt jeder Substanz eine hervorstechende Eigenschaft (praecipua proprietas) zu, die ihre Natur und ihre Essenz ausmacht und auf die alle anderen Attribute zurückbezogen werden«.142
Es gibt deshalb unvollständige Substanzen nicht in dem Sinne, daß diese Substanzen nicht für sich existieren könnten, denn dann wären es keine Substanzen, sondern nur in dem Sinne, daß man sie unvollständig nennen kann, »insofern sie auf irgendeine andere Substanz bezogen werden, mit der sie sich zu einer für sich bestehenden Einheit zusammensetzen«.143 Wenn also »der Geist mit dem Körper substantiell vereint ist«,144 dann ist das so zu verstehen, daß der Mensch eine Substanz sui generis bildet, ohne daß in dieser Einheit Seele und Körper ihre Wesensattribute verlören oder sich irgendwie miteinander vermischen würden. Beantwortet dies Elisabeths Frage? Natürlich nicht, oder zumindest noch nicht, denn bislang hat Descartes darin nur das bereits Gesagte, daß der Mensch als Substanz gelten kann, deren Haupteigenschaft oder Wesensmerkmal die Einheit von Seele und Körper ist, in die sicherlich edlere Terminologie der Scholastik übersetzt. Aber Descartes hat auch die nicht unwichtige 141 142 143 144
PhB 597, 58/59–62/63 = PhB 598, 33–35 = AT VII, 30–31. Prin. I, 53: PhB 566, 58/59 = AT VIII/1, 25. PhB 598, 231 = AT VII, 222. Resp. IV: PhB 598, 235 = AT VII, 228.
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Behauptung aufgestellt, die im Menschen vorliegende und durch die Sinne erfaßbare und für gewisse sinnliche Wahrnehmungen immer schon vorauszusetzende Einheit des Menschen sei nicht weniger eine Substanz als Seele und Körper jeweils für sich betrachtet. Aber natürlich stellt sich die Frage, ob es letztlich weniger Probleme bereitet, den Menschen als Einheit von Seele und Körper aufzufassen und nicht als Vereinigung, denn der Grundbegriff der Einheit scheint nur dadurch zunächst weniger irreführend sein zu können, daß er in gleichem Maße inhaltsleerer wird. Denn an dieser Stelle drängt sich die Frage auf, wovon die Einheit denn nun Einheit sein solle; und wenig überraschend lautet die Antwort darauf: Einheit von Seele und Körper. Worin besteht also die unio substantialis? Die Einheit der Seele ist mit dem Körper ist dasjenige, was diesen Körper zu meinem Körper macht. Descartes unterscheidet in seinem Ausblick auf die von ihm nicht verfaßten, sachlich aber erforderlichen Teile fünf und sechs der Principia über die Pflanzen und Tiere und den Menschen die inneren und äußeren Sinne des Menschen, indem er feststellt, daß sich »nur sieben hauptsächliche Verschiedenheiten« in den Empfindungen feststellen lassen, »von denen zwei sich auf die inneren Sinne, die anderen fünf auf die äußeren beziehen«.145 Aber Descartes erklärt den Unterschied zwischen inneren und äußeren Sinnen dann ganz entsprechend seiner mechanistischen Erkenntnisphysiologie durch die Unterschiedlichkeit der Enden der Nervenstränge. Innere Sinne bilden sich dadurch, daß bestimmte Nerven »zum Magen, zur Speiseröhre, zum Rachen und anderen, zur Stillung natürlicher Bedürfnisse bestimmten inneren Körperteilen« oder »zum Herzen und dessen vorderen Bereichen« gehen. Die ersteren bewirken so die »natürliche Begierde (appetitus naturalis)« und die zweiten die »Erregungen bzw. Gemütsbewegungen (animi com-
145
Prin. IV, 190: PhB 566, 604/605–606/607 = AT VIII/1, 316; Descartes operiert mit der Unterscheidung innerer und äußerer Sinne bereits in Le Monde.
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motiones sive pathemata) und Affekte (affectus)«,146 wohingegen bestimmte andere Nerven zu den Organen gehen, die die entsprechenden äußeren Sinne konstituieren. Aber diese Theorie erklärt nur, wie der Mensch lernt, daß es einen Körper gibt, den er deshalb mit einem gewissen Recht seinen eigenen nennt, weil er den Informationen, die die inneren Sinne ihm über diesen Körper liefern, nicht in derselben Weise entfliehen kann wie denen, die die anderen Sinne liefern und die deshalb Informationen über fremde Körper sind. Und darin geht Descartes, abgesehen von einer detaillierteren physiologischen Erklärung, nicht über das hinaus, was er in der in der sechsten Meditation rückblickend auf vorherige Meinungen – also Vorurteile – formuliert hat, nämlich daß ich einen gewissen Körper »mit einem gewissen besonderen Recht den meinigen nannte, [weil er] mehr zu mir gehörte als irgendein anderer: ich konnte mich nämlich niemals von ihm absondern wie von den anderen; alle Triebe und Affekte empfand ich in ihm und vermittelt durch ihn; und schließlich stellte ich den Schmerz und den Kitzel der Lust in seinen Teilen fest, nicht aber in anderen, außer ihm befindlichen«.147
Hinsichtlich der Art und Weise, wie die Sinne der Seele Informationen liefern, gibt es zwischen den inneren und äußeren Sinnen zunächst einmal jedoch keinen Unterschied, und deshalb bedarf es zu der Beantwortung der Frage, was diesen Körper eigentlich zu meinem Körper macht, mehr als der Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Sinnen. Aber Descartes verwendet den Begriff der Information in besonderer Weise; denn an allen Textstellen, in denen er das lateinische Verb informare oder entsprechende Redewendungen verwendet, ist es die Seele, die den Körper informiert, und nicht der Körper, der der Seele Informationen liefert. Damit ist es vorderhand ausgeschlossen, Descartes ein modernes Verständnis 146 147
Prin. IV, 190: PhB 566, 606/607 = AT VIII/1, 316. PhB 597, 154/155 = PhB 598, 83 = AT VII, 75–76.
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von Information im Sinne der Mitteilung einer Neuigkeit, geschweige denn eine geschärfte und mathematischer Beschreibung zugängliche Definition von Information als »Maß für die Unwahrscheinlichkeit eines Ereignisses« zu unterstellen. Schon in den Regulae spricht Descartes im Zusammenhang mit der Erörterung der Dinge, die von der Seite des erkennenden Subjekts eine Rolle bei der Erkenntnis spielen, er wünsche gerne »auseinanderzusetzen, was der Geist des Menschen ist, was der Körper, wie der Geist den Körper informiert (quomodo hoc ab illa informetur), welches in dem zusammengesetzen Ganzen die zur Verfügung stehenden Vermögen sind, um Dinge zu erkennen, und was die einzelnen tun«.148
Das ist keine Redeweise des frühen Descartes, die er nach seiner Übersiedelung in die Niederlande, also weg von der katholischen Scholastik, abgelegt hätte, denn er spricht auch in seiner Erwiderung auf Pierre Gassendis Einwände (freilich also im gewissem Sinne wieder in einem scholastischen Zusammenhang) davon, daß, wenn der Name Seele »speziell für den obersten Akt, bzw. eigentümliche Form des Menschen gebraucht wird, [er] nur verstanden werden darf in bezug auf das Prinzip, durch das wir denken«.149 Auch in den Principia IV, 189 findet sich diese Redeweise, wenn Descartes äusführt, man müsse wissen, »daß die menschliche Seele, obwohl sie den gesamten Körper informiert, ihren Hauptsitz gleichwohl im Gehirn hat, in dem allein sie nicht nur einsieht und vorstellt, sondern auch empfindet«.150 148
Reg. XII: PhB 613, 90/91 = C 40. Resp. V: PhB 598, 361–362 = AT VII, 356. 150 Prin. IV, 189: PhB 566, 604/605 = AT VIII/1, 315. Zwar halte ich die Paraphrase von informare als »in seiner Funktionalität bestimmt, d. h. ihn lenkt und von ihm Signale empfängt«, die ich mir erlaubt habe, in meiner Übersetzung dieser Textstelle an die Stelle des Prädikats zu setzen, nach wie vor für sachlich richtig; aber sie versperrt den Blick auf die historische Dimension dieses Textes, nämlich darauf, daß Descartes hier offenbar überhaupt keine Probleme darin sieht, scholastische Terminolo149
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Und in der Tat hat es den Anschein, als ob Descartes hier nicht nur scholastische Terminologie verwendet, sondern aristotelischscholastische Philosophie inhaltlich vertritt.151 Das wird ganz deutlich, wenn Descartes seinem allmählich renitent werdenden und strategisch ungeschickt agierenden (protestantischen) Schüler Henricus Regius im Januar 1642 eben nicht nur Sprechweisen vorschlägt, sondern ihn wegen dessen Behauptung zurechtweist, der Mensch sei ein ens per accidens: »Ich weiß, daß Du unter quod homo sit ens per accidens nichts anderes verstanden hast als was alle anderen zugeben, nämlich daß der Mensch eine Zusammensetzung aus zwei real unterschiedenen Dingen ist. Weil aber das Wort ens per accidens auf den Universitäten nicht in diesem Sinne gebraucht wird, (. . . ) ist es sehr viel besser, offen einzugestehen, daß Du diesen universitären Fachausdruck nicht richtig verstanden hast, als wenn Du das schlecht zu verbergen versuchst; und daß Du, da Du über den Sachverhalt genauso wie die anderen urteilst, nur in Worten abweichst. Auch solltest Du jede Gelegenheit nutzen, um sowohl privat wie in der Öffentlichkeit frei heraus zu bekennen, daß Du glaubst, der Mensch sei ein verum ens per se, non autem per accidens und der Geist mit dem Körper real und substantiell einig, nicht durch eine Lage oder Verfassung (dispositio), wie es in Deiner letzten Schrift steht (denn das ruft Widerspruch hervor und ist nach meinem Urteil nicht wahr), sondern durch einen wahren Modus der Einheit, wie alle eingestehen, auch wenn niemand erklären kann, was er eigentlich ist, weshalb Du das auch nicht zu erklären versucht hast – was Du gleichwohl kannst, nämlich so wie ich in der Metaphysik [ = sechste Meditation] dadurch, daß wir erfassen, daß die Empfindung eines Schmerzes und alle anderen Empfindungen
gie zu verwenden (und deshalb würde ich diese Paraphrase heute nicht mehr als Übersetzung anbieten). 151 Und damit eine Ansicht, die noch für Pierre Charron ganz selbstverständlich war: »L’âme, qui est la nature et la forme de tout animal« (De la sagesse I, 54 (Lesart)).
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keine reinen Gedanken des vom Körper unterschiedenen Geistes sind, sondern verworrene Erfassungen des real mit ihm vereinten Geistes«.152
Und in seinem darauf folgenden Entwurf für eine Antwort an Gisbert Voëtius legt Descartes Regius die Formulierung in den Mund, die anima sei die »vera forma substantialis hominis«153 : »Denn wir behaupten, daß der Mensch aus Körper und Seele zusammengesetzt ist, und zwar nicht durch die bloße Anwesenheit bzw. Nähe des einen zu dem anderen, sondern durch eine wahre substantielle Einheit. (. . . ) Denn wir haben nur im Hinblick auf die Teile, nämlich Seele und Körper gesagt, der Mensch sei ein ens per accidens, so daß wir damit nur zu verstehen geben wollen, daß jedes dieser Teile gewissermaßen das Akzidenz des jeweils anderen ist, mit dem es verbunden ist, weil es ohne das jeweils andere fortbestehen kann, und das Akzidenz genannt wird, was ohne die Zerstörung des Subjekts anwesend oder abwesend sein kann. Insofern aber der Mensch insgesamt für sich betrachtet wird, sagen wir allerdings, daß er ein ens per se und nicht per accidens ist, weil die Einheit, durch die der menschliche Körper und die Seele miteinander verbunden sind, keine an ihm haftenden Akzidenzen, sondern ihm wesentlich sind, weil der Mensch ohne sie kein Mensch ist«.154
Gegen die Behauptung, Descartes vertrete im Brief an Regius vom Januar 1642155 eine im Kern hylemorphistische Konzeption des Verhältnisses von Seele und Körper ließe sich einwenden, daß Descartes hier gezwungen ist, im Rahmen der vehementer werdenden Auseinandersetzungen mit dem protestantischen Theologen Gisbert Voëtius strategisch zu agieren. Voëtius richtete seine Angriffe gegen Descartes stellvertretend gegen Regius, den Descartes 1642 durchaus noch als Schüler und Gefolgsmann an152 153 154 155
AT III, 493. an Regius, Januar 1642: AT III, 505. an Regius, Januar 1642: AT III, 508. AT III, 491–520.
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erkannte, dessen teilweise ungeschicktes Agieren ihm aber schon ziemlich auf die Nerven ging. Es ist also nicht von vornherein auszuschließen, daß Descartes die hylemorphistische Position im Brief an Regius, dessen Formulierungen er Regius zur freien Verfügung in seiner Verteidigung gegen Voëtius überläßt, pointierter vertritt als er es ansonsten getan hätte; es ist aber genauswenig von vornherein davon auszugehen, daß Descartes diese Position allein aus strategischen Gründen vertritt, bzw. vertreten läßt. Nun ist es von entscheidender Wichtigkeit, daß Descartes die Seele als substantielle Form des Menschen, nicht des Körpers bezeichnet. Die Seele ist substantielle Form des Menschen, indem sie den Körper zu dem Körper dieses besonderen Menschen macht, denn »daß ich jetzt denselben Körper wie vor zehn Jahren habe, obgleich die Materie, aus der er zusammengesetzt ist, sich verändert hat«, hat seinen Grund darin, daß »die numerische Einheit des Körpers eines Menschen nicht von seiner Materie, sondern von seiner Form, die die Seele ist, abhängt«.156
Der menschliche Körper ist nicht einfach ein Stück Materie, das in der Tat wechselt, wenn die Materie wechselt, sondern ist menschlicher Körper einzig durch seine Verbundenheit mit der Seele, »denn es gibt niemanden, der nicht glaubt, daß wir dieselben Körper haben, die wir seit unserer Kindheit gehabt haben, obwohl ihre Quantität sehr zugenommen hat, und obwohl nach der allgemeinen Ansicht der Ärzte und zweifelsohne der Wahrheit gemäß es in diesen Körpern keinen Teil der Materie mehr gibt, der früher dort war, und sie noch nicht einmal mehr dieselbe Gestalt haben, so daß sie nur deshalb eadem numero sind, weil sie von derselben Seele informiert werden«.157
Wie läßt sich das Verhältnis von Ursache und Wirkung denken, wenn die Ursache keine Ursache und die Wirkung keine Wir156 157
an Mesland, 1645/1646: Bense, 332–333 = AT IV, 346. AT IV, 166–167.
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kung sein darf? Denn immer dann, wenn wir das Verhältnis von Seele und Körper im Ausgang von einem der beiden denken wollen, denken wir uns, daß das eine auf das andere einwirke, und handeln uns das Problem ein, daß weder eine unausgedehnte Seele auf den ausgedehnten Körper, noch der ausgedehnte Körper auf die unausgedehnte Seele einwirken kann. Descartes stellt deshalb an die Stelle des untauglichen kausalen Erklärungsmodells das hylemorphistische Modell der Information des Körpers durch die Seele, und damit bedient er sich eines Versatzstückes der aristotelischen Philosophie, von dem ganz unklar bleibt, inwiefern es mehr leisten kann, als die offenkundigen Aporien des naturkausalen Erklärungsmodells ein wenig hinauszuzögern. Denn wenn die Seele die substantielle Form des Menschen ist, indem sie den Körper des Menschen so informiert, ihm eine solche Form gibt, daß er der Körper dieses Menschen ist, dann liegt der Gedanke nahe, daß die Seele letztlich die Organisation der Teile des menschlichen Körpers ist. Das aber würde Descartes vehement zurückweisen, weil die Seele damit nicht ohne den Körper existieren könnte. Descartes bleibt die Ausführung seines Vorhabens seit den Regulae, darzutun, wie die Seele den Körper informiert, schuldig und setzt an die Stelle dieser unausgeführten Theorie eine Kombination aus einerseits dem Hinweis, daß wir keine Kenntnis darüber erlangen können, wie bestimmte körperliche Bewegungen (der Lebensgeister oder der Nerven) in der Seele gerade diese Empfindungen, Wahrnehmungen und Passionen hervorrufen, und anderseits dem Verweis auf ein Teilstück jener Metaphysik, die zu bekämpfen er angetreten war.
4.
Zu dieser Ausgabe
Die Anmerkungen sind zum überwiegenden Teil den gut kommentierten Ausgaben von Rodis-Lewis, Voss und Hammacher (Passions), sowie Rothschuh und Aucente (Description) entnommen. Übernommen habe ich indes nur solche Anmerkungen, die auf konkrete Textbezüge zu den Vorgängern und Zeitgenos-
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sen von Descartes hinweisen, die nachzuvollziehen mir möglich war. Ich verzichte sowohl bei den Passionen als auch bei der Beschreibung des menschlichen Körpers auf eine Kommentierung der Anatomie und Medizin. Für entsprechende Anmerkungen sei auf die Ausgabe von Vincente Aucente verwiesen. Der Index verzeichnet selbstverständlich nicht den gesamten Thesaurus der beiden Texte. Die Seitenzahlen im Index verweisen auf den Band XI von AT. In den Quellenangaben steht die Angabe des Originaltextes bzw. der modernen Ausgabe an erster Stelle, wenn die Übersetzung von mir stammt, gefolgt von einer eventuell vorhandenen deutschen Übersetzung aus anderer Hand. Wenn ich die Übersetzung von woanders übernehme, steht die Angabe dieser Übersetzung an erster, die des Originaltextes an letzter Stelle.
LITERATUR
1.
Ausgaben
a)
Passions de l’Âme
Standardausgabe: Les Passions de l’Âme. in: Œuvres de Descartes. hrsg. v. Charles Adam & Paul Tannery. Band 11. Paris: Vrin 1996 (Neuausgabe der Ausgabe Paris: Cerf 1909), 291–497. Originalausage: Les Passions de l’Âme. Amsterdam: Elzevier / Paris: Henri le Gras 1649/1650. Passiones animae, per Renatum Descartes: Gallicè ab ipso conscriptae, nunc autem in exterorum gratiam Latinâ civitatae donatae. [anonymer Übersetzer] Amsterdam: Elzevier 1650. Les Passions de l’Ame, or de Lydingen van de Ziel. übers. v. Jan Hendriksz Glazemaker. Amsterdam: Rieuwertsz 1659 Tractat von den Leidenschafften Der Seele. übers. nach der lateinischen Übersetzung von Balthasar Heinrich Tilesio. Frankfurt und Leipzig: Krugen 1723. Über die Leidenschaften der Seele. übers. v. J. H. Kirchmann Berlin: Heimann 1870 Über die Leidenschaften der Seele. übers. v. Artur Buchenau. Leipzig: Dürr / Meiner 1911 ( = Philosophische Bibliothek Bd. 29: Descartes’ Philosophische Werke Abt.4) The Passions of the Soul. in: The Philosophical Works of Descartes. übers. v. Elizabeth S. Haldane und G. R. T. Ross. Band 1. Cambridge: University Press 1967, 329–427. Les Passions de l’Âme. hrsg. v. Pierre Mesnard. Paris: Boivin 1937. Les Passions de l’Âme. hrsg. v. Geneviève Rodis-Lewis. Paris: Vrin 1955. überarbeitete Neuausgabe Paris: Vrin 1970. Les Passions de l’Âme. in: Œuvres philosophiques Band 3. hrsg. v. Ferdinand Alquié. Paris: Garnier 1973, 939–1103. Die Leidenschaften der Seele. übers. v. Klaus Hammacher. Hamburg: Meiner 19962 (1984). The Passions of the Soul. in: The Philosophical Writings of Descartes. übers. v. Robert Stoothoff. Band 1. Cambridge: University Press 1985, 325–404.
cx
Literatur
Les Passions de l’Âme, précédé de »La Pathétqiue Cartésienne«. hrsg. v. Jean-Maurice Monnoyer. Paris: Gallimard 1988. The Passions of the Soul. übers. v. Stephen Voss. Indianapolis/Cambridge: Hackett 1989.
b)
La Description du Corps Humain
Standardausgabe: La Description du Corps Humain. in: Œuvres de Descartes. hrsg. v. Charles Adam & Paul Tannery. Band 11. Paris: Vrin 1996 (Neuausgabe der Ausgabe Paris: Cerf 1909), 217–290. Erstausgabe: L’Homme, et un Traité de la Formation du Fœtus. Avec les Remarques de Louis de la Forge. hrsg. v. Claude Clerselier, Paris: Angot 1664. Über den Menschen / Beschreibung des menschlichen Körpers. übers. v. Karl E. Rothschuh. Heidelberg: Schneider 1969, 137–190. The World and Other Writings. hrsg. v. Stephen Gaukroger. Cambridge: University Press1998, 170–205. Écrits physiologiques et médicaux. hrsg. v. Vincent Aucente. Paris: PUF 2000.
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Sonstige Werke Descartes’
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RENÉ DESCARTES
DIE PASSIONEN DER SEELE
ERSTER TEIL ÜBER DIE PASSIONEN IM ALLGEMEINEN Und bei dieser Gelegenheit über die Natur des Menschen insgesamt
a r t ikel 1 Was im Hinblick auf den einen Gegenstand eine Passion ist, ist immer eine Aktion in irgendeiner anderen Hinsicht Es gibt nichts, woran besser in Erscheinung treten könnte, wie mangelhaft die Wissenschaften sind, die wir von den Alten übernommen haben, als an dem, was sie über Passionen geschrieben haben.1 Denn obwohl man auf die Erkenntnis dieser Materie immer sehr aus war und sie nicht zu den schwierigsten zu gehören scheint, weil jeder Passionen in sich selbst empfindet, so daß man keine Beobachtung von woandersher entlehnen muß, um ihre Natur zu entdecken, ist gleichwohl das, was die Alten über sie gelehrt haben, so gering und zum größten Teil so wenig glaubhaft, daß ich nur Hoffnung haben kann, der Wahrheit nahezukommen, wenn ich mich von den Wegen entferne, denen sie gefolgt sind.2 Ich bin deswegen genötigt, hier genauso zu schreiben, als wenn ich eine Materie abhandelte, die vor mir niemals irgend jemand berührt hätte. Um zu beginnen, ziehe ich in Betracht, daß allgemein alles, was entsteht oder von neuem geschieht, von den Philosophen im Hinblick auf den Gegenstand, an dem es geschieht, eine Passion, und im Hinblick auf den Gegenstand, der veranlaßt, daß es geschieht, eine Aktion genannt wird. Deshalb sind, auch wenn die wirkende und die erleidende Instanz oft sehr unterschiedlich sind, Aktion und Passion dennoch stets derselbe Sachverhalt, der diese beiden Namen im Verhältnis zu den beiden verschiedenen Gegenständen erhält, auf die man ihn beziehen kann.3
327,9
4
Die Passionen der Seele · Erster Teil
ar ti kel 2 Um die Passionen der Seele zu erkennen, sind die Funktionen der Seele von denen des Körpers zu unterscheiden 328,17
Außerdem ziehe ich in Betracht, daß wir keinerlei Gegenstand bemerken, der unmittelbarer auf unsere Seele einwirkt als der Körper, mit dem sie verbunden ist. Folglich müssen wir denken, daß gemeinhin das, was in ihr eine Passion ist, in ihm eine Aktion ist. Deshalb gibt es keinen besseren Weg, um zu einer Erkenntnis unserer Passionen zu kommen, als den Unterschied zwischen der Seele und dem Körper zu prüfen, damit wir erkennen, welchem der beiden wir die jeweiligen Funktionen in uns zusprechen müssen. ar ti kel 3 Welcher Regel man zu diesem Zweck folgen muß
329,3
Dabei wird man auf keine große Schwierigkeit treffen, wenn man darauf achtet, daß all das, was wir in uns erfahren und wovon wir sehen, daß es auch in ganz unbelebten Körpern sein kann, nur unserem Körper zugesprochen werden darf; und daß umgekehrt all das in uns, von dem wir begreifen, daß es in keiner Weise einem Körper zukommen kann, unserer Seele zugesprochen werden muß. ar ti kel 4 Die Wärme und die Bewegung der Körperglieder rühren vom Körper her, und die Gedanken von der Seele
329,14
So haben wir, weil wir überhaupt nicht begreifen, daß ein Körper in irgendeiner Weise denkt, Grund zu glauben, daß alle Arten von Gedanken in uns der Seele zukommen. Außerdem bezweifeln wir überhaupt nicht, daß es unbelebte Körper gibt, die sich auf ebenso viele oder sogar mehr Weisen bewegen können wie die unsrigen und ebenso viel oder mehr Wärme haben (was die Erfahrung an einer Flamme zeigt, die allein sehr viel mehr Wärme
Über die Passionen im allgemeinen
5
und Bewegungen hat als irgendeines unserer Körperglieder), und deshalb müssen wir glauben, daß die gesamte Wärme und alle Bewegungen in uns, insofern sie überhaupt nicht vom Denken abhängen, nur dem Körper zukommen. ar t ike l 5 Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die Seele dem Körper Bewegung und Wärme verleiht Dadurch werden wir einen ganz beträchtlichen Irrtum vermeiden, in den viele Leute verfallen sind, und der nach meiner Einschätzung die erste Ursache ist, die bislang verhindert hat, daß man Passionen und andere der Seele zukommende Dinge gut erklären konnte. Dieser Irrtum besteht in Folgendem: Weil man sah, daß alle toten Körper der Wärme und in der Folge der Bewegung beraubt sind, stellte man sich vor, es sei die Abwesenheit der Seele, die die Bewegungen und die Wärme hatte aufhören lassen.4 So glaubte man ohne Grund, daß unsere natürliche Wärme und alle Bewegungen unseres Körpers von der Seele abhängen, wohingegen man umgekehrt hätte denken müssen, daß sich, wenn man stirbt, die Seele nur löst, weil die Wärme aufhört und sich die Organe zersetzen, die dazu dienen, den Körper zu bewegen.
330,4
ar t ike l 6 Welcher Unterschied zwischen einem lebenden und einem toten Körper besteht Damit wir also diesen Irrtum vermeiden, betrachten wir es so, daß der Tod niemals durch einen Fehler der Seele geschieht, sondern allein, weil sich irgendein Hauptkörperteil zersetzt. Wir urteilen, daß der Körper eines lebenden Menschen sich ebensosehr von dem eines toten Menschen unterscheidet wie eine Uhr oder ein anderer Automat (d. h. eine andere sich von selbst bewegende Maschine), wenn sie aufgezogen ist und das körperliche Prinzip der Bewegungen, für die sie eingerichtet ist, mitsamt allem, was für seine Aktion erforderlich ist, in sich hat, von der-
330,22
6
Die Passionen der Seele · Erster Teil
selben Uhr oder einer anderen Maschine, wenn sie zerbrochen ist und das Prinzip ihrer Bewegung zu wirken aufhört.5 ar tike l 7 Kurze Erklärung der Körperteile und einiger ihrer Funktionen 331,11
Um dies verständlicher zu machen, werde ich hier in wenigen Worten die gesamte Weise erklären, wie die Maschine unseres Körpers zusammengesetzt ist. Jeder weiß, daß es in uns ein Herz, ein Gehirn, einen Magen, Muskeln, Nerven, Arterien, Venen und ähnliche Dinge gibt. Alle wissen auch, daß die Nahrungsmittel, die man ißt, in den Magen und die Gedärme herabsinken, von wo ihr Saft durch die Leber und durch alle Venen strömt und sich mit dem Blut mischt, das sie enthalten, dessen Menge sich dadurch vergrößert.6 Jeder, der auch nur ganz wenig über Medizin gehört hat, weiß darüber hinaus, wie das Herz zusammengesetzt ist und wie das gesamte Blut der Venen leicht durch das Gefäß, das man arteriöse Vene nennt, aus der Hohlvene in seine rechte Seite strömen und von dort in die Lunge übergehen, dann durch das venöse Arterie genannte Gefäß von der Lunge in die rechte Seite des Herzens zurückkehren und schließlich von dort in die große Arterie übergehen kann, deren Verzweigungen sich über den gesamten Körper ausbreiten. Und alle, die die Autorität der Alten nicht ganz blind gemacht hat und gewillt waren, die Augen zu öffnen, um die Meinung Harveys bezüglich des Blutkreislaufs7 zu prüfen, zweifeln überhaupt nicht, daß alle Venen und Arterien des Körpers so etwas wie Rinnsale sind, durch die das Blut unaufhörlich sehr rasch strömt, indem es seinen Lauf von der rechten Herzkammer durch die arteriöse Vene nimmt, deren Verzweigungen über die gesamte Lunge verstreut und mit denen der venösen Arterie verbunden sind, durch die es von der Lunge in die linke Seite des Herzen übergeht. Von dort wiederum geht es durch die große Arterie, deren über den gesamten Rest des Körpers verstreute Verzweigungen mit den
Über die Passionen im allgemeinen
7
Verzweigungen der Hohlvene verbunden sind, die dieses Blut wieder in die rechte Herzkammer bringen. Deshalb sind diese beiden Kammern so etwas wie Schleusen, durch die beide das gesamte Blut bei jedem Umlauf, den es im Körper vollführt, hindurchgeht. Außerdem weiß man, daß alle Bewegungen der Körperglieder von den Muskeln abhängen und diese Muskeln einander so gegenüberliegen, daß, wenn einer der beiden kürzer wird, er den Teil des Körpers zu sich hin zieht, an dem er befestigt ist, was dazu führt, daß sich gleichzeitig der ihm gegenüberliegende Muskel streckt. Wenn es dann zu einer anderen Zeit geschieht, daß der letztere kürzer wird, veranlaßt er, daß der erste länglich wird, und er den Teil, an dem sie befestigt sind, mit sich zurückzieht.8 Schließlich weiß man, daß alle diese Bewegungen der Muskeln genauso wie alle Sinne von den Nerven abhängen, die so etwas wie kleine Fäden oder kleine Röhren sind, die alle vom Gehirn kommen und genau wie das Gehirn selbst eine gewisse Luft oder einen äußerst feinen Wind enthalten, den man die Lebensgeister nennt. a r t ikel 8 Was das Prinzip all dieser Funktionen ist Gemeinhin aber weiß man weder, auf welche Weise diese Lebensgeister und Nerven zu den Bewegungen und den Sinnen beitragen, noch was das körperliche Prinzip ist, das sie wirken läßt. Deswegen werde ich, obwohl ich das bereits in anderen Texten9 berührt habe, es nicht unterlassen, hier kurz und bündig zu sagen, daß es in unserem Herzen, solange wir leben, eine unablässige Wärme gibt. Diese Wärme ist eine Art von Feuer, das durch das Blut der Venen aufrechterhalten wird und das körperliche Prinzip aller Bewegungen unserer Körperglieder ist.
333,3
8
Die Passionen der Seele · Erster Teil
ar ti kel 9 Wie die Bewegung des Herzens zustande kommt 333,15
Die erste Wirkung der Wärme ist, daß sie das Blut expandiert, mit dem die Herzkammern gefüllt sind. Das ist die Ursache, weshalb das Blut einen größeren Ort einnehmen muß und mit Wucht aus der rechten Kammer in die arteriöse Vene und von der linken in die große Arterie übergeht. Wenn dann diese Expansion aufhört, tritt sogleich erneut Blut aus der Hohlvene in die rechte, und von der venösen Arterie in die linke Herzkammer ein. Denn an den Eingängen zu diesen vier Gefäßen befinden sich kleine Häute, die solchermaßen angeordnet sind, daß sie das Blut nur durch die beiden letzteren in das Herzen eintreten und nur durch die beiden anderen austreten lassen können. Das in das Herz eingetretene neue Blut wird dort sogleich danach in derselben Weise verdünnt wie das vorangegangene. Allein darin besteht der Puls oder Arterien- und Herzschlag, der sich deshalb ebensoviele Male wiederholt, wie von neuem Blut in das Herz eintritt. Dies allein gibt dem Blut auch seine Bewegung und veranlaßt, daß es unaufhörlich sehr schnell in alle Arterien und Venen strömt. Dadurch bringt es die Wärme, die es im Herzen erwirbt, zu allen anderen Körperteilen und dient ihnen als Nahrung. ar t ikel 10 Wie die Lebensgeister im Gehirn produziert werden
334,16
Noch beachtenswerter aber ist hier noch, daß die lebhaftesten und feinsten Teile des Blutes, die die Wärme im Herzen verdünnt hat, allesamt unaufhörlich in großer Menge in die Hohlräume des Gehirns eintreten. Der Grund, der sie eher dorthin als an einen anderen Ort gehen läßt, ist, daß das gesamte durch die große Arterie aus dem Herzen austretende Blut seinen Lauf geradlinig zu diesem Ort nimmt. Weil es dort nur sehr enge Durchgänge gibt, kann es nicht insgesamt dort eintreten, und deshalb gehen allein die erregtesten und feinsten seiner Teile dort hindurch, während der Rest sich an alle anderen Körperstellen ausbreitet. Die sehr
Über die Passionen im allgemeinen
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feinen Teile des Blutes bilden die Lebensgeister, und zu diesem Zweck muß ihnen im Gehirn nur eine einzige Änderung widerfahren, nämlich daß sie dort von den anderen, weniger feinen Teilen des Blutes getrennt werden. Denn was ich hier Spiritus nenne, sind nur Körper mit der einzigen Eigenschaft, sehr kleine Körper zu sein und sich deshalb sehr schnell zu bewegen, wie die Teile einer aus einer Fackel austretenden Flamme. Deshalb halten sie an keinem Ort an, und in dem Maße, wie einige in die Hohlräume des Gehirns eintreten, treten einige andere durch die sich in seiner Substanz befindenden Poren aus, die sie in die Nerven und von dort in die Muskeln leiten, wodurch sie den Körper auf all die verschiedenen Weisen bewegen, auf die er bewegt werden kann. a r tikel 11 Wie die Bewegungen der Muskeln zustande kommen Denn die einzige Ursache aller Bewegungen der Körperglieder ist, daß einige Muskeln kürzer werden und die ihnen gegenüberliegenden sich strecken, wie bereits gesagt wurde. Die einzige Ursache, die eher den einen Muskel kürzer werden läßt als den ihm gegenüberliegenden, ist, daß zu ihm ein ganz klein wenig mehr Spiritus vom Gehirn kommen als zu dem anderen. Nicht daß die unmittelbar vom Gehirn kommenden Spiritus allein ausreichen, um diese Muskeln zu bewegen; aber sie bestimmen die anderen, die sich bereits in den Muskeln befinden, sehr rasch insgesamt aus einem der beiden auszutreten und in den anderen überzugehen. Dadurch wird der Muskel, aus dem sie austreten, länger und schlaffer, und der, in den sie eintreten, schwillt durch sie sehr rasch an, wird kürzer und zieht das Körperglied, an dem er befestigt ist. Das ist leicht zu begreifen, sofern man weiß, daß es zwar nur sehr wenige Spiritus gibt, die unablässig vom Gehirn zu den jeweiligen Muskeln kommen, in ihnen aber immer eine Menge anderer eingeschlossen sind, die sich sehr schnell bewegen, und zwar manchmal, indem sie sich nur an dem Ort herumdrehen, an dem sie sich befinden, nämlich wenn sie überhaupt keine offenen Durchgänge finden, um durch sie auszutreten, und
335,17
10
Die Passionen der Seele · Erster Teil
manchmal, indem sie in den gegenüberliegenden Muskel strömen. In jedem dieser Muskel gibt es kleine Öffnungen, durch die die Spiritus von dem einen in den anderen strömen können. Diese Öffnungen sind so angeordnet, daß sie, wenn die vom Gehirn zu einem von ihnen kommenden Spiritus auch nur ganz klein wenig mehr Kraft haben als die zu dem anderen gehenden, alle Eingänge öffnen, durch die die Spiritus des anderen Muskels in ihn übergehen können. Gleichzeitig schließen sie alle Eingänge, durch die die Spiritus des letzteren in den ersteren übergehen können. Dadurch sammeln sich alle vorher in beiden Muskeln enthaltenen Spiritus sehr rasch in einem der beiden und lassen ihn anschwellen und kürzer werden, während der andere sich streckt und abschlafft. ar t ikel 12 Wie die Objekte von außen auf die Sinnesorgane einwirken 336,27
Es ist hier noch übrig, die Ursachen zu wissen, die die Spiritus nicht immer in derselben Weise vom Gehirn in die Muskeln strömen und manchmal mehr zu den einen als den anderen kommen lassen. Denn außer der Aktion der Seele, die in uns wirklich eine dieser Ursachen ist, wie ich später sagen werde, gibt es noch zwei andere, die nur vom Körper abhängen und zu beachten sind. Die erste besteht in der Verschiedenheit der Bewegungen, die in den Sinnesorganen durch ihre Objekte hervorgerufen werden. Ich habe diese Ursache zwar bereits in der Dioptrik ausführlich genug erklärt;10 aber damit diejenigen, die den hier vorliegenden Text zu Gesicht bekommen werden, vorher nicht auch noch andere lesen müssen, werde ich hier die drei Dinge wiederholen, die es an den Nerven zu betrachten gibt: Ihr Mark oder innere Substanz, die sich in Form kleiner Fäden vom Gehirn, wo sie ihren Ursprung hat, bis zu den Enden der anderen Körperglieder ausdehnt, an denen diese Fäden befestigt sind; außerdem die sie umgebenden Häute, die mit jenen zusammenhängen, die das Gehirn umschließen, und die kleinen Röhren bilden, in denen die kleinen Fäden eingeschlossen sind; und schließlich die Lebens-
Über die Passionen im allgemeinen
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geister, die durch dieselben Röhren gebracht werden, in denen die kleinen Fäden eingeschlossen sind. Diese Lebensgeister sind die Ursache, weshalb die Fäden dort ganz frei und so ausgedehnt bleiben, daß das geringste Ding, das den Teil des Körpers bewegt, an dem das Ende eines dieser Fäden befestigt ist, dadurch den Teil des Gehirns bewegen läßt, von dem sie kommen: genauso wie man das andere Ende eines Seils sich bewegen läßt, wenn man das eine Ende zieht. a r tikel 13 Die Aktion der Objekte von außen kann die Spiritus verschieden in die Muskeln leiten Außerdem habe ich in der Dioptrik erklärt, wie alle Objekte des Sehvermögens sich allein dadurch auf uns übertragen, daß sie durch die Vermittlung der sich zwischen ihnen und uns befindenden durchsichtigen Körper die kleinen Fäden der optischen Nerven an unseren Augenhintergründen örtlich bewegen, und in der Folge die Stellen des Gehirns, von denen diese Nerven kommen.11 Ich sage: Sie bewegen sie auf ebenso viele verschiedene Weisen, wie sie uns Verschiedenheiten an den Dingen zeigen, und es sind nicht unmittelbar die im Auge, sondern die im Gehirn stattfindenden Bewegungen, die der Seele diese Objekte darstellen. Als Beispiel hierfür ist es leicht zu begreifen, daß Töne, Düfte, Geschmacksstoffe, Wärme, Schmerz, Hunger, Durst und allgemein alle Objekte sowohl unserer anderen äußeren Sinne wie unserer inneren Triebe auch eine Bewegung in unseren Nerven hervorrufen, die durch sie bis auf das Gehirn übergeht. Diese verschiedenen Bewegungen des Gehirns lassen unsere Seele nicht nur verschiedene Empfindungen haben, sondern können die Spiritus auch ohne Seele ihre Läufe eher zu gewissen Muskeln nehmen als zu anderen und sie so unsere Körperglieder bewegen lassen. Dies werde ich hier durch ein einziges Beispiel belegen. Wenn jemand seine Hand rasch unseren Augen nähert als wolle er uns schlagen, bereitet es uns Mühe, zu verhindern, daß wir sie schließen, auch wenn wir wissen, daß er unser Freund ist, es nur
338,4
12
Die Passionen der Seele · Erster Teil
zum Spiel tut und sich sehr wohl hüten wird, uns irgendein Übel zuzufügen. Dies zeigt, daß sich die Augen keineswegs durch die Vermittlung unserer Seele schließen, weil es gegen unseren Willen geschieht, der ihre einzige oder zumindest ihre Hauptaktion ist. Sondern es geschieht deswegen, weil die Maschine unseres Körpers so zusammengesetzt ist, daß die Bewegung dieser Hand gegen unsere Augen in unserem Gehirn eine andere Bewegung hervorruft, die die Lebensgeister in die Muskeln leitet, die die Augenlider sich senken lassen. ar t ikel 14 Die Verschiedenheit zwischen den Spiritus kann ebenfalls ihre Läufe abwandeln 339,17
Die andere Ursache, die dazu dient, die Lebensgeister verschieden in die Muskeln zu leiten, ist die ungleiche Erregung dieser Spiritus und die Verschiedenheit ihrer Teile. Denn wenn einige ihrer Teile dicker und erregter sind als die anderen, gehen sie geradlinig weiter durch die Hohlräume und Poren des Gehirns hindurch und werden dadurch in andere Muskeln geleitet, als wenn sie weniger Kraft hätten. ar t ikel 15 Was die Ursachen ihrer Verschiedenheit sind
340,3
Diese Ungleichheit kann von den verschiedenen Materien herrühren, aus denen die Spiritus zusammengesetzt sind. Das sieht man bei Leuten, die viel Wein getrunken haben: Die Dämpfe des Weins treten sehr rasch in das Blut ein und steigen vom Herzen zum Gehirn, wo sie sich in Spiritus verwandeln, die stärker und reichhaltiger sind als die, die sich gewöhnlich dort aufhalten. Deshalb sind sie imstande, den Körper auf viele seltsame Weisen zu bewegen. Die Ungleichheit der Spiritus kann auch von den verschiedenen Verfassungen des Herzens, der Leber, des Magens, der Milz und aller anderen Teile herrühren, die zu ihrer Produktion beitragen. Denn es sind hier vor allem gewisse
Über die Passionen im allgemeinen
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kleine Nerven zu beachten, die in den Zentralbereich des Herzens hineinführen und dazu dienen, die Eingänge seiner Höhlen zu weiten und zu verengen. Dadurch expandiert das Blut dort mehr oder weniger stark und produziert verschieden beschaffene Spiritus. Es ist auch zu beachten, daß, auch wenn das in das Herz eintretende Blut von allen anderen Körperstellen dorthin kommt, es nichtsdestotrotz oft geschieht, daß einige Teile [des Körpers] es mehr dorthin drücken als andere, weil die Nerven und die diesen Teilen anhängenden Muskeln mehr Druck auf das Blut ausüben oder es erregen. Und entsprechend der Verschiedenheit der Teile, von denen das meiste Blut kommt, expandiert es im Herzen verschieden und produziert in der Folge Spiritus mit unterschiedlichen Qualitäten. So expandiert zum Beispiel das Blut, das aus dem unteren Teil der Leber kommt, wo sich die Galle befindet, im Herzen auf andere Weise als das aus der Milz kommende; und dieses anders als das von den Venen der Arme oder Beine kommende; und schließlich dieses ganz anders als der Saft der Nahrungsmittel, wenn er erneut aus dem Magen und den Gedärmen austritt und danach rasch durch die Leber in das Herz übergeht.12 a r tikel 16 Wie alle Körperglieder ohne Unterstützung der Seele durch die Objekte der Sinne und die Spiritus bewegt werden können Schließlich ist zu beachten, daß die Maschine unseres Körpers solcherart gebaut ist, daß alle bei der Bewegung der Spiritus geschehenden Veränderungen dazu führen können, daß sie einige Poren des Gehirns mehr als andere öffnen. Wenn umgekehrt eine dieser Poren auch nur etwas mehr oder weniger als gewöhnlich geöffnet ist, verändert dies durch die Aktion der den Sinnen dienenden Nerven etwas an der Bewegung der Spiritus und führt dazu, daß sie in die Muskeln geleitet werden, die dazu dienen, den Körper auf die Weise zu bewegen, auf die er gewöhnlich aus Anlaß einer solchen Aktion bewegt wird. Deshalb hängen alle Bewegungen, die wir machen, ohne daß unser Wille dazu beiträgt
341,11
14
Die Passionen der Seele · Erster Teil
(wie es gewöhnlich geschieht, wenn wir atmen, laufen, essen und schließlich alle Aktionen vollführen, die wir mit den Tieren gemeinsam haben), nur vom Bau unserer Körperglieder und von dem Lauf ab, den die durch die Wärme des Herzens hervorgerufenen Spiritus von Natur aus im Gehirn, in den Nerven und in den Muskeln nehmen: genauso, wie die Bewegung einer Uhr allein durch die Kraft seiner Triebfeder und der Gestalt seiner Räder produziert wird. ar t ikel 17 Was die Funktionen der Seele sind 342,8
Nachdem wir so alle allein dem Körper zukommenden Funktionen betrachtet haben, ist leicht zu erkennen, daß als das einzige, was wir unserer Seele zuschreiben müßten, unsere Gedanken übrigbleiben. Von ihnen gibt es vor allem zwei Gattungen, nämlich die Aktionen der Seele und ihre Passionen. Die Funktionen, die ich ihre Aktionen nenne, sind alle unsere Willensakte; denn wir erfahren, daß sie direkt von unserer Seele kommen und nur von ihr abzuhängen scheinen. Genauso kann man umgekehrt allgemein alle Arten von sich in uns findenden Wahrnehmungen oder Erkenntnissen ihre Passionen nennen; denn es ist oft nicht unsere Seele, die sie zu dem macht, was sie sind, und sie widerfahren der Seele immer von Dingen, die durch die Passionen dargestellt werden. ar t ikel 18 Über den Willen
342,25
Unsere Willensakte teilen sich wiederum in zwei Arten. Denn die einen sind die Aktionen der Seele, die in der Seele selbst enden, wie wenn wir Gott lieben oder allgemein unser Denken in bezug auf irgendein Objekt in Tätigkeit setzen wollen, das überhaupt nicht materiell ist. Die anderen sind die Aktionen, die in unserem Körper enden, wie wenn allein daraus, daß wir den Willen haben, spazieren zu gehen, folgt, daß unsere Beine sich fortbewegen und wir laufen.13
Über die Passionen im allgemeinen
15
a r tikel 19 Über die Wahrnehmung Auch unsere Wahrnehmungen teilen sich in zwei Arten. Die einen haben die Seele als Ursache, die anderen den Körper. Diejenigen, die die Seele als Ursache haben, sind die Wahrnehmungen unserer Willensakte und aller Vorstellungen oder anderer Gedanken, die davon abhängen. Denn es ist gewiß, daß wir nichts wollen können, ohne dadurch wahrzunehmen, daß wir es wollen. Und auch wenn etwas zu wollen im Hinblick auf unsere Seele eine Aktion ist, kann man sagen, daß es in ihr auch eine Passion ist, wahrzunehmen, daß sie will. Weil indessen diese Wahrnehmung und dieser Wille in der Tat derselbe Sachverhalt sind, richtet sich die Benennung immer nach dem, was das vornehmere ist; und so nennt man sie gewöhnlich nicht eine Passion, sondern nur eine Aktion. a r tikel 20
343,11
Über die Vorstellungen und andere Gedanken, die von der Seele ausgebildet werden Wenn sich unsere Seele in Tätigkeit setzt, um etwas anzuschauen, das es überhaupt nicht gibt, etwa wenn sie sich ein Zauberschloß oder ein Trugbild darstellt; und ebenso, wenn sie sich in Tätigkeit setzt, um etwas zu betrachten, das bloß verständlich, aber gar nicht anschaulich ist, wie wenn sie zum Beispiel ihre eigentliche Natur betrachtet: dann hängen die Wahrnehmungen dieser Dinge vor allem von dem Willen ab, der sie sie wahrnehmen läßt. Deshalb betrachtet man sie gewöhnlich eher als Aktionen denn als Passionen. a r tikel 21
344,4
Über die Vorstellungen, die nur den Körper als Ursache haben Der größte Teil der durch den Körper verursachten Wahrnehmungen hängt von den Nerven ab. Aber es gibt auch einige, die gar nicht von ihnen abhängen, und die man zwar wie diejenigen,
344,16
16
Die Passionen der Seele · Erster Teil
von denen ich gerade gesprochen habe, Vorstellungen nennt, von denen sie sich aber darin unterscheiden, daß unser Wille überhaupt nicht verwendet wird, um sie auszubilden. Das führt dazu, daß sie nicht zu den Aktionen der Seele gezählt werden können. Sie rühren nur davon her, daß die verschieden erregten Spiritus auf die Spuren der verschiedenen Eindrücke treffen, die ihnen im Gehirn vorangegangen sind, und sie ihren Lauf zufällig eher durch gewisse Poren nehmen als durch andere. Solcherart sind die Illusionen unserer Träume und auch die Hirngespinste, die wir oftmals haben, wenn wir wach sind und unser Denken umherschweift, nachlässig und ohne sich von selbst in bezug auf irgend etwas in Tätigkeit zu setzen.14 Nun mögen einige dieser Vorstellungen Passionen der Seele sein, wenn man dieses Wort in seiner eigentlichen und eigentümlichen Bedeutung nimmt, und sie können wohl alle so genannt werden, wenn man dieses Wort in einer allgemeineren Bedeutung nimmt. Weil sie aber keine so beträchtliche und bestimmte Ursache haben wie die Wahrnehmungen, die der Seele durch die Vermittlung der Nerven widerfahren, und sie nur ein Schatten und eine Zeichnung zu sein scheinen, müssen wir, bevor wir sie richtig unterscheiden können, den Unterschied zwischen den anderen Wahrnehmungen betrachten. ar t ikel 22 Über den Unterschied zwischen den anderen Wahrnehmungen 345,18
Alle Wahrnehmungen, die ich noch nicht erklärt habe, kommen durch Vermittlung der Nerven in die Seele. Zwischen ihnen besteht der Unterschied, daß wir die einen auf die auf unsere Sinne treffenden äußeren Objekte, die anderen auf unseren Körper oder auf einige seiner Teile, und wieder andere schließlich auf unsere Seele beziehen.
Über die Passionen im allgemeinen
17
a r tikel 23 Über die Wahrnehmungen, die wir auf außerhalb von uns befindende Objekte beziehen Die Wahrnehmungen, die wir auf außerhalb von uns befindende Dinge – nämlich auf die Objekte unserer Sinne – beziehen, werden (zumindest wenn unsere Meinung nicht ganz falsch ist) durch diese Objekte verursacht, indem sie dadurch, daß sie einige Bewegungen in den Organen der äußeren Sinne hervorrufen, durch die Vermittlung der Nerven auch im Gehirn welche hervorrufen, die wiederum veranlassen, daß die Seele sie empfindet. So sind, wenn wir das Licht einer Fackel sehen und den Ton einer Glocke hören, dieser Ton und dieses Licht zwei verschiedene Aktionen, die allein dadurch, daß sie zwei verschiedene Bewegungen in einigen unserer Nerven und dadurch im Gehirn hervorrufen, der Seele zwei unterschiedliche Empfindungen geben, die wir solcherart auf die Gegenstände beziehen, die wir als ihre Ursachen voraussetzen, daß wir denken, die Flamme selbst zu sehen und die Glocke zu hören, und nicht denken, allein die Bewegungen zu empfinden, die von ihnen kommen.
346,4
a r tikel 24 Über die Wahrnehmungen, die wir auf unseren Körper beziehen Die Wahrnehmungen, die wir auf unseren Körper oder auf einige seiner Teile beziehen, sind diejenigen, die wir vom Hunger, Durst und unseren anderen natürlichen Trieben haben. Dem kann man Schmerz, Wärme und andere Anregungen hinzufügen, die wir empfinden, als seien sie in unseren Körpergliedern und nicht in den außerhalb von uns befindlichen Objekten. So können wir gleichzeitig und durch Vermittlung derselben Nerven die Kälte unserer Hand und die Wärme der Flamme empfinden, der die Hand sich nähert; oder auch umgekehrt die Wärme der Hand und die Kälte der Luft, der sie ausgesetzt ist. Der einzige Unterschied zwischen den Aktionen, die uns die Wärme oder die
346,23
18
Die Passionen der Seele · Erster Teil
Kälte in unserer Hand empfinden lassen, und denjenigen, die uns die außerhalb von uns befindende empfinden lassen, besteht nur darin, daß wir, weil die eine dieser Aktionen nach der anderen einsetzt, urteilen, daß die erste bereits in uns ist, die nach ihr einsetzende hingegen noch nicht, sondern in dem Objekt, das sie verursacht. ar t ikel 25 Über die Wahrnehmungen, die wir auf unsere Seele beziehen 347,17
Die Wahrnehmungen, die man allein auf die Seele bezieht, sind diejenigen, deren Wirkungen man wie in der Seele selbst empfindet, und von denen man gemeinhin keine nächste Ursache erkennt, auf die man sie beziehen könnte. Solcherart sind die Empfindungen der Freude, des Zorns und andere ähnliche, die manchmal in uns durch Objekte hervorgerufen werden, die unsere Nerven bewegen, manchmal aber auch durch andere Ursachen. Obwohl nun alle unsere Wahrnehmungen – sowohl jene, die man auf Objekte außerhalb von uns bezieht, als auch jene, die man auf verschiedene Regungen unseres Körpers bezieht – im Hinblick auf unsere Seele wirklich Passionen sind, wenn man dieses Wort in seiner allgemeinsten Bedeutung nimmt, beschränkt man es gewöhnlich darauf, allein jene zu bezeichen, die sich auf die Seele selbst beziehen. Es sind nur die letzteren, die unter dem Namen Passionen der Seele zu erklären ich hier unternommen habe. ar t ikel 26 Die Vorstellungen, die nur von der zufälligen Bewegung der Spiritus abhängen, können ebenso wirkliche Passionen sein wie die Wahrnehmungen, die von den Nerven abhängen
348,10
Es ist hier noch übrig, zu beachten, daß genau dieselben Dinge, die die Seele durch die Vermittlung der Seele wahrnimmt, ihr auch durch den zufälligen Lauf der Spiritus dargestellt werden können. Der einzige Unterschied besteht darin, daß die durch
Über die Passionen im allgemeinen
19
die Nerven in das Gehirn kommenden Eindrücke gewöhnlich viel lebhafter und ausdrücklicher sind als die von den Spiritus in ihm hervorgerufenen. Das hat mich in Artikel 21 veranlaßt, zu sagen, daß die letzteren so etwas wie ein Schatten oder eine Zeichnung der anderen sind. Es ist auch zu beachten, daß diese Zeichnung manchmal dem Ding, das sie darstellt, so ähnlich ist, daß man getäuscht werden kann sowohl bezüglich der Wahrnehmungen, die sich auf außerhalb von uns befindliche Objekte beziehen, als auch bezüglich derjenigen, die sich auf bestimmte Teile unseres Körpers beziehen. Aber man kann nicht in derselben Weise getäuscht werden bezüglich der Passionen, da sie so nah und unserer Seele so innerlich sind, daß sie sie unmöglich empfindet, ohne daß sie tatsächlich so geartet sind, wie sie sie empfindet. Wenn man schläft, oder manchmal sogar, wenn man wach ist, stellt man sich oft gewisse Dinge so stark vor, daß man sie vor sich zu sehen oder in seinem Körper zu empfinden denkt, auch wenn sie überhaupt nicht da sind; aber man kann sich nicht, auch wenn man eingeschlafen ist oder träumt, traurig oder von irgendeiner anderen Passion angeregt fühlen, ohne daß es ganz wahr wäre, daß die Seele diese Passion in sich hat.15 a r tikel 27 Die Definition der Passionen der Seele Nachdem betrachtet wurde, worin sich die Passionen der Seele von allen anderen Gedanken unterscheiden, scheint mir, daß man sie allgemein definieren kann als Wahrnehmungen oder Empfindungen oder Regungen der Seele, die man insbesondere auf sie bezieht, und die durch irgendeine Bewegung der Spiritus verursacht, aufrechterhalten und verstärkt werden.16
349,10
20
Die Passionen der Seele · Erster Teil
ar t ikel 28 Erklärung des ersten Teils dieser Definition 349,19
Man kann Passionen Wahrnehmungen nennen, wenn man sich dieses Wortes allgemein bedient, um alle Gedanken zu bezeichnen, die keinerlei Aktionen der Seele oder Willensakte sind. Man kann das aber überhaupt nicht, wenn man sich dieses Wortes nur bedient, um evidente Erkenntnisse zu bezeichnen. Denn die Erfahrung zeigt, daß die am meisten durch ihre Passionen erregten Leute nicht diejenigen sind, die sie am besten erkennen. Die Erfahrung zeigt auch, daß Passionen zu den Wahrnehmungen zählen, die das enge Bündnis zwischen der Seele und dem Körper wirr und undurchschaubar macht.17 Man kann sie auch Empfindungen nennen, weil sie in derselben Weise in die Seele aufgenommen werden wie die Objekte der äußeren Sinne und die Seele sie nicht anders erkennt. Aber man kann sie noch besser Regungen (émotions) der Seele nennen, und zwar nicht nur weil dieser Name allen Veränderungen zugeschrieben werden kann, die in ihr geschehen, d. h. allen verschiedenen Gedanken, die ihr kommen, sondern insbesondere, weil es von allen Arten der Gedanken, die sie haben kann, keine anderen gibt, die sie so stark erregen und erschüttern wie die Passionen. ar t ikel 29 Erklärung des zweiten Teils
350,16
Ich füge hinzu, daß sie sich insbesondere auf die Seele beziehen, um sie von den anderen Empfindungen zu unterscheiden, von denen man die einen auf die äußeren Objekte bezieht, wie Düfte, Töne, Farben, und die anderen auf unseren Körper, wie Hunger, Durst und Schmerz. Ich füge auch hinzu, daß sie durch irgendeine Bewegung der Spiritus verursacht, aufrechterhalten und verstärkt werden, um sie von unseren Willensakten zu unterscheiden, die man Regungen unserer Seele nennen kann, die sich
Über die Passionen im allgemeinen
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auf sie beziehen, aber durch sie selbst verursacht werden; und auch, um ihre letzte und nächste Ursache zu erklären, die sie wiederum von anderen Empfindungen unterscheidet.18 a r tikel 30 Die Seele ist mit allen Teilen des Körpers gemeinsam vereint Um all dies aber vollkommener einzusehen, ist es nötig, zu wissen, daß die Seele wirklich mit dem gesamten Körper verbunden ist und man eigentlich nicht sagen kann, daß sie sich in irgendeinem seiner Teile unter Ausschluß der anderen aufhält. Denn der Körper ist einer und in gewisser Weise unteilbar im Hinblick auf die Anordnung seiner Organe, die sich solcherart aufeinander beziehen, daß es den gesamten Körper mangelhaft macht, wenn irgendeines von ihnen geraubt wird. Außerdem besitzt die Seele eine Natur, die weder in irgendeiner Beziehung zur Ausdehnung noch zu den Ausmaßen oder zu anderen Eigenschaften der Materie steht, aus denen der Körper zusammengesetzt ist, sondern allein zum gesamten Verband seiner Organe. Dies tritt sowohl daran in Erscheinung, daß man keineswegs begreifen kann, was die Hälfte oder ein Drittel einer Seele sein oder welche Ausdehnung sie einnehmen sollte, als auch daran, daß sie nicht kleiner wird, wenn man irgendeinen Teil des Körpers wegschneidet,19 sie sich aber völlig von ihm trennt, wenn man den Verband seiner Organe auflöst. a r tikel 31
351,4
Es gibt im Gehirn eine kleine Drüse, in der die Seele ihre Funktionen ganz besonders ausübt, mehr als in den anderen Teilen Es ist auch nötig zu wissen, daß es im Körper, auch wenn die Seele mit dem gesamten Körper verbunden ist, gleichwohl einen Teil gibt, in dem sie ganz besonders ihre Funktionen mehr als in allen anderen ausübt. Gemeinhin glaubt man, dieser Teil sei das Gehirn oder vielleicht das Herz: Das Gehirn, weil sich die
351,26
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Die Passionen der Seele · Erster Teil
Sinnesorgane auf es beziehen; und das Herz, weil man die Passionen empfindet, als seien sie in ihm. Nachdem ich jedoch den Sachverhalt mit Sorgfalt überprüft habe, scheint mir, ich hätte evident erkannt, daß weder das Herz noch das Gehirn der Teil des Körpers ist, in der die Seele ihre Funktionen unmittelbar ausübt, sondern allein der innerste Teil des Gehirns, nämlich eine gewisse sehr kleine, in der Mitte seiner Substanz gelegene Drüse, die solcherart oberhalb der Leitung aufhängt ist, durch die die Spiritus seiner vorderen Hohlräume Kommunikation mit denen der hinteren haben, daß die geringsten Bewegungen in dieser Drüse viel ausrichten können, um den Lauf dieser Spiritus zu verändern, und umgekehrt die geringsten Veränderungen, die im Lauf der Spiritus geschehen, viel ausrichten können, um die Bewegungen dieser Drüse zu verändern. ar t ikel 32 Wie man erkennt, daß diese Drüse der Hauptsitz der Seele ist 352,25
Der Grund, der mich davon überzeugt, daß die Seele im gesamten Körper keinen anderen Ort haben kann als diese Drüse, wo sie unmittelbar ihre Funktionen ausübt, ist, daß ich betrachte, daß alle anderen Teile unseres Gehirns doppelt vorkommen; so haben wir zwei Augen, zwei Hände, zwei Ohren und überhaupt kommen alle Organe unserer äußeren Sinne doppelt vor. Da wir nun zu derselben Zeit nur einen einzelnen und einfachen Gedanken von demselben Ding haben, muß es notwendig irgendeinen Ort geben, an dem die zwei durch die beiden Augen kommenden Bilder oder die beiden anderen, von einem einzelnen Objekt durch die doppelten Organe der anderen Sinne kommenden Eindrücke sich zu einem sammeln können, bevor sie die Seele erreichen, damit sie ihr nicht zwei Objekte statt nur des einen darstellen. Man kann leicht begreifen, daß diese Bilder oder anderen Eindrücke sich durch die Vermittlung der Spiritus, die die Hohlräume des Gehirns füllen, in dieser Drüse wieder vereinigen; aber es gibt im Körper keine andere Stelle, an der sie genauso
Über die Passionen im allgemeinen
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vereint werden können, wenn nicht in der Folge dessen, daß sie es in dieser Drüse werden.20 a r tikel 33 Der Sitz der Passionen ist nicht im Herzen Was die Meinung derjenigen betrifft, die denken, daß der Seele die Passionen im Herzen widerfahren, so ist sie keineswegs beachtenswert, denn sie gründet sich allein darauf, daß Passionen irgendeine Alteration im Herzen empfinden lassen. Aber es ist leicht zu bemerken, daß diese Alteration nur durch die Vermittlung eines kleinen, vom Gehirn zum Herzen herabkommenden Nervs wie im Herzen empfunden wird, genauso wie ein Schmerz durch die Vermittlung der Nerven im Fuß wie im Fuß empfunden wird, und die Gestirne durch die Vermittlung ihres Lichts und der optischen Nerven wie am Himmel wahrgenommen werden. Deshalb ist es genausowenig notwendig, daß unsere Seele ihre Funktionen unmittelbar im Herzen ausübt, um in ihm ihre Passionen zu empfinden, wie es notwendig ist, daß sie sich im Himmel aufhält, um dort Gestirne zu sehen.21
353,20
a r tikel 34 Wie die Seele und der Körper aufeinander einwirken Wir müssen es also so auffassen, daß die Seele ihren Hauptsitz in der kleinen, sich in der Mitte des Gehirns befindenden Drüse hat. Von dort aus strahlt sie durch Vermittlung der Spiritus, der Nerven und sogar des Blutes, das an den Eindrücken teilhat, die die Spiritus empfangen, und sie durch die Arterien in alle Körperglieder bringen kann, auf den gesamten Rest des Körpers aus. Erinnern wir uns auch an das, was weiter oben über die Maschine unseres Körpers gesagt wurde, nämlich daß die kleinen Fäden unserer Nerven sich solcherart in alle seine Teile verteilen, daß sie aus Anlaß der verschiedenen Bewegungen, die in ihnen durch wahrnehmbare Objekte hervorgerufen werden, die Poren des Gehirns verschieden öffnen. Das führt dazu, daß die in
354,8
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Die Passionen der Seele · Erster Teil
seinen Hohlräumen enthaltenen Lebensgeister verschieden in die Muskeln eintreten, wodurch sie die Körperglieder auf alle verschiedenen Weisen bewegen können, zu denen sie imstande sind. Außerdem reichen alle anderen Ursachen, die die Spiritus verschieden bewegen können, aus, um sie in die verschiedenen Muskeln zu leiten. Fügen wir hier hinzu, daß die kleine Drüse, die der Hauptsitz der Seele ist, solcherart zwischen den Hohlräumen aufgehängt ist, die diese Spiritus enthalten, daß sie durch sie auf ebensoviel verschiedene Weisen bewegt werden kann, wie es wahrnehmbare Verschiedenheiten an den Objekten gibt, aber die Drüse auch durch die Seele verschieden bewegt werden kann. Denn die Seele hat eine solche Natur, daß sie ebensoviele verschiedene Eindrücke in sich aufnimmt, das heißt: daß sie ebensoviele verschiedene Wahrnehmungen hat, wie verschiedene Bewegungen in dieser Drüse geschehen. Umgekehrt ist auch die Maschine des Körpers solcherart zusammengesetzt, daß allein dadurch, daß diese Drüse durch die Seele – oder welche andere solche Ursache dies auch sein mag – verschieden bewegt wird, sie die Spiritus, die diese Drüse umgeben, zu den Poren des Gehirns drückt, die sie durch die Nerven in die Muskeln leiten, wodurch die Seele die Drüse die Körperglieder sich bewegen läßt. ar t ikel 35 Beispiel für die Weise, wie die Eindrücke der Objekte sich in der Drüse vereinen, die sich in der Mitte des Gehirns befindet 355,18
Wenn wir so zum Beispiel irgendein Tier auf uns zukommen sehen, zeichnet das von seinem Körper reflektierte Licht zwei Bilder von ihm, jeweils eines in jedem unserer Augen; und diese beiden Bilder bilden durch die Vermittlung der optischen Nerven zwei andere Bilder von ihm auf der inneren Oberfläche des Gehirns aus, die den Höhlen zugewandt ist; von dort aus strahlen diese Bilder dann durch Vermittlung der Spiritus, mit denen diese Hohlräume gefüllt sind, so zu der kleinen Drüse aus, die von diesen Spiritus umgeben ist, daß die Bewegung, die jeden
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einzelnen Punkt des einen dieser Bilder zusammensetzt, zu demselben Punkt der Drüse strebt, zu dem auch die Bewegung strebt, die den Punkt des anderen Bildes ausbildet, der denselben Teil dieses Tiers darstellt. Dadurch setzen sich die beiden Bilder im Gehirn auf der Drüse zu nur einem zusammen, das unmittelbar auf die Seele einwirkt und ihr die Gestalt dieses Tieres zeigt. a r tikel 36 Beispiel für die Weise, wie Passionen in der Seele hervorgerufen werden Wenn darüber hinaus diese Gestalt sehr seltsam und fürchterlich ist, das heißt: wenn sie in enger Beziehung zu Dingen steht, die vorher dem Körper schädlich gewesen sind, ruft dies in der Seele die Passion der Furcht hervor und in der Folge die der Kühnheit oder auch die der Angst und des Schreckens, gemäß sowohl der verschiedenen Grundbeschaffenheit des Körpers oder der Kraft der Seele, als auch gemäß dem, wie man sich vorher durch Verteidigung oder durch Flucht gegen schädliche Dinge geschützt hat, zu denen der gegenwärtige Eindruck in Beziehung steht. Denn dies bringt bei einigen Menschen das Gehirn in eine solche Verfassung, daß die Spiritus, die von dem so auf der Drüse ausgebildeten Bild reflektiert werden, sich teils in die Nerven begeben, die dazu dienen, den Rücken zu drehen und die Beine fortzubewegen um zu entfliehen, und teils in diejenigen, die die Mündungen des Herzens solcherart weiten oder verengen – oder auch die anderen Teile, von denen ihm das Blut gesendet wird, so sehr erregen –, daß es, weil in ihm das Blut in anderer Weise verdünnt wird als gewöhnlich, Spiritus zum Gehirn sendet, die geeignet sind, die Passion der Angst aufrechtzuerhalten und zu verstärken, das heißt: die geeignet sind, die Poren des Gehirns offen zu halten oder auch wieder zu öffnen, die sie in dieselben Nerven leiten. Denn allein dadurch, daß diese Spiritus in diese Poren eintreten, rufen sie eine besondere Bewegung in dieser Drüse hervor, die von der Natur eingerichtet ist, die Seele diese Passion empfinden zu lassen. Und weil diese Poren sich vor allem auf
356,10
26
Die Passionen der Seele · Erster Teil
die kleinen Nerven beziehen, die dazu dienen, die Mündungen des Herzens zusammenzuziehen oder zu weiten, führt dies dazu, daß die Seele diese Passion vor allem so empfindet, als finde sie im Herzen statt. ar t ikel 37 Wie in Erscheinung tritt, daß alle Passionen durch irgendeine Bewegung der Spiritus verursacht werden 357,15
Ähnliches geschieht bei allen anderen Passionen: Sie werden vor allem durch die in den Hohlräumen des Gehirns enthaltenen Spiritus verursacht, indem sie ihren Lauf zu den Nerven nehmen, die dazu dienen, die Mündungen des Herzens zu weiten oder zu verengen, oder das sich in den anderen Teilen befindende Blut verschieden zu ihm zu drücken, oder in welcher anderen Weise auch immer dieselbe Passion aufrechtzuerhalten. Daran kann man klar einsehen, weshalb ich hier oben in ihre Definition einbezogen habe, daß sie durch irgendeine besondere Bewegung der Spiritus verursacht werden. ar t ikel 38 Beispiel für die Körperbewegungen, die die Passionen begleiten und überhaupt nicht von der Seele abhängen
358,4
Genauso wie der Lauf, den diese Spiritus zu den Nerven des Herzens nehmen, ausreicht, um der Drüse eine Bewegung zu geben, durch die in die Seele Angst gesetzt wird, verursachen einige Spiritus allein dadurch, daß sie gleichzeitig zu den Nerven gehen, die dazu dienen, die Beine fortzubewegen um zu fliehen, in derselben Drüse eine andere Bewegung, durch die die Seele diese Flucht empfindet und wahrnimmt und die im Körper allein durch die Verfassung der Organe in dieser Weise hervorgerufen werden kann, ohne daß die Seele dazu beiträgt.
Über die Passionen im allgemeinen
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a r tikel 39 Wie dieselbe Ursache bei verschiedenen Menschen verschiedene Passionen verursachen kann Derselbe Eindruck, den die Anwesenheit eines fürchterlichen Objekts auf die Drüse macht, und der bei einigen Menschen Angst hervorruft, kann bei anderen Mut und Kühnheit hervorrufen. Der Grund dafür ist, daß nicht alle Gehirne in gleicher Weise beschaffen sind, und dieselbe Bewegung der Drüse, die bei einigen Angst hervorruft, bei anderen veranlaßt, daß die Spiritus in die Poren des Gehirns eintreten, die sie teils in die Nerven leiten, die dazu dienen, die Hände fortzubewegen, um sich zu verteidigen, und teils in diejenigen, die das Blut erregen und in der Weise zum Herzen drücken, die erforderlich ist, um Spiritus zu produzieren, die geeignet sind, diese Verteidigung fortzusetzen und den Willen dazu zu behalten.
358,18
a r tikel 40 Was die Hauptwirkung der Passionen ist Denn es ist nötig, zu beachten, daß die Hauptwirkung aller Passionen bei den Menschen ist, daß sie ihre Seele anreizen und sie verleiten, die Dinge zu wollen, auf die sie ihre Körper vorbereiten: so daß die Empfindung der Angst sie dazu anreizt, fliehen zu wollen, und die der Kühnheit, kämpfen zu wollen, und ebenso bei den anderen. a r tikel 41
359,7
Welche Macht die Seele im Hinblick auf den Körper hat Aber der Wille ist von seiner Natur her solchermaßen frei, daß er niemals gezwungen werden kann.22 Von den zwei Arten der Gedanken, die ich in der Seele unterschieden habe, von denen die einen ihre Aktionen sind, nämlich ihre Willensakte, und die anderen die Passionen – wobei dieses Wort hier in seiner allgemeinsten Bedeutung genommen wird, die alle Arten von Wahrnehmungen einbezieht –, liegen die ersteren absolut in seiner
359,15
28
Die Passionen der Seele · Erster Teil
Macht und können nur indirekt durch den Körper verändert werden, während umgekehrt die letzteren absolut von den Aktionen abhängen, die sie produzieren, und nur indirekt durch die Seele verändert werden können, ausgenommen wenn sie selbst ihre Ursache ist. Die gesamte Aktion der Seele besteht darin, daß sie allein dadurch, daß sie etwas will, veranlaßt, daß die kleine Drüse, mit der sie eng verbunden ist, sich in der Weise bewegt, die erforderlich ist, um die Wirkung zu produzieren, die sich auf diesen Willen bezieht. ar t ikel 42 Wie man in seinem Gedächtnis die Dinge findet, an die man sich erinnern will 360,10
Wenn die Seele sich an etwas erinnern will, veranlaßt dieser Wille, daß die Drüse sich nacheinander zu verschiedenen Seiten neigt und die Spiritus zu verschiedenen Stellen des Gehirns drückt, bis sie auf diejenige treffen, an denen sich die Spuren befinden, die das Objekt, an das man sich erinnern will, dort hinterlassen hat. Denn diese Spuren sind nichts anderes als die Poren des Gehirns, durch die die Spiritus vorher aufgrund der Anwesenheit des Objekts ihren Lauf genommen haben, wodurch die Poren eine größere Leichtigkeit als die anderen erworben haben, wiederum in derselben Weise durch die zu ihnen kommenden Spiritus geöffnet zu werden. Wenn deshalb diese Spiritus auf diese Poren treffen, treten sie leichter in sie ein als in die anderen, wodurch sie eine besondere Bewegung in der Drüse hervorrufen, die der Seele dasselbe Objekt darstellt und sie erkennen läßt, daß es dasjenige ist, an das sie sich erinnern wollte.23 ar ti kel 4 3 Wie die Seele sich etwas vorstellen, aufmerksam sein und den Körper bewegen kann
361,4
Wenn man sich etwas vorstellen will, das man niemals gesehen hat, dann hat dieser Wille die Kraft, zu veranlassen, daß sich die Drüse in der Weise bewegt, die erforderlich ist, um die Spiritus
Über die Passionen im allgemeinen
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zu den Poren des Gehirns zu drücken, durch deren Öffnung es dargestellt werden kann. Wenn man seine Aufmerksamkeit dabei verweilen lassen will, einige Zeit dasselbe Objekt zu betrachten, hält dieser Wille die Drüse in der Zwischenzeit zu derselben Seite geneigt. Und schließlich, wenn man laufen oder seinen Körper in irgendeiner anderen Weise bewegen will, veranlaßt dieser Wille, daß die Drüse die Spiritus zu den Muskeln drückt, die diesem Zweck dienen. a r tikel 44 Jeder Wille ist von Natur aus mit einer Bewegung der Drüse verbunden, aber man kann sie durch Bemühung oder durch Gewöhnung mit anderen verbinden Indessen ist es nicht immer der Wille, in uns eine Bewegung oder irgendeine andere Wirkung hervorzurufen, der dazu führt, daß wir sie hervorrufen, sondern das verändert sich gemäß dem, wie die Natur oder die Gewöhnung jede einzelne Bewegung der Drüse verschieden mit einem jeweiligen Gedanken verbunden haben.24 Wenn man zum Beispiel die Augen dazu verleiten will, ein sehr weit entferntes Objekt in den Blick zu nehmen, dann veranlaßt dieser Wille, daß ihre Pupille sich weitet; und will man sie dazu verleiten, ein sehr nahes Objekt in den Blick zu nehmen, veranlaßt dieser Wille, daß sie sich verengt. Wenn man aber nur daran denkt, die Pupille zu weiten, dann hat man zwar sehr wohl diesen Willen, aber man weitet die Pupille deswegen noch lange nicht. Denn die Natur hat die Bewegung der Drüse, die dazu dient, die Spiritus in der Weise in den optischen Nerv zu drücken, die erforderlich ist, um die Pupille zu weiten oder zu verengen, nicht mit dem Willen verbunden, sie zu weiten oder zu verengen, aber sehr wohl mit dem Willen, entfernte oder nahe Objekte in den Blick zu nehmen. Wenn wir beim Sprechen nur an den Sinn dessen denken, was wir sagen wollen, dann veranlaßt dies, daß wir die Zunge und die Lippen sehr viel rascher und viel besser bewegen, als wenn wir daran denken, sie auf alle Weisen zu bewegen, die erforderlich sind, um dieselben Worte auszusprechen. Denn die Gewohnheit, die wir erworben haben, als
361,20
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Die Passionen der Seele · Erster Teil
wir sprechen lernten, hat dazu geführt, daß wir die Aktion der Seele, die durch Vermittlung der Drüse die Zunge und die Lippen bewegen kann, mit der Bedeutung der Worte verbunden haben, die diesen Bewegungen folgen, nicht aber mit den Bewegungen selbst. ar t ikel 45 Welche Macht die Seele im Hinblick auf ihre Passionen hat 362,24
Unsere Passionen können auch nicht direkt durch eine Aktion unseres Willens hervorgerufen oder aufgehoben werden, aber sie können es indirekt durch die Darstellung der Dinge, die gewöhnlich mit den Passionen verbunden sind, die wir haben wollen, und die denjenigen entgegengesetzt sind, die wir loswerden wollen. So reicht es nicht aus, um in sich Kühnheit hervorzurufen und die Angst aufzuheben, den Willen dazu zu haben, sondern es ist nötig, sich in Tätigkeit zu setzen, um die Gründe, die Objekte oder die Beispiele zu betrachten, die davon überzeugen, daß die Gefahr nicht groß ist, daß größere Sicherheit in der Verteidigung liegt als in der Flucht, und daß man den Ruhm und die Freude haben wird, gesiegt zu haben, wohingegen man nur Bedauern und Scham erwarten kann, wenn man geflüchtet ist – und ähnliche Dinge. ar t ikel 46 Welcher Grund verhindert, daß die Seele nicht völlig über ihre Passionen verfügen kann
363,13
Es gibt einen besonderen Grund, der verhindert, daß die Seele ihre Passionen rasch verändern oder aufhalten kann, der für mich der Anlaß war, oben in ihre Defintion einzubeziehen, daß sie durch besondere Bewegungen der Spiritus nicht nur verursacht, sondern auch aufrechterhalten und verstärkt werden. Dieser Grund ist, daß sie fast alle von einer Regung begleitet sind, die im Herzen zustande kommt und folglich auch im gesamten Blut und den Spiritus. Deshalb bleiben Passionen solange, bis diese Regung aufgehört hat, unserem Denken in derselben Weise gegen-
Über die Passionen im allgemeinen
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wärtig, wie die wahrnehmbaren Objekte, während sie auf unsere Sinnesorgane einwirken, in ihm gegenwärtig sind. Genauso wie die Seele zwar verhindern kann, ein kleines Geräusch zu hören oder einen geringen Schmerz zu empfinden, wenn sie auf irgend etwas anderes sehr aufmerksam ist, aber nicht in derselben Weise verhindern kann, Donner zu hören oder ein Feuer zu empfinden, das die Hand verbrennt: genauso kann sie leicht geringere Passionen überwinden, aber die heftigsten und stärksten erst dann, wenn die Regung des Blutes und der Spiritus sich beruhigt hat. Was der Wille höchstens machen kann, während diese Regung in ihrer vollen Stärke steht, ist, ihren Wirkungen nicht zuzustimmen und die meisten der Bewegungen zurückzuhalten, zu denen sie den Körper verleitet. Wenn zum Beispiel der Zorn die Hand heben läßt um zu schlagen, kann der Wille sie gewöhnlich zurückhalten; wenn die Angst die Beine dazu anreizt, zu fliehen, kann der Wille sie aufhalten, und ebenso bei den anderen. a r tikel 47 Worin die Kämpfe bestehen, die man sich gewöhnlich zwischen dem unteren und dem oberen Teil der Seele vorstellt Alle Kämpfe, die man sich gewöhnlich zwischen dem unteren, sensitiv genannten Teil der Seele, und dem vernünftigen oberen, oder auch zwischen den natürlichen Trieben und dem Willen vorstellt, bestehen nur in dem Widerspruch zwischen den Bewegungen, die der Körper durch seine Spiritus und gleichzeitig die Seele durch ihren Willen in der Drüse hervorzurufen streben. Denn es gibt in uns nur eine einzige Seele, und diese Seele hat in sich keinerlei Verschiedenheit der Teile: dieselbe Seele, die sensitiv ist, ist vernünftig, und alle ihre Triebe sind Willensakte.25 Der Irrtum, den man begangen hat, indem man in ihr verschiedene Persönlichkeiten hat spielen lassen, die gewöhnlich einander entgegengesetzt sind, kommt nur daher, daß man ihre Funktionen nicht richtig von denen des Körpers unterschieden hat, dem allein man alles zusprechen muß, was in uns als unserer Vernunft
364,16
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Die Passionen der Seele · Erster Teil
widersprechend bemerkt werden kann. Deshalb gibt es hierbei nur einen Kampf, nämlich daß die kleine Drüse in der Mitte des Gehirns durch die Seele zu der einen, und durch die Lebensgeister, die, wie ich oben gesagt habe, nur Körper sind, zu der anderen Seite gedrückt werden kann. Es geschieht oft, daß diese beiden Anstöße einander entgegengesetzt sind und der stärkere die Wirkung des anderen verhindert. Nun kann man zwei Arten von Bewegungen unterscheiden, die durch die Spiritus in der Drüse hervorgerufen werden: die einen stellen der Seele die Objekte dar, die die Sinne bewegen, oder die Eindrücke, die im Gehirn angetroffen werden, und haben keine Auswirkung auf ihren Willen. Die anderen haben Auswirkung, nämlich diejenigen, die die Passionen oder die sie begleitenden Körperbewegungen verursachen. Was die ersten betrifft: Obwohl sie oft die Aktionen der Seele verhindern oder sie auch von ihr verhindert werden, so bemerkt man überhaupt keinen Kampf, weil sie einander gleichwohl nicht direkt entgegengesetzt sind. Man bemerkt einen Kampf nur zwischen den letzteren und den ihnen widersprechenden Willensakten: Zum Beispiel zwischen dem Druck, mit dem die Spiritus die Drüse drücken, um in der Seele das Verlangen nach etwas zu verursachen, und dem, mit dem die Seele durch den Willen, genau davor zu fliehen, die Drüse zurückdrückt. Was vor allem diesen Kampf in Erscheinung treten läßt, ist, daß der Wille nicht die Macht hat, die Passionen direkt hervorzurufen, wie bereits gesagt wurde, und er deshalb gezwungen ist, von Bemühung Gebrauch zu machen und sich in Tätigkeit zu setzen, um nacheinander verschiedene Dinge zu betrachten. Wenn es nun geschieht, daß das eine Ding die Kraft hat, für einen Moment den Lauf der Spiritus zu verändern, kann es geschehen, daß das folgende nicht die Kraft dazu hat und die Spiritus sofort danach ihren Lauf wieder aufnehmen, weil die vorangegangene Anordnung in den Nerven, im Herzen und im Blut sich nicht verändert hat. Das führt dazu, daß die Seele sich getrieben empfindet, fast gleichzeitig dasselbe zu verlangen und nicht zu verlangen. Es ist dies, was man zum Anlaß genommen hat, sich in ihr zwei Vermögen vorzustellen, die sich bekämpfen. Indessen
Über die Passionen im allgemeinen
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kann man es wiederum als eine Art von Kampf auffassen, daß oft dieselbe Ursache, die in der Seele eine Passion hervorruft, auch gewisse Bewegungen im Körper hervorruft, zu denen die Seele nichts beiträgt und die sie aufhält oder aufzuhalten versucht, sobald sie sie wahrnimmt. Das läßt sich etwa nachprüfen, wenn das, was Angst hervorruft, auch veranlaßt, daß Spiritus in die Muskeln eintreten, die dazu dienen, die Beine fortzubewegen um zu fliehen, und der Wille, kühn zu sein, sie aufhält. a r tikel 48 Woran man die Kraft oder die Schwäche der Seelen erkennt, und was das Übel der schwächsten ist Nun ist es der Erfolg dieser Kämpfe, woran jeder die Kraft oder die Schwäche seiner Seele erkennen kann. Denn diejenigen, deren Wille von Natur aus die Passionen am leichtesten besiegen und die sie begleitenden Körperbewegungen aufhalten kann, haben zweifelsohne die stärksten Seelen. Es gibt aber welche, die ihre Kraft nicht nachprüfen können, weil sie ihren Willen niemals mit seinen eigentlichen Waffen kämpfen lassen, sondern nur mit denjenigen, die ihm einige Passionen liefern, um anderen Passionen Widerstand zu leisten. Was ich seine eigentlichen Waffen nenne, sind feste und bestimmte Urteile bezüglich der Erkenntnis von Gut und Übel, denen gemäß der Wille sich entschlossen hat, die Aktionen seines Lebens zu leiten. Nun sind die schwächsten Seelen von allen diejenigen, deren Wille sich überhaupt nicht so bestimmt, gewissen Urteilen zu folgen, sondern sich unablässig zu gegenwärtigen Passionen hinreißen läßt, die oft einander entgegengesetzt sind, ihn der Reihe nach auf ihre Seite ziehen und ihn dafür verwenden, gegen sich selbst zu kämpfen und so die Seele in den beklagenswertesten Zustand versetzen, den es geben kann. Wenn etwa die Angst den Tod als ein äußerstes Übel darstellt, das nur durch Flucht vermieden werden kann, und auf der anderen Seite der Ehrgeiz die Ehrlosigkeit dieser Flucht als ein schlimmeres Übel als den Tod darstellt, dann erregen diese beiden Passionen den Willen verschieden, der mal der einen und
366,24
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Die Passionen der Seele · Erster Teil
mal der anderen gehorcht und sich unablässig gegen sich selbst stellt und so die Seele versklavt und unglücklich macht. ar t ikel 49 Die Kraft der Seele reicht ohne die Erkenntnis der Wahrheit nicht aus 367,27
Freilich gibt es nur sehr wenige so schwache und unentschlossene Menschen, daß sie nur das wollen, was ihre Passion ihnen diktiert. Die meisten haben bestimmte Urteile, denen gemäß sie einen Teil ihrer Aktionen regeln. Und auch wenn diese Urteile häufig falsch sind und sich selbst auf irgendwelche Passionen gründen, von denen der Wille sich vorher hat besiegen oder verführen lassen, kann man sie gleichwohl als seine eigentlichen Waffen betrachten, weil er ihnen zu folgen fortfährt, wenn die Passion abwesend ist, die sie verursacht hat. Man kann denken, daß die Seelen in dem Verhältnis stärker oder schwächer sind, in dem sie mehr oder weniger diesen Urteilen folgen und den ihnen entgegengesetzten gegenwärtigen Passionen Widerstand leisten können. Aber es gibt dennoch einen großen Unterschied zwischen den Entschlüssen, die von irgendeiner falschen Meinung herrühren, und denjenigen, die sich nur auf die Erkenntnis der Wahrheit stützen. Denn wenn man den letzteren folgt, ist man sich sicher, es niemals zu bedauern oder zu bereuen, anders als wenn man ersteren gefolgt ist und den Irrtum entdeckt. ar t ikel 50 Es gibt keine so schwache Seele, die, wenn sie richtig geleitet wird, nicht absolute Macht über ihre Passionen erwerben könnte
368,23
Es ist hier nützlich zu wissen, daß, obwohl jede Bewegung der Drüse von Beginn unseres Lebens an durch die Natur bereits mit einem jeweiligen unserer Gedanken verbunden worden zu sein scheint, wie weiter oben bereits gesagt wurde, man sie gleichwohl durch Gewöhnung mit anderen verbinden kann. Das zeigt
Über die Passionen im allgemeinen
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die Erfahrung bei Worten, die in der Drüse solche Bewegungen hervorrufen, die entsprechend der Einrichtung der Natur der Seele entweder nur den Ton dieser Worte darstellen, wenn sie von einer Stimme ausgesprochen werden, oder die Gestalt ihrer Buchstaben, wenn sie geschrieben werden; und nichtsdestotrotz veranlassen diese Worte gewöhnlich durch die erworbene Gewohnheit, indem man, wenn man ihren Ton gehört oder auch ihre Buchstaben gesehen hat, an das denkt, was sie bezeichnen, daß man viel mehr diese Bedeutung begreift als die Gestalt ihrer Buchstaben oder auch den Ton ihrer Silben.26 Es ist auch nützlich zu wissen, daß, obwohl die Bewegungen sowohl der Drüse als auch der Spiritus und des Gehirns, die der Seele gewisse Objekte darstellen, von Natur aus mit denjenigen verbunden sind, die in ihr gewisse Passionen hervorrufen, sie gleichwohl durch Gewöhnung von ihnen getrennt und mit anderen, sehr unterschiedlichen verbunden werden können. Diese Gewohnheit kann durch eine einzige Aktion erworben werden und erfordert überhaupt keinen langen Gebrauch. Wenn man etwa in einem Nahrungsmittel, das man mit Appetit ißt, unerwartet auf etwas sehr salziges trifft, kann die Überraschung über diese Begebenheit die Verfassung des Gehirns solcherart verändern, daß man danach ein solches Nahrungsmittel nur noch mit Schrecken sehen kann, wohingegen man es vorher mit Vergnügen aß. Dasselbe kann man bei Tieren bemerken; denn obwohl sie überhaupt keine Vernunft besitzen, und vielleicht auch keinerlei Denken, sind gleichwohl alle Bewegungen der Spiritus und der Drüse, die in uns die Passionen hervorrufen, in ihnen vorhanden und dienen in ihnen nicht wie in uns dazu, die Passionen aufrechtzuerhalten und zu verstärken, sondern die Bewegungen der Nerven und Muskeln, die sie gewöhnlich begleiten.27 Wenn etwa ein Hund ein Rebhuhn sieht, wird er von der Natur aus dazu gebracht, zu ihm zu laufen; und wenn er ein Gewehr schießen hört, reizt dieses Geräusch ihn von Natur aus dazu an, zu entfliehen; aber nichtsdestotrotz richtet man Jagdhunde gewöhnlich so ab, daß der Anblick eines Rebhuhns dazu führt, daß sie anhalten, und daß das Geräusch, das sie danach hören, wenn man auf es schießt, dazu, daß sie her-
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Die Passionen der Seele · Erster Teil
beilaufen. Diese Dinge sind nützlich zu wissen, um jedem Mut zu machen, sich zu bemühen, seine Passionen zu regeln. Denn wenn man mit ein wenig Bemühung die Bewegungen des Gehirns der nicht mit Vernunft ausgestatteten Tiere verändern kann, ist es evident, daß man es noch besser bei den Menschen kann, und daß selbst diejenigen, die die schwächsten Seelen haben, absolute Herrschaft über alle ihre Passionen erwerben könnten, wenn man genügend Bemühung darauf verwenden würde, sie abzurichten und zu leiten.
ZWEITER TEIL Über Anzahl und Ordnung der Passionen sowie die Erklärung der sechs ursprünglichen
a r tikel 51 Welches die ersten Ursachen der Passionen sind Durch das weiter oben Gesagte erkennt man, daß die letzte und allernächste Ursache der Passionen der Seele nichts anderes ist als die Erregung, mit der die Spiritus die kleine Drüse bewegen, die sich in der Mitte des Gehirns befindet. Das aber reicht nicht aus, um Passionen voneinander unterscheiden zu können. Dafür ist es nötig, ihre Quellen zu untersuchen und ihre ersten Ursachen zu prüfen. Nun können Passionen bisweilen durch eine Aktion der Seele, die sich bestimmt, das eine oder andere Objekt aufzufassen, verursacht werden, bisweilen aber auch allein durch die Grundbeschaffenheit des Körpers oder durch Eindrücke, die zufällig im Gehirn angetroffen werden, wie es geschieht, wenn man sich traurig oder fröhlich fühlt, ohne dafür irgendeinen Anlaß angeben zu können. Gleichwohl erscheint durch das Gesagte, daß genau dieselben Passionen nichtsdestotrotz auch durch Objekte hervorgerufen werden können, die die Sinne bewegen, und daß diese Objekte ihre gewöhnlicheren und Hauptursachen sind. Daraus folgt, daß es ausreicht, alle Wirkungen dieser Objekte zu betrachten, um alle diese Ursachen zu finden.
371,9
a r tikel 52 Was der Nutzen der Passionen ist und wie man sie aufzählen kann Ich bemerke darüber hinaus, daß die die Sinne bewegenden Objekte in uns nicht verschiedene Passionen hervorrufen im Verhältnis zu den in ihnen vorhandenen Verschiedenheiten, sondern nur im Verhältnis zu den verschiedenen Weisen, auf die sie uns
372,12
38
Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
schaden oder wir von ihnen profitieren oder sie auch im allgemeinen wichtig für uns sein können. Der Nutzen aller Passionen besteht allein darin, daß sie die Seele dazu verleiten, die Dinge zu wollen, die die Natur uns als nützlich diktiert, und in diesem Willen zu beharren; so wie ja auch dieselbe Erregung der Spiritus, die gewöhnlich die Passionen verursacht, den Körper zu den Bewegungen verleitet, die der Ausführung dieser Dinge dienen. Um die Passionen aufzuzählen, ist es deswegen nur nötig, gemäß der Ordnung zu prüfen, auf wieviele verschiedene für uns wichtige Weisen unsere Sinne durch ihre Objekte bewegt werden können. Ich werde hier eine Aufzählung28 aller Hauptpassionen vornehmen, entsprechend der Ordnung, in der sie so gefunden werden können.
o r d n u n g u n d auf zähl ung de r pas s ion en ar t ikel 53 Verwunderung 373,5
Wenn die erste Begegnung mit einem Objekt uns überrascht und wir es als neu oder als sehr unterschiedlich zu dem beurteilen, was wir vorher erkannt haben, oder auch dazu, wie es unserer Voraussetzung nach sein müßte, führt das dazu, daß wir über es verwundert und erstaunt sind. Weil das geschehen kann, bevor wir erkannt haben, ob dieses Objekt uns zuträglich ist oder nicht, scheint mir Verwunderung die erste von allen Passionen zu sein. Sie hat kein Gegenteil; denn wenn das sich bietende Objekt nichts an sich hat, das uns überrascht, werden wir von ihm überhaupt nicht angeregt und betrachten es ohne Passion.29
Über Anzahl und Ordnung der Passionen
39
a r tikel 54 Wertschätzung und Geringschätzung, Edelmut oder Hochmut und Demut oder Unterwürfigkeit Mit der Verwunderung verbunden sind Wertschätzung oder Geringschätzung, entsprechend der Größe oder der Kleinheit des Objekts, über das wir verwundert sind. Wir können so uns selbst wertschätzen oder geringschätzen. Daher kommen die Passionen und in der Folge die Haltung der Seelengröße oder des Hochmuts und der Demut oder Unterwürfigkeit.
373,21
a r tikel 55 Verehrung und Verachtung Wenn wir aber andere Objekte wertschätzen oder geringschätzen, die wir als freie Ursachen betrachten und daher imstande sind, Gut oder Übel zustande zu bringen, verwandelt sich Wertschätzung in Verehrung und einfache Geringschätzung in Verachtung. a r tikel 56
374,5
Liebe und Haß Die vorangegangenen Passionen können in uns hervorgerufen werden, ohne daß wir in irgendeiner Weise wahrnehmen, ob das sie verursachende Objekt gut oder schlecht ist. Aber wenn uns etwas in Hinsicht auf uns als gut dargestellt wird, das heißt als zuträglich für uns, veranlaßt dies uns, ihm Liebe entgegenzubringen; wenn es uns aber als schlecht oder schädlich dargestellt wird, ruft dies in uns Haß hervor.
374,11
40
Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ar t ikel 57 Verlangen 374,21
Aus derselben Betrachtung von Gut und Übel entspringen alle anderen Passionen. Um sie aber gemäß der Ordnung anzuführen, unterscheide ich [sie nach den] Zeiten und betrachte sie dahingehend, ob sie uns eher dazu bringen, die Zukunft in den Blick zu nehmen als die Gegenwart oder die Vergangenheit.30 Ich beginne mit dem Verlangen. Denn sowohl, wenn man verlangt, ein Gut zu erwerben, das man noch nicht hat, oder auch ein Übel zu vermeiden, von dem man urteilt, daß es geschehen kann, als auch wenn man sich nur die Erhaltung eines Guts oder die Abwesenheit eines Übels wünscht – was alles ist, worauf sich diese Passion erstrecken kann –, ist es evident, daß die Passion immer die Zukunft in den Blick nimmt. ar t ikel 58 Hoffnung, Furcht, Eifersucht, Gelassenheit und Verzweiflung
375,12
Es reicht aus, zu denken, daß der Erwerb eines Guts oder die Flucht vor einem Übel möglich ist, um dazu angereizt zu sein, es zu verlangen. Zieht man aber darüber hinaus auch noch in Betracht, daß die Aussicht, zu erhalten, was man verlangt, beträchtlich oder gering ist, ruft das, was uns die Aussichten dafür als groß darstellt, in uns Hoffnung hervor, und das, was uns diese Anzeichen als gering darstellt, Furcht. Eifersucht ist eine Art dieser Furcht; und wenn die Hoffnung extrem ist, verändert sie ihre Natur und wird Gelassenheit oder Zuversicht genannt. Umgekehrt wird extreme Furcht zur Verzweifelung.
Über Anzahl und Ordnung der Passionen
41
a r tikel 59 Unentschlossenheit, Mut, Kühnheit, Wetteifer, Feigheit und Schrecken Wir können so hoffen und fürchten, auch wenn das Ereignis dessen, was wir erwarten, überhaupt nicht von uns abhängt. Wird es uns aber als von uns abhängend dargestellt, kann es dabei Schwierigkeiten bei der Auswahl der Mittel oder seiner Ausführung geben. Von ersterem kommt Unentschlossenheit, die uns in die Verfassung bringt, zu überlegen und mit sich zu Rate zu gehen. Gegen die letztere stellt sich Mut oder Kühnheit, von der Wetteifer eine Art ist. Feigheit ist dem Mut entgegengesetzt wie Angst oder Schrecken der Kühnheit.
375,25
a r tikel 60 Gewissensbiß Hat man sich zu irgendeiner Aktion bestimmt, bevor die Unentschlossenheit aufgehoben wurde, läßt dies einen Gewissensbiß entspringen, der nicht wie die vorangegangenen Passionen die Zukunft in den Blick nimmt, sondern die Gegenwart oder die Vergangenheit. a r tikel 61
376,11
Freude und Traurigkeit Die Betrachtung eines gegenwärtigen Guts ruft in uns Freude hervor, und die eines Übels Traurigkeit, wenn es ein Gut oder ein Übel ist, das wir uns als uns zukommend darstellen.
376,18
a r tikel 62 Spott, Neid und Mitleid Stellen wir es uns aber als anderen Menschen zukommend dar, können wir sie als seiner würdig oder unwürdig einschätzen. Schätzen wir sie als seiner würdig ein, ist Freude die einzige Passion, die das in uns hervorruft, insofern es für uns gewisser-
376,24
42
Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
maßen ein Gut ist, zu sehen, daß die Dinge geschehen, wie sie sollen. Ein Unterschied besteht nur darin, daß die von einem Gut kommende Freude ernsthaft ist, wohingegen die von einem Übel kommende von Lachen und Spott begleitet ist. Schätzen wir die anderen Menschen aber als seiner unwürdig ein, ruft das Gut Neid hervor und das Übel Mitleid, die Arten der Traurigkeit sind. Außerdem ist zu bemerken, daß die sich auf gegenwärtige Güter oder Übel beziehenden Passionen oft auch auf künftige bezogen werden können, insofern die Meinung, daß sie eintreten werden, sie uns als gegenwärtig darstellt. ar t ikel 63 Zufriedenheit mit sich selbst und Reue 377,17
Wir können die Ursache eines Guts oder eines Übels ebenso als gegenwärtig wie als vergangen betrachten. Das durch uns selbst getane Gut gibt uns innere Zufriedenheit, die süßeste aller Passionen, wohingegen das Übel Reue hervorruft, die bitterste. ar t ikel 64 Gunst und Anerkennung
377,25
Hingegen ist das von anderen getane Gut die Ursache, daß wir ihnen Gunst entgegenbringen, auch wenn es nicht für uns getan wurde; wurde es aber für uns getan, verbinden wir mit der Gunst Anerkennung. ar t ikel 65 Empörung und Zorn
378,5
Ebenso veranlaßt das durch andere getane Übel, wenn es nicht auf uns bezogen ist, daß wir ihnen Empörung entgegenbringen; und wenn es auf uns bezogen ist, regt es auch zum Zorn an.
Über Anzahl und Ordnung der Passionen
43
a r tikel 66 Stolz und Scham Außerdem ruft das Gut, das in uns ist oder war, wenn es auf die Meinung bezogen wird, die andere darüber haben können, in uns Stolz31 hervor, und das Übel Scham.
378,11
a r tikel 67 Ekel, Bedauern und Fröhlichkeit Mitunter verursacht die Dauer des Guts Langeweile oder Ekel, wohingegen die des Übels die Traurigkeit verringert. Schließlich kommt von einem vergangenen Gut Bedauern, das eine Art von Traurigkeit ist, und von einem vergangenen Übel kommt Fröhlichkeit, die eine Art von Freude ist.
378,17
a r tikel 68 Weshalb diese Aufzählung der Passionen unterschiedlich zu der gemeinhin akzeptierten ist Soweit also die Ordnung, die mir die beste zu sein scheint, um die Passionen aufzuzählen. Ich weiß sehr wohl, daß ich mich damit von der Meinung aller jener entferne, die vorher darüber geschrieben haben. Aber es geschieht nicht ohne guten Grund. Denn sie ziehen ihre Aufzählung daraus, daß sie in dem sensitiven Teil der Seele zwei Triebe unterscheiden, von denen sie den einen begehrlich und den anderen zornig nennen.32 Weil ich aber in der Seele keinerlei Unterscheidung der Teile erkenne, wie ich weiter oben gesagt habe, scheint mir dies nur zu bedeuten, daß die Seele zwei Vermögen hat: das Vermögen, zu verlangen, und das Vermögen, sich zu ärgern. Aber die Seele hat in derselben Weise die Vermögen, verwundert zu sein, zu lieben, zu hoffen, zu fürchten und ebenso das Vermögen, in sich jede einzelne der anderen Passionen aufzunehmen oder die Aktionen zu tun, zu denen die Passionen sie treiben. Deshalb sehe ich nicht, weshalb sie sie alle auf die Begehrlichkeit oder auf den Zorn bezie-
379,4
44
Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
hen wollten. Außerdem bezieht ihre Aufzählung keineswegs alle Hauptpassionen ein, wie es, so meine ich jedenfalls, die vorliegende tut. Ich spreche allein über die Hauptpassionen, weil man von ihnen wiederum noch viele andere besondere unterscheiden kann, deren Anzahl unbestimmt ist. ar t ikel 69 Es gibt nur sechs ursprüngliche Passionen 380,3
Die Anzahl der einfachen und ursprünglichen Passionen aber ist nicht sehr groß. Denn wenn man sich einen Überblick über alle von mir aufgezählten verschafft, kann man leicht bemerken, daß es nur sechs solche ursprünglichen gibt, nämlich Verwunderung, Liebe, Haß, Verlangen, Freude und Traurigkeit. Alle anderen sind aus einigen dieser sechs zusammengesetzt oder Arten von ihnen. Damit ihre Vielzahl die Leser nicht verwirrt, werde ich deshalb die sechs ursprünglichen hier getrennt abhandeln und danach zeigen, in welcher Weise alle anderen von ihnen ihren Ursprung nehmen. ar t ikel 70 Über Verwunderung. Ihre Definition und ihre Ursache
380,18
Verwunderung ist eine plötzliche Überraschung der Seele, die sie veranlaßt, sich dazu zu bringen, Objekte mit Aufmerksamkeit zu betrachten, die ihr selten und außergewöhnlich erscheinen. Sie wird zuerst durch einen Eindruck im Gehirn verursacht, der das Objekt als selten darstellt und folglich als würdig, eingehend betrachtet zu werden; außerdem danach durch die Bewegung der Spiritus, die durch diesen Eindruck dazu verleitet werden, mit großer Kraft zu der Stelle des Gehirns zu streben, an der dieser Eindruck stattfindet, um ihn dort zu verstärken und zu bewahren. Ebenso werden die Spiritus durch diesen Eindruck auch dazu verleitet, von dort in die Muskeln überzugehen, die dazu dienen, die Sinnesorgane in derselben Lage zu halten, in der sie sich befinden, damit der Eindruck, wenn er durch sie ausgebildet worden war, durch sie aufrechterhalten wird.
Über Anzahl und Ordnung der Passionen
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a r tikel 71 Bei dieser Passion geschieht weder im Herzen noch im Blut irgendeine Änderung Diese Passion hat das Besondere an sich, daß man überhaupt keine im Herzen und im Blut geschehende Veränderung bemerken kann, von der sie wie die anderen Passionen begleitet wäre. Der Grund dafür ist, daß sie weder ein Gut noch ein Übel zum Objekt hat, sondern nur die Erkenntnis des Dinges, über das man sich verwundert. Sie steht deshalb in keiner Beziehung zum Herzen und dem Blut, von denen das gesamte Wohl des Körpers abhängt, sondern nur zum Gehirn, in dem sich die zu dieser Erkenntnis dienenden Sinnesorgane befinden.
381,9
a r tikel 72 Worin die Kraft der Verwunderung besteht Das verhindert nicht, daß Verwunderung aufgrund der Überraschung – das heißt des plötzlichen und unerwarteten Eintritts des Eindrucks, der die Bewegung der Spiritus verändert – große Kraft hat. Eine solche Überraschung ist dieser Passion eigen und eigentümlich. Wird sie bei anderen Passionen angetroffen – und sie wird gewöhnlich bei fast allen angetroffen und verstärkt sie –, dann deshalb, weil mit ihnen Verwunderung verbunden ist. Die Kraft hängt von zwei Dingen ab, nämlich von der Neuheit und davon, daß die sie verursachende Bewegung von ihrem Beginn an ihre ganze Kraft hat. Denn es ist gewiß, daß eine solche Bewegung eine größere Wirkung hat als solche, die zunächst schwach sind, nur allmählich anwachsen und leicht abgelenkt werden können. Es ist auch gewiß, daß neue Objekte der Sinne das Gehirn an gewissen Teilen berühren, an denen es gewöhnlich nicht berührt wird, und daß diese Teile zarter oder weniger fest sind als diejenigen, die eine wiederholte Erregung verhärtet hat, was die Wirkung der Bewegung verstärkt, die sie dort hervorrufen. Das wird man nicht unglaubhaft finden, wenn man in Betracht zieht, daß dieser Grund dem entspricht, der uns die Berührung unse-
381,21
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
rer Fußsohlen nur sehr wenig empfinden läßt, wenn wir laufen, da sie an eine ziemlich rohe Berührung durch das Gewicht der Körper gewöhnt sind, die sie tragen; wohingegen eine andere, sehr viel geringere und sanftere Berührung, mit der man die Fußsohlen kitzelt, für uns fast unerträglich ist, allein weil sie für uns ungewöhnlich ist. ar t ikel 73 Was Staunen ist 382,26
Diese Überraschung hat genügend Macht, um die sich in den Hohlräumen des Gehirns befindenden Spiritus ihren Lauf zu dem Ort hin nehmen zu lassen, an dem der Eindruck des Objekts stattfindet, über das man verwundert ist; mitunter drückt die Überraschung sie sogar alle dorthin und veranlaßt so, daß sie so sehr damit beschäftigt sind, diesen Eindruck zu bewahren, daß von dort keine mehr in die Muskeln übergehen, noch sich in irgendeiner Weise von den ersten Spuren ablenken, denen sie im Gehirn gefolgt sind. Das führt dazu, daß der gesamte Körper unbeweglich verharrt wie eine Statue und man vom Objekt nur die erste Fläche wahrnehmen kann, die sich geboten hat. Folglich kann man auch keine ins Besondere gehende Erkenntnis dieses Objekts erwerben. Das ist es, was man gemeinhin erstaunt sein nennt; und Staunen ist ein Übermaß an Verwunderung, das niemals anders als schlecht sein kann. ar t ikel 74 Wozu alle Passionen dienen und wobei sie schaden
383,16
Durch das, was oben gesagt wurde, ist nun leicht zu erkennen, daß der Ertrag aller Passionen nur darin besteht, daß sie die Gedanken in der Seele verstärken und andauern lassen, die zu bewahren gut ist und die sonst leicht in ihr verblassen könnten. Ebenso besteht das ganze Übel, das sie verursachen können, darin, daß sie diese Gedanken mehr als nötig verstärken und bewahren, oder sie auch andere verstärken und bewahren, mit denen sich aufzuhalten nicht gut ist.
Über Anzahl und Ordnung der Passionen
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a r tikel 75 Wozu insbesondere die Verwunderung dient Über die Verwunderung kann man im besonderen sagen, daß sie dafür nützlich ist, zu veranlassen, daß wir die Dinge lernen und in unserem Gedächtnis behalten, die wir vorher nicht wußten. Denn wir verwundern uns nur über das, was uns selten und außergewöhnlich erscheint, und uns kann etwas nur deshalb so erscheinen, weil wir es vorher nicht wußten oder sogar auch nur weil es unterschiedlich zu den Dingen ist, die wir wußten; denn es ist dieser Unterschied, der es uns außergewöhnlich nennen läßt. Aber allein schon deshalb, weil sich unserem Verstand oder unseren Sinnen etwas, das uns vorher unbekannt war, als neu bietet, behalten wir es deshalb noch nicht in unserem Gedächtnis, sondern nur dann, wenn unsere Idee davon in unserem Gehirn durch irgendeine Passion oder auch durch eine besondere Anwendung unseres Verstandes verstärkt wird, die unseren Willen zu einer besonderen Aufmerksamkeit und einem besonderen Nachdenken bestimmt. Die anderen Passionen können dazu dienen, uns die Dinge bemerken zu lassen, die als gut oder schlecht erscheinen. Verwunderung hingegen haben wir allein für diejenigen, die als selten erscheinen. Auch sehen wir, daß Leute, die keinerlei natürliche Neigung zu dieser Passion haben, gewöhnlich sehr unwissend sind.
384,3
a r tikel 76 Wobei Verwunderung schaden und wie man ihren Mangel ersetzen und ihr Übermaß korrigieren kann Aber wenn man Dinge wahrnimmt, die es nur verdienen, wenig oder gar nicht betrachtet zu werden, geschieht es sehr viel öfter, daß man sich zu sehr über Dinge verwundert und erstaunt, als daß man sich zu wenig verwundert. Das kann den Gebrauch der Vernunft völlig aufheben oder verkehren. Obwohl es gut ist, mit einer Neigung zu dieser Passion geboren zu sein, weil uns dies in die Verfassung für den Erwerb der Wissenschaften bringt,
385,4
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
müssen wir deshalb gleichwohl später versuchen, uns so weit wie möglich davon zu lösen. Denn ihren Mangel durch besonderes Nachdenken und besondere Aufmerksamkeit zu ersetzen, ist leicht, weil unser Wille unseren Verstand immer dazu nötigen kann, wenn wir urteilen, daß das sich uns bietende Ding die Mühe wert ist; aber es gibt kein anderes Heilmittel, um zu verhindern, daß man sich mit Übermaß verwundert, als die Erkenntnis mehrerer Dinge zu erwerben und sich in der Betrachtung aller jener zu üben, die als die seltensten und die seltsamsten scheinen können. ar t ikel 77 Es sind weder die blödesten noch die geschicktesten Leute, die am ehesten zur Verwunderung gebracht werden 385,25
Obwohl nur stumpfsinnige und blöde Leute von ihrem Naturell her überhaupt nicht zur Verwunderung gebracht werden können, läßt sich nicht sagen, daß immer diejenigen am meisten dazu geneigt sind, die am meisten Geist haben, sondern es sind vor allem jene, die zwar einen ziemlich guten Gemeinsinn, aber gleichwohl keine hohe Meinung von ihrer Hinlänglichkeit haben. ar t ikel 78 Ein Übermaß an Verwunderung kann in eine Haltung übergehen, wenn man versäumt, es zu korrigieren
386,9
Diese Passion scheint sich durch den Gebrauch zu verringern, weil man sich, je mehr seltene Dinge man antrifft, über die man verwundert ist, desto mehr angewöhnt, damit aufzuhören, über sie verwundert zu sein, und zu denken, daß alle, die sich danach bieten können, alltäglich sind. Wenn sie aber übermäßig ist, führt sie dazu, daß man seine Aufmerksamkeit allein bei dem ersten Bild der Dinge verweilen läßt, die sich geboten haben, ohne eine andere Erkenntnis von ihm zu erwerben; dann hinterläßt sie eine Haltung, die die Seele in die Verfassung bringt, in derselben Weise bei allen anderen sich bietenden Objekten zu verweilen,
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sofern sie ihr auch nur ein ganz klein wenig neu erscheinen. Dies ist es, was die Krankheit derjenigen andauern läßt, die blind neugierig sind, d. h. die Kuriositäten nur untersuchen, um über sie verwundert zu sein, und überhaupt nicht, um sie zu erkennen: denn sie werden allmählich so verdutzt, daß Dinge ohne die geringste Bedeutung nicht weniger imstande sind, sie zu fesseln, als solche, deren Untersuchung nützlicher ist. a r tikel 79 Die Definitionen der Liebe und des Hasses Liebe ist eine durch die Bewegung der Spiritus verursachte Regung der Seele, die sie dazu anreizt, sich willentlich mit den ihr als zuträglich erscheinenden Objekten zu verbinden.33 Haß ist eine durch die Spiritus verursachte Regung, die die Seele dazu anreizt, von den sich ihr als schädlich bietenden Objekten getrennt sein zu wollen. Ich sage, daß diese Regungen durch die Spiritus verursacht sind, um die vom Körper abhängenden Passionen Liebe und den Haß sowohl von den Urteilen zu unterscheiden, die die Seele auch dazu bringen, sich willentlich mit den Dingen zu verbinden, die sie als gut, und sich von jenen zu trennen, die sie als schlecht einschätzt, als auch von den Regungen, die diese Urteile allein in der Seele hervorrufen.
387,3
a r tikel 80 Was es heißt, sich willentlich zu verbinden oder zu trennen Außerdem verstehe ich hier unter dem Wort willentlich kein Verlangen, das eine Passion für sich ist und sich auf die Zukunft bezieht, sondern die Zustimmung, durch die man sich von der Gegenwart an als mit dem, was man liebt, so verbunden betrachtet, daß man sich ein Ganzes vorstellt, von dem man denkt, nur der eine Teil zu sein, und das geliebte Ding der andere. Umgekehrt betrachtet man sich beim Haß als ein einzelnes Ganzes, das völlig von dem Ding getrennt ist, gegen das man eine Abneigung hat.
387,18
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ar t ikel 81 Über die Unterscheidung, die man gewöhnlich zwischen der Liebe aus Begehrlichkeit und der aus Wohlwollen macht 388,4
Gemeinhin unterscheidet man zwei Arten der Liebe, von denen die eine Liebe aus Wohlwollen genannt wird, das heißt eine Liebe, die dazu anreizt, dem ein Gut zu wollen, was man liebt. Die andere wird Liebe aus Sinneslust genannt, das heißt eine Liebe, die einen das verlangen läßt, was man liebt.34 Aber mir scheint, daß diese Unterscheidung nur die Wirkungen der Liebe in den Blick nimmt, aber ihr Wesen überhaupt nicht. Denn sobald man sich willentlich mit irgendeinem Objekt verbunden hat, von welcher Natur es auch sei, hat man Wohlwollen für es, das heißt: man fügt ihm willentlich auch die Dinge hinzu, von denen man glaubt, sie seien ihm zuträglich – was eine der Hauptwirkungen der Liebe ist. Und wenn man es als ein Gut beurteilt, dieses Objekt zu besitzen oder mit ihm auf eine andere Weise willentlich vergemeinschaftet zu sein, verlangt man es – was auch eine der ganz gewöhnlichen Wirkungen der Liebe ist. ar t ikel 82 Wie sehr unterschiedliche Passionen darin übereinstimmen, daß sie an der Liebe teilhaben
388,22
Es ist auch nicht nötig, genauso viele Arten der Liebe zu unterscheiden, wie es verschiedene Objekte gibt, die man lieben kann. Denn zum Beispiel sind die Passionen, die ein Ehrgeiziger für Ruhm, ein Geiziger für Geld, ein Trinker für Wein, ein Gewalttäter für eine Frau, die er verletzen will, ein Ehrenmann für seinen Freund oder seine Geliebte und ein guter Vater für seine Kinder hat, untereinander sehr unterschiedlich; aber sie sind gleichwohl insofern ähnlich, als sie an der Liebe teilhaben. Aber die Liebe der ersten vier geht nur auf den Besitz des Objekts, auf das sich ihre Passion bezieht, und überhaupt nicht auf die Objekte selbst, auf die sie nur das Verlangen gemischt mit anderen besonderen
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Passionen richten. Hingegen ist die Liebe eines guten Vaters zu seinen Kindern so rein, daß er nichts von ihnen zu erhalten verlangt und er sie nicht anders besitzen will, als er sie schon besitzt, und auch nicht mit ihnen noch enger verbunden sein will, als er es bereits ist; sondern er betrachtet sie als anderes Ich35 und ist auf ihr Wohl aus wie auf sein eigenes, oder sogar mit größerer Sorge: Denn da es sich ihm so darstellt, daß er und sie ein Ganzes sind, von dem er keineswegs der bessere Teil ist, bevorzugt er oft ihre Interessen vor den seinigen und fürchtet sich nicht davor, sich zu verlieren um sie zu retten. Die Zuneigung, die Leute von Ehre für ihre Freunde haben, ist von derselben Natur, auch wenn sie selten so vollkommen ist; und die Zuneigung, die sie für ihre Geliebte haben, hat großen teil daran, aber sie hat auch teil an der anderen. a r tikel 83 Über den Unterschied zwischen einfacher Zuneigung, Freundschaft und Ergebenheit Mir scheint, man kann Liebe mit mehr Grund anhand der Wertschätzung unterscheiden, die man dem, was man liebt, im Vergleich mit sich selbst entgegenbringt. Denn schätzt man das Objekt seiner Liebe als geringer ein als sich, hat man für es nur eine einfache Zuneigung; schätzt man es als gleich mit sich ein, nennt sich das Freundschaft; und schätzt man es höher ein, kann diese Passion Ergebenheit genannt werden. So kann man Zuneigung zu einer Blume, einem Vogel, einem Pferd haben; Freundschaft aber kann man nur für Menschen haben – ausgenommen man hat einen ziemlich gestörten Geist. Denn Objekt dieser Passion sind eigentlich nur Menschen, und deshalb gibt es überhaupt keinen so unvollkommenen Menschen, daß mit ihm nicht eine sehr vollkommene Freundschaft bestehen könnte, wenn man denkt, daß man von ihm geliebt wird, und man eine wirklich vornehme und edelmütige Seele hat, gemäß dem, was später in den Artikeln 154 und 156 erklärt werden wird. Was die Ergebenheit betrifft, so ist ihr Hauptobjekt zweifelsohne die höchste Gottheit, der man unausweichlich ergeben sein muß, wenn man sie erkennt, wie es
389,28
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
sich gehört. Aber man kann Ergebenheit auch für seinen Fürsten haben, für sein Land, für seine Stadt und sogar für einen besonderen Menschen, wenn man ihn sehr viel mehr wertschätzt als sich selbst. Nun tritt der Unterschied zwischen diesen drei Arten der Liebe vor allem an ihren Wirkungen hervor: denn da man sich bei allen als mit dem verbunden und vereint betrachtet, was man liebt, ist man immer bereit, auf den geringeren Teil des Ganzen, den man mit ihm bildet, zu verzichten, um den anderen zu bewahren. Das führt dazu, daß man bei der einfachen Zuneigung immer sich gegenüber dem bevorzugt, was man liebt, und man umgekehrt bei der Ergebenheit das, was man liebt, gegenüber sich selbst solcherart bevorzugt, daß man sich nicht fürchtet, zu sterben, um es zu bewahren. Davon hat man oft Beispiele bei jenen gesehen, die sich für die Verteidigung ihres Fürsten oder ihrer Stadt, oder manchmal sogar für besondere Personen, denen sie ergeben waren, einem gewissen Tod ausgeliefert haben. ar t ikel 84 Es gibt nicht ebenso viele Arten von Haß wie von Liebe 391,7
Obwohl sich der Haß direkt gegen die Liebe stellt, unterscheidet man ihn gleichwohl nicht in ebenso viele Arten, weil man den Unterschied zwischen den Übeln, von denen man willentlich getrennt ist, nicht ebensosehr bemerkt, wie man es bei den Gütern tut, mit denen man verbunden ist. ar t ikel 85 Über Gefallen und Schrecken
391,15
Ich finde hier nur eine einzige bachtenswerte Unterscheidung, die bei beiden gleich ist. Sie besteht darin, daß sowohl die Objekte der Liebe wie die des Hasses der Seele entweder durch die äußeren oder durch die inneren Sinne oder auch durch die eigene Vernunft dargestellt werden können. Denn wir nennen gemeinhin das gut oder schlecht, was unsere inneren Sinne oder unsere
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Vernunft uns als zuträglich oder als unserer Natur entgegengesetzt beurteilen lassen; aber was uns durch unsere äußeren Sinne so dargestellt wird – vor allem durch den des Sehvermögens, der allein als höher betrachtet wird als alle anderen – nennen wir schön oder häßlich. Daraus entspringen zwei Arten der Liebe, nämlich die, die man für gute Dinge, und die, die man für schöne hat. Letzterer kann man den Namen Gefallen geben, um sie weder mit der anderen, noch mit dem Verlangen zu verwechseln, dem man oftmals den Namen Liebe zuschreibt. Daraus entspringen in derselben Weise auch zwei Arten von Haß, von denen die eine sich auf schlechte und die andere auf häßliche Dinge bezieht. Um die letztere zu unterscheiden, kann sie Schrecken oder Abneigung genannt werden. Noch bemerkenswerter ist hier aber, daß diese Passionen des Gefallens und des Schreckens gewöhnlich heftiger sind als die anderen Arten der Liebe oder des Hasses, weil das, was durch die Sinne in die Seele kommt, sie stärker berührt als das, was ihr durch die Vernunft dargestellt wird. Gleichwohl weisen sie gewöhnlich weniger Wahrheit auf, so daß von allen Passionen diese beiden am meisten täuschen, weshalb man sich vor ihnen am sorgfältigsten hüten muß. a r tikel 86 Die Definition des Verlangens Die Passion des Verlangens ist eine durch die Spiritus verursachte Erregung der Seele, die sie dazu verleitet, für die Zukunft die Dinge zu wollen, die sie sich als zuträglich darstellt. So verlangt man nicht nur die Anwesenheit eines abwesenden Guts, sondern auch die Erhaltung eines gegenwärtigen, und außerdem die Abwesenheit sowohl eines Übels, das man bereits hat, als auch eines, von dem man glaubt, es könne einem in der Zukunft widerfahren.
392,22
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ar t ikel 87 Verlangen ist eine Passion ohne irgendein Gegenteil 393,3
Ich weiß sehr wohl, daß man auf der Universität die Passion, die die Suche nach einem Gut anstrebt und die allein man Verlangen nennt, gemeinhin derjenigen gegenüberstellt, die die Flucht vor dem Übel anstrebt und die man Abneigung nennt.36 Da es aber keinerlei Gut gibt, dessen Privation kein Übel wäre, noch irgendein Übel – betrachtet als etwas Positives –, dessen Privation kein Gut wäre, und weil man, wenn man zum Beispiel auf Reichtümer aus ist, notwendig vor der Armut flieht, oder man auf Gesundheit aus ist, wenn man vor Krankheiten flieht, und ebenso bei den anderen: scheint mir, daß es stets dieselbe Bewegung ist, die einen zur Suche nach einem Gut bringt und damit einhergehend zur Flucht vor dem ihm entgegengesetzten Übel. Ich bemerke hier nur den Unterschied, daß, wenn man ein Gut anstrebt, das damit verbundene Verlangen von Liebe begleitet wird und in der Folge von Hoffnung und Freude; strebt man hingegen an, sich von dem diesem Gut entgegengesetzten Übel zu entfernen, ist dasselbe Verlangen von Haß, Furcht und Traurigkeit begleitet. Das ist die Ursache, weshalb man dieses Verlangen als sich selbst entgegengesetzt beurteilt. Will man das Verlangen aber betrachten, wenn es sich gleichzeitig auf irgendein Gut bezieht, um auf es aus zu sein, und gleichermaßen auf das entgegengesetzte Übel, um es zu vermeiden, kann man ganz evident sehen, daß eine einzige Passion beides vollbringt. ar t ikel 88 Welches die verschiedenen Arten des Verlangens sind
394,3
Man hätte mehr Grund, das Verlangen in ebenso viele verschiedene Arten zu unterscheiden, wie es Objekte gibt, auf die man aus ist. Denn zum Beispiel unterscheidet sich die Neugierde, die nichts anderes ist als das Verlangen, zu erkennen, sehr vom Verlangen nach Ruhm, und letztere vom Verlangen nach Rache, und ebenso bei den anderen. Aber es reicht hier, zu wissen, daß es
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ebenso viele Arten des Verlangens gibt wie Arten der Liebe oder des Hasses, und daß die beachtenswertesten und stärksten diejenigen sind, die aus dem Gefallen und dem Schrecken entspringen. a r tikel 89 Was das Verlangen ist, das aus dem Schrecken entspringt Nun, auch wenn es dasselbe Verlangen ist, das die Suche nach einem Gut und die Flucht vor dem ihm entgegengesetzten Übel anstrebt, wie gesagt wurde, so ist das aus einem Gefallen entspringende Verlangen dennoch sehr unterschiedlich zu dem, das aus dem Schrecken entspringt. Denn dieses Gefallen und dieser Schrecken – die einander wirklich entgegengesetzt sind –, sind nicht das diesen Akten des Verlangens als Objekte dienende Gut und Übel, sondern lediglich zwei Regungen der Seele, die sie dazu verleiten, auf zwei sehr unterschiedliche Dinge aus zu sein. Der Schrecken nämlich ist von der Natur dazu eingerichtet, der Seele einen plötzlichen und unerwarteten Tod darzustellen, so daß man auch dann, wenn es nur die Berührung durch einen kleinen Wurm oder das Geräusch eines zitternden Blattes oder sein Schatten ist, was in uns Schrecken veranlaßt, zunächst einmal eine ebenso große Regung empfindet, als wenn sich unseren Sinnen eine ganz evidente Todesgefahr böte. Das läßt plötzlich eine Erregung entspringen, die die Seele dazu bringt, alle ihre Kräfte aufzubieten, um ein so gegenwärtiges Übel zu vermeiden. Diese Art des Verlangens nennt man gemeinhin Flucht oder Abneigung. a r tikel 90
394,14
Was das Verlangen ist, das aus dem Gefallen entspringt Umgekehrt ist das Gefallen von der Natur insbesondere dazu eingerichtet, den Genuß dessen, was gefällt, als das größte aller Güter darzustellen, die dem Menschen zukommen, was dazu führt, daß man diesen Genuß sehr sehnlich verlangt. Freilich gibt es verschiedene Arten des Gefallens, und die aus ihnen ent-
395,10
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
springenden Akte des Verlangens sind nicht alle gleichermaßen mächtig. Denn zum Beispiel reizt uns die Schönheit der Blumen nur dazu an, sie in den Blick zu nehmen, und die der Früchte, sie zu essen. Das drängendste Verlangen ist aber dasjenige, das von den Vollkommenheiten kommt, die man sich an einer Person vorstellt, von der man denkt, sie könne ein anderes Ich werden. Denn mit dem Unterschied des Geschlechts, den die Natur in die Menschen genauso wie in die Tiere ohne Vernunft gelegt hat, hat sie auch gewisse Eindrücke in das Gehirn gelegt, die dazu führen, daß man sich in einem gewissen Alter und zu einer gewissen Zeit als mangelhaft betrachtet, so als sei man nur die Hälfte eines Ganzen, von dem eine Person des anderen Geschlechts die andere Hälfte sein müsse, so daß der Erwerb dieser Hälfte durch die Natur wirr als das größte aller vorstellbaren Güter dargestellt wird.37 Und obwohl man mehrere Personen dieses anderen Geschlechts sieht, wünscht man sich deswegen nicht mehrere gleichzeitig, da die Natur keineswegs veranlaßt, sich vorzustellen, man habe mehr als eine Hälfte nötig. Wenn man aber etwas an einer bemerkt, das mehr gefällt als das, was man gleichzeitig an anderen bemerkt, bestimmt dies die Seele, für diese eine allein alle Neigung zu empfinden, die die Natur der Seele gibt, um auf das Gut auszusein, das sie ihr als das größte darstellt, das man besitzen kann. Diese so aus dem Gefallen entspringende Neigung oder dieses Verlangen wird viel gewöhnlicher mit dem Namen Liebe genannt als die weiter oben beschriebene Passion der Liebe. Auch hat sie viel seltsamere Wirkungen, und es ist sie, die Machern von Romanen und Dichtern als Hauptmaterie dient.38 ar t ikel 91 Die Definition der Freude 396,21
Freude ist eine angenehme Regung der Seele, die in dem Genuß besteht, den ihr das Gut erbringt, das die Eindrücke im Gehirn der Seele als ihr zugehörig darstellen. Ich sage, daß der Genuß des Guts in dieser Regung besteht, weil die Seele in der Tat von keinem der Güter, die sie besitzt, irgendeinen anderen Gewinn
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erhält. Man kann sagen, daß, solange die Seele an ihnen keinerlei Freude hat, sie sie genausowenig genießt als wenn sie sie überhaupt nicht besäße. Ich füge auch hinzu, daß die Freude von dem Gut kommt, das die Eindrücke des Gehirns der Seele als die ihrigen darstellen, um diese Freude als Passion nicht mit der rein intellektuellen Freude zu verwechseln, die in die Seele allein durch die Aktion der Seele kommt. Von letzterer kann man sagen, sie sei eine angenehme Regung der Seele, die in ihr durch sie selbst hervorgerufen wird und in dem Genuß besteht, die die Seele durch das Gut hat, das ihr Verstand ihr als das ihrige darstellt. Freilich wird, solange die Seele mit dem Körper verbunden ist, die intellektuelle Freude unausweichlich von der Passion der Freude begleitet. Denn sobald unser Verstand wahrnimmt, daß wir ein Gut besitzen, macht die Anschauung unausweichlich sogleich im Gehirn einen Eindruck, auf den eine die Passion der Freude hervorrufende Bewegung der Spiritus folgt, und zwar auch dann, wenn dieses Gut so unterschiedlich zu allem sein mag, was dem Körper zukommt, daß es überhaupt nicht vorstellbar ist. a r tikel 92 Die Definition der Traurigkeit Traurigkeit ist eine unangenehme Trägheit, in der das Unbehagen besteht, das der Seele vom Übel oder vom Mangel widerfährt, das die Eindrücke im Gehirn ihr als ihr zukommend darstellen. Es gibt auch eine intellektuelle Traurigkeit, die keine Passion ist, aber unausweichlich von einer begleitet wird.
397,21
a r tikel 93 Was die Ursachen dieser beiden Passionen sind Wenn nun intellektuelle Freude oder Traurigkeit so ihre entsprechenden Passionen hervorrufen, ist deren Ursache ganz evident; und man sieht an ihren Definitionen, daß Freude von der Meinung kommt, irgendein Gut zu besitzen, und Traurigkeit von der Meinung, irgendein Übel oder einen Mangel zu haben. Aber
398,3
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
es geschieht oft, daß man sich traurig oder fröhlich fühlt, ohne daß man das Gut oder das Übel, die ihre Ursachen sind, so deutlich bemerken kann: nämlich wenn dieses Gut oder Übel ihre Eindrücke im Gehirn ohne Vermittlung der Seele hinterlassen, weil sie entweder nur dem Körper zukommen, oder auch weil sie zwar der Seele zukommen, sie sie aber nicht als Gut oder Übel betrachtet, sondern unter irgendeiner anderen Form, deren Eindruck im Gehirn mit der eines Guts und eines Übels verbunden ist. ar t ikel 94 Wie diese Passionen durch die Güter und die Übel hervorgerufen werden, die nur den Körper betreffen; und worin Kitzel und Schmerz bestehen 398,23
Ist man etwa bei voller Gesundheit und ist das Wetter heiterer als gewöhnlich, fühlt man in sich eine Heiterkeit, die von keinerlei Funktion des Verstandes kommt, sondern allein von den Eindrücken, die die Bewegung der Spiritus im Gehirn hinterlassen. Wenn der Körper unpäßlich ist, fühlt man sich in derselben Weise traurig, obwohl man überhaupt nicht weiß, daß der Körper unpäßlich ist. Auf einen Kitzel der Sinne folgt so prompt Freude, und auf Schmerz Traurigkeit, daß der größte Teil der Menschen sie überhaupt nicht unterscheiden. Dennoch unterscheiden sie sich so sehr, daß wir manchmal Schmerzen mit Freude erleiden und uns Kitzel widerfahren können, die mißfallen. Aber daß auf den Kitzel gewöhnlich Freude folgt, hat seine Ursache darin, daß alles, was man Kitzel oder angenehme Empfindung nennt, darin besteht, daß die Objekte der Sinne eine Bewegung in den Nerven hervorrufen, die imstande wäre, ihnen zu schaden, wenn sie nicht genügend Kraft hätten, ihr Widerstand zu leisten oder der Körper nicht in guter Verfassung wäre. Dies ergibt einen Eindruck im Gehirn, der von der Natur dazu eingerichtet ist, diese gute Verfassung und Kraft zu bezeugen, und deshalb der Seele diesen Eindruck als ein Gut darstellt, das ihr zukommt, insofern sie mit dem Körper vereint ist, und so in ihr Freude hervorruft. Das ist fast derselbe Grund, der uns von Natur aus Vergnügen daran ha-
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ben läßt, uns von allen Arten von Passionen angeregt zu fühlen, sogar von Traurigkeit und Haß, wenn sie nur durch die seltsamen Abenteuer verursacht sind, die man auf einem Theater39 dargestellt sieht, oder durch andere entsprechende Gegenstände, die uns in keiner Weise schaden können und deshalb unsere Seele nur zu kitzeln scheinen, indem sie sie berühren. Und die Ursache, die veranlaßt, daß Schmerz gewöhnlich Traurigkeit produziert, ist, daß die Schmerz genannte Empfindung immer von irgendeiner Aktion kommt, die so heftig ist, daß sie die Nerven verletzt. Da diese Empfindung von der Natur dazu eingerichtet ist, um der Seele den Schaden, der dem Körper durch diese Aktion widerfährt, und seine Schwäche, ihm keinen Widerstand leisten zu können, anzuzeigen, stellt sie der Seele beide als Übel dar, die ihr immer unangenehm sind, ausgenommen wenn sie irgendwelche Güter verursachen, die die Seele als höher einschätzt als sie. a r tikel 95 Wie sie auch durch Güter und Übel hervorgerufen werden können, die die Seele überhaupt nicht bemerkt, obwohl sie ihr zukommen; wie etwa das Vergnügen daran, etwas zu riskieren, oder sich an ein vergangenes Übel zu erinnern Ebenso kommt das Vergnügen, das junge Leute oft daran haben, schwierige Dinge zu unternehmen und sich großen Gefahren auszusetzen, obwohl sie sich davon weder irgendeinen Profit noch irgendwelchen Ruhm erhoffen, ihnen von dem Eindruck, den der Gedanke in ihrem Gehirn macht, daß das, was sie unternehmen, schwierig ist. Dieser Eindruck verbunden mit dem, den sie ausbilden könnten, wenn sie dächten, es sei ein Gut, sich ausreichend mutig, glücklich, geschickt oder stark zu fühlen, um es zu wagen, etwas an diesem Punkt zu riskieren, ist die Ursache, daß sie daran Vergnügen finden. Und die Zufriedenheit alter Leute, wenn sie sich an erlittene Übel erinnern, kommt davon, daß sie es sich als ein Gut darstellen, ungeachtet dessen weiterbestanden haben zu können.
400,12
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ar t ikel 96 Welche Bewegungen des Bluts und der Spiritus die fünf vorangegangenen Passionen verursachen40 401,4
Die fünf Passionen, die ich zu erklären begonnen habe, sind solcherart miteinander verbunden oder einander so entgegengesetzt, daß es leichter ist, sie alle gemeinsam zu betrachten als sie – wie die Verwunderung – getrennt voneinander abzuhandeln. Anders als die der Verwunderung liegt ihre Ursache nicht im Gehirn allein, sondern auch im Herzen, in der Milz, in der Leber und in den anderen Körperteilen, insofern sie der Produktion des Bluts dienen und in der Folge der der Spiritus. Denn obwohl alle Venen das in ihnen enthaltene Blut zum Herzen leiten, geschieht es gleichwohl manchmal, das das Blut einiger von ihnen mit größerer Kraft dorthin gedrückt wird als das der anderen; und es geschieht manchmal auch, daß die Öffnungen, durch die es in das Herz eintritt, oder auch die, durch die es dort austritt, geweiteter oder zusammengezogener sind als sonst. ar t ikel 97 Die Haupterfahrungen, die dazu dienen, diese Bewegungen bei der Liebe zu erkennen
401,23
Betrachtet man nun die verschiedenen Alterationen, die die Erfahrung in unserem Körper zeigt, während unsere Seele von verschiedenen Passionen erregt ist, bemerke ich bei der Liebe, daß der Pulsschlag gleichmäßig und sehr viel größer und stärker ist als gewöhnlich, wenn sie allein auftritt, d. h. wenn sie nicht von irgendeiner starken Freude, Traurigkeit oder irgendeinem starken Verlangen begleitet wird. Außerdem empfindet man eine milde Wärme in der Brust, und die Verdauung der Nahrungsmittel vollzieht sich im Magen sehr viel rascher. Deshalb ist diese Passion für die Gesundheit nützlich.
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a r tikel 98 Beim Haß Umgekehrt bemerke ich beim Haß, daß der Puls ungleichmäßig, geringer und oftmals schneller ist. Außerdem empfindet man in der Brust Kälteschauer vermischt mit ich weiß nicht was für einer rauhen und stechenden Wärme. Außerdem hört der Magen auf, seine Aufgabe zu versehen, und neigt dazu, die gegessenen Nahrungsmittel zu erbrechen und loszuwerden, oder zumindest, sie zu zersetzen und in schlechte Körpersäfte zu verwandeln.
402,12
a r tikel 99 Bei der Freude Bei der Freude ist der Puls gleichmäßig und schneller als gewöhnlich, aber nicht so stark oder so groß wie bei der Liebe. Außerdem empfindet man eine angenehme Wärme, die nicht nur in der Brust ist, sondern sich zusammen mit dem Blut, das man dort in Fülle kommen sieht, auch in die äußeren Teile des Körpers ausbreitet. Währenddessen verliert man manchmal den Appetit, weil die Verdauung weniger gut funktioniert als gewöhnlich.
402,22
ar tikel 10 0 Bei der Traurigkeit Bei der Traurigkeit ist der Puls schwach und langsam und man empfindet gleichsam Bande um das Herz herum, die es zusammenziehen, und Eisklumpen, die es gefrieren und ihre Kälte auf den Rest des Körpers übertragen. Währenddessen hat man dennoch manchmal guten Appetit und empfindet, daß der Magen es keineswegs versäumt, seine Pflicht zu versehen, sofern keinerlei Haß in die Traurigkeit gemischt ist.41
403,6
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ar tike l 10 1 Beim Verlangen 403,16
Schließlich bemerke ich beim Verlangen das Besondere, daß es das Herz heftiger erregt als irgendeine andere Passion und dem Gehirn mehr Spiritus geliefert werden, die von dort in die Muskeln übergehen und alle Sinne schärfer machen und alle Teile des Körpers beweglicher. ar tike l 10 2 Die Bewegung des Bluts und der Spiritus bei der Liebe
403,24
Diese Beobachtungen – und etliche andere, die zu lang wären, um sie aufzuschreiben – waren für mich der Anlaß, zu urteilen, daß der Eindruck, den ein Gedanke im Gehirn hinterläßt, wenn der Verstand sich irgendein Objekt der Liebe darstellt, die Lebensgeister durch die Nerven des sechsten Paares42 zu den sich um die Därme und den Magen herum befindenden Muskeln leitet; und zwar in der Weise, die erforderlich ist, um den sich in neues Blut verwandelnden Saft der Nahrungsmittel rasch zum Herzen übergehen zu lassen, ohne in der Leber anzuhalten. Da dieses Blut mit größerer Kraft gedrückt wird als das sich in den anderen Teilen des Körpers befindende, tritt es in größerer Fülle in das Herz ein und ruft in ihm eine stärkere Wärme hervor, weil es gröber ist als dasjenige, das schon mehrere Male durch das Herz hindurchging und zurückkehrte und dadurch bereits verdünnt wurde. Das führt dazu, daß es Spiritus zum Gehirn sendet, deren Teile auch dicker und erregter sind als gewöhnlich. Diese Spiritus verstärken den Eindruck, den der erste Gedanke an das liebenswerte Objekt dort hinterlassen hat, und nötigen so die Seele, diesen Gedanken festzuhalten. Dies ist es, worin die Passion der Liebe besteht.
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ar tikel 10 3 Beim Haß Umgekehrt leitet beim Haß der erste Gedanke an das Abneigung herbeiführende Objekt die Spiritus im Gehirn solcherart zu den Muskeln des Magens und der Därme, daß sie den Saft der Nahrungsmittel daran hindern, sich mit dem Blut zu mischen, indem er alle Öffnungen zusammenzieht, durch die es gewöhnlich strömt. Außerdem leitet er sie auch solcherart zu den kleinen Nerven der Milz und des unteren Teils der Leber, wo sich die Gallenblase befindet, daß die Teile des Bluts, die gewöhnlich zu diesen Stellen zurückgeworfen werden, dort austreten und zusammen mit dem sich in den Zweigen der Hohlvene befindenden Blut zum Herzen strömen. Dies verursacht große Ungleichheiten in seiner Wärme, da das von der Milz kommende Blut sich nur kaum erwärmt und verdünnt, und sich umgekehrt das vom unteren Teil der Leber kommende, wo sich immer Galle befindet, aufglüht und sehr rasch expandiert. In der Folge haben auch die zum Gehirn gehenden Spiritus sehr ungleiche Teile und sehr außergewöhnliche Bewegungen. Daher kommt es, daß sie die dort bereits eingeprägten Ideen des Hasses verstärken und die Seele zu Gedanken voller Groll und Bitterkeit verleiten.43
404,22
a r ti ke l 10 4 Bei der Freude Bei der Freude sind es weniger die Nerven der Milz, der Leber, des Magens oder der Därme, die wirken, als die sich im Rest des Körpers befindenden, und insbesondere die sich um die Mündungen des Herzens herum, die diese Mündungen öffnen und weiten und so das Blut, das die anderen Nerven von den Venen zum Herzen treiben, in die Lage versetzen, dort in größerer Menge als gewöhnlich ein- und auszutreten. Weil das dann in das Herz eintretende Blut bereits mehrere Male dort hindurchging und zurückkehrte, wenn es von den Arterien in die Venen kam, expandiert es sehr leicht und produziert Spiritus, deren Teile sehr
405,18
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
gleichmäßig und fein und geeignet sind, die Eindrücke im Gehirn auszubilden und zu verstärken, die der Seele heitere und unbesorgte Gedanken geben. ar tike l 10 5 Bei der Traurigkeit 406,6
Umgekehrt sind bei der Traurigkeit die Öffnungen des Herzens durch den sie umgebenden kleinen Nerv wieder sehr verengt, und das Blut der Venen ist überhaupt nicht erregt, was dazu führt, daß nur sehr wenig davon zum Herzen geht. Währenddessen bleiben die Durchgänge geöffnet, durch die der Saft der Nahrungsmittel vom Magen und den Därmen zur Leber strömt, was dazu führt, daß der Appetit sich überhaupt nicht verringert, ausgenommen wenn der häufig mit der Traurigkeit verbundene Haß sie schließt. ar tike l 10 6 Beim Verlangen
406,17
Schließlich hat die Passion des Verlangens das Eigentümliche an sich, daß unser Wille, ein Gut zu erhalten oder vor einem Übel zu flüchten, die Spiritus des Gehirns rasch zu allen Teilen des Körpers sendet, die den zu diesem Zweck erforderlichen Aktionen dienen können; insbesondere aber zum Herzen und den Teilen, die ihm das meiste Blut liefern, damit das Herz in größerer Fülle als gewöhnlich Blut aufnimmt und eine größere Menge Spiritus zum Gehirn sendet, sowohl um dort die Idee dieses Willens aufrechtzuerhalten und zu verstärken, als auch, damit sie von dort in alle Sinnesorgane und alle Muskeln übergehen, die verwendet werden können, um zu erhalten, was man verlangt.
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ar tikel 10 7 Was die Ursache dieser Bewegungen bei der Liebe ist Die Gründe für all dies deduziere ich aus dem, was weiter oben gesagt wurde, nämlich daß es zwischen unserer Seele und unserem Körper eine solche Verbundenheit gibt, daß, wenn wir einmal eine körperliche Aktion mit einem Gedanken verbunden haben, sich uns später das eine von diesen beiden überhaupt nicht bietet, ohne daß sich auch das andere bietet. So sieht man, daß Leute, die mit großer Abneigung ein Getränk zu sich genommen haben, als sie krank waren, später nichts trinken oder essen können, das diesem Trank vom Geschmack her nahekommt, ohne erneut dieselbe Abneigung zu haben. Ebenso können sie nicht an die Abneigung denken, die man gegen Medizin hat, ohne daß ihnen dieser Geschmack in Gedanken zurückkommt. Denn es scheint mir, daß die ersten Passionen, die unsere Seele hatte, als sie mit unserem Körper verbunden zu sein begann, darin bestanden haben mußten, daß das Blut oder ein anderer in das Herz eintretender Saft mitunter ein zuträglicheres Lebensmittel war als gewöhnlich, um dort die Wärme aufrechtzuerhalten, die das Prinzip des Lebens ist. Das war die Ursache, weshalb die Seele dieses Lebensmittel willentlich mit sich verband, das heißt: es liebte. Gleichzeitig strömten die Spiritus vom Gehirn zu den Muskeln, die Druck auf die Teile ausüben oder sie erregen konnten, von denen dieser Saft zum Herzen gekommen war, um zu veranlassen, daß sie weitere zu ihm senden würden. Diese Teile waren der Magen und die Därme, deren Erregung den Appetit verstärkt, oder auch die Leber und die Lunge, die Druck auf die Muskeln des Zwerchfells ausüben können. Deswegen wird diese Bewegung der Spiritus seitdem immer von der Passion der Liebe begleitet.44
407,8
66
Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ar tike l 10 8 Beim Haß 408,12
Umgekehrt kam manchmal ein fremder Saft zum Herzen, der nicht geeignet war, die Wärme aufrechtzuerhalten oder sie sogar löschen konnte. Dies war die Ursache, weshalb die vom Herzen zum Gehirn steigenden Spiritus in der Seele die Passion des Hasses hervorriefen. Gleichzeitig gingen diese Spiritus auch vom Gehirn zu den Nerven, die Blut von der Milz und den kleinen Venen der Leber zum Herzen drücken konnten, um diesen schädlichen Saft daran zu hindern, dort einzutreten; und außerdem gingen diese Spiritus auch zu jenen Nerven, die diesen Saft zu den Därmen und dem Magen zurückdrücken oder manchmal auch den Magen nötigen konnten, sie zu erbrechen. Daher kommt es, daß diese Bewegungen gewöhnlich von der Passion des Hasses begleitet werden. Man kann mit dem Auge sehen, daß es in der Leber eine Menge von ausreichend breiten Venen oder Leitungen gibt, durch die der Saft der Nahrungsmittel von der Pfortader in die Hohlvene und von dort in das Herz übergehen kann, ohne irgendwie in der Leber anzuhalten, aber daß es dort auch eine Unzahl kleinerer anderer gibt, in denen es sich aufhalten kann, und die immer Blut in Reserve enthalten, genauso wie die Milz. Da dieses Blut gröber ist als das in den anderen Körperteilen, kann es dem Feuer im Herzen besser als Lebensmittel dienen, selbst wenn der Magen und die Därme versäumen, es damit zu beliefern. ar tike l 10 9 Bei der Freude
409,10
Zu Beginn unseres Lebens geschah es manchmal auch, daß das in den Venen enthaltene Blut ein ausreichend zuträgliches Lebensmittel war, um die Wärme im Herzen aufrechtzuerhalten, und daß die Venen Blut in einer solchen Menge enthielten, daß das Herz keinerlei Nahrung aus etwas anderem herausziehen mußte. Das rief in der Seele die Passion der Freude45 hervor und ließ gleichzeitig die Mündungen des Herzens sich weiter als gewöhn-
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lich öffnen. Außerdem strömten die Spiritus vom Herzen nicht nur reichhaltig in die Nerven, die dazu dienen, diese Mündungen zu öffnen, sondern allgemein auch in alle anderen, die das Blut der Venen zum Herzen drücken und so verhindern, daß dorthin neues aus der Leber, der Milz, den Därmen und dem Magen kommt. Deswegen begleiten diese Bewegungen die Freude. ar tikel 11 0 Bei der Traurigkeit Umgekehrt geschah es manchmal, daß der Körper Mangel an Nahrung hatte. Dies ließ die Seele ihre erste Traurigkeit empfinden, zumindest eine solche, die überhaupt nicht mit Haß verbunden war.46 Eben dies ließ auch die Mündungen des Herzens sich verengen, weil sie nur wenig Blut erhielten; außerdem kam ein ziemlich beträchtlicher Teil dieses Blutes aus der Milz, weil sie gewissermaßen das letzte Reservoir ist, das dazu dient, das Herz damit zu beliefern, wenn nicht genügend von woandersher zu ihm kommt. Deswegen wird Traurigkeit immer von den Bewegungen der Spiritus und der Nerven begleitet, die dazu dienen, die Mündungen des Herzens so zu verengen und Blut aus der Milz zu ihm zu leiten. ar tikel 11 1
410,3
Beim Verlangen Schließlich bestanden die allerersten Akte des Verlangens der Seele, als sie neu mit dem Körper verbunden wurde, darin, die ihr zuträglichen Dinge zu erhalten und alle schädlichen zurückzuweisen. Es geschah umwillen eben dieser Wirkungen, daß die Spiritus daraufhin alle Muskeln und Sinnesorgane auf alle Weisen zu bewegen begannen, auf die sie sie bewegen konnten. Dies ist die Ursache, weshalb jetzt, wenn die Seele etwas verlangt, der gesamte Körper gewandter und eher in der Verfassung ist, sich zu bewegen, als gewöhnlich. Geschieht es, daß der Körper ohnehin schon in einer solchen Verfassung ist, macht dies die Akte des Verlangens der Seele stärker und sehnlicher.
410,18
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ar tike l 11 2 Was die äußeren Zeichen dieser Passionen sind 411,10
Was ich hier angeführt habe, macht die Ursache der Verschiedenheiten des Pulses und aller anderen Eigenschaften hinreichend verständlich, die ich diesen Passionen weiter oben zugeschrieben habe. Ich muß mich deshalb nicht damit aufhalten, sie eingehender zu erklären. Aber ich habe bei einer jeweiligen Passion nur das beachtet, was an ihr beobachtet werden kann, wenn sie alleine auftritt, und was dazu dient, die Bewegungen des Blutes und der Spiritus zu erkennen, die sie produzieren. Es bleibt mir deshalb noch, die etlichen äußeren Zeichen abzuhandeln, die die Passionen gewöhnlich begleiten und sich viel besser bemerken lassen, wenn mehrere von ihnen miteinander gemischt auftreten – wie sie es gewöhnlich tun –, als wenn sie voneinander getrennt vorkommen. Die Hauptzeichen davon sind die Aktionen an den Augen und im Gesicht, Veränderungen der Farbe, Zittern, Trägheit, Ohnmacht, Lachen, Tränen, Stöhnen und Seufzer. ar tike l 11 3 Über die Aktionen an den Augen und im Gesicht
412,3
Es gibt keine Passion, die nicht durch eine besondere Aktion an den Augen zum Vorschein gebracht wird, und zwar bei einigen so offenkundig, daß selbst die blödesten Diener am Auge ihres Herrn bemerken können, ob er sich über sie ärgert oder nicht. Aber obwohl man diese Aktionen an den Augen leicht wahrnimmt und weiß, was sie bedeuten, ist es deswegen noch nicht leicht, sie zu beschreiben, weil jede einzelne aus mehreren Veränderungen zusammengesetzt ist, die mit der Bewegung und der Gestalt des Auges geschehen, und die so besonders und so gering sind, daß eine einzelne von ihnen nicht getrennt wahrgenommen werden kann, auch wenn das, was aus ihrer Verbindung resultiert, sehr leicht zu bemerken ist. Man kann gewissermaßen dasselbe über die Aktionen im Gesicht sagen, die auch die Passionen begleiten: denn auch wenn sie größer sind als die an den Augen, ist
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es gleichwohl schwierig, sie zu unterscheiden. Außerdem sind sie so wenig unterschiedlich, daß manche Menschen fast genau dieselbe Mine ziehen, wenn sie weinen, als andere, wenn sie lachen. Freilich gibt es einige, die ausreichend bemerkbar sind, wie Stirnrunzeln beim Zorn und gewisse Bewegungen der Nase und der Lippen bei der Empörung und beim Spott; aber diese scheinen weniger natürlich als willentlich zu sein. Allgemein kann die Seele alle Aktionen sowohl im Gesicht wie an den Augen verändern, wenn sie seine Passion verbergen will, indem sie sich stark eine entgegengesetzte vorstellt. Deshalb kann man sich dieser Aktionen genausogut auch bedienen, um seine Passionen zu verbergen, wie sie zum Vorschein zu bringen. ar tikel 11 4 Über die Veränderungen der Farbe Man kann sich nicht so leicht daran hindern, zu erröten oder zu erbleichen, wenn irgendeine Passion dazu verleitet, weil diese Veränderungen nicht wie die vorangegangenen von den Nerven und Muskeln abhängen, und sie unmittelbarer vom Herzen kommen, das man insofern die Quelle der Passionen nennen kann, als es das Blut und die Spiritus darauf vorbereitet, sie zu produzieren. Nun ist es gewiß, daß die Farbe des Gesichts nur durch das Blut kommt, das unablässig vom Herzen durch die Arterien in alle Venen und von allen Venen in das Herz strömt und dabei das Gesicht demgemäß mehr oder weniger färbt, ob es die kleinen, sich an seiner Oberfläche befindenden Venen mehr oder weniger füllt. ar tikel 11 5
413,6
Wie die Freude erröten macht So läßt Freude die Farbe lebhafter und hochroter werden, weil sie die Schleusen des Herzens öffnet und das Blut schneller in alle Venen strömen läßt. Deshalb wird das Blut wärmer und feiner und läßt alle Teile des Gesichts mäßig anschwellen, was ihm ein lächelnderes und heitereres Aussehen verleiht.
413,20
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ar tike l 11 6 Wie die Traurigkeit erbleichen läßt 414,3
Umgekehrt verengt Traurigkeit die Mündungen des Herzens und läßt so das Blut langsamer in die Venen strömen. Dadurch wird es kälter und dicker und muß in ihnen weniger Platz einnehmen, so daß es sich in die breiteren Venen zurückzieht, die dem Herzen am nächsten sind, und die weiter entfernten verläßt, von denen die augenfälligsten die des Gesichts sind. Das läßt das Gesicht bleich und abgemagert erscheinen, vor allem wenn die Traurigkeit groß ist oder rasch einsetzt, wie man es beim Schrecken sieht, dessen Überraschung die Aktion verstärkt, die das Herz zusammenzieht. ar tike l 11 7 Wie man oft errötet, wenn man traurig ist
414,16
Oft aber geschieht es, daß man überhaupt nicht erbleicht, wenn man traurig ist, sondern im Gegenteil rot wird. Das ist anderen Passionen zuzuschreiben, die sich mit der Traurigkeit verbinden, nämlich der Liebe oder dem Verlangen und manchmal auch dem Haß. Denn diese Passionen erwärmen oder erregen das Blut, das aus der Leber, den Därmen und den anderen inneren Teilen kommt, und drücken es zum Herzen und von dort durch die große Arterie zu den Venen des Gesichts, ohne daß die Traurigkeit, die die Mündungen des Herzens beiderseits zusammenzieht, das verhindern könnte, außer wenn sie sehr übermäßig ist. Aber auch wenn die Traurigkeit nur mäßig ist, hindert sie das so in die Venen des Gesichts gekommene Blut leicht daran, zum Herzen abzufließen, während Liebe, Verlangen oder Haß andere von den inneren Teilen dorthin drücken. Deswegen macht dieses beim Gesicht festgehaltene Blut es rot, und sogar röter als während der Freude, weil die Farbe des Blutes umso besser in Erscheinung tritt, je weniger schnell es strömt, und auch weil sich dann mehr davon in den Venen des Gesichts sammeln kann als wenn die Mündungen des Herzens weiter geöffnet sind. Dies tritt vor allem bei der Scham in Erscheinung, die aus der Selbstliebe und
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einem dringenden Verlangen zusammengesetzt ist, die gegenwärtige Ehrlosigkeit zu vermeiden – was das Blut von den inneren Teilen zum Herzen und von dort durch die Arterien zum Gesicht kommen läßt –, und damit einhergehend einer mäßigen Traurigkeit, die verhindert, daß das Blut zum Herzen zurückkehrt. Dasselbe tritt gewöhnlich auch in Erscheinung, wenn man weint: denn wie ich oben gesagt habe, verursacht Liebe verbunden mit Traurigkeit den größten Teil der Tränen. Dasselbe tritt beim Zorn in Erscheinung, wo oft ein rasches Verlangen nach Rache mit Liebe, Haß und Traurigkeit gemischt ist. ar tikel 11 8 Über das Zittern Zittern hat zwei verschiedene Ursachen. Die eine ist, daß manchmal zu wenige, und die andere, daß manchmal zu viele Spiritus vom Gehirn in die Nerven kommen, um die kleinen Durchgänge der Muskeln ganz genau schließen zu können, die, gemäß dem, was im Artikel 11 gesagt wurde, geschlossen werden müssen, um die Bewegungen der Körperglieder zu bestimmen. Die erste Ursache tritt bei Traurigkeit und Angst in Erscheinung, wie auch wenn man vor Kälte zittert; denn diese Passionen können genauso wie die Kälte der Luft das Blut solchermaßen verdicken, daß es nicht genügend Spiritus zum Gehirn liefert, um einige in die Nerven zu senden. Die andere Ursache tritt oft bei Leuten in Erscheinung, die etwas sehnlich verlangen, und bei Leuten, die sehr von Zorn angeregt sind, und ebenso auch bei betrunkenen. Denn diese beiden Passionen lassen genauso wie der Wein manchmal so viele Spiritus in das Gehirn gehen, daß sie nicht geregelt von dort in die Muskeln geleitet werden können.
415,25
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ar tike l 11 9 Über Trägheit 416,17
Trägheit ist eine Verfassung, abzuschlaffen und ohne Bewegung zu sein, die in allen Körpergliedern empfunden wird. Sie kommt wie das Zittern davon, daß nicht genügend Spiritus in die Nerven gehen, aber in einer davon unterschiedlichen Weise. Denn die Ursache des Zitterns ist, daß es nicht genügend Spiritus im Gehirn gibt, um den Bestimmungen der Drüse zu gehorchen, wenn sie sie zu irgendeinem Muskel drückt. Hingegen kommt Trägheit davon, daß die Drüse sie überhaupt nicht dazu bestimmt, eher zu irgendwelchen Muskeln zu gehen als zu irgendwelchen anderen. ar tike l 12 0 Wie sie durch Liebe und Verlangen verursacht wird
417,3
Die Passion, die am gewöhnlichsten diese Wirkung verursacht, ist Liebe verbunden mit dem Verlangen nach etwas, dessen Erwerb zur gegenwärtigen Zeit als nicht möglich vorgestellt wird. Denn Liebe beschäftigt die Seele solchermaßen, das geliebte Objekt zu betrachten, daß sie die sich im Gehirn befindenden Spiritus dafür verwendet, ihr sein Bild darzustellen, und hält alle Bewegungen der Drüse an, die nicht diesem Zweck dienen. Bezüglich des Verlangens ist zu beachten, daß die Eigenschaft, den Körper beweglicher zu machen, die ich ihm zugeschrieben habe, ihm nur zukommt, wenn man sich das verlangte Objekt so vorstellt, daß man aus dem Stande etwas tun kann, das dazu dient, es zu erwerben. Denn wenn man sich umgekehrt vorstellt, daß es in diesem Fall unmöglich ist, irgend etwas dazu nützliches zu tun, bleibt die gesamte Erregung des Verlangens im Gehirn, ohne irgendwie in die Nerven überzugehen; und weil sie vollständig dazu verwendet wird, die Idee des verlangten Objekts zu verstärken, läßt sie den Rest des Körpers ermatten.
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ar tikel 12 1 Sie kann auch durch andere Passionen verursacht werden Freilich können auch Haß, Traurigkeit und sogar Freude Trägheit verursachen, wenn sie sehr heftig sind, weil sie die Seele völlig damit beschäftigen, ihr Objekt zu betrachten, vor allem wenn mit dieser Passion das Verlangen nach etwas verbunden ist, zu dessen Erwerb man in der gegenwärtigen Zeit nichts beitragen kann. Weil man sich aber viel eher damit aufhält, Objekte zu betrachten, mit denen man sich willentlich verbindet, als mit solchen, von denen man sich trennt, oder mit irgendwelchen anderen; und weil Trägheit überhaupt nicht von einer Überraschung abhängt, sondern etwas Zeit benötigt, um ausgebildet zu werden, trifft man sie viel mehr bei der Liebe an als bei allen anderen Passionen.47 ar tikel 12 2
417,23
Über Ohnmacht Ohnmacht ist nicht sehr weit entfernt vom Tod. Denn man stirbt, wenn das Feuer im Herzen völlig erlöscht; und man fällt nur in Ohnmacht, wenn es so erstickt ist, daß noch einige Reste von Wärme verbleiben, die es später wieder entzünden können. Nun gibt es etliche Unpäßlichkeiten des Körpers, die dazu führen können, daß man so in Bewußtlosigkeit fällt, aber unter den Passionen gibt es nur äußerste Freude, bei der man eine solche Macht bemerkt. Ich glaube, daß sie diese Wirkung in der Weise verursacht, daß sie die Mündungen des Herzens außergewöhnlich weit öffnet, so daß das Blut der Venen so schlagartig und in so großer Menge dort eintritt, daß es durch die Wärme nicht so rasch verdünnt werden kann, um die kleinen Häute zu heben, die die Eingänge zu den Venen schließen. Dadurch erstickt es das Feuer, das es gewöhnlich aufrechterhält, wenn es in Maßen in das Herz eintritt.
418,12
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ar tike l 12 3 Weshalb man nicht aus Traurigkeit ohnmächtig wird 419,3
Eine unerwartet einsetzende große Traurigkeit scheint die Mündungen des Herzens so sehr zusammenziehen zu können, daß sie dadurch auch das Feuer löschen kann. Nichtsdestotrotz beobachtet man nicht, daß das geschieht, oder wenn es geschieht, dann nur sehr selten. Ich glaube, der Grund dafür ist, daß es im Herzen kaum so wenig Blut geben kann, daß es nicht ausreichen würde, um die Wärme aufrechtzuerhalten, wenn die Mündungen fast geschlossen sind. ar tike l 12 4 Über das Lachen
419,13
Lachen besteht darin, daß das von der rechten Herzkammer durch die arteriöse Vene kommende Blut plötzlich und in verschiedenen Wiederholungen die Lunge anschwellen läßt und die in ihr enthaltene Luft zwingt, mit Wucht durch die Kehle auszutreten, wo sie einen unartikulierten und knatternden Laut ausbildet. Außerdem drücken sowohl die anschwellende Lunge als auch die aus ihr austretende Luft alle Muskeln des Zwerchfells, der Brust und des Schlundes, wodurch sie die Muskeln des Gesichts sich bewegen lassen, die irgendeine Verknüpfung mit ihnen haben. Diese Aktion am Gesicht mitsamt dem unartikulierten und knatternden Laut nennt man Lachen. ar tike l 12 5 Weshalb es die größten Freuden nicht begleitet
420,3
Obwohl nun das Lachen eines der Hauptzeichen der Freude zu sein scheint, kann sie es gleichwohl nur verursachen, wenn sie nur mäßig und etwas Verwunderung oder etwas Haß in sie gemischt ist.48 Denn man findet durch Erfahrung, daß, wenn man außergewöhnlich fröhlich ist, der Gegenstand dieser Freude einen niemals in Lachen ausbrechen läßt und man niemals durch irgendeine andere Ursache so sehr dazu verleitet wird, wie wenn
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man traurig ist. Der Grund dafür ist, daß bei großen Freuden die Lunge immer so voller Blut ist, daß sie nicht in Wiederholungen noch weiter anschwellen kann. ar tikel 12 6 Welches die Hauptursachen des Lachens sind Ich kann nur zwei Ursachen bemerken, die die Lunge so plötzlich anschwellen lassen. Die erste ist die Überraschung der Verwunderung, die, wenn sie mit der Freude verbunden ist, die Mündungen des Herzens so rasch öffnen kann, daß Blut in großer Fülle schlagartig durch die Hohlvene in seine rechte Seite eintritt, sich dort verdünnt und durch die arteriöse Vene in die Lunge übergeht, die sie anschwellen läßt. Die andere ist die Mischung mit irgendeiner Flüssigkeit, die die Verdünnung des Blutes verstärkt. Dazu finde ich keine andere geeignet als den am besten strömenden, aus der Milz kommenden Teil; wenn dieser Teil des Blutes, unterstützt durch die Überraschung der Verwunderung, durch irgendeine leichte Regung des Hasses zum Herzen gedrückt wird und sich dort mit dem von den anderen Körperstellen kommenden Blut mischt, das die Freude dort in Fülle eintreten läßt, kann dieser Teil des Blutes veranlassen, daß das letztere Blut dort sehr viel mehr als gewöhnlich expandiert – in derselben Weise, wie man eine Menge anderer Flüssigkeiten schlagartig anschwellen sieht, wenn sie in einem Gefäß auf dem Feuer sind und man etwas Essig in es schüttet; denn der am besten strömende Teil des aus der Milz kommenden Blutes hat eine dem Essig ähnliche Natur. Die Erfahrung zeigt uns auch, daß es bei allen Begebenheiten, die dieses von der Lunge kommende schallende Lachen produzieren können, immer irgendeinen minderen Gegenstand des Hasses oder zumindest der Verwunderung gibt. Außerdem neigen Leute, deren Milz nicht ganz gesund ist, nicht nur dazu, trauriger, sondern auch mit Unterbrechungen heiterer und mehr in der Verfassung zum Lachen zu sein als andere, da die Milz zwei Arten von Blut zum Herzen sendet, eine sehr dicke und grobe, die die Traurigkeit verursacht, und eine andere sehr
420,17
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
flüssige und feine, die die Freude verursacht. Und oft fühlt man sich, nachdem man viel gelacht hat, von Natur aus zu Traurigkeit geneigt, weil der flüssigere Teil des Blutes der Milz erschöpft ist und der gröbere andere ihm zum Herzen folgt. ar tike l 12 7 Was die Ursache des Lachens bei der Empörung ist 421,28
Was das Lachen betrifft, das manchmal die Empörung begleitet, so ist es gewöhnlich künstlich und vorgetäuscht. Wenn es aber natürlich ist, scheint es von der Freude zu kommen, die man daraus erhält, daß man sieht, daß man durch das Übel nicht beleidigt werden kann, über das man empört ist, und man sich damit einhergehend von der Neuheit oder der unerwarteten Begegnung mit dem Übel überrascht findet: so daß Freude, Haß und Verwunderung dazu beitragen. Indessen will ich glauben, daß es ohne irgendeine Freude auch allein durch die Bewegung der Abneigung produziert werden kann, die Blut von der Milz zum Herzen sendet, wo es verdünnt und von dort in die Lunge gedrückt wird und sie leicht anschwellen läßt, wenn es sie fast leer antrifft. Allgemein verursacht alles, was die Lunge in dieser Weise plötzlich anschwellen lassen kann, die äußere Aktion des Lachens, ausgenommen wenn die Traurigkeit sie in die des Stöhnens und der Schreie verändert, die die Tränen begleiten. Diesbezüglich schreibt Vives über sich selbst, daß ihn, als er lange nichts gegessen hatte, die ersten Bissen, die er in den Mund nahm, zu lachen nötigten. Das konnte davon kommen, daß seine aus Mangel an Nahrung leere Lunge durch den ersten Saft rasch anschwoll, der von seinem Magen zum Herzen überging. Die bloße Vorstellung, zu essen, konnte diesen Saft in die Lunge leiten, noch bevor der Saft der Nahrungsmittel, die er aß, sie erreicht hatte.49
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ar tikel 12 8 Über den Ursprung der Tränen Wie das Lachen niemals durch die größten Freuden verursacht wird, genauso kommen die Tränen gar nicht von äußerster Traurigkeit, sondern nur von einer mäßigen, die von einer Empfindung der Liebe oder auch der Freude begleitet oder gefolgt wird. Um ihren Ursprung richtig einzusehen, ist zu beachten, daß zwar unablässig in großer Menge Dämpfe aus allen Teilen unseres Körpers austreten, aber es gleichwohl keinen Teil gibt, aus dem so viele austreten wie die Augen, aufgrund der Größe der optischen Nerven und der Vielzahl der kleinen Arterien, durch die sie dorthin kommen. Genauso, wie Schweiß nur aus Dämpfen zusammengesetzt ist, die sich auf der Oberfläche anderer Teile in Wasser verwandeln, nachdem sie aus ihnen ausgetreten sind, entwickeln sich die Tränen aus Dämpfen, die aus den Augen austreten. ar tikel 12 9
422,27
Über die Weise, wie Dämpfe sich in Wasser verändern Nun habe ich in den Meteoren erklärt, in welcher Weise sich Dämpfe in der Luft in Regen verwandeln. Ich schrieb, daß dies daher kommt, daß sie weniger erregt oder ausgiebiger vorhanden sind als gewöhnlich.50 Ich glaube, daß, wenn die aus Körpern austretenden Dämpfe sehr viel weniger erregt sind als gewöhnlich oder auch wenn sie nicht so ausgiebig vorhanden sind, sie sich genauso dennoch in Wasser verwandeln – was den kalten Schweiß verursacht, der manchmal von der Schwäche kommt, wenn man krank ist. Außerdem glaube ich, daß, wenn diese Dämpfe sehr viel ausgiebiger vorhanden sind, sie sich auch in Wasser verwandeln, sofern sie nicht außerdem auch noch erregter sind – was die Ursache des Schweißes ist, der kommt, wenn man irgendeine Übung durchführt. Die Augen aber schwitzen dabei nicht, weil während der Übung des Körpers der größte Teil der Spiritus in die Muskeln geht, die dazu dienen, ihn zu bewegen, und weniger durch den optischen Nerv zu den Augen
423,16
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
gehen. Es ist dieselbe Materie, aus der sich, solange sie sich in den Venen oder in den Arterien befindet, das Blut zusammensetzt, und aus der sich, wenn sie sich im Gehirn, in den Nerven oder in den Muskeln befindet, die Spiritus zusammensetzen; und die Dämpfe, wenn sie aus ihnen in der Form von Luft austritt; und schließlich der Schweiß oder die Tränen, wenn sie sich auf der Oberfläche des Körpers oder der Augen zu Wasser verdickt. ar tike l 13 0 Wie etwas, das dem Auge Schmerzen zufügt, hervorruft, daß es weint 424,16
Ich kann nur zwei Ursachen bemerken, die veranlassen, daß sich die aus den Augen austretenden Dämpfe zu Tränen verändern. Die erste ist, wenn sich die Gestalt der Poren, durch die sie hindurchgehen, durch welches Ereignis auch immer verändert. Denn dies verlangsamt die Bewegung dieser Dämpfe und verändert ihre Ordnung, was veranlassen kann, daß sie sich in Wasser verwandeln. Genauso bedarf es bloß eines in das Auge fallenden Strohhalms, um aus ihm einige Tränen austreten zu lassen, weil er in ihm Schmerz hervorruft und er die Verfassung seiner Poren so verändert, daß einige enger werden und die kleinen Teile der Dämpfe weniger schnell durch sie hindurchgehen. Und statt aus ihnen wie vorher gleichermaßen entfernt voneinander auszutreten und so getrennt zu bleiben, treffen sie aufeinander, weil die Ordnung dieser Poren gestört ist. Dadurch verbinden sie sich und verwandeln sich so in Tränen. ar tike l 13 1 Wie man aus Traurigkeit weint
425,7
Die andere Ursache ist Traurigkeit gefolgt von Liebe oder von Freude, oder allgemein von irgendeiner Ursache, die das Herz viel Blut durch die Arterien drücken läßt. Traurigkeit ist dabei erforderlich, weil sie das gesamte Blut abkühlt und so die Poren der Augen verengt. Weil sie aber in dem Maße, wie sie sie verengt,
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auch die Menge der Dämpfe verringert, denen sie Durchgang gewähren soll, reicht dies nur aus, um Tränen zu produzieren, wenn die Menge dieser Dämpfe gleichzeitig durch irgendeine andere Ursache vergrößert wird. Es gibt nichts, was sie mehr vergrößert als das Blut, das bei der Passion der Liebe zum Herzen gesendet wird. Auch sehen wir, daß traurigen Leute nicht unablässig Tränen herunterfließen, sondern nur mit Unterbrechungen, wenn sie erneut über die Objekte nachdenken, zu denen sie Zuneigung haben. ar tikel 13 2 Über das Stöhnen, das die Tränen begleitet Dann schwellen die Lungen manchmal auch schlagartig von der Fülle des in sie eintretenden Bluts an, das die Luft aus ihnen vertreibt, das sie enthalten. Wenn diese Luft durch die Kehle austritt, erzeugt sie das Stöhnen und die Schreie, die gewöhnlich die Tränen begleiten. Diese Schreie sind gewöhnlich schriller als die, die das Lachen begleiten, auch wenn sie in gewissermaßen derselben Weise produziert werden. Der Grund dafür ist, daß die Nerven, die dazu dienen, die Organe der Stimme zu weiten oder zu verengen, um sie dröhnender oder schriller zu machen, mit denen verbunden sind, die während der Freude die Mündungen des Herzens öffnen und während der Traurigkeit verengen, veranlassen, daß sich gleichzeitig auch diese Organe weiten oder verengen. ar tikel 13 3
425,25
Weshalb Kinder und alte Leute leicht weinen Kinder und alte Leute neigen mehr zum Weinen als Leute mittleren Alters, aber aus verschiedenen Gründen. Alte Leute weinen oft aus Zuneigung und Freude; denn diese beiden Passionen miteinander verbunden senden viel Blut zu ihrem Herzen und daraufhin viele Dämpfe zu ihren Augen. Die Erregung dieser Dämpfe wird durch die Kälte ihres Naturells solchermaßen verlangsamt, daß sie sich leicht in Tränen verwandeln, obwohl keinerlei Traurigkeit vorangegangen ist. Wenn einige alte Leute
426,15
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
auch sehr leicht aus Verärgerung weinen, dann ist es weniger die Grundbeschaffenheit ihres Körpers als die ihres Geistes, die sie dazu verleitet. Das geschieht aber nur jenen, die so schwach sind, daß sie sich von kleinen Gegenständen des Schmerzes, der Furcht oder des Mitleids völlig überwältigen lassen. Dasselbe geschieht Kindern, die kaum aus Freude, sondern viel mehr aus Traurigkeit weinen, selbst wenn sie überhaupt nicht von Liebe begleitet ist; denn sie verfügen immer über genügend Blut, um viele Dämpfe zu produzieren, deren Bewegung durch die Traurigkeit verlangsamt wird, so daß sie sich in Tränen verwandeln. ar tike l 13 4 Weshalb einige Kinder erbleichen, statt zu weinen 427,9
Indessen gibt es einige Kinder, die erbleichen, statt zu weinen, wenn sie sich ärgern.51 Das kann ein außergewöhnliches Urteilsvermögen und Mut in ihnen bezeugen, nämlich wenn das Erbleichen davon kommt, daß sie die Größe eines Übels in Betracht ziehen und sich in derselben Weise wie ältere auf einen starken Widerstand vorbereiten. Viel gewöhnlicher aber ist es ein Anzeichen für ein schlechtes Naturell, nämlich wenn es davon kommt, daß sie zum Haß oder zur Angst neigen; denn dies sind Passionen, die die Materie für die Tränen verringern. Umgekehrt sieht man, daß diejenigen, die sehr leicht weinen, zur Liebe und zum Mitleid neigen. ar tike l 13 5 Über die Seufzer
427,23
Die Ursache der Seufzer ist sehr unterschiedlich zu der der Tränen, obwohl beide Traurigkeit voraussetzen.52 Denn man wird angereizt zu weinen, wenn die Lunge voller Blut ist. Hingegen wird man angereizt zu seufzen, wenn sie fast leer davon ist und irgendeine Vorstellung von Hoffnung oder Freude die Mündung der venösen Arterie öffnet, die die Traurigkeit verengt hatte. Denn dann fällt das wenige in der Lunge verbleibende Blut durch die venöse Arterie schlagartig in die linke Seite des Herzens, und
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durch das Verlangen, diese Freude zu erreichen, das gleichzeitig alle Muskeln des Zwerchfells und der Brust erregt, wird rasch Luft durch den Mund in die Lunge gedrückt wird, um den Platz zu füllen, den das Blut hinterläßt. Dies ist es, was man seufzen nennt. ar tikel 13 6 Woher die Wirkungen der Passionen kommen, die gewissen Menschen eigentümlich sind Um hier außerdem alles, was bezüglich der verschiedenen Wirkungen oder der verschiedenen Ursachen der Passionen hinzugefügt werden könnte, in wenigen Worten zu ergänzen, will ich mich damit begnügen, das Prinzip zu wiederholen, auf das sich alles stützt, was ich hier geschrieben habe, nämlich: Zwischen unser Seele und unserem Körper gibt es eine solche Verbundenheit, daß, wenn wir einmal irgendeine körperliche Aktion mit irgendeinem Gedanken verbunden haben, sich uns später das eine der beiden nicht bietet, ohne daß sich auch das andere bietet; außerdem sind es nicht immer dieselben Aktionen, die man mit denselben Gedanken verbindet. Dieses Prinzip reicht aus, um einen Grund für alles anzugeben, was ein jeder an Besonderem bei sich oder anderen bezüglich dieser Materie bemerken kann und hier noch nicht erklärt worden ist. Zum Beispiel ist es leicht, zu denken, daß die seltsamen Abneigungen einiger, die sie daran hindern, den Duft von Rosen oder die Anwesenheit einer Katze ertragen zu können53 oder ähnliche Dinge, nur davon kommen, daß sie am Beginn ihres Lebens durch irgendwelche solche Objekte sehr verletzt worden sind oder auch mit der Empfindung ihrer Mutter mitgefühlt haben, die von ihnen verletzt wurde, als sie schwanger war. Denn es gibt gewiß eine Beziehung zwischen allen Bewegungen der Mutter und denen des Kindes in ihrem Bauch, so daß, was dem einen entgegengesetzt ist, dem anderen schadet. So kann der Duft von Rosen bei einem Kind großen Kopfschmerz verursacht haben, als es noch in der Wiege war, oder eine Katze kann es sehr erschreckt haben, ohne daß irgend jemand darauf geachtet oder es später irgendeine Erinnerung da-
428,17
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ran gehabt hätte, obwohl die Idee der Abneigung, die es seitdem gegen Rosen oder gegen Katzen hat, bis zum Ende seines Lebens in seinem Gehirn eingeprägt bleibt.54 ar tike l 13 7 Über den Nutzen der fünf hier erklärten Passionen, insofern sie sich auf den Körper beziehen 429,25
Nachdem wir die Definitionen der Liebe, des Hasses, der Freude, des Verlangens und der Traurigkeit gegeben und alle körperlichen Bewegungen abgehandelt haben, die sie verursachen oder begleiten, bleibt uns hier nur ihr Nutzen zu betrachten übrig. Diesbezüglich ist zu bemerken, daß sie sich gemäß der Einrichtung der Natur alle auf den Körper beziehen und der Seele nur gegeben werden, insofern sie mit ihm verbunden ist. Ihr natürlicher Nutzen besteht deshalb darin, die Seele anzureizen, den Aktionen zuzustimmen und zu ihnen beizutragen, die dazu dienen können, den Körper zu bewahren oder ihn in irgendeiner Weise vollkommener zu machen. In diesem Sinne sind Traurigkeit und Freude die beiden ersten, die dazu verwendet werden. Denn die Seele ist den Dingen, die dem Körper schaden, nicht unmittelbar, sondern nur durch die Empfindung von Schmerz abgeneigt, die in ihr zuerst die Passion der Traurigkeit produziert, dann in der Folge den Haß auf das, was diesen Schmerz verursacht, und an dritter Stelle das Verlangen, sich davon zu lösen. Ebenso wird die Seele von Dingen, die dem Körper nützlich sind, nicht unmittelbar in Kenntnis gesetzt, sondern nur durch eine Art von Kitzel, der in ihr Freude hervorruft und in der Folge Liebe zu dem entspringen läßt, von dem man glaubt, es sei die Ursache dafür, und schließlich das Verlangen, das zu erwerben, was veranlassen kann, daß diese Freude anhält oder man später eine ähnliche genießt. Das zeigt, daß alle fünf im Hinblick auf den Körper sehr nützlich sind und die Traurigkeit in einer Weise sogar die erste vor Freude, Haß und Liebe und notwendiger ist als sie. Denn es ist wichtiger, die Dinge zurückzuweisen, die schaden und zerstören können, als diejenigen zu erwerben,
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die irgendeine Vollkommenheit hinzufügen, ohne die man weiterbestehen kann. ar tikel 13 8 Über ihre Mängel und die Mittel, sie zu korrigieren Aber obwohl dieser Nutzen der Passionen der natürlichste ist, den sie haben können, und obwohl alle Tiere ohne Vernunft ihr Leben nur durch körperliche Bewegungen ähnlich jenen leiten, denen wir gewöhnlich folgen und denen zuzustimmen die Passionen unsere Seele anreizen, ist dieser Nutzen nichtsdestotrotz nicht immer gut, da es etliche, dem Körper schädliche Dinge gibt, die zu Beginn keinerlei Traurigkeit oder sogar Freude bereiten, und andere, die dem Körper nützlich sind, auch wenn sie zunächst unbehaglich sind. Darüber hinaus lassen die Passionen fast immer sowohl das Gut wie die Übel, die sie darstellen, als sehr viel größer und wichtiger erscheinen als es ist, so daß sie uns dazu anreizen, mit größerer Sehnsucht und Sorge auf das eine aus zu sein und vor dem anderen zu fliehen, als zuträglich ist. So sehen wir auch, daß Tiere oft durch Köder getäuscht werden und sich viele größeren Übeln aussetzen, um kleinere zu vermeiden. Deswegen müssen wir uns der Erfahrung und der Vernunft bedienen, um das Gut vom Übel zu unterscheiden und seinen gerechten Wert zu erkennen, damit wir nicht das eine mit dem anderen verwechseln und uns zu nichts mit Übermaß hinreißen lassen. ar tikel 13 9
431,3
Über den Nutzen derselben Passionen, insofern sie der Seele zukommen; und zuerst über Liebe Dies würde ausreichen, wenn wir in uns nur den Körper hätten oder er unser besserer Teil wäre. Aber da er nur der geringere ist, müssen wir die Passionen vor allem betrachten, insofern sie der Seele zukommen. Im Hinblick auf die Seele kommen Liebe und Haß aus der Erkenntnis und gehen der Freude und Traurigkeit voran, ausgenommen wenn die letzteren beiden die Stelle der Erkenntnis einnehmen, deren Arten sie sind. Wenn nun diese
432,4
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
Erkenntnis wahr ist, d. h. wenn die Dinge, die sie uns lieben läßt, wirklich gut sind, und diejenigen, die sie uns hassen läßt, wirklich schlecht, ist Liebe unvergleichlich viel besser als Haß. Sie kann gar nicht groß genug sein und produziert stets unausweichlich Freude. Ich sage: Diese Liebe ist äußerst gut, weil sie uns mit wahren Gütern verbindet und uns insoweit vervollkommnet. Ich sage auch: Sie kann gar nicht zu groß sein, weil alles, was die übermäßigste Liebe veranlassen kann, ist, uns so vollkommen mit diesen Gütern zu verbinden, daß die Liebe, die wir insbesondere für uns selbst haben, dabei keinen Unterschied mehr macht; und das kann, wie ich glaube, niemals schlecht sein. Und Freude folgt auf sie notwendig, weil sie uns das, was wir lieben, als ein Gut darstellt, das uns zukommt. ar tike l 14 0 Über den Haß 433,3
Umgekehrt kann Haß nicht so klein sein, daß er nicht schadet, und er ist niemals ohne Traurigkeit.55 Ich sage: Er kann niemals zu klein sein, weil wir durch den Haß auf ein Übel zu keiner Aktion angereizt werden, zu der wir nicht besser durch die Liebe zu einem ihm entgegengesetzten Gut angereizt werden – zumindest wenn dieses Gut und dieses Übel hinreichend erkannt sind. Denn ich gebe zu, daß Haß auf ein Übel, das nur durch den Schmerz zutage tritt, im Hinblick auf den Körper notwendig ist; aber ich spreche hier nur über jenen Haß, der von einer klareren Erkenntnis kommt, und ich beziehe ihn nur auf die Seele. Ich sage auch: Er kann niemals ohne Traurigkeit sein, weil er, da das Übel nur eine Privation ist, nicht ohne einen realen Gegenstand begriffen werden kann, in dem er ist. Aber es gibt nichts Reales, das nicht in sich irgendeine Güte hätte, so daß der Haß, der uns von irgendeinem Übel entfernt, uns dadurch auch von dem mit ihm verbundenen Gut entfernt. Die Privation von diesem Gut stellt sich unserer Seele als ein ihr zukommender Mangel dar, und ruft in ihr Traurigkeit hervor. Zum Beispiel entfernt uns der Haß, der uns von den schlechten Sitten irgendeines Menschen entfernt,
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dadurch auch von der Unterhaltung mit ihm, in der wir sonst irgendein Gut hätten finden können, und ärgern uns darüber, daß wir dieser Unterhaltung beraubt sind. So kann man bei allem Haß irgendeinen Gegenstand der Traurigkeit bemerken. ar tikel 14 1 Über Verlangen, Freude und Traurigkeit Was das Verlangen betrifft, so ist es evident, daß es nicht schlecht sein kann, wenn es von einer wahren Erkenntnis herrührt, sofern es überhaupt nicht übermäßig ist und diese Erkenntnis es regelt.56 Es ist auch evident, daß Freude unausweichlich gut ist und Traurigkeit unausweichlich schlecht im Hinblick auf die Seele: denn in der letzteren besteht das gesamte Unbehagen, das der Seele vom Übel widerfährt, und in der ersteren besteht der gesamte Genuß des ihr zukommenden Guts. Wenn wir gar keinen Körper hätten, würde ich deshalb zu sagen wagen, daß wir uns weder Liebe und Freude zu sehr hingeben, noch Haß und Traurigkeit zu sehr vermeiden könnten. Aber die sie begleitenden körperlichen Bewegungen können alle schädlich für die Gesundheit sein, wenn sie sehr heftig sind, und umgekehrt ihr nützlich, wenn sie nur mäßig sind.
434,3
ar tikel 14 2 Über Freude und Liebe verglichen mit Traurigkeit und Haß Da außerdem Haß und Traurigkeit von der Seele abgelehnt werden müssen, selbst wenn sie von einer wahren Erkenntnis herrühren, müssen sie es mit stärkerem Grund, wenn sie von einer falschen Meinung kommen. Aber man kann zweifeln, ob Liebe oder Freude gut sind oder nicht, wenn sie so schlecht gegründet sind. Mir scheint, daß man, wenn man sie präzise als das betrachtet, was sie für sich selbst sind, im Hinblick auf die Seele sagen kann, daß Freude und Liebe, auch wenn erstere weniger fest und letztere weniger vorteilhaft ist als wenn sie ein besse-
434,22
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res Fundament haben, dennoch gegenüber schlecht gegründeter Traurigkeit und Haß zu bevorzugen sind. Deshalb tun wir bei den Begebenheiten des Lebens, bei denen wir den Zufall, getäuscht zu werden, nicht vermeiden können, immer viel besser daran, zu den Passionen zu neigen, die das Gut anstreben, als zu jenen, die dem Übel zugewandt sind, und sei es auch nur, um sie zu vermeiden. Oft ist falsche Freude mehr wert als Traurigkeit, deren Ursache wahr ist. Aber ich wage dasselbe nicht über Liebe im Hinblick auf Haß zu sagen. Denn wenn Haß gerechtfertigt ist, entfernt er uns nur von dem Gegenstand, der das Übel enthält, von dem getrennt zu sein gut ist. Hingegen verbindet eine ungerechtfertigte Liebe uns mit Dingen, die schaden können, oder die zumindest nicht verdienen, in dem Ausmaße von uns betrachtet zu werden, wie wir es tun: was uns erniedrigt und demütigt.57 ar tike l 14 3 Über dieselben Passionen, insofern sie sich auf das Verlangen beziehen 435,26
Es ist exakt zu beachten, daß das, was ich gerade über diese vier Passionen gesagt habe, nur zutrifft, wenn sie präzise für sich selbst betrachtet werden und sie uns zu keinerlei Aktion bringen. Denn es ist gewiß, daß alle Passionen, deren Ursache falsch ist, uns insofern schaden können, als sie in uns ein Verlangen hervorrufen, durch dessen Vermittlung sie unsere Sitten regeln, und umgekehrt alle uns dienen können, deren Ursache gerechtfertigt ist. Zudem ist, wenn sie beide gleichermaßen schlecht gegründet sind, Freude gewöhnlich sogar schädlicher als Traurigkeit, weil sie Zurückhaltung und Furcht auferlegt und so in irgendeiner Weise zur Klugheit verleitet, wohingegen die andere diejenigen, die sich ihr hingeben, unbedacht und waghalsig macht.
Über Anzahl und Ordnung der Passionen
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ar tikel 14 4 Über die Akte des Verlangens, deren Ereignis nur von uns abhängt Weil diese Passionen uns nur durch die Vermittlung des Verlangens, das sie hervorrufen, zu irgendeiner Aktion bringen können, müssen wir insbesondere Sorge tragen, dieses Verlangen zu regeln. Darin besteht der Hauptertrag der Moral. Nun ist, wie ich gerade eben gesagt habe, ein Verlangen immer gut, wenn es einer wahren Erkenntnis folgt, aber es ist genauso unausweichlich schlecht, wenn es sich auf irgendeinen Irrtum gründet. Mir scheint, daß der Irrtum, den man bezüglich der Akte des Verlangens am gewöhnlichsten begeht, der ist, daß man die ganz von uns abhängenden Dinge nicht hinreichend von den überhaupt nicht von uns abhängenden unterscheidet. Denn was die nur von uns, d. h. von unserer freien Willkür, abhängenden betrifft, so reicht es, zu wissen, daß sie gut sind, um sie mit nicht zu großer Sehnsucht zu verlangen: denn gute Dinge zu tun, die von uns abhängen, heißt der Tugend zu folgen, und es ist gewiß, daß man kein Verlangen nach der Tugend haben kann, das zu sehnlich wäre. Darüber hinaus haben wir mit dem, was wir in dieser Weise verlangen, unausweichlich Erfolg, da es ja nur von uns allein abhängt, und wir erhalten deshalb immer die erwartete volle Zufriedenheit. Der Fehler, den man dabei gewöhnlich begeht, ist aber niemals, daß man zu sehr verlangt, sondern allein, daß man zu wenig verlangt. Das wirkungsvollste Heilmittel dagegen ist, den Geist soweit es geht von allen Arten anderer Akte des Verlangens zu lösen, die weniger nützlich sind, und dann zu versuchen, die Güte dessen, was zu verlangen ist, ganz klar zu erkennen und mit Aufmerksamkeit zu betrachten.
436,14
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ar tike l 14 5 Über die Akte des Verlangens, die nur von anderen Ursachen abhängen; und was das Schicksal ist 437,19
Was die überhaupt nicht von uns abhängenden Dinge betrifft, so kann man sie, so gut sie auch sein mögen, niemals mit Passion verlangen: nicht nur, weil es sein kann, daß sie nicht geschehen, und uns dadurch umso mehr Kummer bereiten, je mehr wir sie uns gewünscht haben; sondern vor allem, weil sie unser Denken einnehmen und uns dadurch davon ablenken, unsere Zuneigung auf andere Dinge zu übertragen, deren Erwerb von uns abhängt. Gegen solche vergeblichen Akte des Verlangens gibt es zwei allgemeine Heilmittel. Das erste ist der Edelmut, über den ich weiter unten sprechen werde. Das zweite ist: Wir müssen oft über die göttliche Vorsehung nachdenken und uns darstellen, daß unmöglich irgend etwas in anderer Weise geschieht, als es von dieser Vorsehung seit aller Ewigkeit bestimmt wurde. Sie ist deshalb wie eine Fügung oder eine unwandelbare Notwendigkeit, die dem Schicksal gegenüberzustellen ist, um es als Trugbild zu zerstören, das nur von einem Irrtum unseres Verstandes kommt. Denn wir können nur verlangen, was wir in irgendeiner Weise als möglich einschätzen, und wir können Dinge, die überhaupt nicht von uns abhängen, nur insofern als möglich einschätzen, als wir sie als vom Schicksal abhängend denken, d. h. nur insofern, als wir urteilen, daß sie geschehen können und ähnliches früher schon geschehen ist. Aber diese Meinung gründet sich nur darauf, daß wir nicht alle Ursachen erkennen, die zu einer jeweiligen Wirkung beitragen. Denn wenn etwas, das wir als vom Schicksal abhängend eingeschätzt haben, nicht geschieht, bezeugt dies, daß irgendeine der Ursachen gefehlt hat, die notwendig gewesen wären, um es zu produzieren, und es folglich absolut unmöglich war und etwas ähnliches – d. h. etwas, zu dessen Produktion eine solche Ursache ebenfalls gefehlt hat – niemals geschehen ist. Deshalb hätten wir es, wenn wir dies zuvor gewußt hätten, niemals als möglich eingeschätzt und es folglich nicht verlangt.
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ar tikel 14 6 Über die Wünsche, die von uns und einem anderen abhängen Die alltägliche Meinung, es gebe jenseits von uns eine Schicksalsgöttin, die nach ihrem Vergnügen Dinge geschehen oder nicht geschehen läßt, ist deshalb gänzlich abzulehnen. Man muß aber wissen, daß alles durch die göttliche Vorsehung geleitet wird, deren ewiger Beschluß solchermaßen unfehlbar und unwandelbar ist, daß – die Dinge ausgenommen, die eben dieser Beschluß von unserer freien Willkür hat abhängen lassen wollen –, wir denken müssen, daß im Hinblick auf uns nichts geschieht, das nicht notwendig und gleichsam unausweichlich wäre, so daß wir nicht ohne Irrtum verlangen können, daß es in anderer Weise geschieht. Weil aber der größte Teil unserer Akte des Verlangens sich auf Dinge erstrecken, die weder gänzlich von uns, noch von einem anderen abhängen, müssen wir bei ihnen exakt unterscheiden, was von uns abhängt, um unser Verlangen sich allein darauf erstrecken zu lassen. Was das Darüberhinausgehende betrifft, müssen wir den Erfolg zwar als völlig unausweichlich und unwandelbar einschätzen, damit unser Verlangen sich nicht damit beschäftigt, aber wir dürfen es dennoch nicht unterlassen, die Gründe zu betrachten, die ihn uns mehr oder weniger erhoffen lassen, damit sie dazu dienen, unsere Aktionen zu regeln. Wenn wir zum Beispiel an einem Ort zu tun haben, zu dem wir auf zwei verschiedenen Wegen gehen können, von denen der eine gewöhnlich sehr viel sicherer ist als der andere, dann mag es vielleicht der Beschluß der Vorsehung sein, daß wir unausweichlich ausgeraubt werden, wenn wir auf dem als sicherer einschätzten Weg gehen, wohingegen wir umgekehrt den anderen ohne irgendeine Gefahr nehmen können. Dennoch dürfen wir deswegen weder unentschlossen sein, den einen oder den anderen zu wählen, noch dürfen wir uns auf der unwandelbaren Fügung durch diesen Beschluß ausruhen. Die Vernunft aber verlangt, daß wir den Weg wählen, der gewöhnlich der sicherere ist, und unser diesbezügliches Verlangen muß erfüllt werden, wenn wir
439,3
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Die Passionen der Seele · Zweiter Teil
ihm gefolgt sind, welches Übel uns dadurch auch geschehen sein mag. Denn da dieses Übel im Hinblick auf uns unausweichlich war, hatten wir keinerlei Anlaß, zu wünschen, seiner entledigt zu sein, sondern nur, das Beste zu tun, was unser Verstand erkennen konnte, so wie wir es, wie ich voraussetze, getan haben. Es ist gewiß, daß, wenn man sich darin übt, so Fügung vom Schicksal zu unterscheiden, man sich leicht angewöhnt, seine Akte des Verlangens so zu regeln, daß sie uns immer völlige Zufriedenheit verschaffen, da ihre Erfüllung nur von uns abhängt. ar tike l 14 7 Über die inneren Regungen der Seele 440,20
Ich werde hier nur wiederum eine Betrachtung hinzufügen, die mir sehr dazu zu dienen scheint, zu verhindern, daß uns durch die Passionen irgendwelches Unbehagen widerfährt. Sie besteht darin, daß unser Wohl und Übel vor allem von inneren Regungen abhängt, die in der Seele nur von ihr selbst hervorgerufen werden. Darin unterscheiden sie sich von den Passionen, die immer von irgendeiner Bewegung der Spiritus abhängen. Und auch wenn diese Regungen der Seele oft mit ihnen ähnlichen Passionen verbunden sind, können sie oft auch zusammen mit anderen angetroffen werden und sogar aus solchen entspringen, die ihnen entgegengesetzt sind. Wenn zum Beispiel ein Ehemann seine tote Frau beweint, die (wie es manchmal geschieht) ihn ärgern würde, wenn er sie auferstanden sähe: dann kann es geschehen, daß sich sein Herz vor Traurigkeit zusammenzieht, die das Drum und Dran der Beisetzung und die Abwesenheit einer Person, mit der Unterhaltung zu haben er gewöhnt war, in ihm hervorrufen; und es kann geschehen, daß einige Reste der Liebe oder des Mitleids, die sich seiner Anschauung bieten, wirkliche Tränen aus seinen Augen austreten zu lassen, obwohl er währenddessen im Innersten seiner Seele eine klammheimliche Freude empfindet, deren Regung solche Macht hat, daß die Traurigkeit und die sie begleitenden Tränen ihre Kraft nicht verringern können. Wenn wir seltsame Abenteuer in einem Buch lesen oder in einem Theater
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dargestellt sehen, ruft dies in uns manchmal Traurigkeit hervor, manchmal Freude, oder Liebe, Haß und allgemein alle Passionen, gemäß der Verschiedenheit der Objekte, die sich unserer Anschauung bieten; damit einhergehend aber haben wir das Vergnügen, zu empfinden, daß sie in uns hervorgerufen werden, und dieses Vergnügen ist eine intellektuelle Freude, die genauso Traurigkeit entspringen lassen kann wie alle anderen Passionen.58 ar tikel 14 8 Die Übung der Tugend ist ein wirkungsvolles Heilmittel gegen die Passionen Da nun diese inneren Regungen uns von ganz nah berühren und folglich sehr viel mehr Macht über uns haben als die Passionen, von denen sie sich unterscheiden und die mit ihnen angetroffen werden, ist es gewiß, daß, sofern unsere Seele in ihrem Inneren immer etwas hat, wodurch sie zufrieden sein kann, alle von woandersher kommenden Störungen keinerlei Macht haben, ihr zu schaden. Sondern da die Seele sieht, daß sie durch sie nicht verletzt werden kann, was sie ihre Vollkommenheit erkennen läßt, dienen sie vielmehr dazu, ihre Freude zu vergrößern. Damit nun unsere Seele etwas hat, um so zufrieden zu sein, muß sie nur exakt der Tugend folgen. Denn jedem, der so gelebt hat, daß sein Bewußtsein ihm nicht vorwerfen kann, er habe es jemals versäumt, alle Dinge zu tun, die er als die besten beurteilt hat (was ich hier der Tugend folgen nenne), widerfährt eine Zufriedenheit, die so mächtig ist, ihn so glücklich zu machen, daß auch der heftigste Druck der Passionen niemals genügend Macht hat, die Unbesorgtheit seiner Seele zu stören.59
441,28
DRITTER TEIL Über die besonderen Passionen
ar tike l 14 9 Von Wertschätzung und Geringschätzung 443,7
Nachdem ich die sechs ursprünglichen Passionen erklärt habe, die gewissermaßen die Gattungen bilden, von denen alle anderen Arten sind, werde ich hier kurz und bündig anmerken, was es bei jeder dieser anderen an Besonderem gibt. Dabei werde ich dieselbe Ordnung beibehalten, gemäß der ich sie weiter oben aufgezählt habe. Die beiden ersten sind Wertschätzung und Geringschätzung. Denn auch wenn diese Namen gewöhnlich nur die Meinungen bezeichnen, die man ohne Passionen von dem Wert eines jeweiligen Dinges hat, scheinen mir diese Namen ihnen hier gleichwohl zugesprochen werden zu können, weil aus diesen Meinungen oft Passionen entspringen, denen man noch keine besonderen Namen gegeben hat. Insofern Wertschätzung eine Passion ist, ist sie eine Neigung der Seele, sich den Wert des wertgeschätzten Dinges darzustellen. Diese Neigung wird durch eine besondere Bewegung der Spiritus verursacht, die solcherart im Gehirn geleitet werden, daß sie die Eindrücke verstärken, die diesem Gegenstand dienen. Umgekehrt ist die Passion der Geringschätzung eine Neigung der Seele, die Niedrigkeit oder Kleinheit dessen, was man geringschätzt, zu betrachten, verursacht durch die Bewegung der Spiritus, die die Idee dieser Kleinheit verstärkt. ar tike l 15 0 Diese beiden Passionen sind nur Arten der Verwunderung
444,12
So sind diese beiden Passionen nur Arten der Verwunderung. Denn wenn wir weder über die Größe noch über die Kleinheit eines Objekts irgendwie verwundert sind, machen wir um es
Über die besonderen Passionen
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weder mehr noch weniger Aufhebens als die Vernunft es uns diktiert, so daß wir das Objekt ohne Passion wertschätzen oder geringschätzen. Und obwohl Wertschätzung in uns oft durch Liebe, und Geringschätzung durch Haß hervorgerufen wird, so gilt dies nicht universell und kommt nur daher, daß man in dem Verhältnis mehr oder weniger dazu neigt, die Größe oder die Kleinheit eines Objekts zu betrachten, wie man mehr oder weniger Zuneigung für es hat. ar tikel 15 1 Man kann sich selbst wertschätzen oder geringschätzen Diese beiden Passionen lassen sich nun allgemein auf alle Arten von Objekten beziehen, aber sie sind vor allem bemerkenswert, wenn wir sie auf uns selbst beziehen, d. h. wenn das, was wir wertschätzen oder geringschätzen, unser eigenes Verdienst ist. Dabei ist die Bewegung der Spiritus, die diese Passionen verursacht, so offenkundig, daß sie sogar die Miene, die Gesten, den Gang und allgemein alle Aktionen derjenigen verändert, die eine bessere oder schlechtere Meinung von sich selbst besitzen als gewöhnlich. ar tikel 15 2
444,25
Aus welcher Ursache man sich selbst wertschätzen kann Weil nun ein Hauptbestandteil der Weisheit darin besteht, zu wissen, in welcher Weise und aus welcher Ursache ein jeder sich wertschätzen oder geringschätzen muß, werde ich hier versuchen, darüber meine Meinung zu sagen. Ich bemerke in uns nur eine einzige Sache, die uns einen gerechtfertigten Grund liefern kann, uns wertzuschätzen, nämlich der Gebrauch unserer freien Willkür und die Herrschaft über unsere Willensakte. Denn nur wegen der von dieser freien Willkür abhängenden Aktionen allein können wir mit Grund gelobt oder getadelt werden; und indem sie uns zu Herren über uns selbst macht, macht sie uns in
445,11
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
gewisser Weise Gott ähnlich, sofern wir nicht durch Feigheit die Rechte verlieren, die sie uns gibt.60 ar tike l 15 3 Worin Edelmut besteht 445,26
So glaube ich, daß wahrer Edelmut, der einen Menschen sich so hoch wertschätzen läßt wie er es rechtmäßig kann, zum einen Teil nur darin besteht, daß dieser Mensch die freie Verfügung über seine Willensakte als das einzige erkennt, das ihm wirklich zukommt, und es nichts in ihm gibt, weshalb er gelobt und getadelt werden darf, außer weil er guten oder schlechten Gebrauch davon macht; und zum anderen Teil darin, daß er in sich selbst den festen und standhaften Entschluß empfindet, guten Gebrauch davon zu machen, d. h. es niemals an dem Willen mangeln zu lassen, alles zu unternehmen und auszuführen, was er als das Beste beurteilt – was heißt, vollkommen der Tugend zu folgen. ar tike l 15 4 Edelmut verhindert, daß man andere Leute geringschätzt
446,13
Alle, die diese Erkenntnis und Empfindung von sich selbst haben, sind leicht davon überzeugt, daß jeder einzelne der anderen Menschen sie auch von sich haben kann, weil es darin nichts gibt, das von etwas anderem abhinge. Deswegen schätzen sie niemals irgend jemanden gering, und auch wenn sie andere Leute oft Fehler begehen sehen, die deren Schwäche in Erscheinung treten lassen, neigen sie gleichwohl mehr dazu, sie zu entschuldigen als sie zu tadeln, und glauben lieber, daß diese Menschen die Fehler eher aus Mangel an Erkenntnis denn aus Mangel an gutem Willen begehen. Zudem denken sie keineswegs, unter jenen zu stehen, die mehr Güter haben, mehr in Ehre stehen, oder sogar mehr Geist, mehr Wissen, mehr Schönheit besitzen oder sie allgemein in irgendwelchen anderen Vollkommenheiten übertreffen. Genausowenig schätzen sie diejenigen nicht als minder-
Über die besonderen Passionen
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wertig ein, die sie übertreffen, weil all diese Dinge ihnen sehr viel weniger beachtenswert erscheinen im Vergleich mit dem guten Willen, umwillen dessen allein sie sie wertschätzen und von dem sie voraussetzen, daß er in jedem einzelnen anderen Menschen vorhanden ist oder zumindest vorhanden sein kann. ar tikel 15 5 Worin tugendhafte Demut besteht So sind die edelmütigsten Leute gewöhnlich die demütigsten. Tugendhafte Demut besteht nur darin, daß unser Nachdenken über die Ungefestigtheit unserer Natur und über die Fehler, die wir früher einmal begangen haben können oder zu begehen imstande sind, und die nicht geringer sind als die, die von anderen begangen werden können, die Ursache ist, daß wir uns gegenüber niemand anderem bevorzugen und denken, daß die anderen genauso ihre freie Willkür haben wie wir und sie von ihr genauso guten Gebrauch machen können.
447,8
ar tikel 15 6 Was die Eigenschaften des Edelmuts sind, und wie er als Heilmittel gegen die Störungen durch die Passionen dient In dieser Weise edelmütige Leute werden von Natur aus dazu gebracht, große Dinge zu tun und gleichwohl nichts zu unternehmen, wozu sie sich nicht imstande fühlen. Weil sie nichts höher wertschätzen, als anderen Menschen Gutes zu tun und ihr Eigeninteresse an diesem Gegenstand geringzuschätzen, sind sie immer vollkommen höflich, liebenswürdig und verbindlich gegen jederman.61 Außerdem sind sie ganz Herren über ihre Passionen, insbesondere über die Akte des Verlangens, über die Eifersucht und den Neid, weil es nichts gibt, dessen Erwerb nicht von ihnen abhängt, von dem sie denken, es sei ausreichend wert, um es zu verdienen, sehr gewünscht zu werden. Außerdem sind sie Herren über den Haß gegen die Menschen, weil sie sie alle
447,22
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
wertschätzen, und über die Angst, weil das Vertrauen, das sie in ihre Tugend setzen, sie sicher macht; und schließlich über den Zorn, weil sie alles, was von anderen abhängt, nur als sehr gering einschätzen, und deshalb ihren Feinden niemals so viel Vorteil gewähren, anzuerkennen, daß sie von ihnen verletzt werden. ar tike l 15 7 Über Hochmut 448,18
Alle, die aufgrund irgendeiner anderen Ursache – gleichgültig welcher – eine gute Meinung von sich selbst besitzen, haben keinen wahren Edelmut, sondern nur Hochmut, der immer sehr lasterhaft ist, obwohl er es umso mehr ist, je ungerechtfertigter die Ursache ist, aufgrund derer man sich wertschätzt.62 Die ungerechtfertigste von allen ist, wenn man ohne irgendeinen Anlaß hochmütig ist, d. h. ohne daß man dabei denkt, irgendeinen auf sich zu beziehenden Verdienst zu besitzen, für den man gepriesen werden müßte, sondern man sich nur deshalb wertschätzt, weil man Verdienst für bedeutungslos hält und sich vorstellt, Ruhm sei nur eine Anmaßung, und man deshalb glaubt, daß diejenigen auch mehr davon besitzen, die sich mehr davon zusprechen. Dieses Laster ist so unvernünftig und so absurd, daß ich Mühe hätte, zu glauben, daß es Menschen geben solle, die sich so gehen lassen, wenn niemals jemand ungerechtfertigt gelobt worden wäre. Aber Schmeichelei ist überall allgemein verbreitet, und es gibt deshalb überhaupt keinen so mangelhaften Menschen, der sich nicht mitunter für Dinge wertgeschätzt sieht, die überhaupt kein Lob oder sogar Tadel verdienen, was unwissenderen und blöderen Leuten Gelegenheit gibt, in diese Art des Hochmuts zu verfallen.
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ar tikel 15 8 Seine Wirkungen sind denen des Edelmuts entgegengesetzt Was auch immer aber die Ursache sein mag, deretwegen man sich wertschätzt: Wenn sie eine andere ist als der in sich selbst empfundene Wille, immer guten Gebrauch von seiner freien Willkür zu machen – von dem, wie ich gesagt habe, der Edelmut kommt –, so produziert sie einen sehr tadelnswerten Hochmut, der von wahrem Edelmut so unterschiedlich ist, daß er völlig entgegengesetzte Wirkungen hat. Denn alle anderen Güter wie Geist, Schönheit, Reichtümer, Ehren usw. werden gewöhnlich höher wertgeschätzt und sind zum großen Teil von einer solchen Natur, daß sie sich bei einer geringeren Anzahl von Personen finden und nicht auf eine größere übertragen werden können; deshalb versuchen hochmütige Leute, alle anderen Menschen zu demütigen; und da sie Sklaven ihrer Akte des Verlangens sind, ist ihre Seele unaufhörlich von Haß, Neid, Eifersucht oder Zorn erregt. ar tikel 15 9
449,13
Über lasterhafte Demut Was Unterwürfigkeit oder lasterhafte Demut betrifft, so besteht sie vor allem darin, daß man sich schwach oder wenig entschlossen fühlt, und man sich, als ob man keinen vollständigen Gebrauch von seiner freien Willkür machen könnte, nicht daran hindern kann, Dinge zu tun, von denen man weiß, daß man sie später bereuen wird. Sie besteht außerdem auch darin, daß man glaubt, weder durch sich selbst weiterbestehen noch auf etliche Dinge verzichten zu können, deren Erwerb von anderen abhängt. Sie ist deshalb dem Edelmut direkt entgegengesetzt, und es geschieht oft, daß diejenigen, die den niedrigsten Geist haben, die anmaßensten und hochnäsigsten, genauso wie die edelmütigsten die bescheidensten und demütigsten sind. Hingegen verändern diejenigen, die einen starken und edelmütigen Geist haben, ihre Stimmung überhaupt nicht, wenn ihnen günstige oder widrige
450,3
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
Umstände geschehen, wohingegen diejenigen, die einen schwachen und niederträchtigen Geist haben, nur durch das Schicksal geleitet werden. Außerdem läßt ein günstiger Umstand sie sich nicht weniger aufplustern als ein widriger sie demütig macht. Oft sieht man sie sogar sich schüchtern vor denjenigen demütigen, von denen sie irgendeinen Profit erwarten oder irgendein Übel fürchten, und sich gleichzeitig unverblümt über diejenigen erheben, von denen sie weder irgend etwas erhoffen noch fürchten. ar tike l 16 0 Welche Bewegung der Spiritus bei diesen Passionen stattfindet 451,3
Außerdem ist leicht zu erkennen, daß Hochmut und Unterwürfigkeit nicht nur Laster, sondern auch Passionen sind, weil ihre Regung bei denjenigen stark im Äußeren in Erscheinung tritt, die durch irgendeinen neuen Anlaß plötzlich sich aufplustern oder niedergeschlagen werden. Aber man kann zweifeln, ob die Tugenden des Edelmuts oder der Demut ebenfalls Passionen sein können, weil ihre Bewegungen wenig in Erscheinung treten, und Tugend nicht so sehr mit Passion konform zu gehen scheint wie Laster. Jedenfalls sehe ich überhaupt keinen Grund, der verhindert, daß dieselbe Bewegung der Spiritus, die dazu dient, einen Gedanken mit einem schlechten Fundament zu verstärken, ihn nicht auch verstärken könnte, wenn sein Fundament gerecht ist. Weil Hochmut und Edelmut nur in der guten Meinung bestehen, die man von sich selbst hat, und sich nur darin unterscheiden, daß diese Meinung in dem einen Fall ungerechtfertigt und in dem anderen gerechtfertigt ist, scheint es mir, daß man sie auf dieselbe Passion beziehen kann, und daß diese Passion durch eine aus den Bewegungen der Verwunderung, der Freude und der Liebe – sowohl der Liebe für sich selbst, als auch der Liebe für die Sache, die veranlaßt, daß man sich wertschätzt – zusammengesetzte Bewegung hervorgerufen wird. Genauso setzt sich die Bewegung, die umgekehrt Demut – tugendhafte genauso wie lasterhafte – hervorruft, aus den Bewegungen der Verwunderung,
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der Traurigkeit und der Liebe zusammen, die man zu sich selbst hat, gemischt mit dem Haß auf die Mängel, die veranlassen, daß man sich geringschätzt. Der gesamte Unterschied, den ich bei diesen Bewegungen bemerke, besteht darin, daß Verwunderung zwei Eigenschaften hat: Die erste, daß die Überraschung sie von Beginn an stark macht; und die andere, daß sie bei ihrer Fortsetzung gleich bleibt, d. h. daß die Spiritus fortfahren, sich im Gehirn im selben gleichbleibenden Strom zu bewegen. Von diesen beiden Eigenschaften trifft man die erste beim Hochmut und bei der Unterwürfigkeit sehr viel mehr an als beim Edelmut und der tugendhaften Demut; umgekehrt läßt sich die zweite bei der letzteren sehr viel stärker bemerken als bei den beiden anderen. Der Grund dafür ist, daß das Laster gewöhnlich aus der Unkenntnis kommt,63 und daß diejenigen, die sich am wenigsten erkennen, am stärksten dazu neigen, hochmütig zu werden und sich mehr zu demütigen, als sie müssen. Denn sie überrascht alles, was ihnen neu geschieht, und weil sie es sich selbst zuschreiben, sind sie verwundert über sich selbst und schätzen sich gemäß dem wert oder gering, ob sie das, was ihnen geschieht, als zu ihrem Vorteil oder nicht zu ihrem Vorteil beurteilen. Weil oft aber nach einer Sache, die sie hat hochmütig werden lassen, eine andere einsetzt, die sie demütigt, ist die Bewegung ihrer Leidenschschaft variabel. Umgekehrt gibt es beim Edelmut nichts, das nicht mit der tugendhaften Demut vereinbar wäre, noch sonst irgend etwas, was sie verändern könnte. Das führt dazu, daß ihre Bewegungen fest, standhaft und immer sich selbst sehr gleichbleibend sind. Aber diese Bewegungen kommen nicht so sehr aus einer Überraschung, weil diejenigen, die sich in dieser Weise einschätzen, hinlänglich wissen, was die Ursachen sind, die sie sich so einschätzen lassen. Gleichwohl kann man sagen, daß diese Ursachen so wundervoll sind (nämlich das Vermögen, von seiner freien Willkür Gebrauch zu machen, die veranlaßt, daß wir uns selbst preisen, und die Ungefestigtheiten des Gegenstandes, in dem dieses Vermögen ist, die veranlaßt, daß man sich nicht zu sehr wertschätzt), daß sie jedesmal wieder, wenn sie sich erneut darstellt, neue Verwunderung geben.
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
ar tike l 16 1 Wie Edelmut erworben werden kann 453,8
Es ist zu beachten, daß das, was man gemeinhin die Tugenden nennt, Haltungen in der Seele sind, die sie zu gewissen Gedanken verleiten. Tugenden sind deshalb unterschiedlich zu diesen Gedanken, aber sie können sie produzieren und umgekehrt von ihnen produziert werden. Es auch zu beachten, daß diese Gedanken allein durch die Seele produziert werden können, es aber oft geschieht, daß eine Bewegung der Spiritus sie verstärkt und sie in diesem Fall Aktionen der Tugend und gleichermaßen Passionen der Seele sind. Es scheint keine Tugend zu geben, zu der eine gute Geburt so viel beiträgt, wie zu der, die veranlaßt, daß man sich gemäß seines gerechten Werts einschätzt. Außerdem ist es leicht zu glauben, daß nicht alle Seelen, die Gott in unsere Körper setzt, gleichermaßen vornehm und stark sind (was die Ursache ist, weshalb ich gemäß dem Gebrauch in unserer Sprache diese Tugend Edelmut und nicht Seelengröße genannt habe, gemäß dem Gebrauch auf der Universität, wo erstere nicht sehr bekannt ist). Gleichwohl ist es gewiß, daß gute Erziehung sehr dazu dient, die Mängel der Geburt zu korrigieren. Und wenn man sich oft damit beschäftigt, zu betrachten, was freie Willkür ist, und wie groß die Vorteile sind, die von dem festen Entschluß kommen, guten Gebrauch von ihr zu machen, und wie vergeblich und unnütz auf der anderen Seite alle Sorgen sind, die die Ehrgeizigen quälen: dann kann man in sich die Passion des Edelmuts hervorrufen und in der Folge die Tugend erwerben, die gewissermaßen der Schlüssel zu allen anderen Tugenden und ein allgemeines Heilmittel gegen alle Störungen durch die Passionen ist. Mir scheint daher, daß diese Betrachtung es sehr verdient, beachtet zu werden.
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ar tikel 16 2 Über Verehrung Verehrung oder Respekt ist eine Neigung der Seele, das Objekt, das sie verehrt, nicht nur wertzuschätzen, sondern sich ihm auch mit einer gewissen Furcht zu unterwerfen, um zu versuchen, es für sich günstig zu stimmen. Deshalb haben wir Verehrung nur für freie Ursachen, die wir als imstande beurteilen, uns ein Gut oder ein Übel zuzufügen, ohne daß wir wissen können, welches der beiden sie zufügen werden. Denn für die Ursachen, von denen wir nur ein Gut erwarten, haben wir eher Liebe und Ergebenheit als einfache Verehrung, und wir haben Haß für jene, von denen wir nur Übel erwarten. Wenn wir aber die Ursache dieses Guts oder Übels gar nicht als frei beurteilen, unterwerfen wir uns ihr gar nicht, um zu versuchen, sie für uns günstig zu machen. Wenn die Heiden Verehrung für Wälder, Quellen oder Berge hatten, so waren es eigentlich nicht diese toten Dinge, die sie verehrten, sondern die Gottheiten, von denen sie dachten, sie würden in ihnen präsidieren. Und die Bewegung der Spiritus, die diese Passion hervorruft, setzt sich aus der zusammen, die Verwunderung, und der, die Furcht hervorruft, über die ich weiter unten sprechen werde. ar tikel 16 3
454,13
Über Verachtung Genauso ist das, was ich Verachtung nenne, eine Neigung der Seele, eine freie Ursache geringzuschätzen, wenn sie urteilt, daß sie zwar von ihrer Natur her imstande ist, ein Gut oder ein Übel zu veranlassen, sie aber nichtsdestotrotz so sehr unter uns steht, daß sie uns weder das eine noch das andere zufügen kann. Die Bewegung der Spiritus, durch die sie hervorgerufen wird, setzt sich aus denen zusammen, die Verwunderung, Gelassenheit oder Kühnheit hervorrufen.
455,9
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
ar tike l 16 4 Über den Gebrauch dieser beiden Passionen 455,19
Es ist der Edelmut sowie die Schwäche des Geistes oder die Unterwürfigkeit, die den guten oder schlechten Gebrauch dieser beiden Passionen bestimmen. Denn je vornehmer und edelmütiger unsere Seele ist, desto größer ist unsere Neigung, jedem das zuzubilligen, was ihm zukommt. So hat man nicht nur eine sehr tiefsitzende Demut im Hinblick auf Gott, sondern man billigt auch jedem ohne Widerspruch gemäß seinem Stellenwert und seiner Autorität in der Welt die gesamte Ehre und den Respekt zu, den man den Menschen schuldet, und man schätzt nichts gering außer den Lastern. Umgekehrt neigen Leute mit einem niedrigen und schwachen Geist dazu, im Übermaß zu sündigen, manchmal, indem sie Dinge verehren und fürchten, die nur der Geringschätzung würdig sind, und manchmal, indem sie diejenigen unverblümt verachten, die am meisten verdienen, verehrt zu werden. Oft gehen sie sehr rasch von extremer Gottlosigkeit zu Aberglaube und vom Aberglauben zur Gottlosigkeit über, so daß es keinerlei Laster noch irgendeine Störung des Geistes gibt, zu der sie nicht imstande wären. ar tike l 16 5 Über Hoffnung und Furcht
456,15
Hoffnung ist die Verfassung der Seele, davon überzeugt zu sein, daß eintreten wird, was sie verlangt. Sie wird durch eine besondere Bewegung der Spiritus verursacht, nämlich durch die der Freude gemischt mit der des Verlangens. Furcht ist eine andere Verfassung der Seele, davon überzeugt zu sein, daß es nicht eintreten wird. Es ist zu beachten, daß diese beiden Passionen zwar entgegengesetzt sind, aber man sie nichtsdestotrotz beide gemeinsam haben kann, nämlich wenn man sich gleichzeitig verschiedene Gründe darstellt, von denen die einen uns urteilen lassen, daß die Erfüllung des Verlangens leicht ist, und die anderen sie schwierig erscheinen lassen.
Über die besonderen Passionen
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ar tikel 16 6 Über Gelassenheit und Verzweiflung Keine dieser Passionen begleitet jemals das Verlangen, ohne der jeweils anderen etwas Platz zu lassen. Denn wenn die Hoffnung so stark ist, daß sie die Furcht völlig vertreibt, verändert sie ihre Natur und nennt sich Gelassenheit oder Zuversicht. Wenn man sich sicher ist, daß eintreten wird, was man verlangt, fährt man zwar damit fort, zu wollen, daß es eintritt, aber man hört damit auf, von der Passion des Verlangens erregt zu sein, die mit Unruhe auf seinen Eintritt aus ist. Ebenso verwandelt sich Furcht in Verzweiflung, wenn sie so extrem ist, daß sie jede Hoffnung raubt, und diese Verzweiflung stellt das Ding als unmöglich dar und löscht so das Verlangen völlig aus, das sich nur möglichen Dingen zuwendet. ar tikel 16 7
457,3
Über Eifersucht Eifersucht ist eine Art der Furcht, die sich auf das Verlangen bezieht, den Besitz eines Guts zu bewahren. Sie kommt nicht so sehr aus der Kraft der Gründe, die uns urteilen lassen, daß man es verlieren kann, als vielmehr aus unserer großen Wertschätzung für es. Diese Wertschätzung ist die Ursache, daß man auch die geringsten Anlässe für Argwohn prüft und man sie für sehr beachtenswerte Gründe hält.
457,18
ar tikel 16 8 Wobei diese Passion ehrenhaft sein kann Weil man mehr Sorge dafür tragen muß, sehr große Güter zu bewahren als ganz kleine, kann diese Passion bei einigen Anlässen gerechtfertigt und ehrenhaft sein. So hat zum Beispiel ein Hauptmann, der einen Platz von großer Bedeutung bewacht, das Recht, auf ihn eifersüchtig zu sein, d. h. mißtrauisch auf alle Mittel zu achten, durch die er überraschend eingenommen werden könnte. Und eine ehrenhafte Frau wird nicht dafür getadelt, eifersüch-
458,3
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
tig auf ihre Ehre zu sein, d. h. sich nicht nur davor zu hüten, sich schlecht zu betragen, sondern auch die geringsten Anlässe zu übler Nachrede zu vermeiden. ar tike l 16 9 Wobei sie tadelnswert ist 458,16
Aber man spottet über einen Geizigen, wenn er auf seinen Schatz eifersüchtig ist, d. h. wenn er die Augen nicht von ihm wendet und sich niemals von ihm entfernen will, aus Angst, er würde ihm gestohlen. Denn Geld ist nicht die Mühe wert, mit solcher Sorgfalt bewacht zu werden. Und man schätzt einen Mann gering, der auf seine Frau eifersüchtig ist, weil es ein Zeugnis ist, daß er sie nicht auf die richtige Art liebt und er eine schlechte Meinung von sich oder von ihr hat. Ich sage deshalb, daß er sie nicht auf die richtige Art liebt, weil er keinerlei Neigung hätte, ihr zu mißtrauen, wenn er wahre Liebe für sie hätte. Aber es ist eigentlich nicht sie, die er liebt, sondern nur das Gut, das er sich als darin bestehend vorstellt, sie als einziger in Besitz zu haben. Wenn er nicht urteilen würde, daß er dieses Guts nicht würdig oder seine Frau untreu ist, würde er nicht fürchten, es zu verlieren. Außerdem bezieht sich diese Passion nur auf Argwohn und Mißtrauen; denn wenn man versucht, ein Übel zu vermeiden, und man einen gerechten Anlaß hat, das zu fürchten, ist man nicht eigentlich eifersüchtig. ar tike l 17 0 Über Unentschlossenheit
459,11
Auch Unentschlossenheit ist eine Art der Furcht, die die Seele wie im Gleichgewicht zwischen mehreren Aktionen hält, die sie tun könnte, und so die Ursache ist, daß sie keine ausführt. Deshalb hat die Seele Zeit, zu wählen, bevor sie sich bestimmt; und darin hat Unentschlossenheit einen wirklich guten Nutzen. Aber sie ist sehr schlecht, wenn sie länger andauert als es nötig ist und veranlaßt, daß die Zeit, die erforderlich ist, um zu handeln, da-
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für verwendet wird, zu überlegen. Nun sage ich, sie sei eine Art der Furcht, obwohl es geschehen kann, daß, wenn man die Wahl zwischen mehreren Dingen hat, deren Güte als sehr gleich erscheint, man ungewiß und unentschlossen bleibt, ohne deswegen irgendwelche Furcht zu haben. Denn diese Art der Unentschlossenheit kommt allein von dem sich bietenden Gegenstand und überhaupt nicht von irgendeiner Regung der Spiritus. Deswegen ist sie keine Passion, es sei denn, daß die Furcht, man könne bei seiner Wahl falsch liegen, die Ungewißheit verstärkt. Aber diese Furcht ist bei einigen Leuten ganz gewöhnlich und so stark, daß sie sie oft zurückhält und sie sich unnütz damit aufhalten läßt, andere Dinge zu suchen, obwohl sie überhaupt nicht zu wählen haben und sie nur ein Ding sehen, das sie nehmen oder lassen können. Das ist dann ein Übermaß an Unentschlossenheit, das von einem zu großen Verlangen, es gut zu machen, und einer Schwäche des Verstandes kommt, der überhaupt keine klaren und deutlichen, sondern nur viele wirre Grundbegriffe hat. Deswegen ist das Heilmittel gegen dieses Übermaß, sich anzugewöhnen, gewisse und bestimmte Urteile bezüglich der sich bietenden Dinge auszubilden, und zu glauben, daß man immer seine Pflicht erfüllt, wenn man das tut, was man als das Beste beurteilt, obwohl man vielleicht nur ganz schlecht urteilt. ar tikel 17 1 Über Mut und Kühnheit Mut, wenn er eine Passion und keine Haltung oder natürliche Neigung ist,64 ist eine gewisse Wärme oder Erregung, die die Seele verleitet, sich mit aller Macht zur Ausführung der Dinge zu bringen, die sie tun will, von welcher Natur sie auch seien. Kühnheit ist eine Art des Muts, der die Seele zur Ausführung der gefährlichsten Dinge verleitet.
460,17
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
ar tike l 17 2 Über Wetteifer 460,26
Wetteifer ist eine andere Art des Muts, aber in einem anderen Sinn. Denn man kann Mut als eine Gattung betrachten, die sich einerseits in ebenso viele Arten teilt, wie es unterschiedliche Objekte gibt, und anderseits in ebenso viele andere, wie es Ursachen gibt. Kühnheit ist in der ersten, Wetteifer in der anderen Weise eine Art des Muts. Letzterer ist nichts anderes als eine Wärme, die die Seele dazu verleitet, Dinge zu unternehmen, von denen sie hofft, daß sie mit ihnen Erfolg hat, weil sie sieht, daß andere Leute mit ihnen Erfolg haben. Wetteifer ist eine Art des Muts, dessen externe Ursache ein Beispiel ist. Ich sage externe Ursache, weil es darüber hinaus auch eine interne geben muß, die darin besteht, daß man einen Körper von einer solchen Verfassung hat, daß das Verlangen und die Hoffnung größere Kraft haben, eine Menge Blut zum Herzen gehen zu lassen, als die Furcht oder die Verzweiflung haben, das zu verhindern. ar tike l 17 3 Wie Kühnheit von Hoffnung abhängt
461,17
Denn es ist zu beachten, daß das Objekt der Kühnheit eine Schwierigkeit ist, auf die gewöhnlich Furcht oder sogar Verzweiflung folgt, so daß man bei gefährlichsten und verzweifelsten Angelegenheiten die größte Kühnheit und den größten Mut aufbietet. Gleichwohl ist es nötig, daß man hofft oder sich sogar sicher ist, mit dem Ziel, das man sich vornimmt, Erfolg zu haben, um sich mit voller Stärke gegen die Schwierigkeiten zu stellen, auf die man trifft. Aber dieses Ziel ist unterschiedlich zu dem Objekt, weil man sich nicht gleichzeitig derselben Sache sicher und über sie verzweifelt sein kann. Als die Decier sich ihren Feinden entgegenwarfen und in einen gewissen Tod liefen, war das Objekt ihrer Kühnheit die Schwierigkeit, während dieser Aktion ihr Leben zu bewahren, eine Schwierigkeit, der sie nur mit
Über die besonderen Passionen
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Verzweiflung begegneten, weil sie sich sicher waren, zu sterben. Aber ihr Ziel bestand darin, ihre Soldaten durch ihr Beispiel anzufeuern und sie den Sieg erringen zu lassen, auf den sich ihre Hoffnung richtete. Oder ihr Ziel war vielleicht auch Ehre nach ihrem Tod, der sie sich ganz sicher waren.65 ar tikel 17 4 Über Feigheit und Angst Feigheit ist dem Mut direkt entgegengesetzt. Sie ist eine Trägheit oder Kälte, die verhindert, daß die Seele sich zur Ausführung der Dinge bringt, die sie täte, wenn sie dieser Passion entledigt wäre. Die der Kühnheit entgegengesetzte Angst oder der Schrecken ist nicht nur eine Kälte, sondern auch eine Störung und ein Staunen der Seele, die ihr die Macht raubt, den Übeln Widerstand zu leisten, von denen sie denkt, sie seien nah.
462,12
ar tikel 17 5 Über den Nutzen der Feigheit Nun, obwohl ich mich nicht davon überzeugen kann, daß die Natur den Menschen irgendeine Passion verliehen haben sollte, die immer lasterhaft ist und keinen guten und lobenswerten Nutzen hat, bereitet es mir doch ziemliche Mühe, zu erahnen, wozu Feigheit und Angst dienen können. Mir scheint, daß Feigheit allein dann einen gewissen Nutzen hat, wenn sie veranlaßt, daß man der Mühen entledigt wird, die auf sich zu nehmen man durch wahrscheinliche Gründe angereizt werden könnte, wenn andere, gewissere Gründe, die uns diese Mühen als unnütz haben beurteilen lassen, diese Passion nicht hervorgerufen hätten. Denn Feigheit entledigt die Seele nicht nur dieser Mühen, sondern dient dabei auch dem Körper, indem sie die Bewegung der Spiritus verlangsamt und so verhindert, daß man seine Kräfte verschwendet. Gewöhnlich aber ist sie sehr schädlich, weil sie den Willen von nützlichen Aktionen ablenkt. Weil sie nur daher kommt, daß man nicht genügend Hoffnung oder Verlangen hat,
462,22
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
muß man nur diese beiden Passionen in sich verstärken, um sie zu korrigieren. ar tike l 17 6 Über den Nutzen der Angst 463,16
Was die Angst oder den Schrecken betrifft, so sehe ich überhaupt nicht, daß sie jemals lobenswert oder nützlich sein könnte. Außerdem ist sie keine besondere Passion, sondern nur ein Übermaß an Feigheit, Staunen und Furcht, das immer lasterhaft ist; so wie Kühnheit ein Übermaß an Mut ist, das immer gut ist, sofern das Ziel gut ist, das man sich vornimmt. Weil Überraschung die Hauptursache der Angst ist, gibt es nichts besseres, um sich ihrer zu entledigen, als von vorausschauendem Denken Gebrauch zu machen und sich auf alle Ereignisse vorzubereiten, denen mit Furcht zu begegnen Angst verursachen kann. ar tike l 17 7 Über den Gewissensbiß
464,3
Ein Gewissensbiß ist eine Art der Traurigkeit, die von dem Zweifel kommt, daß etwas nicht gut ist, was man tut oder getan hat. Er setzt notwendig Zweifel voraus. Denn wenn man sich völlig sicher wäre, daß das, was man tut, schlecht ist, würde man davon Abstand nehmen, es zu tun, da der Wille sich nur Dingen zuwendet, die einigen Anschein von Güte haben. Und wenn man sich sicher wäre, daß das, was man bereits getan hat, schlecht war, hätte man Reue und nicht nur einen Gewissensbiß. Der Nutzen dieser Passion besteht darin, uns prüfen zu lassen, ob das, woran man zweifelt, gut ist oder nicht, und zu verhindern, daß man es erneut tut, solange man sich nicht sicher ist, daß es gut ist. Weil diese Passion aber das Übel voraussetzt, wäre es am besten, wenn man niemals Anlaß hätte, sie zu empfinden. Man kann sie durch dieselben Mittel vermeiden, durch die man sich der Unentschlossenheit entledigen kann.
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ar tikel 17 8 Über Spott Hohn oder Spott ist eine Art der Freude gemischt mit Haß, die daher kommt, daß man bei einer Person irgendein kleines Übel wahrnimmt, von der man denkt, daß sie seiner würdig ist. Man hat Haß für das Übel und man hat Freude, es an jemandem zu sehen, der seiner würdig ist. Wenn dies unerwartet einsetzt, ist die Überraschung durch die Verwunderung die Ursache, daß man in Lachen ausbricht, gemäß dem, was weiter oben über die Natur des Lachens gesagt wurde. Aber dieses Übel muß klein sein; denn wenn es groß ist, kann man nicht glauben, daß der, dem es widerfährt, seiner würdig ist, es sei denn, man hat ein sehr schlechtes Naturell, oder man bringt ihm sehr viel Haß entgegen.
464,22
ar tikel 17 9 Weshalb die unvollkommensten Leute gewöhnlich die größten Spötter sind Man sieht, daß insbesondere solche Leute zum Spott neigen, die sehr augenfällige Mängel haben, zum Beispiel lahm, einäugig, buckelig sind oder denen in der Öffentlichkeit irgendeine Beleidigung widerfahren ist. Denn sie verlangen, alle anderen ebenso stiefmütterlich behandelt zu sehen wie sie, und freuen sich sehr über die ihnen geschehenden Übel und schätzen sie als ihrer würdig ein. ar tikel 18 0
465,11
Über den Nutzen des Scherzes Was den bescheidenen Scherz betrifft, der die Laster nützlich aufgreift, indem er sie lächerlich erscheinen läßt, freilich ohne selbst über sie zu lachen oder irgendeinen Haß auf die Personen zu bezeugen, so ist er keine Passion, sondern eine Qualität eines ehrenhaften Menschen, die die Heiterkeit seiner Stimmung und die Unbesorgtheit seiner Seele – was Anzeichen seiner Tugend sind – und oft auch die Geschicklichkeit seines Geistes in Er-
465,20
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
scheinung treten läßt, indem er den Dingen, über die er spottet, einen angenehmen Anschein zu geben weiß. ar tike l 18 1 Über den Nutzen des Lachens beim Scherz 466,7
Es ist nicht unehrenhaft, zu lachen, wenn man die Scherze eines anderen hört; sie können sogar solcherart sein, daß es griesgrämig wäre, nicht darüber zu lachen. Wenn man selbst aber Scherze macht, ist es schicklicher, sich das Lachen zu verkneifen, damit es nicht so scheint, als ob man von den Dingen, die man sagt, überrascht oder man über seine Geschicklichkeit, sie erfunden zu haben, verwundert ist. Dies führt dazu, daß sie diejenigen, die sie hören, umso mehr überraschen. ar tike l 18 2 Über Neid
466,17
Was man gemeinhin Neid nennt, ist ein in einer Verkehrung der Natur bestehendes Laster, das gewisse Leute sich über das Gut ärgern läßt, das sie anderen Menschen geschehen sehen. Ich aber bediene mich dieses Wortes hier, um eine Passion zu bezeichnen, die nicht immer lasterhaft ist. Neid als Passion ist eine Art der Traurigkeit gemischt mit Haß, die daher kommt, daß man jenen ein Gut geschehen sieht, von denen man denkt, sie seien seiner unwürdig. Das kann man mit Grund nur bei Gütern aus Schicksal denken. Denn was die Güter der Seele oder sogar des Körpers betrifft, so besitzt man sie seit Geburt, und es ist ausreichend, sie von Gott erhalten zu haben, bevor man imstande war, irgendein Übel zu begehen, um ihrer würdig zu sein.
Über die besonderen Passionen
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ar tikel 18 3 Wie Neid gerechtfertigt oder ungerechtfertigt sein kann Läßt aber das Schicksal jemandem, der ihrer wirklich unwürdig ist, Güter zukommen und wird Neid in uns nur hervorgerufen, weil wir von Natur aus die Gerechtigkeit lieben und verärgert sind, daß sie bei der Verteilung dieser Güter nicht berücksichtigt wird, dann ist das ein Eifer, der vor allem dann verzeihlich sein kann, wenn das Gut, um das man andere beneidet, von einer solchen Natur ist, daß es sich in ihren Händen in ein Übel verwandeln kann; etwa wenn es sich um irgendein Amt oder irgendeine Aufgabe handelt, bei dessen Ausübung sie sich schlecht verhalten können. Wenn man für sich selbst dasselbe Gut verlangt und daran gehindert wird, es zu besitzen, weil andere es besitzen, die seiner weniger würdig sind, macht das diese Passion nur noch heftiger; und dennoch ist sie verzeihlich, sofern der Haß, den sie enthält, sich allein auf die schlechte Verteilung des Guts bezieht, auf das man neidisch ist, und gar nicht auf die Personen, die es besitzen oder verteilen. Aber nur wenige von diesen Leuten sind dabei so gerecht und edelmütig, daß sie keinen Haß auf diejenigen haben, die ihnen beim Erwerb eines Guts zuvorkommen, das nicht auf mehrere verteilbar ist, und das sie für sich selbst verlangt haben, auch wenn diejenigen, die es erworben haben, seiner ebenso oder mehr würdig sind. Was nun gewöhnlich am meisten beneidet wird, ist Ruhm; denn obwohl der Ruhm anderer Leute nicht verhindert, daß wir für uns welchen anstreben, so macht der der anderen gleichwohl den Zugriff auf ihn schwieriger und treibt den Preis in die Höhe.
467,7
ar tikel 18 4 Woher es kommt, daß neidische Leute dazu neigen, einen bleiernen Teint zu haben Außerdem gibt es kein Laster, das der Glückseligkeit der Menschen so schadet wie das des Neides. Denn abgesehen davon, daß die davon betroffenen sich selbst Kummer bereiten, stören sie
468,9
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
auch mit all ihrer Macht das Vergnügen der anderen. Gewöhnlich haben solche Leute einen bleiernen, d. h. bleichen, mit gelb und schwarz gemischten Teint wie bei einem Bluterguß. Daher kommt es, daß der Neid auf Latein livor (blauer Fleck) genannt wird. Das stimmt sehr gut mit dem überein, was weiter oben über die Bewegungen des Bluts bei der Traurigkeit und beim Haß gesagt wurde. Denn Haß läßt die vom unteren Teil der Leber kommende gelbe, und die von der Milz kommende schwarze Galle sich vom Herzen durch die Arterien in alle Venen ausbreiten; und Traurigkeit veranlaßt, daß das Blut der Venen weniger Wärme hat und langsamer als gewöhnlich strömt, was ausreicht, um die Farbe aschgrau zu machen. Weil aber sowohl gelbe als auch schwarze Galle auch durch etliche andere Ursachen in die Venen gesendet werden können und der Neid sie nicht in ausreichender Menge dorthin drückt, um die Farbe des Teints zu verändern, es sei denn, er ist sehr groß und von langer Dauer, darf man nicht denken, daß alle, bei denen man diese Farbe sieht, zu ihm neigen. ar tike l 18 5 Über Mitleid 469,5
Mitleid ist eine Art der Traurigkeit gemischt mit Liebe oder gutem Willen für diejenigen, die wir irgendein Übel erleiden sehen, dessen wir sie als unwürdig einschätzen. Im Verhältnis zu seinem Objekt ist Mitleid deshalb dem Neid entgegengesetzt; und dem Spott, weil es das Objekt in anderer Weise betrachtet. ar tike l 18 6 Welche Leute am meisten zum Mitleid neigen
469,13
Diejenigen, die sich sehr schwach fühlen und sehr den widrigen Umständen des Schicksals ausgeliefert, scheinen zu dieser Passion mehr zu neigen als andere, weil sie sich das Übel eines anderen darstellen, als könne es ihnen geschehen. Sie werden deshalb mehr durch die Liebe, die sie sich selbst entgegenbringen, als durch jene, die sie für andere haben, zum Mitleid angeregt.
Über die besonderen Passionen
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ar tikel 18 7 Wie die edelmütigsten Leute von dieser Passion ergriffen werden Aber nichtsdestoweniger können sich selbst edelmütigste Leute und solche mit stärkstem Geist, die deshalb für sich keinerlei Übel fürchten und sich jenseits der Macht des Schicksals halten, nicht des Mitgefühls entledigen, wenn sie die Ungefestigtheit anderer Menschen sehen und ihre Klagen hören. Denn es ist ein Teil des Edelmuts, einen guten Willen für jeden einzelnen zu haben. Aber die Traurigkeit dieses Mitleids ist nicht bitter, und sie liegt – wie die durch die unheilvollen Aktionen, die man im Theater dargestellt sieht, verursachte Traurigkeit – mehr im Äußeren und in den Sinnen als im Inneren der Seele, die währenddessen daraus Zufriedenheit gewinnt, zu denken, ihre Pflicht zu tun, wenn sie mit denen mitfühlt, denen Kummer bereitet wird. Ein Unterschied liegt nur darin, daß der Alltagsmensch Mitgefühl mit denjenigen hat, die sich beklagen, weil er denkt, daß die Übel, die sie erleiden, sehr unerfreulich sind, wohingegen das Hauptobjekt des Mitleids größerer Menschen die Schwäche derjenigen ist, die sie sich beklagen sehen, weil sie kein Ereignis, das geschehen kann, als ein so großes Übel einschätzen wie die Feigheit derjenigen, die es nicht mit Standhaftigkeit ertragen können. Und auch wenn größere Menschen die Laster hassen, so hassen sie deswegen keineswegs diejenigen, die sie ihnen ausgeliefert sehen, sondern haben für sie nur Mitleid.
469,22
ar tikel 18 8 Welche Leute nicht von dieser Passion ergriffen werden Aber nur boshafte und neidische Geister, die von Natur aus alle Menschen hassen, oder so rücksichtslos und solchermaßen durch ein günstiges Schicksal blind oder durch ein schlechtes verzweifelt geworden sind, daß sie denken, ihnen könne kein Übel mehr geschehen, sind unfähig, Mitleid zu empfinden.
470,26
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
ar tike l 18 9 Weshalb diese Passion Weinen hervorruft 471,6
Außerdem weint man bei dieser Passion sehr leicht, weil die Liebe viel Blut zum Herzen sendet und deshalb sehr viele Dämpfe durch die Augen austreten läßt. Außerdem verlangsamt die Kälte der Traurigkeit die Erregung dieser Dämpfe und läßt sie sich in Tränen verwandeln, gemäß dem, was weiter oben gesagt wurde. ar tike l 19 0 Über Zufriedenheit mit sich selbst
471,14
Die Zufriedenheit derjenigen, die immer standhaft der Tugend folgen, ist eine Haltung in ihrer Seele, die sich Unbesorgtheit und reines Gewissen nennt. Hingegen ist die Zufriedenheit, die man neu erwirbt, wenn man vor kurzem eine Aktion getan hat, von der man denkt, sie sei gut, eine Passion, nämlich eine Art der Freude, die, wie ich glaube, die süßeste von allen ist, weil ihre Ursache nur von uns selbst abhängt. Ist indessen diese Ursache nicht gerechtfertigt, haben die Aktionen, aus denen man große Zufriedenheit zieht, keine große Bedeutung oder sind sogar lasterhaft, dann ist sie lächerlich und dient nur dazu, Hochmut und eine unverschämte Arroganz zu produzieren. Das kann man insbesondere bei jenen bemerken, die glauben, ergeben zu sein, aber nur frömmelnd und abergläubisch sind,66 d. h. die unter dem Deckmantel, oft zur Kirche zu gehen, viele Gebete aufzusagen, kurze Haare zu tragen, zu fasten und Almosen zu geben, denken, ganz vollkommen zu sein und sich vorstellen, so große Freunde Gottes zu sein, daß sie nichts tun könnten, was ihm mißfällt und daß alles, was ihnen ihre Passion diktiert, in gutem Eifer geschehe, auch wenn sie ihnen manchmal die größten Verbrechen diktiert, die von Menschen begangen werden können, wie Städte zu verraten, Fürsten zu töten und ganze Völker auszurotten, einfach weil sie nicht ihren Meinungen folgen.
Über die besonderen Passionen
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ar tikel 19 1 Über Reue Reue ist der Zufriedenheit mit selbst direkt entgegengesetzt. Sie ist eine Art der Traurigkeit, die daher kommt, daß man glaubt, irgendeine schlechte Aktion getan zu haben, und sie ist sehr bitter, weil ihre Ursache nur von uns kommt. Das verhindert nichtsdestotrotz nicht, daß sie sehr nützlich ist, wenn es wahr ist, daß die Aktion, die wir bereuen, schlecht ist und wir eine gewisse Erkenntnis von ihr haben, weil sie uns dazu anreizt, es das nächste Mal besser zu machen. Aber es geschieht oft, daß schwache Geister Dinge bereuen, die sie getan haben, ohne sicher zu wissen, daß sie schlecht sind; sie sind davon nur überzeugt, weil sie dies befürchten, und wenn sie das Gegenteil getan hätten, würden sie es in derselben Weise bereuen – was eine des Mitleids würdige Unvollkommenheit in ihnen ist.67 Die Heilmittel gegen diesen Mangel sind dieselben, die dazu dienen, die Unentschlossenheit aufzuheben. ar tikel 19 2
472,18
Über Gunst Gunst ist eigentlich das Verlangen, zu sehen, daß jemandem, dem man guten Willen entgegenbringt, ein Gut geschieht. Ich aber bediene mich dieses Wortes hier, um diesen Willen zu bezeichnen, insofern er in uns durch irgendeine gute Handlung desjenigen hervorgerufen wird, dem wir diesen Willen entgegenbringen. Denn wir werden von Natur aus dazu gebracht, diejenigen zu lieben, die Dinge tun, die wir als gut einschätzen, obwohl wir selbst keinerlei Gut zurückbekommen. In dieser Bedeutung ist Gunst eine Art der Liebe und keineswegs des Verlangens, obwohl das Verlangen, ein Gut bei demjenigen zu sehen, dem man Gunst entgegenbringt, sie immer begleitet. Gewöhnlich ist sie mit Mitleid verbunden, weil die Mißgeschicke, die wir den Unglücklichen geschehen sehen, die Ursache sind, daß wir über ihre Verdienste mehr nachdenken.
473,9
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
ar tike l 19 3 Über Anerkennung 473,26
Anerkennung ist auch eine Art der Liebe, die in uns durch irgendeine Aktion dessen hervorgerufen wird, dem wir sie entgegenbringen, und durch die er uns, wie wir glauben, ein Gut getan hat, oder zumindest die Intention dazu hatte. Sie enthält deshalb genau dasselbe wie die Gunst, und das umso mehr, als sie auf einer Aktion gründet, die uns berührt, und für die uns erkenntlich zu zeigen wir das Verlangen haben. Deswegen hat sie sehr viel mehr Kraft, vor allem in Seelen, die auch nur ein ganz klein wenig vornehm und edelmütig sind. ar tike l 19 4 Über Undankbarkeit
474,11
Was Undankbarkeit betrifft, so ist sie keine Passion. Denn die Natur hat uns mit keinerlei Bewegung der Spiritus versehen, die sie hervorruft, sondern sie ist nur ein Laster, das der Anerkennung direkt entgegengesetzt ist, insofern letztere immer tugendhaft und eine der Hauptbindungen der menschlichen Gesellschaft ist. Deswegen kommt dieses Laster nur rücksichtslosen und einfältig anmaßenden Menschen zu, die denken, daß ihnen alle Dinge zustehen; oder blöden, die überhaupt nicht über die Wohltaten nachdenken, die ihnen widerfahren; oder schwachen und niederträchtigen, die ihre Ungefestigtheit und Dürftigkeit fühlen und unterwürfig auf den Beistand der anderen aus sind, und sie entweder hassen, nachdem sie sie erhalten haben, weil sie nicht den Willen haben, ihnen Gleiches zurückzugeben, oder daran verzweifeln, es nicht zu können, und sich vorstellen, alle seien käuflich wie sie und man tue kein Gut ohne die Hoffnung, dafür entlohnt zu werden, und deshalb denken, sie getäuscht zu haben.
Über die besonderen Passionen
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ar tikel 19 5 Über Empörung Empörung ist eine Art des Hasses oder der Abneigung, die man von Natur aus jenen entgegenbringt, die irgendein Übel tun, von welcher Natur es auch sei. Sie ist oft mit Neid oder mit Mitleid gemischt, aber ihr Objekt ist nichtsdestotrotz ganz unterschiedlich. Denn empört ist man nur über jene Leute, die Personen, die dessen nicht würdig sind, ein Gut oder ein Übel tun, Neid aber bringt man jenen entgegen, die dieses Gut erhalten; und Mitleid hat man für jene, denen dieses Übel widerfährt. Freilich bedeutet es in gewisser Weise, ein Übel zu tun, wenn man ein Gut besitzt, dessen man nicht würdig ist. Dies kann die Ursache gewesen sein, weshalb Aristoteles und seine Anhänger voraussetzten, daß der Neid immer ein Laster ist, und deshalb jenem Neid, der nicht lasterhaft ist, einen anderen Namen gegeben und Empörung genannt haben.68
475,3
ar tikel 19 6 Weshalb Empörung manchmal mit Mitleid und manchmal mit Spott verbunden ist Ein Übel zu tun, bedeutet in gewisser Weise auch, daß einem ein Übel widerfährt. Daher kommt es, daß einige Leute mit ihrer Empörung Mitleid verbinden, und einige andere Spott, gemäß dem, ob sie denjenigen guten oder schlechten Willen entgegenbringen, die sie diese Fehler begehen sehen. Deshalb konnten das Lachen Demokrits und die Tränen Heraklits von derselben Ursache herrühren.69 ar tikel 19 7
475,20
Empörung wird oft von Verwunderung begleitet und ist nicht mit der Freude unvereinbar Empörung wird oft auch von Verwunderung begleitet. Denn gewöhnlich setzen wir voraus, daß alle Dinge in der Weise getan werden, in der sie unserem Urteil nach getan werden müssen, d. h.
476,7
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
in der Weise, die wir als gut einschätzen. Deswegen überrascht es uns, wenn es anders geschieht, und sind darüber verwundert. Empörung ist auch nicht unvereinbar mit Freude, auch wenn sie gewöhnlich mit Traurigkeit verbunden ist. Denn wenn das Übel, über das wir empört sind, uns nicht schaden kann, und wir in Betracht ziehen, daß wir etwas ähnliches nicht tun wollen, dann bereitet uns das ein gewisses Vergnügen; und das ist vielleicht eine der Ursachen des Lachens, das manchmal diese Passion begleitet. ar tike l 19 8 Über den Nutzen der Empörung 476,23
Außerdem läßt sich Empörung bei Leuten, die tugendhaft erscheinen wollen, viel mehr bemerken als bei solchen, die es wirklich sind. Denn auch wenn diejenigen, die die Tugend lieben, die Laster der anderen nicht ohne einige Abneigung sehen können, wenden sie sich nur gegen die größten und außergewöhnlichsten leidenschaftlich. Es bedeutet, schwierig und griesgrämig zu sein, wenn man große Empörung über Dinge von geringer Bedeutung hat; es bedeutet ungerecht zu sein, wenn man Empörung nur über Dinge hat, die überhaupt nicht tadelnswert sind; und es bedeutet, unverschämt und absurd zu sein, wenn man diese Passion nicht auf die Aktionen von Menschen beschränkt und sie bis auf die Werke Gottes oder der Natur ausdehnt, wie es jene tun, die niemals mit ihrer Stellung oder ihrem Schicksal zufrieden sind und es wagen, an der Weltregierung und den Geheimnissen der Vorsehung etwas auszusetzen zu finden. ar tike l 19 9 Über Zorn
477,14
Zorn ist ebenfalls eine Art des Hasses oder der Abneigung, die wir gegen diejenigen haben, die ein Übel getan oder versucht haben uns zu schaden, und zwar nicht unterschiedslos irgend jemandem, sondern insbesondere uns. Deshalb enthält Zorn genau dasselbe wie Empörung, und das umso mehr, als er auf einer
Über die besonderen Passionen
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Aktion gründet, die uns berührt, und für die uns zu rächen wir das Verlangen haben; denn ein solches Verlangen begleitet ihn fast immer.70 Zorn ist der Anerkennung direkt entgegengesetzt wie Empörung der Gunst. Aber er ist unvergleichlich viel heftiger als diese drei anderen Passionen, weil das Verlangen, die schädlichen Dinge zurückzuweisen und sich zu rächen, das dringendste von allen ist. Es ist Verlangen verbunden mit der Liebe zu sich selbst, was dem Zorn die gesamte Erregung des Blutes liefert, die der Mut und die Kühnheit verursachen können; und der Haß läßt vor allem das aus der Milz und den kleinen Venen der Leber kommende gallige Blut diese Erregung aufnehmen und in das Herz eintreten, wo es aufgrund seiner Fülle und der Natur der Galle, mit der es gemischt ist, eine rauhere und hitzigere Wärme hervorruft als die, die dort durch die Liebe und die Freude hervorgerufen werden kann. ar tikel 20 0 Weshalb diejenigen, die der Zorn erröten läßt, weniger zu fürchten sind als diejenigen, die er erbleichen läßt Die äußeren Zeichen dieser Passion sind unterschiedlich gemäß den verschiedenen Grundbeschaffenheiten der Personen und der Verschiedenheit der anderen Passionen, aus denen sie sich zusammensetzt oder die sich mit ihr verbinden. So sieht man manche Leute erbleichen oder zittern, wenn sie in Zorn geraten, und man sieht andere erröten oder sogar weinen. Gewöhnlich urteilt man, daß der Zorn derjenigen, die erbleichen, mehr zu fürchten ist, als der derjenigen, die erröten. Der Grund dafür ist, daß man, wenn man sich nur durch Mienen und Worte rächen will oder kann, von Beginn an, wenn man angeregt ist, seine gesamte Wärme und gesamte Kraft aufbietet, was die Ursache ist, daß man rot wird. Darüber hinaus ist manchmal das Bedauern und das Mitleid, das man mit sich selbst hat, weil man sich nicht in anderer Weise rächen will, die Ursache, daß man weint. Umgekehrt werden diejenigen, die sich zurückhalten und zu einer größeren Rache bestimmen, über das traurig, wozu sie denken, durch die sie in
478,13
120
Die Passionen der Seele · Dritter Teil
Zorn versetzende Aktion verpflichtet zu sein. Sie haben mitunter auch etwas Furcht vor den Übeln, die dem Entschluß, den sie getroffen haben, folgen können, was sie zunächst bleich und kalt werden und zittern läßt. Wenn sie aber später ihre Rache ausführen, geraten sie wieder umso mehr in Rage, je kälter sie zu Beginn waren, genauso, wie man sieht, daß Fieber, die mit Frösteln beginnen, gewöhnlich die stärksten sind. ar tike l 20 1 Es gibt zwei Arten von Zorn; und Leute mit größerer Güte neigen am meisten zur ersten 479,14
Dadurch werden wir in Kenntnis gesetzt, daß man zwei Arten des Zorns unterscheiden kann: einen sehr raschen, der sehr am Äußeren zutage tritt, nichtsdestotrotz aber geringe Wirkung hat und leicht beruhigt werden kann; und einen anderen, der zunächst nicht so sehr in Erscheinung tritt, aber umso mehr am Herzen nagt und gefährlichere Wirkungen hat. Leute mit großer Güte und viel Liebe neigen mehr zum ersten; denn dieser Zorn kommt nicht aus einem tiefsitzenden Haß, sondern von einer raschen Abneigung, von der sie überrascht werden, weil sie sich dazu bringen, sich vorzustellen, daß alle Dinge in der Weise gehen müssen, die sie als die beste beurteilen. Deshalb sind sie verwundert und beleidigt, sobald es anders geschieht, oft sogar ohne daß das Ding sie im besonderen berührt. Denn da ihre Zuneigung groß ist, interessieren sie sich für diejenigen, die sie lieben, in derselben Weise wie für sich selbst, und deshalb ist das, was für jemand anderen nur ein Anlaß der Empörung wäre, für sie ein Anlaß des Zorns. Weil ihre Neigung, zu lieben, veranlaßt, daß sie im Herzen große Wärme und viel Blut haben, muß die Abneigung, die sie überrascht, so viel Galle dorthin drücken, daß dies zunächst eine große Regung in diesem Blut verursacht; aber diese Regung dauert kaum an, weil die Kraft der Überraschung nicht anhält; und sobald sie wahrnehmen, daß der Anlaß, der sie ärgert, sie nicht so anregen sollte, bereuen sie sie.
Über die besonderen Passionen
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ar tikel 20 2 Es sind die schwachen und niedrigen Seelen, die sich am meisten zu der anderen Art des Zorns hinreißen lassen Die andere Art des Zorns, in der Haß und Traurigkeit vorherrschen, ist zunächst nicht so augenfällig, außer vielleicht insofern, als dieser Zorn das Gesicht erbleichen läßt. Aber seine Kraft wird nach und nach durch die Erregung vergrößert, die ein sehnliches Verlangen, sich zu rächen, im Blut hervorruft, das, gemischt mit der vom unteren Teil der Leber und der Milz zum Herzen gedrückten Galle, dort eine rauhe und sehr stechende Wärme hervorruft. Und so, wie sich in den edelmütigsten Seelen die größte Anerkennung findet, lassen sich diejenigen, in denen der größte Hochmut herrscht, und die die niedrigsten und ungefestigsten sind, am meisten zu dieser Art des Zorns hinreißen. Denn Ungerechtigkeiten treten umso mehr in Erscheinung, je höher uns der Hochmut uns einschätzen läßt, und auch umso mehr, je höher man die Güter einschätzt, die sie uns rauben. Und diese Güter schätzt man deswegen umso höher ein, je schwächer und niedriger unsere Seele ist, weil sie von einem anderen abhängen.
480,16
ar tikel 20 3 Edelmut dient als Heilmittel gegen die Übermäßigkeiten des Zorns Obwohl diese Passion sehr nützlich sein mag, um uns volle Stärke zu verleihen, wenn wir Ungerechtigkeiten zurückweisen, gibt es gleichwohl keine, deren Übermäßigkeiten man mit größerer Sorgfalt vermeiden muß, weil sie das Urteilsvermögen stören und uns Fehler begehen lassen, die uns später Reue bescheren. Manchmal verhindern diese Übermäßigkeiten sogar, daß man die Ungerechtigkeiten so gut zurückweist, wie man es könnte, wenn man weniger Regung hätte. Aber genauso, wie nichts den Zorn übermäßiger macht als der Hochmut, ist der Edelmut, glaube ich, das beste Heilmittel, das man gegen seine Übermäßigkeiten finden kann. Denn er veranlaßt, daß man all die Güter, die
481,9
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
einem geraubt werden können, als sehr gering einschätzt und man umgekehrt die Freiheit und absolute Herrschaft über sich selbst sehr hoch einschätzt, die man verliert, solange man durch irgend jemanden beleidigt werden kann. Deswegen veranlaßt der Edelmut, daß man nur noch Geringschätzung oder höchstens Empörung für die Ungerechtigkeiten hat, mit denen die anderen uns gewöhnlich beleidigen. ar tike l 20 4 Über Stolz 482,3
Ich nenne mit dem Namen Stolz hier eine Art der Freude, die auf der Liebe zu sich selbst gründet und von unserer Meinung oder Hoffnung kommt, von einigen anderen gelobt zu werden. Er ist demnach unterschiedlich zu der inneren Zufriedenheit, die von der Meinung kommt, eine gute Aktion getan zu haben. Denn mitunter wird man für Dinge gelobt, die, wie man glaubt, gar nicht gut sind, und getadelt für solche, die, wie man glaubt, die besten sind. Sie sind beide aber genauso Arten der Wertschätzung, die man über sich selbst vornimmt, wie Arten der Freude. Denn es ist ein Anlaß, sich wertzuschätzen, wenn man sieht, daß man von anderen wertgeschätzt wird. ar tike l 20 5 Über Scham
482,17
Umgekehrt ist Scham eine Art der Traurigkeit, die auch auf der Liebe zu sich selbst gründet und von unserer Meinung oder Furcht kommt, getadelt zu werden. Sie ist darüber hinaus eine Art der Bescheidenheit oder Demut und dem Mißtrauen in sich selbst. Denn wenn man sich so sehr wertschätzt, daß man sich nicht vorstellen kann, von irgend jemandem geringgeschätzt zu werden, kann man nicht leicht beschämt sein.
Über die besonderen Passionen
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ar tikel 20 6 Über den Nutzen dieser beiden Passionen Stolz und Scham haben denselben Nutzen, indem sie uns zur Tugend anreizen, Stolz durch Hoffnung, Scham durch Furcht. Es ist nur nötig, sein Urteilsvermögen bezüglich dessen zu unterrichten, was wirklich des Tadels oder des Lobes würdig ist, damit man nicht beschämt ist, wenn man etwas gut macht, und sich nichts auf seine Laster einbildet, wie es etlichen Leuten geschieht. Aber es ist nicht gut, sich völlig dieser Passionen zu entledigen, wie es einst die Kyniker taten. Denn obwohl das Volk sehr schlecht urteilt, müssen wir gleichwohl bezüglich des Äußeren unserer Aktionen seinen Meinungen oft mehr folgen als den unsrigen, weil wir nicht ohne es leben können, und es für uns wichtig ist, von ihm wertgeschätzt zu werden.71
482,26
a r ti ke l 20 7 Über Unverschämtheit Unverschämtheit oder Frechheit, die eine Geringschätzung der Scham und oft auch des Stolzes ist, ist keine Passion, weil es in uns keinerlei besondere Bewegung der Spiritus gibt, die sie hervorruft; aber insofern Scham und Stolz gut sind, ist Unverschämtheit ein ihnen entgegengesetztes Laster, genauso wie Undankbarkeit der Anerkennung entgegengesetzt ist und Grausamkeit dem Mitleid. Die Hauptursache der Frechheit kommt daher, daß einem mehrere Male große Beleidigungen widerfahren sind. Denn es gibt niemanden, der, wenn er jung ist, sich nicht Lob als Gut und Ehrlosigkeit als Übel vorstellt, die für das Leben sehr viel wichtiger sind als man sie durch Erfahrung findet, wenn einem einige bemerkenswerte Beleidigungen widerfahren sind und man sich völlig der Ehre beraubt und von allen geringgeschätzt sieht. Deswegen werden solche Leute frech, die Gut und Übel nur an den Behaglichkeiten für den Körper bemessen, und sehen, daß sie nach diesen Beleidigungen diese Vorteile genauso genießen wie vorher, oder manchmal sogar mehr, weil sie von etlichen
483,15
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Die Passionen der Seele · Dritter Teil
Zwängen entlastet sind, zu denen die Ehre sie verpflichtete, und weil, wenn der Verlust der Güter mit ihrem Mißgeschick verbunden ist, sich barmherzige Personen finden, die sie ihnen geben. ar tike l 20 8 Über Ekel 484,11
Ekel ist eine Art der Traurigkeit, die von derselben Ursache kommt, von der zuvor die Freude kam. Denn wir sind so zusammengesetzt, daß der größte Teil der Dinge, die wir genießen, im Hinblick auf uns nur zu einer bestimmten Zeit gut sind und danach unbehaglich werden. Das tritt vor allem beim Trinken und Essen in Erscheinung, die nur nützlich sind, solange man Appetit hat, aber schädlich, wenn man ihn nicht mehr hat; und weil sie dann aufhören, für den Geschmack angenehm zu sein, hat man diese Passion Ekel (dégout = Abgeschmack) genannt. ar tike l 20 9 Über Bedauern
484,23
Bedauern ist ebenfalls eine Art der Traurigkeit, die eine besondere Bitterkeit darin hat, daß sie immer mit etwas Verzweifelung und der Erinnerung an das Vergnügen verbunden ist, das uns der Genuß bereitet hat. Denn wir bedauern immer nur die Güter, die wir genossen haben und so sehr verloren sind, daß wir keinerlei Hoffnung haben, sie zu der Zeit und in der Weise wiederzubekommen, in der wir sie bedauern. ar tike l 21 0 Über Fröhlichkeit
485,8
Schließlich ist das, was ich Fröhlichkeit nenne, eine Art der Freude, in der es das Besondere gibt, daß ihre Annehmlichkeit durch die Erinnerung an die Übel verstärkt wird, die man erlitten hat, und von denen man sich in derselben Weise erleichtert fühlt, wie wenn man sich von einer schweren Last entlastet fühlt,
Über die besonderen Passionen
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die man lange auf seinen Schultern getragen hat. Ich sehe nichts sehr Bemerkenswertes an diesen drei Passionen; auch habe ich sie hier nur angeführt, um der Ordnung der Aufzählung zu folgen, die ich weiter oben aufgestellt habe. Aber mir scheint, daß diese Aufzählung nützlich gewesen ist, um zu zeigen, daß wir keine ausgelassen haben, die einer besonderen Betrachtung würdig war. ar tikel 21 1 Ein allgemeines Heilmittel gegen Passionen Nun, da wir alle Passionen erkennen, haben wir sehr viel weniger Anlaß als vorher, sie zu fürchten. Denn wir sehen, daß sie alle von ihrer Natur her gut sind.72 Wir müssen nur ihren schlechten Gebrauch oder ihr Übermaß vermeiden, wogegen die von mir erklärten Heilmittel ausreichen könnten, wenn ein jeder ausreichend Sorge dafür tragen würde, sie zu praktizieren. Aber weil ich unter diese Heilmittel vorausschauendes Denken und Bemühung gesetzt habe, durch die man die Mängel seines Naturells korrigieren kann, indem man sich darin übt, in sich die Bewegungen des Blutes und der Spiritus von den Gedanken zu trennen, mit denen sie gewöhnlich verbunden sind, gebe ich zu, daß es nur wenige Personen gibt, die sich in dieser Weise auf alle Arten von Begebenheiten vorbereitet haben;73 außerdem folgen die durch die Objekte der Passionen hervorgerufenen Bewegungen zunächst so rasch den im Gehirn zustande kommenden bloßen Eindrücken und der Verfassung der Organe, daß, obwohl die Seele dazu in keiner Weise beiträgt, keine menschliche Weisheit imstande sein kann, ihnen Widerstand zu leisten, wenn man darauf nicht ausreichend vorbereitet ist. So können viele Leute es sich nicht verkneifen, zu lachen, wenn sie gekitzelt werden, obwohl sie daran gar kein Vergnügen haben; denn der Eindruck der Freude und der Überraschung, der sie ein vorheriges Mal aus demselben Anlaß lachen ließ, läßt, wenn er in ihrer Phantasie wachgerufen wird, ihre Lunge auch ohne sie durch das Blut, das das Herz in sie sendet, plötzlich anschwellen. Deshalb können Leute, die durch ihr Naturell sehr zu den Regungen der Freude,
485,22
126
Die Passionen der Seele · Dritter Teil
des Mitleids, der Angst oder des Zorns gebracht werden, nicht verhindern, ohnmächtig zu werden, zu weinen, zu zittern oder ein insgesamt so angeregtes Blut zu haben, als hätten sie Fieber, wenn ihre Phantasie durch das Objekt einer dieser Passionen stark berührt wird. Was man aber bei einer solchen Gelegenheit immer tun kann, und was ich denke, hier als das allgemeinste und am leichtesten zu praktizierende Heilmittel gegen alles Übermaß der Passionen anführen zu können, ist: Wenn man fühlt, daß das Blut so angeregt ist, muß man gewarnt sein und sich daran erinnern, daß alles, was sich der Anschauung bietet, die Seele zu täuschen strebt, und ihr die Gründe, die dazu dienen, sie von dem Objekt dieser Passion zu überzeugen, als sehr viel stärker erscheinen läßt als sie sind, und die Gründe, die dazu dienen, es ihr auszureden, als sehr viel schwächer. Wenn die Passion nur zu Dingen überredet, deren Ausführung Aufschub gestattet, muß man davon Abstand nehmen, auf der Stelle irgendein Urteil vorzubringen, und sich durch andere Gedanken zerstreuen, bis die Zeit und die Beruhigung die Regung im Blut völlig beruhigt haben.74 Wenn sie schließlich zu Aktionen anreizt, über die man notwendig unverzüglich einen Entschluß treffen muß, ist es nötig, daß der Wille sich dazu bringt, vor allem die Gründe zu betrachten und denen zu folgen, die den durch die Passion dargestellten entgegengesetzt sind, auch wenn erstere weniger stark erscheinen. Wenn man etwa unerwartet von einem Feind angegriffen wird, erlaubt dieser Anlaß nicht, irgendwelche Zeit zum Überlegen zu verwenden. Was aber, wie mir scheint, alle immer können, die gewöhnt sind, über ihre Aktionen nachzudenken, ist: Wenn sie fühlen, von Angst gepackt zu sein, können sie immer versuchen, ihr Denken von der Betrachtung der Gefahr abzulenken, indem sie sich die Gründe darstellen, weswegen sehr viel mehr Sicherheit und Ehre im Widerstand liegt als in der Flucht. Wenn sie umgekehrt fühlen, daß das Verlangen nach Rache und der Zorn sie dazu anreizt, sich unbedacht auf die zu stürzen, die sie angreifen, sollen sie sich daran erinnern, zu denken, daß sich zu opfern eine Unklugheit ist, wenn man sich ohne Unehre retten kann; und daß, wenn die Partie sehr ungleich steht, es besser
Über die besonderen Passionen
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ist, einen ehrenhaften Rückzug anzutreten oder sich zu verschanzen, als sich rücksichtslos einem gewissen Tod auszuliefern. ar tikel 21 2 Allein von den Passionen hängt das gesamte Wohl oder Übel dieses Lebens ab Darüber hinaus kann die Seele für sich ihre Vergnügungen haben. Was aber die betrifft, die sie mit dem Körper gemeinsam hat, so hängen sie völlig von den Passionen ab. Deshalb sind Menschen, die am meisten durch sie angeregt werden können, imstande, die meiste Annehmlichkeit dieses Lebens zu genießen. Freilich können sie in ihm auch die meiste Bitterkeit finden, wenn sie sie nicht gut zu verwenden wissen und das Schicksal ihnen entgegengesetzt ist. Aber die Weisheit ist vor allem in dem Punkt nützlich, daß sie lehrt, ihrer soweit Herr zu werden und sie mit solcher Geschicklichkeit wie ein rohes Ei zu behandeln, daß die Übel, die sie verursachen, sehr erträglich sind und man sogar etwas Freude aus allen zieht.75 ENDE
488,10
DIE BESCHREIBUNG DES MENSCHLICHEN KÖRPERS UND ALLER SEINER FUNKTIONEN
Sowohl der Funktionen, die überhaupt nicht, als auch derjenigen, die von der Seele abhängen. Außerdem die Hauptursache der Ausbildung der Körperglieder76
ERSTER TEIL Vorwort
223,10
224,6
224,21
Es gibt nichts, womit man sich mit grö- 1. Es ist für die Medizin sehr ßerem Gewinn beschäftigen könnte, als nützlich, die Funktionen unseres 77 zu versuchen, sich selbst zu erkennen. Körpers gut zu erkennen. Der Ertrag, den man von dieser Erkenntnis erhoffen darf, betrifft nicht, wie es vielen zunächst scheint, allein die Moral, sondern insbesondere auch die Medizin. Denn ich glaube, man hätte in der Medizin viele sehr gesicherte Vorschriften finden können, sowohl um Krankheiten zu heilen als auch um sie zu vermeiden und sogar den Lauf des Alters zu verlangsamen, wenn man sich nur hinreichend bemüht hätte, die Natur unseres Körpers zu erkennen, und man der Seele nicht jene Funktionen zugeschrieben hätte, die allein von ihm und der Verfassung seiner Organe abhängen.78 Aber weil wir alle von Kindheit an 2. Woher es kommt, daß man feststellen konnten, daß etliche Bewe- seine Funktionen gewöhnlich gungen des Körpers dem Willen gehorch- der Seele zuschreibt. ten, der ein Vermögen der Seele ist, hat uns das dazu verleitet, zu glauben, die Seele sei das Prinzip aller Bewegungen. Dazu hat auch die Unkenntnis der Anatomie und der Mechanik einiges beigetragen: denn da wir nur das Äußere des menschlichen Körpers betrachteten, konnten wir uns überhaupt nicht vorstellen, er habe in sich genügend Organe oder Triebfedern, um sich von selbst auf gerade so viele verschiedene Weisen zu bewegen, wie wir ihn sich bewegen sehen. Dieser Irrtum wurde dann dadurch gefestigt, daß wir zu dem Urteil kamen, daß tote Körper ja dieselben Organe hatten wie lebendige, denen allein nur die Seele fehlte, und es gleichwohl in ihnen keine Bewegung gab. Wenn wir hingegen unsere Natur deutlicher zu erkennen versuchen, können 3. Weshalb diese Funktionen nicht der Seele zugeschrieben wir sehen, daß wir unsere Seele, insofern werden dürfen. sie eine vom Körper unterschiedene Sub-
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Erster Teil
stanz ist, nur dadurch erkennen, daß sie einsieht, will, sich etwas vorstellt, sich wieder an etwas erinnert und empfindet: Denn alle diese Funktionen sind Arten von Gedanken. Da ja außerdem die anderen Funktionen, die ihr von einigen zugeschrieben werden – wie das Herz und die Arterien zu bewegen, im Magen Nahrungsmittel zu verdauen und ähnliche, die in sich keinerlei Gedanken enthalten – nur körperliche Bewegungen sind, und gewöhnlich ein Körper eher durch einen anderen Körper als von einer Seele bewegt wird, haben wir weniger Grund, diese Funktionen der Seele zuzuschreiben als dem Körper. Außerdem können wir sehen, daß, 4. Ein anderer Grund, der dasselbe belegt. wenn irgendwelche Teile unseres Körpers verletzt werden, zum Beispiel ein Nerv gestochen wird, dies dazu führt, daß sie nicht mehr wie gewöhnlich unserem Willen gehorchen und häufig sogar zuckende, dem Willen entgegengesetzte Bewegungen zeigen. Das zeigt, daß die Seele nur dann im Körper eine Bewegung hervorrufen kann, wenn sich die für diese Bewegung erforderlichen körperlichen Organe in der dafür richtigen Verfassung befinden, und daß, wenn sich umgekehrt alle Organe des Körpers in der richtigen Verfassung zu einer bestimmten Bewegung befinden, der Körper die Seele nicht nötig hat, um sie zu produzieren. Folglich dürfen wir die Bewegungen, die wir als in keiner Weise von unserem Denken abhängend erfahren, nicht unserer Seele zuschreiben, sondern allein der Verfassung der Organe. Und sogar die willentlich genannten Bewegungen rühren vor allem von dieser Verfassung der Organe her; denn sie können ohne diese Verfassung nicht hervorgerufen werden, wie sehr sich auch unser Wille darauf richtet, und auch wenn die Seele sie bestimmt. Obwohl nun alle Bewegungen im Kör5. Auch wenn der Tod diese Funktionen aufhören läßt, per aufhören, wenn er stirbt und die folgt daraus nicht, daß sie Seele ihn verläßt, darf man daraus nicht von der Seele abhängen. ableiten, daß die Seele sie produziert, sondern nur, daß es dieselbe Ursache ist, die veranlaßt, daß der Körper nicht mehr geeignet ist, sie zu produzieren, und daß die Seele sich von ihm löst.
225,6
225,26
Vorwort 226,1
226,12
226,25
133
Freilich mag es Schwierigkeiten berei- 6. Es ist nicht nötig, viel Anaten, zu glauben, daß allein die Verfassung tomie studiert zu haben, um diese Abhandlung zu verstehen. der Organe ausreichend sein solle, um in uns alle Bewegungen zu produzieren, die sich nicht durch unser Denken bestimmen. Deswegen werde ich dies hier zu belegen und die gesamte Maschine unseres Körpers so zu erklären versuchen, daß wir genausowenig Anlaß haben werden, zu denken, es sei unsere Seele, die in ihr die Bewegungen hervorruft, die wir als in keiner Weise von unserem Willen geleitet erfahren, wie wir Anlaß haben, zu urteilen, es gebe in einer Uhr eine Seele, die dafür sorgt, daß sie die Stunden anzeigt. Es gibt niemanden, der nicht schon eine gewisse Kenntnis der verschiedenen Teile des menschlichen Körpers hätte, das heißt, der nicht wüßte, daß er aus einer großen Anzahl von Knochen, Muskeln, Nerven, Venen, Arterien und ebenso einem Herzen, einem Gehirn, einer Leber, einer Lunge und einem Magen zusammengesetzt ist. Auch gibt es niemanden, der nicht irgendwann bereits gesehen hat, wie man verschiedene Tiere öffnete, und dabei die Gestalt und die Lage ihrer inneren Teile betrachten konnte, die bei ihnen fast die gleichen sind wie bei uns. Es wird nicht nötig sein, sonst noch etwas aus der Anatomie gelernt zu haben, um diesen Text zu verstehen, weil ich in dem Maße, wie sich mir dazu die Gelegenheit bieten wird, darüber zu sprechen, dafür Sorge tragen werde, alles Besondere zu erklären, was man außerdem noch wissen muß. Damit man sich zunächst einen allge- 7. Zusammenfassung dessen, meinen Begriff von der gesamten Ma- was diese Abhandlung enthalten schine machen kann, die ich beschreiben muß. will, möchte ich hier sagen, daß die Wärme in ihrem Herzen gewissermaßen die große Triebfeder und das Prinzip aller Bewegungen in ihr ist. Die Venen sind die Röhren, die das Blut von allen Teilen des Körpers geradewegs zum Herzen bringen, wo es der dortigen Wärme als Nahrung dient. Ebenso sind auch der Magen und die Gedärme eine andere große Röhre, die mit kleinen Löchern durchsetzt ist, durch die der Saft der Nahrungsmittel in die Venen strömt, die sie geradewegs zum Herzen tragen.
134
Beschreibung des menschlichen Körpers · Erster Teil
Die Arterien sind wiederum andere Röhren, durch die das im Herzen erwärmte und verdünnte Blut von dort auf alle anderen Körperteile übergeht, zu denen es die Wärme bringt und etwas Materie, um sie zu ernähren. Schließlich bilden die am stärksten erregten und lebhaftesten Teile des Blutes, die durch die Arterien, die am geradlinigsten von allen vom Herzen zum Gehirn kommen, gewissermaßen eine Luft oder einen sehr feinen Wind, den man die Lebensgeister nennt. Diese Lebensgeister lassen das Gehirn expandieren und machen es geeignet, sowohl die Eindrücke der äußeren Objekte als auch die der Seele aufzunehmen, das heißt das Organ oder der Sitz des Gemeinsinns, der Anschauung und des Gedächtnisses zu sein. Außerdem strömt diese Luft, bzw. strömen diese Spiritus vom Gehirn durch die Nerven in alle Muskeln, wodurch sie sie in die richtige Verfassung bringen, um den äußeren Sinnen als Organe zu dienen; und sie lassen die Muskeln verschieden anschwellen und verleihen so allen Körpergliedern Bewegung. Soweit also zusammengefaßt alles, was ich hier zu beschreiben habe, damit wir deutlich erkennen, was bei unseren Aktionen jeweils nur vom Körper und was jeweils von der Seele abhängt, und wir uns sowohl des Körpers als auch der Seele besser bedienen und ihre Krankheiten heilen oder vermeiden können.
227,22
ZWEITER TEIL Über die Bewegung des Herzens und des Blutes
228,3
228,10
Man kann nicht zweifeln, daß es im Her- 8. Es gibt Wärme im Herzen, zen Wärme gibt, denn wenn man den und was ihre Natur ist. Körper eines lebenden Tieres öffnet, kann man sie sogar mit der Hand empfinden. Es ist auch nicht nötig, sich die Natur dieser Wärme anders vorzustellen als die allgemein aller Wärme, die durch die Mischung irgendeiner Flüssigkeit oder Hefe verursacht wird und den Körper expandieren läßt, in dem sie sich befindet. Weil aber die durch die Wärme ver- 9. Beschreibung der Teile des ursachte Expansion des Blutes die erste Herzens. und hauptsächliche Triebfeder unserer gesamten Maschine ist, möchte ich, daß diejenigen, die niemals Anatomie studiert haben, sich die Mühe machen, sich das Herz irgendeines ausreichend großen Landtiers anzusehen (denn die Herzen aller dieser Tiere sind dem des Menschen ziemlich ähnlich). Hierzu sollten sie zuerst die Spitze dieses Herzens abschneiden, und dann auf die beiden Kavernen oder Höhlen in seinem Inneren achten, die viel Blut enthalten können. Danach sollten sie die Finger in diese Höhlen stecken, um an der Grundfläche des Herzens die Öffnungen zu suchen, durch die sie Blut aufnehmen oder auch sich von dem entlasten können, das sie enthalten. Dabei werden sie in jeder Höhle zwei sehr große Öffnungen finden, nämlich in der rechten Höhle eine, die den Finger in die Hohlvene, und eine andere, die ihn in die arteriöse Vene [Lungenarterie] leitet. Wenn sie dann das Fleisch des Herzens entlang dieser Kammer bis zu den beiden Öffnungen durchschneiden, werden sie am Eingang der Hohlvene drei kleine Häute finden (die man gemeinhin Klappen nennt). Diese Klappen befinden sich in einer solchen Verfassung, daß, wenn das Herz gestreckt und abgeschwollen ist (wie es bei toten Tieren immer der Fall ist), sie das Blut in dieser Vene keineswegs daran hindern, in die Kammer abzufließen. Schwillt aber das Herz – gezwungen durch die Fülle und die Expansion
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Zweiter Teil
des Bluts, das es enthält – an und verkürzt sich, müssen diese drei Häute sich wieder heben und so den Eingang zur Hohlvene schließen, so daß durch ihn nicht länger Blut in das Herz abfließen kann. Man wird auch am Eingang der arteriösen Vene drei kleine Häute oder Klappen finden, die sich in ganz anderer Verfassung befinden als die der Hohlvene, so daß sie das Blut, das diese Hohlvene enthält, nicht daran hindern, in das Herz abfließen zu können; befindet sich aber welches in der rechten Herzkammer, das aus ihr auszutreten strebt, dann hindern sie es keineswegs daran. Steckt man den Finger in die linke Kammer, findet man in derselben Weise an der Grundfläche zwei Öffnungen, von denen die eine in die venöse Arterie [Lungenvene] und die andere in die große Arterie [Aorta] leitet. Öffnet man die ganze Kammer, sieht man am Eingang der venösen Arterie zwei Klappen, die denen der Hohlvene ganz ähnlich und in derselben Weise angeordnet sind. Der einzige Unterschied besteht nur darin, daß die venöse Arterie, auf die von der einen Seite durch die große Arterie und von der anderen durch die venöse Arterie Druck ausgeübt wird, eine längliche Öffnung hat, was dazu führt, daß zwei solche Häute ausreichen um sie zu schließen, wohingegen drei nötig sind, um den Eingang der Hohlvene zu schließen. Man sieht auch am Eingang der großen Arterie drei andere Klappen, die sich in nichts von denen am Eingang der arteriösen Vene unterscheiden, so daß sie das Blut in der linken Herzkammer nicht daran hindern, in die große Arterie zu steigen, aber daran, aus dieser Arterie in das Herz zurückzufließen. Man kann auch bemerken, daß diese beiden Gefäße, nämlich die arteriöse Vene und die große Arterie, aus sehr viel härteren und dickeren Häuten zusammengesetzt sind als die Hohlvene und die venöse Arterie. Dies zeigt, daß diese beiden Gefäße einen ganz anderen Nutzen haben als die beiden anderen, und es zeigt außerdem, daß das venöse Arterie genannte Gefäß wirklich eine Vene ist, wie umgekehrt das arteriöse Vene genannte eine Arterie ist. Die Ursache dafür, weshalb die Alten das Arterie genannt ha-
229,13
229,21
230,3
230,10
Über die Bewegung des Herzens und des Blutes
231,5
231,10
231,19
137
ben, was sie Vene hätten nennen müssen, und Vene das, was doch eine Arterie ist, liegt darin, daß sie glaubten, alle Venen kämen von der rechten Herzkammer und alle Arterien von der linken. Schließlich kann man bemerken, daß die beiden Teile des Herzens, die man seine Vorhöfe [oreilles: Ohren] nennt, nichts anderes sind als die Enden der Hohlvene und der venösen Arterie, die sich aus einem Grund, den ich später nennen werde, an dieser Stelle geweitet und umgefaltet haben. Hat man sich die Anatomie des Her- 10. Wie sich das Herz und die zens angesehen und zieht man in Be- Arterien bewegen. tracht, daß es, solange das Tier lebt, im Herzen immer mehr Wärme gibt als in irgendeinem anderen Körperteil, und es die Natur des Blutes ist, sehr rasch zu expandieren, wenn es etwas mehr erwärmt wird als gewöhnlich: dann kann man nicht mehr zweifeln, daß die Bewegung des Herzens und in der Folge der Puls oder der Schlag der Arterien in der Weise vor sich geht, die ich jetzt beschreiben werde. In dem Moment, in dem das Herz gestreckt und abgeschwollen ist, gibt es in seinen beiden Höhlen kein Blut, ausgenommen ein kleiner Rest desjenigen, das sich vorher dort verdünnt hat. Deswegen treten zwei dicke Tropfen in es ein: Der eine fällt aus der Hohlvene in die rechte Kammer, der andere aus der venöse Arterie genannten Vene in die linke. Das wenige in diesen Höhlen verbliebene verdünnte Blut mischt sich sogleich mit dem neu eintretenden und verhält sich wie eine Art Hefe, die dafür sorgt, daß es sich schlagartig wieder erwärmt und expandiert. Dadurch schwillt das Herz an, verhärtet und verkürzt sich etwas; dadurch heben sich die kleinen Häute an den Eingängen der Hohlvene und der venösen Arterie und schließen sie so, daß weder weiteres Blut aus diesen beiden Venen in das Herz abfließen, noch das im Herzen expandierende Blut in diese beiden Venen zurücksteigen kann; aber es steigt leicht von der rechten Kammer in die arteriöse Vene genannte Arterie und von der linken in die große Arterie, ohne daß die kleinen Häute an ihren Eingängen es daran hindern.
138
Beschreibung des menschlichen Körpers · Zweiter Teil
Weil nun das verdünnte Blut sehr viel mehr Platz erfordert als die Höhlen des Herzens zur Verfügung haben, tritt es mit Druck in diese beiden Arterien ein und läßt sie so anschwellen und sich gleichzeitig mit dem Herzen heben. Diese Bewegung sowohl des Herzens wie der Arterien ist das, was man Puls nennt. Sogleich nachdem das so verdünnte Blut seinen Lauf in die Arterien genommen hat, schwillt das Herz ab und wird weich und länglich, weil nur noch wenig Blut in seinen Höhlen verbleibt. Auch die Arterien schwellen ab, teils weil die Luft von außen ihren Verzweigungen sehr viel näher kommt als dem Herzen und so das Blut, das sie enthalten, sich abkühlen und verdichten läßt, und teils auch weil unablässig fast genauso viel Blut aus ihnen aus- wie in sie eintritt. Nun scheint es, daß das Blut, das die Arterien enthalten, zum Herzen zurückfließen müßte, wenn kein weiteres aus dem Herzen in sie steigt; dennoch kann es nicht in seine Höhlen eintreten, weil die kleinen Häute an den Eingängen dieser Arterien das verhindern. Hingegen tritt anderes Blut aus der Hohlvene und der venösen Arterie in sie ein, das dort auf dieselbe Weise expandiert wie das vorangegangene und das Herz und die Arterien sich erneut bewegen läßt; deswegen dauert ihr Schlag so lange an, wie das Tier am Leben ist. Was die Teile betrifft, die man die Vor11. Was die Bewegung der Vorhöfe des Herzens ist und was höfe des Herzens nennt, so haben sie eine die Ursache ihrer Bauart ist. von der seinigen unterschiedliche Bewegung, die jedoch sehr dicht auf sie folgt; denn sobald das Herz abgeschwollen ist, fallen zwei dicke Tropfen Blut in seine Höhlen, der eine aus seinem rechten Vorhof, dem Ende der Hohlvene, der andere aus seinem linken, dem Ende der venösen Arterie, wodurch die Vorhöfe abschwellen. Zudem hindern das Herz und die Arterien, die sogleich danach anschwellen, durch ihre Bewegung das sich in den Verzweigungen der Hohlvene und der venösen Arterie befindende Blut ein wenig daran, die Vorhöfe wieder zu füllen. Deshalb beginnen sie erst dann anzuschwellen, wenn das Herz abzuschwellen beginnt. Zudem schwillt das Herz schlagartig an und danach allmählich wieder ab, wohingegen die Vorhöfe rascher ab- als anschwellen. Außerdem ist ihnen
232,9
232,16
233,4
Über die Bewegung des Herzens und des Blutes
233,27
139
die Bewegung, durch sie so an- und abschwellen, eigentümlich und dehnt sich überhaupt nicht auf den Rest der Hohlvene und der venösen Arterie aus, deren Enden sie sind. Das ist die Ursache, weshalb sie breiter, anders umgefaltet und aus dickeren und fleischigeren Häuten zusammengesetzt sind als der Rest dieser beiden Venen. Damit all dies verständlicher wird, ist 12. Beschreibung der Hohlvene. hier ganz besonders die Bauart der vier dem Herzen anhängenden Gefäße zu betrachten. Was nun erstens die Hohlvene betrifft, so ist zu bemerken, daß sie sich in alle Körperteile ausdehnt, ausgenommen die Lunge. Deshalb sind die anderen Venen nur ihre Verzweigungen; denn sogar die Pfortader, die sich überall in die Milz und in die Därme ausbreitet, ist so offenkundig mit ihr durch Röhren in der Leber verbunden, daß man sie dazuzählen kann. So kann man alle diese Venen als ein einziges Gefäß betrachten, das an seiner breitesten Stelle Hohlvene genannt wird. Es enthält immer den größten Teil des im Körper vorhandenen Blutes, das es von Natur aus in das Herz leitet. Wenn es nur drei Tropfen enthielte, würden sie daher die anderen Teile verlassen und zum rechten Vorhof des Herzens gelangen. Der Grund dafür ist, daß die Hohlvene an dieser Stelle breiter ist als an allen anderen und sie sich, während sie von dort an bis zu den Enden ihrer Verzweigungen geht, allmählich immer mehr verengt. Außerdem zieht sich die Haut, aus der diese Verzweigungen zusammengesetzt sind und die sich entsprechend der Menge an Blut, das sie enthalten, mehr oder weniger ausdehnen kann, immer von selbst ein wenig zusammen, wodurch die Hohlvene das Blut zum Herzen treibt. Und schließlich befinden sich an mehreren Stellen seiner Verzweigungen Klappen, die so beschaffen sind, daß sie ihren Kanal vollständig schließen und das Blut daran hindern, zu ihren Enden zu strömen. Daher entfernt es sich auch dann nicht vom Herzen, wenn es etwa geschieht, daß sein Gewicht oder irgendeine andere Ursache es dorthin drückt; hingegen hindern diese Klappen das Blut nicht daran, von ihren Enden zum Herzen zu strömen. Demnach muß man zu dem Urteil kommen, daß seine Fasern auch alle so beschaffen sind, daß sie das Blut
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Zweiter Teil
leichter in diese Richtung als in die entgegengesetzte strömen lassen. Was die arteriöse Vene und die venöse 13. Die arteriöse Vene, die venöse Arterie und die Lunge. Arterie betrifft, so ist zu bemerken, daß diese beiden Gefäße an der Stelle, an der sie sich mit dem Herzen verbinden, auch sehr breit sind, sich ganz kurz dahinter aber in verschiedene Verzweigungen teilen, die sich danach erneut wiederum in andere, noch kleinere teilen und sich alle in dem Maße verengen, wie sie sich vom Herzen entfernen. Jede Verzweigung eines dieser beiden Gefäße begleitet immer eine Verzweigung des anderen und außerdem eine Verzweigung eines dritten Gefäßes, dessen Eingang man Rachen oder Kehle nennt. Die Verzweigungen dieser drei Gefäße gehen nirgendwo anders hin als in die Lunge, die sich nur aus ihnen zusammensetzt, und in der sie so ineinander verwoben sind, daß man keinen Teil ihres Fleisches aufzeigen könnte, der groß genug ist, um gesehen werden zu können, in dem es nicht eine Verzweigung von jedem dieser Gefäße gäbe. Es ist auch zu bemerken, daß es zwischen diesen drei Gefäßen dahingehend einen Unterschied gibt, daß das Gefäß, dessen Eingang die Kehle ist, niemals irgend etwas anderes enthält als die Atemluft. Außerdem ist es aus kleinen Knorpeln und Häuten zusammengesetzt, die sehr viel härter sind als als diejenigen, aus denen sich die beiden anderen zusammensetzen. Auch ist das arteriöse Vene genannte Gefäß aus beträchtlich härteren und dickeren Häuten zusammengesetzt als die der venösen Arterie, die genau wie die der Hohlvene weich und dünn sind. Das zeigt, daß, auch wenn diese beiden Gefäße nur Blut aufnehmen, es dennoch dahingehend zwischen ihnen einen Unterschied gibt, daß das Blut in der venösen Arterie nicht genauso erregt ist und nicht mit derselben Kraft gedrückt wird wie das in der arteriösen Vene. Man sieht: Genauso, wie die Hände der Handwerker durch das Handhaben ihrer Werkzeuge hart werden, ist die Kraft und Erregung der Luft, die durch den Rachen hindurchgeht, wenn man atmet, die Ursache der Härte der Häute und Knorpel, aus denen er zusammengesetzt ist. Wäre nun das Blut nicht erregter, wenn
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es in die arteriöse Vene eintritt als wenn in die venöse Arterie, hätte jene weder dickere noch härtere Häute als diese. Aber ich habe bereits erklärt, wie das 14. Der Nutzen der Lunge. Blut in dem Maße mit Druck in die arteriöse Vene eintritt, wie es in der rechten Herzkammer erwärmt und verdünnt wird. Es ist hier nur noch übrig, zu erwähnen, daß das Blut, wenn es in alle kleinen Verzweigungen der arteriösen Vene verbreitet ist, dort durch die Atemluft abgekühlt und verdichtet wird, weil die kleinen Verzweigungen des Gefäßes, das diese Luft enthält, an allen Stellen der Lunge mit ihnen verwoben sind. Da nun das neue, von der rechten Herzkammer in dieselbe arteriöse Vene kommende Blut mit einer gewissen Kraft dort eintritt, vertreibt es dasjenige, das sich zu verdichten beginnt, und sorgt dafür, daß es von den Enden dieser Verzweigungen in die der venösen Arterien übergeht, von wo es ganz leicht zur linken Herzkammer strömt. Der Hauptnutzen der Lunge besteht nun allein darin, daß sie das von der rechten Herzkammer kommende Blut durch die Atemluft verdickt und temperiert, bevor es in die linke eintritt. Ohne das wäre es zu dünn und zu fein, um dem Feuer, das es dort aufrechterhält, als Lebensmittel zu dienen. Ihr anderer Nutzen ist, die Luft zu enthalten, die dazu dient, die Stimme zu produzieren. Auch sehen wir, daß Fische und einige andere Tiere, die nur eine einzige Kammer im Herzen haben, alle ohne Lunge und in der Folge stumm sind, so daß keines von ihnen schreien kann. Aber diese Tiere weisen alle auch eine sehr viel kältere Grundbeschaffenheit auf als solche, die zwei Höhlen im Herzen haben, weil das Blut der letzteren in der rechten Kammer bereits ein Mal erwärmt und verdünnt worden ist, bevor es in die linke zurückfällt, wo es ein lebhafteres und hitzigeres Feuer hervorruft, als wenn es unmittelbar aus der Hohlvene käme. Obwohl sich aber dieses Blut in der Lunge abkühlt und verdichtet, behält es gleichwohl eine größere Leichtigkeit bei, zu expandieren und sich wieder zu erwärmen, als es besaß, bevor es in das Herz eingetreten war; denn es bleibt nur kurze Zeit in der Lunge und mischt sich dort nicht mit irgendeiner gröberen Materie. So
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Zweiter Teil
sieht man durch ein Experiment, daß Öle, die man mehrere Male durch einen Destillierkolben hindurchgehen läßt, beim zweiten Mal leichter zu destillieren sind als beim ersten Mal. Die Gestalt des Herzens dient dazu, zu belegen, daß das Blut sich in seiner linken Kammer mehr erwärmt und mit größerer Kraft expandiert als in seiner rechten. Denn man sieht, daß sie sehr viel größer und runder und das sie umgebende Fleisch dicker ist, und daß gleichwohl durch diese Kammer dasselbe Blut hindurchgeht wie durch die andere, das sich durch die Nahrung verringert hat, die es der Lunge geliefert hat. Die Öffnungen der Herzgefäße dienen 15. Die Öffnungen, die sich an den Herzen auch dazu, zu belegen, daß die Atmung von Kindern finden. notwendig ist, um das sich in der Lunge befindende Blut zu verdichten. Denn man sieht, daß Kinder, die nicht atmen können, solange sie im Bauch ihrer Mütter sind, zwei Öffnungen im Herzen haben, die sich bei älteren überhaupt nicht finden. Außerdem strömt das Blut der Hohlvene zusammen mit dem der venösen Arterie durch eine dieser Öffnungen in die linke Herzkammer, und durch die andere (die wie eine kleine Röhre gefertigt ist) geht ein Teil des von der rechten Kammer kommenden Blutes von der arteriösen Vene in die große Arterie über, ohne in die Lunge einzutreten. Außerdem sieht man, daß diese beiden Öffnungen sich allmählich von selbst schließen, wenn die Kinder geboren sind und sie Gebrauch von der Atmung machen, wohingegen sie sich bei Gänsen, Enten und ähnlichen Tieren, die lange ohne zu atmen unter Wasser bleiben können, niemals schließen. Es ist hier noch übrig, bezüglich der 16. Die große Arterie und der Blutkreislauf. großen Arterie, dem vierten Herzgefäß, anzumerken, daß sie breiter als alle anderen Arterien des Körpers ist und die anderen nur Verzweigungen von ihr sind, durch die das Blut, das sie vom Herzen erhält, sehr rasch in alle Körperglieder gebracht wird. Alle diese Verzweigungen der großen Arterie sind mit denen der Hohlvene in derselben Weise verbunden, wie die der arteriösen Vene mit denen der venösen Arterie. Nachdem sie das Blut auf alle Körperteile verteilt haben, die es entweder
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als Nahrung oder zu irgendeinem anderen Nutzen aufnehmen müssen, bringen sie deshalb den Überschuß an diesem Blut zu den Enden der Hohlvene, von wo es wieder zum Herzen strömt. So geht dasselbe Blut mehrere Male von der Hohlvene in die rechte Herzkammer und von dort durch die arteriöse Vene in die venöse Arterie und von der venösen Arterie in die linke Kammer über und kehrt von dort durch die große Arterie in die Hohlvene zurück. Dies führt zu einem immerwährenden Kreislauf, der ausreichen würde, das Leben der Tiere aufrechtzuerhalten, ohne daß sie trinken oder essen müßten, wenn keine Teile des Blutes aus den Arterien oder Venen austreten würden, während es in dieser Weise strömt. Aber es treten unablässig etliche Teile aus, deren Mangel durch den Saft der Nahrungsmittel ersetzt wird, der aus dem Magen und den Därmen kommt, wie ich weiter unten sagen werde. Dieser Kreislauf des Blutes ist zuerst 17. Die Gründe, die diesen von einem englischen Arzt namens Har- Kreislauf belegen. vey beobachtet worden, dem man für diese so nützliche Entdeckung gar nicht genug Lob spenden kann.79 Und auch wenn die Enden der Venen und Arterien so dünn sind, daß man die Öffnungen, durch die das Blut von den Arterien in die Venen übergeht, nicht mit dem Auge sehen kann, sieht man es an bestimmten Stellen trotzdem, vor allem an dem großen Gefäß, das aus Falten der dicksten der beiden Häute gebildet ist, die das Gehirn umschließen. In dieses Gefäß münden mehrere Venen und mehrere Arterien ein, so daß das Blut durch die Arterien dort hingetragen wird und durch die Venen zum Herz zurückkehrt. Man kann es auch in gewisser Weise an den spermatischen Venen und Arterien sehen. Außerdem gibt es so evidente Gründe, die belegen, daß das Blut so von den Arterien in die Venen übergeht, daß sie keinen Spielraum lassen, daran zu zweifeln. Denn öffnet man die Brust eines lebendigen Tieres und bindet die große Arterie ziemlich nahe beim Herzen ab, so daß kein Blut aus ihren Verzweigungen abfließen kann, und schneidet man sie zwischen dem Herzen und dem Band durch, tritt das gesamte Blut dieses Tieres, oder zumindest dessen größter Teil, in kurzer
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Zweiter Teil
Zeit durch diese Öffnung aus. Das wäre unmöglich, wenn das in den Verzweigungen der großen Arterie befindliche Blut keine Durchgänge hätte, um in die Verzweigungen der Hohlvene einzutreten, von wo es in die rechte Herzkammer übergeht und von dort wiederum in die arteriöse Vene, an deren Ende es ebenfalls Übergänge finden muß, um in die venöse Arterie einzutreten, die es in die linke Kammer leitet und von dort in die große Arterie, durch die es austritt. Wenn man sich nicht die Mühe machen will, ein lebendiges Tier so zu öffnen, muß man nur die Weise betrachten, wie Chirurgen gewöhnlich einen Arm abbinden, wenn sie zur Ader lassen. Denn wenn sie ihn etwas höher mäßig stark abbinden, d. h. etwas näher am Herzen als bei der Stelle, wo sie die Vene öffnen, tritt das Blut in größerer Fülle aus, als wenn der Arm überhaupt nicht abgebunden wäre; binden sie ihn aber zu stark ab, hält das Blut an; und es hält auch an, wenn sie ihn vom Herzen etwas weiter entfernt abbinden als bei der Stelle, wo sie die Vene öffnen, auch wenn sie das Band nicht sehr zusammenziehen. Dies zeigt so offenkundig, daß der gewöhnliche Lauf des Blutes darin besteht, durch die Arterien zu den Händen und den anderen Körperextremitäten gebracht zu werden und von dort durch die Venen zum Herzen zurückzukehren. Das ist von Harvey bereits so klar belegt worden, daß es nur von solchen Leuten in Zweifel gezogen werden kann, die so mit ihren Vorurteilen verhaftet oder so gewöhnt sind, über alles Wortgefechte zu führen, daß sie wahre und gewisse Begründungen nicht von falschen und bloß glaubhaften zu unterscheiden wissen. Aber Harvey hatte, wie mir scheint, 18. Zurückweisung Harveys in bezug auf die Bewegung nicht so viel Erfolg was die Bewegung des Herzens mitsamt den des Herzens betrifft, denn er hat sich entBelegen für die wahre Meinung. gegen der gemeinsamen Meinung der anderen Ärzte und gegen das gewöhnliche Urteil des Sehvermögens vorgestellt, daß die Höhlen des Herzens sich weiten, wenn es sich streckt, und sie umgekehrt enger werden, wenn es kürzer wird, wohingegen ich zu beweisen beabsichtige, daß sie dann weiter werden.80
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Folgende Gründe haben ihn zu dieser Meinung gebracht. Er beobachtete, daß das Herz härter wird, wenn es sich verkürzt, und es bei Fröschen und anderen Tieren, die wenig Blut haben, sogar weiß oder weniger rot wird, als wenn es sich streckt. Macht man einen bis zu seinen Höhlen durchdringenden Einschnitt in es, dann tritt das Blut in den Momenten durch den Einschnitt aus, wenn es verkürzt ist, nicht in denen, wenn es gestreckt ist. Daraus glaubte er, ganz richtig zu schließen, daß das Herz sich zusammenzieht, wenn es hart wird; und da es bei einigen Tieren weniger rot wird, bezeuge dies, daß das Blut aus ihm austritt; und da man schließlich das Blut durch den Einschnitt austreten sieht, müsse man glauben, dies komme daher, daß der Raum, der das Blut enthält, enger geworden ist. Das ließe sich auch durch ein sehr augenfälliges Experiment bestätigen. Wenn man die Spitze des Herzens eines lebendigen Hundes durchschneidet und einen Finger durch einen Einschnitt in eine seiner Höhlen steckt, empfindet man, daß das Herz jedesmal, wenn es kürzer wird, offenkundig Druck auf den Finger ausübt, und es jedesmal, wenn es sich streckt, aufhört, Druck auf ihn auszuüben. Dies scheint es völlig sicher zu machen, daß seine Höhlen enger sind, wenn mehr Druck auf den Finger ausgeübt wird, als wenn er geringer ist. Doch belegt dies gleichwohl nur, daß Erfahrungen uns immer Gelegenheit bieten, uns zu täuschen, wenn wir nicht alle Ursachen hinreichend prüfen, die sie haben können. Denn selbst wenn das Herz sich nach innen zusammenziehen würde, wie Harvey es sich vorstellt, dann könnte dies zwar dazu führen, daß es härter würde und bei Tieren mit wenig Blut weniger rot, und das Blut in seinen Höhlen durch den in es gemachten Einschnitt austräte, und schließlich auf den in diesen Einschnitt gesteckten Finger Druck ausgeübt würde: aber das verhindert nicht, daß genau dieselben Wirkungen nicht auch von einer anderen Ursache herrühren könnten, nämlich von der Expansion des Blutes, die ich beschrieben habe. Um nun aber bemerken zu können, welche dieser beiden Ursachen die wahre ist, sind andere Erfahrungen in Betracht zu ziehen, die nicht mit beiden übereinstimmen können. Die er-
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Zweiter Teil
ste, das ich hier angeben kann, ist: Wenn das Herz hart wird, weil seine Fasern sich innen zusammenziehen, müßte dies seine Dicke verringern; wohingegen, wenn es hart wird, weil das Blut, das es enthält, expandiert, dies sie vielmehr vergrößern müßte. Nun sieht man durch Erfahrung, daß das Herz nichts von seiner Dicke verliert, sondern daß sie sich vielmehr vergrößert, was die anderen Ärzte zu dem Urteil gebracht hat, daß es in diesem Fall anschwillt. Freilich vergrößert sie sich nicht sehr viel, aber der Grund dafür ist evident; denn in seinen Höhlen sind etliche Fäden wie Seile von der einen Seite zur anderen gespannt, die verhindern, daß sie sich sehr öffnen. Ein anderes Experiment, das zeigt, daß die Höhlen des Herzens deshalb nicht enger werden, sondern im Gegenteil breiter, wenn es kürzer wird und sich verhärtet, ist: Schneidet man die Spitze des Herzens eines jungen, noch lebendigen Kaninchens ab, sieht man mit dem Auge, daß seine Höhlen in den Momenten, wenn es sich verhärtet, ein wenig breiter werden und Blut auswerfen, und sie sogar dann ihre vorherige Breite behalten, wenn sie nur sehr kleine Tropfen auswerfen, weil nur noch sehr wenig Blut im Körper des Tieres verbleibt. Es sind die beiderseits gespannten, sie zurückhaltenden Fasern, die verhindern, daß sie sich weiter öffnen. Daß nun dasselbe im Herzen eines Hundes oder eines anderen, kraftvolleren Tieres nicht so gut in Erscheinung tritt wie bei dem eines jungen Kaninchens, ist darauf zurückzuführen, daß diese Fasern dort einen großen Teil der Höhlen einnehmen und steif werden, wenn das Herz hart wird, weswegen sie Druck auf den in seine Höhlen gesteckten Finger ausüben können; auch wenn diese Kammern deswegen nicht enger, sondern im Gegenteil breiter werden müssen. Ich werde noch eine dritte Erfahrung hinzufügen, nämlich daß das Blut aus dem Herzen nicht mit denselben Qualitäten austritt, mit denen es eingetreten war, sondern es sehr viel wärmer, verdünnter und erregter aus ihm austritt. Setzt man nun voraus, daß das Herz sich in der Weise bewegt, wie Harvey es beschreibt, ist es nicht nur nötig, sich ein diese Bewegung verursachendes Vermögen vorzustellen, dessen Natur sehr viel schwieriger zu
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begreifen ist als alles, was er durch sie zu erklären beabsichtigt, sondern man müßte darüber hinaus andere Vermögen voraussetzen, die die Qualitäten des Blutes verändern würden, während es im Herzen ist. Betrachtet man hingegen allein die Expansion dieses Blutes, die notwendig der Wärme folgen muß, die, wie alle anerkennen, im Herzen größer ist als in allen anderen Körperteilen, sieht man klar, daß die Expansion allein ausreichend ist, um das Herz in der Weise sich bewegen zu lassen, die ich beschrieben habe, und zugleich die Natur des Blutes soweit zu verändern, wie die Erfahrung zeigt, daß sie sich verändert; und sogar auch soweit, wie man sich vorstellen kann, daß sie sich verändern muß, damit das Blut aufbereitet wird und geeigneter gemacht wird, um allen Körpergliedern als Nahrung zu dienen und für jeden anderen Nutzen verwendet zu werden, denen es im Körper dient; so daß es nicht nötig ist, deswegen irgendwelche unbekannten oder fremden Vermögen vorauszusetzen. Denn welche Aufbereitung könnte man sich als größer und rascher vorstellen als die, die durch das Feuer oder die Wärme, der stärksten wirkenden Instanz, die wir in der Natur kennen, zustande gebracht wird, wenn es das Blut im Herzen verdünnt und so die kleinen Teile voneinander trennt und sie sogar teilt und ihre Gestalten auf alle vorstellbare Weisen verändert? Deswegen bin ich äußerst verwundert darüber, daß – obwohl man zu allen Zeiten gewußt hat, daß es im Herzen mehr Wärme gibt als im ganzen Rest des Körpers, und daß Blut durch Wärme verdünnt werden kann – sich gleichwohl bislang noch niemand gefunden hat, der bemerkt hätte, daß allein diese Verdünnung des Blutes die Ursache der Bewegung des Herzens ist. Denn es scheint zwar, daß Aristoteles daran gedacht hat, als er im 20. Kapitel des Buches Über die Atmung gesagt hat, »daß diese Bewegung dem Geschehen in einer Flüssigkeit ähnlich ist, die die Wärme kochen läßt,« und auch, daß »es der Saft der Nahrungsmittel ist, die man gegessen hat, der die letzte Haut des Herzens hochhebt, wenn er unablässig in es eintritt,« der den Puls zustande bringt; gleichwohl sieht man, daß er an dieser Stelle weder das Blut noch die Bauart des Herzens erwähnt und deshalb nur
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Zweiter Teil
aus Zufall darauf getroffen ist, etwas zu sagen, was der Wahrheit nahekommt und er überhaupt keine gewisse Erkenntnis hatte.81 Auch ist niemand seiner Meinung gefolgt, obwohl er das Glück hatte, daß ihm viele in anderen, weniger wahrscheinlichen Meinungen folgten. Nichtsdestoweniger ist es sehr wichtig, die wahre Ursache der Bewegung des Herzens zu erkennen, denn ohne das ist es unmöglich, irgend etwas bezüglich der Theorie der Medizin zu wissen, weil alle anderen Funktionen des Tieres davon abhängen, wie man sehr klar aus dem sehen wird, was folgt.
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DRITTER TEIL Über die Ernährung
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Wenn man weiß, daß das Blut so im 19. Einige Teile des Blutes treten Herzen unablässig expandiert und von aus den Arterien aus, wenn sie dort mit Druck durch die Arterien in alle anschwellen. anderen Körperteile gedrückt wird, von wo es danach durch die Venen zum Herzen zurückkehrt, dann kommt man leicht zu dem Urteil, daß es eher dann dazu dient, die Körperglieder zu ernähren, wenn es sich in den Arterien, als wenn es sich in den Venen befindet. Nun will ich nicht bestreiten, daß einige Teile des Blutes, während es von den Enden der Venen zum Herzen strömt, durch die Poren ihrer Häute hindurchgehen und sich dort anheften. Das geschieht insbesondere in der Leber, die zweifellos durch das Blut der Venen ernährt wird, weil sie fast gar keines von den Arterien erhält. Gleichwohl ist es evident, daß überall sonst, wo Arterien die Venen begleiten, das Blut, das diese Arterien enthalten, feiner ist und mit größerer Kraft als das der Venen gedrückt wird, und deswegen sehr viel leichter austritt um sich an andere Teile anzuheften, ohne daß die Dicke ihrer Häute dies verhindert. Denn an ihren Enden sind ihre Häute kaum dicker als die der Venen, und in dem Moment, in dem das vom Herzen kommende Blut sie anschwellen läßt, sorgt es dadurch auch dafür, daß die Poren dieser Häute sich weiten. Dann drücken die kleinen Teile des Blutes, die die ihm im Herzen widerfahrene Verdünnung voneinander getrennt hat, diese Häute mit Druck nach allen Seiten, und sie treten leicht in diejenigen ihrer Poren ein, die ihrer Dicke angepaßt sind, und stoßen auch an die Wurzeln der kleinen Fäden, die die festen Teile bilden. In dem Moment, in dem die Arterien abschwellen, verengen sich diese Poren dann wieder, und dadurch bleiben etliche Teile des Blutes mit den Wurzeln der kleinen Fäden der festen Teile verfangen, die sie ernähren (und etliche andere strömen durch die Poren aus,
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Dritter Teil
die sie umgeben), wodurch auch sie Teil der Zusammensetzung des Körpers werden. Um dies aber deutlich einzusehen, 20. Körper, die Leben besitzen, sind nur aus kleinen Fäden muß man in Betracht ziehen, daß die oder Rinnsalen zusammen- Teile aller Körper, die Leben besitzen gesetzt, die immer strömen. und sich durch Nahrung erhalten, d. h. die der Tiere und der Pflanzen, sich in unablässiger Veränderung befinden, so daß zwischen jenen Teilen, die man flüssig nennt, wie Blut, Körpersäfte, Spiritus, und jenen, die man fest nennt, wie Knochen, Fleisch, Nerven und Häute, nur der Unterschied besteht, daß die einzelnen Teilchen der letzteren sich sehr viel langsamer bewegen als die der anderen. Um nun zu begreifen, wie diese Teilchen sich bewegen, muß man sich alle festen Teile als nur aus kleinen, verschieden ausgedehnten und umgefalteten Fäden zusammengesetzt denken, die manchmal auch ineinandergeschlungen sind und an jeweils einer Stelle einer der Verzweigungen einer Arterie austreten. Die flüssigen Teile, d. h. die Körpersäfte und die Spiritus strömen entlang dieser kleinen Fäden durch die um sie herum befindlichen Räume und erzeugen dort eine Unzahl kleiner Rinnsale, die alle ihre Quelle in den Arterien haben und gewöhnlich aus den Poren derjenigen Arterien austreten, die der Wurzel der sie begleitenden kleinen Fäden am nächsten sind. Nach verschiedenen Umund Rückläufen, die sie mit diesen Fäden im Körper machen, kommen sie schließlich zur Oberfläche der Haut, durch deren Poren diese Körpersäfte und Spiritus in die Luft verdunsten. Nun gibt es außer diesen Poren, durch die die Körpersäfte und die Spiritus strömen, auch eine Menge anderer, die enger sind und durch die unablässig Materie jener beiden Elemente hindurchgeht, die ich in meinen Prinzipien beschrieben habe.82 Ebenso wie die Erregung der Materie der zwei ersten Elemente die Erregung der Körpersäfte und der Spiritus aufrechterhält, fließen die Körpersäfte und die Spiritus entlang der kleinen Fäden, die die festen Teile bilden, und veranlassen so, daß diese kleinen Fäden unablässig ein wenig vordringen, auch wenn es nur sehr langsam ist, so daß jedes einzelne ihrer Teile seinen Lauf von der Stelle
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Über die Ernährung
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ihrer Wurzeln bis zu der Oberfläche der Körperglieder nimmt, wo sie enden. Wenn sie sie erreicht haben, trennt die Begegnung mit der Luft oder mit den diese Oberfläche berührenden Körpern sie von ihr ab; und in dem Maße, wie sich ein gewisser Teil des Endes eines jeweiligen Fadens so ablöst, heftet sich ein anderer in der von mir bereits gesagten Weise an seine Wurzel an. Tritt aber der Teil, der sich von ihm abtrennt, aus einer äußeren Haut aus, verdunstet er in die Luft; tritt er hingegen aus der Oberfläche eines Muskels oder einem anderen inneren Teil aus, mischt er sich mit flüssigen Teilen und strömt mit ihnen dorthin, wohin sie gehen: d. h. er strömt manchmal aus dem Körper hinaus und manchmal durch die Venen zum Herzen. Oft geschieht es, daß sie dort wieder eintreten. So kann man sehen, daß alle Teile der kleinen Fäden, die die festen Körperglieder bilden, eine Bewegung besitzen, die sich einzig darin von der der Körpersäfte und der Spiritus unterscheidet, daß sie viel langsamer ist; wie ebenso die Bewegung der Körpersäfte und Spiritus langsamer ist als die der feineren Materien. Diese unterschiedlichen Geschwindig- 21. Wie man wächst, wenn man keiten nun sind die Ursache, weshalb die jung ist. verschiedenen festen oder flüssigen Teile sich gegenseitig abreiben und deshalb verschieden verkleinern oder vergrößern und entsprechend der verschiedenen Grundbeschaffenheit des jeweiligen Körpers verschieden aufstellen. Daher ist die Bewegung dieser kleinen Fäden zum Beispiel dann weniger langsam, wenn man jung ist, weil anders, als wenn man alt ist, die die festen Teile bildenden kleinen Fäden noch nicht sehr eng miteinander verbunden und die Rinnsale, durch die die flüssigen Teile strömen, breit genug sind; dann heftet sich mehr Materie an ihre Wurzeln an, als sich von ihren Enden ablöst, was dazu führt, daß sie sich mehr verlängern, verstärken und dicker werden, wodurch der Körper wächst. Wenn die zwischen den kleinen Fäden 22. Wie man zunimmt und wie strömenden Körpersäfte nicht in großer man schlanker wird. Menge vorhanden sind, gehen sie alle ziemlich schnell durch die Rinnsale hindurch, in denen sie enthalten sind. Dadurch
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Dritter Teil
streckt sich der Körper und die festen Teile wachsen, ohne fett zu werden. Wenn aber die Körpersäfte sehr reichhaltig vorhanden sind, können sie nicht so leicht zwischen den kleinen Fäden der festen Körperglieder strömen, was dazu führt, daß diejenigen ihrer Teile, die sehr unregelmäßige Gestalten in der Form von Verzweigungen haben und folglich am schwersten von allen zwischen den Fäden hindurchgehen, allmählich zwischen ihnen anhalten und dort Fett erzeugen. Fett wächst im Körper nicht durch eine Nahrung in eigentlichem Sinne wie Fleisch, sondern nur, weil sich mehrere dieser Teile gegenseitig festhalten und sich so miteinander verbinden, wie es Teile toter Dinge tun. Wenn nun die Körpersäfte wieder weniger reichhaltig werden, strömen sie leichter und schneller, weil die feine Materie und die Spiritus, die die Körpersäfte begleiten, mehr Kraft haben, sie zu erregen. Das führt dazu, daß sie allmählich die Teile des Fettes wieder aufnehmen und mit sich mitnehmen, wodurch man schlank wird. Weil die kleinen Fäden, die die festen 23. Wie man altert und aus Alter stirbt. Teile bilden, sich in dem Maße, in dem man altert, zusammenziehen und immer mehr aneinander anheften, erreichen sie schließlich einen solchen Grad an Härte, daß der Körper völlig zu wachsen aufhört und sich zudem auch nicht mehr ernähren kann. Dadurch entsteht ein solches Mißverhältnis zwischen festen und flüssigen Teilen, daß das bloße Alter ihm das Leben raubt. Will man nun aber im einzelnen wis24. Die beiden Ursachen, die einen jeweiligen Teil der Flüs- sen, wie ein jeweiliger Anteil eines Lesigkeit bestimmen, sich zu derje- bensmittels zu der Körperstelle gelangt, nigen Körperstelle zu begeben, für den er als Nahrung geeignet ist, muß die zu ernähren er geeignet ist. man in Betracht ziehen, daß das Blut nur eine Anhäufung vieler kleiner Brocken der Nahrungsmittel ist, die man zu sich genommen hat, um sich zu ernähren. Deshalb kann man nicht daran zweifeln, daß es aus Teilen zusammengesetzt ist, die sowohl hinsichtlich der Gestalt, als auch der Festigkeit und Dicke sehr unterschiedlich sind. Ich weiß nur zwei
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Gründe, die dazu führen können, daß die jeweiligen Teile eher zu gewissen Körperstellen gelangen als zu anderen. Der erste Grund ist die Lage des Ortes im Hinblick auf den Lauf, den sie nehmen; der zweite die Größe und die Gestalt der Poren, in die sie eintreten, oder auch der Körper, an die sie sich anheften. Denn in jedem Körperteil Vermögen vorauszusetzen, die die für ihn geeigneten Teilchen des Lebensmittels wählen und anziehen würden, hieße, sich unverständliche Trugbilder auszumalen und ihnen größere Intelligenz zuzusprechen als selbst unsere Seele besitzt; erkennt doch unsere Seele in keiner Weise, was sie wissen müßten.83 Was nun die Größe und die Gestalt der 25. Wie eine dieser Ursachen Poren betrifft, so ist es evident, daß sie wirkt. ausreicht, um die Teile des Blutes, die eine gewisse Dicke und Gestalt haben, eher in bestimmte Körperstellen als in andere eintreten zu lassen. Denn genauso, wie man es bei verschieden durchlöcherten Sieben sieht, die die runden Körner von den länglichen und die feineren von den dickeren trennen können, trifft zweifellos genauso das Blut, das das Herz in die Arterien drückt, dort auf verschiedene Poren, durch die einige seiner Teile hindurchgehen können, andere aber nicht. Zudem aber ist die Lage des Ortes er- 26. Wie die andere wirkt. forderlich im Hinblick auf den Lauf, den das Blut in den Arterien nimmt, nämlich um von denjenigen seiner Teile, die dieselbe Gestalt und Dicke, aber nicht dieselbe Festigkeit besitzen, die festeren eher zu gewissen Stellen als zu anderen gehen zu lassen. Die Produktion der Lebensgeister hängt vor allem von dieser Lage ab. Denn es ist zu bemerken, daß das gesamte vom Herzen in die große Arterie kommende Blut geradlinig zum Herzen gedrückt wird. Da aber nicht das gesamte Blut dorthin gehen kann (weil die Verzweigungen dieser großen Arterie, die bis dorthin gehen, nämlich diejenigen, die man Halsschlagadern nennt, sehr eng im Vergleich mit der Öffnung des Herzens sind, durch die das Blut kommt), gehen nur die festesten seiner Teile dorthin. Da diese Teile auch die lebhaftesten und durch die Wärme des Herzens
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Dritter Teil
erregtesten sind, haben sie mehr Kraft als die anderen, um ihren Lauf bis zum Herzen zu nehmen, an dessen Eingang sie sich in die kleinen Verzweigungen der Halsschlagadern durchsieben, vor allem aber auch in die Drüse, von der die Ärzte sich vorgestellt haben, sie diene nur dazu, den Schleim aufzunehmen.84 Diejenigen Teile, die klein genug sind, um durch die Poren dieser Drüse hindurchzugehen, bilden die Lebensgeister, und die ein wenig dickeren heften sich an die Wurzeln der kleinen Fäden an, die das Gehirn bilden. Was aber die dicksten von allen betrifft, so gehen sie von den Arterien in die mit ihnen verbundenen Venen über und kehren zum Herzen zurück, ohne die Form des Blutes zu verlieren.
a bs c h w e i f u n g, in der di e aus f orm ung e in es t ie r e s abgeh and elt w ird VIERTER TEIL Über die Teile, die sich im Samen ausformen
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Man wird eine vollkommenere Erkennt- 27. Was die Natur des Samens nis der Weise, wie die Körperteile ernährt ist. werden, erwerben können, wenn man außerdem noch betrachtet, wie sie zuerst aus dem Samen produziert worden sind.85 Auch wenn ich es bislang nicht unternehmen wollte, meine Einschätzung bezüglich dieser Materie aufzuschreiben, weil ich noch nicht genügend Experimente anstellen konnte, um durch sie alle Gedanken darüber zu verifizieren, so konnte ich mich gleichwohl nicht weigern, hier beiläufig etwas von dem ganz Allgemeinen miteinzubeziehen, von dem ich hoffe, mich am wenigsten dem Risiko auszusetzen, später etwas zurücknehmen zu müssen, wenn neue Experimente mir mehr Licht darauf geworfen haben werden. Ich bestimme nichts bezüglich der Gestalt und der Zusammenstellung der Teilchen des Samens. Es reicht mir, zu sagen, daß der Same der Pflanzen hart und fest ist, also seine Teile in einer gewissen Weise zusammengestellt und gelegen haben kann, daß sie nicht verändern werden kann, ohne sie unnütz zu machen. Mit dem sehr flüssigen Samen der Tiere, der gewöhnlich durch die Verbindung zweier Geschlechter produziert wird, verhält es sich aber anders, denn er scheint nur eine wirre Mischung zweier Flüssigkeiten zu sein, die einander als Hefe dienen und sich erwärmen, so daß einige ihrer Teilchen dieselbe Erregung erwerben wie Feuer, expandieren, Druck auf die anderen ausüben und sie dadurch allmählich in der Weise anordnen, die erforderlich ist, um die Körperglieder auszubilden. Diese beiden Flüssigkeiten müssen dafür nicht sehr verschieden sein. Denn man sieht, daß alter Teig neuen anschwellen las-
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Vierter Teil
sen kann, und daß der Schaum, den Bier aufwirft, ausreicht, um als Hefe für anderes Bier zu dienen; und es ist leicht zu glauben, daß die Samen der beiden Geschlechter einander genauso als Hefe dienen, wenn sie miteinander gemischt werden. Das erste, glaube ich, was bei dieser 28. Wie sich das Herz auszubilden beginnt. Mischung des Samens geschieht und veranlaßt, daß die Tropfen aufhören, alle einander ähnlich zu sein, ist, daß dort Wärme hervorgerufen wird. Diese Wärme wirkt in derselben Weise wie bei jungen Weinen, wenn sie gären, oder wie bei Heu, das man eingebracht hat, bevor es trocken wurde:86 Sie läßt einige Teilchen sich an einer Stelle des Raumes sammeln, der sie enthält, an der sie expandieren und Druck auf die sie umgebenden anderen ausüben, womit sich das Herz auszubilden beginnt. Weil nun außerdem diese kleinen, so 29. Wie das Herz sich zu bewegen beginnt. expandierten Teile ihre Bewegung geradlinig fortzusetzen streben,87 und das Herz, das sich auszubilden begonnen hat, ihnen Widerstand leistet, entfernen sie sich etwas von ihm und nehmen ihren Lauf zu der Stelle hin, wo sich später die Grundfläche des Gehirns ausbildet und treten so an die Stelle anderer, die im Kreislauf an ihre ehemalige Stelle im Herzen kommen. Nach einer kurzen Zeit, die sie benötigen, um sich dort zu sammeln, expandieren sie und entfernen sich, wobei sie denselben Weg nehmen wie die vorangegangenen. Das führt dazu, daß einige dieser vorangegangenen, die sich noch an diesem Ort befinden, und auch einige andere, die von anderswoher dorthin gekommen und an die Stelle der in der Zwischenzeit dort ausgetretenen getreten sind, in das Herz eintreten, wo sie wiederum expandieren und aus ihm austreten. In dieser sich so in verschiedenen Wiederholungen vollziehenden Expansion besteht der Herzschlag oder der Puls. 30. Wie das Blut entsteht. Aber bezüglich der durch das Herz hindurchgehenden Materie ist zu beachten, daß die heftige Erregung durch die Wärme sie expandieren läßt und nicht nur dazu führt, daß einige ihrer Teilchen sich entfernen und trennen, sondern sich auch einige andere sammeln und Druck aufeinander
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Ausformung eines Tieres (I)
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ausüben. Denn sie reiben sich aneinander und teilen sich in mehrere, äußerst kleine Verzweigungen, die einander so nahe bleiben, daß nur noch die äußerst feine Materie (die ich in meinen Prinzipien das erste Element genannt habe) die Zwischenräume einnimmt, die sie zwischen sich lassen. Wenn nun die sich so miteinander verbindenden Teilchen aus dem Herzen austreten, kommen sie überhaupt nicht von dem Wege ab, über den sie dorthin zurückkehren können – anders als einige andere, die leichter von allen Seiten in die Masse des Samens eindringen, von der auch neue Teilchen zum Herzen kommen, bis diese Masse des Samens ganz erschöpft ist. Demnach kann jeder, der weiß, was 31. Weshalb es rot ist. ich in meiner Dioptrik und in meinen Prinzipien über die Natur des Lichts und in meinen Meteoren über die Natur der Farben erklärt habe,88 leicht einsehen, weshalb das Blut aller Tiere rot ist. Denn an diesen Stellen habe ich gesagt, daß die Materie des zweiten Elements aus etlichen kleinen Kugeln zusammengesetzt ist, die sich gegenseitig berühren, und ich habe bewiesen, daß wir nur deshalb Licht sehen, weil diese Materie gedrückt wird und wir zwei Bewegungen dieser Kugeln empfinden können, eine, durch die sie geradlinig zu unseren Augen kommen, was uns die bloße Empfindung von Licht gibt, und eine andere, durch die sie sich währenddessen um ihre Mittelpunkte drehen; so daß, wenn sie sich sehr viel weniger schnell drehen als sie geradlinig kommen, uns der Körper, von dem sie kommen, blau erscheint, und rot, wenn sie sich sehr viel schneller drehen. Nun befindet sich ein Körper dann in der besten Verfassung, sie sich schneller drehen zu lassen, wenn seine kleinen Teile so dünne und einander so nahe Verzweigungen haben, daß sich um sie herum nur Materie des ersten Elements dreht, wie ich es über die des Blutes gesagt habe. Denn die kleinen Kugeln des zweiten Elements treffen auf der Oberfläche des Blutes auf Materie des ersten Elements, die unablässig äußerst schnell schräg von einer Pore in eine andere übergeht und sich folglich in eine andere Richtung bewegt als sie; und dadurch zwingt die Materie des ersten Elementes die Kugeln des zweiten, sich um ihre Mittelpunkte zu drehen, und zwar
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Vierter Teil
sogar rascher als irgendeine andere Ursache sie zwingen könnte, da das erste Element alle anderen Körper an Geschwindigkeit übertrifft. Das ist gewissermaßen derselbe Grund, 32. Weshalb das Blut röter als Kohle oder heißes Eisen ist. der dazu führt, daß heißes Eisen und glühende Kohlen rot erscheinen: denn dann sind etliche ihrer Poren nur mit dem ersten Element gefüllt. Weil aber diese Poren nicht so zusammengezogen sind wie die des Bluts, und das erste Element dort in ausreichend großer Menge vorkommt, um Licht zu verursachen, ist ihre Röte von der des Bluts unterschiedlich. Sobald das Herz sich so auszubilden 33. Wie sich die große Arterie und die Hohlvene beginnt, nimmt das aus ihm austretende auszubilden beginnen. verdünnte Blut seinen Lauf geradlinig zu der Stelle, zu der zu gehen ihm am freiesten steht, und das ist die, wo sich später das Gehirn ausbildet. Der Weg, den es dabei nimmt, beginnt auch den oberen Teil der großen Arterie auszubilden. Wegen des Widerstands der Teile des Samens, auf die es trifft, geht das Blut dann aber nicht sehr weit geradlinig, ohne auf demselben Weg zum Herzen zurückgedrückt zu werden, auf dem es von ihm gekommen ist. Allerdings kann es auf diesem Weg nicht abfließen, weil er sich mit neuem, vom Herz produziertem Blut gefüllt findet. Das aber führt dazu, daß es, während es abfließt, etwas weiter zu der gegenüberliegenden Seite von der abgelenkt wird, durch die neue Materie in das Herz eintritt, nämlich zu der Seite, wo sich später die Wirbelsäule befindet. Durch diese Seite nimmt es seinen Lauf zu der Stelle, an der sich die der Fortpflanzung dienenden Teile ausbilden müssen. Der Weg, den es beim Abfließen nimmt, ist der untere Teil der großen Arterie. Weil ihm aber die Teile des Samens, auf die es auch von dieser Seite her Druck ausübt, Widerstand leisten und das Herz unablässig neues Blut nach oben und unten in diese Arterie sendet, ist dieses Blut gezwungen, seinen Lauf im Kreislauf zum Herzen zu nehmen, und zwar an der am weitesten vom Rücken entfernten Seite. Dort bildet sich später die Brust aus. Der Weg, den das Blut so nimmt, wenn es beiderseits zum Herzen zurückkehrt, ist das, was man später die Hohlvene nennt.
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Ich würde bezüglich der Ausbildung 34. Wie sich die rechte Herzdes Herzens hier nichts weiteres hinzu- kammer ausbildet. fügen, wenn es nur eine einzige Kammer hätte wie das der Fische. Da es aber bei allen atmenden Tieren zwei gibt, halte ich es für erforderlich, auch zu versuchen, zu sagen, wie sich die zweite ausbildet. Ich habe bereits zwei Arten von Teilen in dem Anteil des Samens unterschieden, der im Herzen expandiert, bevor es irgendwelche Nahrung aus etwas anderem herauszieht, nämlich diejenigen Teile, die sich entfernen und leicht trennen, und diejenigen, die sich verbinden und aneinander anheften. Obwohl sich nun diese beiden Arten von Teilen im Blut aller Lebewesen finden, ist gleichwohl zu bemerken, daß es im Blut von Tieren, die nur eine Kammer im Herzen haben, sehr viel weniger von jenen Teilen gibt, die sich entfernen und trennen, als im Blut von Tieren, die zwei haben. Demnach kann man das Urteil fällen, daß einige jener leicht expandierenden kleinen Teile, nämlich jene, die ich hier die luftartigen Teilchen89 nennen werde, die Ursache der zweiten Höhle des Herzens sind. Diese Höhle findet sich, nachdem das Tier ausgebildet ist, zur rechten Seite hin geneigt. Aber ich glaube, daß die erste Höhle, die sich später zur linken Seite neigt, zu Beginn seiner Ausbildung genau die Mitte seines Körpers einnimmt, und daß das aus dieser linken Kammer austretende Blut seinen Lauf zuerst zu der Stelle hin nimmt, an der sich das Gehirn ausbildet, und dann von dort zu der gegenüberliegenden, an der sich später die Teile der Fortpflanzung ausbilden. Während es vom Gehirn dorthin abfließt, geht es vor allem zwischen dem Herzen und der Stelle hindurch, an der sich die Wirbelsäule ausbildet, und kommt danach sowohl von oben als auch von unten zum Herzen zurück. Ich glaube auch, daß das Blut, sobald es dem Herzen nahekommt, teilweise expandiert, bevor es wieder in seine linke Kammer eintritt. Deshalb bildet es seine linke Höhle aus, indem es durch diese Expansion Druck auf die es umgebende Materie ausübt. Ich sage, daß es expandiert, weil es in ihm etliche luftartige
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Vierter Teil
Teilchen gibt, die diese Expansion erleichtern und sich nicht sobald von den anderen losmachen konnten; aber ich sage, daß es nur teilweise expandiert, weil der Anteil des Samens, der sich mit ihm verbunden hat, nachdem es aus der linken Kammer ausgetreten ist, sich nicht in der richtigen Verfassung befindet, zu expandieren, wie diejenigen seiner Teile, die dort bereits verdünnt wurden: deswegen zögert dieser Anteil des Samens zu expandieren, bis er in die linke Kammer eingetreten ist, in die außerdem ein Teil des Blutes wieder zurückkommt, das in der rechten schon verdünnt wurde, was die Expansion erleichtert. Wenn dieses Blut aus der rechten 35. Wie sich die Lunge mit ihren drei Gefäßen Kammer austritt, treten die erregtesten auszubilden beginnt. und lebhaftesten seiner Teilchen in die große Arterie ein, wohingegen die anderen, die zum einen Teil die gröbsten und schwersten und zum anderen Teil die luftartigsten und weichsten sind, sich trennen und die Lunge zu bilden beginnen. Denn einige der luftartigeren verbleiben dort und bilden sich kleine Leitungen aus, die späteren Verzweigungen der Arterie, deren Ende der Schlund oder die Kehle ist, durch die die Atemluft eintritt. Die gröberen hingegen wenden sich zur linken Herzkammer. Der Weg, über den sie aus der rechten Kammer austreten, nennt man später die arteriöse Vene, und den, über den sie von dort in die linke gehen, die venöse Arterie. Ich füge hier noch ein Wort bezüglich 36. Was die Natur der luftartigen Teilchen ist. der Teilchen hinzu, die ich luftartige genannt habe. Denn ich beziehe unter diesem Namen nicht alle ein, die voneinander getrennt sind, sondern nur diejenigen von ihnen, die zwar weder sehr erregt noch sehr fest sind, aber dennoch alle eine Bewegung für sich haben, was dazu führt, daß der Körper, in dem sie sich aufhalten, dünn bleibt und nicht leicht verdichtet werden kann. Weil nun die Teilchen, die die Luft bilden, zum größten Teil eine solche Natur besitzen, habe ich sie luftartige genannt. Aber es gibt noch andere, lebhaftere und feinere, die wie die Teile von Branntwein (eau-de-vie) und Säuren (eaux fortes) oder von flüchtigen Salzen (sel volatil)90 sind und auch in vielen ande-
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ren Weisen vorkommen und das Blut expandieren lassen, ohne zu verhindern, daß es sich danach rasch wieder verdichtet. Etliche davon finden sich zweifellos im Blut der Fische genauso wie in dem von Landtieren, und bei letzteren vielleicht sogar in größerer Menge, was dazu führt, daß schon geringere Wärme es verdünnen kann. Diese kleinen, lebhafteren und feineren Teile, d. h. die sehr feinen und zugleich sehr festen und sehr erregten, die ich ab sofort immer Spiritus nennen werde, halten zu Beginn der Ausbildung nicht in der Lunge an wie die meisten der luftartigen; sondern weil sie größe Kraft besitzen, gehen sie weiter und von der rechten Herzkammer durch eine Leitung der arteriösen Vene bis in die große Arterie über. Außerdem sind die luftartigen Teil- 37. Wie es kommt, daß sich im chen des Samens die Ursache, weshalb Herzen keine dritte Kammer sich eine zweite Kammer im Herzen aus- ausbildet. bildet. Weil sich in der Folge der zweiten eine Lunge ausbildet, in der der größte Teil dieser luftartigen Teilchen anhält, wird verhindert, daß sich eine dritte Kammer ausbildet. Wenn das aus der rechten Kammer 38. Wie sich das Gehirn auszukommende Blut die Lunge auszubilden bilden beginnt. beginnt, beginnt gleichzeitig auch das aus der linken austretende die anderen Teile auszubilden; und der allererste nach dem Herzen ist das Gehirn. Denn man muß sich das so denken, daß die gröberen Teile des aus dem Herzen austretenden Blutes zuerst geradlinig bis zu der Stelle des Samens gehen, an der sich später die unteren Teile des Kopfes ausbilden. Währenddessen dringen die feineren, die die Spiritus bilden, etwas weiter vor und nehmen den Platz ein, an dem sich später das Gehirn befinden muß. Genauso, wie das Blut reflektiert wird und seinen Lauf nach unten durch die große Arterie nimmt, nehmen sie danach ihren Lauf etwas weiter oben und von derselben Seite zu dem Ort hin, an dem sich später das Mark der Wirbelsäule befindet, weil die Bewegung des Blutes in dem vom Herzen herkommenden Teil der großen Arterie, dem sie in diesem Fall sehr nah sind, den benachbarten Samen erregen und ihren Lauf zu dieser Seite hin erleichtern.
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Vierter Teil
Indessen erleichtert diese Bewegung 261,20 39. Wie sich die Sinnesorgane auszubilden beginnen. den Lauf der feineren Spiritus nur insoweit, als sie immer noch auf einen gewissen Widerstand stoßen, der die Ursache dafür ist, daß sie versuchen, sich zu anderen Seiten hin zu bewegen. Während diese Spiritus zur Wirbelsäule hin vordringen, an der sie sachte entlang strömen und sich von dort an alle anderen Stellen des Samens ausbreiten, trennen sich dadurch diejenigen ihrer Teilchen, die in irgendeiner Qualität die anderen übertreffen, von ihrer Hauptmasse ab und werden rechts und links zur Grundfläche des Gehirns und zur Vorderseite abgelenkt, wo sie beginnen, die Sinnesorgane auszubilden. 40. Weshalb es sie doppelt gibt. Ich sage, daß sie zur Grundfläche des Gehirns abgelenkt werden, weil sie von seinem oberen Teil reflektiert werden. Und ich sage, daß sie nach rechts und nach links abgelenkt werden, weil der Raum in der Mitte von jenen eingenommen wird, die währenddessen vom Herzen kommen und ihren Lauf von dort zur Wirbelsäule nehmen. Dies macht verständlich, weshalb alle Sinnesorgane doppelt vorhanden sind. Will man nun aber auch die Ursache 41. Woher ihre Unterschiede kommen. ihrer Verschiedenheit und die Ursache alles dessen wissen, was es an Besonderem bei jedem einzelnen von ihnen gibt, muß man beachten, daß es nur einen einzigen Grund gibt, der veranlassen kann, daß einige Teilchen der Spiritus sich abtrennen und ihren Lauf nach rechts und links zur Vorderseite des Kopfes nehmen, während der ganze Rest zur Wirbelsäule geht, nämlich daß sie die anderen an Kleinheit oder an Dicke übertreffen oder auch Gestalten haben, die ihre Bewegung aufhalten, verlangsamen oder erleichtern. Ich sehe nur einen beträchtlichen Unterschied zwischen jenen, die die anderen an Kleinheit übertreffen: Er besteht darin, daß einige von ihnen, nämlich jene, die ich luftartige genannt habe, sehr unregelmäßige und hinderliche, die anderen hingegen einheitlichere und schlüpfrigere Gestalten haben, so daß sie geeigneter sind, Wasser als Luft zu bilden.
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Ausformung eines Tieres (I) 262,25
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Prüft man nun die Eigenschaften der 42. Der Geruchssinn, das Sehluftartigen, ist leicht zu erkennen, daß sie vermögen, das Gehör und der Geschmackssinn. ihren Lauf am wenigsten tief von allen und am meisten zur Vorderseite des Kopfes hin nehmen müssen, wo sie beginnen, die Geruchsorgane auszubilden. Diejenigen, die einheitlichere und schlüpfrigere Gestalten haben, strömen unter die luftartigen, drehen sich und gehen zur Vorderseite des Kopfes, wo sie die Augen auszubilden beginnen. Ich bemerke zwischen den Teilchen der Spiritus, die die anderen an Dicke übertreffen, ebenfalls nur einen beträchtlichen Unterschied, nämlich daß die einen Gestalten haben, die zwar nicht wirklich so hinderlich sind wie die der luftartigen (denn dann könnten sie sich aufgrund ihrer Dicke kaum mit den Spiritus mischen), aber gleichwohl unregelmäßig und ungleichmäßig sind. Das führt dazu, daß sich die einen nicht in der Folge der anderen bewegen können, sondern von feiner Materie umgeben sind, deren Erregung sie folgen. Weil sie massiger sind, besitzen sie mehr Kraft als alle anderen und treten aus der Mitte des Gehirns auf kürzestem Wege aus und begeben sich zu den Ohren. Dabei führen sie einige luftartige Teilchen mit sich mit und beginnen, die Gehörorgane auszubilden. Umgekehrt haben die anderen einheitliche und schlüpfrige Gestalten, die die Ursache sind, daß sie leicht gemeinsame Sache machen und sich die einen in der Folge der anderen bewegen wie die Teilchen der Wasser, und folglich in einer gegenüber dem Rest der Spiritus verzögerten Bewegung. Das führt dazu, daß sie durch die Grundfläche des Gehirns zur Zunge, zum Schlund und zum Gaumen abfließen, wo sie den Nerven den Weg bereiten, die die Geschmacksorgane werden sollen. Außer diesen vier beträchtlichen Un- 43. Der Tastsinn. terschieden, die dazu führen, daß gewisse Teilchen der Spiritus sich von ihrer Hauptmasse loslösen und dadurch beginnen, die Geruchs-, Sehvermögens-, Gehör- und Geschmacksorgane auszubilden, bemerke ich, daß sich auch die anderen in dem Maße allmählich trennen, wie sie im Samen Poren finden, durch die sie hindurchgehen können. Hierfür muß es zwischen ihnen nur
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Vierter Teil
die Verschiedenheit geben, daß diejenigen, die am nächsten bei diesen Poren auftreffen, in sie eintreten, während die anderen gemeinsam ihren Lauf entlang der Wirbelsäule nehmen, bis auch sie auf andere Poren treffen, durch die sie in alle inneren Teile des Samens einströmen und so Durchgänge für die Nerven vorzeichnen, die dem Tastsinn dienen. Damit außerdem die Erkenntnis, die 44. Weshalb es die meisten Körperteile doppelt gibt. man von der Gestalt bereits ausgebildeter Tiere hat, nicht verhindert, daß man die Gestalt begreift, die sie zu Beginn haben, wenn sie sich ausbilden, muß man den Samen als eine einzige Masse betrachten. Aus dieser Masse hat sich zuerst das Herz ausgebildet, und dann um es herum auf der einen Seite die Hohlvene und auf der anderen die große Arterie, die beide an ihren Enden miteinander verbunden waren; deshalb markierte dasjenige ihrer Enden, zu dem hin die Öffnungen des Herzens gedreht waren, die Seite, wo sich der Kopf befinden sollte, und das andere Ende die Seite der unteren Teile. Danach stiegen die Spiritus etwas höher als das Blut zum Kopf hin, wo sie sich in einer bestimmten Menge sammelten und ihren Lauf allmählich entlang der Arterie und so nahe an der Oberfläche des Samens nahmen, wie ihre Kraft sie bringen konnte. Während sie diesen Lauf nahmen, suchten ihre kleinen Teile Gelegenheiten, alle anderen Wege zu nehmen, auf denen sie leichter gehen konnten als auf denen, auf denen sie sich befanden; aber sie fanden solchen Wege nur oberhalb der Wirbelsäule, weil die Hauptmasse der Spiritus sich dorthin entfernte, soweit ihre Kraft es erlaubten konnte, und sie fanden auch keinen direkt unterhalb, weil sich dort die große Arterie befand. So nahmen sie ihren Lauf nur rechts und links zu allen inneren Teilen des Samens hin. Außer allein am Ausgang des Kopfes 45. Weshalb die Nerven aus den ersten beiden Wirbeln konnten die Spiritus sich etwas nach auder Wirbelsäule anders aus- ßen und nach innen entfernen, weil das treten als aus den anderen. Mark der Wirbelsäule nicht so dick war wie das Gehirn, so daß sie an dieser Stelle etwas Raum fanden. Dies ist der Grund, weshalb die aus den beiden ersten Wirbeln
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der Wirbelsäule austretenden Nerven einen von den anderen unterschiedlichen Ursprung haben. Nun sage ich, daß die Spiritus, die im 46. Weshalb Nerven unmitSamen den Nerven den Weg bereiten, telbar vom Kopf kommen. ihren Lauf allein zu den inneren Teilen nahmen, weil auf die äußeren von der Oberfläche der Gebärmutter Druck ausgeübt wurde und sie keine Durchgänge hatten, die so frei waren, sie aufnehmen zu können. Aber sie fanden ausreichend freie zur Vorderseite des Kopfes hin. Deswegen haben sich einige von den anderen getrennt, bevor sie aus dem Kopf austraten, ohne deshalb eine verschiedene Natur zu besitzen, und haben den Weg für die Nerven vorgezeichnet, die zu den Muskeln der Augen, der Schläfen und anderer benachbarter Stellen verlaufen. Außerdem haben sie die Wege der Nerven vorgezeichnet, die zum Zahnfleisch, zum Magen, zu den Därmen, zum Herzen und zu den Häuten der anderen, weiter innen gelegenen Teile gehen, die sich später ausbilden. Genauso fanden die aus dem Kopf her- 47. Wie einige Nerven von der ausströmenden Spiritus Poren beiderseits Wirbelsäule kommen. entlang der Wirbelsäule, wodurch sie seine Wirbel unterteilten und sich von dort rundherum in die Masse des Samens ausbreiteten. Diese Masse war nicht mehr rund, sondern länglich, weil die Kraft, mit der das Blut und die Spiritus vom Herzen zum Kopf übergingen, sie mehr dorthin ausdehnen mußte als zu den anderen Seiten hin. Hier ist nur noch übrig zu beachten, daß die letzte Stelle des Samens, die die Spiritus erreichen können, wenn sie ihren Lauf in dieser Weise nehmen, diejenige ist, an der sich der Bauchnabel befinden muß, über den ich an der ihm zugehörigen Stelle sprechen werde. Aber nachdem ich den Lauf der Spiritus beschrieben habe, verlangt die Ordnung, daß ich auch erkläre, wie die Arterien und Venen gemeinsam ihre Verzweigungen in alle Teile des Samens ausdehnen. In dem Maße, wie im Herzen mehr 48. Wie die Arterien und Venen ihre Verzweigungen gemeinsam Blut erzeugt wird, expandiert es dort mit über den gesamten Körper größerer Kraft. Dadurch dringt es weiter ausdehnen.
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Vierter Teil
vor, kann aber so nur bis zu den Stellen vordringen, an denen es einige Teile des Samens gibt, die sich in der richtigen Verfassung befinden, ihnen ihren Platz abzutreten und folglich durch die Vene zum Herzen zu strömen, die mit der Arterie verbunden ist, durch die das Blut kommt, weil sie keinen anderen Weg einschlagen können als gerade diesen. Dies bildet zwei neue kleine Verzweigungen aus, eine an der Vene und eine an der Arterie, deren Enden miteinander verbunden sind und gemeinsam den Platz dieser kleinen Teile des Samens einnehmen. Oder aber dies führt dazu, daß die bereits ausgebildeten Verzweigungen sich bis dorthin strecken, ohne daß ihre Enden sich trennen. Da alle kleinen Teile des Samens geeignet sind, so zum Herzen zu strömen – oder sie wohl auch, falls es welche gibt, die dazu nicht geeignet sein sollten, leicht zu seiner Oberfläche zurückgedrückt werden –, gibt es keine unterhalb dieser Oberfläche in dem Raum, in dem sich die Spiritus ausbreiten, die nicht ihrerseits zum Herzen gelangen. Dies ist der Grund, weshalb die Venen und Arterien ihre Verzweigungen dort nach allen Seiten ausdehnen, und zwar beide genauso weit. An dieser Wahrheit darf man keines49. Weshalb man weniger Arterien als Venen sieht. wegs zweifeln, obwohl man gemeinhin in den Körpern der Tiere nicht so viele Arterien wie Venen sieht. Denn die Vernunft verlangt, daß letztere mehr in Erscheinung treten als erstere, weil sich das Blut gewöhnlich in den kleinen Venen genauso wie in den größeren aufhält, sogar nachdem das Tier tot ist; denn die Haut aller Venen zieht sich fast gleichermaßen zusammen, wohingegen das Blut der Arterien sich niemals in ihren kleinen Verzweigungen aufhält. Denn wenn es durch die Diastole gedrückt wird, geht es rasch in die Venen über oder fällt auch im Moment der Systole in die größeren Arterien zurück, weil ihre Röhren offen bleiben. So kann man die kleinen Verzweigungen der Arterien nicht sehen, genausowenig wie die weißen, Milchgefäße [Chylusgefäße, Lymphgefäße] genannten Venen, die Asellius vor kurzem im Gekröse entdeckt hat, wo man sie nur wahrnimmt, wenn man ein noch lebendiges Tier einige Stunden, nachdem es gegessen hat, öffnet.91
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Wir können hier zudem ganz beson- 50. Wie sich die Kranzarterien ders die Verteilung der Hauptvenen und und -venen ausgebildet haben. -arterien betrachten, weil sie von dem abhängt, was bereits über die Bewegung des Blutes und der Spiritus gesagt wurde. So war die erste Erregung des Herzens, das sich gerade auszubilden begonnen hatte, die Ursache, daß die ihm am nächsten befindlichen kleinen Teile des Samens zu den Öffnungen seiner Höhlen strömten, wodurch sie die Arterien und Venen ausbildeten, die man die Kranzgefäße nennt, weil sie es ganz umgeben wie ein Kranz. Es besteht kein Anlaß, es seltsam zu finden, daß man oft nur eine Kranzvene bemerkt, auch wenn es zwei Kranzarterien gibt, denn diese einzelne Vene kann genügend Verzweigungen haben, um sich mit allen Enden der Verzweigungen dieser beiden Arterien zu verbinden. Außerdem ist es kein Wunder, daß die kleinen aus der gesamten Umgebung des Herzens kommenden Teile des Samens ihren Lauf zu einer einzelnen Stelle nahmen, um in seine rechte Kammer einzutreten, während gleichzeitig das aus seiner linken Kammer austretende Blut seinen Lauf über zwei verschiedene Stellen nahm, um seinen Platz einzunehmen. Als das im Herzen expandierte Blut 51. Wie sich die Venen und schlagartig aus ihm austrat und seinen Arterien ausgebildet haben, die Lauf geradlinig nahm, drückte es zuerst in die Arme gehen. einen ziemlich großen Anteil des Samens etwas weiter nach oben in die Gebärmutter als er sich vorher befand. Dadurch waren die sich unterhalb dieses Anteils befindenden anderen Teile des Samens gezwungen, zu den Seiten abzufließen. Das führte dazu, daß die sich an den Seiten befindenden Teile von dort zum Herzen strömten. So begannen die großen Venen und Arterien sich auszubilden, die die Arme der Menschen oder die Vorderläufe der Wildtiere, oder schließlich die Flügel der Vögel ernähren. Außerdem wurde der Anteil des Sa- 52. Wie sich das Dreiecksgefäß mens, aus dem sich der Kopf ausbilden ausgebildet hat. mußte, durch das vom Herzen kommende Blut gedrückt und deshalb an seiner Oberfläche etwas fester gemacht als in seiner Mitte, weil auf ihn sowohl von der einen Seite durch das Blut,
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Vierter Teil
als auch von allen anderen durch den Rest des Samens, den er drückte, Druck ausgeübt wurde. Das ist die Ursache, weshalb dieses Blut nicht bis zu seiner Mitte eindringen konnte und die Spiritus, die allein dort eintraten, in der bereits erklärten Weise den Platz des Gehirns ausbildeten. Diesbezüglich ist zu bemerken, daß die Spiritus ihren Lauf von der Mitte des Kopfes nach drei unterschiedlichen Seiten nahmen, nämlich sowohl zur Rückseite, wo sie die Wirbelsäule vorzeichneten, als auch durch den Sockel zur rechten und linken Seite vorne. Deshalb mußte sich die Materie, deren Platz sie einnahmen, nach oben in die drei Zwischenräume des Schädels zurückziehen, die diese drei Seiten trennen. Außerdem nahm diese Materie von dort ihren Lauf durch die beiden Seiten der Wirbelsäule zum Herzen und schuf so den Platz für die drei Hauptverzweigungen des großen Dreiecksgefäßes, das sich zwischen den Hautfalten befindet, die das Herz umschließen, und das Besondere an sich hat, daß es gleichzeitig die Aufgabe einer Arterie und einer Vene übernimmt. Denn die sich an ihrem Platz befindende Materie wurde von den Spiritus gedrückt und trat so reichhaltig und so rasch aus, daß die Verzweigungen der Arterien, die mit denen der Venen verbunden waren, durch die sie zum Herzen strömte, sich mit ihnen verwoben und ein Gefäß ausgebildeten, das seine Rinnsale später von allen Seiten in das Innere des Schädels ausdehnt, so daß es fast allein das gesamte Gehirn ernährt. Indessen konnte das Blut der Haupt53. Wie sich das Wundernetz ausgebildet hat. röhre der geradlinig vom Herzen kommenden großen Arterie zunächst nicht in die Grundfläche des Kopfes eindringen, weil auf die kleinen Teile des Samens dort zu viel Druck ausgeübt wurde. Außerdem befanden sich diese kleinen Teile genau unterhalb der Stelle, an der sich später eine Drüse ausbildet, von der die Ärzte sich vorgestellt haben, sie diene nur dazu, den Schleim des Gehirns aufzunehmen. Das Blut übte rundherum Druck auf die kleinen Teile des Samens aus, die ihm Widerstand leisteten, und vertrieb allmählich einige, die zur Seite zu den ziemlich weit von dort entfernten Venen strömten.
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Dadurch bildeten sich jene kleinen, mehr bei Tieren als beim Menschen bemerkbaren Verzweigungen der Arterien aus, die man Wundernetz genannt hat,92 und die überhaupt nicht mit den Venen verbunden zu sein scheinen. Außerdem stieg das Blut höher bis 54. Wie sich der Trichter und sie zum Scheitel des Kopfes durch die Um- Aderhäute ausgebildet haben. gebung des Platzes, durch den die Spiritus in das Gehirn eintraten. Um diesen Platz herum schuf es eine Unzahl kleiner Rinnsale, die wie kleine Arterien waren, aus denen sich die kleine Haut auszubilden begann, die man Trichter nennt, und in der Folge jene, die die Leitung des sich an der Rückseite des Gehirns befindenden Hohlraums bedeckt, und auch die kleinen, Aderhäute genannten Gewebe, die sich in den beiden Hohlräumen der Vorderseite befinden. Nachdem sie sich um die Stelle herum versammelten, an der sich später die kleine, Conarium genannte Drüse ausbildet, traten sie alle gemeinsam in die Mitte des Dreiecksgefäßes ein, das das Gehirn ernährt. Ich muß die Ausbildung der anderen 55. Weshalb sich die Venen und Venen und Arterien nicht des längeren Arterien nicht in ganz genau erklären, weil ich dabei nichts Besonde- derselben Weise verteilen. res zu bemerken sehe. Alle werden durch denselben allgemeinen Grund produziert: Wenn ein kleiner Teil des Samens zum Herzen geht, ist das Rinnsal, das er erzeugt, wenn er so geht, eine Vene; und das Rinnsal, das das Blut erzeugt, wenn es vom Herzen kommt, um an seine Stelle zu treten, ist eine Arterie. Wenn deshalb diese Rinnsale etwas voneinander entfernt sind, scheint es, als ob die Vene und die Arterie getrennt wären, weil die Enden der Arterie sich überhaupt nicht zeigen. Mehrere verschiedene Ursachen können zu Beginn veranlassen, daß diese Rinnsale sich ablenken oder eines sich in zwei teilt oder zwei sich zu einem sammeln, was zu dem Unterschied führt, den man zwischen der Verteilung der Venen und der der Arterien sieht. Das aber verhindert nicht, daß sie stets dieselbe Kommunikation über die Enden ihrer Verzweigungen behalten, weil der Lauf des unablässig durch die Verzweigungen hindurchgehenden Blutes sie aufrechterhält.
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Vierter Teil
56. Weshalb ein abgeschnitDa sich die Verzweigungen, durch die 271,21 tenes Körperglied den sich die Kommunikation vollzieht, an alKreislauf nicht verhindert.
len Körperstellen finden und keineswegs nur an seinen Enden, wird sie selbst dann im Bein oder im Arm nicht verhindert, wenn man einen Fuß oder eine Hand abschneidet. Ich werde hier nur noch drei Beispiele 57. Weshalb die Halsschlagader doppelt vorhanden ist. für die Teilung, die Entfernung und die Verbindung dieser Rinnsale hinzufügen. Es gab zweifelsohne zu Beginn nur eine Röhre, die die Spiritus geradlinig vom Herzen zum Gehirn brachte. Da aber die Luftröhre, durch die die Atemluft hindurchgeht, sich später ausbildete (wie ich wiederum an der entsprechenden Stelle sagen werde), und die Luft, die sie enthielt, größere Kraft besaß, um dieser geraden Linie folgend zu steigen, als das vom Herzen kommende Blut, war dies die Ursache, weshalb sich diese Röhre in zwei Verzweigungen teilte, nämlich in die Arterien, die man Halsschlagadern nennt. Die beiden Venen, die man sperma58. Weshalb die linke spermatische Vene von tisch nennt, wurden während ihrer ersten der Nierenvene kommt. Ausbildung beide gleich tief in die Hohlvene hineingeführt; aber die Erregung der großen Arterie, als die Leber und die Hohlvene sich zur rechten Seite abgelenkt haben, war die Ursache, weshalb der Ort, in den die linke spermatische Vene hineingeführt war, sich allmählich bis zur emulgens (Nierenvene) hob, während der der rechten ohne Veränderung blieb. Umgekehrt ließ dieselbe Ursache auch die adipose genannte Vene der linken Niere sich von der Nierenvene, wo sie sich befand, bis zum Stamm der Hohlvene heben, während die Vergrößerung der Leber sich die rechte senken ließ. Ich verhehle nicht, daß ich diese am längsten gesucht habe und am wenigsten Hoffnung hatte, die Wahrheit über sie herauszubekommen, auch wenn [die Nichterkenntnis der] Wahrheit über diese Vene die anderen Erkenntnisse nicht aufhält. Die von den Brüsten herkommenden Arterien und Venen haben einen von denjenigen ganz unterschiedlichen Ursprung, die man epigastrisch nennt, die von unten nach oben zum Bauch
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Ausformung eines Tieres (I)
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kommen. Gleichwohl verbinden meh- 59. Weshalb die epigastrischen rere ihrer Verzweigungen die Venen mit und die zu den Brüsten gehöden Venen und die Arterien mit den renden Venen und Arterien sich jeweils nur mit Venen und Arterien am Bauchnabel. Das geschieht, Arterien verbinden. weil diese Stelle die letzte ist, von der die Teile des Samens zum Herzen strömen, weil sie einen längeren Weg zurückzulegen haben, um dort anzukommen; da nun das Blut einen genau gleichlangen Weg vor sich hat, wenn es durch die Venen der Brüste steigt, als wenn es durch die epigastrischen Venen abfließt, vertreibt das Blut, das von beiderseits durch die Arterien kommt, die sie begleiten, die dazwischen befindlichen Teile des Samens, bis es sie alle allmählich durch sehr kleine Leitungen in die Venen gedrückt hat, wodurch die Hauptverzweigungen der Arterien sich mit gegenüberliegenden Arterien verbunden finden, und die der Venen mit Venen.
FÜNFTER TEIL Über die Ausbildung der festen Teile
Die epigastrischen Venen und Arterien und die der Brüste scheinen die letzten zu sein, die sich aus den inneren Teilen des Samens ausbilden, noch vor den äußeren und bevor das Blut der Gebärmutter über den Bauchnabel zum Herzen kommt. Denn die Erregung der Spiritus ist die Ursache, weshalb die Teile des Samens, die sich an den Orten befinden, durch die sie hindurchgehen, eher zum Herzen gehen als die anderen. Weil sie vom Herzen durch die Wirbelsäule gleichzeitig zu mehreren Seiten übergehen, treffen sie sich schließlich an derselben Stelle, nämlich an der, wo sich der Bauchnabel entwickelt. Bevor ich mich aber damit aufhalte, ihn zu beschreiben, werde ich hier erklären, wie das Herz, das Gehirn, das Fleisch der Muskeln und der größte Teil der Häute oder Membrane sich fertig ausbilden. Denn dies hängt überhaupt nicht von der Nahrung ab, die das sich ausbildende Tier von der Gebärmutter erhält. Wenn die Arterien und Venen sich aus61. Was die Materie der festen Teile ist. zubilden beginnen, haben sie noch keine Häute und sind nichts anderes als kleine Rinnsale aus Blut, die sich hierhin und dorthin im Samen ausdehnen. Um aber zu verstehen, wie sich ihre Häute und in der Folge die anderen festen Teile ausbilden, ist zu beachten, daß ich oben bereits zwischen jenen Teilchen des Bluts unterschieden habe, die die Verdünnung im Herzen voneinander trennt, und jenen, die dieselbe Aktion miteinander verbindet, indem sie soviel Druck auf sie ausübt und sie so reibt, daß sich um sie herum mehrere kleine Verzweigungen entwickeln oder finden, die sich leicht aneinander anheften. Nun sind die ersteren so flüssig, daß sie nicht Teil der Zusammensetzung der sich verhärtenden Körperteile werden zu können scheinen. Alle anderen aber dürfen – außer den Spiritus,
60. Der Bauchnabel ist der letzte Teil, der sich aus dem Samen ausbildet.
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Ausformung eines Tieres (II)
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die zum Gehirn gehen und die sich aus den feineren ausbilden und zusammensetzen – nur als Dämpfe oder Serum des Bluts betrachtet werden, aus dem sie unablässig durch alle Poren austreten, die sie entlang der Arterien und Venen finden, durch sie hindurchgehen. So bleiben nur die anderen Teilchen des Blutes übrig (die der Anlaß sind, weshalb es rot erscheint), die eigentlich dazu dienen, die festen Teile zu bilden und zu ernähren. Gleichwohl dienen sie dazu nicht, solange sie miteinander verbunden sind, sondern erst, wenn sie sich lockern: denn wenn sie mehrere Male durch das Herz hindurchgehen und zurückkehren, brechen ihre Verzweigungen allmählich ab und werden schließlich durch dieselbe Aktion getrennt, die sie verbunden hatte. Weil sie sich außerdem als weniger ge- 62. Wie diese Materie die Häute eignet finden, sich zu bewegen, als die der Arterien zu bilden beginnt. anderen Teilchen des Bluts, und ihnen gewöhnlich einige Verzweigungen verbleiben, halten sie sich an der Oberfläche der Leitungen fest, durch die das Blut hindurchgeht. So beginnen sie, ihre Häute zu bilden. Außerdem verbinden sich zwar die 63. Wie sich die Fäden zu bilden Teilchen des Bluts, die erst kommen, beginnen, aus denen die festen nachdem sich diese Häute schon auszu- Körperglieder zusammengesetzt sind. bilden begonnen haben, mit den ersteren, allerdings nicht unterschiedslos in alle Richtungen, sondern nur an der Seite, auf der sie sich aufhalten können, ohne den Lauf des Serums, der Dämpfe und ebenso der anderen feineren Materien zu verhindern, nämlich der beiden ersten Elemente, die ich in meinen Prinzipien beschrieben habe, die ohne Unterlaß durch die Poren dieser Häute strömen. Wenn sie sich allmählich miteinander verbinden, bilden sie die kleinen Fäden aus, über die ich oben gesagt habe, daß aus ihnen alle festen Teile zusammengesetzt sind. Es ist zu beachten, daß alle Wurzeln 64. Die Wurzeln der Fäden der Fäden entlang der Arterien sitzen sitzen entlang der Arterien. und keine entlang der Venen. Deshalb zweifle ich sogar, ob die Häute der Venen sich unmittelbar aus dem Blut ausbilden, das sie
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Fünfter Teil
enthalten, oder ob sie sich nicht vielmehr aus den kleinen Fäden ausbilden, die von den benachbarten Arterien kommen. Denn was am meisten zur Ausbildung dieser kleinen Fäden beiträgt, ist erstens die Aktion, mit der das Blut vom Herzen in die Arterien kommt, die ihre Häute anschwellen und ihre Poren mit Unterbrechungen expandieren oder sich zusammenziehen läßt, was in den Venen überhaupt nicht geschieht; und zweitens auch der Lauf der flüssigen Materien, die durch die Poren ihrer Häute austreten, um in alle anderen Körperstellen einzutreten, wo sie allmählich diese kleinen Fäden vordringen lassen. Da sie von allen Seiten um sie herum strömen, veranlassen sie auch, daß ihre kleinen Teile sich aufstellen, verbinden und abschleifen. Aber auch wenn in derselben Weise einige flüssige Teile aus den Venen austreten können, so glaube ich gleichwohl, daß umgekehrt oft einige von den aus den Arterien ausgetretenen ihren Lauf nicht zur Oberfläche des Körpers nehmen, sondern zu den Venen, wo sie sich wiederum mit dem Blut mischen. Ein einziger Grund läßt mich glau65. Was der Grund ist, der einen glauben läßt, daß die Häute ben, daß das Blut der Venen etwas zur der Venen sich aus dem Blut Produktion ihrer Häute beiträgt, nämausbilden, das sie enthalten. lich daß diese Häute brauner oder weniger weiß sind als die der Arterien. Denn die weiße Farbe der letzteren wird dadurch verursacht, daß die Kraft, mit der die flüssigen Materien um ihre kleinen Fäden strömen, alle kleinen Verzweigungen der Teilchen zerbricht, aus denen sie zusammengesetzt sind, die, wie ich oben gesagt habe, die Ursache sind, weshalb das Blut rot erscheint. Weil nun diese Kraft in den Venen nicht so groß ist, in denen das Blut keineswegs mit einer solchen Wucht kommt, daß es sie stoßweise anschwellen läßt wie die Arterien, behalten die kleinen Teile des Bluts, die sich an ihre Häute heften, noch einige der kleinen Verzweigungen, die sie rot machen. Aber sie machen diese Häute schwärzlich und nicht rot, weil die Aktion des Feuers, das sie erregte, aufgehört hat. So sieht man, daß Ruß immer schwarz ist, und Kohlen, die rot sind, solange sie entflammt sind, schwarz werden, wenn sie gelöscht sind.
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Da nun die kleinen Fäden, aus denen 66. Aus der Erkenntnis der die festen Teile zusammengesetzt sind, Bestandteile des Samens könnte man die Gestalt und den Bau sich gemäß der verschiedenen Läufe der aller Körperglieder deduzieren. sie umgebenden flüssigen und feinen Materien und gemäß der Gestalt der Orte, auf die sie treffen, auf verschiedene Weisen ablenken, biegen und ineinanderschlingen, kann man allein daraus durch völlig mathematische und gewisse Gründe die ganze Gestalt und den ganzen Bau der einzelnen Körperglieder deduzieren, wenn man richtig erkennt, was die Teile des Samens einer besonderen Art von Tier, zum Beispiel des Menschen, sind. Genauso kann man umgekehrt auch deduzieren, was für ein Same vorliegt, wenn man mehrere Besonderheiten dieses Baus erkennt. Weil ich jedoch hier nur die Produktion des Tieres im allgemeinen betrachte, und nur insoweit, wie es nötig ist, um verständlich zu machen, wie alle seine Teile sich ausbilden, wachsen und ernähren, werde ich damit fortfahren, allein die Ausbildung seiner Hauptglieder zu erklären. Ich habe oben gesagt, daß das Herz 67. Wie sich das Herz versich auszubilden begann, indem auf ei- größert und vervollkommnet. nige der kleinen Teile des Samens von einigen anderen Druck ausgeübt wurde, die die Wärme expandierte. Um aber zu erkennen, wie es sich vergrößert und vervollkommnet, ist in Betracht zu ziehen, daß das Blut, das diese erste Expansion produziert hat, wenn es wieder an denselben Platz zurückkehrt, um zu expandieren, sowohl einige Teilchen in sich hat, die aus mehreren von den miteinander verbundenen des Samens zusammengesetzt und folglich dicker sind, als auch etliche, die feiner sind, wie ich gesagt habe. Einige dieser feineren dringen nun in die Poren des Samens ein, auf den Druck ausgeübt wurde und begonnen hat, das Herz auszubilden, und einige der dickeren halten sich an dem Samen fest und beginnen, ihn allmählich von seinem Platz zu vertreiben und an ihm kleine Fäden auszubilden ähnlich denen, die sich entlang aller Arterien ausbilden, wie ich gesagt habe, außer daß sie hier härter und stärker sind als anderswo, weil die größte Kraft der Expansion im Herzen liegt. Indessen ist die Kraft im Herzen nicht merklich größer als in den ersten Ver-
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Fünfter Teil
zweigungen der Arterie, die man Kranzgefäße nennt, weil sie das Herz ganz umgeben. Deshalb verweben sich die kleinen Fäden, die sich entlang dieser Kranzgefäße ausbilden, leicht mit jenen, deren Wurzeln in den Höhlen des Herzens liegen. Wie nun die letzteren seine inneren Teile bilden, bilden jene, die ihre Nahrung aus den Kranzgefäßen herausziehen, die äußeren, während die Verzweigungen der sie begleitenden Venen die Teilchen des Blutes zum Herzen zurückbringen, die sich als nicht geeignet herausstellen, es zu ernähren. Es gibt hier noch verschiedene Dinge 68. Wie sich die Fasern des Herzens ausgebildet haben. in Betracht zu ziehen, nämlich als erstes die Weise, wie sich gewisse sehr dicke Fasern in Form von Seilen bilden, die aus derselben Substanz bestehen wie der Rest des Herzens. Zu diesem Zweck muß man sich denken, daß die Höhlen des Herzens zu Beginn sehr unregelmäßige Gestalten hatten, weil die Teile des Blutes, die sie enthielten, sehr ungleich waren, so daß sie verschiedene Wege nahmen, wenn sie expandierten. Dadurch machten sie verschiedene Löcher in die Teile des Samens, auf die sie Druck ausübten, und da alle diese Löcher sich allmählich vergrößerten, wurden sie schließlich zu einer einzigen Höhle. Da nun die Teile des Samens, die sie trennten, allmählich durch die kleinen Fäden, die das Fleisch des Herzens bilden, von ihren Plätzen vertrieben wurden, haben sie auch diese Fasern in der Form von Säulen gebildet. Derselbe Grund war auch die Ursache 69. Was die Ursache der Klappen sind, die sich an den der Produktion der Klappen oder kleiEingängen der Hohlvene und nen Häute, die die Eingänge der Hohlder venösen Arterie befinden. vene und der venösen Arterie schließen. Denn das durch die beiden Eingänge in das Herz abgeflossene Blut strebt danach, wieder aus ihm auszutreten, weil es expandiert. Aber das ihm durch dieselben Eingänge folgende andere Blut verhindert, daß es wieder durch sie austritt. Deshalb zerstreuen sich seine Teile ganz über den Samen, der das Herz bildet, und erzeugen verschiedene kleine Löcher. Dann vertreiben die kleinen Fäden des Fleisches des Herzens die sich um diese Löcher herum befindenden Teile des Samens, nehmen ihren Platz
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ein und stellen sich in einer solchen Weise auf, daß sie die Klappen und Fasern bilden, an denen sie befestigt sind. Denn wenn man die Aktion des Blutes betrachtet, das durch die Mitte dieser Eingänge in das Herz abfließt, und die desjenigen, das danach strebt, durch ihre Umgebung wieder auszutreten, sieht man, daß sich gemäß den Regeln der Mechanik die Fasern des Herzens, die sich zwischen diesen beiden Aktionen befanden, in der Form von Häuten ausdehnen und so die Gestalt dieser Klappen annehmen mußten. Hingegen werden die Klappen an den 70. Die Ursache der Klappen, Eingängen der arteriösen Vene und der die sich an den Ausgängen der großen Arterie nicht in derselben Weise großen Arterie und der arteriösen Vene befinden. produziert. Denn sie befinden sich außerhalb des Herzens und sind nur aus Häuten dieser Arterien zusammengesetzt, die umgefaltet und nach innen vorgedrungen sind, von der einen Seite durch die Aktion des aus dem Herzen austretenden Blutes, und von der anderen durch den Widerstand des Blutes, das bereits in den Arterien enthalten ist und sich zu ihrer Peripherie zurückzieht, um ihnen Durchgang zu gewähren. Dies ist der allgemeine Grund für die 71. Was die allgemeine Ursache Produktion der Klappen, die sich im Rest für die Produktion der Klappen des Körpers finden. Deshalb bilden sich ist. solche Klappen notwendig an allen Leitungen aus, durch die irgendeine Materie strömt, die an irgendwelchen Stellen auf eine andere trifft, die ihr Widerstand leistet, ihren Lauf aber deswegen noch nicht abbrechen kann. Denn dieser Widerstand veranlaßt, daß die Haut der Leitung sich umfaltet und dadurch eine Klappe ausbildet. Dies zeigt sich bei den Därmen an der Stelle, an der bereits angesammelte Exkremente gewöhnlich dem Lauf der herabsinkenden Widerstand leisten, es zeigt sich auch in den Leitungen der Galle, und noch evidenter an den Stellen in den Venen, an denen das Gewicht des Blutes, das sie zu den Enden der Beine, Arme oder anderer Teile bringt, ihrem gewöhnlichen Lauf oft Widerstand leistet, der sie von diesen Enden zum Herzen bringt. Demnach kann man es ab sofort nicht mehr seltsam finden, wenn
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Fünfter Teil
ich sage, daß die Spiritus auch die Klappen in den Nerven sowie an den Eingängen und Ausgängen der Muskeln ausbilden, obwohl ihre Kleinheit verhindert, daß unsere Sinne sie wahrnehmen. Etwas anderes, was mir hier betrach72. Worin die Wärme des Herzens besteht und wie tet werden zu müssen scheint, ist, worin seine Bewegung vor sich geht. die Wärme des Herzens besteht und wie seine Bewegung zustande kommt. Denn da das Herz nicht zu schlagen aufhört, solange es Leben hat, scheinen alle seine Fasern durch diese Bewegung so biegsam werden zu müssen, daß ihm die Bewegung leicht durch eine äußere Kraft zurückgegeben werden können müßte, wenn es tot und abgekühlt ist. Indessen sehen wir, daß es umgekehrt steif in der Gestalt bleibt, die es vorher während seiner Systole hatte, das heißt zwischen zweien seiner Schläge, und es keineswegs leicht ist, ihm die Gestalt wiederzugeben, die es während seiner Diastole hatte, das heißt in den Momenten, wenn es die Brust schlug. Der Grund dafür ist, daß die Bewegung der Diastole von Beginn an durch die Wärme verursacht worden ist oder durch die Aktion des Feuers; und gemäß dem, was ich in meinen Prinzipien erklärt habe, konnte dieses Feuer nur darin bestehen, daß die Materie des ersten Elements diejenige des zweiten aus der Umgebung einiger Teile des Samens vertrieb und ihnen seine Erregung übertrug, wodurch diese Teile des Samens expandierten und auf die anderen Druck ausübten, die begonnen haben, das Herz auszubilden. Gleichzeitig sind einige Teile des Samens auch mit Kraft in die Poren eingetreten, die sich zwischen den anderen befanden, die das Herz ausbildeten, wodurch sie deren Lage etwas veränderten und die Bewegung der Diastole begannen, auf die die Bewegung der Systole folgte, als sich diese Lage wieder herstellte und die Teile des Samens, die die Erregung des Feuers hatten, aus den Poren des Fleisches des Herzens wieder austraten, das heißt in seine Höhlen zurückkehrten. Dort trafen sie auf andere Teilchen des Samens und danach auf solche des dort abfließenden Blutes, mischten sich unter es und vertrieben das um etliche seiner Teilchen herum befindliche zweite Element. Dadurch übertrugen sie
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ihnen ihre Erregung, und das Blut expandierte, das dadurch wiederum einige seiner Teilchen, umgeben allein von Materie des ersten Elements, in die Poren des Fleisches des Herzens sandte, das heißt zwischen die Fasern, was erneut die Bewegung der Diastole erzeugte. Ich kenne im Herzen keinerlei anderes Feuer, noch irgendeine andere Wärme als allein diese Erregung der Teilchen des Blutes, noch kenne ich irgendeine andere Ursache, die dazu dienen könnte, dieses Feuer aufrechtzuerhalten, außer allein daß, wenn der größte Teil des Blutes während der Diastole aus dem Herzen austritt, seine dort verbleibenden Teilchen in das Innere des Fleisches eintreten, wo sie dementsprechend beschaffene Poren und so sehr erregte Fasern finden, daß sie nur noch von Materie des ersten Elements umgeben sind. Außerdem verändern diese Poren während der Systole ihre Gestalt, weil das Herz länglich wird, was dazu führt, daß die Teilchen des Blutes, die dort verblieben sind, um als Hefe zu dienen, aus ihnen mit großer Geschwindigkeit austreten und dadurch leicht in das neue Blut eindringen, das in das Herz eintritt. So veranlassen sie, daß die Teilchen des Bluts sich voneinander zerstreuen und dadurch die Form von Feuer erwerben. Solange nun die Fasern des Herzens durch die Wärme dieses Feuers erregt sind, befinden sie sich in einer solchen Verfassung, daß sie ihre Poren abwechselnd öffnen und schließen, um die Bewegungen der Diastole und der Systole zu veranlassen. Deshalb bedarf es, sogar nachdem das Herz aus dem Körper eines Tieres entnommen und in Stücke geschnitten worden ist, nur sehr weniger Dämpfe aus Blut, die eine Gelegenheit suchen, in die Poren einzutreten, um es zur Bewegung der Diastole zu nötigen, sofern das Herz noch warm ist. Wenn es aber ganz abgekühlt ist, ist die Gestalt der Poren verändert, die von der Erregung durch das erste Element abhing, so daß die Dämpfe des Blutes nicht mehr in sie eintreten; und da die Fasern steif und hart sind, sind sie nicht mehr so leicht zu biegen. Wir können hier auch die Ursachen 73. Woher die Gestalt und der Gestalt des Herzens betrachten, denn Standhaftigkeit kommt, über sie lassen sich alle leicht aus der Weise de- die das Herz verfügt.
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Beschreibung des menschlichen Körpers · Fünfter Teil
duzieren, wie es sich ausgebildet hat. Die erste Besonderheit, die ich dabei bemerke, besteht in dem Unterschied zwischen seinen beiden Kammern, der offenkundig zeigt, daß sie nacheinander ausgebildet worden sind. Dies ist auch die Ursache, weshalb die linke sehr viel länger und zugespitzter ist als die rechte. Die zweite Besonderheit besteht darin, daß das die linke Kammer umgebende Fleisch an den Seiten des Herzens sehr viel dicker ist als an seiner Spitze. Der Grund dafür ist, daß die Aktion des in dieser Kammer expandierenden und sich rundherum ausdehnenden Blutes die Seiten mit größerer Kraft schlägt als die Spitze, weil sie seinem Mittelpunkt näher sind und einander gegenüberliegen. Hingegen liegt die Spitze nur der Öffnung der großen Arterie gegenüber, die das Blut leicht aufnimmt und so verhindert, daß es gegen diese Spitze denselben Druck ausübt. Derselbe Grund veranlaßt auch, daß das Herz bei seiner Diastole kürzer und runder wird als bei seiner Systole. Ich sehe hier nichts weiteres, was zu 74. Wie sich der Herzbeutel und alle anderen Häute, beachten wäre, außer der Haut, die das Membranen und Körpero- Herz umschließt und die man Herzbeuberflächen ausgebildet haben. tel nennt. Weil aber die Ursache, die diesen Herzbeutel produziert, nicht unterschiedlich zu der ist, die alle anderen Häute oder Membrane und allgemein alle Oberflächen ausbildet, die die verschiedenen Teile der Tiere unterteilen, wird es leichter für mich sein, über alle gleichzeitig zu sprechen. Es gibt Oberflächen, die sich zuerst zusammen mit dem Körper ausbilden, den sie begrenzen, und andere, die sich später ausbilden, weil dieser Körper von irgendeinem anderen abgetrennt wird, von dem er zuvor ein Teil war. Zur ersten Gattung gehört die Nachgeburt genannte äußere Oberfläche der Haut, die die Kinder umhüllt, bevor sie geboren sind, ebenso auch die Oberflächen der Lunge, der Leber, der Milz, der Nieren und aller Drüsen. Hingegen gehören die Oberflächen des Herzens, des Herzbeutels, aller Muskeln und sogar die gesamte Haut unseres Körpers zur zweiten Gattung. Was die ersteren sich ausbilden läßt, ist, daß ein nicht flüssiger Körper dadurch produziert wird, daß die kleinen Teile einer
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Flüssigkeit sich miteinander verbinden. Das ist bei allen der Fall, die ich genannt habe, denn dabei befinden sich notwendig einige dieser Teile außen an den anderen, und diese äußeren müssen sich unausweichlich in anderer Weise zusammenstellen als die inneren, weil sie einen Körper berühren, der eine andere Natur hat (das heißt dessen kleine Teile eine andere Gestalt haben, sich in anderer Weise zusammenstellen oder bewegen), als derjenige, den sie bilden. Denn wäre das nicht so, würden sie sich mit den anderen mischen, und es gäbe überhaupt keine Oberfläche, die die beiden Körper unterschiede. So sind zu Beginn, wenn der Same sich sammelt, diejenigen seiner Teile, die die Gebärmutter berühren, und auch einige andere, die ihr sehr nahe sind, durch diese Berührung gezwungen, sich in anderer Weise umzudrehen, zusammenzustellen und zu verbinden als sich die weiter entfernten umdrehen oder zusammenstellen oder auch verbinden. Dadurch beginnen die der Gebärmutter eng benachbarten Teile die Haut auszubilden, die die gesamte Frucht umhüllen muß. Aber diese Haut ist erst einige Zeit später fertiggestellt, wenn alle inneren Teile des Samens bereits durch die Arterien und durch die Venen, die ihren Platz einnehmen, zum Herzen vertrieben sind, und wenn schließlich diese Arterien und Venen auch zu den äußeren Teilen gehen, die in dem Maße durch die Venen zum Herzen ausströmen, wie die Arterien vordringen und etliche kleine Fäden produzieren, deren Gewebe diese Haut bildet. Was die Oberflächen betrifft, die sich dadurch ausbilden, daß ein Körper in zwei andere geteilt wird, so können sie als einzige Ursache nur diese Teilung haben. Allgemein werden alle Teilungen allein dadurch verursacht, daß ein Teil des sich teilenden Körpers dazu gebracht wird, sich zu einer Seite zu bewegen, während der mit ihm verbundene andere zurückgehalten oder dazu gebracht wird, sich zur anderen zu bewegen; denn nur dies kann sie trennen. So wurden die Teile des Samens, die zu Beginn das Herz bildeten, mit jenen verbunden, die den Herzbeutel und die Seiten bildeten, so daß das Ganze einen einzigen Körper ergab. Aber die Expansion des Blutes in den Höhlen des Herzens bewegte die
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diese Höhlen umgebende Materie in anderer Weise als die etwas weiter davon entfernte. Gleichzeitig bewegten die vom Gehirn durch die Wirbelsäule zu den Seiten abfließenden Lebensgeister die sich an den Seiten befindende Materie ebenfalls in anderer Weise. Dadurch begann die sich dazwischen befindende Materie, die nicht insgesamt diesen beiden verschiedenen Bewegungen gehorchen konnte, sich allmählich von den Seiten und vom Herzen zu lockern und so allmählich den Herzbeutel auszubilden. In dem Maße, wie die ihn bildenden Teile des Samens zum Herzen ausströmten, sandten dann die Arterien kleine Fäden an den Platz der verschiedenen Orte, durch sie hindurchgingen, die sich miteinander verbanden und die Haut ausbildeten, aus der der Herzbeutel besteht. Was dann diese Haut ziemlich hart machte, ist, daß von einer Seite mehrere Teile des im Herzen expandierenden Blutes quer in sein Fleisch eindrangen, und sich zwischen ihm und dem Herzbeutel sammelten, ohne weiter hindurchgehen zu können, weil in dem Maße, wie sie zu wachsen begannen, aus der anderen Seite auch etliche Dämpfe des in der Lunge enthaltenen Blutes austraten, die sich zwischen eben dem Herzbeutel und den Seiten sammelten. Indem nun die Dämpfe beiderseits Druck auf ihn ausübten, machten sie die Fasern ziemlich hart und bildeten die Ursache, daß immer etwas Raum zwischen ihm und dem Herzen bleibt, der nur von Dämpfen gefüllt ist, von denen ein Teil in der Form von Wasser verdichtet ist und der andere in der Form von Luft verbleibt. Hier endet das Manuskript Descartes’.
ANMERKUNGEN DES HERAUSGEBERS
Anm. 1, S. 3: Fast wörtlich schon so bei Juan Luis Vives: »[Est] tractatio haec non satis diligenter a veteribus sapientiae studiosis vel animadversa, vel tradita« (De anima et vita, 421). – Im Brief an Elisabeth vom 21. Juli 1645 zählt Descartes zu den Mitteln, »die die Philosophie uns lehrt, um die höchste Glückseligkeit zu erlangen, die die gemeinen Seelen vergeblich vom Schicksal erwarten, und die wir nur aus uns selbst zu erlangen wünschen (. . . ), zu prüfen, was die Alten darüber geschrieben haben, und zu versuchen, sie zu überbieten, indem man ihren Vorschriften etwas hinzufügt« (AT IV, 252 = PhB 659, 97–99). – Es sei hier der Hinweis wiederholt, daß alle Zitate, in deren Quellenangabe der Hinweis auf AT an erster Stelle steht, von mir selbst stammen. In diesem Fall steht ein evt. weiterer Hinweis auf eine Übersetzung nur zur Erleichterung einer Kontrolle durch den Leser. Steht umgekehrt in der Quellenangabe der Hinweis auf AT an zweiter Stelle, stammt die Übersetzung von dem an erster Stelle genannten Herausgeber. Anm. 2, S. 3: Im Brief an Huygens vom März 1638 spricht Descartes allen jenen seine Achtung aus, die »so sehr sie können an der Untersuchung der natürlichen Dinge arbeiten und beim Ausprobieren neuer Wege wenigstens von der breiten Straße abgehen, die nirgendwohin führt und nur dazu dient, die ihr Folgenden zu ermüden und zu verwirren« (Bense 123 = AT II, 52). Anm. 3, S. 3: Vgl. Aristoteles: Metaphysik 9, 1 1046a: »In gewissem Sinne [ist] das Vermögen des Tuns und des Leidens eines (. . . ), in gewissem Sinne [ist es] ein anderes. Das eine findet sich nämlich in dem Leidenden; denn darum, weil es ein gewisses Prinzip hat und weil der Stoff selbst ein gewisses Prinzip ist, leidet das Leidende und anderes von anderem. Das Fette nämlich ist brennbar, das auf diese bestimmte Weise Nachgebende zerbrechbar, und in ähnlicher Weise auch bei dem übrigen. Das andere Vermögen dagegen ist in dem Tätigen, z. B. das Warme und die Baukunst, das eine in dem Wärmenden, das andere in dem Baukundigen« (PhB 308, 103–105); Physik 3, 3
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Anmerkungen des Herausgebers
(202a–202b): »Um es allgemein zu sagen: Weder ist ›Belehrung‹ mit ›Lernvorgang‹ noch ›Einwirkung‹ mit ‹Erleiden der Einwirkung› im eigentlichen Sinne dasselbe, sondern das ist nur jenes, dem diese beiden (als Aussagen) zukommen, der Begriff der ›Veränderung‹ selbst« (PhB 380, 113 = 202b). – »Semper autem existimavi unam & eandem rem esse, quae, cum refertur ad terminum a quo, vocatur actio, cum vero ad terminum ad quem sive in quo recipitur, vocatur passio: adeo ut plane repugnet, vel per minimum temporis momentum, passionem esse sine actione« (Responsio ad Hyperaspistem AT III, 428). – »In rebus corporeis omnis actio & passio in solo motu locali consistunt, & quidem actio vocatur, cum motus ille consideratur in movente, passio vero, cum consideratur in moto. Unde sequitur etiam, cum illa nomina ad res immateriales extenduntur, aliquid etiam motui analogum in illis esse considerandum; & actionem dicendam esse, quae se habet ex parte motoris, qualis est volitio in mente; passionem vero ex parte moti, ut intellectio & visio in eadem mente. Qui vero putant perceptionem dicendam esse actionem, videntur sumere nomen actionis pro omni reali potentia, & passionem pro sola negatione potentiae; ut enim perceptionem putant esse actionem, ita etiam haud dubie dicerent in corpore duro receptionem motus, vel vim per quam admittit motus aliorum corporum, esse actionem; quod recte dici non potest, quia passio isti actioni correlativa esset in movente, & actio in moto« (an Regius, Dezember 1641: AT III, 454–455). Anm. 4, S. 5: vgl. Meditatio II (AT VII, 25–26 = PhB 597, 50–53 = PhB 598, 29–30). Anm. 5, S. 6: Descartes vergleicht den menschlichen Körper wiederholt mit hydraulischen Apparaten (Traité de l’Homme AT XI, 130–132 = Rothschuh 56–57), Orgeln (ibid. AT XI, 165–166 = Rothschuh 96–97) oder mit einer Uhr (ibid. AT XI, 120 = Rothschuh 44; ibid. AT XI, 202 = Rothschuh 136; Discours AT VI, 50; 59 = PhB 624, 86–87; 100–101 = PhB 643, 44; 51; Med. AT VII, 84–85 = PhB 597, 170–173 = PhB 598, 91–92; Passions Art. 16). Anm. 6, S. 6: vgl. Traité de l’Homme (AT XI, 121–122 = Rothschuh 45–46). Anm. 7, S. 6: Descartes bezeugt seine Lektüre von William Harveys De motu cordis im Brief an Mersenne vom November oder
Anmerkungen des Herausgebers
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Dezember 1632 (AT I, 263). Die Erklärung des Blutkreislaufs und der Herzbewegung ist das erste naturphilosophische Probestück, das Descartes im fünften Abschnitt des Discours de la Méthode als Beispiel für die Nützlichkeit seiner Methode anführt (AT VI, 46–55 = PhB 624, 80–95 = PhB 643, 41–48). Anm. 8, S. 7: Im Brief an Mersenne vom 23. November 1646 führt Descartes als einen der Fehler, die Regius, sein ehemaliger Gefolgsmann in den Fundamenta physices, seinem Plagiat von Descartes’ unveröffentlichtem Werk über die Anatomie des Menschen, begangen hat, die Erklärung der Muskelbewegung an: »Was die Art und Weise betrifft, auf die er die Bewegung der Muskeln erklärt, so ist sie, obgleich sie von mir stammt und ihm dermaßen gefallen hat, daß er sie zweimal Wort für Wort wiederholt, dennoch überhaupt nichts wert, weil er die Hauptsache vergessen hat, da er meine Schrift nicht verstand, und weil er, da er sich meine Abhandlung nicht angesehen hat, die seine sehr schlecht gemacht hat, so daß er den Regeln der Mechanik widerspricht. Denn es ist schon 12 oder 13 Jahre her, daß ich alle Funktionen des menschlichen Körpers oder des Tieres beschrieb, das Papier aber, auf dem ich sie notiert habe, ist so verdorben, daß ich selbst sehr viel Mühe haben würde, es zu lesen; ich konnte mich jedoch vor 4 oder 5 Jahren nicht weigern, es einem intimen Freund zu leihen« (Bense 361 = AT IV, 566–567). Descartes erzählt dann weiter, es seien von diesem Entwurf unlizensierte Kopien angefertigt worden und auf eine von diesen habe sich Regius wohl bei der Abfassung seiner Fundamenta gestützt. Vgl. auch die Briefe an Mersenne am 5. Oktober 1646 (AT IV, 510), an Huygens (AT IV, 517), an Elisabeth (AT IV, 625–626 = PhB 659, 293), und natürlich die Ausführungen im Lettre-Préface (AT IX 2, 19–20 = PhB 624, 166–169). Anm. 9, S. 7: Discours 5 (AT VI, 48 f. = PhB 624, 84–85 = PhB 643, 43–44): »Im Herzen gibt es immer mehr Wärme als an irgendeiner anderen Stelle des Körpers . . . « Anm. 10, S. 10: Descartes erklärt im ersten Kapitel der Dioptrik den Sehvorgang durch den Vergleich mit einem Blinden, der sich mit Hilfe eines Stocks orientiert (AT VI, 83–86 = PhB 643, 73–75). Im fünften Kapitel greift er auf dieses Bild zurück: »Wenn der Blinde,
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Anmerkungen des Herausgebers
von dem wir oben gesprochen haben, mit seinem Stock einige Körper berührt, dann ist das einzige, was diese Körper zu ihm senden, gewiß nur, daß sie seinen Stock entsprechend der verschiedenen Qualitäten in ihnen sich verschieden bewegen lassen, wodurch sie die Nerven seiner Hand bewegen und danach die Stellen seines Gehirns, von denen diese Nerven kommen. Das gibt seiner Seele die Gelegenheit, ebenso viele verschiedene Qualitäten an diesen Körpern zu empfinden, wie sich an Vielfalt in den Bewegungen findet, die sie in seinem Gehirn verursachen« (PhB 643, 98 = AT VI, 114). Anm. 11, S. 11: Dioptrique VI: De la Vision (AT VI, 130–147 = PhB 643, 110–124). Anm. 12, S. 13: An Elisabeth, Mai 1646: »Ich habe auch nicht alle Prinzipien der Physik in diese Abhandlung einbezogen, derer ich mich für die Entzifferung der Blutbewegungen bedient habe, die jede Leidenschaft begleiten, weil ich sie nicht richtig abzuleiten vermöchte, ohne die Bildung aller Teile des menschlichen Körpers zu erklären; und ich würde ein so schwieriges Unternehmen noch nicht wagen, obwohl ich mit mir selbst einigermaßen zufrieden bin bezüglich der Wahrheit der Prinzipien, die ich in dieser Schrift vorausgesetzt habe« (PhB 659, 221 = AT IV, 407). Anm. 13, S. 14: Descartes zählt den Willen zu den modi cogitandi, die alle »auf zwei allgemeine zurückbezogen werden [können], von denen der eine die Erfassung (perceptio) – also die Tätigkeit des Verstandes –, der andere das Wollen – also die Tätigkeit des Willens – ist. Denn Empfinden, Vorstellen und reines Einsehen sind nur verschiedene Weisen des intellektuellen Erfassens, ebenso wie Begehren, Abhaltenwollen, Behaupten, Bestreiten, Zweifeln verschiedene Weisen des Wollens sind« (Principia I, § 33: AT VIII/1, 17 = PhB 566, 40–41). – »Einige meiner Gedanken sind gewissermaßen Bilder der Dinge, (. . . ) andere aber haben außerdem eine bestimmte Form: wie etwa, wenn ich will, wenn ich mich fürchte, wenn ich behaupte, wenn ich bestreite (. . . ); und von diesen Gedanken werden die einen Willensakte, bzw. Affekte, die anderen aber Urteile genannt« (Med.: AT VII, 37 = PhB 597, 72–73 = PhB 598, 41). – Bei Descartes gibt es keine vollständige Disjunktion von theoretischer und praktischer Vernunft: »Zum Urteilen [ist] sicherlich Verstand erforderlich, weil
Anmerkungen des Herausgebers
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wir über ein Ding, das wir auf keine Weise erfassen, keine Urteile fällen können; es ist aber auch Wille nötig, damit dem auf irgendeine Weise erfaßten Ding Geltung verschafft wird« (Principia I, § 34: AT VIII/1, 18 = PhB 566, 40–41) – wobei der Übersetzer vielleicht besser daran getan hätte, »ut rei aliquo modo perceptae assensio praebatur« mit »um dem in irgendeiner Weise bereits Erfaßten Zustimmung zu gewähren« zu übersetzen: Denn hier ist »assensio praebari« im Sinne von »ein Urteil fällen« gemeint und noch nicht im Sinne von »dieser Erkenntnis Geltung zu verschaffen«. Das Urteil beinhaltet immer einen Willensakt, und deswegen ist die »oberste Vollkommenheit«, die Desartes dann in § 43 darin sieht, daß der Mensch »aus dem Willen heraus handelt, d. h. frei, und so auf eine ihm eigene Weise der Urheber seiner Handlungen ist, für die er deshalb verantwortlich gemacht werden kann« (AT VIII/1, 18 = PhB 566, 42– 43), eben nicht nur eine Vollkommenheit im moralischen Agieren des Menschen, sondern eine solche, die sich in jedem (auch noch so theoretischen) Urteilen realisiert. Die Freiheit des Willens (voluntas) und der Willkür (arbitrium) besteht deshalb darin, daß wir »vielem nach eigenem Belieben zustimmen oder nicht zustimmen können« (§ 39: AT VIII/1, 19 = PhB 566, 44–45) und ermöglicht den hyperbolischen Zweifel der Meditationes, von dem Descartes deshalb eigens betonen muß, daß er sich nicht auf die menschliche Praxis im landläufigen Sinne bezieht. – Vgl. auch Notae in programma quoddam: »Ego enim, cum viderem, praeter perceptionem, quae praerequiritur ut judicemus, opus esse affirmatione vel negatione ad formam judicii constituendam, nobisque saepe esse liberum ut cohibeamus assensionem, etiamsi rem percipiamus: ipsum actum judicandi, qui non nisi in assensu, hoc est, in affirmatione vel negatione consistit, non retuli ad perceptionem intellectus, sed ad determinationem voluntatis« (AT VIII/2, 363). Anm. 14, S. 16: Eine ähnliche Formulierung findet sich im Brief an Elisabeth vom 6. Oktober 1645, in dem Descartes zuerst seine Ansichten über die Passionen skizziert: ». . . l’âme, ne se déterminant a rien de soi-même, suit nonchalant les impressions qui se rencontrent dans le cerveau . . . « (AT IV, 311 = PhB 659, 169). Anm. 15, S. 19: Topos aus den Meditationes: Ich sehe »jetzt das
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Licht, höre das Geräusch, empfinde die Wärme. Zwar ist das falsch, ich schlafe nämlich. Sicherlich aber scheine ich zu sehen, zu hören, warm zu werden. Es ist nicht möglich, daß dies falsch ist; dies ist in eigentlichem Sinne das, was in mir sinnliches Wahrnehmen genannt wird; und dies genau so aufgefaßt ist nichts anderes als Denken« (Med.: AT VII, 29 = PhB 597, 56–59 = PhB 598, 32–33). In der 3. Meditation greift Descartes das auf: »Ich bin ein denkendes Ding, das heißt ein Ding, das zweifelt, behauptet, bestreitet, weniges einsieht, dem vieles unbekannt ist, das will, nicht will, das auch vorstellt und sinnlich wahrnimmt. Denn wie ich zuvor bemerkt habe, bin ich mir sicher, daß alle Dinge, die ich sinnlich wahrnehme oder vorstelle, auch dann, wenn sie unabhängig von mir vielleicht nichts sind, als gedankliche Zugriffe (modi cogitandi), die ich sinnliche Wahrnehmungen und Anschauungen nenne, insofern in mir sind, als sie lediglich gedankliche Zugriffe sind« (Med.: AT VII, 34–35 = PhB 597, 68–69 = PhB 598, 39). Anm. 16, S. 19: . »Passion est un mouvement violent de l’âme en sa partie sensitive, lequel se fait ou pour suivre ce que l’âme pense lui être bon, ou pour fuir ce qu’elle pense lui être mauvais« (Pierre Charron: De la sagesse I, 146). Anm. 17, S. 20: »Es gibt aber nichts, was diese Natur mich eindrucksvoller lehrt, als daß ich einen Körper habe, dem es schlecht geht, wenn ich Schmerz empfinde, der nach Essen oder Trinken verlangt, wenn ich Hunger oder Durst leide und dergleichen; und demnach darf ich nicht zweifeln, daß darin ein gewisser Anteil von Wahrheit liegt. Durch diese Empfindungen des Schmerzes, des Hungers, des Durstes usw. lehrt die Natur auch, daß ich zu meinem Körper nicht etwa nur so hinzugefügt bin, wie ein Seemann sich auf einem Schiff aufhält, sondern daß ich mit ihm auf engste verbunden und gewissermaßen vermischt bin, so daß ich mit ihm zu einem einzigen Etwas zusammengesetzt bin. Andernfalls würde ich, der ich nichts anderes als ein denkendes Ding bin, auch dann keine Schmerzen empfinden, wenn der Körper verletzt wird, sondern ich würde die Verletzung durch den reinen Verstand erfassen, so wie der Seemann durch das Sehvermögen erfaßt, wenn am Schiff irgendein Schaden entsteht; und wenn der Körper nach Essen oder Trinken verlangt,
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würde ich dies ausdrücklich einsehen und nicht die verworrenen Empfindungen des Hungers und des Durstes haben. Denn sicherlich sind diese Empfindungen des Durstes, des Hungers, des Schmerzes usw. nichts anderes als gewisse verworrene gedankliche Zugriffe, die aus der Vereinigung und gewissermaßen der Vermischung des Geistes mit dem Körper herrühren« (Med.: AT VII, 80–81 = PhB 597, 162–165 = PhB87–88). – In den Principia IV, 190 spricht Descartes von »Affekten, bzw. Gemütsbewegungen (affectus sive animi pathemata)« als »verworrenen Gedanken (. . . ), die der Geist nicht aus sich selbst heraus hat, sondern deshalb, weil er vom Körper her, mit dem er eng verbunden ist, irgend etwas erleidet. Denn die deutlichen Gedanken, die wir von dem besitzen, das wir erstreben oder wünschen oder auch vermeiden usw., unterscheiden sich von diesen Affekten in jeder Hinsicht« (PhB 566, 609 = AT VIII 1, 317). Descartes bezieht sich auf diese Textpassage im Brief an Chanut, 1. Februar 1647 (AT IV, 602–603 = PhB 659, 391). Anm. 18, S. 21: Die erste Definition der Passionen findet sich im Brief an Elisabeth vom 6. Oktober 1644: Man kann »im allgemeinen alle die Gedanken Passionen nennen, die (. . . ) in der Seele ohne die Mithilfe ihres Willens und folglich ohne irgendeine von ihr stammende Aktion allein durch die im Gehirn befindlichen Eindrücke erregt werden, denn alles, was nicht Aktion ist, ist Passion. Man beschränkt gewöhnlich aber diesen Namen auf die Gedanken, die durch irgendeine besondere Erregung der Lebensgeister verursacht werden« (AT IV, 310 = PhB 659, 169). Passionen sind aber, so fährt Descartes fort, weder singuläre äußere oder innere Empfindungen wie Farben, Töne, Gerüche, Hunger; noch solche Gedanken, die von der Erinnerung an vergangene Empfindungen abhängen, wie Traumgebilde im Schlaf oder auch im Wachen, »in welchem die von sich aus unentschlossene Seele den Eindrücken, die sich im Gehirn befinden, lässig folgt« (PhB 659, 169 = AT IV, 311); noch solche Vorstellungen, die dadurch entstehen, daß die Seele ihren Willen gebraucht; noch solche Gedanken, die auf einen »üblichen Lauf der Lebensgeister« (AT IV, 311 = PhB 659, 171) zurückzuführen sind und im Menschen entweder eine bestimmte Grundgestimmtheit, ein gewisses trauriges oder fröhliches oder sonstwie geartetes Naturell erzeugt, oder
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eine vorübergehende Stimmung in ihm erzeugt. »So bleiben nur die von irgendeiner besonderen Erregung der Lebensgeister stammenden Gedanken übrig, die im eigentlichen Sinne Passionen genannt werden« (AT IV, 311 = PhB 659, 171). Anm. 19, S. 21: »Zwischen dem Geist und dem Körper besteht ein großer Unterschied darin, daß der Körper von seiner Natur her stets teilbar ist, der Geist aber völlig unteilbar. Denn wenn ich den Geist, bzw. mich selbst betrachte, insofern ich lediglich ein denkendes Ding bin, kann ich tatsächlich in mir keine Teile unterscheiden, sondern ich sehe ein, daß ich ein durchaus einziges und vollständiges Ding bin. Und obwohl der gesamte Geist mit dem gesamten Körper vereint zu sein scheint, erkenne ich, daß auch dann dem Geist nichts entzogen ist, wenn ein Fuß, ein Arm oder ein beliebiger anderer Teil des Körpers abgetrennt ist. Auch kann man das Vermögen des Wollens, das Vermögen der Empfindung, das Einsichtsvermögen usw. nicht als seine Teile ansprechen, weil es ein und derselbe Geist ist, der will, der sinnlich wahrnimmt, der einsieht« (Med.: AT VII, 85–86 = PhB 597, 172–175 = PhB 598, 92–93). Anm. 20, S. 23: Zur Rolle der Zirbeldrüse (conarium, glande pinéale) vgl. Med. VI (AT VII, 86 = PhB 597, 174–175 = PhB 598, 93); Reg. XII (Crapulli, 42–43 = PhB 613, 94–97); Brief an Meysonnier, 29. Januar 1640: »Meine Meinung ist nämlich, daß diese Drüse der Hauptsitz der Seele ist und der Ort, an dem sich alle unsere Gedanken bilden. Der Grund, der mich zu diesem Glauben veranlaßt, ist, daß ich im gesamten Gehirn mit Ausnahme dieses einzigen keinen Teil finde, der nicht doppelt ist. Da wir mit beiden Augen nur ein und dieselbe Sache sehen und mit beiden Ohren nur ein und dieselbe Stimme hören und schließlich zur gleichen Zeit immer nur einen Gedanken haben, ist es nun aber notwendig, daß die durch die beiden Augen oder durch die beiden Ohren usw. eintretenden species intentionales sich in irgendeinem Teil des Körpers vereinigen, um dort durch die Seele betrachtet zu werden. Es ist nun unmöglich, im ganzen Kopf irgendeinen anderen, dafür passenderen als diese Drüse zu finden, abgesehen davon, daß sie zu diesem Zweck auch am geeignetsten gelagert ist, nämlich in der Mitte zwischen allen Vertiefungen, und daß sie von kleinen Verästelungen der Kopfschlagadern gehal-
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ten und umgeben wird, die die Lebensgeister in das Gehirn bringen« (Bense, 181 (überarbeitet) = AT III, 19–20). Vgl. auch an Mersenne, 1. April 1640 (AT III, 47–50 = Bense, 185–187); 30. Juli 1640 (AT III, 124 = Bense, 193); 24. Dezember 1640 (AT III, 263–265 = Bense, 221–223) und 21. April 1641 (AT III, 361–362 = Bense, 235–236). Anm. 21, S. 23: Vgl. Brief an Regius vom Mai 1641: »Quod dicis [ = Regius] de affectionibus, illorum sedem esse in cerebro, est valde paradoxum, atque etiam, ut puto, contra tuam opinionem. Etsi enim spiritus moventes musculos veniant a cerebro, sedes tamen affectuum sumenda est pro parte corporis quae maxime ab illis alteratur, quae proculdubio est cor; & idcirco dicerem: Affectuum, quatenus ad corpus pertinent, sedes praecipua est in corde, quoniam illud praecipue ab illis alteratur; sed quatenus etiam mentem afficiunt, est tantum in cerebro, quoniam ab illo solo mens immediate pati potest« (AT III, 373). – Zur Frage nach dem Sitz der Seele vgl. Juan Luis Vives: De anima et vita I, 340–341; Michel de Montaigne: Essais II, 12 Apologie für Raymond Sebond. übers. v. Hans Stilett: Frankfurt a. M.: Eichborn 1998, 273; Pierre Charron: De la sagesse I, 101–102; 46–47 (Lesart): »Le siège de l’âme raisonnable (. . . ) c’est le cerveau et non pas le cœur, comme avant Platon et Hippocartes, l’on avait pensé communément; car le cœur a sentiment et n’est pas capable de sapience«. Anm. 22, S. 27: Diese Aussage findet sich schon bei Pierre Charron: La volonté »seule est vraiment notre et en notre puissance; tout le reste, entendement, mémoire, imagination, nous peut être ôté, altéré, troublé, par mille accidents, et non la volonté« (De la sagesse I, 142). – vgl. Discours III: »Mein dritter Grundsatz war (. . . ) mir anzugewöhnen, zu glauben, daß allein unsere Gedanken ganz in unserer Macht stehen« (PhB 624, 44–45 = PhB 643, 23 = AT VI, 25). Im Brief an Mersenne vom 3. Dezember 1640 weist Descartes darauf hin, er habe »niemals gesagt, daß alle unsere Gedanken in unserer Macht stünden, sondern nur, daß, wenn es etwas gibt, daß ganz in unserer Macht steht, das unsere Gedanken sind, nämlich jene, die vom Willen und der freien Willkür kommen « (AT III, 249). – vgl. auch Brief an *** vom März 1638 (AT II, 36 = Bense, 112); an Christine von Schweden, 20. November 1647: »Das höchste Gut eines jeden Ein-
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zelnen (. . . ) scheint mir (. . . ) nur in einem festen Willen, Gutes zu tun, und in der dadurch erzeugten Befriedigung zu bestehen. Der Grund dafür ist, daß ich keinerlei Gut feststellen kann, das mir als größer erscheint und so vollständig in der Macht eines jeden steht. Denn was die Güter des Körpers und des Schicksals betrifft, so hängen sie nicht absolut von uns ab; und die der Seele beziehen sich alle auf zwei Hauptpunkte, nämlich den einen, zu erkennen, was gut ist, und den anderen, es zu wollen; die Erkenntnis aber geht oft über unsere Kräfte hinaus; daher bleibt nur unser Wille übrig, über den wir absolut verfügen können« (Bense, 395 = AT V, 82–83 = PhB 431–433). Indes kann die »im Körper steckende Unpäßlichkeit« verhindern, »daß der Wille frei ist« (an Elisabeth, 1. September 1645: Bense, 307 = AT IV, 282 = PhB 659, 129). Anm. 23, S. 28: vgl. Traité de l’Homme (AT XI, 177–178 = Rothschuh 110). Anm. 24, S. 29: An Elisabeth, Mai 1646: Es besteht »eine derartige Bindung zwischen unserer Seele und unserem Körper (. . . ), daß die Gedanken, die vom Beginn unseres Lebens an irgendwelche Bewegungen des Körpers begleitet haben, sie auch noch gegenwärtig begleiten, so daß, wenn dieselben Bewegungen durch irgendeine äußere Ursache abermals im Körper hervorgerufen werden, sie in der Seele auch wieder dieselben Gedanken erwecken, und umgekehrt, wenn wir dieselben Gedanken haben, sie dieselben Bewegungen hervorbringen« (Bense, 339–340 = AT IV, 408 = PhB 659, 221–223). An Chanut, 1. Februar 1647: »Wie unsere Seele derart beschaffen ist, daß sie mit einem Körper hat vereinigt werden können, so hat sie auch diese Eigenschaft, daß jeder ihrer Gedanken sich derart mit irgendwelchen Bewegungen oder anderen Zuständen (dispositions) dieses Körpers zusammentun kann, daß, wenn sich diese gleichen Zustände ein anderes Mal in ihm finden, sie die Seele zu dem gleichen Gedanken veranlassen; und umgekehrt bereitet derselbe Gedanke, wenn er wiederkehrt, den Körper darauf vor, denselben Zustand zu empfangen. So verbindet man, wenn man eine Sprache lernt, die Buchstaben oder die Aussprache gewisser Worte, die etwas Materielles sind, mit ihren Bedeutungen, die Gedanken darstellen, so daß man dieselben Dinge erfaßt, wenn man später erneut dieselben Worte hört;
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und wenn man dieselben Dinge erfaßt, erinnert man sich derselben Worte« (Bense 370–371 (überarbeitet) = AT IV, 604 = PhB 659, 393). Anm. 25, S. 31: Descartes bittet Regius im ersten Brief vom Mai 1641, nicht zu behaupten, die menschliche Seele sei dreifach, weil das ein römisch-katholischer Mensch nicht dürfe (AT III, 369); ebenso im zweiten Brief an Regius im Mai 1641: »Primum itaque, quod ibi minus probo, est quod dicas Animan homini esse triplicem; hoc enim verbum, in mea religione, est haeresis; & revera, seposita religione, contra Logicam etiam est, animam concipere tanquam genus, cuius species sint mens, vis vegetativa, & vis motrix animalium. Per animam enim sensitivam non aliud debes intelligere, praeter vim motricem, nisi illam cum rationali confundas. Haec autem vis motrix a vi vegetativa ne specie quidem differt; utraque autem toto genere a mente distat. Sed quia in re non dissentimus, ego rem ita explicarem. Anima in homine unica est, nempe rationalis; neque enim actiones ullae humanae censendae sunt, nisi quae a ratione dependent. Vis autem vegetandi, & corporis movendi, quae in plantis & brutis anima vegetativa & sensitiva appellantur, sunt quidem etiam in homine, sed non debent in eo animae appellari, quia non sunt primum eius actionum principium, & toto genere differunt ab anima rationali. Vis autem vegetativa in homine nihil aliud est quam certa partium corporis constitutio« (AT III, 371–373). – Die Vorstellung miteinander kämpfender Seelenteile geht auf Platos Gleichnis im Phaidros, 246a ff. zurück. Anm. 26, S. 35: »Sie wissen wohl, daß wir die Worte, die doch keine Ähnlichkeit mit den Dingen besitzen, die sie bezeichnen, durchaus verstehen, und häufig sogar, ohne auf den Klang der Wörter oder Silben zu achten; so kann es vorkommen, daß wir eine Rede gehört haben, deren Sinn wir sehr wohl verstanden haben, aber danach nicht sagen können, in welcher Sprache sie vorgetragen wurde«, und daher genügen »die Wörter, die nur durch eine Übereinkunft der Menschen etwas bedeuten, (. . . ) um uns die Dinge erfassen zu lassen, mit denen sie doch keine Ähnlichkeit besitzen« (Le Monde: Tripp 8–9 (überarbeitet) = AT XI, 4). – vgl. auch Dioptrique IV (AT VI, 112 ff. = PhB643, 96 ff.). Anm. 27, S. 35: Vgl. die ausführlichen Äußerungen über Tiere mit
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ausdrücklichem Bezug auf entsprechende Äußerungen von Montaigne und Charron im Brief Newcastle, 23. November 1646 (AT IV, 573–576 = Bense, 365–368). Anm. 28, S. 38: Aufzählung (dénomebrement, enumeratio) ist bei Descartes alles andere als ein beiläufiger Begriff, sondern bezeichnet ein zentrales Verfahren der Cartesischen Methodik. Die zweite methodische Regel des Discours verlangt, »jede Schwierigkeit (. . . ) in so viele Teile zu teilen, wie möglich und erforderlich [ist], um sie besser zu lösen« (AT VI, 18 = PhB 624, 32–33 = PhB 643, 17). Das ist ein Kondensat der umangreicheren Erörterung in Regeln V-VII in den Regulae ad directionem ingenii (Crapulli 16–26 = PhB 613, 36–57). Anm. 29, S. 38: Die zentrale Bedeutung der admiratio spricht schon Plato aus: »Denn dies ist der Zustand eines gar sehr die Weisheit liebenden Mannes, das Erstaunen; ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen« (Theaitetos 155d = Schleiermacher Bd. 4, 120). Die Quelle für Descartes ist indes wohl eher Aristoteles, möglicherweise vermittelt über Thomas von Aquin. Allerdings weist Aristoteles, Metaphysik I, 2 (982b) genausowenig wie Thomas admiratio als Passion aus: »Denn Verwunderung (θαυμάζειν) war den Menschen jetzt wie vormals der Anfang des Philosophierens, indem sie sich anfangs über das nächstliegende Unerklärte verwunderten, dann allmählich fortschritten und auch über Größeres Fragen aufwarfen« (Aristoteles: Metaphysik. PhB 307, 13). Thomas thematisiert Verwunderung im Rahmen der quaestio 32, die allgemein nach der »causa delectationis« fragt und in Artikel 8 danach »utrum admiratio sit causa delectationis«: »Die Verwunderung nun ist eine Art Sehnsucht (desiderium) nach Wissen, die im Menschen dadurch entsteht, daß einer die Wirkung sieht und die Ursache nicht kennt; oder dadurch, daß die Ursache einer solchen Wirkung über seine Erkenntnis oder sein Fassungsvermögen hinausgeht. Daher ist die Verwunderung Ursache der Lust (delectatio), sofern mit ihr die Hoffnung verbunden ist, die Erkenntnis dessen zu gewinnen, was kennenzulernen sie sich sehnt« (Thomas von Aquin: Die menschlichen Leidenschaften (Summa theologica 22–48) = Die deutsche Thomas-Ausgabe Bd. 10, quaestio 32,8 S. 186). – An dieser Stelle läßt sich der Hinweis leider nicht vermeiden, daß die Übersetzung des Bandes 10 der DTA
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einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Thomas, den von ihm in den quaestiones 22–48 angesprochenen Themen und damit auch mit den Bezügen zwischen seiner Theorie und der Descartes’ aufgrund der uneinheitlichen und fragwürdigen Terminologie eher hinderlich im Wege steht und nur zur ersten Orientierung dienen kann. Mitunter trägt die Übersetzung kabarettistische Züge, etwa wenn caritas (doch wohl ein zentraler Begriff der katholischen Ethik!) mit Minne übersetzt wird, obwohl doch Prinz Eisenherz kaum als Kirchenväter gilt (qu. 26, 2 = S. 68 et passim). Anm. 30, S. 40: Das macht schon Juan Luis Vives (De anima et vita, 426–427). Anm. 31, S. 43: Gloire bedeutet bei Descartes sowohl Stolz als auch Ruhm, und es ist bei der Nennung des einen das andere immer mitzudenken. Descartes schreibt an Elisabeth im Mai 1646 mit direktem Bezug zu deren Lektüre der Passions: »Je reconnais, par expérience, que j’ai eu raison de mettre la gloire au nombre des passions; car je ne puis m’empêcher d’en être touché, en voyant le favorable jugement que fait Votre Altesse du petit traité que j’en ai écrit« (AT IV, 407 = PhB 659, 220). Was sagt Descartes hier? »Es war richtig, den Stolz zu den Passionen zu zählen, denn ich kann nicht umhin, davon berührt zu werden angesichts des zustimmenden Urteils Eurer Hoheit über die kleine Abhandlung, die ich darüber geschrieben habe«; oder sagt er: »Es war richtig, den Ruhm zu den Passionen zu zählen usw.«? Anm. 32, S. 43: Ursprung dieser Unterscheidung der Seelenteile ist die Dreiteilung der Seele in Platos Politeia 439d–441a in einen vernünftigen (λογιστικὀν), begehrlichen (ἐπιτυμητικὀν) und zornmütigen (ὐμοείδες). Die Scholastik operiert durchgängig damit, wie etwa Thomas von Aquin: »So tritt also klar zutage, daß im begehrenden Vermögen (in concupiscibili) drei Leidenschaftspaare (conjugationes passionum) auftreten, nämlich Liebe (amor) und Haß (odium), Sehnsucht (desiderium) und Flucht (fuga), Freude (gaudium) und Trauer (tristitia). Ähnlich gibt es auch im überwindenden Vermögen (in irascibili) drei, nämlich Hoffnung (spes) und Verzweiflung (desperatio), Furcht (timor) und Kühnheit (audacia), und Zorn (ira), dem keine andere Leidenschaft gegenübersteht. Mithin gibt
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es insgesamt elf der Art nach verschiedene Leidenschaften, sechs im begehrenden (in concupiscibili) und fünf im überwindenden (in irascibili) Vermögen. In dieser Aufzählung sind sämtliche Leidenschaften der Seele enthalten« (Thomas von Aquin: Die menschlichen Leidenschaften (Summa theologica 22–48) = Die deutsche ThomasAusgabe Bd. 10, quaestio 23,4 S. 29–30). – vgl. Pierre Charron: De la sagesse I, 26. – Es ist freilich zu beachten, daß Aristoteles, auf den sich die mittelalterlichen Autoren durchweg beziehen, wenn sie von den Seelenteilen handeln, ganz verschiedene Auffassungen der Seelenteile aufgreift, denen er keineswegs unkritisch gegenübersteht und deren gegenseitiger Bezug alles andere als klar ist: Es »erhebt sich sogleich die Frage, in welchem Sinne man von Seelenteilen sprechen kann und von wie vielen; denn in gewisser Weise scheint es unendlich viele zu geben und nicht nur, wie manche scheiden, den überlegenden, mutvollen und begehrenden Teil, oder nach anderen den rationalen und irrationalen«, nämlich zusätzlich zu den genannten und in zunächst unklarer Beziehung zu ihnen noch »den ernährenden Teil, der auch den Pflanzen und allen Lebewesen zukommt, und den wahrnehmenden, den man weder ohne weiteres als irrationalen, noch als rationalen ansetzen wird; dazu den vorstellenden Teil, der seinem Sein nach von all den genannten verschieden ist. (. . . ) Hinzu kommt der strebende Teil, der nach Begriff und Vermögen von allen anderen verschieden zu sein scheint« (De anima 432a-b: PhB 476, 188/189). Anm. 33, S. 49: Im Brief an Chanut vom 1. Februar 1647 thematisiert Descartes die Liebe ausführlich. Dort unterscheidet er zunächst »zwischen der rein intellektuellen oder vernünftigen und der eine Passion darstellenden Liebe. Die erste ist (. . . ) nichts anderes, als daß unsere Seele, wenn sie irgendein gegenwärtiges oder abwesendes Gut bemerkt, das sie als zuträglich für sich beurteilt, sich mit diesem willentlich vereint, das heißt sich selbst mit diesem Gut als ein Ganzes betrachtet, von dem das Gut ein Teil und die Seele der andere ist« (AT IV, 601 = PhB 659, 389). Wenn, so fährt Descartes fort, die Seele das als zuträglich beurteilte Gut besitzt und sie mit ihm tatsächlich verbunden ist, also der Wille, es zu besitzen, erfüllt ist, ist »le mouvement de sa volonté, qui accompagne la connaissance
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qu’elle a que ce lui est un bien, (. . . ) sa joie« (AT IV, 601 = PhB 659, 388): »Die Freude der Seele ist die Bewegung ihres Willens, die ihre Erkenntnis begleitet, daß dies für sie ein Gut ist«. Das gilt analog auch für die Traurigkeit (tristesse), nämlich wenn die Erkenntnis, daß das Ding, auf das sich der Wille richtet, etwas Zuträgliches ist, mit der Erkenntnis der Abwesenheit oder Unerreichbarkeit dieses Dinges einhergeht. Und es gilt analog auch für das Verlangen (désir), nämlich wenn mit der Ausgangserkenntnis die Erkenntnis einhergeht, daß »sein Erwerb für sie gut wäre« (PhB 659, 391 = AT IV, 602). Die Pointe ist hier indes, daß, wie Descartes danach sagt, »alle diese Bewegungen des Willens, aus denen Liebe, Freude, Traurigkeit und Verlangen bestehen, insoweit sie vernünftige Gedanken und keine Passionen sind, (. . . ) sich auch in unserer Seele befinden [könnten], wenn sie keinen Körper hätte« (AT IV, 602 = PhB 659, 391). Denn die Seele könnte in diesem Fall die Bewegungen des Willens als solche vollständig erkennen: »Wenn sie zum Beispiel gewahr würde, daß es in der Natur sehr viele schöne Dinge zu erkennen gibt, würde ihr Wille unfehlbar dazu drängen, die Erkenntnis dieser Dinge zu lieben, daß heißt sie als ihr zukommend betrachten; und wenn sie damit bemerkte, daß sie diese Erkenntnis hätte, würde sie darüber Freude haben; wenn sie erwöge, daß sie sie nicht hätte, würde sie darüber Trauer empfinden; wenn sie dächte, ihr Erwerb wäre gut für sie, würden sie ihr Beürfnis darauf richten. Und es gibt nichts in allen diesen Bewegungen ihres Willens, das ihr dunkel wäre und wovon sie nicht eine vollständige Erkenntnis hätte, vorausgesetzt sie stellte über ihre Gedanken Reflexionen an« (AT IV, 602 = PhB 659, 391). Aber die Seele ist eben mit dem Körper vereinigt, und deshalb wird »diese vernünftige Liebe gewöhnlich von der anderen begleitet, die man die sensuelle oder sensitive nennen kann, und die (. . . ) nichts anderes als ein verworrener Gedanke ist, der durch irgendeine Bewegung der Nerven in der Seele ausgelöst wird, und sie in die Verfassung zu jenem anderen klareren Gedanken bringt, in dem die vernünftige Liebe besteht« (AT IV, 602–603 = PhB 659, 391). Die beiden Arten der Liebe können auseinanderfallen; denn zwar »empfindet man bei der Liebe eine gewisse Wärme um das Herz
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und eine Überfülle von Blut in den Lungen, so daß man sogar die Arme ausbreitet, wie um etwas zu umarmen«, was die Seele geneigt macht, »sich mit dem sich darstellenden Gegenstand willentlich zu vereinigen«. Aber »der Gedanke, durch den die Seele jene Wärme empfindet, ist verschieden von dem, der sie mit dem Gegenstand verbindet« (AT IV, 603 = PhB 659, 391–393). Deshalb können wir einen Gegenstand lieben, ohne uns willentlich mit ihm zu verbinden, und wir können uns willentlich mit einem Gegenstand verbinden, ohne die Passion der Liebe zu haben. Das aber sind Ausnahmen, denn seit Beginn des Lebens, also schon vor der Geburt, hat sich eine Verbindung zwischen beiden Arten der Liebe etabliert, nämlich durch den in seinen Einzelheiten der menschlichen Erkenntnis unzugänglichen Aufbau einer Verbindung zwischen bestimmten körperlichen und seelischen Vorgängen (AT IV, 603–606 = PhB 659, 391–397). Anm. 34, S. 50: vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica qu. 26, 4 = Die deutsche Thomas-Ausgabe Bd. 10, 70–73. Anm. 35, S. 51: »Wenn ich bedenke, daß wir unsere Kinder lediglich darum lieben, weil wir sie gezeugt haben (weshalb wir sie unser eigen Fleisch und Blut und unser zweites Ich nennen), kommt mir in den Sinn, daß wir doch noch anderes hervorzubringen vermögen, das unsere Wertschätzung nicht minder verdient: Die Schöpfungen der Seele, diese Kinder unseres Geistes, unseres Herzens und unserer Kunstfertigkeit, sind Früchte eines edleren Teils als des Körpers und daher tiefer unser Eigen« (Michel de Montaigne: Essais II, 8 Über die Liebe der Väter zu ihren Kindern. übers. v. Hans Stilett: Frankfurt a. M.: Eichborn 1998, 198). – Thomas von Aquin: »Es gibt aber eine doppelte Form der Liebe, nämlich die des Begehrens und die der Freundschaft. Jede von beiden entspringt der Wahrnehmung einer Einheit zwischen dem Geliebten und Liebenden. Liebt nämlich jemand als Begehrender etwas, dann nimmt er das wahr als zu seinem Wohlsein gehörend. Ebenso wenn jemand einen liebt mit der Liebe der Freundschaft, will er ihm Gutes, wie er auch sich Gutes will. Mithin erfaßt er ihn als ein anderes Ich (unde apprehendit eum ut alterum se), sofern er ihm Gutes will wie auch sich selbst. Daher kommt es, daß der Freund das zweite Ich (alter ipse) genannt wird« (Thomas von Aquin: Die menschlichen Leidenschaften (Summa theo-
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logica 22–48) = Die deutsche Thomas-Ausgabe Bd. 10, quaestio 28,1 S. 87–88). – Die Redeweise von einem »anderen Ich« geht auf Aristoteles zurück (Nikomachische Ethik IX, 4 (1166a) und IX, 9 (1170b) und Eudemische Ethik VII, 12 (1245a)). Anm. 36, S. 54: Thomas von Aquin, Summa theologica, quaes. 23, art. 2, resp.: »So geht also jede Leidenschaft des begehrenden Vermögens (concupiscibilis), bei der es sich um ein Gut handelt, auf dieses zu, z. B. Liebe (amor), Sehnsucht (desiderium), Freude (gaudium); jede Leidenschaft desselben Vermögens dagegen, bei der es sich um ein Übel handelt, von diesem weg, wie Haß (odium), Flucht (fuga) oder Abscheu (abominatio) und Trauer (tristitia)« (DTA 10, 22–23). Anm. 37, S. 56: Selbstredend beeinflußt von der Rede des Aristophanes in Platos Symposion 189d–194d. Anm. 38, S. 56: Hyugens erwähnt im Brief an Descartes vom 8. September 1637, man habe ihm erzählt, Descartes blättere zuweilen in dem Ritteroman Amadís de Gaula des Spaniers Rodríguez de Montalvo, der 1508 erschienen und 1540 ins Französische übersezt worden war (AT I, 397). Die ursprünglich vier Bücher dieses Romans wurden in französischer Sprache alsbald zu einer Reihe ausgeweitet, so daß bereits 1556 zwölf vorlagen, 1579 waren es bereits einundzwanzig, 1615 vierundzwanzig, bis schließlich 1625 vierzig vorlagen (AT I, 198). Das heißt natürlich nicht, daß Descartes all das gelesen hat. Anm. 39, S. 59: Compendium Musicae: »Der Zweck des Tones ist letzten Endes, zu erfreuen und in uns verschiedene Affekte hervorzurufen. Die Gesänge können aber zugleich auch traurig und ergötzlich sein. Und es ist nicht verwunderlich, daß sie so verschieden sind. Gefallen uns doch die Elegien- und Tragödiendichter umso mehr, je mehr Trauer sie in uns erregen« (Brockt, 3 = AT X, 89). – Im Brief an Elisabeth vom 6. Oktober 1645 erwähnt Descartes »das Beispiel der Tragödien, die uns umso mehr gefallen, je mehr Traurigkeit sie in uns erregen« (Bense, 319 = AT IV, 309). – Die Frage, weshalb das Empfinden von Schmerz und Trauer uns eine Art von Vergnügen bereitet, hat schon Aurelius Augustinus aufgeworfen (Bekenntnisse, Buch 2, Kap. 2 = Flasch, 72). Thomas von Aquin zitiert aus dieser Passage in der Summa theologica, quaes. 35, art. 3, 2 = DTA 10, 222.
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Anm. 40, S. 60: Nach ihrer Lektüre der ersten Fassung der Passions erhebt Elisabeth den Einwand, sie sehe »überhaupt nicht, wie man die verschiedenen Bewegungen des Blutes, die die fünf ursprünglichen Passionen verursachen, wissen könne, weil diese Passionen niemals alleine vorkommen« (AT IV, 404 = PhB 659, 215). Descartes antwortet im Mai 1646: »Es ist richtig, daß ich Schwierigkeiten hatte, die zu jeder Passion gehörenden Bewegungen zu unterscheiden, weil sie niemals allein auftreten; trotzdem habe ich aber, da nicht immer dieselben miteinander verbunden sind, die bei einem Wechsel ihrer Verbindung im Körper auftretenden Veränderungen zu beobachten versucht. So würde ich zum Beispiel, wenn die Liebe immer mit der Freude verbunden wäre, nicht wissen, welcher von beiden man die Wärme und Ausweitung zuschreiben müßte, die sie um das Herz empfinden lassen; weil jede zuweilen aber auch mit der Traurigkeit verbunden ist und man dann wohl noch die Wärme, nicht mehr jedoch die Ausweitung spürt, habe ich geschlossen, daß die Wärme der Liebe und die Ausweitung der Freude zugehört« (AT IV, 408 = PhB 659, 223). Descartes äußert sich in der Folge dann noch über das Verlangen (désir), Hoffnung (espérance), Traurigkeit (tristesse), Verwunderung (admiration) und die äußeren Zeichen der Gesichtsröte, das Lachen und die Seufzer (AT IV, 408–411 = PhB 659, 223–227). Anm. 41, S. 61: Cogitationes privatae: »Ich stelle fest, daß ich tief und fest schlafe und mit großem Appetit esse, wenn ich traurig oder einer Gefahr ausgesetzt und mit ernsten Angelegenheiten beschäftigt bin; bin ich jedoch voller Freude, esse und schlafe ich nicht« (PhB 613 = AT X, 215). – Elisabeth führt dagegen ihre eigene Erfahrung an, nämlich daß »Traurigkeit mir immer den Appetit nimmt, auch wenn keinerlei Haß in sie gemischt ist« (AT IV, 405 = PhB 659, 215). Descartes erklärt diesen Unterschied so: »Ich glaube wohl, daß die Traurigkeit vielen den Appetit benimmt; da ich aber bei mir immer empfunden habe, daß sie ihn erhöht, habe ich mich danach gerichtet. Und ich meine, daß der dabei bestehende Unterschied daher rührt, daß der erste Anlaß zur Traurigkeit bei einigen der Mangel an genügender Nahrung zu Beginn ihres Lebens gewesen ist, und bei den anderen, daß die empfangene Nahrung ihnen schädlich war. Und bei diesen ist die den Appetit nehmende Bewegung der
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Lebensgeister seitdem immer mit der Passion der Traurigkeit verbunden geblieben. Wir sehen auch, daß die Bewegungen, die die anderen Passionen begleiten, nicht bei allen Menschen völlig gleich sind, was einer ähnlichen Ursache zugeschrieben werden kann« (AT IV, 409 = PhB 659, 223–225). Anm. 42, S. 62: . ». . . les nerfs, procédants par couples, instruments du sentiment, mouvement et force du corps, et conduits des esprits animaux, dont les uns sont mols, et y en a sept paires, qui servent au sentiment de la teste [ = Tastsinn, nicht Kopf], vue, ouïe, goût, parole; les autres durs en 30 paires, procédants par l’espine du dos aux muscles« (Pierre Charron: De la sagesse I, 24). Anm. 43, S. 63: An Chanut, 1. Februar 1647: »Wenn es stimmt, daß unsere ersten Empfindungen von Liebe daher kamen, daß unser Herz eine ihm bekömmliche Nahrung in Fülle erhielt, und unsere ersten Empfindungen von Haß dagegen durch eine zum Herzen gelangende schädliche Nahrung verursacht wurden, und daß jetzt noch dieselben Bewegungen dieselben Passionen begleiten (. . . ), dann ist es offensichtlich, daß, wenn wir lieben, alles reinste Blut unserer Venen reichlich zum Herzen strömt, das eine Menge von Lebensgeistern zum Gehirn schickt und uns auf diese Weise mehr Kraft, Nachdruck (vigueur) und Mut verleiht; wenn wir Haß empfinden, verursachen statt dessen die Bitterkeit der Galle und die Säure der Milz durch ihre Vermischung mit unserem Blut, daß es nicht so stark und nicht mit entsprechenden Lebensgeistern ins Gehirn dringt, und daß man daher schwächer, kälter und furchtsamer bleibt« (AT IV, 615 = PhB 659, 411). Anm. 44, S. 65: An Chanut vom 1. Februar 1647: »Die ersten körperlichen Verfassungen aber, die auf diese Weise unsere Gedanken begleiteten, als wir auf die Welt kamen, mußten sich ohne Zweifel enger mit ihnen verbinden als die sie später begleitenden. (. . . ) Vom ersten Augenblick an, in dem unsere Seele mit dem Körper vereinigt worden ist, hat sie wahrscheinlich Freude empfangen und sofort danach Liebe, dann vielleicht auch Haß und Trauer, und dieselben körperlichen Verfassungen, die damals in ihr diese Passionen verursachten, haben später ganz natürlich die Gedanken daran begleitet. (. . . ) Das sind die vier Passionen, die, wie ich glaube, die ersten
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in uns gewesen sind und die einzigen, die wir vor unserer Geburt gehabt haben; und ich glaube auch, daß sie damals nur sehr verworrene Empfindungen oder Gedanken waren, weil die Seele derart an die Materie gebunden war, daß sie noch nichts anderem obliegen konnte, als deren verschiedene Eindrücke aufzunehmen; und obgleich sie einige Jahre später begann, andere Freuden und Lieben als die zu empfinden, die nur von der guten Konstitution und passenden Ernährung des Körpers abhängen, wurde dennoch das, was an Geistigem in ihren Freuden oder Lieben enthalten ist, immer von den ersten gehabten Empfindungen begleitet und sogar auch von den natürlichen Bewegungen oder Funktionen, die damals im Körper auftraten: und zwar dergestalt, daß, ebenso wie die Liebe vor der Geburt nur durch eine passende Nahrung verursacht war, die durch reichliches Auftreten in der Leber, dem Herz und der Lunge in diesen mehr Wärme als gewöhnlich erregte, auch jetzt diese Wärme immer die Liebe begleitet, selbst dann, wenn sie aus anderen, sehr verschiedenen Ursachen stammt« (AT IV, 604–606 = PhB 659, 393–397). Anm. 45, S. 66: An Chanut, 1. Februar 1647: »Ich meine, daß die erste Passion der Seele die Freude war, weil es nicht glaubhaft ist, daß die Seele in den Körper versetzt wurde, ohne sich in der dafür richtigen Verfassung zu befinden, und daß, wenn sie sich also in der richtigen Verfassung befindet, dies uns natürlicherweise Freude bereitet« (AT IV, 604–605 = PhB 659, 395). Anm. 46, S. 67: An Chanut, 1. Februar 1647: Wenn zu Beginn unseres Lebens dem Körper Nahrung gefehlt hat, »empfand die Seele darüber Trauer. Und wenn andere Materie an ihre Stelle getreten ist, die nicht zur Ernährung des Körpers geeignet war, hat sie Haß gegen sie empfunden« (AT IV, 605 = PhB 659, 395). Anm. 47, S. 73: Im Brief vom Mai 1646 an Elisabeth räumt Descartes den Fehler ein, »eine gewisse Trägheit zu den entschuldbaren Passionen« gerechnet zu haben (AT IV, 411 = PhB 659, 227). Im folgenden Brief, ebenfalls Mai 1646, spricht Descartes von dem Fehler, »eine gewisse Trägheit (langueur) zu den entschuldbaren Regungen (émotions) der Seele gezählt zu haben« (AT IV, 414 = PhB 659, 231); zwar habe man, so Descartes, durchaus Recht, »sich zum Nachdenken Zeit zu lassen, bevor man Dinge, die von Bedeutung sind, un-
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ternimmt; wenn man aber eine Sache begonnen hat und man sich über die Hauptsache einig ist, dann sehe ich nicht ein, daß man irgendeinen Nutzen davon hat, Verzögerungen herbeizuführen, indem man um die Bedingungen streitet. (. . . ) Außerdem kommt es sehr viel häufiger vor, daß einem die zu unternehmende Sache bei der Verzögerung ihrer Ausführung eher entgeht, wenn sie gut, als wenn sie schlecht ist. Deshalb bin ich der Überzeugung, daß Entschluß und Schnelligkeit für die schon begonnenen Dinge sehr notwendige Tugenden sind« (Bense, 343–344 = AT IV, 414–415 = PhB 659, 231– 233). Anm. 48, S. 74: An Elisabeth, 6. Oktober 1645: Man hat »nicht immer, wenn man am fröhlichsten ist, den zufriedensten Geist; die großen Freuden sind im Gegenteil gewöhnlich düster und ernsthaft, und nur die mittelmäßigen und vorübergehenden sind von Gelächter begleitet« (Bense, 316 = AT IV, 305 = PhB 659, 161). Anm. 49, S. 76: »Ego ad primam et alteram buccam, quam sumo a longa inedia, non possum risum continere, videlicet, contracta praecordia dilatantur ex cibo« (Juan Luis Vives: De anima et vita, 469). Anm. 50, S. 77: Diese Aussage gibt es in dieser Form in den Météores nicht; vgl. die dortigen Aussagen im zweiten (AT VI, 239–248 = PhB 643, 204–211) und im fünften (AT VI, 279–291 = PhB 643, 237– 248), sowie am Anfang des sechsten (AT VI, 291–293 = PhB 248–250) Abschnittes. Anm. 51, S. 80: Bereits in den Cogitationes privatae gibt es einen vergleichbaren Eintrag: »In allen Geistern gibt es bestimmte Teile, die starke Affekte auslösen, auch wenn sie nur ganz leicht berührt werden. Ein Kind mit starkem Gemüt weint nicht, wenn es ausgeschimpft wird, sondern wird zornig, ein anderes aber weint. Wenn man uns erzählt, es hätten sich mehrere große Unglücke ereignet, werden wir traurig; wenn es dann aber heißt, ein Übeltäter habe sie verursacht, werden wir zornig. Der Übergang von einer Leidenschaft zu einer anderen verläuft über die dazwischenliegenden; oft aber gibt es einen schlagartigen Übergang von entgegengesetzten Leidenschaften, wie etwa wenn man auf einer fröhlichen Feier unerwartet die Nachricht von einem traurigen Ereignis erhält« (PhB 613, 194–197 = AT X, 217).
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Anm. 52, S. 80: An Elisabeth, Mai 1646: »Dieselben äußeren Zeichen, die gewöhnlich die Passionen begleiten, können zuweilen auch durch andere Ursachen hervorgerufen werden. So kommt die Gesichtsröte nicht immer von der Scham (honte); sondern sie kann auch von der Wärme des Feuers stammen oder aber von einer Körperbewegung. Und das sardonisch genannte Lachen ist nichts anderes als ein Krampf der Gesichtsnerven. Und so kann man zuweilen auch aus Gewohnheit oder wegen Krankheit seufzen, was aber nicht hindert, daß die Seufzer die äußerlichen Zeichen der Traurigkeit (tristesse) und des Verlangens (désir) sind, wenn sie durch diese Passionen verursacht werden« (AT IV, 411 = PhB 659, 225–227). Anm. 53, S. 81: An Mersenne, 18. März 1638: »Dieselbe Sache, die den einen Lust zum Tanzen macht, [kann] den anderen Lust zum Weinen geben. Das rührt aber nur daher, daß die in unserem Gedächtnis ruhenden Vorstellungen erregt werden: wie diejenigen, die früher einmal Vergnügen am Tanzen hatten, wenn man eine gewisse Melodie spielte, die Lust zum Tanzen wiederkommt, sobald sie eine ähnliche hören; wenn jemand dagegen einstmals hat Gaillarden spielen hören, bei denen ihn gleichzeitig ein Kummer traf, so wird er unfehlbar traurig werden, wenn er sie erneut hört. Das ist so sicher, daß ich schließe, ein Hund würde, wenn man ihn fünf- oder sechsmal beim Klang der Geige tüchtig gepeitscht hätte, wieder zu heulen und zu fliehen beginnen, sobald er diese Musik wieder hörte« (Bense, 40–41 = AT I, 133–134). Anm. 54, S. 82: Am 27. Mai 1630 antwortet Descartes auf eine Frage Marin Mersennes bezüglich der Muttermale, »die sich durch die Einbildungskraft (imagination) der Mutter aufprägen« (Bense, 54 = AT I, 153), dies sei »eine der Prüfung würdige Sache«, mit der er sich aber »noch nicht befriedigend beschäftigt« (Bense, 55 = AT I, 153) habe. Auch im sechsten Abschnitt der Dioptrique sagt Descartes nur, er könne die sich auf dem Augenhintergrund formenden Bilder noch über die Zirbeldrüse hinaus verfolgen und »zeigen, wie die Abbildung manchmal von dort durch die Arterien einer schwangeren Frau auf ein bestimmtes Körperglied des Kindes übergeht, das sie in ihrem Schoß trägt, und dort jene Muttermale formt, die bei den Gelehrten große Verwunderung verursachen« (AT VI, 129 =
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PhB 643, 108). Noch am 1. Februar 1640 erwähnt Descartes im Brief an Meysonnier »die Merkmale, die die Kinder durch die Gelüste (envies) ihrer Mütter erhalten« (Bense, 20–21 = AT III, 20–21), aber auch dort ohne Erklärung, dafür aber im Zusammenhang mit den »Bildern kleiner Hunde, die im Urin der von tollwütigen Hunden Gebissenen erscheinen sollen« (Bense, 182 = AT III, 20), was er indes als Fabel ablehnt. Anm. 55, S. 84: An Chanut, 1. Februar 1647: »Haß ist stets von Trauer und Kummer begleitet; und welches Vergnügen auch immer gewisse Leute dabei empfinden können, den anderen Übel zu tun, so glaube ich, daß ihr Genuß dem der Dämonen ähnlich ist, die unserer Religion zufolge doch stets Verdammte bleiben, auch wenn sie sich fortgesetzt einbilden, sich an Gott zu rächen, indem sie die Menschen in der Hölle quälen« (Bense, 378 = AT IV, 614 = PhB 659, 409–411). Anm. 56, S. 85: An Elisabeth, 4. August 1645: »Nicht alle Arten von Akten des Verlangens sind mit der Glückseligkeit unvereinbar, sondern nur diejenigen, die von Ungeduld und Traurigkeit begleitet werden« (AT IV, 266 = PhB 659, 105). Anm. 57, S. 86: An Chanut, 1. Februar 1647: »Wenn ich die Definitionen dieser beiden Passionen betrachte, komme ich zu dem Urteil, daß die Liebe, die wir für einen Gegenstand empfinden, der sie nicht verdient, uns schlechter machen kann, als es der Haß gegen einen anderen, den wir lieben sollten, vermag, weil es gefährlicher ist, mit einer schlechten Sache verbunden und gleichsam in sie verwandelt zu werden, als von einer guten willentlich getrennt zu sein. Wenn ich aber auf die aus diesen Passionen entstehenden Neigungen oder Gewohnheiten achte, ändere ich meine Ansicht: denn da ich sehe, daß die Liebe, wie ungeordnet sie auch sei, immer das Gute als Objekt hat, scheint sie mir unsere Sitten nicht so sehr verderben zu können wie der Haß, der sich nur das Schlechte zum Ziel nimmt« (AT IV, 613–614 = PhB 659, 409). Anm. 58, S. 91: An Elisabeth, am 6. Oktober 1645: »Die Zufriedenheit aber, die [die Seele] aus dem Weinen beim Anblick der Darstellung irgendwelcher kläglichen und unheilvollen Handlung auf einem Theater zieht, stammt hauptsächlich daher, daß sie nach ihrer Meinung eine tugendhafte Handlung begeht, wenn sie Mitgefühl
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mit den Betrübten hat« (Bense, 319 = AT IV, 309 = PhB 659, 167). Das ist keine mokante Randbemerkung, sondern Teil einer Lebensweise, die sich von den Einflüssen sog. »schlechter Erfahrungen« freizumachen versucht. So findet sich der Hinweis auf das Vergnügen, das wir aus dem Anschauen von Tragödien ziehen können, auch im Zusammenhang mit Descartes’ (ungefragt erteiltem) medizinischen Rat an Elisabeth (18. Mai 1645): »Wie die traurigen und betrüblichen Geschichten, die wir auf einem Theater gespielt sehen, uns oft ebenso viel Erholung wie die fröhlichen verschaffen, obwohl sie unseren Augen Tränen entlocken, ebenso empfinden jene größeren Seelen, von denen ich spreche, in sich selbst über alle ihnen zustoßenden Dinge Genugtuung, selbst über die ärgerlichsten und unerträglichsten. So üben sie sich, wenn sie in ihrem Körper Schmerz empfinden, darin, ihn geduldig zu ertragen, und diese Probe, die sie von ihrer Stärke ablegen, ist ihnen angenehm; so empfinden sie, wenn sie ihre Freunde von irgendeinem großen Kummer betroffen sehen, Mitgefühl mit ihrem Leiden und tun ihr Möglichstes, um sie davon zu befreien, und fürchten sogar nicht, sich diesbezüglich dem Tode auszusetzen, falls es nötig ist. Das Zeugnis indessen, das ihnen ihr Gewissen dafür ablegt, daß sie damit ihrer Pflicht genügen und eine lobenswerte und tugendhafte Handlung begehen, macht sie glücklicher, als sie die ganze Traurigkeit, die ihnen das Mitgefühl verschafft, betrübt« (Bense, 290–291 = AT IV, 202–203 = PhB 659, 71). Anm. 59, S. 91: An Elisabeth, 4. August 1645: »Es genügt, daß unser Gewissen (conscience) uns bezeugt, daß wir es niemals an Entschlossenheit und Tugend haben fehlen lassen, um alle Dinge auszuführen, die wir für die besten gehalten haben, und so ist Tugend allein ausreichend, um uns in diesem Leben zufrieden zu machen« (Bense, 300–301 = AT IV, 266–267 = PhB 659, 105). Anm. 60, S. 94: Der freie Wille ist an sich das Edelste, »was in uns sein kann, da er uns in gewisser Weise Gott gleich macht und uns davon zu befreien scheint, ihm unterworfen zu sein«; und »da folglich sein rechter Gebrauch das größte aller unserer Güter ist«, ist er auch dasjenige Gut, »das im eigentlichen Sinne unser ist und uns am meisten angeht, woraus folgt, daß nur aus ihm unsere größten
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Befriedigungen hervorgehen können« (an Christine, 20. November 1647: Bense, 397 = AT V, 85 = PhB 659, 435–437). Anm. 61, S. 95: Da es »erhabener und ruhmvoller ist, den anderen Menschen Gutes zu erweisen, statt sich selbst, sind es gerade auch die größten Seelen, die am meisten Neigung dazu haben und am wenigsten Wert auf die Güter legen, die sie selbst besitzen« (an Elisabeth, 6. Oktober 1645: Bense, 324 = AT IV, 317 = PhB 659, 179). Anm. 62, S. 96: »Obgleich die Eitelkeit (vanité), eine bessere Meinung von sich zu haben, als man soll, ein Laster ist, das nur den schwachen und niedrigen Seelen zukommt, heißt das übrigens nicht, daß die stärkeren und edelmütigeren Seelen sich statt dessen geringschätzen müssen; sondern man muß sich selbst Gerechtigkeit erweisen, indem man seine Vorzüge ebensogut wie seine Fehler erkennt; und wenn die Schicklichkeit es auch verbietet, sich jener öffentlich zu rühmen, so verbietet sie deswegen doch nicht, sie zu empfinden« (an Elisabeth, 6. Oktober 1645: AT IV, 307–308 = PhB 659, 165). Anm. 63, S. 99: In der althergebrachten Formel »omnis peccans est ignorans« bedeutet ignorans die schlichte Unkenntnis eines Sachverhalts und nicht wie in dem deutschen Lehnwort Ignoranz ein willentliches Nichtwissen. Die Formel erwähnt Descartes im Brief an Mersenne vom 27. April 1637 (AT I, 366 = Bense, 81) und vor allem im Brief an Mesland vom 2. Mai 1644 (AT IV, 117 = Bense, 280), wo Descartes diesen Spruch im Rahmen seiner Theorie der Indifferenz thematisiert: »Bei allem, wo es Gelegenheit zum Sündigen gibt, [gibt] es auch Indifferenz (. . . ); und ich glaube nicht, daß es, um Schlechtes zu tun, nötig sei, deutlich zu sehen, daß das, was wir tun, schlecht ist; es genügt, es verworren zu sehen oder sich nur zu erinnern, daß man früher geurteilt hat, es sei so, ohne es in irgendeiner Weise zu sehen, das heißt ohne auf die Gründe Aufmerksamkeit zu haben, die es beweisen; denn wenn wir es deutlich sähen, würde es uns unmöglich sein, während der Zeit, wo wir es in dieser Art sehen, zu sündigen; deshalb sagt man, daß omnis peccans est ignorans« (Bense, 280 = AT IV, 117). Anm. 64, S. 105: »Man verwechselt auch zuweilen die Neigungen oder Gewohnheiten, die zu irgendeiner Passion verleiten, mit der
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Passion selbst« (an Elisabeth, 6. Oktober 1645: AT IV, 312 = PhB 659, 171). Anm. 65, S. 107: »Die schönen und edelmütigen Seelen der beiden Decius wiederum, Vater und Sohn, stürzten sich, um die Gunst der Götter auf die römische Sache zu lenken, kopfüber mitten ins feindliche Gros« (Michel de Montaigne: Essais II, 12 Apologie für Raymond Sebond. übers. v. Hans Stilett: Frankfurt a. M.: Eichborn 1998, 261). Freilich taten Publius Decius und sein Sohn, verwirrenderweise ebenfalls Publius Decius, das nicht gleichzeitig, sondern nacheinander, der Vater im Krieg gegen die Latiner (340–338) bei Veseris in Kampanien, der Sohn im 3. Krieg gegen die Samniten 295 v. Chr. Zu Publius Decius dem Vater vgl. Titus Livius: Römische Geschichte (Ab urbe condita) Buch 8, Kapitel 9 (Römische Geschichte. Von der Gründung der Stadt an. übers. v. Otto Güthling, hrsg. v. Lenelotte Müller. Wiesbaden: Marix 2012, 321–322), zu seinem Sohn vgl. ebd. Buch 10, Kapitel 28 ( = Güthling/Müller 409). – Vgl. auch Pierre Charron: De la sagesse II, 124. Anm. 66, S. 114: Principia (Epistola dedidcatoria): »Niemand gelangt leichter in den Ruf der Frömmigkeit als die Abergläubischen oder Heuchler« (PhB 566, 5 = AT VIII/1, 2). Regius wendet diesen Ausspruch am Ende seines Plakats Explicatio mentis humanae (AT VIII/2, 346) gegen Descartes. Anm. 67, S. 115: Der zweite Grundsatz der vorläufigen Moral besteht darin, »in meinen Handlungen so fest und entschlossen zu sein, wie ich konnte, und auch zweifelhaftesten Meinungen, wenn ich mich einmal für sie entschieden hätte, nicht weniger beharrlich zu folgen als ob sie ganz sicher wären« (Discours III: PhB 624, 42– 43 = PhB 643, 22 = AT VI, 24), und diese Maxime hat Descartes – so behauptet er – befähigt, »mich seitdem von aller Reue und allen Gewissensbissen zu befreien, die gewöhnlich das Gewissen jener schwachen und unbeständigen Geister beunruhigen, die sich wankelmütig dazu verleiten lassen, Dinge zu praktizieren, als seien sie gut, die sie später als schlecht beurteilen« (PhB 624, 44–45 = PhB 643, 23 = AT VI, 25). – An Elisabeth, 4. August 1645: »Wenn wir aber immer alles tun, was uns unsere Vernunft diktiert, werden wir niemals irgendeine Veranlassung zum Bereuen haben, auch wenn die
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Ereignisse uns später zeigen, daß wir uns geirrt haben, weil dies dann nicht durch unsere Schuld geschehen ist« (Bense, 300 = AT IV, 266 = PhB 659, 105). Ebenfalls an Elisabeth am 6. Oktober 1645: »Es scheint mir gleichfalls, daß man keine Veranlassung zur Reue über eine Handlung hat, die man zu der Zeit, als man sich zur Ausführung entschließen mußte, für das Beste hielt, wenn man auch später glaubt, gefehlt zu haben, sobald man mit mehr Muße darüber nachdenkt. Man müßte aber mehr Reue empfinden, wenn man etwas gegen sein Gewissen getan hat, auch falls man später erkennt, besser getan zu haben, als man dachte; und es liegt nicht in der Natur des Menschen, alles zu wissen und auf der Stelle immer so richtig zu urteilen, wie wenn man viel Zeit zur Überlegung hat« (Bense, 318 = AT IV, 307 = PhB 659, 165). Am 3. November 1645 bezeichnet Descartes Reue als »eine christliche Tugend (. . . ), die nicht allein dazu dient, sich von den freiwillig begangenen Fehlern zu reinigen, sondern ebenso von den aus Unkenntnis gemachten, wenn irgendeine Passion die Erkenntnis der Wahrheit verhinderte« (AT IV, 331 = PhB 659, 189). Anm. 68, S. 117: »Ehrliche Empörung ist die Mitte von Mißgunst und Schadenfreude. Alle drei gehören zur Unlust und Lust, soweit man sie über das Ergehen des Nächsten empfindet: der ehrlich Empörte ärgert sich über das Glück der anderen, wenn es unverdient ist. Der Mißgünstige geht darüber hinaus, indem er sich über alle ärgert, die glücklich sind. Der Schadenfrohe dagegen ist von Ärger weit entfernt: er freut sich vielmehr« (Aristoteles:Nikomachische Ethik. übers. v. Franz Dirlmeier. Stuttgart: Reclam 1969, 49 = 1108a–1108b). Anm. 69, S. 117: »Demokrit und Heraklit waren zwei Philosophen, von denen der erste, da er das Menschsein nichtswürdig und lächerlich fand, sich den Leuten dementsprechend nie anders als mit spöttisch lachendem Gesicht zeigte, während der andere wegen eben dieses Menschseins mit uns Mitleid und Erbarmen fühlte und daher stets ein trauriges Gesicht trug: Der eine lachte, ging er aus dem Haus, der andre brach sogleich in Tränen aus. Mir gefällt die Gemütsart Demokrits besser – nicht weil es angenehmer ist zu lachen als zu weinen, sondern weil sie eine größere Geringschätzung ausdrückt und uns strenger richtet als die andere; denn mir scheint, wir könnten, wenn es nach unseren Verdiensten ginge, nie genug verachtet
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werden. Dem Beweinen und Erbarmen ist stets eine gewisse Wertschätzung dessen beigemischt, was man beweint; die Dinge, die man verspottet, hält man hingegen für wertlos« (Michel de Montaigne: Essais I, 50 Über Demokrit & Heraklit. übers. v. Hans Stilett: Frankfurt a. M.: Eichborn 1998, 154). – vgl. Pierre Charron: De la sagesse I, 237; II, 3–4. – Juan Luis Vives: De anima et vita erwähnt an zwei Stellen Demokrit, nämlich im Prooemium des 3. Buches zusammen mit Heraklit (». . . ut Democritus semper ridebat, tamquam in perpetuis hominum stultitiis, atque inpetiis, Heraclitus sempler flebat, tamquam in continua hominum miseria . . . « (423)), sowie Demokrit allein im Kapitel De risu (»Democriti risus perpetuus, affectatus erat magis quam naturalis, et irrisus, non risus, ad incessendas hominum stultitias, quas illi sapientiam esse ducerent« (470)). Anm. 70, S. 119: »So kann der Zorn zum Beispiel in uns zuweilen so heftige Rachegelüste erregen, daß er uns in unserer Vorstellung mehr Vergnügen verschafft, wenn wir unseren Feind züchtigen, als wenn wir unsere Ehre und unser Leben bewahren, und er wird uns deswegen das eine wie das andere unvorsichtig in Gefahr bringen lassen. Wenn statt dessen die Vernunft prüft, welches das Gut oder die Vollkommenheit ist, auf die sich dieses aus der Rache gezogene Vergnügen gründet, wird sie keine andere finden (. . . ) als daß sie uns die Vorstellung verschafft, irgendeine Art von Überlegenheit oder irgendwelchen Vorteil über den zu haben, an dem wir uns rächen. Das ist häufig nur eine eitle Einbildung, die es nicht verdient, im Vergleich zu Ehre oder Leben geachtet zu werden, ja nicht einmal im Vergleich mit der Genugtuung, die man empfinden würde, sich als Herrn seines Zornes zu sehen, indem man sich der Rache enthält« (an Elisabeth, 1. September 1645: Bense, 309–310 = AT IV, 285 = PhB 659, 135). Anm. 71, S. 123: vgl. Discours III, erster Grundsatz der provisorischen Moral (PhB 624, 40–43 = PhB 643, 21–22 = AT VI, 23–24). – An Elisabeth, 15. September 1645: Zum richtigen Handeln muß man »auch im einzelnen alle Sitten der Orte prüfen (. . . ), an denen wir leben, um zu wissen, wie weit sie befolgt werden müssen. Und obgleich wir nicht sichere Beweise von allem haben können, müssen wir trotzdem Partei ergreifen und die Meinungen annehmen, die uns
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bezüglich der Dinge, die gebräuchlich werden, als die wahrscheinlichsten erscheinen, damit wir niemals unentschlossen sind, wenn es darum geht, zu handeln. Denn allein die Unentschlossenheit verursacht Bedauern und Reue« (Bense, 315 = AT IV, 295 = PhB 659, 151). Anm. 72, S. 125: Im Brief an Chanut vom 1. November 1646 macht Descartes die nicht unerhebliche Einschränkung„ »daß ich [die Passionen] (. . . ) bei ihrer Prüfung fast alle als so gut und dermaßen nützlich für dieses Leben gefunden habe, daß unsere Seele keine Veranlassung haben würde, einen einzigen Augenblick mit ihrem Körper verbunden bleiben zu wollen, wenn sie sie nicht empfinden könnte« (Bense, 359 = AT IV, 538 = PhB 659, 387). Anm. 73, S. 125: Elisabeth wendet am 23. April 1646 gegen den ersten Entwurf der Passions ein: »Aber ich finde weniger Schwierigkeit darin, das, was Sie über die Passionen sagen, zu verstehen, als vielmehr die Heilmittel zu praktizieren, die Sie gegen ihre Übermäßigkeiten verordnen. Denn wie kann man alle Begebenheiten voraussehen, die im Leben geschehen können und sich unmöglich alle (auf)zählen lassen?« (AT IV, 405 = PhB 589, 217). Descartes räumt die Schwierigkeit ein und weist darauf hin, es sei »nicht nötig, eine genaue Kenntnis von der Wahrheit jeder Sache zu besitzen und etwa sogar im Einzelnen alle Begebenheiten vorausgesehen zu haben, die eintreten können, was ohne Zweifel unmöglich sein würde, sondern es genügt, sich unangenehmere vorgestellt zu haben, als wirklich vorkommen, und darauf vorbereitet zu sein, sie zu erdulden« (AT IV, 411 = PhB 659, 227). Anm. 74, S. 126: Alle unsere Passionen stellen »uns die Güter, nach denen zu trachten sie uns anregen, als viel größer [dar], als sie wirklich sind. (. . . ) Das müssen wir sorgfältig beachten, damit wir, wenn wir uns von irgendeiner Passion angeregt fühlen, unser Urteil aussetzen, bis sie sich beruhigt hat« (an Elisabeth, 15. September 1645: AT IV, 294–295 = PhB 659, 151). Anm. 75, S. 127: »Ich gehöre nicht zu jenen grausamen Philosophen, die wollen, daß ihr Weiser gefühllos sei« (an Elisabeth, 18. Mai 1645: Bense, 290 = AT IV, 201–202 = PhB 659, 69). – An Newcastle, März oder April 1648: »Die Philosophie, die ich aufbaue, ist weder
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so bararisch noch unerbittlich, daß sie den Gebrauch der Passionen ablehnt; im Gegenteil, ich lege in ihn allein die gesamte Annehmlichkeit und Glückseligkeit dieses Lebens« (AT V, 135 = Bense, 412– 413). Anm. 76, S. 129: Descartes berichtet im Brief an Elisabeth vom 31. Januar 1648, er habe »augenblicklich eine (. . . ) Schrift in Bearbeitung, (. . . ) und zwar die Beschreibung der Funktionen des Tieres und des Menschen. Denn da das, was ich vor zwölf oder dreizehn Jahren darüber entwarf und was von Euer Hoheit schon gesehen worden ist, in die Hände von einigen Personen gelangt ist, die es schlecht abgeschrieben haben, hielt ich mich verpflichtet, es ins Reine zu bringen, das heißt es umzuarbeiten. Und ich habe es sogar gewagt (aber erst seit acht oder zehn Tagen), dabei die Art und Weise zu erklären, auf die das Tier von Beginn seiner Entstehung ab gebildet wird. Ich sage das Tier im allgemeinen; denn für den Menschen im besonderen würde ich die Unternehmung mangels genügender diesbezüglicher Erfahrung nicht wagen« (Bense, 408 = AT V, 112 = PhB 659, 331– 333). Anm. 77, S. 131: Die Kapiteleinteilung dieses Manuskripts wie auch sämtliche Überschriften stammen von Claude Clerselier. Anm. 78, S. 131: Descartes berühmtes (und berüchtigtes) Diktum aus dem Discours de la Méthode, philosophisches Agieren solle uns letztlich »zu Herren und Eigentümern der Natur machen« (Disc. VI: AT VI, 62 = PhB 624, 106–107 = PhB 643, 54) schließt die Interpretation zumindest nicht aus, die Natur, derer wir Herr werden sollen, als unsere eigene zu verstehen; denn diese Herrschaft ist, so Descartes, »in erster Linie auch für die Erhaltung der Gesundheit« zu wünschen, »die ohne Zweifel das erste Gut und das Fundament aller anderen Güter in diesem Leben ist. Denn selbst der Geist hängt so stark von der Leibesbeschaffenheit und der Anordnung [oder Verfassung: disposition] der Organe des Körpers ab, daß, wenn es möglich ist, irgendein Mittel zu finden, das die Menschen allgemein weiser und befähigter macht, als sie es bis jetzt gewesen sind, dieses Mittel, wie ich glaube, in der Medizin zu suchen ist. (. . . ) Man könnte eine unendliche Anzahl von Krankheiten des Körpers, des Geistes und ebenso vielleicht auch der Altersschwäche loswerden,
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wenn man ausreichende Erkenntnis ihrer Ursachen und aller Arzneimittel hätte, mit denen die Natur uns versorgt hat« (AT VI, 62 = PhB 624, 106–109 = PhB 643, 54–55). Anm. 79, S. 143: William Harvey (1578–1657): Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus (1628); deutsche Übersetzung: Die Bewegung des Herzens und des Blutes 1628. übers. von Robert Ritter von Töply. Leipzig: Barth 1910; Nachdruck Stuttgart: Belser-Presse 1970. Anm. 80, S. 144: Im Brief an Plempius vom 15. Februar 1638 berichtet Descartes, er habe im Verlauf seiner Vivsektion eines Kaninchens »commodissime aspexi duas illas cavitates, quae ventriculi cordis appellantur, in diastole fieri ampliores, & in systole arctiores, quo experimento Harvaei sententia de motu cordis jugulatur: ait enim ille plane contrarium, nempe ventriculos in systole dilatari, ut sanguinem recipiant, & in diastole coarctari, ut illum in arterias extrudant« (AT I, 529). – An Beverwick, 5. Juli 1643: »Quamvis circa sanguinis circulationem cum Hervaeo plane consentiam, ipsumque ut praestantissimi illius inventi, primum auctorem suspiciam, tamen circa motum cordis omnino ab eo dissentio. Vult enim, si bene memini, cor in diastole, se extendendo, sanguinem in se admittere, ac in systole, se comprimendo, illum emittere; ego autem rem omnem ita explico . . . « (AT IV, 4). – Descartes kann sich nur auf das 2. Kapitel William Harveys (1578–1657) Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus (1628) beziehen, auch wenn die schwierige Zuordnung von Descartes’ Referat zum Text Harveys darauf hindeutet, daß er dessen Argumentation hier aus dem Gedächtnis wiedergibt. Anm. 81, S. 148: »Das Phänomen des Pulsschlages des Herzens (. . . ) ist dem Sieden ähnlich; denn zum Sieden kommt es, wenn Flüssigkeit durch Hitze zum Verdampfen gebracht wird: Das Volumen der betreffenden Substanz wird größer, und sie steigt in die Höhe« (Aristoteles: Über die Atmung (De respiratione). in: Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia). Übers. v. Eugen Dönt. Stuttgart: Reclam 1997, 184 = 479b). – »Im Herzen aber ruft die von der Wärme bewirkte Volumenvergrößerung der Feuchtigkeit, die immer aus der Nahrung zugeführt wird, den Pulsschlag hervor, indem
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Anmerkungen des Herausgebers
sie nach oben steigend gegen den äußeren Herzmantel drückt« (ibid. 480a). Atmung dient bei Aristoteles nicht der Aufnahme von Sauerstoff, der ihm selbstredend unbekannt war, sondern der Kühlung der Wärme des Körpers: »Das Lebensprinzip verläßt seinen Besitzer, wenn die Wärme, die mit diesem Prinzip verbunden ist, nicht gekühlt wird« (ibid. 181 = 479a). Ein Lebewesen stirbt, wenn die Wärme entweder ausgelöscht wird oder nicht abgeführt werden kann; das Leben eines Tieres wird also durch Regulation des Quantums an Wärme aufrechterhalten: »Wenn Lebewesen in einem Raum atmen, der zu wenig Luft enthält, und wenn sie ständig dieselbe Luftmenge atmen, dann ersticken sie. Denn in beiden Fällen wird die betreffende Luftmenge rasch warm (durch die Berührung mit dem Blut wird sie nämlich in beiden Fällen erwärmt), und wenn die Luft warm ist, verhindert dies die Abkühlung« (ibid. 180 = 478b). Die Lunge ist also »zum Zwecke der Kühlung durch den Atem da« (ibid. 172 = 476a), und eine Lunge benötigt unter anderem der Mensch, weil er als höherstehendes Lebewesen auch über eine größere Wärme verfügt: »Der Grund für den Besitz des Organs [der Lunge] liegt darin, daß die höherstehenden Tiere über mehr Wärme verfügen; im Zusammenhang damit haben sie ja notwendig auch eine höher stehende Seele, denn Tiere dieser Art stehen höher als die von kalter Konstitution« (ibid. 175 = 477a). Anm. 82, S. 150: vgl. Principia III, 52 (AT VIII/1, 105 = PhB 566, 228–231): Das erste Element »ist die Gattung derjenigen Materie, die eine so große Kraft des Antriebs besitzt, daß sie sich in Stückchen von unbegrenzter Kleinheit zerteilt, wenn sie auf andere Körper auftrifft, und ihre Gestalten allen Ecken und Winkeln anpaßt, um die von diesen Körpern freigelassenen engen Räume einzunehmen. Das andere ist die Gattung derjenigen Materie, die in kugelrunde Partikel geteilt ist, die zwar sehr klein sind, wenn man sie mit jenen Körpern, die wir mit bloßem Auge erkennen können, vergleicht, die jedoch eine feste und bestimmte Qualität haben und selbst in viele andere, noch kleinere teilbar sind. Das dritte schließlich (. . . ) besteht einerseits aus sehr groben Stücken, hat jedoch anderseits weniger zur Bewegung geeignete Gestalten«.
Anmerkungen des Herausgebers
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Anm. 83, S. 153: Möglicherweise ein Seitenhieb auf Juan Luis Vives: De anima et vita, 303–305. Anm. 84, S. 154: Das ist (ausnahmsweise) nicht die Zirbeldrüse, sondern die heute Hypophyse genannte glandula pituitaria. Descartes spricht über diese beiden Drüsen ausführlich im Brief an Mersenne vom 24. Dezember 1640 (AT III, 263–265 = Bense, 221–222). Anm. 85, S. 155: An Mersenne, 20. Februar 1639: »Die Menge und Ordnung der Nerven, Adern, Knochen und anderen Teile eines Tieres zeigen, daß die Natur zu ihrer Bildung ausreicht, die Annahme vorausgesetzt, daß diese Natur in allem den genauen Gesetzen der Mechanik zufolge handelt, und daß Gott es ist, der ihr diese Gesetze auferlegt hat. Ich habe in der Tat nicht allein das berücksichtigt, was Vesalius und die anderen über Anatomie schreiben, sondern auch mehrere Dinge, die merkwürdiger sind, als was sie beschreiben, und die ich beobachtet habe, als ich selbst verschiedene Tiere sezierte. Mit dieser Übung habe ich mich seit elf Jahren häufig beschäftigt, und ich glaube, daß es keinen Arzt gibt, der so eingehend wie ich dabei beobachtet hat. Ich habe aber nichts gefunden, dessen Bildung durch natürliche Ursachen ich nicht im besonderen erklären zu können glaube, ebenso wie ich in meinen Meteoren die Bildung eines Salzkornes oder eines kleinen Schneesterns erklärt habe. Und wenn ich meine Welt von neuem zu beginnen hätte, in der ich den Körper eines ganz entwickelten Tieres angenommen und mich mit der Aufzeigung seiner Funktionen begnügt habe, würde ich es unternehmen, auch die Ursachen seiner Bildung und Entstehung hineinzubringen. Aber ich weiß deswegen immer noch nicht so viel, um ein Fieber heilen zu können. Denn ich glaube wohl, das Tier im allgemeinen zu kennen, welches dem nicht unterworfen ist, noch nicht aber den Menschen im besonderen, der ihm unterworfen ist« (Bense, 164–165 = AT II, 525–526). – Principia III, 45: Wenn wir auf die unermeßliche Macht Gottes blicken, können wir nicht annehmen, »daß er jemals irgend etwas getan hat, das nicht in jeder Hinsicht vollkommen gewesen ist. Um die Natur der Pflanzen oder der Menschen einzusehen, ist es gleichwohl allerdings weitaus besser, zu überlegen, auf welche Weise sie nach und nach aus ihren Vorformen sich entwickelt haben können« (PhB 566, 220–221 = AT VIII/1, 100).
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Anmerkungen des Herausgebers
Anm. 86, S. 156: Im Discours spricht Descartes – seine diesbezüglichen Ausführungen im Traité de l’Homme referierend – von einem »Feuer ohne Licht (. . . ), dessen Natur ich ganz genau so verstand, wie das, das das Heu erhitzt, wenn man es einschließt, bevor es trocken ist, oder das frische Weine aufwallen läßt, wenn man sie im Traubenmost gären läßt« (PhB 624, 80–81 = PhB 643, 41 = AT VI, 45–46). Die Stelle im Traité de l’Homme bezieht sich allerdings nicht auf die Wärme im Herzen, sondern auf die Nahrungsmittel, die nämlich so beschaffen seien, »daß sie sich ganz von selbst zersetzen und erhitzen, ebenso wie es mit frischem Heu in der Scheune geschieht, wenn man es dort aufeinanderpackt, bevor es trocken ist« (Rothschuh, 46 = AT XI, 121). Vgl. auch Météores VII (AT VI, 322 = PhB 643, 274) und die ausführlichere Erklärung dieses Phänomens in Principia IV, 92 (AT VIII/1, 256–257 = PhB 566, 484–489). Anm. 87, S. 156: vgl. Le Monde an: »Wenn sich ein Körper bewegt, obgleich seine Bewegung sich meistens in gekrümmter Linie vollzieht, und er niemals eine andere als in irgendeiner Form kreisförmige vollziehen könnte (. . . ), strebt dennoch jeder seiner Teile für sich immer danach, die seine geradlinig fortzusetzen« (Tripp, 53 = AT XI, 43–44); Principia II, 39: »Ein jedes Stück Materie tendiert für sich selbst betrachtet niemals, sich auf irgendwelchen schrägen Linien weiterzubewegen, sondern einzig und allein auf geraden« (PhB 566, 140–141 = AT VIII/1, 63). – Gleichwohl gibt es in der Natur, und zwar sowohl in der äußeren Natur, als auch im menschlichen Körper, keine geradlinigen Bewegungen, sondern nur Tendenzen dazu. Licht ist die bekannteste solche Tendenz, denn man muß denken, »daß weniger die Bewegung als vielmehr die Einwirkung [action] der leuchtenden Körper für ihr Licht zu halten ist«, und deshalb sind Lichtstrahlen »nichts anderes als die Linien, entlang denen diese Einwirkung strebt« (Dioptrique: PhB 643, 77 = AT VI, 88). Die wirkliche Bewegung der Körper geschieht indes immer in Kreisläufen – zumindest, wenn man die Perspektive entsprechend wählt, oder anders ausgedrückt: Was uns als geradlinige Bewegung erscheinen mag, ist immer Teil einer größeren Bewegung oder einer Abfolge von Bewegungen, die insgesamt einen Kreis bilden. Dies stellt Descartes bereits in Le Monde so dar (AT XI, 19 = Tripp, 25 ff.), wo
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er auf den engen Zusammenhang zwischen diesen Kreisbewegungen und der Tatsache hinweist, daß faktisch niemals irgendwo ein Vakuum entsteht. Vgl. auch Prin. II, 33 (AT VIII/1, 58 = PhB 566, 130–131); an Mersenne, 11. Juni 1640 (AT III, 75–78). Anm. 88, S. 157: Licht: Diopt. I (AT VI, 83–93 = PhB 643, 71–81); Prin. III, 55 (AT VIII/1, 108 = PhB 566, 233–234), III, 64 (AT VIII/1, 115–117 = PhB 566, 245–247), IV, 28 (AT VIII/1, 217–218 = PhB 566, 415–417); Farben: Météores VIII (AT VI, 331–335 = PhB 643, 281– 285). Anm. 89, S. 159: Nach Principia IV, 45 ist »Luft nichts anderes (. . . ) als eine Ansammlung so feiner und voneinander getrennter Partikel des dritten Elements, daß sie jeder beliebigen Bewegung der Kügelchen der Himmelsmaterie nachgeben« (PhB 566, 438–439 = AT VIII/1, 231). Luft wird deshalb »durch Erkaltung leicht verdichtet und durch Wärme verdünnt«, weil ihre Partikel »fast ausnahmslos biegsam wie weiche Flaumfederchen oder feine Fäden [sind], die sich um so weiter ausdehnen, je schneller sie bewegt werden, und deshalb einen größeren Kugelraum für ihre Bewegung beanspruchen« (Prin. IV, 46: PhB 566, 438–439 = AT VIII/1, 231). Ob Descartes die hier beschriebenen luftartigen Teilchen als mit den Teilchen der Luft identisch ansieht, sei dahingestellt. Anm. 90, S. 160: Eau-de-vie: vgl. Prin. IV, 102–103 (AT VIII/1, 261–262 = PhB 566, 496–497); Säuren: (aqua ardens, aqua dulcis, aqua erodens & acida) vgl. Prin. IV, 120 (AT VIII/1, 268 = PhB 566, 510–513); Öle: vgl. Prin. IV, 121 (AT VIII/1, 269 = PhB 566, 512– 513); Öle und Salze: vgl. Météores III (AT VI, 263–264 = PhB 643, 224–225). Die Cartesische chemische Forschung geht mindestens bis in die frühen 30er Jahre zurück. Er schreibt an Mersenne am 5. April 1632, er habe die vergangenen Tage ganz damit verbracht, »les différences essentielles qui sont entre les huiles, les esprits ou eaux-de-vie, les eaux communes, & les eaux fortes, les sels, &c« (AT I, 243) zu erkennen. Anm. 91, S. 166: Gaspare Aselli: De lactibus sive lacteis venis quarto vasorum mesaraicorum genere novo invento Gasparis Aselli Cremonensis Anatomici Ticinensis Dissertatio. Mailand: Bidelli 1627. Faksimile mit Einleitung von Leo Mendel. Leipzig: Edition Leip-
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zig 1968. Gaspare Aselli (1581–1626) war Professor der Anatomie und Chirurgie in Pavia, diente zeitweise als Heeresarzt und praktizierte in Mailand. Das der Geschichte der Entdeckung der Lymphgefäße gewidmete Kapitel hat Leo Mendel dankenswerterweise ins Deutsche übersetzt (5–9). In ihm schildert Aselli ausführlich die Entdeckung der Lymphgefäße durch wiederholte Vivisektion von Hunden, Katzen, Kühen, Schweinen und Pferden. »Einen lebenden Menschen allerdings, wie es einstens Erasistratus und Herophilus bedenkenlos taten, gestehe ich, nie seziert zu haben; auch künftig werde ich davon lassen. Denn mit Celsus bin ich der Meinung, daß es ein todeswürdiger Frevel sei, wenn die Heilkunst, die doch vor allem dem Wohl der Menschheit dient, jemandem ein so schreiendes Unrecht zufügen wollte« (7). – An Regius, 24. Mai 1640: »Quantum ad Venas Lacteas, nihil definio, quia nondum illas vidi; sed novi hic duos juvenes Medicinae Doctores (Silvius & Schagen nominantur), qui videntur non indocti, & se illas saepius observasse affirmant, earumque valvulas humoris regressum versus intestina impedire, adeo ut plane a te [ = Regius] dissentiant; & ego in eorum sententiam valde propendeo, ita ut suspicer Venas Lacteas ab illis Meseraicis in eo tantum differre, quod nulli arteriae sint conjunctae, ideoque succus ciborum in iis albus est, in aliis vero statim fit ruber, quia sanguini per arterias circulato permiscetur. Prima occasione illas in cane vivo simul quaeremus: interim, si mihi, credis, totum illud corollarium omittes« (AT III, 69). Descartes berichtet über die Vivisektion eines lebendigen Kaninchens im Brief an Plempius vom 15. Februar 1638 (AT I, 526–527). – Die »Milchvenen« erwähnt Descartes auch im Brief an Mersenne, 30. Juli 1640 (AT III, 139–140 = Bense 196–197). – Indes kennt schon Pierre Charron eine Region des Körpers, die »reçoit, assemble, mêle et cuit les viandes, et en fait chyle, c’est-à-dire suc blanc propre pour la nourriture du corps, et lequel encores s’élabore dedans les veines méséraiques, par où il passe pour aller au foie« (De la sagesse I, 25). Anm. 92, S. 169: Rets admirable unter der Bezeichung plexus mirabilis: an Mersenne, 24. Dezember 1640 (AT III, 264 = Bense, 222). – vgl. Pierre Charron: De la sagesse I, 27.
GESAMTINDEX DEUTSCH – FRANZÖSISCH
AT 223–286 La Description du Corps humain, AT 300–488 Les Passions de l’Âme Abenteuer aventure 399, 441
Aberglaube superstition 456
Abnei- A
gung aversion 387, 392, 393, 395, 404, 407, 422, 429, 475–477, 479,
480 Abwesenheit absence 330, 375, 392, 441 Aderhaut choroïde 270 Aktion action 227, 274–276, 279, 281, 283, 327, 328, 331, 337, 338, 341–344, 346, 347, 349, 359, 360, 362, 365, 367–369, 371, 376, 379, 397, 399, 400, 406, 411, 412, 414, 419, 422, 428, 430, 433, 435, 436, 439, 445, 453, 459, 462, 463, 470–474, 477, 479, 482, 483, 487; körperliche A. action corporelle 407, 428 Alltagsmensch vulgaire 470 Almosen aumône 472 die Alten anciens 230, 327, 332 Alter âge 395, 426; vieillesse 224, 250 Alteration altération 353, 401 Amt charge 467 Anatomie Anatomie 224, 226, 228, 231 Anblick vue 370 Anerkennung reconnaissance 377, 378, 473, 474, 477, 480, 483 Angelegenheit affaire 461 Angst peur 356–359, 363, 364, 366, 367, 376, 416, 427, 448, 458, 462, 463, 486, 487; von Angst gepackt saisi de la peur 487 Anhänger suivant 475 Anhäufung amas 250 Anlaß occasion 274, 341, 354, 366, 451, 458, 487; sujet 226, 268, 363, 372, 403, 440, 448, 457–459, 464, 480, 482, 485, 486 Anmaßung usurpation 449 Annehmlichkeit douceur 485, 488 Anordnung disposition 351, 366 Anregung affection 347 Anschauung [= Vorstellungsvermögen] imagination 227, 397, 441 Anschein apparence 464, 466 Anstoß impulsion 365 Anteil portion 250, 257, 259, 268, 269 Anwendung application 384 Anwesenheit présence 358, 360, 392, 429 Anzahl nombre 226, 371, 379, 380 Anzeichen marque 427, 466 Appetit appétit 369, 403, 406, 408, 484 Argwohn soupçon 457, 459 Aristoteles Aristote 244, 475 Arm bras 240, 269, 271, 280, 341 Armut pauvreté 393 Arroganz arrogance 472 Art espèce 224, 231, 277, 333, 375–378, 380, 388, 391, 392, 394, 395, 432, 443, 444, 449, 457, 459–461, 464, 466, 469, 471–473, 475, 477, 479, 480, 482, 484, 485; sorte 257, 258, 329, 342, 343, 350, 359, 365, 388, 390, 395, 399, 421, 430, 437, 444, 458, 459, 479, 486 Arterie artère 224, 226, 227, 230–233, 238–240,
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Gesamtindex Deutsch – Französisch
245–247, 251, 252, 257, 259, 264, 266–276, 278, 279, 284, 285, 331, 332, 334, 354, 405, 413, 415, 423–425, 468; epigastrische A. artère épigastrique 272, 273; große A. [Aorta] grande artère 229, 230, 232, 238–240, 251, 257, 259–261, 264, 265, 270, 272, 279, 283, 331–334, 414; spermatische A. artère spermatique 239; venöse A. [Lungenvene] artère veineuse 229–233, 235, 236, 238–240, 259, 279, 331–333, 428 Arzt Médecin 239, 241, 242, 252, 270 Asellius Gasparus Asellius 267 Atemluft air de la respiration 235, 259, 271 Atmung respiration 237, 238 Aufbereitung préparation 244 Aufgabe office 269, 402, 467 Aufmerksamkeit attention 361, 380, 384–386, Aufzählung dénombrement 372, 373, 379, 485 Auge œil 239, 243, 255, 263, 265, 332, 338, 339, 353, 355, 361, 408, 411, 412, 423–426, 441, 458, 471 Augenhintergrund fond de l’œil 338 Augenlid paupière 339 Ausbildung formation 223, 257, 258, 260, 271, 272, 275, 277 Ausdehnung étendue 351 Ausführung exécution 372, 376, 460, 462, 487 Ausgang sortie 265, 280 sich etw. ausmalen feindre 251 Ausmaß dimension 351 Ausschluß exclusion 351 Aussehen air 413 Aussicht apparence 375 Ausübung exercice 467 Auswahl élection 376 Auswirkung haben faire effort 365 Automat automate 331 Autorität autorité 332, 456. B Band lien 240, 403 barmherzig charitable 484 Bau conformation 277, 341 Bauart fabrique 233, 245 Bauch ventre 238, 272, 429 Bauchnabel nombril 266, 272, 273 Bedauern regret 363, 378, 478, 484 Bedeutung signification 362, 369, 473; importance 386, 458, 471, 477; allgemeine B. signification générale 345, 348, 359 Begebenheit rencontre 369, 421, 435, 486 Begegnung rencontre 248, 373, 422 begehrlich concupiscible 379 Begehrlichkeit concupiscence 379 Beginn commencement 258, 260, 264, 271, 278, 280, 284, 285, 368, 382, 409, 429, 431, 452, 478, 479 allgemeiner Begriff générale notion 226 Behaglichkeit commodité 484 Bein jambe 271, 280, 341, 343, 356, 358, 364, 366 Beisetzung funérailles 441 Beistand secours 474 Beleidigung affront 465, 483, 484 Bemühung industrie 361, 366, 370, 486 Benennung dénomination 343 Beobachtung observation 327, 403 Berg montagne 454 Beruhigung repos 487 Berührung attouchement 284, 382, 394 Bescheidenheit modestie 482 Beschluß décret 439, 440 Beschreibung description 223 Besitz possession 389, 457,
Gesamtindex Deutsch – Französisch
221
459 Besonderheit particularité 277, 282 Bestimmung détermination 416 Betrachtung considération 374, 376, 385, 440, 454, 485, 487 Bewegung mouvement 224–227, 231–233, 241, 243–245, 248, 249, 254, 255, 260–263, 268, 280–282, 285, 329–335, 337–339, 341, 342, 346, 348–350, 352, 354–358, 360–366, 368–370, 372, 380–382, 387, 393, 397–399, 401, 403, 405, 407–412, 416, 417, 422, 424, 427, 429, 440, 444, 445, 451–453, 455, 456, 463, 468, 474, 483, 486; körperliche B. mouvement corporel 225, 429, 431, 434; zuckende B. mouvement de convulsion 225 Bewußtlosigkeit défaillance 418 Bewußtsein conscience 442 Beziehung rapport 351, 356, 381, 429 Bier bière 253 Bild image 353, 355, 356, 386, 417 Bissen morceau 422 Bitterkeit amertume 405, 484, 488 Blatt feuille 394 Blume fleur 390, 395 Blut sang 226–247, 250–252, 255–261, 264, 266–283, 285, 286, 331–335, 340, 354, 356, 357, 359, 363, 364, 366, 381, 401, 403–411, 413–416, 418–422, 424–428, 461, 468, 471, 478, 480, 486, 487 Bluterguß sang meurtri 468 Blutkreislauf circulation du sang 332 boshaft malin 470 Branntwein eau-de-vie 260 Breite largeur 243 Brocken parcelle 250 Brust poitrine 239, 257, 280, 402, 419, 428; mamelle 272, 273 Buch livre 245, 441 Buchstabe lettre 369 Bündnis alliance 350. Chirurg Chirurgien 240 Chylusgefäß (veine blanche = veine lacté C (Milchgefäß = Chylusgefäß = Lymphgefäß) 267. Dampf vapeur 274, 275, 282, 286, 340, 423–427, 471 Darm intestin D 234, 239, 265, 280, 404–406, 408, 409, 414 Darstellung représentation 362 Dauer durée 378, 468 die Decier Décis 461 Deckmantel ombre 472 Definition Définition 349, 357, 363, 380, 387, 392, 396–398, 429 Demokrit Démocrite 476 Demut humilité 373, 374, 447, 450, 451, 452, 455, 482 das Denken pensée 225, 226, 329, 345, 363, 369, 437, 487; vorausschauendes Denken préméditation 463, 486 Destillierkolben alambic 237 Diastole Diastole 267, 280–283 Dichter poète 396 Dicke grosseur 242, 246, 250, 251, 262, 263; épaisseur 246 Diener valet 412 Ding chose 249, 278, 330, 331, 337, 338, 342, 344, 346, 348, 349, 353, 356, 359, 360, 362, 363, 366, 370, 372, 377, 381, 382, 384–388, 392, 394, 400, 410, 429–432, 435–439, 442–444, 447, 449, 450, 455–457, 459–462, 464, 466, 472–474, 476, 477, 479, 482, 484, 487 Dioptrik Dioptrique [Werk Descartes’] 255, 337, 338 Donner tonnerre 364 Dreiecksgefäß vaisseau triangulaire 269, 270 Druck effort 232,
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Gesamtindex Deutsch – Französisch
236, 245, 246, 283, 442; Druck ausüben presser 229, 241–243, 253– 255, 257, 258, 265, 269, 270, 274, 277, 278, 281, 286, 340, 408; faire effort 270 Drüse glande 252, 270, 284; Drüse glande (Conarium) 270, 351–358, 360–362, 364, 365, 368, 369, 371, 416, 417 Duft odeur 338, 350, 429 Durchgang passage 240, 264, 265, 279, 334, 336, 406, 416, 425 Dürftigkeit besoin 474 Durst soif 338, 346, 350. E Edelmut générosité 373, 438, 445, 447–455, 470, 481 Ehemann mari 441 Ehre honneur 389, 446, 449, 456, 458, 483, 484, 487 Ehrenmann homme d’honneur 389 Ehrgeiz ambition 367 ein Ehrgeiziger ambitieux 388, 454 Ehrlosigkeit infamie 367, 415, 483 Eifer zèle 467, 472 Eifersucht jalousie 375, 448, 449, 457 Eigeninteresse propre intérêt 448 Eigenschaft propriété 262, 335, 351, 411, 417, 447, 452 Eindruck impression 227, 344, 348, 353–356, 358, 365, 372, 380–383, 395–400, 404, 406, 444, 486 Eingang entrée 229–232, 235, 252, 279, 280, 333, 336, 340, 418 Einrichtung institution 369, 430 Einschätzung sentiment 252; nach meiner E. estimer 330 Einschnitt incision 241, 242 Eintritt événement 457; arrivement 381 Eisen fer 256 Eisklumpen glaçon 403 Ekel dégoût 378, 484 Element (erstes oder zweites Cart. Element) premier/second élément 248, 255, 256, 275, 281, 282 Empfindung sentiment 255, 338, 346, 347, 349, 350, 359, 399, 423, 429, 430, 446 Empörung indignation 378, 412, 421, 475–477, 480, 481 Ende extrémité 231, 233, 234, 236, 238–240, 246, 248, 249, 259, 266, 268, 271, 280, 337; fin 429; bout 264, 337 Entdeckung invention 239 Ente canard 238 Entfernung éloignement 271 Entschluß résolution 368, 446, 454, 479, 487 Ereignis événement 375, 436, 463; accident 424, 470 Erfahrung expérience 242–244, 329, 349, 369, 401, 420, 421, 431, 483 Erfolg succès 366, 439; Erfolg haben réussir 241, 437, 461 Erfüllung accomplissement 440, 456 Ergebenheit dévotion 389, 390, 454 Erhaltung conservation 375, 392 Erinnerung souvenance 485; [eine einzelne E.] mémoire 429, 484 Erkenntnis connaissance 223, 245, 252, 264, 327, 328, 342, 349, 367, 368, 381, 383, 385, 386, 432, 433, 434, 436, 446, 472 Erklärung explication 331, 349, 350, 371 Erregung agitation 236, 248, 253, 254, 263, 268, 272, 273, 281, 282, 339, 371, 372, 382, 392, 395, 408, 417, 426, 460, 471, 478, 480 Ertrag utilité 223, 383 Erwerb acquisition 375, 385, 395, 417, 418, 437, 448, 450, 467 Erziehung institution 453 Essig vinaigre 421 evident évi-
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dent 239, 242, 246, 251, 349, 370, 375, 395, 398, 434; évidemment 280, 352, 393 Ewigkeit éternité 438 Exkrement excrément 280 Expansion dilatation 228, 229, 242, 244, 254, 258, 259, 277, 278, 285, 333 Experiment expérience 237, 241, 243, 252, 253. Fackel flambeau 335, 346 Faden filet 246–250, 252, 275–279, 285, F 332, 337, 338, 354 Falte repli 239 Farbe couleur 255, 350, 411, 413, 415, 468, 469; weiße Farbe blancheur 276 Faser fibre 234, 242, 243, 278–282, 286 Fehler faute 330, 437, 446, 447, 476, 481 Feigheit lâcheté 375, 376, 445, 462, 463, 470 Feind ennemi 448, 461, 487 Festigkeit solidité 250, 251 Fett graisse 249, 250 Feuer feu 236, 237, 244, 253, 276, 281, 282, 333, 364, 409, 418, 419, 421 Fieber fièvre 479, 486 Finger doigt 228, 229, 241–243 Fisch poisson 237, 257, 260 Fläche face 383 Flamme flamme 329, 335, 347 Fleisch chair 228, 235, 237, 247, 249, 273, 278, 279, 281–283, 286 Flucht fuite 356, 358, 363, 367, 375, 393–395, 487 Flügel aile 269 Flüssigkeit liqueur 228, 253, 284, 420, 421 Form forme 249, 252, 278, 279, 282, 286, 337, 398, 424 Fortpflanzung génération 257, 258 Frau femme 389, 441, 458, 459 Frechheit effronterie 483 Freiheit liberté 481 Freude joie 347, 363, 376–378, 380, 393, 396–399, 402, 405, 409, 413, 415, 417, 418, 420–423, 425–432, 434–436, 441, 442, 451, 456, 464, 471, 476, 478, 482, 484–486, 488; intellektuelle F. joie intellectuelle 397, 398, 441; klammheimliche F. joie secrète 441 Freund ami 339, 389, 472 Freundschaft amitié 389, 390 Fröhlichkeit allégresse 378, 485 Frosch grenouille 241 das Frösteln froid 479 Frucht fruit 284, 395 Fügung fatalité 438, 440 Fülle abondance 229, 240, 403, 404, 406, 420, 421, 425, 478 Fundament fondement 435, 451 Funktion fonction 223, 224, 245, 328, 331, 333, 342, 351, 352, 354, 365, 398 Furcht crainte 356, 375, 393, 426, 436, 454–457, 459, 461, 463, 479, 482, 483 Fürst prince 390, 391, 472 Fuß pied 271, 353 Fußsohle plante de pied 382. Galle bile 478, 480; fiel 280, 341, 405; gelbe Galle bile jaune 468; G schwarze Galle bile noire 468 Gallenblase réceptacle de la bile 405 Gang démarche 445 Gans oie 238 Gattung genre 283, 342, 443, 461 Gaumen palais 263 Gebärmutter matrice 265, 268, 273, 284 Gebet prière 472 Gebrauch usage 238, 369, 385, 386, 445, 450, 453, 455, 486; Gebrauch machen user 366, 446, 447, 449, 452, 454, 463 Geburt naissance 453, 467 Gedächtnis Mémoire 227, 360, 384 Gedanke
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Gesamtindex Deutsch – Französisch
pensée 224, 225, 253, 329, 342–344, 349, 350, 353, 359, 361, 368, 383, 400, 404–407, 428, 451, 453, 486, 487 Gedärme boyau [pl.] 227, 331, 341 Gefahr danger 440, 487; péril 363, 400 Gefallen agrément 391, 392, 394–396 Gefäß vaisseau 230, 233–236, 239, 269, 331, 333, 421 Gegenstand sujet 327, 328, 346, 399, 420, 421, 426, 433, 435, 444, 448, 453, 459 Gegenwart présent 375, 376, 387 Geheimnis secret 477 Gehirn cerveau 226, 227, 239, 251, 252, 254, 256, 258, 261–263, 265, 269–271, 273, 274, 285, 331, 332, 334–342, 344, 346, 348, 351–358, 360, 361, 365, 369–372, 380–384, 395–401, 403–409, 415–417, 424, 429, 444, 452, 486 Gehörorgan organe de l’ouïe 263 Geist esprit 386, 390, 426, 437, 446, 449, 450, 455, 456, 466, 469, 470, 472 der Geizige avaricieux 388, 458 Gekröse mésentère 267 Gelassenheit sécurité 375, 455, 457 Geld argent 388, 458 Gelegenheit occasion 226, 242, 327, 449, 487; Gelegenheit suchen présenter 264, 282 Geliebte maîtresse 389 Gemeinsinn sens commun 227, 386 Genuß jouissance 395–397, 434, 485 Geräusch bruit 363, 370, 394 gerecht juste 431, 451, 453, 459, 467 gerechtfertigt juste 435, 436, 445, 451, 458, 467, 471 Gerechtigkeit justice 467 Geringschätzung mépris 373, 374, 443, 444, 456, 481, 483 Geruchsorgan organe de l’odorat 262, 263 Geschicklichkeit adresse 466, 488 Geschlecht sexe 253, 395, 396 Geschmack goût 407, 484 Geschmacksorgan organe de goût 263 Geschmacksstoffe saveur 338 Geschwindigkeit vitesse 248, 256, 282 menschliche Gesellschaft société humaine 474 Gesicht visage 411–415, 419, 480; face 415; zu Gesicht bekommen voir 337 Gestalt figure 226, 237, 244, 249–251, 253, 262–264, 276–280, 282, 284, 342, 356, 369, 412, 424 Geste geste 445 Gestirn astre 353, 354 Gesundheit santé 393, 398, 402, 434 Getränk breuvage 407 Gewalttäter brutal 389 Gewebe tissu 270, 285 Gewehr fusil 370; Gewehr schießen tirer 370 Gewicht pesanteur 234, 280, 382 Gewinn fruit 223, 396 reines Gewissen repos de conscience 471 Gewissensbiß remords (de conscience) 376, 464 Gewohnheit habitude 362, 369 Gewöhnung habitude 361, 368, 369, 471 Gleichgewicht balance 459 Glocke cloche 346 Glück bonheur 245 Glückseligkeit félicité 468 Gott Dieu 343, 445, 453, 455, 467, 472, 477 Gottheit dinivité 455; höchste Gottheit souveraine Divinité 390 Gottlosigkeit impiété 456 Grad degré 250 Grausamkeit cruauté 483 Groll aigreur 405 Größe grandeur
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250, 251, 373, 423, 427, 444 Grund raison 225, 231, 234, 239, 241, 242, 250, 256, 262, 265, 267, 276–278, 280, 283, 329, 330, 334, 352, 358, 363, 379, 381, 382, 389, 394, 399, 407, 419, 420, 426, 429, 434, 439, 445, 451, 452, 456, 457, 463, 466, 478, 487; allgemeiner Grund raison générale 271, 279 Grundbegriff notion 460 Grundbeschaffenheit tempérament 237, 249, 356, 371, 426, 478 gründen fonder 353, 368, 435, 436, 438, 474, 477, 482 Grundfläche base 228, 229, 254, 261–263, 270 Gunst faveur 377, 378, 473, 474, 477; Gunst entgegenbringen favoriser 473 das Gut bien 367, 374–378, 381, 388, 391–400, 406, 431–435, 446, 448, 449, 454, 455, 457–459, 466, 467, 473–475, 481, 483–485 Güte bonté 433, 437, 459, 464, 479. Haar cheveu 472 Hälfte moitié 351, 395, 396 Halsschlagader Caro- H tide 251, 252, 272 Haltung habitude 374, 386, 453, 460 Hand main 228, 236, 240, 271, 338, 339, 347, 353, 358, 364, 467 Handwerker artisan 236 Härte dureté 236, 250 William Harvey Hervaeus 239– 243, 332 Haß haine 374, 380, 387, 391–394, 399, 402–406, 408, 410, 414, 415, 417, 420–422, 427, 429, 430, 432–435, 441, 444, 448, 449, 452, 454, 464–468, 475, 477–480 Hauptaktion principale action 339 Hauptarterie artère principale 268 Hauptbestandteil principale partie 445 Hauptbindung principal lien 474 Haupterfahrung principale expérience 401 Hauptertrag principale utilité 436 Hauptglied principal membre 277 Hauptkörperteil principale partie du corps 330 Hauptmann capitaine 458 Hauptmasse corps 261, 263, 264 Hauptmaterie principale matière 396 Hauptnutzen principal usage 236 Hauptobjekt principal objet 390, 470 Hauptpassion principale passion 372, 379 Hauptröhre principal tuyau 270 Hauptsitz principal siège 352, 354 Hauptursache principale cause 223, 372, 420, 463, 483 Hauptvene veine principale 268 Hauptverzweigung principale branche 269, 273 Hauptwirkung principal effet 359, 388 Hauptzeichen principal signe 411, 420 Haut peau 229–236, 239, 246–248, 265, 267, 270, 273–276, 279, 280, 283–286, 333, 337, 418 Hautfalte repli de la peau 269 Hefe levain 228, 231, 253, 282 Heide païen 454 Heilmittel remède 385, 441, 447, 460, 473, 481, 486; allgemeines H. remède général 437, 454, 485, 487; wirkungsvollstes H. souverain remède 437 heiter gai 406, 413, 421; serein 398 Heiterkeit gaieté 398, 465 Heraklit Héraclite 476 Herr maître 412, 445, 448, 488 Herrschaft
226
Gesamtindex Deutsch – Französisch
empire 370, 445, 481 Herz cœur 224, 226–235, 237–246, 248, 251, 252, 254–258, 260–262, 264–275, 277–286, 331–334, 340–342, 352– 354, 356–359, 363, 366, 381, 401, 403–410, 413–415, 418–422, 425, 426, 428, 441, 461, 468, 471, 478–480, 486 Herzbeutel péricarde 283– 286 Herzgefäß vaisseau du cœur 237, 238 Herzkammer cavité du cœur 229–231, 236, 238, 240, 259, 260, 332, 333, 419 Herzschlag battement du cœur 253, 334 Heu foin 254; Heu einbringen renfermer 254 Himmel ciel 354 Hinlänglichkeit suffisance 386 Hinsicht égard 327, 374, 439, 440, 484 Hirngespinst rêverie 345 Hochmut orgueil 373, 374, 448, 449, 451, 452, 472, 480, 481 Hoffnung espérance 272, 328, 375, 393, 428, 456, 457, 461–463, 474, 482, 483, 485 Höhle concavité 228, 231–233, 237, 241–243, 258, 268, 278, 281, 283, 285, 340, 355 Hohlraum cavité 270, 334, 335, 339, 352–355, 357, 382 Hohlvene veine cave 228–235, 237, 238–240, 257, 264, 272, 279, 331–333, 405, 408, 420 Hohn dérision 464 Hund chien 241, 243, 370 Hunger faim 338, 346, 350. I anderes Ich autre soi-même 389, 395 Idee idée 384, 405, 407, 417, 429, 444 Illusion illusion 345 immerwährend perpétuel 239 erleidende Instanz patient 328; wirkende I. agent 244, 328 Intelligenz intelligence 251 Intention intention 474 Interesse intérêt 389 Irrtum erreur 224, 330, 364, 368, 436, 438, 439. J Jagdhund chien couchant 370. K Kälte froideur 347, 403, 416, 426, 462, 471; froid 347, 416 Kälteschauer froideur [pl.] 402 Kammer cavité 228, 229, 231, 232, 237–240, 243, 257–261, 268, 283, 332, 333 Kampf combat 364–366 Kanal canal 234 Kaninchen lapin 243 Katze chat 429 Kaverne caverne 228 Kehle sifflet 235, 259, 419, 426 Kenntnis connaissance 226; in Kenntnis setzen avertir 430, 479 Kind enfant 238, 283, 389, 426, 427, 429 Kindheit enfance 224 Kirche église 472 Kitzel chatouillement 398, 399, 430 Klage plainte 470 klagen plaindre 470 Klappe valvule 229, 230, 234, 279, 280 Kleinheit petitesse 262, 280, 373, 444 Klugheit prudence 436 Knochen os 226, 247 Knorpel cartilage 235, 236 Köder appât 431 Kohle charbon 256, 276 Kommunikation communication 271, 352 konform gehen symboliser 451 Kopf tête 261, 262, 263, 264, 265, 266, 269, 270 Kopfschmerz mal de tête 429 Korn grain 251 Körper corps 223–228, 234, 243, 244, 247–250, 256, 258,
Gesamtindex Deutsch – Französisch
227
260, 267, 279, 282–285, 328–332, 335, 337–356, 358, 359, 361, 364– 366, 371, 372, 381, 382, 383, 387, 397–407, 410, 411, 417, 418, 423, 424, 426, 428–434, 453, 461, 463, 467, 484, 488; durchsichtiger Körper corps transparent 338; menschlicher Körper corps humain 223, 224, 226 Körperbewegung mouvement du corps 358, 365, 366 Körperextremität extrémité du corps 240 Körperglied membre 223, 227, 238, 244, 246, 248, 249, 253, 277, 329, 332, 333, 335–338, 341, 347, 354, 355, 416 Körperoberfläche superficie du corps 276 Körpersaft humeur 247–250, 402 Körperstelle endroit du corps 250, 251, 271, 275, 334, 340, 421 Körperteil partie du corps 227, 231, 233, 238, 244, 245, 250, 252, 274, 331, 334, 401, 409 Kraft force 235–237, 246, 250, 252, 260, 263–266, 272, 276, 278, 280, 281, 283, 336, 339, 342, 356, 361, 366, 367, 380–382, 395, 399, 401, 404, 441, 457, 461, 463, 474, 478, 480; äußere Kraft force extérieure 280 kraftvoll vigoureux 243 Krankheit maladie 223, 227, 386, 393 Kranz couronne 268 Kranzgefäß coronaire 268, 278 Kranzvene veine coronaire 268 Kreislauf mouvement circulaire 239; im Kreislauf circulairement 254, 257 Kugel boule 255, 256 Kühnheit hardiesse 356, 358, 359, 363, 375, 376, 455, 460–463, 478 Kuriositäten rareté 386 Kyniker Cynique 483. Lachen ris 377, 411, 419, 420, 421, 422, 426, 465, 466, 476; (in) La- L chen (ausbrechen) rire 420, 465 Lage situation 226, 250, 251, 281, 381; in die Lage versetzen donner moyen 405 Land pays 390 Landtier animal terrestre 228, 260 Langeweile ennuie 378 Last fardeau 485 Laster vice 449, 451, 452, 456, 465, 466, 468, 470, 474–476, 483 Latein latin 468 Lauf cours 224, 232, 240, 248, 250–252, 254, 256–258, 261, 262, 264–266, 268, 269, 271, 275, 276, 280, 332, 334, 338, 339, 342, 344, 348, 352, 357, 358, 360, 366, 382 Laut voix 419 Leben vie 233, 239, 247, 250, 280, 367, 368, 407, 409, 429, 431, 435, 462, 483, 488 Lebensgeister esprits animaux 227, 251, 252, 285, 332–334, 336, 337, 339, 354, 365, 404 Lebensmittel aliment 236, 250, 251, 407, 409 Leber foie 226, 234, 246, 272, 284, 331, 340, 341, 401, 404–406, 408, 409, 414, 468, 478, 480 Leichtigkeit facilité 237, 360 Leitung conduit 259, 260, 270, 273, 275, 279, 280, 352, 408 Leser lecteur 380 Leute gens 389, 466; junge Leute jeunes gens 400; alte Leute vieillards 400, 426 Licht lumière 253, 255, 256, 346, 354, 355 Liebe amour 374, 380, 387–394, 396, 401–404, 407, 408, 414, 415, 417, 418, 423, 425, 427,
228
Gesamtindex Deutsch – Französisch
429, 430, 432–435, 441, 444, 451, 454, 458, 469, 471, 473, 477–479, 482; Liebe aus Wohlwollen amour de bienveillance 388; Liebe aus Begehrlichkeit amour de concupiscence 388 Lippe lèvre 362, 412 livor ibid. (blauer Fleck) 468 Lob louange 239, 449, 483 loben louer 445, 446, 449, 482 Loch trou 227, 278, 279 Luft air 227, 232, 236, 237, 247, 248, 260, 262, 272, 286, 332, 347, 416, 419, 423, 424, 426, 428 Luftröhre artère trachée 271 Lunge poumon 226, 234–238, 259–261, 283, 286, 331, 332, 408, 419–422, 425, 428, 486 Lymphgefäß (veine blanche = veine lacté) (Milchgefäß = Chylusgefäß = Lymphgefäß) 267 M Macher faiseur 396 Macht pouvoir 359, 362, 365, 368, 382, 418, 441, 442, 462, 468, 470; mit Macht puisamment 460 Magen estomac 225–227, 239, 265, 331, 340, 341, 402–406, 408, 409, 422 Mangel défaut 239, 385, 397, 398, 431, 433, 452, 453, 465, 473, 486; faute 410, 422; manque 446 Mann homme 458 Mark moelle 261, 265, 337 Maschine machine 226, 228, 331, 339, 341, 354, 355 Masse masse 255, 264, 265 Materie matière 227, 237, 248, 249, 252, 254–258, 269, 279–282, 285, 327, 328, 340, 351, 424, 427, 429; feine Materie matière subtile 248, 250, 255, 263, 275, 276; flüssige Materie matière fluide 275, 276 Mechanik Mécaniques 224, 279 Medizin Médecine 223, 245, 331, 407 Meinung opinion 241, 245, 332, 346, 353, 368, 377–379, 386, 398, 434, 438, 439, 443, 445, 448, 451, 458, 472, 482, 483; Meinung besitzen concevoir 445, 448 Membran membrane 273, 283 Menge quantité 234, 247, 249, 256, 260, 264, 331, 334, 336, 405, 406, 408, 409, 418, 421, 423, 425, 461, 468 Mensch homme 228, 269, 270, 277, 327, 330, 356, 358, 359, 367, 370, 376, 390, 395, 399, 412, 428, 445–449, 456, 462, 465, 466, 468, 470, 472, 474, 477, 488 Meteore Météores [Schrift Descartes’] 255, 423 Miene mine 412, 445, 478 Milchgefäß veine blanche = veine lacté (Milchgefäß = Chylusgefäß = Lymphgefäß) 267 Milz rate 234, 284, 340, 341, 401, 405, 408–410, 421, 422, 468, 478, 480 Mischung mélange 228, 253, 254, 420 Mißgeschick disgrâce 473, 484 Mißtrauen défiance 459, 482 Mißverhältnis disproportion 250 Mitgefühl compassion 470 Mitleid pitié 376, 377, 426, 427, 441, 469–471, 473, 475, 478, 483, 486; zum Mitleid neigend pitoyable 469 Mitte milieu 258, 262, 263, 269, 270, 279, 352, 354, 355, 365, 371 Mittel moyen 376, 431, 458, 464
Gesamtindex Deutsch – Französisch Mittelpunkt centre 256, 283
229
Moment moment 231, 241, 243, 246,
267, 280, 366 Moral Morale 223, 436 Mühe peine 228, 240, 339, 385, 449, 458, 462, 463 Mund bouche 422, 428 Mündung orifice 356, 357, 405, 409, 410, 414, 415, 418–420, 426, 428 Muskel muscle 226, 227, 248, 265, 273, 280, 284, 331, 332, 335–342, 354, 355, 361, 366, 369, 381, 383, 403, 404, 407, 408, 410, 413, 416, 419, 424, 428 Mut courage 358, 370, 375, 376, 427, 460–463, 478 Mutter mère 238, 429. Nachdenken réflexion 384, 385, 447 Nachgeburt arrière-faix 283 N üble Nachrede médisance 458 Nahrung nourriture 226, 237, 238, 244, 247, 249, 250, 258, 273, 278, 334, 409, 410, 422 Nahrung herausziehen tirer 258, 278, 409 Nahrungsmittel viande 224, 227, 239, 250, 331, 341, 369, 402, 404, 406, 408, 422 Name nom 259, 328, 348, 350, 392, 396, 443, 475, 482 Nase nez 412 Natur nature 224, 228, 231, 243, 244, 255, 260, 265, 284, 327, 344, 351, 355, 357, 359, 361, 362, 368, 369, 372, 375, 388, 389, 391, 394–396, 399, 400, 421, 430, 447, 449, 455, 457, 460, 462, 465–467, 474, 475, 477, 478, 485; von Natur aus naturellement 234, 342, 361, 366, 369, 370, 399, 421, 447, 467, 470, 473, 475 Naturell naturel 386, 426, 427, 465, 486 natürlich naturel 412, 422 Neid envie 376, 377, 448, 449, 466–469, 475 Neigung inclination 385, 396, 443, 444, 454, 455, 458, 480; natürliche Neigung inclination naturelle 384, 460 Nerv nerf 225–227, 247, 263–265, 280, 331–333, 335, 337, 338, 340–342, 344–348, 353–358, 366, 369, 399, 404–406, 408–410, 413, 415–417, 424, 426; optischer Nerv nerf optique 338, 354, 355, 362, 423, 424 Neugierde curiosité 394 Neuheit nouveauté 382, 422 Niedrigkeit bassesse 444 Niere rognon 272, 284 Nierenvene veine émulgente 272 Notwendigkeit nécessité 438 Nutzen usage 230, 238, 244, 372, 429, 430, 432, 459, 462–466, 476, 482; natürlicher Nutzen usage naturel 430, 431. Oberfläche superficie 247, 248, 256, 264–266, 269, 275, 276, 283– O 285, 413, 423, 424; äußere O. superficie extérieure 283; innere O. superficie intérieure 355 Objekt objet 336–338, 341, 343, 345– 348, 350, 353, 355, 360–363, 365, 369, 371–374, 380–383, 386–391, 394, 399, 404, 417, 418, 425, 429, 441, 444, 454, 461, 462, 469, 470, 475, 486, 487; äußeres O. objet extérieur 227, 350; fürchterliches O. objet effroyable 358; wahrnehmbares O. objet sensible 354, 363 Öffentlichkeit public 465 Öffnung ouverture 228, 229, 237–240, 251,
230
Gesamtindex Deutsch – Französisch
264, 268, 283, 336, 361, 401, 404, 406 Ohnmacht pâmoison 411, 418 Ohr oreille 263, 353 Öl huile 237 Ordnung ordre 266, 371–374, 379, 424, 425, 443, 485 Organ organe 224–227, 330, 346, 351, 353, 358, 426, 486; körperliches O. organe corporel 225 Ort lieu 250, 251, 254, 261, 272, 273, 276, 285, 333–336, 352, 353, 382, 439. P Paar paire 404 Partie partie 488 Passion passion 327, 328, 330, 342–345, 347–350, 352–354, 356–359, 362–377, 379–381, 383–390, 392, 393, 396–399, 401–404, 406–409, 411–414, 416–418, 425–429, 431, 432, 435–437, 440–444, 447, 448, 451–460, 462–467, 469, 471, 472, 474, 476–478, 481–483, 485–488; ursprüngliche P. passion primitive 371, 380, 443 Peripherie circonférence 279 Person personne 391, 395, 396, 441, 449, 464, 465, 467, 475, 478, 484, 486 Persönlichkeit personnage 364 Pferd cheval 390 Pflanze plante 247, 253 Pflicht devoir 403, 460, 470 Pfortader veine Porte 234, 408 Phantasie fantaisie 486 Philosoph Philosophe 328 Platz place 232, 261, 266, 268–270, 277–279, 284, 285, 414, 428, 457, 458 Pore pore 246, 247, 250–252, 256, 264, 265, 274, 275, 277, 281, 282, 335, 339, 341, 345, 354, 355, 357, 358, 360, 361, 424, 425 etwas Positives chose positive 393 Preis prix 468 Prinzip principe 224, 226, 331, 333, 407, 428; körperliches P. 331, 333; Prinzipien Principes [Schrift Descartes’] 248, 255, 275, 281 Privation privation 393, 433 Produktion production 251, 276–279, 340, 401, 438 Profit profit 400, 450 Pullsschlag battement du pouls 402 Puls pouls 231, 232, 245, 254, 334, 402, 403, 411 Punkt point 355, 356, 400, 488 Pupille prunelle 362. Q Qualität qualité 243, 244, 261, 340, 465 Quelle source 247, 371, 413; fontaine 454. R Rache vengeance 394, 415, 479, 487 Rachen gosier 235, 236 Rad roue 342 Rat conseil 376 Raum espace 241, 247, 254, 262, 265, 266, 286 real réel 433; das Reale 433 Rebhuhn perdrix [lat. perdix; frz. perdreau] 370 Recht droit 445, 458 Regel règle 279, 329 Regen pluie 423 Regung émotion 349, 350, 363, 364, 387, 394–397, 421, 451, 459, 480, 481, 486, 487; innere Regung émotion intérieure 440, 441 Reichtum richesse 393, 449 Reserve réserve 409 Reservoir réservoir 410 Respekt respect 454, 456 Rest reste 231, 233, 244, 262, 263, 269, 278, 279, 332, 334, 354, 403, 405, 417, 418, 441 Reue repentir 377, 464, 472, 481 Richtung sens 234, 256, 275 Rinnsal ruisseau 247,
Gesamtindex Deutsch – Französisch
231
249, 270, 271, 274, 332 Röhre tuyau 226, 227, 234, 238, 267, 271, 272, 332, 337 Roman roman 396 Rose rose 429 Röte rougeur 256 Rücken dos 356 Rücklauf retour 247 Rückseite le derrière 269, 270 Rückzug retraite 488 Ruhm gloire 363, 378, 388, 394, 400, 448, 462, 468 Ruß suie 276. Sache chose 445, 451, 452, 461 Sachverhalt chose 328, 343, 352 S Saft suc 227, 239, 331, 341, 404, 406–408, 422 flüchtiges Salz sel volatil 260; etwas Salziges sale 369 Same semence 252–255, 257, 259–261, 264–266, 268–274, 277–279, 281, 284, 285 Säule colonne 278 Säure eau forte 260 Schädel crâne 269, 270 Schaden dommage 400 Scham honte 363, 378, 415, 482, 483 Schatten ombre 345, 348, 395 Schatz trésor 458 Schaum écume 253 Scheitel sommet 270 Scherz raillerie 465, 466 Schicksal fortune 437, 438, 440, 450, 467, 469–471, 477, 488; Schicksalsgöttin 439 Schläfe tempe 265 Schlag battement 231, 233, 280, 334 Schleim pituite 252, 270 Schleuse écluse 332, 413 Schlund gorge 259, 263, 419 Schlüssel clef 454 Schmeichelei flatterie 449 Schmerz douleur 338, 346, 350, 353, 364, 398, 399, 424, 426, 430, 433 Schönheit beauté 395, 446, 449 Schrecken épouvante 356, 375, 376, 414, 462, 463; horreur 369, 391, 392, 394, 395 Schrei cri 422, 426 Schulter épaule 485 Schwäche faiblesse 366, 400, 423, 446, 455, 460, 470 Schweiß sueur 423, 424 Schwierigkeit difficulté 226, 329, 376, 461, 462 Seele Âme 223–227, 251, 327–330, 337–339, 341–372, 379, 380, 383, 386, 387, 390–392, 394–400, 402, 404–412, 417, 428, 430–435, 440–442, 444, 449, 453– 456, 459–463, 466, 467, 470, 471, 474, 480, 481, 486–488; sensitive S. âme sensitive 364; vernünftige S. âme raisonnable 364; sensitiver Teil der S. parte sensitive de l’âme 379 Seelengröße magnanimité 374, 453 Sehnsucht ardeur 431, 437 Sehvermögen vue 241, 263, 338, 391 Seil corde 242, 278, 337 Seite côté 229, 242, 246, 255, 257, 258, 261, 264, 266–270, 272, 273, 275, 279, 283, 285, 286, 331, 332, 360, 361, 365, 367, 420, 428, 454; côte 285, 286; parti 367 Selbstliebe amour de soi-même 415 Serum sérosité 274, 275 Seufzer soupir 411, 427 Sicherheit sûreté 363, 487 Sieb crible 251 Sieg victoire 462; Sieg erringen gagner 462 Silbe syllabe 369 Sinn sens 280, 332, 333, 341, 345, 346, 353, 362, 365, 372, 382, 384, 392, 395, 399, 403, 430, 460, 470; äußerer S. sens extérieur 227, 338, 346, 350, 353, 391; inne-
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Gesamtindex Deutsch – Französisch
rer S. sens intérieur 391
Sinnesorgan organe de sens 261, 262, 336,
337, 352, 363, 381, 407, 411 Sitten mœurs 433, 436 Sitz siège 227, 353 Sklave esclave 449 Sockel embas 269 Soldat soldat 462 Sorge soin 226, 389, 431, 436, 454, 458, 486 Sorgfalt soin 352, 458, 481 Spiel jeu 339 Spielraum sujet 239 Spiritus esprits [nur im Plural] 227, 247, 248, 250, 260–266, 268–271, 273, 274, 280, 335, 336, 338– 342, 344, 348–350, 352–366, 369, 371, 372, 380–382, 387, 392, 397, 399, 401, 403–411, 413, 415–417, 424, 440, 444, 445, 451–453, 455, 456, 459, 463, 474, 483, 486 Spitze pointe 228, 241, 243, 283 Spott moquerie 376, 377, 412, 464, 465, 469, 475 Spötter moqueur 465 Sprache langue 453 Spur trace 344, 360, 383 Stadt ville 390, 391, 472 Stamm tronc 272 Standhaftigkeit constance 470 volle Stärke vigueur 364, 461, 481 Statue statue 383 Staunen étonnement 382, 383, 462, 463 Stelle endroit 231, 234–236, 239, 240, 247, 248, 251, 254, 256–258, 261, 265, 266, 268, 270, 272, 273, 280, 338, 353, 360, 380, 405; lieu 245, 255, 266, 272, 430, 432; place 254, 271; auf der Stelle sur l’heure 487 Stellenwert rang 456 Stellung condition 477 Stimme voix 237, 369, 426 Stimmung humeur 450, 465 Stirnrunzeln ride du front 412 Stöhnen gémissement 411, 422, 425, 426 Stolz gloire 378, 482, 483 Störung dérèglement 447, 454, 456; trouble 442, 462 Strohhalm fétu 424 Stück pièce 282 Stunde heure 226, 267 Substanz substance 224, 278, 335, 352; innere S. substance intérieure 337 Suche recherche 393, 394 Systole Systole 267, 280–283. T Tadel blâme 449, 483 Tastsinn sens de l’attouchement 264 Teig pâte 253 Teil partie 225–227, 231, 233–235, 238, 239, 240, 243, 244, 246–251, 253, 254, 256–264, 266, 268, 270–281, 283–286, 327, 332, 334, 335, 337, 339, 340, 345, 346, 348–352, 354, 356, 357, 364, 368, 371, 379, 382, 387, 389, 390, 403–406, 408, 410, 413, 421, 423, 424, 432, 443, 446, 470; äußerer T. partie extérieure 402; innerer T. partie intérieure 226, 248, 264, 265, 273, 278, 284, 414, 415; innerster T. la plus intérieure partie 352; weiter innen gelegener T. plus intérieure partie 265; unterer T. partie inférieure 257, 261, 264, 340, 364, 405, 468, 480; oberer T. partie supérieure 257, 262, 364 Teilchen particule 247, 251, 253–255, 259, 261–263, 274, 276–278, 281, 282; luftartiges T. particule aérienne 258–260, 262, 263 Teilung division 271, 285 Teint teint 468 Text écrit 226, 333, 337 Theater théâtre 399, 441,
Gesamtindex Deutsch – Französisch
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470 Theorie Théorie 245 Tier animal 228, 229, 231, 233, 237–243, 245, 247, 253, 255, 257, 258, 264, 267, 273, 277, 282, 283, 355, 356, 370, 395, 431; bête 226, 270, 341, 369, 431 der Tod mort 330, 367, 391, 394, 418, 462, 488 Todesgefahr péril de mort 395 Ton son 338, 346, 350, 369 Trägheit langueur 397, 411, 416–418, 462 Träne larme 411, 415, 422–427, 441, 471; pleur 476 Traum songe 345 Traurigkeit tristesse 376–378, 380, 393, 397–399, 402, 403, 406, 410, 414–417, 419, 421–423, 425–436, 441, 451, 464, 466, 468–472, 476, 480, 482, 484; intellektuelle T. tristesse intellectuelle 397, 398 Trichter entonnoir 270 Trieb appétit 364, 379; innerer T. appétit intérieur 338; natürlicher T. appétit naturel 346, 364 Triebfeder ressort 224, 226, 228, 342 Trinker ivrogne 389 Tropfen goutte 231, 233, 234, 243, 254 Trugbild chimère 251, 344, 438 Tugend vertu 437, 441, 442, 446, 448, 451, 453, 454, 466, 471, 476, 483. Übel mal 339, 366, 367, 374–378, 381, 383, 391–395, 397, 398, 400, U 406, 422, 427, 431, 433–435, 440, 450, 454, 455, 459, 462, 464, 465, 467, 469–471, 475–477, 479, 483–485, 488 Überblick revue 380 Übermaß excès 383, 385, 386, 431, 456, 460, 463, 481, 486, 487 Überraschung surprise 369, 380–382, 414, 418, 420, 421, 452, 463, 465, 480, 486 Überschuß surplus 238 Übung exercice 424, 441 Uhr montre 331, 342; horloge 226 Umgebung environs 268, 270, 279, 281 Umlauf tour 247, 332 widriger Umstand adversité 450, 469; günstiger Umstand prospérité 450 Unbehagen incommodité 397, 434, 440 Unbesorgtheit tranquillité 442, 466, 471 Undankbarkeit ingratitude 474, 483 Unehre déshonneur 488 unentschlossen irrésolu 367, 459; indifférent 440 Unentschlossenheit irrésolution 375, 376, 459, 460, 464, 473 Ungefestigtheit infirmité 447, 453, 470, 474 ungerecht injuste 477 ungerechtfertigt injuste 435, 448, 451, 467; injustement 449 Ungerechtigkeiten injure 481 Ungewißheit incertitude 459 Ungleichheit inégalité 340, 405 ein Unglücklicher malheureux 473 Universität école 393, 453 Unkenntnis ignorance 224, 452 Unklugheit imprudence 488 Unpäßlichkeit indisposition 418 Unruhe inquiétude 457 Unterhaltung conversation 433, 441 Unterscheidung distinction 379, 388, 391 Unterschied différence 229, 235, 247, 262, 263, 271, 282, 328, 330, 345, 347, 348, 368, 377, 384, 389–391, 393, 395, 411, 452, 470; distinction 432 Unterstützung aide 341 Untersuchung recherche 386
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Unterwürfigkeit bassesse 373, 374, 450, 451, 452, 455 heit impudence 483
Unverschämt-
Unvollkommenheit imperfection 473
Unzahl
infinité 247, 270, 409 Ursache cause 225, 230, 233, 234, 236, 242, 244, 245, 248, 256, 258, 260–263, 268, 269, 271–273, 276, 278, 281– 283, 285, 286, 333, 335–337, 339, 340, 343–347, 354, 355, 358, 360, 366, 377, 380, 393, 398–401, 407, 408, 411, 415, 416, 420, 421, 424, 425, 427, 428, 430, 435–438, 445, 447–449, 452, 453, 455, 457, 459, 461, 465, 468, 471–473, 475, 476, 478, 484; äußere U. cause externe 461; erste U. première cause 330, 371, 416; nächste U. cause prochaine 347, 350, 371; freie U. cause libre 374, 454, 455 Ursprung origine 265, 272, 337, 380, 422, 423 Urteil jugement 241, 367, 368, 387, 460, 487; Urteil zu einem Urteil kommen / gebracht werden juger 224, 234, 242, 246, 258 urteilen juger 226, 330, 347, 375, 385, 403, 438, 455–457, 459, 476, 478, 483 Urteilsvermögen jugement 427, 481, 483. V Vater père 389 Vene veine 226, 227, 230–234, 239, 240, 246, 248, 252, 266–276, 278, 280, 284, 285, 331–334, 341, 401, 405, 406, 408, 409, 413–415, 418, 424, 468, 478; arteriöse V. veine artérieuse [Lungenarterie] 228–230, 232, 235, 236, 238–240, 259, 260, 279, 331–333, 419, 420; adipose V. veine adipose 272; epigastrische V. veine épigastrique 272, 273; spermatische V. veine spermatique 239, 272; weiße V. veine blanche = veine lacté (Milchgefäß = Chylusgefäß = Lymphgefäß) 267 verachten dédaigner 456 Verachtung dédain 374, 455 Verärgerung fâcherie 426 Verband assemblage 351 Verbindung conjonction 253, 271, 412 Verbrechen crime 472 Verbundenheit liaison 407, 428 Verdauung digestion 402, 403 Verdienst mérite 445, 448, 473 Verdünnung raréfaction 244, 246, 274, 420 Verehrung vénération 374, 454 Verfassung disposition 224, 225, 226, 340, 358, 369, 399, 416, 424, 456, 486; in einer V. sein / in eine V. bringen disposer 225, 227, 229, 256, 259, 266, 282, 356, 376, 385, 386, 399, 411, 421, 461 Verfügung disposition 446 Vergangenheit le passé 375, 376 Vergleich comparaison 251, 390, 447 Vergnügen plaisir 369, 399, 400, 439, 441, 468, 476, 485, 486, 488 Vergrößerung augmentation 272 Verkehrung perversité 466 Verknüpfung connexion 419 Verlangen / Akte des Verlangens désir / désirs 365, 374, 375, 380, 387, 389, 392–396, 402, 403, 406, 410, 411, 414, 415, 417, 418, 428–430, 434–438, 439,
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440, 448, 449, 456, 457, 460, 461, 463, 473, 474, 477, 480, 487 Verlust perte 484 Vermittlung entremise 338, 339, 345–348, 353–355, 362, 398, 436 Vermögen faculté 243, 244, 250, 379; puissance 224, 366, 452, 453 Vernunft raison 267, 365, 369, 370, 385, 391, 392, 395, 431, 440, 444 Verschiedenheit diversité 262, 264, 337–340, 355, 364, 372, 441, 478; wahrnehmbare V. diversité sensible 355 Verstand entendement 384, 385, 397, 398, 404, 438, 440, 460 Verteidigung défense 356, 359, 363, 391 verteilen distribuer 238, 354, 467 Verteilung distribution 268, 271, 467 Vertrauen confiance 448 Verwunderung admiration 373, 380–386, 401, 420–422, 444, 451–453, 455, 465, 476 Verzweiflung désespoir 375, 457, 461, 462, 484 Verzweigung branche 232–236, 238–240, 247, 249, 251, 252, 255, 256, 259, 266–272, 274– 276, 278, 332 Vielzahl multitude 380, 423 Juan Luis Vives Vivès 422 Vogel oiseau 269, 390 Volk peuple 472, 483 Vollkommenheit perfection 395, 430, 442, 446 Vorderlauf pied de devant 269 Vorderseite le devant 261–263, 265, 270 Vorhof [des Herzens] oreille 231, 233, 234 Vorschrift précepte 223 Vorsehung providence 477; göttliche V. providence divine 438, 439 Vorstellung [eine einzelne] Imagination 343–345, 348, 422, 428, 441, 487 Vorteil avantage 448, 452, 454 Vorurteil préjugé 240. Waffe arme 367, 368 Wahl choix 459 wählen choisir 250, 440, W 459, 460 Wahrheit vérité 245, 267, 272, 328, 367, 368, 392 Wahrnehmung perception 342–350, 355, 359 Wald bois 454 Wärme chaleur 226–228, 231, 244, 251, 254, 260, 277, 280–282, 329, 330, 333, 334, 338, 342, 347, 402, 404, 405, 407–409, 418, 419, 460, 461, 468, 478, 480; le chaud 347; natürliche W. chaleur naturelle 330 Wasser eau 238, 262, 263, 286, 423, 424 Weg chemin 254, 255, 257, 259, 263– 266, 272, 278, 328, 439, 440 Wein vin 340, 389, 416; junger W. vin nouveau 254 Weisheit sagesse 445, 488; menschliche W. sagesse humaine 486 Welt monde 456 Weltregierung conduite du monde 477 Werk œuvre 477 Werkzeug outil 236 Wert valeur 431, 443, 444, 453 Wertschätzung estime 373, 374, 390, 443, 444, 457, 482 Wesen essence 388 Wetteifer émulation 375, 376, 460, 461 Wetter temps 398 Widerspruch répugnance 364, 455 Widerstand résistance 257, 261, 279, 280, 427, 487; W. leisten résister 254, 257, 270, 280, 367, 368, 399, 400, 462, 486 Wiederholung reprise 254, 419, 420 Wiege
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Gesamtindex Deutsch – Französisch
berceau 429 Wildtier bête brute 269 Wille volonté 224–226, 339, 341–344, 359–368, 372, 384, 385, 406, 407, 446, 449, 463, 464, 473, 474, 487; guter Wille bonne volonté 446, 447, 469, 470, 473, 475; schlechter Wille mauvais volonté 475 Willensakte volonté [pl.] 342, 343, 349, 350, 359, 364, 365, 445, 446 willentlich volontaire 225, 412; de volonté 387, 388, 391, 407, 418 freie Willkür libre arbitre 436, 439, 445, 447, 449, 450, 453, 454 Wind vent 227, 332 Wirbel jointure 265 Wirbelsäule espine du dos 257, 258, 261, 262, 264, 265, 269, 273, 285 Wirkung effet 242, 333, 347, 360, 361, 364, 365, 372, 382, 388, 390, 396, 410, 417, 418, 428, 438, 449, 479 das Wissen le savoir 446 Wissenschaft science 327, 385 Wohl bien 381, 389, 440, 488 Wohltat bienfait 474 Wohlwollen bienveillance 388 Wort mot 259, 331, 345, 348, 349, 359, 387, 428, 466, 473; parole 362, 369, 478 Wortgefecht dispute 240 Wucht impétuosité 276, 333, 419 Wunder merveille 268 Wundernetz rets admirable 270 kleiner Wurm vermisseau 394 Wurzel racine 246, 247, 248, 249, 252, 275, 278. Z Zahnfleisch gencive 265 Zauberschloß palais enchanté 344 äußeres Zeichen signe extérieur 411, 478 Zeichnung peinture 345, 348 Zeit temps 237, 240, 244, 254, 284, 332, 353, 361, 374, 395, 417, 418, 459, 484, 485, 487 Zentralbereich base 340 Zeugnis témoignage 458 Ziel fin 461–463 Zittern tremblement 411, 415, 416 Zorn colère 347, 364, 378, 379, 412, 415, 416, 448, 449, 477–481, 486, 487 zornig irascible 379 Zufall hasard 245, 435 Zufriedenheit satisfaction 437, 440, 442, 470, 471; contentement 400; innere Z. satisfaction intérieure 377, 482; Z. mit sich selbst satisfaction de soi-même 377, 471, 472 Zugriff accès 468 Zukunft avenir 375, 387, 392; temps à venir 376, 392 Zuneigung affection 389, 390, 426, 437, 444, 479; Z. haben affectionner 425 Zunge langue 263, 362 Zurückhaltung retenue 436 Zusammensetzung composition 247, 274 Zusammenstellung arrangement 253 Zustand état 367 Zustimmung consentement 387 Zuversicht assurance 375, 457 Zwang contrainte 484 Zweck effet 278, 329, 335, 361, 406, 417 Zweifel doute 240, 464 Zweig rameau 405 Zwerchfell diaphragme 408, 419, 428 zwingen contraindre 229, 256, 257, 268, 284, 359, 365, 419 Zwischenraum intervalle 255, 269.
René Descartes Der Briefwechsel mit Elisabeth von der Pfalz Der Briefwechsel zwischen Descartes (1596–1650) und Elisabeth von der Pfalz (1618–1680) gehört zu den eindrücklichsten philosophischen Dokumenten der Frühen Neuzeit.
Die rund 60 erhaltenen Briefe, welche die junge Prinzessin und der berühmte französische Philosoph von Mai 1643 bis Dezember 1649 austauschen, zeigen auf engstem Raum die wissen schaftlichen Auseinandersetzungen und gedanklichen Umbrüche im Europa des 17. Jahrhunderts. In Elisabeth von der Pfalz findet René Descartes eine äußerst gelehrte Briefpartnerin. Ihre scharfsinnigen und kritischen Fragen spornen ihn an, seine philosophischen Positionen zu vertiefen und in neue Wissensgebiete vorzustoßen. So gibt er nicht nur zu, einige Aspekte seiner Philosophie bisher ungenügend erklärt zu haben,
sondern legt sie in den Briefen zum ersten Mal detailliert dar: die Ver einigung von Geist und Körper, die Natur der Leidenschaften sowie die Bestimmung des höchsten Gutes oder der gerechten Regentschaft. Angeregt durch den Wissensdrang der Prinzessin liefert Descartes eigene Interpreta tionen wichtiger philosophischer Texte wie Senecas ›Über das glückliche Leben‹ und Machiavellis ›Der Fürst‹. Die Edition enthält erstmals eine vollständige deutsche Übersetzung der Korrespondenz zwischen Descartes und Elisabeth. Sie wird um eine Aus wahl philosophisch relevanter Briefe erweitert, die Descartes mit Königin Christina von Schweden (1626–1689) und mit seinem Freund, dem franzö sischen Diplomaten Pierre Chanut (1601–1662), wechselt. Erste vollständige deutsche Übersetzung des berühmten Briefwechsels zwischen Descartes und Elisabeth von der Pfalz aus den Jahren 1643 bis 1649: Der Briefwechsel mit Elisabeth von der Pfalz Französisch–Deutsch. Hrsg. von Isabelle Wienand und Olivier Ribordy. Übersetzt von Isabelle Wienand, Olivier Ribordy und Benno Wirz. PhB 659. 2015. Ca. XLII, 544 Seiten. 978-3-7873-2478-1. Leinen
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René Descartes Neuübersetzungen in der Philosophischen Bibliothek Die Passionen der Seele Vollständig neu übersetzt und herausgegeben von Christian Wohlers. PhB 663. 2014. CXVIII, 236 Seiten. 978-3-7873-2684-6. Leinen Die Prinzipien der Philosophie Lateinisch–deutsch. Vollständig neu übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Christian Wohlers. PhB 566. 2007. L XII, 711 Seiten. 978-3-7873-1697-7. Leinen 978-3-7873-1853-7. Kartoniert 978-3-7873-2041-7. eBook Discours de la méthode Im Anhang: Brief an Picot – Adrien Baillet: Olympica Französisch–deutsch. Übersetzt, mit einer Einleitung herausgegeben von Christian Wohlers. PhB 624. 2011. L X XVII, 218 Seiten. 978-3-7873-2148-3. Kartoniert 978-3-7873-2172-8. eBook Entwurf der Methode Mit der Dioptrik, den Meteoren und der Geometrie Übersetzt und herausgegeben von Christian Wohlers. PhB 643. 2013. L X XVI, 476 Seiten. 978-3-7873-2272-5. Leinen 978-3-7873-2273-2. eBook
Meditationen über die erste Philosophie Übersetzt und herausgegeben von Christian Wohlers. PhB 596. 2009. 112 Seiten. 978-3-7873-1886-5. Kartoniert 978-3-7873-2229-9. eBook Meditationen. Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen Vollständig neu übersetzt, mit einer Einleitung hrsg. von Christian Wohlers. PhB 598. 2009. 651 Seiten. 978-3-7873-1888-9. Leinen 978-3-7873-2195-7. Kartoniert 978-3-7873-2230-5. eBook Meditationen über die Grundlagen der Philosophie Lateinisch–deutsch. Vollständig neu übersetzt, mit einer Einleitung herausgegeben von Christian Wohlers. PhB 597. 2008. LVII, 214 Seiten. 978-3-7873-1887-2. Kartoniert 978-3-7873-2042-4. eBook Regeln zur Ausrichtung der Geisteskraft – Private Gedanken Lateinisch–Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Christian Wohlers. PhB 613. 2011. L X X XVII, 269 Seiten. 978-3-7873-1981-7. Leinen 978-3-7873-1983-1. eBook
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