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German Pages 493 Year 1996
JENS BORTLOFF
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
Schriften zum Völkerrecht Band 122
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Eine völkerrechtliche Bestandsaufnahme
Von Jens Bortloff
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Bortloff, Jens: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa : eine völkerrechtliche Bestandsaufnahme I von Jens Bortloff. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Völkerrecht ; Bd. 122) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1994/95 ISBN 3-428-08498-5 NE:GT
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Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-08498-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Meinen Eltern
"Alle unsere Länder stützen sich jetzt auf Demokratie als die Grundlage ihres politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. . .. Die KSZE hat maßgeblich dazu beigetragen, den Wandel herbeizuführen; nun muß sie an die Aufgabe herangehen, ihn zu gestalten." Aus der "Gipfelerklärung von Helsinki" der Staats- und Regierungschefs vom 10. Juli 1992
Vorwort Diese Arbeit, die von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfatischen Wilhelms-Universität Münster im Wintersemester 1994/95 als Dissertation angenommen wurde, nimmt eine völkerrechtliche Bestandsaufnahme der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vor. Daß dies ein Unterfangen war, bei dem sich herausstellte, daß dessen Umfang sich nach und nach bei vertiefter Auseinandersetzung mit dieser Materie immer vergrößerte, war zu Beginn nicht abzusehen. Jedoch erfordert eine komplexe Organisation wie die OSZE auch eine umfangreiche Untersuchung, insbesondere, wenn diese zum ersten Mal in der völkerrechtlichen Literatur vorgenommen wird. Bei der Erstellung dieser Arbeit hat der Verfasser viel gelernt: über das Völkerrecht, über die internationale Politik und vor allem über das Zusammenspiel dieser beiden Bereiche. Daher gereicht dieses Buch nicht nur völkerrechtlich Interessierten zum Nutzen, vielmehr auch Politologen und denen, die sich generell für die internationale Politik interessieren. Diese Zeilen werden in den Tagen um den 8. Mai 1995 geschrieben, also dem Tage, an dem sich das Ende des 2. Weltkrieges in Europa zum fünfzigsten Male jährte. Möge die OSZE in Zukunft einen noch wirkungsvolleren Beitrag zum Frieden in Europa und im OSZE-Gebiet leisten, als sie es bisher tat. Die Bedeutung der bisherigen Arbeit der OSZE ist jedoch nicht zu unterschätzen, auch wenn sie in der Öffentlichkeit nicht die Wertschätzung findet, die sie verdient. Diese Arbeit dient nicht zuletzt dem Anliegen, die Kenntnis über die OSZE zu erweitern und damit auch die
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Vorwort
Arbeit der OSZE zu unterstützen, damit auch weiterhin der Frieden in Europa und im weiteren OSZE-Gebiet bewahrt bzw. wiederhergestellt werden könne. In diese Arbeit hat abschließend als jüngste OSZE-Vereinbarung das Budapester Dokument vom Dezember 1994 Eingang gefunden. Ich danke Herrn Prof. Dr. Dr. Albert Bleckmann für seine Unterstützung dieser Arbeit. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Hans-Michael Wolffgang für die Übernahme des Zweitgutachtens. Schließlich möchte ich auch die hilfreiche Kooperationsbereitschaft des Auswärtigen Amtes erwähnen, welches mich bei der Informationssammlung unterstützte.
Münster, im Mai 1995
Jens Bortloff
Inhaltsverzeichnis Einleitung
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1. Teil
Vom Verhandlungsprozen zur Internationalen Organisation- Die geschichtliche Entwicklung des OSZE-Prozesses mit den Ergebnissen der OSZE-Veranstaltunge n
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1. Kapitel Die Grilndungsgeschichte der OSZE
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A. Ursprung des Gedankens eines Systems kollektiver Sicherheit in Europa ... ............ .....
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I. Ausgangslage nach dem 1. Weltkrieg ... .. .. ............... ...... .. ......... ............... .... ........ .. II. Versuche der UdSSR zur Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa .... ....... .. ... ........ ............ ......... ...... ... ........ ......... ..... .......... ......... ... .... .. .. .. ...... .... III. Propagierung des Gedankens einer europäischen Sicherheitskonferenz durch die UdSSR nach dem 2. Weltkrieg ... ..... .... .... .... ... ... .. ........ .......... .... .. .... ...... .... ..... ... .. ..
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B. Die Konstituierung der "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" ..
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I. Multilaterale Vorgespräche in Helsinki und die "Helsinki-Schlußempfehlu ngen" . 1. Multilaterale Vorgespräche (Helsinki-Konsultationen) ...... .............. ......... .. .... ... 2. Die Schlußempfehlungen der Helsinki-Konsultationen ......... .... .. .. .... .... ........ ... .. II. Eröffnung der KSZE in Helsinki .............. .... ..................................... ... .... ... ... ..... .. III. Kommissionsphase der KSZE in Genf ......... ... .. .. ...... .. .. .. ......... ... .... ... .... .. .. .. .. .. .. .. .. IV. Schlußphase der KSZE in Helsinki .... .. ... ..... ......... ...... ....... ..... .... ... ... ......... ......... ..
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C. Die Schlußakte von Helsinki ....... ... .... .. .. ........... .......... .... ...... .... .. ... ... ... ... ......... ... ........
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I. Inhalt .............. .... .... .. ...... ........................ ..... .................................. ........ .. .. ..... ...... 1. Überblick ....................... ......... ............... ........ ........ .... .... .... .... ... .. ... .. ... .............. 2. Regelungsinhalt des ersten Korbes .. ....... ... .. .... ........ ... ..... .... ..... ... .. ... ....... ......... . a) Der Prinzipienkatalog ........ ... .. ..... .. ..... .. ........ ... ...... ...... ... ...... ... ........... ... ....... aa)Das Prinzip I: Souveräne Gleichheit, Achtung der der Souveränität innewohnenden Rechte ...................... .... .. .... ... ............................... .... ..... ...... .. bb)Die Prinzipien II bis IV: Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt; Unverletzlichkeit der Grenzen und territoriale Integrität der Staaten ................ .. .. .. .. ..................... ... ... ....................................... ( 1) Das Verbot der Androhung oder Anwendung von Gewalt (Prinzip II) . (2) Unverletzlichkeit der Grenzen (Prinzip III) . ..... .... ........... ..... .. ..... ..... .. (3) Territoriale Integrität der Staaten (Prinzip IV) ... .... ....... ................... .. cc) Das Prinzip V: Friedliche Regelung von Streitlallen ..................... .. ...... ...
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Inhaltsverzeichnis dd)Das Prinzip VI: Nichteinmischung in innere Angelegenheiten .................. ee) Das Prinzip VII: Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit ........... ... ... ...... ...................................................... ............... ..... .... ff) Das Prinzip VIII: Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker.................................................................................................... .. gg)Das Prinzip IX: Zusammenarbeit zwischen den Staaten................... ......... hh)Das Prinzip X: Erfilllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben ............................................................................................ ii) Schlußbestimmungen des Prinzipienkataloges .. .............................. .......... b) Das Dokument über vertrauensbildende Maßnahmen und bestimmte Aspekte der Sicherheit und Abrüstung ........................ ....... ..................................... 3. Regelungsinhalt des zweiten Korbes .................. ................................................ 4. Regelungsinhalt des dritten Korbes ........................... ................................ ... ..... 5. Regelungsinhalt des vierten Korbes ....................... .... ............................... ......... II. Politische Auswirkungen und Bedeutung der KSZE-Schlußakte ......... ...... .... ...... .. 2. Kapitel Die erste Phase des OSZE-Prozesses (1975-1990)
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A. Erstes KSZE-Folgetreffen in Belgrad (4. Oktober 1977-9. März 1978) ............ ..........
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B. Ergebnisse der in Belgrad vereinbarten Expertentreffen .. .. .... .... ..... .. ... ... .. .. .. .. .. ... .. .. ....
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I. Expertentreffen von Montreux über friedliche Streitbeilegung (31 . Oktober • II. Dezember 1978) ..................................................... ............................... ......... II. Expertentreffen in Valletta über Zusammenarbeit im Mittelmeerraum (II. Februar- 26. März 1979) ........................................ ................................................. 111. Expertentreffen über wissenschaftliche Zusammenarbeit in Bonn und Harnburg (20. Juni - 28. Juli 1978 bzw. 18. Februar- 3. März 1980) ..................................
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C. Zweites KSZE-Folgetreffen in Madrid (11. November 1980- 5. September 1983) .....
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D. Ergebnisse der in Madrid vereinbarten Expertentreffen und der KVAE .......................
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I. Expertentreffen über friedliche Streitbeilegung in Athen (21. März· 30. April 1984) ....................................... ............................ ...... ........................................... II. Seminar über wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit im Mittelmeerraum in Venedig (16. Oktober- 26. Oktober 1984) ........................ 111. Expertentreffen über Menschenrechte in Ottawa (7. Mai· 17. Juni 1985) ............. IV. "Kulturforum der KSZE" in Budapest (15. Oktober- 25. November 1985) .......... V. Expertentreffen über menschliche Kontakte in Bem (l 5. April - 27. Mai 1986)..... VI. Konferenz über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa (KVAE) in Stockholm (17. Januar - 22. September 1986) ....................
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E. Drittes KSZE-Folgetreffen in Wien (4. November 1986- 19. Januar 1989) ................
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I. Die "Menschliche Dimension der KSZE" ............... ...................... ......................... I. Bestätigung der Grundsätze des Prinzipienkataloges .... ............................. ... ..... 2. Freizügigkeit und Recht auf Ausreise .. ...................... ............................... ......... 3. Diskriminierungsverbot ....................................................................... ...... ........ 4. Schutz nationaler Minderheiten ........................... ...... ................................ ........ 5. Todesstrafe ... .... ................ ....... .......................... .................................... .... ........
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Inhaltsverzeichnis 6. Mechanismus zur Überprüfung der Bestimmungen über die Menschliche Dimension der OSZE ...... .... .................... ........... .. ..... ....................... ......... ....... ..... II. Vereinbarungen bezüglich Fragen der Sicherheit ................................................... 1. Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE) ................. 2. Verhandlungen über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen (VVSBM) ............................................................................................. ............ III. Vereinbarung von Spezialtreffen ........................................................................... 1. Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE .......................... ............ 2. Wirtschaftskonferenz, Expertentreffen ............................................................... 3. Viertes KSZE-Folgetreffen ................................................................................
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F. Ergebnisse der in Wien vereinbarten Spezialtreffen ........................................ .............
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I. KSZE-Informationsforum in London (18. April- 12. Mai 1989) ........................... II. Erstes Treffen der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE in Paris (30. Mai- 23. Juni 1989) ............................................................................. III. Umweltschutztreffen der KSZE in Sofia (16. Oktober- 3. November 1989) ......... IV. Erstes Expertenseminar über Militärdoktrinen in Wien (16. Januar-S. Februar 1990) .................................................................................................................... V. Konferenz über wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bonn (19. März- 11. April 1990) ..... ............................................................................................................... VI. Zweites Treffen der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE in Kopenhagen (5. Juni- 29. Juni 1990) ................................................................... 1. Ausgangslage .............. ........ ... ......... ..... ... .............. ................. .. ...... .. ... ... .. . ..... .. . 2. Das Abschlußdokument ........................................ ............................................ a) 1. Themenbereich =Teil I (Rechtsstaatlichkeit und Demokratie)- Einbeziehung in die Menschliche Dimension der OSZE .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... ... . b) 2. Themenbereich = Teil II (Menschenrechte und Grundfreiheiten) ............... c) 3. Themenbereich =Teil III (Demokratische Werte und Institutionen) .......... d)4. Themenbereich = Teil IV (Minderheitenschutz) ........................................ e) 5. Themenbereich =Teil V (Verfahrensfragen zur Menschlichen Dimension) .................................................................................................. ............ VII. Treffen über den Mittelmeerraum in Palma de Mallorca (24. September- 19. Oktober 1990) .. .... ...... ...... .. .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .... .. . .. . .... .. .. .. . .. .. .... .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . VIII. Treffen der Außenminister der KSZE-Staaten in New York (I. und 2. Oktober 1990) ....................................................................................................................
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3. Kapitel Die l. Phase des OSZE-Prozesses
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A. Die "Charta von Paris filr ein neues Europa" ..............................................................
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I. Überblick .............................................................................................................. ll. Der 1. Abschnitt der Charta von Paris .... .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . lll. Der 2. Abschnitt der Charta von Paris ................................................................... IV. Der 3. Abschnitt der Charta von Paris ........................................................... ........ 1. KSZE-Folgegreffen ........................................................................................... 2. Rat der KSZE ......................................... ............................................... .... ........ 3. Ausschuß Hoher Beamter......................................... ......................................... 4. KSZE-Sekretariat in Prag .... .. .. .. .. .. .. .. .... .. ... .. .... .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... ......... 5. Konfliktverhütungszentrum in Wien...................................................... ............ 6. Büro filr freie Wahlen in Warschau ...................................................................
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Inhaltsverzeichnis
B. "Wiener Dokument 1990" der Verhandlungen über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen.............................................................. .............................................. I. Allgemeines .......................................................................................................... Il. Vereinbarungen des ,.Wiener Dokuments 1990" ................................................... 1 Informationsaustausch ... ... ............ .......... ........... ..... ..... ....................... ... .......... 2. Mechanismus für Konsultationen und Zusammenarbeit in bezug aufungewöhnliche militärische Aktivitäten..................... ........................................... ... 3. Verfahren der Zusammenarbeit bei gef"ahrlichen Zwischenfallen militärischer
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Militärische Kontakte ...................................................................................... Vorherige Ankündigung bestimmter militärischer Aktivitäten ............... .......... Beobachtung bestimmter militärischer Aktivitäten ........................................... Erstellung von Jahresübersichten .......................... .................................. ......... Beschränkung der Durchführung militärischer Aktivitäten .............................. Verifikation der Einhaltung der Bestimmungen über VSBM ............................ a) Inspektion .. .. .... ..... . ... ... .................................. .. ..................... .......... ... ........ .. b) Überprüfung ................... ............................................................................. c) Klarstellung ...... ... ... .. .... .... .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .... . 10. VSBM-Kommunikationsnetz ............................... ........................ .............. ...... 11. Einrichtung eines jährlichen Treffens .................... ................................. ..........
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C. Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) vom 19. November 1990 ....... ..................................................................................................... .........
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I. Das Schicksal des Vertrages nach Auflösung des Warschauer Paktes und der UdSSR sowie sein lokrafttreten ........................................ .................. ........ ........... II. Abrüstungsvereinbarungen ... ...................................... ................................... ........ I. Ursprüngliche Abrüstungsvereinbarungen .. .. .. .. .. .. .. .. .... .... .. .. .. .. ..... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 2. Anpassung der Bestimmungen des KSE-Vertrages ............................................ III. Verifikationsvereinbarungen .. ... .. .... .... .... ...... ... .. .. .. .. . ... .. .. ... ... . .... .... .... ... .. .. .. .. .. .. . .. l. Offenlegung der Streitkräftestruktur .................... ............... ................ .. .......... .. 2. Bestimmungen über die Reduzierung der Waffen ............................................ .. 3. System von Inspektionen .. .................................... .. ........................................... 4. Verifikation durch Satellitenaufklärung ................ .................................. .......... IV. "Gemeinsame Beratungsgruppe" ........................................................................... V. Fortsetzung der Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa...........
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D. Ergebnisse der Spezialtreffen gemäß der Charta von Paris und der nachfolgenden KSZE-Treffen ............................................................................ ........................... .... ..
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4. S. 6. 7. 8. 9.
Art ········································································· ···································· ······
I. Expertentreffen über die friedliche Regelung von Streitfallen in Valletta (I S. Januar- 8. Februar 1991) .......... .............................................................. ........ ......... II. Symposium über das kulturelle Erbe der KSZE-Teilnehmerstaaten in Krak.au (28. Mai- 7. Juni 1991) .................................................... ........................................... l. Erster Abschnitt: ,.Kultur und Freiheit" ........ .... .. .. .. .. .......... ...... ........ .... .. .. .. ...... . 2. Der materielle Kulturgüterschutz ........................ .......... .................................... a) Zweiter Abschnitt "Kultur und kulturelles Erbe"........................................... b) Dritter Abschnitt "Hauptgebiete bei der Bewahrung und Zusammenarbeit" .. . III. Gründung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Madrid (I.- 3. April 1991) .... ..................................................................... .................................. ......... IV. Erstes Treffen des KSZE-Rates in Berlin 1991 ...................................................... V. Expertentreffen über nationale Minderheiten in Genf(!.- 19. Juli 1991) ..............
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Inhaltsverzeichnis
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VI. Drittes Treffen der Konferenz Ober die Menschliche Dimension der KSZE in Moskau (10. September- 4. Oktober 1991) .......................................................... 1. Vereinbarungen Ober Verfahren zur Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen Ober die Menschliche Dimension der OSZE .......................... .. .. ........... a) Änderungen des "Mechanismus zur Menschlichen Dimension" ..................... b) Verfahren der Expertenmission und der Berichterstatter (Moskauer Mechanismus) ................................................................................................ ......... 2. Materielle Bestimmungen des Moskauer Dokuments ........................................ a) Fragen der Menschlichen Dimension der OSZE als international berechtigtes Anliegen ......................... ...... ... ...... ........ .......... .... ..... .. .. ....................... .......... b) Einzelbestimmungen ....... ..... ......... .. ... ... .......... ...... ... ... ........................ .......... VII. Zweites Expertenseminar Ober Militärdoktrinen in Wien (8.- 18. Oktober 1991) .. VIII. Expertenseminar Ober demokratische Institutionen in Oslo (4.- 15. November 1991) ....................................... ............................................................................. IX. Zweites Treffen des KSZE-Rates in Prag (30./31. Januar 1992) ........................... 1. Ausschuß Hoher Beamter als Koordinierungsorgan der KSZE .......................... 2. Vereinbarungen hinsichtlich der Menschlichen Dimension ................................ a) Büro filr Demokratische Institutionen und Menschenrechte ........................... b) Maßnahmen der OSZE bei groben Verletzungen von Bestimmungen über Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ........................ .. .......... 3. Wirtschaftliche Zusammenarbeit- der AHB als "Wirtschaftsforum" ............... 4. Krisenbewältigung, Konfliktverhütung und Konfliktlösung ............................... 5. Beziehungen der KSZE zu Internationalen Organisationen................................ X. "Wiener Dokument 1992" der Verhandlungen Ober Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen .................. .............................................................................. 1. Änderungen bereits vereinbarter VSBM ............................................................ 2. Neu hinzugekommene VSBM ............................. ......... ..................................... a) Freiwillige Veranstaltung von Besuchen zur Beseitigung von Besorgnissen über militärische Aktivitäten ............................................................... .......... b) Vorfilhrung neuer Typen von Hauptwaffensystemen und Großgerät ..............
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E. Viertes KSZE-Folgetreffen in Helsinki und das "Helsinki-Dokument 1992" (24. März- 9. Juli 1992) ....................................................................................................
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I. Gipfelerklärung von Helsinki . ..... ....... ... ....... ...... ... .... ..................... .. .. .. . .. .. .. ..... .... . II. BeschiOsse von Helsinki ...... ..... ...................................................................... ....... I. Stärkung bereits bestehender KSZE-Institutionen ... ..................... .. ... ... .............. a) Treffen der Staats- und Regierungschefs und Überprüfungskonferenzen ........ b) KSZE-Rat ..................................................................................................... c) Ausschuß Hoher Beamter (AHB) .................................................................. 2. Schaffung neuer Institutionen ............... ...... ........................ ............................... a) Amtierender Vorsitzender ....................................... .... ................................... b) Hoher Kommissar filr nationale Minderheiten ............................................... c) Wirtschaftsforum der KSZE .......................................................................... d) KSZE-Forum filr Sicherheitskooperation .......................................... ... .......... aa)Einrichtung des Forums filr Sicherheitskooperation ................................. bb)Beschluß über weitere Verhandlungen Ober Fragen der Sicherheit............ cc) Vereinbarung eines "Sofortprogramms" ................................................... 3. Neuartige Verfahrensweisen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung .. .. .. 4. Regelung der Beziehungen der KSZE zu Internationalen Organisationen, nichtteilnehmenden Staaten und nichtstaatlichen Organisationen .............................. a) Beziehungen zu Internationalen Organisationen, insbesondere zu den Vereinten Nationen ............. ................................. ............................................... b) Beziehungen zu nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten .. .. .. .. .. .. .. .. .. ...... .. .. .... .
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Inhaltsverzeichnis c) Beziehungen zu nichtteilnehmenden Staaten und die Sonderrolle Japans........ d) Rolle der Öffentlichkeit und der nichtstaatlichen Organisationen................... aa)lnformation der Öffentlichkeit ................................................................. bb)Einbeziehung nichtstaatlicher Organsialionen .................................... ...... cc) KSZE-Preis ........................................................................................ ...... 5. Bestimmungen über die Menschliche Dimension der OSZE ..................... ......... a) Überprüfung der Implementierung der Bestimmungen über die Menschliche Dimension ...... ........ .. ............. ........ ... ...... ........... ............................... .... ... ..... . b) Stärkung der Institutionen und Verfahren der KSZE in bezug auf die Menschliche Dimension .. ............... .................... ............. ..... ........... ...... ... ... ... aa)Das BDIMR als Hauptinstitution der Menschlichen Dimension ............... bb)Änderungen des Mechanismus der Menschlichen Dimension.................... cc) Einrichtung eines jAhrliehen Implementierungstreffens über Fragen der Menschlichen Dimension . .. ........ ..... .. ...... ... .. . ... ... ... ........ ... ............. ........ .. c) Ergänzungen zu den materiellen Bestimmungen der Menschlichen Dimension ............................................................. .............................................. 6. Bestimmungen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit ................................. 7. Bestimmungen über den Umweltschutz .................................................. .......... 8. Die KSZE und regionale sowie grenzüberschreitende Zusammenarbeit ............ 9. Programm zur koordinierten Unterstützung kürzlich aufgenommener Teilnehmerstaaten .. .. ......... .... ... ............. .... ................. .......................... .......... .. ... ... IO.Administrative Beschlüsse ...................................................................... .........
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F. Vertrag über den Offenen Himmel ("Open-Skies"-Vertrag) ............................... .........
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I. Allgemeines .......................................................................................................... II. Inhalt des Vertrages .............................................................................................. III. Politische Bedeutung des Vertrages .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. ..... .... .. IV. Mögliche Nutzung des Regimes "Offener Himmel" in der Zukunft ................. ...... I. Verifikation von Abrüstungsverträgen ............................................................... 2. Konfliktverhütung und Krisenbewältigung ............... ...................................... ,.. 3. Umweltschutz..................... ...............................................................................
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G. Abschließende Akte der Verhandlungen über Personalstärken der Konventionellen Streitkräfte in Europa vom 10. Juli 1992 ...................... .................................... ..........
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I. Allgemeines ................................................................................................ .......... II. Inhalt der Akte .. .. .... .. .... ...... .. .. .. .. .. .. .... .. .. .... .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. I. Begrenzung des militärischen Personals .. .. .... .. .. .... .............. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 2. Informationsaustausch ....................................................................................... 3. Verfikation der Einhaltung der Verpflichtungen ................................................
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H. Erste Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Budapest (3. 5. Juli 1992) .................................. ....................................................................... ......
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J. Drittes Treffen des KSZE-Rates in Stockholm (14. und 15. Dezember 1992) ..............
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I. Erörterung aktueller politischer Probleme mit KSZE-Bezug ................................. II. Beschlüsse zur Weiterentwicklung der KSZE-Institutionen und -Verfahren .......... I. Einrichtung des Amtes eines Generalsekretärs der KSZE .................................. 2. Änderungen des KSZE-Streitbeilegungsmechanismus .............................. ......... 3. Vorlage eines "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" ................................................. ................................................ 4. Vereinbarung eines Vergleichsverfahrens ..........................................................
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Inhaltsverzeichnis
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5. Verfahren des "Vergleichs auf Anordnung" ....................................................... 6. Planungen der KSZE in bezugaufzukünftige Strukturen..................................
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K. Expertenseminar über"Verteidigungsplanung in einer parlamentarischen Demokratie" in Wien (31. März- 2. April 1993) .............................................................. ........
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L. Zweite Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Helsinki (6. -
9. Juli 1993) ..................................................................................................... ........ ..
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M. Viertes Treffen des KSZE-Rates in Rom (30. November- l. Dezember 1993) ............
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I. Erörterung aktueller politischer Probleme mit KSZE-Bezug ................................. II. Erarbeitung von Regeln über die Beteiligung von Drittstreitkräften im Rahmen einer Konfliktbewältigung ..... ......... ... .. .. .................. .. ....... ...... ..................... .......... III. Stärkung der Menschlichen Dimension der OSZE ............ ..................................... IV. Strukturreform der KSZE-Institutionen ............................... ...................... ............ V. Vereinbarungen über Rechtsfähigkeit der OSZE-Institutionen sowie über Vorrechte und Immunitäten .......... ....... .... .. ...................... ....... ... ..... .. .. .... ........... .......... VI. Erklärung über aggressiven Nationalismus, Rassismus, Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus ................................................................ ..........
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N. Treffen der Staats- und Regierungschefs von Budapest (5./6. Dezember 1994) ...........
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I. Umbenennung in OSZE und andere organisatorische Beschlüsse ..... ... ........ .......... II. Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit ........... .......... III. Stärkung der Zusammenarbeit im Rahmen der Menschlichen Dimension der OSZE ........................... .............. ........................................................................... IV. Stärkung der wirtschaftlichen Dimension der OSZE .. .............,......... ........... .......... V. Zusammenarbeit im Mittelmeerraum ......................................... ... ......................... VI. Beschlüsse zu aktuellen politischen Fragen .................................................. .........
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2. Teil
Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen mit einem Vergleich völkerrechtlicher Normen
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1.Kapitel ZwischenstaatHebe Beziehungen unter dem Aspekt der Friedenssicherung (ohne Abrlistung und VSBM)- Grundsatz der demokratischen Le&itimität der Regierung
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A. Grundlegende Prinzipien ausgehend vom Prinzipienkatalog der KSZE-Schlußakte .. ...
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I. Souveräne Gleichheit der Teilnehmerstaaten ........................................................ . II. Das Gewaltverbot .. .. .. .. ... .. .. .. . .... .... ... .. .. .. .. .. .. .. ... .. .. .... .. .... .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... . .... ...... l. Problematik der Zwangsmaßnahmen unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt .............................................................................................................. 2. Verbot von "Gewaltmanifestationen" ................................................................ 3. Verbot gewaltsamer Repressalie.................................. .. .................................... 4. Problematik der physischen, nichtmilitärischen Gewalt ..................................... 5. Bürgerkrieg und Gewaltverbot - Problematikdes Eingriffs von Drittstaaten in interne Konflikte .. .. .. .. . .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... . .... .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. a) Staatenpraxis ................ .. ................ . .... .......... .... ................ ... .. ... ........ ............
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Inhaltsverzeichnis b) Lehre............................................................................................................. c) Resolutionen der UN-Generalversarnmlung ................................................... aa)"Fricndly Relations-Declaration" (FRD) .................................................. bb)Deklaration über die Unzulässigkeil von Interventionen in innere Angelegenheiten eines Staates . .... .. ... .... .. ...... ... .. ........ ... ... ................ .. .. ..... .... .... cc)Resolution 45/151 .................................................................................... d)OSZE-Regeln ........................................................................................ ........ 6. Anwendbarkeit des OSZE-Gcwaltverbotprinzips auf innerstaatliche Konflikte ................................................................................................................. a) Völkerrechtliche Lage ................................................................................... aa)Anknüpfungspunkt völkerrechtliche Staatsqualität .................................. bb)Geltung des Völkerrechts fUr Staaten in statu nascendi ............... ............ b) OSZE-Aussagen zu dieser Problematik ......................................................... 111. Friedliche Regelung von Streitflillen ..................................................................... IV. Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker ................................. 1. Völkerrechtliche Geltung und Inhalt des Selbstbestimmungsrechts .................... a) Das Selbstbestimmungsrecht als völkerrechtlicher Rechtssatz ....................... b) Potentielle Träger des Selbstbestimmungsrechts ......................... ................... aa) Kolonialbevölkerung . ........... ........................ ............... ................ ............. bb)Nichtkoloniale Völker unter Fremdherrschaft .......................................... cc)Gesamtes Staatsvolk eines souveränen Staates......................................... dd)Minderheiten in einem Staat..................................................................... ee) Nation...................................................................................................... c) Inhalt und Reichweite des Selbstbestimmungsrechts ......... ... ... .. .. ..... .. ............ aa) Externes Selbstbestimmungsrecht ..................... .... ................. ... .... ....... ..... bb)lnternes Selbstbestimmungsrecht .............................................................. (I) Minderheiten ........ .................................. ............... . ............ .... .. .......... (2) Staatsvolk ............................................................................... ........... 2. Erweiterung des internen Selbstbestimmungsrechts der Völker in der OSZE durch die Konstituierung des Grundsatzes der demokratischen Legitimität der Regierung ......................................................................................................... a) Demokratie ............................................. ........ .............................................. aa)Piuralismus .............................................................................................. bb)Freie Wahlen als Reprisentation des Volkswillens ................................... b) Rechtsstaatlichkeil ............ ... ... ........ .................. ................................... .... ..... aa) Der Begriff des Rechtsstaates als internationaler verfassungsrechtlicher Begriff ..................................................................................................... bb)Die Rechtsstaatskonzeption der OSZE ..................................................... (1) Demokratie als Bestandteil der Rechtsstaatlichkeil .................. .......... (2) Formelle und materielle Aspekte der Rechtsstaatlichkeil .................... (a) Formelle Rechtsstaatlichkeil ........................................................ (b) Materielle Rechtsstaatlichkeil - Menschenrechte und Grundfreiheiten ........................................................................................... c) Minderheitenschutz ....................................................................................... aa) Bekräftigung völkerrechtlicher Verpflichtungen - Menschenrechtsund Minderheitenschutz als berechtigtes internationales Anliegen ............ (1) Universeller Minderheitenschutz ........................................................ (a) Völkermord-Konvention............................................................... (b) Obereinkommen zur Beseitigungjeder Form von Rassendiskriminierung . .. ....... .. ................. ................ ...................... ............ ...... .... (c) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) ................ .. ....... ... .... .................... .. .. ................... ... .... ... .. (d) UN-Minderheitenschutz-Deklaration vom 18. Dezember 1992 ..... (2) Regionaler Minderheitenschutz ............... .............................. .............
185 186 186 186 187 187 190 191 192 193 200 20 I 206 207 207 212 213 214 215 216 218 218 219 219 220 221 223 225 226 234 240 242 247 247 248 249 255 258
258 260 261 261 261 262 264
Inhaltsverzeichnis
17
(a) Art. 14 EMRK .... ......................................................................... (b) Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen...... (c) Bemühungen um ein Minderheitenprotokoll zur EMRK ............... bb)Das Minderheitenschutzkonzept der OSZE .............................................. ( 1) Materielle Minderheitenschutzbestimmungen ... . .. .. .. ....................... ... . · (a) Motive des Minderheitenschutzes ................................................. (b) Begriffder Minderheit.................................................................. (c) Recht zur allgemeinen Entfaltung der Eigenständigkeil der Minderheit ......... ................................................................................. ( d) Allgemeines Diskriminierungsverbot ... ..... ....... .. .. ... ...... .... . .. ........ . (e) Verbot der Zwangsumsiedlung ..................................................... (f) Spezifische Minderheitenrechte .................................................... (g) Staatenverpflichtungen zur Schaffung minderheitenfreundlicher Bedingungen ................................................................................ (h) Fakultative Maßnahmen und Methoden zur Verbesserung der Lage von Minderheiten ..................................................................... (i) Anerkennung der Tätigkeit nichtstaatlicher Organisationen · ......... (j) Schutz der territorialen Integrität der Staaten ............................... (2) Verfahren zur Überprüfung und Durchsetzung der Minderheitenschutzbestimmungen ........................... . ....... . ...................................... 3. Das Legitimitätsprinzip im Völkerrecht ............................................................. a) Der Gedanke der Legitimität der Regierung im hergebrachten Völkerrecht ... aa)Charta der Vereinten Nationeil ................................................................. bb)"Friendly Relations-Declaration" .......... ................................................... cc) Internationaler Gerichtshof ...................................................................... dd)KSZE-Schlußakte von Helsinki ................. ...... .... .. .................................. b) Ansätze zur Bildung eines Legitimitätsgrundsatzes im Völkerrecht ............... aa)Entwicklung im universellen Völkerrecht ........... ..................................... (1) Tobar-Doktrin .... ................................. ........... ...... .............................. (2) Art. 21 Abs. 1 und 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. (3) Art. 25 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte......................................................... ....................................... (4) Resolutionen der UN-Generalversammlung ........................................ (a) "Friendly Relations-Declaration" ................................................. (b) Resolution 36/162 vom 16. Dezember 1981 ................................ (c) Resolution 45/150 vom 18. Dezember 1990 ...................... .......... (5) Etablierung demokratischer Staatsordnungen durch Unterstützung der Vereinten Nationen ......................................... ............................. (a) Wahlüberwachung ........................................................... ............ (b) Einrichtung einer demokratischen Staatsordnung durch die Vereinten Nationen selbst .................................................................. bb)Entwicklung im partikulären Völkerrecht ................................................ (1) Organisation Amerikanischer Staaten ......... ....................................... (2) Europarat ............................................................. ..................... ......... (3) Europäische Union ................................................................ ............. 4. Ist das Legitimitätsprinzip ein anzustrebender Grundsatz des Völkerrechts?...... a) Problematik der Anerkennung von Regierungen .................................. .......... b) Problematik der "demokratischen Intervention" ............................................
264 264 265 266 266 266 268
B. Das OSZE-Konzept der "kooperativen Sicherheit" . .......................................... ...........
300
2 Bonloff
273 273 273 274 274 275 275 276 276 278 278 279 279 279 280 280 281 281 282 282 284 284 285 285 287 287 288 289 289 290 290 292 293 294
18
Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel Die wirtschaftUche Dlmeasion
A. Wirtschaftliche Zusammenarbeit ................................................................................. I. Grundsätze und Ziele filr die nationale Wirtschaftsverfassung und die internatio-
308 309
nale wirtschaftliche Zusammenarbeit .. .................... .. ..................... ............. ..... ..... l. Grundsätze und Ziele filr die nationale Wirtschaftsverfassung .............. ............. a) Marktwirtschaft als einzige Wirtschaftsordnung ............................................ b) Interdependenz von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftlichem Wohlstand .................. ... ............... .. ..... .. ............ .......... .......... .............. .......... c) Die Rolle des Staates und die Rechte des einzelnen ....................................... d) Ziele der wirtschaftlichen Entwicklung .. .. .. ..... .. .. ..... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..... .. .. .. .. .. 2. Grundsätze filr die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit .................... II. Zusammenarbeit aufkonkreten Gebieten ..............................................................
309 309 309
B. Umweltschutz ....... .. ....... ....... ......... ...... .. ........ ................ .. ............. .................... ..... . .. ...
315
C. Wissenschaft und Technik............................................... ................................... ..........
317
3. Kapitel Andere Bereiche der Zusammenarbeit
310 310 311 312 314
318
A. Kultur ....................................................................................................................... ..
318
I. Kultur und Freiheit . .. .. .. ... .... .... .. .. .. ... ... ... .. ... .. ...... .. ... .. .. .. .. .. ...... .. .. ...... .. .. .. .. .. ...... .. II. Kulturgüterschutz .................................................................................................
319 320
B. Wanderarbeitnehmer ...................................................................................................
320
C. Mittelmeerraum .. ............... ..... ................ .......................................................... ..... .....
321
3. Teil
Die Rechtsnatur, Bindungswirkung sowie völkerrechtliche und innerstaatliche Relevanz der OSZE-Verpflichtungen
322
l. Kapitel Arten der OSZE-Verelnbarun.:en
323
A. Unterscheidung nach der Ebene der Abschlußorgane ...................................................
323
I. Vereinbarungen aufEbene der Staats- und Regierungschefs ..................... ............. II. Vereinbarungen auf Außenministerebene .............................................................. 111. Vereinbarungen aufBeamtenebene .......................................................................
323 323 323
B. Unterscheidung nach dem Inhalt der Vereinbarungen ..................................................
324
I. Verpflichtungintendierende Vereinbarungen ......................................................... II. Absichtmanifestierende und grundsatzstatuierende Vereinbarungen ......................
325 326
Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel Die OSZE-Normen im Völhrrecht
19
326
A. Völkervertragsrecht .....................................................................................................
327
B. Völkergewohnheitsrecht ................ .............................. .................................... ............
329
I. Völkergewohnheitsrecht nach "klassischem" Verständnis ..................................... 1. Staatenpraxis . ........................ ................................ ............................ ... .... ......... 2. opinio iuris ............................................................................. ....... .... ..... .......... II." ,Instant' Customary Law" .................................................................................. III. Völkergewohnheitsrecht durch Rechtssatzbehauptung ................................. .......... IV. Die OSZE-Verpflichtungen als Völkergewohnheitsrecht in statu nascendi ...........
329 330 334 337 338 338
C. Die OSZE-Normen als außerrechtliche Übereinkünfte ................................................
341
I. Außerrechtliche Verpflichtungen, die völkerrechtlichen Pflichten entsprechen ...... II. Außerrechtliche Verpflichtungen, die über völkerrechtliche Pflichten hinausgehen........................................................................................................................ l. Der politisch-moralische Autoritätsgrad der OSZE-Vereinbarungen................... a) Aussagen über den Charakter der Verhaltensnormierungen ........................... b) Umfeld bei der Festlegung der OSZE-Normen ............................................... c) Bestätigung durch völkerrechtliche und politische Akte ................................ d) Konsens ........................... .................................................................... .......... e) Sanktionierung der Nichteinhaltung von OSZE-Verpflichtungen ................... 2. Das Vertrauensprinzip und der Grundsatz von Treu und Glauben als Anknüp· fungspunkte der völkerrechtlichen Relevanz außerrechtlicher Verpflichtungen .. 3. Wirkung der OSZE-Verpflichtungen als außerrechtliche Übereinkunft aufdie Erfilllung völkerrechtlicher Pflichten sowie auf innerstaatliche Entscheidungen .................................................................................................................... a) Ermessensbegrenzung bei der Auslegung aufOSZE-Staaten begrenzter völkerrechtlicher Verpflichtungen ................................... ...... ............................. b) Ausschluß der Berufung auf die Völkerrechtswidrigkeit oder Unverbindlichkeit der OSZE-Verpflichtungen ..................................................................... c) Auslegungshilfe und Vorgabe fllr innerstaatliche Entscheidungen..................
342 344 344 344 346 348 348 349 349 359 360 365 368
4. Teil
Die Organisation und Struktur der OSZE
370
1. Kapitel Die Institutionen der OSZE
370
A. Überblick ....................................................................................................................
370
B. Rechtsfähigkeit, Vorrechte und Immunitäten .................................................. .............
372
I. Rechtsfähigkeit der OSZE-Institutionen .................... ........................ .,.................. II. Vorrechte und Immunitäten ...................................................................................
372 373
C. Die Institutionen im einzelnen.....................................................................................
374
I. Treffen der Staats· und Regierungschefs ...............................................................
374
20
Inhaltsverzeichnis
II. Überprüfungskonferenz ........................................................................... .............. ·111. OSZE-Ministerrat ................................................................................................. IV. Der Hohe Rat ........................................................................................................ 1. Der Hohe Rat als operatives Leitungsgremium der OSZE ................................. 2. Der Hohe Rat als "Wirtschaftsforum" der OSZE ............................................... V. Ständiger Rat ........................................................................................................ VI. Amtierender Vorsitzender ..................................................................................... VII. Hoher Kommissar fOr nationale Minderheiten ....................................................... 1. Aufgaben und Befugnisse des Hohen Kommissars .......................................... ... a) Ausschlußgründe fllr eine Befassung durch den Hohen Kommissar ............... b) Voraussetzungen fllr eine Befassung durch den Hohen Kommissar................ aa)Konfliktsituation vor dem Frühwarnstadium (Vor-Frühwamstadium)....... bb)Frühwamungserklärung im Frühwarnstadium .......................................... cc)Frühmaßnahmen des Hohen Kommissars ................................................. 2. Hilfsmittel des Hohen Kommissars .................................................................... 3. Stellung des Hohen Kommissars........................................................................ a)Zusarnmenarbeit mit dem Amtierenden Vorsitzenden und dem Hohen Rat .... b) Unabhängigkeit der Tätigkeit ........................................................................ c) Vertraulichkeit und Unparteilichkeit der Tätigkeit ........................................ d) Persönliche Anforderungen an das Amt ......................................................... VIII. GeneralsekretAr der OSZE ....... ................................................................ ............. I. Aufgaben .......................................................................................................... a) Oberster Verwaltungsbeamter der OSZE ....................................................... b) Vertreter des Amtierenden Vorsitzenden........................................................ 2. Stellung des GeneralsekretArs ............................................................................ IX. OSZE-Sekretariat ..................................................................................... ............. X. Büro fOr Demokratische Institutionen und Menschenrechte ................ ................... 1. Aufgaben des BDIMR ....................................................................................... 2. Stellung und Organisation des BDIMR ............................................................. XI. Forum fOr Sicherheitskooperation ........................... ................. ............................. 1. Aufgaben im Bereich der Verhandlungen über Sicherheitsfragen ...................... 2. Aufgaben im Bereich der Konfliktverhütung ....... .................................... .......... XII. Parlamentarische Versammlung der OSZE ............................................................
375 375 376 377 378 380 381 383 383 383 384 384 384 385 385 386 386 386 387 387 389 389 389 389 390 390 391 391 393 394 394 396 396
D. Die OSZE als Internationale Organisation ..................................................................
398
2. Kapitel Die Mitwirkungsmögllc:hkeiten in der OSZE
404
A. Mitwirkung von Staaten .. .. .. .. .. .. .. .. ... ... ...... .. ............................. ... .... ..... .. .. .... .. .... .. .... .. .
404
I. Teilnehmerstaaten .............................................................................................. ... 1. Bezeichnung "Teilnehmerstaat" ........................................................................ 2. Status ................................................................................................................ 3. Aufnahme ...................... ..... ............... ... ... . ... .. .. ........ .................... ........... . ... ..... . a) Aufuahmebedingungen .................................................................................. aa)Geographische Bedingungen .................................................................... bb)Politische Bedingungen ............................................................................ b) Aufnahmeverfahren ........ ....... .... .. ........ .. .... .. ...... ..... .. ....................... .... ....... ... 4. Ausschluß und Suspendierung der Teilnahme ................................................... II. Beobachter . .. .... ... .... ... ...... ...... .. ... ........ ......... .... ...... . .. ......... .. .... ........... .. ....... ...... . .. 111. Nichtteilnehmende Mittelmeerstaaten .................................................................... IV. Nichtteilnehmende Staaten und die Sonderrolle Japans ............................ .............
405 405 405 406 406 406 406 407 407 409 410 411
Inhaltsverzeichnis
21
I. Interessierte nichtteilnehmende Staaten ... ... .... .. ... .. .. ....... ... ...... ....... .. ..... .. . ... ...... 2. Schlichte nichtteilnehmende Staaten..................................................................
412 413
B. Mitwirkung Internationaler Organisationen ...... ........ .... .. .... ... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... ..
413
I. Die Beziehungen der Vereinten Nationen zur OSZE ............................................ I. Die OSZE als regionale Abmachung i. S. des Kapitels VIII der UN-Charta ...... a) Begriff der regionalen Abmachung .. ...... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... ...... .. .. ............ .... .. .... b) Status der OSZE als regionale Abmachung .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .... .... .. .... .. . aa)Zustlndigkeit bei örtlichen Streitigkeiten................................................. (I) Verhältnis des ON-Sicherheitsrates zur regionalen Abmachung.......... (2) Begriff der Streitigkeit ............................................. ,......................... bb)Zulässige Maßnahmen der Abmachung.................................................... (I) Autonome Maßnahmen der Regionalstaaten .............................. ......... (2) Zwangsmaßnahmen .......................... ...... ................................ ... ......... (a) Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ... (b) Verzicht der OSZE auf Zwangsmaßnahmen ................................. cc) Berichterstattungspflicht .......................................................................... dd)Zusammenfassung .................................................................................... 2. Enge Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen und der OSZE ........... II. Die Beziehungen anderer Internationaler Organisationen zur OSZE .....................
414 414 414 416 416 416 419 420 420 421 421 422 423 423 424 425
C. Mitwirkung von Nichtregierungsorganisationen ..........................................................
426
3. Kapitel Das OSZE-Kommunikationsnetz
429
4. Kapitel Der Verfahrensmodus innerhalb der OSZE
430
A. Beschlußfassung ................................................. .......................... ..............................
430
I. Konsensprinzip .. ... ....... ... ... ............................. ... .. ...... ....................... . ...... ...... ... ... .. II. Ausnahmen vom Konsensprinzip ...................................................................... .....
430 432
B. Veranstaltungsarten der OSZE .. .. .. .. .. .... ...... .... .... .. .. .. .. .. .. .. .. .... .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
434
5. Kapitel Verfahren der OSZE zur Si~herung der Einhaltung von OSZE-Verpßi~htungen
435
A. Verfahren zur Konfliktverhütung und -bewältigung ...... ..............................................
435
I. Verfahren der Konfliktregelung durch den Hohen Rat ........................................... I. Bedeutung und Einordnung ..... .. .. .......... .... .... .... .. .. ... .. .. .. ... .. .. .. .. .... ...... .. .. .. ... .... . 2. Ablauf ............................................................................................................... a) Frühwarnung .......................................... ............ .................................. ......... b) Krisenbewältigung ........................................................................................ aa)Unterstützung der Bemühungen der Streitparteien .................. ................. bb)Eigenverantwortliche Konfliktregelung durch den Hohen Rat................... 3. Instrumente des Hohen Rates bei der Konfliktregelung .....................................
436 436 437 437 438 438 439 439
22
Inhaltsverzeichnis a) Delegation von Aufgaben an OSZE-Institutionen ....... ................................... b) Erkundungs- und Berichterstattermissionen .... .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. . c) Operationen der OSZE-Friedenserhaltung ...... ..................................... .......... II. Mechanismus filr Konsultation und Zusammenarbeit in dringlichen Situationen (Berliner Mechanismus) ........................................................................................ 1. Überblick .......................................................................................................... 2. Ablauf ................................................................................................... ............ a) Erste Phase.................................................................................................... b)Zweite Phase ................................................................................................. 111. Mechanismus fQr Konsultation und Zusammenarbeit in bzug aufungewöhnliche militärische Aktivitäten.......................................................................................... I. Überblick .. .. ........ ... ....... .. ... ............. ... .. ..... .. .......... ....................... ... ..... ... .......... 2. Ablauf ....... .. ..... .. ... ..... ... ...... .............. ....... ... .......... ...... ... ... .................... ... ... ...... IV. Verfahren der Zusammenarbeit bei gefllhrlichen ZwischenflUlen militärischer
Art........................................................................................................................
1. Überblick .......................................................................................................... 2. Ablauf.................................................................................................... ........... V. OSZE-Streitbeilegungsmechanismus (Valletta-Mechanismus) ............................... I. Überblick und Einordnung ........... .... ... .......... .. .... .. ..... .... .. ........ ....... .. ..... .... .. ..... 2. Anwendungsbereich und Ablauf des Mechanismus .. ... .. .. .. .. .. ...... .. .. .. .... ..... .... .... a) Subsidiaritllt des Mechanismus .......................................................... ............ b) Ausschlußklausel ................ ... ......... .. ............................ ... ... ........ .... ........ ...... c) Einsetzung des Mechanismus ........................................................................ d) Bestimmung der Zusammensetzung des Mechanismus ................................... e) Befugnisse des Mechanismus ............................................................... .......... VI. Vergleichsverfahren ............. ................................................................................. I. Überblick und Allgemeines ............................................................................ .... 2. Ablauf ............................................................................................................... VII. Verfahren des "Vergleichs auf Anordnung" ........................................................... VIII. Vergleichs- und Schiedsverfahren durch den Vergleichs- und Schiedsgerichtshof innerhalb der OSZE .............................................. ................................................ 1. Überblick ............................................................ .............................................. 2. Ablauf............................................................................................................... a) Vergleichsverfahren ...................................................................................... b) Schiedsverfahren ................ ...........................................................................
439 440 440 441 441 442 442 443 446 446 446 447 447 448 448 448 449 449 450 450 451 451 453 453 454 455 456 456 458 458 459
B. Verfahren hinsichtlich der Menschlichen Dimension der OSZE ...................... .............
460
I. Mechanismus zur Menschlichen Dimension der OSZE ... .... .. ... .. .. ... .. ... .... .. .. .. .. ...... 1. Konsultationsmechanismus . ...... ................ . ............................................. .......... a) Erste Phase .... ...... ... .. .. .. .. ... ....................... .. .. .. .. .. ................................. .......... aa)Beantwortung von Informationsersuchen und Vorstellungen eines Teilnehmerstaates .... .................. ... .... ...... ... ......... ................. ................. ...... .... bb)Bilaterale Treffen ..................................................................................... cc) Notifikation konkreter Fllle und Situationen an andere Teilnehmerstaaten ...................................................... ....................................... ........ b)Zweite Phase ................................................................................................. aa)Vorbringen der Ergebnisse bilateraler Konsultationen.............................. bb)lnitiierung einer Expertenmission ............................................................. 2. Moskauer Mechanismus .................................................................................... a) Expertenmission ................................................................................... ......... b) Berichterstattermission .... ....... ...... .. ................... .......... ................ ......... .... ..... aa)Möglichkeiten der Einleitung des Berichterstatterverfahrens .................... bb)Bildung der Berichterstattermission .........................................................
460 461 461 461 461 462 462 462 463 463 463 464 465 466
Inhaltsverzeichnis cc)Titigkeit der Berichterstattermission ....................................................... II. Verfahren der Maßnahmen bei groben Verletzungen von Bestimmungen Ober Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeil .. ............................ .... .. .. .. .. .
23 466 467
5. Teil
Die OSZE in der Zukunft
469
Verzeichnis der Teilnehmerstaaten und deren finanzieller Beitragslast
472
Übersiebt über die Fundstellen oft zitierter OSZE-Dokumente
474
Literaturverzeichnis
476
Übersicht I : FrOhwarnmechanismus des Hohen Kornmissars fllr nationale Minderheiten .
388
Übersicht 2: Die OSZE-Institutionen ...............................................................................
403
Abkürzungsverzeichnis AA
AEMR
AHB
AJIL AMRK AVR BDIMR Berichte DGVR Bulletin BYIL CanYIL CEI Columbia L. Rev COST CSCE CSFR CSSR
Auswärtiges Amt Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Ausschuß Hoher Beamter American Journal of International Law Amerikanische Menschenrechtsk~nvention Archiv des Völkerrechts Büro filr Demokratische Institutionen und Menschenrechte Berichte der Deutschen Gesellschaft filr Völkerrecht Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung British Yearbook of International Law Canadian Yearbook of International Law Centrat European Initiative Columbia Law Review Cooperation europeenne scientifique et technique Conference on Security and Cooperation in Europe Tschechische und Slowakische Föderative Republik Tschechische und Slowakische Sozialistische Republik
DA
Seite des Dokumententeils im Europa-Archiv Deutschland-Archiv
DGVR Doc. Dok. DÖV DVBI. EA EBRD ECE EG EIB
Deutsche Gesellschaft filr Völkerrecht Document Dokument Die öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Europa-Archiv European Bank for Reconstruction and Development Economic Commission for Europe Europäische Gemeinschaft Europäische Investitionsbank
EMRK EPIL
Europäische Menschenrechtskonvention
D
EU EuGRZ EURECA EWG
Encyclopedia of Public International Law Europäische Union Europäische Grundrechte-Zeitschrift European Research Coordination Action Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
Abkürzungsverzeichnis
2.5
EWGV F.A.Z. FRD FSK FW GATT gern. GUS GYIL Harvard L. Rev. HILJ HKNM HRLJ Hrsg.
Vertrag zur Gründung der Europlisehen Wirtschaftsgemeinschaft Frankfurter Allgc:meine Zeitung .,Friendly Relations-Declaration" Forum filr Sicherheitskooperation Friedenswarte General Agreement on Tariffs and Trade gemäß Gemeinschaft Unabhängiger Staaten
ICJ Rep.
International Court of Justice. Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders International Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof Indian Jounal of International Law International Law Cornmission International Labour Organisation International Maritime Organisation Internationaler Kommentar Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im Sinne Israel Law Journal International Telecornmunication Union Jahrbuch filr Rechtssoziologie und Rechtstheorie Kornmunistische Partei der Sowjetunion Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Konferenz über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen und
ICLQ IGH IJIL ILC ILO IMO lntKornm IPBPR IPWSKR i. S. IsLR ITU
JtRR KPdSU KSE-Vertrag KSZE KVAE KVZ MBFR MD Mich.L.Rev. NATO NGO N+N-Staaten No. NYIL
German Yearbook of International Law Harvard Law Review Harvard International Law Journal Hoher Kommissar filr nationale Minderheiten Human Rights Law Journal Herausgeber
Abrüstung in Europa Konfliktverhütungszentrum Mutual Balanced Force Reductions Maunz/Dürig (Kommentar) Michigan Law Review North Atlantic Treaty Organization Non-govemmental Organization Neutrale und nichtgebundene Staaten Number N etherlands Yearbook of International Law
26 OAS
Abkürzungsverzeichnis Organisation Arnerikanischer Staaten
ODHIR
Office for Democratic Institutions and Human Rights
OECD ÖHBVR
Organization for Economic Cooperation and Development Österreichisches Handbuch des Völkerrechts
ÖMZ OSZE
Organisation ftir Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
RdC
Recueil des Cours de I'Academie de droit international
Rep.
Report
Res.
Resolution
Osterreichische MiltArische Zeitschrift
RGDIP
Revue general de Droit International Public
ROW RUDH
Recht in Ost und West Revue universelle des Droits de l'homme
Sartorius II
Sartorius II, Textsammlung Internationale VertrAge, Europarecht
SCIENCE
Stimulation des cooperations internationales et des echanges necessaires aux chercheurs europeens
s. 0.
siehe oben
SPES
Stimulation Plan for economic science
s. u. SZE I
siehe unten Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Dokumentation zum KSZE-Prozeß, Textsammlung herausgegeben vom Auswärtigen Amt,
SZE II
erster Band, Dokumente 1975-1984 Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Dokumentation zum KSZE-Prozeß, Textsammlung herausgegeben vom Auswärtigen Amt, Ergänzungsband, Dokumente 1990/91
u.
unten
u. a.
unter anderem
UCLR
University of Chicago Law Review
UdSSR
Union der Sozialistischen Sowjet Sowjetrepubliken
UN UN-Charta
United Nations Charta der Vereinten Nationen
UNCIO
United Nations Conference on International Organisation (Dokumentation)
UNEP
United Nations Environment Programme
UNESCO
United Nations Educational, Seienlilie and Cultural Organization
UNTAC UNTS
United Nations Transilorial Authority in Cambodia
UNYB
United Nations Yearbook
USA
United States of Arnerica
Verf.
Verfasser
United Nations Treaty Series
Verb. DJT
Verhandlungen des Deutschen Juristentages
Vgl. /vgl.
vergleiche
VJIL
Virginia Journal of International Law
VKSE
Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa
Abkürzungsverzeichnis VN
Vol. VR VSBM VVSBM WEU
WHO
WVRK ZaöRV Z. B./z. B. ZHR Ziff. ZSR z. T. ZVglRWiss.
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Vereinte Nationen (Zeitschrift) Volume Völkerrecht Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen Verhandlungen Ober Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen WesteuropAische Union World Health Organization Wiener Vertragsrechtskonvention Zeitschrift filr ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift filr das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, Zeitschrift ftlr Handelsrecht Ziffer Zeitschrift filr schweizerisches Recht zum Teil Zeitschrift filr vergleichende Rechtswissenschaft
Einleitung Die vorliegende Arbeit soll die "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (OSZE), also das, was einst der "KSZEProzeß" war und man heute den "OSZE-Prozeß" nennen muß, in seiner Entwicklung und mit seinen Ergebnissen unter besonderer Berücksichtigung völkerrechtlicher Gesichtspunkte untersuchen. Nach nunmehr über 20jähriger Dauer des OSZE-Prozesses seit seinem Beginn im Jahre 1973 erscheint eine erstmalige umfassende Untersuchung seines Verlaufs und insbesondere seiner Ergebnisse unter völkerrechtlichen Aspekten sinnvoll, ja sogar geboten, führt man sich die Metamorphose der "KSZE" vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation vor Au,gen. Heute nimmt die OSZE nach dem Ende der Ost-WestKonfrontation bei dem Übergang der ehemals kommunistischen Staaten des Warschauer Paktes zu Demokratien nach westlichem Vorbild eine unersetzliche Rolle ein. Allein die OSZE mit ihren grundlegenden Vereinbarungen kann die Bindung aller Staaten im OSZE-Raum an Demokratie, Rechtsstaatlichkeil und Marktwirtschaft gewährleisten. Bereits in der Vergangenheit hat die OSZE eine wichtige Rolle bei der Bewältigung des Ost-West-Konflikts gespielt. Will man die Tätigkeit und Organisation der OSZE in ihrer heutigen Gestalt verstehen, so kann man - wie bei jedem politischen und rechtlichen Sachverhalt - auf eine Betrachtung seines geschichtlichen Ablaufs nicht verzichten. Deshalb wird sich der erste Teil dieser Arbeit mit der Darstellung und Einordnung der einzelnen OSZE-Veranstaltungen, also mit dem historischen Verlauf der OSZE befassen. Dabei ist die Entwicklung der OSZE heute sicherlich noch nicht an ihrem Endpunkt angelangt. Denn die OSZE war und ist wie keine andere Institution der Staatengemeinschaft einem geradezu atemberaubenden Wandel unterworfen. Bei der Gründung der KSZE im August 1975 hatte wohl keiner der die KSZE-Schlußakte unterzeichnenden Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten es für möglich gehalten, daß sie den Grundstein für eine Internationale Organisation legten, die ihren Wirkungbereich von Vancouver bis nach Wladiwostok, vom Nordkap bis zum Pamir hat. Der erste Teil erschöpft sich jedoch nicht in der Aneinanderreihung historischer Fakten, vielmehr werden gleichzeitig die Ergebnisse der Treffen, soweit diese in Schlußdokumenten niedergelegt wurden,
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Einleitung
besprochen und unter völkerrechtlichen wie politischen Aspekten eingeordnet. Eine solche Darstellung erscheint besonders deshalb sinnvoll, weil den an der OSZE Interessierten bisher allein die OSZE-Dokumente zur Verfügung stehen, die jedoch eine detaillierte Gesamtschau des OSZEProzesses, die auch die Umstände des Zustandekommens der Vereinbarungen beleuchtet, nicht bieten können. Eine historische Übersicht erleichtert daher die Arbeit mit OSZE-Dokumenten, da bis heute 46 OSZEVeranstaltungen1 beginnend mit den Helsinki-Konsultationen und endend mit dem "KSZE"-Gipfeltreffen von Budapest 36 Dokumente erstellt haben. Jenes Treffen der Staats- und Regierungschefs hat beschlossen, daß die "KSZE" mit Beginn des Jahres 1995 "OSZE" heißen solle. Allein damit ist die KSZE jedoch nicht zur Internationalen Organisation geworden, wie im vierten Teil der Arbeit noch zu sehen sein wird. Alle Bezugnahmen auf die KSZE gelten genauso für die OSZE. In dieser Arbeit wird der Name "KSZE" noch soweit erwähnt, wie dessen VerWendung aus historischen Gründen noch erforderlich oder sinnvoll ist. Einer andere Perspektive nimmt der zweite Teil der Arbeit ein. Es zeigt den derzeitigen Stand und den Inhalt der OSZE-Verpflichtungen und setzt diesen mit dem völkerrechtlichen Normenbestand in Beziehung. Die wichtigsten Bereiche der OSZE-Vereinbarungen gelangen hier zur Darstellung, wobei die zwischenstaatlichen Beziehungen unter dem Aspekt der Friedenssicherung den Schwerpunkt bilden, denn Ziel der OSZE ist die Schaffung einer kooperativen Sicherheitsordnung in Europa. Dabei zeigt sich, daß die OSZE-Staaten als friedenstiftendes Element das interne Selbstbestimmungsrecht der Völker durch die Bestimmungen über die sogenannte "Menschliche Dimension der OSZE" erheblich ausgeweitet haben. Jene Bestimmungen der OSZE über Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bilden den in dieser Arbeit entwickelten Grundsatz der demokratischen Legitimität der Regierung. Im zweiten Teil findet ferner eine Erörterung bestehender völkerrechtlicher Problematiken statt, die unter Verwendung von einschlägigen OSZE-Vereinbarungen diskutiert werden. Dabei werden auch Fragen aufgeworfen und einer Lösung zugeführt, denen bislang keine oder nur geringe Aufmerksamkeit zuteil wurde, wie z. B. die Problematik der Anwendbarkeit des Gewaltverbotes auf Teilstaaten eines Bundesstaates, des Begriffs des Pluralismus im Völkerrecht und einer "demokratischen Intervention".
1 Einschließlich der Abrüstungsverhandlungen und Verhandlungen Ober VSBM; nicht mitgezählt sind die Seminare des BDIMR und die Vorbereitungskonferenz filr das Gipfeltreffen von Paris 1990.
Einleitung
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Den Unterschied zwischen den im zweiten Teil untersuchten Normbereichen, also den OSZE-Verpflichtungen auf der einen und den völkerrechtlichen Normen auf der anderen Seite sowie die Relevanz jener hinsichtlich des Völkerrechts und nationalen Rechts zeigt der dritte Teil der Arbeit auf. Die Problematik der völkerrechtlichen Wirkung bloßer politischer Erklärungen wurde bisher meist anband der Resolutionen der UNGeneralversammlung erörtert. Zwar hat nach der Annahme der KSZESchlußakte im Jahre 1975 auch die rechtliche Relevanz der OSZEVereinbarungen Beachtung gefunden, aber diese Diskussion wurde nach überwiegender Ablehnung der völkerrechtlichen Verbindlichkeit jener Regelungen rasch beendet. Verwunderlich ist, daß diese Debatte nach Beginn der zweiten Phase des OSZE-Prozesses ab 1990 mit der Annahme neuer, inhaltlich viel weitreichender Vereinbarungen nicht wiederaufgenommen wurde. Neben der gewandelten inhaltlichen Qualität der OSZEDokumente haben sich auch die politischen Rahmenbedingungen ihres Zustandekoromens nach dem Ende des Ost-West-Konflikts grundlegend geändert. Diese Gründe erfordern eine erneute Beurteilung der Verbindlichkeit der OSZE-Verpflichtungen hinsichtlich rechtlicher Normen. Der vierte Teil schließlich beschäftigt sich mit dem Institutionengefüge und den komplexen Strukturen und Verfahren der OSZE, die sie als Internationale Organisation heute der Staatengemeinschaft im OSZEGebiet zur Verfügung stellt. Ein Ausblick auf die Zukunft der OSZE wird im fünften Teil vorgenommen.
1. Teil
Vom VerhandlungsprozeH zur Internationalen Organisation Geschichtliche Entwicklung und Ergebnisse des OSZE-Prozesses Der "OSZE-Prozeß" hat seine Wurzeln bereits in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts in der Idee eines Systems kollektiver Sicherheit in Europa. Ein solches System ist jedoch bis heute nicht verwirklicht worden. Lediglich eine "Konferenz" europäischer und ·nordamerikanischer Staaten hatte sich im Jahre 1975 der Sicherheit in Europa angenommen. Der andere Aspekt der OSZE, die Zusammenarbeit, entwickelte sich erst nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation zu einer Hauptaufgabe der OSZE. Während die KSZE vor der politischen Wende in Europa einen institutionalisierten Verhandlungsprozeß 1 darstellte, der eher Spiegelbild der Ost-WestBeziehungen als ihr aktiver Gestalter war, entwickelte sie sich erst nach 15 Jahren ihres Bestehens zu einer Internationalen Organisation. 2 1. Kapitel
Die Gründungsgeschichte der OSZE A. Ursprung des Gedankens eines Systems kollektiver Sicherheit in Europa I. Ausgangslage nach dem 1. Weltkrieg Der Gedanke, die Sicherheit in Europa durch ein System vertraglicher Garantien zu gewährleisten, entstand nicht erst in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg, sondern war ein Ziel, dessen Verwirklichung unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg von zahlreichen Staaten angestrebt wurde. Während des Zeitraums zwischen den beiden Weltkriegen war der Weltfrieden 1 Dieser treffende Ausdruck stammt von Horst Fischer, in: Ipsen, § 59 Rn. 46. 2 Zur Entwicklung des ersten Abschnitts des OSZE-Prozesses vgl. die graphische übersieht in: Ropers!Schlotter, S. 4f.
1. Kapitel: Die Gründungsgeschichte der OSZE
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gleichbedeutend mit der Sicherheitslage in Europa, so daß alle Versuche, ein System kollektiver Sicherheit zu schaffen, in erster Linie die Organisation der Sicherheit in Europa zum Gegenstand hatten. Ein System kollektiver Sicherheit wurde insbesondere nach dem 1. Weltkrieg von der französischen Diplomatie in die internationale Politik eingebracht, nachdem sich herausgestellt hatte, daß die Friedenssicherung durch den Völkerbund nicht effektiv genug war. Bevorzugt wurde nicht mehr ein System von Allianzen, sondern eines, bei dem kein bestimmter Gegner mehr vorausgesetzt wurde. Ein System kollektiver Sicherheit3 ist nämlich dadurch gekennzeichnet, daß alle Teilnehmerstaaten einen innerhalb dieses Systems durch einen dritten Teilnehmerstaat angegriffenen Staat unterstützen. Ziel eines solchen Konzepts ist es, einem potentiellen Angreifer zu zeigen, daß er im Falle einer Aggression die Gesamtheit der übrigen Teilnehmerstaaten als Gegner vor sich hat. Kein potentieller Angreifer darf daher in einem solchen System stärker sein als die übrigen Staaten.4 Ein sogenanntes "Ost-Locarno" 5 sollte geschaffen werden, dem die UdSSR, Deutschland, Polen, die Tschechoslowakei und die baltischen Staaten angehören sollten. 6 Als ein Baustein für dieses Vorhaben fungierte der Briand-Kellogg-Pakt, durch den erstmals der Angriffskrieg als völkerrechtswidrig geächtet wurde. Dieses sah die Satzung des Völkerbundes im Gegensatz zum umfassenden Gewaltverbot der UN-Charta7 nicht vor.
3 Vgl. allgemein zu einem kollektiven Sicherheitssystem: Bindschedler, in: Festschrift Hans Wehberg, S. 67-88; Scheuner, Kollektive Sicherheit, in: Strupp/Schlochauer, Bd. 2, S. 242-
251 (242f.).Vgl. zur Beurteilung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa noch zur Zeit des Bestehens der Militärblöcke NATO und Warschauer Pakt: Schütz, GYIL 1975, S.146 (200202). 4 Diesem Ziel dient auch die in dem Vertrag über Konventionelle Abrüstung (KSE-Vertrag) - freilich gut 70 Jahre später - vereinbarte sogenannte Hinlänglichkeitsregel, nach der kein Staat über mehr als ein Drittel aller durch den Vertrag begrenzten Waffen verfUgen darf Vgl. u. 3. Kapitel, C. II. 1.
5 Die Verträge von Locarno vom 16. Oktober 1925 (auch Westpakt oder Rheinpakt genannt) bildeten fiir die Staatengruppe Belgien, Deutsches Reich, Frankreich, Großbritannien und Italien ein Sicherheitssystem, welches ein grundsätzliches Angriffs- und Kriegsverbot und eine Garantie der durch den Versailler Vertrag gezogenen Grenzen und Vereinbarungen über die demilitarisierte Zone in Deutschland enthielt. Ferner unterwarfen sich die Locarno-Mächte einer internationalen Gerichtsbarkeit und konstituierten eine Ständige Vergleichskommission. (Auf dieses in Locarno geschaffene und fiir die Konfliktverhütung grundlegende Institut sollten die KSZEStaaten später noch zurückgreifen, vgl. das OSZE-Vergleichsverfahren, 3. Kapitel, J. II. 3. und 4. sowie 4. Teil, 5. Kapitel, A. VI. und VIII.) Vgl. näher zu den Locarno-Verträgen: Baradon, in Strupp/Schlochauer, Bd. 2, S. 421-423 undMorvay, EPIL(7), S. 330-333. 6 Eudin/Slusser, S. 407. 7 Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta. 3 Bordoff
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
II. Versuche der UdSSR zur Schaffung eines Systems kollektiver Sicherheit in Europa Die Regierung der UdSSR bemühte sich in dieser Zeit nach anflinglichem Zögern, in Europa ein System kollektiver Sicherheit zu schaffen. Die Wandlung der sowjetischen Haltung zeigte sich mit der vorzeitigen Unterzeichnung des Briand-Kellogg-Paktes. Die Vorstellungen Frankreichs und der UdSSR hatten sich hinsichtlich der Gestaltung der Sicherheit in Europa einander angenähert. Seit Dezember 1933 wollte die Sowjetunion unter dem Eindruck des Austritts Deutschlands aus dem Völkerbund und dem Verlassen der Genfer Abrüstungskonferenz universellen und regionalen Sicherheitspakten beitreten. So konnte die UdSSR am 15. September 1934 Mitglied des Völkerbundes werden. Die Sowjetunion und Frankreich unterzeichneten am 5. Dezember 1934 ein Protokoll über die Planung eines regionalen Sicherheitspaktes in Osteuropa sowie am 2. Mai 1935 einen Vertrag über gegenseitige Hilfe, wobei die Möglichkeit vorgesehen wurde, daß der Vertrag in einem multilateralen Sicherheitspakt aufgehen könne.8 Der sowjetische Außenminister Litvinov sprach sich vor der Genfer Abrüstungskonferenz des Völkerbundes dafür aus, neben dem Ziel der Abrüstung ein System zu schaffen, in dem die Sicherheit der Staaten geachtet und die Gefahr eines Krieges vermindert sei. 9 Die Genfer Abrüstungskonferenz sollte demzufolge zu einer ständigen Einrichtung als "Friedenskonferenz" werden und Übereinkünfte über neue Sicherheitsgarantien und Mittel der Kriegsverhütung ausarbeiten 10. Der Beginn des 2. Weltkrieges im Jahre 1939 machte dann alle Bemühungen, die auf dieses Ziel gerichtet waren, zunichte.
111. Propagierung des Gedankens einer europäischen Sicherheitskonferenz durch die UdSSR nach dem 2. Weltkrieg Nach dem 2. Weltkrieg propagierte die Führung der Sowjetunion das Projekt einer europäischen Sicherheitskonferenz. Sie versprach sich davon, in einem neuen "Wiener Kongreß" einen Ersatz für einen Friedensvertrag mit den Feindstaaten des 2. Weltkrieges, insbesondere mit Deutschland zu schaffen.
8 Vgl. Uschakow, in: Osteuropa-Handbuch, S. 257. 9 Eudin/Slusser, Dok. 126, S. 632f. 10 Vgl. Rede Litvinovs in: Eudin!Slusser, Dok. 126, S. 632f.
l. Kapitel: Die Gründungsgeschichte der OSZE
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Vor dem Hintergrund der zunehmenden Integration der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Staatenbündnis durch den geplanten Beitritt zur NATO und WEU schlug die UdSSR erneut die Einrichtung eines Systems kollektiver Sicherheit in Europa vor, in dem Deutschland neutral sein sollte. Auf diesem Wege sollte der NATO und der im Aufbau befindlichen Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) die Existenzberechtigung entzogen werden. Einen entsprechenden Vorschlag 11 unterbreitete der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw M. Molotow am 10. Februar 1954 auf der Berliner Konferenz der Außenminister Frankreichs, Großbritanniens, der USA und der UdSSR. Ergänzt wurde dieser Vorschlag durch zwei Noten vom 31. März 1954 12 und vom 24. Juli 1954 13, in denen zum einen die Teilnahme der USA befürwortet und zum anderen eine Ausweitung der Konferenz auf das Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit angeregt wurde. Dieses Konzept Mo/otows trug den Namen "Gesamteuropäischer Vertrag über die kollektive Sicherheit in Europa". 14 Der Vertrag sah ein allgemeines Gewaltverbot vor und verpflichtete die Staaten zum Beistand zugunsten einer Vertragspartei, die einem Angriff einer anderen Vertragspartei ausgesetzt war. Die westlichen Staaten reagierten auf die Vorschläge der UdSSR ablehnend. Ein Grund bestand darin, daß der Westen durch die in Aussicht genommene Konferenz keinen Ersatzfriedensvertrag erstellen wollte, der die Nachkriegsgrenzen in Europa sanktionierte. Diese Befürchtungen betraf das Schicksal der baltischen Staaten, welche von der Sowjetunion annektiert worden waren, und das geteilte Deutschland. Es zeigte sich ferner, daß die Politik der Sowjetunion auf die Loslösung der westeuropäischen Staaten von den USA und auf deren Neutralisierung gerichtet war und namentlich die Gründung der EVG verhindern sollte. Durch die Verringerung der Bedeutung der NATO wollte die UdSSR ihre hegemoniale Stellung in Europa ausbauen. Die Wahl der Formulierung der "europäischen Sicherheit" bezeichnet die Intention der sowjetischen Europapolitik, die westeuropäischen Staaten aus der Anlehnung an die USA herauszulösen. 15 Die Sowjetunion versuchte, durch den Vorschlag zur Schaffung eines Systems kollektiver Sicherheit in Europa das Fortschreiten der Westintegration der Bundesrepublik Deutschland durch die sogenannten "Pariser Verträge" 16 zu vereiteln. II Schramm, Dok. 256. 12 Schramm, Dok. 258. 13 Schramm, Dok. 259. 14 Vgl. den Wortlaut des Vertragsentwurfs bei Schramm, Dok. 257. 15 Vgl. hierzu insbesondere Wettig, inMeissner/Uschakov, S. 10. 16 Die Pariser Verträge vom Oktober 1954 bestehen im wesentlichen aus drei Vertragswerken: Durch den sogenannten Deutschlandvertrag vom 26. Mai 1952 stellten die drei Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich die volle Souveränität über die inneren und
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Als Antwort auf die geplante Unterzeichnung dieser Verträge lud die Sowjetunion am 13. November 1954 zu einer in Moskau vom 29. November bis 2. Dezember 1954 stattfindenden "Konferenz europäischer Länder zur Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit in Europa" ein. Die Teilnehmerstaaten, die neben der Sowjetunion lediglich die CSSR, DDR, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Albanien waren, erklärten, im Falle der Ratifizierung der Pariser Abkommen ihrerseits einen Militärpakt zu gründen. Dies geschah am 14. Mai 1955 durch die Gründung des Warschauer Paktes. Dabei wurde vorgesehen, daß der Warschauer Vertrag "im Falle der Schaffung eines Systems kollektiver Sicherheit in Europa und des Abschlusses eines diesen Zielen dienenden Gesamteuropäischen Vertrages über die kollektive Sicherheit, den die vertragschließenden Staaten unentwegt anstreben werden, ... am Tage des Inkrafttretens des Gesamteuropäischen Vertrags seine Gültigkeit verliert" (Art. 11 Satz 2 Warschauer Vertrag). Infolgedessen stellte die Gründung der beiden Militärpakte NATO und Warschauer Pakt keinen Endpunkt in dem Bemühen der UdSSR dar, doch noch eine europäische Sicherheitskonferenz einzuberufen. Lediglich der Ausgangspunkt änderte sich. So spielte das Vorhaben eines europäischen Sicherheitssystems im gleichen Jahr auf zwei weiteren Konferenzen ein Rolle: Bei der Genfer Konferenz der Regierungschefs unterbreitete der neue sowjetische Ministerpräsident Nikolaj A. Bulganin am 20. Juli 1955 einen Entwurf über einen "gesamteuropäischen Vertrag über die kollektive Sicherheit in Europa", der sämtlichen europäischen Staaten und den USA offenstehen sollte. Dieser Entwurf17 enthielt neben Vereinbarungen über die Sicherheit auch Regelungen hinsichtlich einer "ausgedehnten wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit". Diesen Vorschlag brachte der sowjetische Außenminister Molotow auf der Genfer Außenministerkonferenz am 28. Oktober 1956 erneut ein. Wegen unterschiedlicher Standpunkte unter anderem bezüglich der Lösung der deutschen Frage war eine Einigung nach wie vor nicht zu erzielen. Die NATO forderte, vor einer Sicherheitskonferenz müßten die bestehenden Spannungen in Europa vermindert werden. Nach einer längeren Pause, in der der polnische Außenminister Rapacki Vorschläge zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa unterbreitete (sogenannte Rapacki-Pläne), führte die UdSSR erst wieder im Jahre 1966 den Gedanken einer europäischen Sicherheitskonferenz in die internationale politische Diskussion ein. Der Austritt des gaullistischen äußeren Angelegenheiten der Bundesrepubik Deutschland wieder her, vorbehaltlich der Stellung Berlins und Deutschlands als Ganzes. Ferner wurde die Bundesrepubik Deutschland durch zwei weitere Verträge Mitglied der NATO und der WEU. 17 Schramm, Dok. 264.
l. Kapitel: Die Gründungsgeschichte der OSZE
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Frankreichs aus der Militärorganisation der NATO und der zwanzigste Jahrestag dieser Organisation im April 1969 mit der durch den Ablauf der zwanzigjährigen Vertragsdauer bedingten Möglichkeit eines Austritts verhießen der Sowjetunion die Gelegenheit, den Westen zu schwächen. 18 Zu diesem Zweck legten die Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes im Rahmen des Politisch Beratenden Ausschusses dem westlichen Bündnis in der Bukarester Erklärung vorn 6. Juli 1966 einen entsprechenden detaillierten Vorschlag 19 vor. Grundlage der Konferenz sollten die "Prinzipien der Souveränität und nationalen Unabhängigkeit, der Gleichberechtigung und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten" und die "Achtung der territorialen Integrität" sein, wobei besonders die "Unantastbarkeit der zwischen den europäischen Staaten bestehenden Grenzen, einschließlich der Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik, Polens und der CSSR" hervorgehoben wird. Damit wollte die UdSSR mternational die Nachkriegsgrenzen in Europa, insbesondere die Teilung Deutschlands in zwei Staaten zementieren. "Die Ausdehnung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den europäischen Staaten, die Beseitigung der Diskriminierung und der Hindernisse" 20 seien "ein besonders wichtiger Faktor für die Annäherung sowie für die Schaffung einer Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens und des Verständnisses zwischen den Völkern". Nach Auffassung der Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes hätte "die Einberufung einer europäischen Konferenz zur Erörterung von Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit die Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa" gefördert "und wäre ein wichtiger Meilenstein in der gegenwärtigen Geschichte Europas" gewesen. 21 Der Inhalt der Bukarester Deklaration wurde auf der Karlsbader Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas in der Erklärung vorn 26. April 1967 in ähnlicher Form wiederholt. 22 Die Vorschläge des Warschauer Paktes begegneten im Westen Skepsis, aber auch der Bereitschaft, "eine sichere Basis für ein gegenseitiges Vertrauen zu schaffen". 23 Die Änderung der Haltung des Westens, nun zu18 Vgl. dazu die Darstellung bei Wettig, in Meissner!Uschakow, S. 11 f. 19 Wortlaut in: Schramm, Dok. 293. 20 Gemeint sind hier die Beschränkungen im Ost-West-Wirtschaftsverkehr durch das "Coordinating Cornitee for East-West Trade Policy" (Cocom), welches einen Koordinationsausschuß ftlr den Ost-West-Handel darstellte, in dem die westlichen Industriestaaten die Belieferung der Staaten des WP mit sicherheitsrelevanter Technik zu kontrollieren suchten. Vgl. dazu Großfeld!Junker, Das CoCom im Internationalen Wirtschaftsrecht. 21 Schramm, Dok. 293, S. 434. 22 Schramm, Dok. 298. 23 So der Präsident der USA, Lyndon B. Johnson, in einer Rede am 7. Oktober 1966 in New York, in Schramm, Dok. 15, S. 37.
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
mindest über die Vorschläge des Warschauer Paktes zu beraten, zeigt deutlich die Annahme des "Harmel-Berichts"24 durch die NATO im Dezember 1967. Neben die Verteidigung als ein Pfeiler der Ost-West-Beziehungen trat nun eine aktive Entspannungspolitik, die zur Schaffung gegenseitigen Vertrauens beitragen sollte. Mit dem sogenannten "Signal von Reykjavik" 25 , d. h. dem Vorschlag der NATO, eine beiderseitige, ausgewogene Truppenreduzierung in Europa herbeizuführen, ergriff erstmals der Westen die Initiative. Der Einmarsch der Truppen durch Staaten des Warschauer Paktes in die CSSR am 21. August 1968 stellte jedoch eine Zäsur in den Ost-WestBeziehungen und damit auch in den Bemühungen der Schaffung einer europäischen Sicherheitskonferenz dar. Im Budapester Appell vom 17. März 196926 richteten dann dessen ungeachtet die Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes unter Bezugnahme auf die Bukarester Erklärung an alle europäischen Staaten den Aufruf, durch eine "gesamteuropäische Konferenz, gemeinsam Mittel und Wege zu finden, die zur Beseitigung der Spaltung Europas in Militärgruppierungen und zur Verwirklichung der friedlichen Zusammenarbeit zwischen der europäischen Staaten und Völkern führen". Die NATO-Mitgliedsstaaten beantworteten die östlichen Vorstellungen am 11. April 1969 in Washington anläßtich des zwanzigjährigen Bestehens ihrer Organisation. Die NATO-Staaten erklärten sich bereit, "alle geeigneten Verhandlungsmöglichkeiten zu untersuchen". 27 Durch gegenseitige Konsultationen sollten die Verhandlungsmodalitäten ausgelotet werden. Jedoch betrachteten sie die Beseitigung "bestehender Spannungsquellen im Herzen Europas", d. h. die Berlin-Frage sowie die Problematik der Verbindungen zwischen beiden Teilen Deutschlands als Voraussetzung für eine Konferenzteilnahme. Darauf erklärte sich die finnische Regierung in ihrem Memorandum vom 5. Mai 1969 bereit, die Rolle des Gastgebers sowohl bei der Sicherheitskonferenz als auch bei dem Vorbereitungstreffen zu übernehmen, vorausgesetzt, die interessierten Regierungen hielten dies für angebracht. 28 Die Regierung Finnlands hielt ihr Land wegen "guter Beziehungen zu allen Ländern . . . und seiner unparteiischen Haltung zu dem wichtigsten Problem der europäischen Sicherheit, der deutschen Frage ... " für besonders. geeignet. 24 SZE I, S. 297-300; EA 1968, S. D 75-77.
25 Kommunique des NATO-Rates vom 24./25. Juni 1968, in Schramm, Dok. 28. 26 Schramm, Dok. 305. 27 Schramm, Dok. 36, S. 70. 28 Memorandum. der finnischen Regierung, Schramm, Dok. 448.
1. Kapitel: Die Grandungsgeschichte der OSZE
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Die meisten europäischen Staaten, darunter Frankreich, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland, antworteten der finnischen Regierung positiv, ebenso Kanada, zurückhaltend war jedoch die Stellungnahme der USA. 29 Albanien lehnte als einziger Staat eine Teilnahme bereits zu diesem Zeitpunkt ab. So konnte am 31. Oktober 1969 der Prager Außenministerrat der Staaten des Warschauer Paktes "mit Befriedigung" feststellen, "daß der Vorschlag zur Durchführung einer gesamteuropäischen Konferenz bei der Mehrheit der europäischen Staaten ein breites positives Echo gefunden hat. " 30 Die Konferenz sollte nach dem Willen dieser Staaten 1970 in Helsinki stattfinden. Die Tagesordnung sollte zwei zentrale Themen zum Gegenstand haben: Erstens die europäische Sicherheit durch Verzicht auf Gewaltanwendung oder -androhung und zweitens die Erweiterung der Handels-, Wirtschafts-, und wissenschaftlich-technischen Beziehungen. Abrüstungsfragen sollten demnach keine Bedeutung haben. Seit der Brüsseler Tagung des NATO-Ministerrates vom 5. Dezember 1969 kam es in den folgenden Monaten zu Sondierungen der jeweiligen Standpunkte und ihrer allmählichen Annäherung. Jedoch machten die Staaten der NATO bereits auf ihrer Brüsseler Tagung vom Dezember 1969 und auch auf allen nachfolgenden Halbjahrestreffen klar, daß der erfolgreiche Abschluß der Verhandlungen über Berlin und die Unterzeichunung des Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR sowie eine positive Haltung der UdSSR zu gegenseitigen, ausgewogenen Truppenverminderungen unerläßlich sei. 31 Zwischenzeitlich ergänzten die Staaten des Warschauer Paktes das Vorhaben der Sicherheitskonferenz um einen weiteren Vorschlag, der eine Institutionalisierung der "Sicherheitskonferenz" zur Folge gehabt hätte. Das "Problem der Bildung eines Organs zu Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" sollte in die Tagesordnung miteinbezogen werden. 32 Nachdem der Warschauer Pakt am 22. Juni 1970 in Budapest der Aufnahme von Verhandlungen über eine Truppenreduzierung in einem Ver29 Zu den Haltungen der späteren Teilnehmerstaaten der KSZE siehe Jakobsen! Mallmann/Meier. 30 Erklärung des Prager Außenministerrates vom 31. Oktober 1969 in: Schramm, Dok 320. 3 1 Brüsseler Erklärung der NATO vom 5. Dezember 1969 zu Fragen der europäischen Sicherheit in: Schramm, Dok. 61 ; NATO-Kommunique von Rom vorn 27. Mai 1970 in: Schramm, Dok. 80. 32 Memorandum der Konferenz der Außenminister der Staaten des Warschauer Paktes vorn 21 /.22. Juni 1970 in Budapest, in: Schramm, Dok. 354, S. 521.
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
fahren neben der Sicherheitskonferenz im Grundsatz zugestimmt hatte, 33 erklärten nunmehr die NATO-Staaten am 31. Mai 1972 in Bonn, es sei in Gespräche über die Vorbereitung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa einzutreten. 34 Die Verhandlungen über den gegenseitigen, ausgewogenen Truppenabbau35 sollten vor oder parallel zu der KSZE stattfinden. Im weiteren Verlauf kam es zu der Unterzeichnung des deutsch~sowjeti schen Vertrages am 12. August 1970, des deutsch-polnischen Vertrages am 7. Dezember 1970 sowie der Vier-Mächte Vereinbarung über Berlin am 3. September 1971. Mit dem Besuch des Sicherheitsberaters des amerikanischen Prasidenten, Henry Kissinger, in Moskau am 12. September 1972 und weiteren Konsultationen wurde schließlich ein Einvernehmen über parallele Zeitpläne der KSZE und der MBFR-Verhandlungen36 erreicht. Damit stand der Durchführung einer Konferenz über Europa nichts mehr im Wege.
B. Die Konstituierung der "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" I. Multilaterale Vorgespräche in Helsinki und die "Helsinki-Schlußempfehlungen" 1. Multilaterale Vorgespräche (Helsinki-Konsultationen)
Entsprechend den vorherigen Vereinbarungen begannen zunächst in vier Etappen vom 22. November 1972 bis 8. Juni 1973 in Dipoli bei Helsinki multilaterale Vorgespräche, die sogenannten "HelsinkiKonsultationen". Die dort beratenden Botschafter der Teilnehmerstaaten 33 Memorandum der Konferenz der Außenminister der Staaten des Warschauer Paktes vom 21./22. Juni 1976 in: Schramm, Dok. 354, S. 521. 34 Kommunique der NATO-Ministerratstagung vom 30./31. Mai 1972 in: Schramm, Dok. 251, S. 354. 35 Die zukünftigen sogenannten MBFR-Verhandlungen (MBFR= Mutual Balanced Force Reductions). 36 Die MBFR-Verhandlungen hatten den offiziellen Titel "Mutual Reductions of Forces and Arrnaments and Associated Measures in Central Europe" (MURFAAMCE). Sie begannen am 30. Oktober 1973 und wurden bis zur einvernehmlichen Einstellung der Verhandlungen am 2. Februar 1989 gefilhrt. Danach begannen die Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE), vgl. dazu u. 2. Kapitel, E. II. I. und 3. Kapitel, C.
1. Kapitel: Die Gründungsgeschichte der OSZE
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einigten sich auf die Modalitäten der Durchführung der KSZE in den "Helsinki-Schlußempfehlungen". 37 Nach dem darin vorgesehenen Plan sollte die Konferenz in drei Phasen durchgeführt werden: Erstens die Eröffnung als erste Phase in Helsinki, zweitens die Kommissionsphase in Genf, während derer über den Text der Schlußakte zu verhandeln war und drittens die Schlußphase wiederum in Helsinki mit der Annahme der Schlußakte. Ferner wurde ein Konsens hinsichtlich des Mandats der einzelnen Verhandlungskommissionen erzielt. 38 2. Die Schlußempfehlungen der Helsinki-Konsultationen
Die Helsinki-Schlußempfehlungen haben für den Verlauf des gesamten OSZE-Prozesses eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Sie bilden seinen prozeduralen Rahmen. Die Bestimmungen der Schlußempfehlungen galten während jeder OSZE-Veranstaltung, da sie jeweils in Übereinstimmung mit Punkt 88 der Schlußempfehlungen stillschweigend angenommen wurden. 39 Kernpunkt der OSZE-Verfahrensregeln ist das Konsensprinzip gern. Punkt 69 der Schlußempfehlungen, dessen Geltung jedoch während der zweiten Phase des OSZE-Prozesses in bestimmten Bereichen eingeschränkt wurde. 40
II. Eröffnung der KSZE in Helsinki Vom 3. bis 7. Juli 1973 fand die Eröffnung der KSZE durch die Außenminister der 35 Teilnehmerstaaten statt. Teilnehmerstaaten waren alle europäischen Staaten41 außer Albanien sowie die USA und Kanada. 37 Text in: AA, 20 Jahre KSZE, S 2-16; EA 1973 S. D 369-380 und Fastenrath, A.O. 38 Vgl. dazu Neuhold ("Botschaftersalon von Dipo1i") in: Simma!Blenk-Knocke, S. 442. 39 So Erika B. Schlager, Mitglied der "Cornmission on Security and Cooperation in Europe", einer Kornmission der US-Regierung, die sich mit dem Verlauf des KSZE-Prozesses beschäftigt, in: HRLJ 1991, S. 221 (223). 40 Vgl. daher die Darstellung der Beschlußfassungsregeln im 4. Teil, 4. Kapitel. A. 41 Auch Liechtenstein, Monaco, San Marino und der Heilige Stuhl nahmen an der Konferenz teil, nicht aber das Fürstentum Andorra, welches als Kondominium unter der gemeinsamen Hoheit des Bischofs von Seo de Urgel (Spanien) als Vertreter des Papstes und des französischen Staatspräsidenten als Rechtsnachfolger des Grafen von Foix steht und keine eigene auswärtigen Beziehungen pflegt (vgl. Crawford, The international legal status of Andorra, Revue de Droit international, des sciences diplomatiques et politiques, 1977, S. 258-272). In Übereinstimmung mit Frankreich und dem Bischof von Urgel hat das im April 1992 neu gewählte Parlament von
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Die Außenminister verabschiedeten die zuvor in Dipoli erarbeiteten Vorgaben für die KSZE.
111. Kommissionsphase der KSZE in Genf In Genf fand vom 18. September 1973 bis 21. Juli 1975 die mühevolle Ausarbeitung und Formulierung der KSZE-Schlußakte durch die Verhandlungsführer der Teilnehmerstaaten in verschiedenen Kommissionen statt. 42
IV. Schlußphase der KSZE in Helsinki Schließlich endete die Konferenz mit der feierlichen Unterzeichnung der KSZE-Schlußa.kte vom 30. Juli bis 1. August 1975 durch die Staatsund Regierungschefs der damals 35 Teilnehmerstaaten.
C. Die Schlußakte von Helsinki I. Inhalt 1. Überblick
Das Schlußdokument des ersten Treffens der KSZE, die "Schlußakte"43 von Helsinki 44, besteht aus vier inhaltlichen Abschnitten, den nach dem Sprachgebrauch der Konferenz sogenannten "Körben", die zugleich den politischen Themenbereich repräsentieren, den die KSZE zu Beginn abdeckte. Die Wahl des Begriffes "Korb" bringt gleichzeitig zum Ausdruck, daß darin eine Reihe von miteinander verwandten Themen untergebracht wurden, für die jeweils kein eigener Abschnitt eingerichtet werden sollte.
Andorra eine erstmalige Verfassung ausgearbeitet, die eine uneingeschränkte Souveränität für den Kleinstaat vorsieht. 42 Vgl. zum Verlauf der Verhandlungen die kenntnisreiche Darstellung Marescas, der stellvertretender Leiter der OS-Delegation in Genf war. 43 Der Begriff "Schlußakte" wird im KSZE-Dokument selbst erst am Ende des vierten Korbes verwendet. 44 Text in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 18-77 sowie in: EA 1975 S. D 437-484 und Fastenrath, A.l.
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Da ist zunächst der Korb 1 "Fragen der Sicherheit in Europa" sowie der Korb 2 "Fragen der Zusammenarbeit in den Bereichen der Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Umwelt", der Korb 3 "Zusammenarbeit in humanitären und andereren Bereichen" und Korb 4 "Folgen der Konferenz". Im folgenden soll in einer Übersicht der jeweilige Regelungsinhalt der Körbe angesprochen und, soweit möglich, bereits unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten eingeordnet werden. Eine genauere Betrachtung und Beurteilung insbesondere des Prinzipienkatalogs der Schlußakte kann in diesem Rahmen nicht vorgenommen werden. 4 5 2. Regelungsinhalt des ersten Korbes
In Korb I, der sich mit "Fragen der Sicherheit in Europa" beschäftigt, werden in einem "Prinzipienkatalog" oder "Dekalog" genannten ersten Abschnitt zehn Grundsätze konstituiert, die für die Beziehungen zwischen den Teilnehmerstaaten grundlegend sein sollten. Im zweiten Teil des Korbes 1 ist das "Dokument über vertrauensbildende Maßnahmen und bestimmte Aspekte der Sicherheit und Abrüstung" enthalten. Diese beiden Teile sollten sich ergänzen, indem die Prinzipienerklärung die politischen, das darauf folgende Dokument die militärisch-sicherheitspolitischen Fragen behandelt. a) Der Prinzipienkatalog
In Kenntnis der bestehenden Gegensätze der Ideologien, gesellschaftlichen Systeme und politischen Interessen zwischen den Teilnehmerstaaten wurde versucht, allgemeine Grundsätze für das Zusammenleben der Staaten in Europa zu entwickeln, dietrotzder Verschiedenheiten der Ideologien gelten sollten. 46 Der Dekalog wird als ein besonderer Bestandteil der Schlußakte angesehen, da er im Vergleich zu anderen Teilen des Schlußdokuments von Hel45 Eingehende Betrachtungen liefern z. B. Schatz, GYIL 18 (1975), S. 147-203; Blech, EA 1976, S. 257-270; ders., EA 1975, S. 681-692; Neuhold, in: Simma/Blenk-Knocke, S. 441-502. 46 Vgl. Ziff. 17 der Schlußempfehlungen der Vorbereitungskonferenz, EA 1973, S. D 370.
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sinki in relativ verbindlicher Weise formuliert ist und die Grundlage der Beziehungen zwischen den Staaten regelt. Im Gegensatz zu den westlichen Staaten, die auch die Bestimmungen der Körbe 2 und insbesondere 3 als sehr bedeutend ansahen, war für die Sowjetunion die Prinzipienerklärung der wichtigste Teil, da sie dort eine Vielzahl der von ihr von vornherein aufgestellten Grundsätze verwirklicht sah. Bei der Betrachtung und Beurteilung der Prinzipien des Dekalogs bietet sich neben dem Vergleich mit bereits bestehenden Völkerrechtsnormen und anerkannten Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts besonders auch die Heranziehung der sogenannten "Friendly-Relations-Declaration"47 (FRD) der UN-Generalversammlung an. Diese "Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Cooperation among States in Accordance with the Charter of the United Nations" basiert auf den Grundsätzen und Zielen der UNO und will jene Bestimmungen der UN-Charta weiterbilden und interpretieren. 48 Ein Vergleich ist deshalb interessant, weil bei der Ausarbeitung des KSZEDekalogs ausdrücklich auch die sieben Prinzipien der FRD berücksichtigt werden sollten49 und der Prinzipienkatalog von Helsinki ein Ergebnis von Verhandlungen ausschließlich zwischen Staaten der "Ersten" und "Zweiten Welt" ist ohne eine Beteiligung der Entwicklungsländer, die den Inhalt der FRD erheblich beeinflußten. 50 Nicht zuletzt wegen der Tatsache, daß die Ausarbeitung des Dekalogs überwiegend nicht durch Juristen, sondern durch vornehmlich politisch ausgebildete Unterhändler erfolgte, 51 ergeben sich auch bemerkenswerte Abweichungen von den Prinzipien der FRD. aa) Das Prinzip I: Souveräne Gleichheit, Achtung der der Souveränität innewohnenden Rechte Im ersten Prinzip des Dekalogs wird das dem Völkerrecht zugrundeliegende Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten deklariert, welches über den Grundsatz des Art. 2 Ziff. 1 auch Eingang in die UN-Charta gefunden hat. 47 Text: Annex zu Res. 25/2625 vom 24. Oktober scher Sprache in Sartorius II, Nr. 4.
1970, in: UNYB 1970 S. 788ft'.; in deut-
48 Vgl. zur FRD auch Verdross/Simma § 451. 49 Gemäß den Schlußempfehlungen der Helsinki-Konsultationen, Ziff. 20. 50 Vgl. zum Zustandekommen der FRD Neu hold, in: FS für Alfred Verdross, S. 575-599. 51 So der Chefunterhändler der USA bei den Verhandlungen über die KSZE-Schlußakte, Russe[, AJIL 70 (1976), S. 242 (263).
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Ein Teilaspekt dieses Grundsatzes, die Souveränität nach innen, wird jedoch genauer spezifiziert, als dieses vergleichsweise in der FRD geschah: Neben der freien Wahl des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Systems wird dem Staat auch ausdrücklich das Recht zugestanden, seine Gesetze und Verordnungen zu bestimmen. Diese Regelung eröffnet somit den Teilnehmerstaaten die Möglichkeit, die Verpflichtungen, die er etwa nach Korb 3 (Menschenrechtsfragen) hat, unter den Vorbehalt des innerstaatlichen Rechts zu stellen, so wie dies auch von der UdSSR vertreten wurde. 52 Nach dem urprünglichem sowjetischen Vorschlag sollten die gesamten Bestimmungen des dritten Korbes unter diesen Vorbehalt gestellt werden. Dagegen wandte sich jedoch die westliche Verhandlungsseite. Als Kompromiß wurde dann jedoch dieser Vorbehalt in das erste Prinzip aufgenommen und gleichzeitig in einem Absatz des zehnten Prinzips wieder-um abgeschwächt, in dem es heißt: "Bei der Ausübung ihrer souveränen Rechte, einschließlich des Rechtes, ihre Gesetze und Verordnungen zu bestimmen, werden sie [die Teilnehrnerstaaten; Anmerkung des Verf] ihren rechtlichen Verpflichtungen aus dem Völkerrecht entsprechen; sie werden ferner die Bestimmungen der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gebührend berücksichtigen und durchftlhren. " 53
Der zweite Absatz des ersten Prinzips des Dekalogs hat keine Entsprechung in der FRD. Als Klarstellung der westlichen Interpretation der Unverletzlichkeit der Grenzen wurde gleichfalls die Grenzänderung "durch friedliche Mittel und Vereinbarungen" für zulässig erachtet (sogenannter "peaceful change"). Besondere Relevanz hat die Erwähnung des Rechtes der Staaten, über ihre Mitgliedschaft in Internationalen Organisationen und Bündnissen und über Vertragsbeitritte zu entscheiden und sich für neutral zu erklären. Dem stand die damals geltende sogenannten Breschnew-Doktrin54 entgegen, wonach zwischen den sozialistischen Staaten das sozialistische Völkerrecht des "proletarischen Internationalismus" galt, das die Souveränität der sozialistischen Satellitenstaaten gerade im Hinblick auf diese Frage einzuschränken versuchte.
52 Vgl. Neuhold in: Simma!Blenk-Knocke, S. 450. 53 Vgl. zu diesem "finnischen Kompromiß" Russe/, AJIL 70 (1976), S. 242 (263). 54 Diese Lehre wurde von Grigori.f /. Tunkin formuliert in; Tunkin, Völkerrechtstheorie, S. 467ff., insbesondere S. 477; vgl. dazu auch Meissner, Die Breschnew-Doktrin.
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bb) Die Prinzipien II bis IV: Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt; Unverletzlichkeit der Grenzen und territoriale Integrität der Staaten Das umfassende Gewaltverbot gern. Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta wurde im Dekalog der KZSE-Schlußakte auf drei gesondert behandelte, aber inhaltlich ähnliche Prinzipien ausgedehnt. 55 (1) Das Verbot der Androhung oder
Anwendung von Gewalt (Prinzip//)
Das Verbot der Anwendung oder Androhung von Gewalt entspricht dem Grundsatz des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta sowie dem ersten Prinzip der FRD. Dabei verbietet Abs. 2 Satz 1 des zweiten Prinzips des Dekalogs auch jegliche indirekte Gewaltanwendung. Damit sind Handlungen unterhalb der Schwelle des Einsatzes eigener Streitkräfte gemeint. 56 Diese Handlungen sind daher solche, die in der FRD als politischer, wirtschaftlicher oder sonstiger Zwang, der gegen die politische Unabhängigkeit oder die territoriale Unversehrtheil eines Staates gerichtet ist, bezeichnet werden57, beispielsweise Ausbildung, Versorgung, Bewaffnung und Entsendung von Söldnern oder Terroristen. Das Verbot der sonstigen Zwangsmaßnahmen unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt wird im Dekalog ausdrücklich im Prinzip VI Abs. 3 (Nichteinmischung in innere Angelegenheiten) erwähnt. Darüber hinaus sind ebenso "Gewaltmanifestationen" verboten, "die den Zweck" haben, "einen anderen Teilnehmerstaat zum Verzicht auf die volle Ausübung seiner souveränen Rechte zu bewegen." Nach einem französischen Entwurf sind solche Gewaltmanifestationen beispielsweise in Bewegungen oder Manövern von Streitkräften zu sehen. 58 (2) Unverletzlichkeit der Grenzen (Prinzip /Il)
Das Prinzip III war eines der am meisten umstrittenen Prinzipien während der Genfer Kommissionsphase. Hauptanliegen der UdSSR war es, mit der Durchführung der von ihr geplanten "Sicherheitskonferenz" den Status quo in Europa zu zementieren. Deshalb bestand die UdSSR in den 55 Vgl. hierzu die ausfilhrliche Erörterung des Gewaltverbotes des Dekalogs im Hinblick auf das völkerrechtliche Gewaltverbot, u. 2. Teil 1. Kapitel, A. II. 56 So auch Neuhold in: Simma!Blenk-Knocke, S. 458 und Blech, EA 1976, S. 257 (264). 57 Vgl. Präambel und den dritten Grundsatz, 2. Abs. der FRD. 58 Vgl. Neuhold in: Simma!Blenk-Knocke, S. 458.
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Verhandlungen auf der Erwähnung dieses Gedankens in einem eigenen Prinzip des Dekalogs. Dagegen wandte sich der Westen, der nicht auf alle Zeiten die östliche Herrschaftssphäre und insbesondere die Teilung Deutschlands sowie die Einverleibung der baltischen Staaten in das Gebiet der UdSSR anerkennen wollte. In dem schließlich gefunden Verhandlungskompromiß wurden daher die Grenzen zwar nicht als "unverrückbar" oder "unantastbar" bezeichnet, sondern als "unverletzlich", wobei die Bestimmung, man werde keinen "Anschlag" auf die Grenzen verüben bzw. sich keiner Teile oder des gesamten Territoriums "bemächtigen" auf die Absicht des Westens hindeutet, daß nur gewaltsame, völkerrechtswidrige Grenzänderungen verboten seien. Ergänzt wird daher dieses Prinzip durch die zuvor erwähnte Zulassung der friedlichen Grenzveränderung im Prinzip I Abs. 2 des Dekalogs. (3) Territoriale Integrität der Staaten (Prinzip IV) Der Inhalt des vierten Prinzips entspricht weitgehend dem Inhalt der Prinzipien I und III, was den völkerrechtlichen Grundsatz des Gewaltverbotes angeht. Jedoch sollten in diesem Prinzip auch Verhaltensweisen von Staaten Berücksichtigung finden, die unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt liegen. Insbesondere manche neutrale und NATO-Staaten dachten dabei an grenzüberschreitende Umweltverschmutzung und unbeabsichtigte Luftraumverletzungen. 59 Unzulässig ist demnachjede "mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen" unvereinbare "Handlung gegen die territoriale Integrität, politische Unabhängigkeit oder Einheit eines jeden Teilnehmerstaates". Bei dieser Offenheit der Formulierung übersahen einige Teilnehmerstaaten nicht die Gefahr, daß ein Staat gerade dieses Prinzip als Abwehr gegen Kritik wegen mangelnder Umsetzung der in Korb 3 niedergelegten Bestimmungen nutzen konnte. Der dritte Absatz stellt fest, daß die Teilnehmerstaaten "davon Abstand nehmen, das Territorium eines jeden anderen Teilnehmerstaates zum Gegenstand einer militärischen Besetzung oder anderer direkter oder indirekter Gewaltmaßnahmen unter Verletzung des Völkerrechts oder zum Gegenstand der Aneignung durch solche Maßnahmen oder deren Androhung zu machen." Ferner soll "keine solche Besetzung oder Aneignung ... als rechtmäßig anerkannt werden." Durch diesen Absatz sollte insbesondere die Einverleibung der baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland weiterhin als völkerrechtswidrig angesehen werden. Die Sowjetunion stimmte diesem Absatz jedoch deswegen zu, weil sie auf den zukünftigen 59 Vgl. Russel, AJIL 70 (1976), S. 242 (265).
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Charakter der Formulierung "Die Teilnehmerstaaten werden . . . davon Abstand nehmen ... " abstellte. cc) Das Prinzip V: Friedliche Regelung von Streitlallen Mit der Verpflichtung zur friedlichen Regelung von Streitlallen entsprechen die Teilnehmerstaaten dem inhaltsgleichen Gebot des Art. 2 Ziff. 3 UN-Charta, dem Kapitel VI der Charta ("Die friedliche Beilegung von Streitigkeiten") zur Seite steht. Im dritten Absatz werden beispielhaft die Streitbeilegungsmittel aufgeführt, wobei diese Aufzählung auch hier der UN-Charta (Art. 33 Abs. 1 UN-Charta) entspricht. Dabei werden aber die "guten Dienste" ebenso wie in Art. 33 Abs. l UN-Charta, obwohl diese ein bekanntes und verbreitetes Mittel darstellen, nicht ausdrücklich erwähnt. Eine Verpflichtung der Staaten, an bindenden Streitbeilegungsverfahren teilzunehmen, scheiterte am Widerstand der östlichen Staaten, die darin eine Einschränkung ihrer Souveränität sahen. Auf ein spezielles Streitbeilegungsverfahren innerhalb der KSZE konnten sich die Teilnehmerstaaten in Genf noch nicht einigen. Vielmehr wurde die Ausarbeitung eines solchen Verfahrens auf spätere Veranstaltungen vertagt. So begann man erstmals von Oktober bis Mitte Dezember 1978 in Montreux über ein Streitbeilegungsverfahren zu beraten.60 Ergebnislos blieb ein Treffen im Frühjahr 1984 in Athen. Erst in Valletta wurde zu Beginn des Jahres 1991 ein Streitbeilegungsverfahren vereinbart. 61 dd) Das Prinzip VI: Nichteinmischung in innere Angelegenheiten Das Verbot der Einmischung in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören (Interventionsverbot), wird als Völkerrechtsnorm in Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta nur indirekt genannt, da sich dieses Verbot nur an die Organisation der Vereinten Nationen richtet. Jedoch hat die Generalversammlung der UNO bereits am 21. Dezember 1965 eine der Formulierung des Dekalogs ähnliche Interpretation des Interventionsverbotes aufgestellt. Gemäß dieser "Declaration on the inadmissibility of intervention in the domestic affairs of States and the protection of their independence and sovereignty" 62 sind 60 Siehe u. 2. Kapitel, 8., I. 61 Vgl. dazu genauer u. 3. Kapitel, D. I. und 4. Teil, 5. Kapitel, A. V. 62 Res. 20/2131.
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nicht nur militärische Mittel, sondern "all other forms of interference or attempted threats against the personality of the state or against its political, economic and cultural elements" verboten. Die FRD enthält ein entsprechendes inhaltsgleiches Verbot, so daß das Interventionsverbot dieser Form als ein völkerrechtliches Verbot angesehen wird. 63 Insoweit entspricht auch das Interventionsverbot gern. Prinzip VI aufbauend auf diesen beiden Deklarationen der UN-Generalversammlung dem allgemeinen Völkerrecht. Die Schwierigkeit, die sich bei der Beurteilung einer Maßnahme, die ein fremder Staat gegen einen anderen Staat ergreift, ergibt, liegt aber in der Beurteilung der Frage, ob eine Intervention, die unterhalb der militärischen Schwelle liegt, noch zulässig ist. Hier bietet das OSZEInterventionsverbot keine über die allgemein-völkerrechtliche Aussage der beiden UN-Resolutionen hinausgehende Regelung. Bezüglich der Frage, ob und warum eine Unterstützung einer Bürgerkriegspartei durch einen fremden Staat zulässig sei, ist aus dem Abs. 4 des Prinzips VI zu entnehmen, daß gemäß der sogenannten "Metternich-Legitimität" nur die Unterstützung der alten Regierung zulässig sein soll. Demnach ist nämlich nur die Unterstützung subversiver Tätigkeiten, die auf einen gewaltsamen Umsturz des Regimes eines anderen Teilnehmerstaates gerichtet sind, unzulässig. 64 Bemerkenswert erscheint in der Formulierung dieses Prinzips, daß sich das Interventionsverbot sowohl auf innere als auch auf äußere Angelegenheiten erstreckt. Dieser scheinbare Widerspruch zwischen dieser Formulierung und der Überschrift des sechsten Prinzips "Nichteinmischung in innere Angelegenheiten" löst sich jedoch auf, wenn man erkennt, daß nur die Angelegenheiten vom Interventionsverbot erfaßt sind, "die in die innere Zuständigkeit eines anderen Teilnehmerstaates fallen". So gehört beispielsweise die Konzipierung der Außenpolitik eines Staates als dessen "äußere Angelegenheit" zweifellos in dessen innere Zuständigkeit. 65 Anders ist dies jedoch im Bereich des Menschenrechtsschutzes, da dieser im Hinblick auf Art. 55 lit.c und 56 UN-Charta nicht nur die innere Zuständigkeit eines Staates betriffi. Absatz 3 des Prinzips verbietet jede militärische wie auch politische, wirtschaftliche oder sonstige Zwangsmaßnahme, die darauf gerichtet ist, die Ausübung der Rechte eines anderen Teilnehmerstaates ihrem eigenen Interesse unterzuordnen und sich damit Vorteile irgendwelcher Art zu ver63 Vgl. Verdross/Simma, § 490; Neuhold in: Simma/Blenk-Knocke, S. 470. 64 Vgl. dazu die Erörterung dieser Problematik u., 2. Teil, l. Kapitel, A. II. 65 Vgl. dazu auch Russe/, AJIL 70 (1976), S. 242 (267). 4 Bordoff
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schaffen. Damit wollte der Westen der Sowjetunion die Intervention in andere Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes, die in Übereinstimmung mit der Breschnew-Doktrin erfolgen würde, unmöglich machen. ee) Das Prinzip VII: Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit Unter Bezugnahme auf die Bindung an die "Internationalen Konventionen über die Menschenrechte" verpflichteten sich die Teilnehmerstaaten, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten. Der Menschenrechtsschutz bildet neben den eher "klassischen" Prinzipien I bis VI daher eine zusätzliche Grundlage der zwischenstaatlichen Beziehungen unter den Teilnehmerstaaten. Insoweit stellt diese Vereinbarung zwischen den Staaten der "Ersten" und "Zweiten Welt" eine Erweiterung der Prinzipien der FRD dar, da diese den Menschenrechtsschutz nicht als eigenes Prinzip enthält. Jedoch besteht bereits gern. Art. 55 lit. c UNCharta sowie den Bestimmungen der beiden UN-Menschenrechtspakten die völkerrechtliche Verpflichtung der Staatengemeinschaft, den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. Zwar enthält die KSZE-Schlußakte keinen Katalog der zu achtenden Menschenrechte, sondern eine bloße Bekräftigung, den bereits anerkannten Bestand der Menschenrechte zu gewährleisten, jedoch liegt die Bedeutung des Prinzips VII, welches das umfangreichste im Dekalog ist, in seiner bloßen Existenz, da man sich die Ausgangslage des Jahres 1975 vor Augen führen muß: Es standen sich zu dieser Zeit das westliche und östliche Menschen- und Bürgerrechtsverständnis konträr gegenüber. Das östliche Menschenrechtskonzept66 kannte keine individuellen Rechte des einzelnen gegenüber dem Staat, sondern vielmehr ausschließlich kollektive Rechte vor allem im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich, die der Staat gewähren sollte, ohne daß jedoch der einzelne einen Anspruch darauf hätte. Solche Rechte waren typischerweise das Recht auf Arbeit und Bildung. Nach dieser Konzeption gab es daher keine Menschenrechte, d. h. Grundrechte, die jedem Menschen kraft seines Menschseins von Geburt an zustünden, sondern ausschließlich Bürgerrechte, als Rechte, die an die Staatsangehörigkeit anknüpfen und über die der Staat disponieren kann. Daher konnte die Verwirklichung der Grundrechte zugunsten höherer gesellschaftlicher Interessen eingeschränkt werden, weil die Befriedigung dieser Interessen dann auch wiederum dem einzelnen zugute komme. 66 Vgl. dazu genauer: Brunner, Die östliche Menschenrechtskonzption, in: Die KSZE und die Menschenrechte.
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Nach dem westlichen Menschenrechtsverständnis stellen die Menschenrechte die Grundrechte aller Menschen kraft ihres Menschseins dar, die der staatlichen Gewalt entgegengesetzt werden können. Solche Rechte sind daher typischerweise die Glaubens-, Gewissens- und Meinungsfreiheit. Die KSZE-Schlußakte erwähnt - entgegen der östlichen Grundrechtslehre - die Existenz der "Menschenrechte" und stellt fest, daß "die zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen ... Rechte" sich "aus der dem Menschen innewohnenden Würde ergeben". Diese Aussage ist mit dem östlichen Verständnis der Grundfreiheiten unvereinbar, wurde jedoch von der UdSSR hingenommen. Trotz des Wortlauts bestand die Sowjetunion jedoch weiter darauf, die Menschenrechte im sozialistischen Sinne zu verstehen. Dies war auch deshalb möglich, weil der Wortlaut des Prinzips VII so formuliert wurde, daß keine konkreten Rechte des einzelnen gegen den Staat begründet wurden, sondern nur Staatenverpflichtungen, d. h. die gegenseitige Verpflichtung der Teilnehmerstaaten, die Menschenrechte zu achten und deren Ausübung zu fördern. Abgesehen vom Wortlaut "Menschenrechte" war somit der Inhalt des Prinzips VII mit dem östlichen Grundfreiheitsverständnis nicht völlig unvereinbar. Die ursprüngliche Absicht der UdSSR, eine möglichst enge Verbindung des Prinzips VII mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) wegen seiner Ausnahmevorschriften herzustellen, gelang ihr infolge des westlichen Widerstandes nur teilweise. Lediglich die Überschrift des Prinzips deutet auf die Verbindung zu Art. 18 IPBPR hin. Hierdurch sollte ein Hinweis auf die Ausnahmeklausel des Art. 18 Abs. 3 IPBPR67 gegeben werden. Andererseits hat sich die UdSSR ausdrücklich dazu bekannt, "in Übereinstimmung mit ... der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" zu handeln, was als eine wichtige Bekräftigung des Schutzes der Menschenrechte angesehen werden kann.68 Bemerkenswert ist schließlich der Abs. 7 des VII. Dekalogprinzips: Er gewährt das Recht des einzelnen, seine Rechte auf dem Gebiet der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu kennen und auszuüben. Im Zusammenhang mit dem Veröffentlichungsgebot69 des "Korbes 4" 67 Art. 18 Abs. 3 IPBPR lautet: "Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und freiheilen anderer erforderlich sind."
68 Russe/, AJIL 70 (1976), s: 242 (268f.). 69 Dieses lautet: "Der Text der vorliegenden Schlußakte wird in jedem Teilnehmerstaat veröffentlicht, der ihn so umfassend wie möglich verbreitet und bekannt macht."
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("Folgen der Konferenz") hatten hierdurch die Bürger der Staaten des Warschauer Paktes die Möglichkeit, Kenntnis von den KSZE-Vereinbarungen zu nehmen. Diese Normierung und die Feststellung im Prinzip IX, wonach auch "Institutionen, Organisationen und Personen eine relevante und positive Rolle zukommt, zur Erreichung dieser Ziele beizutragen", bildeten damit die Rechtfertigung der Bürgerrechtsgruppen und sog. "Helsinki-Komittees"" auf die Einhaltung der Bestimmungen der Schlußakte zu pochen. ff) Das Prinzip VIII: Gleichberechtigung und
Selbstbestimmungsrecht der Völker
Die Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist ebenfalls, wie die zuvor genannten Prinzipien, eine Bekräftigung der Einhaltung bereits bestehender Verpflichtungen völkerrechtlicher Natur. 70 Zwar wird das Selbstbestimmungsrecht der Völker in der UN-Charta lediglich erwähnt, nicht aber als Recht der Völker konstituiert. 71 Jedoch gewährleisten jeweils Art. I Abs. 1 der UNO-Menschen- und Bürgerrechtspakte das Selbstbestimmungsrecht der Völker und definieren es als Recht, kraft dessen die Völker "frei über ihren politischen Status" entscheiden und "in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung" gestalten. Ferner konstituiert die FRD in ihrem vierten Prinzip den "Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker". Während das Recht der Selbstbestimmung der Völker im Bereich der UNO, insbesondere im Rahmen der FRD vornehmlich durch und im Interesse der Entwicklungsländer vorangetrieben und definiert wurde, stellte die Erwähnung dieses Rechts im Rahmen der 35 Teilnehmerstaaten der KSZE die Geltung dieses Rechtes auch und besonders zwischen den Staaten in Europa, d. h. der "Ersten" und "Zweiten Welt" her. Damit gewann das Selbstbestimmungsrecht auch Bedeutung für die Staaten des Ostblocks, die unter der Hegemonie der UdSSR standen, insbesondere für die Offenhaltung einer Wiedervereinigung Deutschlands. 72 Das achte Prinzip des Dekalogs gewährt diesen Völkern damit das Recht, sowohl 70 Vgl. auch hierzu die Erörterungen der OSZE-Bestimmungen im Hinblick auf das Völkerrecht u. 2. Teil, I. Kapitel, A. IV. I. 71 Vgl. Art. 1 Abs. 2 und Art. 55 UN-Charta. 72 Nach Russe/ bestand daher besonders die Delegation der Bundesrepubik Deutschland auf der Niederlegung dieses Prinzips, Russe/, AJIL 70 (1976), S. 242 (269).
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über "ihren inneren und äußeren politischen Status ohne äußere Einmischung zu bestimmen" und zwar dieses ,jederzeit ... , wann und wie sie es wünschen". Das bedeutet, das Selbstbestimmungsrecht kann nicht nur einmal, sondern jederzeit ausgeübt werden. Damit wurde es den Staaten des Warschauer Paktes unmöglich gemacht, geltend zu machen, ihre Völker hätten bereits dieses Recht ausgeübt und sich für das politische System des Sozialismus entschieden. Ferner wird das Selbstbestimmungsrecht den Völkern, nicht jedoch ihren (Staats-) Völkern gewährt, so daß sich auch ethnische Minderheiten in den Teilnehmerstaaten auf das Selbstbestimmungsrecht berufen können.73 Das Selbstbestimmungsrecht unterliegt aber unter anderem aus diesem Grund auch Einschränkungen. Zum einen setzt die Beachtung der territorialen Integrität der Staaten gern. Abs. 1 des Prinzips Grenzen. Diese Einschränkung geschah insbesondere im Interesse der Staaten, in denen Minderheitenproblerne bestanden, z. B. Jugoslawien und Kanada, die damit Sezessionsbestrebungen zu verhindern suchten. Zum anderen stellt Abs. 3 einen Zusammenhang zwischen dem Interesse der freundschaftlichen Beziehungen der Staaten und der Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes her, wodurch das Selbstbestimmungsrecht dem Interesse der freundschaftlichen Beziehungen untergeordnet werden kann. 74 Zur Erhaltung freundschaftlicher Beziehungen darf das Selbstbestimmungsrecht daher eingeschränkt werden. Andererseits kann dieser Absatz auch so aufgefaßt werden, daß die Nichtgewährung des Selbstbestimmungsrechts die freundschaftlichen Beziehungen gegenüber anderen Staaten beeinträchtigen kann. Die KSZE hat später das interne Selbstbestimmungsrecht der Völker inhaltlich erheblich ausgeweitet, indem die Teilnehmerstaaten Regeln für einen Grundsatz der demokratischen Legitimität der Regierung aufstellten.75 gg) Das Prinzip IX: Zusammenarbeit zwischen den Staaten Die Teilnehmerstaaten bemühen sich nach dem Prinzip IX um eine Zusammenarbeit der Staaten gemäß den Zielen und Grundsätzen der UNCharta und insbesondere hinsichtlich der Bereiche, die den KSZE-Rahrnen betreffen. 73 DaraufweistBlech hin, der ab November 1974 Leiter der Delegation der Bundesrepubik Deutschland während der Genfer Kommissionsphase war, Blech, EA 1976, S. 257 (265). 74 So auch interpretiert von Neuhold, in Simma/Blenk-Knocke, S. 486. 75 Siehe dazu unten 2. Teil, 1. Kapitel, A., IV., 2.
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In diesem Prinzip fanden die Teilnehmerstaaten keine übereinstimmende Antwort auf die in der völkerrechtlichen Staatenpraxis umstrittene Frage, ob es eine Rechtspflicht zur internationalen Zusammenarbeit gebe.76 Eine solche Pflicht wurde von den Staaten der "Dritten Welt" und denen des ehemaligen Ostblocks bejaht und infolge ihres maßgeblichen Einflusses im vierten Prinzip der FRD niedergelegt. 77 Ferner sieht Art. 17 der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten78 eine Pflicht der Staaten zur internationalen Zusammenarbeit zum Zwecke der Entwicklung vor. Weniger streng formuliert ergibt sich aus Art. 9 dieser Charta die Aufgabe zur Zusammenarbeit ("responsibility to co-operate") im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, wissenschaftlichen und technologischen Bereich. Wie sich aber aus der Tatsache ergibt, daß die westlichen Staaten bei der Abstimmung über die genannten Resolutionen entweder dagegen gestimmt oder sich der Stimme enthalten haben, wird eine solche Pflicht seitens der westlichen Industriestaaten bestritten. Der KSZE-Dekalog bestimmt daher schlicht: "Die Teilnehmerstaaten werden ihre Zusammenarbeit miteinander und mit allen Staaten in allen Bereichen gemäß den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen entwickeln.... "
Man sollte sich jedoch an dieser Stelle daran erinnern, daß die Teilnehmerstaaten der Verhandlungen über die KSZE-Schlußakte nicht der "Dritten Welt" angehörten, sondern entweder blockgebunden waren, d. h. der "Ersten" oder "Zweiten Welt" angehörten oder neutral bzw. blockfrei waren. Somit spielte die Frage der wirtschaftlichen Unterstützung der Entwicklungsländer nur eine marginale Rolle. Das schloß nicht aus, daß auch die Zusammenarbeit "mit allen Staaten" geregelt wurde. Wegen ihres technologischen Rückstandes gegenüber dem Westen war für die UdSSR jedoch entscheidend, eine Zusammenarbeit mit dem Westen in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht festzuschreiben unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Prinzips der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Währenddessen kam es dem Westen darauf an, daß 76 Vgl. dazu auch Verdross/Simma, §§ 505-508. 77 Danach haben die Staaten "die Pflicht, unabhängig von den Unterschieden in ihren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systemen, in den verschiedenen Bereichen der internationalen Beziehungen zusammenzuarbeiten, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und die internationale wirtschaftliche Stabilität und den Fortschritt, das allgrneine Wohl der Nationen und eine internationale, von jeder auf diesen Unterschieden beruhenden Diskriminierung freie Zusammenarbeit zu fördern." 78 Res. der UN-Generalversammlung 29/3281 vom 12. Dezember 1974, UNYB 1974, S. 402, deutsche Übersetzung in: EA 1975, S. D 364ff.
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eine Zusammenarbeit auch die Verbesserung der Ausübung der Menschenrechte zur Folge haben mußte. Die Formulierungen des neunten Prinzips stellen daher vor allem einen Kompromiß dieser in Übereinstimmung zu bringenden Interessen der Teilnehmerstaaten dar. Insbesondere erkennen die Teilnehmerstaaten dabei an, daß nicht nur Regierungen, Institutionen oder Internationale Organisationen, sondern auch "Personen eine relevante und positive Rolle zukommt, zur Erreichung dieser Ziele ihrer Zusammenarbeit beizutragen". Der Westen konnte somit erstmals die Sowjetunion veranlassen, die Bedeutung von Individuen im Bereich der internationalen Beziehungen anzuerkennen. Die Zusammenarbeit zwischen den 35 Teilnehmerstaaten zielte besonders darauf ab, Vertrauen zwischen den Blöcken und ihren Staaten und Menschen herzustellen. Gerade dieses Anliegen verfolgten die westlichen Staaten. Zu diesem Zwecke wollten sie daher auch die Zusammenarbeit zu einem der Prinzipien der KSZE-Schlußakte erheben und nicht nur in den Körben belassen. Die Verpflichtung zur Zusammenarbeit bezieht daher den Inhalt der Körbe 2 und 3 in den Prinzipienkatalog mit ein, indem sich die Teilnehmerstaaten dazu bekennen, "bei der Entwicklung ihrer Zusammenarbeit ... besonderes Gewicht auf die Bereiche" zu legen, "so wie sie im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa festgelegt sind". Dadurch wurde ein Einbeziehung der in den Körben 2 und 3 geregelten Verpflichtungen, insbesondere hinsichtlich der Menschenrechte, in die Prinzipienerklärung erreicht. 79 hh) Das Prinzip X: Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben Das zehnte Prinzip umfaßt drei Absätze. Unmittelbar im Anschluß an das zehnte Prinzip folgen in den weiteren nicht besonders kenntlich gemachten Absätzen die sogenannten Schlußbestimmungen des Dekalogs. Bei der Ausarbeitung dieses Prinzips stießen die Auffassungen der sozialistischen Staaten einerseits und der westlichen Staaten andererseits hinsichtlich der Quellen des Völkerrechts aufeinander. 80 Die sowjetische Völkerrechtstheorie basierte auf der Lehre des historischen Materialismus. 81 Danach wird das Recht durch die materiellen gesellschaftlichen 79 Vgl. zu dieser Verklammerung auch Blech, EA 1976, S. 257 (269). 80 Vgl. dazu die Darstellung bei Neuhold, in: Simma!Blenk-Knocke, S. 492-494. 81 Vertiefend zur sowjetischen Völkerrechtslehre Brunner, in Osteuropa-Handbuch, Sowjetunion, Teil III Außenpolitik, S. 49-61.
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Verhältnisse bestimmt und drückt den Willen der herrschenden Klasse aus. Kernpunkt dieser Lehre ist daher der Wille eines Staates, der durch die jeweiligen Produktionsverhältnisse bestimmt werde. In einem sozialistischen Staat sei demnach der staatliche Wille mit dem des Volkes identisch. Erst die Übereinstimmung der einzelstaatlichen Willen könne Völkerrecht erzeugen. So war für die UdSSR Völkerrecht und dabei insbesondere das Völkergewohnheitsrecht nur dann bindend, wenn sie diesem zugestimmt hatte. Dieses Verständnis entspricht der älteren Konsenstheorie, die bereits durch Hugo Grotius und Emer de Vatte/ vertreten wurde.82 Dieser normativistischen Auffassung stand die westliche Auffassung entgegen, nach der Völkergewohnheitsrecht bereits dann entsteht, wenn die überwältigende oder zumindest überwiegende Mehrheit der Staaten eine bestimmte Praxis als rechtens erachtet. 83 Im ersten Absatz des Prinzips anerkannten die östlichen Staaten folgerichtig zwei Arten von Verpflichtungen, nämlich ,jene ... , die sich aus den allgemein anerkannten Grundsätzen und Regeln des Völkerrechts ergeben, wie auch jene Verpflichtungen, die sich aus mit dem Völkerrecht übereinstimmenden Verträgen ... " ergeben. Die dritte Rechtsquelle nach westlicher Interpretation des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut, "die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze" der nationalen Rechtsordnungen, fehlen deshalb in der Aufzählung, da die sowjetische Völkerrechtslehre diese nicht kennt. 84 Der zweite Absatz entstand auf Betreiben des Westens im Rahmen des sogenannten "finnischen Kompromisses".85 Das Bestehen der UdSSR auf dem Recht der Staaten, ihre Gesetze und Verordnungen selbst zu bestimmen, sollte mit der Unterordnung unter das Völkerrecht im Hinblick auf den darin enthaltenen Schutz der Menschenrechte abgemildert werden. ii) Schlußbestimmungen des Prinzipienkatalogs
In den sogenannten Schlußbestimmungen des Prinzipienkatalogs im Anschluß an das Prinzip X drücken die Teilnehmerstaaten ihren Willen aus, sich an die vorstehenden Grundsätze zu halten, dieses in der 82 Vgl. die Darstellung und Nachweise bei Verdross, ZaöRV (29) 1969, S. 635 (636f). 83 Verdross!Simma, § 557; Jaenicke, in Strupp!Schlochauer, Bd. 3, S. 769. 84 Vgl. Brunner, in Osteuropa-Handbuch, Sowjetunion, Teil I1I Außenpolitik, S. 53 und 57. 85 Vgl. oben aa.
l. Kapitel: Die Gründungsgeschichte der OSZE
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Erkenntnis, daß die Prinzipienerklärung keine völkerrechtliche Verbindlichkeit hat. Die Prinzipienerklärung sollte daher zwar kein völkerrechtliches Dokument sein, aber mehr als eine bloße deklaratorische Bekräftigung bereits bestehender Völkerrechtsverpflichtungen. Auf die Frage der daraus möglicherweise entstehenden völkerrechtlichen Relevanz dieses OSZE-Dokuments und aller weiteren soll jedoch an anderer Stelle eingegangen werden. 86 Der erste Absatz der Schlußbestimmungen enthält eine bedeutsame AuslegungsregeL Danach werden alle Prinzipien "vorbehaltlos angewendet, wobei ein jedes von ihnen unter Beachtung der anderen ausgelegt wird". Diese Gleichrangigkeil der Prinzipien verhindert, daß sich ein Teilnehmerstaat darauf berufen kann, ein Prinzip sei höherrangig als das andere oder es sei spezieller. Der dritte Absatz der Schlußbestimmungen sollte die Möglichkeit einer Wiedervereinigung Deutschlands offenhalten, indem er bestimmte, "daß die vorliegende Erklärung weder ihre [der Teilnehmerstaaten; Anm. des Verf.] Rechte und Verpflichtungen noch die diesbezüglichen Verträge und Abkommen und Abmachungen berührt" (sogenannte Unberührtheitsklausel). Damit waren die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes gemeint. 87 Eine offene Erwähnung der deutschen Frage sollte nach Ansicht des Westens vermieden werden, um jeglichem Anschein eines Ersatzfriedensvertrages zu entgehen. b) Das Dokument über vertrauenbildende Maßnahmen und bestimmte Aspekte der Sicherheit und Abrustung
In diesem Teil wurden erstmals Vereinbarungen über die Ankündigung größerer militärischer Manöver und über einen Beobachteraustausch getroffen. Diese Bestimmungen waren jedoch keine strengen Regeln, sondern stellten die Realisierung dieser Maßnahmen weitestgehend in das Ermessen des jeweiligen Staates. Danach sollte z. B. der Austausch von Manöverbeobachtern "freiwillig" .und auf bilateraler Grundlage erfolgen. Der einladende Staat bestimmte dabei einseitig die Anzahl, das Verfahren und die Bedingungen der Beobachterteilnahme.
86 Unten 3. KapiteL 87 Vgl. Blech, EA 1976 S. 257 (263).
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Diese vergleichsweise zaghaften anfänglichen Versuche der Vereinbarung vertrauenbildender Maßnahmen auf militärischem Gebiet erfuhren erst im Stockholmer Dokument der "Konferenz über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa" 88 (KVAE) eine neue Qualität. Insbesondere wurden erstmals Abrüstungsvereinbarungen innerhalb des KSZE-Rahmens erzielt. Weitere Verbesserungen erreichten die Teilnehmerstaaten während der "Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa" 89 (VKSE) und den "Verhandlungen über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen" (VVSBM)9°. 3. Regelungsinhalt des zweiten Korbes
In Korb 2 sind eine Fülle von Absichtserklärungen und Bekundungen für die Zusammenarbeit in folgenden praktisch bedeutsamen Gebieten erzielt worden: Handel, Industrielle Kooperation, Wissenschaft und Technik, Umwelt, Verkehrswesen, Tourismus und Wanderarbeiter und Fachkräfte. Im Anschluß daran erklärten die Teilnehmerstaaten, daß sie hinsichtlich der "Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum" auch mit nicht an der KSZE teilnehmenden Staaten zusammenarbeiten wollen. 4. Regelungsinhalt des dritten Korbes
Der dritte Korb befaßt sich mit humanitären Fragen. Auch hier erklären die Teilnehmerstaaten lediglich ihre Absicht, in einer Vielzahl von Bereichen humanitärer Art zusammenzuarbeiten, insbesondere im Bereich der menschlichen Begegnungen. Besonders bedeutsam war dabei die 88 Vgl. zum Dokument der KVAE unten 2. Kapitel, D. VI. 89 Vgl. den .,Vertrag über Konventionelle Abrüstung in Europa" vom 19. Nov. 1990, dazu unten 3. Kapitel, C. und G. 90 Dazu das "Wiener Dokument 1990" der Verhandlungen über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen vom 17. November 1990, vgl. unten 3. Kapitel, B. und das "Wiener Dokument 1992", D. X.
1. Kapitel: Die Grilndungsgeschichte der OSZE
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Familienzusammenführung, auf die die westlichen Staaten wegen der mangelnden Ausreisefreiheit in den Ostblockländern großen Wert legten. Erreicht wurde daher die Festlegung der Teilnehmerstaaten, daß sie "in positivem und humanitärem Geist Gesuche von Personen behandeln, die mit Angehörigen ihrer Familie zusammengeführt werden möchten, unter besonderer Beachtung von Gesuchen dringenden Charakters - wie solchen, die von kranken oder alten Personen eingereicht werden". Im Hinblick auf die Praxis der Ostblockstaaten, das Eigentum der Personen, denen die Ausreise erlaubt worden war, zu konfiszieren, wurde die Vereinbarung getroffen, daß "Personen, deren Gesuchen betreffend Familienzusammenführung stattgegeben wurde, . . . ihr Haushaltsgut und ihre persönliche Habe mitführen oder versenden" können. Ferner sollte die Durchführung von Reisen aus persönlichen oder beruflichen Gründen erleichtert werden. Die Arbeitsbedingungen für Journalisten sollten verbessert werden. Die Bestimmungen des Korbes 3 enthalten - wie auch Korb 2 der Schlußakte - lediglich bloße Absichtserklärungen der Teilnehmerstaaten, keine mitunter verbindliche Formulierungen, wie sie die Prinzipienerklärung auszeichnet. Jedoch bildete der Korb 3 die Grundlage für alle späteren Fortschritte auf dem Gebiet der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Der Ursprung der im Abschließenden Dokument von Wien konzipierten "Menschlichen Dimension der KSZE" mit ihren verbindlich formulierten und konkreten Verpflichtungen gemäß dem Kopenhagener Dokument und weiteren Dokumenten liegt damit im Korb 3 der Schlußakte von Helsinki. 5. Regelungsinhalt des vierten Korbes
Im vierten Korb ("Folgen der Konferenz") erklären die Teilnehmerstaaten, die Vereinbarungen der KSZE-Schlußakte zu berücksichtigen und den "durch die Konferenz eingeleiteten multilateralen Prozeß der Verbesserung der Sicherheit und der Entwicklung der Zusammenarbeit in Europa fortzusetzen". Diese Fortsetzung sollte zunächst in einem "vertieften Meinungsaustausch" vorgenommen werden, "sowohl über die Durchführung der Bestimmungen der Schlußakte und die Ausführung der von der Konferenz definierten Aufgaben als auch .. . über die Vertiefung ihrer gegenseitigen Beziehungen, die Verbesserung der Sicherheit und die Entwicklung der Zusammenarbeit in Europa und die Entwicklung des Entspannungsprozesses in der Zukunft". Des weiteren planten die Teilnehmerstaaten weitere "Zusammenkünfte zwischen ihren Vertretern". Diese wurden später in einer Vielzahl von Expertentreffen,
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
speziellen Konferenzen von den jeweiligen Beamten der Außenministerien sowie Treffen der Außenminister selbst realisiert. Diese Zusammenkünfte werden als "OSZE-Veranstaltungen" bezeichnet. 91 Bereits in der Schlußakte vereinbarten die Teilnehmerstaaten, mit einem solchen Außenministertreffen in Belgrad 1977 zu beginnen. Diese sogenannten "KSZE-Folgetreffen" fanden später in Abständen von ca. 3-4 Jahren in den Hauptstädten einiger Teilnehmerstaaten statt92 bis es zur Einrichtung regelmäßiger "Überprüfungstreffen" gemäß den Beschlüssen von Helsinki im Jahre 1992 kam.93 Eine Institutionalisierung dieses KSZE-Prozesses, in dessen Verlauf erst auf jeder Konferenz über die Frage entschieden werden mußte, ob ein weiteres Treffen abhalten werden sollte, wurde erst 1990 durch die "Charta von Paris" begonnen. 94
II. Politische Auswirkungen und Bedeutung der Schlußakte95 Nach dem Ende der Konferenz von Helsinki ist die KSZE mit ihrer Unterzeichnung der Schlußakte zuweilen mit dem Wiener Kongreß verglichen worden. Im Unterschied zu der damaligen Konferenz, die lediglich zwischen einigen Staaten Europas abgehalten wurde, welche, was das politisch-gesellschaftliche System angeht, gleichartig waren, fand die Konferenz von Helsinki jedoch unter ganz anderen Voraussetzungen statt. Der gesamte "KSZE"-Prozeß seit Helsinki wurde bis zu den Jahren 1989/90 von dem Ost-West-Gegensatz geprägt, d. h. von den politischen und militärischen Spannungen, die sich aus dem Gegensatz der Ideologie des Kommunismus' der UdSSR und ihrer verbündeten Staaten und des freiheitlich-demokratischen Gesellschaftssystems der westlichen Staaten ergaben. Ferner ging es in Helsinki nach westlicher Auffassung gerade nicht um die Festschreibung bestehender Grenzen und Machtbereiche. In Helsinki galt es daher trotz dieser fundamentalen Unterschiede des Verständnisses der jeweiligen gesellschaftlichen Systeme, den Grundstein für ein gegenseitiges Vertrauen zu legen. Dieses Vertrauen sollte sowohl durch eine Zusammenarbeit der Staaten als auch durch die Vermehrung der Begegnungen zwischen den Menschen aufgebaut werden, d. h. gemäß 91 Siehe dazu unten 4. Teil, 4. Kapitel, B. 92 Belgrad 1977178, Madrid 1980-1983; Wien 1989 und Helsinld 1992. 93 Siehe 3. Kapitel, E. II. l. a). 94 Dazu u. 3 . Kapitel, A. 9 5 Zu den völkerrechtlichen Auswirkungen und Bedeutung der Schlußakte und aller weiteren OSZE-Dokumente s. u. 3. Kapitel.
l. Kapitel: Die Gründungsgeschichte der OSZE
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den Vereinbarungen des Korbes 3 unmittelbar den Menschen zugute kommen. Für eine abschließende Bewertung der Auswirkungen der KSZESchlußakte sowohl auf die internationale Politik als auch auf die Menschen in den Staaten des Ostblocks ist hier jedoch nicht der Platz. Dafür bedarf es einer eingehenden politologischen Untersuchung. 96 Hier kann daher lediglich eine Skizzierung der politischen Folgewirkungen der Schlußakte vorgenommen werden. Die UdSSR sah sich nach der Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte einer für sie unerwarteten Situation ausgesetzt. Die urprünglichen Absichten der Sowjetunion, den westeuropäischen Staaten durch eine "Sicherheitskonferenz" ihre Auffassung von einer Entspannungspolitik aufzuzwingen und die Bedeutung der USA und der NATO für deren Sicherheitsinteressen zu verringern, wurden nicht erfüllt. Ein System der kollektiven Sicherheit in Europa haben die europäischen Staaten in Helsinki nicht errichtet. Mit dem Prinzip III (Unverletzlichkeit der Grenzen) und IV (Territoriale Integrität) glaubte die UdSSR zwar, die dauerhafte Anerkennung der Nachkriegsgrenzen, insbesondere der innerdeutschen Grenze, erzielt zu haben. Tatsächlich jedoch war auch nach der Unterzeichnung der Schlußakte die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands offen. Dieses erreichten die westlichen Staaten durch die Verankerung des Selbstbestimmungsrechts der Völker (Prinzip VIII), der Möglichkeit der friedlichen Grenzveränderung (Prinzip I Abs. 2), und der Unberührtheitsklausel der Schlußbestimmungen (Abs. 3). Die Anerkennung der DDR erreichte die Sowjetunion bereits durch deren gleichberechtigte Teilnahme an der Konferenz und durch den vorherigen Abschluß des Grundlagenvertrages der DDR mit der Bundesrepublik Deutschland. Die Schlußakte erschwerte der UdSSR darüber hinaus die Rechtfertigung der Breschnew-Doktrin. 97 Die Prinzipien der souveränen Gleichheit der Staaten, ihrer territorialen Integrität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten galten nun zwischen allen 35 Teilnehmerstaaten, also auch zwischen den Staaten des Warschauer Paktes und nicht nur zwischen den sozialistischen und westlichen Staaten gemäß der sowjetischen Theorie der "friedlichen Koexistenz".98 Auch blieb die von 96 Eine solche umfassende Untersuchung, die die Auswirkungen der KSZE-Schlußakte aus heutiger Sicht beurteilt, liegt - soweit ersichtlich -bislang noch nicht vor. 97 Daraufweisen auch Ropers, S. 493 und Russe I, AJIL 70 (1976), S. 242 (253-257) hin. 98 Dieser Grundsatz beinhaltet das politische und wirtschaftliche Gewalt miteinbeziehende Gewaltverbot, das Gebot der Achtung der Souveränität und der Gleichheit, der territorialen Integrität, der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten und der friedlichen Streitbeilegung sowie die Fortsetzung des "ideologischen Kampfes" zwischen beiden Systemen und das Recht und die Pflicht zur Zusammenarbeit auf allen Gebieten zwischenstaatlichen
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
der UdSSR wegen ihres technologischen Rückstandes erwartete erweiterte Zusammenarbeit gemäß Korb 2, insbesondere, was moderne Technologien anbetraf, weitgehend aus. Vielmehr vergrößerte sich der Abstand zu dem Niveau der westlichen Industriestaaten. Die ursprünglich positiv eingeschätzte Schlußakte wurde schon nach kurzer Zeit weit pessimistischer betrachtet. 99 Es kam zu einer Uminterpretation der Schlußakte durch die Sowjetunion. 100 Die Schlußakte wurde als Ausdruck des Grundsatzes der "friedlichen Koexistenz" angesehen. Entgegen der Auslegungsregel in den Schlußbestimmungen, 101 wurden insbesondere die Prinzipien des Dekalogs, die der UdSSR genehm waren, hervorgehoben. Innerhalb des Ostblocks galt daher nach sowjetischer Auffassung weiterhin der Grundsatz des "proletarischen Internationalismus" . 102 Auch die DDR stellte die Prinzipien der "Anerkennung" und "Unveränderlichkeit" der Grenzen und das Interventionsverbot besonders heraus. Besonders unerwartet waren die Auswirkungen, die das Prinzip VII (Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten) sowie der Absichtserklärungen des Korbes 3 hatten. Die Dynamik, die mit diesen gegenüber dem Westen gemachten Zugeständnissen in Gang gesetzt wurde, hatten weder die westlichen Staaten noch die UdSSR vorausgesehen und auch nicht voraussehen können. Unzutreffend wurde von der Sowjetunion daher das Echo der Schlußakte eingeschätzt, das sie in den Ländern des Ostblocks hatte. Es bildeten sich in den Staaten des Warschauer Pakts ein Vielzahl von Bürgerrechtsgruppen, die sich unter anderem auch auf die KSZE-Schlußakte beriefen. 103 Es ist sehr bemerkenswert, daß sich die KSZE-Schlußakte einer größeren Beachtung und Populärität erfreute als völkerrechtlich verbindliche Verträge wie der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) der Vereinten Nationen. Dieses verwundert umso mehr, als die Bestimmungen des IPBPR verbindlicher formuliert sind und subjektive Rechte des einzelnen gewähren. AusVerkehrs. So definiert von Schweisfurth, in Meissner/Uschakow, S. 114. Diese Regeln galten wohlgemerkt nicht zwischen den Staaten des Warschauer Paktes, da hier vielmehr der Grundsatz des "sozialistischen" bzw. "proletarischen Internationalismus" anzuwenden war. Vgl. dazu genauer die Darstellung Schweisfurths in: Meissner!Uschakow, S. 114ff. 99 Vgl. Wettig, Die Folgen der KSZE aus östlicher Sicht. 100 Dirnecker, "Zu den Problemen des Überprüfungstreffens der KSZE in Belgrad", in: Die KSZE und die Menschenrechte, S. 29-32. 101 Vgl. o. I. 2. a ii. 1°2 Schwarze, S. 34. 103 Als Beispiel sei hier nur die bekannte tschechoslowakische "Charta ' 77" genannt, die aus Anlaß des Inkrafttretens des UNO-Menschen- und Bürgerrechtspaktes für die CSSR am 23. März 1976 im Januar 1977 gegründet wurde und auch Bezug auf die Schlußakte nahm. Ferner kam es zu Gründungen von "Helsinki-Komitees" u. a. auch in der UdSSR.
l. Kapitel: Die Grilndungsgeschichte der OSZE
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schlaggebend für die osteuropäischen Bürgerrechtsgruppen war aber nicht die rechtliche Qualität der Vereinbarungen, sondern der Grad der Effektivität, die sie mit den internationalen Dokumenten im Hinblick auf die Sicherung der Menschen- und Bürgerrechte erreichen konnten. Diese Effektivität war im Falle der Schlußakte von Helsinki aus zwei Gründen um ein mehrfaches höher als bei dem IPBPR. Zum einen ist dieses auf das Veröffentlichkeitsgebot des Korbes 4 der Schlußakte zurückzuführen. Die Staaten des Warschauer Paktes machten auf Grund dieser Bestimmung den Inhalt der Schlußakte durch Abdruck in den Zeitungen allen Bürgern zugänglich, während der Zugang der Bürger zu den Texten völkerrechtlicher Verträge ungleich schwieriger war. Zum anderen war die politische Bedeutung der Schlußakte ausschlaggebend. Die Teilnehmerstaaten selbst, darunter insbesondere die des Warschauer Paktes, maßen der Unterzeichnung der Schlußakte am 1. August 1975 eine große politische Bedeutung bei. Der Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Leonid Breschnew, sagte anläßtich der Unterzeichnung der Schlußakte am 31. Juli 1975 in Helsinki: "Die besondere politische Bedeutung und die moralische Durchschlagskraft der auf der Konferenz erzielten Vereinbarungen besteht darin, daß sie durch die Unterschriften der höchsten fllhrenden Persönlichkeiten der Teilnehmerstaaten besiegelt werden. Diesen Vereinbarungen ihre volle Wirksamkeit zu verleihen, das ist unsere gemeinsame und wichtigste Aufgabe. Wir gehen davon aus, daß alle Länder, die aufder Konferenz hier vertreten sind, die erzielten Vereinbarungen auch in Leben umsetzen werden. Was die Sowjetunion angeht, so wird sie gerade dieses tun." 104
So waren die Dissidenten dieser Länder in der Lage, auf die politische Bedeutung dieses Dokuments hinzuweisen, und verfügten somit über ein wirksames politisches Druckmittel. Ferner wurden die Verwirklichung der Menschen- und Bürgerrechte durch das Prinzip VII und die Verknüpfung des Korbes 3 mit dem Prinzipienkatalog Gegenstand der internationalen politischen Beziehungen. Die westlichen Staaten konnten nun unter Berufung auf Prinzip VII des Dekalogs Kritik an der Implementierung dieser Bestimmungen üben. Das Ausmaß der Verwirklichung der Bestimmungen des Korbes 3 blieb gering. Die UdSSR argumentierte, daß allein der Prinzipienkatalog unmittelbar verbindliche Grundsätze enthalte, die Bestimmungen der Körbe 2 und 3 jedoch der Ausfüllung durch bilaterale Verträge bedürften.lOS 104 EA 1975, S. D 556.
lOS Wettig, in: Delbrück!Ropers!Zelletin, S. 108 und vgl. allgemein dazu Wettig, "Argumentationslinien der UdSSR und der DDR im Blick auf die Verwirklichung ihrer KSZEVerpflichtungen".
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Jeglicher Kritik des Westens wich sie unter Berufung auf das Interventionsverbot aus. Auch im Bereich der Sicherheitspolitik waren die Auswirkungen der Schlußakte gering. Die Abrüstung im konventionellen Bereich war durch die MBFR-Verhandlungen ausgeklammert. Es wurden lediglich einige vertrauenbildende Maßnahmen vereinbart, die jedoch in ihrer militärisch-sicherheitspolitischen Bedeutung gering waren. Die KSZE führte im weiteren Verlauf insgesamt eher ein Schattendasein in der internationalen Politik. Erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Paktes erreichte die KSZE eine enorme, nicht zu unterschätzende Bedeutung unter anderem auch für die Wiedervereinigung Deutschlands, da sie ab den Jahren 1989/90 ein Forum bildete, in dem Vertreter der NATO-Staaten und des aufgelösten Warschauer Paktes gleichberechtigt miteinander sprechen konnten und so ein Vakuum an Zusammenarbeit und Konsultationen vermieden werden konnte. 106 2. Kapitel
Die erste Phase des OSZE-Prozesses (1975-1990) Der Fortgang des OSZE-Prozesses bestand - wie eingangs bereits erwähnt- in einem institutionalisierten Verhandlungsprozeß, dessen Verlauf und Ergebnisse hier zur Darstellung gelangen. In einer Vielzahl von Spezialtreffen und in drei Folgetreffen auf Außenministerebene wurde versucht, immer weitergehende Vereinbarungen zwischen den Teilnehmerstaaten auf den Gebieten, die die KSZE seit der Schlußakte von Helsinki abdeckt, zu erzielen. Neben der Darstellung der Veranstaltungen wird in diesem Teil des ersten Kapitels gleichzeitig auch auf die Einordnung der Treffen in den OSZE-Prozeß und auf Inhalt und Bedeutung der jeweiligen Abschlußdokumente eingegangen. Über den derzeitigen Stand und Inhalt der OSZEGrundsätze und -Verpflichtungen kann dieses Kapitel nicht informieren. Eine solche Darstellung wird daher im zweiten Kapitel vorgenommen.
l06 Zu dieser Rolle der KSZE genauer 2. Kapitel, F. VIII.
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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Während dieses über 15 Jahre dauernden Prozesses spiegelte der Erfolg der jeweiligen Treffen den Stand der Ost-West-Beziehungen wider. Während dieses Zeitraumes konnten nur mühsam und Schritt für Schritt Verbesserungen hinsichtlich bereits vorher erzielter KSZE-Vereinbarungen erzielt werden. Erst gegen Ende der zweiten Phase wiesen die Vereinbarungen eine neue Qualität auf.
A. Erstes KSZE-Folgetreffen in Belgrad (4. Oktober 1977- 9. März 1978) Gemäß den Vereinbarungen des vierten Korbes "Folgen der Konferenz" der KSZE-Schlußakte wurde das erste Folgetreffen in Belgrad abgehalten. 107 Dieses diente dem im vierten Korb der KSZE-Schlußakte vereinbarten "vertieften Meinungsaustausch über die Durchführung der Bestimmungen der Schlußakte und die Ausführung der von der Konferenz definierten Aufgaben sowie über die Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen, die Verbesserung der Sicherheit und die Entwicklung der Zusammenarbeit in Europa und die Entwicklung des Entspannungsprozesses in der Zukunft". 108 Es war daher keine Verabschiedung eines neuen grundlegenden Dokuments wie der Schlußakte von Helsinki beabsichtigt. Vielmehr berieten die Teilnehmerstaaten über die Implementierung der in der Schlußakte niedergelegten Vereinbarungen. Dieses ist insofern bedeutsam, als sich souveräne Staaten zum ersten Mal verpflichtet hatten, über die Einhaltung eines lediglich politisch verbindlichen Dokuments zu beraten. 109 So beklagte die Delegation der Bundesrepublik Deutschland die mangelnde Befolgung des Prinzips VII (Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten) durch einige osteuropäische Staaten sowie die Ablehnung zahlreicher Ausreiseanträge zur Familienzusammenführung durch die UdSSR und die DDR, die gegen die Vereinbarungen aus dem Korb 3 der Schlußakte verstieß. 110 Es wurden jedoch keine die 107 Das "Abschließende Dokument" des Belgrader Folgetreffens findet sich in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 82-84; EA 1978, S. D 246-248 und Fastenrath, B. l.Vgl. dazu Fischer, EA 1978, S. 221-230; Wettig, in: Internationales Recht und Diplomatie 1977-80, S. 39-59; ders., in: Außenpolitik 1978, S. 287-296; van Weil, EA 1977, S. 577-585; Groll, in: Außenpolitik 1977, S. 355-366; Nimetz, EA 1978, S. 379-386. 108 Korb 4 der Schlußakte und "Abschließendes Dokument" des Belgrader Folgetreffens, 5. Absatz. 109 Vgl. Fischer, EA 1978, S. 221 (221). 110 Fischer, EA 1978, S. 221 (222). 5 Bortloff
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I . Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Schlußakte konkretisierenden Vereinbarungen getroffen. Die NATO- und die neutralen bzw. nichtgebundenen Staaten (N+N-Staaten) schlugen konkretisierende Bestimmungen hinsichtlich des Menschenrechtsschutzes und des dritten Korbes vor. Zu deren Annahme war die Sowjetunion jedoch nicht bereit. Statt dessen wollte sie weiteren Vereinbarungen nur auf dem Gebiet militärischer Fragen zustimmen. Um die Einheit der Bestimmungen der Schlußakte auch bei der Folgekonferenz zu bewahren, ließ sich der Westen jedoch auf eine "Zerpflückung" der Schlußakte nicht ein. 111 Daher kam es lediglich zu einer Bekräftigung der Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki und der Feststellung, daiJ die Teilnehmerstaaten hinsichtlich des erreichten Grades der Durchführung dieser Vereinbarungen unterschiedlicher Auffassungen waren. Trotzdem beschlossen die Regierungen der Teilnehmerstaaten gemäß dem Korb 4 der Schlußakte "Folgen der Konferenz", weitere Treffen abzuhalten, wobei das nächste Treffen im Jahre 1980 in Madrid stattfinden sollte. Ferner wurde erstmals die Abhaltung sogenannter "Expertentreffen" vereinbart, bei denen sich sachkundige Vertreter der Teilnehmerstaaten mit Methoden friedlicher Streitbeilegung, wissenschaftlicher Zusammenarbeit und der Zusammenarbeit im Mittelmeerraum befassen sollten. Im weiteren Verlauf des OSZE-Prozesses sollte es zu einer Vielzahl solcher Treffen auf der Ebene der Beamten kommen, die, von der Öffentlichkeit meist kaum beachtet, weitere Verbesserungen der in Helsinki getroffenen Vereinbarungen erreichten.
B. Ergebnisse der in Belgrad vereinbarten Expertentreffen I. Expertentreffen von Montreux über friedliche Streitbeilegung (31. Oktober - 11. Dezember 1978) Bei diesem Treffen wurde kein Konsens über eine Methode friedlicher Streitbeilegung gefunden. Es wurden lediglich allgerneine Grundsätze festgehalten, auf deren Grundlage ein zu entwickelnder Mechanismus basieren sollte. 112
111 Fischer, EA 1978, S. 221 (222). 11 2 Vgl. den Bericht über das Expertentreffen, EA 1979, S. D 445-446; zu den Folgeexpertentreffen bzgl. des Bereichs der friedlichen Streitbeilegung s. u. D. !.und 3. Kapitel D. I., sowie den späteren OSZE-Streitbeilegungsmechanismus, 4. Teil, 5. Kapitel, A. V.
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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II. Expertentreffen in Valletta über Zusammenarbeit im Mittelmeerraum (13. Februar- 26. Mirz 1979) Dieses Treffen bildet den Auftakt zu einer Reihe weiterer Spezialtreffen der KSZE zu Fragen der Zusammenarbeit im Mittelmeerraum, die auf Wunsch der Mittelmeerküstenländer innerhalb der Teilnehmerstaaten, darunter insbesondere Malta, zustande kamen. An dieser KSZE-Veranstaltung nahmen wie zuvor auch schon in Belgrad Staaten teil, die nicht zu den 35 Teilnehmerstaaten der KSZE gehörten: Die sogenannten nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten. Eine entsprechende Einladung nahmen Ägypten, Israel und Syrien an. 113 Ferner waren auch Vertreter der ECE der UN, des UNEP sowie der UNESCO beteiligt. Nach dem Bericht dieses Expertentreffens 114 kamen die Teilnehmerstaaten überein, in bestimmten Fragen der Zusammenarbeit im Mittelmeerraum unter anderem auch in den entsprechenden Internationalen Organisationen, ECE der UN, UNEP und UNESCO eng zu kooperieren. Während des Treffens kam es hauptsächlich zu einem Meinungsaustausch über bereits laufende Aktivitäten sowohl bilateraler als auch multilateraler Art. Die Teilnehmerstaaten verabredeten, in den Bereichen der Entwicklung der Wirtschaft, des Umweltschutzes, der Wissenschaft, der Kultur und des Tourismus zuammenzuarbeiten.
111. Expertentreffen über wissenschaftliche Zusammenarbeit in Bonn und Hamburg 115 (20. Juni- 28. Juli 1978 bzw. 18. Februar- 3. März 1980) Als Ergebnis des "Wissenschaftlichen Forums der KSZE" wurde während des zweiten Treffens in Harnburg u. a. vereinbart, auf den Gebieten der alternativen Energiequellen, der Nahrungsmittelerzeugung, Medizin sowie den Geistes-und Sozialwissenschaften eine engere Zusammenarbeit 113 Zur Mitwirkungsweise der nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten s. o. 4. Teil, 2. Kapitel, A. Ill.
114 EA 1979, S. D 446-450; Fastenrath, I. 2. 115 Siehe den Bericht über das Hamburger Forum in: SZE I, S. 143-163; EA 1980, S. D 225-232; Fastenrath, I. 3.
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
anzustreben. Die Vertreter der Teilnehmerstaaten arbeiteten entsprechende konkrete Empfehlungen hinsichtlich der verschiedenen Bereiche aus.
C. Zweites KSZE-FolgetrefTen in Madrid (11. November 1980- 5. September 1983)
Die während des ersten KSZE-Folgetreffens in Belgrad vereinbarte zweite Zusammenkunft der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten in Madrid stand vor einem ungünstigen politischen Vorzeichen. Die weltpolitische Lage seit 1975 und 1977 hatte sich erheblich verschlechtert. Vor Konferenzbeginn mußten deren Teilnehmer den Einmarsch der sowjetischen Armee in Afghanistan am 22. Dezember 1979 zur Kenntnis nehmen. Desweiteren nahm die Verfolgung von Bürgerrechtlern und Gläubigen insbesondere in Polen zu. Zudem erhöhte die DDR am Vorabend des Konferenzbeginns den Pflichtumtauschsatz für einreisende Bürger westlicher Staaten. Einige dieser Staaten, darunter die USA, fragten, ob es angesichts dieser gravierenden Mißachtungen der KSZE-Schlußakte überhaupt noch sinnvoll sei, den KSZE-Prozeß fortzusetzen. Nicht zuletzt auf Betreiben der Regierung der Bundesrepublik Deutschland fand das Treffen dennoch statt. Aber als im Dezember 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde und in den darauffolgenden Wochen schwere Verstöße gegen die Prinzipien der KSZE-Schlußakte zu verzeichnen waren, stand das Treffen und damit auch die Zukunft der KSZE vor einer Bewährungsprobe. Es wurde schließlich am 12. März 1982 um knapp acht Monate auf den 9. November 1982 vertagt. Nach äußerst schwierigen Verhandlungen wurde am 6. September 1983 ein "Abschließendes Dokument" 116 unterzeichnet. 117 In dessen Vereinbarungen konnten wegen der angesprochenen politischen Differenzen keine grundlegenden Fortschritte auf den Gebieten der KSZE erzielt werden. Jedoch wurde zum ersten Mal während des OSZE-Prozesses die Gewerkschaftsfreiheit anerkannt.I 18 116 AA, 20 Jahre KSZE, S. 85-105; EA 1983, S. D 537-554; Fastenrath, B. 2. 117 Vgl. die Bewertungen der Verhandlungen durch: Kastl, EA 1983, S. 617-626; Brunner, Edouard, EA 1983, S. 723-728; Roth, Margit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1983, Nr. 46, S. 17-33;Konarski, EA 1983, S. 703-710. 118 "Abschließendes Dokument" von Madrid, Abschnitt "Fragen der Sicherheit in Europa", Ziff. 13.
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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Ferner wurde ein drittes Folgetreffen in Wien für 1986 vereinbart. Nach deni Willen der KSZE-Teilnehmerstaaten sollten Expertentreffen über Menschenrechte in Ottawa 1985, über menschliche Kontakte 1986 in Bern sowie über Methoden friedlicher Streitbeilegung 1984 in Athen stattfinden. Ein weiteres Novum im OSZE-Prozeß war die Einberufung einer Konferenz über vertrauen- und sicherheitbildende Maßnahmen und Abrüstung (KVAE) nach Stockholm 1984, deren Regelungsbereich geographisch auf das Gebiet vom Atlantik bis zum Ural beschränkt wurde.
D. Ergebnisse der in Madrid vereinbarten Expertentreffen und der KVAE I. Expertentreffen über friedliche Streitbeilegung in Athen (21. März- 30. April 1984) Dieses Expertentreffen brachte keine nennenswerten Ergebnisse, es wurden lediglich Vorschläge unterbreitet und die jeweiligen Standpunkte erläutert. 119
II. Seminar über wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit im Mittelmeerraum in Venedig (16. Oktober - 26. Oktober 1984) "Um die bereits unternommenen oder geplanten Initiativen in allen im Bericht des Treffens von Valletta 120 umrissenen Bereichen zu prüfen und, soweit erforderlich, umfassendere Entwicklungen in diesen Bereichen anzuregen" fand in Venedig im Oktober 1984 ein Seminar über die Zusammenarbeit im Mittelmeerraum statt. 12 1 Auch bei diesem Treffen beteiligten sich aus dem Kreis der nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten Ägypten und Israel. Neben den Vertretern der ECE, des UNEP und der UNESCO gaben auch die Vertreter der WHO und der ITU Beiträge zu diesem Treffen. 119 Vgl. den Bericht in SZE I, S. 199 (nur z. T. abgedruckt); Fastenrath, I. 4. 120 Dazu o. B. II. 121 Vgl. den Bericht des KSZE-Seminars von Venedig über die Zusammenarbeit im Mittelmeer, I. Abs., in SZE I, S. 200-204; Fastenrath, I. 5.
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Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Die Vertreter der Teilnehmerstaaten einigten sich auf Empfehlungen an ihre Regierungen über die weitere Zusammenarbeit. Es wurden entsprechend konkrete Vorschläge auf den Gebieten der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit gemacht.l22
111. Expertentreffen über Menschenrechte in Ottawa (7. Mai- 17. Juni 1985) Die Abhaltung dieses ersten Expertentreffens 123 über Fragen der Menschenrechte haben die westlichen Staaten während der Folgekonferenz von Madrid erreichen können, um dem Schutz der Menschenrechte gegenüber den sicherheitspolitischen Fragen mehr Gewicht innerhalb des KSZERahmens zu verleihen. Zum ersten Mal in der Geschichte des OSZE-Prozesses konnten sich die Delegationen jedoch nicht auf ein gemeinsames Schlußdokument einigen. Daher wurde auch kein weiteres Expertentreffen zu diesem Thema vereinbart. Auf dem Treffen von Ottawa stand aber der Schutz der Menschenrechte im Mittelpunkt eines neben Foren der UNO weiteren, in der Öffentlichkeit beachteten internationalen Gremiums. Dort spiegelten sich die unterschiedlichen Standpunkte der Teilnehmerstaaten zu den Fragen des Menschenrechtsschutzes wider, die 1985 bestanden: Die NATO-Staaten stellten auf diesem Treffen fest, daß der Ostblock seine Verpflichtungen gemäß den Bestimmungen der KSZE-Schlußakte von Helsinki bei weitem nicht erfüllte. Die Staaten des Warschauer Paktes hielten gemäß ihrem Menschenrechtsverständnis die sozialen Rechte des Menschen für vorrangig gegenüber den individuellen Freiheitsrechten, die von den NATO- und den meisten N+N-Staaten jedoch als Kernbereich der Menschenrechte angesehen wurden. Die UdSSR versuchte darüber hinaus, den Menschenrechtskatalog der KSZE-Schlußakte und der anerkannten Menschenrechte der beiden UN.Menschenrechtspakte um ein Recht zu erweitern: Das "Recht auf Leben in Frieden" als sogenanntes "Menschenrecht der dritten Generation" erachtete die Sowjetunion als das grundlegende Freiheitsrecht des Menschen 122 Bericht des KSZE-Seminars von Venedig, 13. Abs.- 34. Abs. 123 Vgl. dazu die BewertungvonEickho.ff. EA 1985, S. 573-580.
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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schlechthin, da es die fundamentale Voraussetzung für alle anderen Menschenrechte sei. 124 Die NATO-Staaten lehnten das damit verbundene Bestreben ab, den anerkannten Menschenrechten damit ein neues, geringeres Gewicht zu verleihen und den Charakter der klassischen Menschenrechte als Individualrechte zu verwischen. So bestand der einzige Nutzen dieses Treffens darin, die mangelnde Beachtung der Menschenrechte in den Staaten des Warschauer Paktes vor einem internationalem Gremium erörtert und Vorarbeit für das Wiener Folgetreffen geleistet zu haben.
IV. "Kulturforum der KSZE" in Budapest (15. Oktober- 25. November 1985) Auf der Grundlage der Vereinbarungen von Madrid fand in Budapest ein "Kulturforum" der KSZE statt. 800 Delegierte, davon 500 führende Persönlichkeiten aus dem Kulturleben der Teilnehmerstaaten als nichtweisungsgebundene Mitglieder der Regierungsdelegationen, berieten über die Bedingungen des künstlerischen Schaffens, die Verbreitung von Kunst und Kultur sowie die kulturelle Zusammenarbeit und den Kulturaustausch. Nachdem bereits nach dem Expertentreffen über Menschenrechte in Ottawa kein Schlußdokument vorgelegt werden konnte, wurde hier ebenfalls keine Einigung über einen abschließenden Bericht erreicht. Jedoch kam es erstmals zu einer breiten und intensiven Erörterung des jeweiligen Verständnisses von Kultur und ihrer Rolle in der Gesellschaft. 125 Dabei zeichnete sich das Kulturverständnis des Ostblocks ab. Kultur hatte danach ihre eigene Rolle in der "sozialistischen Gesellschaft". Die humanistischen Werte des Künstlers sollten ihn zum Kampf für den Frieden und die atomare Abrüstung verpflichten. Die westlichen und N+N-Staaten haben demgegenüber die Bedeutung der Individualität des Künstlers herausgestellt und besonderen Wert auf die ungehinderte Entfaltung der künstlerischen Tätigkeit gelegt.
124 Vgl. Eickhoff, EA 1985, S. 573 (576). 125 Siehe dazu auch eine Zusammenfassung dieser Veranstaltung von Pabsch, EA 1986, S. 211-216.
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I.
Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
V. Expertentreffen über menschliche Kontakte in Bern (15. April - 27. Mai 1986) Ebenso wie das Treffen von Ottawa, war auf Drängen der westlichen Staaten in Madrid vereinbart worden, ein Treffenl26 über menschliche Kontakte abzuhalten, um dem Korb 3 der KSZE-Schlußakte im "HelsinkiProzeß" mehr Gewicht zu verleihen. Dies geschah auch im Hinblick auf den vor allem von der UdSSR forcierten Bereich der "Fragen der Sicherheit". In Bern wurde über die Entwicklung von Kontakten zwischen Personen, Institutionen und Organisationen gesprochen. Die Familienzusammenführung und familiäre Begegnungen, Reisen aus persönlichen oder beruflichen Gründen, Bedingungen des Tourismus und Möglichkeiten der Begegnung auf anderen Gebieten sollten durch in einem Schlußbericht niedergelegte Vorschläge verbessert werden. Jedoch zeigte sich auch hier die mangelnde Bereitschaft der UdSSR und anderer Ostblockstaaten, Fortschritte auf diesem Gebiet zu erzielen. Erst am Schluß der Konferenz konnten sich 34 Delegationen nach mühevollen Verhandlungen auf ein Schlußdokument einigen. Die US-amerikanische Delegation stimmte jedoch als einzige dagegen. Sie hatte vergeblich von der Sowjetunion die Lösung von 36 dringlichen Menschenrechtsfällen verlangt, von der die USA ihre Zustimmung zum Schlußdokument abhängig machte. Diesem Verlangen gab die UdSSR jedoch nicht nach. Somit wurde auch nach diesem Treffen kein Schlußbericht angenommen.
VI. Konferenz über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa (KVAE) in Stockholm (17. Januar 1984- 22. September 1986)127 Die über zwei Jahre währende Konferenz über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen in Europa (KVAE) fand in Stockholm gemäß dem Madrider Schlußdokument statt, als erste Veranstaltung im
126 Vgl. die Einschätzung Doepfners, EA 1986, S. 513-522 und aus amerikanischer Sicht: Novak, Taking glasnost seriously. 127 Dokument der KVAE in EA 1986, S. D 625-638; Fastenrath F. I .
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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Rahmen des OSZE-Prozesses, die sich mit Fragen der Vertrauen- und Sicherheitbildenden Maßnahmen (VSBM) befaßte. 128 Gemäß dem Abschließenden Dokument von Madrid wurde die KVAE in zwei Phasen durchgeführt: Die erste Phase, die in Stockholm verhandelt wurde, befaßte sich ausschließlich mit VSBM. Der Bereich der Abrüstung sollte erst nach einem der späteren Folgetreffen der KSZE in einer zweiten Phase behandelt werden. Auch die KVAE begann im Januar 1984 unter weltpolitisch widrigen Umständen. Die Ost-West-Beziehungen hatten einen Tiefpunkt erreicht, als die NATO den sogenannten Doppelbeschluß mit der Dislozierung der Mittelstreckenraketen ausführte und die Sowjetunion daraufhin die START129_ und JNF13°-Verhandlungen- vorübergehend- abbrach. Das Ziel der ersten Phase der KVAE in Stockholm war es, die 1975 in der KSZE-Schlußakte vereinbarten VSBM zu erweitern und zu verbessern.131 Dabei standen sich zu Beginn der Konferenz zwei ganz unterschiedliche Interpretationen des Charakters von VSBM gegenüber: Die NATO vertrat eine technisch-militärische Konzeption, um durch konkrete Maßnahmen gegenseitiges Mißtrauen abzubauen. Dagegen favorisierte der Warschauer Pakt eine politisch-militärische Betrachtungsweise. Durch vornehmlich deklaratorische Maßnahmen, wie Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen, Abschluß eines Gewaltverzichtsvertrages und die Einrichtung atomwaffenfreier Zonen in Europa wollten diese Staaten eine Vereinbarung, über Maßnahmen militärischer Überwachung verhindern.132 Nach zahlreichen Verhandlungsrunden, in denen keine Fortschritte erzielt werden konnten, trat schließlich ab dem Jahre 1986 eine Wendung ein, als der neue Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, am 15. Januar 1986 ein "Programm zur vollständigen Beseitigung der Kernwaffen in der ganzen Welt" 133 verkündete. Die neue sowjetische 128 Vgl. dazu die Bewertungen von Bacia, EA 1987, S. 369-378 und Schenk, EA, 1987, S. 77-84. 129 Strategie Arms Reduction Talks = Verhandlungen über die Reduzierung strategischer Atomraketen. 130 Intermediate Nuclear Forces =nukleare Mitte1streckenwaffen. 131 Vgl. Madrider Abschließendes Dokument, Abschnitt "KVAE". 132 Vgl. Schenk, EA 1987, S. 77 (79). 133 Text: EA 1986, S. D 135-143.
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Führung strebte wohl zu diesem Zeitpunkt an, die Durchführung der zweiten Phase der KVAE auf der 3. KSZE-Folgekonferenz von Wien im Jahre 1986 zu beschließen, in der Abrüstungsfragen im Mittelpunkt stehen sollten. Daher sollten als Voraussetzung dafür die Stockholmer Verhandlungen erfolgreich beendet werden. Man einigte sich daher schließlich auf folgende Punkte, wobei die Möglichkeit der Inspektionen an Ort und Stelle einmalig in der Geschichte der internationalen Verhandlungen über die militärische Sicherheit war: Manöver sind 42 Tage vorher anzukündigen, wenn mehr als 13.000 Soldaten oder mehr als 300 Panzer daran beteiligt sind, alle der Ankündigung unterliegenden Manöver sind den Teilnehmerstaaten der KVAE bis zum 15. November für das folgende Jahr in einem Jahreskalender schriftlich zu übermitteln, Manöver, an denen mehr als 40.000 Mann beteiligt sind, werden zwei Jahre im voraus angekündigt, Manöver mit mehr als 75.000 Mann dürfen nicht stattfinden, wenn sie nicht in dieser Frist angemeldet wurden, die Teilnehmerstaaten sind verpflichtet, Beobachter einzuladen, wenn die Schwelle von 17.000 Mann bei Manövern überschritten wird, jeder Teilnehmerstaat hat das Recht, bei einem anderen um Inspektion nachzusuchen, wenn er Zweifel an der Einhaltung der Vereinbarungen hat. Kein Teilnehmerstaat muß auf seinem Gebiet mehr als drei Inspektionen pro Jahr zulassen. Eine Zurückweisung des Inspektionsersuchens ist nicht möglich. Dieses Ergebnis der KVAE stellte einen wesentlichen Fortschritt in den Bemühungen um VSBM dar, da die Vereinbarungen im Gegensatz zum Inhalt des "Dokuments über vertrauensbildende Maßnahmen und bestimmte Aspekte der Sicherheit und Abrüstung" des Korbes 1 der Schlußakte in verbindlicher Weise formuliert wurden.
E. Drittes KSZE-Folgetreffen in Wien (4. November 1986 - 19. Januar 1989)
Der Verlauf des 3. KSZE-Folgetreffens in Wien spiegelt die Veränderung des Ost-West-Verhältnisses, die sich in dieser Zeit ergab, wi-
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der. 134 Ursprünglich kam es wie bei allen vorherigen KSZE-Treffen zu einer Konfrontation der Standpunkte der beiden militärischen Bündnissysteme, NATO und Warschauer Pakt. Die UdSSR legte mehr Gewicht auf Sicherheitsfragen, die NATO-Staaten wollten vornehmlich Fortschritte bei den Menschenrechtsfragen ·erreichen. Im Zuge der neuen Politik der Sowjetunion unter der Führung Michail Gorbatschows, die sich erst in den Jahren ab 1986/87 zu entwickeln begann, und die auch erst gegen Ende der Konferenz ihre Wirkung entfalten konnte, näherten sich dann die Vorstellungen der Bündnisse an. Die UdSSR und andere Staaten des Warschauer Paktes, wie Polen und Ungarn, die bereits über ein reformiertes politisches System verfügten, reagierten auf Kritik wegen Menschenrechtsverletzungen nicht mehr mit dem Vorwurf der Einmischung in die inneren Angelegenheiten. 135 Vielmehr schlug die Sowjetunion durch ihren Außenminister, Eduard Schewardnadse, vor, 1991 ein Menschenrechtstreffen der KSZE in Moskau abzuhalten. Die UdSSR akzeptierte auch erstmals, Rüstungskontrolle und Menschenrechtsschutz gemäß dem Prinzip IX der KSZE-Schlußakte als Einheit zu betrachten. Auf der anderen Seite zeigte sich, daß nicht mehr der Gegensatz der beiden Militärblöcke den KSZE-Prozeß charakterisierte, sondern daß vielmehr unterschiedliche Standpunkte der Regierungen innerhalb der Staaten des Warschauer Paktes zum Vorschein kamen. Die Regierungen der DDR, der CSSR und Rumäniens folgten nicht mehr dem Beispiel der Sowjetunion, sondern wandten sich nun allein gegen weitere Fortschritte auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes.
I. Die "Menschliche Dimension der KSZE" Trotzdem wurde in Wien die bis dahin umfassendste und weitestgehende KSZE-Vereinbarung über Menschenrechte getroffen. Im Abschließenden Dokument des Wiener KSZE-Folgetreffens 136 wird der Bereich der "Menschlichen Dimension der KSZE" begründet. Darunter 134 Vgl. zu dem Wiener Treffen: Wrede, KSZE in Wien, Bruns, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 12/89, S. 3-9; Groth, EA 1989, S. 95-102. 13S Groth, EA 1989, S. 95 (96). 136 TeKt: AA., 20 Jahre KSZE, S. 106-143 (ohne Anhänge); EA 1989, S. D 133-164; Fastenrath, B. 3 (Anhänge z. T. abgedruckt); Anhänge vollständig in Bulletin, Nr. 10 vom 31. Januar 1989, S.77-108.
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
werden "die Verpflichtungen aus den KSZE-Dokumenten betreffend die Achtung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten, die menschlichen Kontakte und andere Fragen von gleichfalls humanitärer Art" verstanden. 137 Später wurde der Bereich der "Fragen von gleichfalls humanitärer Art" durch Bestimmungen über die pluralistische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die Minderheitenrechte erweitert. 138 Ferner gelten seit dem Moskauer Dokument aus dem Jahre 1991 jene Bestimmungen als "international berechtigtes Anliegen" und als eine "nicht ausschließlich innere Angelegenheit des betroffenen Staates". 139 Die OSZE versteht sich heute im Hinblick auf diese Vereinbarungen als eine "Wertegemeinschaft".I40 Daneben bekräftigen die Teilnehmerstaaten im Abschließenden Dokument weitgehend ihre bereits aus völkerrechtlichen Dokumenten resultierenden Verpflichtungen. Unter anderem wurden folgende besonders bedeutsame Punkte vereinbart:
1. Bestätigung der Grundsätze des Prinzipienkatalogs
Die Teilnehmerstaaten bekräftigten ihre Verpflichtungen gemäß dem Dekalog der Schlußakte von Helsinki und verpflichteten sich, ihre Gesetze, ihre Praxis und Politik mit den KSZE-Vereinbarungen und völkerrechtlichen Verpflichtungen in Einklang zu bringen. 141
2. Freizügigkeit und Recht auf Ausreise
Erstmals wurde das "Recht eines jeden auf Freizügigkeit und die Wahl des Aufenthaltsortes innerhalb der Grenzen eines jeden Staates" sowie
13 7 Abschließendes Dokument von Wien, Abschnitt "Menschlichen Dimension der KSZE", Ziff. 3. 13& Vgl. Päambel des Kopenhagener Dokuments, 9. Abs. Dazu unten F. VI. 2. a. 139 Moskauer Dokument, Präambel, 9. Abs. Siehe dazu unten 3. Kapitel, D. VI. 2. a. 140 So erstmals im Budapester Dokument 1994, Beschlüsse von Budapest, Kapitel VIII, Ziff. I. 141 Abschnitt "Fragen der Sicherheit in Europa - Prinzipien" des Abschließenden Dokuments.
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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"das Recht auf Ausreise aus jedem Land, darunter auch seinem eigenen und auf Rückkehr in sein Land" festgeschrieben. 142 Diese Vereinbarung hatte eine große Bedeutung für die Staaten des Warschauer Paktes, da sie die freie Ausreise und Rückkehr ihrer Staatsangehörigen in der Vergangenheit nicht zuließen. Zwar wird das Recht der Ausreise nicht unbeschränkt gewährt, 143 jedoch wurde erstmals ein Regel-Ausnahme-Prinzip festgelegt, wobei das Recht auf Freizügigkeit die Regel sein soll. Beschränkungen sind ausdrücklich nur als Ausnahme zulässig. 144 Dabei müssen die Ausnahmebestimmungen im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Teilnehmerstaaten stehen, insbesondere mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Desweiteren wurden detaillierte Regeln zur Bearbeitung von Reiseanträgen durch Behörden erarbeitet. 3. Diskriminierungsverbot
Es soll sichergestellt werden, daß kein Nachteil für die Person oder die Familie entsteht, die die Menschenrechte für sich in Anspruch nimmt. 145 4. Schutz nationaler Minderheiten
Ausführlicher als im Prinzip VII der Schlußakte von Helsinki und dem Abschließenden Dokument von Madrid 146 wurde der Schutz der Rechte nationaler Minderheiten geregelt. 147 Die Teilnehmerstaaten verpflichteten sich nunmehr, "sich jeglicher Diskriminierung dieser Personen [zu] enthalten . . . und die ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität 142 Abschließendes Dokument von Wien, "Abschnitt Fragen der Sicherheit in Europa", Abs. 20f. 143 Vgl. Abs. 21 des Abschließenden Dokuments, Abschnitt "Fragen der Sicherheit in Europa". 144 Abs. 21 des Abschnitts "Fragen der Sicherheit in Europa" des Abschließenden Dokuments. 145 Abs. 13.8 des Abschnitts ,,Fragen der Sicherheit in Europa" des Abschließenden Dokuments. 146 Punkt 11 des Abschließenden Dokuments. 147 Abschließendes Dokument von Wien, "Abschnitt Fragen der Sicherheit in Europa", Abs. 18f.
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
nationaler Minderheiten ... [zu] schützen und Bedingungen für die Förderung dieser Identität [zu] schaffen". 5. Todesstrafe
Die Teilnehmerstaaten konnten sich nicht auf die Verpflichtung einigen, die Todesstrafe abzuschaffen, obwohl eine Mehrheit dafür eintrat. Die USA und Großbritannien widersetzten sich solchen Bestrebungen. 148 Es blieb daher lediglich bei der Feststellung, "daß eine Reihe von ... [Teilnehmerstaaten] diese Strafe abgeschafft hat" und daß "[i]n Teilnehmerstaaten, in denen die Todesstrafe noch nicht abgeschafft wurde, ... ein Todesurteil nur für die schwersten Verbrechen ... nicht unter Mißachtung ihrer internationalen Verpflichtungen 149 verhängt werden". Man einigte sich auf die Formulierung, daß "[d]iese Frage ... weiter verfolgt" werde. Bis heute kamen die OSZE-Staaten über diese Regelung nicht hinaus. 6. Mechanismus zur "Überprüfung der Bestimmungen über die Menschliche Dimension der OSZE
Die Teilnehmerstaaten vereinbarten, daß die Überprüfung des Menschenrechtsschutzes in einem dreistufigen "Mechanismus" geschehen sol1. 150 Mit diesem Mechanismus schufen die Teilnehmerstaaten erstmals ein Verfahren innerhalb der KSZE, mit dessen Hilfe die Staaten die Menschenrechtsverletzungen förmlich vor einem internationalen Gremium zur Sprache bringen können.
II. Vereinbarungen bezüglich Fragen der Sicherheit 1. Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE)
Im Verlauf der früheren Verhandlungen zeigte sich, daß bei Abrüstungsverhandlungen die N+N-Staaten Schwierigkeiten hatten, bei militärischen Fragen Verpflichtungen einzugehen, da sie nicht Mitglied eines Bündnisses waren. Daher wurde in Wien vereinbart, daß zwischen 148 Siehe Tretter, HRLJ 1989, S. 257 (265). 149 Vgl. Art. 6 IPBPR. 150 Vgl. dazu die ausruhrliehe Darstellung im 4. Teil, 5. Kapitel, BI.
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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den Staaten des Warschauer Paktes und denen der NATO als "Gruppe der 23" Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE) aufzunehmen seien. 15 1 Der Kreis der Teilnehmerstaaten der VKSE umfaßte daher nicht mehr die gesamten KSZE-Staaten, jedoch fanden diese Verhandlungen ausdrücklich im Rahmen des KSZE-Prozesses statt. 152 Es wurde eine Verbindung zwischen der VKSE und den Verhandlungen über VSBM (VVSBM, s. u. 2.) in Form von Konsultationen zwischen diesen beiden Foren hergestellt. 153 Die seit 1973 ergebnislos verlaufenden MBFR-Verhandlungen, die während der Beratungen über die Durchführung der KSZE vereinbart worden waren, 154 wurden durch die VKSE ersetzt, indem die Verhandlungsstaaten die MBFR-Gespräche am 2. Februar 1989 einvernehmlich beendeten. Die VKSE stellen somit die 2. Phase der in Madrid 1983 vereinbarten KVAE dar, die als solche damit nicht unmittelbar fortgeführt wurde, sondern in die VKSE und die Verhandlungen über VSBM (VVSBM) aufgespaltet wurde. 2. Verhandlungen über Vertrauenund Sicherheitbildende Maßnahmen (VVSBM)
Die Teilnehmerstaaten beschlossen, 155 auf der Grundlage des Abschließenden Dokuments der KVAE von Stockholm 1986 weitere Verhandlungen über VSBM zu führen 156. Wie oben bereits angesprochen, stellen die VVSBM gleichsam die Fortführung der ersten Phase der KVAE dar. Dabei sollte ein "neuer Satz einander ergänzender Vertrauens- und Sicherheitsbildender Maßnahmen" ausgearbeitet werden. Dieses geschah später in jeweils zwei Phasen mit der Erstellung des "Wiener Dokuments 151 Abschließendes Dokument von Wien, Abschnitt " VSBM und bestimmte Aspekte der Sicherheit in Europa, Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa". 152 Anhang III des Abschließenden Dokuments von Wien i. V.m. dem Abschnitt "Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa" 153 Siehe Anhang III des Abschließenden Dokuments von Wien i. V.m. dem Abschnitt "Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa" 154 Vgl. oben I. Kapitel, A. III. 155 Abschließendes Dokument von Wien, Abschnitt "VSBM und bestimmte Aspekte der Sicherheit und Abrüstung in Europa", Unterabschnitt "Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen"; s. a. Anhang II des Dokuments. 156 Daher wurden diese Verhandlungen auch zuweilen KVAE II genannt.
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
1990", welches am 21. November 1990 in Paris anläßlich des KSZEGipfeltreffens angenommen wurde 157 und dem "Wiener Dokument 1992", das am 4. März 1992 verabschiedet wurde_l58
111. Vereinbarung von Spezialtreffen 1. Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE
Die Bereiche der OSZE-Verpflichtungen zur Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, zu den menschlichen Kontakten und anderen Fragen humanitärer Art werden von den Teilnehmerstaaten - wie bereits erwähnt - als "Menschliche Dimension der OSZE" bezeichnet. 159 Um weitere Fortschritte auf diesem Gebiet zu erzielen, vereinbarten sie die Einberufung einer Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE. 160 Diese Konferenz sollte insbesondere praktische Vorschläge für neue Maßnahmen prüfen, die auf eine bessere Überprüfung der Einhaltung von Verpflichtungen der Menschlichen Dimension gerichtet sind. Dazu wurden drei Treffen, nämlich 1989 in Paris, 1990 in Kopenhagen und 1991 in Moskau, vereinbart.
2. Wirtschaftskonferenz, Expertentreffen
Es wurde ferner vereinbart, eine Wirtschaftskonferenz, die "Konferenz über wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa", in Bonn abzuhalten 161 sowie Expertentreffen über die friedliche Streitbeilegung in Valletta, 162 ei-
157 Vgl. u. 3. Kapitel, B. 158 Vgl. u. 3. Kapitel, D. X. 159 Vgl o.l. 160 Abschließendes Dokument
4. Absatz i.V.m. Anhang X.
von Wien, Abschnitt "Menschliche Dimension der KSZE",
161 Abschließendes Dokument von Wien, Abschnitt ,,Zusammenarbeit in den Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Technik sowie der Umwelt", Ziff. 13 i. V.m. Anhang V. 162 Abschließendes Dokument Europa/Prinzipien", Ziff. 7.
von
Wien,
Abschnitt
"Fragen
der
Sicherheit
in
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
81
ne Umweltkonferenz in Sofia163 und ein Symposium über Europas kulturelles Erbe und seine Erhaltung in Krakau 164 zu veranstalten.
3. Viertes KSZE-Folgetreffen
Das nächste KSZE-Folgetreffen, welches das vierte Haupttreffen war, sollte am 24. März 1992 in Helsinki beginnen.165
F. Ergebnisse der in Wien vereinbarten Spezialtreffen I. KSZE-Informationsforum in London (18. April - 12. Mai 1989) Regierungsdelegationen einschließlich Journalisten berieten in London über die Verbesserung der Meinungs- und Informationsfreiheit in den Teilnehmerstaaten. Das Treffen beruhte auf dem Mandat des Abschließenden Dokuments von Wien. 166 Erörtert wurde die Verbesserung der Verbreitung und Austausches von Informationen sowie des Zugangs zu Informationen. Ferner stand die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Journalisten im Vordergrund, da die journalistische Arbeit in den Staaten des Warschauer Paktes sehr eingeschränkt wurde. Die Annahme eines Schlußdokuments kam wegen der Weigerung Rumäniens nicht zustande.
II. Erstes Treffen der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE in Paris (30. Mai- 23. Juni 1989) Dieses Treffen diente gemäß seinem im Abschließenden Dokument von Wien niedergelegten Mandat der Überprüfung der Einhaltung von KSZEMenschenrechtsschutzverpflichtungen.
163 Abschließendes Dokument von Wien, Abschnitt "Zusammenarbeit in den Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Technik sowie der Umwelt", Ziff. 37 i.V.m. Anhang VI.
164 Abschließendes Dokument von Wien, Abschnitt ,,Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen", Ziff. 62 i.V.m. Anhang IX.
16S Abschließendes Dokument von Wien, Abschnitt " Folgen der Konferenz". Dazu u. 3. Kapitel, E.
166 Abschnitt "Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen", Unterabschnitt "Information", Abs. 46. Vgl. auch Anhang VIII des Wiener Dokuments. 6 Bonloff
82
I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Wesentliche Fortschritte auf diesem Gebiet wurde im Falle der UdSSR, Ungarn und Polen festgestellt. Die Sowjetunion gestaltete im Gegensatz zu vorherigen Treffen ähnlicher Art den Konferenzverlauf sogar konstruktiv mit. 167 Sie beharrte nicht mehr auf dem Vorrang sozialer Grundrechte vor individuellen Freiheitsrechten. Hingegen hatten die Regierungen Rumäniens, der CSSR und der DDR gravierende Verletzungen ihrer Verpflichtungen aufzuweisen. Desweiteren wurden aber auch Vorschläge zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes gemacht. Ein gemeinsamer französisch-sowjetischer Vorschlag sah vor, einen "gemeinsamen Rechtsraum auf der Basis eines Europas der Rechtsstaaten" zu schaffen. Nach vergleichender Analyse der Rechtsordnungen der Teilnehmerstaaten sollen im weiteren Verlauf des OSZE-Prozesses die Rechtssysteme der Teilnehmerstaaten angenähert und harmonisiert werden und gemeinsame Rechtsnormen ausgearbeitet und kodifiziert werden.168 Die USA schlugen die Vereinbarung einer Verpflichtung vor, wonach jeder Teilnehmerstaat in regelmäßigen Abständen freie und geheime Wahlen abhalten müsse. Die reformunwilligen Staaten, DDR, CSSR und Rumänien konnten den Vorstellungen der Mehrheit der Teilnehmerstaaten jedoch nicht zustimmen. Daher weist dieses Treffen als Ergebnis vornehmlich eine Reihe von Vorschlägen auf, jedoch kein Abschlußdokument Erst während der Folgekonferenzen in Kopenhagen und Moskau konnten die Teilnehmerstaaten, nachdem auch die politischen Systeme der DDR, CSSR und Rumäniens gestürzt waren, erhebliche Fortschritte im Menschenrechtsschutz erreichen.
111. Umweltschutztreffen der KSZE in Sofia (16. Oktober - 3. November 1989) Zum ersten Mal standen in Sofia Fragen des Umweltschutzes im Mittelpunkt eines KSZE-Expertentreffens. Am 5. November 1990 wurde der "Bericht über die Schlußfolgerungen und Empfehlungen" 169 dieses Treffens in Wien im Rahmen der Vorbereitung des Pariser Gipfeltreffens im November 1990 angenommen. 167 Vgl. zum ersten Treffen in Paris auch Staak, EA 1989, S. 533-542. !68 Vgl. Staak, EA 1989, S. 533 (534). 169 SZE II, S. 11-20; Fastenrath, G. I.
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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Die Teilnehmerstaaten schlagen darin die Ausarbeitung einer internationalen Konvention durch die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (ECE) zur Verhinderung und Bekämpfung grenzüberschreitender Auswirkungen von Industrieuniallen vor. Im Teil I des Berichts empfehlen sie konkrete Maßnahmen, die Eingang in die Konvention finden sollen. Im Teil II des Berichts erklären die Teilnehmerstaaten, in den hierfür vorgesehenen Internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten. Ziele dabei waren u. a. die Erweiterung des Informationsaustausches und die Koordinierung der Bemühungen zur stärkeren Harmonisierung von Bestimmungen über den Umgang mit gefährlichen Chemikalien. Schließlich setzen sich die Teilnehmerstaaten im Teil III dafür ein, eine Rahmenkonvention zum Schutze und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen durch die ECE ausarbeiten zu lassen. Auch hier werden bereits Grundsätze aufgeführt, die Inhalt der Konvention werden sollen.
IV. Erstes Expertenseminar über Militärdoktrinen in Wien (16. Januar - 5. Februar 1990) Zu Beginn des Jahres 1990 kamen in Wien hochrangige Vertreter nationaler Armeen der Teilnehmerstaaten zu einem "Seminar über Militärdoktrinen" zusammen. 170 Dieses erste Expertenseminar jener Art kam auf Betreiben der NATO-Staaten zustande. 171 Es war, wie das im Oktober 1991 folgende zweite Seminar 172, integraler Bestandteil der Verhandlungen über Sicherheit- und Vertrauenbildende Maßnahmen (WSBM) und beruhte auf Vereinbarungen, die während des Wiener Folgetreffens vom 4. November bis 19. Januar 1989 getroffen wurden. 173
170 Vgl. zu den Seminaren der OSZE über Militärdoktrinen insgesamt die ausfUhrliehen Publikationen des Instituts fiir Militärische Sicherheitspolitik an der Landesverteidigungsakademie Wien (IMS), die die Beiträge der Teilnehmerstaaten widergeben. 171 Vgl. Schlußdokument der Tagung des NATO-Rates am 29. und 30. Mai 1989 in Brüssel, "Gesamtkonzept ftir Rüstungskontrolle und Abrüstung, Punkt 54., EA 1989, S. D 344356 (354). 172 Dazu unten 3. Kapitel, D. VII. 173 Journal No. 61 der Wiener Folgekonferenz und Annex zu Journal No. 61 , in: IMS: Seminar on Military Doctrine, Wien 1990.
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Das Seminar sollte von vorherein kein Schlußbericht verfassen, sondern allein als Diskussionsforum Hintergrund der Wiener VVSBM sein. Während des ersten Expertenseminars über Militärdoktrinen zeigten sich die gewandelten Beziehungen zwischen den noch blockgebundenen östlichen und westlichen Teilnehmerstaaten. Erstmals berieten ranghohe Militärexperten 174 aus den Teilnehmerstaaten über die militärischen Pläne und Grundstrukturen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ihrer Staaten. Für einige Staaten war dieses zudem das erste Mal, daß sie Angaben über ihre Streitkräfte machten und über ihre Militärdoktrin diskutierten. Dadurch trug das Seminar dazu bei, "Verdächtigungen und Mißtrauen abzubauen" 175 und bisher nicht zu erlangende Informationen zu bekommen. 176 Inhalt der Erörterungen des ersten Seminars bildeten die folgenden Themen: Präsentation und Diskussion der Militärdoktrinen vor Hintergrund der Sicherheitspolitiken der Teilnehmerstaaten,
dem
Darlegung der Struktur der Streitkräfte, einschließlich ihrer Organisation, Kommandostruktur, Stationierung, Ausrüstung und Personal, militärische Aktivitäten und Übung und Militärhaushalte und militärische Planungen.
V. Konferenz über wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bonn (19. Mirz - 11. April 1990) Zu Beginn des Jahres 1990 war der politische Umwälzungsprozeß in Mittel-, Ost- und Südosteuropa weitgehend vollzogen. 177 Das Bonner KSZE-Treffen, bei dem auch Vertreter der Wirtschaft teilnahmen, war da-
174 Aus den USA nahm beispielsweise General Colin L. Powell, aus der Bundesrepublik Deutschland der Leiter der VSBM-Verhandlungen, Günter Jötze, teil. 175 So Powell, nach EA 1990, S. Z 52. 176 Vgl. die ÄußerungJötzes, nach EA 1990, S. Z 52. 177 Am 18. Oktober 1989 trat der Staats- und Parteichef der DDR, Erich Honecker, zurück, Egon Krenz wurde sein Nachfolger, am 13. November wurde Hans Modrow zum neuen Ministerpräsidenten gewählt und am 18. März 1990 wurde die erste freie Wahl der Volkskammer der DDR durchgefilhrt.
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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her für diese Länder das erste größere internationale Forum zur Vorstellung ihres Wandels und ihres konstruktiven Willens. Durch die Umgestaltung der politischen Systeme und die dadurch bedingte Offenbarung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den ehemaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes erhielt nun auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit eine zentrale Bedeutung in der KSZE. Alle Teilnehmerstaaten legten ein einhelliges Bekenntnis zur Markwirtschaft ab. Die staatliche Ordnung sollte auch nach Ansicht der ehemaligen sozialistischen Staaten den Grundsätzen des westlichen Staatsund Gesellschaftssystems entsprechen. Demokratie und freie Wahlen, Rechtsstaatlichkeit und politischer Pluralismus wurden in einem KSZEDokument erstmals festgeschrieben. 178 Durch die Abhaltung der Konferenz sollten die anerkannten Standards des internationalen Handels allgemeine Geltung im KSZE-Raum erreichen. Gleichzeitig sollte die Integration der mittel-, ost- und südosteuropäischen Länder in die Weltwirtschaft gefördert werden. Die Ergebnisse der Konferenz sind daher überwiegend praxisorientiert. Das Bonner Dokument, besteht aus der Präambel und vier Themenbereichen (A. bis D. im Dokument): Die Präambel enthält grundsätzliche Aussagen über die Wirtschaft und die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Sie enthält eine klare und präzise Aufzählung der Prinzipien der Marktwirtschaft. 179 Im Abschnitt A werden Rahmenbedingungen für die geschäftlichen Beziehungen festgelegt. Die Geschäftskontakte, insbesondere die Arbeitsbedingungen für Geschäftsleute sollen durch darin genannte konkrete Maßnahmen verbessert werden. Die Teilnehmerstaaten sollen Informationen über Handel, Wirtschaft und die demographische Entwicklung veröffentlichen. Des weiteren wollen sie die Aktivitäten der
Am 24. November 1989 trat die Führung der tschechoslowakischen kommunistische Partei unter dem Eindruck von Massendemonstrationen zurOck und am 10 Dezember bildet Marian Calfa erstmals eine Oberwiegend nichtkommunistische Regierung.
In Rumänien wurde das Ceausescu-Regime am 22. Dezember 1989 durch das rumänische Volk gestürzt. 178 "Dokument der Bonner Konferenz über wirtschaftliche Zusammenarbeit", Präambel, SZE II, S. 21-33; EA 1990, S. D 224-232; Fastenrath, G. 2. 179 So auch die Einschätzung Ghebalis, in: Clavel, S. 25 (27).
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
kleineren und mittleren Unternehmen fördern und flankierende Maßnahmen zur Förderung von Marketing und Produktförderung durch die Unternehmen ergreifen.180 Der Abschnitt B befaßt sich mit der Förderung industrieller Kooperation. Die Teilnehmerstaaten wollen durch im Dokument beschriebene rechtliche wie politische Maßnahmen die industrielle Zusammenarbeit von Unternehmen im KSZE-Raum, z. B. in Form von Jointventures, unterstützen. "Zusammenarbeit auf konkreten Gebieten" ist Gegenstand des Abschnitts C. Darin vereinbaren die Teilnehmerstaaten, in Bereichen wie Ressourceneinsparung, Umwelttechnik und Konsumgüterproduktion zusammenzuarbeiten. Im Abschnitt D geht es schließlich um "währungspolitische und finanzielle Aspekte". Die Teilnehmerstaaten wollen darin die Konvertierbarkeit aller Währungen erreichen. Als Voraussetzung wird jedoch genannt, daß sich die Preise im Inland in einer unverzerrten Weise bilden müßten. Um die Konvertierbarkeit der Währungen der ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes zu ermöglichen, wollen die Teilnehmerstaaten zusammenarbeiten. Insbesondere soll die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) in London hier eine herausgehobene Rolle spielen.
VI. Zweites Treffen der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE in Kopenhagen (5. Juni- 29. Juni 1990) 1. Ausgangslage
Das Kopenhagener Treffen war die erste Zusammenkunft von KSZEStaaten über Fragen des Menschenrechtsschutzes seit der vollständigen Beseitigung der totalitären Regime in den Staaten des Warschauer Paktes. Auch die Regierungen der DDR, CSFR 181 , Rumäniens und Bulgariens spielten nun ein konstruktive Rolle im OSZE-Prozeß. Daher war dieses 180 Vgl. Erläuterungen bei Reichet, EA 1990, S. 461-470. 18 1 Nach der demokratischen Umwandlung durch die "samtene Revolution" in der CSSR wurde der Staatsname 1990 in CSFR (Tschechische und Slowakische föderative Republik) geändert.
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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Treffen von der vollständigen Aufhebung des bislang den KSZE-Prozeß bestimmenden Ost-West-Gegensatzes geprägt. Die Staaten der NATO und des Warschauer Paktes traten nun nicht mehr als Gegenspieler auf. Vielmehr zeigte sich während der Verhandlungen ein multipolares Bild: -
Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf westlicher Seite spielten neben der USA verstärkt eine eigene Rolle.
-
Die N+N-Staatengruppe verlor erheblich an Bedeutung, seitdem sie nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht mehr eine Vermittlerrolle zwischen den Staaten der NATO und des Warschauer Paktes einnehmen konnte.
-
Es kam vielmehr eine neue Staatengruppe mit gemeinsamen Interessen zum Vorschein, die sogenannte "Pentagonale" 182. Auf der Grundlage ihres Entwurfes eines europäischen Nationalitätenstatus unterbreiteten diese Staaten Vorschläge sowohl auf dieser Konferenz als auch im Rahmen des Europarates.
-
Innerhalb der westlichen Staaten traten zuweilen in Detailfragen Meinungsverschiedenheiten über Prinzipien einer rechtsstaatliehen und demokratischen Ordnung auf.l83
182 Im Rahmen der "Pentagonale" kooperierten damals die Staaten Italien, Österreich, Jugoslawien, Ungarn und die CSFR. Die Pentagonale entstand aus einem ursprünglich auf Kooperation einzelner selbständiger Regionen der Alpen/Adria-Staaten gerichteten Zusammenschluß, der am 20. November 1978 in Venedig gegründet wurde. Damals arbeiteten die benachbarten Regionen Italiens, Österreichs, Jugoslawiens und Ungarns in der "Arbeitsgemeinschaft (Arge) Alpen/Adria" zusammen. Ab dem 10./11. November 1989 breitete sich die Kooperation auch auf die gesamtstaatliche Regierungsebene dieser Staaten aus. Ab dem 20. Mai 1990 trat die CSFR dieser regionalen Kooperation bei. Die Pentagonale verstand sich nicht als eine neue internationale Organisation, sondern als Instrument und Zwischenstufe auf dem Wege der gesamteuropäischen Einigung. Nicht zuletzt als Gegengewicht zum wiedervereinten Deutschland wurde diese Kooperationsform ins Leben gerufen. Vgl. zur Pentagonale die Darstellung Sitzlers, in: Südosteuropa 1990, S. 686-708. Die Pentagonale entwickelte sich nach dem Beitritt Polens zur "Hexagonale" und nennt sich seit März 1992 "Zentraleuropäische Initiative" (CEI), da weitere Beitritte zu dieser regionalen Ländergruppe zu erwarten waren. Heute nehmen aus dem ehemaligen Jugoslawien noch Slowenien, Kroatien, BosnienHerzegowina und Makedonien an der Zusammenarbeit teil. 183 Vgl. Tretter, EuGRZ 1990, S. 235 (236).
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I . Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
2. Das Abschlußdokument
Als Folge der nunmehr in Grundsätzen gleichen politischen Grundanschauungen der Teilnehmerstaaten wurde mit der Annahme des Kopenhagener Dokuments im Bereich des Menschenrechtsschutzes ein neues Kapitel aufgeschlagen. Eine weitergehende, konkretere und detailliertere Festschreibung von Regeln des Menschen- und Bürgerrechtsschutzes hat es bis dahin im KSZE-Rahmen, aber auch im Bereich völkerrechtlicher Konventionen nicht gegeben. 184 Das Abschlußdokument185, das als eines der Hauptdokumente des OSZE-Prozesses angesehen werden kann 186, gliedert sich in fünf Teile, die folgende Themen umfassen: Teil I behandelt Fragen der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Teil II Menschenrechte und Grundfreiheiten, Teil III demokratische Werte und Institutionen, Teil IV Minderheitenrechte und Teil V Verfahrensfragen zur Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen über die Menschliche Dimension. a) 1. Themenbereich = Teil I (Rechtsstaatlichkeit und Demokratie) Einbeziehung in die Menschliche Dimension der OSZE
In diesem Abschnitt des Kopenhagener Dokuments sind Grundsätze über die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie festgelegt. In seiner grundlegenden Aussage ist dieser Abschnitt mit dem Prinzipienkatalog der KSZE-Schlußakte von Helsinki vergleichbar. 187 Jener Regelungsbereich ist damit Bestandteil der Menschlichen Dimension der OSZE geworden. 188 Die Grundstruktur jedes Teilnehmerstaates soll demnach der des westlichen, pluralistischen und demokratischen Rechtsstaates entsprechen. So wird z. B. in Ziff. 2 des Dokuments der Rechtsstaatsbegriff näher erläutert und zum bloßen formalen Rechtsstaatsbegriff abgegrenzt. Die Demokratie
184 Buergenthal bezeichnet das Dokument als "a Iandmark international charter", in: HRU 1990, S. 217 (231). 185 Dokument des Kopenhagender Treffens vom 29. Juni 1990 der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE, AA, 20 Jahre KSZE, S. 270-289; EA 1990, S. D 380-394;
Fastenrath, H. I.
186 Nach Vigny ist die Kopenhagener Vereinbarung als "substanzielles" Dokument anzusehen; Vigny, RUDH 1990, S. 305 (311). 187 So auch Tretter, EuGRZ 1990, S. 235 (236). 188 Vgl. Präambel des Kopenhagener Dokuments, 9. Abs.
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
89
und der Pluralismus werden als grundlegende Organisationsform anerkannt_l89 In Ziff. 5 des Dokuments erfolgt eine Aufzählung von 21 Prinzipien, den "Elemente[n], die die Gerechtigkeit ausmachen". Darin werden konkrete Verpflichtungen begründet, die dem Demokratie- und Rechtsstaatsbegriff nach westlichem Verständnis entsprechen. Z. B. wird der beim ersten Treffen dieser Konferenz in Paris von den USA unterbreitete Vorschlag niedergelegt, in regelmäßigen Abständen freie Wahlen abzuhalten. 190 Gern. Ziff. 8 des Dokuments sollen die Teilnehmerstaaten dazu Beobachter aus anderen Staaten einladen, die über den ordnungsgemäßen Verlauf der Wahlen wachen sollen. Weitere grundlegende und bedeutende Grundsätze, die im weiteren Verlauf der Ziff. 5 des Dokuments niedergelegt wurden, sind: Trennung von Staat und Partei (Ziff. 5.4) Legalitätsprinzip (Ziff. 5.3, 5.5, 5.18) Gleichheit vor dem Gesetz (Ziff. 5,9) Wirksamer Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Verwaltung (Ziff 5.10f.) Richterliche Unabhängigkeit (Ziff. 5. 12) Schutz der persönlichen Freiheit und Richtervorbehalt (Ziff. 5.15) Garantie eines fairen Verfahrens vor Gericht (Ziff. 5.16-5.19). In Ziff. 6 des Dokuments wird statuiert, daß nur eine Regierung, die auf Grund freier und unverfälschter Wahl hervorgegangen ist, als autoritär und rechtmäßig angesehen werden kann. Hier kann somit eine kodifizierte Grundlage gesehen werden, auf Grund derer eine durch einen Putsch oder verfeilschte Wahl an die Macht gekommene Regierung nicht anerkannt werden darf. Man erkennt, daß das Kopenhagener Dokument Menschen- und Bürgerrechte, die bereits im IPBPR niedergelegt, sind wiederholt, aber auch neue Vereinbarungen enthält. Grundlegend ist jedoch die Übereinstimmung der Teilnehmerstaaten über die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Pluralismus und die entsprechenden detaillierteren Regelungen des Dokuments. 189 Ziff. 3 des Kopenhagener Dokuments. 190 Ziff. 5.1 des Kopenhagener Dokuments.
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
b) 2. Themenbereich
=
Teil 11 (Menschenrechte und Grundfreiheiten)
In diesem Teil des Dokuments wurden meist Formulierungen und Diktionen aus früheren KSZE-Dokumenten, dem IPBPR und der EMRK übernommen. Dieses ist Ausdruck für den Prozeß, in dem öfter als in vorherigen Dokumenten nicht mehr nur Programmsätze oder Absichtserklärungen, sondern auch Rechtssätze vergleichbar mit den internationalen Konventionen Eingang in die KSZE-Dokumente finden. Z. B. wurde erstmals im Rahmen der KSZE die Eigentumsfreiheit verankert.191 Das bereits im Madrider Schlußdokument anerkannte Freiheitsrecht der Gewerkschaften 192 wurde durch das Streikrecht erweitert.l 93 Ferner werden in Ziff. 10 des Dokuments Einzelpersonen oder Vereinigungen geschützt, die sich um den Schutz der Menschenrechte sorgen. Damit werden den bereits früher in den Ostblockstaaten existenten, aber unterdrückten Menschenrechts- und Bürgerrechtsgruppen, die sich auch auf die KSZE-Dokumente berufen haben, ausdrücklich Schutz und ein Existenzrecht eingeräumt. Als vertrauenbildende Maßnahme beschlossen die Teilnehmerstaaten, daß von ihnen entsandte Beobachter, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen oder anderen interessierten Personen Gerichtsverfahren in fremden Teilnehmerstaaten beiwohnen dürfen. Erstmals wurde auch das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkannt. 194 Hinsichtlich der gewährten Freiheitsrechte sieht das Kopenhagener Dokument erstmals Gesetzesvorbehalte vor, die immer im Einklang mit dem Völkerrecht, d. h. dem IPBPR und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte stehen müssen. Einschränkungen müssen Ausnahmecharakter tragen und verhältnismäßig sein. c) 3. Themenbereich
=
Teil 111 (Demokratische Werte und Institutionen)
Hauptaussage des dritten Teils besteht in der Anerkennung, "daß eine lebendige Demokratie von der Existenz demokratischer Werte und Praktiken sowie von einer umfassenden Vielfalt demokratischer Institutionen als integralem Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens ab19! Ziff. 9.6 des Kopenhagener Dokuments. 192 Ziff. 13 des Abschließenden Dokuments von Madrid,
in Europa".
193 Ziff. 9.3 des Kopenhagener Dokuments. 194 Ziff. 17 des Kopenhagener Dokuments.
Abschnim "Fragen der Sicherheit
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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hängt".' 95 Die Teilnehmerstaaten sprechen sich dafür aus, auf den unterschiedlichen Gebieten des politschen, gesellschaftlichen und juristischen Lebens eines Staates zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit soll aber nicht allein auf zwischenstaatlicher Ebene erfolgen, sondern die Staaten wollen den Informationsaustausch, Kontakte und die Zusammenarbeit zwischen Einzelpersonen und Organisationen erleichtern und unterstützen.196 Die auf diesem Gebiet erfolgende Arbeit des Europarats soll gefördert werden.197 Schließlich sollten in Form eines Expertenseminars "gemeinsame Maßnahmen zur Förderung und Erhaltung lebensfähiger demokratischer Institutionen ... " geprüft und erörtert werden. 198 Dieses ist später durch das Expertenseminar über demokratische Institutionen im November 1991 in Oslo geschehen.199
d) 4. Themenbereich
=
Teil IV (Minderheitenschutzj200
Im Teil IV werden Grundsätze über das Problem der Behandlung nationaler Minderheiten aufgestellt, die über die des Abschließenden Dokuments von Wien hinausgehen. Diese Problematik begann nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten offen zu Tage zu treten, 201 so daß die KSZE-Teilnehmerstaaten erkannten, wie wichtig es ist, Regeln für die Behandlung von ethnischen Minderheiten in den neuen Demokratien zu schaffen. Auch hier zeigte sich. daß statt des überkommenen Ost-West-Konflikts nun auch unterschiedliche Auffassungen unter zahlreichen der NATO angehörigen Staaten über Detailfragen der Minderheitenrechte bestanden: Staaten, wie Frankreich, Spanien, Griechenland und die Türkei erkannten, daß die zu vereinbarenden Prinzipien nun auch die Minderheitenpolitik im eigenen Lande betrafen, während früher nur die Staaten des Warschauer Paktes 195 Ziff. 26 des Kopenhagener Dokuments. 196 Ziff. 26.des Kopenhagener Dokuments. 19? Ziff. 28 des Kopenhagener Dokuments. 198 Ziff. 29 des Kopenhagener Dokuments. 199 Vgl. u. 3. Kapitel, D. VIII. 200 Dazu ausfUhrlieh im 2. Teil, 1. Kapitel, A. IV. 2. c bb. 201 Zu Unruhen und Auseinandersetzungen zwischen nationalen Minderheiten kam es zur Zeit der Kopenhagener Konferenz in zentralasiatischen Gebieten der Sowjetunion und auf dem Balkan.
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
von den Grundsätzen über die Menschliche Dimension betroffen waren. Es kam auch das von europäischen Vorstellungen abweichende Verständnis der USA vom Begriff der ethnischen Minderheit zum Vorschein, da die USA als Einwanderungsland Immigrantengruppen keine weitgehenden Sonderrechte gewähren wollten. 202 Dennoch einigten sich die Delegationen auf folgende besonders bedeutende Minderheitenrechte: Angehörige nationaler Minderheiten müssen demnach ohne jegliche Diskriminierung und in voller Gleichheit vor dem Gesetz ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten ausüben können. Die Teilnehmerstaaten verpflichten sich, die gleiche Ausübung dieser Rechte im Vergleich zu anderen Bürgern zu gewährleisten. 203 In Ziff. 32 des Dokuments werden den Angehörigen nationaler Minderheiten konkrete Rechte gewährt, die erforderlich sind, um ihre Identität zu bewahren, z. B. privater und öffentlicher Gebrauch ihrer Sprache, Religionsausübung, grenzüberschreitende Kontakte, Vereinigungsfreiheit und kulturelle Betätigung. Abschließend erwogen die Teilnehmerstaaten, ein Expertentreffen zu Fragen nationaler Minderheiten einzuberufen. Dieses wurde im Juli 1991 in Genf verwirklicht. 204 e) 5. Themenbereich = Teil V (Verfahrensfragen zur Menschlichen Dimension)
Die Teilnehmerstaaten versuchten in Kopenhagen vergeblich, sich auf eine grundlegende Verbesserung des Verfahrens zur Überprüfung der Einhaltung der niedergelegten Grundsätze zur Menschlichen Dimension zu einigen. Ein Hindernis war hier insbesondere die Frage, ob nicht der Aufbau und die Institutionalisierung der Überprüfung der Einhaltung der Menschenrechte im Rahmen der KSZE zu einer unerwünschten Konkurrenz zu Europarat und dem System der EMRK führe, eine Frage, die in späteren Treffen erneut aufgeworfen wurde und bei den Tagungen des KSZE-Rates in Prag und Stockholm sowie bei dem vierten KSZE202 Vgl. Tretter, EuGRZ 1990, S. 235 (237). 203 Ziff. 31 des Kopenhagener Dokuments. 204 Vgl. u. 3. Kapitel, D. V.
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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Folgetreffen in Helsinki einer Regelung zugeführt wurde. 205 Es wurden daher lediglich Änderungen des in Wien vereinbarten dreistufigen Mechanismus zur Menschlichen Dimension vereinbart. 206 Die Teilnehmerstaaten wollten aber auf zukünftigen Treffen den in Wien vereinbarten Mechanismus weiterentwickeln und über neue Vorschläge beraten. 207 Dazu ist es während des dritten Treffens der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE in Moskau im Spätsommer 1991 gekommen.208
VII. Treffen über den Mittelmeerraum in Palma de Mallorca (24. September- 19. Oktober 1990) Auf der Grundlage der entsprechenden Bestimmungen des Abschließenden Dokuments von Wien kamen Vertreter der Teilnehmerstaaten209 im Spätsommer 1990 in Palma de Mallorca zusammen, um "Mittel und Wege zur weiteren Verstärkung verschiedener Aspekte der Zusammenarbeit, einschließlich des Schutzes und der Verbesserung der mediterranen Ökosysteme zu überlegen, mit dem Ziel, den Umfang ihrer Zusammenarbeit mit den nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten auszuweiten und zur Festigung des Vertrauens und der Sicherheit in der Region beizutragen".210 Die Beratungen der KSZE zu Fragen, die den Mittelmeerraum betreffen, wurden in der Erkenntnis geführt, daß "die Sicherheit in Europa im weiteren Zusammenhang der Sicherheit der Welt zu betrachten ist und daß sie mit der Sicherheit im Mittelmeerraum in seiner Gesamtheit eng verbunden ist". Der "Prozeß der Verbesserung der Sicherheit" sollte daher "nicht auf
205 Vgl. dazu genauer 4. Teil, 2. Kapitel, B. (Mitwirkung Internationaler Organisationen). 206 Vgl. die ausführliche Darstellung dieses Mechanismus unter Berücksichtigung seiner
nachträglichen Änderungen, 4. Teil, 5. Kapitel, B. I.
207 Ziff. 43 des Kopenhagener Dokuments. 208 Vgl. o. 3. Kapitel, D. VI. 209 Der Vertreter der DDR nahm bis
zum 2. Oktober 1990 teil. Einige NichtMittelmeeranrainerstaaten nahmen nicht permanent an den Sitzungen der Veranstaltung teil, z. B. Liechtenstein, vgl. Schlager, HRLJ 1991, S. 221 (232 Fn. 98). 210 Abschließendes Dokument von Wien, Zusammenarbeit im Mittelmeerraum".
Abschnitt "Fragen der Sicherheit und
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Europa beschränkt sein, sondern sich auch auf andere Teile der Welt erstrecken ... , insbesondere auf den Mittelmeerraum". 211 Es beteiligten sich auch die sog. "nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten" (Ägypten, Algerien, Israel, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien und Tunesien) sowie Vertreter von mit diesem Themenbereich befaßten Internationalen Organisationen (UNESCO, UN/ECE, UNEP, WHO, ITU und IMO). Die nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten waren jedoch nicht stimmberechtigt. Albanien wurde als Beobachter zugelassen. Im Verlauf des Treffens zeigte sich, daß die Frage, wie die Problematik der Sicherheit im Mittelmeerraum zu behandeln sei, strittig war.212 Die nordamerikanischen und die nördlichen europäischen Staaten befürchteten, durch eine engere Verknüpfung des Mittelmeerraums mit der KSZE werde die KSZE in die Problematik des Nahen und Mittleren Ostens hineingezogen. Andererseits waren die Teilnehmerstaaten, die gleichzeitig Zugang zum Mittelmeer hatten, wie Spanien und Italien, an der Herstellung von Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeer interessiert, da diese Fragen ihre vitalen Interessen berührten. Sie forderten daher eine eigene "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum" (KSZM). 213 Die Teilnehmerstaaten kamen daher überein, daß, "sofern es die Umstände gestatten, auf einem Treffen außerhalb der KSZE und aufbauend auf Erfahrungen des KSZE-Prozesses, ein Satz allgemein annehmbarer Regeln und Grundsätze in den Bereichen Stabilität, Zusammenarbeit und menschliche Dimension im Mittelmeerraum erörtert werden könnte" (Hervorhebung durch den Verf.).214 Im Mittelpunkt des Treffens standen zwei Tagesordnungspunkte, denen die zwei Abschnitte im Bericht über das Treffen entsprechen: "A. Spezifische Bereiche der Zusammenarbeit" und "B. Schutz der mediterranen Ökosysteme". Die Teilnehmerstaaten wollen jedoch zunächst kein eigenes Forum oder eigene Organisation schaffen, sondern in bereits lau211 Abschließendes Dokument von Wien, Zusammenarbeit im Mittelmeerraum".
Abschnitt
"Fragen der Sicherheit und
212 Vgl. Schlager, HRLJ 1991, S. 221 (229). 213 Vgl. EA 1990, S. Z 236. 214 Bericht des Treffens über den Mittelmeerraum der KSZE, Einleitung vor dem Abschnitt "A. Spezifische Bereiche der Zusammenarbeit", 14. Abs., Text in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 350367; Fastenrath, G. 3.
2. Kapitel: Die erste Phase des OSZE-Prozesses
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fenden Aktivitäten zusammenarbeiten. Diese sind der vom UNEP koordinierte Mittelmeer-Aktionsplan von 1975 sowie das Übereinkommen von Barcelona und dessen Protokolle. 21 5 Spezifische Bereiche der Zusammenarbeit liegen demnach auf folgenden Gebieten: Soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Länder der Mittelmeerregion. Dabei forderten die Teilnehmerstaaten der KSZE die übrigen Mittelmeeranrainerstaaten auf, zu diesem Zweck "weitreichende wirtschaftliche Reformen, die Einführung von Marktmechanismen, ernsthafte Bemühungen, um demographische Probleme in den Griff zu bekommen [und) die Förderung politischer Reformen zur Verwirklichung der Demokratie und eines Mehrparteiensystems" zu prüfen. Harmonisierung statistischer Methoden. Förderung von Kontakten auf verschiedenen Ebenen, um zur Durchführung konkreter Kooperationsprogramme beizutragen. Zusammenarbeit im Bereich Sonnen- und Windenergie. Erhaltung und die Wiederherstellung historischer Stätten und die Wahrung des kulturellen Erbes einschließlich Meeresarchäologie. Hinsichtlich des Schutzes der mediterranen Ökosysteme wurden eine Vielzahl von konkreten Vorschlägen gemacht, was in Zukunft zu tun sei. Dabei soll es um Maßnahmen auf folgenden Gebieten gehen: Eine langfristige umweltverträgliche Politik der Wasserversorgung soll entwickelt werden. Die Versehrnutzung des Mittelmeeres - insbesondere durch in das Mittelmeer mündende Wasserläufe- soll bekämpft werden. Erschließung von Wasserressourcen durch Technologien wie die Abwasserwiederaufbereitung. Bekämpfung der Desertifikation.
2 15 Bericht des Treffens über den Mittelmeerraum, Einleitung vor dem Abschnitt "A. Spezifische Bereiche der Zusammenarbeit", 21. Abs.
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I.
Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Verhütung und Löschen von Waldbränden. Luftverschmutzung. Entwicklung eines umweltgerechten Tourismus.
VIII. Treffen der Außenminister der KSZE-Staaten in New York (1. und 2. Oktober 1990) Nachdem am 1. Oktober 1990 die Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der UdSSR in ihrer "Erklärung der Vier Mächte" 216 die "Wirksamkeit ihrer Rechte und Verantwortlichkeilen in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Vereinigung Deutschlands bis zum lokrafttreten des Vertrags über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland217" ausgesetzt hatten, wurde die Konferenz der Außenminister der KSZE-Staaten in New York eröffnet. Diese Konferenz stellte die erste OSZE-Veranstaltung auf dem Boden der USA dar.218 Die New Yorker Außenministerkonferenz bereitete das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten vor, das vom 19. bis zum 21. November 1990 in Paris stattfand. Die Bedeutung dieses Treffens lag aber auch besonders darin, daß die Außenminister der KSZE-Staaten im Vorfeld der Wiedervereinigung Deutschlands von dem bevorstehenden Beitritt der Länder der DDR zur Bundesrepublik Deutschland unterrichtet werden konnten und nicht erst nachträglich während des Gipfeltreffens der KSZE-Staaten am 1./2. November 1990 in Paris. 219
216 Bulletin, Nr. 121 vom 10. Oktober 1990, S. 1266. 217 Sogenannter "2+4-Vertrag". 218 Die erste OSZE-Veranstaltung auf dem nordamerikanischen Kontinent war das KSZEExpertentreffen über Menschenrechte in Ottawa. 219 Vgl. zur Bedeutung der KSZE filr den deutschen Einigungsprozeß auch Kristof, DA 1991, S. 11-14.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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3. Kapitel
Die zweite Phase des OSZE-Prozesses Mit dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Paris vorn 19. bis 21. November 1990, welches das zweite nach dem in Helsinki 1975 war, hat eine neue Phase des OSZE-Prozesses begonnen. Nunmehr gab es seit dem 3. Oktober 1990 infolge der Wiedervereinigung Deutschlands nur noch 34 Teilnehrnerstaaten220, deren Zahl jedoch im weiteren Verlauf des politischen Wandels in Europa und Zentralasien noch erheblich ansteigen sollte. Diente die KSZE während des Ost-West-Gegensatzes dazu, ein Mindestmaß an Vertrauen und Stabilität zu schaffen und so gut wie möglich den Menschenrechten in den Staaten des Warschauer Paktes Geltung zu verschaffen, so konnte sich erst ab 1989/90 das ganze Potential an Aufgaben und Nutzen der KSZE zeigen. Denn nun waren sämtliche Staaten Europas grundsätzlich bereit, in allen Bereichen zusammenzuarbeiten. Vorher war der OSZE-Prozeß eher Spiegelbild des Ost-West-Konflikts und hatte keine aktive gestalterische Rolle im Bereich der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die Idee zu einem zweiten Gipfeltreffen der KSZE nach dem in Helsinki im Jahre 1975 stammte vorn Präsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow. Die Sowjetunion lancierte entsprechende Überlegungen bereits seit Ende 1989 u. a. während des Besuchs Gorbatschows in Rom Ende 1989. Der französische Staatspräsident, Franfois Mitterrand, schlug im Dezember 1989 anläßtich seines Besuchs beim damaligen Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Manfred Ger/ach, in Berlin die französische Hauptstadt als Tagungsort vor. Bei dem Außenministertreffen in Kopenhagen arn 5. und 6. Juni 1990 wurde die Durchführung des Gipfeltreffens formell beschlossen und ein Vorbereitungsausschuß eingesetzt221 , der den Entwurf der "Charta von Paris" ausarbeiten sollte. Zuweilen wird dieser Versammlung der Staats- und Regierungschefs eine ähnliche Bedeutung beigemessen, wie der Zusammenkunft europäischer Monarchen und Staatsmänner in Wien 1814 und der Staatsführer der Sie-
2 20 Albanien, das bisher einzige europäische Land, welches nicht Teilnehmerstaat war, nahm aber erstmals als Beobachter teil. 221 Dieser " Ausschuß zur Vorbereitung des Gipfeltreffens in Paris", der ein gesondertes Verhandlungsforum der KSZE war, tagte ab dem 10. Juli 1990 in Wien. 7 Bonloff
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I . Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
germächte des Ersten Weltkriegs in Versailles 1919.222 In der Tat fiel dieses Treffen in eine Zeit, in der die Ost-West-Konfrontation endete und man sich nun erneut eine dauerhafte Friedensordnung in Europa wünschte. Wie die beiden genannten europäischen Schlüsselkonferenzen sich untereinander unterscheiden, so zeigen sich auch Unterschiede im Verhältnis zu Paris 1990 auf. 223 Die politischen Grundüberzeugungen der Teilnehmerstaaten hinsichtlich des Schutzes der Menschenrechte, der Demokratie und der Marktwirtschaft stellten sich nach den Treffen von Bonn und Kopenhagen als weitgehend homogen heraus. In den außenpolitischen und innenpolitischen Grundüberzeugungen und -werten stimmten nun alle Staaten Europas sowie Nordamerikas überein. In Paris sollte nicht der Fehler von Versailles gemacht werden, wichtige Staaten Europas auszugrenzen, sondern ebenso wie in Wien ein stabiles europäisches Haus errichtet werden. Die innerstaatliche Ordnung der europäischen Staaten sollte dabei aber diesmal - anders als in Wien - der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie der Marktwirtschaft entsprechen. So sprach der französiche Staatspräsident, Fran~ois Mitterand, in seiner Rede während des Treffens auch von einem "Anti-Wiener Kongreß". 224 Nach Ansicht des damaligen deutschen Außenminsters, Hans-Dietrich Genscher, hat sich "[i]n Paris ... das neue Europaseine Verfassung gegeben".22s Ursprünglich sollte das Pariser Gipfeltreffen den Weg für die Vereinigung der beiden Teile Deutschlands freimachen. Wegen des bereits für den 3. Oktober 1990 geplanten Beitritts der DDR zur Bundesrepubik Deutschland wurden die Teilnehmerstaaten der KSZE während eines Sondertreffens der Außenminister in New York am 1. und 2. Oktober 1990, bei dem das Gipfeltreffen von Paris vorbereitet werden sollte, von der Vereinigung Deutschlands unterrichtet. Somit konnten die Staats- und Regierungschefs in Paris lediglich den Vollzug der Wiedervereinigung Deutschlands zur Kenntnis nehmen. Die völlig neuen und gewandelten Beziehungen der europäischen Staaten dokumentierten sich in der von den Staats- und Regierungschefs unterzeichneten "Charta von Paris für ein neues Europa" 226 (im folgenden: Charta von Paris). Darin besiegelten sie das Ende der Ost-West-Konfron222 Smyser, Der dritte Anlauf zu einer europäischen Friedensordnung, EA 1991, S. 289300. 223 Vgl. dazu auch die politische Einordnung Smysers, EA 1991, S. 289-300. 224 "Le Monde" vom 17. November 1990, S. 8 225 Rede Genschers anläßlich des Zweiten KSZE-Ratstreffens in Prag am 30./31. Januar 1992, Bulletin vom Nr. 12, 4. Februar 1992, S. 81 (82). 226 AA, 20 Jahre KSZE, S. 144-1 56; EA 1990, S. D 656-664; Fastenrath, A. 2.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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tation. Sie erklärten, daß "das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas" zu Ende gegangen sei. 227 Ferner liegt die Bedeutung dieses Treffens darin, daß alle europäischen Staaten außer Albanien zwar nicht in einem völkerrechtlichen Vertrag, aber doch in politisch verbindlicher Weise die Vereinigung Deutschlands billigten.228 Die Wiedervereinigung war dadurch in den gesamteuropäischen Rahmen eingebettet. Die Teilnehmerstaaten erklärten dazu: "Wir nehmen mit großer Genugtuung Kenntnis von dem am 12. September 1990 in Moskau unterzeichneten Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland und begnlßen aufrichtig, daß das deutsche Volk sich in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und in vollem Einvernehmen mit seinen Nachbarn in einem Staat vereinigt hat."
Die Charta von Paris stellt damit einen politischen "Ersatzfriedensvertrag" als Schlußstrich unter den 2. Weltkrieg dar. 229 Denn weiter heißt es: "Die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands ist ein bedeutsamer Beitrag zu einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung filr ein geeintes demokratisches Eur'lfa, das sich seiner Verantwortung ftir Stabilität, Frieden und Zusammenarbeit bewußt ist."23
Die Teilnehmerstaaten stellten fest, daß es nicht zuletzt auch die KSZE war, die zu den politischen Umwälzungen im Ostblock führte: "Durch den Mut von Männern und Frauen, die Willensstärke der Völker und die Kraft der Ideen der Schlußakte von Helsinki bricht in Europa ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit an. "23!
Die Teilnehmerstaaten billigten in Paris auch das sogenannte "Wiener Dokument 1990", welches das Schlußdokument der ersten Phase der Verhandlungen über VSBM ist. Ferner unterzeichneten die 22 Mitgliedsstaaten der NATO und des Warschauer Paktes in Paris den "Vertrag über Konventionelle Streitkräfte" (KSE-Vertrag), der das Ergebnis der Ver227 Charta von Paris, 1. Abschnitt "Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit", 1. Absatz (Die Überschrift des 1. Abschnitts ist zitiert nach EA, Bulletin und Fastenrath, in der Sammlung des AA, 20 Jahre KSZE, heißt es dagegen unzutreffend: "Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Freiheit"). 228 Vgl. dazu auchKristof, DA 1990, S. 11-14 229 Ähnlich auch Roth, HRLJ 1990, S. 373-379. 230 Charta von Paris, 1. Abschnitt "Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der
Einheit", Unterabschnitt "Einheit", 2. Absatz.
231 Charta von Paris, Einheit", 2. Absatz.
1. Abschnitt "Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der
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l. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
handlungen über die konventionellen Streitkräfte (VKSE) darstellt, sowie die "Gemeinsame Erklärung"232 über die neuen Ost-West-Beziehungen in Europa, die aber außerhalb des OSZE-Prozesses steht und deshalb kein OSZE-Dokument ist.
A. Die "Charta von Paris für ein neues Europa" I. Überblick Die Charta von Paris besteht aus drei Abschnitten. Zu ihr gehört ein "Zusatzdokument zur Durchführung einiger Bestimmungen der Charta von Paris für ein neues Europa", das sich in seinem ersten Teil mit den neu geschaffenen KSZE-Institutionen befaßt und im zweiten Teil mit geplanten Spezialveranstaltungen. Die Charta von Paris zeichnet sich nicht durch neu vereinbarte Grundsätze und Verpflichtungen bezüglich der Sicherheit, Abrüstung oder der Menschlichen Dimension aus. Vielmehr werden in den ersten beiden Abschnitten der Charta im wesentlichen der Inhalt der Dokumente der Konferenz über die Menschliche Dimension der OSZE von Kopenhagen, der Bonner Wirtschaftskonferenz und der Umweltschutzkonferenz von Sofia wiederholt. Damit faßt die Charta von Paris aber die bisher auf Expertenebene erzielten Ergebnisse zusammen und stellt infolge ihrer Unterzeichnung durch die Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten ihren Inhalt auf dieselbe Stufe wie die KSZE-Schlußakte von Helsinki.
II. Der 1. Abschnitt der Charta von Paris Der erste Abschnitt dieses Dokuments trägt die Überschrift "Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit". Zunächst ist auffallend, daß die Staats- und Regierungschefs im gesamten Dokument erstmals die Formulierung "Wir, die Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten der KSZE" gewählt haben. Damit zeigen sie, daß sich die Staats- und Regierungschefs der europäischen Staaten und Nordamerikas auf gleicher Stufe stehend betrachten, da nunmehr fast alle politisch verantwortlichen Führer der Teilnehmerstaaten 232 AA, 20 Jahre KSZE, S. 168-170; EA 1990, S. D 654-656; Fastenrath, F. 4.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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demokratisch legitimiert waren, wie es Ziff. 6 des Kopenhagener Dokuments vorschreibt, und ihre Staaten den in diesem Dokument niedergelegten Grundsätzen entsprachen oder zumindest entsprechen wollten. Im ersten Abschnitt werden vornehmlich die Früchte der politischen Umwälzungen, wie der verbesserte Schutz der Menschenrechte, die Einrichtung oder zumindest geplante Verwirklichung der Demokratie in allen Teilnehmerstaaten sowie die Rechtsstaatlichkeit gepriesen. Die Staats- und Regierungschefs bekräftigen darin die bereits in früheren Dokumenten (Paris und Kopenhagen) vereinbarten Menschenrechte und die Verpflichtung zu Marktwirtschaft und umfassender Abrüstung.
111. Der 2. Abschnitt der Charta von Paris Im 2. Abschnitt sind "Leitsätze für die Zukunft" Abschnitts - niedergelegt.
so der Titel dieses
Hierin äußert sich ein großer Optimismus der Staats- und Regierungschefs hinsichtlich der politischen Entwicklung in Europa, der erst im "Helsinki-Dokument 1992"233 der Erkenntnis über "Probleme des Wandels" weichen sollte. Die "Leitsätze für die Zukunft" bilden ein Programm der OSZE über zukünftige Aktivitäten. Neben die bereits "klassischen" Bereiche der Menschlichen Dimension und der Sicherheit trat jetzt auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die seit der Bonner Wirtschaftskonferenz "nunmehr einen wichtigen Pfeiler der KSZE bildet".234 Der Bereich der Menschlichen Dimension sollte ausgebaut werden. Dazu wurde ein Expertenseminar für den 4. bis 15. November 1991 nach Oslo einberufen. Der Fall der Grenzen in Europa in den Jahren 1989 und 1990 legte die Problematik ethnischer Minderheiten offen. In der Charta von Paris maßen die Teilnehmerstaaten daher dem Minderheitenschutz ein großes Gewicht innerhalb der Bemühungen um die Menschliche Dimension bei. Dazu beschlossen sie, im Juli 1991 ein entsprechendes Expertenseminar nach Genf einzuberufen. 233 Dazu u. 3. Kapitel, E. Der erste Abschnitt der "Gipfelerklärung von Helsinki" trägt den Titel "Verheißungen und Probleme des Wandels". 234 Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze filr die Zukunft", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Zusammenarbeit", 2. Abs.
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Im Bereich der Sicherheit erklärten die Teilnehrnerstaaten, daß nach dem erfolgreichen Abschluß des KSE-Vertrages zukünftig alle Teilnehrnerstaaten der KSZE an Abrüstungsverhandlungen und Verhandlungen über VSBM teilnehmen sollten. Weitere Aussagen über das zukünftige Wirken der OSZE widmeten die Staats-und Regierungschefs dem Schutz der Umwelt und der Bewahrung des kulturellen Erbes sowie der Zusammenarbeit in diesen Bereichen.
IV. Der 3. Abschnitt der Charta von Paris Gemäß den Bestimmungen des 3. Abschnittes wird der KSZE-Prozeß erstmals institutionalisiert. Die NATO-Staaten hatten sich während der Zeit der Ost-West-Konfrontation immer geweigert, auf den ursprünglichen Vorschlag der UdSSR einzugehen und ein Organ der KSZE zu gründen, 235 um die Organisation der NATO und deren Einfluß auf die europäische Sicherheit nicht zu schwächen. Während in der ersten Phase des OSZE-Prozesses ab 1975 die OSZE im wesentlichen lediglich aus einer Serie von Konferenzen bestand, deren Fortsetzung bei jedem Haupttreffen erneut beschlossen wurde, sind jetzt permanent bestehende Gremien geschaffen worden, die regelmäßig oder nach Vereinbarung tagen. Dabei ist aber das den OSZE-Prozeß bestimrnende Konsensprinzip nicht durch die Einführung eines Mehrheitsprinzips abgeschafft worden. Erst im späteren Verlauf der fortschreitenden Institutionalisierung wurde dieser Grundsatz in bestimmten Beschlußfassungsbereichen durchbrachen.236 Es wurden insgesamt sieben Institutionen geschaffen, deren Konzeption entsprechend der Charta von Paris an dieser Stelle kurz dargestellt werden soll. Diese erstmalige Organisation der KSZE-Institutionen nach der Charta von Paris und dem "Zusatzdokurnent zur Durchführung einiger Bestimmungen der Charta von Paris für ein neues Europa" 237 wurde bei
235 Dazu. o. I. Kapitel, A. III. 236 Vgl. dazu 3. Kapitel, D. III., ferner VI. I. b und IX. 2. b sowie insgesamt 4. Teil, 4. Kapitel, A. 23 7 AA, 20 Jahre KSZE, S. 159-167 (Anhänge z. T. abgedruckt); ; Fastenrath, A. 3 (ohne Anhänge); Anhänge vollständig abgedruckt in Bulletin, Nr. 137, 24. November 1990, S. 14091421.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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späteren KSZE-Ratstreffen und der vierten Folgekonferenz in Helsinki verändert. 238 1. KSZE-Folgetreffen
Das KSZE-Folgetreffen, auch Haupttreffen genannt, wurde nunmehr institutionalisiert. Es sollte regelmäßig alle zwei Jahre auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs stattfinden, beginnend im März 1992 in Helsinki, danach jeweils in anderen Hauptstädten der Teilnehmerstaaten. Die Teilnehmerstaaten wollten dort eine Bestandsaufnahme der eingeleiteten Entwicklung vornehmen, die Verwirklichung der eingegangenen Verpflichtungen überprüfen und weitere Schritte im KSZE-Prozeß erwägen.239 2. Rat der KSZE
Der neu geschaffene "Rat" der KSZE setzt sich aus den Außenministern der KSZE-Teilnehmerstaaten zusammen. Er sollte jährlich in jeweils verschiedenen Städten tagen, wobei zusätzliche Treffen vereinbart werden können. Den Vorsitz des Rates führt jeweils der Außenminister, in dessen Land das Treffen stattfindet, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, in dem ein neuer Rat zusammentritt. Der Rat ist als das zentrale Forum für politische Konsultationen im KSZE-Prozeß konzipiert worden. 240 Er führt die von den Staats- und Regierungschefs während der Folgetreffen gefaßten Beschlüsse aus.241 3. Ausschuß Hoher Beamter
Als weiteres neues Gremium wurde der Ausschuß Hoher Beamter (AHB) geschaffen, der sich aus Vertretern der Teilnehmerstaaten zusam23 8 Vgl. daher die ausfilhrliche Darstellung der Institutionen der OSZE in ihrer heutigen Gestalt im 4. Teil, I. Kapitel dieser Arbeit. 239 Vgl. 3. und 9. Absatz des 3. Abschnitts "Neue Strukturen und Institutionen des KSZEProzesses" der Charta von Paris. 240 Charta von Paris, 3. Abschnitt "Neue Strukturen und Institutionen des KSZE-Prozesses", 4. Absatz. 241 Zusatzdokument zur Charta von Paris, I. A. 2. zweiter Spiegelstrich.
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
mensetzte. Der AHB sollte nach der Konzeption der Charta von Paris die Treffen des Rates vorbereiten und dessen Beschlüsse ausführen. Ferner sollten in diesem Gremium "alle aktuellen Fragen, einschließlich der Beziehungen zu anderen internationalen Gremien" erörtert werden. 242 4. KSZE-Sekretariat in Prag
Zur administrativen Unterstützung des Rates und des AHB wurde auf die Initiative243 der DDR, der CSFR und Polens in Prag ein Sekretariat eingerichtet, das mit einem Direktor, drei Beamten und administrativem sowie technischem Personal ausgestattet wurde. 244 5. Konfliktverhütungszentrum in Wien
Dem neu geschaffenen Konfliktverhütungszentrum (KVZ), als dessen Sitz Wien gewählt wurde, wurde die generelle Aufgabe übertragen, den Rat beim Abbau der Gefahren von Konflikten zu unterstützen. 245 Bestandteil des KVZ war der "Konfliktverhütungsausschuß". Im Zusatzdokument zur Charta von Paris wurden zunächst nur spezielle Aufgaben für die erste Phase des Bestehens des KVZ beschrieben. Danach unterstützt es die Durchführung der VSBM. Es wurde jedoch vorgesehen, dem Zentrum in einer späteren Phase weitere Aufgaben im Bereich eines Streitbeilegungsverfahrens zu übertragen. 246 Dieses hat der Rat erstmals bei seiner ersten Zusammenkunft in Berlin am 19./20. Juni 1991 getan, als er beschloß, das KVZ zur "ernennenden Institution" des KSZEStreitbelegungsmechanismus zu bestimmen. 247 Weitere Aufgaben- erweiterungen erfolgten später durch das Zweite KSZE-Ratstreffen in Prag. 248 Der KSZE-Rat in Rom beschloß jedoch den Konsultativausschuß aufzulösen und das KVZ dem KSZE-Sekretariat in Wien anzugliedern. 249 242 Vgl. zu den Aufgaben des AHB den 3. Abschnitt, 6. Abs. der Charta von Paris. 243 Vgl. EA 1990, S. Z ISO. 244 Vgl. zum Sekretariat den 3. Abschnitt, 10. Absatz der Charta von Paris und das Zusatzdokument I. E. 3. 245 Charta von Paris, 3. Abschnitt, 12. Abs. 246 Zusatzdokument I. F. 3. 247 Zusammenfassung der Schlußfolgerungen des Berliner Treffens des Rates der KSZE, Text in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 232-238; EA 1991, S. D 356-358; Fastenrath, C. l. 248 Dazu unten 3. Kapitel, D. IX. 249 Siehe unten M. IV.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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6. Büro für freie Wahlen in Warschau
Zur Durchführung der Bestimmungen der Abs. 6, 7 und 8 des Kopenhagener Dokuments der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE wurde das Büro für freie Wahlen in Warschau geschaffen. 250 Gemäß dem Kopenhagener Dokument haben sich die Teilnehmerstaaten verpflichtet, regelmäßig freie Wahlen durchzuführen und die Möglichkeit zu schaffen, diese durch Beobachter aus KSZE-Staaten überwachen zu lassen. Das Büro für freie Wahlen sammelte daher Termine, Verfahrensregeln und offizielle Ergebnisse nationaler Wahlen in den Teilnehmerstaaten. Ferner wurde dem Büro die Aufgabe gegeben, Seminare über Wahlverfahren und demokratische Institutionen zu veranstalten. Dieser Aufgabenbereich erfuhr später eine erhebliche Ausweitung, wie an der 1992 vorgenommenen Umbenennung dieser Institution in "Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte" (BDIMR) erkennbar ist. 251
B. "Wiener Dokument 1990" der Verhandlungen über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen I. Allgemeines Gemäß dem Mandat des Abschließenden Dokuments des Wiener KSZEFolgetreffens fand die erste Phase der Verhandlungen über VSBM ihren Abschluß am 17. November 1990 in Wien mit der Verabschiedung des sogenannten "Wiener Dokuments 1990"252, das am 21. November 1990 auf dem Pariser Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs gebilligt wurde. Die zweite Phase der VSBM-Verhandlungen begann unmittelbar danach und endete am 4. März 1992 mit der Erstellung des "Wiener Dokuments 1992"253 , welches auch die Bestimmungen des Wiener Dokuments 1990 enthält. 254 Die VSBM-Verhandlungen stellen die Fortsetzung der ersten Phase der KVAE dar, die in Stockholm abgehalten wurde.255 250 Vgl. dazu das Zusatzdokument zur Charta von Paris, I. 6. 25l Die Aufgabenerweiterung und Umbenennung wurde während des Zweiten Treffens des KSZE-Rates in Prag vorgenommen, vgl. IX. 2. a. 252 Text: SZE ll, S. 81-114; EA 1991, S. D 463-484; Fastenrath, F. 2. 253 Siehe u. D. X. 254 Daher wird im folgenden zusätzlich auch auf die Absätze des Wiener Dokuments 1992 verwiesen. 255 Vgl. zur KVAE o. 2. Kapitel, D. VI.
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Das im "Wiener Dokument 1990" festgelegte Zwischenergebnis der VSBM-Verhandlungen enthält zum einen die Wiederholung der Verpflichtungen von Stockholm, aber auch Verbesserungen dieser Vereinbarungen und neue Regelungen.
II. Vereinbarungen des" Wiener Dokuments 1990" Der Inhalt des Wiener Dokuments 1990 zeichnet sich durch die Vereinbarung von Verpflichtungen der Teilnehmerstaaten aus, durch die sie gezwungen sind, einen erheblichen Teil ihrer Informationen über die Struktur und Organisation ihrer Streitkräfte und militärischen Planungen und Aktivitäten offenzulegen. In der Vereinbarung über verschiedene Besuchs- und Besichtigungsmöglichkeiten sowie die Verfahren der Ankündigung und Beobachtung militärischer Aktivitäten werden jeweils die diesen Verpflichtungen unterliegenden Gegenstände und Aktivitäten detailliert definiert und das einzuhaltende Verfahren der Einladung und Durchführung dieser Aktionen genau bestimmt. Die wichtigsten der detailliert beschriebenen VSBM seien hier besprochen. 1. Informationsaustausch
Die Teilnehmerstaaten tauschen Informationen bezüglich der militärischen Organisation ihrer Streitkräfte einschließlich der Militärhaushalte aus. Der Informationsaustausch bezieht sich auf die Personalstärke der Streitkräfte, die Hauptwaffensysteme und Großgeräte einschließlich der Planung ihrer Indienststellung.256 2. Mechanismus für Konsultationen und Zusammenarbeit in bezug auf ungewöhnliche militärische Aktivitäten
Nach dieser Vereinbarung (Abs. 17) kann jeder Teilnehmerstaat Aufklärung spätestens binnen 48 Stunden verlangen, wenn er ungewöhnliche militärische Aktivitäten in einem der Teilnehmerstaaten erkennt. Die Aufklärung kann in einem bilateralen Gespräch erfolgen oder im Rahmen aller Teilnehmerstaaten im Ständigen Ausschuß in Wien erfolgen. 257 256 Abs. I 0 und 11 sowie Abs. 12-16 beider Dokumente. 257 Diegenaue Darstellung dieses Mechanismus findet sich im 4. Teil, 5. Kapitel, A. III.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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3. Verfahren der Zusammenarbeit bei gefährlichen Zwischenfällen militärischer Art
Die Teilnehmerstaaten vereinbarten einen weiteren Mechanismus: Ein Verfahren der Zusammenarbeit bei gefährlichen Zwischenfallen militärischer Art. 258 Darin verpflichteten sie sich gern. Abs. 18 der Dokumente, bei einem gefährlichen militärischen Zwischenfall259 unverzüglich den beteiligten fremden Staat zu unterrichten und ihm erforderliche Informationen zuzuleiten. Auf ein entsprechendes Ersuchen eines beteiligten Staates muß der andere Staat ebenfalls unverzüglich antworten. 4. Militärische Kontakte
Jeder Teilnehmerstaat ist verpflichtet, jeweils innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren einen Besuch von Vertretern anderer Teilnehmerstaaten auf einem seiner normalen Friedensflugplätze zu veranstalten.260 Den Besuchern soll dadurch die Gelegenheit gegeben werden, die Funktion des Flugplatzes und die Zahl und Art der geflogenen Einsätze zu beurteilen. In Form einer bloßen Absichtserklärung geben die Teilnehmerstaaten zum Ausdruck, daß sie weitere militärische Kontakte auf der Ebene der Begegnungen von Personen wünschen, z. B. durch den Austausch und Besuch hochrangiger Vertreter des militärischen und zivilen Bereichs der Verteidigung, Kontakte zwischen einschlägigen militärischen Institutionen sowie Sport- und Kulturveranstaltungen zwischen Angehörigen der Streitkräfle.261 5. Vorherige Ankündigung bestimmter militärischer Aktivitäten
Die Teilnehmerstaaten müssen die Durchführung einer Vielzahl militärischer Aktivitäten anderen Teilnehmerstaaten notifizieren. 262 Beispielsweise wurde vereinbart, daß Aktivitäten, bei denen mindestens 13.000 258 Siehe auch hier die genauere Darstellung im 4. Teil, 5. Kapitel, A. IV. dieser Arbeit. 259 Gedacht war dabei beispielsweise an einen Irrflug eines Flugzeugs Ober fremdem Hoheitsgebiet (dessen Ergebnis im Falle eines südkoreanischen Verkehrsflugzeugs Ober sowjetischem Territorium der Abschuß am 1. September 1983 war). 260 Abs. 19-34 des Wiener Dokuments 1990 und Abs.20-33 des Wiener Dokuments 1992. 261 Abs. 35 beider Dokumente. 262 Abs. 36-44 beider Dokumente.
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Mann oder 300 Kampfpanzer beteiligt und diese in einer Divisionstruktur oder zumindest zwei Brigaden oder Regimentern gegliedert sind, anzukündigen sind, wobei bereits die Ankunft oder Konzentration dieser Kräfte der Ankündigung bedarf. 263 6. Beobachtung bestimmter militärischer Aktivitäten
Entsprechend der Ankündigung militärischer Aktivitäten besteht die Pflicht der Teilnehmerstaaten, zu bestimmten militärischen Aktivitäten Beobachter einzuladen. 264 So muß ein Teilnehmerstaat Beobachter anderer Teilnehmerstaaten grundsätzlich dann einladen, wenn die Personalstärke der Aktivität 17.000 Mann erreicht. 265 7. Erstellung von Jahresübersichten
Die Teilnehmerstaaten müssen detaillierte Jahresübersichten der anzukündigenden militärischen Aktivitäten für das darauffolgende Kalenderjahr anfertigen und diese den Teilnehmerstaaten spätestens bis zum 15. November eines jeden Jahres notifizieren. 266 8. Beschränkungen der Durchführung militärischer Aktivitäten
Erstmals wurden der Durchführung größerer militärischer Aktivitäten Beschränkungen auferlegt, deren Bestimmungen jedoch durch das spätere Wiener Dokument 1992 erhebliche Änderungen erfuhren. Danach durfte ein Teilnehmerstaat nach den urprünglichen Regelungen des Wiener Dokuments 1990 keine militärische Aktivität mit mehr als 40.000 Mann durchführen, die der Ankündigung unterlag und die er zuvor nicht in der Jahresübersicht genannt hatte. 267 Ferner durfte ein Teilnehmerstaat keine solche militärische Aktivität durchführen, von der er nicht den anderen Teilnehmerstaaten zuvor eine Mitteilung gernacht hatte.268 Diese Mitteilung mußte die jeweils geplanten militärischen Aktivitäten mit einer 263 Abs. 38.l.l und 38.3.1 beider Dokumente. 264 Abs. 45-64 beider Dokumente. 26 5 Abs. 45.4 des Wiener Dokuments 1990, Mindestzahl später durch das Wiener Dokument 1992 auf 13.000 Mann reduziert. 266 Abs. 65-70 beider Dokumente. 267 Abs. 73 des Wiener Dokuments 1990. 268 Abs. 72 des Wiener Dokuments 1990.
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Beteiligung von mehr als 40.000 Mann umfassen, die im zweiten darauffolgenden Jahr stattfinden sollte.269 9. Verifikation der Einhaltung der Bestimmungen über VSBM
Das Wiener Dokument 1990 kennt drei Instrumente zur Überprüfung (Verifikation) der Einhaltung der Bestimmungen über VSBM. 270 Es sind die "Inspektion", die "Überprüfung" und die "Klarstellung". a) Inspektion
Eine Inspektion kann sich auf alle VSBM beziehen. Jeder Teilnehmerstaat hat das Recht, auf dem Territorium eines anderen Teilnehmerstaates Inspektionen durchzuführen mit dem Ziel, die Einhaltung der VSBM zu überprüfen.271 Dabei ist ein Teilnehmerstaaten nicht gezwungen, mehr als drei Inspektionen zu erlauben. In einem von dem für die Inspektion genau bezeichneten Gebiet haben die Vertreter des inspizierenden Teilnehmerstaates "das Recht auf Zugang, Einreise und unbehinderte Besichtigung, mit Ausnahme von Gebieten oder sensiblen Punkten, die in der Regel nicht oder beschränkt zugänglich sind, militärischen und anderen Verteidigungsanlagen sowie Schiffen ... militärischen Fahrzeugen und Luftfahrzeugen".272 Die Inspektion, die höchstens 48 Stunden dauern darf, kann zu Lande und aus der Luft vorgenommen werden. 273 Die Inspektorengruppe besteht aus höchstens vier Personen, die für die Dauer ihrer Mission die Vorrechte und Immunitäten gemäß dem Wiener Übereinkommen über Diplomatische Beziehungen genießen. 274 b) Überprüfung
Die "Überprüfung" bezieht sich lediglich auf Informationen über die Streitkräfte, Hauptwaffensysteme und Großgeräte. 275 Sie erfolgt durch 269 Abs. 71 des Dokuments. 270 Abs. 75-142 beider Dokumente 271 Abs.77-lll beider Dokumente. 272 Abs. 86 beider Dokumente. 273 Abs. 95 und 88 beider Dokumente. 274 Abs. 96 und 97 beider Dokumente. 275 Abs. 112-140 beider Dokumente.
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Besuche von Truppenformationen und Truppenteilen an ihren normalen Friedensstandorten, um dadurch die von dem Teilnehmerstaat gegebenen Informationen über seine Streitkräfte zu überprüfen276 . Jeder Teilnehmerstaat hat die Pflicht zur Zulassung einer bestimmten Anzahl von Überprüfungsgesuchen. Die Anzahl ergibt sich aus der Summe der Truppenteile: Die Quote von einem Überprüfungsgesuch pro Truppenteil ist jeweils zuzulassen, jedoch nicht mehr als 15 Besuche pro Kalenderjahr. 277 Auch hier genießen die Teilnehmer der Besuchergruppen während der Dauer ihrer Anwesenheit, die höchstens 12 Stunden betragen darf, die Vorrechte und Immunitäten des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen. 278 Im Hinblick auf die Beschränkungen der Besuche in früherer Zeit wurde jetzt vereinbart, daß den Mitgliedern der Besuchergruppe das Recht zugestanden wird, ihre persönlichen Ferngläser und Diktiergeräte zu benutzen. 279
c) Klarstellung Jeder Teilnehmerstaat hat das Recht, von einem anderen Teilnehmerstaat eine rechtzeitige Klarstellung über eine Frage der Anwendung der vereinbarten VSBM zu erhalten. 280 10. VSBM-Kommunikationsnetz
Zur Gewährleistung einer Informationsübermittlung wurde gemäß den Absätzen 143-150 des Wiener Dokuments281 das sogenannte "VSBMKommunikationsnetz" geschaffen, das zur schnellen Übertragung von Mitteilungen zwischen den Hauptstädten der Teilnehmerstaaten dient. Dieses ist ein modernes, ständig verfügbares, datengestütztes Informationssystem zwischen Kontaktstellen, die jeder Teilnehmerstaat unterhält.282
276 Abs. 113 beider Dokumente. 277 Abs. 114 beider Dokumente. 278 Abs. 131 und 130 beider Dokumente. 279 Abs. 136 beider Dokumente. 280 Abs. 141 beider Dokumente. 281 Siehe dazu auch den Anhang II zum Wiener Dokument 1990. 282 Eine genauere Darstellung dazu im 4. Teil, 3. Kapitel.
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11. Einrichtung eines jährlichen Treffens
Fragen der Durchführung der bereits vereinbarten und zukünftigen VSBM werden während jährlich stattfindenden Treffen der Teilnehmerstaaten im Forum für Sicherheitskonsultationen in Wien erörtert. 283
C. Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) vom 19. November 1990 Dieser völkerrechtliche Vertrag284 zwischen den Staaten der NATO und des Warschauer Paktes über konventionelle Abrüstung ist das Ergebnis der gemäß dem Abschließenden Dokument von Wien geführten Verhandlungen. 285 Die Staats- und Regierungschefs unterzeichneten diesen Vertrag am 19. November 1990 in Paris anläßlich des zweiten KSZEGipfeltreffens. Der KSE-Vertrag stellt einen Markstein in der Geschichte der Abrüstungsverhandlungen dar. Die Vertragsstaaten kommen darin erstmals überein, ihre konventionellen Streitkräfte einer völkerrechtlichen Kontrolle zu unterwerfen und sie zu verringern. Die jahrelangen Abrüstungsbemühungen seit dem Beginn der MBFR-Verhandlungen im Jahre 1973 gelangten damit schließlich doch noch zu einem Erfolg. I. Das Schicksal des Vertrages nach der Auflösung des WarschauerPaktes und der UdSSR sowie sein lokrafttreten Das Schicksal des KSE-Vertrages, der zwischen den Mitgliedsstaaten der NATO und des damals noch bestehenden Warschauer Paktes geschlossen wurde, erschien nach der Auflösung des östlichen Militärbündnisses am 31 . März 1991 286 und insbesondere nach dem Ende des Bestehens der 283 Abs. 151-154 des Wiener Dokuments 1990 und Abs. 151-153 des Wiener Dokuments 1992. Ursprünglich war das KVZ zuständig. Nach dessen Auflösung ist nunmehr das FSK das zuständige Gremium, vgl. Beschlüsse des Ratstreffens von Rom, Abschnitt VII, Ziff. 7.4 dritter Spiegelstrich. 284 Text in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 269-392 (ohne Protokolle und Erklärungen); Bulletin, Nr. 138, 28. November 1989, S. 1425-1472 (einschließlich Protokolle und Erklärungen); EA 1990 S. D 607-654; Fastenrath, F. 3 (einschließlich Protokolle und Erklärungen). 285 Abschnitt "Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen und bestimmte Aspekte der Sicherheit und Abrüstung in Europa, dazu o. 2. Kapitel, E. II. · 286 An diesem Tag erlosch die militärische Struktur des Bündnisses gemäß der Budapester Vereinbarung der Außen- und Verteidigungsminister des Warschauer Paktes. Am 1. Juli 1992
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1.
Teil: Vom Verhand1ungsprozeß zur Internationalen Organisation
UdSSR am 21. Dezember 1991 und der Bildung selbständiger Nachfolgestaaten ungewiß. Nach Art. XXII KSE-Vertrag sollte dieser Vertrag zehn Tage nach der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde beim Verwahrerstaat wirksam werden. Jedoch fiel die Sowjetunion als Vertragsstaat weg, konnte somit den Vertrag nicht mehr ratifizieren Die Nachfolgestaaten hatten dagegen an den Vertragsverhandlungen nicht teilgenommen, verfügten aber über die in dem Vertrag behandelten konventionellen Streitkräfte. Gemäß einem Beschluß des im Dezember 1991 gegründeten "Nordatlantischen Kooperationsrates" (NACC) beriet ab dem 10. Januar 1992 eine hochrangige Arbeitsgruppe (High Level Working Group = ffi.WG) über die Voraussetzungen für eine Inkraftsetzung des KSE-Vertrages durch die auf dem Vertragsgebiet liegenden Nachfolgestaaten der UdSSR Nach umfangreichen Konsultationen zwischen den " neuen" und "alten" Vertragsstaaten vereinbarten diese am 5. Juni 1992 auf einer "Außerordentlichen Konferenz"287 in Oslo Anpassungen von Vertragsbestimmungen an die neue, veränderte Lage. In dem Schlußdokument288 dieser Konferenz nahmen die Vertragsstaaten vornehmlich Änderungen von Bestimmungen des KSEVertrages vor, die sich auf territoriale Gegebenheiten der UdSSR bezogen und die nun an das Bestehen der neuen Staaten angepaßt werden mußten. Ferner vereinbarten sie die Notifikation von Daten ihrer Streitkräfte bis zum 1. Juli 1992, die gemäß den Bestimmungen des KSE-Vertrags zu erfolgen hatte. Diese und andere diplomatische Bemühen der Vertragsstaaten führten dazu, daß sich die acht betroffenen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, Rußland, Weißrußland, Ukraine, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan und Moldan auf dem GUS-Gipfeltreffen in Taschkent am 15. Mai 1992 über ein Aufteilungsabkornmen289 einigten. Nach diesem Abkommen verpflichteten sich die acht Staaten, die Verpflichtungen, die auf das Gesamtterritorium ihrer Staaten nach dem
endete in Prag auch die politische Struktur mit der Annahme des "Protokolls über die Beendigung der Wirksamkeit des Warschauer Vertrages und des Protokolls über die Verlängerung seiner Gültigkeitsdauer". 287 Es handelte sich um eine Außerordentliche Konferenz, die im Vertrag gern. Art. XXI Abs. 2 vorgesehen war. Diese Vertragsbestimmung war gemäß dem "Protokoll über die vorläufige Anwendung einiger Bestimmungen des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa" vom 19. November 1990 (Bulletin, Nr. 138, 28. November 1990, S. 1471; Fastenrath, F. 3, S. 144f.) zu diesem Zeitpunkt bereits anwendbar. 288 "Schlußdokument der Außerordentlichen Konferenz der Vertragsstaaten des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa" vom 5. Juni 1992, Text in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 432-439; Bulletin, Nr. 64, 12. Juni 1992, S. 620-624. 289 Text in: Fastenrath, F. Je.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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KSE-Vertrag entfielen, vollständig zu übernehmen und anteilsmäßig unter sich aufzuteilen. Da wegen innenpolitischer Umstände, insbesondere in Armeoien und Weißrußland die Ratifikation des KSE-Vertrages nur durch sechs der acht neuen Vertragsstaaten bis zum Ende des vierten Folgetreffens der KSZE in Helsinki im Juli 1992 erreicht werden konnte, fand am Rande des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der OSZE-Teilnehmerstaaten in Helsinki im Juli 1992 eine weitere Außerordentliche Konferenz der Vertragsstaaten statt. Dort vereinbarten die KSE-Vertragsstaaten in Übereinstimmung mit Art. 25 WVRK, daß der KSE-Vertrag nunmehr zunächst für 120 Tage bzw. bis zu seinem vorherigen lokrafttreten ab dem 17. Juli 1992 vorläufig angewendet werde. 290 Das Datum des 17. Juli 1992 gilt daher als der Beginn des Wirksamwerdens der Bestimmungen des Vertrages291 , auch wenn er erst später, d. h. am 9. November 1992 in Kraft getreten ist, nachdem die letzten beiden Ratifikationsurkunden am 30. Oktober 1992 hinterlegt wurden. Dieses bedeutet, daß bei der Berechnung der Fristen gemäß den Bestimmungen des KSE-Vertrages der Fristbeginn bereits ab dem 17. Juli 1992 zu setzen ist und nicht, wie es im Vertragstext heißt, ab dem Zeitpunkt des lnkrafttretens des Vertrages. Die nach dem lokrafttreten erfolgte Auflösung der CSFR hat dazu geführt, daß die Nachfolgestaaten, Slowakische Republik und die Tschechische Republik, ab dem 1. Januar 1993 in die Rechtsstellung der CSFR eintraten. Sie haben unter sich die Anteilshöchststärken im Verhältnis 1 zu 2 aufgeteilt.
II. Abrüstungsvereinbarungen Die Reichweite der Bestimmungen des Vertrags ist geographisch auf das sogenannte "Anwendungsgebiet" begrenzt. Dieses umfaßt das Territorium der Vertragsstaaten in Europa vom Atlantik bis zum Ural. 292
290 Abs. I des "Protokolls über die vorläufige Anwendung des Vertrags vom 19. November 1990 über Konventionelle Streitkräfte in Europa" vom 10. Juli 1992, Bulletin, Nr. 79 vom 17. Juli 1992, S. 759f.; Fastenrath, F. 3, S. 144f. 291 Abs. 3 der Erklärung. 292 Art. II Abs. I Buchstabe B KSE·Vertrag geändert durch Abs. 5 Anlage A des "Schlußdokuments der Außerordentlichen Konferenz des Vertrages über Konventionelle Streitkräfte in Europa" vom 5. Juni 1992, AA, 20 Jahre KSZE, S. 432-439; Bulletin, Nr. 64 vom 12. Juni 1992, S. 622. 8 Bortloff
114
1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
1. Ursprüngliche Abrüstungvereinbarungen
Die Abrüstungsvereinbarungen, die urspünglich auf die Situation zugeschnitten waren, in der der Warschauer Pakt und die Sowjetunion noch bestanden, sollen im folgenden kurz dargestellt werden, da sie auch heute Anwendung finden. Für jede "Gruppe von Vertragsstaaten" 293 , die früher den Militärbündnissen NATO und Warschauer Pakt entsprach, gelten danach kollektive Höchststärken für die Land- und Luftstreitkräfte, so daß jede Seite nur über 20.000 Kampfpanzer, 30.000 gepanzerte Fahrzeuge, 20.000 Artilleriegeschütze, 6.800 Kampfflugzeuge und 2.000 Kampfhubschrauber verfügen darf. 294 Zusätzlich zu der kollektiven Begrenzung wurden auch für die einzelnen Vertragsstaaten nationale Obergrenzen geschaffen. Nach der sogenannten Hinlänglichkeitsregel darf kein einziger Staat jeweils mehr als ein Drittel der oben genannten fünf Kategorien aller vom Vertrag begrenzten Waffen besitzen. 295 Diese Regel sollte gewährleisten, daß kein Staat in Europa, also insbesondere die Sowjetunion - heute die Russische Föderation-, die Fähigkeit hat, in Europa militärisch zu dominieren.296 Das bisher herrschende Kollektivprinzip bei Abrüstungsvereinbarungen297 wurde durchbrachen, indem nationale Anteilshöchstgrenzen festgelegt wurden. Diese Quoten waren aber innerhalb der jeweiligen Gruppe von Vertragsstaaten (=NATO und Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes) festzulegen. Jeder einzelne Vertragsstaat hatte dann den auf ihn entfallenden Anteil an der kollektiven Höchststärke zu notifizieren.298 Im Zuge der Verhandlungen über diesen Vertrag hat die Bundesrepublik Deutschland auch hinsichtlich der vom Vertrag zunächst nicht erfaßten Truppenstärke einseitig eine Reduzierung der Personalstärke der Bundeswehr auf 370.000 Mann innerhalb von 3-4 Jahren erklärt. 299 293 Vgl. die genaue Definition gern. Art. II Abs. 1 Buchstabe A. 294 Art. IV KSE-Vertrag 295 Art. VI KSE-Vertrag. 296 Vgl. Holik, EA 1991, S. 111 (112). 297 Siehe o. 1. 298 Art. VII KSE-Vertrag. 299 Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über die deutschen Streitkräfte, Bulletin, Nr. 138 vom 28. November 1990, S. 1472.
Personalstärke der
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
115
2. Anpassung der Bestimmungen des KSE-Vertrages
Die Vertragsbestimmungen, welche zuvor für die Situation vereinbart worden waren, in der der Warschauer Pakt und die UdSSR noch bestanden, wurden, wie erwähnt, durch das "Schlußdokument der Außerordentlichen Konferenz der Vertragsstaaten des Vertrages über Konventionelle Streitkräfte in Europa" vom 5. Juni 1992 an die geänderte Situation angepaßt. Danach gilt folgendes: Das Territorium derjenigen Gruppe der Vertragsstaaten, die zuvor den Warschauer Pakt bildeten, bleibt identisch. Das bedeutet, daß diejenige Gruppe von Vertragsstaaten, die früher den Warschauer Pakt darstellten, heute die ehemaligen Mitgliedsstaaten dieses Bündnisses sind, wobei ein Teil der Mitgliedsstaaten der GUS und Georgien als Nachfolgestaaten der Sowjetunion an deren Stelle treten. 300 Der Inhalt der Verpflichtungen dieser Staaten richtet sich nach dem bereits erwähnten Aufteilungsabkommen zwischen Rußland, der Ukraine, Weißrußland, Armeoien und Aserbaidschan sowie Moldau und Georgien30 1, in dem sie ihre jeweiligen Rechte und Pflichten aus dem KSE-Vertrag, insbesondere die Anzahl der Waffen, die jedem Staat künftig zustehen soll, festgelegt haben. 302 Somit konnte der KSE-Vertrag in seiner urprünglichen Fassung bestehen bleiben und bedurfte lediglich einiger Ergänzungsbestimmungen, die die Regelungen des Vertrages an die neue Situation im Anwendungsgebiet anpaßten. Die Teilnehmerstaaten müssen nach dem Wortlaut des Vertrages den Abrüstungsverpflichtungen innerhalb von 40 Monaten seit dessen Inkrafttreten am 9. November 1992 nachgekommen sein. 303 Tatsächlich läuft diese Frist seit dem 17. Juli 1992, dem Beginn der vorläufigen Anwendbarkeit. 304
300 Schlußdokument der Außerordentlichen Konferenz der Vertragsstaaten des Vertrages über Konventionelle Streitkräfte in Europa vom 5. Juni 1992, Anlage A, Abs. 4. 301 Georgien ist nicht Mitglied der GUS, Aserbaidschan trat im Oktober 1992 aus kehrte jedoch am 24. September 1993 wieder in den Kreis der Mitgliedstaaten zurück, Moldau trat in die GUS erst im April 1994 ein. 302 Siehe dazu die Tabelle 2 im Anhang des Berichts zur Rüstungskontrolle und Abrüstung 1992 der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/4846 vom 3. Mai 1993. 303 Art. IV Abs. 1 KSE-Vertrag. 304 Vgl. dazu oben I.
116
1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
111. Verifikationsvereinbarungen Der KSE-Vertrag hat ein in der Geschichte der Abrüstung neues Verifikationssystem geschaffen. 305 1. Offenlegung der Streitkräftestruktur
Die Vertragsstaaten müssen im Rahmen eines umfassenden "lnformationsaustausches" ihre Streitkräftestruktur bis zur Ebene der Brigade/ Regiment offenlegen und notifizieren. 306 2. Bestimmungen über die Reduzierung der Waffen
Für die Verschrottung der zu zerstörenden Rüstungsgegenstände wurden genaue Verfahren vereinbart.307 Danach ist die Vorgehensweise für die Zerstörung von Kampfpanzern, Artilleriewaffen, Kampfflugzeugen und Angriffshubschraubern detailliert geregelt. 308 Ferner wurden Bestimmungen und Verfahrensregeln für die Konversion von Waffen und Ausrüstungsgegenständen für nichtmilitärische Zwecke geschaffen. 309 3. System von Inspektionen
Zur Überwachung der Abrüstung, insbesondere zur Überwachung der Einhaltung der vereinbarten Höchstgrenzen wurde ein gestaffeltes System von Routine- und Verdachtsinspektionen geschaffen. 310 Das Inspektionsregime besteht zunächst aus zwei Arten möglicher Inspektionen. Zum einen kann sich eine Inspektion auf die Überprüfung der Anzahl vertragsbegrenzten Gerätes beziehen. Grundlage hierfür bildet der im 305 Vgl. Holik, EA 1991, S. 111 (114). Über erste praktische Erfahrungen mit dem Vertrag berichtet Kluss (Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr, Geilenkirchen), EA 1993, S. 167-178. 306 Art. XIII KSE-Vertrag i. V. m. dem "Protokoll über Notifikation und Informationsaustausch". 307 Art. VIII KSE-Vertrag i. V. m. dem "Protokoll über Verfahren zur Reduzierung von durch den KSE-Vertrag begrenzten konventionellen Waffen und Ausrüstungen". 308 Abschnitt III-VII des Protokolls. 309 Abschnitt VIII des Protokolls. 310 Art. XIV KSE-Vertrag und die Übersicht 3 im Anhang des Berichts über Rüstungskontrolle und Abrüstung 1992, BT-Drucksache 12/4846 vom 3. Mai 1993.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
117
KSE-Vertrag oben erwähnte vorgesehene Informationsaustausch. Hierbei sind wiederum zwei Inspektionsarten zu unterscheiden. Eine Inspektion kann in einer den Vertragsstaaten gemeldeten Inspektionsstätte erfolgen (sogenannte Inspektion in gemeldeten Inspektionsstätten) oder an jedem anderen Ort des betroffenen Staates (sogenannte Verdachtsinspektion). Zum anderen kann Gegenstand der Inspektion die Verifikation der Reduzierung, d. h. die Zerstörung von vertragsbegrenztem Gerät sein (sogenannte Reduzierungsinspektionen). 311 4. Verifikation durch Satellitenaufklärung
Ferner dürfen die Vertragsstaaten die Einhaltung durch "die nationalen und multinationalen technischen Mittel der Verifikation", die völkerrechtsgemäß sind, überprüfen.3l2 Damit ist die Aufklärung durch Satellitenbeobachtung gemeint. Entsprechend besteht eine Pflicht der Vertragsstaaten, "Verschleierungsmaßnahmen", die auf die Vereitelung einer solchen Verifikation gerichtet sind, zu unterlassen.313
IV. "Gemeinsame Beratungsgruppe" Für Angelegenheiten, die im Zuge der Vertragsdurchführung auftreten und einer Klärung bedürfen, steht den Vertragsstaaten die "Gemeinsame Beratungsgruppe" zur Seite. 314 Dieses Gremium, das aus je einem Vertreter der Vertragsstaaten besteht, tagt in Wien regelmäßig zweimal jährlich oder aufbesonderes Ersuchen eines Vertragsstaates.
V. Fortsetzung der Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa Gemäß Art. XVIII KSE-Vertrag wurden die Verhandlungen (VKSE) mit gleichem Mandat ab dem 19. November 1990 fortgesetzt. Diese Verhandlungen wurden auch "VKSE Ia" genannt, da der KSE-Vertrag vom 19. November 1990 durch diese Verhandlungen ergänzt werden soll-
311 Vgl. Einzelheiten im Inspektionsprotokoll des KSE-Vertrages. 312 Art. XV Abs. 1 KSE-Vertrag. 313 Art. XV Abs. 2 und 3 KSE-Vertrag. 314 Art. XVI KSE-Vertrag i. V. m. dem "Protokoll über die gemeinsame Beratungsgruppe".
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
te. Jedoch sollte der neue Vertrag zusätzlich auch die Begrenzung der Truppenstärke zum Gegenstand haben. 315
D. Ergebnisse der Spezialtreffen gemäß der Charta von Paris und der nachfolgenden KSZE-Treffen I. Expertentreffen über die friedliche Regelung von Streitfällen in Valletta (15. Januar- 8. Februar 1991) Während des gemäß dem Abschließenden Dokument von Wien in Valletta veranstalteten Treffens führten die Teilnehmerstaaten die Bemühungen früherer Treffen weiter, einen Mechanismus zur friedlichen Streitbeilegung zu finden.316 In Valletta sollte ein Mechanismus vereinbart werden, bei dem die Hinzuziehung einer Drittpartei obligatorisch sein sollte.317 Bei der Ausarbeitung eines solchen Mechanismus wurde offenbar, daß verschiedene Interessen und Ziele miteinander in Einklang zu bringen waren. Dieses zeigte sich an den unterschiedlichen Vorschlägen der Teilnehmerstaaten. Zum einen bestanden bei einigen Staaten grundsätzliche Bedenken gegenüber einer obligatorischen Streitbeilegung mit Hilfe einer Drittpartei, insbesondere, wenn diese selbst verbindliche Beilegongsvorschläge würde unterbreiten dürfen und nicht nur Vermittler wäre. Andere Staaten wiederum wollten, daß die Drittpartei befugt sein solle, eine verbindliche Sachentscheidung zu fällen. Es zeigte sich aber die allgemeine Grundtendenz der Mehrheit der Teilnehmerstaaten, eine Beteiligung einer Drittpartei nur ad hoc bei Zustimmung der beteiligten Staaten zuzulassen.318 Es wurde schließlich ein Konsens über einen Mechanismus319 erzielt, der die Hinzuziehung einer Drittpartei für den Fall vorsieht, daß die Parteien keine einvernehmliche Regelung ihres Streitfalles erreichen kön-
315 Zu dieser Ergänzung des KSE-Vertrages s. u. die "Abschließende Akte der Verhandlungen über Personalstärken der Konventionellen Streitkräfte in Europa", G. 316 Vgl. die vorigen Treffen von Montreux 1978 und Athen 1984.
3l7 Charta von Paris, 2. Abschnitt, Unterabschnitt "Sicherheit", am Ende.
318 Vgl. Oel/ers-Frahm, ZaöRV 1991, S. 71 (74f).
3l9 Vgl. den Bericht über das Expertentreffen über friedliche Regelung von Streitflillen (Valletta-Bericht) in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 319-327; Fastenrath, E. l.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
119
nen. 320 Diese Lösung stellt eine Kombination der eingebrachten Vorschläge seitens der Teilnehmerstaaten dar.3 21
II. Symposium über das kulturelle Erbe der KSZE-Teilnehmerstaaten in Krakau (28. Mai- 7. Juni 1991) Gemäß Abs. 62 des Abschließenden Dokuments von Wien fand in Krakau ein "Symposium über das kulturelle Erbe der KSZE-Teilnehmerstaaten" statt. 322 Das Dokument des Krakauer Treffens erstellten sowohl Kunst- und Kulturexperten als auch Diplomaten der Teilnehmerstaaten, wodurch teilweise auch die Vorschläge der Kunst- und Kulturexperten Eingang in das Dokument fanden. Das Dokument323 , dessen Inhalt an dieser Stelle nur skizziert werden kann, gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil "1. Kultur und Freiheit" behandelt Fragen, die die Verbindung von Kunst und Kultur mit Menschenrechten und Grundfreiheiten betreffen. Dieser Bereich gehört damit auch zur Menschlichen Dimension der OSZE. Der zweite und dritte Teil regeln Fragen des materiellen Kulturgüterschutzes. 1. Erster Abschnitt: ,.Kultur und Freiheit"
Die Teilnehmerstaaten stellen in Abs. 1 des Dokuments dieses Treffens fest, daß die volle Entfaltung der Kreativität abhängig sei von der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Daher dürfe der Staat die Freiheit des künstlerischen Schaffens nicht beeinträchtigen (Abs. 2). Die Teilnehmerstaaten konkretisieren die Grundfreiheit der freien Meinungsäußerung hinsichtlich der Kunst und Kultur (Abs. 6). Veröffentlichungen von schriftlichen Werken, Aufführungen von Musik und Bühnenstücken unterliegen daher nur einem Normenvorbehalt, der voll und ganz völkerrechtlichen Normen entsprechen muß. Nach Abs. 7 kann das Recht zu Besitz, Verwendung und Reproduktion künstlerischer und kultureller 320 AusfUhrliehe Darstellung dieses OSZE-Steitbeilegungsmechanismus im Kapitel, A. IV. dieser Arbeit.
4.
Teil, 5.
321 Vgl. zum Verlauf dieses Treffens auch Oellers-Frahm, ZaöRV 1991, S. 71-89. 322 Vgl. dazu Tretter, EuGRZ 1991, S. 253-254. 323 Dokument des Symposiums in: Bulletin, Nr. 71, 20. Juni 1991, S. 573-576; Fastenrath,
H. 2.
120
I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Werke nur durch das Recht am geistigen Eigentum eingeschränkt werden. Schließlich wird festgestellt, daß regionale und lokale Kulturen, einschließlich jener der nationalen Minderheiten, eine Bereicherung des kulturellen Lebens darstellten. 2. Der materielle Kulturgüterschutz
a) Zweiter Abschnitt "Kultur und kulturelles Erbe"
Die Teilnehmerstaaten erkennen an, daß das kulturelle Erbe jedes Staates ein unverzichtbarer Teil der gesamten Kultur darstellt (Abs. 10). Dabei machen sie sich die Definition der Gegenstände, die als Kulturgüter gelten, gemäß den Bestimmungen des Europarates und der UNESCO zu eigen (Abs. 11). Die Teilnehmerstaaten wollen demgemäß die Bestimmungen internationaler Verträge über den Kulturgüterschutz beachten. Hier stellt sich die Frage der Konkurrenz der OSZE einerseits und bereits bestehender Internationaler Organisationen andererseits auf dem Gebiet der Kultur. Die Teilnehmerstaaten wollen eine Konkurrenz verhindern und zukünftig verstärkt in Internationalen Organisationen zusammenarbeiten (Abs. 41f.). b) Dritter Abschnitt " Hauptgebiete bei der Bewahrung und Zusammenarbeit"
In diesem Abschnitt führen die Teilnehmerstaaten Bereiche auf, in denen konkrete und praktische Maßnahmen durchgeführt werden sollen und in denen sie zusammenarbeiten wollen. In Ergänzung des Begriffs "Kulturgut" wird hier ausdrücklich der Schutz von "sensiblen Gedenkstätten" und "Vernichtungslagern" betont (Abs. 3lf.). Die Teilnehmerstaaten haben in diesem Dokument die Grundlinien für den Kulturgüterschutz innerhalb der OSZE festgelegt. Sie wollen insbesondere in Internationalen Organisationen zusammenarbeiten, um eine Konkurrenz zur OSZE zu vermeiden. Daher wird dieses Expertentreffen wohl - vorläufig - das letzte Treffen zum Bereich der Kultur im Rahmen der OSZE gewesen sein.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
121
111. Gründung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Madrid (1.- 3. April 1991) Abs. 14 des dritten Abschnitts "Neue Strukturen und Institutionen des KSZE-Prozesses" der Charta von Paris sah in Anbetracht "der wichtigen Rolle, die Parlamentarier im KSZE-Prozeß spielen können" vor, daß eine "parlamentarische Versammlung der KSZE unter Beteiligung von Parlamentsmitgliedern aus allen Teilnehmerstaaten" geschaffen werden sollte. Zu diesem Zweck kamen vom 1. bis zum 3. April 1991 in Madrid Vertreter der nationalen Parlamente der Teilnehmerstaaten zusammen. Bei den Beratungen versuchten europäische Staaten vergeblich, die Parlamentarische Versammlung der OSZE mit dem Europarat zu verknüpfen. Die nordamerikanischen Staaten beharrten jedoch auf einer Eigenständigkeit der Versammlung, da diese Staaten nicht Mitglied des Europarats sein können324 und daher keine Verbindung zu dieser Organisation haben. Die Vertreter beschlossen in Madrid daher, eine "Parlamentarische Versammlung der KSZE" zu gründen. 325 Nach der Schlußresolution326 soll sich die Versammlung mit der Verwirklichung der OSZE-Ziele beschäftigen und Vorschläge zur europäischen Sicherheit und Zusammenarbeit erörtern. Sie kann Beschlüsse fassen, die grundsätzlich mit Mehrheit angenommen werden. Damit wird hier erstmals das bisher den OSZEProzeß prägende und in den Verfahrensregeln der HelsinkiSchlußempfehlungen von 1975327 niedergelegte Konsensprinzip durchbrechen. In besonderen Fällen kann aber das Ständige Komitee der Delegationsleiter entscheiden, daß eine Zweidrittelmehrheit notwendig sei. Die Bedeutung dieser Durchbrechung des Konsensprinzips ist jedoch gering, da die Beschlüsse der Versammlung nur den Charakter von Empfehlungen haben und mithin die Regierungen der Teilnehmerstaaten nicht binden. Die erste Tagung der Parlamentarischen Versammlung fand Anfang Juli 1992 in Budapest statt. 328
324 Vgl. Art. 4 der Satzung des Europarates. 325 Eine genauere Darstellung dieses Gremiums findet sich im 4. Teil, 1. Kapitel, C. XII. 326 BT-Drucksache 12/3091 vom 27. Juli 1992 Anlage 1. 327 Vgl. o. 1. Kapitel, B. I. 2. 328 Dazu unten H.
122
l. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
IV. Erstes Treffen des KSZE-Rates in Berlin 1991 Am 19. und 20. Juni 1991 kamen in Berlin zum ersten Mal die Außenminister der OSZE-Teilnehmerstaaten als "Rat der KSZE" zusammen. 329 Der Rat der KSZE wurde durch die Bestimmungen der Charta von Paris geschaffen. 330 Während des Berliner Treffens wurde Albanien, das bei dem Gipfeltreffen der KSZE im November 1990 erstmals Beobachter war, als 35. Teilnehmerstaat aufgenommen. 331 Ferner wurde in Berlin der "Mechanismus für Konsultation und Zusammenarbeit in dringlichen Situationen" vereinbart, der oft kürzer als OSZE-Dringlichkeits- oder Krisenmechanismus bezeichnet wird. 332 Danach kann bei Vorliegen einer von einem Teilnehmerstaat als dringlich erachteten Situation Klarstellung und Informationen von dem ersuchten Staat verlangt werden. Eine solche Situation ist gegeben, wenn in dem Verhalten eines Staates eine Verletzung eines Prinzips der Schlußakte von Helsinki oder ein Zwischenfall gesehen wird, der den Frieden, die Sicherheit oder die Stabilität gefährden könnte. Erscheint die Situation weiterhin ungelöst, so kann jeder der betroffenen Staaten um die Einberufung einer Dringlichkeitssitzung des Hohen Rates (früher AHB) ersuchen. Stimmen dem Ersuchen an den Vorsitzenden des Hohen Rates mindestens 12 Teilnehmerstaaten zu, so beruft der Vorsitzende eine Dringlichkeitssitzung des Hohen Rates ein. Der Hohe Rat kann dann jedoch nur einstimmig Empfehlungen oder Schlußfolgerungen geben oder die Einberufung eines Ministertreffens beschließen.333 Dieser Mechanismus wurde erstmals zu Beginn des Jugoslawien-Konflikt am 28. Juni 1991 in Gang gesetzt. 334
329 Zusammenfassung der Schlußfolgerungen des Berliner Treffens des Rates der KSZE (mit Anhängen) in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 232-238; EA 1991, S. D 356-358; Fastenrath, C. I. 330 Vgl. o. A. IV. 2. 331 Zum Modus der Aufnahme s. u. 4. Teil, 2. Kapitel, A. I. 3. 332 Vgl. die ausfilhrliche Darstellung dieses Mechanismus im 4. Teil, 5. Kapitel, A. II. 333 Vgl. zu diesem Mechanismus Anhang 2 der Zusammenfassung der Schlußfolgerungen des Berliner Treffens des Rates der KSZE. 334 Vgl. dazu auch das Kommunique der ersten Beratung des AHB über die Lage im damaligen Jugoslawien in: EA 1991, S. D 534-536. Siehe auch Vetschera, ÖMZ 1991, S. 405 (410f.).
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
123
V. Expertentreffen über nationale Minderheiten in Genf (1. - 19. Juli 1991) Gemäß dem Mandat der Charta von Paris335 fand in Genf erstmals ein allein dem Minderheitenschutz gewidmetes Treffen statt. Dieses war jedoch überschattet von dem Konflikt in Jugoslawien und den Unabhängigkeitsbestrebungen der Republiken der UdSSR. Unter dem Eindruck dieser aktuellen Vorgänge hatten viele Delegationen Schwierigkeiten, Angehörigen nationaler Minderheiten mehr Rechte einzuräumen, da sie fürchteten, dies fördere die Sezessionsbestrebungen im eigenen Land.336 In den Vereinbarungen des Berichts des Treffens337 wurde erstmals das in der KSZE-Schlußakte verankerte Prinzip des Verbots der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates ausdrücklich durchbrochen: Minderheitenfragen und die Erfüllung internationaler Verpflichtungen betreffend die Rechte der Angehörigen nationaler Minderheiten wurden zu Gegenständen erklärt, die "berechtigtes internationales Anliegen und daher eine nicht ausschließlich innere Angelegenheit des jeweiligen Staates" seien. 338 Somit kann sich kein Staat mehr auf das Interventionsverbot berufen, wenn er von einem fremden Staat zur Achtung der Minderheitenrechte ermahnt wird. Damit wird zum ersten Mal eine Problematik, die in früherer Zeit oft als interne Angelegenheiten deklariert wurde, ausdrücklich zu einer Frage internationalen Interesses und der internationalen Zuständigkeit erhoben. Die Tatsache, daß die Minderheitenrechte Rechte der Angehörigen nationaler Minderheiten sind, bringt zum Ausdruck, daß die gewährten Minderheitenrechte keine Kollektivrechte der Volksgruppen, sondern Individualrechte der einzelnen Personen sind. 339 Desweiteren wurden die bisher vereinbarten Rechte der Minderheiten gemäß dem Kopenhagener Schlußdokument bekräftigt, aber auch präzisiert. Minderheiten sollen eine angemessene demokratische Vertretung in ihrem Land erhalten und arn politischen Geschehen angernessen partizi335 2. Abschnitt "Leitsätze fiir die Zukunft", Unterabschnitt "Menschliche Dimension", Abs. i. V. m. dem Zusatzdokument, Il. B. 336 Vgl. Roth, HRLJ 1991, S. 330 (331). 337 AA, 20 Jahre KSZE, S. 309-317; Fastenrath, H. 3. 338 Abschnitt II, Abs. 3 des Genfer Berichts. 339 Vgl. Roth, HRLJ 1991, S. 330 (331).
3.
124
I . Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
pieren können. 340 Ferner wurde ein Katalog erstellt, in dem Beispiele der Förderung von Volksgruppen aufgezählt sind. Danach kann einer Minderheit auch Selbstverwaltung gewährt werden.341 Angesichts des erneut auftretenden Konkurrenzproblems der Bemühungen der OSZE um die Rechte der Minderheiten mit anderen Internationalen Organisationen wurde die Bedeutung der Vereinten Nationen und des Europarats auf diesem Gebiet hervorgehoben und eine verstärkte Mitarbeit in diesen Organisationen vereinbart. Andererseits einigten sich die Teilnehmerstaaten auf weitere Verhandlungen über einen Mechanismus zur Überprüfung der Einhaltung von Minderheitenrechten. Das dritte Treffen der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE in Moskau sollte über einen solchen Mechanismus beraten. 342
VI. Drittes Treffen der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE in Moskau (10. September- 4. Oktober 1991) Entsprechend dem Mandat des Abschließenden Dokuments von Wien3 43 fand in Moskau das dritte und letzte Treffen der Konferenz über die Menschliche Dimension der OSZE statt. Es war das erste OSZE-Treffen auf sowjetischem Boden. Die noch in Wien bestehenden Bedenken einiger westlicher Staaten, darunter besonders der USA, wegen der Durchführung einer Konferenz auf dem Territorium der UdSSR gerade über Menschenrechte bestanden nun nicht mehr, da die Menschenrechtspolitik der Sowjetunion mit der westlichen Auffassung weitgehend identisch war. Vor Beginn der Beratungen wurden am 10. September die baltischen Staaten, die ehemals Sowjetrepubliken waren, nämlich Estland, Lettland und Litauen, in den Kreis der nunmehr 38 Teilnehmerstaaten aufgenommen. Das Abschlußdokument344 gliedert sich in zwei Teile: Zum einen wurden sehr bedeutsame Vereinbarungen zur Überprüfung der Einhaltung der 340 Abschnitt 111 des Genfer Berichts. 34 1 Abschnitt IV des Genfer Berichts.
342 Abschnitt VIII, 2. Abs. des Genfer Berichts.
343 Abschnitt "Menschliche Dimension". 344 AA, 20 Jahre KSZE, S. 290-308; EA 1991, S. D 579-593; Fastenrath, H. 4.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
125
Bestimmungen über die Menschliche Dimension der OSZE getroffen, zum anderen auch neue materielle Verpflichtungen hinsichtlich des Bereiches der Menschlichen Dimension begründet. 1. Vereinbarungen über Verfahren zur Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen über die Menschliche Dimension der OSZE
In Moskau erreichte man im Bereich der Überprüfungsverfahren in bezug auf Menschenrechte einen bedeutsamen Fortschritt. Zum einen wurde der bestehende Teil des Mechanismus zur Menschlichen Dimension, der auf dem 3. WienerFolgetreffen erarbeitet wurde, geändert und verbessert, zum anderen aber wurde er durch zwei neuartige Verfahren ergänzt. a) Anderungen des "Mechanismus zur Menschlichen Dimension"
Die Änderungen des Mechanismus zur Menschlichen Dimension betreffen Fristen, innerhalb derer die Teilnehmerstaaten jeweils auf Informationsersuche bzw. Ersuche für ein bilaterales Treffen antworten müssen. Diese Fristen wurden verkürzt. 34 5 b) Verfahren der Expertenmission und der Berichterstatter (Moskauer Mechanismus)
Als Bestandteil des Mechanismus der Menschlichen Dimension wurden zwei neuartige Verfahren entwickelt, die jeweils in unterschiedlicher Weise eingeleitet werden können. 346 Diese werden unter der Bezeichnung "Moskauer Mechanismus" zusammengefaßt Eine sogenannte "Expertenmission" kann dabei nur im Einvernehmen mit dem betroffenen Staat berufen werden. Dagegen kann eine Mission von "Berichterstattern" auch gegen den Willen des betroffenen Staates in Gang gesetzt werden, wenn eine Minderheit der Teilnehmerstaaten dieses beschließt. Damit wurde erstmals auch bei der Überprüfung von Verpflichtungen der Menschlichen Dimension das Konsensprinzip durchbrachen.
345 Abs. 1 und 2 des Moskauer Dokuments. 346 Einegenaue Erläuterung dieser Verfahren findet sich im 4. Teil, 5. Kapitel, B. I. 2. dieser Arbeit.
126
1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
2. Materielle Bestimmungen des Moskauer Dokuments
Materielle Bestimmungen finden sich vornehmlich in Teil II des Moskauer Dokuments. a) Fragen der Menschlichen Dimension der OSZE als international berechtigtes Anliegen
Die Teilnehmerstaaten erklärten in der Präambel des Moskauer Dokuments jedoch zuvor, daß "Fragen der Menschenrechte, Grundfreiheiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein internationales Anliegen sind, da die Achtung dieser Rechte und Freheiten eine der Grundlagen der internationalen Ordnung darstellt. Sie erklären mit großem Nachdruck und unwiderruflich, daß die im Bereich der menschlichen Dimension der KSZE eingegangenen Verpflichtungen ein unmittelbares und berechtites Anliegen aller Teilnehmerstaaten und eine nicht ausschließlich innere Angelegenheit des betroffenen Staates darstellen:·347
b) Einzelbestimmungen
Unter dem Eindruck des kurz vor dem Treffen in der Sowjetunion gescheiterten August-Putsches vereinbarten die Teilnehmerstaaten erstmals Regeln über die Frage, wie ein Staatsstreich und die ihn unterstützenden Kräfte zu beurteilen seien (Abs. 17). Die Teilnehmerstaaten verurteilen demnach einen Staatsstreich und verpflichten sich, in einem solchen Falle die rechtmäßig demokratisch gewählte Regierung zu unterstützen (Abs. 17.1 und 17.2). 348 Die Verpflichtung zur Rechtsstaatlichkeit wurde präzisiert (Abs. 18-27), indem die Existenz eines wirksamen Rechtsmittels gegen Entscheidungen der Verwaltung und "Grundprinzipien für die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit" vereinbart wurden. Ferner wurden detaillierte Regeln für den Freiheitsentzug durch den Staat angenommen. Erstmals wurde auch die Problematik des öffentlichen Notstandes in einem Staat geregelt (Abs. 28). Auch während eines öffentlichen Notstandes sollen danach die Menschenrechte und Grundfreiheiten gemäß den OSZEVereinbarungen sowie der völkerrechtlichen Verträge grundsätzlich gelten. 347 9. Abs. der Päambel. 348 Genauer werden diese Regeln unten besprochen, 2. Teil, I. Kapitel, A. II. 5. e.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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Die Außerkraftsetzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten darf nur im Einklang mit den Regeln der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge (IPBPR etc.) geschehen. Die Ausrufung eines öffentlichen Notstandes ist daher nur durch "ganz außergewöhnliche und schwerwiegende Umstände gerechtfertigt". Weitere detaillierte Regeln ergeben sich aus Abs. 28 des Dokuments. Die damals noch vom Rat der KSZE zu ernennende OSZE-Institution - heute das BDIMR - ist immer zu benachrichtigen, wenn ein Staat den Notstand verhängt oder internationale Menschenrechtsbestimmungen in seinem Land außer Kraft setzt. Ferner wurde ausdrücklich vereinbart, die Gleichstellung von Mann und Frau nicht nur de iure, sondern auch de facto zu erreichen (Abs. 40). Die Rolle der nichtstaatlichen Organisationen wurde als sehr bedeutend angesehen. Diese Organisationen sollen durch die Teilnehmerstaaten gefördert werden und in die Arbeit der Teilnehmerstaaten im Rahmen ihrer Treffen miteinbezogen werden (Abs. 43).
VII. Zweites Expertenseminar über Militärdoktrinen in Wien (8.- 18. Oktober 1991) Im Oktober 1991 fand in Wien ein zweites Expertenseminar über Militärdoktrinen statt. 349 Ermutigt durch die Erfahrungen des ersten Seminars über Militärdoktrinen zu Beginn des Jahres 1990350 , beschlossen die Teilnehmerstaaten während der fortgesetzten Verhandlungen über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen (VVSBM), erneut ein solches Expertentreffen einzuberufen. 35 1 Das gemäß der Charta von Paris neu geschaffene Konfliktverhütungszentrum diente dem Treffen als Forum. Das Seminar fand nun in einem erweiterten und geänderten Teilnehmerkreis statt, da die baltischen Staaten, Lettland, Litauen und Estland, die gewandelte CSFR und das vereinte Deutschland daran teilnahmen. Viele Staaten Mittel- und Südosteuropas, die sich während der Zeit des ersten Seminares noch in einer Umbruchphase befunden hatten, wiesen nun eine neue stabilisierte demokratische Ordnung auf. 349 Vgl. auch hierzu die umfangreiche Publikation der Landesverteidigungsakademie des Bundesministeriums für Landesverteidigung, Wien. 350 Dazu oben 2. Kapitel, F. IV. 35 1 Absatz 4 des Wiener Dokuments 1990 und CSCE/WV/Dec. 3 in: Landesverteidigungsakademie Wien: Second Seminar on Military Doctrine.
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Die erörterten Themen blieben dabei die gleichen wie beim ersten Seminar352 , also die Vorstellung und Erörterung der Militärdoktrinen der Teilnehmerstaaten, die Darlegung der militärischen Struktur ihrer Streitkräfte und ihrer militärischen Aktivitäten. Die sogenannten neuen Demokratien hatten daher die Gelegenheit, ihre von der kommunistischen Vergangenheit unbelasteten Haltungen zur militärischen Sicherheit vorzutragen. Dabei fiel die Vorstellung der Strukturen ihrer Streitkräfte bei vielen auch ehemals dem Warschauer Pakt angehörenden Teilnehmerstaaten ausführlicher aus als beim ersten Seminar eineinhalb Jahre zuvor. Einige Staaten legten Zahlen und Schaubilder vor über die Struktur der Streitkräfte und den Militärhaushalt sowie Karten über die Stationierung von Truppenteilen.
VIII. Expertenseminar über demokratische Institutionen in Oslo (4. - 15. November 1991) Vom 4. bis 15. November 1991 fand in der norwegischen Hauptstadt Oslo ein Expertentreffen statt, das einen Gedankenaustausch und Beratungen über demokratische Institutionen zum Inhalt hatte. Das Treffen beruhte auf einem Mandat der Charta von Paris. 353 Der Bericht des Expertentreffens354 (im folgenden: Bericht von Oslo) wurde während des zweiten KSZE-Ratstreffens in Prag am 30. und 31. Januar 1992 gebilligt. 355 Der Bericht von Oslo enthält ausdrücklich keine neuen Verpflichtungen der OSZE-Staaten. 356 Vielmehr enthält der Bericht die Gedanken, Erwägungen und Folgerungen der Beratungen, auf die sich die Teilnehmerstaaten einigten. Im Mittelpunkt der Beratungen stand die Frage der Stärkung der Demokratie in den Teilnehmerstaaten.357 Dabei wurden nicht nur die Probleme der demokratischen Kultur in den "neuen" Demokratien Mittel-, 352 Siehe die Aufstellung dort, 2. Kapitel, F. IV. 353 2. Abschnitt "Leitsätze fil.r die Zukunft", Unterabschnitt "Menschliche Dimension". 35 4 Allein veröffentlicht in Fastenrath, I. 6.
355 Zusammenfassung der Schlußfolgerungen, Abschnitt VIII, Ziff. 16. 356 Bericht von Oslo, Einleitung vor Abschnitt I, 6. Abs. 357 Siehe zum Inhalt des Berichts auch unten 2. Teil, I . Kapitel, A. IV. 2. a bb.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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Ost- und Südosteuropas angesprochen, sondern auch die in den "alten" demokratischen Staaten des Westens. Ein Schwerpunkt der Beratungen bildeten die Verfassungsreformen in den neuen Demokratien. Die Teilnehmer erkannten die Schwierigkeiten dieser Staaten rasch zu einer demokratischen Verfassung zu gelangen, ohne dabei vorher eine umfassende aber zeitraubende Verfassungsdiskussion abgeschlossen zu haben. Die Experten und Vertreter der Teilnehmerstaaten fanden dazu eine bemerkenswerte Lösung. 358 Zunächst sollen grundlegende Bestimmungen über Menschenrechte, Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit fest verankert werden. Sodann können Verfassungsänderungen hinsichtlich anderer Rechtsbereiche vorgenommen werden. Eine Parallele dazu ist die im Grundgesetz enthaltene sogenannte Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG. Danach ist jede Verfassungsänderung zulässig, die nicht bestimmte Grundstrukturen der grundgesetzliehen zerstört, nämlich die Bundesstaatlichkeil mit der Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder bei der Bundesgesetzgebung und die in den Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsätze. In diesem Zusammenhang wurde auch eine Problematik erörtert, die sich oft in der Phase des Umbruchs einer Diktatur zur Demokratie stellt: Inwieweit soll es zulässig sein, daß der Exekutive für eine Übergangszeit Ausnahmebefugnisse zu gewähren seien, "um unpopuläre aber erfolgreiche Wirtschaftsreformen durchzuführen"?359 Die Haltung der Teilnehmer war dazu gespalten. Falls ein Staat zu einer solchen Regelung greife, sollten die Ausnahmebefugnisse zumindest genau definiert und deren Ausübung einer angemessenen Kontrolle unterstellt werden. Gegenstand der Beratungen war auch der Grundsatz der Gewaltenteilung. Die Teilnehmer fanden diese Doktrin "in ihrer reinen Form ... hauptsächlich in Präsidialsystemen" verwirklicht, zahlreiche andere politischer Systeme spiegelten dieses Konzept aber auch in ihrer Praxis wider. 360 Nicht nur die horizontale, auch die vertikale Gewaltenteilung361 in Form einer Dezentralisierung wurde hervorgehoben. Staatsfunktionen sollten auf "Bundes- Regional- und Gemeindeebene" verteilt werden. Dies könne auch ein Beitrag zum Minderheitenschutz sein.
358 Bericht von Oslo, Abschnitt li, 5. Abs. 359 Bericht von Oslo, Abschnitt li, 7. Abs. 360 Bericht von Oslo, Abschnitt li, 10. Abs. 361 Vgl. dazu Hesse, Rn. 231. 9 Bortloff
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Die Teilnehmer des Seminars schlugen ferner eine Lösungsmöglichkeit für ein Problem der Verfassungswirklichkeit zahlreicher Staaten vor: "Es wurde auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, die zutage treten, wenn Koalitionsregierungen aufgrund eines zersplitterten Parlaments häufig wechseln. Eine Möglichkeit, Instabilität zu vermeiden, wäre, Mißtrauensvoten nur dann zuzulassen, wenn die ein solches Votum einbringenden Parteien in der Lage sind, eine andere Regierung vorzuschlagen...362
Dieses entspricht der Regelung des konstruktiven Mißtrauensvotums des Art. 67 GG. Einen Schwerpunkt bildeten besonders auch die Probleme der "alten" westlichen Demokratien. Zum einen betonten die Teilnehmer ausdrücklich die Notwendigkeit, daß sich Demokratien mit antidemokratischen Kräften in der Gesellschaft auseinanderzusetzen hätten.363 Zum anderen erörterten die Teilnehmer die Abkehr zahlreicher Bürger von den politischen Parteien. "Es wurde unterstrichen, daß in Ländern mit repräsentativer Staatsform heute die Medien, Interessengruppen, spontane Bürgerbewegungen und Aktionsgruppen mit Einzelanliegen eine Reihe der Funktionen übernommen haben, die früher von politischen Parteien wahrgenommen wurden. Gleichzeitig hat die Wahlbeteiligung in vielen etablierten Demokratien abgenommen...364
Die Teilnehmer äußerten sich ausführlich zur Rolle der "freien Vereinigungen und Organisationen". Sie unterstrichen die demokratiewahrende Funktion dieser Gruppen. Gleichzeitig wiese sie auf ein zuweilen anzutreffendes innerorganisatorisches Demokratiedefizit dieser Gruppen hin. Weitere Aussagen trifft der Bericht über die Meinungs- und Pressefreiheit und die Umsetzung von Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsschutzverträgen.
IX.Zweites Treffen des KSZE-Rates in Prag (30./31. Januar 1992) Das Zweite Treffen des Rates der KSZE, deren Mitglieder die Außenminister der Teilnehmerstaaten sind, fand Ende Januar 1992 in Prag statt.
362 Bericht von Oslo, Abschnitt II, 13. Abs. 363 Bericht von Oslo, Abschnitt Il, 18. Abs. 364 Bericht von Oslo, Abschnitt II, 17. Abs.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
131
In Prag nahmen zum ersten Mal die Nachfolgestaaten der Sowjetunion365 an einem KSZE-Treffen teil, nachdem die UdSSR am 21. Dezember 1991 durch den Beitritt der zentralasiatischen Republiken zu der dann - formell - neu gegründeten, ursprünglich jedoch bereits am 8. Dezember in Minsk ins Leben gerufenen "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" (GUS) in Alma-Ata zerfallen war.366 Die Außenminister der am 15. Januar 1992 von den Staaten der Europäischen Gemeinschaften anerkannten Staaten, Slowenien und Kroatien, nahmen am Prager Treffen als Beobachter teil. Während des Treffens nahmen die Außenminster eine Beurteilung der Aktivitäten der KSZE vor, die seit ihrem ersten, Berliner Treffen im Januar 1991 durchgeführt wurden. Die Ergebnisse des Expertentreffens über nationale Minderheiten in Genf, des dritten Treffens der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE in Moskau und des Seminars über Demokratische Institutionen in Oslo wurden angenommen. Ferner wurde die Rolle der KSZE im Jugoslawien-Konflikt untersucht: Die KSZE gab während dieses Konflikts einer Beobachtermission der EG ihr Mandat zur Beurteilung der Situation des Schutzes der Menschenrechte auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens. Der Jugoslawien-Konflikt wurde auch mehrmals im AHB behandelt. Schließlich hatte die KSZE das Tätigwerden der KSZE-Berichterstattermission beschlossen. Neben der jeweils üblichen "Zusammenfassung der Schlußfolgerungen"367 hat der Rat das "Prager Dokument über die weitere Entwicklung der KSZE-Institutionen und -Strukturen"368 (im folgenden: Prager Dokument) angenommen, in dem er zum einen konkrete Änderungen und Ergänzungen hinsichtlich bereits bestehender Institutionen aufstellt, zum anderen lediglich diesbezügliche Richtlinien vorlegt, über die das Vierte KSZE-Folgetreffen von Helsinki beraten und entscheiden sollte. 365 Die baltischen Staaten wurden bereits im Herbst 1991 aufgenommen. 366 Mit der vorherigen Gründung der GUS durch die drei ehemaligen Sowjetrepubliken Rußland, Ukraine und Weißrußland am 8. Dezember 1991 in Minsk ist die Dismembration der UdSSR noch nicht erfolgt, da daran nur drei der 15 Sowjetrepubliken teilgenommen hatten. Erst
in Alma-Ata erklärten die elf neuen unabhängigen Staaten: "Mit der Schaffung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten hört die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf zu existieren." Erklärung von Alma-Ata vom 21. Dezember 1991, EA 1991, S. D 30Sf. Vgl. zur völkerrechtlichen Beurteilung des Übergangs der Sowjetunion zur GUS: Seiffert, in: OsteuropaRecht 1992, S. 79-95 undSchweisfurth, ZaöRV 1993, S. 541-696. 367 AA, 20 Jahre KSZE, S. 239-244; EA 1992, S. D 172-176; Fastenrath, C. 2.
368 AA, 20 Jahre KSZE, S. 244-251 ; EA 1992, S. D 161-112; Fastenrath, A. 5.
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I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Die Änderungen hinsichtlich der KSZE-Institutionen und -Verfahren beruhen zum größten Teil auf einer Initiative der NATO-Staaten, die diese während der NATO-Gipfelkonferenz im November 1991 in Rom vorschlugen.369 1. Ausschuß Hoher Beamter als Koordinierungsorgan der KSZE
Der AHB wurde mit dem Prager Ratstreffen das zentrale Koordinationsorgan zwischen den Treffen des KSZE-Rates. Er war "für Übersicht, Management und Koordinierung verantwortlich". 370 Es wurde beschlossen, daß der AHB nun nicht mehr nur nach besonderer Vereinbarung, sondern regelmäßig, zumindest alle drei Monate tagen sollte. 371 Ferner kann der Rat nunmehr selbst Spezialtreffen vereinbaren, um darin besondere Themen zu behandeln. 372 Diese können insbesondere dem Bereich der Menschlichen Dimension der OSZE angehören.373 2. Vereinbarungen hinsichtlich der Menschlichen Dimension
Der Bereich der Menschlichen Dimension der OSZE bleibt nach dem Prager Treffen weiterhin "eine Hauptaufgabe der KSZE".374 Damit stellten die Minister fest, daß trotz der Konkurrenz zu den Bemühungen des Europarals zum Menschenrechtsschutz die KSZE weiterhin ebenfalls mit diesem Bereich befaßt sein sollte. Jedoch sahen sie vor, daß das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte375 auf diesem Gebiet eng mit dem Europarat und dessen "Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht" zusammenarbeiten sollte, um eine "unnötige Zweispurigkeit" zu vermeiden.376
369 Vgl. die "Erklärung von Rom über Frieden und Zusammenarbeit" der NATaGipfelkonferenz in Rom am 7. und 8. November 1991, Ziff. 14, in: Bulletin, Nr. 128, vom 13. November 1991, S. 1033 (1036). 370 Abs. 2 des Prager Dokuments. 371 Abs. 3 des Prager Dokuments. 372 Abs. 4 des Prager Dokuments. 373 Abs. 8 des Prager Dokuments. 374 Abs. 6 des Prager Dokuments. 375 Vormals "Büro für freie Wahlen" s. u. a. 376 Abs. II des Prager Dokuments.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
133
a) Btlro fUr Demokratische Institutionen und Menschenrechte
Das bisherige Büro für freie Wahlen in Warschau wurde im Hinblick auf seine Funktions- und Aufgabenerweiterung in "Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte" (BDIMR) umbenannt. 377 Das Büro wurde als die Institution benannt, welche die im Moskauer Dokument vorgesehenen Aufgaben hinsichtlich der Experten- und Berichterstattermission378 übernehmen sollte. 379 In Abs. 10 des Dokuments haben die Teilnehmerstaaten Vorschläge für die Erweiterung der Funktion des Büros gemacht, über die das Folgetreffen von Helsinki entscheiden sollte38°. b) Maßnahmen der OSZE bei groben Verletzungen von Bestimmungen aber Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeil
Abs. 16 des Prager Dokuments ermächtigt nunmehr die OSZE, speziell den Ministerrrat und den Hohen Rat (früher AHB), "angemessene Maßnahmen" in Fällen von "eindeutigen, groben und nicht behobenen Verletzungen einschlägiger KSZE-Verpflichtungen" zu treffen. 381 Hierbei ergibt sich die Besonderheit, daß diese Maßnahmen auch gegen den Willen des betroffenen Staates ergriffen werden können. Dieses ist somit eine erneute Durchbrechung des das OSZE-Verfahren sonst beherrschenden Konsenspinzips im Bereich der Menschlichen Dimension der OSZE. 382 Die OSZE ist damit seit dem Prager Treffen befähigt, Maßnahmen gegen einen ihrer Teilnehmerstaaten zu ergreifen und dies insbesondere im politisch sensiblen Bereich der Menschlichen Dimension. Freilich wurde der Zwangscharakter solcher "Maßnahmen" auf niedrigem Niveau gehalten, um die Zustimmung aller Staaten zu dieser Regelung zu erhalten: Nach dem Prager Dokument werden solche Maßnahmen daher als "politische Erklärungen oder andere politische Schritte, die außerhalb des Territoriums des betroffenen Staates anwendbar sind", definiert. Mit dieser Einschränkung wurden damit zwar die "Zähne" ' 377 Abs. 9 des Prager Dokuments.
378 Dazu o. 4. Teil, 5. Kapitel, B. ll. 379 Abs. 14 des Prager Dokuments. 380 Dazu u. E. 381 Ausftlhrlich zu diesem Verfahren unten 4. Teil, 5. Kapitel, B. ll.
382 Der neue
Abstimmungsmodus wird daher auch zuweilen mit "Konsens minus eins" bezeichnet, da lediglich die Gegenstimme des betroffenen Staates unbeachtlich ist. Vgl. zur erstmaligen Durchbrechung des Konsensprinzips im Bereich der Menschlichen Dimension o. VI. 1. b.
134
I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
dieser Beschlußregelung weitgehend "entschärft", jedoch stellt diese Durchbrechung des Konsensprinzips gerade im Bereich der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeil insgesamt eine bedeutsame Vereinbarung dar, da sie die Grundlage für eine weitere Ausbreitung eines Mehrheitsprinzips im Rahmen der OSZE bildet. Ferner kann im Wege dieses Verfahrens ein OSZE-Staat an der Teilnahme an OSZE-Veranstaltungen suspendiert werden. 383 Das Verfahren kam erstmals zur Anwendung, als Jugoslawien (Serbien und Montenegro) von der Teilnahme an allen KSZE-Veranstaltungen ausgeschlossen wurde. 3. Wirtschaftliche Zusammenarbeit- der AHB als "Wirtschaftsforum"
Das Prager Dokument betont, daß auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Teilnehmerstaaten einen Schwerpunkt der OSZE-Tätigkeit sein soll. 384Diese Zusammenarbeit soll als wesentlicher Beitrag zum Aufbau der neuen Demokratien den Übergang zur Marktwirtschaft fördern. Nach Abs. 19 des Dokuments tritt der AHB (heute der Hohe Rat) auch als "Wirtschaftsforum" zusammen. Dieses Wirtschaftsforum soll den politischen Dialog der Teilnehmerstaaten aktivieren und praktische Anregungen geben. Es soll entsprechende Aktivitäten Internationaler Organisationen, wie z. B. der OECD, EIB, EBRD und ECE fördern. Während des Vierten Folgetreffens der KSZE in Helsinki wurde die Organisation und das Mandat des Wirtschaftsforums festgelegt. 385 4. Krisenbewältigung, Konfliktverhütung und Konfliktlösung
Das Prager Ratstreffen empfahl zum einen, während des vierten Folgetreffens in Helsinki die Fähigkeiten der KSZE bei der Krisenbewältigung, Konfliktverhütung und Konfliktlösung zu verbessern. Zum anderen wies es dem Konfliktverhütungszentrum (K VZ) in Wien zusätzliche Aufgaben zu. 386 Die wichtigsten Neuerungen seien hier erwähnt: 383 Vgl. zu dieser bedeutsamen Funktion unten 4. Teil, 5. Kapitel, B. II. 384 Abs. 18 des Prager Dokuments. 385 Dazu unten E. II. 2. c. 386 Das KVZ wurde jedoch später durch das FSK ersetzt.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
135
Dem Konsultativausschuß des KVZ wurde die Funktion eines "Forums im Bereich der Sicherheit" zugewiesen, in dem regelmäßige Konsultationen der Teilnehmerstaaten zu Sicherheitsfragen stattfinden sollten. 387 Der Konsultativausschuß dient ferner als "Forum für Konsultationen und Zusammenarbeit zur Konfliktverhütung und für Zusammenarbeit bei der Durchführung der vom Rat oder vom AHB in dessen Namen gefaßten Beschlüsse zur Krisenbewältigung". 388 Der Konsultativausschuß wurde ermächtigt, Erkundungs- und Überwachungsmissionen nach Absatz 17 des Wiener Dokuments 1990389 zu veranlassen. 390 5. Beziehungen der KSZE zu Internationalen Organisationen
Vertreter Internationaler Organisationen lieferten bereits in der Vergangenheit während entsprechender Veranstaltungen der KSZE Beiträge zu Themen, die in ihr Tätigkeitsgebiet fielen. Hierzu luden die Außenminister die Internationalen Organisationen erneut ein.391 Die Zusammenarbeit soll aber noch verstärkt werden, indem diese Organisationen392, "um die vollständige Koordinierung zu gewährleisten", das OSZE-Sekretariat alljährlich über ihre aktuellen Arbeitsprogramme und über die Einrichtungen unterrichten, die für die Arbeit zur Verfügung stehen, welche für die OSZE von Bedeutung ist. 393 Hier kommt erneut die Absicht der OSZE-Staaten zum Ausdruck, keine unnötige Konkurrenz bzw. "Zweispurigkeit" zwischen den bereits bestehenden Internationalen Organisationen und der OSZE entstehen zu lassen, sondern ihre jeweiligen Tätigkeiten zu koordinieren.
387 Abs. 27 des Prager Dokuments. 388 Abs. 28 des Prager Dokuments. 3 89 Dieses ist der Mechanismus filr Konsultation und Zusammenarbeit in bezug auf ungewöhnliche militärische Aktivitäten. 390 Abs. 29 des Prager Dokuments. 391 Abs. 43 des Prager Dokuments. 392 Im Prager Dokument (Abs. 44) werden aufgezählt: Europarat, ECE der UN, NATO, WEU, OECD, EBRD und EIB. 393 Abs. 44 des Prager Dokuments.
136
I.
Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
X." Wiener Dokument 1992" der Verhandlungen über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen Das "Wiener Dokument 1992"394 ist das Ergebnis der vom 9. März 1989 bis 4. März 1992 dauernden Konferenz über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen in Europa, die "substantieller und integraler Bestandteil des durch die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa eingeleiteten multilateralen Prozesses ... " ist, "etappenweise neue, wirksame und konkrete Schritte zu unternehmen, die darauf gerichtet sind, Fortschritte bei der Festigung des Vertrauens und der Sicherheit und bei der Verwirklichung der Abrüstung zu erzielen".395 Das Wiener Dokument 1992 beendet damit die zweite Phase der Verhandlungen über Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahmen, die unmittelbar nach der Erstellung des Wiener Dokuments 1990 am 17. November begann. 396 Auch die zweite Phase dieser Verhandlungen beruhte wie ihre erste auf dem Mandat des Abschließenden Dokuments von Wien.397 Das Wiener Dokument 1992 enthält neben den Bestimmungen des Wiener Dokuments 1990 zusätzlich die neu vereinbarten VSBM, über die in der zweiten Phase der Konferenz vom 17. November 1990 bis 4. März 1992 Einvernehmen erzielt wurde. Damit stellt das Wiener Dokument 1992 die komplette Zusammenstellung der VSBM der OSZE dar. 398
394 Text: AA. 20 Jahre KSZE, S. 393-430 (mit Anhängen); EA 1992, S. D 403-428; 1992 sind am I. Mai 1992 in Kraft getreten. 395 Abs. 3 des Wiener Dokuments 1992. 396 Vgl. o. B. 397 Abschnitt "Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen und bestimmte Aspekte der Sicherheit und Abrüstung in Europa", vgl. dazu o. 2. Kapitel, E. II. 2. 398 Über die Nutzung der VSBM gibt der Bericht der Bundesregierung zur Rüstungskontrolle und Abrüstung 1992, BT-Drucksache 12/4846 vom 3. Mai 1993, S. 19f. Auskunft, ferner die in dessen Anhang enthaltenen Übersichten 4 und 5. Zu VSBM im allgemeinen s. Schatz, Militärische Vertrauensbildende Maßnahmen aus völkerrechtlicher Sicht und Lutz, Vertrauensbildende Maßnahmen.
Fastenrath, F. 6. Die Bestimmungen des Wiener Dokuments
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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1. Änderungen bereits vereinbarter VSBM
Bezüglich der bereits 1990 vereinbarten VSBM399 ergeben sich nur einzelne bedeutsame Änderungen: So wurde die Anzahl der Truppenstärke bei militärischen Aktivitäten, die der Ankündigung unterliegen von 13.000 auf 9.000 Mann bzw. von 300 auf 250 Kampfpanzer gesenkt. 400 Ebenso wurden die Zahlen bezüglich der militärischen Aktivitäten gesenkt, die der Beobachtung durch Vertreter anderer Teilnehmerstaaten unterliegen: Von 17.000 auf 13.000 Mann oder- und dies wurde neu vereinbart- bei einer Beteiligung von 300 Kampfpanzern.40l Geändert wurde auch die Reichweite der Beschränkungen der Durchführung militärischer Aktivitäten. Die Beschränkungen wurden hinsichtlich der Anzahl der Aktivitäten und Truppenstärke ausgeweitet, wobei diese Beschränkungen im Gegensatz zu denen des Wiener Dokuments 1990 absoluten Charakter haben, d. h. Aktivitäten werden generell verboten unabhängig von der Einhaltung einer Mitteilungspflicht, wie dieses im Wiener Dokument 1990 noch vorgesehen war. So darf z. B. kein Teilnehmerstaat innerhalb von zwei Kalenderjahren mehr als eine der vorherigen Ankündigung unterliegende militärische Aktivität durchführen, an der mehr als 40.000 Mann oder 900 Kampfpanzer beteiligt sind. Die Zahl der militärischen Aktivitäten, bei denen mehr als 13.000, aber weniger als 40.000 Mann bzw. mehr als 300 Kampfpanzer beteiligt sind, wird auf sechs pro Kalenderjahr beschränkt. 2. Neu binzugekommene VSBM
Neu zu dem Wiener Dokument 1990 hinzugekommene VSBM sind zum einen die "freiwillige Veranstaltung von Besuchen zur Beseitigung von Besorgnissen über militärische Aktivitäten" und die "Vorführung neuer Typen von Hauptwaffensystemen und Großgeräten".
a) Freiwillige Veranstaltungen von Besuchen zur Beseitigung von Besorgnissen über milittirische Aktivitäten Zu dem bereits 1990 vereinbarten, den betroffenen Teilnehmerstaat zur Zusammenarbeit zwingenden "Mechanismus für Konsultation und 399 Vgl. dazu o. B. II. 400 Abs. 38.1.1 des Dokuments.
401
Abs.
45.4 des Dokuments.
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1. Teil: Vom Verbandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Zusammenarbeit in bezug auf ungewöhnliche militärische Aktivitäten" und zum Verfahren der "Zusammenarbeit bei gefährlichen Zwischenfällen militärischer Art" kam nun ein neues Verfahren402 des Abbaus von Besorgnissen über militärische Aktivitäten, welches jedoch nur freiwillig durchgeführt werden kann. Einem Teilnehmerstaat, über den Besorgnisse hinsichtlich seiner militärischen Aktivitäten bestehen, wird damit die Möglichkeit gegeben, bereits von sich aus, ohne daß ein Staat ihn dazu aufgefordert haben muß, für eine Zerstreuung dieser Besorgnisse zu sorgen. Dieses neue, freiwillige Verfahren kann daher von einem Staat angewendet werden, der einer für ihn zwingenden Inanspruchnahme der oben genannten Mechanismen zuvorkommen möchte und auf diese Weise einen Eingriff in seine Souveränität und sein Ansehen vermeiden möchte. Ein Staat ist sicherlich eher bereit, seine militärischen Aktivitäten kontrollieren zu lassen, wenn er der Einladende, nicht der Ersuchte ist. b) Vorfohrung neuer Typen von Hauptwaffensystemen und Großgerät
Zur weiteren Herstellung der Transparenz der Streitkräfte und Abbau von Mißtrauen dient auch das zwingende Verfahren der Vorführung neuer Typen von Hauptwaffensystemen und Großgeräten.403 Danach ist derjenige Teilnehmerstaat, der als erster bei seinen Streitkräften eine neues Großgerät oder Hauptwaffensystem in Dienst stellt, verpflichtet, bei der ersten Gelegenheit für die Vertreter der anderen Teilnehmerstaaten eine Vorführung dieses Gerätes zu veranstalten.
E. Viertes KSZE-Folgetreffen in Helsinki und das "Helsinki-Dokument 1992" (24. März- 9. Juli 1992) Entsprechend der Charta von Paris404 fand die Vierte Folgekonferenz an der "Geburtsstätte des Helsinki-Prozesses"405 statt.
402 Abs. 19 des Dokuments.
403 Abs. 35 des Dokuments. 404 3. Abschnitt "Neue Strukturen und Institutionen des KSZE-Prozesses", 3. Absatz. 40 5 So der Ausdruck auch in der "Gipfelerklärung von Helsinki" im "Helsinki-Dokument 1992", Ziff. 1.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
139
Dabei kamen vorn 24. bis zum 26. März die Außenminister der KSZETeilnehrnerstaaten zusammen. Anläßlich dieser Gelegenheit wurde Georgien als letzte der ehemaligen Republiken der UdSSR sowie Slowenien und Kroatien in den Kreis der Teilnehmerstaaten aufgenommen. Damit erhöhte sich deren Zahl auf 51. Am Rande der Zusammenkunft unterzeichneten die Außenminister der NATO-Staaten und der Staaten des aufgelösten Warschauer Paktes, wobei als Nachfolgestaaten der Sowjetunion Rußland, die Ukraine, Weißrußland und Georgien auftraten, den "Vertrag über den Offenen Himmel". Dieser Vertrag über eine gegenseitige Luftraumbeobachtung ermöglicht es allen Vertragsparteien, Kontrollflüge über dem gesamten Territorium jedes Unterzeichnerstaates zu unternehmen. 406 Während der Vollversammlung der Folgekonferenz, die arn 29. April 1992 begann, bestand unter den Teilnehmerstaaten eine Kontroverse über die Frage, ob Jugoslawien407 angesichts der militärischen Intervention von Streitkräften der Serben und der jugoslawischen Volksarmee in BosnienHerzegowina noch in der KSZE verbleiben dürfe. Man einigte sich schließlich im Vorfeld des die Helsinki-Folgekonferenz abschließenden Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs darauf, daß Jugoslawien (Serbien und Montenegro)- zunächst bis zum 30. Juni 1992 -von der Teilnahme an allen KSZE-Veranstaltungen ausgeschlossen sei. 408 Ab dem 9. Juli 1992 fand zum Abschluß des Folgetreffens in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Charta von Paris409 ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten statt. Dabei unterzeichneten sie arn 10. Juli 1992 die "Gipfelerklärung von Helsinki" und die "Beschlüsse von Helsinki", die zusammen das "Helsinki-Dokurnent 1992"4 1° bilden. Ferner unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der Staaten des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa arn Rande des Gipfeltreffens die "Abschließende Akte der Verhandlungen über Personalstärken 406 Zu diesem Vertrag siehe genauer u. F. 407 D. h. Serbien und Montenegro, die als "Bundesrepublik Jugoslawien" auftraten. 40ß Vgl. zur Suspendierung eines Teilnehmerstaates (insbesondere am Fall Jugoslawiens) unten 4. Teil, 2. Kapitel, A. I. 4. 409 Gemäß dem 3. Abs. des 3. Abschnitts "Neue Strukturen und Institutionen des KSZEProzesses" wurde vereinbart, daß die Staats- und Regierungschefs sich anläßlich der Folgekonferenzen treffen. 4IO Text in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 171-230; EA 1992, S. D 533-576; Fastenrath, B. 4 .
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
der Konventionellen Streitkräfte in Europa", welches Obergrenzen der Personalstärke der nationalen Streitkräfte festschreibt. 4 11
I. Gipfelerklärung von Helsinki In der Gipfelerklärung von Helsinki ziehen die Staats- und Regierungschefs Bilanz seit ihrem zweiten Gipfeltreffen in Paris im November 1990. Dabei weicht der anfängliche Optimismus von Paris412 zunehmend der Erkenntnis über die Probleme und Risiken, welche die gewandelte politische Ordnung in Europa mit sich brachte. Die Staats- und Regierungschefs blicken nun den "Herausforderungen des Wandels"413 ins Gesicht und erklären: "Alle unsere Länder stützen sich jetzt auf Demokratie als die Grundlage ihres politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens.... Dennoch wiegt die Hinterlassenschaft der Vergangenheit schwer. Wir stehen vor Herausforderungen und Chancen, aber auch vor ernsten Schwierigkeiten und Enttäuschungen:•414
Die Staats- und Regierungschefs zählen daher neben dem bisher Erreichten in 30 Absätzen die Grundprinzipien und Leitlinien der KSZE für ihre zukünftige Arbeit und Entwicklung auf, denn "[d]ie KSZE hat maßgeblich dazu beigetra.f[n, den Wandel herbeizuführen; nun muß sie an die Aufgabe herangehen, ihn zu gestalten". 5
II. Beschlüsse von Helsinki Die vierte Folgekonferenz in Helsinki hat die Bedeutung der KSZE im Rahmen der Gestaltung dieses Wandels vor allem durch eine Stärkung und Ausweitung der KSZE-Institutionen und -Strukturen erhöht. Die "Beschlüsse von Helsinki" haben zum einen die bereits bestehenden Institutionen, die durch die Charta von Paris ins Leben gerufen wurden, gestärkt, zum anderen aber auch neue Institutionen, Verfahren und Mecha411 Vgl. dazu u. G. 41 2 Heißt es doch in der Charta von Paris: "Europa befreit sich vom Erbe der Vergangenheit. Durch den Mut von Männern und Frauen, die Willensstärke der Völker und die Kraft der Ideen der Schlußakte von Helsinki bricht in Europa ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit an.", 1. Abschnitt, 2. Abs. der Charta. 413 So lautet der Untertitel des Dokuments von Helsinki. 4 14 Ziff. 3 der Gipfelerklärung von Helsinki. 415 Ziff. 18 der Gipfelerklärung von Helsinki.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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nismen geschaffen. 416 Darüber hinaus finden sich dort auch Bestimmungen über Verpflichtungen im Bereich der Menschlichen Dimension, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, der Umwelt und hinsichtlich der Unterstützung der ehemaligen Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes. 1. Stärkung bereits bestehender KSZE-Institutionen
a) Treffen der Staats- und RegierungschefS und Überprüfungskonferenzen
Die KSZE-Folgekonferenzen werden jetzt "Überprüfungskonferenzen" genannt und finden, wie bereits in der Charta von Paris vereinbart, 417 alle zwei Jahre statt. 418 Anläßlich dieser Überprüfungskonferenzen treffen sich jeweils danach auch die Staats- und Regierungschefs. 419 Das bedeutet, daß nunmehr auch die Gipfeltreffen, die bisher die Höhepunkte der KSZE-Entwicklung darstellten (Helsinki 1975, Paris 1990) und immer neu vereinbart wurden, ebenfalls institutionalisiert wurden. b) KSZE-Rat
Der KSZE-Rat wird als "das zentrale Beschluß- und Leitungsgremium der KSZE" bezeichnet. 420 Dessen Arbeitsmethoden und Konsultationen sollen während weiterer Treffen verbessert werden. 421
416 AusfUhrlieh werden die KSZE-lnstitutionen und -Verfahren im 4. Teil dargestellt. Hier kann nur eine grobe Übersicht Ober die Neuerungen durch die Beschlüsse von Helsinki gegeben werden. 4 17 3. Teil .,Neue Strukturen und Institutionen des KSZE-Prozesses", 11. Abs. 418 Kapitell der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 4 und 2. 419 Kapitel I der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 2 und 3, ebenfalls bereits ähnlich in der Charta von Paris vereinbart, 3. Kapitel .,Neue Strukturen und Institutionen des KSZEProzesses", 3. Abs. 420 Kapitel I der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 6. 421 Kapitell der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 8.
142
l. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
c) Ausschuß Hoher Beamter (AHB)
Es wurde vereinbart, daß der AHB nunmehr als Beauftragter des KSZERates tätig wird und für die Übersicht, Leitung und Koordinierung der KSZE-Aktivitäten zuständig ist.422 Ferner wurde dem AHB eine zentrale Rolle im Rahmen der KSZE-Verfahren zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung zugewiesen.423 Im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wurde der AHB als "Wirtschaftsforum" vorgesehen. 424 2. Schaffung neuer Institutionen
a) Amtierender Vorsitzender
Neu geschaffen wurde die Stellung eines "amtierenden Vorsitzenden" des KSZE-Rates, welcher also jeweils ein Außenminister eines Teilnehmerstaates ist. Der amtierende Vorsitzende ist im Namen des Rates bzw. des Hohen Rates (früher AHB) in laufenden OSZE-Angelegenheiten für die Koordinierung und die diesbezügliche Kommunikation zuständig. 425 Er ist damit die Verbindungsstelle zwischen dem OSZE-Ministerrat sowie dem Hohen Rat einerseits und den übrigen OSZE-Institutionen andererseits.426 Dem amtierenden Vorsitzenden stehen drei Möglichkeiten einer Unterstützung zur Verfügung: die Troika, eine ad hoc-Lenkungsgruppe und ein Persönlicher Vertreter. b) Hoher Kommissar for nationale Minderheiten
Eine grundlegend neue Institution stellt der "Hohe Kommissar der KSZE für nationale Minderheiten" dar427. Mit der Schaffung dieses Amtes reagierten die Teilnehmerstaaten auf die nach dem Ende des Kommunismus in den osteuropäsichen und zentralasiatischen Staaten hervortre422 Kapitel I der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 9. 423 Kapitel III der Beschlüsse von Helsinki. Vgl.
zu diesen neuen Verfahren der OSZE die ausfiihrliche Darstellung im 4. Teil, 5. Kapitel, A. I. 424 Kapitel VII der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 21·32.
425 Kapitel I der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 12. 426 Kapitel I der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 13. 427 Kapitel II der Beschlüsse von Helsinki und Kapitel I, Ziff. 23.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
143
tenden ethnonationalen Konflikten. Der Hohe Kommissar für nationale Minderheiten arbeitet unter der Schirmherrschaft des Hohen Rates im Bereich der Verhütung von Konflikten, die auf Grund von Spannungen hinsichtlich Fragen nationaler Minderheiten entstehen könnten. Der Hohe Kommissar kann diesbezüglich eine "Frühwarnung" abgeben und gegebenenfalls auch "Frühmaßnahmen" initiieren. 428 c) Wirtschaftsforum der KSZE
Das Folgetreffen von Helsinki legte die Organisation und das Mandat des während des Prager Ratstreffens429 angeregten Wirtschaftsforums der KSZE fest. 430 Danach wurde vereinbart, daß der AHB (jetzt der Hohe Rat) einmal jährlich als Wirtschaftsforum zusammentreten soll, um für Staaten der Planwirtschaft den Übergang zur Marktwirtschaft zu erleichtern. 431 Das Folgetreffen legte gleichzeitig bereits die Tagesordnung für das Erste Treffen des Wirtschaftsforums vom 16. bis 18. März 1993 fest. d) KSZE-Forum .filr Sicherheitskooperation
aa) Einrichtung des Forums für Sicherheitskooperation Die Teilnehmerstaaten schufen in Helsinki schließlich auch das "KSZEForum für Sicherheitskooperation" (FSK). 432 Durch die Schaffung des Sicherheitsforums wurden die bisherigen Bemühungen der KSZE um die Vereinbarung von Bestimmungen über Abrüstung, VSBM und Konfliktverhütung in einer Institution zusammengefaßt. 433 Das Sicherheitsforum wurde somit für alle Sicherheitsfragen, d. h. Rüstungskontrolle, Abrüstung, Vertrauens- und Sicherheitsbildung, Sicherheitskooperation und Konfliktverhütung zuständig. 43 4 Hiermit endete die ursprüngliche Praxis der KSZE, in der jeweils Sonderkonferenzen in verschiedenen Städten der Teilnehmerstaaten Abrüstungsfragen und VSBM verhandelten.
428 Vgl. ausfilhrlicher zu diesen Aktivitäten 4. Teil, l. Kapitel. C. VIII. 429 Dazu oben D. IX. 3. 430 Helsinki-Dokument 1992, Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VII, Ziff. 21-32. 431 Vgl. dazu unten 4. Teil, l. Kapitel, D. III. 432 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel V. 433 Vgl. auch hierzu die ausfilhrlichere Darstellung des FSK im 4. Teil, l. Kapitel, C. XI. 434 Diese Themenfelder ergeben sich aus Ziff. 11, Kapitel V der Beschlüsse von He1sinki.
I44
I. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
bb) Beschluß über weitere Verhandlungen über Fragen der Sicherheit Bereits in Helsinki haben die Teilnehmerstaaten die Aufnahme von Verhandlungen über Rüstungskontrolle, Abrüstung und Vertrauens- und Sicherheitsbildung beschlossen, die jedoch im Gegensatz zu den vorigen Verhandlungen nunmehr allen Teilnehmerstaaten der KSZE offenstehen, da eine Beschränkung der Verhandlungsstaaten auf blockzugehörige Länder im Hinblick auf die Auflösung des Warschauer Paktes nicht mehr geboten war. 435 Bei den Abrüstungsverhandlungen sollen die Streitkräfte über das gemäß der "Abschließenden Akte der Verhandlungen über Personalstärken der Konventionellen Streitkräfte in Europa" 436 erreichte Maß auf ein Minimum beschränkt werden, "das mit den gemeinsamen oder individuellen legitimen Sicherheitserfordernissen innerhalb Europas und darüber hinaus vereinbar ist". 437 cc) Vereinbarung eines "Sofortprogramms" Ein ebenfalls vereinbartes "Sofortprogramm" legt den Inhalt und die Ziele der Verhandlungen für den Zeitraum unmittelbar nach der Konstituierung des Sicherheitsforums fest. Das Sofortprogramm gibt daher Vorgaben für die Verhandlungen des Forums für Sicherheitskooperation, deren Ergebnisse bereits während der nächsten Überprüfungskonferenz im Jahre 1994 in Budapest erörtert wurde. 438 Die Vorgaben des Sofortprogramms umfassen zwei Bereiche: erstens Rüstungskontrolle, Abrüstung und Vertrauens- und Sicherheitsbildung sowie zweitens die Stärkung der Sicherheit und Zusammenarbeit. Im ersten Bereich sollen die unterschiedlichen Verpflichtungen der Teilnehmerstaaten hinsichtlich der Rüstungskontrolle, Abrüstung und Vertrauens- und Sicherheitsbildung harmonisiert werden. 439 Der unter435 Bereits im November I990 hatten die Staats- und Regierungschefs die Aufnahme solcher allen Teilnehmerstaaten offenstehenden Verhandlungen beschlossen, Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze fiir die Zukunft", 9. Abs. 436 Dazu u. G. 43 7 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel V, Ziff. II. 438 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel V, Ziff. 26; zu diesem Treffen siehe unten N. 439 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel V, Ziff. 46, Ziff. I des Sofortprogramms.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
145
schiedliche Stand der Teilnehmerstaaten bezüglich dieser Verpflichtungen folgt aus der Tatsache, daß der Kreis der Vertragsstaaten im Bereich der konventionellen Abrüstung und des Regimes über den Offenen Himmel440 auf die Mitgliedsstaaten der NATO und des ehemaligen Warschauer Paktes beschränkt wurde. Ferner wird angestrebt, die VSBM auf der Grundlage des Wiener Dokuments 1992 zu verbessern, wobei ein Schwerpunkt auch auf konventionelle Streitkräfte im allgemeinen und spezifische Charakteristiken der Streitkräfte einzelner Staaten im besonderen gelegt werden kann. 441 Die Verhandlungen sollen desweiteren einen weltweiten Informationsaustausch über Rüstung, Ausrüstung, Personal und die Produktion militärischer Ausrüstung der Teilnehmerstaaten sowie die Zusammenarbeit bei der Nichtverbreitung atomarer Waffen zum Gegenstand haben. 442 Hinsichtlich dieser Regelungsbereiche erstreckt die KSZE damit ihre Reichweite über die Territorien der Teilnehmerstaaten hinaus auf die ganze Welt. 443 Schließlich sollen regionale Maßnahmen der Sicherheit, z. B. eine regionale Reduzierung von Streitkräften behandelt werden. 444 Im zweiten Bereich des Sofortprogramms sollen Regelungen über die Offenlegung der mittel- und langfristigen Streitkräfteplanung, die Rüstungskonversion, die Nichtverbreitung atomarer Waffen, eines Programms der militärischen Zusammenarbeit und Kontakte sowie regionale Sicherheitsfragen erzielt werden. 445 Schließlich sollte ein Verhaltenskodex über die gegenseitigen Beziehungen der Teilnehmerstaaten ausgehandelt werden, in dem eine Stärkung der Rolle der KSZE festgelegt werden sollte. 446
440 Gemäß dem Vertrag über den Offenen Himmel, vgl. u. F. 441 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel V, Ziff. 46, Ziff. 2 und 3 des Sofortprogramms. 442 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel V, Ziff. 46, Ziff. 4 und 5 des Sofortprogramms. 443 Vgl. dazu auch die Regelung der "Anwendungsgebiete" der Bereiche des Sofortprogramms gern. Ziff. 46 des Kapitels V der Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt A vor Ziff. I des Sofortprogramms. 444 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel V, Ziff. 46, Ziff. 6 des Sofortprogramms.
46,
445 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel V, Ziff. Ziff. 7.bis II des Sofortprogramms. 446 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel V, Ziff. 46, Ziff. 12 des Sofortprogramms. Das Ergebnis des Sofortprogramms, insbesondere des Verhaltenskodexes wurde im Budapester Dokument 1994 niedergelegt. Siehe dazu unten N. 10 Bortloff
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation 3. Neuartige Verfahrensweisen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung
Wie im Mandat des Prager Dokuments des zweiten KSZE-Ratstreffens festgelegt447, schuf das vierte Folgetreffen von Helsinki neuartige Verfahrensweisen zum einen zur Konfliktverhütung, zum anderen auch zur Krisenbewältigung. 448 Durch "Frühwarnung" und "vorbeugende Maßnahmen" soll bereits das Entstehen von Konflikten verhindert werden. 449 Durch den AHB (jetzt Hohe Rat) soll die KSZE dabei bereits in einem Frühstadium der erkannten Spannungen eine weitere Steigerung verhindern helfen. Auch in der "politischen Krisenbewältigung" trägt der Hohe Rat (AHB) die Hauptverantwortung, indem er die zu ergreifenden Maßnahmen empfiehlt. 450 Dabei stehen dem Hohen Rat (AHB) mehrere "Instrumente der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung" zur Verfügung.451 Es kann eine Erkundungs- und Berichterstattermission eingesetzt werden, 452 . friedenerhaltende Operationen der OSZE ("OSZE-Friedenserhaltung")453 durchgeführt werden und der in Helsinki zum Teil veränderte OSZE-Streitbeilegungsmechanismus (Valletta-Mechanismus)454 zur Anwendung gelangen. 4. Regelung der Beziehungen der KSZE zu Internationalen Organisationen, nichtteilnehmenden Staaten und nichtstaatlichen Organisationen
Im Helsinki-Dokument 1992455 regelte die KSZE in grundsätzlicher Weise ihre Beziehungen zu Internationalen Organisationen, darunter ins447 Ziff. 21-23. 448 Kapitel 111 der Beschlüsse von Helsinki. 449 Kapitel III der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 3-S.
450 Kapitel II1 der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 6-11. 451 Kapitel III der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 12-62.
Darstellung dieser Verfahren im 4. Teil, S. Kapitel, A. 452 Kapitel III der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 12-16. 453 Kapitel III der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 17-56.
45 4 Kapitel III der Beschlüsse von Helsinki, Ziff. 57-62.
Vgl. dazu die ausfiihrliche
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
147
besondere zu den Vereinten Nationen sowie zu nichtteilnehmenden Staaten und nichtstaatlichen Organisationen. 456 Gemäß diesen Bestimmungen "bleibt die KSZE ein Prozeß, dessen Aktivitäten weit über formelle Beziehungen zwischen Regierungen hinausgehen und der die Staatsbürger und Gesellschaften der Teilnehmerstaaten einbezieht". 457 Die KSZE öffnete sich im Helsinki-Dokument im weiteren Maße nichtstaatlichen Organisationen und interessierten Bürgern. Die Teilnehmerstaaten verpflichteten sich über das bereits in der KSZESchlußakte von Helsinki enthaltene Veröffentlichungsgebot458 hinaus, "alle geeigneten Mittel " zu nutzen, "um in ihren Gesellschaften Wissen über die KSZE, ihre Prinzipien, Verpflichtungen und Aktivitäten soweit wie möglich zu verbreiten"_4S9 a) Beziehungen zu Internationalen Organisationen, insbesondere zu den Vereinten Nationen
Die bereits im Prager Dokument460 genannten Internationalen Organisationen sowie andere, über deren Teilnahme Einvernehmen bestehen muß, können zu KSZE-Veranstaltungen Beiträge leisten und als Ehrengäste teilnehmen. 461 Das Verhältnis zu den Vereinten Nationen und der KSZE wurde besonders geregelt. 462 Die Teilnehmerstaaten erklärten, daß die KSZE eine regionale Abmachung i. S. des Kapitels VIII der Charta der Vereinten Nationen sei463 "und als solche ein wichtiges Bindeglied zwischen europäischer und globaler Sicherheit darstellt". 464
4SS Beschlüsse von Helsinki, Kapitel IV. 4 56 Hier kann nur ein grober Überblick über die neuen Bestimmungen gegeben werden. Vgl. daher die ausfiihrliche Darstellung dazu im 4. Teil, 2. Kapitel.
457 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel IV, Ziff. I. 458 Vgl. o. l. Kapitel, C. I. 2. a ee. 459 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel IV, Ziff. 17. 460 Ziff. 43. 461 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel IV, Ziff. 3-5.
462 AusfUhrlieh dazu unten 4. Teil, 2. Kapitel, B. I. 463 Zur Rolle der OSZE als regionale Abmachung s. u. 4. Teil, 2. Kapitel, B. I. 1. 464 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel IV, Ziff. 2, vgl. auch Ziff. 25 der Gipfelerklärung.
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l. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
b) Beziehungen zu nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten
Hinsichtlich der Beziehungen zu nichtteilnehmenden Staaten wurde speziell das zu den nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten, die bereits zuvor eine Sonderrolle im KSZE-Prozeß genossen, im Kapitel X der Beschlüsse von Helsinki geregelt. 465 Wegen der Auswirkungen der wirtschaftlichen, sozialen, politischen und sicherheitspolitischen Entwicklung im Mittelmeerraum für Europa wurde dem AHB auferlegt, Fragen in bezug auf die Zusammenarbeit im Mittelmeerraum, die für die KSZE relevant sind, zu behandeln. 466 Die Durchführung eines KSZE-Seminars über die Zusammenarbeit im Mittelmeerraum, welches der AHB einberufen sollte, wurde beschlossen. 467 c) Beziehungen zu nichtteilnehmenden Staaten und die Sonde"o/Je Japans
Dem Mandat des Prager Dokuments468 entsprechend sollte in Helsinki die Rolle der nichtteilnehmenden Staaten, die keine Mittelmeerländer sind, umschrieben werden. Demnach soll die Zusammenarbeit mit nichtteilnehmenden Staaten im allgemeinen vertieft und zu "gehaltvollen Beziehungen" weiterentwickelt werden. 469 Dabei haben die Beziehungen zu Japan als ein nichtteilnehmender Staat, der sich für die KSZE interessiert, Vorbildfunktion, da diese in Helsinki auf eine grundlegende und neuartige Basis gehoben wurden. Japan hatte bereits im Zuge der "Doktrin des Neuen Osteuropas"470 gesteigertes Interesse an der Entwicklung in Osteuropa gezeigt, und im Mai 1990 hatte die japanische Regierung den Wunsch nach einem Beobachterstatus, ja sogar nach der Teilnahme an der KSZE geäußert. 471 Zwar wurde Japan weder die Teilnahme noch ein Beobachterstatus eingeräumt, jedoch das Recht zugestanden, allen KSZETreffen beizuwohnen, die spezifische Themen der erweiterten Konsul-
III.
465 Zur Rolle der nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten siehe unten 4. Teil, 2. Kapitel, A.
466 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel X, Ziff. l . 467 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel X, Ziff. 4-6. Das Seminar fand im Mai 1993 in Valletta statt, hat aber in Übereinstimmung mit seinem Mandat kein Dokument mit bindenden Verpflichtungen erstellt. 468 Ziff. 45. 469 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel IV, Ziff. 9 . 470 Vgl. dazu Freudenstein, EA 1990, S. 639-650. 471 Freudenstein, EA 1990, S. 639 (647). Zur Sonderrolle Japans s. u. 4. Teil, 2. Kapitel, A. IV. 1.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
149
tationen und Zusammenarbeit zwischen der KSZE und den nichtteilnehmenden Staaten zum Gegenstand haben. 472 d) Rolle der Öffentlichkeit und der nichtstaatlichen Organisationen
aa) Information der Öffentlichkeit Die KSZE beschloß, die Öffentlichkeit der Teilnehmerstaaten über die KSZE durch Veranstaltungen der KSZE-Institutionen und die Verbreitung von Informationen besser zu unterrichten. 473 bb) Einbeziehung nichtstaatlicher Organisationen Durch die Gewährung der Teilnahme an solchen KSZE-Treffen, die mit ihrem Tätigkeitsbereich in Beziehung stehen, und durch eine bessere Information der Teilnehmerstaaten über ihre Ansichten sollen die nichtstaatlichen Organisationen stärker in die Arbeit der KSZE eingebunden werden. Dazu vereinbarten die Teilnehmerstaat~n detaillierte Regeln hinsichtlich der Berücksichtigung nichtstaatlicher Organisationen bei zukünftigen KSZE-Treffen. 474 cc) KSZE-Preis Erstmals erörterten die Teilnehmerstaaten die Idee eines "KSZEPreises". Einen Beschluß über dessen Stiftung konnten die Teilnehmerstaaten noch nicht erreichen, sie einigten sich daher lediglich darauf, dieses Thema weiter zu beraten.475
472 Beschlüsse von Helsink.i, Kapitel IV, Ziff. 10 und 11 . 473 Beschlüsse von Helsink.i, Kapitel IV, Ziff. 12 und 13. 474 Beschlüsse von Helsink.i, Kapitel IV, Ziff. 14-16. 475 Beschlüsse von Helsink.i, Kapitel IV, Ziff. 18.
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l. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
5. Bestimmungen über die Menschliche Dimension der OSZE
a) Überprojung der Implementierung der Bestimmungen über die Menschliche Dimension
Wie bei jedem KSZE-Folgetreffen, so kam es auch hier zu einer Erörterung der Implementierung der Bestimmungen über die Menschliche Dimension durch die Teilnehmerstaaten. Sie stellten dabei "beträchtliche Fortschritte bei der Einhaltung der Verpflichtungen im Bereich der menschlichen Dimension fest, erkannten jedoch gleichzeitig Entwicklungen, die zu ernster Sorge Anlaß geben und folglich die Notwendigkeit weiterer Verbesserungen". 476 Anlaß zur Sorge gaben wohl vor allem die Menschenrechtsverletzungen in Bosnien-Herzegowina sowie auch die Unruheherde in den zentralasiatischen Staaten der GUS. b) Stärkung der Institutionen und Verfahren der KSZE in bezug aufdie Menschliche Dimension
aa) Das BDIMR als Hauptinstitution der Menschlichen Dimension Die Teilnehmerstaaten beschlossen, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Menschlichen Dimension zu erweitern. Zu diesem Zweck erklärten sie das BDIMR zur "Hauptinstitution der menschlichen Dimension". 477 Dem BDIMR wurden weitere Aufgaben zugewiesen, z. B. die Teilnahme im Mechanismus der Menschlichen Dimension und die Veranstaltung von KSZESeminaren über Probleme im Bereich der Menschlichen Dimension. 478 Bereits in Helsinki vereinbarten die Teilnehmerstaaten die Durchführung von Seminaren zu den Themen "Migration", "Fallstudien zu Fragen nationaler Minderheiten: Positive Ergebnisse", "Toleranz" und "Freie Medien". 479 Diese einwöchigen Seminare fanden jeweils am Sitz des BDIMR in Warschau statt und sollten Internationalen wie nichtstaatlichen Organisationen die Möglichkeit geben, Beiträge zu leisten. Die Erarbeitung eines Schlußdokuments wurde nicht vorgesehen, die Treffen dienten daher dem reinen Meinungs- und Erfahrungsaustausch. 480
476 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VI, Ziff. I. 477 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VI, Ziff. 5. 478 Vgl. zu den Aufgaben und der Tätigkeit des BDIMR u. 4. Teil l. Kapitel, C. X. 479 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VI, Ziff. 22.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
151
bb) Änderungen des Mechanismus der.Menschlichen Dimension Bestimmungen über den während des 3. Folgetreffens von Wien geschaffenen Mechanismus der Menschlichen Dimension wurden den neuen KSZE-Institutionen und -Strukturen angepaßt.481 cc) Einrichtung eines jährlichen Implementierungstreffens über Fragen der Menschlichen Dimension Dem BDIMR. wurde ferner die Aufgabe übertragen, in jedem Jahr, in dem kein Überprüfungstreffen der OSZE stattfindet, an seinem Sitz ein "Implementierungstreffen" zu veranstalten, auf dem die Teilnehmerstaaten auf Expertenebene die Durchführung der Verpflichtungen der Menschlichen Dimension überprüfen. 482 c) Ergänzungen zu den materiellen Bestimmungen der Menschlichen Dimension483
Die Teilnehmerstaaten einigten sich in Helsinki auch auf Ergänzungen zu den Bestimmungen über nationale Minderheiten, Wanderarbeiter sowie Flüchtlinge und Vertriebene. 484 Darüber hinaus vereinbarten sie neuartige Bestimmungen, welche die Beachtung und Folgen der Verletzung humanitären Völkerrechts sowie die Staatsbürgerschaft und freie Medien betreffen.485
480 Vgl. zu den Seminaren die Berichte in CSCE ODHIR Bulletin; "Toleranz": Vol. 1 Nr. 1 (1992), S. 16; "Migration": Vol. I Nr. 2 (1993), S. 29f.; "Fallstudien ... ": Vol. 1 Nr. 3 (1993), S. 28-34. 481 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VI, Ziff. 7. 482 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VI, Ziff. 9. 483 Vgl. zu den Bestimmungen der Menschlichen Dimension in ihrer Gesamtheit u. 2. Teil,
2. Kapitel.
484 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VI, Ziff. 23-46. 485 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VI, Ziff. 47-59.
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
6. Bestimmungen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit
Seit der Bonner Konferenz über wirtschaftliche Zusammenarbeit im April 1989 hat die Bedeutung dieses Aspektes der KSZE erheblich zugenommen, da seitdem alle KSZE-Teilnehmerstaaten die Marktwirtschaft als grundlegende Wirtschaftsform anerkennen und der Übergang der neuen Demokratien innerhalb der GUS und in Mittelost- und Südosteuropa von der Plan- zur Marktwirtschaft eine große politische Bedeutung errungen hat. Neben der OSZE bemühen sich vor allem die ECE, die OECD und die EBRD um diese Problematik. 486 Um eine "Doppelarbeit" zu vermeiden, sprachen sich die Teilnehmerstaaten für eine verstärkte Koordinierung der Bemühungen aller Internationalen Organisationen aus. 487 In Helsinki formulierten sie ferner Ziele und Grundsätze der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. 488 Darüber hinaus vereinbarten die Teilnehmerstaaten das Mandat und die Organisation des während des Prager KSZERatstreffens geschaffenen KSZE-Wirtschaftsforums489 . Die Tagesordnung und der Termin für dessen erstes Treffen wurde auf den 16. bis 18. März 1993 festgelegt. 7. Bestimmungen über den Umweltschutz
In den "Beschlüssen von Helsinki" des Helsinki-Dokuments 1992 legten die Teilnehmerstaaten nach ihrer letzten Äußerung in der Charta von Paris die umweltpolitischen Zielsetzungen und Vergehensweisen der KSZE vergleichsweise ausführlich fest. 490 Sie betonen, "daß der Umweltschutz ein wichtiger Aspekt bei ihrer internationalen Zusammenarbeit sein sollte". 491 Die KSZE soll aber kein Hauptakteur im Bereich des internationalen Umweltschutzes sein, viel486 So hat beispielsweise die OECD ein "Zentrum filr Zusammenarbeit mit europäischen Volkswirtschaften im Übergang (CCEET= Centre for Co-operation with European Economies in Transition)" geschaffen. 487 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VII, Ziff. 3. 488 Zu den Aussagen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit s. die ausfilhrliche Darstellung im 2. Teil, 4. Kapitel. 489 Vgl. dazu o. D. IX. 490 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VIII. 491 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VIII, Ziff. 4.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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mehr wollen die Teilnehmerstaaten die Bemühungen anderer Internationaler Organisationen, wie z. B. der ECE, OECD und des UNEP unterstützen. Es ist daher die Tendenz erkennbar, daß die KSZE mehr bei der Koordination der Umweltschutzaktivitäten Internationaler Organisationen und in ergänzenden Bereichen tätig sein will. So sprechen sich die Teilnehmerstaaten in Helsinki vornehmlich dafür aus, internationalen Konventionen beizutreten und in Internationalen Organisationen mitzuarbeiten. Nur in ergänzenden Spezialbereichen soll die KSZE selbst tätig sein. Ein Beispiel dafür ist die Durchführung eines KSZE-Seminars über die "Umweltgerechte Entwicklung der Wälder der nördlichen und der gemäßigten Zone" vom 27. September bis 6. Oktober 1993 in Montreai. 492 8. Die KSZE und regionale sowie grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Erstmals äußerte sich die KSZE zu den sich seit dem Ende der kommunistischen Herrschaft in den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes entstandenen Formen regionaler und grenzüberschreitender Zusammenarbeit.493 Mit regionaler Zusammenarbeit ist die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Regionen mehrerer Teilnehmerstaaten gemeint, während die grenzüberschreitende Zusammenarbeit jeweils die Gesamtstaaten umfaßt. Beispiele der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sind die "Zentraleuropäische Initiative"494, der Visegrad-Bund495 , der Rat der Ostseestaaten und die wirtschaftliche Kooperation der Schwarzmeerstaaten. 496 Die Teilnehmerstaaten begrüßten solche Initiativen und erachteten diese "als wirksame Form der Förderung von KSZE-Prinzipien und -Zielsetzungen".
492 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VIII, Ziff. 16. 493 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel IX. 494 Vgl. dazu bereits die Anmerkungen o. 2. Kapitel, F. VI. 1. 495 Polen, die CSFR und Ungarn haben am 15. Februar 1991 in der Erklärung von Visegrad
(nahe Budapest) eine Zusammenarbeit auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet vereinbart.
496 Die sogenannte Schwarzmeerwirtschaftsunion wurde am 25. Juni 1992 in Istanbul gegtilndet. Teilnehmende Staaten sind die Türkei, Rußland, die Ukraine, Moldau, Bulgarien, Rumänien, Albanien, Griechenland, Georgien, Armeoien und Aserbaidschan. Text des Gründungsdokuments in: EA 1992, S. D 616-618.
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
9. Programm zur koordinierten Unterstützung kürzlich aufgenommener Teilnehmerstaaten
Wie bereits während des Frager Treffens des KSZE-Rates vorgesehen, 497 erstellte das Folgetreffen von Helsinki ein "Programm zur koordinierten Unterstützung kürzlich aufgenommener Teilnehmerstaaten". Unter kürzlich aufgenommenen Teilnehmerstaaten werden die Staaten verstanden, die seit 1991 in die KSZE aufgenommen wurden, also die auch erst kürzlich entstandenen Staaten.498 Die Koordination dieses Programms liegt in der Hand des BDIMR unter der Gesamtleitung des AHB, jetzt des Hohen Rates.499 Das Programm besteht zum einen aus Aktivitäten der KSZE selbst, zum anderen aus Aktivitäten der Teilnehmerstaaten untereinander unter der Koordination des BDIMR. Die KSZE-Institutionen selbst, d. h. das BDIMR und - früher - das KVZ, führen Treffen und Seminare über OSZE-Angelegenheiten, die in ih.,.en entsprechenden Zuständigkeitsbereich fallen.500 Diese Veranstaltungen sollen jeweils in einem der kürzlich aufgenommenen Teilnehmerstaaten stattfinden. Die Teilnehmerstaaten untereinander beteiligen sich an diesem Programm, indem sie auf Einladung der kürzlich aufgenommenen Teilnehmerstaaten Personen, die über Fachwissen hinsichtlich der OSZE verfügen, veranlassen, in diesen Teilnehmerstaaten Vorlesungen, Seminare, Kurse oder Beraterdienste wahrzunehmen. 501 Diese Personen sollen aus diplomatischen, akademischen, rechtlichen und administrativen oder sonstigen einschlägigen Bereichen kommen. Ferner sollen die Teilnehmerstaaten Angehörige der kürzlich aufgenommenen Staaten in staatlich unterstützte Praktika, Studien- und Ausbildungsprogramme einbeziehen.502
497 Punkt 19 der Schlußfolgerungen des KSZE-Rates in Prag. 498 Staaten, die seit 1991 in die KSZE aufgenommen wurden, sind Albanien, die baltischen Staaten, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion und Georgien sowie Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina. 499 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel XI, Ziff. 1.
500 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel XI, Ziff. 2 und 3. Eine kurze Übersicht über bereits veranstaltete Seminare in Kasachstan, Weißrußland und Moldau in: CSCE ODHIR Bulfetin, Vol. 1 Nr. 3 (1993), S. 36. 501 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel XI, Ziff. 6. 502 Beschlüsse von Helsinki, Kapitel XI, Ziff. 7.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
lSS
Die Ergebnisse dieses Programms werden 1994 auf der nächsten Überprüfungskonferenz in Budapest erörtert. 10. Administrative Beschlüsse
Das Folgetreffen von Helsinki faßte auch "administrative Beschlüsse" über die finanzielle Regelungen der OSZE insgesamt und für OSZETreffen.
F. Vertrag über den Offenen Himmel ("Open-Skies"-Vertrag) I. Allgemeines Der "Vertrag über den Offenen Himmel" 503 , der zuweilen auch "OpenSkies"-Vertrag genannt wird504, wurde am Rande der Eröffnung der vierten Folgekonferenz der KSZE in Helsinki am 24. März 1992 durch die Außenminister der Vertragsstaaten unterzeichnet. Der Ausdruck "Vertrag" zeigt bereits, daß es sich hier im Gegensatz zu den Dokumenten der OSZE-Veranstaltungen um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt. S05 Vertragsstaaten sind die 16 Mitgliedsstaaten der NATO sowie Rußland, Weißrußland, die Ukraine506, Bulgarien, die CSFR, Georgien, Polen, Rumänien und Ungarn. Obwohl nicht alle OSZE-Staaten Vertragsparteien sind, steht dieser Vertrag nicht außerhalb des OSZE-Prozesses. Wegen der weltpolitischen Lage zu Beginn des Jahres 1990 sollte das Regime lediglich zwischen den Staaten der NATO und des ehemaligen Warschauer Paktes zustande kommen, ähnlich den Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa. Das "Offener-Himmel"-Regime ist als eine umfangreiche Vertrauen- und Sicherheitbildende Maßnahme neuer Qualität im 503 Bulletin, Nr. 48, 8. Mai 1992, S. 433-468; Fastenrath, F: 7. S0 4 In Anlehnung an die englische Bezeichnung "Treaty on Open Skies". SOS Bei dieser Beurteilung ist freilich zu befilcksichtigen, daß allein der Name ·einer zwischenstaatlichen Abmachung gern. Art. I Ziff. 1 lit. a WVRK für die Stellung als völkerrechtlicher Vertrag nicht ausschlaggebend sein kann. Vgl. dazu aber Art. XVII des Vertrags. S06 Die übrigen neun Nachfolgestaaten der UdSSR können den Vertrag noch nach dessen lokrafttreten (60 Tage nach der Hinterlegung von 20 Ratifikationsurkunden) unterzeichnen (Art. XVII Abs. 3). Georgien hat dies bereits in Helsinki getan. DarOber hinaus können alle übrigen Teilnehmerstaaten (Art. XVII Abs. 4) sowie - nach besonderer PrOfung - auch nichtteilnehmende Staaten (Art. XVII Abs. 5) noch beitreten.
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Rahmen der OSZE-Bemühungen anzusehen, da es die über die im Wiener Dokument 1992 enthaltenen bisherigen VSBM der KSZE weit hinausgeht. 5°7 Es ist zugleich das erste Element im Rahmen des Aufbaus eines kooperativen Sicherheitssystems508, da es als Regelung außerhalb des klassischen Abrüstungs- und Rüstungskontrollbereichs die Transparenz und Zusammenarbeit in den Beziehungen der Staaten in das Zentrum rückt. Durch diesen Vertrag wurde ein Regime für die Luftbeobachtung des Territoriums der Vertragsstaaten geschaffen, dessen Anwendungsgebiet von Vancouver bis nach Wladiwostok reicht. damit wurde der Sicherheitsbereich der OSZE über Europa hinaus auf Nordamerika und Rußland ausgedehnt. Die Luftaufklärung erfolgt nach dem Vertrag nicht mehr allein durch "nationale technische Mittel", also durch Aufklärungssatelliten der USA und Rußlands5°9, sondern durch Aufklärungsflüge der Staaten über fremdem Territorium. Dadurch haben auch diejenigen Staaten die Möglichkeit der Luftaufklärung, die nicht in der Lage sind, eine Satellitenaufklärung zu nutzen. Der Gedanke, die Offenheit des Luftraums zwischen den Staaten der NATO und des ehemaligen Warschauer Paktes herzustellen, ist nicht neu. Einen entsprechenden Vorschlag unterbreitete bereits der amerikanische Präsident, Dwight D. Eisenhower, im Jahre 1955 auf der Genfer Abrüstungskonferenz510, den die UdSSR jedoch damals ablehnte. Erst Präsident George Bush nahm diese Idee im Mai 1989 wieder auf und brachte dieses Vorhaben in die politische Diskussion. 511 Die Verhandlungen über den "Offenen Himmel" begannen 1990 in Ottawa. Erst im November 1991 konntenjedoch-nach einer Vertagung der Verhandlungen im Mai 1990- Fortschritte erzielt werden. Die nach dem Untergang der Sowjetunion verhandelnde russische Delegation strebte einen erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen an. 512 Innerhab von nur vier Monaten konnte dann das Vertragswerk vollendet werden. 507 Der Leiter der deutschen Verhandlungsdelegation, Hartmann, bezeichnet das Regime des "Offenen Himmels" als die weitestgehende VSBM, EA 1992, S. 483 (486). 508 Dazu unten 2. Teil, 1. Kapitel, B. 509 Diese sind die einzigen Staaten, die über solche Möglichkeiten verfilgen. 510 Vgl. die ErklärungEisenhowers vom 21. Juli 1955, EA 1955, S. 8112f. (8113). 511 Rede Bushs am 31. Mai 1989 in Mainz, EA 1989, S. D 356-361 (360). 512 Vgl. im übrigen auch die Darstellung Hartmanns, welcher der Leiter der deutschen Delegation war, EA 1992, S. 483 (483f.).
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
157
II. Inhalt des Vertrages Der umfangreiche Vertrag besteht aus neunzehn, jeweils noch in Abschnitte gegliederte Artikel sowie 12 umfangreichen Anlagen. Ein Großteil der Vertragsbestimmungen regelt technische Fragen. Der wesentliche Inhalt des Vertrages ist folgender: Jeder Vertragsstaat hat eine bestimmte Anzahl von Beobachtungsflügen fremder Vertragsstaaten zu dulden und muß diesen nach kurzfristiger Ankündigung zustimmen. 513 Die Gesamtzahl der zu duldenden Flüge, die sogenannte "Gesamtpassivquote", ist gern. Art. III Abschnitt I Abs. 4 i. V. m. Anlage A Abschnitt I festgelegt. Danach müssen z. B. mittlere Staaten wie Deutschland oder Frankreich 12, die USA und die zu einer Vertragsstaatengruppe zusammengefaßten Staaten Rußland und Weißrußland 42 Flüge erlauben. Die Anzahl der Beobachtungsflüge, die jeder Staat gegenüber einem anderen Staat durchzuführen berechtigt ist, die sogenannte "individuelle aktive Quote", wurde im Vertrag für das erste Jahr nach Inkrafttreten festgelegt. 514 Demnach ist z. B. Deutschland gegenüber Weißrußland, Rußland und der Ukraine berechtigt, jeweils drei Beobachtungsflüge durchzuführen. Die Summe dieser individuellen aktiven Quoten ist die "Gesamtaktivquote", die aussagt, zu wievielen Flügen ein Staat insgesamt berechtigt ist. Die Gesamtaktivquote darf die Gesamtpassivquotenicht übersteigen. 515 Die aktiven Quoten werden jährlich neu durch die Beratungskommission "Offener Himmel" festgelegt. Die Vertragsstaaten können sich sowohl bezüglich der aktiven als auch der passiven Quoten zusammenschließen. 516 Sie haben dann beispielsweise in bezug auf die Gesamtpassivquote eine gemeinsame Quote, wie z. B. Rußland und Weißrußland. Die Mitgliedsstaaten der WEU haben sich hinsichtlich der aktiven Quoten zusammengeschlossen. Ein solcher Zusammenschluß wird in der Regel aus Gründen der Kostenersparnis durchgeführt, da einzelne Staaten allein kaum in der Lage oder nicht willens sind, permanent Luftüberwachungsflugzeuge mit deren Ausrüstung zu unterhalten sowie die Betriebskosten für die Auswertung der Luftaufnahmen aufzubringen. 517
513 Art. III Abschnitt I des Vertrages. 514 Art. III Abschnitt I Abs. 6 i. V. m Anhang A Abschnitt ll. 515 Art. III Abschnitt I Abs. 5.
516 Art. III Abschnitt ll. 517 Vgl. dazu auch Hartmann, EA 1992, S. 483 (489).
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l. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Die Qualität der durch die Beobachtungsflüge hergestellten Luftaufnahmen wird gern. Art. IV durch die einheitliche Festlegung der zu verwendenden Sensoren, die kommerziell erhältlich sein müssen, gewährleistet, so daß keine Benachteiligung der auf diesem Gebiet technisch rückständigen Staaten zu befürchten ist. Die so erstellten Filme können sowohl der beobachtete Vertragsstaat als auch andere Vertragsstaaten- diese jedoch nur gegen eine Kostenbeteiligung an der Kopierung der Filme erhalten. 518
111. Politische Bedeutung des Vertrages Zwar hat die Bedeutung der Luftaufklärung durch Beobachtungflüge seit dem Ende des Ost-West-Konflikts abgenommen, jedoch bleiben Spannungsherde im Gebiet der GUS, der osteuropäischen wie südosteuropäischen Staaten erhalten, so daß das Regime des "Offenen Himmels" in dieser Hinsicht eine nicht zu unterschätzende Bedeutung errungen hat. Ferner steht wegen der Beitrittsmöglichkeit auch nichtteilnehmender Staaten gern. Art. XVII der Vertrag auch anderen Staaten wie Japan oder China offen.519 Darüber hinaus hat dieses System der Luftaufklärung auch Modellcharakter für andere Regionen der Welt. Somit können Staatengruppen zum Abbau von Spannungen und Schaffung von Vertrauen auf diesen Vertrag als Vorbild zurückgreifen. 520
IV. Mögliche Nutzung des Regimes "Offener Himmel" in der Zukunft 1. Verifikation von Abrüstungsverträgen
Das Regime des "Offenen Himmels" kann ein Instrument darstellen, um Inspektionen im Rahmen von Abrüstungsverträgen durchzuführen. So könnten die in Art. XIV KSE-Vertrag geregelten Inspektionen auch durch Inspektionsflüge durchgeführt werden. Dazu bedarf es jedoch eines speziellen Vertrages oder einer Vertragsergänzung.
518 Art. IX Abschnitt II Abs. 6 und Abschnitt IV. 519 Gerade an diese Staaten wurde während der Verhandlungen auch gedacht, Hartmann, EA 1992, S. 483 ( 486f). 520 Daraufweist auch Hartmann hin, EA 1992, S. 483 (467).
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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2. Konfliktverhütung und Krisenbewältigung
Mit der Luftaufklärung steht der OSZE ein ergänzendes Instrument zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung zur Verfügung, indem Beobachtungsflüge zur Erkundung militärischer Aktivitäten genutzt werden können. 521 Sowohl OSZE-Institutionen wie der Hohe Rat oder das FSK als auch andere Internationale Organisationen wie die UNO können sich an die Beratungskommission "Offener Himmel" wenden, um dieses System zu nutzen. 3. Umweltschutz
Die gern. Art. XVI Abs. 3 des Vertrages vorgesehenen Konferenzen zur Überprüfung des Vertrages können über weitere Anwendungsbereiche des Regimes "Offener Himmel" entscheiden. Anhang L Abschnitt IV des Vertrages nennt hierbei ausdrücklich den Bereich des Umweltschutzes. Beobachtungsflüge sind demnach in Zukunft auch zur Überprüfung der Einhaltung von Umweltschutzbestimmungen, Erkundungen von Luft- und Bodenoberflächenverschmutzungen sowie der Ermittlung radioaktiver Strahlung nach Reaktorunfällen denkbar.
G. Abschließende Akte der Verhandlungen über Personalstärken der Konventionellen Streitkräfte in Europa vom 10. Juli 1992 I. Allgemeines Anläßtich des Treffens der Staats- und Regierungschefs der KSZE-Teilnehmerstaaten wurde am 10. Juli 1992 in Helsinki auch die "Abschliessende Akte der Verhandlungen über Personalstärken der Konventionellen Streitkräfte in Europa" 522 unterzeichnet Diese Akte ist das Ergebnis der seit dem Abschluß der ersten Phase der "Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa" fortgeführten Verhandlungen über den Truppenabbau52 3 _ Gleichzeitig ist sie eine 521 AnhangLAbschnitt III "Außerordentliche Beobachtungsflüge". 522 Im folgenden als "Akte" bezeichnet. Text in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 440-451; Fastenrath, F. 8. 523 Auch als KSE-1a-Verhandlu~gen bezeichnet. Diese Verhandlungen haben auf dem Mandat des Abschließenden Dokuments von Wien, Abschnitt "Vertrauens- und
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
Ergänzung des KSE-Vertrages vom 19. November 1990S24 , daher wird sie auch z. T. als KSE Ia bezeichnet. Im Gegensatz zum KSE-Vertrag, der einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt, ist die Akte ausdrücklich lediglich "politisch verbindlich". S2 S Das bedeutet auch, daß sie keiner Ratifizierung bedarf. Das lokrafttreten der Akte wurde jedoch an das des KSE-Vertrages gekoppelt. 526 Wegen der Ungewißheit über das lokrafttreten dieses Vertrags wurden die Bestimmungen der Akte wie die des KSE-Vertrages ab dem 17. Juli 1992 vorläufig angewendet. 527 Dieses ergibt sich aus der Erklärung des Vorsitzenden der Außerordentlichen Konferenz vom 10. Juli 1992, die durch die Teilnehmerstaaten528 widerspruchlos zur Kenntnis genommen wurde. 529 Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Bildung eigenständiger Streitkräfte der Nachfolgestaaten galt es diese in die Verhandlungen einzubeziehen. Allein Rußland, die Ukraine und Weißrußland nahmen an den Verhandlungen teil, nicht jedoch die übrigen von dem territorialen Regelungsgebiet des Vertrages betroffenen Staaten, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan und Moldau. Diese Staaten unterzeichneten dennoch am Ende die "Abschließende Akte".
II. Inhalt der Akte 1. Begrenzung des militärischen Personals
Gegenstand der Akte bildet die Begrenzung des militärischen Personals der Teilnehmerstaaten. Dabei unterliegen den Regelungen ausschließlich alle landgestützten Streitkräfte, also auch die der Marine, jedoch nicht deren Seestreitkräfte. Ferner ist nicht nur der Bestand des aktiven Personals, sondern auch ein Teil der Reservisten betroffen, sofern diese länger als 90 Tage in Folge zum Dienst herangezogen werden.
Sicherheitsbildende Maßnahmen und bestimmte Aspekte der Sicherheit und Abrüstung in Europa", Bulletin, Nr. 83, 31. Januar 1989, S. 83 und Art. XVIII KSE-Vertrag stattgefunden. 524 Zu diesem Vertrags. o. C. 525 Abschnitt VIII Abs. 1 S. 1 der Akte. 526 Abschnitt VIII Abs. 1 S. 3 der Akte. Insofern kann der KSE-Vertrag auch als "MutterVertrag" in bezog auf die Akte bezeichnet werden. 527 Vgl. zur vorläufigen Anwendung des KSE-Vertrages o. C. I. 528 Um den Unterschied zu einem völkerrechtlichen Vertrag kenntlich zu machen, werden die Unterzeichnerstaaten in der Akte als Teilnehmerstaaten bezeichnet. 529 Text der Erklärung: Bulletin, Nr. 79, 17. Juli 1992, S. 759.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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Für jeden Teilnehmerstaat schreibt Abschnitt II der Akte eine Höchstgrenze für das landgestützte militärische Personal vor, dessen betroffene Bereiche in Abschnitt I der Akte genauer beschrieben werden. 530 So wird beispielsweise der USA 250.000, Rußland 1.450.000 und der Ukraine 450.000 Mann zugestanden. In Mittel- und Westeuropa hat Deutschland mit 345.000 vor Frankreich (325.000), Italien (315.000) und Großbritannien (260.000) den größten Anteil. Die Türkei hält in der Gesamtschau mit 530.000 Mann den zweitgrößten Anteil hinter Rußland. Diese Höchstgrenzen gelten jedoch nur im sog. "Anwendungsgebiet" der Akte, das mit dem des KSE-Vertrages identisch ist. Die Regelungen gelten daher geographisch für das Territorium der Teilnehmerstaaten in Europa vom Atlantik bis zum UraJ.531 Die Festschreibung von Höchstgrenzen des militärischen Personals bedeutet eine Multilateralisierung der Größe der Streitkräfte eines Staates, deren Bestimmung bislang ausschließlich in die Souveränität des einzelnen Staates fiel. Einem Teilnehmerstaat ist es demnach fortan - wegen des lediglich politisch verbindlichen Charakters der Akte - politisch verwehrt, die Anzahl des militärischen Personals, soweit es unter den Regelungsbereich der Akte fällt, kraft seiner Souveränität selbst zu bestimmen. Vielmehr ist er - politisch - gezwungen, das "Revisionsverfahren" gern. Abschnitt III der Akte anzuwenden, wenn er die Anzahl des militärischen Personals vergrößern will. Nach der Notifikation einer derartigen Absicht obliegt es einer außerordentlichen Konferenz, über die Erhöhung zu entscheiden, sofern ein Teilnehmerstaat Einspruch gegen die notifizierte Erhöhung erhebt und um die Einberufung einer solchen Konferenz ersucht. 2. Informationsaustausch
Die Teilnehmerstaaten verpflichteten sich, allen anderen Teilnehmerstaaten Auskunft über das der Begrenzung unterliegende Personal nach Maßgabe der detaillierten Erfassung des Abschnitts IV der Akte Auskunft zu erteilen. Ferner wurde als "stabilisierende Maßnahme" die Verpflichtung vereinbart, daß ein Teilnehmerstaat jede Erhöhung der Personalstärke 530 Eine Tabelle über die nationale Personalhöchststärken im Bericht der Bundesregierung über Rüstungskontrolle und Abrüstung 1992 gewährt eine Übersicht, Tabelle I im Anhang des Berichts, BT-Drucksache 12/4846, S. 52.
531 Vgl. dazu die Fn. im 5. Abs. vor Abschnitt I der Akte. i. V. m. der genauen Definition im Schlußdokument der Außerordentlichen Konferenz der Vertragsstaaten des Vertrages über Konventionelle Streitkräfte in Europa, Anlage A. Abs. 5, AA, 20 Jahre KSZE, S. 432 (434); Bulletin, Nr. 64, 12. Juni 1992, S. 622; II Bontoff
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von Teilgliederungen der Streitkräfte sowie Änderungen der Unterstellungsverhältnisse von Truppenteilen zu notifizieren hat. 532 Darüberhinaus unterliegt auch die geplante Einberufung von Reservisten dieser Informationspflicht, wenn die Gesamtzahl 35.000 Mann überschreitet. 533 3. Verfikation der Einhaltung der Verpflichtungen
Um die Einhaltung der Verpflichtungen gemäß der Akte zu überprüfen, wenden die Teilnehmerstaaten das Inspektionsverfahren nach Abschnitt VII und VIII des Inspektionsprotokolls des KSE-Vertrags i. V. m. den Bestimmungen des Vertrages selbst und den ergänzenden Regelungen des Abschnitts VI der Akte an. 534 Kommt es bei der Durchführung der Akte zu Fragen oder Unstimmigkeiten, so steht dem besorgten Teilnehmerstaat eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung, die im sogenannten "Überprüfungsmechanismus" der Akte zusammengefaßt sind. 535 Eine solche Frage kann ein Teilnehmerstaat auf einer Tagung der "Gemeinsamen Beratungsgruppe" zur Erörterung bringen. 536 Ferner steht ihm die Möglichkeit offen, um eine außerordentliche Konferenz der Teilnehmerstaaten zu ersuchen, die dann nach 15 Tagen stattzufinden hat. 537 Sechs Monate nach Wirksamwerden der Höchstgrenzen sowie danach alle fünf Jahre findet eine Überprüfungskonferenz bezüglich der Akte statt. 538
H. Erste Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Budapest (3. bis 5. Juli 1992) Vom 3. bis zum 15. Juli 1993 fand im Plenarsaal des ungarischen Parlaments in Budapest die erste Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung539 der OSZE statt. Teilnehmer der Tagung waren nationale Parlamentarier aus über 45 Teilnehmerstaaten.
53 2 Abschnitt V Abs. 1 und 5 der Akte. 533 Abschnitt V Abs. 2 der Akte. 534 Abschnitt VI Abs. 1 der Akte. 535 Abschnitt VII "Überprüfungsmechanismus" der Akte. 536 Abschnitt VII Abs. 2 der Akte. 537 Abschnitt VII Abs. 4 der Akte. 538 Abschnitt VII Abs. 3 der Akte.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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Die Versammlung nahm nach eingehender Beratung540 in ihren drei Ausschüssen die "Budapester Erklärung der Parlamentarischen Versammlung der KSZE vom 5. Juli 1992"541 an. Darin äußert sich die Versammlung zu Fragen der Sicherheit in Europa, zur Präsenz der ehemaligen sowjetischen Armee in den baltischen Ländern, zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit und zur Menschlichen Dimension der OSZE sowie zur Lage in den Kriegsgebieten Jugoslawiens.
J. Drittes Treffen des KSZE-Rates in Stockholm (14. und 15. Dezember 1992) Während des Dritten Treffens des KSZE-Rates in Stockholm zogen die Außenminister der Teilnehmerstaaten Bilanz und faßten zukunftweisende Beschlüsse zur Fortentwicklung der KSZE. Ferner beschlossen die Teilnehmerstaaten, die Tschechische Republik und die Slowakische Republik mit Wirkung vom 1. Januar 1993 in die KSZE aufzunehmen. 542 Die Zahl der Teilnehmerstaaten beträgt damit 53.
L Erörterung aktueller politischer Probleme mit KSZE-Bezug Ausführlich erörterten die Außenminister die politischen Probleme, in deren Lösung die KSZE eingebunden war: Der Jugoslawien-Konflikt, der Abzug russischer Truppen aus den baltischen Staaten, Spannungen in der Republik Moldau, in Georgien, Tadschikistan und der Konflikt um Nagorny Karabach. Sie faßten diesbezüglich auch entsprechende Beschlüsse. 543
539 AusfUhrlieh zur Institution der Parlamentarischen Versammlung unten, 4. Teil, I. Kapitel C. XII. 540 Vgl. zum Verlauf der Tagung des Bericht der Bundestagspräsidentin, Rita Süssmurh, in: BT-Drucksache 12/3091 vom 27. Juli 1992. 541 Text in: Anlage 3 der BT-Drucksache 12/3091 vom 27. Juli 1992 und Fasrenrarh, D. 1. 542 Schlußdokument des Stockholmer Ratstreffens, Abschnitt "Beschlüsse", X. Text des Schlußdokuments: AA., 20 Jahre KSZE, S. 252-268; EA 1993, S. D 83-96; Fasrenrarh, C. 3. 543 Vgl. dazu das Schlußdokument des Stockholmer Ratstreffens, Abschnitt "Beschlüsse", I. "Regionale Fragen"
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
II. Beschlüsse zur Weiterentwicklung der KSZE-Institutionen und -Verfahren Das Stockholmer Ratstreffen war schwerpunktmäßig von der Bestimmung der zukünftigen Gestalt und Tätigkeit der KSZE geprägt. Die Außenminister trafen Beschlüsse zum einen über konkrete Vorgaben für die bereits bestehenden Institutionen und die Schaffung einer neuen Institution, zum anderen auch über mögliche, weiterhin zu prüfende Entwicklungen. 1. Einrichtung des Amtes eines Generalsekretärs der KSZE
Die Teilnehmerstaaten beschlossen, um die Effizienz der Verwaltung der KSZE zu erhöhen, das Amt eines Generalsekretärs der KSZE zu schaffen. 544 Dieser ist der Vertreter des amtierenden Vorsitzenden. Ferner obliegt ihm die übergeordnete Verwaltung der KSZE-Strukturen und -Operationen.545 2. Änderungen des KSZE-Streitbeilegungsmechanismus
Die Außenminister beschlossen ferner Änderungen des KSZE-Streitbeilegungsmechanismus (Valletta-Mechanismus).546 3. Vorlage eines "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE"
Auf dem Stockholmer Ratstreffen wurde der Text eines "Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb der KSZE" zur Unterzeichnung aufgelegt. 547 Der Vertrag wurde bereits in Stockholm 544 Schlußdokument des Stockholmer Ratstreffens, Abschnitt "Beschlüsse", VII. i. V. m. Anhang I . 545 Vgl.
die ausruhrliehe Darstellung der Funktion des Generalsekretärs im
I. Kapitel,.C. VIII.
4.
Teil,
546 Schlußdokument des Stockholmer Ratstreffens, Abschnitt "Beschlüsse", IV. lit. a. und Anhang 1 des Beschlusses über Friedliche Streitbeilegung, Text in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 329f. Vgl. zum Valletta-Mechanismus die ausfilhrliche Darstellung, 4. Teil, 5. Kapitel, A., V. 547 Anhang 2 des Beschlusses über Friedliche Beilegung von Streitigkeiten des Dritten Treffens des KSZE-Rates in Stockholm, Text in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 330-343; Fastenrath, E.4.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
165
von 29 Teilnehmerstaaten unterzeichnet. 548 Er tritt nach der Hinterlegung der zwölften Ratifikationsurkunde in Kraft. 549 Dieses Übereinkommen besitzt völkerrechtliche Verbindlichkeit im Gegensatz zu den übrigen Vereinbarungen über OSZE-Verfahren zur Krisenbewältigung. Der Vertrag sieht ein allgemeines Vergleichsverfahren und eine Schiedsgerichtsbarkeil auf der Grundlage von Ad-hoc-Vereinbarungen oder im voraus auf der Grundlage gegenseitiger Erklärungen vor. 550 4. Vereinbarung eines Vergleichsverfahrens
Das ebenfalls in Stockholm vereinbarte "Vergleichsverfahren" hat im Gegensatz zu dem zuvor angesprochenen Übereinkommen keine völkerrechtliche Qualität, sondern will das OSZE-Streitbeilegungsverfahren von Valletta ergänzen. 551 Das Vergleichsverfahren kann ebenso wie das Vergleichs- und Schiedsverfahren des Übereinkommens ad hoc oder auf der Grundlage vorheriger gegenseitiger Erklärungen in Anspruch genommen werden. 552 5. Verfahren des "Vergleichs auf Anordnung"
Gemäß dem in Prag vereinbarten Verfahren, nach dem der KSZE-Rat (heute Ministerrat) oder AHB (heute der Hohe Rat) auch gegen den Willen eines betroffenen Staates Maßnahmen beschließen kann, 553 wurde mit der Vereinbarung des Verfahrens des "Vergleichs auf Anordnung"554 erneut das die OSZE-Beschlußfassung prägende Konsensprinzip durchbrochen. Der Ministerrat oder der Hohe Rat ist demnach berechtigt, zwei Teilnehmerstaaten anzuweisen, sich einem Vergleichsverfahren zu unterziehen. Damit können zwei Staaten der OSZE überstimmt werden, sog. "Konsens minus zwei"-Regelung.555 548 Darunter auch Deutschland. 549 Art. 33 Abs. 3 dieses Vertrages. 550 Vgl. genauer dazu 4. Teil, 5. Kapitel, A. VIII. 551 Anhang 3 des Beschlusses über Friedliche Beilegung von Streitigkeiten des Dritten Treffens des KSZE-Rates in Stockholm, Text in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 344-347; Fastenrath, E.5.
552 Vgl. auch hierzu die genaue Darstellung im 4. Teil, 5. Kapitel, A. VI. 553 Vgl. dazu o. IX. 2. b. 554 Anhang 4 des Beschlusses über Friedliche Beilegung von Streitigkeiten des Dritten Treffens des KSZE-Rates in Stockholm, Text in: AA, 20 Jahre KSZE, S. 347f.; Fastenrath E.6. 555 Vgl. die nähere Darstellung zu diesem Verfahren im 4. Teil, 5. Kapitel, A. VII.
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
6. Planungen der KSZE in bezug auf zukünftige Strukturen
Die Außenminister beschlossen, die Erstellung eines völkerrechtlichen Vertrages durch den AHB zu prüfen, vermöge dessen den KSZEInstitutionen "ein international anerkannter Status" gewährt werden kann. 556 Ein solcher kam jedoch nicht zustande. Die Teilnehmerstaaten vereinbarten jedoch später lediglich Regelungen über die Rechtsfahigkeit, Vorrechte und Immunitäten, die innerstaatlich umgesetzt werden sollen. 557 Ferner wird die Errichtung einer Stiftung zur Förderung der Menschenrechte erwogen, um "neue Finanzierungsquellen für Aktivitäten der KSZE" auf diesem Gebiet zu erschließen. 558
K. Expertenseminar über" Verteidigungsplanung in einer parlamentarischen Demokratie" in Wien (31. März bis 2. April 1993) Im Frühjahr 1993 fand in Wien das "Seminar über Verteidigungsplanung in einer parlamentarischen Demokratie" statt. Diese Veranstaltung war das erste Seminar, welches im Rahmen des Forums für Sicherheitskooperation (FSK), einer Institution, die im Juli 1992 durch die "Beschlüsse von Helsinki" eingerichtet wurde und das ein Gremium für alle Sicherheitsfragen der OSZE darstellt559, abgehalten wurde. Der "Besondere Ausschuß" des Forums für Sicherheitskooperation rief das Seminar in Übereinstimmung mit dem während des Gipfeltreffens in Helsinki 1992 beschlossenen "Sofortprogramm" ein. Die Durchführung des Seminars beruhte auf einem Vorschlag560 der 16 NATO-Mitgliedsstaaten, welcher durch die niederländische Delegation am 21. Oktober 1992 im Besonderen Ausschuß des Forums für Sicherheitskooperation eingebracht wurde und rasch die Zustimmung der anderen Delegationen fand. Gegenstand des Vorschlages war es, einen allgemeinen KSZE-Überblick über die Verteidigungsplanung der Teilneh-merstaaten zu erhalten. Der Vorschlag sieht vor, daß die OSZE-Staaten jährlich einmal 556 Schlußdokument des Stockholmer Ratstreffens, Abschnitt "Beschlüsse", VII. 557 Vgl. dazu unten M. V. 558 Schlußdokument des Stockholmer Ratstreffens, Abschnitt "Beschlüsse", VII. 559 Vgl. dazu oben 1. Teil, 3. Kapitel, E. II. 2. c und die Darstellung dieser Institution unten 4. Teil, 1. Kapitel, C. XI. 560 Text des Vorschlags CSCE/FSC/SC.3 in: Landesverteidigungsakademie Wien: "Seminar über Verteidigungsplanung", S. 56-59.
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einen Bericht über ihre Verteidigungsplanung in den nächsten fünf Haushaltsjahren geben. Dies wäre eine Erweiterung der be-reits jetzt bestehenden Verpflichtung zum Austausch von Informationen über die Militärhaushalte des jeweils bevorstehenden Haushaltsjahres gemäß dem "Wiener Dokument 1992". 561 Die Teilnehmerstaaten sollen dabei das Recht haben, innerhalb zweier Monate eine Klarstellung über die zur Verfügung gestellten Informationen zu verlangen, wenn dies ein Teilnehmerstaat wünscht. Dieses entspricht weitgehend dem in Ziff. 16.2 des Wiener Dokuments 1992 vereinbarten Verfahren. Schließlich soll ein jährliches Treffen dem Dialog über die Verteidigungsplanung dienen. Die Beratung über diesen Vorschlag ist noch nicht abgeschlossen. Ein in vielen Punkten dem NATO-Vorschlag weitergehender polnisch-ungarischer Beitrag dazu sieht zusätzlich Besuche von Vertretern der Teilnehmerstaaten vor, die sich in einem anderen Teilnehmerstaat über dessen Verteidigungsplanung durch Gespräche mit daran beteiligten Personen informieren können. 562 Das Ziel dieses Vorhabens ist die Vorhersehbarkeit der Verteidigungsplanung zu fördern. Dem sollte die Durchführung des Seminars dienen. Die OSZE ist damit auf dem Weg, den gemäß dem völkerrechtlichen Grundsatz der Souveränität der Staaten vertraulichen Bereich militärischer Planung, der an sich Gegenstand nachrichtendienstlicher Aufklärung fremder Staaten ist, weitgehend transparent zu machen. Erste Schritte dorthin unternahmen die Teilnehmerstaaten auf höchster Ebene, indem sie im Budapester Dokument 1994 Vereinbarungen über innerstaatliche Festlegung und Beschaffenheit der nationalen Verteidigungsdoktrinen festlegten. 563 Während des Seminars gaben viele OSZE-Staaten Auskunft über ihre Verteidungsplanung, die die Schilderung ihres prozeduralen Ablaufs, der beteiligten Institutionen und deren Inhalte miteinschloß. Staaten, die ausführliche Berichte564 abgaben waren Albanien, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Norwegen, Polen, Rußland, Schweden, Schweiz, Slowenien, Türkei, Ukraine, Ungarn, USA, Großbritannien und mit Beobachterstatus auch Japan. Ferner gaben Vertreter der NATO und der WEU die Aufassungen ihrer Organisationen wider. Die Beiträge hatten folgende Themen zum Inhalt: 561 Ziff. 16 des Wiener Dokuments 1992. 562 Text des Vorschlags in: Landesverteidigungsakademie Wien: "Seminar über Verteidigungsplanung", S. 60-62. 563 Beschlüsse von Budapest, Kapitel IV "Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit", Abschnitt IV, Ziff. 13 und Abschnitt VIII, Ziff. 35 und 36. 564 Diese sind in der Publikation der Landesverteidigungsakademie Wien "Seminar über Verteidigungsplanung" abgedruckt.
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Die Rolle der Institutionen bei der Verteidigungsplanung, der Inhalt der Verteidigungsplanung (Anforderungen an Personal und Material, Definition der Ziele), Fragen der Haushaltssysteme und die Rolle des Parlaments in Verteidigungsfragen.
L. Zweite Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Helsinki (6. bis 9. Juli 1993) Vom 6. bis zum 9. Juli fand im Plenarsaal des finnischen Parlaments in Helsinki die zweite Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE statt. Während der Beratungen565 wurden Mazedonien und Japan Beobachterstatus566 gewährt. Vor der Tagung nahmen die Vertreter der nationalen Parlamente im Ständigen Ausschuß der Parlamentarischen Versammlung567 am 15. Januar 1993 in Kopenhagen die neue Geschäftsordnung der Versammlung an. Am Ende der Tagung beschlossen die Parlamentarier die "Erklärung von Helsinki" 568, in der sie ihre umfassenden Ansichten und neuen Vorschläge zu den Bereichen der Sicherheit in Europa, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, Umweltfragen und zur Menschlichen Dimension der OSZE niederlegten. Darin enthalten ist ferner ein Kapitel zur Lage im Jugoslawien-Konflikt. Die nächste Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung soll im Juli 1994 in Wien stattfinden, danach 1995 voraussichtlich in Kanada.
M. Viertes Treffen des KSZE-Rates in Rom (30. November bis 1. Dezember 1993) Vom 30. November bis zum 1. Dezember tagte in Rom zum vierten Male der KSZE-Rat. Der KSZE-Rat äußerte sich in den "Beschlüssen von
565 Siehe dazu den Bericht der Bundestagspräsidentin in BT-Drucksache 12/5520 vom 2. August 1993.
566 Vgl. dazu auch unten 4. Teil, 2. Kapitel, II. 567 Siehe zur Institution der Parlamentarischen Versammlung unten 4. Teil, l. Kapitel, C. XII. 568 Text in: BT-Drucksache 12/5520 vom 2. August 1993.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
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Rom" 569 zum einen zu aktuellen politischen Problemen im KSZE-Gebiet. Zum anderen nahm er eine Strukturreform der KSZE-Institutionen vor, einschließlich Vereinbarungen über die Rechtsfahigkeit von KSZEInstitutionen sowie Vorrechten und Immunitäten.
I. Erörterung aktueller politischer Probleme mit KSZE-Bezug Die Außenminister berieten über aktuelle politische Krisen im KSZEGebiet, an deren Regelung die KSZE beteiligt war. 570 Hinsichtlich des Jugoslawien-Konflikts, der Streitigkeiten in Georgien (Abchasien-Konflikt und der ossetisch-georgische Konflikt), der Lage in Moldau und in Tadschikistan sowie der Situation in den baltischen Staaten zogen die Teilnehmer Bilanz und zeigten die vergangeneo und zukünftigen Beiträge der KSZE für eine Lösung der Konflikte auf.
II. Erarbeitung von Regeln über die Beteiligung von Drittstreitkräften im Rahmen einer Konfliktbewältigung Auf Anregung Rußlands beschloß der KSZE-Rat, daß der AHB bzw. der Ständige Ausschuß der KSZE Regeln über die Rolle einer militärischen Drittpartei im Rahmen einer Konfliktbewältigung erarbeiten solle. 571
111. Stärkung der Menschlichen Dimension der OSZE Anknüpfend an die Regelungen der Beschlüsse von Helsinki zur Menschlichen Dimension572 hat der KSZE-Rat in Rom eine weitere Betonung der Bestimmungen der Menschlichen Dimension der OSZE vorgenommen. 573 Die Bedeutung der Menschlichen Dimension für das umfassende Sicherheitkonzept der OSZE574 wird hervorgehoben. Dabei stellt der KSZE-Rat insbesondere die konfliktverhütende Funktion der Einhaltung der Bestimmungen über die Menschliche Dimension heraus. Die Imple569 Text in: Bulletin, Nr.112 vom 15. Dezember 1993, S . 1233-1244. 570 Vgl. dazu die entsprechenden Aussagen in Abschnitt I der Beschlüsse des Ratstreffens von Rom. 57 1 Abschnitt II, Ziff. 2 der Beschlüsse des Ratstreffens von Rom. Siehe dazu auch genauer unten 4. Teil, 5. Kapitel, A. I. 3. c. 572 Siehe dazu oben E. II. 5. 573 Zum Inhalt der Menschlichen Dimensions der OSZE siehe oben 2. Kapitel, E. I. 574 Siehe dazu auch unten 2. Teil, l. Kapitel, B.
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l. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
mentierung der Verpflichtungen hinsichtlich der Menschlichen Dimension ist damit auch Bestandteil der Sicherheit der OSZE-Staaten. 575 Zur Stärkung der Fähigkeit der KSZE, die Einhaltung der Bestimmungen über die Menschliche Dimension zu fördern, vereinbarten die Minister den Aufgabenbereich des BDIMR zu erweitern, den Mechanismus576 zur Menschlichen Dimension der OSZE zu verbessern und Seminare über Themen der Menschlichen Dimension durchzuführen.
IV. Strukturreform der KSZE-Institutionen In Rom vereinbarten die Minister eine Struktrurreform der KSZEInstitutionen in ihrer damaligen Gestalt. 577 Dabei wurde der Konsultativausschuß des KVZ aufgelöst und das KVZ als eine Abteilung in das neu errichtete KSZE-Sekretariat in Wien eingegliedert. Gleichzeitig schufen die Teilnehmerstaaten den "Ständigen Ausschuß der KSZE", der als ständig tagendes Gremium der KSZE die Beratungen und Entscheidungen über alltäglich anfallende Angelegenheiten vornimmt. Der Aufgabenbereich des bisherigen Konsultativausschusses wurde dem Ständigen Ausschuß und dem Forum für Sicherheitskooperation (FSK) übertragen. Ferner vereinbarten die OSZE-Staaten in Fortführung der Bestimmungen des Zusatzdokuments zur Charta von Paris578 Regelungen über die personelle Besetzung von OSZE-Positionen579.
V. Vereinbarungen über Rechtsfähigkeit der OSZE-Institutionen sowie über Vorrechte und Immunitäten Im "Zusätzlichen Beschluß des KSZE-Rates von Rom" 580 vereinbarten die Teilnehmerstaaten, daß den OSZE-Institutionen "OSZE-Sekretariat" und "BDIMR" innerstaatliche Rechtsfahigkeit in allen OSZE-Staaten verliehen werden soll. Ferner wurde der Umfang an Vorrechten und Immunitäten für die genannten OSZE-Institutioften, die Ständigen Missionen der Teilnehmerstaaten, die OSZE-Beamten, Vertreter der Teilnehmerstaaten an KSZE-Veranstaltungen und Mitgliedern von OSZE-Missionen 575 Vgl. Beschlüsse des Ratstreffens von Rom, Abschnitt IV, Ziff. 3. 576 Siehe dazu unten 4. Teil, 5. Kapitel, B., I. 577 Vgl. Beschlüsse des Ratstreffens von Rom, Abschnitt VII. Siehe zum Gefiige der OSZE-
Institution in ihrer heutigen Gestalt unten 4. Teil, l. Kapitel.
578 Abschnitt H. 579 Beschlüsse des Ratstreffens von Rom, Abschnitt VII., Ziff. 10. 580 Text: Bulletin, Nr. 112 vom 15. Dezember 1993, S. 1242-1244.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
171
festgelegt. 581 Die Umsetzung dieser Vereinbarungen obliegt den Teilnehmerstaaten gemäß ihren nationalen Rechtsordnungen. Ferner wurde ein OSZE-Personalausweis geschaffen.
VI. Erklärung über aggressiven Nationalismus, Rassismus, Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus In einer "Erklärung über aggressiven Nationalismus, Rassismus, Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus" 582 verurteilten die Teilnehmerstaaten jene politische Haltungen als Verstoß gegen KSZEPrinzipien und -Verpflichtungen. Sie stellten fest, daß diese Erscheinungsformen zu Spannungen, Konflikten und schließlich zu Gewalt zwischen den Staaten führen können. Personen, die gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hätten, müßten bestraft werden. Die Minister beschlossen, daß diese Thematik vorrangig von der KSZE zu behandeln sei.
N. Treffen der Staats- und Regierungschefs von Budapest (5./6. Dezember 1994) Das Gipfeltreffen der OSZE im Dezember 1994 in Budapest war das vierte Treffen der OSZE-Staaten auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs nach denen in Helsinki 1975 und Paris 1990 und Helsinki 1992. Jedoch reicht dieses nicht an die Bedeutung jener Gipfeltreffen heran. Grund dafür ist, daß es nicht durch einen übereinstimmenden und vergleichsweise spontan gebildeneo Willen der Teilnehmerstaaten zustande kam, sondern bereits Ergebnis der Institutionalisierung des OSZEProzesses war. Die Treffen der Staats- und Regierungschefs basieren nämlich auf den Beschlüssen von Helsinki 583 und wurden bereits in Paris 1990584 im Grundsatz geplant. Während des Treffens wurde das "Budapester Dokument 1994" 585 angenommen.
58 1 Vgl. dazu im einzelnen unten 4. Teil, 1. Kapitel, B. 582 Beschlüsse des Ratstreffens von Rom, Abschnitt X. 583 Kapitel I, Ziff. 2 und 3. S84 Charta von Paris, 3. Kapitel "Neue Strukturen und Institutionen des KSZE-Prozesses", dritter Absatz. 585 Bulletin, Nr. 120 vom 23. Dezember 1994, S. 1097-1115.
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1. Teil: Vom VerhandlungsprozeH zur Internationalen Organisation
I. Umbenennung in OSZE und andere organisatorische Beschlüsse Auch während dieses Gipfeltreffens wurde einige Beschlüsse organisatorischer Art gefaßt. Auffalligster, weil das äußerliche Erscheinungsbild der "KSZE" betreffender Beschluß ist sicherlich der586 zur der Umbenennung in "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa". Dieser ist jedoch ausschließlich politisch motiviert und hat rechtlich keinerlei weitreichende Bedeutung. Durch ihn wurde die KSZE nicht in konstitutiver Weise eine Internationale Organisation, wie man meinen könnte. Vielmehr war sie es schon zuvor. Der Wille der Teilnehmerstaaten geht zudem auch jetzt noch dahin, die OSZE nicht als eine Internationale Organisation mit Völkerrechtsfahigkeit zu betrachten. 587 Motiv der Teilnehmerstaaten war die in diesem Kapitel dargestellte Metamorphose der KSZE zu einer den amerikanischen, europäischen und asiatischen Kontinent abdeckenden Sicherheitsorganisation, die durch den Wegfall des Ost-West-Konfliktes möglich wurde: "Das neue Zeitalter der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat zu einem grundlegenden Wandel in der KSZE und zu einer dramatischen Stärkung ihrer Rolle im Hinblick auf die Gestaltung unseres gemeinsamen Sicherheitsgebietes geführt. Um dies zum Ausdruck zu bringen, wird die KSZE künftig unter dem Namen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bekannt sein."588
Umbenannt wurden auch der KSZE-Rat, Ausschuß Roher Beamter und der Ständige Rat. Sie heißen nunmehr Ministerrat, Roher Rat und Ständiger Rat. 589
II. Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit Gemäß dem Mandat des Relsinki-Dokuments 1992 erarbeitete das Forum für Sicherheitskooperation (FSK) im Rahmen des in Relsinki beschlossenen Sofortprogramms59° einen "Verhaltenskodex zu politischmilitärischen Aspekten der Sicherheit" 591 . Dieser Kodex enthält den der586 Budapester Dokument 1994, Beschlüsse von Budapest, Kapitel I, Ziff. 1. 587 Vgl. zu der Klassifizierung der OSZE als eine Internationale Organisation oben 4. Teil, 1. Kapitel, D. 588 Budapester Dokument 1994, Beschlüsse von Budapest, Kapitell, Ziff. 1. 589 Budapester Dokument 1994, Beschlüsse von Budapest, Kapitel I, Ziff. 16-18. 590 Oben E., II., 2., c), cc). 591 Budapester Dokument 1994, Beschlüsse von Budapest, Kapitel IV.
3. Kapitel: Die zweite Phase des OSZE-Prozesses
173
zeitigen Stand der OSZE-Vereinbarungen über die Regeln unter den Teilnehmerstaaten auf politisch-militärischem Gebiet, wobei der Bereich der Rüstungskontrolle und Abrüstung ausgeklammert ist. Er zeichnet sich dadurch aus, daß er nicht nur Regeln über das Verhalten zwischen den Staaten aufstellt, sondern in OSZE-typischer Weise auch Anweisungen an jeden einzelnen Staat, wie er bestimmte militärisch-politische Fragen national zu behandeln hat. So ist beispielsweise bestimmt, daß die Verteidigungsdoktrin jedes Staates, also eine Angelegenheit aus dem Kernbereich der staatlichen Souveränität, den Vereinbarungen dieses Kodexes und dem Völkerrecht zu entsprechen habe 592 . Es sind noch zahlreiche weitere Punkte im Kodex niedergelegt, die Einfluß auf die nationale Gestaltungsfreiheit des Staates nehmen. In Verbindung mit der OSZEVerfahrensregelung593, wonach jede Frage der Einhaltung einer OSZEVereinbarung aufgebracht und dem anderen Staat gegenüber zur Sprache gebracht werden kann, ergibt sich auch eine effektive Kontrolle dieser Vereinbarungen. Dieses ist auch ausdrücklich im Kodex niedergelegt. 594
111. Stärkung der Zusammenarbeit im Rahmen der Menschlichen Dimension der OSZE Zur Intensivierung der Zusammenarbeit im Rahmen der Menschlichen Dimension der OSZE beschlossen595 die Teilnehmerstaaten zunächst, die Rolle des BDIMR zu stärken, insbesondere im Bereich der Überwachung von Wahlen. Die Einrichtung einer Kontaktstelle für Fragen der Roma und Sinti wurde beschlossen. Fragen der Menschlichen Dimension sollen nun regelmäßig durch den Ständigen Rat erörtert werden und dies gegebenenfalls nach Unterrichtung durch den Amtierenden Vorsitzenden oder des BDIMR. Ferner beschlossen die Teilnehmerstaaten, daß das BDIMR das "Programm zur koordinierten Unterstützung kürzlich aufgenommener Teilnehmerstaaten"596 fortzuführen. In materieller Hinsicht wiederholten und bestärkten die Teilnehmerstaaten zahlreiche bereits in früheren Dokumenten niedergelegte Verpflichtungen.
592Budapester Dokument 1994, Beschlüsse von Budapest, Kapitel IV, Ziff. 35 593 Vgl. dazu oben 4. Teil, 5. Kapitel 594 Budapester Dokument 1994, Beschlüsse von Budapest, Kapitel IV, Ziff. 38. 595 Budapester Dokument 1994, Beschlüsse von Budapest, Kapitel VIII. 596 Helsinki-Dokument 1992, Beschlüsse von Helsinki, Kapitel XI und oben E., II., 9.
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1. Teil: Vom Verhandlungsprozeß zur Internationalen Organisation
IV. Stärkung der wirtschaftlichen Dimension der OSZE Nach dem Bukarester Treffen soll zu einer Stärkung der wirtschaftlichen Dimension der OSZE kommen. Im Budapester Dokument haben die Teilnehmerstaaten Bilanz gezogen über die Ergebnisse der Bemühungen der OSZE, nachdem die OSZE die Schwerpunktlegung auf die wirtschaftliche Dimension seit dem Treffen von Helsinki 1992 verstärkt hat. Die Teilnehmerstaaten beschlossen im Herbst 1995 ein Seminar über Fremdenverkehr in Bukarest durchzuführen. Ferner richteten sie in Wien eine informelle Ad-hoc-Gruppe, die die jeweiligen Treffen des Wirtschaftsforums vorbereiten solle.
V. Zusammenarbeit im Mittelmeerraum Eine neue Qualität gab die OSZE der Zusammenarbeit mit den nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten. 597 Diese werden nunmehr enger in den Konsultationsprozeß der OSZE eingebunden. 598
VI. Beschlüsse zu aktuellen politischen Fragen In der "Gipfelerklärung von Budapest" zogen die Teilnehmerstaaten Bilanz über die Ergebnisse ihrer Politik und die neu aufgebrachten politischen Fragen. Ferner verabschiedeten sie eine "Erklärung zum fünfzigsten Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges". Darin bekennen sich die Teilnehmerstaaten zu dem Ziel, "ein wahrhaft vereintes Europa" zu schaffen. Eher operativ-politische Beschlüsse wurden zu den Problemkreisen gefaßt, in denen die OSZE eine aktive Rolle spielt, nämlich zu BergKarabach, dem Baltikum, Georgien und Moldau.
597 Vgl. dazu ausführlich unten 4. Teil, 2. Kapitel, A., 111. 598 Budapester Dokument 1994, Beschlüsse von Budapest, Kapitel X.
2. Teil
Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen mit einem Vergleich völkerrechtlicher Normen Allein aus der historischen Gesamtschau des OSZE-Prozesses und seiner Dokumente ist der Inhalt der derzeitigen OSZE-Regeln und -Verpflichtungen nicht im vollem Umfang erkennbar. Aufgrund der Tatsache, daß die Entstehung der OSZE-Verpflichtungen auf einem geschichtlichen und politischen Prozeß beruht, ist daher auch der Bestand der OSZEGrundsätze und -Verpflichtungen über alle OSZE-Dokumente verteilt. In diesem Teil soll daher der Bezugspunkt der Betrachtung nicht der geschichtliche Ablauf, sondern der jeweilige Regelungsbereich der OSZEVerpflichtungen sein. Jeder Regelungsbereich enthält daher in der Regel OSZE-Vereinbarungen aus verschiedenen Dokumenten. Bei dieser Betrachtungsweise bietet es sich auch an, die OSZE-Verpflichtungen anband des Bestandes völkerrechtlicher Normen darauf zu überprüfen, ob es im Völkerrecht überhaupt eine Entsprechung gibt und, wenn ja, Unterschiede oder Gemeinsamkeiten herauszustellen. Der Regelungsbereich der OSZE-Regeln, der hier zur Darstellung gelangt, beinhaltet vier thematische Gebiete. Zunächst die an der Spitze stehenden grundlegenden Regeln, die sich auf die zwischenstaatlichen Beziehungen unter dem Aspekt der Friedenssicherung beziehen (1. Kapitel). In diesem Rahmen werden zuerst grundlegende Prinzipien der zwischenstaatlichen Beziehungen unter dem Sicherheitsaspekt ausgehend von dem Prinzipienkatalog der KSZE-Schlußakte von Helsinki erörtert. Schwerpunkt ist dabei das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker, da die OSZE eine Erweiterung des völkerrechtlichen internen Selbstbestimmungsrechtes vorgenommen hat. Die Erweiterung hat durch die Aufstellung von Regeln über die innerstaatliche Verfassungsordnung, den Schutz der Menschenrechte und den Minderheitenschutz, also der sogenannten Menschlichen Dimension der OSZE, ihren Ausdruck gefunden. Jene Bereiche bilden den Inhalt des Grundsatzes der demokratischen Legitimität
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2. Teil: Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze
der Regierung, unter den diese Regelungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit eingeordnet werden. Das Friedenssicherungskonzept der OSZE umfaßt damit mehr als nur die Verhütung militärischer Auseinandersetzungen, d. h. der bloßen Beachtung des Gewaltverbotes. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts haben die Teilnehmerstaaten ein System kooperativer Sicherheit vor Augen (1. Kapitel, B.), in dem vor allem die Bereiche der Menschlichen Dimension der OSZE (unter 1. Kapitel. A. IV. 2. erörtert), der wirtschaftlichen Dimension (2. Kapitel) eine entscheidende Stellung einnehmen. 1. Kapitel
Zwischenstaatliche Beziehungen unter dem Aspekt der Friedenssicherung (ohne Abrüstung und VSBM) - Grundsatz der demokratischen Legitimität der Regierung Der Bereich der Friedenssicherung ist der klassische OSZE-Regelungsbereich. Im Rahmen dieser Arbeit sollen jedoch ausschließlich die nichtmilitärischen Vereinbarungen Gegenstand der Betrachtung sein. Daher fällt der umfangreiche, aber sehr speziell geregelte Bereich der Abrüstung und VSBM nicht unter diese Darstellung. 1 Die KSZE-Teilnehmerstaaten wollten in Helsinki durch die Annahme der Schlußakte die Beziehungen der Staaten in Europa grundlegend regeln und auf diese Weise die Sicherheit in Europa gewährleisten. Die Prinzipien der Souveränität der Staaten (A. I.), des Gewaltverbotes (A. II.) und der friedlichen Regelung von Streitfällen (A. III.) gelten heute noch genauso wie zuvor, jedoch hat sich die Anzahl der Aussagen der OSZEDokumente dazu und besonders zum internen Selbstbestimmungsrecht (A. IV.) vergrößert und deren Inhalt so präzisiert, daß damit eine neue Qualität an Vereinbarungen geschaffen wurde. Ergebnis dieses Prozesses sind insbesondere die Verpflichtungen hinsichtlich der Menschlichen Dimension der OSZE, also der Bereich des Menschenrechts- und Minderheitenschutzes, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Diese Vereinbarungen sind als die den Grundsatz der demokratischen Legitimität der Regierung 1 Vgl. das " Wiener Dokument 1992" hinsichtlich der VSBM, oben 1. Teil, 3. Kapitel, D. X. sowie den KSE-Vertrag sowie die Abschließende Akte der Verhandlungen über Personalstärken der Konventionellen Streitkräfte in Europa, oben 1. Teil, 3. Kapitel, C. bzw. G.
l. Kapitel: Friedenssicherung
177
bildenden Verpflichtungen zentraler Bestandteil des Friedenssicherungskonzepts der OSZE (B.).
A. Grundlegende Vereinbarungen der OSZE ausgehend vom Prinzipienkatalog der KSZE-Schlußakte Die Schlußakte von Helsinki enthielt in ihrem Prinzipienkatalog2 viele Jahre lang allein die Regeln über die zwischenstaatlichen Beziehungen. Diese so grundlegenden und noch heute gültigen Regeln haben den Inhalt späterer OSZE-Vereinbarungen wesentlich bestimmt. Auf die Gültigkeit der Prinzipien des Dekalogs haben die Teilnehmerstaaten in den Schlußdokumenten zu ihren Folgetreffen jeweils hingewiesen. Eine Bekräftigung der Prinzipien des Dekalogs auf höchster Ebene wurde noch 1994 in Budapest vorgenommen. Im "Budapester Dokument 1994" heißt es: "Die Teilnehmerstaaten betonen, daß die uneingeschränkte Achtung aller in der Schlußakte von Helsinki verankerten KSZE-Prinzipien und daß die Erfiillung nach Treu und Glauben aller im Rahmen der KSZE eingegangenen Verpflichtungen fiir die Stabilität und die Sicherheit von grundlegender Bedeutung sind und folglich ein direktes und legitimes Anliegen fiir sie alle darstellen:·3
Die Regeln über die zwischenstaatlichen Beziehungen enthält der Prinzipienkatalog der Schlußakte. Dort sind vier grundlegende Bereiche der zwischenstaatlichen Beziehungen geregelt: 1. Souveräne Gleichheit der Teilnehmerstaaten, 2. Gewaltverbot, 3.Friedliche Regelung von Streitlallen und 4. Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker
I. Souveräne Gleichheit der Teilnehmerstaaten Gleich das Prinzip I des Dekalogs bestimmt, daß die souveräne Gleichheit, die Achtung der Souveränität und der ihr innewohnenden Rechte ein grundlegendes Prinzip der Beziehungen zwischen den Teilnehmerstaaten darstellt. Ferner konstituiert der Prinzipienkatalog im Prinzip VI den mit dem Souveräntitätsprinzip eng verwandten Grundsatz des Verbots der Einmischung in innere Angelegenheiten, das sogenannte Interventionsverbot 2 Vgl. dazu oben I. Teil, l. Kapitel, C. 2. a. 3 Beschlüsse von Budapest, Kapitel IV, (Verhaltenskodex), Abschnitt I, Ziff. I. 12 Bortloff
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2. Teil: Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze
Souveränität im völkerrechtlichen Sinne bedeutet, daß ein Staat keiner anderen Autorität als der des Völkerrechts untersteht, 4 daß ein Staat somit jeweils die summa potestas innehat5. Das Interventionsverbot wird oft als Ausfluß dieses Grundsatzes angesehen. 6 Auch die Gleichheit der Staaten wird demgemäß als Bestandteil der Souveränität bezeichnet. 7 Andere sehen den Gleichheitssatz als selbständig neben dem Souveränitätsprinzip stehend. 8 Diese unterschiedliche Beurteilung der Provinienz der Prinzipien ist im Ergebnis unerheblich, da der Gleichheitssatz und das Souveränitätsprinzip so eng miteinander verbunden sind, daß es zu keiner unterschiedlichen Beurteilung gleicher Sachverhalte anband dieser Prinzipien kommen kann. Der Grundsatz der Staatensouveränität und der Gleichheit der Staaten ist heute in Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta niedergelegt, wo es heißt, daß die Organisation auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder beruhe. Diese Formulierung ist dahingehend zu verstehen, daß auch die Beziehungen zwischen den Staaten von dem Souveränitätsgrundsatz beherrscht werden. 9 Diese Interpretation entspricht auch dem hergebrachten Völkerrecht, welches die UN-Charta weitgehend übernommen hat. 10 Auch die FRD konstituiert den "Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten" sowie das Interventionsverbot 11 Das OSZE-Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten entspricht damit voll und ganz dem Völkerrecht.
II. Das Gewaltverbot Das zweite Prinzip des Dekalogs enthält das Gewaltverbot, d. h. den Grundsatz der "Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt". Ergänzt wird dieser Grundsatz durch das Prinzip III (Unverletzlichkeit der Grenzen) und Prinzip IV (Territoriale Integrität der Staaten).
4 Kelsen/Tucker, S. 248f.; Verdross, in: FS für von der Heydte, S. 706. 5 Vgl. Verdross!Simma, § 32. 6 Leibholz, in: Strupp!Schlochauer, Bd. 1, S. 694. 7 Seidl-Hohenfeldern, Rn. 1443. 8 Bleckmann, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 6 in: Simma, Charta der Vereinten Nationen. 9 Bleckmann, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 5 in: Simma, Charta der Vereinten Nationen. IOverdross/Simma, § 374. 11 Sechster und dritter Grundsatz der FRD.
l. Kapitel: Friedenssicherung
179
Das Gewaltverbot, welches heute auch gewohnheitsrechtlich gilt 12, ist in Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta kodifiziert. Es lautet: "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."
1. Problematik der Zwangsmaßnahmen unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt
Ob auch Zwangsmaßnahmen unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt unter das völkerrechtliche Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 UN-Charta fallen, ist umstritten. Nach der herrschenden Ansicht beinhaltet der Begriff "Gewalt" ausschließlich die Waffengewalt. 13 Andere 14, insbesondere die Entwicklungsländer, werten aber auch politischen und wirtschaftlichen Zwang als Gewalt i. S. des Art. 2 Ziff. 4 UNCharta. Die Terminologie der UN-Charta erscheint in dieser Hinsicht in der Tat nicht eindeutig. Die UN-Charta kennt sehr wohl die textliche Unterscheidung zwischen "Gewalt" (force) und "Waffengewalt" (armed force). Letztere wird in der Präambel sowie in den Art. 41 und 46 UN-Charta verwendet. Andererseits kennt die UN-Charta auch den Ausdruck der "mit Luft-, See-, oder Landstreitkräfte die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen" (Art. 42 UN-Charta). Wegen dieser unterschiedlichen Terminologie muß daher der Gewaltbegriff interpretiert werden. Im Wege der systematischen Interpretation ist zu erkennen, daß der Gewaltbegriff des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta nur die militärische Gewalt einschließt. Art. 41 UN-Charta regelt die Anwendung von Zwangsmaßnahmen unter dem ausdrücklichen Ausschluß der "Waffengewalt". Dagegen ist die Anwendung von Maßnahmen mit militärischen Mitteln Gegenstand der Regelung der Art. 42 und 43 UN-Charta. Art. 44 UN-Charta, der 12 IGH (Nicaragua-Fall) ICJ Rep. 1986, S. 101; Dahm, S. 356. 13 Verdross/Simma. § 476; Kelsen/Tucker, S. 86; Randelzhofer. Art. 2 Ziff. 4, Rn. 15 in: Simma, Charta der Vereinten Nationen; Seidl-Hohenfeldern, Rn. 1784; Kewenig, S. 11; Petersmann, ZVgiRWiss 80 (1981) S. 1 (12); Schachter, Mich. L. Rev. 82 (1983/84), S. 1620 (1624); Bowett, VJIL 1976, S. 247 (247). 14zourek, RdC 92 (1957), S. 759 (814).
180
2. Teil: Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze
die Beteiligung von Nichtsicherheitsratmitgliedern bei der Stellung von Kontingenten der Streitkräfte i. S. des Art. 43 UN-Charta regelt, verwendet allein den Begriff "Anwendung von Gewalt". Es heißt dort: "Hat der Sicherheitsrat die Anwendung von Gewalt beschlossen ... ". Wie dessen Regelungsinhalt, so kann sich auch hier der Begriff der Gewalt nur ausschließlich auf die vorangehenden Art. 42 und 43 UN-Charta beziehen, die jeweils die Anwendung militärischer Gewalt regeln. Auch eine teleologische Interpretation führt zu diesem Ergebnis. Die Ausdehnung des Gewaltverbotes auf andere Formen der Gewalt als die der militärischen würde den Staaten jegliches nichtmilitärisches Druckmittel gegenüber einem das Recht verletzenden Staat nehmen. 15 Für einen engen Gewaltbegriff lassen sich auch die Ausführungen des IGH im Nicaragua-Urteil anführen. Dort heißt es: "The element of coercion, which defines, and indeed forms the very essence of, prohibited intervention, is particularly obvious in the case of an intervention which uses force, either in the direct form of military action, or in the indirect form of support for subversive or terrorist armed activities within another State." ... These forms of action are therefore wrongful in the light of both the principle of non-use of force, and that of non-intervention. 16
Auch die FRD folgt als Interpretation der UN-Charta dem engen Gewaltbegriff. Der Begriff "Gewalt" wird im ersten Grundsatz ausschließlich im militärischen Zusammenhang verwendet, währenddessen politischer, wirtschaftlicher und sonstiger Zwang im Rahmen des Interventionsverbotes des dritten Grundsatzes behandelt wird. In der gleichen Weise geschieht die Einordnung des Gewaltbegriffes in den späteren Resolutionen der UN-Generalversammlung vom 12. Dezember 1974 (Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten) 17 und vom 14. Dezember 1974 (Erklärung bzgl. des Begriffes der Aggression)18. Diese Aufteilung in das Verbot militärischer Gewalt im Rahmen des allgemeinen Gewaltverbots und in das Verbot politischer, wirtschaftlicher und sonstiger Zwangsmaßnahmen im Rahmen des Interventionsverbots entspricht daher der herrschenden Ansicht. 15 Randelzhofer, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 17 in: Simma, Charta der Vereinten Nationen; SeidlHohenfeldern, Rn. 1784. 16rcJ Rep. 1986, s. 108, Abs. 205. 17Res. 29/3281 in: UNYB 1974, S. 403-407 18 Res. 29/3314, in: UNYB 1974, S. 846-848, deutscher Text in VN 1975, S. 120.
1. Kapitel: Friedenssicherung
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Die gleiche Einordnung wie in der FRD, die bei der Erstellung der KSZE-Schlußakte ausdrücklich Berücksichtigung finden sollte1 9, haben auch die Teilnehmerstaaten der KSZE vorgenommen. Wie bereits oben erwähnt20, enthält das Prinzip II das Gewaltverbot so wie es Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta entspricht. Das Verbot der Zwangsmaßnahmen nichtmilitärischer Art enthält demgemäß das Prinzip VI (Nichteinmischung in innere Angelegenheiten). Entsprechend der Differenzierung des Prinzips II des OSZE-Dekaloges ist anerkannt, daß das Gewaltverbot sowohl die direkte als auch die indirekte Gewalt umfaßt. 21 Direkte Gewalt ist die Beeinträchtigung der Ausübung der Souveränität durch eigene Streitkräfte eines Staates, während indirekte Gewalt die Teilnahme eines Staates an fremder Gewalt bezeichnet, z. B. die Unterstützung bewaffneter Gruppen, die in das Territorium eines anderen Staates eindringen. 22 2. Verbot von "Gewaltmanifestationen"
Neben der Gewaltanwendung und -androhung verbietet das Prinzip II des Dekalogs auch die "Gewaltmanifestation, die den Zweck hat, einen anderen Teilnehmerstaat zum Verzicht auf die volle Ausübung seiner souveränen Rechte zu bewegen". Es erscheint unklar, worin der Unterschied zwischen der Gewaltandrohung und der Gewaltmanifestation besteht. Zunächst ist zu fragen, was eine Gewaltmanifestation bedeutet. Eine Manifestation ist üblicherweise eine Offenbarung oder Kundgebung eines bestimmten gedanklichen Inhalts. Im Zusammenhang von Gewalt kann dieses nur bedeuten, daß eine Offenlegung oder Zurschaustellung von Gewalt gemeint ist, die den Zweck hat, die Entscheidungsfreiheit eines Staates zu beeinträchtigen. Die Gewaltmanifestation ist also eine Nutzung von Streitkräften unterhalb der Schwelle der Androhung, d. h. des Inaussichtstellens der Anwendung militärischer Gewalt. Somit unterfallen der Gewaltmanifestation die konkludente Gewaltandrohung, aber auch bereits eine ungewöhnliche Truppenkonzentration an der Grenze zu einem anderen Staat, Bewegungen oder Manöver von Streitkräften. 23 Eine ähnliche Situation, die durch eine vorangegangene Rechtsverletzung Albaniens provozierte britische Flottenkonzentration vor der albanischen Küste, hatte 19 schlußempfehlungen der Helsinki-Konsultationen,
Abs. 20. Siehe zu den Schlußempfehoben l. Teil, l. Kapitel, B. I. 2. 0 1. Teil, I. Kapitel, C. I. 2. a bb (1). 21 Kipp, S. 412; lpsen §57, Rn. 12; Kelsen, UN, S. 798f.; Dahm, S. 357; vgl. IGH (Nicara~a-Fall) ICJ Rep. 1986, Abs. 104. 22Derpa, S. 18. 23 Die letzten beiden Situationen waren Gegenstand eines französischen Vorschlages hierzu, vgl. Neuhold in: Simma!Blenk-Knocke, S. 458. lun~en
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2. Teil: Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze
bereits der IGH im Korfukanal-Fan als völkerrechtswidrig bezeichnet. 24 Jedoch muß die Gewaltmanifestation gemäß dem Prinzip II immer zweckbezogen sein, d. h. den Zweck verfolgen, den anderen Teilnehmerstaat zum Verzicht auf die volle Ausübung seiner souveränen Rechte zu bewegen. Der Nachweis dieses subjektiven Elements dürfte in der Praxis jedoch Schwierigkeiten bereiten. Zumindest deckt die Berücksichtigung der Gewaltmanifestationen im Rahmen des Gewaltverbotes eine Grauzone zwischen der Androhung von Gewalt und der bloßen Bewegung von Streitkräften ab. 3. Verbot gewaltsamer Repressalie
Das Prinzip II des Dekalogs verbietet ferner die Anwendung einer gewaltsamen Repressalie. Eine Repressalie ist ein Eingriff in Rechtsgüter eines Staates, welcher den eingreifenden Staat in seinen völkerrechtlichen Rechten verletzt hat. Sie darf nur zu dem Zwecke erfolgen, den betroffenen Staat zur Wiedergutmachung seines gesetzten Unrechts zu bewegen. 25 Das allgemeine Gewaltverbot gern. Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta verbietet nach überwiegender Ansicht auch die militärische, d. h. die gewaltsame Repressalie, da diese im Gegensatz zur Notwehr nicht einen bestehenden Angriff abwehrt, sondern in ein anderes selbständiges Rechtsgut eingreift und der betroffene Staat wiederum dadurch veranlaßt werden kann, seinerseits eine militärische Gegenmaßnahme zu ergreifen.26 Aus diesem Wechsel von gewaltsamer Repressalie und Gegenmaßnahme des betroffenen Staates kann jedoch leicht ein Krieg entstehen. Auch die FRD sieht ein inhaltsgleiches Verbot jeglicher gewaltsamer "Vergeltungsmaßnahmen" vor. 27 Somit verbietet das völkerrechtliche Gewaltverbot in Übereinstimmung mit dem Dekalog der OSZE die gewaltsame Repressalie. Erlaubt bleibt jedoch die Selbsthilfe in Form der Notwehr und Nothilfe und die gewaltlose, d. h. nichtmilitärische Repressalie. 4. Problematik der physischen, nichtmilitärischen Gewalt
Auch die streitige Frage, ob unter den engen Gewaltbegriff der überwiegenden Ansicht zwar physische, aber auch nichtmilitärische Gewalt fällt,
24 IGH, ICJ Rep. 1949, S.33f. 25vgl. dazu Verdross/Simma, § 1342. 26statt vieler: Verdross/Simma, § 480. 27 6. Abs. des ersten Grundsatzes.
I.
Kapitel: Friedenssicherung
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wie von einigen Autoren vertreten wird28, hat die KSZE-Schlußakte in ihrem Prinzipienkatalog nicht entschieden. Diese Autoren nennen als Beispiel für eine solche Gewalt die grenzüberschreitende Vertreibung von Personen29 , die Abgrabung eines Flusses durch den Oberliegerstaat30, das Ablassen großer Wassermassen in ein Tal und die Verbreitung von Feuer über die Grenze31 sowie die Blockierung fremder Küsten oder Häfen und eine Landblockade, wie die Berliner Blockade von 194832. Nach anderer Ansicht wird die nichtmilitärische physische Gewaltanwendung bereits durch das Interventionsverbot und den Grundsatz der territorialen Integrität erfaßt, nicht jedoch durch das Gewaltverbot 33 Eine differenzierende Auffassung hält eine Gewaltanwendung i. S. des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta durch nichtmilitärische physische Gewalt dann als gegeben, wenn sie in ihrer Wirkung wie ein das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 UN -Charta auslösender bewaffneter Angriff wirkt. 34 Der Dekalog der Schlußakte und andere OSZE-Regelungen sehen hierzu keine ausdrückliche Regelung vor, jedoch ergibt sich aus dem Zusammenhang des Prinzipienkataloges, daß das Gewaltverbot wohl nur die militärische Gewalt zum Gegenstand hat. Die nichtmilitärische, aber physische Gewalt wird im Prinzip II (Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt) nicht erwähnt. Vielmehr erfaßt auch der Dekalog das Verbot nichtmilitärischer physischer Gewalt im Interventionsverbot des Prinzips VI (Nichteinmischung in innere Angelegenheiten), wo es heißt: "Sie werden sich gleichermaßen unter allen Umständen jeder militärischen wie auch politischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Zwangsmaßnahme enthalten, die darauf gerichtet ist, ihrem eigenen Interesse die Ausübung der Rechte eines anderen Teilnehmerstaates, die dessen Souveränität innewohnen, unterzuordnen und sich damit Vorteile irgendwelcher Art zu verschaffen:·35
28Kelsen/Tucker, S. 41 und 86; Oppenheim/Lauterpacht II, S. 197; Derpa, S. 25; Dahm, S. 357; einschränkendBrownlie, International Law, S. 36lf., der wirtschaftlichen Zwang nicht als Gewalt i. S. des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta ansieht. 29 Wengler, S. 7; Brownlie, International Law, S. 363. 3 Kipp, S. 400. 31 Brownlie, International Law, S. 363. 32oahm, S. 357; Brownlie, International Law, S. 376. 33Schröder, EPIL (7), S. 358 (358); so im Grundsatz auch Randelzhofer. Art. 2 Ziff. 4, Rn. 18 in: Simma, Charta der Vereinten Nationen. 34Randelzhofer, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 20 in: Simma, Charta der Vereinten Nationen. 35 Abs. 3 des Prinzips VI (Nichteinmischung in innere Angelegenheiten).
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2. Teil: Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze
Darüber hinaus würde die Anwendung nichtmilitärischer physischer Gewalt eine Verletzung des Prinzips IV (Territoriale Integrität der Staaten) bedeuten. 5. Bürgerkrieg und Gewaltverbot- Problematik des Eingriffs von Drittstaaten in interne Konflikte
Eine weitere Problematik, zu der auch der Dekalog der KSZE-Schlußakte Regelungen enthält, ist die Frage, ob das Eingreifen eines Staates in einen Bürgerkrieg eines fremden Staates dem Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta und dem Interventionsverbot widerspricht. Hierzu zeigen die Staatenpraxis, die Resolutionen und Regelungen völkerrechtlicher Institutionen sowie die Lehre ein uneinheitliches Bild, so daß man von einer weitgehend offenen Frage des Völkerrechts sprechen kann36 . a) Staatenpraxis
Die Staatenpraxis beurteilt die Zulässigkeil von Interventionen in Bürgerkriegen uneinheitlich. 37 Während sich insbesondere die USA auf die Ausübung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts gern. Art. 51 UNCharta berufen haben38, wurde von den sozialistischen Staaten und manchen Entwicklungsländern ein Rückgriff auf das Konzept des bel/um iustum 39 vorgenommen. Nach der sozialistischen Anschauung ist der interne Konflikt Ausdruck des Klassenkampfes. Daher bestehe nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur Unterstützung der unterdrückten Völker.40 Entwicklungsländer bezeichnen oft "nationale Befreiungskriege" als rechtmäßig, da ehemalige Kolonialvölker das Recht auf Selbstverteidigung
36vgl. Hacker, ROW 1987, S. 65 (70). 37 Beispiele: Truppenentsendung nach dem Libanon und Jordanien durch Großbritannien im Jahre 1948, sowjetischer Einmarsch in Ungarn 1958 gestützt auf ein Hilfeersuchen der ungarischen Regierung. Vgl. dazu Neuhold, Internationale Konflikte, S. 96f.; Wengler, Gewaltverbot, S. 33ff. undRandelzhofer, Art.2 Ziff. 4, Rn. 31, in: Simma, Charta der Vereinten Nationen. Ein jünjeres Beispiel ist der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Jahre 1979. 8vgl. Neuhold, Internationale Konflikte, S. 95 . 39 Dieses Konzept beruht im Besonderen auf der Lehre Thomas von Aquins (ca. 1225 bis 1274). Danach ist ein Krieg nur gerecht, wenn er zur Verteidigung gegen einen militärischen Angriff oder zur Verteidigung von Rechten gefilhrt wird. '!Ovgl. die Darstellung Schroeders, in: Maurach!Meissner, S. 178 (216f. ).
I.
Kapitel: Friedenssicherung
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hätten. Kolonialismus und die Vorenthaltung des Selbstbestimmungsrechtes seien eine permanente Aggression. 41 Ehemalige Kolonialvölker hätten daher nicht das Recht, rebellierende Gruppen zu unterstützen. 42
b) Lehre Auch in der Lehre ist diese Frage umstritten. Nach einer älteren Auffassung sind Drittstaaten berechtigt, in innerstaatliche gewaltsame Konflikte einzugreifen, wenn die Intervention zugunsten der "legalen" Regierung und auf Ersuchen oder nach Zustimmung der Regierung erfolgt. 43 Sogenannte "erbetene Interventionen" oder "Interventionen auf Einladung" seien demgemäß kein Verstoß gegen Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta. Diese Auffassung stellt daher auf die zeitliche Priorität der Regierung ab, da die "legale" Regierung demnach immer die ältere im Gegensatz zur von den Rebellen neu eingesetzte Regierung ist (sogenannte "Metternich-Legitimität"44). Die neuere Lehre kritisiert diese Auffassung. 45 Folge man der älteren Lehre so liege es allein im Ermessen der Drittstaaten, wer die legale Regierung sei, ob diese noch die ursprüngliche oder bereits eine neu eingesetzte Gegenregierung der Aufständischen darstelle. Ferner sei diese Auffassung wegen des Alleinvertretungsanspruchs der legalen Regierung unvereinbar mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. 46 Die Tatsache, daß es aufständische Bestrebungen gebe, zeige, daß die Regierung nicht mehr für das ganze Volk sprechen könne. Aus diesen Gründen ist nach dieser Auffassung eine gewaltsame Intervention eines Drittstaates gemäß dem Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta völkerrechtswidrig. Eine andere Extremposition nimmt der französische Völkerrechtler
Roger Pinto ein. Er hält es für zulässig, daß die Staaten frei wählen dür-
41Vgl. Neuhold, Internationale Konflikte, S. 94. 42vgl. Neuhold, Internationale Konflikte, S. 91. 43 Brownlie, International Law, 8.327.; Hacker, ROW 1987, S. 65 (70); Doehring in: FS fiir Grewe, S. 457f.; Oppenheim/Lauterpacht 11, S. 305; Rauschning, in: Schaumann, Völkerrechtliches Gewaltverbot, S. 86; Dahm, S. 357f.; Neuhold, in: ÖHBVR I Rn. 1360; Green, 66 RGDIP 1962, S. 5tf.; Giraud, 67 RGDIP 1963, S. 501 (540f.); Potter, 32 RdC 19304 S. 611 (655); Fitzmaurice 92 RdC (1957), S. 177-179; Garner, AJIL 1937, S. 66 (68). 4 Vgl. zum Begriff Friedmann, AJIL 1967, S. 776 (782). 45 Schachter, Mich. L. Rev. 82 (1983/84), S. 1620 (1641-1645); Akehurst, EPIL (3), S. 88 (90~.
Vgl. Neuhold, Internationale Konflikte, S. 96.
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2. Teil: Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze
fen, welche Partei sie in einem Bürgerkrieg unterstützen. 47 Diese Auffassung entspricht weitgehend der Staatenpraxis. 4 8 Eine vierte Ansicht favorisiert ein beschränktes Unterstützungsverbot. Sie nimmt bei der Beurteilung der Zulässigkeil von Interventionen in Bürgerkriege Differenzierungen hinsichtlich der Qualität des Eingriffs vor. Danach sei nur eine Intervention unterhalb der Schwelle der direkten oder indirekten Beteiligung an Kampfbandlungen durch eigene Streitkräfte oder Berater zulässig. 49 Die Unterstützung der rebellierenden Gruppen in anderen Formen als einer taktischen Unterstützung ("tactical support") ist demnach zulässig. Danach kann ein Staat Waffenlieferungen vornehmen und Ausbildung fremder Truppen durchführen. c) Resolutionen der UN-Genera/versammlung
aa) "Friendly Relations-Declaration" (FRD) Auch die FRD der UN-Generalversarnrnlung vorn 24. Oktober 1970~;o bestimmt im neunten Absatz des ersten Grundsatzes (Gewaltverbot), daß "(j]eder Staat die Pflicht [hat], die Organisierung, Anstiftung oder Unterstützung von Bilr· gerkriegs- oder Terroristenakten in einem anderen Staat oder die Teilnahme daran oder die Duldung organisierter Aktivitäten, die auf die Begehung solcher Akte gerichtet sind, in seinem Hoheitsgebiet zu unterlassen, wenn die in diesem Absatz erwähnten Akte die Androhung oder Anwendung von Gewalt einschließen".
Diese Regelung ist als ein absolutes Eingriffsverbot anzusehen. 51 bb) Deklaration über die Unzulässigkeil von Interventionen in innere Angelegenheiten eines Staates Auch die Interventions-Deklaration der UN-Generalversarnrnlung vorn 9. Dezember 1981 52 enthält Regelungen zu dieser Problematik. Dort heißt es:
41Pinto, RdC 1965, S. 455 (487ff.) 48so auch Neuhold, in: ÖHBVR, Rn. 1626. 49 Farer, Co1umbia L. Rev. 67 (1967), S. 266 (276); ders. Havard L. Rev. 82 (1969), S. 511 b532); Wildhuber, in: Schaumann, Völkerrechtliches Gewaltverbot, S. 162f. 5 Annex zu Res. 25/2625, deutscher Text in Sartorius II, Nr. 4 und VN 1978, S. 138. 51vgi.Hacker, ROW 1987, S. 65 (70). 52Res. 36/ 103, UNYB 1981, S. 147-149.
1. Kapitel: Friedenssicherung
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"The principle of non-intervention and non-interference in the intemal and extemal affairs of States comprehends the following rights and duties: ... (c) The duty ofa State to refrain from armed intervention, subversion, ... overt or covert, .... (e) The duty of a State to refrain from any action or attempt in whatever form or undcr whatever pretext to destabilize or to undermine the stability of another State or of any of its institutions; (f) The duty of a State to refrain from the promotion, encouragement or support, direct or indirect, of rebellious or secessionist activities within other States, ... (g) The duty of a State to prevent on its territory the training, financing or recruitment of mercenaries, or the sending of such mercenaries into the territory of another State ... (n) The duty of a State to refrain from organizing, training, financing and arming political and ethnic groups on their territories or the territories of other States for the purpose of creating subversion, disorder or unrest in other countries."
Somit gilt auch nach dieser Resolution der Generalversammlung das absolute Eingriffsverbot Jedoch ist zu beachten, daß alle Mitgliedsstaaten der EG sowie die USA und Kanada - im Gegensatz zur FRD - gegen diese Resolution gestimmt haben. Somit hat diese Deklaration nur beschränkte völkerrechtliche Bedeutung. cc) Resolution 45/151 Das Eingriffsverbot hat die UN-Generalversammlung in der Resolution 45/151 vom 18. Dezember 199053 betreffend die "Achtung der Grundsätze der nationalen Souveräntät und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten im Hinblick auf Wahlprozesse" bezüglich politischer Gruppen insbesondere während Wahlen konkretisiert. In Ziff. 5 des operativen Teils der Resolution heißt es: "Die Generalversammlung ... appelliert mit Nachdruck an alle Staaten, politische Parteien oder Gruppen weder zu finanzieren noch ihnen auf direkte oder indirekte Weise sonstige offene oder verdeckte Unterstützung zu gewähren und nichts zu tun, wodurch die Wahlprozesse in irgendeinem Land untergraben würden".
d) OSZE-Regeln
Die Regeln der OSZE verfolgen dagegen einen eigenen Weg. Die KSZE-Sch/ußakte sah zunächst kein absolutes Eingriffsverbot vor, sondern verbot lediglich die Hilfe an Aufständische, nicht aber an diejeni-
53offizielles Protokoll der 45. Tagung der UN-Generalversammlung, Beilage Nr. 49 (A/45/49), S. 308f.
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gen, die die "legale" Regierung unterstützen. 54 Dieses ist im Prinzip VI (Nichteinmischung in innere Angelegenheiten) geregelt, in dem es heißt: " ... werden sie [die Teilnehmerstaaten; Arun. des Verf.] sich unter anderem der direkten oder indirekten Unterstützung terroristischer Tätigkeiten oder subversiver oder anderer Tätigkeiten enthalten, die auf den gewaltsamen Umsturz des Regimes eines anderen Teilnehmerstaates gerichtet sind."
Diese OSZE·Regel entspricht daher der älteren Auffassung der Lehre, wonach lediglich eine "Intervention auf Einladung" der legalen Regierung zulässig ist, nicht dagegen eine Intervention, die gegen die momentane Regierung gerichtet ist. Jene Regelung erfuhr jedoch später durch das Kopenhagener Dokument der Konferenz über die Menschliche Dimension vom 29. Juni 198955 eine Änderung. In Abs. 6 des Dokuments heißt es: "Sie [die Teilnehmerstaaten; Arun. des Verf.] erkennen ihre Verantwortung an, in Übereinstimmung mit ihren Gesetzen, ihren internationalen Verpflichtungen . . . die durch den Willen des Volkes frei geschaffene demokratische Ordnung gegen Aktivitäten von Personen, Gruppen oder Organisationen zu verteidigen und zu schützen, die sich des Terrorismus oder der Gewalt zum Sturz dieser Ordnung oder der Ordnung eines anderen Teilnehmerstaates bedienen oder auf deren Anwendung nicht verzichten wollen" (Hervorhebung durch den Verf.).
Dieses bedeutet, daß die Teilnehmerstaaten zum einen die Qualität der zu schützenden Ordnung definiert haben und damit geregelt haben, gegen welche Regierung Umsturzversuche unzulässig sind. Die "legale" Regierung ist daher immer die, welche durch freie und demokratische Wahlen hervorgegangen ist, denn die Teilnehmerstaaten erklären in demselben Absatz, "daß der durch regelmäßige und unverfälschte Wahlen frei und gerecht zum Ausdruck gebrachte Wille des Volkes die Grundlage für die Autorität und Rechtmäßigkeit jeder Regierung bildet". 56 Dagegen bleibt die Aussage des Prinzipienkataloges der KSZE-Schlußakte hinsichtlich der Partei, die nicht bekämpft werden darf, bestehen, wonach allein die Unterstützung des Umsturzes des Regimes eines anderen Teilnehmerstaates, damit die Unterstützung Aufständischer, nicht jedoch die der Regierung unzulässig ist. Die Regierung muß dabei jedoch den oben erörterten Voraussetzungen entsprechen. Um einen Widerspruch die· ser beiden Regelungen zu vermeiden, müssen daher Umstürze oder Umsturzversuche gegen nicht "legale" - also undemokratische - Regie54 Vgl. dazu Hacker, ROW 1987, S. 65 (70); Neuhold, Internationale Konflikte, S. 42f. 55vgl. dazu oben 1. Teil, 2. Kapitel, F. VI. 56 Vgl. näher zum Grundsatz der demokratischen Legitimität der Regierung unten IV. 2. a.
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rungen im Sinne der OSZE-Definition als zulässig betrachtet werden. Damit ist auch die Unterstützung solcher Bestrebungen zulässig. In Ergänzung dieser Grundsätze haben die Teilnehmerstaaten im Moskauer Dokument der Konferenz über die Menschliche Dimension folgerichtig "vorbehaltlos" die "Kräfte" verurteilt, "die bestrebt sind, gegen den in freien und fairen Wahlen zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes und im Widerspruch zur rechtmäßig geschaffenen Verfassungsordnung eine parlamentarische Regierung eines Teilnehmerstaates zu entmachen". 57
Nach den OSZE-Regeln ist daher nicht nur die Unterstützung des Umsturzes oder eines Putsches einer frei und demokratisch gewählten Regierung unzulässig, vielmehr sollen die Teilnehmerstaaten "im Falle eines durch undemokratische Mittel herbeigeführten oder versuchten Sturzes einer rechtmäßig gewählten Regierung eines Teilnehmerstaates die rechtmäßigen Organe dieses Staates, die für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeil stehen, mit großem Nachdruck unterstützen, um ihrer gemeinsamen Verpflichtung nachzukommen, sich jeglichem auf eine Verletzung dieser Grundwerte abzielenden Versuch entgegenzustellen".
Die OSZE stellt daher weder auf die bloße zeitliche Priorität der "legalen" Regierung ab noch erklärt sie jeden Eingriff für zulässig. Sie beurteilt die Zulässigkeil eines Eingriffs vielmehr anband der Legitimität der Regierung. Entspricht diese den vorgenannten OSZE-Grundsätzen, so ist diese zu unterstützen, Umsturzversuche dagegen zu verurteilen und dementsprechend nicht zu unterstützen. Gewaltsame Interventionen in fremden Staaten, die über keine demokratisch gewählte Regierung verfügen, mit dem Ziel, eine solche durch freie Wahlen zu ermöglichen, sind jedochauch unter Geltung der OSZE-Regeln - entgegen manchen Stimmen in der Literatur nicht zulässig. 58 Die OSZE-Vereinbarungen zu dieser Problematik entsprechen damit nicht der völkerrechtlichen Lage. Danach darf nämlich beispielsweise eine Regierung auch dann anerkannt werden (und damit auch eine erhebliche Unterstützung erfahren), wenn sie irregulär oder verfassungswidrig, also auch undemokratisch an die Macht gelangt ist. 59
57 Abs. 17.I des Moskauer Dokuments über die Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE, vgl. dazu oben l. Teil, 3. Kapitel, D. VI. 58Dazu ausführlicher unten, wo die Zulässigkeil "demokratischer Interventionen" erörtert wird, IV., 4., b). 59vgl. Bindschedler, AVR, Bd.9 (1961162), S. 377 (384).
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2. Teil: Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze
6. Anwendbarkeit des OSZE-Gewaltverbotprinzips auf innerstaatliche Konflikte
Fraglich ist weiterhin, ob die Regeln des Prinzipienkataloges der KSZESchlußakte, insbesondere das Gewaltverbot (Prinzip I) und das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen (Prinzip III) auch auf innerstaatliche Konflikte anwendbar sind. Diese Frage wurde anläßlich des Konflikts zwischen den Republiken des ehemaligen Jugoslawiens am 9. August 1991 während der Beratungen des Ausschusses Hoher Beamter in Prag kontrovers diskutiert60 und wird auch in zukünftigen innerstaatlichen Konflikten im OSZE-Gebiet Bedeutung haben. 6 1 Der Text des Dekalogs enthält dazu lediglich die Aussage, daß "[d]ie Teilnehmerstaaten .. . sich in ihren gegenseitigen Beziehungen sowie in ihren internationalen Beziehungen im allgemeinen der Androhung oder Anwendung von Gewalt, die gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit irgendeines Staatees gerichtet ... ist, enthalten (werden]". 62
Ferner heißt es in Prinzip III (Unverletzlichkeit der Grenzen): "Die Teilnehmerstaaten betrachten gegenseitig alle ihre Grenzen sowie die Grenzen aller Staaten in Europa als unverletzlich und werden deshalb jetzt und in der Zukunft keinen Anschlag auf diese Grenzen verüben. Dementsprechend werden sie sich auch jeglicher Forderung oder Handlung enthalten, sich eines Teiles oder des gesamten Territoriums irgendeines Teilnehmerstaates zu bemächtigen."
Daraus ist ersichtlich, daß die OSZE-Prinzipien nach dem Wortlaut ausschließlich auf die zwischenstaatlichen Beziehungen, nicht aber auf interne Konflikte der Teilnehmerstaaten Anwendung finden. Das Vorbringen eines Teilnehmerstaates, ein anderer Teilnehmerstaat verstoße, wenn er gewaltsam gegen Sezessionsbestrebungen vorgeht, gegen das Gewaltverbot und das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen, kann sogar vielmehr selbst eine Verletzung des Prinzips VI (Nichteinmischung in innere Angelegenheiten) darstellen, da innerstaatliche Konflikte grundsätzlich zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören.63
60vgl. F.A.Z. vom 10. August 1991. 61 Zu denken ist etwa an die zentralasiatischen Staaten der GUS, aber auch an manche europäische Regionen. 62 Abs. I des Prinzips I (Gewaltverbot). 63 Vgl. zu der entsprechend gleichen völkerrechtlichen Beurteilung Bindschedler, AVR 9 (1961/62), s. 377 (384).
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a) Völkerrechtliche Lage
Die völkerrechtliche Lage entspricht zunächst der Textaussage der KSZE-Schlußakte. Nach einhelliger Auffassung gilt das Gewaltverbot grundsätzlich nicht in inneren Konflikten mit Aufständischen. 64 Im Rahmen dieser Untersuchungen soll aber in Erwägung gezogen werden, ob und inwieweit völkerrechtliche Grundsätze auf innerstaatliche Konflikte Anwendung finden, wenn diese Konflikte zwischen autonomen Republiken eines Bundesstaates wie z. B. dem ehemaligen Jugoslawien oder in ähnlichen Situationen bestehen. Anerkannt ist, daß, sobald Aufständische ein befriedetes de facto-Regime errichtet haben65 oder als kriegführende Macht anerkannt sind66, dieses Gebilde unter die Geltung des Völkerrechtes fällt. Dieses Ergebnis wird durch die FRD bestätigt, wonach das Gewaltverbot auch hinsichtlich Demarkationslinien und Waffenstillstandsgrenzen gilt. Im ersten Grundsatz Abs. 5 der FRD heißt es: "Ebenso hat jeder Staat die Pflicht, jede Androhung oder Anwendung von Gewalt zum Zweck der Verletzung internationaler Demarkationslinien wie Waffenstillstandslinien, die vermittels oder auf Grund eines internationalen Abkommens erichtet sind, dessen Vertragspartei der betreffende Staat ist oder das er anderweitig zu achten verpflichtet ist, zu unterlassen. Dies darf nicht als Präjudiz filr die Haltung der Vertragsparteien in bezug auf den Status und die Auswirkungen solcher Linien nach den eigens hierfilr getroffenen Regelungen oder als Beeinträchtigung ihres zeitweiligen Charakters ausgelegt werden."
De facto-Regime weisen Parallelen zu ursprünglich autonomen Republiken eines Bundesstaates auf, die sich jedoch für souverän erklärt haben und sich nun als Staaten betrachten, die allerdings nicht von der Staatengemeinschaft als Völkerrechtssubjekte anerkannt sind. Beide verfügen über ein eigenes Territorium, auf dem sie die Verwaltung, d. h. die Gewalt ausüben. Es fragt sich, ob diese "Staaten" gegen Angriffe des "Mutterstaates" durch das Gewaltverbot und das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen geschützt sind. Untersucht werden muß dafür zunächst die Frage, wann ein Gebilde als Staat unter die Geltung des Völkerrechts fällt und ob dieses für das Verhindern eines gewaltsamen Konflikts ausreicht. Ist dieses nicht der Fall, so ist zu klären, ob auch ein quasistaatliches, auf dem Gebietsteil ei64 verdross!Simma, § 405f. und § 468; Berber II, S. 42; Dahm, S. 358; Doehring, in FS Grewe, S. 44S (454); Kelsen!Tucker, S. 412. 65 Frowein, S. 35 und S. 66; Schind/er, Berichte DGVR, S. 29f.; Randelzhofer zu Art. 2 Ziff. 4, Rn. 29, in: Simma, Charta der Vereinten Nationen; Neuhold, Internationale Konflikte, S. 90; Wengler, Gewaltverbot, S. 32.; ders. FW 51 (1951153), S. 113 (124-126); Wright, AJIL 50 ~1956), S. 514 (S24f.); Brownlie, International Law, S. 380; Lombardi, S. 51. 6 Kelsen!Tucker, S. 252f.; Dahm, S. 358.
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nes Staates bestehendes Gebilde, das noch kein Staat im völkerrechtlichen Sinne ist, dem Völkerrecht und damit dem Schutze des Gewaltverbotes unterliegt. aa) Anknüpfungspunkt völkerrechtliche Staatsqualität Stellt man darauf ab, ob ein Gebilde für die Unterworfenheil unter das Völkerrecht Staatsqualität haben muß, so hängt die Beurteilung dieser Frage zunächst davon ab, ob ein Staatsgebilde, das zwar in tatsächlicher Weise besteht, erst dann als Staat unter die Geltung des Völkerrechts fällt, wenn es durch andere Staaten anerkannt ist (so die konstitutive Theorie zur Anerkennung von Staaten) oder ob dieses unabhängig von der völkerrechtlichen Anerkennung geschieht (so die deklaratorische Theorie).67 Nach der konstitutiven Theorie erwirbt ein Staat, d. h. ein Gebilde, welches gemäß der Jellinek'schen Drei-Elementen-Lehre über ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet und eine effektive Staatsgewalt verfügt, erst durch dessen Anerkennung Völkerrechtsfähigkeit, und zwar jeweils allein im Verhältnis zum anerkennenden Staat. 68 Teilweise erkennen Vertreter dieser Theorie aber zugleich bei Vorliegen der drei Elemente eine völkerrechtliche Pflicht der Anerkennung.69 Nach der deklaratorischen Theorie hingegen wird der Staat bereits durch sein Entstehen gemäß der Drei-Elementen-Lehre Völkerrechtssubjekt, ohne daß es einer Anerkennung durch andere Staaten bedarf. Allein das Vorliegen der Voraussetzungen eines Staatsgebietes, eines Staatsvolkes und einer effektiven Staatsgewalt reicht danach aus. Eine Anerkennung habe daher lediglich deklaratorischen Charakter. 70 Die überwiegende, vermittelnde Meinung in Übereinstimmung mit der Staatenpraxis nimmt mit Recht an, daß die Anerkennung sowohl deklaratorischen als auch konstitutiven Charakter hat. 71 Deklaratorisch ist danach die Anerkennung hinsichtlich der Tatsache, daß ein Staat bereits durch sein Entstehen Völkerrechtssubjekt wird und daher allein noch die Völkerrechtsfähigkeit der Staaten festgestellt werden kann. Eine Anerkennung 67 Vgl. die entsprechenden Nachweise bei Verdross, Völkerrecht, S. 246. 68vgt. jeweils die Darstellung mit Nachweisen bei Verdross, Völkerrecht, S. 246 und TiChiang Chen, § I, S. 13-15. 69 Lauterpacht, Recognition in International Law, § 2, S. 6, § 7, S. 12ff., § !Off., 26ff. 70Ti-Chiang Chen, S. 38 71 Fitzmaurice, 92 RdC (1957), S. 5 (26-29); Kelsen/Tucker, S. 397f.; Bindschedler, AVR 9 (196 1162), S. 377 (380f.); Verdross/Simma, § 962.
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dieses Inhalts wird auch de facto-Anerkennung genannt, da Staaten einen Neustaat oft erst vorläufig anerkennen, weil sie erst feststellen wollen, ob der Bestand des Staates als gesichert gelten kann. Konstitutiv ist dagegen die Anerkennung dadurch, daß sie die Bereitschaft eines Staates regelt, diplomatische Beziehungen mit dem neu entstandenen Staat aufzunehmen. 72 Diese wird auch de jure-Anerkennung genannt. 73 Meist fallen diese Akte aber in einem einzigen Akt der "Anerkennung" zusammen. Es ist also davon auszugehen, daß Staaten bereits mit ihrer Entstehung an das Gewaltverbot gebunden sind und damit auch durch dieses geschützt sind. Nur diese Theorie wird dem Selbstbestimmungsrecht der Völker gerecht, die in einem neuen Staat zu leben beschlossen haben, und sie stimmt mit der Staatenpraxis überein. bb) Geltung des Völkerrechts für Staaten in statu nascendi Allerdings ist die oben vorgenommene Beurteilung nur dann so einfach zu treffen, wenn bereits feststeht, daß ein neuer Staat entstanden ist. Insbesondere im Falle einer Sezession ist es aber zweifelhaft, ob ein Teilgebiet eines Gesamtstaates bereits über eine effektive Staatsgewalt verfügt. Zumindest würde der Mutterstaat dieses bezweifeln. Oft wendet der Mutterstaat Gewalt an, um die Vollendung des Unabhängigkeitsprozesses zu verhindern. In einem solchen Fall führen auch die oben genannten Theorien nicht weiter, da gerade die Kriterien, anband derer die Theorien die Völkerrechtsfahigkeit eines Staates beurteilen, dann unklar sein können. Solange es aber unklar ist, ob ein neuer Staat entstanden ist, es sich also nur um einen Staat in statu nascendi handelt, bleibt die Anwendbarkeit des Völkerrechts und damit des Gewaltverbotes fraglich. Es muß daher untersucht werden, ob das Gewaltverbot auch für solche Gebilde gilt. Zu beachten ist, daß dabei zwei Prinzipien des Völkerrechts im Widerspruch zueinander stehen: Auf der einen Seite ist dieses das Recht eines Staates, seine Einheit zu erhalten, auf der anderen Seite die Pflicht, den Frieden zu bewahren. In der völkerrechtlichen Literatur wird, wie bereits erwähnt, die Ansicht vertreten, daß unabhängig von der Staatsqualität und deren Anerkennung- befriedete de facto-Regime den Schutz des Gewaltverbotes auch gegenüber dem Mutterstaat genössen.74 Begründet wird 72 Seidl-Hohenfeldern, Rn. 648-652; Verdross!Simma, § 963. 73 Verdross!Simma, § 963. 74Frowein, S. 66; Verdross!Simma, § 405; vgl. oben a. 13 Bortloff
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dieses mit dem Sinn und Zweck des Gewaltverbotes. Es diene auch als faktischer Besitzschutz hinsichtlich des beherrschten Territoriums. 75 Voraussetzung dafür sei, daß man von einem befriedeten de facto-Regime sprechen könne, welches eine faktisch internationale Stellung einnehme. 76 Eine solche Stellung habe ein Staatengebilde dann, wenn es eine effektive Unabhängigkeit von dem Mutterstaat genieße und internationale Beziehungen unterhalte. In einer solchen Situation ziele eine Gewaltanwendung des Mutterstaates nicht mehr auf die Erhaltung des Status quo im Innern, sondern auf die Erweiterung des faktischen Hoheitsbereichs hinsichtlich des beanspruchten, aber faktisch verlorenen Gebietsteiles. 77 Diese Sachlage sei jedoch dann nicht gegeben, solange noch ein Bürgerkrieg herrsche, d. h. solange die Unabhängigkeit gerade erst noch durch Gewalt gegen den Mutterstaat hergestellt werden müsse. In diesem Falle der Rebellion des Gebietsteiles habe der Mutterstaat das Recht, diese zu unterbinden. Dabei ist nicht zu übersehen, daß die Abgrenzung der Situation der Rebellion und des Bürgerkriegs von der der befriedeten Lage mit hergestellter Unabhängigkeit Schwierigkeiten bereiten kann. Auch die Staatenpraxis läßt zuweilen darauf schließen, daß Gewalt gegen befriedete de facto-Regime als ein Verstoß gegen das Gewaltverbot bewertet wird.78 Wengier stellt fest, daß 1960 die beiden vietnamesischen Teilstaaten an der Einheit des Gesamtstaates festhielten. Die USA haben deren Völkerrechtsfähigkeit zeitweise bestritten und trotzdem Nordvietnam der Verletzung des Gewaltverbotes bezichtigt. 79 Schließlich unterstützt auch die Definition der Aggression gemäß der Resolution der UN-Generalversammlung vom 14. Dezember 197480 diese Ansicht. Zunächst wird der Begriff der Aggression definiert: "Aggression is the use of arrned force by a State against the sovereignty, territorial integrity or political independence of another State, or in any other manner inconsistent with the Charter of the United Nations, as set out in this definition."
Sodann wird klargestellt, daß eine Anerkennung als Staat nicht erforderlich ist, um in den Genuß des Schutzes des Aggressionsverbotes zu kommen:
75 Brownlie, International Law, S. 382f.; Frowein, S. 53; Kelsen!Tucker, S. 253. 76Frowein, S. 52. 77Frowein, S. 53. 78 Vgl. Frowein, S. 54f. 79 wengler, Gewaltverbot, S. 34; weitere Nachweise bei Frowein, S. 56. 80Text: UNYB 1974, S. 846-848.
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"In this defintion the terrn ,State': {a) Is used without prejudice to questions ofrecognition or to whether a State is a Member ofthe United Nations".
Der Rechtsgedanke des Art. 3 der Genfer Übereinkommen zum Schutze der Kriegsgefangenen81 und der Zivilbevölkerung82 spricht ebenfalls für diese Lösung. 83 Er schreibt die Beachtung eines Mindeststandarts an Menschenrechten auch in nicht internationalen Konflikten vor. Art. 3 lautet: "Im Falle eines bewaffiteten Konflikts, der keinen internationalen Charakter hat und auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht, ist jede der am Konflikt beteiligten Parteien gehalten, mindestens die folgenden Bestimmungen anzuwenden: ... "
Daraus ergibt sich, daß auch in nichtinternationalen Konflikten gewisse grundlegende Regeln des Völkerrechts gelten. Wenn die Geltung des Völkerrechts für befriedete Regime von Aufständischen besteht, so stellt sich die Frage, ob dieses nicht erst recht für Regime gelten muß, die niemals Gewalt angewendet haben, sondern allein den ernsthaften Willen haben, sich von ihrem Mutterstaat zu lösen. Dafür spricht, daß das Herstellen einer Einigkeit über das Vorliegen der Voraussetzungen der Staatsqualität eines Gebildes zu ungewiß ist und der Bedeutung des Gewaltverbotes nicht gerecht wird. Um dem Gewaltverbot volle Geltung zu verschaffen, muß dieses auch in den Stadien gelten, in denen ein Gebilde möglicherweise nicht alle Voraussetzungen eines Staates erfüllt oder zumindest Streit über deren Vorliegen besteht, aber bereits über einen befriedeten Herrschaftsbereich verfügt. 84 Nur auf diese Weise besteht die Möglichkeit, das Gewaltverbot effektiv durchzusetzen. Zwar soll der Mutterstaat im Grundsatz die Möglichkeit haben, auf eine Rebellion eines seiner Teilstaaten auch gewaltsam zu reagieren. Dieses gewaltsame Vorgehen des Mutterstaates kann jedoch nur zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung führen an deren Ende dann ein befriedeter Teilstaat, somit ein befriedetes de facto-Regime steht, welches erst dann nach dem Völkerrecht unter dem Schutze des Gewaltverbotes stünde. Diese Lösung würde aber dem Sinn und Zweck des Gewaltverbotes widersprechen. Das Gewaltverbot will ja gerade eine kriegerische Auseinandersetzung verhindern. Nach der oben dargestellten Konsequenz wäre aber 81 UNTS Bd. 75, S. 135tf.; BGBI. 1954 II S. 838. 82UNTS Bd. 75, S. 287tf.; BGBI. 1954 II, S. 917 und 1956 II, S. 1586. 83Vgl. Wengler, Gewaltverbot, S. 36. 84 so auch Wengler, Gewaltverbot, S. 33 und Brownlie, Principles, S. 79f., jedoch auch lediglich für den Fall, in dem ein Staat nach vorangegangener Gewaltanwendung im Entstehen begriffen ist.
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eine solche erforderlich, um das Teilgebiet unter den Schutz des Gewaltverbotes zu stellen. Dieses Dilemma zwischen dem völkerrechtlich geschützten Interesse des Gesamtstaates an der Erhaltung seiner Integrität und dem Gewaltverbot bedarf daher einer Lösung. Dabei ist zu berücksichtigen, daß nicht nur das Gewaltverbot, d. h. die Friedenssicherung in Abwägung mit dem Integritätsinteresse des Zentralstaates zu bringen ist. Wie vergangene Beispiele zeigen, ist die angestrebte Sezession eines Teilstaates gleichzeitig die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes eines Volkes.85 Entscheidend ist aber nach hergebrachtem Völkerrecht für die Beurteilung der Staatsqualität allein die faktische Herrschaftsausübung. Papiergründungen reichen nicht aus. Der Teilstaat, der sich abspalten möchte, muß bereits über die Fähigkeit verfügen, effektiv seine Herrschaft über sein Gebiet auszuüben. Ferner muß erwartet werden können, daß er in Zukunft wirksam seine auswärtigen Beziehungen pflegen kann. Auf demokratische Legitimität kommt es nicht an. Die völkerrechtliche Beurteilung wird grundsätzlich unabhängig von der Art des Entstehens der faktischen Herrschaft vorgenommen. 86 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bildet dagegen allein die Ausübung der Herrschaft, welche völkerrechtswidrig zustande gekommen ist. Nach dieser sogenannten "Stimson-Doktrin" haben Gebietsgewinne, die gegen das Gewaltverbot vorgenommen wurden, keinen rechtlichen Bestand. 87 Jene Theorie soll an dieser Stelle kurz erläutert werden, da sie eine negative Voraussetzung für die Anerkennung von Staaten aufstellt. Aufbauend auf der amerikanischen Ostasienpolitik der USA in den 30er Jahren hat sich dieser Grundsatz heute als Völkergewohnheitsrecht herausgebildet. 88 Damals erklärten die USA durch ihren Außenminister Stimson am 7. Januar 1932 in zwei gleichlautenden Noten an Japan und China, daß sie nicht gewillt seien, Einschränkungen der Unabhängigkeit und der territorialen Integrität Chinas wegen der Errichtung Manschukous unter Verletzung des Briand-Kellogg-Paktes anzuerkennen. 89 Dieser Gedanke fand dann später Eingang in eine entsprechende Entschließung der Völkerbundversammlung vom 11. März 1932. 90 In der Charta der Vereinten Nationen ist der Grundsatz nicht kodifiziert. Jedoch wurde er in
85 so hatte Slowenien am 23. Dezember 1990 eine Volksabstimmung durchgefilhrt, bei der sich die absolute Mehrheit filr die Unabhängigkeit aussprachen. Auch Kroatien stimmte am 25. Juni 1991 mit 94 % filr die Unabhängigkeit. 86 Dahm/Delbrück!Wolfrum, S. 133. 87Meng, EPIL (4) S. 230; Kelsen!Tucker, S. 415; Dahm/Delbrück!Wolfrum , S. 361. 88Dahm/Delbrück!Wolfrum, S. 361f. 89vgl. dazu den Text der Noten in: Meng, EPIL (4), S. 230f. 90siehe auch hier Meng, EPIL (4), S. 231.
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Kapitel: Friedenssicherung
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der FRD 91 und der Deklaration über die Definition des Aggressionsbegriffs92 niedergelegt. Auch die Staatenpraxis und die Praxis der Vereinten Nationen entsprechen weitgehend diesem Grundsatz. 93 So haben der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Annexion der Goian-Höhen durch Israel als völkerrechtswidrig verurteilt. Die Besetzung dieses Gebietes sei null und nichtig und ohne völkerrechtliche Wirkung. 94 Im Sinne der StimsonDoktrin hat der Sicherheitsrat sich eindeutiger in einer Resolutionen zum Jugoslawien-Konflikt geäußert. Es heißt dort: "Der Sicherheitsrat, . . . bekräftigt nachdrücklich seinen Aufruf an alle Parteien . .. , die territoriale Unversehrtheil der Republik Bosnien und Herzegowina strengstens zu achten, und erklärt, daß keine einseitig ausgerufenen Gebilde und keine unter Verletzung dieser Unversehrtheil durchgesetzte Regelung anerkannt werden...95 Die Geltungskraft der Stimson-Doktrin resultiert aber nicht nur aus der Tatsache, daß diese mittlerweise völkergewohnheitsrechtliche Qualität erlangt hat. Vielmehr ist sie Ausfluß des Gewaltverbotes, also einer Norm des ius cogens. Staaten, die das Ergebnis eines Verstoßes gegen das Gewaltverbot anerkennen würden, unterstützten damit gleichzeitig den Völkerrechtsverstoß. Daher sind auch solche Anerkennungen völkerrechtswidrig. 96 Die Stimson-Doktrin ist auch Teil des OSZE-Normbestandes. Im Prinzip IV (Territoriale Integrität der Staaten) heißt es dazu: "Die Teilnelunerstaaten werden ebenso davon Abstand nehmen, das Territorium eines jeden anderen Teilnelunerstaates zum Gegenstand einer militärischen Besetzung oder anderer direkter oder indirekter Gewaltmaßnalunen unter Verletzung des Völkerrechts oder zum Gegenstand der Aneignung durch solche Maßnalunen oder deren Androhung zu machen. Keine solche Besetzung oder Aneignung wird als rechtmäßig anerkannt werden." Die Stimson-Doktrin kann aber nicht die einzige Ausnahme von dem Grundsatz sein, daß allein die faktische Herrschaft für das Entstehen eines 91 2. Grundsatz, I 0. Abs., Satz 3: "Ein durch Androhung oder Anwendung von Gewalt vollzogener Gebietserwerb darf nicht als rechtmäßig anerkannt werden." 92Art. 5 Abs. 3, Annex zur Res. 29/3314 vom 14. November 1974, UNYB 1974, S. 846848. 93 Dahm!Delbrück/Wolfrum, S. 363. 94 Res. 497 vom 17. Dezember 1981, in: Harttung, Documents ofthe Arab-lsrael Conflict, S. 138f. 95Res. 787 (1992) vom 16. November 1992, Text: VN 1992, S. 220f. In den Res. 752 (1992) vom 15. Mai 1992 und 757 (1992) vom 30. Mai 1992 kam dieses noch nicht ganz so klar zum Ausdruck. 96 so auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, S. 363 und Meng, EPIL (4), S. 230 (232).
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2. Teil: Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze
Staates und damit für die Anwendbarkeit des Völkerrechts ausreicht. Verhindert einerseits die Stirnson-Doktrin die Anerkennung von Staaten, die unter Verletzung des Völkerrechts entstanden sind, so sollte andererseits der Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker die Anwendung des Völkerrechts auf Gebilde gebieten, die sich in einem Übergangsstadium vorn Teilstaat zum Staat als Völkerrechtssubjekt befinden. Das Selbstbestimmungsrecht wird überwiegend wie das Gewaltverbot als ius cogens angesehen. 97 Wird das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes, das innerhalb eines anderen Staates lebt, grob verletzt, so hat das Volk das Recht der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts. Dieses kann auch zur Sezession führen. 98 Wenn in einer Volksabstimmung eine Mehrheit der Bevölkerung eines Teilstaates für eine Sezession stimmt, so spricht dieses für ein Zurücktreten des Integritätsinteresses des Zentralstaates, zumindest für ein Zurücktreten des Interesses, die Integrität mit Gewalt zu erhalten. Auch spricht dieses angesichts der Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Völker dafür, daß die Staaten die Pflicht haben, diesen dann neu gebildeten Staat anzuerkennen. Eine Ignorierung würde dem Gebot des Art. 1 Ziff. 2 UN-Charta widersprechen. Wie der Unabhängigkeitsprozeß im Falle Guinea-Bissaus gezeigt hat, vermag der Stellenwert des Selbstbestimmungsrechts in der Staatenpraxis die Bedeutung der Effektivität der Regierungsgewalt im Rahmen eines Staatswerdungsprozesses zurückzudrängen. 99 Damals hatte die UN-Generalversarnmlung im Jahre 1973 die Unabhängigkeit Guinea-Bissaus zu einem Zeitpunkt festgestellt, zu dem der ausgerufene Staat noch über keine effektive Herrschaftsgewalt verfügte. 100 Dieses geschah insbesondere unter dem damaligen Verständnis des Selbstbestimmungsrechts als Instrument des Antikolonialismus. Das Selbstbestimmungsrecht verleiht bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen der Friedensbewahrung einerseits und dem Interesse an der notfalls gewaltsamen Sicherung der Einheit des Staates andererseits der Geltung des Gewaltverbotes mehr Gewicht. Entscheidend für ein Zurücktreten des Integritätsinteresses des Gesamtstaates ist daher das Selbstbestimmungsrecht des Volkes. Wenn ein Volk, welches in einem Teilstaat lebt, in Übereinstimmung mit dem Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker für seine Unabhängigkeit stimmt, so muß eine Gewaltanwendung zur Erhaltung des Gesamtstaates unzulässig sein. Voraussetzung dafür ist aber, daß Bedingungen vorliegen, die zu einer Ausübung des Selbstbestimmungsrecht in Form der Sezession berechtigen. Dies ist im Falle von Minderheiten in einem Staat nur dann der 97 vgl. unten IV. I. a. 98 Hier istjedoch vieles umstritten und unklar, siehe unten IV. l. b dd. 99 crawford, BYIL 1976177, S. 161 ; Verdross/Simma, § 385. 100 Siehe dazu Verdross/Simma, § 384.
I. Kapitel: Friedenssicherung
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Fall, wenn grobe und spezifische Minderheitenrechte verletzt werden.IOI Diese grobe Verletzung des Selbstbestimmungsrechts durch den dominierenden Gesamtstaat ist Voraussetzung, da andernfalls die Bereitschaft von Staaten, in denen Minderheiten leben, gehemmt wird, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen über das interne Selbstbestimmungsrecht der Minderheiten eine weitgehende Autonomie zuzugestehen, etwa in Form einer eigenen Provinz, eines Bezirks oder einer Teilrepublik. Die Gewährung von Autonomie hat zudem meist zur Folge, daß eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts durch den Gesamtstaat, die zur Sezession berechtigen würde, kaum noch möglich ist, da die Minderheit kraft ihrer Autonomie wichtige Regelungen selbst bestimmen kann. Insofern bedingt die Autonomiegewährung, daß Gründe für eine Sezession gar nicht erst entstehen. Im Falle eines solchen Konflikts muß der Zentralstaat aber den zunächst innerstaatlichen - Konflikt durch eine Verhandlungslösung beilegen oder Zwang unterhalb der Schwelle der Gewalt anwenden. Ein solcher Zwang ist gerade im Falle der Sezession eines Teilstaates sehr effektiv, da dieser in der Regel auf die uneingeschränkte wirtschaftliche Verbindung mit dem Gesamtstaat angewiesen ist. Militärische Gewalt kann erst dann zulässig sein, wenn der Teilstaat das Territorium anderer Teilstaaten beansprucht und dieses unter seine Herrschaft bringen will. In diesem Falle ist der faktische Besitzschutz anderer Teilstaaten betroffen. Nach der oben festgestellten völkerrechtlichen Lage ist somit das Gewaltverbot auch auf innerstaatliche Konflikte nur dann anwendbar, wenn sich befriedete de facto-Regime gebildet haben. Nach der hier vertretenen Auffassung gilt das Gewaltverbot auch ohne vorangegangene Befriedung nach Kampfhandlungen des vom Mutterstaat losgelösten Teilstaates, wenn dieser lediglich sein Territorium beansprucht und die Loslösung auf dem Selbstbestimmungsrecht des dort lebenden Volkes beruht. Schutzobjekte des Gewaltverbotes dürfen daher nicht nur Staaten sein. Vielmehr muß der Schutzbereich des Gewaltverbotes sachlich ausgeweitet werden: Auch staatsartige Gebilde, d. h. Quasi-Staaten müssen den Schutz des Gewaltverbotes genießen, andererseits auch selbst daran gebunden sein. Dieses ist insbesondere bei Gebilden der Fall, die ursprünglich Teilrepubliken eines Gesamtstaates waren. Dieses war z. B. im Falle Sloweniens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas und ist momentan bei einigen Teilrepubliken innerhalb der Mitgliedsstaaten der GUS der Fall. Danach wird die Geltung des Gewaltverbotes auf zunächst innerstaatliche Konflikte ausgeweitet. Hauptgrund dafür ist, daß die Ungleichbehandlung befriedeter de facto-Regime mit Teilstaaten eines Gesamtstaates ungerecht101 Siehe zu den Minderheitenrechten oben IV. 2. c.
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2. Teil: Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze
fertigt ist. Teilstaaten sind nicht mit aufständischen Gruppen zu vergleichen, die nicht über Verwaltungsstrukturen und eine Herrschaftsstruktur bzgl. eines Territoriums verfügen. Teilstaaten sind darüber hinaus in der Lage, innerhalb kürzester Zeit effektive auswärtige Beziehungen aufzunehmen und damit als Staat Völkerrechtssubjekte zu werden. b) OSZE-Aussagen zu dieser Problematik
Da das OSZE-Gewaltverbot inhaltlich im Grundsatz dem völkerrechtlichen Gewaltverbot entspricht, gilt das für die völkerrechtliche Lage Ausgeführte so grundsätzlich auch für die OSZE-Beurteilung. Zu untersuchen ist aber, ob die Anwendbarkeit des Gewaltverbotes auf innerstaatliche Konflikte unter der Voraussetzung, daß ein de facto-Regime im oben genannten Sinne eines Teils eines Gesamtstaates besteht, durch besondere OSZE-Grundsätze Unterstützung findet. Zu denken ist daran insbesondere deshalb, weil in allen OSZE-Dokumenten betont wird, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, insbesondere mit der Charta der Vereinten Nationen zu handeln. 102 Ausdrückliche Regelungen haben die OSZE-Staaten noch nicht vereinbart. Jedoch ist insbesondere seit den "Beschlüssen von Helsinki" die Aufgabe der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung eine ausdrückliche Aufgabe der OSZE. Dabei fallen unter diese Aufgabe nicht nur zwischenstaatliche Konflikte, sondern namentlich auch innerstaatliche, soweit der Einsatz von Maßnahmen der OSZE-Friedenserhaltung 103 in Betracht kommt. 104 Im Rahmen der Verhandlungen des Forums für Sicherheitskooperation 105 über einen Verhaltenskodex über Sicherheitsfragen haben haben die OSZE-Staaten Regeln über den Einsatz militärischer Kräfte bei internen Konflikten erarbeitet. Die Ziffern 36 und 37 des Verhaltenskodexes des Budapester Dokuments 1994 geben Vorgaben für Streitkräfte im Falle eines Inlandseinsatzes. Sie äußern sich auch zum Gebrauch von Gewalt. Die Vorschriften lauten: "36. Jeder Teilnehmerstaat wird gewährleisten, daß jeder Beschluß, seine Streitkräfte mit Aufgaben der inneren Sicherheit zu betreuen, im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Verfahren gefaßt wird.... In Fällen, in denen zur Erftillung von Aufgaben der inneren Sicherheit ein Rückgriff auf Gewalt nicht vermieden werden kann, wird jeder Teilnehmer-
102 Siehe z. B. in der Schlußakte von Helsinki Prinzip X, I. Abs. 103 Dazu genauer unten 4. Teil 5. Kapitel, A. I. 3. c. 104 Helsinki-Dokument 1992, Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt III (Frühwamung, Konfliktverhütung und Krisenbewältigung) Abs. 17. 105 Siehe dazu unten 4. Teil, I. Kapitel, C. XI.
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staat gewährleisten, daß der Einsatz von Gewalt den Erfordernissen der Durchsetzung angemessen sein muß. Die Streitkräfte werden es sorgsam vermeiden, Zivilpersonen zu beeinträchtigen oder deren Hab und Gut zu beschädigen. 37. Die Teilnehmerstaaten werden Streitkräfte nicht dazu heranziehen, um Personen einzeln oder als Vertreter von Gruppen in der friedlichen und rechtmäßigen Ausübung ihrer Menschen- und Bürgerrechte einzuschränken oder ihrer nationalen, religiösen, kulturellen, sprachlichen oder ethnischen Identität zu berauben.
Damit setzen die OSZE-Staaten die Zulässigkeit des Gebrauchs von Gewalt im Falle eines innerstaatlichen Einsatzes der Streitkräfte voraus. Ein ausdrückliches Gewaltverbot bei innerstaatlichen Konflikten gibt es nicht. Es werden lediglich die Grenzen der Gewaltanwendung beschrieben. Insofern widerspricht aber die Forderung nach Anwendung des völkerrechtlichen Gewaltverbotes auf innerstaatliche Konflikte im oben genannten Sinne nicht den OSZE-Vereinbarungen, wird andererseits von ihnen aber auch nicht ausdrücklich gefordert. Eine solche Verpflichtung sollte jedoch im Rahmen der Verhandlungen des Forums für Sicherheitskooperation vereinbart werden.
111. Friedliche Regelung von Streitfällen Der Dekalog der KSZE-Schlußakte konstituiert im Prinzip V das Gebot der friedlichen Streitbeilegung: "Die Teilnehmerstaaten werden Streitlalle zwischen ihnen mit friedlichen Mitteln auf solche Weise regeln, daß der internationale Frieden und die internationale Sicherheit sowie die Gerechtigkeit nicht geflihrdet werden."
Dieses Gebot ist fast wortgleich mit dem entsprechenden Grundsatz der UN-Charta, der in Art. 2 Ziff. 3 normiert ist. Seit dem Briand-Kellogg-Pakt, der in Art. I erstmals den Krieg grundsätzlich als völkerrechtswidrig ächtete und in Art. II das Gebot der friedlichen Streitbeilegung niederlegte, gehören das Gewaltverbot und die Verpflichtung zur Streitbeilegung auf friedlichem Wege untrennbar zusammen. Dennoch hat das Prinzip der friedlichen Regelung von Streitfallen neben dem Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta eine wichtige eigenständige Bedeutung, da es den Staaten nicht nur verbietet, ihre Streitigkeiten durch die Anwendung oder Androhung von Gewalt zu lösen, sondern vorschreibt, die durch das Völkerrecht oder andere Regelungen bereitgestellten Mechanismen zur Streitbeilegung zu nutzen. Solche Mechanismen stellen neben regionalen Organisationen die Vereinten Nationen
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2. Teil: Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze
gern. Art. 11, 12 UN-Charta mit der Generalversammlung, gemäß Kapitel VI, VII UN-Charta mit dem Sicherheitsrat, mit dem IGH und dem UNGeneralsekretär gern. Art. 99 UN-Charta zur Verfügung. Der Grundsatz der friedlichen Streitbeilegung ist heute bereits als Gewohnheitsrecht anerkannt. 106 Dieser gilt also auch für Nichtmitgliedstaaten der UN 107 wie z. B. die Schweiz, die jedoch Teilnehmerstaat der OSZE ist. Ihnen steht zur Erfüllung ihrer Streitbeilegungsverpflichtung nach Maßgabe des Art. 35 Abs. 2 UN-Charta auch das Recht zu, Streitigkeiten, an denen sie beteiligt sind, dem Sicherheitsrat oder der Generalversammlung vorzulegen. Der Inhalt der Verpflichtung, Streitfälle friedlich beizulegen, ist jedoch hinsichtlich eines Aspektes umstritten. Nach einer Ansicht erschöpft sich dieses Gebot in der Verpflichtung der Staaten, im Rahmen einer Streitregelung ausschließlich friedliche Mittel einzusetzen. 108 Konsequenz dieser Ansicht ist aber, daß das Gebot der friedlichen Streitbeilegung dann lediglich eine Bekräftigung des ohnehin geltenden Gewaltverbotes wäre. Die überwiegende Ansicht weitet daher das Gebot der friedlichen Streitbeilegung inhaltlich aus. 109 Demnach sind die Staaten verpflichtet, sich auch aktiv um die friedliche Beilegung ihrer Streitigkeiten zu bemühen. Nicht nur die Art und Weise der Streitregelung soll friedlich erfolgen, sondern die Staaten sollen sich, ohne daß eine Pflicht zur Erzielung eines bestimmten Ergebnisses besteht, im Falle eines Konflikts um den Erfolg einer Streitbeilegung bemühen. Dieser Interpretation entsprechen auch Resolutionen der UN-Generalversammlung, die das Gebot der friedlichen Streitbeilegung gern. Art. 2 Ziff. 3 UN-Charta konkretisieren. In der FRD heißt es dazu: "Die Staaten bemühen sich folglich um eine rechtzeitige und gerechte Beilegung ihrer internationalen Streitigkeiten durch Verhandlung, ...... 110
106 IGH (Nicaragua-Fall) ICJ Rep. 1986, S. 145; Tomuschat, Art. 2 Ziff. 3, Rn. 9 in: Simma Charta der Vereinten Nationen; Fischer, in: Jpsen, § 60, Rn. 2. lOTNicht Mitglied der UN sind folgende Staaten: Andorra, Kiribati, Monaco, Nauru, Schweiz, Tonga, Tuvalu, Vatikanstadt (Stand vom 31. Dezember 1993). 108 Neuhold, Internationale Konflikte, S. 399. 109 Graf zu Dohna, S. 156f.; Escher, S. lOf.; Tunkin, Völkerrechtstheorie, S. 84; Kelsen, UNiS. 364, 790. 10 2. Abs. des zweiten Grundsatzes.
I. Kapitel: Friedenssicherung
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Ähnlich formuliert ist dieses in der "Manila-Erklärung": "States shall seek in good faith and in a spirit of co-operation and earlt an equitable settlement oftheir international disputes by any ofthe following means: ... ".1 I
Auch die OSZE folgte dieser Auffassung. Bereits in der KSZE-Schlußakte heißt es dazu: "Sie [die Teilnehmerstaaten; Arun. d. Verf.] werden bestrebt sein, nach Treu und Glauben und im Geiste der Zusammenarbeit eine rasche und gerechte Lösung auf der Grundlage des Völkerrechts zu erreichen."112
Später stellten die Teilnehmerstaaten im "Bericht über das Expertentreffen über die Friedliche Streitbeilegung" 113 in Valletta vorn 8. Februar 1991 (im folgenden Valletta-Bericht) Prinzipien darüber auf, wie Streitigkeiten zu behandeln seien. Darin heißt es: "In Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und insbesondere mit der Charta der Vereinten Nationen sowie im Einklang mit den einschlägigen Prinzipien der Schlußakte von Helsinki darf zur Beilegung von Streitigkeiten. zwischen Staaten nicht auf Androhung oder Anwendung von Gewalt zurückgegriffen werden. Solche Streitigkeiten sind durch den Einsatz friedlicher Mittel im Einklang mit dem Völkerrecht beizulegen. 114 5. Sollten dennoch Streitigkeiten entstehen, werden die Teilnehmerstaaten danach trachten, einen Streitfall zwischen ihnen nicht zur Bedrohung filr den internationalen Frieden, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit werden zu lassen. Sie werden geeignete Schritte unternehmen, um ihre Streitigkeiten bis zu deren Beilegung zu handhaben. Zu diesem Zweck werden die Teilnehmerstaaten ... sich zu einem frühen Zeitpunkt mit Streitigkeiten befassen; ... "115
Demnach besteht also eine umfassende Verpflichtung, sich um eine friedliche Streitbeilegung zu bemühen. Diese Pflicht gilt auch dann, nachdem ein Streitbeilegungsversuch im Rahmen eines von den Parteien gewählten Verfahrens fehlgeschlagen ist. 116 Die OSZE-Staaten sind darüber hinaus verpflichtet, in Zukunft in ihren internationalen Beziehungen dem Prinzip der friedlichen Regelung von StreitfeHlen immer mehr Raum zu verschaffen. 117 So sollen beispielsweise 111 I. Abschnitt, Ziff. 5 der Manila-Deklaration, Text: UNYB 1982, S. 1372-1974; deutsche Übersetzung: VN 1982, S. 134. 112 Abs. 2 des Prinzips V (Friedliche Regelung von Streitfällen). 1!3 Siehe dazu oben I. Teil, 3. Kapitel, D. I. 114 6. Absatz, Abschnitt "Einleitung" des Valletta-Berichtes. ll 5 Punkt 5 der "Prinzipien der Streitbeilegung" des Valletta-Berichtes. 116 Ziff. 8, Abschnitt " Prinzipien der Streitbeilegung" des Valletta-Berichtes. 117 Vgl. zum Folgenden Ziff. 9, Abschnitt "Prinzipien der Streitbeilegung" des VallettaBerichtes.
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2. Teil: Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze
Vorbehalte gegenüber eingegangenen Streitbeilegungsverfahren, soweit diese bestehen, zurückgenommen und keine weiteren erhoben werden. In künftigen Verträgen sollen stets Bestimmungen über eine Streitbeilegung getroffen werden, die Unstimmigkeiten über Auslegung oder Anwendung dieser Verträge betreffen. So ist z. B. im "Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa" 11 8 vom 21. April 1992 folgendes geregelt: In Art. 15 Abs. 1 bis 3 des Vertrages sind Bestimmungen über die Behandlung Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien getroffen. Abs. 4 dieses Artikels eröffnet dann die Anwendung des OSZE-Streitbeilegungsmechanismus: "Bei Meinungsverschiedenheiten iiber die Auslegung und Verwirklichung dieses Artikels werden die Vertragsparteien, unbeschadet der Bestimmungen von Artikel 5, die geltenden KSZE-Streitbeilegungsverfahren anwenden."
Ferner sollen die OSZE-Staaten erwägen, die obligatorische Zuständigkeit des IGH anzuerkennen bzw. erhobene Vorbehalte einzuschränken. Die zur friedlichen Streitbeilegung zu verwendenden Mittel bestehen, wie in Art. 33 UN-Charta aufgeführt, aus den diplomatischen Verfahren Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung und Vergleich, den gerichtlichen Verfahren - Schiedspruch und ~ gerichtliche Entscheidung sowie der Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen und Abmachungen 119 und - anderer friedlicher Mittel, auf die sich die Parteien geeinigt haben. Diese Aufzählung wird in der FRD (2. Abs. des zweiten Grundsatzes) wiederholt. Die Manila-Deklarati~;>n 120 nennt zusätzlich das in der in Art. 33 UN-Charta fehlende, aber bewährte Mittel der "Guten Dienste" 121 . Wie bei der FRD, so fehlt auch in der Aufzählung der Beilegungsmittel im 118 Bulletin, Nr. 43 vom 23. April 1992, S. 393-397. 119 Dazu zählt auch die OSZE, dazu unten 4. Teil, 2. Kapitel, B. I. l. 120 l. Abschnitt, Ziff. 5. 121 Diese bestehen in dem Bemühen einer dritten Person, zwischen den Parteien Verhandlungen und ein günstiges Klima herbeizufilhren. Sie nimmt jedoch nicht an den Verhandlungen teil. Vgl. die Definition in Art. 9 des Bogotä-Paktes, Text: UNTS Bd. 30 Nr. 449 und Oellers-Frahm!Wühler, S. 136-144.
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Kapitel: Friedenssicherung
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Prinzip V (Friedliche Regelung von Streitfallen) der KSZE-Schlußakte diese Möglichkeit. Jedoch enthält Ziff. 6, Abschnitt "Prinzipien der Streitbeilegung" des Valletta-Dokuments die vollständige Aufzählung der Streitbeilegungsmittel entsprechend der Manila-Erklärung. Verboten sind gemäß der völkerrechtlichen Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung grundsätzlich auch sonstige rechtsverletzende Maßnahmen neben der Gewaltanwendung, also auch Maßnahmen, die das Interventionsverbot verletzen. 122 Grund dafür ist, daß das Gebot der friedlichen Streitbeilegung die Gewährleistung der souveränen Gleichheit der Staaten zum Ziel hat. Dieses kann jedoch auch durch verbotene Interventionen beeinträchtigt werden. Daher ist neben der Retorsion, d. h. dem rechtmäßigen, aber unfreundlichen Akt, auch die nicht gewaltsame Repressalie zulässig, sofern deren Anwendungsvoraussetzungen beachtet werden. Ein generelles Repressalienverbot besteht nicht. 123 Auch die FRD und die Manila-Erklärung enthalten kein solches Gebot. Vielmehr beziehen sich diese nur auf das Verbot gewaltsamer Repressalien. 124 Jedoch verbietet das Valletta-Dokument 125 den beteiligten Staaten jegliche Maßnahme, "die die Situation verschärfen oder die friedliche Beilegung des Streitfalles erschweren oder behindern könnte" . Sowohl die Retorsion als auch die Repressalie sind durchaus geeignet, die Beilegung des Streitfalles zu erschweren und sind demnach gemäß der OSZE-Regelung verboten. Ziel der OSZE ist, den Parteien Streitbeilegungsverfahren an die Hand zu geben, um den Streit geordnet und in Vorausschaubaren Bahnen beizulegen. Eigenständige Maßnahmen der Staaten, die die Beilegung behindern könnten, sollen dadurch vermieden werden. Aus diesem Grund stellt die OSZE den Teilnehmerstaaten eine Reihe von Streitbeilegungsverfahren zur Verfügung. Dies ist zum einen das "Übereinkommen über Vergleichsund Schiedsverfahren" innerhalb der OSZE, welches - im Gegensatz zu den anderen OSZE-Dokumenten - ein völkerrechtlicher Vertrag ist. 126 Ferner hält die OSZE den bereits erwähnten OSZE-Streitbeilegungsmechanismus (Valletta-Mechanismus) und ein Vergleichsverfahren zur Verfügung.127 Die europäischen Teilnehmerstaaten, die gleichzeitig auch Vertragsstaaten des "Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beile122 Tomuschat, Art. 2 Ziff. 3, Rn. 25 in: Simma, Charta der Vereinten Nationen. 123 Tomuschat, Art. 2 Ziff. 3, Rn. 28 in: Simma, Charta der Vereinten Nationen. 124 Vgl. Abs. 4 des zweiten Grundsatzes der FRD und I. Abschnitt Ziff. 8 der ManilaDeklaration. 125 Ziff. 5 lit b, Abschnitt "Prinzipien der Streitbei1egung". 126 Vgl. dazu unten 4. Teil., 5. Kapitel, VIII. 12? Siehe unten 4. Teil, 5. Kapitel, V. und VI.
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2. Teil: Bestand und Inhalt der OSZE-Grundsätze
gung von Streitigkeiten" vorn 29. April 1957 sind, sind zusätzlich an diese im Rahmen des Europarats entwickelten Verfahren gebunden. 128 Die amerikanischen Staaten können auf den "Arnerican Treaty of Pacific Settlement" (Bogota-Pakt) vorn 30. April 1948 zurückgreifen. 129 Im Falle der völkerrechtlichen Pflicht der Staaten, ihre Streitigkeiten gern. Art. 2 Ziff. 3 UN-Charta friedlich beizulegen, zeigt sich auch die völkerrechtliche Relevanz der OSZE-Regeln. Wie später noch genau dargelegt wird 130, können OSZE-Normen die Wirkung einer Ermessensbegrenzung bei der Auslegung völkerrechtlicher Pflichten aus einem Vertrag haben. Zumindest stellen sie eine Auslegungshilfe dar. Ein Staat, der danach zu friedlicher Streitbeilegung verpflichtet ist, ist gehalten, sich der Mittel und Verfahren zu bedienen, denen er - auch nur in politisch verbindlicher Weise- zugestimmt hat. Dieses ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. Im Valletta-Dokument heißt es dazu: "Alle Staaten haben ihren Verpflichtungen gemäß den allgemein anerkannten Grundsätzen und Regeln des Völkerrechts im Zusammenhang mit der Wahrung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit nach Treu und Glauben nachwkommen."l31
IV. Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker Das Prinzip VIII der KSZE-Schlußakte enthält den Grundsatz "Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker": "Die Teilnehmerstaaten werden die Gleichberechtigung der Völker und ihr Selbstbestimmungsrecht achten, indem sie jederzeit in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen und den einschlägigen Normen des Völkerrechts handeln, einschließlich jener, die sich auf die territoriale Integrität der Staaten beziehen. Kraft des Prinzips der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Völker haben alle Völker jederzeit das Recht, in voller Freiheit, wann und wie sie es wünschen, ihren inneren und äußeren politischen Status ohne äußere Einmischung zu bestimmen und ihre politische\ wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung nach eigenen Wünschen zu verfolgen." 132
128 Text des Vertrages: BGBI. Teil II 1961, S. 82; filr die Bundesrepublik Deutschland in Kraft ~etreten am 18. April 1961. 12 Text: UNTS Bd. 30 Nr. 449 und Oellers-Frahm!Wühler, S. 136-144. 130 3. Teil, 2. Teil, C. II. 3. a. 131 5. Abs. Satz 3 des Valletta-Dokuments, Abschnitt " Einleitung". 132 Prinzip VIII Abs. 1 und 2 des Prinzipienkatalogs der Schlußakte.
I. Kapitel: Friedenssicherung
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Zur Beurteilung des Grundsatzes des Selbstbestimmungsrechts der Völker durch die OSZE ist zunächst zu untersuchen, ob ein entsprechender Völkerrechtsgrundsatz besteht und wie er bejahendenfalls ausgestaltet ist. 1. Völkerrechtliche Geltung und Inhalt des Selbstbestimmungsrechts
a) Das Selbstbestimmungsrecht als völkerrechtlicher Rechtssatz
Die Überschrift des Dekalogprinzips VIII entspricht der Regelung des Selbstbestimmungsrechts gemäß den Zielen der Vereinten Nationen nach Art. 1 Ziff. 2 UN-Charta. Dort heißt es: "Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele: ... 2. freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhenden Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln
Ferner wird das Selbstbestimmungsrecht der Völker im Art. 55 ONCharta erwähnt. "Um jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt herbeizufUhren, der erforderlich ist, damit zwischen den Nationen friedliche und freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen herrschen, fördern die Vereinten Nationen ... "
Art. 1 UN-Charta setzt die "Ziele" der Vereinten Nationen. Das Selbstbestimmungsrecht gehört damit nicht ausdrücklich zu den Grundsätzen der Vereinten Nationen gern. Art. 2 UN-Charta. Die völkerrechtliche Rechtsqualität der Grundsätze ist unbestritten. Strittig ist diese im Falle der Ziele gern. Art. I UN-Charta. Insbesondere wird die Rechtsqualität des Selbstbestimmungsrechts deswegen angezweifelt, weil der Textbefund nicht eindeutig auf ein "Recht" im Sinne eines Anspruchs hinweist. Der Wortlaut der Charta in ihrer authentischen Fassung zeigt dieses. Während die französische Fassung von einem "principe de l'egalite de droits des peuples et leur droit de disposer d'eux-rnernes" spricht, enthält die englische Fassung ein "principle of equal rights and self-deterrnination of peoples" (Hervorhebungen hinzugefügt). Ferner wird die Ablehnung damit begründet, daß die Fornulierung des Selbstbestimmungs-rechts für eine rechtliche Verbindlichkeit zu unbestimmt sei. 133 Daher wird zuweilen angenommen, das Selbstbestimmungsrecht sei als Ziel der Vereinten Nationen ein bloßer Progarnrnsatz ohne Rechtsqualität, 133 Miehsler, Das SelbstbestimmungsrechtS. 108.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
der allenfalls als Auslegungsgrundsatz herangezogen werden könne. 134 Thürer sprach noch im Jahre 1976 von einem Recht in statu nascendi. I3S Rah/ sah 1973 das Selbstbestimmungsrecht bereits "mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit in das positive Recht eingedrungen" und erkannte, daß es dort " in steigendem Maße Geltungskraft" erlange. 136 Zwar ergibt sich der Rechtscharakter des Selbstbestimmungsrechts nicht unmittelbar aus Art. I Ziff. 2 UN-Charta, jedoch wird heute überwiegend die völkerrechtliche Verbindlichkeit dieses Grundsatzes bejaht 137, weitgehend sogar als ius cogens im Sinne des Art. 53 WVRK betrachtet 138 und zuweilen als naturrechtlicher Grundsatz angesehen 139. Die völkerrechtliche Verbindlichkeit resultiert neben der Systematik der UN-Charta selbst sowohl aus völkerrechtlichen Verträgen als auch aus dem Völkergewohnheitsrecht.1 4 Für letzteres spricht die Praxis der UNOrgane, die bei der Auslegung von Kollektivverträgen generell heranzuziehen ist 141 . So hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen in der mit Konsens angenommenen FRD 142 das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker im fünften Grundsatz geregelt. Dieser ist wie folgt formuliert:
°
"Auf Grund des in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Grundsatzes der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker haben alle Völker das Recht, frei und ohne Einmischung von außen über ihren politischen Status zu entscheiden und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu gestalten, und jeder Staat ist verpflichtet, dieses Recht im Einklang mit den Bestimmungen der Charta zu achten." 134 Miehsler, Das Selbstbestimmungsrecht, S. 108. Fitzmaurice,in: Livre du Centenaire, Abschnitt 42, S. 232-235; Khol, S. 34f. und 39f. 135 Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht, S. 95f. 136 Rabl, S. 478. 137 Seiffert, Selbstbestimmungsrecht, S. 40; Kimminich, VN 1993, S. 5 (5); Doehring, Berichte DGVR, S. 17, ders. "nach Art. 1", Rn. 1, in: Simma, Charta der Vereinten Nationen; Kiss, HRLJ 1986, S. 165 (174); Marie HRLJ 1986, S. 195 (202f.); Stöcker EuGRZ 1987, S. 473 (476); Pomerance, S. 63; Thürer, AVR 1984, S. 113 (123); Brownlie, Principles, S. 595f.; Thornberry, ICLQ 1989, S. 867 (871). 138 Gros Espiell, Self-Determination, S. 13, insbesondere Abs. 70; ders. VN 1982, S. 54 (56); Ermacora, RdC 1983 Bd. 182, S. 325; Seiffert, Selbstbestimmungsrecht, S. 53; ILCYearbook 1966 Bd. 2, S. 248. 139 Gros Espiell, Self-Determination, S. 13, Abs. 84. 140 Seidl-Hohenfeldern, Rn. 1554; Doehring, Berichte DGVR, S. 16; Thürer, AVR 1984, S. 113 (123). 141 Vgl. Art. 3 Abs. 3 lit. b WVRK. 142 Annex zu Res 25/2625 vom 24. Oktober 1970, UNYB 1970, S. 789-792; deutsche Übersetzung in Sartorius II Nr. 4.
I. Kapitel: Friedenssicherung
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Die FRD erklärt in ihrem Allgemeinen Teil die aufgeführten Grundsätze zu den "Hauptgrundsätzen des Völkerrechts". Auch die Resolution der Generalversammlung zur Definition des Begriffs "Aggression" vom 14. November 1974 enthält das Selbstbestimmungsrecht der Völker: 143 "The General Assembly, .. . Reaffirming the duty of States not to use armed forces to deprive peoples of their right to self-determination, ... ".
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat bereits 1966 in seiner Resolution 232 zu Südrhodesien von einem Recht der Selbstbestimmung gesprochen: "Reaffirming the inalienable right of the People of Southem Rhodesia to freedom and independence in accordance with the Declaration on the Granting of Independence and Colonial Countries and Peoples."l44
Auch die Gutachten des IGH im Namibia-Fall und zur West-Sahara enthalten Ausführungen, die für eine entsprechende Geltung des Grundsatzes der Selbstbestimmung der Völker sprechen. "In the domaine to which the present proceedings relate, the last fifty years, as indicated above, have brought important developments. These developments leave little doubts that the ultimate objective of the sacred trust was the self-determination and independence of the peoples concemed." 145
Im Gutachten zur West-Sahara heißt es: "In short, the decolonisation process to be accelerated which ist envisaged by the General Assembly in its provision is one wich will respect the right of the population of Western Sahara to determine their future political status by their own freely expressed will. In this is not affected by the present request for an advisory opinion, nor by resolution 3292 (XXIX): on the contrary, it is expressly reaffirmed in that resolution. The right ofthat population to self-determination constitutes therefor a basic assumption of the questions put to the Court."l46
Auch die Systematik der Charta selbst spricht für die Rechtsqualität der Ziele der Vereinten Nation im allgemeinen und die des Selbstbestimmungsrechts im besonderen. Zunächst erscheint es fragwürdig, allein an 143 Res. 29/3314 am 14. November 1974 ohne förmliche Abstimmung angenommen, UNYB 1974, S. 846-848. 144 Res. des UN-Sicherheitsrates Nr. 232 vom 16. Dezember 1966, UNYB 1966, S. 116f. 145 ICJ Rep. 1971, S.Jlf., Abs. 53. 146 ICJ Rep. 1975, S. 36, Abs. 70. 14 Bortloff
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
die Begriffsunterschiede "Ziele" und "Grundsätze" derart unterschiedliche Rechtsfolgen anzuknüpfen. Art. 1 UN-Charta hat als erster Artikel einer Satzung eine besonders herausgehobene Stellung. Allein diese Tatsache läßt es zweifelhaft erscheinen, gerade dem Inhalt diesefl Artikels die rechtliche Verbindlichkeit zu versagen. Desweiteren hält auch die Charta selbst die Einteilung von Regelungsinhalten in "Ziele" und "Grundsätze" nicht konsequent durch. So wird das Selbstbestimmungsrecht in Art. 55 UNCharta als Grundsatz bezeichnet, während es in Art. 56 wieder als ein Ziel genannt wird. Ferner enthält das Gewaltverbot, dessen völkerrechtliche Verbindlichkeit unbestritten ist, ausdrücklich auch das Verbot der Androhung oder Anwendung von Gewalt, die mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist. 147 Das Verhalten, das die Völkergemeinschaft verbieten will, muß gerade völkerrechtliche Verbindlichkeit besitzen. Ein Verbot, welches eine bestimmte Handlung verhindern will, kann nur dann sinnvoll sein, wenn das entsprechende erwünschte und dadurch auch erlaubte Verhalten eine rechtliche Verbindlichkeit besitzt. 148 Die rechtliche Gleichsetzung von Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen wird auch durch die Staatenpraxis unterstützt. So wird in den Dokumenten der OSZE seit der KSZE-Schlußakte von 1975 immer sowohl auf die Grundsätze als auch die Ziele der Vereinten Nationen Bezug genommen. Beispielhaft sei hier Absatz 4 des Vorspruchs zum Dekalog der KSZE-Schlußakte genannt: "In Bekundung ihrer einmütigen Zustimmung zu den Prinzipien, die unten aufgefilhrt sind und die mit der Charta der Vereinten Nationen übereinstimmen sowie ihres einmütigen Willens, bei der Anwendung dieser Prinzipien in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zu handeln" .
Die Gleichsetzung von Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen wird aber auch in bilateralen Verträgen der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen praktiziert. So heißt es im deutsch-sowjetischen Vertrag vom 12. August 1970 149 : .. . . . in der Überzeugung, daß die friedliche Zusammenarbeit zwischen den Staaten auf der Grundlage der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen den sehnlichen Wünschen der Völker und den allgemeinen Interessen des internationalen Friedens entspricht. .. " . 147 Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta. 148 So auch Doehring, "nach Art. 1",Rn. 1, in: Simma, Charta der Vereinten Nationen. 149 BGBI. 1972 li, S. 354.
1. Kapitel: Friedenssicherung
211
Ähnliches wurde im Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 9. November 1990 zwischen Deutschland und der UdSSR wiederholt150: "... in Bekräftigung ihres Bekenntnisses zu den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen ... ". Im "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" vom 12. September 1990 151 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der DDR, Frankreich, der UdSSR, Großbritannien und den USA wird das Selbstbestimmungsrecht als eine Verpflichtung aus der Charta der Vereinten Nationen angesehen: " ... entschlossen, in Übereinstimmung mit ihren Verpflichtungen aus der Charta der Vereinten Nationen freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln ... ". Das Selbstbestimmungsrecht wird im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag vom 9. November 1990 152 zudem ausdrücklich als ein Recht der Völker qualifiziert: "Sie [Deutschland und die UdSSR] bekräftigen das Recht aller Völker und Staaten, ihr Schicksal frei und ohne äußere Einmischung zu bestimmen und ihre politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung nach eigenen Wünschen zu gestalten." Im "Übereinkommen über eine umfassende Regelung des KambodschaKonflikts" vom 23. Oktober 1991 gehen die 19 Vertragsparteien ebenfalls von einem Recht auf Selbstbestimmung aus: "Desiring to restore and maintain peace in Cambodia, to promote national reconciliation and to ensure the exercise ofthe right to self-determination ofthe Cambodian people through free and fair elections .. .".153 Der Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist im Jahre 1966 in den beiden UN-Menschenrechtspakten als völkerrechtliche Verpflichtung in Form eines kollektiven Menschenrechts kodifiziert worden. In den Art. 1 Abs. 1 des IPBPR 154 und IPWSKR 155 heißt es übereinstimmend: 150 BGBI. 1991 li S. 702f 151 BGBI. 1990 li, S. 1317. 152 BGBI. 1991 li, S. 702. 153 Präambel des Übereinkommens.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
"Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung." Somit ergibt sich - wenn man nicht bereits eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung annimmt - zumindest aus diesen Verträgen die völkerrechtliche Verbindlichkeit des Grundsatzes des Selbstbestimmungsrechts der Völker.I56 Der "Special Rapporteur" der UN-Unterkommission über die Verhinderung der Diskriminierung und den Schutz der Minderheiten, Aureliu Cristescu, bezeichnet das Selbstbestimmungsrecht als ein "cornerstone of the new international order". 157
b) Potentielle Träger des Selbstbestimmungsrechts Wie die KSZE-Schlußakte, so sprechen alle völkerrechtlichen Dokumente lediglich von dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, beantworten aber nicht die Frage, wer sich hinter dem Begriff "Volk" verbirgt, treffen somit keine genaue Aussage über den potentiellen Träger des Selbstbestimmungsrechts. Dieser Bereich gehört zu den am meisten umstrittenen Gebieten des Völkerrechts. Nach !an Brownlie steht dieses Recht "cohesive national groups" zu.I58 Der Autor der UN-Studie "The Right to SelfDetermination", Hector Gros Espie/1, definiert den Begtriff Volk als "a specific type of human community sharing a common desire to establish an entity capable offunctioning to ensure a common future".l 59 Nach dem Studium der Vielzahl von Definitionsansätzen wird erkennbar, daß es fünf Arten von Personengruppen gibt, die Träger des Selbstbestimmungsrechts sein können. Es sind Kolonialvölker, Nichtkolonialvölker
154 BGBI. 1973 II S. 1533, in Kraft getreten am 23. März 1976 gern. Bekanntmachung vom 14. Juni 1976 (BGBI. 1976 II S. 1068). Vertragsstaaten sind (Stand vom 1. Juni 1993) 116 Staaten. l5S BGBI. 1973 II S. 1569ff., in Kraft getreten am 3. Januar 1976 gern. Bekanntmachung vom 9. März 1976 (BGBI. 1976 li S. 428). 156 Vgl. Nowak, Art. 1, Rn. 14. 157 Crlstescu, S. 122, Abs. 713. 158 Brownlle, Principles, S. 595. 159 Gros Esple/1, Self-Determination, S. 9, Abs. 56.
l.
Kapitel: Friedenssicherung
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unter Fremdherrschaft, ein gesamtes Staatsvolk in einem souveränen Staat, bestimmte Minderheiten in einem Staat und eine Nation in getrennten Staaten. aa) Kolonialbevölkerung Unmittelbar vor dem Ende des 2. Weltkrieges und der Gründung der Vereinten Nationen war das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker ein politischer Grundsatz der Siegermächte des Krieges. 160 Nach Punkt 5 des 14-Punkte-Pians des amerikanischen Präsidenten Wilson und der "Atlantic-Charta" vom 14. August 1941, abgefaßt durch den amerikanischen Präsidenten Roosevelt und den britischen Premierminster Churchill, sollten weite Teile Europas unter Herrschaft dieses Grundsatzes neu geordnet werden. Nach der Etablierung des Ost-West-Gegensatzes entdeckten jedoch die Kolonialvölker dieses Prinzip für ihr Streben nach Unabhängigkeit. Die Entkolonisierung wurde ausdrücklich in der Charta der Vereinten Nationen in den Kapiteln XI, XII und XIII geregelt. Diese Bestimmungen sind Ausfluß des Selbstbestimmungsrechts.161 Der Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker wurde im weiteren Verlauf der Dekolonisation stark von dieser Entwicklung geprägt. 162 Im Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde insbesondere das Recht auf Dekolonisation gesehen. Es erschien so, als habe das Selbstbestimmungsrecht keine andere Anwendung als in der Entkolonisierung gefunden. 163 Kennzeichnend dafür ist die am 14. Dezember 1960 von der UNGeneralversammlung ohne Gegenstimme verabschiedete "Dec/aration on Granfing Independence to Co/onial Countries and Peoples "_164 Dort heißt es: "2. All peoples have the right to self-deterrnination; by virtue of that right they freely deterrnine their political status and freely persue their economic, social and cultural development."
160 Zur viel weiter zurückreichenden Geschichte des Selbstbestimmungsrechts siehe die ausfilhrliche Darstellung Ra bis in Rabl, S. 4-193. 161 Thürer, AVR 1984, S. 113 (120). 162 Vgl. Doehring, Berichte DGVR, S. 24. 163 Die gleiche Einschätzung nimmt Kimminich, Die Renaissance, vor, S. 605. 164 Res. 15/1514,UNYB 1960, S. 49f.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Im weiteren Verlauf kam es zur Konstituierung eines speziellen "Entkolonisierungsrechts"165 durch verschiedene Resolutionen der UN-Generalversammlung. Nach Abschluß der Dekolonisation in den 70er und 80er Jahren hat dieser Aspekt des Selbstbestimmungsrechts jedoch erheblich an Bedeutung verloren. bb) Nichtkoloniale Völker unter Fremdherrschaft Die Geltung des Selbstbestimmungsrechts findet aber auch Ausdehung auf nichtkoloniale Völker, die jedoch ebenfalls unter einer fremden Herrschaft stehen. 166 Der Einschluß aller Völker und nicht nur der kolonisierten Völker unter das Recht auf Selbstbestimmung kommt auch durch die weltweite Anerkennung dieses Rechts infolge der Tatsache zum Ausdruck, daß 116 Staaten Vertragsstaaten der UN-Menschenrechtspakte sind. 167 Dadurch wurde das Selbstbestimmungsrecht der Völker aus dem Dekolonisierungsrecht herausgelöst, in dem es zuvor seine Hauptanwendung fand, und als ein Menschenrecht - besser formuliert als eine ergänzendes kollektives Menschenrecht - in allgemeine Geltung überführt. Auch in der FRD heißt es, daß ein Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht nicht nur der Kolonialismus, sondern auch die Unterwerfung von Völkern unter fremdes Joch, Fremdherrschaft und fremde Ausbeutung sei. 168 Diese bisher umfangreichste Definition des Selbstbestimmungsrechts hat die Generalversammlung von der Entkolonisierung auf alle geographischen und politischen Bereiche ausgedehnt. So spricht die UNGeneralversammlung beispielsweise von einem Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser im Konflikt mit Israel: "Die Generalversammlung . . . 8. bekrdftigt die Rechtmäßigkeit des Kampfes aller unter Kolonial- und Fremdherrschaft stehenden Völker, insbesondere des palästinensischen Volkes, um die Ausübung ihres unveräußerlichen Rechts auf Selbstbestimmung und nationale
165 Vgl. zum Begriff Thürer, AVR 1984, S. 113 (121); zur Entkolonisierungspraxis der Vereinten Nationen vgl. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht, S. 126-153. 166 Nowak, Art. 1 Rn. 31 ; Kimminich, VN 1993, S. 5 (5). 167 (Stand vom l. Juni 1993) vgl. auchKiss, HRLJ 1986, S. 165 (174). 168 S. Grundsatz Abs. 2 der FRD.
1.
Kapitel: Friedenssicherung
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Unabhängigkeit, die es ihnen ermöglichen wird, ihr politisches, wirtschaftliches und soziales System ohne Einmischung von außen zu bestimmen".l69 Die Ausdehnung des Selbstbestimmungsrechts zeigt auch die Niederlegung dieses Grundsatzes in der KSZE-Schlußakte, da im OSZE-Raum eine Kolonisation nicht stattfand. cc) Gesamtes Staatsvolk eines souveränen Staates Wenn das Selbstbestimmungsrecht der Völker geographisch und politisch in allen Bereichen gilt, so muß es auch einem Staatsvolk zustehen.l10 Die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts eines Staatsvolkes kommt in Betracht, wenn der Staat unter eine Fremdherrschaft fällt. 171 Hat ein Volk einen Staat gebildet, so ist es berechtigt, diesen zu erhalten und die Geschicke des Staates frei ohne Fremdherrschaft zu bestimmen. Insbesondere während der Zeit des Ost-West-Konflikts hat die Selbstbestimmung eines gesamten Staatsvolkes eines souveränen Staates an Bedeutung gewonnen. Die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts eines kolonisierten Volkes bildete dafür die Grundlage, da damit auch nicht homogene Personengruppen, also lediglich auf einem fremdbeherrschten Territorium lebende Menschen Träger des Selbstbestimmungsrechts wurden. Diese Interpretation entspricht auch der Ansicht, die während der travaux preparatoires zu den UN-Menschenrechtspakten herrschte. 172 Jüngstes Beispiel für die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes eines Volkes, das bereits über einen Staat verfügt, ist Kambodscha. Um eine neue staatliche Ordnung und eine effektive Regierung einzurichten, fanden 1993 Wahlen unter der Ägide der Vereinten Nationen statt. Im Übereinkommen über eine umfassende Regelung des Kambodscha-Konflikts beriefen sich die Vertragsstaaten, wie oben erwähnt, ausdrücklich auf das Selbstbestimmungsrecht des kambodschanischen Volkes. 173
169 Res. 45/151, Ziff. 8, Offizielles Protokoll der 45. Tagung der Generalversammlung, Beilage Nr. 49 (A/45/49), S. 308 (309). 170 Dafür sind Cassese, in: Henkin, S. 95; Thornberry, ICLQ 1989, S. 867 (879); Stücker, EuGRZ 1987, S. 473 (477); Partsch, in: Wolfrum: Handbuch Vereinte Nationen, Rn. 11; Kiss, HRLJ 1986, S. 165 (172f.); Thürer, EPIL (8), S. 470 (473); Marie, HRLJ 1986, S. 195 (203). 171 Doehring, "nach Art. 1", Rn. 31 in: Simma, Charta der Vereinten Nationen. 172 Novak, Art. 1 Rn. 28 und die ausführliche Darstellung Casseses, in: Henkin, S. 95. 173 Siehe die Präambel und Art. 12 des Übereinkommens.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
dd) Minderheiten in einem Staat Ausgehend von der historischen Entwicklung 174 war eine ethnische - auch völkisch oder national genannte - Minderheit in einem Staat als Träger des politischen Prinzips des Selbstbestimmungsrechts anerkannt worden. Ethnische Minderheiten genossen bereits im Rahmen des Völkerbundes durch Bestimmungen des Minderheitenschutzes eine besondere Stellung. In den Pariser Vorortverträgen von 1919 wurde zwar das Selbstbestimmungsrecht nicht ausdrücklich erwähnt, jedoch fand es seinen Niederschlag in den Minderheitenschutzbestimmungen jener Verträge. In einem System von vertraglichen Minderheitenschutzbestimmungen, deren Einhaltung vom Völkerbund garantiert wurde, wurden nationalen Minderheiten Rechte gegen ihren jeweiligen Staat gewährt. Dieses geschah, um dem Selbstbestimmungsrecht derjenigen Minderheiten gerecht zu werden, denen nach dem ersten Weltkrieg kein eigener Staat zugeordnet wurde. Ferner wurde dem Selbstbestimmungsrecht durch Volksabstimmungen Rechnung getragen. Minderheiten in Grenznähe konnten darüber rnitentscheiden, welchem Staat sie angehören wollten. 175 Ob Minderheiten aber heute Träger des Rechts auf Selbstbestimmung sind, wird unterschiedlich beurteilt. Eine Gruppe von Autoren lehnt die Einbeziehung von Minderheiten ab. 176 Begründet wird dieses unter anderem damit, daß Minderheiten bereits gern. Art. 27 IPBPR Schutz genössen. Ferner stehe der Grundsatz der nationalen Einheit und der territorialen Integrität eines Staates dagegen, wie sich dieses aus der Erklärung der UN-Generalversamrnlung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Völker und Länder ergebe. 177 Die Tatsache, daß ein Staat in Übereinstimmung mit der FRD über eine Regierung verfüge, die Bewohner des ganzen Staatsgebietes ohne Ansehen der Rasse, des Glaubens oder der Hautfarbe vertrete, entspreche bereits dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. 178 Dieses Argument geht jedoch fehl, indem es den Idealzustand als Regel beschreibt, wenn eine Minderheit in einem Staat lebt.
174 Vgl. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht, S. 29-35. 175 Beispielhaft hierfilr ist die Abstimmung im Saargebiet. 176 Gros Espiell, Self-Determination, S. 9, Abs. 56; Crisrescu, S. 40f., Abs. 279. 177 Capotorti, in: Wolfrum, Handbuch Vereinte Nationen, Stichwort Minderheiten, Rn. 24, S. 605. 178 Capotorri, in: Wolfrum, Handbuch Vereinte Nationen, Stichwort Minderheiten, Rn. 24, S. 605.
I. Kapitel: Friedenssicherung
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Andere wollen die Einbeziehung der Minderheiten von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig machen.179 Nach Cassese muß eine Volkgruppe mit anderen in dem betroffenen Staat lebenden Volksgruppen in der Größe vergleichbar sein. Zusätzlich müsse sie einen verfassungsrechtlich anerkannten Status innehaben, z. B . über eine Gebietskörperschaft verfügen. Nach Cassese würden daher lediglich die Teilstaaten von Vielvölkerstaaten wie Rußland oder das ehemalige Jugoslawien sowie eventuell Indien dieser Definition unterfallen. Nur solche Einheiten sollten ihre politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Angelegenheiten selbst regeln, während andere Minderheiten ihre Identitätsbewahrung gern. Art. 27 IPBPR geltend machen könnten. 180 Nach Cristescu muß eine Minderheit eine klare Identität, gemeinsame Merkmale und eine Nähebeziehung zum Territorium haben, auf dem sie lebt. Ferner darf sie keine Minderheit i. S. d. Art. 27 IPBPR sein. Eine solche Statuierung von Voraussetzungen für die Gewährung ist jedoch fragwürdig 181 , da andernfalls der Schutz einer Minderheit durch das Selbstbestimmungsrecht von der Selbstherrlichkeit des betroffenen Staates abhängig wäre. In einem solchen Fall würde stets über das Vorliegen der Voraussetzungen gestritten, nicht aber über den Inhalt des Selbstbestimmungsrechtes und die Form seiner Verwirklichung. Überwiegend wird daher der Genuß des Selbstbestimmungsrechts durch Minderheiten befürwortet. 182 Thornberry hält das Selbstbestimmungsrecht und die Rechte der Minderheiten für zwei Seiten derselben Medaille. 183 Diese besondere Stellung der Minderheiten insgesamt kommt auch in Art. 1 Abs. 4 des I. Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Rotkreuzabkommen über den Schutz der Zivilbevölkerung 184 zum Ausdruck: ,,Zu den in Absatz 3 genannten Situationen [Anwendungsbereich gern. Art. 2 der Genfer Abkommen; Anm. des Verf.] gehören auch bewaffnete Konflikte, in denen Völker gegen l79 Cassese, in Henkin, S. 95; Cristescu, S. 41, Abs. 279. 180 Cassese, in: Henkin, S. 96. 181 So auchKiss HRLJ, 1986, S. 165 (173). IB2 Doehring, Berichte DGVR, S. 13; Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht, S. 49; Ermacora, RdC 1983, S. 325f.; Seidl-Hohenfeldern, Rn. 1555f. Brownlie, Principles, S. 595; Nowak, Art. I Rn. 20, 29 und 32; Kiss, HRLJ 1986, S. 165 (173); Seiffert, Selbstbestimmungsrecht, S. 58 und 70; Kimminich, VN 1993, S. 5 (9); Thornberry, ICLQ 1989, s. 867 (867). 183 Thornberry, ICLQ 1989, S. 867 (867). 184 BGBI. 1990 II, S. 1551.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regimes in Ausübung ihres Rechtes auf Selbstbestimmung kämpfen, wie es in der Charta der Vereinten Nationen und in der Erklärung Ober Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt ist."
Zu den Minderheiten müssen entsprechend Art. II der Genozid-Konvention nationale, ethnische, rassische und religiöse Gruppen sowie - losgelöst von Art. II - indigene Minderheiten (Urbevölkerung) gehören. Diese auch autochthone Völker genannten Gruppen genießen derzeit nicht das externe, sondern lediglich das interne Selbstbestimmungsrecht} 85 Eine Ungleichbehandlung erscheint aber nicht gerechtfertigt. Eine Gleichstellung nimmt aber auch die OSZE nicht vor. Im Helsinki-Dokument 1992 heißt es - erst nach dem Ende des Abschnitts über nationale Minderheiten: "Die Teilnehmerstaaten stimmen unter Hinweis darauf, daß Angehörige von Urbevölkerungen besondere Probleme bei der Ausübung ihrer Rechte haben können, überein, daß ihre KSZE-Verpflichtungen betreffend Menschenrechte und Grundfreiheiten voll und ohne Diskriminierung filr solche Personen gelten. " 186
ee) Nation Auch das Selbstbestimmungsrecht eines Nationalvolkes ist anerkannt. 187 Dieses basiert auf dem sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausgebildeten Nationalitätsprinzip. 188 Ein sogenanntes nationales Selbstbestimmungsrecht steht daher auch den Nationen zu. Anerkannt war dieses insbesondere im Falle des deutschen Volkes im Hinblick auf die Wiedervereinigung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg. 189 Relevant ist dieses heute insbesondere noch für Vietnam und Korea. c) Inhalt und Reichweite des Selbstbestimmungsrechts
Hat man einen Träger des Selbstbestimmungsrechts festgestellt, so ist damit nicht der Inhalt des Selbstbestimmungsrechts geklärt. 185 Vgl. Alfredsson, VN 1993, S. 17 (20). Zur Unterscheidung dieser Begriffe s. u. b. 186 Beschlüsse von Helsinki, Abschnitt VI "Die menschliche Dimension", Abs. 29. 187 Thürer, EPIL (8), S. 470 (474); Doehring, "nach Art. 1", Rn. 52, in: Simma, Charta der Vereinten Nationen; Seiffert, Selbstbestimmungsrecht, S. 65. 188 Vgl. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht, S. 19-24. 189 Rabl, S. 316; Guradze, S. 247; Pomerance, S. 71 ; vgl. dazu besonders die ausfUhrliehe Darstellung Seifferts, Selbstbestimmungsrecht, S. 81ff.
l. Kapitel: Friedenssicherung
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Man unterscheidet im Hinblick auf den Geltungsbereich ein externes und internes Selbstbestimmungrecht.1 90 aa) Externes Selbstbestimmungsrecht Das externe Selbstbestimmungsrecht gewährt dem Volk das Recht, frei vom Zwang anderer Staaten sein politisches, wirtschaftliches und soziales Schicksal selbst zu bestimmen. Dieses Recht hängt eng mit dem Recht auf Unabhängigkeit und dem Grundsatz der Souveränität des Staates zusammen, da der Adressat des Selbstbestimmungsrechts in dieser Form auswärtige Staaten sind. Das externe Selbstbestimmungsrecht will daher die Fremdbestimmung der Geschicke des Volkes durch andere Staaten verhindern. Dieser Begriff gibt damit den herkömmlichen "klassischen" Inhalt des Selbstbestimmungsrechts wider, der vor allem von den Staaten der Dritten Welt und ehemaligen Kolonialstaaten propagiert wird. bb) Internes Selbstbestimmungsrecht Das interne Selbstbestimmungsrecht gewährt einem Volk das Recht, frei sein eigenes Schicksal innerhalb seines Staates zu bestimmen, einschließlich der Regierungsform 191 . Dieses entspricht dem zweiten Satz des Art. 1 Abs. 1 IPBPR: l92 "Kraft dieses Rechts [der Selbstbestimmung] entscheiden sie [die Völker] frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung." (Einfilgungen durch Verf.)
Die unmittelbare völkerrechtliche Geltung des internen Selbstbestimmungsrechts wird daneben zuweilen bestritten. Das interne Selbstbestimmungsrecht sei "not of direct concern to international law, either in its essence or in its operation". 193 Vielmehr habe der Staat das Recht, eigene Entscheidungen auf diesem Gebiet zu treffen. Der konkrete Inhalt differiert je nach dem Träger des Selbstbestimmungsrechts. So muß ein Staatsvolk eines souveränen Staates frei über seine eigene Regierung entscheiden können. Eine Minderheit innerhalb ei190 Entsprechend Cassese, in: Henkin, S. 96-101. l91 Cassese, in: Henkin, S. 90f; Cristescu, S. 51 , Abs. 319. 192 Nowak, Art. 1 Rn. 34; Cassese, in: Henkin, S. 96. 193 Cristescu, S. 51, Abs. 319.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
nes Staates muß eigene Rechte in Anspruch nehmen können, um ihre kulturelle und sprachliche Identität zu bewahren. Auf den internen Aspekt des Selbstbestimmungsrechts wiesen in der Vergangenheit vor allem westliche Staaten hin, die hierdurch einen Ansatzpunkt zur Stärkung und Verbreitung des westlichen Demokratiekonzepts sahen. (1) Minderheiten
Einer Minderheit können weitreichende Rechte bis zur Autonomie gewährt werden. Den Mindeststandard setzen insoweit auf universeller Völkerrechtsebene jedoch die Rechte aus Art. 19 (Meinungsfreiheit), Art. 21 (Versammlungsfreiheit), Art. 22 (Koalitionsfreiheit) und Art. 25 IPBPR (Gewährung staatsbürgerlicher Rechte). Ferner regelt Art. 27 IPBPR den Schutz von Minderheiten. Wird den Bedürfnissen der Minderheit nach kultureller, religiöser, ethnischer oder sprachlicher Identitätsbewahrung in ausreichendem Maße Rechnung getragen, so wird das Selbstbestimmungsrecht der Minderheit erfüllt, d. h. die Minderheit übt dieses bereits aus. Problematisch ist die Frage, ob eine Sezession vom Mutterstaat zulässig ist, wenn dem Selbstbestimmungsrecht der Minderheit in einem erheblichen Maße nicht nachgekommen wird. Dem Selbstbestimmungsrecht auf der einen Seite steht jedoch auf der anderen Seite das Prinzip der territorialen Integrität der Staaten gegenüber. Die FRD bringt dieses zum Ausdruck: Einerseits: "Die Gründung eines souveränen und unabhängigen Staates, die freie Vereinigung mit einem unabhängigen Staat oder die freie Eingliederung in einen solchen Staat oder das Entstehen eines anderen, durch ein Volk frei bestimmten politischen Status stellen Möglichkeiten der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker dar." l94
Andererseits: "Die vorstehenden Absätze sind nicht als Ermächtigung oder Ermunterung zu Maßnahmen aufzufassen, welche die territoriale Unversehrtheil oder die politische Einheit souveräner und unabhängiger Staaten teilweise oder vollständig auflösen oder beeinträchtigen würden, die sich in ihrem Verhalten von dem oben erwähnten Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker leiten lassen und daher eine Regierung besitzen, welche die
194 5. Grundsatz, 4. Abs.
l. Kapitel: Friedenssicherung
221
gesamte Bevölkerung des Gebiets ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens oder Hautfarbe vertritt." 19 5
Die Frage des Rechts zur Sezession ist in der Völkerrechtswissenschaft nicht geklärt. Buchheil erkannte 1978, daß es weder eine internationale Einigkeit über ein Recht auf Sezession noch über die Legitimität sezessionistischer Bewegungen gebe. 196 Zum Teil wird ein Sezessionsrecht bestritten197, überwiegend wird zumindest eine sehr restriktive Betrachtungsweise vorgenommen. 198 Richtig ist sicherlich, daß die Sezession nicht die einzige Ausübungsmöglichkeit des Selbstbestimmungsrechts darstellt. Vielmehr kann sie nur ultimo ratio sein. Nur wenn schwere Völkerrechtsverletzungen begangen werden, die sich spezifisch gegen die Minderheit richten, muß das Prinzip der territorialen Integrität hinter dem Interesse an der - mitunter gewaltsamen - Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch Sezession zurücktreten. 199 Solche Völkerrechtsverstöße können insbesondere Verletzungen des ius cogens darstellen, z. B. Verstöße gegen die Genozid-Konvention200 vom 9. Dezember 1948201 sowie Massenausweisungen, Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen. (2) Staatsvolk
Hinsichtlich eines Staatsvolkes gewährt das interne Selbstbestimmungsrecht das Recht, das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Schicksal zu bestimmen. Das Volk muß an der politischen Willensbildung der Regierung mitwirken. 202 Das Recht des Volkes richtet sich gegen den Staat, insbesondere die Regierung. 203 Das Prinzip des internen Selbstbestimmungsrechts erfordert daher, daß die Regierung nach demokratischen Grundsätzen vom Volk gewählt werden muß und die Regierung das Volk 195 5. Grundsatz, 7. Abs. 196 Buchheit, S. 216. 197 Gros Espiell, Self-Determination, S. 14, Abs. 90, der die Sezession nur zur Abwehr des
Kolonialismus für rechtmäßig hält.
198 Vgl. dazu Thürer, AVR 1984, S. 113 (129). 199 Ähnlich Doehring, "nach Art. 1", Rn. 40, in: Simma, Charta der Vereinten Nationen; Marie, HRLJ 1986, S. 195 (203); Thürer, AVR 1984, S. 113 (129); Thornberry, ICLQ 1989, S. 867 (876). 200 Verbot des Völkermordes ist zwingendes Recht, vgl. Frowein, EPIL (7), S. 327 (328). 201 UNTS Bd. 78 1948, S. 277ff.; BGBI. II 1954, S. 729. 202 Kimminich, Die Renaissance, S. 609. 203 Vgl. Cassese, in: Henkin, S. 97f.
222
2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
nicht unterdrücken darf. 204 Diesen Grundsatz konkretisiert Art. 25 IPBPR. 205 Der Inhalt des internen Selbstbestimmungsrechts kommt auch in Art. 12 des Übereinkommens über eine umfassende Regelung des KambodschaKonflikts vom 23. Oktober 1991 zu Ausdruck. Dort heißt es: "The Cambodian people shall have the right to determine their own political future through the free and fair election of a constituent assembly, which will draft and approve a new Cambodian Constitution in accordance with Article 23 and transform itself into a legislative assembly, which will create the new Cambodian Govemment."
Die Anerkennung eines internen Selbstbestimmungsrechtes stellt eine Neuerung des Völkerrechts dar.206 So mischt sich die völkerrechtliche Verpflichtung des internen Selbstbestimmungsrechts in die innere politische Organsiation eines Staates ein, in einen Bereich, der an sich gemäß dem Prinzip der Souveränität und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten des Staates für völkerrechtliche Regelungen grundsätzlich nicht zugänglich ist. Art. 1 IPBPR, der das Recht auf interne Selbstbestimmung konstituiert, stellt damit eine Verbindung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und der Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte her. 207 Diese Tendenz ist durch Bestimmungen von OSZE-Dokumenten erheblich verstärkt worden, indem die OSZE als Voraussetzung für die Autorität einer Regierung den umfassenden Grundsatz der demokratischen Legitimität aufgestellt hat. 2°8
204 Kiss, HRLJ 1986, S. 164 (171); Nowak, Art. 1 Rn .. 34; Marie, HRLJ 1986, S. 195 (203). 205 Dieser lautet: "Jeder StaatsbOrger hat das Recht und die Möglichkeit, ohne Unterschied nach den in Art. 2 genannten Merkmalen und ohne unangemessene Einschränkungen a) an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen; b) bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet ist, zu wählen und gewählt zu werden; c) unter allgemeinen Gesichtspunkten der Gleichheit zu öffentlichen Ämtern seines Landes Zugang zu haben." 206 Vgl. Kiss, HRLJ 1986, S. 165 (171). 207 Cassese, in: Henkin, S. 97f. 208 Dazu im folgenden Abschnitt 2.
1. Kapitel: Friedenssicherung
223
2. Erweiterung des internen Selbstbestimmungsrechts der Völker in der OSZE durch die Konstituierung des Grundsatzes der demokratischen Legitimität der Regierung
Viele Jahre lang war das Prinzip VIII der KSZE-Schlußakte die einzige Bestimmung, die Aussagen im OSZE-Rahmen über das Selbstbestimmungsrecht der Völker traf. Als Folge der politischen Gegensätze des Ost-West-Konflikts war dabei das interne Selbstbestimmungsrecht nur schwach ausgeprägt. Zwar ist in der Formulierung des Prinzips VIII sowohl das externe als auch das interne Selbstbestimmungsrecht enthalten, jedoch überwiegt keiner der Aspekte wegen der Wendung "ohne äußere Einmischung".209 Zumindest kann der interne Aspekt durch eine entsprechend opportune Auslegung in seiner Bedeutung vermindert werden, wie dieses auch durch die Sowjetunion getan wurde. Insgesamt läßt sich sowohl die Betonung des externen als auch des internen Selbstbestimmungsrechts aus dieser Formulierung herauslesen. Dieses war die Konsequenz der sowjetischen Haltung während der Genfer Kommissionsphase der KSZE 1973-1975, sich auf das Prinzip der Nichteinmischung berufend jegliche Bestimmung für die innerstaatliche Organisation des Staates fernzuhalten. Erst später im Verlauf des Zusammenbruchs des Ostblocks erkannten alle OSZE-Staaten die grundlegende Bedeutung des internen Selbstbestimmungsrechts an. Das Gesamtkonzept der in den Jahren 1990 -1992 vereinbarten Regelungen gilt es im folgenden darzustellen und zu erörtern. Es basiert auf den im OSZESprachgebrauch genannten Vereinbarungen der .,Menschlichen Dimension der OSZE". 210 Wie Thürer im Jahre 1984 in seinem "Ausblick" erklärte, will das Selbstbestimmungsrecht, das als ein Prozeß anzusehen ist, die Voraussetzungen dafür schaffen, daß möglichst viele Menschen in einem Gemeinwesen leben können, mit dem sie sich identifizieren. 211 Grundlage des internen Selbstbestimmungsrechts des Völker ist damit der Wille des Volkes.
209 Salmon sieht dagegen im Prinzip VIII besonders das interne Selbstbestimmungsrecht beschrieben, VN 1993, S. 10 (14). 210 Siehe zu diesem Begriffund dessen Geschichte genauer oben I. Teil, 2. Kapitel, E., I. 2ll Tharer, AVR 1984, S. 113 ( 135).
224
2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Voraussetzung für eine möglichst umfassende Befolgung des Volkswillens in einem Staat ist, daß die Macht im Staate demokratisch legitimiert und rechtsstaatlich212 organisiert ist und 2., wenn die Macht so organisiert ist und Minderheiten in einem Staat leben, die Mehrheit die Minderheit nicht in allen Bereichen beherrscht. Die konkurrierenden Selbstbestimmungsrechte der jeweiligen Volksgruppen - beispielsweise in einem Vielvölkerstaat - müssen in Einklang gebracht werden. l.
Es bedarf daher für eine Ausübung des internen Selbstbestimmungsrechts zum einen einer demokratischen und rechtsstaatliehen Verfassung, zum anderen eines effektiven Minderheitenschutzes. Man kann in diesem Zusammenhang von einem koordinierten Selbstbestimmungsrecht sprechen. Um diesem Konzept gerecht zu werden, hat die OSZE das interne Selbstbestimmungsrecht erheblich ausgeweitet und präzisiert. Sie hat als Bestandteil des internen Selbstbestimmungsrechts - ohne sich darauf ausdrücklich zu berufen - einen Grundsatz der demokratischen Legitimität der Regierung213 aufgestellt. Dazu gehört, daß die innerstaatliche Organisation der staatlichen Gewalt demokratisch und rechtsstaatlich angelegt sein muß. Als drittes Element muß ein ausreichender Minderheitenschutz gewährleistet sein. Das interne Selbstbestimmungsrecht wird damit inhaltlich präzisiert und erlangt eine neue Qualität. Begonnen hat die Erstellung eines solchen Konzepts mit dem "Kopenhagener Dokument der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE" vorn 29. Juni 1990 (im folgenden: Kopenhagener Dokument). Dieses stellt auch gleichzeitig dessen Hauptdokument dar. Erst nach dem Ende des Ost-West-Konflikts 1989 war die Einigung auf demokratische Grundsätze nach westlichem Muster möglich. 214 Fortgeführt wurde dieses Konzept mit der "Charta von Paris" und dem "Moskauer Dokument der Konferenz über die Menschliche Dimension" (im folgenden: Moskauer Dokument). 215 Mit dem "Helsinki-Dokurnent 1992" wurde das Legitirni212 Das beeinhaltet auch die Beachtung der Menschenrechte, siehe unten a bb. 213 Dieser Ausdruck findet sich in keinem OSZE-Dokument. Er soll hier aber als Arbeitsbegriff und als Zusammenfassung derjenigen Vereinbarungen dienen, die ein solches Konzept bilden. 214 Siehe zum geschichtlichen Hintergrund oben l. Teil, 2. Kapitel F. VI. 21 5 Vgl. dazu oben l. Teil, 3. Kapitel, A. und D. VI.
I. Kapitel: Friedenssicherung
225
tätskonzept des internen Selbstbestimmungsrechts in das Friedenssicherungskonzept der OSZE integriert.216 a) Demokratie
Grundlage des Legitimitätskonzepts bildet die Anerkennung, daß die Demokratie gleichsam die einzig richtige Staatsform sei. Dazu heißt es in der Charta von Paris: "Wir verpflichten uns, die Demokratie als die einzige Regierungsform unserer Nationen aufzubauen, zu festigen und zu stärken."
Der Ausdruck "Demokratie" ist jedoch mehrdeutig. Unterschiedliche Konzepte sind unter Berufung auf die Demokratie gerechtfertigt worden.217 Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, daß der Demokratiebegriff der OSZE dem des westlichen Staatsverständnisses voll und ganz entspricht. In der Charta von Paris wird ausgeführt: "Demokratische Regierung gründet sich auf den Volkswillen, der seinen Ausdruck in regelmäßigen, freien und gerechten Wahlen findet. Demokratie beruht auf Achtung vor der menschlichen Person und Rechtsstaatlichkeit.... Die Demokratie, ihrem Wesen nach repräsentativ und pluralistisch, erfordert Verantwortlichkeit gegenOber der Wählerschaft, Bindung der staatlichen Gewalt an das Recht sowie eine unparteiische Rechtspflege."
Der Demokatiebegriff der OSZE setzt sich damit aus zwei grundlegenden Elementen zusammen: Erstens aus freien Wahlen und zweitens aus dem Pluralismus. Rechtsstaatlichkeit bildet die Grundlage der Demokratie, d. h. die Demokratie ist in der Rechtsstaatlichkeit eingebettet, wie später noch gezeigt werden wird. 218 Eine ähnliche Definition hat 1965 die International Commission of Jurists 1965 in Bangkok gefunden. In ihrem Bericht heißt es: "The basic principles of democray within the meaning of the term as used in this Working Paper emerged from the French and the American Revolutions, and in our time, as indicated
216 Dazu unten 8. 217 Siehe dazu die
Übersicht im Bericht der International Commission of Jurists, The Dynamic Aspects ofthe Rule ofLaw in the Modem Age, S. 17f., Abs. 22-26. 218 Siehe unten b bb (1 ). 15 Bonloff
226
2. Teil: OSZE-Grundslltze und -Verpflichtungen
earlier, are expressed in the Universal Declaration of Human Rights. While the basic requirements of representative government are disussed at some length in Part III of this Working Paper, in may be useful to enumerate some ofthem at this point: ( a) (b) ( c) ( d)
Free elections General freedom of expression lndepentent political parties A written constitution"219
In dieser Definition sind ebenfalls die Elemente der freien Wahlen, des Pluralismus in Form der unabhängigen Parteien und der Rechtsstaatlichkeit enthalten. aa) Pluralismus Im Mittelpunkt des Legitimitätskonzepts und des Demokratiebegriffes steht ausdrücklich der "Volkswille". Dabei wird anerkannt, daß der Volkswille nicht einheitlich beschaffen ist, sondern sich differenziert darstellt. Die OSZE führt dabei einen Begriff in das Völkerrecht ein, der zuvor in erster Linie in der Politologie verwendet wird: der Begriff des "Pluralismus". Indem sich die OSZE-Staaten zu einer "pluralistischen Demokratie" bekennen, wird der Pluralismus damit Bestandteil des Demokratiebegriffes. Im Kopenhagener Dokument heißt es dazu: "Sie [die Teilnehmerstaaten; Anm. d. Verf.) erkennen an, daß pluralistische Demokratie und Rechtsstaatlichkeil wesentlich sind filr die Gewährleistung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, ... Sie begüBen daher das Bekenntnis aller Teilnehmerstaaten zu den Idealen der Demokratie und des politischen Pluralismus .. ." .220
Wie bereits oben erwähnt, stammt der Begriff Pluralismus aus der Politologie. Er ist kein (völker-)rechtlicher Begriff und wurde zuvor in keinem völkerrechtlichen Dokument erwähnt. In der Politikwissenschaft steht dieser Begriff seit den 50er Jahren dieses Jahrhunderts in der internationalen Diskussion. Die Grundidee wurde jedoch bereits im 18. und 19. Jahrhundert entwickelt. Insbesondere angelsächsische und deutsche Philosophen und Staatsrechtier haben Grundlagen für das Konzept des heutigen Pluralismus geschaffen. Repräsentanten dafür sind der deutsche Staatsrechtier Otto von Gierke (1841-1921) - auch als "Stammvater" des Plura-
219 International Commissinn of Jurists, The Dynamic Aspects of the Rute of Law in the Modem Age, S. 18, Abs. 27. 220 Präambel des Kopenhagener Dokuments.
1. Kapitel: Friedenssicherung
227
lismus bezeichnet221 - , der mit seiner Genossenschaftsidee Vordenker war222 sowie der britische Politikwissenschaftler Harold Laski (18931950).223
Der heutige Pluralismusbegriff wurde insbesondere von den amerikanischen Politologen Robert A. Dahl und William Alton Ke/so sowie dem deutschen Politikwissensschaftler Ernst Fraenkel (1898-1975) geprägt, der in Deutschland den sogenannten Neo-Pluralismus begründete. Trotz einer Vielzahl von Pluralismustheorien, die von verschiedenen Autoren entwikkelt wurden und die jeweils auf einem eigenen Grundverständnis des gesellschaftlichen Interessenausgleichs beruhen, soll hier der Versuch unternommen werden, eine zusammenfassende, die Gemeinsamkeiten herausstellende Definition dieses Begriffes zu geben.224 Pluralismus im einfachsten und spezifischen Sinne meint eine Vielheit, deren einzelne Elemente in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen, wobei diese Elemente im wesentlichen voneinander unabhängig, gleichberechtigt und autonom sind, also keiner maßgeblichen Kontrolle anderer unterworfen sind, sondern vielmehr im Verhältnis des Wettbewerbs und des Konflikts miteinander stehen. 225 Bezogen auf die demokratischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA beschreibt Dahl den amerikanischen Pluralismus in folgender Weise: "Instead of a single center of sovereign power there must be multiple centers of power, none ofwhich is or can be wholly sovereign. Although the only Iegitimale sovereign is the people, in the perspective of American pluralism even the people ought never to be an absolute sovereign; consequently no part of the people, such as a majority, ought to be absolutely sovereign. Why this axiom? The theory and practice of American pluralism tend to assume, as I see it, that the existence of multiple centers of power, none of which is wholly sovereign, will help (may indeed be necessary) to tarne power, to secure the consent of all, and to settle conflicts peacefully".226
Der amerikanische Politologie William Alton Kelso vertritt eine eigene Spielart des Pluralismus, den öffentlichen Pluralismus (public pluralism). 221 So von Fraenkel in: Verh. DJT 1965 Bd. II S. B 1 (823); Dieser Vortrag vor dem Deutschen Juristentag findet sich ebenfalls in Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 165-189.
56.
222 Vgl. Steffani, Handlexikon zur Politikwissenschaft, S. 247. 223 Zur Entstehungsgeschichte des Begriffs vgl. auch Quaritsch, Der Staat 19 (1980), S. 29-
224 Einen Überblick Ober die verschiedenen Pluralistische Demokratie, S. 13-69. 225 Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 15. 226 Dahl, S. 24
Pluralismustheorien
bietet
Steffani,
228
2. Teil: OSZE-Grundsätze und-Verpflichtungen
Danach soll die Exekutive eine moderierende und überwachende Rolle einnehmen, in dem sie den Wettbewerb der Interessengruppen erhält oder wiederherstellt, wo dieser bedoht oder untergegangen ist. 227 Kelso betont damit die Erhaltung des Wettbewerbs der Interessengruppen als Element des Pluralismus. Der deutsche Neopluralist Fraenkel definierte den Pluralismus prägnant als "das gleichberechtigte, durch grundrechtliche Garantien geschützte Nebeneinanderexistieren und -wirken einer Vielzahl sozialer Gruppen innerhalb einer staatlichen Gemeinschaft". 228
Der Pluralismus ist als Erscheinung des 20. Jahrhunderts anzusehen, insbesondere in der heutigen Massengesellschaft der Industriestaaten, die durch eine Vielzahl von Interessengruppen geprägt ist. Die Pluralität der Interessen kann nach diesem Konzept daher nur durch Zusammenschlüsse der Individuen zum Ausdruck gebracht werden. Infolge dieser Ausgleichsfunktion ist nach Fraenkel der Pluralismus existentielles Merkmal einer jeden freiheitlich-rechtsstaatliehen Demokratie. Der Wettbewerb der Gruppeninteressen erfolgt jedoch nach dem Pluralismuskonzept nicht losgelöst von staatlichen Strukturen. Vielmehr ist dieser im staatlichen System integriert. Das Zusammenspiel von Parlament, Regierung, Parteien, Interessengruppen und öffentlicher Meinung muß so beschaffen sein, daß keiner dieser Faktoren eine überschattende Bedeutung zu kommt. 229 Pluralismus ist damit ein Konzept, in dem sich eine Vielzahl sozialer Gruppen an der politschen Willensbildung und der Lösung politischer Fragen gleichberechtigt beteiligen können. Ist der Begriff des Pluralismus zwar ein politologischer, so fragt es sich aber, welche Folgerungen für die rechtliche Berurteilung des Demokratiebegriffs aus dessen Verwendung im völkerrechtlichen Zusammenhang abzuleiten sind. Auch im innerstaatlichen Bereich Deutschlands wird der Begriff zwar in staatsrechtlichen Untersuchungen verwendet, jedoch nicht als juristischer terminus technicus. Oft wird lediglich von einem pluralistischen Gemeinwesen230 oder Pluralismus der Meinungen gesprochen, also lediglich im Sinne einer "Vielheit" gebraucht. Auch wenn der Begriff in einem eher juristischen Zusammenhang verwendet wird, steht stets dessen politologische Bedeutung im Vordergrund. So verwendet das deutsche Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahre 1961 den Begriff, setzt ihn aber noch in Anführungzeichen: 227 Vgl. Kelso, S. 6f. 228 Fraenkel, Pluralismus, in: Staat und Politik, S. 254. 229 Fraenkel, in: Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 9. 230 Hesse, Rn. 136.
l. Kapitel: Friedenssicherung
229
"Nur die freie öffentliche Diskussion über Gegenstände von allgemeiner Bedeutung sichert die freie Bildung der öffentlichen Meinung, die sich im freiheitlichen demokratischen Staat notwendigerweise ,pluralistisch' im Widerstreit verschiedener und aus verschiedenen Mo· tiven vertretener, aber jedenfalls in Freiheit vorgetragener Auffassungen, vor allem in Rede und Gegenrede vollzieht...231
Andererseits spricht Wolfgang Ho.ffmann-Riem von einer "grundgesetzliehen Pluralismuskonzeption".232 Das Bundesverfassungsgericht verwandte im Jahre 1972 wiederum den Begriff Pluralismus nicht in einem juristischen, sondern im politologischen Sinne, dieses Mal ohne Verwendung von Anführungzeichen. "Abgesehen davon, daß die Abgrenzung von ,wertvollen' und ,wertlosen' Meinungen schwierig, ja oftmals unmöglich wäre, ist in einem pluralistisch strukturierten und auf die Konzeption einer freiheitlichen Demokratie beruhenden Staatsgefii~e ~ede Meinung, auch die von etwa herrschenden Vorstellungen abweichende, schutzwürdig." 3
Die juristische Diskussion um den Pluralismus in der Bundesrepublik Deutschland trat in der Vergangenheit vor allem im Rahmen der sogenannten Pluralismuskritik zutage, wobei die Rolle der Verbände im gesellschaftlichen System in Rede stand. 23 4 Aus dem oben Gesagten ergibt sich also, daß der Pluralismus kein juristischer Fachbegriff ist. Vielmehr ist er ein politologischer Begriff mit juristischem Bezug. Der juristische Bezug ergibt sich daraus, daß die grundgesetzliche Ordnung einen- gesellschaftlichen- Pluralismus gewährleistet. Nach deutschem Verfassungsrecht kommt die Staatsrechtswissenschaft zwar ohne den Begriff Pluralismus aus, benutzt ihn aber, um verfassungsrechtliche Vorgaben mit politilogischen Gegebenheiten und Erscheinungen der Gesellschaft in Zusammenhang zu bringen. Was ist aber Sinn und Folge der Einführung des Pluralismusbegriffs in das Völkerrecht durch die OSZE? Ist die OSZE dabei, den Pluralismusbegriff zu "verrechtlichen" und als Begriff des Völkerrechts zu konstituieren? Dies erscheint insofern möglich, als der Begriff als politologischer Terminus in der Vergangenheit im gesamten westlichen OSZERaum bekannt war und ein Zentralbegriff der demokratischen Gesellschaft 231 BVerfGE 12, S. 113 (125). 232 In: Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 397. 233 BVerfGE 33, S. I (15). 234 Vgl. Böckenförde, Die politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatliehen Demokratie, in: Der Staat 15 (1976), S. 454-483; Häberle, Verbände als Gegenstand demokratischer Verfassungslehre, ZHR 145 (1981) S. 473· 503; Scheuner, Politische Repräsentation und lnteressenvertretung, DÖV 1965, S. 577-581.
230
2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
war. Mit dem Kopenhagener Dokument haben auch die OSZE-Staaten in Ost-, Südost- und Mitteleuropa sowie später in Zentralasien den Pluralismus anerkannt. Um eine mögliche Verrechtlichung dieses Begriffs zu beurteilen, muß man sich aber zunächst vor Augen führen, warum dieser Begriff Eingang in das Kopenhagener Dokument gefunden hat. Die Verwendung des Pluralismusbegriffs im Kopenhagener Dokument zielte auf die inhaltliche Festlegung des Demokratiebegriffs nach westlichem Verständnis. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß der Begriff insbesondere auf amerikanische Initiative in das Kopenhagener Dokument aufgenommen wurde. Die westlichen Demokratien sind ihren Strukturmerkmalen nach pluralistische Demokratien. 235 Dadurch sollte der Demokratiebegriff im Hinblick auf die sogenannten Volksdemokratien abgegrenzt werden, also auf Systeme, die sich zwar Demokratien nennen, jedoch in keiner Weise den westlichen Maßstäben entsprechen. Genau diese Abgrenzung vermag am besten der Begriff des Pluralismus vorzunehmen, ist er doch in der Politologie - insbesondere nach dem Neopluralismus Fraenkels - ein Gegenbegriff zum totalitaristischen System, das von einer Interessenidentität von Regierenden und Regierten ausgeht. 236 Entspechend den Hauptcharakteristika einer totalitären Diktatur, den einzig besten Weg für das Wohlergehen des Volkes in der Zukunft zu kennen, geht die Grundhypothese des Totalitarismus davon aus, das Gemeinwohl a priori bestimmen zu können ("soziale Omnipotenz" genannt). Entsprechend dieser Grundannahme duldet der Totalitarismus keine anderen politischen Gruppen neben sich, die dieses Verständnis nicht teilen und einen anderen Weg zur Erreichung des Gemeinwohls beschreiten wollen. Zwar kann es in totalitaristischen Systemen auch verschiedene organisierte Interessengruppen wie z. B. Parteien und Gewerkschaften geben, jedoch sind diese dann der Willensbildung der führenden Staatspartei gleichgeschaltet. Pluralistisch strukturierte Systeme dagegen gehen zwar von einer allgemein zu akzeptierenden Wertordnung aus, welche als grundlegendes Axiom dient. Ein allgemeiner Konsens über fundamentale Fragen des staatlichen Zusammenlebens muß auch in diesem System bestehen. Jedoch gehen diese Systeme zugleich auch von der Grundannahme aus, daß das Gemeinwohl des Staates nur a posteriori als das Ergebnis eines dialektischen Prozesses divergierender Ideen und Interessen der Gruppen und
235 Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 117. 236 Vgl. dazu Fraenkel, Verb. DJT 1965 Bd. li, S. B5 (B6-B10).
I. Kapitel: Friedenssicherung
231
Parteien erreicht werden kann. 237 Für diesen Prozeß der Lösung nichtfundamentaler politischer Fragen und Probleme ist daher das Bestehen einer Vielzahl von Gruppen und Verbänden nicht nur erforderlich, sondern sogar erwünscht. Das Bestehen von Meinungsverschiedenheiten zwischen gesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien wird nicht als hinderlich für die Politik des Staates empfunden, sondern als Ausdruck der Funktionsfähigkeit des pluralistischen Systems. Die OSZE hat sich damit auf ein pluralistisches politisches System in Abgrenzung zu totalitaristischen Staatsordnungen festgelegt. Damit sind in den OSZE-Staaten jegliche Regelungen, die der pluralistisch verfaßten Ordnung widersprechen, unzulässig. Folglich hat eine "klare Trennung zwischen Staat und politischen Parteien"238
stattzufinden. "[U]nzulässig ist insbesondere die Versc~elzung politischer Parteien mit dem Staat." 239
Einheitliche Staatsparteien, wie im Kommunismus und Faschismus üblich, sind damit verboten. Vielmehr ist das Vorbild eine Regierungsform, die auf "einem demokratischen Mehrparteiensystem auf der Grundlage freier, regelmäßiger und echter Wahlen" 240
basiert. Zwar zielt die Festschreibung des Pluralismus zweifelos in erster Linie auf die zukünftige Verhinderung einer Etablierung oder Wiederetablierung kommunistischer totalitärer Systeme, jedoch sind mit dem Pluralismus jegliche totalitäre Ansätze unvereinbar, also auch faschistische Diktaturen. Im OSZE-Raum sind damit seit der Vereinbarung von Kopenhagen sämtliche Spielarten totalitärer Systeme unzulässig. Diese Fixierung der OSZE-Staaten auf den Pluralismus ist eine äußerst weitreichende Festlegung auf eine innerstaatliche gesellschaftliche wie 237 Fraenkel, Verb. DJT 1965 Bd. II, S. B5 (B8); siehe auch Denninger, Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 1326. 238 Ziff. 5.4 des Kopenhagener Dokuments. 239 Ziff. 5.4 des Kopenhagener Dokuments. 240 Präambel des Dokuments der Konferenz über Wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 11. April 1990 in Bonn; siehe dazu oben I. Teil, 2. Kapitel, F. V.
232
2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
rechtliche Verfassung in einem internationalen Rahmen. Auch wenn der Pluralismus kein völkerrechtlicher Begriff ist -eine Entwicklung zu einem solchen ist jedoch nicht schlechthin ausgeschlossen - so hat er doch eine enorme Auswirkung. Er ist zur grundlegenden Richtschnur für die innerstaatliche Verfassungsordnung geworden. Die Gesetzgebung des Staates muß eine pluralistische Gesellschaftsordnung gewährleisten. Insbesondere ist die rechtsstaatliche Komponente bedeutsam. Der Rechtsstaat muß die juristischen Rahmenbedingungen setzen, die die pluralistischen Interessenund Meinungsartikulation verbürgen. 241 Die Gewährung der speziellen Freiheits- und Bürgerrechte ist daher die Erfüllung des Erfordernisses einer pluralistischen Staatsordnung in den OSZE-Staaten. Die Staatsverfassungen der OSZE-Staaten dürfen keinen totalitären Charakter haben. Sie müssen vielmehr eine permanente politische Auseinandersetzung durch Bildung freier Gruppen, Verbände und Parteien ermöglichen. Der Pluralismusbegriff ist zwar kein völkerrechtliches Prinzip, jedoch hat er als Auslegungsgrundsatz für das Völkerrecht eine rechtliche Bedeutung, da im Rahmen des Prinzips der Erfüllung völkerrechtlicher Pflichten nach Treu und Glauben auch die außerrechtlichen Übereinkünfte der OSZE heranzuziehen sind. Er hat damit, wie noch untersucht wird242, eine Ausstrahlungswirkung sowohl auf das Völkerecht wie auch auf innerstaatliche Entscheidungen. Der Pluralismus kann als ein "Grundsatz der Demokratie" im Sinne des NATO-Vertrages243 und WEU-Vertrages244 bezeichnet werden. In der Präambel des NATO-Vertrages heißt es: "Die Parteien dieses Vertrages ... Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation der Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten." Nach der Verwendung des Begriffes "Pluralismus" im OSZE-Rahmen wird dieser immer häufiger in rechtlichen Dokumenten - sowohl innerstaatlichen als auch internationalen - verwendet. So wurde z. B. der Pluralismus in der neuen bulgarischen Verfassung ausdrücklich niedergelegt. In Art. II Absatz I heißt es: 241 So auch aus politologischer Sicht: Kremendahl, S. 320, der den Satz Zachers zitiert, wonach die Freiheitsrechte "die Signale des Pluralismus" seien. 242 3. Teil, 2. Kapitel, C. II. 3. 243 Nordatlantikvertrag vom 4. April1949, BGBI. 1955 II, S. 289. 244 Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit und über kollektive Selbstverteidigung vom 17. März 1948, BGBI. 1955 II, S. 283.
I. Kapitel: Friedenssicherung
233
"Das politische Leben in der Republik Bulgarien beruht auf dem Prinzip des politischen Pluralismus'". 245
Auch westliche Verfassungen, wie die spanische und portugisische Verfassung246, enthalten den Grundsatz des Pluralismus. Im völkerrechtlichen Rahmen wurde der Begriff Pluralismus im bereits erwähnten Übereinkommen über eine umfassende Regelung des Kambodscha-Konflikts verwendet. Die 19 Vertragsstaaten legten in Anhang 5, Ziff. 4 des Übereinkommens fest, daß "the Constitution will state Cambodia will follow a system of liberal democracy, on the basis of pluralism...
Im "Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung" 247 vom 29. Mai 1990 verwendeten die Vertragsstaaten zur Charakterisierung der nationalen Verfassungsordnungen der neuen Demokratien Mittel- und Osteuropas die Begriffe des wie oben Pluralismus und der Mehrparteiendemokratie, wobei festgestellt - letzteres im Pluralismusbegriff enthalten ist. Art. 1 des Vertrages lautet: "Zweck der Bank ist es, durch Unterstützung des wirtschaftlichen Fortschritts und Wiederaufbaus in den mittel- und osteuropäischen Ländern, die sich zu den Grundsätzen der Mehrparteiendemokratie und des Pluralismus und der Marktwirtschaft bekennen und diese anwenden, den Übergang zur offenen Marktwirtschaft zu begünstigen sowie die private und Unternehmerische Initiative zu fördern ...
Die Vertragsstaaten haben damit Anforderungen an die innerstaatliche Wirtschaftsverfassung der zu unterstützenden Staaten gestellt, ohne deren Erfüllung eine Hilfe der Bank nicht zulässig ist. Vertragsstaaten sind nicht nur Teilnehmerstaaten der OSZE, sondern auch außereuropäische Staaten, wie z. B. Ägypten, Australien, Japan, Südkorea und Mexiko. Gemäß der Präambel des Vertrages bekennen sich alle Vertragsstaaten zu den "Grundprinzipien der Mehrparteiendemokratie". Damit teilen nun auch Nichtteilnehmerstaaten das Prinzip des Pluralismus. 248
245 Wortlaut der deutschen Übersetzung in: Osteuroparecht, 1993, S. 192-216.
246 Textejeweils in: Die Verfassungen der EG-Mitgliedsstaaten. 247 BGBI. 1991 II, S. 184 (186).
248 Bemerkenswert ist, daß diese Staaten gemäß der Präambel auch das Prinzip der "Rechtsstaatlichkeit" und der "Marktwirtschaft" völkerrechtlich anerkennen.
234
2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
bb) Freie Wahlen als Repräsentation des Volkswillens Der im Mittelpunkt des Demokratiebegriffs stehende Volkswille muß gemäß dem OSZE-Konzept durch "freie Wahlen" repräsentiert werden. Eine nicht durch freie Wahlen an die Macht gelangte Regierung wird als nicht rechtmäßig angesehen. "Die Teilnehmerstaaten erklären, daß der durch regelmäßige und unverßlschte Wahlen frei und gerecht zum Ausdruck gebrachte Wille des Volkes die Grundlage filr die Autorität und Rechtmäßigkeit jeder Regierung bildet."
Und weiter heißt es: "Die Teilnehmerstaaten werden demnach das Recht ihrer BOrger achten, sich an der Führung ihres Landes entweder direkt oder durch in einem gerechten Wahlgang frei gewählte Vertreter zu beteiligen...249
Die Teilnehmerstaaten haben sich zudem verpflichtet, innerstaatlich die Demokratie zu bewahren, zu schützen und zu verteidigen: "Sie (die Teilnehmerstaaten; Anm. des Verf.] erkennen ihre Verantwortung an, in Übereinstimmung mit ihren Gesetzen, ihren internationalen Verpflichtungen bezOglieh der Menschenrechte und ihren anderen internationalen Verpflichtungen die durch den Willen des Volkes frei geschaffene demokratische Ordnung gegen Aktivitäten von Personen, Gruppen oder Organisationen zu verteidigen und zu schOtzen, die sich des Territoriums oder der Gewalt zum Sturz dieser Ordnung oder der Ordnung eines anderen Teilnehmerstaates bedienen oder auf deren Anwendung nicht verzichten wollen ...250
Dadurch ist es einer Regierung verwehrt, offen oder insgeheim eine Gruppe zu unterstützen; die die demokratische Ordnung mit Gewalt beseitigen will. Aber auch ein Putsch außerhalb des eigenen Staates wird diesem Konzept entsprechend verurteilt: "Die Teilnehmerstaaten .. . verurteilen vorbehaltlos Kräfte, die bestrebt sind, gegen den in freien und fairen Wahlen zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes und im Widerspruch zur rechtmäßig geschaffenen Verfassungsordnung eine parlamentarische Regierung eines Teilnehmerstaates zu entmachten". 2 51
Es besteht jedoch im Falle eines Putsches nicht nur die Verpflichtung zu dessen Mißbilligung, sondern zur Unterstützung der verfassungmäßig und demokratisch gewählten Regierung. Damit haben die OSZE-Staaten erst249 Ziff. 6, Satz 1 und 2 des Kopenhagener Dokuments. 250 Ziff. 6 Satz 3 des Kopenhagener Dokuments. 251 Ziff. 17.1 des Moskauer Dokuments.
I. Kapitel: Friedenssicherung
235
mals eine klare Verhaltensanweisung für den Fall eines Putsches in einem anderen Staat: "Die Teilnehmerstaaten ... werden - in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen - im Falle eines durch undemokratische Mittel herbeigefilhrten oder versuchten Sturzes einer rechtmäßig gewählten Regierung eines Teilnehmerstaates die rechtmäßigen Organe dieses Staates, die fiir Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichk:eit stehen, mit großem Nachdruck unterstützen, um ihrerer gemeinsamen Verpflichtung nachzukommen, sich jeglichem auf eine Verletzung dieser Grundwerte abzielenden Versuch entgegenzustellen". 252
Hauptelement des Demokratiebegriffes der OSZE ist - wie erwähnt die Durchführung freier Wahlen. "Um zu gewährleisten, daß der Wille des Volkes Grundlage für die Autorität der Regierung bildet" 253 , haben die Teilnehmerstaaten neun detaillierte Grundsätze über unverzichtbare demokratische Elemente für freie Wahlen aufgestellt: 1.
Die Wahlen müssen in regelmäßigen254, angemessenen Abständen abgehalten werden (Ziff. 7.1 des Kopenhagener Dokuments). Sie müssen allgemein, gleich (Ziff. 7.3 des Kopenhagener Dokuments), geheim oder in einem gleichwertigen freien Abstimmungsverfahren durchgeführt werden (Ziff. 7.4 des Kopenhagener Dokuments).
2.
Alle Mitglieder zumindest einer Kammer des nationalen Gesetzgebungsorgans müssen vom Volk frei gewählt werden (Ziff. 7.2.).
3. Die Auszählung der Stimmen und die Weitergabe des Abstimmungsergebnisses muß wahrheitsgetreu erfolgen. Die offiziellen Ergebnisse der Wahl müssen bekannt gegeben werden (Ziff. 7.4). 4. Die Wahl muß unter Bedingungen abgehalten werden, die die freie Äußerung der Meinung der Wähler bei der Wahl ihrer Vertreter tatsächlich gewährleistet (Ziff. 5.1). 5. Bürger, die sich um politische oder öffentliche Ämter bewerben, dürfen deswegen keine Nachteile erleiden (Ziff. 7.5). 6. Die Freiheit der Gründung politischer Parteien muß gewährleistet sein. Diesen müssen Garantien gewährt werden, die sicherstellen, daß diese gesetzlich und in der Praxis der Verwaltung gleich behandelt 252 Ziff. 17.2 des Moskauer Dokuments. 253 Ziff. 7 des Kopenhagener Dokuments. 254 Ziff. 6 des Kopenhagener Dokuments.
236
2. Teil: OSZE-Grundsitze und -Verpflichtungen
werden. Ein "Wettstreit" der Parteien ist ausdrücklich erwünscht (Ziff. 7.6).
7. "Politische Wahlkampagnen" müssen in einer "Athmosphäre der Fairneß und Freiheit durchgeführt werden, in der weder administrative Maßnahmen noch Gewalt oder Einschüchterung die Parteien und die Kandidaten daran hindern, frei ihre Ansichten und Fähigkeiten darzulegen, oder die Wähler daran zu hindern, diese zu erfahren und zu erörtern oder ihe Stimme frei von Angst vor Repressalien abzugeben" (Ziff. 7.7). 8. Der Zugang zu den Medien muß für alle politischen Gruppen und Einzelpersonen, die sich an einer Wahl beteiligen wollen, ohne Diskriminierung und andere Beschränkungen möglich sein (Ziff. 7.8) 9. Es muß sichergestellt werden, daß die gewählten Kandidaten ihr Amt auch ordnungsgemäß antreten und grundsätzlich bis zum Ende ihrer Amtszeit innehaben können. Ein vorzeitiges Ende muß gesetzlich geregelt sein und "parlamentarisch-demokratischen" Verfahrensregeln entsprechen (Ziff. 7.9). Die OSZE-Bestimmungen über freie Wahlen entsprechen damit weitgehend den bereits bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragsstaaten des IPBPR, enthalten aber auch darüber hinausgehende Verpflichtungen. In Art. 25 IPBPR heißt es: "Jeder Staatsbürger hat das Recht und die Möglichkeit, ohne Unterschied nach den in Artikel 2 genannten Merkmalen und ohne unangemessene Einschränkungen a) an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen, b) bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet ist, zu wählen und gewählt zu werden".
Ferner ergibt sich bereits aus Art. 21 Abs. 3 AEMR die Verpflichtung zur Durchführung freier Wahlen. Neu ist die Regelung über die Freiheit der Betätigung von Parteien, die gern. Art. 22 IPBPR lediglich im Rahmen der allgemeinen Vereinigungsfreiheit geschützt ist. 255 Ferner ist der Zugang politischer Gruppen zu den Medien, der Wahlkampf sowie der Schutz gewählter Kandidaten geregelt. Grundlegend ist in den OSZE-Vereinbarungen die Festlegung, daß 255 Art. 22 Abs. 1 lautet: "Jedermann hat das Recht, sich frei mit anderen zusammenzuschließen sowie zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten."
1. Kapitel: Friedenssicherung
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Gegenstand der Wahl die Zusammensetzung mindestens einer Kammer der gesetzgebenden Körperschaft sein muß. Eine solche Festlegung besteht nach dem Völkerrecht nicht ausdrücklich, sondern wird lediglich durch Auslegung des Art. 25 IPBPR gefunden. 2S6 Die Einhaltung der Prinzipien, die sich auf den Wahlgang beziehen, soll durch den Einsatz von Wahlbeobachtern anderer Staaten gewährleistet werden. In einer nicht sehr verbindlich formulierten Bestimmung haben sich die Teilnehmerstaaten verpflichtet, "Beobachter aus anderen OSZETeilnehmerstaaten sowie alle geeigneten privaten Institutionen und Organisationen, die dies wünschen", einzuladen, "den Verlauf ihrer landesweiten Wahlen zu beobachten, soweit dies gesetzlich zulässig ist". Der letzte Halbsatz läßt freilich noch erhebliche Einschränkungen der Wahlbeobachtung zu. Das BDIMR2S7 hat in diesem Zusammenhang die Aufgabe, die Durchführung von Wahlbeobachtungen zu fördern, indem es Kontakte zwischen den Regierungen, Parlamenten und Nichtregierungsorganisationen fördert. 258 Die oben besprochenen Regeln sind verpflichtende Grundsätze für die Durchführung von Wahlen. Weitergehende Verpflichtungen bestehen für die Teilnehmerstaaten nicht. Somit steht das Wahlverfahren in seiner konkreten Ausgestaltung weiterhin im Belieben eines jeden Teilnehmerstaates. Der Bericht des Osloer Expertenseminars über demokratische Institutionen vom 15. November 1991 2s9 enthält jedoch zu diesem Thema erläuternde Aussagen, welche jedoch ausdrücklich keine Verpflichtung der Teilnehmerstaaten darstellen.260 Der Bericht nimmt Stellung zu den beiden Hauptarten der Wahlsysteme: Dem Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht. Deren Vor- und Nachteile werden aufgezeigt, jedoch enthält der Bericht eher eine Tendenz zur Empfehlung des Verhältniswahlrechts. Die entsprechende Passage des Berichts lautet: "Das Verhältniswahlrecht ist gut geeignet, eine mathematisch korrekte Vertretung der Wählerschaft zu gewährleisten. Zugleich könnten in einem solchen System jedoch zu viele politische Parteien entstehen, wodurch die Schaffung parlamentarischer Mehrheiten erschwert wird. Dies wiederum könnte zu schwachen und instabilen Regierungen fUhren. Die
256 Siehe unten 3. b aa (3). 257 Vormals Büro flir freie Wahlen. 258 Vgl. Zusatzdokument zur Charta von Paris, Abschnitt I, 6. Siehe auch u. 4. Teil, I. Kapitel, C. X.
259 Siehe dazu oben l. Teil, 3. Kapitel, D. VIII. 260 Einleitungsabschnitt vor I des Osloer Berichts.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Einfllhrung von Obergrenzen und die Anpassung mathematischer Methoden bei der Festlegung des Vertretungsverhältnisses könnten zur Lösung dieses Problems beitragen. Es wurde die Auffassung vertreten, daß Wahlsysteme, die darauf basieren, daß pro Wahlkreis ein Vertreter ins Parlament einzieht, wahrscheinlich eher stabile parlamentarische Mehrheiten herbeiführen, jedoch das Risiko in sich bergen, daß bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht repräsentiert sind."
Die _Möglichkeiten einer unmittelbaren Beteiligung des Volkes an öffentlichen Angelegenheiten durch Volksbegehren und Volksabstimmungen werden im Osloer Bericht eher zurückhaltend beurteilt: "Die direkte Beteiligung der Bevölkerung an wichtigen politischen Entscheidungen mittels Volksbegehren oder Volksabstimmungen wurde als Mittel hervorgehoben, um das Interesse und die Mitwirkung der Wählerschaft an öffentlichen Angelegenheiten zu fordern. Wie bei jedem demokratischen Prozeß sollte die Befragung der Bevölkerung mit entsprechenden Sicherheitsgarantien durchgefllhrt werden."
Die Teilnahmemöglichkeit des Bürgers an freien Wahlen wird im Rahmen der OSZE-Vereinbarungen nicht nur als unverzichtbares Element der Demokratie angesehen. Bemerkenswert ist, daß die OSZE-Teilnehmerstaaten dieses dem Menschenrechtsgehalt zugeordnet haben. Im Absatz 5 des Kopenhagener Dokuments heißt es dazu: "Sie erklären feierlich, daß unter den Elementen, die die Gerechtigkeit ausmachen, die folgenden wesentlich sind fllr den umfassenden Ausdruck der dem Menschen innewohnenden Würde und der fllr alle Menschen gleichen und unveräußerlichen Rechte sind: ( 5 .I)
Freie Wahlen werden in angemessenen Zeitabständen in geheimer Abstimmungen oder durch ein gleichwertiges freies Abstimmungsverfahren unter Bedingungen abgehalten, die die freie Äußerung der Meinung der Wähler bei der Wahl ihrer Vertreter tatsächlich gewährleisten;
(5.2)
Eine Regierungsform, die ihrem Wesen nach representativ ist, bei der die Exekutive den gewählten gesetzgebenden Körperschaften oder der Wählerschaft gegenüber rechenschaftspflichtig ist" .
Damit äußert sich die OSZE zu dem in der Staatslehre umstrittenen Problern des Verhältnisses der Demokratie zu den Menschenrechten. Nach einer Ansicht hat die Demokratie keine legitirnatorische Verbindung zu den Menschenrechten. Im Gegensatz zu den elementaren Menschenrechten könne die Demokratie als spezifisch westliches Konzept keine universelle Gültigkeit beanspruchen. 261 Grundrechtsverwirklichung ließe sich auch ohne Demokratie vorstellen262, Demokratie sei jedoch ohne Grundrechts-
261 Berger, Commentary 64 (1977), S. 60 (62). 262 Berger, Commentary 64 (1977), S. 60 (63).
I. Kapitel: Friedenssicherung
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schutz nicht denkbar. 263 Allein "fundamentale" Menschenrechte wie das Recht auf Leben, das Recht der freien Religionsausübung und der Bewahrung der eigenen Kultur sowie das Verbot der Folter und der Vertreibung seien universell anerkannt und durchsetzbar und würden unabhängig von einer demokratischen Staatsform einen weltweiten Konsens finden. 264 Nach anderer Ansicht bilden die Menschenrechte die Grundlage der Demokratie. 265 Demokratie habe die Legitimation in den Menschenrechten und sei gleichzeitig Konsequenz der Menschenrechte. Menschenrechte und Demokatie hätten den gleichen Ursprung. 266 Hans Ryffel führt aus: "Erforderlich ist nunmehr eine Ordnung, die als rechtlich-staatliche Ordnung unverblilchlich zur Geltung kommt und gleichwohl mit der Freiheit der ihr unterworfenen Menschen vereinbar ist. Das kann nur eine Ordnung sein, die sich die Beteiligten selber geben." 267
Schwart/tinder spricht daher von einer "menschenrechtlichen Demokratie". 268 Für diese Ansicht spricht, daß nicht allein die Herrschaft der Mehrheit entscheidend für den Legitimationsgrund der Demokratie sein kann, sondern besonders auch die Verwirklichung der Menschenrechte im Hinblick auf Minderheiten. 269 Diese Ansicht führt Otfried Höffe erheblich weiter, indem er die Demokratie selbst als ein Menschenrecht statuiert. 270 Soweit geht die OSZE-Konzeption allerdings nicht. Die OSZE formuliert kein neues "Menschenrecht auf Demokratie". Das Demokratieprinzip nach der OSZE entspricht aber der zweitgenannten Ansicht, d. h. die Legi-timationsgrundlage der Demokratie wird in den Menschenrechten gesehen. Neben dem oben genannten Wortlaut der Ziff. 5 des Kopenhagener Dokuments wird dieses auch dadurch deutlich, daß die OSZE das Element freier Wahlen und andere Grundsätze pluralistischer Demokratie (Ziff. 5.1 , 5.2 und 5.4) wie Grundsätze formeller Rechtsstaatlichkeit271 behandelt. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, daß die oben genannten Grundsätze als "Elemente, die die Gerechtigkeit ausmachen" zusammen mit Grund263 Vgl. Schneider, S. 28, so flir die Meinungsfreiheit. 264 Berger, Comrnentary 64 (1977), S. 60 (62). 265 Ryffel, S. 54; Kriele, S. 13. 266 Ryffel, S. 93. 267 Ryffel, S. 90. 268 Schwartländer, S. 192. 269 Vgl. Kühnhard, S. 282. 270 Höffe, S. 256. 271 Vgl. dazu u. bb (2).
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
sätzendes formellen Rechtsstaates (Ziff. 5.2, 5.5-5.21) aufgezählt werden. Sie werden daher - wie die Grundsätze des formellen Rechtsstaatsbegriffs - als Regeln zur Sicherung der Freiheit des Bürgers, die insbesondere durch Menschen- und Bürgerrechte als materieller Teil der Rechtsstaatlichkeit gewährt wird, angesehen. Wie das Rechtsstaatsprinzip die staatliche Macht begrenzen und mäßigen soll, so wird auch der Grundsatz der pluralistischen Demokratie als Beitrag und Mittel zur Gewährleistung willkürfreier staatlicher Gewalt angesehen. In diesem Zusammenhang ist auf eine weitere Besonderheit hinzuweisen: Unter Absatz 5 wurden lediglich einzelne "Elemente, die die Gerechtigkeit ausmachen" aufgezählt. Pluralistische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bilden demnach insgesamt als gleichwertige Bestand-teile das, was die "Gerechtigkeit" ausmacht. Der Rechtsstaat baute auf den Grundsätzen der Gerechtigkeit auf (Ziff. 2 Satz 1 des Kopenhagener Dokuments). Infolgedessen sei die "Demokratie ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaats" (Ziff. 3 des Kopenhagener Dokuments). Die OSZE nimmt insoweit eine inhaltliche Ausweitung des nun näher zu untersuchenden Rechtsstaatsbegriffs vor. b) Rechtsstaatlichkeif
Bestandteil des Grundsatzes der demokratischen Legitimität der Regierung ist ferner die Rechtsstaatlichkeit. Auch diesen Begriff führt die OSZE erstmals als ein umfassendes Konzept in das Völkerrecht ein. Im Kopenhagener Dokument heißt es dazu: "Sie [die Teilnehmerstaaten; Anm. des Verf.] erkennen an, daß pluralistische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wesentlich sind für die Gewährleistung der Achtung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten, .. . ...212
Ferner erklärten die Teilnehrnerstaaten: " Sie sind entschlossen, die Grundsätze der Gerechtigkeit zu unterstützen und zu fördern, auf denen der Rechtsstaat aufbaut. .. 273
Im weiteren Verlauf des Dokuments werden detaillierte Ausführungen darüber gemacht, wie der Rechtsstaat inhaltlich ausgestaltet sein muß. 274
272 Kopenhagener Dokument, Präambel, 9. Abs. Satz 1. 273 Kopenhagener Dokument, Ziff. 2, Satz 1. 274 Dazu näher u. (2).
1. Kapitel: Friedenssicherung
241
Der Gedanke der "Herrschaft des Rechts" findet sich jedoch bereits in früheren völkerrechtlichen Dokumenten und Verträgen. Jedoch erschöpfen sich diese Erklärungen in der bloßen Erwähnung dieser Idee, ohne daß diese näher erläutert wird oder gar weitere Rechte daraus abgeleitet werden. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: " ... da es wesentlich ist, die Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechts [englische Fassung: rule oflaw) zu schützen, damit der Mensch nicht zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung als letztem Mittel gezwungen wird, .....275
Dagegen wird die "Herrschaft des Rechts" in den Menschen- und Bürgerrechtspakten der Vereinten Nationen (IPBPR und IPWSKR) nicht erwähnt. Lediglich auf europäischer Ebene findet sich erneut der Gedanke der "Herrschaft des Rechts": " ... in unerschütterlicher Verbundenheit mit den geistigen und sittlichen Werten, die das gemeinsame Erbe ihrer Völker sind und der persönlichen Freiheit, der politischen Freiheit und der Herrschaft des Rechts [rule of law/preeminence du droit] zugrunde liegen, auf denen jede wahre Demokratie beruht" (Präambel der Satzung des Europarates, 2. Abs.).276 " ... entschlossen, als Regierungen europäischer Staaten, die vom gleichen Geiste beseelt sind und ein gemeinsames Erbe an geistigen Gütern, politischen Überlieferungen, Achtung der Freiheit und Vorherrschaft des Gesetzes [rule of law/preeminence du droit] besitzen, die ersten Schritte auf dem Wege zu einer kollektiven Garantie gewisser in der Universellen Erklärung verkündeter Rechte zu unternehmen" (Präambel der EMRK, 5. Abs.) 277
Bemerkenswert ist dabei, daß jeweils im deutschen Text der genannten europäischen Dokumente nicht der Begriff des "Rechtsstaates" Verwendung gefunden hat, sondern lediglich das Äquivalent zu rule of law "Herrschaft des Rechts". Dies ist Ausdruck dafür, daß der Begriff "Herrschaft des Rechts", rule of law, preeminence du droit noch nicht als ein Rechtsinstitut, als ein eigenständiges Konzept für die innerstaatliche Gestaltung des Rechts verwendet wurde, aus dem als Rechtsprinzip weitere Folgerungen und Rechte abgeleitete werden sollten. Es beschrieb lediglich eine rechtlich programmatische Zielrichtung für die innerstaatliche Organisation der staatlichen Gewalt. Eine Definition des Begriffs "rule of law" wurde im internationalen Rahmen bereits 1959 durch die "International Commission of Jurists" in Neu-Delhi gegeben. Im Bericht der Tagung heißt es: 275 Präambel der AEMR vom 10. Dezember 1948. 276 Satzung des Europarates vom 5. Mai 1949, BGBI. 1950 li, S. 263, Neubekanntmachung der deutschen Fassung BGBI. 19 54 ll, S. 1128. 277 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBI. 1952 li, S. 685. 16 Bordoff
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und-Verpflichtungen
"The principles, institutions and procedures, not always identical, but broadly similar, which the experience and traditions of lawyers in different countries of the world, often having themselves varying political structures and economic background, have shown to be important to protect the individual from arbitrary govemment and to enable him to enjoy the dignity of man. " 278
aa) Der Begriff des Rechtsstaates als internationaler verfassungsrechtlicher Begriff Der Begriff des "Rechtsstaates" war, wie gesehen, zuvor in keinem Dokument des Völkerrechts verwendet worden. Der Terminus "Rechtsstaat" wird auch nicht in allen Verfassungsordnungen der OSZE-Teilnehmerstaaten, geschweige denn der Staaten der Welt verwendet. Vielmehr ist dieser Begriff eine spezifisch deutsche Wortprägung279, die auf Robert von Mohl zurückgeführt wird. Jener Begriff gehört "zu den Eigentümlichkeiten deutscher Rechts- und Verfassungsentwicklung". 280 Während der Begriff "Rechtsstaat" erst seit vergleichsweise kurzer Zeit verwendet wird, kann dessen geistiger Inhalt nach Gneist auf einen "1 OOOjährigen Bildungsgang" zurückblicken. 281 Der Gedanke der Beschränkung staatlicher Macht tauchte jedoch bereits in der abendländischen Antike auf. 2 82 Der deutschen Provinienz dieses Begriffes entspricht auch die Tatsache, daß ein Versuch zur erstmaligen Vereinbarung der Rechtsstaatlichkeit während des ersten Treffens der Konferenz über die Menschliche Dimension der OSZE in Paris 1989 auf den gemeinsamen Vorschlag der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs, Luxemburgs und Portugals gemacht wurde.283 Der Vorschlag sah vor, einen "gemeinsamen Rechtsraum auf der Basis eines Europas der Rechtsstaaten zu schaffen".284 Zwar war die begriffliche Kennzeichnung dessen, was die Rechtsstaatlichkeil ausmacht, im Ausland eine Tendenz, die erst nach dem 2. Welt-
278 International Commission of Jurists, The Rule of Law in a Free Society, S. 324. 279 Vgl. Stern, Bd. I, § 20 I 1, S. 764; MD, Art. 20 Abs. 3, Rn. 2. 2 80 Hesse, in: Festgabe fllr R. Smend, S. 71. 281 Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, S. 8. Er filhrt die Entwicklung bis in karolingische Zeit zurück, Der Rechtsstaat, S. 39. 2 82 Dazu MD, Art. 20 Abs. 3, Rn. 2. 2 83 Doc. CSCE/CDHP 6. vom 16. Juni 1989. aus Luchterhand, JöR n. F. 39 (1990), S. 161. 284 Zu dem Pariser Menschenrechtstreffen siehe o. 1. Teil, 2. Kapitel, F. II und Staak, EA 1989, S. 533 (534).
I.
Kapitel: Friedenssicherung
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krieg aufkam,285 so weist aber die Verwendung dieses Begriffes in einem internationalen Dokument wie dem Kopenhagener OSZE-Dokument darauf hin, daß der Inhalt des Rechtsstaatsgedankens in allen Rechtsordnungen der westlichen Welt verwurzelt ist. So faßt die britische Verfassungsrechtswissenschaft den Gedanken der Rechtsstaatlichkeit unter den Begriff supremacy of law bzw. rule of law zusammen, der insbesondere auf eine Schrift von Albert Venn Dicey aus dem Jahre 1885 zurückgeht. 286 Rule oj/aw bedeutet in Großbritannien folgendes: "The rule of law remains a princple of our constitution. It means the absence of arbitrary power; effective control of an proper publicity for delegated legislation, particularly when it imposes penalties; that when discretionary power is granted the manner in which it is to be exercised should as far as it is practicable be defined; that every man should be responsible to the ordinary law whether he be private citizen or public officer; that private rights should be determinded by impartial and independent tribunals; and that fundamental private rights are safeguarded by the ordinary law ofthe land."287 Der entsprechende französische Begriff zu "Rechtsstaat" etat de droit existiert zwar, ist jedoch nicht vorherrschend. 288 Statt dessen wird das Institut als preeminence du droit, regne de Ia /oi, Jegalite republicaine oder regime liberal bezeichnet. 289 Das französische Konzept des Rechtsstaates entspricht jedoch weitgehend dem deutschen. 290 Auch in Italien ist der Begriff stato di diritto bzw. stato giuridico bekannt. 291 Die Verfassung selbst kennt ihn nicht. Jedoch wird auch im italienischen Verfassungsrecht die Gewaltenteilung, Grundrechte und die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verlangt. 292 Nur wenige Verfassungen der westeuropäischen Demokratien Europas - insbesondere die neueren Datums - kennen den Begriff des Rechtsstaates. Eine davon ist die Portugals. In Art. 2 der Verfassung heißt es: 285 Vgl. Stern, Bd. I, § 20 I 1, S. 765. 286 Vgl. Wade/Bradley, Constitutional and Administrative Law, S. 94. 287 Wade!Phillips, Constitutional Law, S. 74f. 288 Vgl. Bleckmann, GYIL 1977, S. 406 (425). 289 Scheuner, FS DJT, S. 231; Bleckmann, DVBI. 1976, S. 483 (485); ders. GYIL 1977, S. 406 (425) 290 Bleckmann, GYIL 1977, S. 406 (425). 291 Cereti, S. 56. 292 Dazu Virga, S. 63. 487; Cereti, 67.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
"Die Republik Portugal ist ein demokratischer Rechtsstaat auf der Grundlage der Volksherrschaft, der Achtung und Gewährleistung der Grundrechte und Grundfreiheiten, des Meinungspluralismus sowie des Pluralismus der demokratischen politischen Ordnung .....293
Ähnlich lautet Art. 1 der spanischen Verfassung.294 Im Gegensatz zu den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen kennt die Verfassungsordnung der USA einen entsprechenden Begriff des "Rechtsstaates" nicht. Statt dessen erfüllt diese Funktion neben den Menschen- und Bürgerrechten das Konzept des due process of law. Dieses ist in der due process c/ause als Bestandteil des "Fifth Amendmend" und "Fourteenth Amendmend" der amerikanischen Verfassung niedergelegt. Die due process clause will zum einen in verfahrensrechtlicher Hinsicht (procedural due process), zum anderen auch materiellrechtlich (substantive due process) auch gegenüber dem Gesetzgeber die staatliche Willkür beschränken. 295 Im Ergebnis ist der Schutz des Bürgers dem des Schutzes durch das deutsche Rechtsstaatsprinzip vergleichbar. 296 T. M. Scan/on beschreibt das Ziel des due process of /aw so: "It aims to provide some assurance of nonarbitrariness by requiring those who exercise authority to justicy their intended actions in a public proceeding by adducing reasons of the approprate sort and defending these against critical attack. The idea of such proceedings presupposes, of course, publicly known and reasonably specific rules with respect to which official actions are to be justified...297
Der Begriff des "Rechtsstaates" hat insbesondere in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg weite Verbreitung in den westlichen Demokratien gefunden. Die britischen Staatsrechtier Wade und Bradley stellten dazu bereits 1965 fest: "The princple ofthe rule oflaw has since the end ofthe Second World War been a matter of universal discussion and endeavour to formulate the basic elements of the rule. So far from the principle being confined to common law jurisdictions, the rule of law is now considered as a basic idea which can serve to unite lawyers of many different systems, all of which aim at protecting the individual from arbitrary govemment. In this way the rule has become to be identified with the concept of the rights of man. Most countries, outside the Communist world, accept that the rule has a positive content, no matter how much that content may differ in the various countries.''298
293 Text in: Die Verfassungen der EG-Mitgliedsstaaten. 294 In: Die Verfassungen der EG-Mitgliedsstaaten. 295 Vgl. Bleckmann, GYIL 1977, S. 406 (410-415). 296 Bleckmann, GYIL 1977, S. 406 (415). 297 Scanlon, in: Pennock/Chapman, S. 93 (96). 298 In: Wade/Phillips, Constitutional Law, S. 72.
I. Kapitel: Friedenssicherung
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Eine eingehendere Untersuchung eines Vergleichs der Rechtsstaatskonzepte der verschiedenen Rechtsordnungen westlicher Demokratien kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Es läßt sich aber feststellen, daß das Konzept des Rechtsstaates in allen Verfassungsordnungen westlicher Staaten -freilich mit ihren eigentümlichen Unterschieden - verankert ist. 299 Nach dem Zusammenbruch kommunistischer Staaten mit dem Ende des Ost-West-Konflikts und der einhergehenden Tendenz zur Demokratisierung in den Staaten der Dritten Welt läßt sich eine zweite Phase der Ausbreitung des Rechtsstaatsprinzips auf diese Staaten feststellen. Während der Umgestaltungsphase der UdSSR unter Präsident Gorbatschow sollte im Zuge der Reformen des politischen Systems ein "sozialistischer Rechtsstaat" geschaffen werden. Bis dahin galt das Rechtsstaatsprinzip als ein ideologisches Instrument des Kapitalismus. In These 8 des Entwurfs für die XIX. Parteikonferenz der KPdSU hieß es: "Der Prozeß der konsequenten Demokratisierung der Sowjetgesellschaft soll die Schaffung eines sozialistischen Rechtsstaates vollenden als einer Form der Organisation und des Funktionierens der politischen Gewalt, die vollständig dem Sozialismus, der sozialistischen Demokratie entspricht. Sein grundlegender Zug ist die Höchstrangigkeit und der Triumph des Gesetzes, das den Willen des Volkes zum Ausdruck bringt." 300
Nach diesem ersten, frühen Ansatz in der Sowjetunion beschreibt die neue Verfassung Rußlands die Russische Föderation als "rechtsstaatliche Republik". 301 Während dessen haben auch andere mittel-, mittelost- und südosteuropäische Staaten die Entwicklung - zumindest formal - zu einem Rechtsstaat bereits abgeschlossen. So bestimmt die bulgarische Verfassung, die seit dem 13. Juli 1991 in Kraft ist, in Art. 4 Abs. 1: "Die Republik Bulgarien ist ein Rechtsstaat. Sie wird gemäß der Verfassung und den Gesetzen des Landes regiert ...302
In der CSFR war der Begriff Rechtsstaat nicht in die Verfassungstexte eingefügt worden. Jedoch entsprach die von der Föderalen Versammlung 299 Vgl. Bleckmann, GYIL 1977, S. 406 (406); Stern, Bd. I, § 20 I 1, S. 76 5; MD Art. 20 Abs. 3, Rn. 2. 300 Zitiert nach Luchterhand, JöR n. F. 1990, S. 158. 30! Siehe F.A.Z. vom 10. November 1993. 302 Wortlaut der deutschen Übersetzung in: Osteuroparecht, 1993, S. 192-216. Vgl. zur Verfassung auch Schrawener, in: Osteuroparecht, 1993, S. 159-180 sowie Konstantinow, in: ROW 1993, S. 35-44.
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der CSFR als Verfassungsgesetz vom 9. Januar 1991, d .. h. mit Verfassungsrang ausgestattete verabschiedete "Charta der Grundrechte und Grundfreiheiten" vollständig einer rechtsstaatliehen Verfassung. 303 Für Polen konstituiert Art. 1 der neuen polnischen Verfassung den "demokratischen Rechtsstaat".304 Auch in der polnischen Staatsrechtswissenschaft wird der Begriff des Rechtsstaates nach der Demokratisierung Polens wieder diskutiert. Aus polnischer Sicht kennzeichnet Dzialocha den Rechtsstaat durch mehrere Hauptmerkmale.305 Der Rechtsstaat bilde zum einen ein anerkanntes Wertesystem, das die Staatsmacht sowie deren Amtsinhaber binden solle, das sogenannte ius. Die wichtigsten Werte seien dabei die Menschenwürde und die Freiheit des Menschen. Ferner bilde aber auch die Gesamtheit der festgelegten oder anerkannten Normen des Rechts den Rechtsstaat, die sog. Iex. Diese Differenzierung hängt nach eigenem Bekunden Dzialochas eng mit der Unterscheidung des formellen und materiellen Rechtsstaatsbegriffes zusammen. Bei einem Auseinanderklaffen von ius und Iex überlagere letztlich aber der Gedanke der Gerechtigkeit in Form weiterer materieller Verfassungsgrundsätze die alleinige Beachtung der Iex. Im übrigen gewährleiste das Demokratieprin-zip durch den Ausdruck des gesellschaftlichen Willens weitgehend die Übereinstimmung von ius und Iex scripta. Ferner sei der Rechtsstaat als Verfassungsstaat gekennzeichnet, indem die Verfassung das ganze übrige Recht beherrsche. Schließlich sei auch in der polnischen Rechtstaatstheorie zwischen formeller und materieller Rechtsstaatlichkeit zu unterscheiden306. Ein weiteres - außereuropäisches - Beispiel für die weltweite Verbreitung des Verfassungsordnung westlicher Prägung ist Namibia. Nach Abschluß des Unabhängigkeitsprozesses gab sich der südafrikanische Staat 1990 eine demokratische Verfassung, in der ausdrücklich die Rechtsstaatlichkeil verankert wurde. In Art. 1 Abs. 1 heißt es: "The Republic of Namibia is hereby established as a sovereign, secular, democratic and unitary State founded upon the principles of democracy, the rule of Iaw and justice for all."307
303 Wortlaut der deutschen Übersetzung in: EuGRZ 1991, S. 397-402; vgl. dazu Hoskow'J, EuGRZ 1991, S. 369-374. 304 Vgl. Dzialocha, in: Osteuroparecht 1993, S. 1 (5). 305 Dzialocha, in: Osteuroparecht 1993, S. 1 (6-12). 306 Zu diesen Begriffen siehe unten bb) (2). 307 Text in: JöR n. F. 40 (1991/92), S. 692.
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Nicht zuletzt die Verwendung des Rechtsstaatsbegriffes im . Kopenhagener Dokument der OSZE, in dem konkrete Rechte und Prinzipien aus diesem Grundsatz gefolgert wurden und das die Rechtsstaatlichkeil in das Konzept der demokratischen Legitimität der Regierung eingebettet hat, zeigt, daß die Rechtsstaatlichkeit nunmehr im gesamten OSZE-Raum, d. h. von Nordamerika bis nach Zentralasien anerkannt ist. 308 bb) Die Rechtsstaatskonzeption der OSZE (1) Demokratie als Bestandteil der Rechtsstaatlichkeil
Ein Element der Rechtsstaatlichkeit wurde bereits erwähnt. 309 Demokratie ist nach der OSZE-Konzeption "ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaates" (Ziff. 3 des Kopenhagener Dokuments). Die die staatliche Gewalt ebenso mäßigende Kraft der pluralistischen Demokratie wird als Teil der Rechtsstaatlichkeit angesehen. Insofern unterscheidet sich der Begriff des Rechtsstaates von dem deutschen Verständnis der Rechtsstaatlichkeit, bei dem zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip genau unterschieden wird. 310 Die OSZE-Terminologie ist jedoch zuweilen mißverständlich und scheinbar widersprüchlich. Sehr oft wird ebenfalls zwischen pluralistischer Demokratie und Rechtsstaatlichkeil differenziert: "Sie (die Teilnehrnerstaaten; Anm. des Verf.] erkennen an, daß pluralistische Demokratie und Rechtsstaatlichkeil wesentlich sind fiir die Gewährleistung der Achtung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten, .....311
Insoweit könnte es sich um eine Überlagerung des lediglich politischen Willens über die Festlegung einer rechtlichen Konstruktion handeln. Dazu bedürfte es einer Erforschung der Genese dieser Regelung durch das Studium des Verhandlungsverlaufs und entsprechender Protokolle.312 Ande308 Die Ausbreitung des· Demokratie- und Rechtsstaatskonzepts ist heute ein weltweites Phänomen. Zu entsprechenden Vorgängen auf dem amerikanischen Kontinent im Rahmen der OAS vgl. Shelton, HRLJ 1991, S. 353-359. Mit den Konferenzen über regionale Systeme des Menschenrechtsschutzes von November 1988, März 1990 und Juni 1992 in Straßburg hat sich bereits ein Dialog zwischen den afrikanischen, amerikanischen und europäischen Menschenrechtsschutzsystemen entwickelt. Vgl. dazu Dankwa, HRLJ 1992, S. 314-317. Freilich bringt die Anerkennung dieses Grundsatzes durch die jeweilige Regierung nicht dessen Implementierung mit sich. Insoweit ist in zahlreichen Staaten ein Widerspruch zwischen der realen Lage und den eingegangenen Verpflichtungen zu verzeichnen. 309 Oben a bb am Ende. 310 Vgl. Maunz/Zippelius, § 9 II. 31I Präambel des Kopenhagener Dokuments, 9. Abs. 312 Diese sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
rerseits bekräftigten die OSZE-Teilnehmerstaaten erneut im Moskauer Dokument313 , "daß Demokratie ein der Rechtsstaatlichkeit innewohnendes Element darstellt" (Ziff. 18). Da Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im überkommenen Sinne jedoch das gleiche Anliegen der Kontrolle der Staatsgewalt haben, ist diese Zusammenfassung kein Widerspruch, sondern entspringen damit demselben Gedanken. Wegen des unterschiedlichen konzeptionellen Gehalts der Begriffe ist jedoch die Trennung der Demokratie von der Rechtsstaatlichkeil sinnvoll und überzeugender. Das Verständnis der OSZE über den Rechtsstaat weist Parallelen mit dem des bereits oben erwähnten polnischen Staatsrechtiers Dzialocha auf. Für ihn ist der Rechtsstaat gleichzeitig auch ein demokratischer Staat314 : "Sein demokratischer Charakter beruht auch auf einer prozessual gesicherten sachlichen Einflußnahme der öffentlichen Meinung von anerkannten gesellschaftlichen Vereinigungen (Organisationen) auf die Entscheidung staatlicher Organe."
Hier wird auch ein pluralistisches Verständnis der Demokratie deutlich. Das demokratische Element beschreibt er zuvor genauer: "Ein Mittel um die Rechtsnormen mit der gesellschaftlichen Axiologie in Übereinstimung zu bringen, stellt vor allem die demokratische Art der Rechtsbildung dar. Dieses für die Charakteristik eines Rechtsstaates außerordentlich wichtige Element ist gegenüber der Formel ,Rechtsstaat' in der komplementären Formel ,demokratischer Rechtsstaat' enthalten. Sie bedeutet, daß ,ein demokratischer Rechtsstaat ein solcher Staat ist, in dem das Recht von dem Vertretungsorgan des Volkes im Wege eines demokratischen Verfahrens gebildet wird. Ein solches Verfahren, das auf den Grundsätzen der Offenheit, Diskussion und erforderlichen gesetzgeberischen Tätigkeiten im Zusammenwirken beruht, wird durch den gesetzlichen parlamentarischen Weg garantiert'".
(2) Formelle und materielle Aspekte der Rechtsstaatlichkeil
Die Rechtsstaatskonzeption der OSZE entspricht im übrigen weitgehend dem deutschen Rechtsstaatsprinzip, welches Stern prägnant so definiert hat: "Rechtsstaatlichkeit bedeutet, daß die Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zulässig ist. " 315 313 Dokument des Moskauer Treffen der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE vom 3. Oktober 1991, vgl. dazu o. l. Teil, 3. Kapitel, D. VI. 31 4 Dzielocha, Osteuroparecht 1993, S. I (9). 31 5 Stern, Bd. I, § 20 III l., S. 781.
l. Kapitel: Friedenssicherung
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Dabei differenziert die OSZE den Rechtsstaatsbegriff - entsprechend einer Unterscheidung der deutschen Rechtsstaatslehre - zwischen formeller und materieller Rechtsstaat/ichkeit. Im Ziff. 2 des Kopenhagener Dokuments heißt es dazu: "Sie [die Teilnehmerstaaten; Anm. des Verf.] vertreten die Auffassung, daß Rechtsstaatlichkeil nicht nur formale Rechtmäßigkeit bedeutet, die Regelmäßigkeit und Schlüssigkeil bei der Errichtung und Durchsetzung der demokratischen Ordnung gewährleistet, sondern auch Gerechtigkeit, die auf der Anerkennung und der vollen Achtung der Persönlichkeit des Menschen als dem höchsten Gut beruht und durch Institutionen gesichert ist, die einen Rahmen filr seine umfassende Selbstverwirklichung bieten...316
Die formelle Rechtsstaatlichkeit versucht, die Freiheit des Bürgers allein durch ein System formaler Sicherungen und Garantien zu sichern. 317 Diese sind vor allem die Gewaltenteilung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Unabhängigkeit der Gerichte. Menschen- und Bürgerrechte sind nicht Bestandteil dieses Aspektes des Rechtsstaatsbegriffs. Die formelle Rechtsstaatlichkeit entwickelte sich im 19. Jahrhundert im bürgerlichliberalen Rechtsstaat, bei dem die Freiheitssicherung des Bürgers durch formelle Garantien noch ausreichten, weil ein Grundkonsens im Staate über das materielle Ziel der Freiheitssicherung herrschte. Dieses änderte sich mit dem Entstehen des "Gesetzesstaates" der nationalsozialistischen Diktatur, in dem zwar Legalität des staatlichen Handeins geherrscht hatte, diese aber zum bloßen Instrument des Unrechts verkommen war. 318 Seitdem gehört zum rechtsstaatliehen Prinzip auch der materielle Gehalt der Freiheits- und Gleichheitsrechte. Sie sind inhaltliche Vorgaben und Beschränkungen für das staatlich - formell legale - Handeln, somit ein materielles Ordnungsprinzip319 . Die Mißbrauchsmöglichkeit des bloßen formellen Rechtsstaatsbegriffs erkennt damit auch die Rechtsstaatskonzeption der OSZE und setzt dagegen die Verpflichtung zur Beachtung der Menschen- und Bürgerrechte. (a) Formelle Rechtsstaatlichkeit Zunächst soll untersucht werden, welchen Inhalt die Rechtsstaatlichkeit nach dem OSZE-Konzept in formeller Hinsicht hat.
316 Ziff. 2 Satz 2 des Kopenhagener Dokuments. 317 Zippelius, § 30 I l. 318 Vgl. dazu Stern, Bd. I,§ 20 I 2. c. 319 Vgl. zu diesem Begriff Stern, Bd. I,§ 20 I 2. c.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Die nach Abschluß einer öffentlichen Debatte angenommenen Gesetze sowie Verordnungen müssen als deren Anwendbarkeilsvoraussetzung bekanntgemacht und jedermann zugänglich gemacht werden (Ziff. 5.8 des Kopenhagener Dokuments). In Menschenrechte und Grundfreiheiten darf nur durch oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden, welches "mit internationalen Standards" d. h. mit den "völkerrechtlichten Verpflichtungen" der Staaten "in Einklang" steht320 (Ziff. 24 Satz 1 des Kopenhagener Dokuments). Einschränkungen müssen Ausnahmecharakter haben, dürfen nicht mißbräuchlich und willkürlich, sondern müssen angeßlessen sein, d. h. "in einer Form, die die wirksame Ausübung dieser Rechte wahrt" (Ziff. 24 Satz 2 des Kopenhagener Dokuments). Ausdrücklich wird verlangt, daß dabei die Verhältnismäßigkeit zu wahren ist (Ziff. 24 Satz 3 des Kopenhagener Dokuments). Im Falle eines öffentlichen Notstandes muß die Außerkraftsetzung von Menschenrechten und Grundfreiheiten "streng im Rahmen der vom Völkerrecht ... vorgesehenen Grenzen bleiben" (Ziff. 25 1. Absatz des Kopenhagener Dokuments). Damit sind die Vorschriften der "einschlägigen internationalen Dokumente" gemeint, an die die Teilnehmerstaaten gebunden sind, also Art. 4 IPBPR, Art. 15 EMRK und Art. 27 AMRK321 , die wiederum Beschränkungen der Einschränkungsmöglichkeiten von Menschenrechten für den Notstand festlegen. So dürfen gern. Art. 4 Abs. 2 IPBPR die Art. 6 (Recht auf Leben), Art. 7 (Verbot der Folter etc.), Art. 8 Abs. 1 und 2 (Verbot der Sklaverei und Leibeigenschaft), Art. 1 (Verbot der Inhaftierung wegen Unmöglichkeit einer Vertragserfüllung), Art. 15 (Keine Strafe ohne Gesetz), Art. 16 (Recht auf Rechtsfahigkeit) und Art. 18 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) nicht außer Kraft gesetzt werden. Die Verhängung eines öffentlichen Notstandes ist nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen zulässig und unterliegt speziellen Regeln (Ziff. 28 des Moskauer Dokuments): Ein Notstand ist "nur unter ganz außergewöhnlichen und schwerwiegenden Umständen gerechtfertigt". Er "darf weder der Untergrabung der demokratischen Verfassungsordung dienen noch 320 Gemeint sind damit ausdrücklich der IPBPR und die AEMR sowie stillschweigend auch wohl die EMRK fUr die europäischen Staaten. Näheres zu den Menschenrechten und Grundfreiheiten u. (b ). 321 Text der AMRK in: Kühnhard, S. 390-414 (deutsche Übersetzung).
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auf die Beseitigung international anerkannter Menschenrechte und Grundfreiheiten abzielen. Er darf nur von einem verfassungsmäßig dazu bevollmächtigten Organ verhängt werden. In jedem Falle bedarf die Verhängung der Zustimmung durch ein gesetzgebendes Organ. Der öffentliche Notstand muß so bald wie möglich aufgehoben werden und darf nicht länger in Kraft bleiben, als es unter den gegebenen Umständen unbedingt erforderlich ist. -
Über die Verhängung und Aufhebung eines öffentlichen Notstandes sowie von der Außerkraftsetzung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen muß das BDIMR unterrichtet werden.322
Diese Regeln über den Notstand gehen damit über die Bestimmungen des Art. 4 IPBPR hinaus. Der Informationspflicht des BDIMR entspricht jedoch der Pflicht aus Art. 4 Abs. 2 IPBPR, durch Vermittlung des UNGeneralsekretärs die Vertragsstaaten zu unterrichten. Die Bindung der Regierung und Verwaltung sowie der Gerichte "an die Rechtsordnung" muß gewährleistet sein (Ziff. 5.5 des Kopenhagener Dokuments). Insbesondere muß die Exekutive verfassungsgemäß und im Einklang mit den Gesetzen handeln (Ziff. 5.3 des Kopenhagener Dokuments). Der Gesetzesvollzug muß der gerichtlichen Kontrolle unterliegen (Ziff. 21.2 des Moskauer Dokuments). Die Streitkräfte und die Polizei müssen zivilen Behörden unterstellt und diesen gegenüber rechenschaftspflichtig sein (Ziff. 5.6 des Kopenhagener Dokuments). Die Vollzugsbeamten müssen bei ihren Handlungen den Verhaltnismäßigkeitsgrundsatz beachten (Ziff. 21.1 des Moskauer Dokuments). 323 Opfern von rechtswidrigen Vollzugshandlungen muß eine Entschädigung gewährt werden (Ziff. 21.2 des Moskauer Dokuments).
322 Ziff. 28.10 des Moskauer Dokuments i. V. m. Abs. 5 b erster Spiegelstrich im Kapitel VI. "Die menschliche Dimension" der Beschlüsse von Helsinki (Helsinki-Dokument 1992). 323 In Ziff. 21.1 wird nicht ausdrücklich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erwähnt, sondern inhaltlich umschrieben.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Der Grundsatz der Gewaltenteilung ist nicht ausdrücklich normiert worden, liegt aber den OSZE-Regelungen zugrunde. Ziff. 5.2 des Kopenhagener Dokuments regelt das Verhältnis der Exekutive zur Legislative. Danach muß zumindest die Exekutive der gewählten gesetzgebenden Körperschaft gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist gern. Ziff. 5. 12 zu gewährleisten. Die Gerichtsbarkeit - wie zuvor erwähnt - und die Anwaltschaft müssen unabhängig sein (Ziff. 5.12 und Ziff. 5.13 des Kopenhagener Dokuments). Dabei müssen folgende "Grundprinzipien für die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit" gewährleistet sein (Ziff. 19.2 i vii des Moskauer Dokuments): Unstatthafte Beeinflussung von Richtern ist verboten; gerichtliche Entscheidungen dürfen nicht durch Verwaltungsbehörden überprüft werden, ausgenommen im Falle gesetzlich vorgesehener Milderung oder Umwandlung; das Recht der Richter auf freie Meinungsäußerung und Vereinigung ist zu beachten und darf nur funktionsbedingten Einschränkungen unterliegen; die Auswahl der Richter erfolgt ohne Diskriminierung, eine angemessene Ausbildung und Qualifikation ist zu gewährleisten; die Immunitätsbestimmungen für Richter müssen gewahrt werden. Disziplinarmaßnahmen, Suspendierungen und Amtsenthebungen müssen gesetzlich geregelt sein. Die Aufzählung dieser Grundprinzipien entspricht der Erklärung des 7. Kongresses der UN für Verbrechensverhütung und die Behand-lung Straffälliger in Mailand vom 6. September 1985.324 Die dort genannten "Grundprinzipien der Unabhängigkeit der Richterschaft" regeln darüber hinaus jedoch noch weitere Punkte, denen keine OSZE-Regelungen entsprechen. Weitere OSZE-Regelungen der formellen Rechtsstaatlichkeit sind folgende: Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens sind Verwaltungsentscheidungen gegen eine Person vollständig zu rechtfertigen und ist in der Regel auf übliche Rechtsmittel hinzuweisen (Ziff. 5.11 des Kopenhagener Dokuments). 324 Gebilligt durch Res. der UN-Generalversammlung 40/32 vom 29. November 1984 und 40/146 vom 13. Dezember 1985, Text in: Tomuschat, Menschenrechte, S. 318-321.
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Jedermann muß über ein wirksames Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Verwaltung verfügen können, insbesondere bei der Verletzung von Menschenrechten und Grundfreiheiten (Ziff. 5.10 des Kopenhagener Dokuments und Ziff. 18.1 des Moskauer Dokuments). Dabei muß das Rechtsmittel folgendes gewährleisten: Jeder muß einen angemessenen Rechtsbeistand suchen und erhalten können; bei der Verteidigung der Menschenrechte und Grundfreiheiten muß der einzelne auch die Hilfe anderer in Anspruch nehmen dürfen; Einzelpersonen und Gruppen, die im Namen eines einzelnen handeln, müssen die Möglichkeit haben, sich an die zuständigen internationalen Menschenrechtsgremien wenden zu können (Ziff. II. 1-3 des Kopenhagener Dokuments). Niemand darf einer Straftat beschuldigt, angeklagt oder verurteilt werden, wenn diese nicht Gegenstand eines Gesetzes ist, in dem der entsprechende Tatbestand klar und genau beschrieben ist (Ziff. 5.18 des Kopenhagener Dokuments). Jeder muß bis zum Beweis seiner Schuld als unschuldig angesehen werden (Ziff. 5.19 des Kopenhagener Dokuments). Hinsichtlich der Verfahren vor den Gerichten sind besondere Regeln, insbesondere was die Strafverfahren betrifft, zu beachten. Im Falle einer Festnahme oder Inhaftierung unter dem Vorwurf einer strafbaren Handlung ist jedem das Recht zu gewähren, zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit seiner Festnahme oder Haft unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Ausübung dieser Funktion ermächtigten Amtsperson vorgeführt zu werden (Ziff. 5.15 des Kopenhagener Dokuments). Anläßtich strafrechtlicher Anklagen oder der Abwehr oder Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche ist jedem durch ein zuständiges, unabhängiges, unparteiisches und auf gesetzlicher Grundlage beruhendes Gericht ein öffentliches Verfahren zu gewähren (Ziff. 5.16 des Kopenhagener Dokuments). Jeder gerichtlich verfolgten Person ist das Recht zur Verteidigung durch sich selbst oder durch einen Verteidiger ihrer Wahl zu gewähren, wobei im Falle der Mittellosigkeit der Person die Möglichkeit der unentgeltlichen Verteidigung gewährt werden muß, wenn dieses im
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Interesse der Rechtspflege erforderlich ist (Ziff. 5.17 des Kopenhagener Dokuments) bzw. wenn dies im Interesse der Gerechtigkeit liegt (Ziff. 23.1 v des Moskauer Dokuments). Hinsichtlich eines Freiheitsentzuges - auch unabhängig von einem Strafverfahren - sind folgende Regeln maßgeblich:325 Jeder Festgenommene ist umgehend in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme zu informieren, über die ihm nach dem Recht des jeweiligen Staates zustehenden Rechte zu unterrichten und gegebenenfalls über die ihm zur Last gelegten Tatbestände aufzuklären (Ziff. 23.1 ii I iii des Moskauer Dokuments). Jeder Festgenommene oder Inhaftierte muß das Recht haben, unverzüglich einem Richter oder einem anderen gesetzlich befugten Beamten vorgeführt zu werden, damit über die Rechtmäßigkeit seiner Festnahme oder Inhaftierung entschieden werden kann. Im Falle der ungerechtfertigten Freiheitsentziehung ist die Person unverzüglich freizulassen (Ziff. 23.1 iv des Moskauer Dokuments). Jedem Festgenommenen oder Inhaftierten muß das Recht gewährt werden, eine Person seiner Wahl von seiner Festnahme oder Inhaftierung, von seinem Aufenthaltsort ohne ungebührliche Verzögerung zu verständigen oder die zuständige Behörde zu ersuchen, eine solche Verständigung vorzunehmen. Eine Beschränkung dieses Rechts ist nur in Übereinstimmung mit internationalen Normen zulässig (Ziff. 23.1 vi des Moskauer Dokuments). Opfern ungerechtfertigter Inhaftierungen oder Festnahmen ist ein rechtlich durchsetzbarer Anspruch auf Entschädigung zu gewähren (Ziff. 23.1 xi des Moskauer Dokuments). Mit diesen Regelungen entspricht die formelle Rechtsstaatlichkeit nach dem OSZE-Konzept in großem Maße dem international in den westlichen und neuen östlichen Demokratien verbreiteten Rechtsstaatsprinzip, insbesondere auch in seiner deutschen Ausprägung. Einige Aspekte der formellen Rechtsstaatlichkeit, die in vielen Staaten verwirklicht sind, fehlen jedoch im OSZE-Konzept. Daß eine Verfassungsgerichtsbarkeit bestehen müsse, wird nicht gefordert. Auch ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs vor Gericht nicht statuiert. Der dem Rechtsstaatsprinzip imma325 Vgl. dazu auch den ausftlhrlichen "Grundsatzkatalog für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen", Res. der UN-Generalversammlung 43/173 vom 9. Dezember 1988, Text in: Tomuschat, Menschenrechte, S. 287-297.
l. Kapitel: Friedenssicherung
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nente Grundsatz der Rechtssicherheit ist ebenfalls nicht geregelt. Vertrauensschutzregeln fehlen daher. (b) Materielle Rechtsstaatlichk.eit -
Menschenrechte und Grundfreiheiten
Über die bloße Legalität und verfahrensmäßige Absicherung der Freiheit der Menschen hinaus will die materielle Seite der Rechtsstaatlichk.eit die Menschenwürde, die persönliche und politische Freiheit durch die Gewährung von Menschenrechten und Grundfreiheiten für die Bürger eines Staates schützen. Sie schaffi damit ein System materieller Grundwerte. Zum Charakter der Menschenrechte und Grundfreiheiten äußern sich die OSZE-Teilnehmerstaaten in der Charta von Paris. Sie bekennen sich dabei zum westlichen Menschenrechtsverständnis, lehnen damit die östliche Konzeption der kollektiven Rechte ab: 326 "Menschenrechte und Grundfreiheiten sind allen Menschen von Geburt an eigen; sie sind unveräußerlich und werden durch das Recht gewährleistet...327
Bereits in der Präambel der AEMR war eine ähnliche Charakterisierung der Menschenrechte enthalten: "Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet ... " 328
Die OSZE-Staaten sind insbesondere der Auffassung, daß zwischen bloßen politisch programmatischen Zielbestimmungen, die keine Ansprüche der Bürger begründen und subjektiven Rechten in der Verfassung unterschieden werden müsse. "Es wurde über wirtschaftliche und soziale Rechte diskutiert und die Notwendigkeit betont, zwischen den gerichtlich einklagbaren Rechten und denjenigen Bestimrnun~en zu unterscheiden, die als Ausdruck politischer Zielsetzungen betrachtet werden sollten." 29
326 Siehe zu den unterschiedlichen Menschenrechtskonzeptionen oben l. Teil, 1. Kapitel, C.
I. 2. a ee.
327 Charta von Paris, 1. Abschnitt "Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit", 6. Abs. 328 1. Abs. der Präambel der AEMR. 329 Bericht von Oslo über demokratische Institutionen Abschnitt II, 36. Abs., Dazu oben 1. Teil, 3. Kapitel, D. VIII.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Eine in nationalen Verfassungen oft zu erkennende Vermischung von Menschen- und Bürgerrechte als subjektive Abwehrrechte mit der Statuierung von Rechten, die sich in der Praxis lediglich als Staatszielbestimmungen herausstellen entspricht damit nicht dem OSZE-Verständnis. Für die OSZE-Teilnehmerstaaten besteht zunächst die grundlegende Verpflichtung, die Menschenrechte und Grundfreiheiten durch Gesetz in dem Umfange zu gewährleisten, wie sie dazu bereits völkerrechtlich verpflichtet sind. "Die Menschenrechte und Grundfreiheiten sind durch Gesetz und in Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Teilnehmerstaaten zu gewährleisten". 330
Die völkerrechtliche Verpflichtung resultiert zunächst für alle Teilnehmerstaaten aus dem UN-Menschen- und Bürgerrechtspakt (IPBPR). Vertragsstaaten der EMRK, also die Mitgliedsstaaten des Europarates, sind zusätzlich auch an diese Konvention gebunden, die amerikanischen Staaten (USA und Kanada) an die AMRK, soweit sie Vertragsstaaten sind. Darüber hinaus bestehen Verpflichtungen aus Dokumenten der OSZE selbst zur Einhaltung bestimmter Menschenrechte und Grundfreiheiten: Geschützt ist zunächst die Meinungsfreiheit. Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit sind zu gewährleisten (Ziff. 9.1 des Kopenhagener Dokuments). Diese beeinhaltet das Recht "der Öffentlichkeit", "zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen, einschließlich ausländischer Veröffentlichungen und Sendungen ohne Eingreifen öffentlicher Behörden" (Ziff. 26.1 des Moskauer Dokuments). Ferner wird urnfassend die Freiheil der Medien geschützt, insbesondere die Presse- und Rundfunkfreiheit (Ziff. 26 des Moskauer Dokuments). Die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit ist zu gewährleisten (Ziff. 9.2 des Kopenhagener Dokuments). Die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheil ist unter Schutz zu stellen (Ziff. 9.3 des Kopenhagener Dokuments). Die Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheil muß gewährt werden (Ziff. 9.4 des Kopenhagener Dokuments). Zur Konkretisierung der Gewissensfreiheit haben die OSZE-Teilnehmerstaaten das Recht auf 330 Ziff. 5.7 des Kopenhagener Dokuments.
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Wehrdienstverweigerung zwar nicht festgeschrieben, jedoch "stellen sie fest, daß die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen das Recht jedes einzelnen auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkannt hat". Es gibt daher kein OSZE-Recht auf Wehrdienstverweigerung, sondern lediglich die Bereitschaft der OSZE-Teilnehmerstaaten, die Einrichtung eines Ersatzdienstes zu erwägen (Ziff. 18.4 des Kopenhagener Dokuments). Das Schutz des " Privat- und Familienlebens im Wohnbereich" muß gewährleistet werden (Ziff. 24 des Moskauer Dokuments). Auch das Fernmeldegeheimnis ist zu wahren (Ziff. 24 des Moskauer Dokuments). Die Eigentumsfreiheit wird gern. Ziff. 9.6 des Kopenhagener Dokuments und gemäß der Präambel und Abschnitt B., l. des Bonner Dokuments331 geschützt. Enteignungen sind nur im öffentlichen Interesse unter gesetzlich geregelten Bedingungen zulässig, die mit internationalen Verpflichtungen übereinstimmen müssen. Die Freiheit der Ausreise und der Einreise in den Heimatstaat ist gern. Ziff. 9.5 des Kopenhagener Dokuments zu gewähren. Die Freizügigkeit wird gern. Ziff. 20, Abschnitt "Fragen der Sicherheit in Europa" des Abschließenden Dokuments von Wien garantiert. Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. Niemandem darf willkürlich seine Staatsbürgerschaft entzogen werden.332 Schließlich ist auch die Gleichbehandlung der Menschen vor dem Gesetz zu beachten (Ziff. 5.9 des Kopenhagener Dokuments). Dieser Menschen- und Bürgerechtskatalog der OSZE entspricht weitgehend dem internationalen Standard gemäß dem IPBPR. In einigen Fällen geht die OSZE-Regelung jedoch weiter, wie man im Falle der Freiheit der Medien sehen kann. Außerdem ist im OSZE-Rahmen die Eigentumsfreiheit geschützt, während es eine entsprechende universell geltende Völkerrechtsnorm nur in der AEMR gibt. 333 Lediglich auf regionaler 331 Dokument der Konferenz über wirtschaftliche Zusammenarbeit vom II. April 1990 in Bonn, siehe dazu oben l. Teil, 2. Kapitel, F. V. 332 Helsinki-Dokument 1992, Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VI, Ziff. '5'5. 333 Art. 17 AEMR. 17 Bortloff
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2. Teil: OSZE-Grundslitze und -Verpflichtungen
Ebene der EMRK, der AMR.K und der "Banjul-Charta" afrikanischer Staaten ist die Eigentumsfreiheit vertraglich geschützt. 334 c) Minderheitenschutz
Als drittes Element ist schließlich ein ausreichender Minderheitenschutz Kernpunkt des Grundsatzes der demokratischen Legitimität der Regierung. Nur auf diese Weise wird, wie oben335 erwähnt, ein Staat dem internen Selbstbestimmungsrecht eines Volkes gerecht. Der Schutz von Minderheiten war schon zu Beginn der KSZE ein wichtiges Regelungsgebiet So bestimmte in der Schlußakte von Helsinki aus dem Jahre 1975 Absatz 3 des Prinzips VII (Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens- und Religions- oder Überzeugungsfreiheit): "Die Teilnehmerstaaten, auf deren Territorium nationale Minderheiten bestehen, werden das Recht von Personen, die zu solchen Minderheiten gehören, auf Gleichheit vor dem Gesetz achten; sie werden ihnen jede Möglichkeit filr den tatsächlichen Genuß der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewähren und werden auf diese Weise ihre berechtigten Interessen in diesem Bereich schützen."
Aus diesen Anfängen ist bis heute ein umfassenderes Minderheitenschutzkonzept entstanden. 336 aa) Bekräftigung völkerrechtlicher Verpflichtungen- Menschenrechtsund Minderheitenschutz als berechtigtes internationales Anliegen Im Bereich des Minderheitenschutzes spielt für die OSZE - wie auch in anderen Bereichen - die Durchsetzung bereits bestehender völkerrechtlicher Verpflichtungen eine wichtige Rolle. So erklären die Teilnehmerstaaten im Kopenhagener Dokument:
334 Vgl. Art. I des Zusatzprotokolls zur EMRK vom 20. März 1952, Art. 21 AMRK und Art. 14 der Banjul-Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker vom 27. Juni 1982, Text:
Oellers-Frahm/ Wühler, S. 333-342; deutsche Übersetzung im Jahrbuch fiir Afrikanisches Recht, Bd. 2 (1981), S. 243-257 und in: Kühnhard, S. 415-429. Zur "Banjul-Charta" siehe auchMuch, EA 1988, S. 17-26. 335 Siehe oben 2. 336 Hauptdokumente sind das Kopenhagener Dokument und der Bericht des Expertentreffens über nationale Minderheiten in Genfvom 19. Juli 1991. Dazu oben I. Teil, 2. Kapitel, F. VI. 2. d und 3. Kapitel, D. V.
1. Kapitel: Friedensicherung
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"Die Teilnehmerstaaten werden bei ihren BemOhungen, die Rechte von Angehörigen nationaler Minderheiten zu schützen und zu ~rdern, ihre in den bestehenden Menschenrechtskonventionen und anderen einschlägigen internationalen Dokumenten eingegangenen Verpflichtungen voll achten und den Beitritt zu den einschlägigen Konventionen in Betracht ziehen, einschließlich jener, die ein Beschwerderecht von Einzelpersonen vorsehen, sofern ein solcher Beitritt noch nicht erfolgt ist...337
Neben der Bekräftigung, diese Verpflichtungen zu erfüllen, erklären die Teilnehmerstaaten zudem sämtliche mit Minderheiten zusammenhängende Fragen zu "berechtigten internationalen Anliegen". Es ist daher einem OSZE-Staat verwehrt, auf Nachfrage oder Kritik bezüglich der nationalen Minderheitenpraxis mit dem ablehnenden Einwand zu reagieren, es handele sich um eine unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten. Im Genfer Bericht heißt es: "Fragen nationaler Minderheiten sowie die Erfilllung internationaler Verpflichtungen hinsichtlich der Rechte von Angehörigen nationaler Minderheiten sind ein berechtigtes internationales AnlieKen und daher eine nicht ausschließlich innere Angelegenheit des jeweiligen Staates...338""
Diese Qualifikation als berechtigtes internationales Anliegen gilt für den gesamten Bereich des Menschen- und Bürgerrechtsschutzes, wie für Fragen der nationalen Verfassung, also für die Bestimmungen über die Menschliche Dimension339 der OSZE. Im Moskauer Dokument heißt es nämlich: "Die Teilnehmerstaaten betonen, daß Fragen der Menschenreche, Grundfreiheiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein internationales Anliegen sind, da die Achtung dieser Rechte und Freiheiten eine der Grundlagen der internationalen Ordnung darstellt. Sie erklären mit großem Nachdruck und unwiderruflich, daß die im Bereich der Menschlichen Dimension der KSZE eingegangenen Verpflichtungen ein unmittelbares und berechtigtes Anliegen aller Teilnehmerstaaten und eine nicht ausschließlich innere Angelegenheit des betroffenen Staates darstellen...340
Zwar gelten Fragen der Einhaltung der Menschenrechte heute im Hinblick auf Art. l Ziff. 3, 55 lit. c und andere Bestimmungen der UNCharta sowie sonstige Menschenrechtsdokumente völkerrechtlicher Natur nicht mehr als innere Angelegenheit eines Staates, jedoch wird dieses im 337 Ziff. 38 des Kopenhagener Dokuments. Eine Bekräftigung dieser Verpflichtung auch im Genfer Bericht, 1., 7. Abs. 338 Abschnitt II, 3. Abs. des Genfer Berichts. 339 Vgl. "Abschließendes Dokument von Wien", Abschnitt "Menschlichen Dimension der KSZE", Ziff. 3. Dazu oben l. Teil, 2. Kapitel, E. I. 340 Präambel des Moskauer Dokuments (dazu oben I. Teil, 3. Kapitel, VI. 2., bestätigt in der Gipfelerklärung von Helsinki, Ziff. 8 (dazu oben "Helsinki-Dokument 1992", 1. Teil, 3. Kapitel, E. 1.).
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Moskauer Dokument für Fragen der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und speziell im Genfer Bericht für den Minderheitenschutz ausgedehnt. Diese Vereinbarung stellt einen bedeutenden Schritt auf dem Weg der Durchbrechung des Souveränitätsprinzips im Bereich der nationalen Organisation staatlicher Gewalt dar. Die Staaten sind darüber hinaus gehalten, in Fragen der Minderheiten zusammenzuarbeiten: "Die Teilnehmerstaaten erkennen die besondere Bedeutung einer verstärkten konstruktiven Zusammenarbeit untereinander bei Fragen betreffend nationale Minderheiten an. Eine solche Zusammenarbeit soll das gegenseitige Verständnis und Vertrauen, die freundschaftlichen und gutnachbarlichen Beziehungen, den internationalen Frieden, die internationale Sicherheit und Gerechtigkeit fördem." 341
Da die OSZE-Staaten die Erfüllung bestehender völkerrechtlicher Verpflichtungen hinsichtlich des Minderheitenschutzes vereinbart haben, soll nun ein Überblick über den Bestand solcher Bestimmungen gegeben werden342, nicht zuletzt um diese mit den OSZE-Verpflichtungen vergleichen zu können. (1) Universeller Minderheitenschutz
Zunächst soll die Regelung des Minderheitenschutzes auf universeller Ebene betrachtet werden. In der AEMR fehlen noch Bestimmungen über den Schutz von Minderheiten. Bezüglich der UN-Charta selbst kann lediglich auf das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 1 Ziff. 3 und Art. 55 lit. c i. V. m. Art. 56 UN-Charta zurückgegriffen werden. Es bestehen jedoch eine Reihe von speziellen Verträgen und Resolutionen internationaler Organisationen zur Verhütung von Diskriminierung im allgemeinen.343 Die wichtigsten sollen hier aufgezählt werden. Einen speziellen Minderheitenschutz bietet allein Art. 27 IPBPR und die UN-Minderheitenschutzdeklaration.
34 1 Ziff. 36 Abs. 1 des Kopenhagener Dokuments. 342 Eine ausführlichere Übersicht bietet Thornberry, International Law and the Rights of Minorities. 343 Vgl. dazu die umfangreiche Zusammenstellung in Tomuschat, Menschenrechte, Kapitel E. "Diskriminierungsverhütung".
l. Kapitel: Friedensicherung
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(a) Völkermord-Konvention Die Völkermordkonvention vorn 9. Dezember 1948344 ist ein früher Bestandteil des nicht spezifischen Minderheitenschutzes. Verboten ist danach die vollständige oder teilweise Zerstörung von nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppen. (b) Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung Durch das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung345 ist ,jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volksturn beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, daß dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird", verboten. 346 (c) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) Erst das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und vor allem die Art. 26, 27 IPBPR sind spezielle Instrumente des Minderheitenschutzes. Neben Art. 26, dem allgemeinen Diskriminierungsverbot, ist vor allem Art. 27 IPBPR zu nennen. Er lautet: "In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen."
In der Folgezeit war der Minderheitenschutz nicht mehr im Blickpunkt der Arbeit der Vereinten Nationen. Fast 30 Jahre lang kam es zu keiner Annahme eines entsprechenden Dokumentes, obwohl seit den 70er Jahren 344 UNTS Bd. 78, S. 277fT.; BGBI. 1954 II, S. 730; Tomuschat, Menschenrechte, S. 209212. 34 5 UNTS Bd. 660, S. 195ff.; BGBI. 1969 II, S. 962; Tomuschat, Menschenrechte, S. 7587. 346 Art. I Abs. I des Übereinkommens.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
einschlägige Studien der Menschenrechtskommission der UN durchgeführt wurden, die später zu einer Grundsatzdeklaration führen sollten.347 (d) UN-Minderheitenschutz-Deklaration vom 18. Dezember 1992 Die Bemühungen der UN-Menschenrechtskommission mündete erst am 18. Dezember 1992 in die Annahme einer "Deklaration über Rechte von Personen, die zu nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten gehören" (im folgenden UN-Minderheitenschutz-Deklaration genannt). 348 Zwar kommt dieser Deklaration als Teil einer Resolution der UN-Generalversammlung keine völkerrechtliche Verbindlichkeit zu, jedoch soll hierauf in einem Überblick aus zwei Gründen eingegangen werden: Zum einen wurde die Deklaration ohne förmliche Abstimmung von allen Staaten der UNO angenommen, zum anderen stellt sie infolge der Bezugnahme auf Art. 27 IPBPR in der Präambel der Deklaration eine Interpretation dieser Minderheitenschutzbestimmung dar. Der Inhalt der Deklaration kann daher in Zukunft noch rechtliche Relevanz bis hin zur Verbindlichkeit nach Völkergewohnheitsrecht erlangen. 349 Der Inhalt der Bestimmungen stimmt zu einem großen Teil mit den noch zu betrachtenden OSZE-Vereinbarungen350 überein, was sicher kein Zufall ist, da das Genfer Minderheitenexpertentreffen von 1991 noch in die Phase der Verhandlungen über die Deklaration fiel und damit wichtige Staaten bereits Einigkeit über den Minderheitenschutz erzielt hatten. So hat die Deklaration weitgehend den Schutz von Individualrechten zum Gegenstand, nicht - wie noch der jugoslawische Vorentwurf von 1978 - den Schutz von Gruppenrechten. Wie in den OSZE-Dokumenten von Kopenhagen und Genf, so sind auch hier "persons betonging to minorities", d. h. Angehörige von Minderheiten mit Rechten ausgestattet, nicht mehr nur die Gruppen selbst. Hierdurch kommt auch das menschenrechtliehe Verständnis des Minderheitenschutzes im Rahmen der UN zum Ausdruck, wie dieses aus der Präambel der UN-MinderheitenschutzDeklaration hervorgeht. 347 Vgl. Omanga, The Review 1991, S. 33-41. 34 8 Anhang der Res. der UN-Generalversammlung 47/ 135, Text in: International Legal Materials, 1993, S. 913-916. Vgl. dazu Dicke, EA 1993, S. 107-116 sowie Ermacora, VN 1992, s. 149-153. 3 49 So auchErmacora, VN 1992, S. 149 (151). 350 Unten bb.
l. Kapitel: Friedensicherung
263
"Reaffirming faith in fundamental human rights, in the dignity and worth of the human person, in the equal rights ofmen and women and ofnations large and small, ... "351
Neben dem Schutz der Minderheiten als Gruppe im Art. 1 der Deklaration werden in Art. 2 konkrete Rechte von Angehörigen der Minderheiten i. S. des Art. 2 Abs. 1 statuiert. Die Formulierung dieser Rechte erfolgt in einer Form, wie dieses sonst in der Regel für völkerrechtlich verbindliche Verträge üblich ist. Folgende Rechte sind darin enthalten: Das Recht der Ausübung der eigenen Kultur, Religion und der Verwendung der eigenen Sprache sowohl privat als auch öffentlich. Das Recht auf Teilnahme im kulturellen, religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Leben. Das Recht auf Teilhabe an nationalen Entscheidungen und, wenn möglich, auch an regionalen. Die Vereinigungsfreiheit. Das Recht auf Aufnahme oder Erhaltung auch grenzüberschreitender Kontakte mit Angehörigen der eigenen oder einer anderen Minderheit. Die Ausübung sämtlicher Rechte darf zu keiner Diskriminierung führen (Art. 3). Die Gewährung einzelner Minderheitenrechte wird ergänzt durch mehrere Staatenverpflichtungen mit dem Ziel der Schaffung von Bedingungen, unter denen die Angehörigen der Minderheit diese Reche ausüben und ihre eigene Identität bewahren können (Art. 4). Ferner sollen die Staaten gern. Art. 5 die Interessen der Angehörigen von Minderheiten bei ihrer nationalen Politik berücksichtigen. Art. 6 und 7 statuieren eine Pflicht der Staaten zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Minderheitenfragen. Schließlich wird in Art. 8 unter anderem darauf hingewiesen, daß der Inhalt der Deklaration nicht als Rechtfertigung für Aktivitäten dienen darf, die sich gegen die territoriale Integrität eines Staates richten. Das vielfach kritisierte Fehlen eines Systems zur Sicherung und Durchsetzung der Bestimmungen führt dazu, daß dieses weiterhin regionalen Organisationen wie z. B. der OSZE oder dem Europarat überlassen bleibt.
351 2. Abs. der Präambel der UN-Minderheitenschutz-Deklaration.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
(2) Regionaler Minderheitenschutz
(a) Art. 14 EMRK Auf der regionalen Ebene Europas, die hier allein Gegenstand der Betrachtung sein soll, ist der Minderheitenschutz zunächst allein durch die EMRK gewährleistet. Die Mitgliedsstaaten des Europarates sind an Art. 14 EMRK gebunden, der jedoch lediglich ein Diskriminierungsverbot ausspricht, indem er den Angehörigen von Minderheiten ausdrücklich alle Rechte und Freiheiten der EMRK garantiert: "Der Genuß der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten muß ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion politischen oder sonstigen Anschauungen, nationaler oder sozialer Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status gewährleistet werden."
Hiernach bleibt der spezifische Minderheitenschutz weit hinter dem auf UN-Ebene erreichten Stand zurück. (b) Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen
Dagegen stellt die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen vom 5. November 1992352 (im folgenden: Charta) einen Versuch dar, den Sprachenaspekt des Minderheitenschutzes gesondert und ausführlich zu regeln. Inhalt des Vertragswerkes sind Bestimmungen über einen weitreichender Schutz und die Förderung von Minderheitensprachen im öffentlichen Leben wie in Schulen, den Justiz- und Verwaltungsbehörden, in den Medien sowie im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Größte Schwäche der Charta ist jedoch, daß die Unterzeichnerstaaten gern. Art. 2 Abs. 2 lediglich verpflichtet sind, eine Mindestanzahl der Schutz- und Förderungsbestimmungen auszuwählen und anzuwenden. 353 Allein Teil II der Charta, der Ziele und Grundsätze regelt, gilt für alle Vertragsstaaten. Ferner sind die so gern. Art. 2 Abs. 2 der Charta ausge352 Text: Deutsche Arbeitsübersetzung des AA in EuGRZ 1993, S. 154-159. Eine zwischen Österreich, der Schweiz und Deutschland abgestimmte Fassung war im April 1993 noch in Vorbereitung. Die Konvention ist noch nicht in Kraft getreten (Stand April 1993). 353 Ebenso wie im Falle der Europäischen Sozialcharta, Art. 20, BGBI. 1964 II, S. 1262 (1286).
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Kapitel: Friedensicherung
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wählten Vorschriften nur hinsichtlich derjenigen Minderheiten anzuwenden, die der Vertragsstaat zuvor in seiner Ratifikationsurkunde angegeben hat. (c) Bemühungen um ein Minderheitenprotokoll zur EMRK Eine dritte Säule des europäischen Minderheitenschutzes, ein Zusatzprotokoll zur EMRK über den Schutz von Minderheiten ist bisher nicht realisiert worden. Am 1. Februar 1993 hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates jedoch den Entwurf eines solchen Protokolls354 angenommen und das Ministerkomitee des Europarates aufgefordert, dieses zu verabschieden und es während der ersten Konferenz der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der Organisation zur Unterzeichnung aufzulegen. 355 Dazu kam es jedoch während des Gipfeltreffens vom 7. bis 9. Oktober in Wien nicht. Die Teilnehmer beschlossen vielmehr lediglich zum einen ein Rahmenübereinkommen abzufassen, das Grundsätze über den Schutz nationaler Minderheiten enthalten soll und das auch zur Unterzeichnung Nichtmitgliedstaaten des Europarates offenstehen soll. Zum anderen wurde der Vorschlag der Parlamentarischen Versammlung aufgenommen und die Ausarbeitung eines Zusatzprotokolls zur EMRK über kulturelle Rechte, insbesondere für Minderheiten. 356 Der zuvor von der "Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht" (sogenannte "Venedig-Kommission") unternommene Versuch, eine eigenständige "Europäische Konvention für den Minderheitenschutz" zu schaffen führte zu keinem Erfolg.357 Die Wahl eines Zusatzprotokolls zur EMRK hat aber einen entscheidenden Vorteil. Angehörige von Minderheiten, die in den Genuß der dadurch gewährten Rechte kommen, haben die Möglichkeit, das Sicherungssystem der EMRK zu nutzen, d. h. derzeit vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte eine Beschwerde einzureichen und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage zu erheben. 354 Text in: EuGRZ 1993, S. 152f. Vgl. dazu auchKlebes, EuGRZ 1993, S. 148-151. 355 Empfehlung 1201 (1193) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 1. Februar 1993, Text in: EuGRZ 1993, S. 15lf. 356 Siehe dazu Anhang II der Wiener Erklärung vom 9. Oktober 1993, in: Bulletin, Nr. 91 vom 26. Oktober 1993, S. 1023 357 Vgl. dazu auch Widmer, EA 1993, S. 265 (266f).
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Auch verschiedene Initiativen auf der Ebene der Europäischen Gerneinschaften blieben erfolglos. So beschloß das Europäische Parlament im Jahre 1981, eine Charta der europäischen Sprachen und Kulturen, sowie eine Charta der ethnischen Minderheitenrechte auszuarbeiten358, zu deren Fertigstellung es indessen bis heute nicht gekommen ist. Das Europäische Parlament bemüht sich jedoch derzeit um eine solche Charta und erwägt die Aufnahme des Minderheitenschutzes in den zukünftigen EG-Vertrag im Rahmen der Vertragsrevision359 im Jahre 1996.360 bb) Das Minderheitenschutzkonzept der OSZE Das Minderheitenschutzkonzept der OSZE besteht zum einen aus materiellen Minderheitenschutzbestirnrnungen, zum anderen aus Verfahren, welche die Einhaltung der Bestimmungen sichern und Minderheitenkonflikte bereits in einem Frühstadium erkennen und abwenden sollen. (1) Materielle Minderheitenschutzbestimmungen
(a) Motive des Minderheitenschutzes Zunächst soll untersucht werden, welches die Motive, d. h. der ethische und rechtliche Grund der Minderheitenschutzvorschriften der OSZE sind. Die OSZE folgt keinem kollektivrechtlichem Ansatz der Minderheitenrechte, d. h. sie stellt nicht die Gruppe der Minderheit in ihrer Gesamtheit in den Mittelpunkt des Schutzes, sondern den einzelnen Angehörigen der Minderheit. Sie leitet den Minderheitenschutz vorn Menschenrechtsschutz ab und sieht daher den Minderheitenschutz als Bestandteil des Menschenrechtsschutzes an. In Ziff. 30 Abs. 3 des Kopenhagener Dokuments heißt es: " Sie (die Teilnehmerstaaten; Arun. des Verf.] bekräftigen ferner, daß die Achtung der Rechte von Angehörigen nationaler Minderheiten als Teil der international anerkannten Menschenrechte ein wesentlicher Faktor fiir Friede, Gerechtigkeit, Stabilität und Demokratie in den Teilnehmerstaaten ist."361 35 8 Amtsblatt der EG, Mitteilungen und Bekanntmachungen vom 9. November 1981, C 287, S. 106f.; vgl. dazu auch Widmer, EA 1993, S. 265 (271). 359 Art. N Abs. 2 des Vertrages Ober die Europäische Union, Bulletin, Nr. 16 vom 12. Februar 1992, S. 113 (158). 360 F.A.Z. vom 26. August 1993. 361 Ähnlich auch li., 2. Abs. des Genfer Berichts.
I. Kapitel: Friedensicherung
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Folglich gewährt die OSZE den Minderheiten Individualrechte. Minderheitenangehörige sind demnach als Rechtssubjekte Träger der Rechte. Nur ergänzend wird auch den Gruppen als Gesamtheit Minderheitenrechte gewährt. Der individualrechtliche Ansatz kommt im Kopenhagener Dokument zum Ausdruck: "Angehörige nationaler Minderheiten können ihre Rechte einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe ausüben und genießen...362
Das individualrechtliche Konzept363 reicht bis zu den Minderheitenschutzbestimmungen der Pariser Verträge von 1919 und den nachfolgenden Verträgen zurück. Der Vorteil des individualrechtliehen Ansatzes besteht darin, daß Spannungen zwischen den Minderheiten und der Mehrheit der Bevölkerung dadurch verhindert werden können, daß nicht die Gruppe als Ganze ihre Rechte fordernd auftritt, sondern nur einzelne Angehörige, die sich aber zusammenschließen können. Bei unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Minderheitengemeinschaft werden ebenfalls Auseinandersetzungen zwischen internen Fraktionen vermieden, da eine einheitliche Willensbildung nicht erforderlich ist, um die Minderheitenrechte auszuüben. Schließlich soll durch den individual-menschenrechtliehen Ansatz der einzelne im Mittelpunkt des Schutzes stehen und so seine Freiheit am besten geschützt werden, während dieses bei der Gewährung der Rechte an eine Gruppe so nicht gewährleistet werden kann. Darüber hinaus erkennt die OSZE im Minderheitenschutz entsprechend dem Konzept des Grundsatzes der demokratischen Legitimation der Regierung auch ein Element der Demokratie: " ... in der Überzeugung, daß es die Demokratie in Staaten mit nationalen Minderheiten erfordert, daß die Ausübung von Rechten und Grundfreiheiten in voller und tatsächlicher Gleichheit allen Personen, einschließlich der Angehörigen nationaler Minderheiten, zugute kommen und daß sie in den Benuß von Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Institutionen gelangen .. . " 364
Dieses Verständnis entspricht auch der dann später angenommenen UNMinderheitenschutz-Deklaration.365
362 Ziff. 3 2 letzter Abs. I. Satz. 363 Vgl. dazu Pircher, S. 40-43 und Sohn, in: Henkin, S. 274f. 364 I. 3. Abs. des Genfer Berichts. 365 Vgl. oben bb (1) (b); Präambel der Deklaration, 2. Abs. und 6. Abs.
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2.
Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Dem Individualkonzept folgend gibt es keine Regelungen über eine kollektivrechtliche Vorzugsbehandlung von Minderheiten. Eine solche positive Diskriminierung bestünde darin, daß man z. B. eine überproportionale Repräsentation in Parlamenten oder Organen der Exekutive gewährte. (b) Begriff der Minderheit
Bevor im einzelnen die Minderheitenrechte der OSZE erörtert werden, soll zunächst geklärt werden, ob die OSZE den Begriff der Minderheit definiert hat und, wenn dies der Fall sein sollte, welchen Inhalt dieser hat. Während die zuvor erwähnte Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen sowie der Entwurf des Minderheitenschutzprotokolls eine Begriffsbestimmung der Minderheit vornimmt, 366 fehlt eine solche in den OSZE-Bestimmungen. Zur Begriffserklärung trägt es nicht viel bei, wenn die Teilnehmerstaaten erklären, "daß nicht alle ethnischen, kulturellen, sprachlichen oder religiösen Unterschiede
notwen~igerweise zur Bildung nationaler Minderheiten fUhren."36 7
Jedoch könnte insoweit eine Eingrenzung des Personenkreises getroffen werden, wenn die Teilnehmerstaaten nur solche Personen als geschützt ansehen, die im Besitz der Staatsangehörigkeit des jeweiligen Staates sind (enger Minderheitenbegriff). Für eine solche Definition spricht die Bestimmung des Abs. 4 des Abschnitts IV des Genfer Berichts, in dem es heißt: "Die Teilnehmerstaaten bestätigen, daß Angehörige einer nationalen Minderheit dieselben Rechte und dieselben Pflichten haben, die sich aus der Staatsangehörigkeit ergeben, wie die anderen Staatsangehörigen." Dies kann so interpretiert werden, daß vorausgesetzt wird, die Angehörigen von Minderheiten seien nur Staatsangehörige. Gegen eine solche Sichtweise spricht aber der Wortlaut der englischen und französischen368 Fassung, in der jeweils der Begriff "population" verwendet wird.
366 Art. 1 des Entwurfs zum Zusatzprotokoll zur EMRK und Art. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. 367 II. 4. Abs. des Genfer Berichts.
1. Kapitel: Friedensicherung
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"The participating States affirm that persons betonging to anational minority will enjoy the same rights and have the same duties of citizenship as the rest ofthe population."3 69
Für die Beschränkung auf Staatsangehörige spricht andererseits wiederum die Bestimmung des Abschnitts IV, 5. Abs. des Genfer Berichts: "Die Teilnehmerstaaten bekräftigen erneut die Wichtigkeit, besondere Maßnahmen zu ergreifen, wo dies erforderlich ist, um die volle Gleichheit von Angehörigen nationaler Minderheiten mit anderen Bürgern bei der ungehinderten Ausübung der Menschenrechte zu sichern."
Die Konsequenz dieser Definition wäre dann, daß nur solche Personen in den Genuß der Minderheitenrechte kommen können, die Staatsangehörige des Staates sind, in dem sie leben. Damit würden Personen aus dem Minderheitenbegriff ausgegrenzt, die als Wanderarbeiter, deren Familienangehörige oder aus sonstigen wirtschaftlichen oder politischen Gründen in einen Staat gelangt sind, also die sogenannte "neuen Minderheiten" oder "Einwanderungsminderheiten". So interpretiert Ermacora den- nicht ausdrücklich definierten- Minderheitenbegriff der UN-Minderheitenschutz-Deklaration. 370 Nach Ermacora entsprach diese Interpretation der Auffassung der Verhandlungsführer bei der Erarbeitung der Deklaration. Deutschland hat nach der Annahme der Deklaration eine Erklärung entsprechenden Inhalts abgegeben. 371 Dieses Verständnis entspricht auch der Definition des oben erwähnten Minderheitenbegriffs des. Art. I lit. a des Entwurfs des Minderheitenschutzprotokolls zur EMRK und Art. I lit. a der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Die Ausgrenzung fremder Staatsangehöriger aus dem Minderheitenbegriff ist unter den Staaten vorherrschend. 372 Die Beurteilung dieser Frage hat erhebliche Konsequenzen für den Minderheitenschutz. So kann ein Staat durch seine Einbürgerungspraxis bestimmen, in welchem Umfang Zugewanderte als geschützte Minder-
36 8 Die französische Fassung wurde vom Verf. eingesehen, ist aber in Deutschland unveröffentlicht. 369 Text in: HRLJ 1991, S. 330-334. 370 Ermacora, VN 1993, S. 149 (152); anderer Auffassung ist Dicke, EA 1993, S. 107 (113-115). 37 1 Dicke, EA 1993, S. 107 (113). 372 Vgl. die Definition der Minderheit in Art. 20 Abs. 1 des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages, BGBI. 1991 II, S. 1315; siehe auch Thornberry, International Law and the Rights of Minorities, S. 171
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
heiten anerkannt sind. Deswegen wendet sich Nowak generell gegen ein solches Verständnis. Die Anwendbarkeit von Minderheitenschutzbestimmungen dürfe nicht von der Anerkennung des Staates abhängen, da Minderheitenrechte Menschenrechte seien. 373 Im Fall von Grenzänderungen stellt sich dieses Problem in besonderer Weise. So war die russische Bevölkerung beispielsweise in Estland über Jahrzehnte hinweg Staatsangehörige der Sowjetunion. Später wurden sie nach der Unabhängigkeit Estlands Minderheiten, jedoch ohne gleichzeitig die Staatsangehörigkeit des Landes erhalten zu haben. Die Tatsache, daß in dieser Angelegenheit der Hohe Kommissar für nationale Minderheiten der OSZE374 tätig war, spricht für eine Einbeziehung von Nichtstaatsangehörigen in den Minderheitenbegriff der OSZE. Der Hohe Kommissar hatte in dieser Angelegenheit Empfehlungen für den Umgang mit demjenigen Bevölkerungsteil in diesen Staaten abgegeben, die nicht die Staatsangehörigkeit der baltischen Staaten haben. Die Zuständigkeit des Hohen Kommissars ist bei Spannungen in bezug auf nationale Minderheiten gegeben, die das Potential in sich bergen, sich zu einem Konflikt zu entwickeln. Der Hohe Kommissar bezieht daher auch Ausländer in den Minderheitenbegriff ein, wenn man davon ausgeht, daß er sein Mandat nicht überschreiten will. 375 Die betroffenen Staaten haben ebenso wie die anderen Teilnehmerstaaten gegen die Befassung durch den Hohen Kommissar in dieser Problematik nicht protestiert. Diese gehen offenbar - so wäre daraus zu schließen - auch von einem weiten Minderheitenbegriff unter Einschluß von Ausländern aus. Die Definition des Minderheitenbegriffs, die an die Staatsangehörigkeit anknüpft, läßt sich aus den OSZE~Dokumenten zwar nicht deutlich ablesen, die Praxis des Hohen Kommissars für nationale Minderheiten spricht aber für die Geltung eines weiten Minderheitenbegriffes. _Letztlich kann daher von einem eindeutigen Inhalt eines Minderheitenbegriffes der OSZE nicht ausgegangen werden. Die Teilnehmerstaaten ließen den Begriff bewußt offen. Im Rahmen der OSZE wurde der Begriff damit für homogene Bevölkerungsgruppen verwendet, die sich zahlenmäßig eine Minderheit in ei-
373 Nowak, Art. 27, Rn. 17. 374 Siehe dazu genauer unten 4. Teil, 1. Kapitel, C. VII. 375 Der Hohe Kommissar, Max van der Stoel, erklärte dazu vor einem OSZE-Seminar, daß die Existenz einer Minderheit filr ihn eine Tatsache und keine Frage der Definition sei (CSCE ODHIR Bulletin Vol. 1, Nr. 3 (1993), S. 22. Diese Haltung des Hohen Kommissars ist damit -wohl zu recht im Hinblick aufbestehende Probleme- sehr pragmatisch: "1 k.now a minority when I see one." (Fundstelle s. o.).
I.
Kapitel: Friedensicherung
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nem Staat darstellt und nach einer eigenen Identität strebt. 376 Dementsprechend erklärten die Teilnehmerstaaten daß "(d]ie Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit Entscheidung eines Menschen" sei.377
Angelegenheit der persönlichen
Dieser weite Minderheitenbegriff wiederspricht aber den meisten Definitionsansätzen, die in der Vergangenheit unternommen wurden3 78, obgleich es eine allgemeingültige Definition der Minderheit aber auch im Völkerrecht nicht gibt. Die UN-Minderheitenschutz-Deklaration schweigt dazu, wobei - wie oben gezeigt - teils davon ausgegangen wird, die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates sei Voraussetzung für deren Anwendbarkeit, und teils die Offenheit der UN-Deklaration hinsichtlich dieses Umstands betont wird. Der "Special Rapporteur" der UNUnterkommission über der Diskriminierungsverhütung und den Minderheitenschutz, Capororti, hat folgende weitläufig anerkannte Definition einer Minderheit vorgelegt: "A group numerically inferior to the rest of the population of a State, in a non-dominant position, whose members - being nationals of the State - possess etnic, religious or linguistic characteristics differing from those of the rest of the population and show, if only implicitly, a sense of solidarity, directed towards preserving their culture, traditions, religion or language".379 Anband verschiedener anderer Äußerungen völkerrechtlicher Institutionen und Autoren, kann man jedoch übereinstimmende Merkmale eines von den meisten geteilten Minderheitenbegriffes feststellen. 380 Wie bereits erwähnt, gehen die meisten Äußerungen davon aus, daß die Minderheitenangehörigen Staatsangehörige des Aufenthaltsstaates sind. Die Angehörigen der Minderheit müssen sich von der typischen Bevölkerungsmehrheit durch Rasse, Volkzugehörigkeit, Sprache oder Religion unterscheiden und zahlenmäßig hinter der oder den Mehrheitsgruppen zurückstehen. Ferner müssen die Angehörigen eine homogene Gemeinschaft bilden und räumlich an ihr heimatliches Gebiet gebunden sein. So wird meist auch im Hinblick auf die traveaux prepartoires des Art. 27 IPBPR diese Vorschrift so interpretiert, daß sie nur "in those States" Minderheiten schützen will, "in which ethnic, religious or linguistic 376 Ähnlich auch Huber, in: CSCE ODHIR Bulletin Vol. I No. 3 (1993), S. 17 (21 Fn. 2). 377 Zitf. 32 l. Abs. des Kopenhagener Dokuments. 378 Vgl. Pircher, S. 25. 379 Capotorti, Study, S. 96, Abs. 568. 380 Vgl. zum Problem einer Begriffsbestimmung Pircher, S. 24-29; Sohn, in: Henkin, S. 277-280.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
minorities exist". 381 Damit unterfallen dem Schutz des Art. 27 IPBPR nur solche Minderheiten, die sich bereits seit längerer Zeit auf dem Gebiet des Staates aufgehalten haben382 und die Staatsangehörigkeit des jeweiligen Staates haben.383 Zu diesen objektiven Merkmalen kommt jedoch noch ein meist entscheidendes subjektives Element hinzu. Es muß ein Minderheitenbewußtsein als subjektiver Faktor unter den Angehörigen bestehen, das darauf gerichtet ist, ihre Unterschiedlichkeit und Eigenständigkeit zu erhalten und zu entwickeln. Angesichts der Vielzahl der Minderheiten und der unterschiedlichen Konfliktsituationen, denen eine Minderheit ausgesetzt sein kann, erscheint es schier unmöglich, eine abschließende völkerrechtliche Definition der Minderheit zu geben. Sind bereits die Minderheitenprobleme in Europa nicht einheitlich zu beurteilen, so ist das noch weniger im weltweiten Rahmen der Fall. Insbesondere ist der Unterschied der traditionellen Einwanderungsländer wie die USA, Kanada und Australien im Hinblick auf unterschiedliche Volksgruppen zu den Nichteinwanderungsstaaten Europas zu beachten. Wegen dieser Schwierigkeiten wird bisweilen das Fehlen einer entsprechenden Definition gutgeheißen. 384 Wie bereits oben385 festgestellt unterfällt dem OSZE-Minderheitenbegriff nicht die Gruppe der Urbevölkerung386 . In Ziff. 29 des Kapitels VI der Beschlüsse von Helsinki behandelt die OSZE die Urbevölkerung im Anschluß an Bestimmungen über nationale Minderheiten. Die Regelung lautet: "Die Teilnehmerstaaten stimmen unter Hinweis darauf, daß Angehörige von Urbevölkerungen besondere Probleme bei der Ausübung ihrer Rechte haben können, überein, daß ihre KSZE-Verpflichtungen betreffend Menschenrechte und Grundfreiheiten voll und ohne Diskriminerung fllr solche Personen gelten."387
38! So der authentische englische Wortlaut des Art. 27 IPBPR. 382 Vgl. Nowak, Art. 27, Rn. 18 und 20 und Tomuschat, in FS Hermann Mosler, S. 955f. 383 Vgl. Thornberry, International Law and the Rights of Minorities, S. 171. 384 Dicke, EA 1993, S. 107 (115). 385 I. b bb (I). 386 Vgl. dazu auch Thornberry, International Law and the Rights ofMinorities, S. 332-382. 387 Ziff. 29, Kapitel VI der Beschlüsse von Helsinki, Helsinki-Dokument 1992.
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(c) Recht zur allgemeinen Entfaltung der Eigenständigkeil der Minderheit Als grundlegendes Recht wird den Angehörigen von Minderheiten das Recht gewährt, frei ihre Eigenständigkeil entfalten zu können. "Angehörige nationaler Minderheiten haben das Recht, ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität frei zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiterzuentwickeln und ihre Kultur in all ihren Aspekten zu erhalten und zu entwickeln, frei von jeglichen Versuchen, gegen ihren Willen assimiliert zu werden."388
(d) Allgemeines Diskriminierungsverbot Ferner dürfen Angehörige von Minderheiten nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe diskriminiert werden. "Angehörige nationaler Minderheiten haben das Recht, ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne jegliche Diskriminierung und in voller Gleichheit vor dem Gesetz voll und wirksam auszuüben...389
Darüber hinaus sind die Staaten verpflichtet, in Zukunft Maßnahmen zur Verhinderung jeglicher Diskriminierung zu ergreifen (IV., Abs. 2, Satz 1 des Genfer Berichts). Diskriminierungsopfer müssen die Möglichkeit wirksamen Rechtsschutzes gegen eine erlittene Diskriminierung haben (IV., 2. Abs., Satz 2 des Genfer Berichts). (e) Verbot der Zwangsumsiedlung Angehörige von Minderheiten dürfen nicht mit dem Ziel zwangsumgesiedelt werden, die ethnische Zusammensetzung von Gebieten, in denen Minderheiten leben, zu verändern. 390 Die hiernach verbotene Praxis ist unter der euphemistischen Bezeichnung "ethnische Säuberung" bekannt.
388 Ziff. 32, 2. Abs. des Kopenhagener Dokuments. Eine entsprechende Bekräftigung enthält Abschnitt III , 4. Abs. des Genfer Berichts. 389 Ziff. 31, I. Abs. des Kopenhagener Dokuments. Entsprechende Bekräftigung im 4. Abs. des III. Abschnitts des Genfer Berichts. Zuvor war das allgemeine Diskriminierungsverbot in Abs. 18f. des Abschießenden Dokuments des WienerFolgetreffens vereinbart (vgl. dazu oben I. Teil, 2. Kapitel, E. I. 4.). 390 Ziff. 27, Kapitel VI der Beschlüsse von Helsinki, Helsinki-Dokument 1992. 18 Bortloff
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
(f) Spezifische Minderheitenrechte
Über die Statuierung eines allgerneinen Diskriminierungsverbots hinaus bestehen- wie in der späteren UN-Minderheitenschutz-Deklarationspezifische Minderheitenrechte, die auf die Lage Angehöriger von Minderheiten zugeschnitten sind: Den Angehörigen von Minderheiten wird Vereinigungsfreiheit zugesichert (Ziff. 32.6 des Kopenhagener Dokuments und V., I. Abs. des Genfer Berichts). Dazu gehört auch, daß sie eigene Bildungs-, Kulturund Religionseinrichtungen, -Organisationen und -Vereinigungen gründen können. Ferner können sie in internationalen Nichtregierungsorganisationen mitarbeiten. Angehörige von Minderheiten dürfen sich ihrer Muttersprache sowohl privat als auch in der Öffentlichkeit frei bedienen (Ziff. 32.1 des Kopenhagener Dokuments). Sie dürfen Informationen in ihrer Muttersprache verbreiten und austauschen sowie zu solchen Zugang haben (Ziff. 32.5 des Kopenhagener Dokuments). Angehörige von Minderheiten dürfen frei ihre Religion ausüben, einschließlich des Erwerbs und Besitzes religiösen Materials und der Verwendung ihrer Muttersprache im Religionsunterricht (Ziff. 32.3 des Kopenhagener Dokuments). Angehörige von Minderheiten dürfen eine ungehinderte Kornmunikation innerhalb des Landes und grenzüberschreitend mit anderen Bürgern betreiben (Ziff. 32.4 des Kopenhagener Dokuments und VII, I. Abs. des Genfer Berichts). (g) Staatenverpflichtungen zur Schaffung minderheitenfreundlicher Bedingungen Die Gewährung der Einzelrechte wird ergänzt durch die Aufstellung von Staatenverpflichtungen, in denen sie zur Schaffung von Bedingungen verpflichtet sind, unter denen Minderheiten ihre eigenständige Identität entfalten können (Ziff. 33 des Kopenhagener Dokuments und IV. I., 3. und 6. Abs. des Genfer Berichts). Auch diese Regelungstechnik hat ihre Entsprechung in der UN-Minderheitenschutz-Deklaration gefunden. 391 Ferner werden die Teilnehmerstaaten "in Erwägung ziehen", Minderheiten 391 Vgl. Art. 4 der Deklaration.
1. Kapitel: Friedensicherung
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im innerstaatlichen Entscheidungsprozeß "angemessen demokratisch" zu beteiligen (III. 2. Abs. des Genfer Berichts). (h) Fakultative Maßnahmen und Methoden zur Verbesserung der Lage von Minderheiten Als Fortführung und Ergänzung der Staatenverpflichtungen kennt die OSZE einen umfassenden Katalog von Maßnahmen und Methoden, welche die Lage nationaler Minderheiten verbessert (IV., 9. Abs. des Genfer Berichts). Dieser Katalog ist in OSZE-Kreisen unter der Bezeichnung "shopping Iist" bekannt. Damit kommt zum Ausdruck, daß sich jeder Teilnehmerstaaten nach seinem Belieben Maßnahmen, die er zur Förderung von Minderheiten in seinem Staat verwirklichen möchte, aussuchen kann. In Anbetracht einer "Vielfalt der Situationen und der Verfassungsordnungen in ihren Ländern" 392 sind diese jedoch sehr unterschiedlich ausgestaltet. Sie reichen von bloßen finanziellen und technischen Hilfen bis zur Gewährung von Territorialautonomie. 393 Der Begriff "Autonomie" ist in der Völkerrechtswissenschaft nicht hinreichend geklärt. Ein Grund dafür ist, daß er sowohl ein vökerrechtlicher als auch ein staats- und verfassungsrechtlicher Begriff ist. Autonomie wird dabei meist als Verwaltungsautonomie verstanden, nicht nur als kulturelle oder relgiöse Autonomie. Autonomie und Selbstverwaltung stehen somit in einem engen Zusammenhang. Autonomie gewährt meist das Recht, unabhängig jegliche inneren Angelegenheiten zu regeln, außer der Verteidigung und Außenpolitik, die der Zentralregierung vorbehalten bleiben. 394 (i) Anerkennung der Tätigkeit nichtstaatlicher Organisationen Schließlich erkennen die Teilnehmerstaaten ausdrücklich die von manchen Staaten in der Vergangenheit unterdrückte Tätigkeit nichtstaatlicher Organisationen wie Parteien, Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen sowie auch von Einzelpersonen an. 395 Deren Tätigkeit soll Unterstützung erfahren. 396
392 I., 4. Abs. des Genfer Berichts. 393 IV., 9. Abs. dritter Spiegelstrich des Genfer Berichts und Ziff. 35 2. Abs. des Kopenhagener Dokuments. 394 AusfUhrlieh zum Konzept der Autonomie: Hannum/Lillich, AJIL 1980, S. 858-889 und Sohn, IsLR 1980, S. 180-190.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
(j) Schutz der territorialen Integrität der Staaten
Schließlich weisen auch die OSZE-Teilnehmerstaaten - wie in allen OSZE-Dokumenten und der UN-Minderheitenschutz-Deklaration- in einer Rechtswahrungsklausel darauf hin, daß keine Bestimmung des Minderheitenschutzes zu einer Handlung gegen die territoriale Integrität der Staaten berechtigt (Ziff. 37 des Kopenhagener Dokuments). Die OSZE-Bestimmungen zum Minderheitenschutz entsprechen inhaltlich weitgehend denen der späteren UN-Minderheitenschutz-Deklaration. Zu einem erheblichen Teil gehen sie aber weiter, indem sie ausführlicher die Rechte beschreiben und Möglichkeiten der Verbesserung der Lage der Minderheiten aufzeigen. Dabei wird ausdrücklich auch die weitestgehende genannt, nämlich die Autonomie. (2) Verfahren zur Überprüfung und Durchsetzung der Minderheitenschutzbestimmungen
Die OSZE will auf der einen Seite durch materielle Bestimmungen den Minderheitenschutz erreichen, auf der anderen Seite aber auch durch verschiedene Verfahren, durch deren Einsatz die Einhaltung dieser Bestimmungen überprüft werden kann. Für dieses Anliegen eignen sich insbesondere die Verfahren und Mechanismen, die die Einhaltung der Menschenrechte, also der Bestimmungen über die Menschliche Dimension der OSZE überwachen sollen. Dies ist zum einen der Mechanismus zur Überprüfung der Bestimmungen über die Menschliche Dimension der OSZE, einschließlich des darin enthalteneneo Moskauer Mechanismus (Berichterstatter- und Expertenmissionen) sowie das Verfahren der Maßnahmen bei groben Verletzungen von Bestimmungen über Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat/ichkeit.397
395 Ziff. 30, 2. Abs. des Kopenhagener Dokuments und V., 3. und 4. Abs. des Genfer Berichts. 396 Ebenso wurde die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen in der ONMinderheitenschutz-Deklaration anerkannt, vgl. 9. Abs. der Präambel. 397 Vgl. dazu die ausruhrliehe Darstellung dieser Verfahren im 4. Teil, 5. Kapitel, B.
1. Kapitel: Friedensicherung
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Ferner wird die Einhaltung der Minderheitenschutzbestimmungen als Teil der Bestimmungen der Menschlichen Dimension der OSZE während jährlich stattfindenden Konferenzen der Teilnehmerstaaten überprüft. Alle zwei Jahre geschieht dieses durch die Überprüfungskonferenzen, den ehemaligen KSZE-Folgetreffen. In dem Jahr, in dem keine Überprüfungskonferenz einberufen wird, erfolgt die Überprüfung durch das Implementierungstreffen des BDIMR.398 Drittes Element zur Einhaltung der Minderheitenrechte ist schließlich die Tätigkeit des Hohen Kommissars für Minderheiten. Er hat im Bereich der Konfliktverhütung die Aufgabe, Minderheitenkonflikte frühzeitig zu erkennen, zu deren Beilegung beizutragen und gegebenenfalls darauf aufmerksam zu machen (Frühwarnung) und Frühmaßnahmen einzuleiten. 399 Im übrigen sind die Verfahren zur Konfliktverhütung und -bewältigung wie z. B. das Streitbeilegungsverfahren der OSZE (Valletta-Mechanismus) und das Vergleichsverfahren400 ebenfalls geeignet, im Falle eines zwischenstaatlichen Konflikts infolge von Minderheitenfragen eine Lösung herbeizuführen, die dem Minderheitenschutz gerecht wird. Mit den Minderheitenschutzbestimmungen und der verfahrensmäßigen Absicherung der Überprüfung jener Vorschriften hat die OSZE ein umfassendes Konzept des Minderheitenschutzes geschaffen. Zusammen mit dem Grundsatz der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeil hat die OSZE ein grundlegendes Konzept für die Frage nach der Legitimation der Herrschaft einer Regierung in das Völkerrecht eingeführt. Seit den Bemühungen beginnend mit Jean-Jaques Rousseau, die Herrschaft staatlicher Organe auf das Volk zurückzuführen, bietet die OSZE mit den Bestimmungen über die Menschlichen Dimension, die als Grundsatzes der demokratischen Legitimität der Regierung betrachtet wurden, der Staatengemeinschaft ein Modell an, das in völkerrechtliche Geltung gebracht werden kann.
398 Vgl. dazu die Darstellung dieser Foren im 4. Teil, 399 Vgl. dazu unten 4. Teil, 1. Kapitel, C. VII.
I. Kapitel, C. II. und X. I.
400 Vgl. dazu insgesamt die Verfahren zur Konfliktverhütung und -bewältigung, unten 4. Teil, 5. Kapitel, A.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und-Verpflichtungen
3. Das Legitimitätsprinzip im Völkerrecht
Das Legitimitätskonzept der OSZE, der Grundsatz der demokratischen Legitimität der Regierung, wurde vorstehend dargelegt und erörtert. Gibt es aber einen entsprechenden Grundsatz im Völkerrecht? Gibt es überhaupt den Legitimationsgedanken im Völkerrecht oder gibt es gar die "Demokratie als Rechtsanspruch"401 ? Ist die Demokratie "on the way to becoming a global entitlement"? 402 a) Der Gedanke der Legitimität der Regierung im hergebrachten Völkerrecht
Zunächst wollen wir die völkerrechtliche Ausgangslage betrachten. Es ist danach zu fragen, ob und inwieweit das Völkerrecht heute verlangt, daß eine Regierung auf eine im westlichen Sinne - und damit auch im Sinne der OSZE- demokratische Art und Weise die Macht erlangt hat. In der Vergangenheit bildete allein das Prinzip der Effektivität der Regierung Grundlage für die Frage, ob die Regierung eines Staates anerkannt werden soll. Entscheidend war, ob die Regierung nach dem Grundsatz uti possidetis, ita possideatis wirksam die Gewalt auf ihrem Territorium ausüben kann. Ein neuer Ansatz für die Anerkennungsvoraussetzungen bildete sich erstmals während des Wiener Kongresses heraus. Dort stand unter anderem auch die Legitimitätsfrage im Mittelpunkt, d. h. die Frage, welcher Monarch derjenigen Staaten, über deren Schicksal zu bestimmen war, der legitime sei. 403 Das Kriterium der tatsächlichen Herrschaftsausübung allein war nicht das entscheidende. Ferner einigten sich die Mächte der "Heiligen Allianz" in einer Erklärung vom 26. September 1815404 darauf, daß die unabänderlichen Prinzipien der christlichen Religion die Grundlage und Richtschnur für die politsche und soziale Ordnung der drei Staaten sein solle.405
401 Mit einem Fragezeichen versehen lautet so der Titel des Aufsatzes von Salmon, VN 1993, S. 10-17. 402 So Franck, AJIL 1992, S. 46 (46). 403 Siehe dazu Rie, AVR 5 (1955/56), S. 272 (283). 404 Text in: Fleischmann, S. l9f. 405 Vgl. dazu Rie, in: Strupp/Schlochauer, "Heilige Allianz", S. 728f.
1. Kapitel: Friedenssicherung
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Solche Konzepte, die die Anerkennung von Staaten oder Regierungen von weiteren Voraussetzungen als dem Grundsatz der Effektivität abhängig machen wollten, gab es zwar noch im weiteren Verlauf der Völkerrechtsgeschichte406, jedoch haben sich diese nicht durchsetzen können.407 Die Beurteilung zum modernen Völkerrecht ist ähnlich. aa) Charta der Vereinten Nationen Aus der UN-Charta ergibt sich kein irgendwie geartetes Legitimitätsprinzip. Weder die Ziele gern. Art. 1 noch die Grundsätze gern. Art. 2 UN-Charta statuieren ein solches Erfordernis. Insbesondere werden an die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten gern. Art. 4 Abs. 1 UN-Charta keine weiteren Anforderungen gestellt als die der Friedensliebe des die Aufnahme begehrenden Staates. Auf welche Weise die Regierung zustande gekommen ist, ist für die Aufnahme unbeachtlich. Dies hat auch die Aufnahmepraxis der Vereinten Nationen gezeigt. Sowohl Diktaturen als auch Demokratien erlangten gern. Art. 4 Abs. 1 UN-Charta die Mitgliedschaft. Die Vereinten Nationen beruhen vielmehr auf dem nach wie vor ausgeprägten Grundsatz der souveränen Gleichheit ihrer Mitglieder gern. Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta. Innerstaatliche Aspekte wie die Verfassungsordnung und wirtschaftliche Macht spielen daher keine Rolle. bb) "Friendly Relations-Declaration" Die Unerheblichkeit innerstaatlicher Demokratie wird auch aus den Bestimmungen der FRD deutlich. Aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten resultiert das Recht jedes Staates, sein politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles System frei zu wählen und zu entwickeln (6. Grundsatz, lit. e). Diese Befugnis ist auch Folge des aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit entspringenden Interventionsverbotes (3. Grundsatz, 4. Abs.). cc) Internationaler Gerichtshof Auch der IGH äußerte sich entsprechend im Nicaragua-Urteil von 1986. Auf das Vorbringen der USA, Nicaragua habe bedeutsame Schritte hin zur 406 Vgl. Lauterpacht, §§ 40-42. 407 Zum Beispiel die "Tobar-Doktrin", die unten b aa (I) erörtert wird.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Etablierung einer totälitären, kommunistischen Diktatur unternommen, entgegnete der IGH: "However the regime in Nicaragua be defined, adherence by a State to any particular doctrine does not constitute a violation of customary international law; to hold otherwise would make nonsense of the fundamental principle of State sovereignty on which the whole of international law rests, and the freedom of choice of the political, social, economic and cultural system of a State. Consequently, Nicaragua's domestic policy options, even assuming that they correspond to the description given of them by the Congress finding, cannot justify on the legal plane the various actions of the Respondent complained of. The Court cannot contemplate the creation of a new rule opening up a right of intervention by one State against another on the ground that the latter has opted for some particular ideology or political system. " 408
dd) KSZE-Schlußakte von Helsinki Dieses Ergebnis bestätigt ferner noch der Dekalog der KSZE-Schlußakte aus dem Jahre 1975, in dessen Prinzip I es heißt: "Sie [die Teilnehmerstaaten; Anm. des Verf.] werden ... das Recht jedes anderen Teilnehmerstaates achten, sein politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles System frei zu wählen und zu entwickeln sowie sein Recht, seine Gesetze und Verordnungen zu bestimmen."
Diese Bestimmung hat aber, wie oben gesehen, durch die Annahme des Kopenhagener Dokuments und des Genfer Berichts eine erhebliche Veränderung erfahren. 409 Aus dieser Betrachtung völkerrechtlicher Normen und der KSZESchlußakte ist ersichtlich, daß das hergebrachte Völkerrecht eine völkerrechtliche Pflicht der Staaten, die Demokratie zu verwirklichen, nicht kennt. Gemäß dem Grundsatz der Staatensouveränität und dem externen Selbstbestimmungsrecht der Völker geht es vielmehr von einer Vielfalt möglicher Regierungsformen aus. 410 b) Ansätze zur Bildung eines Legitimitätsgrundsatzes im Völkerrecht
Gleichwohl ist im heutigen Völkerrecht eine Entwicklung zur Herausbildung eines Grundsatzes hin festzustellen, nach dem die Regierung durch die Abhaltung freier Wahlen demokratisch legitimiert sein muß. 408 ICJ Rep. 1986, S. 133, Abs. 263. 409 Siehe oben 2. "Grundsatz der Legitimität der Regierung". 410 So auch Salmon, VN 1993, S. 10 (11).
1. Kapitel: Friedenssicherung
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Der amerikanische Völkerrechtler Thomas M Franck hat in diesem Zusammenhang eine evolutionäre Entwicklung in drei Phasen beobachtet. 411 Zunächst sieht er in einer ersten Phase die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, sodann die Ausbreitung des Menschenrechtsschutzes und in einer aktuellen Phase den Weg der Demokratie zu weltweiter Anerkennung. aa) Entwicklung im universellen Völkerrecht Zuerst wollen wir die Entwicklung, die Franck in der dritten, heutigen Phase erkennt, auf der universellen Ebene des Völkerrechts betrachten. (1) Tobar-Doktrin
Ein sehr frühes Beispiel für ein Kriterium innerstaatlicher Legitimität einer Regierung stellt das als Tobar-Doktrin bezeichnete Vorgehen bei der Anerkennung von Staaten oder Regierungen dar. Der damalige equadorianische Außenminister Tobar hatte im Jahre 1907 bestimmt, daß ausländische Regierungen dann nicht anerkannt würden, wenn sie im Widerspruch zur verfassungsmäßigen Ordnung, z. B. durch einen Putsch, an die Macht gelangt seien. Die Tobar-Doktrin fand ihren Niederschlag im 1923 geschlossenen Friedens- und Freundschaftsvertrag zwischen fünf zentralamerikanischen Staaten, in dem sich diese verpflichteten, keine Regierung eines anderen Vertragsstaates anzuerkennen, die in verfassungswidriger Weise die Macht im Staate errungen habe.412 Eine der Tobar-Doktin angenäherte Praxis hat sich jedoch nicht entwikkelt. Nur vereinzelt machten Staaten die Anerkennung von der innerstaatlichen Verfassungsordnung abhängig. So wurde das am 11. November 1965 von der allein durch eine weiße Minderheit getragene Regierung ausgerufene unabhängige Rhodesien von den übrigen Staaten nicht anerkannt, weil das dortige Regime den Grundsatz der Gleichheit der Menschen und das Selbstbestimmungsrecht mißachtete.413 Die Tobar-Doktrin 411 Franck, AJIL 1992, S. 46 (90). 412 Vgl. dazu Schaumann, in: Strupp/Schlochauer, " Estrada-Doktrin", S. 442-444 und !psen, § 22, Rn. 4. 413 Vgl. Crawford, BYIL 1976177, S: 162f.
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2. Teil: OSZE-Grundsltze und -Verpflichtungen
sollten später noch die Mitgliedsstaaten der EG aufgreifen und neue Voraussetzungen für die Anerkennung von Staaten schaffen. 414 (2) Art. 21 Abs. 1 und 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
Einen ersten normativen Ansatz zur Verankerung der Pflicht zur Demokratie durch freie Wahlen bildete 1948 der Art. 21 Abs. 1 und 3 der AEMR. Er lautet: "l.Jeder Mensch hat das Recht, an der Leitung öffentlicher Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen . .. .
eines Landes
3. Der Wille des Volkes bildet die Grundlage ftlr die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muß durch periodische und unverftlschte Wahlen mit allgemeinem und glei· chem Wahlrecht bei geheimer Stimmabgabe oder in einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen."
Diese Bestimmung entspricht zwar dem Demokratieprinzip, ist aber, wie die Vergangenheit gezeigt hat, sehr unterschiedlich zu interpretieren, machten doch die sogenannten "Volksdemokratien" geltend, ihre Regierungsfarm entspreche dem Willen des Volkes. Es hat sich gezeigt, daß allein der Inhalt dieser Norm nicht ausreichte, um die Demokratie nach westlichen Maßstäben weltweit zumindest annähernd durchzusetzen. (3) Art. 25 des Internationalen Pakts aber bürgerliche und politische Rechte
Zur Ausbreitung der Demokratie hat auch die mit Art. 21 Abs. 1 und 3 AEMR im wesentlichen inhaltsgleiche Bestimmung des Art. 25 lit. a und b IPBPR nicht beigetragen. Art. 25 lit. b stellt im Gegensatz zum Art. 21 Abs. 3 AEMR keine Staatenverpflichtung dar, sondern gewährt dem einzelnen das subjektive Recht zur Teilnahme an regelmäßigen, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet sein muß. Die Bestimmungen des IPBPR lauten: "Jeder Staatsbürger hat das Recht und die Möglichkeit, ohne Unterschied nach den in Artikel 2 genannten Merkmalen und ohne unangemessene Einschränkungen a) an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen; b) bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet ist, zu wählen und gewählt zu werden". 414 Dazu unten bb (3).
1. Kapitel: Friedenssicherung
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Das Recht auf Teilnahme an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten statuiert den Grundsatz, daß die Ausübung aller staatlicher Macht vom Volke ausgehen muß, welcher dem Prinzip der Volkssouveränität entspricht. 415 Ein bestimmtes Demokratiemodell schreibt Art. 25 IPBPR nicht vor. Auch "Volksdemokratien" entsprechen der Bestimmung, wenn dessen Bürger an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten durch die Wahl von Räten teilhaben können. 416 Ebenso unbestimmt schreibt lit. b lediglich die Durchführung von "Wahlen" vor. Die Vorschrift nennt nicht die Organe, deren Zusammensetzung durch Wahl zu bestimmen ist. Hierüber kann jeder Vertragsstaat entsprechend seines innerstaatlichen Demokratiemodells entscheiden. Die Bestimmung ist aber dahingehend zu interpretieren, daß zumindest das Organ, das die umfangreichste Macht im Staate hat, also das gesetzgebende Organ, durch Wahl zu bestellen ist. 417 Die OSZE-Staaten haben bezüglich dieser Frage ausdrücklich vereinbart, daß zumindest die Vertreter einer Kammer des Gesetzgebungsorgans vom Volk frei gewählt werden muß.418 Die durchzuführenden Wahlen müssen "echt" sein. Eine Auswahl unter mehreren Parteien, also ein Mehrparteiensystem wurde in Art. 25 IPBPR ausdrücklich nicht verankert, wie sich aus den traveaux preparatoires ergibt.419 Es blieb während der Verhandlungen unklar, inwieweit Einparteienstaaten hiermit übereinstimmten. Zwar wurde der Begriff "echte" (genuine) Wahl nicht definiert, jedoch müssen den Wählern für eine "echte" Wahl zumindest Wahlalternativen geboten werden, sei es auch in Einparteiensystemen durch unterschiedliche Programme oder Kandidaten. 42° Inwieweit dann eine Diversifizierung der innerparteilichen Struktur gegeben sein muß, ist nicht geregelt und bleibt ebenfalls der Interpretation zugänglich. Art. 25 lit. b IPBPR enthält ferner die Wahlrechtsgrundsätze der allgemeinen, gleichen und geheimen Wahl. Das Prinzip der Allgemeinheit gewährt grundsätzlich allen das Wahlrecht. Einschränkungen wie z. B. im Falle von Ausländern, Kindern, Entmündigten sind zulässig, müssen aber gern. Art. 25 IPBPR angemessen sein. Die Gleichheit der Wahl soll den gleichen Zählwert einer jeden Stimme garantieren. Abgesehen von 415 Nowak, Art. 25, Rn. II. 416 Nowak, Art. 25, Rn. 12. 417 Nowak, Art. 25, Rn. 15. 418 Ziff. 7.2 des Kopenhagener Dokuments: vgl. oben 2. a, bb. 419 Vgl. Nowak, Art. 25, Rn. 17. 420 Nowak, Art. 25, Rn. 17; vgl. Partsch, in Henkin, S. 240.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Klassenwahlrechtsformen sind daher eine Vielzahl von Wahlsystemen zulässig. Schließlich muß die Wahl geheim erfolgen. 421 Art. 25 IPBPR verbürgt auch das "freie" Wahlrecht. Die "freie Ausübung des Wählerwillens" muß durch "frei gewählte Vertreter" gewährleistet sein. Geschützt ist einerseits das Recht der Wähler, ohne äußeren Druck ·oder Zwang entscheiden zu können und andererseits das Recht der Kandidaten auf freie Wahlwerbung. 422 Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich aus der Bestimmung des Art. 25 IPBPR ergibt sich lediglich annäherungsweise und nur durch Auslegung des Wortlauts das Recht des einzelnen auf politische Teilhabe im Sinne der Demokratieauffassung der OSZE ergibt.. Es resultiert daher auch daraus keine Pflicht der Staaten zur Einrichtung einer solchen demokratischen Staatsordnung. Vielmehr gewährt Art. 25 IPBPR gewisse politische Minimalrechte bei der politischen Teilhabe des Bürgers an öffentlichen Angelegenheiten. Sowohl Einparteiensysteme, wenn sie gewisse Wahlmöglichkeiten anbieten, als auch pluralistische Demokratien sind gemäß dieser Norm zulässig. 423 Der Regelung des Art. 25 IPBPR mangelt es an einer genauen Definition der verwandten Begriffe sowie detaillierter Regeln für eine Wahl. Diese hat jedoch die OSZE in ihrem Kopenhagener Dokument aufgestellt. 424 Dem Erfordernis der demokratischen Legitimität der Regierung entsprechend dem OSZE-Konzept entspricht der Inhalt des Art. 25 IPBPR daher nur ansatzweise. (4) Resolutionen der UN-Genera/versammlung
(a) "Friendly-Relations-Declaration" Die FRD enthält im Grundsatz über das Selbstbestimmungsrecht der Völker lediglich das Gebot, daß ein Staat über eine Regierung verfügen muß, "welche die gesamte Bevölkerung des Gebiets ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens oder der Hautfarbe vertritt". Wie jedoch diese Vertretung ausgestaltet sein muß, läßt die Deklaration offen. 421 Vgl. zu den Wahlrechtsgrundsätzen genauer Nowak, Art. 25, Rn. 19-29. 422 Nowak, Art. 25, Rn. 30. 42 3 Vgl. Partsch, in: Henkin, S. 241. 424 Dazu oben 2 a bb.
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(b) Resolution 36/162 vom 16. Dezember 1981
Die ohne förmliche Abstimmung angenommene Resolution 36/162 verurteilt "alle totalitären oder anderen, insbesondere alle nazistischen, faschistischen und neofaschistischen Ideologien und Praktiken, die rassistische oder ethnische Exklusivität oder Intoleranz, Haß, Terror und systematische Verweigerung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zur Grundlage haben beziehungsweise nach sich ziehen".425
Die Resolution verlangt daher, daß die innerstaatliche Ordnung den genannten Ideologien nicht entsprechen darf. Sie ist jedoch nur ein Scheinansatz zur Durchsetzung demokratischer Regime gewesen, da bislang kein Staat außer der Republik Südafrika durch Organe der Vereinten Nationen bezichtigt wurde, über ein totalitäres Regime zu verfügen. Mit dieser Resolution sollte daher vor allem Südafrika an den Pranger gestellt werden. Ferner schreibt die Resolution nicht vor, wie die Verfassungsordnung hinsichtlich der Gewährung von Menschenrechten und Grundfreiheiten auszusehen habe. (c) Resolution 45/150 vom 18. Dezember 1990 Mit der Resolution 45/150 über die "Verstärkung der Wirksamkeit des Grundsatzes regelmäßiger und unverfälschter Wahlen" vom 18. Dezember 1990426 hat auch die ON-Generalversammlung die Bedeutung freier Wahlen herausgestellt. Die Generalversammlung betont darin insbesondere die Bedeutung von Wahlen für den Menschenrechtsschutz. Sich in der Präambel auf die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten berufend erklärt sie, daß "das Recht eines jeden, an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten seines Landes mitzuwirken, eine entscheidende Voraussetzung für die wirksame Wahrung eines breiten Fächers anderer Menschenrechte und Grundfreiheiten, so auch politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, durch alle ist". 427
425 Text in: UNYB 1981, S. 876f. 426 Text: Offizielles Protokoll der Generalversammlung, 45. Tagung, Beilage Nr. 49 (A/45149), S. 307f.; bekräftigt durch Res. 46/137 vom 17. Dezember 1991, Offizielles Protokoll der Generalversammlung, 46. Tagung, Beilage Nr. 49 (A/46/49), S. 265-267. 427 Ziff. 2 der Res. 45/150.
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Dieses Verständnis der Wahlen als Ergänzung des Menschen- und Bürgerrechtsschutzes entspricht auch der OSZE-Auffassung, wie es im Kopenhagener Dokument und der Charta von Paris zum Ausdruck kam. 428 Die Generalversammlung erläutert ferner das nach Art. 25 IPBPR anzuwendende Wahlverfahren in der Weise, "daß zur Feststellung des Volkswillens ein Wahlprozeß erforderlich ist, der allen Staatsbürgern gleiche Chancen gibt, sich zur Wahl zu stellen und ihre politischen Ansichten einzeln oder gemeinsam mit anderen in Übereinstirnmunf: mit der jeweiligen Verfassung und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu vertreten". 29
Die Bestimmung der Generalversammlung bleibt mit dieser Beschreibung weit hinter der der OSZE zurück. 430 Insbesondere die "escape"Klausel bezüglich der Verfassungs- und sonstigen Rechtsvorschriften bietet eine weitgehende Möglichkeit der Einschränkung des passiven Wahlrechts und der Wahlwerbungsfreiheit Gleichzeitig betont die Generalversammlung auch, "daß es kein politisches System und kein Wahlverfahren gibt, daß für alle Nationen und ihre Völker gleichermaßen geeignet ist". 431
Begründet wird die Ummöglichkeit der Festlegung eines politischen Systems und eines universell geeigneten Wahlverfahrens mit historischen, politischen, kulturellen und religiösen Faktoren. 432 Die Generalversammlung verzichtet damit auf die ausdrückliche Empfehlung, geschweige denn eine Verpflichtung der Staaten zur Demokratie als politisches System und auf eine genaue Beschreibung von einzuhaltenden Regeln für eine freie Wahl, so wie es die OSZE tut. Vielmehr soll jede Entscheidung eines Staates über die Form seines politischen Systems einschließlich des Wahlsystems gemäß dem Grundsatz er Souveränität von allen anderen Staaten respektiert werden. Die Generalversammlung weist dabei ausdrücklich Ansätze, wie die OSZE sie vertritt, zurück, in denen Fragen der nationalen Verfassungsordnung ein 428 Vgl. oben 2. a bb. 429 Ziff.3 der Res. 45/150. 430 Zum OSZE-Konzept siehe oben 2., a bb. 431 Präambel der Res. 45/150. 432 Präambel der Res. 45/151 , die als Ergänzung und "Gegenstück" zur Res. 45/ 150 die "Achtung der Grundsätze der nationalen Souveränität und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten im Hinblick auf Wahlprozesse" zum Gegenstand hat. Text: Offizielles Protokoll der Generalversammlung, 45. Tagung, Beilage Nr. 49 (A/45/49).
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berechtigtes internationales Anliegen sein sollen. Ziff. 4 und 5 der Resolution 45/150 geben dieses wider: "Die Generalversammlung . . . 4. erkennt an, daß die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um die Verstärkung der Wirksamkeit des Grundsatzes regelmäßiger und unverflilschter Wahlen das souveräne Recht eines jeden Staates, seine eigenen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Systeme frei zu wählen und zu gestalten, nicht in Frage stellen sollte, gleichgültig, ob diese den Präferenzen anderer Staaten entsprechen oder nicht; 5. unterstreicht, daß alle Mitglieder der internationalen Gemeinschaft die Pflicht haben, die von anderen Staaten in Ausübung ihres Rechts zur freien Wahl und Gestaltung ihrer Wahlinstitutionen getroffenen Entscheidungen zu respektieren" .
In diesen jüngsten Resolutionen geht die Generalversammlung also einen Mittelweg. Sie betont einerseits die Bedeutung unverf1ilschter Wahlen für den Menschenrechtsschutz und hebt gewisse Grundsätze für freie Wahlen hervor. Jedoch stellt sie gleichzeitig die Wahl des politischen Systems und des Wahlsystems in das vollständige Ermessen jedes einzelnen Staates, dessen Entscheidung nicht Gegenstand der internationalen Diskussion sein darf, solange es nicht ein rassistisches Regime zum Gegenstand hat. (5) Etablierung demokratischer Staatsordnungen durch Unterstützung der Vereinten Nationen
(a) Wahlüberwachung Die Vereinten Nationen haben in der Vergangenheit oft das Instrument der Überwachung nationaler Wahlen als geeignetes Mittel zur Durchsetzung der Demokratie eingesetzt. Dieses hat seinen Ursprung in der Entkolonisierungszeit. Die Wahlüberwachungen in ehemals kolonialen Staaten hatte den Zweck, die Willensbildung des Volkes unbeeinflußt von internen rivalisierenden Gruppen aber vor allem auch von der Beeinflussung durch andere Staaten zu ermöglichen. In jüngerer Zeit hat das Instrument der Wahlüberwachung eine neue Qualität erhalten. Es wird zum einen immer öfter und zum anderen vornehmlich deshalb eingesetzt, um in von Bürgerkrieg und/oder Diktatur geschüttelten Staaten eine repräsentative Regierung zustande zu bringen, die von allen innerstaatlichen Parteien anerkannt werden kann. Nationale oder regionale Konflikte sollen auf diese Weise beigelegt werden. Beispiele hierfür sind Nicaragua und Haiti. In Nicaragua fanden 1990 unter UNAufsicht Wahlen statt, dessen Ergebnis die Ablösung der Sandinisten durch das oppositionelle Parteienbündnis "UNO" war. In Haiti beobachtete
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
eine UN-Delegation auf Bitten der haitianischen Übergangsregierung die Wahlen vom 16. Dezember 1990. Ferner bemühten sich die Vereinten Nationen, die demokratischen Strukturen im Land zu stärken. Nach dem Militärputsch vom 30. September 1991, der die Regierung des Präsidenten Jean Bertrand Aristide stürzte, nahm die UN-Generalversammlung eine Resolution an, in der sie den demokratisch gewählten Präsidenten unterstützte. Die Generalversammlung verurteilte den Versuch, den verfassungsmäßigen Präsidenten von Haiti abzulösen und erklärte ,jedes Gebilde, das aus dieser unrechtmäßigen Situatin hervorgeht für unannehmbar und verlangt die sofortige Wiedereinsetzung der rechtmäßigen Regierung". 433 (b) Einrichtung einer demokratischen Staatsordnung
durch die Vereinten Nationen selbst
Eine Stufe über der bloßen Überwachung von Wahlen ist das neuartige Instrument der vollständigen Einrichtung demokratischer Regime in einem Staat, der über keine oder nur unzureichende politische Infrastruktur infolge von Bürgerkriegen verfügt. Dabei bestimmen die Vereinten Nationen unter Beteiligung anderer relevanter Staaten in einem Vertrag mit den einzelnen Parteien des betroffenen Staates dessen zukünftige Verfassungsordnung. Das erste Beispiel hierfür ist der Fall Kambodscha. Die Vereinten Nationen bildeten hier eine Art Übergangsregierung, die "United Nations Transilorial Authority in Cambodia" (UNTAC), unter der Verantwortung des UN-Generalsekretärs. Die UNTAC verwirklichte den Inhalt der Pariser Übereinkommen vom 23 . Oktober 1991 über die Beilegung des Kambodscha-Konflikts, die unter Vermittlung des UN-Generalsekretärs zustande kamen. 434 Sie bilden ein Vertragswerk der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie der Staaten Australien, Brunei, Kambodscha, Kanada, Indien, Indonesien, Japan, Laos, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand und Nord-Vietnam, zum Teil auch unter Beteiligung Jugoslawiens. Die Verträge von Paris wurden vom Sicherheitsrat435 der Vereinten Nationen und der UN-Generalversammlung436 ge433 Ziff. 1 und 2 der Res. 4617 vom 1I. Oktober 1991, Text: Offizielles Protokoll der Generalversammlung, 46. Tagung, Beilage 49 (A/46/49), S. 13f. 434 Instruktiv dazu Ratner, AJIL 1993, S. 1-41 und Optiz!Seemüller, 131; Bardehle, VN 1993, S. 81-87. 435 Res. 745 (1992) vom 28. Februar 1992; Text in: VN 1992, S. 78.
VN
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billigt und unterstützt. In der "Schlußakte" der Pariser Konferenz, dem "Übereinkommen über eine umfassende Beilegung des Kambodscha-Konflikts" einschließlich seiner 5 Anhänge und dem "Übereinkommen betreffend die Souveränität, Unabhängigkeit, territoriale Integrität und Unverletzlichkeit, Neutralität und nationale Einheit Kambodschas" unternehmen die Vertragsstaaten den Versuch, in einem vom Bürgerkrieg gelähmten Land eine demokratische Staatsordnung aufzubauen. Teil II i. V. m. Anhang 3 des Übereinkommens über eine umfassende Beilegung des Kambodscha-Konflikts sieht die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung vor. Teil III i. V. m. Anhang 5 Ziff. 2 verpflichtet Kambodscha, zukunftig die Menschenrechte und Grundfreiheiten einzuhalten. Schließlich bestimmt Teil VII i. V. m. Anhang 5, Ziff. 4 des Übereinkommens den Inhalt der Verfassung des Landes. Danach muß die Verfassung dem "System einer liberalen Demokratie auf der Basis des Pluralismus" entsprechen. Sie muß die Abhaltung "wiederkehrender und echter Wahlen" vorsehen. Das aktive und passive Wahlrecht des einzelnen muß bei einer allgemeinen, gleichen und geheimen Wahl in einer Weise garantiert sein, die die volle und faire Möglichkeit bietet, an den Wahlen teilzunehmen. Damit versuchen die Vereinten Nationen eine nach westlichen und OSZE-Maßstäben demokratische Staatsordnung in Kambodscha zu etablieren. Diese Bemühungen der Vereinten Nationen zeigen, daß daS Konzept der demokratischen Legitimation der Regierung im völkerrechtlichen Rahmen zunehmend weltweite Zustimmung und Verbreitung findet. bb) Entwicklung im partikulären Völkerrecht Im partikulären Völkerrecht ist das Prinzip der demokratischen Legitimität der Regierung ebenfalls nur in Ansätzen zu finden. Auch hier sind jedoch Bemühungen zu verzeichnen, diesem Grundsatz erhöhte Geltung zu verschaffen. (1) Organisation Amerikanischer Staaten
Im Rahmen der OAS statuiert Art. 5 der Satzung der OAS die Pflicht der Mitgliedsstaaten, die wirksame Ausübung der repräsentativen Demokratie zu gewährleisten. Am weitestgehenden äußern sich die Mitgliedsstaaten in einer Resolution über die repräsentative Demokratie vom 5. Juni 1991 zum demokratischen Konzept. Die Grundsätze der OAS erforderten 436 Res. 46/1 8 vorn 20. November 1991 , Text in: Offizielles Protokoll der UNGeneralversarnrnlung, 46. Tagung, Beilage 49 (N46/49), S. 21. 19 BonlofT
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
die politische Repräsentation der Mitgliedsstaaten auf der Grundlage der repräsentativen Demokratie. Die Mitgliedsstaaten wollen im Falle einer Unregelmäßigkeit oder der Beschränkung der Arbeit einer demokratisch gewählten Regierung eines Mitgliedsstaates, z. B. nach einem Staatsstreich, sofort im Ständigen Rat zusammentreten. 437 Dies ist im Falle des Putsches in Haiti im September 1991 geschehen. (2) Europarat
Im Rahmen der Staaten des Europarates bestimmt Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK vom 20. März 1952: "Die Hohen Vertragschließenden Teile verpflichten sich, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körper-schaften gewährleisten."
Diese Bestimmung ist zwar als Staatenverpflichtung formuliert, bleibt aber deswegen nicht hinter dem erreichten Stand des Art. 25 IPBPR, der ein Recht des einzelnen statuiert, zurück. Damals entsprach es aber der westlichen Auffassung, die Formulierung politischer Rechte wie die Teilnahme an Wahlen als subjektive Bürgerrechte des einzelnen als nicht geeignet anzusehen.438 Art. 3 des Zusatzprotokolls wird aber heute als subjektives Recht wie alle anderen Rechte und Freiheiten der EMRK. und der Zusatzprotokolle qualifiziert. 439 Dieses folgt zum einen aus der Präambel des Zusatzprotokolls, da dort von "Rechten und Freiheiten" die Rede ist. Ferner bestimmt Art. 5 des Zusatzprotokolls, daß Art. 1, 2, 3 und 4 des Zusatzprotokolls als Bestimmungen der EMRK. gelten. 440 Unter Weglassong des Wahlrechtsgrundsatzes der Allgemeinheit der Wahl nennt Art. 3 des Zusatzprotokolls aber ausdrücklich, daß sich die freie Äußerung des Volkes auf die Wahl der gesetzgebenden Körperschaften richten muß. (3) Europäische Union
Eine qualitative Ausweitung des Legitimitätsgrundsatzes haben die Mitgliedsstaaten der EU in ihrer Erklärung vom 16. Dezember 1991 vorge-
437 Vgl. Franck, AJIL 1992, S. 46 (65f.). 438 Vgl. Nowak, Art. 25, Rn. 3. 439 IntKomm EMRK Wildhaber, Art. 3 EMRK/1. ZP, Rn. 21. 440 Frowein, in: Frowein/Peukerl, Art. 3 des Zusatzprotokolls, Rn. 1.
l. Kapitel: Friedenssicherung
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nommen. 441 In ihr haben sie "Richtlinien für die förmliche Anerkennung neuer Staaten in Osteuropa und in der Sowjetunion" beschlossen. Sie greifen insofern auf das Konzept der Tobar-Doktrin442 zurück. Kriterien, anband derer die Anerkennungswürdigkeit eines Staates beurteilt werden, sind: Achtung der Bestimmungen der UN-Charta und der Verpflichtungen aus der Schlußakte von Helsinki und der Charta von Paris, insbesondere im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte; Garantien für die Rechte ethnischer und nationaler Gruppen und Minderheiten im Einklang mit den im Rahmen der OSZE eingegangenen Verpflichtungen; Achtung der Unverletzlichkeit aller Grenzen, die nur auf friedlichem Wege und einvernehmlich geändert werden dürfen; Übernahme aller einschlägigen Verpflichtungen in bezug auf Abrüstung und nukleare Nichtverbreitung sowie auf Sicherheit und regionale Stabilität; Verpflichtung zur Regelung aller Fragen im Zusammenhang mit Staatennachfolge und regionalen Streitigkeiten durch Vereinbarung und, wo angebracht, durch Rückgriff auf Schiedsverfahren. Neben anderen Grundsätzen machten die Mitgliedsstaaten der EG damit die Übereinstimmung der Staatsordnung nach den Bestimmungen der Charta von Paris, die die pluralistische Demokratie als die einzige Regierungsform der Teilnehmerstaaten bezeichnet443 , zur Voraussetzung für die Anerkennung neuer Staaten. Neben dem Demokratiegrundsatz im Sinne des OSZE-Verständnisses werden die Rechtsstaatlichkeit444, Achtung der Minderheitenrechte nach "den im OSZE-Rahmen eingegangenen Verpflichtungen", also nach dem Kopenhagener Dokument und dem Genfer Bericht445 , als weitere Kriterien genannt. Auf dem Wege des völkerrechtlichen Instituts der Anerkennung gelangt das Legitimitätsprinzip in Form des OSZE-Grundsatzes der demokratischen Legitimität der Regierung erstmals in das Völkerrecht. Im Falle der Anerkennung Kroatiens machten die Mitgliedsstaaten der EG die 44 1 Damals noch im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit der EG, Text in: EA 1992, S. D 120f.; Bulletin, Nr. 144 vom 19. Dezember 1991, S. 1173. 442 Dazu oben aa (1). 443 Dazu oben 2. a. 444 Dazu oben 2, b bb. 445 Dazu oben 2. c bb.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Anerkennung ausdrücklich von verfassungsrechtlichen Änderungen abhängig, welche den Minderheitenschutz betreffen. 446 Zwar galten die Anerkennungskriterien nur für die "neuen Staaten in Osteuropa und der Sowjetunion", jedoch kann heute die EU im Falle der Anerkennungsfrage anderer Staaten aus Gründen der Glaubwürdigkeit kaum mehr hinter diesen Kriterien zurückbleiben. Zumindest muß dies für das OSZE-Gebiet gelten. Sie haben daher über die genannten Anwendungsfälle hinaus Bedeutung. Die EU-Anerkennungskriterien bilden eine Neuerung der völkerrechtlichen Anerkennungsregeln für Staaten. Wie bereits oben gesehen447, entsteht ein Staat heute allein durch die Erfüllung der Voraussetzungen der Drei-Elementen-Lehre. Ein Staat i. S. des Völkerrechts liegt bereits vor, wenn er über ein Staatsvolk, ein -territorium und über eine effektive Regierung verfügt. Die Anerkennung eines Staates beinhaltet daher deklaratorisch die Feststellung, daß ein neuer Staat entstanden sei. Eine Verweigerung der Anerkennung vermag an diesem Sachverhalt nichts mehr zu ändern. Eine Verweigerung kann daher nur die Frage beantworten, ob ein Staat de jure völkerrechtliche Beziehungen mit dem Neustaat aufnehmen möchte. Dieses deckt sich weitgehend mit der Anerkennung von Regierungen.448 Insoweit weiteten die EG-Staaten die Bedingungen, unter denen Staaten nicht de jure anerkannt werden dürfen, aus. Gemäß der Stimson-Doktrin darf ein Staat, der unter Verletzung des Völkerrechts, insbesondere des Gewaltverbotes zustande gekommen ist, nicht anerkannt werden. 449 Dieses ist eine negative Voraussetzung, da für die Anerkennung ein Völkerrechtsbruch nicht vorliegen darf. Die EUAnerkennungskriterien stellen demgegenüber positive Anerkennungsvoraussetzungen dar, da der Staat über eine demokratisch gewählte Regierung verfügen muß. 4. Ist das Legitimitätsprinzip ein anzustrebender Grundsatz des Völkerrechts?
Der OSZE-Grundsatz der demokratischen Legitimität der Regierung genießt, wie oben gesehen45°, keine völkerrechtliche Verbindlichkeit. Wenn 446 Avis Nr. 5 der Schiedskommission vom 11. Januar 1992, zitiert nach Widm er, EA 1993, (272, Fn. 23 ). 447 Siehe oben, 11 6. a aa. 448 Vgl. Kelsen/Tucker, S. 400. 449 Siehe oben li. 6. a bb. 450 Oben 3.
S. 265
I. Kapitel: Friedenssicherung
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sich die Auffassung der Staaten jedoch dahingehend ändert, daß eine Legitimität der Regierung im Sinne des OSZE-Grundsatzes rechtlich zu fordern sei, kann dieser Grundsatz aber Völkergewohnheitsrecht werden.451 Erste Ansätze dazu sind die bereits oben genannten EU-Anerkennungskriterien. Das Konzept der demokratischen Legitimität würde das Völkerrecht jedoch erheblich umgestalten und gravierende Schwierigkeiten aufwerfen. Ein Staat, der über keine demokratisch gewählte Regierung verfügt, würde demnach gegen Völkerrecht verstoßen. Ist es sinnvoll, einen solchen Grundsatz in völkerrechtliche Qualität zu überführen oder erweist es sich als bessere Lösung, ihn als ernsthaftes politisches Programm zu erhalten?452 Die Statuierung eines völkerrechtlichen Legalitätsprinzips hätte zum einen Einfluß auf den Bereich der Anerkennung von Staaten und Regierungen sowie auf die Frage der gewaltsamen Interventionen, also das Gewaltverbot gern. Art. 2 Ziff. 4 UNCharta. 453 Diese beiden Problembereiche sollen hier herausgegriffen werden. a) Problematik der Anerkennung von Regierungen
Im Falle der völkerrechtlichen Verbindlichkeit des Grundsatzes der demokratischen Legitimität der Regierung dürften Regierungen, die nicht durch eine demokratische Wahl zustande gekommen sind, dann nicht von anderen Staaten anerkannt werden. Ein Staat, der eine solche Regierung anerkennen würde, beginge seinerseits einen Völkerrechtsbruch, da er die Völkerrechtsverletzung des anderen Staates und damit eine völkerrechtswidrige Lage unterstützen würde. Es würden sich jedoch gewiß Unklarheiten hinsichtlich der Beurteilung der Frage ergeben, ob ein Staat die Kriterien für eine demokratische Legitimation erfüllt. Möglich wäre es, daß dies von einer Staatengruppe so gesehen wird, andere dieses jedoch ablehnen. Es müßte daher eine zentrale Instanz etwa im Rahmen der Vereinten Nationen über die Erfüllung dieser Anforderungen entscheiden.454 451 Franck, AJIL 1992, S. 46 (47) sieht eine solche Entwicklung bereits für den Grundsatz der Demokratie, d. h. die Pflicht zur Abhaltung echter und freier Wahlen im Sinne des westlichen Demokratieverständnisses. 452 Für letzteres plädiert Salmon, VN 1993, S. 10 (16). 453 Daraufweist auch Salmon, VN 1993, S. 10 (15f.), hin. 454 Dazu unten noch genauer b am Ende.
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2. Teil: OSZE-Grundsitze und -Verpflichtungen
b) Problematik der " demokratischen Intervention"
Neue Fragen würden sich auch im Bereich der Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung stellen. Wäre ein Staat berechtigt, durch Gewalt in einem fremden Staat eine totalitäre Regierung abzusetzen und die Möglichkeit für die Wahl einer demokratisch zustande gekommenen Regierung zu schaffen? Eine solche Intervention kann in Anlehnung an das völkerrechtlich umstrittene Konzept der "humanitären Intervention" 455 als "demokratische Intervention456" bezeichnet werden. Dabei werfen nur solche Interventionen Probleme auf, die nicht auf Einladung der legalen Regierung erfolgen457, etwa wenn die gewählte Regierung nicht in der Lage ist, mit ausländischen Regierungen Kontakt aufzunehmen oder die Regierung fürchtet, ein Ersuchen um Intervention könne das Leben der Regierungsmitglieder oder anderer gefährden. 458 Zum Teil wird bereits unter der Geltung der heutigen Völkerrechtsregeln die Zulässigkelt der Einrichtung einer demokratischen Regierung in einem totalitären Staat durch Gewaltanwendung, also eine demokratische Intervention, mit teilweise voneinander abweichenden Einschränkungen und Bedingungen bejaht. 459 Die diesbezügliche Diskussion wird vornehmlich unter amerikanischen Autoren geführt. Dies ist wohl aus den militärischen Eingriffen der USA in Nicaragua, Grenada und Panama zu erklären. Diese Aktionen fanden jedoch stets unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta statt.
455 Mit dem Begriff "humanitäre Intervention" bezeichnet das völkerrechtliche Schrifttum bewaffnete Eingriffe, die ein Staat auf dem Territorium eines anderen Staates vornimmt, um dessen Bevölkerung vor Menschenrechtsverletzungen, die auch durch Staatsorgane vorgenommen werden können, zu schützen. Hier wilrde die Bevölkerung im Rahmen einer "demokratischen Intervention" vor der undemokratisch zustande gekommenen Regierung geschützt. Vgl. zur humanitären Intervention lpsen, §57, Rn. 26; Seidl-Hohenfeldern, Rn. 1786. 456 Der Begriff "Intervention" ist mißverständlich, da mit diesem Ausdruck meist nur Eingriffe unterhalb militärischer Gewalt bezeichnet werden. Im Rahmen des Begriffs der demokratischen Intervention soll aber ausschließlich militärische Gewalt - wie bei der humanitären Intervention - gemeint sein. 457 Vgl. zu dem Begriff "Intervention auf Einladung" oben II. S. 458 Vgl. dazuHalberstam, HILI 1993, S. 163 (167). 459 Reisman, AJIL 1984, S. 642 (644f.); D'Amato, AJIL 1984, S. 516 (519); Halberstam, HILJ 1993, S. 163 (167).
l. Kapitel: Friedenssicherung
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Eine Extremposition hinsichtlich der Zulässigkeit einer demokratischen Intervention vertritt Reisman. Ein Verstoß gegen das Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta liege bei einem militärischen Eingreifen deshalb nicht vor, weil Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta in einem neuen Lichte betrachtet werden müsse. Reisman stellt das Selbstbestimmungsrecht der Völker - wobei er wohl auf das interne Selbstbestimmungsrecht abstellt - über die Geltung des Gewaltverbotes. Die Bestimmung des Art. 2 Ziff. 4 UNCharta sei nur Mittel zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts. 460 Eine solche Ansicht verkenntjedoch die zentrale Bedeutung des Gewaltverbotes im heutigen Völkerrecht. Wegen des Charakters des Gewaltverbotes als ius cogens kann diese Bestimmung nicht als bloßes Mittel der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Völker qualifiziert werden. 461 Bei der Beurteilung der Zulässigkeil einer demokratischen Intervention sind ausgehend von der Bestimmung des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta zwei Standpunkte denkbar. Zum einen kann ein Verstoß gegen das Gewaltverbot angenommen werden. Zum anderen kann aber ein solcher Verstoß dann abgelehnt werden, wenn man das Vorliegen der Verbotsvoraussetzungen verneint. Gewaltanwendung ist nach Art. 2 Ziff. 4 UNCharta verboten, wenn diese die territoriale Integrität, die politische Unabhängigkeit eines Staates verletzt oder wenn die Gewalt sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist. Von einem Teil der Autoren wird vertreten, genau diese Voraussetzungen seien im Fall einer gewaltsamen Intervention zum Zwecke der Einrichtung eines demokratischen Systems in einem fremden Staat nicht erfüllt. Von einer Verletzung der territorialen Integrität könne keine Rede sein, da keine Annexion beabsichtigt sei. Eine Beeinträchtigung der politischen Unabhängigkeit liege nicht vor, da die Errichtung einer demokratischen Regierung keine politische Abhängigkeit schaffe. 462 Vielmehr fördere eine demokratische Intervention die Anliegen des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta, nämlich den Schutz der territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit. Insbesondere sei die Wiedererrichtung einer demokratischen Regierung nicht unvereinbar mit den Zielen der Vereinten Nationen, sondern ihrer Verwirklichung gerade förderlich. 463 460 Reisman, AJIL 1984, S. 642 (643). 461 So auch Schlachter, AJIL 1984, S. 645 (648). 462 D'Amato, AJIL 1990, S. 516 (519);Halberstam, HILJ 1993, S. 163 (167). 463 Halberstam, HILJ 1993, S. 163 (167).
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Für ein solches Verständnis läßt sich eine entsprechende OSZE-Aussage des Kopenhagener Dokuments anführen. Danach wird das Bestehen der Demokratie als wesentliche Voraussetzung für die Gewährleistung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten angesehen. Die Bestimmung lautet: "Sie [die Teilnehmerstaaten; Anm. des Verf.) erkennen an, daß pluralistische Demokratie und Rechtsstaatlichkeil wesentlich sind fiir die Gewährleistung der Achtung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten .....464
Der Menschenrechtsschutz ist gern. Art. 55 lit. c i. V. m. Art. 56 UNCharta ein verpflichtendes Ziel der Vereinten Nationen. Ma/vina Halbersiam folgert daraus, daß der Schutz der Demokratie und der Menschenrechte höherwertiger sei als der des Friedens durch Art. 2 Ziff. 4 UNCharta und der Staatensouveränität 465 Insbesondere leitet sie die Befugnis zur demokratischen Intervention aus Ziff. 6, Satz 3 des Kopenhagener Dokuments ab. Diese Bestimmung lautet: "Sie erkennen ihre Verantwortung an, in Übereinstimmung mit ihren Gesetzen, ihren internationalen Verpflichtungen bezüglich der Menschenrechte und ihren anderen internationalen Verpflichtungen die durch den Willen des Volkes frei geschaffene demokratische Ordnung gegen Aktivitäten von Personen, Gruppen oder Organisationen zu verteidigen und zu schützen, die sich des Terrorismus oder der Gewalt zum Sturz dieser Ordnung oder der Ordnung eines anderen Teilnehmerstaates bedienen oder auf deren Anwendung nicht verzichten wollen." (Hervorhebungen hinzugefügt)
Es wird argumentiert, die Verantwortung der Staaten, die frei geschaffene demokratische Ordnung zu schützen und zu verteidigen, erlaube auch die gewaltsame Einrichtung demokratischer Regierungen. Die Gewaltanwendung werde durch diese Bestimmung weder ausdrücklich verboten noch erlaubt. 466 Ha/berstam schränkt ihre Auffassung jedoch nur auf gewaltsame Eingriffe in der Form ein, die auf eine Wiedererrichtung einer bereits demokratisch gewählten Regierung gerichtet sind, die gewaltsam daran gehindert wird, ihr Amt anzutreten oder durch Gewalt abgesetzt wurde. 467 Eine solche Interpretation der Ziff. 6 Satz 3 des Kopenhagener Dokuments erscheint jedoch zweifelhaft. Zum einen ist die Schutz- und Verteidigungspflicht der demokratischen Ordnung eines fremden Staates nicht losgelöst von anderen Völkerrechtsregeln. Vielmehr ist diese "in 464 9. Abs., 2. Satz der Präambel des Kopenhagener Dokuments. 46S Halberstam, HILJ 1993, S. 163 (174). 466 Halberstam, HILJ 1993, S. 163 (167). 467 Halberstam, HILJ 1993, S. 163 (167).
1. Kapitel: Friedenssicherung
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Übereinstimmung ... mit ihren internationalen Verpflichtungen bezüglich der Menschenrechte und ihren anderen internationalen Verpflichtungen" zu erfüllen. Dazu zählt auch die Beachtung des Gewaltverbotes nach Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta. Es ist aus Wortlaut und ratio der Bestimmung des Kopenhagener Dokuments nicht erkennbar, daß die Teilnehmerstaaten der OSZE eine solche Interpretation gewollt haben, da dem Gewaltverbot und dem Grundsatz der territorialen Integrität der Staaten im OSZE-Rahmen eine große Bedeutung zukommt. Zum anderen legen Wortlaut und Sinn und Zweck der Bestimmung vielmehr die Interpretation nahe, daß die Schutz- und Verteidigungspflicht allein auf das Stadium gerichtet ist, in der eine Bedrohung des Bestands der demokratischen Ordnung eines Teilnehmerstaates gegeben ist, nicht aber, in der die Bedrohung bereits in eine Zerstörung der demokratischen Ordnung durch einen Sturz der Regierung umgeschlagen ist. Ziff. 6 des Kopenhagener Dokuments hat insgesamt vorbeugenden Charakter, sie will die einmal geschaffene demokratische Ordnung eines Teilnehmerstaates gegenüber demokratiefeindlichen Kräften erhalten. Dieser Interpretation entspricht auch die nach dem Kopenhagener Dokument geschaffene Vereinbarung des Moskauer Dokuments, die Regeln über die Frage aufstellt, wie sich die Staaten im Falle eines vollendeten oder versuchten Staatsstreichs zu verhalten haben. Danach besteht eine Unterstützungspflicht ·der Staaten hinsichtlich der legalen, demokratisch gewählten Regierung: "Die Teilnehmerstaaten ... werden - in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen - im Falle eines durch undemokratische Mittel herbeigeführten oder versuchten Sturzes einer rechtmäßig gewählten Regierung eines Teilnehmerstaates die rechtmäßigen Organe dieses Staates, die für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stehen, mit großem Nachdruck unterstützen, um ihrer gemeinsamen Verpflichtung nachzukommen, sich jeglichem auf eine Verletzung dieser Grundwerte abzielenden Versuch entgegenzustellen".468
Eine Befugnis zur gewaltsamen Wiedereinsetzung einer demokratischen Regierung enthält diese Bestimmung nicht. Zweifelhaft ist ebenfalls das Argument, eine gewaltsame Intervention stelle keine Verletzung der territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit des betroffenen Staates dar. Der Einsatz von Streitkräften auf fremdem Hoheitsgebiet ist unabhängig von dem Zweck des Einsatzes eine Verletzung der territorialen Integrität, da dadurch das Recht des Staates
468 Ziff. 17.2 des Moskauer Dokuments.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
verletzt wird, über den Zugang auf sein Territorium zu bestimmen. 469 Auch die politische Unabhängigkeit wird verletzt, da das politische System des Staates geändert wird. Die Rechtsgüter der territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit entspringen dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten. Kein Staat soll gegenüber einem anderen Staat mehr oder weiterreichende Rechte haben als andere Staaten. Die jeweiligen staatlichen Sphären sollen unabhängig von bestimmten anderen schützenswerten Interessen geschützt werden. Die rechtlichen Interessen der Unverletzlichkeit der territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit werden um der Souveränität des Staates willen geschützt, nicht zum Schutze anderer Rechtsgüter. Die Unabhängigkeit des Staates als Völkerrechtssubjekt, die mit der völkerrechtlichen Souveränität gleichgestellt werden kann470, ist also das Schutzgut der Souveränität. Ihr Schutz wird somit "neutral" gewährt. Kein Staat ist daher berechtigt, dem anderen eine bestimmte Staatsordnung aufzuzwingen. 471 Entsprechendes hat auch der IGH seinem Urteil betreffend den Nicaragua-Fall festgestellt. 472 Das Völkerrecht geht von einer pluralistischen Gemeinschaft von Staatenmodellen aus. 473 Darüber hinaus ist eine evidente Mißbrauchsgefahr hinsichtlich des Instituts einer demokratischen Intervention zu erkennen. 474 Im Rahmen einer unilateralen demokratischen Intervention könnte ein Staat behaupten, er habe eine subversive undemokratische Entwicklung gesehen und wolle einem Umsturz zuvorkommen, wenn er tatsächlich aber nur eine ihm genehme Regierung einsetzen will. Auch kann Streit über das Vorliegen einer demokratischen Ordnung eines Staates aufkommen. Ein Staat mag in der Verfassungsordnung eines Staates eine undemokratische sehen, der andere nicht. Der willkürlichen Handhabung des Instituts der demokratischen Intervention wäre damit Tür und Tor geöffnet. Die oben aufgeführten Probleme zeigen die Schwierigkeiten, die ein völkerrechtlicher Grundsatz der demokratischen Legitimität der Regierung aufwerfen würde. Andererseits würde die völkerrechtliche Verbindlichkeit des Grundsatzes alle Staaten zwingen, eine demokratische und pluralistische Verfassungsordnung einzurichten. Dadurch würde - wie die 469 Schachter, AJIL 1984, S. 645 (649). 470 Verdross!Simma, § 35. 471 Farer, AJIL 1990, S. 503 (507); Schachter, AJIL 1984, S. 645 (646). 472 ICJ Rep. 1986, S. 133, Abs. 263; Wortlaut des Zitats s. o. 3. a cc. 473 Schachter, UCLR 1986, S. 113 (144). 474 Vgl. Schachter, AJIL 1984, S. 645 (650); ders. UCLR 1986, S. 113 (144); Salmon, VN 1993, S. 10 (16).
l. Kapitel: Friedenssicherung
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Erfahrung in Europa gelehrt hat - der Schutz der Menschenrechte gestärkt und der Frieden zwischen den Staaten sicherer gemacht. 475 Daher ist es durchaus wünschenswert, daß der OSZE-Grundsatz der demokratischen Legitimität der Regierung völkerrechtliche Verbindlichkeit erhält. Um aber die Beurteilung der Frage, ob ein Staat mit den Kriterien der demokratischen Legitimation übereinstimmt, einheitlich zu gestalten, muß dieses durch eine Zentralinstanz - also im UN-Rahmen - verbindlich für alle Staaten geschehen. Hier könnte der Generalsekretär der Vereinten Nationen oder eine neuzuschaffende Institutionen, etwa ein "Hoher Kommissar für die demokratische Entwicklung", eine entsprechende Beurteilung vornehmen. Nur so wäre eine einheitliche Anerkennungspraxis zu gewährleisten. Anband dieser Einstufung durch die Vereinten Nationen könnten auch andere Fragen beurteilt werden, etwa die Gewährung von Entwicklungshilfe, wenn ein Staat diese von der demokratischen Legitimität der Regierung abhängig machen möchte. Im Hinblick auf die Mißbrauchsmöglichkeiten und die Geltung des Gewaltverbotes muß eine demokratische Intervention ohne vorherige Erlaubnis durch den UN-Sicherheitsrat als unzulässig angesehen werden. Gewaltanwendung ist heute nur zur Selbstverteidigung (Art. 51 UNCharta) und durch Erlaubnis des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen gern. Art. 42 UN-Charta zulässig. 476 Insoweit wären Maßnahmen zur gewaltsamen Erzwingung einer demokratischen Regierung allein unter der Ägide des UN-Sicherheitsrates zulässig. 477 "Demokratische Interventionen" einzelner Staaten wären - wie sie es auch heute bereits sind als unzulässig anzusehen. Die Aussichten dafür, daß sich der Grundsatz der demokratischen Legitimität der Regierung - sei es mit dem Inhalt des umfassenden OSZEVerständnisses, d. h. die Rechtsstaatlichkeit und den Minderheitenschutz einschließend, oder allein mit dem Inhalt des Demokratiegrundsatzes, d. h. der Abhaltung freier und echter Wahlen - zu einem Grundsatz des universellen Völkerrechts entwickelt, sind jedoch nicht groß. Vorstellbar ist die Durchsetzung dieses Gedankens auf der Ebene der europäischen Staaten oder auf der der OSZE-Staaten. Einer weltweiten Durchsetzung steht heute vor allem die Auffassung vieler Entwicklungsländer entgegen, daß die demokratische Legitimation der Regierung nicht ein vordringliches Ziel sei. Vielmehr stellen diese Länder die Bekämpfung der Armut 475 Zu dieser Funktion der Demokratie als friedensstiftendes Element siehe unten B. 476 Vgl. oben II. 477 So auch Franck, AJIL 1992, S. 46 (85).
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
und die wirtschaftliche Entwicklung als einen Beitrag zur Demokratie in den Vordergrund.478
B. Das OSZE-Konzept der "kooperativen Sicherheit" Die oben unter Abschnitt A. erörterten Prinzipien der OSZE gingen von den bereits in der KSZE-Schlußakte genannten Grundsätzen der souveränen Gleichheit der Staaten, des Gewaltverbotes, des Gebotes der friedlichen Streitbeilegung und des Selbstbestimmungsrechts der Völker aus. Dabei haben sich teilweise völlige Übereinstimmungen mit dem völkerrechtlichen Normenbestand gezeigt, z. T. aber auch Unterschiede, die zu neuartigen Ideen und Entwicklungen führen. Aus der Zusammenschau der dem Völkerrecht entsprechenden und der neuartigen OSZE-Bestimmungen läßt sich ein Konzept der OSZE hinsichtlich der Friedenssicherung erkennen, das als das OSZE-Konzept der "kooperativen Sicherheit" bezeichnet werden kann und im weiteren Verlauf seiner Ausgestaltung in ein kollektives Sicherheitssystem münden kann. Bemerkenswerte Ansätze dazu finden sich im "Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit", in dem es heißt: "Sie (die Teilnehmerstaaten, Anm. des Verfassers] sind entschlossen, bei Verletzung von KSZE-Normen und -Verpflichtungen solidarisch vorzugehen und auf-einander abgestimmt zu reagieren, falls sie sich in der Folge sicherheitspolitischen Herausforderungen gegenübersehen. Sie werden einen Teilnehmerstaat im Einklang mit ihren KSZE-Verantwortlichkeiten umgehend konsultieren, der bei der Wahrnehmung seiner individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung um Beistand ersucht. Sie werden gemeinsam die Art der Bedrohung beurteilen und m%liche Aktionen erwägen, die zur Verteidigung ihrer gemeinsamen Werte erforderlich sind."4
In dieses Sicherheitskonzept integriert die OSZE als Bestandteil der Friedenssicherung die Pflege der wirtschaftlichen Beziehungen, Umweltfragen und innerstaatliche Angelegenheiten der Staatsordnung wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechts- und Minderheitenschutz. Im Schlußdokument des Stockholmer Ratstreffens vom Dezember 1992 erklären die Teilnehmerstaaten demgemäß:
478 Vgl. Erklärung der 21 spanisch- und portugiesischsprachigen Länder Lateinamerikas vom 19. Juli 1991 in Guadalajara (Mexiko), Ziff. 10, Text in: EA 1991, S. D 622-628. 479 Budapester Dokument 1994, Beschlüsse von Budapest, Kapitel IV, I,. 5.
l. Kapitel: Friedenssicherung
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"Das umfassende Sicherheitskonzept der KSZE stellt Frieden, Sicherheit und Wohlstand in einen direkten Zusammenhang mit der Einhaltung der Menschenrechte und den demokratischen Freiheiten. ,.480
Im Helsinld-Dokument 1992 heißt es: "Unser Ansatz gründet sich auf unser umfassendes Sicherheitskonzept, das mit der Schlußakte eingeleitet wÜrde. Dieses Konzept verbindet die Erhaltung des Friedens mit der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Es stellt den Zusammenhang her zwischen Solidarität und Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft und Umwelt und friedlichen zwischenstaatlichen Beziehungen... 481
An anderer Stelle führen die Teilnehmerstaaten für den Bereich der Zusammenarbeit aus: "Wir werden uns um die Stärkung der engen Verbindung zwischen politischem Pluralismus und einer funktionierenden Marktwirtschaft bemühen. Verbesserte Zusammenarbeit im Bereich von Wirtschaft, Wissenschaft und Technik spielt für die Stärkung von Sicherheit und Stabilität in der KSZE-Region eine ausschlaggebende Rolle."482
Noch etwas konkreter heißt es im Budapester Dokumentl994: "Um Spannungen, die in einen Konflikt münden können, entgegenzuwirken, verpflichten sich die Teilnehmerstaaten zur Zusammenarbeit unter anderem durch die Schaffung solider wirtschaftlicher und umweltpolitischer Grundlagen. Zu den Ursachen dieser Spannungen gehören Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie anderer Verpflichtungen der menschlichen Dimension; ..... 483
Im Sicherheitskonzept der OSZE ist die Kooperation ein bedeutendes Element: "Wir bleiben davon überzeugt, daß Sicherheit unteilbar ist. Kein Staat in unserer KSZEGemeinschaft wird seine Sicherheit aufKosten der Sicherheit anderer Staaten stärken.'.484 "Die Teilnehmerstaaten werden die Schaffung neuer Sicherheitsbeziehungen untereinander auf der Grundlage kooperativer und gemeinsamer Ansätze zur Sicherheit anstreben. Zu
480 1. Abs., Kapitel II des Schlußdokuments des Stockholmer Ratstreffens. Siehe dazu oben
l. Teil, 3. Kapitel, H.
481 Ziff. 21 der Gipfelerklärung von Helsinki, die Bestandteil des Helsinki-Dokuments 1992 ist. Wiederholt im Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit, Budapester Dokument 1994, Beschlüsse von Budapest, Kapitel IV. 4 82 Ziff. 28 der Gipfelerklärung von Helsinki. 483 Beschlüsse von Budapest, Kapitel IV "Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit", I., l. 484 Ziff. 23 der Gipfelerkärung von Helsinki.
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2. Teil: OSZE-Grundsiltze und -Verpflichtungen
diesem Zweck werden sie Konsultation, zielgerichteten fortdauernden Dialog und Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit entwickeln...485
Die OSZE hat damit einen Zustand der Sicherheit und Stabilität vor Augen, der nicht nur in der Abwesenheit von Krieg und Gewaltanwendung besteht, sondern in komplexen Beziehungen der Teilnehmerstaaten, in denen sie eine umfassende Zusammenarbeit in allen Bereichen vornehmen, die für sie von gemeinsamen Interesse sind. Diese sind zum einen die in den folgenden Teilen dieses Kapitels darzustellenden Bereiche, die jeweils typische Gegenstände der zwischenstaatlichen Beziehungen bilden, nämlich der Wirtschaft486 und ferner die Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technik. Darüber hinaus bilden Umweltfragen den Gegenstand der Zusammenarbeit. 487 Grund dafür ist, daß viele Umweltprobleme wie wirtschaftliche Krisen infolge der in beiden Fragen bestehenden Abhängigkeiten nur im internationalen Rahmen wirkungsvoll gelöst werden können. Darüber hinaus bilden aber auch Bereiche den Inhalt der kooperativen Sicherheit, die sich - zunächst - nur innerstaatlich auswirken und daher nur innerstaatlich geregelt werden können: Der Bereich der nationalen Verfassungsordnung und der Schutz der Menschen- und Minderheitenrechte. Die Rechtsordnungen der OSZE-Staaten müssen, wie oben gesehen488, dem Grundsatz der demokratischen Legitimität der Regierung entsprechen. Grundlegend ist dabei die Erkenntnis, daß die Erhaltung des Friedens untrennbar mit der Beachtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einer demokratischen und rechtsstaatliehen Staatsordnung sowie einem effektiven Minderheitenschutz verbunden ist. Diese drei Elemente, die - wie gesehen489 - Teil des internen Selbstbestimmungsrechts der Völker nach dem OSZE-Verständnis sind, werden damit in Zusammenhang mit der Friedenssicherung gebracht. Das Wissen um die Abhängigkeit des Friedens zwischen den Staaten von einer demokratischen, rechtsstaatliehen Verfassungsordnung ist jedoch
485 Abschnitt V., Ziff. 15 der Beschlüsse von Helsinki, die Bestandteil des HelsinkiDokuments 1992 sind.
486 Vgl. dazu die ausfilhrliche Darstellung der OSZE-Grundsätze und -Vereinbarungen zum Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit unten 2. Kapitel. 487 Siehe dazu oben 3. Kapitel. 488 A. IV. 2. 489 A. IV. 2.
l. Kapitel: Friedenssicherung
303
viel älter als das OSZE-Konzept. 490 Bereits Immanue/ Kant hat 1795 in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" diese Abhängigkeit beschrieben. 491 Der amerikanische Politologe Michael Doyle weist anband seiner Untersuchung über die Beziehungen zwischen liberalen Demokratien einerseits untereinander und andererseits gegenüber undemokratischen Regimen nach, daß Demokratien gegeneinander keine Kriege führen. Vielmehr sind Demokratien nur dann an Kriegen beteiligt, wenn der Gegner jeweils ein undemokratischer Staat ist. Diesen Sachverhalt bezeichnet er abgeleitet von Kants Schrift als "liberal internationalism". 492 Angedeutet wurde der Inhalt dieses OSZE-Konzepts bereits im Kopenhagener Dokument. In dessen Präambel heißt es: "Die Teilnehmerstaaten bringen ihre Überzeugung zum Ausdruck, daß die volle Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie die Entwicklung von Gesellschaftssystemen auf der Grundlage von pluralistischer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Vorbedingung filr einen Fortschritt beim Aufbau jener dauerhaften Ordnung von Frieden, Sicherheit, Gerechtigkeit und Zusammenarbeit sind, die sie in Europa zu errichten wilnschen. " 4 93
Die OSZE hat dieses ausdrücklich im Helsinki-Dokument 1992 niedergelegt. In der Gipfelerklärung von Helsinki heißt es wie bereits oben erwähnt: "Unser Ansatz gründet sich auf unser umfassendes Sicherheitskonzept, das mit der Schlußakte eingeleitet wurde. Dieses Konzept verbindet die Erhaltung des Friedens mit der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten...494
Die Bedeutung des Menschenrechtsschutzes genauer beschreibend heißt es weiter: "Der Schutz und die Förderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie die Stärkung demokratischer Institutionen sind weiterhin eine unerläßliche Grundlage filr unsere umfassende Sicherheit...495 490 Vgl. zur Abhängigkeit des Friedens von der Herrschaftsform der Demokratie auch Rittberger, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1987, S. 3-12, insbesondere S. 6f. 491 Kant, Zum ewigen Frieden, Zweiter Abschnitt, l. und 2. DefinitivartikeL Kant verwendet dabei fllr diesen Gedanken Begriffe, die heute eine andere Bedeutung haben, so daß diese nur eingeschränkt auf die gegenwärtige Diktion ilbertragbar sind. Inhaltlich jedoch ist Kants Konzept mit der heutigen Auffassung gleich. 492 Doyle, American Political Science Review 1986, S. 1151 (1157). Siehe dazu auch die ausfilhrlichere Darstellung Doyles in: Philosophy & Public Affairs 1983, S. 204-235 und S. 323-353. 493 II. Abs. Satz I der Präambel des Kopenhagener Dokuments.
494 Ziff. 21 Satz I und 2 der Gipfelerklärung von Helsinki, die Bestandteil des HelsinkiDokuments 1992 ist.
304
2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Ein zentraler Bestandteil des OSZE-Konzepts bleibt jedoch auch die Sicherung des Friedens durch Kriegsverhütung. Sicherheit und Stabilität sollen zum einen durch die Herstellung militärischer Sicherheit gewährleistet werden, wozu die Vereinbarungen zu Abrüstung, Rüstungskontrolle und den Vertrauen- und Sicherheitbildenden Maßnahmen gehören. Zum anderen wird das Sicherheitskonzept durch eine umfassende Zusammenarbeit in nichtmilitärischen Fragen und durch die Vereinbarungen über die Qualität der nationalen Rechtsordnung ergänzt. Der Schaffung eines solchen Systems kooperativer Sicherheit entsprechen die Bemühungen in der Völkerrechtswissenschaft und der Friedensforschung von einem negativen zu einem positiven Friedensbegriff zu gelangen. Nach dem negativen Friedensbegriff erfolgt die Schaffung von Frieden allein durch die Herstellung militärischer Sicherheit, also Kriegsverhütung durch Regelungen, die Gewaltanwendung und -androhung verhindern sollen. Der positive Friedensbegriff umfaßt demgegenüber eine Lage, in der nicht nur die Abwesenheit von militärischer Gewaltanwendung und -drohung herrscht, sondern in der die Voraussetzungen für eine Gewaltanwendung entfallen sind. Dies soll allgemein durch die freqndschaftlichen Beziehungen, insbesondere durch die wirtschaftliche Entwicklung aller Staaten, Zusammenarbeit in Umweltfragen und dem Menschenrechtsschutz hergestellt werden.496 Im Zentrum völkerrechtlicher Friedensbemühungen steht heute der Frieden i. S. des negativen Friedensbegriffs. 497 Er ist auch Grundlage der Charta der Vereinten Nationen. Dies ist aus dem zentralen Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta, der Präambel der Charta498, und der Regelung über Zwangsmaßnahmen zur Friedenssicherung nach Kapitel VII ersichtlich. Die ständige Vertiefung der gegenseitigen Abhängigkeit der Staaten durch die Ausweitung internationaler Beziehungen hat zu dem Bedürfnis nach einem positiven Frieden geführt. Der positive Friedensbegriff hat seinen Niederschlag jedoch auch in der Charta der Vereinten Nationen gefunden. Wirtschaftliche Entwicklung, freundschaftliche internationale Beziehungen, umfassende internationale Zusammenarbeit und der Schutz der Menschenrechte sind gemäß der Präambel, Art. 1 Ziff. 3 und 4, Art. 13
s.
495 Ziff. 8 Satz 2 der Gipfelerklärung von Helsinki, Helsinki-Dokument 1992. 496 Vgl. näher zum negativen und positiven Friedensbegriff Randelzhofer, in: Delbrück, 22-37. 497 Vgl. Randzelzhofer, in: Delbrück, S. 22 498 Dort heißt es: "Um künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren".
l. Kapitel: Friedenssicherung
305
und Art. 55 UN-Charta Ziele und Anliegen der Vereinten Nationen. Auch die UN-Generalversarnrnlung formulierte Bestandteile eines positiven Friedensbegriffs. In der FRD heißt es: "Die Generalversammlung, ... im Bewußtsein der Bedeutung der Wahrung und Festigung des Weltfriedens auf der Grundlage der Freiheit, der Gleichheit, der Gerechtigkeit und der Achtung der Grundrechte des Menschen sowie der Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Nationen unabhängig von ihren unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemen oder von ihrem Entwicklungsstand". 499
Das Konzept der OSZE für die Schaffung einer kooperativen Sicherheit und die Bemühungen hinsichtlich des positiven Friedensbegriffs überdecken sich somit zum größten Teil. Gerneinsam ist beiden, den Gedanken der Gerechtigkeit verstärkt in das Völkerrecht einzuführen. 500 Das Bemühen um innerstaatliche Gerechtigkeit soll auch zur Erreichung einer Gerechtigkeit in den internationalen Beziehungen führen. Der Gedanke der Gerechtigkeit war der urspünglichen Völkerrechtsordnung fremd.501 Im Rahmen des Kompetenzvölkerrechts ging man davon aus, daß sich gerechte Verhältnisse zwischen den Staaten gleichsam von selbst einstellen, da jeder Staat als selbständig, unabhängig und gleich stark angesehen wurde. Allein die bloße Sicherung des Friedens im Sinne einer Kriegsverhütung war daher das vordringliche Anliegen der Staaten. Im heutigen Kooperationsvölkerrecht bedarf es aber infolge der oben erwähnten gegenseitigen Abhängigkeiten eines anderen Verständnisses. Daher ist eine intensive internationale Zusammenarbeit erforderlich. Ferner stellt auch die Verwirklichung eines Mirninurns an Gerechtigkeit im innerstaatlichen Bereich ein internationales berechtigtes Interesse dar, da diese Folgen für die internationalen Beziehungen hat. Dieses Verständnis der Friedenssicherung wird auch durch neue völkerrechtliche Entwicklungen gestützt und in der völkerrechtlichen Literatur erkannt. Am 31. Januar 1992 verabschiedeten die Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen eine Erklärung über die "Verantwortung des Sicherheitsrates im Hinblick auf die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit".502 Die Sitzung des Sicherheitsrates fand erstmals auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten statt. Die 15 Mitglieder des Gremiums waren 1992 Belgien, China 499 FRD, 3. Abs. 500 Vgl. Randelzhofer, in: Delbrück, S. 31. 501 Vgl. zur Gerechtigkeit im Völkerrecht Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, § 14. 502 Text in: VN 1992, S. 66f. 20 Bortloff
306
2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
(Volksrepublik), Ecuador, Frankreich, Großbritannien, Indien, Japan, Kap Verde, Marokko, Österreich, Rußland, Simbabwe, Ungarn, Venezuela und die Vereinigten Staaten. In der Erklärung des Sicherheitsrates nehmen dessen Mitglieder zu den Grundproblemen der Friedenssicherung in der Zeit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts Stellung und zeigen Perspektiven für den künftigen Umgang mit diesen Problemen auf. 503 Der Sicherheitsrat erklärt darin: "Die Abwesenheit von Krieg und militärischen Konflikten zwischen den Staaten garantiert für sich allein noch nicht den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Die nichtmilitärischen Ursachen von Instabilität im wirtschaftlichen, sozialen, humanitären und ökologischen Bereich sind zu Bedrohungen des Friedens und der Sicherheit geworden."
Und weiter heißt es: "Die Mitglieder der Vereinten Nationen in ihrer Gesamtheit müssen der Lösung dieser Angelegenheiten höchste Priorität beimessen und dabei unter Einschaltung der zuständigen Gremien vorgehen."
Verbreitet wird auch die Resolution des Sicherheitsrates 688 vom 5. April 1991 504 als weiterer Schritt der Entwicklung hin zu einem umfassenen Friedens- und Sicherheitsverständnis gesehen. Die Resolution hat die Lage der irakiseben Zivilbevölkerung, insbesondere der kurdischen zum Gegenstand. Der Irak unterdrückte oppositionelle Bevölkerungsgruppen, indem er sogar Giftgas gegen kurdische Siedlungen einsetzte. In der Resolution heißt es: "Der Sicherheitsrat ernsthaft besorgt über die Unterdrückung ·der irakischen Zivilbevölkerung in vielen Teilen Iraks, insbesondere auch in allerjüngster Zeit in den kurdischen Siedlungsgebieten, die zu einem massiven Flüchtlingsstrom zu den internationalen Grenzen und über diese hinweg sowie zu grenzüberschreitenden Einfallen geftlhrt hat, die den Weltfrieden und die internationale Sicherheit in der Region bedrohen ... "
In dieser Resolution wird eine Fortentwicklung des Völkerrechts gesehen, da der Sicherheitsrat allein in der Mißachtung der Menschenrechte eine Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit er-
503 Seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation hat die Anzahl der Erklärungen des Präsidenten des Sicherheitsrates erheblich zugenommen (vgl. die zahlreichen Erklärungen zum Krieg des Iraks gegen Kuwait). Es scheint sich hier ein neues Instrument der Meinungsäußerung des Sicherheitsrates herausgebildet zu haben, welches sich aber nicht der Mittel bedient, die die UN-Charta vorsieht. Es bleibt zu untersuchen, inwieweit diese Erklärungen völkerrechtliche Wirkung entfalten und ob der Sicherheitsrat nicht besser auf das Instrument förmlicher Resolutionen zurückgreifen sollte. 504 Deutsche Übersetzung in: VN 1991, S. 77.
1. Kapitel: Friedenssicherung
307
kenne. 505 Damit sei die Verletzung der Menschenrechte nicht mehr nur innere Angelegenheit eines Staates. Der Wortlaut des Resolution zeigt jedoch, daß nach Ansicht des Sicherheitsrates nicht allein die Menschenrechtsverletzungen die Bedrohung des Friedens darstellen, sondern daß diese erst als Ursache für die darausfolgenden Flüchtlingsströme zu den internationalen Grenzen und über diese hinweg sowie die "grenzüberschreitenden Ein!älle" den Frieden bedrohen. 506 Jedoch weist die folgende Aufforderung des Sicherheitsrates an die irakisehe Regierung auf ein solches Verständnis hin: "Der Sicherheitsrat . . . besteht darauf, daß der Irak den internationalen humanitären Organisationen sofortigen Zugang zu allen hilfsbedürftigen Personen in allen Teilen des Iraks gewährt und diesen Organisationen alle erforderlichen Hilfsmittel für ihre Tätigkeit zur Verfügung stellt". 507
Hier sind bereits die Menschenrechtsverletzungen allein Anlaß für den Sicherheitsrat, diese Aufforderung in der Erkenntnis einer Friedensbedrohung nach Kapitel VII der UN-Charta abzugeben. Somit stellt diese Resolution in der Tat einen Schritt in der Fortentwicklung des Völkerrechts dar. Im Falle einer Diskrepanz zwischen der Verfassungsordnung eines Staates und dem Grundsatz der Demokratie, der Rechtstaatlichkeil und des Menschen- und Minderheitenschutzes würde bei völkerrechtlicher Verbindlichkeit des Grundsatzes der demokratischen Legitimität der Regierung nach dem Sicherheitskonzept der OSZE eine Friedensbedrohung vorliegen, wie die bereits zuvor zitierte Sicherheitsratsresolution andeutete. Ob dieses jedoch gleich zu einem Einschreiten des Sicherheitsrates gemäß Kapitel VII UN-Charta mit der letzten Konsequenz der Gewaltanwendung zwänge, ist eine andere Frage. Man wird hier entsprechend dem völkerrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Stufenfolge annehmen müssen. Gewaltanwendung kann nur bei schweren Verletzungen dieser Bestimmungen gerechtfertigt sein und muß die ultima ratio darstellen. In der völkerrechtlichen Literatur wird die oben erörterte Tendenz vereinzelt erkannt und gutgeheißen. Franck, sieht - wohl etwas zu euphoSOS Siehe Erklärung des Bundesministers des Auswärtigen zur Lage im Irak und die Situation der Flüchtlinge vom 17. April1991, Text in: EA 1991, S. D 238. 506 Daraufweist auch Heintze, Humanitäres Völkerrecht, 1991, S. 43 (44) hin. 507 Ziff. 3 des operativen Teils.
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2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
risch und zu weitgehend - daß die symbiotische Verbindung von Demokratie, Menschenrechten und Frieden größtenteils anerkannt sei. 508 Die OSZE stellt sich mit dem Konzept der kooperativen Sicherheit am die Spitze der Tendenz im heutigen Völkerrecht, die Völkerrechtsordnung zu einer ausgeprägteren Kooperationsordnung auszubauen, in der die Sicherheit der Staaten nicht nur in der Abwesenheit von Krieg gesehen wird und daher zahlreiche Gebiete, die früher durch den "Souveränitätspanzer" der Staaten geschützt waren, ein internationales Anliegen sind. 2. Kapitel
Die wirtschaftliche Dimension Die wirtschaftliche Zusammenarbeit der OSZE-Teilnehmerstaaten bildet seit dem Beginn der zweiten Phase des OSZE-Prozesses mit der Charta von Paris "nunmehr einen wichtigen Pfeiler der OSZE". 509 Zuvor, während der ersten Phase, standen allein die Bemühungen um Friedenssicherung und Abrüstung im Mittelpunkt des Verhandlungsprozesses. Der Bereich der Wirtschaft stellte zu dieser Zeit einen vergleichsweise "leeren Korb" des OSZE-Prozesses dar. Erst als sich alle Teilnehmerstaaten während der Bonner Konferenz über wirtschaftliche Zusammenarbeit im April 1990 - also noch vor dem KSZE-Gipfeltreffen im November 1990 in Paris - zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und dem Menschenrechtsschutz bekannten, konnten einzigartige und grundlegende Vereinbarungen über Grundsätze der Wirtschaft erzielt werden. Seit der Annahme des Budapester Dokuments 1994 sind die Bereiche wirtschaftliche Zusammenarbeit, Umwelt, Wissenschaft und Technik sowie die Förderung der regionalen und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit unter der Bezeichung "wirtschaftliche Dimension" analog zur Menschlichen Dimension- zusammengefaßt. 510
508 Franck, AJIL 1992, S. 46 (89). 509 So die Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze fiir die Zukunft", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Zusammenarbeit", 2. Abs. 510 Beschlüsse von Budapest, Kapitel IX, Ziff. 2.
2. Kapitel: Die wirtschaftliche Dimension
309
A. Wirtschaftliche Zusammenarbeit Die OSZE-Vereinbarungen zur Wirtschaft zeichnen sich dadurch aus, daß sie einerseits grundsätzliche Aussagen über die Struktur und Ziele der Wirtschaftsverfassung der Teilnehmerstaaten sowie über die internationale Zusammenarbeit der Staaten treffen, andererseits Regelungen über die Zusammenarbeit auf konkret genannten Gebieten enthalten.
I. Grundsätze und Ziele für die nationale Wirtschaftsverfassung und die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit 1. Grundsätze und Ziele für die nationale Wirtschaftsverfassung
a) Marktwirtschaft als einzige Wirtschaftsordnung Erstmals haben sich souveräne Staaten im Rahmen der OSZE untereinander auf ein bestimmtes Wirtschaftssystem verpflichtet. Die Wahl des wirtschaftlichen Systems steht gemäß dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten an sich im Belieben jedes einzelnen Staates. Art. 1 der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten bestimmt: "Jeder Staat hat das souveräne und unveräußerliche Recht, sein Wirtschaftssystem sowie sein politisches, soziales und kulturelles System entsprechend dem Willen seines Volkes ohne Einmischung, Zwang oder Drohung irgendwelcher Art von außen zu wählen." 51 1
Im sechsten Grundsatz der FRD heißt es: "Die souveräne Gleichheit umfaßt insbesondere folgende Bestandteile: ... e) jeder Staat hat das Recht, sein politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles System frei zu wählen und zu entwickeln".
Bestandteil der Souveränität eines Staates ist es jedoch auch, diesbezüglich Verpflichtungen einzugehen. Die OSZE-Staaten haben die Marktwirtschaft als verpflichtendes Wirtschaftsmodell vereinbart. Im Dokument der Konferenz über Wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bonn (im folgenden: Bonner Dokument) heißt es: "Die Teilnehmerstaaten . .. werden "[s]ich bemühen, folgendes anzustreben bzw. beizubehalten: - Freie und wettbewerbsfähige Marktwirtschaften, in denen Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen". 512 5 ll Resolution der ON-Generalversammlung vom 12. Dezember 1974, 24/3281 , UNYB 1974, S. 402-405.
310
2. Teil: OSZE-Grundsä.tze und -Verpflichtungen
Danach bestehen heute in Europa im Grundsatz keine Unterschiede mehr hinsichtlich der politischen und wirtschaftlichen Systeme, da die Achtung der Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit sowie der Marktwirtschaft von allen Staaten Europas- und darüber hinaus von den zentralasiatischen Staaten der OSZE - anerkannt wird. b) Interdependenz von Demokratie, Rechtsstaatlichkeif und wirtschaftlichem Wohlstand
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bilden zudem nach dem OSZEVerständnis eine Voraussetzung für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung: .,Der in der Demokratie zum Ausdruck gebrachte und durch den Rechtsstaat gewährleistete freie Wille des einzelnen bildet die notwendige Grundlage filr eine erfolgreiche Wirtschaftsund Sozialentwicklung... . Freiheit und politischer Pluralismus sind notwendige Elemente unserer gemeinsamen Bemühungen um die Entwicklung von Marktwirtschaften hin zu dauerhaftem Wirtschaftswachstum, Wohlstand, sozialer Gerechti~eit, wachsender Beschäftigung und rationeller Nutzung der wirtschaftlichen Ressourcen." 13
Umgekehrt ist unter den OSZE-Staaten "allgemein anerkannt, daß die Fähigkeit einer Gesellschaft, die materiellen Grundbedürfnisse ihrer Bevölkerung zu befriedigen, fllr eine demokratische politische Entwicklung und eine aufgemeinsamen Werten und Zielen beruhende demokratische Kultur wesentlich ist." 514
c) Die Rolle des Staates und die Rechte des einzelnen
Entsprechend dem Konzept der Marktwirtschaft ist die Rolle des Staates in der Wirtschaft darauf beschränkt, günstige Rahmenbedingungen für die Unternehmen zu schaffen. 515 Das "freie Unternehmertum" 516 wird in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Geschehens gestellt. Es gilt der Grund512 Charta von Paris, Präambel, 2. Abschnitt "Leitsätze filr die Zukunft", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Zusammenarbeit", 1. Abs. und Bonner Dokument, Präambel, 27. Abs. dritter Spiegelstrich. 513 Charta von Paris, 1. Abschnitt "Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Freiheit und Verantwortung", 2. und 3. Absatz. 514 Bericht von Oslo, Abschnitt I, 5. Abs. Siehe zum Bericht von Oslo oben 1. Teil, 3. Kapitel, D. VIII. 515 Vgl. Bonner Dokument, C. 1. 516 Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze filr die Zukunft", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Zusammenarbeit", 3. Abs. und Präambel des Bonner Dokuments, 23. Abs.
2. Kapitel: Die wirtschaftliche Dimension
311
satz der Niederlassungsfreiheit und Gewerbefreiheit sowohl für nationale als auch für ausländische Unternehmer. 517 Ferner ist die Eigentumsfreiheit Grundlage der Wirtschaftsverfassung. Das Privateigentum wird ausdrücklich anerkannt. 518 Erläuternd heißt es im Bericht von Oslo: "Eine funktionierende Wirtschaft bedarf einer gesetzlichen Grundlage, die dem einzelnen die Ausübung seines Rechts gewährleistet, sich - allein oder in Gemeinschaft mit anderen konstruktiv wirtschaftlich zu betätigen, einschließlich der Gewährleistung des Rechts auf Privateigentum und die rechtmäßige Verfilgungsgewalt darüber."51 9 Verschiedene Eigentumsformen sind gleich zu behandeln, soweit solche bestehen. 520 Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten sollen vornehmlich durch Direktkontakte der Unternehmer mit Leben erfüllt werden. 521 Die an der Bonner Konferenz teilnehmenden "Vertreter aus der Geschäftswelt" haben ihre diesbezüglichen "Anmerkungen und Anregungen" in einem der Konferenz-Journale des Tages niedergelegt. 522
d) Ziele der wirtschaftlichen Entwicklung Grundlegendes Ziel der wirtschaftlichen Entwicklung ist die Erreichung von Wohlstand für alle europäischen Völker.523 Dabei sind die folgenden Punkte die Voraussetzungen des Wohlstands:524 wirtschaftliche Freiheit, Dauerhaftes Wirtschaftswachstum, wachsende Beschäftigung, unverfälschte interne Preisbildung Schutz der Umwelt und soziale Gerechtigkeit.
517 Bonner Dokument, A. 1. und Präambel des Bonner Dokuments, 21. Absatz 51 8 Präambel des Bonner Dokuments, 27. Abs., 6. Spiegelstrich 519 Bericht von Oslo, Abschnitt I, 4. Abs. 520 Bonner D~kument, B. 1. 521 Bonner Dokument, Präambel, 27. Abs. achter Spiegelstrich und A. 1., Sätze 3-5. 522 Journal Nr. 18 vom 11. April 1990, zitiert nach Ghebali, S. 25 (28), Fn. 16. 523 Charta von Paris, 1. Abschnitt "Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Freiheit und Verantwortung", 1. Abs. und 2. Abschnitt "Leitsätze fiir die Zukunft", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Zusammenarbeit", 1. Abs. 524 Charta von Paris, 1. Abschnitt "Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Freiheit und Verantwortung", 1. und 3. Abs.
312
2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Bemerkenswert ist, daß der Umweltschutz im Abschnitt der Wirtschaft erwähnt und nicht nur im Abschnitt Umwelt behandelt wird. Dies zeigt die Bedeutung des engen Zusammenhangs zwischen Wirtschaft und Umweltschutz, welche die OSZE diesen beiden Bereichen beimißt Solche grundlegenden Vereinbarungen wurden bisher im völkerrechtlichen Rahmen nicht erzielt. Weder das GATT noch der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) schreiben ihren Mitgliedstaaten die Marktwirtschaft als einziges Wirtschaftsmodell vor. Die Vertragsstaaten der EG gehen wohl davon aus, daß ein Binnenmarkt nur unter marktwirtschaftlicher Wirtschaftsverfassung verwirklicht werden könne und rechnen nicht damit, daß ein Mitgliedstaat seine Wirtschaftsordnung ändern werde. Eine Abkehr von marktwirtschaftliehen Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat müßte aber mithin zu einem Verstoß gegen den EGV führen, da dieser von einer marktwirtschaftliehen Verfassung ausgeht525 , die Bestimmungen des EGV also nur unter marktwirtschaftliehen Voraussetzungen zu verwirklichen sind. Den Vertragsstaaten des GATT kam es darauf an, den Welthandel über Vorschriften über Diskriminierungsverhütung und zum Abbau von Zöllen und nichttarifraren Handelshemmnissen zu liberalisieren, nicht jedoch Grundsätze über ein bestimmtes Wirtschaftsmodell aufzustellen. Allen Vertragswerken und den OSZE-Vereinbarungen liegt jedoch das gemeinsame Streben zugrunde, bessere Lebensbedingungen, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit zu schaffen. 2. Grundsätze für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit
Als Folge der wachsenden Bedeutung des Bereiches der Wirtschaft im OSZE-Rahmen stellt die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Teilnehmerstaaten ein grundlegendes Element neben der Zusammenarbeit zur Friedenssicherung dar. In der Charta von Paris erklären die Teilnehmerstaaten: "Wir betonen, daß die wirtschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage der Marktwirtschaft ein wesentliches Element unserer Beziehungen darstellt und einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau eines prosperierenden und geeinten Europa leisten wird." 526
Die zuvor bereits erwähnte gegenseitige Verpflichtung zur freien und wettbewerbsfähigen Marktwirtschaft stellt damit ein bedeutendes Prinzip 525 Bleckmann, Europarecht, Rn. 448. 526 Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze für die Zukunft", "Wirtschaftliche Zusammenarbeit", I. Abs.
Unterabschnitt
2. Kapitel: Die wirtschaftliche Dimension
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der Beziehungen unter den OSZE-Staaten dar. Die Einführung bzw. Wiedereinführung einer zentralen Planwirtschaft würde demnach gegen die OSZE-Vereinbarung verstoßen und zu einer Störung der zwischenstaatlichen Beziehungen führen. Ein Völkerrechtsverstoß würde freilich nicht vorliegen. 527 Über die Festlegung der Marktwirtschaft hinaus sind die Teilnehmerstaaten verpflichtet, den Handel zwischen ihren Staaten immer mehr zu liberalisieren. Angestrebt wird ein "offenes, multilaterales Handelssystem auf der Grundlage des GATT".528 Die Wirtschaftssysteme der OSZEStaaten sollen in ein Wirtschafts- und Finanzsystem nach den anerkannten internationalen Regeln integriert werden. 529 Zu diesem· Zweck sind die OSZE-Staaten verpflichtet, verbesserte Rahmenbedingungen für die Geschäftstätigkeit fremder Unternehmer auf der Grundlage der Niederlassungsfreiheit zu schaffen. 530 Die wirtschaftliche Zusammenarbeit soll vornehmlich durch direkte Kontakte auf der Ebene einzelner Wirtschaftsunternehmen erfolgen. Die Staaten sollen lediglich die Rahmenbedingungen hierfür setzen. Die "Initiative der direkt interessierten Unternehmen [ist] von überragender Bedeutung". 531 Die Staaten untereinander haben die Aufgabe durch einen Informationsaustausch über Wirtschaft, Handel, demographische Entwicklung und andere Daten, die wirtschaftliche Integration zu fördern.532 Ferner sollen sie einen freien Handels-, Kapital- und Investitionsverkehr gewährleisten.533 Weiteres Ziel ist die Konvertierbarkeit der Währungen aller OSZE-Staaten.534 Die OSZE beschränkt sich aber nicht allein auf die Regelung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit unter ihren Teilnehmerstaaten. Auch die wirtschaftliche Kooperation im Nord-Süd-Verhältnis wird berücksichtigt. 535
527 Zur rechtlichen Verbindlichkeit und völkerrechtlichen Relevanz Verpflichtungen siehe unten 3. Teil. 528 Helsinki-Dokument 1992, Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VII, Ziff. 7.
der
OSZE-
529 Präambel des Bonner Dokuments. 530 Bonner Dokument, A. l. 531 Bonner Dokument, C. l. 532 Bonner Dokument, A. 2./3., 8.3. 533 Bonner Dokument, Präambel, 27. Abs. zweiter Spiegelstrich. 534 Bonner Dokument, D., l. 535 Charta von Paris, 1. Abschnitt "Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit", Unterabschnitt "Die KSZE und die Welt", 2. Abs.
314
2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Die OSZE-Staaten heben die Rolle bereits bestehender Internationaler Organisationen wie die der EG, der ECE der Vereinten Nationen, der Bretton Woods Organisationen, der OECD, EFTA, ICC und der EBRD hervor.
II. Zusammenarbeit auf konkreten Gebieten Neben der Verpflichtung auf bestimmte Grundsätze und Ziele der OSZE-Staaten bestehen daneben Vereinbarungen über die Zusammenarbeit hinsichtlich konkreter Fragen und Probleme. Das Bonner Dokument bestimmt, daß die Handelsbeziehungen der Teilnehmerstaaten gefördert werden sollen. 536 Direkte Kontakte von Geschäftsleuten und Endabnehmern sollen erleichtert werden. 537 Dabei sollen kleinere und mittlere Unternehmen besonders unterstützt werden. 538 Der Staat soll durch Förderung von Werbung, Marketing, Consulting, Factoring und Ausstellungen und Messen in- und ausländischer Unternehmen den Handel unterstützen. 539 Die für den Handel bedeutsame Grenzabfertigung soll beschleunigt, die Grenzen sollen insgesamt offener gemacht werden. 540 Der zweite Bereich der Zusammenarbeit in konkreten Gebieten ist die industrielle Kooperation. Auch hier soll der Grundsatz der Niederlassungsfreiheit gelten. Das Privateigentum im Rahmen der Industrie, also das Privateigentum an Produktionsmitteln, wird ausdrücklich anerkannt. 541 Ebenso wird geistiges Eigentum anerkannt. 542 Die Teilnehmerstaaten sollen ihre Rechtsordnungen in Bereichen erweitern, die spezifischen Nutzen für die Wirtschaft haben, nämlich im Steuerrecht, Wettbewerbs-, Konkurs-, Insolvenz- und Gesellschaftsrecht 543 Während in der ersten Phase des OSZE-Prozesses die wirtschaftliche Zusammenarbeit Teil der Vertrauens- und Sicherheitsbildung war, hatte die Zusammenarbeit in wirtschaftlichen Fragen seit dem Beginn der zwei536 Bonner Dokument, A. 537 Bonner Dokument, A. 1. 538 Bonner Dokument, A. 4. und 5. 539 Bonner Dokument, A.,6. 540 Bonner Dokument, A. 1. 541 Bonner Dokument, B. 1. 542 Bonner Dokument, B. 2. 543 Bonner Dokument, 8 . 3.
2. Kapitel: Die wirtschaftliche Dimension
315
ten Phase im Jahre 1990 eine andere Funktion. Die OSZE will heute vornehmlich den schwierigen Übergang der ehemaligen Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts von der zentralen Planungswirtschaft zur Marktwirtschaft erleichtern. 544 Neben der Linderung der wirtschaftlichen Not der Bevölkerung allein hat diese Aufgabe auch friedensichemde Funktion. Die Regelung des Bereichs der Zusammenarbeit auf konkreten Gebieten obliegt insbesondere dem Hohen Rat als Wirtschaftsforum. Dieses Gremium, das jährlich einmal zwei- bis dreitägige Treffen abhält, behandelt jeweils zwei bis drei wirtschaftliche Themen. Das Wirtschaftsforum soll politische Impulse geben und den Dialog zwischen den OSZE-Staaten anstoßen sowie ihre Aktivitäten fördern. 545
B. Umweltschutz Der Umweltschutz ist neben der Friedenssicherung und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der dritte besonders wichtige Bereich der OSZE, welcher Bestandteil der wirtschaftlichen Dimension ist. Die OSZE-Staaten anerkannten dessen Bedeutung in der Charta von Paris: "Wir erkennen die dringende Notwendigkeit an, die Umweltprobleme in Angriff zu nehmen, sowie die Bedeutung individueller und gemeinsamer Bemühungen in diesem Bereich. Wir verpflichten uns, unsere Anstrengungen um den Schutz und die Verbesserung unserer Umwelt zu verstärken, um ein gesundes ökologisches Gleichgewicht in Luft, Wasser und Boden wiederherzustellen und zu erhalten...546
Die Bedeutung des Umweltschutzes hat auch auf universeller Ebene zugenommen. 547 Nach Grundsatz 25 der UN-"Erklärung von Rio zu Umwelt und Entwicklung" (Rio-Deklaration) vom 14. Juni 1992 sind "Frieden, Entwicklung und Umweltschutz voneinander abhängig und untrennbar". 548
544 Charta von Paris, 1. Abschnitt "Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Freiheit und Verantwortung", 3. Abs. und 2. Abschnitt "Leitsätze für die Zukunft", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Zusammenarbeit", 3. Abs. 545 Helsinki-Dokument 1992, Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VII, Ziff. 21. Zum Wirtschaftsforum siehe ausführlicher oben 4. Teil, 1. Kapitel, C. IV. 2. 546 Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze für die Zukunft", Unterabschnitt "Umwelt", I. Abs. 547 Vgl. zum völkerrechtlichen Umweltschutz Kiss/Shelton und Lang!Neuhold!Zemanek. 548 Text in: EA 1993, S. D 28-32.
316
2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Die OSZE will den Umweltschutz in alle Bereichen der Politik und der Wirtschaft integrieren. Dabei soll das Verursacher- und das Vorsorgeprinzip gelten. 549 Beim Wirtschaftswachstum ist daher auf die Umweltverträglichkeit zu achten. 550 Insbesondere bei der Energiegewinnung und dem Rohstoffverbrauch soll auf die Belange des Umweltschutzes geachtet werden. 55! Der Umweltschutz soll über die innerstaatliche Sphäre hinaus auch Bedeutung für die internationalen Beziehungen der OSZE-Staaten haben "Der Schutz der Umwelt liegt in der gemeinsamen Verantwortung aller unserer Nationen. Bei der Unterstützung nationaler und regionaler Bemühungen in diesem Bereich dürfen wir auch das dringende Erfordernis ~emeinsamen Handeins in einem unfassenderen Rahmen nicht aus den Augen verlieren." 5 5
Dazu soll auch die OSZE dienen: "Wir sind daher entschlossen, die KSZE als Rahmen für die Erarbeitung gemeinsamer Verpflichtungen und Ziele in Umweltbelangen in vollem Umfang zu nutzen und so die Arbeit fortzuführen, die im Bericht des Umweltschutztreffens von Sofia zum Ausdruck kommt." 553
So soll neben vielen anderen Vorschägen und Gedanken der OSZE zum Umweltschutz ein Mitarbeiter den "Zentrums der UN für Umwelteinsätze in Notfallen" zur Verbindungsperson für den OSZE-Bereich benannt werden. Das UN-Zentrum soll ferner an das OSZE-Kommunikationsnetz554 angeschlossen werden, um eine effektiven Informationsaustausch zu gewährleisten. Der "Bericht über Schlußfolgerungen und Empfehlungen des Umweltschutztreffens der KSZE" vom 5. November 1990 in Sofia555 und Abschnitt VIII der Beschlüsse von Helsinki im Helsinki-Dokument 1992 enthalten die wichtigsten Vereinbarungen der OSZE über Umweltfragen. In beiden Dokumenten haben die OSZE-Staaten jedoch keine verpflichten549 Vgl. Helsinki-Dokument 1992, Beschlüsse von Helsinki, Kapitel VIII, Ziff. 3. 550 Präambel des Bonner Dokuments und C. 4.
551 Bonner Dokument C. 2. 552 Charta von Paris, I . Abschnitt "Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Freiheit und Verantwortung", 3. Abs. 553 Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze tur die Zukunft", Unterabschnitt "Umwelt", 1. Abs. 554 Dazu unten 4. Teil, 3. Kapitel. 5 55 Die Konferenz selbst fand vom 16. Oktober bis 3. November 1989 statt. Siehe dazu oben 1. Teil, 2. Kapitel, F. III.
2. Kapitel: Die wirtschaftliche Dimension
317
den Vereinbarungen über Regeln des Umweltschutzes niedergelegt, sondern Vorgaben, Gedanken und Ideen empfehlenden Charakters für die zukünftige Arbeit in Internationalen Organisationen und auszuarbeitende Konventionen niedergelegt.
C. Wissenschaft und Technik Neben dem wirtschaftlichen Bereich soll die Zusammenarbeit m Wissenschaft und Technik als wirtschaftsrelevantes Gebiet als Teil der wirtschaftlichen Dimension ebenso "ein wichtiger Pfeiler der KSZE" sein. 556 Die OSZE stellt die Bedeutung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für den Bereich der Wissenschaft und Technik heraus: "Wir erinnern an den Zusammenhang, der zwischen der Achtung und Förderun~ der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dem wissenschaftlichen Fortschritt besteht." 5
Die Aufgabe und Bedeutung dieses Bereiches beschreibt die OSZE im folgenden: "Zusammenarbeit im Bereich von Wissenschaft und Technik wird bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung eine wesentliche Rolle spielen. Sie ist daher dahingehend auszubauen, daß entsprechende wissenschaftliche und technologische Informationen und Kenntnisse in größerem Maße geteilt werden, um das zwischen den Teilnehmerstaaten bestehende technologische Entwicklungsgefälle zu überwinden."558
Die Vereinbarungen der Expertentreffen über wissenschaftliche Zusammenarbeit in Bonn und Harnburg 1978 und 1980559 sind heute nur von sehr geringer Bedeutung, da sie Vorgaben für die Zusammenarbeit weit unter dem heute erreichten und möglichen Grad geben. Vielmehr verwirklichen die OSZE-Staaten diesen Bereich der Zusammenarbeit bilateral oder multilateral in entsprechenden Internationalen Organisationen, wie z. B. der EU, an deren Prograrnrnen560 EUREKA, COST, SPES und SCIENCE auch Drittstaaten beteiligt sein können.
556 Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze filr die Zukunft", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Zusammenarbeit", 2. Abs. 557 Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze filr die Zukunft", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Zusammenarbeit", 6. Abs. Satz 1. 558 Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze filr die Zukunft", Unterabschnitt "Wirtschaftliche Zusammenarbeit", 6. Abs. Satz 2 und 3. 559 Dazu oben l. Teil, 2. Kapitel, 8. III. 560 Vgl. Schweitzer!Hummer, § 10, M. IV., S. 381f.
318
2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
Vorgaben dafür gibt das Bonner Dokument. Vorgesehen ist ein Informationsaustausch über wissenschaftliche Erkenntnisse und Techniken, die besonders den Umweltschutz betreffen. 561 Die OSZE-Staaten wollen daher auf dem Gebiet der umweltgerechten Energiegewinnung, der Rohstoffeinsparung, Verhütung von Urnweltunfällen, Stadtplanung und städtischer Problerne zusammenarbeiten. 3. Kapitel
Andere Bereiche der Zusammenarbeit Die Bereiche der zwischenstaatlichen Beziehungen unter dem Aspekt der Friedenssicherung, die Bereiche der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes bilden den Schwerpunkt der OSZE-Aktivitäten. Weitere Bereiche, in denen die OSZE Vereinbarungen getroffen hat, sind Kultur, Wissenschaft und Technik, Wanderarbeiter und die Zusammenarbeit im Mittelrneerraum. Diese Themen nehmen keinen vergleichbaren Raum ein wie die zuvor erörterten Gebiete, da die OSZE-Staaten bezüglich dieser Fragen vornehmlich in einschlägigen Internationalen Organisationen zusammenarbeiten wollen.
A. Kultur Nach dem OSZE-Verständnis trägt der Bereich der gemeinsamen "europäischen Kultur" und "gemeinsamer Werte" "zur Überwindung der Teilung des Kontinents" bei. 562 Auch hier hat sich die Bedeutung der kulturellen Zusammenarbeit seit dem Beginn der zweiten Phase des OSZEProzesses gewandelt. War früher die Zusammenarbeit- eine solche bestand infolge des ideologischen Gegensatzes563 nur in Ansätzen - ein Element der Vertrauensbildung im Zeichen der Ost-West-Konfliktlage, ist sie heute wie die wirtschaftliche Zusammenarbeit ein Baustein zur Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung in Europa. Das Anliegen des
561 Bonner Dokument, C. 562 Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze filr die Zukunft", Unterabschnitt "Kultur", l. Abs. 563 Vgl. oben "Kulturforum der KSZE" in Budapest im Jahre 1985, l. Teil, 2. Kapitel, D. IV.
3. Kapitel: Andere Bereiche der Zusammenarbeit
319
besseren Verständnisses der Völker der OSZE-Staaten ist dabei jedoch gleich geblieben. Das Dokument des Symposiums über das kulturelle Erbe der OSZETeilnehmerstaaten in Krakau vom 7. Juni 1991 564 (im folgenden: Krakauer Dokument) ist das zentrale Dokument der OSZE über die Kultur. Der Bestand an Vereinbarungen über den Bereich der Kultur gliedert sich entsprechend des Inhalts des Krakauer Dokuments in zwei Teile. Zum einen enthalten die OSZE-Vereinbarungen Aussagen über den Zusammenhang von Kultur und Freiheitsrechten, zum anderen über den Kulturgüterschutz. I. Kultur und Freiheit Die OSZE weist im ersten Abschnitt des Krakauer Dokuments auf die Bedeutung der Freiheitsrechte für die Erthaltung kulturellen Schaffens hin. Sowohl kulturelle Freiheitsrechte von Künstlern und Kulturausübenden als auch des Publikums werden statuiert. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, "daß die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten wesentlich filr die volle Entfal· tung kultureller Kreativität ist". 565
Aus dieser Erkenntnis resultiert eine zweifache Verpflichtung von Staaten, nämlich "einerseits kulturelle Aktivität zu unterstützen und andererseits diese Freiheit zu gewähr· leisten".566
Dementsprechend darf die Freiheit des künsterlichesn Schaffens nicht beeinträchtigt werden567, sondern ist vielmehr zu fördern und zu schützen. 56 8 Aus diesem Beeinträchtigungsverbot und der korrespondierenden Schutzpflicht folgen konkrete Abwehrrechte des Künstlers und derjenigen, die kulturelle Werke verbreiten. 569 Die Veröffentlichung schriftlicher Werke, Aufführungen und Sendungen von Musik, BühnenS64 Siehe dazu oben I. Teil, 3. Kapitel, D. II. 565 Ziff. I des Krakauer Dokuments. 566 Ziff. 4 des Krakauer Dokuments. 567 Ziff. 2 des Krakauer Dokuments. 568 Ziff. 3 des Krakauer Dokuments. 569 Ziff. 6 des Krakauer Dokuments.
320
2. Teil: OSZE-Grundsätze und -Verpflichtungen
stücke und audiovisuelle Werke sowie Ausstellungen von Bildern oder Skulpturen dürfen nur durch oder auf Grund von Gesetzen eingeschränkt werden, die internationalen Normen entsprechen. 570 Solche Normen sind Bestimmungen, die sich auf die freie Meinungsäußerung beziehen, also Art. 19 IPBPR auf universeller Ebene. Eine spezifische Kunstfreiheit wird völkerrechtlich nicht gewährt. Andererseits hat grundsätzlich jedermann das Recht der kulturellen Informationsfreiheit, also "das Recht, alle Arten kulturellen Materials, wie Bücher, Veröffentlichungen und audiovisuelle Aufzeichnungen sowie Reproduktionsmittel privat zu besitzen, zu verwenden und zu reproduzieren. Dieses Recht wird in dieser ausführlichen Weise völkerrechtlich nicht gewährt. Lediglich das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben wird gern. Art. 15 Abs. 1 lit. a IPWSKR statuiert. II. Kulturgüterschutz Der zweite Regelungsbereich der OSZE-Vereinbarungen über Kultur befaßt sich mit dem Kulturgüterschutz. Anliegen des Kulturgüterschutzes ist, das kulturelle Erbe der Teilnehmerstaaten zu bewahren. Dabei bildet die Kultur jedes Teilnehmerstaates eine "unersetzliche Einzigartigkeit". Das bedeutet, daß jede Kultur schützenswert ist, auch Randkulturen und Kulturen von Minderheiten.571 In erster Linie sind die Teilnehmerstaaten verpflichtet, gemäß den internationalen Vereinbarungen der UNESCO und des Europarates dem Kulturgüterschutzes gerecht zu werden. 572 Darüber hinaus haben sie konkrete Regeln darüber aufgestellt, wie der Schutz und die Bewahrung der Kulturgüter durchgeführt werden soll. 573
B. Wauderarbeitnehmer Ein weiterer Bereich der Zusammenarbeit bilden Fragen der Wanderarbeitnehmerproblematik. Wanderarbeitnehmer, zuweilen auch Wanderarbeiter genannt, sind nach dem Übereinkommen Nr. 97 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vom I. Juli 1949 über Wanderarbeiter "Personen, die aus einem Land in ein anderes Land auswandern, um 570 Ziff. 6.1 des Krakauer Dokuments. 571 Ziff. 9 und 13 des Krakauer Dokuments. 572 Ziff. 11, 14,41 und 42 des Krakauer Dokuments. 573 Kapitel li und III des Krakauer Dokuments, siehe oben 1. Teil, 3. Kapitel, D. li. 2.
3. Kapitel: Andere Bereiche der Zusammenarbeit
321
sich dort anders als für eigene Rechnung zu betätigen". 574 Diese z. T. als "neue Minderheiten" bezeichneten Personen sollen ebenfalls unter dem Aspekt des Schutzes ihrer Rechte Gegenstand der OSZE-Aktivitäten sein_575 Das ILO-Übereinkommen gewährt den WandeTarbeitnehmern die Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen der Gastländer auf verschiedenen sozialen Gebieten wie Lohnzahlung, Urlaub, Mitgliedschaft in Gewerkschaften und anderen Bereichen. In Europa regelt ferner das "Europäische Übereinkommen über die Rechtsstellung von Wanderarbeitern" von 1977576 umfassend Fragen der Wanderarbeiterproblematik. 577 Deutschland ist der Konvention nicht beigetreten. 578 Vertragsstaaten sind lediglich die Niederlande, Portugal, Spanien, Schweden und die Türkei.
C. Mittelmeerraum Die OSZE will sich auch um die Sicherung von Frieden, Stabilität und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum bemühen.579 Eine "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum" (KSZM) wird es, wie die Mittelmeeranrainerstaaten wünschen, nicht im OSZE-Rahmen geben. Vielmehr soll diese Problematik außerhalb des OSZE-Prozesses behandelt werden. 580 Die nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten genießen jedoch eine besonderen Status bei den Mitwirkungsmöglichkeiten in der OSZE. 581
574 So Art. II des Übereinkommens, Text: BGBI. 1959 II, S. 88. 575 Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze fiir die Zukunft",
arbeiter"
Unterabschnitt "Wander-
576 Text in: Plender, Basic Documents on International Migration Law, S. 192-205. 577 Grundlegend zu dieser Problematik Plender, International Migration Law. 578 Stand des Fundstellenachweises B von 1991. 579 Charta von Paris, 2. Abschnitt "Leitsätze fiir die Zukunft", Unterabschnitt "Mittelmeer" und Helsinki-Dokument 1992, Beschlüsse von Helsinki, Kapitel X. 580 Vgl. den Bericht des Treffens über den Mittelmeerraum, Einleitung vor dem Abschnitt A. " Spezielle Bereiche der Zusammenarbeit", 14. Abs., Textnachweis siehe oben 1. Teil,
2. Kapitel, F. VII. Siehe auch unten 4. Teil, 2. Kapitel, III. "Nichtteilnehmende Mittelmeerstaalen".
581
Dazu genauer unten 4. Teil, 2. Kapitel, A. III.
21 Bonloff
3. Teil
Die Rechtsnatur, Bindungswirkung sowie völkerrechtliche und innerstaatliche Relevanz der OSZE-Verpflichtungen Bestand und Inhalt der OSZE-Normierungen ist nach den Ausführungen des zweiten Teils dieser Arbeit weitgehend erörtert. Aber in welcher Art und Weise sind diese in den internationalen Beziehungen verbindlich? Die Frage nach der rechtlichen Verbindlichkeit der OSZE-Normen ist also damit noch nicht beantwortet. Gemeinhin gelten OSZE-Verpflichtungen und -Grundsätze als rechtlich nicht verbindlich. Vielmehr werden sie als lediglich politisch oder moralisch verbindlich bezeichnet, wie noch später zu sehen ist. Äußerungen von Autoren zu dieser Problematik beziehen sich jedoch fast ausnahmslos auf die OSZE-Normen, welche in der KSZE-Schlußakte von 1975 niedergelegt sind. Wie jedoch im zweiten Teil gesehen, hat sich der Bestand und die inhaltliche Qualität der OSZE-Vereinbarungen erheblich verändert, d. h. erweitert und präzisiert. Zum anderen haben sich die politischen Umstände, die zur Erarbeitung der KSZE-Schlußakte in ihrer damaligen Form führten, bis heute grundlegend geändert. Wegen dieser Entwicklung erscheint es erforderlich, die rechtliche Qualität und Relevanz der OSZE-Normen nach einer Vielzahl von Stellungnahmen zur Verbindlichkeit der KSZE-Schlußakte 1 erneut zu untersuchen. Dabei wird zunächst eine Übersicht über die Arten der OSZE-Vereinbarungen gegeben und auf deren Eigentümlichkeiten eingegangen (1. Kapitel). Danach wird die Stellung der OSZE-Normen im Völkerrecht untersucht (2. Kapitel).
1 Eine Auswahl hierzu: Blumenwitz, in: Die KSZE und die Menschenrechte, S. 53-71; Coccia, EPIL (10), S. 216-227; Delbrück, in: Bernhardlvon Münch/Rudolf, S. 31-50; van Dijk, NYIL 1980, S. 97-124; Russe!, AJIL 70 (1976), S. 242-272; Schweisfurth, ZaöRV 1976, S. 681-725; Skubiszewski, in: Bernhardlvon Münch/Rudolf, S. 13-30; Tunkin, RdC 147 (1975), S. 9-206; Zieger, S. 61-76; Blech, EA 1975, S. 681-692; ders., EA 1976, S. 257-770.
I. Kapitel: Arten der OSZE-Vereinbarungen
323
1. Kapitel
Arten der OSZE-Vereinbarungen Zunächst sollen die OSZE-Vereinbarungen auf Unterscheidungsmerkmale hin überprüft werden, da diese möglicherweise entgegenstehende Gründe oder andererseits Hinweise für eine völkerrechtliche Geltung darstellen können.
A. Unterscheidung nach der Ebene der Abschlußorgane Das erste Unterscheidungskriterium, anband dessen man die OSZE-Vereinbarungen differenzieren kann, ist das der Abschlußorgane, d. h. derjenigen Gremien, die OSZE-Dokumente erarbeitet und anschließend angenommen haben.
I. Vereinbarungen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs Die Dokumente, welche die wichtigsten Vereinbarungen der OSZE enthalten, sind auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs angenommen worden. Dazu gehört die KSZE-Schlußakte von Helsinki aus dem Jahre 1975, die Charta von Paris für ein neues Europa vom November 1990 und das Helsinki-Dokument 1992.
II. Vereinbarungen auf Außenministerebene Andere Dokumente, die in jüngerer Zeit meist keine grundsätzlichen Verpflichtungen oder Ziele enthalten, sondern eher operativen Charakter tragen, sind die Zusammenfassungen der Schlußfolgerungen des KSZERates bzw. des Ministerrates (Berliner, Prager und Stockholmer Treffen) sowie die "Abschließenden Dokumente" der vorangegangenen Folgetreffen der "KSZE" in Belgrad, Madrid und Wien.
111. Vereinbarungen auf Beamtenebene Abgesehen von der Tatsache, daß auch diejenigen Dokumente, die auf höherer Ebene angenommen werden, zuvor auf der Beamtenebene erarbeitet und abgestimmt werden, gibt es aber auch OSZE-Dokumente, die ausdrücklich zunächst Gegenstand alleiniger Beratungen der Beamten der
324
3. Teil: Rechtsnatur und Bindungswirkung der OSZE-Normen
Außenministerien oder anderer Institutionen waren. Die Durchführung solcher "Expertentreffen" wurde jeweils während eines Treffens der Staatsbzw. Regierungschefs oder der Außenminster beschlossen. Die Beamten arbeiteten daraufhin auf der Grundlage der vorgegebenen Tagesordnung das jeweilige Dokument in Abstimmung mit ihrer politischen Spitze aus und nahmen es abschließend an. Zu diesen größtenteils sehr bedeutsamen Dokumenten gehören die Dokumente der Konferenz über die Menschliche Dimension der OSZE (Kopenhagener und Moskauer Dokument), der Bericht des Genfer Expertentreffens über nationale Minderheiten, der Bericht des Expertentreffens über friedliche Streitbeilegung in Valletta, der Bericht des Treffens über den Mittelmeerraum in Palma de Mallorca, das Dokument der Konferenz über wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bonn sowie der Bericht des Expertenseminars über demokratische Institutionen in Oslo. Diese durch ihre zum Teil weitreichenden Regelungen äußerst wichtigen Dokumente blieben aber in ihrem Rang nicht nur Vereinbarungen auf Beamtenebene. Als solche würde ihnen die politisch-moralische Bedeutung fehlen, die sie heute haben, da die Autorität eines Dokuments um so größer ist, je höher die Abschlußebene in der politischen Hierarchie angesiedelt ist. Vielmehr genießen auch diese Dokumente hohen politischen Rang, da sie später während der Treffen der Außenminster ausdrücklich gebilligt wurden. 2 Wegen dieser jeweils erfolgten nachträglichen Annahme auf hoher politischer Ebene genießen alle OSZE-Dokumente den gleichen Geltungsgrad.
B. Unterscheidung nach dem Inhalt der Vereinbarungen Auch der Inhalt der OSZE-Vereinbarungen ist ein Unterscheidungskriterium, anband dessen den vereinbarten Normen eine unterschiedliche Qualität zugeordnet werden kann, die später noch für die rechtliche Verbindlichkeit eine Bedeutung erlangt. 3 Hinsichtlich des Regelungsinhalts der OSZE-Vereinbarungen sind zwei Stufen der Konkretisierung von Verhaltensgrundsätzen erkennbar: Zum einen die konkreten verpflichtungintendierenden Vereinbarungen und die abstrakteren absichtmanifestierenden und grundsatzstatuierenden Regelungen.
2 Vgl. die Annahme des Genfer und Osloer Berichts und des Moskauer Dokuments in Ziff. 16 der Zusammenfassung der Schlußfolgerungen des Prager Treffens des KSZE-Rates. 3 Dazu unten 2. Kapitel, C. II. 1.
l. Kapitel: Arten der OSZE-Vereinbarungen
325
I. Verpflichtungintendierende Vereinbarungen Verpflichtungintendierende Vereinbarungen sind solche Regeln, die so konkret ein bestimmtes Verhalten der Staaten vorschreiben, daß für die Staaten erkennbar eine Verpflichtung begründet werden soll. Nur solche Vereinbarungen sind geeignet, auch im Falle der völkerrechtlichen Unverbindlichkeit der OSZE-Dokumente als solche, insbesondere unter dem Aspekt der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht, rechtliche Bindungen zu erzeugen, da diese konkret genug sind, ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben. 4 Ein Beispiel für eine verpflichtungintendierende Vereinbarung ist die folgende Regelung aus dem Kopenhagener Dokument: "Sie [die Teilnehmerstaaten; Anm. des Verf.] erklären feierlich, daß unter den Elementen, die die Gerechtigkeit ausmachen, die folgenden wesentlich für den umfassenden Ausdruck der dem Menschen innewohnenden Würde und der für alle Menschen gleichen und unveräußerlichen Rechte sind: - Eine klare Trennung zwischen Staat und politischen Parteien; unzulässig ist insbesondere die Verschmelzung politischer Parteien mit dem Staat". 5
Andere Vereinbarungen stellen bereits durch ihren Wortlaut eine konkrete Staatenverpflichtung auf: "Um zu gewährleisten, daß der Wille des Volkes die Grundlage flir die Autorität der Regierung bildet, werden die Teilnehmerstaaten - zulassen, daß alle Vertreter in zumindest einer der Kammer des nationalen Gesetzgebungsorgans vom Volk frei gewählt werden".6
Schließlich kennen die OSZE-Vereinbarungen Verpflichtungen der Staaten, die gegenüber ihren Bürgern oder Bewohnern bestehen: "Die Teilnehmerstaaten bekräftigen, daß ... - jedermann das Recht hat, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen ungestört seines Eigentums zu erfreuen. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, daß das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den im Gesetz vorgesehenen Bedingungen und im Einklang mit internationalen Verpflichtungen." 7
Das bedeutet, daß ein großer Teil der Formulierungen der OSZE-Vereinbarungen denjenigen völkerrechtlicher Verträge entspricht. Hinsichtlich des Charakters der Formulierungen besteht somit oft kein Unterschied zu völkerrechtlichen Verträgen. 4 So auch Tomuschat, ZaöRV 36 (1976), S. 444 (460). 5 Ziff. 5 .4 des Kopenhagener Dokuments. 6 Ziff. 7.2 des Kopenhagener Dokuments. 7 Ziff. 9.6 des Kopenhagener Dokuments.
326
3. Teil: Rechtsnatur und Bindungswirkung der OSZE-Nonnen
II. Absichtmanifestierende und grundsatzstatuierende Vereinbarungen Die andere Gruppe der OSZE-Vereinbarungen zeichnet sich durch einen allgemeinen, weniger konkrete Verhaltensweisen regelnden Inhalt aus. Solche Regelungen manifestieren eine Absicht der Teilnehmerstaaten, ein bestimmtes Ziel zu erreichen oder stellen einen das Verhalten der Teilnehmerstaaten bestimmenden Grundsatz auf. Solche Vereinbarungen sind nicht geeignet, rechtliche Verpflichtungen für ein bestimmtes Verhalten zu begründen, auch wenn OSZE-Vereinbarungen bereits völkerrechtliche Verbindlichkeit hätten. Jedoch sind diese durchaus trotz ihrer völkerrechtlichen Unverbindlichkeit geeignet, Auslegungsgrundsätze oder Entscheidungskriterien für die OSZE-Staaten darzustellen.8 Typische Beispiele für derartige Vereinbarungen sind folgende: "Dementsprechend werden die Teilnehrnerstaaten, ... [s)ich bemühen, folgendes anzustreben bzw. beizubehalten: ... - Freie und wettbewerbsfähige Marktwirtschaften, in denen Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen".9 "Die Teilnehmerstaaten sind sich der Bedeutung der Entwicklung und Anwendung gemeinsam vereinbarter politischer Konzepte und Strategien im Hinblick auf geeignete Vorkehrungen zur Verhütung und Bekämpfung von Industrieunfällen, ihrer Folgen und ihrer grenzüberschreitenden Auswirkungen auf Mensch und Umwelt bewußt." 10
2. Kapitel
Die OSZE-Normen im Völkerrecht Ausgehend von der allgemein anerkannten kodifizierten Aufzählung völkerrechtlicher Rechtsquellen in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut kommen für die OSZE-Vereinbarungen vornehmlich zwei Möglichkeiten der rechtlichen Verbindlichkeit in Betracht: der völkerrechtliche Vertrag und das Völkergewohnheitsrecht Die allgemeinen Rechtsgrundsätze sind nur insofern relevant, als sich aus den OSZE-Vereinbarungen Grundsätze der innerstaatlichen Rechtsordnungen der Staaten herauslesen lassen, die auch aufvölkerrechtlicher Ebene gelten.ll Die OSZE-Vereinbarungen wären insoweit lediglich Indiz für die Existenz von Rechtsgrundsätzen, die ohnehin 8 Genauer dazu unten 2. Kapitel, C. II. 3. a und b. 9 Bonner Dokument, Einleitungsabschnitt. 10 Abschnitt I. des Berichts von Sofia.
ll Vgl. dazu Seidl-Hohenfeldern, Rn. 505-511.
2. Kapitel: Die OSZE-Nonnen im Völkerrecht
327
bereits weithin Völkergewohnheitsrecht oder Vertragsrecht entsprechen, sie wären aber keine eigene Rechtsquelle.
A. Völkervertragsrecht Um die OSZE-Dokumente jeweils als Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages qualifizieren zu können, müßten die Voraussetzungen für das Vorliegen einer solchen völkerrechtlichen Rechtsquelle erfüllt sein. Ein völkerrechtlicher Vertrag ist gern. Art. 2 Ziff. 1 lit. a WVRK "eine in Schriftform geschlossene und vom Völkerrecht bestimmte internationale Übereinkunft zwischen Staaten, gleichviel ob sie in einer oder in mehreren zusammengehörigen Urkunden enthalten ist und welche besondere Bezeichnung sie hat". Gern. Art. 3 WVRK sind jedoch die Merkmale der Schriftform und des Abschlusses durch Staaten nicht notwendige Voraussetzungen für das Bestehen eines Vertrages, sondern lediglich Anwendungsvoraussetzung für die Wiener Vertragsrechtskonvention. Da sämtliche OSZE-Vereinbarungen von Staaten in Schriftform abgeschlossen wurden, sind diese Voraussetzungen jedoch erfüllt. Die OSZE-Dokumente sind damit internationale Übereinkünfte zwischen Staaten. Auch die Annahme von OSZE-Texten durch Beamte der Außenministerien als Vertreter der Teilnahmestaaten z. B. bei der Annahme des Kopenhagener Dokuments im Rahmen der Konferenz über die Menschliche Dimension der OSZE oder bei der Ausarbeitung des Genfer Berichts des Expertentreffens über Minderheiten 12 hindert nicht das Vorliegen der Voraussetzungen eines völkerrechtlichen Vertrages. Zu denken wäre zwar an eine mangelnde Bevollmächtigung gern. Art. 7 Ziff. 2 lit. a WVRK, da kraft ihres Amtes nur Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister generell als bevollmächtigt gelten. Jedoch wurden diejenigen Dokumente, die unterhalb der Ebene der Außenministerstaaten erstellt wurden, auf höherer Ebene nachträglich erneut gebilligt. 13 Allein fraglich ist daher nur, ob die OSZE-Vereinbarungen vom Völkerrecht bestimmt sind (nach dem authentischen englischen Text: "governed by international law"). Diese objektiv formulierte Voraussetzung erfordert jedoch als subjektives Element den Willen der Staaten, durch die Übereinkunft völkerrechtliche Rechtsfolgen zu erzeugen. 14 Entscheidend für 12nazu oben 1. Kapitel, A., Arten der KSZE-Vereinbarungen 13 Siehe oben 1. Kapitel, A. III. 14nies ist allgemein anerkannt. Vgl. die ausfuhrliehe Herleitung dieses subjektiven Elementes bei Roller, S. 413 (422-432); ferner van Dijk, NYIL 1980, S. 97 (105).
328
3. Teil: Rechtsnatur und Bindungswirkung der OSZE-Nonnen
das Vorliegen eines völkerrechtlichen Vertrages ist daher stets die Frage nach dem Willen der Staaten, also ob die Staaten den Willen hatten, mit der Übereinkunft Rechtsfolgen i. S. des Völkervertragsrechtes zu erzeugen. Ist dies nicht der Fall, so handelt es sich um außerrechtliche Übereinkünfte. Im Falle der OSZE-Vereinbarungen müßte also der Nachweis gelingen, daß die Teilnehmerstaaten mit deren Abschluß völkerrechtliche Rechte und Pflichten begründen wollten. Bei einer solchen Beurteilung sind alle Umstände des Abschlusses von Abmachungen zur beachten. 15 Dazu gehören die Formulierungen der Texte, die Veröffentlichung in der "United Nations Treaty Series", die Registrierung durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen, eine Ratifikation durch die beteiligten Staaten, die Durchführung innerstaatlicher Zustimmungsverfahren und die Veröffentlichung des Dokuments als Vertrag durch die Unterzeichnerstaaten. 16 Zu Beginn des "KSZE"-Prozesses wiesen die Staats- und Regierungschefs anläßlich der Unterzeichnung der Schlußakte 1975 in Helsinki auf den rechtlich unverbindlichen Charakter der Schlußakte hin. Es handele sich um ein politisches Dokument von hohem Rang. Der damalige italienische Ministerpräsident und amtierende Ratspräsident der EG, Aldo Moro , äußerte sich so zu der KSZE-Schlußakte: "Obgleich diese Verpflichtungen keinen rechtlichen Charakter haben, sind sie doch auf die politische und moralische Verantwortung gegründet und müssen vor allem im Sinne von Treu und Glauben und ohne Vorbehalte wahrgenommen werden." 17
Auch der damalige deutsche Bundeskanzler, Helmut Schmidt, charakterisierte die Regeln der Schlußakte: "Diese Konferenz hat für Europa kein neues Völkerrecht geschaffen. Aber wir haben gemeinsame Regeln getroffen filr die Art und Weise, wie wir in Europa miteinander umgehen und zusammenleben wollen." 18
Auch im weiteren Verlauf des OSZE-Prozesses behauptete keiner der Teilnehmerstaaten jemals, eine Verletzung der OSZE-Verpflichtungen stelle einen Völkerrechtsverstoß dar. Ferner wurden die OSZE-Dokumente in keinem Teilnehmerstaat als völkerrechtliche Verträge behandelt. Vielmehr bestimmten die Teilnehmerstaaten in allen Dokumenten auf höchster 15vgl. Rotter, S. 413 (432-434) 16 Vgl. Delbrück, in Bernhardlvon Münch/Rudolf S. 31 (40f.); Rotter, S. 413 (432f.). 17 Erklärung vom 30. Juli 1975, EA 1975, S. D 546. 18Erklärung vom 30. Juli 1975, EA 1975, S. D 551.
2. Kapitel: Die OSZE-Normen im Völkerrecht
329
politischer Ebene, in der Helsinki-Schlußakte von 1975, der Charta von Paris von 1990 und dem Helsinki-Dokument 1992, daß die jeweilige Abmachung nicht gern. Art. 102 UN-Charta registrierbar sei (sogenannter "legal disclaimer"). Nach dieser Vorschrift der UN-Charta sind die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verpflichtet, die von ihnen geschlossenen Verträge durch den Generalsekretär der UN registrieren zu lassen. Zwar bedeutet die genannte OSZE-Regelung nicht zwingend, daß die Vereinbarungen der OSZE keine völkerrechtlichen Verträge darstellen 19, jedoch ist nicht anzunehmen, daß die Teilnehmerstaaten als Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (Ausnahme: Schweiz) in Erfüllung des "disclaimer" gegen ihre Verpflichtung aus der UN-Charta verstoßen wollten. 20 Somit ist diese Regelung der wichtigste Hinweis auf den nichtvölkervertragsrechtliehen Charakter der OSZE-Vereinbarungen. Insgesamt ist aus allen diesen Umständen abzulesen, daß sämtliche OSZE-Dokumente nicht "governed by international Iaw" sind und damit keine völkerrechtlichen Verträge darstellen.
B. Völkergewohnheitsrecht Als weitere Rechtsquelle kommt das Völkergewohnheitsrecht in Betracht, welches im Falle der OSZE als regionaler Organisation in Gestalt des partikulären, d. h. regionalen Völkergewohnheitsrechts21 vorliegen könnte.
I. Völkergewohnheitsrecht nach "klassischem" Verständnis Nach dem hergebrachten und herrschenden Verständnis in Übereinstimmung mit Art. 38 Abs. I lit. b IGH-Statut setzt die Umwandlung von zuvor rechtlich unverbindlichen Regeln in Völkergewohnheitsrecht einerseits eine konstante Staatenpraxis, consuetudo, andererseits eine sie tragende Rechtsüberzeugung, opinio iuris sive necessitatis, voraus.
19 so auch Schweisfurth, ZaöRV 1976, S. 681 (690) und Zieger, S. 62. 20 so übereinstimmend auch Tunkin, RdC 147 (1975), S. 9 (75); Delbrück, in: Bernhardlvon Münch/Rudo/f. S: 31 (40); Schweisfurth, ZaöRV 1976, S. 681 (689f.); Coccia, EPIL (10), S. 216 (218); Russe/, AJIL 70 (1976), S. 242 (247); Zieger, S. 61 (62); van Dijk, NYIL 1980, S. 97 (108). 2 1 Dazu Bernhard, EPIL (7), S. 61 (65).
330
3. Teil: Rechtsnatur und Bindungswirkung der OSZE-Nonnen
1. Staatenpruis
Als allgemeine Übung kommen grundsätzlich alle Verhaltensweisen der Staaten in Betracht, also sowohl rechtlich relevante Akte als auch bloßes faktisches Tun oder Unterlassen. 22 Die Üburig muß von gewisser Dauer und nach der Ansicht des IGH "constant" 23 und "extensive and virtually uniform" 24 sein. Sie muß also auch eine allgemeine Verbreitung gefunden haben. Die OSZE-Staaten haben ihre Vereinbarungen im Konsens25 angenommen, damit ist eine einheitliche Verbreitung im OSZE-Gebiet gegeben. Das Abstimmungsverhalten in Internationalen Organisationen oder Konferenzen ist ferner als eine Art der Staatenpraxis anzusehen26 , wobei von der Mehrzahl der Autoren darauf hingewiesen wird, daß sich diese nicht allein darin erschöpfen darf, sondern daß es zusätzlich einer tatsächlichen Übung der Staaten bedarf. 27 Damit kann auch die Fixierung von Regeln in den OSZE-Dokumenten als ein Bestandteil einer Übung qualifiziert werden. Diese Übung müßte aber von gewisser Dauer sein. Die für das Entstehen von Völkergewohnheitsrecht erforderliche Dauer läßt sich nicht allgemein beschreiben, sondern hängt vom Einzelfall ab. 28 Dabei ist eine lange Dauer nicht grundsätzlich erforderlich. 29 Wenn alle übrigen Voraussetzungen für das Entstehen von Völkergewohnheitsrecht, insbesondere die opinio iuris, vorliegen, kann die Dauer der Staatenpraxis sogar vergleichsweise kurz sein. So ist auch die Aussage des IGH im North Sea Contineotal Shelf Case zu verstehen30 : "AJthough the passage of only a short period oftime is not necessarily, or of itself, a bar to the fonnation of a new rule of customary international law on the basis of what was originally a purely conventional rule, an indispensable requirement would be that within the period in question, short though it might be, State practice, including that of States whose interests are specially affected, should have been both extensive and virtually uniform in the
22 Vgl. die ausfiihrliche Aufzählung bei Brownlie, Principles, S. 5 und Heintschel von
Heinegg, in: Ipsen, § 16, Rn. 5. 231CJ Rep. 1950, S. 276f.
241CJ Rep. 1969, S. 43, Abs. 74.
S.
25oazu unten 4. Teil, 4. Kapitel, A. I. 26 Brownlie, Principles, S. 698; Bernhard, EP1L (7), S. 61 (63); Seiffert, Selbstbestimmung,
50f.
27vgt. Tomuschat, ZaöRV 36 (1976), S. 444 (468) m. w. N.
28Heintschel von Heinegg, in: Jpsen, § 16, Rn.8. 29 Brownlie, Principles, S. 5. 30 siehe dazu auch Bernhard, EPIL (7), S. 61 (64).
2. Kapitel: Die OSZE-Normen im Völkerrecht
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sense of the provision invoked; - and should moreover have occured in such a way as to show a general recognition that a rule of law or legal obligation is involved...31
Die Hauptvereinbarungen der OSZE, wie die Charta von Paris von 1990, die Ergebnisse der Konferenz über die Menschliche Dimension der OSZE32 sowie freilich die Grundsätze der KSZE-Schlußakte von Helsinki 1975 könnten infolge ihrer nachfolgenden konstanten Bekräftigung durchaus zu Völkergewohnheitsrecht werden, wenn eine entsprechende und später noch zu untersuchende opinio iuris unter den Teilnehmerstaaten bestünde. Die grundlegenden OSZE-Verpflichtungen und -Grundsätze der oben genannten Dokumente wurden zunächst durch die Charta von Paris aus dem Jahre 1990 auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs bekräftigt. 33 Die ausgehandelten Dokumente der Menschlichen Dimension, der Genfer Bericht, das Moskauer Dokument und der Bericht von Oslo wurden während des Ratstreffens in Prag im Januar 1992 gebilligt. Das Stockholmer Ratstreffen im Dezember 1992 bestätigte ebenfalls die Geltung der OSZE-Vereinbarungen. Schließlich stellt auch das Helsinki-Dokument 1992 vom Juli 1992 eine Bekräftigung des erreichten Bestandes an OSZE-Normen auf höchster Ebene dar. Bevor die opinio iuris der Teilnehmerstaaten untersucht wird, sollen aber noch zwei weiterere Bestandteile der Übung angeführt werden. Diese bestehen zunächst in der ausdrücklichen Erwähnung der "Grundsätze" der OSZE in Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. In der Resolution 740 zum Jugoslawien-Konflikt vom 7. Februar 1992 heißt es: "Der Sicherheitsrat . . . fordert die jugoslawischen Parteien auf, mit der Konferenz über Jugoslawien bei ihrem Ziel, eine mit den Grundsätzen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Euro~a zu vereinbarende politische Regelung herbeizufilhren, voll zusammenzuarbeiten ..." .3
31 ICJ Rep. 1969, S. 43, Abs. 74. 32Diese sind das Kopenhagener Dokument (dazu oben I. Teil, 2. Kapitel, F. VI.), das Moskauer Dokument (oben I. Teil, 3. Kapitel, D. VI.) sowie der Genfer Bericht über den Minderheitenschutz (oben I. Teil, 3. Kapitel, D. V.). Vgl. auch den Inhalt des durch die Dokumente geschaffenen Konzepts der demokratischen Legitimität der Regierung (oben 2. Teil, I. Kapitel, A. IV. 2.). 33 Aussagen über die fundamentale Bedeutung von Nonnen durch staatliche Repräsentanten sprechen nach Ansicht des IGH filr das Vorliegen von Völkergewohnheitsrecht, ICJ Rep. 1986, S. 100f., Abs. 190. 34Text: VN 1992, S. 75f. Diese Aufforderung wurde durch Res. 743 vom 21. Februar 1992 bekräftigt, Text: VN 1992, S. 76.
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3. Teil: Rechtsnatur und Bindungswirkung der OSZE-Normen
Ferner beriefen sich die Staaten in zahlreichen gemeinsamen Erklärungen auf OSZE-Normen. Beispielhaft seien hier einige Erklärungen zitiert: - "Deutschland und Frankreich machen eine Wiedereingliederung Serbiens und Montenegros in die Völkergemeinschaft davon abhängig, daß diese die Grundsätze und Ziele der Charta der Vereinten Nationen und der Charta von Paris beachten."35 - "Deutschland und Lettland sind sich darin einig, ihre Beziehungen auf allen Ebenen zu entwickeln und zu vertiefen. Sie bekräftigen ihr Bekenntnis zu den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen, den Prinzipien und Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki, der Charta von Paris filr ein neues Europa, des Helsinki-Dokuments vom 10. Juli 1992 sowie der anderen Dokumente der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa". 36 - "Deutschland und die Ukraine lassen sich leiten von dem Wunsch, die Beziehungen der Freundschaft, guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit allseitig zu entwickeln. Sie bekräftigen ihr Bekenntnis zu den Zielen und Grundsätzen der .Charta der Vereinten Nationen, den Prinzipien und den Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki vom I. August 1975, der Charta von Paris filr ein neues Europa sowie der anderen Dokumente der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa." 37 - "Deutschland und Georgien lassen sich von dem Wunsch leiten, die Beziehungen der Freundschaft, guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit umfassend zu entwickeln und ihnen eine neue Qualität zu verleihen. Sie bekräftigen ihr Bekenntnis zu den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen, den Prinzipien und den Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki vom I. August 1975, der Charta von Paris filr ein neues Europa sowie der anderen Dokumente der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ... 4. Deutschland und Georgien bekräftigen die sich aus den KSZE-Dokumenten ergebenden Verpflichtungen. Beide Seiten treten fiir die Stärkung des KSZE-Prozesses ein. Sie bekräftigen ihr Bekenntnis zur Demokratie als einziger legitimer Herrschaft." 38
Darüber hinaus bekunden die Staaten auch in bilateralen völkerrechtlichen Verträgen ihre Unterstützung der OSZE-Normen. So heißt es z. B. im deutsch-sowjetischem Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 9. November 1990: 35 ziff. 7 der deutsch-französischen Erklärung zum ehemaligen Jugoslawien vom 6. Dezember 1992, Bulletin Nr. 133 vom 9. Dezember 1992, S. 1219f. 36 Aus Punkt I der "Gemeinsamen Erklärung über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Lettland" vom 20. April 1993, Bulletin Nr. 33 vom 24. Aprill993, S. 286. 37 Aus Punkt I der "Gemeinsamen Erklärung über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine" vom 10. Juni 1993, Bulletin, Nr. 53 vom 17. Juni 1993, S. 557-560. 38 Aus Punkt I und 4 der "Gemeinsamen Erklärung über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Georgien" vom 24. Juni 1993, Bulletin Nr. 57 vom 30. Juni 1993, S. 598-600.
2. Kapitel: Die OSZE-Normen im Völkerrecht
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in Bekräftigung ihres Bekenntnisses zu den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen und zu den Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki vom l. August 1975 sowie der nachfolgenden Dokumente der Konferenz Ober Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa".39
In jüngerer Zeit gehen die Staaten dazu über, die Bekräftigung der OSZE-Regeln nicht nur in der Präambel, sondern im operativen Teil der Verträge festzuschreiben. Im Nachbarschaftsvertrag zwischen der CSFR und Deutschland vom 27. Februar 199240 heißt es im Art. 2: "Sie [die Vertragsparteien; Anm. d. Verf.) handeln in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen und erfüllen ihre völkerrechtlichen Pflichten nach Treu und Glauben. Sie lassen sich leiten von der Schlußakte von Helsinki vom l. August 1975 und den in der Folgezeit angenommenen KSZEDokumenten, insbesondere der Charta von Paris für ein neues Europa vom 21. November 1990."
Art. 2 des deutsch-rumänischen Freundschaftsvertrages41 lautet: "Die Vertragsparteien handeln bei der Gestaltung ihrer Beziehungen und in Fragen des Friedens, der Sicherheit und der Zusammenarbeit in Europa und in der Welt in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen, sowie mit der Schlußakte von Helsinki vom L August 1975, der Charta von Paris für ein neues Europa vom 21. November 1990 sowie den anderen KSZE-Dokumenten."
Zusätzlich verpflichteten sich die Vertragsstaaten beider zitierten Verträge, den OSZE-Prozeß zu unterstützen, zu stärken und weiterzuentwikkeln, "namentlich durch die Nutzung und den geeigneten Ausbau der neue geschaffenen Strukturen und Institutionen". 42 Eine Bekräftigung noch deutlicherer Art stellt die Inkorporation von OSZE-Verpflichtungen in völkerrechtliche Verträge dar. Manche OSZEStaaten sind dazu übergegangen, in bilateralen Verträgen die Minderheitenschutzbestimmungen des K