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German Pages [224] Year 2021
Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 163
Tobias Wieczorek
Die Nichtgläubigen – οἱ ἄπιστοι Über die Funktion abgrenzender Sprache bei Paulus
Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament Begründet von Günther Bornkamm und Gerhard von Rad Herausgegeben von David S. du Toit, Martin Leuenberger, Johannes Schnocks und Michael Tilly
163. Band
Tobias Wieczorek
Die Nichtgläubigen – οἱ ἄπιστοι Über die Funktion abgrenzender Sprache bei Paulus
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: satz&sonders GmbH, Dülmen
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2567-9694 ISBN 978-3-7887-3526-5
Meiner Familie
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Auf der Suche nach Begriffen und Bezeichnungen . . . . . . . . 1.2 Die Wechselbeziehung von ‚Drinnen`- und ‚Draußen`Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammengefasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Der ἄπιστοι-Begriff in der Umwelt des frühen Christentums . . . . . Zusammengefasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4
Die ἄπιστοι und die πιστεύοντες in den Paulusbriefen . . . . . . . . .
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ἄπιστοι und ἄδικοι – 1Kor 6,1–11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Drinnen und draußen in 1Kor 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Ein Bruder sucht sein Recht mit einem Bruder . . . . . . . . 5.4 . . . vor ἄπιστοι und ἄδικοι . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Und dies waren einige von euch: Drinnen-Draußen und Einst-Jetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammengefasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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45 45 48 51 53
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Nicht gläubig und doch geheiligt – 1Kor 7,12–16 6.1 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Ehe mit einem ‚Draußen` . . . . . . . . . . . . . 6.3 Eine Frage der Heiligkeit . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Die Glaubenden als Heilige . . . . . . . 6.3.2 Inklusives Geheiligtsein . . . . . . . . . 6.4 Keine Gewissheit auf Rettung . . . . . . . . . . Zusammengefasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Eingeladen bei einem ἄπιστος – 1Kor 10,27 . . . 7.1 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Essen und Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . 7.3 Essen oder nicht essen bei einem ἄπιστος? Zusammengefasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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83 83 84 88 95
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ἄπιστοι in der Versammlung – 1Kor 14,20–25 . . . . . . . 8.1 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Erbauung und Verständlichkeit der Verkündigung 8.3 Glossolalie als Zeichen für die Nichtgläubigen . . . 8.3.1 εἰς σηµεῖόν εἰσιν (1Kor 14,22a) . . . . . . . . . 8.3.2 Ein Zeichen des Gerichts? . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
8.4
Das Hineinkommen der ‚Draußen` als Argument . . . . . . 8.4.1 ἰδιῶται und ἄπιστοι . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Der Effekt von Glossolalie auf ἄπιστοι und ἰδιῶται 8.4.3 Der Effekt von Prophetie auf ἄπιστοι und ἰδιῶται . Zusammengefasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Wer nicht glaubt, ist verloren – 2Kor 4,1–6 . . . . . . . . . . . 9.1 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Das Evangelium ist entscheidend! . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Am Evangelium entscheidet sich Verloren- und Gerettet-Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 ἄπιστοι und ἀπολλύµενοι . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Das ‚Verblendet-Sein` des Verstandes durch den Gott dieses Äons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.1 ‚Verblendeter Verstand` und ‚verhärtetes Herz` 9.5.2 Der ‚Gott dieses Äons` . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 ‚Verblendet-Sein` als Merkmal der ‚Draußen` . . . . . . Zusammengefasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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110 110 113 118 124
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10 Unvereinbarer Umgang mit ἄπιστοι – 2Kor 6,14–7,1 . . . . . . 10.1 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Keine Gemeinschaft mit ἄπιστοι . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Ungleiche Jochpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Eine Frage der Gemeinsamkeit . . . . . . . . . . . . . 10.3 Abgrenzende Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.1 Abgrenzung von wem? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2 Abgrenzung von was? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Die ἄπιστοι und die abgrenzende Sprache innerhalb der paulinischen Ekklesiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammengefasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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153 153 157 157 161 167 167 172
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181 181
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181 185 189 194
12 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
202
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
Stellenregister (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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11 Die anderen ‚Draußen`-Bezeichnungen . . . . . . . . . . . 11.1 ‚Draußen`-Bezeichnungen in den Paulusbriefen . 11.1.1 Die anderen ‚Draußen`-Bezeichnungen im Umfeld der ἄπιστοι-Bezeichnung . . . . . . 11.1.2 Die ἀπειθοῦντες in Judäa . . . . . . . . . . . . 11.1.3 ᾿Ιουδαῖοι und ἔθνη . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Die anderen ‚Draußen` und die ἄπιστοι . . . . . . .
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2018/19 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie geringfügig verändert. Mein großer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Wolter. Ihm verdanke ich meine Leidenschaft für das Studium der Schriften des Neuen Testaments. Vor allem die Forschungsübungen zu seinen Büchern, und auch der Kreis der regelmäßig daran Teilnehmenden, haben mich im Studium geprägt. Die Zeit, die ich an seinem Lehrstuhl mitarbeiten durfte, erst als studentische Hilfskraft und später als wissenschaftlicher Mitarbeiter, war sehr bereichernd für mich. Dazu zählen auch die Wanderungen im Ahrtal und die Weihnachtsessen mit hausgemachtem Banoffee. Für die Betreuung meiner Promotion bin ich sehr dankbar. Seine kritischen Anmerkung haben meine Arbeit unheimlich bereichert und seine Begleitung war stets wohlwollend und fördernd. Weiterhin danke ich Prof. Dr. Hermut Löhr, für die Anfertigung des Zweitgutachtens und die vielen hilfreichen Anmerkungen. Außerdem bin ich ihm sehr dafür dankbar, dass ich nach der Emeritierung von Prof. Wolter bis zum Abschluss meiner Dissertation als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl verbleiben durfte. Einen Großteil dieser Arbeit durfte ich in der neutestamentlichen Sozietät der beiden theologischen Fakultäten der Bonner Universität vorstellen und diskutieren. Die unzähligen Anmerkungen, Hinweise und kritischen Anfragen haben diese Arbeit sehr bereichert. Ich danke all denen, die über die Jahre Mitglieder dieser Sozietät waren. Viele Menschen waren mir teure Wegbegleiter. Bei der Entstehung einer solchen Arbeit sind es oft die kleinen Gespräche und Anregungen zwischendurch, die zu zentralen Einsichten führen. Ich danke meinen Kollegen aus dem Mittelbau für zahlreiche akademische und nicht-akademische Diskussionen am Mittagstisch und meinen Freunden für ihre Unterstützung - namentlich Paul Becker, Ulrike Beiroth, Inja Inderst, Maximilian Kröger und Johanna Kuhn, für das Korrekturenlesen und Christian Hemminghaus als LATEX-Gesprächspartner. Dass aus dieser Arbeit ein Buch geworden ist, verdanke ich der Aufnahme in die Reihe WMANT durch deren Herausgeber Prof. Dr. David du Toit und Prof. Dr. Michael Tilly. Weiterhin gilt mein Dank PD Dr. Izaak de Hulster für die freundliche Hilfe und Betreuung von Seiten des Verlages. Dieses Buch ist meiner Familie gewidmet, für deren beständige Unterstützung ich unendlich dankbar bin. Meine Eltern und meine Frau haben wiederholt verschiedenste Teile dieser Arbeit kritisch gelesen. Mein Vater war
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Vorwort
und ist mir, schon seit Beginn meines Studiums, ein wichtiger Diskussionspartner. Über den Zeitraum der Entstehung dieser Arbeit, wurde meine beiden wunderbaren Söhne Theo und Clemens geboren. Ohne den Rückhalt und die liebevolle Geduld meiner Frau Silke wäre diese Arbeit nicht entstanden. Bonn, Weihnachten 2020
Tobias Wieczorek
1 Einleitung Die Frage nach dem Gebrauch und der Bedeutung der Bezeichnung οἱ ἄπιστοι („die Nichtgläubigen“) in den Paulusbriefen ist eng mit der Frage nach der Entwicklung einer ‚christlichen` Identität und der Versprachlichung von spezifischen Zugehörigkeitsmerkmalen verbunden. Es geht also darum, wie sich die in der Nachfolge Christi entstandene Gruppierung, die man später ‚das Christentum` 1 nennen wird, in den ersten Jahrzehnten nach Christus selbst versteht und benennt. Dieser Prozess vollzieht sich sowohl in ‚Selbst`-Beschreibung und -Bezeichnung als auch in Bezeichnung derer, welche die ‚Draußen` 2 sind, das heißt diejenigen außerhalb der eigenen Gruppe. Anhand der Bezeichnung οἱ ἄπιστοι untersucht die vorliegende Arbeit einen Ausschnitt des Prozesses der Versprachlichung von ‚christlicher` Identität und von ‚christlichen` Zugehörigkeitsmerkmalen. Sie tut dies mit Blick auf eine spezifische Beschreibung der ‚Draußen` aus der ‚christlichen` Binnenperspektive.
1.1 Auf der Suche nach Begriffen und Bezeichnungen Die Briefe des Paulus und die nachfolgenden Schriften des Neuen Testaments bieten eine Vielzahl von Begriffen, mit denen diejenigen bezeichnet werden, die zum Christus-Glauben gekommen sind. Die Wahl der Bezeichnungen ist dabei stark von der Situation, der Theologie und der Aussageintention der jeweiligen Autoren abhängig. Manche Begriffe sollen die hervorgehobene Stellung der Bezeichneten betonen (οἱ ἅγιοι „die Heiligen“ 3; οἱ κλητοί „die Berufenen“ 4; οἱ ἐκλεκτοί „die Erwählten“ 5), manche drücken vor allem die Beziehung zwischen Autor und Empfänger, wie auch unter den Glaubenden,
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2
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Das entstehende ‚Christentum` der ersten Jahre unter diesem Begriff zusammenzufassen ist freilich ein Anachronismus. Die Bezeichnung Χριστιανοί („Christen“) begegnet zuerst in der Apostelgeschichte (Apg 11,26; 26,28; vgl. 1Petr 4,16), Χριστιανισµός („Christentum“) erst weit später – der erste Beleg findet sich bei Ignatius von Antiochien (Ign.Magn. 10,3). Die Bezeichnungen ‚die Drinnen` und ‚die Draußen` entstammen dem paulinischen Sprachgebrauch (1Kor 5,12 f.). S. dazu Kap. 5.2. Da die Semantik dieser Begriffe nicht von sich aus theologisch qualifiziert ist, eignen sie sich gut als übergreifende Bezeichnungen für die Zugehörigkeit und die Nicht-Zugehörigkeit zu den an Jesus Christus Glaubenden und werden im Folgenden auch so gebraucht. Z.B. Apg 9,32.41; Röm 1,7; 15,25 f.31; 16,2.15; 1Kor 1,2; 6,1 f.; 16,1.15; 2Kor 1,1; 9,1.12; 13,12; Eph 1,1.15; Phil 1,1; 4,21 f.; Kol 1,4; Phlm 5; 7; Jud 3; Offb 8,3 f.; 13,10. Z.B. Röm 1,6; 1Kor 1,24; Jud 1. Z.B. Mt 22,14; Mk 13,20par.; Kol 3,12; Tit 1,1; 1Petr 1,1.
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Einleitung
aus (ἡ ἐκκλησία „die Gemeinde/Versammlung“ 6; οἱ ἀδελφοί „die Brüder“ 7; οἱ ἀγαπητοί „die Geliebten“ 8), und andere beschreiben die besondere Beziehung zwischen Mensch und Gott oder Christus (τέκνα/υἱοὶ θεοῦ „Kinder/Söhne Gottes“ 9; οἱ ἐν Χριστῷ/οἱ τοῦ Χριστοῦ „die in/des Christus“ 10; σῶµα Χριστοῦ „Leib Christi“ 11). 12 Unter den verschiedensten Selbst-Bezeichnungen in den Paulusbriefen gehört die Bezeichnung οἱ πιστεύοντες 13 sicherlich zu den wichtigsten. Mit ihr drückt Paulus, entsprechend der maßgeblichen Bedeutung der πίστις 14 für seine Theologie, die Zugehörigkeit zu Jesus Christus und dem Evangelium schlechthin aus. Der spezifische Gebrauch dieser Bezeichnung bei Paulus lässt vermuten, dass er das substantivierte Partizip von πιστεύω bereits als dezidierte Bezeichnung derer verwendet, die aufgrund ihres Glaubens Teil dieser Gemeinschaft sind. 15 Ob dieser Sprachgebrauch von Paulus selbst stammt oder, ob er sich in einer der Ekklesien entwickelt hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. 16 Die Bezeichnung οἱ πιστεύοντες setzt jedoch voraus, dass πίστις bereits zu einem derartigen Alleinstellungsmerkmal geworden ist, dass damit die gemeinsame Zugehörigkeit ausgedrückt werden kann. Der Vielzahl von unterschiedlichen Selbst-Bezeichnungen, die im Rahmen des anfänglichen Experimentierens auf der Suche nach einer ‚christlichen Sprache` 17 zum Einsatz kommen, entsprechen verschiedenste Begriffe, mit denen die ‚Draußen` beschrieben werden: beispielsweise οἱ ἔξω („die Draußen“) 18; οἱ ἀπολλύµενοι („die Verlorenen“) 19; οἱ λοιποί („die Übrigen“) 20; 6
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13 14 15 16 17 18 19 20
Z.B. Mt 16,18; Apg 8,1; 9,31; 13,1; 15,41; Röm 16,16; 1Kor 1,2; 6,4; 10,32; 14,23; 2Kor 1,1; 8,1; Gal 1,2; Eph 5,32; Phil 3,6; 4,15; Kol 1,24; 1Thess 1,1; 2Thess 1,1; 1Tim 5,16; Phlm 2; Offb 1,4.11.20; 2,1.8.12.18; 3,1.7.14. Z.B. Röm 1,13; 7,1; 10,1; 1Kor 1,10 f.26; 6,5.8; 2Kor 8,1; Gal 1,11; Phil 1,12.14; 1Thess 2,1; 4,6; Phlm 7. Z.B. Röm 1,7; 11,28; 1Kor 10,14; 2Kor 7,1; Phil 2,12; 1Petr 4,12; 1Joh 2,7; Jud 3. Z.B. Joh 1,12; 11,52; Röm 8,14.16.20; Gal 3,26; Phil 2,15; 1Joh 3,1 f.10; 5,2. Röm 8,1; 1Kor 15,23. 1Kor 12,27. Diese Aufzählung von Bezeichnungen ist exemplarisch und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zu den Selbst-Bezeichnungen s. v.a. Trebilco 2011. Eine ausführliche Aufzählung mit Stellenangaben dort auf S. 14. Röm 1,16; 3,22; 4,5.11.24; 10,4; 1Kor 1,21; 14,22; Gal 3,22; 1Thess 1,7; 2,10.13; s.a. οἱ ἐκ πίστεως in Gal 3,7.9. Zu den πιστεύοντες in den Paulusbriefen s. Kap. 4. Zu Gebrauch und Bedeutung des Begriffs s. z.B. in den neuesten Beiträgen bei Frey u. a. 2017; Morgan 2015; Schumacher 2012; Schliesser 2011. Vgl. Morgan 2015, 235. S.u. S. 42. Der Entwicklung einer ‚christlichen` Sprache am Beispiel von πίστις geht Schumacher 2012 nach. Mk 4,11; 1Kor 5,12 f.; Kol 4,5; 1Thess 4,12. 1Kor 1,18; 2Kor 2,15; 4,3; 2Thess 2,10. 1Thess 4,13; 5,6.
Die Wechselbeziehung von ‚Drinnen`- und ‚Draußen`-Bezeichnungen
13
οἱ βάρβαροι („die Barbaren“) 21; οἱ ἄδικοι („die Ungerechten“) 22; οἱ ἐχθροί („die Feinde“) 23. Infolge der zentralen Bedeutung der Begriffe der πιστ*Wortgruppe für die Beschreibung der Zugehörigkeit zur Ekklesia Gottes und der Bezeichnung von deren Mitgliedern als πιστεύοντες ist es wenig verwunderlich, dass sich Paulus für die Beschreibung von Nicht-Zugehörigkeit ebenfalls an den Begriffen der πιστ*-Wortgruppe orientiert. Es sind die zu dieser Wortgruppe gehörenden Privativformen ἀπιστία, ἀπιστέω und ἄπιστος. Die der ‚Drinnnen`-Bezeichnung οἱ πιστεύοντες entsprechende ‚Draußen`Bezeichnung ist οἱ ἄπιστοι. 24 Im Kontext eines ekklesiainternen Problems und im Sinne der Beschreibung von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit kontrastiert Paulus die Bezeichnungen οἱ πιστεύοντες und οἱ ἄπιστοι in 1Kor 14: ὥστε αἱ γλῶσσαι εἰς σηµεῖόν εἰσιν οὐ τοῖς πιστεύουσιν ἀλλὰ τοῖς ἀπίστοις, ἡ προφητεία οὐ τοῖς ἀπίστοις ἀλλὰ τοῖς πιστεύουσιν. 22 „So sind die Sprachen zum Zeichen, nicht für die Glaubenden, sondern für die Nichtgläubigen, die Prophetie aber nicht für die Nichtgläubigen, sondern für die Glaubenden.“ 22
Neben 1Kor 14,22–24 kommt Paulus noch an fünf weiteren Stellen auf die ἄπιστοι zu sprechen: 1Kor 6,6; 7,12–15; 10,27; 2Kor 4,4; 6,14 f. In der Regel kontrastiert Paulus die ἄπιστοι mit ‚Drinnen`-Bezeichnungen wie οἱ ἀδελφοί (1Kor 6,5 f.; 7,12.14 f.), οἱ ἅγιοι (1Kor 6,1 f.) und ἡ ἐκκλησία (1Kor 6,4; 14,23). Ein bereits erkennbarer Verwendungszusammenhang der ἄπιστοι-Bezeichnung besteht also in deren Wechselbeziehung zu den Bezeichnungen, die die Zugehörigkeit zu Jesus Christus, zu dem von ihm sprechenden Evangelium und zu allen denen, die Teil der Gruppierung der πιστεύοντες sind, ausdrücken.
1.2 Die Wechselbeziehung von ‚Drinnen`und ‚Draußen`-Bezeichnungen Allein die Vielzahl der verschiedenen ‚Drinnen`- und ‚Draußen`-Bezeichnungen zeigt, dass Paulus, wie auch die ihm folgenden neutestamentlichen Autoren, sprachlich hinsichtlich dessen, was man später ‚das Christentum` nennen wird, noch nicht festgelegt sind. Die unterschiedlichen Begriffe sind vielmehr
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Apg 28,2.4; Röm 1,14; 1Kor 14,11; Kol 3,11. Mt 5,45; Lk 18,11; Apg 24,15; 1Kor 6,1.9; 1Petr 3,18; 2Petr 2,9. Z.B. Mt 5,44; Lk 6,27.35; Röm 5,10; 11,28; Phil 3,18; Kol 1,21. Zu den ἄπιστοι in den Paulusbriefen s. Kap. 4.
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Einleitung
Zeugnis des Experimentierens, sowie sprachlicher Unsicherheit, die im Prozess der Entstehung einer ‚christlichen` Sprache noch herrschte. Sie belegen den Versuch, die gerade entstandene Jesus-Christus-Gruppierung zu beschreiben und die Zugehörigkeit zu ihr, wie auch die dementsprechende Nicht-Zugehörigkeit, auszudrücken. Nichtsdestoweniger sind viele der Bezeichnungen, die bereits am Beginn des Prozesses der Entstehung einer ‚christlichen` Sprache entstanden sind, trotz des späteren Primats der Begriffe ‚Christen` und ‚Christentum`, noch heute Teil christlicher Sebstbezeichnung. Für die folgende Untersuchung der ἄπιστοι-Bezeichnung ist hinsichtlich ihres Kontextes folgendes zu bedenken: a) Im Kontext der Versprachlichung ‚christlicher` Zugehörigkeitsmerkmale ist mit der ἄπιστοι-Bezeichnung weniger über die als ἄπιστος Bezeichneten ausgesagt, als über die von diesen abgegrenzten πιστεύοντες. Die Verwendung von ‚Drinnen`- und ‚Draußen`-Bezeichnungen, die Bestimmung von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit und das Erfahren von Identität und Alterität stehen in einer wechselseitigen Beziehung und bedingen sich gegenseitig. Zu bestimmen, wer im Vergleich zum ‚Ich` und ‚Wir` die anderen sind, hilft der Verstetigung und Wahrnehmung des eigenen Zugehörigkeitsund Identitätsgefühl. Gruppenkohäsion nach drinnen geht insofern immer mit der Abgrenzung nach draußen einher und umgekehrt. 25 Das bedeutet auch, dass die Wahrnehmung und Bezeichnung der ‚Draußen` immer von der Selbstwahrnehmung der ‚Drinnen` abhängig ist. Deshalb ist die Bezeichnung der ‚Draußen` auch nur eine Zuschreibung, die von der je eigenen Perspektive abhängig ist und wenig mit der ontischen Beschaffenheit der ‚Draußen` zu tun hat. So ist es beispielsweise durchaus möglich, dass ein ‚Draußen` überhaupt nichts von seinem Draußen-Sein weiß. Für die Kategorisierung in ‚Drinnen` und ‚Draußen` wird deshalb vor allem auf Kontraste – die ‚Draußen` sind das, was die ‚Drinnen` nicht sind – und Stereotype zurückgegriffen. 26 Deutlich wird dieser Gebrauch von Kontrasten vor allem bei solchen Bezeichnungen, die auf eine Privativform zurückgreifen. Beispielsweise οἱ ἄπιστοι („die Nicht-Gläubigen“) 27; οἱ ἄδικοι („die Nicht-Gerechten“) 28; οἱ ἀσεβεῖς („die Nicht-Gott-Anbetenden“) 29; οἱ ἄνοµοι („die Nicht-das-Gesetz-Haltenden“) 30; οἱ ἀπειθοῦντες („die Nicht-Gehorsa-
25 „To a very real extent then, a group defines itself over and against other groups.“ Trebilco 2017, 2. 26 Vgl. Trebilco 2017, 11–13. 27 Lk 12,46; 1Kor 6,6; 7, 12–15; 10,27; 14,22–24; 2Kor 4,4; 6,14; 1Tim 5,8; Tit 1,15; Offb 21,8. 28 Mt 5,45; Lk 18,11; Apg 24,15; 1Kor 6,1.9; 1Petr 3,18. 29 1Tim 1,9; 1Petr 4,18; Jud 4. 30 Apg 2,23; 1Tim 1,9.
Die Wechselbeziehung von ‚Drinnen`- und ‚Draußen`-Bezeichnungen
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men“) 31. Die ‚Draußen` werden damit als ‚nicht das, was die Drinnen sind` beschrieben. b) In der Kommunikationssituation zwischen Paulus und seinen Adressaten bedeutet dies, dass er die ἄπιστοι-Bezeichnung nicht gebraucht, um eine bestimmte Gruppe von Menschen außerhalb der Ekklesia zu beschreiben, sondern dass er diese Bezeichnung aus der Binnenperspektive gebraucht und damit vor allem eine pragmatische Absicht gegenüber den von ihm als πιστεύοντες Bezeichneten verfolgt. Mit dem Gebrauch der jeweiligen ‚Drinnen`- und ‚Draußen`-Bezeichnungen verbindet sich die Diskussion um das rechte Drinnen-Draußen-Verhältnis der Ekklesia gegenüber der sie umgebenden Umwelt. Paulus muss thematisieren, welche sozialen und geschäftlichen Kontakte die Ekklesia problemlos fortführen kann und wo sich gegebenenfalls Probleme ergeben können. Letztlich gebraucht Paulus die Begriffe um Grenzen abzuklären. Die Zugehörigkeit und Abgrenzung zur Gruppe der an Jesus Christus Glaubenden muss von Grund auf definiert, kommuniziert und umgesetzt werden. c) Die Beschreibung von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit vereint immer zwei Ebenen miteinander. Zum einen wird, im Sinne einer Beschreibung, mit Hilfe einer bestimmten Bezeichnung benannt, was ist (deskriptiv). Zum anderen wird, im Sinne einer Zuschreibung, mit Hilfe einer bestimmten Bezeichnung gleichermaßen benannt, was sein soll oder was getan werden soll (normativ). Ob und inwiefern mehr ein Sein oder Sollen zum Ausdruck gebracht wird, kann je nach Bezeichnung und Kontext stark variieren. Während der deskriptive Gebrauch sich auf empirische Beobachtungen beschränkt und ohne spezielle Aussageabsicht die vorfindliche Situation zur Darstellung bringt, ist der normative Gebrauch der Begriffe mit dem Wunsch verbunden, bei den Adressaten etwas zu verändern und eine bestimmte Vorstellung zu transportieren. Diese Unterscheidung zwischen einem deskriptiven und einem normativen Gebrauch von Beschreibungen von Zugehörigkeit und Nicht-Zughörigkeit ist für die vorliegende Untersuchung von Gebrauch und Bedeutung der ἄπιστοι-Bezeichnung wie auch der übrigen ‚Draußen`-Bezeichnungen wesentlich. Sie hilft darüber Klarheit zu schaffen, ob der Gebrauch einer Bezeichnung in der Kommunikationssituation zwischen Paulus und einer Ekklesia hauptsächlich darauf abzielt eine konkrete Referenzgruppe als ‚Draußen` zu beschreiben - wie die in Korinth vorfindliche Situation ist - oder, ob die Bezeichnung vielmehr der gezielten Leserlenkung dient - wie sich die Ekklesia von Korinth auf Basis der neu gezogenen Drinnen-Draußen-Grenzen verhalten soll. Das heißt, ob die ‚Drinnen` etwas über die ‚Draußen` oder die ‚Drinnen` anhand der gebrauchten ‚Draußen`-Bezeichnung etwas über ihre eigene Zugehörigkeit und ein entsprechendes Verhalten lernen sollen. Freilich lassen sich beide Aspekte nicht ganz von einander trennen. Es ist jedoch 31 Joh 3,36; Röm 15,31; Heb 3,18; 1Petr 4,17.
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Einleitung
sinnvoll zu diskutieren, welcher Aspekt in welchen Verwendungszusammenhängen überwiegt. Letztlich ist es die Bezeichnung einer ‚Draußen`-Gruppe, das heißt die Versprachlichung der zugeschriebenen Unterschiede und Stereotypen, die im Differenzierungsprozess zwischen drinnen und draußen die entscheidende Rolle spielt, denn sie macht die ‚Draußen` erst als draußen wahrnehmbar und vor allem auch innerhalb der Gruppe der ‚Drinnen` kommunizierbar. Die Bezeichnung der ‚Draußen` ist daher ein integraler Bestandteil der Ausbildung einer gemeinsamen Identität und geteilter Zugehörigkeitsmerkmale der ‚Drinnen`. 32 Welche Rolle die ἄπιστοι-Bezeichnung in diesem Prozess der Versprachlichung von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit im ‚frühen Christentum` spielt und welche Pragmatik Paulus mit ihr verbindet, ist Gegenstand dieser Arbeit.
32 „Language accordingly becomes part of the process by which identity is symbolised to the self and to others.“ Trebilco 2017, 13.
2 Forschungsstand In der neutestamentlichen Forschung wurde der Frage nach Gebrauch und Bedeutung der ἄπιστοι-Bezeichnung bei Paulus – oder einem anderen neutestamentlichen Autor – bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Eine Monographie oder ein Aufsatz, die der Frage nach Ursprung, Verwendung und Bedeutung bei Paulus in ihrer Gesamtheit nachgehen, fehlen. 1. Eine Darstellung der ἄπιστοι-Bezeichnung findet sich neuerdings (2017) in Paul Trebilcos Werk ‚Outsider Designations and Boundary Construction in the New Testament`. 1 Meines Wissens handelt es sich bei diesem Werk um die einzige aktuelle Monographie, die ausführlich und ausschließlich der Frage nach dem Verhältnis zu den ‚Draußen` und der Bezeichnung der Anderen, wie sie das Neue Testament beschreibt, nachgeht. Bei dieser Monographie über die ‚Outsider`, die ‚Draußen`, handelt es sich um die entsprechende Nachfolge zu Trebilcos Monographie über Selbst-Bezeichnungen im Neuen Testament: ‚Self-designations and Group Identity in the New Testament`. 2 Beide Werke ergänzen sich, insofern sie dieselbe Frage stellen, diese aber aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: nämlich die Frage nach dem Selbstverständnis der Glaubenden zur Zeit des Neuen Testaments und die entsprechende sprachliche Abbildung desselben. In Bezug auf die Selbstbezeichnungen stellt Trebilco die Frage: „What terms would early ‚Christians` have used when they addressed one another?“ 3. In Bezug auf die ‚Draußen`-Bezeichnung stellt er die Frage: „How did early Christ-believers understand ‚outsiders`? What language did they use when speaking about ‚outsiders` and what does this language say about how they understood themselves as ‚insiders`, as Christians?“ 4. Angesichts der Tatsache, dass ‚Draußen`-Bezeichnungen mehr über die Bezeichnenden als über die Bezeichneten aussagen, 5 lassen sich beide Werke als Beiträge zum Verständnis der ‚frühchristlichen` Gruppenzugehörigkeit und deren Artikulation nach drinnen und draußen verstehen. Den ἄπιστοι widmet Trebilco in seinem Buch ein ganzes Kapitel 6, dessen Großteil durch die Analyse der Belegstellen bei Paulus bestimmt ist. Die Diskussion um 2Kor 6,14–7,1 nimmt einen vergleichsweise großen Raum (59–73) 1
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Trebilco 2017. Es war mir eine Freude, dieses Buch noch vor Abschluss meiner Dissertation würdigen zu können, denn die ursprüngliche Idee für diese Arbeit über die ἄπιστοι entspringt den Anregungen aus P. Trebilcos früherem Artikel aus dem Jahr 2014 über ‚die Kreativität an der Grenze` (Trebilco 2014). Trebilco 2011. Trebilco 2011, 1. Trebilco 2017, 1. Vgl. Trebilco 2017, 1 f. Trebilco 2017, 44–86.
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ein. Das spiegelt in gewisser Weise den Forschungsstand wider, denn in der Literatur ist innerhalb der ohnehin überschaubaren Diskussion um die ἄπιστοι der Belegstelle in 2Kor 6,14–7,1 mit Abstand am meisten Aufmerksamkeit zugekommen. 7 Da Trebilco in seinen Ausführungen auf das gesamte Neue Testament eingeht, und neben den ἄπιστοι auch viele andere Bezeichnungen 8 bespricht, ist seine Perspektive der Sache entsprechend deutlich weiter, als sie in dieser Arbeit sein wird. Die Diskussion über Gebrauch und Bedeutung der ἄπιστοι-Bezeichnung steigt bei Trebilco deshalb nicht in eine detaillierte Darstellung aller Belegstellen ein, sondern bleibt gewissermaßen an der Oberfläche. So nimmt die Diskussion um 1Kor 7,12–16; 10,27–29 und 14,22–25 gerade mal vier Seiten ein (52–55) und 2Kor 4,3–4 nur eine Seite (58 f.). Eine konkrete Verortung der einzelnen ‚Draußen`-Bezeichnungen in den unmittelbaren Kontexten der jeweiligen Textstellen ist daher auch nur bedingt gegeben. Im Gegensatz zu Trebilcos Ansatz, der eine das gesamte Neue Testament übergreifende Darstellung aller ‚Draußen`-Bezeichnungen bieten möchte, wird diese Arbeit eine Detailstudie nur eines Begriffs innerhalb der Paulusbriefe vorlegen. Die dadurch gegebene Eingrenzung des Textcorpus und der Anzahl der Belegstellen ermöglicht zweifellos ein viel tieferes Einsteigen in Gebrauch und Bedeutung der ἄπιστοι-Bezeichnung, sowie dessen unmittelbaren literarischen Kontext. Einiges von dem, was ebenso bei Trebilco angedacht ist, diskutiert auch diese Arbeit. Vieles andere dagegen wird in dieser Arbeit vertieft, oder überhaupt erst angesprochen. Das betrifft vor allem eine eingehendere Beschäftigung mit der Situation der Ekklesia von Korinth und den exegetischen Einzeldiskussionen der jeweiligen Belegstellen, die je nach Lesart unterschiedliches Licht auf Gebrauch und Bedeutung der ἄπιστοι-Bezeichnung werfen. Nichtsdestoweniger ist Trebilcos Monographie, gerade auch wegen ihrer grundsätzlichen Betrachtungen zu Konzept und Funktion von ‚Outsider`-Bezeichnungen, ein wichtiger Diskussionspartner der vorliegenden Arbeit über die ἄπιστοι-Bezeichnung in den Paulusbriefen. 2. Für Victor P. Furnish (‚Inside Looking Out: Some Pauline Views of the Unbelieving Public`) 9 dient die ἄπιστοι-Bezeichnung begrifflich als Ausgangspunkt seines kurzen Beitrages über die ‚Unbelieving Public`. Die Blickrichtung seiner Fragestellung ist, wie bei Trebilco, von drinnen nach draußen (‚Inside Looking Out`). Neben den eigentlichen ‚unbelievers`, den ἄπιστοι, fasst Furnish jedoch auch andere Begriffe unter dem Stichwort ‚unbelieving public` zusammen. 10 Bei diesen ‚Draußen`-Bezeichnungen beschränkt er sich auf de7 S.u. S. 20. 8 οἱ ἔξω und verwandte Bezeichnungen für ‚Outsider` 87–112; οἱ ἁµαρτωλοί 113–149; τὰ ἔθνη 150–176; οἱ ᾿Ιουδαῖοι 177–207. Zu diesen Bezeichnungen s. bei Kap. 11. 9 Furnish 2002. 10 οἱ ἔξω, ἄλλοι, u.a.; vgl. Furnish 2002, 107.
Forschungsstand
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ren Gebrauch in 1Thess und 1Kor. Zwar kommen bei ihm alle ἄπιστοι-Belege aus 1Kor zur Geltung, abschließend kommt er aber zu der Einschätzung, dass seine Ausarbeitung nicht mehr als eine „working hypothesis, which may provide guidance for further research and reflection“ 11, sein kann. Diese Bemerkung, die Furnish dem Fazit zu seiner kurzen Darstellung über die ‚unbelieving public` voranstellt, steht in gewisser Weise symptomatisch für den Forschungsstand zu Gebrauch und Bedeutung der ἄπιστοι-, wie auch vieler anderer ‚Draußen`-Bezeichnungen. 3. Der jüngste Beitrag zum Thema stammt von T.J. Lang: Trouble with the Insiders: The Social Profile of the ἄπιστοι in Paul's Corinthian Correspondance 12. Wie der Titel bereits verrät, tritt Lang an, um das soziale Profil der ἄπιστοι zu schärfen. Nach einer kurzen Einführung in die Verhältnisse von Korinth und wenige lexikalische Daten, bespricht Lang alle Belegstellen der ἄπιστοι-Bezeichnung in 1/2Kor. Seine These ist, dass die ἄπιστοι-Bezeichnung eine Gruppe von Menschen beschreibt, „who maintained intimate social ties with the believers and were even counted as ‚insiders` in certain senses“ 13. Lang hat sicherlich recht, wenn er die ἄπιστοι als solche beschreibt, die engen Kontakt zu den Glaubenden in Korinth haben – das lassen die einzelnen Textstellen erkennen: Probleme vor Gericht (1Kor 6,1–6); Ehe (1Kor 7,12–15); gemeinsames Essen (1Kor 10,27) –, ob sie jedoch tatsächlich als ‚insider` gelten können, ist fraglich. Weiterhin ist Lang der Ansicht, dass mit den ἄπιστοι ein „specific social referent“ 14 gemeint sei. Diese Gruppe von Personen beschreibt Lang weiterhin so: „a special class of affiliates, even sympathizers, of the Corinthian ἐκκλησία. [. . .] The social profile of the ἄπιστοι in Corinth is thus one of deviant insiders who sustain thick social bonds with the community but, because they fail to extract themselves from pagan ritual life, remain outside the ‚temple of God` (1 Cor 3:16–17, 2 Cor 6:16).“ 15 Für Lang ist der paulinische Sprachgebrauch durch die postulierte Situation bestimmt. Für ihn stammt die ἄπιστοι-Bezeichnung aus Korinth und lässt sich auf eine feste Gruppe von Personen eingrenzen, die irgendwie als Sympathisanten gelten. Aus dieser Situation ergibt sich dann Paulus' Sprachgebrauch. Entscheidend ist an dieser Stelle, ob der Befund aus den beiden Korintherbriefen wirklich zulässt auf die dortige Bezeichnung einer spezifischen Gruppe zu schließen, 16 oder ob es nicht vielmehr Paulus selbst ist, der durch seinen Sprachgebrauch klare Grenzen schaffen will. 11 12 13 14 15 16
Furnish 2002, 123. Lang 2018. Lang 2018, 983. Lang 2018, 985 Lang 2018, 986. Zur Frage, ob sich die ἄπιστοι-Bezeichnung auf einen konkreten Referenten beschränken lässt, s. u. Kap. 10.3.1.
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4. Neben der ausführlichen Monographie von Trebilco, dem kurzen, aber übergreifenden Beitrag von Furnish und dem etwas längeren Artikel von Lang, behandeln die folgenden Forschungsbeiträge jeweils nur einen kleinen Ausschnitt, nämlich eine konkrete Belegstelle der ἄπιστοι-Bezeichnung in den Paulusbriefen. Den Großteil nimmt dabei die Diskussion um 2Kor 6,14–7,1 ein. 17 Die von Volker Rabens in seinem Artikel (‚Inclusion of and Demarcation from ‚Outsiders`. Mission and Ethics in Paul's Letter to the Corinthians`) 18 einleitend gestellte Frage „Who are the ἄπιστοι, and what kind of relationships are to be avoided with them (µὴ γίνεσθε ἑτεροζυγοῦντες) (6:14)?“ 19, kann ebenso als ausschlaggebende Fragestellung für alle anderen Aufsätze gelten. 20 Die paulinische Autorschaft von 2Kor 6,14–7,1 angenommen, geht es ihnen vornehmlich um eine historische Einordnung der ἄπιστοι in die sozio-religiösen Differenzierungsprozesse der Ekklesia in Korinth. Dabei unternehmen es die Autoren zu klären, ob es sich an dieser Stelle um eine Grenzziehung zur paganen Umwelt oder um einen ‚innerkirchlichen` Differenzierungsprozess im Zusammenhang der Streitigkeiten des Paulus mit seinen ‚Gegnern` handelt. Die verschiedenen Möglichkeiten, wie ein Referent für die ἄπιστοι-Bezeichnung bestimmt wurde, bespricht William Webb in seiner Darstellung (‚Unequally yoked together with Unbelievers. Part 1 (of 2 parts): Who are the Unbelievers (ἄπιστοι) in 2 Corinthians 6:14?`): a) nicht vertrauenswürdige Personen, b) Heidenchristen, die sich nicht an das Gesetz halten, c) unmoralische Menschen innerhalb der Ekklesia, d) die ψευδαπόστολοι aus 2Kor 10–13 oder e) ‚Nicht-Christen`, die Paulus als Heiden außerhalb der Kirche bezeichnet. 21 Ob es sich allerdings bei dieser Rückfrage nach einem konkreten Referenten für die ἄπιστοι-Bezeichnung überhaupt um eine sinnvolle Fragestellung handelt, wie diese zu beantworten wäre, oder ob gegenüber der Frage dieses deskriptiven Gebrauchs die normative Funktion zu untersuchen mehr austragen kann, wird später noch ausführlich Thema sein. 22 Gegen eine paulinische Autorschaft, und zwar gerade aufgrund des angeblich von den anderen Belegstellen so stark unterschiedenen Gebrauchs der ἄπιστοι-Bezeichnung, argumentiert Outi Leppä (‚Believers and Unbelievers in 2 Corinthians 6:14– 15`). 23 Der Abschnitt stammt ihrer Einsicht nach von einem ‚jüdisch-christlichen` Redaktor, mit der Absicht „to remind that those who observe the purity
Rabens 2014 (vgl. Rabens 2013); Starling 2013; Leppä 2005; Webb 1992a. Rabens 2014. Rabens 2013, 230. Vgl. Starling 2013, 50ff.; Leppä 2005, 379; Webb 1992a, 27. S.a. den zweiten Teil seiner Abhandlung zu 2Kor 6,14: Webb 1992b. 21 Vgl. Webb 1992a, 28. 22 S. dazu z.B. in Kap. 10.3.1. 23 Leppä 2005. 17 18 19 20
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laws are the true believers but those who do not remember this are faithless Christians“ 24. Die Identifikation der ἄπιστοι macht auch Bradly Billings zum Gegenstand seines Artikels: ‚The apistoi and idiotes in 1 Corinthians 14:20–25. The Ancient Context and Missiological Meaning` 25. „Key to the understanding of the missiological imperatives that underlie and inform the discussion of 1 Corinthians 14:20–25 are the identification of the enigmatic apistoi and idiotes of v. 23.“ 26 Damit stellt auch er die Frage nach einer konkreten Referenz in den Vordergrund. Literarisch-pragmatische Fragen sind bei ihm, wie auch sonst, wenn überhaupt, nur hintergründig von Belang. Ebenso stehen für Caroline Hodge (‚Married to an Unbeliever: Households, Hierarchies, and Holiness in 1 Corinthians 7:12–16`) 27 die historischen Gegebenheiten in Korinth im Vordergrund. Bezüglich 1Kor 7,12–16 stellt sie die Frage, welche Auswirkungen eine Ehe mit einem ἄπιστος auf das alltägliche Leben haben könnte. Ihr Fokus liegt dabei allerdings mehr auf den Auswirkungen für den glaubenden Teil dieser Ehen, vornehmlich dem weiblichen Teil: „In the following analysis, I will read 1 Cor 7:12–16 within the context of ancient households, with special attention to the implications for the lives of women and others in subordinate positions.“ 28 In die gleiche Richtung tendiert der Beitrag von Margaret MacDonald: ‚Early Christian Women Married to Unbelievers` 29. An den ἄπιστοι ist MacDonald im Wesentlichen nur als Einstieg in ihre eigentliche Fragestellung interessiert. Ihr Fokus liegt, wie bei Hodge, auf der Frage nach den Auswirkungen für Frauen in einer Ehe mit einem ἄπιστος. 5. Abschließend sei noch auf die Vielzahl von Beiträgen verwiesen, die eine bestimmte Stelle aus 1/2Kor untersuchen und deren Fragestellung mehr oder weniger im Zusammenhang mit einem der Belege der ἄπιστοι-Bezeichnung steht. Gebrauch und Bedeutung des Begriffs sind dabei jedoch eher von nachgeordnetem Interesse. 30 6. Auch wenn die Anzahl an Beiträgen über die ἄπιστοι-Bezeichnung eher gering ist, ist in den letzten Jahren innerhalb der neutestamentlichen For24 25 26 27 28 29 30
Leppä 2005, 388. Billings 2016. Billings 2016, 279. Hodge 2010. Hodge 2010, 4. Macdonald 1990. S. dazu z.B. bei Lindemann 2016; Peppard 2014; Edsall 2013; Weaver 2012; Murphy-O'Connor 2009; Chester 2005; Uddin 1999; Smit 1997; Sandnes 1996; Mitchell 1993; Schwarz 1993; Garrett 1990; Richardson 1983; Grudem 1979; Johanson 1979; Roberts 1979; Kubo 1978; Fee 1977; Sweet 1967.
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Forschungsstand
schungsliteratur ein verstärktes Interesse an den ‚Draußen` zu erkennen. 31 Das dürfte unter anderem mit der Vielzahl an neueren Veröffentlichungen im Zusammenhang stehen, die den Identitätsbegriff 32 und Erkenntnisse der ‚Social Identity Theory` 33 für die neutestamentliche Forschung fruchtbar machen wollen. Eine eigenständige Auseinandersetzung mit der Social Identity Theory, und ihrer möglichen Anwendbarkeit auf die Texte und die Zeit des Neuen Testaments, wird hier nicht vorgenommen, da sie für die vorliegende Untersuchung nicht ausschlaggebend ist. Vielmehr soll gerade nicht auf der Grundlage vorgefertigter Thesen aus den Bereichen der Soziologie und Identitätsforschung gearbeitet werden, sondern die Exegese der einzelnen Texte soll methodisch für sich sprechen.
Zusammengefasst Der kurze Überblick über den Forschungsstand hat vor allem zweierlei gezeigt: a) Gebrauch und Bedeutung der ἄπιστοι-Bezeichnung sind bisher noch wenig erforscht, auch wenn das Interesse an den ‚Draußen` in den letzten Jahren zugenommen hat. b) Bei den meisten Autoren steht die Frage danach, wer die ἄπιστοι sind, im Vordergrund: Sind sie Juden oder Heiden, verstehen sie sich selbst als Teil der Ekklesia oder nicht, sind sie ‚Gegner` des Paulus wie die ψευδαπόστολοι in 2Kor 11,13? Es geht den entsprechenden Autoren also um die konkrete Referenz der ἄπιστοι-Bezeichnung. Die vorliegende Arbeit folgt in dieser Hinsicht einem anderen Ansatz: Auch wenn einige Belegstellen die Frage nach der Referenz in gewisser Weise zulassen, ist der literarische Charakter der Texte vor allem fiktional. Das heißt, Paulus kreiert auf Basis der ihm zugekommenen Informationen über den Zustand in Korinth hypothetische Situationen, wie sie für die dortige Ekklesia vorstellbar sind. Allerdings dürfte der weit entscheidendere Faktor für den 31 Z.B. Siegal u. a. 2017; Bachmann 2016; Kok und Dunne 2014; Kok, Nicklas u. a. 2014; Hakola u. a. 2013; Kuecker 2011; Punt 2009; Wachtel 2009; Wills 2008; Bowe 2007; Punt 2007. 32 Zu Begriff und Kritik des Gebrauchs innerhalb der ntl. Forschung, sowie Diskussion einiger Beiträge, s. ausführlich Strecker 2013. Für viele weitere hier nur Concannon 2016; Hvalvik und Sandnes 2014; Wolter 2014a; Öhler 2013; Wolter 2009a; Taussig 2009; Holmberg und Winninge 2008; Nguyen 2008; Deeg u. a. 2007; Campbell 2006; Van der Watt 2006; Lieu 2004; Börschel 2001; Boyarin 1994. 33 Diese sozialpsychologische Theorie stammt von H. Tajfel und C. Turner (Turner und Tajfel 1986) und wurde von eigenen Autoren auch für die Theologie und Exegese fruchtbar gemacht. S. dazu v.a. Tucker und Baker 2014; s.a. Trebilco 2017, 9–13; Byrskog u. a. 2016; Baker 2012; Kuecker 2011, 24–50; Tucker 2010; Luomanen u. a. 2007; Esler 2003.
Zusammengefasst
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Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung bei Paulus in deren rhetorischer Funktion und Pragmatik liegen. Er verwendet die ἄπιστοι-Bezeichnung weniger deskriptiv, das heißt, als Beschreibung einer in Korinth vorfindlichen Gruppe, sondern vielmehr normativ, das heißt im Sinne der begrifflichen Bestimmung einer ‚Draußen`-Gruppe. Diese Bezeichnung ist also weniger dazu gedacht, etwas über möglicherweise damit Bezeichnete auszusagen, als im Zusammenhang der Frage nach Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit zur Ekklesia Gottes, den ‚Drinnen` als Maßstab ihrer Zugehörigkeit zu gelten.
3 Der ἄπιστοι-Begriff in der Umwelt des frühen Christentums Der ἄπιστος-Begriff ist in der griechischsprachigen Literatur vor Paulus weder selten belegt, noch auf eine bestimmte Gattung oder Epoche von Schriften begrenzt. Ziel des folgenden Kapitels ist daher weniger, den Gebrauch des Begriff in seiner Gesamtheit darzustellen, als vielmehr mit Hilfe exemplarischer Textbeispiele die verschiedenen Verwendungszusammenhänge zu beschreiben. Auf eine Übersetzung des ἄπιστος-Begriffs (und ebenso des πιστός-Begriffs) wird im Zusammenhang der Untersuchungen in diesem Kapitel überwiegend verzichtet, denn eine Übersetzung kann die Frage nach der Bedeutung nicht lösen. Eher besteht die Gefahr, in der Zielsprache Eindeutigkeit zu schaffen, wo in der Ursprungssprache Vieldeutigkeit angelegt ist. Es sei aber an dieser Stelle auf die gängigen Übersetzungsoptionen verwiesen: „nicht/un-treu“; „nicht/un-gläubig“; „nicht/un-zuverlässig“; „nicht/un-glaubwürdig“; „misstrauisch“; „nicht vertrauensvoll“. Zu Beginn der Untersuchung des ἄπιστος-Begriffs steht die simple Erkenntnis, dass es sich bei diesem Begriff um eine Privativform handelt. Sein positives lexikalisches Gegenstück ist πιστός. Das heißt zunächst, dass jemand oder etwas, der oder das als ἄπιστος bezeichnet wird, nicht πιστός ist. Dieser offensichtliche Befund begegnet in der Literatur überall dort, wo die beiden Begriffe als semantische Oppositionen fungieren: Lysias, Or. 5,3: ὑµᾶς δὲ ἄξιον µὴ τοὺς µὲν τῶν θεραπόντων λόγους πιστοὺς νοµίζειν, τοὺς δὲ τούτων ἀπίστους „Es ist aber für euch angemessen, nicht die Worte der Diener für πιστός zu halten, die von jenen aber für ἄπιστος“. Plato, Phaedr. 245c: ἡ δὲ δὴ ἀπόδειξις ἔσται δεινοῖς µὲν ἄπιστος, σοφοῖς δὲ πιστή. „Der Beweis aber wird den Vernünftigen ἄπιστος sein, den Weisen aber πιστός.“ Philo, Her. 93: ἀπιστῆσαι γενέσει τῇ πάντα ἐξ ἑαυτῆς ἀπίστῳ, µόνῳ δὲ πιστεῦσαι θεῷ τῷ καὶ πρὸς ἀλήθειαν µόνῳ πίστῳ „misstraut der Schöpfung, die in allem selbst ἄπιστος ist, aber vertraut auf Gott allein, der in Wahrheit allein πιστός ist“. 1
1. Als Ausgangspunkt für die Darstellung eines ersten Verwendungszusammenhangs dient ein Werk, das den ἄπιστος-Begriff bereits im Titel führt. Der griechische Schriftsteller Palaephatus schrieb im 4. Jahrhundert vor Christus eine Darstellung der griechischen Mythen unter dem Titel ΠΕΡΙ ΑΠΙΣΤΩΝ
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S.a. Polybius XVIII 35,7; Antipho, Or. 5,3; Or. 6,29; Isocrates, Or. 3,58; Plato, Phaed. 89d; Aristoteles, Rhet. 1376; Demosthenes, Orat. 34,49; Orat. 23,137; Polybius XVIII 35,7.
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Der ἄπιστοι-Begriff in der Umwelt des frühen Christentums
ΙΣΤΟΡΙΩΝ. Er sucht dort nach rationalistischen Erklärungen für die Entstehung der Mythen, die er offensichtlich als Geschichten und Erzählungen versteht, die ἄπιστος sind (τάδε περὶ τῶν ἀπίστων συγγέγραφα 2). Von den Menschen, so Palaephatus in der Einleitung seines Werkes, glauben einige alles aus diesen Erzählungen (πείθονται πᾶσι τοῖς λεγοµένοις), während andere nicht glauben (ἀπιστοῦσι), dass etwas derartiges geschehen ist. Palaephatus dagegen versucht einen Mittelweg zu gehen und den ‚wahren Kern` hinter den Mythen zu entdecken, denn seine Einsicht ist: „Einiges aber, was sich ereignet hat, haben Dichter und Geschichtenschreiber zu τὸ ἀπιστότερον καὶ θαυµαστώτερον verändert, damit die Menschen darüber staunen.“ 3 Bei der weiteren Lektüre dieses Werkes scheint es so, als widersprächen die von Palaephatus als ἄπιστοι ἱστορίαι bezeichneten mythischen Erzählungen seinem Konzept von Wahrheit, denn er hat sich auf die Suche nach der Wahrheit hinter dem Mythos begeben. Nach einer kurzen Einführung, die den Inhalt des jeweils zu behandelnden Mythos zusammenfasst, leitet er seine eigene Erklärung der Begebenheiten zumeist mit einem Satz, wie τὸ δὲ ἀληθὲς ἔχει ὧδε 4 oder ἔχει οὖν ἡ ἀλήθεια ὧδε 5 ein. Dieser bei Palaephatus belegte Gegensatz von ἄπιστος und ἀληθής beziehungsweise ἀλήθεια begegnet auch in anderen Texten: Antipho, Or. 5,3: ἄπιστοι γενόµενοι τοῖς ἀληθέσιν „ἄπιστοι wurden ihnen die Wahrheiten“. 6 Thucydides VI 33,1: ἄπιστα µὲν ἴσως, ὥσπερ καὶ ἄλλοι τινές, δόξω ὑµῖν περὶ τοῦ ἐπίπλου τῆς ἀληθείας λέγειν „ἄπιστα, wie manche andere, werden euch vielleicht meine Behauptungen von der Wahrheit des Angriffs mit der Flotte vorkommen“. Plato, Leg. 730c: ἵνα ὡς πλεῖστον χρόνον ἀληθὴς ὢν διαβιοῖ. πιστὸς γάρ: ὁ δὲ ἄπιστος ᾧ φίλον ψεῦδος ἑκούσιον „damit er möglichst lange Zeit ehrlich lebt. Denn (er ist) πιστός. Der ἄπιστος aber (ist einer), dem die freiwillige Lüge lieb (ist)“.
Dieses Gegenüber von ἄπιστος und ἀληθής beziehungsweise ἀλήθεια geht auch damit einher, dass jemand oder etwas, das als ἄπιστος verstanden wird, Gefahr läuft, in den Bereich des ‚Falschen` und der ‚Lüge` eingeordnet zu werden. Dies war so schon bei Plato, Leg. 730c ersichtlich. Ein ehrlicher Mann 2 3 4 5
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Palaephatus praef. Palaephatus praef. Palaephatus I: „Was aber wahr ist, verhält sich folgendermaßen.“ Palaephatus IV: „Die Wahrheit verhält sich allerdings folgendermaßen.“ Alternativ kommt an einigen Stellen eine Überleitung mit Wendungen wie ἐγένετο δέ τι τοιοῦτον. („Es geschah aber etwas derartiges.“ Palaephatus V) oder δοκεῖ δέ µοι ταῦτα εἶναι („Mir aber scheint es auf diese Weise zu sein.“ Palaephatus XXXIII) zum Einsatz. Vgl. Or. 6,29.
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wird hier als πιστός bezeichnet, wohingegen der ἄπιστος ein Lügner ist. In dieselbe Richtung weist auch folgender Text: Strabo IX 3,11: ἄτοπον γάρ [. . .] περὶ δὲ τοῦ µαντείου λέγοντες, ὃ πάντων ἐστὶν ἀψευδέστατον, τοῖς οὕτως ἀπίστοις καὶ ψευδέσι χρησόµεθα λόγοις „denn (es ist) widersinnig, [. . .] wenn vom Orakel gesprochen wird, was gegenüber allem am unverlogensten ist, wir also die Worte für ἄπιστος und erlogen halten“.
Hinzu kommt, dass etwas, das ἄπιστος ist, sich anscheinend außerhalb des beweisbaren Bereiches befindet. Chrysipp, Fragm. log. 268: καὶ εἰ µὲν οὐκ ἀπόδειξις, ἄπιστός ἐστιν, εἰ δὲ ἔστιν ἀπόδειξις, ἀπόδειξις ἔστιν. „Und wenn (es) keinen Beweis (gibt), ist es ἄπιστος, wenn aber ein Beweis (vorhanden) ist, ist es ein Beweis.“
Die semantische Opposition zu ἀλήθεια und ἀπόδειξις, sowie die Parallelität zu ψεῦδος haben gezeigt, dass etwas als ἄπιστος beschrieben wird, das nicht sicher beweisbar oder nachvollziehbar scheint. Etwas, das als ἄπιστος verstanden wird, widerspricht der Wahrheit und ist somit gleichermaßen der Lüge nahe. Diese Erkenntnis deckt sich auch mit folgendem Befund: Wird etwas als ἄπιστος bezeichnet, handelt es sich selten um Tatsachen, an deren Faktizität schwer zu zweifeln wäre, sondern zum Beispiel um mündliche Berichte, die den Rezipienten zu einer Bewertung ihrer Inhalte auffordern. Sprachlich ist dies insofern greifbar, als dass der ἄπιστος-Begriff häufig in Verbindung mit Begriffen des Sagens steht. Euripides, Iph. taur. 1293: ἄπιστον εἶπας µῦθον „Du erzählst eine Erzählung, die ἄπιστος ist.“ Palaephatus IV: ἔστι δὲ ἄπιστος καὶ ἀδύνατος ὁ λόγος. „Die Rede aber ist ἄπιστος und kraftlos.“ Josephus, Ant. XV 425: καὶ τοῦτον τὸν λόγον οἱ πατέρες ἡµῖν παρέδωκαν, οὐδ´ ἐστὶν ἄπιστον „Und diese Worte, die uns die Vätern überlieferten, sind nicht ἄπιστος“. 7
Es handelt sich also um den rezeptiven Akt, der mit dem Sagen und Hören einhergeht. Das heißt, es geht um die Beurteilung eines entsprechenden Sachverhalts durch den Rezipienten, der etwas als ἄπιστος oder πιστός wahrnimmt. Dieses rezeptive Moment begegnet in den Texten noch in einer weiteren semantischen Verbindung: nämlich in den, häufig in Verbindung mit ἄπιστος gebrauchten, Verben δοκέω und φαίνω, die auf den perspektivischen Charakter einer solchen Beurteilung hinweisen. 7
S.a. Antipho, Or. 6,29; Herodot III 80; Euripides, Hel. 1520; Aristophanes, Pax 131; Xenophon, Anab. VII 7,23f; Plato, Resp. 450d; Demosthenes, Orat. 34,49; Philo, Mos. I 200; P. Herc 1004. Col. 44,13; Josephus, Bell. VI 199; TAM III,1 34.
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Der ἄπιστοι-Begriff in der Umwelt des frühen Christentums
Plato, Euthyd. 295a: καὶ ἠµῖν µὲν ἄπιστον ἐδόκει τὸ πρᾶγµα εἶναι „Die Sache scheint uns aber ἄπιστος zu sein.“ Ep.Arist 296: Οἴοµαι δὲ καὶ πᾶσι τοῖς παραληψοµένοις τὴν ἀναγραφὴν ἄπιστον φανεῖται. „Ich glaube aber, allen Empfängern der Schrift wird sie ἄπιστος scheinen.“ Polybius X 14,8: ὥστε τοῖς ἀπρονοήτως θεωµένοις ἄπιστον φαίνεσθαι τὸ γινόµενον „so dass den unvorbereitet Schauenden das Geschehene ἄπιστος erschien“. 8
Letztlich finden sich auch einige Belege, in denen ein Begriff des Sagens zusammen mit einem Verb der Beurteilung steht. Herodot VII 209: κάρτα τε δὴ Χέρξῃ ἄπιστα ἐφαίνεται τὰ λεγόµενα εἶναι „Das Gesagte schien Xerxes im höchsten Maße ἄπιστος zu sein.“ Josephus, Ant. II 169: ἄπιστον µὲν οὐδὲν ἐδόκει τῶν ἠγγελµένων „von den Nachrichten hielt er nichts für ἄπιστος“ 9
Ein bestimmter Verwendungszusammenhang des ἄπιστος-Begriffs findet sich also im Kontext der Beurteilung eines Sachverhaltes – vornehmlich innerhalb der Rede. Das heißt, dass etwas von jemandem für ἄπιστος gehalten wird. Im Deutschen passt dafür am besten die Übersetzung „nicht glaubwürdig“. Eine solche Beurteilung ist, wie sich vor allem durch die semantische Verknüpfung mit Verben wie δοκέω und φαίνω gezeigt hat, immer von der je eigenen Perspektive abhängig. Die Verbindung von ἄπιστος und ἀλήθεια beziehungsweise ἀληθής hat darüber hinaus bereits gezeigt, dass ἄπιστος und πιστός Urteilskategorien bilden, die eine gewisse Affinität zu wahr (ἀληθής) und falsch (ψεῦδος) aufweisen. 2. Neben diesem vornehmlich auf vermittelte Sachverhalte und deren Beurteilung bezogenen Gebrauch des ἄπιστος-Begriffs begegnet das Adjektiv auch als personenbezogenes Attribut – und hier zumeist in einem ganz anderen Verwendungszusammenhang. Bei einem Blick auf das semantische Umfeld wird schnell deutlich, dass der ἄπιστος-Begriff in der Tendenz dazu dient, etwas Lasterhaftes zu beschreiben. Darauf verweisen die verschiedenen Begriffe, mit denen ἄπιστος in der griechischsprachigen Literatur verknüpft wird. ἄπιστος ἄδικος ἄθεος (Euripides, Hel. 1148) ἀχάριστοι ἢ ἀµελεῖς ἢ πλεονέκται ἢ ἄπιστοι ἢ ἀκρατεῖς ἄνθρωποι (Xenophon, Mem. II 6,19) ἄπιστον καὶ ἄφιλον (Plato, Leg. 705a)
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S.a. Pindar, Pyth. 10,50; Thucydides VIII 45,1; Demosthenes, Orat. 7,21; Orat. 20,10.164; Strabo VI 1,14; P. Oxy 16, 1869, 3; SibOr Prol.81. S. weiterhin Polybius IX 26a,2; Diodorus Sic. I 84,1.
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πονηρόν τε καὶ ἄπιστον (Plato, Phaed. 89d) ἀπίστῳ, δυσκόλῳ, φθονερῷ, ἀηδεῖ, βλαβερῷ (Plato, Phaedr. 241c) φθονερῷ, ἀπίστῳ, ἀδίκῳ, ἀφίλῳ, ἀνοσίῳ (Plato, Resp. 580a) ἄπιστος γὰρ ὁ φαῦλος καὶ κακοήθης (Aristoteles, Eth. eud. 1237b) ἄπιστος, γόης, πονηρός (Demosthenes, Orat. 19,109) φθονεροὺς ἀπίστους ἀχαρίστους (Demosthenes, Orat. 20,10) βάρβαρος καὶ ἄπιστος (Demosthenes, Orat. 23,135) κακοὺς καὶ ἀδίκους καὶ ἀπίστους καὶ ἄφρονας (Chrysipp, Fragm. mor. 668) πονηρὸς [. . .] καὶ ἄπιστος (Josephus Bell. III 372) ἀχάρ[ιστοι ἢ ἀµελε]ῖς ((mese-stigme)) ἢ πλε[ονέ]κτα[ι ἢ ἄπισ]τοι (P. Oxy 75,5048 Col. III,20)
Diese Auswahl bietet nur einen kleinen Teil der Begriffe, mit denen ἄπιστος in der Literatur verknüpft wird. 10 Es deutet sich aber bereits an, was mit dem ἄπιστος-Begriff ausgesagt werden soll, denn derartige Begriffe finden immer wieder dort Verwendung, wo von menschlichen Lastern berichtet und verwerfliches Handeln beschrieben wird. So ist es kaum verwunderlich, dass viele der hier aufgeführten Begriffe auch in neutestamentlichen Lasterkatalogen zu finden sind: zum Beispiel ἀδικία, κακία, πονηρία und φθόνος in Röm 1,29. 11 Beachtenswert ist jedoch, dass im Neuen Testament ἄπιστος, mit Ausnahme von Offb 21,8, nie Teil eines solchen Kataloges ist. Neben der semantischen Verbindung mit anderen Begriffen, stellt sich weiterhin die Frage, ob es einen spezifischen Verwendungszusammenhang des ἄπιστος-Begriffs im Rahmen der Beschreibung einer Person gibt. Dafür ist der Blick in ein Werk aus dem umfangreichen literarischen Erbe des griechischen Philosophen und Aristotelesschülers Theophrast sehr aufschlussreich. Es trägt den Titel ΧΑΡΑΚΤΗΡΕΣ ΗΘΙΚΟΙ. Dort listet Theophrast ohne offensichtlich erkennbare inhaltliche Zusammengehörigkeit und ohne systematische Ordnung 30 Darstellungen unterschiedlicher ‚Charaktere` auf. 12 Die jeweiligen Darstellungen sind dabei folgendermaßen aufgebaut: Einem kurzen einleitenden Halbsatz folgt jeweils die Formulierung ὁ δὲ . . . τοιοῦτὸς (τις), οἷος . . . („Der . . . ist einer, der . . .“), 13 mit welcher eine typologische Beschreibung der dem jeweiligen Charakter zuzuordnenden Verhaltensweise beginnt. Unter diesen 30 Einzeldarstellungen findet sich auch die Beschreibung eines ἄπιστος: Theophrast, Char. 18: ῎Εστιν ἀµέλει hἡi ἀπιστία ὑπόληψίς τις ἀδικίας κατὰ πάντων, ὁ δὲ ἄπιστος τοιοῦτός τις, οἷος . . . „Die ἀπιστία ist aber sicherlich die 10 S. z.B. den ausführlichen Lasterkatalog in Philo, Sacr. 32. 11 S.a. Gal 5,19ff; Kol 3,5; 1Tim 6,4; Tit 3,3; 1Petr 2,1; Offb 21,8. 12 Der deutsche Begriff ‚Charakter` entspricht im Griechischen eigentlich dem zweiten Teil des Buchtitels, nämlich ἠθικός („den Charakter betreffend“ vgl. Theophrast, Char. 6,2; 8,2). Theophrast ist der erste, der χαρακτήρ – eigentlich „Stempel“ oder „Prägung“ – in diesem Zusammenhang benutzt. „Von Theophrast her ist dann dieses Wort in den europäischen Sprachen übernommen worden.“ Steinmetz 2000, 96. 13 Vgl. Steinmetz 2000, 95.
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Vermutung irgendeiner Ungerechtigkeit gegen alle; der ἄπιστος aber ist einer, der . . .“.
Was dieser Einleitung an Beispielen für das Verhalten des ἄπιστος folgt, ist hier weniger von Interesse, als die Einordnung des ἄπιστος-Begriffs unter die Sammelbezeichnung χαρακτῆρες ἠθικοί. Denn eine derartige Zuordnung von ἄπιστος als einer charakterlichen Eigenschaft eines Menschen wird auch in anderen antiken Texten mittels des Begriffs ἦθος vorgenommen. Isocrates, Orat. 4,152: ἀλλ´ ἐν τοῖς ἤθεσι τοῖς αὐτοῖς διαµένουσιν, πρὸς µὲν τοὺς φίλους ἀπίστως, πρὸς δὲ τοὺς ἐχθροὺς ἀνάνδρως ἔχοντες „sondern bleiben in ihren Gewohnheiten, zu ihren Freunden sind sie ἄπιστος, den Feinden gegenüber aber feige“. Aeschines, Fals. leg. 54: καὶ τὸ ἦθος, ὡς ἐπίβουλον καὶ ἄπιστον „und der Charakter, wie hinterlistig und ἄπιστος“. 14
In eine ähnliche Richtung weisen auch solche Texte, in denen das ἄπιστος-Sein als φύσις bezeichnet wird. Menander, Sent. 1,860: ὡς ἔστ´ ἄπιστος ἡ γυναικεία φύσις „Wie ἄπιστος die weibliche Natur ist“. Philo, Legat. 339: ἦν µέντοι καὶ πρὸς τἄλλα πάντα τὴν φύσιν ἄπιστος „In der Tat war er in allen anderen Sachen der Natur nach ἄπιστος“. Josephus, Bell. I 255: φύσει γὰρ ἀπίστους εἶναι τοὺς βαρβάρους „denn der Natur nach seien die Barbaren ἄπιστος“. 15
Gemeinsam ist all diesen Texten, dass sie mit ἄπιστος etwas beschreiben, das ein Teil des menschlichen Seins ist. Unterschiedlich ist dabei nur die Akzentuierung, die durch die Begriffe ἦθος und φύσις in Bezug auf das ἄπιστος-Sein gesetzt wird. Während sich ersteres eher auf das Handeln und Verhalten bezieht, bezeichnet φύσις noch grundsätzlicher das, was dem Menschen im wahrsten Sinne des Wortes von Natur aus eigen ist. Was den Grund einer derartigen Beschreibung als ἄπιστος angeht, bleiben die Texte allerdings recht unspezifisch. Nichtsdestoweniger kann die Beschreibung des ἄπιστος-Seins eines Menschen sich sehr wohl auf konkrete Verhaltensweisen beziehen. Während Theophrast ausgehend vom ἄπιστος-Begriff eine typologische Verhaltensbeschreibung entfaltet, verwenden einige Autoren die ἄπιστος-Bezeichnung als unmittelbare Reaktion auf eine bestimmte Handlung oder ein Verhalten von Personen.
14 S.a. Aeschines, Ctes. 248; Plato, Leg. 705a. 15 S.a. Xenophon, Mem. II 6,19; Demosthenes, Orat. 23,137.
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Plato, Resp. 576a: ἐν παντὶ ἄρα τῷ βίῳ ζῶσι φίλοι µὲν οὐδέποτε οὐδενί, ἀεὶ δέ του δεσπόζοντες ἢ δουλεύοντες ἄλλῳ, ἐλευθερίας δὲ καὶ φιλίας ἀληθοῦς τυραννικὴ φύσις ἀεὶ ἄγευστος. – πάνυ µὲν οὖν. – ἆρ´ οὖν οὐκ ὀρθῶς ἂν τοὺς τοιούτους ἀπίστους καλοῖµεν; – πῶς δ´ οὔ; „Sie leben ihr ganzes Leben lang und niemals haben sie auch nicht einen Freund, sondern immer beherrschen oder dienen sie einem anderen. Wahre Freiheit und Freundschaft aber bleibt der tyrannischen Natur unbekannt. – Allerdings wohl. – Können wir solche nun nicht mit Recht ἀπίστους nennen? – Wie nicht?“ Ps. Aristoteles, Ath. pol. 19,1: καὶ γὰρ διὰ τὸ τιµωρεῖν τἀδελφῷ καὶ διὰ τὸ πολλοὺς ἀνῃπηκέναι καὶ ἀκβεβληκέναι, πᾶσιν ἦν ἄπιστος καὶ πικρός „denn wegen des Rächens seines Bruders und wegen des Tötens und Verbannens von Vielen, war er allen ἄπιστος und verhasst“. Josephus, Bell. III 372: εἶτ´ ἐὰν µὲν ἀφανίσῃ τις ἀνθρώπου παρακαταθήκην ἢ διαθῆται κακῶς, πονηρὸς εἶναι δοκεῖ καὶ ἄπιστος „Wenn aber jemand eines Menschen anvertrautes Gut vernichtet oder schlecht darüber verfügt, hält man ihn für boshaft und ἄπιστος“. 16
Begegnet der ἄπιστος-Begriff als personenbezogenes Attribut, so beschreibt er meist deren Handeln, Verhalten und Sein, was sich unter anderem in den semantischen Verbindungen mit ἦθος und φύσις niederschlägt. Dabei kann es sich sowohl um typologische Beschreibungen oder grundsätzliche Behauptungen – zum Beispiel, dass die Natur der Barbaren oder Frauen ἄπιστος ist – handeln, als auch um Bezeichnungen, die als Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten oder Handeln zu verstehen sind. Vor allem die Verknüpfung mit Begriffen wie πονηρός, φθονερός, κακός, ἄδικος und ἄφιλος macht deutlich, welche semantische Bedeutung dem ἄπιστος-Begriff in diesem Zusammenhängen zukommt. Damit ist auch der Unterschied zu dem unter 1. beschriebenen Verwendungszusammenhang ersichtlich: Während es sich dort mehr um eine intellektualistische Beurteilung eines Sachverhaltes handelte, begegnet der ἄπιστος-Begriff als personenbezogenes Attribut vornehmlich als Bewertung des Handelns und Verhaltens. Im Deutschen passt in diesem Verwendungszusammenhang am besten die Übersetzung „misstrauisch“ oder „nicht vertrauenswürdig“ - je nachdem, ob der Gebrauch aktivisch oder passivisch ist. 17 Den Gebrauch allein auf einen bestimmten Kontext von Handlungen und Verhaltensweisen einzugrenzen, ist nicht möglich. Drei semantische Felder begegnen jedoch besonders häufig: ‚Krieg` und ‚Militär` 18, ‚vor Gericht` 19 und ‚Freundschaft` 20. Es ist wenig verwunderlich, dass gerade in diesen Verwen-
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S.a. Plato, Phaedr. 240e; Pol. 443a; Aristoteles, Eth. eud. 1237b; Demosthenes, Orat. 25,66. S. dazu S. 34. Ps. Aristoteles, Ath. pol. 19; Dinarchus, Demosth. 97; Josephus, Bell. II 472; V 536. Aeschines, Fals. leg. 54; Aristoteles, Rhet. 1416a; Demosthenes, Orat. 19,109. Xenophon, Mem. II 6,19; Plato, Leg. 730c; Pol. 576a; Aristoteles, Eth. eud. 1237b; Demosthenes, Orat. 23,112.
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dungszusammenhängen häufig der ἄπιστος-Begriff begegnet, da beim Militär, vor Gericht und in Freundschaften das πιστός-Sein der anderen von zentraler Bedeutung ist und insofern das eventuelle ἄπιστος-Sein ebenso ein wichtiges Thema. Abschließend sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass der ἄπιστος-Begriff nie als Selbstbezeichnung auftaucht, sondern immer im Rahmen einer von außen an einen Sachverhalt oder eine Person herangetragenen Beurteilung Verwendung findet. Der oben bereits erwähnte, von der je eigenen Perspektive abhängige Charakter dieser Bezeichnung, ist also auch hier spürbar. 3. Zum Schluss der Betrachtung kommt noch ein weiterer Verwendungszusammenhang in den Blick, der eigentlich nicht für sich alleine besteht, sondern eine Mischform des unter 1. und 2. beschriebenen Gebrauchs ist. Und zwar kann die Bezeichnung einer Person als ἄπιστος aufgrund von deren Beurteilung eines Sachverhaltes als ἄπιστος geschehen. Das heißt, dass er oder sie etwas für ἄπιστος hält, macht die Person so sehr aus, dass er oder sie von anderen als ἄπιστος bezeichnet werden kann. Ein wichtiges Beispiel für diesen Gebrauch findet sich bei den Heilungsinschriften von Epidaurus 21: ἀνὴρ τοὺς τᾶς χηρὸς δακτύλους ἀκρατεῖς ἔχων πλὰν ἑνὸς ἀφίκετο ποὶ τὸν θεὸν ἱκέτας, θεωρῶν δὲ τοὺς ἐν τῶι ἱαρῶι [π]ίνακας ἀπίστει τοῖς ἰάµασιν καὶ ὑποδιέσυρε τὰ ἐπιγράµµα[τ]α, ἐγκαθεύδων δὲ ὄψιν εἶδε: ἐδόκει ὑπὸ τῶι ναῶι ἀστραγαλίζον[τ]ος αὐτοῦ καὶ µέλλοντος βάλλειν τῶι ἀστραγάλωι ἐπιφανέντα [τ]ὸν θεὸν ἐφαλέσθαι ἐπὶ τὰν χῆρα καὶ ἐκτεῖναί οὑ τοὺς δακτύλλους, ὡς δ´ ἀποβαίη, δοκεῖν συγκάµψας τὰν χῆρα καθ´ ἕνα ἐκτείνειν τῶν δακτύλων, ἐπεὶ δὲ πάντας ἐξευθύναι, ἐπερωτῆν νιν τὸν θεὸν, εἰ ἔτι ἀπιστησοῖ τοῖς ἐπιγράµµασι τοῖς ἐπὶ τῶµ πινάκων τῶν κατὰ τὸ ἱερόν, αὐτὸς δ´ οὐ φάµεν, ‚ὅτι τοίνυν ἔµπροσθεν ἀπίστεις αὐτο[ῖ]ς, οὐκ ἐοῦσιν ἀπίστοις, τὸ λοιπὸν ἔστω τοι`, φάµεν, ‚ἄπιστος ὄν[οµα]`. ἀµέρας δὲ γενοµένας ὐγιὴς ἐξῆλθε. (SIG 1168 III = IG IV 21.121) „Ein Mann, die Finger der Hand konnte er bis auf einen nicht rühren, kam zum Gott als Bittsteller. Als er die Tafeln im Heiligtum sah, glaubte er die Heilungen nicht und verspottete die Inschriften. Als er schlief, sah er ein Traumgesicht: Es schien, er spielte mit den Würfeln unterhalb des Tempels, und als er die Würfel werfen wollte, erschien der Gott, sprang auf die Hand und dehnte die Finger. Als er [der Gott] ging, schien es, krümmte er [der Mann] die Hand und streckte jeden der Finger einzeln. Nachdem er alle gerade gemacht hatte, fragte ihn der Gott, ob er noch immer den Inschriften auf den Weihetafeln im Heiligtum nicht glaube. Er aber sagte nein. ‚Weil du nun ihnen zuvor nicht glaubtest, [obwohl] sie
21 Der zu besprechende Text ist Teil eines größeren Zusammenhangs von 70 Inschriften aus der zweiten Hälfte des 4. Jhdt. v.Chr., die im Asklepiosheiligtum von Epidaurus gefunden worden sind. Zu Text und Übersetzungen aller Inschriften, sowie den Fragen der Komposition, Chronologie und Entstehungsgeschichte, s. genauer LiDonnici 1995; Herzog 1931.
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nicht ἄπιστος sind, von nun an,` sagte er, ‚soll dein Name ῎Απιστος sein.` Als es aber Tag wurde, ging er geheilt fort.“
Die aus Epidaurus überlieferte Heilungserzählung ist weniger wegen der berichteten Heilung, als wegen deren Rahmenhandlung von Interesse. Es wird zunächst berichtet, ein Bittsteller der zum Heiligtum kam, glaubte den Heilungen, die er auf den dort ausgestellten Tafeln 22 sah, nicht: ἀπίστει τοῖς ἰάµασιν. Diese Haltung gegenüber den geschilderten Heilungen führt zu einer bemerkenswerten Abschlusssequenz zwischen dem Gott und dem Mann während dessen Heilungstraum. Weil der Mann die Heilungen für ἄπιστος hält, obwohl sie nicht ἄπιστος sind, nennt ihn der Gott ἄπιστος. Die Beurteilung der Heilungen als ἄπιστος wird damit so sehr kennzeichnend, dass der Mann selbst als ἄπιστος bezeichnet werden kann. Eine Beschreibung des ἄπιστος-Seins von Menschen im Zusammenhang mit der Beurteilung eines Sachverhaltes findet sich auch in einigen anderen Texten: Plato, Resp. 450d οὔτε γὰρ ἀγνώµονες οὔτε ἄπιστοι οὔτε δύσνοι οἱ ἀκουσόµενοι. „Denn die Zuhörer sind weder unverständig noch ἄπιστος noch unvernünftig.“ Philo, Leg. III 164: δύσελπις µὲν γίνεται, εἰ νῦν µόνον ἀλλὰ µὴ καὶ αὖθις ἐλπίζει τὸν θεὸν ὀµβρήσειν αὐτῷ ἀγαθά, ἄπιστος δέ, εἰ µὴ πεπίστευκε καὶ νῦν καὶ ἀεῖ τὰς τοῦ θεοῦ χάριστας ἀφθόνως τοῖς ἀξίοις προσνέµεσθαι, ἄνους δέ, εἰ οἴεται τῶν συναχθέντων ἱκανὸς ἔσεσθαι φύλαξ ἄκοντος θεοῦ. „Er wird verzweifeln, wenn er hofft, dass Gott ihn nur jetzt gutes regnen lässt und nicht auch künftig, er ist aber ἄπιστος, wenn er nicht glaubt, dass jetzt und immer die Gaben Gottes reichlich den Würdigen zugeteilt werden, unverständig aber, wenn er meint, geeigneter Wächter der gesammelten Dinge zu sein wider Gottes Willen.“
Andersherum, nämlich vom ἄπιστος-Sein einer Person zum Rückschluss auf die fehlende Lauterkeit seiner Rede, funktioniert die Argumentation hingegen bei Aristoteles. Er schlägt als eine mögliche Taktik bei Gericht vor, sich nicht der Entkräftung der gegnerischen Argumente, sondern der Denunzierung des Gegners durch Gegenbeschuldigungen zu widmen. Aristoteles, Rhet. 1416a: ἄτοπον γὰρ εἰ ὃς αὐτὸς ἄπιστος, οἱ τούτου λόγοι ἔσονται πιστοί. „Denn es ist unwahrscheinlich, wenn er selbst ἄπιστος (ist), dass die Worte von diesem πιστός sein werden.“
22 Bei diesen πίνακες handelt es sich im Vergleich zu den in Steinstelen erhaltenen Heilungserzählungen, um kleine Holztafeln, die von dort Geheilten zum Dank aufgehängt wurden. Während die Sammlung der Heilungsberichte auf Stelen dem Willen der Dokumentation entspringen dürfte (vgl. Wolter 2009b, 101), wird die Funktion der offen zugänglichen πίνακες eher in Zeugnis, Bestärken der Heilungshoffnung und Überwindung von Skepsis gelegen haben; vgl. LiDonnici 1995, 18.28.
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Die oben beschriebenen Verwendungszusammenhänge sind aus folgenden Gründen sowohl voneinander zu unterscheiden, als auch eng miteinander verbunden: Unter 1. wird der ἄπιστος-Begriff als Beurteilungskategorie für einen Sachverhalt gebraucht. Im Blick ist dabei zunächst nur das Beurteilte. Unter 2. wird der ἄπιστος-Begriff als Beurteilungskategorie für einen Menschen gebraucht, der zumeist aufgrund eines bestimmten Verhaltens als ἄπιστος bezeichnet wird. Hier ist nur der oder die Beurteilte im Blick. Unter 3. hingegen begegnet eine Mischung von 1. und 2., denn hier entspricht das Verhalten, aufgrund dessen jemand als ἄπιστος bezeichnet wird, dem unter 1. beschriebenen Gebrauch des ἄπιστος-Begriffs. Im Blick ist hier also der Beurteilende, der damit aber zugleich selbst zum Beurteilten wird. Dieser Unterschied ist jedoch nur hinsichtlich der semantischen Rolle spürbar, welche die jeweilige Person, die mit dem ἄπιστος-Begriff bezeichnet wird, im Zusammenhang der Beurteilung einnimmt. Im Deutschen passt für diesen Verwendungszusammenhang am besten die Übersetzung „nicht gläubig“. 4. Die Beschreibung des Gebrauchs des ἄπιστος-Begriffs und vor allem die semantische Funktion der ἄπιστοι-Bezeichnung bereitet hinsichtlich ihrer Übersetzung in gewisser Weise Schwierigkeiten, denn das Adjektiv ἄπιστος kann sowohl aktivische, als auch passivische Bedeutung haben. 23 Das liegt daran, dass es als nomen actionis beide Diathesen des Verbs in sich trägt. 24 Im Gegensatz zum Deutschen oder Englischen, wo dieser Unterschied sprachlich abgebildet wird – z.b. nicht gläubig/not believing (aktivisch) und nicht glaubwürdig/not believable (passivisch) –, ist die griechische Sprache in dieser Hinsicht ambivalent. Der jeweilige Sinn ergibt sich nur aus dem Kontext. Zielsprachlich wird diese Ambivalenz zerstört und ein Übersetzer muss sich für eine Möglichkeit entscheiden. Der Unterschied zwischen aktivischer und passivischer Bedeutung lässt sich sehr gut an vier schon besprochenen Texten zeigen: a) Theophrast, Char. 18 und die epidaurische Inschrift beschreiben eine Person deren eigenes ἄπιστος-Sein auf eine andere Person oder Sache gerichtet ist. Der ἄπιστος ‚glaubt` oder ‚vertraut` einer Person oder Sache nicht (aktivisch): „nicht gläubig“ oder „misstrauisch“. b) Aristoteles, Rhet. 1416a und Josephus, Bell. III 372 beschreiben eine Person, deren ἄπιστος-Sein aus der Erfahrung der beschreibenden Person entspringt. Dem ἄπιστος wird nicht geglaubt/ihm wird nicht vertraut (passivisch): „nicht vertrauenswürdig“. 23 In dieser Weise unterscheidet auch LSJ, 189. 24 Was Morgan 2015, 31 zu πίστις und fides feststellt, gilt gleichermaßen für die anderen Nomina der πιστ*-Wortgruppe: Sie sind „‚action nominals`, nouns derived from verbs, which abandon distinctions of transitivity to encompass both acitve and passive meanings“ vgl. auch Erb 1964, 65.
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5. Gesondert soll abschließend noch ein Blick auf die Belegstellen der Septuaginta, sowie einer Stelle aus den Vitae Prophetarum geworfen werfen: Anders als möglicherweise zu erwarten, ist der ἄπιστος-Begriff in der Septuaginta nahezu abwesend. Neben Spr 17,6aLXX kommt er nur noch zweimal in Jes 17,10 vor. Dort allerdings nur als attributives Adjektiv (φύτευµα ἄπιστον καὶ σπέρµα ἄπιστον). Dieser Befund ist umso bemerkenswerter, als sein Gegenstück πιστός mit immerhin 75 Belegen aufwarten kann. Aber auch das Verb und Nomen der Privativformen der πιστ*-Wortgruppe sind äußerst selten. Das Verb ἀπιστέω begegnet fünfmal (2Makk 8,13; Weish 1,2; 10,7; 12,17; 18,13) und das Nomen ist nur einmal belegt (Weish 14,25). Beachtenswert ist dabei auch, dass es sich, abgesehen von Jesaja, der allerdings im Hebräischen keine zwingende Vorlage für den Gebrauch von ἄπιστος bietet, nur um Texte handelt, die keine hebräische Vorlage haben. Trotz des geringen Vorkommens des Begriffs, handelt es sich bei dem griechischen Zusatz in Spr 17,6a um ein wichtiges Beispiel für den Gebrauch des Begriffs: hier wird der ἄπιστος-Begriff, wie auch der πιστός-Begriff, in substantivierter und absoluter Form gebraucht. Damit bietet die Septuaginta, auch wenn der ἄπιστος-Begriff insgesamt sehr selten vorkommt, immerhin einen Beleg für die Möglichkeit einer Personenbezeichnung mittels des ἄπιστος-Begriffs. Spr 17 6a.7τοῦ πιστοῦ ὅλος ὁ κόσµος τῶν χρηµάτων τοῦ δὲ ἀπίστου οὐδὲ ὀβολός. οὐχ ἁρµόσει ἀφρονι χείλη πιστὰ οὐδὲ δικαίῳ χείλη ψευδῆ. „Des πιστός ist die ganze Welt des Vermögens, des ἄπιστος aber nicht ein Obolus (davon). Zu einem Törichten passen vertrauenswürdige Lippen nicht, auch nicht lügnerische Lippen zu einem Gerechten.“
Bei Vers 6a handelt es sich um einen, wahrscheinlich sekundären, griechischen Zusatz ohne hebräische Vorlage. πιστός verbindet Vers 6a mit Vers 7. Bemerkenswert ist dann die Gegenüberstellung zu ἄπιστος in Vers 6a. Durch diese Verknüpfung von 6a und 7 entsteht eine gewisse Parallelisierung von πιστός, χεῖλος πιστός und δίκαιος auf der einen und ἄπιστος, χεῖλος ψευδής und ἄφρων auf der anderen Seite. Der Gebrauch in Spr 17,6a.7 erinnert an den unter 1. beschriebenen Gebrauch 25 von ἄπιστος im Zusammenhang mit ψεῦδος und beschreibt vor allem jemanden, auf dessen Wort nicht zu trauen ist. Neben Spr 17,6a ist ἄπιστος noch als alternative Lesart von Spr 28,25 in zwei Handschriften belegt. Die Codices Sinaiticus und Vaticanus überliefern statt des attributiven Adjektivs ἄπληστος („unersättlich“) an dieser Stelle ἄπιστος: „Der ἄπιστος ἀνὴρ entscheidet willkürlich, wer aber auf den Herrn vertraut, wir Versorgung erhalten.“ Neben diesem verschwindend geringen
25 Vgl. insbesondere Plato, Leg 730c (s.o. 26).
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Gebrauch in der Septuaginta, findet sich sich noch ein einziger Beleg in den Vitae Prophetarum: VitProph 315Οὗτος ἡρπάγη ἐκεῖθεν καὶ ἦλθεν εἰς ᾿Ιερουσαλὴµ εἰς ἔλεγχον τῶν ἀπίστων. „Dieser wurde von dort entrückt und kam nach Jerusalem, damit er die ἄπιστοι überführe.“
Vers 15 der Ezechielvitae beschreibt dessen Entrückung nach Jerusalem (vgl. Ez 8,3). Diese Entrückung macht ihn gleichermaßen zum Propheten der Diaspora in Babylon, wie auch in der Heimat, Jerusalem. 26 Auf die Gegebenheiten in Jerusalem, sowie Ezechiels prophetische Aufgabe und Funktion dort, geht die Vitae nicht weiter ein. Die Bezeichnung der dort lebenden Menschen als ἄπιστοι geht über die Vorlage des Ezechielbuches hinaus. 27 Möglicherweise spielt diese Bezeichnung auf die als ( תועבותἀνοµίαι) „Greuel“ beschriebenen Verhältnisse im Tempel an, die Gott Ezechiel nach seiner Entrückung sehen lässt (Ez 8,3–18). Die ἄπιστοι-Bezeichnung würde dementsprechend das Verhalten der Jerusalemer interpretieren und mit ἄπιστος wäre ihr Verhalten gegenüber Gott und dem Tempel beschrieben.
Zusammengefasst 1. Der ἄπιστος-Begriff ist in der griechischsprachigen Literatur vor Paulus weit verbreitet. Weder lässt er sich auf eine bestimmte Gattung von Schriften noch auf eine bestimmte Epoche eingrenzen. Nur in der Septuaginta lassen sich überraschend wenige Belege finden. 2. Hinsichtlich Gebrauch und Bedeutung konnten verschiedene Verwendungszusammenhänge festgestellt werden: a) Zunächst begegnet der ἄπιστος-Begriff als Bewertungskategorie eines Sachverhaltes. Es handelt sich dabei um die Beurteilung von etwas Wahrgenommenem aus der je eigenen Perspektive. Die ἄπιστος-Bezeichnung meint dabei vor allem ein intellektualistisches Nicht-Für-Wahr-Halten, was sich vor allem durch die semantischen Verknüpfung mit ψεῦδος bei gleichzeitiger Opposition zu ἀληθής und die häufige Verbindung mit Verben der Wahrnehmung zeigt. b) Als personenbezogenes Attribut beschreibt der ἄπιστος-Begriff vor allem Handeln, Verhalten und Sein des Menschen. Dies ergibt sich schon rein begrifflich durch die semantische Verbindung von ἄπιστος und ἦθος oder φύσις. 26 Vgl. Schwemer 1995, 286. 27 Vgl. Schwemer 1995, 286.
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Andererseits kann die ἄπιστος-Bezeichnung aber auch aus einem konkreten Handeln oder Verhalten eines Menschen resultieren. Inhaltlich hat ἄπιστος eine klare Affinität zum Lasterhaften, was durch die semantische Verknüpfung mit Begriffen wie πονηρός, φθονερός, κακός, ἄδικος und ἄφιλος deutlich in den Texten spürbar ist. c) Letztlich wird in einigen wenigen Texten eine Brücke zwischen den beiden ersten Verwendungszusammenhängen geschlagen. Vor allem in der dargestellten Inschrift aus Epidaurus hat sich gezeigt, dass in Folge der Beurteilung eines Sachverhaltes als ἄπιστος auch der Beurteilende selbst als ἄπιστος bezeichnet werden kann. 3. Der ἄπιστος-Begriff kann im Griechischen sowohl aktivische (z.B. nicht gläubig) als auch passivische (z.B. nicht glaubwürdig) Bedeutung haben. Der Sinn ergibt sich jeweils im Kontext. Möglicherweise intendierte Ambivalenz in der Ursprache wird bei einer Übersetzung ins Deutsche zwangsläufig eingegrenzt, denn das Deutsche kann den Unterschied zielsprachlich abbilden. 4. Abschließend und mit Blick auf die folgende Untersuchung von Gebrauch und Bedeutung in den Briefen des Paulus, stellt sich die Frage, inwiefern die hier dargestellten Verwendungszusammenhänge für Paulus ausschlaggebend sind. Sicherlich hat Paulus weder den ἄπιστος-Begriff für sich neu erfunden, noch ist anzunehmen, dass der Gebrauch völlig losgelöst von seinem sozio-kulturellem Kontext vollkommen anders verstanden werden sollte oder konnte. Es ließ sich jedoch in den Texten der Umwelt nicht feststellen, dass die Abgrenzung einer Person als ἄπιστος von einer bestimmten semantischen Ausrichtung geprägt wäre. Es liegt also kein geprägter Begriffsinhalt vor, den Paulus aufnehmen oder übergehen könnte. Für den Gebrauch bei Paulus wird sich feststellen lassen, dass sich für ihn der Begriffsinhalt der ἄπιστοι-Bezeichnung ausschließlich aus dessen Gegenüber zu den πιστεύοντες und der sie bestimmenden πίστις ergibt. Das heißt, dass Paulus mit der ἄπιστοι-Bezeichnung weniger über die Bezeichneten aussagt, als über ihren defizitären Unterschied gegenüber seinen eigentlichen Adressaten, den πιστεύοντες. Hinsichtlich des Verwendungszusammenhangs des Begriffs hat sich gezeigt, dass die Bezeichnung einer Person als ἄπιστος in den Texten der Umwelt sehr wohl vorkommt. Jedoch handelt es sich in der Regel um die Bezeichnung einer Person. Werden mehrere Personen unter dieser Bezeichnung zusammengefasst, geschieht dies vor allem in der Binnenperspektive: das heißt, nicht eine gesamte Gruppe wird in den Blick genommen, sondern ein Teil einer Gruppe, eine ‚Unter-Gruppe`, wird als ἄπιστος abgesondert. 28 Für den Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung, wie er sich bei Paulus findet,
28 Vgl. Trebilco 2017, 46.
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Der ἄπιστοι-Begriff in der Umwelt des frühen Christentums
nämlich im Sinne einer Abgrenzung aller Menschen, die nicht Teil der ‚Drinnen`-Gruppe der πιστοί oder πιστεύοντες sind, konnte in den Texten der Umwelt kein Beleg gefunden werden. Das ist insofern bemerkenswert, weil damit auch deutlich wird, dass der Begriff in den Texten der Umwelt im Zusammenhang der Bestimmung von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit, so wie Paulus ihn gebraucht, keine besondere Rolle spielt.
4 Die ἄπιστοι und die πιστεύοντες in den Paulusbriefen Es steht außer Frage, dass Paulus den ἄπιστος-Begriff und alle anderen Begriffe der πιστ*-Wortgruppe nicht losgelöst von ihrer semantischen Tradition und in der Umwelt bekannten und gebräuchlichen Verwendungszusammenhängen gebraucht. 1 Auffällig ist allerdings die nahezu ausschließliche Ausrichtung der Begriffe der πιστ*-Wortgruppe auf Jesus Christus und die Selbstverständlichkeit des Gebrauchs bei Paulus in diesen Verwendungszusammenhängen. 2 Im Anschluss an die Diskussion der Belegstellen in den Paulusbriefen wird daher zu fragen sein, inwieweit Paulus den Gebrauch des Begriffs aus der Umwelt aufnimmt und wo er innovativ ist. Zunächst soll nun im Vorfeld der Untersuchung der einzelnen Belegstellen der Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung im Überblick behandelt werden, vor allem hinsichtlich der Verteilung innerhalb der πιστ*-Wortgruppe und im Vergleich zu der Bezeichnung οἱ πιστεύοντες. 1. Für Paulus und die ihm nachfolgenden neutestamentlichen Autoren ist πιστεύοντες zweifellos einer der maßgeblichen Begriffe, mit denen sie beschreiben, was die Zugehörigkeit zu Jesus Christus, wie auch das gegenseitige Verhältnis unter denen, die an ihn glauben, ausmacht. In den Paulusbriefen ist diese herausragende Stellung des Begriffs schon alleine dadurch bemerkbar, dass πίστις quantitativ nur von den Begriffen θεός, κύριος und Χριστός übertroffen wird. Das Substantiv πίστις ist 91mal in den Briefen des Apostels Paulus belegt, das zugehörige Verb πιστεύω 42mal (im ganzen NT sind es jeweils nicht weniger als 243mal) und das Adjektiv πιστός 9mal (im gesamten NT 67mal). Hinsichtlich der zur πιστ*Wortgruppe gehörenden Privativformen ist zu vermerken, dass diese weit seltener in den Briefen des Paulus zu finden sind als ihre Positivformen: ἀπιστία 4mal (Röm 3,3; 4,20; 11,20.23), ἀπιστέω nur 1mal (Röm 3,3) und ἄπιστος 14mal (1Kor 6,6; 7,12–15; 10,27; 14,22–24; 2Kor 4,4; 6,14f). 3 Das Verhältnis von Substantiv, Verb und Adjektiv zueinander hat sich allerdings umgekehrt. Das Adjektiv ἄπιστος, das sogar seinen positiven Gegenbegriff πιστός überbietet, ist weit häufiger als Substantiv
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„New communities forming themselves within an existing culture do not typically take language in common use in the world around them and immediately assign it to radical new meanings.“ Morgan 2015, 4. Vgl. Schliesser 2011, 23 f. Zum Vergleich die Verteilung im ganzen Neuen Testament: ἀπιστία 11mal (neben Paulus noch Mt 13,58; Mk 6,6; 9,24; 16,14; 1Tim 1,13; Hebr 3,12.19), ἀπιστέω 8mal (neben Paulus noch Mk 16,11.16; Lk 24,11.41; Apg 28,24; 2Tim 2,13; 1Petr 2,7) und ἄπιστος 23mal (neben Paulus noch Mt 17,17; Mk 9,19; Lk 9,41; 12,46; Joh 20,27; Apg 26,8; 1Tim 5,8; Tit 1,15; Offb 21,8).
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und Verb belegt, die ihrerseits jeweils weit hinter ihren positiven Gegenbegriffen zurückbleiben.
Darüber hinaus unterstreichen die semantischen Verbindungen der πιστ*Wortgruppe deren Bedeutung in den Paulusbriefen: zum einen die christologische Ausrichtung, sichtbar vor allem in der Genitivkonstruktion πίστις (᾿Ιησοῦ) Χριστοῦ 4, aber auch durch die zu πίστις und πιστεύω gehörenden Objekte – beispielsweise εἰς Χριστὸν ᾿Ιησοῦν ἐπιστεύσαµεν 5; εἰς αὐτὸν πιστεύειν 6; τὴν πίστιν, ἣν ἔχεις πρὸς τὸν κύριον ᾿Ιησοῦν 7; πίστεως ἐν Χριστῷ ᾿Ιησοῦ 8 –, zum anderen die enge Verbindung von πίστις und δικαιοσύνη. Insgesamt 32 Belege der πιστ*-Wortgruppe stehen in unmittelbarer Nähe eines Begriffs des δικαι*-Stammes, häufig mittels der präpositionalen Wendung ἐκ πίστεως 9: δικαιωθέντες ἐκ πίστεως 10; δικαιοσύνη ἐκ πίστεως 11; δικαιωθῶµεν ἐκ πίστεως (Χριστοῦ) 12; ἐκ πίστεως ἐλπίδα δικαιοσύνης 13. 2. Da den Begriffen der πιστ*-Wortgruppe bei Paulus eine derart zentrale Stellung in Sprache und Theologie zukommt, ist es kaum verwunderlich, dass Paulus mit ihrer Hilfe nicht nur die Rahmenbedingungen für das Hinzukommen beschreibt, 14 sondern mit den Begriffen der πιστ*-Wortgruppe auch die andauernde Zugehörigkeit formuliert. 15 Das äußert sich sprachlich folgendermaßen in den Briefen des Paulus: στήκω ἐν τῇ πίστει („im Glauben stehen“) 16, πίστις ἔχω („Glauben haben“) 17, εἰµί ἐν τῇ πίστει („im Glauben sein“) 18, ἐν πίστει ζάω („im Glauben leben“) 19. Letztlich trifft dies auch auf alle Stellen zu, an denen Paulus von der πίστις ὑµῶν spricht. 20 Es ist besonders die zen4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
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Röm 3,22; Gal 2,16; 3,22; Phil 3,9. Gal 2,16. Phil 1,29. Phlm 5. Gal 3,26. Insgesamt 21mal in den Paulusbriefen, allerdings ausschließlich in Röm und Gal. Röm 5,1. Röm 9,30; 10,6. Gal 2,16; 3,24. Gal 5,5. Röm 5,2: δι´ οὗ [sc. Jesus Christus] καὶ τὴν προσαγογὴν ἐσχήκαµεν τῇ πίστει εἰς τὴν χάριν („Durch den [sc. Jesus Christus] wir auch den Zugang haben, im Glauben, zur Gnade“); 1Kor 15,2: ἐκτὸς εἰ µὴ εἰκῇ ἐπιστεύσατε („wenn nicht, hättet ihr umsonst geglaubt“); οὕτως κηρύσσοµεν οὕτως ἐπιστεύσατε („so verkünden wir und so habt ihr geglaubt“ 1Kor 15,11); Gal 3,23–25: πρὸ τοῦ δὲ ἐλθεῖν τὴν πίστιν [. . .] ἐλθούσης δὲ τῆς πίστεως („Bevor aber der Glaube kam [. . .] da aber der Glaube gekommen ist“). Vgl. Wolter 2011, 82 f.; Becker 1989, 440. 1Kor 16,13; vgl. Röm 11,20; 2Kor 1,24. Röm 14,22; Phlm 5. 2Kor 13,5. Gal 2,20. Röm 1,8.12; 1Kor 2,5; 15,14.17; 2Kor 1,24; 10,15; Phil 2,17; 1Thess 1,8; 3,2.5.6.7.10.
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trale Funktion im Zusammenhang der Beschreibung von Zugehörigkeit, die Paulus den Begriffen der πιστ*-Wortgruppe zukommen lässt, die gegenüber dem Sprachgebrauch der gesamten Umwelt innovativ ist. 21 Im Prozess des Experimentierens und Suchens nach Begriffen, mit denen sich die Zugehörigkeit zu Jesus Christus und der ihm folgenden Gruppe beschreiben lässt, hat sich die auf ihn hin gerichtete πίστις als einer der wichtigsten Identitätsmarker entwickelt. Diese ekklesiologische Relevanz der Begriffe der πιστ*-Wortgruppe hat die ‚new perspective on Paul` hervorgehoben. Ursprünglich vor allem gegen eine lutherisch geprägte Verengung auf die individuell-soteriologische Ausrichtung der Begriffe gerichtet, betonen deren Vertreter den Zusammenhang der Frage von πίστις und δικαιοσύνη mit der Konstituierung der Ekklesia sowohl aus Juden als auch aus Heiden, sowie die Situierung der Diskussion innerhalb des Judentums. 22 Die damit hinfällig gewordenen Grenzen mussten von den Autoren des Neuen Testaments durch neue Zugehörigkeits- und Abgrenzungsmerkmale ersetzt werden. Der πίστις kommt dabei der maßgebliche Faktor bei der Stiftung einer neuen Art von Zugehörigkeit zu. 3. Am deutlichsten tritt die ekklesiologische Funktion der πιστ*-Wortgruppe zu Tage, wenn Paulus von denen, die durch πίστις Teil der Ekklesia sind, als οἱ πιστεύοντες 23, und von denen, die es nicht sind, als οἱ ἄπιστοι 24 spricht. Beide Bezeichnungen zusammen gebraucht Paulus in 1Kor 14,22: ὥστε αἱ γλῶσσαι εἰς σηµεῖόν εἰσιν οὐ τοῖς πιστεύουσιν ἀλλὰ τοῖς ἀπίστοις, ἡ προφητεία οὐ τοῖς ἀπίστοις ἀλλὰ τοῖς πιστεύουσιν. 22 „So sind die Sprachen zum Zeichen, nicht für die Glaubenden, sondern für die Nichtgläubigen, die Prophetie aber nicht für die Nichtgläubigen, sondern für die Glaubenden.“ 22
Auffällig ist, dass Paulus für die Beschreibung der ‚Drinnen`-Gruppe auf ein substantiviertes Partizip zurückgreift, während er die ‚Draußen`-Gruppe mittels substantiviertem Adjektiv beschreibt. Gemeinsam ist beiden Bezeichnungen in 1Kor 14,22 und den übrigen Belegstellen, dass es sich um substantivierte Formen handelt, häufig mit Artikel. Beide gebraucht Paulus absolut, das heißt, es fehlt jeglicher Bezug darauf, was der Inhalt des πιστεύειν der πιστεύοντες ist, und inwiefern die ἄπιστοι ἄπιστος sind. Der Grund für die Wahl einer 21 Gerade diese der πίστις zukommende „soziale Funktion [. . .], ist gegenüber dem gesamten außerchristlichen – dem jüdischen, wie dem nichtjüdischen – Sprachgebrauch einzigartig“. Wolter 2011, 83. 22 Z.B. Dunn 2008; Watson 1986; Sanders 1977; Stendahl 1976. 23 Röm 1,16; 3,22; 4,5.11.24; 10,4; 1Kor 1,21; 14,22; Gal 3,22; 1Thess 1,7; 2,10.13; s.a. οἱ ἐκ πίστεως in Gal 3,7.9. 24 1Kor 6,6; 7,12–15; 10,27; 14,22–24; 2Kor 4,4; 6,14 f.
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Die ἄπιστοι und die πιστεύοντες in den Paulusbriefen
verbalen Form im Gegenüber zu einem Adjektiv dürfte bei den unterschiedlichen Eigenschaften der Wortarten zu finden sein: Die vom Verb πιστεύω aus gebildete Bezeichnung οἱ πιστεύοντες beschreibt die Bezeichneten damit als solche, die nicht nur im Glauben sind, sondern diesen auch ‚tun`. Das heißt, ein πιστεύων sein, ist ein aktiver Prozess. Mit dem Adjektiv ἄπιστοι hingegen ist lediglich der Seinszustand der Bezeichneten beschrieben. Sie sind diejenigen, die nicht glauben, ohne etwas dafür getan haben zu müssen. Eine zweite Auffälligkeit liegt in der Verteilung der Bezeichnungen auf alle Paulusbriefe: Während die ἄπιστοι-Bezeichnung auf die Briefe an die Ekklesia von Korinth beschränkt ist, ist die πιστεύοντες-Bezeichnung im Gegenzug neben 1Kor noch in Röm, Gal und 1Thess zu finden. Über den Grund lässt sich nur spekulieren. Es ist zwar durchaus möglich, dass Paulus die ἄπιστοι-Bezeichnung aus dem in Korinth geprägten Sprachgebrauch übernimmt. 25 Das erklärt jedoch nicht, warum Paulus die Bezeichnung dann nicht auch in den folgenden Briefen aufgenommen hat. Dass die Bezeichnung in 1/2Kor präsent ist, ist allerdings wenig verwunderlich, muss Paulus doch vor allem in 1Kor das Verhältnis der Ekklesia zu der sie umgebenden Welt hinsichtlich der verschiedensten alltäglichen Probleme diskutieren. Das zeigt sich auch darin, dass die ἄπιστοι-Bezeichnung immer in einem Verwendungszusammenhang begegnet, in dem auch die Belange der Ekklesia Thema sind. 4. Verschiedene Gründe, die hier zum Teil bereits angesprochen wurden, und andere, die im Folgenden ausführlich zu diskutieren sind, führen zu der Entscheidung, die Bezeichnung οἱ ἄπιστοι in den Paulusbriefen nicht wie üblich mit „die Ungläubigen“ zu übersetzen, sondern mit „die Nichtgläubigen“. Es lassen sich drei Punkte zusammenfassen, die diese Entscheidung unterstützen. Alle Punkte bedingen sich gegenseitig und weisen darauf hin, dass Paulus weder eine bestimmte Gruppe von Menschen als ἄπιστος beschreiben will noch den ihnen eigenen ‚Unglauben` oder ‚Falschglauben` (deskriptiver Gebrauch). a) Bei der ἄπιστοι-Bezeichnung handelt es sich um einen Kontrastbegriff, der die ‚Draußen` im Gegenüber zu den ‚Drinnen`, und nicht die ‚Draußen` selbst beschreibt. Das bedeutet, die ἄπιστοι sind nur deshalb die ἄπιστοι, weil sie nicht die πιστεύοντες sind = ‚die Nichtgläubigen`. b) Der absolute Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung, das heißt, der fehlende Bezug ihres ἄπιστος-Seins, weist ebenfalls darauf hin, dass es Paulus vornehmlich nicht um die ἄπιστοι selbst geht. Das bedeutet, dass die ἄπιστοι nicht die sind, die etwas Falsches glauben oder im Unglauben sind, sondern die, die nicht glauben = ‚die Nichtgläubigen`. c) Zuletzt wird zu zeigen sein, dass Paulus die ἄπιστοι-Bezeichnung vor allem normativ gebraucht 26 und deren rhetorische Funktion daher im Beson25 Vgl. Schenk 1995, 1396 Anm. 126. 26 S.o. S. 15.
Die ἄπιστοι und die πιστεύοντες in den Paulusbriefen
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deren die Leserlenkung ist. Das bedeutet, Paulus redet nicht über die und mit den ἄπιστοι, sondern mit den πιστεύοντες. Der Begriffsinhalt der ἄπιστοι-Bezeichnung und die damit verbundene Pragmatik ergibt sich allerdings erst in seinem jeweiligen Verwendungszusammenhang. Diesen Gebrauch zu beschreiben und die skizzierten Thesen auszuführen ist Anliegen der folgenden Kapitel zu den einzelnen Belegstellen der ἄπιστοι-Bezeichnung.
5 ἄπιστοι und ἄδικοι – 1Kor 6,1–11 Zum ersten Mal in 1Kor, und damit zum ersten Mal in allen seinen Briefen, verwendet Paulus die ἄπιστοι-Bezeichnung in 1Kor 6,6, und zwar im Rahmen der Frage danach, wie sich Glaubende gegenüber den ‚Draußen` zu verhalten haben. Das Verhältnis der Glaubenden in Korinth zu den ‚Draußen` bringt Paulus deshalb zur Sprache, weil es innerhalb der Ekklesia ein Problem hinsichtlich des rechten Umgangs mit Rechtsstreitigkeiten untereinander gab. Diese Rechtsstreitigkeiten (πρᾶγµα V. 1) trugen die Glaubenden offensichtlich vor Personen aus, die für Paulus als ἄπιστοι (V. 6) und ἄδικοι (V. 1) zu bezeichnen sind, statt sie vor diejenigen zu bringen, die als ἅγιοι (V. 1) gelten. Paulus führt in 1Kor 6 damit eine von ihm bereits in 1Kor 5 eröffnete Diskussion um das rechte Drinnen-Draußen-Verhältnis (οἱ ἔσω gegen οἱ ἔξω) der Ekklesia fort, indem er den Glaubenden vorwirft, ihre Streitigkeiten nach draußen zu den ἄπιστοι und ἄδικοι zu tragen, anstatt diese drinnen unter den ἅγιοι zu klären.
5.1 Analyse 1Kor 6 1Τολµᾷ τις ὑµῶν πρᾶγµα ἔχων πρὸς τὸν ἕτερον κρίνεσθαι ἐπὶ τῶν ἀδίκων καὶ οὐχὶ ἐπὶ τῶν ἁγίων; 2ἢ οὐκ οἴδατε ὅτι οἱ ἅγιοι τὸν κόσµον κρινοῦσιν; καὶ εἰ ἐν ὑµῖν κρίνεται ὁ κόσµος, ἀνάξιοί ἐστε κριτηρίων ἐλαχίστων; 3οὐκ οἴδατε ὅτι ἀγγέλους κρινοῦµεν, µήτι γε βιωτικά; 4βιωτικὰ µὲν οὖν κριτήρια ἐὰν ἔχητε, τοὺς ἐξουθενηµένους ἐν τῇ ἐκκλησίᾳ, τούτους καθίζετε; 5πρὸς ἐντροπὴν ὑµῖν λέγω. οὕτως οὐκ ἔνι ὑµῖν οὐδεὶς σοφός, ὃς δυνήσεται διακρῖναι ἀνὰ µέσον τοῦ ἀδελφοῦ αὐτοῦ; 6ἀλλ´ ἀδελφὸς µετὰ ἀδελφοῦ κρίνεται καὶ τοῦτο ἐπι ἀπίστων; 7 ῎Ηδη µὲν οὖν ὅλως ἥττηµα ὑµῖν ἐστιν ὅτι κρίµατα ἔχετε µεθ´ ἑαυτῶν. διὰ τί οὐχὶ µᾶλλον ἀδικεῖσθε; διὰ τί οὐχὶ µᾶλλον ἀποστερεῖσθε; 8ἀλλ´ ὑµεῖς ἀδικεῖτε καὶ ἀποστερεῖτε, καὶ τοῦτο ἀδελφούς. 9 ᾿Η! οὐκ οἴδατε ὅτι ἄδικοι θεοῦ βασιλείαν οὐ κληρονοµήσουσιν; µὴ πλανᾶσθε: οὔτε πόρνοι οὔτε εἰδωλολάτραι οὔτε µοιχοὶ οὔτε µαλακοὶ οὔτε ἀρσενοκοῖται 10 οὔτε κλέπται οὔτε πλεονέκται, οὐ µέθυσοι, οὐ λοίδοροι, οὐχ ἅρπαγες βασιλείαν θεοῦ κληρονοµήσουσιν. 11καὶ ταῦτά τινες ἦτε: ἀλλ´ ἀπελούσασθε, ἀλλ´ ἡγιάσθητε, ἀλλ´ ἐδικαιώθητε ἐν τῷ ὀνόµατι τοῦ κυρίου ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ καὶ ἐν τῷ πνεύµατι τοῦ θεοῦ ἡµῶν. „1Wagt etwa einer von euch, der eine Rechtssache gegen den anderen hat, vor den Nichtgerechten sein Recht zu suchen und nicht vor den Heiligen? 2Wisst ihr denn nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden? Und wenn von euch die Welt gerichtet wird, seid ihr unwürdig für die geringsten Rechtshändel? 3Wisst ihr nicht, dass wir Engel richten werden, geschweige denn über Alltägliches? 4 Wenn ihr nun über Alltägliches das Gericht inne habt, setzt ihr diejenigen ein, die in der Versammlung nichts gelten? 5Zu eurer Schande, sage ich (dies)! So ist also kein Weiser unter euch, der im Stande wäre zwischen seinem Bruder zu
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ἄπιστοι und ἄδικοι – 1Kor 6,1–11
richten? 6Sondern ein Bruder sucht sein Recht mit einem Bruder, und dies vor Nichtgläubigen? 7 Es ist überhaupt schon eine Niederlage, dass ihr Rechtssachen miteinander habt. Warum lasst ihr euch nicht eher Unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht eher bestehlen? 8Sondern ihr tut Unrecht und stehlt, und dies an Brüdern. 9 Wisst ihr nicht, dass Nichtgerechte das Königreich Gottes nicht erben werden? Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Weichlinge noch Päderasten 1 10noch Diebe noch Habsüchtige noch Trinker noch Lästerer noch Räuber werden das Königreich Gottes erben. 11Und dies waren einige (von euch). Aber ihr seid gewaschen, geheiligt und gerecht im Namen des Herrn Jesus Christus und dem Geist unseres Gottes.“
Ausgangspunkt der paulinischen Argumentation in 1Kor 6,1–11 ist eine zu bemängelnde Rechtspraxis einiger Mitglieder der Ekklesia von Korinth. Im Anschluss an 1Kor 5 kommt Paulus in diesem Zusammenhang auf deren Drinnen-Draußen-Verhältnis zu sprechen. Im Sinne der zumindest unterschwellig drängenden Frage von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit sowie den folgenden Implikationen für das Verhalten der korinthischen Ekklesia zu der sie umgebenden Welt lässt sich der Abschnitt 1Kor 6, 1–11 wie folgt gliedern: a) 1–6 Das Verhältnis der Ekklesia zur Welt (κόσµος) aus Anlass der verkehrten Rechtspraxis (drinnen-draußen). b) 7 f. Das rechte Verhalten der Ekklesia untereinander mit der grundlegenden Kritik, überhaupt Rechtshändel zu haben (drinnen-drinnen). c) 9–11 Die Erinnerung an die Zugehörigkeit zu den Glaubenden im Jetzt mit Warnung vor dem Rückfall in das vorherige Einst (Einst-Jetzt).
Manche Gliederungsvorschläge betonen vor allem den Einschnitt zwischen den Versen 8 und 9. 2 Im Übergang von Vers 6 auf 7 ist allerdings ein weit entscheidenderer Einschnitt zu sehen. Deutlich ist dies schon durch die Aufnahme der Formulierung κρίνοµαι ἔπι [τίνων] aus Vers 1 in Vers 6, die einen Rahmen um eine in sich geschlossene Einheit bildet. Aber auch inhaltlich sind die Verse 1–6 in sich geschlossen, denn dort bespricht Paulus das Verhältnis
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Eine einheitliche Übersetzung von µαλακοί und ἀρσενοκοῖται hat sich in der Literatur nicht durchgesetzt, und die Bedeutung der Begriffe ist umstritten. Im weitesten Sinne bezeichnen sie, wie die übrigen Begriffe aus V. 9 f., die heidnische Existenz der Glaubenden vor ihrer Bekehrung. Im eigentlichen Sinne stehen µαλακοί (hier wegen der Verbindung zu Zweiterem) und ἀρσενοκοῖται für den aktiven und passiven Partner in einer sexuellen Beziehung zwischen Männern (ἄρσην „männlich“, „Mann“, „junger Mann“; κοίτη „Bett“, „Beischlaf“), wobei hauptsächlich an die Verbindung von einem Mann mit einem anderem Mann im jugendlichen Alter gedacht sein dürfte (daher häufig: „Lustknabe“ und „Knabenschänder“); vgl. Zeller 2009, 217 f.; Arzt-Grabner u. a. 2006, 229 f.; Konradt 2003, 341; Lindemann 2000, 139 f.; Thiselton 2000, 448ff. Vgl. Bohlen 2011, 152. Schrage 2013 behandelt 1–8 und 9–11 getrennt als einzelne Abschnitte in seinem Kommentar (402–425.425–436).
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Analyse
der Ekklesia von Korinth zur Welt, während sich ab Vers 7 eine Binnendiskussion über rechtes Verhalten untereinander und daraus entstehende Folgen anschließt. Weiterhin ist mit ἤδη µὲν ὅλως (V. 7) ein rhetorischer Neuansatz markiert, welcher für ἢ οὐκ οἴδατε (V. 9; vgl. V. 2 f.) nicht geltend gemacht werden kann. 3 Zuletzt greift die dem Lasterkatalog in Vers 9 f. vorangestellte ἄδικοι-Bezeichnung „unrecht tun“ (ἀδικέω) aus Vers 8 auf und verbindet somit den Abschnitt 7 f. mit den Versen 9–11. 4 Semantisch ist der Text wesentlich durch zwei Sinnlinien bestimmt: 5 Die erste entsteht um die Begriffe des κριν*-Stammes. In den Versen 1–7 findet sich jeweils eine Form des Verbs κρίνω beziehungsweise eine Form der isotopen Formulierungen κριτήριον ἔχω (V. 4) und κρίµα ἔχω (V. 7). Eine zweite Sinnlinie entsteht um die Vielzahl von Begriffen, mit denen Paulus hier und anderswo in seinen Briefen die Zugehörigkeit zur Gruppe der Glaubenden und die von ihr unterschiedene Nicht-Zugehörigkeit beschreibt. οἱ ἅγιοι
vs.
οἱ ἄδικοι
οἱ ἅγιοι
vs.
ὁ κόσµος
ὑµεῖς
vs.
ὁ κόσµος
ἡ ἐκκλησία
vs.
τοὺς ἐξουθενηµένους ἐν τῇ ἐκκλησίᾳ
ὁ ἀδελφός
vs.
οἱ ἄπιστοι
Beide Sinnlinien sind im vorliegenden Text eng miteinander verbunden, denn für Paulus ist die bei einigen Mitgliedern der Ekklesia herrschende Praxis, mit Rechtsstreitigkeiten umzugehen, der Anlass, um über das Verhältnis von drinnen und draußen zu sprechen. Im Detail geht es dabei im Fortgang der schon in 1Kor 5 aufgeworfenen Frage um drinnen und draußen darum, inwiefern die Glaubenden, obschon sie Teil der heidnisch gebliebenen Welt sind, sich von dieser unterscheiden und dies durch ihr Verhalten und ihre soziale Praxis zeigen sollten.
3 4
5
Vgl. Lindemann 2000, 134. Weitere Gliederungsvorschläge nehmen meist eine Dreiteilung ohne Hierarchisierung vor; vgl. z.B. Zeller 2009, 210 f. Merklein 2000, 50; Barrett 1971, 135; Dinkler 1952, 169. Vgl. Merklein 2000, 51.
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ἄπιστοι und ἄδικοι – 1Kor 6,1–11
5.2 Drinnen und draußen in 1Kor 5 Die Diskussion um das rechte Drinnen-Draußen-Verhältnis (ἔσω/ἔξω 5,12 f.) der Ekklesia hat Paulus bereits in 1Kor 5 begonnen, weshalb hier kurz darauf eingegangen werden soll. Aber auch das semantische Feld um die Begriffe des κριν*-Stammes ist bereits vertreten (κρίνω 5,12 f.) Nachdem Paulus in 1Kor 5 einen in der Ekklesia von Korinth herrschenden Fall von πορνεία 6 angesprochen hat (5,1–8), muss er hinsichtlich dieser Thematik noch etwas Weitergehendes klarstellen (5,9–13). In einem früheren Schreiben an die Ekklesia von Korinth hatte er sie gewarnt, nicht mit πόρνοι Umgang zu haben (V. 9). Diese eher unspezifische Ermahnung hat in Korinth anscheinend Unklarheit hinterlassen, weshalb Paulus die Notwendigkeit verspürt, diese Forderung zu präzisieren. Er ergänzt sie dahingehend, dass sich die Mitglieder der korinthischen Ekklesia selbstverständlich nicht von allen πόρνοι der Welt 7 fernhalten müssen, geschweige denn könnten. Folge dieser Forderung wäre in der Tat, dass sie diese Welt verlassen müssten (5,10). 8 Was Paulus hier klären muss – und das ist zugleich Grundlage für den folgenden Abschnitt 6,1–11 – ist das rechte Verständnis der Glaubenden hinsichtlich ihres eigenen Status sowohl innerhalb als auch gegenüber der sie umgebenden Welt. Das heißt, dass sie einerseits untrennbar ein Teil der Welt sind und dieser nicht entfliehen können (5,10), andererseits jedoch von der Welt fundamental unterschieden sind. 9 Daher aktualisiert Paulus seine Aufforderung aus dem Vorbrief dahingehend, dass es ihm nur um solche geht, die sich ‚Bruder` nennen – das heißt, Teil der Ekklesia –, und dennoch ‚Unzüchtige`, ‚Habsüchtige`, ‚Götzendiener`, ‚Lästerer`, ‚Trinker` oder ‚Räuber` sind (5,11). Die Begründung für diese Klarstellung und zugleich Einstieg in die in 1Kor 6 behandelte Frage bieten die Verse 5,12 f.: 12 τί γάρ µοι τοὺς ἔξω κρίνειν; οὐχὶ τοὺς ἔσω ὑµεῖς κρίνετε; τοὺς δὲ ἔξω ὁ θεὸς κρινεῖ. 12 „Was ist es an mir, die Draußen zu richten? Richtet ihr nicht die Drinnen? Die Draußen aber wird Gott richten.“
Mit πορνεία werden üblicherweise sexuelle Praktiken beschrieben, die als verwerflich gelten; vgl. Lindemann 2000, 122. 7 πόρνος („Unzüchtiger“), πλεονέκτης („Habsüchtiger“), ἅπαρξ („Dieb“) und εἰδωλολάτρης („Götzendiener“) in Vers 10 sind Attribute für die von den Glaubenden unterschiedene heidnische Welt; vgl. Zeller 2009, 206 f.; Konradt 2003, 325. 8 ἐξέρχοµαι meint hier „das – faktisch unmögliche – physische Verlassen der Welt“. Zeller 2009, 207. 9 So auch Zeller 2009, 208: „Obwohl die Gemeinde immer noch in der Welt ist und nicht aus ihr heraus kann, setzt sie sich als Binnenraum von denen ‚draußen` ab“. Ähnlich auch schon Dinkler 1952, 174: „Dieses sic et non läßt sich also dahin pointieren: Ihr sollt euch nicht der Welt eingliedern und ihr sollt nicht aus der Welt herausgehen, weder assimilieren noch emanzipieren“. 6
Drinnen und draußen in 1Kor 5
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In diesem Text wird bereits deutlich, dass es für Paulus um mehr geht als darum, ein konkret vorliegendes Einzelproblem unsittlichen Verhaltens in der korinthischen Ekklesia zu diskutieren und zu kritisieren. Verbunden mit der Kritik an einem Fall von πορνεία und dem Umgang mit Rechtssachen ist ein allgemeines und grundlegendes Anliegen, die Ekklesia darin zu vergewissern, dass sie als die Glaubenden die ‚Drinnen` sind. Infolgedessen geht es dann auch um ihr Verhältnis zu denjenigen, welche aus dieser Perspektive nun als die ‚Draußen` erscheinen. Operationales Konzept ist dabei die ‚Heiligkeit` der ‚Drinnen` sowie die ‚Unreinheit`, die ‚Unzucht` und die ‚Ungerechtigkeit` der ‚Draußen`. 10 Die Beschreibung der beiden sich gegenüberstehenden Bereiche als drinnen und draußen nimmt die von Paulus gebrauchten Begrifflichkeiten aus 1Kor 5,12 f. auf. Dort dienen ihm die Begriffe ἔσω und ἔξω dazu, die Unterscheidung von Ekklesia und dem sie umgebenden ‚Kosmos` (V. 10) zu beschreiben. Im üblichen Sprachgebrauch bezeichnen die beiden Adverbien ἔσω und ἔξω die lokalen Verhältnisse von Personen oder Gegenständen und stellen natürliche Oppositionen dar. Was drinnen ist, kann nicht zugleich draußen sein und umgekehrt. Werden sie substantiviert und auf Personen bezogen gebraucht, beschreiben sie folglich eine Gruppe von Menschen, die als drinnen oder draußen befindlich gekennzeichnet werden. 2Makk 1 16„Und dann öffneten sie eine versteckte Tür in der Decke und warfen Steine hinab und zerschmetterten den Anführer, machten Stücke aus ihm und schnitten ihnen die Köpfe ab und warfen sie den Draußen (τοῖς ἔξω) zu.“
Spezifisch für den Gebrauch bei Paulus sind zwei Dinge: zum einen der absolute Gebrauch der Bezeichnungen – das heißt, es fehlen Angaben, in Beziehung auf was die ‚Drinnen` drinnen und die ‚Draußen` draußen sind, und zum anderen der übertragene Gebrauch. Es geht Paulus nicht um ein Draußen vor der Tür oder der Stadt, sondern er benutzt die substantivierten Adverbien, um eine von den Glaubenden unterschiedene Gruppe abzugrenzen. Dabei wird ‚Raum` zu einer sozialen Metapher. Bei diesem metaphorischen Gebrauch wird Zugehörigkeit so beschrieben, als befinde sich die Gruppe von einander zugehörigen Personen in einem Raum. Die anderen, die von dieser Gruppe unterschieden werden, werden als außerhalb davon wahrgenommen und beschrieben. Darin liegt der entscheidende Unterschied zum eigentlichen Gebrauch der Begriffe: Im Sinne einer lokalen Beschreibung kann sich der eigene Standpunkt je innerhalb oder außerhalb von etwas befinden. Im Gegensatz dazu beschreibt der Gebrauch von Raum als sozialer Metapher das ‚Drinnen` 10 Mit dem Konzept der ‚Heiligkeit` der Ekklesia sowie deren Gefährdung hat sich Vahrenhorst 2008 intensiv beschäftigt. Zu den hier diskutierten Stellen s. 157–168.
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ἄπιστοι und ἄδικοι – 1Kor 6,1–11
immer aus dem je eigenen Standpunkt heraus als Ausdruck der Zugehörigkeit und das ‚Draußen` immer als die davon unterschiedene Nicht-Zugehörigkeit. Häufig ist dieser übertragene Gebrauch jedoch in der griechischsprachigen Literatur nicht. 11 Im Neuen Testament findet sich neben 1Kor 5,12 kein weiterer Beleg für οἱ ἔσω und οἱ ἔξω im direkten Gegenüber. οἱ ἔξω begegnet neben 1Kor 5,12 noch in 1Thess 4,12 („verhaltet euch vorbildlich vor den Draußen“) im übrigen Neuen Testament nur noch in Kol 4,5 und Mk 4,11. Weiterhin findet sich der Begriff einmal leicht abgewandelt (οἱ ἔξωθεν) in 1Tim 3,7. Gemeinsam ist allen Belegstellen im Neuen Testament, dass es niemals um die ‚Draußen` an sich geht, sondern diese immer nur als Referenzgruppe für die ‚Drinnen` genannt werden. Während einzig 1Kor 5,12 die ‚Drinnen` den ‚Draußen` gegenüberstellt, kontrastiert Mk 4,11 die ‚Draußen`, welchen die Geheimnisse des Reiches Gottes nur in Gleichnissen zuteil werden, mit den Zwölf und denen, die mit ihnen sind (V. 10), welchen wiederum die Geheimnisse gegeben sind. 12 Bei 1Thess 4,12, Kol 4,5 und 1Tim 3,7 handelt es sich um paränetische Texte, deren Pragmatik darauf abzielt, dass die Ekklesia – beziehungsweise deren Leitung – sich vorbildlich und aufgeschlossen gegenüber den ‚Draußen` verhalten soll. Etwas anders als in 1Kor 5,12, wo Paulus drinnen und draußen deutlich voneinander abgrenzt, betonen diese Texte, dass zwar ein Unterschied besteht, jedoch die Verbindung nach draußen nicht abgebrochen werden sollte. Das Verhalten der ‚Drinnen` sollte die ‚Draußen` bestenfalls einladen oder zumindest ein positives Bild der ‚Drinnen` hinterlassen. Die Pragmatik von 1Kor 5 hingegen ist daran interessiert, die Grenze deutlich zu ziehen. Über die ‚Draußen` (οἱ ἔξω), so Paulus in Vers 12, sollen die Glaubenden nicht richten. Das liegt außerhalb ihres Kompetenzbereiches, denn die ‚Draußen` werden von Gott gerichtet werden (V. 13). 13 Vielmehr jedoch – und damit unterstreicht Paulus noch einmal die Kritik, den Unzüchtigen aus der Gemeinde nicht ausgeschlossen zu haben („Schließt den Bösen aus euch aus“ V. 13) – sollen die Korinther die ‚Drinnen` (οἱ ἔσω) richten (V. 12). 11 Z.B. Josephus, Ant. XVI 159: τοὺς ἔξω καὶ µὴ προσήκοντας „den Draußen und den Nicht-Zugehörigen [das sind diejenigen, die nicht zum jüd. Volk gehören; 158]“). S.a. Thucydides V 57,2 οἱ ἔξωθεν; Xenophon, Hell. II 4,1; Strabo, Geogr. III 2,5; XVI 4,22; Sir 1,5 τοῖς ἐκτός; vgl. Du Toit 2014, 342 f. Auch die rabbinischen Texte bezeichnen mit οἱ ἔξω/ החיצוניםPersonen, die nicht zu ihnen gehören: vgl. z.B. Mes 4,8 „ דיכ החיצוניםnach Art der Draußenstehenden“; 12 Mt 13,10 und Lk 8,10 übernehmen den Begriff beide nicht. Mt benennt die von den Jüngern unterschiedene Gruppe schlicht ἐκείνοι „jene“, und Lk nennt sie οἱ λοιποί „die Anderen“. 13 Konradt 2003, 327 verweist in diesem Zusammenhang auf das Endgericht: „Die Perspektive auf das Endgericht ist (auch) hier offenbar nicht die eines universalen Beurteilungsgerichts, sondern die des Verurteilungs- und Vernichtungsgerichts, das über die ‚Welt` ergehen wird (vgl. 11,31).“
Ein Bruder sucht sein Recht mit einem Bruder . . .
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Anders gesagt: Paulus macht deutlich, dass sich die Ekklesia von Korinth um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern soll und sich von den Angelegenheiten der Welt fernhalten soll. Das heißt, sie sollen die Grenze zwischen drinnen und draußen klarer definieren. 1Kor 6,1–11 nimmt dies insofern auf, als Paulus hier umgekehrt beklagen muss, dass die Korinther ihre eigenen Angelegenheiten in die Welt hinaustragen und diese nicht unter sich klären.
5.3 Ein Bruder sucht sein Recht mit einem Bruder . . . Von den Rechtsstreitigkeiten (πράγµατα) 14, die offensichtlich von einigen Mitgliedern der Ekklesia in die Welt hinausgetragen wurden, ist Paulus unterrichtet. Das lässt die Formulierung τολµᾷ τις vermuten. 15 Jedoch ist weder ersichtlich, woher er davon wusste, 16 noch, worum es sich bei diesen Streitigkeiten im Einzelnen handelt. Dass Paulus keinen konkreten Einzelfall im Blick hat, zeigen auch die Pluralformen κριτήρια (V. 4) und κρίµατα (V. 7) an. 17 Die Diskussion in der Forschungsliteratur wird allerdings deutlich vom Interesse an diesen Rechtsstreitigkeiten dominiert. Auf diese Fokussierung weisen bereits die dem Abschnitt zugeschriebenen Überschriften in der Kommentarliteratur und den gängigen Bibelübersetzungen hin. 18 In diesem Sinne wurde 1Kor 6,1–11 vornehmlich hinsichtlich der Frage nach dem Hintergrund und Kontext dieser unter den Glaubenden vorhandenen Rechtsstreitigkeiten untersucht. 19 14 πρᾶγµα ist ein technischer Begriff aus dem Gerichtswesen für Rechtsstreitigkeiten in Zivilprozessen; vgl. Dinkler 1952, 169. Zu πρᾶγµα ἔχων πρός τὸν ἕτερον s.a. ArztGrabner u. a. 2006, 198 f. βιωτικά aus V. 3 f., wie auch „ἀδικεῖν καὶ ἀποστερεῖν in V. 7 f. weis[en] näherhin auf Zivilprozesse um finanzielle bzw. materielle Angelegenheiten [hin]“. Konradt 2003, 336; vgl. Winter 1991, 561. 15 Fenske hat darauf aufmerksam gemacht, dass viele der Begriffe aus 1Kor 6 innerhalb der Paulusbriefe nur hier bzw. in den Korintherbriefen oder nur sehr selten im NT begegnen. βιωτικός; ἐντροπή (sonst nur: 1Kor 15,34); κριτήριον (sonst nur: Jak 2,6); ἥττηµα (sonst nur: Röm 11,12). „Das ist insofern von Bedeutung, weil daran erkannt werden kann, wie sehr Paulus die Situation der Korinther im Blick hat.“ Fenske 2004, 87. 16 Vgl. Fenske 2004, 91; Lindemann 2000, 134. 17 Vgl. Zeller 2009, 211. 18 Schrage 2013, 402: „Prozessieren von Gemeindemitgliedern“; Zeller 2009, 209: „Heidnische Gerichte und Unrecht überhaupt vermeiden“; Lindemann 2000, 133: „Recht und Rechtsverzicht in der christlichen Gemeinde“; Merklein 2000, 47: „Prozesse vor heidnischen Richtern“; Luther: „Rechtssachen unter Christen“; ELB: „Rechtsstreit unter Gemeindegliedern gehört nicht vor Gericht“; EÜ: „Rechtsstreitigkeiten unter Christen vor heidnischen Gerichten“; NGÜ: „Rechtsstreitigkeiten unter Christen“. Allerdings Conzelmann 1981, 131: „Gemeinde und Welt“. 19 Zur Frage der Rechtsstreitigkeiten und Rechtspraxis in Korinth s. v.a. Peppard 2014; Edsall 2013; Fenske 2004, 87–98; Konradt 2003, 329–344; Lindemann 2000, 141 f.;
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Leitend waren dabei vor allem folgende Fragen: a) Wer waren die streitenden Parteien? 20 b) Was war Inhalt der Rechtsstreitigkeiten? 21 c) Vor welcher externen Instanz haben die Korinther ihre Streitigkeiten ausgetragen? 22 d) Gibt es Parallelen in der jüdischen und der griechisch-römischen Literatur, die als sozial- oder religionsgeschichtliche Vorlage zur paulinischen Argumentation und der von ihm geforderten Praxis interner Gerichtsbarkeit gelten können? 23 Die Frage nach Rechtsstreitigkeiten und Rechtspraxis in Korinth sowie deren sozial- und religionsgeschichtlicher Kontext kommen hier jedoch nur insofern in den Blick, als sie eng mit der Frage nach der Zugehörigkeit zu den ‚Drinnen` und der von ihnen unterschiedenen Nicht-Zugehörigkeit verbunden sind. 24 Dabei spielt vor allem die Pragmatik der paulinischen Argumentation eine wichtige Rolle. Auch dürfte es Paulus selbst nicht vornehmlich darum gehen, die Glaubenden über ihr Verhalten bei Rechtsstreitigkeiten zu belehren. Weder will er für einen konkreten Fall die Schiedsgerichtsbarkeit übernehmen, noch schreibt er eine grundsätzliche Abhandlung über das Rechtswesen, um etwa eine ‚christliche` Gerichtsbarkeit zu installieren. 25 Darauf, dass es ihm um mehr als um die Frage des rechten Umgangs bei Rechtsstreitigkeiten geht, weist auch die Verwerfung von Rechtshändeln unter Glaubenden überhaupt (V. 7 f.) hin sowie die Vergewisserung der Korinther in ihrer gegenwärtige Existenz als ‚Gewaschene`, ‚Geheiligte` und ‚Gerechte` (V. 11) im Gegenüber zu solchen, die das Reich Gottes nicht erben werden (V. 9 f.). Es ist daher davon auszugehen, dass ihm die herrschende Rechtspraxis als Ausgangspunkt dafür gilt, über das rechte Verständnis in Bezug auf das Drinnen- und Draußen-Verhältnis der korinthischen Ekklesia zu sprechen zu kommen und jeden einzeln an seine Zugehörigkeit zu dieser zu erinnern. Maß-
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Mitchell 1993; Derrett 1991; Rosner 1991; Winter 1991; Lewis 1990; Richardson 1983; A. Stein 1968; Dinkler 1952. Vgl. Peppard 2014; Konradt 2003, 337 f.; Mitchell 1993; Winter 1991, 562ff. Vgl. Peppard 2014; Aasgaard 2004, 222–226; Konradt 2003, 336; Winter 1991, 561; Richardson 1983. Vgl. Aasgaard 2004, 220–222; Winter 1991, 568ff.; A. Stein 1968. Vgl. Peppard 2014; Edsall 2013; Chester 2003, 252ff.; Mitchell 1993; Rosner 1991; Richardson 1983. Chester 2003, 253 hat für den Vergleich zum antiken Vereinswesen allerdings darauf hingewiesen, dass sich die interne Gerichtsbarkeit dort ausschließlich auf Belange der Vereine selbst bezieht: „It seems that [. . .] quarrels which arose elsewhere were of no concern to the association, so long as their meetings were not used by the parties as a battlefield on which to prosecute their disputes.“ Vgl. Aasgaard 2004, 233, der richtigerweise darauf hinweist, dass die Rechtsstreitigkeiten zwar de facto im Fokus sind, aber jenseits davon auch die ganze Ekklesia betroffen ist. Vgl. Lindemann 2000, 134.
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geblich ist dabei die in 5,12 f. getroffenen Unterscheidung zwischen drinnen und draußen. 26
5.4 . . . vor ἄπιστοι und ἄδικοι 1. Die Unterscheidung zwischen drinnen (ἔσω) und draußen (ἔξω), die Paulus in 5,12 f. gezogen hat, wird in 1Kor 6 aufgenommen und begrifflich gefüllt. Die ‚Drinnen`, hier die von Paulus angesprochenen Glaubenden in Korinth, sind nach seiner Darstellung ‚die Heiligen`, ‚die Versammlung` und untereinander ‚Brüder`. Demgegenüber grenzt er deutlich die ‚Draußen` ab. Zu diesen zählen ‚die Nichtgerechten`, ‚die Welt`, ‚diejenigen, die in der Versammlung nichts zählen` und ‚die Nichtgläubigen`. Die ἄπιστοι- wie auch die ἄδικοι-Bezeichnung verwendet Paulus an dieser Stelle zum ersten Mal als Beschreibung für die ‚Draußen`. 27 Der Begriff κόσµος („Welt“) ist den Adressaten allerdings aus den vorangegangenen Kapiteln des Briefes als eine von Gott, Christus und den Glaubenden grundsätzlich unterschiedene Größe bekannt. 1Kor 1 20„Hat Gott nicht die Weisheit der Welt (κόσµος) zur Torheit gemacht.“ 1Kor 2 12:„Wir aber haben nicht den Geist der Welt (κόσµος) erhalten, sondern den Geist, der aus Gott ist.“ 28
Im Zentrum der von Paulus hier begrifflich ausgeführten Drinnen-DraußenAbgrenzung stehen die Oppositionen ἅγιοι – ἄδικοι (V. 1) und ἀδελφός – ἄπιστοι (V. 6). Ein klarer Rahmen um die Verse 1–6 – und damit auch eine syntaktische Verbindung zwischen der ἄπιστοι- und der ἄδικοι-Bezeichnung – ist durch die Formulierung κρίνοµαι ἐπί τινῶν („vor jemandem sein Recht suchen“) gegeben. Die beiden streitenden Parteien werden in Vers 1 zunächst nur als ‚einer von euch` und ein ‚anderer` gekennzeichnet, dann aber in Vers 6 26 „Paradoxically, on the one hand the Corinthian church had judged the outsider when they had no right to do so, 5.12, but failed dismally to judge the insider when they should have done so, 5.13. On the other hand they had allowed the unrighteous outsiders to judge the insider, 6.1, [. . .].“ Winter 1991, 572. 27 Für das Adjektiv ἄδικος wird es auch das letzte Mal bleiben, denn als substantiviertes Adjektiv im Sinne einer Gruppenbezeichnung findet der Begriff nur in 1Kor 6 Verwendung. Darüber hinaus sind die Begriffe des αδικ*-Stammes insgesamt sehr selten in den Paulusbriefen. ἄδικος findet sich sonst nur noch einmal in Röm 3,5 als attributives Adjektiv. ἀδικία dagegen immerhin 7mal in Röm (Röm 1,18; 1,29; 2,8; 3,5; 6,13; 9,14) und je einmal in 1/2Kor (1Kor 13,6; 2Kor 12,13). 28 Vgl. 1Kor 1,27 f.; 5,10. Auch die in 1Kor 6 begegnenden ‚Drinnen`-Bezeichnungen sind – wenigstens im Präskript – bereits zum Einsatz gekommen: ἅγιοι (1Kor 1,2), ἐκκλησία (1Kor 1,2) und ἀδελφοί (1Kor 1,10 f.; 1,26; 2,1; 3,1; 4,6; 5,11).
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als ‚Bruder` und ‚Bruder`. Damit ist spätestens in Vers 6 deutlich, dass es sich bei den beiden streitenden Parteien um Mitglieder der korinthischen Ekklesia handeln muss. ἐπί τινῶν im zweiten Versteil verweist auf das Forum des Richtens. 29 Ort des Geschehens der Rechtsstreitigkeiten ist also vor den Nichtgerechten (V. 1) und Nichtgläubigen (V. 6), und nicht, wie es sein sollte, vor den Heiligen (V. 1). Durch die semantische Verbindung und die syntaktische Parallelität der ‚Drinnen`- und ‚Draußen`-Bezeichnungen entsteht eine semantische Isotopie innerhalb des Begriffsfelds. Das gilt vor allem für die ἄπιστοι- und ἄδικοι-Bezeichnung, die durch die Formulierung κρίνω ἐπί eng verbunden sind. Diese Verbindung darf jedoch keineswegs synonym verstanden werden, sodass die Nichtgläubigen auch dadurch gekennzeichnet wären, nicht gerecht zu sein und die Nichtgerechten dadurch, nicht gläubig zu sein. Die durch die semantische Verbindung entstandene Isotopie besagt zunächst nicht mehr und nicht weniger, als dass Paulus aus der Perspektive der Glaubenden die ‚Draußen` zugleich als ἄπιστοι und als ἄδικοι bezeichnen kann. Zu weit geht insofern die von Bohlen und Mitchell vertretene Auffassung, dass es aufgrund einer chiastischen Struktur der Verse 6 und 8 möglich sei, „‚Unrecht tun` und ‚stehlen` als Verhaltensweisen auszumachen, durch die sich laut Paulus Ungläubige auszeichnen“ 30. Die ἄπιστοι-Bezeichnung ist zwar semantisch sehr eng mit der ἄδικοι-Bezeichnung in Vers 1 verknüpft – ‚Unrecht tun` und ‚stehlen` als Eigenschaften der Nichtgläubigen benennen zu wollen, geht aus dem Text jedoch nicht hervor. 2. Mit den Formulierungen κρίνοµαι ἐπὶ τῶν ἀδίκων (V. 1) und κρίνοµαι ἐπὶ ἀπίστων (V. 6) beschreibt Paulus kritisch, wie sich für ihn die Situation in Korinth darstellt. In den Versen 2 bis 5 führt er daraufhin aus, inwiefern er diese Situation und das Verhalten von einigen Glaubenden als beklagenswert, ja sogar als schändlich (πρὸς ἐντροπὴν ὑµῖν V. 5) ansieht. Dafür nutzt er zwei verschiedene Argumente. Zunächst bedient er sich in den Versen 2 und 3 eschatologischer Motive, um das Rechtsuchen vor Außenstehenden ad absurdum zu führen. In den Versen 4 und 5 kritisiert er daraufhin die offensichtlich falsche Urteilskraft der Korinther darüber, wer es wert sei, als Richter zu gelten, und wer nicht. Auch wenn Paulus in 5,12 die Ekklesia noch dahingehend ermahnt hatte, die ‚Draußen` nicht zu richten, gilt ihm das Richten der ‚Draußen` nun als Argument gegen das Gerichtetwerden durch die ‚Draußen`, das heißt die Nichtgerechten, die Nichtgläubigen und im Allgemeinen die Welt. Das Innehaben 29 Vgl. Schrage 2013, 406. 30 Bohlen 2011, 154; vgl. Mitchell 1993, 565. Übergangen wird dabei vor allem, dass Vers 6 den Abschnitt 1–6 inhaltlich abschließt und mit Vers 7 neu angesetzt wird. Das unterstreicht auch der Einstieg mit ἤδε µὲν οὖν ὅλως.
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der Gerichtsbarkeit der Heiligen über die Welt muss im Umkehrschluss das Gerichtetwerden durch die Welt ausschließen. 31 Damit entsteht eine gewissen Inkohärenz zwischen 1Kor 5,12 und 6,2, denn 5,12 lässt deutlich erkennen, dass ein Richten über die ‚Draußen` nicht zu den Aufgaben der Mitglieder der korinthischen Ekklesia gehört, während 6,2 das Richten der Welt durch die Heiligen klar voraussetzt. Diese Inkohärenz 32 lässt sich jedoch insofern auflösen, als Paulus im Gegensatz zu 5,12, wo es um weltliches Richten geht, in 6,2 das eschatologische Gericht im Blick hat. 33 Sein Argument führt Paulus als einen Schluss a majore ad minus an: Weil die Mitglieder der korinthischen Ekklesia im Zusammenhang der eschatologischen Gerichtsbarkeit die Gerichtsbarkeit über die Welt innehaben, 34 können die Rechtsstreitigkeiten, welche die Korinther untereinander haben, nur als geringer (ἐλάχιστον) gelten. 35 In Vers 3 steigert Paulus den Gedanken der Korinther als Teilhabende im eschatologischen Gericht noch weiter, indem er behauptet, die Korinther würden nicht nur die Welt, sondern auch die Engel richten. 36 Die logische Antwort auf die von Paulus als rhetorische Fragen formulierten Verse 2 und 3 kann daher nur lauten, dass die Korinther, die als Heilige über die Welt richten werden, ohne Zweifel würdig sind, bei geringsten Dingen selbst zu Gericht zu sitzen. Wenn sie über Engel richten werden, sollten sie erst recht dazu im Stande sein, über Alltägliches zu richten. Die Verse 4 und 5 formulieren dann gegenüber dem eigentlich rechtmäßigen und wünschenswerten Verhalten bei Rechtsstreitigkeiten, das Paulus mittels rhetorischer Fragen in den Versen 2 f. beschrieben hatte, den beklaVgl. Schrage 2013, 410. Sellin wird aufgrund dieser Inkohärenz sogar literarkritisch tätig; vgl. Sellin 1991, 541. Vgl. Schrage 2013, 410, Anm. 47; Fenske 2004, 92. Die Idee einer Beteiligung der Heiligen am eschatologischen Gericht entnimmt Paulus der jüdischen Apokalyptik. Am häufigsten wird hier auf Dan 7,22 verwiesen: καὶ τὴν κρίσιν ἔδωκε τοῖς ἁγίοις τοῦ ὑψίστου („und das Gericht wird den Heiligen des Höchsten gegeben werden“); s.a. 1Hen 48,9: „Und ich werde sie in die Hand meiner Auserwählten übergeben: Wie Stroh im Feuer und wie Blei im Wasser - so werden sie brennen vor dem Angesicht der Heiligen und untergehen vor dem Angesicht der Gerechten, und es wird keine Spur von ihnen zu finden sein.“ (Übers. Uhlig: , 591). Weiterhin bei Zeller 2009, 212; Konradt 2003, 332. 35 „Im Vergleich mit den eschatologischen Dimensionen des zukünftigen κρίνειν können solche Rechtsfälle immer nur ‚allergeringste` Dinge von geringfügigem Wert betreffen.“ Schrage 2013, 410. 36 Das Richten der Heiligen über die Engel findet, entsprechend dem Richten über die Welt oder über die Ungerechten, keine alttestamentliche Parallele (vgl. Lindemann 2000, 136), denn es handelt sich um „eine Paulus eigentümliche Zuspitzung“ (Konradt 2003, 331). „Ist sonst von einem Gericht an Engeln die Rede, dann durch Gott und nicht unter menschlicher oder christlicher Mitwirkung.“ (Schrage 2013, 411). Dieses Argument dient Paulus hier jedoch vor allem der Steigerung seiner Aussage: „Es geht ihm allein um den Kontrast, darum zu zeigen, daß die Gemeinde, die Engel richten wird, über alltägliche Kleinigkeiten nicht zu richten vermag.“ Fenske 2004, 92.
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genswerten, gar schändlichen 37 status quo in Korinth. War die logische Konsequenz der paulinischen Argumentation, dass die Glaubenden sehr wohl im Stande sein müssten, über Alltägliches selbst zu Gericht zu sitzen, so hinterfragt Paulus nun, dass die Ekklesia sich im Gegenteil von solchen richten lässt, die nichts gelten. 38 Mit der Bezeichnung ἐξουθενηµένους müssen ebenso wie mit den ἄπιστοι, ἄδικοι und κόσµος Personen außerhalb der korinthischen Ekklesia gemeint sein. 39 Die Kritik, die Paulus übt, richtet sich demnach in den Versen 4 und 5, wie schon in Vers 2 f., darauf, dass in der korinthischen Ekklesia nicht im Sinne interner Gerichtsbarkeit 40 Streitigkeiten untereinander geklärt werden, sondern sich damit an die ‚Draußen` gewandt wird. Für schändlich (V. 5) befindet Paulus diesen Zustand deshalb, weil die Suche nach der Beilegung von Rechtssachen durch die ‚Draußen` darauf deutet, dass es unter den ‚Drinnen` niemanden zu geben scheint, den sie für weise 41 genug halten, über ihre Streitigkeiten zu entscheiden. 3. Paulus' zentraler Kritikpunkt am Verhalten der korinthischen Ekklesia ist das Rechtsuchen bei solchen, die aufgrund der durch den Glauben entstandenen neuen Grenzen zwischen drinnen und draußen nun zu den ‚Draußen` gehören. Begrifflich stehen hier, neben anderen Bezeichnungen, die ἄπιστοιund die ἄδικοι-Bezeichnung im Mittelpunkt der paulinischen Darstellung. In der Literatur sind diese Bezeichnungen sehr unterschiedlich bewertet worden. Die Aufmerksamkeit galt dabei vor allem der ἄδικοι-Bezeichnung, während die ἄπιστοι-Bezeichnung meist nur als Referenz herangezogen wurde. a) Mit Verweis auf Belege über Korruption und soziale Unverhältnismäßigkeit im antiken Gerichtswesen 42 will man die ἄδικοι als ungerechte Richter verstehen. Es handele sich in diesem Fall bei der ἄδικοι-Bezeichnung um eine 37 Zum Motiv der Schande s. v.a. Edsall 2013. 38 καθίζω ist hier iterogativ interpretiert (zu den verschiedenen Möglichkeiten s. ausführlich Thiselton 2000, 432 f.). Vornehmlich wird der Begriff im Sinne von „ins Amt einsetzen“ gebraucht. Hier meint es aber nicht, dass die Ekklesia bestimmten Personen in ein Richteramt einsetzt, sondern, dass sie für die jeweilige Entscheidung die juristische Autorität bestimmter Personen, die bei ihnen eigentlich nichts gelten, anerkennen. Vgl. Schrage 2013, 412. 39 Vgl. Konradt 2003, 330, Anm. 683; Dinkler 1952, 209. 40 S. dazu Schrage 2013, 408; Zeller 2009, 212; Merklein 2000, 53 f. 41 σοφός ist bereits in alttestamentlich-jüdischen Kontexten (s. v.a. Rosner 1991) im Zusammenhang mit „richten“ und „Richter“ belegt: v.a. Dtn 1,13–16; s.a. Esra 7,25. (vgl. weiterhin Dinkler 1952, 171). Darüber hinaus ist der Gebrauch von σοφός als Rückgriff auf die 1Kor 1 f. verstanden worden. Paulus würde also den von ihrer Weisheit eingenommen Korinthern nun zum Vorwurf machen, dass dennoch keiner unter ihnen weise genug sei, als urteilende Instanz bei Rechtsfragen zu agieren; vgl. Lindemann 2000, 137; Merklein 2000, 59. 42 „Paulus visiert in 6,1–8 also vermutlich die Situation an, daß besser situierte Christen vor ungerechte (vgl. 6,1) ‚heidnische` Gerichte ziehen, um ihre materiellen Interessen durchzusetzen. Sollten die Angeklagten eher unter den weniger bemittelten Gemeinde-
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„reference to the character of judges or the juries“ 43. Paulus ginge es in diesem Fall darum, die weltlichen Behörden und von diesen eingesetzte Richter „pauschal als ‚ungerecht` ab[zu]qualifizier[en]“ 44. b) Andere Kommentatoren betonen das Gegenteil: „Die ethische Qualität der heidnischen Richter steht nicht zur Debatte.“ 45 Die ἄδικοι-Bezeichnung komme vielmehr deshalb zum Einsatz, um sie als solche zu beschreiben, die durch „absence of justification“ 46 ausgezeichnet sind. Die ἄδικοι sind daher „weniger in juristischem als in religiösem Sinne die Ungerechten“ 47. Sichtbar sei dies vor allem in der Gegenüberstellung zu den ἄγιοι 48 und der Parallele zu den ἄπιστοι 49. c) Während die in a) und b) benannten Beiträge die beiden Positionen alternativlos gegenüberstellen, wird die ἄδικοι-Bezeichnung in anderen Beiträgen differenzierter betrachtet und der Gebrauch der Verse 1 und 9 voneinander unterschieden. Während in Vers 1 solche im Blick seien, die im Sinne eines „religious sense–not justified“ oder „not rightly related to God through Christ“ 50 sind, geht es in Vers 9 um ἄδικοι in einem „moral sense“ 51, also um „Menschen, die Unrecht tun“ 52. Für die weitere Betrachtung von 1Kor 6,1–6(11) ist die bis hierhin herausgearbeitete Pragmatik des Abschnittes von elementarer Bedeutung: die Kritik an einem falschen Verhältnis zwischen drinnen und draußen, mit der damit einhergehenden Aufforderung, das bisherige Verhalten zu ändern und nicht nach außen zu tragen, was intern geregelt werden kann. Grund dafür ist jedoch nicht die Verurteilung des im (nichtgläubigen) Korinth herrschenden
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gliedern zu finden sein, hieße dies zugleich, daß sie ihre höhere gesellschaftliche Stellung ausnutzen (vgl. Jak 2,6).“ Konradt 2003, 337; s.a. Zeller 2009, 211 f.; Mitchell 1993; Winter 1991, 564ff. Winter 1991, 563. Zeller 2009, 211. Merklein 2000, 52. Lewis 1990, 89. Rosen 2003, 139. Rosen hat in seiner kurzen Darstellung zu 1Kor 6, 1–11 weiterhin auf eine interessante Parallele zu Plato, Resp. 352b hingewiesen: καὶ θεοῖς ἄρα ἐχθρὸς ἔσται ὁ ἄδικος, [. . .] ὁ δὲ δίκαιος φίλος. („Der Nichtgerechte wird den Göttern Feind sein, der Gerechte aber Freund.“). Diese Aussage leitet Plato aus der Tatsache ab, dass die Götter selbst gerecht sind (Resp. 352a). Relevant ist diese Parallele dann auch für die Verse 9– 11, wo Paulus sagen wird, dass die Nichtgerechten das Reich Gottes nicht erben werden, die Korinther hingegen bezeichnet er als Gerechte. Vgl. Lindemann 2000, 135; Merklein 2000, 52; Lewis 1990, 89. Vgl. Schrage 2013, 407; Horrell 1996, 138. Barrett 1971, 135. Barrett 1971, 140. Lindemann 2000, 138.
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Gerichtswesens. 53 Auch hat Paulus bei den Bezeichnungen der ‚Draußen`Gruppe keinen konkreten Personenkreis im Blick, von denen sich die Glaubenden fernhalten sollen. Vielmehr dienen ihm die gewählten Bezeichnungen dazu, ebenjene überhaupt erst als ‚Draußen`-Gruppe wahrnehmbar zu machen. Daher soll es im Folgenden weniger darum gehen zu beantworten, wer die ἄπιστοι und die ἄδικοι waren, sondern inwiefern Paulus diese Bezeichnungen nutzt, um den Glaubenden zu verdeutlichen, wo und worin die Grenzen zwischen drinnen und draußen bestehen. Den Gedanken aus 5,12 f. fortführend, zeigt sich: Die ‚Draußen` werden jetzt als ἄδικοι und ἄπιστοι bezeichnet. 54 Es handelt sich bei diesen Begriffen folglich um Gattungsnamen, die vor allem durch ihren Begriffsumfang von Bedeutung sind, denn sie umfassen alle der korinthischen Ekklesia nicht zugehörigen Menschen. Für die Beschreibung der von der korinthischen Ekklesia unterschiedenen Welt wählt Paulus also nicht eine den ‚Draußen` eigene Qualität, sondern er beschreibt sie anhand eines Mangels dessen, was seiner Ansicht nach zentral für die Zugehörigkeit der christusglaubenden ‚Drinnen`-Gruppe ist. 55 4. Abschließend drängt sich die Frage auf, warum Paulus in 1Kor 6,1–6 so rigoros zur Abgrenzung aufruft, denn eine Begründung für seine Abgrenzungsforderungen gibt er nicht. Auch formuliert er sonst selten so separierend wie hier. 56 Nicht vergessen werden darf dabei jedoch, dass Paulus hier keine grundsätzliche und umfassende Abgrenzungsforderung ausspricht, sondern konkret mit dem Thema des Richtens befasst ist und deshalb auch das Drinnen-Draußen-Verhältnis der Ekklesia in den Blick nimmt. 1Kor 6 steht nach wie vor unter dem Vorbehalt aus 1Kor 5,10: „sonst müsstet ihr ja aus der Welt hinausgehen“. Darin zeigt sich, dass Paulus keine theoretische Abhandlung darüber schreibt, mit wem die Ekklesia Umgang pflegen darf und von wem und was sie sich abzugrenzen habe, sondern dass die Diskussion um das rechte Drinnen-Draußen-Verhältnis an konkreten Gegebenheiten des Alltagsleben 53 „Es wird nicht das Recht als Institution, sondern das heidnisch und also weltlich orientierte Rechtssuchen der Christen kritisiert.“ Dinkler 1952, 175. 54 Vgl. Conzelmann 1981, 133. Barrett 1971, 135 geht an dieser Stelle sogar so weit zu sagen: „neither unrighteous nor saints is a satisfactory translation; possibly ‚non Christians` and ‚Christians` would be transferable“. Das stimmt freilich nur der Sache nach. Jedoch ist für Paulus genau diese Gruppe im Blick, die später ‚Christen` genannt werden. 55 „Die starke Kontrastierung von Gemeinde und Nicht-Gemeinde dient dem einen Ziel, die Gemeinde davon abzuhalten, vor paganen Richtern zu prozessieren. Alles andere, Deklassierung von Gerichtsinstanzen, Erniedrigung von Nicht-Glaubenden usw. sind nicht Thema des Abschnitts.“ Fenske 2004, 92 f. 56 Vgl. Lewis 1990, 88. Das Gleiche gilt für die folgenden Verse 9–11: „While Paul elsewhere displays a desire to sustain relationships across the divide (for example, 1 Cor 7:12–14, 10:27–30), the focus of 6:9–11 is upon its creation.“ Chester 2003, 138.
Und dies waren einige von euch: Drinnen-Draußen und Einst-Jetzt
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der Mitglieder der Ekklesia hängt. Von dort aus darf nicht vorschnell auf ein universell anwendbares Verhaltenskonzept geschlossen werden. Auch wenn Paulus keine expliziten Gründe anbringt, warum man sich in puncto Rechtsstreitigkeiten von den ‚Draußen` abzugrenzen hat, lässt sich über mögliche Beweggründe freilich spekulieren: Es könnte Paulus ganz einfach darum gegangen sein, das Ansehen der Ekklesia in Korinth zu wahren. Das Ziel wäre dann, mit eigenen Zwistigkeiten kein Aufsehen in der Welt zu erregen und umgekehrt einen guten Eindruck zu hinterlassen. 57 Van Unnik hat in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung ‚christlicher` Außenwirkung als Motiv innerhalb paränetischer Texte hingewiesen: „Das Christentum lebte in einer Welt, in der viele noch nicht für das Evangelium gewonnen waren. Das Faktum wird mit der Bezeichnung οἱ ἔξω ausgedrückt. Sie sind nicht durch eine Geheimlehre ausgeschlossen. Man war sich bewußt, daß Leben und Lehre beurteilt wurden von den Nicht-Christen.“ 58 (vgl. 1Thess 4,11f; 1Kor 10,32; Kol 4,5). In dieser Hinsicht wird das Bewusstsein über ein Beurteiltwerden von den ‚Draußen` zu einem Motiv, die ‚Drinnen` möglichst makellos erscheinen zu lassen.
5.5 Und dies waren einige von euch: Drinnen-Draußen und Einst-Jetzt 1. In den Versen 7–11 verlässt Paulus die Unterscheidung zwischen den ‚Drinnnen` und den ‚Draußen` und entwickelt einen neuen Gedanken. 59 Das wird auch durch die Verwendung der Begriffe deutlich: Während es sich bei den ἄδικοι in Vers 1 und den ἄπιστοι in Vers 6 um eine ‚Draußen`-Bezeichnung handelt, deren Bedeutung vor allem in ihrem Gegenüber zu den hier als ἅγιοι und ἀδελφοί bezeichneten Christusglaubenden liegt, handelt es sich bei den ἄδικοι in Vers 9 um eine typologische Bezeichnung. Hinsichtlich der Pragmatik der Begriffe bedeutet dies Folgendes: Paulus will hier keine Gruppe von Menschen beschreiben, die von der Ekklesia unterschieden ist, sondern er beschreibt einen Typ 60 Mensch, der dafür steht, was die Korinther nicht 57 „This is partly (but not wholly, as the next verses show) a matter of not sending out the dirty linen; Christians inherited from Jews a desire to make good impression on their heathen neighbours“. Barrett 1971, 135. 58 Van Unnik 1960, 233. 59 Es handelt sich dabei nach Dinkler 1952, 183 um „keine bewußte Koordinierung von zwei Positionen durch Paulus [. . .], sondern [. . .] um eine vorschreitende Denkbewegung, um eine Steigerung des Gedankens, um eine Radikalisierung der Forderung im Vollzug des Schreibens“. 60 Das zeigt sich auch darin, dass der Lasterkatalog an dieser Stelle streng genommen gar keiner ist, denn was hier vorliegt „is not, strictly speaking, a catalogue of sins, but of types of sinner.“ Chester 2003, 134.
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ἄπιστοι und ἄδικοι – 1Kor 6,1–11
mehr sind und nicht wieder werden sollen. Dass Paulus den ἄδικος-Begriff in Vers 9 in einem anderen Zusammenhang gebraucht und damit semantisch anders füllt, zeigt sich auch darin, dass die ἄδικοι-Bezeichnung in Vers 9 die Verben ἀδικεῖτε („unrecht tun“) und ἀποστερεῖτε („stehlen“) aus Vers 8 aufgreift. Des Weiteren steht er gewissermaßen als Überbegriff vor dem folgenden Lasterkatalog. Insofern rückt an dieser Stelle das ‚Unrecht-Tun` (vgl. ἀδικέω V. 8) tatsächlich in den Vordergrund. Natürlich ist auch in den Versen 1–6 eine Konnotation des ‚Unrecht-Tuns` für die ἄδικοι-Bezeichnung nicht gänzlich ausgeschlossen. Allerdings ist es wegen der dort vorherrschenden Pragmatik der Drinnen-Draußen-Differenzierung nicht vordergründig von Bedeutung. Offensichtlich ist jedoch für den Leser die Ironie, dass gerade diejenigen, vor denen die Korinther nach paulinischer Darstellung ihr Recht suchen, von ihm als ἄδικοι bezeichnet werden. 61 Eine Differenzierung zwischen den ἄδικοι-Bezeichnungen in den Versen 1 und 9, wie sie auch zum Teil in Forschungsbeiträgen zu finden ist, 62 scheint daher grundsätzlich sinnvoll. Im Gegensatz zur ἄπιστοι-Bezeichnung, die ab Vers 7 keine Rolle mehr spielt und die von Paulus ausschließlich als Beschreibung einer ‚Draußen`Gruppe verwendet wird, hat die ἄδικοι-Bezeichnung in Vers 9 einen doppelten Bezug. 63 Zum einen bleibt, trotz einer gewissen Differenz, der Bezug zur Bezeichnung in Vers 1 offensichtlich: ἄδικοι sind jene, die draußen sind. Zum anderen kommen hier, entsprechend der veränderten Pragmatik, potentiell auch Mitglieder der ‚Drinnen`-Gruppe 64 in den Blick, insofern diese sich gemäß der Beschreibung aus Vers 7 f. verhalten und sich somit dem Verhalten der ‚Draußen` annähern. 65 Als ἄδικοι kann Paulus die Mitglieder der Ekklesia zwar nicht bezeichnen, denn dann wären sie ja nicht mehr Teil der christusglaubenden ‚Drinnen`-Gruppe. 66 Die Verse 7–11 machen jedoch deutlich, dass, wer sich wie in Vers 8 beschrieben verhält, Gefahr läuft, den ἄδικοι und ἄπιστοι gleich zu werden. 2. Hatte Paulus die Erinnerung an die Zugehörigkeit der korinthischen Ekklesia zu den Glaubenden in den Versen 1–6 im Anschluss an 5,12 f. argumentativ und begrifflich mittels räumlicher Kategorien als eine Abgrenzung von drinnen und draußen gestaltet, bringt er in Vers 11 ein neues Abgrenzungsmuster Vgl. Lindemann 2000, 135. S.o. S. 57. Vgl. Konradt 2003, 139. Vgl. Zeller 2009, 216; Lindemann 2000, 138. Es handelt sich dabei nach Dinkler 1952, 173 um „die durch ἀδικεῖν verschiedener Äußerungsformen ihr Christsein infragestellenden korinthischen Gemeindeglieder“. 66 „Even though Paul criticises their current conduct (6:1–8), he expresses this in terms of what they have done, rather than who they are. Their unrighteous behaviour (ἀδικέω, 6:8) does not itself place them among the unrighteous (οἱ ἄδικοι, 6:9).“ Chester 2003, 135.
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Und dies waren einige von euch: Drinnen-Draußen und Einst-Jetzt
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in Spiel. 67 Den vorangegangenen Lasterkatalog beschließend, beendet Paulus den Abschnitt mit einer Warnung. Diese gestaltet er als eine Erinnerung an die jetzige Zugehörigkeit zu den Glaubenden. Mittels zeitlicher Kategorien, im Sinne einer Abgrenzung zur Vergangenheit der jetzigen Mitglieder der Ekklesia, erinnert Paulus sie an die Zeit vor ihrer Bekehrung. 68 Auch wenn die typischen Begriffe πότε/νῦν fehlen, kann diese Stelle dem Einst-Jetzt-Schema zugeordnet werden, denn die Dualität von Vergangenheit-Gegenwart ist offensichtlich. 69 Mit den Worten „und dies waren einige von euch“ (V. 11) erinnert Paulus die Korinther an ihre Existenz vor ihrer Bekehrung zum Glauben. Waren diese einst noch wie die sie umgebende Welt, von welcher sie sich nun unterscheiden 70, sind sie nun als ‚Gewaschene`, ‚Geheiligte` und ‚Gerechte` 71 Teil der christusglaubenden ‚Drinnen`-Gruppe. 72 Dabei will Paulus die Ekklesia mit Vers 11 nicht unbedingt positiv bestärken. „Textpragmatisch geht es vielmehr darum, den Adressaten die Unvereinbarkeit ihres Verhaltens mit ihrem Status, mit ihrem Heilsstand, einzuschärfen.“ 73 Teil der Stabilisierung und Erinnerung der jetzigen Zugehörigkeit ist für Paulus also zugleich das angemessene Verhältnis zwischen drinnen und draußen sowie das Bewusstsein für den jetzigen Status der Ekklesia gegenüber der
67 Allerdings spielt räumliche Metaphorik auch in 9–11 eine Rolle, indem Paulus das Reich Gottes als exklusive Größe nennt, welches logischerweise nur solche erben werden, die Teil der ‚Drinnen`-Gruppe sind. Damit ist die ‚Draußen`-Gruppe nicht nur im Jetzt als räumlich getrennt von den Glaubenden in den Blick genommen, sondern ist als solche auch im eschatologischen Sinne außerhalb gedacht, und zwar außerhalb des Reiches Gottes; vgl. Chester 2003, 138. 68 S.a. Wachtel 2009, 796. 69 „An 1Kor 6, 1–11 wird deutlich, daß das Schema nicht unbedingt auf die Nennung von Adverbien angewiesen ist.“ Tachau 1972, 84; s.a. Zeller 2009, 218. 70 Bohlen 2011, 155. 71 Alle drei Begriffe kommen in unterschiedlicher Reihenfolge als Substantive in 1Kor 1,30 vor. Die Verwendung der Begriffe an dieser Stelle – vor allem wegen der hier ebenfalls zum Einsatz kommenden Wendung ἐν τῷ ὀνόµατι – wird häufig als Aufnahme einer traditionellen Tauftermininologie erkannt (s. Schrage 2013, 433; Bohlen 2011, 157; Zeller 2009; Konradt 2003, 342; Conzelmann 1981, 138; Dinkler 1952, 188). Dagegen wurde mit Recht auf das Fehlen von βαπτίζω hingewiesen, das Paulus verwendet hätte, wenn er explizit von Taufe hätte sprechen wollen (vgl. Chester 2003, 141; Barrett 1971, 141). Daher ist Barrett 1971, 141 zurückhaltender in seiner Beurteilung: „[T]he reference to the name of Lord Jesus Christ makes it probable that baptism is in mind, though the use of the nontechnical word [. . .] shows that it is the inward meaning rather than the outward circumstances of the rite that is important to Paul.“ Dunn 1973, 121 hingegen schließt eine Referenz zum Taufgeschehen vollkommen aus und betont, dass ἀπολούω hier als „spiritual cleansing“ verstanden werden muss. Alle drei Begriffe weisen auf einen Moment, nämlich den der „conversion-initiation“ (122) hin. 72 Mit ἁγιάζω und δικαιόω schließt Paulus zugleich an die ἅγιοι-Bezeichnung (V. 1) und das prominente Wortfeld δικαι* im gesamten Abschnitt an. 73 Konradt 2003, 343.
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ἄπιστοι und ἄδικοι – 1Kor 6,1–11
Existenz vor ihrer Bekehrung, als sie selbst noch Teil derer waren, von denen sie sich jetzt als den ‚Draußen` abgrenzen sollen. 3. Auffällig ist, dass die ἄπιστοι-Bezeichnung aus Vers 6 nicht im folgenden Lasterkatalog mit aufgenommen ist. Mit Ausnahme von Offb 21,8 74 wird ἄπιστος oder ἀπιστία auch sonst nirgends im Neuen Testament in einem derartigen Katalog erwähnt. Dagegen begegnen ἄδικος und ἀδικία neben 1Kor 6,8 immerhin noch in Röm 1,29 und Lk 18,11. Damit ist der ἄδικος-Begriff bei weitem nicht so häufig in diesem Zusammenhang gebraucht wie zum Beispiel πορνεία/πόρνοι 75 und εἰδωλολατρία/εἰδωλολάτραι 76, die in den meisten Lasterkatalogen des Neuen Testaments vertreten sind. Aber es zeigt sich dennoch eine Tendenz, die die beide Bezeichnungen, ἄδικοι und ἄπιστοι, aus 1Kor 6 voneinander unterscheidet und die Eigenart der ἄπιστοι-Bezeichnung andeutet. Die Eigenart von Begriffen aus Lasterkatalogen ist deren deskriptive Typologie. Das heißt, es werden exemplarisch bestimmte menschliche Eigenarten beschrieben – zum Beispiel das ‚Unrecht-Tun` oder der ‚Götzendienst` (V. 9). Der ἄπιστος-Begriff wird bei Paulus jedoch nicht in diesem Zusammenhang verwendet. Ihm dient der Begriff zur Bezeichnung einer Gruppe von Menschen als diejenigen, deren Nicht-Zugehörigkeit sich nicht durch ihr eigenes Verhalten ergibt, sondern nur darin gründet, dass sie nicht zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind. Für das Verständnis des Begriffs, auch in seiner weiteren Verwendung in 1/2Kor, ist der unmittelbare Kontext der ἄπιστοι-Bezeichnung in 1Kor 6,6 von zentraler Bedeutung: zum einen die Kritik an der herrschenden Praxis, mit Rechtsstreitigkeiten umzugehen, zum anderen die damit verbundene Diskussion um das rechte Drinnen-Draußen-Verhältnis und die Warnung davor, in das ‚Einst` zurückzufallen. Dieser Verwendungszusammenhang zeigt deutlich das paränetische Interesse der Stelle und der dort zum Einsatz kommenden Begriffe. Das heißt, dass Paulus den Begriff nicht deskriptiv verwendet, insofern er damit einen bestimmten Typ Mensch oder eine bestimmte Gruppe von Menschen in Korinth beschreiben würde. Im Gegenzug bedeutet dies, dass Paulus den Begriff normativ verwendet, insofern damit die Ermahnung verbunden ist, nicht in den Zustand zurückzufallen, in dem sich die Mitglieder der korinthischen Ekklesia vor ihrer Bekehrung befanden.
74 Offb 21,8: „Den Feigen (δειλοῖς) und Nichtgläubigen (ἀπίστοις) und Abscheulichen (ἐβδελυγµένοις) und Mördern (φονεῦσιν) und Unzüchtigen (πόρνοις) und Zauberern (φαρµάκοις) und Götzenbildanbetern (εἰδωλολάτραις) und allen Lügnern (ψευδέσιν); ihr Teil ist im See, der mit Feuer und Schwefel brennt, der ist der zweite Tod.“ 75 Mt 15,19; Mk 7,21; 1Kor 5,10f; 6,9; Gal 5,19 f.; Eph 5,3.5; 1Tim 1,10; Offb 9,21; 21,8; 22,15. 76 1Kor 5,10f; 6,9; Gal 5,19 f.; Eph 5,5; Kol 3,5; 1Petr 4,3; Offb 21,8; 22,15.
Zusammengefasst
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Zusammengefasst 1. 1Kor 6,6 bietet die erste Belegstelle für die ἄπιστοι-Bezeichnung in 1Kor und somit für alle Paulusbriefe. Kontext ist die Diskussion um den rechten Umgang mit Rechtsstreitigkeiten unter Glaubenden, welche offensichtlich nicht intern, sondern vor ἄπιστοι und ἄδικοι ausgetragen wurden. 2. Innerhalb dieser Auseinandersetzung baut Paulus die in 5,12 f. eingebrachte Unterscheidung mit Hilfe der räumlichen Kategorien von drinnen und draußen weiter aus und verbindet damit weitere Bezeichnungen. Am prägnantesten sind dabei die ἄπιστοι- und die ἄδικοι-Bezeichnung, die den Abschnitt inhaltlich rahmen. Diese Bezeichnungen werden durch weitere ‚Drinnen`- und ‚Draußen`-Bezeichnungen begleitet, die innerhalb ihres semantischen Feldes isotop sind. Bei allen Begriffen handelt es sich um Gattungsnamen, welche die Glaubenden, beziehungsweise die ihr gegenüberstehende Welt, auf eine bestimmte Art und Weise kennzeichnen und bezeichnen. 3. Anlass von 1Kor 6,1–11 sind die Rechtsstreitigkeiten, von denen Paulus gehört hat. Das wiederum führt ihn dazu, über die aus dem Glauben entstandenen neuen Zugehörigkeiten und Nicht-Zugehörigkeiten zu sprechen. Schon die Aussage, es sei überhaupt eine ‚Niederlage`, dass die Glaubenden untereinander Rechtssachen hätten, weist darauf hin, dass es Paulus hier weder um die Entscheidung in einem konkreten Rechtsfall noch um eine Abhandlung ‚christlicher` Gerichtsbarkeit geht. Vielmehr, wie schon in 1Kor 5 der Fall, war das konkrete Verhalten eines oder einiger Mitglieder der Ekklesia Anlass für Paulus, über das Verhältnis zu der sie umgebenden Welt zu sprechen und sie an ihre eigene, neue Zugehörigkeit zur Ekklesia Gottes zu erinnern. 4. Mit den Bezeichnungen οἱ ἄπιστοι und οἱ ἄδικοι beschreibt Paulus die ‚Draußen` als solche, denen ein zentrales Merkmal der ‚Drinnen` fehlt. Das ist insofern von Bedeutung, als die von Paulus als ‚Draußen`-Gruppe Bezeichneten aus seiner Perspektive nicht aufgrund einer ihr eigenen Qualität als die ‚Draußen` in den Blick kommen, sondern als solche nur aufgrund des Fehlens der Zugehörigkeitsmerkmale der ‚Drinnen`-Gruppe zu erkennen sind. 5. Was den Umgang mit Rechtssachen untereinander angeht, haben die Glaubenden in Korinth aus Paulus' Sicht offensichtlich eine Grenze überschritten. Rechtsstreitigkeiten untereinander sollten nicht nach draußen zu den ἄπιστοι und ἄδικοι getragen werden. Dahingehend muss Paulus also die Grenze nach draußen verstärken, beziehungsweise überhaupt erst schaffen. Die als ἄπιστοι und ἄδικοι bezeichneten ‚Draußen` sind keine feste Gruppierung, die sich aufgrund dieser Bezeichnungen als solche identifizieren ließen (deskriptiver
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ἄπιστοι und ἄδικοι – 1Kor 6,1–11
Gebrauch), sondern Paulus nutzt die Bezeichnungen, um sein Anliegen, mit Rechtssachen nicht nach draußen zu gehen, zu verdeutlichen (normativer Gebrauch): denn die ‚Draußen` sind ἄπιστοι und ἄδικοι.
6 Nicht gläubig und doch geheiligt – 1Kor 7,12–16 In 1Kor 7,12–16 kommt Paulus auf ein weiteres Problem zu sprechen, das aufgrund der für die Glaubenden neu zu ziehenden Drinnen-Draußen-Grenzen gegenüber den Nichtgläubigen entstanden ist. Während in 1Kor 6,1–6 zu beklagen war, dass sich die Mitglieder der Ekklesia mit ihren Angelegenheiten fälschlicherweise an die ‚Draußen` wenden, steht nun ein ganz anderes Problem zur Debatte, das in der Ekklesia offensichtlich für Unklarheiten und Unsicherheiten sorgte: Was, wenn die Grenze zwischen drinnen und draußen eine Ehe durchzieht, das heißt sich nur einer von zwei Partnern zum Glauben an Jesus Christus bekehrte? So dies der Fall ist und eine Glaubende mit einem Nichtgläubigen, oder umgekehrt, verheiratet ist, sahen sich die Glaubenden der Ekklesia von Korinth anscheinend der Frage gegenübergestellt, ob man eine solche Ehe erhalten solle, oder, um die Grenze zu den ‚Draußen` und die Heiligkeit der ‚Drinnen` zu wahren, eine solche Ehe scheiden müsse.
6.1 Analyse 1Kor 7 12Τοῖς δὲ λοιποῖς λέγω ἐγὼ οὐχ ὁ κύριοσ: εἴ τις ἀδελφὸς γυναῖκα ἔχει ἄπιστον καὶ αὕτη συνευδοκεῖ οἰκεῖν µετ´ αὐτοῦ, µὴ ἀφιέτω αὐτήν. 13καὶ γυνὴ εἴ τις ἔχει ἄνδρα ἄπιστον καὶ οὗτος συνευδοκεῖ οικεῖν µετ´ αὐτῆς, µὴ ἀφιέτω τὸν ἄνδρα. 14ἡγίασται γὰρ ὁ ανὴρ ὁ ἄπιστος ἐν τῇ γυναικὶ καὶ ἡγίασται ἡ γυνὴ ἡ ἄπιστος ἐν τῷ ἀδελφῷ: ἐπεὶ ἄρα τὰ τέκνα ὑµῶν ἀκάθαρτά ἐστιν, νῦν δὲ ἅγιά ἐστιν. 15εἰ δὲ ὁ ἄπιστος χωρίζεται, χωριζέσθω: οὐ δεδούλωται ὁ ἀδελφὸς ἢ ἡ ἀδελφὴ ἐν τοῖς τοιούτοισ: ἐν δὲ εἰρήνῃ κέκληκεν ὑµᾶς ὁ θεός. 16τί γὰρ οἶδας, γύναι, εἰ τὸν ἄνδρα σώσεισ; ἤ τί οἶδας, ἄνερ, εἰ τὴν γυναῖκα σώσεισ; „12Den Übrigen aber sage ich, nicht der Herr: Wenn ein Bruder eine nichtgläubige Frau hat und diese einwilligt, mit ihm zu wohnen, entlasse er sie nicht. 13 Auch eine Frau, wenn sie einen nichtgläubigen Mann hat und dieser einwilligt, mit ihr zu wohnen, entlasse sie den Mann nicht. 14Denn der nichtgläubige Mann ist durch die Frau geheiligt, und die nichtgläubige Frau ist durch den Bruder geheiligt. Sonst wären eure Kinder unrein, nun aber sind sie heilig. 15Wenn aber der Nichtgläubige sich trennen will, trenne er sich. Der Bruder oder die Schwester ist in diesen Dingen nicht versklavt. Denn in Frieden hat euch Gott berufen. 16Was weißt du denn, Frau, ob du den Mann rettest? Oder was weißt du, Mann, ob du die Frau rettest?“
Wie aus Vers 1 ersichtlich (περὶ δὲ ὧν ἐγράψατε), handelt es sich in 1Kor 7 um die Antwort des Paulus auf konkrete Fragen, die ihm aus Korinth zugestellt worden waren. Die Argumentation des Paulus über Ehe und Ehelosigkeit, in die auch die Frage nach der Ehe mit einem Nichtgläubigen eingebunden ist, verläuft bis Vers 12 folgendermaßen: Zunächst wäre es am besten, wenn – und
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Nicht gläubig und doch geheiligt – 1Kor 7,12–16
hier ist Paulus selbst das Vorbild (V. 7 f.) – erst gar nicht geheiratet würde. Explizit spricht er davon, dass es für Unverheiratete und Witwen besser sei, sie blieben, wie auch Paulus es ist (V. 8): nicht verheiratet. Für solche, die nicht anders können 1, ist es jedoch besser „zu heiraten als aus Verlangen zu brennen“ (V. 9). Was Ehescheidung und Wiederheirat angeht, beruft Paulus sich auf die Autorität eines Herrenwortes (V. 10). Abermals lautet das oberste Gebot, den gegenwärtigen Status zu erhalten. Das heißt für eine Frau, sich nicht vom Mann zu scheiden, und für den Mann, die Frau nicht zu verlassen. So es doch zu einer Scheidung gekommen ist, soll nicht ein weiteres Mal geheiratet werden, oder aber die Frau soll sich mit dem Mann versöhnen (V. 11). 2 In Vers 12 nun wendet Paulus sich an die Übrigen. Auf ein Herrenwort kann er sich für das Folgende nicht berufen, und so legt er den Glaubenden in Korinth seine Sicht der Dinge dar. 3 Mit den angesprochenen Übrigen (λοιποί) sind sicherlich die Übrigen unter den Verheirateten (V. 10) angesprochen, deren Fragen zum Thema Ehe und Ehelosigkeit er bisher noch nicht in den Blick genommen hat: Und zwar, wie solche ‚Mischehen` zu handhaben sind, bei denen nur ein Teil zum Glauben an Jesus Christus bekehrt wurde und der andere nicht. τοῖς δὲ λοιπός könnte darauf hinweisen, dass es sich bei den Angesprochenen nicht um den Regelfall handelt, sondern um den zum Schluss der Betrachtung zu behandelnden Sonderfall. 4 Der Abschnitt 1Kor 7,12–16 besteht aus zwei Teilen: den Versen 12–14 und 15 f. In beiden Teilen beschreibt Paulus ein Szenario im Rahmen einer Ehe zwischen Glaubenden und Nichtgläubigen. Beide Szenarien (V. 12a–c.13a– c/15a) sind mit einer Handlungsanweisung (V. 12d.13d/15b) und einer entsprechenden Begründung versehen (V. 14/15c–16).
1 οὐκ ἐγκρατεύονται („sich nicht beherrschen können“) weist darauf hin, dass es nicht nur um das Heiraten im sozialen, sondern auch im körperlichen Sinn geht; vgl. Arzt-Grabner u. a. 2006, 265. 2 Im Gegensatz zu den Versen 12–16 argumentiert Paulus hier nicht gleicherweise aus der Sicht von Mann und Frau. 3 Vgl. 1Kor 7,25, hier allerdings mit dem Zusatz: „Ich aber gebe meine Meinung als einer, dem sich der Herr erbarmt hat, treu zu sein.“ 4 Ähnlich, und zwar insofern mit λοιπός eine von der Hauptgruppe, Mehrheit oder Norm unterschiedene Größe beschrieben wird, in: Mt 22,6; Lk 8,16; 18,22; 1Thess 4,13; 5,6. Dass Paulus für dieses Problem einer Ehe zwischen πιστεύοντες und ἄπιστοι kein Herrenwort zur Verfügung hat, ist nicht weiter verwunderlich. Es unterstreicht vielmehr die Tatsache, dass es sich dabei um ein Problem handelt, das erst nach einem gewissen Zeitraum der erfolgreichen Mission und Bekehrung auftreten kann, denn Jesus selbst adressierte seine Worte an ein ausschließlich jüdisches Publikum (vgl. Barrett 1971, 163 f.). Eine Unterscheidung zwischen πιστεύοντες und ἄπιστοι gab es freilich noch nicht.
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Analyse
Szenario
12a–c/13a–c
15a
Handlungsanweisung
12d/13d
15b
Begründung
14
15c–16
Anders als im ersten Szenario in den Versen 12 und 13 fällt die Beschreibung des zweiten Szenarios deutlich kürzer aus; hier dann auch nicht mehr unter Berücksichtigung beiderlei Geschlechts. Die Handlungsanweisungen, die sich aus den beiden unterschiedlichen Szenarien ergeben, sind gegensätzlich. Insofern Einwilligung über das gemeinsame Zusammenleben besteht, fordert Paulus auf, sich nicht zu trennen: µὴ ἀφιέτω („sie trenne sich nicht“)! Insofern der Nichtgläubige sich trennen will, fordert Paulus dazu auf, diesem Wunsch nicht zu widersprechen: χωριζέσθω („er trenne sich“)! Geprägt ist der Text vor allem durch das semantische Gegenüber von ἀδελφός, beziehungsweise ἀδελφή 5 und ἄπιστος. Auffällig, wenn auch ohne nennenswerte Verschiebungen in der Semantik, ist der scheinbar willkürliche Wechsel der Bezeichnungen für den jeweils glaubenden, beziehungsweise nichtgläubigen Teil innerhalb der Ehe. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass Paulus die Verse 12–14b in einer doppelten chiastischen Struktur angelegt hat. Dabei bilden die Verse 12 und 14b einen äußeren, die Verse 13 und 14a einen inneren Chiasmus. ἀδελφός
γυνή ἄπιστος (V. 12)
γυνή
ἀνήρ ἄπιστος (V. 13)
ὁ ἀνήρ ὁ ἄπιστος
ἡ γυνή (V. 14a)
ἡ γυνὴ ἡ ἄπιστος
ἀδελφός (V. 14b)
Am stärksten wiegt die semantische Opposition zwischen den Nichtgläubigen und den hier angesprochenen Brüdern und Schwestern in Korinth in Vers 15. Dort verwendet Paulus das Adjektiv ἄπιστος nicht attributiv zu γυνή beziehungsweise ἀνήρ, sondern in substantivierter Form. Damit rückt der Aspekt 5
Der Gebrauch des Begriffs ἀδεφλή im Sinne der Bezeichnung für ein glaubendes Mitglied der Ekklesia ist sehr selten; neben 1Kor 7,15 nur in Röm 16,1 und Phlm 2. Dort jeweils als Bezeichnung einer konkreten Person: Phoebe und Aphia. Der Plural ἀδελφαί begegnet nirgends; vgl. dagegen ἀδελφοί (z.B. Röm 7,1; 8,29; 10,1; 1Kor 6,5.8; 8,12, 15,6; 2Kor 8,1; Gal 1,11; Phil 1,14; 1Thess 4,6). Der Grund für den seltenen Gebrauch liegt vor allem in der inklusiven Verwendung der ἀδελφοί-Bezeichnung. Darauf, dass auch Frauen unter der Bezeichnung mit gedacht sind, weist z.B. die explizite Erwähnung der Frauen Euodia und Syntyche in Phil 4,2 in Folge auf die Anrede ἀδελφοὶ µου ἀγαπητοὶ καὶ ἐπιπόθητοι („meine geliebten und ersehnten Brüder“ V. 1) hin; vgl. Trebilco 2011, 24.
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Nicht gläubig und doch geheiligt – 1Kor 7,12–16
der Partnerschaft mit einem (glaubenden) Bruder in den Hintergrund. Während die Verse 12 und 13 in erster Linie betonen, dass es sich um den Mann beziehungsweise die Frau handelt, die dann zur genaueren Beschreibung das Attribut ‚nichtgläubig` erhalten, zählt in Vers 15 nur noch, dass die jeweilige Person eine Nichtgläubige oder ein Nichtgläubiger ist. Im Gegenüber zu den Nichtgläubigen wird in Vers 15 das ‚Bruder-` und ‚Schwester-Sein` der Angesprochenen betont. Im abschließenden Vers 16 spielt dieses Gegenüber jedoch keine Rolle mehr, und die Beziehung zwischen Mann und Frau rückt wieder in den Vordergrund.
6.2 Ehe mit einem ‚Draußen` 1. Die Tatsache, dass Paulus im Rhmen seiner Ausführungen zu Ehe und Ehescheidung auf die Frage nach dem Umgang mit sogenannten ‚Mischehen` aus Glaubenden und Nichtgläubigen zu sprechen kommt, lässt vermuten, dass diese ‚Mischehen` und der entsprechende Umgang damit Teil der Fragen der korinthischen Ekklesia an Paulus waren. Es zeigt aber vor allem, dass die Existenz und die damit einhergehenden Probleme, die aus einer glaubend-nichtgläubigen Ehe entstanden, immerhin so groß waren, dass die Notwendigkeit bestand, sich bei Paulus Auskunft darüber einzuholen. Dass solche gemischten Ehen „in frühchristlichen Gemeinden nicht selten gewesen sein“ 6 werden, geht nicht aus dem Text hervor. Auch mögliche Probleme des Zusammenlebens (οἰκέω µετά) 7 von Glaubenden und Nichtgläubigen zu benennen, bleibt Spekulation. 8 Dass es in derartigen Partnerschften jedoch zu Komplikationen gekommen ist, ist durchaus vorstellbar. 9 Paulus geht hier allerdings nicht auf die möglicherweise dem Pro6 Merklein 2000, 118. 7 οἰκέω begegnet abgesehen von 1Tim 6,16 nur im Röm und 1Kor und bezeichnet bei Paulus sonst die Einwohnung (οἰκέω ἐν) der Sünde (Röm 7,17 f.20) oder Gottes Geist (Röm 8,9.11; 1Kor 3,16) im Menschen. Nur hier steht es zusammen mit µετά + Genitiv (s. aber 2Sam 15,19: ἐπίστρεφε καὶ οἴκει µετὰ τοῦ βασιλέως „Kehre um und bleibe beim König“ vgl. Gen 27,44; 29,19; Jer 47,5LXX) und bedeutet „wohnen mit“ oder „bleiben bei“ (s.a. Thucydides, Hist. VII 58,1; Isocrates, Orat. 3,7; Plato, Leg. 909a; Demosthenes, Orat. 40, 7). οἰκέω µετά bezieht sich hier jedoch über eine funktionale Wohngemeinschaft hinaus auf eine Haus- und Lebensgemeinschaft der beiden Ehepartner; vgl. Schrage 1995, 103, Anm. 289. 8 Folgende Beurteilung der Konfliktsituation: „married members of the church found themselves daily in the akward, even dangerous, situation of eating with, sleeping with and caring for the children of unbelievers“ (Macdonald 1990, 221), geht daher zu weit über den zugrundeliegenden Text hinaus. 9 Häufig wird in diesem Zusammenhang auf Plutarch, Mor. 140d verwiesen, wo davon die Rede ist, dass eine Frau im Sinne der Unterordnung unter ihren Mann auch die
Ehe mit einem ‚Draußen`
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blem zugrunde liegenden Konflikte zwischen den Ehepartnern ein, da es ihm um die Frage der Weiterführung einer solchen Ehe und nicht um die Lösung von bestehenden alltäglichen Konflikten in solchen Ehen geht. 10 Auch wenn MacDonald mit Recht darauf hingewiesen hat, dass die sich in einer ‚Mischehe` ergebenden Probleme für eine glaubende Frau, die einen nichtgläubigen Mann hat, gravierender gewesen sein dürften als umgekehrt, 11 formuliert Paulus das Problem doch in gleicher Weise für Mann und Frau. Nebst möglichen familiären und gesellschaftlichen Problemen 12 weist der Text vielmehr darauf hin, dass das zugrunde liegende Problem mit den Themen ‚Heiligkeit` und ‚Reinheit` im Zusammenhang steht. So wie in 1Kor 7,12–16 geschrieben ist, lässt sich in begründeter Weise vermuten, dass es zumindest einige in der Ekklesia von Korinth gab, die Bedenken hinsichtlich der Heiligkeit und Reinheit (V. 14) der Glaubenden geäußert haben, sofern diese in ehelicher Gemeinschaft mit einem Nichtgläubigen leben. 13 In seiner Argumentation bleibt Paulus dem bisher vorherrschenden Schema in 1Kor 7 treu: Oberstes Gebot ist und bleibt die Erhaltung der Ehe. Voraussetzung ist lediglich die Einwilligung 14 des nichtgläubigen Partners. Es ist jedoch von einer beiderseitigen Einwilligung auszugehen, denn συνευδοκέω beschreibt vor allem die beidseitige (συν-) Zustimmung, Einwilligung oder Übereinstimmung in Bezug auf etwas. 15 Ausgerichtet ist diese beidseitige Übereinstimmung in 1Kor 7,12 f. auf das gemeinsame Wohnen (οἰκεῖν µετά). Auch wenn Paulus hier einseitig formuliert (αὔτη/οὗτος συνευδοκεῖ „sie/dieser willigt ein“), ist der Wille und die Zustimmung des glaubenden
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gleichen Götter wie ihr Mann anzuerkennen habe; vgl. Hodge 2010, 2; Zeller 2009, 245; Macdonald 1990, 230. Vgl. Schrage 1995, 104. Vgl. Macdonald 1990. Ähnlich auch: Hodge 2010. Lang 2018, 989 ist der Meinung, hierin läge ein Hinweis, dass es sich bei den ἄπιστοι um solche handelt, die bereits mit dem Christusglauben sympathisieren. So ließe sich seiner Ansicht nach erklären, wie und warum diese nichtgläubigen Ehepartner Beschämung und Komplikation ertragen könnten. Vgl. Zeller 2009, 245; Merklein 2000, 118. Ganz anders dagegen Baumert 1984, 69, der den Anlass für 1Kor 7,12–16 folgendermaßen bestimmt: „[d]as ‚nicht wegschicken` zeigt, daß der Christ Interesse hat, ihn [d.h. den nichtgläubigen Partner] loszuwerden“. Bezüglich der ‚Einwilligung` hat El Mansy 2016, 45.248 auf einen Textbeleg römischer Praxis hingewiesen. Dieser Text, auch wenn aus dem ersten Jahrhundert nach Christus, bietet eine bemerkenswerte Parallele hinsichtlich dem Willen beider Partner zu einer zu schließenden Ehe. Besonders in den sozial schlechter gestellten Schichten handelt es sich bei der Ehe nicht um ein Rechtsverhältnis, sondern eine Konsensentscheidung beider Partner: Nuptiae consistere non possunt nisi consentiant omnes („Eine Ehe kann nicht bestehen, wenn nicht alle übereinstimmen“. Dig. 23,2,2; vgl. 50,17,30. Z.B. Apg 8,1: Σαῦλος δὲ ἦν συνευδοκῶν τῇ ἀναιρέσει αὐτοῦ „Saulus aber willigte [mit den jüd. Autoritäten] in seine Steinigung ein.“ vgl. Apg 22,20; s.a Lk 11,48; Röm 1,32; 1Makk 1,57; 2Makk 11,24.35; weiterhin: Polybius, Hist. VII 1,3; XXIII 4,13; XXXII 6,9; Diodorus Siculus IV 24,1; XI 57,5; XVIII 49,1.
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Partners zur Erhaltung der Ehe die Voraussetzung für die Einwilligung des nichtgläubigen Partners, da die Einwilligung in etwas die Bereitschaft des je anderen voraussetzt. 16 2. 1Kor 7,12–16 lässt eine grundsätzliche Offenheit des Paulus gegenüber Ehen zwischen Glaubenden und Nichtgläubigen erkennen. Er fordert sogar dazu auf, solche Ehen zu erhalten, sofern in diesem Punkt Einigkeit unter den Partnern besteht. Diese Haltung fällt gegenüber bestimmten alttestamentlichen und zeitgenössischen jüdischen Texten auf, die eine dezidiert abgrenzende Haltung hinsichtlich Ehe und Verkehr mit Fremdstämmigen erkennen lassen. Neh 13 27„Und von euch muss man hören, dass ihr all das große Unrecht tut, dass ihr treulos gegen unseren Gott (seid), dass ihr fremdstämmige Frauen heiratet!“ JosAs 7 5„Denn so sprach Jakob zu seinem Sohn Joseph und zu all seinen Söhnen: ‚Hütet euch sehr, meine Kinder, vor einer fremden Frau und mit ihr Gemeinschaft zu haben. Denn ihre Gemeinschaft ist Verderben und Verführung.`“
Besonders prominent ist das Verbot einer Ehe mit Außenstehenden in den Büchern Esra 17 und Nehemia 18, sowie dem Jubiläenbuch 19. Es findet sich in dieser Form aber auch anderswo im Alten Testament 20 und in jüdischen Schriften. 21 Grund für das Verbot ist vor allem die Gefahr der Verunreinigung und Idolatrie, die in solchen Verbindungen gesehen werden. 22 Dtn 7 3„Du sollst nicht untereinander verheiraten mit ihnen [גוים/ἔθνη (V. 1)]: Gib nicht deine Tochter zu seinem Sohn und nimm nicht seine Tochter für deinen Sohn. 4Denn sie wird deinen Sohn von mir abwenden, dass er anderen Göttern diene.“ 23
Esra und das Jubiläenbuch betonen in diesem Zusammenhang die Heiligkeit des σπέρµα, welche durch das Eingehen solcher Ehen zerstört würde. Esra 9 2„denn sie haben genommen, von ihren Töchtern für sich und ihre Söhne genommen und so wurde der heilige Same (σπέρµα τὸ ἅγιον) mit den Völkern der Länder vermischt“.
Vgl. Thiselton 2000, 527. Anders: Schrage 1995, 104. Z.B. 9,1 f.6–15; 10,2–12. Z.B. 10,31; 13,1–3.23–31. Z.B. 20,4; 22,20; 25,1.3; 30,11–15. Z.B. Ex 34,15 f.; Dtn 7,1–5; Tob 4,12. Gegen Mischehen sprechen sich auch TestHi 45,3; JosAs 8,5; LibAnt 9,5; 21,1; 43,5; TestJud 14,6; TestLev 9,10; 14,6 und Josephus, Ant. XVIII 345 aus. 22 Vgl. El Mansy 2016, 138 f.183 f. 23 Vgl. Esra 9,12; Neh 10,31.
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Ehe mit einem ‚Draußen`
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Jub 25 3„und nimm keine Frau aus den Töchtern dieses Landes außer aus dem Hause deines Vaters und außer dem Geschlecht deines Vaters! [. . .] Und dein Geschlecht wird eine Nachkommenschaft der Gerechtigkeit sein und ein heiliger Same.“ 24
Ziel des Verbots gemischter Ehen von ‚Drinnen` und ‚Draußen` ist es, die innere Zugehörigkeit zu stärken und auch zukünftig zu sichern sowie ein Eindringen von außen zu verhindern. El Mansy hat jedoch in ihrer ausführlichen Untersuchung zur Exogamie in 1Kor 7,12–16 und ihrem traditionsgeschichtlichem Hintergrund hinterfragt, „ob die Ablehnung von Exogamie in den jüdischen Quellen tatsächlich so einlinig und unstrittig ist“ 25, wie sie in der Forschung gerne dargestellt wird und von der sich Paulus so grundlegend unterscheiden würde. Während sich Esra/Nehemia und das Jubiläenbuch in der Tat sehr negativ über die Möglichkeiten einer Ehe mit Außenstehenden äußern, ist das gesamte Buch Ruth eine der Sache eher aufgeschlossene Erzählung über eine jüdisch-nichtjüdische Ehe und die daraus entstehenden Folgen. 26 Auch Philo kann neben der Aufnahme kritischer Gedanken zu gemischten Ehen (z.B. Philo, Spec. III 29) die Gemeinschaft mit Fremden unter dem Vorzeichen moralischer und sittlicher Konformität (Philo, Spec. II 73) akzeptieren, beziehungsweise sogar die daraus entstehenden ökonomischen Vorteile sehen (Philo, Spec. III 25). 27 Mit Recht ist El Mansy in Bezug auf die Paulusbriefe davon abgerückt, Paulus eine Außenseiterposition hinsichtlich der Haltung zu gemischten Ehen innerhalb der Texte seiner Umwelt nachzusagen. 28 Die überwiegende Mehrheit der Texte jüdischer Tradition belegt eine strikte Abgrenzung. Diese hauptsächlich abgrenzende Haltung der jüdischen Quellen übernimmt Paulus jedoch nicht. Im Gegenteil: Noch bevor er innerhalb des Abschnittes 1Kor 7,12–16 auf weitere Einzelheiten der Mischehenfrage zu sprechen kommt, macht er gleich zu Beginn (V. 12d.13d) deutlich geltend, dass eine Trennung von Seiten des glaubenden Partners keine Option darstellt: „er/sie entlasse sie/ihn nicht“ (µὴ ἀφιέτω; vgl. V. 10). 3. 1Kor 7,12–16 zeugt davon, dass es in der Ekklesia von Korinth Unsicherheiten und möglicherweise auch Uneinigkeiten darüber gab, wie mit Ehen zwischen Glaubenden und Nichtgläubigen umzugehen sei. Hintergrund könnten die in jüdischer Literatur belegten Vorbehalte gegenüber solchen Zusam-
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Übers. K. Berger, JSHRZ II/3, 452. El Mansy 2016, 31. Vgl. El Mansy 2016, 143–157. Vgl. El Mansy 2016, 188–216. Vgl. El Mansy 2016, v.a. 276–278.
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menschlüssen gewesen sein. 29 Konkret dürfte es um die Heiligkeit der Ekklesia als Ganzer und derer einzelner Mitglieder gegangen sein. Darauf weist die paulinische Argumentation in Vers 14 f. hin. Woher diese Sorge um Verunreinigung und Verlust der Heiligkeit stammt, haben die Texte der Umwelt gezeigt. Die negativen Auswirkungen auf die je eigenen Sitten und die Gefahr der Idolatrie sind ein Motiv, das alle Texte, die sich gegen Ehe mit Außenstehenden richten, teilen. 30 Die Diskussion um das Für und Wider einer Fortführung von glaubendnichtgläubigen Ehen ist damit im Kontext der noch unübersichtlichen Situation der sich ausbildenden Strukturen der Ekklesia situiert. Die Unsicherheit der Glaubenden in Korinth über die Möglichkeit einer Einwirkung von draußen auf die Heiligkeit der ‚Drinnen` entspricht der Drinnen-Draußen-Abgrenzung, die auch Paulus im Zusammenhang mit den Nichtgläubigen bereits in 6,1–6 gezogen hatte. Drinnen sind die Heiligen (ἅγιοι) und die Brüder (ἀδελφοί). Draußen dagegen sind die Nichtgerechten (ἄδικοι), die Welt (κόσµος) und die Nichtgläubigen (ἄπιστοι). Eine ähnliche Zuordnung von drinnen und draußen lässt auch 1Kor 7,12–16 erkennen. Wieder werden die ‚Drinnen` mit dem ἀδελφός- beziehungsweise dem ἀδελφή-Begriff beschrieben, während die ‚Draußen` als ἄπιστοι gekennzeichnet sind. Selbst innerhalb der Ehe wird diese Grenze zwischen den Nichtgläubigen und dem (glaubenden) Bruder beziehungsweise der (glaubenden) Schwester gezogen. Anders als in 1Kor 6, wo aus paulinischer Sicht die Grenze nach draußen offensichtlich überschritten wurde, indem Glaubende gegeneinander vor Nichtgläubigen ihr Recht suchen, zielt die Argumentation des Paulus hier jedoch nicht auf ein konsequentes Einhalten der Grenze zwischen Glaubenden und Nichtgläubigen ab, sondern es geht ihm um die Möglichkeit einer Erhaltung der Ehe, obwohl einer der Partner zu den ‚Drinnen` gehört und der andere zu den ‚Draußen`. Sprache und Inhalt der Weisungen des Paulus scheinen sich hier in gewisser Weise entgegenzustehen. Die begriffssprachliche Grenzziehung, die Paulus zwischen den ἄπιστοι und den ἀδελφοί – inklusive aller isotopen Bezeichnungen in 1/2Kor – manifestiert, ist aus- und abgrenzend. Bei der Zugehörigkeit zu Jesus Christus, die durch πίστις begründet ist und somit auch zum Zugehörigkeitsmerkmal wird, gibt es keine Graustufen, sondern nur drinnen oder draußen. Die paulinische Haltung gegenüber den ‚Draußen`, wie es bezüglich der nichtgläubigen Partner in 1Kor 7,12–16 zu Tage tritt, ist dagegen offen und aufgeschlossen. Eine Notwendigkeit zur Trennung besteht nicht. Vielmehr 29 Solche Vorbehalte sind allerdings nicht auf das Judentum begrenzt, sondern begegnen ebenso in der griechisch-römischen Literatur; vgl. dazu El Mansy 2016, 43–101. 30 Die im Text sichtbare Problematik dürfte sich allerdings vor allem auf solche Paare beziehen, die ehemals beide ‚Heiden` waren, von denen dann aber einer zum Glauben an Christus kam. Bei einem jüdischen Paar, von denen nur einer zum Glaube an Christus kam, stellte sich die Frage nach einer Einwirkung auf die Heiligkeit der ‚Drinnen` sicher nicht.
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sollten Ehen, unter der Bedingung des Konsenses, weitergeführt werden. Bemerkenswert ist dahingehend auch, dass in 1Kor 7,12–16 im Vergleich zu 1Kor 6,1–6 eine Akzentverschiebung in der Aufteilung von drinnen und draußen im Zusammenhang mit der ἄπιστοι-Bezeichnung vorliegt. Während Heiligkeit dort und sonst eine Eigenschaft ist, mit der Paulus die Glaubenden beschreibt, kommt es hier zu einer semantischen Verknüpfung von ἄπιστος und ἅγιος beziehungsweise ἁγιάζω. Die zentrale Frage ist daher, wie Paulus dazu kommt, den Nichtgläubigen ein Geheiligt-Sein zuzuschreiben, welches doch sonst den Glaubenden an Jesus Christus vorbehalten ist.
6.3 Eine Frage der Heiligkeit 6.3.1 Die Glaubenden als Heilige Auch wenn Paulus die Glaubenden in 1Kor 7,12–16 nicht explizit als die ἅγιοι bezeichnet, wie er es in 1Kor 6,1 f. und vorher in 1,2 getan hat, 31 so ist das Motiv von Heiligkeit, Heiligung und Heilig-Sein hier weitaus zentraler als dies in 1Kor 6 der Fall war. Die Bezeichnung der Glaubenden als ‚Heilige` entnimmt Paulus seiner jüdischen Enzyklopädie. Außerhalb der Septuaginta und den übrigen Schriften aus der hellenistisch-römischen Zeit spielt die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in der griechischsprachigen Literatur keine Rolle. Allerdings ist die ἅγιοι-Bezeichnung in der Septuaginta in Bezug auf eine Gruppe von Menschen, wie sie bei Paulus begegnet, bei weitem nicht so häufig. 32 Weit häufiger als Menschen wird im Alten Testament himmlischen Wesen Heiligkeit zugeschrieben. 33 Heilig ist im ersten Sinne Gott selbst und auch die ihm nahe stehenden Wesen, die Engel. 34 31 Weiterhin in Röm 1,7; 12,13; 15,25 f.31; 16,2.15; 2Kor 1,1; 8,4; 9,1.12; 13,12; Phil 1,1; 4,21 f.; Phlm 5.7. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die ἅγιοι-Bezeichnung vornehmlich in den Prä- und Postskripten, beziehungsweise den Schlussparänesen der Briefe begegnet. Die Bezeichnung verwendet Paulus also vor allem dort, wo er seine Adressaten direkt als solche anspricht. Geläufig ist die ἅγιοι-Bezeichnung aber auch in den späteren Schriften des NT: Mt 27,52; Apg 9,13.32.41; 26,10; Eph 1,1.15; 2,19; 3,8.18; 4,12; 5,3; 6,18; Kol 1,2.4.12.26; 3,12; 2Thess 1,10; 1Tim 5,10; Heb 6,10; 13,24; Jud 3; Offb 5,8; 8,3 f.; 11,18; 13,7.10; 14,12; 16,6; 17,6; 18,20.24; 19,8; 20,9. 32 Sie begegnet in Ps 15,3LXX (zur Diskussion um diese Stelle s. Bohlen 2011, 40 f.) und 34,10LXX; weiterhin Jes 4,3 (der sog. ‚Rest`). Etwas profilierter begegnet die ἅγιοι-Bezeichnung im Sinne einer Personengruppenbezeichnung erst in Dan 7,18.22.25.27. Hier ist der Gebrauch klar eschatologisch geprägt: Den „Heiligen des Höchsten“ wird, so Dan 7, das zukünftige und ewige Reich gegeben werden. 33 Vgl. Bohlen 2011, 21–23; Woodward 1981, 107. 34 Ex 15,11; Hos 12,1; Sach 14,5; Spr 30,3; Dan 4,10; Weish 5,5.
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Aus der Heiligkeit Gottes leitet sich dann aber auch die Heiligkeit Israels ab ( והייתם קדשׁים כי קדושׁ אני/καὶ ἅγιοι ἔσεσθε, ὅτι ἅγιος εἰµι ἐγώ/„und ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“ Lev 11,44) 35. Etwas häufiger begegnet die ἅγιοι-Bezeichnung jedoch in den Schriften der hellenistisch-römischen Zeit. 36 Paulus übernimmt also mit der ἅγιοι-Bezeichnung eine im Judentum bekannte und geprägte Selbstbezeichnung Israels und wendet diese auf die Glaubenden an. Integraler Bestandteil der Bezeichnung ist dabei, dass Paulus damit immer alle Glaubenden bezeichnet. Abgesehen von „den Heiligen, [. . .] die in Jerusalem sind“ (Röm, 15,25 f.) 37, stellt er niemanden als besonders heilig heraus, sondern wendet sich vielmehr immer an „alle Heiligen“ (πᾶσιν τοῖς ἁγίοις Phil 1,1) 38. Bemerkenswert ist aber auch, dass der Begriff offensichtlich keiner Erklärung bedarf. Es kann insofern davon ausgegangen werden, dass er den jeweiligen Adressaten bekannt war, oder zumindest, dass sie ihn entsprechend seiner Intention erfassen konnten.
6.3.2 Inklusives Geheiligtsein 1. Das Thema ‚Heiligkeit` nimmt Paulus in Vers 14 zur Begründung der in Vers 12 f. geäußerten Aufforderung, sich nicht zu trennen, auf. Angenommen, die Heiligkeit der Glaubenden und der Ekklesia war das Thema, das bei den Glaubenden in Bezug auf die Ehe mit Nichtgläubigen zur Diskussion stand – und da Paulus dies nur hier so thematisiert, ist davon auszugehen –, gelingt Paulus ein geschicktes rhetorisches Manöver: Er macht die von der Ekklesia problematisierte Heiligkeit zur eigentlichen Lösung des Problems. Der nichtgläubige Partner, so Paulus in Vers 14, ist in ἐν τῇ γυναικί beziehungsweise ἐν τῷ ἀδελφῷ geheiligt. Das heißt, dass Paulus die Befürchtung einer potenziellen Entheiligung durch den nichtgläubigen Partner im Sinne einer Mitheiligung durch den glaubenden Partner umkehrt. 39 Die Präposition ἐν mit Dativ ist hier zunächst instrumental zu verstehen. Zusammen mit dem Perfekt Passiv von ἁγιάζω 40 ergibt sich ein Geheiligt-Sein 35 Vgl. Ex 22,30; Lev 19,2; 20,7.26; 21,8. 36 Z.B. Tob 8,15; 12,15; PsSal 17,32; 1Hen 38,4 f.; 48,1.7.9; 50,1; 62,8 (u.ö.); TestLev 18,11; TestDan 5,11 f.; VitProph 2,12. Zum sonstigen Gebrauch des Begriffs in diesen Schriften, s. Bohlen 2011, 46–51; Trebilco 2011, 125 f.; Woodward 1981. 37 Vgl. 1Kor 16,1; 2Kor 8,4; 9,1.12. 38 Vgl. Röm 1,7; 1Kor 1,2; 2Kor 1,1. 39 Vgl. Schrage 1995, 104. 40 Das Perfekt Passiv von ἁγιάζω im Indikativ ist nirgends anders im Neuen Testament belegt. Auch sonst ist es erst in der christlichen Literatur nach Paulus zu finden (z.B. Clemens v. Alexandrien, Strom. II 20,114; V 6,39; Origines, Hom. Jer. 1,11 ). Der im Neuen Testament weit häufigere Gebrauch des Partizip Perfekt Passiv ist vor Paulus zwar in der LXX breit belegt (z.B. Lev 20,3; Dtn 33,3; Jes 13,3; 1Esra 5,51), jedoch in der Literatur der Umwelt völlig abwesend.
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durch den glaubenden Partner. 41 Dem Dativ kommt an dieser Stelle jedoch zusätzlich noch possessive Bedeutung zu, denn der glaubende Partner stellt nicht nur das Mittel des Geheiligt-Seins dar, sondern es ist vor allem die Zugehörigkeit des nichtgläubigen Partners zu ihm oder ihr, welche die Heiligkeit vermittelt. Strukturell handelt es sich bei der Formel ἁγιάζοµαι + ἐν also um eine vermittelte Heiligkeit: Der Nichtgläubige ist durch seinen Partner geheiligt. Dasselbe Phänomen einer vermittelten Heiligkeit hat Paulus zu Beginn des 1Kor (1,2) in Bezug auf die Glaubenden formuliert: Bei den Zugehörigen zur ἐκκλησία τοῦ θεοῦ handelt es sich nach Paulus um ἡγιασµένοι ἐν Χριστῷ Ιησοῦ. So wie die Heiligkeit der Glaubenden durch ihre Zugehörigkeit zu Jesus Christus vermittelt ist, so ist die Heiligkeit der Nichtgläubigen durch ihre Zugehörigkeit zum glaubenden Ehepartner vermittelt. 2. Das Konzept einer ‚vermittelten Heiligkeit`, das Paulus in 1Kor 7,12–16 zur Begründung der Fortführung von Ehen zwischen Glaubenden und Nichtgläubigen anführt, hat in der Forschung immer wieder zu Anfragen an die Einpassung in das paulinische Verständnis von Heiligkeit geführt. Diese Anfragen gehen mit unter so weit zu fragen, ob es sich nicht gar um einen „Fremdkörper in der Theologie des Paulus“ 42 handelt. Wie also ist die Heiligkeit der Nichtgläubigen an dieser Stelle zu verstehen, und wodurch entsteht sie? Diese Frage hat zu mannigfaltigen Erklärungsversuchen in der Forschungsliteratur geführt. a) Schrage spricht davon, dass hier ein „objektiver, wenn nicht gar dinglich-magischer Heiligkeitsbegriff vorliegt“ 43 und zieht für seine Erklärung das Bild einer „magnetischen Kraft“ heran, in die die ‚Nichtchristen` hineingezogen würden. b) Lietzmann versteht die Übertragung der Heiligkeit als eine leibliche, die sich bei den Kinder aus der „Abstammung“ und unter den Ehepartnern aus dem „geschlechtlichen Verkehr“ 44 ergibt. c) Weniger konkret, doch nichtsdestoweniger den Gedanken der Übertragung übernehmend, ist das Verständnis einer „ansteckenden“ 45 Heiligkeit, wie Zeller es formuliert. d) Auch Merklein geht von einem „dinglichen“ Verständnis aus. Er versteht es jedoch gerade nicht als magische Übertragung, sondern „im Sinne einer ‚Infiltration` durch die praktischen Lebensvollzüge im Raum der Familie“ 46. e) Ähnlich formuliert auch Külling: „Denn indem dieser [ungläubige Ehepartner] die Einwilligung gegeben hat, mit seinem glaubenden Ehepartner zusammenzuwohnen und mit ihm durch seine Ehe in eine leibliche Verbindung getreten ist, gewinnt er Anteil an der Ordnung und Ausrichtung von dessen
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S. dazu, auch im Vergleich mit weiteren Stellen von ἁγιάζοµαι + ἐν, Bohlen 2011, 149. Conzelmann 1981, 154. Schrage 1995, 105. Lietzmann 1969, 31. Zeller 2009, 247. Merklein 2000, 122.
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Leben.“ 47 f) Murphy-O'Connor möchte hingegen den Heiligkeitsbegriff ganz im Sinne eines entsprechenden ethischen Verhaltens verstehen, das insofern hier auch vom nichtgläubigen Partner ausgesagt würde. 48 Das Einzige, was man jedoch mit Sicherheit sagen kann, ist, dass man nicht sagen kann, wie Paulus sich das Zustandekommen der Mitheiligung des Nichtgläubigen konkret vorstellt. Sicher ist nur, dass die Mitheiligung durch den Glaubenden geschieht. Dieses Konzept einer vermittelten Heiligkeit ist nicht einzigartig in den Paulusbriefen, auch wenn der Vermittler der Heiligkeit üblicherweise Christus (1Kor 1,2; 6,11) oder der Heilige Geist (Röm 15,16; 1Kor 6,11) ist. 49 Dieselbe Idee einer vermittelten Heiligkeit findet sich darüber hinaus in Röm. Röm 11 16„Wenn aber die Erstlingsgabe heilig ist, so die ganze Masse; und wenn die Wurzel heilig ist, so auch die Zweige.“
Des Weiteren kann für das Konzept einer vermittelten Zugehörigkeit noch auf eine strukturelle Parallele aus dem Gal hingewiesen werden. Gal 3 8„[Gott] verkündete dem Abraham: ‚In dir (ἐν σοί) werden alle Völker gesegnet werden`.“
Der Segen an die Völker wird hier als durch Abraham vermittelt dargestellt, und auch hier verwendet Paulus ἐν + Dativ. Wie die Völker aus Glauben am Segen des Abraham partizipieren, 50 haben die nichtgläubigen Partner in der Ehe an der Heiligkeit des glaubenden Partners Anteil. Der Gebrauch des Heiligkeitsbegriffs muss also nicht nach seiner möglichen Einpassung in die paulinische Theologie befragt werden, noch muss man ihn vom üblichen Gebrauch bei Paulus unterscheiden. Es ist die Zugehörigkeit 51 des nichtgläubigen Partners zum Glaubenden, die dessen Heiligkeit vermittelt. 52 Die Heiligkeit des Glaubenden wiederum konstituiert sich durch dessen Zugehörigkeit zu Jesus Christus. Weiterhin erübrigt sich die Frage nach einer möglichen Integration in ein paulinisches Konzept von ‚Heiligkeit` weitestgehend, wenn man die Pragmatik des Abschnittes genauer betrachtet. Diese ist nämlich dadurch bestimmt, dass Paulus eine Lösung für ein bestimmtes Problem innerhalb der Diskussion um Külling 2008, 91. Vgl. Murphy-O'Connor 2009, 43–57. Vgl. Deming 2004, 133, Anm. 100. Vgl. Wolter 2011, 347. Auf die gemeinsame Zugehörigkeit weist auch die Formulierung aus V. 12 f. hin: συνευδοκέω οἰκεῖν µετά. 52 Schon Delling 1958, 93 sah den Gedanken der Übertragung der Heiligkeit bei Paulus überwunden durch den Gedanken der Zuordnung. Ähnlich Lindemann 2000, 166: „Die Heiligkeit ist ein relationales, kein materiales Phänomen“.
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die Drinnnen-Draußen-Grenzen in der Ekklesia von Korinth finden muss. Paulus tritt hier nicht an, um die Heiligkeit der ἄπιστοι zu verteidigen. Vielmehr muss er eine Lösung dafür finden, wie mit solchen Ehen umzugehen sei, bei denen nur ein Partner zum Glauben gekommen ist. Für eine bestehende Ehe, Familie oder Hausgemeinschaft ist diese Frage mit großer Wahrscheinlichkeit höchst virulent gewesen. Paulus findet hier eine pragmatische Lösung, die es den Glaubenden erlaubt, ihre Ehe fortzuführen. 3. Vers 14b weist darüber hinaus darauf hin, dass die zur Diskussion stehende Heiligkeit von Glaubenden, die einen nichtgläubigen Partner haben, mit der Befürchtung der Verunreinigung in Verbindung stand. Denn Paulus spricht in Bezug auf die Kinder aus Mischehen genau dieses Gegenüber von ‚unrein` (ἀκάθαρτος) und ‚heilig` (ἅγιος) an. 53 Bohlen hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass „es Juden und Griechen bekannt [ist], dass der Kontakt mit dem Heiligen, z.B. dem Tempel (= Heiligtum), Reinheit voraussetzt und somit Unreinheit und Heiligkeit einander ausschließen“. 54 Paulus kam auf den Zusammenhang von Heiligkeit und Reinheit bereits in 1Thess zu sprechen. 1Thess 4 7„Denn Gott hat uns nicht zur Unreinheit (ἐπὶ ἀκαθαρσίᾳ) berufen, sondern zur Heiligkeit (ἐν ἁγιασµῷ).“ 55
Aufgrund dieses Textbestandes bereits von einem gefestigtem Sprachgebrauch bei Paulus zu sprechen, ist schwierig. Infolge der Behauptung eines gefestigten paulinischen Sprachgebrauchs der Verbindung ‚unrein` und ‚heilig`, einen Zusammenhang zwischen der paulinischen Wortwahl in 1Kor 7,14 und den Anfragen der korinthischen Ekklesia auszuschließen 56, ist unzulässig. Vielmehr weist die Tatsache, dass Paulus nur hier die ἄπιστοι-Bezeichnung mit der Frage nach Heiligkeit und Reinheit in Verbindung bringt 57 und dass er die Heiligkeit gerade als Argument gegen die Trennung anbringt, darauf hin, dass in der Ekklesia von Korinth bei Ehen von Glaubenden und Nichtgläubigen die Heiligkeit in Frage stand. Neben der Auffassung, dass sich Heiligkeit und Unreinheit ausschließen, weil Unreinheit und Heiligkeit gegensätzlich sind und Unreinheit die Hei53 „Das entspricht dem Sprachgebrauch des Alten Testaments, wo ‚heilig` und ‚unrein` zwar nicht unmittelbare Gegensätze sind (das Gegenteil von ‚rein` ist ‚unrein`, das von ‚heilig` ist ‚profan`), aber die beiden äußersten Enden der Reihe unrein – profan – rein – heilig (vgl. Lev 10,10; Ez 22,26: 44,23).“ Stettler 2014, 335. 54 Bohlen 2011, 178. 55 Vgl. Röm 6,19. 56 Vgl. Murphy-O'Connor 2009, 44. 57 Auch sonst wird im gesamten NT das semantische Feld der πιστ*-Wortgruppe nur noch in Tit 1,15 (ἀπίστοις οὐδὲν καθαρόν „Den Nichtgläubigen ist nichts rein“ ) mit ‚Reinheit` argumentativ verbunden.
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ligkeit zerstört 58, gibt es auch Vorstellungen von einer in die Profanität und Unreinheit hineinwirkenden Heiligkeit. 59 Paulus dreht somit die Befürchtung von einer die Heiligkeit zerstörenden Unreinheit um und behauptet, dass vielmehr die Heiligkeit weitergegeben wird und nicht durch die mögliche Unreinheit der nichtgläubigen Partner zerstört werden kann. 4. Mit der kausalen Konjunktion ἐπεί 60 (V. 14c) leitet Paulus sein abschließendes Argument ein, mit dem er die Forderung aus den Versen 12.13.14ab unterstützen will. Das Argument beginnt mit einer irrealen Protasis: „sonst wären eure Kinder unrein, . . .“. Dem folgt die Apodosis: „. . . nun aber sind sie heilig.“ Während der Vordersatz etwas offensichtlich Abwegiges formuliert, 61 ist davon auszugehen, dass der Inhalt des Hintersatzes mit der Wirklichkeit und der herrschenden Meinung der Angesprochenen übereinstimmt. 62 Sollte der zweite Teil des Arguments nicht der herrschenden Meinung in der Ekklesia entsprechen, würde das Argument ins Leere gehen und Paulus könnte dieses Argument schwerlich als Begründung anführen. 63 Es ist also davon auszugehen, dass die Kinder aus Mischehen von den Mitgliedern der korinthischen Ekklesia eben nicht für unrein, sondern für heilig gehalten worden sind. Mit dieser Denkweise unterscheidet sich Paulus allerdings grundlegend vom jüdischen Verständnis, wie es in rabbinischen Texten zu finden ist. Diese betonen, dass es für den nichtjüdischen Partner in einer Proselytenehe notwendig ist, zum Judentum überzutreten, beziehungsweise übergetreten zu sein, um an der Heiligkeit des Partners Anteil zu haben und die Heiligkeit der Kinder zu gewähren. 64 Liest man die Argumentation von hinten nach vorne, begegnet Paulus den Unsicherheiten bezüglich der Heiligkeit der Ekklesia auf folgende Weise: Da die Kinder aus Mischehen heilig und nicht unrein sind, sind auch die Glaubenden nicht verunreinigt, sondern die Nichtgläubigen geheiligt. Daher sollen sich die Glaubenden in einer Ehe mit einem Nichtgläubigen, dessen Einwilligung vorausgesetzt, nicht von diesem trennen. Die Frage des konkreten Zustandekommens der Heiligkeit der Kinder mutet, wie schon in Bezug auf 58 Z.B. Lev 12,4; 22,4; Num 19,20. 59 Z.B. Ex 29,37; Lev 6,11; vgl. Vahrenhorst 2008, 178. 60 Vgl. BDR §456.3. Zu ἐπεί + ἄρα s. weiterhin 1Kor 5,10 f. Auch hier folgt auf ἐπεί eine Aussage, die den Mitgliedern der Ekklesia von Korinth als offensichtlich nicht realistisch erscheinen muss, denn aus der Welt hinausgehen können sie nicht. 61 Vgl. El Mansy 2016, 257. 62 Vgl. Külling 2008, 96. 63 Vgl. Vahrenhorst 2008, 177. Dass Paulus dieses Argument ohne weitere Erklärung anführt, weist dann auch darauf hin, dass es für die Adressaten keiner näheren Begründung bedarf; vgl. Lindemann 2000, 166. 64 Unterschieden wird dann nochmal zwischen einer Empfängnis und einer Geburt in „Heiligkeit“ ( ;)קדשׁvgl. Keth 4,3. Das kann entsprechende rechtliche Folgen nach sich ziehen. Z.B. dem Ausschluss von Leviratsehen. So in Jeb 11,2.
Keine Gewissheit auf Rettung
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die Heiligkeit des nichtgläubigen Partners angemerkt wurde, dem Text zu viel zu. Ebenso wie beim Nichtgläubigen sind auch die Kinder heilig aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu ihren Eltern, genauer gesagt, dem glaubenden Elternteil. 65
6.4 Keine Gewissheit auf Rettung Am Geschick der Kinder und nichtgläubigen Ehepartner ist Paulus nicht interessiert. Ihm geht es ausschließlich um das Geschick der Glaubenden. Darauf weist auch Vers 15 hin: An einer Trennung der Ehe auf Wunsch des Nichtgläubigen hat er nichts auszusetzen. 66 Subjekt in Vers 15a ist zwar der Nichtgläubige, angesprochen ist jedoch der glaubende Partner. 67 Der Bruder und die Schwester sind, so Paulus, in diesen Dingen nicht ‚versklavt` (δουλόω). 68 Zudem schließt Paulus seine Argumentation mit der Bemerkung ab, der Glaubende könne nicht wissen, ob er seinen nichtgläubigen Partner rettet (V. 16). Dieser Vorbehalt zeigt an, dass die Mitheiligung durch den Glaubenden noch nicht dessen Rettung bedeutet. 69 Die Pragmatik der Frage τί γὰρ οἶδας . . . εἰ . . . σώσεις; („Was weißt du, ob du retten wirst?“) 70 wird in der Forschungsliteratur jedoch unterschiedlich bewertet. Diskutiert wird sie hinsichtlich einer ‚optimistischen` oder ‚pessimistischen` Ausrichtung der
65 Ob Paulus dabei an getaufte oder ungetaufte Kinder denkt, spielt keine Rolle; anders: Merklein 2000, 121 f.; Delling 1958, 89ff. 66 Eine weitere Heirat mit einem Nichtgläubigen schließt Paulus jedoch aus (1Kor 7,39); vgl. Zeller 2009, 247. 67 Vgl. Schrage 1995, 109. 68 Es ist gut möglich, dass Paulus mit δουλόω einen in der Umwelt gängigen Sprachgebrauch aufnimmt, der Ehe als ‚Sklaverei` oder ‚Knechtschaft` beschreibt; z.B. Philo, Hypot. 11,17: ὁ γὰρ ἢ γυναικὸς φίλτροις ἐνδεθεὶς ἢ τέκνων ἀνάγκῃ φύσεως προκηδόµενος οὐκέτι πρὸς ἄλλους ὁ αὐτός ἐστιν, ἀλλ´ ἕτερος λέληθε γεγονώς, ἀντ´ ἐλευθέρου δοῦλος. („Denn wer entweder unter dem Zauber einer Frau gebunden ist oder aufgrund der Notwendigkeit der Natur um die Kinder Sorge trägt, ist nicht mehr er selbst, zu anderen, sondern wurde ein anderer ohne es zu merken, anstelle eines Freien ein Sklave.“); vgl. dazu mit weiteren Texten Deming 2004, 147ff. 69 Vahrenhorst 2008, 179 spricht daher von einer realistischen „Möglichkeit“ auf Rettung ohne eine schon existierende „Realität“. 70 σῴζω ist Missionsterminus (vgl. Lindemann 2000, 167; Merklein 2000, 123; Barrett 1971, 167). Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass der Begriff von Paulus sonst nahezu ausschließlich im Passiv verwendet wird – z.B. Röm 5,9 f.; 10,9; 11,26; 1Kor 1,18; 3,15; 5,5 15,2; 2Kor 2,15; 1Thess 2,16 jeweils als passivum divinum. Aktiv lediglich in 1Kor 1,21 (Subjekt ist Gott), 1Kor 9,22; Röm 11,14 (Subjekt ist jeweils Paulus) und an dieser Stelle. Dieser Befund unterstreicht die Ungewissheit, die Paulus in Vers 16 zum Ausdruck bringt, denn letztlich handelndes Subjekt der Rettung ist Gott.
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Nicht gläubig und doch geheiligt – 1Kor 7,12–16
möglichen Rettung des Partners. 71 Pessimistisch gedeutet würde Paulus wider eine nötige und mögliche Rettung beziehungsweise Mission des nichtgläubigen Partners sprechen. 72 Möglicherweise war dies eine in der Ekklesia von Korinth vertretene Meinung. Optimistisch gedeutet würde Paulus umgekehrt die mögliche Rettung, beziehungsweise Mission, des nichtgläubigen Partners befördern wollen. 73 Kubo hat, gegen Jeremias, richtigerweise darauf hingewiesen, dass diese Frage nicht grammatikalisch gelöst werden kann, sondern über ihre Einbettung in den Kontext entschieden werden muss. 74 Die Verse 15 und 16 wechseln gegenüber den Versen 12–14 den Fokus. Ging es Paulus zu Beginn darum, die Unsicherheiten derjenigen zu zerstreuen, die um ihre eigene Heiligkeit innerhalb einer Ehe mit einem Nichtgläubigen Sorge hatten, so wendet er sich nun an diejenigen, die nicht um ihrer selbst willen, sondern um ihres Partners willen Sorge hatten. Der Wunsch zur Trennung geht in diesem Fall vom nichtgläubigen Partner aus. Dem Wunsch, so Paulus, soll der Glaubende sich nicht in den Weg stellen. Eine derartige Aufforderung ergibt jedoch nur dann Sinn, wenn wiederum der Glaubende an der Ehe festhalten wollte. Angenommen, der Grund, diese Ehe zu erhalten, sei die Hoffnung auf Rettung des Partners, liest sich Vers 16 als Einwand gegen diese Hoffnung und als Begründung, dem Trennungswunsch stattzugeben. 75 Mit Vers 16 wird noch einmal mehr deutlich, dass es Paulus um das Ergehen der Glaubenden, nicht um das der Nichtgläubigen geht. Weder müssen sie eine Entheiligung fürchten, wenn sie mit einem Nichtgläubigen zusammenleben und dies unter beidseitiger Einwilligung weiterhin tun, noch müssen sie krampfhaft an dieser Ehe festhalten, wenn es der Nichtgläubige nicht will, denn eine Sicherheit zur Rettung ist ohnehin nicht gegeben.
71 Zu diesem Gegenüber v.a. Kubo 1978; Jeremias 1954; weiterhin: Zeller 2009, 248; Lindemann 2000, 167. 72 Vgl. Zeller 2009, 248; Kubo 1978. 73 Vgl. Schrage 1995, 112; Barrett 1971, 167; Jeremias 1954, 257. 74 Kubo 1978, 543 f. bezieht sich dabei auf Kühner und Gerth 1992, 533: „εἰ und ἐάν [. . .], ob, werden nur in indirekten Fragen gebraucht, und zwar eigentlich in Doppelfragen, indem sie ein Schwanken zwischen zwei Möglichkeiten bezeichnen; oft aber wird nur ein Glied ausgesprochen, während das andere in dem Geiste des Redenden vorhanden ist. [. . .] Εἰ und ἐάν, wenn sie allein, ohne folgenden Gegensatz stehen, haben an sich weder bejahende (ob nicht) noch verneinende (ob) Bedeutung; nur aus dem Gedankenzusammenhang ist zu erkennen, nach welcher Seite hin der Sinn geneigt ist.“ 75 Vgl. Kubo 1978, 544.
Zusammengefasst
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Zusammengefasst 1. Eine Ehe zwischen einem jüngst zum Glauben Bekehrten und einem Nichtgläubigen warf mit großer Sicherheit ein nicht zu unterschätzendes Problem für das Zusammenleben beider Partner auf. 1Kor 7,12–16 zeugt davon, dass dieser Umstand zumindest gewisse Unsicherheiten in der Ekklesia von Korinth hervorrief. Damit wurzelt das Problem in derselben Situation wie schon 1Kor 6,1–11. Die neuen Drinnen-Draußen-Verhältnisse, welche durch die Bekehrung zum Glauben an Jesus Christus entstehen, werfen im Alltagsleben und im Umgang mit der nichtgläubigen Welt verschiedene Fragen auf, die es für die junge Ekklesia in Korinth und vor allem für Paulus zu klären gilt. Besondere Brisanz mag diese Frage dort gehabt haben, wo täglicher Kontakt zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden bestanden hat: in einer Ehe. 2. Die Reaktion des Paulus auf die in Korinth bestehenden Fragen und Unsicherheiten mag zunächst überraschen. Nicht nur hat er gegen die Weiterführung einer Ehe mit einem Nichtgläubigen nichts einzuwenden, er ruft sogar dazu auf, sich nicht zu trennen. Darüber hinaus kehrt er die wahrscheinlich unter einigen Glaubenden herrschende Befürchtung einer möglichen Verunreinigung der Ekklesia um und behauptet, die Nichtgläubigen seien durch deren glaubende Partner geheiligt. 3. Wie Paulus sich die Heiligkeit der Nichtgläubigen, die er als durch die Glaubenden vermittelt darstellt, konkret vorgestellt hat, bleibt ungewiss. Diese Frage gilt es ihm hier auch nicht zu beantworten, denn nicht die Nichtgläubigen an sich interessieren Paulus, sondern nur ihre Verbindung zu ihrem glaubenden Partner. Dazu gehört auch, dass Paulus eine mögliche Rettung des Nichtgläubigen durch seinen Partner in Frage stellt. 4. Die Begriffe und Themen von 1Kor 7,12–16 gehören in einen bestimmten Verwendungszusammenhang, der schon vor Paulus und dem sich entwickelnden ‚Christentum` im Zeichen von Aus- und Abgrenzung stand. Besonders im Judentum, aber auch im übrigen Kulturraum des Mittelmeeres, wurde eine Ehe mit Außenstehenden zumindest kritisch betrachtet, wenn nicht gänzlich ausgeschlossen. Dazu passt auch der in 1Kor 7,12–16 prominente Begriff der ‚Heiligkeit`, der schon im Judentum die Funktion hatte, klare Grenzen zu ziehen; vor allem gegenüber von außen eindringender Unreinheit. 5. Die Grenze, die Paulus hier diskutiert und die er in 1Kor immer wieder aufgrund des Glaubens an Jesus Christus zwischen den ‚Drinnen` und den ‚Draußen` zieht, bleibt ungebrochen. πίστις hat man, oder nicht. Diese Grenze verschiebt keine Ehe und auch keine durch den Glaubenden vermittelte Heiligkeit. Allerdings wurde deutlich, dass Paulus in 1Kor 7,12–16 weder Tenden-
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zen einer radikalen Abgrenzung anklingen lässt, noch eine klare Polemik gegen die Nichtgläubigen erkennbar ist. Vielmehr liegen aus- und abgrenzende Sprache und offen-aufgeschlossene Weisungen ambivalent in- und übereinander.
7 Eingeladen bei einem ἄπιστος – 1Kor 10,27 Die ἄπιστοι-Bezeichnung begegnete bis hierhin erst im Zusammenhang der Rechtssuche unter ‚Brüdern` und dann in Ehefragen. Jeweils ist mit der Bezeichnung angezeigt, dass das hintergründige Problem das Verhältnis der Ekklesia zu denen ist, die nicht dazu gehören. Die Frage nach dem Verhältnis und dem möglichen Kontakt zu den ‚Draußen`, ist auch für die in 1Kor 10,27 beschriebene Situation die Grundlage. Paulus bespricht die Möglichkeit einer Einladung durch einen Nichtgläubigen zum Essen. Damit einher geht die Frage nach der Herkunft des dort aufgetischten Fleisches und ob dies ohne Weiteres gegessen werden darf. Im Vergleich zu den bisherigen Stellen handelt es sich um eine eher kurze Notiz innerhalb eines immerhin drei Kapitel (1Kor 8–10) umfassenden Abschnitts zum Thema Götzenopferfleisch (περὶ δὲ τῶν εἰδωλοθύτων 8,1).
7.1 Analyse 1Kor 10 27εἴ τις καλεῖ ὑµᾶς τῶν ἀπίστων καὶ θέλετε πορεύεσθαι, πᾶν τὸ παρατιθέµενον ὑµῖν ἐσθίετε µηδὲν ἀνακρίνοντες διὰ τὴν συνείδησιν. 27 „Wenn euch einer der Nichtgläubigen einlädt und ihr wollt hingehen, esst alles, das vor euch gestellt wird, ohne (es) wegen des Gewissens zu überprüfen.“
Vers 27 bildet das zweite erklärende Beispiel, das auf die These „alles ist erlaubt“ (V. 23a.c) und ihre Einschränkung „aber nicht alles ist hilfreich/erbaut“ (V. 23b.d.24) folgt. Vers 25 f. thematisiert den Fleischkauf auf dem Markt und 27 f. die Essenseinladung durch einen Nichtgläubigen. Verbunden sind beide Beispiele in den Versen 25 und 27 durch ihren gleichen Schluss µηδὲν ἀνακρίνοντες διὰ τὴν συνείδησιν („ohne es wegen des Gewissens zu prüfen“). Vers 27 besteht aus zwei Teilen: der Protasis, welche die Möglichkeit einer Einladung formuliert, und der Apodosis, die für den Fall, dass die in der Protasis beschriebene Möglichkeit eintritt, eine Aufforderung formuliert. Angesprochen sind hier alle Mitglieder der Ekklesia von Korinth, die eine solche Einladung (καλέω) 1 erhalten könnten. Eine Willensbekundung (θέλω) als Reaktion auf eine Einladung scheint gebräuchlich zu sein. Die negative Reaktion auf eine Einladung belegt Mt 22,3: τοὺς κεκληµένους [. . .] οὐκ ἤθελον ἐλθεῖν
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Zu καλέω im Sinne einer Einladung s. z.B. Mt 22,3.8; Lk 14,8.16. So auch in antiken Papyri; z.B. P.Oxy IV 747; VI 926; 927; XII 1486; 1487; 2147. Allerdings ist in diesem Zusammenhang ἐρωτάω häufiger; vgl. Willis 1985, 236.
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Eingeladen bei einem ἄπιστος – 1Kor 10,27
(„die Eingeladenen [. . .] wollten nicht kommen“). 2 In der von Paulus gewählten Formulierung ist selbstverständlich auch die Möglichkeit eingeschlossen, eine Einladung abzulehnen. Gesetzt den Fall, einer der Glaubenden nimmt die Einladung eines Nichtgläubigen an, so Paulus weiter, sollen sie dort alles essen, was ihnen angeboten wird. Dabei formuliert Paulus wieder parallel zu V. 25: πᾶν τὸ ἐν µακέλλῳ πωλούµενον ἐσθίετε (V. 25)/πᾶν τὸ παρατιθέµενον ὑµῖν ἐσθίετε (V. 27). 3 Dass Paulus an dieser Stelle nicht umgekehrt eine direkte Aufforderung ausspricht (πορεύεσθε „geht hin!“), sondern den Willen der Korinther als Kriterium nimmt (καὶ θέλετε πορεύεσθαι „und ihr wollt hingehen“), darf nicht als Ausdruck einer reservierten Haltung 4 gegenüber der Annahme der Einladung verstanden werden. Es zeigt vielmehr an, dass er den Korinthern die Entscheidung überlässt. 5 Im Gesamtkontext von 1Kor 8–10 bildet 10,23–11,1 einen Abschluss, der zugleich einen Lösungsvorschlag für alle bieten soll. 6 Mit Vers 23 f. bringt Paulus seine bisherige Argumentation formelhaft auf den Punkt: „Alles ist erlaubt“. Damit verbindet er geschickt offene und reservierte Tendenzen innerhalb der Ekklesia miteinander und macht zugleich das Wohl des Anderen zum ausschlaggebenden Kriterium: „aber nicht alles ist nützlich/aber nicht alles erbaut“ (V. 24).
7.2 Essen und Zugehörigkeit 1. Einladungen zu und die Teilnahme an gemeinsamen Mahlfeiern hatten in der Antike, wie auch heute immer noch, eine wichtige soziale Funktion. 7 Beim gemeinsamen Essen wurden die Zugehörigkeit und das Gemeinschaftsgefühl einer Gruppe erfahrbar, 8 und ebenso wurden der unterschiedliche soziale Status, wie auch herrschende Hierarchien untereinander deutlich und zum Teil erst gebildet. 9 Neben dieser konstruktiven Funktion der Gemeinschaftsmäh2 3
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9
S.a. Lk 15,28. Zur Verbindung von καλέω und θέλω s.a. Xenophon Mem. I 3,6; Plato Symp. 175a; vgl. Barrett 1971, 241. Ähnlich: Lk 10,8: ἐσθίετε τὰ παρατιθέµενα ὑµῖν („esst, was vor euch gestellt wird“). Der Kontext ist hier wohl derselbe wie in 1Kor 10,27, nämlich das Essen bei Heiden; vgl. Barrett 1971, 241. Vgl. Klauck 1982, 276. Vgl. Lindemann 2000, 232. Vgl. Koch 2008, 151. S. dazu ausführlich: Eschner 2019; Klinghardt und Taussig 2012; Al-Suadi 2011, v.a. 113–175; Taussig 2009; H. J. Stein 2008; Fotopoulos 2003; Klauck 1982. Das gemeinsame Mahl stellt „die Gemeinschaft der Mahlteilnehmer (nach innen und nach außen) dar und mach[t] sie zugleich unmittelbar erfahrbar – das Mahl konstituiert die Gruppe als solche.“ Klinghardt 2012, 1. Vgl. Ebner 2007, 68.
Essen und Zugehörigkeit
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ler, 10 die vor allem nach innen gerichteten ist, kam den Mählern zudem auch eine abbildende Funktion zu, insofern durch sie eine Gruppe nach außen als solche sichtbar wurde. 11 Dabei spielte auch die Frage danach, welche Speisen jemand isst oder nicht isst, eine bedeutende Rolle. 12 Für das frühe ‚Christentum` hat Mußner die Bedeutung des gemeinsamen Essens auf eine programmatische Formulierung gebracht: „Das Wesen des Christentums ist συνεσθίειν.“ 13 Dieses ‚Programmwort` Mußners hat Klinghardt folgendermaßen aufgenommen: „Die Identität der frühchristlichen Gemeinschaft(en) ist ihr συνεσθίειν.“ 14 Auch wenn sich sicherlich darüber streiten lässt, ob sich das Wesen des (frühen) Christentums so auf eine Formel reduzieren lässt, so benennt Mußner jedoch einen wichtigen Punkt: die zentrale Bedeutung des gemeinsamen Mahls 15 für die Bildung und Abbildung von Zugehörigkeit und Gemeinschaft der Glaubenden. Das gemeinsame Essen hat also innerhalb einer Gruppe die Funktion, Zugehörigkeit zu schaffen, zu stärken und abzubilden. Daraus folgt die Frage unter welchen Bedingungen und mit welchen Personen man außerhalb der eigenen Gruppe Tischgemeinschaft pflegen kann. Darstellungen und Anordnungen zu dieser Frage sind im Neuen Testament, wie auch in den Texten des antiken Judentums und den paganen griechischen Texten häufig zu finden. 16 2. In den griechischen Texten des antiken Judentums begegnen die Bestimmungen zum Essen häufig dort, wo es um die Auseinandersetzung um das Leben in der nicht-jüdischen Welt geht. 17 Darunter nehmen Regelungen zur Tischgemeinschaft mit Heiden einen großen Raum ein. Ihr Entstehungszusammenhang ist das jüdische Leben in der Diaspora. Die Tatsache, dass die
10 Vgl. Al-Suadi 2011, 115. Ebenso Taussig 2009, 183: „It is not that the meal provided ready-made identities for early Christians or any others in the complex Hellenistic mix. The meal's relatively stable form, however, did provide a safe space in which the contradictions, pressures, and possibilities of identity could be held.“ 11 Vgl. Eschner 2019, 3 f.; Al-Suadi 2011, 114 f. 12 Vgl. Eschner 2019, 11 f. Im antiken Judentum vor allem der Gestalt, dass die Einhaltung der Speisegebote das Selbstbild und die Frage der Zugehörigkeit maßgeblich bestimmten. Damit verbunden ist auch die Bedeutung der Aufteilung von Speisen in rein und unrein für die Beschreibung von Zugehörigkeit. 13 Mussner 1981. 423; s. weiterhin: Mussner 1975, 102, wo er ausführlich zu seinem abschließenden Satz aus dem Galaterkommentar Stellung bezogen hat. 14 Klinghardt 2012, 13. 15 In der neutestamentlichen Forschung war lange das ‚Herrenmahl` hauptsächlicher Gegenstand der Diskussion um Mahl und Essen (vgl. H. J. Stein 2008, 96). „Eventually, the relatively narrow focus on the Eucharist opened up“ und „attention to the dynamic interrelation of New Testament texts and the formation and cohesion of a group and its identity has grown.“ Kobel 2011, 61. 16 Vgl. Eschner 2019, 118. 17 Vgl. Eschner 2019, 55 f.
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Speisegebote in den erzählenden Texten der Diaspora diesen Stellenwert haben, zeugt von ihrer Bedeutung für die Abgrenzung von der heidnischen Welt und der Bewahrung der eigenen Identität. 18 Diese Texte bieten allerdings kein einheitliches Bild über eine gängige Praxis der Tischgemeinschaft zwischen Juden und Nicht-Juden. 19 Im Buch Esther wird die Teilnahme an einem Mahl, dass von Heiden ausgerichtet wird, kategorisch abgelehnt („Deine Magd hat nicht am Tisch Hamans gegessen, ich habe kein königliches Gelage beehrt und nicht vom Opferwein getrunken.“ Esth 4,17xLXX). Andererseits lädt Esther Ahasveros und Hamas zu einem gemeinsamen Mahl ein, dass allerdings sie ausrichtet (Esth 5,4 MT). Von einer anderen Möglichkeit berichtet das Buch Judith, wo die Protagnoistin mit Nichtjuden zusammen isst, sich aber mit eigenen Speisen versorgen lässt („Und er [Holophernes] befahl sie hineinzuführen, wo sein Silbergeschirr lag, und ordnete an, ihr seine lecker bereiteten Speisen auszubreiten und von seinem Wein zu trinken, und Judith sagte: Ich werde nicht davon essen, damit kein Anstoß entsteht, sondern man wird mich versorgen aus dem, was mir folgt.“ Jdt 12,1 f.) In der Erzählung von Joseph und Aseneth heißt es von Joseph, dass er an einem gesonderten Tisch isst („Und Joseph ging in das Haus des Pentephres und setzte sich auf den Thron. Und sie wuschen seine Füße und stellten ihm für sich allein einen Tisch hin, weil Joseph nicht zusammen mit den Ägyptern aß, denn dies war ihm ein Greuel.“ JosAs 7,1). 20 Von einer wirklichen Gemeinschaft am Tisch berichtet der Aristeasbrief (180–185). Die Gemeinschaft einer jüdischen Gesandtschaft am ägyptischen Hof ist deshalb möglich, weil man dort auf die Gäste Rücksicht nimmt und alles nach jüdischen Gebräuchen vor- und zubereitet wurde.
Unter bestimmten Bedingungen kann also Tischgemeinschaft stattfinden. Zwingend notwendig ist die Einhaltung der jüdischen Speisegebote mit dem Ziel den Götzendienst zu verhindern. Eine wirkliche Gemeinschaft, im Sinne des gemeinsamen Essens auch einer gemeinsamen Speise setzt voraus, dass das Mahl durch einen Juden ausgerichtet wird, oder der nicht-jüdische Gastgeber und die gesamte Tischgemeinschaft sich nach den jüdischen Gebräuchen richtet. Die Frage darum, mit wem und unter welchen Bedingungen Tischgemeinschaft gehalten werden darf, ist innerhalb des antiken Judentums, vor allem in der Diaspora, von großer Bedeutung für das eigene Selbstverständnis und die Zugehörigkeit zum Judentum. Die Texte bieten verschiedene Arten damit umzugehen, aber sie stimmen alle darin überein, dass die Speisegebote zur Vermeidung des Götzendienstes einzuhalten sind.
18 Vgl. Eschner 2019, 57. 19 Zu den Texten s. ausführlich bei Eschner 2019, 119–146. 20 S.a. Ex 34,15; Dan 1,8–16; 3Makk 3,4; 4Makk 5,2 f. Dazu genauer mit weiteren Belegen: Löhr 2003.
Essen und Zugehörigkeit
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3. Im Neuen Testament wird mehrfach von Auseinandersetzungen zwischen Jesus und den jüdischen Autoritäten über dessen Tischgemeinschaft mit den ‚Draußen` berichtet. Konkret geht es um seine Gemeinschaft mit gesellschaftlich nicht angesehenen Personen, die unter den Sammelbegriffen ‚Zöllner und Sünder` aufgeführt werden. Lk 7 33 f.„Denn Johannes der Täufer ist gekommen und aß weder Brot, noch trank er Wein, und ihr sagt: er hat einen Dämon. Der Menschensohn ist gekommen und er ist und trinkt und ihr sagt: Siehe! Ein Fresser und Weintrinker, ein Freund der Zöllner und Sünder.“ Lk 15 2„Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen.“ 21
Auch die Apostelgeschichte weiß von Konflikten um die Frage der Tischgemeinschaft. Von Petrus wird berichtet, dass er sich in Jerusalem dem Vorwurf stellen musste, er habe mit Heiden, also mit Unbeschnittenen gegessen. Apg 11 2„Als Petrus nach Jerusalem kam, stritten die aus der Bescheidung mit ihm, 3und sagten: Du bist zu den Männern, die Vorhaut haben, gegangen und hast mit ihnen gegessen.“
Derselbe Umstand, also die Tischgemeinschaft des Petrus mit Heiden, wurde Ursprung des sogenannten antiochenischen Konflikts zwischen Paulus und den Leuten des Jakobus. Gal 2 12„Bevor aber bestimmte Leute des Jakobus kamen, aß er [Petrus] mit den Heiden: als sie aber kamen, zog er sich zurück und sonderte sich von ihnen ab, weil er die aus der Beschneidung fürchtete.“
Bei der zur Diskussion stehenden Frage einer möglichen Gemeinschaft an einem Tisch handelt es sich um die Frage nach der Tischgemeinschaft mit Außenstehenden, zumeist zwischen (christusglaubenden) Juden und Heiden. Problematisiert wird dieses Thema von jüdischer Seite aus, also den Schriftgelehrten und Pharisäern, durch die Leute des Jakobus, beziehungsweise denen aus der Beschneidung. Darin zeigt sich, wie sehr die Frage nach Zugehörigkeit und Abgrenzung mit dem Essen in Tischgemeinschaft verbunden ist. Jesus Gemeinschaft mit Zöllner und Sündern an einem Tisch, so wie Petrus Gemeinschaft mit den Heiden provoziert die Frage nach der vollwertigen Zugehörigkeit dieser Personen. 4. Auch für Paulus ist es bei weitem nicht ohne Bedeutung, was, wo 22 und mit wem gegessen wird. Schon in 5,11 („mit einem solchen sollt ihr nicht 21 Vgl. Mk 2,16parr. 22 Auch wenn einige Kommentatoren für 1Kor 10,27 eine Einladung in ein Tempelrestaurant für möglich halten (vgl. Horrell 1997, 103; Schrage 1995, 468; Conzelmann
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essen!“) hat Paulus Stereotypen aufgezählt (Unzüchtige, Habsüchtige, Räuber und Götzendiener), die aus der sich durch das gemeinsame Essen bestimmten Gemeinschaft auszuschließen sind. 23 Allerdings nicht aus Angst vor einer möglichen Verunreinigung, sondern aufgrund der konstitutiven Funktion des Mahls für die Gemeinschaft der Glaubenden. 24 Gestalt und Zusammensetzung der gemeinsamen Mahlfeiern der Ekklesia, gerade auch in Abgrenzung von ‚kultischen` Mahlfeiern in Korinth, sowie die Auswirkungen auf die gemeinsame Zugehörigkeit der Christusglaubenden, ist daher zentrales Thema des 1Kor und besonders der Kapitel 8–10. 25 Einheit und Zugehörigkeit zu wahren und dies in einer allen Mitgliedern der Ekklesia zumutbaren und verständlichen Praxis zum Ausdruck zu bringen, ist Anliegen des gesamten Sinnabschnittes in den Kapiteln 8–10.
7.3 Essen oder nicht essen bei einem ἄπιστος? 1. Die Frage nach einer möglichen Tischgemeinschaft mit den ἄπιστοι steht nicht für sich. Wie schon bei der Frage der Fortführung einer Ehe zwischen Glaubenden und Nichtgläubigen, die eine Detailfrage innerhalb des gesamten Komplexes zu Ehe und Ehescheidung war, so ist auch der kurze Kommentar bezüglich der Einladung durch einen Nichtgläubigen eins von mehreren konkreten Beispielen innerhalb der Kapitel 8–10. Deshalb muss die Einladung zum Essen durch einen Nichtgläubigen innerhalb ihres Kontextes diskutiert werden: Der Frage nach dem rechten Umgang mit Götzenopferfleisch (περὶ δὲ τῶν εἰδωλοθύτων 8,1) und den Auswirkungen auf die Mahlpraxis der Ekklesia von Korinth. 1981, 217), dürfte hier eher an ein Privathaus eines Nichtgläubigen gedacht sein (vgl. Zeller 2009, 345; Lindemann 2000, 232). Die verschiedensten Szenarien und deren Wahrscheinlichkeiten spielt Fotopoulos 2003, 241–243 durch. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist damit zu rechnen, dass auch ein Mahl im Rahmen einer Einladung in ein Privathaus religiöse Elemente beinhaltete; vgl. Zeller 2009, 345. 23 Mit der Frage nach einer möglichen Tischgemeinschaft mit nicht würdigen Personen setzen sich auch 2Thess 3,10–14 und Jud 12 auseinander; vgl. Meeks 1993, 216. 24 So auch bei der Diskussion um die Mahlgemeinschaft in Antiochien, die Paulus „nicht auf der pragmatischen Ebene der Speisefrage, sondern auf der theologischen Ebene der Ekklesiologie“ behandelt. „Es ging ihm letztlich nicht einmal um den Gegensatz von nichtjüdischen und jüdischen Tischsitten, sondern im Kern um die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Mahlfeier als Ausdrucksform dafür, dass in Christus Juden und Nichtjuden zu einer Gemeinschaft miteinander zusammengeschlossen sind.“ H. J. Stein 2008, 99. 25 „[E]s geht in 1Kor 8–10 um nichts weniger als um die Identität der christlichen Gemeinde im unauflöslichen Ineinander von Binnen- und Außenverhältnis.“ Koch 2008, 146.
Essen oder nicht essen bei einem ἄπιστος?
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Das zu Grunde liegende Problem besteht in der Frage, wo genau eine Grenze zum Götzenbilderdienst gezogen werden muss. Dass man sich von diesem Abgrenzen musste, war für die Darstellung der Ekklesia nach innen und außen zwingend. Die enge Verbindung von Kult und sozialem Leben in Korinth brachte allerdings Schwierigkeiten mit sich, genau zu definieren, wo diese Grenzen gezogen werden können und müssen. 26 Für die Probleme, die sich durch den bleibenden Kontakt der Glaubenden zur sie umgebenden heidnischen Welt ergeben, enthalten die Kapitel 8–10 hinsichtlich der Frage nach dem möglichen Verzehr von Götzenopferfleisch sowohl direkte „Handlungsanweisungen“: „esst alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird“ (10,25; vgl. 10,27.28); als auch generelle „Handlungsorientierungen“ 27: „Alles ist erlaubt“ (10,23); „Ob ihr nun esst oder trinkt oder etwas tut, tut alles zur Ehre Gottes“ (10,31; vgl. 10,24.32f; 11,1; indirekt auch 8,13). Ausgangspunkt für Paulus Argumentation ist, so legt es der Text nahe, ein konkreter Konflikt über das Essen von Götzenopferfleisch unter den Mitgliedern der Ekklesia in Korinth. Und zwar zwischen solchen, die, mit Verweis auf die Nicht-Existenz anderer Götter (8,4), ohne Probleme solches Fleisch essen, und den anderen, deren Gewissen es ihnen unmöglich macht, solches Fleisch zu essen. In 1Kor 8–10 verfolgt Paulus zugleich zwei Ziele. Zum einen stellt er aus theologischer Perspektive dar, aus welchen Gründen das Essen unbedenklich ist. Zum anderen schränkt er hinsichtlich der gebotenen Liebe untereinander seine Argumentation durch die ekklesiologische Perspektive ein. Alle haben zwar die notwendige Erkenntnis, aber diese bläht nur auf, die Liebe dagegen, dient dem Aufbau der Gemeinschaft (8,2). Konkret werden in 1Kor 8–10 drei Situationen dargestellt, die das Essen von Götzenopferfleisch thematisieren: 28 a)
8,10: das Essen von Götzenopferfleisch (εἰδωλόθυτον) im Tempel (εἰδωλεῖον), b) 10,25: der Kauf von Fleisch auf dem Markt (µάκελλον), c) 10,27: die Einladung in ein Privathaus eines Nichtgläubigen. Das eigentliche Problem in Korinth, dass Paulus in 1Kor 8–10 diskutiert, scheint die Teilnahme an Mahlfeiern im Tempel zu sein. Die hier im Fokus stehende Frage nach der Tischgemeinschaft mit einem ἄπιστος, ebenso wie der in 10,25 f. verhandelte Fleischkauf auf dem Markt, sind im Gesamtkontext eher „thematische Ergänzungen“ 29. 26 Vgl. Konradt 2003, 395. 27 Koch 2008, 146. 28 Vgl. zu dieser Aufteilung (hier allerdings ohne 10,14–22): Koch 2008, 147–150; H. J. Stein 2008, 102; Löhr 2003, 24. 29 Konradt 2003, 348.
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Alle drei oben aufgezählten Situationen vereint, dass bei ihnen Fleisch konsumiert werden könnte, das εἰδωλόθυτον ist. Das heißt es könnte sich um Fleisch handeln, dass den Göttern im Tempel geopfert wurde und anschließend dort zum Verzehr angeboten wird, oder auf dem Markt verkauft. Wer also im Tempel ist, oder auf dem Fleischmarkt einkauft, oder bei einer Einladung isst, kann nicht sicher sein, ob er oder sie nicht vielleicht εἰδωλόθυτον isst. Das Essen von εἰδωλόθυτον ist für Paulus allerdings völlig unproblematisch, denn es gilt, was Paulus schon zu Beginn in 8,4 gesagt hatte, dass ein Götzenbild auf der Erde nichts gilt und kein anderer Gott ist. Die einzige Einschränkung ist, und auch das durchzieht die gesamte Argumentation von 1Kor 8–10, die Rücksichtnahme auf den anderen. Das heiß nicht das Fleisch selber ist entscheidend, sondern die Beurteilung durch den ‚schwachen` Bruder. 30 Einen anderen Stellenwert hat in diesem Kontext die Frage nach möglichem Kontakt zu Kulthandlungen (εἰδωλολατρία) im Tempel (10,14–22) und muss deshalb von den drei übrigen Situation unterschieden werden. 31 Auch wenn die in 8,10 besprochen Situation ebenfalls im Tempel spielt, so geht Paulus doch nicht weiter darauf ein, was der genaue Anlass ist. Darüber zu spekulieren, ob dieser Anlass kultisch sein könnte oder nicht, ist müßig. Denn auch wenn eine Feier dort nicht explizit kultisch war, das heißt zu Ehren einer Gottheit, so waren doch bei Privatfeiern immer auch kultische Elemente präsent und die Übergänge fließend. 32 Entscheidend dagegen ist, dass es Paulus offensichtlich nicht wichtig war hier genauer zu erwähnen, wie dieses Essen im Tempel aussah, denn im Fall von 8,10 ging es ihm nicht um Kulthandlungen, sondern nur um das Essen von Fleisch im Tempel und dessen mögliche Folgen innerhalb der Ekklesia. Ihm ging es also darum die innere Einheit zu waren und trotz der Betonung der unbedenklich des Fleischkonsums, die Rücksichtnahme auf den ‚Schwachen` zum obersten Kriterium zu machen. In 1Kor 10,14–22 bespricht Paulus hingegen die mögliche Teilnahme an εἰδωλολατρία, das heißt kultischen Handlungen am Tempel zu Ehren von heidnischen Göttern. Auch wenn Paulus in diesem Zusammenhang erneut betont, dass die Götzenbilder nichts sind (10,19), so ruft er dennoch dazu auf, sich strikt von der εἰδωλολατρία fernzuhalten (10,14.21 f.). Im Blick sind hier weder der Fleischkonsum, noch die Rücksichtnahme auf den ‚Schwachen`, sondern Paulus argumentiert, dass das Herrenmahl und andere kultische Mahlfeiern nicht miteinander vereinbar sind. Der Grund für diese klare Absage, liegt zum einen in der Gefahr, selbst wieder in den Götzendienst zu verfallen (10,1–13) und zum anderen in der darin entstehenden Gemeinschaft 30 Vgl. Lindemann 2000, 187: „Durchweg gilt, daß nicht die Materialität [. . .] zur Debatte steht, sondern die Relationalität“. 31 Vgl. dazu auch Eschner 2019, 288 f. 32 Vgl. Konradt 2003,349.
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mit den Dämonen. Nicht in dieser Gemeinschaft selbst liegt Gefahr, denn von den Dämon geht keine Macht aus. Die Gemeinschaft mit den Dämonen widerspricht der „Exklusivität der Christusgemeinschaft; und die Bedrohung geht von der Eifersucht des Herrn aus“ 33. Dass Paulus den Fleischkauf auf dem Markt 10,25 und der Einladung 10,27 im Gegenzug nicht für problematisch hält, zeigt, dass er diese Dinge nicht im Zusammenhang mit εἰδωλολατρία versteht. Auch kann davon ausgegangen werden, dass Paulus nicht zwingend daran dachte, dass dieses Fleisch aus kultischen Kontexten stammt. Wäre der Ursprung des Fleisches aus kultischen Zusammenhängen bekannt, schiene die Aufforderung des Paulus, zu essen ohne zu untersuchen, wenig sinnvoll. 34 In 10,23–11,1 kehrt Paulus also zum bisherigen Argumentationsmuster zurück. Das Essen von Fleisch, auch wenn es möglicherweise aus kultischen Kontexten stammt, ist ohne Bedenken möglich. Es sei denn, durch diese Praxis würde das Gewissen des anderen belastet. 2. Eine derartige Einschränkung formuliert Paulus auch für den Fall einer Einladung durch einen Nichtgläubigen: 1Kor 10 28ἐὰν δέ τις ὑµῖν εἴπῃ: τοῦτο ἱερόθυτόν ἐστιν, µὴ ἐσθίετε δι´ ἐκεῖνον τὸν µηνύσαντα καὶ τὴν συνείδησιν: 28 „Falls aber einer zu euch sagt: Dieses ist Opferfleisch, esst nicht um desjenigen willen, der angezeigt hat, und wegen des Gewissens.“
Die Verneinung (µὴ ἐσθίετε) des zuvor Gesagten (ἐσθίετε) beschränkt sich allerdings auf einen möglicherweise eintretenden (Eventualis: ἐάν + Konjunktiv) spezifischen Sonderfall, während Vers 27 eine allgemeine Regel formuliert hat (Realis: εἰ + Indikativ). 35 Vers 28 beschreibt also den Sonderfall, der Vers 27 einschränkt: und zwar, dass einer darauf hinweist (µηνύω) 36, dass es sich bei dem vorgesetzten Essen um Opferfleisch (ἱερόθυτον) handelt. Wie Paulus sich diesen Sonderfall im Einzelnen vorgestellt hat, wirft einige Fragen auf, und in der Literatur herrscht diesbezüglich kein Konsens. Zu fragen gilt es vor allem Folgendes: Warum verwendet Paulus hier für die Bezeichnung des Fleisches nicht den sonst in 1Kor 8–10 üblichen Begriff εἰδωλόθυτον, sondern das Hapaxlegomenon ἱερόθυτον? Wen der möglichen Teilnehmer des Mahles im Hause des Nichtgläubigen stellt sich Paulus unter dem Hinweisenden
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Konradt 2003, 394. Vgl. Eckstein 1983, 257. Vgl. BDR §§371–373; s.a Merklein 2000, 277. µηνύω bedeutet nicht, dass etwas zuvor Unbekanntes bekannt gemacht wird, sondern dass ausdrücklich auf etwas aufmerksam gemacht wird; vgl. Schrage 1995, 469.
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(µηνύσας) vor? Wessen Gewissen hat Paulus in 1Kor 10,27–29 jeweils im Blick? In der Literatur finden sich verschiedenste Interpretationsversuche der Verse 27–29. Bei dem Versuch, ein mögliches Szenario zu rekonstruieren, hat man neben dem Eingeladenen, der meist als ‚Starker` identifiziert wird 37, und dem nichtgläubigen Gastgeber vor allem nach der Identität des Hinweisenden gefragt. Dafür sind sowohl einer der Nichtgläubigen 38 – also ein Heide, 39 entweder der Gastgeber oder ein Gast – in Betracht gezogen worden, sowie ein ‚Schwacher` 40 aus den Reihen der Ekklesia. Daneben wurde von anderen betont, dass eine Entscheidung über die Identität des Hinweisenden nicht möglich, oder für den eigentlichen Gegenstand von 10,23–11,1 irrelevant sei. 41 Zwei wichtige Punkte haben an dieser Stelle bisher weniger Beachtung gefunden: Zum einen ist für die Frage nach dem Hinweisenden von Bedeutung, dass sich die Einschränkung aus Vers 28 f. sowohl auf die Einladung bei einem Nichtgläubigen (V. 27) als auch auf den Kauf von Fleisch auf dem Markt bezieht (V. 25). 42 Die Diskussion darum, wer der µηνύσας sei, müsste von daher nicht nur nach möglichen Teilnehmern beim Mahl des Nichtgläubigen fragen. Zum anderen ist es wichtig zu beachten, dass es Paulus ist, der an dieser Stelle zwei mögliche Situationen konstruiert. Er ist es, der den Hinweisenden in eine fiktive Situation hinein auftauchen und darauf hinweisen lässt, dass das Fleisch ἱερόθυτον sei und somit das Essen um des Gewissens willen unmöglich macht. 43 Die Frage, ob ein Christ den Begriff ἱερόθυτον verwenden würde oder nicht, 44 ist von daher fehlgeleitet. Die entscheidende Frage lautet dagegen, mit welcher Intention Paulus den Begriff hier gebraucht. Da Paulus den Begriff gezielt verwendet, obwohl er doch sonst εἰδωλόθυτος benutzt, ist es wahrscheinlicher, dass er dabei an einen Heiden gedacht hat, als an ein Mitglied der korinthischen Ekklesia. 45 Abschließende Sicherheit kann und muss es hier nicht geben, denn die genaue Beschreibung einer Situation war nicht das Anliegen des Paulus. Die Verse 25 und 27 sollen vielmehr als allgemeingültiges Beispiel dienen. Insofern hat Gäckle zurecht darauf hingewiesen, dass die
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Vgl. Wolter 1985, 215; Eckstein 1983, 261. Koch 2008, 157; Smit 1997, 383. Vgl. Merklein 2000, 277; Klauck 1982, 276; Conzelmann 1981, 217 f. Vgl. Gäckle 2005, 253 f.; Eckstein 1983, 265. Vgl. Eschner 2019, 317; Willis 1985, 243; Konradt 2003, 398 f.; Lindemann 2000, 232; Gooch 1993, 89. Anm. 43. Vgl. Wolter 1985, 215; so auch Willis 1985, 243, der die Verse 28.29a als generelle Warnung versteht, die neben V. 25 und 27 auch auf andere Situationen anwendbar wäre. So schon bei Klauck 1982, 277. Z.B. Eckstein 1983, 263. Der im NT nur hier begegnende Begriff ἱερόθυτον ist gegenüber der „jüdisch-polemischen Variante ‚Götzenopferfleisch` (εἰδωλόθυτον)“ ( H. J. Stein 2008, 101) die neutrale Bezeichnung für geweihtes Opferfleisch; s.a. Zeller 2009, 281.
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„Schwierigkeiten einer präzisen Identifizierung des Hinweisgebers mit dem konstruierten Charakter des Fallbeispiels zusammen[hängen könnten].“ 46 3. Die Begründung, die Paulus dafür anbringt, dass sich die Situation durch den Hinweis auf das Fleisch als ἱερόθυτον ändert, ist zweiteilig. Es soll nun nicht mehr wegen des Hinweisenden (δι´ ἐκεῖνον τὸν µηνύσαντα) gegessen werden und – das καί ist hier nicht epexegetisch zu verstehen 47 – wegen des Gewissens (διὰ τὴν συνείδησιν). Um wessen Gewissen es sich dabei handelt, ergänzt Paulus im darauffolgenden Vers 29: „Ich rede aber nicht vom eigenen Gewissen, sondern von dem des anderen.“ Der andere ist hier freilich in Rückgriff auf 8,10 der ‚Schwache`. Diesen muss Paulus bei der Verwendung von συνείδησις auch schon in 25 und 27 im Blick gehabt haben. 48 Dass er dort von der συνείδησις τοῦ ἑαυτοῦ spricht und damit den Starken meinen würde, 49 ergibt wenig Sinn. Zum einen hat er zuvor beim Gebrauch von συνείδησις immer vom Gewissen, das schwach ist, gesprochen (8,7.10.12), zum anderen erscheint es nicht logisch, dass Paulus dem ‚Starken`, der die Erkenntnis hat (8,10) und der anscheinend kein Problem hat zu essen, eben dieses Essen mit Verweis darauf erlaubt, dass er es um seines eigenen Gewissens willen nicht überprüfen müsse. Das Hingewiesen-Werden und das damit nun vorhandene Wissen um die Herkunft des Fleisches verändert die Situation also grundlegend. Bedenkenloses Essen, ohne es zu überprüfen, ist nicht möglich. Vielmehr muss nun, um des Gewissens des ‚Schwachen` willen, Rücksicht genommen werden. Die Argumentation des Paulus zielt hier abermals in zwei Richtungen, denn er hat gleichermaßen das Verhalten der Ekklesia gegenüber den ‚Draußen`, wie auch das Verhalten der Glaubenden untereinander im Blick („Seid ohne Tadel, sowohl gegenüber den Juden, als auch den Griechen, als auch der Ekklesia Gottes“ 10,32). Nach drinnen gerichtet gilt, wie schon zuvor in Kap 8–10: die Rücksicht gegenüber dem (schwachen) Bruder (vgl. 8,10–13) geht vor der eigenen Freiheit. Mit der Einschränkung „esst nicht!“ (V. 28) gegenüber dem zunächst alles erlaubenden „esst alles!“ (V. 27) kehrt Paulus zu seiner den Schlussteil von 1Kor 8–10 einleitenden These aus 10,23 f. zurück: Denn nicht alles, was erlaubt ist, ist auch nützlich für die Ekklesia in Korinth (V. 23). „Niemand suche das Seine, sondern das des anderen.“ (V. 24) Teil der Argumentation ist allerdings, ebenso wie schon in 1Kor 6 50, die Außenwirkung der Gemeinde. Würde ein 46 Gäckle 2005, 254. Lindemann 2000, 232 geht sogar davon aus, dass Paulus hier bewusst ungenau formulieren würde, „weil es darauf, wer den Hinweis gibt und welche religiöse Stellung er hat, gar nicht ankommt“. 47 Gegen Eckstein 1983, 264. 48 Vgl. Schrage 1995, 466; Wolter 1985, 215. 49 So Eckstein 1983, 261; vgl. auch Koch 2008, 156. 50 S.o. S. 59.
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Glaubender im Rahmen einer Einladung Fleisch essen, auf das explizit als Götzenopferfleisch hingewiesen wurde, könnte dies von einem ‚Draußen` als bewusstes Essen im Sinne einer Art ‚Bekenntnis` 51 und daher als Verleumdung des eigenen Gottes verstanden werden. 52 4. Die Einschränkung, kein Fleisch zu essen, auf das als ἱερόθυτον hingewiesen wurde, war möglicherweise für das alltägliche Leben der Mitglieder der Ekklesia von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Inwiefern sich dies im Alltag eines Glaubenden bemerkbar gemacht hat, ist allerdings schwer zu sagen. Mit Sicherheit wird es in Korinth Gemeinschaftsmähler gegeben haben, bei denen das Essen von Fleisch für die Glaubenden unbedenklich war. Mit Recht hat Gooch andererseits darauf aufmerksam gemacht, dass gerade Veranstaltungen von sozialer Relevanz, wie Geburtstage, Hochzeiten und ähnliche Anlässe, mit großer Wahrscheinlichkeit mit religiösen Ritualen und geweihtem Essen verbunden waren. 53 Es lässt sich allerdings nur mit großer Ungewissheit aus 1Kor 10,27 und dessen Kontext auf eine in Korinth herrschende Praxis und mögliche soziale Auswirkungen für die Ekklesia schließen. Das liegt zunächst daran, dass Paulus hier in aller Einfachheit eine allgemeingültige Situation konstruiert, die für den möglichen Kontakt mit εἰδωλόθυτον, beziehungsweise ἱερόθυτον gelten muss. Die Schwierigkeiten der Rekonstruktion einer möglichen historischen Situation sind offensichtlich. Weder lassen sich die von Paulus für eine solche Situation beschriebenen Personen in letzter Eindeutigkeit bestimmen, noch geht er auf mögliche Motive ein, die den Hinweisenden zu seiner Handlung veranlasst haben könnten. Er könnte in guter Absicht handeln, im Sinne einer Warnung, oder in böser Absicht, um den Glaubenden zu provozieren. 54
51 Vgl. Klauck 1982, 277. 52 Vgl. Koch 2008, 157 f., der darauf hinweist, dass es die Benennung des Fleisches als ἱερόθυτον ist, die die Situation grundlegend ändere. Nicht die Substanz des Fleisches, sondern die Situation an sich werde zur kultischen Mahlzeit und der „Christ würde Opferfleisch als Opferfleisch“ essen; s.a. Konradt 2003, 397 f. 53 Gooch 1993, 27–46. „To refuse to accept food presented at a meal, to raise questions beforehand, and to refuse food commonly eaten by virtually all other persons in that society would mark Christians as odd and repugnant. It would not be possible to maintain social relationships with those outside the Christian circle without major adjustment and the serious possibility of missunderstanding and hostility.“ (46). 54 Vgl. Schrage 1995, 469.
Zusammengefasst
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Zusammengefasst 1. Bei der dritten Belegstelle der ἄπιστοι-Bezeichnung handelt es sich um eine kurze Notiz im Rahmen der 1Kor 8–10 umfassenden Frage über den rechten Umgang mit Götzenopferfleisch. In diesem Zusammenhang diskutiert Paulus die fiktive Situation einer Einladung durch einen Nichtgläubigen. 2. Die Ausführlichkeit, mit der Paulus in den Kapiteln 1Kor 8–10 die Frage nach dem Umgang mit dem Essen von εἰδωλόθυτον behandelt, zeigt, dass Paulus sich der Bedeutung des gemeinsamen Mahls für die Ausbildung einer gemeinsamen Zugehörigkeit der Glaubenden deutlich bewusst war. Dabei geht es sowohl um die Exklusivität des gemeinsamen Mahls der Ekklesia (10,14–22) als Ausdrucksmittel ihrer Zugehörigkeit zu Christus 55 als auch um das zentrale Moment der erfahrbaren Zugehörigkeit untereinander durch das gemeinsame Mahl, welches die Ekklesia auch nach außen überhaupt erst als eine Gruppe sichtbar macht. Zudem ist es für die sozialen Kontakte der Glaubenden und deren Wahrgenommen-Werden von außen offensichtlich von Bedeutung gewesen zu wissen, wie man als Glaubender im alltäglichen Leben mit Gemeinschaftsmählern umgehen soll. 3. Hinsichtlich des möglichen Kontakts mit Götzenopferfleisch hält Paulus es für vollkommen unproblematisch, die Einladung eines Nichtgläubigen anzunehmen und dort alles zu essen, was einem vorgesetzt wird. In Bezug auf die ‚Starken`, die Erkenntnis haben, weicht Paulus damit deutlich von der jüdischen Tradition ab. 56 Lediglich das Mahl im Tempel zur Ehre einer Gottheit, ist untersagt. Das Essen bei einem Nichtgläubigen, auch wenn es Götzenopferfleisch sein sollte, ist unproblematisch. Das bedeutet jedoch nicht, dass Paulus grundsätzlich mit dem Verbot von Götzenopferfleisch bricht. Neu ist nur, dass er die Überzeugung des Einzelnen über die Existenz, beziehungsweise die Nicht-Existenz der Götzen zum Kriterium macht. 57 4. Die Frage nach der Möglichkeit des gemeinsamen Essens mit Nichtgläubigen ist für Paulus vor allem eine ekklesiologische Frage. Im Rahmen der Diskussion um den richtigen Umgang mit Götzenopferfleisch tritt erneut eine zentrale Frage des 1Kor auf den Plan: die Frage nach dem rechten Drinnen-Draußen-Verhältnis der Ekklesia gegenüber und zugleich in der Welt. In diesem Kontext belegt 1Kor 10,27 erneut, dass die Ekklesia von Korinth ihren 55 Vgl. H. J. Stein 2008, 105. Neben der sowieso schon zentralen Bedeutung, die dem gemeinsamen Essen in der Antike zukam, wird das gemeinsame Mahl für Paulus „die zentrale Ausdrucksgestalt christlicher Identität“ (96). 56 Vgl. Eschner 2019, 316. 57 Vgl. Eschner 2019, 319.
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Eingeladen bei einem ἄπιστος – 1Kor 10,27
Kontakt zu den ‚Draußen`, dem sie ohnehin nicht entfliehen kann (5,10), nicht abbrechen muss oder soll. 5. Wie zuvor begegnet die ἄπιστοι-Bezeichnung an der Drinnen-DraußenGrenze zwischen der Ekklesia und der sie umgebenden Welt in Korinth. Zu klären ist für Paulus abermals, wie sich die Glaubenden in einem konkreten Fall, in dem es um den Kontakt zur heidnischen Welt geht, verhalten sollen (normativer Gebrauch). Das ἄπιστος-Sein der ἄπιστοι spielt dabei keine Rolle. Die Bezeichnung dient Paulus erneut als Abgrenzungsbegriff, mit dem er darstellt, dass es sich bei demjenigen, der einlädt, um jemanden handelt, der von den Glaubenden unterschieden ist und von dem man, im Falle einer Einladung zum Essen, gegebenenfalls erwarten kann, dass er Götzenopferfleisch serviert. Paulus will die Ekklesia hier erneut nicht von der Welt separieren, sondern ermutigt sie, unter Berücksichtigung einiger Einschränkungen, Kontakte aufrecht zu erhalten und sich nicht aus der Welt zurückzuziehen.
8 ἄπιστοι in der Versammlung – 1Kor 14,20–25 Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass Paulus die ἄπιστοι-Bezeichnung vor allem im Zusammenhang mit der Bestimmung der Zugehörigkeit zur ἐκκλησία τοῦ θεοῦ sowie deren Abgrenzung und Verhalten nach draußen gebraucht. Ein letztes Mal in 1Kor nutzt er den ἄπιστος-Begriff als Bezeichnung der von der Ekklesia unterschiedenen ‚Draußen` in 1Kor 14,20–25. Bisher war der Begriff an solchen Stellen zum Einsatz gekommen, an denen Paulus vornehmlich das Verhalten der Glaubenden im Kontakt mit den ‚Draußen` besprochen hatte. Im Vordergrund standen dabei Situationen, die das alltägliche Leben in Korinth betrafen: Rechtssachen (1Kor 6,1–6), eheliche Gemeinschaft (1Kor 7,12–16) und gemeinsames Essen (10,27). Vor allem in 1Kor 6,1–6 und 10,27 geht es um die Bewegung der ‚Drinnen` zu den ‚Draußen`. Damit verbunden ist freilich die Frage, inwiefern das ‚Drinnen`-Sein, also das Ekklesia-Sein der Glaubenden, Auswirkungen auf den Alltag hat. Thema war das Austragen von Rechtsstreitigkeiten „bei“ beziehungsweise „vor“ (ἐπί 1Kor 6,1.6) den ἄπιστοι sowie das Verhalten bei einer Einladung durch einen ἄπιστοι – und zwar wenn der Eingeladene Willens ist, „hinzugehen“ (πορεύω 1Kor 10,27). Gegenüber den bisherigen Stellen kehrt Paulus die Blickrichtung in 14,20– 25 um. Während in 1Kor 6,1–6 und 10,27 diskutiert wurde, wie sich die Mitglieder der Ekklesia vor und bei den ‚Draußen` verhalten sollen (ἐπί 6,1.6, πορεύω 10,27: drinnen → draußen), geht es nun um eine Situation, in der einer oder mehrere der ‚Draußen` in die versammelte Ekklesia hineinkommen (εἰσέρχοµαι V. 23 f.: drinnen ← draußen).
8.1 Analyse 1Kor 14 20Α ᾿ δελφοί, µὴ παιδία γίνεσθε ταῖς φρεσὶν ἀλλὰ τῇ κακίᾳ νηπιάζετε, ταῖς δὲ φρεσὶν τέλειοι γίνεσθε. 21ἐν τῷ νόµῳ γέγραπται ὅτι ἐν ἑτερογλώσσοις καὶ ἐν χείλεσιν ἑτέρων λαλήσω τῷ λαῷ τούτῳ καὶ οὐδ´ οὕτως εἰσακούσονταί µου, λέγει κύριος. 22ὥστε αἱ γλῶσσαι εἰς σηµεῖόν εἰσιν οὐ τοῖς πιστεύουσιν ἀλλὰ τοῖς ἀπίστοις, ἡ δὲ προφητεία οὐ τοῖς ἀπίστοις ἀλλὰ τοῖς πιστεύουσιν. 23 ᾿Εὰν οὖν συνέλθῃ ἡ ἐκκλησία ὅλη ἐπὶ τὸ αὐτὸ καὶ πάντες λαλῶσιν γλώσσαις, εἰσέλθωσιν δὲ ἰδιῶται ἢ ἄπιστοι, οὐκ ἐροῦσιν ὅτι µαίνεσθε; 24ἐὰν δὲ πάντες προφητεύωσιν, εἰσέλθῃ δέ τις ἄπιστος ἢ ἰδιώτης, ἐλέγχεται ὑπὸ πάντων, ἀνακρίνεται ὑπὸ πάντων, 25τὰ κρυπτὰ τῆς καρδίας αὐτοῦ φανερὰ γίνεται, καὶ οὕτως πεσὼν ἐπὶ πρόσωπον προσκυνήσει τῷ θεῷ ἀπαγγέλλων ὅτι ὄντως ὁ θεὸς ἐν ὑµῖν ἐστιν. 20 Brüder, seid nicht Kinder im Verstand, sondern seid kindlich im Schlechten, im Verstand aber seid erwachsen. 21Im Gesetz steht geschrieben: Durch Leute anderer Sprache und durch Lippen anderer werde ich zu diesem Volk reden und
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ἄπιστοι in der Versammlung – 1Kor 14,20–25
so werden sie mich nicht hören, spricht der Herr. 22So sind die Sprachen zum Zeichen, nicht für die Glaubenden, sondern für die Nichtgläubigen, die Prophetie aber nicht für die Nichtgläubigen, sondern für die Glaubenden. 23Wenn also die gesamte Ekklesia am selben Ort zusammenkommt und alle in Sprachen reden, aber Unkundige oder Nichtgläubige hineinkommen, werden sie nicht sagen, dass ihr von Sinnen seid? 24Wenn aber alle prophetisch reden und es kommt irgendein Nichtgläubiger oder Unkundiger hinein, wird er von allen überführt und von allen beurteilt, 25das Verborgene seines Herzens wird offenbar, und so wird er auf das Angesicht niederfallen und Gott anbeten und bekennen: ‚Gott ist wahrhaftig unter euch!`
Hauptanliegen von 1Kor 14, dem unmittelbaren Kontext der nun zu behandelnden Belegstelle der ἄπιστοι-Bezeichnung, ist die Verhältnisbestimmung zwischen den ‚geistlichen Gaben` (πνευµατικά V. 1): der Glossolalie (γλῶσσαι) und der Prophetie (προφητεία). Die Geistesgaben sind bereits seit 1Kor 12 Thema. Besondere Aufmerksamkeit kommt jedoch der Glossolaie zu. Nur sie ist in jeder Auflistung der Geistesgaben von Kapitel 12–14 aufgeführt (12,8– 10.28–31; 14,6.26 f.) 1 und mit 19 Belegen innerhalb der Kapitel 12–14 weit häufiger als alle anderen ‚Gaben` belegt. 2 Die Argumentation über den Nutzen von Glossolalie und Prophetie in 1Kor 14 lässt sich in vier Abschnitte gliedern: a) Im ersten Abschnitt (V. 1–5) stellt Paulus zunächst fest, dass das maßgebliche Kriterium für die Rede in der Ekklesia die ‚Erbauung` (οἰκοδοµή) ist. 3 Während der Glossolale lediglich sich selbst erbaut (V. 4a), erbaut derjenige, der prophetisch redet, die Gemeinde (V. 4b). b) In den folgenden Versen 6–19 – mit νῦν δὲ, ἀδελφοί (V. 6) ist ein klarer Neuansatz markiert – geht Paulus ausführlicher auf den fraglichen Nutzen der Glossolalie ein. c) Im Anschluss an die Frage des Nutzens in der Versammlung kommt Paulus in den Versen 20–25 4 auf die Wirkung der ‚Geistesgaben` der Prophetie und der Glossolalie auf Außenstehende zu sprechen. d) In den Versen 26–40 5, welche die Abhandlung über die Geistesgaben abschließen, folgen schließlich konkrete Ordnungen und Anweisungen für den Umgang mit den Geistesgaben während der Versammlung der Glaubenden.
Vgl. Hovenden 2002, 108. Z.B. προφητεία 12,10; 13,2; 13,8; 14,6.22; ἴαµα 13,9.28.30; διδαχή 14,6.26; vgl. διδάσκαλος 12,28 f. 3 οἰκοδοµή (V. 3.5.12.26) verwendet Paulus viermal und οἰκοδεµέω (V. 4.17) dreimal innerhalb des Kapitels. Zum Wortschatz von 1Kor 12–15, den Häufigkeiten und den semantischen Verbindungen; s. Chiu 2007, 165–167. Zu οἰκοδοµή s.a. S. 100. 4 Wieder setzt Paulus mit der Anrede ἀδελφοί (V. 20) neu an. 5 Nochmaliger Neuansatz mit der Anrede ἀδελφοί (V. 26).
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Analyse
In Vers 20 beginnt Paulus mit der Anrede ἀδελφοί einen neuen Absatz, bestehend aus einem Schriftzitat (V. 21), dessen Anwendung (ὥστε) in Vers 22 und zwei daran anknüpfenden (οὖν) Beispielen in Vers 23 und 24 f. Der Einstieg in Vers 20 steht inhaltlich etwas lose im Kontext des Kapitels, denn kindliches oder erwachsenes Verhalten war vorher und ist im Anschluss nicht Thema. Lediglich über das Hapaxlegomenon φρήν, das dem zuvor thematisierten νοῦς (V. 14 f.19) semantisch nahe steht, 6 lässt sich eine Anknüpfung feststellen. Geprägt ist der Abschnitt 20–25 vor allem durch seine antithetischen Parallelismen in den Versen 20.22.23–25. 7 Im Zentrum steht dabei der Chiasmus in den jeweils zweiten Satzteilen in Vers 22 (οὐ . . . ἀλλά . . .): 22a
ὥστε αἱ γλῶσσαι εἰς σηµεῖόν εἰσιν
οὐ τοῖς πιστεύουσιν ἀλλὰ τοῖς ἀπίστοις,
c ἡ δὲ προφητεία (εἰς σηµεῖόν εἰσιν)
d οὐ τοῖς ἀπίστοις ἀλλὰ τοῖς πιστεύουσιν.
b
Durch die Wiederaufnahme von γλῶσσα aus Vers 22a in 23 und προφητεία aus Vers 22b in 24 f. entsteht eine hohe Kohärenz im gesamten Abschnitt. Des Weiteren prägt der Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung den Abschnitt. In Vers 22 wird sie gegenüber den πιστεύοντες und in den Versen 23 und 24 nebeneinander mit den ἰδιῶται gebraucht. Die Verse 23–25 sind ebenfalls parallel konstruiert: 23
ἐὰν οὖν συνέλθῃ ἡ ἐκκλησία ὅλη ἐπὶ τὸ αὐτὸ καὶ
24
πάντες λαλῶσιν γλώσσαις,
πάντες προφητεύωσιν,
εἰσέλθωσιν δὲ ἰδιῶται ἢ ἄπιστοι,
εἰσέλθῃ δέ τις ἄπιστος ἢ ἰδιώτης,
οὐκ ἐροῦσιν ὅτι µαίνεσθε;
ἐλέγχεται ὑπὸ πάντων, ἀνακρίνεται ὑπὸ πάντων, . . .
ἐὰν δὲ
Die beiden im Eventualis geschilderten Situationen der Verse 23 f. beschreiben in der Protasis (23a.b; 24a) jeweils die gleiche Ausgangslage: Außenstehende kommen in die Zusammenkunft der Ekklesia von Korinth hinein. 8 Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass einmal alle in Sprachen und dann prophetisch reden. Die jeweils entsprechende Apodosis (23c; 24b–25) ist syntaktisch unterschiedlich gestaltet. In Vers 23 formuliert Paulus die Reaktion als 6
Beide Begriffe sind Abstrakta des Denkens und Wahrnehmens. In direkter Verbindung (νοῦς καὶ φρήν) stehen beide Begriffe z.B. bei Aristophanes, Ran. 534; Demosthenes, Orat. 18,324; 25,33. 7 Vgl. Johanson 1979, 186 f. 8 Paulus wechselt lediglich von Plural zu Singular und bringt in Vers 24 die Information συνέλθῃ ἡ ἐκκλησία ὅλη ἐπὶ τὸ αὐτό nicht erneut.
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ἄπιστοι in der Versammlung – 1Kor 14,20–25
rhetorische Frage im Futur, während die Reaktion in Vers 24b–25 durch den Gebrauch des Präsens als allgemeingültige Aussage formuliert ist. 9 Semantisch ist 1Kor 14,20–25 durch den Vergleich von Glossolalie und Prophetie geprägt, der auch das gesamte Kapitel 14 durchzieht. Weiterhin ist die häufige Verwendung von ‚Drinnen`- und ‚Draußen`-Bezeichnungen, vor allem in den Versen 22–25, prägend. Die ‚Drinnen`, das heißt die Mitglieder der Ekklesia von Korinth, werden in 1Kor 14,22 zum ersten und letzten Mal seit 1Kor 1,21 wieder als πιστεύοντες bezeichnet. Ihnen werden die ‚Draußen` als ἄπιστοι gegenübergestellt. Diese Gegenüberstellung von drinnen und draußen wird in den folgenden Versen 23–25 fortgeführt. Die ‚Drinnen` werden nun allerdings durch das Kollektivum ἐκκλησία bezeichnet und der ἄπιστοι-Bezeichnung wird der ἰδιώτης-Begriff zur Bezeichnung der ‚Draußen` zur Seite gestellt.
8.2 Erbauung und Verständlichkeit der Verkündigung Die ἄπιστοι-Bezeichnung verwendet Paulus erneut in einem Kontext, in dem er die Ekklesia in ihrem Verhalten korrigieren will: Die Glaubenden in Korinth sollen vor allem prophetisch reden (V. 1), die Glossolalie hingegen soll hinter die Prophetie zurücktreten. Anders als zuvor bei der Frage um das Richten vor den ‚Draußen` (1Kor 6,1–6) oder um die mögliche Fortführung einer Ehe mit einem oder einer ‚Draußen` (1Kor 7,12–16), sind die ἄπιστοι oder andere Außenstehende nicht Ursprung des Problems, insofern der Kontakt zu ihnen zur Diskussion steht, sondern sie werden nur als Negativfolie der Glaubenden in die Argumentation um ein Problem der Ekklesia mit eingebunden. Die Pragmatik von 1Kor 12–14 lässt erkennen, dass Paulus die offensichtlich sehr hohe Bewertung der Glossolalie in der Ekklesia von Korinth korrigieren will. 10 Nur in 1Kor 12–14 ist Glossolalie als charismatische Gabe Gegenstand der Diskussion innerhalb eines der paulinischen Briefe. Es handelt sich bei der Glossolalie also entweder um ein auf Korinth begrenztes Phänomen, 11 oder es kam nur dort zu einer derartigen Hochschätzung gerade dieser ‚Gabe`, so dass Paulus sich genötigt fühlte, die Glaubenden in dieser Haltung zu korrigieren. Kriterium für die Rede in der Versammlung ist die „Erbauung“ (οἰκοδοµή V. 3–5.12). 12 Damit die Rede in der Versammlung der Erbauung dient, muss 9 Vgl. Risch und Bornemann 2008 (=1978), §§277ff.; s.a. Siebenthal 2011, §280c. 10 Möglicherweise war er über diesen Zustand durch einen Brief aus Korinth (1Kor 7,1) informiert. 11 Vgl. Horn 1992, 201; dagegen Dautzenberg 1999, 61. 12 Die Verbindung von ἐκκλησία und οἰκοδοµή/οἰκοδοµέω (1Kor 14,4 f.12; s.a. Mt 16,18; Apg 9,31) zeigt an, dass „Erbauung“ eine ekklesiologische Vokabel ist (vgl. Pfammatter
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vor allem deren Verständlichkeit gewährleistet sein. In 1Kor 14 war Paulus bereits zweimal darauf zu sprechen gekommen, 13 dass unverständliche Rede den Effekt der Verfremdung hat und die Andersartigkeit von Redner und Hörer offenbart: 1Kor 14 11ἐὰν οὖν µὴ εἰδῶ τὴν δύναµιν τῆς φωνῆς, ἔσοµαι τῷ λαλοῦντι βάρβαρος καὶ ὁ λαλῶν ἐν ἐµοὶ βάρβαρος. 11 „Wenn ich also die Bedeutung einer Sprache 14 nicht kenne, 15 werde ich dem, der spricht, ein Fremder 16 sein und der, der spricht, wird mir ein Fremder sein.“ 1Kor 14 16ἐπεὶ ἐὰν εὐλογῇς ἐν πνεύµατι, ὁ ἀναπληρῶν τὸν τόπον τοῦ ἰδιώτου πῶς ἐρεῖ το ἀµὴν ἐπὶ τῇ σῇ εὐχαριστίᾳ; ἐπειδὴ τί λέγεις οὐκ οἶδεν: 16 „Denn wenn du im Geist lobst, wie soll der, der den Platz eines Unkundigen 17 einnimmt, das Amen zu deinem Dankgebet sagen? Denn er versteht nicht, was du sagst.“
Nachdem Paulus bis hierhin deutlich gemacht hat, dass Verständlichkeit die Bedingung für eine erfolgreiche Verkündigung in der Versammlung ist, wechselt er nun von einem rein ekklesial-internen Fokus hin zu einem Blick auf die ‚Draußen` und befragt in den Versen 20–25 Glossolalie und Prophetie hinsichtlich ihrer Wirkung auf Außenstehende. Diese beschriebene Wirkung entspricht dem bisher von ihm dargestellten Vorzug der Prophetie vor der Glossolalie: Kommen Nichtgläubige oder Unkundige in die Versammlung hinein und alle reden prophetisch, werden diese überführt (ἐλέγχεται) und beurteilt (ἀνακρίνεται). Prophetische Rede, so Paulus weiter, hat schließlich auf Außenstehende den Effekt, dass sie Gott anbeten (προσκυνέω) und bekennen (ἀπαγγέλλω), Gott sei wahrhaftig in der Ekklesia anwesend. Dagegen hat
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1992, 1215). οἰκοδοµή ist „auf die Gemeinschaft bezogen [. . .], sie konstituiert und fördert“ (Vielhauer 1939, 92) sie; s. weiterhin Kitzberger 1986, 98–110. Verse 23–25 können daher in gewisser Weise als Fortführung des bereits in den Versen 11 und 16 angebrachten Arguments gelten; vgl. Sandnes 1996, 4 f. Paulus verwendet in 1Kor 14 für das Wortfeld ‚Sprechen/Sprache` sowohl γλῶσσα als auch φωνή. Beide Begriffe werden im übertragenen Sinn für Sprache gebraucht. Während γλῶσσα mehr den physisch-biologischen Akt des Sprechens bezeichnet – γλῶσσα bedeutet „im eigentl. Sinne Zunge als körperliches Organ und vor allem als Organ der Sprache“ (Dautzenberg 1992, 605) –, bezieht sich φωνή eher auf die beim Sprechen geäußerten Laute – die Grundbedeutung von φωνή ist „Laut“/„Ton“ vgl. Radl 1992. Vgl. Sophocles, Aj. 1263: τὴν βάρβαρον γὰρ γλῶσσαν οὐκ ἐπαΐω („Ich kenne die fremde Sprache nicht“); s.a. φωνή βάρβαρος: Plato, Protag. 341c; Aeschylus, Ag. 1051. Ein βάρβαρος ist ein Fremder/Fremdsprachiger, der als solcher gerade wegen der Unverständlichkeit seiner Äußerungen bezeichnet wird. „Die lautmalende Bildung des Wortes (Verdopplung der Anfangssilbe) führt zur Grundbedeutung ‚stammelnd redend, undeutliche Laute aussprechend`. Von daher bezeichnet es schließlich jeden, der eine nichtgriechische Sprache spricht“ (Balz 1992, 473); vgl. z.B. Röm 1,14: ῞Ελλησίν τε καὶ βαρβάροις. Dieses Begriffspaar ist in der Antike breit belegt: z.B. Thucydides VI 6; Herodot IX 101; Xenophon, Hell. VI 5,42; Plato, Leg. 870a. Zu ἰδιώτης s.u. S. 110ff.
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er zuvor die Wirkung der Glossolalie auf die ‚Draußen` lediglich dahingehend beschrieben, dass die Nichtgläubigen und Unkundigen sagen werden, die Versammlung sei von Sinnen.
8.3 Glossolalie als Zeichen für die Nichtgläubigen Bevor die von Paulus dargestellte Wirkung der Glossolalie und der Prophetie auf die Außenstehenden besprochen werden kann, muss zunächst ein Schritt zurück gegangen werden. Kaum ein Forschungsbeitrag zur Exegese von 1Kor 14,20–25 beginnt nicht mit einer Feststellung darüber, welche Schwierigkeiten die Exegese dieser Stelle mit sich bringt. Im Zentrum steht dabei die Diskussion um Vers 22: a) Besondere Aufmerksamkeit wurde auf die Frage verwandt, wie der durch die Präposition εἰς eingeleitete σηµεῖον-Begriff am besten verstanden werden kann (8.3.1.). b) Neben der Bedeutung des σηµεῖον-Begriffs geht es um das Verhältnis der zugehörigen Dativobjekte, τοῖς πιστεύουσιν und τοῖς ἀπίστοις. Diese werden durch οὐ . . . ἀλλά als gegensätzlich gekennzeichnet. 18 Vers 22 wirft die Frage auf, wieso und in welcher Art Glossolalie und Prophetie für die Glaubenden und Nichtgläubigen ein Zeichen sind oder nicht (8.3.2).
8.3.1 εἰς σηµεῖόν εἰσιν (1Kor 14,22a) Vers 22 wurde häufig als widersprüchlich im Vergleich mit den folgenden Versen 23–25 wie dem gesamten Kontext wahrgenommen. 19 In der Tat scheint die paulinische Argumentation hier nicht geglückt. 20 Allerdings darf diese Feststellung nicht zu einer Exegese dieser Stelle verführen, deren Ziel es von vornherein ist, eine spannungsfreie Interpretation zu ermöglichen. 21 Damit würde die empfundene Problematik vom Leser auf den Autor verlagert. Es 18 ἀλλά ist „Partikel des scharfen Gegensatzes“. Siebenthal 2011, §252.1. 19 Vgl. z.B. Smit 1990, 175; Theissen 1983, 83; Sweet 1967, 241. 20 Schrage 1999, 406: „Alle Erklärungsversuche haben ihre Probleme und können m.E. nichts daran ändern, daß der Gedankengang des Paulus verunglückt ist.“ Zeller 2009, 431: „Paulus möchte mit allen Mitteln und hier auch auf Kosten der Logik die Bedeutung der Prophetie für die Gemeinde und ihr Wachstum herausstreichen.“ 21 So stellt beispielsweise Grudem 1979, 395 zum Schluss seiner Überlegungen zu 1Kor 14,20–25 fest: „If the preceding analysis is correct, 1 Cor. 14.20–25 can be understood as a reasonable and consistent statement by Paul“ ähnlich Johanson 1979, 194: „On this view the ambiguity between the quotation [V. 21] and the assertions [V. 22] occasioned by the contradictions of the illustrations [V. 23–25] [. . .] is taken away“.
Glossolalie als Zeichen für die Nichtgläubigen
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kann und muss nicht angenommen werden, dass eine spannungsfreie Lektüre der Briefe des Paulus ohne jegliche Ambivalenzen möglich ist. Vielmehr sollten derartige Spannungen unter der möglichen Annahme, dass sie nicht zu lösen sind, angenommen werden. 22 Viel Diskussion bezüglich der Interpretation von Vers 22 hat vor allem der σηµεῖον-Begriff hervorgerufen. Aufgrund der Tatsache, dass Paulus den Begriff neben 14,22 in 1Kor nur in 1,22 verwendet, 23 fällt eine Bestimmung des Begriffs nicht leicht. 24 Zusammen mit εἰς und einer Dativform begegnet der Begriff bei Paulus sonst nirgends. Wegen der geringen Anzahl von Belegen hat man vermutet, Paulus nehme eine Formulierung aus Korinth auf. Demnach würde die Ekklesia in der Glossolalie ein Zeichen für die Glaubenden sehen. Diese Ansicht würde Paulus kritisch aufnehmen und umkehren. 25 Dass dem so ist, lässt der Text jedoch nicht erkennen. 26 Was sich hingegen über den σηµεῖον-Begriff und dessen Gebrauch bei Paulus sagen lässt, ist folgendes: a) Es darf angenommen werden, dass Paulus εἰς σηµεῖον aus dem Wortschatz der Septuaginta übernimmt, in der εἰς σηµεῖον die griechische Übersetzung von לאת/ לאותist (z.B. Gen 9,13: καὶ ἔσται εἰς σηµεῖον ( )לאותδιαθήκης ἀνὰ µέσον ἐµοῦ καὶ τῆς γῆς „und er ist zum Zeichen des Bundes zwischen mir und der Erde“). 27 Außerhalb der jüdischen Literatur ist εἰς σηµεῖον vor Paulus 28 nicht belegt. 29 b) εἰς (wie hebräisch )ל ְ wird hier übertragen gebraucht und ist Prädikativersatz: ‚zu einem Zeichen`. 30 c) Der σηµεῖον zugehörige Dativ, hier also die Nichtgläubigen beziehungsweise die Glaubenden, beschreibt immer den Zeichenempfänger 31:
22 Sweet 1967, 177: „Such attempts to harmonize the assertions of v. 22 and the illustrations of vv. 23–25 strike one as artifical.“ Chiu 2007, 303: „The difficulty in understanding the line of thought in 1 Cor 14:21–25 remains.“ 23 In den übrigen Paulinen nur Röm 4,11; 15,19 und 2Kor 12,12, davon zweimal als Syntagma σηµεῖα καὶ τεράτα (Röm 15,19; 2Kor 12,12). 24 So wie σηµεῖον in 1Kor 1,22 steht auch das Syntagma σηµεῖα καὶ τεράτα absolut, d.h. ohne Bestimmung von dessen Inhalt. Nach 2Kor 12,12 sind wiederum σηµεῖα καὶ τεράτα die „Zeichen“ (σηµεῖα) des Apostels. Das „Zeichen der Beschneidung“ (Röm 4,11) bezieht sich auf den Abraham-Bund in Gen 17,10. 25 Vgl. Johanson 1979, 193; Sweet 1967, 241. 26 Vgl. Lindemann 2000, 309. 27 Weiterhin Gen 1,14; Ex 13,16; Num 17,3; Dtn 6,8; 11,18; Jes 8,18; 55,13; Ez 20,12.20. 28 Nach Auskunft von TLG#E. 29 Außerhalb der Septuaginta noch Philo, Opif. 59; Spec. IV 137 und TestLev 8,11. 30 Vgl. Siebenthal 2011, §184g. Für diesen Gebrauch von εἰς s.a. Röm 1,16; 15,18; 1Kor 5,5; Phil 2,16. 31 Zum Gebrauch σηµεῖον plus Dativ s. z.B. Dtn 13,2; Ri 6,17; 1Sam 2,34; 2Chr 32,24; Mt 16,1.4; 26,48; Mk 8,12; Joh 2,18; Apg 4,16; Offb 13,14. Anders Merklein 2000, 189 und Smit 1990, 185, die einen Lösungsversuch zu den Problemen von V. 22 vorschlagen, bei dem der Dativ nicht als commodi verstanden wird, sondern als dativus respectus bzw.
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Ex 3 12εἶπεν δὲ ὁ θεὸς Μωυσεῖ λέγων ὅτι ῎Εσοµαι µετὰ σοῦ, καὶ τοῦτό σοι τὸ σηµεῖον ὅτι ἐγώ σε ἐξαποστέλλω: „Gott aber sprach zu Mose: ‚Ich werde mit dir sein und dies sei dir ein Zeichen, das ich sende`.“ Ps 59LXX 6ἔδωκας τοῖς φοβουµένοις σε σηµείωσιν. „Du gabst denen, die dich fürchten, ein Zeichen.“ Lk 2 12καὶ τοῦτο ὑµῖν τὸ σηµεῖον, εὑρήσετε βρέφος ἐσπαργανωµένον καὶ κείµενον ἐν φάτνῃ. „Und dies sei euch zum Zeichen, ihr werdet finden ein Neugeborenes in Windeln gewickelt und in einer Futterkrippe liegen.“
d) Außer zwei Belegen in der Septuaginta (Num 17,3: προσηνέχθησαν ἔναντι κυρίου καὶ ἡγιάσθησαν καὶ ἐγένοντο εἰς σηµεῖον τοῖς υἱοῖς ᾿Ισραήλ (לאות לבני „ )ישׂראלsie wurden vor den Herrn gebracht und wurden geheiligt und wurden zum Zeichen für die Söhne Israels“ vgl. Num 17,25) ist das Syntagma εἰς σηµεῖον mit Dativ nirgends belegt. Es gibt jedoch eine semantische Parallele, die syntaktisch gleich gebaut ist: εἰς µαρτύριον („zum Beweis“, „zum Zeugnis“) mit Dativ (z.B. Mt 24,14: καὶ κηρυχθήσεται τοῦτο τὸ εὐαγγέλιον τῆς βασιλείας ἐν ὅλῃ τῇ οἰκουµένῃ εἰς µαρτύριον πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν „und dieses Evangelium des Königreiches wird in der ganzen Welt verkündet werden, zum Zeugnis für alle Völker“). 32 Auch hier wird über das Dativobjekt der Empfänger des µαρτύριον angegeben. Paulus gibt in Vers 22 also Auskunft darüber, was als Zeichen fungiert – Glossolalie beziehungsweise Prophetie – und wer dessen Empfänger ist und wer nicht – die Nichtgläubigen beziehungsweise die Glaubenden, die durch die Zeichen etwas erkennen sollen. Probleme bei der Auslegung bereitet jedoch, dass Paulus sich über den Informationsgehalt der Zeichen ausschweigt. Was durch Glossolalie und Prophetie erkannt werden soll, ist nicht gesagt. 33
8.3.2 Ein Zeichen des Gerichts? 1. Die vermeintliche Leerstelle, die bezüglich des Inhalts der Zeichen besteht, hat in vielen Kommentaren und Aufsätzen zu 1Kor 14,20–25 zu einer qualitativen Unterscheidung des σηµεῖον-Begriffs in Vers 22a.b geführt: Glossolalie, relationis oder sogar causae. „Die Glossolalie ist dann ein Zeichen [. . .] ‚in Bezug auf die Ungläubigen` bzw. ‚aufgrund der Ungläubigen`“ Merklein 2000, 189. 32 Weiterhin Mk 1,44parr.; 6,11; 13,9par.; Jak 5,3; s.a. in der LXX für לעד: Gen 21,30; Dtn 31,19.26; Jos 24,27; Mi 1,2. In Jes 19,20 begegnen לאותund לעדsemantisch so eng verknüpft („ והיה לאות ולעד ליהוה צבאותEs wird zum Zeichen und Zeugnis des Herrn der Heerscharen“), dass die LXX daraus εἰς σηµεῖον εἰς τὸν αἰῶνα („zum ewigen Zeichen“) macht. Weiterhin Num 17,25 wo µαρτύριον und σηµεῖον nebeneinander genannt werden. 33 Das entspricht jedoch dem üblichen Gebrauch des σηµεῖον-Begriffs im Neuen Testament, welcher in den meisten Fällen ohne genauere Bestimmung seiner Form oder seines Inhalts verwendet wird; z.B. Mt 16,3; Mk 8,11parr.; Joh 2,11; Apg 2,22; 1Kor 1,22. Ausgenommen Offb 12,1.3; 15,1 wo das σηµεῖον ἐν τῷ οὐρανῷ jeweils beschrieben wird.
Glossolalie als Zeichen für die Nichtgläubigen
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als ein Zeichen für die Nichtgläubigen, wird als ein negatives Zeichen verstanden: als ein Zeichen des Gerichts, des Unheils und des Missfallens Gottes. Prophetie, als ein Zeichen für die Glaubenden, wird wiederum als ein positives Zeichen verstanden: als ein Zeichen der Gnade und des Heils. 34 Unter anderem wurde für diese Deutung auf das dem Vers 22 vorausgehende Zitat aus Jes 28,11 f. 35 verwiesen. 36 In diesem Fall wird der historische Kontext des Droh- beziehungsweise Gerichtswortes gegen die trunkenen Priester und Propheten (Jes 28,7) aus Jesaja als sinnstiftend für die paulinische Argumentation angenommen: Gott spricht in unverständlicher und fremder Sprache zu „diesem Volk“ (Israel) als Strafe dafür, dass sie nicht hören wollten. 37 Es wird insofern angenommen, Paulus verwende ebenjenes Jesajazitat, um Glossolalie als eine Form des göttlichen Gerichts gegen jene, die nicht glauben, zu beschreiben. 38 Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Paulus das Zitat allein wegen seiner Verbindung zu γλῶσσα aufnimmt 39 und weniger an dessen Kontext interessiert ist. Es ist auch fraglich, inwieweit angenommen werden kann, dass Paulus die Kenntnis des Kontextes und dessen Transfer bei seinen Lesern erwarten kann. 40 Im Sinne der Diskussion um den Nutzen von Glossolalie und Prophetie für die Verkündigung in 1Kor 14 dient Paulus das Zitat in Vers 21 lediglich als Beweistext für die Unverständlichkeit und Wirkungslosigkeit von
34 Eine derartige Qualifizierung als ‚positiv` und ‚negativ`, mit teils unterschiedlicher begrifflicher Akzentuierung, findet sich bspw. bei Trebilco 2017, 55 (vgl. Trebilco 2014, 192); Zeller 2009, 431; Thiselton 2000, 1126; Dunn 1997 (=1975), 231; Sandnes 1996,12; Forbes 1995, 180; Barrett 1971, 323 f. 35 Auf die Unterschiede zwischen der paulinischen Variante und den Überlieferungen im MT und in der LXX sowie die mögliche Vorlage für Paulus wird hier nicht im Detail eingegangen; s. dazu Nagel 2013, v.a. 36–39; Stanley 1992, 197–205; Lanier 1991; Koch 1986, 63–66. 36 So z.B. Birge 2002, 164; Hovenden 2002, 143; Grudem 1979, 387.390. 37 In der Variante der LXX liegt der Fokus durch die Änderung von „er [Gott] wird zu diesem Volk sprechen“ zu „sie [die Fremden] werden zu diesem Volk sprechen“ allerdings nicht mehr auf einem Gerichtswort, sondern es wird „a message of valiant endurance under the persecutions of the heathens“. Lanier 1991, 263. 38 So z.B. Grudem 1979, 387.390: „Paul understands very well that when God speaks to people in a language they cannot understand, it is a form of punishment for unbelief.“ „So when Paul says ‚tongues are a sign not to believers but to unbelievers` he is using σηµεῖον in a familiar and well-established sense. Towards those who disbelieve, signs as indications of God's attitude in the OT are always negative.“ Weiterhin Hovenden 2002, 143; Birge 2002, 164. 39 Dafür würde auch die Umstellung von χεῖλος („Lippe“) und γλῶσσα („Sprache“) bei Paulus gegenüber der LXX sprechen, denn er setzt das für ihn Wichtigere (ἑτερόγλωσσος) gegenüber der Vorlage nach vorne; vgl. Zeller 2009, 430. 40 So Klauck, der davon ausgeht, dass Paulus Kenntnis der Stelle und deren Verwendungszusammenhang bei den Adressaten voraussetzt. „[D]enn anders will ein Verständnis des Zitats [. . .] und seiner Anwendung in V. 22 kaum gelingen.“ (Klauck 2000, 291). Diese Hermeneutik ist für ein Verständnis der paulinischen Motivation jedoch wenig hilfreich.
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Glossolalie. 41 Er entnimmt das Zitat seinem Kontext und wendet es auf die Situation in Korinth an. 42 Diese Annahme unterstützt auch eine Änderung, die Paulus am Schluss des Zitats vornimmt. Gegenüber der Septuaginta und dem Masoretischen Text (οὐκ ἠθέλησαν ἀκούειν/„ לא אבוא שׁמועsie wollten nicht hören“), beschreibt Paulus den Effekt der γλῶσση ἑτέρα futurisch: οὐδ´ οὕτως εἰσακούσονται („auch so werden sie nicht hören“). 43 Betreffs der Glossolalie geht es ihm also mehr um das Nicht-Hören-Können als um ein Nicht-Hören-Wollen. 44 Der fundamentale Unterschied zwischen Jesaja 28,11 f. und der paulinischen Adaption ist: Bei Jesaja ist das Reden in Sprachen als eine Reaktion Gottes auf ein Nicht-Hören-Wollen der Israeliten dargestellt, während Paulus ein Nicht-Hören-Können als Effekt der Glossolalie auf Außenstehende beschreibt. 45 2. Die Unterscheidung der Zeichen mittels der Kategorien ‚negativ` (Gericht und Unheil) auf der Seite der Glossolalie und ‚positiv` (Gnade und Heil) auf der Seite der Prophetie findet sich aber auch in den Kommentaren, in denen dem Jesajazitat und dessen Kontext weniger Bedeutung für die Interpretation von Vers 22 zukommt. 46 Als ein Gerichtszeichen wird Glossolalie deshalb beschrieben, weil sie, wie in Vers 23 beschrieben wird, die Außenstehenden abschrecke und die Nichtgläubigen in ihrem Nichtglauben bestätigen und verhärten würde. 47 Aus folgenden Gründen ist jedoch von einer Deutung abzusehen, die die Zeichen aufgrund einer verschiedenen Qualität voneinander unterscheidet: a) Zunächst ist nicht zu erkennen, wie die Glossolalie, die von Paulus in 1Kor 14 als unverständliche Rede dargestellt wurde, von Nichtgläubigen als Zeichen des Gerichts verstanden werden soll. 48
41 Paulus „is not involved in exegesis. He quotes the text not in order to provide an interpretation, but to present a proof-text.“ Sandnes 1996, 8; vgl. weiterhin: Chester 2005, 439; Schrage 1999, 406; Forbes 1995, 180; Roberts 1979, 201; Barrett 1971, 323. 42 „Paul considered the ineffectiveness of the prophets and priests, being the religious leaders of their times (Isa. 28:1–12) as a legitimate theological conceptual backdrop against which he dealt with those ‚religious leaders` in Corinth speaking in γλῶσσα.“ Nagel 2013, 39. 43 Dass diese Änderung tatsächlich auf Paulus zurückgeht und nicht Teil seiner Vorlage war, kann mit einiger Sicherheit angenommen werden; vgl. Stanley 1992, 205. 44 Vgl. Schrage 1999, 406. Den Gedanken nimmt auch Zeller 2009, 431 auf: „Das liegt nicht an ihrem mangelnden guten Willen, sondern an der Unverständlichkeit der ‚Zungenrede`.“ 45 Vgl. Lanier 1991, 280. 46 Z.B. Trebilco 2017, 55 (vgl. Trebilco 2014, 192); Thiselton 2000, 1126; Sandnes 1996, 12; Forbes 1995, 180; Barrett 1971, 323 f. 47 Z.B. Dunn 1997 (=1975), 231; Barrett 1971, 323. 48 „It is hardly fair to judge and condemn unbelievers on the basis of an unintelligible message uttered by Christians.“ Roberts 1979, 200; vgl. Chester 2005, 431.
Glossolalie als Zeichen für die Nichtgläubigen
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b) Die Folge einer Unterscheidung zwischen ‚positivem` und ‚negativem` Zeichen wäre weiterhin, dass die Einheit des σηµεῖον-Begriffs in Vers 22 aufgegeben werden müsste. 49 Eine Differenz besteht hier ausschließlich in der unterschiedlichen Qualität von Glossolalie und Prophetie in Bezug auf ihre Wirkung und nicht bei den Zeichen selbst. Es ist daher sinnvoller, nicht den Zeichenbegriff selbst qualifizieren zu wollen, sondern den σηµεῖον-Begriff so zu verstehen, dass durch das Zeichen ein Erkenntnisprozess beim Rezipienten in Gang gesetzt wird. 50 c) Die größten Schwierigkeiten entstehen bei dieser qualifizierenden Deutung des Zeichenbegriffs und seinem Verwendungszusammenhang allerdings dadurch, dass die Ebenen der paulinischen Argumentation und der angenommenen historischen Interpretation nicht sachgemäß getrennt werden. Als ein Zeichen des Gerichts kann Glossolalie nur von denen gedeutet werden, die mit einem Gericht rechnen. 51 Diese Gerichtserwartung gehört allerdings zur kulturellen Enzyklopädie der Glaubenden und ist somit nicht Teil der Wirklichkeit der Nichtgläubigen. Insofern können jene, die draußen sind, nur aus der Perspektive der ‚Drinnen`-Gruppe, die mit einem solchen Gericht rechnet, als gerichtet verstanden werden. Wenn man annimmt, dass es sich bei denen, welche die Glossolalie deuten, um solche handeln würde, die mit einem Gericht rechnen, wäre Glossolalie nicht ein Zeichen für die Nichtgläubigen, sondern über die Nichtgläubigen. 52 Dann müssten es jedoch die Glaubenden sein, die die Zeichen deuten. Wie oben bereits erwähnt, beschreibt das Dativobjekt zu σηµεῖον jedoch immer den Empfänger des Zeichens, 53 also im Falle der Glossolalie die Nichtgläubigen. Diese Möglichkeit scheidet also aus. Dass die Nichtgläubigen durch das Zeichen der Glossolalie ihren eigenen Nicht-Glauben erkennen, ist schlechterdings nicht möglich. Der Versuch, die Zeichen ‚negativ` zu werten, weil „es sie als Ungläubige und damit von Gott getrennt erweist“, und sich als „Erkenntnisgrund für ihren eigenen Unglauben darstellt“ 54, trennt die oben genannte Ebene der paulinischen Argumentation nicht sachgemäß von deren Interpretation. Denn dem Nichtgläubigen ist ein qualifiziertes Verständnis seines eigenen Zustandes als nicht glaubend, nicht möglich. Es mag sein, dass die hier als ἄπιστοι und ἰδιῶται ihre Andersartigkeit gegenüber der versammelten Ekklesia wahrnehmen, wenn sie hineinkommen. Sie werden sich aufgrund dieser Andersartigkeit jedoch nicht unmittelbar 49 Vgl. Theissen 1983, 83; Roberts 1979, 200. 50 Vgl. W. Wei ss 1995, 69. Schrage 1999, 407 spricht von „Erkennungszeichen“. In 2Kor 12,12 (σηµεῖα τοῦ ἀποστόλου) wird durch das Zeichen erkannt, was einen Apostel ausmacht. 51 „[W]hile some Christians might understand that they [die Zeichen] are a sign of judgement on unbelievers, this does not help the unbeliever alter their status“. Hiu 2010, 69. 52 So z.B. Sweet 1967, 242. 53 Vgl. Chester 2005, 432; Sandnes 1996, 12. 54 Rengstorf 1964, 258.
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als defizitär verstehen, und erst recht nicht im existenziellen Sinne. Dem als ἄπιστος Bezeichneten fehlt der notwendige Erkenntnisgrund, nämlich der Glaube, um sich selbst als ἄπιστος zu verstehen. Eine qualifizierte Deutung der Zeichen und deren Folgen für die ἄπιστοι ist nur aus dem Glauben heraus möglich. 55 In dem Augenblick, da der Nichtgläubige seinen eigenen NichtGlauben erkennt, hört er auf, Nichtgläubiger zu sein, denn nun misst er sein Verhalten und Dasein nach dem Maßstab des Glaubens. Die von vielen angenommene Bestätigung der Nichtgläubigen in ihrem Nicht-Glauben, 56 deren Verhärtung oder Verfestigung 57 und die Erfahrung des Anders- und Ausgeschlossen-Seins 58 sowie die daraus folgende Qualifizierung der Zeichen als ‚negativ` lässt sich daher nur schwer halten. d) Sweet hat letztlich auf eine der ἄπιστοι-Bezeichnung innewohnende Ambivalenz hingewiesen, auf welche Paulus hier seiner Ansicht nach zurückgreift. 59 In diesem Fall müsste man für die ἄπιστοι in Vers 22 und in 23– 25 zwei verschiedene Referenzgruppen annehmen. Ein Zeichen des Gerichts sei die Glossolalie – mit Verweis auf die Schrift (V. 21) – für jene, die Gottes Botschaft ablehnen würden, das heißt für diejenigen, die nicht glauben. In den Versen 23–25 dagegen seien die ἄπιστοι als solche nur aufgrund des bei ihnen (noch) nicht vorhandenen Glaubens beschrieben. 60 Auch wenn man diese Ambivalenz für die ἄπιστοι-Bezeichnung grundsätzlich annehmen kann, ist eine derartige Erklärung wenig wahrscheinlich. Zum einen müsste in diesem Fall ein Bedeutungswechsel des Begriffs innerhalb zweier Verse angenommen werden. Außerdem muss Paulus davon ausgehen, dass seine Adressaten diesen Bedeutungswechsel richtig erkennen. Zum anderen widerspricht die für Vers 22 angenomme Bedeutung – nicht glauben = Gottes Botschaft ablehnen – dem üblichen Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung im 1Kor. Die ἄπιστοι sind für Paulus im 1Kor nicht ἄπιστος aufgrund einer ihnen eigenen Qualität, sondern ausschließlich deshalb, weil sie keine πιστεύοντες sind. Der Begriff dient als negatives Pendant zu den Glaubenden und bezeichnet alle, die nicht zu dieser ‚Drinnen`-Gruppe gehören. Nicht die Ablehnung der Verkündigung, sondern nur der nicht vorhandene Glaube ist das Kriterium des ἄπιστος-Seins. Deshalb wendet sich Paulus auch nicht polemisch gegen einen ‚Falsch`- oder
55 Dass Zeichen an sich mehrdeutig sind, ist offensichtlich. Die Ansicht, dass die Deutung als Zeichen des Gerichts oder Heils von denen abhängt, die das Zeichen interpretieren (vgl. Sandnes 1996, 11; Lanier 1991, 273), kann aber nicht stimmen. Die Interpretation der Zeichen als Gericht oder Heil ist nur von Seiten der Glaubenden möglich. 56 Trebilco 2014; Dunn 1997 (=1975), 231. 57 Zeller 2009, 431; Barrett 1971, 323 f. 58 Thiselton 2000, 1126; Sandnes 1996, 12; Forbes 1995, 180. 59 Vgl. Sweet 1967, 242. 60 Die englische Sprache hat hierfür eine Unterscheidung, die im Deutschen nicht wirklich nachzubilden ist: „disbelief“ vs. „unbelief“ vgl. Sweet 1967, 242.
Glossolalie als Zeichen für die Nichtgläubigen
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‚Anders-Glauben`, sondern bemerkt nur das Fehlen des Glaubens der Glaubenden bei den Nichtgläubigen. 3. Auch die hier vorliegende Interpretation vermag nicht alle Unklarheiten, die der paulinischen Formulierung in Vers 22 geschuldet sind, zu erklären. Zusammenfassend lässt sich Folgendes auf Basis der bisherigen Exegese sagen: Das Schriftzitat in Vers 21 führt Paulus zu dem Schluss (ὥστε), dass Glossolalie wegen ihrer Unverständlichkeit ein Zeichen für die Nichtgläubigen und nicht für die Glaubenden ist. Der logische Umkehrschluss ist, dass die Prophetie ein Zeichen für die Glaubenden ist und nicht für die Nichtgläubigen. Weiterhin hat sich gezeigt, dass eine qualitative Unterscheidung dieser Zeichen als ‚negativ` und ‚positiv` nicht sinnvoll ist. Dafür, dass σηµεῖον ein Zeichen des Gerichts sei, lässt sich weder mit dem Kontext von Jes 28,11 f. argumentieren noch mit der angeblichen Erkenntnis des eigenen Nicht-Glaubens durch die Nichtgläubigen. Zunächst soll es daher genügen, σηµεῖον als Bezeichnung für einen Akt zu verstehen, durch den Bedeutung geschaffen und zugewiesen wird („a significant act“ 61). Formal handelt es sich um ein Geschehen, bei dem jemandem etwas durch etwas zu erkennen gegeben wird: den Nichtgläubigen durch die Glossolalie und den Glaubenden durch die Prophetie. Der traditionsgeschichtliche Befund zum σηµεῖον-Begriff lässt erkennen, dass der Begriff keine eigene festgelegte Bedeutung trägt. Kommt der Begriff zum Einsatz, geht es darum, dass „ein Sachverhalt oder ein Gegenstand erkannt wird“ 62, „eine ganz bestimmte Erkenntnis oder Einsicht ermöglicht [wird]“ 63. Das gilt auch für den Gebrauch von אותim Alten Testament: Es ist ein „Formalbegriff [. . .], der seinen näheren Sinn jeweils aus den näheren Umständen seiner Verwendung erhält“ 64. Bevor versucht wird, σηµεῖον aus anderen Kontexten inhaltlich zu füllen, scheint es sinnvoller, dies aus dem unmittelbaren Kontext zu tun. Der mit Hilfe der Zeichen vermittelte Gehalt von Glossolalie und Prophetie lässt sich nämlich ohne weiteres aus den von Paulus beschriebenen Reaktionen in Vers 23 und 24 f. bestimmen. Dann wäre die durch das Zeichen der Glossolalie den Nichtgläubigen vermittelte Erkenntnis über die Korinther, dass diese von Sinnen sind (µαίνεσθε). 65 Umgekehrt bewirkt das Zeichen der Prophetie bei den Glaubenden die Erkenntnis, dass die Prophetie gegenüber der Glossolalie die zu bevorzugende Art der Verkündigung ist, weil sie imstande ist, den
61 62 63 64 65
Roberts 1979, 200. Rengstorf 1964, 203. Rengstorf 1964, 202. Rengstorf 1964, 211. Vgl. Schrage 1999, 407 f.
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Nichtgläubigen zu überführen und zur Verkündigung von Gottes wahrhaftiger Anwesenheit in der korinthischen Versammlung zu bringen.
8.4 Das Hineinkommen der ‚Draußen` als Argument In den Versen 23 f. stellt Paulus der ἄπιστοι-Bezeichnung eine weitere ‚Draußen`-Bezeichnung zur Seite. Beide Begriffe sind syntaktisch und semantisch miteinander verbunden. Sie stehen exemplarisch für die ‚Draußen`, die Paulus in diesem Kontext bewusst als ἄπιστοι und ἰδιῶται beschreibt. Wegen der engen Verbindung beider Begriffe ist zu vermuten, dass sie eine semantische Schnittmenge haben.
8.4.1 ἰδιῶται und ἄπιστοι Da Paulus den ἰδιώτης-Begriff neben der Verbindung mit den ἄπιστοι in Vers 23 f. schon in 14,16 im Rahmen der Diskussion um Glossolalie und Prophetie verwendet hat, soll kurz auf Gebrauch und Bedeutung des Begriffs eingegangen werden. 1. Neben 1Kor 14 (V. 16.23 f.) begegnet der ἰδιώτης-Begriff in den Paulusbriefen nur noch in 2Kor 11,6 und im gesamten Neuen Testament darüber hinaus nur in Apg 4,13. In der griechischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments begegnet der Begriff jedoch häufig. Im eigentlichen Sinne bezeichnet ἰδιώτης den Einzelnen, die Privatperson, gegenüber der Polis 66, dem Volk 67 oder gegenüber dem König 68 oder einem Herrscher 69. Darüber hinaus bezeichnet der Begriff aber auch den ‚Laien`, den Unkundigen und Unverständigen im Gegensatz zum Fachmann, das heißt, jemandem, der sein Handwerk oder seine Kunst versteht. 70 Im Neuen Testament beschränkt sich das Bedeutungsspektrum des Begriffs auf den zweitgenannten Gebrauch und bezeichnet jemanden, der aufgrund eines unzureichenden Kenntnisstands oder mangelnder Fertigkeiten als un66 67 68 69 70
Vgl. z.B. Thucydides I 124; III 10; Plato, Symp. 185b. Xenophon, Vect. 4,18; Josephus, Ant. III 224. Herodot VII 3. Lysias, Call. 5,3; Plato, Pol. 259b. Vgl. z.B. Xenophon, Hipp. 8,1 gegenüber einem ἀσκητής („Fachmann“); Plato, Soph. 221c gegenüber τις τέχνη ἔχων („jemand, der Kunstfertigkeit hat“); Thucydides II 48; Plato, Theaet. 178c; Leg. 933d gegenüber dem ἰατρός („Arzt“); Plato, Theag. 124c gegenüber einem δηµιουργός („Handwerker“, „Künstler“); Josephus, Bell. VI 295 gegenüber den λόγιοι („Gelehrten“, „Einsichtigen“).
Das Hineinkommen der ‚Draußen` als Argument
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kundiger ‚Laie` gelten muss. In 2Kor 11,6 bezieht Paulus den Begriff auf sich selbst: Im Vergleich mit den ‚Überaposteln`, auch wenn er ihnen in Erkenntnis (γνῶσις) um nichts nachsteht, bezeichnet er sich als „Unkundigen in der Rede(kunst)“ (ἰδιώτης τῷ λόγῳ). Die einzige Belegstelle außerhalb der Paulusbriefe, Apg 4,13, beschreibt Petrus und Johannes als ἄνθρωποι ἀγράµµατοι καὶ ἰδιῶται. In Bezug auf die Freimütigkeit der Rede des Petrus ruft diese Erkenntnis über Petrus und Johannes bei den anwesenden Herrschern, Ältesten, Schriftgelehrten und Angehörigen des hohepriesterlichen Geschlechts (V. 6) Verwunderung aus. Es ließe sich daher diskutieren, ob ἰδιώτης hier im Sinne von ‚gewöhnliche Männer` gegenüber den versammelten Vertretern des jüdischen Volkes verstanden werden muss, oder ob er wegen seiner Verknüpfung mit ἄνθρωποι ἀγράµµατοι („ungebildeten Menschen“) als ‚Unkundiger` zu verstehen ist. Sinnvoll scheint beides und zeigt daher, dass die Bedeutungen unter Umständen miteinander korrespondieren können. 2. In 1Kor 14,16 ist der ἰδιώτης offensichtlich jemand, der wegen mangelnder Kenntnis (οὐκ οἶδα) nicht im Stande ist, sein ‚Amen` zu einem im Geist gesprochenen Dankgebet – das heißt, in Glossolalie (V. 14) – zu sagen. 1Kor 14 16ἐπεὶ ἐὰν εὐλογῇς ἐν πνεύµατι, ὁ ἀναπληρῶν τὸν τόπον τοῦ ἰδιώτου πῶς ἐρεῖ το ἀµὴν ἐπὶ τῇ σῇ εὐχαριστίᾳ; ἐπειδὴ τί λέγεις οὐκ οἶδεν: 16 „Denn wenn du im Geist lobst, wie soll der, der den Platz eines Unkundigen einnimmt, zu deinem Dankgebet das Amen sagen? Denn er versteht nicht, was du sagst.“
In der neueren Literatur ist man sich darüber einig, dass mit ἀναπληρόω τὸν τόπον nicht ein den ἰδιώτης vorbehaltener Platz in der Versammlung gemeint sein kann, 71 sondern dass damit gemeint sein muss, jemand komme aufgrund des Sprachenredens in der Versammlung in die Situation, ein ἰδιώτης zu sein. 72 Ein Unkundiger ist der als solches Bezeichnete im Gegenüber zum Glossolalen, den er nicht versteht. Wie schon in Vers 11 entsteht durch nicht verständliche Rede in der Versammlung eine zwischen Redner und Hörer erfahrbare Andersartigkeit, welche denjenigen, der nicht versteht, gegenüber dem Redner zum Außenseiter macht. Vers 17 bezeichnet den ἰδιώτης dann als den Anderen (ὁ ἕτερος), den das Dankgebet nicht erbaut, weil er den Glossolalen nicht 71 So noch Heinrici 1880, 444; vgl. J. Wei ss 1977, 329. 72 So z.B. Zeller 2009, 429: „Wenn nun einer in die Lage gerät, als Unkundiger antworten zu müssen“. Trebilco 2017, 107: „who, at this point, is in the position of being an outsider“. Lindemann 2000, 305: „der gerade die Rolle des ἰδιώτης innehat“. Beide Möglichkeiten diskutiert Bauer 1988, 118. Die geringe Anzahl von Belegen für ἀναπληρόω τὸν τόπον im Sinne von „Platz einnehmen“, zwingt zumindest nicht, auch für Paulus diese Bedeutung anzunehmen (nach TLG#E nur Diodorus Siculus XIX 22,2; Josephus, Ant. XIX 365; Heron, Pneum. I 29 u.ö: ἀναπληρόω τὸν κενούµενον τόπον „den freigewordenen Platz einnehmen“).
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versteht. Um so gravierender ist diese erfahrbare Andersartigkeit deshalb, weil sie sich innerhalb der Ekklesia vollzieht. Der ἰδιώτης muss hier ein Mitglied der Ekklesia sein, weil Paulus im Kontext ausschießlich über Interna der Ekklesia spricht. 73 Dass es sich bei dem ἰδιώτης um „eine Art Proselyten“ 74 handelt, der sozusagen auf einer Stufe zwischen der Gemeinde und den Nichtgläubigen stehen würde, muss nicht angenommen werden. Eine Unterscheidung zwischen ἐκκλησία und ἰδιῶται kann im Vorfeld der Versammlung nicht getroffen werden. Zu Unkundigen werden solche erst im Gegenüber zu den Glossolalen: und zwar wegen ihrer mangelnden Kenntnis über das Reden in Sprachen. 75 3. In Vers 23 f. nimmt Paulus den Kontext aus Vers 16 auf. Auch hier verwendet er den ἰδιώτης-Begriff für solche, die mit der Glossolalie – und dann auch der Prophetie – der Ekklesia in Kontakt kommen. Aus Vers 16 weiß der Leser, dass der Unkundige den Glossolalen nicht versteht. Anders als in Vers 16 kann es in 23 f. allerdings nur schwerlich um Mitglieder der korinthischen Ekklesia gehen, denn Paulus lässt sie zusammen mit den ἄπιστοι hineinkommen (εἰσέρχοµαι), als die gesamte Ekklesia (ἡ ἐκκλησία ὅλη) bereits versammelt ist. Mit dieser Erkenntnis muss jedoch nicht gleich die Einheitlichkeit des Gebrauchs aufgegeben werden. 76 Denn unterschieden sind sie nur hinsichtlich ihres Begriffsumfang und nicht hinsichtlich ihres Begriffsinhaltes: auch wenn in Vers 16 bei der ἰδιώτης-Bezeichnung Mitglieder der korinthischen Ekklesia im Blick sein dürften und dies für Vers 23 f. nicht angenommen werden kann, ist der Verwendungszusammenhang des Begriffs an beiden Stellen gleich. Der ἰδιώτης ist jemand, der kein Fachmann der Glossolalie ist und diese daher nicht versteht. Es lässt sich freilich fragen, warum Paulus in Vers 23 f. die ἰδιώτης-Bezeichnung zusammen mit der ἄπιστοι-Bezeichnung gebraucht. Zunächst ist zu bemerken, dass beide Begriffe nicht synonym sind. 77 Das zeigt schon die trennende Konjunktion ἤ an, welche hier jedoch nicht exklusiv, sondern inklusiv gebraucht wird. 78 Vielmehr beschreiben beide Bezeichnungen – ἰδιῶται 73 Furnish 2002, 121: „[I]n that context Paul's topic was the building up of the community of faith itself (cf. v. 17).“ vgl. Trebilco 2017, 107. 74 Bauer 1988, 753; vgl. Furnish 2002, 122. 75 Vgl. Furnish 2002, 121; Lindemann 2000, 305. 76 So Lindemann 2000, 309, der sich wegen einer enstehenden „Bedeutungsdifferenz“ zwischen V. 16 und 23 gegen eine Gleichsetzung von ἄπιστοι und ἰδιῶται ausspricht. Das ist allerdings eine unnötige Schwarz-Weiß-Malerei. Richtig dagegen ist die Erkenntnis, dass in V. 23 wie 16 an solche gedacht ist, „die mit der Glossolalie nicht vertraut sind“ (310); s.a. Hiu 2010, 63. Deutlich unterschieden werden beide Belegstellen bei Schrage 1999, 402: „dieser christliche ἰδιώτης“ (V. 16) und Schrage 1999, 411: „uneingeweihte Nichtchristen“ (V. 23); vgl. Trebilco 2017, 109; Zeller 2009, 432; Merklein 2000, 184.191. 77 Gegen Grudem 1979, 391, Anm. 27; s.a. Conzelmann 1981, 295. 78 Vgl. Siebenthal 2011, §251b.
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in den Versen 16 und 23 f. und ἄπιστοι in den Versen 22–24 – mit einer unterschiedlichen inhaltlichen Fokussierung eine Gruppe von Menschen, der es nicht möglich ist, die Verkündigung der Ekklesia zu verstehen, wenn diese als Glossolalie stattfindet. Ob es sich um Glaubende, diesen nahestehende Personen oder um Außenstehende handelt, spielt dabei zunächst eine untergeordnete Rolle. Beide ‚Draußen`-Bezeichnungen vereint jedoch die Menge aller Menschen, die sich unter diesen beiden Begriffen fassen lassen. Durch die Beschreibung der von draußen Hineinkommenden als ἄπιστοι und ἰδιῶται 79 kennzeichnet Paulus diese Gruppe auf eine ganz bestimmte Weise. Wäre es ihm bloß darauf angekommen, zu sagen, dass Personen einer von den Glaubenden in Korinth abgegrenzten Gruppe hineinkommen, hätte er bei der bereits in 22 verwendeten ἄπιστοι-Bezeichnung bleiben können. Da er jedoch diesen die ἰδιῶται beiseite stellt, geht es ihm offensichtlich darum, zu betonen, dass die Hineinkommenden nicht im Stande sind, die Glossolalie zu verstehen. Dabei lässt sich zum Nebeneinander beider Bezeichnungen folgendes sagen: Während alle ἄπιστοι automatisch auch ἰδιῶται sind – denn wenn schon nicht alle Glaubenden das Charisma der Glossolalie besitzen, so erst recht nicht die Nichtgläubigen – kann Umgekehrtes nicht behauptet werden: Nicht alle ἰδιῶται sind auch ἄπιστοι. Die ἰδιῶται-Bezeichnung bestimmt in diesem Fall also die ἄπιστοι-Bezeichnung näher. Die Verse 16 und 23 f. stellen jeweils dar, wie Verkündigung fehlschlägt, wenn es nicht zu einem Verstehen kommt. 80 Im Zusammenhang der Diskussion um die notwendige Verständlichkeit der Verkündigung hat Glossolalie auf Unkundige und Nichtgläubige den gleichen Effekt. 81 Als ἰδιῶται oder ἄπιστοι sind solche, aufgrund ihres nicht vorhandenen Glaubens oder mangelnder Kenntnis, nicht in der Lage, Glossolalie als sinnvolle Verkündigung zu verstehen. Als ἰδιῶται oder ἄπιστοι sind sie anders und können nicht dazugehören.
8.4.2 Der Effekt von Glossolalie auf ἄπιστοι und ἰδιῶται Paulus versetzt die Glaubenden in Vers 23 in die Situation, sich vorzustellen, alle würden bei der Versammlung der Ekklesia in Sprachen reden. Wenn dies der Fall ist und solche hinzukommen, die aufgrund ihres ἄπιστος- oder ἰδιώτης-Seins nicht in der Lage sind, zu verstehen, was gesprochen wird, wird deren Urteil sein: µαίνεσθε („ihr seid von Sinnen“). 79 Der Singular ἄπιστος ἢ ἰδιώτης in 24 meint im Vergleich zu V. 23 nicht plötzlich spezielle Einzelpersonen, sondern ist eine typologische Beschreibung und steht insofern exemplarische für das Ganze. 80 Vgl. Sandnes 1996, 5. 81 Auf die Bedeutung des Effekts der Glossolalie für die Außenstehenden hat Hiu 2010, 63 mit Recht hingewiesen.
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1. Das Reden in Sprachen, wie es Paulus in 1Kor 14 darstellt, wurde immer wieder verkürzt als ‚ekstatische Rede` mit den Phänomenen der Umwelt des Neuen Testaments gleichgesetzt. 82 Zwei Dinge sind jedoch zu beachten: Weder begegnet die Unterscheidung zwischen Prophetie und Glossolalie, so wie Paulus sie vornimmt, in Texten der Umwelt, 83 noch finden sich außerhalb der Septuaginta Belege für das Syntagma γλῶσσα λαλεῖν. 84 Aber auch die Belege in der Septuaginta lassen keinen besonderen Verwendungszusammenhang erkennen, sondern mit γλῶσσα λαλεῖν wird lediglich der Vorgang des Sprechens beschrieben. 85 Daher ist anzunehmen, dass die Entwicklung des Syntagmas zu einem terminus technicus geistbegabter Rede christlichen Ursprungs ist. 86 Nichts spricht dafür, die Glossolalie so, wie sie der 1Kor beschreibt, unmittelbar aus der Umwelt abzuleiten. Für einen Vergleich tatsächlich geeignete Texte 87 sind äußerst selten, und es finden sich keine eindeutigen Belege für ein korrespondierendes Phänomen in den Texten der Antike oder im Alten Testament. 88 Der deutsche Begriff ‚Glossolalie` setzt sich aus den griechischen Begriffen γλῶσσα („Zunge“, „Sprache“) und λαλέω („reden“, „sprechen“) zusammen und ist daher dem Wortgebrauch des Neuen Testaments am nächsten. Auch wenn sich vielerorts die Übersetzungen „Zungenrede“ für das Syntagma γλῶσσα λαλεῖν findet, 89 ist das 82 Pratscher 1983, 172: „Glossolalie als unverständliches, ekstatisches Reden ist eine weit verbreitete religiöse Erscheinung. Soweit es die Umwelt des Urchristentums betrifft, ist sie sowohl im heidnischen wie im jüdischen Traditionsbereich zu finden.“ s.a. Müller 1975, 31; Behm 1933, 722. Forbes 1995, 169 hat diesbezüglich auf zwei Fehler hingewiesen, die in der Forschung begegnen: a) „willingness to generalise across the centuries“ und b) „blurring the distinctions between the distinct, though related, traditions“. Das wiederum führt zu „erroneous conclusion that glossolalia was a well recognised phenomena in the Hellenistic world“. 83 Vgl. Mills 1985, 86. 84 Zusätzlich zu der nahezu nicht vorhandenen Bezeugung von γλῶσσα λαλεῖν finden sich in den griechischen Texten der nichtjüdischen sowie der jüdischen Umwelt auch keine nennenswerten Belege für die Verbindung von γλῶσσα (λαλεῖν) und µαίνοµαι. 85 Z.B. Ps 36,30LXX; Jes 19,18; Jer 9,4. 86 Vgl. Forbes 1995, 316. 87 Zu den üblicherweise zum Vergleich herangezogenen Texten s. Chester 2005, 421–429; Hovenden 2002, 6–30; Forbes 1995, 103–170; Dautzenberg 1992, 610 f.; Behm 1933, 722 f. 88 Vgl. Hovenden 2002, 53; Forbes 1995, 170.316. Am ehesten ließe sich das Phänomen der Glossolalie mit jüdischen Zeugnissen einer besonderen Himmels- oder Engelssprache (vgl. 1Kor 13,1) vergleichen, wie es vor allem in TestHiob 48–51 geschildert wird (vgl. Wolff 2004, 761; dort auch weitere jüdische Quellen). Die Fragen um die Datierung und den Ursprung einzelner Teile des TestHiob unterstreichen die wenig belastbare Quellensituation. Röhser 1996, 247 hält es für plausibel, dass Glossolalie eine Nachahmung hebräischer oder semitischer Sprache ist. Denn „allein [in dieser Sprache darf] man sich nach jüdisch-christlicher Auffassung Gott nähern“. 89 Vor allem in den gängigen Bibelübersetzungen: Luther, Zürcher und EÜ. Allerdings z.B. auch bei Merklein 2000, 163–165; Schrage 1999, 375 f.
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Lehnwort „Glossolalie“ oder aber die Übersetzung „Sprachenrede“ eine sinnvollere Wahl. Bei Glossolalie handelt es sich nicht um semantisch sinnfreie Lautäußerungen, sondern sie gilt als eine „Sprache“ (γλῶσσα). 90 Glossolalie besteht laut Paulus aus Wörtern (V. 19), und es lassen sich verschiedene „Arten“ (γένη) von γλῶσσαι (12,10.28) unterscheiden. Wäre Glossolalie ein Phänomen, bei dem es sich lediglich um nicht verständliche Lautäußerungen handeln würde, ließe sich schwer erklären, warum es davon mehrere – man beachte auch den Wechsel von Singular und Plural innerhalb 1Kor 14 91 – voneinander unterscheidbare Arten geben soll. Nach Paulus ist Glossolalie an Gott gerichtete Rede (V. 2). Sie kann die Form des Gebets, des Lobes und Dankes annehmen (V. 14–17). Im Vergleich zur Prophetie ist die Glossolalie jedoch nur für den jeweiligen Sprecher verständlich und bedarf in der Versammlung daher der Auslegung oder Übersetzung um erbaulich zu sein (V. 4 f.13). 92 Wenn eine Auslegung der Glossolalie stattfindet, dient auch sie der Erbauung. Für Paulus ist also nicht die Glossolalie an und für sich schlecht, sondern es ist die Unverständlichkeit dieser Art der Verkündigung (V. 2.16), die ihn die Prophetie bevorzugen lässt. Was Paulus kritisiert, ist vielmehr der falsche Umgang mit der Glossolalie und deren Überbewertung in der Ekklesia von Korinth. 93 Schließlich kann Paulus von sich selbst sagen, dass er dankbar ist, in Sprachen reden zu können – und zwar mehr als die Ekklesia es tut (V. 18). Im Rahmen der Verkündigung in der Versammlug sollten allerdings lieber fünf verständliche Worte gesprochen werden als 1000 unverständliche (V. 19). Weil Paulus von der Glossolalie sagt, nicht der Verstand bete, sondern der Geist (V. 14), sollte nicht unmittelbar auf ein ekstatisches Phänomen geschlossen werden. 94 Auch ist nirgends der Begriff ἔκστασις bei Paulus erwähnt (vgl. z.B. Apg 10,10; 11,5), und auf den emotionalen Zustand der Sprechenden geht er überhaupt nicht ein. 95 Vielmehr ist er an den Hörerenden interessiert, nicht an den Sprechenden. 96 Eine exakte Bestimmung der Form und Herkunft der Glossolalie vorzunehmen fällt aus gegebenen Umständen nicht leicht. Diese Frage zu vertiefen, ist an dieser Stelle jedoch weder nötig noch hilfreich. Für den Zweck dieser Darstellung soll es ausreichen, Glossolalie als eine Art von Sprache zu verstehen. Diese ist zwar unverständlich, aber dennoch sprachlich und semantisch sinnvoll. 97
90 Vgl. Wolff 2004, 754; Zerhusen 1997, 141 f.; Röhser 1996, 247; Pratscher 1983,119 f.; Poythress 1977, 133. 91 Vgl. Zerhusen 1997, 141. 92 Die ἑρµηνεία der Sprachen ist eine eigenständige Gabe. Zur Bedeutung von ἑρµηνεύω s. Hovenden 2002, 115–124 in Auseinandersetzung mit Thiselton 1979. 93 Vgl. Grudem 1979, 393; Sweet 1967, 256. 94 So z.B. Wolff 2004, 755. Die Beschreibung ‚ekstatisch` wählen auch einige andere Exegeten, z.B. Zeller 2009, 436; Röhser 1996, 247; Pratscher 1983, 172; Conzelmann 1981, 294; Roberts 1979, 201; Behm 1933, 722. Zur Problematik der Verwendung des Begriffs s. Forbes 1995, 317. 95 Vgl. Zerhusen 1997, 141. 96 Vgl. Zerhusen 1997, 145. 97 Für die weitere Diskussion um Herkunft und Gestalt der Glossolalie in 1Kor bzw. im NT s. u.a. Zeller 2009, 433–437; Hovenden 2002; Zerhusen 1997; Röhser 1996; Forbes 1995; Dautzenberg 1992; Poythress 1977.
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Es hat sich gezeigt, dass eine exakte Beschreibung und Verortung der Glossolalie in der Versammlung der Ekklesia von Korinth nicht gänzlich gelingen mag und jenseits allgemeiner Aussagen, die sich aus 1Kor 14 schließen lassen, einige Fragen zur konkreten Gestalt von Glossolalie offen bleiben müssen. Diese Tatsache erschwert folglich auch die Frage nach einer entsprechenden Reaktion auf die Glossolalie durch Außenstehende. 2. Die Darstellung des Effekts, den Glossolalie auf die ἄπιστοι und ἰδιῶται seiner Meinung nach hat, gestaltet Paulus als rhetorische Frage: „Werden sie nicht sagen: ‚Ihr seid von Sinnen!`?“ Zulässig ist freilich nur eine Antwortmöglichkeit: Ja! Wie allerdings die von Paulus den Außenstehende zugeschriebene Reaktion des Von-Sinnen-Seins (µαίνεσθε) zu verstehen ist, ist in der Literatur umstritten. Einerseits will man dieses Urteil pejorativ verstehen, das heißt man geht davon aus, dass µαίνοµαι am besten als „verrückt“ oder „wahnsinnig sein“ zu verstehen ist. 98 Andererseits wird versucht, das den Außenstehenden zugeschriebene Urteil µαίνεσθε in den religionsgeschichtlichen Kontext einzuordnen, das heißt man rechnet damit, dass Paulus davon ausginge, das Verhalten der Glaubenden in Korinth würde als kultische Μανία („Raserei“, „Verzückung“) verstanden werden. 99 Ob sich die beiden genannten Möglichkeiten jedoch wirklich voneinander unterscheiden, ist schwer zu sagen. Zumal ist der Begriff ‚verrückt` nicht dazu geeignet ist, auf analytischer Ebene zu erklären, was zwischen den Glossolalen der korinthischen Ekklesia und den ‚Draußen` passiert. ‚Verrückt` oder ‚von Sinnen` ist jemand immer nur aus der Perspektive von jemandem, der sich selbst für ‚bei Sinnen` hält. 100 Es ist daher wichtig, zu beachten, dass die Beurteilung der Glossolalie jeweils vom beurteilenden Subjekt abhängt. Ob es für diese Beurteilung eine Parallele in der Umwelt des Neuen Testaments gab oder nicht, spielt in diesem Fall auch nicht die zentrale Rolle. Wichtig ist vor allem Folgendes: a) Auch wenn sich die Glossolalie nicht ohne weiteres aus kultischen Praktiken der heidnischen und jüdischen Umwelt des Neuen Testaments ableiten lässt, ist dies für eine Beurteilung der Reaktion auf die Glossolalie nicht zwingend notwendig. Chester hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass zu fragen sei, ob es den Außenstehenden möglich war, Glossolalie mit einem kultischen Phänomen zu vergleichen, das sie kennen. 101 Vgl. z.B. Zeller 2009, 432; Tibbs 2007, 255; Lindemann 2000, 309; Schrage 1999, 410; Dunn 1997 (=1975), 231. 99 Vgl. z.B. Chester 2005; Birge 2002, 171; Hartman 1997, 225; Dautzenberg 1992, 613; Smit 1990, 183. 100 S. z.B. die Gegenüberstellung µαίνοµαι zu ἀλητείας καὶ σωφροσύνης ρ(ήµατα ἀποφτέγγοµαι („Worte der Wahrheit und Besonnenheit sprechen“ Apg 26,25). 101 Chester 2005, 429: „In this sense, prophetic madness and ritual madness provide comparable modes of inspiration, and comparable examples of incomprehensible speech, to speaking in tounges.“
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b) Es ist weder möglich noch nötig, sich auf eine der beiden dargestellten Deutungsoptionen von µαίνεσθε festzulegen. Dass Glossolalie von den zuhörenden ‚Draußen` mit anderen Kulten verglichen wurde, ist zwar plausibel, aber es ist durchaus auch vorstellbar, dass andere das Verhalten der Glaubenden, sofern diese in Sprachen redeten, aus ihrer eigenen Perspektive als „verrückt“ angesehen haben. 102 c) Von weit größerer Bedeutung ist allerdings die Frage, wie Paulus die Reaktion auf die Glossolalie einschätzt, da er es ist, der den Außenstehenden die Worte in den Mund legt. Wie man tatsächlich in Korinth auf die Glossolalie reagiert haben mag, spielt also nur sekundär eine Rolle. Mit der Reaktion, die Paulus den Außenstehenden zuschreibt, unterstreicht er seine Absicht, die Glaubenden von einem Gebrauch der Glossolalie ohne Auslegung abzubringen. Findet Verkündigung in der Versammlung als Glossolalie statt, kommt es zu keinem Verstehen, und somit dient sie nicht der οἰκοδοµή. Eine Verkündigung, welche die Reaktion µαίνεσθε hervorruft, widerspricht dem paulinischen Kriterium für eine erfolgreiche Verkündigung 103: der Verständlichkeit. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jedoch auch, dass Paulus in 1Kor 14 zwar dafür wirbt, die Prophetie der Glossolalie vorzuziehen und letztere nicht ohne Übertragung zu praktizieren, er aber die Glaubenden auch nicht dazu auffordert, die Glossolalie gänzlich zu unterlassen. Dass Paulus mit einer sehr stark abwertenden Reaktion auf die Glossolalie gerechnet hat, ist daher weniger wahrscheinlich. 104 Die vorigen Kapitel haben bereits gezeigt, dass es Paulus bei weitem nicht gleichgültig ist, wie die korinthische Gemeinde von außen wahrgenommen wird. Nichtsdestoweniger tritt gerade im Kontakt mit den Nichtgläubigen das Defizit der Glossolalie als eines Modus der Verkündigung zu Tage: Sie ist nicht verständlich. Dementsprechend handelt es sich bei der in Vers 23 beschriebene Reaktion allein um eine Reaktion auf das Verhalten der korinthischen Versammlung: das heißt, µαίνεσθε trifft ausschließlich eine Aussage über die Glossolalen der Ekklesia von Korinth. Dahingegen, und das ist das nach Paulus zu wünschende Ergebnis bei der Verkündigung, kommt es in Vers 24 f. zu einer Interaktion zwischen Versammlung und der ‚Draußen` aufgrund des von ihnen vernommenen Inhalts der prophetischen Rede.
102 Conzelmann 1981, 295 Anm. 25 warnt mit Recht vor Verallgemeinerung; ebenso Thiselton 2000, 1127: „Some (not all) might well dismiss what is going on as yet another ‚hyped up` religious cult; others (not all) more propably found a lack of sober proclamation unattractive, unhelpful, and emotionally self-indulgent.“ s.a. Hiu 2010, 70. 103 Vgl. Chester 2005, 433 f. 104 Vgl. Chester 2005, 436.
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ἄπιστοι in der Versammlung – 1Kor 14,20–25
8.4.3 Der Effekt von Prophetie auf ἄπιστοι und ἰδιῶται 1Kor 14,20–25 ist im Vergleich zu den bisher besprochenen Stellen, an denen Paulus die ἄπιστοι-Bezeichnung gebraucht hat, viel Aufmerksamkeit in der Forschungsliteratur zugekommen. Wenig Aufmerksamkeit kam jedoch der von Paulus in den Versen 24 f. dargestellten Reaktion der Nichtgläubigen und Unkundigen zu. Der Fokus der Literatur liegt mehrheitlich auf den Unklarheiten, die durch den Gebrauch des σηµεῖον-Begriffs entstanden sind. Die Reaktion der Außenstehenden, die man in der von Paulus geschilderten Weise durchaus als Bekehrung verstehen kann, wiederum zum „first and foremost concern“ 105 des Abschnitts zu machen, darf als übertriebene Gegenreaktion gelten. Richtig ist jedoch, dass die den Abschnitt 20–25 – und auch die gesamte Sinneinheit seit Beginn des Kapitels 106 – beschließende Schilderung einer Bekehrung mehr Aufmerksamkeit verdient, denn Paulus nimmt hier die ‚Draußen` als potentielle ‚Drinnen` in den Blick. Prophetie kann den Effekt haben, dass ein Nichtgläubiger in die Gruppe der Glaubenden wechselt. 1. Im Vergleich zur Reaktion der ‚Draußen` auf die Glossolalie gibt Paulus der Beschreibung der Reaktion auf die Prophetie in 14,24 f. deutlich mehr Raum. Er beginnt zunächst parallel zu Vers 23 mit einer Beschreibung der Situation. Die Ortsbeschreibung συνέλθῃ ἡ ἐκκλησία ὅλη ἐπὶ τὸ αὐτό wird nicht erneut genannt, gilt aber auch für Vers 24. Im Unterschied zu Vers 23 reden nun alle prophetisch. Der Gebrauch des Singulars für die hineinkommenden ‚Draußen` τις ἄπιστος ἢ ἰδιώτης ist hier generisch zu verstehen und nicht, als ob die Situation nun konkret auf eine Person zugespitzt würde. Den Effekt der prophetischen Rede der Glaubenden auf die ‚Draußen` beschreibt Paulus in zwei Schritten: a) durch das Hören der prophetischen Rede widerfährt den ‚Draußen` etwas: Überführung, Beurteilung und Offenbarmachung des Verborgenen der Herzen; b) die prophetische Rede der Glaubenden ruft eine bestimmte Handlung bei den ‚Draußen` hervor, welche ihren Höhepunkt – parallel zu Vers 23 – in der wörtlichen Rede findet: Niederfallen, Anbetung und Bekennen. Prophetie und Glossolalie als verschiedene Modi der Verkündigung, wie Paulus sie der Ekklesia von Korinth in 1Kor 14,20–25 vorstellt, unterscheiden sich drastisch hinsichtlich ihrer Reaktion, die sie bei den ‚Draußen` hervorrufen. Dass allerdings eine Unterscheidung von Glossolalie und Prophetie in Texten der Umwelt fehlt, wurde bereits festgestellt. 107 Was also zu diesen verschiedenen Reaktionen führt, wie Paulus sie sich vorstellt und worin die Unterschiede zwischen Glossolalie und
105 Chester 2003, 114. Dieses Urteil scheint von Chesters Fragestellung geleitet zu sein. 106 Vgl. Chester 2003, 115. 107 S.o. S. 114.
Das Hineinkommen der ‚Draußen` als Argument
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Prophetie genau bestehen, ist nicht leicht zu beurteilen. 108 Wie auch für die Glossolalie, ist 1Kor 12–14 – neben der Apg und Did 10–13 – eine der wichtigsten Stellen für die Untersuchung frühchristlicher Prophetie. 109 Probleme bei der Bestimmung dessen, was Prophetie im frühen Christentum war, bereitet vor allem, dass es keine Berichte über den Inhalt prophetischer Verkündigung gibt. Allerdings bietet gerade 1Kor 14 einen Einblick in das paulinische Verständnis davon, wie prophetische Rede gehandhabt werden soll. Die Informationen, mit denen Paulus uns in 1Kor 12–14 versorgt, sind freilich durch die Situation in Korinth und sein Verhältnis zu der dortigen Ekklesia bestimmt und gefärbt. 110 Verkürzt dargestellt wird unter prophetischer Rede öffentliche 111 Verkündigung verstanden, die nach 1Kor 12–14 während der Versammlung der Ekklesia 112 praktiziert wurde. 113 Mit einiger Sicherheit kann davon ausgegangen werden, dass Prophetie in Korinth auf Griechisch stattfand. 114 Das heißt, sie war im Gegensatz zur Glossolalie für alle, oder zumindest für die allermeisten, verständlich. Der Unterschied, den Paulus zwischen Prophetie und Glossolalie zieht, dürfte für ihn daher darin liegen, dass die eine Art der Verkündigung verständlich ist, die andere hingegen nicht. Nicht der Inhalt, sondern die Art der Verkündigung steht zur Diskussion. Anders als in der in 14,23 geschilderten Situation kommt es daher im Falle der prophetischen Rede aller Gemeindemitglieder von Korinth zu einer Interaktion zwischen Gemeinde und den Nichtgläubigen und Unkundigen, zwischen ‚Drinnen` und ‚Draußen`.
2. Zunächst beschreibt Paulus den Effekt der Prophetie als etwas, das den Zuhörern widerfährt. Er will damit vor allem ausdrücken, dass Prophetie das Potenzial hat, verändernd auf die Hörer einzuwirken: Sie werden überführt (ἐλέγχοµαι), beurteilt (ἀνακρίνοµαι) und das Verborgene ihres Herzens wird offenbar (φανερὰ γίνοµαι).
108 Röhser 1996, 249 rechnet mit „fließenden Übergängen“. Die Nähe beider ‚Charismen` betont auch Dautzenberg 1999, 62; weiterhin Müller 1975, 30: „[E]ine scharfe Trennung ist nicht möglich.“ 109 Vgl. Aune 1983, 190. 110 Vgl. Forbes 1995, 221. 111 Vgl. Forbes 1995, 220. 112 Vgl. Aune 1983, 196. 113 Neben der Öffentlichkeit der Prophetie wird eine zuvor ergangene Offenbarung (vgl. 1Kor 14,29 f.) an den Propheten als Merkmal der Prophetie beschrieben: „Christian prophecy was the reception and immediately subsequent public declaration of spontaneous, (usually) verbal revelation, conceived of as revealed truth and offered to the community on the authority of God/Christ/the Holy Spirit.“ (Forbes 1995, 236); „The reception of a ‚revelation` and the public report of that revelation seem to be the two essential characteristics of prophecy, both at Corinth and in the rest of the NT.“ Grudem 2000, 179. 114 Vgl. Zerhusen 1997, 140.
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ἄπιστοι in der Versammlung – 1Kor 14,20–25
ἐλέγχω ist ein Hapaxlegomenon in den paulinischen Briefen, 115 und nirgends sonst ist es mit einem Begriff des προφητ*-Stammes verbunden. Auch der alttestamentliche Befund lässt nicht erkennen, dass ἐλέγχω zu den Aufgaben und Absichten der Propheten zählte. 116 Für den Gegenstand der Überführung ist jedoch im Neuen Testament, wie auch im Alten Testament und den griechischen Schriften des Judentums, ein typischer Gebrauch erkennbar: Wird jemand überführt, so wird er der Sünde überführt. Philo, Virt. 75: „Der Oberpriester aber stellte sich unter die Chortänzer gegenüber dem Aether und mischte in den dankbaren Lobgesang für Gott die wahrhaften Gefühle seiner Zuneigung zu dem Volk. Aber darin war auch die Überführungen früherer Sünden (ἔλεγχοι παλαιῶν ἁµαρτηµάτων) enthalten, Warnungen und Zurechtweisungen für die Gegenwart, [. . .].“ PsSal 17 25„und zu überführen die Sünder (ἐλέγξαι ἁµαρτωλούς) durch die Worte ihrer Herzen.“ Joh 8 46„Wer von euch überführt (ἐλέγχει) mich der Sünde (ἁµαρτίας)?“ 117
Auch ἀνακρίνω scheint nicht zu den üblichen Aufgaben der Propheten gehört zu haben. Wie ἐλέγχω ist es nirgends sonst mit einem Begriff des προφητ*-Stammes verbunden. 118 ἐλέγχω und ἀνακρίνω bilden hier ein Hendiadyoin und beschreiben zusammen den Vorgang, der dazu führt, dass das Verborgene des Herzens offenbar wird. Abgesehen von dieser Stelle werden beide Begriffe jedoch nirgends in der griechischen Bibel oder in den Schriften der griechischsprachigen Umwelt zusammen verwandt. 119 Die Beurteilung und auch das Offenbar-Machen des Verborgenen (der Herzen) ist nach 1Kor 4,4 Aufgabe Gottes. 120 Im Kommen Gottes wird das Verborgene ans Licht gebracht, und das Trachten des Herzens wird offenbar. 121 Ob es 115 Auch in den Evangelien begegnet der Begriff nur selten (Mt 18,15; Lk 3,19; Joh 3,20; 8,46; 16,8). Der Rest der 17 Belegstellen verteilt sich auf die späteren Schriften des Neuen Testaments. 116 ἐλέγχω als „traditionelle Aufgabe der Prophetie“ (Müller 1975, 40) zu bezeichnen, hat daher keinen Anhalt in den Texten. 117 S.a. Lev 19,17; Jes 29,21LXX; Ps 140,5LXX; PsSal 17,36; Weish 4,20; Mt 18,15; Joh 16,8; 1Tim 5,20; Jak 2,9. Engberg-Pedersen 1989, 97 beschreibt den Gebrauch des Begriffs in der Antike als: „confronting somebody or something with the aim of showing him or it to be, in some determinate respect, at fault.“ 118 Überhaupt kommt der Begriff neben einer Belegstelle in Lk 23,14 nur im 1Kor und in der Apg vor. 119 Auskunft nach TLG#E. 120 S.a. Röm 8,27: Gott prüft und erforscht die Herzen (vgl. 1Thess 2,4). Zum endzeitlichen Gericht Gottes und dem Offenbar-Werden des Verborgenen s.a. Röm 2,16. Wolter 2014b, 188 hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass im Judentum die Vorstellung verbreitet ist, Gottes Gericht habe die Funktion das Verborgenen zu offenbaren. S. z.B. Koh 12,14; 2Makk 12,41. 121 Chester 2003, 118 hat für den Vergleich mit 1Kor 4,4 f. auf die paulinische Selbsteinschätzung hingewiesen: „Ich bin mir über nichts (in Bezug auf mich selbst) bewusst“.
Das Hineinkommen der ‚Draußen` als Argument
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sich bei diesem Vorgang des Überführens, Beurteilens und Offenbar-Werdens um eine innere Erkenntnis der „Wahrheit über sich selbst“ 122 handelt, oder ob es für den Nichtgläubigen oder den Unkundigen zu einer „public, communal confrontation“ 123 kommt, bei der „die Propheten die Sünden beim Namen genannt haben“ 124, bleibt Spekulation. 125 Im Sinne der paränetischen Absicht des Paulus liegt der Fokus darauf, den Glaubenden die Überlegenheit der Prophetie vor Augen zu führen. Das heißt, es geht vornehmlich um diejenigen, die mittels prophetischer Rede überführen und beurteilen, und nicht um die Überführten und Beurteilten. An dem Wie – das heißt dem psychologischen Vorgang des Offenbar-Werdens – hat Paulus hier offensichtlich kein Interesse. 126 Auch beschreibt Paulus hier nicht einen Fall prophetischen Einredens auf die hineinkommenden ἄπιστοι oder ἰδιῶται. Vielmehr sind diese (zufällig) zugegen, während in der Versammlung prophetisch geredet wird. 127 Auf der Basis des Textes lässt sich zumindest soviel sagen: Durch die prophetische Rede der korinthischen Ekklesia kommt es laut Paulus zu einer Interaktion zwischen den ‚Drinnen` und den ‚Draußen`. Der Nichtgläubige oder Unkundige wird von den Glaubenden überführt und beurteilt, und das Verborgene seines Herzens wird offenbar. Das Ergebnis der überführenden, beurteilenden und Verborgenes offenbar machenden Prophetie lässt sich als die Bekehrung des Nichtgläubigen zum Glauben verstehen. 3. Die von Paulus als Möglichkeit zur Bekehrung dargestellte Reaktion der Nichtgläubigen wird in deren beschriebener Handlung sichtbar: Sie fallen nieder auf ihr Angesicht, sie beten Gott an, und schließlich bekennen sie, Gott sei wahrhaftig unter den Mitgliedern der Ekklesia anwesend. Die Verbindung von πίπτω („niederfallen“) und προσκυνέω („anbeten“) ist in der griechischen Bibel geläufig:
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Damit würde Paulus, so Chester, die Möglichkeit einräumen, gesündigt zu haben, ohne es zu wissen. S.a. Theissen 1983, 69. Für 1Kor 14,24 f. würde das bedeuten, dass die verborgenen Dinge, die vor dem Überführten und Beurteilten selbst wie vor anderen verborgen waren (vgl. Chester 2003, 119), werden durch die Prophetie offenbar. Lindemann 2000, 310; vgl. Schrage 1999, 412. Engberg-Pedersen 1989, 107. Zeller 2009, 432. Müller 1975, 25, Anm. 25 fasst die Frage nach der Fähigkeit des Gedankenlesens richtigerweise wie folgt zusammen: „Es ist in der Tat möglich, daß hinter 1Kor 14,24 f. solche psychologischen Fähigkeiten eine Rolle spielen, aber Paulus legt zumindest keinen Ton darauf. Anderseits ist es keineswegs nötig, den Text im Sinne des Gedankenlesens zu verstehen.“ Ähnlich Schrage: „Nicht an einem übersinnlichen Potential von Propheten ist Paulus interessiert, sondern an der prophetischen Wirkung auf die Nichtchristen.“ Schrage 1999, 412. „Die gottesdienstliche Versammlung dient nicht der Mission, läßt aber die Wahrheit des Evangeliums auch für Außenstehende sichtbar werden.“ Lindemann 2000, 310.
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ἄπιστοι in der Versammlung – 1Kor 14,20–25
1Sam 25 23„Und Abigajil sah David und eilte sich und stieg ab vom Esel und fiel vor David auf ihr Angesicht nieder (ἔπεσεν) und verneigte sich vor ihm (προσεκύνησεν αὐτῷ) auf der Erde.“ 1Makk 4 55„und alles Volk fiel nieder (ἔπεσεν) auf das Angesicht und betete an (προσεκύνησαν) und preiste zum Himmel“. Hiob 1 20„So stand Hiob auf, zerriss sein Gewand und schor das Haar seines Kopfes, und wie er auf die Erde niederfiel (πεσὼν χαµαί), betete er an (προσεκύνησεν) und sprach.“ Mt 2 11„Und als sie [die Weisen] in das Haus kamen, sahen das Kind mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder (πεσόντες) und beteten ihn an (προσεκύνεσαν) [. . .].“ 128
Diese Huldigung (πίπτω und/oder προσκυνέω) kennt das Alte Testament vor allem gegenüber Gott – teils als Reaktion auf eine Theophanie (z.B. Gen 17,3) 129 –, aber auch als anerkennende und sich unterwerfende Geste gegenüber anderen Personen. 130 Diesen Gebrauch führt das Neue Testament fort. Neu ist dabei nur, dass Jesus als Empfänger der Proskynese 131 eingeführt wird. 132 Dass hier vermehrt Vokabular begegnet, das bei Paulus sonst selten 133 oder gar nicht belegt ist, muss nicht verwundern, sondern lässt sich durch die Aufnahme alttestamentlicher Traditionen erklären. Möchte Paulus mit den Worten, die er den Außenstehenden in den Mund legt, tatsächlich eine Anspielung auf Jesaja 45,14 machen, 134 dann ist es wahrscheinlich, dass er auch das Element der Proskynese aus Jesaja übernommen hat. Jes 45 14προσκυννήσουσίν σοι καὶ ἐν σοὶ προσεύξονται, ὅτι ἐν σοὶ ὁ θεός ἐστιν „sie werden dich anbeten und zu dir beten: ‚Bei dir [Israel] ist Gott!`“ 1Kor 14 25προσκυνήσει τῷ θεῷ ἀπαγγέλλων ὅτι ὄντως ὁ θεὸς ἐν ὑµῖν ἐστιν. „er wird Gott anbeten und bekennen ‚Gott ist wahrhaft unter euch!`“
128 S.a. 2Sam 1,2; Rut 2,10; 2Chr 7,3; Mt 18,26; Apg 10,25; Offb 5,14 u.ö. 129 Vgl. Zeller 2009, 432. 130 Z.B. 1Sam 24,9: David vor Saul; 1Sam 28,14: Saul vor Samuel; 1Kön 1,31: Batseba vor David. 131 S. v.a. Lk 25,52 („sie beteten ihn [Jesus] an“), was deshalb von besonderer Bedeutung ist, da nach Lk 4,8 nur Gott die Anbetung gebührt. 132 Bei weitem die meisten Belege finden sich innerhalb des NT bei Mt, Joh und in der Offb. Letztere verwendet den Begriff neben der Anbetung Gottes/Jesu auch innerhalb der Kritik der Anbetung anderer Wesen (z.B. die Anbetung der Dämonen (9,20) und des Drachens (13,4)). 133 Auch ἀπαγγέλλω („bekennen“) kommt neben 1Kor 14,25 nur noch einmal in den Paulusbriefen vor (1Thess 1,9). 134 Eine solche Anspielung ist sehr gut möglich. Als Zitat führt Paulus es jedoch nicht ein (vgl. Lindemann 2000, 310) und ob es als solche verstanden worden ist, lässt sich freilich hinterfragen (vgl. Zeller 2009, 433).
Das Hineinkommen der ‚Draußen` als Argument
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Niederfallen, anbeten und bekennen beschreiben einen Vorgang, der sich am besten als eine Bekehrung vom Nichtgläubigen zum Glaubenden verstehen lässt. 135 Denn was dieser bekennt, nämlich die wahrhaftige Anwesenheit Gottes unter den Glaubenden, ist eine Aussage, die nur aus der Perspektive des Glaubens möglich ist. 4. Der Effekt, den die prophetische Rede der Ekklesia auf die ‚Draußen` haben kann, ist also deren Bekehrung. Das hier von Paulus gebrauchte Vokabular – vor allem ἐλέγχω – deutet an, dass diese Bekehrung ein Wechsel aus der nichtgläubigen, sündigen Vergangenheit in die glaubende Gegenwart ist. Dieser Vorgang führt letztlich auch zu einem Bekenntnis dessen, was durch die Prophetie erkannt wurde: Gott ist wahrhaftig unter den Glaubenden anwesend. Das Hineinkommen (εἰσέρχοµαι) der Nichtgläubigen in die versammelte Ekklesia ist also, gesetzt den Fall, die Verkündigung der Korinther findet als prophetische Rede statt, nicht bloß als ein räumliches Hineinkommen zu verstehen. Der Nichtgläubige kommt in die Versammlung der Glaubenden hinein und kommt als nun bekehrter Glaubender ebenso im übertragenen Sinne in die Ekklesia hinein. Abschließend bleibt zu fragen, welchen Platz die Bekehrung der Nichtgläubigen in der paulinischen Vorstellung von der οἰκοδοµή der Ekklesia in Korinth einnimmt. Dient sie hier lediglich der Untermauerung des Arguments der Überlegenheit der Prophetie gegenüber der unübersetzten Glossolalie, weil erstere verständlich ist und zweitere nicht? Oder wird dadurch nicht auch sichtbar, dass die Bekehrung der Nichtgläubigen ein Ziel der Verkündung der Glaubenden sein sollte, und dass sie diese daher verständlich gestalten sollten? Möchte man die Metapher der οἰκοδοµή weiter fortschreiben, so könnte man zu dem Schluss kommen, dass in den Versen 20–25 beschrieben wird, wie durch die prophetisch angeregte Bekehrung ein neuer Baustein in den Bau Gottes hinzugefügt wird. Ein zuvor Nichtgläubiger wird nun eingefügt in die Gruppe der Glaubenden. Weiterhin lässt sich berechtigterweise darüber spekulieren, ob und inwiefern sich aus der paulinischen Darstellung Rückschlüsse auf die Situation der Ekklesia von Korinth ziehen lassen. Die historischen Gegebenheiten städtischer Wohnkultur in der Antike und die Tatsache, dass sich die frühen ‚Christen` in Hausgemeinden versammelten, machen ein Hineinkommen von Außenstehenden in den Gottesdienst der Gemeinde, wie Paulus es schildert, zumindest sehr wahrscheinlich. 136 Auch lässt sich der Gebrauch der ‚Draußen`-Bezeichnungen ἄπιστοι und ἰδιῶται leichter erklären, wenn es für das (gelegentliche) 135 Zeller 2009, 432, Anm. 315 hat darauf aufmerksam gemacht, dass Proskynese und anschließende Akklamation (ὄντως) häufig in der griechischen Literatur miteinander verbunden sind. 136 Vgl. Trebilco 2017, 53 f.
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Hineinkommen der ‚Draußen` in die Versammlung der Glaubenden einen Anhaltspunkt in der alltäglichen Erfahrung gegeben hat, als wenn die Schilderung in den 14,23–25 geschilderten reine Fiktion wäre. Das gilt sowohl für Paulus als auch für seine Adressaten, die Ekklesia von Korinth, denn es scheint plausibler, dass Paulus gegenüber seinen Lesern solche Beispiele anbringt, welche diese mit ihren alltäglichen Erfahrungen verknüpfen können. Abschließend ließe sich dann noch weiter fragen, ob es nicht nur nicht wahrscheinlich ist, dass der Kontakt mit Nichtgläubigen während der Versammlung auf der Erfahrung des Paulus beruht, sondern ob es auch mit der Bekehrung Außenstehender in der in Vers 24 f. beschriebenen Art bereits Erfahrungen gab. Auch wenn sich diese abschließenden Überlegungen nicht mit absoluter Sicherheit belegen lassen, ist es doch wahrscheinlich, dass das Motiv ‚hineinkommende ἄπιστοι und deren Bekehrung durch ansprechende und verständliche Verkündigung` auf Erfahrung des Apostels in der Ekklesia basiert.
Zusammengefasst 1. Kam Paulus bisher in 1Kor auf die ἄπιστοι zu sprechen, dann aus dem Grund, dass im Kontakt mit der von der korinthischen Ekklesia unterschiedenen Welt ein zu lösendes Problem bestand. In 1Kor 14,20–25 hingegen nimmt Paulus ein gottesdienstliches Problem in den Blick, zu dessen Lösung er die ἄπιστοι hineinholt, um den Korinthern ihr Problem aus der Außenperspektive vor Augen zu führen. 2. Gegenstand der Diskussion in Kapitel 14 ist der rechte Umgang mit den Geistesgaben. Das Kriterium der Verkündigung sollte nach Paulus die οἰκοδοµή der Ekklesia sein, weshalb deren Verständlichkeit garantiert sein muss. Insofern ist, so Paulus, die Prophetie der Glossolalie vorzuziehen. Glossolaie hingegen wurde in der Ekklesia von Korinth anscheinend über die Maßen hoch geschätzt. 3. In diesem Zusammenhang macht Paulus auch den Effekt auf die ‚Draußen` zu einem Argument. Zunächst stellt er die These auf, Glossololalie sei ein Zeichen, nicht für die Glaubenden, sondern für die Nichtgläubigen. Umgekehrt sei die Prophetie ein Zeichen, nicht für die Nichtgläubigen, sondern für die Glaubenden. Die Untersuchung des üblichen Gebrauchs des σηµεῖον-Begriffs sowie der übrigen syntaktischen Bausteine legt nahe, die Nichtgläubigen beziehungsweise die Glaubenden als die jeweiligen Zeichenempfänger zu verstehen. Das heißt, ihnen kommt durch die Zeichen eine bestimmte Erkenntnis zu. Eine inhaltliche Qualifizierung des Zeichens der Glossolalie als Gerichts- oder Warnzeichen hat sich als nicht haltbar herausgestellt.
Zusammengefasst
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4. Auch wenn die paulinische Argumentation in 1Kor 14,20–25 hinsichtlich ihrer Kohärenz verunglückt scheint, sollte es wegen den der Stelle attestierten Schwierigkeiten nicht zu Erklärungs- und Harmonisierungsversuchen kommen, die eine vollends kohärente Lesart mit allen Mitteln erzwingen. Offensichtlich hat Paulus sich in Vers 22 zu einer Gegenüberstellung zwischen Prophetie und Glossolalie hinreißen lassen, die weitaus stärker in Schwarz-Weiß-Tönen malt, als er dies sonst in Kapitel 14 unternommen hat. Keinesfalls ist damit gesagt, dass Prophetie etwas sei, das ausschließlich für die Glaubenden bestimmt sei – Gegenteiliges beweist Vers 24 f. Genauso wenig ist Glossolalie nur für die Nichtgläubigen bestimmt – Gegenteiliges beweisen die Verse 5.18.26 f. Sinnvoller scheint es daher, den Erkenntnisgegenstand, den die Zeichen vermitteln, im Text selbst zu suchen. Während die Prophetie bei den Glaubenden die Erkenntnis bewirkt, dass diese den Nichtgläubigen zu bekehren vermag, bewirkt die Glossolalie bei den Nichtgläubigen die Erkenntnis, das die Glaubenden von Sinnen sind (µαίνεσθε). 5. Um seine Argumentation über den Vorzug der Prophetie weiter zu untermauern, kreiert Paulus eine Situation, in der er Nichtgläubige oder Unkundige in die versammelte Ekklesia hineinkommen lässt. Ähnlich wie in 1 Kor 10,27 beschreibt Paulus eine hypothetische Situation, in der es zum Kontakt zwischen drinnen und draußen kommt. Anders als bisher lässt er diesmal jedoch die ‚Draußen` in die Sphäre der ‚Drinnen` hineinkommen. Die von Paulus dargestellte Situation des Hineinkommens der Nichtgläubigen in die Versammlung der Glaubenden lässt vermuten, dass es diesen Kontaktpunkt zwischen Glaubenden und Nichtgläubigen tatsächlich gab, und es scheint plausibel, dass auch die von Paulus beispielhaft dargestellte Bekehrung eines hineinkommenden Nichtgläubigen auf Erfahrungen beruht. Zumindest gibt der Text Auskunft darüber, dass dieser Kontakt für Paulus vorstellbar und keineswegs zu vermeiden war. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Notwendigkeit einer verständlichen Verkündigung – eben auch für die ‚Draußen` – beschreibt Paulus ein ekklesiologisches Bild, nach welchem die Ekklesia offen und aufgeschlossen sein soll für diejenigen, die von draußen hineinkommen. 6. Obwohl Paulus sich für die Unterscheidung von drinnen und draußen für Bezeichnungen entschieden hat, die auf der semantischen Ebene scharf voneinander getrennt sind – ἄπιστοι vs. πιστεύοντες –, möchte er keine unüberschreitbare Grenze im alltäglichen Leben der Ekklesia ziehen. Die vorherigen Kapitel haben bereits gezeigt, dass Paulus trotz des deutlichen Bewusstseins für notwendige Grenzen, die er auch als solche benennt, die ἄπιστοι-Bezeichnung nicht polemisch gebraucht und er gegenüber denjenigen, die er als solche bezeichnet, keine Vorbehalte zu haben scheint.
9 Wer nicht glaubt, ist verloren – 2Kor 4,1–6 Mit der Diskussion der nächsten Belegstelle der ἄπιστοι-Bezeichnung in 2Kor 4,1–6 wechselt die Betrachtung zugleich in eine neue Kommunikationssituation zwischen Paulus und der Ekklesia von Korinth. Entscheidend ist vor allem der Wechsel des bestimmenden Themas: Während sich Paulus in 1Kor vor allem mit ekklesiologischen Fragen befasst und das Verhalten der Glaubenden in und gegenüber der von ihnen unterschiedenen Welt bespricht, ist der 2Kor geprägt vom paulinischen Ringen um die und mit der korinthischen Ekklesia, sowie von der Verteidigung seines apostolischen Auftretens. Der apologetische Charakter des 2Kor ist in 4,1–6 deutlich zu spüren.
9.1 Analyse 2Kor 4 1διὰ τοῦτο, ἔχοντες τὴν διακονίαν ταύτην καθὼς ἠλεήθηµεν, οὐκ ἐγκακοῦµεν 2ἀλλ´ ἀπειπάµεθα τὰ κρυπτὰ τῆς αἰσχύνης, µὴ περιπατοῦντες ἐν πανουργίᾳ µηδὲ δολοῦντες τὸν λόγον τοῦ θεοῦ ἀλλὰ τῇ φανερώσει τῆς ἀληθείας συνιστάνοντες ἑαυτοὺς πρὸς πᾶσαν συνείδησιν ἀνθρώπων ἐνώπιον τοῦ θεοῦ. 3 εἰ δὲ καὶ ἔστιν κεκαλυµµένον τὸ εὐαγγέλιον ἡµῶν, ἐν τοῖς ἀπολλυµένοις ἐστὶν κεκαλυµµένον, 4ἐν οἷς ὁ θεὸς τοῦ αἰῶνος τούτου ἐτύφλωσεν τὰ νοήµατα τῶν ἀπίστων εἰς τὸ µὴ αὐγάσαι τὸν φωτισµὸν τοῦ εὐαγγελίου τῆς δόξης τοῦ Χριστοῦ, ὅς ἐστιν εἰκὼν τοῦ θεοῦ. 5οὐ γὰρ ἑαυτοὺς κηρύσσοµεν ἀλλ´ ᾿Ιησοῦν Χριστὸν κύριον, ἑαυτοὺς δὲ δούλους ὑµῶν διὰ ᾿Ιησοῦν. 6ὅτι ὁ θεὸς ὁ εἰπών: ἐκ σκότους φῶς λάµψει, ὃς ἔλαµψεν ἐν ταῖς καρδίαις ἡµῶν πρὸς φωτισµὸν τῆς γνώσεως τῆς δὸξης τοῦ θεοῦ ἐν προσώπῳ ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ. „1Deshalb – da wir diese Aufgabe haben, wie wir Erbarmen gefunden haben – verzagen wir nicht, 2sondern sagen uns los vom Verborgenen der Schande. Wir wandeln nicht in List, auch verfälschen wir das Wort Gottes nicht, sondern wir empfehlen uns selbst in der Offenbarung der Wahrheit vor allen Gewissen der Menschen gegenüber Gott. 3Wenn aber unser Evangelium verhüllt ist, ist es den Verlorenen 1 verhüllt, 4denen der Gott dieses Äons den Verstand der Nichtgläubigen verblendet hat, damit sie das Leuchten des Evangeliums der Herrlichkeit Christi nicht sehen, der ist das Bild Gottes. 5Denn wir verkünden nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, den Herrn, uns selbst aber als eure Knechte wegen Jesus. 6 Denn Gott, der sagt: ‚Aus Finsternis soll Licht leuchten`, der leuchtet in unseren Herzen zum Licht der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi.“
Der Abschnitt 2Kor 4,1–6 ist eng mit seinem unmittelbaren literarischen Kontext verbunden. Die Wiederaufnahme verschiedener Begriffe und Mo1 ἐν + Dativ steht hier, wie auch in der folgenden relativischen Satzanknüpfung in Vers 4, für den einfachen Dativ; vgl. BDR §220,1.
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tive 2 aus dem Vorangegangenen sorgt für eine hohe Kohärenz: διακονία („Aufgabe“ 3 4,1; 3,7–9); δόξα („Herrlichkeit“ 4,4; 3,7–11.18); τυφλόω/πωρόω in Verbindung mit νόηµα („den Verstand verblenden/verhärten“ 4,4; 3,14); καλύπτω/κάλυµµα („bedecken“/„Decke“ 4,3; 3,13–16); οἱ ἀπολλύµενοι („Verlorene“ 4,4; 2,15); δολοῦντες/καπηλεύοντες τὸν λόγον τοῦ θεοῦ („das Wort Gottes verfälschen/verhökern“ 4,2; 2,17); ἔχοντες (die „Habe-Formel“ 4 3,4.12; 4,1.7.13). Aufgrund dieser hohen Kohärenz und des einleitenden διὰ τοῦτο, kann 4,1–6 als eine Art zusammenfassendes (Zwischen-)Fazit 5 verstanden werden. Der vorliegende Text lässt sich in drei Abschnitte zu jeweils zwei Versen gliedern. Dabei bilden die je aufeinander bezogenen Verse 1 f. und 5 f. einen Rahmen um die in Antithese zu ihnen stehenden Verse 3 f. 6 Betont wird diese Rahmung auch durch das wiederkehrende correctio-Schema (οὐ[κ] . . . ἀλλὰ/µὴ [δέ]) in den Versen 1b–2 und 5. 7 Eine Dreiteilung ließe sich auch
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Eine ausführliche tabellarische Darstellung der Verbindungen von Lexemen und Motiven zwischen 2,14–17; 3,1–6; 3,7–18 und 4,1–6 bietet Schmeller 2010, 234; s.a. Kleine 2002, 225. Die Übersetzung „Aufgabe“ folgt den Erkenntnissen von Collins 1990 und Hentschel 2007. Beide kommen im Rahmen ihrer Untersuchung des Sprachgebrauchs im NT und dessen Umwelt zu dem Ergebnis, dass das Bedeutungsspektrum von διακονία weiter gefasst werden muss, als es, vor allem in der deutschsprachigen Literatur, der Fall war und ist. „Love, care and concern [. . .] are just not part of their field of meaning.“ (Collins 1990, 254). διακονία meint nicht ein wohltätiges Handeln, vor allem nicht im Sinne einer (Selbst-) Erniedrigung dessen, der den Dienst aufnimmt (vgl. Hentschel 2007, 21). Der Begriff muss dagegen im Lichte des antiken Gebrauchs verstanden werden und nicht, wie er vor allem durch Kirchen- und Amtsverständnis geprägt worden ist. In diesem Sinne sollte διακονέω zunächst nur als ein Handeln ‚um jemandes/etwas willen` verstanden werden. ‚Um willen` kann dabei sowohl den Ursprung, als auch das Ziel der jeweiligen ‚Aufgabe` angeben. Das in 2Kor 4,1 an διακονία angehängte καθὼς ἠλεήθηµεν macht insofern deutlich, dass Paulus ‚um willen` Gottes handelt. Das heißt, er möchte sein Verhältnis zu seinem Auftraggeber betonen: nämlich seine Autorisierung durch Gott; vgl. dagegen Röm 16,1, wo die Beziehung zwischen Phoebe als διάκονος und der ἐκκλησία im Blick ist. Phoebe handelt ‚um willen` der ἐκκλησία. Diese ist jedoch nicht Auftraggeber, sondern Adressat von Phoebes Aufgabe als διάκονος; s. weiterhin Röm 13,4 und 2Kor 6,4: διάκονος ‚um willen` Gottes (Auftraggeber); Röm 15,8: διάκονος ‚um willen` der Beschneidung (Adresse). Klauck 1987, 268 f. Vgl. Schröter 1993, 127: „In den Versen 4,1–6 bringt Paulus den in 2,14 begonnen Gedankengang zu einem vorläufigen Abschluß“; s.a. Schmeller 2010, 235: „Zwischenresümee“; Grässer 2002, 147: „Folgerung“; Wolff 1989, 83: „Rückverweisend auf 3,6ff.“. „Wie weit der Geltungsbereich von διὰ τοῦτο zurückreicht, ob nur bis 3,17 oder bis 3,12 oder bis 3,7“ ist von Klauck 1987, 268 zu Recht als müßige Diskussion bezeichnet worden. Vgl. de Oliveira 1990, 102. Vgl. Schmeller 2010, 235; de Oliveira 1990, 101.
Analyse
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folgendermaßen durchführen: zwei rahmende ‚Wir-Stücke` (1f und 5 f.) umklammern ein ‚Sie-Stück` (3 f.). 8 Innerhalb der drei Abschnitte sind jeweils beide Verse in einem Ursache-Wirkung-Schema miteinander verbunden: 9 V. 1a
Ursache
die Aufgabe haben
V. 1b–2
Wirkung
Empfehlung in der Offenbarung der Wahrheit
V. 3
Wirkung
das Evangelium ist verhüllt
V. 4
Ursache
der Gott dieses Äons hat geblendet
V. 5
Wirkung
Jesus Christus verkünden
V. 6
Ursache
Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes
Semantisch ist der Text durch zwei gegensätzlich verlaufende Sinnlinien geprägt. Zum einen sind es solche Begriffe und Motive, mit denen Paulus seine Aufgabe als Apostel der Christus-Verkündigung aufgrund der Wahrheit Gottes darstellt (a). Zum anderen sind es solche Begriffe und Motive, mit denen er eine andere Art von Verkündigung, nämlich die ‚Selbst-Verkündigung` als verfälschtes Wort Gottes, beschreibt (b): a) διακονία („Aufgabe“); ἐλεέοµαι („Erbarmen finden“); λόγος θεοῦ („Wort Gottes“); φανέρωσις τῆς ἀληθείας („Offenbarung der Wahrheit“); εὐαγγέλιον ἡµῶν („unser Evangelium“); δόχα Χριστοῦ („Herrlichkeit Christi“); εἰκὼν τοῦ θεοῦ („Bild Gottes“); ᾿Ιησοῦν Χριστὸν κηρύσσω („Jesus Christus verkündigen“); φῶς („Licht“), φῶς τῆς γνώσεως τῆς δόξης τοῦ θεοῦ („Licht der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes“); πρόσωπον Χριστοῦ („Angesicht Christi“).
b) ἐγκακέω („ermüden“); τὰ κρύπτα τῆς αἰσχύνης („das Verborgene der Schande“); πανουργίᾳ („List“); δολόω („verfälschen“); καλύπτω („verhüllen“); οἱ ἀπολλύµενοι („die Verlorenen“); ὁ θεὸς τοῦ αἰῶνος („der Gott dieses Äons“); τυφλόω („blenden“); οἱ ἄπιστοι („die Nichtgläubigen“); ἑαυτὸν κηρύσσω („sich selbst verkünden“); σκότος („Finsternis“).
Diese Ansammlung von Begriffen, die mit dem paulinischen Apostolat und seiner Verkündigung in Verbindung stehen (διακονία, λόγος θεοῦ, εὐαγγέλιον und κηρύσσω), ist neu für den Verwendungszusammenhang der ἄπιστοι-Bezeichnung. Dies gibt bereits einen Hinweis darauf, dass Paulus in 2Kor 4 den ἄπιστος-Begriff nicht mehr nur vornehmlich im Zusammenhang mit der Klärung der Identität der ἐκκλησία gebraucht, sondern im Kontext 8 9
Vgl. Grässer 1987, 11. Entsprechend ist auch der vorangehende Abschnitt 3,12–18 gegliedert (wir: 12 f. und 18; sie: 14–16). Vgl. de Oliveira 1990, 110.
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der Verteidigung seiner Aufgabe als Apostel und seines Evangeliums. Im Gegensatz zu 1Kor fällt auf, dass der dort für den Verwendungszusammenhang der ἄπιστοι-Bezeichnung typische Dualismus zwischen ‚Drinnen`- und ‚Draußen`-Bezeichnungen fehlt. Den ἄπιστοι wird hier zwar eine weitere ‚Draußen`-Bezeichnung (οἱ ἀπολλύµενοι) an die Seite gestellt, aber die bisher explizit genannten Oppositionen zu den ἀδελφοί, ἅγιοι, πιστεύοντες oder der ἐκκλησία fehlen.
9.2 Das Evangelium ist entscheidend! Das beherrschende Thema des Abschnittes 4,1–6, wie auch in großen Teilen des gesamten 2Kor, ist unverkennbar die Verteidigung des paulinischen Verständnisses der Aufgabe eines Apostels. Der apologetische Charakter wird auch durch die explizite Betonung, es ginge um „unser Evangelium“ (V. 3), 10 unterstrichen. Paulus kontrastiert „zwei Weisen der Verkündigung oder zwei Arten von Verkündigern“ 11. Dabei ist es ihm offensichtlich wichtig, sein Evangelium als Offenbarung der Wahrheit (φανέρωσις τῆς ἀληθείας) auszugeben. Dem steht eine falsche, beziehungsweise verfälschte (δολόω) Verkündigung gegenüber (V. 2). Deutlich wird dabei auch die enge Zusammengehörigkeit von apostolischer Aufgabe und Verkündigung des Evangeliums. 12 In ähnlicher Weise, wenn auch weniger auf das Wirken und mehr auf den Inhalt des Evangeliums ausgerichtet, betont Paulus die ‚Wahrheit des (seines) Evangeliums` in Gal: Gal 2 5„Ihnen haben wir auch nicht einen Moment nachgegeben in Unterordnung, damit die Wahrheit des Evangeliums (ἡ ἀλήθεια τοῦ εὐαγγελίου) bei euch bleibt.“ Gal 2 14„Als ich aber sah, dass sie nicht geradeaus gingen nach der Wahrheit des Evangeliums (τὴν ἀλήθειαν τοῦ εὐαγγελίου), sprach ich zu Petrus vor allen: [. . .].“ 13
10 εὐαγγέλιον ἡµῶν, sonst nur 1Thess 1,5 (vgl. 2Thess 2,14), meint das Gleiche wie εὐαγγέλιόν µου (Röm 2,16; 16,25; Gal 1,11; vgl. 2Tim 2,8): das paulinische Evangelium (vgl. Grässer 2002, 151). Auch wenn Paulus von seinem Evangelium sprechen kann, bleibt dieses Evangelium das eine „Evangelium Gottes“ (z.B. Röm 1,1; 2Kor 11,7) und das eine „Evangelium Christi“ (1Kor 9,12; 2Kor 2,12; 1Thess 3,2). Alle drei Bezeichnungen sind für Paulus austauschbar; vgl. Wolter 2011, 54 f. 11 Schmeller 2010, 236. 12 Vgl. de Oliveira 1990, 105. 241. 13 Vgl. Eph 1,13; Kol 1,5; 2Tim 2,15.
Das Evangelium ist entscheidend!
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Die Sprache von 2Kor 4,1–6 weist darauf hin, dass Paulus ein Problem bespricht, das im Rahmen seines Wirkens als Apostel entstanden ist – genauer gesagt, im Rahmen der Verkündigung seines Evangeliums. Die betonte Abgrenzung von einer „Verfälschung des Wortes Gottes“ (δολόω τὸν λόγον θεοῦ) oder davon, ein „verhülltes Evangelium“ (κεκαλυµµένον τὸ εὐαγγέλιον) zu verkündigen, rechtfertigt allerdings noch keinen Rückschluss auf gegen ihn aus Korinth vorgebrachte Vorwürfe. 14 Ebenso wahrscheinlich ist, dass Paulus diese Begriffe selber ins Spiel bringt, zumal das Begriffsfeld ‚Verhüllung` schon in 3,12–18 vorbereitet ist: κάλυµµα („Decke“ 3,13–16) und καλύπτω („verhüllen“, „bedecken“ 4,3). Relevant ist hier vor allem, dass Paulus sein Wirken mit einem Anspruch an ihm offenbarer Wahrheit (φανέρωσις τῆς ἀληθείας) 15 versieht. φανέρωσις ist nomen actionis zu φανερόω („sichtbar/bekannt machen“). 16 Für die von ihm ausgehende Verkündigung des Wortes Gottes nimmt Paulus also in Anspruch, dass darin die Wahrheit sichtbar wird. 17 Es geht dabei jedoch nicht nur um bloße Kognition, sondern das In-Erscheinung-Treten einer Realität. 18 In ähnlichen Kontexten können φανερόω und ἀποκαλύπτω austauschbar gebraucht werden. Zum Beispiel kann Paulus in Bezug auf die Gerechtigkeit Gottes in Röm beide Verben verwenden. Röm 1 17„Die Gerechtigkeit Gottes aber wird in ihm offenbart (ἀποκαλύπτεται)“. Röm 3 21„Nun aber ist ohne das Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbar gemacht worden (πεφανέρωται)“. Im unmittelbaren Kontext von 2Kor 4,1–6, beschreibt Paulus mit der Formulierung „sichtbare Wahrheit“ den Gegensatz zum ‚verfälschten` Wort. Mit der durch ihn beanspruchten ‚Sichtbar-Machung` (φανέρωσις) des Wortes Gottes ist aber auch eine klare Opposition zu ‚Mose` und dem ‚alten Bund`, die durch eine Decke verdeckt sind (3,13 f.), hergestellt. 19 14 Dass Paulus hier auf konkrete Vorwürfe reagiert, lässt sich zwar nicht gänzlich ausschließen, aber auch nur schwer nachweisen; vgl. Schmeller 2010, 240f, der sicher Recht hat, wenn er darauf hinweist, dass eine Verbindung zu den Gegnern allein über die Wortwahl ‚verhüllt sein` ziehen zu wollen, nicht überzeugen kann. Ähnlich auch schon Grässer 2002, 151 f.; dagegen: Uddin 1999, 274; de Oliveira 1990, 238 f.; Wolff 1989, 85; Georgi 1964, 268 f. 15 Zur Verteidigung der Klarheit der paulinischen Verkündigung s.a. 2Kor 1,18: „Gott aber ist treu, dass unser Wort zu euch nicht ja und nein ist.“ vgl. 2Kor 1,13; 3,12 f. 16 Semantisch liegen φανέρωσις und dessen Objekt ἀλήθεια sehr nah beieinander und besagen nach ihrer Etymologie dasselbe: es geht um das ‚sichtbar machen` dessen, was ‚nicht verborgen` (ἀ- λανθάνω) ist. 17 „[H]is preaching is a manifestation of the truth, and it is by this means that he can recommend himself“. Thrall 1994, 301. 18 Die Grundsätzlichkeit der ‚Sichtbarmachung` als einer Realität, ist auch durch das Fehlen eines indirekten Objekts angezeigt. 19 Vgl. Grässer 2002, 149.
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Der Anspruch, die Wahrheit des Wortes Gottes sichtbar zu machen, die Betonung, „nicht zu verzagen“ (οὐκ ἐγκακέω), „nicht in List zu wandeln“ (µὴ περιπατέω ἐν πανουργίᾳ) und „das Wort Gottes nicht zu verfälschen“ (µηδὲ δολόω τὸν λόγον θεοῦ), wirft jedoch für Paulus offensichtlich ein Problem auf, das er seinen Lesern erklären muss: Wie kann es sein, dass es trotzdem solche gibt, die das Evangelium nicht angenommen haben, wenn doch Paulus das unverfälschte Wort Gottes in Offenbarung der Wahrheit verkündet (V. 2)? Wie kann es sein, dass, obwohl das Evangelium der Herrlichkeit Christi (V. 4) vernommen wurde, es immer noch solche gibt, die nicht glauben? Vers 3 f. lässt sich als Antwort auf dieses Problem lesen. Dass nicht alle Menschen zum Glauben an das Evangelium kommen, erklärt Paulus mittels des ‚Verhüllt-Seins` desselben: „Wenn aber unser Evangelium verhüllt ist, dann ist es den Verlorenen verhüllt.“ 20 Von einem tatsächlichen ‚Verhüllt-Sein` seines Evangeliums spricht Paulus jedoch nur bedingend, denn die Aussage von Vers 3 ist in zweifacher Weise relativiert. Zum einen durch die indefinite, konditionale Formulierung des Verhüllt-Seins in Vers 3a: ‚Wenn denn unser Evangelium (überhaupt) verhüllt sein sollte, dann [. . .]`, 21 zum anderen durch die klare Begrenzung der Gruppe derer, über die gesagt werden kann, das Evangelium sei ihnen verhüllt in Vers 3b: ‚[. . .] ist es (nur) den Verlorenen (ἀπολλύµενοι) verhüllt`.
9.3 Am Evangelium entscheidet sich Verlorenund Gerettet-Sein Die Bezeichnung, die Paulus für diejenigen wählt, denen das Evangelium verhüllt ist, die ‚Verlorenen` (οἱ ἀπολλύµενοι), ist im Neuen Testament äußerst selten. In Form eines absolut stehenden, substantivierten Partizips ist ἀπόλλυµι neben 2Kor 4,3 in den echten Paulusbriefen nur noch in 1Kor 1,18 und 2Kor 2,15 belegt, sowie innerhalb des Corpus Paulinum noch in 2Thess 2,10. Im restlichen Neuen Testament wird der Begriff in dieser Form nicht verwendet. 20 Wegen des mit εἰ δὲ καί eingeleiteten konditionalen Nebensatzes und dessen konzessiver Funktion (zu εἰ καί als konzessive Konjunktion (vgl. Siebenthal 2011, §§251 f.286; BDR §374) ließe sich vermuten, Paulus würde hier eine Art Eingeständnis machen und damit das ‚Verhüllt-Sein` seines Evangeliums in gewisser Weise einräumen (vgl. de Oliveira 1990, 102). Diese Einschätzung hängt jedoch davon ab, ob man annimmt, dass Paulus auf konkrete Vorwürfe gegen sein Evangelium reagiert, oder nicht. 21 Es ist bei Konditionalsätzen durchaus möglich, dass die Bedingung der Protasis offen ist, dass heißt, noch nicht erfüllt oder nur fiktiv als reale Möglichkeit in Betracht gezogen wird. „[D]as Verhältnis der Protasis zur Wirklichkeit [ist] unbestimmt.“ Siebenthal 2011, §281; vgl. z.B. Röm 8,13: „Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben.“
Am Evangelium entscheidet sich Verloren- und Gerettet-Sein
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1Kor 1 18„Denn das Wort des Kreuzes ist zwar den Verlorenen (τοῖς µὲν ἀπολλυµένοις) eine Torheit, den Geretteten aber (τοῖς δὲ σῳζοµένοις), uns, ist es eine Macht Gottes.“ 2Kor 2 15„Denn wir sind ein Wohlgeruch Christi für Gott, bei den Geretteten (τοῖς δὲ σῳζοµένοις) und bei den Verlorenen (τοῖς µὲν ἀπολλυµένοις), den einen ein Geruch aus Tod zum Tod, den anderen aber ein Geruch aus Leben zum Leben.“
Paulus verbindet durch die ἀπολλύµενοι-Bezeichnung die Nicht-Annahme des Evangeliums mit der daraus für die Betroffenen entstehenden Folge: dem Verloren-Gehen – und zwar im eschatologischen Sinne. Denn neben seiner Grundbedeutung (‚zerstören` und ‚verlieren`) 22 kann mit ἀπόλλυµι im Neuen Testament auch das Zerstören und Verlieren des Lebens ausgedrückt werden: also ‚töten` und ‚sterben`. 23 Diese endgültige und lebensbedrohende Dimension des Begriffs ist für den Gebrauch der ἀπολλύµενοι-Bezeichnung zentral. 24 Häufig steht daher im Neuen Testament das ‚Verloren-Sein` (ἀπολλύειν), beziehungsweise ‚der Untergang` (ἀπώλεια), in semantischer Opposition zu ‚Gerettet-Sein` (σώζειν), beziehungsweise ‚der Rettung` (σωτηρία). 25 Einerseits so, dass beide Möglichkeiten alternativ zueinander stehen: Phil 1 28„und lasst euch in Nichts erschrecken von den Widersachern, was für sie ein Beweis des Untergangs (ἔνδειξις ἀπωλείας) ist, für euch aber der Rettung (σωτηρίας) – und dies ist von Gott her.“ Lk 6 9„Jesus aber sprach zu ihnen: ‚Ich frage euch, ob es erlaubt ist, am Sabbat Gutes oder Böses zu tun, Leben zu retten oder zu zerstören (σῶσαι ἤ ἀπολέσαι)`.“ 26
Andererseits können ‚die Verlorenen` aber auch als ‚der Rettung bedürftig` dargestellt werden:
22 Z.B. Mt 15,24: „Ich bin nicht gesandt, außer zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels.“ Lk 15,24: „Denn dieser, mein Sohn, war tot und ist lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden.“ 23 1Kor 10,9: „Lasst uns Christus nicht versuchen, wie einige von ihnen (es) versucht haben und von den Schlangen getötet wurden (ἀπώλλυντο).“ weiterhin: Mt 2,13; 12,14; 26,52; 27,20; Mk 3,6; 11,18; Lk 11,51; 19,47; Joh 3,16; s.a. in der LXX, z.B. Gen 20,4; Ez 34,29; 1Makk 2,37. 24 „᾿Απόλλυσθαι bzw. σῴζεσθαι und die entsprechenden Substantive ἀπώλεια bzw. σωτηρία bezeichnen in der urchristlichen Missionssprache das existentielle Ergehen am Tag des Gerichts (vgl. [1Kor] 3,15; 5,5). Gleichbedeutend sind ‚Tod` und ‚(ewiges) Leben`.“ Zeller 2009, 106. 25 Diese Opposition ist auch in anderen griechischen Texten belegt: Homer, Il. IX 230; Hippocrates, Progn. 18; Isocrates, Orat. 6,36; Andocides, Orat. 1,54; Lysias, Orat. 2,39; Dionysius von Halicarnass, Ant. rom. VII 62,3; VIII 12,9; VIII 42,2. In der LXX hingegen begegnet dieses Begriffspaar nicht in alternativer Gegenüberstellung. 26 Vgl. 2Kor 2,15; Mk 8,35parr.; Jak 4,12; Judas 5.
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Lk 19 10„Denn der Sohn des Menschen ist gekommen, zu suchen und zu retten (σῶσαι), was verloren ist (τὸ ἀπολωλός).“ 27
Dieses Gegenüber von ‚Verloren-` und ‚Gerettet-Sein` prägt auch 1Kor 1,18 und 2Kor 2,15, insofern die Menschheit in zwei Gruppen aufgeteilt wird: zum einen die ἀπολλύµενοι und zum anderen die σῳζόµενοι. 28 1Kor 1,18 zeigt deutlich, wie Paulus sich die dualistische Aufteilung der Menschheit in Verlorene und Gerettete vorstellt: Auf der einen Seite stehen die geretteten ‚Wir`, für die 29 das Wort vom Kreuz eine Macht Gottes ist, und auf der anderen Seite stehen die Verlorenen, für die wiederum das Wort vom Kreuz eine Torheit ist. 30 Diesen Dualismus im Sinne einer deutlichen Trennung der Bereiche von Gerettetund Verloren-Sein betont auch 2Kor 2,15 f. Paulus macht dort darüber hinaus die den Begriffen inhärenten Bedeutungsnuancen von Leben und Tod explizit und zeigt damit die soteriologisch-eschatologische Folge dieser Trennung auf. In chiastischer Stellung verbindet Paulus hier das Gegenüber ‚gerettet oder verloren` (V. 15) mit ‚Tod oder Leben` (V. 16). Die Formulierung ἐκ – εἰς ist hyperbolisch, insofern sie sowohl den Grund (ἐκ) als auch das Ziel (εἰς) umfasst. Für die einen bedeutet die ὀσµή nichts als Tod und für die anderen nichts als Leben. Bemerkenswert ist die sowohl in 1Kor 1,18 und 2Kor 2,15 f. auftauchende Verbindung von ἀπολλύµενοι- und σῳζόµενοι-Bezeichnung und Verkündigung des Evangeliums, aufgrund dessen die Unterscheidung überhaupt erst getroffen wird. Deutlich wird dies in 2Kor 2,17: Dort geht es im Anschluss an die unterschiedliche Wahrnehmung des Wohlgeruchs der ‚Wir` durch die Geretteten und die Verlorenen um die Verkündigung der ‚Wir`, die sich im Vergleich zu der Verkündigung der Vielen, die „das Wort Gottes verhökern (καπηλεύω)“ 31, durch ihre Lauterkeit (εἰλικρίνεια) auszeichnet. Auch in 1Kor 1,18 ist die Verknüpfung von Evangelium und Scheidung zwischen ‚gerettet` 27 S.a. Lk 15; vgl. 2Thess 2,10; Mt 8,25. 28 Wie für die Bezeichnung οἱ ἀπολλύµενοι ist auch für οἱ σῳζόµενοι festzustellen, dass es sich um keine häufige Bezeichnung im Neuen Testament handelt. Neben den beiden genannten Stellen in 1/2Kor begegnet der Begriff in dieser Verwendung nur noch in Lk 13,23 und Apg 2,47. Da Paulus die Begriffe in ihrer Verwendung als antithetische Gruppenbezeichnungen nicht weiter erklärt, geht Grässer 2002, 111 davon aus, dass es sich um Begriffe aus der Sprache der korinthischen Gemeinde handeln muss. Aufgrund der Häufigkeit des semantischen Feldes ‚Rettung` in Verbindung mit Begriffen des ‚Verloren-Seins` auch außerhalb der Korintherbriefe und außerhalb des Corpus Paulinum, ist diese Schlussfolgerung jedoch keineswegs zwingend. 29 Der Dativ τοῖς ἀπολλυµένοις/τοῖς σῳζωµένοις ist ein dativus commodi oder ethicus. 30 S.a. Phil 3,18 f.: „Denn es wandeln viele, von denen ich euch oft gesagt habe, nun auch weinend sage, sie sind Feinde des Kreuzes Christi, deren Ende ist die Vernichtung (ἀπώλεια) [. . .].“ 31 Sachlich ist mit καπηλεύω dasselbe gemeint wie mit δολόω (2Kor 4,2). Diesbezüglich wurde immer wieder auf Lucian, Hermotimus 59 verwiesen: „[. . .] die Philosophen geben Unterricht wie Kaufleute (οἱ κάπηλοι), indem aber viele [den Wein] mischen, verfälschen
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und ‚verloren` offensichtlich, denn hier geht es darum, dass ‚das Wort vom Kreuz` – das für den Inhalt von εὐαγγελίζεσθαι aus Vers 17 steht – die Menschen in zwei Lager teilt: die Verlorenen, für die das Wort vom Kreuz eine Torheit ist, und die Geretteten, für die das Wort vom Kreuz eine Macht Gottes ist. Das Evangelium wirkt also gewissermaßen auf zweifache Weise 32 und teilt die Menschheit in zwei Gruppen: die Geretteten und die Verlorenen. Für die einen bedeutet das Wort Gottes „eschatologische Rettung“, für die anderen „eschatologischen Untergang“ 33. Bestehen kann diese Aufteilung der Menschheit in Verlorene und Gerettete freilich nur aus der Perspektive derer, die sich selbst aufgrund des Evangeliums als gerettet verstehen und somit konsequenterweise alle, die das Evangelium nicht angenommen haben, als nicht gerettet, das heißt als verloren betrachten müssen. „[D]ass und wie Rettung und Verlorenheit sich ereignen“ 34, will Paulus nicht darstellen. Ihm geht es um das Faktum einer Trennung, die am Evangelium sichtbar wird und eschatologische Auswirkung hat. 2Kor 4,1–6 unterscheidet sich jedoch in einem Punkt von 1Kor 1,17 f. und 2Kor 2,14–17: Die explizite Benennung der dualistischen Aufteilung in Gerettete und Verlorene fehlt hier. Allerdings werden die Verlorenen und die Nichtgläubigen erneut in klarer Opposition zur Verkündigung des Wortes Gottes, respektive „unserem“ Evangelium (εὐαγγέλιον ἡµῶν) dargestellt. Die Trennung von drinnen und draußen, von gerettet und verloren, ist insofern implizit anwesend. Die nicht explizit genannten Geretteten sind freilich die Adressaten, die Verlorenen und Nichtgläubigen deren Gegenbild. Damit wird diese Gegenüberstellung gleichermaßen zu einer paränetischen Warnung: Zum einen dürfen sich die Glaubenden als gerettet verstehen, zum anderen geht damit aber auch die Warnung einher, nicht wie die Verlorenen und Nichtgläubigen zu werden.
(δωλώσαντες) sie und nehmen schlechtes Maß.“ Zur Meinung über den κάπηλος s.a. Jes 1,22: „Die κάπηλοι mischen ihren Wein mit Wasser.“ καπηλεύω und κάπηλος stammen ursprünglich aus der Sprache des Handels. Aber schon Platon benutzte die Begriffe polemisch um damit die Sophisten zu denunzieren. Platon, Protag. 313: „Scheint also der Sophist, o Hippokrates, ein Kaufmann oder Kleinhändler (κάπηλος) von Gütern zu sein, von denen die Seele sich ernährt?“ vgl. Wolff 1989, 57 f.; Georgi 1964, 226 f. 32 „Man könnte also sagen, dass das Evangelium für Paulus in doppelter Hinsicht eine ‚Kraft Gottes` ist: für diejenigen, die ihm Glauben schenken, zum Heil und für diejenigen, die ihm nicht glauben, zum Unheil.“ Wolter 2011, 70. 33 Wolff 1989, 56. 34 Grässer 2002, 111 zu 2Kor 15. Gleiches gilt jedoch auch für 1,18.
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9.4 ἄπιστοι und ἀπολλύµενοι 1. Um jene, die sein Evangelium nicht annehmen, näher zu beschreiben, ergänzt Paulus die ἀπολλύµενοι-Bezeichnung aus Vers 3 in Vers 4 um einen weiteren Begriff: οἱ ἄπιστοι. Der zu νόηµα gehörende, syntaktisch aber etwas sperrige Genitiv τῶν ἀπίστων, lässt vermuten, dass Paulus gerade an der Erwähnung der ἄπιστοι gelegen war. Eher wäre an der Stelle das auf die ἀπολλύµενοι in Vers 3, beziehungsweise auf den relativischen Satzanschluss ἐν οἷς, zurückverweisendes Pronomen αὐτῶν zu erwarten gewesen. 35 In manchen deutschen Bibelübersetzungen wird versucht, die Schwierigkeit zu umgehen, indem man zum Beispiel die ἄπιστοι zur Apposition zu ἐν οἷς macht (Zürcher: „Ihnen, die nicht glauben, hat der Gott dieser Weltzeit die Gedanken verfinstert, [. . .].“) oder noch vor ἐν οἷς an den Beginn des Satzes zieht (Luther: „den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, [. . .].“). Dass es sich bei τῶν ἀπίστων um einen genitivus possessivus handelt, der von νόηµα abhängig ist, wird dabei ignoriert. Funktional kommt der ἄπιστοι-Bezeichnung dabei die Näherbestimmung 36 der ἀπολλύµενοι-Bezeichnung aus Vers 3 zu. Es ist daher sinnvoll, die von Paulus hier gewählten ‚Draußen`-Bezeichnungen als isotope Begriffe zu verstehen: beide Begriffe verweisen auf dieselbe Gruppe und erklären sich dadurch gegenseitig. 37 Eine derartige Verbindung von ‚Verlorenen` und ‚Nichtgläubigen` ist im Neuen Testament fast einzigartig. Lediglich Joh 3,16 und Jud 5 ziehen eine Verbindung zwischen ‚nicht glauben` und ‚zerstört werden`, beziehungsweise zwischen ‚glauben` und ‚nicht verloren gehen`: Joh 3 16„Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einziggeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben (ὁ πιστεύων εἰς αὐτόν), nicht verloren gehen (µὴ ἀπόληται), sondern ewiges Leben haben.“ Jud 5: „Ich will euch aber erinnern, obwohl ihr alles ein für allemal wisst, dass Jesus das Volk aus Ägypten rettete, danach (aber) diejenigen, die nicht zum Glauben gekommen sind (τοὺς µὴ πιστεύσαντας) zerstört hat (ἀπώλεσεν).“
Beiden Texten gemeinsam ist der kausale Zusammenhang, den sie zwischen Nicht-Glaube und Verloren-Sein herstellen. Und zwar besteht der kausale Zusammenhang darin, dass das Verloren-Sein als unmittelbare Folge auf das Nicht-Glauben (Jud 5), beziehungsweise die Bewahrung vor dem Verlorengehen als unmittelbare Folge auf das Glauben (Joh 3,16) zu verstehen ist. 35 Vgl. Grässer 2002, 153; de Oliveira 1990, 103. 36 Oder die zunächst merkwürdig erscheinende Syntax dient der Betonung, dass es sich gerade um Nichtgläubige handelt. „[M]it solchen Unregelmäßigkeiten will Paulus wahrscheinlich die Aufmerksamkeit der Leser erreichen“. de Oliveira 1990, 103; vgl. Schmeller 2010, 243; Wolff 1989, 85. 37 Vgl. Schmeller 2010, 243; Grässer 2002, 153; de Oliveira 1990, 103; Wolff 1989, 85.
ἄπιστοι und ἀπολλύµενοι
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In diesem Sinne kann auch die von Paulus in 2Kor 4,4 hinzugezogene ἄπιστοι-Bezeichnung verstanden werden. Sie dient als explikativer Zusatz, der die ἀπολλύµενοι-Bezeichnung aus Vers 3 verständlicher machen soll, denn während mit der Bezeichnung ‚Verlorene` für die Betroffenen zunächst nur die ihnen letztlich bevorstehende Folge des ‚Verhüllt-Seins` des Evangeliums beschrieben wird – das eschatische Verloren-Sein –, erklärt sich in Verbindung mit der ἄπιστοι-Bezeichnung, warum jene verloren sind – nämlich weil sie Nichtgläubige sind. 38 Die ἄπιστοι-Bezeichnung wird damit hier zum ersten Mal nicht mehr vornehmlich als Komplementärbegriff zu der πιστεύοντες-Bezeichnung gebraucht. Als Gegenspieler zum paulinischen Evangelium erhält die Bezeichnung damit eine eigene Qualität. Die Nichtgläubigen glauben das Evangelium nicht. Auch wenn diese Bedeutung dem ἄπιστος-Begriff inhärent ist, so war dies für den Gebrauch in 1Kor weniger relevant. Erstmals sind nun diejenigen unter der Bezeichnung zusammengefasst, die ganz dezidiert dem paulinischen Evangelium nicht glauben. 2. Für Paulus wird es das einzige Mal bleiben, dass er den ἄπιστος-Begriff unmittelbar mit dem semantischen Feld der Evangeliumsverkündigung verbindet. Es handelt sich bei 2Kor 4,4 sogar für das gesamte Neue Testament um die einzige Stelle, an der ein Begriff des ἀπιστ*-Stammes in diesem Zusammenhang verwendet wird. Das mag insofern verwundern, als die Bezeichnung ‚Nichtgläubige` an und für sich prädestiniert dafür zu sein scheint, diejenigen zu beschreiben, die dem Evangelium nicht glauben. Denn umgekehrt ist eine Verbindung der positiven Begriffe der πιστ*-Wortgruppe mit Begriffen, die zum semantischen Feld der Evangeliumsverkündigung gehören – z.B. εὐαγγέλιον und εὐαγγελίζω oder κήρυγµα und κηρύσσω –, im Neuen Testament häufig belegt. 1Kor 15 11„[. . .] so verkünden (κηρύσσοµεν) wir, und so seid ihr zum Glauben gekommen (ἐπιστεύσατε).“ 2Kor 4 13„Wir glauben (πιστεύοµεν), und deshalb reden wir (λαλοῦµεν).“ 39
38 Vgl. Schmeller 2010, 243; Wolff 1989, 85. 39 Weiterhin: πιστ*+ εὐαγγέλιον und εὐαγγελίζω; z.B. Röm 1,16; 10,16; 1Kor 15,1 f.; Gal 1,23; Phil 1,27; 1Thess 3,2; vgl. Mk 1,14 f.; Lk 1,19 f.; Apg 8,12; 15,7. πιστ* + κήρυγµα und κηρύσσω; z.B. Röm 10,8.14; 1Kor 1,21; 2,4 f.; 15,14. Außerdem sind viele Begriffe des ‚Hörens` und ‚Sagens` mit der πιστ*-Wortgruppe verbunden, die für den Vorgang von ‚Verkündigung`, dem ‚Hören` und schließlich dem ‚zum Glauben kommen` stehen: πιστ* + λόγος und λέγω; z.B. 1Kor 15,2; 1Thess 2,13; vgl. Eph 1,13; Lk 1,20; 8,12; Joh 2,22; 3,12; 4,39–42; 5,24; 8,45; 10,25; 14,29; 17,20; 19,35; Apg 4,4; 6,7; 13,48; 15,7. πιστ* + λαλέω; z.B. Mk 11,23; Lk 1,45; 24,45; Joh 8,30; Apg 14,1. πιστ* + ἀκοή und ἀκούω; z.B. Röm 10,14.17; Gal 3,2.5; vgl. Lk 8,12; Joh 4,42; 5,24; Apg 4,4; 13,48; 15,7; 18,8.
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Wer nicht glaubt, ist verloren – 2Kor 4,1–6
Auch wenn es zunächst verwundern mag, dass Paulus die ἄπιστοι-Bezeichnung nur hier in direkter Verbindung mit der Verkündigung des Evangeliums gebraucht, so ist es doch ganz und gar nicht verwunderlich, dass er sie im 2Kor in diesem Zusammenhang gebraucht, denn das Thema des Briefes ist sein Wirken als Apostel, das heißt, seine Verkündigung des Evangeliums. In 2Kor 4,4 erklärt Paulus mit Hilfe des ἄπιστος-Begriffs, warum die Verlorenen verloren sind: weil sie nicht glauben. Die Nichtgläubigkeit bezieht sich dabei freilich auf den Inhalt des Evangeliums. Auf der Grundlage des Glaubens an dieses Evangelium, teilt Paulus die Menschheit in zwei Lager: die Glaubenden, die zugleich die Geretteten sind, und die Nichtgläubigen, die zugleich die Verlorenen sind. Während die ἄπιστοι-Bezeichnung in 1Kor vornehmlich im Gegenüber zu der πιστεύοντες-Bezeichnung und anderen Bezeichnungen für die Ekklesia gebraucht wurde, und nur durch sein positives Gegenüber Bedeutung erhält, bekommt sie in 2Kor 4,4 eine eigene Qualität. Die ἄπιστοι sind solche nicht mehr nur deshalb, weil sie nicht die Glaubenden sind, sondern auch weil sie nicht glauben – und zwar an das (paulinische) Evangelium. Diese Tatsache ist jedoch im Rahmen der Verteidigung seines apostolischen Wirkens für Paulus ein Problem: Die Existenz von Nichtgläubigen müsste eigentlich gegen ihn als Apostel, sowie gegen den Erfolg seines Wirkens und seines Evangeliums sprechen.
9.5 Das ‚Verblendet-Sein` des Verstandes durch den Gott dieses Äons 9.5.1 ‚Verblendeter Verstand` und ‚verhärtetes Herz` 1. Das ‚Verhüllt-Sein` des Evangeliums (V. 3), dessen Folge nach Paulus die Existenz von Verlorenen und Nichtgläubigen ist, beschreibt er in Vers 4 näher als „Verblendet-Sein des Verstandes“ (τυφλόω τὸ νόηµα). Das heißt, für Paulus liegt die Ursache eines verhüllten Evangeliums weder beim Sender (Paulus), noch bei der Botschaft (dem Evangelium), sondern auf Seiten der Empfänger (den Verlorenen). Genauer gesagt in der Verblendung deren Verstandes (νόηµα). Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass sich Paulus mit diesem Erklärungsversuch eines Motivs bedient, das ihm die Texte des Alten Testaments bereitgestellt haben. Der Sache nach ist es sinnvoll, das Motiv unter dem Begriff ‚Verstockung` zusammenzufassen. Paulus orientiert sich in diesem Fall an der alttestamentlichen Rede vom „Hart-“ oder „Schwer-Machen des Herzens“ (z.B. Ex 7,3: ἐγὼ δὲ σκληρυνῶ τὴν καρδίαν Φαραω „Ich aber werde das Herz des Pharaos hart machen“). Das harte beziehungsweise schwere Herz verhindert in den entsprechenden Texten die uneingeschränkte Rezeption einer Botschaft und verhindert ein der
Das ‚Verblendet-Sein` des Verstandes durch den Gott dieses Äons
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Erwartung entsprechendes Handeln der Empfänger. Prominent ist das Motiv des ‚harten Herzens` im Alten Testament vor allem in der Exoduserzählung. Für die neutestamentliche Rezeption jedoch von größerer Relevanz ist eine Belegstelle, die sich beim Propheten Jesaja findet. Jes 6LXX 9„Und er sprach: ‚Geh hin und sag diesem Volk, hört hörend und versteht nicht, und seht sehend und erkennt nicht! 10Mache fett das Herz (ἐπαχύνθη ἡ καρδία) dieses Volkes und mache ihre Ohren schwer und mache ihre Augen blind, damit sie mit den Augen nicht sehen und mit den Ohren nicht hören und mit dem Herzen nicht verstehen und nicht umkehren und sie geheilt werden.`“
Unabhängig von der nicht einheitlichen Begrifflichkeit der Texte des Alten Testaments 40, verbindet sie ihre inhaltliche Parallelität: Das ‚harte/schwere Herz` beschreibt und erklärt eine misslungene Kommunikation, beziehungsweise eine falsche oder fehlgeleitete Wahrnehmung – meist innerhalb der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Auch ohne unmittelbare quellensprachliche Übereinstimmung, aber in der Erkenntnis, dass es sich in den Texten um ein analoges Phänomen handelt, hat sich in der exegetischen Literatur für die Beschreibung dieses Motivs der Begriff der ‚Verstockung` 41 durchgesetzt, unter dem sich alle Texte zusammenfassen lassen. Deshalb lässt sich auch 2Kor 4,1–6 als ‚Verstockungstext` verstehen, denn er ist den Texten des Alten Testaments sehr ähnlich und beschreibt ein vergleichbares Problem.
40 Ex 7–14: „( כבדschwer machen“; LXX: βαρύνω) und „( חזקhart machen“; LXX: σκληρύνω). Unterscheiden lässt sich in der Exoduserzählung weiterhin zum einen die Verhärtung, die vom Pharao selbst ausgeht: sowohl ( כבדEx 8,11: „Und der Pharao sah, dass es eine Erleichterung gab. Und er machte sein Herz schwer und hörte nicht auf sie, wie Jahwe gesagt hatte.“ vgl. 8,28; 9,7.34) als auch ( חזקEx 7,13: „Aber das Herz des Pharaos blieb hart und er hörte nicht auf sie, wie Jahwe gesagt hatte.“ vgl. 7,22; 8,15; 9,35). Zum anderen die Verhärtung des Pharaos, die von Gottes ausgeht: nur ( חזקEx 10,20: „Aber Jahwe machte das Herz des Pharaos hart und er ließ die Söhne Israels nicht ziehen.“ vgl. 10,27; 14,4.8.17). Neben כבדund חזקfinden sich in der Exoduserzählung außerdem zwei Belege für ( קשׁהHif. = „verhärten“; LXX: σκληρύνω) in Ex 7,3; 13,15 (vgl. Dtn 2,30; 2Kön 17,14; Jer 7,26; 17,23; 19,15; Ps 95,8; Neh 9,16.29; 2Chr 36,13). Jes 6,9 f. belegt noch einmal eine andere Begrifflichkeit: „( שׁמנ לבfettmachen des Herzens“; LXX: ἐπαχύνθη ἡ καρδία), „( כבד אזןschwermachen der Ohren“; LXX: τοῖς ὠσὶν αὐτῶν βαρέως ἤκουσαν) und „( שׁעע איןblindmachen der Augen“; LXX: τοὺς ὀφθαλµοὺς αὐτῶν ἐκάµµυσαν). 41 S. dazu z.B. Kellenberger 2006; Schmidt 2003; Röhser 1994; Erb 1964; Gnilka 1961; Hesse 1955. Schon in den frühesten Übersetzungen verwendet Luther die Vokabel „Verstockung“. Er übersetzt jedoch uneinheitlich und ohne Unterscheidung der Begriffe (σκληρ*, πωρο* und παχύνω). So z.B. 2Kor 3,14: „sondern jre sinne sind verstocket“ oder Jes 6,10: „Verstocke [Luther2017: „Verfette“] das hertz dieses Volcks, vnd las jre Ohren dicke sein“.
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Wer nicht glaubt, ist verloren – 2Kor 4,1–6
2. Eine Verbindung zum Alten Testament zu ziehen, liegt auch durch das Thema ‚Mose/Israel` im vorherigen Abschnitt 3,12–18 nahe. Auch dort hat Paulus das ‚Verhüllt-Sein` (κάλλυµα/καλύπτω) thematisiert. Ebenso hat er den Verstand (νόηµα) als entsprechenden Ort der Rezeption bereits eingeführt. Dieser ist in 3,14 allerdings nicht durch Verblendung eingeschränkt, sondern durch ‚Verhärtet-Sein` (πωρόω). 2Kor 3 12„Da wir derartige Hoffnung haben, gebrauchen wir große Offenheit und sind nicht wie Mose, der eine Decke (κάλλυµα) auf seinem Gesicht liegen hat, damit die Söhne Israels das Ende des Vergehens nicht sehen. 14Sondern ihr Verstand ist verhärtet worden (ἐπωρώθη τὰ νοήµατα αὐτῶν). Denn bis zum heutigen Tag bleibt dieselbe Decke auf dem Verlesen des alten Bundes, weil nicht enthüllt wurde (µὴ ἀνακαλυπτόµενον), dass sie in Christus beseitigt wurde. 15 Sondern, sooft Mose gelesen wird, liegt eine Decke auf ihren Herzen. 16Dann, wenn man sich dem Herrn zuwendet, wird die Decke weggenommen. 17Der Herr aber ist der Geist. Wo aber der Geist des Herrn ist, ist Freiheit. 18Wir alle, mit aufgedecktem Antlitz (ἀνακεκαλυµµένῳ προσώπῳ), schauen die Herrlichkeit des Herrn und werden verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie auch der Herr des Geistes.“
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Wie in 4,1–6 ist in 3,12–18 eine gescheiterte Kommunikation Thema. Im Wesentlichen versucht Paulus eine Erklärung dafür zu finden, warum ein Großteil Israels (immer noch) nicht glaubt: Ihr Verstand wurde verhärtet (vgl. Röm 11,7.25). Dieser Umstand lässt Israel nicht erkennen, dass auf der Torah – ‚Mose` steht hier metonymisch für die Torah – eine Decke liegt, die durch Christus weggenommen ist. Mit καλύπτω („verhüllen“) und νόηµα („Verstand“) ist 2Kor 4,1–6 begrifflich bereits vorbereitet. Ausschlaggebend für die Aufnahme des Verstockungsmotives in 2Kor 4,1–6 dürfte das aus 3,12– 18 übernommene Thema ‚Mose/Israel` gewesen sein. 3. Möchte man 2Kor 4,1–6 im Vergleich mit den postulierten alttestamentlichen Vorlagen lesen und sie unter dem Begriff ‚Verstockung` zusammenfassen, muss gleichermaßen die Unterschiedenheit dieses Textes diskutiert werden. Auch wenn die Texte des Alten Testaments, die sich unter dem Begriff ‚Verstockung` versammeln lassen, keine streng-einheitliche Begrifflichkeit aufweisen, vereint sie dennoch eine semantische Ähnlichkeit: das ‚harte Herz`. Das Herz jedoch spielt für Paulus in 2Kor 4,1–6 keine Rolle, war aber immerhin im vorhergehenden Text noch präsent (3,15). a) Während in den Texten des Alten wie des Neuen Testaments ‚Herz` (καρδία) der typische Begriff ist, 42 der in diesem Zusammenhang mit ‚Verstockung` verwendet wird, spricht Paulus vom ‚Verstand` (νόηµα) – ein Begriff, 42 Z.B. Ex 9,12: „Aber der Herr machte das Herz des Pharaos hart (ἐσκλήρυνεν τὴν καρδίαν) und dieser hörte sie nicht.“ vgl. Ex 9,35; 10,1; 14,4; Dtn 2,30; 2Chr 36,13; Ps 95,8; Jes 63,17; weiterhin 1Sam 6,6: „Und warum macht ihr euer Herz schwer (βαρύνετε
Das ‚Verblendet-Sein` des Verstandes durch den Gott dieses Äons
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der in der Septuaginta kaum belegt und im Neuen Testament sonst nahezu abwesend ist. 43 Weit häufiger belegt, vor allem in Röm und 1Kor, ist der verwandte Begriff νοῦς. 44 Im vorliegenden Verwendungszusammenhang ist sachlich mit νόηµα und καρδία allerdings das Gleiche gemeint. Beide Begriffe beschreiben den Ort, an beziehungsweise in dem etwas erkannt oder eben nicht erkannt wird. Für die sachliche Nähe spricht auch die enge Verbindung von dem „Verhärtet-Sein des Verstandes“ (πωρόω τὸ νόηµα 3,14) und dem „Liegen der Decke auf den Herzen“ (κάλυµµα ἐπὶ τὴν καρδίαν κεῖται 3,15). Diese enge Verbindung zwischen νόηµα und καρδία zieht Paulus auch an der einzigen weiteren Belegstelle für νόηµα außerhalb des 2Kor in Phil 4,7: „Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, behüte eure Herzen (τὰς καρδίας ὑµῶν) und euren Verstand (τὰ νοήµατα ὑµῶν) in Jesus Christus.“ b) Neben der Wahl von νόηµα als Ort der ‚Verstockung`, ist deren Beschreibung in Verbindung mit τυφλόω auffällig. Weder greift Paulus mit τυφλόω einen Begriff auf, den ihm die Septuaginta im Zusammenhang mit dem ‚Verstockungsmotiv` vorgegeben hat, noch findet sich für die Verbindungen von τυφλόω und νόηµα überhaupt irgendeine vorpaulinische Belegstelle in der griechischsprachigen Literatur. 45 Weiterhin bleibt auch innerhalb des Neuen Testaments dieser Gebrauch singulär. 46 Trotz der Einzigartigkeit der Terminologie ist diese metaphorische Verbindung von unterschiedlichen Begriffen, die für ‚(nicht) sehen` und ‚Verstand` stehen, breit in der antiken Literatur belegt.
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τὰς καρδίας), wie Ägypten und der Pharao ihr Herz schwer gemacht haben (ἐβάρυνεν τὲν καρδίαν)?“; vgl. Ex 8,11; 8,28; 9,7; 9,34. Mk 6,52: „Sie haben nicht verstanden [. . .], denn ihr Herz war verhärtet (ἦν αῦτῶν ἡ καρδία πεπωρωµένη)“ vgl. 8,17; Joh 12,40; s.a. Heb 3,8.15; 4,7 in Aufnahme von Ps 94,8LXX: „verhärtet nicht eure Herzen (µὴ σκληρύνητε τὰς καρδίας ὑµῶν), wie in Rebellion, gleichwie dem Tag der Versuchung in der Wüste“. Dafür, dass der Begriff nur einmal in einer weiteren Schrift des NT vorkommt (Phil 4,7), ist das Vorkommen in 2Kor mit fünf Belegen geradezu auffällig häufig (2,11; 3,14; 4,4; 10,5; 11,3). In der LXX nur 3Makk 5,30; Bar 2,8. In der griechischen Literatur ist der Begriff hingegen breit belegt. Während mit νοῦς das νοέω betreibende Subjekt beschrieben ist (z.B. Röm 7,25: mit dem νοῦς dienen; 1Kor 14,15: mit dem νοῦς beten; 14,19: mit dem νοῦς reden), bezeichnet νόηµα, als Verbalsubstantiv (vgl. BDR §109), das aus νοέω entstehende Ergebnis, also den sich aus dem „Verstehen“ bei einer Person einstellende „Verstand“ (z.B. 2Kor 2,11 der νόηµα Satans; 3,14 der νόηµα Israels). Auskunft nach TLG#E. Auch für den verwandten Begriff νόος gibt es neben TestSim 2,7 (ὁ ἄρχων τῆς πλανῆς [. . .] ἐτύφλωσέ µου τὸν νοῦν. „der Herrscher des Irrtums [. . .] verblendet meinen Verstand.“) keine Belege für eine Verbindung mit τυφλόω. Gleiches gilt auch für πωρόω („verhärten“), das Paulus in 3,14 mit νόηµα verbindet, um das Verhalten von ‚Mose/Israel` zu erklären. Der Begriff πωρόω ist im NT eher, wenn auch selten, in Verbindung mit καρδία bekannt. Mk 8,17: „Versteht ihr noch nicht? Habt ihr eure Herzen verhärtet (πεπωρωµένην ἔχετε τὴν καρδίαν ὑµῶν)?“ vgl. Mk 6,52; Joh 12,40. In der LXX nur Hiob 17,7.
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Wer nicht glaubt, ist verloren – 2Kor 4,1–6
Mit τυφλ* wird dabei meist im übertragenen Sinne das Fehlen von Erkenntnis ausgedrückt. 47 Dass Paulus die ‚Verstockung` der Verlorenen begrifflich als ‚VerblendetSein` des Verstandes beschreibt, lässt sich folgendermaßen erklären: Zunächst ist der Begriff τυφλόω semantisch eng mit den Begriffen in seinem unmittelbaren Kontext verbunden. Dazu zählt unter anderem das in 2Kor 4 stark vertretene Begriffsfeld ‚Licht/Finsternis` (V. 4.6), das in Verbindung mit τυφλ* auch anderenorts im Alten und Neuen Testament vertreten ist. 48 Weiterhin ist das Motiv, das etwas nicht gesehen werden kann, schon in 3,12–18 durch µὴ ἀτενίζω („nicht hinsehen“ V. 13) und κατοπτρίζω („(sich) schauen“ V. 18) vorbereitet. Dass Paulus wiederum den Begriff πωρόω nicht verwendet, obwohl er es gerade zuvor in 3,12–18 getan hat, und ihn durch τυφλόω ersetzt, liegt möglicherweise darin begründet, dass πωρόω sonst im Neuen Testament für die von Gott veranlasste ‚Verstockung` Israels verwendet wird. 49 In 2Kor 4 allerdings ist weder Gott Akteur des ‚Verhärtet-` beziehungsweise ‚VerblendetSeins`, noch wird die betroffene Gruppe über Israel hinaus ausgeweitet. 50 Trotz begrifflicher Differenzen zu anderen Texten des Neuen Testaments und zu möglichen Vorlagen des Alten Testaments, wird deutlich, dass Paulus in 2Kor 3,12–4,6 das ‚Verstockungsmotiv` der Sache nach und seinem Ursprung entsprechend aufnimmt und weiterentwickelt. 4. Aufschlussreich für die Exegese von 2Kor 4,1–6 und das dort von Paulus aufgegriffene Motiv der ‚Verstockung` ist auch eine Parallele im Johannesevangelium: Joh 12 40„Geblendet (τετύφλωκεν) hat er ihnen die Augen und verhärtet (ἐπώρωσεν) ihre Herzen, damit sie nicht mit den Augen sehen und mit dem Herz verstehen (νοήσωσιν).“
Auch wenn Johannes τυφλόω in seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in Verbindung mit ὀφθαλµός verwendet, und nicht wie Paulus metaphorisch mit νόηµα verbindet, ist deutlich, dass in Joh 12,40 auf die gleiche 47 Z.B. Weish 2,21: „Dies dachten sie und gingen in die Irre, denn sie sind von ihrer Schlechtigkeit verblendet (ἀπετύφλωσεν).“ Weiterhin: Jes 42. Philo, Ios. 254: τυφλωττούσης περὶ τὸν ἀληθῆ θεόν „verblendet hinsichtlich des wahren Gottes“; Legat. 21: τυφλώττει γὰρ ὁ ἀνθρώπινος νοῦς „Blind ist der menschliche Verstand“. Bei Philo auch häufig zusammen mit διάνοια („Denkvermögen“, „Verstand“): Philo, Ebr. 108; Agr. 81; Conf. 27; Somn. I 164; Fug. 144. Im NT z.B. Mt 15,14par.; 23,16 f.; Joh 9,34–41. Auch schon bei Plato, Phaed. 96c; Leg. 731e. 48 Z.B. Dtn 28,29: ὡσεὶ ψηλαφήσαι ὁ τυφλὸς ἐν τῷ σκότει „wie ein Blinder tastet er in der Dunkelheit“ vgl. Jes 29,18; 42,7.16; Röm 2,19; Apg 13,11; 1Joh 2,11. 49 Vgl. Grässer 2002, 138. Röm 11,25: „Verhärtung (πώρωσις) kam über einen Teil Israels“ vgl. Röm 11,7 f.; Mk 6,52; 8,17; Joh 12,40. 50 S. dazu u. Kap. 9.5.2.
Das ‚Verblendet-Sein` des Verstandes durch den Gott dieses Äons
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Tradition wie in 2Kor 3 und 4 zurückgegriffen wird. Das unterstützt auch der Gebrauch von πωρόω. Den Bezug auf den Propheten Jesaja macht Johannes im Vergleich zu Paulus und anderen Stellen im Neuen Testament hier auch explizit: εἶπεν ᾿Ησαΐας (V. 39). Bemerkenswert ist, dass Johannes das aus Jesaja übernommene Motiv der ‚Verstockung` in einem nahezu identischen Verwendungszusammenhang wie 2Kor 4 gebraucht: dem Nicht-Glauben – in diesem Fall gegenüber Jesus. Joh 12 37„Trotz der vielen Zeichen, die er vor ihnen getan hat, haben sie nicht an ihn geglaubt (οὐκ ἐπίστευον εἰς αὐτόν).“
Um diesen eigentlich unerklärlichen Nicht-Glauben zu erklären, bringt Johannes neben Jes 6,10 auch noch ein weiteres Zitat aus Jesaja: κύριε, τίς ἐπίστευσεν τῇ ἀκοῇ ἡµῶν „Herr, wer hat unsere Verkündigung geglaubt?“ (Jes 53,1). 51 Dieses Prophetenwort hatte Paulus schon in Röm 10,16 aufgenommen, um zu erklären, wie es zu dem aus seiner Sicht existierenden Ungehorsam Israels gegenüber dem Evangelium kommen konnte. Das heißt, auch Johannes bemüht für die Erklärung der Existenz von Nichtgläubigen das aus dem Alten Testament bekannte und vor allem aus Jesaja übernommene Erklärungsmodell der ‚Verstockung`. Aber nicht nur Johannes, sondern auch andere Schriften des Neuen Testaments bedienen sich dieses Motivs aus Jesaja 6,9 f., um ‚Nichtverstehen` und ‚Nichtannehmen` der Worte Gottes und Jesu zu erklären. Mk 4,10–12parr. nimmt Jes 6,9 f. im Rahmen der Frage um das Verstehen von Gleichnissen auf. („Euch sind die Geheimnisse des Königreiches Gottes gegeben. Jene aber, die draußen sind, erfahren alles in Gleichnissen, damit sie sehend sehen und nicht wahrnehmen [. . .].“) Die Apostelgeschichte nimmt Jesaja in einem den Paulusbriefen ganz ähnlichen Verwendungszusammenhang auf. Im Anschluss an eine von Paulus ausgehende Verkündigung heißt es zunächst: Apg 28 24„Die einen wurden vom Gesagten überzeugt (οἱ µὲν ἐπείθοντο), die anderen glaubten nicht (οἱ δὲ ἠπίστουν).“
In der folgenden Erklärung dieses Zustandekommens von Glaube und NichtGlaube, legt die Apostelgeschichte Paulus die Worte Jesajas als Begründung in den Mund (V. 26 f.). Ebenso wird Paulus selbst später in Röm 11 noch einmal auf das Motiv der ‚Verstockung` zurückgreifen, dort jedoch wieder auf Israel begrenzt. Die Fragestellung bleibt dieselbe: Warum ist die Mehrheit Israels nicht zum Glauben gekommen? Eine Erklärung sucht Paulus erneut über das ‚Verhärtet-Sein` zu erreichen: 51 Vergleicht man beide Jesajazitate bei Johannes, muss auffallen, dass die Nähe zur LXX sehr verschieden ausfällt. Mit Jes 6,10 geht Johannes viel freier um als mit Jes 53,1, wo er mit dem Text der LXX wörtlich übereinstimmt; vgl. Zumstein 2016, 468; Thyen 2015, 567.
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Röm 11 25„Verhärtung (πώρωσις) ist einem Teil Israels widerfahren, bis die Fülle der Heiden hineingegangen sein wird.“
Wie der Vergleich mit anderen neutestamentlichen Texten zeigt, bot das alttestamentliche Motiv einer ‚Verstockung` den Autoren des Neuen Testaments ein Erklärungsmodell an, mit dem sich verständlich machen ließ, warum trotz ergangener Verkündigung nicht alle Menschen zum Glauben an Jesus Christus kamen. Auch für Paulus steht fest, dass dies weder an ihm selbst, dem von Gott beauftragten Verkündiger (2Kor 4,1), noch am Inhalt seiner Verkündigung, der ihm offenbarten Wahrheit (2Kor 4,2), liegen kann. Konsequenterweise sucht Paulus also das Problem auf Seiten der Empfänger.
9.5.2 Der ‚Gott dieses Äons` 1. Integraler Bestandteil des ‚Verstockungsmotives` im Alten Testament, wie seiner neutestamentlichen Rezeption, ist, dass Gott die ‚Verstockung` bewirkt (vgl. Röm 11). So auch in 2Kor 3,12–18: denn als handelndes Subjekt des Passivs ἐπωρώθη kann nur Gott in Frage kommen. In 2Kor 4,4 weicht Paulus jedoch drastisch von dieser Vorlage ab. Mit dem ‚Gott dieses Äons` als Verursacher des ‚Verblendet-Seins` bringt Paulus eine neue Figur ins Spiel. Die Rede von zwei Äonen Die Bestimmung des Verblenders des Verstandes als Gott τοῦ αἰῶνος τούτου gründet in einer der apokalyptischen Literatur des Judentums und Christentums geläufigen 52 Unterscheidung von zwei Äonen: 53 dieser jetzige Äon und ein kommender, zukünftiger Äon. Dieser Äon ist geprägt von Gottlosigkeit (ApkAbr 29,2.7.11), Ungerechtigkeit (1Hen 48,7) und Bösartigkeit (Gal 1,4). Deshalb wird er vergehen 54 und durch einen neuen, kommenden Äon ersetzt werden. 55 Die Pragmatik des Zwei-Äonen-Motives besteht darin, die Leser in dem Wissen zu unterrichten oder zu vergewissern, dass Gott im kommenden Äon Gerechtigkeit herstellen wird: „Noch bevor der Äon der Gerechtigkeit wächst, wird mein Gericht über die ruchlosen
52 Allerdings: „In den vorchristlichen Erzeugnissen der jüdischen Literatur ist noch keine Spur dieser Begriffe zu finden.“ Dalman 1930, 121. 53 Z.B. 4Esra 7,50: „Deshalb hat der Höchste nicht eine Welt (saeculum) geschaffen, sondern zwei.“ (Übers: J. Schreiner, JSHRZ V/4, 349) vgl. 2Bar 14,13; 15,8; koptApkEliae 19,10; LibAnt 30,2; 2Hen 50,2. 54 Mt 13,39: „Der Feind aber, der es gesät hat, ist der Teufel, die Ernte ist das Ende des Äons (συντέλεια τοῦ αἰῶνος), die Schnitter aber sind die Engel.“ vgl. Mt 13,40.49; 24,3; 28,20; Heb 9,26. 55 Eph 1,21: οὐ µόνον ἐν τῷ αἰῶνι τουτῷ, ἀλλὰ καὶ ἐν τῷ µέλλοντι „nicht nur in diesem Äon, sondern auch im kommenden.“ vgl. Mt 12,32; Heb 6,5. S.a. αἰὼν οῦ/τος/ἐκεῖνος (Lk 20,34 f.); vgl. 4Esra 6,9: „Denn das Ende huius saeculi ist Esau und der Beginn des Folgenden (sequentis) ist Jakob.“
Das ‚Verblendet-Sein` des Verstandes durch den Gott dieses Äons
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Heiden kommen.“ (ApkAbr 29,12). 56 Auch wenn Paulus ‚diesem Äon` begrifflich keinen ‚kommenden Äon` entgegensetzt, so ist doch für die Rede von ‚diesem Äon` (Röm 12,2; 1Kor 1,20; 2,6.8; 3,18; 2Kor 4,4) das Verständnis von einem weiteren, kommenden Äon vorausgesetzt. Eine Entsprechung hat die Rede von diesem Äon in der von Paulus gezogenen Abgrenzung der Glaubenden von dieser Welt (κόσµος οὗτος). 57 Es findet sich jedoch, entsprechend der Rede von zwei Äonen, kein Beleg für einen zweiten, kommenden Kosmos. Eine solche Unterscheidung kann es bei ‚Kosmos` auch nicht geben, denn der eine Kosmos (κόσµος) entspricht diesem Äon (αἰὼν οὗτος). 58
Die Bezeichnung des ‚Verblenders` als θεός dieses Äons ist nicht nur ungewöhnlich, 59 sondern auch singulär. Spricht Paulus sonst von anderen ‚Göttern`, spricht er von ihnen so, dass sie „im Wesen keine Götter sind“ (Gal 4,8) oder nur „Götter genannt werden“ (1Kor 8,5). Jedoch bemerkt Woyke mit Recht, dass Paulus in 2Kor 4,4 anscheinend „ohne Not“ diese Bezeichnung einführt und der Bezeichnung auch kein „polemisches oder zurücknehmedes Attribut“ 60 beigefügt ist, das die Bezeichnung relativieren könnte. Es wurde in der Auslegungsgeschichte von 2Kor 4,3 f. daher immer wieder versucht, die empfundene Schwierigkeit zu beseitigen. Thrall beschreibt drei Ansätze: 61 a) man bezieht αἰῶνος τούτου nicht auf θεός sondern auf die ἄπιστοι; b) θεός meint hier den einen Gott, der als Gott dieser Welt bezeichnet wird; c) αἰῶνος τούτου wird als Apposition zu θεός verstanden, so dass dieser Äon ‚Gott` ist. Trotz der Einzigartigkeit dieser Bezeichnung kann nur eine Möglichkeit als sinnvoll in Betracht gezogen werden: Zum einen muss wegen des an das ‚Äon` angehängten τούτου das Syntagma αἰῶνος τούτου als Attribut zu θεός verstanden werden. Zum anderen muss mit θεὸς τοῦ αἰῶνος τούτου etwas anderes gemeint sein, als eine attributiv erweiterte Bezeichnung des ‚einen Gottes`. 62 θεός ist hier folglich eine Gattungsbezeichnung, wie schon in 1Kor 8,4 f.: „niemand ist Gott, außer der eine. Auch wenn einige sind, die Götter genannt werden, [. . .]“. Möglicherweise mit dieser Bezeichnung verwandt und
56 Zum unterschiedlichen Geschick der Menschen im kommenden Äon s.a. 4Esra 7,47: „Wenigen wird das futurum saeculum Annehmlichkeiten bringen, vielen aber Folter.“ vgl. 4,113; 8,1 f.) 57 Vgl. Dibelius 1909, 67. 58 1Kor 1,20: „Wo ist ein Redner αἰῶνος τούτου? Hat nicht Gott die Weisheit τοῦ κόσµου zur Torheit gemacht?“ vgl. 3,18 f. s.a. 7,31 „die Gestalt τοῦ κόσµου τούτου vergeht“, vgl. Eph 2,2. 59 Vgl. Dautzenberg 2001, 339. 60 Woyke 2005, 317. 61 Vgl. Thrall 1994, 306–308. 62 S. dazu auch bei Thrall 1994, 306–308; Schmeller 2010, 242 f.; Woyke 2005, 315 f.
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häufiger im Neuen Testament belegt, ist die Bezeichnung ἄρχων τοῦ αἰῶνος τούτου. 63 Darüber, dass der Ausdruck ‚Gott dieses Äons` dasselbe bezeichnet, wie anderenorts ‚Satan`, herrscht in der Literatur große Übereinstimmung. 64 Dass mit dem ‚Gott dieses Äons` in der Tat ein Gegenspieler Gottes gemeint sein muss, verdeutlicht die Gegenüberstellung, die Paulus zwischen den Versen 4 und 6 aufbaut: ‚Gott dieses Äons` versus ‚Gott, der sagt: ‚Aus Finsternis soll Licht leuchten``. Damit steht der Gott der Schöpfung 65 und des Lichts dem ‚Gott dieses Äons`, dem Verblender der Verlorenen und Nichtgläubigen, gegenüber. 66 2. Im Gegensatz zu Kapitel 3, in dem Gott den Verstand von ‚Mose/Israel` verhärtet, ist nun jemand anderer als Gott Ursache und Akteur des ‚VerblendetSeins`: der ‚Gott dieses Äons`. Es ist sehr gut möglich, dass Paulus diese sonst nirgends belegte und unter monotheistischen Gesichtspunkten merkwürdig erscheinende Bezeichnung verwendet, weil er im Rahmen der Unterscheidung von Verlorenen und Geretteten bereits in dualistischen Kategorien denkt. Entsprechend nimmt er den Dualismus von zwei Äonen auf. Und zwar so, dass sie je durch den ‚Gott dieses Äons` (V. 4) und den ‚Gott, der sagt: ‚Aus Finsternis soll Licht leuchten`` (V. 6) repräsentiert werden. Trotz dieser starken Dualismen (verloren – gerettet, Finsternis – Licht, ‚Gott dieses Äons` – ‚Gott, der sagt: ‚Aus Finsternis soll Licht leuchten``), die Paulus in 2Kor 4,1–6 verwendet, bietet er keine Abhandlung über göttliche Vorherbestimmung. Es lässt sich weder eindeutig feststellen, ob für Paulus die Verlorenen verblendet werden, weil sie Nichtgläubige sind, 67 oder ob der ‚Gott dieses Äons` und dessen Verblenden der Grund des Nicht-Glaubens sind. 68 So wie Paulus es darstellt, sind die Verlorenen gleichermaßen diejenigen, denen das Evangelium aufgrund eines ‚Verblendet-Seins` verhüllt ist, und diejenigen, die als ἄπιστοι selbst dem Evangelium keinen Glauben schenken. Das ‚Verblendet-Sein` dient ihm dabei als Erklärung für das ihm eigentlich Unerklärliche: die Existenz von Nichtgläubigen. 69
63 1Kor 2,6.8; vgl. Joh 12,31; 14,30; 16,11; Ign.Eph. 17,1; Ign.Magn. 1,2; MartJes 2,4. Wobei Schmeller für 1Kor die Frage aufwirft, ob nicht auch weltliche Machthaber im Blick sein könnten; vgl. Schmeller 2010, 242. 64 Röm 16,20; 1Kor 5,5; 7,5; 2Kor 2,11; 11,14; 12,7; 1Thess 2,18; vgl. Schmeller 2010, 242; Woyke 2005, 316; Grässer 2002, 152; Dautzenberg 2001, 337; Uddin 1999, 274; Garrett 1990, 104; Dibelius 1909, 64. 65 Zur Aufnahme von Schöpferwort und Schöpfung aus Gen 1,3 z.B. Schmeller 2010, 247; Grässer 2002, 157. 66 Zur parallelen Struktur der Verse 4 und 6 s. weiterhin de Oliveira 1990, 108.252. 67 Vgl. Wolff 1989, 85. 68 Vgl. Schmeller 2010, 241; Uddin 1999, 274. 69 Vgl. Grässer 2002, 153.
‚Verblendet-Sein` als Merkmal der ‚Draußen`
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Auch andere Texte des Neuen Testaments machen einen Gegenspieler Gottes – zumeist σατανᾶς oder διάβολος – für ein verhinderndes Eingreifen verantwortlich: Versuchung (πειράζω 1Kor 7,5; vgl. Mk 1,13parr.), Überlistung (πλεονεκτέω 2Kor 2,11), Hinderung (ἐγκόπτω 1Thess 2,18) und Sünde (ποιέω τὴν ἁµαρτίαν 1Joh 3,8). 70 Besonders hervorgehoben werden soll diesbezüglich ein Text aus dem Lukasevangelium, da dort der Teufel verantwortlich dafür gemacht wird, dass es solche gibt, die nicht glauben. Lk 8 12„Der Teufel (διάβολος) kommt und nimmt das Wort von ihren Herzen, damit sie nicht glauben und gerettet werden“ (µὴ πιστεύσαντες σωθῶσιν). 71
Im Vergleich mit 2Kor 4 fällt gleich zweierlei auf: Zum einen entsprechen sich die Begriffe für diejenigen, die in 2Kor 4,3 f. von der Verblendung betroffen sind, und denjenigen auf dem Weg, denen der Teufel das Wort wegnimmt. Paulus beschreibt sie als ἄπιστοι und ἀπολλύµενοι, bei Lukas finden sich die jeweiligen Komplementärbegriffe: πιστεύω und σῴζω. Zum anderen begegnet auch bei Lukas (Lk 8,10) im unmittelbaren Zusammenhang des Kontextes Verkündigung, der negativen Reaktion darauf sowie deren Erklärung mittels ‚Verstockung` ein Zitat aus dem Propheten Jesaja (6,9).
9.6 ‚Verblendet-Sein` als Merkmal der ‚Draußen` Nicht nur Paulus, sondern auch viele andere Texte des Neuen Testaments verwenden in je unterschiedlich angepasster und abgewandelter Form ein alttestamentliches Motiv, das sich unter dem Begriff der ‚Verstockung` zusammenfassen lässt. Gleich ist allen Texten, dass zunächst unerklärlich scheint, warum es Menschen gibt, die nicht glauben. Gleich ist auch die Einsicht, dass Botschaft und Absender nicht verantwortlich sein können für eine negative Reaktion auf die Botschaft. Erklärbar wird der Nicht-Glaube daher nur – mit Aufnahme vor allem von Jes 6,9 f. – unter der Annahme, die Empfänger hätten von außen ‚Verstockung` erfahren. Damit wird rückblickend eine Erklärung für ein aktuell erfahrbares Problem gegeben – das ‚Verhüllt-Sein` des Evangeliums bei den Verlorenen –, dessen angenommene Ursache bereits in der Vergangenheit liegt – das ‚Verblendet-Sein` des Verstandes der Nichtgläubigen. Die Neuerung in der Verantwortlichkeit der ‚Verstockung` – nicht mehr Gott, sondern der ‚Gott dieses Äons` – scheint neben den dualistischen Tendenzen des literarischen Kontextes auch darin begründet zu sein, dass Paulus 70 S.a. Joh 13,2 „Und während des Mahls, als der διάβολος dem Judas Iskariot, Sohn des Simon, schon ins Herz getan hatte, dass er ihn ausliefere, . . .“. 71 Die Mk- und Mt-Parallelen (Mk 4,15; Mt 13,19) ziehen die Verbindung zwischen dem vom ‚Satan/Teufel/Bösen` hinweg genommenen Wort zum Nicht-Gauben nicht.
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den Kreis derer, die verstockt werden, von ‚Mose/Israel` (3,12–18) auf all jene Menschen ausweitet, 72 die sich auf Basis des Glaubens an das Evangelium in Verlorene und Gerettete einteilen lassen. Dass in 2Kor 4,1–6 in der Tat alle Menschen im Blick sein müssen, kann nicht genug betont werden. 73 Denn wenn man davon ausgeht, dass Paulus die Unterscheidung zwischen Christusglaubenden und ‚Mose/Israel` aufhebt und universalisiert, verfehlen im Gegenzug alle Versuche, die ἄπιστοι und ἀπολλύµενοι auf eine konkrete Referenzgruppe einzugrenzen, das Ziel der Pragmatik der Bezeichnungen. Vorgeschlagen wurde, neben der verbreiteten Meinung, Paulus habe die ‚Heiden` allgemein im Blick, unter anderem: a) Paulus meine vor allem seine Gegner, oder b) er habe die (nichtgläubigen) Juden im Blick. a) Die Identifikation der ἄπιστοι und ἀπολλύµενοι mit den sogenannten Gegnern 74 des Paulus in Korinth hängt maßgeblich mit der Ansicht zusammen, Paulus würde in 2Kor 4,1–6 gegen ihn vorgebrachte Argumente aus Korinth aufgreifen und entkräften wollen. 75 Gerade der „polemical tone [. . .] suggests that he has a very specific group in mind: namely, those in Corinth who where undermining his [Paulus] work“ 76: seine Gegner. 77 „Als Verlorene stempelt Paulus seine Gegner ab und trennt sie somit von der Gemeinde radikal ab.“ 78 b) Eine Identifikation der ἄπιστοι und ἀπολλύµενοι mit den Juden hängt vor allem an den vorangehenden Versen 3,12–18. Paulus würde also die Diskussion um den nach wie vor nichtgläubig gebliebenen Teil Israels fortsetzen: 79 „those who are perishing, the unbelieving Jews.“ 80 Die bisherigen Untersuchungen zur ἄπιστοι-Bezeichnung machen es allerdings sehr unwahrscheinlich, dass Paulus den Begriff allein auf die Juden begrenzen würde. 81 Dass deshalb gerade die Juden nicht mehr im Blick sein sollen, 82 ist ein übertriebener Umkehrschluss. Weder sind mit den Begriffen ausschließlich nur 72 Vgl. Schmeller 2010, 244. 73 „Alle Menschen, die das Evangelium nicht annehmen, sind (wie in 2,15) ἀπολλύµενοι.“ Schmeller 2010, 241. „Man kann also konzedieren, daß Paulus die atl. Verstockungsaussagen dahingehend universalisiert, daß sie unterschiedlos alle treffen, die der Christusbotschaft begegnen und sich ihr gegenüber verschließen.“ Klauck 1987, 280. 74 S. dazu u. S. 169ff. 75 Vgl. o. S. 131. 76 Garrett 1990, 102; vgl. 107. 77 So auch Gruber 1998, 291; Rensberger 1978, 30; Collange 1972, 132.134. 78 de Oliveira 1990, 239. 79 Vgl. Dautzenberg 2001, 341. 80 Lambrecht 1983, 363. Thrall 1994, 305 formuliert weniger exklusiv, denkt aber auch vornehmlich an Juden: „The unbelieving Jews of Corinth may be chiefly in view“. Ähnlich Uddin 1999, 275: „2 Corinthians 4:4 attributes to Satan the cause of Jewish (and Gentile) unbelief“. 81 So auch Klauck 1987, 280. 82 So Schröter 1993, 134 Anm. 2.
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Juden oder Heiden, Gegner oder Ekklesia gemeint, oder gerade nicht gemeint. Sondern in Aufnahme der ἀπολλύµενοι-Bezeichnung aus 2,15 muss hier eine universale, auf alle Menschen, die nicht glauben, anwendbare Unterscheidung angenommen werden. 83 Eine Identifikation der ἄπιστοι und ἀπολλύµενοι mit den sogenannten Gegnern oder den Juden ist also keineswegs zwingend und eine exakte Zuordnung der von Paulus verwendeten ‚Draußen`-Bezeichnungen ist aus zwei Gründen auch gar nicht geboten: Zum einen geht es Paulus in seinem Brief vor allem um die Glaubenden. Sein Ansinnen ist es, sie in ihrem Glauben zu vergewissern und sie gleichermaßen dazu aufzufordern, nicht wie die Nichtgläubigen zu werden, die verloren sind. 84 Polemik gegen und Abgrenzung von Gegnern in Korinth treten gegenüber den paränetischen Interessen des Paulus zurück. „Wer das Evangelium des Paulus ablehnt, bringt sich in gefährliche Nähe zu den Ungläubigen, die verloren gehen.“ 85 Paulus zeigt hier deutlich die Alternative zwischen seiner und einer anderen Art von Verkündigung: Offenbarung der Wahrheit oder Verfälschung des Wortes Gottes. Damit einher gehen auch die Oppositionen von ‚Gerettet-` oder ‚Verloren-Sein`, von Licht oder Finsternis, von Gott, der in unseren Herzen leuchtet zur Erkenntnis seiner Herrlichkeit, oder dem Gott dieses Äons. Zum anderen verweigert sich die von Paulus verwendete Sprache gegenüber einer klaren Identifizierung spezifischer Gruppen in Korinth. Die Entscheidung über Drinnen- oder Draußen-Sein, die für Paulus aufgrund des Glaubens entsteht, hebt alle anderen Zuordnungskategorien auf. Ob es sich bei den ἄπιστοι und den ἀπολλύµενοι um solche handelt, die ein anderes Evangelium verkünden (2Kor 11,4), ob es Juden oder Heiden sind, spielt eine untergeordnete Rolle. Entscheidendes Kriterium für Drinnen- oder Draußen-Sein, für die Zugehörigkeit zu Christus, ist einzig und allein der Glaube an das Evangelium Christi.
Zusammengefasst 1. Gegenüber dem 1Kor gewinnt die ἄπιστοι-Bezeichnung mit dem Wechsel in den 2Kor eine neue Bedeutungskomponente dazu. Bestimmender Ton ist die Auseinandersetzung um Paulus' apostolisches Wirken. Paulus kontrastiert sein Evangelium, das nach seiner Beschreibung aufgrund von Offenbarung der Wahrheit empfangen wurde, mit einer anderen Verkündigung, die er als List und Verfälschung des Wortes Gottes denunziert. 83 Vgl. Schmeller 2010, 241 Anm. 425; Wolff 1989, 85 Anm. 178. 84 Vgl. Schröter 1993, 134 Anm. 2. 85 Schmeller 2010, 241.
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2. Im Rahmen der Auseinandersetzung um das Evangelium bespricht Paulus die Möglichkeit, dass das von ihm verkündete Evangelium verhüllt sei. So das der Fall ist (εἰ δὲ καί), ist es jedoch nur bei den Verlorenen verhüllt. Mit οἱ ἀπολλύµενοι greift er auf eine Bezeichnung zurück, die ihm zuvor (1Kor 1,18; 2Kor 2,15) dazu diente, die Menschen auf Basis von Annahme oder Ablehnung des Evangeliums in zwei Lager zu teilen: die Geretteten und die Verlorenen. 3. Die ἄπιστοι-Bezeichnung, die Paulus in Vers 4 den Verlorenen hinzufügt, dient ihm in diesem Zusammenhang der Näherbestimmung. Verloren ist der Teil der Menschheit, der nicht glaubt. Genauer gesagt sind es die, die dem Evangelium nicht glauben. Gleichermaßen sind aber dadurch die ἄπιστοι auch als ἀπολλύµενοι beschrieben: weil sie nicht glauben, sind sie verloren. 4. Doch gerade im Kontext der Auseinandersetzung um sein Apostolat und sein Evangelium stellt die Existenz von Nichtgläubigen für Paulus ein gewichtiges Problem dar. Wie kann er zugleich von der ihm offenbarten Wahrheit des Wortes Gottes und dessen unverfälschter Verkündigung sprechen, wenn es nach wie vor Nichtgläubige gibt? Um diesen anscheinenden Widerspruch zu erklären, bedient er sich bei einem Motiv, das schon das Alte Testament in diesem Zusammenhang gebraucht hat. Erklärbar wird die eigentlich unerklärbare Wirkungslosigkeit der Verkündigung unter der Annahme, dass ein Teil der Hörer von außen daran gehindert wird. Prominent ist das Motiv der sogenannten ‚Verstockung` vor allem in der Exoduserzählung und Jes 6,9. Paulus hat das Motiv bereits in 3,12–18 auf Israel bezogen ins Spiel gebracht und in 4,1–6 einige Begriffe aufgenommen. 5. Das ‚Verstockungsmotiv` gestaltet Paulus in 2Kor 4,1–6 folgendermaßen aus: Das Evangelium erreicht nicht alle Menschen, weil der Gott dieses Äons den Verstand von einigen verblendet. Diese bezeichnet Paulus als Verlorene und Nichtgläubige. Logisch funktioniert diese Reihe jedoch umgekehrt: Die Existenz von Nichtgläubigen weist erst darauf hin, dass das Evangelium nicht alle erreicht. 6. Gegenüber dem Verwendungszusammenhang in 1Kor ergibt sich für die ἄπιστοι-Bezeichnung in 2Kor eine neue Ausrichtung des Begriffsinhaltes. Den vornehmlich an ekklesiologischen Fragestellungen orientierten Problemen des 1Kor entspricht der Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung als Abgrenzungsbegriff. Gegenüber den Glaubenden steht die von ihnen unterschiedene nichtgläubige Welt. Der ἄπιστος-Begriff diente also hauptsächlich als Gegenbegriff zu den πιστεύοντες und dadurch ergab sich auch dessen vornehmlicher Begriffsinhalt: Nichtgläubige sind solche, die nicht Glaubende sind. Im Kontext der Apologie des paulinischen Wirkens als Apostel, erhält die ἄπιστοι-Bezeichnung eine weitere Bedeutungskomponente. Das semantische
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Umfeld und die Pragmatik von 2Kor 4,1–6 legen nahe, den ἄπιστος-Begriff mit dem Evangelium und dessen Annahme oder Ablehnung in Verbindung zu bringen. War der ἄπιστος-Begriff für Paulus bisher vor allem als Kategorie der Abgrenzung von Bedeutung, so kommen in 2Kor die ἄπιστοι als eigenständige Größe in den Blick. Nichtgläubige sind solche, die dem Evangelium nicht glauben. 7. Abermals war die Spekulation um eine konkrete Referenz der ἄπιστοι-Bezeichnung wenig ertragreich. Deutlich ist in 2Kor 4,1–6 jedoch die Normativität des Gebrauchs. Gerade die Parallelisierung mit den ἀπολλύµενοι zeigt die eschatologischen Folgen für die ἄπιστοι auf: Solche sind und sollen die Glaubenden nicht werden.
10 Unvereinbarer Umgang mit ἄπιστοι – 2Kor 6,14–7,1 Die letzte Belegstelle der ἄπιστοι-Bezeichnung in den Paulusbriefen findet sich in 2Kor 6,14. Sie steht damit in einem Abschnitt (2Kor 6,14–7,1), dem in der Forschungsgeschichte viel Aufmerksamkeit zugekommen ist, da im Rahmen der literarkritischen Diskussion um den 2Kor vor allem die Echtheit und Integrität von 2Kor 6,14–7,1 immer wieder in Frage gestellt worden ist. Im Zusammenhang mit diesen Fragen hat auch die ἄπιστοι-Bezeichnung an dieser Stelle mehr Aufmerksamkeit erfahren, als dies noch in den jeweiligen Beiträgen zu 1Kor der Fall war. Zum Großteil liegt dies daran, dass die Frage nach den ἄπιστοι mit den Fragen um Echtheit und Integrität von 2Kor 6,14– 7,1 verbunden wird. Aber auch sonst ist bemerkenswert, dass die Mehrheit der wenigen Beiträge, die sich gezielt mit dem ἄπιστος-Begriff befassen, zu diesem Text geschrieben worden sind. 1 Die Frage nach der Echtheit und der Integrität des Abschnittes innerhalb des 2Kor wird jedoch vorerst hintangestellt, denn die Untersuchung des Gebrauchs der ἄπιστοι-Bezeichnung in 2Kor 6,14–7,1 soll nicht von einer Vorentscheidung über ihre Echtheit und ihren Ort im 2Kor abhängig gemacht werden. Der zu diskutierende Abschnitt wird daher zunächst als Text in seinem unmittelbaren Kontext gelesen und interpretiert. Anschließend soll überprüft werden, ob sich die paulinischen Ausführungen über die ἄπιστοι zusammenhängend mit den Belegen des 1Kor und 2Kor 4,1–6 lesen lassen, oder ob sich der Gebrauch in 2Kor 6,14–7,1 als singulär erweist. Erst dann stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse in der Zusammenschau mit den übrigen Belegstellen des ἄπιστος-Begriffs etwas zur literarkritischen Diskussion beitragen können oder nicht.
10.1 Analyse 2Kor 6 14Μὴ γίνεσθε ἑτεροζυγοῦντες ἀπίστοισ: τίς γὰρ µετοχὴ δικαιοσύνῃ καὶ ἀνοµίᾳ, ἢ τίς κοινωνία φωτὶ πρὸς σκότοσ; 15τίς δὲ συµφώνησις Χριστοῦ πρὸς Βελιάρ, ἢ τίς µερὶς πιστῷ µετὰ ἀπίστου; 16τίς δὲ συγκατάθεσις ναῷ θεοῦ µετὰ εἰδώλων; ἡµεῖς γὰρ ναὸς θεοῦ ἐσµεν ζῶντος, καθὼς εἶπεν ὁ θεὸς ὅτι ἐνοικήσω ἐν αὐτοῖς καὶ ἐµπεριπατήσω καὶ ἔσοµαι αὐτῶν θεὸς καὶ αὐτοὶ ἔσονταί µου λαός. 17 διὸ ἐξέλθατε ἐκ µέσου αὐτῶν καὶ ἀφορίσθητε, λέγει κύριος, καὶ ἀκαθάρτου µὴ ἅπτεσθε: κἀγὼ εἰσδέξοµαι ὑµᾶς 18καὶ ἔσοµαι ὑµῖν εἰς πατέρα καὶ ὑµεῖς ἔσεσθέ µοι εἰς υἱοὺς καὶ θυγατέρας, λέγει κύριος παντοκράτωρ. 7 1Ταύτας οὖν ἔχοντες τὰς ἐπαγγελίας, ἀγαπητοί, καθαρίσωµεν ἑαυτοὺς ἀπὸ παντὸς µολυσµοῦ σαρκὸς καὶ πνεύµατος, ἐπιτελοῦντες ἁγιωσύνην ἐν φόβῳ θεοῦ. 1
S. v.a. Rabens 2014; Starling 2013; Leppä 2005; Webb 1992a; Webb 1992b.
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Unvereinbarer Umgang mit ἄπιστοι – 2Kor 6,14–7,1
14
„Werdet nicht zu (ungleichen) Jochpartnern mit Nichtgläubigen. Denn welche Teilhabe haben Gerechtigkeit und Ungesetzlichkeit, oder welche Gemeinschaft hat Licht mit Finsternis? 15Was ist der Einklang Christi zu Beliar, oder welchen Teil hat ein Gläubiger/Treuer mit einem Nichtgläubigen/Untreuen? 2 16Welche Übereinstimmung hat der Tempel Gottes mit den Götzenbildern? Wir sind nämlich der Tempel des lebendigen Gottes, wie Gott sagt: ‚Ich werde bei ihnen wohnen und wandeln und ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein`. 17Daher: ‚Geht hinaus aus ihrer Mitte und sondert euch ab,` 3 spricht der Herr, ‚und fasst nichts Unreines an. Und auch ich werde euch aufnehmen 18und ich werde euer Vater sein und ihr werdet meine Söhne und Töchter sein`, spricht der Herr, der Allherrscher. 7 1Da wir diese Verheißung haben, Geliebte, wollen wir uns reinigen von allen Befleckungen des Fleisches und Geistes, so vollenden wir die Heiligkeit in Furcht Gottes.“
Das 2Kor 6,14–7,1 einleitende Verbot (µὴ γίνεσθε [. . .]) knüpft an den appellativen Ton des literarischen Kontextes an (6,13) und bildet mit der Aufforderung in 7,1 den Rahmen des Abschnittes: eröffnendes Verbot (14a) – abschließende Mahnung (7,1). Dazwischen lassen sich drei Teile unterscheiden: die dem Verbot folgenden fünf rhetorischen Fragen (14b–16a), das Tempelwort (16b) und die Schriftzitate (16c–18). 4 Vers 16b bildet den argumentativen Höhepunkt und ist das Zentrum des Textes: Eröffnendes Verbot (14a) Fünf rhetorische Fragen (14b–16a) Tempelwort (16b) Schriftzitate (16c–18) Schlussmahnung (7,1) Beobachtungen zu Sprache und Stil von 2Kor 6,14–7,1 sind sehr eng mit der literarkritischen Diskussion um die Echtheit und Integrität dieses Abschnittes verknüpft. Auf einige sprachliche Besonderheiten soll zunächst nur hingewiesen werden. Der Appellcharakter aus den Versen 6,1 f. und 11–13 wird in Vers 14 zwar fortgeführt, doch ist ein Neuansatz deutlich spürbar. Diese Zäsur ist nicht nur durch den asyndetischen Anschluss erkennbar, sondern auch durch den Wechsel in der Pragmatik der Imperative der Verse 13 und 14. Während der Imperativ πλατύνθητε (V. 13) mehr eine wohlwollende Mahnung darstellt, 2
Die Übersetzung will an dieser Stelle bewusst keine Eindeutigkeit schaffen und lässt die Ambivalenz der πιστ*-Wortgruppe daher offen. S. dazu ausführlich u. Kap. 10.2.2 und 10.4. 3 ἀφορίσθητε könnte hier auch resultativ verstanden werden. Zusammen mit ἐξέλθατε würde dann ein konsekutiver Parallelismus vorliegen („Geht hinaus aus ihrer Mitte und seid abgesondert!“). Wahrscheinlicher ist aber ein synonymer Parallelismus. 4 Vgl. v.a. Schmeller 2010, 369. Ähnliche Strukturvorschläge bei Kleine 2002, 324 f.; Grässer 2002, 257.
Analyse
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handelt es sich beim Imperativ µὴ γίνεσθε ἑτεροζυγοῦντες (V. 14) eher um ein warnendes Verbot. 5 Der Appellcharakter zeigt sich vor allem durch den häufigen Gebrauch der 2. Person Plural sowie des Imperatives. Trotz inhaltlichem Neuansatz liegt hierin aber auch eine starke Verbindung von 2Kor 6,14–7,1 mit seinem unmittelbaren Kontext, denn ein großer Teil der 2. Person-PluralBelege aus 2Kor 2,14–7,4 ist in 6,11–7,4 zu finden. 6 In der Literatur wird überwiegend auf folgende sprachliche Auffälligkeiten hingewiesen: a) die Häufung von paulinischen Hapaxlegomena: ἑτεροζυγέω (V. 14); µετοχή (V. 14); συµφώνησις (V. 15); Βελιάρ (V. 15); µερίς (V. 15); συγκατάθεσις (V. 16); ἐµπεριπατέω (V. 16); εἰσδέχοµαι (V. 17); παντοκράτωρ (V. 18); καταρίζω (7,1); µολυσµός (7,1) 7, b) Vokabular, das für Paulus untypische Verwendung finde 8 und c) die für Paulus ungewöhnliche Zitationsformel (εἶπεν ὁ θεός V. 16) in Kombination mit der Zusammenstellung mehrerer Schriftworte. 9 Es lassen sich allerdings auch viele Einzelheiten herausstellen, die typisch für die paulinische Sprache sind: beispielsweise der Gebrauch von rhetorischen Fragen, die Verwendung von µὴ γίνεσθε innerhalb paränetischer Abschnitte 10 und letztlich auch die ἄπιστοι-Bezeichnung. 11 Die Semantik des Textes ist geprägt durch die dem Verbot in Vers 14a folgenden fünf rhetorischen Fragen. Diese sind als antithetische Parallelismen aufgebaut, wodurch ein starker Dualismus innerhalb des ersten Abschnittes von 2Kor 6,14–7,1 entsteht. 12 Zwei der Paare sind als Doppelfragen (τίς [. . .] ἢ τίς V. 14b.c und 15) kombiniert. Verbunden sind die jeweiligen Gegensatzpaare durch die Frage nach ihrer Gemeinsamkeit, beziehungsweise ihrer Vergleichbarkeit. Paulus verwendet dabei jeweils einen anderen Begriff: µετοχή („Teilhabe“); κοινωνία („Gemeinschaft“); συµφώνησις („Einklang“);
Vgl. z.B. Schmeller 2010, 368 f.; Kleine 2002, 324. Vgl. Bieringer 1994, 565. Aus dieser Häufung folgert Bieringer weiter, dass sich die Frage aufdränge, „ob es in den Imperativen in 6,14.17 und 7,1 nicht in irgendeiner Weise um das geht, was die Imperative in 6,13 und 7,2a erreichen wollen“. 7 Mit Saß sei an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen, dass drei der Hapaxlegomena innerhalb der Schriftzitate begegnen, sich für fünf Begriffe andere Lexeme der gleichen Wortfamilie finden lassen und der Begriff Βελιάρ „für einen jüdischen, mit der apokalyptischen Tradition vertrauten Autor kein sehr ungewöhnliches Wort“ (Sa ss 1993, 38) ist. Es bleibt nach Saß daher nur συγκατάθεσις als wirkliches Hapaxlegomenon übrig; vgl. Sa ss 1993, 38 f. 8 Wolff führt bspw. folgende Begriffe an: „κοινωνία mit Dativ bzw. πρός (V. 14), πιστός (V. 15), σὰρξ καὶ πνεῦµα (7,1; vgl. jedoch 1. Kor 7,34), ἐπιτελεῖν (7,1; vgl. aber 8,11; Röm 15,28)“. Wolff 1989, 146. 9 Vgl. Schmeller 2006, 220; Sa ss 1993, 38–42. 10 Innerhalb des NT nur in den Paulusbriefen belegt: Röm 12,16; 1Kor 7,23; 10.27; 14,20. 11 Vgl. Fee 1977, 147, mit weiteren Beispielen. 12 Die dualistische Sprache von 2Kor 6,14–7,1 erinnert stark an 2Kor 4,1–6; s.a. 2,15. 5 6
156
Unvereinbarer Umgang mit ἄπιστοι – 2Kor 6,14–7,1
µερίς („Anteil“); συγκατάθεσις („Übereinstimmung“). 13 Eine logische Zuordnung der ‚Vergleichsbegriffe` 14 mit den jeweiligen antithetischen Begriffspaaren lässt sich nicht erkennen. µετοχή:
δικαιοσύνη
vs.
ἀνοµίᾳ
κοινωνία:
φῶς
vs.
σκότος
συµφώνησις:
Χριστός
vs.
Βελιάρ
µερίς:
πιστός
vs.
ἄπιστος
συγκατάθεσις:
ναὸς θεοῦ
vs.
εἴδωλα
Durch die parallele Struktur ergibt sich eine gewisse Austauschbarkeit der Begriffe untereinander. Dabei entspricht der Gemeinschaft mit einem ἄπιστος auf der einen Seite der Gemeinschaft mit ‚Ungesetzlichkeit`, ‚Finsternis`, ‚Beliar` und den ‚Götzenbildern`. Dem entgegengesetzt ist die Gemeinschaft mit einem πιστός, der ‚Gerechtigkeit`, ‚Licht`, ‚Christus` und ‚Tempel Gottes` entspricht. Neu gegenüber dem bisherigen Verwendungszusammenhang des ἄπιστος-Begriffs ist in 2Kor 6,14 die Stellung innerhalb der Argumentation des Abschnittes. Bisher kam der ἄπιστοι-Bezeichnung vor allem explikative Funktion zu. Das heißt, die ἄπιστοι-Bezeichnung begegnete als Bestandteil einer Argumentation, innerhalb derer ihr vor allem eine erklärende, beispielhafte und verdeutlichende Funktion zukam. Gegenstand der Diskussion selbst waren die ἄπιστοι daher immer nur indirekt. Nun macht Paulus die ἄπιστοι selbst beziehungsweise das Verhältnis der Ekklesia von Korinth zu ihnen zum Thema. Das heißt, er nutzt die Bezeichnung nicht nur, um mit ihrer Hilfe das Verhältnis zwischen drinnen und draußen zu beschreiben, sondern das Verhältnis zu den ἄπιστοι wird selbst zum Mittelpunkt in der Diskussion um das Drinnen-Draußen-Verhältnis der Ekklesia von Korinth. Die rhetorischen Fragen im Anschluss, sowie die Sammlung von Schriftzitaten, dienen im Folgenden der Begründung der von Paulus aufgestellten Forderung, nicht zu ungleichen Jochpartnern mit den Nichtgläubigen zu werden.
13 Zu den Begriffen κοινωνία, συµφώνησις, συγκατάθεσις, µετοχή und µερίς s. z.B. Webb 1993, 60 f. Anm. 4–7.1. 14 Sonst begegnet keiner der Begriffe in der Funktion eines direkten Vergleichs im Neuen Testament.
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10.2 Keine Gemeinschaft mit ἄπιστοι Gegenüber der eher wohlwollend-offenen Sprache von 2Kor 6,1–13 („unser Herz ist weit geworden“ V. 11c – „werdet auch ihr weit!“ V. 13c), wechselt der Ton in Vers 14 drastisch. Der Imperativ in Vers 14a klingt weder wohlwollend noch offen, sondern ist warnend-abgrenzend. 15 Der Adressat des Imperativs in Vers 14 bleibt derselbe wie in Vers 13: die Ekklesia von Korinth. Mit dem Verbot µὴ γίνεσθε ἑτεροζυγοῦντες ἀπίστοις wechselt Paulus in Vers 14 allerdings gegenüber dem Vorangegangenen den Fokus. Anders als zuvor kommt nun zum Verhältnis Apostel-Ekklesia (6,11– 13) mit den ἄπιστοι der Blick nach draußen hinzu: Ekklesia-Nichtgläubige. Mit dem Imperativ µὴ γίνεσθε warnt Paulus die christusglaubenden Korinther davor, etwas Bestimmtes nicht zu werden 16 oder zu sein. 17 Mit Gewissheit lässt sich nicht sagen, ob es bereits Verbindungen zwischen den Mitgliedern der korinthischen Ekklesia und den Nichtgläubigen gab, 18 welche Paulus als ἑτεροζυγέω ἀπίστοις verstehen würde, oder ob nicht.
10.2.1 Ungleiche Jochpartner Die Auslegung und Übersetzung der den Abschnitt eröffnenden Mahnung in Vers 14a (µὴ γίνεσθε ἑτεροζυγοῦντες ἀπίστοις), ist dadurch erschwert, dass es sich bei dem von Paulus verwendeten Verb ἑτεροζυγέω um ein Hapaxlegomenon handelt. Hapax ist das Verb dieses Begriffs nicht nur in den paulinischen Briefen, sondern auch innerhalb des ganzen Neuen Testaments, der Septuaginta und der gesamten bekannten außerbiblischen griechischen Literatur vor Paulus. 19 Diese Singularität des paulinischen Sprachgebrauchs verkompliziert die Bestimmung des Bedeutungsinhaltes. Eine, wenn auch die einzige, 15 Im Laufe der Kirchengeschichte ist 2Kor 6,14–7,1 zum „locus classicus“ für christliche Ab- und Ausgrenzung jeglicher Art geworden; vgl. Fee 1977, 156. 16 So nach BDR §354.1: „γίνεσθαι in den verschiedenen Tempora drückt mit Ptz.Präs. oder Pf. den Anfang des Seins aus“. 17 Eine eindeutige Abgrenzung zwischen „werden“ und „sein“ ist für die entsprechenden Belege von µὴ γίνεσθε in der griech. Bibel nicht immer möglich: Num 14,9; Jos 8,4; 2Chr 30,7; Ps 31,9LXX; Sach 1,4; Röm 12,16; 1Kor 7,23; 10,7; 14,20; Eph 5,7.17; Mt 6,16; s.a. µὴ γίνου: Ez 2,8; Hiob 11,3; Koh 7,16 f.; Sir 4,29; 5,5.15; 18,23.33; Joh 20,27; vgl. Epiktet 1,24,20; 4,24,25; Für die Unmöglichkeit einer Entscheidung s.a. Lindemann 2016, 190. 18 Vgl. Schmeller 2010, 373. 19 Der nach TLG#E einzige nichtchristliche Beleg in den ersten fünf Jahrhunderten nach Christus findet sich bei Apollonius Sophista (1.Jh. n.Chr.), lexicon homericum, S. 93. Dort findet sich ἑτεροζυγέω in der Erklärung des Begriffs ᾿Ισοφόροι. Diesen beschreibt Apollonius mit der Phrase: κατ´ ἴσον ἕλκοντες, οὐχ ἑτεροζυγοῦντες. Der Begriff ἑτεροζυγέω wird hier also als semantisches Gegenstück (οὐχ) des Begriffs ἰσοφόροι herangezogen. Zugleich ist er innerhalb der Erklärung das Gegenstück zu κατ´ ἴσον ἕλκοντες („gemäß Gleichheit ziehend“).
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Unvereinbarer Umgang mit ἄπιστοι – 2Kor 6,14–7,1
innerbiblische Parallele der Wortfamilie ἑτεροζυγ* findet sich innerhalb der Heiligkeitsgesetze in Lev 19. Lev 19 19„Haltet mein Gesetz: Du sollst dein Vieh nicht paaren ἑτεροζύγῳ“
Die für die Paarung von Tieren – gedacht ist dabei vornehmlich an (Nutz-)Vieh ( – ) בהמהverbotene Artverschiedenheit wird im masoretischen Text durch Gebrauch des hebräischen Duals „( כלאיםzweierlei“) angezeigt. Die Übersetzter der Septuaginta haben diesen Dual im Griechischen mit dem Adjektiv ἑτερόζυγος wiedergegeben. 20 Dieser Teil der sogenannten Kil'ajim-Gesetze besagt also, dass zwei Tiere unterschiedlicher Art nach Gottes Gesetz nicht miteinander gepaart werden sollen. 21 Philo (Spec. IV 203–206; vgl. III 46) versteht Lev 19,19 in Verbindung mit Dtn 22,10 so, als sei damit zugleich ein an den Menschen gerichtetes Verbot des Ehebruchs angezeigt. 22 So auch Josephus (Ant. IV 228 f.), der befürchtet, die Vermischung von Ungleichem könnte ein schlechtes Beispiel für den Menschen sein. Aus diesem Grund auch bei Paulus eine implizite Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualität und Ehe zu vermuten, 23 ist jedoch auf der Basis des Textes nicht geboten.
Da Lev 19,19 die einzige vorhandene Parallele ist, und damit den einzigen Hinweis für den Gebrauch von ἑτεροζυγέω in 2Kor 6,14 geben kann, ist der Fokus auf diese Stelle für die Untersuchung der Begriffsgeschichte von ἑτεροζυγέω in der Literatur verständlich. Es ist auch wahrscheinlich, dass Lev 19,19 Vorbild für die paulinische Formulierung war. Eine Entscheidung über den paulinischen Gebrauch des Begriffs darf jedoch nicht allein auf Basis dieses
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Neben der Verbform ἑτεροζυγέω ist auch das entsprechende Adjektiv ἐτεροζυγός nur selten belegt. S. dazu nur Plutarch Cim. 16,10 (s.u. S.160); SGUÄ III, 6786,12; PsPhocylides 15 (=SibOr 2,67) (s.u. S.160); Lev 19,19LXX und dessen Diskussiuon in Philo Spec. IV 203–206. Weiterhin: P. Cair. Zen. 1 59038,12 und 59044,34; ID 1421 Fragm. 6, Kol II,8. Das wiederholte כלאיםin Lev 19,19 (MT) – bezogen auch auf zweierlei verschiedene Samen, die nicht auf ein Feld gesät werden sollen und Gewänder aus zweierlei Materialien, die nicht getragen werden sollen – wird durch die LXX nicht erneut mit ἑτερόζυγος, sondern mit διάφορος beziehungsweise ἐκ δύο wiedergeben. In Parallele zu Lev 19 formuliert Dtn 22,10 konkreter: Das Verbot der artfremden Vermischung von Tieren ist hier auf das gemeinsame Pflügen (ἀροτριάω) von Ochsen und Esel ausgerichtet. Philo bemerkt zu Dtn 22,10 jedoch nicht nur die ungeeignete Vermischung von Verschiedenartigen – der Ochse ist rein, der Esel unrein (Spec. IV 206) –, sondern auch die Notwendigkeit des Schutzes des geringeren, ungleich schwächeren, Esels. So z.B. Thrall 1994, 473, wenn auch nicht ausschließlich an solche Verbindung gedacht ist: „he might be thinking also of business partnerships“. Lindemann 2016 193.209 hält es ebenfalls für möglich, dass „sexuelle Beziehungen“ im Spiel sind. Seiner Ansicht nach unterstützt dies, wegen des Widerspruchs zu 1Kor 7,12–16, die These der nicht-paulinischen Autorschaft von 2Kor 6,14–7,1.
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Textes, sowie dessen Auslegung durch Philo und Josephus, getroffen werden. 24 Des Weiteren ist zu bemerken, dass sich der Gebrauch der Begriffe in Lev und 2Kor in einem wesentlichen Merkmal unterscheidet. Der aus ἕτερος („der Eine/Andere“) und ζυγός („Joch“) zusammengesetzte Begriff stammt aus dem Kontext von Agrarkultur und Tierzucht und wird in Lev 19,19 seinem Bildfeld entsprechend gebraucht (κτῆνος „Vieh“ + κατοχεύω „untereinander begatten“). Paulus allerdings entnimmt den Begriff in 2Kor 6,14 seinem eigentlichen Bildfeld und gebraucht ihn metaphorisch. 25 Nicht überzeugen kann der Versuch, Gal 5,1 für die Frage nach Gebrauch und Bedeutung von ἑτεροζυγέω in 2Kor 6,14 heranzuziehen. 26 In diesem Fall wird statt der einzigen innerbiblischen Belegstelle für einen Begriff aus der Wortfamilie ἑτεροζυγ* in Lev 19,19, der einzige Beleg innerhalb der Paulusbriefe für den Begriff ζυγός als maßgeblich erklärt. 27 Das „Joch der Knechtschaft“, vor dem Paulus die Galater warnt, wird so zur Folie für den Gebrauch von ἑτεροζυγέω in 2Kor 6,14. Gemeint sei „damit jeweils die Lehre der Widersacher“ 28. Notwendige, aber nicht haltbare, Voraussetzung für diese Deutung ist die Annahme von zwei verschiedenen Jochen, die Paulus einander gegenüberstellen würde. Diese Unterscheidung zweier verschiedener Joche ist für 2Kor 6,14 allerdings nicht anzunehmen. 29
Treffend hat Rensberger in seiner Untersuchung zu 2Kor 6,14–7,1 bemerkt, dass es sich bei ἑτεροζυγέω um eine Metapher handelt, die den Modus und nicht das Objekt einer Handlung beschreibt. 30 Das heißt, das Präfix ἕτερος bezieht sich nicht auf das Joch, sondern das Ziehen durch zwei Jochpartner. Um diesen Modus der metaphorischen Rede des Paulus näher zu beschreiben, hilft die Untersuchung anderer Komposita mit ἕτερος und deren Gebrauch in der griechischsprachigen Literatur. Unterscheiden lassen sich hier zunächst zwei verschiedene Gebrauchsweisen: a) Entsprechend des überwiegenden Gebrauchs von ἕτερος im Sinne von „der eine (von zweien)“ 31 werden im Griechischen Komposita gebildet, bei denen durch das Präfix ἕτερος nur eine Hälfte von Dingen beschrieben wird, die normalerweise in Zweiheit existieren. Beispielsweise: ἑτερόφθαλµος „ein-
24 Über die Leviticus-Parallele hinaus wurde der Bedeutung von ἑτεροζυγέω in der Literatur bisher kaum Beachtung geschenkt. 25 Vgl. Schwarz 1993, 360, Anm. 17. 26 Vgl. Schwarz 1993, 360 f. 27 „[S]o scheint mir bei Paulus selbst eine Stelle, die uns die Richtung für die Auslegung weisen kann: Gal 5,1.“ Schwarz 1993, 361. 28 Schwarz 1993, 361. Zur Frage um die Auseinandersetzung mit den sog. Gegnern s.u. S. 168. 29 S.u. S. 161. 30 ἑτεροζυγέω „is a metaphor for the mode, not the object, of an action, and mixing is the operative concept.“ Rensberger 1978, 29. 31 „[O]ne or the other of two [. . .], freq. of natural pairs“ LSJ, 702.
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Unvereinbarer Umgang mit ἄπιστοι – 2Kor 6,14–7,1
äugig“ 32. In diesem Sinne gebraucht auch Plutarch (Cim. 16,10) den Begriff ἑτερόζυγος, denn er umschreibt mit πόλις ἑτερόζυγος metaphorisch eine von zwei Städten, die miteinander in Bündnispartnerschaft stehen. 33 b) Entsprechend des weiteren Gebrauchs von ἕτερος im Sinne von „der andere“ 34 werden im Griechischen Komposita gebildet, bei denen durch das Präfix ἕτερος die Andersartigkeit einer Sache ausgedrückt wird. Anders freilich, insofern die eigene Perspektive als Norm genommen wird. 35 Beispielsweise: ἑτερόγλωσσος („andere/fremdartige Sprache“) 36; ἑτεροδιδασκαλέω („Anderes lehren“) 37; ἑτεροδοξέω („anderer Meinung sein“) 38 und ἑτερόδοξος („andersdenkend“) 39. c) In Kombination beider Bedeutungsnuancen wird letztlich auch die Andersartigkeit innerhalb der Zweiheit durch ein ἕτερος-Kompositum ausgedrückt: das heißt, die Ungleichheit eines Paares. Beispielsweise: ἑτερόγλαυκος („verschiedenfarbige Augen“) 40; ἑτερόγνατος („ungleichförmiger Kiefer“) 41. Dieser kombinierte Gebrauch von ἕτερος als Präfix eines Kompositums, zum Zweck der Anzeige einer existierenden Ungleichheit in der Zweiheit, ist auch für 2Kor 6,14 anzunehmen. Aus Lev 19,19 nimmt Paulus den Gedanken der Unmöglichkeit einer Paarung von Ungleichem auf. Das alttestamentliche Verbot, artfremde Tiere miteinander zu paaren, bildet die Vorlage für das Verbot an die Ekklesia von Korinth, sich mit (artfremden) Nichtgläubigen einzulassen. 42 Sexueller Kontakt oder eheliche Verbindungen müssen nicht als Referenz angenommen werden. Die Aussage des Paulus ist vielmehr von grundsätzlicher Art. 43 Er warnt die Glaubenden davor, nicht einer von zwei
32 Demosthenes, Orat. 24, 141. 33 Für ἐτερόζυγος s.a. SGUÄ III, 6786,12; PsPhocylides 15 (=SibOr 2,67), der dieselbe semantische Opposition erstellt, wie sie sich bei Apollonius Sophista (s.o. S. 157) findet: σταθµὸν µὴ κρούειν έτερόζυγον, ἀλλ´ ἴσον ἕλκειν („(Man soll) die Waage nicht einseitig drücken, sondern gleichmäßig heben.“); Apollonius Dyscolus, Adv. 2,1.1,171. 34 „[A]nother, of many, with a sense of difference“ LSJ, 702. 35 Schröter hat im Vergleich von ἕτερος und ἄλλος gezeigt, dass „ἕτερος ein relationaler, komparativer, ἄλλος dagegen ein absoluter Terminus zur Bezeichnung der Andersartigkeit ist.“ Schröter 2007, 158. 36 1Kor 14,21. 37 1Tim 1,3; 6,3. 38 Platon, Theat. 190e. 39 Josephus, Bell. II 129. 40 Aristoteles, Gen. an. 779b. 780b. 41 Xenophon, Eque. 1,9. 42 Der Dativ ἀπίστοις ist ein sociativus und beschreibt folglich, mit wem nicht unter einem Joch gegangen werden soll; vgl. Schröter 1993, 327. 43 Vgl. Woyke 2005, 296; Rensberger 1978, 29.
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Jochpartnern 44 zu werden, bei dem der andere ein Nichtgläubiger ist, da in diesem Falle ein ungleiches Paar entstünde. 45 Diese Pointe wird allerdings in vielen Übersetzungen übersehen, indem die Rede von einem ‚fremden` Joch ist, unter welches sich die Korinther nicht spannen lassen dürfen. 46 Eine derartige Übersetzung übersieht die Tatsache, dass hier an keiner Stelle angedeutet ist, es ginge um zwei verschiedene Joche. 47 ‚Fremd` kann ein Joch jedoch nur dann sein, wenn es demgegenüber auch ein Joch gibt, das ‚bekannt` ist. Eine solche Unterscheidung nimmt Paulus hier in keiner Weise vor. Es geht um das eine, hier metaphorisch verwendete Joch, und die darunter entstehende Verbindung im gemeinsamen Ziehen (Modus) 48, in der sich beide Jochpartner gegenseitig ἕτερος sind. Nicht das Joch selbst ist fremd, sondern die unter ihm entstehende Verbindung.
10.2.2 Eine Frage der Gemeinsamkeit An das Verbot in Vers 14a schließt Paulus zu dessen Erklärung und Begründung (γάρ!) fünf rhetorische Fragen an. Alle Fragen sind gleich aufgebaut: Jeweils zwei gegensätzliche Begriffe werden bezüglich ihrer Gemeinsamkeit befragt. Alle Fragen lassen jedoch nur eine Antwortmöglichkeit zu: ‚es gibt keine Gemeinsamkeit!`. Damit will Paulus die grundlegende Unterschiedenheit der Ekklesia von den Nichtgläubigen unterstreichen. Die unmögliche 44 Die Metapher des gemeinsamen Ziehens an einem Joch kann Paulus auch positiv wenden. In Phil 4,3 bezeichnet er einen seiner ‚Mitarbeiter` in Philippi als σύζυγος. Dieser Begriff, der wie ἑτεροζυγέω ein Hapaxlegomenon in NT und LXX ist, beschreibt in der Umwelt die Kameradschaft zweier Personen (Euripides, Iph. taur. 250; Aristophanes, Plut. 945) oder den Ehepartner (Aeschylus, Cho. 599; Euripides, Alc. 314). Mit unter wurde deshalb (v.a. in den Kommentaren der Kirchenväter) vermutet, mit σύζυγος in Phil 4,3 wäre die Frau des Paulus gemeint. Zu Phil 4,3 s. ausführlicher bei Holloway 2017, 181ff.; Reumann 2008, 608 f.; Bockmuehl 2006, 240. 45 Die Unmöglichkeit einer Gemeinsamkeit von Ungleichem betont auch Sir 13,15–18:„Jedes Lebewesen liebt das ihm Gleiche [. . .]. Was hat der Wolf mit dem Lamm gemeinsam (κοινωνήσει)? So ist es auch mit dem Sünder und dem Frommen. Was ist der Friede einer Hyäne zu einem Hund? Und was der Friede dem Reichen zu einem Armen?“ Zum Vergleich von 2Kor 6,14–7,1 und Sir 13 s.a. Derrett 1978, 248–250, der den Vergleich jedoch unter der Voraussetzung seiner These von 2Kor 6,14–7,1 als Midrasch von Dtn 22,10 durchführt. 46 Schon Luther in seiner ersten Bibelübersetzung: „zjht nicht am frembden joch mit den unglewbigen“; so dann auch Bauer 1988, 637: „unter fremdartigem Joch gehen“. Von dort aus in vielen deutschen Übersetzungen zu finden. Z.B. ELB, Zürcher. Aber auch Schmeller 2010, 368; Schwarz 1993, 360.; Gnilka 1963, 86. 47 So z.B. Betz 1973, 89: „First, it is assumed that there are two ‚yokes`, one to be attributed to the ‚belivers` and the other to the ‚non-belivers`.“ Dagegen schon Fee 1977, 157. 48 S.a. DeSilva 1993, 11: „The issue is not, however, which of two yokes one puts on, but with whom one is yoked together.“
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Gemeinsamkeit von Gegensätzen ist im Gebrauch des Begriffs ἑτεροζυγέω bereits angelegt. In der Verbindung der einzelnen Lexeme (ἕτερος und ζυγέω) des Kompositums deutet sich dieser Widerspruch an: „subsemantisch die prinzipielle Unmöglichkeit einer engen Verbindung von Ungleichen“ 49. Die unmögliche Gemeinsamkeit von Gegensätzen führt Paulus dann strukturell in den rhetorischen Fragen fort. Jeweils ein Begriff, der ‚Gleichheit`, ‚Ähnlichkeit` und ‚Verwandschaft` von zwei Dingen andeutet (µετοχή, κοινωνία, συµφώνησις, µερίς und συγκατάθεσις), wird mit zwei Begriffen kombiniert, deren Ungleichheit zweifelsfrei feststeht. Die über den Imperativ direkt angesprochenen Glaubenden und die ihnen gegenübergestellten Nichtgläubigen (V. 14a) bilden die Überschrift für die folgenden Gegensätze. 50 Darauf folgen in Vers 14b.c je zwei Abstrakta, die in Vers 15 personalisiert werden. 51 Das Gegensatzpaar Χριστός/Βελιάρ beschreibt dabei die jeweiligen Leitfiguren der in Vers 14 dargestellten Bereiche, während das Gegensatzpaar πιστός/ἄπιστος für die von der Unterscheidung betroffenen Personen steht. 52 Die Gegenüberstellung von ναὸς θεοῦ und εἴδωλα bildet den Abschluss und leitet in das Tempelwort in Vers 16b über. µὴ γίνεσθε ἑτεροζυγοῦντες:
vs.
ἄπιστοι
µετοχή:
δικαιοσύνη
vs.
ἀνοµίᾳ
κοινωνία:
φῶς
vs.
σκότος
συµφώνησις:
Χριστός
vs.
Βελιάρ
µερίς:
πιστός
vs.
ἄπιστος
συγκατάθεσις:
ναὸς θεοῦ
vs.
εἴδωλα
Abstrakta Persona
δικαιοσύνη / ἀνοµίᾳ Dieses, sich semantisch nicht genau entsprechende, Gegensatzpaar begegnet in den Paulinen nur noch in Röm 6,19. 53 Es ist allerdings in der Septuaginta gut belegt. 54 Beide Begriffe stehen hier für einen Bereich, der dem Heilswillen Gottes ent- oder widerspricht. Auch wenn Paulus diesen Gegensatz aus jüdischer Tradition übernimmt, kann mit ἀνοµία hier nicht allein ein der Torah widersprechendes Verhalten gemeint sein, sondern der Begriff bezieht sich 49 50 51 52 53 54
Kleine 2002, 326. Vgl. Kleine 2002, 326. Vgl. Röcker 2009, 221. Vgl. Wolff 1989, 150. Vgl. aber Mt 23,28; 1Tim 1,9; Heb 1,9; 2Petr 2,8. Z.B. Jes 5,7; Ps 44,8LXX; Spr 10,2. s.a. δίκαιος und ἄνοµος: z.B. Mal 3,18; Spr. 21,18.
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allgemein auf ein dem Willen Gottes entgegengesetztes Verhalten, 55 das der Gerechtigkeit (Gottes) nicht entspricht. φῶς / σκότος Mit der Gegenüberstellung von ‚Licht` und ‚Finsternis` greift Paulus erneut auf ein Bild zurück, das im jüdischen Traditionsraum breit belegt ist: im Alten Testament 56, den Schriften von Qumran 57, aber auch in den Testamenten der 12 Patriarchen 58. Es handelt sich gleichermaßen um ein für Paulus typisches Gegensatzpaar, der sich damit in die jüdische Tradition einreiht. 59 Bereits in 2Kor 4,1–6 hat er den Gegensatz von Licht und Finsternis im Zusammenhang des bei den Verlorenen und Nichtgläubigen verdeckten Evangeliums ins Spiel gebracht. Damit verbunden ist die dualistische Aufteilung der Bereiche ‚verloren` und ‚gerettet` in Entsprechung zu ‚Finsternis` und ‚Licht`. Aber auch sonst begegnen beide Begriffe bei Paulus im Sinne einer eschatologisch motivierten dualistischen Aufteilung von Heils- und Unheilsbereich. 60 Χριστός / Βελιάρ Bei diesem Gegensatzpaar handelt es sich um zwei Begriffe, deren Belegzahl im Neuen Testament nicht weiter voneinander entfernt sein könnte: Die der Χριστός-Bezeichnung gegenübergestellte Βελιάρ-Bezeichnung begegnet nur hier. 61 Auch das Alte Testament kennt den Begriff Beliar nicht. In den jüdischen Schriften zur Zeit des zweiten Tempels ist Beliar jedoch eine weit verbreitete Bezeichnung für das ‚Böse in Person`. 62 Die etymologische Herkunft der Bezeichnung ist nicht gesichert. 63 Wie schon in 2Kor 4,4 (ὁ θεὸς τοῦ αἰῶνος τούτου), liegt mit Βελιάρ eine alternative Bezeichnung dessen vor, den Paulus sonst ὁ σατανᾶς nennt. Diesen 55 Vgl. Grässer 2002, 258. 56 Jes 9,1: „Das Volk, das in Finsternis wandelt, soll sehen ein großes Licht.“ Am 5,18: „Wehe denen, die den Tag des Herrn herbeisehnen! Was bringt der Tag des Herrn ihnen? Er wird Finsternis sein und nicht Licht.“ In der Bildwelt des AT findet sich häufig eine Entsprechung von Licht und Leben (z.B. Ps 35,10LXX; Hiob 3,16) mit Finsternis und Tod (Ps 106,14LXX; Hiob 10,22LXX; vgl. Grässer 2002, 258 f.) Im Sinne der Unterscheidung zweier verschiedener Bereiche wird in diesem Gegensatzpaar freilich auch auf das Schöpfungshandeln Gottes angespielt, der aus Finsternis Licht schuf (Gen 1,2–5; vgl. 2Kor 4,6). 57 Z.B. 1QS 3,13ff.; 1QM 13,10ff. 58 Z.B. TestLev 19,1; TestNaph 2,10; TestBenj 5,3. 59 Zur Tradition beider Begriffe s. z.B. bei Böcher 1965, 96–101; Lövestam 1963 8–24; Aalen 1951. 60 Röm 13,12; 1Kor 4,5; 1Thess 5,5–10; vgl. Joh 3,19; 8,12; 12,46; Eph 5,8; 1Petr 2,9. 61 Zur Frage, was Paulus bewogen haben könnte, hier auf die Βελιάρ-Bezeichnung zurückzugreifen, s. z.B. Thrall 1994, 474 f. 62 Jub 1,20; TestLev 19,1; MartJes 1,8 f. 2,4; 1QM 1,1,5; 11,9; 13,2,4; vgl. mit weiteren Belegen: Böcher 1965, 29–31. 63 Vgl. Böcher 1980. Wolff 1989, 150 nennt das hebräische „ בליעלBosheit“ als möglichen Ursprung für die Bezeichnung.
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Unvereinbarer Umgang mit ἄπιστοι – 2Kor 6,14–7,1
‚Engel der Finsternis` (1QS 3,19–21), der in den Texten von Qumran und in den zwölf Testamenten der Patriarchen häufig im Gegenüber zu Gott belegt ist 64, macht Paulus zum Gegenspieler Christi. Mit dem Gegensatzpaar Christus/Beliar benennt Paulus die beiden ‚Personen`, die über die Bereiche von Gerechtigkeit und Licht, beziehungsweise Ungesetzlichkeit und Finsternis, herrschen. πιστός / ἄπιστος Nachdem im vorherigen Gegensatzpaar die Leitfiguren beider hier gegenübergestellten Bereiche benannt wurden, folgen nun die jeweils zugehörigen Menschen, die Paulus als πιστός und ἄπιστος beschreibt. 2Kor 6,15 ist die erste und einzige Belegstelle, an der Paulus die Adjektive πιστός und ἄπιστος gegenüberstellt. 65 Beide Begriffe sind allerdings innerhalb der Paulinen am häufigsten in den beiden Korintherbriefen belegt: Der πιστός-Begriff begegnet bei Paulus neben 2Kor 1,18; Gal 3,9; 1Thess 5,24 vorwiegend in 1Kor 66 und wird ausschließlich als attributives Adjektiv gebraucht. Der Bezug ist entweder Gott, Abraham, Paulus oder Timotheus. Niemals bezeichnet Paulus seine Adressaten als πιστός oder benutzt den Begriff als Gruppenbezeichnung. Der ἄπιστος-Begriff hingegen, der nur in den beiden Korintherbriefen belegt ist, begegnet immer in einem Verwendungszusammenhang, in dem mit ihm eine bestimmte Gruppe beschrieben wird. Daher gebraucht Paulus den Begriff zumeist auch im Plural 67. Beide beschriebenen Verwendungszusammenhänge, die für die Begriffe πιστός und ἄπιστος üblich sind, passen für 2Kor 6,15 jedoch nicht. Es ist deshalb hier nicht eindeutig zu bestimmen, welche Bedeutungsnuancen der Begriffe ἄπιστος und πιστός im Vordergrund stehen. Die Ambivalenz der πιστ*-Wortgruppe soll an dieser Stelle deshalb nicht durch eine bestimmte Übersetzung eingegrenzt und verkürzt werden, sondern die Bedeutung wird durch die Übersetzung „ein Gläubiger/Treuer“ und „ein Nichtgläubiger/Untreuer“ bewusst offen gelassen, um deren Vielfalt zu betonen. Im Gegensatz zu der für die ἄπιστοι-Bezeichnung üblichen Verwendung als Gruppenbezeichnung, nimmt Paulus innerhalb des Kataloges von fünf rhetorischen Fragen mit dem Begriff eine typologische Beschreibung eines Menschen vor, dessen Eigenschaft es ist, ἄπιστος beziehungsweise πιστός zu
64 Z.B. 1QS 2,1–5.; 1QM 4,1–3.; TestLev 19,1; TestSim 5,3. 65 Der von Paulus sonst verwendete Gegenbegriff aus der πιστ*-Wortgruppe, mit dem er die korinthische Ekklesia bezeichnet, ist οἱ πιστεύοντες: Röm 1,16; 3,22; 4,5.11.24; 10,4.11; 1Kor 1,21; 14,22; Gal 3,22; 1Thess 1,7; 2,10.13 (s.o. S. 41). 66 1,9; 4,2.17; 7,25; 10,13. 67 Ausgenommen ist lediglich 1Kor 7,12–16, wo exemplarisch der konkrete Fall von Ehen zwischen einem oder einer ἄπιστος mit Einem oder Einer aus der korinthischen Ekklesia verhandelt wird.
Keine Gemeinschaft mit ἄπιστοι
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sein. Im Sinne dieser typologischen Eigenschaftsbeschreibung wäre es durchaus möglich, die Bedeutung der Begriffe als die ‚Treue/Untreue` beziehungsweise ‚Zuverlässigkeit/Unzuverlässigkeit` einer Person im zwischenmenschlichen Umgang zu verstehen. Das würde auch der Pragmatik der Stelle nicht widersprechen, denn im Vordergrund des Kataloges rhetorischer Fragen steht jeweils die unmögliche Gemeinsamkeit der Dinge und Personen, die durch die jeweiligen Begriffe charakterisiert werden. Diese grundsätzliche Unterschiedenheit, die eine Gemeinsamkeit unmöglich macht, lässt sich für ‚Treue` und ‚Untreue` gleichermaßen feststellen. Die im Umfeld stehenden Begriffe aller anderen vier rhetorischen Fragen, sowie das sich anschließende Wort vom Tempel-Sein, machen es jedoch wahrscheinlich, dass Paulus das πιστός-, beziehungsweise ἄπιστος-Sein im Einklang mit dem sonstigen Gebrauch der Begriffe in seinen Briefen auf Gott, Christus und das Evangelium bezogen denkt. 68 Eine Übersetzung mit ‚gläubig`/‚nichtgläubig` oder ‚treu`/‚untreu` ist hinsichtlich des gleichen Bezugs auf Gott, Christus und das Evangelium insofern deckungsgleich. 69 ναὸς θεοῦ / εἴδωλα Die letzte rhetorische Frage, ob es etwa eine Gemeinsamkeit des Tempels Gottes und der Götzenbilder gebe, ist nicht mehr mit einem anderen Paar als Doppelfrage kombiniert. Im Gegensatz zu den vorherigen rhetorischen Fragen wird diese Frage im Folgenden fortgeführt: in Vers 16b („Wir aber sind der Tempel des lebendigen Gottes“) wird das Gegensatzpaar aus Vers 16a aufgenommen, beziehungsweise erläutert (γάρ). Die Aussage über das Tempel-Sein der Ekklesia bildet das Zentrum des Textes 70 und den Höhepunkt der fünf Gegensatzpaare. Wie der Begriffsinhalt der dem ναὸς θεοῦ gegenübergestellten εἴδωλα zu bestimmen ist, wurde in der Literatur sehr verschieden beurteilt: 71 a) Man hat den eigentlichen Gegensatz zwischen dem Tempel Gottes und dem Tempel der Götzen gesehen. 72 Allerdings wäre in diesem Fall davon auszugehen, dass Paulus εἰδωλεῖον 73 statt εἰδωλα verwendet. b) Man hat für den Vergleich mit den εἴδωλα den in Vers 16b erwähnten θεὸς ζῶν einbezogen 74 und macht da68 Mit gleicher Intension, nämlich um jemanden zu bezeichnen, der Gott glaubt/treu ist, macht Paulus vom πιστός-Begriff in Gal 3,9 Gebrauch: οἱ ἐκ πίστεως εὐλογοῦνται σὺν τῷ πιστῷ Α ᾿ βραάµ. („Die aus Glauben gesegnet sind mit dem gläubigen/treuen Abraham“). 69 S. auch u. S. 175f. 70 S.o. S. 154 71 Vgl. dazu Woyke 2005, 297; weiterhin Webb 1992b, der den in der Literatur unterschiedlich interpretierten εἴδωλον-Begriff diskutiert. 72 Vgl. Fee 1977, 158 f. 73 S. z.B. Lietzmann 1969, 129. 74 So z.B. Grässer 2002, 260 f., der in diesem Zusammenhang auf 1Thess 1,9. 1Kor 8,4; 10,19 verweisen kann. Ebenfalls Webb 1992a, 38.
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mit den lebendigen Gott zum Gegensatz der (nicht-lebendigen) Götzenbilder. c) Man hat den Gegensatz zwischen der Anbetung Gottes und der Anbetung der Götzenbilder betont. 75 Mit Recht hat Woyke darauf hingewiesen, dass es nicht die Götzenbilder sind, die im Zentrum der paulinischen Aufmerksamkeit stehen, sondern der Tempel Gottes und dessen Verunreinigung. 76 Es geht Paulus also vornehmlich darum, die Ekklesia an ihr Tempel-Sein zu erinnern. Diesem Tempel-Sein entspricht das ‚Einwohnen Gottes` (V. 16; vgl. 1Kor 3,16) und der Aufruf zum ‚Rein-Sein` (V. 17; 7,1). Dem Tempel-Sein widerspricht dessen Verunreinigung durch die Götzenbilder. Die Bezeichnung der Ekklesia als ‚Tempel Gottes` ist in Korinth bereits aus 1Kor 3,16 f. und 6,19 (vgl. a. 3,9: „ihr seid Gottes Bau“) bekannt. Schon in 1Kor – mit leicht unterschiedener Pointe – hat Paulus die ‚Baumetaphorik` verwendet, um die Präsenz Gottes in der Ekklesia darzustellen. Dem ‚Tempel-Sein` der Ekklesia entspricht deren Heiligkeit, und es betont die Verbindung mit Gott, untereinander, und mit Paulus als ihren Apostel. 77 Die sich an die letzte rhetorische Frage anschließende Bezeichnung der Ekklesia als dem Tempel Gottes unterstreicht die Exklusivität 78 der paränetischen Forderung, die den rhetorischen Fragen innewohnt. Als Tempel Gottes ist die Ekklesia mit Gott verbunden, und zwar ausschließlich. Diese Verbindung ist derart exklusiv, dass die Glaubenden keine Übereinstimmung mit den Götzenbildern haben können und dass diese keine Verbindung zu ihnen zulässt. Diese Exklusivität gilt auch für alle anderen Gegensatzpaare. Paulus trennt deutlich zwei Bereiche voneinander ab, zwischen denen es keine Gemeinsamkeit geben kann. Darin liegt letztlich die einzige Gemeinsamkeit aller Begriffspaare zueinander. Ihre Bedeutung in der paulinischen Argumentation erweist sich nicht in der je einzelnen Gegenüberstellung, sondern durch das allen fünf Paaren gleiche Paradigma: die nicht zu überwindenden Verschiedenheit. Darüber hinaus machen die in Vers 14a voranstehende Formulierung „werdet nicht zu (ungleichen) Jochpartnern mit den Nichtgläubigen“ und die in Vers 16b nachfolgende Formulierung „wir sind der Tempel Gottes“ deutlich, dass Paulus eine paränetische Absicht verfolgt. Er möchte die Christusglaubenden von Korinth in ihrem derzeitigen Verhalten und Sein bestätigen und zugleich davor warnen, auf die andere Seite zu geraten, denn die Zugehörigkeit zu einem der jeweiligen Bereiche ist exklusiv und schließt die jeweils andere Zugehörigkeit aus.
75 Vgl. z.B. Fee 1977; Windisch 1970 (=1924), 215. 76 „[D]as operative Konzept der Paränese [ist] mithin nicht Idolatrie, sondern Verunreinigung“. Woyke 2005, 299 f. 77 Geläufig ist die Tempelmetaphorik als Bezeichnung der Gemeinschaft auch in den Schriften von Qumran, z.B. 1QS 5,6; 8,5; vgl. dazu weiterhin Gnilka 1963; Fitzmyer 1961. 78 Vgl. Böttrich 1999, 419.
Abgrenzende Sprache
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10.3 Abgrenzende Sprache Die aus- und abgrenzende Sprache von 2Kor 6,14–16 führt Paulus auch in folgenden alttestamentlichen Zitaten (V. 16–18) fort. 79 Vor allem das Jesajazitat (52,11) sticht hervor: ἐξέλθατε ἐκ µέσου αὐτῶν καὶ ἀφορίσθητε („Geht hinaus aus ihrer Mitte und sondert euch ab!“). 80 Diese aus- und abgrenzende Sprache scheint zunächst merkwürdig im Vergleich zu den sonst eher offenen und aufgeschlossenen Weisungen des Paulus, wie es im Kontext der ἄπιστοι-Belege bisher begegnete. 81 Daher wurde sie mitunter sogar als ‚unpaulinisch` bezeichnet. 82 2Kor 6,14–7,1 wirft daher die Frage auf, ob und wie sich diese aus- und abgrenzende Sprache im Kontext mit den übrigen ἄπιστοι-Belegen lesen lässt. Bevor jedoch auf diese Frage eingegangen werden kann, sollen die in der Literatur aufgeworfenen Fragen diskutiert werden, auf wen und was sich die abgrenzende Sprache des Paulus beziehen mag. Der Text lässt dahingehend eine Leerstelle. In der Forschungsliteratur ist man jedoch nicht müde geworden, zu versuchen, diese Leerstellen zu füllen.
10.3.1 Abgrenzung von wem? Der Frage danach, von wem Paulus die Abgrenzung fordern würde, das heißt, wer konkret mit der ἄπιστοι-Bezeichnung gemeint sei, ist in der Literatur große Aufmerksamkeit zugekommen. Hinsichtlich der Bestimmung eines Re79 Sa ss 1993, 57 hat darauf hingewiesen: Dass „Paulus ethische Mahnungen direkt in alttestamentliche Zitate faßt, ist nicht ungewöhnlich“; vgl. Röm 12,20; 13,9; 1Kor 5,13; Gal 5,14. 80 Gegenüber der heute zugänglichen Fassung der LXX fällt die Abweichung der Pronomina (αὐτῆς vs. αὐτῶν) auf. Vermutet wird deshalb eine grammatikalische Angleichung entweder an die ἄπιστοι in Vers 14 (vgl. Rabens 2014, 298; Schmeller 2010, 376; Thrall 1994, 478; Wolff 1989, 151) oder εἰδώλων in Vers 16 (vgl. Wilk 2010, 685). Jedoch hält Wilk einen Bezug auf die ἄπιστοι nicht für ausgeschlossen. Aufgrund der inhaltlichen Nähe, zwischen den Versen 14a und 17a, scheint der Bezug auf die ἄπιστοι wahrscheinlicher. Nicht abschließend klären lässt sich allerdings, ob αὐτῶν nicht bereits Teil der paulinischen Vorlage war; so Stanley 1992, 233 f. 81 So z.B. die Offenheit gegenüber der Annahme von Einladungen durch einen Nichtgläubigen (1Kor 10,27), der Erhaltung von Ehen zwischen Glaubenden und Nichtgläubigen (1Kor 7,12–16) und der Anwesenheit von Nichtgläubigen in der Versammlung und die daraus folgende Bevorzugung der Prophetie als verständliche Verkündigungsform (1Kor 14,20–25). 82 Vgl. z.B. Grässer 2002, 262: „ganz unpaulinisch!“; Lindemann 2016: 202 f. „dazu [d.i. 1Kor 5,9 f.] steht die in 2Kor 6,17a ergehende Weisung ἐξέλθατε ἐκ µέσου αὐτῶν in direktem Widerspruch.“; Gnilka 1963, 96: „Die in 2Kor 6,14–7,1 erhobene Forderung, sich von der heidnischen Umwelt radikal zu trennen, scheint mit dem paulinischen Verständnis des Verhältnisses Heide/Christ nicht übereinzustimmen.“
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ferenten für die ἄπιστοι-Bezeichnung ist man sich jedoch alles andere als einig. 83 Neben den beiden, meist gegensätzlich formulierten Hauptpositionen, finden sich die verschiedensten Einzelmeinungen darüber, wer die ἄπιστοι seien. Hier sollen exemplarisch drei dargestellt werden: a) nicht vertrauenswürdige (‚unfaithful`) Personen, b) Heidenchristen, die das Gesetz nicht halten und c) Judenchristen. Dominiert wird die Diskussion 84 allerdings von folgenden zwei Optionen: d) einerseits wird vorgeschlagen, mit den ἄπιστοι seien die sogenannten ‚Gegner` des Paulus gemeint, e) andererseits ist man der Ansicht, die Bezeichnung verweise auf die heidnische Welt in der die Ekklesia von Korinth lebte. a) Der Vorschlag von Derrett 85, die ἄπιστοι seien ‚nicht vertrauenswürdige Personen`, kann deshalb nicht überzeugen, weil es dem sonstigen Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung in den Korintherbriefen widerspricht. 86 Auch unabhängig von der Frage nach der Echtheit dieses Abschnittes lassen sich keine Belege im Neuen Testament vorbringen, die einen derartigen Gebrauch bestätigen würden. b) Die These, es handele sich bei den ἄπιστοι in 2Kor 6,14 um Heidenchristen, die das Gesetz nicht halten, wurde von Betz vorgelegt. Sie geht einher mit seiner Lesart des Abschnittes als anti-paulinisch. 87 Diese Interpretation ist vor allem deshalb nur schwer haltbar, weil sie auf der Voraussetzung gründet, dass 2Kor 6,14–7,1 nicht nur nicht von Paulus stamme, sondern darüber hinaus, dass ein jüdisch-christlicher Text in 2Kor eingearbeitet worden sei, der sich gegen die paulinische Mission wende. c) Als (gegnerische) Judenchristen meint Schwarz die ἄπιστοι in 2Kor 6,14 identifizieren zu können. Das hängt seiner Meinung nach damit zusammen, dass unter dem Joch in Vers 14 die „Lehre der Widersacher“ 88 des Paulus zu verstehen sei. Mit Bezug auf Gal 5,1 sei dieses Joch mit der „gegnerischen jüdischen Gesetzeslehre“ 89 identisch. Ergebnis ist für ihn insofern, dass mit den ἄπιστοι „Teile der Synagogengemeinde [gemeint sind], die Paulus widersprachen, die ungläubig blieben und sich verbal und nonverbal gegen seine Lehre auflehneten“ 90. Die Begrenzung der ἄπιστοι-Bezeichnung auf gegnerische Judenchristen ist mit Blick auf den sonstigen Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung in 1/2Kor allerdings unwahrscheinlich. Darüber hinaus baut seine These auf der postulierten Verbindung von ἑτεροζυγέω aus 2Kor 6,14 und ζυγός aus Gal 5,1 auf. Es wurde bereits gezeigt, dass es Paulus nicht um
83 Ausführlich hat sich Webb 1992a mit der Frage der Referenz der ἄπιστοι-Bezeichnung beschäftigt. Dort auch mit gründlicher Diskussion der in der Literatur begegnenden Positionen. An den von ihm in den neunziger Jahren beschriebenen Optionen hat sich im Wesentlichen nichts geändert; vgl. auch Starling 2013, v.a. 50–53. 84 Zusammenfassend Webb 1992a; vgl. Adewuya 2003, 101 f. 85 Vgl. Derrett 1978. 86 Vgl. Webb 1992a, 28. 87 „The conclusion is unavoidable that the theology of 2 Cor 6:14–7:1 is not only non-Pauline, but anti-Pauline.“ Betz 1973, 108. 88 Schwarz 1993, 360. 89 Schwarz 1993, 361. 90 Schwarz 1993, 362.
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das Ziehen eines fremden Joches geht 91, sondern um die im Ziehen entstehende ungleiche Verbindung der Ziehenden.
d) Die Befürworter der ‚Gegner`-Position 92 argumentieren meist vor dem Hintergrund des Gesmatkontextes des 2Kor. Als Referent für die ἄπιστοι-Bezeichnung wird dabei auf die ψευδαπόστολοι aus 2Kor 11,13 verwiesen. 93 Gemeint seien mit den ἄπιστοι diejenigen, die ein ‚anderes Evangelium` verkünden. „[W]hat is implicit in 6:11–7:4 is made explicit in a slightly different form in 11:2–4.“ 94 Diese Verbindung zwischen ἄπιστοι und ψευδαπόστολοι wird häufig auch für 2Kor 4,3 f. angenommen. 95 Motiviert scheint diese Interpretation durch eine wahrgenommene Spannung zwischen 2Kor 6,14–7,1 zu seinem Kontext und zu den ἄπιστος-Belegen in 1Kor. Die paulinischen Gegner als Referenten für die ἄπιστοι zu bestimmen, wird dann als Lösung dieses angeblichen Problems verstanden: „On this understanding the contextual problem is at once resolved.“ 96 e) Die Mehrheit der Beiträge zu 2Kor 6,14–7,1 vertritt die Meinung, mit den Nichtgläubigen sei die ‚nicht-christliche`, heidnische Welt, in der die Ekklesia von Korinth lebte, die ‚Heiden` gemeint. 97 Aus folgenden Gründen ist diese Meinung wesentlich wahrscheinlicher, als die ‚Gegner` als (einzige) Referenten der ἄπιστοι-Bezeichnung anzunehmen: α) Die Gegner als ausschließliche Referenz anzunehmen, widerspricht dem sonstigen Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung bei Paulus. 98 Nirgends in den Paulusbriefen ist ein derart exklusiver Kreis, wie dies bei den ‚Gegnern` der Fall wäre, mit dem ἄπιστος-Begriff angesprochen. Paulus gebraucht ihn vielmehr, um die Glaubenden von der sie umgebenden Welt abzugrenzen. Hinzu kommt, dass Paulus nirgends in den Kapiteln 10–13 den ἄπιστος-Begriff gebraucht, um damit die ψευδαπόστολοι näher zu beschreiben. 99 Das lässt zumindest Zweifel aufkommen, ob ein derartiger Bezug von seinen Hörern
91 S.o. S. 159. 92 Z.B. Goulder 1994, 54–59; Zeilinger 1993, 79 f.; Wolff 1989, 148; Rensberger 1978, 30.40–43; Dahl 1977, 69; Collange 1972, 205 f. 93 Z.B Zeilinger 1993, 79 f. 94 Dahl 1977, 69. 95 Vgl. Goulder 1994, 54–59; Wolff 1989, 148. 96 Rensberger 1978, 30; weiterhin: „[I]f it is correct to assume that the separation intended is from Paul's opponents at Corinth, than one need not to be troubled with the anomaly [. . .], that Paul in 1 Corinthians is anything but strictly separatist regarding contact between Christians and non-Christians.“ Rensberger 1978, 37. 97 S. z.B. Trebilco 2017, 62 f. Starling 2013, 60; Schmeller 2010, 373; Witherington III 1995, 406; Bieringer 1994, 567 f.; Sa ss 1993, 52; Schröter 1993, 328; Webb 1992a, 43 f.; Furnish 1986, 371. 98 Vgl. Trebilco 2017, 62; Schmeller 2010, 373; Webb 1992a, 40; Murphy-O'Connor 1987, 272 f. 99 Vgl. Thrall 1977, 143.
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überhaupt verstanden worden wäre. 100 Auch der Versuch, eine Verbindung zwischen den ἄπιστοι und den ψευδαπόστολοι mittels der verwendeten Begriffe ὁ θεὸς τοῦ αἰῶνος τούτου (4,4)/Βελιάρ (6,15)/σατανᾶς (11,14 f.) ziehen zu wollen, 101 ist nicht belastbar genug. β) Zu argumentieren, Paulus würde dem widersprechen, was er in 1Kor geschrieben hat, 102 wenn man die ‚Heiden` als Referenz der ἄπιστοι-Bezeichnung in 2Kor 6,14–7,1 annimmt, übergeht die Unterschiede in der jeweiligen Kommunikationssituation. 103 Die Notwendigkeit einer konsistenten Lesart aller ἄπιστοι-Stellen aus 1/2Kor, sowie der Briefe insgesamt, ist überhaupt nicht gegeben. Während Paulus in 1Kor auf konkrete Situationen im Alltagsleben der Ekklesia eingeht, verteidigt er in 2Kor seine Aufgabe als Apostel und wirbt für sein gutes Verhältnis zur Ekklesia von Korinth. Aus den voneinander verschiedenen Kommunikationssituationen ergibt sich zwangsweise ein gewisser Unterschied im Gebrauch des Begriffs. γ) Vor die Wahl gestellt, einer der beiden Möglichkeiten zuzustimmen, läge mehr Wahrscheinlichkeit dabei, die ‚Heiden` als Referenz für die ἄπιστοι-Bezeichnung anzunehmen. Dafür spricht auch, dass Paulus von ‚Götzenbildern` und ‚Reinheit` spricht, und damit deutlich an jüdische Heidenpolemik erinnert. 104 Auch passt das Motiv des Hinausgehens (ἐξέρχοµαι V. 17) besser, wenn nicht von der Ausgrenzung einer Gruppe ‚falscher` Apostel ausgegangen wird, sondern von der Abgrenzung zur der die Ekklesia umgebenden Welt. 105 Wie bei den bisherigen Untersuchungen der ἄπιστοι-Bezeichnung in 1/2Kor steht am Ende jedoch die Einsicht, dass die Frage nach einer bestimmten Referenz nur bedingt zielführend für die Untersuchung der ἄπιστοι-Bezeichnung ist. Richtigerweise haben einige Autoren, auch wenn sie je zu einer der beiden Optionen tendieren, die Möglichkeit offen gelassen, „ob mit den Ungläubigen zusammen auch die Gegner gemeint sein könnten, die das paulinische Evangelium ablehnen und damit nach Paulus zeigen, daß sie zu den Ungläubigen gehören.“ 106 Es ist daher verfehlt, die ‚Gegner` aus der Frage nach der Referenz der ἄπιστοι nur deshalb ausschließen zu wollen, weil Paulus angeblich „andere Vgl. Schmeller 2010, 373; Webb 1992a, 36. So Rensberger 1978, 42. S.u. S. 176. Vgl. Webb 1992a, 35, der richtigerweise die auf die Unterschiede in „purpose“ und „nature of separation“ zwischen den Texten hinweist. 104 Vgl. Grässer 2002, 259; Webb 1992a, 39 f. 105 Vgl. Schmeller 2010, 373, der anmerkt, dass für die ‚Gegner-Referenz` doch das Motiv des „Hinauswurf[s]“ passender gewesen wäre. In diesem Sinne verweist Thrall 1977, 144 auf 1Kor 5,13: „Entfernt den Bösen von euch selbst weg“; s.a. Webb 1992a, 42. 106 Sa ss 1993, 53; ähnlich DeSilva 1993, 8: „῎Απιστοι, as a substantive, may thus include those who are unfaithful to the gospel of Christ by virtue of their subscription to ‚a different gospel`.“; Rensberger 1978, 30: „Those who reject the Gospel of Christ and the Apostle of Christ belong in the category of ‚unbelievers`.“; Starling 2013, 59 f.:
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christliche Missionare [. . .] kaum als ἄπιστοι bezeichnet haben dürfte“ 107. Der Glaube, und im paulinischen Fall der Glaube an sein Evangelium, legt überhaupt erst fest, wer drinnen und wer draußen ist. Ein ‚christliches` Drinnen im Sinne einer fest existierenden Größe, ist für die Zeit des Paulus nicht anzunehmen. Gesondert eingegangen werden soll hier auf den Ansatz von Volker Rabens. 108 In seinen Untersuchungen zu 2Kor 6,14–7,1 stellt er ein „both-and reading“ vor. Er versteht die ἄπιστοι-Bezeichnung als „double entendre referring to demarcation both from idolatrous people outside the church (= ‚unbelievers`) and ‚idolatrous` people inside the church (= ‚unbelievers`).“ 109 Seiner Ansicht nach ergab sich durch den Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung ein „primary reading/hearing“ 110, das die Ekklesia von Korinth auf die heidnische Welt bezogen hätte 111 und ein „secondary reading/hearing“ 112 der Bezeichnung, in Bezug auf die Gegner des Paulus innerhalb der Ekklesia. 113 Diese Doppeldeutigkeit, die Rabens annimmt, ist im Sinne der Rezeption des Briefes sicher möglich, sie widerspricht jedoch der Funktion und dem Gebrauch des ἄπιστος-Begriffs. Paulus will damit doch gerade Eindeutigkeit hinsichtlich neuer Drinnen-Draußen-Abgrenzungen schaffen und keine Doppeldeutigkeit. Die ἄπιστοι-Bezeichnung dient ihm dazu, jene, die glauben, von jenen, die nicht glauben, zu trennen. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, was die Hörer damit verbinden und ob Paulus eventuell auch solche im Blick hat, die sich selbst als ‚Glaubende` verstehen würden. Mit der ἄπιστοι-Bezeichnung geht gerade keine ‚both-and`-Entscheidung einher, denn aus der paulinischen Perspektive macht es keinen Unterschied, ob sich die als ἄπιστοι Bezeichneten selbst als πιστός verstehen oder nicht. Ob sie Heiden sind oder Juden, Judenoder Heidenchristen, ob sie sich selbst als Teil der ‚paulinischen` Ekklesia von Korinth verstehen oder nicht, spielt keine Rolle. Entscheidend für Drinnen-
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„The ἄπιστοι in view within the paragraph are indeed the idol-worshipping pagans of Corinth. The ψευδαπόστολοι are not themselves the ‚unbelievers`“. [. . .] „The ψευδαπόστολοι, whilst not themselves the ones whom Paul is describing in these verses as ‚unbelievers` (or ‚Beliar` or ‚idols`) are guilty in Paul's eyes of exactly the kind of illicit and unclean fellowship that he is condemming in vv. 14–16“. Vogel 2017, 104 verwendet hier den Begriff ‚Rhetorik des Unbestimmten` und zwar insofern, dass „Paulus in diesem Passus die Grenzen zwischen heilsferner Außenwelt, zu der die Adressaten auf Abstand gehen sollen, und den Gegnern innerhalb der Gemeinde absichtsvoll verwischt“. Schröter 1993, 328; so auch Furnish 1986, 372; Thrall 1977, 143. Rabens 2014. Rabens 2014, 313. Rabens 2014, 297. Vgl. Rabens 2014, 298–307. Rabens 2014, 297. Vgl. Rabens 2014, 308–313.
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oder Draußen-Sein sind nach Paulus der Glaube und ‚sein Evangelium`. Anhand dieser Kriterien gibt es kein ‚Sowohl als auch`, sondern nur ein ‚Entweder-oder`. Auf diese klare entweder-oder-Entscheidung weisen auch die starken Dualismen 114 hin, mit denen Paulus seine Forderung aus Vers 14a begründet. Auf dieser Basis lässt sich dann wiederum eine begründete Aussage über die ἄπιστοι-Bezeichnung in 2Kor 6,14 f. machen. 115 Nichtgläubige sind diejenigen, mit denen man Gesetzlosigkeit, Finsternis, Beliar und Götzenbilder verbindet. Mit solchen sollen die Glaubenden keine ungleichen Paare bilden.
10.3.2 Abgrenzung von was? Nachdem geklärt ist, dass Paulus mit der ἄπιστοι-Bezeichnung alle nichtglaubenden Menschen im Umfeld der korinthischen Ekklesia im Blick hat, stellt sich die Frage, ob er an ein bestimmtes Tun und Lassen denkt, wenn er zur Abgrenzung von diesen auffordert. Ausführlich hat wiederum Webb 116 die verschiedenen Ansätze dargestellt, welche in der Literatur geboten sind. Unterscheiden lassen sich im Anschluss an ihn folgende Interpretationen: a) Zunächst wurde die Nähe der in 2Kor 6,14–7,1 gewählten Sprache zu den Schriften von Qumran als Anhaltspunkt dafür genommen, diesen Text als Aufforderung zu lesen, „sich von der heidnischen Umwelt radikal zu trennen“ 117. Damit einher geht die Ansicht, es handele sich bei 2Kor 6,14–7,1 um einen nicht-paulinischen Text mit essenischen Einflüssen 118, oder gar um „a Christian reworking of an Essene paragraph, which has been introduced into the Pauline letter“ 119. b) In den meisten Beiträgen wird jedoch angenommen, dass Paulus dazu aufrufe, sich von den kultischen Praktiken der Welt abzugrenzen. Grund für diese Annahme sind die in Vers 16 erwähnten εἴδωλα. 120 Als Beispiele für mögliche Szenarien, die dabei für Paulus im Blick gewesen sein könnten, wird häufig auf den ersten Korintherbrief verwiesen. 121 Davon zu unterscheiden sind solche Interpretationen, die die paulinische Aufforderung zur Absonderung nicht kultisch, sondern ethisch verstehen. 122 Hinsichtlich der 114 „[T]he intense dualism in 6:14–7:1 is not suited to the restrictive subcategories required by the false-apostles theory.“ Webb 1992a, 41. 115 Vgl. Grässer 2002, 259. 116 Webb 1992b. S. dort auch mit ausführlicheren Verweisen auf die Literatur. 117 Gnilka 1963, 96. 118 Vgl. Gnilka 1963, 98 f. 119 Fitzmyer 1961, 279 f. 120 Vgl. z.B. Trebilco 2017, 64; Harris 2005, 501; Barnett 1997, 341. 121 Vgl. Harris 2005, 501; Barnett 1997, 350; Barrett 1973, 195 f.; Lietzmann 1969, 129; Hughes 1962, 245. 122 Vgl. z.B. Sa ss 1993, 58; Gnilka 1963, 96.
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εἴδωλα-Referenz ist die von Webb eingeführte Unterscheidung nach wie vor richtungsweisend. Als Optionen nennt er: „literal-physical idolatry“, „metonymical idolatry“ oder „metaphorical idolatry“ 123. Das heißt, die Referenz der von Paulus genannten Götzenbilder beziehe sich entweder direkt darauf, was Paulus als Götzendienst ansieht, oder indirekt – zum Beispiel mit dem Tempel und dessen Götzenbildern verbundenen Aktivitäten. Oder aber Paulus verstehe den Götzendienst im übertragenen Sinn, als allgemein unmoralischen Verhalten. 124 Mit Webb kann die letzte Variante als unwahrscheinlich ausgeschlossen werden, denn das widerspräche dem üblichen Gebrauch im Alten und Neuen Testament: für das Motiv ‚Gott vs. Götzenbilder` kann immer ein wörtlicher Gebrauch des εἴδωλον-Begriffs festgestellt werden. 125 Wesentlich für die Beantwortung der Frage, ob und inwiefern Paulus eine konkrete Referenz für die Abgrenzungsforderung im Blick hat, ist es, die paulinische Bildsprache in 2Kor 6,14–7,1 ernst zu nehmen. Die Bezeichnung der Ekklesia als Tempel des lebendigen Gottes, die Betonung, dieser Tempel habe keine Gemeinsamkeit mit den Götzenbildern und die Aufforderung zur Reinheit (ἀκαθάρτου µὴ ἅπτεσθε „fasst nichts Unreines an“ 6,17; καθαρίσωµεν ἑαυτούς „wir wollen uns reinigen“ 7,1) stammen alle aus demselben bildspendenden Bereich: dem jüdischen Tempelkult. 126 Das von Paulus eröffnete Bildfeld überträgt die Forderung des reinen, nicht von Götzenbildern verunreinigten Tempels auf die korinthische Ekklesia. Der Fokus der paulinischen Pragmatik liegt also Ekklesia-intern auf der Bewahrung von deren Reinheit in ihrer Verbindung mit Gott als dessen Tempel und nicht darauf, sich von allen Verbindungen zur nichtgläubigen Außenwelt zu trennen. In dieser Art und Weise muss auch die argumentative Reihenfolge des Abschnittes verstanden werden: Erst kommt die Bezeichnung der Ekklesia als Tempel, und erst infolgedessen wird der εἴδωλον-Begriff dem entgegengesetzt – nicht umgekehrt. 127 Das aus dem Judentum stammende Bildfeld der Unvereinbarkeit des Tempels Gottes und der Götzenbilder wird hier ‚christlich` aktualisiert und muss insofern so verstanden werden, dass Paulus die Ekklesia von Korinth darin ermahnt, dass es in ihrer neuen, Christus-glaubenden Existenz keine Verbindung mehr zu den Götzenbildern (ihrer Vergangenheit und der Welt) geben Webb 1992b, 163. Vgl. Webb 1992b, 165. Vgl. Webb 1992a, 38; s.a. Rabens 2014, 299 f.; Woyke 2005, 296 f. Vgl. v.a. Woyke 2005, 297–301, der zum einen den deuteronomistischen Hintergrund (die Sünde Manasses, der ein Aschera-Bild aufstellen ließ: 2Kön 21,4–7) und dann den hellenistisch-jüdischen Hintergrund (die angeordnete Vergöttlichung Caligulas im Tempel: Philo, Legat. 346; vgl. auch die Entweihung durch Antiochus IV. Epiphanes [s. bei Woyke 2005, 297, Anm. 39]) für die Unvereinbarkeit von Tempel Gottes und Götzenbilder darstellt. 127 Vgl. Woyke 2005, 231.
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kann. Die Gemeinschaft mit Gott als dessen Tempel ist exklusiv und widerspricht jeglicher Aufrechterhaltung einer Verbindung zu den Götzenbildern. Ob Paulus an eine konkrete Verbindung zu den ‚Götzenbildern` gedacht hat, als er diesen Begriff im Gegenüber zum ‚Tempel-Sein` der Ekklesia einführt, und wenn ja, was er sich unter dem ‚Götzendienst` womöglich vorgestellt hat, kann und muss offen bleiben. Mit Fee lässt sich letztlich fragen, ob dieser Text, der in der Geschichte des Christentums ein „locus classicus for all forms of Christian separation“ 128 war, überhaupt als Abgrenzungs-Text zu gelten hat. 129 Das Verbot, keine ungleichen Verbindung unter einem Joch mit den Nichtgläubigen zu bilden, zeigt in seiner Rezeption des Alten Testaments, in der Begriffsbedeutung von ἑτεροζυγέω und durch die folgende Erklärung mittels der dualistisch angelegten Gegensatzpaare, dass es Paulus vor allem darum geht, den Glaubenden die ‚Artverschiedenheit` mit den Nichtgläubigen aufzuzeigen. Mit den ἄπιστοι kann und darf es keine Gemeinsamkeit geben. Welcher Art die Verbindungen sind, die nicht eingegangen werden sollen, erwähnt Paulus nicht. All das spricht eher dafür, diesen Text generalisierend zu verstehen.
10.4 Die ἄπιστοι und die abgrenzende Sprache innerhalb der paulinischen Ekklesiologie Die paulinischen Forderungen, keine ungleichen Paare mit Nichtgläubigen zu bilden, aus deren Mitte hinauszuziehen und sich abzusondern, werden häufig in Spannung zu den sonst eher offenen und aufgeschlossenen Weisungen des Paulus beschrieben. Mitunter wird diese Spannung so stark empfunden, dass sie zum Argument gegen eine paulinische Autorschaft genommen wird. Die Diskussion um Echtheit und Integrität von 2Kor 6,14–7,1 kann hier nicht im Detail aufgegriffen werden. Über diese Frage haben andere ausgiebig diskutiert, und die Argumente sollen hier nicht wiederholt werden. 130 Am Schluss dieser Untersuchung steht vielmehr die Frage, inwiefern sich die ἄπιστοι-Bezeichnung in 2Kor 6,14 im Vergleich mit den Belegen aus 1Kor und 2Kor 4,4 lesen lässt. Erst im Anschluss daran stellt sich die Frage, ob sich aus 128 Fee 1977, 156. 129 Vgl. Fee 1977, 157. 130 Einen detaillierten Forschungsüberblick mit allen denkbar vertretbaren Varianten (bis 1994) bietet Bieringer 1994, S. besonders die Tabelle 559. Weiterhin als Aktualisierung von Bieringers Beitrag Nathan 2013, besonders 217–222 (bis 2006); weiterhin: Trebilco 2017, 60–62; Adewuya 2003, 15–29; Heil 1996, 727–729; Webb 1993, 16– 30.
Die ἄπιστοι und die abgrenzende Sprache innerhalb der Ekklesiologie
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diesen Beobachtungen etwas Nennenswertes für den Diskurs um Echtheit und Integrität ergibt. 1. In die literarkritische Diskussion um die mögliche Echtheit einer paulinischen Forderung zur Abgrenzung von den ἄπιστοι wurde unter anderem die Gegenüberstellung von πιστός und ἄπιστος in Vers 15 mit einbezogen. Gegenstand ist dabei vor allem die für Paulus ungewöhnlich erscheinende Verwendung des πιστός-Begriffs. 131 Gnilka argumentiert wegen des Gebrauchs des πιστός-Begriffs an dieser Stelle gegen die paulinische Autorschaft dieses Abschnittes. 132 Er ist der Ansicht, dass für 2Kor 6,15 „die technische Bedeutung ‚Gläubiger`“ angenommen werden muss, diese Bedeutung aber bei Paulus noch nicht angenommen werden darf. Vielmehr müsse man davon ausgehen, dass πιστός bei Paulus „die ursprüngliche Bedeutung von ‚glaubwürdig, zuverlässig, getreu`“ 133 behält. Der Bedeutungswandel spiegelt für ihn eine spätere Entwicklung wieder, 134 insofern erst die späteren Schriften des Neuen Testaments den entsprechenden Gebrauch des πιστός-Begriffs belegen würden. Dagegen hält Thrall es für durchaus möglich, dass „Paul himself [was] responsible for the linguistic developement whereby the adjective, in the sense ‚believing`, came to be used as a noun“. 135 Eine Entweder-Oder-Diskussion um die Möglichkeit, den technischen Gebrauch von πιστός im Sinne der Bedeutung ‚Gläubiger` annehmen zu können oder nicht, geht jedoch fehl. Dieses Urteil verkürzt die Ambiguität der πιστ*Wortgruppe und grenzt sie zielsprachlich durch angeblich geprägte Bedeutungen zu sehr ein. Es ist alles andere als sicher, dass die Begriffe in den ersten Jahrzehnten ‚christlicher` Literatur klar auf eine bestimmte Bedeutung begrenzt sein sollten. Gerade für Paulus erweckt es den Eindruck, als sei er im schriftlichen Austausch mit den neu gegründeten Ekklesien begrifflich alles andere als festgelegt. Es scheint vielmehr so, als experimentiere er damit, sprachlich adäquat beschreiben zu können, was im Begriff ist, sich als Gruppe zu formen und festigen. Dabei gehören die verschiedenen Bedeutungsspektren der πιστ*-Wortgruppe zusammen und sollten nicht getrennt gelesen werden. Auch wenn je und je ein anderer Aspekt im Vordergrund stehen mag, ist zudem mit bewusst eingesetzter Ambiguität zu rechnen. Des Weiteren kann eine Übersetzung von πιστός und ἄπιστος mit ‚gläubig` und ‚nichtgläubig` der Sache nach das-
131 132 133 134 135
S.o. S. 164. Gnilka 1963, 92; vgl. Furnish 1986, 362 f. Gnilka 1963, 92. Vgl. Gnilka 1963, 92. Thrall 1994, 475.
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Unvereinbarer Umgang mit ἄπιστοι – 2Kor 6,14–7,1
selbe meinen, wie ‚Gott/Jesus Christus/dem Evangelium treu` oder ‚Gott/Jesus Christus/dem Evangelium untreu`. 136 2. Häufiges Argument in der Diskussion um die Echtheit und Integrität von 2Kor 6,14–7,1 ist ein angeblicher Widerspruch, der im paulinischen Sprachgebrauch im Zusammenhang mit der ἄπιστοι-Bezeichnung wahrgenommen wird. Entsprechende Autoren sind der Ansicht, mit „der hier vorliegenden Heidenpolemik [. . .] würde er [Paulus] sich selbst widersprechen“ 137. Als Widerspruch wird dabei auf der einen Seite die „in massiver Form vorgebrachte Forderung, Christen dürften unter keinen Umständen gemeinsame Sache mit den ‚Ungläubigen` machen“ 138, aus 2Kor 6,14 gesehen, und auf der anderen Seite die aufgeschlossene Haltung gegenüber dem Kontakt mit den Nichtgläubigen, so wie es Paulus in 1Kor schreibt. 139 Dabei wird vor allem darauf hingewiesen, dass zwischen 2Kor 6,17 und 1Kor 5,9 f. ein nicht lösbarer Widerspruch bestünde: 2Kor 6 17„Daher: ‚Geht hinaus (ἐξέλθατε) aus ihrer Mitte und sondert euch ab`“. 1Kor 5 10„nicht mit allen Unzüchtigen der Welt [sollt ihr keinen Umgang haben] [. . .], sonst müsstet ihr aus der Welt hinausgehen (ἐξέλθατε)“.
Neben den als Spannung empfundenen Unterschieden zwischen 1Kor 5,9 f. und 2Kor 6,17 wird weiterhin auf Widersprüche zur Offenheit gegenüber gemischten Ehen (7,12–14), Einladungen von Nichtgläubigen (10,27) und deren Anwesenheit in der Eklessia (14,23–25) verwiesen. 140 Aber auch auf Spannungen zu Texten des Galaterbriefes (v.a. 2,11–21) 141 wurde aufmerksam gemacht. 142 Diesen Argumenten ist insofern zuzustimmen, als Paulus in 2Kor 6,14–7,1 unleugbar fordert, sich von den ἄπιστοι abzugrenzen. Zuzustimmen ist ebenfalls der Feststellung, dass Paulus nirgends in 1Kor eine derart scharfe Abgrenzung von den Nichtgläubigen fordert. Bestritten werden muss hingegen, dass sich darin ein Widerspruch verbirgt. Ebenso ist die Schlussfolgerung, 136 Vgl. DeSilva 1993, 8, der gegen Furnish 1986, 362 f. und eine Limitierung der Begriff ἄπιστος und πιστός argumentiert. Eine mögliche alternative Übersetzung des ἄπιστος-Begriffs, so de Silva, wäre „unfaithful to the gospel“. 137 Grässer 2002, 265. 138 Lindemann 1994, 84; s.a. Lindemann 2016 209. 139 Ähnlich Gnilka 1963, 96: „Die in 2Kor 6,14–7,1 erhobene Forderung, sich von der heidnischen Umwelt radikal zu trennen, scheint mit dem paulinischen Verständnis des Verhältnisses Heide/Christ nicht übereinzustimmen.“; vgl. Leppä 2005, 374 f.; Heil 1996, 724 f. 140 Vgl. Lindemann 1994, 84 f. 141 Denn hier verurteilt Paulus, dass Petrus sich von den Heiden absondert (ἀφορίζω), mit denen er zuvor noch gegessen hatte. 142 Betz führen seine Untersuchungen im Vergleich von 2Kor 6,14–7,1 und Gal zu der unweigerlichen Schlussfolgerung, dass 2Kor 6,14–7,1 nicht nur sicher nicht von Paulus stammen kann, sondern anti-paulinisch sein muss; vgl. Betz 1973, 108.
Die ἄπιστοι und die abgrenzende Sprache innerhalb der Ekklesiologie
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dass hier ein nicht von Paulus stammender Text vorliegen müsse, alles andere als zwingend. Die Ansicht, dass die Abgrenzungsforderung in 2Kor 6,14 der Pragmatik des 1Kor widerspreche, übersieht die gänzlich voneinander verschiedene Kommunikationssituation, vor allem von 1Kor 5 und 2Kor 6,14– 7,1. In 1Kor 5 muss Paulus einen Fall von πορνεία in der korinthischen Ekklesia diskutieren (V. 1). Es geht im Weiteren darum, unter welchen Umständen jemand, der sich Bruder nennt (V. 11), aus einer bestehenden Gemeinschaft hinauszuschaffen ist (ἐξαίρω V. 13; vgl. V. 7). Alles, was draußen ist hingegen, muss und soll die Ekklesia von Korinth nicht interessieren (V. 12), denn sonst könnten sie mit niemandem mehr Umgang haben und müssten aus der Welt hinausgehen (V. 10). 2Kor 6,14–7,1 beschreibt eine völlig andere Situation. Die Metapher des Tempels Gottes weist darauf hin, dass es Paulus hier darum geht, die Ekklesia als einen abgetrennten Raum darzustellen, nämlich die Ekklesia als einer vom Alltag unabhängigen Instanz. 143 Die Forderung, keine ungleichen Verbindung mit Nichtgläubigen einzugehen, meint deshalb nicht, überhaupt keinen Kontakt mehr mit der sie umgebenden Welt zu pflegen, sondern bezieht sich auf den Kontakt mit Nichtgläubigen, der die Reinheit der Ekklesia kompromittieren würden. Das alttestamentliche Zitat aus Jes 52,11 ‚Zieht aus ihrer Mitte aus` (V. 17) beschreibt den Auszug der Ekklesia aus dem Alltag und keine komplette Abgrenzung von der Welt. Eine derartige Forderung ist für Paulus keineswegs neu. Auf der gleichen Ebene bewegt sich seine Argumentation in 1Kor 10. Hier wird die Ekklesia von Korinth dazu aufgefordert, den Götzendienst zu fliehen (φεύγετε ἀπὸ τῆς εἰδωλολατρίας V. 14) und keine Gemeinschaft mit den Dämonen (κοινωνός τῶν δαιµονίων V. 20) zu haben. Das Herrenmahl und die von Paulus mit Dämonen in Verbindung gebrachte Tischgemeinschaft schließen sich gegenseitig aus (V. 21). So wie die Ekklesia als Tempel Gottes keine Übereinstimmung mit den Götzenbildern haben kann (2Kor 6,16), so soll sie keine Gemeinschaft mit den Dämonen haben (1Kor 10,20) und dem Götzendienst fliehen (1Kor 10,14). In 143 Vgl. Wolter 2011, 262. Die Vorstellungen darüber, was und wann Ekklesia ist, sind freilich noch alles andere als fest. Paulus und die Mitglieder der jeweiligen Ekklesien experimentieren auf diesem Gebiet noch. Das spiegelt sich auch in vielen Texten des 1Kor wieder (1Kor 6: Hat es eine Bedeutung für das Verhalten vor Gericht, ob jemand ein ‚Bruder in Christus` ist oder nicht?; 1Kor 7: Hat die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Glaubenden Auswirkungen auf bereits bestehende Ehen?; usw.). Die Frage, inwiefern die Identität der neuen Gruppe der Glaubenden sich auf die konkrete Versammlung beschränkt, oder darüber hinaus auch in den Alltag hineinwirkt, ist noch offen. Die Verbindung mit der Tempelmetaphorik (Tempel = abgegrenzter Raum und konkreter Ort) lässt hier jedoch darauf schließen, dass für Paulus die jeweilige Versammlung im Blick ist.
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der Ekklesia steht also die Reinheit der Gemeinschaft der Glaubenden auf dem Spiel. Damit ist jedoch keinesfalls eine umfassende Separation der einzelnen Glaubenden von der sie umgebenden nichtgläubigen Welt gefordert. Im Vergleich verschiedener Situationen, in denen Paulus eine Abgrenzung von der Welt fordert, zeigt sich, dass vor allem zwischen der Abgrenzung der gesamten Ekklesia und einzelner Glaubender ein Unterschied besteht. Während Paulus den Einzelnen betreffend durchaus tolerant und pragmatisch ist (vor allem 1Kor 7,12–16 und 10,27), ist er die gesamte Ekklesia betreffend viel entschiedener (2Kor 6,14–7,1; vgl. 10,14–22). Auch sonst ist die Sprache von 2Kor 6,14–7,1 trotz ihrer Abgrenzungsforderung, nicht derart einzigartig, wie man zum Teil aufgrund der Beiträge in der Literatur meinen mag. Weder innerhalb des 2Kor, noch im Vergleich zu den übrigen Paulinen, steht die abgrenzende Sprache mit ihren starken Dualismen zwischen drinnen und draußen, zwischen ‚wir` und den ‚anderen` aus 2Kor 6,14–7,1 ohne Parallele dar. 144 Röm 12 2„Macht euch nicht gleich mit dieser Welt!“ Phil 2 15„Damit ihr untadelig und lauter seid, Kinder Gottes, ohne Makel, inmitten eines verkehrten und verdrehten Geschlechts.“
Am Ende dieser Untersuchung steht, dass nicht alle Widersprüche beseitigt werden konnten. Anliegen war und ist es auch nicht, eine widerspruchsfreie Lektüre von 2Kor 6,14–7,1 innerhalb des 2Kor und der paulinischen Briefe zu bieten. Die Ergebnisse der Untersuchung der ἄπιστοι-Bezeichnung in 2Kor 6,14–7,1 haben allerdings gezeigt, dass die in der Literatur beschriebenen Widersprüche bei weitem nicht so gravierend sind, wie sie oft dargestellt werden. 145 Mit Blick auf die Verwendung des ἄπιστος-Begriffs haben sich keine zwingenden Erkenntnisse ergeben, die dazu nötigen, die Echtheit oder Integrität dieses Abschnittes in Frage zu stellen. Vielmehr hat sich gezeigt, dass Paulus die ἄπιστοι-Bezeichnung in Vers 14 entsprechend des in 1Kor und 2Kor 4,4 zu beobachtenden Verwendungszusammenhangs gebraucht: nämlich um eine Gruppe von Menschen als den Christusglaubenden gegenüberstehende Größe zu kennzeichnen, die deshalb von diesen unterschieden sind, weil sie keine πίστις haben. Diese Feststellung ist insofern von zentraler Bedeutung, als sich die ἄπιστοι-Bezeichnung, wie sie in 1/2Kor vorliegt, nirgends sonst im Neuen Testament findet. Der ἄπι144 Vgl. Wolter 2011, 301 f.; DeSilva 1993, 4 f. 145 Den oben (S. 155) erwähnten Auffälligkeiten von angeblich unpaulinischem Material – z.B. die verschiedenen Hapaxlegomena, untypischen Vokabeln und die aneinandergereihten Schriftzitate (s. exemplarisch Wolff 1989, 146 f.) – steht gleichsam typisch paulinischer Sprachgebrauch gegenüber (s. exemplarisch Fee 1977, 147). Je nach Argumentation für oder gegen eine paulinische Autorschaft wird jeweils die eine oder andere Seite stärker gemacht.
Zusammengefasst
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στος-Beleg aus Vers 15 ist in diesem Zusammenhang nur von sekundärem Interesse, da sich gezeigt hat, dass Paulus ihn im Gegenüber zum πιστός-Begriff nicht als Bezeichnung eines Einzelnen aus der Gruppe der ἄπιστοι bezeichnet, sondern eine typologische Beschreibung eines Menschen vornimmt, dessen Eigenschaft es ist, ungläubig/untreu zu sein.
Zusammengefasst 1. In 2Kor 6,14–7,1 macht Paulus zum ersten Mal den Kontakt mit den ἄπιστοι eigens zum Thema. Bisher war der ἄπιστοι-Bezeichnung vor allem explikative Funktion innerhalb eines anderen Themas im Rahmen der Drinnen-Draußen-Diskussion zugekommen. Mit Hilfe der ἄπιστοι-Bezeichnung hat Paulus in den entsprechenden Passagen je einen besonderen Aspekt der ‚Draußen` hervorgehoben und sie damit von den Glaubenden abgegrenzt. Die Besonderheit von 2Kor 6,14–7,1 gegenüber den übrigen Belegstellen der ἄπιστοι-Bezeichnung ist, dass es Paulus hier erstmals dezidiert um die ἄπιστοι geht: und zwar um die Vermeidung des Kontaktes mit ihnen. 2. Den Kontakt mit den ἄπιστοι, vor dem Paulus die Ekklesia von Korinth warnt, beschreibt er mittels des Begriffs ἑτεροζυγέω. Paulus bringt mit diesem Hapaxlegomenon zum Ausdruck, dass durch die Verbindung eines Glaubenden und eines Nichtgläubigen ein ungleiches Paar entstehen würde. Das Kompositum aus den Begriffen ἕτερος und ζυγέω zeigt die Verschiedenheit innerhalb dieser Zweiheit an. Es geht darum in 2Kor 6,14 nicht um ein ‚fremdes Joch`, an dem die Glaubenden nicht ziehen dürfen, sondern um die Verbindung – metaphorisch durch das gemeinsame Ziehen an einem Joch beschrieben – mit den ἄπιστοι, welche an sich fremd ist und deshalb nicht eingegangen werden soll. An welche Art von Verbindungen Paulus gedacht haben mag, bleibt Spekulation. Die ἄπιστοι-Belegstellen aus 1Kor bieten dafür viele Anhaltspunkte. Zielrichtung der paulinischen Pragmatik – darauf weist die verwendete Sprache hin: ‚Tempel-Gottes-Sein`, ‚Wohnung Gottes`, ‚Reinheit` – ist die Bewahrung der Heiligkeit der Ekklesia. Das bedeutet umgekehrt, dass solche Verbindungen zu meiden sind, welche ebenjene Heiligkeit kompromittieren würden. 3. Die Unmöglichkeit der Verbindung von Ungleichem zu einem Paar, verdeutlicht Paulus durch einen parallel aufgebauten Dualismus mit fünf Gegensatzpaaren. Die von Paulus verwendete Sprache erinnert an 2Kor 4,1–6: Er grenzt hier erneut klar zwei Bereiche voneinander ab. Die exklusive Sprache macht deutlich, dass die Zugehörigkeit zu einem Bereich, die Zugehörigkeit zum jeweils anderen ausschließt.
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Unvereinbarer Umgang mit ἄπιστοι – 2Kor 6,14–7,1
4. Im Zusammenhang mit der Untersuchung des paulinischen Gebrauchs der ἄπιστοι-Bezeichnung ließen sich keine zwingenden Argumente gegen die paulinische Echtheit von 2Kor 6,14–7,1 oder dessen Integrität finden – eher im Gegenteil. Gerade die Verwendung des ἄπιστος-Begriffs spricht für eine paulinische Autorschaft. Denn so wie in 2Kor 6,14 f. verwendet Paulus den Begriff auch in 2Kor 4,1–6 und den Belegstellen des 1Kor. Sonst ist der Begriff in diesem Verwendungszusammenhang im gesamten Neuen Testament äußerst selten. Auch die angeblich für Paulus nicht typische Forderung zur ‚Absonderung` erscheint bei genauerer Betrachtung der jeweiligen Kommunikationssituation nicht unpaulinisch. 5. Das Interesse der ἄπιστοι-Bezeichnung eine entsprechende Referenzgruppe zuzuordnen, ist in der Literatur bemerkenswerterweise für 2Kor 6,14–7,1 deutlich stärker, als für alle anderen Stellen, an denen Paulus auf die ἄπιστοι zu sprechen kam. Mehrheitlich bewegt sich der Diskurs um die Optionen, ob Paulus damit seine sogenannten Gegner im Blick hätte, also andere ‚Christen` in Opposition zu ihm, oder ob er damit die heidnische Welt bezeichne. Wichtiger als die exakte Bestimmung einer Referenzgruppe der ἄπιστοι-Bezeichnung (deskriptiver Gebrauch), ist allerdings deren Normativität innerhalb der Kommunikation zwischen Paulus und der Ekklesia von Korinth. Die starken Dualismen und die exklusive Sprache weisen darauf hin, dass zwischen den beiden Bereichen, zwischen denen keine Gemeinsamkeit möglich ist, eine scharfe Trennung besteht. Die Zugehörigkeit, beziehungsweise die Nicht-Zugehörigkeit, legt Paulus anhand der vorhandenen oder abwesenden πίστις fest. Inhärent ist den Begriffen in ihrer Gegenüberstellung die Warnung, nicht auf die andere Seite zu fallen. Damit erübrigt sich in gewisser Weise auch die Bestimmung einer Referenz. Denn für Paulus dürfte es keine Rolle spielen, ob der oder diejenige sich selbst als πιστός versteht, oder nicht. Paulus verwendet die ‚Drinnen`- und ‚Draußen`-Bezeichnungen der πιστ*-Wortgruppe nicht deskriptiv, im Sinne der Beschreibung verschiedener existierender Gruppen, sondern normativ, im Sinne der paränetischen Vergewisserung der Ekklesia von Korinth, auf der Seite der πιστεύοντες/πιστοί zu bleiben und nicht zu ἄπιστοι zu werden.
11 Die anderen ‚Draußen`-Bezeichnungen 11.1 ‚Draußen`-Bezeichnungen in den Paulusbriefen Der Diskussion der einzelnen Belegstellen der ἄπιστοι-Bezeichnung folgt nun eine vergleichende Betrachtung im Verhältnis zu den anderen ‚Draußen`Bezeichnungen in den Paulusbriefen. Leitend ist dabei die Frage, was die jeweiligen Bezeichnungen für die ‚Draußen` semantisch miteinander teilen und inwiefern sie sich unterscheiden, in welchen Verwendungszusammenhängen sie gebraucht werden und welche pragmatische Funktion sie erfüllen. Für den Vergleich werden zunächst noch einmal jene Begriffe nebeneinander gestellt, die bereits in den jeweiligen Kapiteln zusammen mit den ἄπιστοι diskutiert wurden: οἱ ἔξω („die Draußen“ 1Kor 5,12); οἱ ἄδικοι („die Nichtgerechten“ 1Kor 6,1); οἱ ἰδιῶται („die Unkundigen“ 1Kor 14,23 f.); οἱ ἀπολλύµενοι („die Verlorenen“ 2Kor 4,3) (11.1.1). Darauf folgt die kurze Darstellung einer Bezeichnung, die den ἄπιστοι lexikalisch und semantisch in gewisser Weise nahe steht: οἱ ἀπειθοῦντες („die Ungehorsamen“ Röm 15,31) (11.1.2). Zuletzt werden zwei Begriffe besprochen, die im Zusammenhang der Versprachlichung ‚christlicher` Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit eine wichtige Rolle spielen, deren Verwendungszusammenhang sich von den übrigen Bezeichnungen aber in bestimmter Weise unterscheidet: οἱ ᾿Ιουδαῖοι und τὰ ἔθνη (11.1.3).
11.1.1 Die anderen ‚Draußen`-Bezeichnungen im Umfeld der ἄπιστοι-Bezeichnung Die Bezeichnungen οἱ ἔξω, οἱ ἄδικοι, οἱ ἰδιῶται und οἱ ἀπολλύµενοι wurden bereits in den vorangegangen Kapiteln vorgestellt und diskutiert. Keine von ihnen kommt besonders häufig in den Paulusbriefen vor. Neben den jeweils besprochenen Belegstellen im Kontext der ἄπιστοι-Bezeichnung kommen die Bezeichnungen οἱ ἔξω nur einmal (1Thess 4,12), οἱ ἀπολλύµενοι nur zweimal (1Kor 1,18; 2Kor 2,15) und die Bezeichnungen οἱ ἄδικοι und οἱ ἰδιῶται kein weiteres Mal in den Paulusbriefen vor. Zusammen mit der ἄπιστοι-Bezeichnung beschreiben alle Begriffe die Unterschiedenheit einer Person oder Personengruppe von der Ekklesia Gottes. Dabei unterstreicht jede Bezeichnung einen bestimmten Aspekt der Andersartigkeit und hat eine bestimmte Funktion in ihrem Verwendungszusammenhang. Ging es bisher um den Vergleich der jeweiligen Begriffe mit der ἄπιστοι-Bezeichnung und um die Frage, inwiefern sich die jeweiligen Begriffe und die ἄπιστοι-Bezeichnung gegenseitig semantisch bereichert haben, sollen nun alle Bezeichnungen nebeneinander gestellt werden.
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Die anderen ‚Draußen`-Bezeichnungen
οἱ ἔξω (1Kor 5,12 f.) Bei οἱ ἔξω 1 handelt es sich um einen Begriff, der bereits der lexikalischen Bedeutung nach eine ‚Draußen`-Bezeichnung ist. Sie verortet die Bezeichneten im wahrsten Sinne des Wortes außerhalb. Zugehörigkeit wird insofern als innerhalb (ἔσω) verstanden. Wer nicht dazugehört, befindet sich entsprechend außerhalb (ἔξω). Raum wird dabei zu einer sozialen Metapher. Die Zuweisung von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit mittels dieser Raum-Metapher kreiert eine starke Grenze zwischen der Gesamtgesellschaft und denen, die sich innerhalb aller Menschen als Teilgruppe der ‚Drinnen` verstehen. Zwischen den ‚Drinnen` und den ‚Draußen` kann es keine Zwischenzustände und Graustufen geben. Die Zuordnung wird dabei immer so vorgenommen, dass ‚Drinnen` eine Selbstbezeichnung ist, während die Anderen als die ‚Draußen` bezeichnet werden. Die Bezeichnung ist freilich nicht genuin paulinisch oder neutestamentlich, sondern ist ebenso in jüdischen und nicht-jüdischen Texten der griechischsprachigen Literatur dieser Zeit zu finden. 2 Weder ist mit den Begriffen etwas beschrieben, das spezifisch zu der Unterscheidung zwischen den Glaubenden und den Nichtgläubigen gehören würde, noch haben sie ein dezidiert theologisches Profil. 3 Bemerkenswert ist, dass Paulus die Begriffe ἔξω und ἔσω absolut verwendet. Das heißt, es fehlen Angaben darüber, in Bezug auf was die so Bezeichneten drinnen oder draußen sind. Offensichtlich ist nur, dass die als οἱ ἔσω Bezeichneten die Mitglieder der Ekklesia sind, οἱ ἔξω hingegen die sie umgebende Welt. Wer die ἔξω sind und wie diese sich verhalten, ist für Paulus nicht von Interesse. Die Bezeichnung οἱ ἔξω dient als Kontrastbegriff zu οἱ ἔσω und beschreibt ganz allgemein alle anderen als ‚Draußen`. Funktional kommt der Bezeichnung in 1Kor die Abgrenzung der Ekklesia von der heidnischen Welt in Korinth zu. Ähnliche Funktion haben die Bezeichnungen οἱ λοιποί („die Übrigen“) und ὁ κόσµος („die Welt“): Es handelt sich um Sammelbegriffe für alle Menschen des nichtgläubigen Umfeldes der Ekklesia, die zugleich auch die Minderheitensituation der Glaubenden innerhalb der sie umgebenden Welt zum Ausdruck bringen. Das gilt vor allem für κόσµος, womit die Gesamtheit aller Menschen 4 außerhalb der Ekklesia in den Blick genommen wird („Wenn wir vom Herrn gerichtet werden, so werden wir zurecht gebracht, damit wir nicht mit der Welt verurteilt werden.“ 1Kor 11,32; vgl. 1Kor 6,2; 2Kor 7,10). Die Verwendung des Begriffs κόσµος als einem Abgrenzungsbegriff entspricht der Erfahrung der Marginalisierung und Isolation vom sozialen Kontext innerhalb der ‚Welt`. Während die Glaubenden sich als von 1 2
3 4
S. Kap. 5.2. So z.B. Thucydides V 57,2 οἱ ἔξωθεν; Xenophon, Hell. II 4,1; Strabo, Geogr. III 2,5; XVI 4,22; Sir 1,5 τοῖς ἐκτός; Josephus, Ant. XVI 159: τοὺς ἔξω; vgl. S. 50; s.a. bei Trebilco 2017, 87–90. Vgl. Trebilco 2017, 111. Vgl. Wolter 2014, 1895.
‚Draußen`-Bezeichnungen in den Paulusbriefen
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der Welt verschieden erfahren (vgl. Gal 6,14; Kol 2,20) und sich in dieser Form abgrenzen (vgl. Lk 12,30; Joh 7,7; 1Kor 6,2), sind sie dennoch Teil der Welt (vgl. 1Kor 5,10) und mit ihr verbunden (z.B. durch eine Ehe mit einem nichtgläubigen Partner 1Kor 7,12–16; vgl. 33 f.). 5 Die Abgrenzung von allen anderen Menschen trifft auch für die Bezeichnung οἱ λοιποί in 1Thess 4,13 zu (vgl. 5,6). Auch wenn der Begriff λοιπός zunächst den übrig geblieben Teil eines Ganzen bezeichnet, 6 wird in 1Thess 4,13, wie auch in 5,6, eine klare Grenze zwischen den angesprochenen Brüdern (οἱ ἀδελφοί) und allen anderen (οἱ λοιποί) Menschen gezogen. 7 Bemerkenswert ist in 1Thess 4,13 der abgrenzende Zusatz οἱ µὴ ἔχοντες ἐλπίδα („die keine Hoffnung haben“). Die Anderen werden damit als diejenigen beschrieben, die die Hoffnung auf Christi Auferstehung 8 (4,14) nicht mit den Glaubenden in Thessalonich teilen und deshalb von ihnen unterschieden sind. 9 Damit werden die Anderen mithilfe eines Mangels an etwas 10 beschrieben, das die Glaubenden Thessalonicher besonders auszeichnet. Gleichzeitig werden die Glaubenden damit daran erinnert, dass sie diejenigen sind, die Hoffnung haben (1,3; 2,19; 5,8). 11
Eine Eigenheit der Bezeichnung οἱ ἔξω ist es, dass sie einerseits deutlich einen Außenbereich abgrenzt, in den hinaus die Glaubenden ihre internen Angelegenheiten nicht tragen sollen – konkret die in 1Kor 6,1–6 thematisierten Rechtsstreitigkeiten –, andererseits jedoch weder die Möglichkeit noch die Notwendigkeit besteht, sich von den ‚Draußen` komplett zu trennen. Paulus strebt also für die Ekklesia kein sektiererisches Ausgrenzen von der sie umgebenden Welt an, fordert allerdings dazu auf, sich über ein angemessenes Verhalten in und gegenüber der sie umgebenden Welt, den ‚Draußen`, bewusst zu sein. Das geschieht jedoch in einem paradoxen Wechselspiel zwischen notwendiger und nicht möglicher Ab- und Ausgrenzung. οἱ ἄδικοι (1Kor 6,1.9) Wie schon für die Bezeichnung οἱ ἔξω, gilt auch für die Bezeichnung οἱ ἄδικοι 12, dass sie weder genuin paulinisch noch neutestamentlich ist, sondern in Literatur und Alltagssprache der Umwelt bekannt und gebräuchlich. Ob Paulus im Zusammenhang von 1Kor 6,1–11 die Bezeichnung verwendet, um die von den ἅγιοι unterschiedenen ‚Draußen` als solche zu kennzeichnen, die ‚Unrecht tun` und ‚ungerecht sind`, oder ob er damit nicht eher im Gegenüber Vgl. Wolter 2014, 1896. S. dazu z.B. in substantivierter Form 1Kor 7,12 als Beschreibung aller übrigen unter den Verheirateten. 7 Vgl. Trebilco 2017, 236 f. 8 Zur engen Verbindung von ἐλπίς und πίστις s.a. Röm 4,18. 9 Vgl. Holtz 1986, 189. 10 Vgl. dazu auch die Formulierung τὰ ἔθνη τὰ µὴ εἰδότα τὸν θεόν („Die Heiden, die Gott nicht kennen“). 11 Vgl. Haufe 1999 , 83. 12 S. Kap. 5.4. 5 6
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Die anderen ‚Draußen`-Bezeichnungen
zur Ekklesia betonen will, dass die ἄδικοι nicht δίκαιος sind, muss nicht als Entweder-Oder entschieden werden. Es geht ihm auf pragmatischer Ebene sicher mehr um den Kontrast zwischen der Ekklesia und den ἄδικοι. Dass er allerdings gerade im Kontext des Richtens die ‚Draußen` ἄδικοι nennt, betont noch einmal mehr, dass diese nicht geeignet sind zu richten. Deutlich ist jedoch, dass das Interesse des Paulus abermals nicht bei den ‚Draußen` liegt, sondern darin, diese in einer bestimmten Art und Weise von der Ekklesia zu unterscheiden. Dabei sagt Paulus mehr über seine eigene Vorstellung von der Zusammensetzung und dem Verhalten der Ekklesia als über die ‚Draußen` selbst. Deshalb verwendet er in 1Kor 6,1–11 für sie Begriffe in privativer Form (ἄ-πιστος und ἄ-δικος). οἱ ἰδιῶται (1Kor 14,16.23 fa.) Der ἰδιώτης-Begriff 13, den Paulus in 1Kor 14 zusammen mit der ἄπιστοι-Bezeichnung gebraucht, bringt einen völlig neuen Aspekt in die Drinnen-Draußen-Diskussion ein. Im Kontext der paulinischen Argumentation über das Verhältnis von Prophetie und Glossolalie in der Versammlung liegt der Bedeutungsschwerpunkt der ‚Draußen`-Bezeichnungen οἱ ἄπιστοι und οἱ ἰδιῶται darin, dass diese nicht über die selben Kenntnisse und πνευµατικά verfügen wie die ‚Drinnen`-Gruppe. Der auch in der griechischsprachigen Literatur der Umwelt in diesem Sinne gebrauchte ἰδιώτης-Begriff beschreibt vor allem die Unkenntnis des ἰδιώτης gegenüber einem Experten. Die Experten, das heißt die Angehörigen der eingeweihten ‚Drinnen`-Gruppe, sind im Fall von 1Kor 14,20–25 die πιστεύοντες. Für die Kombination mit dem ἄπιστος-Begriff ist vor allem von Bedeutung, dass damit ausgesagt wird, die ἄπιστοι hätten nicht das mit der πίστις einhergehende Verständnis und Wissen, sondern sind ἰδιῶται gegenüber den Experten. Die Funktion des Begriffs liegt darin, der Ekklesia von Korinth vor Augen zu führen, dass die ‚Draußen` bestimmte Kenntnisse nicht haben. Das wiederum führt dazu, dass die ‚Draußen`, sofern sie in die Versammlung hinein kommen, die dort praktizierte Glossolalie nicht verstehen und womöglich sogar abgeschreckt werden. Mit Blick darauf, dass die Glaubenden in der Versammlung keinen merkwürdigen Eindruck bei hineinkommenden Nichtgläubigen hinterlassen sollen und dass man solche für den Glauben gewinnen möchte, ist die verständliche Prophetie gegenüber der unverständlichen Glossolalie zu bevorzugen. οἱ ἀπολλύµενοι (1Kor 1,18; 2Kor 2,15; 4,3) Im Gegensatz zu οἱ ἔξω, οἱ ἄδικοι und οἱ ἰδιῶται betrachtet die Bezeichnung οἱ ἀπολλύµενοι 14 die ‚Draußen` aus eschatologischer Perspektive und verbindet 13 S. Kap. 8.4.1. 14 S. Kap. 9.3 und 9.4.
‚Draußen`-Bezeichnungen in den Paulusbriefen
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die Gewissheit der ‚Drinnen`, gerettet zu werden, mit der den ‚Draußen` bevorstehenden Vernichtung. Die Analyse des Begriffsfeldes ‚verloren` hat zweierlei gezeigt: Zum einen ist die von Paulus gewählte Opposition zu Verloren-Sein das Gerettet-Sein – daher ist die entsprechende ‚Drinnen`-Bezeichnung οἱ σῳζώµενοι (1Kor 1,18; 2Kor 2,15). Zum anderen entscheidet sich für Paulus, wie für die übrigen Autoren des Neuen Testaments, die Frage, wer auf welche Seite gehört, daran, wie man zum Christusgeschehen und dem Evangelium steht. Mit beiden Begriffen einher geht eine dualistische Zweiteilung der Menschheit in diejenigen, die gerettet werden und diejenigen, die verloren gehen. In diesem Zusammenhang ändern sich auch der Begriffsinhalt der ἄπιστοι-Bezeichnung und das Interesse an den ‚Draußen` überhaupt. Stellten der ἄπιστος-Begriff und die damit verbundenen Bezeichnungen οἱ ἔξω, οἱ ἄδικοι und οἱ ἰδιῶται vor allem je einen Aspekt in den Vordergrund, der die ‚Drinnen` auszeichnet und umgekehrt deren Fehlen die ‚Draußen` als Nicht-Zugehörige kennzeichnet, geht es in 2Kor 4,1–6 auch darum, dass die ἄπιστοι eine bestimmte Eigenschaft haben, die sie als ‚Draußen` erkennbar macht: nämlich dem Evangelium nicht zu glauben. Dabei dient diese Eigenschaft der ἄπιστοι in 2Kor 4,4 als Erklärung für das Geschick der ‚Draußen`: Weil sie dem Evangelium nicht glauben, sind sie als Verlorene von der Rettung ausgeschlossen. 15 Die einzelnen Begriffe, die zusammen mit der ἄπιστοι-Bezeichnung belegt sind, heben jeweils ein bestimmtes Merkmal der ‚Draußen` hervor. Es handelt sich um Eigenschaftsabstrakta, die die ‚Draußen` auf eine bestimmte Weise als unterschieden von der Ekklesia darstellen sollen. Deutlich wurde aber auch die klare Trennung, die durch die Bezeichnungen vorgenommen wird. Das zeigt sich zum einen dadurch, dass alle ‚Draußen`-Bezeichnungen in ihrem literarischen Kontext immer im Kontrast zur Ekklesia und zu bestimmten ‚Drinnen`-Bezeichnungen vorkommen und nicht die ‚Draußen` selbst das Thema sind. Zum anderen lassen die Bezeichnungen allesamt keine Uneindeutigkeiten der Zuordnung von drinnen und draußen zu und definieren klare Grenzen.
11.1.2 Die ἀπειθοῦντες in Judäa 1. Die Bezeichnung einer Draußengruppe als οἱ ἄπιστοι begegnet abgesehen von 1/2Kor in keinem anderen Paulusbrief. Am Ende des Römerbriefes benutzt er allerdings eine Bezeichnung, die der ἄπιστοι-Bezeichnung lexikalisch und semantisch sehr nahe steht. Es lohnt sich deshalb, in gegebener Kürze, in diesem Kapitel beide Bezeichnung vergleichend zu betrachten. 15 Im Hintergrund steht die eschatologische Erwartung des Paulus; vgl. Röm 5,9–11; 1Thess 1,10.
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Die anderen ‚Draußen`-Bezeichnungen
Zum Abschluss des Röm berichtet Paulus von seinen zukünftigen Reiseplänen, die auch einen Besuch in Jerusalem beinhalten (15,25) und ihn danach, so seine Hoffnung, nach Rom führen werden. Im Zusammenhang mit den Plänen nach Jerusalem zu reisen, bringt er seine Sorge zum Ausdruck, dort nicht willkommen zu sein und deshalb eventuell sogar von seinen Plänen nach Rom zu reisen abgehalten zu werden (V. 32). Röm 15 31„dass ich vor den Ungehorsamen (οἱ ἀπειθοῦντες) in Judäa bewahrt werde und meine Aufgabe für Jerusalem bei den Heiligen willkommen ist,“
Mit Blick auf seine Reise nach Jerusalem fühlt Paulus sich offensichtlich bedroht und hofft auf die Bewahrung vor dieser Bedrohung. Diejenigen, von denen diese Bedrohung ausgeht, bezeichnet er als οἱ ἀπειθοῦντες ἐν τῇ ᾿Ιουδαίᾳ („die Ungehorsamen in Judäa“). 16 Damit beschreibt Paulus diejenigen jerusalemer Juden, die nicht zum Glauben an das Evangelium gekommen sind. Klar von diesen abgegrenzt sind οἱ ἅγιοι („die Heiligen“), 17 womit andererseits die glaubenden Juden in Jerusalem beschrieben sind. In dessen Dienst steht Paulus Reise dorthin (V. 25) und bei ihnen muss er nicht um sein Leben, sondern nur um die willkommene Annahme der gesammelten Kollekte (V. 26) fürchten. 2. Mit der Bezeichnung der nichtgläubigen Juden als οἱ ἀπειθοῦντες verwendet Paulus einen in der Septuaginta gebräuchlichen Begriff, der die Abkehr Israels von Gott, beziehungsweise seinen Worten, Gesetzen und Weisungen, beschreibt (z.B. Num 11,20 ἀπειθέω κυρίῳ; Dtn 1,26 ἀπειθέω τῷ ρἥµατι κυρίου τοῦ θεοῦ ὑµῶν). 18 In den verschiedenen Texten des Alten Testaments 19 wird mit Hilfe des Begriffs ἀπειθέω Israel vorgeworfen, es wende sich bewusst von Gott ab und gehorche seinem Wort nicht, das sie von ihm vernommen haben. Diesem Motiv bedient sich Paulus in Röm im Kontext seiner Fragestellung, warum ein Teil Israels nicht zum Glauben an Jesus Christus gekommen ist. In Röm 10,21 greift er direkt auf eine alttestamentliche Vorlage zurück und zitiert Jes 65,2LXX („Den ganzen Tag habe ich meine Hände zu einem Volk ausgestreckt, das ungehorsam ist (ἀπειθοῦντος) und widerspricht.“) Damit beschreibt er Israel in Anschluss an Jesaja als ungehorsames Volk, das trotz er16 Mit Judäa (vgl. 2Kor 1,16; Gal 1,22; 1Thess 2,14) könnte Paulus die 6 n. Chr. gegründetet römische Provinz ‚Iudaea` meinen, oder aber allgemein den geographischen Raum imUmfeld seines Reiseziels Jerusalem. Vgl. Wolter 2019, 450. 17 Zu den ‚Heiligen` s. 73. Im Besonderen zur Bezeichnung der Jerusalemer Glaubenden als ‚Heilige` s. Bohlen 2011, 81–95. 18 Weiterhin s.a.: Ex 23,21; Lev 26,15; Num 14,23; 20,10; Dtn 9,7.23 f.; Jos 1,18; 5,6; Ps 67,19; Spr 1,25; 24,21; Sir 2,15 uvm.; Sach 7,12; Jes 1,25 uvm.; Bar 1,18 f.; Ez 3,27. Vgl. Wolter 2019, 222.450. 19 Die Durchsicht der Belegstellen hat gezeigt, dass der Begriff, wie auch der Bezug auf Gott und sein Wort, in allen Schriftengruppen des AT vorkommt: Torah, Propheten und Weisheit.
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gangener und gehörter Verkündigung (10,18), nicht glaubt. Weiterhin verwendet Paulus ἀπειθέω in 11,30 f. 20 um Israels Ablehnung des Evangeliums zu beschreiben. 21 Der Verwendungszusammenhang des Begriffs in der Septuaginta und dessen Aufnahme durch Paulus zeigt, dass mit ἀπειθέω die aktive Abkehr Israels von den Weisungen und Geboten Gottes beschrieben wird. 22 Von daher unterscheidet sich das semantische Profil der ἀπειθοῦντες-Bezeichnung entscheidend von dem der ἄπιστοι-Bezeichnung und es ist insofern wenig hilfreich, οἱ ἀπειθοῦντες durch eine deutsche Übersetzung mit „die Ungläubigen“ 23 der ἄπιστοι-Bezeichnung anzugleichen. 24 Der alttestamentlichen Vorlage und dem entsprechenden Verwendungszusammenhang ist eine Übersetzung mit „die Ungehorsamen“ 25 passender. 3. Der Kontext der jeweiligen Briefe, sowie der jeweilige Verwendungszusammenhang, lassen bereits den entscheidenden Unterschied der Bezeichnungen οἱ ἄπιστοι und οἱ ἀπειθοῦντες erkennen. In den Korintherbriefen wendet sich Paulus an die Ekklesia von Korinth, die vor allem aus nichtjüdischen Glaubenden besteht. Die ἄπιστοι-Bezeichnung verwendet er, um die Grenzen zu ihrer (‚heidnischen`) Umwelt zu definieren. Sein Interesse gilt dabei vor allem den Glaubenden. Die Nichtgläubigen sind, abgesehen von 2Kor 4,1–6, nur mittelbar von Interesse, insofern sie mit der Ekklesia in Kontakt kommen und deren Zusammensein und Verhalten zueinander beeinflussen. Warum sie nicht glauben, ist, wiederum abgesehen von 2Kor 4,1–6, 26 nicht Thema und die Frage, ob sie das Evangelium vernommen haben, oder ob nicht, steht daher nicht zur Debatte. In Röm hingegen ist die Fragestellung ganz anders gelagert. Paulus, der sich den nichtjüdischen Glaubenden in Rom mit einem Brief samt einer Darstellung seiner Theologie vorstellt, tut dies im Gespräch mit dem nicht-
20 „Denn wie ihr [die Glaubenden in Rom] einst ungehorsam (ἀπειθέω) gegen Gott wart, jetzt durch ihren [die nichtgläubigen Juden] Ungehorsam (ἀπείθεια) Erbarmen erfahren habt, so sind sie jetzt ungehorsam geworden (ἀπειθέω), wegen der Barmherzigkeit, die ihr erlangt habt, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen.“ 21 Vgl. Jewett 2007, 935 f. 22 Möglicherweise wählt Paulus aus diesem Grund das substantivierte Partizip des Verbs ἀπειθέω für die Bezeichnung und nicht eine substantivierte Form des Adjektives ἀπειθής. S. dazu 42. 23 So z.B. Lohse 2003, 398; Fitzmyer 1993, 724; Käsemann 1980, 391. 24 Vgl. Trebilco 2017, 74 f. Anm. 160. 25 So auch alle gängigen deutschen Bibelübersetzungen, wie auch die meisten Kommentare: s. z.B. Wolter 2019, 436; Haacker 2012, 358; Jewett 2007, 918; Dunn 1988, 870; Wilckens 1982, 123; Barrett 1979 (=1962), 279. 26 Bemerkenswerter Weise bedient sich Paulus in 2Kor 4,1–6 bei der Frage, warum die nichtjüdischen Nichtgläubigen nicht zum Glauben kommen, beim gleichen Motiv, wie in Röm 11,25, wo er fragt, warum die jüdischen Nichtgläubigen nicht zum Glauben kommen: Es ist das Verstockungsmotiv. S. Kap. 9.5.
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gläubigen Judentum. 27 Dessen Repräsentant ist niemand anderes als Paulus selbst, der aufgrund seiner eigenen Biographie ins Spannungsfeld „zwischen der bleibenden Erwählung Israels und der gegenwärtigen Heilsferne seiner nichtchristlichen Mehrheit“ 28 gerät. Das heißt, Paulus gelangt in Röm an die Frage, ob etwa Gott sein Volk verstoßen habe (11,1). Israel ist, obwohl es gehört hat (10,18), nicht zum Glauben ans Evangelium gekommen. In 11,28 bezeichnet er Israel sogar als ἐχθροί („Feinde“) hinsichtlich des Evangeliums. Anders als bei den οἱ ἀπειθοῦντες oder den ἄπιστοι ist οἱ ἐχθροί allerdings keine abgrenzende Bezeichnung einer ‚Draußen`-Gruppen, sondern beschreibt das Gottesverhältnis Israels. 29 Die Abweisung des Evangeliums wird durch Paulus damit als feindseliger Akt qualifiziert und versetzt das nichtgläubige Israel damit in den Status von Feinden. Allerdings beschränkt sich diese ‚Feindschaft` auf die Perspektive des Evangeliums, denn hinsichtlich der Erwählung sind und bleiben sie ἀγαπητοί („Geliebte“). Darin liegt das für Paulus gegenwärtige Spannungsfeld zwischen bleibender Erwählung und derzeitiger Untreue Israels. Paulus stellt daher die Frage, ob diese Untreue Israels, dem Gottes Wort zuerst anvertraut wurde, etwa Gottes Treue außer Kraft setzt. Auch wenn die Frage mehr rhetorisch als tatsächlich ist, – für ihn steht fest, dass Gottes Treue keinesfalls außer Kraft gesetzt werden kann (Röm 3,2–4) – bleibt dieses Spannungsfeld in Röm ungelöst. Die in Paulus widerstreitenden Positionen zwischen seiner Existenz als Apostel Christi und seiner jüdischen Identität führen ihn in eine nicht lösbare Aporie. 30 4. Über die vergleichende Betrachtung der Bezeichnungen οἱ ἀπειθοῦτες und οἱ ἄπιστοι wurde ein sehr kurzer und konzentrierter Blick auf eine weitaus größere und komplexere Fragestellung innerhalb der Forschung des Röm geworfen. Dieser Frage weiter nachzugehen, wäre sicher lohnenswert, ginge aber über diese Arbeit hinaus. Für die Bezeichnung οἱ ἀπειθοῦτες ließ sich in gegebener Kürze zeigen, dass sie, im Gegensatz zum überwiegenden Verwendungszusammenhang der ἄπιστοι-Bezeichnung in 1/2Kor, auf bereits ergangene Verkündigung und deren Ablehnung bezogen ist. Darüber hinaus ist sie Bestandteil der Frage, warum ein Großteil Israels, trotzdem es das Evangelium gehört hat, diesem nicht glaubt. Als οἱ ἄπιστοι bezeichnet er sie allerdings nie.
27 28 29 30
Vgl. Wolter 2014b, 49. Wolter 2019, 237. Vgl. Wolter 2019, 216 f. Vgl. Wolter 2011, 433.
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11.1.3 ᾿Ιουδαῖοι und ἔθνη 1. Im Folgenden werden zwei Bezeichnungen dargestellt, die in der bisherigen Diskussion und im Zusammenhang mit der ἄπιστοι-Bezeichnung keine Rolle spielen, die aber für die Frage nach der Zugehörigkeit der Glaubenden und der Nicht-Zugehörigkeit der ‚Draußen` bedeutsam sind: τὰ ἔθνη und οἱ ᾿Ιουδαῖοι. 31 Wie sich zeigen wird, ist eine Besonderheit dieser Bezeichnungen, dass sie innerhalb der paulinischen Diskussion um drinnen und draußen eine ambivalente Funktion haben, da Paulus mit beiden Begriffen sowohl die ‚Drinnen` als auch die ‚Draußen` bezeichnen kann. Sie changieren also zwischen Selbstbezeichnung und Abgrenzung. Dieser Wechsel der Funktionen der Begriffe zwischen Selbstbezeichnung und Abgrenzung liegt in der paulinischen Situation begründet. Paulus führt die Diskussion um Zugehörigkeit und Abgrenzung sowohl innerhalb jüdischer Parameter, als auch in Ablösung davon. Das heißt, Paulus führt eine innerjüdische Diskussion. Allerdings wird diese Diskussion unter neuem Vorzeichen geführt und – aus heutiger Perspektive gesprochen – anders als im Großteil des Mehrheitsjudentum zu seiner Zeit und in den folgenden Jahrzehnten mehr und mehr in Ablösung davon. Aussagen wie Gal 5,6 (vgl. Röm 10,12; 1Kor 7,19; Gal 6,15.) belegen, dass Paulus den Dualismus von ‚Juden` und ‚Nicht-Juden` = ‚Heiden` 32 durch den Glauben an Jesus Christus als entscheidendes Zugehörigkeitsmerkmal ersetzt. 2. Die Bezeichnungen οἱ ᾿Ιουδαῖοι und τὰ ἔθνη – wie auch ᾿Ισραήλ, οἱ ῞Ελληνες, ἡ ἀκροβυστία und ἡ περιτοµή – entstammen der jüdischen Enzyklopädie. Entsprechend dieser Enzyklopädie benutzt auch Paulus die Begriffe überwiegend – das heißt, er übernimmt die begriffssprachliche Aufteilung der Menschheit in Juden (= οἱ ᾿Ιουδαῖοι/᾿Ισραήλ/ἡ περιτοµή) und Nicht-Juden (= τὰ ἔθνη/οἱ ῞Ελληνες/ἡ ἀκροβυστία). 1Kor 1 22 „Weil sowohl die Juden Zeichen fordern, als auch die Griechen Weisheit suchen, 23wir aber verkündigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Anstoß, den Heiden eine Torheit.“ Gal 2 15„Wir, der Natur nach Juden und nicht Sünder aus den Heiden.“ 33 Röm 9 30„Was sollen wir nun sagen, dass die aus den Völkern, die der Gerechtigkeit nicht folgten, die Gerechtigkeit erlangt haben [. . .], 31Israel, indem es dem Gesetz der Gerechtigkeit folgte, das Gesetzt nicht erlangt hat.“ 34 31 Mit diesen Begriffen muss es automatisch auch um die beiden Umschreibungen ἡ περιτοµή und ἡ ἀκροβυστία gehen. Ebenso die isotop zu τὰ ἔθνη gebrauchte Bezeichnung οἱ ῞Ελληνες, sowie der neben oder alternativ zu οἱ ᾿Ιουδαῖοι gebrauchte ᾿Ισραήλ-Begriff. 32 Atl. Belege für diese Aufteilung der Menschheit nach diesem Paradigma finden sich z.B. in Hos 8,8; 9,1; Joel 4,2; Neh 5,8; 2Chr 32,17; 1Makk 5,63; 7,23; 33 S.a. Röm 3,29; 9,24; Gal 2,14; vgl. Apg 2,5; 10,22; 14,2.5; 21,11.21; 26,4; 28,19. 34 S.a. Röm 10,19; 11,25; vgl. Mt 10,5; Lk 2,31 f. Apg 9,15.
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Gal 2 12„Bevor aber die des Jakobus kamen, aß er mit den Heiden zusammen, als sie aber kamen, zog er sich zurück und entfernte sich von jenen, weil er Angst hatte vor denen aus der Beschneidung.“ 35
Die Bezeichnung ᾿Ιουδαῖος stammt begrifflich von der geographischen Bezeichnung ᾿Ιουδαία und meint somit zunächst die Menschen von Judäa. 36 In der Septuaginta ist die Bezeichnung zuerst in 2Kön 16,6 belegt und meint dort diejenigen, die Teil des Königreichs Juda unter seinem König (16,1) sind. 37 Mit der regionalen Zuordnung zu Juda 38 ist die semantische Breite des Begriffs allerdings keineswegs abgedeckt. Die Septuaginta spricht beispielsweise ebenso von ᾿Ιουδαῖοι in Ägypten 39, und auch Josephus und Philo verwenden den Begriff unabhängig davon, wo die Bezeichneten wohnen. 40 In den Schriften des Judentums ist dessen Gegenbegriff üblicherweise ἔθνος. Mit diesem Begriff ist zunächst eine „Gruppe“ oder „Vereinigung“ von Menschen gemeint, dann auch ein „Volk“ oder eine „Nation“. 41 In der Septuaginta, in welcher ἔθνος die Übersetzung von hebräisch גויםist, ist τὰ ἔθνη hauptsäch-
35 36 37 38
S.a. Röm 15,8 f.; Gal 2,8 f. Zur Bildung der Endung -αιος bzw. -ιος „gehören zu . . .“ s. bei Risch 1937, 103 f. 116 f. Vgl. Trebilco 2017, 177. Z.B. 1Esdr 6,1: τοὺς Ιουδαίους τοὺς ἐν τῇ Ιουδαίᾳ „den Judäern/Juden in Judäa“ vgl. 1Esdr 6,8; 1Makk 14,33; 2Makk 10,24; 14,14. 39 2Makk 1,1: τοῖς ἀδελφοῖς τοῖς κατ´ Αἴγυπτον ᾿Ιουδαίοις χαίρειν οἱ ἀδελφοὶ ἐν ᾿Ιεροσολύµοις ᾿Ιουδαῖοι καὶ οἱ ἐν τῇ χώρᾳ τῆς ᾿Ιουδαίας εἰρήνην ἀγαθήν „Den Brüdern, den Juden in Ägypten, Grüße von den Brüdern, den Juden aus Jerusalem und dem Land Juda, guten Frieden!“ vgl. 1,10; Jer 51,1. 40 Z.B. Asien und Syrien: Philo, Legat. 245.311; Josephus, Ant. XVI 172; Ägypten: Philo, Mos. I 34; Flacc. 43.45; Antiochien: Jospehus, Bell. VII 409; Ephesus: Josephus, Ant. XIV 228; vgl. Trebilco 2017, 178. 41 Vgl. Dabelstein 1981, 21 f. Zum antiken Gebrauch s.a. Mason 2007, 483–485; ArztGrabner u. a. 2006, 99–101. Bezüglich der deutschen Übersetzung des Begriffs ἔθνος in Bibel und Literatur hat bereits Dabelstein 1981, 11 auf die vorliegende Uneinheitlichkeit hingewiesen. Im Wesentlichen handelt es sich um die Optionen „Heiden“ oder „Völker“ bzw. „Nationen“. Dabei sind innerhalb mancher Bibelübersetzungen teils beide Varianten vertreten; z.B. Mt 6,32: Heiden (Luther, EÜ, NGÜ, Zürcher), Nationen (ELB); aber Lk 21,24: Völker (EÜ, NGÜ, Zürcher), Nationen (ELB) und Luther übersetzt 1x Völker und 2x Heiden. Röm 1,5: Völker (NGÜ, Zürcher), Heiden (Luther, EÜ), Nationen (ELB); 1Kor 5,1: Heiden (Luther, EÜ, Zürcher), Nationen (ELB); Gal 3,14: Völker (EÜ, NGÜ, Zürcher), Heiden (Luther), Nationen (ELB). Gegen die geläufige Übersetzung „Heiden“ spricht vor allem deren weit engere Konnotation und deutlich negativere Prägung, als es dem Begriff τὰ ἔθνη in der Ursprache und vor allem bei Paulus entspricht (vgl. Heckel 1994, 269). Allerdings mangelt es, gerade den Singular betreffend, an sinnvollen deutschen Alternativen und besonders im direkten Gegenüber von ‚Jude` und ‚Heide` scheint diese Übersetzung die bestmögliche Option.
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lich Gegenbegriff zu ᾿Ισραήλ und ᾿Ιουδά/οἱ ᾿Ιουδαῖοι. 42 Allerdings kann ἔθνος auch Israel selbst bezeichnen. 43 In der hellenistischen Zeit wird τὰ ἔθνη dann allerdings zur generellen Bezeichnung aller nicht-jüdischen Gruppierungen und Völker. 44 Die Gegenüberstellung bezieht sich dabei nicht mehr auf die Juden und die übrigen Völker, sondern auf die Juden und alle Nicht-Juden. Diese Bedeutungsnuance im Sinne von ‚nicht-jüdisch` nimmt letztlich die Vorrangstellung innerhalb des Begriffs ein, und ἔθνος bezeichnet die aus jüdischer Perspektive anderen. 45 Das macht sich vor allem an solchen Stellen bemerkbar, an denen ἔθνος mit Adjektiven versehen wird, die es klar von Israel unterscheiden: z.B. Weish 14,11: εἴδωλα ἐθνῶν „Götzenbilder der Völker“; 3Makk 6,9: ἄνοµοι ἔθνη „gesetzlose Völker“. Mit den hier dargestellten Begriffen verbindet sich in der Forschungsliteratur eine umfassende Diskussion um Bedeutung und Übersetzung. Auf diese Diskussion muss an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Für den Gebrauch bei Paulus und den Vergleich mit den anderen ‚Draußen`-Bezeichnungen ist weniger wichtig, inwiefern sich die Bezeichnungen sinnvoll unter metasprachlichen Begriffen wie ‚Ethnizität` 46 oder ‚Religion` 47 erklären lassen, sondern es ist die ‚Israelizität` 48 des Gebrauchs der Begriffe in ihrem Kontext in den Briefen des Paulus, die hier von Bedeutung ist. 3. Über den aus dem Jüdischen übernommenen Gebrauch hinaus transformiert 49 Paulus die begriffssprachliche Aufteilung zwischen Juden und Nicht-Juden allerdings dahingehend, dass diese Unterscheidung in Christus aufgehoben ist: Gal 3 28οὐκ ἔνι ᾿Ιουδαῖος οὐδὲ ῞Ελλην „da ist nicht Jude noch Grieche“.
Denn Gerufene und Berufene gibt es sowohl unter den Juden, als auch unter den Völkern:
42 Z.B. Dtn 9,1; Ri 3,1; 1Kön 11,2; Neh 5,8; Est 8,17; 1Makk 6,53; Ps 58,5LXX; Zach 8,13; Jes 11,12. 43 Z.B. Ex 1,9; 19,6; 2Sam 7,23; vgl. Trebilco 2017, 151. 44 Vgl. Trebilco 2017, 152 f. 45 Vgl. Wolter 2017, 342. Wegen dieses spezifischen Gebrauchs, bei dem unter ἔθνος alles Nicht-Jüdische versammelt wird, bemerkt Wolter, dass mit ἔθνη ironischerweise eigentlich keine Ethnizität beschrieben ist, sondern Nicht-Ethnizität. 46 S. z.B. bei Miller 2014; Miller 2012; Miller 2010; Esler 2009; Bennema 2009, 243–45; Mason 2007; Buell 2005; Cohen 1999, v.a. 69–139; Tomson 1986a; Tomson 1986b. Weitere Literatur ist ausführlich in den Aufsätzen von Miller dargestellt. 47 Problematisiert wird der Begriff v.a. bei Boyarin 2009, 10–18 und Mason 2007, 512. 48 Vgl. Wolter 2017, 352 f. 49 Vgl. Lieu 2004, 287.
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Röm 9 24„Die er berufen hat, uns, sind nicht nur aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.“ 50
Im Rahmen der Diskussion um die Zugehörigkeit zur Ekklesia einerseits und der Ab- und Ausgrenzung der ‚Draußen` andererseits, bedeutet dies für den Gebrauch des ἔθνος-Begriffs bei Paulus Folgendes: Erstens gebraucht Paulus die Bezeichnungen entsprechend der jüdischen Enzyklopädie und bezeichnet die nicht-jüdischen Glaubenden nach wie vor als τὰ ἔθνη. Röm 11 13„Euch aber, den Heiden, sage ich, insofern ich nun der Apostel der Heiden bin, ehre ich meine Aufgabe.“ 51
Zweitens gebraucht Paulus den Begriff τὰ ἔθνη so, dass damit alle Nichtgläubigen bezeichnet sind: das heißt alle, die nicht Teil der Gruppe der Glaubenden sind. 1Kor 5 1„Überhaupt habe ich gehört von der Unzucht unter euch, eine derartige Unzucht, wie sie selbst unter den Heiden nicht ist“. 1Thess 4 5„ebenso auch die Heiden, die Gott nicht kennen.“
Das bedeutet implizit zugleich, dass alle Glaubenden, auch die nicht-jüdischen, nicht τὰ ἔθνη sind und damit auf der τὰ ἔθνη gegenüberstehenden Position lokalisiert werden, welche zuvor ausschließlich Israel vorbehalten war. Drittens kann Paulus die Bezeichnung auch noch in der Form gebrauchen, dass er die nicht-jüdischen Glaubenden daran erinnert, sie seien nun nicht mehr τὰ ἔθνη. 1Kor 12 2„Ihr wisst, dass ihr, als ihr noch Heiden wart, zu den stummen Götzenbildern gegangen seid, wie ihr geführt wurdet.“
Das bedeutet, dass Paulus seine nicht-jüdischen Hörer gleichermaßen als τὰ ἔθνη, Nicht-τὰ ἔθνη und Nicht-Mehr-τὰ ἔθνη bezeichnen kann. Das mag zunächst verwirrend und inkonsistent erscheinen. Entscheidend ist hierbei jedoch die Verteilung auf die Briefe und die jeweilige Intention, die Paulus mit der Verwendung der Bezeichnungen verfolgt. Während in den Korintherbriefen vor allem die Abgrenzung zur Welt und der Vergangenheit der Glaubenden das beherrschende Thema ist 52 – in 1Kor werden die Glaubenden nie als τὰ 50 Vgl. 1Kor 1,24. 51 S.a. Röm 16,4; Gal 2,12. 52 Die Belegstellen des 1Kor verbinden mit dem ἔθνος-Begriff z.B. πορνεία (1Kor 5,1) und die Verehrung von εἴδωλα (1Kor 12,2; vgl. 1Thess 1,9). Beides gehört zu den klassischen Motiven der jüdischen ‚Heidenpolemik`, die auch Paulus in sein ἔθνος-Bild integriert (vgl. Trebilco 2017, 160; Heckel 1994, 282–285; Dabelstein 1981, 33 f.). Das Ziel der ‚Heidenpolemik` innerhalb der paulinischen Paränese kann mit Heckel daher sinnvoll mit 1Kor 6,18 (φεύγετε τὴν πορνείαν) zusammengefasst werden; vgl. Heckel 1994, 290.
‚Draußen`-Bezeichnungen in den Paulusbriefen
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ἔθνη bezeichnet –, sind Gal und Röm von der Frage nach der ‚klassischen` Unterscheidung zwischen τὰ ἔθνη und ᾿Ισραήλ/οἱ ᾿Ιουδαῖοι und deren Neuausrichtung durch das Christusereignis geprägt. 4. Entscheidend für den Gebrauch der hier angesprochenen Abgrenzungsund Zugehörigkeitsbezeichnungen ist, dass Paulus sie aus seiner jüdischen Perspektive gebraucht. 53 Die Bedeutung der Begriffe für die Darstellung der Zugehörigkeit zu Christus ist darum immer eine metaphorische Transformation des jüdischen Dualismus ᾿Ιουδαῖος versus ἔθνος. Die Besonderheit der Bezeichnungen τὰ ἔθνη und οἱ ᾿Ιουδαῖοι gegenüber den übrigen Begriffen ist, dass sie eine gewisse Ambivalenz in sich tragen. Einerseits stehen sie für eine aus der jüdischen Enzyklopädie stammenden Aufteilung der Menschheit in Juden und Nicht-Juden, die auch Paulus in diesem Sinne gebraucht. Andererseits wird diese Unterscheidung durch etwas Neues ersetzt: den Glauben. Die Begriffe ᾿Ιουδαῖος und ἔθνος begegnen, wie gesehen, sowohl in abgrenzender Funktion, als auch als Selbstbezeichnung. 54 Darüber hinaus ebenfalls so, dass der Glauben an Jesus Christus die vormals durch sie getroffene Unterscheidung ersetzt (z.B. Gal 3,28; 1Kor 1,23 f.). Das entstehende ‚Christentum`, das diesen Namen noch nicht trägt, gründet sich aus Paulus' Perspektive aus beiden Gruppen: Juden und Heiden. Entscheidend für die Zugehörigkeit ist nun allein der Glaube an Jesus Christus, der damit den Dualismus von ᾿Ιουδαῖος und ἔθνος durch die neue Aufteilung in πιστεύοντες und ἄπιστοι ersetzt. 55
53 Vgl. Wolter 2017, 344. 54 Im weiteren Verlauf der neutestamentlichen Schriften wird der Gebrauch, v.a. des ᾿Ιουδαῖος-Begriffs, immer eindimensionaler. Schon in der Apostelgeschichte wird der Begriff ᾿Ιουδαῖοι immer wieder auch zur Abgrenzung verwendet (Zunächst häufig formal, insofern die Apostel in die Synagoge τῶν ᾿Ιουδαίων gehen: z.B. 13,5; 17,1.10.17; 18,19. Dann aber auch mit stärker polemischer Konnotation, z.B. 13,45.50; 14,19; 17,5.13; 18,12.27; 20,18; 22,30). Im Johannesevangelium wird der ᾿Ιουδαῖος-Begriff dann nahezu ausschließlich für die ‚Draußen` und die anderen verwendet zu werden (Ganz allgemein zeigt der Gebrauch des Begriffs ᾿Ιουδαῖος im Joh eine Entwicklungsstufe, die eben jene ᾿Ιουδαῖοι von den Glaubenden als unterschieden versteht. Dann aber auch mit sehr starker Polemik, z.B. 2,18.20; 3,25; 5,10; 6,41; 7,1; 10,31; 18,12; 19,7.12.). Vgl. Trebilco 2017, 207. 55 Diese neue Aufteilung von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit allein aufgrund des Glaubens, wirft für Paulus letztlich die Frage auf, auf welcher Seite sich der Teil Israels befindet, der nicht glaubt, aber dennoch in der bleibenden Berufung Gottes steht. S. dazu o. 188.
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Die anderen ‚Draußen`-Bezeichnungen
11.2 Die anderen ‚Draußen` und die ἄπιστοι Um die ἄπιστοι-Bezeichnung zum Abschluss auf paradigmatischer Ebene mit den anderen ‚Draußen`-Bezeichnungen zu vergleichen, ist es zunächst sinnvoll, einen Schritt zurückzutreten und auf die Verteilung der jeweiligen Bezeichnungen innerhalb der paulinischen Briefe zu schauen. 56 Von besonderem Interesse ist der Vergleich zwischen Röm und 1/2Kor. Dabei fällt Folgendes unmittelbar auf: Keiner der unter 11.1.1 besprochenen Begriffe aus 1/2Kor kommt in Röm vor. Umgekehrt sind ἀπειθέω/ἀπείτεια (11.1.2) innerhalb der echten Paulinen auf den Röm begrenzt und auch die unter 11.1.3 besprochenen Begriffe τὰ ἔθνη und οἱ ᾿Ιουδαῖοι kommen in 1/2Kor deutlich seltener vor als in Röm. Dieser Befund lässt sich allerdings erklären, wenn man die jeweilige Abfassungssituation und die Pragmatik der Briefe betrachtet. Die Häufung der Bezeichnungen in Röm wie auch in Gal, die dem jüdischen Dualismus Juden – Nicht-Juden entstammen, ist unter Berücksichtigung der Hauptprobleme der Briefe nicht weiter verwunderlich: Zunächst ist es die Frage nach Israels Geschick, vor allem in Röm 9–11, dann die Diskussion um die Notwendigkeit der Beschneidung und zuletzt das Verhältnis von νόµος und πίστις in Bezug auf die δικαιοσύνη (θεοῦ). Auf der anderen Seite erklärt die Situation der korinthischen Ekklesia das Vorkommen der dort spezifischen ‚Draußen`-Bezeichnungen in 1/2Kor ohne Parallele in Röm. In der Ekklesia von Korinth sind vor allem die Probleme des alltäglichen Lebens im Zusammensein mit der nichtgläubigen Welt und die notwendigen Grenzziehungen der Ekklesia gegenüber der sie umgebenden Welt Thema. Es lässt sich begründeterweise vermuten, dass aus Paulus' Sicht die Ekklesia in Korinth die Grenzen nach draußen nicht in dem Maße gezogen und beachtet hat, wie es seiner Vorstellung entsprach. 57 Daher befasst sich Paulus in 1Kor vor allem damit, diese Grenzen zu (re-)definieren und die Ekklesia darüber aufzuklären, wo diese sinnvollerweise zu ziehen sind und wo nicht. Das erklärt, warum Paulus gerade in 1/2Kor vor allem solche Begriffe benutzt, die ausschließlich für die ‚Draußen` bestimmt sind, und weshalb diese in den anderen Briefen nicht vorkommen. All das erklärt zwar zum Teil, warum Paulus die ἄπιστοι-Bezeichnung nur in 1/2Kor verwendet. Bemerkenswert ist und bleibt dieser Befund trotzdem. Eine weitere mögliche Erklärung wäre, dass es sich dabei nicht um Paulus' eigene Sprache handelt, sondern dass er diese Bezeichnung aus dem Sprach-
56 Eine Übersicht der Verteilung von verschiedensten Bezeichnungen in Röm, 1Kor und 1Thess findet sich bei Trebilco 2017, 209 f.; 335 f. 57 S. dazu auch Trebilco 2017, 211.
Die anderen ‚Draußen` und die ἄπιστοι
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gebrauch der Ekklesia von Korinth übernommen hat. 58 An diesem Punkt befindet man sich jedoch bereits im Bereich der Spekulation. Während sich also nur bedingt erklären lässt, warum Paulus die ἄπιστοι-Bezeichnung in Röm und anderswo nicht benutzt, lässt sich sehr wohl erklären, warum er sie gerade in 1/2Kor benutzt: In der Situation unklarer Grenzen zwischen Ekklesia und der sie umgebenden Welt in Korinth will Paulus das Bewusstsein für notwendige Grenzen schärfen. Dafür benutzt er neben anderen Begriffen am häufigsten den ἄπιστος-Begriff. Dabei handelt es sich nicht um irgendeinen Begriff, sondern um die semantische Opposition gerade zu dem Begriff, der das Alleinstellungsmerkmal der Ekklesia Gottes ist und für die Zugehörigkeit zu Christus steht: dem Glauben (πίστις). Im Vergleich mit den übrigen ‚Draußen`-Bezeichnungen in und außerhalb von 1/2Kor lässt sich nun ein spezifisches Profil der ἄπιστοι-Bezeichnung beschreiben: 1. Die ἄπιστοι-Bezeichnung wird ausschließlich zur Bezeichnung der ‚Draußen` verwendet. Vor allem im Vergleich zu den Begriffen ἔθνος und ᾿Ιουδαῖος, denen eine gewisse Uneinheitlichkeit hinsichtlich ihres Gebrauchs innewohnt, oder zur ἀπειθοῦντες-Bezeichnung, die Paulus ausschließlich gebraucht, um den Teil Israels zu beschreiben, der das Evangelium Christi ablehnt, ist die Grenze, die mittels des ἄπιστος-Begriffs gezogen wird, eine klare und starke Grenze. Während es für Paulus je nach Verwendungszusammenhang ohne weiteres möglich und für die jeweilige Pragmatik sinnvoll ist, die Glaubenden beispielsweise als ἔθνη oder Nicht-ἔθνη zu bezeichnen, lässt die Zuweisung von Zugehörigkeit aufgrund von πίστις keine Uneindeutigkeiten zu. Man ist entweder als πιστεύων Teil der ‚Drinnen` oder als ἄπιστος Teil der ‚Draußen`. 2. Die ἄπιστοι-Bezeichnung gebraucht Paulus nur im Zusammenhang mit anderen Bezeichnungen, die ausschließlich die ‚Draußen` abgrenzen. Die Bezeichnungen οἱ ἔξω, οἱ ἄδικοι, οἱ ἰδιῶται und οἱ ἀπολλύµενοι ziehen alle eine eindeutige Grenze zwischen den Glaubenden und jenen, die es nicht sind. Einzig der ἰδιώτης-Begriff könnte auch innerhalb der Glaubenden die Unkenntnis oder Ungeschultheit ausdrücken (vgl. 2Kor 11,6). Dennoch gebraucht Paulus den Begriff in 1Kor 14,16.23 f. vor allem um zu zeigen, dass jemand, der sich in den Stand eines ἰδιώτης versetzt fühlt, zu einem ‚Draußen` wird, da es ihm an Wissen und den elementaren Kenntnisse mangelt, um zu den ‚Drinnen` zu gehören. Bei den anderen drei Begriffen ist die Abgrenzung deutlich. Die Bezeichnung als ἔξω grenzt eine Gruppe von Menschen räumlich so ab, dass nur ein Entweder-Oder möglich ist. Am nächsten stehen der ἄπιστοι-Bezeichnung allerdings die Bezeichnungen οἱ ἄδικοι und οἱ ἀπολλύµενοι, denn sie charakterisieren die ‚Draußen` im Gegenüber zu einem zentralen Merkmal, das die 58 Vgl. Schenk 1995, 1396 Anm. 126.
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Die anderen ‚Draußen`-Bezeichnungen
Glaubenden auszeichnet. In diesem Fall, dass die Glaubenden δίκαιοι 59 und σῳζόµενοι 60 sind. 3. Die ἄπιστοι-Bezeichnung ist unter den dezidierten ‚Draußen`-Bezeichnungen die häufigste. 61 Wegen dieses Befundes lässt sich schließen, dass die ἄπιστοι-Bezeichnung für Paulus im Zusammenhang der Drinnen-DraußenDiskussion, zumindest in 1Kor, die wichtigste, beziehungsweise treffendste Bezeichnung ist, um die ‚Draußen` von der Ekklesia abzugrenzen. 4. Die ἄπιστοι-Bezeichnung ist im Vergleich zu den anderen ‚Draußen`-Bezeichnungen, die dezidiert als Ausgrenzung einer Gruppe von Menschen fungieren, die einzige, die in dieser Form zuerst bei Paulus im Zusammenhang der Frage von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit auftaucht. Ob die Bezeichnung von Paulus selbst stammt oder nicht, lässt sich nicht beantworten. Der Großteil der anderen Begriffe, mit denen Paulus Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit ausdrückt, begegnet allerdings auch in der jüdischen und nicht-jüdischen Literatur der griechischsprachigen Umwelt. Freilich aktualisiert Paulus die meisten Begriffe hinsichtlich der Ausrichtung auf Christus und das Evangelium. Jedoch konnte kein Beleg nachgewiesen werden, der die ἄπιστοι-Bezeichnung, zumal in dieser zentralen Funktion, als Abgrenzungsbegriff für eine Gruppe von Menschen gebraucht und schon gar nicht als Abgrenzungsbegriff für alle Menschen, die nicht Teil der ‚Drinnen`-Gruppe sind.
59 Z.B. Röm 1,17; 5,19; Gal 3,11; vgl. Gal 2,15–17; 3,24 (δικαιόω). 60 Z.B. Röm 5,9 f.; 8,24; 1Kor 1,18; 15,2. 61 ἄπιστοι = 14. Dagegen ἔξω = 3; ἄδικοι = 2; ἰδιώται = 3; ἀπολλύµενοι = 3. Das gilt auch für solche Begriffe, die hier nicht diskutiert wurden: z.B. ἐχθροί = 3; ψευδαπόστολοι = 1.
12 Zusammenfassung Der Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung in den Paulusbriefen ist Bestandteil der Entwicklung einer ‚christlichen Sprache`. Die Entstehung des frühen Christentums brachte die Notwendigkeit mit sich, diese in der Nachfolge Jesu Christi neu entstandene Gruppierung zu beschreiben und zu bezeichnen. Die Briefe des Apostels Paulus sind die ersten Zeugnisse dieses Prozesses, in dem sich zunächst innerhalb und später auch außerhalb des Judentums eine Gruppierung herausbildet und sich in diesem Prozess von anderen abgrenzen musste. Integraler Bestandteil dieses Prozesses war die Versprachlichung der Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit zu der Gruppe, die man später ‚das Christentum` und deren Mitglieder ‚die Christen` nennen wird. Als eine der wichtigsten ‚Drinnen`-Bezeichnungen in den Paulusbriefen hat sich von Beginn an die πιστεύοντες-Bezeichnung etabliert (1Thess 1,7; 2,10.13). Die Bezeichnung der ersten ‚Christen` als Glaubende entspricht der zentralen Bedeutung der πιστ*Wortgruppe für die paulinische Theologie und der besonderen ekklesiologischen Funktion der πίστις innerhalb seiner Briefe. In Folge der herausragenden Bedeutung der πιστ*-Wortgruppe in den Paulusbriefen, greift Paulus auch für die Bestimmung von Nicht-Zugehörigkeit auf einen entsprechenden Begriff zurück und beschreibt diejenigen, die hinsichtlich der neu entstandenen und entstehenden Grenzen zwischen drinnen und draußen, die ‚Draußen` sind als οἱ ἄπιστοι. Paulus gebraucht die ἄπιστοι-Bezeichnung vor allem als Kontrast im Gegenüber zu den πιστεύοντες. Dieser Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung ist allein schon ihrer Form nach zu erkennen: ἄ-πιστοι. Mittels einer Privativform werden die ‚Draußen` in erster Linie als das beschrieben, was die ‚Drinnen` nicht sind. Die Tatsache, dass die ‚Draußen` vor allem im Kontrast zu den ‚Drinnen` und deshalb durch das Fehlen zentraler Qualitäten der ‚Drinnen` gekennzeichnet sind, zeigt sich auch in zwei zu der ἄπιστοι-Bezeichnung parallel gebrauchten Bezeichnungen in 1/2Kor: οἱ ἄδικοι und οἱ ἀπολλύµενοι. Die ‚Draußen` sind gegenüber den glaubenden, gerechten und geretteten ‚Drinnen` die ‚Nicht-Gläubigen`, die ‚Nicht-Gerechten` und die Verlorenen, das heißt, die ‚Nicht-Geretteten`. Paulus gebraucht die ἄπιστοι-Bezeichnung absolut. Der absolute Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung macht deutlich, dass es Paulus vor allem um den Kontrast zu den Glaubenden geht. An keiner Stelle beschreibt Paulus, worauf sich das ἄπιστος-Sein der ἄπιστοι bezieht oder bestimmt die Bezeichnung durch den Gebrauch ergänzender Attribute näher. Im Gegensatz dazu kann er beispielsweise die ἔθνη auf verschiedenste Weise näher beschreiben: „die Heiden, die das Gesetz nicht haben“ (Röm 2,14); „die Heiden, die die Gerechtigkeit nicht suchten“ (Röm 9,30); „Sünder aus den Heiden“ (Gal 2,14); „die
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Zusammenfassung
Heiden, die Gott nicht kennen“ (1Thess 4,5). Dieser absolute Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung korrespondiert mit deren positivem Gegenüber. Auch von den πιστεύοντες wird nicht geschrieben, woran sie glauben, was dafür spricht, dass es sich bei beiden Bezeichnungen bereits zu Paulus' Zeit um feststehende Bezeichnungen handelt. Für die ἄπιστοι-Bezeichnung bedeutet das: Es geht nicht um einen ihnen zugeschriebenen falschen Glauben oder Unglauben, sondern darum, dass sie nicht den Glauben der Glaubenden haben. Das heißt, dass sie nicht die Glaubenden und eben deshalb die Nichtgläubigen sind. Der beschriebene Gebrauch bei Paulus führt daher zu der Entscheidung, die ἄπιστοι-Bezeichnung nicht, wie üblich, mit „die Ungläubigen“ zu übersetzen, sondern weniger wertend mit „die Nichtgläubigen“. Paulus gebraucht die ἄπιστοι-Bezeichnung vor allem im Zusammenhang mit anderen ‚Drinnen`- und ‚Draußen`-Bezeichnungen. Sie ist ein Produkt auf der Suche nach einer ‚christlichen` Sprache. Hinsichtlich der Beschreibung von Identität und Zugehörigkeit zu Jesus Christus sind Paulus, wie auch die ihm folgenden neutestamentlichen Autoren, noch nicht festgelegt und benutzen unterschiedliche Begriffe. Der ekklesiologische Kontext der ἄπιστοι-Bezeichnung wird auch durch die Vielzahl von ‚Drinnen`- und ‚Draußen`-Bezeichnungen deutlich, die in dessen unmittelbarem semantischen Umfeld gebraucht werden: ‚Draußen` 1Kor 6,1–6
‚Drinnen`
οἱ ἄπιστοι („die Nichtgläubigen“) οἱ ἅγιοι („die Heiligen“) οἱ ἄδικοι („die Nichtgerechten“)
ἡ ἐκκλησία („die Versammlung“)
ὁ κόσµος („die Welt“)
οἱ ἀδελφοί („die Brüder“)
1Kor 7,12–16
οἱ ἄπιστοι („die Nichtgläubigen“) οἱ ἀδελφοί („die Brüder“)
1Kor 10,27
οἱ ἄπιστοι („die Nichtgläubigen“) ὑµᾶς („ihr“)
1Kor 14,20–25
οἱ ἄπιστοι („die Nichtgläubigen“) οἱ πιστεύοντες („die Glaubenden“) οἱ ἰδιῶται („die Unkundigen“)
2Kor 4,1–6
ἡ ἐκκλησία („die Versammlung“)
οἱ ἄπιστοι („die Nichtgläubigen“) εὐαγγέλιον ἡµῶν („unser Evangelium“) οἱ ἀπολλύµενοι („die Verlorenen“)
2Kor 6,14–7,1
οἱ ἄπιστοι („die Nichtgläubigen“) ἀνοµία („Gesetzlosigkeit“)
δικαιοσύνη („Gerechtigkeit“)
σκότος („Finsternis“)
φῶς („Licht“)
Βελιάρ („Beliar“)
Χριστός („Christus“)
ὁ ἄπιστος („der Nichtgläubige“)
ὁ πιστός („der Gläubige“)
εἴδωλα („Götzenbilder“)
ναὸς θεοῦ („Tempel Gottes“)
Zusammenfassung
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Paulus gebraucht die ἄπιστοι-Bezeichnung in unterschiedlichen Kontexten und Verwendungszusammenhängen und verbindet mit dem jeweiligen Gebrauch eine je eigene Intention. In 1Kor gebraucht er die Bezeichnung vor allem im Zusammenhang mit der Diskussion um alltägliche Probleme der Ekklesia im Kontakt mit der heidnischen Welt: Rechtsstreitigkeiten unter Glaubenden werden vor Nichtgläubigen und Nichtgerechten verhandelt (6,1–6); Fortführung oder Scheidung einer Ehe zwischen Glaubenden und Nichtgläubigen (7,12–16); Einladung zum Essen durch Nichtgläubige (10,27); der Effekt von Prophetie und Glossolalie auf Nichtgläubige und Unkundige (14,20–25). Alle von Paulus geschilderten Situationen haben einen Anhaltspunkt im alltäglichen Leben der Ekklesia – zum Teil weiß er von ihnen aufgrund konkreter Anfragen. Insofern sie allerdings von Paulus geschildert sind, ist ihr Charakter fiktional. Das heißt, Paulus kreiert die zu besprechenden Situationen, in denen er die ἄπιστοι auftauchen lässt, nach seiner Vorstellung und mit einer bestimmten Aussageabsicht. Wichtiger als eine konkrete Referenz der ἄπιστοι-Bezeichnung zu bestimmen, also die ἄπιστοι als eine konkrete Gruppierung in Korinth zu verorten, ist es daher, die paulinische Intention der Verwendung der ἄπιστοι-Bezeichnung darzustellen. In 2Kor ändert sich mit der neuen Kommunikationssituation auch der Verwendungszusammenhang der ἄπιστοι-Bezeichnung. Der apologetische Charakter, der den Brief insgesamt prägt, bestimmt auch den Gebrauch in 2Kor 4,1–6. Dort begegnen die ἄπιστοι erstmals in Verbindung mit der Verkündigung des Evangeliums als solche, die diesem Evangelium nicht glauben. Die ἄπιστοι-Bezeichnung verändert ihr Profil insofern, dass in den reinen Abgrenzungsbegriff (die, die nicht die Glaubenden sind) ein Bezug auf das Evangelium integriert wird (die, die nicht [dem Evangelium] glauben). 2Kor 6,14–7,1 bietet nochmals einen anderen Aspekt des Gebrauchs. Zum ersten Mal ist der Umgang mit den ἄπιστοι explizit Thema. Sonst hatte die ἄπιστοι-Bezeichnung vor allem erklärende und verdeutlichende Funktion im Zusammenhang eines Problems auf der ‚Drinnen`-‚Draußen`-Grenze. Nun geht es jedoch dezidiert um die Frage der Kontaktvermeidung mit den ἄπιστοι. Der Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung lässt bei Paulus im Wesentlichen einen übereinstimmenden Verwendungszusammenhang erkennen. Ein ganz und gar einheitliches Bild ließ der Gebrauch hinsichtlich Kontext, Semantik und Pragmatik jedoch nicht erkennen. Einen einheitlichen Gebrauch herauszuarbeiten ist allerdings weder möglich noch nötig, sondern der unterschiedliche Kontext zwischen 1/2Kor, die je verschiedenen Themen, die Paulus anspricht, und auch die grundsätzlich unterschiedliche Haltung mit Blick auf den Einzelnen oder die gesamte Ekklesia, ist zu beachten. Es hat sich gezeigt, dass Paulus, wenn er die gesamte Ekklesia in den Blick nimmt, sehr entschieden die Abgrenzung fordern kann (2Kor 6,14–7,1; vgl. 10,14–22), aber hinsichtlich der Angelegenheiten einzelner Glaubender durchaus tolerant und pragmatisch ist (1Kor 7,12–16; 10,27). Ein genaues und zumal einheitliches Bild des
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Gebrauchs und der Bedeutung der ἄπιστοι-Bezeichnung anhand der (nur) sechs Belegstellen bei Paulus beschreiben zu wollen, ist ohnehin methodisch schwierig. Paulus gebraucht die ἄπιστοι-Bezeichnung ohne starke Polemik gegen die Bezeichneten und lässt erkennen, dass er grundsätzlich, trotz sprachlich starker Abgrenzung, sehr offen und aufgeschlossen gegenüber dem Kontakt mit den ‚Draußen` ist. Auch wenn Paulus in 2Kor 6,14–7,1 und auch 1Kor 6,1–11 allgemein zur Abgrenzung von den ἄπιστοι auffordert, fehlt dezidierte Polemik, mit der er die ἄπιστοι bewusst denunzieren würde. Gegenüber der Aufforderung an die Ekklesia als Ganzes, eine klare Grenze zu den ἄπιστοι einzuhalten, hat Paulus andererseits in Bezug auf Kontakte einzelner Glaubenden zu den ἄπιστοι keine Vorbehalte – im Besonderen seine Offenheit gegenüber dem Erhalt von Ehen zwischen Glaubenden und Nichtgläubigen. Diese Offenheit ist besonders in 1Kor 14,20–25 bemerkenswert: Denn dort bringt Paulus die ἄπιστοι und ἰδιῶται, im Rahmen der Diskussion um das oikodomische Potential von Prophetie und Glossolalie, mit Blick auf deren mögliche Bekehrung ins Spiel. Die ἄπιστοι werden insofern als potentielle πιστεύοντες betrachtet. Paulus gebraucht die ἄπιστοι-Bezeichung nicht, um damit eine bestimmte Referenzgruppe zu beschreiben, sondern sie erfüllt eine bestimmte rhetorische Funktion. Hervorgehoben wurde bereits der fiktionale Charakter der von Paulus besprochenen Situationen. Die rhetorische Funktion der ἄπιστοι-Bezeichnung, die Paulus mit den von ihm geschilderten Situationen verbindet, liegt in deren Ausrichtung auf die Glaubenden. Paulus tritt nicht an, um eine adäquate Beschreibung einer Gruppe von Menschen zu liefern, die sich unter der Bezeichnung οἱ ἄπιστοι sammeln ließen, sondern er verfolgt eine paränetische Absicht, zu deren Umsetzung er die ἄπιστοι-Bezeichnung ins Spiel bringt. Der Gebrauch der Bezeichnung ist also nicht deskriptiv, sondern normativ. Aus diesem Grund ist die Frage danach, wer die ἄπιστοι sind – ob Paulus Juden oder Heiden/Griechen bezeichnet, ob ‚Gegner` inner- oder außerhalb der Ekklesia – zweitrangig oder womöglich gar nicht zu beantworten. Ein wesentlicher Bestandteil der πίστις zu Jesus Christus ist es, dass sie die ‚alten` Grenzen und Unterschiede aufhebt und nach ihrem eigenen Maßstab neue Grenzen setzt (Röm 10,12; Gal 3,28). Die Einordnung eben jener Bezeichnungen (Nichtgläubige/Glaubende) in Unterscheidungskategorien, welche durch sie ersetzt sind (Juden/Heiden), löst ihr Potential auf. Mit dem normativen Charakter der ἄπιστοι-Bezeichnung ist eine dezidiert paränetische Intention verbunden. Die mit dem Gebrauch der ἄπιστοι-Bezeichnung verbundene Ermahnung funktioniert auf verschiedenen miteinander verschränkten Ebenen und unterscheidet sich gegebenenfalls leicht in den unterschiedlichen Situationen, in denen Paulus sie einsetzt:
Zusammenfassung
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a) Die ἄπιστοι-Bezeichnung dient der Abgrenzung gegenüber der Vergangenheit der πιστεύοντες, als sie noch ἄπιστοι waren. Sie erinnert die Glaubenden in Korinth daran, wer und wie sie selbst einst waren (1Kor 6,11). b) Die ἄπιστοι-Bezeichnung dient der Abgrenzung gegenüber der die πιστεύοντες umgebenden Welt. Mit der Frage nach der notwendigen Abgrenzung zur Welt verbindet sich das Problem, oder zumindest die Frage danach, wie diese neue Zugehörigkeits-Situation die Beziehungen zu Bekannten, Freunden (1Kor 10,27) und sogar zu Ehepartnern (1Kor 7,12–16) beeinflusst und verändert. c) Die ἄπιστοι-Bezeichnung dient der (eschatologischen) Vergewisserung der πιστεύοντες in ihrem jetzigen Status. Mit der Beschreibung der Nichtgläubigen als ‚Nichtgerechte` und ‚Verlorene` verbindet sich die Bestätigung der Glaubenden als ‚Gerechte` und ‚Gerettete`. Das vornehmliche Interesse ist demnach die Leserlenkung. Paulus gebraucht die ἄπιστοι-Bezeichnung, um damit die gesamte die Ekklesia umgebende Welt, die so ist, wie die Glaubenden einst waren, als von ihnen unterschieden zu beschreiben. Er beschreibt die Nichtgläubigen damit als diejenigen, denen das wesentliche Merkmal der Zugehörigkeit der Glaubenden fehlt: nämlich der Glaube.
Abkürzungen Die Abkürzungen der bibliographischen Angaben richten sich nach: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Hrsg. von Siegfried M. Schwertner. 3. Aufl. Berlin, 2014. The SBL Handbook of Style. Hrsg. von Billie J. Collins u.a. 2. Aufl. Atlanta, 2014. Weitere Abkürzungen ADL BDR
Annual Deichmann Lectures Blass, Debrunner und Rehhopf = Friedrich Blass und Albert Debrunner: Grammatik des neutestamentlichen Griechisch. Bearbeitet von Friedrich Rehkopf. 17. Aufl. Göttingen, 1990 ELB Elberfelder Bibel EÜ Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift KAANT Kleine Arbeiten zum Alten und Neuen Testament Luther Die Bibel. Nach Martin Luthers Übersetzung NGÜ Neue Genfer Übersetzung PPRT Perspectives on Philosophy and Religious Thought RMW Religion in the Modern World WIDA Das Wort in der Antike Zürcher Zürcher Bibel
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Stellenregister (Auswahl) 1. Altes Testament 5,4
Genesis 9,13
103
Exodus 3,12 7,3 7,13 8,11 9,12 10,20
104 138 139 139 140 139
Leviticus 11,44 19,19
74 158–160
Numeri 17,3 17,25
104 104
Deuteronomium 7,3 70 28,29 142
86
1. Makkabäer 4,55 122 2. Makkabäer 1,16 49 Hiob 1,20
122
Psalter 59,6 94,8
104 141
Sprüche 17,6a.7
35
Weisheit 2,21 14,11
142 191
Sirach 13,15–18
161 135 139.143 163 104 105 f. 122 167 143 186
1. Samuel 6,6 25,23
140 f. 122
2. Samuel 15,19
68
Esra 9,2
70
Nehemia 13,27
70
Jesaja 1,22 6,9 f. 9,1 19,20 28,11 f. 45,14 52,11 53,1 65,2
Judith 12,1 f.
86
Daniel 7,22
55
Esther 4,17
86
Amos 5,18
163
220
Stellenregister (Auswahl)
2. Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments Apokalypse Abrahams 29,12 144 f.
Jubiläen 25,3
4. Esra 6,9 7,47 7,50
144 145 144
3. Makkabäer 6,9 191
1. Henoch 48,9
55
71
Psalmen Salomos 17,25 120 Vitae Prophetarum 3,15 36
3. Neues Testament Matthäusevangelium 2,11 122 13,10 50 13,39 144 15,24 133 24,14 104 22,3 83 f. Markusevangelium 4,10–12 143 4,10 f. 50 6,52 141 8,17 141 Lukasevangelium 2,12 104 6,9 133 7,33 f. 87 8,10 50 8,12 147 10,8 84 15,2 87 18,11 62 19,10 134 Johannesevangelium 3,16 136 8,46 120 12,37 143 12,40 142 13,2 147 Apostelgeschichte 8,1 69 11,2 f. 87 28,24 143
Römerbrief 1,17 1,29 3,21 7,17 f. 7,20 7,25 8,9 8,11 9,24 9,30 10,16 10,21 11,13 11,16 11,25 11,28 11,30 f. 12,2 13,4 15,8 15,25 f. 15,31 16,1
131 29.62 131 68 68 141 68 68 192 189 143 186 192 76 142.144 188 187 178 128 128 74.186 186 67.128
1. Korintherbrief 1,2 75 1,17 f. 135 1,18 133 f.184 f. 1,20 53.145 1,21 100 1,22 189 1,30 61 2,12 53 3,9 166
221
Stellenregister (Auswahl) 3,16 f. 3,16 4,4 5,1–8 5,1 5,9–13 5,9 5,10 5,11 5,12 f. 5,12 5,13 6,1–11 6,1–6 6,1 6,2 f. 6,2 6,3 f. 6,3 6,4 6,5 6,6 6,7–11 6,7 f. 6,7 6,8 6,9 f. 6,9 6,11 6,19 7,1 7,7 f. 7,8 7,9 7,10 7,11 7,12–16 7,12 f. 7,12 7,14 7,15 7,25 7,31 8,2 8,4 8,5 10,9 10,14–22 10,14 10,20
166 68 120 48 177.192 48 48 48 f.58.176 f. 48.87 f.177 11.48 f.50.53– 55.58.60.63.182 177 177 45 f.48.51.57 60.72 f.100 45.53 f.59.183 f. 47 55 f. 51 54 f. 47.51.55 f. 55 f. 45 f.53 f.59 59 f. 52 46 f.51 46.60.62 52 46 f.57.59 f.183 f. 52.61 166 65 66 66 66 66 66 65–67.70–73.75 f.100 69 66 74.77 f. 68.79 66 145 89 89 145 133 90 177 177
10,21 10,23 10,25 f. 10,25 10,27–29 10,27 f. 10,27 10,28 10,29 10,31 10,32 11,32 12,2 12,10 12,28 14,1 14,2 14,3–5 14,4 f. 14,11 14,12 14,13 14,14–17 14,15 14,16 14,19 14,20–25 14,20 14,21 14,22 14,23 f. 14,23 14,24 f. 14,24 14,25 15,11
177 83.89.93 83 84.89.92 f. 92 83 83 f.89.91.93 91.93 93 89 59 182 192 115 115 98.100 115 100 115 101 100 115 115 141 101.110.112 f.184 115 97–100 99 99.105 13.41.99 f.102–109 110.112 f.184 99.116 f. 118–124 99 99.122 137
2. Korintherbrief 1,18 131 2,14–17 135 2,15 133 f.148.184 f. 2,17 134 f. 3,12–18 131.140.142.144 3,14 f. 141 3,14 139 4,1–6 127–130.135.140.148.163 4,1 128.144 4,2 130–132.134.144 4,3 f. 147 4,3 130.132.136–138.184 f. 4,4 132.136–138.145.163
222
Stellenregister (Auswahl)
4,6 4,13 6,11 6,13 6,14–7,1 6,14–16 6,14 6,15 6,16 6,17 11,6 11,13 12,12
128 137 157 157 153–156.171–174.178 162 156–161.168 f. 164 165.177 170 f.176 110 f. 169 103
Galaterbrief 2,5 2,12 2,14 2,15 3,8 3,9 3,28 4,8 5,1
130 87.190 130 189 76 165 191 145 159.168
Epheserbrief 1,21
144
Philipperbrief 1,1 74
1,28 2,15 3,18 f. 4,1 f. 4,7
133 178 134 67 141
Kolosserbrief 4,5 50.59 1. Thessalonicherbrief 4,5 192 4,7 77 4,11 f. 59 4,12 50 4,13 183 5,6 183 1. Timotheusbrief 3,7 50 Titusbrief 1,15
77
Philemonbrief 2 67 Judasbrief 5
136
Offenbarung des Johannes 21,8 29.62
4. Jüdisch-hellenisitische Literatur Aristeasbrief 180–185 86 296 28 Flavius Josephus Ant. II 169 28 IV 228 f. 158 XV 425 27 XVI 159 50 Bell. I 255 30 III 372 31.34 Joseph und Aseneth 7,1 86 7,5 70
Philo von Alexandrien Her. 93 25 Hypot. 11,17 79 Ios. 254 142 Leg. III 164 33 Legat. 21 142 – 339 30 Spec. II 73 71 – III 25 71 – III 29 71 – III 46 158 – IV 203–206 158 Virt. 75 120
223
Stellenregister (Auswahl)
5. Pagane Literatur der Antike Aeschines Fals. leg. 54
30
Antipho Or. 5,3
26
Aristoteles Rhet. 1416a
33 f.
Ps. Aristoteles Ath. pol. 19,1 31 Chrysipp Fragm. log. 268 27 DIG 23,2,2 50,17,30
69 69
Epidaurus Inschriften SIG 1168 III 32–34 Euripides Iph. taur. 1293 27
Lysias Or. 5,3 Menander Sent. 1,860 Palaephatus I IV V
25 30 26 26 f. 26
Plato Euthyd. 295a Leg. 730c Phaedr. 245c Protag. 313 Resp. 352b – 450d – 576a
28 26 25 135 57 33 31
Polybius X 14,8
28
Strabo IX 3,11
27
Herodot VII 209
28
Theophrast Char. 18
29 f.34
Isocrates Orat. 4,152
30
Thucydides VI 33,1
26