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German Pages 108 [112] Year 1859
DIE
NIBELUNGENSTROPHE UNI)
IHK
URSPRUNG
BEITRAG ZUR DEUTSCHEN METRIK VON
K. SIMROCK
BONN BEI
EDUARD 1858.
WEBER
VORWORT. Die Theorie der Nibelungenstrophe hängt von der Ansicht über ihren Ursprung ab. E h e über diesen entschieden ist, steht selbst die Textkritik noch auf unsichern Füssen. Ueber die Gestalt und den Bau der Strophe ins Reine zu kommen, ist nach L a c h m a n n s Urtheil (Vorrede zum P a r zival S. X X V I I I ) die erste Bedingung bei allen kritischen Versuchen. Wenn also diese kleine Schrift sich einen Beitrag zur deutschen Metrik nennt, so ist sie es nicht weniger zur Kritik des Nibelungentextes. Unsere Absicht war zunächst nur auf den Beweis gerichtet , dass es die uralte epische Langzeile ist, die sich in der Nibelungenstrophe verjüngt hat. D a sich aber zugleich ergab, dass aus derselben Langzeile überdiess noch durch die Vermittlung der O t f r i d i s c h e n Strophe die kurzen Reimpaare hervorgiengen, mithin aucli die frühesten lyrischen Maasse, deren Herleitung theils aus der Langzeile der Nibelungen selbst, theils aus der Halbzeile unbestritten ist, so vermögen wir die ganze Fülle unserer metrischen Formen auf Einen gemeinschaftlichen Ursprung zurückzuführen, und gewinnen einen Ausgangspunkt für unsere Verskunst, der Einheit in ihre Mannigfaltigkeit bringt. Auch auf die Maasse unserer N a c h b a r n , der germanischen wie der romanischen, erstreckt sich dieser Vortheil, da jene bekanntlich gleichfalls mit der Langzeile begannen, was von diesen unsere letzten Abshnitte darzuthun versuchten. Auf Ersteres näher einzugehen, gestattete der Raum n i c h t , wie auch die weitern Schicksale der NibelungenStrophe , in der Gudrun, dann ihr Uebergang in den Hildebrandston durch E i n f ü h r u n g des Mittelreims, endlich die neuere Behandlung, -welche die Senkungen nicht mehr auszulassen, wohl aber verdoppeln zu dürfen glaubte, aus gleichem Grunde
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von unserer Darstellung ausgeschlossen bleiben musten. Vielleicht findet m a n , dass derselben schon so eine allzugrosse Ausdehnung gegeben worden ist. Will man aber unsere Heldenstrophe, den -vollsten Athemzug unserer Dichtung, nicht schon an sich einer nähern Untersuchung würdig erachten, so dürften ausser den so eben angeführten noch andere für die Geschichte unserer Literatur nicht gleichgültige Ergebnisse uns zur Entschuldigung gereichen. Dazu rechne ich den Nachweis, dass der deutsche Reim, dem man ausländischen Ursprung zuschrieb, sich allmählich aus der Alliteration entfaltet und diese lange Zeit neben dem aus ihr entwickelten Reim fortbestanden und namentlich noch O t i ' r i d einen sehr ausgedehnten Gebrauch von ihr gemacht hat. Freilich muss auf Widerspruch gefasst sein, W e r Neues lehrt. Namentlich wird die Wiedereinsetzung der Ausdrücke Stumpf und Klingend in ihre wahre Geltung unbequem scheinen, nachdem ihr falscher Gebrauch in so viele für das Studium unserer Literatur und Sprache klassische Schriften Eingang gefunden hat. Wie gross aber die Scheu vor dem Umlernen sei, zu der sich selbst Goethe bekannte: Umlernen müste man, umlernen, Und wenn man umlernt, da lebt man nicht so wird sie doch bei dem ersten Forscher die Wahrheitsliebe bald überwinden. Wir dürfen überhaupt unserer Metrik den Kranz noch nicht aufsetzen: nicht einmal die Grundsteine sind dauerhaft gelegt. Jetzt wo der morschen einige herausgenommen und durch festere ersetzt worden sind, mag zwar die dringendste Gefahr abgewendet scheinen; aber was hilft das aus fein geschnitzten Schindeln sorgsam gefügte D a c h , wenn das Fundament nicht volle Sicherheit gewährt ? Worauf ich hier ziele, ist gelegentlich angedeutet: Der Satz, dass nur nach langer Sylbe die Senkung ausfallen könno, ist wankend geworden, oder bedarf doch näherer Bestimmung. Nächst dem liegt mir noch ein Anderes am Herzen: die Revision unserer Metrik für das practische Bedürfniss. Die von O p i t z durchgesetzte Sylbenzählung neben Sylbenmessung war damals eine W o h l t h a t ; jetzt ist sie zu lästigem Zwange geworden.
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In der L y r i k zwar wo sich ihr schon die Minnesänger genähert hatten, indem sie die Senkungen nicht mehr auszulassen pflegten, wäre eher auf ihre strenge Durchführung zu dringen: hier ist man neuerdings nach anderer Seite von ihr abgewichen : in der Verdoppelung der in die Senkung gesetzten Sylbe. Wenn man das mit Goethes Zeilen Es war ein K ö n i g i n Thüle Gar treu bis an das Grab, Dem sterbend seine Buhle E i n e n goldnen Becher gab, entschuldigt, während man zugleich davor warnt, dem in der letzten Zeile gegebenen Beispiel zu folgen, so ist im Gegentheil die Verdoppelung der im Auftact stehenden Sylbe ein unveräusserliches Recht, während sie innerhalb der Zeile wohl in dem Z. 1 gegebenen Beispiele durch den Vorgang des Volkslieds, dem diess Goethe abgesehen hat, entschuldigt werden mag, an sich aber verwerflich bleibt, weil sie gegen eine der Grundregeln deutscher Metrik verstösst. Im Volksliede, das aus altern Zeiten stammt, geschieht es nur, wo sich inzwischen mit der Sprache Veränderungen zugetragen haben, die jetzt den Schein der Verletzung eines unverbrüchlichen Gesetzes hervorbringen. Das Wort künec konnte einst innerhalb der Zeile für einsylbig gelten, weil bei der Kürze des Stammvokals die zweite Sylbe verstummte, während Uns K ö n i g ein zweisylbiges ist. In der E p i k aber führt die Sylbenzählung zu unerträglicher Eintönigkeit, während die noch immer, trotz der O p i t z s c h e n Neuerung, allein gültige Zählung der Hebungen, neben dem Rechte die Senkungen ausfallen zu lassen, eine fast unendliche Mannigfaltigkeit gestattet. Denn da, um bei den Nibelungen zu bleiben, in einer Strophe von zweiunddreissig Tacten fast eben soviel Senkungen bald stehen, bald ausfallen dürfen, so ergiebt sich leicht, dass in einem Gedichte von vielen tausend Strophen doch keine der andern vollkommen zu gleichen, braucht, während die Unähnlichkeit der nebeneinander stehenden Zeilen wie Strophen bald steigen bald sinken kann, wie es gerade der Inhalt verlangt, der über den Ausdruck gebietet, denn zur Malerei der Handlung, des Gedankens und der Empfindung ist dieser unerschöpfliche Wechsel auf das Vortheilhafteste zu verwenden.
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Was man in unsern Schulen und Schulbüchern, so wie in Anleitungen zum Selbstunterricht für deutsche Metrik verkauft, ist keine deutsche, sondern griechische, und da darf es nicht wundern, wenn die Nibelungenstrophe zu den jambischen Versarten gezählt wird, was sie ebensowenig ist als das Mass der kurzen Reimpaare, obgleich beide jambischen Gang nachahmen können, aber eben so gut auch trochäischen, anapästischen u. s. w. Hiermit ist zugleich angedeutet, warum ich mich der Tyrannei regelmässigen Wechsels betonter und unbetonter Sylben in der Epik niemals fügen wollte, was mir oft genug verdacht und vorgeworfen worden ist. Die Klage, dass man meine Verse nicht zu lesen wisse, begreife ich ganz wohl, denn wo sollte man es gelernt haben? In der Schule des deutschen Volkslieds und Sprichworts wäre es zu erlernen gewesen; aber für diese besteht kein Schulzwang und nur Sonntagskinder finden die Thüre dazu offen. Mancher hat auch wohl, wie mir berichtet worden ist, eins meiner Bücher schon nach der ersten Seite, der seltsam gemessenen Zeilen wegen, aus der Hand gelegt: das bedaure ich, bin aber überzeugt, hätte er es bis zur dritten und vierten gebracht , so würde er sich hineingelesen und zuletzt der echten deutschenVerskunst das Zeugniss gegeben haben, dass sie schöner und anmuthiger ist, als das Wechselkind, das kein guter-Geist uns dafür in die Wiege gelegt hat. Gegenwärtige Abhandlung ist im Sommer 1857 geschrieben und seitdem nicht mehr in meinen Händen gewesen. Ich konnte daher zwei hier einschlägige neuere Erscheinungen nicht berücksichtigen : Des Minnesangs Frühling, herausgegeben von K a r l L a c h m a n n und M o r i t z H a u p t (Leipzig, 1847) und den Aufsatz von K a r l B a r t s c h Ueber den Strophenbau in der deutschen L y r i k , in Pfeifers Germania II, 3. In Ersterm ist bei Kürnbergs und Spervogels Liedern von anderp als den hier vorgetragenen metrischen Ansichten ausgegangen; in dem Andern dagegen im Bezug auf die Nibelungenstrophe und ihr Verhältniss zum zehn- und zwölfsylbigen Vers der von uns durchgeführten Grundanschauung beigepflichtet. Bonn, im April 1 8 5 8 .
INHALT.
§. §. §. §.
1. 2. 3. 4.
§.
5.
§. §. §.
6. 7. 8.
§. §. §. §. §. §, §.
9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.
§. 16.
Behauptung fremden Ursprungs Herleitung aus der alliterierten Langzeile „Stumpf und Klingend« Vier H e b u n g e n im ersten Halbvers im z w e i t e n H a l b v e r s der z w e i e r s t e n L a n g z e i l e n bei klingendem Versschluss in d e n N i b e l u n g e n bei K ü r n b e r g bei männlichem Versschluss D e i H e b u n g e n in d e r d r i t t e n L a n g z e i l e . Ursprünglicher Bau der Nibelungenstrophe Die alliterierte Langzeile. Zweierlei Arten der K ü r z u n g . , . D e r Reim. Otfrid U r s p r u n g des d e u t s c h e n R e i m s a u s d e r A l l i t e r a t i o n Stumpfer Einschnitt nach der dritten H e b u n g Spielmannspoesie Kiirnberges wise Schlussreim in d e r m i t t e l l a t e i n i s c h e n D i c h t u n g in d e r r o m a n i s c h e n D i c h t u n g
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§• 1.
Behauptung fremden Ursprungs. F ü r die h e r s c h e n d e M e i n u n g , dass in der Nibelungenzeile der' französische Alexandriner n a c h g e b i l d e t sei, wird von W . W a c k e r n a g e l (Lit. Gr. 152, vergl. Altfranzösische Lieder und Leiche 213. 14) geltend g e m a c h t , dass im ältern französischen Epos a u c h weiblicher E i n s c h n i t t g a l t , und sogar acht Sylben vor demselben v o r k o m m e n . D i e T h a t s a c h e des weiblichen E i n s c h n i t t s bezeugt auch D i e z (Altromanische S p r a c h d e n k m a l e S. 106) in den W o r t e n : ,, J e d e r m a n n weiss, dass neben m ä n n licher auch weibliche Cäsur gestattet ist." F ü r die V e r w a n d t s c h a f t der beiden Versarten spricht diess a l l e r d i n g s , lässt a b e r die F r a g e u n e r l e d i g t , ob hier die D e u t s c h e n von den Franzosen, oder u m g e k e h r t die Franzosen von den Deutschen geborgt haben. F r e i l i c h m ü s t e ein sehr hohes Alter der Nibelungenzeile erwiesen werden, u m letztere A n s i c h t wahrscheinlich zu machen. Etwas anders scheint sich L a c h m a n n , a u f w e i c h e n sich D i e z a. a. 0 . S. 131 bezieht, die E i n w i r k u n g des Alexandriners denken. Die drei ersten Langzeilen der NibelungenStrophen zeigen j e t z t in i h r e r zweiten H ä l f t e n u r drei H e b u n g e n z. B. Wunders vil geseit: von grozer k u o n h e i t . Auf diese kurzen Sylbenreihen, welche f r ü h e r (vor den Nibelungen und den K ü r n b e r g in der P a r i s e r Liederliandschrift zugeschriebenen S t r o p h e n ) nicht nachgewiesen w a r e n , b e s c h r ä n k t er den Einfluss des französischen A l e x a n d r i n e r s , wenn er zu den .Nibelungen und zur K l a g e S. "290 sagt, dass sie zwar nach der allmählich g a n g b a r gewordenen V e r l ä n g e r u n g des Vieris i m r o c k , Nibelungenstrophe.
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2 füssigen Verses sieh n a t ü r l i c h , aber doch nicht ohne Einfluss der zwei epischen Versarten der Franzosen entwickelt hab e n , nur nicht eben in genauer Nachbildung. Die in Bezug genommenen französischen Versarten sind der zehnsylbige und zwölfsylbige Vers, aus welchem letztern die Alexandriner hervorgieng. Beide sind in ihrem zweiten Hemistich dreimal gehoben. Hier ist also der Einfluss der französischen Versarten auf die Ausbildung der zweiten Halbverse in den drei ersten Langzeilen beschränkt; die Langzeile selbst aus allmählich gangbar gewordener Verlängerung des vierfüssigen Verses abgeleitet.
ä. 2.
Herleitung ans der alliterierten Langzeile. Eine dritte A n s i c h t , welche die französischen Versarten ganz aus dem Spiele lässt, hat J . G r i m m Lateinische Gedichte des 10. und 11. J a h r h u n d e r t s , Göttingen 1838 S. X X X V I I I aufgestellt. Nach ilir haben wir in der alliterierten Halbzeile von acht Hebungen und nirgend anders den uralten volksmässigen Vers des deutschen Heldenliedes zu suchen. Derselben Meinung schien auch U h l a n d Ueber das altfranzösische Epos S. 102; die Stelle soll unten mitgetheilt werden. Neuerdings hat sich auch H o l t z m a n n (Untersuchungen S. 77) f ü r sie entschiedeu. Von dieser Ansicht ausgehend, welche von jeher die meinige war, habe ich schon früh ( W a l t h e r von der Vogelweide I, S. 171 und Zwanzig Lieder von den Nibelungen S. XI) sowohl im ersten Halbvers der Nibelungenstrophe als in den kurzen Reimpaaren durchweg vier Hebungen angenommen. „Im Volksgesang" hiess es an erster Stelle, „pflegen weibliche Endungen noch heute wie zwei Hebungen behandelt zu werden und in der Nibelungenstrophe fielen gewiss auf den weiblichen
3 Einschnitt zwei Hebungen., sonst würden Halbzeilen wie: „ D a sprach der alte Hildebrand" nicht zulässig gewesen sein. Ebenso muss man in dem (ursprünglich) ebenfalls volksthümlichen Maass der kurzen Reimpaare zwei Hebungen auf die weiblichen Keime rechnen, wodurch der Schein wegfällt, als ob die weiblichen Reimpaare nur drei Hebungen hätten." Aber auch im zweiten Halbvers nahm ich vier Hebungen an, nicht nur in der letzten Langzeile, wo sie Niemand bezweifelt, auch in den drei ersten der Theorie nach, obwohl praktisch die vierte Hebung auf den Pause falle, deren die Stimme noch so langer Zeile bedürfe. Näher ist diess Amelungenlied 1IT, 422 entwickelt, einer Stelle, die ich mit einer kleinen Abänderung hier wiederhole, um nicht mit andern Worten dasselbe sagen zu müssen. Sie schliesst sich zunächst an jene Vorrede zu den Zwanzig Liedern an und fährt dann fort: „Hiernach sollte man glauben, die Nibelungenstrophen hätten in den drei ersten Langzeilen sieben Hebungen, nämlich vier im ersten Halbvers, drei im zweiten; in der letzten Zeile aber deren acht, nämlich vier in jeder Halbzeile. Für einen solchen Bau muss aber eine E r k l ä r u n g gesucht werden. Er befremdet nicht bloss wegen der Halbverse von ungleicher Länge in den drei ersten Theilen, mehr noch durch die Ausnahmsstellung der vierten, deren zweite Hälfte eine Hebung mehr hätte als die entsprechenden in den drei vorausgehenden Zeilen. Wirklich ist auch dieses Maass vielfach als unsymmetrisch getadelt worden, nicht wegen des ersten Grundes, der ungleichen Länge beider Halbverse in den drei ersten Langzeilcn, denn diese erkannte man nicht, weil man (wie auch ich noch in der Vorrede zu der ersten Ausgabe der Nibelungen) in allen vier ersten Halbversen nur drei Hebungen sah, sondern wegen des allein in die Augen fallenden zweiten, der grössern Länge der vierten Langzeile. Bei diesem Tadel blieb man nicht stehen: man glaubte auch die Symmetrie dadurch wieder herstellen zu müssen, dass man den dritten Vers den drei ersten gleichbildete und seiner zweiten Hälfte auch nur drei Hebungen gab. Man bedachte nicht, dass man damit die Strophe zerstörte, die nun in
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4 zwei gleiche Hälften auseinanderfiel. Allein der Mangel der Symmetrie ist nur scheinbar. W e r sich den Rhythmus lebendig macht, indem er beim Lesen eines in diesem Mausse gedichteten "Liedes die Hebungen mit Tactschlägen begleitet oder sie beim Gehen mit den Füssen abtritt, wird bei einiger Aufmerksamkeit auf sich selbst gewahr werden, dass er nach jeder der drei ersten Langzeilen unwillkürlich eine Pause von Einem Tacte macht oder Einen Fuss niedersetzt ohne diesem Schritt eine H e b u n g zuzuthcilen. Hieraus folgt unwidersprechlich, dass die drei ersten Langzeilen zwar nur sieben Hebungen h a b e n , dass aber ihr Rhythmus eigentlich acht Tacte füllt, von welchen der letzte auf die Pause fällt. Hierdurch werden die drei ersten Langzeilen der vierten gleich, die auch nur acht Tacte hat, deren achte Hebung sich aber daraus erklärt, dass der achte Tact, auf welchen sie fällt, diessmal in keiner Pause zu stehen braucht, weil mit ihm die Strophe zu Ende ist und nun von selber Ruhe eintritt. „Die Pause nach den drei ersten Langzeilen erklärt sich natürlich aus dem Bedürfniss, innerhalb eines Rhythmus von zwei und dreissig Tacten dreimal nach gleichen Zeiträumen' zu ruhen ; zum viertenmal bedarf es keiner Pause, weil man nach der vierten Langzeile mit der Strophe zu Ende ist und da von selber inne hält und sich ausruht. Nach diesem Rhythmus von zwei und dreissig Tacten kann aber auch eine Strophe von vier Langzeilen, deren jede ihre v o l l e n a c h t Hebungen zählt, gesungen wordsn, nur dass dann, weil nirgend eine Pause eintritt, dem Vortragenden eine grössere Anstrengung zugemuthet wird, indem er seine Stimme nicht eher ruben lassen kann als nach dem Schluss der Strophe. Hieraus ergiebt sich, dass auch die vier Hebungen der s. g. kurzen Reimpaare, wenn man jedesmal acht solcher Reimzeilen zu einer Strophe verbindet, nach dem gleichen Rhythmus vorgetragen werde können. Damit fällt mir das Maass der Nibelungen mit dem des Ludwigsliedes musikalisch zusammen und wurde vielleicht nach derselben Melodie gesungen. Die Vermuthung liegt nahe, dass das Nibelungenmaass mit den kurzen Reimpaaren gleichen Ursprung hat. Nehmen wir
5 acht Halbzeilen von je vier Hebungen, so ist es f ü r den musikalischen Vortrag gleichgültig ob die erste Halbzeile mit der zweiten durch den Reim gebunden wird, oder ob je zwei eine Langzeile bilden, die der Reim mit der nächsten Langzeile bindet. Das erste Verfahren ward bei den aus kurzen Reimpaaren bestehenden Strophen b e o b a c h t e t ; das andere bei der Nibelungenstrophe, nur dass man hier zur Erleichterung des Vortrags den Reim in den drei Arsten Langzeilen schon auf die siebente Hebung fallen liess, die letzte Hebung aber im Sinne behielt und auf die Pause vertheilte. „Desshalb finden sich auch Volkslieder, worin kurze Reimpaare mit aufeinander reimenden Langzeilen von sieben Hebungen abwechseln, die doch beide nach gleicher Melodie gesungen werden. U h l a n d 10. 16. 21. Wunderhorn I I I Anh. 29. Dahin gehört auch unser Bönnisches Martinslied, das gleich mit zwei solcher Langzeilen beginnt: He Zinter Märte, dat woar ne göde Mann Der deelt singe Mäntel met ericm erme Mdnn, während weiterhin kurze Reimpaare folgen: Wingche enn dä Fläsclife, Geliehen enn dä Tasche ; Wingche moss gedrönke senn, Gellche moss verzehrt senn. „Dass die Langzeile von acht Hebungen der uralte volksmässige Vers d e s d e u t s c h e n H e l d e n l i e d e s i s t , hat J a k o b G r i m m erkannt und in der Vorrede zu den lateinischen Gedichten des 10. und 11. Jahrhunderts ausgesprochen. Wenn er aber glaubt, wie ich das auch einst glaubte: in der Nibelungenstrophe sei die Langzeile nun um zwei Hebungen gemindert, und sich das so erklärt, der klingende Einschnitt habe im Ersten Halbvers auf Unterdrückung einer Hebung hingewirkt, und beim Zweiten dann die durch Gesang oder Recitativ bedingte Gleichmässigkeit sie gefordert, so kann ich weder die Behauptung f ü r den ersten Halbvers, noch den für den zweiten daraus abgeleiteten Erfolg zugeben. Wenn im ersten Halbvers
6 die vierte Hebung wirklich unterdrückt und nicht auf die kurze Sylbe zu legen wäre, so würden erste Halbverse wie Da sprach der alte Hildebrand gar nicht zu erklären sein. Und wenn die Gleichmässigkeit hernach auch f ü r den zweiten Halbvers die Unterdrückung einer H e b u n g gefordert h ä t t e , weil schon der erste nur noch drei zählte, warum forderte sie dann diese Unterdrückung nicht auch von der vierten Langzeile, deren erste Hälfte doch in nichts von der der drei ersten Langzeilen verschieden ist? Auch die Ableitung des Nibelungenverses von dem französischen Alexandriner , die hin und wieder versucht worden ist, wird durch obige Ausführung beseitigt; ebensowenig möchte ich diesen aus jenem entspringen lassen, obgleich ich nicht zweifle, dass beide insofern verwandt sind, als auch der Alexandriner aus der Langzeile von acht Hebungen hervorgegangen ist." Nachtragen will ich hier nur die Bemerkung, dass auf dem angeführten Volksliede die Accente nicht nach Willkür oder etwa nur nach Vermuthung sondern nach dem lebendigen Volksgesang gesetzt worden sind. Da Volkslieder, namentlich Kinderlieder, aus welchen sich allein eine ganze deutsche Metrik entwickeln liesse, glücklicherweise noch überall gesungen werden, so ist Jedem die Gelegenheit geboten, sich aus deren Vortrage von der doppelten T h a t s a c h e zu überzeugen, dass auf den weiblichen Einschnitt und so auch auf den weiblichen Reim zwei Hebungen vertheilt werden und nach .der Langzeile, wenn sie um eine ihrer acht Hebungen gemindert w i r d , immer eine Pause von einem Tacte eintritt. Der lebendige Volksgesang hat hier die entscheidende Stimme und den grösten Kritiker kann ein Kind auf der Gasse beschämen. Wenn mir daher Max R i e g e r S. 281 entgegnet, L a c h m a n n habe die Halbzeilen, welchen ich vier Hebungen beilege, f ü r dreimal gehoben gehalten und ihren Schluss für klingend, so weiss ich das gar wohl und bedaure mich hier nicht in Uebereinstimmung mit meinem Lehrer zu finden. Allein es begegnet mir hier öfter, anderer Meinung zu sein, als meine verehrtesten Freunde und Lehrer. Glücklicherweise
7 bleibe ich aber nie allein, sondern erfreue mich stäts der Zustimmung des Einen, wenn ich mit den Andern in Widerspruch gerathe. So steht mir h i e r , wie man hernach sehen wird, W a c k e r n a g e l zur Seite, von dem ich mich in der Hauptfrage Scheiben muss. Uebrigens bin ich es eigentlich, der die Versschlüsse, um die es sich hier handelt, f ü r k l i n g e n d hält, denn ich lasse sie auf beiden Sylben klingen, während wer ihnen nur eine H e b u n g zutheilt, sie damit den zweisilbigen s t u m p f e n Eeimen metrisch fast gleichstellt.
§• 3.
Stumpf und klingend. Die Bedeutung der überlieferten Wörter s t u m p f und k l i n g e n d ist bisher verkannt worden und dadurch grosse Verwirrung angerichtet. Bedeuteten sie, was man jetzt darunter versteht, so wären sie wunderlich gewählt. Warum sollten einsylbige Reime stumpf, zweisylbige, deren zweite nicht klingt, klingend genannt werden? Der Unterschied kann sich ursprünglich nur auf z w e i s y l b i g e Reime bezogen haben, welche klingend Messen, wenn wie in giiete: gemiiete beide Sylben klangen, stumpf oder stumm, wenn wie in klagen : sagen die letzte Sylbe verstummte. Unser neueres Missverständniss , wird a u f W a g e n s e i l 522 zurückgehen, wo es buchstäblich heisst: „Die Stumpfe Reimen sind, welche sich einsylbig reimen. Als Krön, L o h n : Gut, B l u t : Gericht, verpflicht: Bereit, Ewigkeit. „Klingende Reimen sind, welche sich zweisylbig reimen: als Beschliessen, Geniessen: Länder, Bänder: Andern, W a n d e r n . " Aber in so später Zeit wurden wir aus den zu S. 554 beigegebenen Singnoten erhellt, auf zweisylbige stumpfe Reime wie leben: geben schon zwei Noten gesetzt: sie waren also bereits klingend geworden, vergl. S.523. Man sieht leicht, dass W a g e n s e i l weder mit der gangbaren Metrik noch mit meiner
8 stimmt: mit der gangbaren nicht, weil er z w e i s y 1 b i g e stumpfe Reime nicht mehr anerkennt; mit meiner n i c h t , weil er den Beinamen stumpf, der von zweisylbigen Reimen ausgegangen war, auf einsylbige überträgt. W i r haben uns von den spätem Meistersingern zu falschem Gebrauch dieser W ö r t e r verleiten lassen. Zwar ganz konnten wir ihnen nicht folgen, weil wir die Stumpfheit zweisylbiger Reime wie sider: wider, l e b e n : geben nicht verkannten. Da wir aber einsylbige Reime wie guot: bluot von ihnen stumpf genannt fanden, so suchten wir ihr Zeugnis» mit unserer bessern Einsicht dadurch zu vermitteln, dass wir zwischen ein- und zweisylbigen stumpfen Sylben unterschieden. Diess war ein Irrthum ; das Richtige habe ich oben angegeben: der Unterschied zwischen klingenden und stumpfen Reimen bezieht sich nur auf die zweisylbigen. Auf die klingenden legt der Volksgesang wie die ältere Kunstlyrik zwei Hebungen, die jüngere nur noch in Tönen, welche aus der alten Langzeile entwickelt sind wie W a l t h e r s Ich sa3 uf eime steine 8, 4 ; P h i l i p p e , künec liere 16, 36; Nieman kan mit gerten 87, 1. Do der sumer komen was 94. 11; Nu sol der keiser here 105, 13 (wo die vier Sylben der letzten Zeile gegen W a l t h e r s Gewohnheit vier Hebungen t r a g e n ) : nicht mehr in längern Zeilen phne Einschnitt wie Vil wol gelobter g o t , wie selten ich dich prise 26, 3 oder Ich han gemerket von der Seine unz an die Muore 31, 12, wie wir daran sehen, dass hier W a l t h e r Stollen von geschlechtlich verschiedenen Reimen wie Muore: fuore und g u o t : muot bildet, was er nicht gedurft hätte, wenn er noch nach der altern Metrik zwei Hebungen also auch zwei in der Arsis stehende Noten auf jene zweisylbigen Stollenschlüsse l e g t e ; gab er aber der zweiten Sylbe keine Hebung, so stand ein solcher zweisylbiger Reim fast einer einsylbigen g l e i c h , jedenfalls einein zweisylbigen wie namen: schämen W a l t h e r 31, 25. 26, denn er konnte in der Melodie mit einer kurzen Note abgefunden werden. Näher ist diess W a l t h e r II, 172 von mir ausgeführt, also an derselben Stelle, die mich zuerst veranlasste, die richtige aber noch immer nicht durchgedrungene Ansicht über den klingenden Reim in den Nibelungen
9 und den kurzen Reimpaaren auszusprechen. In diese letztern wurden indess späterhin ohne die Regel a u f z u h e b e n , dass die auf der dritten Stelle beginnenden Reime wie I w e i n güete : gemiiete vier Hebungen tragen, ausnahmsweise auch Reimpaare zugelassen, worin der auf der vierten Stelle anhebende weibliche Reim nur Eine Hebung trug, also eigentlich unklingend, den zweisylbigen stumpfen Reimen gleich, gebraucht waren. So I w e i n 557. 8. tuostû dan die widerkêre âne grôge dîn unêre oder 768, 9 unde g e s a j ab zuo dem brunnen. der unzucht suit ir mich verkunnen (vgl. L a e h m . Anm. zu I w . 1991. 1992) oder P a r z . 6, 9. 10. d a j se ir lêhen aile enpnengen, nu hoeret wie sig ane viengen oder schon V e l d e k e , W a c k e r n . L. B. 284, 32. 3 3 : wol gekleit und wol gehêret, wol gezogen und wol gelêret. Aber bereits in dem Morgenlied D i e t m a r s von E i s t Slâfestù, vriedel ziere? wan wecket unsih leider schiere liegt jedenfalls in der zweiten Zeile nicht mehr als eine Hebung auf dem Reim : sie trüge sonst deren fünfe. Wenn wirklich diess Gedicht so alt ist als E3 stuont ein vrouwe alleine, so wäre es in der L y r i k das älteste Beispiel eines nur einmal gehobenen s. g. klingenden Reims und zugleich der Anfang unseres modernen weiblichen Reims, welcher der zweiten Sylbe oft keine Hebung mehr zutheilt, wie es die ältere Verskunst that und der Volksgesang noch heute thut. §•
4.
Vier Hebungen im ersten Halbvers. Dass die jüngere Metrik hierin von der ältern abweicht, wird mir nicht bestritten : es fragt sich nur, ob ich den Zeit-
10 punkt richtig bestimme, wo beide auseinander gehen. Man räumt ein, dass bei O t f r i d Reime wie g u a t o : gimuato zwei Hebungen t r u g e n ; aber im I w e i n soll auf g ü e t e : gemüete nur noch, eine liegen, obgleich man zugiebt, dass die kurzen Reimpaare sich aus der O t f r i d ' s c h e n Strophe entwickelt haben. Wie die Veränderung sich zugetragen h a b e , wird so erk l ä r t : Bei O t f r i d kam es wesentlich nur auf den Gleichklang der letzten Sylbe a n , also in unserm Beispiel auf das o in guato und gimuato: schon die Einstimmung des t vor dem reimenden o ist eine unwesentliche Zugabe, noch mehr die des vorhergehenden Diphthongen. Das bestreite ich Alles nicht, obgleich dieses f ü r unsere Theorie, des O t f r i d ' s c h e n Reims unwesentliche Zurückgreifen auf den nächsten Consonanten. wie in snello: follo j a sogar wie in l i u t i : loufti auf einen f r ü h e r n , uns hernach,, wenn es sich von der Entstehung des Reims aus der Alliteration h a n d e l t , als ein wesentliches Glied der geschichtlichen Entwickelung erscheinen wird. Aber diess eingeräumt, was thut das zur Sache? Liegen darum weniger zwei Hebungen auf guato ? Und hätte ein solcher Reim guato: gemuato nicht volles Recht, ein klingender zu heissen ? Aber man höre weiter: „Als die im Althochdeutschen betonten Endungen," heisst es W . G r i m m , Zur Geschichte d. Reims S. 182, „nach und nach sich abschwächten und n i c h t m e h r i m S t a n d e w a r e n , e i n e H e b u n g z u t r a g e n , wandelten sich die zweisylbigen Reime, deren erste Sylbe lang w a r , in klingende um," womit nach dem Sinne, den man in das Wort klingend gelegt hat, gemeint ist, sie hätten nur noch eine Hebung und zwar auf der ersten Sylbe getragen. Kürzer ist die ganze Theorie von J . G r i m m lat. Ged. S. XXXIX vorgetragen: „der althochdeutsche Vers weiss von keinem eigentlich klingenden Reim, nur von s t u m p f e m ; den klingenden Reim begründet eben, dass bei langer penultima der Accent der letzten Sylbe geschwächt und der H e b u n g u n f ä h i g wird. Eine Menge zweisylbige R e i m e , die bei O t f r i d zwei Hebungen trugen, gestatteten der mittelhochdeutschen Verskunst bloss eine." Dass flie betonten Endungen sich abschwächten, gebe ich
11 zu, keineswegs, dass sie nicht mehr im Stande wären, eine Hebung zu tragen. Oder liegt Nib. 17, 3 wie liebfe mit leide auf liebe nicht noch eine zweite Hebung? Und warum sollte sie dann auf leide nicht liegen können ? Ich habe, wie gewöhnlich, ein Beispiel aus dem Anfang des Gedichts gewählt; d a aber zufällig die Echtheit dieser Strophe bezweifelt wird, so stelle ich aus dem vierten Liede, gewiss einem der alterthümlichsten, und zwar gleich aus der ersten Strophe, ein Beispiel daneben: 323, 4 si schÖ3 mit snellen degnen || umbe minne den Schaft. Wenn minne den Tiefton tragen kann, warum wäre degnen ¿u schwach dazu? Auch in den kurzen Reimpaaren tragen innerhalb des Verses an sich tonlose Sylben den Tiefton, wie I w e i n 79. 8 : ze handen gevangen und wären gegangen. Ich weiss wohl, dass die Sache von Niemand bestritten wird; aber das ist nicht genug: man muss auch die Folgerungen gelten lassen. Wenn handen, wenn wären den Tiefton tragen kann, warum wäre gevangen, warum gegangen zu schwach dazu? Und warum wären diese nun klingende Keime genannt worden seit sie tonlos wurden und an ihrem Klange einbüssten ? Sollten sie zur Entschädigung mit einem leeren Titel abgefunden werden? Das Richtige trägt W a c k e r n a g e l Lit. G. S. 134 vor, nur dass er sich noch der Ausdrücke s t u m p f und k l i n g e n d in der schon oben als irrig nachgewiesenen Weise bedient; aber an folgenden Worten wüste ich nichts zu ändern: „ I n den e p i s c h e n V e r s e n und noch in d e r b e g i n n e n d e n L y r i k , sobald da der Reim nur die nöthige Zahl der Hebungen herstellen half, war es gleich ob er auf zwei oder drei Sylben oder nur auf eine gieng: war von zweien die erste lang, von dreien die erste kurz, so ward die letzte, weil auch sie eine Betonung trug, als Hebung mitgezählt; war aber die erste von zweien kurz, so kam die zweite als tonlos (stumm) für den
12 Vers gar nicht in Betracht und es war so gut als stünde ein einsylbiges Wort d a : Verspaare wie (in Lamprechts Alexander) Mit listiclichen suchen | liez der herre mächen Erine biledfe |[ geschaffen alsö lidlide; Enbinncn wären si hol [| und wären chriesches viures vol: Mit den bilden liez er laden || mänigen iseninen wägen erfüllten alle viere dasselbe Mass und durften sich in gleicher Geltung folgen." Wenn weiterhin ausgeführt w i r d , i n d e r s p ä t e m L y r i k sei durch den Einfluss der Franzosen, die jene Schlusaccente nicht k a n n t e n , der Tiefton klingender Reimworte wie Sachen und machen f ü r keine Hebung mehr gerechnet worden, so scheint mir zwar sonst W a c k e r n a g e l allzugeneigt, französischen Einfluss anzunehmen; hier aber wo die deutsche Regel verletzt w i r d , dass die Senkungen nur zwischen den Hebungen stehen, empfiehlt sich die Annahme dieses Einflusses, obgleich entgegensteht, dass er sich auf die Lyrik nicht beschränkt, sbndern wohl auch auf das Kunstepos, die erzählenden Gcdichte wie der I w e i n und P a r z i v a l , erstreckt haben würde. Doch galt es hier nur anzuführen, dass W a c k e r n a g e l die Hebungsfähigkeit der tonlos gewordenen Sylben anerkennt. Wenn S p e r v o g e l oder richtiger Heriger singt : Ih sag iu, lieben süne min, iu enwahset korn noh der win, Ih enkan iu niht g e z o g e n diu leben noh diu ¿ig&n, so haben die letzten Zeilen nicht etwa eine Hebung weniger, als die ersten. Das würde sich aus der folgenden Strophe wideflegen : Wer sol üf Steinberc wurken Wernhartes werc? H e i , wie er gab unde l e h ! des er dem biderben man verzeh, u. s. w. denn hier hat der zweite Stollen vier H e b u n g e n : und der ent-
13 sprechende dort sollte sie nicht auch gehabt haben?
Am deut-
lichsten zeigt eine dritte Strophe Würze des wäldfes und erze des göldfes Und ¿lliu äbgründe diu sint dir, hSrre, künde, dass S p e r v o g e l noch ganz so reimt w i e O t f r i d , nämlich einsylbig, aber mit Zurückgreifen auf die vorhergehenden Cönsonanten und Vocale. Die klingenden Keime würze: erze, waldes: goldes, gründe: künde tragen zwei Hebungen, mithin ist die zweite, tonlose Sylbe noch nicht zu schwach geworden, eine Hebung zu tragen. Nicht anders ist es bei D i e t m a r v o n E i s t , bei dem uns doch schon einmal gehobene weibliche Reime begegneten, in dem L i e d e : Eg stuont ein vrouwe alleine unt warte über heide unt warte ir liebes : so gesah si valken vliegen. S6 wol dir, valke, dag du bist u. s. w. Wenn bald darauf die Kmistlyrik klingenden Reimen wie eigen: gezeigen, gründe: künde in ihren Tönen bestimmte Stellen anwies, während sie bei S p e r v o g e l mit einsylbigen beliebig tauschen durften, so folgt daraus nur , dass man jetzt bei ihnen nicht mehr auf die letzte Sylbe allein sah , sondern sie wegen der Einstimmung der vorhergehenden als eine eigene Reimgattung auffasste; keineswegs ist daraus zu erweisen, sie hätten nun die zweite Hebung eingebiisst. B e i W a l t h e r haben wir das oben für solche aus langen Zeilen ohne Einschnitt gebildete Gesetze zugegeben, welche in den entsprechenden Stollen Reime verschiedenen Geschlechts zuliessen; anders aber wird es sich in dem T o n e : Ich sag llf eime steine verhalten, wo klingende Reime regelmässig mit einsylbigen wechseln, beide Reimzeilen aber gleiche Zahl der Hebungen tragen wie in allen aus der O t f r i d s c h e n Strophe entwickelten Tönen. Von den kurzen Reimpaaren unterscheidet sich dieser Spruch, von der
14 Schlusszeile abgesehen, nur dadurch dass klingenden und männlichen Keimen feste Stellen angewiesen sind. Nach W a c k e r n a g e l (Altfranz;. Lieder u. Leiche 2 1 3 ) wäre es Heinrich von V e l d e k e gewesen, der zuerst den klingenden Reim als eine besondere Art auffasste und beide Arten in geregeltem Wechsel mischte. Wenn er hinzufügt, er habe den Tiefton der zweiten Sylbe für eine Senkung gerechnet, so läast sich das bei ihm noch nicht mit solcher Sicherheit erkennen, wie in jenen Spruchtönen W a l t h e r s . Wahrscheinlich wird es auch mir in den Fällen, wo bei der Annahme zweier Hebungen die weibliche Keimzeile eine Hebung mehr bekäme als die einsylbig reimende z. B . : E3 sint guotiu niuwe märe, da5 die vogel offenbare singent, dä man bluomen siet ; dagegen bezweifle ich es in Tönen wie Der blidschaft sunder riuwe hat mit eren hie, derst riche, Da3 herze, dä diu riuwe in stät, da3 lebet jämerliche u. s. w. wenigstens für die Stollen, nicht für den Abgesang. Ebenso in dem L i e d e : D6 man der rehten minne pflac, d6 pflac man ouch der Sren; Nu mac man naht unde tac die boesen site leren u. s. w. Dieses zweite Lied hat W a c k e r n a g e l selber bedenklich gemacht: er möchte darum mit der dritten Strophe ein neues Lied beginnen und so den Einwand beseitigen. Mir scheinen aber alle vier Strophen nach Einer Melodie gesungen und auch durch den Gedanken verbunden, wie selbst das in der dritten Strophe wiederkehrende Keimwort fruot diese Anknüpfung an die zweite Strophe äusserlich bekundet. Nur in der zweiten Strophe ist die letzte Zeile verdoppelt. Wenn W a c k e r n a g e l endlich hinzufügt: Einige Lyriker brachten die letzte nunmehr tonlose Sylbe klingender Keime gar
15 nicht mehr in Anschlag und Hessen desshalb stumpfe (einsylbige) und klingende (weiblich reimende) Verse ganz regellos wechseln, so ist mir wenigstens bei Kaiser H e i n r i c h, der u. A. genannt wird, wahrscheinlicher, dass er auch klingende Versschlüsse noch einsylbig reimt, wie O t f r i d und S p e r v o g e l , weshalb denn in der entsprechenden Stelle der zweiten Strophe bei männlichem Reim eine Hebung mehr zu stehen scheint. W i e dem auch s e i , die spätere mittelhochdeutsche L y r i k steht allein mit ihrer Behandlung des weiblichen Reims; im Volke hat sie niemals Wurzel gefasst: die volksmässigen unter G o t f r i e d v o n N i f e n s Liedern sind nach der alten Metrik gedichtet, das spätere Volkslied hielt es nicht anders und diesem schloss sich das Kirchenlied an. W i r heutzutage reimen unsere Lieder nicht mehr für den lebendigen Gesang, sondern für das einsame Lesen im Kämmerlein und weder Dichter noch Publicum werden sich deutlich bewust, ob sie Zwei oder nur Eine Hebung auf den weiblichen Reim legen. Und doch dürfte man behaupten, in Go e t h e ' s Sah ein Knab ein Röslein stehn, Röslein auf der Haiden oder Der Schäfer putzte sich zum Tanz Mit bunter J a c k e , Band und Kranz, Schmuck war er angezogen, oder in dem Tischlied Mich ergreift, ich weiss nicht wie, Himmlisches Behägen, trage
der weibliche
Reim zwei
Hebungen;
dagegen
Zeilen: Dichter lieben nicht zu schweigen, Wollen sich der Menge zeigen oder in dem Liede An dem reinsten Friihlingsmörgen Gieng die Schäferin und sang
in
den
16 oder in Schillers Gloeke: Fest gemauert in der Erden Steht die Form aus Lehm gebrannt nur eine. Ist sich aber wohl Goethe bewust geworden, das» sein Lied ,Gefunden" eigentlich folgenden Rhythmus trägt: Ich gi