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German Pages [732] Year 2001
BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE OSTEUROPAS HERAUSGEGEBEN VON DIETRICH BEYRAU BERND BONWETSCH DIETRICH GEYER MANFRED HILDERMEIER BAND 33
DIE MOSKAUER METRO VON DEN ERSTEN PLÄNEN BIS ZUR GROSSBAUSTELLE DES STALINISMUS (1897-1935)
VON DIETMAR NEUTATZ
§ 2001 BÜHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Neutatz, Dietmar: Die Moskauer Metro : von den ersten Plänen bis zur Großbaustelle des Stalinismus (1897-1935) / von Dietmar Neutatz. Köln ; Weimar ; Wien : Böhlau, 2001 (Beiträge zur Geschichte Osteuropas ; Bd. 33) Zugl.: Düsseldorf, Univ., Habil.-Schr. 1999 ISBN 3-412-12500-8 © 2001 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Ursulaplatz 1, 50668 Köln Tel. (0221) 91 39 00, Fax (0221) 91 39 011 vertrieb @ boehlau.de Alle Rechte vorbehalten Umschlagabbildung: Tunnel im Rohbau, mit einer Parole zum 17. Parteitag Gesamtherstellung: Strauss Offsetdruck GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Printed in Germany ISBN 3-412-12500-8
INHALTSVERZEICHNIS
Abkürzungen, Maßeinheiten, Datumsangaben Konkordanz der Bezeichnungen von Straßen, Plätzen, Bahnhöfen und Metrostationen
XI XV
Einführung 1. Historiographie und Forschungsstand 2. Fragestellungen und Gliederung 3. Quellenlage 4. Fachausdrücke und technische Grundlagen des Untergrundbahnbaus
20
I. VON DEN E R S T E N P R O J E K T E N BIS ZUR E N T S C H E I D U N G ZUM BAU ( 1 8 9 7 - 1 9 3 1 )
25
1. Die Projekte vor 1917 a) Die Anfänge des öffentlichen Verkehrs in Moskau b) Untergrund- und Stadtschnellbahnprojekte 1897-1903 c) Untergrund-und Stadtschnellbahnprojekte 1911-1916 2. Die Frage der Moskauer Untergrundbahn in den zwanziger Jahren a) Die Bemühungen des Mossovet um Planung und Finanzierung 1918-1928 b) Die Verschiebung des Baus 1928-1930 c) Die Diskussion um die Untergrundbahn und revolutionäre Visionen der Stadtplanung 3. Die politische Entscheidung zum Bau 1931 a) Das Eingreifen der Partei b) Die Diskussion im Mai und Juni 1931 c) Das Juniplenum des Zentralkomitees und seine unmittelbaren Folgen
1 1 12 16
25 25 28 37 45 45 56 63 69 69 73 79
VI
Inhalt
II. DIE D U R C H F Ü H R U N G DES B A U S 1 9 3 1 - 1 9 3 5
87
1. Die Gründung von Metrostroj und das Know-how 2. Der Verlauf der Bauarbeiten a) 1931/32: Überstürzter Beginn ohne Projekt b) 1933: Weichenstellungen zur Überwindung der Krise c) 1934: Der Plan wird „gestürmt" d) 1935: Die Vorbereitung auf die Inbetriebnahme 3. Die Finanzierung 4. Ausrüstungen, Baumaterialien und das Transportproblem
87 93 93 106 116 122 124 134
III. H E R K U N F T , L E B E N S - UND A R B E I T S B E D I N G U N G E N DER M E T R O B A U E R
147
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Die Anwerbung und Einstellung der Arbeiter „Mobilisierungen" aus Moskauer Betrieben Die Entwicklung des Personalstandes 1931-1935 Die Fluktuation und das Paßgesetz Die Unterbringung Die Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern Löhne und Arbeitszeit Arbeitsbedingungen, medizinische Versorgung, Berufskrankheiten und Unfälle
147 157 172 174 185 202 213 226
IV. L E B E N S W E L T E N U N D V E R H A L T E N S W E I S E N DER M E T R O B A U E R
237
1. Erklärungsansätze fur das Verhalten der Bevölkerung im Stalinismus.. 2. Die Stützen des Regimes und ihre Motive a) Die Komsomolzen b) Die Kommunisten c) Die Ingenieure und das technische Personal 3. Die „normalen" Arbeiter a) Einschätzungen durch Dritte b) Eigensinn und Anpassung 4. Konzepte der erfolgreichen Integration a) Beschwerden und Kritik im offiziellen Rahmen b) Das Gruppenbewußtsein als „Metrobauer" und der Aktionismus c) Metrostroj als „Krieg" 5. Nicht integrierbare Verhaltensweisen und ihre Instrumentalisierung .... a) Offener Protest, Widersetzlichkeit, (angebliche) Sabotage b) Kriminalität, Hooliganismus
237 249 249 273 277 287 287 291 304 304 311 315 324 324 329
Inhalt V. DIE „ S C H M I E D E DES N E U E N M E N S C H E N " : SOZIALISTISCHE ARBEITSFORMEN, ERZIEHUNG UND FREIZEITGESTALTUNG 1. 2. 3. 4.
Das kulturelle und politische „Wachstum" der Arbeiter Die Ausbildung der Arbeiter und des technischen Personals Die Einbindung der Arbeiter in den sozialistischen Wettbewerb „An sich selbst arbeiten, andere bearbeiten": Erziehung und Freizeitgestaltung a) Die Erziehung zu „kultiviertem" Leben b) Alphabetisierung, Bildung, politischer Unterricht c) Laienkunst- und Literaturzirkel, kulturelle Betreuung d) Sport und militärische Ausbildung
VI. DIE S T R U K T U R E N IM H I N T E R G R U N D : M A C H T A U S Ü B U N G UND P O L I T I S C H E K O N T R O L L E A U F DEN U N T E R E N E B E N E N 1. Die Organisation „Metrostroj" und ihre Führung 1931-1935 2. Die schrittweise Etablierung der Parteimacht a) Die Basisorganisationen der Partei b) Die Parteisäuberung des Jahres 1933 3. Die Basisorganisationen des Komsomol und der Gewerkschaft a) Der Komsomol b) Die Gewerkschaft 4. Partei, Komsomol, Gewerkschaft und die „Einmannleitung" 5. Mechanismen der Machtausübung a) Die Machtausübung über das Management b) Die Machtausübung innerhalb der Partei- oder Komsomolorganisation c) Die Machtausübung über die Arbeiter 6. Metrostroj im Netzwerk der Kommandowirtschaft a) Richtlinien und Rahmenbedingungen: Parteispitze und Regierung b) „Oberste Bauleitung": Moskauer Parteiorganisation und Mossovet c) Kontrolle: Kontrollkommission / Arbeiter- und Bauerninspektion, Gewerkschaft und OGPU / NKVD 7. Mechanismen der politischen Kontrolle am Beispiel der Forderung nach mehr Qualität 8. Die Wirksamkeit der Machtausübung und Kontrolle
VII
333 333 341 344 356 356 360 369 379
389 389 394 394 410 421 421 426 434 442 443 449 453 466 466 470 480 487 497
VIII
Inhalt
V I I . „ D A S G A N Z E LAND B A U T DIE M E T R O " : DER M E T R O B A U ALS S Y M B O L DES A U F B R U C H S IN EINE B E S S E R E Z U K U N F T
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1. Die sowjetische Technikeuphorie 2. Der Bau der Untergrundbahn als Inszenierung a) Glasnost' und Propaganda: instrumentalisierte Öffentlichkeitsarbeit b) Der Kult um Stalin und Kaganovic c) Die Eröffnung der Metro und ihre Vorbereitung 3. Die Einbindung der Moskauer Bevölkerung und Betriebe a) Subbotniki b) Patenschaften c) Die Anteilnahme der Bevölkerung und die Akzeptanz des Bauvorhabens 4. Die Einbindung der Wissenschaftler und Kulturschaffenden a) Das Komitee zur wissenschaftlichen Unterstützung des Metrobaus. b) Das Unternehmen „Geschichte der Metro" c) Die literarische und filmische Begleitung und Verarbeitung 5. Die Wirkung im In-und Ausland a) Ausländische Stimmen b) Die Metro als Vorgeschmack auf die neue Welt des Sozialismus ....
541 544 544 545 552 559 559 563
Zusammenfassung
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Anhang I: Die Realisierung des Baus in technischer Hinsicht Anhang II: Geheimlinien und militärische Funktionen der Moskauer Metro Anhang III: Die Gestaltung der Stationen Anhang IV: Die Metro und der „Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus" Anhang V: Die Metro und der Eisenbahndurchmesser
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Quellen- und Literaturverzeichnis Bildnachweis Personenregister Topographisches Register Sachregister
509 513 513 523 527 534 534 539
604 606 612 628 637 664 665 669 672
VORWORT
Der Bau der Moskauer Untergrundbahn begann, nach einem langen Vorspiel unentschlossener Planungen und Diskussionen, im Herbst 1931. Zwei Jahre vergingen mit der Projektierung, vorbereitenden Arbeiten und dem Anlegen der ersten Baustellen. 1934/35 wurde das Bauvorhaben in hohem Tempo fertiggestellt, „gestürmt", wie die Zeitgenossen sagten. Das vorliegende Buch weist hinsichtlich seiner Entstehung durchaus Ähnlichkeiten mit seinem Gegenstand auf. Nach monatelangen Überlegungen und Gesprächen mit Kollegen über ein geeignetes Thema zur Habilitation fiel im Herbst 1993 die Entscheidung für die Moskauer Metro. Es folgten drei Jahre mit vorbereitenden Arbeiten, die sich im wesentlichen auf die Semester- und Sommerferien konzentrierten, in denen ich ausgiebige Archiv- und Bibliotheksstudien in Moskau betreiben konnte. Dabei stellte sich heraus, daß meine Moskauer Wohnung zufällig dieselbe Adresse wie die in den dreißiger Jahren eingesetzte Redaktion „Geschichte der Metro" hatte, deren Akten ich durchforstete (Tverskaja Nr. 15). Im Herbst 1996 begannen, dank eines Habilitationsstipendiums der DFG, das mich von den Assistentenpflichten vorübergehend entband, zwei Jahre des „Stürmens". Zunächst in der Abgeschiedenheit des Schwarzwaldes, wohin es mich zur Gründung einer Familie getrieben hatte, danach wieder in Düsseldorf, wurde das gesammelte Material ausgewertet. Am Weihnachtsabend 1998 konnte ich mir das wenige Stunden vorher fertiggestellte Manuskript als Geschenk verpackt unter den Baum legen. Die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf nahm es im Frühjahr 1999 als Habilitationsschrift im Fach Osteuropäische Geschichte an. Für die Drucklegung wurde der Text überarbeitet und gekürzt. Archiv- und Bibliotheksstudien in Rußland tragen manchmal Züge eines Überlebenstrainings, etwa wenn die Heizung im Lesesaal ausfallt und man bei winterlichen Temperaturen die klammen Finger an die Lampe des Mikrofilmlesegeräts hält, um weiterschreiben zu können, oder zwischendurch hinausläuft, um sich in der U-Bahn (!) aufzuwärmen. Auf der anderen Seite bilden die Archive Inseln einer bisweilen geradezu absurden Ruhe: Anfang Oktober 1993, als der Oberste Sowjet gegen Präsident El'cin rebellierte, saß ich zusammen mit anderen friedlich und fern jeder Aufregung im Lesesaal des Munizipialarchivs, das völlig unberührt von den Ereignissen seinen normalen Betrieb fortsetzte, obwohl alle wußten, daß mitten in der Stadt Panzer aufgefahren waren und das „Weiße Haus" in Brand schössen. Erst nach der Rückkehr aus dem Archiv holte mich die Wirklichkeit in Gestalt meiner aufgeregten Hauswirtin („Es ist Krieg!") und von Gefechtslärm ein.
χ
Vorwort
Eine Habilitationsschrift ist zwar das Werk eines einzelnen, aber dieser kann sie ohne vielfältige Unterstützung nicht zustande bringen. Aus der großen Schar derjenigen, die mir zur Seite gestanden haben, möchte ich einigen besonders danken: Prof. Dr. Detlef Brandes (Düsseldorf) hat die Arbeit von der Themenwahl bis zur Begutachtung mit gutem Rat begleitet und mich drei Jahre lang in der vorlesungsfreien Zeit wochenlang aus dem Institut nach Moskau entschwinden lassen. Prof. Dr. Manfred Hildermeier (Göttingen) gab mir mehrmals wertvolle Hinweise und lud mich 1996 ein, erste Ergebnisse meiner Forschungen auf einem Stalinismus-Symposium zu präsentieren. In Moskau durfte ich bei der lebensfrohen Julja und ihrer Familie, später bei der strengen Tat'jana Andreevna wohnen. Für Abwechslung sorgten die anlehnungsbedürftige Pudeldame Nessy, die nervöse Schäferhündin Liza, die zärtliche Katze Marusja mit ihren acht Kindern, der neurotische Kater Stepan sowie der unbekannte Nachbar, in dessen Wohnung regelmäßig nächtliche Renovierungsarbeiten stattfanden. In organisatorischen und archivalischen Fragen waren mir Dr. Ljudmila Pavlovna Kolodnikova, Galina Al'bertovna Kuznecova, vor allem aber Leonid Romanovic Vajntraub und seine Frau Elena Sergeevna Drozdova behilflich, deren sprichwörtliche russische Gastfreundschaft ich des öfteren genoß. Gedankt sei natürlich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der von mir aufgesuchten Archive und Bibliotheken für ihre Unterstützung und das immer wieder erfreuliche Umschiffen von technischen und anderen Hindernissen. Den Damen und Herren der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf gebührt Dank fur das unverdrossene und schnelle Bearbeiten meiner zahllosen Fernleihebestellungen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte das Vorhaben durch Reisebeihilfen, ein zweijähriges Habilitationsstipendium und einen großzügigen Druckkostenzuschuß. In den letzten Monaten vor der Fertigstellung des Manuskripts nahmen mir die Kolleginnen und Kollegen im Institut, besonders Dr. Maria Rhode, vieles an Arbeit ab, so daß ich mich dem Schreiben widmen konnte. PD Dr. Hubertus F. Jahn (Cambridge) und Dr. Bernhard Chiari (Potsdam) lasen das Manuskript und gaben mir wichtige kritische Rückmeldungen. Thorsten Pomian machte in wochenlanger Arbeit aus meinen handgezeichneten Skizzen satzfertige Grafiken, in denen man nun tatsächlich das erkennen kann, was sie verdeutlichen sollen. David Feest unterstützte mich zusammen mit Evelin Eichler und Irina Fefler bei der Durchsicht der Druckfahnen. Den größten Dank schulde ich allerdings meiner Familie. Die Geduld und das Verständnis meiner Frau Nicole ermöglichten es mir, mich wenige Monate nach der Geburt unserer ersten Tochter Katharina weitgehend an den Schreibtisch zurückzuziehen und die Arbeit zügig zu vollenden. Ihnen beiden sei dieses Werk gewidmet, an dessen Zustandekommen sie vor allem in den letzten Monaten regen Anteil nahmen und das sich unbarmherzig in das Familienleben gedrängt hat. Düsseldorf, im September 2000
D.N.
ABKÜRZUNGEN, MASSEINHEITEN, DATUMSANGABEN
Abkürzungen AMO-ZIS APU ARPLAN CAODM CGAMO CGA RSFSR CIAM CIK SSSR CK CKK CMADSN CMAM d. (delo) f. (fond) FZU GARF ITR MGK VKP(b) MGK VLKSM MGKKRKI MGSPS MGZD MKCh MK VKP(b) MK VLKSM MOK MOKKRKI Mossovet NA NKPS (Narkomput)
Moskauer Automobilfabrik-Stalinwerk Architektur- und Planungsbehörde Architektur- und Planungskommission Zentrales Archiv der gesellschaftlichen Bewegungen Moskaus Zentrales Staatliches Archiv des Moskauer Gebietes Zentrales Staatsarchiv der RSFSR Zentrales Historisches Archiv der Stadt Moskau Zentrales Exekutivkomitee der UdSSR Zentralkomitee Zentrale Kontrollkommission Zentrales Moskauer Archiv für Dokumente auf besonderen Trägern Zentrales Munizipialarchiv Moskaus Akte Fonds (Archivbestandsgruppe) Fabrikberufsschule Staatsarchiv der Russischen Föderation Ingenieur-technisches Personal Moskauer Stadtparteikomitee Moskauer Stadtkomsomolkomitee Moskauer städtische Parteikontrollkommission / Arbeiter- und Bauerninspektion Moskauer städtischer Gewerkschaftsverband Moskauer städtische Eisenbahnen Moskauer Kommunalwirtschaft Moskauer (Gebiets-) Parteikomitee Moskauer (Gebiets-) Komsomolkomitee Moskauer Gebietskomitee Moskauer Gebietsparteikontrollkommission / Arbeiter· und Bauerninspektion Moskauer Sowjet Volksarchiv Volkskommissariat für Verkehr
XII
Abkürzungen, Maßeinheiten, Datumsangaben
NKT (Narkomtrud) NKT (Narkomtjazprom) NKVD OGPU ONU op. (opis') ORS Osoaviachim ÖStA, AdR PA AA per. (pereulok) pl. (ploscad') Prot. rabfak rabkor RGAE RGASPI RK RKI (Rabkrin) SNK SSSR (Sovnarkom) Sten. STO strojuc stv. Torgsin ul. (ulica) URMU VKP(b) VLKSM (Komsomol) VOPRA VSNCh ZRK Zeldorsosportstroj Zeldorsosstroj
Volkskommissariat für Arbeit Volkskommissariat für Schwerindustrie Volkskommissariat für Inneres Staatliche Politische Verwaltung [Staatssicherheit] Abteilung für Einstellung und Entlassung von Arbeitern Findbuch Abteilung für Arbeiterversorgung Gesellschaft zur Förderung der Luftfahrt und der chemischen Industrie Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Gasse Platz Protokoll Arbeiterfakultät Arbeiterkorrespondent Russisches Staatliches Wirtschaftsarchiv Russisches Staatsarchiv der gesellschaftspolitischen Geschichte Rayonskomitee Arbeiter- und Bauerninspektion Rat der Volkskommissare der UdSSR Stenogramm Rat für Arbeit und Verteidigung Bauberufsschule stellvertretend Geschäft für den Handel mit Ausländern Straße Verwaltung zur Rekonstruktion des Moskauer Eisenbahnknotens Allsowjetische Kommunistische Partei (Bolschewiki) Kommunistischer Jugendverband Allunionsvereinigung der proletarischen Architekten Oberster Volkswirtschaftsrat Geschlossene Arbeiterkooperative Gewerkschaft der Eisenbahn-, Straßen-, Hafen- und Metrobauarbeiter Gewerkschaft der Eisenbahn- und Straßenbauarbeiter
Abkürzungen, Maßeinheiten, Datumsangaben
XIII
Maßeinheiten 1 Werst = 1,067 Kilometer 1 Sazen = 2,133 Meter 1 Pud =16,38 Kilogramm Die Datumsangaben beziehen sich vor dem 1.2.1918 auf den bis dahin in Rußland geltenden Julianischen Kalender. Um das Datum unserer (gregorianischen) Zeitrechnung zu erhalten, muß man dem julianischen Datum im 19. Jahrhundert zwölf und im 20. Jahrhundert dreizehn Tage hinzufugen.
K O N K O R D A N Z DER B E Z E I C H N U N G E N VON S T R A S S E N , P L Ä T Z E N , B A H N H Ö F E N UND M E T R O S T A T I O N E N
Die Bezeichnungen der Moskauer Bahnhöfe und vieler Straßennamen wechselten im Laufe der letzten achtzig Jahre zum Teil mehrmals. Im Text werden die zum jeweiligen Zeitpunkt gebräuchlichen Bezeichnungen verwendet. Die folgende Liste soll die Orientierung in dieser verwirrenden Namensvielfalt erleichtern:
Bahnhöfe -
Brjansker Bahnhof = Kiever Bahnhof Smolensker Bahnhof = Brester Bahnhof = Weißrussisch-Baltischer Bahnhof = Weißrussischer Bahnhof Vindavaer Bahnhof = Rzever Bahnhof = Rigaer Bahnhof = Baltischer Bahnhof Nikolaj-Bahnhof = Oktoberbahnhof = Leningrader Bahnhof Rjazaner Bahnhof = Kazaner Bahnhof Saratover Bahnhof = Pavelecer Bahnhof
Straßen -
Dmitrovka Bol'saja = Puskinstraße (1937-1992) Dmitrovka Malaja = Cechovstraße (1944-1993) Il'inka = Kujbysevstraße (1935-1991) Lubjanka Bol'saja = Dzerzinskijstraße (1926-1991) Mjasnickaja = Kirovstraße (1935-1990) Mochovaj a = südlicher Teil des Marxprospekts (1961-1990) Nikitskaja Bol'saja = Herzenstraße (1920-1992) Nikol'skaja = Straße des 25. Oktober (1935-1991) Novaja Mjasnickaja = Novokirovskij prospekt = Sacharovprospekt Ochotnyj rjad = mittlerer Teil des Marxprospekts (1961-1990) Ostozenka = Metrostroevskaja ulica [Straße der Metrobauer] (1935-1986) Precistenka = Kropotkinskaja ulica (1921 -1993) Teatral'nyj proezd = nördlicher Teil des Marxprospekts (1961 -1990) Τverskaja = Gor'kijstraße (1935-1990) Vozdvizenka = Kominternstraße (1935-1946) = Kalininstraße (1946-1963) = Kalininprospekt (1963-1990)
XVI
Konkordanz der Bezeichnungen
Plätze -
Kalancevplatz = Komsomolplatz (seit 1933) Lubjankaplatz = Dzerzinskijplatz (1926-1991) Smolensker Markt = Smolensker Platz Theaterplatz = Sverdlovplatz (1919-1991) Varvarskie vorota = Noginplatz (1924-1992)
Metrostationen -
Dzerzinskaja = Lubjanka (seit 1990) Kirovskaja = Kirovskie vorota = Mjasnickie vorota (in der Bauphase) = Cistye prudy (seit 1990) Kominternstraße = Kalininskaja (1946-1990) = Alexandergarten [Aleksandrovskij sad] (seit 1990) Krasnye vorota = Lermontovskaja (1962-1986) Kulturpark [Park kul'tuiy] = Krimplatz [Kiymskaja ploscad'] (in der Bauphase) Ochotnyj rjad = Kaganovic-Station [stancija imeni Kaganovica] (1955-1965) = Marxprospekt (1965-1990) Palast der Sowjets [Dvorec Sovetov] = Kropotkinskaja (seit 1957)
EINFÜHRUNG
„Die Realität unseres Produktionsprogramms, das sind die Millionen Werktätigen, die ein neues Leben schaffen. Die Realität unseres Programms, das sind lebendige Menschen, das sind wir alle miteinander, das ist unser Arbeitswille, unsere Bereitschaft, auf neue Art zu arbeiten, unsere Entschlossenheit, den Plan zu erfüllen. Haben wir diese Entschlossenheit? Ja, wir haben sie. Also kann und muß unser Produktionsplan verwirklicht werden." J.W. Stalin 1 „Genösse Stalin hat gesagt, daß die Realität unserer Pläne die Millionenmassen sind, ihr Enthusiasmus, ihr Elan, ihr Wunsch zu bauen und zu siegen. Und heute sagen wir: Die Realität unseres Programms, die Untergrundbahn zu bauen - das sind die Arbeitermassen von Metrostroj - die Stoßarbeiter, Komsomolzen, das sind alle Werktätigen Moskaus, das ist ihr Enthusiasmus und ihr Wunsch zu bauen und zu siegen." L.M. KaganoviC 2
1. H i s t o r i o g r a p h i e u n d
Forschungsstand
Beinahe jeder kennt sie, hat von ihrer berühmten Architektur gehört, mancher hat sie vielleicht sogar schon selbst benutzt, ist zur Stoßzeit, eingekeilt in eine wortlos vorwärts drängende Menschenmasse, gerade noch dem schmerzhaften Zuschlagen der automatischen Türen entronnen und schließlich, mit kleinen Schritten, von hinten geschoben und seitlich überholt, auf den endlosen Rolltreppen gelandet, w o er während der mehrere Minuten langen Fahrt ausruhen und die auf der gegenüberliegenden Seite hinab fahrenden Menschen betrachten konnte: D i e Moskauer Untergrundbahn gehört zum Pflichtprogramm j e d e s Moskaureisenden wie der Kreml, der Rote Platz oder das Neujungfernkloster. D i e Reiseführer, leibhaftig oder in Buchform, erzählen stolz von der Schönheit und dem Prunk der
1 Rede auf der Beratung der Wirtschaftsfunktionäre, 23.6.1931. In: Stalin, J.W.: Werke. Bd. 13: Juli 1930-Januar 1934. - Düsseldorf 1955, S. 72. 2 Kaganoviö, L.M.: Pervaja oöered' metro k XVII godovscine Oktjabija. Reö' tov. L.M. KaganoviCa na sobranii aktiva i udarnikov Metrostroja sovmestno s predstaviteljami fabrik i zavodov g. Moskvy 29 dekabrja 1933 g. - In: Metrostroj (1933), Η. 11-12, S. 6 (Rede Kaganoviis vor den Stoßarbeitern von Metrostroj und Vertretern der Moskauer Fabriken am 29.12.1933).
2
Einführung
Stationen, von den Architekten und Künstlern, die sie entworfen haben, von der unterirdischen Gegenwelt zum oft so grauen Moskauer Alltag, und - vom Enthusiasmus der Komsomolzen, wie sie sich freiwillig auf die Baustellen meldeten und bis zur Erschöpfung aufopferten, mit unerhörtem Heroismus gegen die Widrigkeiten der Natur ankämpften und die ersten beiden Linien in Rekordzeit dem Verkehr übergaben. Kaum ein anderes Bauwerk aus der Erbmasse der alten Sowjetunion ist so bekannt und so symbolträchtig. Kaum ein anderes Bauwerk wurde von der zeitgenössischen Propaganda über Jahre hinweg so ins Rampenlicht gestellt und von der sowjetischen Führung als eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste, Projekt der dreißiger Jahre eingestuft. Bei näherem Hinsehen stellt man jedoch fest, daß sich das Wissen über die Moskauer Metro und die in der Literatur verfugbaren Informationen meist auf die skizzierten holzschnittartigen Bilder beschränken. So sehr hat sich die Propaganda der dreißiger Jahre in den Köpfen verfestigt, daß mehr als ein halbes Jahrhundert lang ein immer gleicher Anekdoten- und Faktenkanon perpetuiert wurde. Der Kanon beginnt mit der Polemik über die unfähige Bürokratie des Zarenreiches und die von Kirche und Privatunternehmern beeinflußte Stadtverwaltung des vorrevolutionären Moskaus, die um die Jahrhundertwende, nicht gewillt, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erkennen, erste Projekte zum Bau einer Untergrundbahn ablehnte, und setzt sich fort - nach einer langen und nicht näher erläuterten Pause - mit dem Beschluß des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei auf dem Juniplenum 1931, unverzüglich mit dem Bau der Metro zu beginnen. Danach geht es mit bolschewistischer Zielstrebigkeit Schlag auf Schlag: Es werden Schächte angelegt, Tunnel vorgetrieben, Tausende Freiwillige strömen herbei, Fabriken aus allen Teilen der Sowjetunion liefern Baumaterial und Ausrüstungen, das ganze Land beteiligt sich enthusiastisch am Bau, und am 15.5.1935 wird die schönste und beste Metro der Welt in Betrieb genommen. Über die Baugeschichte erfahrt man nicht viel mehr, als daß große geologische Schwierigkeiten zu überwinden waren und daß alles mit eigenen, sowjetischen, Kräften geschaffen wurde. Abgerundet werden solche Darstellungen regelmäßig mit Bildern von den beinahe sprichwörtlichen Heldentaten der Komsomolzen. So weit es sich um propagandistische oder populärwissenschaftliche Darstellungen zur Moskauer Metro handelt, deren es etliche gibt,3 verwundert diese Art der Schilderung nicht. Selbst die von der Akademie der Wissenschaften herausgegebene sechsbändige Geschichte der Stadt Moskau bleibt jedoch diesem Schema verhaftet und verzichtet nicht auf eine dramatische Beschreibung, wie die
3 Katzen: Die Moskauer Metro. - Berlin 1946. Katcen, Il'ja Efremovic: Metro Moskvy. Κ 800-letiju Moskvy 1147-1947. - Moskva 1947. Troickaja, Z.: The L.M. Kaganovich metropolitan railway of Moscow. - Moscow 1955. Ezov, Aleksandr Ivanoviö und Fedor Nikolaevic Frolov: 20 let Moskovskomu metropolitenu imeni L. M. Kaganovica. - Moskva 1955. Die Moskauer Metro. Bildreiseführer. 3. Aufl. - Moskva 1989.
Historiographie und Forschungsstand
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K o m s o m o l z e n unter Lebensgefahr, bis zu den Knien im eisigen Wasser stehend, einen Wassereinbruch in der Baugrube bereinigten. Der 1139 Seiten starke Doppelband über die Jahre 1 9 1 7 - 1 9 4 1 widmet dem Bau der Metro im übrigen nur sechs Seiten. 4 D i e Bekanntheit der Moskauer Metro und ihre Bedeutung für das Selbstverständnis der Sowjetunion seit den dreißiger Jahren stehen in keinem Verhältnis zu dem Platz, der ihr in historischen Untersuchungen und Darstellungen eingeräumt wird. D a s gilt für Werke über die russische oder Moskauer Arbeiterschaft 5 genauso w i e fur die Geschichte der Technik in Moskau, 6 ganz zu schweigen von allgemeinen Darstellungen zur Geschichte der Sowjetunion. Eine Monographie über die Infrastruktur Moskaus zwischen 1917 und 193 5 7 widmet dem Bau der Metro zwar immerhin vierzig Seiten, enthält aber nur w e n i g fur den Historiker Interessantes. Selbst Spezialliteratur über die Geschichte des K o m s o m o l 8 bringt keinen Informationsgewinn. Eine einzige sowjetische Dissertation aus den fünfziger Jahren hat die Rolle des K o m s o m o l beim Bau der Metro z u m Thema, 9 sie wurde aber nicht publiziert und nicht einmal von den sowjetischen Historikern rezipiert. Erst 1991 erschien ein kleines populärwissenschaftliches Büchlein über das
4 Istorija Moskvy ν 6-ti tomach. T. 6: Period postroenija socializma (1917-1941 g.). Cast' 2. - Moskva 1959, S. 30-35. - Als belletristische Verarbeitung des zitierten Wassereinbruchs: Cybul'skij, 1.1.: Pervaja ocered': DokumentaPnaja povest'. - Moskva 1974. 5 Vgl. Istorija rabocich Moskvy, 1917-1945. Hg. v. A.M. Sinicyn. - Moskva 1983. Istorija sovetskogo raboöego klassa. Hg. v. A.M. Sibolobov u.a. T. 2: Raboöij klass - veduäöaja sila stroitel'stva socialistiieskogo obscestva 1921-1937 gg. - Moskva 1984. Raboöij klass ν upravlenii gosudarstvom (1926-1937 gg.). Hg. v. Akademija obäcestvennych nauk pri CK KPSS. Kafedra istorii sovetskogo obscestva. Red. koll. K.V. Gusev und V.Z. Drobizev. - Moskva 1968. Rost raboöego klassa SSSR 1917-1940 gg. Hg. v. A.I. Vdovin und V.Z. Drobizev. Moskva 1976. Gol'cman, M.T.: Sostav stroitel'nych rabocich SSSR ν gody pervoj pjatiletki. In: Izmenenija ν öislennosti i sostave sovetskogo raboöego klassa. Hg. v. D.A. Baevskij. - Moskva 1961. Rabocij klass i industriaFnoe razvitie SSSR. Sbornik statej. Hg. ν. Α. V. Mitrofanova. Moskva 1975. Tverdochleb, A.A.: Material'noe blagosostojanie raboöego klassa Moskvy ν 1917-1937 gg. Avtoreferat kand. diss. - Moskva 1970. Izmenenija ν öislennosti i sostave sovetskogo raboöego klassa. Sbornik statej. - Moskva 1961. Social'noe razvitie raboöego klassa SSSR. Rost öislennosti, kvalifikacii, blagosostojanija rabocich ν razvitom socialistiöeskom obsöestve. Istoriko-sociologiceskie ocerki. - Moskva 1977. Panfilova, A.M.: Formirovanie raboöego klassa SSSR ν gody pervoj pjatiletki. - Moskva 1964. 6 Fal'kovskij, Nikolaj Ivanovic: Moskva ν istorii techniki. - Moskva 1950. 7 Poletaev, Vladimir Evgen'evic: Na putjach k novoj Moskve. Naöalo rekonstrukcii stolicy (1917-1935).-Moskva 1961. 8 Leninskij komsomol. Oöerki po istorii VLKSM. Bd. 1: 1918-1941. - Moskva 1969. Deutsche Übersetzung: Azarin, A.N. u.a.: Der Leninsche Komsomol. Bd. 1: 1918-1941. - Berlin (Ost) 1971. Geschichte des Leninschen Komsomol. Bd. 1-2. - Berlin (Ost) 1983. Slavnyj put' leninskogo komsomola. Istorija VLKSM. 2. Aufl. - Moskva 1978. Taranov, E.V. u.a.: Oöerki istorii Moskovskoj organizacii VLKSM. Hg. v. Institut istorii partii MGK i MK KPSS filial instituta Marksizma-Leninizma pri CK KPSS. - Moskva 1976. Komsomol ν narodnochozjajstvennom stroitel'stve: istorija i sovremennost'. Hg. v. V.V. Dolgov. - Moskva 1988. 9 Viren, Tat'jana Iosifovna: Moskovskij komsomol ν bor'be za stroitel'stvo metro pervoj oöeredi (1931-1935 gg.). Diss. kand. ist. nauk (Mosk. gor. ped. inst. im. Potemkina). - Moskva 1952.
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Schicksal des Komsomolsekretärs von Metrostroj, Sasirin, der bald nach der Eröffnung der Metro ein Opfer des Großen Terrors wurde. 10 Ergiebiger ist die populärwissenschaftliche, technikorientierte Literatur zur Metro. Dort erfährt man einiges über Probleme der Projektierung und technische Lösungen im Verlauf des Baus.11 Die populärwissenschaftliche Zeitschrift Metro (vormals Metrostroj) veröffentlicht seit vielen Jahren immer wieder kurze Artikel über Details aus der Geschichte und Vorgeschichte der Moskauer Untergrundbahn. Die Verfasser sind meist ehemalige Ingenieure von Metrostroj, der Organisation, die seit 1931 für den Bau der Untergrundbahn zuständig ist. Der rührigste von ihnen, Valentin Pikul', gab 1967 zusammen mit anderen Autoren einen Abriß über die Entwicklung des Metrobaus in der Sowjetunion heraus. 12 Zum fünfzigjährigen Jubiläum der Eröffnung der Metro erschien 1985 ein Bändchen, aus dem man allerdings so gut wie nichts zur Baugeschichte, sondern nur über den Betrieb der Metro seit 1935 erfährt. 13 Für den Historiker unbefriedigend sind auch zwei weitere Bücher, die ebenfalls im Zusammenhang mit dem Jubiläum publiziert wurden.14 Ebenfalls in diese Gattung gehören zwei im Umfeld der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft herausgegebene Bücher über Stadtschnellbahnen in der Sowjetunion, die immerhin eine Vielzahl technischer Daten und Beschreibungen enthalten, die man sonst nirgendwo zusammengefaßt findet.15 Was historische Fachliteratur betrifft, so gab es lange Zeit neben der erwähnten Dissertation über den Komsomol nur drei kurze Aufsätze zum Thema. 16 Man scheute sich wohl, Forschungen anzustellen, die möglicherweise die offizielle Glorifizierung in Frage gestellt hätten. Am Quellenzugang kann es nicht gelegen haben, denn die meisten einschlägigen Archivbestände standen sowjetischen Hi-
10 Bucharina, Berta Christianovna: Usel ν bessmertie. - Moskva 1991. 11 Rezniöenko, E.D. und V.V. Jakobs: Ogni podzemnych magistralej. - Moskva 1969. 2. Aufl. 1975 (umfangreiche populärwissenschaftliche Beschreibung aus der Feder zweier ehemaliger Metrobauer, wie die Metro in technischer Hinsicht gebaut wurde). 12 Metrostroenie ν SSSR. Hg. v. V.S. Pikul', E.D. Reznicenko und M.S. Starodubceva. Moskva 1967. 13 Moskovskomu metropolitenu - 50: Stranicy istorii Moskovskogo ordena Lenina metropolitena imeni V.l. Lenina. - Moskva 1985. 14 Dni i gody Metrostroja. Sbornik. 50-letiju Metrostroja posvjascaetsja. - Moskva 1981. My stroim Metro. Istorija, nastojascee, buduscee. - Moskva 1983. 15 Slezak, Josef Otto: Die Untergrundbahnen der Sowjetunion. Hg. v. d. ÖsterreichischSowjetischen Gesellschaft. - Wien 1967. Die Neubearbeitung erschien unter dem Titel: Kuhlmann, Bernd: Stadtschnellbahnen der Sowjetunion. - Wien 1981. Vgl. auch die Informationen zur Moskauer Metro in: Schleife, Hans Werner u.a.: Metros der Welt: Geschichte, Technik, Betrieb. 2. bearb. u. erg. Aufl. - Berlin 1992. 16 Poletaev, V.E.: Iz istorii stroitel'stva pervoj oöeredi Moskovskogo metropolitena. - In: Istoriceskie zapiski (1953), H. 42, S. 19-44. Virsis, L.S.: Κ istorii Moskovskogo metro. - In: Istoriceskij archiv (1956), H. 6, S. 173-176. Makovskij, V. L.: Pervaja oöered' Moskovskogo metropolitena. - In: Voprosy istorii (1981), H. 8, S. 91-100.
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storikern schon seit langem o f f e n und waren ihnen bekannt. Der Hinweis von S.V. Zuravlev im Jahre 1984 auf ergiebige Quellen zum Thema im Russischen Staatsarchiv blieb ohne Echo. 1 7 Einzig die Architektur der Metro wurde als politisch unverfängliches Thema schon in den fünfziger Jahren Gegenstand einiger Dissertationen und Bücher. 1 8 Erst 1997 legte Zuravlev selbst ein Büchlein über das v o n Maksim Gor'kij 1931 initiierte Unternehmen „Geschichte der Fabriken und Werke" vor, in dem er auch näher auf das Teilprojekt „Geschichte der M e tro" einging. 1 9 D i e historische Forschung im Westen sparte das Thema bis vor kurzem fast gänzlich aus, was sich bis Ende der achtziger Jahre durch die Unzugänglichkeit der Quellen für westliche Forscher erklären läßt. 20 D a s Büchlein von Ann B a u m über die Beteiligung des K o m s o m o l am Ersten Fünijahresplan beruhte noch ausschließlich auf publizierten Dokumenten und Sekundärliteratur und enthält daher über die Arbeit der K o m s o m o l z e n bei der Metro nichts Neues. 2 1 Aber auch die nach der Öffnung der Archive erschienenen Monographien über die Moskauer
17 Vgl. Zuravlev, S.V.: Dokumenty redakcii „Istorija metro" (1933-35). Obzory archivnych dokumentov. - In: Sovetskie archivy (1984), H. 4, S. 42-44. 18 Tosunova, M.I.: Razvitie architekturnogo obraza Moskovskogo metropolitena. Diss, kand. architektury (Akad. architektury SSSR. NauC.-issled. inst, istorii i teorii architektury). Moskva 1952. Ivanov, Valer'jan Vladimiroviö: Svetovoj obraz ν architekture inter'era. (Na primere stancij Moskovskogo metropolitena). Diss. kand. arch. - Moskva 1973. Siipanov, Aleksandr Semenovii: Rol' osvescenija ν architekture inter'erov (Moskovskoe metro). Diss, kand. arch. - Moskva 1951. - Ein neueres, aber unveröffentlichtes Manuskript mit dem Schwerpunkt Architektur ist: Kostina, Ol'ga: Moskovskoe metro. - Moskva 1991. - Vgl. auch Dies.: Die Moskauer Metro. In: Tyrannei des Schönen. Architektur der Stalin-Zeit. Hg. v. Peter Noever. - München, New York 1994, S. 170-174. - Als zeitgenössische Beschreibungen: Kravec, S.M.: Architektura stancij i vestibjulej. In: Architektura Moskovskogo metropolitena imeni L.M. Kaganovica. - Moskva 1941, S. 1-84. Architektura Moskovskogo metro. Hg. v. N.Ja. Kolli und S.M. Kravec. - Moskva 1936. 19 Zuravlev, S.V.: Fenomen „Istorii fabrik i zavodov": Gor'kovskoe naöinanie ν kontekste epochi 1930-ch godov. - Moskva 1997. - Zum Projekt „Geschichte der Metro" siehe in der vorliegenden Arbeit Kap. VII.4.b. sowie die Hinweise in der Übersicht über die Quellenlage. 20 Ahnlich wie in der Sowjetunion interessierte man sich im Westen, wenn es um die Moskauer Metro ging, inspiriert von dem, was jedem Besucher sofort ins Auge sticht, lange Zeit nur für Architektur, Kunst und Symbolik. Vgl. Borngräber, C.: Ein zweiter Löffel Gegengift. Sowjetische Architektur - die ersten zwanzig Jahre der Moskauer Metro. - In: Süddeutsche Zeitung, 4.5.1974, 5.5.1974. Ders.: Eine Untergrundbahn namens W.I. Lenin. - In: Frankfurter Rundschau, 10.8.1974. Groys, Boris: U-Bahn als Utopie. - In: Kursbuch 112 (Juni 1993), S. 1 9. Ders.: U-Bahn als U-Topie. In: Die Erfindung Rußlands. Hg. v. Boris Groys. - München, Wien 1995, S. 156-166. Ryklin, Michail: Ekstasis des Terrors. Kollektive Körper und die Logik der Gewalt. - In: Lettre International 19 (1992), S. 35-39. - Als psychoanalytische Deutung: Sergl, Anton: Katabasis als Metrofahrt. Gumilev, Chodasevid, Majakovskij, Brecht, Bachtin u.a.: Psychoanalyse der Metro. - In: Wiener Slavistischer Almanach, Sonderband 31 (1992), S. 521-555. - Die vorstehenden Titel habe ich übernommen aus dem Aufsatz von Katharina Kucher (Fußnote 29). 21 Baum, Ann Todd: Komsomol Participation in the Soviet First Five-Year Plan. Houndsmills 1987.
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Arbeiterschaft22 und Parteiorganisation23 widmeten dem Bau der Metro nur wenige Zeilen. Das gleiche gilt fur die monumentale Geschichte Moskaus von Timothy Colton, der zwar die Stadtplanung und den Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus von 1935 ausfuhrlich analysiert, aber die Metro nur am Rande erwähnt.24 In der allgemeinen neueren Literatur zur politischen und Sozialgeschichte des frühen Stalinismus spielt der Bau der Untergrundbahn keine Rolle.25 Als die vorliegende Untersuchung begonnen wurde, lag als einzige größere historische Arbeit über die Moskauer Metro die Dissertation von William Kenneth Wolf vor.26 Wolf, der überwiegend publiziertes Material und die Akten der Redaktion „Geschichte der Fabriken und Werke" (siehe unten) auswertete, bringt zwar eine Verlaufsgeschichte des Baus von 1931 bis 1935, verfolgt aber dabei eine relativ enge Fragestellung, so daß trotz guter Ideen und Ansätze vieles unbeantwortet bleibt, nicht zuletzt auch wegen der schmalen Quellengrundlage. Er konzentriert sich im wesentlichen auf die Aspekte des überstürzten Bautempos und der Mobilisierung der Komsomolzen. In der Zwischenzeit entstanden weitere Studien. Die 1995 von Christine Kuhlmann vorgelegte Dissertation27 beruht ausschließlich auf publiziertem Material und konzentriert sich auf die Ikonographie, Symbolik und Architektur der Metro. Die Geschichte des Baus kompiliert Kuhlmann nur auf der Basis der sowjetischen Literatur und übernimmt dabei eine Reihe fehlerhafter Angaben. Josette Bouvard untersuchte in ihrer Pariser Dissertation die Moskauer Metro unter dis-
22 Hoffmann, David Lloyd: Peasant Metropolis. Migration to Moscow and the Politics of Social Identity, 1929-1941. - Ithaca, NY 1994. Straus, Kenneth M.: The Transformation of the Soviet Working Class, 1929-1935. The Regime in Search of a New Social Stability. PDiss. Pennsylvania State University (1990). - Ann Arbor, Michigan 1991. In überarbeiteter Version als Buch publiziert: Straus, Kenneth Μ.: Factory and Community in Stalin's Russia. The Making of an Industrial Working Class. - Pittsburgh 1997. 23 Shimotomai, Nobuo: Moscow Under Stalinist Rule, 1931-1934. - London 1991. Merridale, Catherine: Moscow Politics and the Rise of Stalin. The Communist Party in the Capital, 1925-32.-London 1990. 24 Colton, Timothy J.: Moscow. Governing the Socialist Metropolis. - Cambridge 1995. 25 Vgl. Süß, Walter: Die Arbeiterklasse als Maschine: Ein industriesoziologischer Beitrag zur Sozialgeschichte des aufkommenden Stalinismus. - Berlin 1985. Schröder, Hans-Henning: Industrialisierung und Parteibürokratie in der Sowjetunion. Ein sozialgeschichtlicher Versuch über die Anfangsphase des „Stalinismus" 1928-1934. - Berlin 1988. Tucker, Robert C.: Stalin in Power: The Revolution from Above, 1928-1941. - London 1990. Rittersporn, Gabor Tamäs: Stalinist Simplifications and Soviet Complications. Social Tensions and Political Conflicts in the USSR 1933-1953. - Chur 1991. Medwedew, Roy: Das Urteil der Geschichte. Stalin und Stalinismus. Bd. 1—3. - Berlin 1992. Rees, Ε. Α.: Stalinism and Soviet Rail Transport 1928^11. - New York 1995. Watson, Derek: Molotov and the Soviet Government: Sovnarkom, 1930-41. - New York 1996. 26 Wolf, William Kenneth: Russia's Revolutionary Underground: The Construction of the Moscow Subway, 1931-1935. Ph.D.Diss. Ohio State University. - Ann Arbor 1994. 27 Kuhlmann, Christine: „... hell und froh unter der Erde ...": die Moskauer Metro (19311954) als Dokument des Stalinismus. (Phil. Diss. Bochum 1995). - Marburg 1995.
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kurstheoretischen Aspekten als doppelte Konstruktion einer Realität und eines Mythos.28 Sie betrachtete die publizierten Texte und Archivquellen zusammen mit der Architektur, Kunst und Symbolik der Stationen als kohärente semiotische Struktur, als Schlüssel zum Verständnis der stalinistischen Utopie. Sozialgeschichtliche Probleme des Metrobaus stehen im Vordergrund der unveröffentlichten Magisterarbeit von Katharina Kucher, die auch in größerem Umfang Archivmaterial heranzog.29 Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive befaßte sich Nancy Aris mit dem Metrobau.30 Da die Geschichte des Baus der Moskauer Untergrundbahn erst in den letzten Jahren als Thema der historischen Forschung „entdeckt" wurde, war sie für die vorliegende Untersuchung noch einer der weißer Flecken, auf denen man als Historiker Pionierarbeit leisten und auf weite Strecken unmittelbar aus den Quellen schöpfen kann. Allein die Aufgabe, diese Lücke im Wissen zu schließen und eines der bedeutendsten Bauvorhaben der stalinistischen Sowjetunion zu erforschen, rechtfertigt den Arbeitsaufwand. Die vorliegende Untersuchung will sich jedoch nicht auf die Geschichte des Baus an sich beschränken, sondern an diesem konkreten Fallbeispiel einen Beitrag zur Stalinismusforschung leisten. Die Literatur der letzten Jahre zeigt, daß Fall- und Lokalstudien ein erfolgversprechender Weg sein können, unsere Kenntnisse über die stalinistische Herrschaft und Gesellschaft zu erweitern.31 Die Konzentration auf ein räumlich und zeitlich eng umgrenztes Untersuchungsobjekt macht es unter anderem erst möglich, Quellenbestände intensiv auszuwerten, die im Rahmen der Behandlung weit gefaßter Themen nur ganz selektiv herangezogen werden können. Nur so gelingt es, Fragestellungen zu verfolgen, die auf das Alltagsleben und die Lebenswelten von Individuen und Grup28 Bouvard, Josette: Le Metro de Moscou, 1931-1954. Mythes et realites. These microfichee. - Paris 1998. - Vgl. auch dies.: Histoire d'un livre. L'histoire du metro de Moscou. - In: Les Cahiers de l'Institut d'histoire du temps present 35 (1996), S. 161-178. 29 Die Hauptergebnisse sind zusammengefaßt in: Kucher, Katharina: Metrostroj 19311935. Der Bau der Moskauer Metro als soziales Phänomen der dreißiger Jahre. - In: Zeitschrift för Kultur- und Geisteswissenschaften 3 (1995), H. 10, S. 3 9 ^ 7 . 30 Aris, Nancy: Die Moskauer Metro - ein Mythos zwischen Tempel, Großbaustelle und sozialistischem Lebensideal. Mythische Formen der literarischen Verarbeitung des Metrobaus in den dreißiger Jahren. Unveröffentlichte Magisterarbeit, Humboldt-Universität Berlin 1998. 31 Vgl. das Buch von Kotkin, Stephen: Magnetic Mountain. Stalinism as a Civilization. Berkeley, Los Angeles, London 1995, das eine fruchtbare Diskussion ausgelöst hat, wenn auch viele mit den Thesen Kotkins nicht einverstanden sind. Vgl. Halfin, Igal und Jochen Hellbeck: Rethinking the Stalinist Subject: Stephen Kotkin's „Magnetic Mountain" and the State of Soviet Historical Studies. - In: Jahrbücher fur Geschichte Osteuropas 44 (1996), S. 456-463. Vgl. Hildermeier, Manfred: Interpretationen des Stalinismus. - In: Historische Zeitschrift 264 (1997), S. 655674. - Auch die Arbeit von Straus: Factory and Community 1997, ist auf weite Strecken eine Fallstudie anhand der großen Moskauer Fabriken „Hammer und Sichel" und „AMO-ZIS". - Die schon ältere Arbeit von Rassweiler, Anne D.: The Generation of Power: The History of Dneprostroj. - New York u.a. 1988, konnte noch kein Archivmaterial heranziehen, aber auf der Basis von publiziertem Material ein anschauliches Bild einer Großbaustelle des ersten Fünfjahresplans zeichnen.
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pen abzielen. Die spezifischen Lebensumstände der Bevölkerung zu schildern und einen Eindruck von dem damaligen Lebensgefuhl zu vermitteln, ist eines der zentralen Anliegen dieser Arbeit. Die Forschung zum Stalinismus läßt sich grob in drei Herangehensweisen unterteilen, die chronologisch aufeinanderfolgen und in den jeweiligen Zeitgeist eingebunden sind.32 Die in den dreißiger Jahren entwickelte und in den fünfziger Jahren dominierende Totalitarismustheorie wich in den siebziger Jahren, vor dem Hintergrund des allgemeinen Paradigmawechsels in der Geschichtswissenschaft, einem sozialwissenschaftlichen Ansatz. Seit Ende der achtziger Jahre zeichnet sich eine abermalige Neuorientierung in Richtung Kulturwissenschaft ab, wobei verschiedene Blickwinkel miteinander konkurrieren. Weitgehende Einigkeit herrscht darüber, daß das Totalitarismuskonzept zwar Grundmechanismen der Herrschaft im Sowjetsystem und im Nationalsozialismus vergleichend beschreiben und mehr oder weniger zutreffende Merkmalskataloge totalitärer Systeme formulieren, das Wesen des Stalinismus als solchen, in seiner Abgrenzung gegenüber der vor- und nachstalinistischen Sowjetunion, aber nicht erklären konnte.33 Der von der Totalitarismustheorie geleitete Ansatz blieb statisch, blendete die Wandlungsfähigkeit der Systeme aus und erreichte bald die Grenzen seiner Reichweite. Bezeichnenderweise entfernte sich eine der bekanntesten Studien, die diesem Ansatz zugerechnet wird, nämlich das Buch von Merle Fainsod über die Sowjetherrschaft in Smolensk, mit ihren Befunden erheblich von der klassischen Totalitarismustheorie und nahm manche Urteile späterer „Revisionisten" vorweg. So wie Fainsod die Herrschaft der Partei in der Provinz schilderte, nämlich ineffektiv und nur mit Mühe in der Lage sich durchzusetzen, unterhöhlte sie eigentlich bereits die These von der totalen und allgegenwärtigen zentralen Kontrolle und Lenkung der gesamten Gesellschaft.34 Die Kritiker der Totalitarismustheorie bemühten sich in den siebziger Jahren, deren Defizite auszugleichen und begannen, die sozialen Grundlagen des Stalinismus zu untersuchen. In der Totalitarismustheorie hatte die Gesellschaft nur als Objekt der Herrschaft einen Platz. Nun begriff man die Gesellschaft als handeln-
32 Dazu ausführlich: Plaggenborg, Stefan: Die wichtigsten Herangehensweisen an den Stalinismus in der westlichen Forschung. In: Stalinismus. Neue Forschungen und Konzepte. Hg. v. Stefan Plaggenborg. - Berlin 1998, S. 13-33. Ders.: Neue Literatur zum Stalinismus. - In: Archiv für Sozialgeschichte 37 (1997), S. 444-459. Hildermeier 1997. Baberowski, Jörg: Wandel und Terror. Die Sowjetunion unter Stalin 1928-1941. Ein Literaturbericht. - In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 43 (1995), S. 97-129. 33 Vgl. die klassische Merkmalsliste bei Friedrich, Carl Joachim und Zbigniew K. Brzezinski: Totalitarian Dictatorship and Autocracy. - Cambridge 1956 (2. Aufl. New York 1965). Vgl. Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. - Frankfurt am Main 1955. Vgl. Jesse, Eckhard: Die Totalitarismusforschung und ihre Repräsentanten. Konzeptionen von Carl J. Friedrich, Hannah Arendt, Eric Voegelin, Ernst Nolte und Karl Dietrich Bracher. - In: Aus Politik und Zeitgeschichte (1998), H. 20, S. 3-18. 34 Fainsod, Merle: Smolensk under Soviet Rule. - Cambridge, Mass. 1958.
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des Subjekt mit Interessen und Konflikten. 35 Zugespitzt wurde die sozialgeschichtliche Ablehnung des überkommenen Bildes totalitärer Herrschaft durch die amerikanischen „Revisionisten". Die von Sheila Fitzpatrick 1986 ausgelöste Debatte spaltete zumindest die amerikanischen Rußlandhistoriker in zwei Lager.36 Die einen hielten daran fest, daß Terror und repressive Herrschaftsausübung als zentrale Elemente des Stalinismus zu gelten hätten; die „Revisionisten" wollten, vereinfacht zusammengefaßt, ihre These des „Stalinismus von unten" durch sozialgeschichtliche Forschungen beweisen. Sie wollten zeigen, daß das Regime gezwungen war, mit sozialen Gruppen und Interessen zu interagieren, und seine Politik durch den Druck von unten beeinflußt oder sogar bestimmt wurde. Diese Überspitzung der Thesen erzeugte aus heutiger Sicht manch unfruchtbare Debatte. Unabhängig davon bereicherte der sozialgeschichtliche Ansatz jedoch die Forschung um neue Einsichten: Es konnten in der sowjetischen Gesellschaft der dreißiger Jahre Gruppen identifiziert werden, auf die sich das Regime stützen konnte, weil sie ihm ihren Aufstieg verdankten oder weiteren Aufstieg zu erwarten hatten. Auf der anderen Seite entstand im Zuge der forcierten Industrialisierung eine neue Arbeiterschaft, die aufgrund ihrer Heterogenität zersplittert, als politisches Subjekt nicht handlungsfähig und daher leichter zu manipulieren war.37 Einige dieser Forschungen leiteten Ende der achtziger Jahre schon zu einer neuerlichen Umorientierung über, indem sie die Mentalitäten der als Träger des Stalinismus erkannten Gruppen untersuchten. 38 Unter dem Überbegriff Neue Kulturgeschichte bildeten sich seither verschiedene Ansätze heraus, deren Wurzeln sich bis zu Robert Tuckers immer noch bedenkenswertem cultural approach aus den siebziger Jahren zurückverfolgen lassen.39 In den Vordergrund der Aufmerksamkeit rückte nun die Kultur im weitesten Sinne, unter Einschluß des Alltagslebens, subjektiver Wahrnehmungen der Wirk-
35 Vgl. Lewin, Moshe: The Social Background of Stalinism. In: Stalinism: Essays in Historical Interpretation. Hg. v. Robert C. Tucker. 1977, S. 111-136. 36 Vgl. Fitzpatrick, Sheila: New Perspectives on Stalinism. - In: The Russian Review 45 (1986), S. 357-373, sowie die zahlreichen Folgeartikel in The Russian Review 1986/87. 37 Vgl. zum Beispiel Schröder: Industrialisierung 1988. Ders.: „Neue" Arbeiter und „neue" Bürokraten. Gesellschaftlicher Wandel als konstituierendes Element von „Stalinismus" in den Jahren 1928-1934. - In: Vierteljahresschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 73 (1986), H. 4, S. 488-519. Merl, Stephan: Bauern unter Stalin. Die Formierung des sowjetischen Kolchossystems 1930-1941. - Berlin 1990. Ders.: Sozialer Aufstieg im sowjetischen Kolchossystem der 30er Jahre? Über das Schicksal der bäuerlichen Parteimitglieder, Dorfsowjetvorsitzenden, Posteninhaber in Kolchosen, Mechanisatoren und Stachanowleute. - Berlin 1990. 38 Vgl. Schröder: Industrialisierung 1988. Maier, Robert: Die Stachanov-Bewegung 19351938. Der Stachanovismus als tragendes und verschärfendes Moment der Stalinisierung der sowjetischen Gesellschaft. - Stuttgart 1990. 39 Vgl. Tucker, Robert C.: Stalinism as Revolution From Above. In: Stalinism. Essays in Historical Interpretation. Hg. v. Robert Tucker. - New York 1977, S. 77-110. Ders.: Stalin in Power 1990.
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Einführung
lichkeit oder kollektiver Wertesysteme.40 Die subjektive Lebenswelt der Betroffenen im nachhinein zu rekonstruieren, ist Anspruch und zentrales quellenkritisches Problem dieses Ansatzes zugleich. Es ist schon heikel genug, Wünsche, Motive, Identitäten und Bewußtseinshaltungen der Akteure aus ihren Handlungen und erhaltenen Selbstzeugnissen sowie aus Zeugnissen Dritter zu eruieren. Problematisch wird es aber vor allem, wenn sprachphilosophische und semiotische Kategorien (,, linguistic tum ") absolut gesetzt und historische Wirklichkeiten aus der subjektiv erlebten Wahrnehmung rekonstruiert oder auf den „Diskurs" reduziert werden.41 Stephen Kotkin, der in seiner großen, aber eben auch umstrittenen, Monographie über Magnitogorsk zum Teil solche Kategorien benutzte, entwarf das Modell des Stalinismus als „Zivilisation", als Wertegefuge, das eine positive Integration der Menschen zustande brachte.42 Trotz einiger Irrtümer und Irrwege konnten die kulturhistorischen Ansätze, obwohl erst wenige Arbeiten vorliegen, unser Bild des Stalinismus bereits mit wichtigen Aspekten bereichern. Daß der kulturelle Bereich von der sozialgeschichtlich dominierten Forschung der siebziger und achtziger Jahre vernachlässigt worden war, steht inzwischen fest. Die Sozialgeschichte fragte, welche Schichten das System stützten, weil sie von ihm profitierten. Dieses Motiv allein reicht aber nicht aus. Man kann die Unterstützung des Systems nicht nur durch materielle Vorteile erklären. Die historische Forschung zur Sowjetunion hat hier noch große Defizite abzugleichen. Eine rein strukturgeschichtliche Sichtweise, bei der die Menschen nur passiv, gleich Marionetten, zum Handeln veranlaßt
40 Für eine Diskussion der kulturgeschichtlichen Ansätze vgl. ausführlich Hildermeier, Manfred: Osteuropäische Geschichte an der Wende. Anmerkungen aus wohlwollender Distanz. - In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 46 (1998), S. 244-255. Plaggenborg, Stefan: Stalinismusforschung: Wie weiter? In: Stalinismus. Neue Forschungen und Konzepte. Hg. v. Stefan Plaggenborg. - Berlin 1998, S. 443-452. Stadelmann, Matthias: Die Neue Kulturgeschichte des revolutionären Rußland. Diskursive Formationen und soziale Identitäten. - Erlangen, Jena 1997. - Beispiele dieser Herangehensweisen: The Culture of the Stalin Period. Hg. v. Hans Günther. New York 1990. Kultur im Stalinismus. Sowjetische Kultur und Kunst der 1930er bis 1950er Jahre. Hg. v. Gabriele Gorzka. - Bremen 1994. Kotkin 1995. Hellbeck, Jochen: Fashioning the Stalinist Soul: The Diary of Stepan Podlubnyi (1931-1939). - In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 44 (1996), S. 344-373. Plaggenborg, Stefan: Revolutionskultur. Menschenbilder und kulturelle Praxis in Sowjetrußland zwischen Oktoberrevolution und Stalinismus. - Köln, Wien, Weimar 1996. Bolshevik Culture: Experiment and Order in the Russian Revolution. Hg. v. Abbot Gleason, Peter Kenez und Richard Stites. - Bloomington 1985. Mass Culture in Soviet Russia. Tales, Poems, Songs, Movies, Plays, and Folklore, 1917-1953. Hg. v. James van Geldern und Richard Stites. - Bloomington 1995. Stites, Richard: Russian Popular Culture: Entertainment and Society since 1900. - Cambridge 1992. Culture and Entertainment in Wartime Russia. Hg. v. Richard Stites. - Bloomington 1995. - Tagebucheditionen aus diesem Umkreis: Tagebuch aus Moskau 1931-1939. Hg. v. Jochen Hellbeck. - München 1996. Intimacy and Terror: Soviet Diaries of the 1930s. Hg. v. V. Garros, Ν. Korenevskaya und Τ. Lahusen. - New York 1995. (Deutsche Übersetzung: Das wahre Leben. Tagebücher aus der Stalinzeit. Hg. v. Veronique Garros, Natalija Korenewskaja und Thomas Lahusen. - Berlin 1998). 41 Vgl. Hildermeier: Osteuropäische Geschichte 1998, S. 250-253. 42 Kotkin 1995, S. 23.
Historiographie und Forschungsstand
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werden, ist heute nicht mehr befriedigend. Umgekehrt darf jedoch auch Kulturgeschichte nicht isoliert betrieben werden, wenn ein echter Erkenntnisfortschritt erzielt werden soll, der uns hilft, das Phänomen des Stalinismus nicht nur präziser zu beschreiben, sondern auch seine Funktionsweise zu verstehen. Die subjektive Wirklichkeit darf nicht als die einzig gültige beschrieben, sondern muß in Beziehung zur sozialen und politischen Wirklichkeit gestellt werden. Die strukturellsozialgeschichtliche und die subjektiv-kulturgeschichtliche Betrachtungsweise schließen einander nicht aus, sondern sollten miteinander verbunden werden.43 Dabei können möglicherweise sogar Kategorien des Totalitarismusmodells, wie etwa Hannah Arendts These von der Zerstörung der Persönlichkeit, in neuem Zusammenhang wieder nutzbringend aufgegriffen werden. Es ist im Grunde müßig, darüber zu streiten, welcher methodische Ansatz der Erforschung des Stalinismus denn nun angemessen sei, der sozialgeschichtliche, der kulturhistorische oder der politikwissenschaftliche: Keiner dieser Ansätze kann allein das komplexe Phänomen Stalinismus erklären, auch wenn immer wieder Versuche unternommen werden, monokausale Universalerklärungen zu präsentieren. Die vorliegende Studie über Metrostroj wählt bewußt einen anderen, pragmatischeren Zugang, möchte sich von dem seit 1986 geführten Methodenund Paradigmenstreit emanzipieren und an einem Fallbeispiel die Synthese unterschiedlicher Herangehens- und Betrachtungsweisen vollziehen. Stalinismus soll nicht nur aus einem, sondern aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht werden: in politischer, sozial-, und kulturgeschichtlicher Sicht, als soziale Praxis vor dem Hintergrund spezifischer Strukturmerkmale und Vorgaben des Systems. Auf diese Weise möchte die Studie ein anschauliches Bild vom alltäglichen Leben und von den verschiedenen Lebenswelten in der Sowjetunion der dreißiger Jahre vermitteln, die sich nicht nur in den materiellen Bedingungen, sondern auch in den Sichtweisen, Mentalitäten und Verhaltensmustern stark von unserem heutigen Alltag und Erleben unterschieden. Metrostroj war das Prestigeprojekt der frühen dreißiger Jahre schlechthin, ein Unternehmen höchster Priorität. Es lag im Zentrum der Macht, buchstäblich in Sichtweite des Kreml, und war somit bestimmt nicht repräsentativ für andere Baustellen. Die Ergebnisse dieser Fallstudie können daher genausowenig kritiklos generalisiert werden wie jene der Untersuchungen über Magnitogorsk, Dneprostroj oder Smolensk, die ebenfalls jeweils ganz spezifische Verhältnisse analysierten. Was man am Beispiel von Metrostroj jedoch zeigen kann, sind Verhaltensmuster, Grundstrukturen und Funktionsmechanismen stalinistischer Herrschaft und Gesellschaft, die hier lediglich ausgeprägter und verdichteter als anderswo zutage traten.
43 Vgl. Hildermeier: Osteuropäische Geschichte 1998, S. 255.
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Einführung
2. F r a g e s t e l l u n g e n und G l i e d e r u n g Ausgehend vom Forschungsstand und angesichts der Realität des stalinistischen Systems der dreißiger Jahre, drängen sich einige prinzipielle Fragestellungen auf, die der vorliegenden Arbeit als roter Faden zugrunde liegen: -
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Wie gelang es dem Regime, die Bevölkerung des Landes in ein Aufbau- und Umgestaltungsprogramm einzuspannen, das ihr zum Teil unmenschliche Opfer abverlangte und in Friedenszeiten den Tod von Millionen Menschen in Kauf nahm? Welche Rolle spielte in diesem Zusammenhang das Unternehmen Metrostroj fiir die Propaganda und das Selbstverständnis des Regimes und der Gesellschaft? Auf welche Weise kamen ihm möglicherweise systemstabilisierende Funktionen zu? Wie gestalteten sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen und wie wurden sie subjektiv wahrgenommen? Welche Auswirkungen hatten sie möglicherweise auf Einstellungen und Verhaltensweisen? Wie schafften es die Herrschenden, das Heer ehemaliger Dorfbewohner, die im Zuge der Kollektivierung in die Städte gezogen oder schlicht vor dem Hunger und der Verfolgung geflohen, deren Angehörige vielfach enteignet und deportiert worden oder verhungert waren, innerhalb weniger Jahre in die Industriearbeiterschaft zu integrieren, ohne daß es zu massenhaften Streiks oder Unruhen kam? Wie verhielten sich diese vom Land kommenden neuen Arbeiter, mit welchen Einstellungen gingen sie an die Arbeit, welche Handlungsstrategien wandten sie an, um sich an die neue Umgebung anzupassen oder die Rahmenbedingungen für sich selbst erträglicher zu gestalten? Welche Mittel und Methoden standen der Partei zur Verfugung, auf welche Weise wurden sie eingesetzt, um vom Politbüro beginnend, bis in die Parteigruppen der Brigaden, Macht auszuüben und Beschlüsse durchzusetzen?44 Wie wurde die Herrschaft der Partei auf unterster Ebene etabliert, wie funktionierte sie in den Basisorganisationen, und mit welchen Mitteln gelang es jener Minderheit, die sich dem Regime und der Ideologie verschrieben hatte damit sind in erster Linie die Aktiven unter den Kommunisten und Komsomolzen gemeint - in ihrem unmittelbaren Umfeld Macht und Einfluß auszuüben und die Masse der übrigen Bevölkerung vor sich her zu treiben? Welche
44 Unsere Kenntnisse lokaler Machtausübung unter Stalin beruhen immer noch überwiegend auf der inzwischen schon vierzig Jahre alten Arbeit von Fainsod über Smolensk. Die SmoIensker Ergebnisse können aber nicht einfach auf andere Regionen und schon gar nicht auf Moskau übertragen werden, da Smolensk ein überwiegend agrarisches Gebiet ohne Großindustrie war. Die Arbeit von Shimotomai (1991) über die Moskauer Parteiorganisation konnte nur für einzelne Fragestellungen Archivquellen heranziehen und läßt vieles offen. Die Untersuchung von Merridale (1990) endete mit dem Jahr 1932.
Fragestellungen und Gliederung
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Verhaltensmuster bestimmten das Verhältnis des harten Kerns gegenüber der beherrschten Mehrheit und umgekehrt? Wie effektiv war die inner- und außerparteiliche Machtausübung und Kontrolle? Funktionierte die Kommandowirtschaft im totalitären Sinne oder war sie nur eine Fassade? Wo stießen Machtausübung und Kontrolle an ihre Grenzen? Welche anderen Mittel außer der Disziplinierung und der Repression standen den Bolschewiki zur Verfugung, um ihren „neuen Menschen" zu erziehen und die Arbeiter in „sozialistische" Arbeits- und Lebensformen einzubinden? Was waren die Motive des harten Kerns von aktiven Kommunisten und Komsomolzen für ihr Handeln, besonders, wenn sie selbst möglicherweise einem dörflichen Hintergrund entstammten? Wie nahmen sie die Wirklichkeit rund um sich wahr, die doch oft genug von den Versprechungen der Propaganda weit entfernt war? Was veranlaßte sie, zwischenmenschliche Beziehungen den Forderungen der Partei unterzuordnen und gegebenenfalls ihre Kollegen öffentlich an den Pranger zu stellen oder sie als „Kulaken" zu denunzieren, wohl wissend, welche Folgen das haben konnte? Weitergedacht - in der vorliegenden Arbeit aber nicht ausgeführt - leitet diese Fragestellung mitten in den Großen Terror der Jahre 1936 bis 1938 über, der ohne die bereitwillige Beteiligung hunderttausender Funktionäre und gewöhnlicher Bürger nicht diese schrecklichen Ausmaße angenommen hätte. Es spricht vieles dafür, anzunehmen, daß Handlungsmuster und Verhaltensweisen, die im Großen Terror offensichtlich entgleisten, schon in den Jahren davor angelegt waren. Von der Bereitschaft, den Arbeitskollegen, dessen verschwiegene „kulakische" Herkunft ans Tageslicht gekommen war, aus der Brigade und aus dem Betrieb zu verstoßen, seine mühsam aufgebaute Existenz zu zerstören, obwohl er vielleicht sogar vorbildlich gearbeitet hatte und man mit ihm persönlich befreundet war, - bis hin zur Denunziation von „Schädlingen" und „Volksfeinden" und ihrer Auslieferung an die Erschießungskommandos des NKVD war es kein großer Schritt mehr. Solche Handlungsmuster, die potentiell entgleisen konnten, und die sie begünstigenden Mentalitäten sollen am Beispiel von Metrostroj aufgespürt werden. Bei der Einordnung und Bewertung von Verhaltensweisen, Wahrnehmungen der Realität und Einstellungen ist zu fragen, ob nicht ein Modell des „Kriegszustandes" die angemessene Beschreibung fur die Sowjetunion der dreißiger Jahre ist. Möglicherweise lassen sich damit eine Reihe von Phänomenen besser verstehen, von übermenschlichen Anstrengungen und Entbehrungen über die militarisierte Sprache bis hin zur Gewaltbereitschaft gegenüber „Feinden". Obwohl schon manchen zeitgenössischen Beobachtern der hohe Grad der Militarisierung des täglichen Lebens aufgefallen war, ist das Modell des Kriegszustandes von der Geschichtswissenschaft bisher erstaunlicherweise nicht auf den Stalinismus angewandt worden.45
45 In eine ähnliche Richtung zielt Stefan Plaggenborg, wenn er die Gewaltkultur des Stalinismus thematisiert und dabei unter anderem auch von der „Bellifizierung" der Gesellschaft seit
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Einführung
Die Arbeit gliedert sich in sieben Abschnitte. Das Einsetzen der Untersuchung ist in zeitlicher Hinsicht durch das Auftreten der ersten Projekte fur eine Untergrundbahn in Moskau vorgegeben. Als Endpunkt wurde aus mehreren Gründen das Jahr 1935 gewählt: 1935 wurde die erste Baufolge der Moskauer Metro fertiggestellt und dem Verkehr übergeben. Danach wurden die Bauarbeiten, die bis heute andauern, allmählich zur Routine. Außerdem setzte 1935 die Stachanovbewegung ein, und 1935/36 begann der Große Terror - beides Phänomene, die bei angemessener Berücksichtigung den Umfang der Untersuchung gesprengt hätten. Abschnitt I ist der Vorgeschichte gewidmet. Die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gemachten Vorschläge für eine Stadtschnellbahn oder Untergrundbahn46 sowie die verschiedenen Konzepte zur Lösung der Moskauer Verkehrsprobleme werden verglichen und die politischen Begleitumstände untersucht. Es wird nach den Kontinuitäten der Planungen vor und nach 1917 sowie nach den Gründen dafür gefragt, daß der Bau, der 1914 kurz vor der Verwirklichung zu stehen schien, erst 1931 begonnen und nicht schon in den ersten Fünfjahresplan aufgenommen wurde. Wichtigen Raum nimmt die Untersuchung der Entscheidungsprozesse in der zentralen und lokalen Parteiführung 1931 ein. Abschnitt II beschreibt die Durchführung des Bauvorhabens in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht. Auch hier spielen politische Entscheidungsprozesse eine große Rolle. Neben der Verlaufsgeschichte des Baus wird auf das Knowhow, die Finanzierung und die Versorgung mit Ausrüstungen und Baumaterialien eingegangen. Abschnitt III ist sozial- und alltagsgeschichtlich orientiert und geht der Frage nach, wie sich die Arbeiterschaft von Metrostroj zusammensetzte, woher und wie die Leute auf die Baustelle kamen, wie sie untergebracht und versorgt wurden, unter welchen Bedingungen sie arbeiteten und lebten. Manche Verhaltensweisen und Einstellungen sind nur vor dem Hintergrund dieser spezifischen Lebensbedingungen zu verstehen. Abschnitt IV unterteilt die Metrobauer in verschiedene Gruppen und versucht, deren jeweilige Lebenswelten und Verhaltensweisen zu analysieren. Es geht hier um die Verhaltensmuster und Motive der Stützen des Regimes (Komsomolzen, Kommunisten, Funktionäre, Ingenieure) einerseits und der Masse der Arbeiter andererseits sowie um die Beziehungen zwischen den Gruppen. Die einen bemühten sich, ihre Kollegen in die Erfüllung der Planvorgaben einzuspannen, die anderen entwickelten defensive Techniken, sich dem Zugriff zu entziehen, ohne
Revolution und Bürgerkrieg spricht. Er führt jedoch den Gedanken nicht weiter aus und verwendet die Begriffe Krieg oder Kriegszustand nicht. (Plaggenborg, Stefan: Stalinismus als Gewaltgeschichte. In: Stalinismus. Neue Forschungen und Konzepte. Hg. v. Stefan Plaggenborg. Berlin 1998, S. 73-77, 105-107). - Manfred Hildermeier charakterisierte in diesem Zusammenhang auf einer Konferenz 1996 den Stalinismus als „künstlich erzeugten Krieg einer selbsternannten Elite gegen die Gesellschaft" und warf die Frage auf, wie es dieser Elite gelingen konnte, die anderen zur Teilnahme an diesem Krieg zu bringen. 46 Zu den Begriffen siehe unten.
Fragestellungen und Gliederung
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allerdings die Machtverhältnisse umkehren zu können. Es wird darüber hinaus gefragt, welche Verhaltensweisen und Einstellungen der Integration in das Kollektiv der Metrobauer förderlich waren, in welchem Maße nicht integrierbare Verhaltensweisen (offener Protest, Widersetzlichkeit, Sabotage, Kriminalität, Hooliganismus) auftraten, und wie man mit ihnen umging. Abschnitt V befaßt sich mit der Verwirklichung des bolschewistischen Konzepts vom „neuen Menschen" bei Metrostroj. Metrostroj wurde wie kaum ein anderes Unternehmen von der Partei zur „Schule des neuen Menschen" hochstilisiert. Das bezog sich einerseits ganz vordergründig auf die fachliche Ausbildung, die im Laufe der Bauarbeiten vermittelt wurde. Wichtiger war jedoch die Einbindung der aus den Dörfern gekommenen Arbeiter in „sozialistische" Arbeits- und Lebensformen, wie Stoßarbeit und sozialistischen Wettbewerb. Politische Unterweisung, Alphabetisierung und Erziehung zu „kultiviertem" Leben gehören ebenso in diesen Zusammenhang wie kollektiv organisierte Freizeit, kulturelle Aktivitäten oder Sport. Abschnitt VI untersucht die Strukturen im Hintergrund: die Machtausübung und politische Kontrolle auf den unteren Ebenen, und zwar zum einen über das Management und die Arbeiter innerhalb des Unternehmens, zum anderen über das Unternehmen selbst durch übergeordnete Instanzen. Dabei soll gezeigt werden, wie die Partei schrittweise ihre Macht im Unternehmen Metrostroj etablierte, von den kläglichen Anfangen über die Säuberung von 1933 bis zur effektiven Durchdringung im Jahre 1934, und welche Wechselbeziehungen und Konflikte zwischen der Partei-, Komsomol- und Gewerkschaftsfuhrung und dem Management (Stichwort: Einmannleitung) bestanden. Die Mechanismen der politischen Kontrolle durch übergeordnete Stellen werden am Beispiel des Qualitätsproblems analysiert. Abschnitt VII fragt nach der Breitenwirkung des Metrobaus, nach der Inszenierung des „Ereignisses" Metrostroj durch die Propaganda und nach seiner systemstabilisierenden Funktion. Ausgehend von einem Stimmungsbild der Bevölkerung in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre wird untersucht, in welchem Maße es dem Regime gelang, in den Bau der Metro seine Wunschvorstellungen zu projizieren und der Bevölkerung und dem Ausland das Bauwerk als Beweis fur die Leistungsfähigkeit der neuen Ordnung im allgemeinen und der Stalinschen Führung im besonderen zu präsentieren. Daß 1934 eine halbe Million Moskauer an den berühmten Subbotniki (freiwilligen Arbeitssamstagen) bei Metrostroj teilnahm, ist aus der sowjetischen Literatur bekannt. Unter welchen Umständen das geschah, und wie groß die Akzeptanz des Bauvorhabens tatsächlich war, wird näher zu beleuchten sein. Daß ein 800 Millionen Rubel teurer Prestigebau von einer Bevölkerung akzeptiert wurde, die zum Großteil unter erbärmlichen Bedingungen lebte, war nicht selbstverständlich. Neben der breiten Bevölkerung wurden auch Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler in das Unternehmen einbezogen. Erstere bildeten ein Komitee zur wissenschaftlichen Unterstützung des Metrobaus, letztere schrieben parallel zum Bau bereits seine Geschichte, verfaßten Gedichte, Lieder, Erzählungen und Theaterstücke oder drehten Filme über die Metro.
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Einführung
Der einzelne Leser wird sicherlich mit unterschiedlichen Erwartungen und Interessen an dieses Buch herantreten. Stehen bei dem einen spezifische Fragen des Stalinismus im Vordergrund, so sucht der andere vielleicht nach detaillierten Informationen über die Moskauer Untergrundbahn selbst und über die Konzepte der Moskauer Stadt- und Verkehrsplanung. Dieser doppelte Anspruch des Themas machte es nicht immer leicht, den richtigen Mittelweg zu finden. Um die Lesbarkeit für diejenigen zu erleichtern, denen die Moskauer Topographie nicht vertraut ist und die sich nicht vordergründig für Streckennetzvarianten und technische Lösungen interessieren, wurden solche Informationen, so weit es möglich war, aus dem Haupttext in die Legenden zu den Abbildungen, in die Fußnoten und in die Anhänge ausgegliedert. Der Anhang I beschreibt die Realisierung des Baus in technischer Hinsicht. Der Anhang II faßt halbwegs gesicherte Informationen zu den Geheimlinien und militärischen Funktionen der Metro zusammen. Der Anhang III behandelt die wichtigsten Gesichtspunkte, die bei der Gestaltung der Stationen zum Tragen kamen, wobei die Architektur der Metrostationen nur summarisch charakterisiert wird. Auf die Gestaltung der einzelnen Stationen und Vestibüle detailliert einzugehen, hätte zu weit in die Architektur- und Kunstgeschichte gefuhrt. Zudem gibt es hierzu schon wissenschaftliche Literatur. Der Anhang IV setzt den Bau der Untergrundbahn in Beziehung zu der gleichzeitig erörterten Frage einer Durchmesserlinie für die Eisenbahnen. Der Anhang V fragt nach dem Zusammenhang zwischen dem Bau der Untergrundbahn und dem Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus von 1935.
3. Q u e l l e n l a g e Aus der Vielzahl der Quellen zur Geschichte der Moskauer Untergrundbahn sollen hier die besonders ergiebigen Bestände hervorgehoben werden. Die Akten der Organisation Metrostroj befinden sich im Zentralen Munizipalarchiv Moskaus [Central'nyj Municipal 'nyj Archiv Moskvy, CMAM].47 Sie umfassen neben den Anordnungen und Rechenschaftsberichten der Betriebsleitung und den Produktions- und Finanzierungsplänen Statistiken über die Belegschaft, Gehaltslisten, Berichte der Personal- und anderer Abteilungen, Protokolle und Stenogramme von Beratungen und zahlreiche andere Schriftstücke. Ebenfalls im CMAM liegen die Akten des Moskauer Stadtsowjets [Mossovet],48 dem Metrostroj unmittelbar unterstand sowie jene der städtischen Arbeiter- und Bauernin-
47 CMAM f. 665, op. 1. - [„f." bezeichnet in den russischen Archiven die Bestandsgruppe (Fonds), „op." bezeichnet das Findbuch (opis').] 48 CMAM f. 150, op. 1-21.
Quellenlage
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spektion,49 die als Kontrollorgan den Bau der Metro mehrmals unter die Lupe nahm. Im Zentralen Historischen Archiv der Stadt Moskau [Central'nyj Istoriceskij Archiv goroda Moskvy, CIAM], das für die Zeit vor 1917 zuständig ist, werden unter den Beständen des Moskauer Generalgouverneurs50 und der Stadtduma51 einige Aktenbände zu den Untergrundbahnprojekten zwischen 1897 und 1915 aufbewahrt. Für die Planungen der zwanziger Jahre ist das Zentrale Staatliche Archiv des Moskauer Gebietes [Central 'nyj Gosudarstvennyj Archiv Moskovskoj Oblasti, CGAMO] mit den Beständen des Gouvernements- und Gebietssowjets52 die erste Adresse. Darüber hinaus befinden sich dort die Akten der Arbeiter- und Bauerninspektion des Moskauer Gebietes53 und der Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle beim Moskauer Parteikomitee54 mit umfangreichen Untersuchungsberichten über den Fortgang der Arbeiten und die Organisation des Baus. Im Russischen Staatlichen Wirtschaftsarchiv [Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Ekonomiki, RGAE] wurden die Bestände der Planungsbehörde Gosplan55 ausgewertet. Für die übergeordneten Parteiorgane wird man im Zentralarchiv der gesellschaftlichen Bewegungen Moskaus [Central'nyj Archiv Obscestvennych Dvizenij Moskvy, CAODM] und im Russischen Staatsarchiv der gesellschaftspolitischen Geschichte [Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Social 'no-Politiceskoj Istorii, RGASPIJ fündig. Das CAODM beherbergt die Bestände der Partei- und Komsomolorganisationen des Moskauer Gebietes und der Stadt Moskau.56 Zugänglich sind allerdings fast ausschließlich Sitzungsprotokolle. Die dazugehörenden Berichte sind nicht immer erhalten. Die Akten der Abteilungen des Moskauer Parteikomitees und der Schriftverkehr mit anderen Institutionen ist nur sehr begrenzt für die Forschung zugänglich. Vieles scheint bei der Evakuierung 1941 vernichtet worden zu sein, manches wird dem Forscher vorenthalten. Das Archiv ist auch heute noch dem Kult des Geheimen verhaftet, dem die Partei bei ihrer Aktenproduktion huldigte. Von den Beständen des RGASPI sind für die Metro die Akten des Zentralkomitees der Partei57, des Politbüros58, des Zentralkomitees des Komsomol59 sowie der persönliche Fonds des Moskauer Parteichefs L.M. Kaganovic60 interessant. Im Kaganovic-Fonds findet man viele Unterlagen über Entschei-
49 CMAMf. 1289, op. 1. 50 CIAM f. 16, op. 135, d. 140. 51 CIAM f. 179, op. 3, 2 1 , 2 3 , 2 4 . 52 CGAMO f. 66, op. 11, 18. - Bis 1931 war der Gebietssowjet für die Stadt zuständig. Erst 1931 wurde die Stadt Moskau als eigene Körperschaft konstituiert. 53 CGAMO f. 807, op. 1. 54 CGAMO f. 792, op. 5, 6. 10. 55 RGAE f. 4372, op. 22, 24. 56 CAODM f. 3, f. 4, f. 635. 57 RGASPI f. 17, op. 2. 58 RGASPI f. 3, op. 3. 59 RGASPI f. 1-m, op. 2, 3, 4, 5, 16, 23. 60 RGASPI f. 81, op. 3.
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Einführung
dungsprozesse im Politbüro, die in den zur Benutzung freigegebenen Akten des Politbüros nicht enthalten sind. Eine Sonderrolle kommt dem Bestand der Redaktion „Geschichte der Fabriken und Werke" im Staatsarchiv der Russischen Föderation [Gosudarstvennyj Archiv Rossijskoj Federacii, GARF] zu. Die Redaktion sammelte in den dreißiger Jahren umfangreiches Material fur eine Geschichte der großen Fabriken der Sowjetunion.61 Unter anderem wurde auch eine Unterredaktion für die Geschichte der Metro62 gebildet, die in den Jahren 1934 und 1935 den Bau begleitend dokumentierte. Zum einen wurden Quellen aus allen möglichen Behördenarchiven, aus der Betriebsleitung von Metrostroj und den Kontoren und Parteibüros der einzelnen Baustellen in Abschriften und Exzerpten gesammelt. Auf diese Weise sind viele Quellen erhalten geblieben, die in den jeweiligen Archiven inzwischen nicht mehr existieren. Zum anderen führten von der Redaktion beauftragte Schriftsteller mit einigen hundert ausgewählten Metrobauern, meist Kommunisten, Komsomolzen, Ingenieuren oder Stoßarbeitern, Interviews, die stenographisch festgehalten wurden. Bei aller quellenkritischen Einschränkung, die man diesem Material entgegenbringen muß,63 hat man hier ein einzigartiges Korpus von archivierter oral history im Originalwortlaut vor sich. Dazu kommen noch Tagebücher und literarische Erzeugnisse von Metrobauern, die im Auftrag der Redaktion verfaßt wurden. Ursprünglich wollte die Redaktion eine Gesamtdarstellung der Geschichte des Baus schreiben. Im Endergebnis wurden aber nur zwei Bände mit ausgewählten, stark gekürzten und von Schriftstellern literarisch überarbeiteten Interviews publiziert.64 Die große Masse des gesammelten Materials blieb ungenutzt. Für die Untersuchung von Reaktionen der Moskauer Bevölkerung auf Maßnahmen der Partei oder Regierung konnten Stimmungsberichte der Informationsabteilung des Moskauer Parteikomitees und der Gewerkschaften ausgewertet werden. Spitzelberichte der Geheimpolizei sind für den Untersuchungszeitraum (193 ΟΙ 93 5) in den für die Forschung zugänglichen Archiven nur vereinzelt erhalten.65 Nach 1929 bricht die Überlieferung ab, obwohl die Berichterstattung im Zusammenhang mit Kollektivierung und Industrialisierung intensiviert wurde. Die Masse der Berichte liegt jedoch in den geschlossenen Archiven der Staatssicherheit.66
61 Vgl. dazu Kap. VII.4.b. 62 GARF f. R-7952, op. 7. 63 Das Problem des Umgangs mit diesem Quellenkorpus wird eingehend in Kap. IV. 1 erörtert. 64 Rasskazy stroitelej metro. - Moskva 1935 (Istorija metro imeni L. M. Kaganovica, [1]). Kak my stroili metro. - Moskva 1935 (Istorija metro imeni L. M. Kaganovica, 2). 65 Einzelne Berichte finden sich im Kaganovic-Fonds (RGASPI f. 81, op. 3). 66 Vgl. Werth, Nicolas: Une source inedite: les ,svodki' de la tcheka-OGPU. - In: Revue des etudes slaves 66 (1994), S. 23. - Eine Quellenedition mit einer guten Auswahl von Geheimberichten: Rapports secrets sovietiques. La societe russe dans les documents confidentiels 19211991. Hg. v. Nicolas Werth und Gael Moullec. - Paris 1994.
Quellenlage
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Stimmungsberichte der Partei67 und der Gewerkschaften68 sind zwar in größerer Anzahl zugänglich, aber die Quellenlage ist auf diesem Gebiet fur die Stadt Moskau bei weitem nicht so gut wie etwa für Leningrad.69 Abgesehen davon, wurde der Informationsgehalt solcher Berichte bisher überschätzt. Sie sind meist stereotyp und erlauben selten gewichtende Aussagen darüber, welche der beschriebenen Stimmungen und Äußerungen für die Mehrheit der Bevölkerung zutreffen oder nicht. Unter den publizierten Quellen wären an erster Stelle die Betriebszeitungen von Metrostroj zu nennen. Seit August 1932 erschien der Udarnik Metrostroja [Stoßarbeiter von Metrostroj]. 1934 kam für einige Monate eine Vielzahl weiterer Blättchen für die einzelnen Baustellen hinzu. Diese Zeitungen, die erst seit wenigen Jahren für westliche Forscher benutzbar sind, bergen ein Fülle von Informationen über den Fortgang des Baus, die Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Aktivitäten der Basisorganisationen von Partei, Komsomol und Gewerkschaft, über Konflikte und Kriminalität, bis hin zu kulturellen und sportlichen Betätigungen der Arbeiter. Für die Diskussion über den Bau der Untergrundbahn, technische Fragen, mögliche Varianten des Streckennetzes und Konzepte für den öffentlichen Verkehr und die Stadtplanung Moskaus wurden zahlreiche zeitgenössische Zeitschriften systematisch ausgewertet.70 Bis weit in die dreißiger Jahre wurden Kontroversen auf diesen Gebieten erstaunlich offen ausgetragen. Für die Jahre des Baus der Metro wurden die Tageszeitungen Rabocaja Moskva (Organ der Moskauer Parteiorganisation und des Mossovet) und Komsomol'skaja Pravda (Organ des Komsomol) durchgesehen. Memoiren von Metrobauern sind nur in geringer Zahl erhalten.71 Als Korrektiv zu den Quellen sowjetischer Provenienz wurden zahlreiche Reiseberichte und 67 Berichte der Informationsabteilung des Moskauer Parteikomitees für die Jahre 1929— 1936 befinden sich in CAODM f. 3, op. 49. Berichte der Geheimabteilung und des Sekretariats des Zentralkomitees (bis 1929 umfangreich, 1930-1934 nur Einzelstücke) sind in RGASPI f. 17, op. 84-87 zugänglich. 68 GARFf. R-5451,op. 43. 69 Für Leningrad vgl. Davies, Sarah: Popular Opinion in Stalin's Russia. Terror, Propaganda and Dissent, 1934-1941. - Cambridge 1997. Dies.: „Us against Them": Social Identity in Soviet Russia, 1934-1941. - In: The Russian Review 56 (1997), S. 70-89. 70 Metrostroj (später unter den Titeln Sovetskij metropoliten und Metro), Stroitel'stvo Moskvy, Kommunal 'noe chozjajstvo, Architektura i stroitel 'stvo Moskvy (vorübergehend unter dem Titel Stroitel'stvo i architektura Moskvy), Transport i dorogi goroda, Socialisticeskij transport, Kommunal'noe delo, Za socialisticeskuju rekonstrukciju gorodov, Socialisticeskij gorod, Nase stroitel 'stvo, Front nauki i techniki, Planirovka i stroitel 'stvo gorodov, Rekonstrukcija transporta, Transportnoe stroitel'stvo, Sovetskaja architektura, Rabocij gorodskogo chozjajstva, Vestnik inzenerov, Stroitel 'naja promyslennost', Molodoj bol 'sevik, Ogonek. 71 Fedorova, T.V.: Naverchu - Moskva. Rasskazyvaet geroj socialisticeskogo truda [...] T.V. Fedorova. 2. Aufl. - Moskva 1981. Dies.: Komsomorcy-dobrovol'cy. In: PerekliCka pokolenij. Moskva 1967, S. 334-342. Ejdman, A.G.: „Pridja sjuda po zovu komsomola ...". In: Nezabyvaemye 30e. Vospominanija veteranov partii - moskviöej. - Moskva 1986, S. 207-218. JanCevskij, V.V.: Idut po podzemnym magistraljam poezda. In: Nezabyvaemye 30e. Vospominanija veteranov partii - moskvicej. - Moskva 1986, S. 218-229. Dolmatovskij, E.A.: Bylo. Zapiski poeta. Kniga
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Einfuhrung
Memoiren von Ausländern und Emigranten sowie Berichte deutscher und österreichischer Diplomaten ausgewertet.72
4. F a c h a u s d r ü c k e und t e c h n i s c h e G r u n d l a g e n des U n t e r g r u n d b a h n b a u s Was eine Untergrundbahn ist, scheint auf den ersten Blick klar zu sein. Im russischen Sprachgebrauch hat aber der entsprechende Begriff metropoliten (meist in der abgekürzten Form metro) einen Bedeutungswandel durchgemacht. Er wurde bis Mitte 1931 als Überbegriff für alle Arten von Stadtschnellbahnen auf eigenem Gleiskörper gebraucht. So lautete auch der umständliche Terminus, mit dem die russische Diskussion bis in die zwanziger Jahre operierte: gorodskie vneulicnye zeleznye dorogi bol'soj skorosti, oft mit dem Zusatz (Metropolitain). Das konnten Untergrundbahnen, Stadtbahnen auf Viadukten (Hochbahnen) oder auch Eisenbahnen für den Vorortverkehr (S-Bahnen) sein. Erst mit dem Baubeginn der Moskauer Metro im Winter 1931/32 wurde metropoliten (anfangs auch metropolitin) zum Äquivalent für Untergrundbahn. In der vorliegenden Arbeit werden die russischen Begriffe nicht mechanisch, sondern jeweils sinngemäß übersetzt: Stadtschnellbahn und Metropolitain wird als Überbegriff verwendet oder wenn die Bedeutung nicht klar ist, Untergrundbahn nur dann, wenn auch tatsächlich eine solche gemeint ist. Es gibt verschiedene technische Möglichkeiten, eine Untergrundbahn zu bauen. Sie sollen mit den dazugehörigen Fachbegriffen kurz erläutert werden:73 Bei der offenen Bauweise, auch Berliner Bauweise genannt, wird eine offene Baugrube ausgehoben, mit Holz oder Metall rundum abgestützt, damit das Erdreich nicht einbricht (Abb. 1 a-b), meist auch mit wasserdichten metallenen Spundwänden gegen eindringendes Grundwasser abgeschüttet (Abb. 1 c). Gegebenenfalls wird der Grundwasserspiegel durch Abpumpen gesenkt (Abb. 1 c-f). Nachdem man in dieser Baugrube einen Stahlbetontunnel mit rechteckigem Querschnitt errichtet hat (Abb. 1 g), wird sie zugeschüttet und darüber die Fahrbahn wieder hergestellt (Abb. 1 h-i). vtoraja. - Moskva 1979. (Der Dichter Dolmatovskij schrieb 1934 als Metroarbeiter beim Schacht 12 ein Tagebuch. Auszüge daraus sind hier enthalten.) Ginzburg, S.Z.: Ο proslom - dlja buduscego. 2. Aufl. - Moskva 1986. (Ginzburg war kein Metrobauer, aber als Mitarbeiter von Ordzonikidze Mitglied der Regierungskommission, die im Frühjahr 1935 die Metro abnahm.) Nikolaev, N.S.: Glavnyj marksejder. Unveröffentlichtes Manuskript. Narodnyj Archiv f. 138, d. 2 (Memoiren eines Geodäsisten, der ab 1934 bei Metrostroj arbeitete). 72 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn, R 31660, 31961, 94567, 8357483576, 83990, 83997, 84005. Österreichisches Staatsarchiv Wien, Archiv der Republik (ÖStA, AdR), Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Neues Politisches Archiv (BMfAA, NPA), Karton 55, 56, 664, 665. Bundesministerium fur Auswärtige Angelegenheiten, Gesandtschafts- und Konsulatsarchive 1918-1938 (BMfAA, GA), Moskau, Karton 2-3. 73 Die technische Beschreibung habe ich weitgehend übernommen von Kuhlmann 1981, S. 9.
Technische Grundlagen
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Diese Bauweise hat den Vorteil, daß die Arbeiten nicht unter Tage erfolgen müssen und die Baustelle für den An- und Abtransport von Material gut zugänglich ist. Eine so gebaute Untergrundbahn ist benutzerfreundlich, weil der Passagier von der Straße bis zum Bahnsteig nur eine kurze Entfernung zurücklegen muß. Nachteilig wirkt sich aus, daß man mit der Trasse an Straßenverläufe gebunden ist, da das Unterfahren von Häusern technisch aufwendig ist. Außerdem müssen die städtischen Versorgungsleitungen (Kanalisation, Wasserleitung, Strom- und Telefonkabel) aufgehängt, verlegt oder unterbrochen werden. Der Straßenverkehr wird durch die offene Baugrube stark beeinträchtigt, auch wenn prinzipiell die Abdeckung der Baugrube möglich ist.
Abb. 1: Offene Berliner Bauweise. (Makovskij, V.L. und S.M. Kravic [sie]: Postanovlenija ijun'skogo plenuma CK ν dejstvii. Metro socialistiCeskoj stolicy dolzen byt' luSsim ν mire In: Stroitel'stvo Moskvy (1932), Η. 1, S. 9)
Eine Sonderform der offenen Bauweise ist die Grabenbauweise, mit deren Hilfe sich Gebäude unterfahren lassen. Bei dieser Methode werden zuerst zwei schmale Gräben ausgehoben (Abb. 2 a) und darin die Tunnelwände betoniert (Abb. 2 b). Dann wird eine Metalldecke darübergelegt, einbetoniert und mit Erdreich aufge-
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Einführung
schüttet (Abb. 2 c-d). So sind die Fundamente der unterfahrenen Häuser abgestützt. Erst danach wird das Erdreich im Tunnel abgegraben und der Boden betoniert (Abb. 2 e-f).74 / f i i f n t f f m/>Q*lvai
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Abb. 3: Zweistellige belgische Bauweise. (Makovskij/Kravic 1932, S. 9.)
74 Lopatin, P.: Pervyj sovetskij metropoliten. - M o s k v a 1934, S. 50-51.
Technische Grundlagen
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Ein gänzlich anderes Verfahren ist der bergmännische Vortrieb, auch belgische Bauweise oder Pariser Bauweise genannt. Hier werden zunächst entlang der Trasse senkrechte Schächte75 angelegt bzw. abgeteuft. Wenn die gewünschte Tiefenlage des Tunnels erreicht ist, werden waagrechte Stollen vorgetrieben und, wie in einem Bergwerk, mit Holz abgestützt (ausgebaut). Diese Arbeiten erledigen die Vortriebshauer und Zimmerhauer. Bei der sogenannten zweistelligen belgischen Bauweise werden gleichzeitig zwei Stollen vorgetrieben, einer im oberen Teil des künftigen Tunnels, einer im unteren Teil (Abb. 3 a). Der obere Stollen, die Kalotte, wird unter Holzabstützung bis auf die Außenmaße des Tunnels erweitert (Abb. 3 b), dann wird eine Verschalung angebracht und eine gewölbte Tunneldecke betoniert (Abb. 3 c-d). Danach wird, zuerst auf einer Seite, dann auf der anderen, das restliche Erdreich (die Strosse) abgetragen und beiderseits eine Tunnelwand betoniert oder gemauert (Abb. 3 d-e). Zuletzt wird die Tunnelsohle betoniert (Abb. 3 f-g). Der bergmännische Vortrieb wurde in Paris knapp unter der Fahrbahn angewandt, ist aber grundsätzlich an keine bestimme Tiefe gebunden. Ein moderneres, aber technisch anspruchsvolleres Verfahren, ist die Schildbauweise oder Londoner Bauweise. Bei dieser Bauweise wird ebenfalls zuerst ein Schacht abgeteuft. Dann wird im Schacht eine Tunnelbaumaschine installiert, die im wesentlichen aus einem Stahlzylinder (Schild) besteht, in dessen Schutz der
Abb. 4: Schildbauweise (Rotert, P.: Metropoliten imeni L.M. Kaganovica. In: Bol'saja Sovetskaja Encyklopedija. Bd. 39. - Moskva 1938, Sp. 209-210)
75 Bei Metrostroj versteht man unter Schacht nicht nur den senkrechten Schacht im engeren Sinne, sondern den gesamten dazugehörenden Bauabschnitt samt dem waagrechten Tunnel und allen Hilfsbauten an der Oberfläche. Die Trasse wurde in Schächte (geschlossene und Grabenbauweise) und Distanzen (offene Bauweise) eingeteilt. Die Schächte und Distanzen wurden durchnumeriert. Wenn die Stollen zweier benachbarter Schächte den Durchbruch herstellten, wurden die Schächte administrativ vereinigt, was durch einen Bindestrich ausgedrückt wurde (z.B. „Schacht 13-14"). Auf jenen Abschnitten, wo man zwei getrennte Tunnel für jede Fahrtrichtung baute, erhielt der Parallelschacht den Zusatz „bis", der aus dem Französischen entlehnt ist und im Deutschen soviel wie „a" bedeutet (z.B. Schacht 9bis").
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Einführung
Tunnel vorgetrieben werden kann. Jeweils nach einem Meter Erdaushub wird der Schild hydraulisch oder elektrisch vorgeschoben und in seinem hinteren Teil die Tunnelwand aus Gußeisen- oder Eisenbetonsegmenten (Tübbings) montiert. Die Tübbings werden mit Hilfe des Erektors an ihren Platz gehoben und miteinander verschraubt oder vernietet (Abb. 3). Der Schildvortrieb ist für den Tunnelbau in großer Tiefe besonders geeignet. Bergmännischer Vortrieb und Schildbauweise werden auch unter dem Begriff geschlossene Bauweisen zusammengefaßt. Die geschlossenen Bauweisen haben den Vorteil, daß sie nicht an den Verlauf von Straßen gebunden sind und den Straßenverkehr sowie die Versorgungsleitungen nicht beeinträchtigen. Der Erdaushub ist gegenüber der offenen Baugrube geringer. Die Nachteile bestehen in der schlechteren Zugänglichkeit, denn der gesamte Aushub und die Baumaterialien und Geräte müssen durch die senkrechten Schächte befördert werden. Die Arbeiter müssen unter Tage arbeiten. Wenn die Untergrundbahn in großer Tiefe gebaut wird, sind die Passagiere später zu langen Rolltreppen- oder Aufzugfahrten gezwungen. Abb. 5: Tiefenlage der Untergrundbahnen in Berlin, Paris und London (Slezak 1967, S. 9).
In wasserführenden Schichten wird bei der geschlossenen Bauweise oft die Caissontechnik angewandt. Der Caisson oder Senkkasten ist ein unten offener Stahloder Stahlbetonkasten, aus dem durch erhöhten Luftdruck das Grundwasser verdrängt wird. Arbeiter betreten und verlassen ihn über Druckluftschleusen und können in seinem Inneren das Erdreich abgraben, so daß der Caisson immer tiefer abgesenkt werden kann.
I. V O N D E N E R S T E N P R O J E K T E N B I S Z U R ZUM BAU (1897-1931)
ENTSCHEIDUNG
„Aus China wurden Erdarbeiter herangeschafft. Und die Arbeit entbrannte. Sie begannen Moskau aufzugraben ... ... Irgend jemand gräbt unter uns - rief vor Schreck Smakov aus. Man gräbt, man gräbt, riefen die Abgeordneten von überall. Der Vorsitzende stand als erster auf. Meine Herren - schlug er vor - wir müssen sofort jemanden von den Anwesenden abkommandieren, um festzustellen, was da vor sich geht. Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen, und man schickte Smakov und Astrov. Nach einer halben Stunde kehrten sie zurück, beide leichenblaß und sich an den Händen haltend. Und berichteten: Das sind Amerikaner, die eine Untergrundbahn graben. Nach ihrem Plan, der vom Verkehrsministerium bestätigt ist, soll an der Stelle des Gebäudes der Stadtduma ..."'
1. D i e P r o j e k t e v o r
1917
a) D i e Anfange des öffentlichen Verkehrs in Moskau Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in den russischen Städten keine öffentlichen Verkehrsmittel. Wer es sich leisten konnte, fuhr mit seiner eigenen Kutsche, die Masse der Bevölkerung ging zu Fuß oder mietete allenfalls Fuhrwerke, die von Bauern aus der U m g e b u n g gelenkt wurden. 2 A b den zwanziger Jahren erschienen die ersten öffentlichen Verkehrsmittel. 1828 erlaubte die Petersburger Stadtverwaltung den Verkehr v o n zwei- und dreispännigen „Pferdeomnibussen" (geschlossenen Equipagen mit 16 Plätzen). Seit 1840 gab es eine Gesellschaft öf1 Feuilleton in der Zeitung Utro Rossii (1913). Zitiert nach Vinogradov, Κ.: Burzuaznye mecty ο metro i proletarskoe stroitelstvo. Unveröffentlichtes Manuskript. GARF R-7952/7/391, Bl. 116. 2 Moskva Sbornik 1932, S. 76.
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Von den ersten Projekten bis zur Entscheidung zum Bau ( 1 8 9 7 - 1 9 3 1 )
fentiicher Kutschen [Obscestvo publicnych karet], 1846 fuhren Pferdeomnibusse von der Stadtmitte in die Randbezirke. Bis 1870 entstand ein Netz von sechs städtischen und sieben Vorortlinien. Ungefähr gleichzeitig kamen die sogenannten linejki oder sidejki [Kremser] auf: einfache Fuhrwerke mit zwei bis vier Pferden und zehn bis vierzehn beiderseits längs der Fahrtrichtung angeordneten Sitzplätzen auf einem Brett zwischen Vorder- und Hinterachse. Sie hatten ebenfalls festgelegte Routen, waren besonders bei den Mittelschichten populär und existierten bis um die Jahrhundertwende.3 In Moskau sind die Kremser, im Winter auch als Schlitten, seit den vierziger Jahren belegt. 1850 eröffnete die private Gesellschaft der Moskauer öffentlichen Equipagen den Verkehr von Il'inskie vorota4 Richtung Smolensker Markt, Pokrovskij most, Rogozskaja zastava und Tverskaja zastava;5 im Sommer ins Grüne nach Sokol'niki, zum Petrovskij Park und nach Ostankino, also auf Linien vom Zentrum zum Stadtrand oder darüber hinaus. Später wurden Pferdeomnibusse und „Kremser" auch in Riga, Warschau, Odessa, Rostov am Don und anderen Städten eingerichtet.6 Das erste Automobiltaxi fuhr in Moskau im Jahre 1907, der erste Autobus erst 1924.7 Das bis zum Zweiten Weltkrieg dominierende öffentliche Verkehrsmittel Moskaus wurde seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Straßenbahn. 1872, anläßlich der Polytechnischen Ausstellung in Moskau, wurde von der Militärbehörde die erste Pferdebahn eingerichtet, von Iverskie vorota8 entlang der Tverskaja bis zum Smolensker (Weißrussischen) Bahnhof. Im selben Jahr vergab die Stadt an eine belgische Aktiengesellschaft auf 45 Jahre die Konzession für den Bau und Betrieb von Pferdebahnen. 1882 errichtete die Pferdebahngesellschaft auch zwei mit Dampf betriebene Linien für den Vorortverkehr, von Kutuzovskaja zastava (beim Brjansker [Kiever] Bahnhof) auf die Sperlingsberge und von Butyrskaja zastava (beim Savelover Bahnhof) nach Petrovsko-Razumovskoe. 1883 erhielt eine zweite belgische Aktiengesellschaft die Konzession für weitere
3 Ebd. Ponomarenko/Rezni5enko 1967, S. 14. Gol'c/Tarchov 1994, S. 600. Fal'kovskij 1950, S. 148. 4 Vorota ist die russische Bezeichnung für die alten Stadttore in der Innenstadt. Il'inskie vorota war ursprünglich ein Stadttor von Kitajgorod, bezeichnet heute die Durchfahrt zwischen dem Neuen und dem Alten Platz und zwischen den Straßen Il'inka und Marosejka, beim Polytechnischen Museum. 5 Zastava ist die russische Bezeichnung für die Stadttore oder Stadteinfahrten, die im 19. Jahrhundert am Stadtrand lagen. Tverskaja zastava befand sich an der Tverer Straße beim Smolensker (Weißrussischen) Bahnhof. 6 Gol'c/Tarchov 1994, S. 600. Vgl. Moskva Sbornik 1932, S. 76. 7 Ponomarenko 1967, S. 14. 8 Stadttor am Eingang zum Roten Platz, zwischen dem Historischen Museum und dem ehemaligen Gebäude der Stadtduma. Das Tor wurde in den dreißiger Jahren abgerissen und 1997 wieder aufgebaut.
Die Projekte vor 1917
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Pferdebahnen. 9 Die erste elektrische Straßenbahn wurde 1882 anläßlich der Allrussischen Kunst- und Industrieausstellung auf dem Ausstellungsgelände errichtet. 1898 wurde versuchsweise eine elektrische Straßenbahn vom Strastnoj Kloster (am heutigen Puskinplatz) über Butyrskaja zastava bis zum Petrovskij Park und von dort bis Tverskaja zastava gebaut. 10 Abb. 6: Die ersten öffentlichen Verkehrslinien Moskaus
Petrovsko-Razumovskoe ι 'VOstankino
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^Rogozskaja zastava
f Pavelecer B h f j
Kremser - - - Kremser im Sommer · · · • · Pferdebahn H+H Dampf-Vorortebahn mum elektrische Straßenbahn
Die Elektrifizierung der Pferdebahnen und der Bau neuer elektrischer Straßenbahnlinien erfolgte erst nach der Jahrhundertwende im Zuge des vorzeitigen Erwerbs der beiden belgischen Konzessionen durch die Stadt in den Jahren 1901
9 Farkovskij 1950, S. 148. Moskva Sbornik 1932, S. 76, nennt als Gründungsjahre der beiden belgischen Konzessionen 1875 und 1885. 10 Farkovskij 1950, S. 437.
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Von den ersten Projekten bis zur Entscheidung zum Bau (1897-1931)
und 1911. Die Moskauer Stadtverwaltung hatte erkannt, daß die Zeit der Pferdebahnen vorbei und ein effektiver Betrieb nur mit elektrischen Straßenbahnen möglich war. Im November 1900 trat die Stadtduma an die Erste Belgische Pferdebahngesellschaft mit dem Angebot heran, der Stadt ihr Unternehmen freiwillig gegen eine Entschädigung in Höhe von 485.000 Rubel zu übergeben. Die Konzession wäre erst 1918 ausgelaufen. Die Gesellschaft stimmte zu und übergab am 13.9.1901 ihre Rechte an die Stadt." Bereits im Jahre 1901 unternahm die Kommunalverwaltung umfangreiche Arbeiten, um die Elektrifizierung vorzubereiten. Am 1.1.1902 betrug die Streckenlänge der städtischen Pferde- und Straßenbahnen 22.528 Sazen (rund 48 Kilometer), davon waren 1.077 Sazen (2,3 Kilometer) elektrifiziert.12 In der Folge wurde kräftig investiert (jährlich rund zehn Millionen Rubel) und die Elektrifizierung und der Bau neuer Linien vorangetrieben. Bereits im Jahre 1906 übertraf die elektrische Straßenbahn die Pferdebahn bezüglich des Streckennetzes und der Beförderungsleistung: Die Gesamtstreckenlänge betrug am 1.1.1907 58.631 Sazen (125 Kilometer), davon waren 34.889 Sazen (74,4 Kilometer) elektrifiziert.13 1911 übernahm die Stadt für 1,9 Millionen Rubel auch die Linien der Zweiten Belgischen Pferdebahngesellschaft und elektrifizierte sie mit einem Aufwand von 9,85 Millionen Rubel. Zum 1.11.1911 wurden alle Linien, bis auf eine, elektrisch betrieben.14
b) Untergrund- und Stadtschnellbahnprojekte 1897-1903 Schon vor der Elektrifizierung der Straßenbahnen machte man sich in Moskau Gedanken über die Errichtung von Stadtbahn- und Untergrundbahnlinien. Ausgangspunkt der Überlegungen war die ungünstige Lage der Moskauer Bahnhöfe: Moskau hatte (und hat bis heute) keinen Zentralbahnhof, sondern eine Reihe von Kopfbahnhöfen, die damals am Stadtrand lagen. Das brachte sowohl für den Transitverkehr als auch für das Stadtzentrum erhebliche Nachteile, weil die Entfernungen von einem Kopfbahnhof zum anderen mit Pferdefuhrwerken durch die Stadt überwunden werden mußten. In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann man daher mit der Projektierung eines Eisenbahnringes, der die Stadt vom Transitverkehr entlasten sollte. 1897 erstellte die Gesellschaft der Rjazan'-Ural-Eisenbahn das Projekt eines zweigleisigen Eisenbahnringes auf dem Territorium der Stadt, mit einer dreigleisigen Durchmesserlinie, die im Zentrum zwischen Trubnajaplatz und der Il'inka als Tunnel geführt werden sollte. Das Projekt zielte in erster Linie auf den Personenverkehr. Die Idee eines Eisenbahnrings mit einer Durchmesserlinie war durch
11 12 13 14
Otöet ο dejatel'nosti Moskovskoj gorodskoj upravy za 1901 god, S. 158. Otöet ο dejatel'nosti Moskovskoj gorodskoj upravy za 1902 god, S. 134, 139. Otcet ο dejatel'nosti Moskovskoj gorodskoj upravy za 1906 god, S. 145. Zurnaly Moskovskoj gorodskoj dumy za 1911 god, S. 131, 289.
Die Projekte vor 1917
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das Beispiel von Berlin inspiriert, wo man 1871-1882 auf diese Weise das Problem der Kopfbahnhöfe angegangen war.15 Durchmesserlinien schlug auch Ingenieur E.E. Nol'tein von der Moskau-Kazan'-Eisenbahn vor.16 Abb. 7: Projekt von Antonovic 1897 (nach der Beschreibung von Antonovic; Zur Orientierung ist auch der in den Jahren 1902 bis 1907 tatsächlich gebaute Eisenbahnring eingezeichnet.)
1897 trat Ingenieur A.I. Antonovic mit einem Gegenprojekt an die Öffentlichkeit. Er argumentierte, die Hauptaufgabe des Eisenbahnringes müsse nicht der Personen-, sondern der Güterverkehr sein. Den Güterverkehr führe man aber sinnvollerweise nicht durch die Stadt, sondern außen an ihr vorbei, wo das Land weniger verbaut und billiger sei. Die Verbindung in die Stadt sollten Radiallinien herstellen. Diese könnten auch für den Passagierverkehr genutzt werden, vor allem von Leuten, die in der Stadt arbeiteten und außerhalb wohnten, sowie im Sommer für den 15 Vgl. Schleife 1992, S. 61. 16 Vinogradov, Κ.: Burzuaznye mecty ο metro i proletarskoe stroitel'stvo. Unveröffentlichtes Manuskript. GARF R-7952/7/391, Bl. 1, 7.
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Von den ersten Projekten bis zur Entscheidung zum Bau ( 1 8 9 7 - 1 9 3 1 )
Verkehr zu den Datschen. Ansonsten seien aber für den Passagierverkehr die Pferdebahnen zuständig.17 Antonovics Ringlinie sollte durch die Vororte Moskaus verlaufen. Sechs Radiallinien sollten sternförmig ins Zentrum führen (Abb. 7).18 Der Bau des Eisenbahnringes fiel in die Kompetenz des Verkehrsministeriums in St. Petersburg. Er betraf aber auch die Interessen der Stadt Moskau, die daher versuchte, auf die Entscheidung Einfluß zu nehmen. Nach der Begutachtung in einer Kommission sprach sich die Stadtduma am 30.1.1898 gegen das Projekt von Antonovic und für den Bau eines auf dem Territorium der Stadt liegenden Eisenbahnringes mit Durchmesserlinien,19 d.h. für den Bau einer Stadtoder Untergrundbahn aus, allerdings ohne daß der einschlägige Terminus gefallen wäre. Das Verkehrsministerium beschloß wenig später, ohne die Einwände der Stadt Moskau zu berücksichtigen, den Bau eines Eisenbahnringes, der dem von Antonovic vorgeschlagenen ähnelte, aber zum Teil noch weiter außerhalb der Stadt lag. Der Bau erfolgte in den Jahren 1902 bis 1907.20 Als der Verlauf des Eisenbahnringes feststand, erschienen weitere Projekte für Stadt- bzw. Untergrundbahnen, an denen das Verkehrsministerium sein Interesse erkennen ließ. 1901 finanzierte es den Druck eines dreibändigen Werkes über Stadtschnellbahnen im internationalen Vergleich.21 Der Verfasser, Ingenieur Girsson, hatte zum Studium der Verkehrssysteme mehrere europäische und amerikanische Städte bereist. Er kam zu dem Ergebnis, daß das schnelle Wachstum der Industrie und des Eisenbahnnetzes auch in Rußland Stadtschnellbahnen erforderlich mache. In Moskau sei die Frage besonders brennend, um die Straßen vom Verkehr zu den Bahnhöfen zu entlasten.22 1902 publizierte Girsson zwei Broschüren über das Projekt einer unterirdischen Stadtschnellbahn für St. Petersburg.23 Die Initiativen der Ingenieure und ihre Unterstützung durch das russische Verkehrsministerium zeugen von fortschrittlichem Denken, denn zu dieser Zeit waren noch nicht einmal die Untergrundbahnen von Berlin (1902) und New York (1904) fertiggestellt. In Betrieb waren erst die Londoner (Dampfbetrieb seit 1860, elektrifiziert 1890), die Budapester (1896) und die Pariser Metro (1900) sowie Stadtschnellbahnen in verschiedenen europäischen und amerikanischen Städten.24
17 Antonovic: Zapiska 1897, S. 19-22, 25, 32-33. 18 In einem zweiten Buch erläuterte Antonovic sein Projekt näher: Antonovic: Soobrazenija 1897, v.a. S. 5-7, 23-27. 19 Zurnaly Moskovskoj gorodskoj dumy za 1898 god, S. 14. 20 Pikul': Metro 1986, S. 7. 21 Girsson: Gorodskie dorogi 1900-1901. 22 Ebd., Vorwort. 23 Girsson: Podzemnaja 1902. Girsson: Kvoprosu 1902. 24 Vgl. Kuhlmann 1981, S. 47. Makovskij: Pervaja ocered' 1981, S. 91. - Die erste elektrische Schnellbahn Europas wurde 1898 zwischen Düsseldorf und Krefeld in Betrieb genommen (die heutige Stadtbahnlinie U 76). (Manter 1996, S. 15).
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D e n ersten Vorschlag für eine, ausdrücklich als „Metropolitain" bezeichnete, elektrische Stadtschnellbahn in Moskau machten im Juni 1901 der Adelige K.V. Trubnikov und Ingenieur K.I. Gucevic. Sie suchten beim Innenministerium um die Genehmigung an, geologische Bohrungen für die Vorbereitung eines Projektes anstellen zu dürfen. Das Innenministerium verwies den Antrag an die Stadtduma. 25 Da die beiden Antragsteller auf Nachfragen, welche Arbeiten konkret vorgesehen seien, nur vage Auskünfte gaben, wurde ihr Ansinnen abgelehnt. Außerdem hatte Ingenieur Gucevic in der Zwischenzeit seine Teilnahme an dem Vorhaben zurückgezogen. 2 6 Ebenso wenig Resonanz wie Trubnikov und Gucevic fanden 1902 die Ingenieure A.I. Antonovic, N.I. Golinevic und N.P. Dmitriev, deren als aufwendiges B u c h publiziertes Projekt eine Ringlinie, vier Radiallinien, den Anschluß an den Eisenbahnring und einen Zentralbahnhof vorsah (Abb. 8). 2 7 Antonovic, Golinevic und Dmitriev wandten sich nicht an die Regierung in St. Petersburg, sondern unmittelbar an die Stadt Moskau und bemühten sich, den schon spürbar gewordenen Vorbehalten der Stadtduma g e g e n private Konzessionen entgegenzuwirken und das Unternehmen als lukrativ für die Stadt darzustellen. 28
25 Zurnaly Moskovskoj gorodskoj dumy za 1901 g, S. 80. Stenografideskie otöety ο sobranijach Moskovskoj gorodskoj dumy za 1901 god, S. 360. 26 Bericht Nr. 228 der Eisenbahnkommission, 12.8.1902, S. 2-5. In: Doklady Moskovskoj gorodskoj dumy za 1902 god. - Das Projekt hätte die Verbindung aller Moskauer Bahnhöfe durch eine Ringlinie sowie Anschlußzweige zu den Eisenbahnen vorgesehen. Die Ringlinie sollte im wesentlichen unter dem Gartenring, also rund um das Stadtzentrum, verlaufen, mit Ausbuchtungen hin zu den Bahnhöfen und ins Industriegebiet Lefortovo (im Nordosten Moskaus). Sie sollte im nördlichen Teil unterirdisch geführt werden, im südlichen auf Viadukten, dazwischen in einer unterirdischen Galerie, und sowohl dem Güter- als auch dem Personenverkehr dienen. Die Kosten wurden mit 50 Millionen Rubel veranschlagt. Trubnikov und GuceviC schwebte dabei vor, daß die in der Stadt gelegenen Fabriken und Warenlager allmählich in die Vororte abwandern und sich entlang der zehn nach Moskau führenden Eisenbahnen ansiedeln würden. Das hätte die hygienischen Bedingungen in der Stadt verbessert. Die verkehrstechnische Anbindung ans Zentrum sollte es auch der Bevölkerung erleichtern, sich in den Vororten niederzulassen. (Trubnikov, K.V., GuceviC, K.I.: Pojasnitel'naja zapiska k proektu gorodskoj zeleznoj dorogi bol'soj skorosti ν Moskve. Beilage zum Bericht Nr. 228 der Eisenbahnkommission vom 12.8.1902, S. 7-13. In: Doklady Moskovskoj gorodskoj dumy za 1902 god.). - Der von Trubnikov und Gucevic beschriebene Verlauf der Ringlinie entspricht weitgehend der in den fünfziger Jahren dann tatsächlich gebauten Ringlinie der Untergrundbahn. 27 AntonoviC/GolineviC/Dmitriev 1902. Das Buch ist aufwendig gestaltet, in dickes rotes Leder gebunden, mit goldgeprägter Schrift, die Illustrationen sind als Stahlstiche ausgeführt. Nikolaj JustinoviC GolineviC war Brückenbauingenieur und Verfasser einer Reihe einschlägiger Bücher. Über Nikolaj Petrovii Dmitriev ist weiter nichts bekannt. 28 AntonoviC: Kratkaja zapiska 1902, S. 3-6. Antonovic: Proekt 1902, S. 3: Die Beteiligung ausländischen Kapitals bestehe nur in der Realisierung von Obligationen auf ausländischen Geldmärkten. Herrin des Unternehmens werde die Stadt Moskau sein, in ihren Händen werde der künftige Gewinn liegen, denn nach der Inbetriebnahme werde die Trägergesellschaft jährlich aus den Erträgen der Stadt die Zinsen und Tilgung der für die Finanzierung erforderlichen Obligationen zahlen. Nach 25 Jahren sollte die Bahn in das Eigentum und die Leitung der Stadt übergehen. Von der Stadt werde nichts weiter gefordert, als für die Obligationen in Höhe
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Von den ersten Projekten bis zur Entscheidung zum Bau (1897-1931)
Das Projekt sah eine neue Ringstraße zwischen dem Garten- und dem Eisenbahnring entlang des Kammerkollegienwalls vor. Sie sollte mit 30 Sazen (64 Meter) erheblich breiter sein als der Gartenring (15-20 Sazen bzw. 32^*3 Meter), verkehrsgünstige neue Wohngebiete erschließen und damit die Zersiedelung des Umlandes verhindern. Entlang der neuen Ringstraße sollte eine Eisenbahn gebaut werden, überwiegend auf Dämmen und Viadukten, nur zu geringem Teil in Tunneln. Vier Radiallinien sollten in Tunneln und auf Viadukten ins Zentrum führen und im Alexandergarten beim Kreml in einen dreigeschossigen Zentralbahnhof münden. Abb. 8: Projekt von Antonovic, Golinevic und Das ganze Netz sollte mit einem für Dmitriev 1902 (Moskov: Ο moskovskom meGüterwaggons geeigneten Durchfahrtstropolitene 1929, S. 115). profil gebaut werden. An verschiedenen Stellen in der Stadt sollten unterirdische Güterstationen errichtet werden, die nachts, wenn der Personenverkehr ruhte, angefahren werden sollten. Die entlang des Kammerkollegienwalls liegenden Fabriken und Lager sollten durch Verbindungszweige an die Ringlinie angebunden, auf längere Sicht aber, mit fortschreitender Besiedlung des Territoriums, aus der Stadt hinaus an den Eisenbahnring verlegt werden. Die Gesamtkosten für das Projekt veranschlagten die Autoren auf 96 Millionen Rubel, die Bauzeit mit fünf Jahren.29 Die Stadtduma beauftragte im Dezember 1902 die Eisenbahnkommission mit der Begutachtung des Projekts. 3 0 Am 9.4.1904 erhielt Golinevic die Entwürfe zurück. Die Stadtduma hatte das Projekt abgelehnt und dabei stillschweigend ihre Entscheidung über ein anderes Projekt auf jenes von Antonovic, Golinevic und Dmitriev übertragen. 3 1 Das erwähnte andere Projekt war das der Ingenieure E.K. Rnorre und P.I. Balinskij, das in der Öffentlichkeit und bei den Behörden großes Aufsehen erregte. Balinskij hatte schon 1898 und 1900 für St. Petersburg Projekte eines Eisenbahn-
von 128 Millionen Rubel den Investoren vier Prozent Zinsen zu garantieren und von der Gesellschaft Waggons und Strom für das Straßenbahnnetz zu beziehen. Darin läge aber kein Risiko, denn das Unternehmen werde in Europa allgemein als gewinnträchtig beurteilt. Als Eigenkapital sollte die Gesellschaft nur zwölf Millionen Rubel aufbringen, als Pfand für die Erfüllung der Verpflichtungen. 29 Antonovie/Golinevic/Dmitriev 1902, S. 5-12, 28. Vgl. Pikul' 1986, S. 8-9. 30 Zurnaly Moskovskoj gorodskoj dumy za 1902 god, S. 201. 31 Vinogradov, Κ.: Burzuaznye meöty ο metro i proletarskoe stroitelstvo. Unveröffentlichtes Manuskript. GARF R-7952/7/391, Bl. 64-65.
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rings, verbunden mit einer Stadtschnellbahn und einem Zentralbahnhof vorgestellt,32 die allerdings abgelehnt worden waren. 1901 tat sich Balinskij mit dem amerikanischen Straßenbahnunternehmer Merry A. Werner33 zusammen. Die beiden legten ein gemeinsames Projekt für eine Stadtschnellbahn und die Elektrifizierung der St. Petersburger Straßenbahnen vor,34 das von der Stadtduma wegen grundsätzlicher Bedenken gegen ausländische Konzessionen ebenfalls zurückgewiesen wurde.35 Parallel zu den Projekten für St. Petersburg versuchte Balinskij sein Glück auch in Moskau und erstellte ein Projekt für eine Stadtschnellbahn.36 Gemeinsam mit dem bekannten Ingenieur und Erbauer von Brücken der Transsibirischen Eisenbahn, Professor E.K. Knorre37, reichte er im Mai 1902 die überarbeitete Version des Projekts beim Moskauer Generalgouverneur und beim Finanzministerium ein. Beide gaben es an die Moskauer Stadtduma weiter. Parallel dazu wurde auf Anordnung des Zaren im August 1902 eine besondere Beratung aus Vertretern mehrerer Ministerien zur Begutachtung gebildet.38 Mit großem propagandistischem Aufwand erläuterte Balinskij sein Projekt (Abb. 9) am 18.9.1902 im Saal der Stadtduma, den er vorher ringsum mit Gemälden39 dekoriert hatte, auf denen Stadtansichten mit der künftigen Stadtbahn zu bewundern waren.40 Balinskij illustrierte sein Vorhaben mit zahlreichen Schautafeln und verglich immer wieder mit New York, Paris, London und Berlin. Die Kosten bezifferte er mit 155 Millionen Rubel, die durch Aktien und Obligationen aufgebracht werden sollten.41 Außerdem schloß die beantragte Konzession, zwecks Finanzierung des Baus, die Übernahme der Moskauer Straßenbahnen ein 42
32 Balinskij 1901. 33 Die Schreibung ist unklar, da der Name in den Quellen nur in der russischen Transliteration „Merri A. Verner" aufscheint. 34 Finanzministerium. Departement fur Eisenbahnangelegenheiten. Aufzeichnung über Verkehrsverbesserungen in St. Petersburg und Moskau, 22.5.1902. CIAM 179/3/2220, Bl. 1-3. 35 Bericht der Vorbereitungskommission der St. Petersburger Stadtduma über die Konzession für Werner und Balinskij, 10.9.1902. CIAM 179/21/2042, Bl. 177. 36 Pikul': Predäestvenniki 1993, S. 58-59. - Eine Skizze dieses Projektes ist ohne weitere Informationen enthalten in GARF R-7952/7/105. 37 Evgenij KarloviC Knorre hatte in Deutschland studiert und sich schon um 1890 mit Problemen der städtischen Infrastruktur befaßt. 1891 verfaßte er gemeinsam mit V.G. Suchov ein Buch über die Wasserversorgung Moskaus. Außerdem stammen von ihm einige Publikationen zum Goldbergbau in Sibirien. (Katalog der Russischen Staatsbibliothek). 38 Izvestija Moskovskoj gorodskoj dumy. Otdel obscij (1903), Nr. 5, S. 23-27. 39 Es handelte sich um Aquarelle des Malers N.N. Karazin. Zwei davon, die den Roten Platz mit dem Viadukt der Stadtbahn zeigen, sind auf der Internetseite der Moskauer Untergrundbahn abgelegt (http://www.metro.ru:8080/projects/1902.html [7.12.2000]). 40 Ingenieur Kazatkin in: Vestnik Moskovsko-Kurskoj, Nizegorodskoj i Muromskoj ZeleznychDorog Nr. 29,4.10.1902, S. 10-12. CIAM 179/21/2042, Bl. 124-125. 41 Information des Ing. P.I. Balinskij über das Projekt einer Stadtschnellbahn auf eigenem Gleiskörper (metropolitain) in Moskau, vorgetragen im Großen Saal der Moskauer Stadtduma am 18.9.1902. CIAM 179/21/2042, Bl. 227-230. Vgl. Bericht Nr. 1 der Moskauer Stadtverwaltung und der Eisenbahnkommission, 31.1.1903 In: Doklady Moskovskoj gorodskoj upravy za
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Das Einreichen des Projekts bei der Regierung rief bei der Stadtduma Empörung hervor, weil sie ihre städtischen Kompetenzen verletzt sah.43 Balinskij rechtfertigte es damit, daß die von ihm geplanten Bahnen vom Anschluß an die Eisenbahnen abhingen.44 Doch auch das Vorhaben selbst barg für die Stadtselbstverwaltung erheblichen Konfliktstoff: Die Stadt hatte eben erst die Straßenbahnen erworben und war nicht geneigt, sie schon wieder an einen privaten Konzessionär abzutreten, zumal sie als eine der wichtigsten kommunalen Einnahmequellen galten.45 Die geplanten Verkehrsschneisen hätten umfangreiche Enteignungen bedeutet. Außerdem standen hinter dem Projekt ungenannte ausländische Kapitalisten. Es verwundert daher nicht, daß sich einflußreiche Gegner des Projekts fanden, nicht zuletzt in Kreisen der Haus- und Grundbesitzer, der Industriellen und der Betreiber der Pferdebahn.
Abb. 9: Projekt von Knorre und Balinskij 1902 (gezeichnet nach der Skizze in GARF 7952/7/105, ergänzt durch die Angaben von Balinskij in seinem Vortrag)
Die projektierte Stadtschnellbahn sah zwei miteinander verbundene Ringlinien entlang der Boulevards und des Gartenringes mit einer Zentralstation unter dem Theaterplatz vor. Von dort führte eine Durchmesserlinie über die Kalancevka (K, Platz der drei Bahnhöfe) Richtung Sokol'niki (S) und weiter zum Eisenbahnring, in die entgegengesetzte Richtung zum Neujungfernkloster (N) und zum Eisenbahnring. Südlich der Basiliuskathedrale sollte am Roten Platz ein Zentralbahnhof errichtet werden. Von dort führte eine Durchmesserlinie nach Norden und Süden durch die Stadt bis an den Eisenbahnring, eine weitere entlang des Flusses Jauza nach Cerkizovo (C) sowie eine über die Moskva zum Pavelecer Bahnhof (P). Zwei weitere Radien verbanden den Gartenring mit dem Eisenbahnring. Am Roten Platz und an einigen Abschnitten im Zentrum sollte der Zugverkehr un-
1903 g. - Die Anlage neuer bzw. Verbreiterung bestehender Ausfallstraßen nahm ein wichtiges Element des 1935 beschlossenen Generalplans zur Rekonstruktion Moskaus vorweg. 42 E.K. Knorre und P.I. Balinskij. Eingabe an den Moskauer Generalgouverneur Großfürst Sergej Aleksandrovic, 15.5.1902. CIAM 179/21/2042, Bl. 7. 43 Izvestija Moskovskoj gorodskoj dumy. Otdel obscij (1903), Nr. 5, S. 23-27. 44 Information des Ing. P.I. Balinskij über das Projekt einer Stadtschnellbahn auf eigenem Gleiskörper (metropolitain) in Moskau, vorgetragen im Großen Saal der Moskauer Stadtduma am 18.9.1902. CIAM 179/21/2042, Bl. 217. 45 Izvestija Moskovskoj gorodskoj dumy. Otdel obscij (1903), Nr. 5, S. 24.
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terirdisch laufen, ansonsten überwiegend auf Viadukten. Die entlang des Flusses Jauza geplante Linie war der 1901 fertiggestellten Wuppertaler Schwebebahn nachempfunden, die Knorre in Deutschland kennengelernt hatte. Die Linien sollten zum Teil entlang neu anzulegender Ausfallstraßen (Prospekte) errichtet werden: Zwischen Historischem Museum und Kremlmauer beginnend, sollte parallel zur Tverskaja eine Schneise durch die Stadt Richtung Smolensker Bahnhof und zum Petrovskij Park (PP) geschlagen werden, die mit mehr als 200 Metern Breite die ChampsElysees übertroffen hätte. Der neue Prospekt umfaßte eine Hauptfahrbahn, Nebenfahrbahnen, kleine Boulevards für Fußgänger, darüber die Viadukte und zusätzlich fur den Güterverkehr eine unterirdische Eisenbahn. Ein zweiter solcher Prospekt sollte von der Lubjanka Richtung Kalancevka (K) fuhren.
Zum Wortführer der Opposition machte sich der Abgeordnete der Moskauer Stadtduma A.I. Guckov.46 Auf seinen Antrag hin petitionierte die Stadt beim Innenminister, daß über das Projekt nicht entschieden werde, bevor nicht seitens der Moskauer Stadtduma ein Urteil vorliege, und daß niemandem eine Straßenbahnkonzession erteilt werde.47 Die Petersburger Regierung ging demgegenüber grundsätzlich wohlwollend an das Projekt heran. Finanzminister Vitte beurteilte das Unternehmen als für die russische Wirtschaft nützlich, da die Konzessionäre keinerlei Subsidien oder zollfreie Einfuhr erbäten und den Bau unter Beteiligung russischer Fabriken mit einheimischen Materialien durchführen wollten 48 Die Moskauer Stadtduma beschloß am 4.2.1903, bei der Regierung zu petitionieren, daß das Projekt von Knorre und Balinskij abgelehnt und das Recht auf die Errichtung und den Betrieb verbesserter Verkehrsmittel in Moskau keinem Privatunternehmer gewährt werde. Als Begründungen wurden angeführt, daß der Bau von Stadtbahnen verfrüht, das Projekt „dem Wohl der Stadt und den Interessen der Bevölkerung abträglich" und hinsichtlich der Streckenführung ungeeignet sei, daß die Übergabe der Straßenbahnen an einen Konzessionär der Stadt eine wichtige Einnahmequelle entziehe und der von den Konzessionären vorgesehene Ausbau der Straßenbahnen auf hundert Werst weit hinter dem von der Stadtver-
46 Aleksandr Ivanovic Guikov (1862-1936) entstammte einer der einflußreichsten Moskauer Unternehmerfamilien, war 1893-1897 Mitglied der Moskauer Stadtverwaltung, 18971907 Abgeordneter der Moskauer Stadtduma, ab 1906 Führer der Oktobristenpartei, 1910/11 Vorsitzender der Dritten Staatsduma. Sein Bruder Nikolaj Ivanovii (1860-1935) war 18931916 Abgeordneter der Moskauer Stadtduma, übte 1905-1913 das Amt des Moskauer Stadtoberhaupts aus. 47 Antrag des Abgeordneten A.I. Guckov an die Moskauer Stadtduma, 30.7.1902. CIAM 179/21/2042, Bl. 16-17. Brief des Moskauer Stadtoberhaupts Fürst Golicyn an Innenminister von Pleve, 1.8.1902. Ebd., Bl. 25-28. 48 Finanzminister Vitte an das Moskauer Stadtoberhaupt Fürst V.M. Golicyn, 21.5.1902. CIAM 179/21/2042, Bl. 9.
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waltung bestätigten Netz von 190 Werst zurückbleibe.49 Am 20.2.1903 wurde das Projekt auch „allerhöchst" abgelehnt.50 In der Presse hatte das Unternehmen ein heftiges Echo ausgelöst. Die Zeitung Novoe Vremja schürte die Angst vor dem Einfluß ausländischen Kapitals.51 Die Russkie Vedomosti argumentierten sachlich gegen die Übergabe der Straßenbahnen an Konzessionäre und verteidigten das Recht der Stadtduma auf Handlungsfreiheit ohne Einmischung der Regierung.52 Russkoe Slovo verhöhnte das Projekt als das „Werk eines Gymnasiasten" und bezeichnete Balinskij als Strohmann ausländischer Kapitalisten. Die Zeitschrift Budil'nik brachte einige Karikaturen zu Balinskij, zum Beispiel einen ausländischen Koch, der einer Frau eine Pirogge mit der Aufschrift „Metropoliten" präsentiert. Darunter der Text: „Mütterchen, probiere mein Gericht." Die Frau: „Ich esse gern, aber nur russisch, deine Luftpirogge ist nichts für meinen Magen. Mögen meine Enkel dein Gericht kosten." Die Zeitschrift Russkaja Mysl' bezeichnete Balinskij als „Mann, von dem man nicht weiß, woher er kommt". Einzig das Blatt Moskovskij Listok vertrat eine abweichende Linie: Es publizierte das Projekt von Balinskij und verteidigte es gegen die Angriffe.53 Unter die Gegner reihte sich auch die Orthodoxe Kirche ein. Erzbischof Sergij schrieb 1903 an den Metropoliten von Moskau, es sei ein sündiger Traum und eine Erniedrigung des Menschen, wenn er in die Unterwelt hinabsteige.54 Die immer wieder zitierte sowjetische Darstellung, das Projekt sei wegen des Einspruchs der Kirche abgelehnt worden,55 ist jedoch eine polemische Verzerrung. Der als Beleg angeführte Brief der Kaiserlich Moskauer Archäologischen Gesellschaft vom November 1902,56 in dem sie ihre Sorge um die Fundamente und den Anblick zahlreicher Kirchenbauten zum Ausdruck brachte, war im Entscheidungsprozeß eine Marginalie. Die Angst vor dem ausländischen Kapital fand skurrilerweise auch Eingang in das 1905 von einem Geistlichen publizierte antisemitische Elaborat der „Protokolle der Weisen von Zion": In allen Hauptstädten würden
49 Zurnaly Moskovskoj gorodskoj dumy za 1903 god, S. 20-21. - Einer der Ingenieure, die das Projekt als nicht ausgereift beurteilten, war übrigens Kollegiensekretär V.L. Nikolai, der ab 1931 führend in der Planungsabteilung von Metrostroj tätig war. (Zumal der Beratung der Kommission des Geheimrates I.A. Zvegincev zur Überprüfung der Kosten fur das Projekt Knorre/Balinskij. Sitzungen vom 7.-9. und 12.11.1902. CIAM 179/21/2042, Bl. 467, 479.) 50 Vinogradov, Κ.: Burzuaznye mecty ο metro i proletarskoe stroitelstvo. Unveröffentlichtes Manuskript. GARF R-7952/7/391, Bl. 14. 51 Z.B. Novoe Vremja Nr. 9487 (1902). Ausschnitt in CIAM 179/21/2042, Bl. 144. 52 Z.B. Russkie Vedomosti, 22.8.1902. Vinogradov: Burzuaznye mecty. GARF R7952/7/391, Bl. 65-66. 53 Vinogradov: Burzuaznye meöty. GARF R-7952/7/391, Bl. 66-69. 54 Fal'kovskij 1950, S. 230. 55 Z.B. Makovskij 1981, S. 91 und zahlreiche Publikationen der dreißiger Jahre (siehe Kap. VII.2.a). 56 Kaiserlich Moskauer Archäologische Gesellschaft an das Moskauer Stadtoberhaupt Golicyn, 23.11.1902. CIAM 179/21/2042, Bl. 212.
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demnach zu terroristischen Zwecken „Metropolitain-Gänge" vorgetrieben, mit deren Hilfe man die Städte durch Sprengungen zerstören könne. 5 7
c) Untergrund- und Stadtschnellbahnprojekte 1 9 1 1 - 1 9 1 6 Hatte die Stadtduma 1903 bei der Ablehnung des Projektes von Knorre und Balinskij noch argumentiert, daß die Bedürfnisse der Bevölkerung durch die Erweiterung des Straßenbahnnetzes völlig befriedigt würden, zeichnete sich einige Jahre später bereits ab, daß die Straßenbahnen dem wachsenden Verkehrsaufkommen nicht mehr gewachsen waren und der Ausbau des Streckennetzes im Zentrum an die Grenzen des Möglichen stieß. Verzeichneten die städtischen Pferde- und Straßenbahnen im Jahre 1902 4 4 , 4 Millionen Beförderungsfalle, 5 8 waren es 1911 bereits 185 Millionen, bei stark steigender Tendenz.
Tabelle 1: Entwicklung des Straßenbahnverkehrs in Moskau 1902—191559 Jahr
Einwohner
1902 1911 1912 1913 1914 1915
1,175.000 1,563.000 1,618.000 1,740.000 1,862.000 1,984.000
Beforderungsfälle in Mill.
44,4 185,0 233,8 257,4 282,1 310,9
Fahrten je Einwohner
37,8 118,3 144,5 148,0 151,5 156,7
Durchschn. Zahl der Waggons auf den Linien 587 764 816 863 893
Jährliche Zunahme der Bevölkerung in Prozent
3,5 7,5 7,0 6,7
Jährliche Zunahme der Passagiere in Prozent
26,3 10,1 9,7 10,2
1915 erreichte das Intervall zwischen zwei Straßenbahnen am Theaterplatz dreißig Sekunden, bei der Lubjanka zwanzig Sekunden. D i e Geschwindigkeit sank
57 Nilus: Velikoe 1905, S. 349. - In der Ausgabe von 1911 weist der Herausgeber in einer Fußnote darauf hin, daß auch in Moskau und St. Petersburg schon „internationale" [Hervorhebung im Original] Komitees den Bau solcher „unterirdischer Straßenbahngänge" betrieben hätten. (Nilus: Bliz 1911, S. 84.) - Heute kursiert übrigens in Kreisen russischer Nationalisten die nicht weniger absurde Behauptung, der Plan der Moskauer Metro lasse bei aufmerksamer Betrachtung einen sechszackigen Davidstern erkennen, der die Herrschaft der Juden über die russische Hauptstadt verkünde. Schließlich sei die Metro unter der Leitung von Kaganoviö gebaut worden, dem einzigen Juden im inneren Kreis der stalinschen Führung. (Groys: U-Bahn als UTopie 1995, S. 165). 58 Otiet ο dejatel'nosti Moskovskoj gorodskoj upravy za 1902 god, S. 134, 139. 59 Novaja Moskva 1924, S. 46, ergänzt um die Angaben für 1902. - Eine andere Quelle sprach für 1902 von 59 Fahrten je Einwohner im Jahr. (Bericht der Moskauer Stadtverwaltung Nr. 79, 25.2.1912, S. 8. In: Doklady Moskovskoj gorodskoj upravy za 1912 god.)
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auf fünf bis sechs Stundenkilometer und die Straßen waren im Zentrum mit Straßenbahnen verstopft.60 Ein großer Teil des Verkehrsaufkommens entfiel auf Passagiere, die aus den Vororten Moskaus mit der Eisenbahn in den Kopfbahnhöfen ankamen und von dort mit der Straßenbahn in oder durch das Zentrum fuhren. 1911/12 hatte sich auch bei den Moskauer Stadtvätern die Überzeugung durchgesetzt, daß die Zeit für eine Untergrundbahn reif sei. 1911 schlugen sie der Stadtduma den Bau eines Straßenbahntunnels unter dem Lubjanskij proezd, der Il'inka und dem Roten Platz vor, um das Zentrum zu entlasten. In ihrem Bericht wies die Stadtverwaltung darauf hin, daß der Tunnel in eine künftige Untergrundbahn integriert werden könne, und legte dem Bericht auch schon ein Linienschema für die Untergrundbahn bei,61 das unter der Federführung des Leiters der Moskauer städtischen Eisenbahnen (Moskovskie Gorodskie Zeleznye Dorogi, MGZD)61, M.K. Polivanov, erstellt worden war.63 Im Juni 1911 reichte der Eisenbahningenieur K.K. Ruin ein Projekt im Verkehrsministerium ein. Im Februar 1912 folgte Professor E.K. Knorre mit einem neuen Vorschlag.64 Die Moskauer Stadtduma reagierte darauf 1912 mit der Überarbeitung des eigenen Projekts.65 Im Januar 1913 traf schließlich im Verkehrsund im Finanzministerium ein vierter Antrag ein, von den Herren Ja.I. Utin, A.I. Vysnegradskij, A.I. Guckov, A.I. Gennert und G.D. Hoff. 66 Da die ablehnende Haltung der Stadt Moskau gegenüber privaten Konzessionen in der Kommunalwirtschaft bekannt war, konzipierten die privaten Unternehmer ihre Projekte so, daß sie überwiegend dem Eisenbahnverkehr dienten und somit in die Zuständigkeit des Verkehrsministers fielen.
60 Novaja Moskva 1924, S. 47. 61 Moskov: Ο moskovskom 1929, S. 115. - In den Berichten der Moskauer Stadtverwaltung in der Russischen Staatsbibliothek und im Historischen Stadtarchiv ist der erwähnte Bericht nicht enthalten. Die Sammlungen der Berichte sind allerdings unvollständig. Eine Akte, die möglicherweise Material enthält, war mir wegen Restaurierung nicht zugänglich. Das Linienschema ist abgedruckt bei Moskov: Ο moskovskom 1929, S. 116. Es stimmt weitgehend mit dem Entwurf von Knorre und MGZD (Abb. 12) überein, mit dem Unterschied, daß die Durchmesserlinien in der Nähe der Bahnhöfe mit Kehren endeten. 62 Der Begriff ist etwas irreführend. MGZD umfaßte die elektrischen Straßenbahnen und die Pferdebahnen. 63 Smakov 1923, S. 33. 64 Abschrift des Journals der interministeriellen Kommission zur Begutachtung der Frage des Baus einer Stadtschnellbahn in Moskau und der Elektrifizierung der Vorortbahnen und der Moskauer Ringeisenbahn. 1., 7., 12. und 13.3.1914. GARF R-7952/7/111, Bl. 6-9. 65 Zurnaly Moskovskoj gorodskoj dumy za 1912 g, S. 71-72. 66 Pojasnitel'naja zapiska 1913.
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Abb. 10 (links) und 11 (rechts): Projekte von Ruin 1912 und von Utin, Vysnegradskij, Guikov, Gennert und Hoff 1913 (Moskov 1929, S. 116-117, ergänzt um die von Ruin beschriebene Anbindung des Bijansker Bahnhofs) Das Bauvorhaben von Ingenieur Ruin 67 (Abb. 10) sah die Elektrifizierung des Eisenbahnrings und des Vorortverkehrs sowie eine Durchmesserlinie durch die Stadt vor, die mit Verbindungszweigen zu fast allen Eisenbahnen Anschlüsse herstellte. Über den Durchmesser sollten zwar auch innerstädtische Züge fahren, aber der eigentliche Zweck war die Anbindung der Vororte an das Zentrum. 68 Die Kosten bezifferte Ruin mit 80,6 Millionen Rubel. 69 Hinter Ruin stand ein englisches Finanzsyndikat, geführt vom Bankhaus Emile Erlanger & Co.70, das mit der deutschen AEG zusammenarbeitete. 71 Das Projekt der Gruppe Utin, Vysnegradskij, Guckov, Gennert und Hoff 72 (Abb. 11) war ausschließlich auf den Eisenbahnverkehr ausgerichtet. Die Autoren betonten, der Bau einer Untergrundbahn sei davon unberührt. 73 Kernstück waren je ein zentraler Personenund Güterbahnhof im Zentrum (zwischen Lubjanka, Tverskaja und Ochotnyj ijad) und die Errichtung eines Hochhauses mit Geschäften, Hotels, Bädern, Banken, Kühlhäusern und einem zentralen Lebensmittelmarkt. Der gesamte Zugverkehr von und nach Moskau sollte in diesen Bahnhöfen abgefertigt werden. Hierzu wollte man einen unterirdischen Verbin-
67 Ruin 1912. 68 Moäkov: Ο moskovskom 1929, S. 116-117. 69 Kratkoe soderzanie 1913, S. 12. 70 Erlanger an Ruin, 2.11.1912. RGIA 268/3/1253, Bl. 224. Ruin an den Finanzminister, 17.1.1913. Ebd., Bl. 225. Zitiert nach Djakin 1971, S. 187. 71 Die Engländer wollten sich um die Finanzierung kümmern, die AEG sollte den Bau durchführen. (Handelsvertretung der RSFSR in Deutschland, Stomon'jakov, an den Vorsitzenden des Mossovet, Kamenev, 27.11.1923. CGAMO 66/19/161, Bl. 237). 72 Zu A.I. Guckov siehe Fußnote 54. Aleksandr IvanoviC VySnegradskij war 1902-1910 Mitglied der Leitung der Russisch-Chinesischen Bank, 1906-1917 leitender Direktor der Petersburger Internationalen Kommerzbank, A.I. Gennert war Abgeordneter der Moskauer Stadtduma, Ja.I. Utin ein Bankier. G.D. Hoff war ein amerikanischer Ingenieur. 73 Hoffan das Moskauer Stadtoberhaupt, 3.5.1913. CIAM 179/21/2044, Bl. 89.
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dungszweig von der Kursker Eisenbahn ins Zentrum bauen. Später sollte diese Linie über den Arbat bis zum Bijansker Bahnhof verlängert und dadurch zu einem Durchmesser werden. Die mit 83,8 Millionen Rubel kalkulierten Kosten sollten durch eine Aktiengesellschaft ohne Belastung der Staatskasse aufgebracht werden. Die Investoren, ein Konsortium russischer und amerikanischer Banken,74 versprachen sich von der Verpachtung der Räumlichkeiten in den Bahnhöfen hohe Gewinne.75 Das Unternehmen sollte von russischen, britischen und amerikanischen Ingenieuren und Architekten verwirklicht werden.76 Das städtische Projekt und jenes von Professor Knorre waren unter wechselseitiger Beeinflussung entstanden. Knorre war 1911 von der Stadtverwaltung konsultiert worden und hatte empfohlen, deutsches Kapital heranzuziehen und Zuggarnituren der Firma Siemens zu kaufen. Die Planung der Stadtverwaltung von 1911 hatte eine Untergrundbahn rein städtischen Typs vorgesehen, ohne Anbindung an die Eisenbahnen. Die Linien endeten mit Kehren in der Nähe der Bahnhöfe. Knorre übernahm 1912 das Linienschema der Stadtverwaltung als Grundlage für ein eigenes Projekt, kehrte aber zu seiner Idee von 1902 zurück, die Vorortzüge durch die Stadt zu leiten. Die drei Durchmesserlinien sollten mit den Eisenbahnmagistralen verbunden und deren Vorortabschnitte elektrifiziert werden.77 Bei ihrer Überarbeitung des Projekts 1912/13 übernahm die Stadtverwaltung nun ihrerseits die Modifikation Knorres, um für die Begutachtung bei der Regierung den privaten Plänen etwas Gleichartiges entgegensetzen zu können. Im Ergebnis waren die beiden Projekte fast identisch (Abb. 12). Sie unterschieden sich nur in der Bauweise: Knorre, der als Bauführer die Firma Siemens & Halske vorschlug,78 die die Berliner Untergrundbahn baute, plante folgerichtig in Berliner Bauweise, die Stadtverwaltung in Pariser Bauweise.79 Die Kosten bezifferte Knorre mit 72 Millionen Rubel. Sie sollten durch Obligationen aufgebracht werden.80 Die für 55 Jahre beantragte Konzession sollte auch die Elektrifizierung des Eisenbahnringes und der Vororteabschnitte aller staatlichen Eisenbahnen und den Betrieb des gesamten elektrifizierten Vorortverkehrs einschließen.81 Die Stadtverwaltung rechnete für ihr eigenes Vorhaben mit 92,5 Millionen Rubel.82 74 Journal der interministeriellen Kommission zur Begutachtung der Frage des Baus einer Stadtschnellbahn in Moskau und der Elektrifizierung der Vorortbahnen und der Moskauer Ringeisenbahn. 1., 7., 12. und 13.3.1914. GARF R-7952/7/111, Bl. 14. Vgl. Kratkoe soderzanie 1913, S. 19-20. - Die Zeitung Russkoe Slovo verband das Projekt mit dem Namen Morgan. (Russkoe Slovo Nr. 17. 20.1.1913). 75 Hoffan das Moskauer Stadtoberhaupt, 3.5.1913. CIAM 179/21/2044, Bl. 89. Eingabe der Herren Utin, Vysnegradskij, Gußkov, Gennert, Hoff an den Verkehrsminister, 7.1.1913. GARF R-7952/7/107, Bl. 32-33. 76 Hoffan das Moskauer Stadtoberhaupt, 3.5.1913. CIAM 179/21/2044, Bl. 89. - Ingenieur Hoff empfahl sich als Spezialisten fur Zentralbahnhöfe und Tunnels. Er hatte federführend am Bau des Pennsylvania-Tunnels in Manhattan und des Kanalisationssystems von Havanna mitgewirkt und war Chefingenieur beim Bau des Tunnels unter dem East River in New York gewesen. 77 Pikul': Predsestvenniki 1993, S. 61-62. 78 Vinogradov, Κ.: Burzuaznye mecty ο metro i proletarskoe stroitelstvo. Unveröffentlichtes Manuskript. GARF R-7952/7/391, Bl. 95. 79 Moskov: Ο moskovskom 1929, S. 119. 80 Kratkoe soderzanie 1913, S. 3-5. 81 Bericht der Stadtverwaltung Nr. 79, 25.2.1912. In: Doklady Moskovskoj gorodskoj upravy za 1912 god. 82 Moskovskaja Gorodskaja Uprava: Osnovnye polozenija 1913. Smakov 1923, S. 28.
Die Projekte vor 1917 Das Linienschema umfaßte drei Durchmesserlinien: 1. Von Krestovskaja zastava im Norden (Anbindung an die Nikolaj-Eisenbahn) über Lubjanka und Roten Platz bis Serpuchovplatz; 2. von der Brester Eisenbahn über die Tverskaja, den Ochotnyj ijad und die Lubjanka bis zum Taganplatz (Anbindung an Kursker und Niznij-Novgoroder Eisenbahn); 3. vom Smolensker Markt über den Arbat, die Vozdvizenka, den Ochotnyj ijad, Theaterplatz, die Lubjanka, Mjasnickaja bis zum Kalancevplatz (Anbindung an die Jaroslavler Eisenbahn). Alle Linien sollten unterirdisch verlaufen. In weiterer Perspektive waren der Bau einer Ringlinie unter dem Gartenring und die Verlängerung der Durchmesserlinien zu weiteren Bahnhöfen und Eisenbahnen vorgesehen.
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Abb. 12: Projekte von Knorre und MGZD 1912 (Smakov 1923, S. 30)
Die Entscheidungsprozesse rund um die Projekte waren kompliziert. Dabei kamen, wie schon 1902/03, Interessen der Moskauer Grundbesitzer sowie Rivalitäten zwischen der Regierung und der Stadt Moskau zum Tragen. Die Moskauer Stadtverwaltung spielte auf Zeitgewinn, um ihre eigenen Planungen spruchreif zu machen, und verzögerte die Begutachtung des Projektes Ruins in der vom Verkehrsministerium eingesetzten Kommission.83 Am 25.2.1912 berichtete die Stadtverwaltung der Stadtduma über das Vorhaben Ruins und das inzwischen eingegangene Projekt von Knorre und drang darauf, daß die Stadt, unter Berücksichtigung des ihr vorliegenden Entwurfs von Knorre, ein eigenes technisches Projekt erstelle.84 Die Stadtduma bewilligte für diesen Zweck 50.000 Rubel und petitio83 Journal der interministeriellen Kommission. Ebd., Bl. 7, 10. 84 Bericht der Stadtverwaltung Nr. 79, 25.2.1912, S. 1-8. In: Doklady Moskovskoj gorodskoj upravy za 1912 god.
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nierte bei der Regierung, daß alle Entwürfe zuerst ihr zur Begutachtung vorgelegt werden und ohne Genehmigung der Stadt keiner Privatperson der Bau von Verkehrsmitteln in Moskau gestattet werde.85 In St. Petersburg wurden Meinungsunterschiede zwischen den Ministerien deutlich: Der Verkehrsminister drängte den Finanzminister, das Projekt von Ruin möglichst schnell begutachten zu lassen. Der Finanzminister wartete jedoch, bis das Konkurrenzprojekt von Knorre in der endgültigen Version vorlag.86 Im Januar 1913 wurde die Moskauer Stadtduma informiert, daß das Verkehrsministerium ihr die Projekte nicht zur vorherigen Begutachtung übergeben, die Stadtduma aber Vertreter in die Beratungen der zuständigen Kommission entsenden könne. Das Stadtoberhaupt Brjanskij setzte in der Kommission durch, daß die Begutachtung bis zum Vorliegen des städtischen Projekts verschoben wurde.87 Die Stadtduma ließ in der Folge alle Vorschläge intern begutachten.88 Die Ergebnisse lagen am 4.6.1913 vor: Der Bau einer Metropolitain mit Anbindung an den elektrifizierten Vorortverkehr wurde als verkehrstechnisch notwendig bezeichnet, das Unternehmen dürfe aber wegen seines Monopolcharakters nicht durch Privatunternehmer verwirklicht werden.89 Einige kleinere Hausbesitzer und Kaufleute äußerten grundsätzliche Bedenken: Der Bau einer Stadtschnellbahn würde die Abwanderung der Bevölkerung aus dem Stadtzentrum in die Peripherie beschleunigen, was einen Wertverfall brachliegender Grundstücke im Zentrum mit sich brächte.90 Die Mehrheit teilte jedoch diese Befürchtungen nicht.91 Die Stadtduma beschloß einstimmig, bei der Regierung die Bildung einer zwischenbehördlichen Kommission unter Teilnahme von Vertretern der Stadtduma zu beantragen.92 Finanz- und Verkehrsministerium gingen darauf ein und bildeten kurz darauf eine derartige Kommission. Die Stadt verzögerte die Nominierung ihrer Vertreter, bis sie am 12.10.1913 ihr eigenes Projekt vorlegen konnte.93
85 Zurnaly Moskovskoj gorodskoj dumy za 1912 god, S. 71-72. Gutachten der Finanzund Eisenbahnkommission zum Bericht der Stadtverwaltung Nr. 79, 5.3.1912, S. 1-2. In: Doklady Moskovskoj gorodskoj upravy za 1912 god. 86 Verkehrsministerium. Informationen über die Konzession des Ingenieurs Ruin, o.D. [1914] (Abschrift). GARF R-7952/7/111, Bl. 78-79. 87 Izvestija Moskovskoj gorodskoj dumy (1913), Nr. 2, S. 6-8. 88 Zumaly Moskovskoj gorodskoj dumy za 1913 god, S. 8. 89 Bericht der Finanz- und der Eisenbahnkommission unter Teilnahme von Juristen der Stadtverwaltung vom 28.3., 1., 4.-25.4., 3. und 11.5.1913, Nr. 204, S. 26-28. In: Doklady Moskovskoj gorodskoj upravy za 1913 god. 90 Stenograficeskie otcety ο sobranijach Moskovskoj gorodskoj dumy za 1913 god, S. 811-812. Izvestija Moskovskoj gorodskoj dumy {1913), Nr. 8, S. 24-25. 91 Izvestija Moskovskoj gorodskoj dumy (1913), Nr. 8, S. 24-25, 28. 92 Zumaly Moskovskoj gorodskoj dumyza 1913 god, S. 161. 93 Bericht der Moskauer Stadtverwaltung Nr. 393, 12.10.1913, S. 1-5. In: Doklady Moskovskoj gorodskoj upravy za 1913 god.
Die Projekte vor 1917
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Die Kommission tagte im März 1914.94 Ihr wurde kurzfristig noch ein fünftes Projekt vorgelegt, das sogenannte Seremet'ev-Schema, eine im Verkehrsministerium erstellte Minimalvariante, die den innerstädtischen Verkehr ausklammerte und nur die Elektrifizierung des Vorortverkehrs sowie eine fünfzehn Werst lange Verbindungslinie zwischen den von Norden und den von Süden nach Moskau führenden Eisenbahnen vorsah, die das Territorium der Stadt und etwaige innerstädtische Linien nicht berührte. 95 Die Kommission gelangte zu dem Ergebnis, daß das Verkehrsproblem im Moskauer Knoten unverzügliche Maßnahmen erfordere. Die Verbesserung könne durch den Bau innerstädtischer Strecken auf eigener Trasse (Metropolitain) und die Erhöhung der Beförderungskapazität der Vorortlinien durch Elektrifizierung erreicht werden. Ob man Vorort- und innerstädtische Linien verbinden oder zwei getrennte Liniensysteme betreiben solle, müsse noch geklärt werden. In jedem Fall sollte der Bau 1915 beginnen und bis 1920 abgeschlossen sein. Die technischen und finanziellen Einzelheiten sollten noch 1914 geklärt werden. Hierzu wurde der Eisenbahnverwaltung und der Stadt Moskau nahegelegt, jeweils für beide Varianten parallel detaillierte Projekte auszuarbeiten. 96 Die Eisenbahnverwaltung forderte ein System, bei dem man nicht von Vorortzügen auf innerstädtische umzusteigen brauchte und hielt nur den Vorschlag von Ruin für akzeptabel. Falls die Stadt auf ihrem Projekt bestehe, sehe sich die Regierung genötigt, unabhängig von der Stadt das Seremet'ev-Schema zu verwirklichen. 97 Die Vertreter der Stadt Moskau, die das Seremet'ev-Schema strikt ablehnten, erklärten, daß sie die Schlußfolgerungen der Kommission nur als Grundlage verstünden, auf der eine Vereinbarung zwischen der Stadt und dem Staat über den Bau und Betrieb einer Stadtschnellbahn getroffen werden könne. 98 Die Stadtduma beauftragte am 10.6.1914 die Stadtverwaltung mit der weiteren Ausarbeitung von Projekten gemäß den Ergebnissen der Kommission und wies abermals 50.000 Rubel an. Ein Bericht sollte im Winter 1914/15 vorgelegt werden. Zeitpunkt und Form des Baus sollten erst dann bestimmt werden, wenn die technischen Einzelheiten feststünden. 99 Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verlangsamte jedoch die Planungen und verschob die Prioritäten, so daß der Be-
94 Verkehrsministerium. Informationen über die Konzession des Ingenieurs Ruin, o.D. [1914] (Abschrift). GARF R-7952/7/111, Bl. 81. 95 Journal der interministeriellen Kommission zur Begutachtung der Frage des Baus einer Stadtschnellbahn in Moskau und der Elektrifizierung der Vorortbahnen und der Moskauer Ringeisenbahn. 1., 7., 12. u. 13.3.1914. GARF R-7952/7/111, Bl. 46. 96 Ebd., Bl. 43-48. 97 Verkehrsministerium. Informationen über die Konzession des Ingenieurs Ruin, o.D. [1914] (Abschrift). GARF R-7952/7/111, Bl. 81-82. 98 Journal der interministeriellen Kommission zur Begutachtung der Frage des Baus einer Stadtschnellbahn in Moskau und der Elektrifizierung der Vorortbahnen und der Moskauer Ringeisenbahn. 1., 7., 12. u. 13.3.1914. GARF R-7952/7/111, Bl. 43. 99 Zurnaly Moskovskoj gorodskoj dumy za 1914 god, S. 211.
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rieht im Februar 1916 noch einmal angemahnt, aber nie vorgelegt wurde.100 In ihrem Tätigkeitsbericht für die Jahre 1913-1916 kündigte die Moskauer Stadtverwaltung jedoch an, sich nach Kriegsende wieder um die Frage zu kümmern.101 Die Eisenbahnverwaltung des Verkehrsministeriums beantragte am 11.7.1914 beim Finanzminister 80.000 Rubel für die Projektierung. Um westliche Erfahrungen zu nutzen, korrespondierte man noch kurz vor Kriegsausbruch mit deutschen und schweizerischen Stellen über die Besichtigung von Untergrund- und Stadtbahnen.102 Angesichts der Präferenz des Verkehrsministeriums für das Projekt Ruins war die Moskauer Stadtverwaltung im Dezember 1913, trotz ihrer prinzipiellen Ablehnung privater Konzessionen, in Verhandlungen mit der englischen Finanzgruppe, die hinter Ruin stand, getreten, - für den Fall, daß Ruin eine Regierungskonzession erhielt.103 Verhandlungspartner seitens der Finanzgruppe waren im Auftrag des Bankhauses Emile Erlanger & Co. Thomas Carmichael, Seniorpartner des Handelshauses Dent, Palmer & Co. in London,104 und Franz Deutsch, Mitglied der Firma Deutsch, Schlesinger & Co. in London105 und Bruder von Felix Deutsch, dem Generaldirektor der AEG. Bis Februar 1915 verhandelte man langwierig über ein Statut der Gesellschaft und mögliche Beteiligungen der Stadt, dann wurden die Verhandlungen abgebrochen.106 Die Presse hatte auf die Stadtschnellbahnprojekte ähnlich reagiert wie zehn Jahre zuvor. Russkie Vedomosti bezeichneten das Ganze als Wiederholung der Diskussion von 1902/03 und kritisierten die Mißachtung der Rechte Moskaus durch die Zentralbehörden.107 Russkoe Slovo bezichtigte Gennert und Guckov als Handlanger amerikanischer Interessen.108 Novoe Vremja berichtete emotionslos über die Projekte. Utro Rossii brachte Feuilletons, die sich über die Hilflosigkeit der Stadtduma lustig machten.109
100 StenografiCeskie oteety ο sobranijach Moskovskoj gorodskoj dumy za 1916, S. 2 7 0 271. 101 Izvestija Moskovskoj gorodskoj dumy (1916), Nr. 9, S. 25. 102 Vinogradov, Κ.: Burzuaznye meety ο metro i proletarskoe stroitelstvo. GARF R-7952/ 7/391, Bl. 111-112. 103 Journal der vereinigten Beratung der Finanz- und Eisenbahnkommission, der JuristenAbgeordneten und der Stadtuprava vom 11.12.1913. GARF R-7952/7/108. 104 Empfehlungsschreiben der London & South Western Bank Ltd. an Russko-TorgovoPromyslennyj Bank, 13.4.1912. GARF R-7952/7/100, Bl. 69. 105 Empfehlungsschreiben einer Londoner Bank, 4.4.1912. Ebd., Bl. 70. 106 Bericht der Unterkommission, gebildet aus der vereinigten Beratung der Finanz- und Eisenbahnkommission und der Beratung der Abgeordneten-Juristen und der Stadtverwaltung, 21.2.1915. CIAM 179/23/1178, Bl. 1-17. 107 Abschrift eines Artikels aus Russkie Vedomosti, 18.1.1913. GARF R-7952/7/107, Bl. 3-39. 108 Abschrift eines Artikels ms Russkoe Slovo, 25.1.1913. Ebd., Bl. 42^43. 109 Siehe das Zitat am Beginn des Abschnittes II. Vinogradov, Κ.: Burzuaznye meety ο metro i proletarskoe stroitelstvo. GARF R-7952/7/391, Bl. 116.
Die Frage der Moskauer Untergrundbahn in den zwanziger Jahren
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2. D i e F r a g e der M o s k a u e r U n t e r g r u n d b a h n in den z w a n z i g e r J a h r e n a) Die Bemühungen des Mossovet um Planung und Finanzierung 1918-1928 Noch während des Bürgerkriegs wurde 1918-1920 im Mossovet, der sowjetischen Stadtregierung, unter der Leitung der Architekten Scusev und Zoltovskij über die Neuplanung Moskaus nachgedacht. Im Oktober 1918 legte der Architekt B.V. Sakulin einen Entwurf für die Rekonstruktion der Stadt vor, der auch eine Untergrundbahn mit Ringlinie vorsah. Wie sich Zoltovskij später erinnerte, hieß Lenin diese Idee gut.110 Laut dem Geschäftsführer des Rates der Volkskommissare der Sowjetunion [SNΚ SSSR], Bonc-Bruevic, empfahl er, bei den Planungen den Bau einer Untergrundbahn und eine Verlängerung der Eisenbahnen in die Stadt hinein in Betracht zu ziehen.111 Während die Ideen der Architekten auf der theoretischen Ebene blieben, knüpften Fachleute der Moskauer Kommunalwirtschaft [Moskovskoe Kommunal'noe Chozjajstvo, MKChJ, die die Aufgaben und zum Teil auch das Personal der vorrevolutionären Stadtverwaltung übernommen hatte, an die alten Planungen an und versuchten, die praktische Realisierung voranzutreiben. 1922 publizierte die Moskauer Kommunalwirtschaft das Projekt des Ingenieurs L.N. Bernackij." 2 Obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal das Straßenbahnnetz wiederhergestellt worden war und sich Einwohnerzahl und Wirtschaft Moskaus gerade erst von ihrem Tiefstand erholten, plädierte Bernackij für die Wiederaufnahme der Planungen, denn es zeichne sich ein rascher Anstieg des Verkehrs ab. Außerdem stünden umfangreiche Arbeiten bei der Wasserleitung und Kanalisation an. Wenn man dabei schon künftige Untergrundbahnlinien berücksichtige, könne man viel Geld sparen." 3 Bernackij verwarf die Projekte von 1912/13, weil sie seiner Ansicht nach keine Lösungen fur den innerstädtischen Verkehr, sondern nur für den Eisenbahnverkehr darstellten. Das Befahren von Stadtschnellbahnlinien durch Eisenbahnzüge habe so viele Nachteile, daß alle Städte mit Untergrund- oder Stadtschnellbahnen darauf verzichtet hätten. Die Befürworter verwiesen zwar oft auf die Berliner Stadtbahn, doch sei diese keine Metropolitain, sondern eine durch die Stadt führende Linie der Preußischen Staatsbahnen. Auf ihr führen die städtischen Züge nur zwischen den Fernzügen. Die Berliner Hoch- und Untergrundbahn sei mit dieser Linie nicht verbunden. Die Moskauer Untergrundbahn war für Bernackij nur 110 Pikul': Kak Metrostroj 1985, S. 8. 111 Sagurina 1991, S. 16. - Die Bemerkung Lenins kann allenfalls marginal gewesen sein und wurde nicht publiziert. In der gesamten Diskussion der zwanziger Jahre über die Untergrundbahn wurde kein einziges Mal auf Lenin verwiesen, der doch sonst fiir vieles herhalten mußte. 112 Bernackij 1922. 113 Ebd., S. 52-53.
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als ein von der Eisenbahn unabhängiges Netz denkbar, außerhalb der Stadt weitergeführt in Form von selbständigen Vorortlinien. Nur diese Vorortzüge sollten das innerstädtische Netz befahren dürfen, aber keine Fernzüge.114 Bernackij beschrieb ein umfangreiches Streckennetz, bestehend aus sechs Durchmessern, zwei Ringlinien, zwei Halbringlinien und zwölf Fortsetzungen der Durchmesser in die Vororte.115 Unabhängig davon sollten zwei Eisenbahndurchmesser gebaut werden, um die Passagiere des Fernverkehrs ohne Umsteigen ins Zentrum zu bringen.116 Noch konsequenter war zur gleichen Zeit M.K. Polivanov, der sein (das städtische) Projekt von 1912 in einer Denkschrift stark modifizierte: Zusätzlich zu den drei (geänderten) Durchmesserlinien und einer Ringlinie sah er nun drei weitere Linien vor, auf denen Vorortzüge von Norden, Osten und Westen ins Zentrum fahren sollten.117 Mit der Trennung von Fern-, Vorort- und Nahverkehr war ein wichtiger Fortschritt erzielt, der von der weiteren Planung übernommen wurde, die das Befahren des Untergrundbahnnetzes durch Fern- oder Vorortzüge der Eisenbahnen nicht mehr vorsah. 1920 war der Straßenbahnverkehr in Moskau, bedingt durch die Zerrüttung der Wirtschaft nach der Revolution, zum Erliegen gekommen. 1922 zeichnete sich bereits wieder ein steiler Aufschwung ab: Tabelle 2: Entwicklung des Straßenbahnverkehrs in Moskau 1920-1924 1 1 8 Jahr
Einwohner
1920 1921 1922 1923 1924
1,129.000 1,200.000 1,350.000 1,580.000 1,800.000
Beförderungsfälle in Millionen 23,6 27,6 150,1 212,2 305,0
Fahrten je Einwohner
21 23 111 134 170
Durchsch. Jährliche Jährliche ZuZahl der Zunahme der nahme der Waggons auf Bevölkerung Passagiere den Linien in Prozent in Prozent 46 126 6,3 % 16,9% 444,4 % 376 12,5 % 544 17,0% 41,3 % 650 13,9% 43,9 %
Die Beamten des Mossovet rechneten 1923 mit einem Anstieg der Bevölkerung bis 1930 auf 2,56 Millionen, der Beförderungsfälle auf 775 Millionen und der Zahl der Fahrten je Einwohner auf 303 im Jahr, womit das Niveau Westeuropas noch gar nicht erreicht wäre. (In Berlin entfielen 1922 auf einen Einwohner 374 Fahrten.) Der Wohnbau in den Vororten ließ die Entwicklung zu einem Konglomerat „Groß-Moskau" erwarten, mit kritischen Folgen für den Vorortverkehr. 114 Ebd., S. 57-59. 115 Ebd., S. 62-67. 116 Ebd., S. 23. 117 Das Projekt ist beschrieben bei Smakov 1923, S. 33. - Die Russische Staatsbibliothek verzeichnet von Polivanov nur ein Buch über die Straßenbahnen von Baku aus dem Jahre 1915. 118 Novaja Moskva 1924, S. 48.
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Der Ausbau der Straßenbahnen habe an den Engstellen im Zentrum seine natürlichen Grenzen. Spätestens 1928 würden die Straßenbahnen den Verkehr nicht mehr bewältigen können. Die Lösung der Verkehrskrise von „Groß-Moskau" sah man im Mossovet einzig in einer Untergrundbahn.119 Am 13.8.1923 beschloß das Präsidium des Mossovet unter seinem Vorsitzenden Kamenev, die durch den Krieg unterbrochenen Verhandlungen mit ausländischen Firmen über den Bau einer Untergrundbahn wieder aufzunehmen, und beauftragte damit den Vertreter von Mosvnestorg120 in Berlin, Angarskij.121 Im September 1923 richtete der Mossovet bei der Technischen Abteilung der Moskauer Städtischen Eisenbahnen [MGZD] eine Unterabteilung für die Projektierung der Untergrundbahn ein.122 Angarskij sondierte im November 1923 gemeinsam mit dem Leiter der sowjetischen Handelsvertretung in Deutschland, Stomon'jakov, das Interesse westlicher Firmen. Relativ großes Interesse zeigte der Generaldirektor der AEG, Felix Deutsch, dessen Konzern schon vor dem Krieg ernsthaft mit dem Projekt befaßt war. Deutsch wandte sich um Unterstützung in dieser Frage an den Londoner Bankier Baron Erlanger, der seinerzeit gemeinsam mit dem Bruder von Deutsch um eine Konzession verhandelt hatte. Baron Erlanger stellte die Bedingung, daß die englische Industrie beteiligt werde und daß die Stadt Moskau ihre Vorkriegsschulden in Höhe von sechs bis sieben Millionen Pfund anerkenne. Deutsch schlug als Kompromiß vor, die alten Schulden in eine Anleihe für die Untergrundbahn zu konvertieren und eine gemischte Gesellschaft zu bilden.123 Das Präsidium des Mossovet erachtete es angesichts der unbedeutenden Kosten der Untergrundbahn gegenüber den Schulden für inakzeptabel, über die Anerkennung der Vorkriegsschulden zu verhandeln, wenn man dafür nur einen Kredit für den Bau der Untergrundbahn erhalte. Denkbar sei höchstens ein großer Kredit für die Wiederherstellung der gesamten Wirtschaft Moskaus.124 Im April 1924 nahm Angarskij Kontakt mit Siemens-Bauunion 25 auf. Die Firma war in hohem Maße interessiert, versuchte sofort mit der Deutschen Industrievereinigung für den Osten eine Finanzierung zustandezubringen und zielte 119 Ebd., S. 49-52. 120 Für den Außenhandel zuständige Organisation des Mossovet. 121 Präsidium des Mossovet. Prot. 155, 13.8.1923. CGAMO 66/14/44, Bl. 69. 122 Präsidium Mossovet. Prot. 176, 6.9.1923. CGAMO 66/19/132, Bl. 345. 123 Handelsvertreter der RSFSR in Deutschland, Stomon'jakov, an den Vorsitzenden des Mossovet, Kamenev, 27.11.1923. CGAMO 66/19/161, Bl. 237-239. 124 Präsidium des Mossovet. Prot. 254, 10.12.1923. CGAMO 66/19/161, Bl. 228. 125 Siemens-Bauunion GmbH (SBU) war 1921 als Tochtergesellschaft der Siemens & Halske AG und der Siemens Schuckertwerke GmbH gegründet worden. 1896 hatte Siemens & Halske die Budapester Untergrundbahn gebaut, seit 1897 die Berliner, seit 1907 die Hamburger. Siemens-Bauunion baute 1926-1928 in Athen eine Untergrundbahn, 1933-1938 in Buenos Aires und erstellte Gutachten für die Untergrundbahnen in Tokyo, Moskau (siehe unten), München, Dresden, Köln, Prag und Stockholm. 1928-1932 machte die Firma Vorarbeiten für den Bau des Dnepr-Staudammes. (Feldenkirchen 1995, S. 367-368).
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dabei auf ein deutsch-russisches Gemeinschaftsunternehmen ohne Drittkapital. Sie wandte sich an das deutsche Auswärtige Amt mit der Bitte, über Konkurrenz aus anderen Ländern auf dem Laufenden gehalten zu werden, und behauptete, „schon vor vielen Jahren" ein ausführungsreifes Bauprojekt erstellt zu haben.126 Die Unterabteilung metropoliten von MGZD bestand anfangs nur aus einer Person, dem Ingenieur K.S. Mysenkov, der schon 1915 eine Broschüre über den elektrischen Fahrbetrieb bei Stadt- und Vorortbahnen verfaßt hatte.127 Er sammelte alles, was an Informationen über das Moskauer Verkehrsnetz und von den Vorkriegsprojekten aufzutreiben war. Zuallererst mußte ein aktueller Stadtplan gezeichnet werden, denn die alten Projekte beruhten auf inzwischen vierzig Jahre alten Karten. Außerdem lagen keinerlei geologische Untersuchungen vor. Mitte 1924 stießen drei weitere Ingenieure zur Unterabteilung.128
Abb. 13: Projekt von M G Z D 1924
Die erste Baufolge umfaßte drei Linien: 1) Sokol'niki, Mjasnickaja, Zentrum (5 Kilometer), 2) Tverskaja zastava, Tverskaja, Zentrum (4,2 Kilometer), 3) Smolensker Markt, Arbat, Vozdvizenka, Zentrum (3,5 Kilometer). Eine daran anschließende zweite Baufolge sah zwei weitere Linien vor: eine Halbringlinie vom Arbat über Krasnye vorota bis zum Taganplatz (9,4 Kilometer) sowie einen Nord-Süd-Durchmesser von Krestovskaja zastava bis zum Dobryninplatz (7,5 Kilometer).
Im August 1924 beschloß der Mossovet die Entsendung einer Delegation nach Deutschland, Frankreich und England, um über den Bau der Untergrundbahn und die Anschaffung von Autobussen zu verhandeln.129 Man beauftragte die Unterab126 Siemens-Bauunion an das Auswärtige Amt, 13.6.1924. PA AA, R 94567. Auswärtiges Amt an die Deutsche Botschaft Moskau, Juni 1924. Ebd. - Die Firma hatte vermutlich im Zusammenhang mit dem Projekt Knorres 1912/13 Planungen angestellt. 127 Pikul': Predvestniki 1995, S. 59. - K.S. Mysenkov hatte in Paris studiert und dort sowie in Belgien gearbeitet. Ab 1932 war er bei Metrostroj tätig, zunächst in der Technischen Abteilung, dann als Leiter der Abteilung für den elektrischen Fahrbetrieb. (Sten. Gespräch mit Ing. Smidt, Leiter der 6. Distanz von Metrostroj, 30.9.1934. GARF R-7952/7/323, Bl. 173). 128 Sten. Gespräch mit Ing. Mysenkov, 31.8.1934. GARF R-7952/7/265, Bl. 1. 129 Präsidium des Mossovet. Prot. 7, 18.10.1924. CGAMO 66/11/470, Bl. 1.
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teilung metropoliten, für die Präsentation im Ausland einen Vorentwurf zu erstellen, und erhöhte ihren Personalstand auf zwölf Ingenieure und Techniker. 130 Die Planung sah, ausgehend von den am stärksten frequentierten Straßenbahnlinien, drei Radien vor, die man als gemeinsamen Nenner der Vorkriegsprojekte ansehen kann (Abb. 13). Die Kosten der ersten Baufolge, die bis 1930 fertiggestellt werden sollte, wurden mit 70 Millionen Goldrubel veranschlagt. Man errechnete, daß der Betrieb der Untergrundbahn so gewinnträchtig sei, daß man den Bau durch eine sechsprozentige Anleihe mit fünfzehn Jahren Tilgung (ab 1931) finanzieren könne, und nach Rückzahlung der jährlichen Tilgungsraten immer noch ein Überschuß bleibe.131 Beim Volkskommissariat für Finanzen beantragte der Mossovet im September 1924 eine Auslandsanleihe von 110 Millionen Rubel für die Bedürfhisse der Kommunalwirtschaft, davon 70 Millionen für den Bau der Untergrundbahn. Das Volkskommissariat für Finanzen befand die Berechnungen des Mossovet als zu optimistisch. Außerdem müsse erst die Notwendigkeit des Baus bewiesen werden. Vielleicht seien Straßenbahntunnel im Bereich der Lubjanka und des Theaterplatzes, wie sie die Stadtverwaltung 1911 vorgeschlagen hatte, ausreichend. 132 Gestützt auf die Erlaubnis des Hauptkonzessionskomitees beim Rat der Volkskommissare, 133 beauftragte der Mossovet seine Delegation, im Ausland über eine Anleihe von dreißig Millionen Rubel für die Kommunalwirtschaft und unabhängig davon über eine spezielle Anleihe für die Untergrundbahn zu verhandeln. 134 Im November und Dezember 1924 sprach die Moskauer Delegation in Berlin mit den Firmen Siemens-Bauunion und AEG, ohne daß man Finanzierungsfrage lösen konnte.135 Siemens war es nicht gelungen, in französischen und britischen Finanzkreisen Geldgeber zu gewinnen. 136 Die Vorstellungen der Deutschen, ohne ausländische Kredite den Bau zu finanzieren, waren für die Sowjets inakzeptabel: Siemens wollte die Moskauer Straßenbahnen übernehmen, sie nach dem Prinzip des maximalen Ertrags führen und aus den Gewinnen erste, besonders profitable Untergrundbahnlinien bauen. So sollte allmählich das Kapital akkumuliert werden.137 Felix Deutsch unterbreitete für die AEG einen ähnlichen Vorschlag. Sein 130 Sten. Gespräch mit Mysenkov, 31.8.1934. GARF R-7952/7/265, Bl. 1. 131 Novaja Moskva 1924, S. 52-56. 132 Volkskommissariat für Finanzen. Urteil von V.A. Rzevskij über die vorgeschlagene Auslandsanleihe des Mossovet, 29.9.1924. CGAMO 66/11/470, Bl. 9-16. 133 Hauptkonzessionskomitees beim SNK. Prot. 82, 16.10.1924. CGAMO 66/11/470, Bl. 3. 134 Präsidium des Mossovet. Prot. 7, 18.10.1924. CGAMO 66/11/470, Bl. 1. 135 Prot. Verhandlung mit Siemens, 3.11.1924. CGAMO 66/11/1099, Bl. 163. - Die Teilnehmerliste verzeichnet von sowjetischer Seite den Namen Knorre. Ob es sich um E.K. Knorre handelte, geht aus den Quellen nicht hervor. 136 Prot. Verhandlungen mit Siemens, 3.11.1924. CGAMO 66/11/1099, Bl. 163. 137 Siemens-Bauunion an die Handelsvertretung in Berlin, 26.11.1924. CGAMO 66/19/161, Bl. 91-93. Sowjetische Delegation an das Präsidium des Mossovet, 12.12.1924. Ebd., Bl. 62.
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Angebot, sich in London um Kredit zu bemühen, wurde nicht weiter verfolgt, weil die Sowjets nicht bereit waren, über die Vorkriegsschulden zu verhandeln.138 Als die Delegation im Dezember 1924 nach Moskau zurückkehrte, stellte das Präsidium des Mossovet fest, daß der Bau einer Untergrundbahn in Moskau zwar notwendig sei, aber nur mit Geldmitteln von außerhalb des Moskauer Budgets verwirklicht werden könne. Zur kurzfristigen Linderung des Verkehrsproblems beschloß man, 300 Autobusse und 200 Taxis anzuschaffen.139 Trotzdem verspürte die Unterabteilung von MGZD zur Projektierung der Metro nun Rückenwind. Sie erhielt die Erlaubnis, die geologischen Verhältnisse entlang der geplanten Trassen zu erforschen und unternahm bis Ende 1925 124 Probebohrungen. Die Trasse wurde nivelliert, die Kanalisationen und Wasserleitungen, über die jegliche Unterlagen fehlten, wurden in Pläne eingezeichnet.140 1925 wurde Professor S.N. Rozanov stellvertretender Leiter der Unterabteilung. Er hatte vor dem Krieg sieben Jahre beim Bau der Pariser Metro gearbeitet und war somit der einzige sowjetische Ingenieur mit einschlägiger praktischer Erfahrung.141 Die Planungen litten jedoch unter dem Mangel an aktuellen Informationen über den Bau von Untergrundbahnen im Ausland, da man auf Zeitschriften und Fachliteratur angewiesen war.142 Für den Abschnitt von Sokol'niki bis zum Ochotnyj rjad entlang der Mjasnickaja („Mjasnickij Radius") war bis Anfang 1926 ein technisches Projekt in Pariser Bauweise fertig.143 In der Zeitschrift der Moskauer Stadtverwaltung publizierten Mitarbeiter von MGZD seit 1922 immer wieder Artikel über die Untergrundbahn. Sie warben in Fachkreisen und in der Öffentlichkeit um Unterstützung fur ihr Anliegen.144 Die Ingenieure der Unterabteilung metropoliten klagten allerdings im nachhinein über 138 Prot. Verhandlung mit AEG, 12.11.1924. CGAMO 66/11/1101, Bl. 181. 139 Präsidium des Mossovet. Prot. 35, 23.12.1924. CGAMO 66/11/1101, Bl. 206. 140 Sten. Gespräch mit Mysenkov, 31.8.1934. GARF R-7952/7/265, Bl. 1-2. Bericht von Gerbko über die Arbeit von MG D auf der Sektion „MKCh" des Mossovet, 8.12.1925. CGAMO 66/11/2779, Bl. 29-30. 141 Semen Nikolaevic Rozanov war einer der Pioniere des russischen Untergrundbahnbaus. 1876 in Archangel'sk geboren, studierte er am Petersburger Institut für Verkehrswesen, war 1901-1905 Ingenieur bei der Südostbahn, wurde 1905 wegen der Organisation eines Streiks verhaftet und eingesperrt. 1906 emigrierte er nach Frankreich, wo er bei der Pariser Metro arbeitete. 1914-1917 war er an der Projektierung eines Hafens auf Tahiti beteiligt. Nach der Februarrevolution 1917 kehrte er nach Rußland zurück, war zunächst bei der Eisenbahn, dann in der Holzindustrie tätig. 1924 wurde er Professor an der Bauingenieurfakultät der Moskauer Militärtechnischen Lehranstalt. Ab 1932 war er Konsultant bei Metrostroj, dann stellvertretender Leiter der Technischen Abteilung, ab Februar 1933 Chefingenieur für Tunnelarbeiten. Rozanov starb am 21.12.1933. (Pikul': Semen Nikolaevic Rozanov 1993, S. 42^13). 142 Bericht von Gerbko über die Arbeit von MGZD auf der Sektion „MKCh" des Mossovet, 8.12.1925. CGAMO 66/11/2779, Bl. 30. 143 Sten. Gespräch mit dem Techniker Bedrickij, o.D. [1934]. GARF R-7952/7/266, Bl. 106. 144 Vgl. z.B. D'jakov 1924. Gerbko: Problema 1924. Gerbko: Proekt 1927. Gerbko: Κ voprosu 1927. - Gerbko war Leiter, später Chefingenieur von MGZD. Moäkov: Metropoliteny 1925. Moskov: Ο moskovskom metropolitene 1929. Moskov/Myscnkov 1929.
Die Frage der Moskauer Untergrundbahn in den zwanziger Jahren
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mangelnde Unterstützung durch MGZD und den Mossovet, wo man die Metroplanung nicht für aktuell gehalten und nur halbherzig gefördert habe. Bis Oktober 1928 wuchs die Unterabteilung zwar auf 27 Mitarbeiter an, die Ingenieure hatten aber zu wenig Hilfspersonal, was ihre Arbeit bremste.145 Obwohl öffentliche Vorträge organisiert wurden, war die Bevölkerung nicht interessiert. Lediglich die 1925 durchgeführten Bohrungsarbeiten im Zentrum erregten Aufsehen. Es liefen Gerüchte um, der Bau der Untergrundbahn habe schon begonnen.146 Vladimir Majakovskij schrieb 1925 ein Scherzgedicht über die Moskauer Untergrundbahn.147 Die meisten Mitarbeiter der Unterabteilung hatten selbst Zweifel an der Realisierung ihrer Planungen. Der Techniker Bedrickij scheute sich, seinen Bekannten zu sagen, woran er arbeitete. Seine früheren Kollegen meinten 1925 ironisch: „Da hast du eine Arbeit gefunden. Eine Untergrundbahn werden wir wohl kaum bauen."148 Als Bedrickij einmal Eintrittskarten für einen Vortrag des Leiters von MGZD im Polytechnischen Museum verteilen sollte, fanden sich selbst unter den Spezialisten der eigenen Behörde und im Volkskommissariat für Verkehr kaum Abnehmer. Erst 1929 hatte Bedrickij in Gesprächen mit Fachleuten den Eindruck, daß sie die Untergrundbahn als zeitgemäß betrachteten. Auch in den überfüllten Straßenbahnen fiel ihm nun auf, daß sich die Leute eine Untergrundbahn wünschten.149 Beteiligt wurde die Bevölkerung über die Sektion des Mossovet für die Moskauer Kommunalwirtschaft. Die Sektionen waren Gremien, in denen Deputierte des Mossovet, der Rayonssowjets,150 Aktivisten der Partei und der Gewerkschaften und sonstige Freiwillige aus der Bevölkerung über Probleme berieten. Ihre Beschlüsse waren für den Mossovet bindend.151 Für jede Abteilung des Mossovet gab es eine Sektion. Die Sektion für die Moskauer Kommunalwirtschaft umfaßte im April 1925 282 Personen. Für MGZD gab es eine Untersektion.152 Von Zeit zu Zeit berichteten die Verantwortlichen in der Sektion und der Untersektion über den Stand der Projektierung und ließen sich die Fortsetzung der Arbeiten bestätigen.153
145 RKI. Inspektionsbericht über MGZD, o.D. [1930], CGAMO 807/1/305, Bl. 55. Sten. Gespräch mit Bedrickij, o.D. [1934], GARF R-7952/7/266, Bl. 105. Desgl. mit Myäenkov, 31.8.1934. GARF R-7952/7/265, Bl. 2-3. 146 Bericht von Gerbko über die Arbeit von MGZD auf der Sektion „MKCh" des Mossovet, 8.12.1925. CGAMO 66/11/2779, Bl. 29. 147 Majakovskij, Vladimir: Nemnozko utopij pro to, kak projdet metroSka. In: Polnoe sobranie socinenij 1957, Bd. 6, S. 110-111. Vgl. Kap. VII.4.C. 148 Sten. Gespräch mit Bedrickij, o.D. [1934], GARF R-7952/7/266, Bl. 105. 149 Ebd., Bl. 106-107. - Diese Beobachtung steht in krassem Gegensatz zur offiziellen Politik gegenüber der Untergrundbahn 1929/30 (siehe Kapitel II.2.b). 150 Die Stadt Moskau war in Rayons gegliedert, die jeweils über einen eigenen Sowjet und eine Parteiorganisation verwaltet wurden. 151 W i e n - M o s k a u 1932, S. 12-13. 152 Bericht über die Arbeit der Sektion „MKCh" des Mossovet, 28.4.1925-8.2.1927. CGAMO 66/11/5565, Bl. 1. 153 Vgl. Untersektion MGZD des Mossovet. Prot. 11, 3.12.1925. CGAMO 66/11/2726, Bl. 17. Vgl. Plenum der Sektion „MKCh" des Mossovet, 8.12.1925. CGAMO 66/11/4390, Bl.
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Im November 1925 reiste abermals eine Delegation des Mossovet ins Ausland, um sich über Aspekte der Kommunalwirtschaft zu informieren. Stationen der Reise waren Wien, Dresden, Leipzig, Berlin, Paris und London.154 In Paris besichtigten die Sowjets Anlagen der Metro und ließen sich technische Details erklären.155 Französische Firmen schlugen vor, ein Konsortium aus L Omnium Lyonnais, Compagnie Franco-Belge und Thomson-Houston zu bilden und gemeinsam mit den Moskauer Ingenieuren ein Projekt zu erstellen. Mit den fertigen Planungen könne man an französische Banken herantreten. Die russische Seite wollte jedoch die finanzielle Frage vorher geklärt wissen und verwies auf die schon länger laufenden Gespräche mit Siemens.156 Im März 1926 beauftragte die Moskauer Kommunalwirtschaft die Firma Siemens-Bauunion, für 25.000 Rubel ein technisches Projekt fur den Mjasnickij Radius (vom Zentrum bis zum Kalancevplatz) auszuarbeiten, um die Kosten und die Realisierbarkeit mit dem kurz vorher fur diese Linie erstellten Projekt von MGZD vergleichen zu können.157 Damit die Berechnungen und technischen Überlegungen eine gemeinsame Basis hätten, übergaben die Russen der Firma Siemens geologische Schnitte, Unterlagen über Preise für Arbeit und Materialien sowie auch Pläne der Kanalisations- und Versorgungsnetze. Sie konnten sich im Gegenzug mit allen Projektierungsschritten vertraut machen und wertvolle Erfahrungen sammeln. Im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Vertrags mit Siemens schickte MGZD die Ingenieure Rozanov und Boldyrev nach Berlin, Paris und London, um technische Fragen zu klären, zu denen die vorhandene Literatur keine Auskunft gab. Rozanov holte in Paris Unterlagen, die er 1917 hatte zurücklassen müssen.158 Siemens-Bauunion kostete das Projekt nach eigenen Angaben 100.000 Mark. Die Deutschen investierten das Geld, weil sie mit der Auftragserteilung rechneten.159 Mit dem Vertrag über die Projektierung war jedoch ausdrücklich keine Vorentscheidung über die Vergabe des Auftrags für den Bau getroffen worden.160 Der Entwurf von Siemens-Bauunion sah die Berliner Bauweise vor. Das Streckennetz umfaßte 80,3 Kilometer und 86 Stationen, davon 17 Umsteigesta142-147. Vgl. Plenum der Sektion „MKCh" des Mossovet, 18.1.1927. CGAMO 66/11/4390, Bl. 52, 77-83. Vgl. Plenum der Untersektion MGZD, 6.12.1927. CGAMO 66/11/5641, Bl. 42. 154 Materialien der Delegation, die im November 1925 in Österreich, Deutschland, Frankreich und England Informationen über die Kommunalwirtschaft sammelte. CGAMO 66/11/1590, Bl. 63. 155 Prot. Gespräch mit dem Direktor der Pariser Metro, 1925. CGAMO 66/11/1580, Bl. 2-9. 156 Aktennotiz über das Gespräch mit Vertretern französischer Firmen, 30.11.1925. CGAMO 66/11/1580, Bl. 22-28. 157 Deutsche Botschaft Moskau an das Auswärtige Amt, 10.4.1926. PA AA R 94567. 158 Civcivadze, Leiter von MKCh, und Gerbko, Leiter von MGZD, an das Präsidium des Mossovet, 27.2.1926. CGAMO 66/11/3466, Bl. 4. Sten. Gespräch mit MySenkov, 31.8.1934. GARF R-7952/7/265, Bl. 2-3. 159 Sten. Gespräch mit Mysenkov, 31.8.1934. GARF R-7952/7/265, Bl. 3. 160 Präsidium des Mossovet. Prot. 12, 18.2.1926. CGAMO 66/11/3872, Bl. 127.
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tionen. Bezüglich der Streckenlänge und der Zahl der Stationen fiel es mit dem ersten Projekt von Metrostroj (November 1931) zusammen.161 Es war den Ingenieuren von MGZD bei der Weiterfuhrung ihrer eigenen Planungen eine große Hilfe.162 Das Projekt von MGZD wurde angesichts des Finanzierungsproblems und des mangelnden Rückhalts in der Öffentlichkeit als Sparprojekt konzipiert, wie sich der Leiter der Unterabteilung, Ingenieur Mysenkov, rückblickend ausdrückte. Die Dimensionen der Stationen und Zuggarnituren waren auf das Notwendigste reduziert.163 Im Gegensatz zu Siemens sah MGZD die Pariser Bauweise vor. Dies nicht nur deswegen, weil Rozanov damit Erfahrung hatte, sondern weil sie billiger war. Bei der Pariser Bauweise wurden die Tunnel als Steingewölbe gebaut, bei der Berliner mit Stahlbeton. Material für gemauerte Tunnel war in Moskau vorhanden, Stahl war knapp und teuer.164 1927/28 unternahmen die Metroplaner einen Vorstoß, um die Realisierung voranzutreiben. Sie traten mit zahlreichen Artikeln und Vorträgen an die Öffentlichkeit, um eine Diskussion anzuregen. Der Chefingenieur von MGZD, Gerbko, publizierte in der hauseigenen Zeitschrift Kommunal 'noe chozjajstvo [Kommunalwirtschaft] eine Artikelserie, die in einer Auflage von 5.000 Stück auch als Buch erschien.165 Der stellvertretende Leiter der Unterabteilung, Rozanov, verfaßte 1927/28 ebenfalls eine ganze Reihe von Beiträgen in verschiedenen Zeitschriften.166 Auch der Leiter der Moskauer Kommunalwirtschaft, Lavrov, drängte in Kommunal'noe chozjajstvo auf einen raschen Baubeginn.167 Die Verfasser argumentierten für die Notwendigkeit einer Untergrundbahn: Die Elektrifizierung der Vorortlinien werde zu einer Überlastung der Straßenbahnen führen, weil letztere die in den Bahnhöfen ankommenden Massen nicht mehr aufnehmen könnten. Am dringendsten sei der Bau einer Linie vom Kalancevplatz ins Zentrum. Schon jetzt seien dort die Straßenbahnen und Autobusse überfordert. Der Bau müsse möglichst schnell beginnen, damit 1930 die erste Linie in Betrieb gehen könne.168 Gerbko stellte die beiden Projekte von Siemens-Bauunion
161 Pikul': Stancija „Krasnye vorota" 1992, S. 44. - Pikul', ein Ingenieur, der viele Jahre bei Metrostroj arbeitete und Einsicht in betriebsinterne Schriftstücke hatte, ist der einzige, der eine Aussage über das von Siemens vorgesehene Streckennetz trifft. Ein Linienschema ist in den Quellen, die das Projekt erwähnen, nicht abgebildet oder beschrieben. Auch im Siemens-Archiv (München) ist nichts darüber erhalten. (Auskunft vom 24.10.1997). 162 MOKK RKI. Material des Säuberungsbüros über die Unterabteilung metropoliten von MGZD, 9.6.1930. CGAMO 807/1/307, Bl. 163. 163 Sten. Gespräch mit Mysenkov, 31.8.1934. GARF R-7952/7/265, Bl. 4. 164 Gerbko 1927, Nr. 7-8, S. 57. Vgl. die Wortmeldung des Leiters von MKCh, Lavrov, auf dem Plenum der Sektion „MKCh" des Mossovet, 18.1.1927. CGAMO 66/11/2726, Bl. 83. 165 Gerbko: Proekt 1927. Gerbko: Κ voprosu 1927. Gerbko: Moskovskij metropoliten 1927. 166 Rozanov: Metropoliten i prigorodnoe soobsöenie 1927. Rozanov: Podzemnyj ili nadzemnyj metropoliten 1928. Rozanov: Metropoliten ν Moskve 1928. Rozanov: Moskovskij metropoliten 1928. 167 Lavrov 1927, S. 5-8. 168 Gerbko: Moskovskij metropoliten 1927, S. 52.
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und von MGZD vor und plädierte für letzteres: Für die erste Baufolge (Kalancevplatz - Zentrum) veranschlagte MGZD 22,8 Millionen Rubel, Siemens-Bauunion 26,4 Millionen Rubel. Bei einer Verkürzung der Stationen von 130 auf 80 Meter Länge könne man die Kosten für die Variante von MGZD sogar auf 18 Millionen Rubel drücken. Außerdem habe Moskau mit seinen engen und kurvigen Straßen mehr Ähnlichkeiten mit Paris als mit Berlin. Beim russischen Klima sei die Arbeit in offenen Baugruben (Berliner Bauweise) ungünstig.169 Die 18 Millionen Rubel könne man durch eine Anleihe aufbringen. Bereits ab 1934 werde der Gewinn aus dem Betrieb die Tilgung der Baukosten übersteigen.170 Im März 1928 hielten Gerbko, Rozanov und Mysenkov vor dem Plenum der Untersektion „MGZD" des Mossovet Referate über die Untergrundbahn. Die Untersektion verabschiedete daraufhin eine Resolution, in der sie den Bau einer Untergrundbahn als „völlig zeitgemäß" bezeichnete. Es sei notwendig, die Arbeiten zu beschleunigen, für die erste Linie ein detailliertes Projekt zu erstellen und die Arbeiter Moskaus auf Versammlungen zu informieren.171 Der 9. allrussische elektrotechnische Kongreß in Moskau, auf dem Gerbko ebenfalls referierte, verabschiedete Anfang Mai 1928 einstimmig eine Resolution, in der gefordert wurde, schnell mit dem Bau der Untergrundbahn zu beginnen.172 Die Versuche, 1927/28 für den Bau der Untergrundbahn breite Unterstützung zu bekommen, hingen möglicherweise mit der gleichzeitig laufenden Diskussion über den ersten Fünfjahresplan zusammen. Wenn die Untergrundbahn nicht in den Fünfjahresplan aufgenommen wurde, war ihre baldige Realisierung unwahrscheinlich. 1926 hatte eine Kommission des Mossovet die Finanzierungsfrage beraten und als einzige Möglichkeit einen ausländischen Kredit gesehen. Eine ausländische Konzession oder gemischte Gesellschaft schieden aus.173 Die Parteiführung hielt sich in der Frage der Untergrundbahn bedeckt. In den Protokollen des Moskauer Parteikomitees scheint die Untergrundbahn bis 1931 nicht auf, mit zwei Ausnahmen:174 Auf der 16. Gouvernementsparteikonferenz im November 1927 plädierte der Vorsitzende des Mossovet, K.V. Uchanov, dafür, das Thema Untergrundbahn voranzubringen, schränkte aber ein, es erfordere erhebliche Mittel und sei doch eine zweitrangige Aufgabe.175 In der Diskussion nahm als einziger der Leiter der Moskauer Kommunalwirtschaft, Lavrov, auf diesen Punkt Bezug und sprach sich für eine Einbeziehung der Untergrundbahn in den Fünfjahresplan aus.176 Die Parteikonferenz verabschiedete einstimmig eine
169 Ebd., Nr. 7-8, S. 43-59. 170 Ebd., Nr. 9-10, S. 17-20. 171 Β., V.: Plenum podsekcii GZD 1928, S. 107-109. 172 Rezoljucija Vsesojuznogo 1928, S. 63. 173 Vorsitzender der Kommission für den Bau der Untergrundbahn, Civcivadze, an das Präsidium des Mossovet, 26.7.1926. CGAMO 66/11/3881, Bl. 225-226. 174 Vgl. CAODM f. 3, op. 8-12. 175 XVI Moskovskaja gubernskaja konferencija VKP(b) 1927, S. 447-448. 176 Ebd., S. 464.
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Resolution, in der es hieß, der Fünljahresplan müsse auf dem Gebiet der Kommunalwirtschaft eine Reihe wichtiger Aufgaben lösen, unter anderem den Bau einer neuen Wasserleitung und den Ausbau der Kanalisation und des Verkehrswesens. Die Verkehrsprobleme würden „besonders akut und stellten den Bau einer Untergrundbahn [...] auf die Tagesordnung".177 Im Mai 1928 hörte das Büro des Moskauer Parteikomitees einen Bericht der Moskauer Kommunalwirtschaft und bezeichnete es in seiner Resolution als notwendig, den Bau der Untergrundbahn anzugehen und die erforderlichen Mittel aufzutreiben.178 Diese Forderungen entsprachen dem damaligen Stand der Vorbereitungen des Fünfjahresplans. Die Variante des Perspektivplans für die Kommunalwirtschaft, die im Juli 1927 in der staatlichen Planungsbehörde Gosplan beraten wurde, enthielt die erste Baufolge der Untergrundbahn.179 In weiterer Folge verschwand dieser Punkt wieder aus dem Fünljahresplan. In der gedruckten Fassung aus dem Jahr 1929 wird die Untergrundbahn nicht erwähnt.180 Da das Moskauer Gebiet erst im Zuge der territorialen Reorganisation 1929 gebildet wurde, erstellte man auch den Fünfjahresplan fur das Gebiet mit Verspätung. Die diesbezüglichen Direktiven sahen den Bau einer Untergrundbahn noch vor.181 Der Anfang 1930 erstellte Entwurf des Plans rückte schon davon ab und enthielt nur für das letzte Planjahr 1932/33 Investitionen in Höhe von dreißig Millionen Rubel für den Bau der Untergrundbahn.182 Die letztlich verabschiedete Variante sprach nur mehr von zehn Millionen Rubel fur die Vorbereitung des Baus im Planjahr 1932/33.183 Die Quellen sind in dieser Hinsicht sehr lückenhaft, und der Entscheidungsprozeß läßt sich im einzelnen nicht rekonstruieren. Das Verschieben des Baubeginns im Zuge der Erstellung des Fünfjahresplans fügt sich aber in die politischen Vorgänge zwischen Ende 1928 und Anfang 1931 rund um die Projektierung der Untergrundbahn ein, die im folgenden skizziert werden sollen.
177 Ebd., S. 598. Prot. 16. Gouvernementsparteikonferenz, 20.-28.11.1927. CAODM 3/8/12a, Bl. 20. 178 Büro MK VKP(b). Prot. 27, 15.5.1928. CAODM 3/9/19, Bl. 96. 179 Gosplan SSSR, Plenum der Kommission für den Perspektivplan der Volkswirtschaft. Prot. 49, 25.7.1927. RGAE 4372/24/2, Bl. 235. 180 Pjatiletnij plan 1929. 181 Direktiven zur Erstellung des Fünfjahresplans für die Volkswirtschaft des Moskauer Gebietes, o.D. [Mitte 1929], o. Verf. [vermutlich Plankommission des Mossovet]. CGAMO 178/1/224, Bl. 61. 182 Moskovskaja oblastnaja planovaja komissija: Materialy po pjatiletnemu planu 1930, Bd. 1, S. 146. 183 Plankommission GUBEKOSO des Mossovet (Gubplan). Kommunalsektor. Erläuterungen zum Fünflahresplan der Kommunalwirtschaft Moskaus und des Moskauer Gebiets für 1928/29-1932/33. o.D. [1930], CGAMO 178/1/375, Bl. 28.
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b) Die Verschiebung des Baus 1928-1930 Im September 1928 beschloß das Präsidium des Mossovet, die Finanzierung der Untergrundbahn über eine Aktiengesellschaft zu versuchen.184 Man bildete eine Kommission aus Vertretern verschiedener Trusts, Banken und Behörden. Die Kommission befand den Bau der Untergrundbahn für an der Zeit, die Organisation einer Aktiengesellschaft für zielführend und beauftragte ihre Mitglieder, Vorschläge einzubringen. Anfang November 1928 lagen die Antworten vor: Der Staatliche Elektrotrust [GET] war zwar bereit, Kapital in der Höhe der Kosten für die von ihm zu liefernde Elektroausrüstung einzubringen, erhielt aber dafür keine Erlaubnis vom Obersten Volkswirtschaftsrat [VSNCh], Dies traf auch für die Moskauer Elektrizitätswerke [MOGES] zu. Die Moskauer Kommunalwirtschaft stimmte einer Beteiligung von MGZD zu. Das Allunions-Metallsyndikat wollte nicht Aktionär sein, aber Metall gegen langfristige Kredite liefern. Die Zentrale Kommunalbank [Cekombank] war bereit, sich mit fünf Millionen Rubel zu beteiligen, unter der Voraussetzung, daß das Projekt von der Regierung bestätigt werde. Die Industriebank [Prombank] äußerte sich ähnlich. Der Vorsitzende des VSNCh, Kujbysev, bezeichnete es als dringend notwendig, die Untergrundbahn zu bauen und versprach volle Unterstützung seitens der Industrie. Der Leiter von MGZD, Butusov, und Ejsman von der Gebietsplanungsbehörde schlossen daraus, daß VSNCh möglicherweise die vorher erfolgten Ablehnungen revidieren werde.185 Unter der Überschrift „Im Frühjahr 1929 beginnt der Bau der Moskauer Untergrundbahn" berichtete am 2.11.1928 die Pravda über eine Mitteilung von Butusov, der auch Mitglied im Präsidium des Mossovet war, der Bau der Untergrundbahn sei „auf praktische Schienen gestellt". Die Bildung einer Aktiengesellschaft stehe vor dem Abschluß, noch 1928 würden 3,5 Millionen Rubel investiert, in den nächsten Jahren insgesamt 55 Millionen Rubel.186 Am 10.11.1928 reagierte darauf die Arbeiter- und Bauerninspektion auf ihrer Seite in der Pravda mit der öffentlichen Frage, ob der Mossovet tatsächlich einen entsprechenden Beschluß gefaßt habe und ob man die Millionenbeträge nicht besser für den Bau von Fabriken und Wohnungen verwenden solle.187 Als nach zwei Wochen keine Antwort des Mossovet vorlag, wiederholte die Arbeiter- und Bauerninspektion ihre Frage und widmete dem Thema eine ganze Seite. Die Arbeiter der großen Moskauer Fabriken hätten auf Versammlungen gegen den Bau der Untergrundbahn protestiert. Das Plenum des Mossovet, die Rayonssowjets und die Gewerkschaften seien mit der Frage nicht befaßt, die Arbeiter nicht ge-
184 Präsidium des Mossovet. Prot. 68, 14.9.1928. CGAMO 66/19/351, Bl. 25. 185 Butusov, Ejsman. Bericht über die Frage der Organisation einer Aktiengesellschaft zum Bau der Untergrundbahn, 17.11.1928. CGAMO 66/11/6591, Bl. 3-6. 186 PravdaNr. 256,2.11.1928, S. 2. 187 Pravda Nr. 261, 10.11.1928, S. 7.
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fragt worden. Die Anweisung von Mitteln für den Bau der Untergrundbahn müsse sofort gestoppt und die Frage den breiten Massen zur Diskussion vorgelegt werden. Es folgten schriftliche Stellungnahmen von Arbeitern mit dem gemeinsamen Tenor, es gäbe dringendere Probleme als die Untergrundbahn. Das Land benötige menschenwürdige Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, Straßen, aber nicht den teuren Luxus einer Untergrundbahn. Nur eine Minderheit wünschte sich die Untergrundbahn, weil sie mit der Straßenbahn immer zu spät zur Arbeit kä188 men. Daß die Proteste tatsächlich der Volksmeinung entsprachen, ist nicht unwahrscheinlich. Die Klagen der Metroplaner über mangelnden Rückhalt in der Bevölkerung wurden schon erwähnt. Trotzdem muß man bei dieser Kampagne berücksichtigen, daß die Arbeiter- und Bauerninspektion in starkem Maße von oben gesteuert wurde. Stalin benutzte sie des öfteren, um seine Gegner zu diskreditieren.189 In den zwanziger Jahren war Moskau unter dem Parteisekretär Uglanov zu einer Hochburg der Rechten in der Partei geworden. Die Moskauer Parteiführung kritisierte 1928 den Kurswechsel Stalins in Richtung auf die Forcierung der Schwerindustrie, was den Interessen der im Moskauer Gebiet dominierenden Textil- und Konsumgüterindustrie entsprach. Die Angriffe der Arbeiter- und Bauerninspektion auf den Mossovet im November 1928 fielen zeitlich mit der Absetzung Uglanovs und seiner Anhänger zusammen. Neuer Parteisekretär Moskaus wurde Bauman, der die Politik im Sinne Stalins vorantrieb, bis er im März 1930 nach Stalins Kritik an den Exzessen bei der Kollektivierung nach Mittelasien versetzt wurde und Kaganoviö an seine Stelle trat.190 Der seit 1926 amtierende Vorsitzende des Mossovet, Uchanov, blieb allerdings auf seinem Posten, bis er im Februar 1931 durch Bulganin ersetzt wurde.191 Auf eine telefonische Anfrage des Rates der Volkskommissare dementierte der Mossovet schon zwei Tage nach dem ersten Artikel der Arbeiter- und Bauerninspektion, daß der Bau der Untergrundbahn für 1929 beschlossen sei.192 Die schriftliche Antwort an die Pravda verzögerte sich, weil sie vom Mossovet mit großem Aufwand vorbereitet und mehrmals umgeschrieben wurde.193 Man war einerseits unter schwerem Druck und mußte sich von der Position, auf die man sich vorgewagt hatte, zurückziehen. Andererseits wollte man nicht zu viel Boden 188 Pravda Nr. 273, 24.11.1928, S. 6. 189 Vgl. Rees: State Control 1987, S. 144-170. - Im August 1926 hatte die Arbeiter- und Baueminspektion die Projektierung der Untergrundbahn noch als „nützlich und notwendig" erachtet und dem Mossovet vorgeschlagen, die Arbeiten fortzusetzen. (Material des Moskauer Kollegiums der Arbeiter- und Bauerninspektion zur Untersuchung des öffentlichen Verkehrs in Moskau. August 1926. CGAMO 66/11/3881, Bl. 105.) 190 Shimotomai 1991, S. 2-A. 191 Merridale 1990, S. 97. 192 Volkov, stv. Vorsitzender des Mossovet, an die Presseabteilung beim SNK SSSR. Telefonogramm, 12.11.1928. CGAMO 66/1/5691, Bl. 14. 193 Mossovet. Material fiir eine Antwort an die Pravda, November 1928. CGAMO 66/11/6313, Bl. 1-122.
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preisgeben und von der grundsätzlichen Notwendigkeit der Untergrundbahn nicht abrücken. Inzwischen versuchten Butusov und Ejsman noch vergeblich, das Ruder herumzureißen, und legten dem Präsidium des Mossovet am 17.11.1928 den Entwurf für eine Resolution vor, 1928/29 mit dem Bau zu beginnen.194 Die Antwort des Mossovet auf die Angriffe der Arbeiter- und Bauerninspektion erschien am 1.12.1928 in der Pravda}95 Das Präsidium des Mossovet versicherte darin, über den Baubeginn und die Finanzierung keinerlei Beschlüsse getroffen zu haben. Natürlich werde die Öffentlichkeit in die Entscheidung einbezogen. Vorher müsse die Frage aber sorgfaltig ausgearbeitet werden.196 Es folgte eine detaillierte Begründung der Notwendigkeit der Untergrundbahn: Man dürfe den Bau der Untergrundbahn nicht dem Wohn- oder dem Industriebau gegenüberstellen, da zwischen dem Wachstum von Industrie und Bevölkerung und den Verkehrsproblemen ein direkter Zusammenhang bestehe. Der Bau der ersten drei Linien dauere mindestens fünf Jahre. Bis dahin werde die Bevölkerung Moskaus auf 2,8 Millionen wachsen. Seit 1913 habe man das Straßenbahnnetz um 34 Prozent ausgedehnt, die Zahl der Waggons um 31 Prozent erhöht. Die Zahl der Passagiere sei von 257 auf 611 Millionen gestiegen. Straßenbahnen und Autobusse könnten die Bedürfhisse der Bevölkerung nicht mehr befriedigen. 1927/28 seien allein bei Unfällen mit der Straßenbahn 624 Personen ums Leben gekommen. Die Straßen hätten an einigen Stellen die Grenzen ihrer Belastbarkeit erreicht, obwohl es in Moskau erst 3.500 Lastkraftwagen und Autos gebe, deren Zahl bald stark steigen werde. Die Zahl der Straßenbahnwaggons könne nicht beliebig erhöht werden, weil sonst der Verkehr zusammenbreche. Des weiteren werde zur Zeit der Moskauer Eisenbahnknoten elektrifiziert. Rund um Moskau werde entlang der elektrifizierten Strecken die Bevölkerung wachsen. In den Vororten wohnende Arbeiter würden aber mit den vorhandenen innerstädtischen Verkehrsmitteln auf dem Weg zum Arbeitsplatz viel Zeit verlieren. Die Arbeiter- und Bauerninspektion gab sich mit dieser Antwort zufrieden: „Wir bezweifeln nicht die Idee des Baus einer Untergrundbahn, sondern wir bezweifelten und bezweifeln auch jetzt die Sinnhaftigkeit, sie jetzt zu bauen, wo wir dringendere Nöte haben." Mit der Zusage des Mossovet, vor Baubeginn die Massen über Arbeiterversammlungen, Sektionen und Plenen der Sowjets einzubeziehen, habe die Arbeiter- und Bauerninspektion ihr Ziel erreicht.197 Die fur die Kommunalwirtschaft zuständige Sektion des Mossovet beschloß kurze Zeit später, am 15.1.1929, den Trust MGZD zu beauftragen, „die Frage von Verkehrsmitteln auf eigenem Gleiskörper (Metropolitain) auszuarbeiten".198 Die Projektierung konnte also vorläufig fortgesetzt werden. 194 Ebd.,Bl. 11. 195 Pravda Nr. 279, 1.12.1928, S. 5. 196 Ebd. 197 Ebd. 198 Plenum der Sektion „MKCh" des Mossovet. Prot. 22, 15.1.1929. CGAMO 66/11/ 7268, Bl. 138.
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1930 wurde im Zuge der durch den Prozeß gegen die „Industriepartei" initiierten Suche nach Sündenböcken und vermeintlichen Saboteuren in der Wirtschaft auch der Apparat von M G Z D einer Säuberung unterzogen. Mit der Durchführung wurden im März 1930 die örtlichen Organe der Parteikontrollkommission / Arbeiter- und Bauerninspektion [KKRKJ] beauftragt. 199 Ziel der Säuberung war es, die Reste des aus der Zarenzeit übernommenen Beamtenapparates zu beseitigen und durch zuverlässige neue Kader zu ersetzen. 200 Die Säuberungskommission inspizierte auch die Unterabteilung für die Projektierung der Untergrundbahn und gelangte zu einem vernichtenden Urteil: Sieben Jahre lang sei hinter verschlossenen Türen geplant worden, ohne die Arbeitermassen zu informieren. 500.000 Rubel, die man besser fur die Straßenbahnen verwendet hätte, seien hinausgeworfen worden. Die Projektierung sei ohne Führung und Aufsicht, ohne Zeitplan und Rechenschaftsberichte verschleppt worden. Dabei sei die Frage der Notwendigkeit einer Untergrundbahn gar nicht geklärt. Das vorliegende Projekt sei nicht geeignet, die Verkehrskrise zu beheben, denn es könne maximal ein Viertel des Passagieraufkommens befördern. Verantwortlich für diese Verschwendung öffentlicher Gelder seien der ehemalige Leiter von M G Z D Butusov, sein ehemaliger Stellvertreter und Nachfolger Vezis, Chefingenieur Gerbko, der Leiter der Unterabteilung Mysenkov und sein Stellvertreter Rozanov. Sie seien zur Verantwortung zu ziehen. 201 Die Säuberungskommission hatte nicht mechanisch nach Sündenböcken gesucht, sondern die Arbeit der Metroplaner fachlich untersucht. Sie befaßte sich vor allem mit der Frage der Effektivität der Projektierungsarbeiten, - die in der Tat gering war, wenn man berücksichtigt, daß die Firma Siemens-Bauunion ihr Projekt innerhalb von Wochen erstellt hatte, - sowie mit der Frage, ob die Untergrundbahn die richtige Lösung für das Moskauer Verkehrsproblem sei. Hierzu wurden Fachleute befragt, Statistiken angefertigt, Verkehrsströme analysiert, Berechnungen angestellt und Alternativen zur Untergrundbahn aufgelistet. Das Urteil der Säuberungskommission war zweifellos parteiisch, aber es beruhte nicht auf Argumenten zur Person, sondern zur Sache. Die Argumentation deutet auch nicht darauf hin, daß sich die Säuberungskommission von antiurbanistischen Tendenzen (siehe unten) leiten ließ. Die Analyse der Verkehrsströme hatte ergeben, daß nur 23 Prozent der Bewegungen auf das Zentrum entfielen. Zudem handelte es sich im Zentrum überwiegend um Transitverkehr. Die meisten Passagiere fuhren nur deshalb durch das 199 Vorsitzender der Zentralkommission zur Säuberung des Apparates, Peters, stv. Volkskommissar der RKI, Pavlunovskij, an den Volkskommissar der RKJ RSFSR, 22.3.1930. CGAMO 807/1/307, Bl. 107. - Die KK RKI war ein Doppelkollegium, das 1923 aus der Vereinigung der Parteikontrollkommission und der Arbeiter- und Bauerninspektion gebildet worden war. 200 RKI des Moskauer Gebietes. Thesen zur Säuberung von MGZD, 23.4.1930. CGAMO 807/1/307, Bl. 101-102. 201 Arbeitsbüro zur Säuberung des Apparats von MGZD. Prot. 7, 31.7.1930. CGAMO 807/1/306, Bl. 12. Desgl. Prot. 11,8.8.1930. CGAMO 807/1/307, Bl. 11.
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Zentrum, weil es zu wenig Umfahrungsmöglichkeiten gab. Durch eine bessere Linienführung der Straßenbahnen und Autobusse und eine effektivere Verkehrsregelung könne man das Zentrum daher stark entlasten, hieß es in den Schlußfolgerungen. Für die Straßenbahnen könne man im Zentrum an Kreuzungen kurze Tunnel bauen. Die Vorortlinien der Eisenbahnen sollten vom Kalancevplatz ins Zentrum verlängert werden, um den Passagieren das Umsteigen auf städtische Verkehrsmittel zu ersparen. Die Hauptlast des Verkehrs sollten in den engen Straßen des Zentrums - wie im Ausland üblich - Autobusse tragen. Dringender und billiger als eine Untergrundbahn sei der Bau neuer Straßenbahnlinien in den Randgebieten, wo die Masse der Bevölkerung wohne und die weiter expandierten.202 Unter den Metroplanern kursierten schon seit 1928 Gerüchte über die Schließung ihres Büros: „Wir wußten nicht, ob man uns am nächsten Tag anordnet, alles einzustellen oder im Gegenteil, die Arbeit zu intensivieren", erinnerte sich später einer der Projektierer.203 Wohl unter dem Eindruck des politischen Gegenwindes und der drohenden Liquidierung beschloß MGZD am 29.10.1929, das Projekt bis zum 1.4.1930 abzuschließen.204 Im Juli 1930 - während der Säuberung - waren die Planungen fertig. Bis Ende des Jahres ging es nur noch darum, das Material drucken zu lassen.205 Während dieser Zeit wurden die maßgeblichen Projektierer als Schädlinge verhaftet. Um die Drucklegung kümmerte sich der junge Ingenieur I.E. Katcen, der - Mitglied der Partei - erst 1929 nach dem Abschluß des Studiums in die Unterabteilung gekommen und daher unbehelligt geblieben war.206 Am 31.12.1930 ordnete die Leitung von MGZD an, die Unterabteilung zum 1.1.1931 aufzulösen, weil sie ihre Aufgaben erledigt habe. Mit der Aufbewahrung der Materialien wurde der Techniker Bedrickij beauftragt.207 Er sollte das Projekt archivieren, für den Fall, daß es einmal gebraucht werde. Das Material bestand aus sechzehn Bänden mit rund tausend Zeichnungen.208 Einige Monate vor ihrer Verhaftung hatten die Ingenieure Mysenkov und Moskov das kurz vor der Fertigstellung stehende Projekt in einer Fachzeitschrift zur Diskussion gestellt und seine Realisierung als dringend bezeichnet. Sie beklagten sich über die Bürokratie, die jahrelang keine Entscheidung treffe, während in ausländischen Großstädten bei einer Bevölkerung von drei Millionen kein Zweifel an der Notwendigkeit einer Untergrundbahn bestehe. Die Mitarbeiter von
202 MOKK RKI. Material des Säuberungsbüros über die Unterabteilung metropoliten von MGZD, 9.6.1930. CGAMO 807/1/307, Bl. 164-169. Beilage zum Inspektionsbericht vom 9.6.1930. CGAMO 807/1/1666, Bl. 11-14. 203 Sten. Gespräch mit Bedrickij, o.D. [1934], GARF R-7952/7/266, Bl. 108. 204 MOKK RKI. Material des Säuberungsbüros über die Unterabteilung metropoliten von MGZD, 9.6.1930. CGAMO 807/1/307, Bl. 164. 205 Sten. Gespräch mit Bedrickij, o.D. [1934], GARF R-7952/7/266, Bl. 108. 206 Desgl. mit Ing. Katcen, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 303. 207 MGZD. Anordnung 233, 31.12.1930. GARF R-7952/7/116, Bl. 1 208 Sten. Gespräch mit Bedrickij, o.D. [1934], GARF R-7952/7/266, Bl. 109.
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MGZD würden bei ihrer Arbeit alleingelassen und müßten alle prinzipiellen Fragen selbst entscheiden. Eine breite öffentliche Kritik würde manche komplizierten Entscheidungen erleichtern.209 Das Projekt von MGZD fiel weitgehend mit den Planungen der Stadtverwaltung aus dem Jahre 1912 zusammen, nur daß diesmal kein Anschluß an die Eisenbahnen vorgesehen war und man einen vierten Durchmesser ergänzt hatte (Abb. 14). Vorrangig waren die Linien vom Zentrum nach Sokol'niki und zum Smolensker Markt (1) sowie zum Weißrussischen Bahnhof (2). Die Untergrundbahn sollte in Pariser Bauweise in geringer Tiefe gebaut werden. Das Tunnelprofil war etwas kleiner als bei den Eisenbahnen üblich. Das Befahren des Netzes durch Eisenbahnzüge war nicht vorgesehen. Die Gesamtlänge des Streckennetzes betrug etwa fünfzig Kilometer.210 Abb. 14: Projekt von MGZD 1930 (Myäenkov/ Moskov 1930, S. 15.)
Die Verhaftung der Projektierer und die Schließung ihres Büros bedeuteten für die Stadtverwaltung nicht, daß damit die Idee einer Untergrundbahn verworfen war. Nicht umsonst hatte man noch dafür gesorgt, daß das fertige Projekt ge-
209 Mysenkov/Moskov: Gotovy Ii my 1930, Η. 1, S. 13. 210 Ebd., H. 1,S. 13-14, H. 2, S. 60-65.
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druckt und archiviert wurde. Nach der Beendigung der Arbeiten und der Verhaftung der Ingenieure hatte die Auflösung der Unterabteilung sogar eine gewisse innere Logik: Vorläufig gab es nichts mehr zu projektieren, und außer den Verhafteten war gar niemand dazu in der Lage. Die katastrophale Lage der Moskauer Straßenbahnen veranlaßte im Herbst 1930 das Präsidium des Mossovet, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Sie publizierte im Oktober 1930 in der Zeitschrift Kommunal'noe chozjajstvo ihre Ergebnisse unverbindlich als „Material" und beschrieb den Straßenbahnverkehr als kurz vor dem Zusammenbruch stehend. Seit 1913 sei das Passagieraufkommen um 219 Prozent gestiegen, der Ausbau der Straßenbahnen habe damit nicht Schritt halten können: Tabelle 3: Entwicklung des Straßenbahnverkehrs in Moskau 1913-1930 2 1 1 Jahr 1913 1930
Streckenlänge in Kilometer 261,4 350,0 (+ 34,1 %)
Waggons
Passagiere
Einwohner
816 1.350 (+ 65,5%)
257 Mill. 820 Mill. (+219%)
1,7 Mill. 2,5 Mill. (+ 48%)
Fahrten je Einwohner 148 328 (+ 122%)
Bis zum Ende des Fünfjahresplans werde das Streckennetz auf 480 Kilometer wachsen, die Zahl der Waggons auf 2.360, jene der Passagiere auf 1.400 Millionen. Ein weiterer Ausbau sei dann im Zentrum nicht mehr möglich. Schon jetzt habe MGZD die Zahl der Haltestellen reduzieren müssen, damit der Verkehr nicht zusammenbreche. Die Bevölkerung Moskaus werde bis 1932 auf drei Millionen wachsen - eine Prognose, die tatsächlich eintrat. Alle wichtigen Einrichtungen seien in der Stadtmitte. Daher müsse der Bau der Untergrundbahn möglichst bald begonnen werden. Sie könne auf einer Linie 60.000 Passagiere in der Stunde befordern, die Straßenbahn nur 12.000. Bis 1932 müsse zumindest der Abschnitt an der Mjasnickaja gebaut werden. Bis zur Fertigstellung der ganzen Linie könne man ihn als Straßenbahntunnel nutzen. Ein Verzicht auf die Untergrundbahn sei völlig unmöglich; das Problem sei kein rein kommunales, denn es betreffe die Hauptstadt der Sowjetunion.212 Der Bericht einer weiteren, Ende Oktober 1930 vom Mossovet eingesetzten, Kommission, unterzeichnet unter anderem von Ejsman, der - wie geschildert schon Ende 1928 gemeinsam mit Butusov einen Beschluß zum Bau herbeizufuhren versucht hatte, bezeichnete ebenfalls die Organisation neuer Verkehrsmittel (Untergrundbahn, Hereinführung der Vorortbahnen ins Zentrum, Straßenbahntunnel) als notwendig. Da die Realisierung aber lange dauere, müsse als Sofort-
211 Lizin 1930, S. 46, ergänzt um die Einwohnerzahlen für Moskau aus Shimotomai 1991, S. 7undColton 1995, S. 758. 212 Lizin 1930, S. 46-49.
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maßnahme erst einmal der Autobusverkehr entwickelt werden.213 Damit MGZD ungestört arbeiten könne, sollten ein Jahr lang ohne Erlaubnis des Mossovet keine weiteren Inspektionen und Säuberungen erfolgen.214
c) Die Diskussion um die Untergrundbahn und revolutionäre Visionen der Stadtplanung Spielte im Dezember 1928 bei dem Schuß vor den Bug des Mossovet und möglicherweise auch beim Hinausdrängen der Untergrundbahn aus dem ersten Fünfjahresplan der Konflikt zwischen der Gruppe um Stalin und der Parteirechten eine wichtige Rolle, so war es bei der Verhaftung der Metroplaner im Jahre 1930 die Jagd auf „bürgerliche Spezialisten" und „Schädlinge". Es war jedoch noch ein dritter Faktor im Spiel. Die eigentlichen Entscheidungsträger, nämlich das Moskauer Parteikomitee und das Zentralkomitee, schwiegen 1929/30 zum Thema Untergrundbahn. Daß die Beschlüsse der Moskauer Parteiorganisation von 1927 und 1928 nie wieder erwähnt wurden, ist nicht weiter verwunderlich, da sie unter der alten, inzwischen als abweichlerisch diffamierten und abgesetzten Führung zustandegekommen waren. Die neue Führung unter Bauman und ab März 1930 unter Kaganovic enthielt sich vorläufig jeglicher Aussage fur oder gegen die Untergrundbahn. Die Zurückhaltung der Partei hängt damit zusammen, daß während der Zeit der „Kulturrevolution" (1928-1931) vorübergehend radikale Konzepte der Stadtplanung, etwa das der „Desurbanisten", im Gespräch waren.215 Solange aber über das Grundkonzept der künftigen Stadtplanung nicht entschieden und nicht einmal klar war, ob die Stadt Moskau in ihrer bisherigen Form weiterexistieren würde, war es freilich absurd, über den Bau und die konkrete Linienführung einer Untergrundbahn zu entscheiden.216 Gleichzeitig mußte man sich jedoch auch die konventionelle Option offenhalten und durfte sie nicht durch offizielle Beschlüsse völlig diskreditieren. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß in der Stadtverwaltung über die Ereignisse des Jahres 1930 hinaus die Idee der Untergrundbahn weiter verfolgt werden konnte. Die Einbettung der Debatte über die Untergrundbahn in den größeren Zusammenhang der Stadtplanung hatte eine längere Vorgeschichte und begann im Grunde schon vor der Revolution. Bereits 1914 kritisierte Ingenieur I. Kasatkin alle vorliegenden Projekte für Stadtschnellbahnen, weil sie das künftige Wachs213 Schlußfolgerungen der Kommission, die auf Beschluß des Präsidiums des Mossovet vom 23.10.1930 zur Untersuchung des Zustandes von MGZD gebildet wurde. Unterzeichnet von Prokofev, Ejsman, Cejtlin, 11.12.1930. CAODM 3/12/58, Bl. 32. 214 Entwurf einer Resolution des Präsidiums des Mossovet. Unterzeichnet von Prokofev, Ejsman, Cejtlin, Rozenplat, 11.12.1930. CAODM 3/12/58, Bl. 22. 215 Vgl. hierzu Starr 1978, S. 207-240. 216 Daraufhat schon hingewiesen: Wolf 1994, S. 25-27.
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tum Moskaus nicht berücksichtigten, und stellte ihnen eine grundsätzliche Alternative gegenüber: Kasatkin schwebte für die Zukunft ein dezentralisiertes Moskau vor, mit einer Reihe von Nebenzentren im Umkreis von sechs bis acht Werst rund um das Hauptzentrum (Abb. 15). Jedes Nebenzentrum sollte ein strahlenförmig organisiertes Verkehrsnetz mit Straßenbahnen und eine vollständige Infrastruktur erhalten, um das Hauptzentrum zu entlasten. Zur Verbindung der Nebenzentren untereinander und zu ihrer Anbindung an das Hauptzentrum sollte eine Stadtschnellbahn mit sechs Radiallinien dienen. Von den insgesamt 135 Werst sollte mehr als die Hälfte oberirdisch auf Dämmen gebaut werden.217
Abb. 15: Verkehrsschema der „Großstadt" nach I. Kasatkin 1914 (Kasatkin 1914, S. 13)
Die Untergrundbahnplanung der zwanziger Jahre litt darunter, daß die Stadt Moskau bis 1935 keinen Bebauungsplan und bis 1931 auch keine als allgemein anerkannt geltende Perspektive für das weitere Wachstum und den Aufbau der Infrastruktur hatte. Die Bebauung und das Wachstum der Hauptstadt des Sozialismus erfolgte, wie 1931 das Zentralkomitee konstatierte, „spontan" und planlos.218 Das einzige, woran sich die Metroplaner orientieren konnten, waren Daten über die Auslastung der bestehenden Straßenbahnlinien. Das Projekt von MGZD von 1930 nahm ausdrücklich darauf Bezug. Die Orientierung an bestehenden Linien barg allerdings die Gefahr, Verkehrsengpässe zu perpetuieren und Scheinprobleme zu lösen. Kritiker der Untergrundbahnplanung wiesen wiederholt und mit Recht darauf hin, daß etliche Straßenbahnlinien ohne Notwendigkeit durch das Stadtzentrum verliefen. Bei der von MGZD vorgesehenen Pariser Bauweise hätte man unab-
217 Kasatkin 1914, S. 1-17. 218 Plenum des CK VKP(b). Prot. 3, 11.-15.6.1931. RGASPI 17/2/461, Bl. 20.
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hängig vom Straßenverlauf unterirdische Linien projektieren können, die die bestehenden Verkehrsströme umgelenkt hätten. 1925 veröffentlichte Professor S.S. Sestakov219 seinen Plan „Groß-Moskau". Er ging von der historisch gewachsenen Stadt aus und sah konzentrische Kreise verschiedener Zweckbestimmung vor.220 Moskau sollte zur größten Metropole der Welt wachsen, mit riesigen Grünbereichen rund um das Zentrum. Der Plan stieß auf beträchtliche Resonanz und wurde auch eine Zeitlang berücksichtigt, wenn es um die Standortfestlegung bestimmter Bauvorhaben ging. Offiziell bestätigt wurde der Plan jedoch nie.221 1928 bis 1931 war die Blütezeit der „sozialistischen" Stadtplanung und Architektur. Eine Reihe von Architekten präsentierte, ermutigt von der Parteiführung, revolutionäre Konzepte für die Entwicklung der sowjetischen Städte.222 Es wurde lebhaft darüber debattiert, was das Wesen der sozialistischen Stadt im Unterschied zur kapitalistischen ausmache.223 Die prominentesten Teilnehmer der Debatte waren L. Sabsovic224 („Urbanismus"), M. Ochovic („Desurbanismus"), M. Ginzburg („Grüne Stadt"), N. Ladovskij („Parabelförmige Stadt"), N.A. Miljutin225 („Socgorod") und Le Corbusier226 („Wolkenkratzerstadt").227 Manche Architekten, wie etwa M. Ginzburg, traten für die Dezentralisierung Moskaus ein,228 andere, wie Le Corbusier, beschrieben ihre Vision einer völlig neuen Stadt, die an der Stelle Moskaus errichtet werden sollte.229 Einige der damals diskutierten Stadtplanungskonzepte sahen auch Untergrundbahnen und Stadtschnellbahnen vor. Le Corbusier meinte zum Beispiel, die Untergrundbahn sei wegen ihrer Vorteile im Winter wie geschaffen fur Moskau. Die Linien dürften keinesfalls an Straßen ausgerichtet werden, sondern müßten die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten herstellen. Das Linienschema müsse einfach und einprägsam sein. Die Straßenbahnen seien abzuschaffen.230 P.I. Lopatin, der einige Jahre später Propagandaschriften über die Rekonstruktion Moskaus und den Bau der Untergrundbahn schrieb,231 schilderte 1928 das
219 Derselbe Sestakov war 1911 an der Vorbegutachtung des Projekts von Ruin beteiligt gewesen. Vgl. Kap. I.l.c. 220 Poletaev 1961, S. 47. 221 Miljutin 1992, S. 9-11. 222 Über die Stadtplanung für Moskau bis 1931 siehe ausfuhrlich: Colton 1995, S. 2 1 5 247, mit Skizzen. Als gute zeitgenössische Übersicht: Gornyj 1931. 223 Starr 1978, S. 209-210. 224 Sabsovic 1929. 225 Miljutin 1930/1992. 226 Gornyj: Korbjuz'e 1930, S. 16-17. LeKorbjuz'e 1931, S. 25-31. 227 Chan-Magomedow 1983, S. 3 3 3 - 3 4 1 . Vgl. Parkins 1953, S. 20-24. 228 Miljutin 1930/1992, S. 3. 229 Vgl. LeKorbjuz'e 1931, S. 25-31. 230 Ebd., S. 26. 231 Lopatin: Ot staroj k novoj 1933. Lopatin: Pervyj sovetskij 1934. Lopatin: Pervaja poezdka 1935.
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Moskau der Zukunft als grüne, sonnige Gartenstadt mit einer Untergrundbahn und einer Stadtschnellbahn auf Viadukten. Der Kreml sei ein Museum, die Regierung an den Stadtrand umgezogen, im Stadtzentrum gebe es große Boulevards und Hochhäuser. Moskau sei von Norden nach Süden und von Osten nach Westen von einigen unterirdischen und oberirdischen Eisenbahnlinien durchschnitten. Die Metropolitain fahre mit hoher Geschwindigkeit und in einem Intervall von einer bis eineinhalb Minuten. Sie könne in die Vororte verlängert werden und gebe den Menschen die Möglichkeit, im Grünen zu wohnen, ohne auf die kulturellen Annehmlichkeiten des Zentrums verzichten zu müssen.232 1930 legte die Allunionsgesellschaft zur Rationalisierung des Bauwesens zahlreichen Architekten und Stadtplanern einen Fragebogen vor, auf dem unter anderem auch nach den Verkehrsmitteln gefragt wurde. Das Ergebnis war ein Kaleidoskop unterschiedlichster Meinungen. Eine Untergrundbahn erwähnten in ihren Antworten nur wenige: S. Gurevic („Grüne Stadt") bezeichnete die Untergrundbahn als nachrangig, da sie die Dezentralisierung des Wohnens nicht begünstige. N.V. Dokucaev von der Assoziation der neuen Architekten sah hingegen für das Zentrum Straßenbahnen und Untergrundbahn als sinnvoll an, im Gegensatz zur Verlängerung der Eisenbahnen in die Stadt.233 P. Kozanin vom Allunionsrat der Wohnkooperativen plädierte für neuen Wohnbau in gut ausgestatteten Vororten, um sich eine teure Untergrundbahn zu ersparen.234 V. Kolarov, Mitglied des Präsidiums des Exekutivkomitees der Komintern, bezeichnete die Untergrundbahn als überflüssig und auf die Bedürfnisse der kapitalistischen Stadt abgestimmt.235 K.S. Mel'nikov (Assoziation der neuen Architekten) sah die Zukunft in Autobussen, Straßenbahnen und Gehsteig-Förderbändern und lehnte die Untergrundbahn als unnötig ab. Professor V.N. Obrazcov vom Moskauer Institut fur Verkehrsingenieure sprach ebenfalls von Gehsteig-Förderbändern und Autobussen, wollte aus hygienischen Gründen jeden unterirdischen Verkehr auf ein Minimum reduzieren, befürwortete jedoch elektrische Stadtschnellbahnen auf Viadukten. T.B. Puzis von der Unionsplanungsbehörde Gosplan bezeichnete die Untergrundbahn als perspektivlose Geldverschwendung.236 N. Sobolev von der Moskauer Architektengesellschaft wollte Moskau dezentralisieren, die neuen Zentren mit einer Stadtschnellbahn verbinden und die Straßenbahn abschaffen.237 Zum konkreten Untergrundbahnprojekt für Moskau meldeten sich in den zwanziger Jahren außer den bereits erwähnten Mitarbeitern von MGZD nur wenige Fachleute zu Wort. Die von den Projektierern gewünschte Diskussion kam nicht zustande. Eine der wenigen Stellungnahmen Außenstehender in den Fachzeitschriften war die von N. Kalasnikov 1929. Er lehnte den Bau der Untergrund232 233 234 235 236 237
Lopatin: Gorod buduscego 1928, S. 16-17, 24-26. Gornyj: Socialisticeskaja rekonstrukcija 1931, S. 87-88. Ebd., S. 92. Ebd., S. 95. Ebd., S. 107-110. Ebd., S. 127.
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bahn nicht ab, befürchtete aber bis zur Eröffnung der ersten Linie, die frühestens 1933 erfolgen könne, eine Verkehrskatastrophe und schlug daher als schnelle Maßnahme - ähnlich wie schon 1911 die Stadtverwaltung - den Bau eines 800 bis 900 Meter langen Straßenbahntunnels im Bereich zwischen dem Theater- und dem Noginplatz [vor 1924 und nach 1992: Varvarskie vorota] vor.238 A.I. Kolycev, der ebenfalls für Straßenbahntunnel eintrat, argumentierte grundsätzlich gegen die Untergrundbahn: Die Untergrundbahn sei nicht die logische nächste Etappe nach der Straßenbahn und nicht der Endpunkt der technischen Entwicklung. Die Zukunft gehöre dem Automobil und der Luftfahrt. Passagiere der Untergrundbahn müßten auf Sonne und Luft verzichten und sich unter die Erde begeben. Der Mensch bevorzuge aber oberirdische Verkehrsmittel. „Muß nicht der Mensch des 20. Jahrhunderts, insbesondere der sozialistische Mensch, danach streben, sich von unter der Erde ans Licht und an die Sonne zu bewegen?" In London und Berlin wachse der Autobusverkehr stärker als jener der Untergrundbahn. Autobusse erforderten nicht so hohe Investitionen und amortisierten sich schneller. Im Falle der Erfindung neuer Verkehrsmittel könne man sich schnell umstellen, die Autobusse an eine kleinere Stadt verkaufen und das Kapital neu investieren. Die immer wieder beschworene Verkehrskrise Moskaus müsse kritisch betrachtet werden: Der Fahrzeugbestand im Jahre 1929 habe sich aus 26.300 Pferdefuhrwerken, 3.235 Automobilen, 173 Autobussen und 1.426 Straßenbahnwaggons zusammengesetzt. Die vielen Pferdefuhrwerke könnten durch eine erheblich geringere Zahl an Taxis und Lastkraftwagen ersetzt werden. Von einer Überlastung der Straßen zu sprechen, sei angesichts des Vergleichs mit dem Ausland peinlich: London habe 2.500 Straßenbahnwaggons, 4.400 Autobusse und 250.000 Automobile; Berlin 2.900 Straßenbahnwaggons, 200 Autobusse und 44.000 Automobile. Die Überlastung der Moskauer Straßen sei bloß eine Folge der Unfähigkeit, den Verkehr zu regeln, und der Tatsache, daß Straßenbahnen unnötigerweise durch das Zentrum führen.239 Eine ungewöhnliche Alternative zur Untergrundbahn stellte 1930 ein anderer Autor zur Diskussion: Seit dreißig Jahren sei schon auf verschiedenen Ausstellungen ein endloses unterirdisches Passagier-Förderband zu sehen gewesen. Es sei durch den kleineren Tunneldurchmesser billiger, brauche weniger aufwendige Technik und sei einfach im Betrieb.240 Da die Planer von MGZD ihre Untergrundbahn als rein für den innerstädtischen Verkehr konzipierten, machte man sich andernorts Gedanken über das alte Problem, die Eisenbahnlinien in die Stadt hinein zu verlängern. Im Laufe der zwanziger Jahre gab es einige Projekte für die Rekonstruktion des Moskauer Eisenbahnknotens, die darauf abzielten, das Kopfbahnhofsystem abzuschaffen und Eisenbahnlinien für den Vorort- und Fernverkehr durch das Stadtzentrum zu legen. 238 Kalasnikov 1929, S. 71-79. Vgl. Kap. I.l.c. 239 Kolycev 1929, S. 48-56. 240 Antokol'skij 1930, S. 49-52.
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1921-1925 schlug etwa Professor V.N. Obrazcov unter anderem zwei Durchmesserlinien zur Verbindung der Kopfbahnhöfe vor, um den Vorortverkehr mitten durch die Stadt zu fuhren.241 Ein Projekt des Volkskommissariats für Verkehr [NKPS] sah 1926/27 vor, den gesamten Vorortverkehr über den Verbindungszweig zwischen der Kursker und der Oktobereisenbahn zu leiten (Abb. 16). Abb. 16: Verlängerung der Vorortbahnen in die Stadt, Projekte von NKPS Ο und Rozanov
1927®
Professor Rozanov kritisierte diesen Streckenverlauf als ungünstig, weil er zu weit vom Stadtzentrum entfernt war. Der internationale Vergleich zeige, daß die Verlängerung der Eisenbahnlinien durch das Zentrum zielführend sei. Er schlug vor, entlang dem Boulevardring eine Eisenbahnschleife durch die Innenstadt zu fuhren, damit alle Vorortpassagiere ohne Umsteigen ins Zentrum gelangen könnten. Die Züge sollten über den Ring rund um die Innenstadt und dann wieder zurück auf ihre Linie fahren. Gemeinsam mit der Untergrundbahn könne so das Verkehrsproblem von Groß-Moskau gelöst werden.242 Ein weiterentwickeltes Projekt des Verkehrskommissariats sah 1930/31 vor, die von Norden, Osten und Südosten kommenden Eisenbahnen durch das Stadtzentrum zu leiten (Abb. 17).243
241 Vgl. Kurenkov: Rekonstrukcija 1935, S. 7. 242 Rozanov: Metropoliten i prigorodnoe soobscenie 1927, S. 15-18. 243 Kurenkov: Rekonstrukcija 1935, S. 8. Vgl. Katcen: Proekt Moskovskogo metropolitena (po variantu, razrabotannomu trestom MGZD) 1931, S. 21.
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3. D i e p o l i t i s c h e E n t s c h e i d u n g z u m Bau 1931 a) Das Eingreifen der Partei Bis 1931 wurde die Stadt Moskau unmittelbar durch das Gebietsexekutivkomitee und das Moskauer Gebietsparteikomitee [MK VKP(b)] regiert. Das Moskauer Gebiet war 1929 aus den ehemaligen Gouvernements Moskau, Rjazan', Tula, Tver' und einem Teil des Gouvernements Kaluga gebildet worden und umfaßte 1931 151.741 Quadratkilometer (mehr als doppelt so viel wie Bayern) und 11,36 Millionen Einwohner. 244 Man hatte zwar 1929 der Stadt Moskau ein selbständiges Budget gegeben und für die Leitung der Kommunalwirtschaft Unterabteilungen der Abteilungen des Gebietsexekutivkomitees gebildet. Dahinter stand die Idee, daß Moskau als Zentrum des Industrieproletariats, im Sinne der Marxschen Überwindung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, einen positiven Einfluß auf sein Umland ausüben werde. Die Stadt und das Gebiet hatten ein gemeinsames Präsidium und Exekutivkomitee. 245 Bald stellte sich jedoch heraus, daß die Stadt Moskau mit ihren (1931) 2,78 Millionen Einwohnern auf diese Weise nicht angemessen regiert werden konnte. Die sich bedrohlich zuspitzenden Mängel in der Moskauer Kommunalwirtschaft veranlaßten 1930 das Gebietsparteikomitee zum Eingreifen. Im April 1930 hatte Stalins enger Mitarbeiter L.M. Kaganovic das Amt des Ersten Sekretärs im Moskauer Gebietsparteikomitee übernommen. 246 Kaganovic, gleichzeitig auch Schlüsselfigur im Zentralkomitee und im Politbüro, erwies sich in den darauffolgenden Monaten und Jahren als die treibende Kraft bei der durchgreifenden Lösung der Moskauer Probleme. Seine Mehrfachftinktionen erleichterten es ihm, kommunale Vorhaben wirksam durchzusetzen. Im Dezember 1930 wurde die Stadt Moskau neu rayoniert und gleichzeitig beschlossen, sich in den nächsten Monaten schwerpunktmäßig der Moskauer Kommunalwirtschaft zuzuwenden. Das Präsidium des Mossovet sollte Grundsatzüberlegungen über die Generallinien der Entwicklung Moskaus als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre anstellen.247 244 Shimotomai 1991, S. 4-7. 245 Alescenko 1976, S. 352-353. 246 Lazar Moiseeviö Kaganovii (1893-1991) wurde in einem Dorf im Gouvernement Kiev geboren, lernte das Schusterhandwerk, Schloß sich 1911 den Bolschewiki an. Im Bürgerkrieg war er Kommissar, 1922-1924 Leiter der Kaderabteilung des Zentralkomitees, 1924-1925 und 1928 ZK-Sekretär, 1925-1928 Parteisekretär der Ukraine, Politbüromitglied seit Juli 1930. April 1930 bis Mai 1935 war er Erster Sekretär des Moskauer Gebietsparteikomitees, Februar 1931 bis Januar 1934 Erster Sekretär des Moskauer Stadtparteikomitees, ab 1935 Volkskommissar für Verkehr und in verschiedenen hohen Positionen. 1957 trat er im Zuge der Entstalinisierung zurück. (Colton 1995, S. 783). 247 Plenum MK VKP(b). Prot. 4, 8.-10.12.1930. CAODM 3/12/49, Bl. 18-23. Büro MK VKP(b). Prot. 27, 4.12.1930. CAODM 3/12/58, Bl. 109-110.
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Anfang 1931 veranstaltete das Moskauer Parteikomitee Anhörungen zu einzelnen Bereichen der Kommunalwirtschaft. Zu den Beratungen waren außer Parteifunktionären auch führende Angestellte, Bedienstete und Arbeiter der betroffenen Unternehmen eingeladen. Sie wurden ausdrücklich aufgefordert, ohne Hemmungen alle Mißstände darzulegen.248 Die Anhörung zum Thema Straßenbahn am 9.2.1931 ergab ein trostloses Bild: Die Gleisanlagen und der Waggonbestand waren veraltet und nicht annähernd geeignet, das Verkehrsaufkommen zu bewältigen, zumal ein Viertel der Wagen defekt und nicht benutzbar war.249 Wenig später zog die Partei aus den Problemen der Kommunalwirtschaft organisatorische Konsequenzen und gab der Stadt eine eigene Verwaltung und ein eigenes Parteikomitee. Die Initiative ging von Kaganovic aus, der die Frage im Politbüro vortrug. Am 20.2.1931 beschloß das Politbüro, eine entsprechende Resolution auf dem Weg über den Mossovet und den in Moskau tagenden zweiten Gebietssowjetkongreß herbeizufuhren,250 was drei Tage später geschah.251 Am 24.2.1931 folgte ein analoger Beschluß des Gebietsparteikomitees über die Par252
teiorgamsation. Am 25.2.1931 konstituierte sich die Parteiorganisation der Stadt.253 In personeller Hinsicht wurde das neu gebildete Moskauer Stadtparteikomitee [MGK VKP(b)] eng mit dem Gebietsparteikomitee [MK VKP(b)] verflochten, was einerseits seine Selbständigkeit einschränkte, andererseits der Stadt mehr Gewicht gab. Kaganovic war Erster Sekretär beider Organisationen, im MK stand ihm als Zweiter Sekretär Kaminskij zur Seite, im MGK Ryndin (ab 1932 Chruscev254). Etliche Mitglieder des MGK-Büros255 saßen gleichzeitig im MK-Büro.256 Auf administrativer Ebene wurde ein Stadtexekutivkomitee eingerichtet, mit dem Prä248 Sten. Beratung beim MKVKP(b), 9.2.1931. CAODM 3/13/85, Bl. 1-101, hier Bl. 1. 249 Ebd., Bl. 3-13. 250 Politbüro. Prot. 27, 25.2.1931 (Beschluß vom 20.2.1931). RGASPI 17/3/814, Bl. 1112. Das vereinigte Plenum des Moskauer Komitees und der Moskauer Kontrollkommission vom 25.2.1931 sprach von einer Entscheidung des Politbüros und des Büros des Moskauer Komitees und ordnete die Initiative letzterem zu. CAODM 3/13/1, Bl. 4. 251 Rabocaja Moskva Nr. 55, 25.2.1931. Vgl. Merridale 1990, S. 97. 252 Rabocaja Moskva Nr. 57, 27.2.1931. 253 Moskauer Stadtparteikonferenz. Prot. 1, 25.2.1931. CAODM 4/1/1, Bl. 12. 254 Nikita Sergeevic Chruscev (1894-1971) war im Bürgerkrieg Kommissar der Roten Armee, danach Parteifunktionär in der Ukraine, 1931-1932 Vorsitzender eines Moskauer Rayonssowjets und Rayonsparteisekretär, 1932-1934 Zweiter Sekretär des MGK, Januar 1934 bis Januar 1938 Erster Sekretär des MGK, März 1935 bis Januar 1938 Erster Sekretär des MK, seit Februar 1934 auch Mitglied des Zentralkomitees. Ab 1938 war er Parteisekretär der Ukraine und in verschiedenen hohen Positionen, zuletzt Erster Sekretär des Zentralkomitees (1953-1964) und Vorsitzender des Ministerrates (1958-1964). (Colton 1995, S. 783. Moskva Enciklopedija 1997, S. 875-876). 255 Das Büro war auf allen Ebenen der engere Führungskreis eines Parteikomitees. Siehe Kap. VI.2.a. 256 Vgl. Shimotomai 1991 S. 28-30. Vgl. Vereinigtes Plenum MK und MKK VKP(b). Prot. 6, 25.2.1931. CAODM 3/13/1, Bl. 4-5.
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sidium des Mossovet als engerem Führungsorgan. Vorsitzender des Mossovet wurde Bulganin.257 Im Präsidium waren auch der Erste und Zweite Sekretär des MGK vertreten.258 Die Moskauer Parteiführung hatte aus der Anhörung vom 9.2.1931 offenbar den Eindruck gewonnen, daß zum einen das Straßenbahnwesen gründlich reorganisiert werden müsse, zum anderen aber auch das nicht ausreiche, um die Verkehrsmisere zu bewältigen. Eine Kommission unter dem Vorsitz von Ryndin arbeitete einen Beschluß aus, der am 5.3.1931 vom MGK-Büro bestätigt wurde und den Mossovet beauftragte, gemeinsam mit der Gebietsplanbehörde und MGZD innerhalb von sechs Monaten ein Konzept zur Rekonstruktion des Stadtverkehrs auszuarbeiten und dabei auch „den Typ zusätzlicher Verkehrsmittel (Metropolitain, Verlängerung der Eisenbahnen in die Stadt hinein), neue Straßenbahnringe und Autobusse zu bestimmen".259 Das Politbüro hatte überdies am 20.2.1931 das MK-Büro und das Präsidium des Mossovet angewiesen, in eineinhalb Monaten ihre Vorschläge zur Verbesserung der Moskauer Wirtschaft vorzulegen.260 Eine Kommission unter Kaganovic und Bulganin erstellte einen umfangreichen Maßnahmenkatalog, der am 3.5.1931 in einer vereinigten Sitzung der Büros von MK und MGK diskutiert und mit einigen Änderungen bestätigt wurde. Bezüglich des städtischen Verkehrs hieß es darin unter anderem, man müsse „schnelle elektrische Verbindungen unter Ausnutzung der bestehenden Ringeisenbahn und ihrer Verbindungszweige" errichten. Man solle das Zentralkomitee bitten, das Verkehrskommissariat zu verpflichten, gemeinsam mit dem Stadtexekutivkomitee bis Ende 1931 Projekte fur ein städtisches elektrisches Eisenbahnnetz vorzulegen. Dabei solle auch eine Linie vorgesehen werden, die das Verkehrsproblem am Kalancevplatz durch eine Verbindung der dort endenden Eisenbahnen mit der Kursker und der Niznij Novgoroder Eisenbahn löse. Darüber hinaus solle die Stadt mit dem Verkehrskommissariat überlegen, wie man auf dem Eisenbahnring einen städtischen Passagierverkehr organisieren könne.261 Damit hatte die Kommission des MK und des Mossovet eben nicht die Untergrundbahnplanung von MGZD aufgegriffen, sondern die ältere Idee einer mit den 257 Nikolaj A. Bulganin (1895-1975) war 1918-1922 in der Geheimpolizei ( eka), dann in der Industrie tätig, 1927-1930 war er Direktor der Moskauer Elektrofabrik, 1930 stellvertretender Vorsitzender des Moskauer Gebietssowjets, Februar 1931 bis Juli 1937 Vorsitzender des Mossovet, danach Vorsitzender des Rates der Volkskommissare der RSFSR und in verschiedenen hohen Funktionen, zuletzt Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR 1955-1958. (Colton 1995, S. 783). 258 Büro MGK VKP(b). Prot. 1, 28.2.1931. CAODM 4/1/6, Bl. 5, 19. 259 Büro MGK VKP(b). Prot. 2, 5.3.1931. CAODM 4/1/6, Bl. 7 - 3 1 , Zitat Bl. 29. 260 Politbüro. Prot. 27, 25.2.1931. RGASPI 17/3/814, Bl. 11. 261 Resolution der vereinigten Sitzung der Büros von MK und MGK, 3.5.1931. CAODM 3/24/5, Bl. 12-93, hier Bl. 69. - Aus den Quellen geht nicht zweifelsfrei hervor, ob es sich um eine einzige Kommission handelte, oder ob zwei Kommissionen unter KaganoviC und Bulganin parallel tätig waren.
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Eisenbahnen verbundenen Stadtschnellbahn samt der Einbindung des Eisenbahnrings. Man sympathisierte im MK offenbar zu diesem Zeitpunkt noch mit den Ideen der Desurbanisten. Wie ein Mitglied der Kommission, der schon erwähnte Ingenieur Katcen von MGZD, sich später erinnerte, ging die Kommission damals davon aus, daß „Groß-Moskau" allmählich im Zentrum zu einem Museum würde, und sich das Schwergewicht der Industrie und Bevölkerung nach Südosten verlagern werde. Man wollte Moskau ein mit dem Begriff der „sozialistischen Stadt" eng verbundenes Verkehrsmittel geben. Daher habe man keine Untergrundbahn städtischen Typs, sondern eine auf den Vorortverkehr ausgerichtete Stadtschnellbahn auf Viadukten als notwendig erachtet.262 Am 5.5.1931 berichteten Kaganovic und Bulganin im Politbüro über den Maßnahmenkatalog. Das Politbüro setzte daraufhin eine eigene Kommission ein, um auf der Grundlage des Katalogs einen Politbürobeschluß vorzubereiten. In der Kommission unter dem Vorsitz von Kaganovic war neben Funktionären der Moskauer Parteiorganisation und Administration die oberste Führungsspitze mit Männern wie Stalin, Molotov, Vorosilov, Jagoda und Kirov vertreten.263 In ihrer zweiten Sitzung am 14.5.1931 beschloß die Kommission des Politbüros, in den Maßnahmenkatalog einen Punkt folgenden Wortlauts aufzunehmen: „Den Mossovet und MK beauftragen, eine Kommission zur Begutachtung aller existierenden Projekte verschiedener Verkehrsmittel zu bilden und ein Projekt für eine Metropolitain zu erstellen. Frist: 3 Monate."264
Hier war nun ausdrücklich von einer Metropolitain die Rede. Was Stalin, von dem die Initiative zur Aufnahme dieses Punktes ausgegangen war, damals damit meinte, eine Untergrundbahn für den innerstädtischen Verkehr, eine Stadtschnellbahn des Eisenbahntyps oder beides gemeinsam, geht aus dem Beschluß und aus dem Stenogramm der Beratung allerdings nicht hervor: „Stalin: Man muß eine spezielle Kommission für die Metropolitain bilden und entscheiden, was notwendig ist, die Frist, wie man es macht und wieviel es kostet. Man muß beschließen, daß die Metropolitain notwendig ist, und die Sache muß forciert werden. Als Hauptverkehrsmittel die Metropolitain betrachten, unverzüglich damit beginnen, alle anderen oberirdischen Linien an ihr orientieren. Molotov: Und zur Durchführung ausländische Spezialisten aus Berlin, Paris und London einladen. 262 Sten. Gespräch mit Ing. Katcen, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 304, 306. - In dem Stenogramm heißt es, die Kommission sei im April 1930 gebildet worden. Aus dem Zusammenhang geht aber eindeutig hervor, daß es April 1931 sein muß. - Wolf 1994, S. 29, stellt den Zusammenhang mit den Desurbanisten her, übernimmt aber die falsche Datierung. - Das Projekt der Kommission spielte in der weiteren Diskussion noch eine Rolle (siehe unten). 263 Politbüro. Prot. 36, 5.5.1931. RGASPI 17/3/823, Bl. 2. 264 Kommission des Politbüros zur Ausarbeitung des Resolutionsentwurfs für die Moskauer Kommunalwirtschaft, 14.5.1931. Prot. 2. RGASPI 81/3/41, Bl. 8.
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Stalin: Die Deutschen reichen. Kaganovii: Im Zusammenhang mit der Begutachtung aller existierenden Projekte verschiedener Verkehrsmittel ein Projekt für die Metropolitain erstellen. Frist drei Monate. Hierzu beim Mossovet eine spezielle Kommission bilden."265
b) Die Diskussion im Mai und Juni 1931 Am selben Tag, an dem Stalin sich fur die Metropolitain aussprach, begann eine kurze, aber heftige Diskussion in der sowjetischen Presse über das Thema, in deren Verlauf die Begriffe unscharf blieben: Gegner der Metropolitain meinten damit eine Untergrundbahn und führten ein letztes Mal desurbanistische Argumente ins Feld, während manche Befürworter eigentlich eine Stadtschnellbahn für die Vororte im Sinne hatten, weil sie ebenfalls von einer desurbanistischen Vision der Stadtentwicklung ausgingen. Am 14.5.1931 erschien in der Regierungszeitung Izvestija unter der Überschrift „Braucht Moskau eine Metropolitain?" ein Artikel von N. Osinskij 266 , der zwei Haupteinwände gegen eine Stadtschnellbahn identifizierte: Der erste Einwand war jener der Desurbanisten, die der Ansicht waren, Moskau müsse im Zuge der Entwicklung zu einer „sozialistischen" Stadt dezentralisiert werden, und die die Anhänger einer Stadtschnellbahn sogar als Abweichler von sozialistischen Prinzipien verunglimpften. Die Dezentralisierung erübrige die Notwendigkeit ober- und unterirdischer Stadtbahnen. Der zweite Einwand ging davon aus, daß die Kommunalwirtschaft dringendere Nöte habe. Osinskij beurteilte beide Einwände als unzutreffend: Moskau werde als Hauptstadt auch künftig eine Industrie und im Zentrum administrative und kulturelle Einrichtungen haben. Die Bevölkerung der Innenstadt werde sich noch verdichten, weil das Aufstocken der ein- und zweigeschossigen Häuser billiger sei als der Neubau am Stadtrand. Die Pläne zur Dezentralisierung bezeichnete Osinskij als irreal. Angesichts der Verkehrsmisere sei eine Stadtschnellbahn kein Luxus, sondern Notwendigkeit, weil die Straßenbahn hoffnungslos überfordert sei: , Jetzt ist es so weit gekommen, daß die Mehrheit der Moskauer zu Fuß gehen muß, die Gehsteige überfüllt sind und die Straßenbahnen in einer ununterbrochenen Schlange fahren, wodurch sie langsam sind und die Straßen verstopfen."267
265 Sten. Beratungen der Kommission des Politbüros zur Ausarbeitung des Resolutionsentwurfs für die Moskauer Kommunalwirtschaft, 14.5.1931. RGASPI 81/3/41, Bl. 16. 266 N. Osinskij, eigentlich V.V. Obolenskij (1887-1938 [erschossen]), war nach verschiedenen anderen Funktionen 1929-1930 stellvertretender Vorsitzender des Obersten Volkswirtschaftsrates, 1931 Redaktionsmitglied der Izvestija, 1932-1935 stellvertretender Vorsitzender von Gosplan. 267 Osinskij, N.: Nuzen Ii Moskve metropoliten? - In: Izvestija Nr. 131, 14.5.1931, S. 2.
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Im internationalen Vergleich verschwinde die Straßenbahn aus den Innenstädten. In London, New York, Paris gebe es im Zentrum nur Autobusse und Untergrundbahnen. Mit dem Aufkommen des Autos sei die Straßenbahn zu einem Verkehrshindernis geworden. Sie sei zu langsam, könne nicht schnell beschleunigen, nicht ausweichen, verstopfe die Straßen, verursache bei jeder Haltestelle einen Stau auf der Straße, weil die ein- und aussteigenden Passagiere die Fahrbahn queren müßten. In einigen Jahren würden Zehntausende Personenkraftwagen auf Moskaus Straßen fahren. Dann müsse die Straßenbahn aus dem Bereich innerhalb des Gartenrings verbannt werden. Man müsse eine Untergrundbahn bauen, in großem Maßstab Autobusse und Taxis anschaffen und als Voraussetzung für letzere die Fahrbahnen befestigen und Disziplin im Straßenverkehr herstellen. Die Moskauer Fußgänger verhielten sich zur Zeit, als wären sie im Dorf, gingen massenhaft auf der Fahrbahn und blieben mitten auf der Kreuzung stehen, um zu plaudern.268 Der Artikel erregte großes Aufsehen. Als Ergänzung verfaßten Emil Cejtlin von der Gebietsplanbehörde und Ingenieur Katcen von MGZD, die beide im März und April 1931 in der Kommission des MK und Mossovet das Stadtschnellbahnkonzept erstellt hatten, einen weiteren Artikel, der am 23.5.1931 in den Izvestija erschien. Unterzeichnet war er nur von Cejtlin, weil Katcen Angst hatte, seinen Namen darunter zu setzen.269 Die Verhaftung seiner Kollegen aus dem Projektierungsbüro lag erst wenige Monate zurück. Cejtlin und Katcen brachten statische Daten über die Verkehrsentwicklung in Moskau und konstatierten die völlige Auslastung des Straßenbahnnetzes. Zu den widersprüchlichen Tendenzen in der Stadtplanung meinten sie, eine radikale Umplanung Moskaus oder eine Dezentralisierung seien in den nächsten zehn Jahren nicht durchfuhrbar. Auch wenn die Außenrayons selbständiger würden, werde die Verbindung mit dem Zentrum und zwischen den Rayons lebhaft bleiben. Bei der erwarteten Ausdehnung der Stadt auf siebzig Kilometer Durchmesser (eine desurbanistische Vision), seien Straßenbahnen und Autobusse zu langsam. Der internationale Vergleich zeige einen direkten Zusammenhang zwischen der Ausdehnung einer Stadt und der Notwendigkeit einer Stadtschnellbahn. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Straßenbahn liege bei 14 Stundenkilometern, des Autobusses bei 16 und der Stadtschnellbahn bei 35 Stundenkilometern. Die Betriebskosten je Passagier seien bei der Stadtschnellbahn geringer. Lediglich bei den Investitionskosten liege sie an der Spitze.270
268 Ebd., S. 2-3. 269 Sten. Gespräch mit Ing. Katcen, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 305-306. 270 Cejtlin, £.: Esce raz ο metropolitene. - In: Izvestija Nr. 140, 23.5.1931, S. 2.
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Das Projekt umfaßte folgenden Linien: drei Vorortlinien von Carycino bis zur Krest'janskaja zastava (K), von Ivanovskoe über die Chaussee der Enthusiasten bis zum Il'icplatz (IP), von Izmajlovo über den Gartenring nach Chovrino; zwei Verbindungszweige von der Krest'janskaja zastava zum Il'icplatz und von der Krest'janskaja zastava bis zum Taganplatz (T); einen Stadtdurchmesser vom Triumphplatz (Tr) bis zur ersten Vorortlinie (südlich der Krest'janskaja zastava). Insgesamt sah die erste Baufolge bis 1935 65 Kilometer vor, davon 18 Kilometer Tunnel, 21 Kilometer Viadukt und 26 Kilometer auf Dämmen. In einer zweiten Baufolge sollte das Netz um 89 Kilometer verlängert werden. Abb. 17: Projekt der Kommission des MK und Mossovet, April 1931 sowie das Projekt des Verkehrskommissariats für einen Eisenbahndurchmesser 1930/31 (Katcen: Proekt 1931, S. 21)
bis 1935 weiterer A i u b i u
Die Verfasser verwarfen das Projekt von MGZD, weil es sich nur auf den Bereich der Stadt beschränke und das Wachstum Moskaus nicht berücksichtige. Sie präsentierten ein neues Linienschema - nämlich das von der Kommission des MK und des Mossovet erstellte Konzept einer Stadtschnellbahn des Vororttyps (Abb. 17).271 Ähnlich wie Cejtlin und Katcen argumentierte am 30.5.1931 der Leiter von MGZD, Gende-Rote. Er schilderte die Maßnahmen, die in den letzten Monaten ergriffen worden waren, um das Straßenbahnwesen effektiver zu gestalten. Gleichzeitig müsse man jedoch mehr Autobusse einsetzen und an den Bau einer
271 Ebd., S. 3. - Das Projekt wurde nach dem Juniplenum als Diskussionsbeitrag nochmals publiziert: Katcen: Proekt Moskovskogo metropolitena (variant, razrabotannyj komissiej Mossoveta) 1931. - Interessanterweise stellte Katcen in den Mainummern der Zeitschrift Kommunal 'noe chozjajstvo, die noch vor dem Juniplenum und etwa gleichzeitig mit dem von Cejtlin gezeichneten Artikel erschienen, das Konkurrenzprojekt von MGZD vor und begründete es mit der Analyse von Verkehrsströmen. Als erstrangige Linien bezeichnete er Sokol'niki - Ochotnyj ijad - Smolensker Markt und Ochotnyj rjad - Tverskaja. Als Ergänzung schlug er die Verlängerung der Vorortbahnen in die Stadt vor. (Katcen: Proekt Moskovskogo metropolitena (po variantu, razrabotannomu trestom MGZD) 1931.)
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Reihe von Linien auf eigenem Gleiskörper denken, vor allem eines Eisenbahndurchmessers, der den Kalancevplatz vom Vorortverkehr entlaste.272 Am 4.6.1931 veröffentlichten die Izvestija die Antwort des Gosplan-Mitarbeiters G. Puzis auf die Artikel von Osinskij und Cejtlin. Das Verkehrsproblem der Großstädte sei nur durch eine Dezentralisierung (Satellitenstädte) zu lösen. Osinskij verschweige, daß in New York und London trotz des dichten Untergrundbahnnetzes im Zentrum der Verkehr stocke. Cejtlin gehe falschlich davon aus, daß Moskau weiter wachsen werde. Wenn man jedoch annehme, daß keine neue Industrie angesiedelt werde, die Bevölkerung stabil bleibe und die Produktivität jährlich um 25 Prozent steige, könne die Produktion 1931 bis 1942 von 5,5 auf 70 Milliarden Rubel gesteigert werden, - die Perspektive einer erfolgreichen sozialistischen Entwicklung. Dann könne man in diesen zehn Jahren die ganze Stadt neu planen und neu bauen, und jedem Einwohner zehn bis zwölf Quadratmeter Wohnraum geben. Abgesehen davon sei die Untergrundbahn ein veraltetes und unsoziales Verkehrsmittel. Die historische Reihenfolge sei: Eisenbahn - Stadtschnellbahn oder Untergrundbahn - Straßenbahn - Autobus. Nur die spezifischen Widersprüche des Kapitalismus hätten die Liquidierung der Untergrundbahnen verhindert. Als Lösung schlug Puzis vor, für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre die sozialistische Rekonstruktion Moskaus und die Automobilisierung anzustreben. Für den kurzfristigen Bedarf solle man 2.000-2.500 Autobusse anschaffen und einen Teil der Straßenbahnlinien innerhalb des Boulevardringes stillegen. Wenn man für einen Autobus 20.000 Rubel rechne, koste das mit allen Zusatzinvestitionen insgesamt 70-90 Millionen Rubel. Mit dem gegenüber der Untergrundbahn (150 Millionen Rubel) eingesparten Geld könne man eine Autobusfabrik bauen.273 Die Redaktion der Izvestija brachte den Artikel von Puzis als Diskussionsbeitrag, begrüßte seine Forderung nach Autobussen, distanzierte sich jedoch von seiner Ablehnung der Untergrundbahn und seinen Vorstellungen über die Entwicklung Moskaus. Es könne keine Rede davon sein, daß die Untergrundbahn veraltet sei, denn in Berlin, New York und anderswo werde sie erfolgreich weiterentwickelt. Nur in London werde sie von Autobussen verdrängt.274 Am 5. und 6.6.1931 erschien ein ähnlicher Artikel von Puzis in der Zeitung Ekonomiceskaja zizn', dem Organ von Gosplan und des Finanzministeriums. Darin lehnte er die Untergrundbahn als ein dem Geist des sozialistischen Aufbaus widersprechendes Verkehrsmittel strikt ab. Eine im Frühjahr 1930 unter Politikern durchgeführte Umfrage über die künftige Entwicklung Moskaus habe gezeigt, daß die meisten eine Verkleinerung Moskaus anstrebten. Der Sozialismus müsse große Agglomerationen durch eine andere Dislozierung der Industrie über-
272 1931, S. 273 274
Gende-Rote: Moskovskij tramvaj - segodnja i zavtra. - In: Izvestija Nr. 147, 30.5. 3. Puzis, G.: Κ voprosu ο metropolitene. - In: Izvestija Nr. 152, 4.6.1931, S. 2-3. Anmerkung der Redaktion, ebd.
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winden. Moskau sei politisches Zentrum und brauche nicht notwendigerweise auch wirtschaftliches Zentrum zu sein. Die einzig richtige Stadtplanung sei die Zergliederung der großen Städte in selbständige, mit allem ausgestattete Einheiten, wodurch sich die Notwendigkeit des Verkehrs zwischen den Teilen verringere. Ein großes Verkehrsaufkommen sei kein Argument fur die Errichtung einer Untergrundbahn, sondern bloß ein Symptom für einen geringen Versorgungsgrad und schlechte Stadtplanung. Eine sozialistische Stadtplanung müsse darauf abzielen, den Verkehr möglichst gering zu halten, denn jede Fahrt bedeute Zeitverlust.275 Die Erfahrung von Paris, London oder New York zeige, daß die Untergrundbahn einen zutiefst unsozialen Charakter habe (wenig Komfort, Gedränge, schlechte Luft, lange Umsteigewege) und außerdem viel zu teuer komme. 276 Am 9. und 11.6.1931 erschien ebenfalls in Ekonomiceskaja zizn' ein Artikel von Gende-Rote, der die Thesen von Puzis zurückwies: „Schnelle Verkehrsmittel entsprechen zweifellos dem Geist des sozialistischen Aufbaus. [...] Das Zentrum des proletarischen Staates ist verpflichtet, schnelle und bequeme Verkehrsmittel zu haben." Es sei unsinnig zu behaupten, daß Moskau als Hauptstadt keine Industrie brauche: „Bis jetzt glaubten wir, daß die politische Bedeutung der Stadt von der Größe der Arbeiterarmee und der Parteiorganisation abhänge." Das stark gewachsene Verkehrsaufkommen Moskaus sei Folge der Fortschritte in der Sozialstruktur und im kulturellen Angebot: „Das alte unbewegliche Moskau der Kaufleute hat dem mächtigen proletarischen Zentrum Platz gemacht." 277 Auch eine Dezentralisierung verringere nicht den Verkehr zwischen den Rayons. Puzis beweise seine Behauptung, daß die Untergrundbahn veraltet sei, bloß mit dem Aufkommen der Autobusse in London. In New York entfielen 54,4 Prozent des Verkehrs auf die Untergrundbahn, in Paris 43,3 Prozent, in Berlin 14,3 Prozent und zusätzlich 23,2 Prozent auf die oberirdische Stadtschnellbahn. Wenn die Untergrundbahn in New York unsozialen Charakter habe, liege das am kapitalistischen System. Die bürgerliche Technik müsse eben den Interessen des sozialistischen Aufbaus angepaßt werden. Die Notwendigkeit, in Moskau eine Untergrundbahn zu bauen, sei offensichtlich. Der Bau der ersten Linien müsse jetzt vorbereitet werden, damit sie 1934/35 in Betrieb gehen könnten. Gleichzeitig müsse man auch mit der Verlängerung der Vorortbahnen in die Stadt hinein beginnen. 278 Die Redaktion der Zeitung (und damit Gosplan) Schloß sich dieser Ansicht an, meinte aber auch, man müsse entschieden Kurs nehmen auf die Beendigung weiterer Industrieansiedlungen in Moskau.
275 Puzis, G.: Ο putjach rekonstrukcii transporta ν Moskve.- In: Ekonomiceskaja zizn' Nr. 102, 5.6.1931, S. 2. 276 Fortsetzung ebd. Nr. 103, 6.6.1931, S. 2-3. 277 Gende-Rote, A.Z.: Stroit' Ii ν Moskve metropoliten? (Otvet tov. Puzisu). - In: Ekonomiceskaja zizn' 106, 9.6.1931, S. 2. 278 Ebd. sowie Fortsetzung in Nr. 108, 11.6.1931, S. 2.
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Etwa gleichzeitig wurde auch in der Zeitung Rabocaja Moskva, dem Organ des Moskauer Parteikomitees, das Thema Untergrundbahn diskutiert. Am 6.6.1931 erschien in der Zeitung eine ganze Seite über das Moskauer Verkehrsproblem. Rabocaja Moskva hatte gemeinsam mit der Eisenbahnergewerkschaft eine Beratung über die Rekonstruktion des Moskauer Eisenbahnknotens organisiert. Der Vertreter des Verkehrskommissariats hatte in seinem Referat den Bau der Untergrundbahn von Sokol'niki über den Arbat bis zur Dorogomilovskaja zastava (beim Kiever Bahnhof) als wichtigste Aufgabe bezeichnet. Eine zweite Untergrundbahnlinie, die ebenfalls über die Stadt hinausgehe, könne die Eisenbahnen entlasten. Die Verlängerung der Vorortbahnen in die Stadt hinein löse das Verkehrsproblem nicht, weil sie nur wenige Linien betreffe.279 Zum gleichen Ergebnis gelangte der Direktor der Moskau-Kazaner Eisenbahnen, Pozdneev, während Professor Obrazcov (Moskauer Institut für Eisenbahningenieure) und ein Gewerkschaftsvertreter die Verlängerung der Vorortlinien als wichtiger und die Untergrundbahnlinie vom Kalancevplatz ins Zentrum für zwecklos hielten. Andere Teilnehmer der Diskussion befürworteten beide Verkehrsmittel, erachteten aber die Vorortbahnen als dringlicher.280 Eine Woche später, am 13.6.1931, brachte die Zeitung eine ganze Seite über das Straßenbahnwesen in Moskau und bezeichnete es als notwendig, sofort mit der Vorbereitung zum Bau der Metropolitain zu beginnen, damit sie 1935 fertig sei. In einem ungezeichneten Artikel wurde in Wir-Form gefordert, als ersten Schritt die Vorortlinien in die Stadt zu verlängern und die erste Baufolge der Metropolitain zu bauen, 65 Kilometer, überwiegend auf Viadukten [!].281 Am 12.6.1931 war auch in Izvestija noch ein Diskussionsbeitrag erschienen. G. Krasin plädierte dafür, für die Lösung des Verkehrsproblems alle verfügbaren Mittel einzusetzen: Automobile, Autobusse, Straßenbahnen, Metropolitain, Eisenbahndurchmesser, Gehsteig-Förderbänder, Aufzüge. Es gehe nicht um die Frage, ob eine Untergrundbahn notwendig sei oder nicht, sondern welche Maßnahmen am dringendsten seien. Haupthindernis für den Verkehr sei die systemlose Verbauung Moskaus. Schon jetzt, bei minimalem Autoverkehr, seien die Straßen auch wegen der fehlenden Verkehrsregelung verstopft. Als Ausweg schlug Krasin vor, alle Überschneidungen der radialen Magistralen mit dem Boulevard-, dem Gartenring und dem Kammerkollegienwall kreuzungsfrei auszuführen. Die Magistralen müßten künftig acht Streifen haben: zwei mittlere für die Straßenbahn, zwei für den schnellen Autoverkehr, zwei für Fuhrwerke und zwei für Fußgänger. Der Straßenbahntransit durch das Zentrum müsse durch Umfahrungen über einen Ring umgeleitet werden. Dieser Ring rund um die innerste Stadt (noch innerhalb des Boulevardrings) könne später auf Viadukte gehoben werden und
279 Kak organizovat' prigorodnyj i vnutrigorodnyj transport? Metropoliten ili glubokij wod? I to i drugoe? Cto ν pervuju oöered'? - In: Rabocaja Moskva Nr. 154, 6.6.1931, S. 3. 280 Ebd. 281 Rabocaja Moskva Nr. 161, 13.6.1931, S. 3.
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bilde dann die erste Baufolge der Metropolitain. Krasin schlug folgende Reihenfolge der Prioritäten vor: 1. Verkehrsregelung der Straßenbahn, 2. Eisenbahndurchmesser, 3. Umbau der Kreuzungen an den Ringen, 4. und zuletzt die Metropolitain, aber vielleicht vorher noch einen zweiten Eisenbahndurchmesser.282
c) Das Juniplenum des Zentralkomitees und seine unmittelbaren Folgen Zum Zeitpunkt des Erscheinens der letztgenannten Artikel war die Entscheidung über die Perspektiven der Entwicklung Moskaus und über die Verkehrsmittel unter Ausschluß der Öffentlichkeit schon gefallen: Am 10.6.1931 hatte das Politbüro den von der Kaganovic-Kommission zur Verbesserung der Moskauer Kommunalwirtschaft überarbeiteten Maßnahmenkatalog gebilligt und ihn zur abschließenden Redaktion und Präzisierung wieder an seine ersten Urheber, die Moskauer Organisationen (MK, MGK, Gebiets- und Stadtexekutivkomitee) zurückverwiesen, damit er in deren Namen herausgegeben werde.283 Das geschah dann einige Tage nach dem Juniplenum.284 In der endgültigen Version wurde die Stadtverwaltung Moskaus beauftragt, sofort ein Projekt zum Bau einer Metropolitain zu erstellen und hierfür ein Komitee unter Beiziehung der besten Spezialisten einzurichten. Gleichzeitig sei mit den Vorarbeiten zu beginnen, damit in drei bis vier Monaten die Projekte fertig, im Januar 1932 bestätigt seien und man mit der Arbeit beginnen könne. Innerhalb von drei Monaten seien alle existierenden Projekte zu begutachten, ein allgemeines Linienschema auszuarbeiten, die endgültige Variante für die erste Baufolge und die Konstruktionen der Tunnel und Viadukte festzulegen, die Höhe der Investitionen zu bestimmen und ein Terminplan für die erste Baufolge zu erstellen. Als Ergänzung zur Metropolitain als dem innerstädtischen Hauptverkehrsmittel sei das Projekt zur Führung der Vorortzüge der Eisenbahnen durch das Stadtzentrum zu begutachten, damit die Arbeiten 1932 begonnen werden könnten.285 Aus dem Wortlaut der Resolution geht hervor, daß jetzt mit Metropolitain tatsächlich ein innerstädtisches Verkehrsmittel gemeint war, das aber nicht zwingend unterirdisch verlaufen mußte. In vorbereitenden Notizen für sein Referat vor dem Juniplenum schrieb Kaganovic, daß unter Metropolitain nicht nur eine Untergrundbahn, sondern jeder elektrifizierte Schienenverkehr auf eigener Trasse zu verstehen sei. Vom hygienischen Standpunkt aus beurteilte er sogar damals noch 282 Krasin, G.: Metropoliten ν svete obsöich zadai gorodskogo transporta. - In: Izvestija Nr. 160, 12.6.1931, S. 3. 283 Politbüro. Prot. 42, 10.6.1931. RGASPI 17/3/829, Bl. 7. Die dem Politbüro vorgelegte Fassung ist nicht unter den (zugänglichen) Politbüroakten. 284 Vereinigtes Plenum MK und MGK VKP(b). Sten., 18.6.1931. CAODM 3/24/1, Bl. 1 140. Der Beschluß ist publiziert in Rabocaja Moskva Nr. 169 (21.6.1931) und als Broschüre: Praktiieskie meroprijatija 1931. 285 Prakticeskie meroprijatija 1931, S. 15-16.
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eine Untergrundbahn als weniger wünschenswert als eine oberirdische Stadtschnellbahn, weil die Passagiere das Tageslicht entbehren müßten.286 Das Projekt, das er dann schließlich in seiner Rede als mögliche erste Baufolge skizzierte, war jedoch das Untergrundbahnprojekt von MGZD. Vom 11.-15.6.1931 tagte das vielzitierte Juniplenum des Zentralkomitees. Kaganovic hielt ein dreistündiges Grundsatzreferat über den Aufbau der sozialistischen Städte im allgemeinen und die Moskauer Kommunalwirtschaft im besonderen und legte den Entwurf für eine Resolution vor, die einstimmig angenommen wurde.287 Es handelte sich um eine auf grundsätzliche Richtlinien und Zielvorgaben reduzierte Version des Maßnahmenkatalogs, den die KaganovicKommission erstellt hatte. Das ZK-Plenum beschloß also nichts Neues, sondern hatte nur die Funktion, den bereits vorher gefaßten und schon zur praktischen Umsetzung ausgearbeiteten Beschlüssen eine breitere, quasi demokratische Grundlage zu geben, die fur die propagandistische Verwertung günstiger war. In seiner Rede zeichnete Kaganovic ein drastisches Bild der Moskauer Verkehrsmisere und erläuterte den Weg aus der Krise: Der Ausbau der Straßenbahnen und die Anschaffung von zweitausend Autobussen könnten das Problem grundsätzlich nicht lösen. Notwendig seien der Bau einer Untergrundbahn und die Hereinfuhrung der elektrifizierten Vorortbahnen tief in die Stadt hinein. Für die Verlängerung der Vorortbahnen durch die Stadt konnte er bereits eine Trasse nennen, nämlich den Stadtdurchmesser, wie ihn das Verkehrskommissariat 1930/31 projektiert hatte (Abb. 18). Diese Durchmesserlinie werde für Moskau die gleiche Bedeutung haben wie die Stadtbahn für Berlin, aber sie könne nur eine Ergänzung zur Untergrundbahn sein. Für letztere stehe das Projekt noch nicht fest. Zur Zeit gebe es ein Projekt, nur in den Außenbezirken eine Stadtschnellbahn zu bauen. Das sei aber der falsche Weg, denn Leitlinie müsse die Entlastung des Zentrums sein. Man könne eventuell eine Linie in die Außenbezirke fuhren, aber wichtiger sei dort der Bau eines dritten Straßenbahnringes und die Verlängerung der Vorortbahnen als oberirdische Stadtschnellbahn. Für die Untergrundbahn nannte Kaganovic als denkbare erste Baufolge eine Linie vom Kalancevplatz (K) ins Zentrum und weiter zum geplanten Palast der Sowjets (südwestlich des Kreml am Ufer der Moskva), sowie über den Arbat (A) zum Smolensker Markt.
286 Kaganovic. Notizen für das Referat auf dem Juniplenum, o.D. [nach dem 9.6.1931], RGASPI 81/3/21, Bl. 123. 287 Plenum des Zentralkomitees der VKP(b). Prot. 3, 11.-15.6.1931. RGASPI 17/2/461, Bl. 14-20. - Die Resolution wurde auch publiziert in Rabocaja Moskva Nr. 165, 17.6.1931, S. 1-3, sowie in: Direktivy KPSS i Sovetskogo pravitel'stva 1957, Bd. 2, S. 291-303, sowie: KPSS ν rezoljucijach 1971, Bd. 5. - Das Referat Kaganovics ist im vollen Wortlaut abgedruckt in: KaganoviC: Za socialisticeskuju rekonstrukciju 1931, S. 42-91.
Die politische Entscheidung zum Bau 1931 Die Projektierung des Ei senbahndurchmessers sah vor, die Linien der Nordbahn, der Kazaner, Niznij Novgoroder und Kursker Eisenbahnen vom Vindavaer Bahnhof (V) über die Sadovaja, den Cvetnoj Boulevard, Trubnajaplatz, Dzerzinskijplatz, Kitajskij proezd, Noginplatz, über den Fluß Jauza bis zur Station Moskva-Rogozskaja (R) zu führen.
Abb. 18: Eisenbahndurchmesser und Untergrundbahn nach der Beschreibung Kaganoviös auf dem Juniplenum 1931
Der beschriebene Linienverlauf entsprach dem Projekt von MGZD. Neu war nur die Linie zum Palast der Sowjets, dessen Standort - er sollte an der Stelle der Christ-Erlöser-Kathedrale errichtet werden - kurz vorher festgelegt worden war. Prinzipielle Einwände gegen eine Untergrundbahn als angeblich unsoziales Verkehrsmittel sowie die im Verlauf der öffentlichen Diskussion geäußerte Idee der Zerschlagung Moskaus in kleinere Einheiten brandmarkte Kaganovic als „Dummheiten linksabweichlerischen Charakters".288 Im weiteren Verlauf seines Referates skizzierte Kaganovic Perspektiven fur die Entwicklung der sowjetischen Städte im allgemeinen. Seine Ausführungen signalisierten das Ende der Kulturrevolution und zogen einen Schlußstrich unter die Diskussionen um die revolutionären Stadtplanungskonzepte. In der gegenwärtigen Lage seien die Schaffung von Wohnraum und die Erstellung eines Bebauungsplans für Moskau am dringlichsten. Ab 1932 dürfe in Moskau keine neue Industrie angesiedelt werden, damit sich die Industrie nicht wie im Kapitalismus auf wenige Großstädte konzentriere. Im selben Atemzug verurteilte Kaganovic jedoch die Forderung, die historisch gewachsenen Städte zu verkleinern und die
288 Plenum des Zentralkomitees. Sten. Prot., 11.-15.6.1931. RGASPI 17/2/473, Bl. 165166.
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Theorien vom Absterben und der Selbstauflösung der Städte als „politisch schädliches Gerede".289 Die Untergrundbahn war in der Sitzung des ZK-Plenums ein Punkt unter vielen. In der auf den Vortrag Kaganovics folgenden Diskussion kam sie in keiner Wortmeldung zur Sprache. Das Interesse konzentrierte sich auf Fragen des Wohnungsbaus.290 In bezug auf den städtischen Verkehr stellte die Resolution des Zentralkomitees fest, daß die Rekonstruktion und Erweiterung des Straßenbahnwesens nicht das prinzipielle Problem des städtischen Verkehrs in Moskau lösen könne: „Das Plenum des ZK hält es für notwendig, unverzüglich die vorbereitenden Arbeiten zur Errichtung einer Metropolitain in Moskau aufzunehmen, als Hauptmittel zur Lösung des Problems schnellen und billigen Personenverkehrs, damit schon 1932 mit dem Bau begonnen werden kann. Damit muß die Errichtung einer innerstädtischen elektrischen Eisenbahn gekoppelt sein, die die Nord-, Oktober- und Kursker Bahn unmittelbar mit dem Stadtzentrum verbindet. Darüber hinaus ist es notwendig einen neuen Straßenbahnring über den Kammerkollegienwall zu führen, das Straßenbahnnetz in den nächsten Jahren um mindestens 150 Kilometer zu erweitern, die Zahl der Waggons auf 3.000 zu erhöhen und den Autobusverkehr in großem Maßstab zu entwickeln, indem im Laufe der nächsten Jahre die Zahl der Autobusse in Moskau auf 2.000 gesteigert wird."291
Die Resolution enthielt auch Richtlinien fur die weitere Entwicklung der Stadt Moskau und gab den Anstoß zur Erstellung des Generalplans zur Rekonstruktion Moskaus, der in der Folge bis 1935 ausgearbeitet wurde.292 Von ihrer Entstehungsgeschichte her hatten die Beschlüsse des Juniplenums nicht so sehr den Charakter „von oben" getroffener Anordnungen an die lokalen Instanzen, sondern waren - besonders deutlich am Beispiel der Untergrundbahn Anliegen der Moskauer Stadtverwaltung, die man schon seit Jahren verfolgt und fur die man zuerst die Moskauer und jetzt auch die oberste Parteiführung gewonnen hatte. Kaganovic, Chef der Moskauer Stadtparteiorganisation, bediente sich, sobald er selbst auf den Bau einer Stadtschnellbahn eingeschwenkt war, geschickt des Politbüros und des ZK-Plenums als Forum, die Kommunalpolitik in Bewegung zu bringen und den Diskussionen um die Stadtentwicklung, die zwei Jahre lang eine Entscheidung verzögert hatten, ein endgültiges Ende zu setzen.293
289 Kaganovic: Za socialisticeskuju rekonstrukciju 1931, S. 80-88. 290 Plenum des Zentralkomitees. Sten. Prot., 11.-15.6.1931. RGASPI 17/2/473, Bl. 178194. 291 Plenum des Zentralkomitees. Prot. 3, 11.-15.6.1931. RGASPI 17/2/461, Bl. 18. 292 Ebd.,Bl. 20. 293 Vgl. die These von Kirstein, daß die obersten Parteistellen immer dann eingeschaltet wurden, wenn sie zur Durchführung besonderer Interessen gebraucht wurden oder verschiedene Behörden sich nicht einigen konnten. Vgl. Kirstein 1982, S. 167-187, hier S. 184.
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Nicht zuletzt ging es aus der Perspektive der Moskauer Stellen darum, das Finanzierungsproblem zu lösen, woran das Metroprojekt in den zwanziger Jahren gescheitert war. Eine Resolution des ZK-Plenums hatte de facto Gesetzescharakter, wurde auf allen Ebenen über Presse und Versammlungen bekannt gemacht, und jeder konnte sich darauf berufen. Das bot bei weitem bessere Voraussetzungen für die Zuteilung von Mitteln aus dem Unionsbudget als ein Beschluß des Moskauer Parteikomitees. Sofort nach der Publikation der Beschlüsse des Juniplenums (17.6.1931) wurde mit der Umsetzung begonnen. Am 18.6.1931 fand ein gemeinsames Plenum von MK, MGK und dem Präsidium des Gebiets- und des Stadtexekutivkomitees statt. Diese Sitzung hatte ähnlich wie das ZK-Plenum akklamatorischen und propagandistischen Charakter. Kaganovic legte die endgültige Fassung des Maßnahmenkatalogs vor, mit dem Hinweis, das Plenum habe die Maßnahmen zu diskutieren und zu bestätigen. Beides geschah dann auch, bezeichnenderweise in umgekehrter Reihenfolge. Die Büros von MK und MGK wurden beauftragt, einen Terminkalender zur Ausführung der Maßnahmen zu erstellen.294 Am 19.6.1931 berichtete Kujbysev vor dem Moskauer Parteiaktiv, also der Parteibasis, über das Juniplenum. Er charakterisierte die ZK-Resolution als das politisch bedeutsame Programm zur Errichtung der sozialistischen Hauptstadt, um in kurzer Zeit in dieser Hinsicht die kapitalistischen Länder zu überflügeln. Die Versammlung beschloß, die ZK-Vorgaben gutzuheißen. In der Diskussion gab es zwar zahlreiche Wortmeldungen zu allen möglichen Aspekten der Resolution, aber keine einzige nahm auf die Untergrundbahn Bezug.295 Vergleicht man diese „Einbeziehung" der Parteibasis 1931 mit den Ansprüchen, die noch Ende 1928 seitens der Arbeiter- und Bauerninspektion gestellt worden waren, wird deutlich, wie sehr sich die politische Kultur in den Jahren des Fünfjahresplans verändert hatte. Am 20.6.1931 berief Bulganin eine Sitzung der Leiter der kommunalen Organisationen ein und verpflichtete sie, innerhalb von zwei Tagen Durchführungszeitpläne vorzulegen. Für die Organisation eines Komitees zum Bau der Untergrundbahn war der Leiter von MGZD, Gende-Rote, verantwortlich.296 Am 27.6.1931 berichtete Bulganin vor dem Plenum des Mossovet über die Ergebnisse des ZKPlenums. Dabei präzisierte er das Projekt für den Eisenbahndurchmesser. Die Kosten bezifferte er laut den Berechnungen des Verkehrskommissariats mit 35 Millionen Rubel. Den Eisenbahndurchmesser bezeichnete Bulganin als weniger kompliziert und schneller zu bewerkstelligen als die Untergrundbahn. Beide soll-
294 Vereinigtes Plenum von MK und MGK VKP(b), Präsidium des Gebiets- und Stadtexekutivkomitees. Prot, und Sten., 18.6.1931. CAODM 3/24/1, Bl. 1-140, hier Bl. 1-2. 295 Moskauer Parteiaktiv. Sten., 19.6.1931. CAODM 4/1/73, Bl. 54-66, Resolution Bl. 1 0 1 - 1 0 4 . 296 Prot. Sitzung zur Frage der Durchführung praktischer Maßnahmen zur Verbesserung der Stadtwirtschaft, 20.6.1931. CMAM 150/1/14, Bl. 96.
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ten durch Umsteigestationen miteinander gekoppelt sein.297 Am 13.7.1931 beschloß der Mossovet einen umfassenden Durchführungszeitplan für die Verwirklichung der Beschlüsse des ZK. Die Organisation des Untergrundbahnbaus und die Ausarbeitung der Frage des Eisenbahndurchmessers sollten noch im selben Monat in die Wege geleitet werden. Verantwortlich waren Bulganin und GendeRote.298 Von ihrer Bedeutung her waren die Beschlüsse des Juniplenums für die Moskauer Kommunalwirtschaft die nachträgliche Ergänzung des ersten Fünfjahresplans. Paradoxerweise waren in die Entscheidung über ein so anspruchsvolles Projekt wie den Bau der Moskauer Untergrundbahn, das auf modernste Technik und Zulieferangen der sowjetischen Industrie angewiesen war, die Behörden der zentralen Wirtschaftsplanung und -lenkung (Gosplan, Oberster Volkswirtschaftsrat, Rat für Arbeit und Verteidigung) nicht eingebunden worden. Das Prestigeunternehmen des sozialistischen Aufbaus schlechthin, zu dem der Bau der Untergrundbahn bald wurde, stand somit vorläufig abseits der Planwirtschaft und wurde erst 1933 in den zweiten Fünfjahresplan integriert. Zwiespältig ist die Frage, inwieweit der Entschluß, in Moskau eine Untergrundbahn zu bauen, vernünftig war oder nicht. Die Verkehrsmisere war offenkundig, aber zu Recht hatten schon seit 1928 Gegner der Untergrundbahn daraufhingewiesen, daß die Überlastung des Zentrums durch eine andere Linienführung der Straßenbahnen, den Einsatz von Autobussen und eine effektivere Verkehrsregelung hätte behoben werden können. Manche ausländischen Beobachter fanden es absurd, daß die rückständige Sowjetunion, deren Bevölkerung an allen Ecken und Enden unter elementaren Nöten litt, riesige Summen in eine Untergrundbahn investierte.299 Ein britischer Gewerkschafter, der Anfang der dreißiger Jahre Moskau besuchte, konnte das von den sowjetischen Funktionären zur Rechtfertigung angeführte Verkehrsproblem nicht ausmachen: Jede englische Kleinstadt habe mehr Verkehr als das Zentrum Moskaus. Auf den Moskauer Straßen herrsche lediglich Chaos.300 Längerfristig war eine Stadtschnellbahn oder Untergrundbahn in Moskau zweifellos erforderlich, weil man nur mit ihr die großen Entfernungen der sich ausdehnenden Stadt in angemessener Zeit überwinden konnte. Ob man mit dem Bau ausgerechnet in einer Zeit beginnen mußte, in der dem Land durch Zwangskollektivierung und forcierte Industrialisierung ohnehin schon unmenschliche Opfer abgefordert wurden, ist zweifelhaft.
297 Bulganin: Moskovskoe gorodskoe chozjajstvo 1931, S. 29-30. 298 Präsidium des Mossovet. Prot. 17, 13.7.1931. CMAM 150/1/157, Bl. 219. Durchführungszeitplan: CMAM 150/1/14, Bl. 73-95. 299 Vgl. z.B. Motus 1936, S. 121-126. 300 Brown: 1936, S. 202.
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Militärische Erwägungen spielten bei der Entscheidung zum Bau keine Rolle. Sie kamen erst 1932 zum Tragen, als über die Tiefenlage der Tunnel entschieden wurde.301 Die Projekte, die 1931 vorlagen, sahen Tunnel in geringer Tiefe vor, die als Schutzräume nicht geeignet gewesen wären. Ein Faktor, der schon Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Projekte motiviert hatte, war die Rückständigkeit gegenüber dem Ausland. Fast jedesmal, wenn die Notwendigkeit der Untergrundbahn oder Stadtschnellbahn begründet wurde, verwies man auf das Beispiel von London, Paris, Berlin, New York oder anderen Hauptstädten und auf den diesbezüglichen Nachholbedarf Moskaus. Während in anderen Ländern das Rückstandsargument meist eine nationale Komponente hat,302 stand in Moskau der Anspruch, Hauptstadt des internationalen Proletariats und Schaufenster des Sozialismus zu sein, dahinter. Aus diesem Grunde wurde die Moskauer Untergrundbahn auch bewußt anders gestaltet als im kapitalistischen Ausland. Man wollte nicht nur aufholen, sondern überholen, wie ein verbreitetes Schlagwort der dreißiger Jahre allerorts verkündete. Indirekt hatten darauf auch diejenigen Gegner der Untergrundbahn Einfluß, die sie aus ideologischen Gründen als unsozial und kapitalistisch disqualifiziert hatten.303 Wäre die Untergrundbahn 1929 gebaut worden, hätte sie sich von jenen in anderen Ländern nicht durch die besonders aufwendige Architektur, sondern durch die möglichst billige Ausführung unterschieden. Nun aber sollte sie die beste und schönste der Welt werden.304
301 302 303 304
Siehe Kap. II.2.a. Vgl. Rusinek 1996, S. 204. Wolf 1994, S. 45. Dazu ausführlich Kap. VII.2.
II. D I E D U R C H F Ü H R U N G D E S B A U S
1931-1935
„Wir hörten: 80.000 Haben die Metro gebaut, viele noch nach der täglichen Arbeit Oft die Nächte durch. Während dieses Jahres Hatte man immer junge Männer und Mädchen Lachend aus den Stollen klettern sehen, ihre Arbeitsanzüge Die lehmigen, schweißdurchnäßten, stolz vorweisend. Unterirdische Flüsse, den Druck der Hochhäuser Gingen sie an. Gegen breiige Erdmassen Schoben sie eiserne Rohre vor, machten die Erde gefrieren Oder verglasten sie gar. Auch bei der Ausschmückung Sparten sie keine Mühe. Der beste Marmor Wurde weit hergeschafft, edelstes Holz Sorgfältig bearbeitet. Nach Jahresfrist Liefen die schönen Wagen beinahe lautlos Durch taghelle Stollen: für strenge Besteller Das Allerbeste. [...]" Bertolt Brecht 1
1. D i e G r ü n d u n g v o n M e t r o s t r o j u n d d a s K n o w - h o w In den W o c h e n nach dem Juniplenum liefen die Fäden zum Bau der Metro zunächst beim Leiter von M G Z D , Gende-Rote, zusammen. Mitte Juli 1931 schlugen Kaganovic und Bulganin Stalin vor, fur den Bau der Metro eine spezielle Verwaltung zu schaffen. Der Bau müsse gesamtstaatlichen Charakter haben und wie die anderen Baustellen-„Giganten" bevorzugt versorgt werden. Die Leitung des Unternehmens müsse eine Kapazität mit praktischer Erfahrung auf Großbaustellen übernehmen. Kaganovic und Bulganin schlugen Ingenieur A . V . Vinter vor, der den Bau des Dnepr-Staudammes [Dneprostroj] erfolgreich geleitet und in inoffiziellen Verhandlungen seine prinzipielle Bereitschaft erklärt hatte. 2
1 Brecht, Bertolt: Inbesitznahme der Großen Metro durch die Moskauer Arbeiterschaft. Das Gedicht wurde anläßlich der Eröffnung der Moskauer Untergrundbahn verfaßt und erstmals veröffentlicht in: Deutsche Zentralzeitung, 16.5.1935, S. 2. Der vollständige Text ist in Kap. VII.4.C abgedruckt. 2 Kaganovic und Bulganin an Stalin, 14.7.1931. GARF R-7952/7/116, Bl. 3.
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Die Durchführung des Baus 1 9 3 1 - 1 9 3 5
Das Politbüro beriet die Frage Ende Juli 1931 und entschied sich zwar nicht für Vinter, aber fur seinen Stellvertreter, Pavel Pavlovic Rotert. Ordzonikidze und Kaganovic wurden beauftragt, mit Rotert zu verhandeln. Am 5.8.1931 wurde Rotert als Leiter des Baus der Moskauer Metro bestätigt, mit der Auflage, spätestens am 1.5.1932 völlig für diese Aufgabe zur Verfugung zu stehen.3 Er hatte nämlich noch Verpflichtungen bei Dneprostroj, von denen er erst am 8.5.1932 befreit wurde.4 Pavel Pavlovic Rotert, geboren um 1880, hatte 1911 das St. Petersburger Institut fur Verkehrsingenieure absolviert und bis 1917 Eisenbahnbaustellen geleitet. Er war parteilos,5 aber schon seit 1917 auf der Seite der Sowjetmacht. 1917 war er Vorsitzender des Sowjets der Deputierten der Südbahn und während des Kornilov-Putsches Vorsitzender des Streikkomitees der Südbahn gewesen. In den zwanziger Jahren hatte er den Bau des vierzehnstöckigen Hauses der Industrie in Char'kov geleitet und sich damit einen Namen gemacht. Seit 1927 war er neben A.V. Vinter und B.E. Vedeneev stellvertretender Leiter von Dneprostroj.6 Mit dem Bau von Untergrund- oder Stadtschnellbahnen hatte er keine Erfahrung. Er hatte sich lediglich 1930 auf einer Dienstreise durch Europa und Amerika für den Bau des Straßentunnels unter dem Hudson River interessiert und die Untergrundbahnen von New York, Philadelphia, Paris und Berlin besichtigt.7 Der Rat der Volkskommissare der UdSSR [SNΚ SSSRJ ernannte Rotert am 23.8.1931 zum Leiter des Baus der Moskauer Metro und zu seinem Stellvertreter Ingenieur K.S. Finkel'. 8 Finkel' hatte das Polytechnikum in Charlottenburg absolviert und 1911 bis 1914 in Berlin bei Siemens & Halske beim Bau der Untergrundbahn gearbeitet. Er war seit 1918 Parteimitglied. In den letzten Jahren vor seiner Berufung zum Bau der Moskauer Metro hatte er im Auftrag von Außenhandelsorganisationen in Berlin gearbeitet und den Bau der dortigen Untergrundbahn weiter mit Interesse verfolgt.9 Schon vor seiner offiziellen Ernennung hatte sich Rotert in Moskau mit Ingenieur Katcen und anderen Fachleuten von MGZD getroffen, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Die Ingenieure rieten ihm, sich auf den Bau der Metropolitan! zu beschränken und den Eisenbahndurchmesser auszuklammern. Rotert hielt den Bau der Metro für eine Kleinigkeit und wollte den Eisenbahndurchmesser gleich mit dazu nehmen.10 3 Politbüro. Prot. 53, 28.-30.7.1931. RGASPI 17/3/839, Bl. 9. Politbüro. Prot. 54, 5.8.1931. RGASPI 17/3/840, Bl. 6. 4 Politbüro. Prot. 99, 8.5.1932. RGASPI 17/3/883, Bl. 18. 5 Fedorova 1981, S. 17. 6 Bitus/Lert 1967, S. 30. Rassweiler 1988, S. 66. 7 Rotert, Leiter von Metrostroj. Manuskript, 15.12.1934. GARF R-7952/7/318, Bl. 157. 8 SNK SSSR. Verordnung 740, 23.8.1931. GARF R-5446/1/62, Bl. 131. 9 Sten. Gespräch mit Ing. Smidt, Leiter der 6. Distanz, 30.9.1934. GARF R-7952/7/ 323, Bl. 171. Finkel' an Kaganovic, 1.9.1931. GARF R-7952/7/116, Bl. 6. 10 Sten. Gespräch mit Ing. Katcen, stv. Chefingenieur für den elektrischen Fahrbetrieb, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 308-309.
Die Gründung von Metrostroj und das Know-how
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Bulganin beauftragte im August 1931 Rotert und Finkel' mit der Einrichtung eines Organisationsbüros und der Erstellung eines Statuts für die Leitung des Baus der Metro, die unter dem Namen Metrostroj [Metrobau] beim Präsidium des Mossovet eingerichtet werden sollte. Er stellte ihnen vorläufig 50.000 Rubel und vier Zimmer an der Il'inka Nr. 3, in Sichtweite des Kreml, zur Verfügung." Rotert und Finkel' entwarfen innerhalb von zwei Tagen ein Statut von Metrostroj und legten es dem Mossovet vor.12 Das Statut sprach ausdrücklich vom Bau einer „Stadtschnellbahn auf eigener (unterirdischer) Trasse", also einer Untergrundbahn.13 Am 13.9.1931 bestätigte der Rat der Volkskommissare der RSFSR das Statut über Metrostroj und erhob das Unternehmen in den Rang einer „Stoßbaustelle" [udarnaja strojka], d.h. einer Baustelle mit hoher Dringlichkeit, die bei der Zuteilung von Ressourcen bevorzugt zu behandeln war.14 Der Rat der Volkskommissare der UdSSR bestätigte das Statut, das zuvor noch vom Obersten Volkswirtschaftsrat und vom Volkskommissariat fur Finanzen begutachtet worden war,15 auf Bitte Bulganins16 am 2.10.1931 ebenfalls und ergänzte zwei Punkte: Die Arbeits - und Finanzierungspläne von Metrostroj mußten vom Rat für Arbeit und Verteidigung bestätigt, der Leiter von Metrostroj und sein Stellvertreter vom Rat der Volkskommissare der UdSSR ernannt werden.17 In der veränderten Fassung bestätigte der Rat der Volkskommissare der RSFSR das Statut nochmals am 13.10.1931.18 Am 13.11.1931 nahm auch der Rat für Arbeit und Verteidigung Metrostroj in die Gruppe der Stoßbaustellen auf.19 Damit war die Phase der Institutionalisierung abgeschlossen und zugleich die hohe Priorität des Unternehmens gesichert. Rotert legte der Leitung von Metrostroj das Organisationsschema von Dneprostroj zugrunde und richtete als erstes eine Technische Abteilung ein, der die Projektierung oblag. Die übrigen Abteilungen wurden der Reihe nach gegründet, sobald sie erforderlich waren. Am 22.9.1931 bestand Metrostroj aus 24 Personen, davon 18 Ingenieuren und Technikern. Da sich Rotert aufgrund seiner Verpflichtungen bei Dneprostroj nicht ständig in Moskau aufhalten konnte, ließ er sich ei-
11 Präsidium des Mossovet. Prot. 23, 26.8.1931. CMAM 150/1/157, Bl. 307. 12 Rotert. Manuskript, 15.12.1934. GARF R-7952/7/318, Bl. 157-159. 13 Statut über den staatlichen Bau der Moskauer Untergrundbahn „Metrostroj". GARF A-259/24/9, Bl. 55-59. CMAM 150/1/28, Bl. 314-316. 14 SNK RSFSR. Verordnung 1034 (Abschrift), 13.9.1931. GARF R-5446/12/96. 15 SNK RSFSR an VSNCh, NarkomFin SSSR, 13.8.1931. GARF A-259/15/17, Bl. 20. 16 SNK SSSR. Aktennotiz, 2.10.1931. GARF R-5446/12/96, Bl. 2. 17 SNK SSSR. Verordnung 831, 2.10.1931. GARF R-5446/1/62, Bl. 317. 18 SNK RSFSR. Verordnung 1034 (Original), 13.10.1934. GARF A-259/24/9, Bl. 54. Die Numerierung der Verordnung blieb unverändert. In den Abschriften, die in anderen Akten abgelegt sind, wurde das Septemberdatum nachträglich auf Oktober korrigiert. (Z.B. GARF A-259/ 15/17, Bl. 1). Daher wird in den Quellen und in der Literatur die Verordnung unterschiedlich datiert. 19 STO. Verordnung 512, 13.11.1931. GARF R-5674/1/47, Bl. 124.
Die Durchführung des Baus 1931-1935
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nen zweiten Stellvertreter zur Seite stellen. Das war Ingenieur N.I. Oskolkov, bis dahin bevollmächtigter Vertreter von Dneprostroj in Moskau.20 Zum Leiter der Technischen Abteilung machte Rotert zunächst den jungen Ingenieur I.S. Seljubskij,21 kurz darauf den bekannten Professor für Brückenbau V.L. Nikolai. 22 Rotert hatte Schwierigkeiten, geeignetes Fach- und Führungspersonal zu finden. Einige Bauingenieure brachte er von Dneprostroj mit. Dazu kamen Bergbaufachleute. Rotert betrachtete den Bau der Untergrundbahn mehr oder weniger als einen Eisenbahntunnel, doch auch Ingenieure mit Erfahrung im Bau von Eisenbahntunneln waren anfangs bei Metrostroj nicht vertreten.23 Kern der Technischen Abteilung waren diejenigen ehemaligen Mitarbeiter des Projektierungsbüros von MGZD, die nicht verhaftet oder inzwischen wieder freigelassen worden waren: die Ingenieure Moskov, Cires, Gor'kov, Katcen, Nazarov, Alekseev, Denisov; die Mechaniker Bedrickij, Vycuzanin, Glebov und andere.24 Sie waren schon Anfang September 1931, auf Anordnung des Mossovet, zum Bau der Metro versetzt worden.25 Etliche Metroplaner von MGZD, darunter die eigentlichen Fachleute wie Mysenkov und Rozanov, saßen allerdings im Herbst 1931 noch im Gefängnis. Bulganin konnte bei der OGPU ihre Freilassung und Abkommandierung zu Metrostroj durchsetzen.26 Mysenkov und Rozanov wurden Professor Nikolai als Stellvertreter zur Seite gestellt. Rozanov starb 1933, Mysenkov wurde Leiter der Abteilung für den elektrischen Fahrbetrieb. Ingenieur Moskov, der gemeinsam mit Mysenkov in den zwanziger Jahren etliche Aufsätze publiziert hatte, übernahm die Abteilung für geologische Voruntersuchungen. Nach seinem Tod
20 Rotert. Bericht, 22.9.1931. GARF R-7952/7/116, Bl. 15. - Oskolkov hatte 1912 die Projektierung und den Bau der Borodino-Gedenkbrücke in Moskau geleitet. (Pikul': Delovoj centr 1996, S. 35). 21 Seljubskij hatte 1928 oder 1929 das Moskauer Institut für Verkehrsingenieure absolviert. (Sten. Gespräch mit Smidt, 30.9.1934. GARF R-7952/7/323, Bl. 176). 22 Rotert. Manuskript, 15.12.1934. GARF R-7952/7/318, Bl. 160. - Viktor Leopol'doviö Nikolai, geboren 1878, hatte 1896 das Moskauer Verkehrsinstitut absolviert und war danach beim Bau des Moskauer Eisenbahnrings und beim Bau von Brücken über die Neva, Volga, Oka und den Dnepr tätig gewesen. Daneben lehrte er seit 1905 an verschiedenen Instituten. 1921 wurde er Professor für Brückenbau am Moskauer Institut für Eisenbahningenieure [MIIT], (Pikul': Viktor Leopol'dovic Nikolai 1978, S. 10). 1903 gehörte er der Kommission an, die das Projekt von Knorre und Balinskij begutachtete. (Vgl. Kap. I.l.b). Sein Vater Leopol'd Fedorovic Nikolai war ebenfalls Professor für Brückenbau und auf diesem Gebiet eine anerkannte Kapazität gewesen. (Pikul': Sem'ja 1994, S. 46). - Laut dem Urteil des Ingenieurs Ch.M. Smidt, der seit Herbst 1931 bei Metrostroj arbeitete, hatte sich Rotert bei der Wahl Nikolais von dessen klingendem Namen täuschen lassen. Nikolai sei zwar ein Professor mit umfassendem Wissen, aber kein Praktiker gewesen. Wenn ihm eine Skizze vorgelegt wurde^ hätte er die Satzzeichen ausgebessert, aber das Wesentliche übersehen. (Sten. Gespräch mit Smidt, 30.9.1934. GARF R-7952/7/323, Bl. 172). 23 24 25 26
Vgl. Makovskij 1981, S. 92. Sten. Gespräch mit Ing. Nikolai. GARF R-7952/7/266, Bl. 82. Präsidium des Mossovet. Prot. 24, 6.9.1931. CMAM 150/1/21, Bl. 15. Bulganin an OGPU, o.D. [Herbst 1931], GARF R-7952/7/116, Bl. 25-26.
Die Gründung von Metrostroj und das Know-how
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(1933 oder 1934) wurde Ingenieur Cires sein Nachfolger.27 Auch er hatte sich wie Moskov schon seit 1924 mit der Projektierung der Untergrundbahn befaßt. Daß man „Schädlinge" aus dem Gefängnis holte und sie in leitende Positionen einsetzte, wenn ihr Fachwissen gebraucht wurde, war in diesen Jahren nichts Außergewöhnliches. Der Chefingenieur von Magnitogorsk war ein Strafgefangener, der zehn Jahre wegen Industrieschädlingtums abbüßte, nachdem man ihn 1929 deswegen zum Tode verurteilt hatte. Er übte seine Funktion wie jeder normale Manager aus und war bei den Entscheidungen des Managements gleichberechtigt.28 - Myäenkov und Rozanov genossen ebenfalls große Autorität, waren allerdings seit ihrer Verhaftung ängstlich geworden und scheuten sich, dezidierte Standpunkte zu vertreten. Das kam vor allem 1932 zum Tragen, als es Kontroversen um die Tiefenlage der Tunnel gab.29 Am 1.2.1932 bestand die Leitung von Metrostroj aus 451 Personen, davon 139 Ingenieuren und Technikern. Etwa die Hälfte des ingenieur-technischen Personals von Metrostroj hatte weniger als drei Jahre Berufserfahrung, 13,7 Prozent sogar weniger als ein Jahr.30 Zur Projektierung und fur die Entfaltung der Bauarbeiten brauchte man dringend weitere Ingenieure und Techniker. Im Januar 1932 wurden daher mit verschiedenen Instituten Verträge über die Ausbildung von Fachpersonal abgeschlossen.31 Nur ein verschwindend geringer Teil des ingenieur-technischen Personals der ersten Monate war für die Erfordernisse des Baus einer Untergrundbahn adäquat qualifiziert. Zum 1.8.1932 waren 185 Ingenieure bei Metrostroj anwesend, deren Qualifikationen sich auf folgende Gebiete verteilten: Hochbau 49, Straßenbau 45, Elektromechanik 23, Bergbau 20, Brückenbau 10, Geodäsie 8, Architektur 8, Geologie 7, Hydrotechnik 4, Wärmetechnik und Kanalisation 4, Markscheiderei 1, Eisenbeton 1, Bohren 1, Untergrundbahn- und Tunnelbau l. 32 Ingenieure, die für den Bau von Gebäuden, Straßen, Brücken oder für die Anlage von Bergwerken ausgebildet waren und auf diesen Gebieten Erfahrung hatten, mußten sich erst an die völlig anderen Erfordernisse und Bedingungen gewöhnen, die der Bau einer Untergrundbahn mitten in der Großstadt mit sich brachte. Praktische Erfahrung beim Bau von Untergrundbahnen hatten nur Rozanov, Finkel' und Seljubskij. Katcen, Kravec, Mysenkov und Rotert hatten immerhin im Ausland schon eine Untergrundbahn gesehen. Alle übrigen Ingenieure mußten
27 Sten. Gespräch mit Ing. Smidt, 30.9.1934. GARF R-7952/7/323, Bl. 173. Desgl. mit Ing. Mysenkov, 31.8.1934. GARF R-7952/7/265, Bl. 5-6. 28 Andrle: Workers 1988, S. 64. 29 Sten. Gespräch mit Ing. Smidt, 30.9.1934. GARF R-7952/7/323, Bl. 173-174. 30 Stv. Leiter von Metrostroj, Oskolkov. Konjunkturbericht von Metrostroj für Januar 1932, 9.2.1932. GARF R-7952/7/162, Bl. 11-12. 31 Ebd. - Zum Thema Ausbildung siehe ausfuhrlich Kap. V.2. 32 Rotert. Konjunkturbericht von Metrostroj für Juli 1932. GARF R-7952/7/163, Bl. 17.
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Die Durchführung des Baus 1 9 3 1 - 1 9 3 5
sich das Fachwissen aus der Literatur aneignen.33 Im März 1932 ersuchte Rotert die sowjetischen Handelsvertretungen in London, New York und Berlin, alle erhältlichen Publikationen über den Bau von Untergrundbahnen nach Moskau zu schicken. Die schon besorgten Zeitschriften gaben nur spärliche Auskünfte und enthielten keine technischen Zeichnungen und Beschreibungen.34 Erst im Herbst 1933 konnten sich drei Ingenieure von Metrostroj auf einer Dienstreise mit dem Untergrundbahn- und Tunnelbau in England, Frankreich, Belgien und Deutschland vertraut machen.35 Das Ergebnis waren praktische Vorschläge und ein Handbuch, das Ingenieur Makovskij verfaßte und in dem er die Bauweisen europäischer Untergrundbahnen umfassend beschrieb. Im Druck erschien das Buch allerdings erst 1935, als man die erste Baufolge schon fertiggestellt hatte.36 Um das Defizit an Fachwissen abzugleichen und ausländisches Know-how zu nutzen, schlug Rotert im September 1931 vor, eine renommierte ausländische Firma zur Konsultation beizuziehen. Sie sollte vier Fachleute für die Projektierung nach Moskau schicken, zwei für die Organisation und die Mechanisierung der Arbeiten und zwei zur Aufsicht über den Bau. Das fertige Projekt sollte von zusätzlichen Spezialisten der Firma begutachtet werden.37 Eine ausländische Konsultation kam in dieser Form nicht zustande. Ausländisches Know-how flöß aber trotzdem in beträchtlichem Maße in das Unternehmen ein. Zum einen wurden 1932 drei ausländische Expertisen in Auftrag gegeben,38 zum anderen wurden ausländische Spezialisten über individuelle Verträge eingestellt. Im Mai 1933 waren insgesamt sechzehn ausländische Spezialisten bei Metrostroj tätig. Ihre Einstellung war unsystematisch erfolgt. Die meisten hatten von sich aus ihre Dienste angeboten. Sieben von ihnen waren Deutsche, vier Amerikaner, zwei Tschechen, einer Österreicher, einer Lette, einer französischer Jude. Fast alle waren 1928 bis 1932 in die Sowjetunion gekommen und hatten vor Metrostroj schon bei einer anderen sowjetischen Organisation gearbeitet.39 Im Herbst 1933 kam eine Gruppe von elf amerikanischen Ingenieuren zum Bau der Metro. ES handelte sich um russische und polnische Juden, die vor dem Ersten Weltkrieg
33 Sten. Gespräch mit Ing. Nikolai. GARF R-7952/7/266, Bl. 85. Desgl. mit dem Chefarchitekten von Metroprojekt, Kravec, 31.7.1934. GARF R-7952/7/313, Bl. 126. - Die Aufzählungen der beiden Quellen stimmen nicht überein. Rotert wird von beiden nicht unter die Kenner einer Untergrundbahn gerechnet. 34 Rotert an die Handelsvertretung in London, 3.3.1932, an AMTORG, 3.3.1932, an die Handelsvertretung in Berlin, 29.2.1932. CMAM 665/1/19, Bl. 1-3. 35 Makovskij 1981, S. 94. 36 Makovskij: Sooruzenie 1935. 37 Rotert. Bericht, 22.9.1931. GARF R-7952/7/116, Bl. 19. 38 Dazu ausführlich das nächste Kapitel. 39 Leiter der Kommunalbaugruppe von MGKK RKI, Buracenko, an den Vors. MGKK RKI, Filatov, 10.5.1933. CMAM 1289/1/682, Bl. 77-78.
Der Verlauf der Bauarbeiten
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nach Amerika emigriert waren, bei der New Yorker Untergrundbahn gearbeitet hatten und im Zuge der Wirtschaftskrise entlassen worden waren. 40 Chefkonsultant von Metrostroj war der Amerikaner George Morgan, der 1930 in Magnitogorsk gearbeitet hatte, im Juni 1933 mit einem Touristenvisum nach Moskau gekommen war und sich als Fachmann für Tunnelbau anbot. Er blieb bis zum Abschluß der ersten Baufolge 1935 und hatte maßgeblichen Anteil an der Lösung technischer Probleme, vor allem bei der Konstruktion von Stationen und bei der Wasserisolierung der Tunnel.41 Eine Reihe ausländischer Firmen wandte sich ab 1932 an Metrostroj und bot ihre Dienste an. Manche Firmen wollten Ausrüstungen liefern, andere sogar die technische Durchführung der Arbeiten übernehmen, wieder andere priesen neuartige technische Verfahren an.42 Umgekehrt wandte sich auch Metrostroj an westliche Firmen mit technischen Fragen, wobei man bemüht war, möglichst viele Informationen kostenlos zu erhalten. So schickte Metrostroj im August 1932 an die Firma Siemens einen umfangreichen Fragenkatalog über die Elektroausrüstung der Berliner Untergrundbahn. Die Firmenleitung meinte dazu, es müsse „vermieden werden, daß die Verwaltung der Moskauer Untergrundbahn sich auf diesem Wege wertvolle fachmännische Urteile verschafft, die sie voraussichtlich auch nicht bezahlen will."43
2. D e r V e r l a u f der B a u a r b e i t e n a) 1931/32: Überstürzter Beginn ohne Projekt Im September und Oktober 1931 befaßten sich die Ingenieure von Metrostroj unter der Leitung von Finkel' - Rotert hielt sich noch überwiegend bei Dneprostroj auf - vor allem mit der Sichtung des von MGZD übernommenen Materials und dem Linienschema. Über die Bauweise wurde vorerst nicht diskutiert, denn die Berliner Bauweise, die Finkel' und Seljubskij kannten, schien auf der Hand zu liegen. Professor Rozanov, der mit der Pariser Bauweise Erfahrung hatte, saß noch im Gefängnis. 44 Trotz der Vorgaben, die Kaganovic auf dem Juniplenum gemacht hatte, war anfangs nicht klar, was überhaupt gebaut werden sollte. Der Bebauungsplan für Moskau lag noch lange nicht vor, und die Projektierer wußten nicht, woran sie
40 Ing. Peter Winer an Rotert, 13.9.1933, beiliegend Lebensläufe. CMAM 665/1/111, Bl. 11-32. 41 NKVD, Hauptverwaltung für Staatssicherheit, Wirtschaftsabteilung. Auskunft über den Konsultanten Morgan auf der Basis von Agenturmaterial, 9.8.1934. RGASPI 81/3/205, Bl. 12-13. 42 Vgl. den Schriftverkehr in CMAM 665/1/19, Bl. 5-90. 43 Direktor Reyss von Siemens an das Auswärtige Amt, 31.8.1931. PA AA, R 94567. 44 Sten. Gespräch mit Ing. Katcen, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 310.
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sich orientieren sollten.45 Die Leitung von Metrostroj hatte von Anfang an eine unterirdische, von den Eisenbahnen unabhängige Metro im Sinn. Das Verkehrskommissariat war damit nicht einverstanden und forderte eine Ankoppelung an die Vorortbahnen und die Nordbahn, was für die Metrotunnel das größere Eisenbahnprofil erforderlich gemacht hätte. Professor Obrazcov trat im Mossovet und in anderen Organisationen fur eine oberirdische, billigere, Stadtschnellbahn ein. Im Oktober 1931 legte er seinen Standpunkt in der Zeitung Izvestija dar. Ingenieur Katcen von Metrostroj verfaßte einen Gegenartikel und argumentierte für eine Untergrundbahn ohne jede Verbindung mit der Eisenbahn. Die Redaktion der Izvestija schloß sich diesem Standpunkt an und erklärte die Diskussion für beendet. Der Mossovet konnte durchsetzen, daß das Verkehrskommissariat von weiterer Einflußnahme auf Metrostroj Abstand nahm.46 Ende September 1931 berichtete Rotert vor dem Stadtparteikomitee über den Stand der Arbeiten: Metrostroj beabsichtigte, bis 1939 rund 70 Kilometer Untergrundbahnlinien zu bauen. Die erste Baufolge sollte bis 1937 dauern, 40 Kilometer umfassen und 400 Millionen Rubel kosten. Die ersten Linien mit zusammen 18 Kilometern sollten Ende 1934 in Betrieb gehen. Den Bedarf an Arbeitskräften schätzte Rotert auf 15.000.47 Das Stadtparteikomitee bestätigte den Arbeitsumfang und ordnete Metrostroj an, bis 1.11.1931 ein Überblicksschema und bis 15.11.1932 das Bauprogramm und einen vorläufigen Kostenvoranschlag für 1932 vorzulegen. Damit im Frühjahr mit den Bauarbeiten begonnen werden könne, wurde Metrostroj beauftragt, über den Winter Unterkünfte für die Arbeiter vorzubereiten.48 Das von Rotert skizzierte Bauvorhaben beruhte auf groben Schätzungen. Ein richtiges Projekt lag noch nicht vor. Das in jahrelanger Arbeit von MGZD erstellte Projekt wurde verworfen, weil es die Pariser Bauweise und Seitenbahnsteige vorsah und aufgrund seines auf Kostenminimierung ausgerichteten Charakters (verkürzte Stationen) nicht mehr den aktuellen Anforderungen entsprach. Unter dem Einfluß von Rotert, Finkel' und Seljubskij legte man sich auf die Berliner Bauweise fest und nahm das Projekt von Siemens-Bauunion aus dem Jahre 1926 zur Grundlage für die eigene Projektierung. Aufgrund des Mangels an Tunnelfachleuten und ausgebildeten Arbeitern hielt man den technisch einfacheren Bau in einer offenen Baugrube für realistischer als den unterirdischen Tunnelvortrieb. An den Stellen, wo die offene Bauweise unmöglich war, zum Beispiel bei der Unterfahrung von Gebäuden und Eisenbahnlinien, mußte man auf die Pariser Bauweise ausweichen. Um diese Art von Tunnelvortrieb unter Moskauer Bedin-
45 Sten. Gespräch mit dem Chefarchitekten von Metroproekt, Kravec, 31.7.1934. GARF R-7952/7/313, Bl. 126. 46 Sten. Gespräch mit Katcen, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 311, 315-316. 47 Rotert. Bericht, 22.9.1931. GARF R-7952/7/116, Bl. 16-17. 48 Büro MGK VKP(b). Prot. 20, 24.9.1931. CAODM 4/1/29, Bl. 1.
Der Verlauf der Bauarbeiten
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gungen praktisch zu erproben, wurde beschlossen, beim Mit'kovskij Viadukt49 einen hundert Meter langen Versuchstunnel anzulegen. Ingenieur Makovskij erstellte hierzu im Oktober 1931 das Projekt.50 Von Anfang an war der Bau durch Hektik gekennzeichnet. Metrostroj hatte keine Vorbereitungsperiode, sondern mußte unter dem politischen Druck von oben überstürzt mit den Bauarbeiten beginnen, während gleichzeitig erst die Projektierungsarbeiten liefen.51 Bei der Sichtung des von MGZD übernommenen Materials stellte sich heraus, daß die vorliegenden hydrogeologischen Daten für eine seriöse Projektierung nicht ausreichten. Im Winter 1931/32 mußten daher neuerlich geologische Bohrungen angestellt werden, deren Ergebnisse in die erste Projektierungsphase noch gar nicht einfließen konnten, zumal sie aus Mangel an Fachwissen und Bohrausrüstungen schleppend vorangingen. Konfrontiert mit den widersprüchlichen Ansichten etlicher Professoren, die zu einer Beratung über die Geologie Moskaus versammelt worden waren, zitierte Finkel' resignierend (auf deutsch) Heinrich Heine: „Sechsundsechzig Professoren, - Vaterland du bist verloren."52 Ende November 1931 präsentierten Rotert und Finkel' dem Moskauer Stadtparteikomitee Entwürfe für ein Linienschema. Ingenieur Katcen, der an der Beratung teilnahm, berichtete später darüber, wie Kaganovic die sich abzeichnende langwierige Diskussion beendete: „Ich erinnere mich, daß Lazar' Moiseevii aufstand, neben ihm waren Ryndin, Bulgarin, ich glaube auch Chruäöev. Lazar' Moiseevii hört zu, steht auf, tritt an das Schema heran und beginnt über die Entwicklung Moskaus zu reden, wo die Industrie sein wird, wo jetzt der Verkehr überlastet ist. Und sagt: Wir werden hier nicht viel nachdenken. Wir bauen die erste Linie von Sokol'niki bis zum Palast der Sowjets, und eine zweite Linie - wie das beschlossen wurde - vom Smolensker Platz zur Leninbibliothek. Richtig, sagt Rotert." 53
49 Über das Mit'kovskij Viadukt quert der Verbindungszweig von der Nordbahn zur Kazaner Eisenbahn die Rusakovstraße. Es befindet sich zwischen den Metrostationen „Krasnosel'skaja" und „Sokol'niki". 50 Vgl. Sten. Gespräch mit Ing. Makovskij. GARF R-7952/7/265, Bl. 21. Vgl. desgl. mit Ing. Nikolai, Leiter von Metroproekt. GARF R-7952/7/266, Bl. 84. Makovskij: Tvorfieskaja mysF sovetskogo metrostroenija. Manuskript. GARF R-7952/7/316, Bl. 108-109. 51 Sten. Gespräch mit Ing. Nikolai. GARF R-7952/7/266, Bl. 82. 52 Sten. Gespräch mit Ing. Judoviö, Leiter der Hydrogeologischen Abteilung des wissenschaftlichen Forschungssektors von Metrostroj, 20.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 202. Vgl. desgl. mit Chefingenieur Mil'ner, Leiter der geologischen Abteilung von Metrostroj, 2.2.1935. GARF R-7952/7/316, Bl. 307. Vgl. desgl. mit Ing. Seljubskij. GARF R-7952/7/323, Bl. 60. 53 Sten. Gespräch mit Katcen, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 312-313.
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Das von Metrostroj erstellte Linienschema umfaßte in der weiter verfolgten Variante fünf Durchmesserlinien (zehn Radien) mit insgesamt 80,3 Kilometer Länge, 86 Stationen, davon 17 Umsteigestationen (Abb. 19).54 Am Dzerzinskijplatz, bei Il'inskie vorota und am Noginplatz waren Umsteigestationen zu der in die Stadtmitte geführten Vorortbahn vorgesehen. Am Roten Platz schnitten sich drei Durchmesser in einer Umsteigestation. Zusätzlich dachte man an eine Ringlinie, deren Verlauf aber erst präzisiert werden mußte. Die Durchmesserlinien sollten im Zentrum unterirdisch laufen, nur bei der Überquerung der Moskva auf Viadukten. Spätere Verlängerungen über den Eisenbahnring hinaus sollten oberirdisch erfolgen und zwar in Richtung der Vororte, die nicht von Vorortzügen der Eisen,,, in D . . . . . ,T , bahn bedient wurden. Λ, . Abb. 19: Proiekt von Metrostroi, November 1931 , „ Ziel sollte sein, von jedem beliebigen Punkt aus mit nur einmaligem Umsteigen jeden anderen Punkt zu erreichen.55 Von einzelnen Linien aus sollten die Metrozüge auf den Eisenbahnring fahren können.56
54 Das Projekt von Siemens-Bauunion von 1926 hatte genau denselben Umfang. Ob auch die Linienführung von Metrostroj übernommen wurde, läßt sich nicht feststellen, da vom SiemensProjekt keine Linienbeschreibung erhalten ist. Zumindest die Linie zum Palast der Sowjets muß 1931 neu gewesen sein, denn 1926 hätte sie keinen Sinn gehabt. Abgesehen von dieser Linie hatte das Projekt von Metrostroj auch große Ähnlichkeit mit jenem von MGZD 1929/30. - Vgl. Kap. I.2.a„ I.2.b. 55 Metrostroj. Thesen für einen Bericht über das skizzenhafte Projekt der erstrangigen Linien. O.D. [November oder Dezember 1931], GARF R-7952/7/144, Bl. 28-29. Polnaja schema 1932, S. 72, 74. 56 Nikolai: Utoönenie 1933, S. 3.
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Der Verlauf der Bauarbeiten Tabelle 4: Projekt von Metrostroj, November 193157 Radius 1. Mjasnickij (Cerkizovo - Leninbibliothek) 2. Usacevskij (Usaöevka - Leninbibliothek) 3. Arbatskij (Station Kutuzovo - Leninbibliothek) 4. Tverskoj (Station Vsechsvjatskoe - Ochotnyj ijad) 5. Taganskij (Fabrik AMO - Ochotnyj ijad) 6. Pokrovskij (Izmajlovo - Leninbibliothek) 7. Zamoskvoreckij (Station Niznye Kotly - Sverdlovplatz) 8. Rogozskij (Perov - Arbat) 9. Krasnopresnenskij (Krasnaja Presnja - Arbat) 10. Dzerzinskij (Ostankino - Sverdlovplatz) Zusammen
Länge in km 10,0 6,0 5,0 9,5 10,6 9,3 8,0 9,6 4,5 7,8 80,3
Am 10.12.1931 hieß das Moskauer Parteikomitee die Vorschläge von Metrostroj gut, als erste Linie den Mjasnickij und Usacevskij Radius von Sokol'niki bis zum Palast der Sowjets (sieben Kilometer) zu bauen und auf zwei kurzen Abschnitten Versuchsarbeiten in offener und geschlossener Bauweise zu beginnen. Die eigentlichen Bauarbeiten sollten im April 1932 anlaufen. 58 Daraufhin wurde Mitte Dezember 1931 59 an der Rusakovstraße Nr. 13 beim Mit'kovskij Viadukt ein Versuchsabschnitt zur Erprobung der Pariser Bauweise angelegt, der spätere Schacht Nr. 29. Auch wenn Kaganovic persönlich zugegen war,60 war der Beginn der Arbeiten alles andere als großartig: „Wir stellten die ersten sieben Arbeiter ein. Irgendwo kauften wir ihnen Pelzjacken und Filzstiefel, Metrosnab [Versorgungsorganisation von Metrostroj] existierte damals noch nicht. Dann schickten wir sie graben."61 Mit unzureichenden Mitteln und schlecht qualifizierten Arbeitern wurde in bergmännischem Vortrieb mit Holzabteufung und Bruchsteinmauerung ein Schacht begonnen. Als Kaganovic kurze Zeit später der Baustelle einen Besuch abstattete, stellte er viele skeptische Fragen und äußerte Zweifel an der Durchführbarkeit des Vorhabens mit solch primitiven Methoden. 62
57 Vorentwurf der erstrangigen Linien. O.D. [November 1931]. GARF R-7952/7/144, Bl. 25-29. 58 Büro MGK VKP(b). Prot. 24, 10.12.1931. CAODM 4/1/33, Bl. 2, Beilage Bl. 32-35. 59 In der Literatur wurde später aus optischen Gründen die Anlage des ersten Schachtes auf den 14. Jahrestag der Oktoberrevolution, also den 7.11.1931 zurückdatiert. Vgl. Ponomarenko 1967, S. 16. Vgl. Kap. VII.2.a. 60 Sten. Gespräch mit Ing. Nikolai. GARF R-7952/7/266, Bl. 82. 61 Sten. Gespräch mit Katcen, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 315. 62 Makovskij: Tvoröeskaja mysl' sovetskogo metrostroenija. Manuskript. GARF R-7952/ 7/316, Bl. 110.
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Am 30.12.1931 bestätigte das Büro des Stadtparteikomitees einen Teil des von Metrostroj vorgelegten Linienschemas, nämlich den Mjasnickij, Usacevskij, Arbatskij, Taganskij, Tverskoj, Pokrovskij und Zamoskvoreckij Radius mit zusammen 58,4 Kilometer Länge. Die drei übrigen Radien sowie eine Ringlinie wurden als weitere Perspektive für notwendig erachtet. Als erste Baufolge wurden die Abschnitte von Sokol'niki über die Mjasnickaja, den Ochotnyj rjad, den Palast der Sowjets und weiter bis zum Krimplatz63 (8,9 Kilometer) und von der Leninbibliothek über die Vozdvizenka und den Arbat zum Smolensker Markt (2,6 Kilometer) festgelegt. Die Fertigstellung dieser ersten Linien mit zusammen 11,5 Kilometern sollte, wie von Rotert vorgeschlagen,64 bis Ende 1933 erfolgen.65 Im Januar 1932 bestätigten auch das Politbüro und der Rat der Volkskommissare diesen Bauumfang und setzten für die Fertigstellung der genannten 58,4 Kilometer eine Frist bis Ende 1935. Die Frist für die Vorlage des technischen Projekts wurde bis Anfang Mai 1932 verlängert. Gosplan wurde verpflichtet, die notwendigen Baumaterialien bereitzustellen. Zur Ausarbeitung des Projekts und zum Bau sollte ausländische Hilfe herangezogen werden.66 Am 12.2.1932 ereignete sich beim Versuchsabschnitt ein schwerer Unfall: Als man unerwartet auf Grundwasser stieß, kam es an der Oberfläche zu Absenkungen. An Gebäuden traten Risse auf, ein Wasserleitungsrohr, das die nahegelegene Mineralwasserfabrik versorgte, brach, der Schacht lief voll Wasser und die Fabrik stand still.67 Der Schacht war verloren und mußte an einer anderen Stelle neu begonnen werden. Da es in der Gegend früher viele Teiche gegeben hatte, die im 19. Jahrhundert zugeschüttet worden waren, und etliche unterirdische Flußläufe die Trasse der Metro querten, mußte man auch für die Zukunft mit ähnlichen Überraschungen rechnen. Die geologischen Bohrungen erfolgten mit fünfzig Meter Abstand, und niemand konnte mit Sicherheit sagen, wie der Untergrund zwischen zwei Bohrungen beschaffen war.68 Die Probleme beim Versuchsabschnitt in geschlossener Bauweise bestärkten Rotert in seiner Bevorzugung der Berliner Bauweise in offener oder überdeckter Baugrube. Sie ermöglichte eine breitere Front der Arbeit und damit ein schnelleres Tempo, man brauchte keine speziell für den Tunnelbau unter Tage ausgebildeten Arbeiter und konnte ohne technischen Aufwand eine wasserdichte Isolierung von außen anbringen. Allerdings mußten sämtliche städtischen Versorgungsleitungen,
63 Die Station am Krimplatz diente zur Anbindung des Gor'kij-Kultur- und Erholungsparks. 64 Rotert. Konjunkturbericht über die Tätigkeit von Metrostroj zum 1.1.1932. CMAM 665/1/4, Bl. 5-8. 65 Büro MGK VKP(b). Resolution, 30.12.1931. GARF R-5446/13a/1088, Bl. 4 - 5 . 66 Politbüro. Prot. 82, 8.1.1931. RGASPI 17/3/867, Bl. 8. SNK SSSR. Resolution 21, 14.1.1932. GARF R-5446/13a/1088, Bl. 1-2. 67 Makovskij: Tvoröeskaja mysl' sovetskogo metrostroenija. Manuskript. GARF R-7952/ 7/316, Bl. 112-113. 68 Sten. Gespräch mit Ing. Judovic, 20.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 203-206.
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die die Trasse querten, verlegt werden.69 Die Pariser Bauweise hielt Rotert wegen der ungünstigen geologischen Verhältnisse fur ungeeignet und gefährlich. Die Schildbauweise, wie sie in England und Amerika praktiziert wurde, ermöglichte zwar ebenfalls den Vortrieb in wasserführenden Schichten, war aber technisch sehr aufwendig und erforderte den Import teurer Ausrüstungen.70 Solange das Projekt nicht fertig war, konnte man nicht effektiv bauen. Neben dem Versuchsabschnitt liefen zwar auch Arbeiten in offener Bauweise,71 aber die Tätigkeit von Metrostroj konzentrierte sich vorerst auf die Projektierung und den Bau von Materiallagern, Garagen, Werkstätten, Hilfsbetrieben und Wohnraum fur die Arbeiter. Die Versorgung mit elektrischer Energie mußte sichergestellt werden; im Umkreis von 150 Kilometern rund um Moskau wurden Steinbrüche und Sandgruben von Metrostroj übernommen oder neu angelegt.72 Die Projektierungsphase verzögerte sich Anfang 1932, als unter den Ingenieuren von Metrostroj eine Kontroverse über die Bauweise entbrannte. Ein junger Ingenieur der Technischen Abteilung, V.L. Makovskij, war nicht einverstanden mit der Entscheidung für die offene Bauweise und schlug der Leitung von Metrostroj vor, nach amerikanischem Vorbild in großer Tiefe mit Schildvortrieb zu bauen. Mit seinem Vorschlag fand er bei den anderen Ingenieuren keine Unterstützung. Die Mehrheit stand hinter Rotert, eine Minderheit um Professor Rozanov tendierte zur Pariser Bauweise.73 Makovskij, obwohl selbst weder Mitglied der Partei noch Komsomolze,74 wandte sich an seinen Vorgesetzten vorbei an das Stadtparteikomitee und konnte Chruscev für seine Idee gewinnen. Am 1.3.1932 verfaßte Makovskij in der Pravda einen Artikel, der eine lebhafte Diskussion auslöste. Er propagierte darin den Schildvortrieb in einer Tiefe von zwanzig bis dreißig Metern, wo man aufgrund der geologischen Bohrungen mit einer stabilen Schicht von Juratonen75 rechnen könne, und die Auskleidung der Tunnelröhren mit Eisenbetontübbings.76 Gegen die Berliner Bauweise führte er unter anderem ins Feld, sie würde umfangreiche Arbeiten zur Verlegung der Versorgungsleitungen erforderlich machen, man müsse den Straßenverkehr unterbrechen, im Winter die Baugrube beheizen und sei über-
69 Rotert. Konjunkturbericht über die Tätigkeit von Metrostroj zum 1.1.1932. CMAM 665/1/4, Bl. 12. 70 Vgl. Sten. 2. erweitertes Plenum RK VKP(b) des Rayons Sokol'niki, 29.2.1932. CAODM 85/1/12, Bl. 11-13. 71 Proizvodstvennaja chronika stroitel'stva 1932, S. 25. 72 Vgl. Rotert. Manuskript, 15.12.1934. GARF R-7952/7/318, Bl. 161-162. Vgl. Chronik von Metrostroj. GARF R-7952/7/141, Bl. 15. 73 Vgl. Makovskij 1981, S. 93. Vgl. Sten. Gespräch mit Ing. Seljubskij. GARF R-7952/ 7/323, Bl. 63. 74 Sten. Gespräch mit Ing. Makovskij, 20.11.1934. GARF R-7952/7/305, Bl. 158. 75 Gesteine aus der erdgeschichtlichen Periode des Jura. 76 Tübbings (von engl, tube) sind Ringe oder Ringsegmente zur Aussteifung von Röhren.
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dies an den Straßenverlauf gebunden. Die Pariser Bauweise hielt Makovskij wegen der ungünstigen Bodenverhältnisses in geringer Tiefe für zu gefahrlich.77 Bei Metrostroj war Makovskij völlig isoliert. Die übrigen Ingenieure verabschiedeten wenige Tage nach dem Erscheinen des Artikels eine Resolution, in der sie den Vorschlag Makovskij s als nicht zielfuhrend zurückwiesen. Von den Probebohrungen wußte man, daß die Juratonschicht nicht entlang der gesamten Trasse vorhanden und streckenweise nur dünn war.78 Technisch hielt man den Schildvortrieb nur auf einem zwei Kilometer langen Abschnitt unter der Mjasnickaja und der Kalancevskaja für möglich. Allerdings hätte der Schild im Ausland bestellt werden müssen, was Devisen gekostet und die Fertigstellung der Linie um ein Jahr verzögert hätte. Man brachte auch grundsätzliche Argumente gegen die tiefe Lage der Tunnel vor: Das Beispiel der Londoner Untergrundbahn habe gezeigt, daß tiefliegende Stationen fur die Passagiere zeitraubende Lift- und Rolltreppenfahrten bedingten. Diesen Fehler wollte man in Moskau nicht wiederholen.79 Das Stadtparteikomitee ließ sich von Makovskij s Argumenten überzeugen. Kaganovic und Chruscev legten großen Wert darauf, daß durch die Bauarbeiten das Leben der Stadt und der Verkehr möglichst wenig beeinträchtigt würden.80 Der Schildvortrieb in großer Tiefe war die einzige Bauweise, die diesen Anforderungen entsprach. Auch eine Reihe von Wissenschaftlern, zum Beispiel Professor A.N. Passek vom Leningrader Institut für Verkehrsingenieure, der für Metrostroj als Konsultant arbeitete, unterstützten Makovskij. Mitte April fand im Moskauer Parteikomitee bei Kaganovic und Chruscev eine Beratung über die Bauweise statt. Makovskij und Passek trugen ihre Ansichten vor und wurden dabei von Chruscev unterstützt. Rotert, Seljubskij und andere Ingenieure verteidigten das Projekt in Berliner Bauweise, das kurz vor der Fertigstellung stand. Rotert argumentierte sehr engagiert und scharf und bezeichnete diejenigen, die ein neues Projekt forderten, als „Totengräber". Das Aufgeben der bisherigen Planung wäre eine internationale Blamage.81 Das Politbüro genehmigte angesichts der Kontroversen Ende April 1932 die Konsultation von Spezialisten aus England, Frankreich, Amerika und Deutschland und stellte für diesen Zweck 50.000 Dollar bereit.82 Am 1.5.1932 legte Metrostroj das technische Projekt für die erste Baufolge in Berliner Bauweise vor.83 77 Makovskij 1981, S. 93. Vgl. Makovskij: Kak nado Stroit' 1932, S. 17-21. 78 Sten. Gespräch mit Ing. Judovic, 4.9.1934. GARF R-7952/7/265, Bl. 153. 79 Resolution der allgemeinen Versammlung der ITR von Metrostroj zum Bericht von Rotert, 5.3.1932. CMAM 665/1/30, Bl. 12-13. 80 Vgl. Sten. Gespräch mit Ing. Seljubskij. GARF R-7952/7/323, Bl. 65. 81 Sten. Beratung im MK VKP(b), 19.4.1932. RGASPI 81/3/197, Bl. 86-90. Sten. Gespräch mit Prof. Passek, 13.9.1934. GARF R-7952/7/272, Bl. 169-170. 82 Politbüro. Sondermappe zum Prot. 97, 23.4.1932. RGASPI 17/162/12, Bl. 109. 83 Osnovnye etapy stroitel'stva Moskovskogo metropolitena. Bericht Roterts auf der Beratung der Schriftsteller bei der Redaktion „Geschichte der Werke", o.D. [Mai oder Juni 1934], GARF R-7952/7/271, Bl. 274.
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Am 9.5.1932 erhielt Metrostroj von der Partei den Auftrag, innerhalb einer Woche einen alternativen Vorentwurf fur den Vortrieb in tiefer Lage auszuarbeiten, was unter größter Anstrengung fristgerecht gelang.84 Am 20.5.1932 ordnete das Stadtparteikomitee Metrostroj an, sofort seine Arbeit auf den Vortrieb in großer Tiefe umzustellen und - ohne auf die endgültige Ausarbeitung des Projekts zu warten - auf einzelnen, gut erforschten Abschnitten mit dem Bau zu beginnen.85 Da Rotert jedoch auf dem ursprünglichen Projekt beharrte, mußte das Politbüro eingeschaltet werden. Stalin wies Roterts Argument, die geschlossene Bauweise käme zu teuer, zurück. Es sei Sache der Regierung, das zu beurteilen.86 Am 23.5.1932 beschloß das Politbüro, den gesamten Abschnitt von Sokol'niki bis zum Sverdlovplatz [Theaterplatz] in großer Tiefe und geschlossener Bauweise zu errichten und für die Entscheidung bezüglich der anderen Abschnitte ein sowjetisches sowie ausländische Gutachten einzuholen. Gleichzeitig betonte das Politbüro, daß Metrostroj als wichtigste Staatsbaustelle anzusehen sei und bei der Versorgung mit Materialien erste Priorität genieße.87 Nach dieser Entscheidung des Politbüros setzte eine fieberhafte Umprojektierung ein. Die Arbeiten in offener Bauweise wurden eingestellt und für den Bau in großer Tiefe eine Reihe senkrechter Schächte begonnen.88 Unter dem Druck von oben mußten die örtlichen Bauleiter, ohne daß technische Projekte vorlagen, jeder mit seiner eigenen Methode, an das Abteufen der Schächte gehen. Einer der Chefingenieure beurteilte es rückblickend als völlig unseriös, die Tunnelarbeiten zu beginnen, ohne technische Lösungen, Fachleute und Ausrüstung zu haben. Manche Ingenieure hätten bewußt und mit Rückendeckung Roterts vorhersehbare Fehlschläge in Kauf genommen, um sie als Druckmittel einzusetzen: „Ich habe keine Ausrüstung, ich weiß nicht, wie man unterirdisch baut, aber es lohnt sich trotzdem, Schächte zu graben, die dann mit Wasser vollaufen und einstürzen, denn dann gibt man mir Energie, Leute und alle mögliche Ausrüstung, damit die Straße nicht einbricht."89
Bald stieß man auf geologische und technische Probleme, denen mit den primitiven Handwerkermethoden nicht beizukommen war.90 Bereits im Mai 1932 muß-
84 Rotert. Konjunkturbericht über die Tätigkeit von Metrostroj für Mai 1932. GARF R-7952/7/162, Bl. 95. Vgl. Makovskij: Tvoröeskaja mysF sovetskogo metrostroenija. Manuskript. GARF R-7952/7/316, Bl. 113. 85 Büro MGK VKP(b). Prot. 11, 20.5.1932. CAODM 4/2/8, Bl. 70-71. 86 Chruschtschow erinnert sich 1971, S. 78. Memuary Nikity Sergeeviöa Chruäöeva 1990, H. 3, S. 66. 87 Politbüro. Prot. 101, 23.5.1932. RGASPI 17/3/885, Bl. 4. - Fast gleichlautend ist die Resolution des SNK SSSR, 25.5.1932. GARF R-5446/1/68. 88 Proizvodstvennaja chronika stroitel'stva 1932, S. 25. 89 Sten. Gespräch mit Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 22-23. 90 Desgl. mit Chefingenieur Stekler, 17.11.1934. GARF R-7952/7/308, Bl. 168.
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ten fünf Schächte konserviert werden, weil man nicht mehr weiterkam. 91 Man holte aus den Kohlerevieren Bergleute, die ihre Methoden des Abteufens mit hölzernem Ausbau anwandten. Durch den Einfluß des Grundwassers wurde das Holz morsch, es kam zu Einstürzen und Wassereinbrüchen. 92 Bis Ende 1932 wurden von achtzehn Schächten mit einer projektierten Gesamttiefe von 498 Metern nur vier Schächte mit insgesamt 68 Metern abgeteuft. Die übrigen vierzehn Schächte mußten mehrmals konserviert und zum Teil aufgegeben werden. 93 Eine der Ursachen für die Fehlschläge war die hydrogeologische Beschaffenheit des Untergrunds. Die von Makovskij vorausgesetzte stabile Juratonschicht, auf der seine Idee des Vortriebs in großer Tiefe beruhte, erwies sich als verhängnisvoller Irrtum. Im Zuge der Arbeiten stellte sich heraus, daß diese Schicht an vielen Stellen dünner war als erwartet oder überhaupt fehlte. Am schlimmsten war die Tatsache, daß der Juraton gar keine stabile Schicht darstellte, sondern ein leicht auswaschbares Material war, das sich unter dem Einfluß von Grundwasser in Schwimmsand verwandelte. 94 Während im Sommer 1932 die Arbeiten mehr schlecht als recht vorangingen, erstellten je eine sowjetische, deutsche, französische und englische Expertenkommission ihre Gutachten. Die Ergebnisse, die im August 1932 vorlagen, waren recht unterschiedlich und ließen die Präferenzen der ausländischen Firmen für die von ihnen praktizierten Bauweisen erkennen: Die deutsche Kommission (Siemens-Bauunion) schlug für die gesamte Trasse die Berliner Bauweise vor. Zur Aufrechterhaltung des Straßenverkehrs sollte die Baugrube überdacht werden. Die Versorgungsleitungen sollten aufgehängt werden. Gegen die tiefe Lage führten die Deutschen ins Feld, daß sie beim Bau und Betrieb teurer und bei den Moskauer geologischen Bedingungen technisch kompliziert und überdies unvorteilhaft für die 91 Desgl. mit Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 24. 92 Deutsche Botschaft Moskau. Bericht, 26.9.1932. PA AA R 94567. Vgl. Sten. Gespräch mit dem Leiter der 8. Distanz, Fradkin, 23.11.1934. GARF R-7952/7/322, Bl. 107. Vgl. desgl. mit dem Leiter des Schachtes 47-48, Rochvarger, 28.10.1934. GARF R-7952/7/307, Bl. 78. 93 Sten. Gespräch mit Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 26. 94 Desgl. mit dem Chefingenieur der geologischen Arbeiten, Mil'ner, 2.2.1935. GARF R7952/7/316, Bl. 313-314. - Schwimmsand ist die Bezeichnung für wassergesättigte Sande, die sich bei ihrer Freilegung im Bergbau wie zähe Flüssigkeiten verhalten. Die Schwimmsande traten in Moskau vor allem im Bereich der unterirdischen Flußläufe auf, die die Trasse querten. Das alte Moskau war von Flüssen und Schluchten zerschnitten gewesen, die im Laufe der Zeit zugeschüttet oder verrohrt worden waren. Die alten Flüsse lagen in einer Tiefe von 25 Metern und damit über dem Niveau der in tiefer Lage zu bauenden Tunnel. Ein Teil des Wassers flöß in Rohren, der andere Teil darunter in Form von Schwimmsanden. Die Flußbetten hatten eine Breite von bis zu 300 Metern. (Sten. Gespräch mit dem Leiter der 4. Distanz, Sokolov. GARF R-7952/7/308, Bl. 223-224.) Entlang der Trasse der ersten Baufolge mußten fünf solche Flüsse gequert werden: am Arbatplatz und beim Palast der Sowjets der Certoryj, beim Sverdlovplatz und unter dem Alexandergarten die Neglinka, an der Kalancevstraße beim Kazaner Bahnhof die Flüsse Ol'chovka und Ol'chovec, an der Rusakovstraße zwischen dem Kalancevplatz und Sokol'niki die Cecora und die Rybinka (Abb. 28). (Fedorova 1981, S. 6-7.) - Die Neglinka wurde im Bereich des Alexandergartens im Zuge der Neugestaltung des Manegeplatzes 1997 teilweise wieder freigelegt.
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Passagiere sei. Die französische Kommission (die Ingenieure Charpentier, Viar, Henri und Lele von der Firma Gustave Thomson) verwarf ebenfalls die tiefe Lage und sprach sich für die Pariser und Berliner Bauweise in geringer Tiefe aus. Die englische Kommission (Konsultant Anderson, Direktor Pick) hielten eine Kombination von Schildvortrieb und offener Bauweise für sinnvoll. Zwischen Sokol'niki und der Leninbibliothek sollte in tiefer Lage unter dem Einsatz von zehn aus England importierten Schilden gebaut, im Anschluß Richtung Krimplatz allmählich zu offener Bauweise in geringer Tiefe übergegangen werden. Für den Arbat-Radius schlugen sie geringe Tiefe vor. 95 Eine kombinierte Lösung schlug auch die sowjetische Kommission unter dem Vorsitz des Akademiemitglieds Gubkin vor: Zwischen dem Sverdlovplatz und der Leninbibliothek sollte in großer Tiefe gebaut, daran anschließend allmählich zu geringer Tiefe übergegangen, vom Palast der Sowjets bis zum Krimplatz und am Arbat-Radius in geringer Tiefe und offener Bauweise gebaut werden. 96 Zu dem Abschnitt zwischen Sokol'niki und dem Sverdlovplatz äußerte sich die sowjetische Kommission nicht, da hier schon der Politbürobeschluß vom 23.5.1932 die tiefe Lage angeordnet hatte. Bezüglich des Linienschemas enthielt sich die französische Kommission eines Urteils.97 Die englische und deutsche Kommission hießen es gut und schlugen geringfügige Ergänzungen vor.98 Die sowjetische Kommission forderte erhebliche Korrekturen: Das im Südosten der Stadt geplante Industriegebiet müsse nicht nur mit dem Zentrum, sondern auch mit den Wohngebieten verbunden werden. Sinnvoll sei auch eine Ringlinie, die streckenweise entlang dem Gartenring verlaufe und einige der Großfabriken (Serp i molot, AMO-ZIS) sowie den Gor'kij-Kulturund Erholungspark verbinde. 99 Die Ergebnisse der Kommissionen wurden in der Partei, von Fachleuten und in Zeitschriftenartikeln erörtert und zusammen mit den beiden Projekten von Metrostroj als Buch veröffentlicht. 100 Rotert blieb hartnäckig und trat im Juli 1932 unter Berufung auf die Ergebnisse der Expertenkommissionen weiterhin für die offene Bauweise mit Ausnahme eines Abschnittes im Zentrum (zwischen dem Ochotnyj ijad und Krasnye vorota) ein. Darüber hinaus nannte er nun als realistische Frist für die Fertigstellung der ersten Baufolge das Ende des Jahres 1934.101 Mit beiden Vorschlägen setzte er sich - wohl unter dem Eindruck des kläglichen Scheiterns der neu angelegten Schächte - sogar über den Politbürobeschluß vom
95 Kratkoe izvlecenie iz vyvodov ekspertnych komissij po proektu Metrostroja. Pervoocerednye linii Moskovskogo metropolitena. Hg. v. Moskovskij Sovet RKIKD. - Moskva 1932, S. 2. Vgl. Chronik von Metrostroj, 1934. GARF R-7952/7/141, Bl. 20-23. 96 ObSöee zakljuCenie 1932, S. 27-32, hier S. 32. 97 SSSR: Moskovskij metropoliten 1932, S. 331. 98 Kratkoe izvlecenie 1932, S. 2. SSSR: Moskovskij metropoliten 1932, S. 213. 99 SSSR: Moskovskij metropoliten 1932, S. 184. 100 Ebd., 388 S. 101 Rotert. Bericht über die Grundlagen des Projektes für die Metro, o.D. [Ende Juni 1932], RGASPI 81/3/198, Bl. 2. Bulganin an Kaganovii, 1.7.1932. Ebd., Bl. 1.
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23.5.1932 hinweg. Kaganovic antwortete erbost, Rotert biege die Schlußfolgerungen der Kommissionen zurecht und bringe „falsche" Fristen ins Spiel.102 Im Dezember 1932 legte Rotert eine Neufassung seines Berichts vor. Er räumte nun der tiefen Lage mehr Gewicht ein, sah aber zwischen dem Kalancevplatz und Sokol'niki weiterhin die offene Bauweise vor und schob die Frist für die Fertigstellung noch einmal um ein Jahr, nämlich auf Oktober 1935, hinaus.103 Anfang Januar 1933 beriet das Moskauer Parteikomitee über diesen Bericht und beschloß, die sowjetische Expertise als Grundlage für den Bau zu nehmen und das Zentralkomitee zu bitten, die Frist für die Fertigstellung von 1.1.1934 auf 1.12.1934 zu verlängern. Zur definitiven Festlegung der Bauweise für jeden einzelnen Abschnitt wurden neuerliche geologische Untersuchungen angeordnet. Das Linienschema sollte nicht verändert werden.104 Kaganovic hatte die Entscheidung auf der Basis ausgiebiger Beratungen und technischer Konsultationen getroffen, zu denen er die maßgeblichen Geologen und andere Wissenschaftler ins Parteikomitee geholt hatte.105 Soweit es sich aus den Quellen abschätzen läßt, ging es Kaganovic in erster Linie darum, eine Bauweise zu wählen, die das städtische Leben möglichst wenig in Mitleidenschaft zog, - vermutlich, um die Bevölkerung nicht gegen den Bau aufzubringen. Möglicherweise spielten auch militärische Gesichtspunkte eine Rolle: Gleich zu Beginn der Diskussion hatte Ingenieur Makovskij Chruscev darauf aufmerksam gemacht, daß die tiefliegenden Tunnel im Kriegsfall gute Schutzräume abgeben würden, was Chruscev einleuchtete.106 Laut der Aussage des Enkels eines Metrobauers ließ Kaganovic auf einem Truppenübungsplatz bei Moskau Tunnelsektionen in verschiedenen Tiefenlagen errichten und von der Luftwaffe bombardieren, um ihre Eignung als Schutzräume zu prüfen.107 In der Zeitung Vecernjaja Moskva wurde Anfang 1933 gefordert, beim Bau der Metro den Luftschutz zu berücksichtigen, sie daher in tiefer Lage zu bauen und einige Stationen gasdicht auszustatten.108 Noch bevor die endgültige Parteientscheidung über die Bauweise vorlag, ordnete die Leitung von Metrostroj Anfang November 1932 die Einstellung der Arbeiten in tiefer Lage an. Der Versuchsabschnitt, nunmehr Schacht 29, wurde wie-
102 KaganoviC an Rotert, o.D. RGASPI 81/3/198, Bl. 17. 103 Rotert. Bericht und Entwurf einer Resolution, Dezember 1932. RGASPI 81/3/198, Bl. 52 sowie in CAODM 3/49/45, Bl. 14. 104 Prot. Beratung bei Kaganovic, 3.1.1933. CAODM 3/49/45, Bl. 4 - 5 . 105 Sten. Gespräch mit Ing. Katcen, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 325. 106 Chruschtschow erinnert sich 1971, S. 76. Memuary Chrusöeva 1990, H. 3, S. 65. 107 Egorov 1995, S. 1. - Außer dieser Aussage konnte ich keine Quelle finden, die das belegt. Das gleiche gilt auch für die Behauptung von Egorov, Kaganovic habe die Stationen so anlegen lassen, daß sie bei einem Bombeneinschlag ins Vestibül nicht zerstört würden. Aus diesem Grunde, seien die Vestibüle der ersten Baufolge so gebaut, daß man nicht auf kürzestem Weg, sondern erst über längere Treppen und Tunnel in die Station gelangt. 108 Pauskin 1933, S. 2.
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der auf seine ursprüngliche Tiefenlage umgestellt. Die übrigen Schächte wurden liquidiert, und man ging wieder zur offenen Bauweise über.109 Die Bilanz von Metrostroj am Ende des Jahres 1932 war ernüchternd: Seit der Gründung des Unternehmens waren sechzehn Monate vergangen, und man hatte noch nicht einmal ein bestätigtes technisches Projekt, auf dessen Basis man die Detailprojektierung beginnen, geschweige denn bauen konnte.110 Dort wo man trotz fehlender Voraussetzungen zu bauen versucht hatte, war man gescheitert. Die Ingenieure und Arbeiter waren frustriert. Ingenieur Kucerenko berichtete, die Leute hätten bei den Schächten gesessen und geweint. Er selbst, ein Brückenbauingenieur und Caissonfachmann, wurde beim Barackenbau und am Arbat eingesetzt, wo Ratlosigkeit herrschte: „Wir wußten nichts, bauten wieder einmal Baracken. Die Hauptarbeiten standen still. Keiner wußte, mit welcher Methode wir bauen sollten. [...] Es wurde diskutiert, gekämpft, aber nichts festgelegt. Es wurde abends beratschlagt, es wurde tagsüber beratschlagt, wir gingen hin und schauten uns die Baracke an, und schließlich kamen wir zu dem Ergebnis, daß der Arbat als unnötiger Abschnitt konserviert wird. Wir schlossen, liquidierten ihn."111
Der stellvertretende Leiter von Metrostroj, Ingenieur Oskolkov, kündigte im Herbst 1932 resigniert und meinte, es sei billiger, jedem zehnten Moskauer ein Automobil zu kaufen, als eine Metro zu bauen. Dann könnten die Leute wirklich fahren, während es beim derzeitigen Projektierungs- und Arbeitstempo ungewiß sei, wann die Metro fertiggestellt werde.112 Abgesehen von der Verzögerung durch die Diskussion um die Bauweise lagen auch die Organisation und die Versorgung im Argen: Rotert hatte die Trasse, wie beim Eisenbahnbau üblich, in fünf Abschnitte eingeteilt, Administrationen der Abschnitte eingerichtet und einen gewaltigen Apparat aufgebaut. Die Abschnitte gliederten sich in Distanzen, die Distanzen gliederten sich in Schächte, so daß zwischen dem Leiter von Metrostroj und dem Arbeiter auf der Baustelle vier Instanzen lagen.113 So entwickelten sich Parallelismen in der Führung und bei den Verantwortlichkeiten. Die Abschnitte wurden zu lauter kleinen Bauleitungen.114
109 Sten. Gespräch mit Ing. Kuz'min, Leiter des Schachtes 30, 25.10.1934. GARF R-7952/7/ 302, Bl. 99-100. Desgl. mit Gusev, Parteisekretär des Schachtes 33-35. GARF R-7952/7/300, Bl. 209. 110 Bericht Roterts auf dem Treffen der Stoßarbeiter, 1.1.1933. GARF R-7952/7/272, Bl. 72. 111 Sten. Gespräch mit Ing. Kuöerenko, Leiter der Caissongruppe, 20.10.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 197-198. 112 Desgl. mit Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 25-26. 113 Ebd., Bl. 21-22. 114 Organisationsbüro des Parteikomitees von Metrostroj. Beratung über die Ergebnisse der Anhörung der Bauleiter, 6.12.1933. GARF R-7952/7/239, Bl. 56.
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Im Juli 1932 stand den 5.299 auf dem Bau tätigen Personen ein aufgeblähter Verwaltungsapparat mit 2.217 Beschäftigten gegenüber.115 Im Dezember 1932 wurde erstmals der Umfang der anstehenden und geleisteten Arbeit, sowie der Bedarf an Arbeitskräften, Material, Geld und Transportmitteln errechnet. Die Größenordnungen, die nun zum Vorschein kamen, trafen die Leitung von Metrostroj unvorbereitet und zwangen sie, ernsthafter an den Bau heranzugehen." 6 Es war nicht mehr daran zu denken, bis Ende des Jahres 1935 die geforderten 58 Kilometer in Betrieb zu nehmen, wie man dies noch im Juli 1932 geglaubt hatte.117 Die Art und Weise, wie man 1931/32 beim Bau der Metro an die Arbeit heranging, war kein Einzelfall. Viele Baustellen des ersten Fünfjahresplans wurden eröffnet, bevor die Pläne vorlagen. Als die Pläne dann eintrafen, mußte alles geändert oder neu begonnen werden. Ende 1934 verbot die Regierung, mit Bauvorhaben zu beginnen, ehe die Pläne und die Finanzierung bestätigt seien. Offenbar war damit das Problem jedoch nicht gelöst, denn noch 1936 wurden in der Presse solcherlei Mißstände beklagt.118
b) 1933: Weichenstellungen zur Überwindung der Krise Nach den fehlgeschlagenen Bauversuchen und endlosen Diskussionen wurden im Laufe des Jahres 1933 einige wichtige Entscheidungen getroffen, auf deren Grundlage man die Bauarbeiten erst richtig entfalten konnte. Im Dezember 1932 zitierte Kaganovic die Führung von Metrostroj, die Leiter der Abschnitte, Schächte und Distanzen sowie die Parteisekretäre zu sich und ließ sie Rechenschaft über die geleistete Arbeit ablegen. Er forderte sie auf, die Diskussionen über die Bauweise zu beenden und reale Fristen für die Fertigstellung der Abschnitte zu nennen.119 Eine am 28.2.1933 vom Moskauer Gebiets- und Stadtparteikomitee zusammen mit dem Präsidium des Mossovet verabschiedete Resolution bildete den Auftakt zu einer zweiten, effektiveren Bauphase. Der Leitung von Metrostroj wurde angeordnet, auf der Basis der Einmannleitung120 strengste Disziplin im Apparat und auf den Baustellen herzustellen und bis zum 1.3.1933 ein technisches Projekt vorzulegen. Die von Metrostroj vorgeschlagenen Zeitpläne für die einzelnen Abschnitte wurden bestätigt. Bezüglich der Bauweise wurde der Polit-
115 MGKK-RKI, Inspektor der Transportgruppe, Nazarova. Bericht, 27.7.1932. CMAM 1289/1/437, Bl. 10. 116 Sten. Gespräch mit Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 27. 117 Vgl. stv. Leiter von Metrostroj, Oskolkov. Erklärungsnotiz zum Fünfjahresplan für Metrostroj, 3.7.1932. GARF R-5475/18/116, Bl. 87. 118 Depretto 1992, S. 189-190. 119 Sten. Gespräch mit Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 28. 120 Dazu ausfuhrlich Kap. VI.4.
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bürobeschluß vom 23.5.1932 stillschweigend revidiert. Die Partei beugte sich unter dem Druck der Fakten den Argumenten Roterts und akzeptierte für die Abschnitte zwischen Sokol'niki und Krasnye vorota sowie zwischen dem Palast der Sowjets und dem Krimplatz die offene Bauweise. Für die Trasse zwischen Krasnye vorota und dem Smolensker Platz wurde die geschlossene Bauweise angeordnet. Darüber hinaus mußte Metrostroj bis zum 1.3.1933 seinen Apparat reorganisieren und den Stellenplan der Verwaltung um ein Drittel kürzen.121 In einer Zusatzresolution wurden konkrete Maßnahmen aufgelistet: Bauleiter hatten von nun an mindestens die Hälfte ihrer Arbeitszeit unmittelbar vor Ort und nicht in ihrem Büro zu verbringen. Alle Vorgesetzten hatten die ihnen gegenüber den Untergebenen übertragenen Rechte konsequent auszuüben, statt „kleinbürgerlichem Demokratismus" zu frönen. Rotert mußte innerhalb eines Monats ein Programm zur Mechanisierung der Arbeiten vorlegen. Bei den Arbeitern sollte als Stimulans der Stücklohn eingeführt werden, wobei für die Untertagearbeiten ein um 25 Prozent höherer Lohn als im normalen Baugewerbe vorgeschrieben wurde. Die Leitung von Metrostroj und das Gewerkschaftskomitee wurden verpflichtet, eine technische Ausbildung der Arbeiter zu organisieren. Jeder neu einzustellende Arbeiter mußte fortan einen Kurs absolvieren, der ihm das „technische Minimum" vermittelte. Dem Parteikomitee von Metrostroj ordnete man an, die Dislozierung der Kommunisten und Komsomolzen zu überprüfen und dafür zu sorgen, daß in jeder Arbeitsschicht ein harter Kern von Kommunisten und Komsomolzen für Disziplin sorge. Die Moskauer Komsomolorganisation sollte zu diesem Zweck 1.000 Komsomolzen aus Moskauer Betrieben zum Metrobau mobilisieren. Der Mossovet hatte sich um bessere materielle Lebensbedingungen der Arbeiter zu kümmern.122 Um den Beschlüssen mehr Gewicht zu geben, wurden sie dem Zentralkomitee zur Bestätigung vorgelegt.123 Als kurzfristig keine Wende eintrat, zitiert Kaganovic im März 1933 die Führung von Metrostroj abermals ins Parteikomitee. Der Stellvertreter Roterts, Krutov, wurde abberufen. Rotert begründete den schlechten Baufortschritt mit mangelnder Unterstützung durch Partei und Gewerkschaften, sein zweiter Stellvertreter Rosal' und der Parteisekretär von Metrostroj, Sivacev, kritisierten die schwache Führung durch Rotert. Kaganovic beauftragte Chruscev und Bulganin, den Leitungsapparat und die Baustellen einer Prüfung zu unterziehen.124 Nachdem Metrostroj das technische Projekt abgeliefert hatte, verabschiedeten das Politbüro und der Rat der Volkskommissare am 20.3.1933 bzw. 21.3.1933 eine große Resolution über den Bau der Untergrundbahn. Darin wurde nun von höchster Stelle, auf der Grundlage der Expertisen und des neuesten Projekts von Me-
121 3/24/38, 122 123 124
Resolution von MK, MGK VKP(b) und Präsidium des Mossovet, 28.2.1933. CAODM Bl. 17-19. Büro MGK und MK VKP(b). Resolution, 28.2.1933. CAODM 3/24/38, Bl. 20-22. Büro MGK und MK VKP(b). Prot. 8, 28.2.1933. CAODM 3/24/38, Bl. 9. Sten. Gespräch mit Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 30-32.
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trostroj, über das Linienschema und die Bauweise entschieden: Das Linienschema wurde im wesentlichen in der seit November 1931 vorliegenden Form (Abb. 19, Tab. 4) im Umfang von 80,3 Kilometern bestätigt.125 Die Entscheidung über die Bauweise wurde für jeden Abschnitt begründet: Von Sokol'niki bis Krasnye vorota durfte in offener Bauweise gebaut werden, weil die Straßen dafür breit genug und die Bodenverhältnisse für die geschlossene Bauweise zu ungünstig waren. Nur beim Mit'kovskij Viadukt (Versuchsabschnitt) sollte die geschlossene Bauweise fortgesetzt werden. Zwischen Krasnye vorota und der Leninbibliothek wurde die geschlossene Bauweise in großer Tiefe angeordnet, weil dieser Abschnitt durch das stark befahrene Zentrum führte. Von der Leninbibliothek bis zum Kropotkinplatz (Palast der Sowjets) sollte die geschlossene Bauweise in geringerer Tiefe weitergeführt und vom Kropotkinplatz bis zum Krimplatz wieder offen gebaut werden. Der letztgenannte Abschnitt verlief über die Ostozenka, auf der nur geringer Verkehr herrschte, den man über Parallelstraßen umleiten konnte. Für den Arbat-Radius entschied man sich für die geschlossene Bauweise, da der starke Straßenverkehr nicht umgeleitet werden konnte. Die Frist für die Fertigstellung der ersten Baufolge wurde vom 1.1. auf den 1.12.1934 verlängert, gleichzeitig wurden die Investitionen für das Jahr 1933 zu Lasten des Moskva-Volga-Kanals von 80 auf 110 Millionen Rubel erhöht. Gosplan und der Rat für Arbeit und Verteidigung wurden angewiesen, Metrostroj besser als bisher mit Baumaterialien und Ausrüstung zu versorgen. Das Moskauer Parteikomitee, der Mossovet und Metrostroj wurden verpflichtet, die Mißstände bei der Arbeitsorganisation abzustellen sowie Finanzdisziplin und Qualität zu sichern.126 Ebenfalls am 20.3.1933 verabschiedete das Politbüro einen grundlegenden Beschluß über die Reorganisation der Arbeit in den Kohlengruben des Donecbeckens [Donbass], wo es zu Problemen gekommen war. Die Resolution zielte gleichzeitig auch auf Metrostroj, ohne das Unternehmen beim Namen zu nennen
125 Vgl. die Erläuterungen von Ing. Cires in: Cires, Semenov u.a.: Za lucäij 1933, S. 14. Lediglich Kleinigkeiten hatten sich inzwischen geändert: Der Usacevskij Radius hieß nun Frunzenskij, der Tverskoj entsprechend der Umbenennung der Tverer Straße - Gor'kovskij. Die Stationen „Ochotnyj ijad" und „Sverdlovplatz" waren zusammengelegt worden, weil der Abstand zwischen ihnen zu gering war. Die Station „Frunze" (zwischen Leninbibliothek und Palast der Sowjets) war weggefallen, und der Krasnopresnenskij Radius schnitt sich nun mit dem Frunzenskij beim Palast der Sowjets, der damit durch eine zweite Linie Verkehrsanschluß erhielt. Die Stationen „Mansurikovgasse" (zwischen dem Palast der Sowjets und dem Krimplatz) und „Silbergasse" [Serebrjanyj pereulok] (am Arbat) waren ebenfalls wegfallen. Der Dzerzinskij Radius führte nun nicht mehr über den Dzerzinskijplatz, weil dort der Bau einer dreistöckigen Umsteigestation zu schwierig war, sondern über den Trubnajaplatz (Umsteigestation zum Eisenbahndurchmesser) und den Sverdlovplatz (Umsteigemöglichkeit zur ersten Baufolge). 126 Politbüro. Beschluß 133, 20.3.1933. RGASPI 17/3/918, Bl. 55-56. SNK SSSR. Resolution 529, 21.3.1933. GARF R-5446/57s/23s, Bl. 185-188. - Die Resolution wurde in der Pravda am 7.4.1933 und in Rabocaja Moskva am 8.4.1933 publiziert. Daher werden in der nicht auf Archivquellen beruhenden Literatur meist diese Daten angegeben. Vgl. Poletaev 1953, S. 23.
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und wurde seiner Neuordnung zugrunde gelegt.127 Kernstück der Reform war das Bemühen, die Arbeit durch Mechanisierung, strikte Einmannfuhrung, bessere Organisation, sozialistischen Wettbewerb, Stücklohn auf der Basis von Normen, die auf chronometrischen Studien der Arbeitsvorgänge beruhten, Umstellung auf das Rentabilitätsprinzip und bessere Versorgung der Arbeiter effektiver zu gestal128
ten. Damit verbunden war eine Straffung des Leitungsapparates von Metrostroj. Die Abschnitte, die sich als unnötige Ebene zwischen der zentralen Leitung und den Baustellen erwiesen hatten, wurden auf Betreiben von Kaganovic und Chruscev gegen den Widerstand Roterts abgeschafft.129 Grundeinheit wurden nun die Schächte (geschlossene Bauweise) und Distanzen (offene Bauweise). Sie erhielten zum Teil neue Leiter. Zu diesem Zweck holte man erfahrene Bergbauingenieure aus dem Donecbecken zum Bau der Metro und versetzte Ingenieure aus dem Leitungsapparat auf die Baustellen.130 Der Leiter des Kohletrusts im Donecbecken, Egor Trofimovic Abakumov, wurde als Verantwortlicher für die dort begangenen Fehler seines Postens enthoben - und postwendend zum stellvertretenden Leiter von Metrostroj ernannt.131 Die Ablösung Abakumovs hatte Molotov dem Politbüro empfohlen. Seine Einsetzung bei Metrostroj hatte Kaganovic veranlaßt, der in Abakumov einen treuen Gefolgsmann der Partei sah, der mit Chruscev gut harmonieren würde, weil sich beide seit 1912, als sie gemeinsam im selben Bergwerk gearbeitet hatten, gut kannten. Chruscev, der Rotert mißtraute, hatte seinen Freund Abakumov sogar als neuen Leiter von Metrostroj vorgeschlagen, aber dafür hielt ihn Kaganoviö mangels höherer technischer Ausbildung fiir nicht geeignet.132 Abakumov, geboren 1895 im Donecbecken, war weder Ingenieur noch Baufachmann, sondern ein einfacher Aufsteiger aus der Arbeiterschaft, der es nach der Revolution ohne weitere Ausbildung vom Bergmann bis zum Trustleiter gebracht hatte.133 Er war eine markante Figur, glänzte durch Originalität und Kenntnis von Volksweisheiten, Sprichwörtern und Witzen und war in allen Bergwerken bekannt.134 Auch beim Bau der Untergrundbahn genoß er aufgrund seiner Volksver127 Sten. Gespräch mit Abakumov, stv. Leiter von Metrostroj, 25.11.1934. GARFR-7952/ 7/299, Bl. 37-38. 128 Vgl. die Anweisungen an Metrostroj in der Resolution des Mossovet vom 4.4.1933. GARF R-7952/7/138, Bl. 197-198. - Das Rentabilitätsprinzip [chozrascet] oder die „wirtschaftliche Rechnungsführung" bedeutete, daß das Unternehmen nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten gefuhrt werden sollte. Chozrascet war eine der „Sechs Bedingungen für den Wirtschaftsaufbau", die Stalin im Juni 1931 in einer richtungweisenden Rede formulierte. (Stalin: Werke, Bd. 13, S. 47-72). 129 Vgl. Prot. Beratung bei Kaganovic, 9.4.1933. RGASPI 81/3/198, Bl. 76. Vgl. Sten. Gespräch mit Ing. Goceridze, Leiter des Schachtes 21-2Ibis. GARF R-7952/7/300, Bl. 178. 130 Prot. Beratung bei Kaganoviö, 22.3.1933. CAODM 3/49/45, Bl. 4 2 ^ 3 . 131 Sten. Gespräch mit Abakumov, 25.11.1934. GARF R-7952/7/299, Bl. 37. 132 Memuary ChruSeeva 1990, H. 3, S. 63-64. Chruschtschow erinnert sich 1971, S. 76. 133 Sten. Gespräch mit Abakumov, 25.11.1934. GARF R-7952/7/299, Bl. 18-32. 134 Bitus 1967, S. 31.
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bundenheit schnell große Popularität unter den Arbeitern. Das Verhältnis zu Rotert war weniger harmonisch, da die beiden völlig unterschiedliche Charaktere hatten, - Rotert war ruhig und selbstbeherrscht, Abakumov stürmisch und emotional,135 - und da Rotert fachlich nichts von Abakumov hielt. Im privaten Kreis bezeichnete er ihn als „Trottel", der keine Ahnung vom Bau einer Untergrundbahn habe.136 Trotz allem begann mit der Ankunft Abakumovs bei Metrostroj eine neue Ära. Abakumovs Stärken waren Organisationstalent und Durchsetzungskraft.137 Im Laufe des Monats Mai 1933 gelang es ihm, den Apparat und die Arbeitsweise von Metrostroj nach den vom Politbüro erlassenen Richtlinien umzubauen. Außerdem brachte er eine größere Zahl von Ingenieuren, Technikern und Bergleuten aus dem Donecbecken mit, die für die geschlossene Bauweise eine Bereicherung waren.138 Es entstand allerdings ein gewisser Antagonismus zwischen den Bauund den Bergarbeitern, da erstere den Metrobau fur ihre Sache und die Bergleute für fehl am Platz hielten.139 Den eigentlichen Umschwung in der Arbeit von Metrostroj leitete die Mobilisierung von Komsomolzen aus Moskauer Betrieben herbei, wie sie von der Partei am 28.2.1933 gefordert worden war. Bis dahin war der Anteil von Parteimitgliedern und Jungkommunisten unter den Metrobauern sehr gering gewesen. Die Arbeitsmoral der Arbeiter war im allgemeinen schlecht, ihre Motivation gering.140 Die Parteiorganisation hatte - soweit sie auf den Baustellen überhaupt existierte nur wenige Leute, auf die sie sich stützen konnte. Das änderte sich drastisch mit der Ankunft der Komsomolzen. In drei Wellen sollten im Sommer und Herbst 1933 zuerst 1.000, dann 2.000 und schließlich 10.000 Komsomolzen zu den Baustellen geschickt werden.141 Gemeinsam mit den über die Parteikomitees der Moskauer Rayons mobilisierten 1.000 Parteimitgliedern und 500 ausgewählten parteilosen Stoßarbeitern142 sollten sie einen harten Kern bilden und die Beeinflussung, Kontrolle und Erziehung der „rückständigen" Arbeiter garantieren.143
135 Vgl. Fedorova 1981, S. 19. 136 NKVD. Agenturbericht des Informanten „Petrov", 19.2.1935. RGASPI 81/3/207, Bl. 20. - Zu den Verhaltensweisen der Ingenieure siehe Kap. IV.2.C. 137 Vgl. Sten. Gespräch mit Chefingenieur Gertner. GARF R-7952/7/300, Bl. 140. Vgl. Fedorova 1981, S. 20. 138 Sten. Gespräch mit Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 33. 139 Desgl. mit Ing. Katcen, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 325. 140 Zur Herkunft der Arbeiter ausfuhrlich Kap. III. 1., zu ihren Verhaltensweisen Kap. IV.3. 141 Büro MGK VLKSM. Prot. 17,27.3.1933. CAODM 635/1/52, Bl. 47^18 (Beschluß zur Mobilisierung von 1.000 Komsomolzen); Büro MGK VLKSM, 15.7.1933. CAODM 635/1/53, Bl. 31 (Beschluß zur Mobilisierung von 2.000 Komsomolzen); Beschluß über die Mobilisierung von 10.000 Komsomolzen anläßlich der Patenschaft des Komsomol über Metrostroj, 26.8.1933. CAODM 635/1/53, Bl. 55. - Zum Verlauf der Mobilisierungen ausführlich Kap. III.2. 142 Sekretariat MGK VKP(b). Prot. 73, 22.7.1933. CAODM 4/3/32, Bl. 87. Rabocaja Moskva Nr. 170, 23.7.1933. 143 Vgl. die Rede von Chruscev auf einer Festsitzung anläßlich der Mobilisierung der Komsomolzen, 14.5.1933. CAODM 635/1/66, Bl. 15-16.
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Von den angeforderten 13.000 Komsomolzen arbeitete als Resultat der Mobilisierungsaktionen zwar nur etwa die Hälfte tatsächlich auf den Baustellen;144 die anderen waren entweder gar nicht erst gekommen oder bald wieder davongelaufen. Die schließlich blieben, waren jedoch hoch motiviert, eigneten sich in überraschend kurzer Zeit die erforderlichen Qualifikationen an und übernahmen innerhalb weniger Wochen die Führung unter den Arbeitern.145 Sie formierten sich teils in eigenen Komsomolbrigaden, teils wurden bestehende Brigaden mit Komsomolzen und Kommunisten durchsetzt.146 Meist übernahmen die Mobilisierten leitende Funktionen in der Partei-, Komsomol- und Gewerkschaftsarbeit und entwickelten den sozialistischen Wettbewerb und die „Stoßarbeit".147 Neben den Problemen der Organisation, Führung und Motivation gelang es 1933 auch, technische Probleme in den Griff zu bekommen, an denen man bis dahin gescheitert war. Anfang April 1933 machten die Arbeiten erst bei drei Schächten des Mjasnickij Radius nennenswerte Fortschritte. Die übrigen Schächte und Distanzen mußten erst rekonstruiert, von geschlossener auf offene Bauweise umgestellt oder neu angelegt werden. Am Frunze- und Arbat-Radius liefen vorerst nur vorbereitende Arbeiten. Von April bis Juli 1933 wurden die Distanzen und einige neue Schächte des Mjasnickij Radius in Angriff genommen. Bei den Schächten, die auf wasserführende Schichten und Schwimmsande stießen, erwies sich der bergmännische Vortrieb mit Holzausbau, wie ihn die Fachleute aus dem Donecbecken praktizierten, als ungeeignet. Es gab Deformationen, Einstürze und Beschädigungen von Häusern. Einige Schächte mußten konserviert werden,148 bis man mit der Caissontechnik den Durchbruch schaffte. Am 22.4.1933 wurde unter der Leitung der Ingenieure Kucerenko und Teslenko das Caissonkontor eingerichtet, das bei den steckengebliebenen Schächten die Arbeiten übernahm.149 Auf Anregung von Chruscev ging man auf dem besonders schwierigen Abschnitt südlich des Kazaner Bahnhofs, wo der Fluß Ol'chovka zu überwinden war, dazu über, die Caissontechnik nicht nur für das Abteufen senkrechter Schächte, sondern auch für den waagrechten Tunnelbau zu nutzen. Hierzu
144 Bericht über den Verlauf der Mobilisierung von Komsomolzen zur Metro, 29.10.1933. CMAM 665/1/110, Bl. 1. 145 Bericht über die Arbeit der Komsomolorganisation des Schachtes 18-18bis von Metrostroj. Zum Prot. Nr. 162, Büro CK VLKSM, 11.12.1934. RGASPI lm/3/129, Bl. 178-180. 146 Ebd., Bl. 180; Rechenschaftsbericht des Schachtes 18. Zum Prot. Nr. 162, Büro CK VLKSM, 11.12.1934. Ebd., Bl. 207-208; Sten. Gespräch mit dem Komsomolsekretär Melovanov, Schacht 22. GARF R-7952/7/311, Bl. 67. 147 Vgl. z.B. den Bericht über den Zustand der Komsomolorganisation des Schachtes 2 1 2Ibis, 9.12.1934. RGASPI lm/3/129, Bl. 188-189. Sten. Gespräch mit dem Komsomolzen Marusin, 9.5.1934. GARF R-7952/7/241, Bl. 1-2. - Zu den Verhaltensweisen der Komsomolzen siehe Kap. IV.2.a, zu ihren Methoden, die anderen Arbeiter in ihr Leistungssystem einzuspannen Kap. VI.5. 148 Sten. Gespräch mit Abakumov, 25.11.1934. GARF R-7952/7/299, Bl. 38—40. 149 Rotert. Anordnung 119, 22.4.1933. GARF R-7952/7/170, Bl. 67.
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wurden 25 Meter lange, an der Oberfläche betonierte Tunnelabschnitte nebeneinander als Caissons bis auf die projektierte Tiefe abgesenkt.150 Im Juni 1933 hatten die ersten Schächte die erforderliche Tiefe erreicht, und man konnte zum horizontalen Vortrieb der Stollen übergehen.151 Ende August 1933 wurde am Frunze-Radius zwischen dem Kropotkinplatz und dem Krimplatz mit den Arbeiten in Berliner Bauweise begonnen.152 Im Herbst 1933 begann an einigen Stellen die Vereinigung der waagrechten Richtstollen, die zwischen den Schächten vorgetrieben wurden.153 Trotz der auf manchen Gebieten erreichten Durchbrüche war die Bilanz von Metrostroj am Ende des Jahres 1933 alarmierend: Der Plan war bei weitem nicht erfüllt worden, weil die Projektierung, die Organisation der Arbeit und die Versorgung mit Material, Arbeitskräften, Wohnraum und Transportmitteln immer noch dem Umfang der Arbeit hinterherhinkten.154 Sogar beim Bau von Depots, Werkstätten, Garagen, Wohnhäusern und Baracken, wo keine technischen Probleme zu lösen waren, wurde der Plan für 1933 nur zur Hälfte erfüllt, und die Ergebnisse waren minderwertig: „Die Qualität des Zivilbaus von Metrostroj ist unter jeder Kritik. Alle im vorigen Jahr errichteten Baracken mußten schon wieder generalsaniert werden. Die Decken zwischen den Etagen der Standardhäuser in Los' waren schon vor der Übergabe der Gebäude eingestürzt, die Tischlerarbeiten in den Häusern in Cerkizovo sind von untolerierbar schlechter Qualität. Die Errichtung des Gebäudes für das Sägewerk grenzt an Schädlingtum: Das Projekt wurde unfachmännisch erstellt, der technologische Prozeß nicht durchdacht, was mehrmalige Umbauten und Adaptierungen des schon fertiggestellten Gebäudes erforderlich machte. Die Gebäude werden in der Regel unfertig in Betrieb genommen [...]"155
Der im März 1933 vom Mossovet bestätigte Jahresplan fur Metrostroj wurde in der Praxis bei der Erstellung der Monatspläne ignoriert. Man orientierte sich nicht an den Planvorgaben, sondern an den realen Möglichkeiten der Schächte und Distanzen und schraubte die Anforderungen ständig herunter. Laut Plan sollte der Bau bis zum 1.7.1934 fertig sein und am 1.12.1934 der Betrieb der Untergrundbahn aufgenommen werden. Anfang Oktober 1933 hatte Metrostroj beim Erdaus-
150 Sten. Gespräch mit Ing. Kucerenko, 20.10.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 200-202. 151 Vecernjaja Moskva, 7.6.1933, S. 2. 152 Abakumov. Anordnung 364, 20.8.1933. CMAM 665/1/45, Bl. 238. 153 Poletaev 1953, S. 26. 154 Sten. Gespräch mit Ing. Sokolin, Leiter der 2. Distanz, 20.11.1934. GARF R-7952/7/308, Bl. 103, 106. Vgl. desgl. mit Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 36. 155 MGKK RKI, Filatov. Bericht über den Verlauf des Zivil- und Industriebaus bei Metrostroj, 22.12.1933. CMAM 1289/1/679, Bl. 2.
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hub erst 33,5 Prozent des Jahresplans erfüllt, beim Beton gar nur 14,7 Prozent. Metrostroj verfügte noch nicht einmal über ein bestätigtes technisches Projekt.156 Metrostroj hatte das technische Projekt der ersten Baufolge am 13.8.1933 dem Moskauer Parteikomitee und dem Mossovet vorgelegt. Es wurde zwar von Expertenkommissionen begutachtet,157 aber nie offiziell bestätigt.158 Beim Linienschema (Abb. 20) hatte Metrostroj einige kleinere Veränderungen vorgenommen und zwei neue Linien eingefügt, nämlich eine Ringlinie entlang des Gartenrings und eine Durchmesserlinie von den Leninbergen über den Kulturpark (P) und das Zentrum zum Savelover Bahnhof (S) und weiter in den Nordwesten der Stadt. Das Linienschema umfaßte nunmehr 110,8 Kilometer.159 Eine Reihe wichtiger Fragen war im Herbst 1933 noch nicht entschieden: der genaue Verlauf der Trasse am Arbat, Lage und Typ der Stationen „Palast der Sowjets" und „Kominternstraße", die Breite der Stationen, die Wasserisolierung, die Beförderung der Passagiere in die Stationen, das Profil der Tunnel und der Zuggarnituren (Eisenbahnprofil oder ein schmäleres Metroprofil) und die Stromspannung für den Fahrbetrieb. Aufgrund der notorisch nachhinkenden Projektierung hatte man 1933 an etlichen Stellen im Laufe der Bauarbeiten Abänderungen vornehmen müssen. In dieser Hinsicht zeichnete sich keine Besserung ab. Die im März geforderte Mechanisierung war unzureichend geblieben und ließ keinen Plan erkennen. Die Beschaffung von Ausrüstungen erfolgte nicht systematisch, sondern hatte eher zufälligen Charakter und wurde von den Baustellenleitern selbständig entschieden. Die Ausrüstungen waren nicht komplett, und vorhandene Ausrüstungen wurden nicht oder nicht richtig eingesetzt. Der Aushub und die Verladung des Erdreichs erfolgte immer noch überwiegend von Hand. Es mangelte an Transportmitteln. Der Fortschritt bei den verschiedenen Arbeitsschritten war ungleichmäßig: Die Schächte standen bedrohlich lange in Holzabstützung, weil die Betonarbeiter nicht nachkamen. Trotz eines hohen Zementverbrauchs war die Qualität des Betons schlecht. Die Kosten des Baus waren übermäßig hoch.160 Die Produktivität je Arbeiter war äußerst gering, der Apparat immer noch aufgebläht.161
156 Ginzburg-Kommission. Bericht über den Stand der Arbeiten bei Metrostroj, Oktober 1933. RGASPI 81/3/200, Bl. 4 - 5 . 157 Die Ergebnisse wurden als Buch veröffentlicht: Moskovskij metropoliten. ZakljuCenie 1933. 158 Kurzer Bericht der Regierungskommission für die Abnahme der Moskauer Metro, o.D. [1935], GARF R-5446/40/17, Bl. 5. 159 Nikolai: Utoönenie 1933, S. 5-8. 160 Ginzburg-Kommission. Bericht über den Stand der Arbeiten bei Metrostroj, Oktober 1933. RGASPI 81/3/200, Bl. 5-15. Vgl. Kaganoviö. Brief an die Komsomolzen des 12. Schachtes, o.D. [September 1933], RGASPI 81/3/199, Bl. 6. 161 Sten. Beratung bei Kaganovie über Fragen der Metro, 15.11.1933. RGASPI 81/3/199, Bl. 89-105.
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Die Durchführung des Baus 1931-1935 Abb. 20: Linienschema von Metrostroj, August 1933
Kaganovic ließ Metrostroj im Oktober 1933 von einer Kommission unter die Lupe nehmen und berief eine Reihe von Beratungen mit der Führung von Metrostroj ein, auf denen die Probleme analysiert wurden. Sein Urteil war vernichtend: „Was zur Zeit geleistet wird, taugt nichts: ohne Norm, ohne Ordnung, ohne Disziplin, ohne Forderung nach Disziplin, ohne Organisation."162 Kaganovic beharrte trotz des geringen Baufortschritts darauf, die erste Baufolge bis Ende 1934 fertigzustellen. Gemeinsam mit den Ingenieuren von Metrostroj ließ er in wochenlanger Arbeit im Moskauer Parteikomitee eine Resolution ausarbeiten, die die Wende herbeifuhren sollte. Am Endziel durfte nicht gerüttelt werden, aber Metrostroj sollte alles aus der Sicht des Unternehmens Erforderliche in die Resolution einbringen. Kaganovic setzte Metrostroj unter Druck, sicherte aber gleichzeitig die größtmögliche Unterstützung zu.163 Das Ergebnis war eine umfassende Resolution, die am 29.12.1933 verabschiedet und von Kaganovic persönlich in einer mitreißenden Rede vor den versammelten Metrobauern und Arbeitern aus Moskauer Fabriken wirkungsvoll prä-
162 Ebd., Bl. 120. 163 Ebd., Bl. 126.
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sentiert wurde.164 Die Resolution vom 29.12.1933 markierte den entscheidenden Durchbruch. Sie setzte für jeden Schacht und jede Distanz rigorose Fristen für die Fertigstellung, gab detaillierte Anweisungen, wie die Arbeit organisiert werden müsse und wie für den Bau der Metro die bestmöglichen Rahmenbedingungen herzustellen seien. Sie diente der Leitung von Metrostroj und den Parteistellen das ganze Jahr 1934 über als Richtlinie und Berufungsgrundlage, wenn es darum ging, das Tempo zu forcieren und die Planerfüllung einzufordern. Immerhin mußte in den verbleibenden Monaten das Tempo bei den Erdarbeiten auf das Fünffache, bei den Betonarbeiten auf das Neunfache gesteigert werden.165 Zuvor hatte Kaganovic noch in einer wichtigen Frage eine Entscheidung herbeigeführt, nämlich bezüglich der Trassenführung am Arbat. Das Politbüro hatte am 20.3.1933 für den Arbat geschlossene Bauweise angeordnet. Metrostroj erstellte daraufhin ein Projekt in Pariser Bauweise, knapp unter der Straßenoberfläche. Am Arbat herrschten jedoch besonders widrige geologische Verhältnisse: Bis zu einer Tiefe von elf Metern bestand der Untergrund aus trockenem Sand, darunter befand sich wasserführender Schwimmsand.166 Außerdem hätten bei der Pariser Bauweise die gesamten Versorgungsleitungen verlegt werden müssen, was eine längere Sperrung der Straßen zur Folge gehabt hätte. Am 20.10.1933 fand im Mossovet eine Beratung mit Chruscev und Kaganovic statt, auf der heftig diskutiert wurde.167 Kaganovic stellte die Vorbedingung, daß die Versorgungsleitungen intakt bleiben müßten und der Straßenverkehr nicht behindert werden dürfe. Die Bevölkerung sei loyal und geduldig, aber man müsse auf sie Rücksicht nehmen, zumal der Arbat dicht besiedelt sei.168 Dort wohne die Intelligenz, Schriftsteller und Künstler; man könne diese Leute nicht ohne Licht und Kanalisation lassen.169 Kaganovic wies die Projektierer von Metrostroj darauf hin, daß sie unter den sowjetischen Eigentumsverhältnissen nicht an den Straßenverlauf gebunden seien, sondern ohne weitere Formalitäten auch durch Hausgrundstücke hindurch bauen könnten. Eine Kommission unter dem Vorsitz von Abakumov wurde beauftragt, mehrere Varianten auszuarbeiten, darunter auch eine in seichter Lage, beginnend
164 KaganoviC: Pervaja oöered' 1933, S. 1-6. MK, MGK VKP(b), Gebiets- und Stadtexekutivkomitee. Resolution „Über den Gang der Bauarbeiten an der Metro der ersten Baufolge", 29.12.1933.- In: Metrostroj (1933), Η. 11-12, S. 7-12. - Die Rede und die dazugehörige Resolution wurden auch als Broschüre publiziert: Kaganoviö: Postroim 1934. 165 Kaganoviö: Pervaja ocered' 1933, S. 4. 166 Stroila partija, my pomogali. Manuskript von Abakumov, o.D. [1934/35]. GARF R-7952/7/299, Bl. 10. 167 Sten. Gespräch mit Chefingenieur Lomov, 29.11.1934. GARF R-7952/7/304, Bl. 156. Vgl. Kaganovic: Pamjatnye zapiski 1996, S. 437. - Lomov datiert die Beratung auf 20.7.1933, es ist aber wohl die Beratung vom 20.10.1933 gemeint. 168 Wortmeldung Kaganoviis auf dem Plenum der Expertenkommission von Metrostroj, 20.10.1933. RGASPI 81/3/199, Bl. 31-33. 169 Stroila partija, my pomogali. Manuskript von Abakumov, o.D. [1934/35]. GARF R-7952/7/299, Bl. 11-12.
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unter dem Territorium der Leninbibliothek, durch die Hinterhöfe links der Kominternstraße, über den Arbatplatz und weiter durch die Höfe auf der rechten Seite des Arbats.170 Am 15.11.1933 stellte die Kommission Abakumovs die Projekte vor und sprach sich mehrheitlich für die Umgehungslösung aus, da sonst die Unversehrtheit der Versorgungsleitungen nicht garantiert werden könne. Zur Unterfahrung der Häuser, die immerhin die Hälfte der Trasse einnahmen, schlug Ingenieur Lomov die Grabenbauweise vor, die man schon in Madrid und Paris erfolgreich angewandt hatte. Kaganovic, Chruscev und auch Rotert unterstützten diesen Vorschlag. Gegen den Widerstand der Ingenieure Gertner und Seljubskij, die das Einstürzen von Wohnhäusern befürchteten, wurde beschlossen, für die Umgehungsvariante einen genauen Trassenverlauf und ein technisches Projekt zu erstellen.171 Am 28.11.1933 ließ sich Kaganovic an Ort und Stelle den Tunnelverlauf durch die Hinterhöfe des Arbat erklären und gab seine Zustimmung. Lomov hatte Kaganovic überzeugen können, daß die Grabenbauweise unter den russischen Verhältnissen ideal sei: Man brauche keine Mechanisierung im großen Stil, sondern könne die Arbeit „kleinbäuerlich" organisieren, mit Spaten, Spitzhacke und Vorschlaghammer.172
c) 1934: Der Plan wird „gestürmt" Das für das Jahr 1934 verbliebene Ausmaß an Bauarbeiten war gigantisch, zumal das Zentrale Exekutivkomitee beschlossen hatte, daß zum 17. Jahrestag der Oktoberrevolution der Verkehr aufgenommen werden solle.173 Innerhalb von zehn Monaten mußte nun aufgeholt werden, was man in zwei Jahren versäumt hatte. Das war nur möglich unter Anspannung aller Kräfte, Vervielfachung der Zahl der Arbeitskräfte, massivem Kapitaleinsatz und der Installierung eines Systems allgegenwärtiger Kontrolle, Überwachung und Druckausübung durch die Partei. Eine zentrale Rolle bei diesem Wettlauf um die Zeit spielten die Komsomolzen, die es schafften, die übrigen Arbeiter für die entscheidenden Monate in ihr halsbrecherisches Tempo einzuspannen. 85 Prozent des Erdaushubs und 90 Prozent der Betonarbeiten wurden 1934 geleistet (Tab. 5, Abb. 21), davon das meiste in den Monaten April bis Oktober. Die Baustellen der Metro glichen in dieser Zeit einem Schlachtfeld, auf dem wie unter Kriegsbedingungen buchstäblich um die Er-
170 Erklärungsnotiz der Kommission von Metrostroj für die Erstellung der Varianten für den Arbat-Radius, 10.11.1933. RGASPI 81/3/199, Bl. 75. 171 Prot. Beratung im MK VKP(b), 15.11.1933. RGASPI 81/3/208, Bl. 17. Sten. Beratung. Ebd., Bl. 137-180. 172 Sten. Gespräch mit Chefingenieur Lomov, 29.11.1934. GARF R-7952/7/304, Bl. 171. 173 Izvestija Nr. 5, 5.1.1934, S. 2.
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füllung des Plans und gegen die Widerstände der Natur gekämpft wurde.174 Es sind diese Monate, die mit ihrem Heroismus und der Aufopferung das überkommene Bild vom Bau der Moskauer Untergrundbahn geprägt haben, wie es von der sowjetischen Propaganda gepflegt, von der Literatur übernommen wurde und sich bis heute im Bewußtsein der Bevölkerung verfestigt hat. Tabelle 5: Umfang der geleisteten Arbeit bei Metrostroj 1932-1935 175 Jahr 1932 1933 1934 1935 zusammen
Erdaushub in m3 14.000 300.000 1,951.000 17.000 2,282.000
Erdaushub in % 1 13 85 1 100
Beton in m3 2.000 59.000 749.000 26.000 836.000
Beton in % 0 7 90 3 100
Monat
Abb. 21: Geleistete Arbeit je Monat in Prozent der Gesamtarbeit 1932-1935
Mit dem Baubeginn am Arbat-Radius Anfang 1934 wurde entlang der gesamten Trasse fieberhaft gearbeitet. Die Zahl der Beschäftigten von Metrostroj betrug am Höhepunkt der Arbeiten, im Mai 1934, rund 75.000. Darüber hinaus mobilisierte die Partei mit Losungen wie „Das ganze Land baut die Metro", „Wir bauen die beste Metro der Welt", „Die beste Metro fur die Rote Hauptstadt" die breiten Be174 Dazu ausführlich Kap. IV.4.C. 175 Rotert, Abakumov, Starostin, Seljubskij. Kurze technische Beschreibung der ersten Baufolge der Metro, 16.2.1935. GARF R-5446/40/16, Bl. 3. - Die Daten, nach denen Abb. 21 berechnet ist, finden sich ebd., Bl. 4.
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Die Durchführung des Baus 1 9 3 1 - 1 9 3 5
völkerungsmassen der Hauptstadt, um auf den Baustellen zu helfen. Das geschah in den Monaten März und April in Form von Subbotniki, an denen insgesamt rund 500.000 Moskauer teilnahmen. Die Subbotniki liefen zum Teil chaotisch ab, weil man in organisatorischer Hinsicht überfordert war. Die Leute konnten nur für bestimmte Hilfstätigkeiten, wie beim Verladen und Abtransport des Aushubmaterials, das sich entlang der Trasse zu großen Halden angehäuft hatte, eingesetzt werden. Ende April wurden die Subbotniki auf Anordnung Stalins eingestellt.176 Chaos kennzeichnete auch sonst den Verlauf der Bauarbeiten. Es entstand durch die nachhinkende Projektierung, häufige Abänderungen und mangelnde technische Kenntnisse. Die Schachtleiter mußten über weite Strecken ohne genaue technische Anweisungen und Skizzen arbeiten, weil die Projektierungsabteilung zu langsam war oder aus der Sicht der vor Ort arbeitenden Ingenieure unbrauchbares Material lieferte.177 Die Zeichnungen der Projektierungsabteilung waren nicht selten so kompliziert, daß die Schachtleiter die Arbeit auf ihre eigene, einfachere Weise ausführten.178 Viele waren aber damit überfordert, selbständig das richtige technische Verfahren zu finden.179 Häufig mußten schon begonnene Arbeiten abgeändert werden: „Wir begannen die Baugrube für das Fundament des Gewölbes auszuheben, da wurde das Projekt verändert. Wir mußten alles abreißen und das Fundament neu anlegen. Nach einem Monat kamen wieder Abänderungen. Zwar rissen wir das Fundament nicht noch einmal ab, aber wir bauten mit einer anderen Methode weiter." 180
Als das Vestibül der Station „Arbatplatz" schon zu zwei Dritteln fertig war, kam Kaganovic und entschied, daß es falsch liege. Es mußte abgerissen und einige Meter daneben neu gebaut werden. Kurz vor der Fertigstellung wurde auf Anordnung Kaganovics das benachbarte Gebäude des Arbater Marktes abgerissen. In der veränderten Umgebung wirkte nun die Konstruktion des Vestibüls unglücklich, und Kaganovic ließ es noch einmal umbauen.181 Das Tempo der Bauarbeiten im Jahre 1934, die Verzögerung wichtiger Entscheidungen sowie die ständigen durch unerwartete technische Probleme oder Eingriffe der Parteiführung verursachten Abänderungen setzten die Projektierungsabteilung unter großen Druck. Monatlich mußten 1.000 bis 1.500 technische Zeichnungen erstellt werden. Es wurde Tag und Nacht projektiert. Zu dem Zeitpunkt, als 176 Zu den Subbotniki, der freiwilligen oder angeordneten Arbeitsleistung an arbeitsfreien Tagen, siehe Kap. VII.3.a. 177 Vgl. Sten. Gespräch mit Ing. Vincintini, stv. Leiter des Schachtes 19-20, 26.2.1935. GARF R-7952/7/311, Bl. 34, 36. 178 Desgl. mit Chefingenieur Solochov, 19.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 74. 179 Vgl. desgl. mit Ing. Savel'ev, Schacht 10-12. GARF R-7952/7/308, Bl. 77. 180 Brigadier Fajas Zamaldinov, Schacht 10-11. In: Rasskazy 1935, S. 224. Vgl. auch Sten. Gespräch mit dem Brigadier Kravcenko, Schacht 7-8, 13.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 111. 181 Sten. Gespräch mit der Parteisekretärin Belaja, Schacht 36-37. GARF R-7952/7/341, Bl. 252-253. Kak my stroili metro 1935, S. 42^43.
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man mit dem Bau des Abschnittes beim Palast der Sowjets dringend beginnen mußte, um die Frist zur Fertigstellung einhalten zu können, war die genaue Lage der Station ,Palast der Sowjets" noch nicht bekannt. Der Tunnel mußte mit großem Konstruktionsaufwand so errichtet werden, daß man später um ihn herum eine Station bauen konnte. Erst als die Bauarbeiten schon auf Hochtouren liefen, wurde der Standort der Station festgelegt und beschlossen, sie doch schon jetzt zu bauen. Innerhalb weniger Tage mußten die Projektierer das gesamte Projekt für den Abschnitt neu erstellen. Ähnlich war es am Arbat, wo die Trassenführung erst Anfang 1934 klar war. Die Projektierung des Arbat-Radius begann praktisch gleichzeitig mit den Bauarbeiten.182 Als letzter Abschnitt wurde jener zwischen dem Sverdlovplatz [Theaterplatz] und dem Dzerzinskijplatz [Lubjanka] in Angriff genommen. Dort kam man wegen der Schwimmsande und des unterirdischen Flußbettes der Neglinka mit dem bergmännischen Vortrieb in großer Tiefe nicht weiter und mußte auf den Schildvortrieb ausweichen. Der Schild wurde aus England importiert und im März 1934 in Betrieb genommen. Im Mai folgte ein zweiter Schild, den man nach dem Muster des englischen in der Sowjetunion gebaut hatte.183 Im April 1934 hatte der Schacht 29, der ehemalige Versuchsabschnitt, als erster seinen 220 Meter langen Tunnelabschnitt fertiggestellt. Nacheinander gingen die Schächte und Distanzen vom Stollenvortrieb und Erdaushub zum Betonieren und Mauern der Tunnelwände über, um danach die Wasserisolierung aufzukleben und die Tunnel zusätzlich innen mit einem Eisenbetonmantel auszukleiden.184 Vielerorts stellten sich in dieser Phase eklatante Qualitätsmängel heraus. Über der Jagd nach Tempo und Planerfüllung war schlampige Arbeit eingerissen. Dabei spielte auch die mangelnde Fachkenntnis der Arbeiter und des technischen Personals eine Rolle. Einem fachkundigen Mitarbeiter der Deutschen Botschaft fielen im Juni 1934 schwere technische Unzulänglichkeiten auf: Die Baugrubenabsteifung war, so weit er es durch den Bauzaun beobachten konnte, fast überall schlecht und technisch unrichtig ausgeführt, so daß Setzungen ganzer Seitenwände und Einstürze von Baugruben auftraten. In der Tunnelsohle wurden des öfteren die nicht gewaschenen Steine des Straßenpflasters zum Strecken des Betons verwendet, was die Bildung von „Steinnestern" und Hohlräumen zur Folge hatte, - ein Phänomen, das beim Bau von Fundamenten in der Sowjetunion typisch war. Die Aufhängung der kommunalen Versorgungsleitungen erfolgte unachtsam, so daß häufig ganze Straßenzüge ohne Strom, Wasser und Kanalisation waren.185 Auch den sowjetischen Stellen blieben solche Mängel nicht verborgen. Besondere Sorge erregte die Tatsache, daß der Beton nicht vorschriftsmäßig ge182 Desgl. mit Ing. Seljubskij, Leiter von Metroproekt. GARF R-7952/7/323, Bl. 97-98. 183 Desgl. mit Abakumov, 23.12.1934. GARF R-7952/7/310, Bl. 3. - Zum Import und Nachbau des Schildes vgl. Kap. II.4. 184 Moskovskij Sovet 1934, S. 70. 185 Deutsche Botschaft Moskau. Konsulatssekretär Deppe. Der Moskauer Untergrundbahnbau, 21.6.1934. PA AA, R 94567.
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mischt, verdorbener Zement und verunreinigter Sand verwendet und die Isolierung nicht fachmännisch angebracht wurde. Im Juni 1934 sah sich das Moskauer Parteikomitee genötigt einzugreifen.186 Es verabschiedete eine Resolution über die Qualität der Arbeiten beim Metrobau, setzte für die Dauer der Beton- und Isolierungsarbeiten eine Qualitätskommission ein und richtete die Partei- und Komsomolorganisationen der Objekte von Metrostroj darauf aus, in ihrem Wirkungsbereich die Einhaltung der Qualitätsvorschriften zu gewährleisten. Das technische Personal und die Arbeiter wurden in Schnellkursen instruiert.187 Im Juni und Juli 1934 wiesen das Moskauer Parteikomitee und der Mossovet Metrostroj an, neben den Bauarbeiten die Vorbereitung auf den Fahrbetrieb nicht zu vernachlässigen. Bis zum November sollten Umspannwerke und ein Depot errichtet werden. Bis zum 15.10.1934 sollte ein Tunnelabschnitt so weit fertiggestellt werden, daß man probeweise einen Zug fahren lassen könne.188 Obwohl im August 1934 die Arbeiten auf einigen Abschnitten bedrohlich im Rückstand waren und einzelne Schachtleiter auf eine Verschiebung der Fristen drängten, bekräftigte das Moskauer Parteikomitee die Forderung, den Probetunnel am 15.10.1934 fertigzustellen und am 1.2.1935 den Betrieb der Untergrundbahn aufzunehmen.189 Die Schächte und Distanzen hatten bis zum 1.11.1934, einzelne Nachzügler bis zum 15.11.1934 ihre Tunnel und Stationen zu vollenden.190 Tatsächlich konnte am 15.10.1934 der erste Zug, bestehend aus zwei Wagen, von der Station „Komsomol'skaja" (Kalancevplatz)191 bis Sokol'niki fahren.192 Das von der Propaganda formulierte Ziel, die Tunnel bis zum Jahrestag der Oktoberrevolution fertigzustellen, wurde nur mit Abstrichen erreicht. Die Tunnel waren zwar, bis auf den im Schildvortrieb gebauten Schacht 12 unter dem Sverdlovplatz, im Rohbau fertig, aber auf dem Großteil der Trasse mußten erst die Gleise und die Elektroinstallationen verlegt werden. Der Bau und die Ausgestaltung der Stationen und Vestibüle, die mit großem architektonischem und künstlerischem Aufwand erfolgte,193 sowie die Fertigstellung der Schrägschächte und die Montage der Rolltreppen dauerten ebenfalls noch Monate. Die nunmehr anstehenden Arbeiten erforderten andere Qualifikationen als das Graben und Betonieren. Die Zahl an Marmorsteinmetzen, Fliesenlegern, Stukka-
186 Sten. Gespräch mit Ing. Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 47. 187 Poletaev 1953, S. 35. - Zur praktischen Durchsetzung der Resolution über die Qualität siehe Kap. VI.7. 188 Prot. Beratung beim vereinigten Büro von MK und MGK VKP(b) und Präsidium des Mossovet, 5.6.1934. CMAM 665/1/122, Bl. 18. Plenum des Mossovet. Prot. 19, 16.7.1934. CMAM 150/5/15, Bl. 1-2. 189 Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 13, 15.8.1934. CAODM 3/24/72, Bl. 15-16. 190 Prot. Beratung bei KaganoviC, 23.-24.9.1934. CAODM 3/49/57, Bl. 87. 191 Der Kalancevplatz war 1933 zu Ehren der die dortige Metrostation bauenden Komsomolzen in Komsomolplatz umbenannt worden. (Moskva. Encyklopedija 1997, S. 380. 192 Moskovskij Sovet 1934, S. 71. Moskovskomu metropolitenu 1985, S. 13. 193 Über die berühmt gewordene architektonische Gestaltung der Moskauer Metro siehe Anhang III, über die politische Einflußnahme darauf Kap. VI.8.
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teuren und Elektromonteuren, die man aus der gesamten Sowjetunion zusammenholte, reichte bei weitem nicht aus. Die Komsomolzen erwiesen sich aber als flexibel genug, um nach kurzer Umschulung diese Tätigkeiten auszuüben. Für die Bearbeitung von Marmor und die Erzeugung von Kunstmarmor mußten erst neue Hilfsbetriebe aus dem Boden gestampft werden. Beim Betonwerk von Metrostroj wurde im Herbst 1934 die leistungsstärkste Marmorwerkstätte der Sowjetunion eingerichtet. Innerhalb von drei Monaten wurden in den Stationen und Vestibülen 21.000 Quadratmeter Marmor und 45.000 Quadratmeter Fliesen verlegt und 103.000 Quadratmeter Stukkatur angebracht.194 Die handwerkliche Ausführung der Ausschmückungsarbeiten war mangelhaft, was in Anbetracht des Zeitdruckes und der nur kurzen Umschulung der Albeiter nicht verwundert. Schiefe Fugen, zersprungene Marmorplatten, unebene Flächen und ähnliche Defekte sieht man in den Stationen der ersten Baufolge heute noch mit bloßem Auge. Schon bald nach der Eröffnung traten an den Decken Risse und Wasserflecken auf, und die Fußbodenplatten bröckelten, so daß in fast allen Stationen hinter aufgehängten Tüchern Ausbesserungsarbeiten durchgeführt werden mußten.195 Zum Jahresende 1934 waren drei Stationen („Sokol'niki", „Krasnosel'skaja", „Komsomol'skaja") und die zwischen ihnen liegenden Tunnel fertig. Ausständig waren noch der Bau der Vestibüle, die Fertigstellung des Schrägschachtes bei der Station „Ochotnyj ijad", die Montage der Rolltreppen, die Fertigstellung des Eisenbetonmantels beim Schildvortrieb und beim Schacht 9, die Verlegung der Gleise, die Montage der Elektroanlagen und Umspannstationen sowie Verkleidungsarbeiten in mehreren Stationen.196 Außerdem mußten entlang der Trasse die Berge von Bauschutt und Gerümpel beseitigt werden, die sich seit 1932 angehäuft hatten. Auch die Tunnel und Stationen selbst waren übersät mit Abfallen. Allein aus der Station „Ochotnyj ijad" wurden Anfang Januar 1935 12.000 Loren Abfall weggeschafft, damit man mit den Verputzarbeiten beginnen konnte.197 Kaganovic setzte am 28.12.1934 letzte Fristen bis Ende Januar 1935 für die Vollendung des Baus.198 Nicht unbeträchtlichen Arbeitsaufwand erforderte auch die Reparatur der zahlreichen beim Bau beschädigten Häuser.199 Am 4.2.1935 nahm das Moskauer Parteikomitee die Mitteilung von Kaganovic, Chruäcev und Bulganin über die Fertigstellung der ersten Baufolge der Metro entgegen.200 Am 5.2.1935 um 23.55 Uhr befuhr der erste Zug die gesamte Trasse.201
194 Rotert. Manuskript, o.D. [1935], GARF R-7952/7/318, Bl. 151-152. Vgl. Sten. Gespräch mit Siijaev, Komsomolsekretär der 3. Distanz, 20.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 172. 195 Deutsche Botschaft Moskau an das Auswärtige Amt, 16.10.1935. PA AA, R 94567. 196 Kaganovii: Poslednij etap 1934, Η. 11-12, S. 4. 197 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Fel'dman, Schacht 10-11, 25.3.1935. GARF R-7952/7/322, Bl. 64-65. 198 Prot. Beratung im MK VKP(b), 28.12.1934. RGASPI 81/3/208, Bl. 130. 199 Vgl. Büro MGK VKP(b). Prot. 14, 13.12.1934. CAODM 4/4/6, Bl. 251-252. 200 Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 28,4.2.1935. RGASPI 17/21/3050, Bl. 37. 201 Fedorova 1981, S. 101.
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d) 1935: Die Vorbereitung auf die Inbetriebnahme Im Oktober 1934 hatte die Partei den Leiter der Moskauer Ringeisenbahn, A.A. Petrikovskij, zum Direktor der Metro ernannt.202 Petrikovskij wurde beauftragt, für die Metro ein Organisationsschema und Betriebsvorschriften zu erstellen, geeignete Mitarbeiter auszuwählen, die Gehälter und Arbeitsbedingungen festzusetzen sowie die Bewachung und Finanzgebarung der Metro zu regeln und seine diesbezüglichen Vorschläge dem Moskauer Parteikomitee und dem Mossovet vorzulegen. Die letztgenannten Organisationen erteilten ihm vorab weitreichende Anweisungen, die bis zur Gestaltung der Uniformen und die Tätigkeitsbeschreibung der Stationsleiter reichten. Die Leitung der Metro wurde in dem Gebäude über dem Eingang zur Station „Dzerzinskaja" [„Lubjanka"], untergebracht. Hochqualifizierte Arbeiter und Spezialisten, die sich beim Bau der Metro ausgezeichnet hatten, wurden als Betriebspersonal übernommen.203 Im Januar 1935 setzte Kaganovic Kommissionen ein, die sich um die Organisation des elektrischen Fahrbetriebs, die Passagierströme in den Stationen, die Sicherheitstechnik und um Personalfragen kümmern sollten.204 Dabei ging es auch um solche Kleinigkeiten wie das Aufhängen von Linienschemen und Stadtplänen in den Stationen.205 Bald nach der Fertigstellung der ersten Baufolge stellte sich heraus, daß, bedingt durch die hektischen Arbeiten der letzten Monate, eine Reihe von Nachbesserungen notwendig waren. Kaganovic setzte dafür Anfang Februar eine Frist bis zum 18.2.1935, damit man danach die Moskauer Bürger in die Stationen und Vestibüle führen könne.206 Am 22.2.1935 ernannte das Politbüro eine Regierungskommission aus hochrangigen Funktionären und Wissenschaftlern unter dem Vorsitz des Vorsitzenden von Gosplan und stellvertretenden Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare, V.l. Mezlauk. Die Kommission sollte bis zum 1.3.1935 die von Metrostroj geleistete Arbeit überprüfen und die erste Baufolge abnehmen. Danach sollte in der ersten Märzhälfte die Metro in Betrieb genommen werden 207 Die Arbeit der Kommission dauerte erheblich länger als ursprünglich vorgesehen. Das lag nicht nur daran, daß Metrostroj die Vorlage der angeforderten technischen Dokumentation hinauszögerte, um die Zeit für Nachbesserungen zu nutzen, sondern vor allem daran, daß die Kommission ihre Aufgabe sehr ernst nahm. Die Moskauer Parteiführung war unzufrieden und warf der Kommission vor, sie würde sich ,Rückversichern". Mezlauk und der Volkskommissar für Schwer-
202 Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 16, 2.10.1934. CAODM 3/24/72, Bl. 52. Politbüro. Prot. 15, 23.10.1934. RGASPI 17/3/53, Bl. 13. 203 Büro MK und MGK VKP(b), Präsidium des Mossovet. Resolution, 29.11.1934. CMAM 278/1/15, Bl. 1 ^ . 204 Prot. Beratung bei KaganoviC, 27.1.1935. CAODM 3/48/78, Bl. 7 - 8 . 205 Desgl, 29.1.1935. Ebd., Bl. 13. 206 Desgl., 9.2.1935. Ebd., Bl. 15. 207 Politbüro. Prot. 21, 22.2.1935. RGASPI 17/3/959, Bl. 2-3.
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Industrie, Ordzonikidze, in dessen Zuständigkeit Metrostroj Anfang März übergeben wurde,208 wollten jedoch unter allen Umständen vermeiden, daß es bei der Inbetriebnahme der Metro zu Pannen kam, wie man sie von der voreiligen Eröffnung der Industriegiganten des Ersten Fünfjahresplans her kannte.209 Schließlich erhob man gegenüber der eigenen Bevölkerung und dem Ausland den Anspruch, die beste Metro der Welt gebaut zu haben. Technische, bauliche oder organisatorische Mängel konnten bei der Untergrundbahn nicht, wie sonst in den Fabriken, vor der Öffentlichkeit verborgen werden. Bei der Metro konnten täglich Tausende Passagiere sehen, ob sie funktionierte oder nicht. Anfang April 1935 unternahm Stalin mit höchsten Partei- und Regierungsfunktionären eine Probefahrt. Mitten auf der Strecke kam die Garnitur zum Stillstand, vermutlich weil das automatische Bremssystem noch nicht richtig funktionierte. Als Stalin nach zwei Stunden endlich aussteigen konnte, ging er an den wartenden Ingenieuren und Mitgliedern der Regierungskommission grußlos vorüber und direkt zu den Autos. Danach trieb niemand mehr die Kommission zur Eile an.210 Ein Zwischenbericht der Kommission deckte im März 1935 eine Reihe von Mängeln auf: Abweichend vom technischen Projekt waren bei den Endstationen „Sokol'niki" und „Kulturpark", wie die Station „Krimplatz" nunmehr hieß, die vorgesehenen Wendegleise nicht gebaut worden, bei den meisten Stationen fehlte ein zweiter Ausgang. Das Fehlen von Wendegleisen verringerte die Beförderungskapazität der Metro drastisch.211 Die Tunnelarbeiten waren insgesamt befriedigend ausgeführt. Der Eisenbetonmantel der Tunnelwände war lediglich an einigen Stellen nicht, wie vorgesehen, achtzehn Zentimeter stark, sondern nur sieben bis acht Zentimeter, was aber durch festeren Beton ausgeglichen wurde. Die Qualität des Betons war gut. Am Arbat-Radius hatten sich zwar Risse gebildet, sie stellten aber laut dem Urteil der Experten keine Gefahr dar. Die Wasserisolierung war an einigen Stellen undicht, weil sie schlampig verlegt oder beim Anbringen der Elektroinstallationen verletzt worden war. Im Bereich der Flüsse Neglinka und Ol'chovka rann Wasser in den Tunnel. An etlichen Stellen streiften die Zuggarnituren die Tunneldecke und die Bahnsteige und kamen bis auf drei Zentimeter an die Kabelleitungen heran, weil man beim Betonieren der Tunnelwände nicht überall exakt Maß gehalten hatte. Die Gleise waren nicht, wie in Europa üblich, miteinander verschweißt, sondern mit Dehnungsfugen verlegt, was die Abnutzung beschleunigte. In sanitärtechnischer Hinsicht gab es Mängel: Einige Statio-
208 Politbüro. Prot. 22, 5.3.1935. RGASPI 17/3/960, Bl. 9. 209 Ginzburg 1986, S. 151. - Ginzburg war als Leiter der Hauptverwaltung für die Bauindustrie Mitglied der Regierungskommission. 210 Ebd., S. 151-152. 211 Ohne Wendegleise können die Züge nur auf ein- und demselben Gleis zwischen den Endstationen pendeln. Über die Wendegleise wechseln die Züge in den Endstationen auf das gegenüberliegende Gleis, so daß auf jedem Gleis nur in einer Richtung gefahren wird. Das ermöglicht eine viel dichtere Zugfolge.
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nen verfügten über keine Toiletten, es waren keine Trinkwasserleitungen für das Stationspersonal vorgesehen. Die Ventilationsanlagen waren noch nicht fertig, ein großer Teil der Schächte mit Abfällen verstopft. Die Ausgestaltung der Stationen war in handwerklicher Hinsicht teilweise schlampig erfolgt. Bei den in der Sowjetunion produzierten Zuggarnituren bemängelte die Kommission die primitive Ausführung des Triebrades, das für 50.000 Kilometer ausgelegt war, während ausländische Räder zehnmal so lange hielten. Die automatischen Türen ließen sich schließen, während der Zug in Bewegung war. Das entsprach nicht dem internationalen Sicherheitsstandard.212 Nachdem Metrostroj eine Reihe von Nachbesserungen vorgenommen hatte, kam die Kommission zu dem Urteil, daß man ab Anfang Mai den Passagierverkehr aufnehmen könne. Die Mängel der Isolierung in großer Tiefe konnten nicht völlig beseitigt werden, aber das eindringende Wasser wurde über Drainagen abgeleitet. Die verbliebenen Mängel beeinträchtigten die Betriebsbereitschaft nicht und konnten später behoben werden. Die Kommission beurteilte die Qualität der Tunnelanlagen, Gleise, Rolltreppen, Ventilation, Signalanlagen, Sicherheitstechnik, Elektroinstallationen und Zuggarnituren nun als rundum zufriedenstellend und auf dem Niveau der modernen Technik stehend.213 Das Politbüro beschloß am 26.4.1935, den normalen Fahrbetrieb am 15.5. 1935 aufzunehmen, und ordnete Metrostroj an, alle von der Regierungskommission festgestellten Mängel zu beseitigen, bei den Endstationen „Sokol'niki" und „Kulturpark" Wendegleise zu bauen und zur Station „Kirovskaja" (früher „Mjasnickie vorota") einen zweiten Rolltreppenzugang zu errichten. Den Fahrpreis setzte das Politbüro mit fünfzig Kopeken fest. Die Metro wurde nach Kaganovic benannt.214 Am 15.5.1935 um sieben Uhr morgens wurde die Moskauer Untergrundbahn feierlich eröffnet.215
3. Die F i n a n z i e r u n g Der Bau der Moskauer Untergrundbahn kostete bis zur Inbetriebnahme der ersten Baufolge 830,2 Millionen Rubel. Davon entfielen 139,7 Millionen Rubel auf In212 Kurzer Bericht der Regierungskommission für die Abnahme der Moskauer Metro, o.D. [März 1935], GARF R-5446/40/17, Bl. 1-10. 213 Schlußakte der Regierungskommission für die Abnahme der Moskauer Metro, o.D. [vor dem 3.5.1935]. GARF R-5446/40/17, Bl. 87-90. 214 Politbüro. Prot. 24, 26.4.1935. RGASPI 17/3/962, Bl. 1-2. - Im Zuge der Entstalinisierung und Beseitigung des Kultes um lebende Personen wurde die Metro am 24.11.1955 von Moskovskij metropoliten imeni L.M. Kaganovica umbenannt in Moskovskij metropoliten imeni V.l. Lenina. (Kuhlmann 1981, S. 47.) Nach 1991 wurde der Zusatz imeni V.l. Lenina gestrichen. Die Station „Mjasnickie vorota" hatte man nach der Ermordung des Leningrader Parteichefs Kirov (1.12.1934) in „Kirovskie vorota", später vereinfacht zu „Kirovskaja", umbenannt. Heute heißt sie „Cistye prudy". 215 Zu den Feierlichkeiten und der Propaganda rund um die Eröffnung siehe Kap. VII.2.C.
Die Finanzierung
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vestitionen, die für die zweite Baufolge übernommen werden konnten.216 Nicht enthalten waren in der Bausumme von 830,2 Millionen Rubel die von der Regierungskommission geforderten Nachbesserungen, die erst nach der Inbetriebnahme erfolgten. Sie wurden mit 23 Millionen Rubel veranschlagt.217 Die tatsächlichen Kosten überstiegen bei weitem die in den Jahren 1932, 1933 und 1934 erstellten Kostenvoranschläge. Im November 1931 hatte Rotert die Kosten der ersten Baufolge (damals dachte er an sieben Kilometer) über den Daumen auf 74 Millionen Rubel geschätzt.218 Ein erster Voranschlag war 1932 auf der unsicheren Basis des ersten skizzenhaften Projekts und der Normen fur den Bau von Eisenbahntunnels gemacht worden und hatte für die erste Baufolge 277,4 Millionen Rubel kalkuliert.219 Als die Regierung über die Bauweise entschieden hatte, erstellte Metrostroj 1933 einen neuen Voranschlag, der schon von exakteren Berechnungen ausgehen konnte. Dieser Voranschlag sah Kosten in Höhe von 441,8 Millionen Rubel vor. Anfang 1934, als auch für den Arbat-Radius die Bauweise endgültig feststand, und Metrostroj über eigene Normen und Erfahrungswerte verfügte, wurde ein dritter Voranschlag erstellt. Die Bausumme kletterte auf 555,7 Millionen Rubel, obwohl sich Erdaushub, Betoneinbringung und Tunnellänge gegenüber den Ansätzen von 1933 verringert hatten.220 Nach Fertigstellung der ersten Baufolge stellte sich heraus, daß der Umfang der tatsächlich geleisteten Arbeit von der Kalkulation des Jahres 1934 abermals abwich. Das allein kann aber das Ansteigen der Kosten um fast fünfzig Prozent von 555,7 auf 830,2 Millionen Rubel nicht erklären. Die Kostenexplosion hatte mehrere Ursachen. Der Voranschlag von 1934 hatte eine Reihe von Umständen nicht vorhergesehen, die zum Teil technisch, zum Teil durch das hohe Tempo bedingt waren: 1934 wurden acht zusätzliche Caissonschächte angelegt, um die Arbeit zu beschleunigen. Bei den Schrägschächten mußte man mit der aufwendigen Vereisungstechnik arbeiten. Die Stationen wurden nicht, wie ursprünglich vorgesehen, mit Stuck ausgekleidet, sondern zum Teil mit Marmor und anderen teuren Materialien. Die Tunnel, Stationen und Übergänge konnten nicht, wie im Projekt vorgesehen, nach einem Einheitstyp gebaut, sondern mußten individuell für die jeweiligen geologischen Bedingungen konstruiert werden. Die Zahl der oberirdischen Vestibüle verringerte sich zwar auf ein Drittel, aber ihr umbauter Raum verdreifachte sich, weil sie in Abänderung
216 Hauptbuchhaltung von Metrostroj. Übersicht über die Kosten der ersten Baufolge bis zur Inbetriebnahme, o.D. [Mai 1935], CMAM 665/1/308, Bl. 2. 217 Ebd., Bl. 7. 218 Rotert, Bericht über den Zustand der Arbeiten, 24.11.1931. GARF R-7952/7/144, Bl. 17. 219 Metrostroj. Beilage zu den Kontrollziffern des 2. Fünfjahresplans 1933-1937, 1.7.1932. GARF R-5475/18/116, Bl. 93. 220 Hauptbuchhaltung von Metrostroj. Übersicht über die Kosten, Bl. 3.
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Die Durchführung des Baus 1931-1935
des Projekts mit großem architektonischen und künstlerischem Aufwand errichtet wurden. 2 2 1 Tabelle 6: Vergleich der Voranschläge von 1933 und 1934 mit der tatsächlich geleisteten Arbeit 222
Kosten Länge der Metrostrecke Länge des Tunnels 223 Gleislänge 224 Stationen Vestibüle Erdaushub Betoneinbringung Stromanlagen Umspannwerke Rolltreppen
Maßeinheit
Voranschlag 1933
Voranschlag 1934
tatsächlicher Umfang
Millionen Rubel Kilometer Kilometer Kilometer Zahl Zahl Kubikmeter Kubikmeter Kubikmeter Kilowatt Kubikmeter Kubikmeter Zahl
441,8 12,1 16,7 26,0 13 52 18.200 2.220.000 1.056.000 37.500 45.000 5.000 24
555,7 11,6 16,5 23,0 12 48 16.800 2.020.000 606.000 18.800 41.000 35.000 24
830,2 11,4 17,1 25,7 13 17 58.800 2.462.000 880.000 14.800 59.300 33.000 15
Mehrkosten kamen aber auch durch organisatorische Unzulänglichkeiten s o w i e übermäßig hohe Lohn- und Materialkosten zustande. D i e Regierungskommission für die Abnahme der Metro stellte im Mai 1935 fest, daß nur 78,5 Millionen Rubel durch technische Abweichungen v o m Projekt und durch tatsächlich geleisteten Mehraufwand gerechtfertigt waren. 225 Für den größeren Teil der Mehrkosten machte die Regierungskommission die unwirtschaftliche Finanzgebarung von Metrostroj verantwortlich. D i e Kommission kritisierte die unangemessen hohen Löhne b e i m B a u der Metro. Sie lagen 1934 durchschnittlich um achtzig Prozent über den Löhnen anderer Baustellen. D a s war eine Folge der im Vergleich zu anderen Baustellen niedrigeren Normen, die nicht in j e d e m Fall durch die schwierigeren Bedingun-
221 Hauptbuchhaltung von Metrostroj. Übersicht über die Kosten, Bl. 5-6. - Der Verweis von Metrostroj auf die Ausgestaltung der Stationen mit teuren Materialien relativiert sich durch Tab. 8. 222 Ebd., Bl. 4. 223 Die Tunnellänge weicht von der Streckenlänge ab, weil bei den Abschnitten in tiefer Lage zwei getrennte Tunnel für die beiden Gleise gebaut wurden. Bei der offenen und Grabenbauweise baute man zweigleisige Tunnel. 224 Die Gleislänge schließt auch die Gleise zum und im (oberirdischen) Depot ein. 225 Schlußakte der Regierungskommission für die Abnahme der Moskauer Metro, o.D. [vor dem 3.5.1935], GARF R-5446/40/17, Bl. 91.
Die Finanzierung
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gen beim Untergrundbahnbau gerechtfertigt waren.226 Außerdem zahlte Metrostroj für Baumaterialien und Ausrüstungen überhöhte Preise. Manche Zulieferer nutzten die hohe Priorität der Baustelle, den chronischen Zeitdruck und Materialmangel von Metrostroj, um sich zu bereichern. Für Ziegel und Schnittholz zahlte Metrostroj einen um die Hälfte höheren Preis als vorgesehen. Die in der Waggonbaufabrik in Mytisci bei Moskau hergestellten Waggons der Metro kosteten mehr als das Vierfache von Eisenbahnwaggons. Nur Zement und Gleise kamen Metrostroj deutlich billiger als im Kostenvoranschlag angenommen.227 Auf einen Nenner gebracht, entstanden die Mehrkosten nach dem Urteil der Regierungskommission dadurch, daß es sich bei Metrostroj um eine neuartige Baustelle handelte, mit besonderen Schwierigkeiten, extrem kurzer Frist für die Fertigstellung, ohne bestätigtes Projekt, ohne bestätigten Kostenvoranschlag und ohne Kontrolle über die Ausgaben.228 Metrostroj bemühte sich in seiner Abschlußbilanz über die erste Baufolge, die ungerechtfertigten Mehrkosten herunterzurechnen. Mit einer anderen Berechnungsweise der von der Regierungskommission gegenüber dem Kostenvoranschlag anerkannten Mehrleistungen gelangte die Hauptbuchhaltung von Metrostroj zu dem Ergebnis, daß 203,9 Millionen Rubel durch Mehraufwand entstanden und nur 78,6 Millionen Rubel als Überteuerung zu bewerten seien.229 Davon entfielen 54,3 Millionen Rubel auf die Stationen, 13,6 Millionen auf die Tunnel, 10,7 Millionen auf andere Arbeiten. Metrostroj erklärte die Überteuerung mit der künstlerischen Ausgestaltung der Stationen, dem Bau einer zusätzlichen Station („Kominternstraße"), organisatorischen Mängeln und geologischen Problemen.230 Metrostroj räumte zwar eigene Fehler ein, verwies aber auch auf objektive Zwänge: Die Grundlohnkosten seien höher ausgefallen, weil Metrostroj aufgrund der schwierigen Bedingungen Arbeitskräfte in Reserve halten mußte. 60.000 Arbeiter mußten erst im Laufe der Arbeit ausgebildet und konnten daher nicht sofort voll eingesetzt werden. Zwischen November 1934 und Februar 1935 wurde zur maximalen Beschleunigung der Arbeit der gesamte Bestand an Arbeitskräften auf 226 Kurzer Bericht der Regierungskommission für die Abnahme der Moskauer Metro, o.D. [März 1935], GARF R-5446/40/17, Bl. 12-13 (mit Beispielen ausgewählter Normen). 227 Ebd.,Bl. 13. 228 Ebd. - Die Kostenvoranschläge von 1932, 1933 und 1934 waren nie von einer Behörde bestätigt worden. 229 Hauptbuchhaltung von Metrostroj. Übersicht über die Kosten, Bl. 6-11. - Auf den ersten Blick passen die Zahlen nicht zusammen: 830,2 Millionen (tatsächliche Kosten) plus 23,0 Millionen (noch ausständige Nachbesserungen) macht 853,2 Millionen Gesamtkosten, minus 555,7 Millionen (Voranschlag) minus 203,9 Millionen (Mehraufwand) ergibt eine Überteuerung von 93,6 Millionen Rubel. Metrostroj ging jedoch von den Baukosten abzüglich der für die zweite Baufolge übernommenen Investitionen, also von 690,5 Millionen Rubel aus und berechnete die Differenz zwischen dieser Summe und dem um den Mehraufwand erhöhten entsprechenden Ansatz aus dem Voranschlag ab (634,9 Millionen minus 23,0 Millionen noch ausständige Nachbesserungen). So kam auf Umwegen die Summe von 78,6 Millionen Rubel zustande. 230 Ebd. - Diese Argumentation ist nicht schlüssig, denn den entstandenen Mehraufwand hatte man ja schon vorher von der Summe abgezogen.
Die Durchführung des Baus 1931-1935
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die zurückgebliebenen kleinen Abschnitte konzentriert, was die Produktivität je Arbeiter stark verringerte. Der Zusatzlohn fiel höher aus, weil die Zahlung von Sonderprämien für die Arbeiter, die sich verpflichteten, bis zum Ende der ersten Baufolge Metrostroj nicht zu verlassen, sowie die Zahlung von Überbrückungsgeld im Kostenvoranschlag nicht vorgesehen gewesen waren. (Im Februar und März 1935 entließ Metrostroj 28.000 überflüssig gewordene Arbeiter und zahlte ihnen Überbrückungsgeld.) Die sonstigen Lohnzuschläge umfaßten Krankenstände und Einweisungen in Sanatorien und Erholungsheime. Extrem hoch war der Mehraufwand bei den provisorischen Bauten und „übrigen Arbeiten": Jeder Schacht und jede Distanz hatten ein Kontor, Werkstätten, Duschanlagen, Kompressoranlagen, Maschinenräume und viele andere provisorische Bauten. Die „übrigen Arbeiten" wurden durch den Unterhalt von zwei Divisionen militärischen Objektschutzes, einer eigenen Grubenwehrstation und von Feuerwehren bei jedem Objekt verteuert. Beim Erdaushub erhöhten sich die Kosten vor allem durch die schlechte Auslastung der vorhandenen Transportmittel, bei den Vertragsarbeiten durch die Inanspruchnahme zusätzlicher Organisationen für Arbeiten an der Kanalisation, den Versorgungsleitungen und Straßenbahnanlagen.231 Von den Gesamtkosten für die erste Baufolge entfielen 46,7 Prozent auf den Bau der Tunnel, 34,3 Prozent auf die Stationen und 19 Prozent auf Administration, zugeordnete Betriebe und Hilfsarbeiten.232 Nach anderen Kategorien aufgeschlüsselt, verteilten sich die Ausgaben 1932 bis 1935 folgendermaßen: Tabelle 7: Verteilung der Kosten des Baus der ersten Baufolge 1932-1935 2 3 3 Jahr
Hauptarbeiten
1932
72,6 % (Baracken, provisorische Bauten, Hilfsbetriebe) 23,8 %
1935
27,4 % (Projektierung, Bauversuche) 76,2 % (Schächte, Tunnel) 85,5 % (Tunnel, Stationen) 54,2 %
1932-35
76,3 %
1933 1934
231 Ebd., Bl. 16-20. 232 Ebd., Bl. 21,26. 233 Ebd., Bl. 23-31.
Zivil- und Industriebau
Gleisbau Gestaltung der Stationen 0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
-2,5 %
-2,6 %
13,5 % (Werkstätten, Reparatur von Gebäudeschäden)
5,5 %
26,8 %
15,6%
2,3 %
5,8 %
9,4 %
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Die Finanzierung
Über die bis zum 1.5.1935 ausgegebenen Mittel (776,3 Millionen Rubel) machte die Regierungskommission eine detaillierte Aufstellung, aus der ersichtlich ist, daß neben den eigentlichen Tunnelarbeiten beträchtliche Nebenkosten entstanden: Tabelle 8: Aufschlüsselung der bis zum 1.5.1935 von Metrostroj getätigten Ausgaben 234 Posten
Millionen Prozent Rubel
Tunnel, Stationen Vestibüle Ausgestaltung der Stationen und Vestibüle Gleisarbeiten, Stromschiene Signalanlagen, Autoblockierung Zuggarnituren Elektromechanische Ausrüstung einschließlich der Montage und der Ersatzteile Elektroversorgung, Umspannstationen Depot, Wagenpark, Werkstätten Ausgaben für die Inbetriebnahme, Ausbildung des Betriebspersonals Wohn- und Kulturbau, Ausstattung mit Versorgungseinrichtungen Bau und Ausstattung von Hilfsbetrieben, administrativer Bau Baumaschinen Kraftfahrzeuge Inventar Projektierung der zweiten Baufolge
515,6 7,0 37,0 14,4 6,9 14,1 19,0
66,4 0,9 4,8 1,9 0,9 1,8 2,4
23,5 7,8 2,9 46,1 23,2 34,6 15,1 11,2 1,9
3,0 1,0 0,4 5,9 3,0 4,5 1,9 1,4 0,2
Ausgaben insgesamt
776,3
100,0
Aus den Aufstellungen über die Baukosten wird deutlich, daß der Bau der Moskauer Untergrundbahn ein Vielfaches von dem kostete, was man sich noch 1931 vorgestellt hatte. Man sieht aber auch, daß die architektonische und künstlerische Ausgestaltung der Stationen und Vestibüle, die von manchen ausländischen Beobachtern in Anbetracht der Hungersnot von 1933 und der ärmlichen Verhältnisse, unter denen die Sowjetbürger lebten, als absurde Verschwendung kritisiert wurde, nicht mehr als 4,8 bis 5,8 Prozent der Baukosten ausmachte. Hinzurechnen muß man allerdings unbekannte Mehrkosten, die dadurch zustande kamen, daß aufgrund der politischen Vorgaben einzelne Stationen von ihrer Grundkonstruktion her größer und aufwendiger angelegt wurden.235 Trotzdem bestand die finanzielle Belastung weniger in der Ausgestaltung der Metro, als im Bauvorhaben selbst. Die Entscheidung, einen Teil der ersten Baufolge in großer Tiefe zu bauen, trug in entscheidendem Maße zur Verteuerung des Baus bei. Bergmännischer 234 Schlußakte der Regierungskommission für die Abnahme der Moskauer Metro, Bl. 84. 235 Zu den politischen Einflußnahmen auf die Gestaltung der Stationen siehe Kap. V1.8.
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Die Durchführung des Baus 1931-1935
Vortrieb und Schildvortrieb in großer Tiefe waren wesentlich teurer als die Berliner oder die Grabenbauweise. Tabelle 9: Vergleich der Kosten für einen Gleismeter Tunnel in Rubel236 Bauweise Offene Bauweise, Mjasnickij Radius Offene Bauweise, Frunze-Radius Grabenbauweise Bergmännischer Vortrieb in großer Tiefe Schildvortrieb in großer Tiefe Station in offener Bauweise Station in Grabenbauweise Station in großer Tiefe
Daten von Metrostroj 26.734 17.783 17.000 55.000 35.300
Daten der Regierungskommission 30.500 19.500 20.200 47.600 51.200 56.200 52.500 165.000
Die Finanzierung des Baus der Untergrundbahn erfolgte unmittelbar aus dem öffentlichen Haushalt. Es wurden zu diesem Zweck keine in- oder ausländischen Anleihen aufgelegt. Für die erste Baufolge wurden bis zu ihrer Eröffnung von der öffentlichen Hand folgende Summen bereitgestellt: Tabelle 10: Anweisung von Mitteln für die erste Baufolge der Metro in Rubel Jahr 1931 1932 1933 1934 1935 Zusammen
237
Daten von Metrostroj
Daten der Regierungskommission
1,000.000 43,119.000 126,141.000 456,569.000 171,834.000 798,663.000
1,090.000 40,000.000 124,628.000 458,100.000 20,000.000 643,000.000
Die Differenz zwischen den bis Mai 1935 angewiesenen Mitteln und den Gesamtbaukosten wurde mit Bankkrediten zwischenfinanziert. Kredite hatte Metrostroj auch während des Baus in Anspruch genommen, wenn Finanzierungslücken überbrückt werden mußten, bis die Regierung neue Mittel bereitstellte. Dies war vor allem in den ersten Monaten des Jahres 1934 der Fall, als die Bauarbeiten mit raschem Tempo und in großem Maßstab entfaltet wurden.238
236 Hauptbuchhaltung von Metrostroj. Übersicht über die Kosten, Bl. 32. Schlußakte der Regierungskommission für die Abnahme der Moskauer Metro, Bl. 85. 237 Hauptbuchhaltung von Metrostroj. Übersicht über die Kosten, Bl. 34. Schlußakte der Regierungskommission für die Abnahme der Moskauer Metro, Bl. 85. 238 Hauptbuchhaltung von Metrostroj. Übersicht über die Kosten, Bl. 34-35.
Die Finanzierung
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Als das Unternehmen im Sommer 1931 gegründet wurde, waren weder im Staatshaushalt noch im Budget der Stadt Moskau Mittel für den Bau der Untergrundbahn vorgesehen. Die vom Mossovet Ende August angewiesenen 50.000 Rubel waren bald verbraucht. 239 Im November 1931 stellte der Mossovet 500.000 Rubel aus dem Fonds für unvorhergesehene Aufgaben zur Verfugung und bat um 1,4 Millionen Rubel aus dem Staatshaushalt.240 Die Regierung bewilligte bis zum Jahresende aber nur 500.000 Rubel aus dem Reservefonds des Rates der Volkskommissare.241 Die Finanzierung von Metrostroj wurde anfangs über die Zentrale Kommunalbank [Cekombank], ab März 1932 über die Moskauer Kommunalbank [Moskombank] abgewickelt. Letztere war auch für die Finanzkontrolle verantwortlich. Metrostroj hatte der Stadtverwaltung regelmäßig Rechenschaftsberichte über den Verlauf der Bauarbeiten vorzulegen. 242 Im Januar 1932 bestätigte das Politbüro die Anweisung von vierzig Millionen Rubel fur den Bau der Metro im Jahr 1932. Die Summe wurde je zur Hälfte aus Mitteln des Moskauer Gebietes und dem Unionshaushalt bereitgestellt. 243 Die auf die Stadt Moskau entfallenden Kosten von zwanzig Millionen Rubel waren vergleichsweise gering. Der Investitionsplan der Stadt Moskau sah für 1932 in anderen Sparten weit höhere Beträge vor (Wohnbau 100 Millionen Rubel, Straßenbahn 56 Millionen, Straßen- und Tiefbau 35,5 Millionen Rubel). 244 Den für den Wohnbau und die städtischen Versorgungsleitungen zuständigen Moskauer Organisationen zog der Mossovet zwölf Millionen Rubel aus ihren Budgets ab und transferierte sie zu Metrostroj. Im Gegenzug Schloß Metrostroj mit diesen Organisationen Verträge über die Ausführung von Arbeiten und bezahlte sie mit diesem Geld. Nur acht Millionen Rubel flössen 1932 in Arbeiten, die Metrostroj selbst ausführte. 245 Im Herbst 1932 wurden abermals rund fünf Millionen Rubel von kommunalen Einrichtungen zu Metrostroj verschoben. 246 Für das Jahr 1933 bewilligte die Stadt für den Bau der Untergrundbahn 110 Millionen Rubel. Zusätzlich erhielt Metrostroj Baracken, Lager, Steinbrüche und Hilfsbetriebe im Wert von zwanzig Millionen Rubel.247 Metrostroj hatte ursprünglich für 1933 einen Finanzierungsplan über 125 Millionen Rubel vorgelegt und ihn nach
239 Vgl. Präsidium des Mossovet. Prot. 23, 26.8.1931. CMAM 150/1/157, Bl. 307. 240 Bulganin an SNK SSSR, 16.11.1931. GARF R-5446/12/1345, Bl. 6. 241 SNK SSSR. Resolution 979, 22.11.1931. Ebd., Bl. 1. 242 Präsidium des Stadtexekutivkomitees und Mossovet. Prot. 36, 26.11.1931. CMAM 150/1/33, Bl. 24, Prot. 8, 2.3.1932. CMAM 150/1/158, Bl. 92. 243 Politbüro. Prot. 82, 8.1.1932. RGASPI 17/3/867, Bl. 8. 244 Büro MGK VKP(b). Prot. 1, 10.2.1932. CAODM 4/2/7, Bl. 1-5. 245 Präsidium des Stadtexekutivkomitees und Mossovet. Prot. 29, 11.8.1932. CMAM 150/ 1/66, Bl. 49-50. 246 Desgl. Prot. 37, 11.10.1932. CMAM 150/1/158, Bl. 610. 247 Büro MGK VKP(b). Prot. 32, 4.1.1933. CAODM 4/3/7, Bl. 6. Städtische Plankommission. Materialien zum Volkswirtschaftsplan Moskaus für 1933, o.D. CMAM 2872/1/2, Bl. 14-15.
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Die D u r c h f ü h r u n g des Baus 1 9 3 1 - 1 9 3 5
der Verringerung der bewilligten Mittel kürzen müssen.248 Das Politbüro und die Regierung bestätigten im März 1933 die Investition von 110 Millionen Rubel für die Untergrundbahn. Ursprünglich hatte die Regierung für 1933 nur 80 Millionen Rubel vorgesehen. Die Differenz von 30 Millionen zweigte man vom Haushaltsansatz für den Bau des Moskva-Volga-Kanals ab.249 Daraus kann man schließen, daß die Finanzierung von Metrostroj 1933 nicht mehr aus dem städtischen Haushalt, sondern aus Unionsmitteln erfolgte. Der städtische Haushalt wäre mit einer solchen Größenordnung überfordert gewesen.250 1932 hatte Metrostroj den Haushalt überzogen, da das Unternehmen die Mittel vollständig verbrauchte, aber vom Plan nur ein Drittel erfüllte. Als sich im Herbst 1933 eine ähnliche Entwicklung abzeichnete, schaltete sich die städtische Parteikontrollkommission [MGKK VKP(b)] ein und ordnete Rotert an, eine strenge Finanzdisziplin einzuführen. Sein Stellvertreter Rosal' erhielt einen Verweis, der Hauptbuchhalter und der Leiter der Finanzabteilung wurden entlassen und vor Gericht gestellt, weil sie Anweisungen der Kontrollkommission ignoriert hatten. Bemängelt wurden überhöhte Lagerbestände bei gleichzeitigem Mangel an wichtigen Materialien, Überziehung des Lohn- und Prämienfonds und das Fehlen jeglicher Sparsamkeit.251 Für 1934 setzte die Regierung das Investitionsvolumen beim Bau der Metro mit 348,8 Millionen Rubel fest.252 Auf Anordnung des Moskauer Parteikomitees gingen die Schächte und Distanzen mit dem 1.2.1934 zu einer eigenständigen Bilanzierung über. Man hoffte dadurch, die Ausgabendisziplin zu festigen.253 Außerdem sollte ab sofort die Finanzierung nicht wie bisher nach den Planziffern, sondern nach der tatsächlich geleisteten Arbeit erfolgen, um die zu belohnen, die Kosten einsparten, und die anderen, die verschwenderisch wirtschafteten, zur Verantwortung zu ziehen. Jeden Monat, jedes Quartal und am Jahresende sollten die Ausgaben mit der geleisteten Arbeit bilanziert und Kassenstürze gemacht werden.254 Die Appelle zu Sparsamkeit und Finanzdisziplin konnten nur wenig bewirken, wenn Partei und Regierung gleichzeitig das Tempo erhöhten, dem Bau der Untergrundbahn höchste Priorität einräumten und etwa Bulganin auf der Moskauer
248 Vgl. Kommission von M K VKP(b) über die Kostenfeststellung der ersten Baufolge der Metro und den Bedarf an Krediten für 1933. Prot., 16.1.1933. CMAM 665/1/13, Bl. 8. Metrostroj. Finanzierungsplan für 1933. Ebd., Bl. 30-35. 249 Politbüro. Beschluß 133, 20.3.1933. RGASPI 17/3/918, Bl. 56. SNK SSSR. Resolution 529, 21.3.1933. GARF R-5446/57s/23s, Bl. 187. 250 Das publizierte Stadtbudget weist für den Bau der Metro 124,9 Millionen Rubel getrennt vom normalen städtischen Haushalt aus, der zusammen mit den Rayonshaushalten 283,7 Millionen Rubel betrug. (Moskovskij Sovet 1934, S. 237). 251 Präsidium MGKK VKP(b). Resolution, 23.11.1933. C M A M 1289/1/680, Bl. 122-123. 252 Izvestija Nr. 5, 5.1.1934, S. 2. 253 Büro der Parteizelle bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 5, 19.2.1934. CAODM 455/1/3, Bl. 22. 254 Sekretariat MK VKP(b). Resolution, 28.2.1934. RGASPI 17/21/3055, Bl. 26-28.
Die Finanzierung
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Parteikonferenz im Januar 1934 sagte, die erste Linie müsse zum 17. Jahrestag der Oktoberrevolution in Betrieb gehen, „koste es, was es wolle".255 Unter solchen Rahmenbedingungen mußten Drohungen, bei Nichtbeachtung der Kostenpläne die Finanzierung einzustellen,256 unglaubwürdig bleiben. Aus den für 1934 vorgesehenen 348,8 Millionen Rubel wurden schließlich 457-458 Millionen. Es war allerdings auch nicht so, daß Metrostroj nach Belieben Mittel ausgeben konnte. Das Politbüro und der Rat der Volkskommissare bewilligten zwar Zusatzmittel, aber nicht in der von Metrostroj gewünschten Höhe. Im Mai 1934 bemühte sich Chruscev vergeblich, Stalin und das Politbüro zu überzeugen, für das zweite Quartal die vorgesehenen 100 Millionen Rubel um weitere 23 Millionen aufzustocken. Obwohl er einen Stillstand der Arbeiten ankündigte, bewilligte das Politbüro nur zehn Millionen Rubel und verbot Metrostroj, die Zahl der Arbeiter weiter zu erhöhen.257 Auch im vierten Quartal erhielt Metrostroj statt der beantragten zusätzlichen achtzehn Millionen Rubel nur zehn. Drei Millionen Rubel sollte Metrostroj durch die „Mobilisierung innerer Ressourcen" aufbringen, die verbleibenden fünf Millionen wurden durch einen Bankkredit zwischenfinanziert und damit in den Haushalt des Jahres 1935 verschoben.258 „Mobilisierung innerer Ressourcen" war das Zauberwort, mit dem die Leitung von Metrostroj schon seit Monaten versucht hatte, in ihrem Unternehmen Finanzdisziplin durchzusetzen. Die im Februar 1934 eingeführte eigenständige Bilanzierung der Schächte und Distanzen hatte einen gewissen Fortschritt gebracht. Sie hatte die Baustellenleiter gezwungen, die Pläne genauer zu analysieren, die Einstellung von Arbeitern und die Materialanforderungen genauer auf den tatsächlichen Bedarf abzustimmen. Bis dahin hatten sie meist großzügig angefordert und den Überschuß gehortet.259 Geld war ohne Buchführung ausgegeben worden, die Erstellung der Gesamtbilanz von Metrostroj hatte sich um Monate verspätet.260 Befriedigend war das Ergebnis jedoch immer noch nicht. Weiterhin schickten die Baustellen an die Leitung von Metrostroj überhöhte Bedarfsmeldungen und brauchten ihre Finanzmittel vorzeitig auf.261 Das hatte mehrere Ursachen: Die Baustellenleiter hatten keine Erfahrung im Kalkulieren und erhielten von der Pla255 IV Moskovskaja oblastnaja 1934, S. 551. 256 Leiter der Mosgorbank, Kornblit, an Bulganin, 19.8.1933. CMAM 1289/1/679, Bl. 24. 257 ChruSöev an Kaganovii, 5.5.1934. RGASPI 81/3/255, Bl. 139-140. Vgl. Politbüro. Prot. 6, 4.5.1934. RGASPI 17/3/944, Bl. 4. Vgl. SNK SSSR. Verordnung 1040, 5.5.1934. GARF R-5446/12/96, Bl. 42a. Vgl. SNK RSFSR. Verordnung 398, 14.5.1934. GARF A-259/ 24/65, Bl. 141. 258 Volkskommissar für Finanzen, Grin'ko, an SNK SSSR, 16.12.1934. GARF R-5446/ 15a/513, Bl. 12. Rotert, Ajngorn. Information über die finanzielle Lage von Metrostroj, o.D. [vor dem 15.12.1934], Ebd., Bl. 4-5. SNK SSSR. Resolution 2766, 26.12.1934. Ebd., Bl. 1. 259 Vgl. Sten. Besprechung bei der Leitung von Metrostroj, 21.5.1934. CMAM 665/1/129, Bl. 1-5. 260 Parteikomitee bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 23, 4.7.1934. CAODM 455/1/4, Bl. 1. 261 Vgl. Sten. Besprechung bei der Leitung von Metrostroj, 21.5.1934. CMAM 665/1/129, Bl. 1-5.
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nungs- und Kontrollabteilung der Unternehmensleitung regelmäßig Rahmenpläne vorgegeben, die von falschen Voraussetzungen (Materialpreise, Arbeitsvolumen, Arbeitsschritte usw.) ausgingen. Außerdem änderten sich mit fortschreitender Arbeit laufend die Rahmenbedingungen. Für neue Arbeitsschritte gab es keine Erfahrungswerte und Normen, nach denen man zuverlässig hätte kalkulieren können. Unvorhergesehene Probleme wie Fahrbahnsetzungen, Hauseinstürze oder Wassereinbrüche verursachten kurzfristig Mehrkosten. Viel Arbeitskraft ging dadurch verloren, daß Arbeiter ausgeschickt werden mußten, um nicht geliefertes Baumaterial oder Geräte aufzutreiben.262 Die Baustellenleiter schoben die Schuld für Planungs- und Kalkulationsfehler auf die Planungs- und Kontrollabteilung, letztere auf die Baustellenleiter und Chefingenieure.263 Im Oktober 1934 wurde Metrostroj abermals ein neues Finanzierungssystem verordnet, weil die Schächte und Distanzen bei der Leitung von Metrostroj und den Zulieferern zum Teil mit Millionenbeträgen verschuldet waren. Von nun an mußte Metrostroj der Mosgorbank zu Anfang des Monats für jedes Objekt eine Liste der anstehenden Arbeiten vorlegen. Die Objekte erhielten das Geld nur für ausgeführte Arbeiten, die in der Liste enthalten waren und nur im Rahmen der vorher kalkulierten Preise.264
4. A u s r ü s t u n g e n , B a u m a t e r i a l i e n und das T r a n s p o r t p r o b l e m Als im Dezember 1931 der Versuchsabschnitt am Mit'kovskij Viadukt begonnen wurde, bestand die Ausrüstung der Arbeiter lediglich aus Spitzhacken, Schaufeln, Brechstangen und Vorschlaghämmern. Kaganovic, der bald darauf die Baustelle besichtigte, war unzufrieden mit diesen primitiven Handwerkermethoden. „So wollt ihr die sowjetische Metro bauen, - das geht nicht!" soll er zu den Ingenieuren gesagt haben.265 Er berief im Moskauer Parteikomitee eine Beratung über die Mechanisierung ein.266 Anfang Januar 1932 trugen Kaganovic, Bulganin und Rotert das Problem im Politbüro vor. Das Politbüro beschloß, für den Bau der Metro einen eigenen Materialfonds zu schaffen und die erforderlichen Baumaterialien vorrangig bereitzustellen. Der Rat für Arbeit und Verteidigung wurde beauftragt, alle Anforderungen betreffend den Import von Ausrüstungen zu begutachten und 300.000 Rubel in Devisen für diese Zwecke freizugeben. Um die Importe auf ein Minimum begrenzen zu können, wurde dem Obersten Volkswirtschaftsrat angeordnet, auf anderen Großbaustellen freiwerdende Ausrüstungen an Metrostroj weiterzugeben. 262 Ebd., Bl. 6 - 7 , 10, 13, 25-27. 263 Ebd., Bl. 25, 40, 42. 264 Udarnik Metrostroja Nr. 237, 11.10.1934, S. 2. 265 Sten. Gespräch mit Ing. Smidt, Leiter der Distanz 5-6, 2.2.1935. GARF R-7952/7/309, Bl. 188-190. 266 Rotert. Manuskript, 15.12.1934. GARF R-7952/7/318, Bl. 137.
Ausrüstungen, Baumaterialien und das Transportproblem
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Die Moskauer Parteiorganisation sollte sich darum kümmern, daß Moskauer Fabriken Ausrüstungen für Metrostroj herstellten.267 Der Oberste Volkswirtschaftsrat wies seinerseits alle Hauptverwaltungen und Verteilerorganisationen an, die Anforderungen von Metrostroj in ihren Quartalsplänen zu berücksichtigen und die rechtzeitige Lieferung sicherzustellen.268 Fürs erste blieb jedoch die Ausrüstung bescheiden: Bis Februar 1932 wurden von den angeforderten fünfzehn Betonmischmaschinen nur zwei zugeteilt, von zwanzig Kränen nur fünf, von vierundzwanzig Trommelwinden keine einzige. Auch die Transportmittel reichten nicht.269 Im April 1932 gab es am Versuchsabschnitt zwei Elektrowinden, drei Pumpen, sieben Automobile und ein paar angemietete Fuhrwerke.270 Obwohl Metrostroj als Stoßbaustelle eingestuft war, blieben die Zuteilungen von Material und Ausrüstungen weit unter dem Bedarf.271 Die Tunnelarbeiten stockten zu dieser Zeit zwar ohnehin wegen der Diskussion um die Bauweise, aber Metrostroj konnte nicht einmal den Bau von Materiallagern, Werkstätten und Baracken in großem Stil beginnen, weil es an allem fehlte. Metrostroj unternahm Versuche, sich „dezentral" Material zu beschaffen. Es gelang zwar, das eine oder andere aufzutreiben, nicht aber die wichtigen Materialien wie Steine, Zement, Metall oder Holz. Das ganze Jahr 1932 über blieben die Lieferungen an Baumaterial unzureichend.272 Auch an Arbeitskleidung mangelte es.273 Die Lieferungen stockten nicht nur deswegen, weil es bei den angeforderten Gütern Engpässe gab, sondern auch, weil Metrostroj seine Anforderungen nicht mit einem bestätigten Projekt und einem Kostenvoranschlag begründen konnte. Gosplan weigerte sich, ohne diese Grundlagen Ressourcen zuzuteilen, zumal Metrostroj seine Anforderungen ständig erhöhte und kein Gesamtplan zu erkennen war.274 Daran änderte auch nichts, daß der Rat der Volkskommissare Ende Mai 1932 Metrostroj als Baustelle höchster Priorität eingestuft hatte, die mit Holz, Metall, Zement, Transportmitteln und allem anderen Notwendigen vorrangig versorgt werden müsse.275 Die Versorgungsengpässe entstanden auch durch organisatorische Schwächen von Metrostroj. Der Transfer nicht mehr benötigter Ausrüstungen von anderen Baustellen zu Metrostroj scheiterte anfangs daran, daß die zuständige Abteilung
267 Politbüro. Prot. 82, 8.1.1932. RGASPI 17/3/867, Bl. 8. Sondermappe zum Prot. 82, 8.1.1932. RGASPI 17/162/11, Bl. 103. 268 Oberster Volkswirtschaftsrat. Anordnung 28, 10.1.1932. GARF R-7952/7/139, Bl. 6. 269 Stv. Leiter von Metrostroj, Oskolkov. Konjunkturbericht von Metrostroj für Januar 1932, 9.2.1932. GARF R-7952/7/162, Bl. 5-8. 270 Chronik von Metrostroj, o.D. [Ende 1934], GARF R-7952/7/141, Bl. 19. 271 Vgl. Rotert. Konjunkturbericht von Metrostroj für Februar 1932. GARF R7952/7/162, Bl. 35. Desgl. fur März 1932. Ebd., Bl. 59. Desgl. für Mai 1932. Ebd., Bl. 96-98. 272 Chronik von Metrostroj, o.D. [Ende 1934], GARF R-7952/7/141, Bl. 14, 25, 29. 273 Metrostroj an den Vorsitzenden des SNK SSSR und STO, Molotov, o.D. [Anfang Mai 1932], GARF R-5446/13/2082, Bl. 9. 274 SNK (Gosplan) an Rotert und Bulganin, 3.6.1932. GARF R-5446/13/2082, Bl. 10. 275 SNK SSSR. Verordnung 806, 25.5.1932. GARF R-5446/1/68, Bl. 141.
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von Metrostroj nicht auf Hinweise des Obersten Volkswirtschaftsrates reagierte, wo Ausrüstungen bereit stünden. Die Lagerwirtschaft von Metrostroj befand sich 1932 in einem chaotischen Zustand. Die Beschaffungsabteilung leitete Anforderungen der Ingenieure ungeprüft weiter, gelieferte Ausrüstungen lagen monatelang unberührt, es gab keine Prioritätenliste und keine klaren Verantwortlichkei.
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ten. Im Herbst 1932 war die unionsweite Versorgungslage bei Pumpen, Winden und anderer, von Metrostroj benötigter Ausrüstung so angespannt, daß Gosplan vorschlug, Metrostroj solle sich bis Ende des Jahres auf die vorhandenen Ausrüstungen beschränken und erst im Frühjahr 1933 die Arbeiten in maximalem Tempo vorantreiben.277 Der Rat für Arbeit und Verteidigung ordnete jedoch entgegen der Empfehlung von Gosplan im November 1932 an, Stahlspundwände, Bohrgeräte, Kräne, Pumpen, Winden, Elektromotoren und andere knappe Ausrüstungen von Dneprostroj und anderen Organisationen und Fabriken zum Bau der Metro zu transferieren. Das Volkskommissariat fur Schwerindustrie wurde gegen seinen Widerstand278 verpflichtet, 1933 Metrostroj auf Kosten der Kohlengruben und metallurgischen Industrie Kompressoren und Elektrowinden zuzuteilen. Zur Deckung seines Holzbedarfs wurden Metrostroj zwei Waldsowchosen übergeben.279 Auf Beschwerden von Metrostroj über zu geringe Zuteilungen von Baumaterialien und Ausrüstungen ordnete das Politbüro im März 1933 dem Rat für Arbeit und Verteidigung an, die Zuteilungen auf das Maß zu erhöhen, das zur Erfüllung des Bauprogrammes nötig sei und Metrostroj unter die erstrangigen Baustellen einzureihen.280 Das bedeutete nicht, daß Metrostroj nun jeder Wunsch erfüllt wurde. Gosplan überprüfte weiterhin die Materialanforderungen von Metrostroj im Hinblick auf die üblichen Normen und verringerte die Mengen zum Teil erheblich.281 Zur Beschaffung von Baumaterial ließ der Mossovet mehr als 50 Kirchen abreißen.282 In den Stationen „Ochotnyj ijad" und „Palast der Sowjets" wurde Marmor aus der 1931 gesprengten Christ-Erlöser-Kathedrale verarbeitet.283 Anfang 1933 deckte die städtische Kontrollkommission / Arbeiter- und Bauerninspektion systematischen Diebstahl und Veruntreuung in der Versorgungsab276 Prot. Beratung bei der Leitung von Metrostroj, 13.2.1932. CMAM 665/1/14, Bl. 7-13. 277 Gosplan an STO, 26.9.1932. GARF R-5446/13/160, Bl. 18. 278 NKTP an STO, 1.10.1932. GARF R-5446/13/160, Bl. 16-17. 279 STO. Resolution 1379, 5.11.1932. GARF R-5446/13/160, Bl. 1-2. 280 Politbüro. Beschluß, 20.3.1933. RGASPI 17/3/918, Bl. 55-56. 281 Prot. Beratung von Vertretern von Gosplan SSSR und Metrostroj, 26.3.1933. CMAM 665/1/44, Bl. 3. 282 Vecernjaja Moskva, 17.6.1993, zitiert nach Kucher 1995, S. 42. - Vgl. Abschrift aus der Resolution des Präsidiums des Zamoskvoreckij Sovet RK i KD, 8.12.1933. CMAM 665/1/43, Bl. 18. 283 Egorov 1995, S. 4 (unter Berufung auf seinen Großvater, der mit eigenen Augen Marmorplatten mit den Namen der Gefallenen der Schlacht von Borodino auf der Baustelle gesehen hatte).
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teilung von Metrostroj auf: Waggonweise wurden Baumaterialien, Ausrüstungen und sogar ganze Baracken auf dem Schwarzmarkt verkauft. Metrostroj war in wirtschaftlicher Hinsicht dem Zusammenbruch nahe. Aufgrund selbstverschuldeter Engpässe bei der Versorgung mit Schotter mußten die Betonarbeiten zeitweise eingestellt werden. Die Kontrollorgane sorgten fur die Bestrafung der Schuldigen und die Ablösung der unfähigen Führung.284 Nach dem Urteil der Kontrollorgane hatte Metrostroj, ohne einen schlüssigen Gesamtplan für die Mechanisierung, für neun Millionen Rubel Ausrüstungen gekauft, die sich in der Folge als wenig brauchbar erwiesen und nicht eingesetzt wurden. Bei den Baustellen waren nur ein Viertel bis ein Drittel der vorhandenen Ausrüstungen aufgestellt und davon nur etwa die Hälfte in Betrieb genommen worden. Ein beträchtlicher Teil der Ausrüstungen lagerte unter freiem Himmel und war der Witterung und dem Diebstahl ausgesetzt.285 Rotert rechtfertigte die geringe Verwendung der eingetroffenen Maschinen damit, daß sie für die offene Bauweise vorgesehen waren, die man von Mai 1932 bis Februar 1933 nicht praktizieren durfte.286 Außerdem konnten viele Maschinen nicht in Betrieb genommen werden, weil das städtische Stromnetz die benötigten Leistungen nicht verkraftete. Metrostroj mußte erst ein eigenes Hochspannungsnetz verlegen, was aber wegen zu geringer Kabelzuteilungen nur schleppend voranging. Daher konnten auch die importierten elektrischen Kompressoren nicht eingesetzt werden, von denen wiederum die Preßlufthämmer, die Caissons und die Betonpumpen abhingen. Die Kompressoren waren der Angelpunkt für die Mechanisierung des Tunnelbaus.287 Bis Ende 1933 änderte sich die Lage bei den Ausrüstungen nicht entscheidend. Mitte November 1933 hatte Metrostroj noch immer keinen auf das Arbeitsprogramm abgestimmten Bedarfsplan für Ausrüstungen und keine Daten über die Ausnutzung der vorhandenen Ausrüstungen. Die Mechanisierung beruhte nicht auf einem durchdachten Konzept. Die Arbeiten erfolgten weiterhin überwiegend nach Handwerkerart, weil es an Baggern, Kränen, Kompressoren, Preßlufthämmern und Transportmitteln mangelte. Der Aushub wurde mancherorts aus der Baugrube befördert, indem man ihn viermal weiterschaufelte. Die vorhandenen Preßlufthämmer leisteten wenig, weil der Luftdruck zu gering war. Wenn der Untergrund für die Spitzhacken zu hart war, wurden von Hand Löcher gebohrt und dann aufgesprengt. Die Loren mit dem Aushubmaterial entgleisten häufig, weil 284 MGKK RKJ. Der Bau der Untergrundbahn. Aktennotiz, o.D. [November 1933], CMAM 1289/1/672, Bl. 41-42. 285 Vorsitzender von MGKK RKI, Filatov, an KaganoviC. Bericht über die Verwendung der importierten und einheimischen Ausrüstungen bei Metrostroj, 26.3.1933. CMAM 1289/1/ 679, Bl. 102-103. 286 Rotert an Filatov, 26.3.1933. CMAM 1289/1/679, Bl. 105-106. 287 Vgl. Rotert. Bericht auf der Beratung der Redaktion „Geschichte der Fabriken und Werke", o.D. [Mai oder Juni 1934], GARF R-7952/7/271, Bl. 282-283. Vgl. Sten. Beratung bei Kaganoviö, 15.11.1933. RGASPI 81/3/199, Bl. 99. Vgl. Kommunalbaugruppe von MGKKRKI, Buraöenko, an den Vorsitzenden von MGKK] RKI, Filatov. Bericht über den Zustand der Kompressor- und Energiewirtschaft von Metrostroj, August 1933. CMAM 1289/1/681, Bl. 123-126.
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die Gleise schlampig verlegt waren. Bei vielen Schächten wurde der Sand von Hand gewaschen, der Beton ebenso gemischt und in Eimern weitergereicht. Die Steinbrüche im Umkreis von Moskau, die Metrostroj übergeben worden waren, litten ebenfalls unter dem Mangel an Baggern, Winden, Waggons und Elektrizität. 288 Im Dezember 1933 wurde die Beschaffungsabteilung von Metrostroj zum wiederholten Male „gesäubert" und ein neuer Leiter eingesetzt. Angeblich war der Apparat von „alten Spezialisten" durchsetzt, die Gelder veruntreuten und sich bereicherten. Es konnte zwar nichts bewiesen werden, aber das Personal wurde ausgetauscht.289 Erst nach der Resolution des Moskauer Parteikomitees vom 29.12.1933 besserte sich die Ausstattung und Versorgung von Metrostroj. Die Ausrüstung der Schächte und Distanzen bestand am Höhepunkt der Arbeiten aus Kompressoren, Dampfkesseln, Preßlufthämmern, Dampframmen, Dampfhämmern, Löffelbaggern, Betonmischmaschinen, Elektromotoren, Pumpen, Winden, Schrägaufzügen, Kränen, Fördereimern, Förderbändern, Loren, Ventilatoren, Steinbrechern, Schotterwaschanlagen, Schottersortieranlagen, Schweißgeräten, Kreissägen, Werkbänken und Kleinwerkzeug. 290 Ein Teil davon war importiert worden, zum Beispiel Dampframmen der Firma Menk & Hambroch, Kräne der Firma Maschinen- und Kranbau (Düsseldorf), kleine amerikanische und englische Löffelbagger, Schrägaufzüge der Firma Kaiser, Kompressoren der Firma Demag. Manche importierte Ausrüstungen erwiesen sich unter den Moskauer Bedingungen als unbrauchbar, weil sie eine exakte Einstellung verlangten, so die in Deutschland üblichen Zentrifugal- und Tiefwasserpumpen. Die sowjetischen Ingenieure konstruierten als Ersatz eine sehr einfache Kolbenpumpe, die gut funktionierte. In Ermangelung eiserner Filterrohre setzten sie aus Holzlatten grobe Filter zusammen, was vermutlich eine der Ursachen für Bodenabsenkungen war, weil zusammen mit dem Wasser zu viel Erdreich abgepumpt wurde. Die Betonmischmaschinen waren überwiegend sowjetischer Herkunft, aber deutschen Modellen nachgeahmt. Die vertikalen Erdbewegungen erfolgten nur zum geringeren Teil über Schrägaufzüge. Meist war das zu kompliziert, und man stellte im Abstand von zehn Metern einfache Schwenkkräne auf, die Fördereimer mit 300 bis 400 Liter Erde hochzogen. Zu den Fördereimern wurde die Erde mit Schubkarren
288 Sten. Beratung bei Kaganovic, 15.11.1933. RGASPI 81/3/199, Bl. 93-101. Bericht der Ginzburg-Kommission über den Stand der Arbeiten bei Metrostroj, Oktober 1933. RGASPI 81/3/200, Bl. 12-13. Vgl. Sten. Gespräch mit Max Mielke, Arbeiter beim Schacht 22, 11.11.1934. GARF R-7952/7/305, Bl. 28. 289 Sten. Gespräch mit Levcenko, Leiter von Metrosnab, 20.11.1934. GARF R-7952/7/ 304, Bl. 97-98. 290 Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle bei MK VKP(b). Übersicht über die vorhandene Ausrüstung bei den Schächten 15, 16-17, beim Arbat-Radius, bei der Distanz 4, Oktober 1934. CGAMO 792/5/31, Bl. 18-20, 25, 55-58. Vgl. Deutsche Botschaft Moskau. Aufzeichnung des Konsulatssekretärs Deppe über den Moskauer Untergrundbahnbau, 21.6.1934. PA AA, R 94567.
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herangefahren.291 Der Betontransport erfolgte in Loren. Eine deutsche Betonpumpe wurde erprobt, aber wegen des hohen Preises wieder zurückgeschickt.292 Mit viel Einfallsreichtum und Improvisation wurden bei den Schächten und Distanzen behelfsmäßige Geräte und Maschinen gebastelt.293 Vielfach mußten auf den Baustellen mechanisierungsfeindliche Einstellungen von Arbeitern und Ingenieuren überwunden werden, die Handarbeit und einfache Geräte gegenüber komplizierten Maschinen bevorzugten und letztere nicht richtig ausnutzten.294 Im Sommer und Herbst 1934 durchgeführte Überprüfungen ergaben, daß Ausrüstungen und Baumaterial bei vielen Baustellen nach wie vor unter freiem Himmel lagerten, so daß das Eisen verrostete und der Zement naß wurde. Nur mit Mühe konnten die Arbeiter zu mehr Sorgfalt veranlaßt werden.295 Die Qualität der gelieferten Baumaterialien (Zement, Isolierungspappen, Schotter) war ebenfalls schlecht.296 Der Schriftsteller Boris Pil'njak, der im Auftrag der Redaktion „Geschichte der Fabriken und Werke" Interviews mit Metrobauern führte, gebrauchte wiederholt den Begriff „asiatische Methoden", um die Arbeitsweise von Metrostroj zu charakterisieren. Er zitierte damit einen Volkskommissar, der im Herbst 1934 die Baustelle besichtigt hatte.297 Andere (sowjetische) Beobachter meinten, beim Bau der Metro würde gearbeitet wie im alten Ägypten. Auf solche Äußerungen angesprochen, bekannten sich manche Ingenieure sogar zu dieser Arbeitsweise: Sie liege nicht immer daran, daß Maschinen und Geräte fehlten, sondern daß letztere mit dem Enthusiasmus der Komsomolzen nicht mithalten könnten. Manche Maschinen habe man zwei Tage benutzt, bis sich herausstellte, daß die Komsomolzen in Handarbeit mehr leisteten als die importierte Maschine.298 „Wir setzen auf
291 Aufzeichnung des Konsulatssekretärs Deppe, 21.6.1934. PA AA, R 94567. 292 Sten. Gespräch mit Ing. Gurov, Leiter der 3. Distanz. GARF R-7952/7/300, Bl. 191. 293 Desgl. mit dem Techniker Otanezov, Schacht 29, 27.4.1934. GARF R-7952/7/271, Bl. 119, 127. 294 Vgl. Sten. Treffen der Stoßarbeiter des Arbat-Radius, 20.3.1934. CMAM 665/1/158, Bl. 4. 295 Vgl. Komsomolsekretär des Schachtes 15-17 an die Kommission für Sowjetkontrolle beim SNK SSSR, 25.7.1934. CGAMO 792/5/88, Bl. 24. Vgl. Entwurf einer Resolution der Gruppe fur Partei- und Sowjetkontrolle beim MK VKP(b), 2.10.1934. CGAMO 792/5/88, Bl. 1. Vgl. Sojfer an Kaganovid, Vorläufiger Bericht über die Erfüllung der Beschlüsse von MK VKP(b) über die Qualität, 15.7.1934. RGASPI 81/3/204, Bl. 70-72. - Zu den Bemühungen der Parteiführung, die Qualität der Bauarbeiten zu verbessern, siehe Kap. VI. 7. 296 Ing. Klimov. Bericht über die Erfüllung des Beschlusses von MGK und Mossovet vom 27.6.1934, 1.8.1934. CMAM 665/1/125, Bl. 26-30. Desgl., 16.8.1934. Ebd., Bl. 31-35. 297 Sten. Gespräch mit Ing. Ermolaev, Leiter des Schachtes 9-9bis, 17.11.1934. GARF R-7952/7/301, Bl. 19. Vgl. desgl. mit Ing. Gurov, Leiter der 3. Distanz. GARF R-7952/7/300, Bl. 191. 298 Desgl. mit Kuznecov, Beauftragter bei Metrostroj für Kaderangelegenheiten, 20.11.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 52-53.
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die Zahl der Menschen, ihre Kraft und ihren Enthusiasmus", lautete die Quintessenz dieser Einstellung.299 Ausrüstungen und Baumaterialien wurden, wie in der Sowjetunion üblich, nicht immer auf offiziellem Wege beschafft, sondern des öfteren „organisiert". Es gab verschiedene Formen des „Organisierens". Der Leiter der Beschaffungsabteilung etwa schickte seine Leute aus, um bei anderen Baustellen in Moskau und Umgebung überzählige Ausrüstungen zu kaufen oder zu mieten. Auf diese Weise erhielt Metrostroj mehr Ausrüstungen als auf dem normalen Zuteilungsweg.300 Bevor Ingenieur Kucerenko seine Caissonmethode anwenden konnte, mußte er nach Weißrußland fahren, um dort Caissonausrüstung aufzutreiben. Nach einem Monat kehrte er mit vier Schleusen und acht Kompressoren nach Moskau zurück.301 Die Kompressoren waren aber nicht stark genug. Also schickte das Parteikomitee der Caissongruppe Komsomolzen-„Schlepptaubrigaden" [buksirnye brigady] nach Char'kov, Voronez, Jaroslavl' und Makeevka (im Donecbecken). Aus Makeevka kamen sie mit starken Kompressoren zurück, aus Voronez und Jaroslavl' mit fünf ausrangierten Dampflokomotiven, die nicht mehr verkehrstüchtig waren, aber noch als Dampfkessel für die Kompressoren taugten. Nachdem man sich an alle möglichen Eisenbahnverwaltungen gewandt und eine Delegation zum Verkehrskommissar Andreev geschickt hatte, ließ sich sogar die außerplanmäßige Reparatur dieser Lokomotiven in der Voronezer Lokomotivfabrik einrichten.302 Die Lokomotiven wurden bei den Schächten als Dampfkessel aufgestellt.303 In den Zementfabriken von Novorossijsk wurden Komsomolposten errichtet, die die Produktion für Metrostroj überwachten. Auf den nach Moskau führenden Eisenbahnen sorgten Komsomolbrigaden für einen reibungslosen Zugverkehr.304 Als im Oktober 1934 infolge ausbleibender Zementlieferungen der Bau stockte, schickte Chruscev zwei Parteifunktionäre nach Vol'sk und Novorossijsk, um die Verladung des Zements zu beschleunigen. Der stellvertretende Leiter von Metrostroj, Ajngorn, fuhr selbst nach Amvrosievka ins Donecbecken zur dortigen Zementfabrik. Komsomolzen kümmerten sich bei den Zementfabriken und Bahnhöfen um eine rasche Abwicklung. Die Waggons mit der Aufschrift „Zement für die Metro" erreichten Moskau in fünf Tagen, während sie sonst aus Novorossijsk
299 Desgl. mit Ing. Ermolaev, Leiter des Schachtes 9-9bis, 17.11.1934. GARF R-7952/7/ 301, Bl. 20. 300 Desgl. mit Levöenko, Leiter von Metrosnab, 20.11.1934. GARF R-7952/7/304, Bl. 112. 301 Desgl. mit Ing. Kucerenko, 20.10.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 199. 302 Desgl. mit dem Parteisekretär Udalych, Caissonkontor, 26.8.1934. GARF R-7952/7/ 243, Bl. 8-9. Desgl. mit dem Parteisekretär Kopejkin, Caissonkontor, 28.3.1935. GARF R-7952/ 7/303, Bl. 27-28. 303 Deutsche Botschaft Moskau. Aufzeichnung des Konsulatssekretärs Deppe über den Moskauer Untergrundbahnbau, 21.6.1934. PA AA, R 94567. 304 Kak my stroili 1935, S. 684.
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zwei Wochen unterwegs waren.305 Manchmal mußte auch die Leitung des eigenen Unternehmens unter Druck gesetzt werden: Als den Arbeitern beim Schacht 15 der Zement ausging, marschierten sie auf Anordnung ihres Parteisekretärs mitten in der Nacht zur Privatwohnung Abakumovs und erreichten, daß er ihnen sofort zehn Tonnen Zement zustellen ließ, obwohl die Lage bei den übrigen Schächten nicht besser war.306 Im März 1934 brauchte Metrostroj dringend Holz. Im Hafen von Archangel'sk stapelten sich riesige Holzbestände, deren Verladung auf die Eisenbahn nicht vorankam. Telegramme blieben ergebnislos. Daraufhin brachen zweihundert Komsomolzen von Metrostroj nach Archangel'sk auf, um selbst Hand anzulegen. Innerhalb eines Monats beluden sie 3.500 Waggons mit Baumstämmen und brachen damit alle Rekorde der dortigen Verladearbeiter.307 Insgesamt belieferten mehr als fünfhundert Fabriken in der ganzen Sowjetunion den Bau der Metro. In Moskau trafen fur den Metrobau insgesamt mehr als 150.000 Waggonladungen ein, zu Spitzenzeiten mehr als 1.200 am Tag.308 Mit den Arbeitern mancher Fabriken wurden förmlich „sozialistische Verträge" abgeschlossen, um die fristgerechte Lieferung bestellter Güter sicherzustellen oder Metrostroj auf andere Weise zu unterstützen.309 Das „Organisieren" konnte auch kriminelle Züge annehmen. Ein Brigadier erzählte, daß sich die Männer seiner Brigade im Frühjahr 1934 eine Zeitlang immer zwei Stunden vor Arbeitsbeginn trafen und die umliegenden Höfe, Straßen und anderen Schächte nach Brettern durchkämmten. Die Miliz ließ sie dabei gewähren.310 Parteisekretär Udalych rühmte sich, eine große Ikone aus der abgerissenen Kirche bei der Lubjanka fur die Betonverschalung verwendet zu haben.311 Auch Ausrüstungen wurden in der Anfangszeit auf solche Weise bei anderen Baustellen besorgt. „Wir stahlen alles, was uns in die Hände geriet", berichtete Chefingenieur Stekler und erklärte damit auf entwaffnende Weise die Vielfalt und Uneinheitlichkeit der Geräte.312
305 Ajngorn, stv. Leiter von Metrostroj. In: Rasskazy 1935, S. 411-412. - Die Entsendung von „Schlepptaubrigaden" oder „Förderern" [tolkaci], die sich um die Erfüllung von Lieferungen oder das Auftreiben von knappen Gütern kümmerten, war - obwohl seit Januar 1933 verboten - eine beliebte Praxis der ersten Fünfjahrespläne. Im Zentralhotel von Magnitogorsk wohnten 1936 mehr als fünfzig solcher „Förderer". (Kotkin 1995, S. 65). 306 Sten. Gespräch mit dem Brigadier Zdorovichin, Schacht 15, 4.10.1934. GARF R-7952/ 7/301, Bl. 141. Desgl. mit dem Parteisekretär Levitas, 20.11.1934. GARF R-7952/7/304, Bl. 82-83. 307 Kartalov, N.: Ostrov Turdeev. Manuskript. GARF R-7952/7/406, Bl. 1-19. 308 Ajngorn, stv. Leiter von Metrostroj. In: Rasskazy 1935, S. 411-412. 309 Vgl. Sten. Gespräch mit dem Brigadier Bakulin, 8. Distanz, 24.3.1935. GARF R-7952/ 7/341, Bl. 150-151. 310 Desgl. mit dem Brigadier Cholod, Schacht 7-8. GARF R-7952/7/295, Bl. 182. 311 Desgl. mit dem Parteisekretär Udalych, Caissonkontor, 26.8.1934. GARF R-7952/7/ 243, Bl. 5. - Ein Unbekannter hatte zuvor die Ikone auf dem Dach des Kontors aufgestellt. Udalych ließ sie daraufhin entfernen und einbetonieren. 312 Desgl. mit Chefingenieur Stekler, 17.11.1934. GARF R-7952/7/308, Bl. 169.
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Die Durchführung des Baus 1 9 3 1 - 1 9 3 5
Der Gesamtumfang der für die erste Baufolge verbrauchten Baumaterialien war gewaltig: 90.000 Tonnen Metall, 590.000 Kubikmeter Holz, 320.000 Tonnen Zement, 970.000 Kubikmeter Schotter und Bruchsteine, 305.000 Rollen Isoliermaterial. Zusammen mit dem Erdaushub summierte sich das auf 15,5 Millionen Tonnen, die zu oder von den Schächten transportiert werden mußten.313 In den ersten beiden Jahren waren die Metrostroj zur Verfugung stehenden Transportmittel unzureichend. Mit den eigenen Lastwagen und Pferdefuhrwerken kam Metrostroj nicht aus.314 Zudem stellten die Kontrollorgane 1933 fest, daß das Transportwesen von Metrostroj äußerst unwirtschaftlich arbeitete. Obwohl Metrostroj neue Lastkraftwagen erhalten hatte, waren zu Beginn des Jahres 1933 schon vierzig Prozent ausgefallen, weil sie den Winter über im Freien gestanden hatten und nicht gewartet worden waren. Die funktionsfähigen Lastwagen wurden unökonomisch eingesetzt, so daß sich bei den Schächten Berge von Aushubmaterial türmten.315 Im Juli 1933 erhielt Metrostroj rund fünfzig Last-Straßenbahnzüge für den Abtransport des Aushubmaterials zugeteilt. Zu den Schächten und Distanzen wurden Straßenbahngleise verlegt.316 Im Oktober 1933 stockte die Schotterzuführ, weil der Steinbruch bei Venev317 keinen Eisenbahnanschluß hatte. Die Eisenbahnbauverwaltung hatte in eineinhalb Jahren Bauzeit erst zwei Kilometer Gleise verlegt und veranschlagte für die restlichen fünf Kilometer noch sieben Monate. Die Komsomolorganisation von Metrostroj entsandte 500 Mann, die in nur zwanzig Tagen die Bahnlinie fertigstellten.318 Im November 1933 verpflichtete der Rat der Volkskommissare alle Moskauer Institutionen und Unternehmen, die Lastkraftwagen besaßen, an zwei Tagen im Monat für Metrostroj Erdaushub abzutransportieren.319 Während die Aushubhalden im April 1934 den stattlichen Umfang von 80.000 Kubikmetern erreichten, verfügte die Transportleitung von Metrostroj nur über 280 eigene und 350 gemietete und abgeordnete Lastwagen, die alles andere als effektiv eingesetzt wurden. Aufgrund mangelnder Wartung waren die meisten gar nicht mehr fahrtüchtig. Im April 1934 wurde die Transportleitung umgegliedert und der Fuhrpark auf 700 eigene Lastkraftwagen aufgestockt. Damit hatte Metrostroj den größten Fuhrpark der Sowjetunion. Er umfaßte auch Fon&on-Traktoren, die wegen ihres Aussehens als „Tulaer Samoware" verlacht wurden, aber gute 313 Schlußakte der Regierangskommission zur Abnahme der Metro, o.D. [Ende April 1935], GARF R-5446/40/17, Bl. 83. 314 Vgl. Resolution der Beratung bei der Leitung von Metrostroj, 20.3.1932. CMAM 665/1/14, Bl. 30-31. Desgl., 21.12.1932, Ebd., Bl. 114. Vgl. Bericht Roterts auf dem Treffen der Stoßarbeiter, 1.1.1933. GARF R-7952/7/272, Bl. 76-77. 315 MGKK RKI. Der Bau der Untergrundbahn. Aktennotiz, o.D. [November 1933], CMAM 1289/1/672, Bl. 41. 316 MGKK. Bericht über den Ersatz von 150 Lastwagen durch Straßenbahnen, 16.7.1933. CMAM 1289/1/679, Bl. 34. 317 150 Kilometer südlich von Moskau, zwischen Tula und Rjazan'. 318 Taranov 1976, S. 298. 319 SNK SSSR. Verordnung 2470, 13.11.1933. GARF R-5446/12/96, Bl. 43.
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Arbeit leisteten. Auf Anregung von Kaganovic wurde zu den zwei vorhandenen eine dritte Autobasis gegründet. Als Fahrer zog man die Teilnehmer der Karakumund Balchas-Rallye heran, die 1933 unter dem Beifall der sowjetischen Presse die Leistungsfähigkeit sowjetischer Automobile bewiesen hatten. Die Organisation der Transportwirtschaft war jedoch weiterhin schlecht. Die meisten Schächte und Distanzen waren nicht fähig, die Transportmittel richtig einzusetzen.320 Mit dem Aushubmaterial wurden die Baustelle der Stalin-Automobilfabrik (AMO-ZIS) und der Bauplatz für das Haus der Technik auf den Leninbergen aufgeschüttet, im Stalin-Rayon ein als Malariaherd berüchtigter Teich zugeschüttet.321 Eine herausragende Rolle spielte die Beschaffung der Vortriebsschilde, der Rolltreppen und der Metrogarnituren. Ende 1932 orderte Metrostroj bei der Firma Markham & Co in Chesterfield einen Schild vom Typ Greathead. Im Februar und März 1933 wurde der Schacht 12 unter dem Sverdlovplatz [Theaterplatz] angelegt, wo der Schild eingesetzt werden sollte. Ab März 1933 trafen aus England die Bauteile des Schildes ein.322 Er wurde von Komsomolzen unter der Aufsicht englischer Fachleute neben der Chinesischen Mauer [Kitajgorodskaja stena] auf dem Revolutionsplatz montiert.323 Chruscev regte an, den Schild in sowjetischen Fabriken nachzubauen. Man zerlegte ihn wieder und fertigte von allen Details Zeichnungen an. Mit der Leitung über die Herstellung der Teile des Schilds in sowjetischen Fabriken wurde im Juni 1934 der Stahlbautrust Sojuzstal'most beauftragt.324 Die beteiligten Betriebe betrachteten das Unterfangen zunächst als abenteuerlich und mußten unter Einschaltung des Moskauer Parteikomitees unter Druck gesetzt werden, damit sie ernsthaft an die Produktion der bei ihnen bestellten Teile gingen. Von Januar bis März 1934 wurde der sowjetische Schild in der Fabrik Serp i molot [Hammer und Sichel] fertiggestellt und zum Schacht 12 gebracht.325 Dort war Ende Februar, Anfang März 1934 der englische Schild unter der Leitung englischer Ingenieure an seinem Einsatzort unter Tage montiert und am 17.3.1934 in Betrieb genom-
320 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Zlotin, Transportleitung von Metrostroj. GARF R-7952/7/301, Bl. 100-108. 321 Ebd., Bl. 111. 322 Ing. Suvorov, stv. Leiter des Schachtes 12. Autobiographie. GARF R-7952/7/320, Bl. 19-20. 323 Sokol'skij 1993, S. 48. - Der Komsomolsekretär des Schachtes 12 erinnert sich demgegenüber, die Teile wären ohne Zeichnungen und ohne die versprochenen Fachleute aus England eingetroffen und man hätte den Schild ohne fremde Hilfe montieren müssen. (Ejdman 1986, S. 215). 324 Vollzugskommission beim Stadtexekutivkomitee und Mossovet. Prot. 23, 17.12.1933. CMAM 665/1/43. 325 Sten. Gespräch mit Ing. Beljaev, Leiter des Schildbüros von Metrostroj, 5.2.1935. GARF R-7952/7/310, Bl. 157, 175-181.
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Die Durchführung des Baus 1931-1935
men worden. Ab Mitte April wurde dann auch der sowjetische Schild montiert und am 1.5.1934 in Betrieb genommen.326 Der sowjetische Schild war eine genaue Kopie des englischen, mit einer Ausnahme: Der Antrieb des englischen Schilds erfolgte pneumatisch, der des sowjetischen elektrisch. Ursprüngliche Befürchtungen, daß die Elektromotoren den Belastungen und der Feuchtigkeit nicht standhalten würden, bewahrheiteten sich nicht. Der Schild bewährte sich in der Praxis so hervorragend,327 daß für die weiteren Baufolgen ab 1935 überwiegend der Schildvortrieb angewandt wurde.328 Rolltreppen waren in den dreißiger Jahren eine neue Technologie. Die erste war 1900 bei der Pariser Weltausstellung gezeigt worden. In Deutschland waren sie seit 1925 in Gebrauch. Bei einer Untergrundbahn fanden sie zum ersten Mal 1932 in London Verwendung. Es gab weltweit nur zwei Hersteller: Otis Elevator Company (London) und die zum Demag-Konzern gehörende Firma Karl Flohr (Deutschland). Die Hersteller hatten aus Wettbewerbsgründen nichts über die Konstruktionen publiziert.329 Die Ingenieure von Metrostroj nahmen 1933 mit den Firmen Kontakt auf und weckten Hoffnungen auf eine große Bestellung. Sie dehnten die Verhandlungen künstlich über Monate aus, um aus den Firmen möglichst viele technische Informationen herauszuholen. Aus den bruchstückhaft preisgegebenen Konstruktionsdetails setzten die Russen dann die Rolltreppen wie ein Puzzle zusammen. Man hatte aber Zweifel, ob der Bau allein auf der Grundlage von Zeichnungen gelingen werde und wollte eine Rolltreppe kaufen und dann nachbauen. Die Firma Otis durchschaute die Absicht und verlangte für eine einzige Rolltreppe denselben Preis wie für zwölf. Auch die Firma Flohr fühlte sich unfair behandelt und wurde deshalb beim sowjetischen Handelsvertreter in Berlin vorstellig.330 Im Februar 1934 schloß Metrostroj einen Vertrag mit der Leningrader Fabrik Krasnyj metallist [Roter Metaller] über den Bau von achtzehn und mit der Moskauer Fabrik Krasnyj pod"emnik [Roter Aufzug, vormals Alfred Gutmann] über den Bau von sechs Rolltreppen.331 Metrostroj versuchte noch einmal, die Technologie aus dem Westen kostengünstig zu besorgen und verhandelte über den Erwerb der technischen Pläne. Flohr bot sie für 500.000 Goldmark an, was die Sowjets aber nicht zahlen wollten. 326 Ebd., Bl. 158. Ing. Suvorov, stv. Leiter des Schachtes 12. Autobiographie. GARF R-7952/7/320, Bl. 21-22. 327 Sten. Gespräch mit Solov'ev, Leiter des sowjetischen Schildes, 1.12.1934. GARF R7952/7/308, Bl. 196. 328 Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 12, 11.7.1934. CAODM 3/24/71, Bl. 177-178. 329 Die Informationen über die Rolltreppen habe ich übernommen aus Wolf 1994, S. 312— 320, der hierzu zusätzlich zu russischen Quellen auch Akten aus dem Foreign Office ausgewertet hat. 330 Deutsche Botschaft Moskau. Der Moskauer Untergrundbahnbau. Aufzeichnung des Konsulatssekretärs Deppe, 21.6.1934. PA AA, R 94567. 331 Kak my stroili 1935, S. 641. Vgl. Deutsche Botschaft Moskau an das Auswärtige Amt, 15.10.1934. PA AA, R 94567.
Ausrüstungen, Baumaterialien und das Transportproblem
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Mit größter Mühe gelang es den Russen, die Rolltreppen zu konstruieren. Die Montage erfolgte in höchster Eile im Dezember 1934 und Januar 1935, ohne daß man die Einzelteile vorher hatte erproben können. Die Montage wurde Tag und Nacht von Chruscev überwacht.332 In der Konstruktion hatten die Russen die westliche Technik kopiert, in den Dimensionen hatten sie sie übertroffen: Die Rolltreppen der Station „Kirovskaja" waren mit sechzig Meter die längsten und schnellsten der Welt.333 Auch bezüglich der Zuggarnituren erwog man, einige Waggons im Ausland zu kaufen, um sie nachzubauen. Im Zuge der Erstellung ihrer Expertise schlug die Firma Siemens 1932 in der Hoffnung auf einen größeren Auftrag vor, kostenlos einen Waggon zur Ansicht nach Moskau zu schicken. Metrostroj kaufte jedoch keinen Waggon,334 sondern beauftragte die Waggonbaufabrik in Mytisci bei Moskau mit der Konstruktion der Karosserie, des Fahrgestells und der Innenausstattung der Waggons.335 Die Fabrik Dinamo in Moskau baute nach ausländischen Vorbildern die Elektroausrüstungen der Zuggarnituren.336 Beide Fabriken hatten Probleme: Die erste Serie von Elektromotoren, die Dinamo im Herbst 1934 erprobte, erzielte nicht die gewünschte Leistung. Bis Anfang 1935 mußten neue Motoren konstruiert werden.337 Der Waggonbaufabrik in Mytisci mußte das Moskauer Parteikomitee mit der Mobilisierung von 630 Arbeitern aus Moskauer Betrieben und der Zuteilung erhöhter Lebensmittelrationen unter die Arme greifen, damit die Waggons fristgerecht fertig wurden.338 Als die Fabrik den Prototyp des Waggons vorstellte, nannten ihn die Leute von Metrostroj „vierte Klasse". Kaganovic ordnete an, daß der Waggon geschweißt statt genietet sowie mit gepolsterten Sitzen und automatischen Türen ausgestattet werde. Nach mehrmaligen Interventionen der Partei war die erste Zuggarnitur am 13.10.1934 fertig und konnte am 15.10.1934 im Tunnel erprobt werden.339
332 Vgl. Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 22, 15.12.1934. CAODM 3/24/72, Bl. 157158. 333 Wolf 1994, S. 320. 334 Vgl. Sten. Gespräch mit Ing. Katcen, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314. - Wolf 1994, S. 98 interpretiert diese Quelle so, als wäre die Ansichtslieferung erfolgt und die Russen hätten Gelegenheit gehabt, den Waggon zu kopieren. Das geht aus Katcens Aussage allerdings nicht hervor. Im Siemens-Archiv sind zum Engagement der Firma bei der Moskauer Untergrundbahn außer dem Gutachten von 1932 leider keine Akten erhalten. (Auskunft vom 24.10.1997). 335 Sten. Gespräch mit TolCinskij, technischer Direktor der Fabrik Dinamo, 18.10.1934. GARF R-7952/7/307, Bl. 140-141. 336 Desgl. mit Zukov, Direktor der Fabrik Dinamo, 18.11.1934. GARF R-7952/7/301, Bl. 74. 337 Desgl. mit Tolcinskij, Bl. 142-143. 338 Kommission des MK VKP(b) für die Forcierung der Erzeugung der Waggons für die Metro im Werk Myti56i. Prot., 13.6.1934. CAODM 3/24/71, Bl. 139-148. 339 Sten. Gespräch mit Starostin, Parteiorganisator von Metrostroj. GARF R-7952/7/319, Bl. 17-18. Desgl. mit Toliinskij, Bl. 142. - Sämtliche Waggontypen der Moskauer Untergrundbahn, die seit 1934 im Einsatz waren, sind auf der Internetseite der Moskauer Metro abgebildet: http://www.metro.ru:8080/cars/[20.12.2000].
III. H E R K U N F T , L E B E N S - U N D DER
ARBEITSBEDINGUNGEN
METROBAUER
„MM OT , E o p u a \ ΟΤ ,CTaHKOJiHTa',
C ,BoraTbipa' ciofla nprnmiH; MeM Harne BpeMH 3HaMCHHTO M b l Bee C C060K) npHHCCJIH."
Grigorij Kostrov 1 „ B 6apaKe n o e c i o a y TaKaa rpa3b,
Kaxas BO cHe Η TO He npHCHHTC« A KOMeH^aHT 3a»BJweT CMeflCb: - H e r o Bbi xoTHTe, y M e r a He 6 o J i b H H u a . "
Vasilij Lebedev-Kumaö 2
1. D i e A n w e r b u n g u n d E i n s t e l l u n g d e r A r b e i t e r Der erste Fünfjahresplan erzeugte einen großen Arbeitskräftemangel in der Industrie und auf den Baustellen. Ende 1930 waren alle registrierten Arbeitslosen in die Produktion einbezogen, und die ländlichen Arbeitskräftereserven, die auf fünf bis dreißig Millionen Menschen geschätzt wurden, mußten erschlossen werden. 3 Dabei erwiesen sich j e d o c h die Organe des Volkskommissariats fur Arbeit als ineffizient und überfordert. Entwurzelt durch die gleichzeitig ablaufende Kollektivierung der Landwirtschaft, strömte die ländliche Bevölkerung ungeregelt in die
1 Grigorij Kostrov [Vortriebshauer beim Schacht 13-14]: Vers aus dem Gedicht „Komsomol'skaja".- In: Udarnik Metrostroja, Sondernummer, 23.3.1935. - Übersetzung: „Wir kamen von [den Fabriken] .Kämpfer', ,Werkzeugguß', / ,Hüne' hierher. / Das, wofür unsere Zeit berühmt ist, / haben wir alles mit uns gebracht." - Zu Kostrov vgl. Kap. V.4.C. 2 Vasilij Lebedev-Kumac: Vers in Udarnik Metrostroja Nr. 108, 12.5.1934, S. 3. - Übersetzung: „In der Baracke ist überall solcher Dreck, / wie man ihn sich im Traum nicht vorstellen kann. / Und der Kommandant erklärt lachend: / - Was wollt ihr, das ist kein Krankenhaus."Vasilij Ivanovii Lebedev-Kumac (1898-1949) arbeitete als Satiriker bei verschiedenen Zeitungen und wurde als Textdichter populärer Lieder bekannt. Von ihm stammt zum Beispiel der Text zur inoffiziellen Hymne „Siroka strana moja rodnaja" [„Weit ist mein Heimatland"]. 1934 war er bei Metrostroj tätig und schrieb für den Udarnik Metrostroja eine Reihe von Gedichten. 3 Straus 1991, S. 74.
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Herkunft, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Metrobauer
Städte. 1930 berichtete die Baugewerkschaft, daß 400.000 Saisonarbeiter aus den Dörfern in die Städte des Moskauer Gebietes gekommen waren. Massenhaft trafen sie im Frühjahr 1930 auf den Moskauer Bahnhöfen ein. Zusätzlich angefacht wurde diese Migration durch Werbekolonnen der Großbaustellen und neuen Fabriken, die ins Umland ausschwärmten.4 Die Kolchosen, denen die Leute buchstäblich von den Feldern davonliefen oder abgeworben wurden, wehrten sich. Werber wurden feindselig behandelt, manchmal verhaftet. Kolchosbauern mußten mit einer Strafe durch die Kolchosleitung rechnen, wenn sie ohne Erlaubnis die Kolchose verließen. Die Praxis, daß ihnen die Kolchose dreißig bis fünfzig Prozent des auswärts verdienten Lohnes abnahm und ihren Anteil an der Ernte verringerte, wurde im Februar 1930 vom Politbüro sanktioniert. Einen Monat später bestätigte jedoch der Rat der Volkskommissare das Recht der Kolchosbauern, zur Arbeit in die Stadt zu gehen.5 Die durch die konkurrierenden Interessen von Landwirtschaft und Industrie bedingten Widersprüche in der Politik wurden erst im Juni 1931 von der Parteispitze geregelt. Der Arbeitskräftemangel der Industrie hatte sich inzwischen weiter verschärft. In seinen vielzitierten „Sechs Bedingungen für den wirtschaftlichen Aufbau", die Stalin am 23.6.1931 in einer Rede vor Wirtschaftsfunktionären formulierte, und die für die folgenden Jahre als Richtschnur dienten, räumte Stalin dem Arbeitskräftebedarf der Fabriken und Baustellen Vorrang vor den Interessen der Kolchosen ein. In einem seiner sechs Punkte forderte er, mit den Kolchosen Verträge zu schließen, um auf diese Weise eine organisierte Anwerbung [orgnabor] von Arbeitskräften zu betreiben.6 Damit sollte die traditionelle Form des Saisonarbeitertums [otchodnicestvo]7 in geordnete Bahnen gelenkt und für den Industrieaufbau nutzbar gemacht werden. Am 30.6.1931 erließ die Regierung ein entsprechendes Dekret zur Regelung des otchodnicestvo: Angeworben werden durften nur Knechte, Kolchosbauern, Klein- und Mittelbauern, aber keine „Kulakenelemente".8 Die Listen der Anzuwerbenden mußten von den gesellschaftlichen Organisationen (Partei, Gewerkschaft, Komsomol) des Dorfes bestätigt werden. Die Familienmitglieder der Angeworbenen sollten alle ihre Rechte und Pflichten in der Kolchose behalten. Die
4 Hoffmann 1994, S. 4 6 ^ 7 . 5 Ebd., S. 47-48. 6 Ebd., S. 48. Vgl. Straus 1991, S. 63, 75. - Die übrigen fünf Bedingungen Stalins lauteten kurz zusammengefaßt: Liquidierung des Fehlens persönlicher Verantwortung, Liquidierung der Gleichmacherei in der Organisation und Bezahlung der Arbeit (Lohndifferenzierung, siehe Kapitel III.6), Ausbildung einer neuen technischen Intelligenz, Integration der „bürgerlichen" Spezialisten, Einfuhrung des Rentabilitätsprinzips [chozrascet]. (Stalin: Werke, Bd. 13, S. 47-72). 7 Wörtlich „Weggehen", gemeint ist das saisonale Verlassen des Dorfes zur auswärtigen Arbeit. 8 Kulak [wörtlich Faust] war seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die negativ belegte Bezeichnung für wohlhabende Bauern. Von den Bolschewiki wurde der Begriff auf alle Bauern ausgedehnt, die Lohnarbeiter beschäftigten. Im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft wurden die Kulaken enteignet, entrechtet und deportiert.
Die Anwerbung und Einstellung der Arbeiter
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Angeworbenen selbst wurden von den Kolchosabgaben befreit, hatten aber weiterhin Anspruch auf ihren Anteil an der Ernte. Wenn sie allerdings vor dem Auslaufen des Vertrages die Fabrik oder die Baustelle verließen, verloren sie diese Privilegien. Die anwerbenden Organisationen wurden verpflichtet, den Leuten Wohnraum und Verpflegung zu stellen und ihnen die An- und Abreise zu bezahlen. Damit die neue Regelung nicht völlig einseitig zu Lasten der Kolchosen ausfiel, wurde letzteren materieller Ausgleich versprochen. Zum einen mußten sich die Unternehmen in den Verträgen mit den Kolchosen verpflichten, ihnen mit technischer Hilfe oder anderwärtig unter die Arme zu greifen. Zum anderen sollten die Republikbehörden diejenigen Kolchosen, die eine große Zahl von Arbeitskräften für die Industrie abstellten, bei der Zuteilung von Maschinen sowie bei der Einrichtung von Schulen, Kindergärten und sonstiger Infrastruktur bevorzugen.9 In der Folge wurden zahlreiche derartige Verträge zwischen Unternehmen und Kolchosen geschlossen, aber auch oft genug von beiden Seiten gebrochen. Die Betriebe schickten ein Heer von Werbern aufs Land, die den Bauern hohe Löhne versprachen und sie betrunken machten, damit sie unterschrieben. Wenn sich die Kolchose weigerte, einen Vertrag abzuschließen, wandten sich die Werber den nichtkollektivierten Bauern zu, derer es nach den Kolchosaustritten von 1930 wieder viele gab. Prinzipiell bekam man jedoch mit dem Konzept der organisierten Anwerbung das Phänomen des otchodnicestvo nicht in den Griff. Die Masse der Arbeiter verließ weiterhin auf eigene Faust das Dorf, um in der Stadt Arbeit zu finden, und die Kolchosleiter waren dagegen machtlos.10 Die Lebensbedingungen in den Dörfern waren so miserabel, daß sich die Bauern durch den drohenden Verlust ihrer Ansprüche in der Kolchose nicht vom Weggehen abhalten ließen. Detaillierte Pläne für die Anwerbung von Arbeitskräften, abgestimmt auf den Bedarf an einzelnen Qualifikationen, auf soziale Zielgruppen und Regionen, wie sie manche Betriebe erstellten, erwiesen sich schnell als Makulatur. Die überwiegende Mehrheit der neuen Arbeiter in den Betrieben wurde nicht im Rahmen von orgnabor, sondern, wie es in den Quellen heißt, „am Fabriktor" eingestellt." In Magnitogorsk machten etwa die in organisierter Form angeworbenen Arbeiter nur im Jahre 1931 vorübergehend 48 Prozent aller Neuzugänge aus. 1932 sank ihr Anteil auf 29 Prozent, 1933 auf 24 Prozent.12 Bei der Fabrik Serp i molot in Moskau erschienen 1931 täglich zwanzig bis dreißig Arbeiter, meist ehemalige Bauern, die eine Anstellung suchten.13 Die Praxis der Betriebe, Arbeiter individuell
9 CIK. und SNK SSSR. Resolution, 30.6.1931. In: Sbornik vaznejäich postanovlenij po trudu 1932, S. 125-127. 10 Hoffmann 1994, S. 48-51. 11 Straus 1991, S. 80, 203. 12 Kotkin 1995, S. 80. 13 Filatov 1931, S. 37.
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Herkunft, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Metrobauer
oder in Gruppen „am Fabriktor" einzustellen, wurde durch ein Gesetz vom 13.9.1931 sanktioniert.14 Eine große Rolle bei der Arbeitsmigration spielten außerdem die Arteis [arteli] und das zemljacestvo. Das Artel war die traditionelle Organisationsform ländlicher Arbeiter in Rußland: Geführt von einem Ältesten [starosta] gingen sie auf eine Baustelle oder zu einem Bergwerk. Der starosta Schloß mit der Betriebsleitung im Namen des Arteis einen Vertrag und handelte eine Pauschalsumme aus, fur die eine bestimme Arbeit zu erbringen war. Wie das Artel die Arbeit erledigte und den Lohn untereinander aufteilte, bestimmte nicht die Betriebsleitung, sondern der starosta, der in der Gruppe patriarchalische Autorität genoß.15 Das zemljacestvo beruhte darauf, daß ein Dorfbewohner, der in die Stadt gezogen war und dort Arbeit gefunden hatte, seine Landsleute [zemljaki] nachholte, in der Fabrik unterbrachte und ihnen Wohnraum verschaffte. Oft bildete er dann mit seinen Landsleuten eine Brigade. Auch Arteis arbeiteten oft unter dem sozialistischen Deckmantel einer Brigade.16 An der Form ihrer Arbeit änderte sich vorläufig nichts, nur daß der starosta jetzt Brigadier hieß. Bei den Großbaustellen war die Saisonwanderung aus den Dörfern noch stärker ausgeprägt als bei den Fabriken. Der Bau war traditionell eine Domäne der Bauern, weil er die Möglichkeit bot, in wenigen Monaten viel zu verdienen und dann wieder aufs Dorf zurückzukehren. Daher fanden sie sich mit den in der Regel schlechten Arbeitsbedingungen ab. Die Bauwirtschaft blieb für viele Arbeiter eine Saisonarbeit, auch als die Partei 1930/31 versuchte, sie in eine Ganzjahresarbeit umzuwandeln.17 Insgesamt gelang es dem Regime bis zum Ende der dreißiger Jahre nicht, die angestrebte totale Kontrolle über den Arbeitsmarkt herzustellen. Die Mehrheit der Arbeiter konnte ihren Arbeitsplatz selbst wählen, da die ständige Nachfrage der Industrie nach Arbeitskräften für das Weiterbestehen eines freien Arbeitsmarktes sorgte. Das änderte sich erst 1940 im Zuge der Umstellung auf die Kriegswirtschaft.18 Auch beim Bau der Metro machte sich von Anfang an der Arbeitskräftemangel empfindlich bemerkbar. Die erste Metrostrojbrigade, die Brigade Kuznecov, entstand bezeichnenderweise durch klassisches zemljacestvo: Als im Dezember 1931 die Arbeiten am Versuchsabschnitt in belgischer Bauweise begonnen werden sollten, brauchte man dringend erfahrene Tunnelarbeiter. Der Techniker Kulakov aus Kaluga fuhr in seine Heimat und brachte von dort eine Gruppe Tunnel-
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Sbornik vaznejsich postanovlenij po trudu 1938, S. 85. Straus 1991, S. 83-84. Kotkin 1995, S. 88-89. Straus 1991, S. 84. Ebd., S. 196. Barber: Development 1986, S. 63.
Die Anwerbung und Einstellung der Arbeiter
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arbeiter mit. Sie hatten bis dahin kleine Tunnel unter Eisenbahndämmen oder für Wasserleitungen gegraben, eine typische Arbeit dörflicher Saisonarbeiter.19 Die im Dezember 1931 erstellten Kontrollziffern für 1932 veranschlagten für das erste Quartal 1932 einen Bedarf von mehr als 6.000, für das zweite Quartal von mehr als 18.000 Arbeitern. 20 Schon im Januar 1932 blieb die Zahl der tatsächlich eingestellten Arbeiter mit 320 um die Hälfte hinter dem Bedarf von 600 zurück. Das lag in erster Linie daran, daß Metrostroj erst Wohnbaracken bauen mußte. Die Arbeitsbehörde des Moskauer Gebietes wies Metrostroj vier Rayons zur organisierten Anwerbung von insgesamt 4.600 Arbeitern zu.21 Statt der 4.600 Arbeiter konnten aber im Februar nur 80 Zimmerleute angeworben werden, da auch Werber anderer Betriebe in den Rayons unterwegs waren und Metrostroj vorläufig nur Personen nehmen konnte, die in Moskau schon Wohnraum hatten. Daher kam der größte Teil der im Februar 1932 eingestellten 837 Arbeiter vom Moskauer Arbeitsmarkt. Das Volkskommissariat für Arbeit teilte Metrostroj neue Anwerberayons zu: Im Westgebiet 22 sollten 800 ungelernte Arbeiter, 300 Maurer und 200 Betonierer angeworben werden, an der mittleren Wolga 800 ungelernte Arbeiter. 23 Die Rayons schickten ihre tinqualifiziertesten Leute, die sie am ehesten entbehren konnten. 24 Unterstützt wurde Metrostroj bei der Anwerbung vom Gebietskomitee der Gewerkschaft der Eisenbahn-, Straßen- und Hafenbauarbeiter [zeldorsosportstroj]. Es sorgte auch dafür, daß überzählige Arbeiter von den Eisenbahnen des Moskauer Knotens zum Bau der Metro verlegt wurden.25 Angesichts des unbefriedigenden Verlaufs der Anwerbung erfolgte bereits im Februar 1932 die erste von etlichen Reorganisationen des Einstellungsverfahrens. Für die Einstellung und Entlassung von Arbeitern wurde eine eigene, aus der Kaderabteilung ausgegliederte, Abteilung geschaffen und in der Nähe des Kalancevplatzes untergebracht, 26 wo die meisten Arbeitsuchenden vom Land ankamen. Ein Baustellenleiter berichtete später, daß er selbst zu den Bahnhöfen am Kalancevplatz ging, um dort Leute anzusprechen, ob sie Arbeit suchten.27 Die Abteilung für Einstellung und Entlassung von Arbeitern (ONU) sollte einen genauen Plan für die Anwerbung erstellen, aufgeschlüsselt nach Qualifikationen und Rayons. In den
19 Medynskij, G.: Pervyj den' metro. Unveröffentlichtes Manuskript. GARF R-7952/7/ 416, Bl. 9-10. 20 Metrostroj. Erläuterungen zu den Kontrollziffern für 1932, o.D. [18.12.1931]. GARF R-5475/18/116, Bl. 30. 21 Stv. Leiter von Metrostroj, Oskolkov. Konjunkturbericht von Metrostroj für Januar 1932, 8.2.1932. GARF R-7952/7/162, Bl. 9-10. 22 Beim Westgebiet [zapadnaja oblast'] handelte es sich nicht um Weißrußland, sondern um den Westen der RSFSR. Hauptstadt des Westgebietes war Smolensk. 23 Rotert. Konjunkturbericht von Metrostroj für Februar 1932. GARF R-7952/7/162, Bl. 42. 24 Medynskij, G.: Pervyj den' metro. GARF R-7952/7/416, Bl. 9. 25 Präsidium des Gebietskomitees der Gewerkschaft Zeldoräosportstroj. Resolution zum Prot. 37, 8.2.1932. CMAM 665/1/2, Bl. 3. 26 Rotert. Anordnung 64, 15.3.1932. CMAM 665/1/9, Bl. 62. 27 Sten. Gespräch mit Ing. Smul'skij, 3. Distanz. GARF R-7952/7/308, Bl. 35.
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Verträgen mit den Kolchosen sollten neben finanziellen Kompensationen auch andere Formen der Hilfe vorgesehen werden, wie die Entsendung von Reparaturbrigaden, die Unterstützung beim Erwerb landwirtschaftlicher Maschinen oder die Aushilfe mit Transportmitteln.28 Die Einstellung von Arbeitern durch die örtlichen Baustellenleiter war zwar gestattet, mußte aber ONU gemeldet werden. Für die Einstellung von Angestellten war die Kaderabteilung zuständig. Bei ONU wurden vier Aufnahmebaracken gebaut, in denen die neu eingetroffenen Arbeiter wohnen konnten, bis ihre Einstellung und sanitäre Behandlung (Desinfektion, Entlausung) abgeschlossen war.29 Im März 1932 legte Metrostroj seinen Produktions- und Finanzierungsplan fur 1932 vor, der gegenüber der Schätzung vom Dezember 1931 den Arbeitskräftebedarf geringer ansetzte: Mitte März 1932 arbeiteten 1.670 Personen beim Bau der Metro, das Maximum sollte im Sommer mit rund 14.400 Beschäftigten erreicht werden. Unter Berücksichtigung eines geschätzten Abgangs von sieben Prozent ergab sich daher eine Deckungslücke von 13.730 Arbeitskräften, davon 3.700 ungelernte Arbeiter, 3.300 Zimmerleute und 2.360 Erdarbeiter.30 Mit der für 1933 geplanten Entfaltung der Hauptarbeiten im großen Stil sollte die Zahl der Arbeiter sprunghaft auf 40.400 gesteigert werden.31 Allerdings beschwerte sich die Leitung von Metrostroj schon im April 1932, daß die Moskauer Gebietsarbeitsbehörde lauter Anwerbekontingente zuteilte, die sich in der Praxis als wertlos erwiesen, weil die Arbeiter gar nicht existierten, vor Ort gebraucht wurden oder schon von anderen Betrieben angeworben worden waren. Im einem Rayon konnten von den zugeteilten 1.700 Zimmerleuten nur 24 angeworben werden, in einem anderen von 1.400 nur 40.32 Als im Mai 1932 die Bauarbeiten wegen der Diskussion um die Tiefenlage der Tunnel stagnierten und schließlich von offener Bauweise auf bergmännischen Vortrieb in großer Tiefe umgestellt wurden, waren die bis dahin angestellten Berechnungen hinfallig, denn nun brauchte Metrostroj dringend erfahrene Bergarbeiter und holte sie aus dem Donecbecken und aus dem Uralgebiet.33 Ende Juli 1932 wurde die Einstellung und Entlassung der Arbeiter den einzelnen Baustellen (Abschnitten) übertragen. Bei jedem Abschnitt wurde eine Gruppe für Einstellung und Entlassung eingerichtet.34 Nur das leitende Personal wurde 28 Beratung bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 6,27.2.1932. CMAM 665/1/14, Bl. 20-21. 29 Desgl. Prot. 21, 23.4.1932. CMAM 665/1/14, Bl. 54. 30 Metrostroj. Produktions- und Finanzierungsplan fur 1932, März 1932. GARF R-5475/ 18/116, Bl. 71. - Die Auszubildenden waren ungelernte Arbeiter aus der Zahl der Angeworbenen. 31 Metrostroj. Beilage zu den Kontrollziffern des zweiten Fünfjahresplans 1933-1937, 1.7.1932. GARF R-5475/18/116, Bl. 94. 32 Leitung von Metrostroj an das Präsidium des Mossovet und das CK der Gewerkschaft Zeldoräosportstroj, 3.4.1932. GARF R-5475/18/133, Bl. 85. 33 Vgl. Moskovskij Sovet 1934, S. 67. Sten. Gespräch mit Ing. Ermolaev, Leiter des Schachtes 9-9bis, 17.11.1934. GARF R-7952/7/301, Bl. 12. 34 Rotert. Anordnung 152, 31.7.1932. CMAM 665/1/9, Bl. 186-187.
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durch die zentrale Kaderabteilung eingestellt.35 Damit sollten die Baustellen flexibler und selbständiger bei der Auswahl der Arbeiter werden. Die Folge war jedoch, daß sie auf Formalitäten und auf die Herkunft der Arbeiter keinen Wert legten. 1932/33 wurde praktisch jeder Arbeitswillige genommen, ohne Rücksicht auf fehlende oder gefälschte Dokumente.36 Es kam vor, daß Arbeiter eingestellt wurden, ohne von ihrem früheren Arbeitsplatz entlassen worden zu sein.37 Später wurden ganze „Kulakenbrigaden" „entlarvt", die Zuflucht auf den Baustellen der Metro gefunden hatten.38 Das änderte sich erst, als Kaganovic im April 1934 den OGPU-Offizier I.N. Kuznecov als Beauftragten für Kaderangelegenheiten in die Leitung von Metrostroj schickte. Kuznecov tauschte das Personal der für die Einstellung der Arbeiter zuständigen Abteilungen der Baustellen aus und ließ die gesamte Belegschaft neu registrieren und von unerwünschten Elementen säubern. Nach dieser durchgreifenden Reorganisation, die vier Monate dauerte, konnte ohne Einverständnis von Kuznecov niemand mehr eingestellt oder entlassen werden.39 Die Anwerbeaktionen blieben ineffektiv. Metrostroj bildete zwar eigens Werber aus,40 die abgeschlossenen Verträge mit Kolchosen waren aber oft das Papier nicht wert. Von 14.000 Angeworbenen waren bis Anfang Dezember 1932 aufgrund der schlechten Wohn- und Lebensumstände bei den Metrobaustellen schon mehr als die Hälfte wieder weggelaufen.41 Als Anfang 1933 endlich die Frage der Bauweise entschieden war und Metrostroj inzwischen auch über mehr Wohnbaracken verfugte, mußte die Zahl der Arbeiter rasch ausgeweitet werden, um mit den bis dahin mehr schlecht als recht erfolgten Bauarbeiten voranzukommen. Die Abteilung ONU der Leitung von Metrostroj und die einzelnen Baustellen schickten Werber ins Zentrale Schwarzerdegebiet und ins Westgebiet. Die Anwerbung verlief jedoch zäh, weil es dort kaum Arbeiter mit den gewünschten Qualifikationen (Vortriebshauer, Maurer) gab. Es meldeten sich nur Stukkateure und Bauarbeiter. Auch eine Umorientierung auf die Ukraine erwies sich als Fehlschlag, weil die ukrainischen Arbeiter durch die Hungersnot so geschwächt waren, daß man sie nicht beim Metrobau einsetzen konnte. Die 35 Rotert. Anordnung 153, 31.7.1932. Ebd., Bl. 188-193. 36 Kaderabteilung des Schachtes 7-8. Bericht über die Arbeit im Jahre 1934, o.D. [nach dem 5.2.1935], CMAM 665/1/226, Bl. 1. 37 Stv. Leiter von Metrostroj, Krutov. Anordnung 190, 13.10.1932. CMAM 665/1/9, Bl. 246. 38 Vgl. Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Gusev, Schacht 33—35. GARF R-7952/ 7/300, Bl. 207,210. 39 Sten. Gespräch mit Kuznecov, Beauftragter bei Metrostroj für Kaderangelegenheiten, 20.11.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 46-48. Vgl. ONU der 3. Distanz. Bericht über die Arbeit im Jahre 1934, o.D. [Anfang 1935], CMAM 665/1/225, Bl. 26. - Zu der Durchforstung des Personalstands und der Aussonderung unerwünschter Personen siehe Kap. III.4. 40 Rotert. Anordnung 212, 9.11.1932. CMAM 665/1/9, Bl. 273. 41 Organisationsbüro des Parteikomitees von Metrostroj. Gemeinsame Sitzung mit der Redaktion des Udarnik Metrostroja über die Ergebnisse der Anhörung der Bauleiter, 6.12.1932. GARF R-7952/7/239, Bl. 58.
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meisten der 1.500 angeworbenen Ukrainer verließen die Baustelle schon wieder nach zwei bis drei Monaten.42 Mit dem Rayon Kozel'sk im Westgebiet wurde am 19.3.1933 ein Vertrag über die Anwerbung von 1.500 Arbeitern geschlossen. Vorher mußte der Bevollmächtigte von Metrostroj allerdings die Anwerber zahlreicher anderer Betriebe vertreiben. Metrostroj hatte sich das Monopol für die Anwerbung in diesem Rayon sichern lassen. Die Termine für die Entsendung der einzelnen Kontingente waren auf den Abschluß der Heu- und Getreideernte und die Herbstarbeiten auf den Feldern abgestimmt. Metrostroj zahlte dem Rayon als Gegenleistung 50.000 Rubel für die Ausstattung der Kolchosen.43 Am schwächsten lief die Werbung an der mittleren Wolga. Die Kolchosen, mit denen Metrostroj dort verhandelte, stellten so hohe Forderungen, daß Metrostroj auf den Abschluß von Verträgen verzichtete. - Verhandlungspartner waren im übrigen nicht nur Rayons und Kolchosen, sondern vielfach auch Arteis. Bis Juni 1933 wurden mit zahlreichen Arteis Verträge über die Anwerbung von insgesamt 5.400 Arbeitern geschlossen.44 Neben der Anwerbung in landwirtschaftlichen Gebieten wurde Metrostroj von der Regierung auch gestattet, im Donecbekken, Nordkaukasus, Transkaukasien, rund um Moskau sowie in anderen Bergbauund Industriegebieten qualifizierte Facharbeiter (Vortriebshauer, Zimmerhauer45, Tunnelbauer) anzuwerben. Auf diese Weise kamen rund 1.300 Facharbeiter zum Metrobau, die als Gruppenführer, Brigadiere und Poliere eingesetzt wurden.46 Die größte Anwerbeaktion wurde in Baschkirien durchgeführt. Mit dem mehrheitlich von Tataren und Mari47 bewohnten Rayon Kaltasy der Baschkirischen ASSR wurde am 8.4.1933 ein Vertrag linterzeichnet. Die örtlichen Partei-, Komsomol- und Verwaltungsstellen verpflichteten sich, unter den Kolchosbauern den Bau der Metro zu popularisieren und 6.000 auf ihre soziale Herkunft überprüfte Arbeiter zum Bau der Metro zu schicken. Metrostroj mußte im Gegenzug dem Rayon Ausrüstung und Werkzeug für die Reparatur landwirtschaftlicher Maschinen, einen Agitationswagen, Radioausrüstung, eine mobile Bibliothek und eine Hausapotheke liefern, zur Aussaat und Ernte sechs bis zehn Mann, darunter einen Arzt und Agitatoren entsenden, durch die Erstellung von Zeichnungen und Ko-
42 Sten. Gespräch mit Sokolovskij, Beauftragter fiir die Anwerbung von Arbeitskräften, 2.12.1934. GARF R-7952/7/271, Bl. 208, 210. 43 Sozialistischer Patenschaftsvertrag zwischen dem Rayon Kozel'sk und dem Vertreter von Metrostroj, Lobacev, 19.3.1933. GARF R-7952/7/152, Bl. 19. Lobaiev an Rotert, 19.4.1933. Ebd., Bl. 18. 44 Leiter von ONU, Lukin, an Rotert, 14.6.1933. GARF R-7952/7/152, Bl. 23-24. 45 Die Zimmerhauer waren für den Ausbau der vorgetriebenen Schächte und Stollen mit einer Holzabstützung zuständig. 46 Metrostroj. Plan zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs, Juli 1933. CMAM 665/1/109, Bl. 6. 47 Die Mari oder Tscheremissen sind im Gegensatz zu den türk-mongolischen Tataren ein finno-ugrisches Volk. In den Metrostroj betreffenden Quellen werden sie meist fälschlich unter die Tataren subsumiert.
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stenplänen und die Abstellung von Fachleuten Hilfe beim Bau eines Rayonszentrums leisten und dem Rayon bei der Beschaffung einer bescheidenen Telefonausrüstung behilflich sein. Außerdem sollten die Arbeiter beim Bau der Metro eine Ausbildung erhalten, die später den Kolchosen zugute kommen sollte (Mechaniker, Fahrer, Elektromonteure).48 Auf Versammlungen wurde in der Muttersprache der Bevölkerung fur die Arbeit bei der Metro geworben. Zusätzlich zu den Freiwilligen stellten die Kolchosen je zehn bis fünfzehn Mann für Metrostroj ab. Die Leute wurden als Erdarbeiter bei der offenen Bauweise in Sokol'niki eingesetzt.49 Der Abschluß von Verträgen bedeutete nicht, daß auch tatsächlich die entsprechende Anzahl von Arbeitern bei den Baustellen eintraf. Wie viele Arbeiter durch die Anwerbeaktion aus Baschkirien, - die einzige, die als erfolgreich beurteilt wurde, - letztendlich nach Moskau kamen, geht aus den Quellen nicht klar hervor. Der fur die Anwerbung Verantwortliche und der Redakteur der Zeitung Udarnik Metrostroja sprachen später von mehr 4.000 eingetroffenen Arbeitern.50 Eine zum 1.7.1933 erstellte Übersicht verzeichnete hingegen nur 1.300 Mari und 1.200 Tataren, was mit der Information des Udarnik Metrostroja vom Sommer 1934 übereinstimmt, wonach 2.000 oder 2.500 „Tataren" beim Bau der Metro tätig waren." Der Beauftragte für Personalangelegenheiten Kuznecov nannte im Herbst 1934 die Zahl von 2.600 „Baschkiren", womit er die Mari und Tataren meinte.52 In bezug auf die übrigen Aktionen sprachen selbst die Beteiligten offen von Fehlschlägen. Laut Plan sollten 1933 rund 18.700 Arbeiter angeworben werden. Bis Juni 1933 stellte Metrostroj 12.800 Arbeiter ein, davon aber nur 5.800 im Rahmen von orgnabor gegenüber 7.000 „am Tor" eingestellten. Verträge über insgesamt 4.000 Arbeiter waren inzwischen schon wieder annulliert worden. Obwohl man sich mitten in der günstigsten Jahreszeit für die Bauarbeiten befand, fehlten 6.000 Arbeiter.53 Die Leiter der Schächte und Distanzen wurden angewiesen, sich unabhängig von den zentralen Anwerbeaktionen selbst um die Anwerbung von Arbeitern in der Peripherie zu kümmern.54 Dabei nutzten sie manchmal landsmannschaftliche Kontakte und schickten Werber in Gegenden, aus denen
48 Sozialistischer Vertrag zwischen Metrostroj und dem Rayon Kaltasy der Baschkirischen ASSR, 8.4.1933. GARF R-7952/7/152, Bl. 6 - 7 . 49 Sten. Gespräch mit Sokolovskij, Beauftragter für die Anwerbung von Arbeitskräften, 2.12.1934. GARF R-7952/7/271, Bl. 208-210. 50 Sten. Gespräch mit Sokolovskij, Beauftragter für die Anwerbung von Arbeitskräften, 2.12.1934. GARF R-7952/7/271, Bl. 208. Sten. Gespräch mit Reznicenko, Redakteur des Udarnik Metrostroja, 22.11.1934. GARF R-7952/7/307, Bl. 38. 51 Udarnik Metrostroja Nr. 165, 17.7.1934 (2.500), S. 4, Nr. 184, 9.8.1934, S. 2 (2.000). 52 Sten. Gespräch mit Kuznecov, 20.11.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 222. 53 Leiter von ONU, Lukin, an Rotert, 14.6.1933. GARF R-7952/7/152, Bl. 23-25. 54 Stv. Leiter von Metrostroj, Abakumov. Anordnungen 166, 21.5.1933 und 253, 29.6.1933. CMAM 665/1/45, Bl. 84.
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schon Leute auf dem Bau arbeiteten. 55 Den Fehlbedarf konnten sie aber auf diese Weise nicht decken. 56 Zudem verließen viele Arbeiter die Baustellen schon nach wenigen Wochen. Das lag zum Teil daran, daß durch die Werbung übertriebene Erwartungen geweckt wurden. Ein Werbeplakat von Metrostroj aus dem Jahre 1933 lockte mit hohen Löhnen, der Unterbringung in neuen Baracken und der guten Versorgung mit Konsumläden und Kantinen. Die Untertagearbeiten würden „nach dem letzten Stand der internationalen Technik, absolut mechanisiert" erfolgen. 57 Die Redaktion des Udarnik Metrostroja stattete die Werber mit Flugblättern aus, auf denen meist der Brief eines Kolchosbauern an seine Landsleute abgedruckt war, in dem er schilderte, wie gut man beim Metrobau arbeiten und leben könne und wie sehr er auf dieser Baustelle „gewachsen" sei.58 Manche Werber veruntreuten das ihnen anvertraute Geld. Im Oktober 1933 wurde ein Ingenieur verurteilt, der auf einer sechswöchigen Dienstreise einige tausend Rubel in Kurorten am Schwarzen Meer durchgebracht und statt erfahrener Tunnelbauer lediglich einen Limonadeverkäufer, einen Schuster, einen Metzger und ein paar Jugendliche angeworben hatte.59 Andere Werber lasen, wenn in den Kolchosen nichts zu holen war, kurzerhand Alkoholiker, Landstreicher, Kriminelle und andere zweifelhafte Existenzen auf, die sich an Bahnhöfen herumtrieben. 60 Das Wohnungsproblem zwang Metrostroj im Frühjahr 1934, als die Bauarbeiten ihrem Höhepunkt zugingen, überwiegend Arbeiter einzustellen, die schon in Moskau wohnten.61 Von den rund 62.000 Arbeitern, die im Laufe des Jahres 1934 neu auf die Baustelle kamen, entfielen nur wenig mehr als 5.000 auf organisierte Anwerbung außerhalb Moskaus, während mindestens 37.500 „am Tor" eingestellt und rund 19.000 aus Moskauer Betrieben „mobilisiert" wurden. 62 Bei manchen Baustellen war das Verhältais besonders kraß: Der Schacht 7-8 stellte 1934
55 Vgl. Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Batrakov, Schacht 16-17, 13.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 141. 56 Leiter von ONU, Lukin, anRotert, 14.6.1933. GARF R-7952/7/152, Bl. 24. 57 Plakat „V Moskvu, na rabotu na Metrostroj", o.D. [1933], CMAM 1289/1/681, Bl. 66. 58 Sten. Gespräch mit Reznicenko, Redakteur des Udarnik Metrostroja, 22.11.1934. GARF R-7952/7/307, Bl. 37. - Zum „Wachstum" der Arbeiter vgl. Kap. V. 1. 59 Bevollmächtigter MGKK RKI fur Metrostroj, Zolotov. Urteil zum Antrag des Ing. Ron', 29.10.1933. CMAM 1289/1/681, Bl. 1-2. 60 Leiter der Kaderabteilung der 1. Distanz. Erläuterung zur Bewegung der Arbeitskräfte im Jahre 1934, 14.12.1934. CMAM 665/1/225, Bl. 1. 61 Prot. Beratung im MGK VKP(b), 25.-26.2.1934. CMAM 665/1/124, Bl. 4-5. 62 Jahresberichte der Organisationen von Metrostroj über die Kaderarbeit 1934, Gesamtübersicht. CMAM 665/1/225, Bl. 81. - In dieser Zusammenstellung scheinen geringfügig andere Zahlen auf, die aber auf Rechenfehlern und Irrtümern bei der Übertragung der Werte aus den Einzelberichten der Schächte und Distanzen beruhen. Meine korrigierten Daten basieren auf den Einzelberichten in CMAM 665/1/225, Bl. 1-80, und 665/1/226, Bl. 1-90. Da auch diese Einzelberichte mitunter nicht hundertprozentig stimmig sind, habe ich die Werte stark gerundet.
„Mobilisierungen" aus Moskauer Betrieben
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nur 45 Arbeiter über organisierte Anwerbung ein, aber 2.178, die auf eigene Faust gekommen waren.63 Die in Moskau verfugbaren Arbeiter hatten selten die für den Tunnelbau erforderlichen Qualifikationen. Ende März 1934, als es beim Schacht 13-14 unter dem Dzerzinskijplatz schwere Probleme gab, vereinbarte Kaganovic persönlich mit den Parteisekretären von Kursk und Orel die Entsendung erfahrener Bergleute.64 Unter großer propagandistischer Aufmachung wurden in Kursk innerhalb von fünf Tagen 800 Bergleute versammelt und, begleitet vom stellvertretenden Vorsitzenden des Kursker Stadtsowjets, einem Redakteur der Zeitung Kurskaja Pravda und einem Arzt, mit einem Sonderzug nach Moskau in Marsch gesetzt. 600 weitere hatten sich gemeldet, waren aber nicht genommen worden. Kaganovic und Chruscev wurden gebeten, einen entsprechenden Empfang der Arbeiter vorzubereiten,65 und der prominente Dichter Aleksandr Bezymenskij verfaßte zur Ankunft der Kursker Arbeiter sogar einen, wenn auch etwas holprigen, Vers: „Ha paaocTHWH 6oii β MeTpocrpoeBCKOM nycKe, / Ha τεΜΠΜ, Ha KanecTBO β 3tom 6 o k > , / m m noflaeM npojierapiMM KypcKHM / Kpemcyio öpaTCKyio pyicy c b o i o ! " 6 6
2. „ M o b i l i s i e r u n g e n " aus M o s k a u e r B e t r i e b e n Der Mangel an Arbeitskräften, die geringe Disziplin und Produktivität der vorhandenen Arbeiter sowie die bis dahin enttäuschenden Leistungen von Metrostroj bewogen das Moskauer Parteikomitee Anfang 1933, die Verlegung von Komsomolzen aus Moskauer Fabriken zu Bau der Metro zu veranlassen. Die Resolution vom 28.2.1933 verpflichtete das Parteikomitee von Metrostroj, die Dislozierung der Parteimitglieder und Jungkommunisten unter der Belegschaft zu überprüfen und dafür zu sorgen, daß in jeder Schicht ein harter Kern von Kommunisten und Komsomolzen sei. Der Gebiets- und Stadtorganisation des Komsomol wurde angeordnet, innerhalb eines Monats tausend Komsomolzen zu Metrostroj zu mobili67
sieren. Die „Mobilisierung", das heißt die vorübergehende Abkommandierung durch die Partei, den Komsomol oder die Gewerkschaft, war eine für den Frühstalinismus typische Methode, um Engpässe zu überwinden oder in Krisenlagen den 63 Kaderabteilung des Schachtes 7-8. Bericht über das Jahr 1934, o.D. [Anfang 1935]. CMAM 665/1/226, Bl. 2. 64 Parteiorganisation des Schachtes 13-14. Aufzeichnung, o.D. [Ende 1934 oder Anfang 1935], GARF R-7952/7/312, Bl. 45. 65 Sekretär des Kursker Stadtparteikomitees, Fedin, an Metrostroj. Telefonogramm, 2.4.1934. CMAM 665/1/224, Bl. 3. 66 Udarnik Metrostroja Nr. 78, 4.4.1934, S. 1. - Übersetzung: „Zum frohen Kampf beim Ingangsetzen von Metrostroj, / zum Tempo, zur Qualität in diesem Kampf, / reichen wir den Kursker Proletariern / unsere starke Bruderhand!" - Zur Rolle Bezymenskijs (1898-1973) und anderer Dichter bei Metrostroj vgl. Kap. VII.4.C. 67 Büro MK und MGK VKP(b). Resolution, 28.2.1933. CAODM 3/24/38, Bl. 21.
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Herkunft, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Metrobauer
Durchbruch zu erzwingen. Während des ersten Fünfjahresplans waren massenhaft Parteimitglieder, Facharbeiter und vor allem Komsomolzen mobilisiert worden, sei es für den Bau des Dnepr-Staudammes, des Stalingrader Traktorenwerks oder nach Magnitogorsk.68 1931 hatten Partei und Regierung eigentlich die Einstellung dieser Art des Einsatzes von Arbeitern „zu Zwecken von Kampagnen der örtlichen Partei-, Sowjet- und anderer Organisationen" verfügt, weil dadurch der Produktionsablauf in den Betrieben, von denen sie abgezogen wurden, gestört wurde, aber in vermindertem Umfang gab es trotzdem weiterhin Mobilisierungen.69 Komsomolzen eigneten sich aufgrund ihrer jugendlichen Begeisterungsfahigkeit, Flexibilität, Ungebundenheit und der in ihrer Organisation herrschenden Disziplin besonders fur Mobilisierungsaktionen. Sie zählten zu den tragenden Stützen des Sowjetregimes. Ohne sie hätten Industrialisierung und Kollektivierung wahrscheinlich nicht verwirklicht werden können.70 Bei Metrostroj waren die Jungkommunisten 1931/32 noch in keiner Weise sonderlich hervorgetreten. Unter den rund 10.000 Beschäftigen beim Metrobau gab es Anfang 1933 nur 610 Komsomolzen (6,1 Prozent). Sie hatten zwar einzelne Komsomolbrigaden und drei Komsomolbaracken eingerichtet sowie Rationalisierungsvorschläge von Arbeitern gesammelt, ansonsten aber wenig Initiative gezeigt. Von den 610 Komsomolzen arbeiteten nur 31 unter Tage. 172 waren Angestellte im Verwaltungsapparat. Von sozialistischem Wettbewerb, Stoßarbeit, politischer Agitation unter den übrigen Arbeitern war nicht viel zu bemerken. Die Jungkommunisten reagierten nicht einmal auf antisowjetische und antisemitische Äußerungen von Arbeitern.71 Das Moskauer Stadtkomsomolkomitee beschloß daher am 1.2.1933 eine durchgreifende Reform der Komsomolorganisation von Metrostroj. Das Komsomolkomitee von Metrostroj hatte dafür zu sorgen, daß mindestens die Hälfte der Jugendlichen als Vortriebshauer, Mechanisierer oder Caissonarbeiter in die Schächte gingen und zwei vorbildliche, miteinander im Wettbewerb stehende, Komsomolschächte organisiert wurden. Um die Komsomolzen zu mehr Einsatz anzuspornen, sollte für sie eine eigene Barackensiedlung mit mustergültiger Ausstattung eingerichtet werden. Sie wurden verpflichtet, Stoß- und Jugendbrigaden zu bilden und den sozialistischen Wettbewerb zu entwickeln.72 Zur Stärkung der Komsomolorganisation sollten aus den Moskauer Betrieben 200 Komsomolzen zum Bau der Metro mobilisiert werden. Zusätzlich sollten zwanzig Propagandisten abkommandiert werden, um für die Komsomolzen und parteilosen Jugendlichen Lesungen, politi-
68 Vgl. Kotkin 1995, S. 74-75. Vgl. Kuromiya 1988, S. 208. 69 Vgl. Kuromiya 1988, S. 279-280. 70 Vgl. Ebd., S. 316. - Zur Frage der Motivationen der Jungkommunisten siehe ausfuhrlich Abschnitt IV. 71 Büro MGK VLKSM. Beschluß, 1.2.1933. CAODM 635/1/52, Bl. 93-94. 72 Zu den Stoßbrigaden und dem sozialistischen Wettbewerb siehe Kap. V.3.
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sehen Unterricht, kollektive Kinobesuche und andere politisierte Freizeitaktivitäten zu veranstalten.73 Im März 1933 reagierte die Moskauer Komsomolorganisation auf die Anordnung der Partei vom 28.2.1933 und beschloß, tausend Komsomolzen zu Metrostroj zu schicken.74 Den Rayonskomitees des Komsomol wurden Quoten auferlegt, wie viele Mitglieder mit welchen Qualifikationen sie zu mobilisieren hatten. Die Rayonskomitees teilten ihrerseits die Quoten auf die einzelnen Betriebe auf. Komsomolzen von Metrostroj wurden in die Fabriken geschickt, um über die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen zu berichten. Viele Betriebe leisteten Widerstand und erklärten ihre Arbeiter für unabkömmlich. Erst unter dem Druck der zur Unterstützung aufgerufenen Rayonsparteisekretäre gaben sie die Arbeiter frei.75 Das Echo unter den Jugendlichen in den Fabriken war sehr unterschiedlich. In manchen Fabriken meldeten sich im Anschluß an eine Werbeveranstaltung gleich viele Freiwillige, die begeistert am Bau mithelfen wollten. Manche, die bei der medizinischen Untersuchung für untauglich befunden wurden, überredeten den Arzt, sie tauglich zu schreiben.76 Es gab aber auch das Gegenteil: Jugendliche, die Krankheiten simulierten, um nicht mobilisiert zu werden.77 In etlichen Fabriken stellten die Komsomolzen zwar interessierte Fragen, ob die Arbeit schwer und ermüdend sei, wie es um die Versorgung und das Essen stehe, aber nur wenige meldeten sich freiwillig.78 Vielfach mußten Vorurteile und Gerüchte zerstreut werden. In Moskau herrschte in weiten Kreisen der Bevölkerung die Vorstellung, daß die Arbeit in den Schächten viele Todesopfer fordere.79 Manche glaubten, beim Bau der Untergrundbahn würde Zwangsarbeit geleistet, die Leute würden geschlagen und kaum einer bliebe am Leben.80 In einer Komsomolversammlung begründete eine junge Frau ihre Weigerung, zur Metro zu gehen, damit, daß die Arbeiter dort hungern und frieren müßten. Nach erklärenden Gesprächen und unter dem Druck der anwesenden Funktionäre ließen sich dann doch noch einige auf die Liste setzen.81 Die Komsomol 'skaja Pravda wirkte ebenfalls aufklärend und lockte die 73 Büro MGK VLKSM. Beschluß, 1.2.1933. CAODM 635/1/52, Bl. 96-98. 74 Büro MGK VLKSM. Prot. 17, 27.3.1933. Ebd., Bl. 4 7 ^ 8 . 75 Sten. Gespräch mit dem Komsomolzen Kunevskij, Schacht 31 -32, 17.9.1934. GARF R7952/7/243, Bl. 83. Vgl. desgl. mit dem Komsomolzen Sitov, Schacht 22, 10.10.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 154. 76 Desgl. mit dem Komsomolzen Abagaev. GARF R-7952/7/307, Bl. 18-19. 77 Desgl. mit dem Komsomolzen Kunevskij, Schacht 31-32, 17.9.1934. GARF R-7952/7/ 243, Bl. 84-85. 78 Desgl. mit dem Komsomolzen Sitov, Schacht 22, 10.10.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 154. 79 Wolf 1994, S. 124-125. Vgl. Kap. III.8. 80 Sten. Gespräch mit dem Stoßarbeiter Certov, 5. Distanz, 26.6.1934. GARF R-7952/ 7/274, Bl. 33. Vgl. desgl. mit der Komsomolzin Nikitina, 7. Distanz, 3.12.1934. GARF R-7952/ 7/317, Bl. 26. 81 Sten. Gespräch mit dem Komsomolzen Kunevskij, Schacht 31-32, 17.9.1934. GARF R7952/7/243, Bl. 85-86.
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Komsomolzen mit der Ankündigung, sie bekämen bei Metrostroj Stücklohn und zusätzlich in den ersten beiden Monaten, bis sie eingearbeitet seien, dreißig Rubel Zuschlag.82 Trotzdem waren viele Komsomolzen unzufrieden, wenn sie von ihrer Organisation zur Metro geschickt wurden. Die Arbeit in den Schächten galt zu Recht als Schwerstarbeit und brachte auch die Hochmotivierten an den Rand der Erschöpfung.83 Andere wollten ihr eben erst aufgenommenes Abendstudium nicht wegen der Schichtarbeit beim Bau der Untergrundbahn aufgeben.84 Da sich nicht genügend Freiwillige meldeten, übten die Komsomolsekretäre auf ihre Leute Druck aus. Viele wurden gegen ihren Willen abkommandiert oder wegen Verweigerung aus dem Komsomol ausgeschlossen. Ein Teil der Mobilisierten verließ die Baustellen schon nach wenigen Tagen, als sie die Arbeitsbedingungen kennengelernt hatten. Da sie mit dem Ausschluß rechnen mußten, ließen viele gleich ihren Komsomolausweis zurück.85 Manch ein Komsomolsekretär mußte schließlich auf Anordnung des Rayonskomitees selbst zu Metrostroj ausrücken, weil die Leute, die er mobilisiert hatte, weggelaufen waren.86 Anfang Mai rügte das Stadtkomsomolkomitee die Organisationen der Rayons, weil sie die Quoten nicht erfüllt hatten und von den Mobilisierten schon wieder viele „desertiert" waren. Bis 10.5.1933 sollte die Kampagne noch einmal verstärkt und zum Abschluß gebracht werden. Die Namen der „Deserteure" wurden auf Versammlungen öffentlich bekanntgegeben.87 Trotzdem gelang es nicht, die geforderten tausend Komsomolzen zu mobilisieren. Man sprach zwar weiterhin von den „Tausendern", wenn man die erste Mobilisierungswelle meinte, tatsächlich wurden aber nur 834 Komsomolzen zum Bau der Untergrundbahn geschickt. Ausgerechnet die Rayons, auf deren Territorium die längsten Baustellenabschnitte lagen, nämlich Sokol'niki, Bauman und Frunze, hatten ihre Quote nur zu 50 bis 52 Prozent erfüllt.88 Manche Zellensekretäre hintertrieben zudem im Interesse ihrer Fabrik die Aktion, indem sie die Quote mit Arbeitern auffüllten, bei denen aufgrund körperlicher Gebrechen zu erwarten war, daß sie bald wieder zurückgeschickt würden, weil man sie nicht unter Tage einsetzen konnte.89 82 Komsomol 'skaja Pravda Nr. 84, 11.4.193 3, S. 4. 83 Wolf 1994, S. 126. Vgl. Sten. Gespräch mit der Komsomolzin Gorskaja, Schacht 18, 28.2.1935. GARF R-7952/7/344, Bl. 57. 84 Sten. Gespräch mit dem Komsomolzen Sizikov, 28.2.1935. GARF R-7952/7/344, Bl. 65. Desgl. mit der Komsomolzin Nikitina, 7. Distanz, 3.12.1934. GARF R-7952/7/317, Bl. 25. Ebenfalls zitiert bei Wolf 1994, S. 126. 85 Desgl. mit dem Komsomolzen Sitov, Schacht 22, 10.10.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 155. Desgl. mit der Komsomolzin Odrova, 1. Distanz. GARF R-7952/7/306, Bl. 15. 86 Desgl. mit dem Komsomolsekretär Satalov, Schacht 17, 9.5.1934. GARF R-7952/ 7/241, Bl. 6. 87 Büro MGK VLKSM. Prot. 19, 5.5.1933. CAODM 635/1/52, Bl. 117-118. 88 MGK VLKSM. Information über den Gang der Mobilisierung der „1.000", 1 3 . 4 13.5.1933. CAODM 635/1/66, Bl. 60. 89 MGK VLKSM. Sten. einer Versammlung von Komsomolzen, die zu Metrostroj mobilisiert wurden, 3.6.1933. Wortmeldung des Komsomolzen Tjutaev. CAODM 635/1/67, Bl. 34.
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Am 14.5.1933 wurden die Komsomolzen im Rahmen einer feierlichen Festsitzung mit Musik und Ansprachen zum Metrobau geschickt. Chruscev und andere Funktionäre vermittelten den Jugendlichen in ihren Ansprachen das Gefühl, daß sie mit ihrem unbesiegbaren Enthusiasmus den Umschwung herbeiführen würden.90 Sie sollten einen Kampf um mehr Disziplin, gegen die ausufernden Arbeitsversäumnisse und Arbeitsstillstände, gegen „Kulaken", „Trotzkisten", „rechte Opportunisten" und andere auf die Baustellen eindringende Feinde fuhren.91 Darüber hinaus sollten sie die aus den Dörfern gekommenen neuen Arbeiter im bolschewistischen Sinne umerziehen, ihnen proletarisches Bewußtsein, sozialistischen Arbeitsstil und kultiviertes Leben beibringen: „Solche Kleinigkeiten, wie zum Beispiel die Wanze, - Ihr müßt einen Feldzug gegen die Wanzen führen; oder die Laus, - Ihr müßt einen Feldzug gegen die Läuse führen."92 Die Komsomolzen verabschiedeten schließlich eine pathetische Resolution, in der sie sich feierlich verpflichteten, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen: „Wir mobilisierten Tausender, die sich heute [...] versammelt haben, nehmen folgende konkreten Verpflichtungen für die Arbeit bei Metrostroj auf uns: 1. Wir werden uns unmittelbar in die Arbeit der Brigaden, Schichten einschalten und uns verpflichten, vorbildliche Stoßarbeiter von Metrostroj zu werden und den Plan erfüllen und übererfüllen. Unsere konkrete Aufgabe ist es, die Arbeitsproduktivität auf dem Bau um 25 Prozent zu heben und die Kosten um 15 Prozent zu senken. Wir geben das Versprechen, daß die Brigaden und Schächte, in denen wir arbeiten, von heute an keine Rückstände mehr haben dürfen. [...] 2. Auf der Basis des sozialistischen Wettbewerbs und der Stoßarbeit verpflichten wir uns, die Arbeitsdisziplin auf die nötige Höhe zu bringen und einen bolschewistischen Kampf gegen Arbeitsversäumnisse und die Fluktuation der Arbeitskräfte zu organisieren. [...] Wir Schachtarbeiter müssen die Arbeit so organisieren, daß Blaumacher und Arbeitsplatzwechsler sofort entlassen und dem öffentlichen Boykott preisgegeben werden. Wir bedecken diejenigen Komsomolzen mit Schande, die als zu Metrostroj Mobilisierte schändlich desertiert sind [...]. Jeder von uns muß den Weg des Vortriebshauers gehen, muß dann Techniker und Ingenieur der sowjetischen Metro werden. [...]"93 Wie viele von den „Tausendern" dauerhaft bei Metrostroj blieben, geht aus den Quellen nicht hervor. Fest steht, daß viele schon nach wenigen Tagen die Baustellen verließen und andere nur mit Mühe überredet werden konnten, zu blei-
90 MGK VLKSM, Organisationsabteilung. Sten. Festsitzung, 14.5.1933. Rede von ChruScev. CAODM 635/1/66, Bl. 10. 91 Ebd., Bl. 15-16. 92 Rede des Parteisekretärs von Metrostroj, Sivaöev. Ebd., Bl. 35. 93 Verpflichtung der zu Metrostroj mobilisierten Komsomolzen, 14.5.1933. Ebd., Bl. 50-53.
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ben.94 Das lag bei manchen, die gegen ihren Willen zur Metro geschickt worden waren, an ihrer Unlust. Durch die Umstände, die sie dort vorfanden, entstanden jedoch auch bei denjenigen, die sich pflichtbewußt oder sogar aus Überzeugung gemeldet hatten, Enttäuschung und Frustration. Viele waren in der Erwartung zum Bau der Metro gegangen, dort mit offenen Armen empfangen zu werden, sofort in den Schacht zu steigen und alles umzukrempeln. Die Realität sah jedoch ganz anders aus. Die Baustellenleiter reagierten auf die Ankunft der Komsomolzen eher kühl und waren skeptisch, ob man mit diesen Jugendlichen, die keine Ahnung vom Tunnelbau hatten, überhaupt etwas anfangen könnte.95 Bestand die erste Enttäuschung schon darin, daß ihr Eintreffen auf dem Bau sang- und klanglos erfolgte und sich vorerst kaum jemand um sie kümmerte, folgten weitere Enttäuschungen auf dem Fuß, wenn die Komsomolzen tagelang von einem Kontor zum anderen geschickt wurden, bevor man ihnen endlich eine untergeordnete Hilfsarbeit zuteilte und ihnen nicht selten ausdrücklich zu verstehen gab, daß sie nicht gebraucht würden.96 „Niemand wußte von uns, niemand half uns, niemand lernte uns an. [...] Auch der Brigadier schenkte uns keine Aufmerksamkeit," erinnerte sich später ein Betroffener.97 Komsomolzinnen hatten Mühe durchzusetzen, daß man sie in die Schächte zu den Untertagearbeiten zuließ. Der Moskauer Komsomolsekretär Sasirin mußte persönlich bei Schachtleitern vorstellig werden, damit sie ihren Widerstand gegen den Einsatz der Frauen aufgaben.98 Andere Komsomolzinnen hatten hingegen Angst, in die Baugrube zu steigen und gewöhnten sich nur schwer daran, ständig dreckverschmiert und durchnäßt zu sein.99 Oft verzögerte sich die Einstellung bei den Baustellen durch unverständliche bürokratische Hindernisse. Die einen erhielten bis zur ersten Lohnauszahlung so geringe Vorschüsse, daß sie das zugeteilte Weißbrot verkaufen und dafür Schwarzbrot kaufen mußten, um satt zu werden,100 die anderen wurden überfüllten Wohnba-
94 Vgl. Sten. Gespräch mit dem Brigadier Proskurin, Schacht 15. GARF R-7952/7/306, Bl. 158. Desgl. mit dem Komsomolsekretär Sirjaev, 3. Distanz, 20.11.1934. GARF R-7952/ 7/309, Bl. 164. 95 Vgl. desgl. mit Ing. Ermolaev, Leiter des Schachtes 9-9bis, 17.11.1934. GARF R7952/7/301, Bl. 14-15. 96 MGK VLKSM. Sten. Versammlung vom 3.6.1933. Wortmeldung des Komsomolzen Romanov. CAODM 635/1/67, Bl. 3. 97 Sten. Gespräch mit Satalov, Komsomolsekretär beim Schacht 17, 9.5.1934. GARF R7952/7/241, Bl. 6. Vgl. Zamoskvoreckij RK VKP(b). Bericht über die zu Metrostroj Mobilisierten, 11.8.1933. CAODM 67/1/1085, Bl. 2. 98 Sten. Gespräch mit dem Komsomolsekretär Melovanov, Schacht 22. GARF R-7952/ 7/311, Bl. 69. 99 Desgl. mit der Brigadierin Smirnova, 2. Distanz, 3.11.1934. GARF R-7952/7/308, Bl. 73. Desgl. mit der Komsomolzin Adaskina, Schacht 9, 3.11.1934. GARF R-7952/7/310, Bl. 79. 100 MGK VLKSM. Sten. Versammlung vom 3.6.1933. Wortmeldung des Komsomolzen Liväic. CAODM 635/1/67, Bl. 17, Wortmeldung des Komsomolzen Mitrofanov, Bl. 27.
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racken zugewiesen, wo man sie postwendend wieder auf die Straße setzte,101 wieder andere erhielten tagelang keine Essenskarten und wurden an der Kantine abgewiesen.102 Aus den zahlreichen Berichten über die Modalitäten der Aufnahme und Einstellung der „Tausender" gewinnt man den Eindruck, daß die Friktionen nicht nur durch organisatorisches Unvermögen entstanden, sondern von manchen Baustellenleitungen absichtlich inszeniert wurden, um die Komsomolzen zu entmutigen und ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nach den Erfahrungen, die man von früheren Mobilisierungen hatte, war die Befürchtung nicht unbegründet, daß die Komsomolzen im Betrieb Unruhe erzeugen und aus der Sicht des Managements mehr Verwirrung stiften als Nutzen bringen würden. Daß die Jungkommunisten unbequeme Untergebene waren, stellte sich auch bei Metrostroj schon nach wenigen Tagen heraus: Die „Tausender" mischten sich allerorts in Entscheidungen ein, betrieben die Absetzung von Polieren und Vorarbeitern, die ihnen nicht gefielen und stellten Forderungen nach besserer Unterbringung und Verpflegung.103 Die gröbsten Mißstände, die die Komsomolzen vorfanden, waren allerdings schon lange vorher entstanden und hatten mit der Mobilisierung unmittelbar nichts zu tun: Es gab fur die Arbeiter zu wenig Arbeitskleidung, die Kantinen waren schlecht organisiert, so daß sich lange Schlangen bildeten, die Mahlzeiten vergleichsweise zu teuer, die Zustände in den Wohnbaracken abschreckend.104 Angesichts einer Flut von Beschwerden und des ständigen Abgangs der Mobilisierten schickte das Stadtkomsomolkomitee einige Funktionäre zum Bau der Metro, die sich um die Jugendlichen kümmern sollten.105 Die Komsomolorganisation von Metrostroj unter ihrem Sekretär Kulagin, die zwar einen Schacht (den Schacht Nr. 12 unter dem Theaterplatz, der für den Schildvortrieb vorgesehen war) zum „Komsomolschacht" erklärt und zweihundert Komsomolzen aus dem Verwaltungsapparat in die Schächte versetzt, aber sonst wenig für die Mobilisierten unternommen hatte, wurde verpflichtet, gemeinsam mit der Betriebsleitung dafür zu sorgen, daß den Jungkommunisten unverzüglich qualifizierte Arbeiten auf den entscheidenden Abschnitten zugeteilt wurden. Die „Tausender" sollten darüber hinaus schnell ausgebildet, in höhere Lohngruppen eingestuft und so bald wie möglich zu Gruppenführern und Brigadieren befördert werden. Daneben wurden sie angehalten, bei den Baustellen Komsomolzellen einzurichten und zu leiten.
101 Wortmeldung des Komsomolzen Makarov. Ebd., Bl. 22. Wortmeldung des Komsomolzen Tjuftaev. Ebd., Bl. 36. 102 Wortmeldung des Komsomolzen Valuev. Ebd., Bl. 20. 103 Wortmeldung des Komsomolzen Makarov. Ebd., Bl. 24, Wortmeldung des Komsomolzen Romanov. Ebd., Bl. 4. 104 Vgl. Wortmeldung des Komsomolzen Rebrov. Ebd., Bl. 1, Wortmeldung des Komsomolzen Romanov, Bl. 5, des Komsomolzen Gasimov, Bl. 7, des Komsomolzen Veselovskij, Bl. 8, des Komsomolzen Samsonov, Bl. 12 usw. Vgl. Büro MGK VLKSM. Beschluß, 8.6.1933. CAODM 635/1/53, Bl. 9. 105 Büro MGK VLKSM. Prot. 21, 25.5.1933. CAODM 635/1/52, Bl. 140.
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Die Betriebszeitung Udamik Metrostroja und die Wandzeitungen sollten täglich über die Arbeit der „Tausender" berichten und die übrigen Jugendlichen am Beispiel der besten Komsomolzen ausrichten. Die Betriebsleitung wurde gebeten, für die Komsomolzen ordentlichen Wohnraum, in Form von eigenen Jugendbaracken und Jugendzimmern, in allgemeinen Baracken zur Verfugung zu stellen. Die Anweisungen über die Ausstattung sowie die kulturelle und politische Betreuung der Komsomolbaracken sprachen dem damaligen Zustand der Durchschnittsbaracken von Metrostroj höhn. 106 Die Leitung von Metrostroj reagierte ihrerseits auf die Klagen, indem sie anordnete, die Masse der Komsomolzen als Vortriebshauer (geschlossene Bauweise) und Erdarbeiter (offene Bauweise) einzusetzen, für eine schnelle Ausbildung zu sorgen und hierzu jeweils zwei Komsomolzen einer bestehenden Gruppe zuzuteilen.107 Die Komsomolzen erhielten eine der neu gebauten Baracken, die mit allem notwendigen Inventar ausgestattet wurde. 108 Trotz aller Probleme erwies sich die Mobilisierung bald als Erfolg. Der Teil der „Tausender", die auf den Baustellen blieben, bildete einen harten, hochmotivierten Kern, eignete sich in überraschend kurzer Zeit die erforderlichen Fertigkeiten an und wurde zur Avantgarde der Belegschaft. Sie stiegen schnell zu Gruppenführern und Brigadieren auf und bauten die Komsomolzellen bei den Baustellen auf. Angesichts dieser günstigen Entwicklung wurde das Instrument der Mobilisierung in den Folgemonaten noch mehrmals eingesetzt. Kaganovic ordnete im Juli 1933 den Rayonsparteikomitees an, tausend Kommunisten und fünfhundert ausgewählte parteilose Arbeiter aus Moskauer Fabriken zum Bau der Metro zu schicken. Der Komsomol wurde beauftragt, bis Ende des Monats 1.500 zusätzliche Mitglieder auszuwählen.109 Am 15.7.1933 beschloß daraufhin die Moskauer Komsomolführung, bis zum 1.8.1933 zweitausend Komsomolzen zu Metrostroj zu schicken.110 Die Instruktionen über den Ablauf der Aktion zeigen, daß man aus den Fehlern gelernt hatte: In allen Rayons wurde eine Dreierkommission gebildet, der auch ein Vertreter von Metrostroj angehörte. Alle ausgewählten Komsomolzen sollten ihren bisherigen Wohnraum behalten,111 damit Metrostroj keinen neuen zur Verfügung zu
106 Vgl. Büro MGK VLKSM. Beschluß über die Arbeit des Komsomolkomitees von Metrostroj, 8.6.1933. CAODM 635/1/53, Bl. 8 - 1 1 . - Über die Zustände in den Baracken vgl. Kap. III. 5. 107 Stv. Leiter von Metrostroj, Abakumov. Anordnung 201, 1.6.1933. GARF R-7952/7/ 170, Bl. 120. 108 Abakumov. Anordnung 242, 21.6.1933. GARF R-7952/7/170, Bl. 167. 109 Prot. Beratung bei Kaganovic, 11.7.1933. CAODM 3/49/45, Bl. 51. Sekretariat MGK VKP(b). Beschluß, 22.7.1933. CAODM 4/3/32, Bl. 87. 110 Büro MGK VLKSM, Prot. 25, 15.7.1933. CAODM 635/1/53, Bl. 26. - Poletaev 1953 datiert den Beschluß fälschlich auf den 21.7.1933. (Poletaev 1953, S. 24). 111 Viele Arbeiter wohnten in Häusern oder Baracken, die der jeweiligen Fabrik gehörten, und die sie räumen mußten, wenn sie den Arbeitsplatz wechselten.
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stellen brauchte. Im ersten Monat sollten alle Mobilisierten Lohn in der Höhe ihres bisherigen Durchschnittslohns erhalten.112 Für die Aufnahme und den Einsatz der Komsomolzen bei Metrostroj erließ das Stadtkomsomolkomitee detaillierte Richtlinien. Die Mobilisierten mußten in feste Brigaden und Gruppen eingeteilt und durften nicht, wie es bei den „Tausendern" üblich gewesen war, ständig versetzt werden. Die Gruppen und Brigaden sollten von Komsomolzen gefuhrt werden, die schon länger auf der Baustelle waren. Die Ergebnisse der Planerfüllung mußten evident gehalten und bei jeder Baustelle Umkleide-, Wasch- und Trockenräume sowie Duschen eingerichtet werden. Kontrollbrigaden hatten die Kantinen und Buffets zu überwachen. Bei jeder Schicht waren Kulturorganisatoren einzuteilen, die mit den Arbeitern am Feierabend gemeinsam ins Kino, Theater oder in den Park gingen. Bei den Schächten sollten Laienkunstgruppen gebildet werden.113 Auch die Betriebsleitung von Metrostroj traf diesmal Vorbereitungen, damit die Einstellung der Jugendlichen zügig voranging und sie mit allem Nötigen ausgestattet waren. Sie durften nicht für Nebentätigkeiten, sondern nur als Vortriebshauer, Zimmerhauer, Maschinenpersonal und Erdarbeiter eingesetzt werden.114 Die Baustellenleiter hatten inzwischen am Beispiel der „Tausender" das Potential der Komsomolzen zu schätzen gelernt. Die Mobilisierung wurde in propagandistischer Hinsicht vielfaltig unterstützt. Im Gor'kijpark wurde eine Massenkundgebung mit 20.000 Teilnehmern abgehalten, der Park vorübergehend buchstäblich zum Metrostroj-Park umgestaltet: Überall standen Vitrinen, die den Fortgang der Arbeiten, Porträts der besten Stoßarbeiter und Projekte zukünftiger Stationen zeigten. Die „Tausender" gingen nun ihrerseits in die Betriebe und warben fur die Mobilisierung der „Zweitausender".115 Die Eingliederung der „Zweitausender" ging dank der umsichtigen Vorbereitung gut vonstatten. Allerdings wurde das Planziel wieder nicht erreicht: Ende August 1933, also vier Wochen nach der gesetzten Frist, hatten erst 470 Komsomolzen die Arbeit beim Metrobau angetreten. Mobilisiert worden waren mehr, aber ihre Entsendung verzögerte sich aufgrund der gleichzeitig laufenden Säuberung der Partei- und Komsomolorganisationen. Ähnlich verlief die Mobilisierung der tausend Kommunisten und fünfhundert Parteilosen durch die Rayonsparteikomitees. Auch von ihnen waren bis Ende August erst fünfhundert bei Metrostroj erschienen.116 Darunter befanden sich nicht nur Arbeiter, sondern auch Parteifunktionäre aus den Betrieben und Rayons, die nun die Leitung von Parteizellen
112 Büro MGK VLKSM. Beschluß, 15.7.1933. CAODM 635/1/53, Bl. 31-33. 113 Desgl., 5.8.1933. Ebd., Bl. 3 9 ^ 2 . 114 Abakumov. Anordnung 291, 21.5.1933. CMAM 665/1/45, Bl. 134. 115 Sten. Gespräch mit dem Komsomolsekretär Rogov, Schacht 12. GARF R-7952/7/318, Bl. 306. Desgl. mit dem Komsomolzen Gluchov, Schacht 22. GARF R-7952/7/311, Bl. 57. 116 Redaktion des Udarnik Metrostroja. Informationsbulletin, 26.8.1933. CMAM 665/1/ 60, Bl. 5.
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bei Metrostroj übernahmen." 7 Bis Ende des Jahres kamen insgesamt 938 Parteimitglieder und 201 Parteilose durch diese Mobilisierungsaktion zum Metrobau.118 Am 23.8.1933 übernahm der Moskauer Komsomol die Patenschaft über den Bau der Untergrundbahn und beschloß die Entsendung von 10.000 Komsomolzen, darunter mindestens zweitausend Frauen, bis zum 1.10.1933.119 Die Modalitäten waren ähnlich wie bei den „Zweitausendern". Damit die Jugendlichen begonnene Studien fortsetzen konnten, wurde bei Metrostroj eine Filiale der Arbeiterfakultät [rabfak] eingerichtet. Die Moskauer Organisation des Komsomol kümmerte sich im Rahmen ihrer Patenschaft um die Verbesserung der Lebensbedingungen bei Metrostroj, ließ die Arbeit der Kantinen und Buffets kontrollieren, entsandte Aktivisten zur kulturellen Betreuung und zur Organisation von Chor-, Theater- und Musikgruppen. Dreißig verläßliche Zellensekretäre aus Moskauer Betrieben wurden als Zellensekretäre zu den Schächten und Distanzen geschickt. Fünfzig Propagandisten betrieben politischen Unterricht in den Baracken.120 Anfang September 1933 wurde der Moskauer Komsomolsekretär Aleksandr („Sasa") Sasirin gleichzeitig zum Komsomolsekretär von Metrostroj ernannt.121 Das hochgesteckte Ziel, bis Anfang Oktober 1933 10.000 Komsomolzen zu mobilisieren, wurde bei weitem nicht erreicht. Wie schon in den Monaten zuvor weigerten sich in einer Reihe von Betrieben die Direktoren kategorisch, Freiwillige zur Metro gehen zu lassen, oder sie sorgten dafür, daß die am leichtesten zu entbehrenden Arbeiter abgestellt wurden: solche, die jünger als fünfzehn Jahre waren oder kurz vor der Einberufung zur Roten Armee standen.122 In anderen Fällen wurde den Komsomolvertretern der Zutritt zu den Werkshallen verwehrt oder den Mobilisierten angedroht, sie würden ihren letzten Lohn nicht erhalten. Manche Direktoren ließen sich nicht einmal davon einschüchtern, daß ihre Namen in der Komsomol 'skaja Pravda publik gemacht wurden. „Ihr könnt ruhig mein Bild veröffentlichen, ich gebe euch keine Leute," erklärte ein Fabrikleiter. Der Hinweis, daß Kaganovic hinter der Aktion stehe, erwies sich als ebenso wirkungslos wie die Androhung, die Parteikontrollkommission einzuschalten. Das Moskauer Parteikomitee blieb untätig, und ihr Organ Rabocaja Moskva berichtete nicht einmal über solche Vorkommnisse. Auch die Parteisekretäre mancher Fabriken stellten das Interesse ihres Betriebes über jenes der Mobilisierungskampagne. Als er erfuhr, daß ein Drittel der Belegschaft für die Mobilisierung registriert 117 Sten. Gespräch mit dem Kommunisten Titov, Schacht 18. GARF R-7952/7/321, Bl. 17. 118 Bericht der Kaderabteilung von MGK VKP(b) auf der 4. Moskauer Gebiets- und 3. Stadtparteikonferenz, 16.-24.1.1934. In: Materialy k otcetu MGK VKP(b) IV oblastnoj i III gorodskoj partkonferencii. - Moskva 1934, S. 82. 119 Büro MK VLKSM. Prot. 27, 23.8.1933. CAODM 635/1/53, Bl. 48-49. 120 MGK VLKSM. Maßnahmen im Zusammenhang mit der Patenschaft über Metrostroj, 26.8.1933. Ebd., Bl. 55-57. 121 Büro MGK VLKSM. Prot. 28, 4.9.1933. Ebd., Bl. 60. 122 Die Strategien der Fabrikdirektoren und die Machtlosigkeit des Komsomol ihnen gegenüber hat Wolf 1994, S. 129-131 auf der Basis der Zeitung Komsomol'skaja Pravda (17.9.1933, 23.9.1933, 3.10.1933, 22.10.1933) beschrieben.
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war, bezeichnete ein Parteisekretär die Aktion als „Desorganisation" und „Hooliganismus" und erteilte dem Komsomolsekretär Hausverbot. Obwohl die Mobilisierung stockte, wurde Mitte September 1933 beschlossen, keine Frauen mehr anzuwerben.123 Vermutlich hatte die Leitung von Metrostroj einen entsprechenden Wunsch geäußert.124 Damit niemand aus finanziellen Gründen von der Mobilisierung Abstand nahm, wurde allen, die an ihrem bisherigen Arbeitsplatz mehr verdient hatten als bei Metrostroj, die Differenz auf den bisherigen Durchschnittslohn gezahlt.125 In der Komsomol 'skaja Pravda priesen Komsomolzen die Vorzüge der Arbeit bei Metrostroj: Man könne doppelt so viel verdienen wie anderswo, das Essen sei gut, die Unterkünfte seien sauber und warm.126 Die schon bei Metrostroj tätigen Komsomolzen nahmen Verbindung mit den Rayonskomitees auf und kümmerten sich um den Empfang und die Eingliederung der „Zehntausender".127 Trotz all dieser Bemühungen meldeten sich nicht genügend Freiwillige, und von denen, die den Dienst bei Metrostroj antraten, machte sich ein beträchtlicher Teil bald wieder aus dem Staub. Manche ließen sich von dem Gerücht erschrekken, daß man von der Caissonarbeit impotent werde.128 Viele waren unzufrieden, weil sie unter Tage arbeiten wollten, aber fur andere Arbeiten eingesetzt wurden, die in ihren Augen minderwertig waren und nicht dem heroischen Bild des Grabens einer Untergrundbahn entsprachen, wie sie es sich unter dem Einfluß der Propaganda ausgemalt hatten.129 Im Oktober 1933 übte die Moskauer Komsomolführung an den Rayons herbe Kritik, weil sie die Anwerbung nicht ernst genug genommen und die Schwierigkeiten unterschätzt hätten. Den Rayonssekretären wurde mit strengen Konsequenzen gedroht. Um die Zahl der Mobilisierten zu erhöhen, wurden 500 Studenten der Arbeiterfakultäten130 und ganze Komsomolorganisationen von Betrieben mitsamt ihrem Sekretär geschlossen zum Bau der Metro abkommandiert.131 Ende Oktober wurde die Aktion stillschweigend eingestellt. Nach dem 22.10.1933
123 MGK VLKSM. Prot. 28, 11.9.1933. CAODM 635/1/70, Bl. 1-2. 124 Ende Dezember 1933, als die Mobilisierung ihre Grenzen erreicht hatte und das Ziel immer noch nicht erfüllt war, wurde den Rayons gestattet, zehn Prozent Frauen und zehn Prozent Parteilose zu nominieren. (Büro MGK VLKSM. Prot. 37, 25.12.1933. CAODM 635/1/53, Bl. 143. 125 Redaktion des Udamik Metrostroja. Bulletin Nr. 6, 17.9.1933. CMAM 665/1/60, Bl. 28. 126 Komsomol'skaja Pravda, 28.8.1933, S. 1. Zitiert nach Wolf 1994, S. 123. 127 Redaktion des Udarnik Metrostroja. Bulletin Nr. 2, 1.9.1933. CMAM 665/1/60, Bl. 8. 128 Sten. Gespräch mit dem Komsomolzen Kotel', Caissongruppe, 26.8.1934. GARF R7952/7/242, Bl. 1, 24. 129 Vgl. desgl. mit den Komsomolzen Karpuchin und Abramov, Caissongruppe, 26.8.1934. Ebd., Bl. 46-47. 130 Büro MGK VLKSM. Prot. 30, 2.10.1933. CAODM 635/1/53, Bl. 80-81. 131 Sten. Gespräch mit dem Komsomolzen Polezaev, Schacht 10-11, 14.2.1935. GARF R7952/7/318, Bl. 108.
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Herkunft, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Metrobauer
schrieb die Presse nicht mehr über die Mobilisierung, obwohl das Ziel bei weitem nicht erreicht war.132 Bis zum 29.10.1933 gelang es, von den geforderten 10.000 Komsomolzen 7.223, davon 1.313 Frauen (18 Prozent), zu Metrostroj zu schicken. Die Arbeit tatsächlich aufgenommen hatten bis dahin nur 5.860.133 Insgesamt konnten bei den drei Mobilisierungswellen des Jahres 1933 statt der angepeilten 13.000 nur knapp mehr als die Hälfte, nämlich 7.443 Komsomolzen bei Metrostroj eingestellt werden.134 Von dieser Zahl muß noch die Dunkelziffer derer abgezogen werden, die kurz nach ihrem Arbeitsantritt den Bau wieder verließen.135 Im Dezember 1933 wurde die Mobilisierung wieder aufgenommen. Nun wurde beschlossen, 4.000 Komsomolzen zum Metrobau zu entsenden,136 also die noch ausstehende Differenz zu den 10.000. Außerdem schaltete sich nun das Moskauer Parteikomitee ein. Es beschloß in der von Kaganovic sorgfaltig vorbereiteten Resolution vom 29.12.1933, im Januar und Februar 1934 gemeinsam mit den Gewerkschaften und dem Komsomol 20.000 Arbeiter aus Moskauer Fabriken zu Metrostroj zu schicken und setzte hierzu eine Kommission ein.137 Am 8.1.1934 bestimmte die Kommission, daß der Komsomol 10.800 Mitglieder zu mobilisieren habe: 5.800 im Januar, davon 3.800, die bei der Mobilisierung der „4.000" bzw. eigentlich der „10.000" zu wenig gekommen waren, und 5.000 im Februar. Die Gewerkschaften mußten im Januar 7.000 und im Februar 8.000 Arbeiter zu Metrostroj schicken. Davon sollten zehn Prozent Parteimitglieder sein. Abakumov, der Mitglied der Kommission war, hatte einen Frauenanteil von dreißig Prozent als akzeptabel bezeichnet.138 Es sollten also nun insgesamt innerhalb von zwei Monaten 25.800 Arbeiter mobilisiert werden, bzw. wenn man die Auffüllung der „10.000" abrechnet, 22.000. Der Plan für den Monat Januar wurde erstaunlicherweise erfüllt. Die Gewerkschaften schickten 7.805 Arbeiter, von denen 7.177 (25 Prozent Frauen, 10 Prozent Kommunisten, 14 Prozent Komsomolzen) Ende des Monats noch auf den Baustellen arbeiteten.139 Nach einigen Wochen reduzierte sich ihre Zahl auf 132 Wolf 1994, S. 132. 133 Metrostroj. Übersicht über den Verlauf der Mobilisierung der Komsomolzen zu Metrostroj, 29.10.1933. CMAM 665/1/110, Bl. 1. Auch zitiert bei Wolf 1994, S. 121. 134 Bericht der Kaderabteilung von MGK VKP(b) auf der 4. Moskauer Gebiets- und 3. Stadtparteikonferenz, 16.-24.1.1934. In: Materialy k otfietu 1934, S. 82. 135 Die Zahlen von Metrostroj sind noch günstig im Vergleich mit anderen Baustellen: Von den Hunderten nach Magnitogorsk mobilisierten Komsomolzen traten nur zwanzig die Arbeit an (Kotkin 1995, S. 74-75), von den 12.000 zur Stalingrader Traktorenfabrik geschickten nur 2.262 (Kuromiya 1988, S. 208). Vgl. Wolf 1994, S. 121. 136 Vereinigtes Büro MK und MGK VLKSM. Prot. 7,13.12.1933. CAODM 634/1/308, Bl. 49. 137 MK und MGK VKP(b), Gebiets- und Stadtexekutivkomitee. Resolution, 29.12.1933.In: Metrostroj (1933), Η. 11-12, S. 12. 138 Kommission von MK VKP(b) für die Auswahl von Arbeitskräften für Metrostroj im Januar und Februar 1934. Prot., 8.1.1934. CMAM 718/9/20, Bl. 1. 139 MGSPS. Zusammenfassender Bericht über die Mobilisierung von Arbeitern zu Metrostroj, 31.1.1934. CMAM 718/9/20, Bl. 6.
Mobilisierungen" aus Moskauer Betrieben
169
6.949.140 Dem Komsomol gelang die Mobilisierung von 5.784 Arbeitern, wobei allerdings nicht klar ist, wie viele von ihnen Komsomolmitglieder waren und wie viele tatsächlich länger auf dem Bau blieben.141 Für den restlichen Verlauf der Aktion gibt es nur bruchstückhafte Quellen. Den Komsomol beschäftigte sie noch bis Mai 1934. Die Frist fur die Mobilisierung von „1.000" wurde am 27.4.1934 bis zum 10.5.1934 verlängert.142 Daraus könnte man schließen, daß vom Februarkontingent (5.000) im April das letzte Tausend noch nicht voll war, also insgesamt in den Monaten Februar bis Mai über den Komsomol 4.000 bis 5.000 Arbeiter zu Metrostroj kamen. Inwieweit die Gewerkschaften ihr Februarkontingent von 8.000 Arbeitern erfüllten, läßt sich aus den Quellen nicht eindeutig bestimmen. Die offizielle Darstellung sprach rückblikkend von der erfolgreichen Mobilisierung von 23.000 Arbeitern Anfang 1934.143 Dieselbe Zahl nannte der Leiter der Planungs- und Kontrollabteilung von Metrostroj in einem Interview.144 Der von der Partei eingesetzte oberste Qualitätsinspektor Klimov und der Bevollmächtigte für Kaderangelegenheiten Kuznecov sprachen von 20.000 von den Gewerkschaften Mobilisierten, wobei Kuznecov allerdings für den Komsomol zusätzlich 15.000 (1.000 + 2.000 + 10.000 + 2.000) veranschlagte.145 Eine Anfang 1935 auf der Basis der Rechenschaftsberichte der Kaderabteilungen der Schächte und Distanzen erstellte Berechnung ergibt die Zahl von rund 18.800 Arbeitern, die im Laufe des Jahre 1934 über Mobilisierungen eingestellt wurden.146 Angesichts des stockenden Verlaufs der Mobilisierungen im Sommer und Herbst 1933 überrascht diese hohe Zahl. Der Erfolg der Aktion beruhte erstens darauf, daß 1934 die Auswahl größer war, weil man sich nicht auf Komsomolzen beschränkte. Schon bei der Formulierung der Aufgabe im Februar 1934 begnügte sich der Komsomol mit einem Anteil von fünfzig Prozent Komsomolzen unter den von ihm zu entsendenden Arbeitern.147 Eine Mitte Juni 1934 erstellte Übersicht über die Parteiorganisation von Metrostroj verzeichnete rund 9.000 Komsomolzen.148 Daraus kann man schließen, daß die über den Komsomol mobilisierten Arbeiter überwiegend keine Komsomolmitglieder waren, denn sonst hätte die Zahl der anwesenden Komsomolzen viel höher sein müssen. Der zweite Grund für den relativen Erfolg der Mobilisierungsaktionen ist darin zu sehen, daß 1934 140 MGSPS. Bericht über die Anwerbung von Arbeitern aus Moskauer Betrieben für Metrostroj, o.D. [Februar 1934], CMAM 718/8/36, Bl. 76. 141 Büro MGK VLKSM. Prot. 39, 3.2.1934. CAODM 635/1/77, Bl. 8. 142 Desgl. Prot. 41a, 27.4.1934. Ebd., Bl. 37-38. 143 Moskovskij Sovet 1934, S. 69. 144 Sten. Gespräch mit Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 4 2 ^ 3 . 145 Desgl. mit Ing. Klimov, 20.11.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 16. Desgl. mit Kuznecov, 20.11.1934. Ebd., Bl. 49. 146 Jahresberichte der Kaderabteilungen der Schächte und Distanzen von Metrostroj. [Anfang 1935], CMAM 665/1/225, Bl. 1-80, und 665/1/226, Bl. 1-90. 147 Büro MGK VLKSM. Prot. 39, 3.2.1934. CAODM 635/1/77, Bl. 8. 148 Büro MGK VKP(b). Beilage zum Prot. 8, 14.6.1934. CAODM 4/4/15, Bl. 17-20.
170
Herkunft, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Metrobauer
die Autorität Kaganovics dahinterstand, die im Konflikt mit Fabrikdirektoren erheblich mehr wog als jene des Komsomol. Die Resolution vom 29.12.1933 war in der Presse bekannt gemacht worden und mußte in allen Parteizellen Moskaus verlesen werden. Trotzdem verlief auch die Mobilisierung des Jahres 1934 alles andere als reibungslos. Einer der Beteiligten erinnerte sich, daß die Werber nach wie vor gegen die Betriebsleitungen ankämpfen und erst Freiwillige finden mußten, denn angesichts der schlechten Lebensbedingungen bei Metrostroj hatten die Fabrikarbeiter wenig Lust, zur Metro zu gehen.149 Die Betriebe schickten auch diesmal wieder mit Vorliebe kranke, invalide, körperlich schwache Leute und Frauen150 oder weigerten sich überhaupt, Arbeiter freizugeben. Eine Reihe von Fabrikdirektoren und Parteisekretären mußte erst vor die Rayonsparteikomitees zitiert werden, damit sie nachgaben.151 Viele der Mobilisierten ließen sich vom Arzt bescheinigen, daß sie nicht unter Tage arbeiten könnten, und verließen die Baustellen wieder.152 Der Abgang war hoch, zumal man sich auch zu wenig um die neu Eingetroffenen kümmerte.153 Die Baustellen waren schlecht auf den Zustrom einer so großen Zahl von Arbeitern vorbereitet, hatten zu wenig Arbeitskleidung, Werkzeuge, Plätze in der Kantine und Verpflegung. In der Folge verweigerte bei einigen Schächten ein Teil der Mobilisierten die Arbeit. Bei den Schächten 44—46 rückten von 318 Arbeitern zehn, bei den Schächten 38—40 von 337 sechs, bei den Schächten 30-32 von 290 vier nicht zur Arbeit aus. Beim Schacht 4 7 ^ 8 wurden 85 Mobilisierte wegen Arbeitsverweigerung und Nichterscheinens zur Arbeit entlassen.154 Diese Befunde lassen erkennen, daß die Mobilisierungen des Jahres 1934 einen qualitativ anderen Charakter hatten als jene von 1933. War es 1933 darum gegangen, einen harten Kern von Kommunisten und Komsomolzen in die Baustellen einzuschleusen, stand jetzt die extensive Ausweitung des Personalstandes im Vordergrund, um bis November 1934 den Bau fertigstellen zu können. Vor allem der hohe Frauenanteil, den man dabei in Kauf nehmen mußte, erregte bei der Belegschaft der Baustellen Unwillen: „Was sollen wir mit den Mädels machen, uns steht ausschließlich schwere Arbeit bevor, und man schickt uns diese Mäd-
149 Sten. Gespräch mit einem Komsomolzen, Schacht 31-32, 17.9.1934. GARF R-7952/ 7/243, Bl. 87. 150 Komsomol'skaja Pravda Nr. 62, 14.3.1934, S. 3 (Karikatur). Sten. Beratung bei Kaganovic, 25.-26.2.1934. RGASPI 81/3/202, Bl. 25. Vgl. Sten. Gespräch mit dem Arbeiter Usarson, Schacht 31-32, 17.9.1934. GARF R-7952/7/243, Bl. 90. 151 Sten. Gespräch mit Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 43. Desgl. mit dem Arbeiter Usarson, Schacht 31-32. GARF R-7952/7/243, Bl. 91. Desgl. mit dem Parteisekretär Rybakov, Schacht 31-32. GARF R-7952/7/307, Bl. 64. 152 Sten. Beratung bei Kaganovic, 25.-26.2.1934. RGASPI 81/3/202, Bl. 25. 153 Prot. Beratung bei Kaganovic, 25.-26.2.1934. RGASPI 81/3/202, Bl. 23, sowie CMAM 665/1/124, Bl. 4 - 5 und CAODM 4/4/9, Bl. 10-13. 154 MGSPS. Bericht über die Anwerbung von Arbeitern aus Moskauer Betrieben für Metrostroj, o.D. [Februar 1934], CMAM 718/8/36, Bl. 76-78.
,Mobilisierungen" aus Moskauer Betrieben
171
chen in Seidenkleidern. Das ist keine Auswahl von Arbeitskräften, sondern ein Witz", zitierte ein Chefingenieur, was er auf der Baustelle gehört hatte.155 Ingenieur Klimov, der Beauftragte des Moskauer Parteikomitees für die Qualität der Arbeiten bei Metrostroj, meinte, 10.000 von den im Jahre 1934 mobilisierten Arbeitern seien so viel wert gewesen wie 5.000 ,.richtige" Arbeiter. Sie konnten nur in Schnellkursen ausgebildet und erst im Herbst 1934 als gute Fachkräfte bezeichnet werden. Mit seiner Kritik hatte Klimov allerdings auch die Komsomolzen im Sinn: „Wir bekamen Strumpfwirker, Stricker, Seifensieder, Kürschner und viele Frauen. Sie gaben sehr gute gesellschaftliche Inspektoren ab, die einen nachts stören und nicht schlafen lassen. Es war ein vieltausendköpfiges Kollektiv, aber Arbeiter muß man vorher unter den Bedingungen der Arbeit ausbilden." 156
Wie schon erwähnt, war in der Moskauer Bevölkerung 1933 die Vorstellung verbreitet, beim Bau der Metro würden in großem Maßstab Zwangsarbeiter und Häftlinge eingesetzt.157 Auch in manchen historischen Darstellungen wird derartiges behauptet.158 Der Befund aus den Quellen ist differenzierter: Auf den Steinbrüchen und Schottergruben von Metrostroj rund um Moskau waren tatsächlich zeitweise überwiegend Zwangsarbeiter und rückfällig gewordene Kleinkriminelle tätig.159 Innerhalb Moskaus verzichtete man jedoch auf einen nennenswerten Einsatz, da Sträflingsarbeit nicht zu dem von der Propaganda gehegten Bild der elitären Enthusiasten-Baustelle paßte, die ein Blickfang für ausländische Besucher war. Hier arbeiteten lediglich ehemalige Sträflinge vom Weißmeerkanal, die nach dessen Fertigstellung 1933 freigelassen worden und bei Metrostroj gelandet waren, sowie Fachleute, die man als „Schädlinge" verurteilt hatte, aber nun ihr
155 Sten. Gespräch mit Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 44. 156 Desgl. mit Ing. Klimov, 20.11.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 12, 16. - Zu den gesellschaftlichen Inspektoren siehe Kap. VI.5 und VI.7. 157 Vgl. Sten. Gespräch mit dem Komsomolsekretär 3. Distanz, Sirjaev, 20.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 164. - Vgl. Sten. Erinnerungsabend beim Schacht 31-32, 17.9.1934. GARF R-7952/7/243, Bl. 91. 158 Vgl. z.B. Hoffmann 1994, S. 52 unter Berufung auf eine Akte des Mossovet, wobei es sich allerdings um ein Mißverständnis handelt. Die zitierte Akte ist der Rechenschaftsbericht des Leiters der Metro, Petrikovskij, vom 14.5.1936 über das erste Betriebsjahr. Darin schreibt er, das qualifizierte Betriebspersonal der Metro sei aus der Industrie, dem Verkehrswesen und den Organen des NKVD ausgewählt worden, d.h. der Bericht bezog sich nicht auf den Bau der Metro, sondern auf den Fahrbetrieb und die erwähnten Personen waren keine Sträflinge, sondern NKVD-Mitarbeiter. (CMAM 150/5/24b, Bl. 2). - Vgl. Conquest 1991, S. 190 unter Berufung auf die Memoiren eines spanischen Generals, der mit Tausenden anderen als Zwangsarbeiter auf Metrobaustellen arbeitete, allerdings nicht bei der ersten Baufolge, sondern im Jahre 1941. Vgl. Gonzales 1951, S. 56. 159 Sergej Vetlugin: „Moskovskij metropoliten Stroit ves' Sovetskij Sojuz". GARF R7952/7/387, Bl. 89. - Sten. Gespräch mit dem Leiter der Steinbruchwirtschaft, Gordon, 16.11.1934. GARF R-7952/7/300, Bl. 72.
172
Herkunft, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Metrobauer
Know-how brauchte.160 Eine ausgesprochene Zwangsarbeiterbaustelle wurde die Metro erst in späteren Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg mußten auch deutsche Kriegsgefangene bei Metrostroj arbeiten.161
3. Die E n t w i c k l u n g des P e r s o n a l s t a n d e s 1 9 3 1 - 1 9 3 5 Der Bestand von Metrostroj an Arbeitskräften entwickelte sich in Abhängigkeit von den anstehenden Arbeiten, dem vorhandenen Wohnraum und den Möglichkeiten, Arbeiter einzustellen. Die Zahlen der beschriebenen Anwerbungen, Einstellungen „am Tor" und Mobilisierungen können nicht einfach addiert werden, denn es gab eine beträchtliche Fluktuation der Arbeitskräfte. Im Laufe der Jahre 1931 bis 1935 wurden um ein Vielfaches mehr Arbeitskräfte eingestellt als jemals gleichzeitig am Bau arbeiteten. In den ersten Monaten bestand das Unternehmen fast nur aus Verwaltungsund technischem Personal. Am 1.12.1931 hatte Metrostroj insgesamt 262 Beschäftigte, davon 56 Ingenieure und 35 Techniker. Der Rest waren Büro- und Hilfskräfte und wenige Arbeiter.162 Erst mit dem Arbeitsbeginn am Versuchsabschnitt im Dezember 1931 wurden mehr Arbeiter eingestellt. Bis Mitte 1933 erhöhte sich die Zahl der Beschäftigten kontinuierlich, aber langsam, wobei der Verwaltungs- und Führungsapparat gegenüber der Zahl der Arbeiter überproportional aufgebläht wurde. Im Laufe des Jahres 1933 wurde auf den Druck der Kontrollorgane hin der Stellenplan des Leitungsapparates um ein Drittel gekürzt.163 Die Zahl der Ingenieure und Techniker erhöhte sich weiter, doch stieg nun nach den Umstrukturierungen des ersten Halbjahres 1933 auch die Zahl der Arbeiter kräftig an, so daß das Mißverhältnis zwischen Arbeitern und Leitungsapparat behoben wurde. Vom vierten Quartal 1933 bis Anfang 1935 machten die Arbeiter 74 bis 80 Prozent der Beschäftigten aus. Bis zum dritten Quartal 1933 waren es nur 55 bis 68 Prozent gewesen. Der spektakulärste Zuwachs an Arbeitern war zwischen Januar und Mai 1934 zu verzeichnen. Der Höchststand wurde im Mai 1934 mit rund 76.000 Arbeitern erreicht. Anfang 1934 hatte man vorübergehend sogar geplant, bis Mai die Zahl der Arbeiter auf 94.000 zu erhöhen.164
160 Vgl. Sten. Gespräch mit dem Gehilfen des Leiters von Metrostroj für Kaderangelegenheiten, Kuznecov, 20.11.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 66. 161 Urban, T.: Bettlerasyl im Prunkreich der Unterwelt. Die Moskauer Metro. Lenins Parfüm - eine schwindende Duftnote. - In: Süddeutsche Zeitung, 11.2.1993. Zitiert nach Kucher 1995, S. 44. 162 Metrostroj. Personalstand am 1.12.1931. CMAM 665/1/8, Bl. 9-11. 163 Rotert an den stv. Vorsitzenden des Mossovet, Chvesin, 21.4.1933. GARF R-7952/7/ 152, Bl. 22. 164 Abakumov an Chruäöev, o.D. [Anfang 1934], GARF R-7952/7/152, Bl. 29.
Die Entwicklung des Personalstandes 1931-193 5
173
Tabelle 11: Arbeitskräfte bei Metrostroj 1932-1935 1 6 5 Zeitpunkt 1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal 4. Quartal 1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal 4. Quartal 1.1.1934 1.2.1934 1.3.1934 1.4.1934 1.5.1934 1.6.1934 1.7.1934 1.8.1934 1.9.1934 1.10.1934 1.11.1934 1.12.1934 1.1.1935 1.2.1935
1932 1932 1932 1932 1933 1933 1933 1933
Arbeiter
Prozent
1.328 3.106 4.333 (5.200) 5.734 8.499 14.893 25.326 27.410 38.434 49.130 54.638 60.302 56.724 53.788 51.776 51.475 51.459 49.933 49.178 48.056 47.737
55,6 67,9 63,6 60,5 63,4 64,7 68,0 77,1 74,2 78,6 80,5 79,9 79,7 80,0 78,7 77,6 76,0 76,5 74,9 75,0 74,3 74,4
ITR 169 (330) (460) (635) 727 848 1.762 2.195 2.609 3.100 3.855 4.449 4.756 4.319 4.539 4.766 5.080 4.859 4.979 4.856 5.038 4.668
Prozent 7,1 7,2 6,8 7,4 8,0 6,5 8,0 6,7 7,1 6,3 6,3 6,5 6,3 6,1 6,6 7,1 7,5 7,2 7,5 7,4 7,8 7,3
Gesamtzahl der Beschäftigten 2.389 4.574 6.809 (8.600) 9.038 13.141 21.907 32.848 36.922 48.897 61.062 68.421 75.639 70.936 68.347 66.750 67.719 67.294 66.709 65.605 64.668 64.154
Abb. 22: Arbeitskräfte bei Metrostroj 1931-1935
Arbeitskräfte insgesamt Arbeiter ITR
165 Metrostroj. Personalstand am 1.12.1931. CMAM 665/1/8, Bl. 9-11. Konjunkturberichte von Metrostroj für Januar bis August 1932. GARF R-7952/7/162, Bl. 11-12, 39, 45, 63, 65, 82, 101, 104. GARF R-7952/7/163, Bl. 9, 17, 4 3 ^ 6 . Konjunkturbericht für die Monate Januar bis Oktober 1932. CMAM 1289/1/395, Bl. 209. Rotert, Abakumov, Starostin, Seljubskij. Kurze technische Beschreibung der ersten Baufolge der Metro, 16.2.1935. GARF R-5446/ 40/16, Bl. 50 (Werte für 1933-1935). Für die Quartalswerte von 1932 wurde der Stand des in der Mitte des Quartals liegenden Monats genommen. Fehlende Daten wurden anhand der Verlaufskurve (Abb. 22) geschätzt und in Klammern gesetzt.
174
Herkunft, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Metrobauer
Tab. 12 schlüsselt für den 1.6.1934 den Personalstand nach Qualifikationen und Verwendungen auf. 166 Tabelle 12: Personalstand von Metrostroj am 1.6.1934167 Verwendung Objekt
Arbeiter
Schächte 7-29 (Mjasnickij Radius) Caissonkontor geschlossene Bauweise insgesamt Distanzen 1-8 (offene Bauweise am Mjasnickij und Frunze-Radius) Schächte 30-51 (Grabenbauweise am Arbat-Radius) Spezialarbeiten Tunnelarbeiten insgesamt sonstige Bauarbeiten Projektierung, Leitung, Dienste zugeordnete Betriebe Metrostroj insgesamt Sonstiges (Fabrikberufsschule, Bauberufsschule, Vertragsarbeiter, medizinisches Personal) Beschäftigte insgesamt (Prozent)
16.194
Kategorien von Beschäftigten ingenieursonstige Hilfstechnisches Angestellte personal Personal 1.030 659 874
Summe
18.757
1.359 17.553
100 1.130
33 692
125 999
1.617 20.374
13.576
811
509
691
15.587
7.391
468
306
324
8.439
3.026 41.546 3.707 6.082
329 2.808 166 1.036
163 1.670 206 2.198
179 2.193 218 1.262
3.767 48.217 4.297 10.583
5.889 56.724 1.275
309 4.319 658
394 4.468 126
419 4.097 116
6.511 69.608 2.174
57.999 (80,8%)
4.977 (6,9%)
4.594 (6,4%)
4.213 (5,9%)
71.782 (100%)
4. D i e F l u k t u a t i o n und das P a ß g e s e t z Ein Kennzeichen für die Fabriken und Baustellen der ersten Fünfjahrespläne war die hohe Fluktuation der Arbeitskräfte, die 1929 stark zunahm, 1930 ihren Höhe-
166 Metrostroj. Statistische Übersicht über die Beschäftigten März-November 1934. CMAM 665/1/223, Bl. 1-25. - Für den Höchststand am 1.5.1934 ist keine solche Aufschlüsselung verfugbar. 167 Ebd. - Die Gesamtsumme unterscheidet sich geringfügig von jener in Tab. 11, da dort die Vertragsarbeiter (170) und das medizinische Personal (676) nicht eingerechnet wurden.
Die Fluktuation und das Paßgesetz
175
punkt erreichte und danach einige Jahre auf hohem Niveau blieb. Die Großindustrie verzeichnete 1930 den Abgang von 152,4 Prozent und die Neueinstellung von 176,4 Prozent der im Jahresmittel anwesenden Arbeiter.168 Eine besonders hohe Fluktuation an Arbeitern hatten der Kohlebergbau (1930: 282,6 Prozent Abgänge), die Eisenerzförderung (293 Prozent) und die Nahrungsmittelindustrie (294 Prozent). Durchschnittlich wechselte jeder sowjetische Industriearbeiter zwischen 1929 und 1932 fünfmal den Arbeitsplatz.169 Die Partei identifizierte die ehemaligen Bauern als diejenigen, die sich nicht auf Dauer an einem Arbeitsplatz niederließen, und sprach von mangelndem proletarischem Bewußtsein und kleinbürgerlicher Gesinnung. Die Fluktuation betraf aber genauso die älteren Arbeiter und war in den Produktionsverhältnissen begründet. Der Wechsel des Arbeitsplatzes war in einem System, das Streiks kriminalisierte bzw. erfolgreich zu unterbinden verstand und in dem die Gewerkschaften gleichgeschaltet waren, eine Möglichkeit, bessere Arbeitsbedingungen, erträglichere Lebensumstände oder höheren Lohn zu suchen.170 Angesichts des chronischen Arbeitskräftemangels konnten die Leute fast immer damit rechnen, schnell einen neuen Arbeitsplatz zu finden.171 Verstärkt wurde dieses Verhalten durch die Verschärfung der Wohnungsnot, die Verschlechterung der Versorgungslage bei Nahrungsmitteln und Konsumgütern während der forcierten Industrialisierung sowie durch die großen Lohnunterschiede in den einzelnen Betrieben.172 Auf den Baustellen, die für Millionen bäuerliche Migranten eine Zwischenstation auf dem Weg vom Dorf in die Fabrik darstellten, hatte die Fluktuation deutlich saisonalen Charakter, der nicht nur von der jahreszeitlichen Konjunktur der Bauwirtschaft abhing, sondern auch von den dörflichen Bindungen der Arbeiter. Eine Gewerkschaftsstatistik für die Jahre 1932 bis 1934 zeigt anschaulich, wie sich die extrem hohe Zahl von Abgängen in dieser Branche (1932: 306 Prozent im Jahr, 1933: 292 Prozent, 1934: 231 Prozent) auf die einzelnen Monate verteilte (Abb. 23): Bei den Abgängen entfielen die höchsten Werte nicht nur auf die Monate Dezember und Januar, wie das in der Bauwirtschaft üblich ist, sondern auch auf die Monate Juni bis August, also die eigentliche Hauptbausaison. Das deutet darauf hin, daß die Arbeiter zur Ernte in ihre Dörfer gingen, um danach (hohe Zugänge im September) wieder auf die Baustellen zurückzukehren, wobei sich diese Entwicklung allerdings von 1932 bis 1934 merklich abschwächte. Auch die Entlassungen im November und Dezember erfolgten nur zu etwa einem Drittel aufgrund von Stellenkürzungen oder wegen der Beendigung der Arbeiten.173
168 169 170 171 172 173
Schröder 1988, S. 293. Ebd., S. 294. Straus 1991, S. 207. Vgl. Hoffmann 1994, S. 208. Schröder 1988, S. 295-297. Trud ν SSSR za 1934 god, S. 197.
Herkunft, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Metrobauer
176
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23
»Die Kultur- und Erholungsdistanz«. Karikatur in Udarnik Metrostroja 23.7.1933, S. 4
Nr. 133,
»Sind das Vortriebshauer? - Nein, Blaumacher.«
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24
»Zeitstudie des Arbeitstags beim Schacht 49-51«. Karikatur in Udarnik Nr. 54, 7.3.1934, S. 2
Metrostroja
»Sie warten auf die A n f o r d e r u n g von Beton. Sie warten auf Holz. Sie warten auf den Transport. Sie warten auf den Polier. U n d sie arbeiten überhaupt nicht.«
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»Bei unserem Schacht werden Blaumacher eingestellt.« Karikatur in Za tonnelja Nr. 3, 26.7.1934, S. 2
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[Ein Arbeiter wird beim Schacht 22 wegen Blaumachens entlassen und beim Schacht 30 mit offenen A r m e n empfangen.]
26
»Galerie unserer >Helden°· H K I J M H , « « H I · · , aKa· W «"««T«>.«•» « «aJIKT aop*·«»»« aMJWMIiOMta * rtptMia «MIHWIIL C«p«npfc MpTaiHOii IS Μ Marpocrpo« Γρ. Pol« η Kauia.
27
»Zigeunerlager im Zentrum«. Karikatur in Udarnik Metrostroja S. 3
Nr. 68, 23.3.1934,
»Beim Schacht 10-12 werden die Betonarbeiten zu 50 Prozent erfüllt. D e r Schachtleiter Bobrov [rechts] ist trotzdem ganz optimistisch und sieht das G r u n d ü b e l im Bergdruck. Der Parteisekretär Filatov [Mitte] ist Bobrov ergeben und und lehnt die familiäre Atmosphäre, die im Schacht herrscht, ab. Aus den aufgedeckten Fakten von Trinkgelagen unter der >KulturO> ( « Π ρ β β Μ » )
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34 »Vor d e m Eintritt ins Vestibül«. Karik a t u r in Udarnik Metrostroja N r . 97, 2 8 . 4 . 1 9 3 5 , S. 3 »Während der Besichtigungsfahrten, als die Z ü g e d e r M e t r o m e h r als eine h a l b e Million Passagiere beförderten, fand m a n w e d e r in d e n S t a t i o n e n n o c h in d e n W a g g o n s a u c h n u r einen Zigarettenstummel o d e r einen Fetzen Papier... D a r i n erweist sich die K u l t u r d e r M e t r o « (»Pravda«),
35 Ing. I.E. Katcen, seit 1929 mit der Projektierung befaßt
36
P. P. Rotert, Leiter von Metrostroj
37
Ε. Τ. Abakumov, stv. Leiter von Metrostroj
N. S. Chruscev, 1932-1934 2. Sekretär, 1934-1938 1. Sekretär des Moskauer Stadtparteikomitees
42
Kaganovic bei den Arbeitern im Schacht 10-11
44
Zweistollige belgische (Pariser) Bauweise
46
Montage des englischen Schildes
47
Arbeit im Innern des sowjetischen Schildes
48—49
Aufkleben der Isolierung im Schacht 12
50 Zweigleisiger Tunnel zwischen den Stationen »Leninbibliothek« und »Palast der Sowjets«
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Komsomolzen lassen sich für die Arbeit beim Metrobau registrieren
D i e U n t e r b r i n g u n g in der Selbstdarstellung
52 Wohnhäuser in den Siedlungen von Metrostroj
53
Komsomolbaracke
54
Arbeit im Tunnel. Der Arbeiter trägt wasserfeste Kleidung
55
Arbeit im Tunnel
56
Die frohen Metrobauer
58
Schautafel mit den Leistungen der Arbeiter einer Brigade
59
Delegierte des Kolchoskongresses in der Metro, Februar 1935
60-61
Demonstration am 16.5.1935 zur Eröffnung der Metro
Das kulturelle und politische „Wachstum" der Arbeiter
337
willst. Manche Arbeiter haben zehn und mehr Berufe. Und das alles haben sie ausschließlich bei Metrostroj erworben. In ihrer Mehrheit schreitet hier die Jugend voran, sie qualifiziert sich schnell um. Hierfür haben wir ein großes Netz von Kursen - für Isolation, Beton usw." 15
Wichtiger noch als die Berufsausbildung und die Flexibilität war fur die Schaffung des neuen Menschen die Veränderung seines Bewußtseins und die Hebung seines kulturellen Niveaus. Nicht nur in den Interviews mit den Metrobauern, auch in Stenogrammen von Parteiversammlungen und in den Betriebszeitungen stößt man häufig auf Wendungen wie „er arbeitete an sich" oder „ich arbeite an mir". Die Schaffung des neuen Menschen erfolgte nicht nur passiv durch das Einwirken der Umwelt, sondern durchaus auch aktiv durch die Beteiligten. Vor allem unter den Komsomolzen entwickelten viele den Ehrgeiz, sich durch aktive eigene Bemühungen auf das Niveau des sozialistischen Menschen zu heben.16 Auf Versammlungen oder in der Betriebszeitung legten sie Rechenschaft darüber ab, wie sie an sich arbeiteten, was sie lasen, welche politischen und kulturellen Veranstaltungen sie besuchten usw.17 Metrostroj wurde dabei zur „Schule" oder gar zur „Universität": „Während ich bei der Metro arbeitete, vergaß ich nicht eine Minute mein kulturelles Wachstum. Die Schicht arbeitete ich im Schacht, dann ging ich in die Arbeiterfakultät studieren. [...] Die Arbeiterfakultät habe ich noch nicht abgeschlossen, aber dafür habe ich die große Universität Metrostroj durchlaufen, die mich viel gelehrt hat. Ich kann jetzt unter beliebigen Bedingungen arbeiten." 18
Schon allein die Titel etlicher Beiträge zu dem anläßlich der Eröffnung der Metro herausgegebenen Sammelband „Erzählungen der Metrobauer" sprechen für sich: „Bei der Metro bin ich gewachsen", „Die Erziehungsbrigade", „Wir haben gearbeitet, gekämpft, gelernt", .Arbeiten und Lernen", „Wer uns alle unterrichtet hat", „Das Wachstum der Leute", „Die Arbeit an der Qualität der Leute", „Die Universität in großer Tiefe".19 Inwieweit derartige Äußerungen von Jungkommunisten ihrer inneren Überzeugungen entsprachen oder es sich bloß um die Übernahme des Propagandadiskurses handelte, läßt sich aus den Quellen nicht beantworten, da sie allesamt in einem halböffentlichen Kontext entstanden. Den Beteiligten war klar, daß ihre in den Interviews, Tagebüchern oder auf Erinnerungsabenden getroffenen Aussagen 15 Desgl. mit dem Beauftragten für Kaderangelegenheiten, Kuznecov, 20.11.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 49. 16 Vgl. auch Tagebuch aus Moskau 1996, S. 35. 17 Vgl. z.B. Sten. Gespräch mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/ 7/341, Bl. 27. 18 Sizikov, Pavel: Na metro ja vyros [bei der Metro bin ich gewachsen]. - In: Ventiljator Nr. 11, 1.5.1935, S. 2. 19 Rasskazy stroitelej metro 1935.
338
Die „Schmiede des neuen Menschen"
publiziert werden konnten, was zweifellos auf sie zurückwirkte.20 Während die über die eigenen Motive und Verhaltensweisen getroffenen Aussagen sehr heterogen und damit wohl realitätsnäher waren,21 erwecken jene das „Wachstum" betreffenden einen stark stereotypen Eindruck. Man sagte offenbar das, was der Interviewer hören wollte. Zuweilen ist die Beeinflussung aus den Gesprächsprotokollen deutlich zu erkennen: Die Vorstellung von Metrostroj als einer „Universität" etwa entsprang nicht dem Denken der Metrobauer selbst, sondern wurde ihnen auf Versammlungen oder auch erst vom Interviewpartner suggeriert. Ein schönes Beispiel, wie der Interviewer dem Beiragten die erwünschten Aussagen in den Mund legte, ist das Gespräch zwischen dem Schriftsteller Boris Pil'njak und dem Beauftragten für Kaderangelegenheiten, Kuznecov: „Pil'njak: Kann man Ihnen die Worte zuschreiben, daß der Metrobau in Moskau eine Universität für qualifizierte Arbeiter ist? Kuznecov: Richtig. [...] Pil'njak: Wenn es eine Universität für die Arbeiter ist, was gibt es dann für Fakultäten? Der erste Lehrer und Professor ist die Partei. Der zweite Lehrer und Professor ist die Regierung. Der dritte Lehrer und Professor ist der Komsomol. Das stimmt doch, oder? Kuznecov: Richtig. Pil'njak: Das sage alles nicht ich, sondern das sagen Sie. Und der vierte Lehrer und Professor sind Kaganovii und Chruscev." 22
Illustriert wurde das Wirken der „Schule" und der „Universität" an eindrucksvollen Erfolgsgeschichten. Beliebte Motive waren die erfolgreiche „Bearbeitung" und schließliche Transformation ehemaliger Alkoholiker, verwahrloster Straßenkinder und Hooligans zu vorbildlichen Stoßarbeitern und Aktivisten23 oder die Umerziehung ,Rückständiger" Arbeiter zu kultivierten Proletariern unter dem Einfluß der Komsomolzen: „Matrosov kam zu Metrostroj um zu arbeiten. Der Bau selbst interessierte ihn wenig. Wenn er zwei Schichten hintereinander im Schacht blieb, dann nur, um mehr zu verdienen. Seine Anwesenheit bei der Metro betrachtete er als vorübergehende Verpflichtung: sie möglichst schnell ableisten, mehr Geld verdienen und wegfahren. Die Le-
20 Für die Metrobauer ist kein Tagebuch bekannt, das wie jenes von Stepan Podlubnyj zu rein privaten Zwecken verfaßt wurde. 21 Vgl. Kap. IV.2.a. 22 Sten. Gespräch mit Kuznecov, 20.11.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 51. - Vgl. auch das sehr ähnliche Gespräch Pil'njaks mit Ing. Klimov, 20.11.1934. Ebd., Bl. 26. 23 Vgl. z.B. Sten. Gespräch mit Parteisekretär Batrakov, Schacht 16-17, 13.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 149-150. Vgl. desgl. mit dem Komsomolzen Andreev, 3. Distanz, 28.8.1934. GARF R-7952/7/274, Bl. 57. Vgl. desgl. mit dem Komsomolsekretär Sirjaev, 3. Distanz, 20.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 169 [über Andreev, der als Straßenkind zu Metrostroj kam und zum Stoßarbeiter und Brigadier aufstieg].
Das kulturelle und politische „Wachstum" der Arbeiter
339
bensbedingungen kümmerten ihn nicht. Ob es in der Baracke sauber oder schmutzig war, kalt oder warm, berührte Matrosov nicht allzusehr. Die Baracke war doch nur eine vorübergehende Erscheinung, er würde nicht ewig dort wohnen! Wenn er von der Arbeit kam, legte sich Matrosov in der Arbeitskleidung und mit schmutzigen Stiefeln ins Bett. Wenn man ihm sagte, daß das unkultiviert und ungesund sei, lachte er. Bulgakova kam als Putzfrau nur deswegen in die Metrostrojbaracke, weil sie keine Wohnung hatte. Sie arbeitete nachlässig, spazierte mit dem Besen um die Baracke, sah auf die Uhr. Solche Leute kamen viele zu Metrostroj. Sie hatten nicht einmal die elementarsten kulturellen Manieren. So war das am Anfang. Aber gleichzeitig kamen auch andere Leute. Das waren Komsomolzen, Stoßarbeiter der größten Moskauer Betriebe, Jungs mit kultiviertem Auftreten und hohen Anforderungen. Sie waren gewohnt, in sauberer Wäsche zu schlafen und daß die Bettwäsche oft gewechselt wurde. Sie wollten nicht um das Essen Schlange stehen, sahen Sinn in besserem Essen, interessanten Büchern und guten Auffuhrungen. Solche Leute hatten wir viele, und sie begannen, auf dem Bau den Ton anzugeben. Sie arbeiteten gut und verlangten gute Behandlung."24 [...] „Picuzkina kam zu Metrostroj als völlige Analphabetin. Heute liest sie Puskin, Lermontov."25 [...] ,.Der ehemalige Säufer und Radaubruder Kuznecov studiert jetzt im zweiten Kurs der Arbeiterfakultät und besucht den Literaturzirkel. Man kann ihn oft im Leseraum sehen. Ein anderer Arbeiter namens Seljakin, der sich ebenfalls nicht durch beispielhaftes Verhalten auszeichnete, schreibt jetzt Gedichte, die in der Zeitung gedruckt werden, nimmt an der Arbeit des Dramaturgiezirkels teil und lernt viel, um in die Arbeiterfakultät einzutreten."26 Parteisekretäre und Komsomolzen konstatierten befriedigt, wie sich in ihrem Umfeld die Arbeiter bäuerlicher Herkunft veränderten: Sie kleideten sich ordentlich, rasierten sich, „mit einem Wort, man fühlt ein kulturelles Wachstum. In den Baracken hat das Gerede über Arbeitskleidung, Lohn usw. aufgehört, jetzt unterhalten sie sich darüber, wie es mit der Metro vorwärts geht, daß wir gesiegt haben usw.".27 Schon im Februar 1934 sprach der Parteisekretär des Schachtes 7 - 8 von einem „kolossalen Über-Sich-Hinauswachsen" der Arbeiter: „Die Leute transformieren sich buchstäblich und wachsen mit der Arbeit. [...] Leute, die vor einem Jahr praktisch nichts wußten, sind jetzt nicht nur qualifizierte Arbeiter,
24 Osipov/Mar'janovskij 1935, S. 114. Die Überschrift des Beitrags lautet: „Die Leute wuchsen vor unseren Augen." 25 Ebd., S. 129. 26 Ebd. 27 Sten. Gespräch mit Parteisekretär Mozel', Schacht 4 7 ^ 8 , 17.11.1934. GARF R-7952/ 7/305, Bl. 66. - Vgl. die sehr ähnlichen Aussagen des Kommunisten Pavlovskij, 4. Distanz. GARF R-7952/7/306, Bl. 76: „Die Leute wuchsen unter unseren Augen. Die Schwachen blieben nicht lange, sie gingen weg, es blieben die Stärkeren [...]".
340
Die „Schmiede des neuen Menschen"
sondern haben ihrerseits schon wieder viele andere erzogen oder sind Helden der Baustelle. Wenn wir so einen Genossen wie Cholod nehmen, was stellte er früher dar? Er war ein abgestumpfter, rückständiger Bursche, kam nach Moskau aus dem Donbass [...]. Hier begann er in der 3. Lohnstufe. Heute ist Genösse Cholod ein Izotovec28 unseres Schachtes im wahrsten Sinne des Wortes, Bestarbeiter, einer der besten Stoßarbeiter der ganzen Baustelle. [...] Da haben Sie den Typus des neuen Menschen. Gleichzeitig wuchs Cholod auch in kultureller und politischer Hinsicht. Genösse Cholod ist Parteimitglied, Gruppenorganisator, Parteiorganisator. Genösse Cholod ist Mitglied des Büros unserer Parteizelle, er ist Mitglied des Parteikomitees von Metrostroj. [...] Genösse Cholod fuhrt einen unerbittlichen Kampf gegen jegliche Mißstände, gegen jegliche Mängel in der Arbeit. Genösse Cholod geißelt überall die Mängel, mobilisiert überall, ruft die Arbeiter zum Kampf gegen die Mißstände und für die Erfüllung das Plans auf. Genösse Cholod ist Mitglied des Redaktionskollegiums des Udarnik Metrostroja, er ist aktiver Arbeiterkorrespondent; er ist Stoß-Hörer des Politzirkels. Dieser Genösse wurde in diesem Jahr neu geboren, er ist nicht wiederzuerkennen."29 Der erwähnte Brigadier Cholod führte selbst seinen Aufstieg vom unkultivierten Trinker zum Parteifunktionär auf die Arbeit beim Bau der Metro zurück: „Als ich zur 4. Gebietsparteikonferenz gewählt wurde, da wurde mir so richtig bewußt, daß ich, Cholod, vor einigen Jahren noch bei der Branntweinbude geschlafen hatte, und jetzt sitze ich da und entscheide fast über Fragen von Weltbedeutung, und ich dachte darüber nach, was ich damals für ein Mensch gewesen war und was aus mir geworden ist und wie sehr ich gewachsen bin. [...] Als ich zur Metro kam, war ich zwar Parteimitglied, aber politisch unwissend, rückständig. Mein ganzes kulturelles und parteiliches Wachstum geschah bei der Metro. Alles was an mir besser ist, habe ich bei der Metro erworben."30 Äußerungen dieser Art finden sich unter den Interviews mit den Metrobauern mehrfach. Der Brigadier Zamuldinov verwies darauf, daß er das Kartenspiel aufgegeben habe und nur mehr selten Wodka trinke, seit er bei Metrostroj arbeite.31 Der Brigadier Bakulin erzählte dankbar, daß er zum Parteiorganisator und Mitglied des Mossovet aufgestiegen sei und an der Kommunistischen SverdlovUniversität studieren durfte. „Das Studium gab uns sehr viel. In der Sverdlovka 28 Izotovec war die Bezeichnung für Arbeiter, die ihre Erfahrung an jüngere Arbeiter weitergaben. Die Izotovcen-Bewegung war nach ihrem Begründer, dem Bergarbeiter Nikita Alekseevic Izotov (1902-1951) benannt, der 1933 in seinem Bergwerk eine Schule zur Erhöhung der Qualifikation eingerichtet hatte. 29 Sten. Erinnerungsabend beim Schacht 7-8, 19.2.1934. GARF R-7952/7/265, Bl. 89-90. 30 Sten. Gespräch mit dem Brigadier Cholod, Schacht 7-8. GARF R-7952/7/322, Bl. 205. 31 Desgl. mit dem Brigadier Zamuldinov, Schacht 10-11. GARF R-7952/7/301, Bl. 88. Vgl. desgl. mit dem Brigadier Kolodolov, Schacht 8. GARF R-7952/7/303, Bl. 83: „Ich habe mich bei der Metro ordentlich mobilisiert. Vorher war ich auch kein Trinker, aber ich habe öfter einen gehoben. Seitdem ich beim Schacht bin, trinke ich nicht mehr als drei Gläser - nicht, weil ich keine Lust zum Trinken hätte, sondern weil ich glaube, daß das persönliche Beispiel in der Führung am besten ist."
Die Ausbildung der Arbeiter und des technischen Personals
341
lernte ich Geographie, wovon ich bis dahin keine Vorstellung gehabt hatte. Ich begann mich auf der Karte zurechtzufinden, wo die Ukraine ist, wo Norden, Süden, Leningrad, Moskau ist."32 Ähnlich dankbar äußerten sich auch manche Arbeiterinnen: „Metrostroj hat mir viel gegeben im Sinne des Wachstums. Als ich aus der Fabrikberufsschule kam, war ich wie ein kleiner Vogel, der aus dem Nest gefallen ist. Ich hatte keine Ahnung vom Leben. Aber hier, als ich in dieses Kollektiv geriet, lernte ich nicht nur an mir, sondern auch an den anderen Leuten zu arbeiten."33 „Ich bin sehr zufrieden, daß es mich zu Metrostroj verschlagen hat. Das hat mir sehr viel gegeben im Sinne des gesellschaftlichen Lebens, im Sinne der politischen Entwicklung und besonders im Sinne des Schaffens. Metrostroj hat mich sehr verändert. Sogar die Jungs von den Pionieren, mit denen ich gearbeitet habe, erkennen mich nicht wieder, - so viel solider bin ich geworden, im Vergleich mit dem vorigen Jahr."34 f...] „Für mich ist die Metro eine große Schule des Lebens, sie hat mich gelehrt, an die einzelnen Menschen heranzugehen."35
2. Die A u s b i l d u n g der A r b e i t e r und des t e c h n i s c h e n P e r s o n a l s Während das „Wachstum" der Arbeiter eine sehr subjektive und zweifelhafte Größe ist, die man mehr den Wunschvorstellungen als der Realität zuordnen sollte, lassen sich über die Ausbildungsmaßnahmen überprüfbare Angaben machen. Die mangelnde technische Qualifikation der Arbeiter und des Leitungspersonals war eines der Hauptprobleme beim Bau der Untergrundbahn. „Allen ist bekannt, daß wir an einen so verantwortungsvollen und technisch komplizierten Bau wie den einer Untergrundbahn herangegangen sind, ohne im erforderlichen Maße technisch ausgebildete Kader unter den Arbeitern und im ingenieur-technischen Personal und sogar in der Führung zu haben", schrieb die Leitung von Metrostroj im Juni 1934 in ihrer Stellungnahme zu den vom Moskauer Stadtparteikomitee festgestellten Qualitätsmängeln.36 Erst im Laufe der Arbeit konnten Facharbeiter und technische Spezialisten ausgebildet bzw. auf die Erfordernisse des Metrobaus umgeschult werden. Die Schulung von Arbeitern und ingenieur-technischem Personal (ITR) wurde 1932
32 Desgl. mit dem Brigadier Bakulin, 8. Distanz, 24.3.1935. GARF R-7952/7/341, Bl. 137. 33 Desgl. mit der Brigadierin Merkulova, 3. Distanz, 3.12.1934. GARF R-7952/7/316, Bl. 303. 34 Desgl. mit der Komsomolzin Nikitina, 7. Distanz, 3.12.1934. GARF R-7952/7/317, Bl. 37. 35 Ebd.,Bl. 41. 36 Leitung von Metrostroj. Stellungnahme, o.D. [Juni 1934], CMAM 665/1/125, Bl. 8.
342
Die „Schmiede des neuen Menschen"
begonnen, aber erst im zweiten Halbjahr 1933 einigermaßen effektiv betrieben. 37 Fast die gesamte Ausbildung vollzog sich bis dahin unmittelbar auf den Baustellen, über Verträge mit Lehrkombinaten und Instituten sowie bei zwei „Ausbildungspunkten" von Metrostroj. 38 Vor allem bei den dringend benötigten Ingenieuren bestand das Problem darin, daß ihr Studium Zeit erforderte. Wenn Metrostroj 1932 mit verschiedenen Instituten Verträge über die Ausbildung von Ingenieuren abschloß, standen die meisten Absolventen erst 1934/35 zur Verfugung. Für 1932 hatte der Plan die Ausbildung von 635 ITR vorgesehen. Ende des Jahres hatten nur 60 ihr Studium abgeschlossen, 138 weitere studierten noch oder besuchten Kurse. Bei den Arbeitern war die Lage ähnlich: Statt der vorgesehenen 5.166 Arbeiter wurden im Laufe des Jahres 1932 nur 984 ausgebildet, 1.143 befanden sich im Dezember noch in Ausbildung. Infolge der Stockungen bei den Bauarbeiten hatte man den Ausbildungsplan im November 1932 auf 2.300 Personen herabgesetzt. 39 Im August 1932 beschloß der Mossovet, mit dem Schuljahr 1932/33 ein Lehrkombinat zur Aus- und Weiterbildung von Arbeitern und ITR für den Bau und den Betrieb der Untergrundbahn einzurichten.40 Das Lehrkombinat kam allerdings nie zustande. Im Mai 1933 wurden Metrostroj die Berufsschule für das Bauwesen [strojuc] und die Mandel'stam-Fabrikberufsschule [FZU imeni Mandel'stama]4X übergeben, die Schlosser und Mechaniker ausbildete. Beide Schulen hatten zunächst nicht das für die Heranbildung von Fachleuten fur den Metrobau erforderliche Profil und mußten erst adaptiert werden. Im Herbst 1933 begann an der FZU und an der Bauberufsschule der Lehrbetrieb zur Ausbildung der Facharbeiter, die Metrostroj brauchte. Die FZU bildete Schlosser und Elektromonteure aus, die Bauberufsschule Zimmerleute, Zimmerhauer, Stukkateure, Betonierer, Maurer, Marmorsteinmetze, Fliesenleger und Anstreicher. Bis zum 1.5.1935 wurde die FZU von 747 Arbeitern absolviert, 284 weitere befanden sich noch in der Lehre. Die Bauberufsschule wurde von 862 Arbeitern durchlaufen, in Ausbildung befanden sich noch 308. Es handelte sich also um Größenordnungen, die bei der Gesamtbelegschaft von Metrostroj gar
37 Ausbildungsabteilung von Metrostroj. Information über die Kaderausbildung 19321935, o.D. [1935]. CMAM 665/1/302, Bl. 1-8. - Die Informationen dieses Kapitels beruhen, soweit nicht anders angegeben, auf dieser Quelle. 38 Metrostroj. Bericht über die Ausbildung im Jahre 1932. CMAM 665/1/38, Bl. 1. 39 Metrostroj. Bericht des Büros fur Kaderausbildung, o.D. [Dezember 1932]. CMAM 665/1/38, Bl. 4. Metrostroj. Bericht an MGKK RKI, Dezember 1932. CMAM 1289/1/395, Bl. 55. 40 Präsidium des Mossovet. Prot. 28, 5.8.1932. CMAM 150/1/158, Bl. 453. 41 Die FZU waren 1921 gegründet worden und bildeten in der Regel fünfzehn- bis achtzehnjährige Lehrlinge aus. Das Ausbildungsprogramm einer FZU war umfangreich, ähnelte einer Sekundärschule und bereitete auch fur ein weiteres Studium an einem Technikum oder einer Hochschule vor. Die Lehre dauerte je nach Beruf und Abschluß zwei bis vier Jahre. (Straus 1991, S. 239, 244).
Die Ausbildung der Arbeiter und des technischen Personals
343
nicht ins Gewicht fielen. Die meisten Absolventen der Bauberufsschule durften zudem aufgrund ihres jugendlichen Alters nicht unter Tage eingesetzt werden.42 Mit Beginn des Studienjahres 1933/34 richtete man auch eine Arbeiterfakultät [rabfak] sowie am Moskauer Institut für Eisenbahningenieure (MUT) eine Fakultät für Metrobau ein. Der Heranbildung von Ökonomen und Parteifunktionären diente eine „Fakultät für besondere Zwecke", die am 1.5.1935 zwanzig Studenten, aber noch keinen Absolventen hatte. Die Arbeiterfakultät wurde in erster Linie für die Komsomolzen gegründet, denen man die Möglichkeit geben wollte, das Studium während des Baus fortzusetzen, denn der Schichtbetrieb beim Bau der Metro gestattete nicht den Besuch einer regulären rabfak. Sie wurde ohne Befreiung der Studenten von den Bauarbeiten betrieben43 und bis zum 1.5.1935 von dreißig Studenten absolviert. 928 Studenten befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch in Ausbildung. Die Kurse an der Fakultät für Metrobau des MUT wurden ausschließlich mit Beschäftigten von Metrostroj besetzt, die von den Baustellenleitungen bestimmt wurden. 41 Prozent der Studenten waren Komsomolzen oder Kommunisten. Die Studenten arbeiteten in den ersten zweieinhalb Jahren parallel zu ihrem Abendstudium weiter auf den Baustellen. Erst im dritten Studienjahr wurden sie von der Arbeit befreit und konnten tagsüber studieren. Bis zum 1.5.1935 absolvierten 13 Studenten die Fakultät, weitere 170 hatten das Studium noch nicht abgeschlossen. An der Arbeiterfakultät und der Metrobaufakultät des MUT begann der Lehrbetrieb gleichzeitig in allen vier Kursen. Da der Bau einer Untergrundbahn in der Sowjetunion etwas völlig Neues war, mußten erst Lehrbehelfe und Lehrpläne erstellt werden. Diese Aufgabe leistete ein Methodenbeirat, in dem Fachleute von Metrostroj sowie unter anderem Vertreter der Volkskommissariate für Verkehrswesen und Schwerindustrie saßen. Parallel zu dieser institutionalisierten Ausbildung entstand im zweiten Halbjahr 1933 bei den Schächten und Distanzen ein Netz von Kursen, die nach der Arbeit besucht wurden und eine viel größere Zahl von Beschäftigten erfaßten. Am wichtigsten waren die Kurse zur Erhöhung der Qualität der Beton- und Isolierungsarbeiten, die 1934 auf Anordnung des Moskauer Parteikomitees abgehalten wurden. An ihnen nahmen 752 Ingenieure und Techniker, darunter 46 Schacht- und Distanzleiter und ihre Stellvertreter, sowie 1.442 Poliere und Brigadiere teil. Außerdem schickte man 204 Ingenieure und Techniker zur Verbesserung ihrer Qualifikation zu einjährigen Kursen an die Fakultät für Metrobau. 63 ITR besuchten Fortbildungskurse zur Einarbeitung in den Schildvortrieb. Da die Lehrlingsausbildung in der FZU und in der Bauberufsschule, die im Herbst 1933 anlief, erst mit mehrmonatiger Verzögerung wirksam wurde und 42 Sten. Gespräch mit dem Beauftragten für Kaderangelegenheiten, Kuznecov, 20.11. 1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 49. 43 Abakumov. Anordnung 403, 16.9.1933. GARF R-7952/7/171, Bl. 52.
344
Die „Schmiede des neuen Menschen"
man gleichzeitig Tausende nicht für den Metrobau qualifizierte Arbeiter einstellte, konnte man diese nur in Schnellkursen parallel zu den Bauarbeiten schulen. 3.158 Arbeiter wurden nach einem Kurzprogramm des Zentralen Arbeitsinstituts angelernt, 352 absolvierten Schlosser- und Mechanikerkurse, 1.980 durchliefen Bauarbeiterkurse, 267 Kurse für den Schildvortrieb, 1.928 Kraftfahrkurse. Rund 23.800 Arbeiter besuchten die Kurse für das „technische Minimum",44 rund 19.200 von ihnen legten das technische Examen ab.45 Addiert man diese Zahlen, so kommt man auf eine Summe von rund 31.500 notdürftig ausgebildeten Arbeitern, von denen die überwiegende Mehrheit die Kurse erst 1934 absolvierte. 1932/33 arbeitete man somit in der Masse mit unausgebildeten Arbeitern, und auch 1934 verfügte die große Mehrheit der Arbeiter über keine adäquaten Kenntnisse. Besonderes Augenmerk legte man auf die Ausbildung des Betriebspersonals für die Metro. 348 Ingenieure und Techniker sowie 312 Arbeiter und Angestellte wurden als Maschinisten, Zugführer, Stationsdiensthabende, Operatoren, Reparaturmeister, Ingenieure für den elektrischen Fahrbetrieb oder Elektromonteure ausgebildet. Als Zugführer und Stationsdiensthabende wurden ausschließlich Elektriker und Ingenieure herangezogen, die viermonatige Kurse besuchten, während derer sie von der Arbeit bei Metrostroj freigestellt waren. Neben der Theorie absolvierten sie auch Praktika bei der Nordbahn sowie in Betrieben, die Ausrüstungen für die Metro herstellten. Von 910 Bewerbern für diese Kurse wurden 343 genommen, von denen 289 die Kurse erfolgreich abschlossen. 14,4 Prozent waren Kommunisten, 16 Prozent Komsomolzen. Als Maschinisten in den Metrozügen setzte man ausschließlich Ingenieure und Techniker ein.46
3. Die E i n b i n d u n g der A r b e i t e r in den s o z i a l i s t i s c h e n W e t t b e w e r b Die wichtigste Methode zur Umerziehung der Arbeiter war der sozialistische Wettbewerb. Dieser sollte nicht nur die Produktivität der Arbeit steigern und aus
44 Ein Dekret des Rates für Arbeit und Verteidigung hatte am 30.6.1930 alle Betriebe verpflichtet, für jene Arbeiter, die an komplexen Ausrüstungen oder an besonders verantwortlichen oder gefährlichen Stellen eingesetzt wurden, Kurse über das „technische Minimum" zu organisieren. Hierzu initiierte der Komsomol „technische Zirkel" und hielt ab Oktober 1933 „sozialtechnische Examen" ab. (Straus 1991, S. 287). Bei Metrostroj wurden die Kurse für das „technische Minimum" im März 1933 angeordnet. (Stv. Leiter von Metrostroj, Pugac. Anordnung, 28.3.1933. GARF R-7952/7/170, Bl. 56). In der Anfangszeit kontrollierte niemand die Tätigkeit der Zirkel, es gab kein festgelegtes Programm, und der Besuch war schwach. Einen Aufschwung erlebte die technische Unterweisung erst 1934. (Osipov/Mar'janovskij 1935, S. 111113). 45 Sten. Gespräch mit dem Komsomolsekretär Chochrjakov, Schacht 18, 13.3.1935. GARF R-7952/7/322, Bl. 163. Osipov/Mar'janovskij 1935, S. 113. 46 Ausbildungsabteilung von Metrostroj. Information über die Kaderausbildung 19321935, o.D. [1935], CMAM 665/1/302, Bl. 1-8.
Die Einbindung der Arbeiter in den sozialistischen Wettbewerb
345
den Arbeitern mehr Leistung herausholen, sondern auch ihre Einstellung zur Arbeit verändern. Die Paradoxie bestand darin, daß die „sozialistischen Arbeitsformen" zwar nach außen als neuer Arbeitsstil und Schritt in Richtung auf die künftige sozialistische Gesellschaft angepriesen wurden, bei näherem Hinsehen jedoch überwiegend auf materiellen Anreizen beruhten, die zum Teil aus dem Arsenal der kapitalistischen Methoden der Leistungssteigerung entlehnt waren und denen gegenüber die Erziehung zu einer „sozialistischen" Arbeitsethik zurücktrat. Neu gegenüber der klassischen kapitalistischen Akkordarbeit waren moralische Zwänge und ein hemmungsloses Bloßstellen leistungsschwacher oder leistungsunwilliger Arbeiter. Bildliche Symbole wie Flugzeug, Lokomotive, Automobil, Radfahrer, Fußgänger, Krüppel, Schildkröte oder Schnecke kennzeichneten in den Betrieben auf Anschlagtafeln das Arbeitstempo der einzelnen Arbeiter und Brigaden. Namen und Fotos der besten und schlechtesten Arbeiter wurden auf Plakaten oder in den Zeitungen veröffentlicht.47 Der sozialistische Wettbewerb war im Kriegskommunismus entstanden, hatte aber während der zwanziger Jahre eine untergeordnete Rolle gespielt. Erst 1929 wurde daraus eine Massenkampagne, als die Pravda einen bis dahin unveröffentlichten Artikel Lenins „Wie soll man den Wettbewerb organisieren?" publizierte, die Komsomol 'skaja Pravda einige Tage später die Komsomolzen aufforderte, unionsweit den Wettbewerb anzufachen, und der 16. Parteitag im April 1929 diesen Appell aufgriff.48 Das Zentralkomitee verabschiedete im Mai 1929 eine Resolution, in der es hieß, man müsse als eine der wichtigsten Methoden zur sozialistischen Erziehung des Proletariats den sozialistischen Wettbewerb der Fabriken, Werksabteilungen und Werkstätten stark ausweiten. Als Hauptaufgaben des sozialistischen Wettbewerbs nannte das Zentralkomitee die Senkung der Selbstkosten, die Steigerung der Produktivität, den Kampf gegen das Blaumachen und gegen die Ausschußarbeit, die Hebung der Arbeitsdisziplin und die Rationalisierung. Mit der Organisation des sozialistischen Wettbewerbs wurden die Gewerkschaften beauftragt. Die Belegschaften sollten durch Prämien und ideelle Anreize wie Ehrenurkunden, Wanderfahnen oder „rote Listen" motiviert werden.49 Eine in der Praxis mindestens ebenso wichtige Rolle spielten in der Folge materielle Anreize wie die bevorzugte Zuteilung von Wohnraum, Konsumgütern und Lebensrnitteln, getrennte Speisesäle mit besserem Essen in den Kantinen und andere im täglichen Leben nützliche Privilegien.50 Der sozialistische Wettbewerb breitete sich rasch aus. 1932 nahmen fast drei Viertel aller Arbeiter in irgendeiner Form am sozialistischen Wettbewerb teil,51 wobei allerdings die Qualität der Be-
47 GARF 48 49 50 51
Saliger 1932, S. 12. Vgl. Sten. Gespräch mit dem Brigadier Katamadze, 1. Distanz. R-7952/7/302, Bl. 2. Pravda Nr. 17, 20.1.1929. Zitiert nach Erler: Kollektivierung 1977, S. 192. KPSS ν rezoljucijach 1970, Bd. 4, S. 264-266. Zitiert nach Schröder 1988, S. 112. Schröder 1988, S. 114-115. Voroiejkin 1984, S. 85.
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Die „Schmiede des neuen Menschen"
teiligung bei vielen zweifelhaft war.52 Manche machten aus Idealismus mit, viele wegen der materiellen Vorteile, andere verstanden es, die Anforderungen zu unterlaufen und trotzdem in den Genuß der Privilegien zu kommen.53 Der sozialistische Wettbewerb nahm unterschiedliche Formen an: Einzelne Arbeiter, Brigaden, Werksabteilungen oder die Belegschaften ganzer Fabriken forderten andere zum Wettbewerb auf, der meistens in einem schriftlichen Vertrag fixiert und in der Betriebszeitung publiziert wurde. Der Wettbewerb mußte genau definiert sein, unter Angabe des zu leistenden Arbeitsvolumens, der Fristen und sonstigen Rahmenbedingungen. Eine weitere Variante war das Erstellen von „Gegenplänen": Arbeiter erhöhten am Monatsanfang den vorgegebenen Plan und verpflichteten sich, „verborgene Ressourcen" besser auszuschöpfen. Eine der am meisten verbreiteten Formen des sozialistischen Wettbewerbs war das Stoßarbeitertum [udarnicestvo]: Einzelne Stoßarbeiter [udamiki] oder ganze Stoßbrigaden [udarnye brigady] verpflichteten sich, besonders hohe Arbeitsleistungen zu erbringen, wobei es oft schwierig festzustellen war, ob sie den Anspruch einlösten, da die Arbeitsnormen in vielen Bereichen recht willkürlich festgelegt waren. Häufig wurden Stoßbrigaden proklamiert, ohne daß sich an der Arbeit der Mitglieder etwas änderte.54 Besondere Formen der Stoßarbeit waren Rationalisierungsbrigaden, die Vorschläge und Erfindungen von Arbeitern zur Vereinfachung und Beschleunigung von Arbeitsprozessen sammelten und fur ihre Umsetzung sorgten, „Förderer-Brigaden" [tolkaci], die sich um die fristgerechte Lieferung bei Zulieferbetrieben kümmerten, oder „Komplexbrigaden" [skvoznye udarnye brigady], zu denen sich Arbeiter verschiedener Berufe, die an einem Produktionszyklus beteiligt waren, vereinigten.55 Als höchste Form der Stoßarbeit galten vorübergehend die „Rentabilitätsbrigaden" [chozrascetnye brigady], die 1931 nach Stalins Sechs-Punkte-Rede gebildet wurden. Die Rentabilitätsbrigaden zielten nicht so sehr auf maximales Tempo und quantitative Übererfüllung des Plans, sondern sie sollten die Produktivität heben, die Selbstkosten senken, die Qualität steigern und einen sorgsameren Umgang mit Maschinen und Ausrüstung bewirken. Da diese Kriterien unter den herrschenden Rahmenbedingungen kaum zu erfüllen waren, verschwanden die Rentabilitätsbrigaden bald wieder.56 Der sozialistische Wettbewerb wurde lange Zeit unter dem Gesichtspunkt der Sozialkontrolle untersucht: Mit der Privilegierung der Stoßarbeiter forderte das Regime bewußt die Aufsplitterung der Arbeiterschaft und die Herausbildung einer materiell bessergestellten ,Arbeiteraristokratie".57 Ohne diesem Ansatz die
52 53 54 55 56 57
Schröder 1988, S. 113. Vgl. Erler 1977, S. 193. Vgl. Straus 1991, S. 333. Vgl. ebd., S. 353. Vgl. Erler 1977, S. 193. Vgl. Rogacevskaja 1977, S. 118. Vgl. Straus 1991, S. 364-371. Vgl. Schröder 1988, S. 115.
Die Einbindung der Arbeiter in den sozialistischen Wettbewerb
347
Berechtigung abzusprechen, kann man die Stoßarbeit allerdings auch anders interpretieren, nämlich in ihrer Rolle als Integrationsfaktor fur die neuen, vom Land gekommenen Arbeiter. Dieses Deutungsmuster geht von der Realität des Stoßarbeitertunis in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre aus, als die von der Propaganda gefeierten herausragenden Stoßarbeiterhelden eine dünne, zahlenmäßig nicht ins Gewicht fallende Schicht waren, während die „gewöhnliche" Stoßarbeit zu einer Massenerscheinung wurde. Dadurch, daß man eigentlich von jedem Arbeiter erwartete, daß er Stoßarbeiter werde, wurden die Prinzipien und ursprünglichen Ansprüche der Stoßbrigaden verwässert. Man konnte sehr schnell Stoßarbeiter werden und den Titel auch wieder verlieren. Eine Brigade brauchte nur einen Vertrag aufzusetzen, einen Monat lang den Plan überzuerfiillen und war damit Stoßbrigade, bis man irgendwann im Zuge einer Überprüfung feststellte, daß sie schon lange nicht mehr überdurchschnittlich arbeitete. Der sozialistische Wettbewerb und die Stoßbrigaden wurden zu Formalitäten, zu einer täglichen Routine,58 gleichzeitig aber auch zu einem Weg, über den frisch vom Land gekommene Arbeiter rasch zu besserem Verdienst und Ansehen gelangen konnten. An die Stelle der starren Gliederung der Belegschaften in „alte" und „neue" Arbeiter, in „Proletarier" und „Rückständige" trat in der Betriebspraxis immer mehr die kurzfristig und von den Betroffenen durch ihr eigenes Verhalten veränderbare Gliederung in Stoßarbeiter und Nicht-Stoßarbeiter.59 Indem der sozialistische Wettbewerb zur Routine wurde, bewirkte er darüber hinaus eine Konsolidierung der Arbeitsbeziehungen in den Brigaden. Die Stoßbrigaden unterschieden sich am Ende nicht mehr von normalen Brigaden, aber die Brigade an sich wurde zur gefestigten und stabilen Einheit und substituierte die traditionelle Arbeitsform des Arteis und die Beziehung zwischen Lehrling und Meister. Diese Entwicklung kann man als Sieg der Standardbrigade, der vernünftigen Arbeitsorganisation über die vom Regime propagierte ursprüngliche Form des sozialistischen Wettbewerbs, das „Stürmen" oder den Gegenplan ansehen.60 Darüber hinaus waren die Stoßbrigaden ein Instrument zur Ausbildung und zur Disziplinierung der Arbeiter.61
58 Straus 1991, S. 339-348. 59 Diese Funktion des sozialistischen Wettbewerbs wird auch bei Metrostroj deutlich: Entscheidend dafür, wie Arbeiter in den Berichten der Metrobauer beurteilt werden, war nicht ihre Herkunft, sondern ob sie Stoßarbeiter wurden oder nicht. 60 Straus 1997, S. 137-138, 155. - Die Stoßbrigaden eigneten sich auch insofern zur Integration ländlicher Arbeiter, als sie aufgabenorientiert waren und dem Arbeitsverständnis der ehemaligen Bauern entgegenkamen. Wie früher im Ariel, war auch oft in den Verträgen über den sozialistischen Wettbewerb festgelegt, daß eine Brigade einen fest umrissenen Arbeitsauftrag erhielt und die Ausführung und Lohnverteilung selbst bestimmen konnte. Das Management gab nur die Gesamtaufgabe, die Frist und die Lohnsumme vor. (Ebd., S. 154. Vgl. Hoffmann 1994, S. 92). 61 Straus 1991, S. 40.
348
Die „Schmiede des neuen Menschen"
Ein konstitutives Element der sozialistischen Arbeitsweise, das bei Metrostroj ins Auge fallt, war die Inszenierung der Arbeit als gesellschaftliches Ereignis fur die Beteiligten. Ständig fanden Versammlungen statt, die nicht bloß im Sinne herkömmlicher Produktionsberatungen dazu dienten, für ein konkretes Problem eine Lösung zu finden, sondern die den Zweck hatten, die bisherige Leistung einer Brigade oder eines besonders exponierten Brigadiers zu verherrlichen und ihre Erfolgsrezepte in einer kollektiven Feierstunde für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.62 Solche Inszenierungen waren zweifellos geeignet, auf die Beteiligten motivierend zu wirken und ihnen das Gefühl zu geben, daß sie nicht einfach dumpf Erde schaufelten, sondern „Helden" waren, die sich im Einsatz für den Aufbau einer neuen Arbeitskultur und des Sozialismus befanden. Die Anfange des sozialistischen Wettbewerbs bei Metrostroj waren sehr bescheiden. Bis zur Mitte des Jahres 1933 erfaßte er nur rund ein Drittel der Beschäftigten. Im dritten Quartal 1933, auf dem Höhepunkt der Mobilisierungskampagne der Komsomolzen, erlebte der Wettbewerb einen steilen Anstieg. Im vierten Quartal 1933 erhöhte sich zwar die Zahl der Teilnehmer am sozialistischen Wettbewerb weiter leicht, hielt aber nicht mit der Ausweitung der Belegschaft mit, so daß der Anteil auf unter fünfzig Prozent zurückfiel. Im ersten Quartal des Jahres 1934 stieg er im Zusammenhang mit dem allgemeinen Aufschwung dieser Monate auf fast siebzig Prozent. Für die Zeit danach liegen keine Vergleichswerte vor, aber die Einbeziehung der Arbeiter in den sozialistischen Wettbewerb scheint in quantitativer Hinsicht weiter erfolgreich verlaufen zu sein. Ende des Jahres 1934 zählten die Schächte und Distanzen bei einer Gesamtbelegschaft von rund 35.000 Arbeitern 17.000 Stoßarbeiter (48,6 Prozent).63 Ein Jahr zuvor waren es bei einer etwa gleich großen Belegschaft 11.882 Stoßarbeiter (36,0 Prozent) gewesen (Tab. 36). Erwartungsgemäß überdurchschnittlich hoch war die Beteiligung der Kommunisten und Komsomolzen am sozialistischen Wettbewerb. Das ingenieurtechnische Personal war in der Anfangszeit mit einer ähnlich hohen Rate vertreten, fiel aber zu Beginn des Jahres 1934 zurück. Die neu eingestellten Ingenieure und Techniker scheinen sich nicht so schnell dem Wettbewerb angeschlossen zu haben. Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer am sozialistischen Wettbewerb entfiel auf Stoßarbeiter. Die Rentabilitätsbrigaden blieben bedeutungslos. Nur bruchstückhafte Angaben liegen über die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen vor. Sie wurde gemäß einem Gewerkschaftsbericht vom April 1933 nicht kontrolliert. Unter den prämierten Stoßarbeitern gab es viele, die nicht einmal den normalen Plan erfüllt hatten.64 Im 2. Quartal 1933 wurde von 4.207
62 Vgl. z.B. Sten. Treffen der Brigade Jaremcuk mit Stoßarbeitern des Schachtes 9, 4.9.1934. GARF R-7952/7/243, Bl. 25-77. 63 Berichte der Kaderabteilungen der Schächte und Distanzen über die Arbeit im Jahre 1934. CMAM 665/1/225, Bl. 1-80, und 665/1/226, Bl. 1-90. 64 CK der Gewerkschaft Zeldoräosportstroj. Bericht über die Kulturarbeit beim 5. Abschnitt von Metrostroj, o.D. [April 1933], GARF R-5475/18/139, Bl. 262.
Die Einbindung der Arbeiter in den sozialistischen Wettbewerb
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Stoßarbeitern 197 der Titel wieder entzogen. 65 Die Resolution des Moskauer Parteikomitees vom 29.12.1933 forderte, daß der sozialistische Wettbewerb im Jahre 1934 ,glicht nur auf dem Papier" ausgetragen werden müsse. 66 Im 1. Quartal 1934 wurde 1.027 Stoßarbeitern der Titel aberkannt. Von den 34.959 Teilnehmern am sozialistischen Wettbewerb im 1. Quartal 1934 erfüllten nur 15.378, also weniger als die Hälfte, ihre Verpflichtungen. Nur 476 Arbeiter wurden wegen Übererfüllung des Plans prämiert.67 Tabelle 36: Sozialistischer Wettbewerb bei Metrostroj 1932-193468 Quartal
1932/2
1932/3
1932/3
1933/1
1933/2
1933/4
1934/1
Beschäftigte Teilnehmer am Wettbewerb (Prozent) Kommunisten davon soz.W. (Prozent)
7.072 2.193
8.691 2.448
7.640 2.812
10.282 4.649
14.045 21.980 32.982 4.790 14.622 15.872
50.225 34.959
(31,0) 214 172 (80,4)
(28,2) k.A. k.A.
(22,9) k.A. k.A.
462 328 (71,0) 627 357 (56,9)
k.A. k.A.
(34,1) 892 527 (59,1) 1.587 1.029 (64,8)
(66,6) k.A. k.A.
Komsomolzen davon soz.W. (Prozent) ITR davon soz.W. (Prozent)
560 261 (46,6)
(36,8) 485 189 (39,0) 610 253 (41,5) 619 327 (52,8)
k.A. k.A.
1.009 580 (57,5)
2.198 1.505 (68,5)
Stoßbrigaden Stoßarbeiter (Prozent) davon Rentabilitätsbrigaden Teilnehmer
102 921 (13,0) 6
137 1.554 (17,9) 18
184 1.624 (21,3) 42
292 2.795 (27,2) 23
418 4.207 (30,0) 70
k.A. k.A.
81
217
449
451
401
k.A. k.A.
1933/3
(48,1) 1.678 1.132 (67,5) 7.305 4.931 (67,5) 2.640 1.347 (51,0)
(69,6)
k.A. k.A.
k.A.
825 11.882 (36,0) k.A.
k.A.
k.A.
k.A.
k.A. k.A.
k.A. k.A. k.A. k.A. 3.288 1.573 (47,8)
k.A.
„Sozialistische Verträge" wurden auf allen möglichen Ebenen abgeschlossen. Je höher die Ebene, desto abstrakter waren die eingegangenen Verpflichtungen und desto weniger konkrete Wirkung konnte der Wettbewerb zeitigen. Im Frühjahr 1932 schloß das Gewerkschaftskomitee von Metrostroj einen Vertrag über den sozialistischen Wettbewerb mit der Baustelle der Eisenbahnlinie Moskau - Donecbecken. Darin wurde ein Gegenplan zum Produktionsplan fur das Jahr 1932
65 Ebd., Bl. 46. 66 MK, MGK VKP(b), Gebiets- und Stadtexekutivkomitee. Resolution, 29.12.1933. - In: Metrostroj (1933), Η. 11-12, S. 7. 67 MOK der Gewerkschaft ZeldorSosstroj. Statistische Übersicht über die sozialistischen Arbeitsformen bei den Unternehmen im Gebiet Moskau. CGAMO 4237/1/2, Bl. 27. 68 Ebd., Bl. 27, 37.
350
Die „Schmiede des neuen Menschen"
aufgestellt. „Das Kollektiv von Metrostroj" verpflichtete sich, bis zum 1.8.1932 die Belegschaft zu hundert Prozent in den sozialistischen Wettbewerb einzubeziehen, bei einem Anteil von 75 Prozent Stoßarbeitern. Die Versorgung der Arbeiter sollte durch die Organisation einer Arbeiterkooperative, von Kantinen und Lebensmittelaufbringungen verbessert werden. 90 Prozent der Arbeiter sollten Mitglied in der Gewerkschaft sein, und die Gewerkschaft verpflichtete sich, „Rote Ecken", Freizeiträume, einen Klub und verschiedene Zirkel zu organisieren.69 Diese fur 1932 eingegangenen Verpflichtungen wurden nicht einmal 1934 zur Gänze erfüllt. Effektiver waren sozialistische Wettbewerbe im kleinen Bereich. Im Zuge der im Mai und Juni 1934 durchgeführten Kampagne zur „Verdichtung des Arbeitstages" sorgten die Partei- und Komsomolorganisatoren der Schächte und Distanzen dafür, daß möglichst viele einzelne Arbeiter Verträge abschlossen und konkrete Verpflichtungen auf sich nahmen. In der Folge wurden Verträge zwischen Gruppen, Brigaden und Schichten gefördert, damit die Arbeiter nicht auf Kosten anderer besser verdienten, sondern zusammen mit ihren Kollegen besser arbeiteten und für die Folgeschicht das Werkzeug und Material bereitlegten. Die positiven Ergebnisse wurden auf einer roten, die negativen auf einer schwarzen Tafel kundgemacht. Die Einhaltung der Verpflichtungen wurde gegenseitig durch die Gruppen, Brigaden und Schichten überprüft. Die beste Brigade erhielt eine rote Wanderfahne,70 die schlechteste eine Bastfahne.71 Der sozialistische Wettbewerb beruhte nur zum Teil auf der Eigeninitiative der beteiligten Arbeiter. Mindestens ebenso wichtig war seine Funktion als Instrument, mit dem man anderen unter Ausübung moralischen Druckes Pflichten auferlegen konnte. Die im Zuge von „sozialistischen Verträgen" eingegangenen Verpflichtungen wurden vielfach nicht von den Betroffenen selbst, sondern von Kollegen formuliert, die sie zum Wettbewerb herausforderten. „Ihr müßt unbedingt hundert Kubikmeter Beton am Tag liefern. Die Erfüllung dieser Aufgabe ist Ehrensache Eures Kollektivs", hieß es im „sozialistischen Vertrag", den die Arbeiter der Transportabteilung des Schachtes 10-11 an das Betonwerk schickten. Einigen namentlich genannten Kollegen im Betonwerk wurden Aufgaben auferlegt: „Mechaniker - Sie sind verpflichtet, unverzüglich einen Kessel zur Erwärmung der Baumaterialien aufzustellen und einen Ringverkehr der Loren zu organisieren. Genösse Maljutin - erreichen Sie die ununterbrochene Lieferung von Beton für die Station ,Ochotnyj rjad'. Es darf keine Minute Stillstand geben.
69 Vertrag über den sozialistischen Wettbewerb zwischen den Angestellten, ITR und Arbeitern der Stoßbaustellen Metrostroj und der Eisenbahnlinie Moskau - Donecbecken, o.D. [Frühjahr 1932], GARF R-5475/18/126, Bl. 4 1 ^ 5 . 70 Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Abramov, Schacht 9-9bis, 24.3.1935. GARF R-7952/7/299, Bl. 70-71. 71 Sten. Treffen der Stoßarbeiter, 1.1.1933. GARF R-7952/7/272, Bl. 63.
Die Einbindung der Arbeiter in den sozialistischen Wettbewerb
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Genossen Iii und Zoscenko, erinnert Euch, daß von Euch Laboranten die Qualität des Betons abhängt. Brigadiere Chajrulin und MalySev, Ihr müßt die Arbeitskräfte richtig einsetzen, das Tempo erhöhen, keine einzige Maschinenpanne zulassen."72 Die Herausforderung zum Wettbewerb konnte sich wie in einer Kettenreaktion verbreiten. Jeder, der neu hinzukam, forderte seinerseits wieder einen Kollegen heraus: „Der Gruppenorganisator Genösse Cemeris fordert den Genossen Zimkov zum sozialistischen Wettbewerb heraus, Zimkov nimmt die Herausforderung an und fordert mit denselben angegebenen Punkten Stepanov F. heraus. Stepanov nimmt die Herausforderung an und fordert die übrigen Zimmerleute seiner Brigade heraus, Stepanov, Tupifikin, Gurov. Sie nehmen die Herausforderung in allen genannten Punkten an und fordern die Brigade Poljanskij heraus. Poljanskij nimmt die Herausforderung an. 1) Nicht zu spät kommen und nicht blaumachen. 2) Die Aufgabe zu 125 % erfüllen und 25 % Gegenplan liefern, fehlerhafte Arbeit auf Null reduzieren. Die Anleihe und das Zeitungsabonnement zu 100 % zeichnen, allgemeine Versammlungen zu 100 % besuchen. Fehlerhafte Arbeit liquidieren und 15 % weniger Material verbrauchen. [Unterschriften]"73 Wenn der Wettbewerb funktionierte und sich nicht in hohlen Phrasen erschöpfte, wie es oft genug der Fall war, dann entwickelte er eine Eigendynamik, in deren Verlauf die Arbeiter einander gegenseitig zu mehr und höherer Leistung anspornten. Zum Stil des sozialistischen Wettbewerbs gehörte ein gewisser Aktionismus und ein gehöriges Maß an Pathos. Man traf nicht einfach mit der Nachbarbrigade eine formlose Vereinbarung, sondern man hielt ein „Meeting" ab, marschierte auf die benachbarte Baustelle, forderte eine Brigade zum Wettbewerb heraus,74 setzte einen schriftlichen Vertrag auf, der im Plenum des Gewerkschaftskomitees verlesen wurde,75 gab Flugblätter heraus, schrieb offene Briefe, die am Schwarzen Brett oder in der Betriebszeitung publik gemacht wurden.76 Während des Wettbewerbs selbst wurden in regelmäßigen Abständen Versammlungen einberufen, „Blitze" und Bulletins über den Stand der Arbeiten herausgegeben, Schautafeln
72 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Fel'dman, Schacht 10-11, 25.3.1935. GARF R7952/7/322, Bl. 56-57. 73 Aufforderung zum sozialistischen Wettbewerb, 1.8.1933. GARF R-7952/7/175, Bl. 47. 74 Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Kopejkin, 2. Distanz. GARF R-7952/7/303, Bl. 6-7. 75 Sten. Beratung bei Sasirin, 28.2.1935. Wortmeldung des Gewerkschaftsorganisators Fedorov, 4. Distanz. GARF R-7952/7/344, Bl. 86. 76 Vgl. Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Fel'dman, Bl. 57.
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mit Zwischen- und Endergebnissen angefertigt. 77 Wenn ein Flugblatt oder ein „Blitz" über einen neuen Rekord berichtete, schickten andere Brigaden Kontrolleure, um zu überprüfen, ob etwa gemogelt worden war oder um herauszufinden, auf welcher fabelhaften Arbeitsweise der Rekord beruhte. 78 Die Sieger der Wettbewerbe durften bei ihrer Baustelle eine rote Fahne hissen 79 oder gar bei der Maiparade als vorderste Kolonne marschieren oder vor hohen Funktionären und Parteiversammlungen den Abschluß einer Arbeitsetappe „rapportieren". 80 Sie wurden in Zeitungen abgebildet und im Rundfunk interviewt.81 Häufig lebte der „sozialistische" Wettbewerb überwiegend von den Aussichten auf höheren Lohn: Die Bauleiter sorgten dafür, daß nach Schichtende sofort auf einer Tafel die Leistung festgehalten und der Verdienst jeder Brigade und der durchschnittliche Lohn pro Arbeiter ausgerechnet wurde. „Manchmal konnte der Arbeiter, wenn er aus der Dusche kam, schon sehen, wieviel er heute verdient hat. Das gab den Arbeitern noch mehr Energie." 82 Andernorts wurde der Wettbewerb ad absurdum gefuhrt, wenn man ihn nämlich als Schauspiel inszenierte und die benachbarten Brigaden ihre Arbeit unterbrachen, um zuzusehen und die Wetteifernden anzufeuern. 83 Manchmal kam es zwischen wetteifernden Brigaden zu Schlägereien, wenn sie sich um Betonloren oder knappes Werkzeug stritten.84 Eine besondere Form des sozialistischen Wettbewerbs waren die „Schlepptaubrigaden". Wenn sich eine Brigade schwer im Rückstand befand, konnte die Komsomol- oder Gewerkschaftsversammlung beschließen, ihr eine „Schlepptaubrigade" [buksirnaja brigada] zur Seite zu stellen, die ein höheres Arbeitstempo vorlegte. Zur Vorwarnung hängte man bei der zurückgebliebenen Brigade eine Bastfahne auf und setzte ihr eine letzte Frist, in der sie die Schande, ins „Schlepptau" genommen zu werden, noch abwenden konnte. 85 Neben dem alltäglichen sozialistischen Wettbewerb gab es in regelmäßigen Abständen größere Sonderaktionen. Bereits im Frühjahr 1932 hatte man versucht, durch die Proklamation von „Sturmwochen" das Tempo der Arbeiten voranzutreiben. Im April 1932 ordnete das Parteikomitee beim 5. Abschnitt von Metro77 Vgl. z.B. desgl. mit dem Komsomolzen Egorycev, Schacht 23bis. GARF R-7952/7/301, Bl. 69. Vgl. desgl. mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz, 3.4.1935. GARF R-7952/7/316, Bl. 27. 78 „Die Parteiorganisation des Schachtes 13-14". Manuskript. GARF R-7952/7/312, Bl. 53-54. 79 Sten. Beratung bei Sasirin, 28.2.1935. Wortmeldung des Komsomolzen Poltava, 8. Distanz. GARF R-7952/7/344, Bl. 45-46. 80 Sten. Gespräch mit Ing. Solov'ev, Schacht 12,1.12.1934. GARF R-7952/7/308, Bl. 180. 81 Desgl. mit der Komsomolzin Suchanova, Schacht 10—11, 25.10.1934. GARF R-7952/ 7/308, Bl. 121. 82 Desgl. mit dem Bauleiter Smul'skij, 3. Distanz. GARF R-7952/7/308, Bl. 34. 83 Rasskazy stroitelej metro 1935, S. 35. 84 Sten. Beratung bei Saäirin, 28.2.1935. Wortmeldung der Komsomolzin Dorofeeva, 8. Distanz. GARF R-7952/7/344, Bl. 62. 85 Sten. Gespräch mit der Komsomolzin Nikitina, 7. Distanz, 3.12.1934. GARF R-7952/ 7/317, Bl. 32-33.
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stroj gemeinsam mit dem Komsomol- und dem Gewerkschaftskomitee zwei „Sturmwochen" an, um die vorbereitenden Arbeiten vorzeitig zum Abschluß zu bringen. Man erhöhte die tägliche Arbeitszeit auf zehn Stunden, strich für zwei Wochen alle arbeitsfreien Tage und führte vorübergehend den progressivprämialen Lohn ein. Bei allen Bauobjekten wurden „Sturmposten" aufgestellt, die den Fortgang der Arbeiten überwachten. Ziel der Aktion war die Erhöhung der Produktivität um fünfzig Prozent. Die Initiative war vom Abschnittsleiter ausgegangen.86 Den August 1932 erklärte man zu einem betriebsweiten „Sturmmonat" für den Vortrieb der Schächte. Bewirkt wurde damit wenig. Weder die Fluktuation der Arbeitskräfte noch das Blaumachen und der Arbeitsstillstand konnten eingedämmt werden. Auch die Partei- und Gewerkschaftszellen entwickelten nicht die gewünschten Aktivitäten.87 Nach dem Beispiel des von der Pravda initiierten Wettbewerbs der Kohlengruben des Donecbeckens zur Umsetzung des ZK-Beschlusses vom 20.3.1933 regte der Udarnik Metrostroj α im Mai 1933 an, auch beim Bau der Metro einen solchen Wettbewerb zu veranstalten. Das Parteikomitee verabschiedete am 23.5.1933 eine entsprechende Resolution: Um den bis dahin schwach entwickelten sozialistischen Wettbewerb in Schwung zu bringen, wurden für die Monate Juni bis September 1933 die Schächte und Distanzen zu einem Wettbewerb aufgerufen. Innerhalb der Schächte sollten Brigaden, Gruppen und einzelne Arbeiter Wettbewerbe veranstalten. Das Parteikomitee legte Wert darauf, daß es sich dabei um „keine kurzfristige Kampagne, sondern um eine dauerhafte Arbeit zur Aktivierung der schöpferischen Initiative der Arbeiter, zur Erhöhung der Produktivität, der Qualität der Arbeit und zur Senkung der Selbstkosten" handle.88 Sieht man sich die Bedingungen des Wettbewerbs näher an, dann erkennt man, daß es gar nicht um die Übererfüllung des Plans, sondern bloß um das Abstellen von Mißständen ging: Von den Teilnehmern wurde im Grunde Selbstverständliches gefordert, nämlich den Produktionsplan zu erfüllen, die Abwesenheiten, Verspätungen und das Blaumachen der Arbeiter zu verringern, die Arbeiter besser auszubilden, die Kurse über das „technische Minimum" zu absolvieren, die Arbeit nicht mehr so häufig zu unterbrechen, bessere Arbeitsdisziplin zu halten, sorgfaltiger mit dem Werkzeug umzugehen.89 Den Siegern des Wettbewerbs wurden hohe Geldprämien und Sachpreise (Uhren, Anzüge, Plattenspieler) sowie Aufenthalte in Sanatorien und Ehrenurkunden in Aussicht gestellt.90
86 Büro der Parteizelle, der Komsomolzelle, Plenum des Abschnittskomitees, Büro ITS beim 5. Abschnitt von Metrostroj. Resolution, 13.4.1932. GARF R-5475/18/116, Bl. 1-2. Prot. Beratung, 13.4.1932. CMAM 665/1/30, Bl. 14-18. 87 Prot. Beratung der Komsomolsekretäre und Stoßarbeiter von Metrostroj, 11.8.1932. CMAM 665/1/30, Bl. 31. 88 Organisationsbüro des Parteikomitees von Metrostroj. Resolution, 23.5.1933. GARF R-7952/7/140, Bl. 14-15. 89 Ebd., Bl. 16. 90 Ebd.,Bl. 20.
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Am 28.11.1933 wurde in der Pravda zur Vorbereitung auf den 17. Parteitag eine Massenkampagne proklamiert, der sich am 1.12.1933 die Schächte und Distanzen von Metrostroj anschlossen.91 Am 2.3.1934, kurz nach dem 17. Parteitag, riefen die Stoßarbeiter des Schachtes 16-17 alle anderen Arbeiter von Metrostroj zu einem Wettbewerb auf, um möglichst schnell die Beschlüsse des Parteitags und die Anordnungen Kaganovics vom 29.12.1933 in die Praxis umzusetzen. Kernstück des Wettbewerbs sollten drei Verpflichtungen sein: den Plan zu erfüllen, bis zur Fertigstellung der ersten Baufolge zu bleiben und das Examen über das „technische Minimum" abzulegen. 92 Das Gewerkschaftskomitee und die Leitung von Metrostroj griffen diese Initiative auf und beschlossen, einen alle Baustellen erfassenden Wettbewerb für die Erfüllung der Beschlüsse des 17. Parteitags und des Moskauer Parteikomitees zu veranstalten. Die Schächte und Brigaden wurden angehalten, untereinander „sozialistische Verträge" abzuschließen und alle zehn Tage die Einhaltung der Verpflichtungen gegenseitig zu überprüfen. Zur Prämierung wurden 100.000 Rubel bereitgestellt.93 In den ersten Wochen entwickelte sich der Wettbewerb schwach. Der Udarnik Metrostroja beklagte die zu geringe Beteiligung der Arbeiter, die Nichteinhaltung der eingegangenen Verpflichtungen und den mangelhaften „Massenkampf' der Gewerkschaftskomitees. 94 Ende März 1934 kam es zu einem Aufschwung, als sich die Komsomolzen und Kommunisten des Wettbewerbs annahmen und ihn in einen „Kaganovic-Feldzug" überleiteten.95 Der „Kaganovic-Feldzug" dauerte das ganze Jahr 1934. Die Teilnehmer, die ihre Verpflichtungen erfüllten, d.h. das technische Examen ablegten und systematisch den Plan erfüllten, ohne dabei mangelhaft zu arbeiten, erhielten ein „Kaganovic-Abzeichen". 96 Wenn es sich um ganze Brigaden handelte, verlieh man ihnen den begehrten Titel „KaganovicBrigade". 97 Die Jahresberichte der Kaderabteilungen der Schächte und Distanzen verzeichneten zu Beginn des Jahres 1935 1.550 Träger des „Kaganovic-Abzeichens" und 105 „Kaganovic-Brigaden". 98 Der „Kaganovic-Feldzug" betraf nicht nur die Bauarbeiten, sondern umfaßte auch Wettbewerbe um die beste Baracke, die beste Kantine oder den besten Kooperativladen. 99
91 Udarnik Metrostroja Nr. 240, 2.12.1933, S. 1. Poletaev 1953, S. 29. 92 Udarnik Metrostroja Nr. 50, 2.3.1934, S. 3. 93 Ebd. Nr. 51,3.3.1934, S. 1. 94 Ebd. Nr. 58, 11.3.1934, S. 1. 95 Ebd. Nr. 70, 26.3.1934, S. 2-3. Vgl. Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Bakulin, 8. Distanz, 24.3.1935. GARF R-7952/7/341, Bl. 176. 96 Udarnik Metrostroja na naklonnoj sachte 1-2 Nr. 28, 23.9.1934, S. 1. 97 Moskovskij Sovet 1934, S. 72. 98 Berichte der Kaderabteilungen der Schächte und Distanzen von Metrostroj über die Arbeit im Jahre 1934. CMAM 665/1/225, Bl. 1-80, und 665/1/226, Bl. 1-90. 99 Sten. Gespräch mit dem Vorsitzenden des Gewerkschaftskomitees von Metrostroj, Osipov. GARF R-7952/7/306, Bl. 22.
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Die Funktionäre bezeichneten den Feldzug als großen Erfolg. Die Initiative sei „in Hunderten Brigaden gleichzeitig geboren worden", jeder Schacht und jede Distanz habe sich fur den Urheber gehalten.100 In Wirklichkeit war die Aktion von Funktionären im Bauman-Rayonsparteikomitee angeregt worden.101 Als die erste Etappe des Feldzugs mit den Maifeiern zu Ende ging, stellte sich heraus, daß viele Brigaden ihre Verpflichtungen nicht erfüllt hatten. Die Parteikomitees der Schächte und Distanzen beschlossen, die Brigaden zu überprüfen. Komsomolbrigaden mußten vor dem Komsomolkomitee, die anderen vor dem Gewerkschaftskomitee oder vor der allgemeinen Schichtversammlung über ihre Arbeit Rechenschaft ablegen.102 Die Ergebnisse wurden auf Tafeln publik gemacht. 103 Die Brigaden führten einen „Arbeitsnotizblock", auf dem alle eingegangenen Verpflichtungen, ihre Ausführung und die Namen der Arbeiter notiert wurden, die sich besonders bewährt hatten oder negativ aufgefallen waren. 104 Der „Kaganoviö-Feldzug" wurde noch in viel größerem Maße als der übliche Wettbewerb propagandistisch begleitet. Die Parteigruppen machten eigene Wandzeitungen, die den Fortgang des Feldzugs beleuchteten. Unter den Arbeitern fanden sich sogar Poeten, die Gedichte wie das folgende verfaßten:105 ,3cTpeHHbIH"
„Der Gegenplan"
XOPOUIO 6bl 6bITb Π03Τ0Μ, HanHcaji 6bi a 06 3tom, KaK ÄpanHCb MM 3a ruiaH,
Gut wäre es, ein Poet zu sein, Dann würde ich darüber schreiben, Wie wir für den Plan kämpften,
BbinOJIHJUlH npOM(j)HHIUiaH. ΠρΗΧΟΛΗΛΗ Ha pa6oTy, B c e HMejiH Mbi 3a6oTy flau ßecHTHHK uaM 3aaaHHe Co6npajrn Mbi coöpaHHe.
Wie wir den Produktionsplan erfüllten. Wir kamen zur Arbeit, Alle hatten wir für etwas zu sorgen Der Polier gab uns die Aufgabe Wir hielten eine Versammlung ab.
100 Ebd.,Bl. 18. 101 Desgl. mit dem Parteiorganisator Bakulin, 8. Distanz, 24.3.1935. GARF R7952/7/341, Bl. 176. Desgl. mit dem Parteisekretär Bel'skij, Schacht 17-18, 17.5.1934. GARF R-7952/7/ 241, Bl. 83. 102 Desgl. mit Bakulin. GARF R-7952/7/341, Bl. 179-181. 103 Desgl. mit dem Parteisekretär Batrakov, Schacht 16-17, 13.4.1934. GARF R-7952/7/ 242, Bl. 144. 104 Desgl. mit dem Parteisekretär Fel'dman, Schacht 10-11, 25.3.1935. GARF R-7952/7/ 322, Bl. 46. 105 Gedicht des Kommunisten Zuev, 4. Distanz. Sten. Beratung bei SaSirin, 28.2.1935. GARF R-7952/7/344, Bl. 119. - Der im Gedicht erwähnte „Gegenplan" wurde während des „Kaganoviö-Feldzugs" zu einer Massenerscheinung. Bei vorbildlichen Schächten waren sämtliche Gruppen einer Schicht untereinander mit Verpflichtungen auf einen „Gegenplan" vernetzt. Das erhöhte das Tempo und festigte die Disziplin, weil viele Gruppen voneinander abhängig waren. Wenn die Betonierer ihren „Gegenplan" erfüllen (und damit mehr verdienen) wollten, konnten sie das nur, wenn auch die Vortriebshauer und die Abräumer schnell genug arbeiteten. (Sten. Gespräch mit dem Vorsitzenden des Gewerkschaftskomitees von Metrostroj, Osipov. GARF R-7952/7/317, Bl. 119.)
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Die „Schmiede des neuen Menschen'
Ha MHHyry coönpajiHCb, Bce BonpocH pa3pemajiHCb 3a paöoToö He cjmejrn, TaK HFLYR ΑΗΗ Η HeziejiH. KaKOBbi ace pe3yjibTaTW? üonaaaeM β KaHiumaTbi. KaraHOBHia Ha 3BaHHe B c e NPMIOHCHJIH MM CTAPAHBS.
YiiepjKaTb TaKoft ποπβτ Η 3το öyjieT Ham οτπβτ.
Für eine Minute versammelten wir uns, Alle Fragen wurden entschieden Während der Arbeit saßen wir nicht, So vergehen Tage und Wochen. Was sind die Resultate? Wir fallen unter die Kandidaten. Auf den Kaganoviö-Titel Konzentrierten wir alle Anstrengungen. Um diese Ehrung zu behalten Und das wird unser Rechenschaftsbericht sein.
4. „An sich selbst a r b e i t e n , a n d e r e b e a r b e i t e n " : E r z i e h u n g und F r e i z e i t g e s t a l t u n g Die Formung des „neuen Menschen" beschränkte sich nicht auf den Arbeitsplatz. Das Regime erhob vielmehr den Anspruch, die Arbeiter in ihrer Persönlichkeit von Grund auf zu verändern und ihr politisch-kulturelles Niveau zu heben.106 Dazu mußte man sie auch in der Freizeit auf geeignete Weise beeinflussen und ihre Aktivitäten in die richtigen Bahnen lenken. Die politische Massenarbeit hatte für die Partei-, Komsomol- und Gewerkschaftsorganisationen einen hohen Stellenwert. Sie wurde zwar bei Metrostroj von den Funktionären selbst zu keinem Zeitpunkt als ausreichend erachtet, doch sollte ihre Wirkung auf die Menschen nicht unterschätzt werden. Wenn auch die politischen Lektionen schlecht besucht wurden und die meisten Arbeiter wenig Interesse an der Erörterung ideologischer Fragen hatten, so gelang es doch, durch sportliche und kulturelle Freizeitangebote breitere Kreise anzusprechen und auf diese Weise die Integration frisch vom Land gekommener Zuzügler in die neue Arbeiterschaft zu fordern. Kollektive Freizeit-, Kultur- und Fortbildungsaktivitäten waren, wenn auch noch so unzulänglich, für Menschen, deren Freizeitgestaltung sich bis dahin auf Trinken und Kartenspiel beschränkt hatte, durchaus attraktiv und übten auf sie eine identitätsstiftende und integrative Wirkung aus.107
a) Die Erziehung zu, .kultiviertem" Leben Die Vorstellungen davon, was als „kultiviert" [kul'turno] zu gelten habe, waren in der Vergangenheit nicht nur in Rußland Veränderungen unterworfen. Das Wort
106 Vgl. Gewerkschaftskomitee von Metrostroj. Bericht über die Kulturmassenarbeit im Jahre 1933. GARF R-7952/7/174, Bl. 18. 107 Die Rolle der Betriebe als „community organizer" hat schon Kenneth Straus am Beispiel der Fabriken AMO-ZIS und Serp i molot untersucht. Siehe den Kern seiner Thesen in Straus 1991, S. 494-495.
„An sich selbst arbeiten, andere bearbeiten": Erziehung und Freizeitgestaltung
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kul'turno selbst hatte und hat im Alltagsleben der Russen einen hohen Stellenwert. Vor allem der Komsomol legte großen Wert darauf, daß seine Mitglieder kul'turno lebten, sich kul'turno benahmen und kleideten, kul'turno arbeiteten und ihre Freizeit kul'turno verbrachten und möglichst viele andere Arbeiter in diese Richtung beeinflußten. In der Sowjetunion der dreißiger Jahre war kul'turno in erster Linie ein Gegenbegriff zur bäuerlichen Lebensart und dem traditionellen Leben in den Dörfern. Das Selbstverständnis des kultivierten Arbeiters und die Abgrenzung gegenüber der bäuerlichen Lebensweise ist deutlich an den in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern publizierten Fotos der Metrobauer zu erkennen: Auf diesen Fotos treten uns nicht zottelbärtige, langhaarige und mit Lumpen bekleidete russische Bauern entgegen, wie wir sie aus anderen Quellen kennen, sondern glattrasierte, städtisch und jugendlich wirkende Männer mit kurzem Haarschnitt, entweder in Anzug und Krawatte oder sportlich-hemdsärmelig und mit offenem Kragen sowie gepflegte junge Frauen in einfachen, aber ordentlichen Kleidern und mit Frisuren, die sich an der westeuropäischen Mode orientierten.108 Die vom Land zugewanderten neuen Arbeiter brachten zunächst ihre dörflichen Sitten in die Stadt mit und erregten damit bei der Partei und beim Komsomol Anstoß. Bis Mitte 1933 kümmerte sich kaum jemand um das Leben und Treiben der Arbeiter in den Barackensiedlungen. Im Sommer 1933 änderte sich das im Zusammenhang mit der Mobilisierung der Komsomolzen und Kommunisten. Die Partei- und Komsomolorganisatoren begannen, in die Baracken zu gehen und sich fur die Lebensumstände ihrer Arbeiter zu interessieren.109 Obwohl die Komsomolzen und Kommunisten in Moskau über Wohnraum verfugten, wurden sie den Baracken zugeteilt, um dort Gespräche zu fuhren, Vorträge zu halten und den Arbeitern beizubringen, wie man kul'turno wohnt, seinen Schlafplatz sauber hält und sich wäscht.110 Vielfach mußten allerdings erst die Komsomol- und Parteimitglieder selbst auf das nötige „ideologisch-kulturelle Niveau" gebracht werden, damit sie überhaupt als „Erzieher" auftreten konnten. Mitunter wurden Kommunisten aus der Partei ausgeschlossen, weil sie, statt ihre Kollegen zu erziehen, selbst Trinkgelage veranstalteten." 1 Vorbildliche Parteiorganisatoren, so wie sie der Öffentlichkeit stolz in den publizierten „Erzählungen der Metrobauer" präsentiert wurden, berücksichtigten bei der Erziehung der Mitglieder ihrer Parteigruppe auch das persönliche Umfeld, bevor sie Strafmaßnahmen ergriffen:
108 Vgl. auch Wolf 1994, S. 214-215. 109 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Vlasov, Schacht 15, 10.4.1934. GARF R-7952/ 7/242, Bl. 89. Desgl. mit dem Parteiorganisator Ermolaev, Schacht 7-8, 24.3.1935. GARF R-7952/7/301, Bl. 61. 110 Desgl. mit dem Parteisekretär Udalych, Caissonkontor, 26.8.1934. GARF R-7952/7/ 243, Bl. 10-11. 111 Ebd.
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Die „Schmiede des neuen Menschen" „Ich studierte aufmerksam alle Leute, die in der Parteigruppe waren. Ich kannte sie nicht nur von ihrer Produktionsseite, sondern interessierte mich auch für die Lebensbedingungen und bemühte mich, wo es notwendig war, dem Menschen zu helfen. Ich hatte in der Schicht den Kommunisten Ivanov, einen Vortriebshauer, gelernten Buchbinder. Er arbeitete nicht schlecht, doch dann bemerkte ich plötzlich, daß ihm die Arbeit nicht von der Hand ging. Ich interessierte mich, fragte ihn aus. Es stellte sich heraus, daß er eine große Familie hatte, seine Frau auch arbeitete und die Kinder ohne Aufsicht waren. Mit Hilfe der Gewerkschaftsorganisation brachten wir seine Kinder im Kindergarten unter. Trotzdem wurde die Arbeit Ivanovs immer schlechter, und eines Tages erschien er sogar betrunken zum Dienst. Das ist eine schwerwiegende Sache, man verliert dadurch seinen Parteiausweis. Als ich drauf und dran war, ihn aus der Partei zu werfen, wurde mir bewußt, daß ich seine Lebensumstände nicht genug kenne. Wieder stellte ich Nachforschungen an. Es zeigte sich, daß der Mann Probleme mit seiner Frau hatte, daß die Eltern der Frau ihn schlecht behandelten, - mit einem Wort, kein süßes Leben. Ich beriet mich mit dem Parteisekretär, er sei doch ein echter Arbeiter, guter Schaffer, man muß versuchen ihn zu bessern. Wir schickten ihn in die Gesundheitsfürsorgestelle, wo er ganze zwei Wochen behandelt wurde, halfen ihm mit der Wohnung, und der Mann besserte sich, wurde aktiv im gesellschaftlichen Leben und ausgezeichnet in der Produktion. Gut, daß wir nicht formal mit ihm umgegangen waren, man kann einen Menschen leicht aus dem Gleis weifen. Beim Schacht 2 entdeckten wir, daß der Parteikandidat Genösse Konovalov oft betrunken war, keine Bücher las, selten ins Bad ging, seine Bettstelle nicht aufräumte. Ein anderer Parteikandidat, Genösse Zelbakovic, stopft die Schmutzwäsche unter die Matratze, läßt unanständige Ausdrücke im Wohnheim zu, ist ein Schlamper. Wir erörterten diese ,Kleinigkeiten' im Verhalten der beiden Genossen auf der Versammlung der Parteigruppe und teilten ihnen einen Kommunisten zu, der ihnen half, sich zu bessern. Und man muß sagen, daß wir hier einen Erfolg erzielten: Die Genossen besserten sich allmählich, wurden zur Ordnung im Wohnheim erzogen und wurden gute Stoßarbeiter." 1 1 2
Da die Kultiviertheit nicht nur von den Bewohnern, sondern auch v o m baulichen Zustand und der Ausstattung der Baracken abhing, kümmerten sich die K o m s o molzen und Kommunisten in dieser Hinsicht um Verbesserungen, ließen neue Barackenkommandanten einsetzen, veranlaßten die Renovierung und bessere Ausstattung der Baracken sowie die Einrichtung von Sportplätzen und „Roten E c k e n " mit Zeitungen, Schach- und Damespielen, Lesestoff und Musikinstrumenten. 1 1 3 Das Schwergewicht ihrer Tätigkeit lag aber auf der Einwirkung auf die Arbeiter selbst. Unter dem Schlagwort „Kulturmassenarbeit" führten sie einen K a m p f gegen die bis dahin in den Baracken blühenden Trinkgelage, Raufereien und das Kartenspiel. Sie brachten den Arbeitern - zuweilen gegen hartnäckigen Widerstand - bei, sich zu waschen, Unterwäsche zu tragen, die Stiefel und die schmut-
112 Aussage des Parteiorganisators Kare. Zitiert in Starostin/Mar'janovskij 1935, S. 36-37. 113 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Udalych, Caissonkontor, 26.8.1934. GARF R-7952/7/243, Bl. 10-11.
„An sich selbst arbeiten, andere bearbeiten": Erziehung und Freizeitgestaltung
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zige Arbeitskleidung beim Schlafengehen auszuziehen und nicht auf den Boden, sondern in die aufgestellten Spucknäpfe zu spucken. Sie achteten auf das Verhalten der Arbeiter ihrer Brigaden oder der zugeteilten Baracken, führten mit ihnen persönliche Gespräche, stellten sie vor anderen zur Rede oder informierten, wenn ihre Bemühungen keinen Erfolg zeitigten, den Parteisekretär oder den Gewerkschaftsvorsitzenden.114 Besonders resistente Trinker und Radaubrüder wurden dem Genossengericht vorgeführt oder aus der Baracke ausgesiedelt.115 Arbeiterkorrespondenten des Udarnik Metrostroja und die „Leichte Kavallerie" unternahmen nächtliche „Raids" auf die Baracken und trafen dabei selbst im Juli 1934 noch viele Arbeiter an, die in Stiefeln und in ihrer schmutzigen Arbeitskleidung in den Betten lagen. Den Schlafenden wurde eine Notiz hinterlassen, daß sie das nächste Mal fotografiert und in der Zeitung abgebildet würden. Die Barackenältesten berichteten später, daß diese Notizen geholfen hätten. Auch die Wand- und Betriebszeitungen beteiligten sich an der Erziehung der Arbeiter. Unkultivierte Verhaltensweisen wurden anhand konkreter Beispiele in Form von Karikaturen oder Berichten angeprangert. Arbeiterkorrespondenten inspizierten die Baracken, unternahmen,^Angriffe auf die Nachtkästchen" und berichteten, bei welchen Arbeitern sie Nachtkästchen voller Schmutzwäsche vorgefunden hat116
ten. Zu besonderen Anlässen wie den Oktoberfeierlichkeiten oder dem 1. Mai „verschärfte man den Kampf um das Tempo auch an der Kulturfront", wie es ein Kommunist ausdrückte: Im Zuge von Kampagnen verpflichteten sich Arbeiter, ihr Zimmer ordentlich aufzuräumen, die Baracke zu putzen und mit Parolen und Porträts zu schmücken.117 Einer der HauptangrifFe bei der Erziehung der Arbeiter richtete sich gegen das ordinäre Fluchen [mat]. Das Problem wurde akut, als im Winter 1933/34 nach der Ankunft der Komsomolzen der Frauenanteil unter den Metrobauem stieg und sich viele Komsomolzinnen von den lauten, ordinären Sprüchen ihrer männlichen Kollegen belästigt fühlten. Viele Arbeiter, auch Komsomolzen, gaben besonders dann, wenn Frauen in der Nähe waren, demonstrativ unflätige Flüche, zweideutige Bemerkungen oder „etwas Scharfes" von sich. In den Umkleideräumen und beim Einfahren in den Schacht kam es im Gedränge häufig auch zu handgreiflichen Belästigungen von Komsomolzinnen.118
114 Desgl. mit dem Komsomolzen Kolodolov, Schacht 8. GARF R-7952/7/303, Bl. 84. 115 Desgl. mit dem Parteisekretär Rozenberg, Schacht 22-22bis. GARF R-7952/7/307, Bl. 50, 58. 116 Osipov/Mar'janovskij 1935, S. 122. 117 Sten. Beratung bei Saäirin, 28.2.1935. Wortmeldung des Kommunisten Ploticyn, 4. Distanz. GARF R-7952/7/344, Bl. 119. 118 Tunnel' ν srok Nr. 4, 6.1.1935, S. 2. Udarnik Metrostroja na naklonnoj sachte 1-2 Nr. 3-4, 22.8.1934, S. 2. - Ordinäres Fluchen wurde im übrigen nicht nur Männern, sondern auch Frauen vorgeworfen. (Sten. Gespräch mit der Komsomolzin Nikitina, 7. Distanz, 3.12. 1934. GARF R-7952/7/317, Bl. 29).
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Die Komsomolsekretäre bemühten sich, zumindest auf die Komsomolzen einzuwirken, das Fluchen und die ordinären Sprüche zu lassen und veranstalteten ,»Kulturkonferenzen", die diesem Thema gewidmet waren.119 Im Rahmen von sozialistischen Wettbewerben verpflichteten sich Arbeiter und Brigaden, das Fluchen aufzugeben.120 Hartnäckigen Fluchern wurden Kommunisten zugeteilt, die sie während der Arbeit beobachteten und zurechtwiesen.121 Die Bemühungen brachten nur geringe Erfolge. Außerhalb der Arbeit konnte das Fluchen halbwegs eingedämmt werden, aber in den Schächten blieb es eine allgegenwärtige Erscheinung.122 Ansonsten war die „Massenkulturarbeit", laut den eigenen Aussagen der Komsomolzen und Kommunisten, nach anfänglichen Schwierigkeiten sehr erfolgreich. „Es stimmt schon, daß es auch weiterhin Trinkgelage gab, aber sie hatten nicht diesen massenhaften Charakter wie früher", meinte ein Parteisekretär. Er hatte den Eindruck, daß sich die allgemeine Kultiviertheit auch auf die Einstellung der Leute zur Arbeit auswirkte.123 Manche Berichte lassen allerdings Zweifel an dieser optimistischen Einschätzung aufkommen. „Die Jungs fuhren sich schrecklich auf, spucken herum, werfen ihre Zigarettenstummel auf den Boden", klagte Ende Oktober 1934 eine Komsomolzin über das Verhalten ihrer männlichen Kollegen während eines Kulturabends im Gewerkschaftshaus.124 Im März 1935 berichtete der Udarnik Metrostroja über ein Nachlassen der Kulturarbeit in den Barackensiedlungen. Es komme wieder häufiger zu Trinkgelagen und Prügeleien, die „Roten Ecken" würden zum Teil als Wohnraum genutzt, in den Arbeiterklubs lungerten Hooligans herum, und die Komsomolzen würden zu wenig dagegen unternehmen.125
b) Alphabetisierung, Bildung, politischer Unterricht Viele Metrobauer mußten erst einmal Lesen und Schreiben lernen, bevor an eine weitere politische Bildung zu denken war. Dafür zuständig war in erster Linie die Gewerkschaft. Bereits im Februar 1932 wurde bei Metrostroj ein „Zirkel zur Li-
119 Sten. Gespräch mit der Komsomolzin Sachova, Schacht 13bis, 1.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 138. 120 Sten. Beratung bei Saäirin, 28.2.1935. Wortmeldung des Gewerkschaftsorganisators Fedorov, 4. Distanz. GARF R-7952/7/344, Bl. 84. 121 Sten. Gespräch mit dem Kommunisten Titov, Schacht 18. GARF R-7952/7/321, Bl. 24-25. 122 Desgl. mit der Komsomolzin Ustinova, Schacht 18-18bis. GARF R-7952/7/307, Bl. 159. 123 Desgl. mit dem Parteisekretär Budkin, Distanz 5-6bis, 7.3.1935. GARF R-7952/7/343, Bl. 54. 124 Desgl. mit der Komsomolzin Suchanova, Schacht 10-11, 25.10.1934. GARF R-7952/ 7/308, Bl. 125. 125 Udarnik Metrostroja Nr. 59, 14.3.1935, S. 3.
„An sich selbst arbeiten, andere bearbeiten": Erziehung und Freizeitgestaltung 361 quidierung des Analphabetentums" [likbezkruzka] ins Leben gerufen.126 Aus der Siedlung Los' meldete im Juni 1932 eine von der Gewerkschaft entsandte Kulturbrigade unter den dortigen Arbeitern 19 Prozent Analphabeten und 20 Prozent Halbanalphabeten.127 Am 4.12.1932 brachte der Udarnik Metrostroja eine spezielle „Seite für Halbanalphabeten" heraus, die allerdings eine einmalige Erscheinung blieb. Sie war in einer größeren Schrifttype gesetzt und berichtete über die Maßnahmen zur Unterweisung der Leseunkundigen und Leseschwachen: Insgesamt war hier die Rede von 1.307 Analphabeten und Halbanalphabeten, von denen 310 in Schulen und 644 in Alphabetisierungszirkeln unterrichtet wurden. Unter ihnen waren Angehörige nationaler Minderheiten, vor allem Tataren, überproportional vertreten (Tab. 37). Tabelle 37: Alphabetisierung bei Metrostroj 1932 128 Analphabeten
Halbanalphabeten
Summe
Unterricht in Schulen
Unterricht in Zirkeln
Russen Andersnationale
270 97
789 151
1.059 248
263 47
505 139
Summe
367
940
1.307
310
644
Etwa zur selben Zeit verzeichnete eine Gewerkschaftsstatistik bei Metrostroj 819 Analphabeten und 733 Halbanalphabeten, von denen nur 815 in 45 Alphabetisierungszirkeln von „Kulturarmisten" unterwiesen wurden. Dabei handelte es sich allerdings nur um die statistisch erfaßten Analphabeten. Das Gewerkschaftskomitee beklagte die mangelhafte Unterstützung durch die Schachtleiter, die nichts unternähmen, um in ihrem Bereich festzustellen, wer des Lesens und Schreibens nicht mächtig sei.129 Die wirkliche Zahl der Analphabeten lag viel höher. Bei der Planung der Kulturarbeit für das Jahr 1934 ging die Gewerkschaft von 2.250 Analphabeten und 5.000 Halbanalphabeten aus.130 In dieser Größenordnung bewegen sich auch die Angaben der Ausbildungsabteilung von Metrostroj, aus denen überdies ersichtlich ist, daß selbst im zweiten Halbjahr 1934 nur ein Teil der registrierten Analphabeten von Kursen erfaßt wurde (Tab. 38). Unter den im Jahre 1934 zur Roten Armee einberufenen Metrobauern des Jahrgangs 1912 waren 28 Prozent Analphabeten und Halbanalphabeten.131 126 Rotert. Konjunkturbericht von Metrostroj fur Februar 1932. GARF R-7952/7/162, Bl. 43. 127 CK der Gewerkschaft Zeldorsosportstroj. Material über den Zustand der Kulturarbeit auf den Baustellen, 1932. GARF R-5475/18/139, Bl. 16-17, 43. 128 Udarnik Metrostroja Nr. 40,4.12.1932, S. 3. 129 Gewerkschaftskomitee von Metrostroj. Bericht über die Kulturarbeit im Jahre 1933. GARF R-7952/7/174, Bl. 20. Vgl. auch Udarnik Metrostroja Nr. 111, 27.6.1933, S. 2. 130 Präsidium MOK ZeldorSosportstroj. Prot. 4, 27.1.1934. CGAMO 4237/1/11, Bl. 273. 131 Udarnik Metrostroja Nr. 29,4.2.1934, S. 4.
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Tabelle 38: Alphabetisierung bei Metrostroj 1933/34 1 3 2 Zeitraum
registrierte Analphabeten
registrierte Halbanalphabeten
Analphabeten in Kursen
Halbanalphabeten in Kursen
2. Halbjahr
1.660
1.763
415
970
1933 1. Halbjahr
1.547
5.182
464
1.734
1.872
6.478
1.121
3.727
1934 2. Halbjahr 1934
Die Bildungsarbeit der Gewerkschaft konzentrierte sich auf die großen Barackensiedlungen. In Los' wurden schon 1932 eine kleine Bücherei und eine Lesestube eingerichtet, die allerdings nur schwach mit Büchern und Zeitschriften ausgestattet waren. Die „Roten Ecken" in den Baracken bestanden in der Anfangszeit nur nominell und wurden vielfach als Schlafstellen genutzt.133 Im Juni 1932 entsandte das Zentralkomitee der Gewerkschaft Zeldorsosportstroj eine Kulturbrigade in die Siedlung Los'. Die Brigade fand die Bücherei in völliger Unordnung vor, verdoppelte daraufhin den Bestand auf 3.000 Bücher und abonnierte 22 Zeitungen und 12 Zeitschriften. 30 Arbeiter wurden als „Bibliotheksaktiv" den einzelnen Baracken zugeordnet und versahen in der Bücherei Dienst. Einige von ihnen hatte man in einem fünftägigen Kurs instruiert. Die Siedlung verfugte nun über eine zentrale „Rote Ecke", die von einem Funktionär betreut wurde, der sich auch um die 30 „Roten Tische" in den Baracken kümmerte. Bei den „Roten Tischen" handelte es sich um Sparversionen von „Roten Ekken". Im Durchschnitt entfiel ein „Roter Tisch" auf drei bis vier Baracken. Radioempfanger waren nur wenige vorhanden, und wo es sie gab, versammelte niemand die Arbeiter zum kollektiven Radiohören. Um die Massenkulturarbeit zu beleben, schickte die Gewerkschaft zum 1.7.1932 für eineinhalb Monate eine weitere Kulturbrigade zu Metrostroj, bestehend aus einem Kulturplaner, einem Bibliothekar, einem „Analphabetentum-Liquidierer", einem Radiofachmann und einem antireligiösen Agitator. Der Radiofachmann installierte in den Baracken 160 Radiolautsprecher.134 Am Ende des Jahres 1932 gab es bei Metrostroj einen Arbeiterklub, fünf „Rote Ecken", die ihren Namen verdienten, einen „Radioknoten", der die Lautspre-
132 Abteilung für Kaderausbildung von Metrostroj. Aktennotiz über die Liquidierung des Analphabetentums, o.D. [Mai 1935], CMAM 665/1/302, Bl. 1. 133 Metrostroj. Bericht an MGKK RKI über die Planerfüllung im Jahre 1932, Dezember 1932. CMAM 1289/1/395, Bl. 56. 134 CK der Gewerkschaft Zeldorsosportstroj. Material über den Zustand der Kulturarbeit auf den Baustellen, 1932. GARF R-5475/18/139, Bl. 12^13. Bericht an das Präsidium des CK Zeldorsosportstroj, o.D. Ebd., Bl. 54-56.
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eher in den Baracken bediente, und einen mobilen Filmvorführungsapparat.135 Die „Kulturmassenarbeit" bei Metrostroj sei von Planlosigkeit und Kleinkrämerei gekennzeichnet, hieß es in einem Gewerkschaftsbericht vom April 1933. Das Baustellenkomitee habe in den Baracken Gespräche über das Januarplenum des Zentralkomitees abgehalten, Vorträge von Ärzten über Hygiene und die Vorbeugung von Krankheiten sowie Schiausflüge und Exkursionen organisiert, es sei aber kein Gesamtkonzept zu erkennen. Wichtige Themen, wie zum Beispiel die Machtergreifung Hitlers, seien nicht genutzt worden, um die Arbeiter politisch zu aktivieren. Die Kulturarbeit laste auf einigen wenigen Funktionären, die mit ihren vielen Aufgaben überfordert seien.136 Anfang Juli 1933 verzeichnete man in den Barackensiedlungen immerhin schon fünf „Kulturbasen" und ebenso viele Arbeiterklubs, 26 „Rote Ecken", 78 „Rote Tische", drei Radioknoten, 60 mit Radiolautsprechern ausgestattete Baracken, 18 stationäre Büchereien mit insgesamt 7.580 Büchern, 45 mobile Büchereien, drei mobile Kinos und einen stationären Filmvorfuhrapparat in Los'. 137 Die Klubs erinnerten allerdings mehr an Schuppen als an Kultureinrichtungen und waren so schmutzig und ungemütlich, daß sie kaum jemand besuchte. Die ,,Roten Ecken" litten unter einem Mangel an Literatur, und die ausliegenden Zeitungen waren alt. Die „Roten Tische" hatten so gut wie keinen praktischen Wert. Die Kulturarbeit in den Baracken war eingeschlafen, weil sich das Baustellenkomitee nicht richtig um die „Kulturdreierausschüsse" fkul 'ttrojki] bei den Siedlungen kümmerte. Der Udarnik Metrostroj α forderte den im März 1933 geschaffenen Kultursektor des Baustellenkomitees auf, endlich aktiv zu werden.138 Das Zentralkomitee der Gewerkschaft griff dem Baustellenkomitee mit Inventar und Literatur für die „Roten Ecken" und Klubs unter die Arme. 22 Gewerkschaftler wurden in sechswöchigen Kursen zu Kulturorganisatoren ausgebildet und eine aus zwei Personen bestehende „Schriftstellerbrigade" für zwei Monate in die Siedlungen geschickt. In Los' baute man außerdem ein „technisches Kabinett" auf, das für Kurse genutzt wurde.139 Das Baustellenkomitee veranstaltete im Jahre 1933 immerhin 450 Exkursionen in Museen, an denen 6.000 Metrobauer teilnahmen.140
135 Gewerkschaftskomitee von Metrostroj. Bericht über die Kulturmassenarbeit im Jahre 1933. GARF R-7952/7/174, Bl. 19. 136 Bericht über die Kulturarbeit beim 5. Abschnitt von Metrostroj, o.D. [April 1933]. GARF R-5475/18/139, Bl. 260-261. 137 Udarnik Metrostroja Nr. 116, 3.7.1933, S. 2. Gewerkschaftskomitee von Metrostroj. Bericht über die Kulturmassenarbeit im Jahre 1933. GARF R-7952/7/174, Bl. 19. 138 Udarnik Metrostroja Nr. 111, 27.6.1933, S. 2. 139 Politaufklärungszentrum beim CK ZeldorSosportstroj. Übersicht über die Arbeit im Jahre 1933. GARF R-5475/18/185, Bl. 23-25. 140 Gewerkschaftskomitee von Metrostroj. Bericht über die Arbeit im Jahre 1933. GARF R-7952/7/174, Bl. 22.
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Auf welche Weise die vorhandenen Einrichtungen mit Leben erfüllt wurden, hing von den örtlichen Funktionären ab. Die Komsomolbaracke der Siedlung in Fili verfügte schon im November 1933 über eine gut mit Literatur und Zeitungen ausgestattete „Rote Ecke" und Radiolautsprecher. Es gab sogar ein Klavier, eine Ziehharmonika und ein Balalaikaensemble. Achtmal im Monat wurden Filme vorgeführt, alle Komsomolzen hatten Zeitungen abonniert.'41 Völlig anders sah es noch im Februar 1934 in der Siedlung an der Potesnaja Straße aus: Dort gab es zwar eine Kulturbasis, um die kulturelle Versorgung der 1.500 Bewohner der Siedlung war es aber trotzdem schlecht bestellt, weil die Dreiecke der zuständigen Distanzen und die Kulturfunktionäre untätig blieben.142 Die Ankunft der Komsomolzen und die organisatorische Durchdringung von Metrostroj durch die Partei, den Komsomol und die Gewerkschaft belebten seit dem Winter 1933/34 auch die Kultur- und Bildungsarbeit. Man richtete Zirkel für Allgemeinbildung ein, die allerdings nicht gut besucht wurden,143 die Rayonsparteikomitees gründeten Abendschulen, in denen die bei Metrostroj arbeitenden Jugendlichen die Mittelschulbildung abschließen konnten. Die Komsomolzen zeigten zwar Interesse, viele waren aber nach der Arbeit zu müde zum Lernen.144 Der Parteisekretär des Schachtes 22 sprach im Herbst 1934 davon, daß vierzig Prozent seiner Arbeiter in irgendeiner Weise an Kursen und Bildungsangeboten teilnähmen. Diese Rate überstieg bei weitem die Zahl der Kommunisten und Komsomolzen beim Schacht. Der Parteisekretär unternahm mit den Arbeitern Exkursionen ins Revolutionsmuseum, ins Polytechnische Museum, in die Fliegereiausstellung, in die Ausstellung „20 Jahre Imperialistischer Krieg", ins Planetarium und in die Waggonfabrik nach Mytisci, wo die Metrogarnituren gebaut wurden.145 Bei etlichen Schächten fanden sich Bildungshungrige in Mathematik-, Physik-, Geographie· oder Deutschzirkeln zusammen.146 Im August und September 1934 wurden bei den Schächten 12 und 21 „Kulturuniversitäten" ins Leben gerufen, die in interessanter und leicht verständlicher Form neue wissenschaftliche und technische Errungenschaften präsentieren und die Arbeiter mit den Werken der klassischen Literatur vertraut machen sollten.147 Prominente Politiker und bekannte Wissenschaftler hielten Vorträge.148
141 Udarnik Metrostroj a Nr. 218, 3.11.1933, S. 3. 142 Ebd. Nr. 29,4.2.1934, S. 3. 143 Sten. Gespräch mit dem Kommunisten Titov, Schacht 18. GARF R-7952/7/321, Bl. 26. 144 Desgl. mit der Komsomolzin Nikitina, 7. Distanz, 3.12.1934. GARF R-7952/7/317, Bl. 37-38. 145 Desgl. mit dem Parteisekretär Rozenberg, Schacht 22-22bis. GARF R-7952/7/307, Bl. 53. 146 CK VLKSM. Bericht über die Komsomolorganisation des Schachtes 21-2Ibis, 9.12.1934. RGASPI lm/3/129, Bl. 191. Sten. Gespräch mit der Komsomolzin Kucerenko, Schacht 21. GARF R-7952/7/302, Bl. 156. 147 Udarnik scita Nr. 10, 17.9.1934, S. 2. Rabocaja Moskva Nr. 178, 1.8.1934, S. 4. 148 Bucharina 1991, S. 4.
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Den eigentlichen Kern der Bildungsarbeit stellte der politische Unterricht dar. In den ersten Monaten war er praktisch nicht existent. Das einzige, was es in dieser Hinsicht gab, waren politische Gespräche, die Partei- und Komsomolmitglieder mit ihren Kollegen führten. Bei den Angehörigen nationaler Minderheiten versagte selbst dieser bescheidene Ansatz, weil sie kaum Russisch verstanden. Im September 1932 entsandte die Agitationsabteilung des Moskauer Stadtparteikomitees 19 Agitatoren zu Metrostroj, die mit den nichtrussischen Arbeitern politische Gespräche fuhren sollten. Es handelte sich um Tataren, Mordvinen, Cuvasen und sprachkundige Russen, die man aus verschiedenen Instituten abgezogen hatte.149 Im Juni und Juli 1933 ordnete das Stadtparteikomitee auch fur die Arbeit unter den russischen Arbeitern Propagandagruppen mit zusammen 43 Agitatoren zu Metrostroj ab. Das Parteikomitee von Metrostroj wurde verpflichtet, mindestens hundert Parteimitglieder aus der Belegschaft zu qualifizierten Propagandisten auszubilden.150 Das Zentralkomitee der Gewerkschaft Zeldorsosportstroj ließ bei Metrostroj ein Agitations-Puppentheater einrichten.151 Die wichtigste Form des politischen Unterrichts waren die „Polittage" oder „Parteitage". Im April 1932 hatte das Moskauer Stadtparteikomitee alle Parteizellen Moskaus aufgerufen, zweimal im Monat einen „Parteitag" abzuhalten. Diese Veranstaltungen liefen im Stil einer Kampagne ab und konzentrierten die Anstrengungen jeweils auf einen Tag. Typischerweise handelte es sich um kurze Versammlungen, die oft zur Mittagszeit in der Kantine einberufen wurden, oder um kollektives lautes Zeitunglesen mit anschließender Diskussion in den Barakken. Durch die „Polittage" brachte man den Arbeitern wichtige Parteibeschlüsse, Reden der Parteiführer und Probleme der Außenpolitik näher oder erklärte ihnen die praktischen Konsequenzen eines ZK-Plenums für die tägliche Arbeit.152 In der Woche vor einem Polittag wurden in den Brigaden Fragen der Arbeiter gesammelt, damit der Referent seinen Vortrag an den Interessen der Teilnehmer ausrichten konnte.153 Das Gewerkschaftskomitee von Metrostroj vermerkte in seinem Rechenschaftsbericht für das Jahr 1933, daß man 8.000 Arbeiter mit 714 politischen Gesprächen, 932 Arbeiter mit 40 allgemeinpolitischen Zirkeln und 57 Arbeiter mit zwei Gewerkschaftszirkeln erfaßt habe. Zur Maikundgebung 1933 brachte man
149 Agitationsabteilung des MGK VKP(b). Aktennotiz, 16.9.1932. GARF R-7952/7/164,
Bl. 1. 150 Sekretariat MGK VKP(b). Prot. 72, 17.7.1933. CAODM 4/3/32, Bl. 58-59, 72-73. 151 Politaufklärungszentrum beim CK Zeldorsosportstroj. Übersicht über die Arbeit im Jahre 1933. GARF R-5475/18/185, Bl. 23-25. 152 Merridale 1990, S. 155-156. Vgl. Schröder 1988, S. 283-284. Gewerkschaftskomitee von Metrostroj. Bericht über die Kulturmassenarbeit im Jahre 1933. GARF R-7952/7/174, Bl. 20. 153 Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Lipman, 8. Distanz, 7.4.1935. GARF R-7952/ 7/315, Bl. 85.
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12.000 Metrobauer auf die Straße; während der Kampagne für die Industrialisierungsanleihe gab es zahlreiche Auftritte der Agitationsbrigaden und des Puppentheaters. An 138 Lektionen nahmen 20.000 Personen teil, an 25 Frage- und Antwortabenden 4.500, an 16 .Agitations-Gerichtsverhandlungen" [agitsud] 4.000. 154 Diese Zahlen sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der politische Unterricht 1932/33 alles andere als effektiv war. Die Qualität der politischen Gespräche ließ oft zu wünschen übrig, die Arbeiter empfingen die Gesprächsführer mißmutig und stellten ihnen bauemschlaue Fangfragen. 155 Die politischen Zirkel und Lektionen wurden selbst von den Parteimitgliedern und Komsomolzen nur schwach besucht. Viele Propagandisten wußten auf Zwischenfragen keine vernünftigen Antworten zu geben oder lasen mit monotoner Stimme ihren Text ab, bis die Zuhörer einschliefen. Pädagogisch geschicktere Agitatoren waren die Ausnahme. Sie lockerten ihren Unterricht mit Landkarten, Filmen, Exkursionen oder Belletristik auf, was mit reger Teilnahme belohnt wurde. 156 Im allgemeinen herrschte ein Mangel an geeigneten Agitatoren und an Räumlichkeiten. Es kam vor, daß zwei Komsomolfunktionäre in der „Roten Ecke" einer Baracke innerhalb von vierundzwanzig Stunden abwechselnd zwölf politische Zirkel leiteten.157 Der eigentliche Aufschwung des politischen Unterrichts begann erst im März und April 1934, nach der Übergabe der Partei- und Komsomolorganisationen der Schächte und Distanzen in die Leitung der Rayonskomitees. Zum Studium der Beschlüsse des 17. Parteitags wurden bei allen Schächten politische Zirkel organisiert. Als Leiter holte man sich ausgebildete Propagandisten aus den Patenbetrieben. Bei den meisten Teilnehmern der politischen Zirkel und Kurse handelte es sich um Partei- und Komsomolmitglieder. Grundsätzlich richteten sich die Zirkel zwar auch an die parteilosen Arbeiter, aber diese zeigten wenig Interesse. Die Parteilosen erreichte man eher in den Baracken anläßlich von Polittagen, Stoßarbeiterabenden, Vorträgen, in persönlichen Gesprächen, mit dem kollektiven Zeitunglesen und Radiohören und bei Exkursionen in Museen, Ausstellungen, Kinos oder Theater. Derartige Freizeitangebote waren besser als die theoretischen Lektionen und Zirkel geeignet, die Parteilosen an die Partei anzunähern. 158 Die politischen Zirkel wurden zwar im Laufe des Jahres 1934 zahlenmäßig stark ausgeweitet - allein beim Schacht 18-18bis liefen im Dezember 1934 26 politische Zirkel mit insgesamt 450 Teilnehmern sie blieben jedoch auf einem niedrigen Niveau,
154 Ebd., Bl. 20-23. - Was unter einem agitsud zu verstehen ist, geht aus der Quelle nicht hervor. 155 Starostin/Mar'janovskij 1935, S. 38. 156 Udarnik Metrostroja Nr. 36, 26.3.1933, S. 3. 157 Sten. Gespräch mit dem Komsomolzen Chochrjakov, 9.5.1934. GARF R-7952/7/241, Bl. 24. 158 Vgl. desgl. mit dem Parteisekretär Rybakov, Schacht 31-32. GARF R-7952/7/307, Bl. 69-70.
„An sich selbst arbeiten, andere bearbeiten": Erziehung und Freizeitgestaltung 367 fielen oft aus, wurden nur unregelmäßig besucht und fanden in ungeeigneten Räumlichkeiten statt.159 Das kollektive Zeitunglesen wurde auch am Arbeitsplatz eingeführt. Es fand vor oder nach der Arbeit oder in der Mittagspause statt. Den Brigaden wurden Vorleser und politische Gesprächsführer zugeteilt.160 Wenn man den Parteiorganisatoren und Instruktoren glaubt, dann konnten sie bis zu sechzig Prozent der parteilosen Arbeiter für das gemeinsame Zeitunglesen gewinnen. Für die Tataren besorgte man Zeitungen in ihrer Muttersprache und ließ sie ihnen gesondert vorlesen.161 Auch der Udarnik Metrostroja forderte eine Ausweitung des Zeitunglesens, denn die Erfahrung habe gezeigt, daß das Angebot angenommen werde.162 Für Partei- und Komsomolorganisatoren wurden spezielle Kurse an der Kommunistischen Sverdlov-Universität abgehalten.163 Für Kandidaten zur Aufnahme in die Partei gab es eine „Kandidatenschule",164 für Aktivisten „Schulen des niederen Parteiaktivs", die aber sehr schlecht besucht wurden.165 Daß selbst die Kommunisten und Komsomolzen an den verschiedenen politischen Lektionen nicht oder nur unregelmäßig teilnahmen, wurde des öfteren beklagt.166 Die ausgeteilten Texte wurden zu Hause nicht gelesen, die Fluktuation in den Kursen und Zirkeln war so groß, daß es die Leiter ständig mit anderen Teilnehmern zu tun hatten.167 Das gleiche galt für den Erwerb von Allgemeinbildung und die Erweiterung des kulturellen Horizonts: „Wir fordern obligatorisch von jedem Kommunisten, daß er an seinem kulturellen Wachstum arbeitet, täglich Zeitung liest, sein Wissen durch die Lektüre von schöngeistiger Literatur bereichert", erklärte ein Parteiorganisator, schränkte aber zugleich ein, daß die meisten keine Zeit dafür hätten.168 Er selbst war in seiner Freizeit so mit Parteiaufgaben ausgelastet, daß er
159 Desgl. mit dem Parteiorganisator Bakulin, 8. Distanz, 24.3.1935. GARF R-7952/ 7/341, Bl. 185. Udarnik Metrostroja Nr. 212, 11.9.1934, S. 2. CK VLKSM. Bericht über die Arbeit der Komsomolorganisation des Schachtes 18-18bis, 7.12.1934. RGASPI 1 m/3/129, Bl. 185. - Ahnlich war die Lage beim Schacht 21-21bis. (Desgl. über die Arbeit beim Schacht 2 1 21bis, 9.12.1934. Ebd., Bl. 190-201). 160 Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Lipman, 8. Distanz, 7.4.1935. GARF R-7952/ 7/315, Bl. 80. 161 Desgl. mit dem Parteiorganisator Knutov, 8. Distanz. GARF R-7952/7/315, Bl. 98. Desgl. mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 24-25. 162 Udarnik Metrostroja Nr. 122, 28.5.1934, S. 3. 163 Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Bakulin, 8. Distanz, 24.3.1935. GARF R-7952/7/341, Bl. 184. 164 Sten. Beratung bei Saäirin, 28.2.1935. Wortmeldung des Kommunisten Olejnikov. GARF R-7952/7/344, Bl. 91. 165 Udarnik Metrostroja Nr. 184, 9.8.1934, S. 2. 166 Sten. Gespräch mit der Instruktorin Azanova. GARF R-7952/7/341, Bl. 31. 167 Parteikomitee der 8. Distanz. Sitzung zur Frage des politischen Unterrichts im Herbst 1934, o.D. GARF R-7952/7/315, Bl. 46. 168 Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Lipman, 8. Distanz, 26.9.1934, 4.4.1935, 7.4.1935. GARF R-7952/7/315, Bl. 26-27.
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höchstens in der Straßenbahn lesen konnte. Dabei müsse doch ein Parteifunktionär kulturell gebildet sein und an sich arbeiten, denn er sei „in keinem geringeren Maße als der Schriftsteller ein Ingenieur der menschlichen Seele".169 Bei einer im Juli 1934 vom Udarnik Metrostroja durchgeführten Umfrage unter fünfzig Parteifunktionären gaben die meisten an, daß sie keine Zeit zum Lesen hätten. „Jeder Metrobauer muß die Werke der klassischen Literatur kennen", forderte der Udarnik Metrostroja, ein Kommunist dürfe nicht nur Zeitungen und politische Broschüren lesen, denn die Arbeiter seien politisch und kulturell „gewachsen". 170 Das schlechte Gewissen, aus Zeitmangel zu wenig für ihr „kulturelles Wachstum" zu tun, war ein immer wiederkehrender Topos in den Interviews mit den Metrobauern und im Udarnik Metrostroja. Die Kommunisten und Komsomolzen mußten der Reihe nach vor dem Komsomol- oder Parteikomitee Rechenschaft darüber ablegen, wie sie „an sich arbeiteten", was sie lasen, wie oft sie ins Theater oder Kino gingen, ob sie regelmäßig am politischen Unterricht teilnahmen.171 Nach der Anhörung der persönlichen Rechenschaftsberichte ordneten die Parteisekretäre den Kommunisten regelmäßig an, den Unterricht zu besuchen, Zeitungen und bestimmte literarische Werke zu lesen, ins Kino zu gehen und sich mit politischer Lektüre fortzubilden. 172 Einzelne Kommunisten wurden wegen ihrer Unwissenheit und des Schwänzens der politischen Zirkel aus der Partei ausgeschlossen.173 Bei der Überprüfung der Kenntnisse von Teilnehmern politischer Zirkel stellte sich im Herbst 1934 heraus, daß nur wenige wirklich verstanden, was sie gelesen oder gehört hatten, und daß sich bei den meisten Kommunisten das politische Wissen auf einige Schlagworte beschränkte.174 So wie der Brigadier Maksimov mußten sich vor der Parteiversammlung viele von ihrem Parteisekretär abkanzeln lassen: „Maksimov: Es gibt kein einziges Thema, das ich von Grund auf verinnerlicht habe. Zu Hause habe ich nichts durchgearbeitet. Ich habe überhaupt keine Freizeit. Ich wohne weit weg, in Mar'ina roäfia, muß lange fahren, viel Zeit dafür vergeuden. Es war mir nicht möglich, den Zirkel regelmäßig zu besuchen, weil ich keine Zeit habe. Lipman: Wann hören Sie zu arbeiten auf, werden Sie etwa aufgehalten? 169 Ebd.,Bl. 32. 170 Udarnik Metrostroja Nr. 172, 26.7.1934, S. 3. 171 Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Lipman, 3. Distanz, 19.11.1934. GARF R-7952/7/304, Bl. 20. Desgl. GARF R-7952/7/315, Bl. 131. Vgl. Kap. VI.5. 172 Desgl. mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 31-32. Desgl. mit dem Parteiorganisator Lipman, 8. Distanz, 7.4.1935. GARF R-7952/7/315, Bl. 75. Büro der Parteizelle bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 10, 4.4.1934. CAODM 455/1/3, Bl. 38. Parteizelle bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 11, 15.9.1934. CAODM 455/1/2, Bl. 48. 173 Sten. Beratung bei Sasirin, 28.2.1935. Wortmeldung des Kommunisten Sinicyn, 4. Distanz. GARF R-7952/7/344, Bl. 73. 174 Parteikomitee der 8. Distanz. Sitzung zur Frage des politischen Unterrichts im Herbst 1934, o.D. (Beilage zum Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Lipman, 7.4.1935). GARF R-7952/7/315, Bl. 46-54, besonders Bl. 52.
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Maksimov: Um 5 Uhr. Dann muß ich nach Hause fahren. Lipman: Das ist sehr schlecht. Man muß an sich arbeiten. Was ist der Versailler Vertrag? Maksimov: Der Versailler Vertrag wurde abgeschlossen ... Lipman: Das ist nur die Entente. Maksimov: ... Lipman: Wer war auf der Seite Deutschlands im imperialistischen Krieg? Maksimov: ... Lipman: Lesen Sie Zeitungen? Maksimov: Ich lese, aber nicht systematisch. Ich arbeite zu Hause nicht an mir. Habe keine Zeit. Lipman: Aber die Zeitschrift Bol'sevik haben Sie gelesen. Maksimov: Nein, ich lese überhaupt keine Zeitschriften. Lipman: Sagen Sie, welche schöngeistige Literatur Sie gelesen haben. Maksimov: Ich lese wenig Literatur. Ich kann mich nicht erinnern, was ich gelesen habe. Lipman: Warum liest du nicht in der Straßenbahn Zeitung. Du sagst, daß du weit fahren mußt, da könntest du die ganze Pravda lesen. Maksimov: In der 47 kann man nicht nur nicht lesen, man kann nicht einmal fahren. Lipman: Du bist Brigadier. Wenn sich parteilose Genossen mit Fragen an dich wenden, kannst du ihnen nicht einmal etwas erklären. Maksimov: In meiner Brigade gab es nie einen Fall, daß mir jemand eine Frage zu politischen Themen gestellt hätte. Ich rede nur, wenn ich Literatur habe, sonst überhaupt nicht. Lipman: Sag uns jetzt, wer zur Zeit in Italien an der Macht ist. Maksimov: Weiß ich nicht. Lipman: Was bist du für ein Kommunist, wenn du nicht weißt, daß Mussolini an der Macht ist, der Gründer des Faschismus. - Du hast sehr schlecht an dir gearbeitet. Ein anderer parteiloser Arbeiter weiß mehr als du, du hast auf keine einzige Frage geantwortet, und wenn du es versucht hast, dann sehr konfus."175
c) Laienkunst- und Literaturzirkel, kulturelle Betreuung Großen Zuspruch von den Metrobauern erfuhren die Laienkunst- und Literaturzirkel. Über sie gelang es dem Komsomol und der Gewerkschaft, parteilose Arbeiter an sich zu binden. 176 Im Frühjahr 1935 waren 1.500 bis 2.000 Metrobauer in solchen Zirkeln tätig und diskutierten dort über literarische Werke, schrieben Gedichte, spielten Theater, machten Musik, tanzten, malten oder spielten Schach. Metrostroj hatte unter anderem ein eigenes Symphonieorchester, mehrere J a z z bands", zahlreiche Balalaika- und Domraensembles, ein Saitenensemble jugosla-
175 Ebd., Bl. 49-50. 176 CK VLKSM. Rechenschaftsbericht des Komsomolkomitees des Schachtes 21, 11.12.1934. RGASPI lm/3/129, Bl. 199.
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wischer Arbeiter, ein Bajanorchester, ein Puppentheater, ein dramatisches Theater, einen russischen und einen tatarischen Chor und ein Ballettensemble. 177 So gut wie bei jedem Schacht und bei jeder Distanz gab es Laienkunstzirkel. Beim Schacht 18—18bis zum Beispiel betätigten sich Anfang Dezember 1934 51 Arbeiter in drei Zirkeln (Theater, Musik, Literatur),178 beim Schacht 21-2Ibis 208 Arbeiter in zwölf Zirkeln (Mathematik, Physik, Deutsch, Theater, Tanzschule,179 Streich- und Blasorchester, Radio, Jazz). Man veranstaltete Laienkunstabende, „Olympiaden", „Spartakiaden" und andere Wettbewerbe. 180 Allerdings wurden die meisten Zirkel erst relativ spät, im Sommer 1934 und besonders im Winter 1934/35, ins Leben gerufen, also zu einem Zeitpunkt, als die Hauptbauarbeiten schon abgeschlossen waren. Die Partei kümmerte sich nie sonderlich um diese Bewegung und auch von der Gewerkschaft wurde sie anfangs vernachlässigt. Die kulturellen Initiativen begannen bescheiden. Im September 1932 wurde bei der Redaktion des Udamik Metrostroja ein Literaturzirkel gegründet. Alle zehn Tage trafen sich die Mitglieder und lasen einander ihre literarischen Erzeugnisse vor. Außer der Redaktion der Zeitung interessierte sich jedoch niemand dafür, so daß dieser Ansatz nicht gefördert wurde.181 Im Juli 1933 machte das neue Baustellenkomitee der Gewerkschaft einen neuerlichen Anlauf. Die alte Gewerkschaftsführung habe die Bedeutung der Laienkunst für die kommunistische Erziehung der Arbeiter nicht erkannt und die Hunderten von Musikanten und Spaßmachern nicht einmal registriert. Dabei könnten letztere in den Händen der Partei- und Gewerkschaftsorganisation eine mächtige Kraft sein, verkündete man nun. Das Baustellenkomitee beschloß, gemeinsam mit dem Komsomolkomitee und der Redaktion des Udamik Metrostroja einen Laienkunstwettbewerb abzuhalten. Ziel sollte sein, die zahlreichen Musikanten, die es in den Baracken gab, zusammenzufassen und „in den Dienst des Produktionsplans zu stellen". Sie sollten fortan nicht wie bisher die Arbeiter mit
177 Sten. Gespräch mit dem Vorsitzenden des Gewerkschaftskomitees von Metrostroj, Osipov. GARF R-7952/7/306, Bl. 22-23. Osipov/Mar'janovskij 1935, S. 130. Udamik Metrostroja Nr. 263, 12.11.1934, S. 4. - Das Bajan ist eine russische Variante der Ziehharmonika, die Domra ein russisches (eigentlich kirgisisches) Zupfinstrument. Bei den russischen „Jazzbands" [dzas-orkestr] der dreißiger Jahre handelte es sich nicht um Jazz im engeren Sinne, sondern eigentlich mehr um kleine Unterhaltungsorchester, wie sie damals auch in Westeuropa üblich waren, die ein bunt gemischtes Repertoire spielten. 178 CK VLKSM. Bericht über die Arbeit der Komsomolorganisation des Schachtes 1818bis, 7.12.1934. RGASPI 1 m/3/129, Bl. 186. 179 Nachdem in der Sowjetunion der zwanziger Jahre der Gesellschaftstanz als etwas Unproletarisches verpönt gewesen war, wurde er zu Beginn der dreißiger Jahre rehabilitiert. Man eröffnete wieder Tanzsäle, die sich großen Zulaufes erfreuten. (Vecernjaja Moskva, 27.9.1932. Zitiert in einem Bericht der Deutschen Botschaft Moskau, 4.10.1932. PA AA, Botschaft Moskau 68). 180 CK VLKSM. Bericht über die Arbeit der Komsomolorganisation des Schachtes 2 1 21bis, 9.12.1934. RGASPI lm/3/129, Bl. 191. 181 Udamik Metrostroja Nr. 34, 15.11.1932, S. 4.
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„allem möglichen musikalischen Plunder, der normalerweise bei Trinkgelagen gespielt wird", unterhalten, sondern „unsere sowjetischen Revolutionslieder" spielen.182 Dieser allzu plumpe Versuch, die Musikanten für den Produktionsplan in den Dienst zu nehmen, scheint im Sande verlaufen zu sein. Jedenfalls war im Udarnik Metrostroja bis zum Juni 1934 diesbezüglich nichts mehr zu lesen. Wichtiger als die Musik wurde in der Folge die Literatur. Im Zusammenhang mit dem anlaufenden Projekt „Geschichte der Metro"183 gründete man im Juli 1933 bei den Schächten und Distanzen Literaturzirkel.184 Im Dezember 1933 brachte der Udarnik Metrostroja zum ersten Mal eine Literaturseite mit Gedichten und Kurzgeschichten, die Metrobauer verfaßt hatten.185 Bis zum März 1935 erschienen insgesamt sieben solcher Literaturseiten. Im März 1934 fand ein zweitägiges Treffen der Arbeiterautoren von Metrostroj statt. Die Schriftsteller L.N. Sejfullina, V.P. Kataev, E. Zozulja, A.I. Bezymenskij und A.A. Surkov186 gaben den Arbeiterautoren Ratschläge fur das Verfassen von Tagebüchern und Geschichten der Baustellen. Zwei Sprachwissenschaftler hielten ein Seminar über Sprache und Stilistik ab. Ende Juli 1934 versammelte die Redaktion des Udarnik Metrostroja die Autoren abermals. Man beschloß, einen Literaturwettbewerb zu veranstalten und verabschiedete eine Grußadresse an den bevorstehenden Schriftstellerkongreß: „Wir wollen euch, Genossen Schriftsteller, nicht nur an Festtagen auf unserer Baustelle sehen. Wir wollen, daß ihr an Werktagen zu uns kommt, mit uns in den Zirkeln über die Themen, die uns bewegen, sprecht."187 Zu dieser Zeit waren schon 120 Metrobauer in elf Literaturzirkeln tätig, und der Udarnik Metrostroja und die übrigen Betriebszeitungen druckten regelmäßig ihre Gedichte ab.188 Einige Arbeiterautoren erhielten sogar Gelegenheit, im Rundfunk aus ihren Werken vorzutragen.189 Am 15.8.1934 besuchten Delegierte des Schriftstellerkongresses die Baustelle der Metro und stiegen in den Schacht 18.190
182 Ebd. Nr. 135, 26.7.1933, S. 2. 183 Siehe Kap. VII.4.b. 184 Rabocaja Moskva Nr. 173, 27.7.1933, S. 4. 185 Udarnik Metrostroja Nr. 249, 13.12.1934, S. 4. 186 Lidija Nikolaevna Sejfullina (1889-1954), Valentin Petrovie Kataev (1897-1986), Aleksandr Il'iC Bezymenskij (1898-1973), Aleksej AleksandroviC Surkov (1899-1983). 187 Ebd. Nr. 53, 6.3.1935, S. 2 (Rückblick). - Auf dem Schriftstellerkongreß vom August 1934, an dem auch einige prominente westliche Literaten teilnahmen, konstituierte sich der Sowjetische Schriftstellerverband. Der Kongreß markiert die endgültige Gleichschaltung der sowjetischen Literatur auf den „sozialistischen Realismus". (Vgl. Hildermeier: Geschichte der Sowjetunion 1998, S. 567). 188 Udarnik Metrostroja Nr. 53, 6.3.1935, S. 2. 189 Ebd. Nr. 53,6.3.1935, S. 2. 190 Ebd. Nr. 190, 16.8.1934, S. 1.
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Zwei Tage später erschien die erste Ausgabe der „Literaturzeitung" des Udarnik Metrostroja.191 Als Instruktor fur die „Literaturmassenbewegung" beim Bau der Metro fungierte der Dichter D.I. Morskoj [Pseudonym für Malysev].192 In den elf Literaturzirkeln traf man sich einmal wöchentlich, diskutierte über die Referate von Gor'kij, Bucharin und Aleksej Tolstoj193 auf dem Schriftstellerkongreß, über das Schaffen der Klassiker und der zeitgenössischen Dichter, über Sprache und Stil, über die literarische Gestaltung einer Zeitung, über die Bewertung literarischer Werke, die man gelesen, über Theaterstücke und Filme, die man sich angesehen hatte und über eigene literarische Erzeugnisse. In den Baracken und Klubs wurden Literaturabende veranstaltet, auf denen die Arbeiterautoren aus ihren Werken vortrugen. Die besten Teilnehmer der Literaturzirkel besuchten zusätzlich dreimal im Monat die Übungen des „Literaturaktivs" beim Udarnik Metrostroja, die von dem Schriftsteller I.A. Batrak [Pseudonym für Kozlovskij] geleitet wurden und eine Art Literaturzirkel auf höherem Niveau darstellten. Das Literaturaktiv veranstaltete öffentliche Literaturabende, an denen auch professionelle Schriftsteller, wie A.I. Bezymenskij, V.M. Inber oder V.P. Stavskij, teilnahmen.194 Die erste Veranstaltung dieser Art fand im September 1934 im Polytechnischen Museum statt und war den Ergebnissen des Schriftstellerkongresses gewidmet.195 Im Laufe des Literaturwettbewerbs reichten achtzig Arbeiterautoren 165 Manuskripte ein. Elf wurden prämiert und in der Literaturbeilage des Udarnik Me-
191 Literaturnaja Gazeta Udarnika Metrostroja. Izdanie ezednevnoj gazety Udarnik Metrostroja. - Moskva 1934-1935. - Es erschienen insgesamt vier Ausgaben, die letzte im Januar 1935. 192 Zuravlev: Fenomen 1997, S. 200. 193 Maksim Gor'kij [eigentlich Aleksej MaksimoviC Peskov] (1868-1936) hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg die Bolschewiki unterstützt, aber 1921 Sowjetrußland verlassen, weil er in Konflikt mit Lenin geraten war. 1924-1931 lebte und schrieb er in Italien. 1931 kehrte er nach Moskau zurück, stellte sich in den Dienst Stalins und wurde als Begründer des „sozialistischen Realismus" gefeiert und vielfach geehrt. Die Umstände seines Todes sind nicht geklärt. Nikolaj Ivanovic Bucharin (1888-1938) war 1917-1929 Mitglied des Zentralkomitees und Chefredakteur der Pravda. 1929 wurde er von Stalin als „Rechtsabweichler" aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen, blieb aber im öffentlichen Leben präsent, unter anderem als einer der offiziellen Redner auf dem Schriftstellerkongreß 1934 und als Redakteur der Izvestija (19341936). 1938 wurde er nach einem Schauprozeß hingerichtet. - Aleksej Nikolaevic Tolstoj (1883-1945) entstammte einer Grafenfamilie, emigrierte nach der Revolution nach Berlin und Paris, kehrte 1923 nach Rußland zurück und diente dem Regime als Aushängeschild auf internationalen Kongressen. Er verherrlichte in seinen Werken Stalin und wurde dafür mit drei Stalinpreisen ausgezeichnet. 194 Morskoj, Instruktor für die Literaturmassenbewegung bei Metrostroj. Arbeitsplan fur die Leiter der Literaturzirkel, o.D. [Sommer 1934], GARF R-7952/7/224, Bl. 1-2. - Vera Michajlovna Inber (1890-1972) war Lyrikerin, Vladimir Petrovic Stavskij [eigentlich Kirpicnikov] (1900-1943) einer der führenden Literaturfunktionäre der Sowjetunion, seit 1928 Sekretär der Assoziation der proletarischen Schriftsteller (RAPP), später im Vorstand des Schriftstellerverbandes. 195 Udarnik Metrostroja Nr. 53, 6.3.1935, S. 2.
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trostroja gedruckt. Die Jury verlieh allerdings keinen ersten Preis, weil keines der Werke den Anforderungen zur Gänze entsprochen hatte.196 Parallel zum Literaturwettbewerb lief beim Schacht 13-14 ein Wettbewerb für ein Lied der Metrobauer. Aus zahlreichen Einsendungen wurden zwei Lieder zur Vertonung ausgewählt. Das Lied von Grigorij Kostrov, einem der produktivsten Autoren von Metrostroj, wurde schnell populär und zu einer Art Hymne der Metrobauer.197 Im Januar und Mai 1935 gab die Gewerkschaft der Eisenbahn- und Metrobauarbeiter zwei Sammelbände mit Erzeugnissen des literarischen Schaffens von Metro- und Eisenbahnbauarbeitern heraus.198 Ausgewählte Arbeiterautoren wurden darin vorgestellt und ihre Werke kritisch analysiert und gewürdigt: „Der Sammelband ist eine Auswahl der besten Arbeiten. Er zeigt, wie schnell die jungen Autoren wachsen, aber auch, wie viel sie noch lernen müssen, denn sie sind nicht nur für ihr eigenes Wachstum verantwortlich, sondern auch für die kulturelle Entwicklung aller ihrer Arbeitskollegen. Die jungen Autoren müssen die Werke der sowjetischen Schriftsteller und der Klassiker in die Arbeitermassen tragen, in ihnen eine kommunistische Einstellung zur Arbeit und Haß auf die kapitalistischen Epigonen erziehen, das Interesse für das künstlerische Wort wecken."199 Bei den abgedruckten Texten handelte es sich überwiegend um Gedichte und Kurzgeschichten. Sie verklärten die Arbeit beim Bau der Untergrundbahn lyrisch, heroisierten sie oder stilisierten sie zu einem freudigen Ereignis hoch. Zahlreiche Gedichte handelten aber einfach von Liebesbeziehungen, die sich nahtlos in die Baustellenromantik einfügten. Aus der Vielzahl der Gedichte seien zwei gegensätzliche Beispiele abgedruckt:200 MeTpocTpoeeKe
Einer Metrobauerin
M b l c T 0 6 0 K ) C e r O Ä H » HMeHHHHHKH.
Wir beide sind heute Geburtstagskinder. Wir haben zusammen die Metro gebaut. Die Züge fahren dröhnend über die Strecke Und geben an den Fugen einen Stoß von sich.
Mbi c τοδοΗ nocTpoHJiH Μέτρο. noe3fla, ryfls, »ayt no JIHHHH Η Ha C T b i K a x OTÖHBalOT apoöb.
196 Ebd. Nr. 249,24.10.1934, S. 3. 197 Die ersten beiden Strophen sind am Beginn des Abschnitts IV zitiert. - Kostrov, geboren 1914 in Moskau als Sohn eines Arbeiters, absolvierte die siebenjährige Mittelschule und wurde als Fabrikarbeiter zu Metrostroj mobilisiert. Dort arbeitete er als Vortriebshauer beim Schacht 13-14. (Literaturnoe tvorCestvo 1935, Bd. 1, S. 4). 198 Literaturnoe tvoriestvo 1935. - Im Mai 1935 erschien noch ein dritter, umfangreicherer Sammelband: Sbornik litkruzkovcev Metrostroja 1935. 88 S. 199 Literaturnoe tvorCestvo 1935, Bd. 1, S. 3. 200 Literaturnoe tvoröestvo 1935, Bd. 2, S. 4, 13. - M. Matrosov war ein Arbeiter beim Schacht 18. Das Wort HMemiHHHK hat im Deutschen keine Entsprechung. Es bezeichnet wörtlich jemanden, der Namenstag hat, im übertragenen Sinn kann es auch „Geburtstagskind" oder „Held des Tages" bedeuten.
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Πολ TBoefi 6pe3eHT0B0ii ολοκλοη 3Haio, κροΒΒ CTpyHTCH ropaqa,
TBOH meKH P030BbI Η CBeaCH, Tbl CHJIbHa Η uiHpoKa β nnenax. E y o y ayiaTb Te6a β π ο λ ι θ μ η ο μ 3ane
y MaCCHBHblX MpaMOpHHX KOJIOHH. TaM, r^e Mbi δβτοΗ c τοδοιο Knau«. KaK npHflemb -
YcH^eMca β BaroH. A K o r a a Ham noesa thxo flBHHeTca
Η noMHHTca, yßbicTpaa 6er ... Ά Te6a no3apaBjiaio, HMeHHHHHua, Η THXOHbKO npHTaHy κ ce6e.
Ich weiß, daß unter deiner Kleidung aus Zeltbahnstoff Das Blut heiß rinnt, Deine Wangen Sind rosig und frisch. Du bist stark Und breitschultrig. Ich werde auf dich im unterirdischen Saal warten Bei den massiven Marmorsäulen. Dort, wo wir gemeinsam betonierten. Sowie du kommst Setzen wir uns in den Waggon. Und wenn unser Zug sich leise in Bewegung setzt Und losfährt, seinen Lauf beschleunigt... Gratuliere ich dir, Geburtstagskind, Und ziehe dich ganz bedächtig an mich. M. Matroso ν
M. MaipocoB
IlecHa
Lied
Mbi ΟΤ ,Bopua', οτ .OraHKOJiHTa', C ,EoraTbipa' crojia npHiiuiH; Mbi Bee c co6ok> npHHecjiH.
Wir kamen [aus den Fabriken] .Kämpfer', ,Werkzeugguß', ,Hüne' hierher; Das, wofür unsere Zeit berühmt ist, Haben wir alles mit uns gebracht.
H πολ seMJieM, cMHpaa βολή, Bpyöaacb β KpenocTb lopcKHX γλιιη, IloaHajiH aep3ocTHbie ceoati, Ογηη eecejibie 3a»rjiH.
Und unter der Erde, das Wasser bändigend, In die Festung der Juratone eindringend, Richteten wir kühne Gewölbe auf, Entzündeten wir frohe Feuer.
r^e HeB03M05KH0CThK> CHHTaJlH ΠρΟΗΤΗ nOÄ3eMHbIH ΒΟΛΟβΜ, ripOUlJIH KeCCOHOM Η IUHTaMH, ripouuiH η BbimjiH HanpojioM.
Wo man es für unmöglich hielt Den unterirdischen Wasserlauf zu durchdringen, Drangen wir mit Caisson und Schilden vor, Drangen wir vor und gingen mit dem Kopf durch die Wand.
KOJIOHHW MpaMOpOM
Wir verkleideten die Säulen mit Marmor, Ließen weiche Strahlen durch, Damit die Moskauer mit stolzer Freude Unser Werk betrachten.
MeM
Harne BpeMa 3HaMeHHT0, -
OflejIH,
riycTHJiH M a n a i e nyHH, -
Ητοδ c ropaoH paflocTbio rmacim Ha Harne aejio mockbhhh.
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rjiyÖHHHWM BOaOHOCHbIM 5KHJiaM EeTOHOM 3ajmnH Hyrpo, MTO6 JIYHUIHM Β MHpe naccaacapaM J\aTb JiyHiiiHH Ha 3eMJie Μβτρο.
Den tiefen wasserführenden Adern Gossen wir das Innere mit Beton zu, Um den besten Passagieren der Welt Die beste Metro der Welt zu geben.
Bo Been 6opb6e Η ÄHH Η HOHH, JiaBaH MyacecTBa npHMep, Hac Ben TOBapmy KaraHOBHH Hain nepBtiö /ipyr Η HH3KeHep.
In dem ganzen Kampf bei Tag und bei Nacht, Ein Beispiel an Mut gebend, Führte uns der Genösse Kaganovic Unser erster Freund und Ingenieur.
ΓρΗΓΟρΗΗ KOCTPOB
Grigorij Kostrov
Die übrigen Laienkunstaktivitäten entwickelten sich seit dem Frühjahr 1934. Die Initiative ging von den Komsomolzen des Schachtes 21 aus. Auslösendes Moment war die Art und Weise, wie die Arbeiter einschließlich der Komsomolzen bis dahin ihre Freizeit verbrachten, nämlich mit Trinken und Raufen. Im April 1934 wurde die Komsomolführung des Schachtes ausgetauscht, und der neue Komsomolsekretär ließ einen Laienkunstabend veranstalten, um die Freizeitaktivitäten in sinnvollere Bahnen zu lenken. Die Gruppenorganisatoren eruierten, wer womit auftreten könne. Es meldeten sich rund hundert Teilnehmer, und zu den Darbietungen erschienen tausend Zuschauer. Angesichts dieses Erfolgs wurde bereits am nächsten Tag ein Theaterzirkel gegründet.201 Bis Juni 1934 wurden weitere Laienkunstabende sowie Sängerwettstreite, Wettbewerbe im Tanzen und Deklamieren sowie Schachturniere organisiert. Zwanzig Komsomolzen gründeten eine „Jazzband": Sechs von ihnen spielten Saxophon, die anderen behalfen sich mit Gießkannen, Teekesseln, Kämmen und anderen „Instrumenten" und führten damit nicht nur Eigenkompositionen, sondern unter anderem die „CarmenOuvertüre" auf.202 In der zweiten Junihälfte wurde bei allen Schächten und Distanzen eine Laienkunstschau veranstaltet. Kommissionen sollten herausfinden, welche verborgenen Talente es unter den Metrobauern gab. 730 Sänger, Instrumentalisten, Deklamatoren, Akrobaten, Jongleure, Komiker, Imitatoren, Dichter und Tänzer präsentierten ihr Können. 205 von ihnen stiegen in eine zweite Runde auf. Nach einer dritten Ausscheidung wurde eine Auswahl zu einem Gesamtmoskauer Laienkunstabend entsandt.203 Die Talenteschau forderte erstaunliche Leistungen zutage: Von den 205 Teilnehmern der Zwischenrunde waren sechzig als Sänger aufgetreten. Der Dreher Vasil'ev trug eine Arie aus der Oper „Don Giovanni" von Mozart vor, der
201 Sten. Gespräch mit dem Leiter des Theaterzirkels beim Schacht 21, El'kindbard. GARF R-7952/7/302, Bl. 169-170. 202 Udarnik Metrostroja Nr. 140, 17.6.1934, S. 2. 203 Ebd. Nr. 142, 20.6.1934, S. 4, Nr. 186, 11.8.1934, S. 4.
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Schlosser Salykin eine Arie aus der Oper „Fürst Igor" von Borodin, der Ingenieur Spiss ebenfalls Arien aus „Fürst Igor" und aus Opern von Rossini. Die Putzfrau Gurova trat als „sehr begabte Bänkelsängerin mit Tanzeinlagen" auf. Vierzig Metrobauer rezitierten Gedichte, neunzehn trugen eigene literarische Erzeugnisse vor. Schwächer vertreten waren die Instrumentalisten. Mit Ausnahme des elfjährigen Misa Ragozin, der auf dem Bajan ein Moment musical von Schubert zum besten gab, erwies sich kein einziger Harmonikaspieler als wirklich gut. Der Schlosser Lizakovskij bewies zumindest das beim Bau der Untergrundbahn geforderte Improvisationstalent und Rekordtempo: Als ihm kurz vor dem Auftritt seine selbstgebaute Geige gestohlen wurde, machte er innerhalb von zwei Tagen 204
eine neue. Der Wettbewerb war zwar insgesamt erfolgreich verlaufen, doch hatten sich auch deutliche Mängel gezeigt: Viele Laienkünstler waren zwar begabt, doch es fehlte ihnen die Anleitung. Bei einer Reihe von Schächten und Distanzen hatte sich die Gewerkschaft nicht für den Wettbewerb engagiert und keine Teilnehmer nominiert. Auch die Zuschauerzahl blieb mit 150 bis 220 je Abend weit hinter den Erwartungen zurück.205 Die besten Laienkünstler wurden mit Büchern, Plattenspielern, Musikinstrumenten und Abonnements für die Moskauer Philharmonie prämiert. Einige schickte man zum Studium aufs Konservatorium. Zur weiteren Förderung der Aktivitäten richtete das Baustellenkomitee der Gewerkschaft im August 1934 eine zentrale Laienkunstbasis mit angeschlossenen Zirkeln ein.206 Im Oktober 1934 formierte sich bei der zentralen Laienkunstbasis ein Chor. Bei den täglichen Übungen im Klub des Finanzkommissariats beschränkte man sich nicht auf das Singen von Volks-, Propaganda- und Kunstliedern, sondern befaßte sich auch mit Stimmbildung und Musiktheorie. Fürs erste bereitete sich der Chor auf die Revolutionsfeiern vor; einen großen Auftritt plante man für die Eröffnung der Metro. 207 Bis zum April 1935 wuchs der Chor, der bei der Eröffnung singen sollte, auf 2.000 Mitglieder. 208 Auch bei der Gründung der übrigen Ensembles hatte man bereits die Eröffnungsfeierlichkeiten im Auge. 209 Ebenfalls im Oktober 1934 begann bei der Laienkunstbasis ein Domraensemble mit den Proben. Mit Domra, Mandoline, Balalaika, Gitarre und anderen Instrumenten wurden zusammen mit Sängern Werke russischer und westlicher Klassiker einstudiert.210 Aufgenommen wurden nur Metrobauer, die schon nach Noten spielen konnten. Für Anfanger richtete man eine Musikschule ein.211 Im November 1934 gab es bei Metrostroj bereits 20 Theaterzirkel, 24 Saitenensembles, 5 „Jazz204 205 206 207 208 209 210 211
Ebd. Nr. 158, 9.7.1934, S. 3. Ebd. sowie Nr. 186, 11.8.1934, S. 4. Ebd. Nr. 186, 11.8.1934, S. 4. Ebd. Nr. 244, 18.10.1934, S. 4. Komsomol'skaja Pravda Nr. 99, 29.4.1935, S. 4. Udarnik Metrostroja Nr. 278, 30.11.1934, S. 4. Ebd. Nr. 254, 30.10.1934, S. 4. Ebd. Nr. 273,24.11.1934, S. 4.
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bands", 13 Chöre, eine Operngruppe und einen Choreographiezirkel mit insgesamt 1.500 Teilnehmern (einschließlich der 16 Literaturzirkel).212 Während bei der Talenteschau im Juni kein einziger Angehöriger einer nichtrussischen Nationalität aufgetreten war, fanden sich im November 1934 ukrainische Arbeiter zu einem eigenen Chor zusammen.213 Wenn man von den Besuchern der Aufführungen absieht, betrafen die Laienkunstaktivitäten, auch wenn sie an sich durchaus beeindruckend waren, nur eine kleine Minderheit der Metrobauer. Quantitativ viel bedeutender war das kulturelle Angebot in Form von Theater-, Konzert-, Kino- und Museumsbesuchen. Obwohl das Baustellenkomitee der Gewerkschaft schon im Jahre 1933 für die Metrobauer 22.000 Eintrittskarten für verschiedene Veranstaltungen verteilte, 450 Exkursionen in Museen mit zusammen 6.000 Teilnehmern veranstaltete214 und 1934 die kulturelle Betreuung noch intensivierte, konnte die Nachfrage zu keinem Zeitpunkt befriedigt werden.215 Im März 1934 beschloß die Gewerkschaft, bei der Kulturbasis der VorosilovSiedlung in Los' ein Tonfilmkino in Betrieb zu nehmen. Bis dahin hatte man sich mit einfachen Filmvorführapparaten beholfen.216 Bis zum Ende des Jahres 1934 verfügten alle großen Arbeitersiedlungen von Metrostroj über ein eigenes Kino.217 Die Kulturabteilung des Baustellenkomitees unterhielt bei den Siedlungen einen großen Stab von Funktionären und hatte darüber hinaus mit den Moskauer Theatern und Kulturparks Abkommen über Freikarten für die Arbeiter getroffen. Trotzdem klagte der Udarnik Metrostroja Ende Mai 1934, die meisten Arbeiter seien an ihrem freien Tag sich selbst überlassen. In der Vorosilov-Siedlung beschränke sich die Kulturarbeit darauf, ab und zu alte Filme zu zeigen. In den Klub der Siedlung an der Lugovaja Straße hatte man Schauspieler des DemiroviöDancenko-Theaters eingeladen und 800 Eintrittskarten besorgt, doch waren aufgrund der dürftigen Ankündigung nur dreißig Zuschauer erschienen. Dafür wurden aus den Siedlungen weiterhin Trinkgelage gemeldet.218 Im Januar 1934 hatte die Gewerkschaft den Schächten und Distanzen Theater zugeteilt, für die sie Freikarten erhielten. Die Theaterensembles veranstalteten für die Metrobauer gesonderte Morgenaufführungen oder Gastspiele in den Barakkensiedlungen.219 Im Oktober 1934 wurden weitere Theater in dieses Programm 212 Ebd., Nr. 263, 12.11.1934, S. 4. 213 Ebd., Nr. 278,30.11.1934, S. 4. 214 Gewerkschaftskomitee von Metrostroj. Bericht über die Kulturmassenarbeit bei Metrostroj im Jahre 1933. GARF R-7952/7/174, Bl. 22-23. 215 Vgl. CK VLKSM. Bericht über die Arbeit der Komsomolorganisation des Schachtes 18-18bis, 7.12.1934. RGASPI1 m/3/129, Bl. 186. 216 Präsidium MOK ZeldorSosportstroj. Prot. 12, 22.3.1934. CGAMO 4237/1/11, Bl. 205. 217 Osipov/Mar'janovskij 1935, S. 131. 218 Udarnik Metrostroja Nr. 121, 27.5.1934, S. 4. - Der Klub befand sich dort, wo heute das Hotel „Ukraine" steht. (Bucharina 1991, S. 89). 219 Rabocaja Moskva Nr. 109, 10.1.1934, S. 4.
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eingebunden.220 Über Patenschaften war jedem Schacht und jeder Distanz ein Kino zugewiesen, das für die Metrobauer Plätze reservierte.221 Im Konservatorium fanden eigene Konzerte für die Stoßarbeiter von Metrostroj statt.222 Insgesamt gab es 1934 109 Theatervorstellungen, 135 Konzerte und Lesungen fur die Metrobauer. Die besten Stoßarbeiter erhielten zusätzlich 50.000 Freikarten.223 Daneben organisierte man eigene Massenveranstaltungen fur die Metrobauer, die meistens vor den Toren Moskaus stattfanden und sportliche, kulturelle und politische Aktivitäten kombinierten.224 Eine der größten Veranstaltungen war der Massenausflug auf die Leninberge [Sperlingsberge] am 3.5.1934. Neben sportlichen Wettbewerben (Volleyball, Basketball, Boxen, Leichtathletik, Schießen, Reiten usw.) gab es Vorführungen von Laienkunstgruppen, Konzerte von Blaskapellen und Chören, Massensingen, Tanzen, Spiele, ein Quiz zum Thema „Wie hast du den 17. Parteitag studiert?", Gespräche mit Bürgerkriegsteilnehmern, Dichterlesungen, Geographie-Wettbewerbe und ähnliches. Besondere Attraktionen waren der Aufstieg mit einem Fesselballon, Rundflüge mit einem Flugzeug und die Eröffnung einer Segelfliegerstation. Sogar für ein Kinderprogramm war gesorgt: Chorsingen, Spiele, Sportwettbewerbe, Schießen, Übungen mit der Gasmaske, Lesewettbewerbe und das Basteln von Flugzeug- und Automodellen.225 Während die Kulturfunktionäre und Instruktoren den großen Umfang der von ihnen ergriffenen Maßnahmen in den Vordergrund stellten,226 bemängelten andere Metrobauer noch im Februar 1935 die zu geringe kulturelle Betreuung. Zu selten habe man gemeinsam Theater, Kinos und Parks besuchen können.227 Jedenfalls scheinen die Arbeiter die kulturellen Angebote gerne angenommen zu haben.228 Sie gingen nicht nur geschlossen im Kollektiv, sondern auch allein oder in kleinen Gruppen ins Kino oder Theater.229 Viele der interviewten Metrobauer sagten allerdings aus, daß sie für Kino- oder Theaterbesuche kaum Zeit hätten,
220 Ebd. Nr. 240, 14.10.1934, S. 4. 221 Ebd. Nr. 3, 3.1.1935, S. 4. Osipov/Mar'janovskij 1935, S. 131. 222 Rabocaja Moskva Nr. 36, 15.2.1935, S. 4. 223 Osipov/Mar'janovskij 1935, S. 130-131. 224 Vgl. Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Bakulin, 8. Distanz, 24.3.1935. GARF R-7952/7/341, Bl. 182. Desgl. mit dem Parteisekretär Rozenberg, Schacht 22-22bis. GARF R-7952/7/307, Bl. 51. 225 MGK VLKSM. Plan zur Durchführung eines Massenausflugs der Stoßarbeiter von Metrostroj, 23.4.1934. CAODM 635/1/77, Bl. 33-34. 226 Vgl. Osipov/Mar'janovskij 1935, S. 130-131. Vgl. Sten. Beratung bei Sasirin, 28.2. 1935. Wortmeldung des Gewerkschaftsorganisators Söerbuk, 4. Distanz. GARF R-7952/7/344, Bl. 125. Vgl. Sten. Gespräch mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 28. 227 Sten. Beratung bei Saäirin, 28.2.1935. Wortmeldung des Kommunisten Sinicyn, 4. Distanz. GARF R-7952/7/344, Bl. 74. Wortmeldung des Parteiorganisators Sidel'kovskij, 4. Distanz. Ebd., Bl. 80. 228 Sten. Gespräch mit Ing. Gurov, Leiter der 3. Distanz. GARF R-7952/7/300, Bl. 201. 229 Vgl. z.B. desgl. mit der Komsomolzin Desceva, Schacht 9, 1.11.1934. GARF R-7952/ 7/304, Bl. 45.
„An sich selbst arbeiten, andere bearbeiten": Erziehung und Freizeitgestaltung 379 weil sie nach der Arbeit zu müde oder durch ihre Partei- und Komsomolverpflichtungen gebunden seien.230
d) Sport und militärische Ausbildung Der Sport war in der Sowjetunion der zwanziger und dreißiger Jahre - ähnlich wie im nationalsozialistischen Deutschland - nicht Selbstzweck, sondern auf politische Ziele hin ausgerichtet. Ein Regierungsdekret vom 13.7.1925 definierte als die Aufgabe des Sports die körperliche Ertüchtigimg der Jugend, um die Arbeitsproduktivität und die Verteidigungsbereitschaft zu erhöhen. Der Sport sollte darüber hinaus die Bevölkerung zu mehr Hygiene und Körperpflege erziehen und die Massen um die Partei-, Sowjet- und Gewerkschaftsorganisationen scharen.231 Daher wurde er nicht in eigenen Sportverbänden, sondern im Rahmen der bestehenden Massenorganisationen betrieben. Zuständig waren in erster Linie die Gewerkschaften. Sie schufen in den Betrieben „Sportkollektive", die von einem „Sportbüro" geleitet wurden. Größere Sportkollektive gliederten sich in Sektionen und Schulen für die einzelnen Sportarten. Der Komsomol hatte keine eigenen Sporteinheiten, sondern war angewiesen, die Sportkollektive der Gewerkschaft zu 232
unterstutzen. Nachdem er jahrelang ein Schattendasein gefristet hatte, erlebte der Sport 1931 nach dem Erlaß über das GTO-Sportabzeichen einen Aufschwung. Der Name dieses Abzeichens bezeichnete ziemlich genau das, was vom Zentralkomitee als Aufgabe des Sports umrissen worden war: „Bereit zur Arbeit und Verteidigung" [Gotov k Trudu i OboroneJ. Die Anforderungen für das GTO-Abzeichen waren stark militärisch ausgerichtet und umfaßten folgende Disziplinen: 100 Meter Laufen, 1.000 Meter Laufen, Weitsprung, Hochsprung, Handgranatenwerfen, Klimmzüge, 50 Meter Laufen mit einem 32 Kilogramm schweren Patronenkasten auf der Schulter, 100 Meter Schwimmen, 50 Meter Schwimmen in voller Kleidung, 50 Meter Schwimmen in voller Kleidung mit Gewehr und Handgranate, Dauerschwimmen, 10 Kilometer Radfahren (ersatzweise auch Lenken eines Automobils, Traktors oder Motorrads), 1 Kilometer Rudern, 10 Kilometer Langlaufen oder 15 Kilometer Marsch in militärischer Ausrüstung, Zurücklegen von 1 Kilometer mit aufgesetzter Gasmaske, Kleinkaliberschießen. Darüber hinaus mußte der Bewerber Kenntnisse in Erster Hilfe nachweisen und sich im Betrieb als
230 Vgl. aus der Vielzahl der diesbezüglichen Aussagen z.B. Sten. Gespräch mit dem Brigadier Proskurin, Schacht 15. GARF R-7952/7/306, Bl. 156. Desgl. mit der Komsomolzin Pomjalova, 8. Distanz. Ebd., Bl. 139. Desgl. mit dem Komsomolzen Pliss, Schacht 31-32. Ebd., Bl. 148. 231 Resolution CIK SSSR, 13.7.1925. Zitiert in Udarnik standi biblioteka Lenina Nr. 58, 22.10.1934, S. 2. 232 Mehnert: Sport 1933/34, S. 361-363.
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Stoßarbeiter bewährt haben. Im ersten Jahr nach seiner Einführung wurde das Abzeichen von 450.000 Personen erworben. 233 Das GTO-Abzeichen stand auch bei Metrostroj im Vordergrund der sportlichen Betätigungen. Diese begannen im August 1932 mit der Eröffnung von drei Turnplätzen. 234 Die erste Sportkonferenz von Metrostroj bemängelte Anfang September 1932 das Fehlen einer Sportbasis. Die Losung des Komsomol, daß jeder Komsomolze bis zur Weltspartakiade 1933 das GTO-Abzeichen abgelegt haben müsse, werde bei Metrostroj ignoriert. Der Sport sei noch nicht bis zu den Schächten vorgedrungen. 235 Ende September 1932 bestand die Sportorganisation aus neun Kollektiven mit 341 Mitgliedern. Das GTO-Abzeichen hatten erst 51 Personen abgelegt. Einige Sportkollektive hatten den Sommer über bestanden, waren aber wieder auseinandergefallen. Das Sportbüro wurde wegen seiner Untätigkeit am 29.9.1932 abgewählt.236 Auch das neue Sportbüro legte wenig Tatkraft an den Tag und erhielt kaum Unterstützung seitens der Komsomol- und Gewerkschaftskomitees. Aufrufe, das GTO-Abzeichen abzulegen, fanden im Winter 1932/33 selbst bei den Komsomolzen nur ein schwaches Echo. 237 Im Mai 1933 befand das Zentralkomitee der Gewerkschaft die Sportarbeit bei Metrostroj für ungenügend und setzte ein neues Sportbüro ein, das die nicht gerade mitreißende Parole ausgab: „Den Sport der Erfüllung und Übererfüllung des Produktionsplans unterordnen!" Immerhin orientierte man sich bei den nächsten Schritten weniger an den Erfordernissen des GTO-Abzeichens als an den Bedürfnissen der Arbeiter: Für den Sommer wurde ein Vertrag mit dem Stadion in Sokol'niki geschlossen. Bei jeder Kulturbasis entstanden Sportplätze für Ballspiele und veranstaltete man Volleyball- und andere Turniere. In Los' ging man an die Errichtung eines eigenen Stadions. Für die Sportarten Fußball, Leichtathletik, Tennis, Volleyball, Basketball, Rudern und Schwimmen wurden Sektionen mit Instruktoren gebildet. 238 Zunächst bestanden die meisten Sportkollektive allerdings nur auf dem Papier, weil die Gewerkschaftskomitees sich nicht um sie kümmerten. In das Stadion in Sokol'niki wurden die Metrobauer Anfang Juni nicht eingelassen, weil das Baustellenkomitee die Miete nicht gezahlt hatte. Wo die Sportkollektive existierten, wurde allenfalls Volleyball gespielt, aber keine planmäßige Vorbereitung auf das GTO-Abzeichen betrieben. „Das Land braucht Männer mit starken Muskeln und Nerven, mit dem Willen zum Sieg - mit einem Wort Männer für Stoßarbeit und Verteidigung." „Wir haben es satt, im Sommer in der stickigen Baracke zu sitzen", zitierte der Udarnik Metrostroja Äußerungen von Arbeitern und forderte 233 234 235 236 237 238
Ebd., S. 366. Udarnik Metrostroja Nr. 2, 10.8.1932, S. 2. Ebd. Nr. 10, 3.9.1932, S. 3. Ebd. Nr. 22, 7.10.1932, S. 3. Ebd. Nr. 26, 11.3.1933, S. 4. Ebd. Nr. 82, 23.5.1933, S. 3.
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die Gewerkschaftskomitees auf, „Stoßarbeiter der Arbeit und der Verteidigung" zu „schmieden".239 Während der Sommermonate kam es vorübergehend zu einer Belebung der sportlichen Aktivitäten. Im September 1933 war jedoch schon wieder ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen, obwohl nun die Zahl der Komsomolzen bei Metrostroj sprunghaft anstieg.240 Im Winter waren die Möglichkeiten, Sport zu betreiben, witterungsbedingt stark eingeschränkt. Das Sportbüro, nun besser unterstützt vom Komsomol, verlegte sich in dieser Zeit auf den Bereich der Hygiene und Sauberkeit. Im Dezember 1933 fand auf Beschluß des Sportbüros ein „Komsomol-Sportfeldzug fur die kultivierte Baracke" statt. Die Sportaktivisten inspizierten die Baracken, brachten Kleiderhaken an, klärten die Bewohner über den Nutzen täglicher Körperpflege, kalter Abreibungen und Morgengymnastik auf, kümmerten sich um rechtzeitigen Wäschewechsel, das Vorhandensein von heißem Wasser und Heizung. In den Siedlungen wurden Schistationen und Eisbahnen angelegt. An arbeitsfreien Tagen unternahm man Massenausflüge auf Schiern und mit Schlittschuhen. Außerdem sollte mindestens ein Viertel der Bewohner das GTO-Abzeichen ablegen.241 Im Frühjahr 1934 wurde der Sportbetrieb in größerem Maßstab aufgenommen. Am 12.4.1934 veranstaltete das Sportbüro einen ersten Frühlings-Querfeldeinlauf in Sokol'niki.242 Nun beteiligte sich Metrostroj auch mit einer Mannschaft an der Moskauer Fußballmeisterschaft. Das erste Spiel fand am 12.5.1934 statt. Metrostroj hatte inzwischen in Los' vier Volleyballplätze, zwei Basketballplätze und einen Fußballplatz eingerichtet, zusätzlich zwei Stadien sowie die Ruderstation des Moskauer Gewerkschaftsrates angemietet. In den Stadien wurde Volleyball, Fußball und Tennis gespielt. Insgesamt betrieben im Mai 1934 rund 2.500 Metrobauer regelmäßig Sport. 857 hatten das GTO-Abzeichen abgelegt. Schwach entwickelt war die Sportarbeit noch in den Barackensiedlungen und bei einer Reihe von Schächten und Distanzen.243 Für Juni und Juli 1934 war ein großes Sommersportfest geplant, das mit Wettbewerben bei den Schächten und Distanzen beginnen und mit einer Metrostroj-Spartakiade enden sollte. Auf dem Programm standen Leichtathletik (Laufen, Hoch- und Weitsprung, Handgranatenwerfen, Diskus, Kugelstoßen), Ballspiele, Schwimmen und Schießen.244 Die Durchführung wurde aus unbekannten Gründen um zwei Monate verschoben.245 Hauptzweck der Spartakiade war es,
239 Ebd. Nr. 90, 2.6.1933, S. 2. 240 Präsidium MOK Zeldoräosportstroj. Prot. 45, 3.10.1933. CGAMO 4237/1/6, Bl. 84. 241 Vorsitzender des Sportbüros beim Baustellenkomitee, Dijachlov, an die Gewerkschaftskomitees von Metrostroj, 23.12.1933. GARF R-7952/7/215, Bl. 21. Sportbüro und Komsomolkomitee von Metrostroj. Aktennotiz, o.D. [Dezember 1933]. Ebd., Bl. 22. 242 Udarnik Metrostroja Nr. 84, 11.4.1934, S. 4. 243 Ebd. Nr. 114, 18.5.1934, S. 2. 244 Ebd. Nr. 142, 20.6.1934, S. 3. 245 Ebd. Nr. 190, 16.8.1934, S. 4.
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weitere Sportler zum Ablegen des GTO-Abzeichens zu motivieren. Im Zuge der Wettbewerbe wurden bei fast allen Baustellen Möglichkeiten geschaffen, Sport zu treiben.246 An der großen Moskauer Sportparade am 24.7.1934 nahm auch ein Marschblock von 2.000 Metrobauern teil.247 Zur gleichen Zeit brachen drei Komsomolzen mit dem Fahrrad zu einer 4.000 Kilometer langen Fahrt auf die Krim und zurück nach Moskau auf. Sie besuchten unterwegs Zulieferbetriebe und überprüften, wie die von Metrostroj erteilten Aufträge erfüllt wurden. Außerdem machten sie Propaganda für den Bau der Untergrundbahn.248 Die Sportmannschaften der Metrobauer vertraten Metrostroj auch nach außen hin: Im Oktober 1934 brach die Fußballmannschaft zu einer Turnierreise in den Süden auf, um in Stalino, Makeevka, Dnepropetrovsk, Tiflis und Baku Spiele zu bestreiten.249 Die Boxmannschaft von Metrostroj gewann die Moskauer Winterwettkämpfe.250 Auch an der Moskauer Eishockeymeisterschaft beteiligte sich eine Auswahl von Metrostroj.251 Bei den Schwerathletikmeisterschaften des Moskauer Gebietes errangen die Metrobauer in allen drei Sportarten (Ringen, Boxen, Gewichtheben) den zweiten Platz.252 Der Sport wurde gezielt benutzt, um überschüssige Energien in sinnvolle Bahnen zu lenken. Auf Weisung des Komsomol wurden Hooligans nicht gleich der Miliz übergeben, sondern man versuchte zuerst, sie durch die Ausübung von Sport zu bändigen.253 Im Oktober 1934 wurde beim Baustellenkomitee eine Sportschule eröffnet. Sie bot Kurse fur Gymnastik, Volleyball, Ringen, Boxen und andere Sportarten an.254 Kurze Zeit später entstanden eine Gymnastik-,255 eine Ringer-,256 eine Box-,257 eine Schi-258 und eine Tanzschule. Letztere fand besonders großen Anklang. Bei der Station „Pravda" der Nordbahn (22 Kilometer nördlich von Los') unterhielt Metrostroj eine eigene Erholungsstätte mit einer gut ausgestatteten Sportbasis.260 Den Winter nutzten die Sportler fur Massen-Schiausflüge in die Umgebung
246 Ebd. Nr. 194, 21.8.1934, S. 3. 247 Ebd. Nr. 172, 26.7.1934, S. 1. 248 Ebd. Nr. 171, 24.7.1934, S. 1. 249 Rabocaja Moskva Nr. 243, 17.10.1934, S. 4. 250 Udarnik Metrostroja Nr. 264, 14.11.1934, S. 4. 251 Ebd. Nr. 288, 12.12.1934, S. 4. 252 Ebd. Nr. 49, 1.3.1935, S. 4. 253 Erinnerungsabend der Komsomolzen der Caissongruppe, 26.8.1934. Wortmeldung des Komsomolzen Kotel'. GARF R-7952/7/242, Bl. 23. 254 Rabocaja Moskva Nr. 244, 18.10.1934, S. 4. 255 Ebd. Nr. 252,28.10.1934, S. 4. 256 Ebd. Nr. 268, 18.11.1934, S. 4. 257 Udarnik Metrostroja Nr. 264, 14.11.1934, S. 4. 258 Ebd. Nr. 267, 17.11.1934, S. 4. 259 Ebd. Nr. 6, 6.1.1935, S. 4. 260 Bucharina 1991, S. 92.
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Moskaus.261 Acht Stoßarbeiter des Schachtes 13-14 beteiligten sich am Schiwettlauf von Moskau nach Tula, der über 270 Kilometer ging und fünf Tage dauerte.262 3.000 Arbeiter, Ingenieure und Techniker nahmen an einem Schachturnier teil.263 Am Ende des Jahres 1934 sprach der Gewerkschaftsvorsitzende von Metrostroj von 5.000 Metrobauern, die regelmäßig Sport trieben.264 2.425 Sportler legten bis Februar 1935 das GTO-Abzeichen ab.265 Im Spätsommer und Herbst 1934 hatte bei Metrostroj die Förderung aufwendiger Sportarten begonnen, die ganz im Zeichen der paramilitärischen Ertüchtigung standen: Es wurden Segelfliegerzirkel gegründet, die im August 1934 130 Teilnehmer zählten, von denen 15 die Schule fur Segelfliegerinstruktoren absolviert hatten.266 Im September und Oktober kamen Fallschirmspringerzirkel hinzu. Man gründete schließlich einen „Aeroklub", der drei Schulen unterhielt: für Segelflieger, Fallschirmspringer und Motorflieger. Das Baustellenkomitee der Gewerkschaft erwarb sechs Segelflugzeuge und zwei Motorflugzeuge „U-2" und legte in der Nähe von Moskau bei der Eisenbahnstation „Malye Vjazemy" ein eigenes Flugfeld an. Anfang Oktober 1934 gab es sechs Segelflieger- und elf Fallschirmspringerzirkel mit insgesamt 480 Teilnehmern.267 Der erste Motorfliegerkurs begann am 1.12.1934 mit 34 Teilnehmern. Ein zweiter folgte am 1.2.1935 mit 65 Teilnehmern. Es handelte sich vor allem um Metrobauer, die schon in den Segelfliegerzirkeln eine Vorbildung erhalten hatten. Sie wurden neben der Arbeit in ihrer Freizeit zu Piloten ausgebildet.268 Ende Februar 1935 besuchten 91 Metrobauer die Pilotenschule, 38 die Segelfliegerzirkel. 47 hatten schon eine abgeschlossene Segelfliegerausbildung. 38 Fallschirmspringer wurden theoretisch ausgebildet, 7 waren schon vom Flugzeug abgesprungen, 987 vom Sprungturm. 100 Jugendliche hatten sich in Zirkeln zusammengefunden, um Modellflugzeuge zu bauen.269 Der Aeroklub war der Stolz des Komsomol von Metrostroj, der im Mai 1935 die Parole ausgab: ,Jeder Metrobauer muß Mitglied seines Aeroklubs werden!" Die - stark auf die Verteidigungsbereitschaft ausgerichtete - Fliegerei übte auf einen Teil der Komsomolzen eine ähnliche Faszination aus wie in Deutschland auf die Teile der Hitleijugend, die sich als „Flieger-HJ" organisierten. „Ans Flugzeug!" lautete eine verbreitete Losung des Komsomol in den dreißiger Jahren.270
261 262 263 264 265 266 267 268 269 270
Udarnik Metrostroja Nr. 9, 10.1.1935, S. 4. Ebd. Nr. 46, 26.2.1935, S. 4. Sten. Gespräch mit Osipov. GARF R-7952/7/306, Bl. 24. Ebd.,Bl. 23. Udarnik Metrostroja Nr. 44, 23.2.1935, S. 3. Ebd. Nr. 194, 21.8.1934, S. 3. Ebd. Nr. 232, 5.10.1934, S. 4. Vgl. Fedorova 1981, S. 77. Udarnik Metrostroja Nr. 33, 10.2.1935, S. 4. Ebd. Nr. 44,23.2.1935, S. 3. Fedorova 1981, S. 77.
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Im Mai 1935 hatte der Aeroklub 600 Mitglieder und stellte sich die Aufgabe, im Laufe des Jahres 90 Piloten, 1.000 Segelflieger und 700 Fallschirmspringer auszubilden.271 An dieser paramilitärischen Art von Sportausübung war auch die Gesellschaft zur Förderung der Verteidigung, des Flugwesens und der Chemie [Osoaviachim] beteiligt. Der Osoaviachim, 1927 aus der Zusammenlegung verschiedener Wehrorganisationen geschaffen, war neben der Partei, dem Komsomol und den Gewerkschaften die größte Massenorganisation. Seine Arbeit vollzog sich auf mehreren Ebenen: Der Osoaviachim machte Propaganda für die Verteidigungsbereitschaft und hielt Schnellkurse ab, in denen die Bevölkerung in den Umgang mit Gasmasken, Gewehren und Handgranaten eingeführt wurde. Eine gründlichere Unterweisung erhielt, wer sich zu den Schützenzirkeln oder kriegstechnischen Zirkeln meldete. Darüber hinaus verfügte der Osoaviachim über Lehrpunkte und Ausbildungslager, in denen Rekruten unmittelbar vor ihrer Einberufung zur Roten Armee aus- und Kommandanten der Reserve fortgebildet wurden.272 Die Organisation Osoaviachim unterhielt in fast allen Dörfern, Schulen und Betrieben eine Zelle. Die Finanzierung erfolgte über Mitgliedsbeiträge, Lotterien und über die Gewerkschaften. Sie stellte in eigenen Werken Gasmasken, Gewehre, Fahrräder, Lehrmittel und eine uniformähnliche Einheitskleidung her, die jedes Mitglied tragen durfte. Am verbreitetsten waren die Schützenzirkel, die dafür sorgen sollten, daß ihre Mitglieder das Abzeichen des „Vorosilovschützen" ablegten. Die kriegstechnischen Zirkel befaßten sich mit Gasschutz, Chemie, Segelfliegerei, Motorfliegerei, dem Bau von Modellflugzeugen und mit einer ganzen Reihe militärischer Spezialdisziplinen wie Reiten, Maschinengewehrschießen, Meldehund- und Brieftaubenzucht, Nachrichtenwesen usw. Die Segelflugzeugfabrik des Osoaviachim in der Nähe Moskaus war die erste der Welt.273 Die militärische Unterweisung war auch aus dem Alltag beim Bau der Metro nicht wegzudenken. „Der Komsomol ignoriert die Verteidigungsarbeit!", titelte im Juni 1933 der Udarnik Metrostroja. Einige Schächte, darunter der Komsomolschacht 12, hatten noch keine Osoaviachimzelle eingerichtet und keine Militärorganisatoren [voenorg] eingeteilt. Das Parteikomitee beauftragte die Parteizellen, die militärische Arbeit bei den Schächten zu überwachen.274
271 Udarnik Metrostroja Nr. 105, 10.5.1935, S. 3. - Der Aeroklub von Metrostroj entwikkelte sich ab 1936 stark: In den fünf Jahren vor Kriegsbeginn bildete er Hunderte Flieger und 4.000 Fallschirmspringer aus. 36 ehemalige Mitglieder des Aeroklubs wurden im Krieg „Helden der Sowjetunion". I.A. Viänjakov, Schlosser und Mechaniker bei der ersten Baufolge der Metro, stieg bei der Fliegertruppe bis zum Generalmajor auf. (Fedorova 1981, S. 85, 88). 272 Mehnert: „Ossoaviachim." 1932/33, S. 255-260. - In der Roten Armee gab es bis 1943 nominell keine Offiziere, sondern nur „Kommandanten", da der Begriff „Offizier" mit der alten monarchistischen Armee identifiziert wurde. 273 Ebd., S. 261-263. Vgl. Bericht des Militärattaches an der Deutschen Botschaft Moskau, General Köstring, 2.3.1935. In: General Ernst Köstring 1966, S. 170-171. 274 Udarnik Metrostroja Nr. 103, 17.6.1933, S. 2.
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Seit März 1933 gab es bei der Siedlung in Los' ein Ausbildungslager, das die wehrpflichtigen Metrobauer vor ihrer Einberufung zur Armee durchliefen. Der Lagerbetrieb ähnelte dem einer Kaserne: Der Tag begann mit Gymnastik, dann gab es Frühstück und im Anschluß daran die militärische Ausbildung, einschließlich Schießübungen. In den ersten Monaten seines Bestehens wurde das Lager von der Gewerkschaft und dem Komsomol vernachlässigt. Es mangelte an Bettzeug und Sportgeräten.275 Am 12.7.1933 unternahm der Osoaviachim von Metrostroj mit 350 Mann seine erste Gefechtsübung, einen gesicherten Marsch mit Angriff und Verteidigung. Das Bataillon „Moskau-Metro" griff an, das Bataillon „Vorosilov-Siedlung Metro" verteidigte.276 Bis zum August 1933 wurden 1.500 Personen über Luftschutzmaßnahmen instruiert, mit 1.200 Arbeitern Gespräche gefuhrt; man unternahm zwei „militärische Ausflüge" mit 700 Teilnehmern sowie Exkursionen ins Museum der Roten Armee und in Ausstellungen.277 Im August 1933 konzentrierte sich die Tätigkeit auf die Vorbereitung der Ausbildung des Einberufungsjahrgangs 1911. Im Ausbildungslager Los' wurde die soziale Herkunft und politische Bildung der Rekruten überprüft, um „klassenfremde und moralisch zersetzte Elemente" auszusondern. Gleichzeitig lernten die Analphabeten Lesen und Schreiben.278 Im Januar 1934 begann die Einberufung der Jahrgänge 1912 und 1913. Sie absolvierten bei den militärischen Ausbildungspunkten, die der Osoaviachim bei den Siedlungen und Baustellen inzwischen aufgebaut hatte, ein zweimonatiges Programm mit militärischer und politischer Ausbildung.279 Bis zum Januar 1934 stieg zwar die Mitgliederzahl des Osoaviachim auf 5.500, davon waren aber nur 300 „Vorosilovschützen". Die Zellen von Osoaviachim bestanden weitgehend nur auf dem Papier, nur bei wenigen Schächten gab es Schützenzirkel. Luftabwehrkommandos fehlten völlig. Die Parteizellen kümmerten sich nicht darum und hatten nicht, wie angeordnet, voenorgi eingeteilt, die den Vorsitz über die Zellen des Osoaviachim führen sollten.280 Im Laufe des Jahres 1934 wurden die Aktivitäten des Osoaviachim ausgeweitet, voenorgi der Partei und des Komsomol kümmerten sich darum, daß ihre Männer an der Schießausbildung teilnahmen. Im Februar 1935 hatten 2.850 Metrobauer das Abzeichen „Vorosilovschütze" abgelegt, 28 besuchten die Scharfschützenschule, 567 hatten das GSO-Abzeichen281 erworben, 1.758 das militärtechnische Examen „Motor" bestanden.282
275 Ebd. 276 Ebd. Nr. 130, 20.7.1933, S. 2. 277 Ebd. Nr. 150, 14.8.1933, S. 4. 278 Ebd. 279 Ebd. Nr. 29,4.2.1934, S. 4. 280 Ebd. Nr. 251, 15.12.1933, S. 3, Nr. 12, 14.1.1934, S. 4. 281 Das GSO-Abzeichen [Gotov k Sanitarnoj Oborone, Bereit zur sanitären wurde 1934 für die militärische Sanitätsausbildung breiter Kreise eingeführt. 282 Udarnik Metrostroja Nr. 44, 23.2.1935, S. 3.
Verteidigung]
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Die „Schmiede des neuen Menschen"
Die massenpolitischen Maßnahmen, die Erziehung, die kulturellen und sportlichen Aktivitäten erreichten Tausende Arbeiter von Metrostroj und wurden - mit Ausnahme des politischen Unterrichts - als Freizeitangebote gerne angenommen. Sie hatten eine mehrfache Funktion: Erstens sollten sie den Zugriff des Regimes auf die Menschen auch außerhalb der Arbeitszeit gewährleisten und für die Beobachtung, Beeinflussung, Formung und Erziehung der Arbeiter sorgen. Das stalinistische System erhob den Anspruch auf eine totale Kontrolle der Menschen und die weitestmögliche Zurückdrängung der Privatsphäre. Abweichend von Einschätzungen der Totalitarismustheorie muß allerdings bedacht werden, daß die Umsetzung dieses Konzepts in die Realität aus vielerlei Gründen nur mit Abstrichen gelang. Zweitens erleichterten die Freizeitangebote die Integration der sehr heterogen zusammengesetzten Belegschaft. Die von der Partei, dem Komsomol und der Gewerkschaft organisierten kollektiven Freizeitaktivitäten übernahmen dabei eine Rolle, die in anderen Gesellschaften Sport-, Musik- und andere Vereine erfüllen, nämlich Menschen unterschiedlicher Herkunft über eine gemeinsam ausgeübte Tätigkeit zusammenzuführen, Schranken sozialer und regionaler Herkunft zu überwinden und ihnen ein Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln. Das bolschewistische Regime installierte - stärker noch als der Nationalsozialismus, der trotz der umfassenden Gleichschaltung des öffentlichen Lebens und vielfaltiger Einflußnahmen die Existenz von Vereinen duldete283 - ein Monopol der „gesellschaftlichen Organisationen" auf gemeinschafts- und gruppenbildende Aktivitäten. Inwieweit es gelang, dadurch das Bewußtsein der Arbeiter zu verändern und sie zu einem Kollektiv zusammenzufügen, läßt sich für die Masse der Metrobauer mangels aussagefähiger Quellen nicht beantworten. Es spricht einiges dafür, daß die Freizeitangebote einen Beitrag zur Herausbildung eines Wir-Gefühls, eines Gruppenbewußtseins als „Metrobauer" leisteten.284 Diejenigen Metrobauer, aus deren Interviews oder Tagebüchern eine besonders intensive Bindung an die Baustelle deutlich wird, die angaben, ihre gesamte freie Zeit bei der Baustelle zu verbringen, begründeten dies allerdings nicht mit kulturellen oder sportlichen Aktivitäten, sondern mit den persönlichen Kontakten, dem „Leben" auf der Baustelle oder im Komsomolkomitee und der Langeweile zu Hause in der Baracke. Für Kinooder Theaterbesuche hatten sie gar keine Zeit.285 Mit Sicherheit war das bei den
283 Die Nationalsozialisten schufen 1934 im Bereich des Sports zwar einen vom „Reichssportführer" autoritär geleiteten Dachverband sowie 21 „Reichsfachämter" als Ersatz für die bisherigen Sportverbände, stellten aber die Existenz der 43.000 deutschen Sportvereine nicht in Frage. Parallel dazu spielten allerdings auch in Deutschland die ideologisch ausgerichteten Massenorganisationen (SA, Hitleijugend, Deutsche Arbeitsfront) eine wichtige Rolle im Sport. (Vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus 1997, S. 253-256. Vgl. ausfuhrlich Bernett 1983). 284 Vgl. Kap. VI.4.b. 285 Vgl. z.B. Sten. Gespräch mit der Komsomolzin Koposova, Schacht 13-14. GARF R-7952/7/305, Bl. 10. Desgl. mit der Komsomolzin Suchanova, Schacht 10-11, 25.10.1934. GARF R-7952/7/308, Bl. 124. Desgl. mit der Komsomolzin Kameneckaja, Schacht 10-11,
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parteilosen Arbeitern anders, die keinen Drang verspürten, an Versammlungen teilzunehmen oder nach Schichtende der nächsten Schicht bei der Planerfüllung zuzusehen, und die dankbar jedes Angebot wahrnahmen, der Tristesse der Barakken zu entrinnen. Drittens hatten die massenpolitischen Maßnahmen - in Analogie zu „Kraft durch Freude" und ähnlichen populären Veranstaltungen im nationalsozialistischen Deutschland286 - eine wichtige kompensatorische Funktion. Sie bildeten einen Ausgleich zu den Entbehrungen durch die harte Arbeit auf der Baustelle und die primitiven Lebensumstände. Wenn man die Arbeitskraft der Menschen nicht nur kurzfristig ausbeuten, sondern sie auf längere Sicht erhalten und die Leistungsbereitschaft steigern wollte, dann mußte man zwischendurch für die Regeneration der Arbeitskraft durch Erholung sowie geistigen und sportlichen Ausgleich sorgen. Auch der Arbeitsschutz und die medizinische Versorgung sind durchaus in diesem zweckgebundenen Kontext der Erhaltung der Leistungsfähigkeit zu sehen. Über diese engere Zielsetzung hinaus bildeten die organisierten Freizeitaktivitäten vor dem Hintergrund des im Lande herrschenden Ausnahmezustandes, der Mobilisierung und der Angst vor Verfolgung so etwas wie Inseln des zeitweisen Rückzugs in eine scheinbare Normalität, in der man die Ungeheuerlichkeiten des täglichen Lebens vergessen konnte. In diesem Zusammenhang sei auch auf die etwa zur gleichen Zeit in der Sowjetunion eingerichteten „Kulturund Erholungsparks" verwiesen, die, neben anderen Funktionen, genauso wie die häufigen und aufwendig inszenierten öffentlichen Feiern und die bewußt geförderte Unterhaltungskultur, ebenfalls kompensatorischen, Normalität vortäuschenden, Charakter hatten.
2.11.1934. GARF R-7952/7/303, Bl. 143-144. Tagebuch der Metrobauerin K.N. Durasova, Schacht 7. GARF R-7952/7/449, Bl. 27-28. 286 Zu den kompensatorischen Funktionen von „Kraft durch Freude" vgl. Weiß 1993.
VI. DIE S T R U K T U R E N IM H I N T E R G R U N D : MACHTAUSÜBUNG UND POLITISCHE KONTROLLE AUF DEN UNTEREN EBENEN
„Bo Bcefi 6opb6e η ähh η hohh, /Jaeaa MyacecTBa npHMep. Hac Ben TOBapHm KaraHOBHH, Harn nepBbifi «pyr η HH>KeHep." Grigorij Kostrov 1
1. Die O r g a n i s a t i o n „ M e t r o s t r o j " und ihre F ü h r u n g 1 9 3 1 - 1 9 3 5 Die zentralen Begriffe für die Führung sowjetischer Betriebe in den dreißiger Jahren waren das Rentabilitätsprinzip [chozrascet] und die Einmannleitung [edinonacaliej. Die Einmannleitung war schon zu Beginn der zwanziger Jahre proklamiert worden. Während der Neuen Ökonomischen Politik hatte sich aber eine Art kollegialer Führung durch das Dreieck [treugol'nik], bestehend aus dem Betriebsdirektor, dem Parteisekretär und dem Gewerkschaftsleiter durchgesetzt, wobei allerdings die Gewerkschaft an Macht hinter dem Management und der Partei deutlich zurückstand und ab 1929 noch weiter an Bedeutung verlor.2 Mit dem Übergang zur forcierten Industrialisierung und im Zusammenhang mit der Schädlingskampagne im Gefolge der Sachty-Affare3 kam es 1928/29 zu einer Krise in den Unternehmensleitungen. Auf der einen Seite mischten sich die Parteisekretäre der Betriebe zunehmend in Fragen des Managements ein. Auf der anderen Seite hatten sich die vielerorts eingesetzten Roten Direktoren infolge ih-
1 Grigorij Kostrov [Vortriebshauer beim Schacht 13-14]: Vers aus dem Gedicht „Komsomol'skaja". - In: Udamik Metrostroja, special'nyj vypusk, 23.3.1935. Übersetzung: „In dem ganzen Kampf, bei Tag und bei Nacht, / ein Beispiel an Mut gebend, / hat uns Genösse Kaganovid geführt, / unser erster Freund und Ingenieur." 2 Vgl. Schulze 1977, S. 81-82. 3 Im März 1928 wurde in den Kohlebergwerken von Sachty im Donecbecken eine „konterrevolutionäre Verschwörung" aufgedeckt. Der daraufhin inszenierte Schauprozeß bildete den Auftakt für die Kampagne gegen die „bürgerlichen Spezialisten", die man als Sündenböcke für Fehlschläge der Wirtschaftspolitik verantwortlich machte. (Vgl. Hildermeier: Geschichte der Sowjetunion 1998, S. 409).
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Die Strukturen im Hintergrund
rer mangelnden fachlichen Kenntnisse in Anhängsel ihrer nominellen Untergebenen, nämlich der technischen Direktoren und Chefingenieure verwandelt.4 Das Zentralkomitee reagierte auf die Krise am 5.9.1929 mit einer Resolution, in der es die Realisierung der „Einmannleitung" anordnete. Die Resolution übte Kritik an der mangelnden Abgrenzung der Befugnisse im Dreieck, blieb aber mehrdeutig: Die Betriebsleitung sollte von nun an alle Kompetenzen des wirtschaftlichen Managements ausüben, aber Aktivitäten und Initiativen der Arbeiter berücksichtigen. Das Parteikomitee sollte die allgemeinen Direktiven der Partei durchsetzen, aber dabei nicht in die Detailentscheidungen der Unternehmensleitung eingreifen. Das Gewerkschaftskomitee sollte die Arbeiterinitiative anregen und für die Durchsetzung produktionstechnischer Verbesserungen und Rationalisierungsmaßnahmen sorgen, sich aber ebenfalls nicht in die Betriebsleitung einmischen.5 Das Dreieck blieb also bestehen, und die Einmannleitung erwies sich in der Praxis vielfach als ambivalent. Sie beseitigte zwar den Dualismus zwischen dem Roten und dem technischen Direktor und stellte damit die Dominanz des Roten Direktors über die „bürgerlichen" Spezialisten her. Das Verhältnis zwischen Direktor und Parteisekretär gestaltete sich jedoch weiterhin als kompliziert. Viele Manager schöpften mangels fachlicher Kompetenz ihre Rechte nicht aus und suchten die kollektive Verantwortung im Dreieck. Andere schwangen sich zu Diktatoren in ihrer Fabrik auf. Dort, wo sich der Direktor als unfähig zur Einmannleitung erwies, versuchte oft der Parteisekretär, dessen Rolle zu übernehmen. Stalin kritisierte auf dem 17. Parteitag 1934 sowohl den Typus des unfähigen Direktors als auch jenen des selbstherrlichen „Magnaten" [vel'moza], der sich um Parteibeschlüsse nicht kümmerte.6 Die Resolution über die Einmannleitung änderte nichts daran, daß die Partei, aber auch andere Organe wie die OGPU oder die Arbeiter- und Bauerninspektion, auf allen Ebenen, von der Spitze bis zu den Betrieben, massiv in die Wirtschaftsleitung eingriffen. Für die Parteisekretäre war die Wahrnehmung ihrer Aufgaben eine Gratwanderung zwischen dem Vorwurf der Passivität und jenem der Einmischung in die operative Arbeit des Managements.7 Die Konflikte und Kompetenzüberschneidungen im Dreieck betrafen nicht nur die zentrale Betriebsleitung, sondern wiederholten sich auf den untergeordneten Führungsebenen des Betriebs, den Abteilungen oder - bei Metrostroj - den Schächten und Distanzen. Auch dort standen dem Abteilungs-, Distanz- oder Schachtleiter jeweils der Parteisekretär und der Vorsitzende des Gewerkschaftskomitees gegenüber. Im Dreieck nicht vorgesehen, aber in der Praxis bei Metro-
4 5 6 7
Kuromiya: Edinonachalie 1984, S. 186. Schröder 1988, S. 242-243. Kuromiya: Edinonachalie 1984, S. 186-188, 195. Vgl. Schröder 1988, S. 244-245.
Die Organisation „Metrostroj" und ihre Führung 1931-1935
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stroj einflußreicher als der Gewerkschaftsleiter, kam auch noch der Komsomolsekretär als Machtfaktor hinzu. In der Anfangszeit war die Parteiorganisation bei Metrostroj unbedeutend und Rotert als Direktor so dominant, daß er im Rahmen der Vorgaben des Mossovet und des Moskauer Parteikomitees das Unternehmen autonom leiten konnte. Er strukturierte es nach dem Vorbild von Dneprostroj. Im Herbst 1931 ließ er eine Reihe von Abteilungen einrichten, aus denen sich allmählich der zentrale Leitungsapparat formierte.8 Mit dem Beginn der Bauarbeiten teilte er im Dezember 1931 die Trasse, wie im Eisenbahnbau üblich, in Abschnitte ein. Anfangs waren es vier Abschnitte zwischen dem Palast der Sowjets und Sokol'niki,9 im Januar 1932 kamen ein weiterer Abschnitt zwischen dem Palast der Sowjets und dem Krimplatz sowie ein Abschnitt am Arbat hinzu.10 Jeder Abschnitt wurde von einem Abschnittsleiter geführt und bestand aus Distanzen," deren Leiter dem Abschnittsleiter unterstanden. Die Distanzen waren in einzelne Objekte oder Gruppen unterteilt, aus denen nach dem Übergang zur geschlossenen Bauweise Schächte wurden.12 Für den Bau von Barackensiedlungen, Depots, Werkstätten und anderen Hilfsbauten wurde ein Kontor für Industrie- und Zivilbau geschaffen.13 Die Organisationsstruktur von Metrostroj änderte sich ständig durch die Einrichtung neuer Abteilungen und Objekte sowie die Liquidierung oder Zusammenlegung anderer. So wurden zum Beispiel im Herbst 1932, als die eigentlichen Bauarbeiten stagnierten, weil über die Bauweise noch keine Entscheidung gefallen war, drei Abschnitte liquidiert und die Arbeiter dem Kontor für Industrie- und Zivilbau übergeben, um den Barackenbau voranzutreiben.14 Das mehrstufige Führungssystem mit Abschnitten und Distanzen als Zwischenebenen erwies sich schon im Sommer 1932 als zu kompliziert. Die Abschnitte schufen sich aufgeblähte Verwaltungsapparate mit analogen Abteilungen zu jenen der Zentralleitung. Sie entwickelten sich zu autonomen Betrieben innerhalb von Metrostroj und kümmerten sich oft nicht um die Anordnungen der Zentralleitung.15 Die Beratung der Bauleiter im November und Dezember 1932 sprach sich für eine Straffling des Leitungsapparates aus. Die Abteilungen der Abschnitte sollten liquidiert werden, die Schächte unmittelbar dem Leiter von Metrostroj unterstehen und nicht wie bisher parallel Anweisungen vom Abschnitts- und vom Di-
8 Rotert. Anordnung 1, 26.9.1931. CMAM 665/1/1, Bl. 1. 9 Rotert. Anordnung 49, 15.12.1931. Ebd., Bl. 28. 10 Rotert. Anordnung 8, 13.1.1932. CMAM 665/1/9, Bl. 6. 11 Die „Distanzen" von 1932 sind nicht zu verwechseln mit jenen von 1933-1935, als man mit diesem Begriff die einzelnen Baustellen der offenen Bauweise bezeichnete. 12 Rotert. Anordnung 49, 15.12.1931. CMAM 665/1/1, Bl. 28. 13 Rotert. Anordnung 162, 17.8.1932. CMAM 665/1/9, Bl. 207. 14 Rotert. Anordnung 200, 28.10.1932. Ebd., Bl. 257. 15 Vgl. Chronik von Metrostroj, o.D. [1934], GARF R-7952/7/141, Bl. 24. Vgl. Udarnik Metrostroja Nr. 41, 5.12.1932, S. 1.
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Die Strukturen im Hintergrund
Stanzleiter erhalten. 16 Da auch die Arbeiter- und Bauerninspektion eine Kürzung des Stellenplans forderte,17 wurden im Dezember 1932 die Distanzen abgeschafft. 18 Die Parteikontrollkommission / Arbeiter- und Bauerninspektion entwarf Anfang 1933 für das Unternehmen eine völlig neue Gliederung, mit dem Ziel den Verwaltungsapparat drastisch zu reduzieren und überflüssige Ebenen (die Abschnitte) zu beseitigen. Die Umstrukturierung erfolgte im Zuge der allgemeinen Reorganisation des Unternehmens nach dem Beschluß des Politbüros vom 20.3.1933 über das Donecbecken und über Metrostroj. 19 Gegen den Widerstand Roterts20 wurde die neue Struktur im April 1933 vom Moskauer Parteikomitee bestätigt und verwirklicht.21 Die Durchsetzung der Reform übertrug die Partei dem neuen stellvertretenden Leiter von Metrostroj Abakumov. Mit der Ankunft Abakumovs endete de facto die Einmannleitung Roterts, obwohl das Politbüro in seinem Beschluß vom 20.3.1933 gerade edinonacalie gefordert hatte. Abakumov hatte als Stellvertreter Roterts keinen getrennten Zuständigkeitsbereich, sondern war genauso wie Rotert befugt, über alle Fragen frei zu entscheiden. Beide trugen jeder für sich die volle Verantwortung für alle technischen und administrativen Fragen. 22 Aufgrund seiner unbedingten Ergebenheit gegenüber der Partei bei gleichzeitiger fachlicher Inkompetenz erwies sich Abakumov, mehr noch als der Parteisekretär von Metrostroj, als verlängerter Arm der Parteiführung im Management. Nach der Abschaffung der Abschnitte und Distanzen (alter Art) wurden nun die einzelnen Baustellen zu den Grundeinheiten von Metrostroj. Bei der geschlossenen und der Grabenbauweise hießen sie Schächte, bei der offenen Bauweise Distanzen. Die Schächte und Distanzen unterstanden nun zwar unmittelbar dem Leiter von Metrostroj, waren aber einem Chefingenieur zugeordnet, der für die einschlägigen technischen Fragen der jeweiligen Bauweise zuständig war. 23 Im April und Mai 1933 wurde eine Reihe neuer Schachtleiter ernannt,24 zumal die
16 Udarnik Metrostroja Nr. 41, 5.12.1932, S. 1. 17 Rotert. Anordnung 249, 15.12.1932. CMAM 665/1/9, Bl. 362-363 (Stellenplan der Leitung von Metrostroj, nach dem Beschluß der Stellenkommission der Arbeiter- und Bauerninspektion). 18 Rotert. Anordnung 248, 15.12.1932. CMAM 665/1/9, Bl. 360-361. 19 Politbüro. Beschluß, 20.3.1933. RGASPI 17/3/918, Bl. 55-56. Pravda, 7.4.1933. - Vgl. Kap. II.2.b. 20 Rotert argumentierte sogar noch einen Tag nach der Entscheidung Kaganovics diesem und Chruscev gegenüber für die Beibehaltung der Abschnitte. (Prot. Beratung bei Kaganovic, 9.4.1933. RGASPI 81/3/198, Bl. 76). 21 MGKK RKI. Aktennotiz „Der Bau der Untergrundbahn", o.D. [November 1933]. CMAM 1289/1/672, Bl. 3 9 ^ 0 . Prot. Beratung bei Kaganoviö, 8.4.1933. CAODM 3/49/45, Bl. 45. - Die alte und die neue Struktur sind als Organigramme erhalten in CMAM 1289/1/395, Bl. 2-3. 22 Sten. Gespräch mit Abakumov, 25.11.1934. GARF R-7952/7/299, Bl. 37-38. 23 MGKK RKI. Organigramm der Leitung von Metrostroj. CMAM 1289/1/395, Bl. 2. 24 Sten. Gespräch mit Schachtleiter Rochvarger, Schacht 47^48, 28.10.1934. GARF R-7952/7/307, Bl. 86.
Die Organisation „Metrostroj" und ihre Führung 1 9 3 1 - 1 9 3 5
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Parteikontrollkommission / Arbeiter- und Bauerninspektion eine weitere Stellenkürzung des Zentralapparates und die Versetzung von 92 Ingenieuren und Technikern aus den Abteilungen der zentralen Leitung auf die Baustellen anordnete. 25 Jede Veränderung des Stellenplans mußte künftig vorab mit dem Bevollmächtigten der Parteikontrollkommission / Arbeiter- und Bauerninspektion für Metrostroj abgestimmt werden. 26 In der 1933 schließlich beibehaltenen Struktur gliederte sich der Leitungsapparat in eine Reihe von Abteilungen, die zu Gruppen zusammengefaßt waren. Unmittelbar dem Leiter von Metrostroj und seinem ersten Stellvertreter unterstanden die Produktionsabteilung mit den Chefingenieuren sowie der wissenschaftliche Forschungssektor, die Projektierungsabteilung „Metroprojekt" und die Planungsund Kontrollabteilung. Dem zweiten Stellvertreter Roterts waren die Transportabteilung, die Versorgungsabteilung „Metrosnab", die Hauptbuchhaltung und die Abteilung für Hilfsbetriebe zugeordnet. Der Beauftragte [pomoscnik] des Leiters von Metrostroj fur Kaderangelegenheiten war für die Kader-, die Einstellungsund Entlassungs- und die Kommunalabteilung verantwortlich. 27 Ein weiterer Beauftragter des Leiters von Metrostroj war für die Wirtschaftsabteilung, die Kanzlei und die Bewachung zuständig. 28 Die Zahl der Schächte und Distanzen änderte sich mehrmals, da einige Schächte, die man 1932 voreilig angelegt hatte, wieder aufgegeben werden mußten oder wieder auf offene Bauweise umgestellt wurden. Mit Fortschreiten der Bauarbeiten wurden nebeneinanderliegende Schächte, sobald ihre Stollen miteinander verbunden waren, zusammengelegt. So entstanden Schachtbezeichnungen wie „Schacht 13-14". 29
25 MGKK RKI. Aktennotiz „Der Bau der Untergrundbahn". CMAM 1289/1/672, Bl. 40. Kommission von MGKK RKI zur Begutachtung der Struktur von Metrostroj. Stellenplan der Leitung von Metrostroj, 1.6.1933. CMAM 665/1/47, Bl. 1-13. 26 Vorsitzender von MGKK RKI, Filatov, an Rotert, 9.6.1933. CMAM 1289/1/682, Bl. 18. 27 Die Kaderabteilung war fur die Angestellten zuständig, die Einstellungs- und Entlassungsabteilung für die Arbeiter, die Kommunalabteilung fur die Lebensbedingungen der Beschäftigten. 28 MGKK RKI. Organigramm der Leitung von Metrostroj. CMAM 1289/1/395, Bl. 2. 29 Dort, wo man zwei getrennte Tunnel für die beiden Fahrtrichtungen vortrieb, erhielt der Parallelschacht den Zusatz „bis", der aus dem Französischen entlehnt ist und im Deutschen soviel bedeutet wie „a" (z.B. „Schacht 2Ibis"). Aus Gründen der Quellennähe habe ich die Originalbezeichnung beibehalten. - Die Distanzen 1 bis 4 befanden sich zwischen dem Kalanievplatz und Sokol'niki, die Distanzen 5 bis 8 zwischen dem Krimplatz und der Leninbibliothek. Dort schloB die Pariser Bauweise mit den Schächten 7 (Station Leninbibliothek) bis 29 (Versuchsabschnitt beim Mit'kovskij Viadukt) an. Die Numerierung begann mit der Ziffer 7, weil es 1932 auch noch die Schächte 1 bis 6 gegeben hatte, die dann wieder aufgegeben wurden. Die Schächte 26, 27 und 28 wurden ebenfalls aufgegeben. Der Arbat-Radius gliederte sich in die Schächte 30 (Alexandergarten) bis 51 (Smolensker Platz).
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Die Strukturen im Hintergrund
2. D i e s c h r i t t w e i s e E t a b l i e r u n g d e r P a r t e i m a c h t a) Die Basisorganisationen der Partei Um das Management und die Arbeitskräfte in das ehrgeizige Programm, das die Parteiführung vorgegeben hatte, einspannen zu können, mußte die Partei das gesamte Unternehmen mit ihrer Organisation durchdringen und Mechanismen entwickeln, mit denen sie in der Lage war, auf wirkungsvolle Weise über die Ingenieure, Techniker und Arbeiter Macht und Kontrolle auszuüben. Die im Abschnitt IV untersuchten Verhaltensweisen und Motivationen der Metrobauer stellten nur eine Seite der Realität dar. Ein anderer, nicht weniger wichtiger Aspekt war die Einbindung der Menschen in die stalinistische Kommandowirtschaft. Diese beruhte nicht nur auf dem freiwilligen Mitmachen, sondern auch auf Zwängen verschiedener Art und Intensität. Deshalb muß nicht nur danach gefragt werden, ob die Betroffenen ein Motiv für ihr Handeln hatten, sondern auch, welchen äußeren Zwängen und Mechanismen der Machtausübung und Kontrolle sie ausgesetzt und wie wirksam diese Mechanismen waren. Diese Zwänge und Mechanismen gehören in den Kontext des schon bei der Analyse der Lebenswelten sichtbar gewordenen künstlichen Kriegszustandes, den die Führung erzeugte und machten zusammen mit ihm das spezifisch Stalinistische im Vergleich mit der Durchführung von Großprojekten in anderen Ländern aus. Die Durchdringung aller Ebenen des Staates, der Verwaltung und der Wirtschaft durch parallele Parteistrukturen war ein Charakteristikum des sowjetischen Systems. Von der Werksabteilung über den Betrieb, den Rayon, das Gebiet bis zur Unionsebene stand der Administration oder dem Management überall eine Parteiorganisation zur Seite. Ihre Aufgabe bestand nicht darin, die herkömmliche Leitung zu ersetzen, sondern sie zu kontrollieren.30 Die Parteiorganisation war nach dem Prinzip des „demokratischen Zentralismus" aufgebaut, das heißt die jeweils höheren Organe wurden (zumindest formal) durch die unteren gewählt, die gewählten Funktionsträger waren den Vollversammlungen Rechenschaft schuldig, aber von oben kommende Beschlüsse und Weisungen mußten von den untergeordneten Organisationen bedingungslos ausgeführt werden. 31 Die Basisorganisation bildeten die Parteizellen in den Dörfern oder in den Betrieben, seit der Mitte der zwanziger Jahre auch in den einzelnen Werksabteilungen oder sogar in den Schichten von Großbetrieben. Sie wählten für die laufende Arbeit ein Büro. Auf den höheren Ebenen sowie in manchen Großbetrieben wurden Parteikomitees eingerichtet, die ihrerseits ebenfalls Büros einsetzten. Die Komitees und Büros wurden von Parteisekretären geleitet, denen, je nach Größe
30 Vgl. Kotkin 1995, S. 293. 31 Plaggenborg: Organisation 1992, S. 1439.
Die schrittweise Etablierung der Parteimacht
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der Organisation, ein Apparat mit Abteilungen und Funktionären zur Seite stand.32 Abhängig von der Größe der Organisation war der Parteisekretär ein hauptoder nebenamtlicher Funktionär. Die Zellenbüros wurden zweimal im Jahr gewählt und dabei viele Mitglieder ausgetauscht. Die Zellen tagten in der Regel zweimal im Monat oder wenn ein Drittel der Mitglieder eine Sitzung verlangte. Die kleinste Einheit, auf der Parteizellen errichtet wurden, war die Schicht. Innerhalb der Schicht wurden Parteigruppen gebildet, die von Gruppenorganisatoren [gruporg] geleitet wurden. Die Funktion des gruporg war so untergeordnet, daß auch Kandidaten fur die Aufnahme in die Partei sie ausüben konnten. 33 Wenn es zu wenig Kommunisten für eine Zelle gab, begnügte man sich auch auf Werksabteilungs- oder sogar Betriebsebene mit Parteigruppen. 34 Die Organisationsformen waren in den einzelnen Betrieben nicht einheitlich, da das Zentralkomitee der Parteibasis in dieser Beziehung 1929-1932 bewußt freie Hand ließ.35 Die Betriebsparteikomitees bildeten in manchen Betrieben große Apparate mit zahlreichen „funktionalen Bereichen und Sektoren" (Wirtschaft und Produktion, Kultur- und Massenarbeit, Agitation, Ausbildung, Jugend, Frauen, nationale Minderheiten usw.), die jeweils von einem Mitglied des Parteikomitees geleitet wurden. Die Bereichsgliederung konnte sich auch auf der Ebene der Betriebsabteilungs- oder Werksabteilungszellen wiederholen. 36 Während des ersten Fünfjahresplans wurden viele neue Mitglieder in die Partei aufgenommen, weil die Partei den Arbeiteranteil auf fünfzig Prozent steigern und in jeder Fabrik und Werksabteilung präsent sein wollte.37 Die Parteizellen, die laut Parteistatut die Aufgabe hatten, die Arbeiter- und Bauernmassen mit der Partei zu verbinden, vermehrten sich stark. Sie waren jedoch vielerorts in schlechtem Zustand, und ein großer Teil der neu in die Partei Aufgenommenen erwies sich als passiv und politisch ahnungslos. 38 Das komplizierte System vertikaler und horizontaler Strukturen überforderte vielfach die Basisorganisationen, die über kein geeignetes Personal für die vielen Bereiche verfügten. 39 1932 wurde als Antwort auf die verbreitete Inkompetenz der Parteifunktionäre das Organisationsschema gestrafft. In den meisten Betrieben schaffte man die Schichtzellen ab, reduzierte die Zahl der Werksabteilungszellen und übertrug die Leitung der nun erheblich größeren Basisorganisationen hauptamtlichen Funktionären. 40 Gleichzeitig wurde auch die Aufnahme in die Partei selektiver gehand-
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Ebd., S. 1440. Merridale 1990, S. 109-111. Rassweiler 1988, S. 76. Schröder: Industrialisierung 1988, S. 142. Ebd., S. 143 am Beispiel des Moskauer Elektrowerks. Ebd., S. 141. Plaggenborg: Organisation 1992, S. 1440. Vgl. Schröder: Industrialisierung 1988, S. 125. Schröder: Industrialisierung 1988, S. 147. Merridale 1990, S. 115.
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Die Strukturen im Hintergrund
habt. Damit wandte sich die Partei von dem in den Jahren zuvor verfolgten Konzept der massenhaften Einbindung von Arbeitern ab und verlegte das Schwergewicht von der Mobilisierung auf die Kontrolle.41 In diesen Zusammenhang gehört auch die Parteisäuberung von 1933. In ihrem Vorfeld verfügte das Politbüro am 10.12.1932 einen Aufnahmestopp, der bis 1936 währte.42 Die Parteireform nach dem 17. Parteitag (26.1.-10.2.1934) ging noch einen Schritt weiter: Der Begriff Zelle verschwand, die Basisorganisation wählte nun ein Parteikomitee, während sich um kleinere Organisationen mit weniger als fünfzehn Mitgliedern sowie nachgeordnete Organisationen im Betrieb ein Parteiorganisator [partorg] kümmerte. 43 In Großbetrieben durfte das Komitee in Absprache mit dem Stadt- und Rayonsparteikomitee in den Werksabteilungen Parteiorganisationen einrichten. Das Ergebnis der Reform war ein straffes und übersichtlicheres System. Die Partizipation und Aktivierung der Mitglieder traten gegenüber der effektiveren Führung durch die übergeordneten Instanzen in den Hintergrund. 44 Das Parteikomitee von Metrostroj wurde auf Beschluß des Moskauer Parteikomitees vom 16.4.1932 eingerichtet. Die gesamte Parteiorganisation von Metrostroj bestand damals nur aus 75 Kommunisten (bei 3.287 Arbeitern und 1.048 Angestellten) 45 Bei den Abschnitten, in Los' und den wichtigsten Abteilungen richtete das Organisationsbüro des Parteikomitees Parteizellen ein.46 Bei den einzelnen Baustellen wurden Parteigruppen gebildet. Jene des Schachtes 29 konstituierte sich im Herbst 1932 und bestand nur aus drei Parteimitgliedern und einem Kandidaten. 47 Bis Ende des Jahres 1932 stieg die Zahl der Parteigruppen auf 42, die der Parteimitglieder auf 343. 48 Im Zusammenhang mit der Liquidierung der Abschnitte wurden seit Ende April 1933 bei den Schächten und Distanzen Parteizellen eingerichtet, die unmittelbar dem Parteikomitee von Metrostroj unterstanden. 49 Eine in diesem Zusammenhang gemachte Aufstellung verzeichnete bei siebzehn Schächten und Distanzen insgesamt nur 153 Parteimitglieder, also im Durchschnitt neun Kommunisten
41 Cook 1988, S. 327-328. 42 Shimotomai 1991, S. 16. 43 Plaggenborg: Organisation 1992, S. 1442. 44 Schröder: Industrialisierung 1988, S. 329. 45 Redaktion „Geschichte der Metro". Chronik von Metrostroj, o.D. [1934]. GARF R-7952/7/141, Bl. 19. 46 Parteikomitee von Metrostroj. Beilage zum Prot., 8.5.1932. GARF R-7952/7/161, Bl. 286. 47 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Gusev, Schacht 29, 5.2.1934. GARF R-7952/7/ 271, Bl. 19. 48 Chronik von Metrostroj, o.D. [1934], GARF R-7952/7/141, Bl. 27. 49 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Fel'dman, Schacht 10-11, 25.3.1935. GARF R-7952/7/322, Bl. 29-30.
Die schrittweise Etablierung der Parteimacht
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je Bauobjekt.50 Die wenigen bis zum Sommer 1933 gebildeten Zellen wurden von führungsschwachen Sekretären geleitet und entfalteten keine nennenswerte Tätigkeit. Angesichts dieses unbefriedigenden Zustandes ordnete das Moskauer Parteikomitee im Sommer 1933 zehn erfahrene Funktionäre zum Aufbau und zur Stärkung der Parteiorganisation als Zellensekretäre und einige weitere für die Arbeit im Parteikomitee zu Metrostroj ab.51 Im September 1933 wurde der Parteisekretär von Metrostroj, Sivacev, abberufen und durch Matusov52 ersetzt, der bis dahin die Organisations- und Instruktionsabteilung des Moskauer Parteikomitees geleitet hatte. In formaler Hinsicht war Matusov auch nicht mehr wie sein Vorgänger „Sekretär des Parteikomitees von Metrostroj", sondern „Parteiorganisator des Moskauer Parteikomitees bei Metrostroj", was die Fremdbestimmung der Parteiorganisation von Metrostroj unterstrich.53 Die Parteiorganisationen der einzelnen Schächte und Distanzen entstanden überwiegend erst im Herbst und Winter 1933 im Zuge des Zustroms der mobilisierten Komsomolzen und Kommunisten. Die Basisorganisationen konstituierten sich durch die Wahl eines Büros der Parteizelle. Bei den Abschnitten54 der Schächte und Distanzen wurden Parteizellen mit dem Recht von Werksabteilungszellen eingerichtet, die sich jeweils ein Büro wählten. In den Schichten bildete man Parteigruppen mit Parteiorganisatoren.55 Die politische Bildung beschränkte sich bei den meisten auf die „Kandidatenschule". Einige waren schon in den Fabriken Parteiorganisatoren gewesen oder hatten Kurse bei den Rayonsparteiaktiven besucht.56 135 Parteiorganisatoren absolvierten zur Vorbereitung auf ihre Aufgabe Schulungskurse an der Kommunistischen Sverdlov-Universität.57 Die 1933/34 neu hinzukommenden Parteimitglieder wurden erfaßt, auf die Schichten und Brigaden verteilt und in Parteigruppen eingeteilt. Der Aufbau der Organisation dauerte bis ins Frühjahr 1934 hinein.58 Je nach der Größe ihrer Or-
50 Sekretariat MGK VKP(b). Prot. 64, 26.4.1933. CAODM 4/3/30, Bl. 249. 51 Sekretariat MGK VKP(b). Prot. 73, 22.7.1933. CAODM 4/3/32, Bl. 93. Materialy k otcetu 1934, S. 22. Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Ol'chovic, Schacht 7-8, 13.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 92. 52 Zum Lebenslauf von Matusov siehe Kap. lV.2.b. sowie Udarnik Metrostroja Nr. 200, 13.10.1933, S. 1. 53 Büro MGK VKP(b). Prot. 46, 22.9.1933. CAODM 4/3/7, Bl. 55. 54 Hier sind nicht die großen Abschnitte von 1932 gemeint. 1933 wurden die Schächte und Distanzen ihrerseits wieder in Abschnitte gegliedert. 55 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Vlasov, Schacht 15, 10.4.1934. GARF R-7952/ 7/242, Bl. 80-81. - Formal mußten Parteiorganisatoren und Parteisekretäre gewählt werden. Viele wurden allerdings zur Ausübung dieser Funktionen vom Moskauer Parteikomitee oder vom Parteikomitee von Metrostroj zu den Schächten und Distanzen geschickt. Oft wurden Parteiorganisatoren vom Parteisekretär bestimmt. (Vgl. Sten. Gespräch mit dem Schlosser Sinicyn, 4. Distanz, 28.2.1935. GARF R-7952/7/344, Bl. 72). 56 Desgl. mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 4. 57 Starostin/Mar'janovskij/Rezniienko: Bol'seviki na metrostroe 1935, S. 26. 58 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Ol'choviö, Schacht 7-8, 13.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 97.
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Die Strukturen im Hintergrund
ganisation wurden Parteisekretäre und Parteiorganisatoren von ihren Aufgaben in der Produktion entbunden oder auch nicht.59 Trotz der 1933 unternommenen Bemühungen war die Parteiorganisation von Metrostroj zu Beginn des Jahres 1934 alles andere als effektiv. Viele Kommunisten standen nicht auf der Mitgliederliste, und von einer wirksamen Massenagitation konnte keine Rede sein. Auf der ersten Parteikonferenz von Metrostroj im Januar 1934 sprach einer der Teilnehmer von der „völligen Abwesenheit der Sowjetmacht" bei Metrostroj.60 Die im Februar 1934 zur 6. Distanz entsandte Instruktorin stellte fest, daß dort den meisten Arbeitern nicht einmal die Rede Kaganovics und der Beschluß des Moskauer Parteikomitees vom 29.12.1933 bekannt seien. Erst im März 1934 wurde bei der 6. Distanz ein Parteikomitee gewählt.61 Kaganovic war mit der Leistung der Parteiorganisation von Metrostroj unzufrieden, entzog im Februar 1934 nach dem 17. Parteitag die Parteizellen der Schächte und Distanzen der Zuständigkeit Matusovs und unterstellte sie unmittelbar den Rayonsparteikomitees. Die Aufgabe Matusovs als Parteiorganisator und Instruktor des Moskauer Stadtparteikomitees bei Metrostroj beschränkte sich nun darauf, die Umsetzung der Beschlüsse des Moskauer Gebiets- und Stadtparteikomitees beim Bau der Metro zu kontrollieren.62 Darüber hinaus wurden die Parteizellen und Büros der Abschnitte abgeschafft und durch Parteigruppen mit Parteiorganisatoren ersetzt.63 Die Parteigruppen der Schichten, die meist erst seit wenigen Wochen bestanden, wurden wieder aufgelöst.64 Dadurch reduzierte sich die Zahl der Parteizellen, -gruppen und -Organisatoren.65 Die Parteiorganisationen der Schächte und Distanzen wurden den Rayonsparteikomitees auf eine solche Weise zugeteilt, daß auch die Rayons, deren Territorium vom Bau der Untergrundbahn nicht berührt war, für einige Baustellen verantwortlich zeichneten. Bei einer Reihe von Schächten und Distanzen tauschte man im März und April 1934 die Parteiführung aus. Das Moskauer Parteikomitee und die Rayonsparteikomitees schickten neue Parteisekretäre und Parteiorganisatoren zu den Baustellen.66 Dadurch sahen sich die Kommunisten auf den Baustel59 Desgl. mit dem Parteisekretär Ermolaev, Schacht 7-8, 24.3.1935. GARF R-7952/7/301, Bl. 65. Desgl. mit dem Parteisekretär Lipman, 3. Distanz, 19.11.1934. GARF R-7952/7/304, Bl. 14. 60 Parteiorganisation von Metrostroj. Sten. 1. Parteikonferenz, 9.1.1934. CMAM 665/1/ 133, Bl. 172. 61 Sten. Gespräch mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 2-4. 62 Büro von MK und MGK VKP(b). Prot. 1, 13.2.1934. CAODM 3/24/71, Bl. 32. Büro MGK VKP(b). Prot. 1, 22.2.1934. CAODM 4/4/5, Bl. 25. 63 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Vlasov, Schacht 15, 10.4.1934. GARF R-7952/ 7/242, Bl. 81. 64 Desgl. mit dem Parteiorganisator Jaremcuk. GARF R-7952/7/342, Bl. 11. 65 Desgl. mit dem Abschnitts-Parteiorganisator Matveev, Schacht 9-9bis. GARF R-7952/ 7/343, Bl. 111. 66 Büro MGK VKP(b). Prot. 1, 22.2.1934. CAODM 4/4/5, Bl. 24-25. Büro MGK VKP(b). Prot. 3, 31.3.1934. CAODM 4/4/5, Bl. 57-58. Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Fel'dman, Schacht 10-11, 16.9.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 37-39. Redaktion „Geschichte der Metro". Manuskript über die 1. Distanz, von einem Kommunisten. GARF R-7952/7/344, Bl. 34.
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len überwiegend Funktionären gegenüber, die nicht aus ihren eigenen Reihen, sondern von außerhalb kamen, was den Zugriff und die Kontrolle von oben wirksamer machte. Zur Aktivierung der Basisorganisationen ordneten die Rayonsparteikomitees den Schächten und Distanzen „Paten-Fabriken"67 zu und entsandten Instruktoren zu Metrostroj. Diese überprüften die Tätigkeit der Parteisekretäre bei den Schächten und Distanzen, veranlaßten gegebenenfalls ihre Ablösung und brachten die „Parteiarbeit" in Gang: Bei vielen Schächten und Distanzen wurden erst im April und Mai 1934 regelmäßige Parteiversammlungen abgehalten und Parteigruppen gebildet, die ihren Namen verdienten. Die Mitglieder wurden registriert und im Hinblick auf ihre Kenntnisse und Fähigkeiten begutachtet. Wenn man sie für geeignet hielt, übertrug man ihnen eine Aufgabe.68 „Wir teilten die einzelnen Kommunisten in ihrer jeweiligen Brigade einer Gruppe von Arbeitern zu. Für diese Gruppe war er verantwortlich, mußte dafür sorgen, daß sie den Plan erfüllte, täglich mit ihnen Zeitung lesen, sie zum Politunterricht heranziehen, zum technischen Unterricht, ihre Stimmungen durch und durch kennen, auch bei ihnen zu Hause gewesen sein. Anfangs fühlten sich die Kommunisten überfordert. Dann beschlossen wir, nicht alle gleichzeitig einzuteilen, sondern zuerst die stärksten." 69
Ende März 1934 traf Kaganovic bezüglich der Parteiorganisation von Metrostroj einige wichtige Personalentscheidungen: Matusov wurde aus gesundheitlichen Gründen70 seines Amtes enthoben. Als neuer „Parteiorganisator und Bevollmächtigter des Moskauer Stadtparteikomitees für die Parteiarbeit bei Metrostroj" wurde der Sekretär des Rayonsparteikomitees von Sokol'niki, Starostin, eingesetzt. Da er sein Amt als Rayonsparteisekretär beibehielt, und ein großer Teil der Baustellen und Wohnheime von Metrostroj auf dem Territorium des Rayons Sokol'niki lag, verfügte er über eine weit stärkere Position als Matusov. Die Parteisekretäre und Parteiorganisatoren der Schächte und Distanzen sowie ihre Stellvertreter wurden auf Anordnung Kaganovics seitdem nicht mehr gewählt, sondern vom Moskauer Stadtparteikomitee ernannt und abberufen.71 Dar-
67 Zu den Patenschaften vgl. Kap. VII.3.b. 68 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Rybakov, Schacht 31-32. GARF R-7952/7/307, Bl. 62-63, 69. Vgl. Redaktion „Geschichte der Metro". Manuskript über die Parteiorganisation des Schachtes 13-14. GARF R-7952/7/312, Bl. 4 5 ^ 6 . 69 Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Lipman, 8. Distanz, 26.9.1934, 4.4.1935, 7.4.1935. GARF R-7952/7/315, Bl. 66. 70 Die einzige Quelle dazu ist Sten. Gespräch mit Abakumov, 23.12.1934. GARF R-7952/ 7/310, Bl. 8. 71 Die innerparteilichen Wahlen waren auch sonst in vielen Fällen eine Farce. Der Wahlmodus begünstigte jene Kandidaten, die von der übergeordneten Instanz nominiert oder de facto schon fur das Amt bestimmt worden waren. Es wurde nicht durch Ankreuzen auf Stimmzetteln gewählt, sondern der Reihe nach über die Kandidaten offen abgestimmt. Wenn der erste Kandidat eine Mehrheit erhielt, wurde über die anderen nicht mehr abgestimmt. (Vgl. die vereinigte
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über hinaus entsandte Kaganovic den OGPU-Funktionär Kuznecov als Beauftragten für Kaderangelegenheiten (im Range eines Stellvertreters Roterts) zum Metrobau und ernannte den Leiter der städtischen Versorgungsbehörde Dychne gleichzeitig zum Leiter der Abteilung für Arbeiterversorgung von Metrostroj.72 K.F. Starostin blieb bis zur Fertigstellung der ersten Baufolge auf seinem Posten und wurde erst im Januar 1935 durch A.V. Osipov ersetzt, der bis dahin das Amt des Gewerkschaftsvorsitzenden bekleidet hatte.73 Tabelle 39: Anzahl der Kommunisten bei Metrostroj 1932-1935 74 Zeitpunkt 1.1.1932 April 1932 Dezember 1932 1.1.1933 1.11.1933 1.1.1934 Juni 1934 Metrostroj insgesamt Juni 1934 Schächte und Distanzen Januar 1935 Schächte und Distanzen
Parteimitglieder
Kandidaten
Zusammen
Prozent der Beschäftigten
1.312
401
1.830
673
34 75 343 458 1.713 1.935 2.503
1.511
555
2.066
4,7 %
1.753
5,0 %
9,3 % 1,9% 4,3 % 5,1 % 5,2 % 5,2 % 3,6 %
Die Zahl der Parteimitglieder und Kandidaten bei Metrostroj war gering und betrug 1933/34 rund fünf Prozent (Tab. 39). Zu Beginn der Bauarbeiten hatte sie bei über neun Prozent gelegen, was aber lediglich darauf zurückzufuhren war, daß man noch kaum Arbeiter eingestellt hatte und sich unter den Ingenieuren und Technikern der ersten Monate relativ viele Kommunisten befanden.75 Am Höhepunkt der Arbeiten, im Mai und Juni 1934, verringerte sich der Anteil durch die Tausenden neu eingestellten parteilosen Arbeiter. Über die soziale Herkunft der Kommunisten liegen keine statistischen Angaben vor. Informationen einzelner Parteiversammlung der Leitung von Metrostroj und von Metroprojekt. Prot. 14, o.D. [Ende November, Anfang Dezember 1934], CAODM 455/1/2, Bl. 59). 72 Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 4, 31.3.1934. CAODM 3/24/71, Bl. 73. 73 Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 28,4.2.1935. RGASPI 17/21/3050, Bl. 38. 74 Rotert. Konjunkturbericht fur Metrostroj, 1.1.1932. CMAM 665/1/4, Bl. 3. Kak my stroili 1935, S. 11. Materialy k otcetu 1934, S. 22. Redaktion „Geschichte der Metro". Chronik von Metrostroj, o.D. [1934]. GARF R-7952/7/141, Bl. 16, 19, 29, 31. Büro MGK VKP(b). Beilage zum Prot. 8, 14.6.1934. CAODM 4/4/15, Bl. 17-20. Jahresberichte der Kaderabteilungen der Schächte und Distanzen von Metrostroj. [Anfang 1935], CMAM 665/1/225, Bl. 1-80, und 665/1/226, Bl. 1-90. 75 Vgl. Medynskij, G.: Metro stal faktom. [Unveröffentlichtes Manuskript], o.D. [1934], GARF R-7952/7/417, Bl. 121.
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Baustellen deuten darauf hin, daß die meisten aus dem Dorf stammten, erst 1931/32 in die Partei eingetreten und nicht für die Übernahme von Parteiämtern geeignet waren.76 Der Stellenplan der Parteiorganisation von Metrostroj sah im Juni 1934 auf der obersten Ebene sieben hauptamtliche Funktionäre vor: den Parteiorganisator (Starostin, mit einem Gehalt von 500 Rubel im Monat), seinen Stellvertreter (Osipov, 450 Rubel), den Instruktor für Massenarbeit (400 Rubel), den Instruktor für Kultur und Propaganda des Leninismus (400 Rubel), den Instruktor für die Arbeit mit Angehörigen nationaler Minderheiten (300 Rubel) und zwei technische Angestellte (175 Rubel). Für die Schächte, Distanzen, Abteilungen und Hilfsbetriebe waren 44 Parteisekretäre vorgesehen (350-400 Rubel), fünfzehn Kulturpropagandisten (350 Rubel) und siebzehn technische Angestellte (175 Rubel). Nicht alle Parteikomitees der Schächte und Distanzen waren daher mit Kulturpropagandisten und technischen Angestellten versorgt.77 Quellen über die Tätigkeit der Parteiorganisationen der Schächte und Distanzen sind nur brachstückhaft erhalten. Als geschlossener Bestand liegen hingegen die Protokolle der Parteiorganisation des Leitungsapparates von Metrostroj vor.78 Die Parteiorganisation (Zelle) hielt etwa alle drei Wochen eine allgemeine Versammlung ab, zu der alle Mitglieder geladen waren. Häufig gab es auch „offene" Versammlungen, an denen auch Parteilose teilnehmen konnten. Die auf den Versammlungen der Parteizelle diskutierten Themen reichten von den Thesen des 17. Parteitags über wichtige Reden Stalins, die Arbeit der Komsomolzelle, die politische Massenarbeit, Politzirkel, den Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus, die Wahl von Kandidaten für den Mossovet, den Kampf gegen Trockij und Zinov'ev, die Ermordung Kirovs, die Anleihenkampagne bis zu Parteiausschlüssen oder der Organisation von Maifeiern.79 Die Protokolle der Vollversammlungen verzeichnen auf weite Strecken ein belangloses Gerede und Lamentieren über Probleme der Parteiarbeit und des Baufortschritts. Praktische Wirkung erzielten die Versammlungen durch die Verabschiedung von Anweisungen an Parteiorganisatoren, Gewerkschaftskomitees und einzelne Kommunisten, die sich jedoch in der Regel auf parteiinterne Fragen beschränkten und auf die Arbeit des Managements kaum Einfluß hatten. Die Wortmeldungen waren in einem großen Maße stereotyp und lassen immer wie-
76 Sten. Gespräch mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 3, 6, 29. Vgl. auch Tab. 23. 77 Büro MGK VKP(b). Prot. 8, 14.6.1934. CAODM 4/4/5, Bl. 250. Beilage zu diesem Prot.. CAODM 4/4/15, Bl. 17-20. 78 Parteiorganisation bei der Leitung von Metrostroj. Protokolle 1933-1935. CAODM 455/1/1-12. - Das Parteikomitee bei der Leitung von Metrostroj ist nicht zu verwechseln mit dem Parteikomitee von Metrostroj. Es war diesem untergeordnet, vereinigte die Kommunisten aus den Abteilungen des Leitungsapparates und war den Parteikomitees der Schächte und Distanzen gleichgestellt. 79 Parteikomitee bei der Leitung von Metrostroj. Protokolle 1935. CAODM 455/1/2, 10.
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derkehrende Elemente erkennen: Die Redner übten viel Kritik an Mißständen, allerdings meist am Management, am „Apparat". Dabei war ein grundsätzliches Mißtrauen gegenüber dem parteilosen technischen Personal, vor allem gegenüber den älteren Ingenieuren zu spüren. Parteifunktionäre wurden ebenfalls kritisiert, allerdings nie der Vorsitzende und die in der Parteihierarchie über ihm stehenden Organe. Regelmäßig wurde die schlechte Parteidisziplin der eigenen Kollegen beklagt, die sich unter anderem darin äußerte, daß sie die Parteiversammlungen nur spärlich besuchten. Anwesenden Kommunisten wurde vorgeworfen, in ihrer Brigade „passiv" zu sein, es an der notwendigen „politischen Zugespitztheit" fehlen zu lassen und ihre Umgebung zu wenig aktiv zu beeinflussen. Den Vorsitz führte meistens die Parteisekretärin des Leitungsapparates, Baidon, eine langgediente Berufsfunktionärin, die vorher unter anderem schon im Zentralkomitee und am Institut der Roten Professur tätig gewesen war.80 In ihrer Abwesenheit leitete oft Abakumov die Sitzungen. In den Protokollen der Sitzungen fallt vor allem der schulmeisterliche Ton der Schlußworte Baidons auf, in denen sie regelmäßig die Ingenieure und übrigen Parteimitglieder, die sich im Laufe der Diskussion zu Wort gemeldet hatten, abkanzelte und ihnen zu verstehen gab, daß sie das Wesentliche wieder einmal nicht begriffen oder am Thema vorbei geredet hatten: „Heute hätten die Abteilungsleiter einen Plan für die Umsetzung der MossovetBeschlüsse vorlegen sollen, - das haben wir nicht gehört. Es wurde geredet und über Mängel erzählt."81 [...] „Aus den Wortmeldungen ist ersichtlich, daß die meisten noch viel an sich selbst arbeiten müssen. Kein einziger sagte, was wir tun müssen, um die ganzen Wählermassen mit Erklärungsarbeit zu erfassen. Man muß weniger Phrasen dreschen als differenziert an jeden einzelnen Angestellten herangehen."82 [...] „Auf eine Parteiversammlung muß man sich vorbereiten und sich nicht mit allgemeinen Phrasen begnügen, so wie Vasjukin, der nicht an sich arbeitet, das zeigte sein Auftritt, und er muß ein echter Komsomolorganisator sein. Genösse Pozdnev sagte nichts und erzeugte Panik [...]. Genossen, wir redeten viel über Klassenwachsamkeit, aber tatsächlich verstehen das einige Mitglieder der Partei überhaupt nicht. Nach der Versammlung vom 31. Dezember [1934] gingen einige Parteimitglieder mit ehemaligen Trotzkisten einen trinken."83
80 Für ihren Lebenslauf siehe Kap. IV.2.b. 81 Geschlossene Parteiversammlung der Leitung von Metrostroj. Prot. 10, 25.7.1934. CAODM 455/1/2, Bl. 44. 82 Desgl. Prot. 13, 16.11.1934. CAODM 455/1/2, Bl. 55. 83 Geschlossene allgemeine Versammlung der Parteimitglieder der Leitung von Metrostroj. Prot. 2, 17.1.1935. CAODM 455/1/10, Bl. 7-8.
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Der engere Führungskreis der Parteizelle, das Büro der Zelle, ab 1934 das Parteikomitee, traf sich etwa alle zehn Tage. Es umfaßte etwa sieben bis zehn Mitglieder, darunter die Vorsitzende des Gewerkschaftskomitees bei der Leitung von Metrostroj, Tynkova, und einzelne Abteilungsleiter. Abakumov sowie der zweite Stellvertreter Roterts, Ajngorn, nahmen zwar als Parteimitglieder an „erweiterten" Sitzungen des Büros bzw. Parteikomitees teil, gehörten aber nicht zu seinem Bestand. Gegenüber ihren engeren Mitarbeitern in der Parteiführung trat Baidon nicht ganz so überheblich und zurechtweisend auf, man merkt aber auch hier einen deutlichen Rangunterschied.84 Im Büro bzw. Parteikomitee wurden zusätzlich zu den oben genannten Themen Probleme des Baufortschritts, der Arbeitsorganisation, Stellenbesetzungen und sonstige Fragen des Managements eingehend beraten. Man hörte Berichte von Verantwortlichen aus der Betriebsführung und von Funktionären, setzte Kommissionen ein, traf Anordnungen, die sich an leitende Personen aus der Betriebs- oder der Schachtführung richteten, an Parteiorganisatoren, Gewerkschaftsvorsitzende, einzelne Parteimitglieder, die verantwortlich gemacht wurden, in ihrem engeren Bereich bestimmte Maßnahmen durchzusetzen, auch wenn sie eigentlich gar nicht zuständig waren. Die Anordnungen betrafen nicht nur innerparteiliche Fragen oder Probleme der Arbeit mit den Massen, sondern häufig auch Einzelheiten der praktischen Arbeit auf den Baustellen. Es handelte sich somit um eine Parallelführung, die mit den Vorgesetzten der Befehlsempfanger nicht abgesprochen war.85 Die Haupttendenz der innerbetrieblichen Parteiversammlungen bestand darin, Unzufriedenheit mit dem Tempo der Bauarbeiten, der Arbeitsorganisation, der Disziplin, den bürokratischen Einstellungen zu äußern und sowohl die eigenen Parteimitglieder als auch alle Verantwortlichen in der Betriebsleitung unablässig unter Druck zu setzen. Aus den Sitzungsprotokollen gewinnt man den Eindruck, als ob die Mehrheit der Personen, die im Parteikomitee vertreten waren, in der Betriebsleitung nicht das Sagen hatte. Das Parteikomitee bestand, mit einigen wichtigen Ausnahmen, überwiegend aus Kommunisten, die in ihren jeweiligen Abteilungen Untergebene waren. Ihre Einflußmöglichkeiten und ihr Vermögen, etwas Wesentliches zu ändern, waren von vornherein eingeschränkt. Selbst bei Mitgliedern des Parteikomitees, die in der Betriebsleitung eine höhere Funktion, etwa als Abteilungsleiter oder gar als stellvertretender Leiter von Metrostroj (Abakumov) bekleideten, hat man nicht das Gefühl, daß sie den Lauf der Dinge bestimmten. Ihre Klagen über die Mißstände in ihren eigenen Abteilungen erwecken den Eindruck eines anonymen „Apparats" mit festgefahrenen Strukturen, gegen die sie vergeblich ankämpften, auch wenn sie in einer entscheidenden Position saßen.
84 Vgl. z.B. Parteikomitee bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 25, 29.7.1934. CAODM 455/1/4, Bl. 10. 85 Parteikomitee bei der Leitung von Metrostroj. Protokolle 1934-1935. CAODM 455/1/3, 4, 11.
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Für die Aktivitäten der Parteiorganisationen der Schächte und Distanzen sind wir fast ausschließlich auf Informationen im Udarnik Metrostroja und in den Berichten der Metrobauer angewiesen. Aus diesen Quellen geht hervor, daß 1932/33 die Arbeit der Parteizellen wenig bewirkte. Der Organisierungsgrad der Kommunisten auf den Baustellen war gering, so daß sie als kleine Minderheit ziemlich einflußlos blieben. Die wenigen Parteigruppen, die in dieser Anfangszeit gebildet wurden, hatten für die tägliche Arbeit auf den Baustellen wenig Bedeutung.86 Den Parteizellen gelang es nicht, einen Zugang zur Masse der parteilosen Arbeiter zu finden. Versuche mit „Agitationskollektiven" (Stoßarbeiter, die im Auftrag der Parteizelle in den Baracken Gespräche führten, um das Kartenspiel und die verbreiteten Trinkgelage einzudämmen) erzielten nur bescheidene Erfolge.87 Im September 1932 beschloß das Parteikomitee von Metrostroj, im Dezember eine Parteikonferenz abzuhalten. Bis dahin sollten die Parteizellen auf den Baustellen alle Kommunisten erfassen, in einem Netz von Parteigruppen organisieren und so dislozieren, daß an den entscheidenden Stellen der Einfluß der Partei gesichert sei. Vorbildliche Arbeiter sollten zum Eintritt in die Partei bewogen, es sollten Schulungskurse eingerichtet und die Kommunisten zur Teilnahme verpflichtet werden.88 Viele der eingeteilten Gruppenorganisatoren [gruporg] wußten gar nicht, was sie eigentlich tun sollten. Die Parteiführung von Metrostroj erläuterte daher mehrmals im Udarnik Metrostroja die Aufgaben des gruporg (partorg): Der gruporg war der politische Führer seiner Gruppe. Er mußte seine Kollegen in Gesprächen „studieren", ihre Stimmungen registrieren, auf ihre Bedürfnisse eingehen und durch sein persönliches Beispiel die „fuhrende Rolle der Kommunisten in der Produktion" demonstrieren. Er sollte die Parteigruppe über die Beschlüsse der Parteizelle informieren, die von oben angeordneten Aufgaben verteilen und ihre Ausführung überprüfen. Einmal in der Dekade sollte in der Gruppe die Erfüllung des Produktionsplans besprochen werden. Der gruporg hatte darauf zu achten, daß der Gewerkschaftsorganisator regelmäßig Produktionsberatungen der Brigaden abhielt. Er sollte die Produktionsberatungen in politischer Hinsicht fuhren und auf ihnen die Probleme der Mangelarbeit, des Stillstands, der Erhöhung der Produktivität und der besseren Arbeitsorganisation aufwerfen. Er war gehalten, unter den Arbeitern das Sammeln von Rationalisierungsvorschlägen zu propagieren und in jeder Brigade jemanden einzusetzen, der die Umsetzung von Vorschlägen der Arbeiter überwachen sollte. Der gruporg sollte die Kommunisten, Komsomolzen und Parteilosen für die Erfüllung des Produktionsplans „organisieren", ohne in Kompetenzen des Managements einzugreifen, sondern im Gegenteil dabei auch noch die Einmannleitung des Brigadiers gewährleisten. Er
86 Udarnik Metrostroja Nr. 14, 17.9.1932, S. 1. 87 Ebd. Nr. 1,6.8.1932, S. 3. 88 Ebd. Nr. 16,23.9.1932, S. 1.
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hatte sich um die Verbesserung der Verpflegung und Versorgung der Arbeiter zu kümmern, dafür zu sorgen, daß die Kommunisten und Komsomolzen am sozialistischen Wettbewerb und der Stoßarbeit teilnahmen, und auch möglichst viele Parteilose in den Wettbewerb zu ziehen. Er mußte darauf achten, daß die Kommunisten und Komsomolzen seiner Gruppe mustergültig arbeiteten, und selbst gegen Blaumacher, Trinker und Faulenzer vorgehen. Er sollte die besten Stoßarbeiter zum Beitritt in die Partei bewegen sowie Parteilose in Parteiversammlungen und in den politischen Unterricht einbeziehen. Er war verantwortlich, daß die Parteimitglieder ihre Beiträge zahlten, an den Produktionsberatungen teilnahmen und den politischen Unterricht besuchten. Er hatte „politische Kampagnen" zu veranstalten und den Arbeitern zu erklären sowie „die Initiative der Arbeiter in die richtige Richtung" zu lenken. Er mußte rechtzeitig die Kommunisten gegen „ungesunde, parteifeindliche" Gespräche und Gerüchte aktivieren. Nicht zuletzt erwartete man von ihm, daß er „systematisch an der Hebung seines politischen Niveaus arbeitete", die Parteiblätter Pravda, Rabocaja Moskva, den Udarnik Metrostroja sowie die Zeitschriften Massovik und Partrabota ν ceche las, sich täglich Rechenschaft über seine Arbeit ablegte und den Zellensekretär über alles, was in seiner Brigade oder Schicht vor sich ging, auf dem Laufenden hielt.89 Diese lange Liste von Aufgaben blieb jedoch auf weite Strecken Theorie. Bis zum Frühjahr 1934 wurden die Parteiorganisatoren ihrem Auftrag nicht gerecht. Die meisten Parteigruppen verwechselten ihre Aufgaben mit jenen der Produktionsberatungen. Sie befaßten sich nur mit Produktionsfragen, untergruben damit die Einmannleitung und kümmerten sich nicht um Agitation und „Erziehungsarbeit". Die Parteisekretäre der Schächte und Distanzen waren selbst zu unerfahren, um die Parteigruppen besser zu unterstützen.90 Im Vorfeld der geplanten Parteikonferenz von Metrostroj wurden Ende Dezember 1932 die Parteiorganisatoren und Zellenbüros neu gewählt. Alle Basisorganisationen beriefen Wahlversammlungen ein, auf denen die Funktionäre Rechenschaft ablegten.91 Zu den Versammlungen der Abschnittszellen erschienen immerhin fast alle Parteimitglieder. Rund ein Drittel der Anwesenden meldete sich zu Wort und unterzog die Funktionäre „bolschewistischer Kritik".92 Kritisiert wurden die schwache Agitationsarbeit und die schlechte Führung der Parteigruppen, die sich mancherorts auf Telefonate beschränkte.93 Die Parteikonferenz fand aus Gründen, die sich nicht mehr eruieren lassen, nicht statt. Möglicherweise wurde sie wegen der für 1933 angesetzten Parteisäu-
89 90 91 92 93
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
16, 23.9.1932, S. 3, Nr. 127, 16.7.1933, S. 3. 36,21.11.1932, S. 3. 43, 11.12.1932, S. 1. 49, 28.12.1932, S. 1. 48, 26.12.1932, S. 1, Nr. 49, 28.12.1932, S. 1.
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berung verschoben.94 Da die Basisorganisationen weiterhin im argen lagen, veranstaltete der Udarnik Metrostroja im Juli 1933 eine „Leistungsschau der Parteigruppen". Die Leistungsschau stand im Zusammenhang mit der Vorbereitung auf die Parteisäuberung und sollte an praktischen Beispielen zeigen, wie ein gruporg seine Aufgaben am besten erfüllte.95 Gruppenorganisatoren beschrieben in der Zeitung ihre Aktivitäten und klagten über mangelnde Unterstützung durch die Parteizellen.96 Ende September 1933 wurde eine Konferenz der Parteiorganisatoren abgehalten. Man stellte fest, daß sich die Organisation auf der Ebene der Parteizellen bei den Schächten und Distanzen konsolidiert hatte, es aber auf der Ebene der Parteigruppen immer noch große Mängel gab. Es gab zwar inzwischen rund zweihundert Parteiorganisatoren, doch war ihr „politisches Niveau" unbefriedigend.97 Im Zuge der Säuberung stellte sich heraus, daß viele Kommunisten schon monatelang keine Beiträge mehr bezahlt hatten. In den ersten zehn Monaten des Jahres 1933 zahlten beim Bau der Metro nur 65 Prozent der Mitglieder ihre Beiträge. Damit nahm die Parteiorganisation den letzten Platz in Moskau ein.98 Das „politische Niveau" der meisten Parteimitglieder wurde als „äußerst niedrig" bezeichnet, die Aktivität der Basisorganisationen als sehr schwach.99 Nach Abschluß der Säuberung, in deren Verlauf die Zahl der Parteigruppen reduziert und viele Parteiorganisatoren ausgewechselt wurden,100 fand Anfang Januar 1934 die erste Parteikonferenz von Metrostroj statt. Je fünf Parteimitglieder entsandten zur Konferenz einen Delegierten mit entscheidendem Stimmrecht, je fünf Kandidaten einen Delegierten mit beratendem Stimmrecht. Unmittelbar vor der Konferenz fanden Neuwahlen der Parteiorganisatoren und Zellenbüros statt,101 in deren Verlauf die bisherigen Funktionäre Rechenschaft ablegen mußten, inwieweit sie die Anweisungen der Säuberungskommissionen ausgeführt hatten. Dabei stellte sich heraus, daß die Arbeit der Parteigruppen nach wie vor zu wünschen übrig ließ.102
94 Im Moskauer Stadtparteiarchiv sind außer den Protokollen der Parteizelle des Leitungsapparates keine Akten der Parteiorganisation von Metrostroj erhalten. In der ansonsten vollständigen Sammlung des Udarnik Metrostroja in der Russischen Staatsbibliothek (Außenstelle Chimki) fehlen die ersten drei Ausgaben des Jahres 1933. Danach wird die Parteikonferenz nicht mehr erwähnt. Nur in Nr. 25, 10.3.1933 ist in einem Nebensatz die Rede von der „bevorstehenden Parteikonferenz". Die erste Parteikonferenz von Metrostroj fand schließlich ein Jahr später als ursprünglich geplant, im Januar 1934, statt. 95 Udarnik Metrostroja Nr. 127, 16.7.19333, S. 3. 96 Ebd. Nr. 178, 16.9.1933, S. 2. 97 Ebd. Nr. 194, 5.10.1933, S. 3-4. 98 Ebd. Nr. 229, 19.11.1933, S. 3. 99 Ebd. Nr. 223, 11.11.1933, S. 2. 100 Ebd. Nr. 238,29.11.1933, S. 3. 101 Ebd. Nr. 247, 10.12.1933, S. 1. 102 Ebd. Nr. 260, 26.12.1933, S. 3.
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Die Parteikonferenz wählte ein neues Parteikomitee von Metrostroj. Es bestand aus 45 Mitgliedern und elf Kandidaten. Bei den Mitgliedern des Parteikomitees handelte es sich überwiegend um hauptamtliche Parteisekretäre der Schächte und Distanzen. Die Leitung von Metrostroj vertraten die beiden Stellvertreter Roterts, Abakumov und Ajngorn. Weitere Mitglieder waren neben einzelnen Schachtleitern und einem Chefingenieur (Teslenko von der Caissongruppe) die Gewerkschaftsfunktionäre Suchinin und Granat, der Komsomolsekretär Sa§irin, der Redakteur des Udarnik Metrostroja (Reznicenko), der Bevollmächtigte der Parteikontrollkommission bei Metrostroj (Zolotov) sowie Kaganovic, Chruscev, Bulganin, Filatov (Vorsitzender der städtischen Parteikontrollkommission) und Luk'janov (Komsomolsekretär von Moskau). Arbeiter von den Baustellen (meistens ehrenamtliche Parteiorganisatoren bei den Schächten und Distanzen) bildeten im Parteikomitee nur eine kleine Minderheit.103 Bei den Schächten und Distanzen scheinen die Arbeiter etwa die Hälfte der Mitglieder der Parteikomitees (Büro der Zelle) ausgemacht zu haben.104 Im Februar und März 1934 übte der Udarnik Metrostroja massive Kritik an der Arbeit der Basisorganisationen. Bei manchen Baustellen waren nicht einmal alle Parteimitglieder registriert und hatte noch nie eine offene Parteiversammlung stattgefunden. Der politische Unterricht und die Versammlungen wurden vielerorts schlecht besucht.105 Parteiorganisatoren beteiligten sich nicht einmal selbst am sozialistischen Wettbewerb oder erfüllten als Brigadiere den Plan nicht.106 Sie waren keineswegs die „militanten Vertreter der Partei vor Ort", wie Kaganovic auf dem 17. Parteitag ihre Aufgabe beschrieben hatte.107 Das lag auch an den Parteisekretären, die den Parteiorganisatoren nur Aufträge erteilten und die Durchführung überprüften, ihnen aber bei der täglichen Arbeit nicht unter die Arme griffen.108 Die Reorganisation des Frühjahrs 1934, die stärkere Einmischung der nun unmittelbar verantwortlichen Rayonsparteikomitees und die Einsetzung neuer Funktionäre aktivierten die Parteibasis. Vorbildliche Parteiorganisatoren schilderten in der Zeitung ihre Tätigkeiten: „Nach der Reorganisation befaßte ich mich mit dem Studium jedes einzelnen Kommunisten. Ich ließ sie vor der Versammlung Rechenschaft ablegen, führte mit ihnen Gespräche, sah mir die Produktionsergebnisse an. Dann erteilte ich ihnen Aufgaben: Golovkin achtet auf die Qualität des Betons, Recker auf die Haushaltung mit den Mischmaterialien, Chljupin soll die Produktionsberatungen in den Schichten fördern. Ich
103 Ebd. Nr. 12, 14.1.1934, S. 1. Berichtigungen in Nr. 13, 15.1.1934, S. 3. 104 Sten. Gespräch mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 4. Bei der 6. Distanz bestand das Parteikomiteee aus sieben Personen, davon waren drei Arbeiter. 105 Udarnik Metrostroja Nr. 35, 11.2.1934, S. 3. 106 Ebd. Nr. 60, 14.3.1934, S. 2. 107 Ebd. Nr. 64, 18.3.1934, S. 2. 108 Ebd. Nr. 74, 30.3.1934, S. 2.
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überprüfe täglich, welche Arbeit jeder Kommunist geleistet hat und informiere auf den Versammlungen die Parteigruppe darüber. Das Studium der Kommunisten ermöglichte mir, auch so einen Kommunisten wie Korkin aufzuspüren, der Diebstahl beging und davonlief. Alle Kommunisten sind vom politischen Unterricht erfaßt. Der Besuch ist gut. Einige Kommunisten konnten alle Parteilosen ihrer Brigade zum Unterricht heranziehen. Nicht alle Kommunisten haben die Notwendigkeit begriffen, ihr politisches Niveau zu heben. Mit den Kandidaten arbeiten wir gesondert. Jeder Kandidat hat ebenfalls seine Aufgabe, zum Beispiel mit den Arbeitern Zeitung zu lesen."109 „14.8. Habe in zwei Gesprächen überprüft, ob die Mitglieder meiner Gruppe Zeitung lesen und was sie über die internationale Lage wissen. 15.8. Gespräch mit dem Kandidaten Siskov über die Ereignisse in China. Siskov weiß nicht viel, ist aber interessiert. Man muß ihm helfen. 16.8. Habe mit Siskov die Pravda gelesen, die wichtigsten Punkte besprochen, ihm die Rolle von Papens in Österreich erklärt. 17.8. Der Kommunist Andrianov kennt sich nicht gut in der internationalen Politik aus, ließ sich von mir über den Partisanenkrieg in der Mandschurei erzählen. 18.8.
Habe Siäkov über die Sowjetmacht in China erzählt. Gespräch mit dem Kommunisten Kuzneöenko, der Zeitungen sorgfaltig liest. Immer, wenn er etwas nicht versteht, richtet er eine Anfrage an das Parteikabinett des Elektrowerks, wo er vor der Mobilisierung gearbeitet hat. 20.8. Habe alle Kommunisten beauftragt, in den Brigaden und Schichten Gespräche über die Ereignisse in China zu führen. 21.8.
Habe mit Siäkov die Pravda gelesen. Er meinte: ,Ich fühle, wie ich wachse. Jetzt finde ich mich schon selbst in der Zeitung zurecht.'"110 Da der Udarnik Metrostroja im Sommer 1934 einige Male solche positiven Beispiele brachte und zur Nachahmung empfahl, kann man schließen, daß sie auch jetzt noch keineswegs die Regel waren. Trotzdem gewinnt man aus den Berichten der Metrobauer den Eindruck, daß im Frühjahr 1934 eine gewisse Wende eingetreten war.111
109 Parteiorganisator Kozlov, 1. Abschnitt beim Schacht 47^48. - In: Udarnik Metrostroja Nr. 144, 22.6.1934, S. 2. 110 Tagebuch des Parteiorganisators der mechanischen Werkstätte der Caissongruppe, Negrov. - In: Udarnik Metrostroja Nr. 199, 27.8.1934, S. 2. 111 Vgl. zum Beispiel Starostin/Mar'janovskij/Rezniöenko 1935, S. 36-37, wobei die Autoren bemüht waren, ihre eigene Arbeit als Erfolg darzustellen.
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Parteisekretäre und Parteiorganisatoren, die ihre Aufgabe ernst nahmen, erschienen eine Stunde vor Beginn ihrer Schicht und blieben nach Arbeitsende noch stundenlang auf der Baustelle oder im Parteikomitee. Manche trafen sich jeden Tag mit den Kommunisten ihres Abschnittes.112 Neben ihren politischen Aufgaben im engeren Sinne kümmerten sie sich auch um die Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer Arbeiter. Wenn sie auf diesem Gebiet sichtbare Verbesserungen erzielten, indem sie zum Beispiel Druck auf den für die Versorgung mit Arbeitskleidung oder die Betreuung der Baracken zuständigen Gewerkschaftsfunktionär oder auf den Schachtleiter ausübten oder einen unbeliebten Gewerkschaftsvorsitzenden ablösen ließen, erhöhte das ihr Ansehen und ihre Autorität.113 Auf Anordnung Kaganovics fuhren Parteisekretäre und Parteiorganisatoren in die Barackensiedlungen hinaus, sahen sich an, wie ihre Arbeiter dort lebten und setzten sich nach Möglichkeit für sie ein. Auch für die Familienverhältnisse seiner Leute sollte sich ein guter Parteiorganisator interessieren. Das konnte so weit fuhren, daß er Ehekrisen schlichtete und Arbeiter, die ihre Frau betrogen oder den Lohn vertranken, zur Räson brachte.114 Auf der anderen Seite waren Parteisekretäre, Parteiorganisatoren und die übrigen Kommunisten verpflichtet, die Arbeiter zu Höchstleistungen zu veranlassen und die Erfüllung des Plans sicherzustellen. Dies geschah durch Versammlungen, Agitation, persönliche Gespräche, sozialistischen Wettbewerb und durch eine ganze Reihe von Mechanismen der Machtausübung, die noch im einzelnen zu untersuchen sind. Parteimitglieder, die sich nicht konform verhielten oder schlechte Leistungen brachten, wurden disziplinarisch zur Verantwortung gezogen und gegebenenfalls aus der Partei ausgeschlossen.115 Die Tätigkeit eines vorbildlichen Parteiorganisators beschränkte sich nicht auf dieses Amt. Parteiorganisator Abramov zum Beispiel, Brigadier beim Schacht 99bis, war gleichzeitig Mitglied des Parteikomitees, Beauftragter für die Arbeit mit dem Komsomol, Vorsitzender des Genossengerichts, Vorsitzender des Redaktionskollegiums der Schachtzeitung, Vorsitzender der Unterstützungsgruppe für die Arbeiter· und Bauerninspektion, Vorsitzender des Beschwerdebüros, Vorsitzender der gegenseitigen Unterstützungskasse, Vorsitzender der Revisionskommission, Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees sowie Leiter der gesellschaftlichen Kontrolle
112 Sten. Gespräch mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 2324. 113 Vgl. desgl. mit dem Parteisekretär Michajlov, 3. Distanz. GARF R-7952/7/305, Bl. 103. Vgl. desgl. mit dem Parteisekretär Rozenberg, Schacht 22-22bis. GARF R-7952/7/307, Bl. 51. Desgl. mit Ing. Kovrizka, Schacht 18bis, 3.12.1934. GARF R-7952/7/313, Bl. 99. 114 Desgl. mit dem Parteiorganisator Cholod, Schacht 7-8. GARF R-7952/7/309, Bl. 229232. 115 Redaktion „Geschichte der Metro". Manuskript über die Parteiorganisation des Schachtes 13-14. GARF R-7952/7/312, Bl. 53-56.
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über die Kantine und das Buffet.116 Solche Ämterhäufungen deuten aber nicht nur auf die besondere Aktivität des Betroffenen, sondern auch auf den Mangel an geeigneten Leuten fur die einzelnen Aufgaben hin.
b) Die Parteisäuberung des Jahres 1933 Eine wichtige Rolle im Prozeß der Durchdringung von Metrostroj durch die Partei und für die Disziplinierung und Aktivierung der Parteimitglieder spielte die Säuberung des Jahres 1933, die das Politbüro am 10.12.1932 beschlossen hatte.117 Das Zentralkomitee und die Zentrale Kontrollkommission [CKK] formulierten im April 1933 das Ziel und die Begründung der Säuberung: In den Jahren der massenhaften Aufnahmen in die Partei seien viele fremde Elemente eingedrungen, viele neue Mitglieder seien schwankend oder unwissend.118 Im Zuge der Säuberung sollte aus der Partei ausgeschlossen werden, wer unter eine der folgenden Kategorien fiel: klassenfremde und klassenfeindliche Elemente, die sich eingeschlichen hätten, um die Partei zu zersetzen; „Doppelzüngler", die vorgäben, der Partei treu zu dienen, in Wirklichkeit jedoch die Politik unterliefen; Personen, die die Parteidisziplin verletzten, indem sie Zweifel äußerten oder Anweisungen durch Geschwätz über deren Realitätsferne diskreditierten; „entartete" Personen, die sich bürgerlichen Elementen angepaßt hätten und nicht gegen die Klassenfeinde kämpfen wollten; Karrieristen und „bürokratisierte Elemente"; „moralisch entartete" Personen, die den Namen der Partei befleckten. Darüber hinaus sollte der politische Kenntnisstand der Mitglieder überprüft werden, um „politische Analphabeten" nachzuschulen.119 Zur Durchführung der Säuberung setzten das Zentralkomitee und die Zentrale Kontrollkommission eine Kommission unter Rudzutak ein, die ihrerseits Republiks-, Gebiets- und Rayonskommissionen bestimmte. Im Vorfeld der Säuberung betrieb die Partei vor allem in Moskau und Leningrad eine breite Agitation über die Presse und auf Versammlungen.120 Die Säuberung begann in den Grenzgebieten (Ferner Osten, Ostsibirien, Weißrußland, Karelien), erfaßte dann das ukrainische Hungergebiet um Kiev, Odessa und Vinnica, in weiterer Folge Moskau, Leningrad, das Uralgebiet und die Armee.121 Bis zum 17. Parteitag (26.1.-10.2.1934) waren elf Gebiete gesäubert, bis zum Frühjahr 1935 vierzehn weitere. 1935 ging die Aktion mit der Überprüfung
116 Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Abramov, Schacht 9-9bis, 2.11.1934. GARF R-7952/7/310, Bl. 84. 117 Udarnik Metrostroja Nr. 44, 15.12.1932, S. 1. 118 Schröder: Industrialisierung 1988, S. 338. 119 Ο öistke partii. - In: Partijnoe stroitel'stvo (1933), Nr. 9, S. 2. Zitiert nach Schröder: Industrialisierung 1988, S. 339. 120 Schröder: Industrialisierung 1988, S. 341-342. 121 Shimotomai 1991, S. 16.
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der Parteidokumente in eine permanente Säuberung über, die sich bis Ende der dreißiger Jahre hinzog und terroristischen Charakter annahm. Bis zum 1.1.1934 überprüften die Kommissionen 1,15 von 3,56 Millionen Parteimitgliedern, schlossen 17 Prozent aus der Partei aus und stuften 6,3 Prozent zu Kandidaten und Sympathisanten herab. In Moskau lag die Ausschlußrate mit 13,6 Prozent unter dem Durchschnitt.122 Die Ausschlußgründe waren zu einem großen Teil nicht politischer Natur (Tab. 40). Tabelle 40: Gründe fur den Parteiausschluß im Zuge der Säuberung von 1933 123 Ausschlußgründe
„Klassenfeinde", „Klassen fremde" „Doppelzüngler" „Entartete" Disziplinverletzung „Karrieristen" „moralischer Zerfall" Passivität andere Gründe zusammen
Prozent der Überprüften aller betroffenen Organisationen
Prozent der Ausgeschlossenen aller betroffenen Organisationen
Prozent der Ausgeschlossenen im Gebiet Moskau
2,7
16,1
13,4
0,9 1,5 3,5 1,4 2,0 4,2 0,6
5,4 8,9 20,8 8,3 11,9 25,0 3,6
5,1
27,6 23,7 2,9
16,8
100,0
100,0
27,3
In Moskau begann die Säuberung im Juni 1933 mit einer Rede Kaganovics und „Meetings" in den Fabriken. Chef der Moskauer Säuberungskommission war das Mitglied des Moskauer Parteikomitees und des Zentralkomitees V.G. Knorin. Für die Rayons wurden Dreierkommissionen eingesetzt.124 Die Säuberung fand in den einzelnen Parteiorganisationen öffentlich und unter der Teilnahme zahlreicher Parteiloser statt. Jedes Parteimitglied mußte vor einer Dreierkommission seinen Lebenslauf schildern, Rechenschaft über seine Arbeit ablegen und sich Fragen der Kommission und aus dem Publikum stellen. Die Teilnahme an den Versamm-
122 Schröder: Industrialisierung 1988, S. 343. 123 Schröder: Industrialisierung 1988, S. 345 (Gesamtdaten). IV Moskovskaja oblastnaja i III gorodskaja konferencii VKP 1934, S. 300. Zitiert nach Shimotomai 1991, S. 20. - Shimotomai schließt aus den Berichten der Säuberungskommissionen, daß die Säuberung eine Reaktion auf die ernsten wirtschaftlichen Probleme, auf schlechte Arbeitsmoral und sonstige Mißstände gewesen sei und weniger politische Gründe gehabt habe. Schröder wertet die Aufschlüsselung anders und sieht als Hauptziel die Aussonderung jener Kräfte, die sich den Anweisungen der Zentrale widersetzt hätten. 124 Shimotomai 1991, S. 16. Udarnik Metrostroja Nr. 81, 22.5.1933, S. 2.
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hingen war rege. 125 Elena Bonner beschreibt in ihren Memoiren, wie sie als zehnjähriges Mädchen die Säuberung erlebte: „Die ,Säuberung' war jeweils abends, gleich nachdem die Erwachsenen von der Arbeit kamen, und zog sich ziemlich lange hin, vielleicht zwei Wochen, vielleicht einen Monat. In den ersten Tagen war es spannend, und viele Kinder versammelten sich hinter der Portiere der ,Roten Ecke', um alles mitzubekommen. [...] Die Säuberung verlief folgendermaßen: Am Tisch auf der Bühne saßen mehrere Leute. Sie riefen einen auf, der sich auf die Bühne stellen mußte, seitlich vor sie, so daß er mit dem Gesicht zum Saal und seitlich zu ihnen alle Fragen beantwortete. Die Fragen wurden vom Tisch und aus dem Saal gestellt. Aber schon vor der Befragung erzählte der zu Befragende etwas von sich. Manchmal viel, manchmal wenig. Alle wirkten sehr aufgeregt, und manche sprachen sehr unbeholfen, mit viel gewissermaßen', ,verstehst du' und Gehüstel. Sie standen da wie Schüler, die ihre Aufgaben nicht gemacht haben. Alle sprachen sich nur mit ,du' an und natürlich mit dem Familiennamen, und wenn jemand aufgerufen wurde, sagten sie ,Genösse' und den Familiennamen. Danach wurden manche viel, andere nur ganz wenig gefragt: über Churchill und die Opposition, über China und die Industrialisierung und über Stalins sechs Bedingungen zur Ankurbelung der Wirtschaft. Die wußte ich besser auswendig als viele, die bei der , Säuberung' befragt wurden. [...] Danach wurde nach den Frauen gefragt und manchmal auch nach den Kindern. Dabei zeigte es sich, daß es Männer gab, die ihre Frauen schlugen und viel Wodka tranken. [...] Manchmal sagte derjenige, der gesäubert wurde, er würde nicht mehr schlagen und nicht mehr trinken. Aber auch zu vielen dienstlichen und Parteidingen sagten viele, daß sie es ,nicht mehr tun werden' und ,alles klar sei'. Damals lief das so ähnlich ab wie eine Unterredung in der Schule: der Lehrer sitzt, und du haspelst herunter: ,Alles klar', ,kommt nicht mehr vor', ,natürlich habe ich das falsch gemacht'. Aber du sagst es nicht überzeugt, sondern nur, damit du möglichst schnell aus dem Lehrerzimmer rauskommst in den Saal, wo die anderen inzwischen Große Pause haben. Allerdings waren die Leute hier aufgeregter als Schüler vor ihren Lehrern. Einige weinten fast. Alle boten ausnahmslos einen unangenehmen Anblick. Bei manchen dauerte die Säuberung sehr lange; manchmal konnten drei an einem Abend ,durchgesäubert' werden, manchmal nur ein einziger."126 Andrew Smith, ein amerikanischer Kommunist, der 1932 bis 1935 im Moskauer Elektrowerk arbeitete, bis er bitter enttäuscht wieder in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, durchlief dort selbst die Säuberung. Glaubt man seiner Darstellung, dann sahen die Arbeiter die Säuberung als „Zirkus" an, weil nur untergeordnete Parteimitglieder ausgeschlossen wurden, während die eigentlich Verantwortlichen nicht von der Säuberung betroffen waren, sondern sie selbst leiteten. Politisch ahnungslose, aber konforme Arbeiter, überstanden die Säuberung unbeschadet, andere, die auf irgendeine Weise unbequem geworden waren, wurden verschiedener
125 Schröder: Industrialisierung 1988, S. 342. 126 Bonner 1992, S. 170-172.
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Vergehen beschuldigt, die laut Smith meistens erfunden waren. Viele Funktionäre, die Angst hatten, daß Unregelmäßigkeiten ans Licht kamen, bestachen ihre Arbeiter, damit diese sie nicht denunzierten. 127 Auch in Magnitogorsk leiteten die hohen Funktionäre selbst die Säuberung und betrafen Parteiausschlüsse weniger den Funktionärsapparat als einfache Mitglieder, die erst kürzlich in die Partei 128
eingetreten waren. Der Udarnik Metrostroja kündigte am 15.12.1932 die vom Politbüro beschlossene Säuberung an. Als Hauptziel der Säuberung bei Metrostroj nannte er die Entfernung von Parteimitgliedern, die von Kulaken abstammten und ihre Herkunft verborgen hatten, sowie von antisemitischen und chauvinistischen Elementen. In den Wochen davor waren einige solche Fälle bekannt geworden. Ein Brigadier und Parteimitglied, dessen Vater als Besitzer einer Windmühle aus der Kolchose ausgeschlossen worden war, hatte an die Kolchose geschrieben, er sei Mitglied des Zentralkomitees und werde alle verhaften lassen, wenn man seine Familie nicht wieder in die Kolchose aufnehme. Antisemitische und nationalistische Äußerungen (Beschimpfungen von Tataren, Baschkiren, Mordvinen) waren mehrmals gefallen. 129 Ende Mai 1933 begann die Säuberung bei Metrostroj mit „offenen Parteitagen". Die Zellen und Parteigruppen überprüften gegenseitig die Personalkarteien, die Zahlung der Mitgliedsbeiträge, die Arbeit der Organisationen und jedes einzelnen Kommunisten. 130 Auf Parteiversammlungen legten die Parteimitglieder Rechenschaft über ihre Tätigkeit ab. Die ganze Aktion wurde vom Udarnik Metrostroja ausführlich beleuchtet. 131 Auf die Teilnahme parteiloser Arbeiter an den Säuberungsversammlungen wurde großer Wert gelegt. Dadurch, daß die Parteilosen zum einen Kritik üben durften, ihnen zum anderen vorbildliche Kommunisten vorgeführt wurden, sollte die Verbundenheit der Partei mit den Massen und das Vertrauen der Parteilosen in die Partei gestärkt werden.132 Die Parteizellen teilten den Parteigruppen und einzelnen Mitgliedern politisch geschulte Kommunisten zu, die in persönlichen Gesprächen den Sinn und Ablauf der Säuberung erklärten und „schwache" Kommunisten auf theoretische Fragen vorbereiteten. Die Kommunisten erhielten das Statut und das Programm der Kommunistischen Partei und sollten eigens eingerichtete Politzirkel besuchen, um ihr politisches Wissen zu erweitern.133 Parallel dazu begann Ende Mai 1933 die pereklicka, der gegenseitige Zuruf: Parteimitglieder stellten sich in der Zeitung vor, legten öffentlich Rechenschaft darüber ab, ob sie sich selbst für gute Kommunisten hielten, schilderten ihre persönli127 128 129 130 131 132 133
Smith 1937, S. 239-243. Kotkin 1995, S. 301. Udarnik Metrostroja Nr. 44, 15.12.1932, S. 1. Ebd. Nr. 81,22.5.1933, S. 3. Ebd. Nr. 82,23.5.1933, S. 3. Ebd. Nr. 81,22.5.1933, S. 2-3. Ebd. Nr. 83, 25.5.1933, S. 1, Nr. 86, 28.5.1933, S. 3.
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che Selbstbefragung, ob sie vor der Säuberung bestehen würden. Der Schwerpunkt der Selbstkritik lag auf der gesellschaftlichen Tätigkeit. Wie in einem Ritual bekannten die meisten, zu wenig zu lesen, über bestimmte politische Fragen zu wenig zu wissen, sich zu wenig um die Massenarbeit zu kümmern, zu wenig für die Hebung des eigenen politischen Niveaus zu tun usw. Gleichzeitig wiesen sie auch auf Unzulänglichkeiten anderer Genossen und der Parteigruppe oder Zelle hin. Sich zu rechtfertigen, war verpönt.134 „Keinen Platz den Entarteten, die die Selbstkritik unterdrücken", titelte der Udarnik Metrostroja, als Lehrlinge aus der Betriebsberufsschule [FZU] darüber klagten, daß sie angefeindet würden, weil sie den Apparat der Direktion und die Leitung der Parteizelle kritisiert hatten.135 Ob die Kritikpunkte und Vorwürfe, die gegen einzelne Funktionäre und Parteimitglieder im Management erhoben wurden, der Wirklichkeit entsprachen, läßt sich nicht überprüfen, sie dürften aber angesichts der zahlreichen Mißstände vom schleppenden Fortgang der Bauarbeiten über die Zustände in den Baracken bis zur ineffektiven Parteiorganisation zutreffen. Die zitierte Behauptung von Smith, daß es mehr darum ging, unliebsame Leute als Sündenböcke vorzufuhren, als die wirklich Verantwortlichen zu bestrafen, kann für Metrostroj mit den vorhandenen Quellen zwar nicht ausdrücklich widerlegt werden, scheint aber hier nicht den Kern zu treffen. Am Verlauf der Säuberung von Metrostroj ist zu erkennen, daß die Kritik und das öffentliche Bloßstellen von Funktionsträgern in erster Linie dazu diente, die unteren und mittleren Ebenen der Organisation sowie die gewöhnlichen Kommunisten zu disziplinieren und zu aktivieren. Die Säuberung funktionierte nach den schon erläuterten Prinzipien der „Kritik und Selbstkritik",136 die von vornherein die Reichweite der Verantwortung für Mißstände begrenzten. Vorwürfe gegen sich selbst und gegen Angehörige der Parteiorganisation von Metrostroj waren erwünscht, alles was darüber hinausging und die Rayonsparteikomitees oder gar das Moskauer Parteikomitee betraf, war tabu. Einer der ersten Funktionäre, die schon in der Vorbereitungsphase der Säuberung zum Opfer fielen, war der Parteichef von Metrostroj, Sivacev. Nachdem man ihm die Verantwortung für die Defizite der Parteiorganisation zugeschoben hatte, überstanden die übrigen Mitglieder des Parteikomitees von Metrostroj die Säuberung unbeschadet. Hingegen nahm die Kritik an Parteisekretären, Funktionären und Parteimitgliedern in Managerfunktionen bei der Säuberung breiten Raum ein. Etliche Parteisekretäre von Schächten, Distanzen und Abteilungen wurden abgelöst.137
134 Vgl. z.B. Udarnik Metrostroja Nr. 87, 29.5.1933, S. 3, Nr. 91, 3.6.1933, S. 3. 135 Ebd. Nr. 149, 13.8.1933, S. 3. 136 Vgl. Kap. IV.4.a. 137 Vgl. z.B. Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Vlasov, Schacht 15, 10.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 81.
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Die Hauptphase der Säuberung begann am 8.10.1933 mit einer öffentlichen Sitzung des Parteikomitees von Metrostroj, an der 250 Personen teilnahmen. Die Säuberungskommission für Metrostroj bestand aus dem stellvertretenden Vorsitzenden des Mossovet Vasil'ev, dem Bevollmächtigten der städtischen Parteikontrollkommission und Arbeiter- und Bauerninspektion Zolotov und dem Sekretär des Moskauer Komsomolkomitees Cukanov. Als erste durchliefen Zolotov und die Mitglieder des Parteikomitees von Metrostroj, Matusov, Baidon (Leiterin der Propagandaabteilung), Teslenko (Chefingenieur für die Caissonarbeiten), Krylov (stellvertretender Leiter des Baukontors des mechanischen Werks Nr. 1), Pankov (Polier bei der 2. Distanz) und Tureckij die Säuberung.138 Sie wurden für gesäubert befunden und in die vier Zellensäuberungskommissionen eingeteilt, die parallel zur Hauptkommission bei den Schächten und Distanzen tätig waren.139 Die Säuberungsversammlungen waren anfangs schwach besucht. Vor allem die Parteilosen zeigten nur geringes Interesse. Beim Schacht 21 erschienen von mehr als 400 Arbeitern nur 27 zur Versammlung. Die Säuberung war dort - möglicherweise absichtlich - nicht richtig angekündigt worden. In der Baracke neben dem Sitzungsraum spielten die Arbeiter während der Versammlung Karten.140 Beim Schacht 15 mußten Versammlungen abgebrochen werden, weil niemand erschienen war.141 Das Interesse der Arbeiter wuchs jeweils dann, wenn die Namen solcher Kommunisten auf der Säuberungsliste standen, die für die Versorgung und Betreuung der Arbeiter zuständig waren. Ansonsten waren es immer dieselben, nämlich „die sogenannten Berufsredner", die sich bei den Versammlungen zu Wort meldeten: der Sekretär der Komsomolzelle, der Vorsitzende des Gewerkschaftskomitees und andere hauptamtliche Funktionäre.142 Während sich die Säuberungskommissionen auf die theoretischen Kenntnisse, die Biographie und die soziale Abstammung der Parteimitglieder konzentrierten und zu diesem Zweck danach fragten, wieviel Land die Eltern besessen hatten oder wer die Ausbildung finanziert hatte,143 zielten die Wortmeldungen aus dem Publikum in andere Richtungen. Die typischen, gegen Kommunisten erhobenen Vorwürfe waren ein Spiegelbild der schlechten Lebensbedingungen und organisatorischen Unzulänglichkeiten:144
138 Udarnik Metrostroja Nr. 197, 9.11.1933, S. 1. Säuberungskommission für Metrostroj. Bulletin Nr. 10, 11.10.1933. CMAM 665/1/60, Bl. 41. 139 Säuberungskommission für Metrostroj. Bulletin Nr. 11, 17.10.1933. CMAM 665/1/60, Bl. 44. 140 Udarnik Metrostroja Nr. 200, 13.10.1933, S. 1. 141 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Vlasov, Schacht 15, 10.4.1934. GARF R7952/7/242, Bl. 83. 142 Säuberungskommission fur Metrostroj. Bulletin Nr. 11, 17.10.1933. CMAM 665/1/60, Bl. 44. Udarnik Metrostroja Nr. 203, 16.10.1933, S. 1. 143 Udarnik Metrostroja Nr. 203, 16.10.1933, S. 1. 144 Ebd. Nr. 202, 15.10.1933, S. 1, 3, Nr. 212,27.10.1933, S. 3, Nr. 215, 31.10.1933, S. 3, Nr. 216,1.11.1933, S. 3, Nr. 217, 2.11.1933, S. 3.
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Neu eingestellte Arbeiter werden bürokratisch behandelt, müssen tagelang warten, bis sie Arbeit, Wohnraum und Essensmarken zugeteilt bekommen. Die Baracken sind verdreckt, es wird gestohlen und getrunken, für 200 Mann gibt es nur eine Lampe, Laken werden nicht gewechselt. Barackenkommandanten kümmern sich nicht um Sauberkeit und Ordnung, sind tagelang nicht auffindbar. Die Arbeiter frieren in der Werkstätte, im Buffet gibt es keine Gläser, man muß Milch und Tee vom Teller trinken. Der Direktor des Kantinentrusts ist ein Bürokrat, der das Kantinenwesen mit konfusen Anordnungen desorganisiert, und muß entlassen werden. Die Parteimassenarbeit ist schwach entwickelt. Niemand kümmert sich um Theater-, Kino- oder Museumsbesuche. Die Baracken sind nicht mit Radio, Zeitungen, Schach- und Damespielen ausgestattet. Es gibt keine Laienkunstzirkel und keine Gesprächsgruppen. Funktionäre kennen ihre Leute zu wenig, gehen grob mit Arbeitern um, sind Alkoholiker, unterdrückten im Vorfeld der Säuberung Kritik oder reagierten nicht auf Beschwerden. Der Schacht ist im Rückstand, nicht alle Brigaden haben einen Plan, die Arbeitsdisziplin ist schwach, bei der Normierung und Lohnberechnung kennt man sich nicht aus, bei der Entlohnung wird Gleichmacherei betrieben. Die Arbeit ist schlecht organisiert und mangelhaft mechanisiert, es gibt vielfach Stillstand, das Gesetz über die Bezahlung von Mangelarbeit wird nicht angewandt, die Einmannleitung wird nicht konsequent verwirklicht. Der Schachtleiter und sein Stellvertreter erteilen widersprüchliche Anordnungen. Ingenieure und Techniker kümmern sich nicht um Werkzeug und Arbeitskleidung, die ständig verloren gehen oder schadhaft sind. Aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen erfüllt der Schacht den Plan nicht. Administration, Partei und Gewerkschaft unternehmen nichts. Der sozialistische Wettbewerb besteht nur auf dem Papier, Produktionsberatungen sind eingeschlafen, das Erfindertum wird nicht gefordert. Im Duschkombinat wird die Arbeitskleidung nicht getrocknet. Die Arbeiter müssen die schmutzige und nasse Kleidung anziehen oder finden gar keine mehr vor, weil sie gestohlen wurde. Die Schuhreparaturwerkstätte arbeitet schlecht.
Die Tatsache, daß der Udarnik Metrostroja in seiner Berichterstattung über die Säuberung diese Punkte in den Vordergrund stellte und die Parteiführung großen Wert darauf legte, daß möglichst viele parteilose Arbeiter die Versammlungen besuchten und sich zu Wort meldeten, zeigt, daß die Säuberung nicht nur zur Disziplinierung der Parteimitglieder diente, sondern auch die Funktion eines Ventils erfüllte, an dem die Arbeiter ihre Unzufriedenheit ablassen und sie konkreten Schuldigen aufladen konnten. Was die Arbeiter kritisierten, waren keine ideologischen Defizite, sondern zentrale Mißstände, die sie direkt berührten, nämlich in
Die schrittweise Etablierung der Parteimacht
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erster Linie die miserablen Lebensbedingungen. Indem die Partei untere und mittlere Funktionäre und Manager zum Abschuß freigab, schuf sie Sündenböcke, auf die sie die Unzufriedenheit der Arbeiter ablenkte. Die Säuberung war in dieser Hinsicht ein Forum für echte und vor allem auch wirksame Kritik, die oft genug sichtbare Folgen hatte. „Heben wir den Zorn der Massen in Richtung auf eine Kritik der Mängel des Leitungsapparates", lautete die Parole. 145 Am 7.12.1933 war die Säuberung im wesentlichen abgeschlossen. Die Bekanntgabe des Ergebnisses verzögerte sich jedoch, weil die Hauptsäuberungskommission noch mit Berufungen gegen Urteile der Zellenkommissionen befaßt war. Das Parteikomitee beschloß, Ende Dezember 1933 Neuwahlen der Parteiorganisatoren und Zellenbüros abzuhalten und für Anfang Januar 1934 eine große Parteikonferenz einzuberufen. 146 Bei der 1. Distanz und bei der Versorgungsabteilung [Metrosnab] wurde die Säuberung im Dezember wiederholt, weil die Anordnungen der Säuberungskommission nicht ausgeführt worden waren, die 1. Distanz ihren Plan nur zu einem Bruchteil erfüllt hatte und die Versorgung von Metrostroj zusammengebrochen war.147 Ansonsten wurde befriedigt vermerkt, daß die Säuberung bei den meisten Zellen die Disziplin gefestigt habe. Ein am 13.12.1933 abgehaltener Parteitag verlief wunschgemäß. Im Gegensatz zu früheren Veranstaltungen mußte bei keiner Zelle die Versammlung abgesagt werden, sondern erschienen die Kommunisten fast überall in großer Zahl.148 Parteisekretäre berichteten später, daß die Säuberung einen Umschwung in der Massenarbeit bewirkt habe. Vor der Säuberung sei die Organisation „zerrüttet" gewesen. Nach der Säuberung wußten sie, auf wen sie sich stützen konnten, teilten neue Parteiorganisatoren ein, gruppierten die Kräfte neu und machten aus ihren Schachtzellen disziplinierte und festgefugte Organisationen. 149 Aufgrund der geringen Zahl an Kommunisten, die durch die Säuberung zusätzlich dezimiert worden waren, konnten nicht in allen Schichten Parteigruppen gebildet werden. Man beschränkte sich in solchen Fällen darauf, einen Parteiorganisator einzuteilen.150 Insgesamt durchliefen bei Metrostroj 1.700 Parteimitglieder und Kandidaten die Säuberung. 186 (10,9 Prozent) wurden ausgeschlossen, 100 (5,9 Prozent) zu Kandidaten und 135 (7,9 Prozent) zu Sympathisanten zurückgestuft. Damit war 145 Ebd.Nr. 226, 15.11.1933, S. 2. 146 Säuberungskommission fur Metrostroj. Bulletin Nr. 18, 11.12.1933. CMAM 665/1/60, Bl. 65.
147 Udamik Metrostroja Nr. 256, 21.12.1933, S. 1, Nr. 257, 22.12.1933, S. 1. 148 Ebd. Nr. 252, 16.12.1933, S. 3. 149 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Bel'skij, Schacht 17-18, 17.5.1934. GARF R-7952/7/241, Bl. 79-80. Desgl. mit dem Parteisekretär Vlasov, Schacht 15, 10.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 81-86. Desgl. mit dem Parteiorganisator Bakulin, 8. Distanz, 24.3.1935. GARF R-7952/7/341, Bl. 161-162. 150 Desgl. mit dem Parteisekretär Ol'choviö, Schacht 7-8, 16.11.1934. GARF R-7952/7/ 306, Bl. 44.
Die Strukturen im Hintergrund
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ein Viertel der Kommunisten von Sanktionen betroffen, was unter dem Moskauer Durchschnitt lag. Die meisten Ausschlüsse erfolgten wegen Passivität, sozialer Herkunft, „Karrierismus, Bürokratie und Egoismus" (Tab. 41). 151 Tabelle 41: Gründe für den Parteiausschluß bei Metrostroj im Zuge der Säuberung von 1933152
Ausschlußgrund Passivität „klassenfremde Elemente" „Karrieristen, Bürokraten, Egoisten" Disziplinverletzung andere Gründe zusammen
Personen 73 28 25
Prozent der Überprüften 4,2 1,6 1,5
14 46 186
0,8 2,7 10,9
Prozent der Ausgeschlossenen 39,2 15,1 13,4 7,5 24,7 100,0
Die Kategorien, nach denen die Säuberungskommission die Ausschlußgründe einteilte, sind so abstrakt, daß aus ihnen nicht hervorgeht, ob die Betreffenden auf ihrem Posten versagt, nicht konforme Verhaltensweisen an den Tag gelegt hatten, bei der Überprüfung der theoretischen Kenntnisse durchgefallen oder zum Beispiel als Alkoholiker für die Partei nicht mehr tragbar waren. Für 51 namentlich genannte Kommunisten sind im Udarnik Metrostroja die Gründe für den Parteiausschluß oder die Rückstufung im einzelnen aufgeführt (zusammengestellt in Tab. 42). Diese Angaben sind aussagekräftiger, weil sie bei jeder Person nicht nur einen, sondern mehrere Vorwürfe auflisten und sie konkreter bezeichnen. Die Daten beziehen sich allerdings nur auf den Schacht 15 und den zentralen Leitungsapparat. Gruppiert man die Ausschlußgründe nach Kategorien, dann zeigt sich, daß 62,8 Prozent der Betroffenen (Rubriken 10-12) auf ihrem Posten versagt oder durch ihr „karrieristisches" oder „bürokratisches" Verhalten den Unmut der Arbeiter hervorgerufen hatten. 54,9 Prozent waren „politisch ungebildet", 45,1 Prozent waren durch persönliche Verfehlungen (Rubriken 13-15), meist durch „systematisches Trinken" aufgefallen. 35,2 Prozent (Rubriken 5-7) wurden als in ideologischer Hinsicht unzuverlässig eingestuft, hatten Parteibeschlüsse kritisiert oder nicht ausgeführt oder zumindest nicht gegen „trotzkistische" oder „rückständige" Stimmungen in ihrem Umfeld angekämpft. 25,5 Prozent (Rubriken 1-3) hatten sich als passiv oder als „losgelöst vom Parteileben" erwiesen. 15,7 Prozent wurde ihre verborgene soziale Herkunft oder der Umgang mit „fremden Elementen" zum Verhängnis. Der Parteisekretär des Schachtes 17-18 sprach von einer „großen Zahl von klassenfremden Elementen", die in seiner Parteiorganisation im 151 Udarnik Metrostroja Nr. 6, 7.1.1934, S. 2-3. 152 Ebd.
Die schrittweise Etablierung der Parteimacht
419
Zuge der Säuberung entlarvt wurden, „denn zu Metrostroj kamen alle, die ihre Spuren verwischen wollten".153 Tabelle 42: Gründe für den Parteiausschluß oder die Rückstufung von 51 Kommunisten 154 Gründe für den Ausschluß oder die Rückstufung (Mehrfachnennungen) 1) „vom Parteileben losgelöst" 2) „übernahm kein Parteiamt" 3) „zerrüttete als Parteisekretär die Arbeit", sonstige Passivität 4) „politisch ungebildet" 5) „undiszipliniert", „ignorierte die Beschlüsse der Parteizelle" 6) „ideologisch unzuverlässig", „früherer Trotzkist", „aktiver Trotzkist", „kritisierte die Thesen des 16. Parteitags" 7) „tolerierte trotzkistische Äußerungen", „kämpfte nicht gegen rückständige Stimmungen" 8) „Kulakensohn", „Sohn eines Händlers", „Dienst in der weißen Armee", „verheimlichte seinen Privathandel mit Spielzeug" 9) „Kontakt mit fremden Elementen", „heiratete die Tochter eines Popen" 10) „mit seiner Arbeit überfordert", „arbeitet nachlässig", „schwach in der Produktion" 11) „Karrierist", „unterdrückte Kritik" 12) „gleichgültig gegenüber den Nöten der Arbeiter", „bürokratisch" 13) „Blaumacher", „Trinker", „schlief im Dienst" 14) kriminelle Handlungen (Dokumentenfälschung, Unterschlagung, Diebstahl) 15) „unmoralischer Lebenswandel", „habgierig" Gesamtzahl der Fälle (ohne die Mehrfachnennungen)
ausgeschlossen
rückgestuft zu rückgestuft zu Kandidaten Sympathisanten
insg. Prozent
5 4 3
1
9,8 % 9,8 % 5,9 %
13 3
12 1
3
54,9 % 7,8 %
2
1
1
7,8 %
8
2
19,6%
9,8 %
5
2
1
5,9 %
11
3
2
31,4%
2 9
1 3
1
5,9 % 25,5 %
13
3
4
31,4% 1
2 32
9,8 %
3,9 % 12
7
100,0%
153 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Bel'skij, Schacht 17-18, 17.5.1934. GARF R-7952/7/241, Bl. 79. 154 Nach den Angaben in Udarnik Metrostroja Nr. 245, 8.12.1933, S. 2, Nr. 246, 9.12.1933, S. 2-3, Nr. 249, 13.12.1933, S. 3, Nr. 2, 2.1.1934, S. 3.
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Die Strukturen im Hintergrund
Die meisten Ausgeschlossenen und Rückgestuften waren erst vor wenigen Jahren in die Partei eingetreten (Tab. 43). Bei 19,6 Prozent handelte es sich um gewöhnliche Arbeiter oder Angestellte ohne Parteifunktion und ohne verantwortliche Aufgabe im Betrieb. Ebenfalls 19,6 Prozent waren Schacht- oder Abteilungsleiter, deren Stellvertreter oder in Positionen, in denen sie größere Verantwortung trugen. 9,8 Prozent übten Funktionen in der Partei oder in der Gewerkschaft aus. Die Säuberung betraf also zum einen die ideologisch wenig gefestigten und inaktiven Neuzugänge der Jahre 1929 bis 1932, zum anderen aber auch zahlreiche niedere und mittlere Funktionäre sowie Kommunisten aus dem Management, die auf ihrem Posten versagt hatten oder denen man die Verantwortung für Fehler und Mißstände aufbürdete. Tabelle 43: Zusammensetzung der 51 Ausgeschlossenen und Rückgestuften bei Metrostroj155 Parteieintritt Funktion
vor 1925
19251928
19291932
ohne Funktion in der Partei oder im Management Parteisekretär Parteiorganisator, sonstiger Parteifunktionär Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees Abteilungs- oder Schachtleiter, deren Stellvertreter Verantwortlicher für die Versorgung des Schachtes Sachbearbeiter, Buchhalter Ingenieur Techniker andere oder unbekannt
5
9
1 7
zusammen
9
20
22
3 1
3
1 1 5
7 1 1 1 1 3
1
insg. Prozent 19,6 3,9 3,9 2,0 17,6 2,0 5,9 2,0 2,0 41,2
% % % % % % % % % %
100,0 %
Die Säuberungskommission beschränkte sich nicht darauf, personelle Konsequenzen zu ziehen, sondern erteilte dem Parteikomitee und den einzelnen Parteizellen detaillierte Auflagen, die auf strukturelle und nicht unbedingt personenbezogene Mißstände beheben sollten. Die Säuberung hatte somit auch die Funktion, eine allgemeine Reform auf den Weg zu bringen und vor allem die Lebensbedingungen der Arbeiter zu verbessern.156 Die Ergebnisse und Anordnungen der Hauptsäuberungskommission von Metrostroj wurden am selben Tag publiziert (7.1.1934) wie die große Resolution der Moskauer Parteiführung und des Mossovet vom 29.12.1933 und nahm unmittelbar darauf Bezug.
155 Erstellt nach den Angaben in Udarnik Metrostroja Nr. 245, 8.12.1933, S. 2, Nr. 246, 9.12.1933, S. 2-3, Nr. 249, 13.12.1933, S. 3, Nr. 2, 2.1.1934, S. 3. 156 Ebd. Nr. 211,26.10.1933, S. 3.
Die Basisorganisationen des Komsomol und der Gewerkschaft
421
Zusätzlich zu den Punkten der Resolution ordnete die Säuberungskommission dem Parteikomitee von Metrostroj an, den Leitungsapparat auszudünnen und effektiver zu gestalten, die Mechanisierung voranzutreiben, die Baracken besser auszustatten sowie warm und sauber zu halten und hierzu Sanitär-Dreierausschüsse für jede Baracke einzuteilen, das Kantinen- und Ladennetz auszubauen und zu verbessern, den Personalstand der Kantinen und des Versorgungsapparates durchzuforsten, die Arbeiterkontrolle über die Kantinen und Läden zu verstärken, eine schnelle Reorganisation der Gewerkschaftsarbeit zu erreichen, den Schwerpunkt der Parteitätigkeit in die Parteigruppen zu verlagern, die Produktionsberatungen wieder in Gang zu bringen, eine straffe Kontrolle über die Ausführung der Beschlüsse der Produktionsberatungen sicherzustellen, die Komsomolzellen zu aktivieren und den sozialistischen Wettbewerb in Schwung zu bringen.157
3. Die B a s i s o r g a n i s a t i o n e n des K o m s o m o l und der G e w e r k s c h a f t a) Der Komsomol Ähnlich wie die Partei verfugten auch der Komsomol und die Gewerkschaft in den Jahren 1932 und 1933 noch über keine gefestigten Basisorganisationen bei Metrostroj. Im August 1932 versuchte man, im Rahmen eines „Sturmmonats" die Komsomolzen zu aktivieren. Die wenigen Komsomolzellen, die bis dahin gegründet worden waren, erwiesen sich jedoch als träge. Sie schafften es nicht, die Fluktuation ihrer Mitglieder einzudämmen, geschweige denn die Stoßarbeit und den sozialistischen Wettbewerb in Gang zu bringen oder das Blaumachen und den häufigen Arbeitsstillstand zu verringern.158 Im Januar 1933 gab es bei rund 9.000 Beschäftigten nur 610 Komsomolzen (6,8 Prozent). Von den 610 waren 172 Angestellte. Nur 31 Komsomolzen arbeiteten unter Tage in den Schächten, die übrigen hatten sich in Büros, Werkstätten und Materiallagern eingerichtet. Das Komsomolkomitee von Metrostroj hatte zwar einzelne Komsomolbrigaden gebildet und drei Baracken zu „Komsomolbaracken" erklärt, von der immer wieder geforderten „Massenarbeit" zur Erziehung, kulturellen Betreuung und Beeinflussung der Arbeiter war aber nichts zu bemerken.159 Erst als die Moskauer Komsomol- und Parteiführung im Februar und März 1933 eingriffen, die Verlegung mindestens der Hälfte der Jugendlichen in die
157 Säuberungskommission für Metrostroj. Resolution. - In: Udamik Metrostroja Nr. 6, 7.1.1934, S. 2-3. 158 Beratung der Sekretäre der Komsomolzellen und Stoßarbeiter von Metrostroj. Prot. 1, 11.8.1932. CMAM 665/1/30, Bl. 31-32. 159 Büro MGK VLKSM. Beschluß über die Arbeit des Komsomolkomitees von Metrostroj, 1.2.1933. CAODM 635/1/52, Bl. 93.
422
Die Strukturen im Hintergrund
Schächte, die Einrichtung zweier, miteinander wetteifernder Komsomolschächte, die Verbesserung der Lebensbedingungen und kulturellen Betreuung sowie die Mobilisierung von Komsomolzen aus Moskauer Fabriken anordneten, änderte sich die Lage.160 Bei den meisten Schächten und Distanzen bildeten sich erst nach der Ankunft der Mobilisierten Komsomolgruppen und -zellen. Schon im April 1933 hatte man den Komsomolsekretär von Metrostroj, Andreev, abgelöst und durch Kulagin ersetzt.161 Kulagin erwies sich jedoch offensichtlich ebenfalls als zu wenig durchsetzungsfähig und wurde im September 1933 abberufen. Als seinen Nachfolger schickte man einen der Sekretäre des Moskauer Komsomolkomitees, A.M. Sasirin, zum Bau der Metro.162 Er begann seine Tätigkeit damit, daß er fast alle Zellensekretäre austauschte und durch Funktionäre aus dem Stadtkomitee und aus Rayons- und Fabrikkomitees ersetzte.163 Insgesamt kamen während der Mobilisierung der „10.000" 25 Komsomolfunktionäre als Leiter der Schacht- und Distanzzellen zu Metrostroj.164 Im September 1933 wurde die Struktur der Basisorganisationen des Komsomol bei Metrostroj festgelegt: Auf der obersten Ebene gab es ein Komsomolkomitee, auf der Ebene der Schächte, Distanzen und Abteilungen wurden Kollektive und Zellen eingerichtet und auf der untersten Ebene Komsomolgruppen. Bei großen Schacht- und Distanzkollektiven war noch eine Schichtzelle dazwischengeschaltet. Auf allen Ebenen, ausgenommen in den Gruppen, wurden Büros gewählt. Der Mitarbeiterstab des Komsomolkomitees von Metrostroj umfaßte neun hauptamtliche Funktionäre und zwei Büroangestellte. Die Schacht- und Distanzzellen hatten neben dem hauptamtlichen Komsomolsekretär (mit einem Gehalt
160 Ebd. Büro MGK VLKSM. Prot. 17, 27.3.1933. CAODM 635/1/52, Bl. 4 7 ^ 8 . 161 Sekretariat MGK VKP(b). Prot. 62, 4.4.1933. CAODM 4/3/30, Bl. 149. 162 Büro MGK VLKSM. Prot. 28, 4.9.1933. CAODM 635/1/53, Bl. 60. Sekretariat MGK VKP(b). Prot. 76, 8.9.1933. CAODM 4/3/33, Bl. 40. - Aleksandr Michajlovic Sasirin, geboren 1903 im Städtchen Rjazsk bei Rjazan' als Sohn eines „Arbeiters mit etwas Bindung ans Dorf', wuchs im Dorf auf, besuchte vier Jahre lang die Schule, arbeitete dann als Knecht in der Landwirtschaft und in einer Mühle. 1925 trat er in den Komsomol ein und stieg dort bis zum Komsomolsekretär in einer Fabrik auf. 1928 wurde er Parteimitglied. 1929 war er als stellvertretender Komsomolsekretär des Bezirks Rjazan' auf dem Land unterwegs, organisierte Armutskomitees und wirkte bei der Getreiderequirierung und Zwangskollektivierung mit. Vier Monate lang war er Sekretär des Rayonskomitees von Michajlovsk im Moskauer Gebiet, wo er die Kollektivierung vorantrieb. 1930 wurde er Schulinstruktor und Leiter des Dorfsektors im Moskauer Komsomolkomitee, dann Komsomolsekretär des Dzerzinskij-Rayons der Stadt Moskau und schließlich Sekretär fur Kulturarbeit beim Moskauer Komsomolkomitee. Er war verantwortlich für die Durchführung der Mobilisierung der Komsomolzen, bis ihn Kaganovic selbst zu Metrostroj schickte. Gleichzeitig blieb er Sekretär des Moskauer Komsomolkomitees ohne Amtsbereich. (Sten. Gespräch mit Sasirin, 21.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 104-119.) Nach Abschluß der ersten Baufolge wurde er mit dem Leninorden ausgezeichnet und 1936 als Gebietskomsomolsekretär nach Voronez versetzt. 1937 wurde er als „seit 1933 aktives Mitglied einer antisowjetischen terroristischen trotzkistischen Organisation" verhaftet und im Januar 1938 erschossen. (Bucharina 1991, S. 25-26, 224-226). 163 Sten. Gespräch mit Sasirin, 21.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 120. 164 Ejdman 1986, S. 211.
Die Basisorganisationen des Komsomol und der Gewerkschaft
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von 275 oder 300 Rubel im Monat) jeweils fünf ehrenamtliche Mitarbeiter: einen Kulturpropagandisten und Beauftragte fur die Bereiche Produktion, Wirtschaft, militärische Ausbildung und für die „Leichte Kavallerie", das Kontrollorgan des Komsomol.165 Im November 1933 wurde die Zahl der Schichtzellen von sechzehn auf elf reduziert. Grundsätzlich strebte man an, daß jede Komsomolzelle von einem Parteimitglied geleitet werde. In der Praxis war die Zahl der dafür in Frage kommenden Parteimitglieder jedoch viel zu gering. Zum Ausgleich nahmen nun immerhin die jeweiligen Parteiorganisatoren oder von der Partei eingeteilte Kommunisten an den Sitzungen der Komsomolzellen teil. Der Udarnik Metrostroja beklagte die schwache Führung des Komsomol durch die Partei auf der Ebene der Zellen.166 Die im Januar 1934 publizierte Resolution der Säuberungskommission von Metrostroj enthielt auch Anordnungen, die den Komsomol betrafen: Das Komsomolkomitee und die Komsomolzellen wurden verpflichtet, regelmäßig „Raids" der „Leichten Kavallerie", d.h. unangekündigte, meist nächtliche Inspektionen durchzuführen. Alle Komsomolzen mußten eine technische Ausbildung absolvieren und darüber ein Examen ablegen. Jeder Baracke sollte ein Komsomolorganisator zugeteilt werden, um die politische Erziehung zu intensivieren und in den Baracken „Kulturarbeit" durchzuführen. Das Komsomolkomitee hatte regelmäßig zu überprüfen, ob die Komsomolzellen die Anordnungen ausführten. Um die Schwächen im mittleren und unteren Bereich der Organisation zu beheben, sollte ein Grundstock von Kommunisten zur Arbeit im Komsomol eingeteilt werden. Die Parteizellen wurden beauftragt, die Arbeit der Komsomolzellen systematisch zu überprüfen, und Komsomolsekretäre mußten auf Parteiversammlungen Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegen.167 Das Verhältnis zwischen der Partei- und der Komsomolorganisation war ambivalent. Angesichts der geringen Zahl von Parteimitgliedern stützte sich die Partei bei der Umsetzung ihrer Beschlüsse in erster Linie auf den Komsomol. Über die Komsomolzen wurde die „Massenarbeit" in die einzelnen Brigaden getragen.168 Der Komsomol betonte immer seine Initiative und Aktivität, und aus den Interviews mit den Komsomolzen gewinnt man den Eindruck, sie hätten in freier
165 Büro MGK VLKSM. Prot. 29, 17.9.1933. CAODM 635/1/53, Bl. 77. Büro MGK VKP(b). Prot. 8, 14.6.1934. CAODM 4/4/15, Bl. 17-20. - Die „Leichte Kavallerie" war Ende der zwanziger Jahre entstanden. 1928 billigten die Zentrale Parteikontrollkommission und das Zentralkomitee des Komsomol das Wirken dieser Gruppen. Die „Kavalleristen" überprüften, wie Rationalisierungsvorschläge umgesetzt wurden, gingen den Beschwerden von Arbeitern auf den Grund, deckten Fälle von Bürokratismus, Korruption und Schlendrian auf und arbeiteten dabei eng mit der Arbeiter- und Bauerninspektion zusammen. Ende 1930 waren über 250.000 Jugendliche in den Gruppen der „Leichten Kavallerie" tätig. (Azarin 1971, S. 394). 166 Udarnik Metrostroja Nr. 238, 29.11.1933, S. 3. 167 Säuberungskommission für Metrostroj. Resolution. - In: Udarnik Metrostroja Nr. 6, 7.1.1934, S. 3. 168 Sten. Gespräch mit dem Komsomolsekretär Maksimov, Schacht 35, 19.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 73.
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Die Strukturen im Hintergrund
Selbstbestimmung die Parteibeschlüsse realisiert. Vor der Säuberung von 1933 hatten manche Komsomolorganisationen ,Avantgardismus" und Opposition gegenüber der Partei an den Tag gelegt. Die Komsomolzen fühlten sich als die eigentlichen Vorreiter, die von der Partei zu wenig unterstützt würden. Komsomolsekretäre, die solchen Stimmungen Vorschub leisteten, wurden abgelöst, weil sie „das Wesen der Führung der Massen durch die Partei nicht verstanden" hätten.169 Der Komsomol war der Partei auch an der Basis eindeutig untergeordnet, und es kam, sobald die Parteiorganisation dazu in der Lage war, ständig zu Eingriffen in interne Angelegenheiten der Komsomolzellen: Zellensekretäre wurden auf Druck der Partei abgelöst, oder das Parteikomitee veranlaßte die Komsomolzelle, bestimmte Fragen auf die Tagesordnung zu setzen.170 Im Februar 1934 stellte der Moskauer Komsomolsekretär Luk'janov fest, daß die Komsomolbrigaden im Januar den Produktionsplan nur zu vierzig Prozent erfüllt hatten. Die Parteibeschlüsse würden nach wie vor schwach umgesetzt.171 Im Februar und März 1934 wurden die Komsomolzellen von Metrostroj analog zu den Parteizellen in die Leitung der Rayonskomitees des Komsomol übergeben. Sasirin war künftig nicht mehr Komsomolsekretär von Metrostroj, sondern Komsomolorganisator. Als seine Hauptaufgabe wurde „die Leitung der Komsomolzellenarbeit bei Metrostroj" definiert.172 Im Zuge der Umstrukturierung wurden auch etliche Zellensekretäre und Komsomolorganisatoren ausgewechselt. Dabei stellte sich heraus, daß in einigen Schächten die Evidenz der Komsomolzen nicht viel mit der Realität zu tun hatte: Im Schacht 21 waren von zweihundert registrierten Jungkommunisten nur vier wirklich anwesend, anderswo war es umgekehrt. Um die Basisorganisationen zu aktivieren, wurden den Rayonskomsomolsekretären einzelne Komsomolgruppen zugewiesen, für die sie die persönliche Verantwortung trugen.173 Die Zahl der Komsomolzen bei Metrostroj betrug im Juni 1934 rund 9.000. Davon arbeiteten 7.943 bei den Schächten und Distanzen (18 Prozent der Belegschaft). Sie waren in dreißig Komsomolzellen gegliedert.174 Zu Beginn des Jahres 1935 verzeichneten die Schächte und Distanzen 4.756 Komsomolzen (13,6 Prozent der Belegschaft).175
169 Desgl. mit dem Parteisekretär Vlasov, Schacht 15, 10.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 81-87. 170 Vgl. desgl. mit dem Parteiorganisator Kopejkin, 2. Distanz. GARF R-7952/7/303, Bl. 9. Vgl. desgl. mit dem Komsomolzen Marusin, Schacht 17, 9.5.1934. GARF R-7952/7/241, Bl. 2-3. 171 Beratung von Mitgliedern der Büros der Rayonskomitees des VLKSM im Sekretariat MGK VLKSM, 13.2.1934. CAODM 635/1/84, Bl. 13-14. 172 Ebd., Bl. 14. Büro MGK VKP(b). Prot. 1, 22.2.1934. CAODM 4/4/5, Bl. 24. 173 Büro CK VLKSM. Prot. 141, 14.4.1934. RGASPI lm/3/118, Bl. 92-99. 174 Büro MGK VKP(b). Beilage zum Prot. 8, 14.6.1934. CAODM 4/4/15, Bl. 17-20. 175 Jahresberichte der Organisationen von Metrostroj über die Kaderarbeit 1934, Gesamtübersicht. CMAM 665/1/225, Bl. 1-80, und 665/1/226, Bl. 1-90.
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Von den in der Phase der Konstituierung gewählten Komsomolsekretären mußten viele wieder abgesetzt werden, weil sie sich als unfähig oder als „Kulakensöhne" erwiesen.176 Im Schacht 21 gab es noch Ende April 1934 keine Komsomolgruppen der Brigaden, keine Massenarbeit und keinen sozialistischen Wettbewerb. Bei den Abschnittssekretären handelte es sich überwiegend um Leute, die erst vor einem Jahr dem Komsomol beigetreten waren.177 Im Laufe des Frühjahrs 1934 festigte sich allmählich die Komsomolorganisation. Innerhalb der Zellen und Gruppen wurde die „gesellschaftliche Arbeit" verteilt, wodurch sie sich mit Leben erfüllten. Jeder aktive Komsomolze sollte ein Amt übernehmen, sei es als Herausgeber der Wandzeitung, Mitglied der „Leichten Kavallerie", Sportleiter, Organisator der militärischen Ausbildung oder als Beauftragter für das Abonnement von Zeitungen. Zumindest sollte er (oder sie) in der Baracke mit den parteilosen Jugendlichen politische Gespräche führen.178 Viele drückten sich vor solchen Aufgaben, die einen erheblichen Verlust an Freizeit mit sich bringen konnten. Andere, die zur Übernahme von Ämtern gedrängt wurden, erwiesen sich als überfordert oder passiv. Sie wurden wieder abgelöst, mit anderen Aufgaben betraut179 oder von ihren Gruppenorganisatoren oder Zellensekretären langsam angelernt oder „bearbeitet", wie der Komsomolsekretär des Schachtes 18 schilderte: „Wir haben uns die Aufgabe gestellt, daß jeder Komsomolze eine konkrete Verpflichtung bekommt. Von unseren 68 Komsomolzen hat jetzt jeder eine gesellschaftliche Aufgabe. Jetzt beginne ich, gemäß der Anweisung des Komsomolkomitees, mit jedem einzelnen Komsomolzen zu arbeiten. Wir haben eine Komsomolzin, die früher keinerlei Amt übernahm. Ich beauftragte sie, das Abonnement der Komsomol 'skaja Pravda in die Hand zu nehmen, und sie machte das nicht schlecht. Zuerst warb sie nur sehr wenige Abonnenten, aber jetzt konnte sie sogar Parteilose anwerben."180
Gruppenorganisatoren versammelten ihre Komsomolgruppe ein- oder zweimal in der Dekade, interessierten sich für das Privatleben ihrer Leute, gingen in die Baracken, machten sich mit den Lebensumständen vertraut und kontrollierten, ob 176 Vgl. Sten. Gespräch mit dem Komsomolzen Chochijakov, 9.5.1934. GARF R-7952/ 7/241, Bl. 20-21. Vgl. desgl. mit dem Komsomolzen Lesk, Schacht 24, 1.12.1934. GARF R-7952/7/315, Bl. 2. 177 Desgl. mit der Komsomolzin Kuöerenko, Schacht 21. GARF R-7952/7/302, Bl. 154. 178 Vgl. desgl. mit der Gruppenorganisatorin Nikitina, 7. Distanz, 3.12.1934. GARF R-7952/7/317, Bl. 34. Desgl. mit dem Brigadier Zdorovichin, Schacht 15, 4.10.1934. GARF R-7952/7/301, Bl. 136. 179 Vgl. z.B. desgl. mit der Komsomolzin Suchanova, Schacht 10-11, 25.10.1934. GARF R-7952/7/308, Bl. 123. Vgl. CK VLKSM, Kravöinskij. Bericht über die Arbeit der Komsomolorganisation des Schachtes 18-18bis, 7.12.1934. RGASPI lm/3/129, Bl. 184. CK VLKSM, BogdanoviC. Bericht über den Zustand der Komsomolorganisation des Schachtes 21-2Ibis, 9.12.1934. RGASPI lm/3/129, Bl. 189. 180 Rechenschaftsbericht des Komsomolsekretärs Marusin, Schacht 18. Für die Sitzung des CK VLKSM, 11.12.1934. RGASPI lm/3/129, Bl. 231-232.
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die Jugendlichen Zeitungen abonniert hatten, Bücher lasen oder ins Kino gingen.181 Das Idealbild eines Komsomolkomitees war in der Selbstdarstellung der Komsomolzen das „aktive Chaos": ein ständiges Kommen und Gehen, Diskutieren, Meinungen Austauschen, Kritik Üben, das Bewegung in die Jugendlichen brachte und sie aktivierte.182 Zu diesem „aktiven Chaos" gehörte offenbar auch ein gewisses Maß an Schlamperei. Über ihren kämpferischen Aktionismus und der Hektik vernachlässigten manche Komsomolzellen die geordnete Organisationsarbeit. Bei einer im Dezember 1934 durchgeführten Inspektion der Komsomol-organisation des Schachtes 21-2Ibis stellte sich heraus, daß von den angeblich 520 Mitgliedern nur 376 in der Kartei des Komsomolkomitees verzeichnet waren. Die Abschnittsorganisationen zählten insgesamt 386 Mitglieder, im Rayonskomitee wurden 321 Personalakten vorgefunden.183 Überhaupt entsprachen die überprüften Schachtzellen selbst im Dezember 1934 nicht den Erwartungen. Zwar gab es bei allen Abschnitten Komsomolgruppen mit Organisatoren, und ein erheblicher Teil der Komsomolzen beteiligte sich an der Arbeit, doch wurden mangelnde Disziplin, Desertionen, Fälle von Alkoholismus und vor allem die geringe Mitgliederwerbung unter den parteilosen Jugendlichen bemängelt.184 Bei manchen Schächten beschränkte sich der Komsomol immer noch auf die Betreuung der eigenen Mitglieder und kümmerte sich nicht um die zahlreichen parteilosen Jugendlichen. Die Gruppenorganisatoren des Komsomol wußten nicht einmal, wie viele Stoßarbeiter oder Analphabeten es in ihrem Wirkungsbereich gab oder wer an Politzirkeln teilnahm.185 Die - gegenüber den Zellen bei den Schächten und Distanzen unbedeutende - Komsomolzelle des Leitungsapparates von Metrostroj hatte im März 1935 (!) noch keine Komsomolgruppen gebildet und die Zahl der Komsomolzen und parteilosen Jugendlichen nicht eruiert.186
b) Die Gewerkschaft Die sowjetischen Gewerkschaften, die in der Neuen Ökonomischen Politik immerhin noch einen Rest von Autonomie genossen hatten, wurden 1928/29 völlig 181 Rechenschaftsbericht des Komsomolkomitees des Schachtes 21. Aussage des Komsomolorganisators Petrov. Für die Sitzung des CK VLKSM, 11.12.1934. Ebd., Bl. 221. 182 Redaktion „Geschichte der Metro". Sten. Erörterung eines Manuskripts, 8.3.1934. GARF R-7952/7/269, Bl. 5. - Der Begriff „aktives Chaos" ist der Quelle entnommen. 183 CK VLKSM, Bogdanovic. Bericht über den Zustand der Komsomolorganisation des Schachtes 21-21bis, 9.12.1934. RGASPI lm/3/129, Bl. 191. 184 CK VLKSM, Kravcinskij. Bericht über die Arbeit der Komsomolorganisation des Schachtes 18-18bis, 7.12.1934. Ebd., Bl. 182-184. Vgl. CK VLKSM, Bogdanovic. Bericht über den Zustand der Komsomolorganisation des Schachtes 21-21bis, 9.12.1934. Ebd., Bl. 189. 185 Udarnik Metrostroja Nr. 212, 11.9.1934, S. 2. 186 Parteikomitee bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 4,10.3.1935. CAODM 455/1/11, Bl. 5.
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gleichgeschaltet. In ihrer bisherigen Form waren sie zu einem Hindernis für die forcierte Industrialisierung und Wirtschaftsplanung geworden. Auf dem 8. Gewerkschaftskongreß im Dezember 1928 kam es zu einer heftigen Kontroverse, als der Gewerkschaftschef Tomskij Bedenken gegen den ersten Fünfjahresplan äußerte und eine Umorientierung der Gewerkschaften auf die Bedürfnisse der Arbeiter forderte. Damit war er für Stalin endgültig untragbar geworden. Auf Druck Stalins wurden fünf Vertreter der Mehrheit im Zentralkomitee, darunter Kaganovic, Ordzonikidze und Zdanov, in den Zentralrat der Gewerkschaften [VCSPSJ gewählt. In den folgenden Monaten betrieb die stalintreue Gruppe unter der Leitung von Kaganovic eine radikale Umgestaltung der Gewerkschaften. Tomskij wurde seines Amtes enthoben und durch Svernik ersetzt. Die gesamte Führung der Gewerkschaften wurde ausgetauscht. Von nun an wurde in den Gewerkschaften keine politische Diskussion mehr geführt und ihr Massenapparat in den Dienst der Industrialisierung gestellt. Die eigentlichen Aufgaben der Gewerkschaften waren nun die Steigerung der Produktivität und die Senkung der Produktionskosten. Die Gewerkschaftsfunktionäre waren für die Planerfüllung verantwortlich.187 Die Gewerkschaften waren nach Industriebranchen gegliedert, d.h. alle Arbeiter und Angestellten eines Betriebes gehörten ein- und derselben Gewerkschaft an, auch wenn sie verschiedene Berufe ausübten. Jede Gewerkschaft wurde von einem Zentralkomitee geleitet. Die Dachorganisation bildete der Zentralrat der Gewerkschaften [VCSPSJ. Im Zuge der Reorganisation erhöhte sich 1931 die Zahl der Gewerkschaften von 23 auf 44. Damit spaltete man große Gewerkschaften, wie zum Beispiel die Metallarbeitergewerkschaft, die bis dahin 1,2 Millionen Mitglieder hatte, in mehrere Einzelgewerkschaften auf.188 Im Juni 1933 wurde das Volkskommissariat für Arbeit [Narkomtrud] aufgelöst. Seine Funktionen übernahm der Zentralrat der Gewerkschaften, der damit endgültig zu einer Art staatlicher Arbeitsbehörde wurde.189 Die Gewerkschaften waren jetzt auch für die Sozialversicherung, den Arbeitsschutz, den Unterhalt von Urlaubs- und Erholungsstätten und die Kontrolle über die Einhaltung der Arbeitsgesetze zuständig. Mit diesen neuen Aufgaben gelang es ihnen, den Verlust früherer Funktionen teilweise zu kompensieren und neue Mitglieder zu gewinnen.190 Die gleiche Wirkung hatte die Übernahme der Beschwerdebüros von der Arbeiter- und Bauerninspektion, als diese nach dem 17. Parteitag im März 1934 aufgelöst wurde.191
187 Schröder: Industrialisierung 1988, S. 107-109. Deutscher 1969, S. 100-103. 188 Freeman 1932, S. 112. 189 Gemeinsame Resolution von CIK SSSR, SNK SSSR und VCSPS, 23.6.1933. In: Kodeks 1934, S. 100. 190 Hoffmann 1994, S. 194. 191 Udarnik Metrostroja Nr. 60, 14.3.1934, S. 2.
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Die Basisorganisationen der Gewerkschaften waren die Fabrikkomitees [fabkom], Baustellenkomitees [postrojkom] und als deren Untergliederung „örtliche Komitees" [mestkom]. Die kleinste Einheit war die Gewerkschaftsgruppe [profgruppa] mit dem von der Gruppe gewählten Gruppenorganisator [profgruporg, proforg]. Gewerkschaftsversammlungen und Sitzungen der Komitees mußten - wie Partei- und Komsomolversammlungen - außerhalb der Arbeitszeit stattfinden. Laut Gesetz hatte das Fabrik- oder Baustellenkomitee die Aufgabe, die Interessen der Arbeiter und Angestellten gegenüber der Leitung des Unternehmens und gegenüber Behörden und der Partei zu vertreten, die Einhaltung der Arbeitsschutzgesetze, der Sicherheitsbestimmungen sowie die Lohnauszahlung, die Sozialversicherung und die Arbeitsbedingungen zu überwachen, sich um die Verbesserung der kulturellen und materiellen Versorgung der Arbeiter zu kümmern und „am normalen Gang der Produktion mitzuwirken".192 Letztere Aufgabe war allen anderen übergeordnet. Die Gewerkschaften hatten die Arbeiter zu einer neuen Arbeitsdisziplin zu erziehen, sozialistische Arbeitsmethoden (Stoßarbeit, sozialistischer Wettbewerb) zu fördern und auf diese Weise die Arbeiterschaft zu mehr Leistung anzuspornen.193 Die Fabrik- und Baustellenkomitees mußten eigentlich laut Statut jährlich auf Vollversammlungen der Gewerkschaftsmitglieder des Betriebs neu gewählt werden. Im Laufe der dreißiger Jahre kümmerte man sich allerdings immer weniger um diese Vorschrift. Auch die Unterordnung der Gewerkschaftskomitees unter die Vollversammlungen war bloße Theorie. In der Praxis erhielten sie ihre Instruktionen von der Gewerkschaftshierarchie, der Partei und den Behörden.194 Der Vorsitzende des Gewerkschaftskomitees war Mitglied des „Dreiecks" im Betrieb. Das Gewerkschaftskomitee war darüber hinaus paritätisch mit der Betriebsleitung in der Tarifkonfliktkommission vertreten, die für Beschwerden der Arbeiter und Direktoren zuständig war. Das Fabrik- oder Baustellenkomitee Schloß mit der Betriebsleitung einen Kollektiwertrag ab, war dabei aber weitgehend an die zentralen Kollektiwereinbarungen gebunden. Außerdem hielten die Gewerkschaften Produktionsberatungen ab195 und sammelten Rationalisierungsvorschläge der Arbeiter.196 Das Fabrik- oder Baustellenkomitee unterhielt Wäschereien, Bäder, Kantinen, überwachte die fabrikeigenen Einrichtungen zur Kinderbetreuung, die Wohnheime, richtete Leseräume ein, kümmerte sich um Kurse, Zirkel, Kultur- und Sportveranstaltungen, Exkursionen, stellte Eintrittskarten für Kulturinstitutionen zur Verfügung oder unterhielt gar einen Arbeiterklub.197
192 193 194 195 196 197
Kodeks 1934, S. 4 3 ^ 5 (§§ 156-161). Vgl. Rubiner 1932, S. 12-13. Deutscher 1969, S. 144. Ebd., S. 144-145. Vgl. Rubiner 1932, S. 13. Freeman 1932, S. 118. Ebd., S. 116, 126.
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1934 waren unionsweit 78,4 Prozent der Beschäftigten Mitglied in einer Gewerkschaft. In den Gewerkschaften des Bauwesens lag die Mitgliedsrate mit 72 Prozent etwas niedriger. Die Gewerkschaft der Eisenbahn-, Straßen-, Hafen- und Metrobauarbeiter zählte mit 65,8 Prozent (1933: 55,2 Prozent) zu den Schlußlichtern unter den Gewerkschaften.198 Der Mitgliedsbeitrag betrug zwei Prozent des Lohns.199 Die Mitgliedschaft brachte dafür Preisnachlässe für Kinos, Theater, Museen und andere Institutionen und erhöhte die Chancen auf einen Platz im Sanatorium.200 Um die Gewerkschaftsorganisation von Metrostroj war es 1932/33 nicht gut bestellt. Man hatte zwar im März 1932 ein Baustellenkomitee gebildet201 und in der Folge Abschnitts-, Schacht- und Distanzkomitees sowie Gruppenorganisatoren gewählt, aber vor allem letztere traten wenig in Erscheinung. Im Dezember 1932 wußten nicht einmal alle Parteiorganisatoren, daß es bei ihrem Schacht Gewerkschaftsgruppen gab. Es war schwierig, geeignete Leute für den Posten eines Gewerkschaftsorganisators zu finden. Manche der Gewählten konnten nicht einmal sagen, was eine Gewerkschaft ist. Viele gaben ihren Posten bald wieder auf. Der Gewerkschaftsvorsitzende beim Schacht 18 mußte gleichzeitig das Amt des Arbeitsinspektors ausüben, den Musikzirkel und die Sportgruppe leiten, weil niemand anderer dazu bereit war. Von neun gewählten Gruppenorganisatoren waren nur mehr zwei auf ihren Posten. Der Leiter des Kultursektors war zwar ein guter Arbeiter, hatte aber keine Ahnung, was er eigentlich tun sollte. Der Leiter des Massensektors hielt es für seine Aufgabe, Bezugsscheine für Lebensmittel aufzutreiben. Das war jedoch die Aufgabe des Kooperativsektors, dessen Leiter davon nichts wußte.202 Die Führung des Baustellenkomitees wurde im Januar 1933 ausgetauscht. An die Stelle des Vorsitzenden Boldin trat Galuzo. Einige Schachtkomitees wurden wegen ihrer Untätigkeit aufgelöst. Im Zuge der Reorganisation von Metrostroj im April und Mai 1933 wurden die Abschnittskomitees der Gewerkschaft liquidiert. Das Schwergewicht sollte auf die Schacht- und Distanzkomitees verlagert werden, wozu aber das Personal fehlte. Das Baustellenkomitee bemühte sich, die Aktivitäten der Basisorganisationen auf die Probleme der Versorgung und Lebensbedingungen der Arbeiter zu lenken. Bis dahin hatten sie diese Bereiche vernachlässigt und sich mehr mit Produktionsfragen befaßt, für die sie gar nicht zuständig 203
waren. Im Mai und Juni 1933 wurde auf Anordnung des Moskauer Parteikomitees und des Zentralkomitees der Gewerkschaft der Eisenbahn-, Straßen- und Hafen198 199 200 201 202 203
Trad ν SSSR za 1933 god, S. 84, Trud ν SSSR za 1934 god, S. 262. Freeman 1932, S. 114. Ebd., S. 125. Udarnik Metrostroja Nr. 116, 3.7.1933, S. 2. Ebd. Nr. 41,5.12.1932, S. 3. Ebd. Nr. 116, 3.7.1933, S. 2.
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bauarbeiter [zeldorsosportstroj],204 der die Metrobauer zugeordnet waren, eine Kampagne zur Rechenschaftsablegung durchgeführt. Alle Organisationen hatten auf der Basis der „proletarischen Selbstkritik" Mängel aufzudecken und zu beheben. Die Punkte, auf die die „Selbstüberprüfungsbrigaden" dabei zu achten hatten, umreißen den Tätigkeitsbereich der Gewerkschaften und weisen gleichzeitig daraufhin, wo es Defizite gab: Die Aufzählung umfaßte die Organisation der Arbeit und der Entlohnung, die richtige Anwendung der Normen, die Kontrolle über die Erfüllung neuer Normen, korrekte Abrechnung von Mangelarbeit; die Führung des sozialistischen Wettbewerbs und der Stoßarbeit,205 das Abhalten von Produktionsberatungen, die schnellere Begutachtung von Rationalisierungsvorschlägen und Erfindungen von Arbeitern; die Verwendung der Mittel für den Wohnbau, die Versorgung der Arbeiter mit Bettstellen, Matratzen und Bettzeug, die Verwendung der Mittel für Sicherheitstechnik und Arbeitsschutz; die Verbesserung der Arbeit der Kantinen, der Qualität des Essens, die Versorgung mit Besteck und Geschirr, Lebensmittelbeschaffungen, die Förderung des Gartenbaus bei den Arbeitern, die Durchführung der Frühjahrsaussaat; die Förderung der marxistisch-leninistischen Erziehung, die Gewerkschafts-Politaufklärung, kollektives Zeitunglesen, das Durcharbeiten wichtiger Parteibeschlüsse mit den Massen, die kulturelle Versorgung der Arbeiter,206 Patenschaften über die Rote Armee, die internationalistische Erziehung der Arbeiter; die Teilnahme der Gewerkschaftsorganisation an der Patenschaft über Kolchosen, die Durchführung wirtschaftspolitischer Kampagnen im Dorf (Getreideaufbringung, Aussaat, Ernte, Anleihe usw.); die Führung der Gruppenorganisatoren durch die Gewerkschaftskomitees, die Anwerbung neuer Mitglieder, die Führung der Beitragseintreiber, die rechtzeitige Zahlung der Beiträge durch die Mitglieder.207 Gleichzeitig fanden in den Basisorganisationen Neuwahlen statt. Dabei stellte sich heraus, daß manche Gruppenorganisatoren den Arbeitern unbekannt waren.208 Anfang Juli 1933 wurde auf der ersten Sitzung des neuen Baustellenkomitees von Metrostroj der bisherige Vorsitzende Galuzo abgewählt und durch Suchinin ersetzt.209 Galuzo wurde wegen schlampiger Geschäftsführung beim Parteikomitee und bei der Säuberungskommission angezeigt.210
204 Im September 1934 wurde die Gewerkschaft Zeldorsosportstroj aufgeteilt in eine Gewerkschaft der Eisenbahn- und Metrobauarbeiter [Sojuz rabocich stroitel'stva zeleznodoroznogo i metropolitena] und eine Gewerkschaft der Straßenbauarbeiter [Sojuz rabocich sossejnogo stroitel'stva], (Udarnik Metrostroj a Nr. 211, 10.9.1934, S. 3). 205 Vgl. dazu ausführlich Kap. V.3. 206 Vgl. Kap. V.4. 207 Präsidium MOK Zeldorsosportstroj. Prot. 27, 17.5.1933. CGAMO 4237/1/5, Bl. 2 7 28. 208 Udarnik Metrostroja Nr. 105, 20.6.1933, S. 2. 209 Ebd. Nr. 120, 8.7.1933, S. 4. 210 Präsidium MOK Zeldorsosportstroj. Information, Juli 1933. CGAMO 4237/1/6, Bl. 151.
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Der Stellenplan der Gewerkschaft war aufgrund der zahlreichen Aufgaben, die ihr oblagen, umfangreicher als jener der Partei und des Komsomol. Das Baustellenkomitee von Metrostroj verfugte im Juli 1933 über 35 bezahlte Stellen. Der Vorsitzende (mit einem Gehalt von 300 Rubel im Monat) leitete einen Apparat, der aus neun Abteilungen bestand: der Organisationsabteilung, dem Sektor für Normierung, Lohn und Produktion, der Abteilung für Kultur und technische Propaganda, der Abteilung für Versorgung und Lebensbedingungen der Arbeiter, der Abteilung für Information und Statistik, dem Finanzsektor, dem Sportbüro, dem Büro der ingenieur-technischen Sektion und der Geschäftsführung.211 Die Schachtkomitees hatten jeweils drei bezahlte Posten: einen Vorsitzenden (mit einem Gehalt von 250 Rubel), einen Organisator für Entlohnung und technische Normierung sowie einen technischen Sekretär.212 Daneben unterhielt die Gewerkschaft bei Metrostroj fünf „Kulturbasen" mit jeweils einem Leiter, einem Kulturorganisator, einem Alphabetisierer [likbez], einem Bibliotheksleiter, einem Radiofachmann, einem Kinomechaniker. Bei der am besten ausgestatteten ersten Kulturbasis kamen noch ein Lehrer, ein Leiter des Dramaturgiezirkels und ein Sportorganisator hinzu.213 Die Kosten für diesen großen Apparat beliefen sich im zweiten Halbjahr 1933 auf eine halbe Million Rubel, die der Gewerkschaft gemäß dem Kollektiwertrag214 von der Unternehmensleitung zur Verfügung gestellt wurden (zwei Prozent der Lohnsumme). Die größten Haushaltsposten des Baustellenkomitees von Metrostroj waren neben den Personalkosten die Ausstattung der Barackensiedlungen mit Radios (54.000 Rubel), die Kinderbetreuung (34.000 Rubel), der Sport (27.000 Rubel), die internationalistische Propaganda und die Arbeit unter den nationalen Minderheiten und Ausländern (26.000 Rubel), die Kulturmassenarbeit einschließlich der Alphabetisierung (26.000 Rubel), die Roten Ecken und Klubs (20.000 Rubel), die Bibliotheken und Lesestuben (18.000 Rubel), die Kinos (14.000 Rubel) und die Subsidien der gegenseitigen Unterstützungskassen (11.000 Rubel). Weitere Budgetposten waren die Kosten für Aufenthalte in Sanatorien und Erholungsheimen, Kulturveranstaltungen, Wandzeitungen, Exkursionen, Zirkel für Laienkunst, Politik oder Sport, militärische und antireligiöse Propaganda.215
211 Budgetkommission von MOK Zeldorsosportstroj. Prot., 29.6.1933. CGAMO 4237/ 1/6, Bl. 185-187. 212 Ebd., Bl. 188. 213 Ebd., Bl. 193. 214 Der zwischen dem Baustellenkomitee und der Leitung von Metrostroj abgeschlossene Kollektiwertrag ist im Udarnik Metrostroja Nr. 113,29.6.1933, S. 3 - 6 abgedruckt. Er galt vom 1.3.1933 bis zum 1.3.1934 und umfaßte 22 Kapitel, von der Ausbildung und Anwerbung von Arbeitskräften über den sozialistischen Wettbewerb, die Normierung, Organisation und Bezahlung der Arbeit, den Arbeitsschutz, die Unterbringung und Versorgung der Arbeiter bis zur Massenkulturaibeit. 215 Budgetkommission von MOK ZeldorSosportstroj. Prot., 29.6.1933. CGAMO 4237/ 1/6, Bl. 171-172. - Dazu kamen noch 140.000 Rubel für die Kinderbetreuung und 102.000 Rubel fur Kulturarbeit, die vom Volkskommissariat für Volksaufklärung zur Verfügung gestellt wurden, im Haushalt aber nicht aufschienen. (Ebd., Bl. 173).
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Im Oktober 1933 wurde der Apparat des Baustellenkomitees auf dreizehn Stellen reduziert,216 im Dezember 1933 wieder auf achtzehn, 217 im Februar 1934 auf 31 Stellen aufgestockt. Das Gehalt des Vorsitzenden hatte sich inzwischen auf 500 Rubel erhöht. Die Zahl der Kulturbasen war auf zehn gestiegen.218 Im März 1934 wurde in Anlehnung an die Reorganisation der Partei- und Komsomolorganisationen überlegt, das Baustellenkomitee abzuschaffen und die Schachtund Distanzkomitees unmittelbar dem Gebietskomitee der Gewerkschaft Zeldorsosportstroj zu unterstellen.219 Der Vorschlag wurde jedoch nicht verwirklicht. Ende Juli 1933 waren 50 bis 55 Prozent der Metrobauer Mitglied in der Gewerkschaft. Das Gebietskomitee kritisierte, daß die Schachtkomitees sich zu wenig um neue Mitglieder bemühten und sich die Aufnahme beitrittswilliger Arbeiter wegen bürokratischer Prozeduren wochenlang verzögerte. Außerdem befanden sich die Karteien in chaotischem Zustand und hatten viele Mitglieder schon einige Monate keinen Beitrag mehr gezahlt.220 Zum ersten Treffen der Gewerkschaftsorganisatoren Ende November 1933 kamen nur 250 der 700 proforgi,221 Im September 1933 fand abermals ein Wechsel an der Spitze des Baustellenkomitees statt.222 Der neue Vorsitzende Granat rief angesichts der mißlichen Lage seiner Organisation im November 1933 zu einer „Gewerkschaftsdekade" auf, in deren Verlauf die Mitgliederzahl überprüft, der Mitgliederanteil unter den Arbeitern von 51 auf 70 Prozent gesteigert und die ausständigen Mitgliedsbeiträge eingetrieben werden sollten.223 Selbst von den Kommunisten und Komsomolzen waren bei etlichen Schächten und Distanzen nur zehn bis fünfzig Prozent Mitglied in der Gewerkschaft. Bei manchen Schächten wußten die Gewerkschaftsvorsitzenden nicht genau, wie viele Mitglieder es gab. Einige hundert Arbeiter hatten schon monatelang keinen Mitgliedsbeitrag mehr gezahlt. 224 Granat stellte einen umfangreichen Arbeitsplan für die nächsten Monate auf, aus dem hervorgeht, daß die Basisorganisationen frühestens Ende des Jahres 1933 bei allen Objekten von
216 Präsidium MOK Zeldorsosportstroj. Prot. 44, 23.9.1933. CGAMO 4237/1/6, Bl. 93. 217 Desgl.. Prot. 55, 13.12.1933. CGAMO 4237/1/6, Bl. 9. 218 Desgl. Prot. 5, 3.2.1934. CGAMO 4237/1/11, Bl. 262. 219 Vorsitzender von MOK Zeldorsosportstroj, Poltorackij, an das Präsidium des CK Zeldorsosportstroj. Projekt einer Resolution, 4.3.1934. CGAMO 4237/1/11, Bl. 209. 220 Vereinigte Sitzung des Präsidiums MOK Zeldorsosportstroj und des Baustellenkomitees von Metrostroj. Prot., 25.7.1933. CGAMO 4237/1/6, Bl. 149. 221 Udarnik Metrostroja Nr. 238, 29.11.1933, S. 4. 222 Suchinin wurde abgelöst, blieb aber als Funktionär bei Metrostroj und überstand die Säuberung. Gemeinsam mit seinem Nachfolger Granat wurde er im Januar 1934 ins Parteikomitee von Metrostroj gewählt. (Udarnik Metrostroja Nr. 12, 14.1.1934, S. 1). 223 Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees von Metrostroj, Granat, an die Schacht- und Distanzkomitees, November 1933. GARF R-7952/7/215, Bl. 61, 65-66. 224 Gewerkschaftskomitee von Metrostroj. Bericht über den Zustand der Gewerkschaftsorganisation, November 1933. Ebd., Bl. 62-64.
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Metrostroj aufgebaut wurden.225 Bis zum 1.1.1934 stieg der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder unter den Metrobauern immerhin auf 65 Prozent.226 Im Zusammenhang mit dem Auslaufen des Kollektiwertrags wurde im Februar 1934 bei allen Objekten von Metrostroj seine Erfüllung überprüft. Für den Neuabschluß sammelte man Vorschläge der Arbeiter und Angestellten. Bei jedem Gewerkschaftskomitee wurde zu diesem Zweck eine außerordentliche Kontrollkommission eingerichtet, bestehend aus den Vorsitzenden des Gewerkschaftskomitees und des Büros der ingenieur-technischen Sektion [ITS], Vertretern der Betriebsleitung und den besten Stoßarbeitern. Für jeden Abschnitt des Kollektiwertrags wurde zusätzlich eine „Selbstüberprüiungsbrigade" gebildet. Über die Ergebnisse der Überprüfung geht allerdings aus den Quellen nichts hervor.227 Im Juni 1934 entband das Moskauer Parteikomitee Granat von seinem Posten als Vorsitzender des Baustellenkomitees von Metrostroj und bestimmte zu seinem Nachfolger den bisherigen stellvertretenden Parteiorganisator von Metrostroj, Osipov. Er blieb bis zum Abschluß der ersten Baufolge Gewerkschaftsleiter. Granat wurde zu seinem Stellvertreter ernannt.228 Im Laufe des Jahres 1934 wurde die Gewerkschaftsorganisation stark ausgedehnt. Bedingt durch den viel höheren Mitgliederanteil als bei der Partei oder beim Komsomol war auch das Organisationsnetz der Gewerkschaft dichter. Sechzig Gewerkschaftsorganisatoren bei einer Distanz oder einem Schacht waren nichts Ungewöhnliches.229 Allerdings wußten selbst die Vorsitzenden der Schacht- und Distanzkomitees zuweilen nicht, was zu ihren Aufgaben gehörte und was nicht. Immer wieder mußte die Parteiführung eingreifen und unfähige oder passive Gewerkschaftsvorsitzende ablösen.230 Noch im Oktober 1934 konnte der Gewerkschaftsvorsitzende der 4. Distanz nicht sagen, wie viele Gewerkschaftsmitglieder es in seinem Bereich gab, und die Mitgliedsbeiträge wurden „auf Gewissen" bezahlt. Die Gewerkschaftsorganisatoren erfreuten sich zwar zum Teil großer Autorität, hatten aber höchst eigenwillige Vorstellungen von ihrer Tätigkeit.231 Manche Funktionäre fühlten sich so sehr mit „prinzipiellen Fragen" ausgelastet, daß sie sich um Beschwerden der Arbeiter nicht kümmerten.232 Bruchstückhaft erhaltene Protokolle von Schachtkomitees lassen darauf schließen, daß das Schwergewicht der Gewerkschaftsarbeit bei den Schächten
225 Gewerkschaftskomitee von Metrostroj. Arbeitsplan, 15.11.1933-1.1.1934. Ebd., Bl. 4245. 226 Gewerkschaftskomitee von Metrostroj. Aufzeichnung, o.D. GARF R-7952/7/325, Bl. 6. 227 Gewerkschaftskomitee von Metrostroj. Überprüfung der Erfüllung des Kollektiwertrags für 1933. GARF R-7952/7/174, Bl. 25-28. 228 M G K VKP(b). Prot. 8, 14.6.1934. C A O D M 4/4/5, Bl. 241. 229 Sten. Gespräch mit dem Gewerkschaftsorganisator Fedorov, 4. Distanz, 28.2.1935. GARF R-7952/7/344, Bl. 82. 230 Desgl. mit dem Parteisekretär Vlasov, Schacht 15, 10.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 86-88. 231 Udarnik tunnelja Nr. 107, 29.10.1934, S. 2. 232 Za kacestvo metro Nr. 17-18, 12.6.1934, S. 3.
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und Distanzen auf der Förderung des sozialistischen Wettbewerbs und der Stoßarbeit sowie auf den Produktionsberatungen lag. Relativ großen Raum nahm auch die Inspektion der Baracken und die Sorge um die Lebensbedingungen der Arbeiter ein. Die Produktionsberatungen drehten sich regelmäßig um die Planerfüllung, den Stand des sozialistischen Wettbewerbs und die Bestätigung oder den Entzug des Titels „Stoßarbeiter".233
4. P a r t e i , K o m s o m o l , G e w e r k s c h a f t und die „ E i n m a n n l e i t u n g " Die Aktivitäten der Partei, des Komsomol und der Gewerkschaft kollidierten des öfteren mit dem Prinzip der Einmannleitung. Theoretisch war die Betriebsleitung Sache des Direktors bzw. auf der Ebene der Schächte und Distanzen des Schachtoder Distanzleiters. In der Praxis verwischten sich die Zuständigkeiten, zumal vieles von dem, was zu den Aufgaben der Partei, des Komsomol und der Gewerkschaft gehörte, indirekte oder direkte Auswirkungen auf die Produktion hatte. Die Grenze zwischen „Passivität" und Einmischung in die Einmannleitung war fließend. Das Zentralkomitee hatte zwar 1929 die Rolle der Partei in bezug auf die Einmannleitung definiert: Die Parteizellen und Parteikomitees sollten das gesellschaftlich-politische und wirtschaftliche Leben des Betriebs auf solche Weise fuhren, daß sie den Gewerkschaftsorganen und dem Management die Erfüllung der Parteidirektiven erleichterten, sich dabei nicht in Details der Arbeit der Gewerkschaftskomitees und des Direktors einmischten, besonders nicht in operative Anordnungen der Administration. Die Parteizellen im Betrieb hatten die Verwirklichung des Prinzips der Einmannleitung aktiv zu unterstützen.234 Diese Direktive sollte die Position des Direktors stärken, wurde aber in der Folge von den Parteifunktionären oft mißverstanden. Kampagnen für den sozialistischen Wettbewerb oder die Stoßarbeit zogen die Partei, die Gewerkschaft und den Komsomol in viele Details der Betriebsführung hinein, von der Festsetzung der Normen bis zur Organisation der Arbeit und der Verteilung der Löhne. Das Verhältnis zwischen dem Management und der politischen Führung blieb vielfach unklar. Auch „Rote Direktoren" achteten immer wieder mehr auf die Bedürfnisse ihres Betriebs als die Interessen der Partei, so daß diese sich zur Einmischung bemüßigt fühlte.235 „Man kann unter unseren Bedingungen tausendmal Chef sein, aber wenn man seine Maßnahmen nicht mit der Partei- und Gewerkschaftsorganisation abstimmt, stößt man auf unüberwindliche Hindernisse," meinte Ro233 Vgl. Gewerkschaftskomitee beim Schacht 19-20. Protokolle, März 1934. GARF R-7952/7/327, Bl. 198-213. Gewerkschaftskomitee beim Schacht 29. Protokolle, November 1933-Februar 1934 (fragmentarisch). GARF R-7952/7/214, Bl. 14-33. Gewerkschaftskomitee bei der Leitung von Metrostroj. Protokolle, März-Juli 1935. CMAM 665/1/317, Bl. 1-14. 234 KPSS ν rezoljucijach i resenijach, Bd. 4, S. 313. Merridale 1990, S. 168. Udarnik Metros troj α Nr. 247, 10.12.1933, S. 1. 235 Merridale 1990, S. 168-171.
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tert auf den Vorwurf, als Betriebsleiter bestimmte Maßnahmen nicht durchgesetzt zu haben.236 Zusätzliche Probleme entstanden dadurch, daß diese Einmischung oft genug durch Parteisekretäre erfolgte, die keine adäquate technische oder betriebswirtschaftliche Ausbildung besaßen. Allerdings führte die Wende im Gefolge der Direktiven Stalins von 1931 dazu, daß die Parteiorganisation disziplinierter und straffer geführt wurde. Die Parteipräsenz in den Fabriken beruhte nun nicht mehr auf der Einbeziehung der Massen, wie in den Jahren 1929 bis 1931, sondern sie nahm grundsätzlich die Gestalt von Interventionen des Zentralkomitees, des Moskauer Komitees und der Rayonsparteikomitees an.237 Im „Dreieck" war die Gewerkschaft am schwächsten, da sie seit dem Sturz Tomskijs von der Partei an straffer Leine geführt wurde. In den Gewerkschaftskomitees gab die Parteifraktion den Ton an. Sogar die Wahlen zu den Fabrik- und Baustellenkomitees wurden von Parteibrigaden überwacht.238 Auf ähnliche Weise hatte die Partei auch Einfluß auf das Management. Anweisungen der Partei, die sich auf die Betriebsführung bezogen, richteten sich meistens an die Parteifraktion im Leitungsapparat, das heißt an leitende Manager oder Ingenieure, die gleichzeitig Parteimitglieder waren.239 Auf der Ebene der zentralen Leitung von Metrostroj ist das Dreieck in den Quellen nicht richtig faßbar. Es gibt nur wenige Hinweise auf Beschlüsse, die im Dreieck gefaßt wurden.240 Rotert und seine Stellvertreter leiteten das Unternehmen durch ihre Anordnungen. Das heißt allerdings nicht, daß der parteilose Rotert den Betrieb allein führen konnte, um so weniger, als ihm im Frühjahr 1933 Abakumov als Stellvertreter zur Seite gestellt wurde. Hinter Abakumov stand das Moskauer Parteikomitee, das ihn dazu benutzte, den Parteieinfluß direkt in die Unternehmensleitung zu tragen. Rotert und Abakumov waren beide für alle Bereiche des Baus voll verantwortlich,241 so daß man eher von einer Zweimannführung sprechen kann, die zudem weitreichende Vorgaben vom Moskauer Parteikomitee (Kaganovic und Chrusiev) erhielt, das sich oft und intensiv in die Unternehmensleitung einmischte. Andererseits traten der Parteisekretär bzw. Parteiorganisator
236 Sten. Beratung bei Kaganovic über Fragen der Metro, 15.11.1933. RGASPI 81/3/199,
Bl. 102. 237 Ebd., S. 187-188. 238 Ebd., S. 176. 239 Vgl. Prot. Versammlung des Parteiaktivs von Metrostroj, 2.8.1932. CMAM 665/1/16, Bl. 3. 240 Vgl. z.B. Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Kopejkin, Caissongruppe, 28.3.1935. GARF R-7952/7/303, Bl. 28. - Kopejkin erwähnt das Dreieck einige Male. Es geht jeweils um konkrete Beschlüsse, zum Beispiel die Verlegung von 150 Komsomolzen zu einem anderen Schacht. - Das Fehlen von Informationen über das Dreieck kann allerdings auch an der Überlieferung der Akten liegen. Die Akten der Unternehmensleitung sind gut erhalten, jene des Parteikomitees und des Baustellenkomitees nur fragmentarisch. 241 Sten. Gespräch mit Abakumov, 25.11.1934. GARF R-7952/7/299, Bl. 38.
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und der Vorsitzende des Baustellenkomitees der Gewerkschaft bei der unmittelbaren Unternehmensleitung so gut wie nicht in Erscheinung. Bei den Schächten und Distanzen war das anders. Hier spielte das Dreieck oder eigentlich Viereck, weil der Komsomol großen Einfluß hatte, eine wichtige Rolle. Vielerorts kam es zu Auseinandersetzungen und Konflikten über die Einmannleitung und die Einmischung der politischen Organisationen. Manche Schachtleiter, die zwar gute Ingenieure, aber schlechte Organisatoren waren und sich scheuten, Verantwortung zu übernehmen, waren hingegen froh, wenn sie Entscheidungen nicht allein treffen mußten, sondern in einer kollegialen Führung Rückhalt fanden.242 Dreiecke bzw. Vierecke gab es nicht nur auf der Ebene der Schächte und Distanzen, sondern auch bei den Abschnitten, in Schichten und Brigaden. Täglich habe sich das Dreieck des Abschnitts versammelt und die Mängel der Arbeit beraten, berichtete der Parteiorganisator der 6. Schicht des Schachtes 20.243 „Alles erfolgte unter der Redaktion des Dreiecks und des vierten - des KomsomolEcks", charakterisierte der Komsomolze Titov das Zusammenwirken des Schichtingenieurs mit dem Partei-, dem Komsomol- und dem Gewerkschaftsorganisator.244 In den Brigaden okkupierten bisweilen die Parteiorganisatoren die Aufgaben des Brigadiers.245 Starke Parteisekretäre sorgten für die Entlassung unfähiger oder unliebsamer Schachtleiter oder deren Stellvertreter.246 Viele verwechselten ihre Aufgabe mit jener des Schachtleiters. Als Parteisekretär Batrakov zum Schacht 16 kam, versammelte er das Büro des Parteikomitees, lud das technische Personal ein und beriet über die Einteilung der Arbeit. Am nächsten Tag versammelte er das Büro ein zweites Mal, und die Partei beschloß die Organisationsstruktur des Schachtes.247 Umgekehrt gab es Schacht- oder Distanzleiter, die selbst Kommunisten und Mitglieder der Parteizelle waren und sich in die Parteiarbeit einmischten, weil sie den Parteisekretär für unfähig hielten.248 Das harmonische Zusammenspiel, wie es der Leiter der Schächte 7-8 und 13-14 schilderte, scheint eher die Ausnahme gewesen zu sein: Pogrebinskij ist der beste Parteiorganisator, der mir je untergekommen ist. Er unterläuft die Einmannleitung überhaupt nicht, ist aber über alle Einzelheiten unterrichtet. Seine Rolle besteht darin, daß er Mängel feststellt. [...] Es gibt Parteiorganisatoren, die 242 Vgl. desgl. mit dem Parteisekretär Bel'skij, Schacht 17-18, 17.5.1934. GARF R-7952/ 7/241, Bl. 75. 243 Desgl. mit dem Parteiorganisator ReSetnikov. GARF R-7952/7/342, Bl. 241. 244 Desgl. mit dem Komsomolzen Titov, Schacht 18. GARF R-7952/7/321, Bl. 21. 245 Udarnik Metrostroja Nr. 36, 21.11.1932, S. 3. 246 Ebd.,Bl. 78. 247 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Batrakov, Schacht 16-17, 13.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 146. 248 Desgl. mit Ing. Smidt, Leiter der 5. Distanz, 26.6.1934. GARF R-7952/7/274, Bl. 19. Desgl. mit dem Polier GreCisöev, 5. Distanz, 26.6.1934. Ebd., Bl. 31.
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abseits stehen, aber er ruft die Leute zu sich und fragt, was los ist. Er ist die Kontrolle der Durchführung. Wir agieren gleichzeitig. In meine Anordnungen mischt er sich nicht ein, fragt aber, wie meine Direktiven ausgeführt werden, genießt große Autorität in unserem Kollektiv, von den Ingenieuren bis zu den am wenigsten verantwortlichen Arbeitern."249
Manche Parteisekretäre ordneten sich dem Schachtleiter unter oder verzichteten auf Kritik, weil sie an guten Beziehungen zu ihm interessiert waren. Bis Mitte 1933, vor der Entsendung von Berufsfunktionären zu Metrostroj, gab es Zellensekretäre, die in der Produktion Untergebene ihres Schachtleiters und somit von ihm abhängig waren.250 Damit sie mitreden konnten und den Schachtleitern in technischer Hinsicht nicht völlig ausgeliefert waren, veranstaltete man fur die Parteisekretäre technische Schnellkurse. „Das ermöglichte es mir, nicht bloß ein nackter Politiker und Administrator zu sein, sondern das technische Wesen der Metro zu verstehen, was eine hölzerne Abstützkonstruktion ist, was Beton ist, was Eisenbeton ist, wie die Maschinen arbeiten," meinte ein Parteisekretär.251 Bestimmte Formen der Einmischung eines Parteisekretärs in die Produktion konnten dem Bauvorhaben förderlich sein. Parteisekretär Gusev erhielt Ende des Jahres 1932 von einem Polier den Hinweis, daß beim 29. Schacht die Betonarbeiten mangelhaft ausgeführt würden. Die Nachprüfung ergab, daß der Beton tatsächlich bröckelte. Die Techniker und der Schachtleiter wehrten sich gegen die Vorwürfe und gaben Gusev zu verstehen, daß er keine Ahnung habe: „Wir warfen die Frage im Parteikomitee auf. Ich lud Maurer ein, den Polier Blochin und die Mitglieder des Parteikomitees. Der Schachtleiter berichtete, sagte nichts Wesentliches, rechtfertigte alles Mögliche, es sei nichts Besonderes, steckt nicht eure Nase in so eine Angelegenheit, ihr habt die Massen zu mobilisieren, von technischen Dingen verstehe ich mehr als das Parteikomitee. Wir sagten nicht, was uns der Polier gesagt hatte. Das hätte ihm geschadet. Wir erteilten dem Schachtleiter einen Verweis und forderten die Behebung der Mängel."
Obwohl er in der Sache Recht gehabt hatte, wurde das Vorgehen Gusevs als Verletzung der Einmannleitung gewertet, und man zitierte ihn ins Moskauer Parteikomitee.252 Da man auf das Fachwissen der Ingenieure angewiesen war, zogen im Konfliktfall mitunter die Parteisekretäre den Kürzeren. Zwischen dem Schachtlei249 Desgl. mit Ing. Baryänikov, Leiter der Schächte 7-8 und 13-14, o.D. [1934]. GARF R-7952/7/299, Bl. 118. Ähnlich: Desgl. mit Ing. Rochvarger, Leiter des Schachtes 47-48, 28.10.1934. GARF R-7952/7/307, Bl. 92. 250 MGK VLKSM. Sten. Versammlung von Komsomolzen, die zu Metrostroj mobilisiert wurden, 3.6.1933. CAODM 635/1/67, Bl. 39. Vgl. Udarnik Metrostroja Nr. 68,23.3.1934, S. 3. 251 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Gusev, Schacht 33-35. GARF R-7952/7/300, Bl. 211. 252 Ebd., Bl. 213-214.
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ter Ermolaev und dem Parteisekretär Ol'chovic kam es wiederholt zu Zusammenstößen, weil Ermolaev durch die Anordnungen des Parteisekretärs seine Autorität untergraben sah. Als Ol'chovic auf einer Produktionsberatung die Ingenieure mit wenig Taktgefühl angriff, erklärten sie, unter diesen Umständen nicht weiter im Schacht arbeiten zu können. Der Schachtleiter Ermolaev Schloß sich ihnen an und drohte ebenfalls mit seinem Weggang, wenn Ol'chovic nicht entlassen werde. Er erhielt Rückendeckung vom Komsomolsekretär und vom Gewerkschaftsvorsitzenden, der gleichzeitig stellvertretender Schachtleiter war. Ol'chovic wurde zu einem anderen Schacht versetzt.253 Wenn es darum ging, Versorgungsengpässe zu überwinden, wandten sich Schachtleiter an das Partei- und Komsomolkomitee und baten um Unterstützung. Die Kommunisten und Komsomolzen konnten über Parteikontakte oder durch die Entsendung von „Schlepptaubrigaden" mitunter mehr ausrichten als der Schachtleiter.254 Manchmal wurden Parteifunktionäre auf diese Weise in Rollen hineingedrängt, die ihnen eigentlich widerstrebten. Als der Chefmechaniker der 6. Distanz sah, daß die Instruktorin des Parteikomitees Werkzeuge auftreiben konnte, die Mangelware waren, wandte er sich jedesmal an sie, wenn es an etwas fehlte, so daß die Instruktorin ihre Zeit damit verbrachte, von Fabrik zu Fabrik zu laufen, um Drehbänke und Werkzeug zu organisieren. Für die Parteimassenarbeit, ihre eigentliche Aufgabe, blieb ihr keine Zeit.255 Andernorts ergriffen die Parteisekretäre und Parteiorganisatoren selbst die Initiative, um fehlende Arbeitskleidung und Werkzeuge zu beschaffen oder die Lebensbedingungen der Arbeiter durch die Installation von Duschen, die Verbesserung der Büffets oder den Erwerb von Wohnbaracken zu erleichtern.256 Die Einmannleitung wurde nicht nur von den Dreiecken, sondern auch von Ingenieuren unterlaufen, die sich zu diesem Zwecke der Parteihierarchie geschickt bedienten. Wenn der Chefingenieur für den Arbat-Radius, Lomov, mit einem Vorschlag bei Rotert auf Widerstand stieß, wandte er sich an Chruscev, Kaganovic oder Bulganin und fand dort Unterstützung.257 Als Parteisekretär Rozenberg in den Schacht 22-22bis kam, verblüffte ihn die „Demokratie", die dort herrschte: Anordnungen des Schachtleiters wurden regelmäßig nicht sofort ausgeführt, sondern erst von den Untergebenen diskutiert. Rozenberg unterstützte den Schachtleiter und ließ einen Abschnittsleiter, seinen Stellvertreter und einen Parteiorganisator wegen Verletzung der Einmannleitung aus der Partei ausschlie-
253 Desgl. mit Ing. Ermolaev, Leiter des Schachtes 9-9bis, 17.11.1934. GARF R-7952/ 7/301, Bl. 15-16. Desgl. mit dem Komsomolsekretär Mlodik, Schacht 9-9bis, 17.11.1934. GARF R-7952/7/305, Bl. 50-53. 254 Desgl. mit dem Parteisekretär Kopejkin, Caissongruppe, 28.3.1935. GARF R-7952/7/ 303, Bl. 27. 255 Desgl. mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 22. 256 Desgl. mit dem Parteisekretär Kopejkin, Caissongruppe. GARF R-7952/7/303, Bl. 3. Desgl. mit dem Parteisekretär Ermolaev, Schacht 7-8. Ebd., Bl. 85. 257 Desgl. mit Chefingenieur Lomov, 29.11.1934. GARF R-7952/7/304, Bl. 165-166.
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ßen.258 Der Leiter des Schachtes 12 wurde im Frühjahr 1934 abgelöst, weil er gegenüber dem Personal seines Schachtes die Einmannleitung nicht durchsetzen konnte und sich nicht anders zu helfen wußte, als im Dreieck ständig mit seinem Rücktritt zu drohen.259 Auch auf Brigadeebene wurden Anordnungen nicht immer strikt befolgt, sondern es gab Diskussionen zwischen den Arbeitern und dem technischen Personal.260 Bei der 5. Distanz wurde im Dezember 1933 der Parteisekretär wegen Verletzung der Einmannleitung abgelöst. Abakumov hatte den Distanzleiter seines Postens enthoben, weil er sich Anordnungen der Betriebsleitung widersetzt hatte. Der Distanzleiter wandte sich daraufhin an das Büro der Parteizelle, das sich hinter ihn stellte und beschloß, das Parteikomitee von Metrostroj zu bitten, die Ablösung rückgängig zu machen. Obwohl das Parteikomitee die Parteizelle darauf hinwies, daß ein derartiges Vorgehen eine Einmischung in die Angelegenheiten der Betriebsleitung bedeute und die Einmannleitung untergrabe, wiederholte das Büro der Zelle seinen Beschluß. Daraufhin annullierte das Parteikomitee von Metrostroj den Beschluß der Zelle, löste den Zellensekretär ab und erteilte ihm eine strenge Rüge.261 Der Leiter der Organisationsabteilung des Parteikomitees erläuterte in diesem Zusammenhang die Aufgabenverteilung im Dreieck: Der Betriebsleiter sei für den technischen Prozeß verantwortlich, für die Dislozierung der Arbeitskräfte und die Arbeitsproduktivität. Die Parteizelle dürfe sich nur für diese Fragen interessieren. Sie sei für die politische Führung der Arbeiter zuständig, für die Kontrolle über die Arbeit des Gewerkschaftskomitees. Für die wirtschaftliche und technische Führung sei sie nicht verantwortlich. Aufgabe des Gewerkschaftskomitees sei die Regelung der Entlohnung, die Kultur- und Massenarbeit, die Befriedigung der täglichen Bedürfnisse der Arbeiter.262 Im Alltag der Baustellen konnten viele Parteisekretäre mit solchen Definitionen nicht viel anfangen. Allerorts mischten sich Parteisekretäre in das Management ein, diskutierten Parteikomitees über die Richtigkeit von Anordnungen des Schachtleiters und setzten diese sogar außer Kraft.263 Es kam sogar vor, daß Gewerkschaftsvorsitzende Anordnungen des Schachtleiters widerriefen und diesen
258 Desgl. mit dem Parteisekretär Rozenberg, Schacht 22-22bis. GARF R-7952/7/307, Bl. 54-55. 259 Sten. Beratung bei Kaganovic, 25.-26.2.1934. RGASPI 81/3/202, Bl. 26-27. 260 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Vlasov, Schacht 15, 10.4.1934. GARF R-7952/ 7/242, Bl. 89. 261 Organisationsbüro des Parteikomitees von Metrostroj. Beschluß, 5.12.1933. In: Udarnik Metrostroja Nr. 247, 10.12.1933, S. 1. Bevollmächtigter MGKK RKI für Metrostroj, Zolotov, an den Vors. MGKK RKI, Filatov, 28.12.1933. CMAM 1289/1/680, Bl. 1. 262 Wortmeldung von Kazancev auf der geschlossenen Parteiversammlung der 5. Distanz. Prot., 4.12.1933. CMAM 1289/1/680, Bl. 66. 263 Rabocaja Moskva Nr. 233, 5.10.1934, S. 3.
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erst im nachhinein informierten.264 Auch die neue Betriebs- und Parteiführung der 5. Distanz hielt sich nicht an die Arbeitsteilung. In gewisser Weise waren sogar die Rollen vertauscht: Der Zellensekretär Borisov verzettelte sich in Einzelheiten der Betriebsleitung, während sich der Distanzleiter Smidt mit dem sozialistischen Wettbewerb befaßte und Schautafeln mit Fragen und Antworten zu den Lebensbedingungen erstellte. „Ich bin ständig in der Produktion", zitierte der Udarnik Metrostroja den Parteisekretär und schilderte dessen typischen Arbeitstag: „17.3.1934: 10.30-11.00 11.00-13.30 13.30-13.45 13.45-14.30 14.30-14.40 14.40-15.45 15.45-16.45 17.00-18.00
Borisov kommt ins Parteikomitee, diskutiert mit dem Distanzleiter über die Subbotniki, den Fortgang der Arbeiten, überfliegt die Zeitung. Borisov ist in der Produktion. Er hört eine Erläuterung des Distanzleiters über die Grabenbauweise. In der Produktion, gemeinsam mit Smidt und dem Instruktor von MK Makar. Telefongespräch. Im Rayon wegen der Anwerbung von Arbeitskräften, Mittagessen. Führt eine Schichtversammlung durch. Beim Distanzleiter und seinem Stellvertreter."265
Seine Stunden „in der Produktion" verbrachte Borisov größtenteils mit Tätigkeiten, die zu den Obliegenheiten des Gewerkschaftsleiters, der Parteiorganisatoren oder des Managements gehörten: Er hörte Beschwerden von Arbeitern über den Mangel an Spezialkleidung und die Entlohnung an, erklärte ihnen den Kollektivvertrag (wobei die Brigade ihre Arbeit unterbrach, um ihm zuzuhören). Er stritt mit dem Leiter der Werkzeugkammer über den Zustand des Werkzeugs, sprach mit jemand anderem über das Transportproblem. Nach dem Ende der ersten Schicht lief er zu den Abschnitten und berief dort Schichtversammlungen ein, ohne daß die Abschnittsleiter, die Partei- und Gewerkschaftsorganisatoren etwas davon wußten. (Auch die Arbeiter erfuhren zu spät davon und gingen zum Essen in die Kantine.) Täglich entschied er über die Entlassung und Einstellung von Arbeitern und mischte sich in die Betriebsleitung ein. Die politische Erziehung der Arbeiter, auf die kurz zuvor der 17. Parteitag großen Wert gelegt hatte, kam dabei zu kurz. Das Gewerkschaftskomitee blieb ebenfalls untätig.266 Das Problem der Einmannleitung und der politischen Führung der Produktion wurde auch in den folgenden Monaten nicht gelöst. Die Forderung nach strikter Einmannleitung, die Verurteilung von Einmischungen der Parteisekretäre in das Management und die Feststellung, daß der Schachtleiter und der Parteisekretär ih-
264 Udarnik Metrostroja Nr. 85, 12.4.1934, S. 1. - Im konkreten Fall verurteilte das Gewerschaftskomitee das Vorgehen seines Vorsitzenden und löste ihn ab. Er wurde auch aus dem Parteikomitee des Schachtes ausgeschlossen. 265 Ebd. Nr. 68, 23.3.1934, S. 2. 266 Ebd.
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re Rollen vertauscht hätten, wurden vielmehr zu immer wiederkehrenden Topoi in Parteiversammlungen und in der Presse.267 Es gab allerdings auch Einmischungen, die als rechtmäßig galten, wenn zum Beispiel ein Schachtleiter eigenmächtig die vom Moskauer Parteikomitee gesetzte Frist für die Fertigstellung des Tunnels verlängert hatte und das Parteikomitee den neuen Zeitplan ablehnte.268 Mit ihrem „Enthusiasmus" und dem Bestreben, alles in die Hand zu nehmen, unterliefen auch die aktiven Komsomolzen die Einmannleitung. Der Leiter des Schachtes 23 mußte abgelöst werden, weil er gegen einen Komsomolbrigadier nicht ankam, den die Arbeiter sogar als „Schachtleiter" betitelten. Viele Komsomolzellensekretäre vernachlässigten ihre eigentlichen Aufgaben (die Organisation von Gesprächen, die Arbeit mit der Komsomolgruppe, das Eintreiben der Mitgliedsbeiträge, den politischen Unterricht usw.) und kümmerten sich mehr darum, wie die Arbeitskräfte eingesetzt und welche technischen Maßnahmen ergriffen werden mußten: „Als mich der Sekretär des MK des Komsomol, Gen. Sasirin, zu sich rief, schnappte ich mir Skizzen, Pläne, Arbeitspläne und ging ihm berichten. Er sagt zu mir: ,Du kommst zu mir wie der Leiter der Caissongruppe, aber was macht ihr für den Komsomol?' Ich war in einer Sackgasse, und nicht von ungefähr, sondern deswegen, weil ich mich mit diesen Fragen nicht beschäftigt hatte. Die Komsomolgruppe stand bei uns nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und daher hielt sich bei uns die parteilose Jugend abseits. Die Komsomolzen näherten sich den parteilosen Jugendlichen nicht an; nicht nur die parteilosen, auch die neuen Komsomolzen blieben ohne jede Aufsicht, ohne jede Führung."269
Der Komsomolsekretär der Caissongruppe gebärdete sich im Sommer 1933 dermaßen als „Schachtleiter", daß es selbst den Komsomolzen zu viel wurde, weil er ständig auf der Baustelle Anordnungen traf und bei Nichtbefolgung mit dem Ausschluß aus dem Komsomol drohte.270 Beim Schacht 35 beschwerten sich die Komsomolzen über einen Brigadier und einen Gruppenführer, mit denen sie unzufrieden waren und „schlugen" in der Betriebszeitung „Lärm". Sie befolgten die Anweisungen nicht und hielten ständig Versammlungen ab, anstatt zu arbeiten. Als sie schließlich einen der ihren zum Gruppenführer wählten, schritt der Kom-
267 Vgl. zum Beispiel Sten. 1. Parteikonferenz von Metrostroj, 9.1.1934. CMAM 665/1/ 133, Bl. 15, 19: „Die Parteigruppe beim Schacht 9 [...] verwechselt ihre Aufgaben mit jenen der Produktionsberatungen. Generell betreiben die Parteigruppen keine Vollblutpolitik." Vgl. Rabocaja Moskva Nr. 233, 5.10.1934, S. 3. 268 Za kacestvo tonnelja Nr. 9, 20.8.1934, S. 1. 269 Sten. Erinnerungsabend mit Komsomolzen der Caissongruppe. Wortmeldung von Kotel', 26.8.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 15. 270 Wortmeldung von Saäkov, 26.8.1934. Ebd., Bl. 38.
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somolsekretär ein und veranlaßte, daß den Jugendlichen ein durchsetzungsstarker Gruppenführer zugeteilt wurde, dem sie sich unterordneten.271 Wenn sie Anordnungen in technischer Hinsicht für falsch hielten, weigerten sich Komsomolzen nicht selten, sie auszuführen und nahmen dabei bewußt in Kauf, wegen Verletzung der Einmannleitung gemaßregelt zu werden, zumal sie genauso getadelt wurden, wenn sie eine falsche Anordnung wider besseres Wissen ausführten und es dadurch zu Qualitätsmängeln kam.272 Kaganovic beurteilte die Aktivitäten der Komsomolzen in internen Beratungen recht nüchtern. Im Februar 1934 kritisierte er die Disziplinlosigkeit der Komsomolzen gegenüber der Betriebsleitung. Beim Bau der Metro herrsche in dieser Beziehung „eine Art Quasi-Demokratie", „furchtbar viel Gerede, furchtbar viel Einmischung in die Produktion". Es gehe nicht an, daß Komsomolsekretäre in der Betriebsführung das gleiche Gewicht hätten wie die Schachtleiter. Man müsse den Komsomolzen klarmachen, daß sie nicht geholt worden seien, um Versammlungen abzuhalten, sondern um zu arbeiten. Manche Schachtleiter würden sich nicht getrauen, den Komsomolsekretär anzurühren: „Er ist Stoßarbeiter, freiwillig gekommen, Enthusiast..." „Wir haben rund um die Komsomolzen eine Aura geschaffen, das ist schön und gut, aber das heißt nicht, daß wir ihnen erlauben, sich im Schacht in alles einzumischen. Es muß Disziplin und Ordnung herrschen", forderte Kaganovic.273
5. M e c h a n i s m e n der M a c h t a u s ü b u n g Neben den schon mehrfach erwähnten Mitteln des Ausschlusses aus der Partei, dem Komsomol oder der Gewerkschaft oder der Anzeige bei den Strafverfolgungsorganen bediente sich die Partei- und Komsomolführung, sobald und wo sie dazu in der Lage war, gestützt auf den harten Kern der Mobilisierten, eines vielfaltigen Arsenals an Methoden, um ihre eigenen Leute, die Betriebsleitung sowie die gewöhnlichen Arbeiter zu kontrollieren, zu disziplinieren und zu höherer Leistung anzuspornen. Diese Methoden waren von der suggestiven Kraft der Vorstellung, sich im Krieg zu befinden, inspiriert, und ihre Anwendung und Wirksamkeit waren eng daran gebunden, daß es der Führung gelang, die Suggestion des Kriegszustandes zumindest unter einem Teil der Belegschaft zu erzeugen und aufrechtzuerhalten. In einer im Frieden lebenden Zivilgesellschaft wären solche Methoden nicht anwendbar gewesen.
271 Sten. Gespräch mit dem Komsomolsekretär Maksimov, Schacht 35, 19.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 66-67. 272 Desgl. mit dem Komsomolzen Katamadze, 1. Distanz. GARF R-7952/7/302, Bl. 6-7. 273 Sten. Beratung bei Kaganovic, 25.-26.2.1934. RGASPI 81/3/202, Bl. 31.
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a) Die Machtausübung über das Management Eine der Voraussetzungen fur die Machtausübung über das Management war ein dichtes Netz von Parteiinformanten, das 1934 aufgebaut wurde. Für jede Abteilung des Leitungsapparates und fur die einzelnen Baustellen wurden Parteimitglieder eingeteilt, die das Parteikomitee auf dem Laufenden halten mußten. Wo es keine Informanten gab, übten die Parteiorganisatoren diese Funktion aus.274 Auf Mißstände, die das Parteikomitee des Leitungsapparates275 auf diese Weise erfuhr oder die im Verlauf der Parteiversammlungen zu Tage traten, sowie auf Anordnungen der Moskauer Parteiführung reagierte das Parteikomitee bzw. Büro der Zelle auf unterschiedliche Weise: Man setzte Untersuchungskommissionen ein, nahm das Personal des Leitungsapparates unter die Lupe, entfernte oppositionelle oder vermeintlich oppositionelle Leute und „klassenfremde Elemente", schloß Ingenieure oder Manager, wenn sie Kommunisten waren, aus der Partei aus oder erteilte ihnen Verweise. Wenn es sich um Parteilose handelte, die in leitenden Positionen Fehler begangen hatten, veranlaßte das Parteikomitee über Abakumov deren Ablösung.276 Wenn das Problem die Möglichkeiten oder Kompetenzen des Parteikomitees überstieg, erstattete man Meldung an den Parteisekretär bzw. Parteiorganisator von Metrostroj, an das zuständige Rayonskomitee oder an das Moskauer Stadtparteikomitee und schlug diesen Stellen gegebenenfalls geeignete Maßnahmen vor, oder man zeigte Parteimitglieder, die auf ihren Posten Fehler begangen hatten, bei der Parteikontrollkommission an.277 Um Anordnungen durchzusetzen, verabschiedete man Resolutionen. Damit diese auch tatsächlich Wirksamkeit entfalteten, mußten sie sich an konkrete Personen wenden, die fur ihre Umsetzung verantwortlich gemacht wurden. Wenn es sich dabei um leitende Manager von Metrostroj handelte, die Parteimitglieder waren, wie zum Beispiel Abakumov oder der zweite Stellvertreter Roterts, Ajngorn, dann konnte die Anordnung unmittelbar umgesetzt werden. Bei Kommunisten, die nur begrenzten Einfluß, zum Beispiel als Abteilungsleiter oder als Brigadier hatten, mußte auch die Wirksamkeit der Resolutionen begrenzt bleiben. Wenn sich Resolutionen an Parteiorganisatoren und Gewerkschaftskomitees richteten, betrafen sie weniger Fragen der Betriebsleitung, sondern handelte es sich meist 274 Parteikomitee bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 21, 23.6.1934. CAODM 455/1/3, Bl. 62.
275 Das Parteikomitee des Leitungsapparates ist das einzige, fur das ein geschlossener Quellenbestand vorliegt. Für das ihm übergeordnete Parteikomitee von Metrostroj sind keine Akten erhalten. 276 Vgl. z.B. desgl. Prot. 25, 29.7.1934. CAODM 455/1/4, Bl. 12-14. 277 Vgl. z.B. desgl. Prot. 3, 28.2.1934. CAODM 455/1/2, Bl. 10. Prot. 16, 8.5.1934. CAODM 455/1/3, Bl. 46: Der Parteiorganisator für Metrostroj, Starostin, und das OktoberRayonskomitee werden informiert, daß die Leitung von Metrostroj ihren Apparat und ihr Führungssystem nicht gemäß den Anweisungen des 17. Parteitags reorganisiert hat und sich darauf beschränkt, Mitarbeiter von einer Abteilung in eine andere zu versetzen. Starostin wird um Unterstützung bei der Reorganisation des Apparats gebeten.
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um Anweisungen, wie die Parteiarbeit oder die Massenarbeit zu verbessern sei.278 Um auf die Adressaten der Anordnungen Druck auszuüben, wurde ihnen häufig der Parteiausschluß oder ein Disziplinarverfahren angedroht, wenn sie innerhalb einer bestimmten Frist das Gewünschte nicht zustandebrachten.279 Anordnungen des Parteikomitees an einzelne Personen konnten auf eine Verletzung der Einmannleitung hinauslaufen, denn es ging nicht nur um parteiinterne Fragen, sondern auch um Fragen der „Produktion".280 Das Parteikomitee praktizierte auf diese Weise zuweilen eine Art Parallelfuhrung, die nicht mit den Vorgesetzten der Befehlsempfänger abgesprochen war. Meistens betrafen die Anordnungen jedoch keine Details der Betriebsleitung, sondern prinzipielle Verhaltensweisen, oder sie bezogen sich auf Anordnungen der Betriebsleitung oder höherer Parteistellen, die noch nicht in vollem Umfang oder nur in unzureichender Weise umgesetzt worden waren.281 Mit solchen Resolutionen stellte sich das Parteikomitee entweder hinter die Betriebsleitung und versuchte, deren Effektivität durch Druckausübung auf Abteilungsleiter oder Subalterne zu verbessern, oder es setzte die Betriebsleitung unter Druck, endlich die Anordnungen der höheren Stellen zu verwirklichen. Das Parteikomitee bei der Leitung von Metrostroj übte somit die Funktion eines Kontrollorgans aus, das die Ausführung von oben kommender Direktiven, die Einhaltung der Finanzdisziplin, der vorgegebenen Fristen und die Effektivität der Unternehmensleitung überwachte. Das gleiche erfolgte auf der Ebene der Abteilungen und bei den Schächten und Distanzen. Wenn die Parteisekretäre und Parteiorganisatoren ihre Aufgabe richtig verstanden und nicht die Einmannleitung verletzten, unterstützten sie einerseits den jeweiligen Abteilungs-, Schacht- oder Distanzleiter, indem sie über die Parteimitglieder dafür sorgten, daß seine Anordnungen richtig ausgeführt wurden. Andererseits kontrollierten sie, ob bzw. wie die Abteilungs-, Schacht- oder Distanzleiter Anordnungen der zentralen Betriebsleitung und der höheren Parteistellen befolgten und den Plan erfüllten, griffen erforderlichenfalls ein oder erstatteten Meldung. Bei einigen Schächten setzten die Parteisekretäre im Januar 1934 durch, daß die Schachtleiter alle zehn Tage vor dem Parteikomitee berichten mußten, die Abschnittsleiter ebenfalls vor dem Parteikomitee und zusätzlich auf
278 Parteikomitee bei der Leitung von Metrostroj (Büro der Zelle). Protokolle 1934/1935. CAODM 455/1/3, Bl. 1-64, CAODM 455/1/4, Bl. 1-35, CAODM 455/1/11, Bl. 1-23. 279 Desgl. Prot. 28, 23.8.1934. CAODM 455/1/4, Bl. 23. 280 Vgl. z.B.: Büro der Parteizelle bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 4, 4.2.1934. CAODM 455/1/3, Bl. 18: Zweieinhalb Seiten Anweisungen an Ing. Katcen, der sich beim Moskauer Parteikomitee um die Lieferung der bestellten hundert Waggons für die Metro kümmern muß. 281 Büro der Parteizelle bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 1, 17.1.1934. CAODM 455/1/3, Bl. 4-5: Ein Abteilungsleiter wird verpflichtet, die Beschlüsse des Moskauer Parteikomitees bezüglich der Reorganisation des Apparates innerhalb einer bestimmten Frist umzusetzen.
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offenen Parteiversammlungen.282 Eine wichtige Rolle spielten die Parteikomitees bei der Beschleunigung des Arbeitstempos. Im Zuge des „Kaganovic-Feldzugs", der im Sommer 1934 veranstaltet wurde,283 verkürzten die Parteikomitees bei einzelnen Schächten eigenmächtig die von Kaganovic gesetzten Fristen fur die Fertigstellung der Tunnel.284 Zur Beschleunigung des Tempos beim Bau der Eisenbetonummantelung wurde bei einigen Schächten jedem Abschnitt ein Mitglied des Parteikomitees zugeordnet. Die Parteikomitees teilten darüber hinaus Diensthabende ein, die rund um die Uhr ein „operatives Tagebuch" führten, in dem sie alle Vorgänge und Anordnungen vermerkten.285 Einige Schachtleiter äußerten im August 1934 Bedenken, ob die vom Moskauer Parteikomitee gesetzten Fristen eingehalten werden könnten. Daraufhin ließ Parteiorganisator Starostin eine Beratung des Parteiaktivs einberufen, auf der diese Ansichten scharf zurückgewiesen und die betreffenden Schachtleiter gerügt wurden. Die Parteiaktivisten hielten bei den Schächten Versammlungen ab und sorgten dafür, daß die kritischen Ingenieure durch die anwesenden Arbeiter eine Abfuhr erhielten.286 Viele Resolutionen der Parteikomitees beschränkten sich auf die Aufzählung von Mißständen und auf allgemeine Direktiven, die überall Anwendung finden konnten. Es ging darin um die Förderung des sozialistischen Wettbewerbs, die Ausweitung der Parteimassenarbeit, die strikte Verwirklichung der Einmannleitung, die Entwicklung der Selbstkritik, die Pflicht der Parteimitglieder, vorbildlich zu arbeiten und die parteilosen Arbeiter für die Planerfüllung zu motivieren, die Ausweitung des politischen Unterrichts, die Einhaltung von Fristen, die Wachsamkeit gegenüber Klassenfeinden oder die Verbesserung der Gewerkschaftsarbeit und der Unterbringung der Arbeiter.287 In anderen Resolutionen wurde die Betriebsleitung mit der Verwirklichung von Maßnahmen beauftragt, die sie selbst vorgeschlagen hatte.288
282 Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Bakulin, 8. Distanz, 24.3.1935. GARF R-7952/7/341, Bl. 174. 283 Vgl. Kap. V.3. 284 Poletaev 1953, S. 32-33. 285 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Bel'skij, Schacht 18-18bis. GARF R-7952/7/ 341, Bl. 197. 286 Ebd., Bl. 189-191. - Vor der Untersuchungskommission, die im Zuge dieser Affäre vom Moskauer Parteikomitee eingesetzt wurde, wies Schachtleiter Tankelevii auf die schwerwiegenden technischen Probleme beim Bau der Station „Mjasnickie vorota" hin und äußerte auch gegenüber KaganoviC Bedenken, daß durch die Tempojagd Gefahren heraufbeschworen würden. Kaganovii entschied nach einer Konsultation mit Fachleuten, das mittlere Gewölbe der Station zu verkürzen. (Ebd., Bl. 191-192). 287 Vgl. z.B.: Büro der Parteizelle bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 1, 17.1.1934. CAODM 455/1/3, Bl. 4 - 7 . Parteikomitee bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 31, 5. und 7.10.1934. CAODM 455/1/4, Bl. 33. 288 Parteizelle bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 4, 28.3.1934. CAODM 455/1/2, Bl. 15: Abakumov wird beauftragt, den Leitungsapparat entsprechend dem von ihm vorgeschlagenen Schema zu reorganisieren und gleichzeitig Stellen abzubauen.
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Wichtige Instrumente in der Hand der Partei waren die Wandzeitungen, die im August 1932 ins Leben gerufene Zeitung Udarnik Metrostroja sowie die zahlreichen Schacht- und Distanzzeitungen, die ab Juli 1934 erschienen. Ende Juni 1934 hatte das Moskauer Parteikomitee die Herausgabe dieser Zeitungen gestattet und veranlaßt, daß die notwendigen Geldmittel und das Papier bereitgestellt wurden.289 Die Herausgeberschaft des Udarnik Metrostroja und der übrigen Betriebszeitungen zeigt deutlich, wie die Blätter zunehmend von der Partei instrumentalisiert wurden: Als Herausgeber des Udarnik Metrostroja fungierten 1932 das Parteikomitee, das Gewerkschaftskomitee und die Leitung von Metrostroj. Im Oktober 1933, während der Mobilisierung der „10.000", kam vorübergehend als weiterer Herausgeber das Komsomolkomitee hinzu. Im März 1934, parallel zur Unterstellung der Partei- und Komsomolzellen unter die Rayonskomitees, wurde der Udarnik Metrostroja zu einer Ausgabe der Zeitung Rabocaja Moskva, des Organs des Moskauer Parteikomitees, des Mossovet und des städtischen Gewerkschaftsrates.290 Das Management hatte somit keinen Einfluß mehr auf die Zeitung. Das gleiche galt für die Schacht- und Distanzzeitungen. Diese wurden mit wenigen Ausnahmen von den Partei-, Komsomol- und Gewerkschaftskomitees der Schächte und Distanzen herausgegeben.291 Während 1933 die Berichterstattung des Udarnik Metrostroja zu einem großen Teil auf Beschwerden von Arbeitern über die schlechten Lebensbedingungen sowie auf der im Zuge der Parteisäuberung geforderten Kritik an Parteifunktionären und sonstigen Parteimitgliedern beruhte, änderte sich 1934 der Charakter der Zeitung: Beschwerden und kritische Zuschriften von Arbeitern wurden weiterhin gedruckt, aber sie betrafen kaum mehr die Parteisekretäre, sondern überwiegend das Management (den „Apparat" oder einzelne Ingenieure) und nachlässige Arbeiter. Von Arbeitern geäußerte Kritik, die man bei der Säuberung benutzt hatte, um die Parteiorganisation zu disziplinieren, war in dieser Form nicht mehr erwünscht, denn die Partei hatte nun ihre Basisorganisationen fester im Griff. Die Autorität der Parteisekretäre sollte jetzt nicht mehr durch öffentliche Angriffe ausgehöhlt werden. Dafür wurde die Zeitung gezielt eingesetzt, um das Management und die Arbeiter unter Druck zu setzen. Die Kritik, die jetzt die Zeitung bestimmte, war eine Kritik im Sinne des Bauherrn: Die Arbeit gehe zu langsam voran und sei schlecht organisiert, die Qualität sei mangelhaft, der Kostenplan
289 Büro MGK VKP(b). Prot. 8, 23.6.1934. CAODM 4/4/5, Bl. 249. 290 Sekretariat MGK VKP(b). Prot. 2, 13.3.1934. RGASPI 17/21/3055, Bl. 46. 291 Während Rassweiler 1988, S. 79, für den Bau des Dnepr-Staudammes konstatiert, daß die dortige Betriebszeitung Dneprostroj das stärkste Instrument der Parteiführung war, sieht Straus 1997, S. 328-329, der sich mit der Moskauer Fabrik Serp i molot befaßte, in deren Betriebszeitung und den Wandzeitungen hauptsächlich Führungsmittel des Managements, dem die Partei- und Gewerkschaftsorganisation untergeordnet gewesen sei.
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werde überzogen, die Versorgung mit Baumaterialien sei nicht sichergestellt, usw. Die Sichtweise „von unten" war nur mehr marginal vertreten.292 1933 hatte es kaum eine Nummer des Udarnik Metrostroja gegeben, in der nicht irgend jemand als „Bürokrat", „Volksfeind", „Desorganisator", „Schädling" oder Dieb dem Gericht übergeben worden war. Das betraf vor allem die Bereiche, die an der Unzufriedenheit der Arbeiter die Hauptschuld trugen: die Kantinen, Wohnheime, Kooperativläden und die Materialversorgung. 1934 hört diese Art von Berichterstattung auf. Das Schwergewicht verlagerte sich auf den Kampf um Tempo und Qualität. Auf der ersten Seite jeder Ausgabe brachte der Udarnik Metrostroja nun eine Tabelle über das Plansoll und die Planerfüllung aller Schächte und Distanzen in den letzten 24 Stunden, bezogen auf den Monatsplan für den Erdaushub und die Betoneinbringung. Im Mai und Juni 1934 kam eine tägliche Berichterstattung über Qualitätsmängel und notwendige Maßnahmen zu ihrer Abstellung hinzu.293 Die Distanz- und Schachtzeitungen zielten ebenfalls auf die Schwachstellen der Produktion. Schacht- und Distanzleiter und Ingenieure wurden angeprangert, wenn unter ihrer Leitung der Plan nicht erfüllt oder in schlechter Qualität gebaut wurde. Die Zeitungen beschränkten sich nicht darauf, Material zu publizieren, sondern sie forderten Konsequenzen: Ingenieure wurden abgelöst, entlassen, vor Gericht gestellt oder erhielten zumindest einen Verweis. Die Redaktionen der Zeitungen veranstalteten gemeinsam mit dem Komsomol „Raids" der „Leichten Kavallerie", um zu kontrollieren, wie die Administration die Beschlüsse des Moskauer Parteikomitees und des Mossovet umsetzte. Wenn die Bauleitung schlechte Arbeit mit objektiven Gründen wie dem Mangel an Arbeitskräften rechtfertigte, schickte die Redaktion mit Stoppuhren ausgerüstete , Arbeiterkorrespondenten" [rabkor] in die Brigaden und ließ sie Arbeitszeitstudien durchführen, um den häufigen Stillstand infolge schlechter Arbeitsorganisation zu dokumentieren. Die Arbeiterkorrespondenten ließen der Bauleitung und dem Gewerkschaftskomitee keine Ruhe, bis geeignete Maßnahmen ergriffen wurden. Die Redaktionen setzten den Bauleitern schriftlich Fristen für die Beseitigung von Mängeln. Wenn sich die Maßnahmen oder Antworten auf solche Briefe verzögerten, wurden die Namen der Verantwortlichen in der Zeitung veröffentlicht. Der Redakteur einer Betriebszeitung schätzte die Wirksamkeit dieser Maßnahmen als hoch ein. Achtzig bis neunzig Prozent des in seiner Zeitung publizierten Materials über Mißstände habe deren Beseitigung zur Folge gehabt.294
292 Um die Jahreswende 1934/35 zeichnete sich eine neuerliche Wende ab: Es begann nun eine Phase der Selbstverherrlichung der Partei. Man hatte zwar noch genug mit den letzten Arbeiten und Nachbesserungen zu tun, aber die Hauptarbeit war geschafft, und der Erfolg des Unternehmens stand fest. Es erschienen nun längere Artikel über einzelne Helden der Baustelle. Parallel dazu entwickelte sich auch der Personenkult um Stalin und KaganoviC immer stärker. 293 Zu der Kampagne um die Qualität siehe Kap. VI.7. 294 Sten. Gespräch mit dem Redakteur der Betriebszeitung der 6. Distanz, Emel'janov, 24.3.1935. GARF R-7952/7/321, Bl. 117-120.
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Da die Zeitungen einen Mißstand bestenfalls mit einem Tag Verzögerung publik machen konnten, suchten die Pressebrigaden295 nach anderen Möglichkeiten, schneller und „operativ", wie ein Schlagwort der damaligen Jahre lautete, auf Probleme zu reagieren. Eine Methode waren die „Fenster der Metro": bis zu zwei mal drei Meter große Plakate mit einer großformatigen Karikatur, die bei den Baustellen so aufgehängt wurden, daß sie von der Straße aus sichtbar waren und sozusagen einen Blick in die Baustelle erlaubten. Diese Plakate übten starken Druck auf die Verantwortlichen aus und zwangen sie, Maßnahmen zu ergreifen. Wenn die gewünschte Wirkung erreicht war, nahm man sie wieder ab. Bei der 8. Distanz beschleunigten sie die Betonarbeiten, bei der 4. Distanz gaben sie den Anstoß zu einer „Attacke" der „Leichten Kavallerie" auf das Materiallager, in deren weiterer Folge die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde.296 Wenn die betriebsinternen Aktionen nicht die erwünschte Wirkung zeitigten, ließ man Plakate mit Karikaturen auch in Häusern aufhängen, in denen Ingenieure oder sonstige Verantwortliche wohnten. Mit letzterer Methode ging man vor allem gegen Leute vor, die nicht pünktlich zur Arbeit erschienen.297 Eine weitere Möglichkeit für die Redaktionen, schnell tätig zu werden, waren die „Blitze" [molnija]: Flugblätter, die man aus Zeitgründen nicht druckte, sondern von Hand schrieb, dem Adressaten an die Tür heftete oder in einigen Exemplaren kopierte, im Schacht aufhängte und in den Brigaden verteilte. Zur größeren Wirksamkeit wurden „Blitze" mit Karikaturen versehen und so aufgehängt, daß man sie von der Straße aus sehen konnte.298 „Blitze" konnten zum Beispiel so lauten: „Wir schlagen Alarm. Gostev gefährdet die Montage der Leitern für den 16. Ventilationsschacht. Am 1. März sollte das Werk Nr. 1 von Metrostroj (verantwortlich für die Montage ist Gen. Gostev) mit der Montage der Leitern im Ventilationsschacht beginnen. Heute ist der 3. März, und Gostev hat mit der Montage noch nicht begonnen. Schande über den Vereitler des Zeitplans. Die Redaktion der Zeitung Ventiljator."299 „Gen. Bykovskij, sie waren verpflichtet, die Pumpe bis zum ... aufzustellen. Sie haben es nicht getan. Warum?"300
295 Im März 1934 wurden aus den Redaktionen des Udarnik Metrostroja, der Zeitschrift Massovik (Organ des Moskauer Parteikomitees) und 35 Moskauer Betriebszeitungen achtzig Redakteure abgezogen und in zehn Pressebrigaden auf die rückständigen Objekte von Metrostroj aufgeteilt. Dort gaben sie zunächst Bulletins und Wandzeitungen, später Betriebszeitungen heraus. (Sten. Gespräch mit dem Redakteur Antipov, 24.3.1935. GARF R-7952/7/341, Bl. 9 0 98). 296 Ebd., Bl. 105-107. 297 Ebd. Bl. 126-127. 298 Ebd., Bl. 127-129. 299 Ebd., Bl. 127a. - Angeblich begann am nächsten Tag die Montage.
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„Blitze" setzten nicht nur die Redakteure der Zeitungen, sondern auch Kommunisten und Komsomolzen ein, die auf den Baustellen arbeiteten. Als bei der 4. Distanz ein Ingenieur sagte, daß die Arbeit nicht in der geforderten Frist zu schaffen sei, nahmen die Arbeiter sofort eine Sperrholzplatte und schrieben darauf einen „Blitz", daß der Ingenieur ein „rechter Opportunist" sei, seine Aufgabe nicht erfüllen wolle usw. Solche „Blitze" und Plakate wurden auf Schritt und Tritt aufgehängt.301 Wenn Schacht- oder Abschnittsleiter die Arbeit schlecht eingeteilt hatten, fanden sie ebenso an ihrer Tür ein Plakat vor wie Abakumov, als beim Schacht 9bis die Arbeit wegen Strommangels stillstand.302 Plakate und „Blitze" hatten, ähnlich wie die Wandzeitungen, die es bei allen Baustellen, oft auch in einzelnen Brigaden, gab, eine große Wirkung. Jeder wollte vermeiden, darin in negativer Hinsicht genannt zu werden.303
b) Die Machtausübung innerhalb der Partei- oder Komsomolorganisation Die Partei- und Komsomolmitglieder waren keineswegs alle „Enthusiasten". Viele, auch solche, die als Gruppenorganisatoren eingeteilt oder gewählt worden waren, mußten erst durch ihre Organisation aktiviert oder diszipliniert werden. Mit der Konsolidierung der Basisorganisationen, die bei den meisten Schächten und Distanzen in den ersten Monaten des Jahres 1934 erfolgte, waren die Partei- und Komsomolsekretäre auch tatsächlich in der Lage, ihre Leute wirksam zu führen und zu beeinflussen. Die gängigste Form der Machtausübung über die Partei- oder Komsomolgruppe oder die Zelle war das Abhalten von Versammlungen. Wenn sie von guten Leuten geleitet wurden, konnten solche Versammlungen stimulierend und mitreißend wirken.304 Sie hatten eine wichtige disziplinierende Funktion. Die Partei· und Komsomolsekretäre aller Ebenen und die Gruppenorganisatoren benutzten die Versammlungen gerne dazu, um Genossen, die in irgendeiner Weise negativ aufgefallen waren, persönlich vor dem gesamten Kollektiv auf ihre Fehler aufmerksam zu machen und die Kritik der Kollegen herauszufordern. Wenn man damit keine Änderung im Verhalten des Betreffenden bewirken konnte, dann führte man sie wenigstens den anderen als abschreckendes Beispiel vor Augen.
300 Sten. Gespräch mit der Komsomolzin Malkova, Schacht 23, 1.12.1934. GARF R-7952/ 7/316, Bl. 5. 301 Sten. Beratung bei Saäirin. Wortmeldung des Kommunisten Sinicyn, 4. Distanz, 28.2.1935. GARF R-7952/7/344, Bl. 74. Vgl. Sten. Gespräch mit der Schichttechnikerin Kienja, 25.6.1935. GARF R-7952/7/313, Bl. 143. 302 Sten. Gespräch mit dem Komsomolsekretär Mlodik, Schacht 9-9bis, 17.11.1934. GARF R-7952/7/305, Bl. 54. 303 Sten. Beratung bei Saäirin. Wortmeldung des Brigadiers Zuev, 28.2.1935. GARF R-7952/7/344, Bl. 77. 304 Tagebuch aus Moskau 1996, S. 95.
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Auf der ersten Parteikonferenz von Metrostroj, die Anfang Januar 1934 stattfand, fragte der Parteichef Matusov der Reihe nach, ob bestimmte Parteimitglieder, die eine leitende Funktion im Management ausübten, anwesend seien und warf ihnen dann in harter Weise öffentlich ihre Fehler vor.305 Ähnlich verliefen die Versammlungen der Schacht- und Distanzzellen: „Eine große Hilfe und Aufmunterung für unsere Arbeit waren die allgemeinen Parteiversammlungen. Auf diesen Versammlungen wurden immer Fragen der AvantgardeRolle der Kommunisten in der Produktion beraten. Zum Beispiel, wenn der Mechaniker Butjugin die Maschinen schlecht reparierte, dann traten auf der Parteiversammlung Kommunisten auf und sprachen darüber, und das zwang Butjugin zu besserer Arbeit. Es gab Fälle, daß einzelne Kommunisten in der Arbeit nachließen, doch dann reichte es, darüber in der Versammlung zu sprechen, daß sie sich besserten. [...] Wir bemühten uns, daß jede Parteiversammlung die Kommunisten ideell bereicherte."306
Wenn eine Schicht oder Brigade den Plan nicht erfüllte, wurden die Parteimitglieder oder auch ganze Parteigruppen vor das Parteibüro zitiert und gemaßregelt, weil sie selbst schlecht arbeiteten oder nicht dafür sorgten, daß die parteilosen Arbeiter mehr leisteten.307 Manche Gruppenorganisatoren versammelten täglich nach der Arbeit ihre Gruppen, um zu evaluieren, wie die Kommunisten gearbeitet hatten, und zu überprüfen, wie sie ihre Verpflichtungen erfüllt hatten. Gleichzeitig wurde der Plan fur den nächsten Tag angekündigt.308 Ob diese Maßnahmen tatsächlich so wirksam waren, wie es die Metrobauer in den Gesprächen glauben machen wollten, muß bezweifelt werden. Die interviewten Parteifunktionäre waren natürlich bestrebt, ihre Arbeit und die der Partei generell als erfolgreich darzustellen und in ihren Schilderungen den Erwartungen der Gesprächspartner zu entsprechen. Unklar ist auch, in welchem Maße die beschriebenen Methoden in den einzelnen Basisorganisationen angewandt wurden. Eine Steigerungsstufe der Kritik an Genossen in der Partei- oder Komsomolversammlung war die Forderung nach förmlichen Rechenschaftsberichten. Im Laufe des Jahres 1934 führten viele Partei- und Komsomolorganisationen systematische „Selbstberichte" [samootcet] ein: Jeder Kommunist oder Komsomolze hatte in regelmäßigen Abständen vor der Versammlung Rechenschaft darüber abzulegen, wie er seinen Verpflichtungen in der Produktion und in der politischen Arbeit nachkam. Die Kollegen, vor denen der Betreffende Rechenschaft ablegte, kannten ihn von der täglichen Arbeit und konnten gut beurteilen, ob er die Wahrheit sagte oder bloß Aktivitäten vortäuschte. Es ging dabei weniger darum, den
305 Sten. 1. Parteikonferenz von Metrostroj, 9.1.1934. CMAM 665/1/133, Bl. 76-79. 306 Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Lipman, 8. Distanz, 7.4.1935. GARF R-7952/7/315, Bl. 75. 307 Desgl. mit dem Parteisekretär Batrakov, Schacht 16-17, 13.4.1934. GARF R-7952/7/ 242, Bl. 143. 308 Ebd., Bl. 77.
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anderen zu berichten, als den Berichtenden bewußt zu machen, wo sie noch „an sich arbeiten" mußten. Im Idealfall wies der Betreffende selbst in seinem Bericht auf seine Fehler und Defizite hin. Wenn er sie unter den Tisch kehrte oder sie ihm gar nicht bewußt waren, wurde er von den Kollegen daraufhingewiesen. 309 Mit diesen Rechenschaftsberichten brachte man Partei- und Komsomolmitglieder, die zwar gute Stoßarbeiter waren, aber ihren politischen Aufgaben, nämlich der Kontrolle und Beeinflussung der übrigen Arbeiter nicht nachkamen, dazu, auch in dieser Hinsicht aktiver zu werden: „Auf den Versammlungen der Parteigruppen, die täglich nach Beendigung der Arbeit abgehalten werden, legt jeder Kommunist und jeder Kandidat Rechenschaft ab über seine Arbeit, sagt, was er gemacht hat und was er nicht machen konnte. So lernen wir voneinander, kritisieren, erreichen Tempo und hohe Qualität der Arbeit, erreichen, daß die Kommunisten selbst politisch gebildet und politische Führer der Parteilosen sind."310
Wenn die Besprechung der Rechenschaftsberichte in der Gruppe oder Zelle fur den betreffenden Kommunisten oder Komsomolzen ungünstig ausfiel, wurde er zur Besserung aufgefordert, man erteilte ihm einen Verweis oder entzog ihm den Titel „Stoßarbeiter".311 Im Rahmen der Besprechung der Rechenschaftsberichte interessierten sich die Gruppen- und Zellenmitglieder auch für die Lebensumstände des Betreffenden. Bei manchen lag die mangelnde Aktivität daran, daß sie unter schwierigen Bedingungen wohnen und leben mußten. Dem einen oder anderen wurde nach dem „Selbstbericht" Unterstützung der Partei- oder Komsomolorganisation zuteil.312 Das Studium der individuellen Lebensumstände war auch wichtiges Element einer weiteren verbreiteten Methode der Machtausübung, zu der die Parteisekretäre und Gruppenorganisatoren verpflichtet waren: Sie sollten Kommunisten „einzeln bearbeiten". Gute Gruppenorganisatoren oder Parteisekretäre kannten alle ihre Leute persönlich, führten mit ihnen Gespräche, besuchten sie in der Baracke oder in der Wohnung, um sich einen Gesamteindruck zu verschaffen. Die „ B e a r beitung" konnte darin bestehen, daß ein Kommunist zu mehr Aktivität ermuntert wurde, daß man sein „politisches Niveau" durch Information, Lesestoff oder die angeordnete Teilnahme am politischen Unterricht hob, daß man ihm half, wenn er persönliche Probleme hatte, oder daß man seinen Fall in der Versammlung publik machte und dadurch moralischen Druck auf ihn ausübte.
309 Vgl. z.B. desgl. mit dem Parteiorganisator Lipman, 8. Distanz, 19.11.1934. GARF R-7952/7/304, Bl. 15. Desgl. mit dem Parteisekretär Ol'chovii, Schacht 7-8, 13.4.1934. GARF R-7952/7/242, Bl. 98. 310 Desgl. mit dem Parteiorganisator Lipman, 8. Distanz, 7.4.1935. GARF R-7952/7/315, Bl. 79. 311 Desgl. mit dem Brigadier Pliss, Schacht 3132. GARF R-7952/7/306, Bl. 147. 312 Desgl. mit der Komsomolzin Nikitina, 7. Distanz, 3.12.1934. GARF R-7952/7/317, Bl. 35.
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Als Parteisekretär Gusev aufmerksam wurde, daß der Vortriebshauer Trusinin sich nicht mehr um die Parteiarbeit kümmerte, betrunken zur Arbeit erschien und seit vier Monaten keinen Mitgliedsbeitrag mehr gezahlt hatte, lud er ihn zu einem persönlichen Gespräch ins Parteikomitee vor. Trusinin erzählte, daß er zu Hause Probleme habe und darum sein Geld vertrinke. Gusev ging zu ihm nach Hause und sah, daß Trusinin mit seiner Frau und drei Kindern unter erbärmlichen Umständen wohnte. „Wir erörterten die Frage des Kommunisten Trusinin auf der Sitzung des Parteikomitees. Zu dieser Versammlung luden wir alle Kommunisten ein. Am Falle Truäinin zeigten wir den Kommunisten und Komsomolzen, wie ein Kommunist nicht sein soll. Wir gaben ihm eine konkrete Aufgabe, eine Frist, sagten ihm, was er in der Arbeit machen muß. Wir legten dem Schachtleiter nahe, seine Lebensbedingungen zu verbessern."313
Nicht nur einzelne Kommunisten und Komsomolzen, auch ganze Komsomolbrigaden wurden das Objekt von Inspektionen, die meist in der Form abliefen, daß die Brigaden gegenseitig ihre Arbeit und Planerfüllung überprüften. Auf diese Weise veranlaßte man Brigaden, die ihren Plan nicht erfüllten, zu mehr Leistung.314 Die gegenseitigen Kontrollen appellierten ebenso wie die Rechenschaftsberichte vor dem Kollektiv an den Stolz und den Ehrgeiz der Leute: Komsomolzen wurden ins Zellenbüro zitiert und gefragt, ob ihr Verhalten oder ihre Leistung eines Komsomolzen würdig sei.315 Als weiterer, ähnlicher Stimulus wurde auch die Zuweisung verantwortlicher Aufgaben eingesetzt: „Einen machte ich verantwortlich für die Werkzeuge in der Brigade, einen anderen für die Teilnahme der Brigade an technischen Zirkeln, für politische Fragen (sozusagen einen inoffiziellen politischen Führer [politruk], der sich um die Mitgliedsbeiträge kümmerte, um die Teilnahme an der gesellschaftlichen Komsomolarbeit, um jedes Mitglied der Brigade, wie er arbeitet, wie er lebt). Dann gab es noch den Sektor für Kultur und Alltagsleben und Verwaltung, - das war ich. Ich kümmerte mich um die Nöte und kulturellen Bedürfhisse jedes Mitglieds meiner Brigade, um seine richtige Einstufung in die Lohngruppe."316
Mit dieser Methode gelang es dem Parteisekretär Levitas, einen Jugendlichen, der früher aktiver Funktionär gewesen, dann wegen eines Vergehens aus dem Komsomol ausgeschlossen worden war und seither nichts mehr mit dem Komsomol zu 313 Desgl. mit dem Parteisekretär Gusev, Schacht 33-35. GARF R-7952/7/300, Bl. 216. 314 Rechenschaftsbericht des Komsomolsekretärs Chochrjakov über die Arbeit im Schacht 18, 11.12.1934. RGASPI lm/3/129, Bl. 209. 315 Sten. Gespräch mit dem Komsomolzen Gribanovskij, Schacht 18, 7.8.1934. GARF R-7952/7/241, Bl. 110. 316 Ebd.
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tun haben wollte, die meiste Zeit untätig im Schacht stand und seine Kollegen von der Arbeit abhielt, wieder für die Komsomolarbeit zu gewinnen. Levitas erkannte, daß der junge Mann, den die Arbeiter wegen seines Aussehens und Gehabes „Professor" nannten, intelligent war, beauftragte ihn, eine mehrtägige Massenveranstaltung fur die Jugend vor den Toren Moskaus zu organisieren und ließ ihm zu diesem Zweck Mittel bewilligen.317 Die Disziplinierung der Kommunisten und Komsomolzen erfolgte auch über den Udarnik Metrostroja, die Schacht- und Distanzzeitungen, Wandzeitungen, über Plakate und „Blitze". Nicht nur ihr Verhalten in der Produktion, sondern auch ihre politische Aktivität (bzw. Inaktivität) wurde auf diese Weise beleuchtet. Parteimitglieder, die den politischen Unterricht nicht besuchten, nichts für ihr „kulturelles Wachstum" taten oder als Parteiorganisatoren keine „Massenarbeit" betrieben, fanden sich unter Nennung ihres Namens oder als Karikatur in der Zeitung oder auf einem Plakat wieder. Wer zu spät zum politischen Unterricht kam, wurde auf einem „Fenster der Metro" lächerlich gemacht.318 Die schon erwähnten Pressebrigaden prangerten überforderte Parteiorganisatoren nicht nur an, sondern leisteten ihnen auch Unterstützung. Sie berieten sie bei der Dislozierung der Kommunisten und Komsomolzen auf die Brigaden, halfen ihnen bei der Erstellung von Stundenplänen und Konzepten für den politischen Unterricht und beschafften Lesestoff.319 Als der Parteisekretär der Caissongruppe das von der Pressebrigade vorgelegte Material ignorierte und die Parteiarbeit nicht verbesserte, schaltete die Pressebrigade das Parteiblatt Rabocaja Moskva ein. In der Folge kümmerte sich das Rayonsparteikomitee um die Parteizelle des Schachtes.320 Fast alle der geschilderten Methoden der Machtausübung beruhten auf dem Prinzip, Verhaltensweisen, Fehler oder sogar das Familienleben von Einzelpersonen zur öffentlichen Sache des gesamten Kollektivs zu machen. Ob ein Kommunist passiv war, trank oder seine Frau betrog, war nicht nur sein privates Problem, sondern Angelegenheit der Parteigruppe oder Zelle, die sich ganz selbstverständlich einmischte.
c) Die Machtausübung über die Arbeiter Das Publik-Machen und die Einbeziehung des Kollektivs waren auch der Kern der Machtausübung über die Arbeiter. , Jeder wußte, daß er sich bei Nichterfüllung des Plans nicht nur gegenüber den Vorgesetzten, sondern auch gegenüber
317 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Levitas, Schacht 15-17, 19.11.1934. GARF R-7952/7/304, Bl. 63-65. 318 Desgl. mit dem Redakteur Antipov, 2. Schrägschacht. GARF R-7952/7/341, Bl. 92. 319 Ebd., Bl. 92-95. 320 Ebd., Bl. 103.
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Die Strukturen im Hintergrund
dem gesamten Kollektiv rechtfertigen muß, wo man die wahren Gründe des Zurückbleibens nicht verbergen kann," meinte der Leiter der 7. Distanz.321 Auf Schautafeln bei den Baustellen wurden die Leistungen von Brigaden und individuellen Arbeitern einander gegenübergestellt. Langsame Arbeiter wurden durch Symbole wie Schnecken oder Schildkröten dem Gespött ihrer Kollegen preisgegeben und erhielten ihren Lohn an gesonderten, schwarzen Kassen, die möglichst auffällig aufgestellt wurden. Solche Methoden hätten in anderen Ländern heftigen Protest der Gewerkschaften zur Folge gehabt. In der Sowjetunion der Stalinzeit waren es gerade die Gewerkschaften, die auf die Arbeiter auf diese Weise moralischen Druck ausübten.322 Genauso, wie man Parteimitglieder vor der Parteiversammlung brandmarkte, stellte man Arbeiter vor der versammelten Brigade oder der Produktionsberatung bloß.323 Wenn es sich um schwere Vergehen handelte, führten die anwesenden Kommunisten und Komsomolzen in der Arbeiterversammlung einen Beschluß herbei, in dem die Administration gebeten wurde, den Betreffenden zu entlassen.324 Obwohl die Kommunisten und Komsomolzen fast überall in der Minderheit waren, gelang es ihnen in solchen Fällen, die Mehrheit der (anwesenden) Arbeiter zur Ausgrenzung ihrer Kollegen zu veranlassen. In den Wand- und Betriebszeitungen wurden Arbeiter, die positiv oder negativ aufgefallen waren, namentlich oder sogar mit einem Foto als Vorbilder gelobt oder an den Pranger gestellt. Oft wurden sie auch in Karikaturen oder in Spottversen verrissen. Zur Einwirkung auf Arbeiter, die faulenzten oder blaumachten und nicht auf Zeitungsartikel reagierten, wurden Karikaturen in den Wohnbarakken aufgehängt.325 Karikaturen und Verse über rückständige, aber auch über vorbildliche Arbeiter wurden in den Schächten als Plakate angebracht. Die Verse konnten auch bloße Aufforderungen an konkrete Personen oder Brigaden sein, bestimmte Arbeiten fristgerecht und ordentlich auszufuhren.326 Besonders intensiv wurde diese Methode der „Massenarbeit" in der Schlußphase des Baus eingesetzt. In den Tunnels hingen Plakate wie: „Fliesenlegerbrigade Borisov. Ihr habt euch verpflichtet, täglich zwei Quadratmeter pro Mann zu liefern. Ihr erfüllt diese Verpflichtung nicht. Ihr gefährdet die Frist für die Fertigstellung der Station. Das Dreieck ordnet euch an, alle Kräfte anzuspannen und eure Aufgabe zu erfüllen."
321 Desgl. mit Ing. Stepanov, 7. Distanz. GARF R-7952/7/320, Bl. 109. 322 Vgl. Citrine 1936, S. 158, 330. Vgl. Rückkehrer berichten 1942, S. 134, 162-163. Vgl. Sten. Gespräch mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 7. 323 Sten. Erinnerungsabend beim Schacht 31-32, 17.9.1934. GARF R-7952/7/243, Bl. 119. 324 Sten. Gespräch mit dem Brigadier Cholod, Schacht 7-8. GARF R-7952/7/322, Bl. 198. 325 Desgl. mit dem Redakteur Antipov, 24.3.1935. GARF R-7952/7/341, Bl. 126. 326 Desgl. mit dem Parteisekretär Fel'dman, Schacht 10-11, 16.9.1934. GARF R-7952/ 7/309, Bl. 47-48.
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„Genossen, Brigade Parin, das Dreieck der Distanz würdigt eure Stoßarbeit. Ihr habt einen Gegenplan gemacht. Ihr habt den dritten Caisson gemacht, die Aufgabe erfüllt. Wir anerkennen eure Stoßarbeit und rufen die Arbeiter auf, es der Brigade Parin gleichzutun."327
Eine Sonderform dieser Plakate waren die „Signale". Sie wurden von der Redaktion der Schachtzeitung formuliert, nahmen Arbeiter aufs Korn, die nicht schnell oder gut genug arbeiteten, und wurden beim Eingang des Schachtes aufgehängt. Um die „Signale" noch schneller herausbringen zu können, begab sich die Redaktion des Udarnik scita auf dem Höhepunkt der Arbeiten für einige Tage in den Schacht und gab dort insgesamt neunzig solcher „Signale" heraus. Rund um die „Signale" drängten sich ständig Arbeiter. Die auf den Plakaten karikierten Faulenzer, Blaumacher und Mangelarbeiter wurden von ihren Stoßarbeiter-Kollegen ausgelacht und verspottet. Oft reichte die Ankündigung, Material an die Redaktion zu schicken aus, um einen Mangel abzustellen.328 An Brennpunkten der Arbeit, wenn es darum ging, unter extremem Zeitdruck die Tunnel fertigzustellen oder die Verkleidung der Stationen abzuschließen, verfaßten Komsomolzen und Kommunisten Flugblätter mit kurzen Parolen, wie den folgenden: „Damit keine Fugen in der Verkleidung sichtbar sind, Marmorsteinmetz - achte mehr auf die Einfassung." „Wir haben für den Marmor hohe Preise gezahlt jede Fliese - an die Säule und an die Wand." „Wir werden Ausschußproduktion säuberlich aus der Verkleidung hinausfegen, Marmorsteinmetz - mehr Arbeitsroutine!" „Damit die Station in alle Richtungen wie ein Spiegel glänzt, poliert die Ecken der verkleideten Säulen sauberer!"329
Die schon erwähnten „Blitze" wurden auch gegenüber den Arbeitern eingesetzt und spielten eine wichtige Rolle bei der Festigung der Arbeitsdisziplin oder bei besonderen Anlässen. Während der Kampagne zur Zeichnung der Industrialisierungsanleihe erschien bei einigen Distanzen alle fünf bis sechs Minuten ein „Blitz": Arbeiter kamen in die Redaktion und sagten, sie würden die Anleihe in
327 Desgl. mit dem Parteisekretär Lipman, 8. Distanz, 8.4.1935. GARF R-7952/7/315, Bl. 107. 328 Udarnik scita Nr. 64, 17.2.1935, S. 4. 329 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Feld'man, Schacht 10-11, 25.3.1935. GARF R-7952/7/322, Bl. 67.
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Höhe eines Monatslohnes zeichnen und nannten den Namen eines anderen Arbeiters, den sie zum Wettbewerb herausforderten, es ihnen gleich zu tun.330 Die Anleihekampagnen sind ein gutes Beispiel dafür, wie jeder einzelne Arbeiter persönlich unter Druck gesetzt wurde. Die Gewerkschaftsleute sprachen Arbeiter, die die Anleihe nicht oder nur in geringer Höhe gezeichnet hatten, wiederholt an und nötigten sie, bis sie nachgaben. Arbeiter, die von ihren Kollegen zum Wettbewerb aufgerufen worden waren und sich weiterhin weigerten, die Anleihe zu zeichnen, liefen Gefahr, auf der nächsten Betriebsversammlung als „fremdes Element" „entlarvt" zu werden.331 Da viele Metrobauer eine zweifelhafte Herkunft hatten, vermieden sie es lieber, dieses Risiko einzugehen. „Wenn ihr geheim abstimmen ließet, würde niemand für euch stimmen", zitierte in diesem Zusammenhang ein Gewerkschaftsbericht die Äußerung eines Arbeiters.332 Andere Anleihewerber gingen mit psychologischen Tricks vor, erweckten im persönlichen Gespräch den Eindruck, als würden sie den jeweiligen Arbeiter ins Vertrauen ziehen und baten ihn, ihnen gegenüber den anderen zu helfen. Mit solchen Methoden gelang es, auch in Saisonarbeiterbrigaden, die sich gegenüber der Anleihe ablehnend verhielten, gute Ergebnisse zu erzielen.333 Nicht nur bei der Anleihekampagne, sondern auch in anderen Situationen machten viele Arbeiter schlicht aus Angst vor Verfolgung mit und zeigten das erwünschte Verhalten. In den Quellen über den Bau der Untergrundbahn ist diese Angst nur selten dokumentiert. Eines der wenigen Beispiele ist das Interview mit dem Chefingenieur des Schachtes 21-21bis, gegenüber dem ein älterer Metrobauer bekannte, daß er bei einem Schwimmsandeinbruch nur deshalb unter Lebensgefahr in den Schacht gekrochen war, weil er wußte, daß ihn andernfalls am nächsten Tag die OGPU abgeholt hätte.334 Grobe Disziplinverletzungen in der Produktion konnten strafrechtlich geahndet werden. Der Strafrahmen lag bei Freiheitsentzug von sechs Monaten bis zu drei Jahren.335 In welchem Umfang beim Bau der Metro die Strafgerichte als Disziplinierungsmittel eingesetzt wurden, läßt sich schwer abschätzen. Erwähnt werden sie - wenn man von Diebstählen, Unterschlagungen und anderen kriminellen Handlungen absieht - vereinzelt im Sommer 1934 im Zusammenhang mit den Bemühungen, die eklatanten Qualitätsmängel bei den Betonarbeiten in den Griff
330 Desgl. mit dem Redakteur Antipov, 2. Schrägschacht. GARF R-7952/7/341, Bl. 107. 331 Informationssektor der Abteilung für Organisationsarbeit von VCSPS. Bericht über die Einstellungen von Arbeitern, ITR und Angestellten während der Anleihekampagne, 25.5.1933. GARF R-5451/43/28, Bl. 177. 332 Bericht über ungesunde Einstellungen einzelner Arbeiter im Zusammenhang mit der Anleihekampagne, 17.5.1933. Ebd., Bl. 198-200. 333 Sten. Gespräch mit der Betoniererin Fedorova, Schacht 31-32, 17.9.1934. GARF R-7952/7/243, Bl. 102. 334 Desgl. mit Chefingenieur Pancev, Schacht 21-21bis, 18.11.1934. GARF R-7952/7/ 306, Bl. 133. 335 Ebd., S. 128. - Im Verkehrswesen war sogar die Todesstrafe möglich.
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zu bekommen. „Ernste Warnung an alle Mangelarbeiter und ihre Beschützer! Jeder Brigadier, Polier, Ingenieur und Arbeiter muß sich bewußt sein, daß er für schlechte Betonarbeit auf die Anklagebank kommen kann", hieß es im Juni 1934 in einer Schachtzeitung.336 Arbeiter und Ingenieure, die für Qualitätsmängel beim Betonieren der Tunnelwände dinghaft gemacht werden konnten, wurden vor dem Volksgericht angeklagt und zu fünf bis zwölf Monaten Arbeitslager verurteilt.337 Häufiger als das Einschreiten der Staatsanwaltschaft und des Volksgerichts waren Verfahren vor den Betriebs-Genossengerichten und sonstige interne Disziplinarstrafen. Die Straftabelle der von der Regierung am 17.12.1930 erlassenen Musterbetriebsordnung sah vor, daß die Betriebsleitungen folgende Disziplinarstrafen verhängen konnten: a) eine Rüge, b) eine Rüge mit Bekanntmachung im ganzen Betrieb, Mitteilung an das Gewerkschaftskomitee und Vermerk in den Personalpapieren, c) die Heranziehung zur Verantwortung vor dem Betriebs-Genossengericht, im Einvernehmen mit der gewerkschaftlichen Organisation, d) die fristlose Entlassung ohne Überbrückungsgeld und das Verbot der Annahme einer Beschäftigung in Industrie und Verkehrswesen bis zu sechs Monaten.338 Die effektive Verwirklichung der zitierten Strafbestimmungen setzte allerdings die Bereitschaft der Betriebsleitungen voraus, sie rigoros anzuwenden, was angesichts des chronischen Arbeitskräftemangels nicht der Fall war. Die 1930/31 eingeführten Betriebs-Genossengerichte konnten folgende Strafen verhängen: a) eine Verwarnung, b) einen öffentlichen Tadel mit oder ohne Bekanntgabe in der Wandzeitung, c) eine Geldstrafe bis zu zehn Rubel zugunsten gesellschaftlicher Organisationen, d) die Verpflichtung zum Ersatz des zugefügten Schadens, sofern er nicht mehr als fünfzig Rubel betrug, e) den Antrag auf Kündigung des Betroffenen bei der Betriebsverwaltung, f ) den Antrag bei der zuständigen Gewerkschaftsorganisation auf Ausschluß des Betroffenen aus der Gewerkschaft.339 Eine Instruktion des Zentralen Gewerkschaftsrates hatte im April 1931 die Genossengerichte instruiert, „böswillige Blaumacher und Arbeitsplatzwechsler" für eine Frist von maximal drei Monaten in eine niedrigere Versorgungsgruppe zurückzustufen. Die Betroffenen mußten ihre Bezugsscheine für die Arbeiterkooperative abgeben und erhielten neue der niedrigeren Gruppe. Bei Nichtbefolgung des Urteils des Genossengerichts wurden sie vom geschlossenen Verteiler ausgeschlossen und entlassen.340 Die Genossengerichte erfüllten im allgemeinen nicht die in sie gesetzten Erwartungen und wurden im Laufe der dreißiger Jahre zugunsten der Volksgerichte wieder zurückgedrängt. Sie erfreuten sich unter den Arbeitern keines großen An336 Tunnel' v j r o * N r . 35, 9.6.1934, S. 1. 337 Ebd. 338 Hackenberg 1978, S. 60-62, 152. 339 Ebd., S. 117. 340 Instruktion von VCSPS, Narkomsnab und Centrosojuz, publiziert in Trud, 7.4.1931.' In: Sbornik 1932, S. 225.
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sehens und konnten daher ihre Aufgabe, erzieherisch auf die Arbeiter einzuwirken, nicht erfüllen. Um die Arbeiter durch Zwang zu disziplinieren, waren ihre Kompetenzen zu gering.341 Bei Metrostroj tagten Genossengerichte häufig, 116 mal allein beim Schacht 22 im Laufe des Jahres 1933. Meistens ging es dabei um Alkoholismus und damit verbundene Exzesse und Schlägereien in den Baracken. 1934 kamen viele Arbeiter wegen Mangelarbeit vor das Genossengericht.342 Die Genossengerichte veranlaßten häufig den Ausschluß der Betreffenden aus der Gewerkschaft, die Entlassung und die Aussiedlung aus den Baracken.343 Die Komsomolzen und Kommunisten gaben auch den Brigade- und Schichtversammlungen den Charakter von Genossengerichten. Manche Komsomolbrigaden beschlossen, Arbeiter, die als Faulenzer oder wegen Zuspätkommens aufgefallen waren, mit Verweisen, der Versetzung in eine niedrigere Lohnstufe oder mit dem Ausschluß aus der Brigade zu bestrafen. Um den erzieherischen Effekt solcher Maßnahmen zu erhöhen, wurden sie zur Bewährung ausgesetzt.344 Eine häufige, von den Brigadeversammlungen verhängte Strafe war der Entzug des Titels „Stoßarbeiter" und der damit verbundenen Vergünstigungen: „Ich kontrolliere täglich, wer zu spät kommt, wer kommt und wer nicht kommt: Wenn es eine Verspätung gibt, dann berufe ich noch am selben Tag eine Versammlung ein und wir diskutieren das. Wer zehn bis fünfzehn Minuten zu spät kommt, dem wird der Titel Stoßarbeiter entzogen. Die Liste der Blaumacher und Zuspätkommenden geben wir an das Schachtkomitee weiter. Wenn sich herausstellt, daß jemand ohne akzeptierten Grund nicht zur Arbeit erschienen ist, wird er entlassen. In bezug auf die Zuspätkommenden ergreifen wir selbst Maßnahmen."345
Beim Schacht 17 setzten die Komsomolzen beim Schachtleiter und beim Parteisekretär durch, daß alle Nachbesserungen demjenigen in Rechnung gestellt wurden, der sie zu verantworten hatte. Wenn eine Arbeit nicht den technischen Erfordernissen entsprach, erklärte man sie zum Ausschuß, bestimmte die Kosten der Nachbesserungen und zog sie dem Verursacher vom Lohn ab. Damit Mangelarbeiter nicht von ihren Kollegen gedeckt wurden, war jeder, der bei Schichtantritt eine Arbeit übernahm und keinen Mangel meldete, persönlich für später aufgedeckte Mängel haftbar.346
341 Hackenberg 1978, S. 119. 342 Sten. Gespräch mit dem Brigadier Malasin, Schacht 22, 13.10.1934. GARF R-7952/ 7/305, Bl. 85, 87. 343 Tunnel' vsrok Nr. 45, 4.7.1934, S. 2. 344 Udarnik tunnelja Nr. 64, 16.7.1934, S. 2. 345 Sten. Gespräch mit der Komsomolzin Ibragimova, Schacht 10-11, 3.12.1934. GARF R-7952/7/312, Bl. 233. Ähnlich: desgl. mit dem Parteiorganisator Knutov, 8. Distanz. GARF R-7952/7/315, Bl. 97-98. 346 Desgl. mit dem Brigadier Il'inskij, Schacht 17, 9.5.1934. GARF R-7952/7/241, Bl. 40.
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Die Brigaden mußten nicht unbedingt Strafen verhängen, um auf ihre Mitglieder einzuwirken. Eine der Neuerungen, die die Komsomolzen bei den Baustellen einführten, waren die täglichen „Fünf-Minuten-Versammlungen" der Brigaden. Auf diesen Versammlungen, die in der Regel nach Schichtende abgehalten wurden, bewertete der Brigadier die Arbeit jedes einzelnen, wobei es nicht zimperlich zuging: „Wenn wir zurückblieben, machten wir eine Fünf-Minuten-Versammlung, und ich putzte die Leute zusammen, und am nächsten Tag kämpften sie mehr", meinte ein Komsomolbrigadier vom Schacht 12. 347 „Da wird auch ausgesiebt. Die Brigade sagt: Du bist ein Lump, und wenn du dich nicht besserst, jagen wir dich davon", ergänzte ein Parteimitglied.348 Die Fünf-MinutenVersammlungen sollten nicht nur die Arbeitsdisziplin und das Arbeitstempo steigern, sondern auch der Erziehung der Arbeiter dienen und sie zum Beispiel vom Trinken abbringen.349 Ob diese Methode immer so erfolgreich war, wie die Komsomolzen es gerne darstellten, muß allerdings bezweifelt werden: „In unsere Frauenbrigade kam ein Mann, Boltunov. Er war schlampig. Wir machten nach jeder Schicht eine Fünf-Minuten-Versammlung, auf der ich als Brigadierin sagte, wer wie gearbeitet hat. Boltunov mußte ich sagen: Wenn du, Boltunov, dich nicht in einigen Tagen änderst und nicht so arbeitest wie die anderen Mädchen, dann werfen wir dich aus der Brigade. Er versprach, sich zu bessern. Er wurde ein guter Stoßarbeiter. Überhaupt galt meine Brigade als eine Erziehungsbrigade. Man schickte uns ständig Jungs. Zum Beispiel Skorodumov. Sie hatten ihn aus der Vortriebshauerbrigade von Vladimirov gejagt, weil er sehr schlecht arbeitete. Auf Beschluß der Schicht-Komsomolorganisation schickten sie ihn zu mir in die Brigade. Und nach einiger Zeit wurde Skorodumov tatsächlich bei mir ein Stoßarbeiter, weil ihn die Masse ansteckte. Es war ihm unangenehm, daneben zu stehen und zu schauen, wenn alle hart arbeiteten. Noch so ein Typ: Balachina Masa. Sie wurde wegen Hooliganismus aus dem 18. Schacht gejagt. Sie kannte mich, wußte, daß unsere Brigade gut arbeitet, kam mit Tränen zu mir und weinte: Lelja, nimm mich in deine Brigade. Ich nahm sie, weil ich zu dem Schluß kam, daß sie gesund ist und wenn man an ihr arbeitet, kommt etwas Gescheites heraus. Sie fluchte ziemlich ordinär, ärger als die Jungs. Manchmal ließ sie sich auf Raufereien ein wegen der Loren. Wir hatten damals zu wenig Loren. Man mußte an ihr arbeiten, und zu Hause sprach ich viel mit ihr. Wir wohnten zusammen in einer Baracke. Und diese MaSa begann auch gut zu arbeiten, wir machten sie später zur Gruppenfuhrerin."350 Versammlungen oder Produktionsberatungen stellten innerhalb der Brigade, Gruppe oder Schicht eine Öffentlichkeit her, die sich Kommunisten und Komsomolzen
347 Desgl. mit dem Komsomolzen Rebrov, Schacht 12. GARF R-7952/7/307, Bl. 11. 348 Desgl. mit dem Kommunisten Makarov, Schacht 12, 20.11.1934. GARF R-7952/7/ 305, Bl. 118. 349 Desgl. mit dem Komsomolzen Luänik, Schacht 12. GARF R-7952/7/304, Bl. 40. 350 Desgl. mit der Komsomolzin Ustinova, Schacht 18-18bis. GARF R-7952/7/307, Bl. 156-157. Vgl. desgl. mit dem Komsomolzen Katamadze, 1. Distanz. GARF R-7952/7/302, Bl. 4.
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zunutze machten, um sogar gegen die Mehrheit der Teilnehmer ihre Beschlüsse durchzusetzen und Gegner mundtot zu machen. Auf der Versammlung oder Produktionsberatung, an der womöglich noch andere Funktionäre teilnahmen, scheuten sich offenbar viele, die eigentlich abweichende Meinungen vertraten, diese auch zu äußern, weil sie damit rechnen mußten, eine Abfuhr erteilt zu bekommen oder schlicht nicht den Mut hatten, sich öffentlich zu Wort zu melden. Gekoppelt mit dem persönlichen Vorbild und dem Appell an den Ehrgeiz der anderen, nicht als Versager gebrandmarkt zu werden, gelang es den Komsomolzen auf diese Weise, kleine Streiks, zum Beispiel gegen vorschriftswidrige Überstunden, zu brechen: „Ende März 1934 besuchte Kaganovic unsere Distanz. Danach wurden die Kommunisten und Komsomolzen in die Brigaden ausgeschickt, um Erklärungsarbeit zu leisten, wie beschämend es für unsere Distanz sei, auf dem schwarzen Brett als rückständig zu stehen. Bis zum Ende des Monats waren es nur noch sechs Tage, und wir waren mehr als einen halben Monat im Rückstand. Wir rechneten aus, wie viel jeder einzelne arbeiten müsse, damit der Rückstand aufgeholt werde. Wir arbeiteten nachts und erhielten die Aufgabe für unsere Schicht. Gegen Morgen wurde mir klar, daß wie sie nicht erfüllen würden. Wir berieten darüber mit Mitgliedern der Gruppe und beschlossen, so lange zu arbeiten, bis die Aufgabe erfüllt ist. In der Brigade waren aber einige rückständige Genossen, die die Mehrheit hinter sich versammelten, und die Gruppe weigerte sich zu arbeiten. Wir beriefen eine Produktionsberatung ein, die in der Folge das System unserer Arbeit wurde, und erörterten täglich die Ergebnisse unserer Arbeit. Zu dieser Beratung kamen der Parteiorganisator Cugunov, der Schichtingenieur und Kommunist Zinkovskij. Ich sprach im Vorfeld mit den Komsomolzen Makin und Kabanov. Auf der Beratung unterwarfen wir die Arbeit einzelner Genossen harter Kritik und beschlossen, nicht aus der Baugrube zu gehen, solange die Aufgabe der Schicht nicht erfüllt ist. Die zweite Nacht kamen ich, der Parteiorganisator der Gruppe und noch ein paar Kommunisten eine halbe Stunde vor Arbeitsbeginn, überprüften die Werkzeuge. Die Rauchpausen hielten wir so kurz wie möglich und in dieser Nacht holten wir den Rückstand von gestern auf und erfüllten den Plan. Das ermunterte die Arbeiter. Dann kamen der Gewerkschaftsorganisator Ivanov und der Parteiorganisator Cugunov und sagten, die Nachbarbrigade habe die Aufgabe nicht erfüllt und man müsse ihr helfen. Wir berieten uns mit den Jungs und beschlossen zu helfen. Weigerung gab es jetzt keine einzige mehr. Wir gingen hinüber auf den Abschnitt der Brigade Smagin, arbeiteten mit ihnen eine Stunde und halfen ihnen, die Schichtaufgabe zu erfüllen." 351 Versammlungen konnten auch ad hoc zu Agitationszwecken einberufen werden. Parteifunktionäre hielten Reden und wurden dabei von Parteimitgliedern und Komsomolzen unter den Arbeitern unterstützt, die sich sogleich zu Wort melde-
351 Sten. Beratung bei Sasirin. Wortmeldung des Kommunisten Ploticyn, 4. Distanz, 28.2.1935. GARF R-7952/7/344, Bl. 115-116.
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ten und ihre Kollegen dazu aufriefen, die Parteibeschlüsse zu befolgen.352 Aufgabe der Kommunisten und Komsomolzen war es ohnehin, auf der Baustelle und in den Baracken mit den Parteilosen „Massenarbeit" zu betreiben, d.h. mit ihnen politische Gespräche zu fuhren und sie ständig zu beeinflussen. Zu diesem Zwecke wurden die Kommunisten und Komsomolzen entsprechend disloziert. Sie mußten so verteilt werden, daß möglichst überall der Einfluß der Partei gewährleistet war.353 Schon im Juli 1932 ordnete das Parteikomitee von Metrostroj den Zellensekretären an, „qualifizierte Gesprächsfiihrer" auf die Baracken zu verteilten und eine „Kontrolle über die Qualität der in den Baracken geführten Gespräche" sicherzustellen.354 Es dauerte allerdings bis zum Frühjahr 1934, daß Partei und Komsomol wirklich ganz Metrostroj auf diese Weise durchdringen konnten. Bei den meisten Schächten und Distanzen waren erst zu diesem Zeitpunkt die Parteiund Komsomolzellen so weit gefestigt, daß die Sekretäre wußten, auf wen sie sich stützen konnten, und diese Kräfte gezielt verteilten. Kaganovic und Chruscev mußten sich mehrmals einschalten, um diesen Prozeß voranzutreiben.355 Grundsätzlich wurde jedem dafür geeigneten Kommunisten eine Gruppe von Parteilosen zugeordnet, meistens aus der Brigade, in der er arbeitete. Für diese Gruppe war er verantwortlich, mußte sie „studieren", „bearbeiten", erziehen, dafür sorgen, daß sie den Plan erfüllten, daß sie den politischen Unterricht besuchten und die technische Ausbildung absolvierten. Er hatte sich aber auch um die Lebensbedingungen dieser Arbeiter zu kümmern.356 Wenn sich Brigaden als widerspenstig erwiesen oder über längere Zeit keine Anzeichen machten, den Plan zu erfüllen, behalfen sich die Bauleiter und die Parteisekretäre mit Umgliederungen. Vor allem, wenn sich in Brigaden gleichgesinnte oder verwandte Arbeiter zusammengefunden hatten, die gemeinsam Trinkgelage veranstalteten, langsam arbeiteten, am sozialistischen Wettbewerb nicht teilnahmen und einander gegenseitig deckten, wurden solche Brigaden aufgelöst, die Arbeiter versetzt, neue Brigadiere eingeteilt und Komsomolzen oder Kommunisten in die Brigaden eingeschleust.357 An heiklen Stellen, wo es infolge schlechter Arbeit oder schlampigen Umgangs mit Maschinen zu Problemen gekommen war, wurde das Personal gegen Komsomolzen und Kommunisten ausgetauscht.358 352 Sten. Gespräch mit dem Kommunisten Pavlovskij, 4. Distanz. GARF R-7952/7/306, Bl. 8 2 .
353 Starostin/Mar'janovskij/Rezniöenko 1935, S. 26. 354 Organisationsbüro des Parteikomitees von Metrostroj. Prot. 11, 13.7.1932. GARF R-7952/7/161, Bl. 287. 355 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Gusev. GARF R-7952/7/242, Bl. 74. 356 Starostin/Mar'janovskij/Rezniöenko 1935, S. 26. Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Abramov, Schacht 9-9bis, 24.3.1935. GARF R-7952/7/299, Bl. 67-68. 357 Sten. Gespräch mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 9. 358 Desgl. mit dem Parteiorganisator Ermolaev, Schacht 7-8, 24.3.1935. GARF R-7952/ 7/301, Bl. 56-57. Desgl. mit dem Komsomolsekretär Sirjaev, 3. Distanz, 20.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 167.
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Wenn keine Aussicht auf eine erfolgreiche Umerziehung bestand, beschritt man den umgekehrten Weg und faßte alle, die „nicht die richtige Einstellung hatten" und ihren Brigaden bei der Planerfüllung hinderlich waren, in eigene Brigaden zusammen, und ernannte sogar einen von ihnen zum Brigadier. Die Brigade wurde dann mit lästigen Hilfsarbeiten beauftragt und ein Ziel des Spottes der übrigen Arbeiter. Sie wurde immer kleiner, weil die Arbeiter wegen verschiedener Vergehen entlassen wurden oder von selbst davonliefen.359 Die Komsomolzen und Kommunisten wirkten auch durch ihr Beispiel. Komsomol-Musterbrigaden sollten den übrigen Arbeitern vor Augen führen, wie man richtig arbeitet. Bisweilen wurden zu diesem Zweck regelrechte Schauwettkämpfe zwischen Komsomolbrigaden veranstaltet und auf aktionistische Weise mit „Meetings" umrahmt und gefeiert. Ein beliebter Anlaß für solche Inszenierungen waren der Vortrieb der letzten Meter vor dem Durchbruch zwischen zwei Stollen.360 Das Beispiel der Komsomolzen beschränkte sich jedoch nicht auf solche Schauwettkämpfe. Der Leiter der 2. Distanz maß dem persönlichen Beispiel große Bedeutung bei. Die Arbeiter seien mitgerissen worden, weil die Komsomolzen in der Brigade das Tempo bestimmten und andere Brigaden nicht hinter ihnen zurückstehen wollten: „Wir hatten zwei Gruppen von Arbeitern: die Saisonarbeiter und die Komsomolzen. Die Komsomolbrigaden zeigten, wie man um die Erfüllung des Plans kämpfen muß, und es kam zu einer Art Wettbewerb zwischen diesen Brigaden. Wir hatten die Erdarbeiterbrigade Chazin, bestehend aus Moskauer Komsomolzen, und die Brigade Eremin, - normale Erdarbeiter. Die Brigade Eremin stürmte die ganze Zeit, buddelte, wollte die Rote Fahne nicht den Komsomolzen überlassen. Dieser Kampf zweier Brigaden führte zu sehr guten Ergebnissen. Auf diese Weise hatten wir ständig einen Wettbewerb zwischen Moskauer Komsomolbrigaden und Angeworbenen. Wenn irgendeine Brigade schwach und unzuverlässig war, schleusten wir einige Parteimitglieder ein. Und die Brigade begann gut zu arbeiten."361
Der Ansporn wurde mit Symbolen, wie dem 1934 für die Metrobauer gestifteten „Kaganovic-Abzeichen" oder Roten Wanderfahnen verstärkt. Der Kampf um die Eroberung der Wanderfahnen wurde auf zwei Ebenen geführt: innerhalb der Schächte und Distanzen sowie zwischen ihnen. Rund um solche Symbole entfachten die Parteifunktionäre den sozialistischen Wettbewerb.362 In diesen Zusammenhang gehörte auch die Methode, durch sogenannte „Schicht-Gegenpläne" 359 Desgl. mit dem Parteiorganisator Bakulin, 8. Distanz, 24.3.1935. GARF R-7952/7/ 341, Bl. 135. 360 Desgl. mit dem Parteisekretär Bel'skij, Schacht 17-18, 17.5.1934. GARF R-7952/7/ 241, Bl. 78. 361 Desgl. mit Ing. Sokolin, Leiter der 2. Distanz, 20.11.1934. GARF R-7952/7/308, Bl. 104. 362 Desgl. mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 10. Desgl. mit dem Parteiorganisator Kopejkin, 2. Distanz. GARF R-7952/7/303, Bl. 7.
Mechanismen der Machtausübung
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das Tempo zu steigern. Parteimitglieder und Komsomolzen erhöhten die vorgeschriebenen Planziele fur die Schicht, in der sie arbeiteten: „Wir erhielten für jeden Monat und für jeden einzelnen Tag eine Aufgabe, die wir vor Arbeitsbeginn erörterten, und stellten einen Schicht-Gegenplan auf. Um den SchichtGegenplan in die Tat umzusetzen, mußten wir die Kräfte je nach Fähigkeiten verteilen. Wir hatten die Losung ,Wer die Aufgabe nicht erfüllt hat, geht nicht aus der Baugrube', und damit erreichten wir die tägliche Erfüllung unserer Aufgabe. Wir schlossen Verträge mit anderen Gruppen und nahmen individuelle Verpflichtungen auf uns. Jeder Genösse nahm Verpflichtungen auf sich, und jeden Monat überprüften wir, wie der Genösse seine Verpflichtungen erfüllt hat. So erhöhten wir Monat fur Monat unsere Arbeitsproduktivität. Wenn wir zur Arbeit kamen, schauten wir zuerst auf die Tafel der Indikatoren, achteten immer darauf, wieviel die eine oder andere Gruppe geleistet hatte und verpflichteten uns, nicht weniger als die vorhergehende Gruppe zu schaffen."363
Manche Arbeiter oder Techniker, die unzufrieden waren und schlechte Leistungen an den Tag legten, konnte man motivieren, in dem man ihnen Verantwortung übertrug. Den ärgsten Hooligan und Drückeberger habe er zum Leiter einer Elektrikerbrigade ernannt, weil er eigentlich ein guter Elektromonteur sei, erzählte der Komsomolsekretär der mechanischen Werkstatt beim Schacht 17. „Er merkte, daß er nun für eine Brigade verantwortlich war, und zwar für die schlechteste. Nach einer Woche war er nicht wiederzuerkennen, seine Brigade zeigte ungeahnte Ergebnisse."364 Die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Steigerung der Disziplin, des Tempos, der Produktivität und der Qualität der Arbeit hing in starkem Maße von der Effektivität der Kontrolle über ihre Durchführung ab. In den ersten beiden Jahren war die Kontrolle nur sehr mangelhaft. Vor allem die Nachtschichten blieben während der Abwesenheit der Schachtleiter so gut wie unbeaufsichtigt. Im November 1933 führte man die „diensthabenden Ingenieure" ein, die den Schachtleiter in seiner Abwesenheit vertraten und befugt waren, Entscheidungen zu treffen.365 Im Laufe des Jahres 1934 gelang es der Partei- und Komsomolorganisation von Metrostroj, ein mehrstufiges Kontrollsystem zu installieren. Es war dies nicht nur eine Kontrolle der Partei- und Komsomolmitglieder über die anderen Arbeiter, sondern auch eine informelle gegenseitige Kontrolle der Arbeiter in den Brigaden und Gruppen. Die informelle Kontrolle wurde bevorzugt, wenn bei Engpässen verbotenerweise Überstunden und Sonderschichten gemacht wurden:
363 Sten. Beratung bei Saäirin. Wortmeldung des Brigadiers Zuev, 28.2.1935. GARF R-7952/7/344, Bl. 76. Vgl. Plenum des Mossovet. Prot. 19, 16.7.1934. CMAM 150/5/15, Bl. 128. 364 Sten. Gespräch mit dem Komsomolsekretär Kalugin, Schacht 17, 17.5.1934. GARF R-7952/7/241, Bl. 53. 365 Desgl. mit dem Abschnittsleiter Belousov, 17.5.1934. GARF R-7952/7/241, Bl. 64.
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„Das war eine normale Erscheinung. Sogar wenn uns verboten wurde, zweite Schichten zu fahren, organisierten die Brigadiere die Arbeit ihrer Brigaden so und stellten die Frage der Verantwortung jedes Arbeiters so, daß von niemandem eine Anweisung gegeben wurde, was jeder arbeiten muß, aber jedes Mitglied der Gruppe kontrollierte in seiner Gruppe so, daß jeder sich bemühte, eine zweite Schicht zu arbeiten, damit niemand der Gruppe etwas schuldig blieb."366
Eine verbreitete Methode, um die Qualität der Arbeit zu gewährleisten, war die Überprüfung der geleisteten Arbeit durch die nachfolgende Schicht oder die gegenseitige Überprüfung zweier Baustellen. Zusätzlich wurden an Brennpunkten Posten der „Leichten Kavallerie" aufgestellt, die zum Beispiel darüber wachten, ob der Zement trocken gelagert, der Sand gereinigt und der Beton vorschriftsmäßig gemischt wurde.367 Die „Leichte Kavallerie" veranstaltete darüber hinaus überfallartige nächtliche „Raids". Am nächsten Morgen erschienen dann Flugblätter oder Sondernummern der Betriebszeitungen, in denen man lesen konnte, wen die „Kavalleristen" schlafend auf der Baustelle vorgefunden hatten oder wie sie ohne Ausweis von der Wache in ein Materiallager gelassen worden waren und ungehindert mit einem Lastwagen Baumaschinen abtransportiert hatten. Das Ergebnis solcher „Raids" waren meistens Entlassungen und Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft.368 Ansonsten war es grundsätzlich die Aufgabe der Komsomolzen und Kommunisten, die Arbeit und die Einstellungen in ihrer Brigade ständig zu kontrollieren, „fremde Elemente" aufzuspüren und gegebenenfalls Meldung zu erstatten.369 Wenn sie den Verdacht hatten, daß sich „Kulaken" eingeschlichen hatten, holten die Parteisekretäre bei den Dorfsowjets der Heimatgemeinden Auskünfte über die Arbeiter ein, hielten dann eine Versammlung ab und jagten die „Entlarvten" mit Schimpf und Schande davon.370 Zu besonderen Anlässen setzten die Parteikomitees bei den Schächten und Distanzen „zeitweilige Kontrollkommissionen" ein. Deren Auftrag konnte darin bestehen, „fremde Elemente" aufzuspüren371 oder fur die Eindämmung des ausufernden Arbeitsstillstands, des Zuspätkommens und Blaumachens zu sorgen. Kontrollkommissionen agierten mitunter gegen den Widerstand des Schachtleiters,
366 Desgl. mit Ing. Svarcman, Abschnittsleiter beim Schacht 22, 1.2.1935. GARF R-7952/ 7/323, Bl. 115. 367 Desgl. mit dem Parteisekretär Bel'skij, Schacht 18-18bis. GARF R-7952/7/341, Bl. 189-190. Desgl. mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 21-21a. 368 Stv. Leiter von Metrostroj, Ajngorn. Anordnung 380, 15.5.1934. CMAM 665/1/118, Bl. 229-230. Sten. Gespräch mit der Komsomolzin Malkova, Schacht 23, 1.12.1934. GARF R-7952/7/316, Bl. 5. 369 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Gusev, Schacht 29, 5.2.1934. GARF R-7952/7/ 271, Bl. 19. 370 Desgl. mit dem Parteisekretär Gusev, Schacht 33-35. GARF R-7952/7/300, Bl. 210. 371 Desgl. mit dem Parteisekretär Kopejkin, Caissongruppe, 28.3.1935. GARF R-7952/7/ 303, Bl. 25.
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der es nicht gerne sah, daß die Arbeiter, die er dringend benötigte, entlassen wurden.372 Im April 1934 wurde mit den sogenannten „gesellschaftlichen Inspektoren" eine Institution ins Leben gerufen, die sich bei der Kontrolle über die Qualität der Arbeiten als sehr wirkungsvoll erwies. Die „gesellschaftlichen Inspektoren" waren gute Stoßarbeiter, meistens Komsomolzen, die in zweimonatigen Kursen ausgebildet wurden und eine technische Prüfung ablegen mußten. Sie überprüften die Qualität der Betonarbeiten und der Wasserisolierung sowie den richtigen Einsatz von Maschinen und Geräten. Die Ergebnisse ihrer Inspektionen trugen sie in „Arbeitsqualitätsbücher" ein. Für jede Brigade wurde in diesen Büchern vermerkt, wann und wo sie die Arbeit angetreten und in welchem Zustand sie die Arbeit von der vorhergehenden Schicht übernommen hatte. Die leitenden Ingenieure lasen regelmäßig die Eintragungen und trafen Anordnungen zur Ausbesserung der Mängel. Auch die Parteisekretäre ließen sich von Zeit zu Zeit das Buch zeigen und ergriffen Maßnahmen. Die „gesellschaftlichen Inspektoren" kontrollierten die Ausführung dieser Anordnungen. Abschriften aus den Büchern wurden als Plakate aufgehängt. Nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Poliere und Schichtingenieure hatten Respekt vor den Inspektoren. Die für schwere Qualitätsmängel Verantwortlichen wurden entlassen oder erhielten zumindest einen Verweis.373 Die Inspektoren waren befugt, auch von Ingenieuren und Technikern Maßnahmen zur Vermeidung von Mängeln zu fordern. Im Konfliktfall mußten sie sich dem Schichtingenieur, dem Abschnitts- oder sogar dem Schachtleiter nicht fügen, sondern fertigten eine Niederschrift über die Meinungsverschiedenheit an.374 Die „gesellschaftlichen Qualitätsinspektoren" übten ihr Amt zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit aus. Sie kamen vor Beginn ihrer Schicht, stiegen in den Schacht, überprüften die Arbeit der Vorgängerschicht und trafen Anordnungen über Nachbesserungen. Unmittelbar vor Arbeitsbeginn kontrollierten sie nochmals, ob die Nachbesserungen tatsächlich erfolgt waren. Wenn nicht, wurden die Mängel im Qualitätsbuch festgehalten.375 In den ersten Wochen ihrer Tätigkeit erregten die Qualitätsinspektoren großes Aufsehen. Mit der Zeit ebbte ihr Engagement ab und ließ ihre Wirkung nach. Das Qualitätsbuch wurde zu einer lästigen Verpflichtung, und manche Inspektoren wurden von den Arbeitern nicht mehr ernst genommen. Eine Komsomolzin berichtete enttäuscht, daß die Arbeiter lachten, wenn sie in den Schacht stieg, und
372 Desgl. mit dem Komsomolzen Egoryiev, Schacht 23bis. GARF R-7952/7/301, Bl. 67. 373 Desgl. mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz, 3.4.1935. GARF R-7952/7/316, Bl. 28. Desgl. mit der Komsomolzin Ustinova, Schacht 18-18bis. GARF R-7952/7/307, Bl. 159-160. 374 Tagebuch des Qualitätsinspektors V.l. Babakin. Eintragung vom 13.5.1934. GARF R-7952/7/447, Bl. 240. 375 Sten. Gespräch mit dem Komsomolsekretär Chochijakov, Schacht 18, 13.3.1935. GARF R-7952/7/322, Bl. 179, 183.
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ihr zuriefen: „Da kommt der gesellschaftliche Inspektor". Ihre Anweisungen wurden ignoriert, und sie konnte nicht mehr tun, als festgestellte Mängel in das Buch eintragen.376
6. M e t r o s t r o j im N e t z w e r k der K o m m a n d o w i r t s c h a f t Die Art und Weise, wie der Bau der Moskauer Untergrundbahn ablief, ist nur vor dem Hintergrund der stalinistischen Kommandowirtschaft verständlich. Metrostroj agierte nicht wie ein herkömmlicher Betrieb in einem freien Wirtschaftssystem, sondern war fest in das Netzwerk der Staats- und Parteiinstanzen eingebunden. Im folgenden soll untersucht werden, welche Stellen und Behörden sich für Metrostroj interessierten, auf welche Weise sie Richtlinien vorgaben, in das Bauvorhaben eingriffen sowie Kontrolle und Einfluß geltend machten. Dabei lassen sich grundsätzlich drei Arten von Interventionen unterscheiden: die Vorgabe von Richtlinien und Rahmenbedingungen, die direkte Einmischung in die Unternehmensleitung sowie die Kontrolle über das Unternehmen.
a) Richtlinien und Rahmenbedingungen: Parteispitze und Regierung Der Bau der Moskauer Untergrundbahn war nicht von den städtischen Behörden, sondern vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei beschlossen worden. In der weiteren Folge übertrug man zwar die Zuständigkeit für das Unternehmen dem Mossovet, bedingt durch den Prestigecharakter des Baus und die überwiegende Finanzierung aus dem Unionshaushalt befaßten sich aber auch die höchsten Partei- und Regierungsstellen noch einige Male damit. In der ersten Hälfte der dreißiger Jahre wurden die staatlichen Organe sukzessive als Entscheidungsträger von Parteigremien abgelöst. Alle wichtigen Beschlüsse fielen an der Parteispitze. Die eigentliche Regierung, nämlich der Rat der Volkskommissare (SNK), der in den Verfassungen von 1924 und 1936 als das höchste Exekutiv- und Administrativorgan der Sowjetunion definiert war, wurde fest an das Politbüro gebunden. 1930 ernannte Stalin seinen engen Vertrauten im Politbüro, Molotov, gleichzeitig zum Vorsitzenden des SNK. Damit sollten für die Zukunft jene Konflikte vermieden werden, die sich unter Molotovs Vorgänger Rykov ergeben hatten. Ab 1930 wurden gemeinsame Dekrete und Resolutionen des SNK und des Zentralkomitees verabschiedet, die überwiegend im Politbüro diskutiert und formuliert worden waren. Bei weniger zentralen Fragen der täglichen Regierungsarbeit konnte der SNK auch Dekrete herausgeben, die nachträg-
376 Desgl. mit der Komsomolzin Knosallo, Schacht 18bis. GARF R-7952/7/303, Bl. 111.
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lieh vom Politbüro bestätigt wurden. Die Sitzungen des SNK waren mit jenen des Politbüros zeitlich koordiniert.377 Die Anordnungen Stalins und des engsten Führungskreises sind in der Regel nur insofern quellenmäßig faßbar, als sie förmliche Beschlüsse des Politbüros waren. Die Vielzahl von Anweisungen oder Anregungen, die Stalin über seine Kanzlei, im persönlichen Gespräch oder telefonisch erteilte, sind nur fragmentarisch dokumentiert. Wir wissen aber, daß diese Art von Führung eine große Rolle spielte und im Laufe der dreißiger Jahre immer mehr das Politbüro als Körperschaft substituierte. Die Zahl der Politbürositzungen verringerte sich in den Jahren 1931 bis 1935 von 61 auf 16.378 Zwischen den Sitzungen wurden Entscheidungen auf dem Wege von Konsultationen [„ oprosom "] einzelner Mitglieder getroffen und wichtige Fragen außerdem zunehmend im kleineren Kreis, nämlich in Kommissionen des Politbüros beraten und entschieden.379 Aus diesem Grunde nahm die oberste Parteiführung auch bei Metrostroj größeren Einfluß, als es aus den zugänglichen Politbüroprotokollen scheint.380 Dadurch, daß der Moskauer Parteichef Kaganoviö gleichzeitig die zweitwichtigste Person nach Stalin im Politbüro war und dort ab 1934 die Verantwortung für das Verkehrswesen, die Industrie, den Komsomol und die Parteikontrolle trug,381 kann man seine zahlreichen Interventionen während des Baus der Untergrundbahn auch als Einmischungen des Politbüros betrachten, zumal sich Kaganoviö diesbezüglich regelmäßig mit Stalin austauschte und von ihm Weisungen und Ratschläge empfing.382 Wenn Stalin nicht in Moskau war, leitete Kaganovic das Politbüro, und auch sonst formulierte er oft die Beschlüsse. Gemeinsam mit Molotov nahm Kaganovic eine Sonderstellung unter den Politbüromitgliedern ein, die allein schon aus der Statistik der Besuche im Arbeitszimmer Stalins ersichtlich ist: In den Jahren 1931 bis 1936 waren Molotov und Kaganovic am häufigsten bei Stalin, die anderen Politbüromitglieder folgten mit großem Abstand.383 Allein die Anwesenheit Stalins im Kreml übte eine disziplinierende Wirkung auf die Moskauer Parteifunktionäre aus. Ein Mitarbeiter des Moskauer Parteikomitees berichtet in seinen Memoiren, daß man als Funktionär zu jeder Uhrzeit mit
377 Decision-making 1996, S. 16-19. Vgl. Watson 1996, S. 188-190. 378 Watson 1996, S. 55. 379 Decision-making 1996, S. 12-13. 380 Die im RGASPI zugänglichen Politbüroprotokolle geben nur ein unvollständiges Bild von der Tätigkeit der Parteispitze. Die Akten von Stalins persönlicher Kanzlei befinden sich im Archiv des Präsidenten unter Verschluß. Zentrale Themen der Politik, zum Beispiel auf dem Gebiet der Außenpolitik, tauchen in den Politbüroprotokollen gar nicht auf, die dafür mit einer Flut von Nebensächlichkeiten und Detailfragen überfrachtet sind. (Vgl. Decision-making 1996, S. 58). 381 Ebd., S. 14. 382 Kaganoviö: Pamjatnye zapiski 1996, S. 437. 383 Vgl. Chlevnjuk 1996, S. 65-69.
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einem Anruf Stalins rechnen mußte, - und wehe, man war dann nicht am Arbeitsplatz.384 Die förmlichen Interventionen des Politbüros und des Rates der Volkskommissare beim Bau der Untergrundbahn beschränkten sich auf einige, allerdings wichtige Beschlüsse, die nicht in die Führung des Unternehmens Metrostroj eingriffen, sondern Richtlinien und Rahmenbedingungen vorgaben oder Konflikte innerhalb der Unternehmensleitung und zwischen Metrostroj und Regierungsbehörden schlichteten. Der Rat der Volkskommissare bestätigte, nachdem er Rotert zum Leiter von Metrostroj ernannt hatte, im Oktober 1931 das Statut des Unternehmens und nahm es in die Liste der „Stoßbaustellen" auf.385 Am 8.1.1932 hieß das Politbüro das von Rotert vorgeschlagene Linienschema gut, gab grünes Licht fiir die weitere Projektierung, stellte fur das Jahr 1932 vierzig Millionen Rubel zur Verfugung und beauftragte den Rat fur Arbeit und Verteidigung (STO), bis zu 300.000 Rubel für den Import von Ausrüstungen freizugeben.386 Wenige Tage später verabschiedete der Rat der Volkskommissare eine gleichlautende Resolution.387 Der Oberste Volkswirtschaftsrat ordnete allen seinen Hauptverwaltungen, Sektoren und Verteilerorganisationen an, die Materialanforderungen von Metrostroj in ihren Quartalsplänen zu berücksichtigen und die rechtzeitige Lieferung sicherzustellen.388 Im April 1932 genehmigte das Politbüro die Konsultation ausländischer Spezialisten, um die strittige Frage der Bauweise zu klären.389 Am 23.5.1932 folgte der Politbürobeschluß über die Anwendung der geschlossenen Bauweise auf dem Abschnitt von Sokol'niki bis zum Sverdlovplatz [Theaterplatz], Gleichzeitig sorgte das Politbüro dafür, daß Metrostroj bei der Ressourcenzuteilung höchste Priorität genoß.390 Auch dieser Beschluß wurde zwei Tage später als Resolution des SNK verabschiedet.391 Als es im Herbst 1932 darum ging, die Versorgung von Metrostroj zu verbessern, schaltete der SNK den Rat für Arbeit und Verteidigung ein, der dann seinerseits Anordnungen an das Volkskommissariat für Schwerindustrie traf und es ge-
384 Kol'man 1982, S. 164. 385 SNK SSSR. Resolution 831, 2.10.1931. GARF R-5446/1/62, Bl. 317. 386 Politbüro. Prot. 82, 8.1.1932. RGASPI 17/3/867, Bl. 8. Sondermappe zum Prot. 82. RGASPI 17/162/11, Bl. 103. 387 SNK SSSR. Resolution 21, 14.1.1932. GARF R-5446/12/96, Bl. 50, GARF R-5446/ 13a/1088, Bl. 1. 388 VSNCh SSSR. Anordnung 28, 10.1.1932. GARF R-7952/7/139, Bl. 6. 389 Politbüro. Sondermappe zum Prot. 97, 23.4.1932. RGASPI 17/162/12, Bl. 109. 390 Politbüro. Prot. 101, 23.5.1932. RGASPI 17/3/885, Bl. 4. 391 SNK SSSR. Resolution 806, 25.5.1932. GARF R-5446/1/68, Bl. 14, GARF R-5446/ 12/96, Bl. 48.
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gen seinen Widerstand verpflichtete, Metrostroj auf Kosten anderer Bedarfstellen Ausrüstungen zu liefern.392 Im Jahre 1933 widmete das Politbüro dem Bau der Untergrundbahn nur einen einzigen Beschluß: Am 20.3.1933 wurde das Linienschema in einer erweiterten Variante bestätigt und die Bauweise endgültig festgelegt. Außerdem erhöhte das Politbüro den Haushaltsansatz für Metrostroj und wies den Rat für Arbeit und Verteidigung an, den Beschwerden von Metrostroj Rechnung zu tragen und der Baustelle mehr Baumaterial und Ausrüstung zuzuteilen. Das Moskauer Parteikomitee, der Mossovet und Metrostroj wurden verpflichtet, die Mängel in der Arbeitsorganisation und der Finanzdisziplin abzustellen, die 1932 aufgetreten waren.393 Der Beschluß wurde am 21.3.1933 vom SNK im vollen Wortlaut übernommen.394 Im November verpflichtete der SNK alle Betriebe Moskaus, die über Lastwagen verfugten, diese an zwei Tagen im Monat Metrostroj zur Verfügung zu stellen.395 Im März 1934 wurde das Politbüro eingeschaltet, als Metrostroj dringend Buntmetalle brauchte,396 im Oktober 1934 bestimmte es den Direktor für den Betrieb der Metro,397 im Februar 1935 beschloß es die Einsetzung einer Regierungskommission zur Abnahme der fertiggestellten Untergrundbahn.398 Am 5.3.1935 wurde Metrostroj durch einen Beschluß des Politbüros und eine zwei Tage später verabschiedete Resolution des SNK in Form eines Trusts an das Volkskommissariat für Schwerindustrie und die Untergrundbahn selbst an das Volkskommissariat fur Verkehr übergeben.399 Das Politbüro und der SNK hörten am 26.4.1935 den Bericht der Regierungskommission, bestätigten die Abnahme und benannten die Metro nach Kaganovic. Die Inbetriebnahme wurde für den 15.5.1935 angesetzt, der Fahrpreis mit fünfzig Kopeken festgelegt. Metrostroj wurde angeordnet, alle Mängel zu beseitigen, die in der Schlußakte der Regierungskommission erwähnt waren.400 Im Mai 1935 wurde schließlich der Umfang der zweiten Baufolge beschlossen.401
392 SNK SSSR. Prot. 17, 21.9.1932. GARF R-5446/13/160, Bl. 15. SNK SSSR. Prot. 20, 21.10.1932. Ebd., Bl. 7. STO. Resolution 1379, 5.11.1932. Ebd., Bl. 1-2. NKTP an STO, 1.10.1932. Ebd., Bl. 16-17. 393 Politbüro. Prot. 133, 20.3.1933. RGASPI 17/3/918, Bl. 55-56. 394 SNK SSSR. Resolution 529, 21.3.1933. GARF R-5446/57s/23s, Bl. 185-187. 395 SNK SSSR. Verordnung 2470, 13.11.1933. GARF R-5446/12/96, Bl. 43. 396 Politbüro. Prot. 2, 5.3.1934. RGASPI 17/3/940, Bl. 35. 397 Politbüro. Prot. 15, 23.10.1934. RGASPI 17/3/953, Bl. 13. 398 Politbüro. Prot. 21, 22.2.1935. RGASPI 17/3/959, Bl. 10. 399 Politbüro. Prot. 22, 5.3.1935. RGASPI 17/3/960, Bl. 9. SNK SSSR. Resolution 363, 7.3.1935. GARF R-5446/40/17, Bl. 26. 400 Politbüro. Prot. 24, 26.4.1935. RGASPI 17/3/962, Bl. 1-2. SNK SSSR. Resolution 786, 26.4.1935. GARF R-5446/1/101, Bl. 152-153. 401 Politbüro. Prot. 25, 13.5.1935. RGASPI 17/3/963, Bl. 26.
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b) „Oberste Bauleitung": Moskauer Parteiorganisation und Mossovet Einen grundlegend anderen Charakter hatten die Interventionen des Moskauer Stadt- und Gebietsparteikomitees und des Mossovet. Unter Kaganovic, der im April 1930 das Amt des Ersten Sekretärs im Moskauer Parteikomitee (MK) übernahm, im Februar 1931 auch jenes des Ersten Sekretärs im neugegründeten Moskauer Stadtparteikomitee (MGK) und im Juli 1930 Mitglied des Politbüros wurde, war die Moskauer Kommunalpolitik eng mit der Staatspolitik verknüpft. Auch in räumlicher Hinsicht kam die Nähe zum Ausdruck: MK und MGK waren unmittelbar neben dem Sekretariat des Zentralkomitees am Alten Platz [Staraja ploscad'] Nr. 6 untergebracht.402 Kaganovic war einer der durchsetzungsfähigsten Parteiführer, bekannt als Krisenmanager und bedingungsloser Gefolgsmann Stalins, den letzterer mehrmals in Gebiete entsandte, wo Probleme aufgetreten waren und wo Kaganovic dann hart durchgriff. Während der Kollektivierung ließ er im Auftrag des Zentralkomitees skrupellos Gewalt anwenden und 1932 die Bevölkerung von sechzehn nordkaukasischen Kosakendörfern deportieren.403 In der Zeit des Großen Terrors unterzeichnete er 36.000 Exekutionsbefehle404 und forcierte den Terror in seinem neuen Ressort, dem Verkehrskommissariat, das er 1935 übernahm.405 1933/34 war er Bevollmächtigter für die Parteisäuberung, 1934/35 Vorsitzender der Zentralen Parteikontrollkommission.406 Seinen Mangel an Bildung - er war gelernter Schuster - kompensierte er mit Intuition, gesundem Menschenverstand und Organisationstalent. Kaganovic machte aus der Moskauer Parteiorganisation eine „Stoßsäule, eine Vorhut", wie ein Funktionär auf dem 17. Parteitag 1934 sagte,407 und verwandelte Moskau in eine riesige Baustelle. Er besetzte die Schlüsselpositionen in Moskau mit seiner persönlichen Gefolgschaft: Chruscev kannte er seit 1917. Dieser war in den zwanziger Jahren stellvertretender Leiter der Kaderabteilung der ukrainischen Parteiorganisation gewesen, die Kaganovic 1925 bis 1928 geleitet hatte. Im Januar 1931 machte ihn Kaganovic zum Parteisekretär des Bauman-Rayons, im Juli 1931 des Rayons Krasnaja Presnja, im Januar 1932 zum Zweiten Sekretär des MGK, wo er für den Bau der Untergrundbahn zuständig war. Im Januar 1934 stieg Chruscev zum Ersten Sekretär des MGK und gleichzeitig zum Zweiten Sekretär des MK auf.408 Bis zum Frühjahr 1935, als Kaganovic ins Verkehrskom-
402 Colton 1995, S. 281. 403 Medvedev: All Stalin's Men 1985, S. 119. 404 Nebogin/Slanskaja 1989, S. 100. 405 Medvedev: All Stalin's Men 1985, S. 127. - 1961 wurde Kaganovic im Zuge der Entstalinisierung aus der Partei ausgeschlossen und lebte bis zu seinem Tod 1991 als Pensionär in Moskau. 406 Colton 1995, S. 283. 407 Ebd. 408 Ebd., S. 281-282. - Zu der Personalpolitik Kaganovics siehe auch Merridale 1990, S. 79-80.
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missariat überwechselte, war Chruscev eine Art Adjutant Kaganovics, mit sehr beschränktem eigenem Entscheidungsspielraum. „Ja, Lazar' Moiseevic", „Richtig, Lazar' Moiseevic", habe Chruscev ständig gesagt, berichtete ein ehemaliger Reporter der Zeitung Vecernjaja Moskva.409 Bulganin war während des Bürgerkriegs mit Kaganovic in Turkestan und in Niznij Novgorod gewesen. Bis 1930 leitete er dann das Moskauer Elektrowerk. Im Februar 1931 machte ihn Kaganovic zum Vorsitzenden des Mossovet. 21 andere Funktionäre, die zwischen 1930 und 1937 Posten in der Moskauer Parteiorganisation innehatten, hatten schon früher anderswo unter Kaganovic gedient. K.F. Starostin, der Rayonsparteisekretär von Sokol'niki und Parteiorganisator des MK für Metrostroj, war sogar zweimal Untergebener von Kaganovic gewesen, in Niznij Novgorod und in der Ukraine. 410 In der Stadtverwaltung setzte Kaganovic seine Politik durch, indem er die entscheidenden Posten des Mossovet mit Parteifunktionären aus dem MGK und MK besetzte, so daß der Mossovet und die Parteiorganisation auch personell ähnlich miteinander verzahnt waren wie MK und MGK untereinander. 411 In der Praxis war oft kaum zu unterscheiden, ob eine Anweisung vom Vorsitzenden des Mossovet, dem Sekretär des MK oder aus dem Zentralkomitee kam. Ähnlich wie von SNK und Politbüro wurden nach 1930 immer häufiger gemeinsame Dekrete von MK und Mossovet erlassen. MK und MGK erteilten dem Mossovet detaillierte Anordnungen. Auch Stalin persönlich nahm regen Anteil an der Moskauer Politik.412 Die „Stadtväter", wie er Chruscev und Bulganin scherzhaft nannte, dinierten oft bei ihm in der Wohnung, trafen sich mit ihm in seiner Theaterloge und wurden von ihm häufig angerufen. „Wir horchten aufmerksam auf jedes seiner Worte und taten dann genau, was er uns aufgetragen hatte", erinnerte sich Chruscev später.413 1934 war fast das gesamte Politbüro im MK oder MGK vertreten: Im MK saßen Kaganovic, Andreev, Vorosilov, Kalinin, Kirov, Kujbysev, Molotov, Jagoda und Stalin; im MGK Kaganovic, Ezov, Mikojan, Molotov, Ordzonikidze und Stalin.414 Die Politbüromitglieder konnten sich allerdings kaum unmittelbar mit den Moskauer Angelegenheiten befassen, so daß sich die eigentliche Arbeit auf die Sekretäre und die Mitglieder der Büros von MK und MGK konzentrierte. Diese waren einerseits von der obersten Führung abhängig, die eine formelle und informelle Kontrolle ausübte, andererseits verlieh ihnen gerade diese enge Verbindung mit dem Politbüro große Autorität bei der Durchsetzung der Politik gegen-
409 Zitiert bei Medvedev: All Stalin's Men 1985, S. 124-125. Vgl. Shimotomai 1991, S. 31. 410 Colton 1995, S. 283. 411 Über den Personalbestand der Büros und Sekretariate von MK und MGK siehe Shimotomai 1991, S. 28-33. 412 Colton 1995, S. 319-322. Merridale 1990, S. 80. 413 Chruschtschow erinnert sich 1971, S. 72. Memuary Chrusceva 1990, H. 3, S. 63. 414 IV moskovskaja oblastnaja 1934, S. 625-626.
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über untergeordneten Stellen. Die Stadt Moskau hatte auf diese Weise bevorzugten Zugang zu Ressourcen, und ihre Führung konnte Probleme sogleich an höchster Stelle zu Gehör bringen.415 Ähnlich wie beim Politbüro ging auch beim Büro und Sekretariat des MK und MGK die Sitzungsfrequenz zwischen 1931 und 1935 stark zurück, weil immer mehr Fragen außerhalb der Sitzungen von einzelnen Mitgliedern des Parteikomitees entschieden wurden. 1931 tagte das Büro MK etwa alle zehn Tage, das Sekretariat jede Woche; 1935 traf sich das Büro nur mehr alle 24 Tage, das Sekretariat alle zwölf Tage. Beim MGK war die Entwicklung ähnlich.416 Der Arbeitsplan von MK und MGK sah regelmäßig Berichte über einzelne Industriebranchen vor. MK und MGK intervenierten über die Trusts, aber auch direkt in den Betrieben, vorbei am Rayonsparteikomitee und an der Fabrikzelle. Mitglieder des MK und MGK besuchten Moskauer Unternehmen, sammelten vor Ort Informationen, überwachten persönlich die Partei- und Verwaltungstätigkeit. Manchmal blieben MK-Brigaden monatelang in Problembetrieben und mischten sich dort in die Führung ein.417 Für Metrostroj war im MGK Chruscev zuständig. Kaganovic konnte sich aufgrund seiner zahlreichen anderen Verpflichtungen nicht um die tägliche Kontrolle und Führung von Metrostroj kümmern, ließ sich aber von Chruscev auf dem Laufenden halten und erteilte ihm Weisungen.418 Als sich im Herbst 1933 bei Metrostroj eine schwere Krise abzeichnete und bei der Fortsetzung des Baus im bisherigen Tempo und mit den bisherigen Methoden mit einer baldigen Fertigstellung nicht zu rechnen war, griff Kaganovic verstärkt selbst ein und umgab sich im MK zu diesem Zweck mit einem Stab technischen Personals 419 Angeblich reiste Kaganovic sogar incognito nach Berlin, um sich die dortige Untergrundbahn anzusehen.420 Die Rede Kaganovics vom 29.12.1933 und die gleichzeitig verabschiedete Resolution des MK, MGK und Mossovet signalisierten den Beginn einer Phase massiver Überwachung, Kontrolle und Einflußnahme der Moskauer Parteiführung auf Metrostroj. Im Laufe des Jahres 1934 verstärkte sich die direkte Machtausübung über das Unternehmen immer mehr, bis schließlich im Winter 1934/35 beinahe jede Woche eine Beratung Kaganovics mit den Verantwortlichen von
415 Merridale 1990, S. 80, 95. - Über die Struktur und die Arbeitsweise des Moskauer Parteikomitees siehe ebd., S. 97-106, sowie Shimotomai 1991, S. 33^19. 416 Vgl. die Protokolle von MK und MGK in CAODM f. 3 und f. 4. 417 Merridale 1990, S. 171-172. 418 Chruschtschow erinnert sich 1971, S. 70, 74-75. Memuary Chruäceva 1990, H. 3, S. 63-64. 419 Sten. Gespräch mit Ing. Bobrov, Leiter des Schachtes 10-11. GARF R-7952/7/299, Bl. 134. 420 Medvedev 1985, S. 124-125, unter Berufung auf das Interview mit einem ehemaligen Reporter der Vecernjaja Moskva.
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Metrostroj stattfand.421 Die tägliche Kleinarbeit überließ er jedoch weiterhin Chruscev. 422 Kaganovic und Chruscev fungierten de facto als oberste Bauleitung. Alle Angehörigen von Metrostroj mußten sich nach ihren Anweisungen richten. MGK und MK entschieden die meisten Fragen zur Metro autonom und konsultierten nur in Ausnahmefällen vorher das Politbüro oder Stalin. Die Metrobauer titulierten Kaganovic als „ersten Bauleiter" [„pervyj prorab"], „Chefingenieur" oder „besten Stoßarbeiter der Baustelle" 423 Rund um Kaganovic entstand bei Metrostroj ein üppiger Personenkult. 424 Der Parteiorganisator von Metrostroj, Starostin, zeichnete ein verklärtes Bild vom Wirken Kaganovics: „Metrostroj ist kein Bau gewöhnlichen Typs, auf dem der Ingenieur Anweisungen vom Baukontor bekommt, mit dem er persönlich nicht verbunden ist, dessen Leiter er nicht oder wenig kennt oder die unzugänglich sind. [...] Das Moskauer Komitee der Partei war der Führungsstab des Baus, wohin parteigebundene und parteilose Ingenieure und Arbeiter zogen, um Rat, Unterstützung und Anweisungen zu erhalten. Wenn wichtige Fragen des Baus gelöst wurden, wenn sich Probleme auftaten, in kritischen Momenten, die nicht selten zu Wendepunkten im Kampf um den Bau wurden, gingen die Metrobauer ins MK, zu Lazar' Moiseeviö Kaganovic. Dorthin gingen die Leiter von Metrostroj, dorthin gingen die Kommandeure, die Parteiorganisatoren der Schächte und auf diesen Beratungen, die von Lazar' Moiseevic geleitet wurden, fand man immer die einzig richtige Lösung. Wenn sie von diesen Sitzungen kamen, brachten die Leute Mut mit, festes Selbstvertrauen, eine klare Vorstellung von der Lösung der Aufgabe und den unbeugsamen Willen, diese Aufgaben bestmöglich und in der kürzesten Frist zu verwirklichen."425 „Engster Gehilfe KaganoviCs bei der Metro ist Genösse N.S. ChruSCev. Ihn kennen alle Ingenieure, Brigadiere, Stoßarbeiter und Stoßarbeiterinnen, denn er ist jeden Tag auf dem Bau. Jeden Tag gibt er Anweisungen, überprüft, kritisiert, spornt an, erteilt den Schachtleitern, Parteiorganisatoren Ratschläge zu konkreten Kamp&naßnahmen, die nicht aufgeschoben werden können. Das Arbeitszimmer des Genossen Chrusöev verwandelte sich in das Arbeitszimmer einer der Leiter von Metrostroj, wo sowohl Parteiorganisatoren als auch Schachtleiter, Ingenieure und einzelne Brigadiere die Positionen für die Erfüllung kühner Kampfaufgaben ihres erprobten Führers Kaganoviö detailliert ausarbeiteten."426
421 Vgl. die Protokolle der Beratungen bei Kaganoviö, 1934. CAODM 3/49/57, Bl. 1-135. 422 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Udalych, Caissonkontor, 26.8.1934. GARF R-7952/7/243, Bl. 17. 423 Desgl. mit Osipov, Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees von Metrostroj. GARF R-7952/7/317, Bl. 118. Desgl. mit dem Parteisekretär FePdman, Schacht 10-11, 16.9.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 55. 424 Vgl. Kap. VII.2.b. 425 Starostin 1935, S. 35-36. 426 Ebd., S. 44.
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Selbst als Kaganovic im September 1934 im Auftrag des Zentralkomitees ins Uralgebiet fuhr, um die Getreideaufbringung voranzutreiben, schickte er von dort Telegramme mit Anweisungen ans MK und an Metrostroj, auf der Basis von Informationen, die er aus Zeitungsberichten gewonnen hatte.427 Ähnlich wie Starostin schilderte auch Abakumov die Tätigkeit der politischen Führung: „Wir - ich und Rotert - sind hauptsächlich Wirtschaftler, Ingenieure. Wir fühlen uns nicht als Baumeister [stroiteli]. Wir bemühen uns, gute Gehilfen des Moskauer Parteikomitees und des Gen. Kaganovic zu sein, denn in Moskau kann niemand allein bauen. Hier ist die Rolle von Lazar' Moiseeviö, Gen. Chruscev und Bulganin gewaltig. Man kann nicht bauen ohne diese Genossen, ohne das Moskauer Komitee, ohne den Moskauer Sowjet. Es wäre naiv zu sagen, man könne ein solches Vorhaben mit zwei bis drei Ingenieuren oder einigen Wirtschaftlern bauen, in einer solchen Frist, ohne solche starke Hilfe. [...] Die erstellten Zeitpläne überprüfte Kaganovic persönlich, er veranstaltete Sitzungen mit den Leitern der Schächte und Distanzen. Mit jedem Leiter sprach er persönlich, nahm den Arbeitsplan unter die Lupe. Dann seine historische Rede vom 30. [sie!] Dezember 1933, als er auf dem Treffen unserer Stoßarbeiter uns für die Erfüllung der vor uns stehenden Aufgaben mobilisierte und als er ganz Moskau für diese Sache mobilisierte, als sie die berühmten Subbotniki abhielten. [...] Seit Januar [1934] arbeiten Gen. Chrusöev und Gen. Kaganovic unablässig am Bau der Metro. Jetzt ist eine Zeit, wo Lazar' Moiseevic an der architektonischen Gestaltung und der Montage arbeitet. Die Rolle des Gen. Chruscev und seine Initiative waren sehr groß. Alle Fragen technischen Charakters müssen wir mit Gen. Chrusöev lösen. Auch er besucht die Metro, kennt die Metro und man kennt ihn."428 Bulganin war als Vorsitzender des Mossovet zwar unmittelbarer Vorgesetzter von Rotert, spielte aber eine geringere Rolle. Kaganovic hatte ihn so wie Chruscev mit der Aufsicht über den Metrobau beauftragt, aber Bulganin vertrug das Klima in den Schächten gesundheitlich nicht, fiel monatelang wegen Krankheit aus und überließ die Arbeit Chruscev. 429 Der Mossovet erteilte weniger Anweisungen an Metrostroj, sondern schuf die Rahmenbedingungen: Er stellte Grundstücke und Häuser zur Verfugung, 430 ließ Metrostroj Kantinen und Baracken zur Nutzung übergeben, teilte Transportmittel zu und kümmerte sich um Fragen der Versor-
427 Ebd., S. 45. 428 Sten. Gespräch mit Abakumov, 25.11.1934. GARF R-7952/7/299, Bl. 58-59. 429 Memuary Chrusceva 1990, H. 3, S. 63. 430 Ein Schachtleiter beklagte sich, daß er sich wochenlang mit verschiedenen Organisationen herumschlagen mußten, denen die Grundstücke gehörten, auf denen gebaut werden sollte. Beim Mossovet hätte er diesbezüglich wenig Unterstützung erhalten. Erst als er sich an Chrusöev wandte, wären die Grundstücke zur Verfügung gestellt worden. (Sten. Gespräch mit Ing. Rochvarger, Leiter des Schachtes 47-48, 28.10.1934. GARF R-7952/7/307, Bl. 79). Auch Chefingenieur Stekler berichtete, daß er mit den kommunalen Trusts viel zu kämpfen hatte, weil sie nicht sonderlich kooperativ waren, bis Bulganin intervenierte. (Sten. Gespräch mit Chefingenieur Stekler, 17.11.1934. GARF R-7952/7/308, Bl. 175).
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gung. Erst in der Endphase des Baus, als im Herbst und Winter 1934 die Vestibüle errichtet wurden, war Bulganin persönlich viel auf dem Bau, da er für die Gestaltung der Plätze und Straßen verantwortlich war.431 Wenn Metrostroj Transportmittel, zusätzliche Kantinen, Baracken oder Unterstützung durch die kommunalen Trusts bei der Verlegung von Versorgungsleitungen benötigte, legte Rotert seine Wünsche Bulganin in Form einer Resolution des Mossovet vor. Das Präsidium des Mossovet konsultierte Fachleute und verhandelte mit Metrostroj und den betroffenen Organisationen und verabschiedete dann eine Resolution, die einige Punkte des Entwurfs, meist aber darüber hinaus auch Anordnungen an Metrostroj enthielt.432 Kaganovic kannte alle Schacht- und Distanzleiter persönlich. Jeden Monat versammelte er sie zu Rapporten und Beratungen. Die Ingenieure waren beeindruckt von seinem phänomenalen Namengedächtnis und seinem Talent, sich rasch in komplizierten Sachverhalten zu orientieren 433 Auf Beratungen rief er nicht den „Leiter des Schachtes 30" auf, sondern er sagte: „Kuz'min, erzähle, wie es bei dir ist".434 Die Beratungen mit der Führung von Metrostroj und den Bauleitern der einzelnen Schächte und Distanzen waren ein zentrales Element der Einflußnahme Kaganovics auf den Bau der Untergrundbahn. Kaganovic traf im Gegensatz zu Chruscev und anderen Funktionären keine Anordnungen an der Führung von Metrostroj vorbei. Zu den Beratungen lud er immer die jeweils Verantwortlichen, auch wenn es sich um Parteilose handelte, und nicht subalterne Parteifunktionäre, die fachlich keine Entscheidungskompetenz hatten. Er agierte weniger über die Parteisekretäre als über die Betriebsleitung und die einzelnen Schachtleiter und betonte stets die Wichtigkeit der Einmannleitung. Er ließ sich von den Ingenieuren informieren, ihre Probleme schildern und arbeitete gemeinsam mit ihnen Resolutionen des MK, MGK und Mossovet aus, in denen er sie zwar mit rigorosen Fristen und Anweisungen unter Druck setzte, gleichzeitig aber auch alle notwendigen Maßnahmen traf, um ihnen die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Resolutionen des MK und MGK zielten oft auf andere Organisationen, Betriebe und Behörden, die angewiesen wurden, möglichst schnell auf die Bedürfhisse von Metrostroj zu reagieren. Die große Resolution des MK, MGK und Mossovet über den Bau der Untergrundbahn vom 29.12.1933 wurde von Kaganovic in monatelanger Arbeit vorbe-
431 Vgl. Starostin 1935, S. 46. 432 Vgl. als gutes Beispiel die Resolution des Präsidiums des Mossovet, 11.3.1933. CMAM 150/1/100, Bl. 30-37. Roterts Entwurf für die Resolution. Ebd., Bl. 193-194. Rotert an Bulganin, 10.3.1933. Ebd., Bl. 190-192. Zusammenfassung der Diskussion des Entwurfs. Ebd., Bl. 180-185. 433 Sten. Gespräch mit Ing. Rochvarger, Leiter des Schachtes 4 7 ^ 8 , 28.10.1934. GARF R-7952/7/307, Bl. 73, 90. 434 Desgl. mit dem Beauftragten für Kaderangelegenheiten, Kuznecov, 20.11.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 52.
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reitet. Es begann im Oktober 1933 mit der Einsetzung von Kommissionen, die die Gründe für den schleppenden Fortgang der Bauarbeiten analysierten.435 Zur Beratung der Ergebnisse zitierte Kaganoviö Mitte November 1933 die Führung von Metrostroj ins MK, wo die Mängel schonungslos offengelegt wurden. Diese Beratungen bei Kaganovic liefen sehr sachlich ab. Man diskutierte, suchte nach Lösungen, jeder sagte seine Meinung, widersprach gegebenenfalls sogar Kaganovic. Es handelte sich nicht um publikumsorientierte Parteiversammlungen, auf denen nach Sündenböcken gesucht wurde. Kaganovic ließ bei aller Offenheit keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Metro bis Ende des Jahres 1934 fertiggestellt sein müsse, und bildete gemeinsam mit Bulganin, Chruscev, Rotert, Abakumov, Filatov (MGKK RKI), Ajngorn (zweiter Stellvertreter Roterts) und Matusov (damaliger Parteisekretär von Metrostroj) eine Arbeitsgruppe zur Erstellung einer Resolution, die den festgefahrenen Karren flott machen sollte. Zusätzliche Arbeitsgruppen hatten einzelne Kapitel der Resolution auszuarbeiten.436 Am 26.12.1933 versammelte Kaganoviö sämtliche Schacht- und Distanzleiter und erstellte mit ihnen die endgültige Fassung der Resolution. Er ließ sich im Beisein von Chruscev und Rotert der Reihe nach von allen Bauleitern über den Stand der Arbeiten berichten und verlangte von ihnen, konkrete Fristen zu nennen, bis wann ihre Abschnitte fertiggestellt werden könnten, wobei die Bauleiter allerdings an Terminvorgaben gebunden waren, die sie nur geringfügig verändern konnten. Kaganovic forderte von den Bauleitern eindeutige Aussagen, welche Fristen realistisch seien und was sie an Unterstützung brauchten. Wenn ein Schachtleiter mehr Arbeitskräfte forderte, bohrte Kaganovic hartnäckig nach, ob man nicht durch Mechanisierung abhelfen könne.437 Das Ergebnis war die Resolution vom 29.12.1933, die für jedes Bauobjekt Fristen für die einzelnen Arbeitsschritte setzte und für alle Bereiche, vom Betonieren bis zur Montage der elektrischen Anlagen, detaillierte Anweisungen gab 438 Die Resolution diente in den folgenden Monaten der Leitung von Metrostroj und auch der Parteibasis als Richtschnur. Auch wenn sie nicht völlig umgesetzt wurde bzw. bei vielen Baustellen die Umsetzung Monate dauerte,439 bewirkte sie doch einen deutlichen Umschwung in der Arbeit von Metrostroj. Kaganoviö beschränkte sich nicht auf die Herausgabe der Resolution, sondern ließ sich über ihre Umsetzung berichten, maßregelte die Verantwortlichen, wenn Mißstände nicht abgestellt wurden, und drohte ihnen mit der Entlassung.440
435 Ginzburg-Kommission. Bericht über den Stand der Arbeiten bei Metrostroj, Oktober 1933. RGASPI 81/3/200, Bl. 3-17. 436 Sten. Beratung bei Kaganoviö, 15.11.1933. RGASPI 81/3/199, Bl. 89-130. 437 Sten. Beratung Kaganoviös mit den Schacht- und Distanzleitern, 26.12.1933. RGASPI 81/3/201, Bl. 1-143. 438 Kaganovic: Pervaja ocered' 1933. 439 Vgl. Udarnik Metrostroj a Nr. 87, 15.4.1934, S. 3. 440 Sten. Beratung bei Kaganovid, 25.-26.2.1934. RGASPI 81/3/202, Bl. 6-143, besonders Bl. 26-27.
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Dieser Führungsstil, den Kaganovic das ganze Jahr 1934 über praktizierte, erwies sich als äußerst effektiv. Allerdings wurde dieses Druckmachen in erster Linie deswegen erforderlich, weil Kaganovic selbst ohne Notwendigkeit extrem kurze Fristen für die Fertigstellung der Untergrundbahn gesetzt hatte, was den Bau verteuerte und viele Probleme, zum Beispiel das Qualitätsproblem, erst heraufbeschwor. Ohne die Einmischung Kaganovics wäre der Bau ruhiger, langsamer und normaler vorangegangen. Obwohl Rotert zentrale Entscheidungen der Parteiführung, wie zum Beispiel jene über die geschlossene Bauweise in großer Tiefe, auch nach der Fertigstellung noch für schwere Fehler hielt, hatte er von Kaganovic eine hohe Meinung. Aus Spitzelberichten geht hervor, daß Rotert im privaten Kreis über Chruscev herzog, hingegen bedauerte, daß sich Kaganovic nicht mehr um die Metro kümmern konnte. Kaganovic sei sehr intelligent und habe einen weiten Horizont, meinte Rotert. Chruscev hingegen verstehe nichts und wolle auch nichts verstehen, außer daß er „konkret fuhren soll": „Da seht, was konkrete Führung heißt. Ich gebe irgendeine Anordnung im Schacht, komme am nächsten Tag, und alles ist anders gemacht. Warum? Es stellt sich heraus, daß ChruSiev da war und alles anders angeordnet hat." Kaganoviö mache so etwas nicht. Wenn er etwas für falsch hielt, sagte er das der Leitung, aber nicht dem Polier auf der Baustelle. „Es wäre erheblich besser, wenn Chruscev öfter nicht zu uns, sondern ins Zentralkomitee und Politbüro führe und die zweite Baufolge vorbereitete. Unser Projekt für die zweite Baufolge konnten sie noch nicht begutachten."441
Chruscev widmete nach eigenen Angaben achtzig Prozent seiner Zeit dem Bau der Metro. Er legte täglich den Hin- und Rückweg zwischen seiner Wohnung und dem MGK durch die Schächte der Metro zurück.442 ChruScev war ein Mann des hemdsärmeligen Eingreifens, der unmittelbar auf den Baustellen Anordnungen traf und sich dabei um die Einmannleitung und die betriebsinterne Kommandostruktur wenig kümmerte. In den Berichten der Metrobauer wird er als allgegenwärtiger Freund und Helfer gefeiert. „Chruscev betrachten wir als unseren Paten. Er hilft uns in allen unseren Nöten. Wenn wir vom MK etwas brauchen, wenden wir uns nur an Chruscev. Alle unsere Probleme hat nur er entschieden", berichtete der Parteisekretär des Caissonkontors.443 Zwischen den Zeilen liest man aber, daß seine Einmischungen die Kompetenzen der örtlichen Bauleiter massiv verletzten:
441 NKVD. Agenturbericht des Informanten „Petrov", 19.2.1935. RGASPI 81/3/207, Bl. 21. 442 Chruschtschow erinnert sich 1971, S. 76. Memuary Chrusieva 1990, H. 3, S. 65. 443 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Udalych, Caissonkontor, 26.8.1934. GARF R-7952/7/243, Bl. 17.
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„Wir siegten nur deshalb, weil der unmittelbare Leiter und Organisator der Arbeiten am Nordvestibül nicht ich war, obwohl ich den Posten innehatte, sondern N.S. ChruScev. Wenn er kam, erteilte er immer irgend jemandem einen Verweis, bemerkte etwas, ging nicht, bis wir die Sache ausbesserten, und wenn er ging, rief er in zwei bis drei Stunden an, ob wir es ausgebessert hätten. Dabei ging es ihm nicht um allgemeine Fragen, sondern um Einzelheiten. N.S. Chruscev war für uns der Organisator der Arbeiten. [...] Nikita Sergeevifi entschied persönlich nicht nur wichtige technische Fragen, sondern drang auch in jedes einzelne Detail ein."444
In den letzten Wochen vor der Fertigstellung war Chruscev fast ununterbrochen auf den Baustellen. Sein Hauptaugenmerk galt den Schrägschächten und dem Einbau der Rolltreppen, die er im Auftrag Kaganovics beschleunigen mußte. In der Hektik dieser Wochen konnte es vorkommen, daß Bulganin in eine Station kam, den Bauleiter rügte, weil er für die Verputzarbeiten zu wenig Arbeiter einsetzte, - und dabei nicht wußte, daß Chruscev gleichzeitig anwesend war und dem Schachtleiter angeordnet hatte, alle Kräfte auf die Fertigstellung des Schrägschachtes zu konzentrieren.445 Die Einflußnahme und das Eingreifen des Moskauer Parteikomitees betrafen grundsätzlich alle Angelegenheiten des Baus der Metro, von der Struktur des Leitungsapparates von Metrostroj, über die Besetzung der Posten der Schacht- und Distanzleiter und ihrer Stellvertreter, die Mobilisierung von Arbeitskräften, ihre Unterbringung und Versorgung, bis hin zu den Fristen fur die Fertigstellung der einzelnen Objekte, die Organisation der Arbeit, den richtigen Einsatz der Ausrüstungen, die Qualität des Betons, der Isolierungsarbeiten und der architektonischen Gestaltung der Stationen und Vestibüle. Es gab praktisch nichts, wo Kaganovic oder Chruscev nicht eingriffen oder sich zumindest informierten.446 Neben den Beratungen mit den leitenden Ingenieuren von Metrostroj verabschiedete das Büro des Stadtparteikomitees im Rahmen seiner regulären Sitzungen eine Vielzahl von Resolutionen, die den Metrobau betrafen. 1931 und 1932 kam Metrostroj nur auf einzelnen Sitzungen zur Sprache. 1933/34 gab es kaum eine Sitzung des Büros oder Sekretariats von MGK, wo nicht der Bau der Untergrundbahn als Tagesordnungspunkt aufschien.447 Wenn über den Metrobau bera-
444 Aussage des Leiters der Arbeiten am Nordvestibül der Station „Ochotnyj rjad". Zitiert im Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Fel'dman, Schacht 10-11, 25.3.1935. GARF R-7952/7/322, Bl. 61-62. 445 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Bel'skij, Schacht 18—18bis. GARF R-7952/7/ 341, Bl. 109, 206-207. - „An diesem Beispiel sieht man, wie ernst beide ihre Aufgabe nahmen und von den Leuten alles verlangten", kommentierte Bel'skij diesen Befehlswirrwarr. 446 Vgl. desgl. mit Abakumov, 23.12.1934. GARF R-7952/7/310, Bl. 1. 447 Vgl. die Protokolle von Büro und Sekretariat MGK in CAODM 4/1/6-72 (1931), 4/2/7-55 (1932), 4/3/7-73 (1933), 4/4/5-25 (1934), 4/5/9-37 (1935) sowie die Protokolle des vereinigten Büros und Sekretariats von MK und MGK in CAODM 3/24/1-112 (1931-1935).
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ten wurde, waren manchmal auch bei den Sitzungen des Büros MGK Rotert oder andere Ingenieure von Metrostroj anwesend.448 Chruscev und Kaganovic telefonierten regelmäßig mit den Schachtleitern und mit den Parteisekretären der Schächte und Distanzen, überzeugten sich vor Ort vom Fortgang der Arbeiten, sprachen mit dem Leitungspersonal und mit den Arbeitern. Vor allem Kaganovic suchte - im völligen Gegensatz zu Stalin - gerne das Bad in der Menge: „Kaganovic hatte die besondere Fähigkeit, in die Baugrube zu kommen und sofort mit den Arbeitern zu reden, als ob er die ganze Zeit unter ihnen gewesen wäre. Er spricht mit ihnen in einer ihnen verständlichen Sprache. Man sieht den Leuten gleich an, daß sie für ihn ins Feuer gehen würden."449
Seine Fähigkeit, auf die Leute zuzugehen, verhalf Kaganovic zu großer Popularität unter den Metrobauern und sollte als Stimulans nicht unterschätzt werden. Auch die Besuche Chruscevs und Bulganins gaben den Metrobauern Auftrieb. Die Nähe und Unkompliziertheit dieser höheren Funktionäre stärkten die Motivation vor Ort. „Wir dachten, wenn solche Leute mit uns reden, dann muß man die Arbeit ordentlich machen", sagte Chefingenieur Stekler.450 Ein Parteisekretär bezeichnete die Besuche Kaganovics und Chruscevs als „Motor des Erfolgs unserer Arbeit" und als „großes Fest".451 Besonderen Eindruck machte es, wenn Kaganovic sich, wie es die Metrobauer einige Male berichteten, Klagen über schlechtes Essen oder fehlende Arbeitskleidung notierte und im Anschluß daran sofort in die Kantine ging, den Leiter der Kantine vor den Arbeitern als „förmlichen Parasiten" abkanzelte, seine Entlassung anordnete und dafür sorgte, daß die Verpflegung besser wurde.452 Im Stil seines Auftretens paßte sich Kaganovic dem Aktionismus der Baustelle an. Er erschien bevorzugt mitten in der Nacht, wurde von den Komsomolzen mit Ovationen begrüßt, berief sofort eine Versammlung ein und hielt eine Rede,453 oder er nahm Spitzhacke und Schaufel und fing an zu arbeiten.454 Nach solchen Besuchen beriefen die Komsomolzen sofort ihrerseits Versammlungen ein, verabschiedeten
448 Vgl. z.B. Büro MGK VKP(b). Prot. 20, 24.9.1931. CAODM 4/1/29, Bl. 1, Prot. 24, 10.12.1931. CAODM 4/1/33, Bl. 2, Prot. 2, 20.2.1932. CAODM 4/2/7, Bl. 17 und viele weitere Protokolle des Büros MGK VKP(b). 449 Sten. Gespräch mit Ing. Sokolin, Leiter der 2. Distanz, 20.11.1934. GARF R-7952/ 7/308, Bl. 115. 450 Desgl. mit Chefingenieur Stekler, 17.11.1934. GARF R-7952/7/308, Bl. 175. 451 Desgl. mit dem Parteisekretär Ol'chovie, Schacht 7-8, 16.11.1934. GARF R-7952/ 7/306, Bl. 50. 452 Desgl. mit dem Brigadier Zamuldinov, Schacht 10-11. GARF R-7952/7/301, Bl. 84. „Ich hatte keine Angst, mit Kaganoviö zu sprechen, denn man hatte mir gesagt, daß er gem einfach, auf Arbeiterart, redet", meinte Zamuldinov. (Ebd.). 453 Desgl. mit Saäirin, 21.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 125. 454 Desgl. mit dem Brigadier Cholod, Schacht 7-8. GARF R-7952/7/322, Bl. 205.
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enthusiastische Resolutionen und gingen öffentliche Selbstverpflichtungen ein.455 Auch örtliche Bauleiter wußten es zu schätzen, wenn sie nach einem Besuch Kaganovics endlich Materialien und Geräte erhielten, die sie bei der zentralen Leitung von Metrostroj schon lange vergeblich angefordert hatten.456
c) Kontrolle: Kontrollkommission / Arbeiter- und Bauerninspektion, Gewerkschaft und OGPU / NKVD Das 1920 geschaffene Volkskommissariat der Arbeiter- und Bauerninspektion (NK RKI), 1923 vereinigt mit der Zentralen Kontrollkommission der Partei (CKK), war ein mächtiges Kontrollorgan, das eng mit dem Politbüro und dem Rat der Volkskommissare verbunden war und fast den gesamten Staatsapparat überwachte. Es leistete der Machtkonzentration an der Parteispitze Vorschub, verschärfte die Parteidisziplin und stärkte die Parteikontrolle über die staatliche Verwaltung.457 Die CKK RKI hatte drei Hauptaufgaben: die Verwaltung zu rationalisieren, den .Apparat" zu kontrollieren und die Politik der Partei zu unterstützen. In allen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei nach Lenins Tod verbündete sie sich mit Stalin. Zusammen mit der OGPU setzte Stalin die CKK RKI während des ersten Fünfjahresplans ein, um die Opposition gegen die neue Generallinie zu brechen.458 Nach 1930 erlebte die CKK RKI ihren Niedergang. Zum einen hatte sie viele führende Funktionäre verloren, was sich in Qualitäts- und Effektivitätsmängeln ihrer Arbeit niederschlug. (1931 wurden die meisten Wirtschaftsvolkskommissariate von ehemaligen RKI-Leuten geleitet.)459 Zum anderen hatte die Arbeiter· und Bauerninspektion seit 1928 das Element der „Volkskontrolle" gestärkt, sich den Problemen auf lokaler Ebene zugewandt und die Bevölkerung in ihre Arbeit eingebunden. In den Unternehmen und Institutionen wurden RKI-Unterstützungszellen eingerichtet, die Beschwerdebüros mit Leben erfüllt und arbeitete die RKI eng mit der „Leichten Kavallerie" des Komsomol und mit den befristeten Kontrollkommissionen der Gewerkschaft zusammen. Die Beteiligung von Arbeitern und Komsomolzen an Untersuchungen und die Diskussion von Mängeln und Mißständen in der Presse wurden zu einer verbreiteten Praxis der RKI.460
455 Vgl. desgl. mit dem Parteisekretär FePdman, Schacht 10-11, 16.9.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 53. 456 Desgl. mit Ing. Sokolin, Leiter der 2. Distanz, 20.11.1934. GARF R-7952/7/308, Bl. 115. 457 Rees 1987, S. 225-226. 458 Ebd., S. 227-230. 459 Ebd., S. 210. 460 Ebd., S. 213-215.
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Diese Form der Massenbeteiligung entsprach 1933/34 nicht mehr den Vorstellungen Stalins. Der 17. Parteitag schaffte zu Beginn des Jahres 1934 die CKK RKI ab und ebnete den Weg für ein strafferes System der Partei- und Staatskontrolle. Die zwei getrennten Nachfolgeorganisationen der CKK RKI, nämlich die Kommission für Parteikontrolle und die Kommission für Sowjetkontrolle, konnten nicht mehr autonom agieren, sondern standen unter der Leitung des Politbüros und des SNK und waren auf eine effektive Umsetzung der Politik und die Stärkung der Disziplin ausgerichtet. Die RKI-Unterstützungszellen in den Betrieben wurden abgeschafft. Die Beschwerdebüros und die Organisation der Massenkontrolle in den Betrieben gingen in die Leitung der Gewerkschaften über, die ein Jahr zuvor durch die Vereinigung mit dem aufgelösten Volkskommissariat fur Arbeit faktisch verstaatlicht worden waren.461 Im Juli 1932 befaßte sich die Moskauer städtische Kontrollkommission / Arbeiter· und Bauerninspektion (MGKK RKI) zum ersten Mal mit dem Bau der Untergrundbahn. Sie konstatierte eine außerordentlich schwache Arbeit und einen aufgeblähten Verwaltungsapparat.462 Im Herbst 1933 untersuchte eine Kommission der RKI die Struktur und den Stellenplan des Leitungsapparates und forderte eine Stellenkürzung um 35 Prozent (750 Personen).463 Zu Beginn des Jahres 1933 nahm die MGKK RKI Metrostroj eingehend unter die Lupe. Sie ließ sich von der Betriebsleitung Tätigkeitsberichte über die Planerfüllung sowie eine Liste sämtlicher Mitarbeiter des Leitungsapparates vorlegen, untersuchte einzelne Bereiche, wie den Wohnbau, die Mechanisierung und Ausnutzung der vorhandenen Maschinen und Geräte und stellte Überlegungen über die Struktur des Unternehmens 464
an. Sie gelangte zu dem Ergebnis, daß der Bau stark im Rückstand und der Apparat bürokratisch aufgebläht seien, daß die Finanzmittel infolge extremer Unwirtschaftlichkeit und fehlender Haushaltsdisziplin maßlos überzogen würden und das Unternehmen in wirtschaftlicher Hinsicht dem Zusammenbrach nahe sei: In der Versorgungsabteilung blühte die Korruption, die Lagerwirtschaft war in chaotischem Zustand, der Vortrieb der Schächte erfolgte unfachmännisch.465 Auf Initiative der MGKK RKI wurde eine neue Struktur des Leitungsapparates und des Unternehmens entworfen, deren wichtigster Teil die Abschaffung der überflüssigen Zwischenstufen (Distanzen, Abschnitte) war. Gegen den Widerstand der Leitung von Metrostroj wurde die neue Struktur vom Moskauer Partei461 Ebd., S. 219-223, 231. Vgl. Gorinov/DoSCenko 1991, S. 203. 462 MGKK RKI, Inspektorin der Transportgruppe, Nazarova. Bericht über die Umsetzung der Beschlüsse des Juniplenums, 27.7.1932. CMAM 1289/1/437, Bl. 10. 463 Sten. Beratung des Organisationsbüros des Parteikomitees von Metrostroj und der Redaktion des Udarnik Metrostroj α, 6.12.1932. CMAM 665/1/24, Bl. 27, 35. 464 Kommission von MGKK RKI. Entwurf für Veränderungen in der Struktur der Leitung von Metrostroj, o.D. [Anfang 1933], CMAM 1289/1/395, Bl. 63-67. 465 MGKK RKI. Der Bau der Untergrundbahn. Aktennotiz, o.D. [November 1933], CMAM 1289/1/672, Bl. 39-12.
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komitee bestätigt und verwirklicht. Auch an der Reorganisation von Metrostroj, die im April und Mai 1933 nach dem Beschluß des Zentralkomitees vom 20.3.1933 erfolgte, war die MGKK RKI beteiligt.466 In der Folge mußten die Stellenpläne immer der MGKK RKI zur Genehmigung vorgelegt werden.467 Im Februar 1933 untersuchte MGKK RKI schwerpunktmäßig das Problem der unwirtschaftlichen Verwendung einheimischer und importierter Ausrüstung. Die Lager von Metrostroj waren voll mit Ausrüstung, die nicht verwendet wurde, während es gleichzeitig an dringend benötigten Geräten und Maschinen mangelte. MGKK RKI sorgte dafür, daß einige Schuldige ausfindig gemacht und bestraft wurden, bewirkte aber damit keine dauerhafte Verbesserung der Lage.468 Für die Kontrolle von Metrostroj stellte MGKK RKI einen eigenen Bevollmächtigten ab (Zolotov), der laufend an den Vorsitzenden des städtischen Kollegiums (Filatov) und jenen der Gebiets-KK RKI (Peters) berichtete.469 Die ständige Gruppe von MGKK RKI bei Metrostroj bestand im Herbst 1933 aus fünfzehn Mann. Sie mußte nach eigenen Angaben gegen den Widerstand des Apparates ankämpfen. Bei den Schächten und Distanzen wurden 29 Unterstützungsgruppen gebildet, die zwar über ihre Aufgaben in zwei Beratungen instruiert wurden aber keine nennenswerte Tätigkeit entfalteten.470 Die städtische MGKK RKI führte im Laufe des Jahres 1933 eine ganze Reihe von Untersuchungen bei Metrostroj durch. Deren Schwerpunkte waren die Finanzgebarung, die Unternehmensstruktur, die Verwendung der angeschafften Ausrüstungen, die Transportwirtschaft, die Kantinen und die Wohnbaracken. Darüber hinaus deckten die Inspektionsberichte fast alle Bereiche des Baus ab: MGKK RKI überprüfte den Stand der Arbeiten bei einzelnen Schächten und Distanzen, den Zivil- und Industriebau, die Hilfsbetriebe und Werkstätten von Metrostroj, die Versorgung mit Baumaterialien, den Zustand der Gemüselager, den technischen Zustand der Dampfkessel, die Verlegung der städtischen Versorgungsleitungen, Setzungen und Gebäudeschäden entlang der Trasse, die Lohnabrechnung, die Anwerbung von Arbeitskräften, die Bauberufsschule, die Kompressor- und Energiewirtschaft, bürokratisches Verhalten einzelner Personen oder Stellen, den Einsatz der ausländischen Spezialisten und Arbeiter, die Feuerwachen usw.471 Metrostroj war allerdings nicht nur das Objekt von Untersuchungen, sondern suchte bei der MGKK RKI auch Unterstützung, zum Beispiel wenn die Versor-
466 Ebd., Bl. 40. 467 Vorsitzender von MGKK RKI, Filatov, an Rotert, Abakumov, Rosal', 9.6.1933. CMAM 1289/1/682, Bl. 18. Abakumov. Anordnung 235, 16.6.1933. CMAM 665/1/45, Bl. 5 0 52. Stv. Leiter von Metrostroj, RoSal'. Anordnung 326, 5.8.1933. Ebd., Bl. 189, Anordnung 327, 5.8.1933. Ebd., Bl. 192. 468 MGKK RKI. Der Bau der Untergrundbahn, Bl. 42. 469 Vgl. Zolotov an Peters und Filatov, 21.11.1933. CGAMO 807/1/1638, Bl. 1. 470 Gruppe von MGKK RKI bei Metrostroj. Rechenschaftsbericht, o.D. [Herbst 1933]. CMAM 1289/1/672, Bl. 124-125. 471 Die Untersuchungsberichte füllen fünf Aktenbände: CMAM 1289/1/679-683.
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gung stockte, weil sich eine Zulieferorganisation weigerte, Aufträge entgegenzunehmen.472 Auch einzelne Schachtleiter wandten sich ab und zu an die MGKK RKI, wenn sie sich von anderen Organisationen behindert oder zu wenig unterstützt fühlten. MGKK RKI übte dann entweder selbst Druck auf die betreffende Organisation aus oder schaltete die vorgesetzten Parteistellen ein.473 Über die Beschwerdebüros und den Udarnik Metrostroja war die Arbeiter- und Bauerninspektion auch eine Anlaufstelle für unzufriedene Arbeiter, die sich über schlechte Unterbringung und Verpflegung beklagten. Weiteres Material erhielt sie von der „Leichten Kavallerie" des Komsomol. Wirkung entfaltete die Kontrollkommission / Arbeiter- und Bauerninspektion schon allein durch ihre Untersuchungen, die auf die Betroffenen großen Druck ausübten, oder indem sie als Reaktion auf Zeitungsartikel oder Anzeigen die für Mißstände Verantwortlichen vorlud.474 Wenn die Ergebnisse vorlagen, traf MGKK RKI bzw. in gravierenden Fällen auch die Gebiets-KK RKI direkte Anweisungen an die Betriebsleitung oder an Einzelpersonen, erteilte Verweise, forderte die Entlassung von Schuldigen, informierte das Moskauer Parteikomitee oder erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Nach der Auflösung der KK RKI wurde die Kontrolle über Metrostroj 1934/35 von der Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle beim MK VKP(b) fortgesetzt. Untersucht wurden die Transportwirtschaft,475 die Materialversorgung,476 die Qualität der Beton- und Isolierungsarbeiten,477 die Finanzgebarung,478 die Ausnutzung und Instandhaltung der Ausrüstungen,479 der Bau von Transformatorstationen und des Depots,480 die Zustände in den Baracken,481 Verspätungen bei der Lohnzahlung.482 Auch die Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle wurde
472 Leiter der Versorgungsabteilung von Metrostroj, Babaev, an Filatov, 31.12.1933. CMAM 1289/1/680, Bl. 5-6. 473 Vgl. z.B. Filatov an KaganoviC, 15.12.1933. Ebd., Bl. 42^13. 474 Sten. Gespräch mit Koöetkov, Leiter des Stadtbaukontors von Metrostroj. GARF R-7952/7/303, Bl. 203-204. 475 Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle beim MK VKP(b). Information des Kontrollors Burafienko über die AutoWirtschaft von Metrostroj, 1.6.1934. CGAMO 792/5/3, Bl. 1-3. 476 Kommission von MGK VKP(b) für die Überprüfung der Materialversorgung von Metrostroj. Bericht, o.D. [April 1934], CGAMO 792/5/86, Bl. 28-123. 477 Stv. Leiter der Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle, Bobe, an Chrusöev, 10.9.1934. CGAMO 792/5/86, Bl. 7. 478 Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle beim MK VKP(b), Bericht über die Finanzgebarung von Metrostroj, o.D. [April 1934], CGAMO 792/5/86, Bl. 124-129. 479 Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle. Untersuchungsakte über die Ausrüstungen von Metrostroj. CGAMO 792/5/31. 480 Untersuchungsakte über den Fortgang des Zivilbaus von Metrostroj, Mai 1934. CGAMO 792/5/64. 481 Untersuchungsbericht über den Zustand der Heime von Metrostroj auf der Basis der Raids der Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle beim MK und bei Vecernjaja Moskva, 9 10.9.1934. CGAMO 792/5/684, Bl. 7-83. 482 Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle beim MK VKP(b). Resolution, 1.4.1935. CGAMO 792/6/38, Bl. 1.
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aufgrund von Beschwerden, Zeitungsartikeln und Hinweisen der „Leichten Kavallerie" aktiv.483 Die Kontrolle von Metrostroj durch die Gewerkschaft war in ihrer Wirkung sehr beschränkt, da der Gewerkschaft gegenüber der Betriebsleitung keine ernsthaften Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung standen. Die Gewerkschaft interessierte sich für den Produktionsplan, die Anwerbung, Unterbringung, Bezahlung, Versorgung und kulturelle Betreuung der Arbeiter sowie für den sozialistischen Wettbewerb, Rationalisierungsvorschläge, das Erfmdertum und die Arbeitsdisziplin. Darüber hinaus kümmerte sich die Gewerkschaft um die Organisation von Subbotniki und Patenschaften.484 Bereits im November 1931 berichtete der stellvertretende Leiter von Metrostroj, Finkel', dem Gebietskomitee der Gewerkschaft Zeldorsosportstroj. Die Gewerkschaft ordnete der Leitung von Metrostroj an, im Dezember die Kontrollziffern fur 1932 vorzulegen und die Anwerbung und Ausbildung von Arbeitskräften vorzubereiten.485 Im Dezember folgte eine umfangreiche Resolution, die überwiegend allgemeine Direktiven der Wirtschaftspolitik wiederholte: Metrostroj sollte seine gesamte Arbeit auf der Basis des Rentabilitätsprinzips organisieren, progressiv-prämiale Leistungslöhne einfuhren, keine Gleichmacherei zulassen, die Arbeit nach dem letzten Stand der Technik mechanisieren, die Arbeiter zu Rationalisierungsvorschlägen ermuntern, bei der Unterbringung die Norm von fünf Quadratmetern pro Person nicht unterschreiten, eine lückenlose Versorgung mit Kantinen, Wäschereien, Bädern, Friseuren, Klubs, Ambulatorien, Kinderkrippen und Schulen gewährleisten, die Produktivität je Arbeiter gegenüber den für 1932 vorgelegten Ziffern im Jahre 1933 deutlich steigern und die Selbstkosten durch Rationalisierungsmaßnahmen senken.486 Am 26.1.1932 legte die Leitung von Metrostroj dem Zentralkomitee der Gewerkschaft Zeldorsosportstroj ihren ersten Bericht über die Organisation des Baus, die Kontrollziffern und den Produktionsplan für das erste Quartal vor.487 Das Zentralkomitee von Zeldorsosportstroj bestätigte den Produktionsplan und erlegte Metrostroj eine Reihe von Verpflichtungen auf, die vor allem die Bereiche betrafen, wo die Betriebsleitung von der Gewerkschaft unterstützt wurde: Metrostroj sollte einen Plan zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs und zur Ausbildung technischer Kader vorlegen, mit Kolchosen Anwerbeverträge schließen und eine
483 Vgl. Sten. Gespräch mit dem Komsomolzen Zdorovichin, Schacht 15, 4.10.1934. GARF R-7952/7/301, Bl. 141. 484 Siehe dazu Kap. V1I.3. 485 Präsidium MOK Zeldorsosportstroj. Prot. 12, 18.11.1931. CMAM 665/1/2, Bl. 2. 486 Erweitertes Plenum MOK Zeldorsossportstroj, gemeinsam mit dem Büro ITS, den Vorsitzenden der Komitees, Wirtschaftlern und Stoßarbeitern. Prot. 5, 14.12.1931. CGAMO 4237/1/1, Bl. 127-135. 487 Stv. Leiter von Metrostroj, Oskolkov. Konjunkturbericht von Metrostroj für Januar 1932, 8.2.1932. GARF R-7952/7/162, Bl. 1.
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geschlossene Arbeiterkooperative zu bilden. Das Moskauer Stadt- und Gebietskomitee von Zeldor§osportstroj wurde angewiesen, den sozialistischen Wettbewerb und die Stoßarbeit bei Metrostroj zu propagieren und bei den Abschnitten Gewerkschaftszellen einzurichten.488 In der Folge befaßten sich das Zentralkomitee und das Gebietskomitee der Gewerkschaft mit der Tätigkeit der Gewerkschaftsorganisation von Metrostroj in bezug auf die Lebensbedingungen, die kulturelle Betreuung und materielle Versorgung der Arbeiter in den Siedlungen,489 die Alphabetisierung,490 den Gemüseanbau auf den betriebseigenen Sowchosen,491 die Sicherheit am Arbeitsplatz,492 den Kampf gegen das Blaumachen493 und den sozialistischen Wettbewerb. Das Thema Metrostroj stand 1933/34 regelmäßig auf der Tagesordnung des Gebietskomitees.494 Die Resolutionen richteten sich meistens an die Basisorganisationen der Gewerkschaft und nur in Ausnahmefällen an die Leitung von Metrostroj. Der Leitung von Metrostroj wurde angeordnet, die Kontrollziffern für 1933 zu überarbeiten, weil der vorgesehene Lohnanstieg nicht durch höhere Produktivität begründet sei,495 einen Plan zur Erhöhung der Produktivität und zur Kostensenkung zu erstellen,496 das Dekret über das Blaumachen konsequenter anzuwenden und die entlassenen Arbeiter aus den Baracken auszusiedeln,497 eine Rettungsstation für Unglücksfälle zu einzurichten und die Stelle eines Sanitätsarztes vorzusehen,498 bei den Schächten die Einmannleitung zu gewährleisten und sie auf das Rentabilitätsprinzip umzustellen, Musterbaracken fur Stoßarbeiter einzurichten und die Arbeiter besser mit Wohnraum zu versorgen499 Die Anordnungen mußten zum Teil mehrmals wiederholt werden, weil sie nicht befolgt wurden.
488 Präsidium des CK Zeldoräosportstroj. Resolution zum Bericht von Metrostroj über die Vorbereitungen zum Bau, o.D. [Anfang 1932], GARF R-5475/18/1I6, BI. 3-6. 489 CK Zeldorsossportstroj. Material über den Zustand der Kulturarbeit auf den Baustellen. 1932. GARF R-5475/18/139, Bl. 12-19. 490 Präsidium MOK Zeldoräosportstroj. Prot. 4, 27.1.1934. CGAMO 4237/1/11, Bl. 273. 491 Desgl. Prot. 22, 7.4.1933. CGAMO 4237/1/5, Bl. 61-64. 492 Desgl. Prot. 3, 13.1.1934. CGAMO 4237/1/11, Bl. 281-282. 493 MOK Zeldoräosportstroj. Information über den Zustand der Massenarbeit im Zusammenhang mit dem Regierungsdekret über das Blaumachen, o.D. [Januar 1933]. GARF R-5475/18/133, Bl. 8-9. Präsidium MOK Zeldoräosportstroj. Prot. 8, 19.1.1933. CGAMO 4237/1/5, Bl. 191. 494 Ab April 1934 befaßte sich das Gebietskomitee der Gewerkschaft Zeldoräosportstroj nicht mehr mit Metrostroj, sondern nur mehr mit den Steinbrüchen von Metrostroj im Umland Moskaus. In den Beständen des CMAM sind keine Akten eines städtischen Komitees von Zeldoräosportstroj verzeichnet. 495 Präsidium MOK Zeldoräosportstroj. Prot. 1, 7.1.1933. CGAMO 4237/1/5, Bl. 218. 496 Desgl. Prot., 8.3.1933. Ebd., Bl. 103. 497 Desgl. Prot. 11, 8.2.1933. Ebd., Bl. 155. 498 Desgl., 20.3.1933. Ebd., Bl. 92. 499 Desgl. Prot. 24, 20.4.1933. Ebd., Bl. 57-58.
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Über die Tätigkeit der OGPU bzw. des NKVD beim Bau der Metro stehen nur spärliche Quellen zur Verfügung. Zweifellos hatte allein die Existenz der Geheimpolizei und die Angst vor ihrem Einschreiten einen Einfluß auf das Verhalten des Managements und der Arbeiter. Welche Aktivitäten die Organe der Staatssicherheit rund um den Bau der Untergrundbahn entfalteten, läßt sich nur bruchstückhaft rekonstruieren. Sie schritten zum Beispiel ein, wenn kriminelle Handlungen aufgedeckt wurden oder wenn es zu schweren Unglücken kam. Als im Juli 1934 beim Schacht 10-11 (Ochotnyj rjad) Risse und Setzungen am Betongewölbe auftraten, untersuchte die OGPU die Ursachen und berichtete an Kaganovic.500 Einen Großeinsatz des NKVD verursachte der Brand beim Schacht 12 im September 1934. Das Gelände rund um den Theaterplatz wurde von Milizionären abgeriegelt, die Bewohner der umliegenden Häuser wurden evakuiert, und der NKVD richtete zwei Sonderkommandanturen mit dreißig bzw. fünfzig Milizionären ein.501 Die Wirtschaftsabteilung des NKVD untersuchte die Ursache des Feuers.502 Vier Personen wurden festgenommen, weil sie zu dem Brand fahrlässig beigetragen hatten.503 Bis März 1934 wurden die Baustellen von Metrostroj durch gewöhnliche Milizionäre bewacht. Dann ordnete Kaganovic zur Verhütung von Sabotageakten an, den Bau analog zu den großen Industrieanlagen militärisch zu bewachen. Der NKVD stellte eine ganze Milizdivision zu diesem Zweck ab.504 Zusätzlich wurde eine bewaffnete Wachmannschaft aus 218 Komsomolzen aufgestellt, weil diese die Arbeiter auf ihren Abschnitten kannten und fremde Eindringlinge schnell ausfindig machen konnten.505 In der letzten Bauphase, als die Gleise verlegt wurden, durften die Tunnel nicht mehr durch die Schächte, sondern nur mehr durch die Stationen betreten werden, wo NKVD-Soldaten die Ausweise kontrollierten.506 Die Staatssicherheitsorgane zogen darüber hinaus über wichtige Ingenieure Erkundigungen ein507 und wurden durch Spitzelberichte über interne Vorgänge in der Betriebsleitung und Äußerungen im privaten Kreis auf dem Laufenden gehalten. Die Zahl der Spitzel muß groß gewesen sein. Allein an einem einzigen Tag im Februar 1935 berichteten mindestens fünf verschiedene Informanten über die
500 Stv. Bevollmächtigter der OGPU für das Moskauer Gebiet, Dejc, an Kaganovii. Sonderinformation, 9.7.1934. RGASPI 81/3/204, Bl. 53-54. 501 Leiter der NKVD-Verwaltung für das Moskauer Gebiet, Redens, Anordnung, 25.9.1934. RGASPI 81/3/204, Bl. 32. 502 Leiter von EKO NKVD, Listengurt, an Kaganovic, 25.9.1934. Ebd., Bl. 44. 503 Leiter der NKVD-Verwaltung für das Moskauer Gebiet, Redens, an Kaganovic, Untersuchungsbericht über das Feuer am 24.9.1934, 24.9.1934. Ebd., Bl. 19. 504 Sten. Gespräch mit dem Beauftragten für Kaderangelegenheiten von Metrostroj, Kuznecov, 20.11.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 59. 505 Prot. Beratung im MK VKP(b), 27.3.1934. RGASPI 81/3/208, Bl. 38. 506 Memoiren des Ing. N.S. Nikolaev. NA 138/2, Bl. 157. 507 NKVD, Hauptverwaltung für Staatssicherheit, Wirtschaftsabteilung. Auskunft über den Konsultanten George Morgan auf der Basis von Agenturmaterial, 9.8.1934. RGASPI 81/3/205, Bl. 12-15.
Mechanismen der politischen Kontrolle
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Einstellungen und Äußerungen der leitenden Ingenieure von Metrostroj.508 Einer von ihnen hatte sogar im privaten Kreis an einem Abendessen im Hause Roterts teilgenommen, wo sich dieser sicher gefühlt und unbefangen über Chrusöev, Kaganovic und Abakumov gesprochen hatte.509
7. M e c h a n i s m e n der p o l i t i s c h e n K o n t r o l l e am B e i s p i e l der F o r d e r u n g nach mehr Q u a l i t ä t Die Machtausübung und Kontrolle über das Management und die Arbeiter sowie das Zusammenwirken der beteiligten Stellen sollen an einem Beispiel näher beleuchtet werden, das monatelang im Vordergrund der Aufmerksamkeit stand und die Intensität und Komplexität, aber auch die Grenzen des Eingreifens der politischen Führung in Detailfragen deutlich macht. Die Tempojagd, zu der Kaganovic mit seiner Rede vom 29.12.1933 das Signal gegeben hatte, führte dazu, daß unter dem Druck der kaum einzuhaltenden Fristen schlampig gearbeitet wurde. Hinzu kam, daß die rasche Ausweitung der Zahl der Arbeitskräfte innerhalb des Jahres 1933 30.000 und in den ersten fünf Monaten des Jahres 1934 weitere 35.000 überwiegend unzureichend qualifizierte Arbeiter auf die Baustellen brachte, die von der fachmännischen Ausführung des Tunnelbaus keine Ahnung hatten. Ende Februar 1934 wurde bei einer Beratung im Stadtparteikomitee festgestellt, daß die Qualität der Betonarbeiten bei einzelnen Schächten schlecht sei. Kaganovic warnte die Bauleiter, daß sie bei Qualitätsmängeln gerichtlich und administrativ zur Verantwortung gezogen würden, und ordnete an, bei der Leitung von Metrostroj eine spezielle Kommission zur Abnahme der fertigen Arbeiten zu bilden. Gleichzeitig bezeichnete er jedoch die erzielte Beschleunigung als unzureichend und drang darauf, das Tempo weiter zu forcieren. Der Erdaushub müsse auf 9.000 Kubikmeter und die Betoneinbringung auf 4.000 Kubikmeter pro Tag gesteigert werden.510 Das Moskauer Parteikomitee wiederholte am 25.3.1934 die Anordnung, eine Inspektion der Beton- und Tunnelarbeiten einzurichten, ohne daß die Leitung von Metrostroj etwas unternahm.511
508 NKVD. Agenturberichte der Informanten „Viktorov", „Ukrainec", „Naumov", „Ivanov" und „Petrov", 19.2.1935. RGASPI 81/3/207, Bl. 13-22. 509 NKVD. Agenturbericht des Informanten „Petrov", 19.2.1935. RGASPI 81/3/207, Bl. 20-22. 510 Prot. Beratung im MGK VKP(b), 25.-26.2.1934. RGASPI 81/3/208, Bl. 20-23. „9.000 und 4.000!" wurde in den folgenden Monaten eine griffige Parole der Propaganda. 511 Vereinigte Sitzung Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 5, 20.4.1934. CAODM 3/24/71, Bl. 83. (Bezug auf die Anordnung vom 25.3.1934).
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Während Kaganovic in Kislovodsk (Nordkaukasus) Urlaub machte,512 somit für einige Wochen den Bau der Metro nur aus der Ferne verfolgen konnte, zitierte Stalin am 13.4.1934 Chruscev und Bulganin zu sich. Im Beisein von Molotov, Kujbysev, Vorosilov und Zdanov ordnete er an, die Frist fur die Fertigstellung der Untergrundbahn vom 7.11.1934 auf den 15.2.1935 zu verschieben, damit die Betonarbeiten ordentlich ausgeführt würden. Man könne die Eröffnung der Metro statt mit den Revolutionsfeiern mit dem für Februar 1935 angesetzten Sowjetkongreß verbinden. Stalin unterstrich die Wichtigkeit, der Qualität verstärktes Augenmerk zu widmen. Kaganovic werde verärgert sein, aber die Qualität des Baus habe Vorrang, und man könne die Terminverschiebung auch gegenüber der Öffentlichkeit damit begründen. Chruscev und Bulganin informierten Kaganovic an seinem Urlaubsort über die Entscheidung Stalins und wiesen Abakumov an, den Zeitplan so zu ändern, daß bis 7.11.1934 die Tunnel im Rohbau fertiggestellt seien, damit man bis 1.2.1935 die Gleise und elektrischen Anlagen montieren und am 15.2.1935 die Metro in Betrieb nehmen könne.513 Drei Tage später, am 16.4.1934, inspizierte der Vorsitzende des SNK Molotov gemeinsam mit Chrusöev, Bulganin, Rotert und Abakumov den Bau der Metro, bemängelte die Qualität der Betonarbeiten und veranlaßte, Qualitätskriterien für die Betonarbeiten zu erstellen.514 Am 20.4.1934 faßte das Moskauer Parteikomitee den förmlichen Beschluß, die Inbetriebnahme auf Februar 1935 zu verschieben und das Hauptaugenmerk auf die Qualität der Bauarbeiten zu richten. Rotert wurde verpflichtet, innerhalb von drei Tagen die schon im Februar und März ergebnislos geforderte Kommission zur Inspektion der Beton- und Tunnelarbeiten einzusetzen und zu diesem Zwecke hochqualifizierte Spezialisten heranzuziehen. Die Partei warnte Rotert und die Schacht- und Distanzleiter, daß sie zur Verantwortung gezogen würden, wenn die Betonarbeiten zu langsam oder in schlechter Qualität erfolgten.515 Zum Leiter der Qualitätskommission ernannten Rotert und Abakumov Ingenieur Klimov, der 26 Jahre Erfahrung im Bau von Eisenbahntunnels hatte und seit 1933 zunächst als Gehilfe des Chefingenieurs und dann als Schachtleiter bei Metrostroj tätig war. Im Herbst 1933 hatte er auf einer Dienstreise die Untergrundbahnen von Berlin, Paris und London studiert und war somit einer der am besten 512 Das Politbüro gewährte Kaganoviö vom 30.3. bis 15.5.1934 Urlaub. (RGASPI 17/3/ 942, Bl. 26, zitiert nach Wolf 1994, S. 272). Vgl. Sten. Gespräch mit dem Brigadier Proskurin, Schacht 15. GARF R-7952/7/306, Bl. 155. (Proskurin sprach während seines eigenen Urlaubs im April mit Kaganovic in Kislovodsk.) 513 Chruäöev und Bulganin an KaganoviC, 14.4.1934. RGASPI 81/3/255, Bl. 135-137. 514 Komsomol'skaja Pravda, 17.4.1934, S. 4. Zitiert nach Wolf 1994, S. 272-273. Vgl. Vecernjaja Moskva Nr. 89, 17.4.1934. Zitiert nach Poletaev 1953, S. 38. - Wolf 1994 vermutete in Unkenntnis der Entscheidung Stalins, jemand aus der Führung von Metrostroj habe die Abwesenheit KaganoviCs benutzt und Molotov eingeladen, sich die verheerenden Folgen der Tempojagd anzusehen. 515 Vereinigte Sitzung Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 5, 20.4.1934. CAODM 3/24/71, Bl. 83.
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qualifizierten Fachleute von Metrostroj.516 Die Qualitätskommission hatte selbst zu wenig Leute, um die Bauarbeiten flächendeckend überwachen zu können. Nach den ersten Inspektionen, die grobe Verletzungen technischer Regeln zutage förderten, wurden über die Gewerkschaft und den Komsomol bei den Schächten und Distanzen „gesellschaftliche Qualitätsinspektoren" bestimmt. Jeder Abschnitt und jede Schicht sollte von mindestens einem Qualitätsinspektor kontrolliert werden, dem auf der Ebene des Schachtes bzw. der Distanz ein Oberinspektor übergeordnet war. Die Oberinspektoren erhielten ihre Anweisungen von der KlimovKommission und vom Gewerkschaftskomitee des Schachtes.517 Als eine ihrer ersten Maßnahmen ließ die Klimov-Kommission im Mai 1934 technische Merkblätter für die Betonierer, Isolierer und Maurer erstellen, in großer Stückzahl drucken und über die Qualitätsinspektoren verteilen. Selbst für sowjetische Verhältnisse war es ungewöhnlich, daß man nicht schon früher technische Vorschriften erlassen hatte.518 Im Mai deckte die Klimov-Kommission schwere Qualitätsmängel auf: Beim Schacht 19-20 hatte man mit bereits abgebundenem Beton betoniert, beim Schacht 12 (Komsomolschacht) war die Isolierung defekt und bei der 1. Distanz wich die Tunnelmauer so stark vom Projekt ab, daß Klimov die Arbeiten stoppen ließ. Eine Überprüfung der Berechnungen ergab, daß die Tunnelwand durch Zusatzkonstruktionen verstärkt werden mußte.519 Das Stadtparteikomitee ließ daraufhin einige Ingenieure, Poliere und Brigadiere entlassen und vor Gericht stellen, rügte die Parteizellen der betroffenen Schächte und warnte alle Schachtleiter, daß sie bei solchen Vorkommnissen „zur strengen gerichtlichen Verantwortung gezogen" würden.520 Darüber hinaus ordnete das MGK an, bei den Schächten und Distanzen „Qualitätskonferenzen" abzuhalten, die Arbeiter zum Kampf gegen die mangelhafte Arbeit anzustacheln und bei allen Baustellen Qualitätsinspektoren einzuteilen.521 Im Mai und Juni 1934 wurden von den Parteisekretären bei den meisten Schächten und Distanzen unter der von Kaganovic ausgegebenen Losung „Damit es nicht tropft!" „produktionstechnische Konferenzen über die Qualität und die Verdichtung des Arbeitstages" abgehalten. Den Konferenzen gingen Arbeiterversammlungen der einzelnen Berufe (Betonierer, Isolierer, usw.), Brigadeversammlungen und Beratungen der Qualitätsinspektoren voraus. Im Zuge der Vorbereitung und der Konferenzen selbst, an denen etwa ein Viertel der Arbeiter teilnahm, wurden mehr als 10.000 Vorschläge von Arbeitern gesammelt, wie man die Arbeit besser organisieren könne. Als Resümee wurde festgehalten, daß es viel Stillstand infolge schlechter Organisation und nachlässiger Einstellung gebe, daß die
516 517 518 519 520 521
Sten. Gespräch mit Ing. Klimov, 20.11.1934. GARF R-7952/7/302, Bl. 8-13. Ebd., Bl. 17. Zur Arbeitsweise der Qualitätsinspektoren siehe Kap. VI.5. Ebd., Bl. 17-18. Ebd., Bl. 18-19. Büro MGK VKP(b). Prot. 6, 11.5.1934 (oprosom). CAODM 4/4/5, Bl. 150. UdamikMetrostroja Nr. 106, 10.5.1934, S. I.
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technische Kontrolle unzureichend sei, die Ausführung von Anordnungen nicht überprüft werde und die Arbeiter Schlampigkeit und schlechte Arbeitsdisziplin an den Tag legten. Nicht nur den Arbeitern, sondern auch dem technischen Personal fehle es an Fachwissen.522 Am 5.6.1934 berichtete Klimov vor der Moskauer Parteiführung über die Ergebnisse seiner bisherigen Arbeit. Kaganovic charakterisierte die Arbeitsweise der Metrobauer als die von „Buschmännern"523 und wies die Leitung von Metrostroj an, unverzüglich die Festigkeit des Betons und die Qualität der Isolierung zu überprüfen. Die Klimov-Kommission wurde um fünfzehn Spezialisten aus verschiedenen Forschungsinstituten aufgestockt. Zwei weitere Kommissionen unter dem Vorsitz von Klimov und Rotert wurden beauftragt, Maßnahmen zur Beseitigung der Mängel auszuarbeiten.524 Am 27.6.1934 verabschiedeten das Büro von MGK und das Präsidium des Mossovet nach der Anhörung Klimovs eine große Resolution „Über die Qualität der Arbeiten von Metrostroj", die zwei Tage später in den Zeitungen publiziert und fur die nächsten Monate als Richtschnur für die Beton- und Isolierungsarbeiten galt. MGK und Mossovet stellten in der Resolution fest, daß die mechanische Festigkeit der Tunnel zweifellos gegeben, aber durch einen überhöhten Zementeinsatz erreicht worden sei. Aufgrund der Mißachtung elementarer Regeln bei der Zubereitung und Verarbeitung des Betons und bei der Isolierung der Tunnel sei die Qualität dieser Arbeiten bei einer Reihe von Abschnitten unbefriedigend: Die Baumaterialien würden ungereinigt und nicht sortiert geliefert. Der Zement werde nicht sachgerecht gelagert und beim Mischen des Betons nicht abgewogen. Der Beton werde so langsam transportiert, daß er schon auf dem Weg in den Schacht abbinde. Bei der Einbringung des Betons entstünden durch schlechtes Stampfen Hohlräume. Die Wasserisolierung werde unfachmännisch auf die ungereinigten Wände aufgeklebt. Beim Erhitzen des Bitumens würden keine Thermometer verwendet.525 MGK und Mossovet verpflichteten die Leitung von Metrostroj und Rotert persönlich, unverzüglich eine gewissenhafte technische Aufsicht über die Betonund Isolierungsarbeiten sicherzustellen und alle Fehler auszubessern. Roterts Stellvertreter Ajngorn erhielt eine Liste der festgestellten Mängel mit genauen Instruktionen, was zu ihrer Beseitigung zu unternehmen sei. Die Leitung von Metrostroj mußte außerdem die wichtigsten Betonvorschriften in populärer Aufbereitung
522 Informationsgruppe beim Parteiorganisator von Metrostroj. Informationsbericht über die produktionstechnischen Konferenzen über die Qualität und die Verdichtung des Arbeitstags, 11.6.1934. CMAM 665/1/143, Bl. 1-7. Desgl., o.D. [Juli 1934], Ebd., Bl. 24-31. 523 Sten. Gespräch mit Klimov, Bl. 19. 524 Prot, vereinigte Beratung von Büro MK und MGK und Präsidium des Mossovet, 5.6.1934. CMAM 665/1/122, Bl. 20. 525 Büro MGK VKP(b) und Präsidium des Mossovet. Resolution, 27.6.1934. CAODM 3/24/71, Bl. 119-123. Auch in CMAM 665/1/125, Bl. 1-7. Publiziert in Metrostroj (1934), H. 4, S. 1-3.
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als Merkblatt drucken lassen, das technische Personal schulen, die Zahl der Instruktoren für die Isolierungsarbeiten erhöhen und bezüglich der Qualität der Arbeit alle Schacht- und Abschnittsleiter, Ingenieure und Brigadiere disziplinar verantwortlich zu machen. Die Partei-, Gewerkschafts- und Komsomolorganisation von Metrostroj hatte auf der Grundlage der Resolution „einen bolschewistischen Kampf für die Qualität der Arbeit" zu fuhren. 526 Im Zuge dieses „Kampfes" wurden etliche Ingenieure und Poliere entlassen.527 Die Klimov-Kommission teilte die Trasse der Metro in Abschnitte ein. Jedes ihrer Mitglieder war für einen Abschnitt verantwortlich. Es informierte den zuständigen Schachtleiter über alle Mängel, die es bemerkte, oder die ihm gemeldet wurden, und trug sie in ein plombiertes Buch ein. Wenn sich gesellschaftliche Qualitätsinspektoren nicht durchsetzen konnten, wandten sie sich an ein Kommissionsmitglied, denn deren Anweisungen waren für die Schachtleiter und Chefingenieure verpflichtend. Die von der Partei angeordnete Aufstockung der Kommission erwies sich jedoch als Fehlschlag: Von den 31 Wissenschaftlern, die im Juni 1934 in die Kommission geschickt worden waren, konnten die einen wegen ihrer Unterrichtstätigkeit nicht genügend Zeit aufwenden, die anderen schieden aufgrund ihrer ungeeigneten Qualifikationen gleich wieder aus. Die KlimovKommission bestand im Juli 1934 aus neun Mann. Darunter waren sechs Ingenieure, die an einer Hochschule lehrten.528 Die Partei-, Gewerkschafts- und Komsomolorganisationen von Metrostroj veranstalteten Versammlungen, auf denen die Resolution kollektiv gelesen und besprochen wurde. Bei den meisten Schächten und Distanzen beschränkten sich jedoch diese Versammlungen, an denen nur ein Teil der Kommunisten und Komsomolzen teilnahm, auf allgemeines Gerede. Nur auf einzelnen Baustellen nahmen die Arbeiter konkrete individuelle Verpflichtungen auf sich.529 Der Udarnik Metrostroja rief seine Arbeiterkorrespondenten und die „Leichte Kavallerie" auf, die Umsetzung der Resolution zu kontrollieren. 530 Schacht- und Distanzleiter mußten in der Zeitung berichten, was sie unternommen hatten. „Mehr Selbstkritik!", forderte der Udarnik Metrostroja und kritisierte die „Selbstberuhigung" der Bauleiter, die in ihren Berichten das Positive in den Vordergrund stellten.531 Während der Qualitätskampagne begannen bei fast allen Schächten und Distanzen im Sommer 1934 Zeitungen zu erscheinen, die der MGK-Resolution breiten
526 Ebd. 527 Sten. Gespräch mit Ing. Kuz'min, Leiter des Schachtes 30, 25.10.1934. GARF R-7952/ 7/302, Bl. 106. 528 Sten. Gespräch mit Klimov, BI. 21-22. 529 Informationsgruppe beim Parteiorganisator von Metrostroj. Information über den Gang der Durcharbeitung des Beschlusses von MK und Mossovet über die Qualität, 4.7.1934. CMAM 665/1/143, Bl. 11-15. 530 Udarnik Metrostroja Nr. 160, 11.7.1934, S. 1. 531 Ebd. Nr. 161, 12.7.1934, S. 1.
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Raum widmeten. Sie beleuchteten die Arbeit der Qualitätsinspektoren,532 veröffentlichten Materialien von Raids der „Leichten Kavallerie",533 warnten „alle Mangelarbeiter und ihre Beschützer" vor gerichtlicher Verfolgung534 und forderten die Bauleiter auf, die Mißstände abzustellen. „Wir wissen nicht, wie du das siehst, aber fur uns ist das ein Ignorieren der Kampfresolution des MK VKP(b) und Mossovet über die Qualität von Metrostroj", hieß es in einem offenen Brief an einen Distanzleiter.535 Am 11.7.1934 berichtete Klimov, daß ein Teil der Mängel behoben sei, es aber weiterhin schwere Versäumnisse gebe.536 Kaganovic setzte zusätzlich zur betriebsinternen Klimov-Kommission eine Kommission des MK ein, die innerhalb von zehn Tagen die Verwirklichung der Resolution vom 27.6.1934 überprüfen sollte. Der Kommission unter dem Vorsitz Sojfers (Parteisekretär des LeninRayons) gehörte auch der stellvertretende Bevollmächtigte der OGPU fur das Moskauer Gebiet, Dejc, an. Rotert, Abakumov und Starostin mußten innerhalb von drei Tagen „operative Maßnahmen" ergreifen und Kopien ihrer Anordnungen an das MK schicken.537 Die Sojfer-Kommission legte ihren Bericht am 15.7.1934 vor: Sie hatte sämtliche Objekte von Metrostroj, einschließlich der Steinbrüche und Sandgruben, inspiziert. Bei den Betonarbeiten war eine gewisse Verbesserung eingetreten, doch gab es weiterhin gravierende Mißstände: Fast alle Steinbrüche lieferten unsortierten und ungewaschenen Schotter; die Zementversorgung war prekär; die Lagerung der Baumaterialien hatte sich nur unerheblich verbessert: Die MK-Direktive, bei den Schächten Meßbehälter und Waagen für die Dosierung des Wassers und des Zements aufzustellen, war nicht erfüllt worden. Es wurde nach wie vor zu viel Zement verbraucht, und trotzdem wies der Beton Risse und Hohlräume auf. Die Isolierungsarbeiten wurden immer noch unfachmännisch ausgeführt. Metrostroj hatte nur für die Beton- und Isolierungsarbeiten Merkhefte herausgegeben und für die Schachtleiter und ihre Stellvertreter Kurse abgehalten. Die Zahl der Instruktoren war geringer als angeordnet, und die technische Überwachung entsprach nicht den Anweisungen von MK. Die Klimov-Kommission arbeitete zu langsam.538 Am 16.7.1934 hielt Kaganovic vor dem Plenum des Mossovet eine Rede, in der er auf den seit Jahresbeginn erzielten Aufschwung, aber auch auf die Qualitätsprobleme hinwies. Sojfer habe ihm berichtet, daß die MK-Beschlüsse nicht ausgeführt würden. Kaganovic warnte alle Metrobauer, daß die Partei „täglich,
532 Udarnik Metrostroja na distancii 1 Nr. 21, 12.7.1934, S. 1. 533 Metrostroevec Nr. 1, 23.7.1934, S. 1. 534 Tunnel'ν srokNr. 35, 9.6.1934, S. 1. 535 Metrostroevec Nr. 6, 12.8.1934, S. 1. 536 Klimov. Bericht über die Erfüllung des Beschlusses von MGK und Mossovet vom 27.6.1934, 11.7.1934. CMAM 665/1/125, Bl. 24-25. 537 Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 12, 11.7.1934. CAODM 3/24/71, Bl. 176. 538 Sojfer an Kaganovic, 15.7.1934. RGASPI 81/3/204, Bl. 68-73.
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stündlich, beginnend vom Schachtleiter und der Leitung von Metrostroj bis zu den Polieren, Brigadieren und Arbeitern" die Umsetzung der Beschlüsse überprüfen werde. „Gegenüber denen, die nicht arbeiten wollen, sind wir verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, die der Diktatur des Proletariats zur Verfügung stehen", drohte Kaganovic. Es dürfe nicht der Fall eintreten, daß 1936 das Wasser in die Tunnel rinne und Moskau dann nicht die beste, sondern die schlechteste Metro der Welt hätte.539 Das Plenum verabschiedete eine Resolution, in der alle Metrobauer aufgefordert wurden, einen entschiedenen Kampf für die Qualität der Tunnel und Stationen zu führen.540 Abermals hielten die Partei-, Gewerkschafts- und Komsomolorganisationen bei den Baustellen Versammlungen und „Meetings" ab, die aber meist nicht viel bewirkten.541 Bestenfalls gingen die Teilnehmer theatralische Verpflichtungen ein, künftig besser zu arbeiten.542 Kommunisten und Komsomolzen kündigten an, die Aufsicht und Verantwortung über konkrete Arbeiten in ihrem Umfeld zu übernehmen.543 Manche nahmen diese Verpflichtungen ernst und überwachten die Arbeiter ihrer Brigade,544 viele ließen es jedoch bei den Absichtserklärungen bewenden.545 Immerhin verspürten die gesellschaftlichen Qualitätsinspektoren nun kräftige Rückendeckung und traten gegenüber den Ingenieuren und Polieren selbstbewußt auf.546 Am 23.7.1934 wurde das gesamte technische Personal von Metrostroj versammelt, um über die Resolution zu beraten. Einige Tage später rief Chruscev die versammelten Stoßarbeiter ebenfalls zur Verschärfung des Kampfes um die Qualität auf.547 Auf einer geschlossenen Parteiversammlung bei der Leitung von Metrostroj berichtete Abakumov Ende Juli 1934, die Chefingenieure hielten angesichts der Probleme die Fristen für die Fertigstellung für unrealistisch, und die Parteizellen erteilten ihnen keine entschiedene Abfuhr. Die Beschlüsse des MK über die Qualität seien noch nicht richtig umgesetzt worden. Die Parteisekretärin Baidon kritisierte in ihrem Schlußwort, daß wieder einmal ergebnislos geredet worden sei, ohne einen Plan für die Realisierung der MK-Beschlüsse zu erstellen. Das Parteikomitee beschloß, in allen Abteilungen Produktionsberatungen abzu-
539 Sten. Rede Kaganovics auf dem Plenum des Mossovet, 16.7.1934. RGASPI 81/3/204, Bl. 106-107. Kaganoviö: Ο stroitel'stve 1934, S. 3-10. 540 Plenum des Mossovet. Prot. 19, 16.7.1934. CMAM 150/5/15, Bl. 1-2. 541 Metrostroevec Nr. 1, 23.7.1934, S. 1. 542 Vgl. Sten. Gespräch mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 2 0 .
543 Desgl. mit dem Parteiorganisator Lipman, 8. Distanz, 26.9.1934, 4.4.1935, 7.4.1935. GARF R-7952/7/315, Bl. 68. 544 Ebd., Bl. 69-70. Desgl. mit Ing. Kozlovskij, 16.11.1934. GARF R-7952/7/300, Bl. 227-228. 545 Desgl. mit einem Metrobauer, 19.11.1934. GARF R-7952/7/315, Bl. 125-126. 546 Desgl. mit dem Parteiorganisator Lipman, 8. Distanz, 26.9.1934, 4.4.1935, 7.4.1935. GARF R-7952/7/315, Bl. 68-69. 547 Sten. Gespräch mit Klimov, Bl. 22.
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halten, um konkrete Maßnahmen zu diskutieren, und verpflichtete das Gewerkschaftskomitee, über seine ingenieur-technische Sektion die Umsetzung der MKBeschlüsse durch die Ingenieure zu kontrollieren.548 Am 1.8.1934 berichtete Klimov, die Leitung von Metrostroj habe viele Anordnungen herausgegeben, die ihrerseits auf den Baustellen Anordnungen hervorgerufen hätten, aber deren Ausführung werde nicht kontrolliert. Die Qualität der Arbeit habe sich nur wenig verbessert. Überall werde viel über Qualität geredet, aber in das Bewußtsein des technischen Personals sei die Forderung noch nicht übergegangen.549 Noch kritischer fiel eine Woche später der Bericht der Sojfer-Kommission aus: Eine Verbesserung der Qualität sei nicht festzustellen, es fehle eine „operative, lebendige Führung seitens der Leitung von Metrostroj". Die Bauleiter würden die Verantwortung auf ihre Untergebenen abschieben. Die Partei·, Gewerkschafts- und Komsomolzellen hätten zwar Versammlungen abgehalten, aber die MK-Beschlüsse nur formal abgehandelt, ohne sie jedem einzelnen Arbeiter zu erklären.550 Bis Mitte August 1934 konnte man immerhin bei der Zubereitung des Betons Verbesserungen erreichen. Dafür gab es weiterhin ernsthafte Probleme bei der Versorgung mit hochwertigem Zement und mit Isoliermaterial.551 Die Leitung von Metrostroj organisierte eine Reihe von Kursen für Schacht- und Abschnittsleiter, sonstige Ingenieure, Poliere und Brigadiere, die jeweils ein bis zwei Wochen lang täglich drei Stunden dauerten.552 Im Laufe der Monate Juli und August nahmen insgesamt 2.298 Personen an diesen Kursen teil, darunter 23 Schachtleiter, 24 stellvertretende Schachtleiter, 870 Abschnittsleiter und Schichtingenieure, 1.382 Poliere und Brigadiere. 1.094 Poliere und Brigadiere unterzogen sich einer Prüfung. 31 Prozent legten die Prüfung mit Auszeichnung ab, 40 Prozent mit gutem, 25 Prozent mit befriedigendem und 4 Prozent mit ungenügendem Erfolg.553 Bei den Schächten 9, 13, 14, 18, 18bis, 33, 36, 37, 48 sowie bei den Distanzen 3 und 7 wurden im August nur mehr unwesentliche Mängel konstatiert. Ansonsten gab es fast überall bis zum Abschluß der Bauarbeiten Qualitätsprobleme. Der stellvertretende Leiter des Schachtes 15 wurde zum Schichtingenieur degradiert, weil er grundlegende technische Regeln verletzt hatte. Die Leiter der Schächte 12, 21 und 30 und von fünf Distanzen wurden von Parteiorganisator Starostin ins
548 Parteizelle bei der Leitung von Metrostroj. Prot. 10, 25.7.1934. CAODM 455/1/2, Bl. 42-45. 549 Klimov. Bericht, 1.8.1934. CMAM 665/1/125, Bl. 26-30. 550 Kommission von Sojfer. Bericht, 8.8.1934. RGASPI 81/3/205, Bl. 3-5. 551 Klimov an Kaganovic, 18.8.1934. RGASPI 81/3/205, Bl. 49-50. Klimov. Bericht, 16.8.1934. CMAM 665/1/125, Bl. 31-35. 552 Kaderabteilung von Metrostroj. Informationen über Kurse, die infolge der Anordnungen von MK, MGK und Mossovet abgehalten wurden, o.D. [Ende August 1934], CMAM 665/1/221, Bl. 7-8. 553 Sten. Gespräch mit Klimov, Bl. 24.
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Rayonsparteikomitee von Sokol'niki vorgeladen, wo man „organisatorische Maßnahmen" gegenüber ihnen ergriff.554 Inspektionen führte auch die Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle des Moskauer Parteikomitees durch. Sie berichtete Mitte September 1934 an Chrusdev, daß bei dem überprüften Schacht 30 die Anweisungen des MK vom Juni immer noch ignoriert würden. Trotz einiger Verbesserungen würden die Betonarbeiten weiterhin unter Mißachtung der technischen Vorschriften durchgeführt.555 Der Inspektor der Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle hatte festgestellt, daß der Zement nicht immer, wie vorgeschrieben, vor seiner Verwendung im Labor geprüft werde und daß bei den Betonmischmaschinen eine ständige Aufsicht nötig sei, denn nur dann würden die Arbeiter den Zement abwiegen und das Wasser genau dosieren. Die Isolierung werde auf den noch nicht ausgetrockneten Beton aufgeklebt. Aus dem Dienstjournal gehe hervor, daß das dem Schacht 30 zugeordnete Mitglied der Qualitätskommission die Arbeiten nur alle fünf bis sechs Tage kontrolliere.556 Auch das städtische Komsomolkomitee befand im September 1934 die Erfüllung der Beschlüsse über die Qualität bei einigen Schächten für „völlig unbefriedigend". Die gesellschaftlichen Inspektoren und die „Leichte Kavallerie" hätten in ihrer Aktivität und Wirksamkeit stark nachgelassen. Die Komsomolorganisationen der Schächte 15-17 und 19-20 erhielten die Weisung, Raids der „Leichten Kavallerie" durchzuführen und ungeeignete gesellschaftliche Inspektoren abzulösen. Die Komsomolzen wurden zu einem „entschiedenen Kampf gegen die Mangelarbeiter" aufgerufen. Sie sollten bei den Schächten Ausstellungen mit Beispielen für schlechte Arbeit organisieren und in den Stoßarbeiterausweisen vermerken, wenn der Betreffende mangelhaft gearbeitet hatte.557 Die Untätigkeit der gesellschaftlichen Inspektoren prangerte gleichzeitig auch der Udamik Metrostroja an: Beim Schacht 19-20 würden sie gar nichts mehr unternehmen, beim Schacht 15-17 gebe es nur mehr zwei bis drei Inspektoren. Der Komsomolsekretär wiege sich in dem irrigen Glauben, daß bezüglich der Qualität alles in Ordnung sei.558 Diese Erscheinungen waren keine Einzelfalle. Die Bewegung der gesellschaftlichen Qualitätsinspektoren scheint nach einem kurzen Aufschwung im August und September 1934 stark nachgelassen zu haben. Immer weniger Komsomolzen und Stoßarbeiter meldeten sich für diese Aufgabe, und die verbliebenen Inspektoren beschränkten sich darauf, Mängel festzuhalten. Um die Inspektoren zu aktivieren, wurde gefordert, sie mindestens zweimal im Monat vor dem Kom-
554 Ebd., Bl. 23. 555 Stv. Leiter der Gruppe fur Partei- und Sowjetkontrolle, Bobe, an Chruscev, 10.9.1934. CGAMO 792/5/86, Bl. 7. 556 Ing. Burgmann. Bericht an die Gruppe für Partei- und Sowjetkontrolle beim MK VKP(b), 4.9.1934. CGAMO 792/5/86, Bl. 4-5. 557 Büro MGK VLKSM. Resolution, 11.9.1934. CAODM 635/1/78, Bl. 78-80. 558 Udamik Metrostroja Nr. 212, 11.9.1934, S. 2.
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somol- oder dem Gewerkschaftskomitee Rechenschaft ablegen und alle zehn Tage dem Schachtleiter Untersuchungsberichte abgeben zu lassen.559 Der Leiter der 8. Distanz wurde Ende September 1934 vom Parteikomitee verwarnt, daß man sein Verhalten als bewußte Verweigerung, die MK-Beschlüsse zu erfüllen, werten werde, wenn er nicht sofort für die Einhaltung der Qualitätsbestimmungen sorge. Ein Schichtingenieur, drei Poliere und eine ganze Reihe von Brigadieren der 8. Distanz wurden entlassen.560 Einen Monat später konstatierte Klimov bei der 8. Distanz tiefe und breite Risse im Beton. Das Moskauer Parteikomitee erteilte dem Distanzleiter einen strengen Verweis und drohte ihm mit der Entlassung und einem Gerichtsverfahren.561 Als die Beton- und Isolierungsarbeiten fertiggestellt waren, zeigte sich, daß die Bemühungen um eine bessere Qualität nur begrenzten Erfolg gehabt hatten. Die Forderung nach sorgfältiger Arbeit und das durch die allzu knappen Fristen verursachte Planstürmen erwiesen sich als nicht miteinander vereinbar. Anfang Februar hatte man zwar die Untergrundbahn fertiggestellt, die Inbetriebnahme mußte aber noch zweimal verschoben werden, weil umfangreiche Nachbesserungsarbeiten notwendig waren. Für die Nachbesserungsarbeiten setzte Kaganovic zunächst eine Frist bis zum 18.2.1935.562 Das Politbüro verschob die für Anfang Februar 1935 geplante Eröffnung der Metro um einen Monat. Bis dahin sollte eine hochrangige Regierungskommission die von Metrostroj geleistete Arbeit überprüfen und die fertigen Anlagen abnehmen.563 Die Regierungskommission bezeichnete die Ausführung der Tunnel im großen und ganzen als befriedigend und die Qualität des Betons als gut. Der Eisenbetonmantel, der die Wasserisolierung von innen abstützte, war an einigen Stellen deutlich dünner als vorgesehen, aber dieser Mangel wurde durch festeren Beton kompensiert. Die Wasserisolierung war mancherorts undicht, weil man sie unfachmännisch verlegt oder beim Einbau der Elektroinstallationen verletzt hatte, so daß Wasser in den Tunnel rann. An einigen Stellen streiften die Zuggarnituren die Tunnelwände, weil man beim Betonieren nicht exakt Maß gehalten hatte.564 Der am 5.3.1935 über diese Befunde vorgelegte Bericht der Regierungskommission veranlaßte das Politbüro, die Inbetriebnahme ein weiteres Mal zu verschieben. Bis zum 15.4.1935 mußten die Mängel behoben werden. Die Regierungskommission wurde beauftragt, bis zum 25.4.1935 die Arbeiten endgültig abzunehmen und eine Betriebsprobe unter voller Auslastung aller Systeme zu
559 Tunnel' ν srok Nr. 65, 13.9.1934, S. 2. 560 Parteikomitee der 8. Distanz. Resolution, 29.9.1934. - In: Za kacestvo metro Nr. 8 7 88, 4.10.1934, S. 1. 561 Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 19, 27.10.1934. CAODM 3/24/72, Bl. 88. 562 Prot. Beratung bei Kaganovic, 9.2.1935. CAODM 3/48/78, Bl. 15. 563 Politbüro. Prot. 21, 22.2.1935. RGASPI 17/3/959, Bl. 2-3. 564 Kurzer Bericht der Regierungskommission für die Abnahme der Moskauer Metro, o.D. [März 1935], GARF R-5446/40/17, Bl. 1-10.
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machen.565 Am 26.4.1935 konnte schließlich die Eröffnung der Metro endgültig für den 15.5.1935 angesetzt werden.566
8. Die W i r k s a m k e i t der M a c h t a u s ü b u n g und K o n t r o l l e Am Beispiel der Bemühungen um eine bessere Qualität der Arbeiten ist deutlich geworden, daß selbst das Eingreifen mächtiger Parteistellen und das Zusammenwirken verschiedener Kontrollinstrumente nicht überall den gewünschten Erfolg zeitigten. Eine Resolution zu verabschieden und Mißstände tatsächlich zu beseitigen oder beschlossene Maßnahmen durchzusetzen waren nicht nur bei der Qualitätskontrolle zwei verschiedene Dinge. Die Frage nach der Effektivität der geschilderten Mechanismen der Machtausübung und politischen Kontrolle ist allgemein von Bedeutung und gleichzeitig schwierig zu beantworten, weil die Quellen in dieser Hinsicht stark standortgebunden sind und eher konkurrierende Diskurse wiedergeben als die Realität beschreiben. Die Stenogramme der Interviews mit den Metrobauern erwecken den Eindruck eines straffen Kommandosystems, das, nach der Überwindung anfanglicher Schwierigkeiten, im Jahre 1934 grundsätzlich alle Bereiche des Baus wirksam kontrollierte. Die Parteisekretäre schilderten ihre Tätigkeit als Erfolgsgeschichte, nicht ohne darauf zu verweisen, in welch desolatem Zustand sie die Organisation von ihrem Vorgänger übernommen hatten. Sie berichteten von ihrer „operativen Führung", von Versammlungen, auf denen die Arbeiter massenweise „konkrete Verpflichtungen eingingen", von ihrer Arbeit mit den einzelnen Kommunisten, und wie es ihnen gelang, ,Rückständige Elemente" umzuerziehen. Die Komsomolzen beschrieben, ausgehend davon, daß vor ihrer Ankunft bei Metrostroj der Plan grundsätzlich nicht erfüllt wurde, mit welchen Methoden sie die übrigen Arbeiter dazu brachten, schneller und besser zu arbeiten und welch beeindruckendes Maß an Aktivität die Komsomolzellen und die einzelnen Mitglieder an den Tag legten. Genau der gegenteilige Diskurs tritt uns in Beratungen des Parteikomitees bei der Leitung von Metrostroj oder in den Berichten der Qualitätskommissionen entgegen: Die Betonung liegt hier nicht auf den Erfolgen, sondern auf der Ineffektivität all dessen, was man bis dahin unternommen hatte. Wenn es darum ging, den eigenen Partei- oder Administrationsapparat für die Behebung ernsthafter Probleme zu sensibilisieren, war es geradezu verpönt, auf Teilerfolge zu verweisen. Man stellte vielmehr alles Negative in den Vordergrund und kritisierte die mangelnde „Konkretheit", „Zugespitztheit" oder „Operativität" der getroffenen Maßnahmen und verwies darauf, daß der Plan nicht erfüllt wurde, die Qualität der
565 Politbüro. Prot. 22, 5.3.1935. RGASPI 17/3/960, Bl. 9. 566 Desgl. Prot. 24, 26.4.1935. RGASPI 17/3/962, Bl. 1-2.
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Die Strukturen im Hintergrund
geleisteten Arbeiten schlecht und die Arbeitsproduktivität und Arbeitsorganisation unbefriedigend waren. Über diesen beiden Diskursen steht ein weiterer, der ihnen die Begründung lieferte und sie zugleich relativierte, nämlich der von der Propaganda gepflegte Diskurs von der prinzipiellen Überlegenheit der bolschewistischen Methoden und des bolschewistischen Tempos, der historischen Gesetzmäßigkeit des Sieges über die sich dem Sozialismus entgegenstellenden Hindernisse, der Notwendigkeit, die überall lauernden Klassenfeinde zu entlarven und zu bekämpfen.567 Die hinter diesen Diskursen verborgene Realität aufzudecken, ist nur für Teilbereiche möglich. Aus den Erfolgsberichten der Komsomolzen auf eine absolute Effektivität der Machtausübung und Kontrolle zu schließen ist ebenso unzulässig wie die ständigen Klagen über das zu geringe Tempo oder die Sabotage der Parteibeschlüsse durch Klassenfeinde für bare Münze zu nehmen. Soweit man überhaupt Aussagen über die Wirksamkeit der Machtausübung und Kontrolle treffen kann, müssen sie relativ bleiben, denn sie hängen davon ab, woran man die Wirksamkeit mißt. Diese Relativität beginnt schon beim Begriff „bolschewistisches Tempo". Ein amerikanischer Ingenieur, der in den Jahren 1932 bis 1934 in Moskau tätig war, bezeichnete die von der offiziellen Propaganda beeinflußten Berichte von Touristen und westlichen Korrespondenten über das „fieberhafte Arbeitstempo" als Unsinn: „Bolshevik tempo, in general, is still one of the slowest in the world, comparable with that in Mexico, China and India." Das langsame Tempo sei einer der Hauptgründe für die geringe Produktivität.568 - Bei Metrostroj waren hingegen 1934 die Fristen fur die Fertigstellung der Tunnel so knapp bemessen, daß das „bolschewistische Tempo" halsbrecherisch war und die Klagen über „Langsamkeit" vor diesem Hintergrund gesehen werden müssen. Voraussetzung fur die Machtausübung und Kontrolle war ein funktionierendes und dichtes Netz von Basisorganisationen der Partei, des Komsomol und der Gewerkschaft, die über einen möglichst großen Stab von Aktivisten verfügen sollten. Dieses Kriterium war 1932 und 1933 nicht erfüllt. In den ersten beiden Jahren konnte von einer effektiven und straffen Führung seitens der Partei oder von einer ausgeprägten Kommandowirtschaft keine Rede sein. Die Kommunisten und Komsomolzen waren eine kleine Minderheit unter der Belegschaft und schwammen mehr im Strom mit, als daß sie seinen Verlauf bestimmten. Die Par-
567 „Das heroische Kollektiv dieses Schachtes hat mit seiner Arbeit gezeigt, daß es keine Schwierigkeiten gibt, die nicht mit revolutionärem Willen und bolschewistischer Beharrlichkeit überwunden werden können", hieß es zum Beispiel in einer Anordnung Roterts vom 26.8.1932, in der er den Arbeitern des Schachtes 22 seinen Dank dafür aussprach, daß sie zwei Tage vor der Frist die Schwimmsandschichten durchstoßen hatten. Drei Wochen vorher hatte Rotert das Tempo der Bauarbeiten als „armselig" bezeichnet, den Schächten mangelnde Disziplin vorgeworfen und Fristen gesetzt. (Rotert. Anordnungen 158, 7.8.1932, 169, 26.8.1932. CMAM 665/1/9, Bl. 204,218. 568 Witkin 1991, S. 97.
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tei-, Gewerkschafts- und Komsomolfunktionäre kannten sich nicht aus, hatten keinen Überblick, sahen mehr oder weniger hilflos zu, wie der Plan nicht erfüllt wurde, die Arbeiter ungestraft blaumachten und nur eine geringe Leistung an den Tag legten. Das änderte sich 1933/34 durch den Zustrom der Komsomolzen und durch den Aufbau einer Partei-, Komsomol- und Gewerkschaftsorganisation, die bis in die letzten Brigaden vordrang und dort ihren Einfluß geltend machte. Die Säuberung von 1933 erfüllte in diesem Prozeß der „Machtübernahme" eine wichtige Funktion und half mit, die Kontrolle über die unteren Ebenen der Parteiorganisation zu gewinnen. Bis Ende 1933 bestanden viele Parteigruppen nur auf dem Papier, die Parteiorganisatoren hatten keine Ahnung, was sie eigentlich tun sollten, die Zellensekretäre kümmerten sich nicht um sie, der politische Unterricht fand entweder gar nicht statt, oder es beteiligten sich nur wenige Kommunisten. Erst im Frühjahr 1934 waren die Basisorganisationen so weit eingerichtet und gefestigt, daß sie Aktivitäten entwickeln konnten, die über die Selbstorganisierung hinausgingen. Im Sommer 1934 war das Netz der Partei- und Komsomolorganisationen so dicht, daß es kaum einen Arbeiter gab, der sich dem Einfluß völlig entziehen konnte. Mit Sicherheit läßt sich daher sagen, daß die Wirksamkeit der Machtausübung und Kontrolle 1934 erheblich höher war als 1932/1933. Ob die Durchdringung des Unternehmens Metrostroj im Sinne einer Kommandowirtschaft im Jahre 1934 tatsächlich einen so hohen Grad erreichte, daß den Arbeitern und dem Management kein Raum für ausweichendes Verhalten mehr blieb, wie es aus den Interviews mit den Komsomolzen und Parteisekretären hervorzugehen scheint, soll im folgenden anhand von konkreten Kriterien untersucht werden. Das naheliegendste Kriterium, um die Wirksamkeit der Durchdringung objektiv zu quantifizieren, wäre die Planerfüllung. Sie könnte Auskunft darüber geben, inwieweit es der Führung gelang, die Arbeiter zu mobilisieren, ihre Produktivität und Arbeitsmoral zu steigern (Tab. 44). Der Untersuchungszeitraum für diese Fragestellung ist begrenzt, denn die Planziffern wurden vor dem Oktober 1933 anders aufgeschlüsselt als danach und ab Oktober 1934 änderte sich der Charakter der Arbeiten so stark (Ausgestaltung der Stationen, Bau der Vestibüle, Verlegung der Gleise, Einbau der Elektroinstallationen), daß sie nicht mehr mit den Haupt-Tunnelarbeiten der Vormonate vergleichbar sind. Betrachtet man die Kurven zur Planerfüllung (Abb. 26), so zeigen sie im ersten Halbjahr 1934 einen Anstieg, der zwar nicht kontinuierlich verlief, aber dazu führte, daß der Plan beim Erdaushub im März und von Mai bis August 1934 erfüllt wurde. Bei den Betonarbeiten war zwar ebenfalls ein Anstieg zu verzeichnen, der Plan wurde aber nur im Juni 1934 erfüllt. Danach ging es mit der Planerfüllung beim Betonieren wieder bergab. Beim Erdaushub setzte im September 1934 die gleiche Entwicklung ein.
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Die Strukturen im Hintergrund
Tabelle 44: Plan und Planerfüllung bei Metrostroj 569 Monat 1933/9 10 11 12 1934/1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Erdaushub Plan in m 53.630 48.959 53.105 69.900 141.640 193.845 240.230 303.780 231.450 196.325 181.405 201.810 173.205 113.625
3
erfüllt in m 49.071 51.407 36.642 48.231 120.086 155.910 241.266 291.629 245.337 206.141 185.033 215.937 157.617 87.491
Beton 3
erfüllt in % Plan in m 92 105 6.970 69 14.430 69 19.090 85 33.040 80 59.160 100 89.840 96 116.666 106 96.450 84.530 105 102 71.820 107 63.550 91 98.925 105.425 77
3
erfüllt in m3 erfüllt in % -
3.973 7.648 13.554 25.000 36.215 63.760 80.500 87.770 87.911 67.511 52.747 73.205 65.364
-
57 53 71 75 61 71 69 91 104 94 83 74 62
Abb. 26: Planerfüllung bei Metrostroj in Prozent 1933-1934
Planerfüllung Erdaushub Planerfüllung Beton
Die Prozentzahlen über die Planerfüllung sind allerdings nur begrenzt aussagekräftig, denn wie Tab. 4 4 zeigt, veränderten sich die Planziffern fur die einzelnen Monate stark. Planvorgaben konnten in die Höhe geschraubt werden, um das Tempo zu
569 Die Angaben in der Tabelle beruhen auf den im Udarnik Metrostroja in regelmäßigen Abständen (zunächst monatlich, dann alle zehn Tage, im Frühjahr und Sommer 1934 täglich) veröffentlichten Statistiken über die Planerfüllung. Auf Einzelnachweise habe ich aufgrund der Vielzahl von Fundstellen verzichtet. Für einige Monate liegen im Udarnik Metrostroja keine Gesamtzahlen vor. Sie wurden für die Tabelle auf der Grundlage der Tages- und Dekadenangaben berechnet und kursiv gesetzt.
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Die Wirksamkeit der Machtausübung und Kontrolle
forcieren, sie konnten aber auch durch langsame Arbeit in den Vormonaten und daraus resultierenden niedrigen Normen niedrig gehalten werden. Außerdem hing die Planerfüllung von der Zahl der zur Verfugung stehenden Arbeitskräfte ab. Setzt man die Plan- und Planerfiillungsziffern in Bezug zur Zahl der auf den Baustellen anwesenden Arbeiter (Tab. 45, Abbildung 27), erhält man ein besseres Bild von der erbrachten Leistung und der Produktivität. Der Vergleich mit der Tab. 44 zeigt, daß der Plan in denselben Monaten zu mehr als 100 Prozent erfüllt wurde, nämlich beim Erdaushub im März und in den Monaten Mai bis August, beim Betonieren nur im Juni 1934. Zu beachten ist dabei aber, daß das Plansoll je Arbeiter, beginnend mit Mai 1934 sowohl beim Erdaushub als auch beim Betonieren deutlich niedriger war als in den Monaten davor. Das rührte daher, daß man im Frühjahr 1934 die Zahl der Arbeitskräfte stark erhöht hatte, um den Plan erfüllen zu können. Im April 1934 war beim Erdaushub, gemessen am Arbeitsvolumen, der Höhepunkt erreicht, weil die Stollen der Reihe nach fertig wurden. Man stellte aber trotzdem noch einige tausend Arbeiter neu ein und baute sie ab Juni 1934 nur langsam ab. Die vorübergehende Reduktion der Planziffem beim Betonieren von Mai bis August 1934 erfolgte möglicherweise im Zusammenhang mit den Qualitätsproblemen. Die von Kaganovic zu Beginn des Jahres 1934 geforderte Tagesleistung von 9.000 Kubikmeter Erdaushub wurde im übrigen nur im April, jene von 4.000 Kubikmeter Beton zu keinem Zeitpunkt erreicht. Die maximale Tagesleistung beim Betonieren betrug 2.930 Kubikmeter (im Juni 1934). Tabelle 45: Plan und Planerfüllung bei Metrostroj je Arbeiter570 Monat
Zahl der Arbeiter
1933/9 10 11 12 1934/1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
14.900 14.900 25.300 25.300 27.400 38.400 49.100 54.600 60.300 56.700 53.800 51.800 51.500 51.500
Erdaushub je Arbeiter in Kubikmetern Plan
erfüllt
3,60 3,29 2,10 2,76 5,17 5,05 4,89 5,56 3,84 3,46 3,37 3,90 3,36 2,21
3,29 3,45 1,45 1,91 4,38 4,06 4,91 5,34 4,07 3,64 3,44 4,17 3,06 1,70
Beton je Arbeiter in Kubikmetern Plan -
0,47 0,57 0,75 1,21 1,54 1,83 2,14 1,60 1,49 1,33 1,23 1,92 2,05
erfüllt ~
0,27 0,30 0,54 0,91 0,94 1,30 1,47 1,46 1,55 1,25 1,02 1,42 1,27
570 Die kursiv gesetzten Werte wurden nicht direkt aus den Quellen entnommen, sondern auf der Basis der Tab. 44 berechnet. Die Arbeiterzahlen wurden aus Tab. 11 und Abb. 22 übernommen. Alle Werte sind gerundet.
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Die Strukturen im Hintergrund Abb. 27: Plan und Planerfüllung bei Metrostroj je Arbeiter in Kubikmetern
η 33/9 10
1 11
1
r~
12 34/1 2 Aushub Aushub Plan
Beton Beton Plan
Für unsere Fragestellung nach der Planerfüllung als Indikator für die Leistung der einzelnen Arbeiter heißt das, daß der Plan ab Mai 1934 auf Kosten der Produktivität mit einer relativ größeren Zahl von Arbeitern erfüllt wurde. Die Produktivität je Arbeiter sank ab Mai 1934 stark. Dazu kommt, daß die Planvorgaben, trotz ihrer Reduktion, beim Betonieren ab Juli und beim Erdaushub ab September 1934 nie wieder erfüllt wurden. Die Plansteigerung beim Betonieren im September und Oktober 1934 hatte nur eine geringe Erhöhung der tatsächlich erbrachten Leistung zur Folge. Aus diesen Daten könnte man schließen, daß die Konzentration aller Kräfte für das forcierte Bautempo nur für kurze Zeit, nämlich beim Erdaushub für die Monate Januar bis April, beim Betonieren bis Juni 1934 gelang. Eingeschränkt wird diese Schlußfolgerung allerdings durch eine unbekannte Größe, die bei dieser Berechnung nicht berücksichtigt werden konnte: Auch wenn die Statistik der Planerfüllung das ganze Jahr 1934 über mit den Werten für den Erdaushub und das Betonieren operierte, muß man berücksichtigen, daß sich die Bauarbeiten nicht in diesen beiden Arbeitsschritten erschöpften. Ab Mai/Juni kamen bei den meisten Schächten die Isolierungsarbeiten hinzu, die einen Teil der Arbeitskräfte in Anspruch nahmen. Außerdem muß bedacht werden, daß die Planerfüllung nicht nur vom Leistungswillen der Arbeiter, sondern auch von der Arbeitsorganisation und von den geologischen Bedingungen abhing. Es gab beim Bau der Metro Abschnitte, die so schwierig waren, daß die Arbeiter trotz größten Einsatzes nicht wie erhofft vorankamen. Der statistische Befund hinsichtlich der nur vorübergehenden Leistungssteigerung wird durch andere Quellen gestützt. In seinem Bericht vor dem Plenum des Mossovet sprach Rotert am 16.7.1934 ausdrücklich von einer Wende im Arbeitstempo, die seit dem Januar 1934 erzielt worden sei.571 Im August 1934 schrieb der 571 Plenum des Mossovet. Prot. 19 und Sten., 16.7.1934. CMAM 150/5/15, Bl. 20-23.
Die Wirksamkeit der Machtausübung und Kontrolle
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Parteiorganisator Starostin an Kaganovic, unter dem Leitungspersonal von Metrostroj breiteten sich „demobilisierte Stimmungen" aus. „Wir sind müde", habe der Leiter der Caissongruppe auf einer Parteiversammlung erklärt, anstatt die Forderung des parteilosen Schachtleiters Tankelevic nach einer Verlängerung der Fristen fur die Fertigstellung zurückzuweisen.572 Von „demobilisierten Stimmungen", „Selbstzufriedenheit" und schlechter Arbeitsdisziplin war im August und September 1934 in den Betriebszeitungen fast täglich die Rede. Die Arbeitsdisziplin sei miserabel, viel Arbeitszeit gehe durch Reden, Herumgehen und ,Arbeit Suchen" verloren, beklagte der Udarnik Metrostroja.573 Nachlässigkeit und ein Stil des Laisser-faire ließen Tag für Tag das Arbeitsprogramm scheitern, beklagte die Zeitung der 6. Distanz Anfang September 1934.574 Das System der äußersten Kräfteanspannung und Einbindung der Arbeiter in das Leistungssystem der Komsomolzen wirkte offenbar nur für wenige Monate und war in hohem Maße zielorientiert. Als das lange Zeit im Vordergrund stehende Ziel, nämlich das Vortreiben der Stollen und das Betonieren der Tunnelwände, erreicht war, schien das Wesentliche geschafft, und ließ der innere Leistungsdruck bei vielen nach. Seitdem man die Hauptarbeit erfolgreich hinter sich gebracht habe, sei die Arbeitsdisziplin wieder gesunken, hieß es in der Zeitung des Schachtes 9 Mitte August 1934.575 „Mit einem Wort: Wir sind prächtig, Helden, haben eine Produktivität über der Norm, aber den Plan erfüllen wir nicht, weil wir zu wenig Arbeiter haben", charakterisierte die Schachtzeitung die „demobilisierten Stimmungen", die auch die Kommunisten und Komsomolzen erfaß, 576 ten. Die Planerfüllung hing eng mit einem weiteren Kriterium für die Effektivität der Machtausübung zusammen, nämlich mit der Frage, in welchem Maße es den Herrschenden gelang, die Arbeiter zu disziplinieren sowie widersetzliche und eigensinnige Verhaltensweisen hintanzuhalten. Für die Jahre 1932 und 1933 stimmen die Quellen weitgehend darin überein, daß die Disziplin und die Leistungsbereitschaft der Arbeiter sehr gering waren, es eine hohe Fluktuation gab, Blaumachen, Zuspätkommen, Alkoholismus, langsames Arbeiten oder auch Arbeitsverweigerungen etwas Alltägliches waren und größtenteils ohne Konsequenz blieben. Das Regierungsdekret über das Blaumachen vom 15.11.1932 wurde nur mangelhaft in die Realität umgesetzt. Nach einigen Wochen verschärften Vorgehens gegen die Blaumacher wurde das Dekret im Jahre 1933 zunehmend weniger befolgt.577
572 573 574 575 576 577
Starostin an Kaganovic, 19.8.1934. RGASPI 81/3/205, Bl. 54-55. Udarnik Metrostroja Nr. 227, 29.9.1934, S. 1, Nr. 272, 23.11.1934, S. 1. Metrostroevec Nr. 13, 4.9.1934, S. 1. Tunnel' ν srok Nr. 56, 13.8.1934, S. 1. Ebd. Nr. 59, 23.8.1934, S. 1. Vgl. Kap. IV.3.b.
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Die Strukturen im Hintergrund
Die Zahl der Disziplinverletzungen und übrigen eigensinnigen Verhaltensweisen war auch 1934 hoch. Rund 20.000 Arbeiter wurden im Laufe des Jahres 1934 aus diesen Gründen entlassen, weitere 1.300 Arbeiter wegen offener Widersetzlichkeiten.578 Diese Zahlen legen aber gleichzeitig Zeugnis davon ab, daß das Verhalten der Arbeiter zumindest in diesen Fällen nicht, wie 1932/33, ungestraft blieb. Eine ähnliche Entwicklung ist bei der Fluktuation der Arbeitskräfte festzustellen, die sich zwar 1934 mit durchschnittlich 7,2 Prozent im Monat immer noch auf einem hohen Niveau bewegte, aber gegenüber 1933, als sie noch deutlich über 20 Prozent im Monat betragen hatte, stark zurückgegangen war. 579 Das Durchgreifen des von Kaganovic als Kaderbeauftragten zu Metrostroj entsandten OGPU-Funktionärs Kuznecov bewirkte überdies, daß im Laufe des Jahres 1934 die Personalevidenz und das System der Einstellung und Entlassung von Arbeitskräften auf eine Weise reformiert wurden, die es flüchtigen Kulaken unmöglich machte, wie früher in großer Zahl auf den Baustellen der Metro unterzutauchen. 580 Die Berichte der Metrobauer stimmen insofern mit den Aussagen der statistischen Quellen überein, als sie das Vorhandensein unerwünschter Verhaltensweisen unter den Arbeitern nicht leugnen, aber regelmäßig erwähnen, daß beim Auftreten solcher Probleme sofort die Komsomolzen und Kommunisten aktiv wurden, die betreffenden Arbeiter umerzogen oder für ihre Entlassung sorgten.581 Ab und zu werden in den Interviews Fälle erwähnt, daß Arbeiter auf die Umerziehungsversuche nicht ansprachen 582 oder sich von den „gesellschaftlichen Qualitätsinspektoren" nicht beeindrucken ließen und sie auslachten. 583 Obwohl sich gegenüber 1932/33 die Lage deutlich gebessert hatte, war man auch 1934 noch weit davon entfernt, das Problem der eigensinnigen Verhaltensweisen und Disziplinverletzungen völlig in den Griff zu bekommen. „Drückeberger, Blaumacher und Mangelarbeiter bleiben straflos", wetterte der Udarnik Metrostroja im Februar 1934 und kritisierte, daß bei der 4. Distanz die Partei-, Komsomol· und Gewerkschaftsorganisationen diesbezüglich keine geeigneten Maßnahmen ergriffen. 584 Für die Monate März bis Juli 1934 finden sich im Udarnik Metrostroja relativ wenige Klagen über Blaumachen, langsames Arbeiten oder Disziplinverletzungen. Im August scheint das Problem wieder akut geworden zu sein. „Heben wir die Arbeitsdisziplin, fuhren wir einen erbarmungslosen Kampf gegen die Faulen-
578 Vgl. Tab. 32. 579 Vgl. Kap. III.4. 580 Vgl. Kap. III.4. 581 Vgl. z.B. Sten. Gespräch mit dem Komsomolzen Dobrusin, 3. Distanz, 9.9.1934. GARF R-7952/7/241, Bl. 158. 582 Vgl. desgl. mit dem Brigadier Egorov, Schacht 10-11. GARF R-7952/7/301, Bl. 3. 583 Sten. Gespräch mit dem Komsomolsekretär Chochjrakov, Schacht 18, 13.3.1935. GARF R-7952/7/322, Bl. 179. 584 Udarnik Metrostroja Nr. 28, 3.2.1934, S. 2.
Die Wirksamkeit der Machtausübung und Kontrolle
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zer, Saboteure und Hooligans", forderte eine Schachtzeitung im August 1934 und verwies darauf, daß die Arbeitsdisziplin wieder gesunken sei. Die Arbeiter würden während der Arbeit essen, beim Büffet in der Schlange stehen, aus fadenscheinigen Vorwänden ständig ins Büro der Schachtleitung laufen und während der Nachtschichten schlafen.585 Aus den Schachtzeitungen und dem Udarnik Metrostroja gewinnt man den Eindruck, daß es der politischen Führung bis zum Frühjahr 1935 nicht mehr gelang, das zwischenzeitlich erreichte Niveau der Arbeitsdisziplin und der Leistungsbereitschaft wieder herzustellen. Nicht nur unter den Arbeitern, auch im Leitungspersonal machte sich im Herbst und Winter 1934 eine gewisse Müdigkeit, Gleichgültigkeit und Selbstzufriedenheit mit dem bereits Erreichten breit.586 Obwohl sich in dieser Phase das Eingreifen der Moskauer Parteistellen noch verstärkte, eigneten sich offenbar die Montagearbeiten und die Ausgestaltung der Stationen und Vestibüle nicht so sehr fur die Mobilisierung des Einsatzwillens wie im Frühjahr 1934 der technisch viel schwierigere und physisch viel anstrengendere Vortrieb der Stollen. Die Metrobauer scheinen sich im Herbst und Winter von den Anstrengungen der vorangegangenen Monate ausgeruht zu haben. Schlafen während der Arbeitszeit war in dieser Phase eine der typischen Disziplinverletzungen.587 Wo der Druck der Partei-, Komsomol- und Gewerkschaftsorganisationen auf die Arbeiter nachließ, sank die Arbeitsmoral binnen kurzer Zeit drastisch. Ein Komsomolorganisator berichtete, daß die Leistung seiner Brigade sofort abfiel, als er wegen Krankheit für fünf Tage abwesend war. Nach seiner Rückkehr berief er unverzüglich eine Versammlung ein, entfernte ein paar „Taugenichtse" aus der Brigade, übte auf die anderen Druck aus, - und es ging wieder bergauf.588 Das ganze System der Einspannung der Arbeiter in die Planerfüllung funktionierte nur unter ständiger Überwachung und mit entsprechenden Sanktionen. Wichtig dabei ist jedoch festzuhalten, daß das System an sich erfolgreich war. Auch wenn die Komsomolzen und Kommunisten nicht während der gesamten Bauzeit eine totale Kontrolle über ihre Umgebung ausübten, so gelang es ihnen doch, wenigstens in den entscheidenden Phasen die Arbeiter zu höherer Leistung und besserer Disziplin zu veranlassen. In der übrigen Zeit rissen zwar eigensinnige Verhaltensweisen ein, über die individuelle Disziplinverletzung oder Verweigerung hinausgehenden Widerstandsaktionen schob aber schon allein die flä-
585 Udarnik Metrostroja na naklonnoj sachte 1-2 Nr. 3-4, 22.8.1934, S. 2. - Von der gesunkenen Arbeitsdisziplin spricht auch ausdrücklich die Zeitung Tunnel' ν srok Nr. 56, 13.8.1934, S. 1. 586 Vgl. Udarnik Metrostroja Nr. 227,29.9.1934, S. 1, Nr. 272,23.11.1934, S. 1, Nr. 295, 21.12.1934, S. 2. 587 Vgl. Udarnik scitafiT. 57, 17.1.1935, S. 1, Nr. 58, 20.1.1935, S. 1, Nr. 60, 21.1.1935, S. 1. 588 Sten. Gespräch mit dem Komsomolorganisator Mordviäov. GARF R-7952/7/316, Bl. 351.
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Die Strukturen im Hintergrund
chendeckende Durchsetzung der Brigaden mit Komsomolzen und Kommunisten einen wirksamen Riegel vor. Dort, wo sich die Machtausübung und politische Kontrolle durch die Partei nicht auf die Arbeiter, sondern auf bautechnische Fragen und auf konkrete Anordnungen an die Leitung von Metrostroj erstreckte, war sie in einem höheren Grad wirksam. Ein besonders anschauliches Beispiel ist die Einflußnahme des Moskauer Parteikomitees auf die Ausgestaltung der Stationen und Vestibüle der Untergrundbahn. Sie begann im Herbst 1933, als sich Kaganovic kritisch zu den Thesen einer Expertenkommission äußerte, die im Rahmen eines Gutachtens über die Projektierung der Metro auch Richtlinien für die Gestaltung der Stationen formuliert hatte.589 Kaganovic stimmte dem Prinzip zu, daß die Stationen individuell gestaltet werden sollten, um die Orientierung zu erleichtern, sprach sich aber gegen eine allzu bunte Stilvielfalt und für gewisse verbindende Elemente 590
aus. Die Resolution des Moskauer Parteikomitees und des Mossovet vom 29.12. 1933 enthielt bereits eine Reihe konkreter Anweisungen für die Projektierung der Stationen und Vestibüle.591 Im März 1934 wurde auf dieser Grundlage ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Die Architektur- und Planungsbehörde [Arplan] des Mossovet, an deren Sitzung auch Kaganovic teilnahm, begutachtete die Entwürfe bereits am 28.3.1934, übergab sie einer Expertenkommission592 und erteilte für die weitere Ausarbeitung Richtlinien, welche Materialien für die Säulen, Wände, Böden und Stufen verwendet werden sollten.593 Im Juni 1934 bestätigte die Kommission von Arplan unter dem Vorsitz von Kaganovic die Entwürfe für sechs Stationen und zwei Vestibüle und erteilte den Architekten Anweisungen für die Überarbeitung der restlichen Entwürfe.594 Kaganovic machte persönlich einige Änderungsvorschläge und beriet mit den Architekten, mit welchen Mitteln man vermeiden könne, daß die Stationen trotz ihrer konstruktionsbedingten Ähnlichkeit eintönig wirkten.595 Im August 1934 bestätigte Kaganovic einige der ausstehenden Projekte. Andere verwarf er abermals und erteilte den Architekten Anweisungen für die Erstellung neuer Entwürfe.596 Anfang Oktober 1934 bestätigte das Moskauer Parteikomitee die Zeitpläne für die Ausgestaltung der Stationen und erstellte Richtlinien, welche Materialien in
589 Zakljucenie 1933, S. 59-60. 590 Wortmeldung Kaganovics auf dem Plenum der Expertenkommission von Metrostroj, 20.10.1933. RGASPI 81/3/199, Bl. 43. 591 MK, MGK VKP(b). Resolution, 29.12.1933. - In: Metrostroj 1934, S. 10. 592 Kravec: Architekturnaja otdelka 1934, S. 33-34. 593 Architektur- und Planungsbehörde. Prot., 28.3.1934. RGASPI 81/3/208, Bl. 49. 594 V kommissii 1934, S. 15. 595 Prot. Beratung von Arplan, 20.6.1934. RGASPI 81/3/204, Bl. 1-27. 596 Prot. Beratung bei KaganoviC, 23.8.1934. CAODM 3/49/57, Bl. 79-80. Büro MGK VKP(b). Prot. 11, 31.8.1934. CAODM 4/4/6, Bl. 126.
Die Wirksamkeit der Machtausübung und Kontrolle
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welchem Umfang verwendet werden sollten. Es ging vor allem darum, den Verbrauch an Marmor einzuschränken.597 Im Oktober und November 1934 verdichtete sich die Einflußnahme des Moskauer Parteikomitees. Kaganovic und Chruscev übernahmen de facto das Kommando über die Ausgestaltungsarbeiten. Mehrmals in der Woche wurden Beratungen abgehalten, Entwürfe und Zeitpläne bestätigt, Verantwortliche für die Durchführung eingeteilt, Anweisungen fur die Verwendung von Materialien und die Details der Ausschmückung der Stationen erteilt.598 Die Leitung von Metrostroj war nur mehr Mittler zwischen Kaganovic, Chrusöev und den Bauleitern der Stationen und hatte höchstens noch die Aufgabe, für die Umsetzung der Anordnungen zu sorgen. Rotert und Abakumov traten in dieser Phase gegenüber Kaganovic und Chruscev völlig in den Hintergrund: „Nun beschäftigt sich Lazar' MoiseeviC mit jeder Station, der Auswahl jedes Stückchens Marmor - welcher Marmor für welche Station, welche Farbe usw. Operative Sitzungen, Beratungen, Anwerbung von Leuten usw. - alles seine Sache. Dann der Bau der Vestibüle. Er versammelt die Architekten, spricht mit ihnen, erteilt Anordnun-
Es gab praktisch kein Detail bei der Ausgestaltung der Stationen, von den Treppengeländern über die Fußböden und die Verkleidung der Säulen bis zur Beleuchtung, das nicht unmittelbar von Kaganovic oder Chrusöev entschieden wurde. Lediglich beim Zeitplan stieß die politische Einflußnahme an ihre Grenzen. Trotz ständiger Aufforderungen, das Tempo zu erhöhen, mußte die Frist für die Fertigstellung der Stationen und Vestibüle um einige Wochen verschoben werden.600 Abgesehen davon war jedoch die Einflußnahme des Moskauer Parteikomitees auf die Architektur und Gestaltung der Untergrundbahn ein Musterbeispiel für eine effektive und totale Kontrolle, die keinen Spielraum für Abweichungen zuließ.
597 Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 16, 2.10.1934. CAODM 3/24/72, Bl. 61. Beilage: Prot. Beratung, 29.9.1934. Ebd., Bl. 66-69. 598 Vgl. z.B. Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 19, 27.10.1934. CAODM 3/24/72, Bl. 85-88. Prot. Beratung im MGK VKP(b), 3.10.1934. Ebd., Bl. 101-104. MGK VKP(b). Prot. 13, 17.10.1934. CAODM 4/4/6, Bl. 152. Prot. Beratung im MGK VKP(b), 16.10.1934. Ebd., Bl. 209-211. Desgl., 28.11.1934. CAODM 3/49/57, Bl. 134-135. 599 Sten. Gespräch mit Abakumov, 25.11.1934. GARF R-7952/7/299, Bl. 58-59. 600 Prot. Beratung im MGK VKP(b), 1.11.1934. CAODM 3/24/72, Bl. 125-128. Prot. Beratung im MK VKP(b), 28.12.1934. RGASPI 81/3/208, Bl. 130.
VII. „DAS GANZE LAND B A U T DIE M E T R O " : DER M E T R O B A U ALS S Y M B O L DES A U F B R U C H S IN EINE B E S S E R E Z U K U N F T
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- X o p o m o ΠΟΛ 3eMJiefi!" Semen Kirsanov 1
1. Die s o w j e t i s c h e T e c h n i k e u p h o r i e Das Unternehmen Metrostroj erfüllte nicht nur fur die unmittelbar daran Teilnehmenden eine identitätsstiftende Funktion, sondern eignete sich auch hervorragend, um von der Propaganda als Markstein für den Aufbruch des ganzen Landes in eine bessere, schönere Zukunft inszeniert zu werden. „Das ganze Land baut die Metro", „Wir bauen die beste Metro der Welt", „Die beste Metro für die Rote Hauptstadt" waren Losungen, mit denen man der Bevölkerung das Gefühl vermittelte, hier entstünde als gemeinsames Werk aller Sowjetbürger etwas Einzigartiges, etwas, auf das man stolz sein könne und auf das die Welt blicke.
1 Kirsanov, Semen: „M". In: Metro Sbornik 1935, S. 203. - Übersetzung: „Ich bin / über diesen realen / allgemeinen Gewinn / so stolz, / so froh / so erstaunt - / daß man, wie gut es / auf der Erde / uns auch gehe - / trotzdem / sagt: / - Gut ist es unter der Erde!" - Es handelt sich um den letzten Vers eines der populärsten Gedichte, die anläßlich der Eröffnung der Metro verfaßt wurden. Das Gedicht gehört zum Kanon der Metro-Propaganda und taucht in zahlreichen Publikationen auf. Es ist sogar auf der Intemetseite der Metro vertreten: http://www.metro.ru:8080/ vr/kirsanov.html [20.12.2000]. - Semen Isaakoviö Kirsanov (1906-1972) verfaßte in den dreißiger und vierziger Jahren eine Reihe von produktions-propagandistischen Poemen.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
Die Quellen über die Stimmungen in der Bevölkerung während der dreißiger Jahre sind widersprüchlich.2 1933 verkündete Stalin das erfolgreiche Ende des ersten Fünfjahresplans und den Beginn einer neuen, frohen Ära. „Das Leben ist besser, das Leben ist froher geworden", war seine Botschaft, die auch von Metrobauern verinnerlicht wurde.3 Die Propaganda suggerierte Aufbruchsstimmung und Optimismus. Auch in Memoiren4 und sogar in manchen westlichen Reiseberichten5 ist die Rede davon, daß die Zeitgenossen die Zeit der ersten Fünfjahrespläne als Aufschwung erlebten. „Ein System steigt auf, das andere steigt ab", so charakterisierte der stellvertretende Leiter von Metrostroj, Ingenieur Krutov, am 1.1.1933 auf dem Treffen der Stoßarbeiter die Aufbauleistung der Sowjetunion im Gegensatz zum „Bankrott" der kapitalistischen Welt.6 Daß gleichzeitig in der Sowjetunion Millionen Menschen verhungerten, beirrte ihn ebensowenig wie den jungen Lev Kopelev, der als Teilnehmer an einer Getreidebeschaffungskampagne die Not in den ukrainischen Dörfern mit eigenen Augen gesehen hatte. Sie trat jedoch in Kopelevs Erleben gegenüber den technischen Erfolgen der Industrialisierung in den Hintergrund: „Das Jahr 1932 lebt in meiner Erinnerung im Glanz freudiger Gefühle, selbstbewußter Jugend und zahlloser Hoffnungen. Dort im Ausland wütete die Wirtschaftskrise. In Deutschland gab es sieben Millionen Arbeitslose. In den USA waren es noch viel mehr. [...] Tagtäglich berichteten unsere Zeitungen von Streiks in den kapitalistischen Ländern, von Hunger und Elend [...]. Wie anders sah es dagegen bei uns aus! Die Zeitungen veröffentlichten Telegramme und Artikel über unsere neuen Fabriken, Hochöfen und Maschinen-Traktoren-Stationen, von immer neuen und noch größeren Erfolgen und Errungenschaften, von immer grandioseren Plänen." 7
Manche Berichte von Reisenden und Diplomaten schildern genau das Gegenteil: eine Gesellschaft, deren ursprüngliche Begeisterung durch die Mißerfolge schon
2 Zur Problematik der Stimmungen vgl. Davies: Popular Opinion 1997. Rimmel: „Svodki" 1999. Rimmel: Another Kind of Fear 1997. Fitzpatrick: Everyday Stalinism 1999, S. 164-189. Sinkarcuk 1995. Velikanova 1999. Golos naroda 1998. Obscestvo i vlast' 1998. 3 Das Stalin-Zitat findet sich zum Beispiel wörtlich als Überschrift für das Jahr 1935 in den unveröffentlichten Memoiren eines Ingenieurs, der bei Metrostroj arbeitete. (Memoiren von N.S. Nikolaev. NA 138/2, Bl. 158). 4 Vgl. z.B. Zukov, Grigorij, K.: Vospominanija i razmyslenija. - Moskva 1970, S. 242, der von einem „unwiederholbaren, eigentümlichen Stimmungsaufschwung" sprach. „Gut, sehr gut hatten wir zu leben begonnen." 5 Vgl. z.B. Fischer 1944, S. 100, 110. - Die Verfasserin war in Rußland geboren, 1915 emigriert, lebte in verschiedenen westlichen Ländern und ab 1927 in der Sowjetunion, die sie 1939 enttäuscht verließ. Vgl. Kisch 1932, S. 3007. 6 Sten. Treffen der Stoßarbeiter, 1.1.1933. GARF R-7952/7/272, Bl. 63-64. 7 Kopelew 1979, S. 340-341. - „Ich gehörte zu denen, die diesen .Beweisen' glaubten, trotz allem, was ich schon selbst gesehen, erkannt und erfahren hatte", meinte Kopelev rückblickend zu seinem damaligen Vertrauen in die politische Führung, die den Kulaken die Schuld an der Hungersnot gegeben hatte. (Ebd., S. 360).
Die sowjetische Technikeuphorie
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bald erlahmt8 und die von Enttäuschung und Angst 9 gekennzeichnet war. Eine „Stimmung dumpfer Resignation" bemerkte der österreichische Gesandte in Moskau während der Maiparade 1933: „Wenn man von den kommandierten Ovationen absieht, die den am Leninmausoleum postierten Partei- und Regierungsbonzen gebracht wurden, war von irgend einer Begeisterung der Bevölkerung nichts mehr zu merken. Selbst ein langer Zug von Tankgeschwadern, dem ich in einer belebten Straße am Abend des 1. Mai bei seinem Einrükken in die Ubikationen begegnete - ein Anblick, der selbst auf einen Europäer seinen imponierenden Eindruck nicht verfehlen kann - wurde von den Passanten, die im Gegensatz zu mir nicht die Maiparade gesehen hatten, so vollkommen unbeachtet gelassen, daß darin deutlich eine beabsichtigte Ablehnung zum Ausdruck kam. In dieser Stimmung stumpfer Resignation - außerhalb der Moskauer Oase begreiflicherweise noch wesentlich verstärkt - muß man wohl den wahren Hintergrund der ,Mißstände' erblicken, gegen die das Sowjetsystem in Fabrik und Dorf, Stadt und Land heute mit noch vergrößerter Anstrengung ankämpfen will: dasjenige, was man offiziell in Presse- und sonstigen Enunziationen als Sabotage, kulakische Einstellung, konterrevolutionäre Umtriebe bezeichnet."10 Einen Monat später relativierte der Gesandte sein Urteil: Die brutale Getreidebeschaffung habe die städtische Bevölkerung überzeugt, daß die Staatsgewalt den Hunger von den Städten fernhalten werde. Die Krise des Winters 1932/33 sei überwunden und bei der städtischen Bevölkerung ein Stimmungsumschwung eingetreten.11 Was von den meisten ausländischen Beobachtern übereinstimmend festgehalten wurde, war der ungeheure Stellenwert der modernen Technik in der sowjetischen Gesellschaft. Schon in den zwanziger Jahren war sie zu einem zentralen Bestandteil des sowjetischen Alltags geworden. Es gab „Maschinenfeste"; enthusiastische Bauern feierten ihre Hochzeit auf dem Traktor; Poster mit technischen Themen nahmen die Stelle von Ikonen ein. Stolze Eltern nannten ihre Kinder „Traktor", „Elektrifikacija" oder „Domna" [Hochofen]. 12 Derartige Auswüchse betrafen sicherlich eine kleine Minderheit, doch auch die breite Bevölkerung ließ sich zunehmend von einer regelrechten Technikeu-
8 Vgl. Lyons 1937, S. 474-475, 558. - Lyons, der sich in den dreißiger Jahren in der Sowjetunion aufhielt, hatte den Eindruck, daß der laute Enthusiasmus, mit dem der zweite Filnfjahresplan 1933 verkündet wurde, in der Bevölkerung kein Echo fand. 9 Vgl. z.B. Smith 1937, S. 220. - Der Verfasser war ein amerikanischer Kommunist, der 1932 bis 1935 in Moskau arbeitete und enttäuscht in die Vereinigten Staaten zurückkehrte. Vgl. Chamberlin 1934, S. 127. - Chamberlin, 1922 bis 1934 Korrespondent des Christian Science Monitor, sympathisierte anfangs mit der Sowjetunion, wandte sich aber ebenfalls enttäuscht von ihr ab. 10 Österreichische Botschaft Moskau. Bericht des Gesandten Pacher, 18.5.1933. ÖStA Wien, BMfAA, NPA, Karton 55. 11 Desgl., 15.6.1934. Ebd. 12 Josephson 1995, S. 526.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
phorie anstecken. „Es war geradezu ein technischer Rausch", erinnerte sich Klaus Mehnert an seine Erlebnisse mit russischen Drachenbastlern und Segelfliegern zu Beginn der dreißiger Jahre. Die Jugend habe ein ungewöhnliches technisches Interesse an den Tag gelegt. 13 Die im Parteigeist erzogene Jugend „glaubt mit einem fast religiösen Fanatismus an das Ziel des Kommunismus und an seine Verwirklichung durch die Technik. Die Wunderwerke moderner Maschinen versetzen sie in flammende Begeisterung, der Ehrgeiz des Einholens und Überholens der abendländischen Zivilisation hat von ihnen voll Besitz ergriffen", schrieb ein deutscher Ingenieur, der in einem sowjetischen Betrieb gearbeitet hatte, über seine Eindrücke.14 Ganz Rußland taumle um Stalins Parole „Die Technik meistern!", hieß es in einem Reisebericht aus dem Jahre 1932. In allen Bücherläden sehe man überwiegend technische Literatur, technische Zeitschriften fanden reißenden Absatz. In Versammlungen und im Rundfunk werde ständig über technische Fragen gesprochen, in den Kinos liefen technische Filme. 15 Unabhängig voneinander sprachen ausländische Reisende von einer Art „religiösen Eifers",16 in dem sich die Russen für die Technik begeisterten: „Die Technik ist in Rußland alles. Fieberhaft werden alle Mittel der modernen Technik in den Dienst des sozialistischen Aufbaus gestellt. In Rußland ist Gott abgeschafft, der neue Gott ist die Technik. Rußland ist das Paradies der Technik, denn es erwartet alles von der Technik."' 7 Das quasi religiöse Moment beschreibt sogar der damalige Parteiaktivist Kopelev in seinen Memoiren: „Fabriken, Bergwerke, Lokomotiven, Drehbänke, Traktoren und Turbinen verwandelten sich in Kultgegenstände, sakramental von Segen erfüllt. (,Die Technik entscheidet alles', hatte Stalin gesagt.) [...] Täglich brachten die Zeitungen Meldungen über den Output von Traktoren, Autos, Dreschmaschinen. Die leidenschaftslose Größe der Statistik - Planziffern, Rechenschaftsberichte und Zahlenkolonnen - hatte für uns eine pythagoräisch-kabbalistische, zauberkräftige Macht. (Sozialismus - ist Kalkulation.) Als das Traktorenwerk Stalingrad begann, täglich 120 Schlepper fertigzustellen, durchpulste mich Freude."18
13 Mehnert: Sowjetmensch 1958, S. 220. 14 Schulz 1934/35, S. 45. 15 Krotsch 1932, S. 234-235. - Sehr ähnlich äußerten sich amerikanische Ingenieure und Manager, die in der Sowjetunion tätig waren. Vgl. Hughes 1991, S. 256-258. 16 Dibner, A.B.: Russia as an Electrical Market. - In: Electrical World 95 (1930), S. 385. Zitiert nach Hughes 1991, S. 257. 17 Saliger 1932, S. 16. - Der Verfasser war ein österreichischer Technik-Professor, der 1931 die Sowjetunion bereiste. 18 Ebd., S. 345.
Der Bau der Untergrundbahn als Inszenierung
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Dieser unerschütterliche, fast schon religiöse Glaube an die Technik, an die Veränderbarkeit der Natur, das Bezwingen der Naturgesetze durch den revolutionären Willen, stellte eine der Kraftquellen dar, aus denen die Bolschewiki die Energie für ihr ehrgeiziges Programm zur Umgestaltung des Landes schöpften. Dabei stand der Glaube an die Allmacht der Technik in einem krassen Mißverhältnis zu dem in der Realität vorhandenen technischen Fachwissen. Der sowjetische „Amerikanismus" und Technikfetischismus war vielmehr eine Ideologie zur Kompensation des tatsächlichen technischen Rückstands.19 Welchen Stellenwert die moderne Technik im allgemeinen und die Metro im besonderen für die Vision eines besseren Lebens hatten, illustrieren zeitgenössische Propagandabilder. „Das Leben ist gut, man lebt gut", lautete anläßlich des Jahrestags der Oktoberrevolution im November 1934 der Titel einer für die damalige Zeit typischen Propagandazeichnung in der Betriebszeitung des Schachtes 12. Abgebildet waren rauchende Schlote, Hochhäuser, viermotorige Flugzeuge, Fallschirmspringer, ein Radiosender, der Gor'kij-Kulturpark, eine Metrostation, eine Großküche, ein dampfender Eisenbahnzug und im Vordergrund eine lachende junge Frau im Sportdreß.20 Ähnlich aufdringlich wird die geballte Technik in den Illustrationen zu dem Band „Kak my stroili metro" [„Wie wir die Metro bauten"] dargestellt: Linolschnitte, die dem Ganzen noch eine solidere, ehrwürdige Form geben, zeigen Metrostationen, die sich in inmitten einer hochtechnisierten und pulsierenden Umgebung befinden: Die Straßen sind voll mit Straßenbahnen, Autobussen und Automobilen, die sich in geordneten Kolonnen fortbewegen; das Bild wird eingerahmt von neu errichteten Hochhäusern, und am Himmel sind Flugzeuge zu erkennen.21
2. Der Bau der U n t e r g r u n d b a h n als I n s z e n i e r u n g a) Glasnost' und Propaganda: instrumentalisierte Öffentlichkeitsarbeit Als Gegengewicht zu den im alltäglichen Leben unübersehbaren Unzulänglichkeiten des Wirtschaftsaufbaus und um die Stimmung in der Bevölkerung zu heben, wurden von der sowjetischen Propaganda einzelne herausragende Großprojekte als Flaggschiffe des Fortschritts in groß aufgemachten Kampagnen gefeiert. Mit der propagandistischen Konzentration auf einige wenigen Unternehmen, die jedes auf seine Weise einen Weltrekord darstellten, lenkte man von den vielen kleinen Mißerfolgen ab, die sich überall im Land summierten. Wer wußte schon,
19 Schlögel 1998, S. II. 20 Udarnik scita Nr. 25, 6.11.1934, S. 4. - Die Großküche [fabrika-kuchnja] symbolisierte die Entlastung der Frau von der Hausarbeit. 21 Vgl. z.B. Kak my stroili metro, Abbildung nach S. 608. - Siehe auch den Abbildungsteil in diesem Buch.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
daß viele der im ersten Fünijahresplan errichteten Fabriken kurz nach ihrer Eröffnung schon wieder stillgelegt werden mußten oder Ausschuß erzeugten, weil man in der Hektik des Baus schlampig oder mit schlechten Materialien gearbeitet hatte oder weil ihnen die infrastrukturelle Einbettung fehlte?22 Diese Probleme wurden von den Siegesmeldungen verdrängt, die dem Sowjetbürger stolz verkündeten, daß man am Dnepr den größten Staudamm der Welt fertiggestellt, in Magnitogorsk den ersten Hochofen des gigantischen Stahlkombinats angeblasen, in Moskau die größte Kugellagerfabrik der Welt und in Stalingrad das erste Traktorenwerk der Sowjetunion in Betrieb genommen hatte.23 Ein Teil der Bevölkerung war für die großen Erfolgsmeldungen durchaus empfänglich. „Man liest und fühlt sich richtig beschwingt, der Enthusiasmus reißt einen mit", kommentierte ein Komsomolze in seinem Tagebuch die Zeitungsberichte über die Eröffnung des Dnepr-Staudamms 1932.24 Der Bau der Moskauer Untergrundbahn wurde von der sowjetischen Propaganda der dreißiger Jahre nach einigen Monaten Anlaufzeit, in denen es relativ still war, zu dem Prestigeobjekt schlechthin hochstilisiert. Ab dem Frühjahr 1932 war klar, daß es sich bei diesem Unternehmen um keine gewöhnliche Baustelle, sondern um ein Projekt der propagandistischen Superlative handelte. Man baute nicht einfach eine Untergrundbahn, sondern man baute die schönste und beste Untergrundbahn der Welt fur die Hauptstadt des Weltproletariats, die in wenigen Jahren die schönste und menschengerechteste Stadt der Welt zu werden versprach. Die Zeitungen berichteten laufend über die Baufortschritte; bekannte Schriftsteller besuchten die Baustelle oder arbeiteten selbst eine Zeitlang dort und widmeten der Metro Gedichte; der Bau wurde parallel zu seinem Fortgang von einer Redaktion „Geschichte der Metro" für die Nachwelt dokumentiert; man zeigte Ausstellungen, schrieb Theaterstücke, malte Bilder und drehte Filme über die Untergrundbahn; Abordnungen der Metrobauer wurden bei politischen Großveranstaltungen empfangen. - Einige Jahre hindurch war die Moskauer Untergrundbahn fast allgegenwärtig.25 Sie war nicht bloß ein Bauwerk, sondern ein Symbol der neuen, im Aufbau begriffenen Gesellschaft, ein Vorgeschmack auf die neue Welt des Sozialismus.26 Nicht nur wegen ihrer technischen Komplexität, der extremen Arbeitsbedingungen und des architektonisch-künstlerischen Anspruchs, sondern gerade auch in ihrer Eigenschaft als Fortbewegungsmittel bot sich die Untergrundbahn als Symbol für das sichtbare Sich-Fortbewegen des Landes in Richtung auf eine höhere Entwick22 Vgl. Hildermeier: Geschichte der Sowjetunion 1998, S. 376-377. 23 Vgl. Deutsche Botschaft Moskau an das Auswärtige Amt. Bericht über die wirtschaftliche Lage der Sowjetunion, 6.4.1932. PA AA R 31961. 24 Tagebuch aus Moskau 1996, S. 97. - Zu dem Tagebuch (Stepan Podlubnyj) vgl. Kap. IV. 1. 25 Vgl. Groys 1995, S. 161. 26 Vgl. Josephson 1995, S. 532.
Der Bau der Untergrundbahn als Inszenierung
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lungsstufe an. Nicht zufällig wurde auch im nationalsozialistischen Deutschland ein Projekt der Mobilität, nämlich die Reichsautobahn, in durchaus vergleichbarer Weise von der Propaganda inszeniert. Metro und Reichsautobahn waren jahrelang in der Öffentlichkeit präsent, erfüllten beide eine wichtige integrative und kompensatorische Funktion und sind bis heute im kulturellen Gedächtnis der Russen bzw. Deutschen (nicht nur der „Erlebnisgeneration"!) mit gewissen emotionalen Konnotationen, in denen die Propaganda der dreißiger Jahre nachwirkt, verankert. 27 Dafür, daß die Propaganda nicht immer mit der Realität zusammenfiel, ist schon der Baubeginn symptomatisch: Der erste Spatenstich wurde nicht, wie überall zu lesen ist,28 am 7.11.1931, dem Jahrestag der Oktoberrevolution vorgenommen, sondern am 10.12.1931. Kaganovic war zwar persönlich anwesend, aber die Berichte der Beteiligten deuten eher auf eine unauffällige Baustelleneröffnung im kleinen Kreis als auf ein großes gesellschaftliches Ereignis hin.29 Die Öffentlichkeitsarbeit im ersten halben Jahr nach dem Beschluß zum Bau der Metro war spärlich und richtete sich in erster Linie an technische Fachleute. Von einer Propagandakampagne für die Untergrundbahn war in dieser Zeit nicht die Rede. Es handelte sich eher um ein vorsichtiges Fußfassen in einem Metier, in dem man sich noch recht unsicher bewegte. Die Verantwortlichen wußten bis zum Jahresende 1931 selbst noch nicht so richtig, was bei dem Bauvorhaben überhaupt herauskommen würde. Die Art und Weise, wie man es der Öffentlichkeit präsentierte, verriet mehr die eigene Unsicherheit. Die der Kommunalwirtschaft gewidmeten Zeitschriften Stroitel'stvo Moskvy und Kommunal 'noe chozjajstvo informierten im Sommer und Herbst 1931 über den Stand der Planungen und über mögliche Varianten. Im Septemberheft eröffnete die Zeitschrift Kommunal noe chozjajstvo eine spezielle Seite, die der Projektierung und dem Bau der Untergrundbahn gewidmet war. Man wollte möglichst viele Fachleute in die Diskussion einbeziehen. Die Wirkung dieser Art von Berichterstattung mußte begrenzt bleiben, da diejenigen Fachleute, die zum Thema etwas zu sagen hatten, ohnehin recht bald von Metrostroj als Mitarbeiter eingestellt wurden. Unter der breiten Bevölkerung wurde zunächst keine Propaganda betrieben. Bis März 1932 beschränkte sich die Öffentlichkeitsarbeit auf einzelne Vorträge, Aufrufe des Dreiecks von Metrostroj an die Zulieferbetriebe, rechtzeitig die bestellten Ausrüstungen zu liefern, und einige wenige Zeitungsartikel. 30
27 Vgl. A n s 1998, S. 5 mit Beispielen für literarische und propagandistische Publikationen zur Reichsautobahn. 28 Vgl. z.B. Ponomarenko 1967, S. 16. Vgl. Wolf 1994, S. 68. Vgl. Schlögel 1992, S. 336. 29 Vgl. Sten. Gespräch mit Ing. Nikolai. GARF R-7952/7/266, Bl. 82. Desgl. mit Ing. Katcen, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 315. 30 I.M. Kalis, Mitarbeiter von Metrostroj, an Bulganin, 6.3.1932. GARF R-7952/7/151, Bl. 1.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
Die Parole von der „besten Metro der Welt" kam im Winter 1931/32 auf. Ob sie von Kaganoviö inspiriert war oder von den Ingenieuren der Leitung von Metrostroj erfunden wurde, die ihre Vorstellungen von der künftigen Metro durchsetzen wollten, ist unklar. Im Dezemberheft 1931 der Zeitschrift Kommunal 'noe chozjajstvo präsentierte Ingenieur Katcen das geplante Linienschema und trat dafür ein, die Metro als Untergrundbahn und nicht als oberirdische Stadtschnellbahn zu bauen. Letztere Variante wäre zwar billiger, aber das dürfe nicht das entscheidende Kriterium sein: Moskau müsse zur „mustergültigen Hauptstadt des proletarischen Staates" werden und dürfe nicht von Viadukten durchschnitten werden. Die Moskauer Untergrundbahn müsse sich an den neuesten europäischen und amerikanischen Vorbildern orientieren.31 Daß Moskau „in eine würdige Hauptstadt unseres proletarischen Staates verwandelt" werden müsse, hatte Kaganovic in seiner Rede auf dem Juniplenum gefordert.32 Im Januar 1932 versahen der Ingenieur Makovskij und der Architekt Kravec einen Artikel mit dem Untertitel „Die Metro der sozialistischen Hauptstadt muß die beste der Welt sein" und bezeichneten diese Parole als die grundlegende Leitlinie für die Projektierung.33 In der Folge wurde die Losung zu einer feststehenden Wendung, an der sich die weitere Propaganda orientierte. Anfang März 1932 wandte sich ein Mitarbeiter von Metrostroj an Bulganin und legte ein Konzept für die Öffentlichkeitsarbeit zugunsten der Metro vor: Jeder Arbeiter in Moskau und in der ganzen Sowjetunion müsse erfahren, welchen Nutzen die Metro bringe, in welchem Maße sie sein Leben berühre. Die Moskauer Bevölkerung müsse in Form von Massensubbotniki mithelfen, die Inbetriebnahme zu beschleunigen. Der Bau der Metro solle ein Musterbeispiel für sozialistische Arbeit werden, und die Untergrundbahn werde nach ihrer Fertigstellung ein „mächtiger Hebel der Industrialisierung, der Kultur und der sozialistischen Umgestaltung des Lebens" sein.34 Das Konzept umfaßte eine ganze Reihe von Maßnahmen: die Bildung eines „Komitees zur Unterstützung des Baus der Moskauer Untergrundbahn" oder einer „Gesellschaft der Freunde der Metro" mit zahlreichen Zellen in den Fabriken, Hochschulen und Institutionen; die Heranziehung der Arbeiter und technischen Fachleute anderer Betriebe zu den Produktionsberatungen von Metrostroj, die zu diesem Zweck auswärts in großen Fabriken stattfinden sollten; die Unterstützung von Metrostroj durch wissenschaftliche Forschungsinstitute; die Popularisierung des Baus durch Vorträge in Arbeiterklubs, Werbevorspanne vor Kinofilmen, Lichtreklame und Reklame auf Straßenbahnwaggons, Autobussen und Vorortzügen. Darüber hinaus sollten die Moskauer Betriebe Lastkraftwagen samt Fahrern
31 Katcen: Schema linij 1931, S. 34. 32 Kaganovic: Za socialisticeskuju 1931, S. 50. 33 Makovskij/Kravic: Postanovlenija 1932, S. 6, 8. 34 I.M. Kali$ an Bulganin, 6.3.1932. GARF R-7952/7/151, Bl. 2. - Der Verfasser wird in den übrigen Quellen zum Bau der Metro nirgends erwähnt.
Der Bau der Untergrundbahn als Inszenierung
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zur Verfugung stellen. Zur finanziellen Unterstützung könne eine Metro-Anleihe aufgelegt werden.35 Über die Rezeption dieses Konzeptes geben die Quellen keine Auskunft. Die meisten der vorgebrachten Anregungen wurden jedenfalls in den Jahren 1932 bis 1934 in die Praxis umgesetzt: Es wurden Massensubbotniki veranstaltet,36 man gründete ein „Komitee zur wissenschaftlichen Unterstützung des Metrobaus",37 betrieb in Presse und Rundfunk eine großangelegte Propaganda, hielt Vorträge in Moskauer Fabriken,38 machte auf Plakaten und mit Modellen Werbung, verpflichtete alle Besitzer von Lastkraftwagen, diese an zwei Tagen im Monat für Metrostroj einzusetzen.39 Eine Anleihe zum Bau der Untergrundbahn wurde nicht aufgelegt. In der Zeitung Rabocaja Moskva, dem Organ des Moskauer Parteikomitees, setzte im März 1932 eine dichte Berichterstattung über den Bau der Untergrundbahn ein. Fast jede Woche wurden die Leser über die Neuanlage von Schächten, über den sozialistischen Wettbewerb, technische Probleme und ihre Lösung, die Projektierung und den Fortgang der Arbeiten informiert. 1933 berichtete die Zeitung beinahe täglich über den Bau der Metro, und 1934 richtete sie eine eigene tägliche Rubrik ein, die unter dem Titel „An den entscheidenden Abschnitten" die Ereignisse der letzten 24 Stunden zusammenfaßte. Von Januar bis Mai 1935 stand die Zeitungspropaganda im Zeichen der bevorstehenden Eröffnung: Es erschienen Interviews mit Metrobauern, Reportagen über Besichtigungs- und Probefahrten, Grußbotschaften ausländischer Kommunistischer Parteien, stolze Beschreibungen der architektonischen Schönheiten der Stationen und Vestibüle. Die Zeitung Komsomol 'skaja Pravda, das Organ des Komsomol, berichtete bis zum Sommer 1933 eher spärlich über Metrostroj. Erst als die Komsomolzen in der Belegschaft an Einfluß gewannen, stieg das Interesse. 1934/35 brachte die Zeitung in dichter Folge Notizen und Artikel über den Fortgang der Arbeiten. Eine Außenredaktion der Komsomol'skaja Pravda arbeitete 1934 sechs Monate lang bei den rückständigsten Schächten und gab in dieser Zeit 150 Sondernummern heraus.40 Die Tätigkeit der Außenredaktion endete Anfang Februar mit einer Sondernummer der Komsomol'skaja Pravda, die anläßlich der Fahrt der Delegierten des 7. Sowjetkongresses in einer Auflage von 6.000 Exemplaren an die Passagiere verteilt wurde.41 Auch in der Zeitschrift Molodoj bol 'sevik [Junger Bolschewik] konnte man in den Jahren 1932 bis 1935 regelmäßig Artikel über den Bau der Untergrundbahn lesen. Im Februar 1934 veranstalteten die Blätter Rabocaja Moskva, Komsomol'skaja Pravda und Za industrializaciju [Für die Industrialisierung] im Haus der Presse 35 36 37 38 39 40 41
Ebd. Siehe Kap. VII.3.a. Siehe Kap. VII.4.a. Vgl. z.B. Rabocaja Moskva Nr. 74, 26.3.1932, S. 4. Siehe Kap. II.4. Abakumov: Pervyj ν SSSR 1935, S. 43. Vgl. Bucharina 1991, S. 4. Bucharina 1991, S. 108. Komsomol'skaja Pravda Nr. 32, 8.2.1935, S. 4.
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einen Abend unter dem Motto „Die Presse hilft Metrostroj". Regionalblätter, Fachzeitschriften für einzelne Branchen und Betriebszeitungen trieben die Zulieferbetriebe und die Eisenbahnen zu schnellerer Arbeit an.42 Die Berichterstattung in der Presse bestand aus einer eigentümlichen Mischung aus Propaganda und kritischer Information. Probleme wurden nicht unter den Tisch gekehrt, sondern der Öffentlichkeit als solche präsentiert. Das setzte zum einen die Verantwortlichen unter Druck, vor allem wenn es um Materialengpässe43, die Zustände in den Baracken 44 und Kantinen45 oder um die schlechte Organisation eines Subbotniks46 oder die mangelhafte Arbeit einzelner Funktionäre und Manager47 ging. Zum anderen wurde damit der Bevölkerung bewußt gemacht, um welch schwieriges Unterfangen es sich bei dem Bauvorhaben handelte, was dem schließlichen Erfolg noch mehr Gewicht verlieh. In eine etwas andere Richtung zielte die Zeitschrift Metrostroj,48 die seit Juli 1932 vom Dreieck und ab 1934 von der Leitung des Unternehmens herausgegeben wurde. Sie wandte sich in erster Linie an ein Fachpublikum, erst in zweiter Linie an eine breite Leserschaft. Die Zeitschrift begleitete den Bau mit technischen Informationen, einer laufenden Chronik, dem Abdruck von Resolutionen, Aufrufen zur Planerfüllung, Mitteilungen aus dem wissenschaftlichen Unterstützungskomitee, der Diskussion verschiedener Linienschemen, der Beschreibung von Architektenentwürfen usw. Die Zeitschrift diente dabei nach dem Selbstverständnis der Redaktion als „Waffe in der Hand der Partei und der gesellschaftlichen Organisationen des Baus, die mithilft, alle wissenschaftlich-technischen und organisatorischen Probleme, die mit dem Bau der Untergrundbahn verbunden sind, aufzuzeigen, richtig zu beleuchten und zu lösen."49 Die Redaktion bestand überwiegend aus Ingenieuren von Metrostroj. In den Artikeln wurde das ingenieur-technische Personal zu höherem Tempo, effektiverer Arbeit und Disziplin gegenüber den Parteidirektiven angespornt, Kritik an bürokratischem Verhalten,
42 Abakumov: Pervyj ν SSSR 1935, S. 43. 43 Vgl. Rabocaja Moskva Nr. 292, 18.12.1933, S. 4 (Mängel in der Arbeit der Eisenbahnen beim Transport der Baumaterialien), Nr. 86, 10.4.1934, S. 1 (Probleme beim Transport). Vgl. Komsomol 'skaja Pravda Nr. 75, 29.3.1934, S. 3 (schleppende Versorgung mit Zement). 44 Vgl. Rabocaja Moskva Nr. 267, 18.11.1933, S. 3 (Zustände in den Baracken an der Potesnaja Straße), Nr. 276, 29.11.1933, S. 2 (Material der städtischen Kontrollkommission über die Baracken von Metrostroj), Nr. 161, 11.7.1934, S. 2 (Klagen von Metrobauern über die schlechten Wohnbedingungen). 45 Gorin 1933, S. 40. 46 Rabocaja Moskva Nr. 73, 26.3.1934, S. 2. 47 Ebd. Nr. 233, 5.10.1934, S. 3 (über den Parteisekretär des Schachtes 22). Komsomol'skaja Pravda Nr. 100, 28.4.1934, S. 2 (über Mängel in den Materiallagern, die im Zuge eines Raids der Leichten Kavallerie aufgedeckt wurden). 48 Metrostroj. Subway Construction. Naucno-techniceskij i proizvodstvenno-ekonomiöeskij zumal. - Moskva 1932-1938. 49 Metrostroj (1932), H. 1-2, S. 2.
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an Ausreden auf „objektive Gründe", an Zweifeln bezüglich der Realisierbarkeit des Plans geübt und ein „barbarischer Umgang mit der Technik" angeprangert: 50 Verfolgten die bisher geschilderten Formen der Öffentlichkeitsarbeit einen doppelten Zweck, nämlich Propaganda fur den Bau der Untergrundbahn zu betreiben und gleichzeitig das Personal von Metrostroj unter Druck zu setzen, so gab es auch andere Aktivitäten, bei denen der zweite Aspekt keine Rolle spielte. Mitarbeiter von Metrostroj publizierten Broschüren und Bücher, die in populärwissenschaftlichem Stil ein breites Publikum über das Bauvorhaben aufklärten und in hoher Auflage gedruckt wurden. 51 Darüber hinaus erschienen Bücher, in denen man die Bedeutung der Metro anschaulich erklärte, Episoden von der Baustelle erzählte und einzelne Metrobauer porträtierte. 52 Der Komsomol gab 1934 einen großformatigen Bildband heraus, der den Einsatz der Komsomolzen verherrlichte,53 und sogar Kinderbücher wurden über die Metro geschrieben. 54 Die in den Publikationen transportierten Inhalte sollen am Beispiel eines Artikels skizziert werden, der schon im März 1932 in der Zeitschrift Front nauki i techniki [Wissenschafts- und Technikfront] erschien und die meisten Elemente der Propaganda, wie sie bis zur Eröffnung im Mai 1935 betrieben wurde, vorwegnahm: Die Präsentation des Bauvorhabens gegenüber der Bevölkerung begann mit dem Hinweis darauf, daß sich Moskau aus der „alten, schwerfälligen Kaufmannsstadt" in eine dynamische sozialistische Industriestadt verwandelt habe, die ein modernes, leistungsfähiges Transportmittel brauche. Erste Vorschläge fur eine Metro habe es schon vor der Revolution gegeben, aber sie hätten mit den aktuellen Planungen so wenig gemein wie die „zarische Knechtsvergangenheit" mit der „sozialistischen Gegenwart". Die vielen vorrevolutionären Projekte seien der Reihe nach wie Seifenblasen zerplatzt, weil es ihren Urhebern nicht darum gegangen sei, im Interesse der Bevölkerung das Problem des innerstädtischen Verkehrs zu lösen, sondern sie nur an ihren Profit gedacht hätten. Sie seien ein Symptom für die Abhängigkeit Rußlands vom ausländischen Kapital und für die Vorherrschaft der Kaufleute gewesen. Die Metro habe vor allem den Klasseninteressen der Kaufmannschaft dienen und den Warentransport ins Stadtzentrum ermöglichen sollen. Daher habe man bei allen Vorschlägen eine Vereinigung des Metronetzes mit den
50 Vgl. z.B. Vse sily na vypolnenie plana 1933, S. 1-3. 51 Vgl. z.B. Katcen: Metropoliten ν Moskve 1931. Volynskij: Moskovskij metropoliten 1932. 52 Vgl. z.B. Lopatin 1934. Moskovskij metropoliten 1935. 53 Sokolov/Chudyj 1934. 54 Vgl. z.B. Gotov! Rasskazy i stichi ο metro 1935. - Darin wird zum Beispiel geschildert, wie ein alter Bauer mit seiner Tochter mit der Metro fahrt. Die taghelle Beleuchtung verwirrt ihn. Er meint, in einen Zarenpalast geraten zu sein, und nimmt die Mütze ab. Die Tochter erklärt ihm, daß die ganze Pracht dem Volk gehört und vom Volk selbst gebaut wurde. - Zitiert nach Ryklin 1997, S. 52.
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Vorortlinien im Auge gehabt.55 Verwirklicht worden sei keines der Projekte, weil die einzelnen Gruppen einander jahrelang gegenseitig bekämpft hätten.56 Die Frage der Untergrundbahn habe erst von den Bolschewiki gelöst werden können. Moskau habe sich gegenüber anderen Hauptstädten in dieser Hinsicht verspätet, aber in technischer Hinsicht sei diese Verspätung ein Vorteil, weil man nun die modernste und beste Untergrundbahn der Welt bauen könne und an keine Vorgaben aus früheren Zeiten gebunden sei. Moskau sei die einzige Stadt der Welt, wo man im Jahre 1932 den Neubau eines Untergrundbahnnetzes in Angriff nehme. Die Metro sei „einer der Abschnitte, auf denen wir die kapitalistischen Länder überholen werden".57 Die Moskauer Metro sei, im Gegensatz zu den Untergrundbahnen in kapitalistischen Ländern, nicht auf Gewinn orientiert, sondern auf die bestmögliche Versorgung der Bevölkerung. Daher werde sie ein Maximum an Bequemlichkeit und Benutzerfreundlichkeit bieten, auch wenn dies, wie bei den Stationen, aufwendigere und teurere technische Lösungen erforderlich mache. Die Moskauer Untergrundbahn müsse darüber hinaus in der kürzestmöglichen Frist erbaut werden.58 Die Frist wurde schließlich zwar verlängert, doch das im Jahre 1934 erzielte hohe Arbeitstempo von der Propaganda als Beweis für die Leistungsfähigkeit der bolschewistischen Methoden angeführt. Die in den Jahren 1934 und 1935 erschienenen Publikationen listeten stolz den gigantischen Umfang der innerhalb weniger Monate geleisteten Arbeit auf, glorifizierten den „Heroismus" der Komsomolzen und übrigen Metrobauer, die „enthusiastische" Mithilfe der Bevölkerung („Das ganze Land baut die Metro"), die zielstrebige Führung durch die Partei und verwiesen auf die Vielzahl der angewandten komplizierten technischen Verfahren, von denen einige auch im internationalen Vergleich Neuheiten waren.59 Die Propaganda beschränkte sich nicht auf Druckerzeugnisse. Schon 1932 wurde für die Feiern zum 1. Mai ein großes Modell einer Metrostation auf dem Theaterplatz installiert und mit Scheinwerfern beleuchtet. Daneben standen ein Modell des Dnepr-Staudammes und ein riesiges Kugellager, das auf die Eröffnung der Moskauer Kugellagerfabrik hinwies.60 Für die Oktoberfeierlichkeiten des Jahres 1933 wurde Metrostroj abermals der Theaterplatz als Ort zur Selbstdarstellung zugewiesen.61 Ein drei Stockwerke hohes Holzmodell, das den Schnitt 55 Diese Interpretation ist polemisch verzerrt. Bei den 1913/14 in die engere Wahl gezogenen Projekten stand der Warentransport nicht im Vordergrund. Die Anbindung an die Vorortlinien sollte in erster Linie dem Passagierverkehr dienen. Vgl. Kap. 1.1. 56 Kessel' 1932, S. 39-40. - Eine andere Variante der Propaganda sprach von der Unfähigkeit der vorrevolutionären Stadtverwaltung, fur die das Bauvorhaben eine Nummer zu groß gewesen sei. (Lopatin 1934, S. 8). 57 Kessel' 1932, S. 41. 58 Ebd. 59 Vgl. z.B. Lopatin 1934, S. 41, 61, 79, 85-87, 88-107. 60 Deutsche Botschaft Moskau. Bericht über die Maifeiern, 3.5.1932. PA AA, Botschaft Moskau 68. 61 Abakumov. Anordnung 516, 16.10.1933. GARF R-7952/7/171, Bl. 142.
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durch eine Metrostation zeigte, war „der dekorative Clou" der festlichen Ausschmückung Moskaus, wie es im Bericht der Deutschen Botschaft hieß. Gegenüber hatte man in gleicher Größe eine Schleuse des neuen Weißmeer-Ostsee-Kanals mit einem durchfahrenden Dampfer dargestellt.62 Die Holzmodelle der Metrostation und des Weißmeerkanals wurden im Februar 1934 anläßlich eines großen Volksfestes zum 17. Parteitag im Zentralen Gor'kij-Kultur- und Erholungspark wiederverwertet. Darüber hinaus stellte man im Park eine Schautafel mit Informationen über die Untergrundbahn auf. Ein Techniker stand dem Publikum für Fragen zur Verfugung.63 Zusätzlich wurde die Metro durch Pantomime dargestellt: Eine Gruppe von Personen symbolisierte mit schwingenden Bändern den Tunnel, eine zweite Gruppe mimte mit Hilfe von Waggonfenstern einen Zug.64 Die Dekorationen zu den Maifeiern des Jahres 1934 fielen deutlich bescheidener aus, nicht zuletzt deshalb, weil die großen Plätze im Zentrum durch die Metrobaustellen blockiert waren. Immerhin hatten viele Spruchbänder und Plakate der Demonstration den Bau der Untergrundbahn zum Gegenstand.65 1935 konnte man auf Modelle von U-Bahn-Stationen ohnehin verzichten, da die richtigen Stationen inzwischen fertig waren. Außerdem hatte sich der Stil der Feierlichkeiten gegenüber den Voijahren geändert: Statt aufwendige Modelle von Industrieanlagen aufzustellen, ließ man auf den Plätzen Tanzkapellen spielen und Volksfeste feiern.66 Ausstellungen über den Untergrundbahnbau gab es auch unabhängig von politischen Anlässen. Im Juli 1933 wurde im Sokol'niki-Park eine Ausstellung gezeigt,67 im Februar 1934 eine andere im Landeskundlichen Museum des Moskauer Gebietes.68 Im Januar 1935 zeigte das Historische Museum archäologische Funde, die beim Bau der Metro zutage gefördert worden waren.69 Die Baustellen der Metro gehörten in den Jahren 1933 bis 1935 zum Pflichtprogramm für ausländische Delegationen und prominente Gäste und wurden auch von sowjetischen Spitzenfunktionären und Kulturgrößen besichtigt. Aus der Vielzahl dieser propagandistisch verwerteten Besuche seien nur einige Beispiele herausgegriffen: Im Juni 1934 begaben sich Mitglieder des Präsidiums der Komintern auf die Baustelle,70 im Oktober der Kapitän der CeljuskinJ1 der bevollmäch-
62 Deutsche Botschaft Moskau. Bericht, 14.11.1933. PA AA, R 83575. 63 Fischer: Soviet Journey 1935, S. 110. 64 MGSPS. Aktennotiz über die Durchführung des Festes zum 17. Parteitag im Zentralen Kultur- und Erholungspark, 31.1.1934. CMAM 718/9/3, Bl. 75. 65 Deutsche Botschaft Moskau. Bericht, 3.5.1934. PA AA, Botschaft Moskau 68. 66 Desgl., 6.5.1935. Ebd. 67 Rabocaja Moskva Nr. 165, 17.7.1933, S. 4. 68 Ebd. Nr. 44, 18.2.1934, S. 4. Stroitel'stvo Moskvy (1934), H. 2, S. 31. 69 Komsomol'skaja Pravda Nr. 14, 16.1.1935, S. 4. 70 Rabocaja Moskva Nr. 136, 11.6.1934, S. 4. 71 Der Eisbrecher Celjuskin war im Februar 1934 auf der Fahrt von Murmansk nach Vladivostok von Eismassen eingeschlossen worden und gesunken. Die Besatzung wurde in einer dramatischen Rettungsaktion, die über Wochen hindurch das Land in Atem hielt, ausgeflogen.
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tigte Vertreter der Vereinigten Staaten in der Sowjetunion,72 im November eine Delegation amerikanischer Gewerkschaftler,73 eine Gruppe von Redakteuren von Kolchoszeitungen,74 im Dezember eine Abordnung österreichischer Schutzbündler.75 Selbst in das Programm für Staatsbesuche wurde die Besichtigung der Metro aufgenommen. Am 31.3.1935 besichtigte Lordsiegelbewahrer Anthony Eden die Metro und unternahm gemeinsam mit dem sowjetischen Außenkommissar Litvinov, Bulganin und anderen Politikern eine Fahrt.76 Einen Monat später wurde das gesamte in Moskau vertretene Diplomatische Korps zu einer Probefahrt mit der Metro eingeladen.77 Am 13.5.1935, zwei Tage vor der feierlichen Eröffnung, traf der französische Außenminister Pierre Laval in Moskau ein, um den französischsowjetischen Beistandspakt zu unterzeichnen. Er besuchte noch am selben Tag das Leninmausoleum und die nahegelegene Metrostation „Ochotnyj rjad", wo er vom stellvertretenden Verkehrskommissar Postnikov, Rotert und dem Direktor der Metro, Petrikovskij, empfangen wurde.78 Geradezu ein Wallfahrtsort wurde die Baustelle der Metro fur prosowjetisch gesinnte ausländische Literaten, die zum Schrifitstellerkongreß (17.8.-1.9.1934) angereist waren oder aus anderem Anlaß in Moskau weilten: Im Juni 1933 stieg der tschechische Schriftsteller Julius Fucik in einen Metroschacht.79 Im Juli 1934 traf sich Herbert George Wells mit Rotert, konnte aber aus Zeitmangel keinen Schacht besichtigen.80 Weitere Besucher waren Romain Rolland, Bertolt Brecht, Ernst Ottwalt und Wieland Herzfelde.81 Daß Maksim Gor'kij, Dem'jan Bednyj, Aleksandr Bezymenskij und andere sowjetische Schriftsteller den Metrobauern die Ehre erwiesen, war fast schon eine Selbstverständlichkeit.82
72 Rabocaja Moskva Nr. 254, 30.10.1934, S. 1. 73 Ebd. Nr. 261, 10.11.1934, S. 4. 74 Ebd. Nr. 274, 25.11.1934, S. 4. 75 Ebd. Nr. 296, 22.12.1934, S. 4. - Der Schutzbund war die paramilitärische Organisation der österreichischen Sozialdemokraten, deren Aufstand gegen das autoritäre Regime der Regierung Dollfuß im Februar 1934 blutig niedergeschlagen worden war. 76 Udarnik Metrostroja Nr. 74, 1.4.1935, S. 1. Eden 1962, S. 196. 77 Deutsche Botschaft Moskau an das Auswärtige Amt, 29.4.1935. PA AA, R 94567. 78 Komsomol 'skaja Pravda Nr. 109, 14.5.1935, S. 1. 79 Fedorova 1981, S. 53. - Zu Fucik vgl. Kap. VII.4.C. 80 Rabocaja Moskva Nr. 175, 28.7.1934, S. 4. Pikul' 1996, S. 35. - Der englische Schriftsteller Herbert George Wells (1866-1946) trat in seinen Werken für eine sozialistische Gesellschaftsordnung ein. 81 Schlögel 1992, S. 336. Ottwalt 1934, S. 1382. Herzfelde 1935. - Romain Rolland (1866-1944), Bertolt Brecht (1898-1956), Emst Ottwalt [eigentlich Ernst Gottwalt Nicolas] (1901-1943), Wieland Herzfelde [eigentlich Herzfeld] (1896-1988). 82 Vgl. Schlögel 1992, S. 336-337. - Zu Gor'kij vgl. Kap. V.4.C., zu Bednyj und Bezymenskij Kap. VII.4.C.
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b) Der Kult um Stalin und Kaganovic Ein integrativer Bestandteil der Propaganda rund um den Bau der Moskauer Untergrundbahn war der Kult um die höchsten beteiligten Parteiführer.83 Vor allem 1934/35 gerieten Äußerungen in der Presse oder auf Versammlungen immer mehr zu Huldigungen an Stalin, Kaganovic und Chruscev. Stalin, dessen Rolle beim Bau der Metro eher gering war, wurde stets als der „Initiator und Inspirator des Metrobaus" tituliert, da er angeblich persönlich in seiner Fürsorge für die Werktätigen den Anstoß für die Entscheidung zum Bau gegeben hatte.84 Einer deijenigen, die den Stalinkult unterwürfig vorantrieben, war Kaganovic selbst: „Sowohl beim Bau der Metro als auch im gesamten Aufbau sahen wir täglich die Augen des Genossen Stalin, seine fürsorgliche Leitung des Baus der Metro, die den Erfolg des Bauvorhabens sicherstellte", tönte es aus Kaganovics Mund in seiner Rede vor dem Plenum des Stadtparteikomitees am 28.12.1934.85 In den Texten, die sich auf die Metro beziehen, steht allerdings quantitativ nicht Stalin, sondern Kaganovic im Vordergrund, - ohne daß dies an der Hierarchie etwas änderte. Kaganovic war, so wie er in den Huldigungen beschrieben wurde, eine Miniaturausgabe Stalins.86 Chruscev, der sich um die täglichen Kleinigkeiten kümmerte und sicherlich mehr Zeit für die Untergrundbahn aufwendete als Kaganovic, wurde ebenfalls häufig genannt und gelobt, allerdings nicht so extrem überhöht. Er gehörte damals noch nicht dem innersten Kreis der Parteiführung an. Kaganovic war hingegen nach Stalin der zweite Mann. Bei Kundgebungen wurden in diesen Jahren die Straßen mit Porträts von Lenin, Stalin und Kaganovic geschmückt, und die Metrobauer hielten Bilder von Stalin und Kaganovic hoch.87 Der Personenkult machte auch vor den Interviews mit den Metrobauern nicht Halt. Fast jeder Interviewte baute in seinen Bericht ein Loblied auf Kaganovic und in geringerem Maße auch auf Chruscev ein, als hätte die Fragestellung gelautet: „Was kann ich aus meinem Bereich Positives über Kaganovic und Chruscev sagen?" Kaganovic erscheint in diesen Darstellungen als die treibende Kraft schlechthin, als der „erste Bauleiter" [pervyj prorab], der „erste Architekt Moskaus und beste Künstler der Metro",88 er wußte über alles Bescheid, kannte die Metrobauer persönlich, traf immer die einzig richtige Entscheidung, mischte sich 83 Zum Stalinkult vgl. Ennker 1998, S. 151-182. - Der Stalinkult hatte im Dezember 1929, anläßlich des 50. Geburtstags des „Führers" [vozd'] eingesetzt, zunächst aber aufgrund der ungesicherten Lage der Herrschaft Stalins (Auseinandersetzung mit den „Rechten" um Bucharin) keine Fortsetzung gefunden, bis man ihn 1933 wieder aufnahm. Spätestens mit dem 17. Parteitag (Januar/Februar 1934) wurde Stalin endgültig als der „geniale Führer" verherrlicht. (Ebd., S. 166-171). 84 Vgl. z.B. Sila bol'sevistskogo rukovodstva 1934, S. 2. 85 Ebd., S. 1. 86 Kuhlmann 1996, S. 154. 87 Vgl. Colton 1995, S. 282 (Abbildung). Vgl. auch eine Abbildung im Anhang dieses Buches. 88 Metro Sbornik 1935, S. 80.
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bei jeder Gelegenheit unter die Arbeiter und kümmerte sich persönlich um ihre Nöte, sorgte sich um die kleinsten Details. Seine Reden waren wichtige „Dokumente", die unverzichtbare Anweisungen enthielten, den Enthusiasmus weckten und buchstäblich Kraft spendeten. Beispielhaft für viele Metrobauer, selbst für renommierte Ingenieure, sind die Äußerungen des Parteiorganisators Abramov: „Wenn man sich die Geschichte des Baus der Moskauer Metro vergegenwärtigt, muß man sagen, daß ohne Ausnahme alle Maßnahmen vom Moskauer Komitee der Partei ausgingen, und zwar persönlich von L.M. Kaganovic und N.S. Chrusöev, denn sie kannten buchstäblich jeden Meter geleisteter Arbeit und wußten, womit man bei diesem oder jenem Abschnitt beginnen und enden muß. Und man muß geradeheraus sagen, daß es keine Stelle in der Moskauer Metro gibt, die L.M. Kaganovii und N.S. Chrusöev nicht mit eigenen Augen gesehen hätten. Und nur dank der unmittelbaren Führung durch das Moskauer Komitee und die persönliche Führung durch L.M. Kaganovic - wir nannten ihn den .besten Stoßarbeiter und Chefingenieur' - und N.S. Chruäcev konnte das grandiose Kollektiv, das am Bau der Moskauer Metro arbeitete, einig und zusammengeschweißt sein und jenen bolschewistischen Weg gehen, den es das Moskauer Komitee der Partei, L.M. Kaganovic und N.S. Chruscev entlang führte. Dank der talentierten Führung der Parteiorganisationen der Schächte durch L.M. Kaganovic konnten jene das Kollektiv, das am Bau der Metro arbeitete und das aus allen Ecken der Sowjetunion zusammengezogen worden war und anfangs menschliches Rohmaterial darstellte, in eine Kampfeinheit verwandeln. Aus diesem menschlichen Rohmaterial wurde mehr als eine Hundertschaft geboren, die zu bewußten und aktiven Erbauern der sozialistischen Gesellschaft wurden. Unter der Führung des Initiators und Inspirators großer sozialistischer Siege, des Lehrers und Führers der Partei und der Werktätigen der ganzen Welt, unseres lieben, großen Stalin, unter der Führung des Moskauer Komitees der Partei, mit dem talentierten und engsten Mitstreiter des Genossen Stalin, L.M. Kaganovic, an der Spitze, bauten wir erfolgreich die Metro. Unterpfand unseres erfolgreichen Baus waren ihre Anweisungen und nur ihre Anweisungen, für deren Ausführung wir in unserer täglichen Arbeit wahrhaft bolschewistisch kämpften."89 Kaganovics Rolle beim Bau der Metro wurde ähnlich mystifiziert und mythologisiert wie Stalins Rolle fur den gesamten Sowjetaufbau. Kaganovic erhielt die Dimension eines geradezu mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestatteten, allmächtigen und allgegenwärtigen Vorgesetzten. Seine Allgegenwart und Volksverbundenheit unterschieden ihn zugleich von Stalin, der nur höchst selten öffentlich auftrat, fur die Bevölkerung unnahbar im Kreml residierte und der Öffentlichkeit nur in Form von Porträts90 präsentiert wurde. Während Kaganovic
89 Sten. Gespräch mit dem Parteiorganisator Abramov, Schacht 9-9bis, 24.3.1935. GARF R-7952/7/299, Bl. 77-78. 90 Seit 1934 wurden von Stalin nicht einmal mehr Fotos veröffentlicht, sondern nur mehr Gemälde oder fotomechanisch reproduzierte Gemälde. Damit unterstrich die Propaganda das Epochemachende und Symbolhafte seiner Person. (Ennker 1998, S. 174).
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von der Propaganda als jemand, der immer leibhaftig auftrat, dargestellt wurde, war Stalins Anwesenheit nur immaterieller, quasi gottgleicher Natur. 91 Geradezu als Selbstverleugnung und Selbsterniedrigung wirken die Huldigungen, die das Führungspersonal von Metrostroj der Partei, Stalin und Kaganovic 1935 öffentlich entgegenbrachten. D i e s e Lobpreisungen erwecken den Eindruck, als hätten die Ingenieure in wichtigen technischen Fragen völlig falsche Entscheidungen getroffen, wenn sich nicht Kaganovic rechtzeitig eingeschaltet und ihnen den richtigen W e g g e w i e s e n hätte: „Die erfolgreiche Vollendung der ersten Baufolge der Metro ist in erster Linie der gigantischen organisatorischen und operativen Arbeit des Genossen Kaganoviö zu verdanken. Alle kompliziertesten technischen Probleme wurden unter seiner unmittelbaren Führung gelöst. [...] [Bezüglich der Trassenführung am Arbat] wurde eine Reihe von Vorschlägen eingebracht, aber keiner von ihnen löste das Kardinalproblem. Nur die persönliche Einmischung L.M. Kaganovics, der die Trasse vor Ort sorgfältig studierte, erbrachte eine glänzende Lösung des Problems. [...] Der Beschluß über die dreigewölbige Station am Ochotnyj ijad, einer Station, die keinen Präzedenzfall in der Welt kennt, über die dreigewölbige Station ,Krasnye vorota', über die kombinierte Bauweise mit überwiegender Anwendung der geschlossenen Bauweise, der Beschluß über die Errichtung der Schrägschächte für Rolltreppen anstelle der vorgeschlagenen Lifte, - alle diese Beschlüsse wurden auf Vorschlag von Lazar' Moiseevic Kaganoviö getroffen. [...] Er lehrte uns, nach der Art der Bolschewiki, nach der Art Stalins zu arbeiten." 92 A l s Kaganovic nach der Fertigstellung der ersten Baufolge der Metro zum Volkskommissar für Verkehr ernannt wurde, schickten die leitenden Ingenieure von Metrostroj ihm, dem „Inspirator und Organisator der Siege b e i m Bau der M o s kauer Untergrundbahn, dem erprobten Führer der Moskauer Bolschewiki und Proletarier", ein o f f e n e s Glückwunschschreiben, das mit den damals typischen Huldigungsformeln Schloß: „Es lebe die große Partei Lenins und Stalins! Es lebe der geniale Fortführer der großen Sache Lenins, unser tapferer Führer und Lehrer, Genösse STALIN! Es lebe der engste Mitstreiter des großen Stalin, unser geliebter Führer und eiserner Volkskommissar, Lazar' Moiseevifi Kaganoviö!" 93
91 Kuhlmann 1996, S. 155-160. 92 Sila bol'äevistskogo rukovodstva 1935, S. 1-2. 93 Abgedruckt in Metrostroj (1935), H. 3. - Im russischen Wortlaut wird beim Wort „Führer" differenziert: Stalin ist der vozcf (Führer im überhöhten Sinne), Kaganoviö ist der rukovoditeV (Führer, Leiter).
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Unter den Gedichten, die in den Literaturzirkeln von Metrostroj entstanden, verherrlichten erstaunlich wenige die politischen Führer. Eine der Ausnahmen ist Grigorij Kostrovs „Lied vom Oberbauleiter":94 PecHS ο r n a B H O M n p o p a ö e
Das Lied vom Oberbauleiter
M b l 3BaJIH e r o ΠΟ ΗΜβΗΗ,
Wir nannten ihn beim Vornamen, Wir kannten seinen Gang, Wir nannten ihn beim Vatersnamen, Genösse, Bauleiter und Führer.
Mbi 3HajiH ero noxo^Ky, Mbi 3BajiH ero n o OTiecTBy, ToBapHm, n p o p a ö η Β05κ®>.
OH 6HJI BO rjiaBe 6pHraau, Bnepßbie H a H a B i u e ü n p o x o / i i c y , O H n e p e b i H m a r H y j i κ 3a6oio Π ο « rpy3Hbiii nofl3eMHbiH Ä o a q j b .
Er war an der Spitze der Brigade, Die als erste den Vortrieb begann, Er schritt als erster vor Ort Unter den schweren unterirdischen Regen.
[...]
[...]
Υ JIa3apa MonceeBnia,
y^HJIHCb Mbl noßeiKflaTb.
Bei Lazar' Moiseevic, Dem Genossen Kaganovic, Beim Chefingenieur, Lernten wir siegen.
[...]
[...]
Η n e p ß o e Harne c n a c w 6 o
Und unser erster Dank gebührt Dem, der mit seinen Händen Durch diese dunklen Nächte Die Tunnel zu fuhren verstand, Dem, der uns zum Sieg führte, Dem, dessen geliebten Namen Man unschwer hinter jeder Kleinigkeit, Hinter jedem Detail erkennt.
ToBapwma KaraHOBHia, y
raaBHoro
HHxcenepa,
T o M y , KTO p y K a M H CBOHMH
CKB03b 3TH TJiyÖOKHe ΗΟΗΗ T o H H e j m yMeji HanpaBJMTb, T o M y , KTO npHBen Hac κ noöeae, T o M y , 4 be j i i o ß H M o e HMA HeTpy^Ho 3a Kaaytoii MCJIOHBIO, 3 a K a a m o i i « e T a n b i o y3HaTb.
Wenn Kaganovic einen Schacht besuchte oder bei einer Versammlung das Podium betrat, wurde er immer begeistert mit Ovationen empfangen. Der Personenkult um ihn sowie um den toten Lenin, um Stalin und die anderen Parteigrößen scheint nicht nur von oben inszeniert gewesen zu sein, sondern zumindest teilweise dem Bedürfiiis der Arbeiter und der unteren Funktionäre entsprochen zu haben. Seit dem Tode Lenins gehörte der Begriff des vozd\ des charismatischen Führers, zur politischen Kultur der Bolschewiki. Der Personenkult verlieh der
94 Grigorij Kostrov: Pesnja ο glavnom prorabe. In: Literaturnoe tvorcestvo 1935, Bd. 2, S. 3. Das Lied hat insgesamt zwölf Strophen. Es ist z.B. auch abgedruckt in Udarnik Metrostroja Nr. 535, 6.3.1935, S. 1.
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oligarchisch-bürokratischen Herrschaft eine zusätzliche, charismatische Kompo95
nente. Man brauchte offenbar konkrete Personen, die feste Werte vorgaben, Vorbilder waren und wie Kultfiguren verehrt wurden, an denen man sich festhalten konnte. Die Ideologie allein war zu abstrakt, um der traditionell patriarchalischen russischen Gesellschaft eine neue Orientierung zu geben. Vaterfiguren, zu denen man aufsehen konnte, die das Maß aller Dinge darstellten, erleichterten wohl vielen, denen die überkommenen Werte und Orientierungen durch die Revolution, die Zerstörung des Dorfes und die Entwurzelung infolge der Industrialisierung abhanden gekommen waren, sich unter den neuen Umständen zurechtzufinden.
c) Die Eröffnung der Metro und ihre Vorbereitung Ihren Höhepunkt erreichte die Metro-Propaganda, als das Bauwerk fertiggestellt war und die Inbetriebnahme vorbereitet wurde. Ab Januar 1935 brachte Rabocaja Moskva regelmäßig Notizen über die Vorbereitung der Inbetriebnahme. Am 6.2.1935 unternahmen die Delegierten des zu Ende gehenden 7. Sowjetkongresses um 11 Uhr morgens eine Fahrt mit der Metro. Sie waren nach einer Gruppe von Metrobauern, die um 4 Uhr morgens die Trasse befahren hatten,96 die ersten Passagiere der neuen Untergrundbahn. In jeder Station stiegen sie aus, um sich umzusehen. „Die Herren des Landes in den Zügen der Metro" titelte die Komsomol'skaja Pravda, deren Außenredaktion eine Sondernummer herausgegeben hatte, die an die Delegierten verteilt wurde.97 Am Abend des 6.2.1935, als Kalinin die Schlußsitzung des Sowjetkongresses eröffnete, erschien im Sitzungssaal eine Abordnung von 250 Metrobauern. Sie kamen in ihrer Arbeitskleidung, mit eingeschalteten Grubenlampen vor der Brust, trugen ein riesiges rotes Transparent mit dem Porträt Stalins voran, dahinter ein Porträt Kaganovics und ein Transparent mit der Parole „Metro est'!". 98 Sie wurden von den Delegierten des Kongresses mit stürmischem Applaus und Ovationen empfangen. Der Parteiorganisator von Metrostroj, Osipov, und Chefingenieur Lomov hielten, mehrmals von Applaus unterbrochen, Ansprachen, in denen sie von den Problemen des Baus erzählten und Stalin und Kaganovic priesen. Danach verließ die Abordnung wieder den Saal, und der Kongreß ging zur Tages-
95 Vgl. Ennker 1998, S. 159, 180. 96 Fedorova 1981, S. 101. - Kaganovic, Chrusöev und andere Funktionäre hatten am 5.2.1935 eine Probefahrt unternommen. (Rabocaja Moskva Nr. 31, 6.2.1935, S. 3). 97 Komsomol 'skaja Pravda Nr. 32, 8.2.1935, S. 4. 98 Der russische Satz „Metro est'!" läßt sich trotz der einfachen Aussage kaum richtig ins Deutsche übersetzen. Bei allen Übersetzungsvarianten geht die Ausstrahlung des Originals verloren: „Die Metro existiert!", „Wir haben die Metro!", „Es gibt die Metro!", „Sie ist da, die Metro!".
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
Ordnung über." Nach Abschluß des Kongresses versammelten sich die Delegierten, die tagsüber an der Fahrt nicht hatten teilnehmen können, um 23 Uhr bei der Station „Krimplatz" und fuhren in mehreren Zügen nach Sokol'niki, von dort wieder zurück und über die Abzweigung auf den Arbat-Radius bis zum Smolensker Platz und schließlich wieder ins Zentrum, wo sie bei der Station „Ochotnyj ijad" von Autobussen erwartet wurden.100 In jedem Waggon gaben Angestellte der Metro Erklärungen. In den Stationen wurden die Züge von Funktionären und Filmreportern empfangen. Chruscev und Bulganin waren ebenfalls zugegen.101 Zwei Tage später konnte man in den Moskauer Zeitungen begeisterte Berichte von Delegierten über ihre Eindrücke von der Fahrt lesen.102 Mitte Februar präsentierte man auch den Delegierten des in Moskau tagenden Kolchoskongresses die Untergrundbahn und berichtete in großer Aufmachung, wie die aus der ganzen Sowjetunion zusammengekommenen Kolchosbauern das Wunderwerk bestaunten, das, wie stolz verkündet wurde, ihnen allen gehörte.103 Nach einer mehrwöchigen Pause, während der die Regierangskommission zur Abnahme der Metro die technischen Anlagen einer Inspektion unterzog und nur mit ausgewählten Politikern und Staatsgästen Fahrten unternommen wurden,104 begann am 19.4.1935 ein Passagierverkehr besonderer Art: Bis zum Tag der Eröffnung am 15.5.1935 erhielten 500.000 Stoßarbeiter die Möglichkeit, mit ihren Familien Besichtigungsfahrten mit der Metro zu unternehmen.105 In langen Schlangen warteten Schaulustige bis spät in die Nacht hinein106 vor den Metrostationen in der Innenstadt, um eine Fahrkarte zu ergattern.107 Diese „Voreröffnung" hatte die Regierungskommission empfohlen, damit es nicht am Tag der Eröff-
99 Udarnik Metrostroja Nr. 31, 8.2.1935, S. 1. Sten. Prot. 7. Sowjetkongreß, Sitzung am 6.2.1935 abends. GARF R-3316/7/27, Bl. 1-25. 100 In der sowjetischen Literatur wurde der Auftritt der Metrobauer und die Fahrt der Delegierten noch wirkungsvoller dramatisiert: „6.2.1935. Der 7. Sowjetkongreß beendet seine Arbeit. Eine Delegation von Metrobauern erscheint in Arbeitskleidung im Sitzungssaal, schaltet eine grüne Lampe ein und rapportiert: ,Metro est'!' In der Nacht fahren die 2.500 Delegierten des Sowjetkongresses als erste Passagiere in den ersten acht Zügen." (Ponomarenko 1967, S. 19. Fast wörtlich identisch: Fedorova 1981, S. 101). Vom Einschalten einer Lampe und von einem Rapport ist in den Quellen, die den Vorgang bis ins Detail beschreiben, nicht die Rede. Die Aktion war im übrigen keine spontane Idee der Metrobauer, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, sondern zwei Tage vorher vom Moskauer Parteikomitee beschlossen worden. (Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 28, 4.2.1935. RGASPI 17/21/3050, Bl. 37-38.) 101 Deutsche Zentralzeitung,
8.2.1935, S. 4. Komsomol'skaja
Pravda Nr. 32, 8.2.1935,
S. 4. 102 Rabocaja Moskva Nr. 32, 8.2.1935, S. 3. 103 Ebd. Nr. 40, 17.2.1935, S. 3. Komsomol'skaja Pravda Nr. 41, 18.2.1935, S. 3. 104 Am 31.3.1935 fuhr Lordsiegelbewahrer Eden mit der Metro, Anfang April Stalin (und blieb stecken). (Udarnik Metrostroja Nr. 74, 1.4.1935, S. 1. Ginzburg 1986, S. 151-152. Vgl. Kap. II.2.d.). 105 Rubanoviö 1936, S. 27. 106 New York Times, 24.4.1935, S. 1. Zitiert nach Wolf 1994, S. 323. 107 Udarnik Metrostroja Nr. 92, 22.4.1935, S. 1 (Foto).
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nung einen zu großen Ansturm gebe.108 Am 21.4.1935 waren die ausländischen Militärattaches eingeladen,109 am Abend des 22.4.1935 unternahmen Stalin, Molotov, Kaganovic und Ordzonikidze eine Fahrt,110 drei Tage später lud man die Angehörigen des Diplomatischen Korps zu einer Besichtigungsfahrt ein.111 Am 1. und 2. Mai ruhte der Verkehr, dafür waren alle Stationen zur Besichtigung geöffnet.112 An den darauffolgenden Tagen unternahmen die Moskauer Schulen Exkursionen und Fahrten.113 In den drei Wochen vor der Eröffnung war die Untergrundbahn das alles beherrschende Gesprächsthema in Moskau.114 In den Kinos lief Ende April der Dokumentarfilm „Est' metro!" an." 5 Darüber hinaus erschienen einige Bücher zur Metro.116 Die Zeitungen waren voll mit begeisterten Zuschriften von Arbeitern, Berichten über „Meetings" in Moskauer Fabriken, die anläßlich der bevorstehenden Eröffnung der Untergrundbahn abgehalten wurden, und Gedichten. „Millionen Werktätige sind stolz auf ihre Metro" überschrieb Rabocaja Moskva einen Leitartikel, „Der Stolz unserer Heimat" lautete eine andere Überschrift."7 Die Fertigstellung der Metro wurde als „ein gewaltiger Sieg an der Front der Industrialisierung, ein gewaltiger Sieg unserer gesamten Politik" gefeiert, wie man im Leitartikel der Deutschen Zentralzeitung lesen konnte:118 „Das Land hat die Metro gebaut. Die Partei, die Regierung, der Komsomol, jedes Kollektiv unserer Betriebe haben die Metro gebaut. [...] Unsere Metro wurde gebaut nicht nur mit kolossaler Hartnäckigkeit und Tapferkeit, sondern auch mit einer kolossalen Freude und Liebe. [...] Die Arbeit war schwer, aber sie war schön. Jeder einzelne wußte: die Metro wird gebaut nicht für irgendwelche Aktiengesellschaften, nicht für einen Kapitalisten, der daran profitieren könnte, sondern um das Leben der Arbeiter in unse-
108 Kurzer Bericht der Regierungskommission für die Abnahme der Metro, o.D. [März 1935], GARF R-5446/40/17, Bl. 4. 109 Udarnik Metrostroja Nr. 92, 22.4.1935, S. 1. 110 Rabocaja Moskva Nr. 94, 23.4.1935, S. 1. - Die Fahrt kam auf Wunsch von Stalins Tochter Svetlana hin zustande und war nicht vorbereitet. Stalin begab sich spontan mit Familienangehörigen und Funktionären zur Station „Krimplatz", obwohl der Besichtigungsbetrieb noch in vollem Gange war. Ein Waggon des vollbesetzten einfahrenden Zuges wurde geräumt, man befuhr die gesamte Strecke und stieg zur Besichtigung in einzelnen Stationen aus. Überall, wo die hohen Besucher erkannt wurden, brandeten Hurrarufe auf. (Tagebuch von M.A. Svanidze, Eintrag vom 29.4.1935. In: Iosif Stalin ν ob"jatijach sem'i 1993, S. 173-175.) 111 Deutsche Botschaft Moskau an das Auswärtige Amt, 29.4.1935. PA AA, R 94567. 112 Rabocaja Moskva Nr. 101,4.5.1935, S. 4. 113 Ebd. Nr. 104, 8.5.1935, S. 4, Nr. 105, 9.5.1935, S. 1. 114 New York Times, 28.4.1935, S. 5. Zitiert nach Wolf 1994, S. 323. 115 Rabocaja Moskva Nr. 97, 27.4.1935, S. 2. Siehe Kap. VII.4.C. 116 Rasskazy stroitelej metro 1935. Kaganovid: Poslednij etap 1935. Sbornik metro 1935. Moskovskij metropoliten. Sbornik dokumentov 1935. Morgan: Moskovskij metropoliten luCäij ν mire 1935. - Der Band Kak my stroili metro 1935 erschien im Juni 1935. 117 Rabocaja Moskva Nr. 98, 28.4.1935, S. 1. 118 Deutsche Zentralzeitung, 28.4.1935, S. 1.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
rer roten Hauptstadt bequemer und schöner zu machen. [...] Auch deshalb ist unsere Metro die schönste der Welt, weil sie ja für die schönsten Menschen, für den Werktätigen der Sowjetunion gebaut worden ist. [...] Prächtig ist die Moskauer Metro, die auf Initiative des Gen. Stalin und unter der unmittelbaren Führung des Gen. Kaganowitsch gebaut wurde. Prächtig ist das Leben, dem wir entgegen gehen."' 19
Zwei Tage vor der Eröffnung ergoß sich eine wahre Ordensflut über die Metrobauer: 37 erhielten den Leninorden,120 13 den Orden „Roter Stern",121 32 den Rotbannerorden.122 168 Schacht- und Distanzleiter, Architekten, Ingenieure, Partei- und Komsomolsekretäre, Brigadiere und Stoßarbeiter wurden mit Ehrenurkunden des Zentralen Exekutivkomitees ausgezeichnet.123 Die Ausgaben von Rabocaja Moskva und Komsomol 'skaja Pravda vom 14. und 15.5.1935 waren zur Gänze der Eröffnung der Metro gewidmet. Sie brachten unter anderem Beschreibungen der Stationen, Artikel von Rotert und Starostin über den Verlauf des Baus und die Rolle Kaganovics, Aussagen von Moskauer Arbeitern, einen Pressespiegel über die Reaktionen im Ausland, Erläuterungen des Architekten Kolli über die Architektur der Metro, Urteile ausländischer Ingenieure, ein Gespräch mit Rotert über die weiteren Perspektiven.124 Am 14.5.1935 fand als Auftakt zu einem dreitägigen Volksfest im Säulensaal des Gewerkschaftshauses die offizielle Festveranstaltung statt.125 Die gesamte Parteispitze einschließlich Stalins war zugegen.126 Es war Stalins erster Auftritt vor einem öffentlichen Publikum und seine erste Rede, die gefilmt und im Rundfunk übertragen wurde. Stalin war aufgeregt und sprach mit starkem georgischem Akzent.127 Seine Rede war sehr kurz und humorvoll. Inhaltlich beschränkte sich Stalin darauf, den Metrobauern seinen Dank auszusprechen und die Moskauer Organisation des Komsomol mit dem Leninorden auszuzeichnen.128 Bulganin hielt eine Rede über „das Wesen unseres Sieges" und gab bekannt, daß die Regierung auf den Wunsch der Metrobauer hin beschlossen habe, die
119 Ebd. 120 Chruäöev, Starostin, Sasirin, die Führung von Metrostroj mit Ausnahme Roterts, der schon früher den Leninorden erhalten hatte, viele Schacht- und Distanzleiter, einzelne Brigadiere und Stoßarbeiter. 121 Rotert, Bulganin, zahlreiche Schacht- und Distanzleiter und ihre Stellvertreter, einzelne Brigadiere und Stoßarbeiter. 122 Schacht- und Distanzleiter und ihre Stellvertreter, Brigadiere, Stoßarbeiter. 123 Rabocaja Moskva Nr. 109, 14.5.1935, S. 1. Metrostroj (1935), H. 5-6, S. 13-17. 124 Rabocaja Moskva Nr. 109, 14.5.1935, S. 1-7. 125 Fedorova 1981, S. 102. 126 Deutsche Zentralzeitung, 15.5.1935, S. 1. 127 Memoiren von Ing. N.S. Nikolaev. NA 138/2, Bl. 158. The Times, 16.5.1935, S. 15. Zitiert nach Wolf 1994, S. 326. 128 Stalin: Re£' na torzestvennom zasedanii 1935, S. 1. Torzestvennoe zasedanie 1935, S. 11-13.
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Moskauer Untergrundbahn nach Kaganovic zu benennen.129 Rotert lieferte einen technischen Bericht über die Bauarbeiten,130 Delegationen aus Moskauer Fabriken betraten die Bühne und huldigten Stalin. Zahlreiche Funktionäre und Arbeiter verlasen Grußtelegramme an Stalin, Kaganovic, Kalinin, Molotov und Ordzonikidze.131 Mit Ausnahme der Deutschen hatte man auch die ausländischen Experten eingeladen, die 1932 das technische Projekt begutachtet hatten. Sie wurden ebenso wie die sowjetischen Gutachter von Bulganin als Ehrengäste begrüßt, und man sprach ihnen Dank für ihre Unterstützung aus.132 Das Programm wurde umrahmt durch die Vorführung des Films „Est' metro!", das Spiel eines Orchesters und Auftritte namhafter Sänger und Schauspieler.133 Auf den Straßen und Plätzen Moskaus versammelten sich Tausende Menschen, um über Lautsprecher die Übertragung der Feier zu hören.134 Der Höhepunkt der Veranstaltung war die Ansprache Kaganovics. Sein Auftritt wurde geschickt inszeniert: Ohne daß Kaganoviö aufgetreten wäre, hob Bulganin augenzwinkemd an, das Ende der Sitzung zu verkünden. Das Publikum skandierte daraufhin den Namen Kaganovic, bis dieser unter stürmischem Applaus ans Rednerpult trat.135 Kaganovic verglich in seiner Rede „Der Sieg der Metro ist ein Sieg des Sozialismus" das kapitalistische und das sozialistische System. Mit dem Bau der Untergrundbahn hätten die Bolschewiki bewiesen, daß sie dem Kapitalismus etwas Höherwertiges entgegenstellen könnten: „Die Bourgeois stellen uns Bolschewiki, Proletarier als Barbaren, Kulturzerstörer dar. Diese Lüge unserer Feinde ist endgültig entlarvt. Im Gegenteil, wir kämpfen gegen die Erniedrigung, gegen die Barbarei des Imperialismus, wir kämpfen für eine neue Kultur, für eine neue Arbeit, für einen neuen Menschen, für ein wirkliches, helles, wunderbares Leben unserer Menschheit. [...] 136 Am Beispiel unserer großen Baustellen - Dneprostroj, Magnitostroj, Kuzbass, Metrostroj und Hunderter anderer Baustellen ist sichtbar, daß die neue herrschende Klasse, die Klasse der Proletarier, schon aufgehört hat, schmutzig und unkultiviert zu sein
129 Sten. vereinigte Sitzung des Plenums MK und MGK VKP(b), Mossovet, MK und MGK VLKSM, MOSPS, 14.5.1935. CAODM 3/24/112, Bl. 6. - Ursprünglich waren Gerüchte im Umlauf gewesen, die Metrobauer wollten die Bahn nach Stalin benennen. Stalin war, wie er in einem Brief an Starostin am 4.2.1935 schrieb, „entschieden dagegen" und bestand darauf, die Metro nach Kaganoviö zu benennen. Kaganoviö protestierte dagegen im Zentralkomitee, worauf Stalin das Kollektiv der Metro „bat", die Proteste Kaganovids zu ignorieren. (KaganoviC 1996, S. 440. Der Brief Stalins ist abgedruckt auf S. 527.) 130 Sten. Festsitzung, 14.5.1935. CAODM 3/24/112, Bl. 12-14. 131 Ebd., Bl. 15-24. 132 Ebd., Bl. 25-26. 133 Fedorova 1981, S. 102. 134 Deutsche Zentralzeitung, 16.5.1935, S. 1. 135 Toriestvennoe zasedanie 1935, S. 9. 136 Ebd., S. 15. 137 Ebd., S. 18-19.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
Unsere Untergrundbahn ist nicht nur ein praktischer, sondern auch ein prinzipieller Sieg des sozialistischen Aufbaus. In dem Moment, als die Sozialisten auftraten, jagte die Bourgeoisie den Kleinbürgern und einem Teil der Arbeiter Angst damit ein, daß der Sozialismus eine Kaserne sei, daß der Sozialismus alle über einen Kamm scheren, alle in gleiche Anzüge kleiden, kasernierte Häuser schaffen, das Leben gleichförmig machen wolle. [...] Seht euch unsere Untergrundbahn an. Worin besteht ihre Besonderheit? Die Besonderheit besteht darin, daß in anderen Ländern die Untergrundbahnen hauptsächlich zur Erzielung von Gewinn gebaut wurden, aber wir bauten nur mit dem Ziel, die Fortbewegung der Werktätigen unserer proletarischen Hauptstadt zu erleichtern. Die Untergrundbahnen in kapitalistischen Städten werden dunkel, einförmig, trostlos gebaut. Der Mensch kommt müde von der Arbeit, steigt hinunter in das Düster der Gruft, setzt sich in den unterirdischen Zug und spürt keine Erholung, sondern wird noch müder. Wir haben eine andere Gesellschaft und eine andere Struktur. [...] Der sozialistische Staat kann sich ein Bauwerk für das Volk erlauben, das mehr kostet, aber dafür Bequemlichkeit gibt, besseres Befinden, künstlerischen Genuß für die Bevölkerung. Wir wollen, daß dieses Bauwerk, das größer ist als irgendein anderer Palast, ein Theater, Millionen Menschen bedient, daß dieses Bauwerk den Geist des Menschen beflügelt, sein Leben erleichtert, ihm Erholung und Vergnügen verschafft. Unser Arbeiter, der in der Metro fahrt, soll sich in diesem Bauwerk munter und froh fühlen, im Wissen, daß er für sich arbeitet, daß jede Schraube eine Schraube des Sozialismus ist. [...] Darum, Genossen, haben wir solch eine Untergrundbahn gebaut, wo der Mensch, der sich in die Station begibt, sich wie in einem Palast fühlt. Und die Paläste unserer Metro sind nicht einförmig. Jede Station hat ihr eigenes Gesicht. Wo sind da, ihr Herren Bourgeois, die Kasernen, die Zerstörung der Persönlichkeit, des Schöpferischen, der Kunst? Im Gegenteil, an der Metro sehen wir eine großartige Entfaltung der Kreativität, ein Aufblühen der Architektur. [...] Jeder dieser Paläste leuchtet mit einem Feuer, dem vorwärts schreitenden Feuer des siegreichen Sozialismus."138 Tags darauf, am 15.5.1935, fanden sich gegen fünf Uhr morgens die ersten Passagiere bei den Stationen ein. Um 6 Uhr 45 bildeten sich bereits Schlangen. Die Miliz rückte an, mit blankgeputzten Stiefeln und weißen Handschuhen, und ordnete die Wartenden in Reihen ein. Um 6 Uhr 50 139 wurden die Türen zu den Stationen geöffnet, und die Leute stürzten zu den Kassen. Man hatte vorsorglich zehn Millionen Fahrkarten vorbereitet.140 Um 7 Uhr begann der Fahrbetrieb von den Endstationen aus. Viele waren in Festtagskleidung, manche mit Kind und Kegel gekommen. Mit fortschreitender Tageszeit wurden die Schlangen immer
138 Ebd., S. 22-23. 139 Komsomol 'skaja Pravda Nr. 111, 16.5.1935, S. 1. 140 Ebd. Nr. 110, 15.5.1935, S. 4. - Für wie lange man Fahrkarten verkaufte, geht aus den Quellen nicht hervor. Es kann sich nur um eine Übergangslösung gehandelt haben, denn es war von Anfang an vorgesehen, nach amerikanischem Vorbild Drehkreuze aufzustellen, an denen der Fahrpreis entrichtet werden sollte. (Vgl. Anhang III).
Der Bau der Untergrundbahn als Inszenierung
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länger und die Züge immer voller.141 Insgesamt beförderte die Metro an ihrem ersten regulären Betriebstag 350.000 Fahrgäste.142 Aus einem der Züge wurden Interviews im Rundfunk übertragen.143 Das Propagandaflugzeug „Maksim Gor'kij" 144 zog über der Stadt seine Kreise. Auf den Straßen und Plätzen Moskaus herrschte Volksfeststimmung, in den Abendstunden beobachtete man ein Treiben wie sonst nur am Vorabend der Revolutionsfeiertage. Über Lautsprecher wurde Musik gespielt, am Nachmittag fuhren Lastwagenkolonnen mit Komsomolzen vor, die am Gebäude des Mossovet vorbeimarschierten.145 Am dritten Tag des Festes formierten sich Demonstrationszüge, die den ganzen Tag über die Gor'kijstraße [Tverskaja] entlang und am Mossovet vorbeizogen.146 Es war eine bunte Demonstration, mit Musikkapellen, Transparenten, technischen Modellen, Porträts von Stalin, Kaganovic und Molotov. Am Balkon des Mossovet zeigten sich Chruscev, Bulganin und Starostin, um die Huldigungen entgegenzunehmen.147 Die Kundgebung hatte um sieben Uhr morgens begonnen, als die Arbeiter mehrerer Fabriken, unmittelbar nach Beendigung der Nachtschicht, Richtung Mossovet losgezogen waren. Es war, wie Rabocaja Moskva schrieb, eine Demonstration der Sieger: Jede der Marschkolonnen hatte ihren Beitrag zum Bau der Metro geleistet. Auf einem der Transparente stand „Die Metro ist ein Sieg der sozialistischen Industrie", auf einem anderen „Ohne Kugellager fährt die Metro nicht". Stolz und selbstbewußt, ganz auf der von Stalin verkündeten Generallinie des Sowjetpatriotismus, - und die Tatsachen ein wenig zurechtbiegend - verwiesen die Zeitungskommentare darauf, daß alles mit einheimischen Mitteln zuwege gebracht worden sei: Der Vortrieb sei mit einem sowjetischen Schild erfolgt, die Waggons, Rolltreppen, die elektrische Ausrüstung, alles stamme aus sowjetischen Fabriken. „Das Land der Sowjets ist zu einem mächtigen industrialisierten und kultivierten Staat geworden. Die Metro ist ein hoher Indikator unserer technischen Kultur, unseres Vermögens zu bauen", lautete das Fazit.148
141 Deutsche Zentralzeitung, 16.5.1935, S. 1. 142 Rabocaja Moskva Nr. 111, 16.5.1935, S. 1. 143 Komsomol'skaja Pravda Nr. 110, 15.5.1935, S. 4. 144 Es handelte sich um den letzten Propagandaeinsatz dieses Flugzeugs, das wenige Tage später, am 18.5.1935 in der Nähe des Moskauer Flughafens abstürzte. (Komsomol'skaja Pravda Nr. 114, 20.5.1935, S. 1). 145 Deutsche Zentralzeitung, 16.5.1935, S. 1. 146 Deutsche Zentralzeitung, 17.5.1935, S. 1. 147 Rabocaja Moskva Nr. 112, 17.5.1935, S. 1. 148 Ebd.
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3. Die E i n b i n d u n g der M o s k a u e r B e v ö l k e r u n g und B e t r i e b e a) Subbotniki Einer der zentralen Mythen, die die sowjetische Metro-Propaganda sorgsam pflegte, waren die Subbotniki auf den Baustellen der Metro, an denen die Moskauer Bevölkerung zahlreich teilnahm. „Ganz Moskau baut die Metro" hieß die Losung, unter der man die Bevölkerung auf die Baustellen holte und die dem Bauvorhaben eine besondere, „sozialistische" Note verlieh. Die Subbotniki beim Bau der Untergrundbahn sind mit ihrer Mobilisierung der Massen und ihrer Irrationalität symptomatisch und aufschlußreich zugleich für das Wesen stalinistischer Herrschaft. Die Idee des Subbotnik, nämlich an einem Samstag freiwillig unbezahlte Arbeit zu leisten, war im Bürgerkrieg entstanden. Die ersten Subbotniki fanden 1919 in Petrograd nach einem Aufruf Lenins statt. Der Begriff Subbotnik [von russ. subbota = Samstag] geht ebenfalls auf Lenin zurück, der die freiwilligen Arbeitssamstage als faktischen Anfang des Kommunismus bezeichnete.149 Bei Metrostroj fanden 1932 und 1933 mehrere kleinere Subbotniki statt, zum Beispiel im April 1932 ein Komsomol-Subbotnik beim 5. Abschnitt in Sokol'niki150 und am 24.9.1933 ein Subbotnik mit 6.000 Teilnehmern, den ehemalige Rotarmisten und Bürgerkriegspartisanen des Stalin-Rayons initiierten. Sie wurden dabei von den Arbeitern der größten Betriebe des Rayons unterstützt.151 Auf Betreiben der Moskauer Parteiorganisation nahmen die Subbotniki Anfang 1934 organisierten Massencharakter an. Den Anstoß dazu lieferte Kaganovic in seiner Rede vom 29.12.1933, in der er forderte, jeder Betrieb Moskaus müsse Metrostroj Hilfe leisten und man müsse unter der Losung „Ganz Moskau muß die Metro bauen" Subbotniki abhalten. In der am selben Tag verabschiedeten Resolution des Moskauer Parteikomitees und des Mossovet wurden alle Arbeiter der Moskauer Fabriken aufgerufen, an Subbotniki teilzunehmen. „Das ganze proletarische Moskau muß sich aktiv am Bau der Metro beteiligen", lautete die Devi„„ 152 se. Am 8.1.1934 beschloß eine Kommission des Moskauer Parteikomitees, allen Betrieben anzuordnen, Patenschaften über einen Schacht oder eine Distanz von Metrostroj zu übernehmen und dort eine bestimmte Anzahl von Arbeitstagen in Form von Subbotniki abzuarbeiten.153 Am 9.1.1934 berichtete Rabocaja Moskva 149 Vorozejkin 1984, S. 22-25. 150 Büro der Parteizelle, Komsomol- und Gewerkschaftskomitee des 5. Abschnitts von Metrostroj. Prot., 13.4.1932. CMAM 665/1/30, Bl. 20. 151 Abakumov. Anordnung 440, 22.9.1933. CMAM 665/1/46, Bl. 57-58. Rabocaja Moskva Nr. 225, 27.9.1933, S. 4. 152 Kaganovic: Pervaja ocered' 1933, S. 4, 8. 153 Kommission von MK VKP(b) über die Auswahl von Arbeitskräften für Metrostroj. Prot., 8.1.1934. CMAM 718/9/20, Bl. 1.
Die Einbindung der Moskauer Bevölkerung und Betriebe
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bereits über erste Versammlungen in Moskauer Fabriken, auf denen sich die Belegschaften verpflichteten, Subbotniki beim Bau der Metro zu leisten.154 Nicht nur Fabrikarbeiter verkündeten in den darauffolgenden Tagen Subbotnik· Verpflichtungen: Das Ensemble des Bol'soj-Theaters kündigte an, zwei kostenlose Konzerte für die Metrobauer zu geben, das Helmholtz-Krankenhaus, die Metrobauer außer der Reihe zu behandeln.155 Am 27.1.1934 erschienen tausend Frauen in einer der Barackensiedlungen von Metrostroj und unterzogen die Unterkünfte einer Generalreinigung. Den Junggesellen wurden sogar die Socken gestopft.156 Im Elektrowerk ließ man sich etwas Besonderes einfallen, um den Arbeitern einen Samstag auf der Metrobaustelle schmackhaft zu machen, und legte eine Anleihe zur Unterstützung der Metro auf. Wer die Anleihe zeichnete, mußte eine bestimmte Anzahl von Tagen beim Bau der Metro abarbeiten und erwarb damit das Recht auf die Teilnahme an der Jungfernfahrt der Untergrundbahn.157 Der Stadtgewerkschaftsrat beauftragte Ende Januar 1934 die Rayonsgewerkschaftsräte, Pläne für die Durchführung täglicher158 „Subbotniki" bei Metrostroj zu erstellen und sie mit den Rayonsparteikomitees abzustimmen. Der Leitung von Metrostroj ordnete man an, einen Plan für den täglichen Einsatz zweier Subbotnik-Schichten vorzulegen und die Arbeiter mit Arbeitskleidung, Verpflegung und Werkzeug zu versorgen.159 Daß dies keine Selbstverständlichkeit war, beweisen Beschwerdebriefe von Subbotnikteilnehmern, denen der Zutritt in die Kantine verwehrt worden war und die man, ihrer Meinung nach, zu keinen sinnvollen Arbeiten eingesetzt hatte.160 Die Leitung von Metrostroj wies Anfang Februar 1934 die Schächte und Distanzen an, die Subbotniki ernster zu nehmen und besser vorzubereiten, um für die Zukunft zu vermeiden, daß die Freiwilligen untätig herumstünden oder von einer Baustelle zur anderen geschickt würden. Die Schächte und Distanzen mußten nun Subbotnikbeauftragte einteilen, mit den Rayonsgewerkschaftsräten Verbindung aufnehmen und für zehn Tage im voraus einen genauen Plan für den Einsatz der Subbotnikteilnehmer erstellen.161 Anfang März 1934 konstatierte Rotert, daß die Losung „Ganz Moskau baut die Metro" auf ein großes Echo gestoßen sei, die Schächte und Distanzen aber das Potential der Subbotniki nicht richtig genutzt hätten. Die Subbotniki hätten zwar einen beachtlichen Beitrag bei Verladearbeiten, beim Betonmischen, beim
154 Rabocaja Moskva Nr. 8, 9.1.1934, S. 1,4. 155 Ebd. Nr. 9, 10.1.1934, S. 3. 156 Vecernjaja Moskva Nr. 24, 28.1.1934. Zitiert nach Poletaev 1953, S. 39. 157 Rabocaja Moskva Nr. 22, 26.1.1934, S. 4. 158 Tägliche „Subbotniki" wurden durch die ununterbrochene Arbeitswoche ermöglicht, die es mit sich brachte, daß an jedem Wochentag ein Teil der Belegschaften arbeitsfrei hatte. 159 Präsidium MGSPS. Prot. 29.1.1934. CMAM 718/9/3, Bl. 99-100. 160 Vgl. den Beschwerdebrief des Studenten Danilin an den Mossovet, o.D. [Januar 1934]. GARF R-7952/7/151, Bl. 9. 161 Stv. Leiter von Metrostroj, Ajngom. Anordnung 78,2.2.1934. CMAM 665/1/17, Bl. 97.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
Abtransport des Aushubmaterials und bei der Säuberung der Baustellen von Abfällen geleistet, die Produktivität sei aber dabei außerordentlich niedrig gewesen. Um die Arbeitsorganisation, die Verteilung der bei den Baustellen ankommenden Subbotnikteilnehmer, die Versorgung mit Arbeitskleidung und Werkzeug stehe es „grauenhaft". Rotert setzte Prämien für die bessere Organisation der Subbotniki aus.162 Ab März 1934 wurden die Subbotniki planmäßig in großem Stil durchgeführt. Am 24.3.1934 fand der erste und zugleich größte Gesamtmoskauer Subbotnik bei Metrostroj statt, zu dem der Poet Aleksandr Bezymenskij sogar ein Lied dichtete:163 neciw
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Lied Moskaus zum Metro-Subbotnik Über der Erde und unter der Erde Erklingt ein helles Lied. Zum Subbotnik bei Metrostroj Führt es ganz Moskau. Die pünktliche Frist... ... ist nicht mehr fem! Zu faulenzen ... ... steht uns nicht an! Die proletarische Hauptstadt Wird ihre Metro fristgerecht fertigstellen.
85.000 Menschen, also erheblich mehr als die damalige Belegschaft von Metrostroj, marschierten, wie die Zeitung Vecernjaja Moskva zu berichteten wußte, in „feierlicher und kämpferischer Stimmung" auf die Baustellen.164 Unter den Teilnehmern waren auch Kaganovic und Chruscev.165 An den darauffolgenden Samstagen erschienen nacheinander 30.000, 40.000 und 35.000 Teilnehmer. Insgesamt nahmen an den Subbotniki beim Bau der Metro bis Mitte April 1934 rund 500.000 Moskauerteil. 166 Diese Zahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei den Subbotniki nicht um ein spontanes Herbeiströmen der Bevölkerung, sondern um straff organisierte und angeordnete Aktionen handelte. Die Moskauer Parteiführung machte für die Organisation der Subbotniki die Vorsitzenden der Gewerk-
162 Rotert. Anordnung 151, 3.3.1934. CMAM 665/1/117, Bl. 176—178. 163 Bezymenskij, Aleksandr: Pesnja Moskvy na subbotnike metro. - In: Udarnik Metrostroja Nr. 69, 24.3.1934, S. 1. - Das Lied hat insgesamt sechs Strophen, wurde von B. Chalip vertont und ist mit Noten abgedruckt in Udarnik Metrostroja Nr. 84, 11.4.1934, S. 4. 164 Vecernjaja Moskva Nr. 69, 25.3.1934. Zitiert nach Poletaev 1953, S. 39. - Rabocaja Moskva Nr. 73, 26.3.1934, S. 2 und Komsomol'skaja Pravda Nr. 72, 26.3.1934, S. 1 sprachen von 80.000 Teilnehmern. 165 Rabocaja Moskva Nr. 73, 26.3.1934, S. 2. 166 Poletaev 1953, S. 39-40.
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schaftsräte und die stellvertretenden Parteisekretäre der einzelnen Rayons verantwortlich. Auf diese Weise wurde genau bestimmt, welcher Betrieb an welchem Samstag mit wieviel Personen bei Metrostroj einen Subbotnik zu leisten hatte.167 Die Einhaltung des Planes war fur die Betriebe obligatorisch.168 Wenn die Belegschaft einer Fabrik, einer Behörde oder eine militärische Einheit zum Subbotnik ausrückte, konnte sich der einzelne schwerlich entziehen. Stoßarbeiter mußten zudem zweimal im Monat an einem Subbotnik teilnehmen, um nicht ihren Status zu verlieren.169 Manche Betriebe und Institutionen leisteten hartnäckigen Widerstand und weigerten sich, die geforderte Anzahl von Arbeitskräften zur Verfügung zu stellen. Es kostete die Rayonsparteisekretäre große Mühe, sie zur Erfüllung der auferlegten Verpflichtungen zu bewegen.170 Obwohl die Leitung von Metrostroj nun besser vorbereitet war, liefen die großen Subbotniki chaotisch ab. Zum einen erschienen am 24.3.1934 statt der angekündigten 63.000 Teilnehmer rund 22.000 mehr, zum anderen war es schwierig, Zehntausende Leute, die keine Ahnung von der Arbeit im Tunnel hatten, sinnvoll einzusetzen. Versuche, die Leute in den Schächten arbeiten zu lassen,171 waren zum Scheitern verurteilt. Man fand schließlich einen Weg, die Arbeitskraft der Subbotniki besser zu nutzen, indem man die Arbeiter die riesigen Halden von Aushubmaterial, die sich angehäuft hatten, verladen und abtransportieren und die Territorien der Schächte und Distanzen von Abfallen und Gerümpel säubern ließ. Auf diese Weise konnte man eigene Arbeiter von diesen Aufräumarbeiten abziehen und für die Tunnelarbeiten einsetzen.172 Manche Ingenieure beurteilten unter diesem Gesichtspunkt die Subbotniki als sehr nützlich.173 Trotzdem kam es zu vielen Friktionen. Die Einsatzpläne erwiesen sich als unzureichend, man hatte zu wenig Werkzeug und Arbeitskleidung, und manche Baustellenleiter sahen in den Subbotniki mehr eine Belastung als einen Nutzen und setzten die Arbeiter für sinnlose Tätigkeiten ein: Bei der 7. Distanz schleppte die erste Schicht Steine, die zweite Schicht trug sie wieder zurück. Bei der 3. Distanz erschienen 400 Arbeiter, man teilte ihnen eine geringfügige Arbeit zu und kümmerte sich weiter nicht mehr um sie, so daß sie sechs Stunden untätig herumstanden.174 In den Zeitungen erschienen Briefe von Fabrikarbeitern, die sich über
167 Sekretariat MK VKP(b). Prot. 2, 13.3.1934. RGASPI 17/21/3055, Bl. 41. 168 Vgl. z.B. die Übersicht über die Subbotnik-Verpflichtungen der Betriebe des Rayons Krasnaja Presnja beim Schacht 7-8 im Februar und März 1934. Bestätigt vom Präsidium des RSPS am 9.2.1934, abgestimmt mit dem Rayonskomitee VKP(b). GARF R-7952/7/327, Bl. 56. 169 Filtzer 1986, S. 70. 170 Sten. Gespräch mit Parteisekretär Rybakov, Schacht 31-32. GARF R-7952/7/307, Bl. 64. 171 Stv. Leiter von Metrostroj, Ajngorn. Anordnung 114, 14.2.1934. CMAM 665/1/17, Bl. 141. 172 Abakumov. Anordnung 206, 22.3.1934. CMAM 665/1/118, Bl. 7-8. 173 Sten. Gespräch mit Ing. Butmi, Schacht 6bis, 4.2.1935. GARF R-7952/7/310, 214. Desgl. mit Ing. Vincintini, Schacht 19-20, 16.2.1935. GARF R-7952/7/311, Bl. 42. 174 Desgl. mit dem Chefingenieur Chimuchin. GARF R-7952/7/266, Bl. 45-46. Desgl. mit der Komsomolzin Morgunova, Schacht 36-37, 27.10.1934. GARF R-7952/7/305, Bl. 5.
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die schlechte Organisation beschwerten.175 Am 13.4.1934 ordnete Stalin an, die Subbotniki einzustellen, weil sie unproduktiv seien. In der Presse wurde darüber nichts verlautbart.176 Weiterhin gab es jedoch tägliche „Subbotniki" in der Form, daß Arbeiter an ihrem freien Tag oder nach Schichtende auf den Baustellen mithalfen. Ein britischer Gewerkschafter, der selbst einige Tage freiwillig Hand anlegte, berichtete, daß ihm der Polier erzählt habe, daß nur wenige spontan in die Baugrube kletterten und daß die anfängliche Begeisterung stark nachgelassen habe. Eine Zeitlang seien viele Ausländer gekommen, um mitzuhelfen, aber es sei ihnen nur darum gegangen, in der Zeitung abgebildet zu werden.177 Es kam auch vor, daß zehnjährige „Pioniere"178 zum „Subbotnik" auf die Baustellen geschickt wurden, aber bloß im Schnee spielten und das für die Sicherheit verantwortliche technische Personal nervös machten.179 Die großen Subbotniki hatten weniger praktische als propagandistische Bedeutung. Zum Bild der „sozialistischen Baustelle" gehörte notwendigerweise die Vorstellung von der freiwillig und „enthusiastisch" herbeiströmenden Bevölkerung. Für die propagandistische Verwertung spielte es keine Rolle, daß die Subbotniki eigentlich nicht so sehr ein Symptom für die Begeisterung der Massen als für das Vermögen der Partei, die Massen in ihr Programm einzuspannen, waren. Viel wichtiger war, daß regelmäßig Prominente teilnahmen, so zum Beispiel Chruscev, Kaganovic, Kujbysev, Zdanov oder auch bekannte Sportler, und die Zeitungen ausführlich darüber berichteten, wie die hohen Herren mit Spitzhacke und Preßlufthammer den Plan beispielhaft übererfüllten.180 Bei einem richtigen Subbotnik durfte ein gehöriges Maß an Aktionismus nicht fehlen. Arbeiterkolonnen marschierten geschlossen mit Gesang auf die Baustelle und trugen Transparente mit der Aufschrift „Wir arbeiten heute bei unserem Patenschacht".181 Einheiten der Roten Armee brachten ihre Militärkapelle mit. Als Kaganovic und Chruscev im Schacht arbeiteten, spielte dazu ein Orchester Marschmusik. Kaganovic tauchte übrigens just zu dem Zeitpunkt auf, als nur noch achtzig Zentimeter bis zur Vereinigung der Schächte 7 und 8 fehlten. Gemeinsam mit Chruscev bewältigte er persönlich den Durchbruch.182 Die Angestellten von Aeroflot kamen bereits in Brigaden eingeteilt mit „Kommandanten" auf den Bau, richteten einen „Stab" ein, den sie laufend telefonisch über den
175 Rabocaja Moskva Nr. 73, 26.3.1934, S. 2, Nr. 87, 11.4.1934, S. 1. 176 Chruäcev und Bulganin an Kaganovic, 14.4.1934. RGASPI 81/3/255, Bl. 135-136. 177 Brown 1936, S. 200. 178 Die „Pioniere" waren die Kinderorganisation des Komsomol. 179 Sten. Gespräch mit Funktionären der 3. Distanz, 28.8.1934. GARF R-7952/7/274, Bl. 55. 180 Vgl. z.B. Komsomol 'skaja Pravda Nr. 72, 26.3.1934, S. 1, Nr. 83, 8.4.1934, S. 4. Rabocaja Moskva Nr. 73, 26.3.1934, S. 2, Nr. 89, 14.4.1934, S. 2. 181 Redaktion „Geschichte der Metro". Manuskript „Metro Stroit vsja Moskva", o.D. [1934], GARF R-7952/7/268, Bl. 1. 182 Ebd., Bl. 7-8.
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Fortgang der Arbeiten informierten, und gaben im Laufe des Tages drei „Bulletins" heraus.183 Rabocaja Moskva berichtete von dem beinamputierten Arbeiter aus der Kugellagerfabrik, der sich in den Schacht bringen und den Preßlufthammer erklären ließ und nach kurzer Zeit die Normen erfüllte. 184
b) Patenschaften Kaganovics Aufruf, ganz Moskau müsse sich am Bau der Metro beteiligen, schloß auch die Übernahme von Patenschaften über Schächte und Distanzen durch Moskauer Betriebe und Institutionen mit ein. Patenschaften, in deutschsprachigen Quellen manchmal auch in Anlehnung an den russischen Begriff [sefstvo] als Chefschaften bezeichnet, gehörten zu den Eigentümlichkeiten des sowjetischen Systems. Sie sollten als Element der „proletarischen Demokratie" eine engere Verbindung zwischen dem Staatsapparat und den Arbeitern der Betriebe herstellen und den Anschein einer proletarischen Kontrolle des Apparates erwecken. Am verbreitetsten waren Patenschaften von Betrieben über Behörden. Die erste Patenschaft war jene des Moskauer Elektrowerks über das Volkskommissariat für Finanzen im Jahre 1929. Bald folgten andere Betriebe, und 1932 gab es nur mehr wenige Behörden, die nicht einem Patenbetrieb zugeordnet waren. Die Patenschaft des Elektrowerks über das Volkskommissariat für Finanzen bestand darin, daß Arbeiter des Werks in ihrer Freizeit im Volkskommissariat aushalfen, bei der „Säuberung" des Apparats mitwirkten und Rationalisierungsvorschläge unterbreiteten. 185 Ende September 1933 beschlossen die Partei und die Gewerkschaft des Bauman-Rayons, den auf dem Territorium des Rayons liegenden Schächten von Metrostroj Patenbetriebe zuzuordnen. Diese sollten den Schächten bei der kulturellen Versorgung der Arbeiter und bei der Verbesserung der Lebensbedingungen helfen und den Metrobau unter ihren Arbeitern populär machen. Für jeden Schacht waren fünf Betriebe, Institute oder Behörden zuständig.186 In anderen Rayons hatten schon früher Betriebe Patenschaften über Metroschächte übernommen. Der Schacht 18 verfügte zu Beginn des Jahres 1934 über 26 Paten.187 Die Mehrfachpatenschaften erwiesen sich als wenig effektiv, weil sie oft nicht über Absichtserklärungen hinausgingen. Im Februar 1934 erließ der städtische Gewerkschaftsrat unter Berufung auf Kaganovics Rede und die Resolution des Moskauer Parteikomitees vom 29.12.1933 eine Direktive zur Reorganisation des 183 Sten. Gespräch mit Ing. Butmi, 5. Distanz, 26.6.1934. GARF R-7952/7/274, Bl. 23. 184 Rabocaja Moskva Nr. 74, 27.3.1934. Zitiert nach Poletaev 1953, S. 40. 185 Wien-Moskau 1932, S. 14-15. 186 Vereinigtes Plenum des Baumanskij RK VKP(b), Rayonssowjets und Rayonsgewerkschaftsrates. Resolution, 28.9.1933. GARF R-7952/7/140, Bl. 26. Sekretariat Baumanskij RK VKP(b) und Fraktion des Präsidiums des Rayonssowjets. Resolution, 26.10.1933. Ebd., Bl. 22. 187 Präsidium MGSPS. Prot., 15.2.1934. CMAM 718/9/3, Bl. 158.
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Patenschaftswesens: Für jeweils einen Schacht oder ein anderes Objekt von Metrostroj sollte nur ein einziger, aber potenter Pate zuständig sein. Als Paten kamen daher vor allem große Fabriken in Frage. Sie hatten ihre Erfahrungen bei der Arbeitsorganisation, dem sozialistischen Wettbewerb, der technischen Normierung und kulturellen Versorgung der Arbeiter weiterzugeben.188 Zusätzlich übernahmen die Stadtkomitees ausgewählter Gewerkschaften Patenschaften über besonders heikle Bereiche von Metrostroj: Die Gewerkschaft der Kantinenarbeiter wurde als Pate den Kantinen von Metrostroj zugeordnet, die Gewerkschaft für Handel und Kooperativen den Kooperativläden, die Gewerkschaft der medizinisch Beschäftigten den medizinischen Einrichtungen; die Gewerkschaft der Druckindustrie sollte bei den Schächten und Distanzen Betriebszeitungen gründen; die Gewerkschaft der künstlerisch Beschäftigten hatte sich um die kulturelle Betreuung der Metrobauer zu kümmern.189 Die Patenschaften konnten auf ganz unterschiedliche Weise mit Leben erfüllt werden: Die Patenbetriebe stellten dringend benötigte Werkzeuge, Geräte und Baumaterialien zur Verfugung, reparierten Maschinen, kommandierten Spezialisten ab, die bei komplizierten Montagearbeiten oder bei der Organisation der Arbeit und des sozialistischen Wettbewerbs halfen, schickten ausgebildete Buchhalter und Rechnungsfuhrer, um die bei den Schächten oftmals dilettantisch geführte Lohnbuchhaltung in Ordnung zu bringen, verlegten Arbeiter zur ständigen Arbeit auf die Baustellen, gewährten finanzielle Mittel zum Ankauf von Betten und Einrichtungsgegenständen für die Baracken, kümmerten sich um die Kindergärten, Kantinen und Buffets von Metrostroj oder entsandten Putzbrigaden zu einem Subbotnik:190 „Am 20.4.[1934] wurde ein Massensubbotnik für den kulturellen und sanitären Zustand der Baracken organisiert. Arbeiterinnen der Molotov-Fabrik kamen in die Arbeitersiedlung Luzniki und zu den Baracken des Schachtes 36-37. Sie führten selbst ungeniert eine Generalsäuberung aller Räume durch, schüttelten alle Betten durch, putzten die Fenster, Wände, Betten, Waschbecken, Tische, Stühle, wuschen die Böden auf, polierten die Wände, brachten Vorhänge und Gardinen mit und nicht wenig Bettzeug, und als die Arbeiter von der Schicht zurückkamen, wunderten sie sich über die radikale Veränderung der Lage in den Zimmern."191
Auch Kultur- und Bildungsinstitutionen wurden in die Patenschaften eingebunden. Schon im Sommer 1933 hatte das Institut für Weltwirtschaft und Weltpolitik
188 Präsidium MGSPS. Prot., 15.2.1934. CMAM 718/9/3, Bl. 158. 189 Ebd. 190 Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Rybakov, Schacht 31-32. GARF R-7952/7/307, Bl. 65. Desgl. mit dem Parteisekretär Kopejkin, Caissongruppe, 28.3.1935. GARF R-7952/7/303, Bl. 29-30. Desgl. mit dem Parteiorganisator Lipman, 3. Distanz, 19.11.1934. GARF R-7952/ 7/304, Bl. 13. Desgl. mit der Instruktorin Azanova, 6. Distanz. GARF R-7952/7/341, Bl. 5. 191 Desgl. mit dem Parteisekretär Rybakov, Schacht 31-32. GARF R-7952/7/307, Bl. 65.
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die Patenschaft über den Schacht 47-48 übernommen, Propagandisten entsandt und Zirkel zum Studium der Parteigeschichte und des Leninismus gegründet.192 Die Moskauer Theater und Kinos übernahmen ebenfalls Patenschaften über die Siedlungen und Schächte von Metrostroj. Sie veranstalteten Sonderaufluhrungen, Konzerte und Lesungen, schickten Schauspieler und Sänger in die Baracken und Kantinen und stellten Freikarten zur Verfügung.193
c) Die Anteilnahme der Bevölkerung und die Akzeptanz des Bauvorhabens Die von oben organisierten Subbotniki und Patenschaften sind - entgegen den Behauptungen der Propaganda - nicht geeignet, um über die Anteilnahme der Moskauer Bevölkerung am Bau der Untergrundbahn gültige Aussagen zu treffen. Aus der Tatsache, daß sich eine halbe Million Moskauer an den Subbotniki beteiligte, kann man nicht darauf schließen, daß in der Bevölkerung eine allgemeine Begeisterung für den Metrobau herrschte. Angesichts der ablehnenden Stimmungen, die den Metroplanern Ende der zwanziger Jahre entgegengeschlagen hatten,194 stellt sich vielmehr die Frage, ob nicht auch nach 1931 große Teile der Bevölkerung gegenüber dem Bauvorhaben negativ eingestellt waren. Jedem, der den Bau verfolgte, mußte klar sein, daß er Unsummen verschlang. Daß einfache Arbeiter, die selbst in primitiven Verhältnissen wohnten, die Notwendigkeit „unterirdischer Paläste" einsahen, wie sie die Zeitungen stolz beschrieben, ist nicht von vornherein selbstverständlich, auch wenn es nach dem Beschluß des Zentralkomitees vom Juni 1931 keine prinzipielle Opposition gegen die Metro mehr geben durfte. Die diesbezüglichen Quellen sind spärlich. Möglicherweise war die Akzeptanz des Metrobaus 1931 größer als 1928, weil er in ein Gesamtkonzept für die Kommunalwirtschaft eingebettet war, das der Bevölkerung eine Verbesserung der Lebensumstände versprach. Trotzdem berichteten die Metrobauer übereinstimmend, daß die Öffentlichkeit in der Anfangszeit dem Bau keine Aufmerksamkeit gewidmet habe. „Als wir seinerzeit den Bau von Dneprostroj begannen, da spürten wir von den ersten Schritten an kolossale öffentliche Aufmerksamkeit. Das gleiche war zu spüren, als mit Magnitostroj begonnen wurde. Aber es war nicht zu spüren, als wir mit Metrostroj begannen", meinte Rotert im Frühjahr 1934.195 1931 und 1932 habe sich niemand in Moskau fur die Metro interessiert, man habe im Gegenteil überall Widerstand gespürt. Erst 1933/34 habe sich das geändert: 192 Desgl. mit dem Parteisekretär Mozel', Schacht 47-48, 17.11.1934. GARF R-7952/7/ 305, Bl. 62. 193 Osipov/Mar'janovskij 1935, S. 131. Sten. Gespräch mit dem Parteisekretär Kopejkin, Caissonkontor, 28.3.1935. GARF R-7952/7/303, Bl. 36. 1 9 4 V g l . K a p . I.2.C.
195 Rotert. Bericht auf der Beratung der Schriftsteller in der Redaktion „Geschichte der Fabriken und Werke", o.D. [Mai oder Juni 1934], GARF R-7952/7/271, Bl. 293.
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„Ich habe mir manchmal die Frage gestellt, wie das zu erklären ist. Und ich denke, daß der Grund dafür jene Stimmungen sind, die von der Diskussion über die Notwendigkeit der Metro Übriggeblieben sind. Es gab die Ansicht, daß die Metro überflüssig sei [...]. Dieses Gerede über die Unnötigkeit der Metro führte dazu, daß am Anfang seitens des Moskauer Komitees, der Regierung Aufmerksamkeit bestand, aber die Betriebe, die Massen unterstützten uns damals nur unzureichend. [...] Heute fühlen wir eine großartige Aufmerksamkeit unserer Sache gegenüber [,..]."196 Metrostroj hatte anfangs Mühe, Grundstücke für Materiallager und Hilfsbetriebe zu bekommen und mußte sich sogar mit Dienststellen, die dem Mossovet unterstanden, wegen der Genehmigung für die Errichtung von Baracken und die Anlage von Bauzäunen langwierig auseinandersetzen.197 Die geologischen Bohrungen entlang der Trasse stießen auf den Widerstand der Hausverwaltungen, die Metrostroj die Lagerung von Holz und Werkzeug auf der Straße nicht gestatteten und den Zugang zu Wasser und Strom verwehrten. Die Miliz schikanierte die Metrobauer mit formalen Fragen und ließ sie häufig wegen kleiner Ordnungswidrigkeiten Strafe zahlen. 198 1932 habe ganz Moskau die Metrobauer gehaßt, weil sie die Straßen und Plätze im Zentrum mit Bauzäunen blockierten und mit ihrem Erdaushub alles verschmutzten, erinnerte sich ein Ingenieur, der fast ein Jahr lang brauchte, bis er endlich ein Grundstück fur den Stützpunkt seines Bauabschnittes ergattern konnte. 199 „Die Leute glaubten, man könne die Metro völlig unsichtbar für die Einwohner der Stadt bauen", faßte er die Haltung der Kommunalbehörden zusammen: „Als ich nach Moskau kam, suchte ich einen geeigneten Platz für den Stützpunkt meines Abschnittes. Ich fand einen beim Revolutionsplatz, ging zum Oktober-Rayonssowjet und bat, mir das Grundstück zu überlassen. Man antwortete mir, man werde bis zum letzten Blutstropfen kämpfen, daß ich das Grundstück im Zentrum der Stadt nicht bekomme. Wir lassen keinen Bauzaun im Zentrum der Stadt aufstellen, sagten sie."200 In der Straßenbahn wurden die Metrobauer wegen ihrer schmutzigen Kleidung als , Jadenwürmer" [volosatiki] beschimpft.201 Aus den Äußerungen, die die Komsomolzen 1933 während ihrer Mobilisierung zu hören bekamen, lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, welche Vorstellungen die Bevölkerung vom Bau der Me-
196 Ebd., Bl. 295. 197 Ebd., Bl. 293. 198 Leiter des Trusts Mosgeorazvedka, Kandelaki, an das Präsidium des Mossovet, 3.7.1932. GARF R-7952/7/155, Bl. 1. 199 Sten. Gespräch mit Ing. Sokolin, Leiter der 2. Distanz, 20.11.1934. GARF R-7952/ 7/308, Bl. 102, 114. 200 Ebd., Bl. 91. 201 Desgl. mit der Komsomolzin Pomjalova, 8. Distanz. GARF R-7952/7/306, Bl. 145. Desgl. mit dem Brigadier Zamuldinov. GARF R-7952/7/301, Bl. 85.
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tro hatte: In der Kalinin-Fabrik waren selbst die Komsomolzen der Ansicht, beim Bau der Metro arbeiteten nur Zwangsarbeiter und kulturlose „Fadenwürmer". 202 In einem anderen Betrieb hieß es, beim Bau der Metro würden die Arbeiter geschlagen, so daß kaum einer am Leben bliebe.203 Manche Kommunisten glaubten, die Versetzung zur Metro sei eine Degradierung. 204 Die Frau eines abkommandierten Kommunisten fürchtete, ihr Mann würde unter der Erde umkommen. 205 Junge Frauen berichteten, daß ihre Eltern nicht damit einverstanden gewesen seien, daß sie zur Metro arbeiten gingen. 206 1934 änderte sich die Einstellung der Bevölkerung zum Metrobau. 207 Die Propaganda konnte den Menschen erfolgreich vermitteln, daß das Unternehmen von Erfolg gekrönt sein werde. Unter anderem war es auch ein Nebeneffekt der Subbotniki, daß viele Moskauer einen persönlichen Eindruck von den schwierigen Arbeitsbedingungen und den Leistungen der Metrobauer gewannen und Anteil am Fortgang des Baus nahmen. Ein Metrobauer erzählte später, an den Subbotniki sei fur ihn das Wichtigste gewesen, daß die Bevölkerung die Arbeit der Metrobauer zu schätzen lernte. „Sie arbeiteten schlecht, aber das war uns gleichgültig; wichtig war uns, daß sie uns zuschauten, wie wir arbeiteten, unter welchen Bedingungen", urteilte er über die Teilnehmer der Subbotniki. 208 Mit der Fertigstellung der ersten Linie im Winter 1934/35 war der Bann endgültig gebrochen. Die Moskauer strömten nun wirklich aus eigenem Antrieb zu den Stationen und Vestibülen, um das Wunderwerk zu bestaunen. Selbst Bauern aus der entlegenen Provinz, die selbst so gut wie keinen Nutzen aus der Untergrundbahn zogen, waren nun stolz auf die erbrachte Leistung und identifizierten sich mit ihr. Der Moskauer Korrespondent der New York Times beobachtete kurz nach der Eröffnung der Metro einen alten Bauern, wie er furchtsam in den Zug einstieg und vor der Fahrt mit der Rolltreppe tief Luft holte. Oben angekommen, sagte er zur Überraschung des Amerikaners: „Wir haben eine feine Eisenbahn unter der Erde gebaut [...]. Wir Russen haben eine bessere Untergrundbahn gebaut als irgendjemand auf der Welt." 209
202 Desgl. mit dem Komsomolsekretär Siijaev, 3. Distanz. GARF R-7952/7/307, Bl. 24. 203 Desgl. mit dem Stoßarbeiter Certov, 5. Distanz, 26.6.1934. GARF R-7952/7/274, Bl. 33. - Ähnlich desgl. mit der Komsomolzin Nikitina, 7. Distanz, 3.12.1934. GARF R-7952/ 7/317, Bl. 26. 204 Desgl. mit dem Parteisekretär Ol'choviC, Schacht 7-8, 16.11.1934. GARF R-7952/7/ 306, Bl. 32. 205 Desgl. mit dem Kommunisten Zacharov, 8. Distanz. GARF R-7952/7/315, Bl. 119. 206 Desgl. mit der Komsomolzin Luk'janova, 1. Distanz. GARF R-7952/7/304, Bl. 35. Desgl. mit der Komsomolzin Pomjalova, 8. Distanz, 28.2.1935. GARF R-7952/7/344, Bl. 51. Sten. Beratung bei Saäirin, 28.2.1935. Wortmeldung der Komsomolzin Ibragimova. Ebd., Bl. 39. 207 Sten. Gespräch mit dem Komsomolsekretär Satalov, Schacht 17, 9.5.1934. GARF R-7952/7/241, Bl. 11. 208 Desgl. mit dem Brigadier Zamuldinov, Schacht 10-11. GARF R-7952/7/301, Bl. 85-86. 209 Duranty 1935, S. 337-338.
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Die Zahl der Fahrgäste ging nach der Neugier der ersten Tage bald stark zurück, weil der Fahrpreis mit 50 Kopeken hoch angesetzt war. Am Eröffnungstag verzeichnete die Untergrundbahn 350.000 Fahrgäste, an den restlichen Tagen des Monats Mai durchschnittlich 239.500, im Juni durchschnittlich 139.100, im Juli 120.200. Erst als im August 1935 günstigere Vorverkaufskarten eingeführt wurden, stiegen die Fahrgastzahlen wieder leicht an. Der Durchschnitt des EröfFnungsmonats wurde erst im Januar 1936 überschritten.210
4. Die Einbindung der W i s s e n s c h a f t l e r und K u l t u r s c h a f f e n d e n a) Das Komitee zur wissenschaftlichen Unterstützung des Metrobaus Als sich im Frühjahr 1932 der Bau der Untergrundbahn komplizierter erwies, als Rotert ursprünglich gedacht hatte, und sich in technischen Fragen widersprüchliche Ansichten der Fachleute abzeichneten, bemühte sich Rotert, breitere wissenschaftliche Kreise fur das Thema zu interessieren, um technische Probleme auf einer besseren Grundlage lösen zu können. Er hielt am 1.6.1932 vor dem Bausektor des Allunionsrates der wissenschaftlichen ingenieur-technischen Gesellschaften (VSNITO) einen Vortrag. VSNITO bildete daraufhin das Komitee zur wissenschaftlichen Unterstützung des Metrobaus.lu Nach einem neuerlichen Referat Roterts, in dem er technische Fragen auflistete, bei deren Lösung auswärtige Fachleute behilflich sein könnten,212 wurde das Komitee im Juli 1932 erweitert. Die Experten sollten sich in Gruppen mit den von Rotert skizzierten Problemen befassen.213 Den Vorsitz über das Komitee übernahm der angesehene Professor A.F. Lolejt.214 Die erste Sitzung des Komitees fand im Februar 1933 statt. Im April 1933 berichtete Rotert über den Stand der Arbeiten, und man erstellte gemeinsam einen Arbeitsplan für das Komitee.215 Kurze Zeit später, Anfang Juni 1933, starb Lolejt. Neuer Vorsitzender des Komitees wurde der stellvertretende Volkskommissar für das Verkehrswesen, A.M. Postnikov. Das Komitee hielt im Monat durchschnittlich zwei Sitzungen ab und setzte für einzelne Probleme Brigaden ein, die auf den Sitzungen über die Ergebnisse ihrer Arbeit berichteten. An den Beratungen nahmen regelmäßig auch die leitenden Ingenieure von Metrostroj teil, manchmal
210 Rubanoviö 1936, S. 28. 211 Rotert: Kak budet stroit'sja 1932, S. 44. 212 Rotert. Bericht über die Arbeit des Komitees zur wissenschaftlichen Unterstützung des Metrobaus, 1.7.1932. CMAM 665/1/33, Bl. 1-37. 213 Rotert: Kak budet stroit'sja 1932, S. 54. 214 Artur Fedorovic [FerdinandoviC] Lolejt (1868-1933) leitete 1892-1911 die Projektierung von Eisenbetonbauten bei einer großen Moskauer Baufirma und war der erste Ingenieur in Rußland, der die Technik des Eisenbetonbaus in der Praxis anwandte. (Nekrasov 1933, S. 63). 215 V komitete sodejstvija 1933), S. 58-62.
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auch Fachleute der Stadtverwaltung. Das Komitee befaßte sich mit einem breiten Spektrum technischer Fragen, von der Auskleidung der Tunnel beim Schildvortrieb, über die Bauweise am Arbat-Radius, die Isolierung der Tunnel, die Caissonarbeiten, bis zu den Signalanlagen, den Schrägschächten für die Rolltreppen und den Ursachen für Fahrbahnsetzungen.216 Im Dezember 1933 gehörten dem Komitee sechs Akademiemitglieder, 22 Professoren und 43 renommierte Ingenieure an. 17 Brigaden mit 188 Mitgliedern und 293 unterstützenden Aktivisten arbeiteten an der Lösung der jeweils aktuellen Probleme.217 Bis zum Oktober 1934 erhöhte sich die Zahl der Brigaden auf 32 und die Zahl ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiter auf 1.084. Darunter waren 169 Professoren.218 Der stellvertretende Leiter der Projektierungsabteilung von Metrostroj maß der Arbeit des Komitees große Bedeutung bei.219
b) Das Unternehmen „Geschichte der Metro" Gemessen an der Zahl der unmittelbar Beteiligten war das parallel zum Bau betriebene Projekt, die Geschichte der Metro zu schreiben, nicht so eindrucksvoll wie die Einbeziehung der Wissenschaftler in das Unterstützungskomitee. Es erzielte dennoch eine viel größere Breitenwirkung. Das Unternehmen begann im September 1931 mit einem in der Presse publizierten Aufruf Maksim Gor'kijs, die sozialistische Aufbauleistung des Fünfjahresplans zu dokumentieren und die Geschichte der neu entstandenen und in Entstehung begriffenen großen Fabriken und Werke zu schreiben. Das Zentralkomitee beschloß daraufhin am 10.10.1931 die Bildung einer Redaktion, die eine entsprechende Buchreihe herausgeben sollte.220 Priorität hatte bei diesem Unterfangen nicht das wissenschaftliche Interesse oder die schriftstellerische Betätigung, sondern die gesellschaftspolitische Zielsetzung: Die „Geschichte der Fabriken und Werke" sollte dazu beitragen, die Aktivität der Massen zu steigern, ihnen im Vergleich mit der Vergangenheit die erzielten Errungenschaften bewußt zu machen und sie an die „Kultur des Sozialismus" heranzufuhren.221
216 Kurzer Bericht über die Arbeit des Komitees, August bis Dezember 1933. CMAM 665/1/88, Bl. 1-5. 217 Ebd.,Bl. 30. 218 Plenum der Sektion „Metro" des Mossovet. Resolution, 17.10.1934. CMAM 665/1/ 126, Bl. 3. 219 Sten. Gespräch mit Ing. Seljubskij, stv. Leiter von Metroproekt. GARF R-7952/7/323, Bl. 96. 220 Zuravlev 1997, S. 5. 221 Ebd., S. 5-6.
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Gor'kij gelang es, bekannte Literaten wie A.N. Tolstoj, M.M. Zosöenko, I.A. Il'f und E.P. Petrov, V.B. Sklovskij, B.A. Pil'njak oder L.L. Averbach222 für seine Idee zu gewinnen. Auch viele angesehene Historiker wirkten an dem Unternehmen mit, in der Redaktion vertreten waren aber nur N.N. Popov und A.M. Pankratova. Die politische Bedeutung kam schon allein darin zum Ausdruck, daß fuhrende Funktionäre, unter anderem Kaganovic, Postysev, Andreev, Bucharin, Enukidze, Steckij, Kosarev, Pjatakov und Svernik, Mitglieder der Redaktion waren.223 Die meisten dieser Politiker konnten allerdings der Tätigkeit in der Redaktion kaum Zeit widmen. Eine Schlüsselstellung nahm Kaganovic ein. Auf sein Betreiben wurde innerhalb der Redaktion eine politische Redaktion geschaffen, bestehend aus Gor'kij, Kaganovic und einigen Funktionären. Als Leiter der politischen Redaktion setzte Kaganovic den Schriftsteller L.L. Averbach ein. Die Hauptredaktion tagte zum letzten Mal am 16.8.1932. Danach wurden alle Fragen in der politischen Redaktion entschieden. Für 26 Betriebe wurden Zentrale Redaktionskommissionen gebildet, die in den Jahren 1933 bis 1935 Material sammelten und Manuskripte für die Betriebsgeschichten verfaßten.224 Im Dezember 1933 wurde bei Metrostroj eine Redaktion „Geschichte der Metro" ins Leben gerufen. Gleichzeitig bildete das Sekretariat der politischen Redaktion „Geschichte der Fabriken und Werke" eine Arbeitsgruppe „Geschichte der Metro", die von Averbach geleitet wurde. Die Redaktion bei Metrostroj sollte das Material sammeln, die Arbeitsgruppe ihr dabei organisatorische und methodische Hilfe leisten. Averbach entwarf ein Arbeitsprogramm: Die Quellenbasis sollte durch Erinnerungsabende, Interviews und in Auftrag gegebene Tagebücher geschaffen werden. Bei den Schächten und Distanzen seien „Redaktionsposten" einzurichten, eine Schriftstellerbrigade habe „Literaturkader" aus den Reihen der Metrobauer heranzuziehen.225 Großen Erfolg hatte man mit der Aufforderung an die Metrobauer, Tagebücher zu führen. Der junge Schriftsteller G.A. Medynskij226 erstellte im Februar 1934 methodische Anweisungen für das Führen von Tagebüchern, die gedruckt
222 Zu Tolstoj siehe Kap. V.4.C., zu Il'f und Petrov Kap. VII.4.C. - Michail MichajloviC Zosöenko (1895-1958) wurde in den zwanziger Jahren als Humorist populär. Nach dem Zweiten Weltkrieg Schloß man ihn aus dem Schriftstellerverband aus. Erst nach dem Tode Stalins konnten seine Werke wieder gedruckt werden. - Viktor Borisoviö Sklovskij (1893-1984) war Prosaiker und Literaturwissenschaftler. - Boris Andreeviö Pil'njak [eigentlich Wogau] (1894— 1937 [erschossen]) war Wolgadeutscher Herkunft und in den zwanziger Jahren einer der Begründer der sowjetischen „modernistischen" Prosa. - Leopol'd Leonidovic Averbach (19031939 [erschossen]) war Literaturkritiker, 1926-1932 Generalsekretär der Assoziation der proletarischen Schriftsteller (RAPP), beeinflußte die sowjetische Literaturtheorie. 223 Zuravlev 1997, S. 4, 7. 224 Ebd., S. 40,43, 61-67. 225 Ebd., S. 102-103. 226 Grigorij Aleksandrovic Medynskij [eigentlich Pokrovskij] (1899-1987) verfaßte eine Reihe von Romanen und erhielt 1949 den Staatspreis der UdSSR.
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und an die interessierten Arbeiter verteilt wurden. Das Schreiben von Tagebüchern wurde auch in den Literaturzirkeln gefördert. Ende März 1934 fand ein Treffen der an der Geschichte der Metro mitwirkenden Arbeiter mit den Teilnehmern der Literaturzirkel statt. An dem Treffen nahmen 143 Personen, darunter 119 Arbeiter teil, von denen bereits 51 ein Tagebuch führten. Die Schriftsteller L.N. Sejfullina, V.P. Kataev, A.I. Bezymenskij und A.A. Surkov227 erteilten den Arbeitern Ratschläge. Medynskij hielt einen Vortrag über die „Tagebücher als Quelle und allgemeinkulturelle Erscheinung", in dem er auf die gesellschaftspolitische Bedeutung der Tagebuchbewegung hinwies: Das Führen von Tagebüchern diene nicht bloß dem Projekt „Geschichte der Metro", sondern sei für die Arbeiter ein Mittel zur Selbsterziehung, Selbstüberprüfung und zum täglichen Rechenschaft-Ablegen.228 Während die Redaktion „Geschichte der Metro" mit den Tagebüchern erfolgreich war, geriet sie beim Sammeln anderer Quellen in Verzug. Im April 1934, als das Sekretariat der Redaktion „Geschichte der Fabriken und Werke" ein Expose für das Buch erstellt hatte, begann man, in den Archiven zu arbeiten sowie Interviews und Erinnerungsabende stenographisch zu protokollieren. Die Archivrecherchen übernahm eine zehn bis zwölf Mann starke Brigade unter der Leitung von K.N. Vinogradov, der Geschichte studiert hatte und als Lehrer tätig war. Die Brigade arbeitete hauptsächlich in den Archiven der Schächte und Distanzen sowie der Leitung von Metrostroj und schrieb eine Vielzahl von Dokumenten wörtlich oder auszugsweise ab. Auf der Basis dieses Materials verfaßte die Redaktion eine „Chronik von Metrostroj in Resolutionen und Anordnungen" und eine „Chronik des Baus der Metro, zusammengestellt nach Archivdokumenten". Die Mitarbeiter der Redaktion suchten auch staatliche Archive auf, um dort Abschriften anzufertigen.229 Im Frühjahr 1934 entstanden bei einer Reihe von Schächten und Distanzen „Posten" der Redaktion. Diese haupt- oder ehrenamtlichen Mitarbeiter agitierten unter den Arbeitern, Tagebücher und Memoiren zu schreiben und an Erinnerungsabenden teilzunehmen. Sie arbeiteten dabei eng mit den Literaturzirkeln zusammen.230 Die politische Redaktion „Geschichte der Fabriken und Werke" und Gor'kij persönlich waren trotzdem unzufrieden, weil die von Averbach bei der Zentralredaktion geleitete Arbeitsgruppe „Geschichte der Metro" ihre Aufgaben nicht erfüllte. Averbach war im März 1934 als Parteisekretär in eine Fabrik im Uralgebiet versetzt worden,231 was die Arbeitsgruppe geschwächt und die Bildung eines Autorenkollektivs verzögert hatte.
227 Lidija Nikolaevna Sejfullina (1889-1954), Valentin PetroviC Kataev (1897-1986), Aleksej Aleksandrovic Surkov (1899-1983). Zu Bezymenskij siehe Kap. VII.4.C. 228 Zuravlev 1997, S. 103-104. 229 Ebd., S. 106-107. 230 Ebd., S. 108. 231 Ebd., S. 69.
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Dazu kam, daß eine Reihe von Verlagen ihre Absicht ankündigten, Bücher über den Bau der Metro herauszugeben, denn dieser hatte als herausragendes Unternehmen die Aufmerksamkeit von Literaten und Verlagen geweckt. Gor'kij schrieb an Kaganovic, er zweifle, ob es sinnvoll sei, über Metrostroj eine ganze Reihe gleichartiger Bücher zu schreiben. Es sei notwendig, die Redaktion in einer Hand zu konzentrieren.232 Da es inzwischen innerhalb der Redaktion „Geschichte der Metro" und zwischen ihr und der Hauptredaktion „Geschichte der Fabriken und Werke" zu Konflikten gekommen war,233 ließen Gor'kij und Kaganovic die Metro-Redaktion auflösen und die Arbeit der Hauptredaktion übertragen. Im August 1934 wurde daraufhin bei der Hauptredaktion eine neue Redaktion „Geschichte der Metro" gebildet, die allerdings personell weitgehend mit der aufgelösten identisch war: Den Vorsitz führte der Generalsekretär des Komsomol, Kosarev; weitere Mitglieder waren unter anderem der Parteiorganisator Starostin, der Journalist M.E. Kol'cov, 234 Redakteure der Pravda und der Komsomol 'skaja Pravda. Kosarev besuchte oft die Baustelle und rief im Juli 1934 die Komsomolzen und Stoßarbeiter von Metrostroj auf, sich an der Geschichte der Metro zu beteiligen: „Schaffen wir eine bolschewistische ,Geschichte der Metro'! Genossen Metrobauer! Jeder Tag eurer Arbeit ist Heroismus. Es brennt der Kampf gegen die Schwierigkeiten des Vortriebs, des Betonierens, der Montage. Es werden bemerkenswerte Beispiele von Komsomolzenenthusiasmus und bolschewistischer Beständigkeit an den Tag gelegt. All das ist würdig, im Buch ,Geschichte der Metro' seinen Niederschlag zu finden. [··•] Für das Buch werden die größten Schriftsteller herangezogen. Aber ohne eure massenhafte Mitwirkung können sie kein Buch liefern, das METROSTROJ würdig wäre. Grundmaterial des Buches werden die lebendigen Zeugnisse der StoßarbeiterMetrobauer sein, eure Erinnerungen, Skizzen, Tagebücher. Arbeiter-Autoren und Stoßarbeiter, die interessantes Material haben, müssen es aufschreiben und für das Buch abgeben. [...] Ihr müßt helfen, ein euch würdiges Buch herauszubringen, ein Buch über euch selbst. 235
Der Aufruf stieß auf große Resonanz. Arbeiter verpflichteten sich im Rahmen sozialistischer Wettbewerbe, Texte zu verfassen oder Material zu sammeln. Auf einer Versammlung des Schachtes 30 diskutierten am 5.8.1934 500 Arbeiter den
232 Ebd., S. 109. 233 Redaktion „Geschichte der Metro", Kulagin, an Gor'kij, 14.6.1934. GARF R-7952/ 7/142, Bl. 123-124. Ausschnitt aus Literaturnaja Gazeta, 22.6.1934. Ebd., Bl. 124a. 234 Michail Efimovic Kol'cov [eigentlich Fridljand] (1898-1940 [im Lager]). 235 Generalsekretär des CK VLKSM, Kosarev, an die Komsomolzen und Stoßarbeiter von Metrostroj, 25.7.1934. GARF R-7952/7/217, Bl. 1-2.
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Brief und brachten eine Reihe von Themen vor, die sie behandeln wollten.236 Bis August 1935 lieferten 52 Metrobauer 201 Manuskripte verschiedenster Art ab. 199 führten vorübergehend ein Tagebuch. Insgesamt beteiligten sich an der „Geschichte der Metro" 318 Personen.237 Im Sommer und Herbst 1934 verdichtete sich die Arbeit an dem Buch „Geschichte der Metro", dessen Erscheinen für Januar 1935 geplant war. 32 Literaten, darunter I.G. Erenburg, I.A. Il'f und E.P. Petrov, Bela Illes, M.B. Kolosov, B.A. Kusner, Ja.A. Chelemskij, V.B. Sklovskij, B.A. Pil'njak und G.P. Storm,238 wurden unter Vertrag genommen, um Beiträge zu verfassen bzw. die von Arbeitern eingeschickten Manuskripte zu redigieren.239 Für jedes Kapitel des Buches war ein Schriftsteller zuständig, dem eine Gruppe von Aktivisten zuarbeitete.240 Kaganovic ließ sich das Konzept für das Buch241 vorlegen und nahm persönlich wesentliche Veränderungen daran vor.242 Er verwarf das ursprüngliche, chronologische Konzept und forderte statt dessen eine Gliederung in vier Abschnitte, die a) den sozialen Sinn und die Bedeutung der Metro zeigen sollten (Vorgeschichte, Geschichte Moskaus, Rückständigkeit, Fünljahresplan); b) den Kampf gegen die Naturgewalten und die Beherrschung der Technik; c) die Menschen der Metro und ihren Kampf (Lebens- und Arbeitsbedingungen, Psychologie, Organisation der Massen, Beteiligung des ganzen Landes); d) die künftige Rolle der Metro fur die Umgestaltung Moskaus. Damit das Hauptbuch den Umfang von 600 Seiten nicht überschreite, schlug Kaganovic vor, zusätzlich eine technische Dokumentation und einen Sammelband mit literarischen Erzählungen und Gedichten herauszugeben.243
236 Zuravlev 1997, S. 110-111. 237 Redaktion „Geschichte der Metro". Liste der abgelieferten Tagebücher, Erzählungen, Gedichte, Erinnerungen, Februar 1934-August 1935. GARF R-7952/7/223, Bl. 1-10. Liste der Arbeiter, die etwas ablieferten. GARF R-7952/7/226, Bl. 1-3. Liste der Mitarbeiter von Metrostroj, die sich an der Geschichte der Metro beteiligten. Ebd., Bl. 21-23. Liste der Verfasser von Tagebüchern. Ebd., Bl. 24-27. - Nicht alle Tagebücher wurden abgeliefert. 238 Il'ja Grigor'evid Erenburg (1891-1967) war 1921 aus Rußland emigriert, lebte in den zwanziger Jahren in Paris und Berlin, bis er in die Sowjetunion zurückkehrte. Das Regime benutzte ihn ähnlich wie Aleksej Tolstoj als Repräsentanten auf internationalen Kongressen. Sein Roman „Tauwetter" gab der Periode nach Stalins Tod den Namen. - Boris AnisimoviC Kuäner (1888-1937 [Lager]). - Der ungarische Schriftsteller Bela Illes (1895-1974) lebte 1923-1945 in der Sowjetunion. 1925-1933 war er Sekretär der Internationalen Vereinigung der revolutionären Schriftsteller. - Zu Sklovskij und Pil'njak siehe Fußnote 218, zu Il'f und Petrov Kap. VII.4.C. 239 Redaktion „Geschichte der Metro" an Kaganoviö, 25.10.1934. RGASPI 81/3/206, Bl. 54. 240 Zuravlev 1997, S. 112, 203. 241 Kosarev an Kaganovid, 13.8.1934. Plan des Buches „Geschichte der Moskauer Metro". RGASPI 81/3/205, Bl. 21-34. Vgl. auch Bouvard 1996, S. 177. 242 KaganoviC. Rede auf der Sitzimg der Redaktion „Geschichte der Metro", 31.8.1934. RGASPI 81/3/205, Bl. 83-107. - Das von der Redaktion nach Kaganoviis Anweisungen überarbeitete Konzept des Buches wurde Ende Oktober 1934 vorgelegt. (Redaktion „Geschichte der Metro" an KaganoviC, 25.10.1934. RGASPI 81/3/206, Bl. 55-62). 243 Ebd., Bl. 86-107.
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Das geplante Hauptbuch, die technische Dokumentation und der Sammelband erschienen nie. Die Arbeiten stockten unter anderem deshalb, weil die Leitung von Metrostroj im Februar 1935 auf Anordnung Kaganovics ihr Archiv schloß und keine Informationen mehr an Außenstehende weitergeben durfte.244 Parallel zum Hauptbuch hatte man im Oktober 1934 die Arbeiten an einem Sammelband „Kak my stroili metro" [„Wie wir die Metro bauten"] begonnen und interviewte zu diesem Zweck ausgewählte Arbeiter und Ingenieure von Metrostroj.245 Als sich das Scheitern des Hauptbuches abzeichnete, protokollierte man im Winter 1934/35 in aller Eile Interviews mit mehr als 200 Metrobauern, ließ die Stenogramme von Schriftstellern literarisch überarbeiten und publizierte sie 1935 in den beiden Bänden „Kak my stroili metro" und „Rasskazy stroitelej metro" [„Erzählungen der Metrobauer"].246 1936 wurden die Arbeiten am ursprünglich geplanten Buch eingestellt, da inzwischen die Redaktion durch die Repressionen des Großen Terrors dezimiert worden war. Außerdem war eine Vielzahl von Personen, die in der „Geschichte der Metro" als Hauptakteure hätten genannt werden müssen, inzwischen ebenfalls als „Volksfeinde" erschossen oder verhaftet worden, und niemand wußte, wer als nächster zum Feind erklärt würde. Die bereits erschienenen Bücher wurden aus dem Verkehr gezogen und verschwanden in den geschlossenen Fonds der Bibliotheken.247 Mit dem Tode Gor'kijs im Sommer 1936 war das Ende des Projekts „Geschichte der Fabriken und Werke" besiegelt. Die politische Redaktion „Geschichte der Fabriken und Werke" hörte 1937 nach ihrer Säuberung zu existieren auf, der dazugehörende Verlag wurde am 31.1.1938 liquidiert. Von den ursprünglich angekündigten dreißig Betriebsgeschichten erschienen bis 1939 nur sechs zuzüglich weiteren sechs, die anfangs nicht vorgesehen gewesen waren.248 Die in den beiden 1935 publizierten Bänden über die Metro enthaltenen Interviews und Erzählungen der Metrobauer wurden von der Redaktion stark gekürzt und zum Teil auch inhaltlich verfälscht.249 In ihnen spiegeln sich viele Stereotype und Vorstellungen, die mit Hilfe des Projektes „Geschichte der Fabriken und Werke" im gesellschaftlichen Bewußtsein verankert werden sollten: das Musterbild des „neuen Menschen", der Enthusiasmus der Arbeiter; Stalin, Kaganovic 244 Zuravlev 1997, S. 203. 245 Redaktion „Geschichte der Metro" an Kaganovic, 25.10.1934. RGASPI 81/3/206, Bl. 54. 246 Zuravlev 1997, S. 113. 247 Ebd., S. 113, 153-155. 248 Ebd., S. 70-77. - Nach dem Tode Stalins wurde in der Sowjetunion die Betriebsgeschichtsschreibung wieder aufgegriffen. Ausgehend von dem in den dreißiger Jahren gesammelten Material entstanden bis in die siebziger Jahre einige hundert Fabrikgeschichten, allerdings nun nicht aus der Feder von Schriftstellern, sondern von Historikern. Eine Geschichte der Moskauer Untergrundbahn wurde nicht geschrieben. 249 Vgl. Okuneva, R. Ja.: Istocniki po istorii fabrik i zavodov ν sovetskoj literature 1930ch gg. Diss. kand. ist. nauk. - Moskva 1964, S. 221. Zitiert nach Zuravlev 1997, S. 113, 174.
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und die Partei als die großen Führer, der erfolgreiche Kampf gegen Klassenfeinde, der sozialistische Wettbewerb usw.250 Die Grundaussage der beiden Bücher läßt sich auf wenige Punkte reduzieren: Die Moskauer Metro ist die beste der Welt. Das ganze Land hat die Metro mit eigenen Mitteln gebaut. Die Arbeit verlief enthusiastisch. Die Metrobauer durchliefen eine Schule, die sie auf ein höheres kulturelles Niveau hob. Die Partei und vor allem Kaganoviß führten das Kollektiv zielstrebig, weise und mit väterlicher Fürsorge. Das Unternehmen „Geschichte der Fabriken und Werke" ist somit nicht nur in historiographischer und quellenkundlicher Hinsicht von Belang, sondern auch als Teil der Strategie des Regimes, die Gesellschaft zu verändern. Nicht umsonst hatte das Zentralkomitee bereits wenige Tage nach Gor'kijs Aufruf den Beschluß über die Bildung der Redaktion verabschiedet. Die Einbeziehung der Arbeiter in die Geschichtsschreibung der Fabriken und Baustellen war geeignet, ihnen das Gefühl zu vermitteln, es sei „ihre" Fabrik oder „ihre" Baustelle und sie sei von historischer Bedeutung. Allein die Tatsache, daß man die Erinnerungsabende und Interviews auf Tausenden von Seiten stenographisch protokollierte, verlieh den Gesprächen und damit den Beteiligten eine „historische" Wichtigkeit. Aus den Interviews geht auch an vielen Stellen hervor, daß sich die Gesprächspartner als Handelnde und Mitgestalter in einem historischen Prozeß verstanden, der es wert sei, bis ins letzte Detail für die Nachwelt dokumentiert zu werden. Auch abseits des Geschichtsprojekts führte man zu dieser Zeit das Wort „historisch" ständig im Munde. Die Rede Kaganovics am 29.12.1933 war „historisch", die Mobilisierungen waren von historischer Bedeutung usw. Es gab kaum eine Rede bei Festsitzungen, die nicht die „historische" oder gar „welthistorische" Bedeutung des Metrobaus beschwor. Diese Ausdrucksweise erlaubt Rückschlüsse auf die dahinter stehenden Bewußtseinshaltungen. Die aktiven Kommunisten und Komsomolzen lebten in dem Bewußtsein, die Welt zu verändern, historische Umwälzungen und Errungenschaften zustande zu bringen, etwas noch nie Dagewesenes aufzubauen. Dieses Selbstbewußtsein gehört in den Komplex von Motiven, die das aus heutiger Sicht irrationale Verhalten der „Enthusiasten" hervorbrachten. Ein weiterer Zweck der „Geschichte der Fabriken und Werke", der aus den Fragen der Interviewer und den Richtlinien fur das Verfassen von Tagebüchern klar hervorgeht, bestand darin, den Arbeitern bewußt zu machen, was sie der zielstrebigen Führung durch die Partei und den Komsomol alles zu verdanken hätten, was sich mit „bolschewistischem Arbeitsstil" und sozialistischen Methoden erreichen lasse und wie sehr sie alle durch die Arbeit auf der Baustelle „gewachsen"
250 Zuravlev 1997, S. 174.
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seien.251 In den Interviews sprachen dann auch alle wie gewünscht von der fuhrenden Rolle der Partei und des Komsomol, dem unermüdlichen Einsatz von Kaganovic und Chruscev und deren unerhörten Fähigkeiten und Kenntnissen, von der „Universität" Metrostroj und ihren zahlreichen Beispielen der erfolgreichen Umerziehung rückständiger Arbeiter. Wer es nicht von selbst sagte, dem legte es der Interviewer in den Mund.252
c) Die literarische und filmische Begleitung und Verarbeitung Schriftsteller hatten nicht nur durch die „Geschichte der Metro" und die Betreuung der Literaturzirkel mit Metrostroj zu tun, sondern sie nahmen sich auch in ihren Werken der Baustelle als Thema an. Schon 1925, als der Mossovet sich bemühte, den Bau der Untergrundbahn zu realisieren, verfaßte Vladimir Majakovskij253 ein Scherzgedicht über die „Utopie, wie das Untergrundbähnlein fahren wird": Der Mossovet hat zu graben begonnen, nach einem Jahr fahrt in „Metropolitanien" die Straßenbahn unter der Erde. Der Maulwurf sperrt sein Maul weit auf, die Fische in der Moskva schauen durch ein Loch zu, wie die Züge vorbeifahren. Bald wird auch unter der Erde gestohlen, es gibt eine unterirdische Miliz, der Maulwurf fahrt gemeinsam mit dem Hasen in der Metro.254 1933 begannen sich einige sowjetische Dichter und Schriftsteller ftir den Metrobau zu interessieren und widmeten ihm Gedichte. Dem'jan Bednyj255 verfaßte 1933 sein Poem „Moskva", das die Umgestaltung der Hauptstadt zum Thema hatte. Das Poem enthält auch einen Abschnitt über die Notwendigkeit, eine Untergrundbahn zu bauen, und über den Ruhm der Erbauer:256 MocKBy OT Kpas λ ο Kpaa noKpbDia rycTO cerb TpaMeaa, CHyiOT aBToSycbi Bes^e, Ho - BpeMs /loporo - ee3ae Υ MOCKBHHeB Hyawa Taica»
Moskau bedeckte von einem Ende zum anderen Ein dichtes Straßenbahnnetz, Überall eilen die Autobusse hin und her, Aber - Zeit ist teuer - überall Haben die Moskauer eine solche Not
251 Medynskij. Methodische Anweisungen für das Führen von Tagebüchern, o.D. [1934]. GARF R-7952/7/231, Bl. 2-4. Vgl. Medynskij: Dnevniki 1934, S. 128-140. 252 Vgl. Kap. V. 1. mit Zitaten und Quellenangaben. 253 Vladimir VladirmiroviC Majakovskij (1893-1930 [Selbstmord]), Mitbegründer und Hauptrepräsentant des russischen Futurismus. 254 Majakovskij, Vladimir: Nemnozko utopij pro to, kak pojdet metroska. In: Ders.: Polnoe sobranie soiinenij 1957, Bd. 6, S. 110-111. Das Gedicht wurde erstmalig in der Zeitschrift Krasnyj perec (1925), H. 6 abgedruckt. Es ist auch auf der Intemetseite der Metro zugänglich: http://www.metro.ru:8080/vr/mayakovskii.html [20.12.2000]. Majakovskij verfaßte eine zweite, für eine szenische Umsetzung gedachte Version unter dem Titel „CastuSki ο metropolitene" ftir die Zeitschrift Sinjaja bluza. 255 Dem'jan Bednyj [eigentlich Efim Aleksandroviö Pridvorov] (1883-1945) war seit dem Bürgerkrieg einer der erfolgreichsten sowjetischen Propagandadichter. 256 Bednyj, Dem'jan: Moskva 1933, S. 46-48.
Die Einbindung der Wissenschaftler und Kulturschaffenden Η Ha TpaMBaii TaKOH H a n o p , MTO - r^e nocamca, Tax Η cnop, ΒΟΠΗΤ KOHflyKTOp, - „Mecra HeTy". npHuuiocb ÄyMaTb MoccoBery, Ητο Β caMOM aejie, He nopa jib PbiTb noa 3eMJieio MarHCTpajib. Η BOT y>K Β rpyHTe ΜΗΓΚΟΜ, IUIOTHOM Ha KajiaHHeBKe Η Β OXOTHOM, Η Ha ITecKax y IloKpoBa CKPHIWT rwraHTbi öypoBa, X p H I M T MaiUHHbl 3eMJiepOHKH [...]
3aTo ipe3 roa, Koraa 3eMHoe Bbi pacnoipouiHTe HyTpo Η HanpaBJieHbe ocHoeHoe Προρβικβτ öbicrpoe Μβτρο, Korfla Harpaflbi Bac no npaey BicnioiaT Β repoHCKyro eauiy cjiaey Ha eecb C0103 a Bocnoio!
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Und auf die Straßenbahn ist ein solcher Ansturm, Daß bei jedem Einsteigen Streit entsteht, Der Schaffner schreit - „Kein Platz". Der Mossovet mußte nachdenken, Ob nicht in der Tat die Zeit gekommen sei, Unter der Erde eine Magistrale zu graben. Und jetzt knirschen schon im weichen, dichten Boden an der Kalanöevka und am Ochotnyj, Und auf den Sanden bei Pokrov Die riesigen Bohrer, Kreischen die Baggermaschinen. [...] Damit in einem Jahr, wenn ihr Die Eingeweide des Bodens ausnehmt Und die schnelle Metro Die Hauptstrecke durchschneidet, Wenn die Auszeichnungen euch mit Recht In unseren Heldenruhm einbeziehen Ich euch in der ganzen Union lobpreisen werde!
Im April 1934 schrieb Bednyj sein Poem „Daem!" [„Los!"], das den sozialistischen Aufbau und die heldenhafte, enthusiastische Arbeit verherrlichte. Ein Abschnitt dieses Poems beschreibt einen Subbotnik bei Metrostroj:257
[...]
[...]
Μέτρο κ yflOÖCTBaM ?KH3HH Hamen -
Die Metro ist für die Annehmlichkeiten unseres Lebens Der größte aller Schritte, Daher beeilen wir uns mit solcher Lust - Habt ihr unsere prachtvollen Jungen gesehen? Mit freiwilliger Arbeit Diesen Schritt zu beschleunigen. [-]
KpynHeniuHH mar H3 Bcex maroe, B O T noneMy c TaKofi OXOTOH - BwaaJiH HaniHX Mojioanar? Mbl aOÖpOBOUbHOK) paÖOTOH CneuiHM ycKopHTb 3τοτ mar. [...]
Die meisten Gedichte zur Metro - abgesehen von den in den Literaturzirkeln entstandenen - stammen aus der Feder dreier Dichter, die selbst 1934 als Arbeiter beim Bau der Metro, in der Redaktion „Geschichte der Metro" und als Instruktoren bei den Literaturzirkeln tätig waren:258 Aleksandr Bezymenskij, Stepan Sci-
257 Bednyj, Dem'jan: Daem! In: Ders.: Stichotvorenija i poemy 1965, S. 240. - Das Zitat ist nur ein kurzer Auszug aus dem Abschnitt über die Metro. Das Poem wurde erstmals am 14.4.1934 in der Pravda veröffentlicht. 258 Udarnik Metrostroja Nr. 133, 9.6.1934, S. 4. - Aus den Quellen geht nicht klar hervor, wer von den genannten Dichtem welche Tätigkeit ausübte.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
p a c e v und Vasilij L e b e d e v - K u m a c . 2 5 9 D i e s e drei Literaten verfaßten eine V i e l zahl v o n Gedichten, v o n d e n e n die m e i s t e n i m Udarnik
Metrostroja
abgedruckt
wurden. Es handelte sich dabei fast ausschließlich u m politische Gebrauchslyrik, d i e entweder d e n Metrobau oder die Metrobauer verherrlichte oder in einfacher Sprache, fur j e d e r m a n n verständlich, konkrete Ereignisse propagandistisch k o m mentierte. B e z y m e n s k i j schrieb a u c h den T e x t z u d e m „Lied der Sieger der M e tro", das v o n K. Korcmarev vertont und zur H y m n e der Metrobauer wurde. 2 6 0 V o m S c h a f f e n der drei Dichter s o l l e n e i n i g e K o s t p r o b e n einen Eindruck geben: 2 6 1 TeMribi yaapHbie. Bbiine 3HaMeHa! Η π φ ρ β noöeflbi acHa h npocTa: 4 . 0 0 0 KyöoMeipoB öeTOHa!
10.000 KyöoMeipoB rpyHTa! Haao, ητο6 β KaamoM ropena η nejia Cnjia, h t o aacT HaM β 6opb6e TopxcecTeo. CneT KyßoMerpoB - nepBeiimee aejio: Bojibuie nporpaMMH - aaBaft 6e3 npe^ena, MeHbiue - hh οληογο! AneKcanap Ee3biMeHCKHH
Stoßtempo. Höher die Fahnen! Die Ziffer des Sieges ist klar und einfach: 4.000 Kubikmeter Beton! 10.000 Kubikmeter Erde! In j e d e m muß die Kraft brennen und singen, Was uns im Kampf den Triumph bringt. Die Bilanz der Kubikmeter hat Vorrang: Mehr als das Programm mach ohne Begrenzung, Weniger - nicht einen [Kubikmeter]! Aleksandr Bezymenskij
Tbl noflüHcancH?
Hast du unterzeichnet?
H y m n e rnaxTbi, 3aK0HHHB 3aeM
Die besten Schächte, die die Anleihe beendet haben Schauen lachend auf die vorbei Watschelnden. Bald wird man auf diejenigen, die im Rückstand sind, Mit dem Finger zeigen. Schau, Genösse, dich am Hinterkopf kratzend: Zeigt man nicht auch auf dich?
Cmotp«t, cMeacb, Ha H^yiHHX c pa3BanbueM. Οκορο Ha τβχ, κτο ηλθτ 3a xboctom, By/iyT yKa3WBaTb naJibuetn. DisHb-Ka, TOBapHm, 3aTbijioK cKpeöa: A He yica3biBaioT jih Ha Te6a?
AjieKcaHflp Be3HMeHCKHH
Aleksandr Bezymenskij
259 Aleksandr Il'ic Bezymenskij (1898-1973) verfaßte überwiegend politische Gedichte und rivalisierte dabei mit Dem'jan Bednyj als anerkannter Dichter des sowjetischen Regimes. Vasilij IvanoviC Lebedev-Kumaö (1898-1949) arbeitete als Satiriker bei Zeitungen, wurde als Verfasser populärer Lieder bekannt. Von ihm stammt der Text zur inoffiziellen Hymne „Siroka strana moja rodnaja" [„Weit ist mein Heimatland"]. - Stepan Petrovic Scipacev (1899-1980) verfaßte überwiegend politische Lyrik. 260 Siehe die einleitenden Verse zum Abschnitt IV. 261 Udarnik Metrostroja Nr. 76, 2.4.1934, S. 1 (Bezymenskij: Stoßtempo), Nr. 90, 18.4.1934, S. 1 (Bezymenskij: Hast du unterzeichnet?). Scipaöev: Sobranie soöinenij 1976, Bd. 1, S. 52 (Die Metrobauer). - Als Beispiele der Lyrik Lebedev-Kumaös siehe den Vers am Beginn des Abschnitts III sowie das Gedicht „Wir haben gesiegt und werden siegen" im Kap. IV.4.C.
Die Einbindung der Wissenschaftler und Kulturschaffenden
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MeTpocTpoeeubi
Die Metrobauer
CjienHT rna3a. Py6axa jitHeT κ cnHHe. JIe6eÄHHK yjibiöaeTca eecHe. OH κρεπκο pyrcy Ha pbinar loia^eT Η no-Ka3axcKH neceHKy ποετ, ποβτ - Η neceHKa eMy jnoöa, OHa qyTb CJIWIIIHO ßpoflHT Ha ry6ax. Ποβτοι Β Heft Ο TOM, KAK npeame HCHJI. OH neceHKy, HaeepHO, caM CJIOHCHJI. OHa, KaK CTenb KaßaxcKas, npocTa: OHa Ο TOM, KaK OH Κ MamiiHe CTaJi Η KaK ManiHHa Β KOTJioeaHe TecHOM xeaTaeT 3eMJiio npHrouiHeß »ejie3H0H, ΚΒΚ öbercs ΤΟΚ ee Hcejie3Hbix HCHJI. .. OH neceHKy, HaeepHO, caM CJTOJKHJI.
Das Auge wird geblendet. Das Hemd schmiegt sich an den Rücken. Der Windenbediener lächelt dem Frühling zu. Er legt die Hand fest auf den Hebel und singt auf kasachisch ein Liedchen, er singt - und er mag das Lied, es huscht kaum hörbar über die Lippen. Es singt davon, wie er früher lebte. Er hat das Lied wahrscheinlich selbst gemacht. Es ist einfach wie die kasachische Steppe: Es handelt davon, wie er an die Maschine kam und wie die Maschine in der engen Baugrube die Erde mit dem eisernen Greifer packt, wie der Strom ihrer eisernen Adern schlägt... Er hat das Liedchen wahrscheinlich selbst gemacht. Sie bringen in Schubkarren grauen Schotter. Drei Mädchen verlassen die Distanz, eine von ihnen ist Beton-Brigadierin. Die hohe Welt sprudelt vor Frühling und Jugend. Im Bach beim Stein schwimmt ein Holzstück vorüber. Über der Stadt fliegt ein Flugzeug. Der Windenbediener blickt, die Augen zusammenkneifend, ins Blaue. Die drei Mädchen lachen da vorne... Alle vier sind die Straße entlang gegangen die Herren des Himmels und der Erde.
B e 3 y r Ha T a i K a x c e p y i o m e ö e H K y . C flHCTaHUHH BblXOflHT ΤφΗ ΛβΒΗΟΗΚΗ, OflHa H3 HHX ÖeTOHIIIHK-ÖpHraÄHp. BeCHOH Η lOHOCTblO BbICOKHH δρΟΛΗΤ MHp. Β p y n b e y KaMHS
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H a a r o p o a o M jieraT aaporuiaH.
JleÖeflHHK Β CHHb, npHiuypHBUiHCb, TJWÄHT.
CMeioTca τρκ ACBHOHKH enepe/iH... Bee neTBepo no yjinue npouiJiH xo3aeea η Heöa η 3eMJiH. OrenaH mnnaneB
Stepan Söipaiev
Beim Schacht 12 arbeitete der Poet und Komsomolze Evgenij Dolmatovskij. 262 Er schrieb neben einer Reihe von Gedichten das „Lied des Schachtes 12",263 das sich schnell über die Baustellen verbreitete, sowie ein großes Poem mit dem Titel „Dobrovol'cy" [„Die Freiwilligen"], das den Komsomolzen der Metro gewidmet war und viele Episoden verarbeitete, die sich beim Bau der Metro und später im Krieg und in der Nachkriegszeit ereigneten. 264 Das Poem wurde 1958 unter der
262 Taranov 1976, S. 297. - Evgenij Aronoviö Dolmatovskij (1915-) wurde mit kommunistisch-patriotischer Lyrik bekannt. 263 Siehe den Vers am Beginn des Abschnitts VI. 264 Dolmatovskij: Bylo 1975, S. 308-309.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
Leitung des Regisseurs Jurij Egorov verfilmt. Für den Film schrieb Dolmatovskij ein neues Lied, das der Komponist Mark Fradkin vertonte: 265 K0MC0M0JIbIiW-a06p0B0JII>Ubl! M u CHJibHBi Hauiefi BepHoio ÄpyacöoH. ClCB03b ΟΓΟΗΒ Mbl ΠρΟΗΛβΜ, eCJIH
Komsomolzen-Freiwillige! Wir sind stark durch unsere wahre Freundschaft. Wir gehen, wenn es sein muß, durchs Feuer
HyacHO OTKpbmaTb Mojioflbie nyra. KOMCOMOnbUH-flOÖpOBOJIbUbl! Ha/io BepHTb, jnoÖHTb 6e33aBeTHo, Bunerb cojmue nopoft npepacceeTHOH, -
TojibKo TaK MOMCHO cnacTbe HaÜTH.
Um junge Wege zu eröffnen. Komsomolzen-Freiwillige! Man muß glauben, selbstlos lieben, Die Sonne in der Zeit vor dem Morgengrauen sehen, Nur so kann man das Glück finden.
1934/35 entstanden auch zwei Theaterstücke über den Bau der Metro. Das eine, „Sachtery Moskvy" [„Die Bergarbeiter Moskaus"] stammte von dem Arbeiter Gusev, der bei der 1. Distanz beschäftigt war. Gusev stellte darin die Arbeit der Jugend auf dem Bau dar. Der Literaturzirkel, der das Stück im Februar 1935 diskutierte, riet dem Autor zu einer grundlegenden Überarbeitung. Das zweite Theaterstück, „Zit' chocetsja" [„Man möchte leben"] schrieb die Schriftstellerin R. Begak. Sie wollte darin am Beispiel einer Brigade den Heroismus und die Aufopferung der Metrobauer sowie ihr kulturelles und politisches „Wachstum" zeigen, nahm jedoch das Stück auf Anraten von Kollegen ebenfalls zur Überarbeitung zurück. 266 Der in Moskau lebende ungarische Schriftsteller Bela Illes, der in das Projekt „Geschichte der Metro" eingebunden war, verfaßte zwei Romane über den Metrobau: „Brand in der Metro" (in deutscher Sprache) und „Vse dorogi vedut ν Moskvu" [„Alle Wege fuhren nach Moskau"]. Letzterer wurde 1937 in der Zeitschrift Literaturnoe obozrenie heftig kritisiert.267 Schon erwähnt wurde der unter der Regie von L.I. Stepanova gedrehte Tonfilm „Est' metro", 268 der den Bau der Untergrundbahn dokumentierte und in den Wochen vor der Eröffnung in den Kinos lief. 1976 entstand noch der Film „Reputacija", der ebenfalls den Bau der Metro zum Thema hat.269 Zur Inbetriebnahme der Metro schrieb Bertolt Brecht ein großes Gedicht, das hier trotz seiner Länge im vollen Wortlaut wiedergegeben sei, weil es sich dabei um das einzige deutschsprachige literarische Erzeugnis handelt, das dem Bau der
265 Ebd., S. 370. 266 Udarnik Metrostroja Nr. 53, 6.3.1935, S. 4. 267 Illes: Brand in der Metro 1935. - Für den anderen Roman vgl. Septaev, K.: Rezinovyj zvon. - In: Literaturnoe obozrenie (1937), Nr. 18, S. 42ff. Zitiert nach Aris 1998, S. 4. 268 Vgl. Kap. VII.2.C.
269 15 maja 50 let 1985, S. 48.
Die Einbindung der Wissenschaftler und Kulturschaffenden
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Metro gewidmet ist, und zudem die Sichtweise der offiziellen Propaganda bildlich zusammenfaßt: 2 7 0 Inbesitznahme der Großen Metro durch die Moskauer Arbeiterschaft Wir hörten: 80.000 Haben die Metro gebaut, viele noch nach der täglichen Arbeit Oft die Nächte durch. Während dieses Jahres Hatte man immer junge Männer und Mädchen Lachend aus den Stollen klettern sehen, ihre Arbeitsanzüge Die lehmigen, schweißdurchnäßten, stolz vorweisend. Unterirdische Flüsse, den Druck der Hochhäuser Gingen sie an. Gegen breiige Erdmassen Schoben sie eiserne Rohre vor, machten die Erde gefrieren Oder verglasten sie gar. Auch bei der Ausschmückung Sparten sie keine Mühe. Der beste Marmor Wurde weit hergeschafft, edelstes Holz Sorgfaltig bearbeitet. Nach Jahresfrist Liefen die schönen Wagen beinahe lautlos Durch taghelle Stollen: für strenge Besteller Das Allerbeste. Als nun die Bahn gebaut war nach den vollkommensten Mustern Und die Besitzer kamen, sie zu besichtigen und Auf ihr zu fahren, da waren es Diejenigen Die sie gebaut hatten. Tausende waren das, die da herumgingen Die riesigen Hallen besichtigend. Und in den Zügen Fuhren große Massen vorbei, die Gesichter - Männer, Frauen und Kinder, auch Greise Den Stationen zugewandt, strahlend wie im Theater, denn die Stationen Waren verschieden gebaut, aus verschiedenen Steinen In verschiedener Bauart, auch das Licht Kam aus immer anderer Quelle. An jeder Station Wurden die Kinder hochgehoben. Möglichst oft Stürmten die Fahrenden hinaus und betrachteten Mit fröhlicher Strenge das Geschaffene. Sie befühlten die Pfeiler Und begutachteten ihre Glätte. Mit den Schuhen Fuhren sie über die Steinböden, ob die Steine Auch gut eingefugt seien. Zurückströmend in die Wagen Prüften sie die Bespannung der Wände und griffen An das Glas. Immerfort Wiesen Männer und Frauen - unsicher, ob es die richtigen waren Aufstellen, wo sie gearbeitet hatten: das Gesims
270 Deutsche Zentralzeitung, 16.5.1935, S. 2.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft Trug die Spuren ihrer Hände. Jedes War gut sichtbar, denn es gab viel Licht Viele Lampen, mehr als in irgend einer Bahn, die ich j e gesehen habe. Auch die Stollen waren beleuchtet, kein Meter Arbeit War unbeleuchtet. Und alles dies War in einem einzigen Jahr gebaut worden und von so vielen Bauleuten Wie keine andere Bahn der Welt. Und keine Andere Bahn der Welt hatte j a so viele Besitzer. Denn es sah der wunderbare Bau Was keiner seiner Vorgänger in vielen Städten vieler Zeiten Jemals gesehen hatte: als Bauherren die Bauleute! W o wäre dies j e vorgekommen, daß die Frucht der Arbeit Denen zufiel, die da gearbeitet hatten? Wo jemals Wurden die nicht vertrieben aus dem Bau Die ihn errichtet hatten? Als wir sie fahren sahen in ihren Wagen Den Werken ihrer Hände, wußten wir: Dies ist das große Bild, das die Klassiker einstmals Erschüttert voraussahen.
D i e E r ö f f n u n g der M e t r o fand sogar in der Kinderliteratur ihren Niederschlag: Im M a i 1 9 3 5 gab der Staatliche Kinderbuchverlag ein B ü c h l e i n mit Gedichten v o n E. Tarachovskaja heraus, die d e n Kindern das n e u e Verkehrsmittel näherbrachten. 2 7 1 D i e populären Satiriker I.A. I l ' f und E.P. Petrov 2 7 2 publizierten ebenfalls kurz n a c h der Eröffnung ein Feuilleton mit d e m Titel „M". Darin wird die Metro als eine besondere, vorbildliche W e l t geschildert, die sogar das Verhalten der M e n schen veränderte: A l l e seien höflich miteinander und würden sich überaus kultiviert benehmen, u m würdige Passagiere der w e i t b e s t e n Untergrundbahn z u sein. 2 7 3 D e r B a u der M o s k a u e r Untergrundbahn wirkte auch in e i n i g e n späteren literarischen Werken fort. D e r tschechische Schriftsteller Julius Fucik, der in den dreißiger Jahren M o s k a u e r Korrespondent der Prager Zeitung Rude
Pravo
war und
271 Udarnik Metrostroja Nr. 104, 9.5.1935, S. 4. - Gedichte von E. Tarachovskaja waren auch im Udarnik Metrostroja erschienen, zum Beispiel das Gedicht JlecTHHixa-qyaecHHiia: HaM uiaraTS no jieCTHiiue / IfeaneM c τοδοή, / JlecTHHiia-Hy/iecHima / E O K H T caMa coöoii. // TojibKO TpoHy najibueM / Hia/iKwe nepHJia, / JlecTHHua cnycKaeica / TaK Η noKaTHJia! [Die Wundertreppe: Wir brauchen auf der Treppe / keine Schritte zu machen, / die Wundertreppe / läuft von selbst. // Du brauchst nur mit dem Finger / den glatten Handlauf zu berühren, / und die Treppe fahrt hinunter oder hinauf.] (Udarnik Metrostroja Nr. 197, 24.8.1934, S. 4). 272 II'ja Il'f [eigentlich Il'ja Arnol'dovic Fajnzil'berg] (1897-1937) und Evgenij Petroviö Petrov [eigentlich E.P. Kataev] (1903-1942) verfaßten zwischen 1927 und 1937 gemeinsam eine Reihe satirischer Werke, von denen der Schelmenroman „Dvenadcat' stul'ev" [„Zwölf Stühle"] am erfolgreichsten wurde. 273 Il'f, Il'ja Arnol'dovic und Evgenij Petrov: „M". In: Sobranie socinenij 1961, Bd. 3, S. 354-357.
Die Wirkung im In- und Ausland
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mehrere Male die Metrobaustellen besuchte, 274 verfaßte später eine literarische Erzählung über die erste Baufolge. Held der Geschichte ist eine reale Person, nämlich der Brigadier Vazych Zamaldinov. 275 Der russische Schriftsteller Sergej Petrovic Antonov, bekannt durch seine „Dorfprosa", schrieb in den siebziger Jahren einen Roman mit dem Titel „Vas'ka", der 1975 in der Zeitschrift Druzba narodov erscheinen sollte, aber „aus Gründen, die weder vom Autor noch von der Redaktion abhingen" während der Drucklegung zurückgestellt wurde und erst 1987 in der Zeitschrift Junost' erscheinen durfte. 276 Der Roman handelt von einer aus der Verbannung geflüchteten Kulakentochter, die 1934 bei Metrostroj untertaucht und nach ihrer Entlarvung wieder nach Sibirien geschickt wird. Als Hauptquelle für seine sehr realistische und kritische Schilderung benutzte Antonov die beiden 1935 publizierten Sammelbände der Redaktion „Geschichte der Metro". Lediglich am Rande kommt der Metrobau in Anatolij Rybakovs Roman „Tridcat' pjatyj i drugie gody" [„Das Jahr 35 und andere Jahre"] 277 zur Sprache: Rybakov beschreibt den Auftritt Stalins bei der Festsitzung zur Eröffnung der Metro und hält sich dabei streng an das stenographische Protokoll, das er praktisch im Wortlaut wiedergibt. 278
5. D i e W i r k u n g im In- und A u s l a n d a) Ausländische Stimmen Die fertiggestellte Untergrundbahn wurde vom Regime nicht nur im Inland, sondern auch zur Selbstdarstellung gegenüber dem Ausland propagandistisch verwertet. Die Sowjetunion hatte bewiesen, daß sie in der Lage war, im wesentlichen mit eigenen Fachleuten und eigenen Mitteln komplexe technische Probleme zu lösen und dabei über das Kopieren westlicher Technik hinauszugehen. Damit hatte sie so manche Fachleute im Ausland überrascht, die mit einem Scheitern des Bauvorhabens gerechnet oder zumindest nicht erwartet hatten, daß die Moskauer Metro in ihrer fertigen Gestalt jene der hochindustrialisierten westlichen Länder
274 Dolmatovskij 1975, S. 369. - Julius Fucik (1903-1943 [hingerichtet in Berlin-Plötzensee]) wurde mit seinen Arbeiten wegweisend für die kommunistische Literaturwissenschaft. 275 Fucik 1967, S. 60-61. 276 Antonov 1990, S. 256-258, 269. 277 Rybakov, Anatolij [eigentlich Anatolij Naumovii Aronov] (1911-1998): Tridcat' pjatyj i drugie gody 1988. - Der Roman, auf deutsch unter dem Titel „Jahre des Terrors" (München 1990) publiziert, ist die Fortsetzung von „Deti Arbata" [„Die Kinder vom Arbat"]. 278 Rybakow: Jahre des Terrors 1990, S. 78-82.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
in den Schatten stellen würde. 279 Die Metro eignete sich daher hervorragend als Schaufenster, mit dem sich die Sowjets gegenüber dem Westen Respekt verschaffen konnten. 1932 und 1933, als die Bauarbeiten nur schleppend vorangingen und die Probleme überwogen, waren selbst ausländische Kommunisten skeptisch gewesen, ob das Bauvorhaben gelingen werde. Ein Arbeiter berichtete später, was ihm gegenüber ausländische Gäste damals geäußert hätten: „Am 1. Mai 1933 ging ich mit Bekannten aus Deutschland, Elsaß-Lothringen und Ungarn am Ochotnyj ijad spazieren. Dort war ein Plakat ,Die beste Metro der Welt'. Einer der Bekannten fragte mich, was dort stehe, ich sagte es ihm, und er meinte darauf: ,Und das glaubt ihr?' Ich sage: ,Das ist eine Tatsache.' Er sagt: ,Das ist eine Karikatur.' - ,Warum?' - ,Weil Moskau so eine Müllkippe ist'. Er ist Arbeiter, kam hierher, um sich unser Leben anzusehen. Und ich sagte: ,Du Lump, warum kommst du her, um unseren Fünfjahresplan anzusehen, und redest so.' - Zu den Oktoberfeiern kamen Ausländer. Einer kaufte sich im Geschäft Zigaretten, rauchte eine an und sagte: ,Genau wie Eure Metro.' Ich sage: ,Und, wie?' Er: .Scheiße.' [...] Und diesem ausländischen Lumpen, der so über unsere Metro spricht, muß man sagen, daß sie trotzdem die beste der Welt wird."280 1934 war bereits so mancher ausländische Besucher vom Arbeitstempo und der Art und Weise, wie die Komsomolzen sich einsetzten, beeindruckt. Ernst Ottwalt berichtete 1934 in der Weltbühne aus seinem Moskauer Exil: „Daß die Grundstimmung des Sowjetbürgers fast von Tag zu Tag freudiger wird, hat Louis Fischer kürzlich an dieser Stelle berichtet. Ich kann für dieses stolze Kraftgefühl und für diese Siegessicherheit ein kleines und bezeichnendes Erlebnis anführen. Da ist die ,Metro', der Bau der Moskauer Untergrundbahn, die Ende des Jahres in einer Länge von zwölf Kilometern fertiggestellt sein soll. Jeder Moskauer Bürger spricht von der ,Metro', als handle es sich um seine höchstpersönliche Angelegenheit. Je nach den Nachrichten, die aus den teilweise vierzig Meter tiefen Schächten über die Planerfüllung ans Tageslicht dringen, ist seine Miene besorgt oder zufrieden. Ich stehe an einer Baugrabe der Untergrundbahn und beobachte eine Schar junger Arbeiter, die einen riesigen eisernen Träger an Stricken aus dem Schacht ziehen. Ihre Muskeln sind gespannt, der Schweiß läuft ihnen die Backen hinab. Aber sie brüllen förmlich vor Vergnügen. Augenscheinlich deswegen, weil sie den Träger wirklich bewegen können, weil er schließlich doch auf dem Straßenpflaster liegt."281
279 Die britischen und französischen Ingenieure, die 1932 das technische Projekt begutachtet hatten, zeigten sich im Mai 1935 erstaunt über das Ergebnis. (Nicht identifizierter Zeitungsausschnitt, o.D. [Mai 1935], GARF R-7952/7/485, Bl. 7.) 280 Caissongruppe. Sten. produktionstechnische Konferenz über die Qualität und die Verdichtung des Arbeitstages, 25.-26.5.1934. Wortmeldung des Arbeiters Nikli. CMAM 665/1/156, Bl. 70-71. 281 Ottwalt 1934, S. 1382.
Die Wirkung im In- und Ausland
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Als die Untergrundbahn zu Beginn des Jahres 1935 fertiggestellt war und der Öffentlichkeit präsentiert wurde, feierten ausländische Kommunisten und Sympathisanten der Sowjetunion das Bauwerk als Errungenschaft der Arbeiterklasse. „Die Fertigstellung der Moskauer Metro ist ein neuer Schritt zum Aufbau des Sozialismus, so wie der Bau der Pariser Metro - das fühlen wir sehr gut am eigenen Rücken - nur ein neuer Schritt in der Kette der kapitalistischen Ausbeutung des Proletariats war", schrieb eine Gruppe von Arbeitern der Pariser Metro anläßlich der Eröffnung der Moskauer Untergrundbahn. Sie hätten den Bau, ungeachtet der höhnischen Kommentare bürgerlicher und faschistischer Zeitungen, seit seinem Beginn mit „Stolz und Enthusiasmus" verfolgt. 282 Ähnlich äußerten sich kommunistische Arbeiter der Londoner Metro. 283 Von einem „Feiertag der Vernunft und der Schönheit" schrieb Wieland Herzfelde über die Besichtigungsfahrten vor der Eröffnung: „In allen Hauptstädten der Welt fahren vor Arbeitsbeginn und nach Arbeitsschluß überfüllte Züge. Aber niemals trugen Züge eine Fracht wie diese: Gesicht an Gesicht, die strahlenden Blicke gleichgerichtet, festtäglich froh, in Erwartung der einzelnen Stationen, von denen nicht eine der anderen gleicht, stehen die Menschen eng nebeneinander wie auf riesigen Gruppenbildern. Hier ist die drückende Enge nicht Qual, sie wird zum Erlebnis der Einheit, der Geborgenheit, der Unerschütterlichkeit und Unbesiegbarkeit. Berlin hat in den Jahren nach dem Krieg verschiedene Untergrundbahnstrecken ,dem Verkehr übergeben'. Wer hatte daran seine Freude? Man erfuhr von Schiebungen, Bestechungen, falschen Voranschlägen, Bevorzugung der .vornehmen' Gegenden. Freude hatten die Unternehmer, Lieferanten und Provisionsempfanger. Aber nicht die Arbeiter. Wenn das ganze Leben einen nicht freut, dann auch keine U-Bahn. Als auf ,ihr Werk' durften sie bestenfalls auf ihre Schrebergärten blicken, eine Bretterbude mit ein paar Beeten. Und wenn sie arbeitslos wurden, verloren sie selbst das noch ,.."284 Keine andere Untergrundbahn sei so schön und so praktisch. Die Pariser Metro sei düster und voller Gestank, die Untergrundbahnen in London und Berlin seien so laut, daß man sich nicht unterhalten könne. „Schon im Ausland hörte ich Debatten über den Stil der einzelnen Metro-Bahnhöfe. Die Fanatiker der ,reinen' Sachlichkeit sind keineswegs begeistert. Das ist begreiflich. Sie leben in Ländern, wo außer den Rüstungsindustrien niemand mehr Anlaß zum Bauen hat. Die Bourgeoisie weiß oder ahnt zumindest, daß sie abtreten wird. Um Schönheit zu schaffen, braucht man Elan und Liebe zum Leben künftiger Generationen. Mögen Bankrotteure durch kahle Wände demonstrieren, daß sie das Erbe der
282 Brief einer Gruppe von Arbeitern der Pariser Metro anläßlich der Eröffnung der Moskauer Metro, o.D. [Mai 1935], Metro Sbornik 1935, S. 106-108. 283 Brief einer Gruppe von Arbeitern der Londoner Untergrundbahn, zugesandt von der Redaktion des Daily Worker, o.D. [Mai 1935], In: Metro Sbornik 1935, S. 111-115. 284 Herzfelde 1935.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
Vergangenheit zu erwerben nicht mehr imstande sind und ihren Kindern nichts zu hinterlassen haben. Ihr Stil ist blasierter Verzicht. Die Erbauer des Sozialismus, das siegreiche Proletariat dagegen, haben eine Welt gewonnen. Es ist jung, es ist stark, es will Bauten, die seinen Siegerstolz und seine Zeugungslust künden. In den Hallen seiner Metro wird das neue Moskau am deutlichsten sichtbar: eine Stadt, wo der Mensch arbeitet, um sinnvoll und froh zu leben - nicht lebt, um für Ausbeuter zu arbeiten."285 Nicht nur Kommunisten äußerten 1935 ihre Anerkennung über das Bauwerk und die dahintersteckenden Leistungen. Die sowjetischen Zeitungen berichteten mit Genugtuung über lobende Kommentare ausländischer Diplomaten, die zu Besichtigungsfahrten eingeladen worden waren.286 Der amerikanische Generalkonsul D. Henson, selbst ein Ingenieur, drückte in einem Brief seine Begeisterung aus: Die Geschwindigkeit, mit der die schwierige Arbeit bewältigt worden sei, und der Enthusiasmus der Beteiligten hätten ihn überrascht.287 Ahnliches schrieb der Vertreter der amerikanisch-russischen Handelsgesellschaft, Spencer Williams. 288 Selbst der Militärattache an der Deutschen Botschaft in Moskau, General Ernst Köstring verhehlte seine Anerkennung nicht: „Die Untergrundbahn in Moskau ist mit ihren vielen wunderschönen Bahnhöfen durch reichliche Verwendung verschiedenfarbigen Marmors gewiß die schönste und luxuriöseste der Welt; sie wird mit berechtigtem Stolz den Fremden gezeigt. Entgegen anderslautenden Berichten funktioniert sie auch recht gut."289 Der französische Außenminister Pierre Laval, der bei seinem Moskaubesuch im Mai 1935 die Station „Ochotnyj ijad" besichtigte, lobte die Metro ebenso 290 wie Antoine de Saint-Exupery, der sich im April und Mai 1935 als Korrespondent von Paris-Soir in Moskau aufhielt, für die Zeitung eine Reportageserie über die Sowjetunion verfaßte291 und der Leitung von Metrostroj einen Kommentar schickte: „Mir scheint, daß ein Volk, das bei einem solchen Bauwerk, wie der Metro, dem Prunk und dem Licht so viel Bedeutung beimißt und auf solche Weise ein nicht nur nützliches, sondern auch angenehmes Bauwerk schafft, schon das wichtigste gebaut hat und seiner Zukunft gewiß ist."292
285 Ebd. 286 Rabocaja Moskva Nr. 101,4.5.1935, S. 4. Udarnik Metrostroja Nr. 97, 28.4.1935, S. 1. 287 Brief des amerikanischen Generalkonsuls in Moskau, D. Henson, o.D. [Frühjahr 1935]. GARF R-7952/7/485, Bl. 1. 288 Brief des Vertreters der amerikanisch-russischen Handelsgesellschaft, Spencer Williams, o.D. [Frühjahr 1935], Ebd., Bl. 2. 289 Köstring 1966, S. 109. 290 Komsomol 'skaja Pravda Nr. 109, 14.5.1935, S. 1. 291 Saint-Exupery, Antoine de: URSS 1935. - In: Paris-Soir, 16.5., 22.5., 29.5.1935. Die Reportagen sind in deutscher Übersetzung abgedruckt in Ders.: Dem Leben einen Sinn geben 1990. 292 Zitiert in Fedorova 1981, S. 103.
Die Wirkung im In- und Ausland
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Negative Urteile waren auch im Ausland die Ausnahme. Ein französischer Reisebericht aus dem Jahre 1936 widmete der Moskauer Untergrundbahn ein Kapitel, das (auf deutsch) mit „Metro über alles" überschrieben war und die Metro als „absurden Luxus" bezeichnete. Es sei kein Überholen des Westens, wenn man unnötig luxuriöse Stationen mit überdimensionierten Rolltreppen baue, die Technik jedoch nur aus dem Ausland kopiere.293
b) Die Metro als Vorgeschmack auf die neue Welt des Sozialismus Die Untergrundbahn erfüllte nicht nur gegenüber dem Ausland die Funktion eines Schaukastens, sondern auch gegenüber der eigenen Bevölkerung, indem sie ihr in einer Art Mikrokosmos vor Augen führte, wie dereinst das Leben im Sozialismus aussehen könne: Sobald man den Mikrokosmos durch die Vestibüle betrat, befand man sich in einer Welt, in der alles schön, hell, sauber, effektiv, wohlgeordnet und auf dem neuesten Stand der Technik war und selbst die Menschen anders, nämlich freundlicher und froher miteinander umgingen. „Unterirdisches Paradies" nannte Stalins Schwägerin Marija Anisimovna Svanidze in ihrem Tagebuch die Metro.294 Ein unterirdisches Bauwerk wie die Untergrundbahn eignete sich besonders für die exemplarische Verkörperung der sozialistischen Utopie, weil sie von der übrigen Welt in räumlicher Hinsicht deutlich getrennt war.295 Dadurch, daß sich der Passagier unter der Erde befand und von allen anderen Sinneseindrücken abgeschnitten war, konnten ihm die hellen und schönen Metrostationen die Illusion einer völlig anderen Welt vermitteln, die mit der oft genug häßlichen Realität an der Oberfläche nichts mehr zu tun hatte.296 Die Fahrt mit der Metro wurde zur Zeitreise in die bevorstehende Epoche des Sozialismus. Es wurde in diesem Zusammenhang vom „U-Topos" der Untergrundbahn geschrieben: „Der Topos der U-Bahn ist auf jeden Fall ein U-Topos. [...] Der Lebensraum unter der Erde muß erst erschlossen, geschaffen werden. In diesem Raum kann es nichts Vererbtes, Traditionelles, Selbstverständliches, Undurchdachtes geben. Man ist in diesem Raum völlig abhängig von dem Willen derer, die ihn geschaffen haben. Das gibt dem U-Bahn-Planer die Chance, das ganze Leben eines Menschen zu gestalten, sobald dieser die U-Bahn betritt. Besonders wichtig ist, daß die Eingänge und Ausgänge, die den unterirdischen Raum der U-Bahn mit dem gewöhnlichen menschlichen Lebensraum verbinden, leicht kontrollierbar sind: Es gibt keine andere Möglichkeit, in die U-Bahn zu gelangen, als durch diese vorbestimmten Übergänge. Ein normaler Stadtbewohner
293 Mohis 1936, S. 124-126. 294 Tagebuch von M.A. Svanidze, Eintrag vom 29.4.1935. In: Iosif Stalin ν ob"jatijach sem'i 1993, S. 175. 295 Vgl. Groys 1995, S. 156. 296 Vgl. Wolf 1994, S. 335.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
kann sich gar nicht vorstellen, wie die Tunnels der U-Bahn unter der Erdoberfläche verlaufen. Der U-Topos der U-Bahn bleibt für ihn verborgen; der Weg zur Utopie kann jederzeit abgeschnitten werden [...]. [...] Ein Bewohner der westlichen Großstädte erfährt die U-Bahn natürlich nicht als utopischen Raum, sondern lediglich als technische Bequemlichkeit. Die Moskauer Metro der Stalinzeit funktionierte völlig anders - und Spuren dieser ihrer anderen, utopischen Funktion sind noch heute in ihr zu finden. Die Moskauer Metro der Stalinzeit war in erster Linie nicht ein normales Transportmittel, sondern der Entwurf einer wahren Stadt der kommunistischen Zukunft. Die überschwengliche, palastartige künstlerische Ausstattung der Metrostationen aus der Stalinzeit kann gar nicht anders erklärt werden als durch ihre eigentümliche Funktion, zwischen dem Reich des Himmels und dem unterirdischen Reich zu vermitteln. Keine anderen Bauten aus der Zeit sehen so prächtig aus wie diese Metrostationen. In ihnen hat die Stalinepoche ihren konsequentesten Ausdruck gefunden."297 Die Untergrundbahn war jedoch nicht bloß das Abbild einer fernen Utopie, sondern auch eine reale Kostprobe, die die baldige Verwirklichung der besseren Welt ankündigte. Kaganovic sprach diesen Aspekt in seiner Rede am 14.5.1935 an: „Es ist kein Zufall, daß nicht nur die Moskauer, sondern die Menschen im ganzen Land die Metro lieben. Die Delegierten des Sowjetkongresses und des Kolchoskongresses, die mit der Metro fuhren, sahen darin die Verkörperung ihrer nächsten Zukunft. Sie sind nicht neidisch, daß in Moskau so ein Bauwerk errichtet wurde, sondern sagten: Wenn unsere Arbeiter- und Bauernregierung ein solches Bauwerk unter der Erde errichten konnte, dann kann sie auch uns, in anderen Städten und im Kolchosdorf, zu richtigem Wohlstand und kultiviertem Leben führen. (Stürmischer Applaus). Der Bauer, der Arbeiter, sie können in der Untergrundbahn, in diesen Feuern, in diesen Marmorsäulen nicht nur Marmor sehen, nicht nur ein wunderbares technisches Bauwerk. Sie sehen in der Metro die Verkörperung ihrer Kraft, ihrer Macht. Früher benutzten nur Gutsbesitzer und Reiche Marmor, - für uns, Arbeiter und Bauern, sind das unsere Marmorsäulen, unsere eigenen, sowjetischen, sozialistischen! (Applaus, HurraRufe)."298 Zu der Welt für sich, die die Untergrundbahn verkörperte, gehörte ein hohes Maß an Präzision und Perfektion, die bis zum Ende der Sowjetunion im krassen Gegensatz zu der Realität des Alltags an der Oberfläche stand. Nicht nur die Überprüfung der technischen Anlagen durch die Regierungskommission fur die Abnahme der Metro, sondern auch die Vorbereitung auf die Inbetriebnahme erfolgte äußerst gewissenhaft: Drei Tage vor der Eröffnung beriefen das Moskauer Parteikomitee und das Verkehrskommissariat eine Versammlung der Metrobediensteten ein, um eine
297 Groys 1995, S. 159-160. 298 Kaganovic: Pobeda 1935, S. 8.
Die Wirkung im In- und Ausland
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reibungslose Inbetriebnahme zu gewährleisten. Man hatte das Personal sorgfaltig ausgewählt und monatelang ausgebildet. Trotzdem waren in der Vorbereitungsphase Fälle von Disziplinlosigkeit und Trunkenheit im Dienst aufgetreten. Der Direktor der Metro und der Leiter der politischen Abteilung kündigten an, jeden zu entlassen, der sich als nicht würdig erweise: „Man hat uns eine wichtige und großartige Sache anvertraut, und wir müssen um jeden Preis dieses Vertrauen rechtfertigen".299 Ingenieur Katcen, der stellvertretende Direktor, forderte, die Metro müsse sich in der Art und Weise, wie sie die Bevölkerung bediene, deutlich von den anderen Verkehrsmitteln abheben.300 Die Versammlung beschloß, „erbarmungslos jeden, der es wagt, in unsere Reihen Liederlichkeit, Nachlässigkeit und Verantwortungslosigkeit zu tragen, aus unseren Reihen zu verjagen, ihn mit Schande und allgemeiner Verachtung zu bedecken".301 Am 14.5.1935 fuhr die Metro - ohne Passagiere - den ganzen Tag lang genau nach Fahrplan und unter Beachtung aller Regeln. Am Eröffnungstag um 5 Uhr morgens versammelte sich das gesamte Zugpersonal im Depot noch einmal zu einem „Meeting". 360 Komsomolzen, ehemalige Metrobauer, machten in den Stationen Dienst, regelten das Ein- und Aussteigen und gaben Erklärungen. Man legte Wert darauf, daß sie alle in tadellosen Uniformen und ordentlich frisiert zum Dienst erschienen. Einer von ihnen wurde nach Hause geschickt, weil er nicht sauber genug rasiert war.302 Die Zeitungsberichte über die ersten Betriebstage hoben die Andersartigkeit und Beispielhaftigkeit des neuen Verkehrsmittels hervor und suggerierten dem Leser, daß das sozialistische Zeitalter nun - zumindest im Mikrokosmos „Metro" - begonnen habe. „Hier zeigen sich schon solche Ordnung und kristallisieren sich solche Verhaltensnormen heraus, die völlig frei sind von groben Sitten, die in unserem oberirdischen Leben noch lange nicht abgelegt sind", kommentierten zwei Redakteure von Rabocaja Moskva ihre Beobachtungen.303 Auf einer Karikatur konnte man sehen, wie sich die Leute vor dem Betreten des Vestibüls kämmten, die Schuhe und Anzüge putzten und die Frauen einen Blick in den Taschenspiegel warfen.304 „Hier rauchst du dir keine an, hier spuckst du nicht aus", zitierte die Komsomol'skaja Pravda einen Passagier.305 Die Moskauer kämen in die Stationen wie zu einer Vorlesung über Hygiene, niemand rempele den anderen beim Einsteigen an, schrieb der Poet Semen Kirsanov in einem Gedicht.306 In den ersten Betriebstagen habe es kaum Fälle von Verletzungen der Betriebsordnung gegeben, berichtete Rabocaja Moskva: Die Passagiere verhielten
299 300 301 302 303 304 305 306
Sten. Versammlung von Metrobediensteten, 11.5.1935. CAODM 4/5/75, Bl. 5, 9. Ebd.,Bl. 27. Ebd., Bl. 48. Komsomol'skaja Pravda Nr. 110, 15.5.1935, S. 4. Rabocaja Moskva Nr. 113, 18.5.1935, S. 1. Udarnik Metrostroja Nr. 97, 28.4.1935, S. 3. Komsomol'skaja Pravda Nr. 111, 16.5.1935, S. 1. Kirsanov, Semen: „M". In: Metro Sbomik 1935, S. 197-199.
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Der Metrobau als Symbol des Aufbruchs in eine bessere Zukunft
sich diszipliniert und höflich, und auch der Umgang zwischen dem Dienstpersonal und den Fahrgästen sei ein völlig anderer als bei der Eisen- oder der Straßenbahn. Dort werde der Passagier immer noch durch Verbotsschilder auf schmutzigen Türen erschreckt; das Vokabular und der Ton der Bediensteten sei herrisch und unfreundlich. Bei den oberirdischen Verkehrsmitteln habe man Lust, sich zu beschweren und auf den Boden zu spucken. - In der Untergrundbahn werde der Passagier vom Personal freundlich behandelt, erhalte erschöpfende Auskünfte und sogar technische Erklärungen. Die Kontrolleure würden sorgsam kleinen Kindern auf die Rolltreppe helfen, und im Fundbüro werde alles ordentlich aufbewahrt.307 „Im Vestibül, in der Station, im Waggon überzeugt sich der Passagier davon, daß jedes Detail dieses großartigen Bauwerks von der sozialistischen Sorge um den Menschen durchdrungen ist. Und das Gesicht des Passagiers strahlt lächelnd, wenn er von einem Ende zum anderen über die Trasse fahrt und wieder an die Oberfläche kommt."308
Der einzige Zwischenfall ereignete sich in der Station „Krasnye vorota", wo ein Diensthabender von einem Passagier geschlagen wurde. Diese Tat sei jedoch etwas derart Unerhörtes gewesen, daß bald ganz Moskau davon gesprochen habe, schrieb die Zeitung: „Jeder von uns fühlte sich durch diesen Schlag selbst getroffen - so barbarisch und unvereinbar mit dem ganzen Stil der Metro, welche die hohe sozialistische Kultur und die Verhaltensnormen des neuen Menschen kennzeichnet, war diese Hooligantat! Hier spuckt man nicht auf den Boden. Hier macht man alten Personen Platz. Hier entschuldigt man sich, wenn man jemanden an der Tür versehentlich gestoßen hat."309
Ungeachtet aller Idealisierung der „Verhaltensnormen des neuen Menschen" konnte man in der Zeitung aber auch lesen, daß am zweiten Betriebstag bereits fünfzehn Schwarzfahrer aufgegriffen worden waren, und das, obwohl in jedem Waggon ein Kontrolleur mitfuhr.310 Am 22.5.1935 warnte die Direktion der Metro in Rabocaja Moskva, daß Verletzungen der Benutzungsvorschriften mit Strafen geahndet würden.311 Die beiden Feuilletonisten I. Il'f und E. Petrov, die bekannt fur ihre treffenden Satiren auf das Alltagsleben waren, griffen kurz nach der Eröffnung der Metro das Thema der Metro als einer Welt fur sich auf und beschrieben die unterirdische Idylle, in der die Menschen ihr Verhalten an die sie umgebende Schönheit,
307 Rabocctja Moskvct Nr, 113, 18.5.1935, S. 1. 308 Ebd. 309 Ebd.
310 Komsomol 'skaja Pravda Nr. 112, 17.5.1935, S. 2. 311 Rabocaja Moskva Nr. 116, 22.5.1935, S. 2.
Die Wirkung im In- und Ausland
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Sauberkeit und Ordnung anpaßten. Ihre Schlußfolgerung war allerdings durchaus doppeldeutig: „Stellt euch vor, unter der Erde ist es gut und schön, sogar bequem. Wir wissen nicht, wie es in fünf Jahren sein wird, wenn Moskau neu bebaut ist, aber jetzt scheinen die Moskauer Plätze und Straßen nach den unterirdischen Straßen und Plätzen nicht sehr hell und nicht sauber, sondern feucht und laut. So müssen wir uns hinaufziehen, Genossen, an die Oberfläche!"312
312 Il'f/Petrov 1961, S. 357.
ZUSAMMENFASSUNG
„Die Moskauer Untergrundbahn ist einer der Abschnitte des großen Krieges, den wir schon jahrzehntelang, und besonders in den letzten Jahren fuhren. Wir kämpfen für eine neue menschliche Gesellschaft, wir kämpfen für neue Menschenrechte, wir kämpfen gegen die Ausbeutung, gegen die Sklaverei, für eine freiwillige, bewußte Arbeit zum Wohle des ganzen Kollektivs, für eine Arbeit, die die Menschen beseelt, für eine Arbeit, die nicht nur großartige Dinge, sondern auch einen neuen Menschen hervorbringt." L.M. KaganoviC1
Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit war eine doppelte, nämlich erstens die Geschichte der Moskauer Untergrundbahn von ihren ersten Anfangen bis zur Inbetriebnahme zu untersuchen und zweitens an diesem Fallbeispiel den Alltag, die Mentalitäten, Verhaltensweisen und Herrschaftsstrukturen des Stalinismus zu analysieren und ein Bild des Lebens und des Lebensgefuhls der damaligen Zeit zu rekonstruieren. Der Bau der ersten Linien der Moskauer Untergrundbahn war das Prestigeprojekt der Sowjetunion der dreißiger Jahre schlechthin. Das Unternehmen spielte sich in unmittelbarer Nähe des politischen Machtzentrums ab. Die Ergebnisse dieser Fallstudie können daher nicht einfach verallgemeinert und auf die gesamte Sowjetunion übertragen werden. In der Provinz oder sogar in Moskauer Betrieben, die nicht diese höchste Priorität genossen, waren der Organisierungsgrad, die Parteidurchdringung und damit verbunden die Intensität und Effektivität der Machtausübung viel geringer. Nichtsdestoweniger handelt es sich bei den am Beispiel von Metrostroj untersuchten Grundstrukturen und Funktionsmechanismen der stalinistischen Herrschaft sowie den Verhaltensweisen und Motivationsmustern einzelner Bevölkerungsgruppen um zeittypische Phänomene, die im Prinzip überall in der Sowjetunion zum Tragen kamen und beim Bau der Moskauer Untergrund-
1 Kaganovid in seiner Rede zur Eröffnung der Moskauer Untergrundbahn auf der Festsitzung am 14.5.1935. In: Torzestvennoe zasedanie 1935, S. 15.
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Zusammenfassung
bahn lediglich in besonders ausgeprägter und verdichteter Form faßbar sind. Im Unternehmen Metrostroj sind die Essenz der Herrschaft und die Strukturen der Gesellschaft im Stalinismus deutlicher als andernorts zu erkennen.
I. Der Bau der Moskauer Metro begann 1931 nach dem Beschluß des Juniplenums des Zentralkomitees, hatte aber eine längere Vorgeschichte, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht und von der sowjetischen Propaganda und Historiographie zu Unrecht als bedeutungslos abqualifiziert wurde. Bezüglich des Streckennetzes fallen die Kontinuitäten deutlich ins Auge. Ein Vergleich der Linienschemen zeigt, daß die Metroplaner der dreißiger Jahre von der historisch gewachsenen, radial-zentrischen Struktur Moskaus und von den Verkehrsströmen ausgingen, wie sie sich in Moskau seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatten. Schon die Streckenführung der allerersten öffentlichen Verkehrsmittel, der seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts belegten Kremser, fiel zum Teil exakt mit später gebauten Untergrundbahnlinien zusammen. Das Projekt der Stadtverwaltung aus dem Jahre 1913 nahm bis auf geringfügige Abweichungen die Grundzüge des Linienschemas, wie es seit 1931 verwirklicht wurde, vorweg. Kontinuitäten über das Jahr 1917 hinweg konnten auch hinsichtlich der beteiligten Akteure nachgewiesen werden: Die treibende Kraft hinter der Idee, in Moskau eine Metro zu bauen, waren in den zwanziger Jahren Fachleute aus der Moskauer Kommunalwirtschaft, die die Aufgaben und zum Teil auch das Personal der vorrevolutionären Stadtverwaltung übernommen hatte. Der Leiter der Moskauer städtischen Eisenbahnen [Straßenbahnen] (MGZD), M.K. Polivanov, der für die städtische Metroplanung der Jahre 1911 bis 1915 verantwortlich gezeichnet hatte, befand sich zwar nach 1917 nicht mehr in maßgeblicher Position, gehörte aber zu den ersten, die Anfang der zwanziger Jahre das Thema wieder auf die Tagesordnung setzten und neue Überlegungen hinsichtlich der Streckenführung anstellten. Ingenieur V.L. Nikolai, der im Jahre 1903 das Projekt von Knorre und Balinskij im Auftrag der Stadtduma begutachtet und als nicht ausgereift beurteilt hatte, war ab 1931 federführend in der Planungsabteilung von Metrostroj tätig. Ingenieur K.S. Mysenkov, der 1915 eine Broschüre über Stadt- und Vorortbahnen publiziert hatte, baute ab 1923 die Unterabteilung „Metro" von MGZD auf und wurde 1932 von Metrostroj übernommen, wo er schließlich die Abteilung für den elektrischen Fahrbetrieb leitete. Die vor dem Ersten Weltkrieg interessierten deutschen Firmen (Siemens, AEG) und das britische Bankhaus Emile Erlanger & Co. versuchten auch in den zwanziger Jahren mit den Russen bezüglich des Baus einer Untergrundbahn ins Geschäft zu kommen. Die sowjetische Stadtverwaltung knüpfte ihrerseits bewußt an diese Vorkriegskontakte an, ohne daß es ihr allerdings gelang, das Kernproblem, nämlich die Finanzierungsfrage zu lösen.
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Die Unterschiede in der Metroplanung vor und nach 1917 sind allerdings ebenfalls nicht zu übersehen. Kühner Unternehmergeist und wirtschaftliches Kalkül kennzeichneten die in den Jahren 1897 bis 1913 eingereichten Bauvorhaben. Bei der Diskussion der Projekte ging es im wesentlichen nur um finanzielle und rechtliche Fragen und um die Streckenführung. Die technische Machbarkeit wurde nicht in Zweifel gezogen und die technische Seite des Baus nicht im Detail untersucht. Man wußte, daß im Ausland bereits erfolgreich Stadt- und Untergrundbahnen gebaut worden waren und daß man auf das Know-how der ausländischen Firmen zurückgreifen konnte. In den zwanziger Jahren mußte die Moskauer Stadtverwaltung vorsichtiger an das Vorhaben herangehen, weil sie die Beteiligung ausländischer Firmen nicht voraussetzen konnte. Ein Baubeginn kam nun erst nach der Klärung aller technischen Einzelheiten in Frage. Als die Frage der Metro 1931 zur „Chefsache" wurde und sich Stalin und Kaganovic ihrer annahmen, änderte sich abermals die Herangehensweise: Im Entscheidungsprozeß des Frühjahrs 1931 fragte niemand nach der technischen Machbarkeit. Der Stellenwert der Metro in der Verkehrskonzeption fur die Stadt Moskau veränderte sich Anfang der zwanziger Jahre erheblich. 1922 erkannten die Verkehrsplaner, daß es in Moskau eigentlich nicht um ein Verkehrsproblem ging, sondern um drei: den fehlenden zentralen Fernbahnhof, den ständig wachsenden Vorortverkehr, der ebenfalls an den Kopfbahnhöfen endete, und den innerstädtischen Verkehr, den die Straßenbahnen im Zentrum nicht mehr bewältigen konnten. In der weiteren Planung orientierte man sich an der im internationalen Vergleich vorherrschenden Praxis, die drei Probleme getrennt zu lösen, nämlich durch den Bau eines Zentralbahnhofs, der Verlängerung der Vorortlinien ins Stadtzentrum hinein und den Bau einer Untergrundbahn. Bezüglich der beiden erstgenannten Vorhaben stellte man Überlegungen an und faßte Beschlüsse, setzte sie allerdings nie um. Der Fern- und der Vorortverkehr Moskaus leiden heute noch unter denselben Problemen wie vor neunzig Jahren. Lediglich die Engpässe im innerstädtischen Verkehr bewältigte man durch den Bau der Untergrundbahn auf eine fortschrittliche Weise. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte man noch versucht, alle drei Probleme oder wenigstens zwei Probleme gleichzeitig zu lösen. Die Metroprojekte dieser Jahre hatten eigentlich mehr Eisenbahn- als Untergrundbahncharakter. Unter dem Begriff Mitropolitain [metropoliten] verstand man damals noch sämtliche Arten von Stadtschnellbahnen auf eigenem Gleiskörper, die nicht unbedingt unterirdisch fahren mußten. Vor dem Ersten Weltkrieg sahen fast alle Planungen vor, die Vorortzüge und eventuell sogar Fernzüge über das Metronetz durch das Stadtzentrum zu leiten. In den Jahren 1931 bis 1934 wurde vorübergehend abermals in Erwägung gezogen, einzelne Linien der Untergrundbahn so zu bauen, daß sie von Eisenbahnzügen befahren werden könnten. Verwirklicht wurden diese Ideen jedoch nicht. Sowohl vor 1914 als auch vor 1931 drehten sich die politischen Entscheidungsprozesse jahrelang ergebnislos im Kreis. Die Ursachen für die Verzögerun-
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gen waren allerdings sehr unterschiedlich. Die ersten, um die Jahrhundertwende von privater Seite eingereichten Projekte trafen auf die Ablehnung der Stadtverwaltung, weil diese den Bau einer Stadtschnellbahn für verfrüht ansah und grundsätzlich keine Konzessionen an Privatunternehmer fur den Bau und Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel genehmigen wollte. Sie hatte erst kurz zuvor die Straßenbahnen ausländischen Konzessionären abgekauft, war im Begriff, sie mit hohem finanziellem Aufwand zu elektrifizieren, und hatte den öffentlichen Verkehr als profitable Einnahmequelle entdeckt. 1911/12 waren die Moskauer Stadtväter zwar zu der Überzeugung gelangt, daß die Zeit für eine Metro reif sei, sahen sich jedoch abermals mit Konzessionsanträgen von Privatunternehmern konfrontiert, die noch dazu unter Umgehung der städtischen Selbstverwaltung bei der Regierung in St. Petersburg eingereicht worden waren und hinter denen ausländische Firmen und Geldgeber standen. Die Stadtduma verzögerte daher die Begutachtung der privaten Projekte, die aber bei der Regierung auf positive Resonanz stießen, bis sie im Oktober 1913 ein eigenes Projekt vorlegen konnte. 1913/14 blockierten einander die Stadtverwaltung und die Regierung gegenseitig, weil das Verkehrsministerium, im Hinblick auf die Interessen der Eisenbahnen, lediglich das Vorhaben des Ingenieurs K.K. Ruin für akzeptabel hielt, das wiederum für die Stadt Moskau nicht in Frage kam, weil es in Form einer privaten Konzession verwirklicht werden sollte. In den zwanziger Jahren scheiterte die Realisierung des Baus in erster Linie am Finanzierungsproblem. Anders als in den Jahren 1912 bis 1914 ließ die Regierung kein Interesse an dem Vorhaben erkennen, und auch die maßgeblichen Parteistellen hielten sich bedeckt, weil keine Finanzmittel vorhanden waren. Versuche des Mossovet, das Kapital im Ausland oder durch die Bildung einer sowjetischen Aktiengesellschaft aufzubringen, blieben erfolglos. Hinzu kam, daß die Partei während der „Kulturrevolution" (1928-1931) vorübergehend mit revolutionären Konzepten für die Stadtplanung sympathisierte, die das Fortbestehen der Stadt Moskau in ihrer bisherigen Form in Frage stellten. Solange über die Zukunft der Stadt Moskau keine Grundsatzentscheidung getroffen war, hatte es wenig Sinn, über den Bau einer Untergrundbahn zu entscheiden. Zu allem Überfluß wurden 1930 im Zuge der Jagd auf „bürgerliche Spezialisten" die maßgeblichen Metroplaner als „Schädlinge" verhaftet. Die sich bedrohlich zuspitzenden Probleme der Moskauer Kommunalwirtschaft veranlaßten im März 1931 den Moskauer Parteichef L.M. Kaganovic, das Thema der Metro wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Kaganovic bediente sich in den darauffolgenden Wochen geschickt des Politbüros, wo er großen Einfluß hatte, um im Interesse der Stadt Moskau Bewegung in die Kommunalpolitik zu bringen. Am Ende stand der Beschluß des Zentralkomitees vom Juni 1931 über den Bau der Metro.
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II. Zur Durchführung des Baus wurde im Sommer 1931 das Unternehmen Metrostroj gegründet, dessen Leitung Ingenieur P.P. Rotert übernahm. Rotert hatte Erfahrung mit Großbauten (Haus der Industrie in Char'kov, Dnepr-Staudamm), kannte aber Untergrundbahnen nur von Besichtigungen. Mit Mühe gelang es ihm, geeignetes Fach- und Führungspersonal zu finden. Den Grundstock bildeten die ehemaligen Metroplaner von MGZD, die wieder aus dem Gefängnis entlassen wurden. Hinzu kamen Bauingenieure, die Rotert von Dneprostroj mitbrachte und Bergbaufachleute. Praktische Erfahrung beim Bau von Untergrundbahnen hatten nur wenige. Alle übrigen mußten sich das Fachwissen aus der Literatur aneignen. Ausländische Firmen wurden lediglich im Jahre 1932 für die Erstellung von Gutachten herangezogen. Die ursprünglich ins Auge gefaßte ständige Konsultation einer ausländischen Firma kam nicht zustande. Ausländisches Know-how flöß jedoch über ausländische Ingenieure, vorwiegend Amerikaner und Deutsche, ein, die von sich aus ihre Dienste anboten, weil sie durch die Weltwirtschaftskrise arbeitslos geworden waren und sie eine solche Aufgabe reizte. Von Anfang an kennzeichnete Hektik den Bau. Metrostroj hatte keine Vorbereitungsperiode, sondern mußte unter dem politischen Druck von oben überstürzt mit den Bauarbeiten beginnen, während gleichzeitig erst die Projektierungsarbeiten anliefen. Das von MGZD in den zwanziger Jahren erstellte technische Projekt mußte verworfen werden, weil es von unzureichenden geologischen Daten ausgegangen und auf Kostenminimierung ausgerichtet gewesen war. Die damals geplante Sparversion einer möglichst billigen Untergrundbahn mit verkleinerten Stationen entsprach nun nicht mehr den politischen Vorgaben. Die Metro, die man jetzt baute, sollte die schönste und beste der Welt werden. Die Leitung von Metrostroj nahm das technische Projekt von Siemens-Bauunion, das die Firma 1926 im Auftrag des Mossovet fur einen Streckenabschnitt erstellt hatte, zum Ausgangspunkt der eigenen Planungen. Es sah nach Berliner Vorbild die offene Bauweise vor. Im Frühjahr 1932 kam es innerhalb der Führung von Metrostroj darüber zu einer Kontroverse. Die Parteiführung stellte sich hinter den jungen Ingenieur Makovskij, der für den unterirdischen Vortrieb in großer Tiefe eintrat. Auf der Grundlage von drei ausländischen und einem sowjetischen Gutachten entschied das Politbüro erst im März 1933 endgültig, auf welchen Abschnitten welche Bauweise angewandt werden sollte. Durch diese Diskussion wurden die Planungs- und Bauarbeiten um Monate zurückgeworfen. Schächte für den Vortrieb in tiefer Lage, die man zwischenzeitlich angelegt hatte, mußten wieder zugeschüttet werden, weil Grundwasser eingedrungen war, und an manchen Abschnitten änderte sich im Laufe des Jahres 1932 mehrmals die Tiefenlage. Die politische Führung in Gestalt des Moskauer Parteikomitees und des Politbüros traf 1933 außer über die Bauweise noch über einige andere Fragen Entscheidungen, die den Weg zur Überwindung der Krise wiesen: Das Unternehmen
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Metrostroj erhielt eine neue, effizientere Struktur; die Frist für die Fertigstellung wurde vom 1.1. auf den 1.12.1934 verschoben; das Politbüro stellte Rotert mit E.T. Abakumov einen Stellvertreter an die Seite, der zwar nichts vom Bau einer Untergrundbahn verstand, aber mit großer Durchsetzungsfähigkeit in der Leitung von Metrostroj die Parteiinteressen vertrat; in mehreren Wellen „mobilisierte" man Tausende Komsomolzen und Kommunisten aus Moskauer Fabriken auf die Baustelle, wo sie einen harten Kern bildeten und die Kontrolle und Erziehung der übrigen Arbeiter in die Hand nahmen. Das Gros der Bauarbeiten wurde in den Monaten April bis Oktober 1934 unter Aufbietung aller Kräfte und durch eine massive Erhöhung der Arbeiterzahl geleistet. Innerhalb weniger Monate holte Metrostroj auf, was es in den zwei Jahren davor versäumt hatte. Stalin ordnete angesichts der Qualitätsmängel, die bei diesem „Planstürmen" auftraten, an, die Frist für die Fertigstellung auf Februar 1935 zu verschieben. Trotzdem war der Zeitdruck groß, und die Bauarbeiten verliefen streckenweise chaotisch, weil die Projektierung hinterherhinkte und ständig Abänderungen vorgenommen wurden. Anfang Februar 1935 konnte der erste Zug die gesamte Trasse befahren. In den folgenden Monaten mußte man eine Reihe von Nachbesserungen vornehmen und bereitete sich sorgfältig auf die Inbetriebnahme vor. Die feierliche Eröffnung der Moskauer Untergrundbahn fand am 15.5.1935 statt. Die dem Verkehr übergebene erste Baufolge umfaßte die Linien von Sokol'niki bis zum Krimplatz (Kulturpark) und von der Leninbibliothek zum Smolensker Platz mit insgesamt 11,4 Kilometer Länge. Die Entscheidung, einen Teil der Trasse in tiefer Lage zu bauen, schonte zwar die Bewohner einiger Moskauer Straßenzüge und schuf Luftschutzbunker, die im Zweiten Weltkrieg gute Dienste leisteten, verteuerte und verzögerte aber den Bau und brachte für die Passagiere lange Rolltreppenfahrten und Umsteigewege mit sich. In technischer Hinsicht war die Errichtung von Stationen in großer Tiefe im bergmännischen Vortrieb international eine Neuheit. Die Kosten des Baus betrugen bis zur Inbetriebnahme 830 Millionen Rubel und überstiegen damit bei weitem die 1933 und 1934 erstellten Kostenvoranschläge. Die Finanzierung erfolgte unmittelbar aus dem öffentlichen Haushalt. Für den Metrobau wurden keine in- oder ausländischen Anleihen aufgelegt. Obwohl die Regierung Metrostroj schon im Herbst 1931 als „Stoßbaustelle" höchster Priorität einstufte, kam es immer wieder bei dringend benötigten Baumaterialien und Ausrüstungen zu Versorgungsengpässen. Zudem verfügte Metrostroj über kein Gesamtkonzept für die Mechanisierung der Arbeiten, die überwiegend nach Handwerkerart erfolgten. Die meisten Ausrüstungen erhielt Metrostroj nicht über den normalen Zuteilungsweg, sondern durch verschiedene Formen des „Organisierens" bei anderen Baustellen. Importiert wurden Baumaschinen sowie ein englischer Vortriebsschild, mit dessen Hilfe man den geologisch besonders schwierigen Tunnelvortrieb unter dem Theaterplatz bewerkstelligte. Nach dem Muster des englischen Schildes bau-
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ten sowjetische Betriebe einen eigenen, der sich im Einsatz gut bewährte. Ebenfalls in sowjetischen Fabriken und nach ausländischen Vorbildern wurden die Rolltreppen gebaut, die man wegen der hohen Kosten nicht importieren wollte. Während künstlich ausgedehnter Verhandlungen mit den Firmen Otis und Flohr war es den Russen gelungen, die wichtigsten Konstruktionsdetails in Erfahrung zu bringen. In den Dimensionen übertrafen sie die kopierte westliche Technik, denn die Rolltreppen der Station „Kirovskaja" waren mit sechzig Meter die längsten der Welt.
III. Von Anfang an machte sich bei Metrostroj ein empfindlicher Arbeitskräftemangel bemerkbar. Die Anwerbung von Arbeitern in den Kolchosen verlief stockend, weil die von Metrostroj entsandten Werber mit jenen anderer Betriebe konkurrieren mußten, und die Zahl der eingestellten Arbeiter blieb 1932 weit hinter dem Bedarf zurück. Es war vor allem schwierig, Arbeitskräfte mit den fur den Tunnelbau erforderlichen Qualifikationen aufzutreiben. Die einzige als erfolgreich beurteilte Anwerbeaktion brachte im Frühjahr 1933 rund 2.500 Mari und Tataren aus der Baschkirischen ASSR zu Metrostroj. Ansonsten wurden Arbeitskräfte eingestellt, die sich aus eigenem Antrieb bei den Baustellen meldeten, wobei die Personalabteilungen der Schächte und Distanzen bis zum April 1934 auf die Herkunft der Arbeiter und die Vorlage von Ausweispapieren keinen Wert legten. Zahlreiche geflüchtete Kulaken nutzten das, um bei Metrostroj unterzutauchen. Erst im Laufe des Jahres 1934, nachdem Kaganovic einen OGPU-Funktionär als Kaderbeauftragten zu Metrostroj geschickt hatte, wurde der Personalbestand überprüft und von unerwünschten Personen gesäubert. Das Ende 1932 in Kraft getretene Paßgesetz hatte nur vorübergehend ein strengeres Regime bei der Einstellung der Arbeiter zur Folge gehabt. Der Arbeitskräftemangel, die Wohnungsnot und die geringe Produktivität der vorhandenen Arbeiter veranlaßten 1933 die Partei, Komsomolzen aus Moskauer Fabriken zum Metrobau zu mobilisieren. Im Laufe des Jahres 1933 sollten 13.000 Komsomolzen zu Metrostroj geschickt werden. Die Aktion stieß teils auf ein begeistertes Echo, teils auf Widerstand, nicht zuletzt seitens der betroffenen Fabriken, so daß schließlich nur knapp mehr als die Hälfte, nämlich 7.443 Jungkommunisten, die Arbeit bei Metrostroj antraten. Zu Beginn des Jahres 1934 schickten der Komsomol und die Gewerkschaften weitere 19-20.000 Moskauer Arbeiter zur Metro, von denen allerdings nur eine Minderheit der Partei oder dem Komsomol angehörte. Im Mai 1934 wurde mit 76.000 Arbeitskräften der Höchststand erreicht. Die Fluktuation der Arbeitskräfte war hoch, konnte aber 1932 bis 1934 von 43 Prozent auf 8 Prozent im Monat gesenkt werden. 1933 entsprach sie mit 25 Prozent dem Durchschnitt der Moskauer Bauwirtschaft. Der Wechsel des Arbeitsplatzes
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war vor allem eine Reaktion der Arbeiter auf die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen. Die Unterbringung der Arbeiter stellte in den ersten Jahren ein großes Problem dar. Metrostroj errichtete vor der Stadt und entlang der Trasse Barackensiedlungen, die sich 1932/33 in desolatem Zustand befanden. Inspektionen der Gewerkschaft und der Kontrollorgane deckten regelmäßig erschreckende Verhältnisse auf, ohne daß sich viel besserte. Erst im Laufe des Jahres 1934 gelang es, die Wohnbedingungen erträglicher zu gestalten. Die Versorgung mit Lebensmitteln erfolgte über eine geschlossene Arbeiterkooperative, die unter anderem von eigenen landwirtschaftlichen Betrieben beliefert wurde, und in Kantinen am Arbeitsplatz. Die Lebensmittelrationen waren 1932/33 karg und erreichten erst 1934 ein zufriedenstellendes Niveau. Die Zustände in den Kantinen und die Qualität der Mahlzeiten sorgten bis zum Ende des Jahres 1934 fur häufige Beschwerden und Klagen, obwohl sich die Lage im Sommer 1934 besserte. In periodischen Abständen wurden Kantinendirektoren als „Schädlinge" entlassen. Die Löhne und Gehälter bei Metrostroj wiesen in Übereinstimmung mit der seit 1931 eingeführten starken Lohndifferenzierung eine breite Spanne auf und lagen erheblich über dem Durchschnitt der Bauwirtschaft. Die im August 1932 beschlossene Einfuhrung des Stücklohns (Akkordlohns) verzögerte sich jedoch um mehr als ein Jahr, und fur den überwiegenden Teil der Arbeiten gab es 1933 keine Normen, auf deren Basis man den Stücklohn sinnvoll hätte berechnen können. Der im Juli 1933 von Kaganovic angeordnete progressiv-prämiale Stücklohn wurde erst ein halbes Jahr später wirksam und verursachte aufgrund der fehlenden festen Normen übermäßige Lohnkosten, die nicht der tatsächlichen Produktivität entsprachen. Die Arbeitsbedingungen waren extrem hart und führten bei vielen Metrobauern zu Gesundheitsschäden, zumal die Versorgung mit Arbeitskleidung bis 1934 unzureichend blieb. Es ereigneten sich zahlreiche Unfälle und Brände, die mehrere tausend Verletzte, aber nur wenige Todesopfer forderten. Trotz der erstaunlich niedrigen Zahl von tödlich Verunglückten war der Verschleiß an menschlicher Arbeitskraft und vor allem an jugendlichem Potential durch die Extrembedingungen und die rücksichtslose Tempojagd enorm, - eben typisch stalinistisch.
IV. In bezug auf die Probleme der Anwerbung von Arbeitskräften, die Fluktuation sowie den Alltag auf der Baustelle und in den Barackensiedlungen bestätigt der am Beispiel von Metrostroj gewonnene Befund die Ergebnisse der neueren Forschung zur Sowjetunion der dreißiger Jahre. Was die Stalinismusforschung bisher noch nicht befriedigend beantworten konnte, war die Frage nach dem Missing link zwischen der Realität des Alltags und dem Verhalten der Bevölkerung.
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Immerhin stehen wir vor dem Phänomen, daß es dem Regime gelang, die Bürger der Sowjetunion in ein industrielles Aufbau- und gesellschaftliches Umgestaltungsprogramm einzuspannen, in dessen Verlauf sich die Lebensumstände drastisch verschlechterten, Millionen Menschen deportiert wurden oder verhungerten, - ohne daß sich massenhafter Widerstand formierte. Im Gegenteil, große Gruppen der Bevölkerung beteiligten sich sogar aktiv an diesem Programm, und die breite Masse ließ es zumindest über sich ergehen und machte durch ihre bereitwillige Anpassung die Festigung und schließliche terroristische Entartung des Regimes möglich. Die bisher in diese Richtung unternommenen Forschungsansätze versuchten das Verhalten der Bevölkerung mehr oder weniger monokausal zu erklären und konnten daher nur eine begrenzte Reichweite entfalten. Die Angst vor dem Repressionsapparat, die Zersplitterung der Arbeiterschaft durch den Zustrom von Millionen ehemaliger Dorfbewohner in die Städte, die Bejahung des Systems durch bestimmte Gruppen, die ihm ihren Aufstieg verdankten bzw. Aufstieg zu erwarten hatten, die erfolgreiche Akkulturation und Assimilation durch den Betrieb als „community organizer", die Übernahme der bolschewistischen Sprache (des „Diskurses"), die Anpassung an die stalinistische „Zivilisation", das Mitmachen aus innerer Überzeugung, - all diese in der Literatur der letzten Jahre angebotenen Erklärungen haben jede fur sich ihre Berechtigung, können aber ihren implizit oder explizit erhobenen Anspruch als Universalerklärung nicht einlösen. Manche der angebotenen Erklärungen, wie etwa Stephen Kotkins These, daß die Übernahme des stalinistischen „Diskurses" allmählich zu einer Verinnerlichung der Ideologie gefuhrt habe, oder Jochen Hellbecks Gegenthese, daß große Gruppen der Bevölkerung sich nicht aus zweckrationalen, sondern aus wertrationalen Motiven dem bolschewistischen System verschrieben hätten, beruhen bisher zudem nur auf punktuellen Quellen. Am Beispiel von Metrostroj wurde erstmals der Versuch unternommen, auf breiterer Quellengrundlage zu untersuchen, wie verschiedene Gruppen der Bevölkerung ihre Lebensumstände und den Alltag subjektiv wahrnahmen und welche Konsequenzen die jeweiligen Lebenswelten fur die Verhaltensweisen und Motivationen der Menschen hatten. Die Auswirkungen der in den Jahren 1929 bis 1934 eingetretenen Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der sowjetischen Bevölkerung auf das Verhalten und die Einstellungen der Betroffenen sind nicht quantitativ meßbar, sollten aber fur die Herausbildung der stalinistischen Gesellschaft nicht unterschätzt werden. Das Wohnen auf engstem Raum und unter primitiven sanitären Umständen, die chronisch schlechte Versorgung, die täglich sichtbaren Mißstände, die das Leben schwer machten, waren geeignet, das Entstehen einer aggressiven Grundstimmung und eine Radikalisierung zu fördern und die Menschen empfanglich fur Gewaltlösungen gegen „Sündenböcke" zu machen. Wenn den Leuten dann, wie es damals gang und gäbe war, als Verantwortliche für die Misere und die Mißerfolge im Betrieb „eingeschlichene Kulaken",
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„Saboteure" und andere „Volksfeinde" präsentiert wurden, ist es nicht verwunderlich, wenn sich die Aggressionen in diese Richtung entluden und sich viele bereitwillig am Aufspüren „fremder Elemente" beteiligten. Die Vorgänge rund um die Paßausgabe 1933 zeigen darüber hinaus, daß es Teile der Bevölkerung gab, die schon damals bereitwillig ihre Verwandten, Nachbarn oder Kollegen mutwillig und wider besseres Wissen denunzierten, um selbst einen materiellen Vorteil daraus zu ziehen, indem sie zum Beispiel den Wohnraum des Betreffenden für sich beanspruchten. Die Realität bei Metrostroj wurde von den dort vertretenen verschiedenen Gruppen völlig unterschiedlich erlebt. Auf der einen Seite gab es einen harten Kern von Kommunisten und Komsomolzen, die aus den Moskauer Fabriken auf die Baustelle geschickt worden waren, auf der anderen Seite eine Mehrheit von Arbeitern, die frisch vom Dorf gekommen waren und von der Partei als „rückständig" eingestuft wurden. Die Komsomolzen bildeten beim Bau der Moskauer Untergrundbahn die wichtigsten Stützen des Regimes. Ihre Verhaltensweisen und Motivationen sind der Schlüssel zum Verständnis der erfolgreichen Herrschaftsausübung über die Arbeiter. Der zahlenmäßige Umfang des „harten Kerns" war verhältnismäßig gering. Von den in den Jahren 1933 und 1934 angeforderten 20.000 Komsomolzen arbeiteten im Juni 1934 nur rund 9.000 tatsächlich bei Metrostroj, und von diesen nur 7.900 als Arbeiter auf den Baustellen. Diese Zahl entsprach auf dem Höhepunkt der Arbeiten einem Anteil von rund 18 Prozent an der Belegschaft der Schächte und Distanzen. Tausende Komsomolzen hatten sich der Mobilisierung zu Metrostroj widersetzt oder waren nach wenigen Tagen oder Wochen wieder davongelaufen. Die schließlich auf dem Bau blieben, waren entsprechend hoch motiviert, legten ein festes Gruppenbewußtsein an den Tag und traten mit dem Anspruch auf, als verlängerter Arm der Partei die anderen Arbeiter zu erziehen und zu höherer Leistung anzuspornen. Ihre Motive waren vielfältig. Man kann ihr Verhalten nicht auf einen allgemeinen Beweggrund reduzieren, sondern es handelte sich um ein ganzes Bündel von Motiven, die bei jedem einzelnen in unterschiedlicher Kombination zum Tragen kamen. Monokausale Erklärungen, die das Verhalten der Komsomolzen nur auf die Aufstiegschancen oder auf die Begeisterung für den Sowjetaufbau zurückführen, greifen zu kurz. Die Mehrheit der Komsomolzen war auf dem Dorf aufgewachsen, erst in den Jahren 1929 bis 1933 nach Moskau gekommen und zum Zeitpunkt des Arbeitsantritts bei Metrostroj 16 bis 22 Jahre alt. Fast alle hatten in irgendeiner Weise unter dem Sowjetsystem eine Schulbildung erhalten, viele sogar eine weiterfuhrende Schule oder Hochschule besucht und damit von den neuen Bildungsmöglichkeiten profitiert. Fast die Hälfte hatte, aus einfachsten Verhältnissen kommend und mit minimaler Qualifikation, dem Komsomol oder der Gewerkschaft bereits ei-
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nen beachtlichen Aufstieg zu verdanken. Auffallend viele waren als Waisen- oder Straßenkinder aufgewachsen und hatten im Komsomol einen Familienersatz und ein stabiles Wertesystem gefunden. Die Loyalität durch Aufstieg war jedoch nur einer von vielen Beweggründen: Manche meldeten sich freiwillig zur Arbeit bei der Metro, weil es sie regelrecht dorthin trieb oder weil sie mit eigenen Händen am Sowjetaufbau mithelfen wollten. Für andere war der Einsatz auf der Baustelle eine Bewährungsprobe, ein Kampf- und Kriegserlebnis als Ersatz für die versäumte Teilnahme an Revolution und Bürgerkrieg. Viele hatten gar keine genaue Vorstellung, wohin sie geschickt wurden, und gingen nicht auf eigenen Wunsch, sondern weil sie dazu verpflichtet wurden oder sich verpflichtet fühlten. Die Komsomoldisziplin und das den Jugendlichen eingeimpfte Pflichtbewußtsein spielten hier eine ebenso große Rolle wie die Drohung mit dem Ausschluß aus der Organisation. Mit der Mitgliedschaft im Komsomol verbundene Ehrenämter brachten nicht nur Abwechslung, sondern auch Verantwortung und Möglichkeiten zur Machtausübung und vermittelten das Gefühl, eine wichtige Rolle zu spielen. Die meisten Jungkommunisten fanden sich beim Bau der Metro das erste Mal in ihrem Leben in einer verantwortlichen Position und hatten als Brigadiere Kommandobefugnisse über andere Arbeiter oder als Qualitätsinspektoren sogar über Ingenieure. Nicht zu unterschätzen sind persönliche Bindungen, gruppendynamische Prozesse und der Ehrgeiz, den anderen nicht nachzustehen. Viele machten wohl oder übel mit, weil sie nicht als Drückeberger oder Schwächlinge verspottet oder von ihren Freunden getrennt werden wollten. Manche Komsomolzen meldeten sich zur Metro, weil sie der Langeweile der gewohnten Umgebung oder Konflikten am bisherigen Arbeitsplatz den Rücken kehren oder Abenteuer erleben wollten. Für viele von ihnen markierte der Einsatz auf der Baustelle den Sprung zum Erwachsenwerden oder trug gar Züge eines Mannbarkeitsritus. Wieder andere ließen sich von der Aussicht auf hohen Lohn und auf die Auszeichnung mit Orden zum Metrobau locken. Der harte Kern der Komsomolzen eignete sich innerhalb kürzester Zeit die erforderlichen Qualifikationen an und wurde zu einer Avantgarde der Baustelle. Diese Komsomolzen legten in den Brigaden ein hohes Tempo vor, organisierten den „sozialistischen Wettbewerb", überwachten die Leistung und das Verhalten der anderen Arbeiter, rissen sie durch ihr Vorbild mit und sorgten mit verschiedenen Mitteln dafür, daß diese nicht zurückblieben. Sie wurden schneller und häufiger als andere zu Gruppenführern und Brigadieren befördert und legten auch als Untergebene ein hohes Maß an Eigeninitiative an den Tag, das bisweilen in Respektlosigkeit und Disziplinlosigkeit gegenüber den Vorgesetzten ausartete. Komsomolzen, die nicht das gewünschte Verhalten zeigten, wurden ausgegrenzt, in Versammlungen öffentlich angeprangert und aus dem Komsomol ausgeschlossen. Die Parteimitglieder, die mit einem Anteil von unter fünf Prozent an der Belegschaft der Schächte und Distanzen zahlenmäßig nicht ins Gewicht fielen, hat-
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ten einen ähnlichen biographischen Hintergrund wie die Komsomolzen. Der Anteil derer, die über die Partei aus einfachsten Verhältnissen bis in Führungspositionen aufgestiegen waren, war unter ihnen noch größer. Viele von ihnen hatten als Parteisekretäre, Parteiorganisatoren, Barackenleiter, Kantinendirektoren oder Brigadiere Schlüsselstellungen inne. Auch wenn sie nur als gewöhnliche Arbeiter tätig waren, machte man sie für die Leistung ihrer Brigade oder Schicht verantwortlich. Ihre Aufgaben, Verhaltensweisen und Wahrnehmungen der Realität ähnelten jenen der Komsomolzen. Neben den Komsomolzen und Kommunisten müssen auch die Ingenieure und Techniker zu den Stützen des Regimes gezählt werden, weil sie ihm schon allein dadurch Vorschub leisteten, daß sie ihm ihr Wissen und Können zur Verfügung stellten. Bei Metrostroj waren sowohl „bürgerliche" Spezialisten als auch junge, „sowjetische" Ingenieure und „Praktiker" ohne formelle Ausbildung vertreten. Unter den „bürgerlichen" Spezialisten waren nur wenige der Partei beigetreten, von den übrigen die Mehrheit. Die meisten „sowjetischen" Ingenieure hatten ihre Position einer nachgeholten Ausbildung zu verdanken, indem sie als Arbeiter oder Parteifunktionäre auf Institute geschickt worden waren. Manche der „bürgerlichen" Spezialisten hatten hingegen keinen Grund, dem Regime dankbar zu sein, nahmen aber trotzdem die Arbeit bei Metrostroj mit großem persönlichen Einsatz auf, auch wenn sie, wie die Ingenieure von MGZD, 1930 als „Schädlinge" verhaftet worden waren. Die Arbeit als Ingenieur war ihr Lebensinhalt und der Bau der Metro ein Ziel, das von selbst für eine hohe Motivation sorgte. Das politische System, in dem sie arbeiteten, spielte für ihren Leistungswillen eine untergeordnete Rolle. Das Verhältnis der Ingenieure zur Partei war ambivalent. Sogar von Rotert, der zwar kein Parteimitglied war, aber dessen Regimetreue außer Zweifel steht, ist belegt, daß er sich im privaten Kreis abfällig und unwirsch über die Einmischungen Chruscevs äußerte. Nach außen hin ließen die Ingenieure jedoch keine Kritik an dem Hineinregieren der Partei verlauten. Unter dem Druck des Moskauer Parteikomitees stimmten die Baustellenleiter den extrem kurzen Fristen für die Fertigstellung der Tunnel zu und bezeichneten sie notgedrungen als realistisch. Insgeheim gingen viele davon aus, daß der Plan nicht erfüllbar sei. Die Masse der gewöhnlichen Arbeiter verstand es, die Arbeitsanforderungen durch eigensinnige Verhaltensweisen (Blaumachen, langsames Arbeiten, Rauchen, Plaudern, Zeitung Lesen, Werkzeuge Holen) zu reduzieren. Damit kompensierten sie, wie schon aus Studien zu anderen Betrieben bekannt ist, individuell die fehlende Möglichkeit, als Kollektiv zu agieren und durch organisierte Streiks oder andere Formen des Arbeitskampfes ihre Interessen zu vertreten und Unzufriedenheit auszudrücken. Sie schufen sich damit ihre eigenen Ventile, um den Druck abzulassen. Diese von den Verantwortlichen in der Partei und im Management oft kritisierten, aber ebenso oft stillschweigend geduldeten Verhaltensweisen wirkten ungewollt systemstabilisierend und trugen dazu bei, die unzufriedenen Arbeiter zu
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integrieren, weil sie das Protestpotential in eine für das Regime harmlose Richtung kanalisierten. Arbeiter, die ab und zu blaumachten und die Normen durch langsames Arbeiten zu senken versuchten, verweigerten sich nicht prinzipiell dem System, sondern beteiligten sich vielmehr an seinem Aufbau, - wenn auch nur als Mitläufer und mit halber Kraft. Um die Arbeitsdisziplin und Produktivität war es beim Bau der Metro in den Jahren 1932 und 1933 schlecht bestellt. Es kam zu beträchtlichem Arbeitsausfall durch Stillstand, Zuspätkommen, Verlassen des Arbeitsplatzes, Blaumachen und Schlafen während der Nachtschichten. Sogar 1934 wurden noch 20.000 oder mehr als die Hälfte der im Jahresmittel anwesenden Arbeiter wegen eigensinniger Verhaltensweisen entlassen oder liefen von selbst davon. Trotz dieser individuellen Freiräume darf nicht übersehen werden, daß sich die Arbeiter, insgesamt betrachtet, anpaßten, integrierten und ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellten. Manche wurden vom Beispiel der „Enthusiasten" mitgerissen, andere hatten Angst vor Repressionen, waren dem Hunger im Dorf entflohen und froh, ein Dach über dem Kopf zu haben, wieder andere nutzten die Verdienstmöglichkeiten des progressiven Stücklohns oder wollten nicht in der Betriebszeitung oder auf Versammlungen als die letzten und schlechtesten an den Pranger gestellt werden. Selbst wer von der Baustelle davonlief, verweigerte sich nicht total, sondern war lediglich auf der Suche nach besserem Verdienst oder erträglicheren Arbeits- und Lebensbedingungen. Während 1932 und 1933 die Saisonarbeiter scharenweise im Sommer in ihre Dörfer fuhren, um bei der Ernte zu helfen, konnten 1934 viele von ihnen bewogen werden, auf dem Bau zu bleiben. Traditionelle bäuerliche Verhaltensweisen schwanden unter dem Einfluß der neuen Umgebung und machten einer Assimilation an die städtisch-proletarische Umwelt Platz. Arteis wandelten sich allmählich zu Brigaden. Die Anpassung lief keineswegs konfliktfrei, aber letztendlich erfolgreich ab. Im allgemeinen deuten die Quellen darauf hin, daß die Arbeiter nicht deswegen mitmachten, weil sie den „Diskurs" verinnerlichten, sondern weil sie auf verschiedene Weise motiviert oder genötigt wurden. Ein in der bisherigen Forschung vernachlässigter und für die Integration unzufriedener Arbeiter unterschätzter Faktor war die Möglichkeit, auf legale Weise Kritik an Mißständen und Vorgesetzten zu üben und sich zu beschweren. Das Regime verstand es, die Kritik von unten in solche Bahnen zu lenken, daß sie trotz der systemimmanenten Mißstände - als herrschaftsstabilisierendes Ventil wirkte. Im Prinzip konnte jeder einfache Arbeiter seine Vorgesetzten oder auch Parteifunktionäre zu Fall bringen, wenn er Kritik übte, die sich im Rahmen des Erlaubten bewegte. Die institutionalisierte „Kritik und Selbstkritik" half dem Regime, die Unzufriedenheit über Mißstände auf Einzelpersonen abzuleiten und auf diese Weise strukturelle Schwächen erfolgreich zu verschleiern. Die Kritik von unten setzte darüber hinaus die untere Funktionärs- und Managementebene einem großen Leistungsdruck aus und machte sie gefügig. Jeder mußte jederzeit damit rechnen, entlassen, aus der Partei ausgeschlossen oder in Straflager eingewiesen
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zu werden. Kritik an höheren Funktionären, an systembedingten Mißständen sowie an der „Generallinie" der Partei war tabu. Die Arbeiter konnten in einer Reihe von Bereichen, die ihre Lebens- und Arbeitsumstände unmittelbar betrafen, durch Beschwerden und Kritik ein Eingreifen der Kontrollorgane und oft sogar wirkliche Verbesserungen erreichen. Anlaufstellen dafür waren Versammlungen aller Art, Gewerkschafts- und Komsomolkomitees, die Tarifkonfliktkommissionen, spezielle Beschwerdebüros der Arbeiter- und Bauerninspektion und die Betriebszeitungen. Letztere lenkten erforderlichenfalls allgemeine Beschwerden in die richtigen Bahnen, indem sie konkrete Personen als Sündenbökke für Fehler verantwortlich machten, die darüber hinaus regelmäßig als angebliche „Kulaken" und „Saboteure" des sozialistischen Aufbaus „entlarvt" wurden. Beim Bau der Untergrundbahn kam als besonderer, integrativ und motivierend wirkender Faktor das vielfach beschworene Gruppenbewußtsein als „Metrobauer" hinzu, das bei den Komsomolzen und Stoßarbeitern sicherlich nicht nur auf die Diskursebene beschränkt war. Inwieweit es bei den gewöhnlichen Arbeitern zum Tragen kam, läßt sich nicht messen. Die Metrobauer waren bestimmt nicht das festgefügte, einmütige Kollektiv, dessen Existenz die Propaganda suggerierte, aber auch gewöhnliche Arbeiter konnten sich durchaus mit dem Bauvorhaben identifizieren und daher manches in Kauf nehmen, was sie anderswo zum Weggang veranlaßt hätte. Man befand sich nicht auf irgendeiner Baustelle, sondern auf einer ganz besonderen, über die man beinahe täglich in der Zeitung lesen konnte und die in aller Munde war. Vorschub leistete der Herausbildung eines gemeinsamen Gruppenbewußtseins die relativ einheitliche, jugendliche Altersstruktur der Arbeiter. Integrativer Bestandteil dieses Gruppenbewußtseins war ein auffälliger Aktionismus: Man arbeitete nicht, sondern man war „im Einsatz". Die Parteiführer förderten dieses Bewußtsein gezielt durch ihr eigenes Verhalten. Der „Einsatz"-Aktionismus stand in einem größeren Zusammenhang, der über Metrostroj hinausgreift und ebenfalls von der Stalinismusforschung bisher zu wenig beachtet worden war: Das ganze Land, und die Baustelle der Metro im besonderen, befanden sich in einer Art künstlich herbeigeführten Kriegszustandes. Die politische Führung griff in den Jahren der Kollektivierung und Industrialisierung bewußt auf Bürgerkriegsmentalitäten zurück, was besonders im Komsomol auf große Resonanz stieß, und versetzte das Land in eine dauerhafte Ausnahmesituation. Viele Jugendliche, die Revolution und Bürgerkrieg nur als Kinder miterlebt hatten, sehnten sich nach eigenen Heldentaten, die sie nun an der „Industrialisierungsfront" erbringen konnten. Das Überhandnehmen dieser kriegerischen Mentalitäten sollte für den Radikalismus und die Gewaltbereitschaft der stalinistischen Herrschaft, seiner Träger und Mitläufer nicht unterschätzt werden. Die Vorstellung, sich im Krieg zu befinden, veränderte das Wertegefüge und die Handlungsmuster der Beteiligten und senkte ihre Hemmschwelle bezüglich der Methoden bei der Bekämpfung der „Feinde". Auch biographisch läßt sich der Einfluß des Bürgerkriegs fassen. Die meisten Parteifunktionäre von Metrostroj hatten ihren Aufstieg in den Jahren des Bürger-
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kriegs und über militärische Funktionen erlebt, durch die sie ihre Schlüsselqualifikationen erwarben. Wenn sie in den dreißiger Jahren mit ihrer unzureichenden Ausbildung auf mittleren und hohen Posten nicht zurecht kamen, wußten sie oft keine andere Antwort, als „Feinde" ausfindig zu machen und zu bekämpfen. Der Bau der Moskauer Untergrundbahn eignete sich mit seinen Extrembedingungen besonders gut als Kriegsersatz und wurde von vielen auch als solcher empfunden. Typische Verhaltensweisen der Komsomolzen lassen sich mit dem Modell des künstlichen Kriegszustandes besser verstehen. In dem Bewußtsein, in einem Krieg zu kämpfen, gelang es, kurzzeitig gewaltige Energien freizusetzen und den Menschen Opfer abzuverlangen, die unter normalen Umständen als unzumutbar gegolten hätten. Wie in einem Krieg war jedoch diese Anstrengung auf ein in kürzerer Zeit erreichbares Ziel ausgerichtet und konnte nicht lange durchgehalten werden. Formen direkter Widersetzlichkeiten wie Arbeitsverweigerung, Streik oder Sabotage hielten sich beim Bau der Metro in engen Grenzen. Damit fugt sich Metrostroj in das schon aus früheren Studien bekannte Bild. Die letzten größeren Arbeitsniederlegungen ereigneten sich in der Sowjetunion 1932/33 im Zusammenhang mit der Kürzung von Lebensmittelrationen. Danach kam es nur mehr ganz vereinzelt zu kleinen Streiks. Bei Metrostroj wurden 1934 immerhin 1.247 Arbeiter (3,4 Prozent der mittleren Arbeiterzahl) wegen Arbeitsverweigerung, aber nur vier Arbeiter wegen Sabotage entlassen. 1932/33 sind etliche Fälle klassischer Arbeitersabotage dokumentiert, die keinen politischen Hintergrund hatten, sondern darauf abzielten, das Arbeitstempo durch die Beschädigung von Maschinen und Werkzeug zu drosseln.
V. Die Integration der vom Land zugewanderten Arbeiter in eine neue, sowjetische Arbeiterschaft und ihre Umerziehung zu „neuen Menschen" beruhte nicht nur auf eigenen Motivationen, sondern erfolgte auch über Erziehungsmaßnahmen, sozialistische Arbeitsformen sowie kulturelle und sportliche Freizeitangebote, wie es schon Kenneth Straus am Beispiel Moskauer Großfabriken konstatiert und darauf seine These von der Fabrik als einem „Gemeinschaftsstifter" („community organizer") aufgebaut hat. Von der Propaganda wurde der Bau der Moskauer Metro als „Schule", „Universität" oder „Schmiede" des neuen Menschen hochstilisiert. Man gab sich offiziell der Wunschvorstellung hin, die Arbeit beim Metrobau habe die Menschen in ihrem Wesen verändert, bei ihnen zu einem kulturellen und politischen „Wachstum" geführt, aus ehemaligen Trinkern und Straßenjungen idealistische Arbeitshelden gemacht. Die Realität sah nüchterner aus. Untersucht man die Rolle von Metrostroj als „Schule" im Hinblick auf die Ausbildung der Arbeiter, so stellt sich heraus, daß
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auch im Jahre 1934 die große Mehrheit der Arbeiter keine adäquate Ausbildung erhielt. 1932 und 1933 hatte man im wesentlichen mit unausgebildeten Arbeitern gebaut, 1934 absolvierten immerhin rund 31.500 ein notdürftiges Kursprogramm. Für die beabsichtigte Veränderung des Bewußtseins und die Umerziehung wichtiger war der sozialistische Wettbewerb. Als er zur verwässerten Massenroutine wurde, bewirkte er, wie Straus gezeigt hat, eine Konsolidierung der Arbeitsbeziehungen in den Brigaden, die zur Grundeinheit der Arbeitsorganisation wurden und die traditionellen Arbeitsformen des Arteis und der Beziehung zwischen Lehrling und Meister ersetzten. Daneben waren die Stoßbrigaden ein Instrument zur Disziplinierung der Arbeiter und leisteten auch einen Beitrag zu ihrer Motivierung, nicht zuletzt durch die Inszenierung der Arbeit als gesellschaftliches Ereignis für die Beteiligten. Bei Metrostroj entwickelte sich der sozialistische Wettbewerb analog zur Durchdringung der Baustelle durch die Partei und den Komsomol. Nach bescheidenen Anfangen erlebte er erst im dritten Quartal 1933, auf dem Höhepunkt der Mobilisierungskampagne der Komsomolzen, einen Aufschwung. Am Ende des Jahres 1934 war rund die Hälfte der Belegschaft in Stoßbrigaden organisiert. Über die Effektivität des sozialistischen Wettbewerbs liegen nur wenige Quellen vor. Sie deuten darauf hin, daß nur etwa die Hälfte der Beteiligten ihre Verpflichtungen erfüllte. Die Formung des „neuen Menschen" beschränkte sich nicht auf den Arbeitsplatz, sondern die Partei-, Gewerkschafts-, und Komsomolorganisationen waren angehalten, die Arbeiter auch in ihrer Freizeit zu beeinflussen und ihre Aktivitäten in die richtigen Bahnen zu lenken. Die zu diesem Zwecke unternommene „politische Massenarbeit" umfaßte die Erziehung der Arbeiter zu „kultiviertem" Leben, Maßnahmen zur Alphabetisierung sowie zur allgemeinen und politischen Bildung. Hinzu kamen kulturelle und sportliche Freizeitangebote. Die meisten dieser Aktivitäten setzten erst 1933/34 nach der Ankunft der Komsomolzen ein. Letztere waren es auch, die sich bei der Erziehung ihrer Kollegen besonders hervortaten. Die Barackensiedlungen wurden mit „Roten Ekken", Radiolautsprechern, Kinos, Klubs und kleinen Büchereien ausgestattet, man richtete politische Zirkel ein, veranstaltete in den Baracken und in Arbeitspausen kollektives Zeitunglesen und Radiohören und teilte Agitatoren ein, die mit den Arbeitern politische Gespräche führen sollten. Der politische Unterricht war 1932 und 1933 schlecht organisiert und besucht, erfuhr im Frühjahr 1934 eine gewisse Belebung, konnte aber nicht einmal im Dezember 1934 als effektiv bezeichnet werden. Erfolgreicher als die politischen Lektionen waren die Laienkunst- und Literaturzirkel, in denen sich im Frühjahr 1935 aus eigenem Antrieb 1.500 bis 2.000 Metrobauer betätigten. Allerdings waren diese Initiativen eine Bewegung, die erst im Sommer 1934 einsetzte und im Winter 1934/35 ihren Höhepunkt erreichte. Eine bemerkenswerte schöpferische Aktivität entwickelten die Literaturzirkel, die von namhaften Schriftstellern betreut wurden.
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Quantitativ bedeutender als die Laienkunst- und Literaturzirkel, die nur eine kleine Minderheit der Metrobauer betrafen, war die kulturelle Betreuung in Form von Theater-, Konzert-, Kino- und Museumsbesuchen. Das Angebot konnte die Nachfrage zu keinem Zeitpunkt befriedigen. 1933 verteilte die Gewerkschaft immerhin schon 22.000 Eintrittskarten für verschiedene Veranstaltungen. 1934 wurde die kulturelle Betreuung verstärkt. Neben 50.000 Freikarten für Stoßarbeiter veranstalteten Moskauer Theater und Kinos Sonderauffiihrungen für Metrobauer. Der Sport entwickelte sich nach schwachen Anfängen erst im Laufe des Jahres 1934 in größerem Maßstab. Er war einerseits auf die paramilitärische Ausbildung ausgerichtet, berücksichtigte andererseits aber auch die Bedürfnisse der Arbeiter nach Mannschaftsspielen (Fußball, Volleyball). Im Herbst 1934 wurden Schulen für eine ganze Reihe von Sportarten errichtet. Stolz der Metrobauer war der im Sommer 1934 gegründete Aeroklub, der vor allem Komsomolzen in der Freizeit zu Fallschirmspringern, Segelfliegern und Piloten ausbildete. Die kulturellen und sportlichen Aktivitäten wurden als Freizeitangebote bereitwillig angenommen und erfüllten eine mehrfache Funktion: Sie sollten erstens den Zugriff des Regimes auf die Menschen auch außerhalb der Arbeitszeit gewährleisten und für die Beobachtung, Formung und Erziehung der Arbeiter sorgen, wobei die Umsetzung dieses Konzepts in die Realität aus vielerlei Gründen nur mit Abstrichen gelang. Die Freizeitangebote erleichterten zweitens die Integration der sehr heterogen zusammengesetzten Belegschaft. Es spricht einiges dafür, daß sie einen Beitrag zur Herausbildung eines Gruppenbewußtseins als „Metrobauer" leisteten. Drittens hatten die massenpolitischen Maßnahmen - in Analogie zu ähnlichen Veranstaltungen im nationalsozialistischen Deutschland - eine kompensatorische Funktion, indem sie einen Ausgleich zu der harten Arbeit und den primitiven Lebensumständen in den Baracken boten und Inseln des zeitweisen Rückzugs in eine scheinbare Normalität darstellten.
VI. Das Verhalten der Bevölkerung im Stalinismus war nur zu einem Teil selbstbestimmt. Einen nicht weniger wichtigen Aspekt stellte die Einbindung der Menschen in die Zwänge der Kommandowirtschaft dar, die ebenfalls im Kontext des simulierten Kriegszustandes gesehen werden können. Aus diesem Grunde muß nicht nur danach gefragt werden, welche Motive die Betroffenen für ihr Handeln hatten, sondern auch, welchen äußeren Zwängen und Mechanismen der Machtausübung und Kontrolle sie ausgesetzt waren. Am Beispiel von Metrostroj konnte erstmals gezeigt werden, wie es dem Regime und den gesellschaftlichen Organisationen (Partei, Komsomol, Gewerkschaften) gelang, auf den untersten Ebenen, von Null beginnend, ihre Machtstrukturen aufzubauen und allmählich den Betrieb und seine Beschäftigten unter Kontrolle zu bekommen.
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1931 bis 1933 bot Metrostroj ein Bild, das jeder Totalitarismustheorie hohnsprach: Der Plan wurde nicht erfüllt, die Arbeiter kamen, gingen und arbeiteten beinahe nach Belieben, machten blau, erschienen betrunken oder zu spät zur Arbeit und legten nur eine geringe Leistung an den Tag. Die Ingenieure diskutierten und drückten sich vor Entscheidungen. Anordnungen von oben wurden nicht ausgeführt oder unterlaufen. Tausende „sozial fremder Elemente" fanden Unterschlupf. Von einer effektiven und straffen Führung seitens der Partei oder von einer Durchdringung im Sinne einer Kommandowirtschaft konnte keine Rede sein. Die Kommunisten und Komsomolzen waren eine kleine Minderheit unter der Belegschaft, verfügten nur ansatzweise über Basisorganisationen und schwammen mehr im Strom mit, als daß sie seinen Lauf bestimmten. Die Partei-, Komsomolund Gewerkschaftsfunktionäre, so es sie überhaupt bei den Schächten und Distanzen gab, kannten sich nicht aus, hatten keinen Überblick und sahen dem Treiben mehr oder weniger hilflos zu. In der zweiten Hälfte des Jahres 1933 trat durch den Zustrom der Komsomolzen und Kommunisten aus den Fabriken eine Änderung ein. Nun begann der Aufbau einer Partei-, Komsomol- und Gewerkschaftsorganisation, die allmählich bis in die Brigaden und Gruppen vordrang und dort ihren Einfluß geltend machte. Am Ende des Jahres 1933 hatte man zumindest die Grundstruktur der Basisorganisationen geschaffen. Viele Parteigruppen bestanden allerdings nur auf dem Papier, weil die Parteiorganisatoren überfordert waren und die Zellensekretäre sich nicht um sie kümmerten. Erst im Frühjahr 1934 gelang es, die Basis soweit zu festigen, daß sie Aktivitäten entwickeln konnte, die über die Selbstorganisierung hinausgingen. Im Sommer 1934 war schließlich das Netz der Partei- und Komsomolgruppen so dicht, daß sich kaum ein Arbeiter mehr ihrem Einfluß völlig entziehen konnte. In diesem Prozeß der „Machtübernahme" erfüllte die Parteisäuberung des Jahres 1933 eine wichtige Funktion. Während einer mehrere Wochen dauernden Kampagne mußten sich alle Parteimitglieder einer öffentlichen Kritik auf Versammlungen stellen, zu denen ausdrücklich auch die parteilosen Arbeiter eingeladen waren. Die Kritik und das öffentliche Bloßstellen von Funktionären bzw. Kommunisten in verantwortlichen Managementfvmktionen diente in erster Linie dazu, die untere und mittlere Ebene der Organisation zu disziplinieren und zu aktivieren. Die seitens der Arbeiter gegen die Kommunisten erhobenen und in der Betriebszeitung Udarnik Metrostroja publizierten Vorwürfe spiegelten vor allem die schlechten Lebensbedingungen wider. Die Säuberung hatte somit auch die Funktion eines Ventils, durch das die Arbeiter ihre Unzufriedenheit ablassen und konkreten Schuldigen aufladen konnten. Die meisten Parteiausschlüsse betrafen Kommunisten mit leitenden Funktionen im Management, die auf ihrem Posten versagt oder durch ihr Verhalten den Unmut der Arbeiter hervorgerufen hatten, sowie die ideologisch wenig gefestigten und inaktiven Neuzugänge der Jahre 1929 bis 1932. Damit befreite sich die Partei von Mitgliedern, die sie belasteten, und erhöhte ihre Glaubwürdigkeit und Autorität unter den Arbeitern.
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Nach der Säuberung, die bei Metrostroj im Dezember 1933 für abgeschlossen erklärt wurde, und der Konsolidierung der Basisorganisationen installierten die Partei und der Komsomol 1934 ein System effektiver und (fast) totaler Kontrolle und Machtausübung. In diesem System bedienten sie sich vielfaltiger Methoden, um ihre eigenen Mitglieder, die Betriebsleitung sowie die gewöhnlichen Arbeiter zu kontrollieren und zu höherer Leistung anzuspornen. In Ausübung der Macht gegenüber der Betriebsleitung überprüfte die Partei unter anderem den Personalbestand, Schloß Ingenieure oder Manager aus der Partei aus oder setzte ihre Entlassung durch, traf Anordnungen gegenüber Einzelpersonen oder meldete Mißstände an die höheren Partei- und Kontrollorgane weiter. Direktiven der Parteikomitees beim Leitungsapparat oder bei den Schächten und Distanzen, die sich auf Fragen der Betriebsleitung bezogen, kollidierten nicht selten mit dem Prinzip der Einmannleitung. Oft bezogen sie sich jedoch auf prinzipielle Verhaltensweisen oder auf Anordnungen des jeweiligen Vorgesetzten im Betrieb oder höherer Parteistellen, die noch nicht in der gewünschten Weise umgesetzt worden waren. Wichtige Instrumente in der Hand der Partei waren die Wandzeitungen sowie die im August 1932 gegründete Betriebszeitung Udarnik Metrostroj α und die zahlreichen Schacht- und Distanzzeitungen, die ab Juli 1934 erschienen. Die Partei bediente sich dieser Zeitungen 1934 gezielt, um das Management und die Arbeiter unter Druck zu setzen. Weitere Mittel, um über das Management Macht auszuüben, waren Plakate mit Karikaturen oder Flugblätter, die konkrete Personen aufs Korn nahmen oder öffentlich aufforderten, bestimmte Maßnahmen durchzuführen oder zu unterlassen. Da die Partei- und Komsomolmitglieder keineswegs alles „Enthusiasten" waren, mußten viele erst durch ihre Organisation aktiviert oder diszipliniert werden. Die gängigste Form der Machtausübung über die Partei- oder Komsomolgruppen oder -zellen war das Abhalten von Versammlungen, die dazu benutzt wurden, das Fehlverhalten einzelner Genossen vor dem gesamten Kollektiv anzuprangern. Eine Steigerungsstufe dieser Form der Kritik waren regelmäßige Rechenschaftsberichte der einzelnen Kommunisten oder Komsomolzen vor ihrer Gruppe. Die Zellensekretäre und Gruppenorganisatoren waren darüber hinaus gehalten, sich für das Privatleben der Kommunisten und Komsomolzen zu interessieren und sie erforderlichenfalls einzeln zu „bearbeiten", d.h. mit ihnen Gespräche zu führen, ihnen Lesestoff zu geben oder auch bei persönlichen Problemen zu helfen. Einzelpersonen und ganze Brigaden inspizierten gegenseitig die Arbeit und Planerfüllung. Die Betriebs- und Wandzeitungen wurden ebenfalls zur Disziplinierung der eigenen Partei- und Komsomolmitglieder eingesetzt. Das Publik-Machen und die Verantwortung vor dem Kollektiv bildeten auch den Kern der Machtausübung über die Arbeiter. Auf Schautafeln wurden die Leistungen von Brigaden oder einzelnen Arbeitern verglichen. Man stellte Arbeiter vor der versammelten Brigade oder in der Zeitung bloß, sorgte in schweren Fällen für ihre Entlassung, hängte Karikaturen und Verse über konkrete, namentlich genannte Personen in den Wohnbaracken auf oder forderte Brigaden auf Plakaten
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auf, bestimmte Arbeiten fristgerecht auszufuhren. Partei- und Komsomolmitglieder sowie Gewerkschaftsfunktionäre setzten Arbeiter in persönlichen Gesprächen unter Druck und beriefen sogenannte „Genossengerichte" ein. In manchen Fällen wurden auch die Strafgerichte als Disziplinierungsmittel eingesetzt. Die entscheidende Rolle bei der Machtausübung über die Arbeiter fiel den Komsomolzen zu, die man frühzeitig so verteilte, daß möglichst in allen Brigaden ihr Einfluß gewährleistet war. Sie führten tägliche „Fünf-Minuten-Versammlungen" der Brigaden ein, auf denen die Arbeit jedes einzelnen Arbeiters bewertet wurde, wobei es nicht nur um die Arbeitsdisziplin und das Arbeitstempo, sondern auch um das persönliche Verhalten der Mitglieder ging. Die Komsomolzen hatten auch die Aufgabe, in den Baracken mit ihren Kollegen politische Gespräche zu führen, sie in der Freizeit zu beobachten und zu beeinflussen, und beteiligten sich eifrig an der Jagd auf eingeschlichene „Kulaken" und „fremde Elemente". Die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Steigerung der Disziplin, des Tempos, der Produktivität und der Qualität der Arbeit hing von der Effektivität der Aufsicht über die Durchführung ab. Im Laufe des Jahres 1934 installierten die Partei und der Komsomol ein mehrstufiges System, das nicht nur auf der Kontrolle der Kommunisten und Komsomolzen über die anderen Arbeiter, sondern auch auf der informellen gegenseitigen Kontrolle der Arbeiter in den Brigaden beruhte. Eine verbreitete Methode, um die Qualität der Arbeit zu gewährleisten, war die Überprüfung der geleisteten Arbeit durch die nachfolgende Schicht. Eine vorübergehend sehr wirkungsvolle Einrichtung waren die „gesellschaftlichen Qualitätsinspektoren": gute Stoßarbeiter, meistens Komsomolzen, die die Qualität des Betons und der Wasserisolierung der Tunnel überprüften und denen dafür weitgehende Befugnisse verliehen worden waren. Auch wenn das geschilderte Funktionieren der Kommandowirtschaft durchaus totalitäre Züge trägt, muß das von der Totalitarismustheorie beschriebene Bild der Kontrolle von oben um Elemente der Verwurzelung in den Massen und der dezentralisierten Machtausübung „von unten" ergänzt werden. Die Kontrolle und Machtausübung innerhalb des Betriebs funktionierte nicht durch den Terror der Geheimpolizei - obwohl auch die Angst vor der OGPU für die Beurteilung des Verhaltens der Arbeiter nicht ausgeblendet werden darf - , sondern deshalb, weil sich Tausende Komsomolzen dem System verschrieben und es in ihrem engeren'Wirkungskreis fanatisch durchsetzten. Der Erfolg der Komsomolzen und Kommunisten beruhte zu einem guten Teil darauf, daß sie sich mit unerschütterlicher Zivilcourage gegenüber der Mehrheit der anderen Arbeiter durchsetzten. Die Ideologie gab ihnen die Gewißheit, daß ihre Ansichten und Ziele und ihr Verhalten die einzig richtigen seien und daß sie mit historischer Gesetzmäßigkeit Erfolg haben würden. So scheuten sie sich nicht, als einzelne oder kleine Gruppen gegen eine Mehrheit anzutreten und die anderen zu „erziehen". Mindestens genauso wirkungsmächtig wie das Zerschlagen gewachsener Strukturen war der konstruktive Aufbau einer neuartigen Realität, eines bolschewisti-
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sehen Lebensstils, einer „Zivilisation", wie sie schon Kotkin diagnostizierte. Die Komsomolzen und Kommunisten bewegten sich auf dem sicheren Boden dieser neuen Realität, sie waren nicht nur Zerstörer des Alten, sondern sie strukturierten ihre Umwelt neu, gaben ihr neue Sinninhalte, vermittelten ein in sich schlüssiges Weltbild, bauten etwas Neues auf. Dieser konstruktiven Energie hatten die übrigen Arbeiter nichts Substantielles entgegenzusetzen. Sie verlegten sich auf eigensinnige Verhaltensweisen, die aber nur Rückzugsgefechte darstellten und die Maßnahmen der Bolschewiki nur vorübergehend abschwächen und verzögern konnten. Die Machtausübung und Kontrolle erfolgte nicht nur betriebsintern, sondern auch durch übergeordnete Instanzen. Dabei lassen sich drei Arten von Interventionen unterscheiden: die Vorgabe von Richtlinien und Rahmenbedingungen, die direkte Einmischung in die Unternehmensleitung sowie die Kontrolle des Unternehmens. Die Metrostroj betreffenden Beschlüsse des Politbüros, des Rates der Volkskommissare und anderer Regierungsstellen griffen nicht in die operative Führung des Unternehmens ein, sondern gaben ihm wichtige Richtlinien und Rahmenbedingungen vor, setzten Fristen oder schlichteten Konflikte zwischen der Betriebsleitung und den Behörden. Einen völlig anderen Charakter hatten die Einflußnahmen des Moskauer Stadt- und Gebietsparteikomitees und des Mossovet. Vor allem das Stadtparteikomitee unter Kaganovic und Chruscev fungierte als eine Art „oberste Bauleitung", deren Einmischungen sich im Laufe des Jahres 1934 immer mehr intensivierten. Alle Angehörigen von Metrostroj mußten sich nach den Anweisungen des Stadtparteikomitees richten. Kaganovic versammelte 1934 die Führung von Metrostroj sowie die Schacht- und Distanzleiter monatlich zu Rapporten und Beratungen. Diese Beratungen bildeten das zentrale Element seiner Einflußnahme. Kaganovic traf keine Anordnungen an der Leitung von Metrostroj vorbei, sondern lud immer die jeweils Verantwortlichen vor. Er agierte weniger über die Parteisekretäre als über die zentrale Betriebsleitung und die Schachtleiter. Er ließ sich von den Ingenieuren auf dem Laufenden halten, ihre Probleme schildern und arbeitete gemeinsam mit ihnen Resolutionen des Moskauer Parteikomitees aus, in denen er sie zwar mit rigorosen Fristen und Anweisungen unter Druck setzte, gleichzeitig aber auch alle notwendigen Maßnahmen traf, um ihnen die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen. Dieser Führungsstil erwies sich als äußerst effektiv. Allerdings wurde dieses ständige Druckmachen in erster Linie deswegen erforderlich, weil Kaganovic selbst ohne Notwendigkeit extrem kurze Fristen für die Fertigstellung der Untergrundbahn gesetzt hatte, was viele Probleme, vor allem hinsichtlich der Qualität der Arbeiten, erst erzeugte. Chruscev, den Kaganovic mit der täglichen Kleinarbeit betraute, war ein Mann des hemdsärmeligen Eingreifens, der unmittelbar auf den Baustellen Anordnungen traf und sich dabei um die Einmannleitung und die betriebsinteme Hierarchie wenig kümmerte. In den letzten Wochen vor der Fertigstellung hielt er
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sich fast ständig auf den Baustellen auf und kümmerte sich persönlich um Details, wie den Bau der Schrägschächte und die Montage der Rolltreppen. Die Kontrolle über das Unternehmen übten die Kontrollkommission / Arbeiter- und Bauerninspektion, die Gewerkschaft und die Staatssicherheit aus. Während der Gewerkschaft kaum ernsthafte Sanktionsmöglichkeiten zur Verfugung standen, erwiesen sich die Untersuchungen der Kontrollkommission / Arbeiterund Bauerninspektion als wirksam. Letztere setzte 1933 eine Umstrukturierung des Leitungsapparates von Metrostroj durch und nahm fast alle Bereiche des Baus, von den Baracken bis zur Ausnutzung der Maschinen unter die Lupe. Allein schon die Tatsache einer laufenden Untersuchung übte Druck auf die Betroffenen aus. Bei gravierenden Mißständen wurden die Schuldigen entlassen und vor Gericht gestellt. Die Aktivitäten der OGPU bzw. des NKVD lassen sich nur bruchstückhaft rekonstruieren. Sie schritten ein, wenn kriminelle Handlungen aufgedeckt wurden, wenn es zu großen Unfällen kam, sie waren für die Bewachung der Baustellen zuständig und bespitzelten den Leitungsapparat. Das Beispiel des Qualitätsproblems zeigt, daß das Eingreifen mächtiger Parteistellen und das Zusammenwirken verschiedener Kontrollinstrumente zwar vieles bewirkte, aber nicht überall den gewünschten Erfolg zeitigte. Das System der Machtausübung und Kontrolle innerhalb von Metrostroj und über das Unternehmen war auch im Jahre 1934 nicht so effektiv, wie es sein sollte. Mißt man die Effektivität an der Produktivität und der Disziplin der Arbeiter, so ergibt sich, daß die Mobilisierung aller Kräfte nur für kurze Zeit, nämlich für die Monate Januar bis Juni, maximal bis August 1934, gelang. Danach sank die Produktivität wieder stark ab und häuften sich Klagen über „demobilisierte Stimmungen" und „Selbstzufriedenheit". Wo sich die politische Kontrolle durch die Partei nicht auf die Arbeiter, sondern auf bautechnische Fragen und konkrete Anordnungen an die Betriebsleitung erstreckte, war sie in einem höheren Grad wirksam. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür ist die architektonische Gestaltung der Metrostationen, die bis in die Details von Kaganovic beeinflußt wurde.
VII. Der Bau der Moskauer Untergrundbahn erfüllte nicht nur für die unmittelbar Beteiligten eine identitätsstiftende Funktion, sondern eignete sich auch hervorragend, um von der Propaganda als ein entscheidender Schritt auf dem Weg in eine bessere Zukunft inszeniert zu werden. Mit Parolen wie „Wir bauen die beste Metro der Welt" vermittelte man der Bevölkerung erfolgreich das Gefühl, hier entstünde als gemeinsames Werk aller Sowjetbürger etwas Einzigartiges, auf das sie stolz sein könnten. Die Metro symbolisierte in der Propaganda die Fähigkeit der aufstrebenden Sowjetunion, dank der erfolgreichen Industrialisierung nun schon komplizierteste Technik mit eigenen Kräften nutzbar zu machen, während gleichzeitig die kapitalistischen Länder in der Weltwirtschaftskrise stagnierten.
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Die Öffentlichkeitsarbeit bestand allerdings nicht nur in einer Verherrlichung des Bauvorhabens, sondern auch in einer begleitenden kritischen Berichterstattung in den Zeitungen. Probleme wurden nicht verheimlicht, sondern der Öffentlichkeit als solche präsentiert, wodurch man ihr bewußt machte, um welch ein anspruchsvolles Bauvorhaben es sich handelte. Vor allem, wenn es um Versorgungsengpässe oder die Zustände in den Baracken und Kantinen ging, setzte man damit auch die Verantwortlichen unter Druck. Die Eröffnung der Metro wurde als großes Volksfest gefeiert. Schon in den Wochen davor hatte man Hunderttausende in die Stationen gefuhrt und sie Probefahrten unternehmen lassen. Kaganovic pries in seiner Ansprache zur Inbetriebnahme die Metro als Sieg des sozialistischen Aufbaus und als Beweis dafür, daß die Bolschewiki nun auf dem Weg seien, den Westen zu übertreffen. Schon während des Baus hatte man die breite Bevölkerung und die Betriebe in Form von Subbotniki und Patenschaften eingebunden. Bei den berühmten Metro-Subbotniki handelte es sich allerdings nicht, wie die Propaganda suggerierte, um ein spontanes Herbeiströmen der Moskauer, sondern um von oben angeordnete Aktionen, die nach einem genauen Einsatzplan - und im übrigen recht ineffektiv - abliefen. Die Moskauer Bevölkerung stand anfangs dem Bauvorhaben eher ablehnend gegenüber. Erst 1934, als der Erfolg in greifbare Nähe rückte, änderte sich die Einstellung. Nach ihrer Fertigstellung wurde die Metro mit ihren aufwendig gestalteten Stationen und Vestibülen rasch zum Stolz nicht nur der Moskauer, sondern des ganzen Landes. In den Zusammenhang der propagandistischen Verwertung gehört auch das Projekt „Geschichte der Metro", das im Rahmen der Redaktion „Geschichte der Fabriken und Werke" in den Jahren 1933 bis 1935 verfolgt wurde: Parallel zum Bau sollte bereits seine Geschichte geschrieben werden. Hunderte Metrobauer beteiligten sich, führten Tagebücher, verfaßten Erzählungen und Gedichte, gaben Interviews, die stenographisch protokolliert wurden. Das Vorhaben muß als Teil der Strategie des Regimes, die Gesellschaft zu verändern, betrachtet werden. Zum einen transportierten die publizierten Bände das ganze Spektrum der Stereotype vom „neuen Menschen", wie sie im gesellschaftlichen Bewußtsein verankert werden sollten. Zum anderen wollte man den Arbeitern auf diese Weise bewußt machen, was sie alles der zielstrebigen Führung durch die Partei zu verdanken hätten und wie sehr sie „gewachsen" seien. Der Metrobau fand auch in der Literatur und im Filmschaffen seinen Niederschlag. Eine Reihe prominenter Schriftsteller begleitete den Bau mit Gedichten, einige waren sogar persönlich bei Metrostroj tätig. Die fertige Untergrundbahn wurde gegenüber dem Ausland zu einem der wichtigsten Elemente der Selbstdarstellung. Mit Genugtuung berichteten die Zeitungen, wenn sich ausländische Gäste lobend und anerkennend über die neue Untergrundbahn geäußert hatten. In der Tat waren selbst Gegner der Sowjetunion von der Leistung beeindruckt. Der eigenen Bevölkerung präsentierte man die Metro als eine Kostprobe des künftigen Lebens im Sozialismus. Alles in diesem unterirdischen Mikrokosmos
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war schön, hell, sauber, effektiv, wohlgeordnet und auf dem neuesten Stand der Technik, und selbst die Menschen gingen - in der Darstellung der Propaganda anders, nämlich freundlicher und froher miteinander um, sobald sie das Bauwerk betraten: Der „neue Mensch" hatte sich in enthusiastischer Arbeit ein erstes Stück „Sozialismus" geschaffen.
Alles in allem zeigt der Fall Metrostroj, daß es erkenntnisfördernd sein kann, den Stalinismus aus mehreren Perspektiven gleichzeitig zu betrachten. Mit einer einzigen universellen Deutung läßt sich das Phänomen jedenfalls nicht erklären. Es gab nicht nur eine, sondern eine Vielzahl von Ursachen dafür, daß sich die Herrschaft Stalins etablieren konnte und daß große Gruppen der Bevölkerung sich daran beteiligten oder zumindest nicht widersetzten. Die Kombination verschiedener Erklärungsversuche führt weiter als die Abgrenzung und wechselseitige Widerlegung. Das gilt auch für manche Ergebnisse der frühen, im Zeichen der Totalitarismustheorie stehenden Forschung, die in den letzten zwanzig Jahren ins Abseits gedrängt worden war, für gewisse Bereiche aber durchaus weiterhin ihre Berechtigung hat: Die zentrale Rolle des Terror- und Unterdrückungsapparates für das Funktionieren der Herrschaft und das angepaßte Verhalten eines Großteils der Bevölkerung auszublenden, führt am Wesen des stalinistischen Regimes vorbei. Nach den blutigen Erfahrungen des Bürgerkriegs und der Kollektivierung und angesichts allgegenwärtiger Verhaftungen und Todesurteile waren die Möglichkeiten für organisierten Widerstand minimal. Daß sich Menschen, die dieses Regime eigentlich ablehnten, mit ihm arrangierten und sich erstrangig um das Überleben und Fortkommen der eigenen Familie kümmerten - und damit das System indirekt stützten, ist nicht weiter verwunderlich. Solches Verhalten war auch im Nationalsozialismus weit verbreitet. Die Ergebnisse der sozial- und kulturgeschichtlich orientierten Forschung widerlegen diesen Befund nicht. Sie ergänzen ihn vielmehr bei den Erscheinungen, die man mit der Angst vor Repressionen allein nicht erklären kann. Zweifellos war die sowjetische Arbeiterschaft der dreißiger Jahre zersplittert und politisch nicht handlungsfähig; zweifellos gab es große Gruppen, die vom System profitierten, ihm ihren Aufstieg verdankten oder sich Aufstieg erhofften; zweifellos hatten viele die Ideologie verinnerlicht und stellten sich begeistert in den Dienst des Aufbaus einer neuen Gesellschaftsordnung; zweifellos gab es breite Schichten, die nur nach außen hin die politisch erwünschte Rolle als Stoßarbeiter spielten und sich ansonsten der Herrschaft entzogen, wo es nur ging. Alle diese Aspekte lassen sich am Beispiel von Metrostroj identifizieren, aber keines taugt für sich allein als Universalerklärung. Selbst die Motive der Komsomolzen, der tragenden Gruppe unter der Arbeiterschaft der Baustellen, waren
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individuell so unterschiedlich, daß sie sich nicht in ein Schema pressen lassen. Als hilfreich erweist sich das Modell des simulierten Kriegszustandes, das manche Verhaltensweisen besser zu verstehen hilft, - wenn man es nicht zwanghaft auf alles anwendet. Gleichzeitig macht das Beispiel von Metrostroj deutlich, daß sich die Frage nach den Motiven für einen großen Teil der Akteure erübrigte. Sie wurden vielmehr während der entscheidenden Monate des Jahres 1934 in ein straffes System der Kontrolle und Machtausübung eingebunden, dem sie sich nur schwer entziehen konnten. Dem in der vorliegenden Arbeit verfolgten Ansatz, unterschiedliche Blickwinkel zu vereinigen, liegt die Vorstellung zugrunde, daß es sich beim Stalinismus um ein komplexes Gesamtsystem handelte, das sich nicht, wie es bisher meistens geschah, auf bestimmte einzelne Phänomene reduzieren läßt. Zum Stalinismus gehörten nicht nur die Deportationen, Erschießungen und der Personenkult, sondern genauso auch die Instrumentalisierung kultureller und sportlicher Aktivitäten oder die Inszenierung technischer Errungenschaften als Volksfeste. Wenn man auch im einzelnen bei fast allen dieser Elemente - im übrigen auch bei den Repressionen - mit Recht darauf verweisen kann, daß sie für sich allein nichts „typisch Stalinistisches" waren und auch in anderen Herrschaftssystemen zu beobachten sind, so bildeten sie doch integrative Bestandteile der Realität des damaligen Alltags. Das „typisch Stalinistische" bestand in der eigentümlichen Kombination, in der sie auftraten, und in dem Stil, der ihnen übergestülpt wurde, und der am Beispiel des Baus der Moskauer Untergrundbahn - hoffentlich deutlich geworden ist.
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Die R e a l i s i e r u n g des Baus in t e c h n i s c h e r H i n s i c h t Die fertiggestellte erste Baufolge der Moskauer Untergrundbahn umfaßte den Kirov-Frunze-Durchmesser, wie der Mjasnickij-Usacevskij Durchmesser nun genannt wurde, von Sokol'niki bis zum Krimplatz mit 8,619 Kilometern Länge, den Arbat-Radius von der Leninbibliothek bis zum Smolensker Platz mit 2,448 Kilometern sowie eine Abzweigung zum Waggondepot mit 315 Metern, zusammen 11,382 Kilometer Trasse mit 16,484 Kilometern Tunnel (8,584 Kilometer eingleisige Tunnel, 4,729 Kilometer zweigleisige Tunnel, 3,171 Kilometer Stationstunnel).1 Tab. 46 zeigt, in welchem Umfang die verschiedenen Bauweisen angewandt wurden. Tabelle 46: Anwendung verschiedener Bauweisen bei der ersten Baufolge 2 Bauweise offene (Berliner) Bauweise Grabenbauweise geschlossene belgische (Pariser) Bauweise mit Holzausbau Schildvortrieb Absenkung von Tunnelsektionen in Caissonbauweise zusammen
Kilometer 4,220 3,251 8,046 0,887 0,080 16,484
Prozent 25,6 19,7 48,8 5,4 0,5
% % % % %
100 %
Die Vielfalt der gewählten Bauweisen hing mit den komplizierten hydrogeologischen Bedingungen zusammen, die entlang der Trasse recht unterschiedlich waren: - Zwischen Sokol'niki und Krasnye vorota befinden sich in großer Tiefe feste Schichten (Kalk, harte Tone). Sie sind ungleichmäßig mächtig, und ihre Oberfläche wird von alten Flußbetten durchschnitten (Rybinka, Ceöora, Ol'chovka, Ol'chovec). Bei den oberen Schichten handelt es sich um Quartärsedimente in Form von Lehm und wasserführenden, lehmigen Sanden. - Zwischen Krasnye vorota und Ochotnyj ijad besteht der feste Untergrund nur aus dünnen Juraton- und Kalkschichten, die zwischen dem Dzerzinskijplatz 1 Rotert, Abakumov, Starostin, Seljubskij. Kurze technische Beschreibung der ersten Baufolge der Metro, 16.2.1935. GARF R-5446/40/16, Bl. 5. 2 Ebd., Bl. 5-6.
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und dem Sverdlovplatz vom Fluß Neglinka durchschnitten werden. Die oberen Schichten bestehen überwiegend aus wasserführenden Lehmen und lehmigen Sanden, die überwiegend den Charakter von Schwimmsanden haben und zwölf bis achtzehn Meter mächtig sind. Vom Ochotnyj qad Richtung Smolensker Platz und Krimplatz gibt es keine Juratone. Auf einem festen Untergrund aus Karbontonen und Kalk liegen Quartärsedimente, die in den oberen Schichten vor allem aus reinen oder lehmigen Sanden bestehen. Sie sind entlang der Kominternstraße [Vozdvizenka] und der Ostozenka wasserführend, geben das Wasser aber relativ leicht ab. Auf den übrigen Abschnitten sind die Sande bis in eine Tiefe von zwölf bis vierzehn Metern trocken.3
Im einzelnen wurden folgende Bauweisen und technische Lösungen praktiziert (Abb. 28):4 Abb. 28: Anwendung verschiedener Bauweisen bei der ersten Baufolge
Offene Bauweise Belgische Bauweise Als Caisson abgesenkte Tunnel Schildbauweise
Anschlußstück fir den KurskerMadM
Kulturpark 8,7 m
3 Ebd., Bl. 8-10. 4 Ebd., Bl. 30-37. Makovskij: Sooruzenie 1935, S. 393. Makovskij: Pervaja oöered' 1981, S. 95-98.
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Der Abschnitt von Sokol'niki bis zum Komsomolplatz, mit den Stationen „Sokol'niki" und „Krasnosel'skaja", wurde in offener Bauweise und geringer Tiefe (sieben bis neun Meter) gebaut. Um im Trockenen arbeiten zu können, wurde das Grundwasser künstlich abgesenkt, indem man entlang der Baugruben über Bohrlöcher ständig das Wasser abpumpte. Beim Auftreten von Schwimmsanden errichtete man Metallspundwände. Beim Mit'kovskij Viadukt („Versuchsabschnitt") baute man 224 Meter zweigleisigen Tunnel in belgischer (Pariser) Bauweise unter zeitweiligem Holzausbau und mit Steinmauerung. Die Unterquerung des Viadukts der Kazaner Eisenbahn erfolgte ohne Unterbrechung des Zugverkehrs. Die Station Komsomol'skaja" wurde bei mächtigen Schwimmsanden in offener Bauweise mit Metallspunden gebaut. Die Spunde blieben in der Erde. Beim Übergang von der seichten zur tiefen Lage vom Komsomolplatz Richtung Krasnye vorota waren mächtige Schwimmsande zu überwinden. Dort wurden an der Kalancevstraße drei 25 Meter lange, 11 Meter breite und 10 Meter hohe Tunnelabschnitte aus Eisenbeton als Caissons 15 Meter tief abgesenkt. Jedes Tunnelstück wog 5.000 Tonnen. Die Verbindung zwischen den abgesenkten Tunnelstücken wurde in offener Bauweise hergestellt. Auf einem 120 Meter langen Abschnitt unter der Kalancevstraße mußte der Untergrund künstlich vereist werden, bevor man mit Caissons bauen konnte.5 Die eingleisigen Tunnel unter der Mjasnickaja mit den Stationen „Krasnye vorota", „Kirovskaja" und „Dzerzinskaja" wurden in 30 bis 35 Meter Tiefe mit der belgischen (Pariser) zweistelligen Methode errichtet, unter zeitweiligem Holzausbau und Stein- sowie Betonmauerung. Die Errichtung von Stationen in großer Tiefe im bergmännischen Vortrieb war international eine Neuheit. Die Station „Krasnye vorota" wurde als dreitunnelige Konstruktion gebaut. Die beiden Seitentunnel nehmen die Gleise und die Bahnsteige auf, der größere Mitteltunnel mündet auf einer Seite in die Rolltreppen, ist aber kürzer als die Seitentunnel. Für den Mitteltunnel entschied man sich erst nach längerer Diskussion, weil viele Fachleute befürchteten, er würde dem Gesteinsdruck nicht standhalten. Gegen den Rat des amerikanischen Konsultanten Morgan konnte Ingenieur Goceridze, der den Bau der Station leitete, Kaganovic von der Durchführbarkeit überzeugen.6 Bei den Stationen „Kirovskaja" und „Dzerzinskaja" mußte wegen geologischer Probleme auf den Mitteltunnel verzichtet werden. Die Seitentunnel mündeten hier direkt in den Rolltreppen-Schrägschacht. Erst Anfang der sieb-
5 Sten. Gespräch mit Abakumov, 25.11.1934. GARF R-7952/7/299, Bl. 54. - Zur Vereisungstechnik siehe unten. 6 Goceridze, I.: Tretij svod. - In: Komsomol'skaja Pravda Nr. 110 (15.5.1935), S. 2. Vgl. Makovskij: Pervaja ofiered' 1981, S. 97.
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ziger Jahre erhielten auch diese beiden Stationen Mitteltunnel.7 Beim Bau der Station „Dzerzinskaja" traten große Komplikationen auf, die fast zu einer Katastrophe führten, als im März 1934 auf dem Dzerzinskijplatz große Risse und Setzungen auftraten und einige Gebäude einzustürzen drohten. Auch am Hauptgebäude der OGPU (Lubjanka) traten Schäden auf.8 Der Holzausbau der vorgetriebenen Stollen wurde von den Erdmassen zusammengedrückt. Die Abstützung der Stollen mußte mit Eisenbeton erneuert werden, und manche Ingenieure zweifelten, ob man an dieser Stelle überhaupt eine Station bauen könne.9 Zwischen dem Dzerzinskijplatz und der Leninbibliothek ging man kontinuierlich von dreißig auf zehn Meter Tiefe über. Besonders schwer war der Abschnitt zwischen dem Dzerzinskijplatz und dem Sverdlovplatz, weil der unterirdische Fluß Neglinka durchquert werden mußte. Dort wurde die Methode des Schildvortriebs angewandt, überwiegend im Caisson. Die beiden Schilde, je einer für eine Fahrtrichtung, untergruben unmittelbar das Malyj Theater, das Hotel Metropol und andere Gebäude, ohne daß es zu Setzungen kam. Die Tunnel kleidete man nicht, wie im Ausland üblich, mit Gußeisentübbings aus, sondern mit Eisenbetontübbings, weil Metall teurer war als Beton. Der Schildvortrieb erreichte eine maximale Geschwindigkeit von 4,75 Metern in 24 Stunden und eine mittlere Geschwindigkeit von 2,5 Metern in 24 Stunden. Ausländische Fachleute hatten beim Beginn der Arbeiten eine höchstmögliche Leistung von 0,75 bis 1,0 Meter am Tag vorausgesagt. Die Station „Ochotnyj ijad" und die Abzweigung zum Arbat-Radius wurden bergmännisch gebaut, mit Holzabstützung und betonierten Tunnelwänden, teilweise unter dem Einsatz von Caissons, Silikatisierung und Vereisung des Bodens. Die Station „Ochotnyj rjad", zwischen dem Hotel „Moskva" und dem Gebäude des Rates der Volkskommissare gelegen, wurde ähnlich wie die Station „Krasnye vorota" als Dreiröhrenkonstruktion realisiert. Die Tunnel zwischen dem Ochotnyj rjad und der Leninbibliothek wurden in bergmännischem Vortrieb unter dem Einsatz von Caissons gebaut, wobei es bei den großen Gebäuden (Universität, amerikanische Botschaft) zu Komplikationen durch alte Brunnenschächte kam. Die Station „Leninbibliothek" wurde bergmännisch in geringer Tiefe gebaut, als Halle mit einer sechzehn Meter breiten, monolithischen Wölbdecke ohne Stützsäulen.
7 Vgl. Goceridze 1935, S. 2. Moskva Encyklopedija 1997, S. 446. 8 Akte der Kommission zur Untersuchung der Setzungen am Dzerzinskijplatz, o.D. [nach dem 16.3.1934], RGASPI 81/3/203, Bl. 71. 9 Sten. Gespräch mit Ing. Fedcun, stv. Leiter des Schachtes 13-14, 18.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 9-14.
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Von der Leninbibliothek, entlang der Volchonka, bis einschließlich der Station „Palast der Sowjets" baute man in einer Kombination von offener und Grabenbauweise, mit letzterer auch unter Häusern hindurch. Der zweigleisige Tunnel unter der Ostozenka, zwischen den Stationen „Palast der Sowjets" und „Kulturpark", wurde in offener Bauweise unter künstlicher Wasserabsenkung errichtet. Der Straßenverkehr wurde auf die Kropotkinskaja [Precistenkaja] Straße umgeleitet. Der Arbat-Radius mit den Stationen „Kominternstraße", „Arbatplatz" und „Smolensker Platz" wurde in Grabenbauweise errichtet, wobei man die Trasse abseits der Straßen durch Höfe und unter Häusern hindurch führte. Die Schrägschächte für die Rolltreppen, die in einem Winkel von dreißig Grad zwanzig Meter mächtige Schwimmsande durchschnitten, wurden unter Vereisung des Bodens gebaut und mit Gußeisentübbings ausgesteift.
Die erwähnte Methode des Vereisens dient zur Stabilisierung stark grundwasserführender Bodenschichten und besteht darin, daß rund um die künftige Tunnelröhre zahlreiche Löcher gebohrt, in die Löcher Rohre eingelassen und miteinander über eine Pumpe und einen Wärmetauscher (Refrigerator) zu einem geschlossenen System verbunden werden, in dem eine Kühlflüssigkeit zirkuliert. Nach dem Wirkungsprinzip eines Gefrierschranks entsteht so in wochenlanger Arbeit rund um die Rohre im Boden eine gefrorene Zone, die zuströmendes Wasser abhält, und in dessen Schutz das Erdreich ausgebrochen werden kann.10 Abakumov hatte diese Technik auf einer Dienstreise in Deutschland bei der Firma Thyssen kennengelernt. Die Leitung des Vereisungskontors übernahm Ingenieur Trupak, der bei der Firma Fröhlich in Solikamsk am Ural gearbeitet hatte." Für den Bau von so tiefen Schrägschächten wie in Moskau war diese Methode auch im Ausland noch nie angewandt worden. (Die Schrägschächte zu den Stationen „Krasnye vorota" und „Kirovskaja" waren sechzig Meter lang, jener zur Station „Dzerzinskaja" 44 Meter.) Metrostroj schickte Ingenieure nach England, doch dort hatte man die Schrägschächte in einer Technik gebaut, die unter den geologischen Bedingungen Moskaus nicht anwendbar war. 12 Ab März 1934 wurden 12.785 Laufmeter Bohrlöcher gebohrt und drei Vereisungsstationen errichtet. Die Vereisung begann am 25.7.1934 und dauerte bis Mitte September. Erst dann konnte mit dem Ausheben der Schrägschächte begonnen werden. 13 Ein weiteres Verfahren zur Verfestigung instabilen Bodens, vor allem bei sandigem Untergrund, ist die Silikatisierung oder künstliche Versteinerung. Über
10 Vgl. Kuhlmann 1981, S. 10. 11 Sten. Gespräch mit Abakumov, 25.11.1934. GARF R-7952/7/299, Bl. 40-41. 12 Abakumov, E.T.: Stroila partija, my pomogali. Manuskript. GARF R-7952/7/299, Bl. 13-14. 13 Abakumov, Gertner, Trupak an Kaganovii. Bericht über die Schrägschächte und Vestibüle, 13.8.1934. RGASPI 81/3/204, Bl. 63.
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Rohre werden Wasserglas und Chlorkalzium in den Boden gepumpt, die den Sand zu einer Art Gestein verbacken. Das Patent für dieses Verfahren hatte eine deutsche Firma inne, die in Frankreich und Amerika schon damit gearbeitet hatte. Sie bot auch den Sowjets ihre Dienste an, was je Kubikmeter versteinerten Bodens 25 Goldrubel gekostet hätte. Metrostroj wandte sich an das Moskauer Institut fur Hydrotechnik und Hydrogeologie und ließ dort eine eigene Methode ausarbeiten. Sie wurde mit Erfolg beim Bau der Station „Leninbibliothek" und an anderen Stellen angewandt. Eine breitere Anwendung hätte viele Gebäudeschäden verhindern können, war aber nicht möglich, weil die benötigten Chemikalien in der Sowjetunion Mangelware waren.14 Probleme gab es bei der Isolierung der Tunnel gegen eindringendes Grundwasser, weil Metrostroj dieses Thema lange vernachlässigte. Eine Wasserisolierung sollte idealerweise außen und innen angebracht werden, außen auch deshalb, um den Beton vor im Wasser gelösten aggressiven Säuren zu schützen. Anfangs hatte Metrostroj kein Konzept für die Isolierung.15 Einige verantwortliche Mitarbeiter sprachen sich überhaupt gegen jede Isolierung aus. Dank des Eingreifens von Kaganovic konnte sich Rotert gegen diese Strömungen durchsetzen. Im Sommer 1934 gab die Partei die griffige Parole „Damit es nicht tropft!" aus und überwachte rigoros die Qualität der Isolierungsarbeiten. In der Sowjetunion hatte man keine Erfahrung auf diesem Gebiet. Die Leitung von Metrostroj beauftragte zunächst den Wissenschaftlichen Forschungssektor mit der Klärung der Frage. Er empfahl die Verwendung von Dachpappe (Ruberoid und Pergamin), kombiniert mit Bitumen. So hatte man auch in Berlin die Tunnel abgedichtet.16 Bei der offenen Bauweise und bei der Grabenbauweise war die Isolierung auf diese Weise relativ einfach durchzuführen: Man brachte vor dem Zuschütten der Baugrube außen auf den Tunnel vier Schichten Isoliermaterial an und verklebte sie mit Bitumen. Zum mechanischen Schutz der Isolierung errichtete man auf der Seite eine zusätzliche Ziegel- oder Betonwand und brachte auf die Tunneldecke noch eine Schicht Beton auf. Bei der geschlossenen Bauweise war die Isolierung schwieriger, zumal bei den meisten Schächten die Tunnelwände schon ausgemauert worden waren. Metrostroj schrieb einen Wettbewerb aus, aber es trafen zu wenig brauchbare Vorschläge ein. Eine rundum geschlossene Außenisolierung erhielt nur der Schacht Nr. 10 am Ochotnyj rjad. Sie wurde vor dem Betonieren der Tunnelröhre auf die Holzverschalung aufgeklebt. Die übrigen Schächte wurden von außen nur auf der
14 Rotert. Bericht auf der Beratung der Schriftsteller der Redaktion „Geschichte der Fabriken und Werke", o.D. [Mai oder Juni 1934], GARF R-7952/7/271, Bl. 287-288. Sten. Gespräch mit Ing. Barysnikov, Leiter der Schächte 7-8 und 13-14. GARF R-7952/7/299, Bl. 109. 15 Sten. Gespräch mit Solochov, stv. Chefingenieur des Mjasnickij Radius, 19.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 68. 16 Sten. Gespräch mit Ing. Judoviö, Leiter der Hydrogeologischen Abteilung von Metrostroj, 20.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 207-209. - Zum Eingreifen der Partei vgl. Kap. VI.7.a.
Die Realisierung des Baus in technischer Hinsicht
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Unterseite oder gar nicht isoliert. Man klebte das Isoliermaterial von innen an die Tunnelwände. Dafür mußten die Wände absolut trocken sein. Die Trocknung erfolgte mit gewöhnlichen Lötlampen und einfachen, selbstgefertigten Elektrogebläsen, zum Teil pumpte man auch Zement in die Hohlräume hinter den Wänden. Damit sich die Isolierung unter dem hydrostatischen Druck nicht ablöste, mußte je nach Tiefe zusätzlich eine 17 bis 45 Zentimeter starke Eisenbetonummantelung angebracht werden. Das hätte an vielen Stellen den Tunneldurchmesser zu stark verringert. Dort mußte man die Tunnelwände abschlagen, um wenigstens eine fünfzehn Zentimeter starke Ummantelung einziehen zu können.17 Eine besondere Lösung dachte sich der amerikanische Konsultant Morgan für die Station „Leninbibliothek" aus: Deren Isolierung funktionierte nach dem Prinzip der Drainage. Unterhalb der gewölbten Decke wurde ein oben isolierter Eisenbetonschirm eingezogen, der bis zum Boden reichte und das eindringende Grundwasser über eine Drainage ableitete.18 Ein solcher Schirm war bis dahin im Untergrundbahnbau noch nie angewandt worden.19 Da die Isolierung das Eindringen von Grundwasser in das System der Metro nicht vollständig verhindern konnte, wurden entlang der Trasse 38 Drainagestationen eingebaut, die das Wasser abpumpten.20 Zur Versorgung mit Frischluft dienten 56 Ventilationsschächte, bei denen es sich in der Mehrzahl um ehemalige Bauschächte handelte. Davon funktionierten 30 nach dem Prinzip des natürlichen Luftzugs, 26 arbeiteten mit Ventilatoren. Im Sommer wird Luft in die Stationen geblasen und im Tunnel abgesaugt. Im Winter wird Luft in die Tunnel eingeblasen und in den Stationen abgesaugt, damit die kalte Luft nicht direkt in die Stationen strömt, sondern vorher durch die Züge aufgewärmt wird. In den tiefliegenden Stationen erreichte man mit diesem System, daß die Luft in einer Stunde acht- bis neunmal ausgetauscht wurde. Zum Vergleich: In New York und London wurde sie nur fünf- bis sechsmal in der Stunde ausgetauscht.21 Eine Wasserleitung war nur in den Stationen vorhanden. Sie diente in erster Linie der Brandbekämpfung, aber auch für die Reinigung der Bahnsteige, die Toiletten und zur Kühlung der Rolltreppen. Toiletten gab es nur in neun Stationen. Da sie sich unter dem Niveau der städtischen Kanalisation befanden, mußten die Abwässer abgepumpt werden. Alle oberirdischen Vestibüle wurden mit einer Wasserheizung ausgestattet, die Eingänge mit einer Warmluftschleuse.22
17 Vgl. Abakumov: Pervyj 1935, S. 21-43, S. 34. Vgl. Sten. Gespräch mit Solochov, 19.11.1934. GARF R-7952/7/309, Bl. 68-70. 18 Abakumov: Pervyj 1935, S. 34. 19 Sten. Gespräch mit Abschnittsleiter Kalaänikov, Schacht 7-8, 29.11.1934. GARF R-7952/ 7/303, Bl. 101. 20 Rotert, Abakumov, Starostin, Seljubskij. Kurze technische Beschreibung der ersten Baufolge der Metro, 16.2.1935. GARF R-5446/40/16, Bl. 30. 21 Ebd., Bl. 28-29. 22 Ebd., Bl. 32-33.
602
Anhang I
Die Rolltreppen waren jeweils zu dritt in einem Schrägschacht angeordnet. Je nach Bedarf konnten sie auf- oder abwärts fahren. Die Station „Ochotnyj ijad" hatte zwei solche Rolltreppengruppen, die Stationen „Krasnye vorota", „Kirovskaja" und „Dzerzinskaja" nur eine.23 Erst in späteren Jahren erhielten auch sie einen zweiten Rolltreppenschacht. Die Gleise wurden wie bei der Eisenbahn in russischer Breitspur (1.524 Millimeter) und mit Dehnungsfugen verlegt.24 Das Profil der Tunnel ist jedoch nicht für Eisenbahngarnituren geeignet. Die Metrogarnituren sind 0,55 Meter schmäler als normale Eisenbahnwaggons. Die Waggons der ersten Generation waren den heutigen schon sehr ähnlich, auch in der Innenausstattung. Sie waren 18,9 Meter lang, 2,7 Meter breit, 2,6 Meter hoch, 31,5 Tonnen schwer und hatten auf jeder Seite vier 1,2 Meter breite Türen, die sich automatisch öffnen und schließen ließen. Sie waren für 170 Passagiere, davon 52 auf Sitzplätzen, ausgelegt. Die Motorwagen waren 45 Tonnen schwer und hatten vier Motoren zu je 150 Kilowatt. Alle Wagen waren mit automatischer Kupplung, elektropneumatischen Bremsen (System Matrosov) und elektrischer Heizung ausgestattet. Jeweils ein Motor- und ein Anhängewagen bildeten eine Zugsektion. Ein Zug bestand bei der Eröffnung aus zwei Sektionen, dann aus drei und schließlich aus vier, was der Bahnsteiglänge von 155 Meter entspricht. Die maximale Zugfolge war auf 34 Zugpaare in der Stunde berechnet, mit einem Abstand von 1 % Minuten zwischen zwei Zügen. In den ersten Jahren war die Kapazität jedoch durch die Abzweigung beim Ochotnyj rjad und durch die fehlenden Wendegleise in den Endstationen „Sokol'niki" und „Kulturpark" begrenzt. 1935 konnten zwischen den Stationen „Komsomol'skaja" und „Ochotnyj ijad" zwanzig Zugpaare in der Stunde verkehren (alle drei Minuten), auf den übrigen Abschnitten zehn (alle sechs Minuten). Die technische Höchstgeschwindigkeit betrug 75 Stundenkilometer, die in den Tunneln maximal zulässige 60 Stundenkilometer, die mittlere Betriebsgeschwindigkeit (unter Berücksichtigung der Halte in den Stationen) lag bei 32,5 Stundenkilometern. Die Stromversorgung der Moskauer Untergrundbahn erfolgt über eine Stromschiene, die seitlich angebracht ist (in den Stationen verdeckt unter der Bahnsteigkante). Die Betriebsspannung beträgt 850 Volt. Das zentrale Umspannwerk befindet sich in der Bol'saja Nikitskaja Straße [damals Herzenstraße]. Entlang der Trasse wurden elf Unterwerke installiert, die Strom geringerer Spannung für Beleuchtung und Sicherheitsanlagen liefern. In der Krasnoprudnaja Straße, in der Nähe der Station „Komsomol'skaja", errichtete man das Depot und die Werkstätten der ersten Baufolge. Die Sicherheit gewährleisteten Lichtsignale, eine zentrale Weichenstellung und ein automatisches Bremssystem. Die Gleise waren in 106 voneinander iso-
23 Ebd., Bl. 45. 24 Anfangs verschweißte man die Gleise ohne Fugen, dann wurden sie wieder demontiert und auf Fuge verlegt, obwohl die dadurch entstehenden Stöße die Zugsgarnituren schneller abnützen. Vgl. Memuary Chrusceva 1994, Η. 11, S. 71.
Die Realisierung des Baus in technischer Hinsicht
603
lierte Abschnitte eingeteilt. Jeder Abschnitt hatte eine Ampel. Solange sich ein Zug auf dem Abschnitt befand, leuchtete rotes Licht. Wenn der Wagenführer des folgenden Zuges das Signal überfuhr, aktivierte sich die automatische Bremse. 25 Tabelle 47: Technische Daten der ersten Baufolge26 Posten Länge der Trasse Gesamtlänge der Tunnel, davon eingleisig zweigleisig Stationstunnel (einschließlich Mitteltunnel) Gleise Stromschiene Stationen Vestibüle Schrägschächte für Rolltreppen Kabelkollektoren, Ventilationskanäle Ventilationsschächte Drainagekammern Erdaushub Betoneinbringung Abtransport von Aushub und Anlieferung von Material Kabel Verputz und Ausgestaltung: Wand- und Deckenputz Fliesen Marmor Asphaltboden Fliesenboden Granit
Umfang 11.382 16.484 8.584 4.729 3.171 25.800 22.600
Meter Meter Meter Meter Meter Meter Meter 13 17 5 mit insgesamt 171 Metern 3.100 Meter 56 36 2,306.000 Kubikmeter 857.000 Kubikmeter 14,180.000 Tonnen 577.000 Meter 108.008 28.060 1.635 21.607 19.251 1.350
Quadratmeter Quadratmeter Quadratmeter Quadratmeter Quadratmeter Quadratmeter
25 Zu den technischen Angaben vgl. Schlußakte der Regierungskommission für die Abnahme der Moskauer Untergrundbahn, o.D. GARF R-5446/40/17, Bl. 30, 81. Rotert 1938, S. 209. Rotert u.a. Kurze technische Beschreibung der ersten Baufolge der Metro, 16.2.1935. GARF R-5446/40/16, Bl. 45^6. 26 Schlußakte der Regierungskommission für die Abnahme der Moskauer Untergrundbahn, o.D. GARF R-5446/40/17, Bl. 82. Rotert u.a.: Kurze technische Beschreibung, Bl. 48^9.
A N H A N G II G e h e i m l i n i e n und m i l i t ä r i s c h e F u n k t i o n e n der M o s k a u e r M e t r o
Eine im Zusammenhang mit dem Bau der Moskauer Untergrundbahn häufig gestellte Frage ist die nach etwaigen militärischen Funktionen und den Geheimlinien für Partei- und Regierungszwecke. Gerüchte über geheime Metrolinien kursieren schon seit Jahrzehnten und wurden zum Teil durch Publikationen der letzten Jahre bestätigt.27 Es scheint tatsächlich in Moskau ein umfangreiches zweites Untergrundbahnnetz zu geben, das vor der Öffentlichkeit verborgen gehalten wird. Diese Linien wurden allem Anschein nach erst in der Nachkriegszeit gebaut. Im Internet verbreitete Informationen über geheime Tunnel, die angeblich schon beginnend mit der zweiten Baufolge ab 1935 angelegt wurden und zu unterirdischen Bunkern Stalins führten, lassen sich mangels Quellenangaben nicht überprüfen.28 Möglicherweise wurde ab 1933 gleichzeitig mit der Station „Mjasnickie vorota" [„Kirovskaja", heute „Cistye prudy"] der Bunker des Generalstabs gebaut, der sich in unmittelbarer Nähe der Station befindet.29 Die für die Forschung zugänglichen Archivquellen schweigen dazu. Lediglich in einem Schriftstück des Rates der Volkskommissare vom Dezember 1934 heißt es, die finanziellen Probleme von Metrostroj seien zu einem geringen Teil auch durch „zusätzliche Aufgaben militärischen Charakters (unterirdische Schutzräume)" entstanden.30 Vielleicht wurde schon damals ein Verbindungsgang zwischen dem Bunker und der Station oder sogar der Schutzraum unter dem Bahnsteig vorbereitet, den Stalin im Sommer 1941 benutzte. (Ende Juni 1941 wurde die Station geschlossen und der Bahnsteig so abgeschirmt, daß man aus den durchfahrenden Zügen nichts sehen konnte. In der Station wurden die Regierung und der Generalstab untergebracht. Zwei
27 Vgl. Colton 1995, S. 324, 850. Vgl. Egorov/Aksenov 1997. Vgl. Baranec 1995, S. 23. Ein Linienschema der geheimen Metro ist sogar auf der Internetseite der Moskauer Metro abgelegt (http://www.metro.m:8080/map/secret_map.html) [20.12.2000]. - Zur Verbreitung von Gerüchten trug auch ein 1993 veröffentlichter reißerischer Roman bei, der in der Unterwelt Moskaus spielt: Gonik: Preizpodnjaja 1993. 28 Vgl. http://www.metro.ru:8080/metro2/ [20.12.2000], - Der Verfasser dieser Internetseite beschreibt neben den angeblichen frühen Tunneln auch die Verläufe von vier Linien der geheimen „Metro-2". Die erste sei 1967 in Betrieb genommen worden, zwei weitere 1987, an der vierten werde immer noch gebaut. 29 Das behaupten Egorov/Aksenov 1997, belegen ihre Aussage aber nicht. 30 Mezlauk an Molotov, handschriftliche Notiz, o.D. [zwischen 15. und 25.12.1934], GARF R-5446/15a/513, Bl. 2.
Geheimlinien und militärische Funktionen der Moskauer Metro
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Monate lang arbeitete Stalin in speziell für ihn eingerichteten Räumlichkeiten unter dem Bahnsteig.)31 Mehrere Metrostationen wurden im Krieg als Bunker verwendet: Die Station „Krasnye vorota" war zum Beispiel der Kommandopunkt des Volkskommissariats für Verkehrswesen. Die Station „Majakovskaja" (eröffnet 1938) beherbergte vorübergehend den Stab der Luftabwehr. Bis zu 500.000 Moskauer fanden täglich Schutz in den Metrostationen. Die Stationen wurden mit 3.800 Kinderbetten, 4.600 Holzpritschen, Toiletten, Wasserhähnen und zusätzlicher Beleuchtung ausgestattet. In der Metro wurden damals 217 Kinder geboren.32 Gegen Ende des Krieges befahl Stalin in seiner Angst vor Anschlägen und amerikanischen Atomwaffen den Bau einer Metrolinie zu seiner Datscha in Volynskoe (im Südwesten Moskaus).33 Die Linie wurde, ausgehend vom Kreml, unterhalb des Arbat-Radius in großer Tiefe vorgetrieben. Einen Monat nach Stalins Tod wurde diese Linie, mit den Stationen „Arbatskaja" (unter dem Verteidigungsministerium), „Smolenskaja" und „Kievskaja", für den öffentlichen Verkehr freigegeben. Sie endet noch heute beim Kiever Bahnhof. Der ursprüngliche Arbat-Radius von 1935 mit gleichnamigen Stationen, den man 1937 mit einer Brücke über die Moskva bis zum Kiever Bahnhof verlängert und in der anderen Richtung 1938 mit dem Kursker Radius zu einer Durchmesserlinie verbunden hatte, wurde 1953 ohne Erklärung stillgelegt. Der neue Arbat-Radius wurde nun an Stelle des alten mit dem Kursker Radius verbunden. 1958 wurde der erste Arbat-Radius wieder in Betrieb genommen, ohne Anbindung an den Kursker Radius, ausgehend von der Endstation „Kalininskaja" [1935: „Kominternstraße", heute ,Alexandergarten"], aber über den Kiever Bahnhof hinaus als oberirdische Linie bis zur Station „Kutuzovskaja", später Richtung Fili und Kuncevo verlängert. So kam die verwirrende Parallelität zweier Linien entlang des Arbat mit gleichnamigen Stationen zustande.34
31 Egorov/Aksenov 1997. Die Autoren hatten Gelegenheit, diese Räumlichkeiten zu besichtigen. 32 Ebd. 33 Es war dies Stalins „nahe" Datscha. Sie wurde 1934 gebaut, 1948 aufgestockt. Das Gebäude existiert heute noch, südwestlich der Kreuzung von Prospekt Maräala Grefiko und Minskaja ulica. (Colton 1995, S. 323). 34 Vgl. Colton 1995, S. 324, 850. Vgl. Kuhlmann 1981, S. 56-58.
A N H A N G III
Die G e s t a l t u n g der S t a t i o n e n Entlang der 1935 fertiggestellten Trasse gibt es dreizehn Stationen mit siebzehn Eingangsvestibülen. Die mittlere Entfernung zwischen den Stationen beträgt 910 Meter, die geringste 501 Meter, die größte 1.300 Meter. Damit liegen die Stationen der Moskauer Untergrundbahn durchschnittlich etwas weiter voneinander entfernt als im internationalen Durchschnitt. Tabelle 48: Entfernungen zwischen den Stationen im internationalen Vergleich (1935) 1 Stadt
Moskau London Berlin Paris New York, Lokalverbindung New York, Fernverbindung
mittlere Entfernung in Metern 910 850 760 510
maximale Entfernung in Metern
kleinster Bogenradius (Enge der Kurven) in Metern
1.300 1.400 1.490 1.230 520-820 2.500
200 120 75 65 65
Die Stationen haben 154 bis 155 Meter lange Bahnsteige (Paris: 75-105 Meter, Berlin: 110 Meter, New York: 160-187 Meter)2 und sind je nach Tiefenlage und Bauweise unterschiedlich konstruiert: Die in offener und Grabenbauweise errichteten Stationen („Sokol'niki", „Krasnosel'skaja", „KomsomoFskaja", „Palast der Sowjets", „Kulturpark", „Kominternstraße", „Arbat", „Smolensker Platz") haben flache, auf Säulen ruhende Decken. Die in geschlossener Bauweise in geringer Tiefe errichtete Station „Leninbibliothek" hat eine gewölbte Decke. Die in geschlossener Bauweise in großer Tiefe gebauten Stationen („Krasnye vorota", „Kirovskaja", „Dzerzinskijplatz", „Ochotnyj rjad") bestehen aus zwei oder drei pa-
1 Rotert u.a. Kurze technische Beschreibung der ersten Baufolge, 16.2.1935. GARF R-5446/40/16, Bl. 6-8. - Eine engere Kurve mit einem Radius von 120 Metern war nur bei der Abzweigung zum Arbat bei der Umfahrung der Manege entstanden. Diese Abzweigung hatte jedoch nur provisorischen Charakter und wurde 1938 mit der Verlängerung des Arbatskij Radius zu einer eigenständigen Durchmesserlinie aufgegeben. (Schleife 1992, S. 224). 2 Schleife 1992, S. 68, 253, 272.
Die Gestaltung der Stationen
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rallelen Tunneln. Die Tiefenlage der einzelnen Stationen ist aus Tab. 49 ersichtlich. Tabelle 49: Tiefenlage und Entfernungen der Stationen (alle Angaben in Metern) Name der Station
Sokol'niki KrasnosePskaja Komsomol' skaj a Krasnye vorota (1962-1986: Lermontovskaja) Kirovskaja (in der Bauphase: Mjasnickie vorota, seit 1990: Cistye prudy) Dzerzinskaja (seit 1990: Lubjanka) Ochotnyj rjad (1955-1965: KaganovicStation, 1965-1990: Marx-Prospekt) Leninbibliothek Palast der Sowjets (seit 1957: Kropotkinskaja) Kulturpark (in der Bauphase: Krimplatz) Ochotnyj ijad Kominternstraße (1946-1990: Kalininskaja, seit 1990: Alexandergarten) Arbatplatz Smolensker Platz
Entfernung zur nächsten Station
Tiefenlage (Fahrbahn bis Bahnsteig)
Länge des Bahnsteigs
1.233 924 845 726
8,3 7,9 9,0 32,8
154 155 154 155
1.007
35,2
155
767
30,8
155
838
16,0
155
771 1.281
10,6 8,4
155 154
8,7
154
7,4
155
7,0 8,1
155 155
907 511 1.203
Die Stationen ab sechzehn Meter Tiefe erhielten Rolltreppen, die anderen waren über gewöhnliche Treppen zugänglich. Beim Bau der Stationen wurden folgende Grundprinzipien verwirklicht, wie sie die Leitung von Metrostroj in ihrem Abschlußbericht aufzählte:3 -
Alle Stationen, ausgenommen die Station „Kominternstraße", erhielten Mittelbahnsteige. Über die Frage der Bahnsteige hatte man lange kontrovers diskutiert. Die Befürworter von Seitenbahnsteigen wiesen darauf hin, daß sie die Passagierströme besser kanalisieren, während sich auf Mittelbahnsteigen zur Stoßzeit die Passagierströme gegenseitig behindern.4 Im technischen Projekt
3 Kurze technische Beschreibung, Bl. 12-17. 4 Vgl. den Brief des amerikanischen Ingenieurs Peter Winer an Kaganovii, 17.7.1934. RGASPI 81/3/204, Bl. 166.
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Anhang III
mußten für alle Stationen beide Varianten ausgearbeitet werden.5 Rotert entschied im Juli 1933 zugunsten der Mittelbahnsteige.6 Er beurteilte sie als angenehmer für die Passagiere als Seitenbahnsteige, weil sie die Orientierung erleichtern und gleichmäßig ausgelastet sind, unabhängig davon, aus welcher Richtung der Zug kommt. Mittelbahnsteige hatte auch das Projekt von Siemens-Bauunion vorgesehen, während MGZD Seitenbahnsteige projektiert hatte. Im Ausland gab es fur beide Varianten Beispiele.7 Die Vestibüle8 wurden unmittelbar an den Gehsteigen errichtet und nicht, wie in anderen Ländern zuweilen üblich, mitten auf Plätzen oder Straßen. Man wollte den Passagieren das Überqueren von Straßen ersparen. Die Stationen waren weiträumig ausgelegt, mit breiten Bahnsteigen und hohen Decken. Die Stationen der ersten Baufolge sind 4,5 bis 6 Meter hoch. Im Ausland waren damals nur 2,7 bis 3,2 Meter üblich. Die Breite der Bahnsteige der Stationen in seichter Lage beträgt zehn Meter. Schmäler sind die Bahnsteige in den Stationen „Krasnosel'skaja" und „Leninbibliothek" (acht Meter), breiter in der Station „Kropotkinskaja" (fünfzehn Meter). Die Zweiröhrenstationen in großer Tiefe hatten vier Meter breite Bahnsteige, die Dreiröhrenstationen bis zu 21 Meter breite, wobei allerdings die Stützpylonen zwischen den Röhren viel Platz einnehmen. Zum Vergleich: Die Bahnsteige der Londoner Untergrundbahn waren damals 3,6 bis 4,2 Meter breit, jene der Berliner sechs bis sechzehn Meter.9 Stationen in seichter Lage, bei denen man ein höheres Passagieraufkommen erwartete (bei den Bahnhöfen, beim Kulturpark und im Zentrum), erhielten zusätzliche Treppen. Der Beleuchtung wurde große Aufmerksamkeit gewidmet. Die Stationen sollten hell sein, der Übergang vom Tageslicht zum künstlichen Licht behutsam erfolgen. Die mittlere Beleuchtungsstärke betrug 50 Lux, in der Station „Palast der Sowjets" sogar 100 Lux. Im Ausland waren damals höchstens 25 Lux üblich. Fachleute der Regierungskommission urteilten bei der Abnahme der ersten Baufolge, man könne die Beleuchtungsstärke auf die Hälfte verringern.10 Bei der Ausgestaltung der Stationen wurden in großem Umfang polierter Marmor, Granit und andere edle Materialien verwendet. Rotert begründete dies mit
5 Sten. Gespräch mit Ing. Seljubskij, stv. Leiter von Metroproekt. GARF R-7952/7/323, Bl. 77. 6 Desgl. mit Ing. Nikolai. GARF R-7952/7/266, Bl. 82. 7 Die Londoner Untergrundbahn hat überwiegend Seitenbahnsteige, die Berliner Mittelbahnsteige, in New York und Paris sind beide Typen vertreten. 8 Vestibül [vestibjul'] ist der russische Terminus fur die Pavillons, in denen die Eingänge zur Metro untergebracht sind, sowie für die Eingangshallen, wenn sich der Eingang in einem größeren Gebäude befindet. 9 Schleife 1992, S. 68, 183. 10 Regierungskommission zur Abnahme der Metro. Zusammenfassung der Abnahme der elektrischen und Beleuchtungseinrichtungen der Metro, 19.4.1935. GARF R-5446/40/6, Bl. 7.
Die Gestaltung der Stationen
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deren Dauerhaftigkeit und der leichteren Pflege. Man brauchte ein Material, das sich in den wenigen Nachtstunden ohne Passagierbetrieb schnell abwaschen ließ. Die sowjetische Industrie konnte nur in beschränktem Umfang glasierte Keramikfliesen und Kunstmarmor liefern. Laut Rotert erhöhte die Verwendung von Marmor die Kosten für die Stationen nur unwesentlich (je Station um rund 200.000 Rubel).11 Der Marmor kam von der Krim, aus dem Kaukasus und aus dem Ural, aber auch von der gesprengten Christerlöserkathedrale und anderen Kirchen, die zu dieser Zeit zerstört wurden.12 Jede Station hatte ihr eigenes architektonisches Gesicht, um den Passagieren das Wiedererkennen und damit die Orientierung zu erleichtern. Die oberirdischen Vestibüle wurden ebenfalls individuell gestaltet. Ihre Architektur stimmte man auf die vorhandene und künftige Bebauung der Umgebung ab. Die klimatischen Verhältnisse erlaubten in Moskau nicht den Typus offener Treppenabgänge von der Straße, wie sie im westlichen Ausland üblich waren, sondern die Eingänge mußten in Gebäude integriert werden. Manche wurden in existierenden Gebäuden untergebracht („Ochotnyj rjad", „Dzerzinskijplatz", „Komsomol 'skaja"), für die übrigen mußten eigene Pavillons errichtet werden. Für die Entrichtung des Fahrpreises installierte man nach amerikanischem Vorbild automatische Drehkreuze. Nur an den ersten Tagen wurden an Schaltern Fahrkarten ausgegeben. Auf Anordnung Kaganovics wurden in den Metrostationen Buffets und Kioske aufgestellt. Aus Berlin importierte man Automaten, an denen die Passagiere Zeitungen, Schokolade, Zigaretten, Streichhölzer, gekühlte Getränke, belegte Brote, Seife, Einweghandtücher, Postkarten, Briefmarken, Papier, Obst, Mandeln und Nüsse kaufen konnten. Zu diesem Zweck wurden die aufgezählten Artikel eigens in kleinen Packungen hergestellt.13
Die Gestaltung der Stationen und Vestibüle trug die Handschrift namhafter Architekten und Künstler, die im Rahmen eines Wettbewerbs ihre Projekte eingereicht hatten.14 Ihre Entwürfe wurden im Moskauer Parteikomitee begutachtet. Kaganovic gab bei der Erstellung der Entwürfe Richtlinien vor und verordnete auch im nachhinein noch zahlreiche Änderungen. Wenn die Leitung von Metrostroj in ihrer technischen Beschreibung der ersten Baufolge für fast alle gestalteri-
11 Rotert. Manuskript, 15.12.1934. GARF R-7952/7/318, Bl. 184. - Zu den politischen Vorgaben bei der Verwendung der Materialien siehe Kap. VI.7.b. 12 Vgl. Egorovl995, S.4. 13 Volkskommissar für Innenhandel, Vejcer, an Kaganovii, 12.2.1935. RGASPI 81/3/207, Bl. 1. - Zwischenzeitlich verschwanden die Buffets, Kioske und Automaten aus den Stationen. Erst in den postsowjetischen Jahren tauchten neben zahlreichen Blumen-, Brillen- und Bücherverkaufsständen wieder Buffets auf. 14 Einige im Rahmen des Wettbewerbs eingereichte Projekte wurden publiziert: Dedjuchin 1934. Kravec: Architekturnaja otdelka 1934.
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Anhang III
sehen und architektonischen Lösungen zweckrationale Gründe anführte, war das die Sichtweise der Ingenieure, aber nicht unbedingt der Parteiführung.15 Es ging nicht nur um Funktionalität, sondern die Moskauer Metro sollte, im bewußten Gegensatz zur rein zweckorientierten Industriearchitektur des Kapitalismus, Bequemlichkeit mit Schönheit und architektonisch-künstlerischer Würde kombinieren und die „Hauptstadt des Sozialismus" angemessen repräsentieren. Auf der Pariser Weltausstellung 1937 wurden die Modelle der Stationen „Krasnye vorota", „Sokol'niki" und „Palast der Sowjets" mit einem Grand Prix ausgezeichnet, die Station „Palast der Sowjets" (nunmehr „Kropotkinskaja", weil man den Bau des monströsen Palastes inzwischen aufgegeben hatte) ein zweites Mal auf der Brüsseler Weltausstellung 1958.16 Die Grundforderung an die Architekten bestand darin, die Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus zu zeigen und mit Hilfe der Architektur dem Betrachter das Gefühl zu nehmen, sich unter der Erde zu befinden.17 Dabei muß man jedoch feststellen, daß die prunkvollen Metropaläste, die bei vielen Besuchern den Eindruck der Moskauer Untergrundbahn bestimmen, erst eine Erscheinung der Nachkriegsjahre sind. Bestes Beispiel dieser typischen Siegesarchitektur ist die Ringlinie mit ihren beinahe schon barocken Gewölben. Die erste Baufolge hat einen anderen, vergleichsweise schlichten Charakter. „Ethik der Stoßarbeit" wurde der Stil der Vorkriegs- und Kriegsjahre treffend genannt:18 Die Stationen atmen eine eindrucksvolle, strenge Schönheit mit dem Willen zu einer eigenen Ästhetik, wobei die architektonischen Konzepte der einzelnen Stationen große Unterschiede aufweisen und auch innerhalb der Stationen Stilelemente aus verschiedenen Epochen kombiniert wurden: Schmucklose klassizistische Kassettendecken („Ochotnyj rjad", „Leninbibliothek") einerseits, konstruktivistisch beeinflußte geometrische Linien und ägyptische Tempelarchitektur andererseits („Sokol'niki"), gotische Säulen, die in Sowjetsymbolik münden („Palast der Sowjets") und sozialistischer Realismus (Mosaike und Reliefs in der Station „Komsomol'skaja"), - bis hin zum „sozmodernen" Stil19 des Vestibüls am Arbatplatz, das wie ein Tempel auf dem Grundriß des fünfzackigen Sowjetsterns wirkt. Der stalinistische Stil der dreißiger Jahre adaptierte historische Stile an die neue technische und ideologische Umwelt. Er repräsentierte eine Reaktion gegen die standardisierte, monotone Architektur des Konstruktivismus in den zwanziger Jahren. Die Partei bevorzugte nun, in einer konservativen Wende und in Anleh-
15 Zu den politischen Einflußnahmen vgl. ausführlich Kap. VI.7.b. 16 Moskva Encyklopedija 1997, S. 397,403, 750. 17 Tosunova 1952 (Avtoreferat), S. 7. - Zur Architektur der ersten Baufolge vgl. außerdem: Kuhlmann 1996, S. 43-61, 152-163. Kravec: Pervyj sovetskij 1935, S. 3-18. - Die Stationen und Vestibüle sind ausführlich beschrieben (mit Illustrationen) in: Architektura Moskovskogo metro 1936. Cerkasskij 1935. 18 Schlögel: Moskau - offene Stadt 1992, S. 342-343. 19 Zu diesem Begriff vgl. Kreis, Barbara: Sozmodern und postmodern.- In: Archithese 20 (1990), H. 4, S. 44. Zitiert nach Kuhlmann 1996, S. 54.
Die Gestaltung der Stationen
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nung an imperiale Vorbilder, eine monumentale und dekorative Architektur, die die Errungenschaften der neuen Gesellschaft repräsentieren sollte. 20 Tabelle 50: Architekten der Stationen und Vestibüle der ersten Baufolge21 Station Sokol'niki Krasnosel'skaja
Komsomol'skaja
Krasnye vorota Kirovskaja
Dzerzinskijplatz Ochotnyj ijad
Leninbibliothek
Architekten der Station N. Bykova, I. Taranov (Metroproekt) B. Vilenskij, V. Ersov, L. Sagurina, Künstler Romas (Werkstätte Nr. 2 des NKTP) D. Ceculin, A. Tarchov (Werkstätte Nr. 2 des Mossovet) I. Fomin, N. Andrikanis N. Kolli, unter Teilnahme von L. Suchareva, L. Popov, Α. Fokin Ν. Ladovskij, Α. Aleäina, A. Strelkov Ju. Revkovskij, N. Borov, G. Zamskij (12. künstlerische Werkstätte des Mossovet) A. Gonckeviö, S. Sulin (Metroproekt)
Palast der Sowjets A. Duäkin, Ja. Lichtenberg (Metroproekt) Kulturpark G. Krutikov, V. Popov (3. Projektwerkstätte des Mossovet) Kominternstraße A. Gonckevic, S. Sulim (Metroproekt) Arbatplatz A. Teplickij (2. Projektwerkstätte des Mossovet) Smolensker Platz S. Andrievskij, T. Makaryfiev (Werkstätte Nr. 6 des Mossovet)
Architekten des Vestibüls N. Bykova, I. Taranov (Metroproekt) B. Vilenskij, V. Ersov, L. Sagurina, Künstler Romas (Werkstätte Nr. 2 des NKTP) 2 Vestibüle, beide: A. Ruchljadev, V. Krinskij (Werkstätte Nr. 2 des Mossovet) N. Ladovskij N. Kolli
D. Fridman, I. Lovejko (Werkstätte Nr. 5 des Mossovet) Vestibül im Hotel „Moskva": L. Savel'ev, 0 . Stapran (Werkstätte des Hotels) Vestibül im Haus zwischen Bol'Saja Dmitrovka und Theaterplatz: D. teöulin, A. §öusev (Werkstätte Nr. 2 des Mossovet) Vestibül an der Mochovaja: Kravec, Sokolov, Kostenko (Metroproekt) Hauptvestibül: FajdyS, Lavrov (Werkstätte des Baus der Leninbibliothek) S. Kravec, A. Ryzkov (Metroproekt) Südvestibül: Krutikov, Popov (Werkstätte Nr. 3 des Mossovet) Nordvestibül: N. Kolli, S. Andrievskij
A. Teplickij (2. Projektwerkstätte des Mossovet) 2 Vestibüle: Andrievskij
20 Brumfield 1993, S. 489. 21 Avtory architekturnych proektov 1993, S. 34-39. Kravec: Pervyj sovetskij 1935.
A N H A N G IV
Die M e t r o und der „ G e n e r a l p l a n zur R e k o n s t r u k t i o n M o s k a u s " Das Zentralkomitee hatte 1931 auf dem Juniplenum gleichzeitig mit dem Bau der Untergrundbahn auch die „Errichtung einer innerstädtischen elektrischen Eisenbahn, die die Nord-, Oktober- und Kursker Bahn1 unmittelbar mit dem Stadtzentrum verbindet" sowie die Ausarbeitung eines „ernsthaften, wissenschaftlich fundierten Planes der künftigen Erweiterung und Bebauung der Stadt Moskau" gefordert.2 Die drei Vorhaben hingen eng zusammen und in gewisser Weise auch voneinander ab: Das Streckennetz der Untergrundbahn sollte sinnvoll auf die künftige Entwicklung der Stadt und auf die zu errichtende innerstädtische Eisenbahn abgestimmt sein. In der Zeit, als Metrostroj den Trassenverlauf der ersten Baufolge und das Linienschema für den weiteren Ausbau des Metronetzes erstellte, standen die Eckdaten des Bebauungsplans jedoch noch nicht fest. Die Projektierer von Metrostroj, die aufgrund der politischen Vorgaben unter Zeitdruck standen, bemühten sich zwar, ihre Planungen an der künftigen Entwicklung Moskaus auszurichten, konnten sich dabei aber nur auf vage und unsichere Aussagen stützen. So kam es, daß bis zur Bestätigung des Generalplans zur Rekonstruktion Moskaus im Juli 1935 Stadtplanung und Metroplanung mehr oder weniger unkoordiniert parallel betrieben wurden. Die mit der Ausarbeitung von Konzepten für die Stadtentwicklung Moskaus beauftragten Architekten entwarfen zum Teil Linienschemen für die Untergrundbahn, die mit den Planungen von Metrostroj nichts gemein hatten. Im November 1931 beauftragte der Mossovet sieben Architektenbrigaden mit der Ausarbeitung von Vorentwürfen für einen Generalbebauungsplan der Stadt Moskau. Dabei durfte der Abriß von bis zu vierzig Prozent der vorhandenen Wohnbauten vorgesehen werden.3 Die Leiter der Brigaden waren bekannte aus-
1 Die Nordbahn (Jaroslavler Bahnhof) führt Richtung Ural und Sibirien, die Oktoberbahn (Oktoberbahnhof, vorher Nikolajbahnhof, heute Leningrader Bahnhof) führt Richtung St. Petersburg und Murmansk. 2 Plenum des Zentralkomitees der VKP(b). Prot. 3, 11.-15.6.1931. RGASPI 17/2/461,
Bl. 18, 20. 3 Das Problem Groß-Moskau 1933, S. 225.
Die Metro und der „Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus"
613
ländische oder sowjetische Architekten: Ernst May,4 Hannes Meyer,5 Kurt Meyer,6 G.B. Krasin,N.A. Ladovskij,7 V.B. Kratjukund V. Baburov (VOPRA)* Die Brigaden unterbreiteten sehr unterschiedliche Vorschläge für die Rekonstruktion Moskaus und skizzierten dazu passende Linienschemen für die (nicht unbedingt unterirdische) Metro oder Stadtschnellbahn. Kaganovic hatte zwar in seiner Rede vor dem Juniplenum die allzu revolutionären Stadtkonzepte als Abweichungen von der Parteilinie verurteilt. Das hinderte jedoch einige Architekten nicht, an Ideen der zwanziger Jahre anzuknüpfen. Die Zeitschrift Sovetskaja architektura publizierte die Entwürfe Anfang 1933 als Diskussionsgrundlage, schränkte aber zugleich ein, sie würden zum Teil die Parteidirektiven ignorieren.9 Ernst May übertrug seine Idee der Trabantenstädte, die er schon in seiner Zeit als Frankfurter Stadtbaurat verwirklicht hatte, nun auf Moskau, das in eine „Gruppenstadt" umgewandelt werden sollte: Zehn bis fünfzehn Kilometer außerhalb von Moskau sollten im Grünen fünfzehn neue selbständige Trabantenstädte für je 100.000 Einwohner gebaut und mit einem Schnellbahnsystem an das Zentrum angebunden werden. Der Südosten Moskaus war - ausgehend von den dort schon bestehenden großen Fabriken - für die Industrie reserviert. Die Schnellbahnlinien sollten von einem Zentral-, Ost- und Westbahnhof ausgehen und mit den Eisenbahnlinien verbunden sein (Abb. 29).10
4 Ernst May (geboren 1886 in Frankfurt am Main, gestorben 1970 in Hamburg), war 1925 bis 1930 Stadtbaurat in Frankfurt, leitete 1930 bis 1933 Großplanungen in der Sowjetunion, ab 1934 in Ostafrika. Nach 1953 war er mit dem Wiederaufbau und der Generalplanung mehrerer deutscher Städte betraut. 5 Hannes Meyer (geboren 1889 in Basel, gestorben 1954 im Tessin), war seit 1928 Direktor des Bauhauses in Dessau, wurde 1930 wegen kommunistischer Betätigung entlassen, ging in die Sowjetunion und beteiligte sich dort mit seiner aus ehemaligen Schülern bestehenden „Bauhausbrigade" am sozialistischen Aufbau. 1930 bis 1933 war er Professor an der Moskauer Hochschule für Architektur und Bauwesen. (Winkler 1989, S. 127-131). 6 Kurt Meyer war ehemaliger Chefarchitekt der Stadt Köln. (Colton 1995, S. 173). 7 Nikolaj Aleksandrovii Ladovskij (1881-1941) arbeitete seit 1918 in der Architekturwerkstätte des Mossovet, gründete 1923 die Assoziation der neuen Architekten und 1928 die Vereinigung der Architekten-Urbanisten, erstellte unter anderem einen Entwurf für den Palast der Sowjets und projektierte das Vestibül der Station „Krasnye vorota" und die Station „Dzerzinskaja" [„Lubjanka"]. (Moskva Encyklopedija 1997, S. 421). 8 Vsesojuznoe ob "edinenie proletarskich architektorov, Allunionsvereinigung der proletarischen Architekten (1928-1932). 9 Sovetskaja architektura (1933), Η. 1, S. 6. 10 Gol'denberg 1933, S. 15. Kobzar' 1933, S. 7.
Anhang IV
614
Abb. 29: Stadtkonzept und Metroschema der Brigade Ernst May (Gollenberg 1933, S. 12. Za lucsij 1933, S. 13).
i ™
i Wohnen Indusme Zentrum
Die Brigade Hannes Meyer plante „Satellitenstädte", die fast ausschließlich im Südosten Moskaus lagen. Sie sollten in administrativer, politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht vollwertig ausgestattet werden. Auch der Bereich der historisch gewachsenen Stadt Moskau sollte in solche Einheiten zergliedert werden." Das dazu passende Metroschema bestand aus vier Durchmesser- und drei Ringlinien sowie einigen Abzweigungen vom innersten Ring (Abb. 30).12 Abb. 30: Stadtkonzept und Metroschema der Brigade Hannes Meyer (Gol'denberg 1933, S. 14. Za lucSij 1933, S. 13).
11 Gol'denberg 1933, S. 16. 12 Kobzar' 1933, S. 7.
Die Metro und der „Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus"
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Abb. 31: Stadtkonzept und Metroschema der Brigade G.B. Krasin (Gol'denberg 1933, S. 16. Kobzar' 1933. S. 7).
Die Brigade G.B. Krasin, der auch Professor Obrazcov angehörte, veränderte das bestehende Moskau kaum, sondern dehnte die Wohngebiete sternförmig als „Kolonien" entlang der Eisenbahnlinien weit ins Umland hinein aus. Moskau sollte auf acht bis zehn Millionen Einwohner expandieren. Die Einheit der Stadt blieb dabei gewahrt, alles war auf das Zentrum hin orientiert.13 Das Metroschema mit fünf Durchmessern und einem Ring ähnelte folgerichtig dem Schema von Metrostroj (Abb. 31).14 Abb. 32: Stadtkonzept und Metroschema der Brigade Kurt Meyer (Gol'denberg 1933, S. 18. Kobzar' 1933, S. 9).
Die Brigade Kurt Meyer sah ebenfalls von größeren Veränderungen der bestehenden Industrie- und Wohngebiete ab und plante Moskau in Anlehnung an die bestehenden Rayons als „Stadt mit Vororten", die sich sternförmig nach außen erstreckten und eigene Zentren erhalten sollten. Zur Behebung des Problems, daß sich
13 Gol'denberg 1933, S. 16. Colton 1995, S. 273. 14 Kobzar' 1933, S. 6.
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Anhang IV
die meiste Industrie im Südosten befand, die Masse der Wohngebiete aber im Nordwesten, projektierte Meyer ein umfangreiches Metronetz mit Radiallinien zur Anbindung der Rayons an das Zentrum sowie Halbringen, die Wohn- mit Industriegebieten verbinden sollten, ohne das Zentrum zu berühren (Abb. 32).15 Die Brigade V.B. Kratjuk projektierte eine „Stadt als Summe spezialisierter Rayons", mit einer Wohnstadt rund um das alte Verwaltungszentrum, einer Industriestadt im Südosten, einer agroindustriellen Stadt und einer Datschenstadt. Die radial-konzentrische Struktur wurde nur im Zentrum beibehalten, die Hauptexpansion sollte Richtung Osten in parallelen Rayons erfolgen.16 Das Metronetz war mit acht Radien und einem offenen Ring, der nach Osten in zwei parallele Radien überging, darauf abgestimmt (Abb. 33).17
Abb. 33: Stadtkonzept und Metroschema der Brigade V.B. Kratjuk (Gol'denberg 1933, S. 20. Kobzar' 1933, S. 11).
Ähnlich radikal war L.A. Ladovskijs Vision seiner ellipsenförmigen „Raketenstadt". Auch hier sollte nur das Zentrum radial-konzentrisch organisiert bleiben. Das alte Zentrum trat aber gegenüber den nach Nordwesten entlang der Leningrader Chaussee ausgerichteten Wachstumszonen in den Hintergrund (Abb. 34). Die Brigade Ladovskij entwarf kein eigenes Metroschema, sondern übernahm jenes von Metrostroj.18 15 16 17 18
Gol'denberg 1933, S. 18. Kobzar' 1933, S. 7. Gol'denberg 1933, S. 19. Kobzar' 1933, S. 7. Gol'denberg 1933, S. 20. Kobzar' 1933, S. 6.
Die Metro und der „Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus"
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Abb. 34: Stadtkonzept der Brigade L.A. Ladovskij (Gollenberg 1933, S. 22).
IiiWohnen EEEB3 Industrie HMB Zentrum
Die Brigade von VOPRA (V. Baburov, A. Karpov, I. Kycakov, Vasil'ev, Fridljand) kehrte sich völlig von der gewachsenen Struktur Moskaus ab, teilte die Stadt in fünf rechteckige Rayonskomplexe, die jeweils mit eigener Industrie, Wohngebieten und einem Rayonszentrum eine planerische Einheit und zusammen eine „ununterbrochene Komplexstadt" bildeten. Im Zentrum wurde das vorhandene Straßennetz im wesentlichen beibehalten, außerhalb waren geradlinige Straßen vorgesehen. Das Metronetz paßte sich mit vier Durchmessern, drei Tangenten und einem großen Ring an die rechteckigen Formen an (Abb. 35).19 Abb. 35: Stadtkonzept und Metroschema der Brigade von VOPRA (Gol'denberg 1933, S. 24. Kobzar' 1933, S. 8).
Zur Koordination der Stadtplanung wurde im Februar 1932 die Architektur- und Planungsbehörde (APU) geschaffen und im Juni 1932 vom Mossovet mit der
19 Gol'denberg 1933, S. 22. Kobzar' 1933, S. 7.
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Ausarbeitung des Generalplans zur Rekonstruktion Moskaus beauftragt.20 Kommissionen des Moskauer Parteikomitees formulierten von März bis August 1932 grundlegende Richtlinien für die Planung von APU.21 Damit waren die im Rahmen des Wettbewerbs von den Architektenbrigaden eingereichten Konzepte hinfallig, denn Kaganovic bekräftigte seine schon auf dem Juniplenum geäußerte Ablehnung der radikalen Umgestaltung Moskaus. In den Richtlinien für die Erstellung des Generalplans hieß es, er müsse von den historisch gewachsenen Gegebenheiten ausgehen und diese an die Erfordernisse der Gegenwart anpassen.22 Die Architektur- und Planungsbehörde wurde von dem Architekten Vladimir Semenov geleitet und beschäftigte 250 Mitarbeiter. Im Zuge der Ausarbeitung des Generalplans erstellte sie - unabhängig von Metrostroj - auch ein Linienschema für die Metro. Die Arbeit von APU und Metrostroj war so gut wie nicht miteinander koordiniert. Metrostroj bemühte sich zwar, sein erstes Linienschema auf die künftige Entwicklung Moskaus abzustimmen und wandte sich diesbezüglich an die Architektur- und Planungsbehörde, die aber im Frühjahr 1932 noch nicht in der Lage war, konkrete Auskünfte zu erteilen. Es gab viele mögliche Varianten, aber keine, auf die man sich hätte verlassen können. Als das Linienschema von Metrostroj vorlag, brachte APU bis Ende 1932 keine Änderungsvorschläge ein.23 Erst Ende Dezember 1932 fand im Mossovet eine gemeinsame Beratung statt, auf der Semenov Metrostroj im nachhinein vorwarf, die Planung von APU zu wenig zu berücksichtigen, von den bestehenden Verkehrsströmen auszugehen und sie durch Metrolinien nur zu perpetuieren. Der Plancharakter der sowjetischen Wirtschaft gebe hingegen die Möglichkeit, Metroplanung und Stadtplanung aufeinander abzustimmen.24 Der Architekt Velikovskij schlug in dieselbe Kerbe und kritisierte, daß das Linienschema von Metrostroj den vorrevolutionären Linienschemen sehr ähnlich sei und die in naher Zukunft eintretenden Veränderungen nicht berücksichtige. Die Vertreter von Metrostroj waren jedoch nicht bereit, über Abänderungen des Linienschemas zu reden, solange keine konkreten Anweisungen über die Perspektiven des Wachstums und die Planung Moskaus vorlagen. Auch das Verkehrskommissariat drang auf eine schnellere Arbeit von APU, um den Eisenbahndurchmesser endgültig projektieren zu können.25 Das von APU vorgeschlagene Linienschema sah ein 170 Kilometer langes Streckennetz mit sechs Durchmesserlinien und einer Ringlinie vor. Einige Durchmesser wurden am Zentrum vorbeigefuhrt. Die Überschneidungen sollten nicht in
20 Alescenko 1976, S. 406-408. 21 MK und MGK VKP(b) und Mossovet. Bericht an SNK SSSR und CK VKP(b) über den Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus. In: General'nyj plan 1936, S. 44. 22 Vgl. Colton 1995, S. 274. 23 Wortmeldung von Ing. Katcen in: Za luöäij 1933, S. 17. 24 Zalucsij 1933, S. 14. 25 Ebd., S. 18.
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der geographischen Stadtmitte (Roter Platz)26 liegen, und in einem Punkt sollten sich maximal zwei Linien schneiden.27 Die Linien sollten alle wichtigen Bahnhöfe, Wohnkomplexe, Erholungsgebiete und Großfabriken versorgen. Zeichnet man das Linienschema von APU in eine Karte mit entsprechenden Markierungen ein (Abb. 36), ist der Zusammenhang deutlich zu erkennen. Ein Vergleich mit den Linienschemen von Metrostroj zeigt jedoch, daß APU den Verlauf der Durchmesserlinien im Bereich außerhalb des unmittelbaren Stadtzentrums weitgehend von Metrostroj übernommen hatte. Auch Metrostroj hatte seine Planung offensichtlich an den existierenden Verkehrsquellen ausgerichtet. Die Berücksichtigung künftiger neuer Wohngebiete beschränkte sich bei APU auf die Verlängerung der Linien über den Eisenbahnring hinaus. Lediglich bei der Ringlinie hatte APU ein anderes Konzept. Sie war so angelegt, daß sie den Gürtel von Großfabriken, die sich im Osten, Südosten und Süden Moskaus befanden (Serp i molot, Manometr, Waggonreparaturwerk, Kabelfabrik, AMO-ZIS, Dinamo, Kugellagerfabrik, die Fabrik Krasnyj proletary und die Ordzonikidze-Fabrik) mit dem nördlichen Teil der Innenstadt, wo viele Arbeiter wohnten, sowie mit dem Gor'kij-Kultur- und Erholungspark unmittelbar verband.
26 Abweichend von den vorrevolutionären Planungen schnitten sich beim ersten Linienschema von Metrostroj drei Linien am Roten Platz, obwohl dort außer dem Zentralen Warenhaus GUM und dem Kreml keine Einkaufs-, Verwaltungs- oder Kultureinrichtungen waren, die eine solche Verkehrskonzentration notwendig gemacht hätten. Die genauen Linienverläufe des Projekts von APU im Zentrum gehen aus der Beschreibung und der im Original sehr undeutlichen Skizze nicht eindeutig hervor. In der Skizze sind zwei zusätzliche Linien enthalten (in Abb. 36 gestrichelt), die in der Beschreibung fehlen. 27 Kobzar' 1933, S. 9-11.
620
Anhang IV
Abb. 36: Metroschema von APU, Dezember 1932 (Kobzar' 1933, S. 6).
Die Metro und der „Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus" Große Fabriken und Werke: 1 Automobilfabrik AMO-ZIS (gegründet 1916, rekonstruiert 1928) 2 Elektrofabrik Dinamo (1899) 3 Kugellagerfabrik (um 1930) 4 Automobilfabrik AZLK [„Moskvic"] (1930) 5 Metallurgische Fabrik Serp i molot [Hammer und Sichel] (1883) 6 Fabrik Manometr (1886) 7 Waggonreparaturwerk (1868) 8 Kabelfabrik (1911) 9 Fabrik Kompressor (1869) 10 Fabrik Frezer (1932) 11 Elektrowerk (1928) 12 Seidenkombinat (1881) 13 Schuhfabrik Burevestnik [Sturmvogel] (1924) 14 Gummi-Textilfabrik Krasnyj Bogatyr [Roter Hüne] (1887) 15 Werkzeugfabrik Kalibr (1932) 16 Metallurgische Fabrik Stankolit [Werkzeugguß] (1934) 17 Eisengießerei Borec [Kämpfer] (1897) 18 Chemische Fabrik (1896) 19 Tuchfabrik (1835) 20 Westhafen (1937) 21 Eisengießerei Vojkov(\$9K) 22 Flugfeld (1910) 23 Textilfabrik Trechgornaja Manufaktura (1799), Industriegebiet Presnja 24 Seidenkombinat (1881) 25 Textilfabrik Krasnaja Roza [Rote Rose] (1875) 26 Gummifabrik Kaucuk (1915) 27 Konditoreifabrik Krasnyj Oktjabr' [Roter Oktober] (1867) 28 Schuhfabrik Parizskaja kommuna [Pariser Kommune] (1922) 29 Kattundruckfabrik (1823) 30 Werkzeugmaschinenfabrik Krasnyj proletarij [Roter Proletarier] (1857) 31 Werkzeugmaschinenfabrik Ordzonikidze (1932) 32 Chemische Fabrik Karpov (1912)
621
Erholungs- und Sporteinrichtungen: Α Kultur- und Erholungspark und Stadion Izmajlovo (1930) Β Stadion Lokomotive in Cerkizovo (um 1930) C Kultur- und Erholungspark Sokol'niki (1931, Park seit dem 18. Jahrhundert) D Kultur- und Erholungspark Ostankino (1932, Park seit 1793) Ε Stadion Dinamo (1928, vorher Petrovskij Park) F Erholungs- und Datschengebiet Serebijannyj Bor G Gor'kij-Kultur- und Erholungspark (1928)
Die wichtigsten kulturellen und administrativen Einrichtungen befinden sich im Stadtzentrum, wenige Kilometer im Umkreis des Kreml. Bestehende und geplante Wohnkomplexe am Stadtrand: I Wohnkomplex Leninskaja sloboda [Simonovo] II Wohnkomplex Tekstil'Söiki (im Generalplan von 1935 vorgesehen) III Wohnkomplex Perovo (im Generalplan 1935 vorgesehen) IV Wohnkomplex Sokolinaja gora V Wohnkomplex Izmajlovo (im Generalplan 1935 vorgesehen) VI Wohnkomplex Cerkizovo VII Wohnkomplex Ostankino (im Generalplan 1935 vorgesehen) VIII Wohnkomplex Butyrki IX Wohnkomplex KoptevoVsechsvjatskoe (in den zwanziger Jahren entstanden) X Wohnkomplex Fili (seit 1927) XI Wohnkomplex Usaöevka (Anfang der dreißiger Jahre entstanden) XII Wohnkomplex Südwest (im Generalplan von 1935 vorgesehen)
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Die Planungen von APU hatten allerdings noch keinen endgültigen Charakter. Im Sommer 1933 ließ das Stadtparteikomitee das von APU vorgelegte Material für den Generalplan Moskaus von Experten begutachten. Im September 1933 wurde daraufhin die Architektur- und Planungsbehörde wegen unbefriedigender Leistungen aufgelöst. An ihrer Stelle gründete man mehrere getrennte Abteilungen sowie zehn Planungs- und Projektwerkstätten, die jeweils fur bestimmte wichtige Straßenzüge zuständig waren. Die Koordination oblag der neu geschaffenen ständigen Architektur- und Planungskommission beim Stadtparteikomitee und Mossovet (ARPLAN). In dieser Kommission waren neben Kaganovic, Chruscev, Bulganin und anderen Funktionären prominente Architekten wie Iofan, Vesnin, Zoltovskij, Semenov und Scusev vertreten.28 Im Juli 1934 wurde der Entwurf des Generalplans vom Politbüro im Beisein von über fünfzig Architekten erörtert und von Stalin gebilligt.29 Nach mehrmonatiger Überarbeitung auf der Grundlage der Anweisungen des Politbüros und wiederholten Eingriffen Kaganovics verabschiedete schließlich die oberste Staats- und Parteiführung am 10.7.1935 den Generalplan für die Rekonstruktion Moskaus.30 Der Generalplan reichte zehn Jahre in die Zukunft, nicht fünfundzwanzig, wie angekündigt. Er assimilierte Ideen aus früheren Ansätzen mit der neuen Planungsorthodoxie und ging davon aus, die Stadt Moskau als historisch gewachsene Einheit zu bewahren und ihre Struktur nicht von Grand auf zu verändern. Er sah die Begrenzung der Einwohnerzahl auf fünf Millionen, die Verdoppelung des Territoriums der Stadt von 28.500 auf 60.000 Hektar, den Bau neuer Wohnviertel und die Verbesserung der Infrastruktur vor. Moskau wurde grob in Zonen eingeteilt: Das Wohnen konzentrierte sich auf den Südwesten, wo ein neuer Rayon entstand, den Nordwesten und Osten. Die Industrie hatte im Südosten Raum zur Expansion, wobei alle sanitär bedenklichen und feuergefährlichen Betriebe aus der Stadt ausgelagert werden sollten. Ein grüner Gürtel umgab die Innenstadt im Umkreis von zehn Kilometern. Das radial-konzentrische Straßensystem wurde beibehalten. Der Rote Platz sollte auf das Doppelte ausgedehnt, 23 andere Plätze sollten rekonstruiert werden. Kitajgorod sollte Platz machen für einige monumentale Bauten. Die Gor'kijstraße und andere Magistralen sollten auf dreißig bis vierzig Meter Breite erweitert und sechzehn Magistralen angelegt werden: fünf radiale Magistralen, fünf Verbindungen zwischen Plätzen, drei Ringstraßen und drei Magistralen durch das Zentrum.31 28 MK und MGK VKP(b) und Mossovet. Bericht an SNK SSSR und CK VKP(b) über den Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus. In: General'nyj plan 1936, S. 44—46. Vgl. Shimotomai 1991, S. 110. Vgl. Alesöenko 1976, S. 479^180. 29 Politbüro. Prot. 10, 15.7.1934. RGASPI 17/3/948, Bl. 15. 30 SNK SSSR und CK VKP(b). Resolution über den Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus, 10.7.1935. In: General'nyj plan 1936, S. 1-20. Der Generalplan ist auch publiziert in: Direktivy KPSS, Bd. 2, S. 4 6 3 ^ 7 5 . 31 SNK SSSR und CK VKP(b). Resolution über den Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus, 10.7.1935. General'nyj plan 1936, S. 1-20. - Verwirklicht wurde von all diesen Projekten nur ein Teil. Vgl. Ruble 1994, S. 364-365.
Die Metro und der „Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus"
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Während die Rekonstruktion des Straßenverkehrs im Generalplan breiten Raum einnahm und die einzelnen Magistralen bis ins Detail beschrieben wurden, erwähnte der Generalplan die Metro nur in zwei Halbsätzen: „Neben dem weiteren Bau der Untergrundbahn" sollte der öffentliche Verkehr durch den Bau von 400 Kilometern neuer Straßenbahnlinien sowie durch die Aufstockung der Zahl der Straßenbahnwaggons auf 2.650, der Oberleitungsbusse auf 1.000, der Autobusse auf 1.500 und der Taxis auf 2.500 verbessert werden. „Im Zusammenhang mit dem Bau der Untergrundbahn" sollten von den am stärksten überlasteten Straßen die Straßenbahnen entfernt werden.32 Auch in den umfangreichen beigelegten Materialien findet sich kein Linienschema der Metro, sondern lediglich eine Skizze der im Mai 1935 vom Politbüro bestätigten zweiten Baufolge. Die zweite Baufolge umfaßte die Verlängerung des Arbat-Radius bis zum Kiever Bahnhof sowie den Bau des Pokrovskij Radius bis zum Kursker Bahnhof und des Gor'kij-Radius bis über den Weißrussischen Bahnhof hinaus.33 Als weitere Perspektive war der Bau des Zamoskvoreckij Radius vorgesehen. Dies waren allesamt Linien aus dem 80,3-Kilometer-Schema von 1931, lediglich mit der Änderung, daß der Zamoskvoreckij Radius nun zum Pavelecer Bahnhof führte und mit dem Gor'kij-Radius zu einem Durchmesser verbunden wurde (Abb. 37).34 Die zweite Baufolge war der gemeinsame Nenner der Projektierung von Metrostroj und der Planungsabteilung des Mossovet, die während und nach der Erstellung des Generalplans weiterhin unabhängig voneinander arbeiteten und ihre jeweiligen Projekte laufend änderten, zum Teil allerdings erkennbar in wechselseitiger Beeinflussung. Kaganovic beschönigte in seiner Rede vom 16.7.1934 das unkoordinierte Nebeneinander der Planungen mit der Versicherung, die zweite Baufolge sei auf der Basis der schon feststehenden Grundlinien des Generalplans ausgewählt worden.35 Metrostroj legte im Dezember 1934 ein neues Schema vor, das nun wieder auf fünf Durchmesserlinien reduziert war und die im August 1933 erfolgten Änderungen rückgängig machte. Die Gesamtstreckenlänge (ohne die Ringlinie) betrug merkwürdigerweise nun schon zum dritten Mal exakt 80,3 Kilometer, obwohl sich der Verlauf dreier Radien (Krasnopresnenskij, Rogozskij, Zamoskvoreckij) gegenüber dem Linienschema von 1931/32 stark geändert hatte (Abb. 37).36 Das von der Planungsabteilung des Mossovet 1935 erstellte Linienschema (Abb. 38a) hatte weniger Gemeinsamkeiten mit dem Entwurf der Architekturund Planungsbehörde APU von 1933 als mit dem letzten 80,3-Kilometer-Schema von Metrostroj. Es unterschied sich im Großen und Ganzen nur durch die Ringlinie entlang des Kammerkollegienwalls und die Verlängerung des Frunze-Radius
32 33 34 35 36
General'nyj plan 1936, S. 14. Politbüro. Prot. 25, 13.5.1935. RGASPI 17/3/963, Bl. 26. Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 13, 15.8.1934. CAODM 3/24/72, Bl. 24. Kaganoviö: Ο stroitel'stve metropolitena 1934, S. 6. Bedrickij 1934.
624
Anhang IV
um sieben Kilometer ins neue Wohngebiet im Südwesten der Stadt.37 Die Ringlinie verlief über den Kiever, Weißrussischen und Dzerzinskij-Bahnhof [Baltischer Bahnhof], aber außerhalb der übrigen Bahnhöfe.
' ι ' « zweite Baufolge Abb. 37: Linienschemen von Metrostroj, Dezember 1934
37 Kobzar': Vnutrigorodskoj 1935, S. 13.
Die Metro und der „Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus"
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Tabelle 51: Vergleich der Linienschemen von Metrostroj (1931, 1934) und der Planungsabteilung des Mossovet (1935)38 Radius und seine Richtung vom Zentrum aus
Metrostroj 1931
Metrostroj 1934
Mossovet 1935
1. Kirovskij [Mjasnickij] (Cerkizovo) 2. Frunzenskij [Usacevskij] (Leninberge) 3. Arbatskij (Kutuzovo) 4. Gor'kovskij [Tverskoj] (Vsechsvjatskoe) 5. Taganskij (Fabrik AMO-ZIS) 6. Pokrovskij (Izmajlovo) 7. Zamoskvoreckij (Niznye Kotly) 8. Rogozskij (Sokolinaja gora) 9. Krasnopresnenskij (Krasnaja Presnja) 10. Dzerzinskij (Ostankino)
10,0 6,0 5,0 9,5 10,6 9,3 8,0 9,6 4,5 7,8
10,4 5,6 5,4 8,7 8,9 10,8 7,8 8,2 6,7 7,8
10,9 12,3 5,8 8,9 7,5 13,7 8,7 8,2 6,7 7,8
Streckenlänge ohne Ringlinie Ringlinie
80,3 15,5
80,3 15,5
90,5 25,0
Gesamtstreckenlänge
95,8
95,8
115,5
Abb. 38: Linienschemen der Planungsabteilung des Mossovet (a) und von Metrostroj (b) 1935/36 (Kurenkov 1936, S. 11). Die gepunktete Linie bezeichnet den Eisenbahnring, der im wesentlichen die Stadtgrenze vor 1935 bildete.
38 Vorentwurf der erstrangigen Linien. O.D. [November 1931], GARF R-7952/7/144, Bl. 25-29. Bedrickij 1934. Kobzar': Vnutrigorodskoj 1935, S. 14.
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Anhang IV
Abb. 39: Linienschema der Moskauer Untergrundbahn 1998
Metrostroj reagierte 1935 auf den Generalplan mit einem neuen Linienschema, das der Erweiterung des Stadtgebietes und dem geplanten Bau neuer Wohnsiedlungen durch eine Verlängerung der Radien, die Erhöhung ihrer Zahl auf zwölf sowie eine durch die Außenbezirke fuhrende Ringlinie Rechnung trug (Abb. 38b). Die Ge-
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samtlänge des Netzes betrug nun 240 Kilometer.39 Auch dieses Schema war jedoch nur eine Zwischenetappe der bis heute ständig fortschreitenden Projektierung. Das heutige Metronetz, mit fünfzehn Radiallinien, mehr als zweihundert Kilometer Länge und rund 160 Stationen, läßt zwar deutlich den Ursprung in den Plänen von 1931 bis 1935 erkennen, der exakte Verlauf der Linien hat sich aber doch seither geändert (Abb. 39). Der ursprünglich am Roten Platz vorgesehene Schnittpunkt dreier Linien, der sich 1934/35 zum Ochotnyj ijad verschoben hatte, befindet sich heute im Bereich der Leninbibliothek. Die Ringlinie wurde in den fünfziger Jahren so gebaut, daß sie alle Bahnhöfe miteinander verbindet.40
39 Kurenkov: Ο razvitii 1936, S. 1 1 . - Der Verfasser schlug selbst ein ähnliches Linienschema mit 210,5 Kilometer Länge vor. (Ebd., S. 10-11). 40 Sämtliche Linienschemen von 1935 bis 2000 sind im Internet abrufbar: http://www.metro.ru:8080/map/ [20.12.2000].
ANHANG V
Die M e t r o und der E i s e n b a h n d u r c h m e s s e r Die vom Juniplenum des Zentralkomitees geforderte Errichtung einer (nicht unbedingt unterirdischen) Verbindungslinie der von Norden nach Moskau fuhrenden Eisenbahnen mit der Kursker Eisenbahn war über die Diskussion verschiedener Varianten nicht hinaus gelangt. Der Eisenbahndurchmesser spielte auch für die Metroplaner eine Rolle, denn sie mußten gegebenenfalls Umsteigestationen vorsehen. Außerdem mußte entschieden werden, ob die Eisenbahnzüge auch Metrotunnel als Durchmesserlinien nutzen sollten oder nicht. Davon hing ab, ob man die Tunnel im Eisenbahnprofil oder im kleineren Untergrundbahnprofil baute. Ingenieur Katcen diskutierte im Herbst 1931 in der Zeitschrift Kommunal 'noe chozjajstvo die Vor- und Nachteile der beiden Möglichkeiten und gelangte - wie seine Kollegen von Metrostroj - zu dem Ergebnis, daß eine technische Vereinheitlichung von Eisenbahn und Metro vom wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Standpunkt aus inakzeptabel sei. Die Untergrundbahntunnel müßten viel größer und damit teurer gebaut und die Linienverläufe an die weiteren Kurvenradien der Eisenbahn angepaßt werden. Umgekehrt beurteilte Katcen auch das Befahren der Vorortlinien durch Metrozüge nicht als sinnvoll, denn letztere hatten normalerweise eine geringere Kapazität als Eisenbahnzüge, keine Toiletten, keine Heizung, nur eine einfache Verglasung und große Türen, was den oberirdischen Verkehr über längere Strecken im Winter unmöglich machte. Außerdem hätte nur eine Minderheit der Passagiere einen Nutzen. Vielmehr würde der innerstädtische Metroverkehr durch die zusätzlichen Eisenbahnzüge beeinträchtigt.1 Professor Obrazcov vom Moskauer Institut für Eisenbahningenieure widersprach in einem Gegenartikel diesen Ansichten: Moskau habe schon 1918/20, als Brennholz in die Stadt transportiert werden sollte, darunter gelitten, daß Straßenbahn und Vorortzüge nicht kompatibel waren. Seiner Ansicht nach sprach viel dafür, Metro- und Vorortzüge zu vereinheitlichen, mit gleichen Zuggarnituren, gleicher Stromversorgung und gleichem Tunnelprofil zu konzipieren, denn alle projektierten Metrolinien seien de facto Fortsetzungen von Vorortlinien. Die Kosten würden sich bei der offenen Bauweise nur um rund zehn Prozent erhöhen, die Kurvenradien seien auf den meisten Strecken kein Problem. Die Zuggarnituren der Metro dürfe man nicht nur für den Tunnelverkehr auslegen, denn in den
1 Katcen: Ob"edinjat' 1931, S. 24-27.
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Randgebieten und entlang breiter Straßen werde man die Metro aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, Hygiene und des Komforts oberirdisch bauen.2 Das Verkehrskommissariat bestand bei einer ersten Begutachtung der Vorprojekte für die Metro in einer Kommission beim Mossovet ebenfalls darauf, daß die Metro im Eisenbahnprofil gebaut werde. Die im ersten Projekt von Metrostroj vorgesehene Pariser Bauweise erschwerte dieses Unterfangen jedoch, weil durch die größeren Abmessungen der Tunnel die Einsturzgefahr für die Häuser an der Mjasnickaja wuchs, so daß das Verkehrskommissariat nicht weiter darauf bestand und die Entscheidung der Stadt überließ.3 Als der Bau der Untergrundbahn im Frühjahr 1932 auf den Vortrieb in großer Tiefe umgestellt wurde, meldeten sich die Befürworter des Eisenbahnprofils wieder zu Wort. Professor Obrazcov versuchte, Kaganovic in diesem Sinne zu überzeugen: Die Kompatibilität von Metro und Eisenbahnen würde den Gütertransport in die Stadt sowie eine eventuelle Evakuierung der Bevölkerung im Kriegsfall erleichtern und überdies durch die breiteren Zuggarnituren die Kapazität der Metro erhöhen.4 Dieser Ansicht Schloß sich auch die sowjetische Expertenkommission an, die im Sommer 1932 die Projekte von Metrostroj begutachtete.5 Metrostroj setzte sich jedoch mit seiner Ansicht durch und baute die Tunnel des Mjasnickij Radius im Untergrundbahnprofil, was insofern keinen weiteren Widersprach auslöste, da der Mjasnicko-Usacevskij (Frunzenskij) Durchmesser nur im Norden an Bahnhöfen vorbeiführte, und sich somit fur die Durchfahrt von Eisenbahnzügen nicht eignete. Die zweite sowjetische Expertenkommission, die im Sommer 1933 das veränderte Projekt von Metrostroj begutachtete, sprach sich dezidiert dafür aus, künftige Metrolinien in Eisenbahnprofil zu bauen, und verwies neben einer Reihe von anderen Argumenten auf die Erfahrung im Ausland, wo die Profile der Untergrundbahnen von London, Berlin und New York immer größer geworden seien. Die neuesten Linien in New York sowie die Untergrundbahnen von Buenos Aires und Warschau würden im Eisenbahnprofil gebaut.6 Außerdem bedienten die Me2 Obrazcov: Neotloznyj vopros 1931, S. 18-19. 3 Professor V. Obrazcov an Kaganoviö, 9.7.1932. CAODM 3/49/45, Bl. 32, 39. 4 Ebd. 5 ObäCee zakljuCenie 1932, S. 32. - Zu den Expertenkommissionen siehe Kap. II.2.a. 6 Der Hinweis auf das Ausland stimmt nur bedingt: Die ersten Linien der Londoner Untergrundbahn (ab 1863) waren eigentlich innerstädtische Eisenbahnstrecken. Die 1890 eröffnete Untergrundbahnlinie im engeren Sinn hatte das kleinere Untergrundbahn-Großprofil (Fahrzeugbreite 2,65 Meter). In den folgenden Jahrzehnten wurden beide Systeme parallel ausgebaut. (Schleife 1992, S. 180-184). In Berlin wurden die ersten Linien der Untergrundbahn im Kleinprofil (Fahrzeugbreite 2,30 Meter) gebaut. Alle nach 1913 begonnenen Linien baute man im Untergrundbahn-Großprofil (Fahrzeugbreite 2,65 Meter) (Schleife 1992, S. 63). Die 1930 in Betrieb genommene Linie Β der Untergrundbahn von Buenos Aires gehörte ursprünglich zu einer argentinischen Eisenbahn und stellte die Endstrecke einer in die Stadt mündenden Vorortlinie dar. Sie wurde daher im Eisenbahnprofil (Fahrzeugbreite 3,20 Meter) gebaut. Die übrigen Linien der Untergrundbahn von Buenos Aires haben ein kleineres Profil (2,60 Meter) (Schleife 1992, S. 97-98). Bei der New Yorker Metro sind auf den verschiedenen Linien Fahrzeugbreiten
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tros von London, Paris und New York schon längst die außerhalb der Stadt liegenden Vororte. Diese Entwicklung sei auch für Moskau zu erwarten. Ausländische Autoritäten würden inzwischen die zu kleinen Profile ihrer jeweiligen Untergrundbahnen beklagen. Bezüglich der ersten Baufolge stellte die Expertenkommission fest, daß zumindest der Arbat- oder Frunze-Radius, je nachdem, welcher der beiden später mit dem Pokrovskij Radius verbunden werde, in Eisenbahnprofil gebaut werde. Es sei sogar der Umbau des schon in Bau befindlichen Mjasnickij Radius zu erwägen. Professor Obrazcov, der für diesen Abschnitt der Expertise verantwortlich zeichnete, kritisierte, daß sich Metrostroj trotz wiederholter Aufforderung seitens der Expertenkommission bisher geweigert habe, bei der Projektierung auch eine Variante im Eisenbahnprofil vorzusehen.7 Auf der Grundlage dieser Expertise tendierte die Moskauer Parteiführung Ende 1933 in der Diskussion um die Bauweise und Linienführung am Arbat zum Eisenbahnprofil. Gekoppelt mit dem Pokrovskij Radius stellte der Arbat-Radius nämlich eine Verbindung zwischen dem Kiever Bahnhof und dem Kursker Bahnhof quer durch die Stadt her. Kaganovic meinte bei einer Beratung im Oktober 1933, es wäre vom militärischen Standpunkt aus nützlich, wenn Eisenbahnzüge durch den Arbat-Tunnel fahren könnten, denn dann könne man nachts über diese Linie Lebensmittel in die Stadt transportieren.8 Chruscev und auch Ingenieur Mysenkov schlossen sich dieser Ansicht an.9 Man beschloß, bei der Projektierung des Arbat-Radius Eisenbahnprofil vorzusehen.10 Im Zuge der Projektierung und des Baus wurde diese Entscheidung allerdings wieder revidiert. Auch der ArbatRadius wurde so gebaut, daß ihn Vorortzüge nicht befahren können.11 Für die zweite Baufolge beauftragte man Metrostroj, zwei Varianten zu erstellen, eine im Untergrundbahnprofil, eine im Eisenbahnprofil.12 Gebaut wurden auch diese Strekken - wie die gesamte Moskauer Untergrundbahn - in den kleineren Abmessungen. Das Volkskommissariat für Verkehr, das sich schon seit den zwanziger Jahren mit dem Problem der Kopfbahnhöfe befaßt und verschiedene Entwürfe für einen Eisenbahndurchmesser erstellt hatte,13 richtete nach dem Juniplenum 1931 eine
von 2,68 bis 3,05 Meter im Einsatz (Schleife 1992, S. 254), bei der Pariser solche mit 2,42 bis 2,80 Meter (Schleife 1992, S. 273). Die Warschauer Untergrundbahn wurde in den dreißiger Jahren zwar geplant, aber erst ab 1982 gebaut. (Schleife 1992, S. 366). 7 Moskovskij metropoliten zakljuöenie 1933, S. 56-57. 8 Kaganovic. Wortmeldung auf dem Plenum der Expertenkommission von Metrostroj, 20.10.1933. RGASPI 81/3/199, Bl. 41. 9 Sten. Beratung bei Kaganovic über Fragen der Metro, 15.11.1933. RGASPI 81/3/199, Bl. 152, 161. 10 MK VKP(b). Prot. Beratung, 15.11.1933. RGASPI 81/3/208, Bl. 18. 11 Regierungskommission für die Abnahme der Moskauer Untergrundbahn. Schlußakte, o.D. [Ende April 1935], GARF R-5446/40/17, Bl. 27. 12 Büro MK und MGK VKP(b). Prot. 12, 11.7.1934. CAODM 3/24/71, Bl. 178. 13
V g l . K a p . I.2.C.
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spezielle Behörde fur die Rekonstruktion des Moskauer Eisenbahnknotens ein.14 Der Leiter von Metrostroj, Rotert, signalisierte im Sommer 1931 gegen den Rat der Ingenieure von MGZD seine Absicht, gleichzeitig mit der Metro auch den Bau des Eisenbahndurchmessers zu übernehmen.15 Daher liefen 1931/32 diesbezüglich parallele Planungen im Verkehrskommissariat und bei Metrostroj. Abb. 40: Linienschema des Verkehrskommissariats 1931
Vorübergehend versuchte das Verkehrskommissariat auch, sich in den Bau der Untergrundbahn einzumischen. Als sich im Herbst 1931 das 80,3-KilometerLinienschema von Metrostroj als wahrscheinlich abzeichnete, präsentierte der stellvertretende Verkehrskommissar Postnikov eine von seinen Beamten erstellte Alternative, die besser auf den innerstädtischen Eisenbahndurchmesser abgestimmt war. Er kritisierte am Projekt von Metrostroj, daß die Untergrundbahn streckenweise parallel zum Eisenbahndurchmesser lief und der Kursker Bahnhof
14 Kurenkov: Rekonstrukcija 1935, S. 8. 15 Sten. Gespräch mit Ing. Katcen, stv. Chefingenieur für den elektrischen Fahrbetrieb, 2.12.1934. GARF R-7952/7/314, Bl. 308-309.
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nicht angebunden war.16 Der Entwurf des Verkehrskommissariats (Abb. 40) löste sich von dem starren radialen Schema und verzichtete sogar auf die von Kaganovic genannte Linie zum Palast der Sowjets, mit der Begründung, die Gegend habe kein starkes Verkehrsaufkommen.17 Weiter verfolgt wurde der Entwurf jedoch nicht, und nach 1931 mischte sich das Verkehrskommissariat nicht mehr in die Projektierung der Metro ein. Im Dezember 1931 beschloß das Verkehrskommissariat, 1932 mit dem Bau des Eisenbahndurchmessers zu beginnen und Metrostroj die Arbeiten auf Vertragsbasis zu übertragen, wobei das Verkehrskommissariat für die Projektierung, Finanzierung und Versorgung verantwortlich bleiben sollte.18 Metrostroj erklärte sich damit einverstanden und erhielt im März 1932 die Erlaubnis des Rates der Volkskommissare fur diese Zusatzaufgabe.19 Im Juli 1932 zog Metrostroj allerdings unter dem Eindruck der schweren eigenen Probleme seine Bereitschaft, den Bau des Eisenbahndurchmessers durchzuführen, wieder zurück. Die Arbeiten am Eisenbahndurchmesser wurden der Hauptverwaltung fur Eisenbahnbau übertra20
gen. Den grundsätzlichen Trassenverlauf des Eisenbahndurchmessers hatte Kaganovic auf dem Juniplenum skizziert und damit den damaligen Stand der Planungen des Verkehrskommissariats übernommen. Über den exakten Verlauf der Trasse und seine Bauweise (Tunnel oder Viadukt) entbrannte jedoch in den Folgejahren eine langwierige Diskussion unter den Fachleuten. Die ursprüngliche Variante sah überwiegend Viadukte und nur auf dem Teilstück zwischen Trubnajaplatz und dem Noginplatz einen Tunnel vor (Abb. 17).21 Ingenieur Cires von Metrostroj schlug 1932 eine Variante vor, die im nördlichen Teil einen Straßenzug weiter östlich verlaufen und überwiegend unterirdisch gebaut werden sollte.22 Die Leitung von Metrostroj lehnte diesen Vorschlag ab, weil der geschilderte Trassenverlauf mit dem vorgesehenen Dzerzinskij-Radius der Metro zusammenfiel.23
16 In seinem im November 1931 vorgelegten Projekt hatte Metrostroj auf diesen Einwand reagiert und den Pokrovskij Radius in einer kleinen Kurve zum Kursker Bahnhof geführt (Abb. 19). 17 Postnikov: Eäöe raz 1931, S. 59-60. 18 Büro MGK VKP(b), Prot. 27, 30.12.1931. In: Sbornik vaznejäich postanovlenij MK i MGKVKP(b) 1932, S. 331. 19 Rotert an SNK SSSR, 25.2.1932. GARF R-5446/13/2079, Bl. 2. SNK SSSR. Resolution 322, 13.3.1932. Ebd., Bl. 1. 20 Rotert an Chvesin, 3.7.1932. CAODM 3/49/45, Bl. 35. Rotert an die Zentralverwaltung für die Rekonstruktion des Moskauer Knotens, 2.7.1932. Ebd., Bl. 36. Chvesin an KaganoviC, 13.7.1932. Ebd., Bl. 34. 21 Katcen: Κ sooruzeniju 1931, S. 19. 22 Resolution der Produktionsberatung der technischen Abteilung von Metrostroj, o.D. [Anfang 1932], GARF R-5475/18/116, Bl. 9. 23 Schlußfolgerungen der Leitung von Metrostroj zu der von Ing. Cires vorgeschlagenen Trasse, o.D. GARF R-7952/7/156, Bl. 13-14.
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Die Planungen des Verkehrskommissariats gingen über die Errichtung des genannten Eisenbahndurchmessers hinaus. 1933 erstellte die Verwaltung zur Rekonstruktion des Moskauer Knotens (URMU) ein Projekt zur Reorganisation des Systems der Kopfbahnhöfe (Abb. 41): Die Kopfbahnhöfe sollten abgeschafft und durch zwei Zentralbahnhöfe ersetzt werden. Hierzu schlug man die Verbreiterung der Verbindungsbahn zwischen dem Kursker und Oktoberbahnhof (Leningrader Bahnhof) auf acht bis zwölf Gleise und den Ausbau des Kursker Bahnhofs (K) zum zentralen Umsteigebahnhof vor. Für den Verkehr von und nach Moskau plante man beim Rzever (Rigaer) Bahnhof die Errichtung eines neuen „Dzerzinskij-Bahnhofs" (D). Der Verkehr aller Linien sollte über diese beiden Bahnhöfe und die KurskOktober-Verbindungsbahn geleitet werden. Für den Vorortverkehr war der schon länger diskutierte Eisenbahndurchmesser vorgesehen, für den zwei Varianten in Frage kamen: entweder auf Viadukten oder unterirdisch.24 Abb. 41: Zentralbahnhöfe und Eisenbahndurchmesser, Projekt von URMU 1933
Einen Gegenvorschlag präsentierte Ingenieur Sirinskij (Abb. 42): Statt des Eisenbahndurchmessers über den Dzerzinskijplatz sollten zwei ganz andere Durchmesser gebaut werden, nämlich zur Verbindung der Kursker Eisenbahn mit dem Weißrussischen Bahnhof (W) sowie des Pavelecer Bahnhofs (P) mit dem Kiever (K). Am Ufer der Moskva sollte ein neuer Zentralbahnhof „Palast der Sowjets"
24 Komitee zur wissenschaftlichen Unterstützung des Baus der Moskauer Untergrundbahn. Bericht August - Dezember 1933. CMAM 665/1/88, Bl. 24. Sirinskij 1933, S. 47, 50.
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(Ζ) errichtet werden. Mit einer solchen Linienführung würde die Notwendigkeit, von der Eisenbahn auf städtische Verkehrsmittel umzusteigen, auf ein Minimum reduziert.25
m
Abb. 42: .
·
Zentralbahnhof und Eisenbahndurchmesser,
Projekt Sirinskij 1933
Gegen das Projekt von URMU sprach sich im Juni 1934 auch die Architekturund Planungskommission beim Stadtparteikomitee und Mossovet (ARPLAN) unter dem Vorsitz von Kaganovic aus. Sie setzte eine spezielle Kommission unter dem Vorsitz von Bulganin ein, um das Problem des Eisenbahndurchmessers weiter zu untersuchen.26 Während 1934 die Kommissionen berieten und in Zeitschriften rege über mögliche Lösungen für den Eisenbahndurchmesser diskutiert wurde,27 entschied Metrostroj, die Station „Dzerzinskaja", die anfangs als Umsteigestation zum Eisenbahndurchmesser konzipiert worden war, ohne Rücksicht auf den Eisenbahndurchmesser als gewöhnliche Metrostation zu bauen. Gegebenenfalls müßte sie später umgebaut werden.28
25 Sirinskij 1933, S. 54-59. 26 Arplan. Beratung, 20.6.1934. RGASPI 81/3/204, Bl. 18-21. V komissii Mossoveta 1934, S. 15. 27 Vgl. z.B. Nikolai: Nel'zja medlit' 1934, S. 11-13. Vgl. Kurenkov: Rekonstrukciju 1934, S. 14-17. und andere Artikel in Stroitel'stvo Moskvy. 28 Sten. Gespräch mit Ing. Nikolai, Leiter von Metroproekt. GARF R-7952/7/266, Bl. 86.
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Abb. 43: Zentralbahnhof und Eisenbahndurchmesser, Projekt des Mossovet 1935
Das Ergebnis der Beratungen der Bulganin-Kommission war die Forderung des Generalplans, die nach Moskau führenden Linien der Eisenbahnen mit Tunneln zu verbinden, und zwar in erster Linie einen Tunnel zur Verbindung der Kursker mit der Oktoberbahn zu bauen.29 Den Planern im Mossovet schwebte dabei eine komplexe Lösung vor (Abb. 43): Die schon bestehende Kursk-Oktober-Verbindungsbahn sollte nördlich des Kursker Bahnhofs einen Tunnel bekommen. Zusätzlich sollten drei unterirdische Eisenbahndurchmesser gebaut werden: der schon seit 1931 vorgesehene, einer zur Verbindung der Eisenbahnen aus Kursk, Gor'kij und Kazan' mit dem Kiever (K) und Weißrussischen Bahnhof (W) sowie ein dritter zur Verbindung des Pavelecer Bahnhofs (P) mit dem Kiever und Weißrussischen Bahnhof. Am Ufer der Moskva, etwa dort, wo heute das Hotel „Rossija" steht, sollte der zentrale „Lenin-Bahnhof errichtet werden.30 - Wie so manche Vorhaben des Generalplans von 1935 wurden auch die Verbindungstunnel für die Eisenbahnen nie gebaut. Der Fern- und Vorortverkehr Moskaus beruht auch heute noch auf dem ungünstigen System der Kopfbahnhöfe.
29 SNK SSSR und CK VKP(b). Resolution über den Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus, 10.7.1935. In: General'nyj plan 1936, S. 12. 30 Kurenkov: Pervyj sovetskij 1935, S. 21-23.
Q U E L L E N - UND L I T E R A T U R V E R Z E I C H N I S
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Central'nyj Moskovskij Archiv Dokumentov na Special'nych Nositeljach (CMADSN) Fotos vom Bau der Metro
Österreichisches Staatsarchiv Wien, Archiv der Republik (ÖStA, AdR) Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Neues Politisches Archiv (BMfAA, NPA) Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Gesandtschafts- und Konsulatsarchive 1918-1938 (BMfAA, GA)
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn (PA AA) R 31660, R 31961, R 94567, R 83574-83576, R 83990, R 83997, R 84005 Botschaft Moskau 68-70
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PERSONENREGISTER
Seiten, auf denen sich biographische Informationen zu der betreffenden Person befinden, sind durch Fettdruck gekennzeichnet. Abakumov, E.T. 109-110, 115-116, 141, 168, 187, 198, 232, 270, 280, 282-284, 288, 314, 392, 402-403, 407,435,439, 443, 449, 474, 476, 487-488,492-493, 507, 574, 599 Ajngom, I.G. 140,403,407,443, 476, 490 Alesina, A. 611 Andreev, A.A. 471,546 Andrievskij, S. 611 Andrikanis, N. 611 Angarskij, N.S. 47 Antonov, S.P. 559 Antonovic, A.I. 29-32 Astrov, N.I. 25 Averbach, L.L. 546,547 Baburov, V. 613,617 Baidon 275, 402-403,415,493 Balinskij, P.I. 32-37, 570 Batrak, I.A. [Kozlovskij] 372 Bednyj, D. 522,552 Bedrickij 51,60,90 Bernackij, L.N. 45—46 Bezymenskij, A.I. 237,371-372, 522, 536, 547, 553, 554 Boldin 429 Bonner, E. 412 Borov, N. 611 Brecht, B. 87,522,556 Bijanskij, V.D. 42 Bucharin, N.I. 372
Bulgarin, N.A. 57, 71, 72, 83-84, 87, 89-90, 107, 121, 132, 134, 193, 233,438,471,474-476,478479, 488, 516, 522, 528, 530-531, 533, 622, 634-635 Butusov 56,58-59,62 Bykova, N. 611 Carmichael, T. 44 Cejtlin, E. 74-76 Chruscev, N.S. 70, 95, 99-100, 104, 107, 109, 111, 115-116, 121, 133, 140, 143, 145, 157, 161, 179, 193, 211, 233, 283, 285, 314, 338, 392, 407,435,438,461,470-479,487488,493,495, 507, 523-524, 528, 533, 536, 538, 552, 580, 589, 622, 630 Chusainov, K. 232-233 Cires 90-91,632 Ceöulin, D. 611 Cistjakov, A.Ja. 232-233 Deutsch, Felix 44,47,49 Deutsch, Franz 44 Dmitriev, N.P. 31-32 Dokucaev, N.V. 66 Dolmatovskij, E.A. 233, 333, 555, 556 Erlanger, E. 39, 44, 47, 570 Er§ov, V. 611 Ezov, N.I. 471
666
Personenregister
Ejsman 56, 58, 62 Erenburg, I.G. 549 Fedorova, T.V. 257 Filatov, N.A. 407,476,482 Finkel', K.S. 88,89,91,93-95,484 Fokin, I.A. 611 Fomin, I.A. 611 Fradkin, M. 556 Fridljand 617 Fridman, D.F. 611 Fucik, J. 522,558-559 Galuzo 429-430 Gastev, A.K. 220-221 Gende-Rote, A.Z. 75, 77, 83-84, 87 Gennert, A.I. 38-39,44 Gerbko, A.V. 53-54,59 Gertner, A.I. 270,283-284 Ginzburg, M. 65 Golinevic, N.I. 31-32 Gonckeviö, A. 611 Gordon, L.K. 279 Gor'kij, M. 5,372, 522, 533, 545548, 550-551 Granat, M.E. 407,432-433 Guceviö, K.I. 31 Guckov, A.I. 35, 38-39,44 Guckov, N.I. 35 Gurevic, S. 66 Heine, H. 95 Herzfelde, W. 522 Hoff, G.D. 38—40 Illes, B. 549,556 Il'f, I.A. 546, 549, 558, 566 Inber, V.M. 372 Iofan, B.M. 622 Izotov, N.A. 340 Jagoda, G.G. 72,471 Jünger, E. 316
Kaganovic, L.M. 1,17, 37, 57, 63, 69, 70-73, 79-83, 87-88, 93, 95, 97, 100, 104, 106-107, 109, 114— 116, 118, 121-122, 124, 134, 143, 145, 153, 157, 164, 166, 168, 170, 177, 198,211,219, 231,233,254, 265, 285-287, 306, 319-320, 327, 338, 354-356, 375, 392, 398-400, 407, 409, 411, 422, 427, 435,442, 445,447, 460-462,467,470,471479,483, 486-490,492-493, 501, 503-504, 506-507, 515-516, 523527, 529-531, 533-534, 536, 538539, 546, 548-551, 564, 569, 571572, 576, 589-591, 597, 600, 607, 609, 613, 618, 622-623, 629-630, 634 Kalasnikov, N. 66 Kalinin, M.I. 471,531 Kaminskij, G.N. 70 Karpov, A. 617 Kasatkin, I.I. 63-64 Kataev, V.P. 371,547 Katcen, I.E. 60, 72, 74-75, 88, 9091,94-95, 145,444, 565,628 Kirov, S.M. 72,401,471 Kirsanov, S.I. 509,565 Klimov, G.F. 488-492,494, 496 Knorre, E.K. 32-33, 35, 37-38,4042, 90, 570 Kolarov, V. 66 Kolli, N.Ja. 611 Kolycev, A.I. 67 Kopelev, L.Z. 317,510,512 Kosarev, A.V. 260, 546, 548 Kostrov, G. 373, 374-375, 389, 526 Kozanin, P. 66 Krasin, G.B. 78-79,613,615 Kratjuk, V.B. 613,616 Kravec, S.M. 91,187,611 Krinskij, V. 611 Krutikov, G. 611 Krutov 107,282,510
Personenregister Kucerenko, P.P. 105,111,140 Kujbysev, V.V. 56, 83,471,488, 538 Kulagin 163 Kuznecov, I.N. 153, 155, 169, 184, 311,338, 400, 504, 575 Kycakov, I. 617 Ladovskij, N.A. 65, 611, 613, 616617 Laval, P. 522,562 Lavrov, F.Ja. 53-54 Lebedev-Kumac, V.l. 147, 320, 554 Le Corbusier 65 Lenin, V.l. 45, 345, 372,480, 526 Leonhard, W. 251-252 Lolejt, A.F. 544 Lopatin, P.I. 65 Lovejko, I. 611 Luk'janov, D. 231,407, 424 Majakovskij, V.V. 51,552 Makarycev, T. 611 Makovskij, V.l. 92, 95, 99-100, 102, 104, 573 Matrosov, M. 373-374 Matusov 272,275,397-399,415, 450,476 May, E. 613,614 Medynskij, G.A. 546-547 Mehnert, K. 315-316 Mel'nikov, K.S. 66 Meyer, H. 613,614 Meyer, K. 613,615-616 Mezlauk, V.l. 122 Mikojan, A.I. 471 Miljutin, N.A. 65 Molotov, V.M. 72, 109, 265,466467, 471,488, 531,533,540 Morgan, G. 93,286,597 Morskoj, D.I. [Malysev] 372 Moskov, M.N. 60,90-91
667
Mysenkov, K.S. 48,53-54,59-61, 90-91,281,570, 630 Nikolai, V.L. 36,90,281,570 Nikolaus II. 33,36 Nol'tein, E.E. 29 Obrazcov, V.N. 66,68,78,94,615, 628-630 Ochovic, M. 65 Ordzonikidze, S. 88, 123,427,471, 529, 531 Osinskij, N. [Obolenskij, V.V.] 73, 76 Osipov, A.V. 400-401,433, 527 Oskolkov, N.I. 90, 105 Ottwalt, E. 522,560 Pacher-Theinburg, H. 250, 292, 511 Passek, A.N. 100 Petrov, E.P. 546, 549, 558, 566 Pil'njak, B.A. 139, 338, 546, 549 Podlubnyj, S.F. 245,252 Polivanov, M.K. 38,46, 570 Popov, L. 611 Popov, V. 611 Postnikov, A.M. 522, 544, 631 Pozdneev 78 Puzis, G. 66,76-77 Revkovskij, Ju. 611 Reznißenko, E.D. 328,407 Rolland, R. 522 Romas 611 Rosal' 107 Rotert, P.P. 88, 89-95, 98-101, 103105, 107, 109-110, 116, 125, 132, 134, 137, 187, 208, 227, 282-285, 391-393,400,403,407,435,438, 443, 468, 474-477, 4 7 9 , 4 8 7 ^ 8 8 , 490,492,498, 502, 507, 522, 530531, 535-536, 541, 544, 573-574, 580, 600, 608-609, 631
668
Personenregister
Rozanov, S.N. 50, 52-54, 59, 68, 90-91,93,281 Ruchljadev, A. 611 Ruin, K.K. 38-39, 41-44, 65, 572 Rybakov, A.N. 559 Rykov, A.I. 466 Ryndin, K.V. 70,95 Ryzkov, A. 611
Seljubskij, I.S. 90-91, 93-94, 100, 116, 283 Sestakov, S.S. 65 Sirinskij 633-634 Sklovskij, V.B. 546,549 Smakov, A.S. 25 Suchareva, L. 611 Svernik, N.M. 264,427, 546
Sabsovic, L.M. 65 Saint-Exupery, A. de 562 Sakulin, B.V. 45 Savel'ev, L. 611 Sejfullina, L.N. 371,547 Semenov, V. 618,622 Sivacev 107,397,414 Sobolev, N. 66 Stalin, I.V. 1,37,57,63,69,72-73, 87, 101, 109, 118, 123, 133, 143, 148, 179, 185, 192, 213, 238, 265, 277-278, 285, 305-306, 327-328, 346, 372, 390,401, 412, 427, 435, 447,466—468,470-471,473,479481,488, 510, 512, 523-531, 533534, 538, 546, 549-550, 559, 563564, 569, 571, 574, 592, 604-605, 622 Stapran, O. 611 Starostin, K.F. 399-400,443, 445, 471, 473, 492, 494, 503, 530-531, 533, 548 Stavskij, V.P. [Kirpicnikov] 372 Stekler, A.N. 141,283,474,479 Strelkov, A. 611 Suchinin 407,430,432 Sulim, S. 611 Surkov, A.A. 371,547 Sagurina, L. 611 Sasirin, A.M. 4, 162, 166, 200, 231, 264, 272, 407, 422, 424, 441, 530 Scipacev, S.P. 553, 554, 555 Scusev, A.V. 45,611,622
Taranov, I. 611 Tarchov, A. 611 Taylor, F.W. 220 Teplickij, A. 611 Teslenko, P.A. 111,407,415 Tolstoj, A.N. 372, 546, 549 Tomskij, M.P. 427,435 Trockij, L.D. 239,401 Trubnikov, K.V. 31 Uchanov, K.V. 54,57 Udalych, A.A. 141 Utin, Ja.I. 38-39 Vasil'ev 617 Vedeneev, B.E. 88 Vesnin, V.A. 622 Vilenskij, B. 611 Vinter, A.V. 87-88 Vitte, S.Ju. 35 Vorosilov, K.E. 72,265,471,488 Vysnegradskij, A.I. 38-39 Wells, H.G. 522 Werner, M.A 33 Zamskij, G. 611 Zinov'ev, G.E. 401 Zoscenko, M.M. 546 Zolotov 407,415,482 Zozulja, E. 371 Zdanov, A.A. 427,538 Zoltovskij, I.V. 45,622
TOPOGRAPHISCHES REGISTER
Alexandergarten 102, 393, 605 Arbat 40, 48, 78, 80, 97, 103, 108, 111, 115-116, 119, 391,393,528, 595, 598-599, 605, 623, 630 Arbatplatz 102, 118, 232, 315, 596, 607,611 AMO-ZIS (Automobilfabrik) 97, 103, 182,619, 621 Archangel'sk 50, 140, 266, 269 Athen 47
Dresden 47,52 Dublin 186 Düsseldorf 30, 138 Dzerzinskijplatz 108, 119, 157, 595, 597-598, 602, 606-607, 609, 611, 613, 633-634 —> Lubjanka
Baku 46,382 Basel 613 Berdjansk 281 Berlin 20, 24, 29-30, 33,45, 47, 49, 52, 67, 72, 76, 77, 80, 85, 88, 92, 472, 488, 561, 606, 608-609, 629 Bijansker Bahnhof —> Kiever Bahnhof Bronnicy 206,208-209 Brüssel 610 Budapest 30,47 Buenos Aires 47, 629
Fili 364,605 Frankfurt 613
Charbin 280 Char'kov 88, 140, 317, 325, 573 Charlottenburg 88 Chesterfield 143 Chimki 207 Christ-Erlöser-Kathedrale 81, 136, 609 Dessau 613 Detroit 176 Dnepropetrovsk 275, 382 Donecbecken 108-111, 140, 257
Edinburgh 186 Ekaterinoslav 275
Gartenring 113 Hamburg 613 Izmajlovo 97 Jaroslavl' 140 Jaroslavler Bahnhof 27 Kalanöövplatz 34-35,41, 52, 54, 60, 71,80, 102, 104, 120, 151, 187, 393 —* Komsomolplatz Kalancevstraße 100,597 Kaltasy 154 Kaluga 69 Kazaner Bahnhof 27, 111 Kiev 181,410 Kiever Bahnhof 26-27,40, 78, 189, 605, 623-624, 633, 635 Kislovodsk 488 Köln 47,613
670
Topographisches Register
Komsomolplatz 597, 606-607, 609, 611 Krasnye Vorota 48,103,107-108, 595-597, 599, 602, 605-607, 610611,613 Krefeld 30 Kreml 1,11,35,66,80,89,236, 524, 619 Krimplatz 103, 108, 112, 391, 393, 528 Kultur-und Erholungspark 98,103, 113, 124, 165,521,596, 599, 606-607,611,619, 621 Kursk 157 Kursker Bahnhof 27, 623, 631-633, 635 Leipzig 52 Leninberge 378 —• Sperlingsberge Leninbibliothek 95, 97-98, 103, 108, 393, 595-596, 598-601, 606-608, 610-611,627 Leningrad 100,181,400 —* St. Petersburg Leningrader Bahnhof 27, 633 London 23-24, 30, 33,44,47, 50, 52, 67, 72, 74, 76-77, 85, 92, 100, 144, 186, 488, 561, 601, 606, 608, 629-630 Los' 186-187, 191, 194, 197, 201, 206, 236, 330, 361-363, 381, 385, 396 Lubjanka 35, 37-38,41,49,141, 232 —» Dzerzinskijplatz Madrid 116 Magnitogorsk 10-11, 91, 93, 158, 316, 328,514, 531,541 Makeevka 140 Manegeplatz 102 Mit'kovskij Viadukt 95, 97, 108, 134, 393, 596-597
Mjasnickaja 41,48,50,52,62,97, 98, 100, 111, 191, 193,201,288, 597, 629 Moskva (Fluß) 80, 96, 552, 633, 635 München 47 Mytisci 145, 364 Neglinka 102, 119, 122, 596, 598 Neva 90 New York 30, 33, 40, 74, 76-77, 85, 88, 92-93, 601, 606,608, 629-630 Nikolaj-Bahnhof —• Leningrader Bahnhof Niznij Novgorod 275,471 Novorossijsk 140 Ochotnyj rjad 41,50,75,97,98, 103, 108, 121, 136, 232, 350, 486, 522, 528, 595-596, 598, 600, 602, 606-607, 609-611,627 Odessa 26,181,400 Oka 90 Orel 157 Ostankino 26-27,97 Ostozenka 108, 187, 191, 194, 596 Palast der Sowjets 80-81, 95-98, 103, 107-108, 113, 119, 136, 391, 596, 599, 606-608, 610-611, 613, 632 Paris 23-24, 30, 33, 48, 50, 52, 72, 74, 77, 85, 88, 116,488, 561, 606, 610, 630 Pavelecer Bahnhof 27, 34, 622, 633, 635 Petrovsko-Razumovskoe 26-27 Petrovskij Park 26-27 Philadelphia 88 Prag 47 Riga 26 Revolutionsplatz 143 Rjazan' 69,422
Topographisches Register
Rjazaner Bahnhof —• Kazaner Bahnhof Rostov am Don 26 Roter Platz 1,26,34,38,41,96, 619, 622, 627 Rusakovstraße 97, 102 Samara 275, 324 St. Petersburg 25, 30-33,42, 88, 572 —»Leningrad Saratover Bahnhof —• Pavelecer Bahnhof Savelever Bahnhof 26-27,113 Smolensk 8,11,275 Smolensker Bahnhof —> Weißrussischer Bahnhof Smolensker Markt (Platz) 26-27, 41, 48,61,75,80, 95,98, 107, 393, 595-596, 599, 605,607,611 Sokol'niki 27, 34,48, 50, 61, 75, 78, 95, 97-98, 101-102, 104, 107108, 120-121, 124, 187, 189, 190, 236, 391,468,471, 521, 528, 595597, 606-607,610-611,621 Sperlingsberge 26, 200 —• Leninberge Stalingrad 158,514 Stockholm 47 Sverdlovplatz 97, 101, 103, 108, 119, 143,468, 596, 598 —> Theaterplatz
671
Sachty 281 Tahiti 50 Theaterplatz 37, 41, 49, 67, 163, 232,486, 520 —> Sverdlovplatz Tokyo 47 Tsushima 321 Tula 69,142,275,383 Tver' 69 Tverer Straße (Tverskaja) 26, 35,41, 48, 75, 97, 533, 622 Tverskaja zastava 26-27, 48 Ural 189 Venev 142,269 Vindavaer Bahnhof 27,81 Vladivostok 280 Volga 90 Vol'sk 140 Voronez 140 Vozdvizenka 41,48,98,596 Warschau 26,629-630 Weißrussischer Bahnhof 27,35,61, 622-623, 633, 635 Wien 52 Wuppertal 35
SACHREGISTER
AEG 39,44,47,49 Aeroklub 383 Aktionismus 311-315,479,538,582 Alkoholismus 194, 210-211, 298, 327, 338, 340, 356, 358-360, 375, 418-419, 452-453,565 Alphabetisierung 243,360-362,431 Anleihen 216,327,456 Antiurbanisten —* Desurbanisten Anwerbung von Arbeitskräften 147— 157, 575 Arbeiter - Anpassung 292,302,581 - Konflikte 302-304 - Motivationen 243-249 - Verhaltensweisen 14,239-241, 301-302 -+ Eigensinn —> Unterbringung —> Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern Arbeiter- und Β auerninspektion 16, 17, 56-58, 136-137, 304, 308, 392-393,427, 480-484, 590 Arbeiterkorrespondenten 447,491 Arbeitsbedingungen 226-228, 237, 241,312,576 Arbeitsbuch 180 Arbeitsdisziplin —> Eigensinn Arbeitsverweigerung 170, 326-327, 583 Arbeitszeit 223-225 Architektur der Metro 6, 16, 85, 120, 129, 478, 506-507, 590, 606-611 Artel 150, 154, 301-302, 347, 581 Ausbildung 15, 107, 341-344, 583584
Ausland 15 Ausländer - Spezialisten 92, 102 - Diplomaten, Besucher der Sowjetunion 119, 129, 250-252, 292293, 510-511, 521-522, 528-529, 538, 543, 559-563, 591 Ausrüstungen —»Versorgung Autobus 26, 48, 50, 60, 66, 71, 74, 76-78, 82, 83 Automobil 67, 77-78, 105 Baracken —• Unterbringung Baschkiren 154-155,575 „Bauernarbeiter" —> „Verbäuerlichung" Baumaterial —• Versorgung Bauweise 595-601,606-609 - Berliner (offene) 20,40,52-54, 93, 94, 98-100, 102-103, 107108, 130, 573 - Grabenbauweise 21-22,116,130 - Pariser (belgische, bergmännische) 22-23, 40, 53-54, 61, 64, 93-94, 97, 99, 100, 103, 107-108, 111, 115, 130,573 - Londoner (Schildbauweise) 23, 99, 100, 103, 119-121, 130, 163 Bebauungsplan —> Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus —> Stadtplanung Beschwerden 163, 198, 209-210, 304-311,416-417,479-481, 581582 Betriebszeitung 19, 164, 183, 195, 198, 247, 272, 297, 304-305, 307-
Sachregister 308, 328,446-448,453-455,491492, 504-505 Blaumachen —• Eigensinn Brandschutz 228-229 Bürgerkrieg 317-319, 334, 582 Bürgerliche Spezialisten —•Repression —• Ingenieure Caisson 24, 111-112, 140, 167, 226, 231-232, 234, 268, 288, 303, 326, 597-598 Caissonkrankheit 234-235 Chaos 95, 101, 105-106, 114, 118119, 136, 238, 573-574 Chefschaften —• Patenschaften CK 281 OGPU NKVD Desurbanisten 59, 63, 72-73, 76-77, 81 Diskurs 10, 243-244, 246, 311, 322, 336,497-498, 577,581-582 Dneprostroj 11,47, 87-90, 93, 158, 187, 391,446,514, 531,541,573 „Dreieck" 389-390,428, 434-442 Effektivität 249,477,497-507 Eigensinn 179,241-243,272,291302, 311,457, 503-505, 580-581 —• Machtausübung über die Arbeiter Einmannleitung 15, 106,109, 389393, 434-442, 475-479 Eisenbahndurchmesser 16, 28-29, 40-41, 46, 67-68, 78-83, 88, 96, 612, 628-635 Eisenbahnring 28, 30, 32, 34, 71 Elektrifizierung 28, 53, 99, 137 „Enthusiasmus" 2, 240, 246, 248249, 251, 253, 260-261, 265, 267, 276, 286-287, 302, 304, 311,441, 510-511, 514, 520, 538, 550-551, 581
673
Eröffnung 124, 527-533, 565, 591 Erziehung —• „neuer Mensch" —> kultiviertes Leben Expertisen 102-104, 107, 531, 629 Fahrpreis 124 Film 15,516,529,531,556,591 Finanzierung 14, 47,49, 54, 56, 83, 106, 124-134,469, 570, 572, 574 Fluktuation 156, 172, 174-184, 241, 243, 308, 575 Frauen 162, 166, 167, 170-171, 260-261, 263-264, 302, 313, 359 Freizeit 15, 165-166, 194, 198, 199, 242, 356-387, 428-430, 583-585 —* kultiviertes Leben —» „Kulturmassenarbeit" Fünfjahresplan 14, 54-55, 62, 84, 122, 147, 158, 174,315,323,325, 334,510-511 Gedichte 15, 18, 51, 87, 147, 157, 233-234, 237, 320-321, 333,355356, 373-375, 389, 509, 514, 526, 536.552-559, 591 Geheimlinien 16,604-605 Geheimpolizei -> NKVD OGPU Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus 6,16,82,612-627 Gerüchte —> Öffentlichkeit Geschichte der Metro —• Projekt „Geschichte der Metro" Geschwindigkeit 602 Gesundheit 226, 234-236, 271 Gewerkschaften 18,78, 151,168, 175, 178-179, 197, 205-206, 217, 223, 225, 279, 306-308,350, 361387,426-436, 454-458, 484-485, 535-536, 590 —> Dreieck —> Einmannleitung —* Freizeit Gleise 602
674
Sachregister
Gosplan 17, 55, 66, 76, 84, 98, 108, 122, 136 Gruppenbewußtsein 311-315 Hitlerjugend 383,386 Hooligans 15, 288, 329-330, 338, 463 Hunger, Hungersnot 12,180,203, 316,511,581 Hymne der Metrobauer 237, 554 Industrialisierung 18, 30, 84, 238, 317,323 Ingenieure - Allgemeines 59-60,62,88-93, 99-101, 109, 225, 420,489, 518 - Ausbildung 342,494 - Kollektivbiographie 279-281 - Konflikte 282-283 - Motivationen 281,580 - Stützen des Regimes 277-278, 282, 580 - Unterbringung, Versorgung 192193,206, 209 - Verhaltensweisen 14,279,282287, 321 —• Einmannleitung —* Repression Inlandspaß —• Paßgesetz Inszenierung 314, 348,462, 513-533 Isolierung —• Wasserisolierung Izotovcen 340 Kaninchen 203,207 Kantinen 207-212,308,328,330331,421, 447,475, 484, 540, 576 Kinderbetreuung 198-200, 242, 431 Kirche 36,136,141,256 „klassenfremde Elemente" —> Repression Klub 330,363 Know-how 14,87-93,573 Kollektivierung 12, 18, 84, 180, 238, 256,317
Kollektiwertrag 217-218, 224, 428, 433 Komitee zur wissenschaftlichen Unterstützung des Metrobaus 516-517, 544-545 Kommandowirtschaft 13,466-487, 498-499, 585 Kommunistische Partei, Kommunisten 12 - Kollektivbiographie 274-276, 318,579-580 - Organisation 12, 15, 17, 19, 394410, 498^499, 586-587 - Stützen des Regimes 12, 107, 111,273,276,357 - Verhaltensweisen 14,276-277 —> Dreieck —• Einmannleitung —• Machtausübung —» Moskauer Parteikomitee —• Parteisäuberung —* Politbüro —• Zentralkomitee Komsomol, Komsomolzen - Historiographie 2 - 3 , 5 - Kollektivbiographie 254-259, 578 - Mobilisierung 107,110,157172, 191,253,575 - Motivationen 243-249,258-269, 318,578 - Organisation 17,421-426,494496, 498-499, 586-587 - Stützen des Regimes 12,107, 111, 116, 164, 245,249-254, 302304, 357, 578, 588 - Unterbringung 194-195,200201 - Verhaltensweisen 14, 121, 139, 142, 245-246, 253-254, 269-273, 311,335,375, 579 —> Dreieck —• Einmannleitung —> Freizeit — Machtausübung
Sachregister Kontrollkommission Arbeiter- und Bauerninspektion Konzession 26-28, 31, 33, 35, 40, 572 Krieg, Kriegszustand 13-14, 116— 117, 260-261, 315-324, 582-583, 593 Kriminalität 15, 19, 141, 210, 329331,456 Kritik und Selbstkritik 304-311, 414,450—451, 581 Kulaken 13,148,153,182-184,248, 252-253, 256,271-272,288, 303304, 309, 324, 326-327-329, 413, 464, 575, 577, 582 kultiviertes Leben 15,338-339, 356-360 Kulturgeschichte 8,11, 243-245 „Kulturmassenarbeit" 363-379,431, 485, 584-585 Kulturrevolution 81,572 Laienkunstzirkel —• Freizeit Lebensbedingungen 12, 14—15, 19, 107, 175, 178, 237-238, 241, 308, 438, 461,577 —• Unterbringung —* Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern „Leichte Kavallerie" 359,423,425, 447-448, 480, 483, 491-492, 495 Linienschema 27,29,32,34,39-41, 48, 52, 61, 63-64, 68, 75, 81, 9698, 104, 108, 113-114, 122, 604, 612,614-620, 623-627, 631 Literaturzirkel 371-375, 553-554, 584 Löhne 126, 128, 160, 162, 175, 213223, 267-268, 292, 311-312, 325, 352, 483,576 —* Stücklohn Luftschutz 85, 104, 574, 604-605
675
Machtausübung - allgemein 13,15,442 - über das Management 443—449, 587 - innerhalb der Partei- und Komsomolorganisation 449—453, 587 - über die Arbeiter 453^166,587588 Management 15 Mechanisierung —> Versorgung mit Ausrüstungen medizinische Versorgung 234—236 Memoiren 19 Mentalitäten 9, 11, 13, 243-245 MGZD 38,41,47-48, 50-54, 56, 58-64, 66-67, 71-72, 74-75, 8081,83,87-88, 90, 93-95,281, 570,573, 580, 608, 631 Militarisierung —> Krieg, Kriegszustand militärische Anlagen —• Luftschutz militärische Ausbildung 198,379, 384-385 Mobilisierung —> Komsomolzen Moskauer Parteikomitee (MK und MGKVKP(b)) 17-18,54-55, 63, 69-72, 78-79, 82-83, 94, 97101, 104, 106-107, 113-114, 120122, 132, 134, 138, 143-144, 157, 166, 168, 171, 188, 198-199, 208, 210-211, 213, 217,219, 275,281283, 285, 310, 335, 343, 354, 365, 391-392, 397-399,411,414,429, 433,435, 441,443,445-446,470480,483, 487—497, 506-507, 517, 523, 528, 534, 539, 564, 573, 589, 609,618, 622, 634 Mossovet 16,45-58,62-63,68,7075, 83-84, 89-90, 94, 106-108, 112-113, 115, 120, 131, 136, 185, 189, 196, 208, 255, 265, 306, 340, 342, 391, 401-402,415,446-447, 466,469-480,490,492, 506, 533-
676
Sachregister
534, 542, 552-553, 572-573, 589, 611-613, 617-618, 623, 625, 629, 634-635 Motivationen —»Arbeiter —> Komsomolzen Nationalsozialismus 8, 255, 292, 324-325,386-387,515,585, 592 Neue Kulturgeschichte —* Kulturgeschichte „Neuer Mensch" 13, 15, 243, 248, 333-341, 550, 583-585, 591 NKVD 13,18,315 — CK — OGPU Öffentlichkeit 50-51, 53-54, 5658, 73-79, 99, 122, 159, 166, 171, 199, 232, 541-544, 591 —• Patenschaften —• Propaganda —» Stimmungen in der Bevölkerung —> Subbotniki OGPU 90, 153, 182, 184, 231, 291, 304, 311, 325, 329, 390, 400, 456, 486-487,492, 504, 575, 588, 590, 598 —» CK —> NKVD Osoaviachim 384-385 Otchodnicestvo 148-149 Parteiorganisation —>• Kommunistische Partei —»Moskauer Parteikomitee —• Zentralkomitee —> Politbüro Parteisäuberung 396, 410-421, 424, 446, 499, 586 Paßgesetz 174, 180-184, 204, 291, 578 Patenschaften 539-541, 591 Personenkult 124, 447, 473, 523527, 593 Pferdebahn 26-28,37
Planerfüllung 112-113, 116-117, 168-169, 348-349, 453, 481, 484, 497-507 Politbüro 12, 17, 69-73, 79, 82, 88, 100-101, 103, 107-110, 115, 122, 124, 131-134, 136, 148,310, 326, 392, 396,410, 413, 466-472, 477,480-481, 488, 496, 572-574, 589, 622623 politischer Unterricht 365-369 Preise —» Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern Produktionsberatung 306, 421,434, 459 Profil 628-629 Projekt „Geschichte der Metro" 5, 18, 139, 247, 545-552, 591 Propaganda 2,12-13,15,117,120, 157, 159, 165,238,265,291,316, 321, 334, 337, 347, 509-533, 538, 582, 590-591 Qualität der Arbeit 15, 112-114, 119-124, 442, 456-458, 464-466, 478, 483,487-497, 590 Rat der Volkskommissare 45, 57, 88-89, 98, 107, 122, 466-469, 481, 589, 604 Reiseberichte 19 Rentabilitätsprinzip 109, 148, 389 Repression - bürgerliche Spezialisten (1930) 59-60, 63, 74, 90, 91, 277-279, 281, 572, 580 - „klassenfremde Elemente", „Schädlinge" 171, 183, 195, 208, 210-211, 252-253, 278, 281, 286, 288,291, 305, 309, 328, 385,443, 447, 576 —• Terror Revisionisten 8, 9, 240, 245
Sachregister
Ringlinie 31,41,103,113,614-619, 623-627 Rolltreppen 120-121, 124, 144-145, 478, 533, 563, 574-575, 597, 599, 601-602, 607 Sabotage 15, 324-326, 328-329, 583 Saisonarbeiter 148-150, 175-176, 300-301,456,581 Schädlinge —»Repression Schild 23, 119, 143-144, 232, 574 —»Bauweise Schriftsteller 15, 18, 371-375, 545559 Schwimmsand 102, 115, 119, 230, 596-597, 599 Scientific Management 220-221, 333-334 „Sechs Bedingungen" Stalins (1931) 109, 148, 179, 185, 192,213,278, 346 Sektionen des Mossovet 51 Siemens 40,47, 49, 52-53, 59, 88, 93-94, 96,102, 145, 570, 573,608 Silikatisierung 598-600 Sovnarkom —• Rat der Volkskommissare Sozialgeschichte 8-11, 239-240 Sozialistischer Wettbewerb, sozialistische Arbeitsformen 15, 109-110, 205-206, 209, 212, 344-356, 421, 428, 440, 462, 484-485, 540, 548, 584 Sport 15,379-384,431,585 Spurweite 602 Staatssicherheit - * CK -+ NKVD —• OGPU Stachanovbewegung 14 Stadtduma 17,25-26,31-35,41-42, 44 Stadtplanung 16, 19,45, 63-68, 74, 81,93,571
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Stalinismus 6-13, 16, 226, 237-245, 569-570, 576-577, 592-593 Stationen 16, 54, 93, 113, 120-121, 127, 129,478, 506-507, 590, 597599, 604-605, 606-611 Stimmungen in der Bevölkerung 1819, 244,289-291,510-511 Stoßarbeit —• sozialistischer Wettbewerb Strafen 456-458 Straßenbahn 26-28, 37,46-47, 58, 60, 62, 66, 67, 70-71, 73, 76-78, 82-83, 572 Streiks 12,290-291,325-326,460, 583 Stromversorgung 602 Stücklohn 107, 109, 160, 178-179, 218-223,302,581 Subbotniki 15,118,193,516-517, 534-539, 541,543,553,591 Tagebuch 18,245,247,252,268, 337, 546-547, 549, 591 Tarifkonfliktkommission 307,428 Tataren 154-155,367 Taylorismus 220-221,333-334 Technikeuphorie 509-513 Terror 9, 13-14, 231, 238, 324, 550, 593 —* Repression Thyssen 599 Tiefenlage —* Bauweise Todesopfer —> Unfälle Toiletten 601,605 Torgsin 204 Totalitarismustheorie 8,11, 244, 588 Transportmittel 142-143,475 Überstunden 225 Unfälle 98, 134, 159, 225, 228-234, 576 Unterbringung 94,153,162-163,175, 185-202,326,447,483^85,576
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Sachregister
Urbanisten 65 Utopie 563-567 Ventilation 601 „Verbäuerlichung" der Arbeiter 239-241, 301-302 —• Saisonarbeiter Vereisung 598-599 Verkehrsministerium 30, 38, 42, 43, 44 Verkehrsplanung —• Stadtplanung Versorgung - mit Ausrüstungen und Baumaterialien 14, 97, 101, 108, 113, 127, 134-145, 468-^69, 482-483, 574 - mit Arbeitskleidung und Werkzeugen 170,227,540 - mit Lebensmitteln und Konsum gütern 109, 163, 165, 202-213, 216,308,484-485, 540, 576 Volkskommissariat für Verkehr 51, 78, 83, 94, 470, 564, 629-633
Vorortverkehr 38-39, 43, 46, 53, 60, 62, 66-67, 71, 75-80, 82, 94, 96, 571 —> Eisenbahndurchmesser Waggons 145, 602 Wasserisolierung 93, 98, 119-120, 122,489-497, 600-601 Wasserleitung 601,605 Widersetzlichkeit, Widerstand 15, 238, 300-301, 324-327, 592 Zeitung 19, 36, 44, 73-79, 99, 159, 166, 168, 199,517, 527 —> Betriebszeitung Zemljacestvo 150 Zentralbahnhof 31-32,39 Zentralkomitee der Partei 17, 69, 79, 80-84, 104, 107, 410, 434-435, 466-469, 541, 551, 570, 572, 612, 628 Zivilisation 243-244, 589 Zugsgarnituren 602 Zwangsarbeit 159, 171-172
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STUDIEKHAKDBUCH Ö S T L I C H E S EUROPA •
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Harald Roth (Hg.)
Studienhandbuch Östliches Europa Band 1: Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas
Das Studienbuch ist als Einfuhrung in die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte, Kultur und Gesellschaft
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Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas konzipiert. Es soll vor allem Studierenden einschlägiger Fachrichtungen als Handwerkszeug dienen. Es ist aber auch als ein zuverlässiges Nachschlagewerk zur Geschichte der Länder und Regionen des östlichen Europas angelegt. Der erste Band deckt die Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas ab, ein in etwa zwei Jahren geplanter zweiter Band j e n e Rußlands und der Sowjetunion. Nach der Klärung von Grundbegriffen werden Uberblicke über die Geschichtsregionen und anschließend über die Länder und Regionen (von Albanien über Litauen und Siebenbürgen bis Zypern) sowie länderübergreifende Gruppen (Juden, Deutsche) geboten. Die Kapitel enthalten jeweils die historischen Grundlinien, Bibliographien und Hinweise auf Forschungsfragen. Des weiteren ist der Band mit einer umfassenden Zeittafel, einem Glossar, Karten, einem Überblick über Forschungseinrichtungen sowie Registern ausgestattet.
(Böhlau Studienbücher) 1999. X , 5 6 2 Seiten. 4 f a r b i g e Faltkarten. B r o s c h u r I S B N 3-412-13998-X
URSULAPLATZ I, D - 5 0 6 6 8 KÖLN, TELEFON ( 0 2 2 1 ) 9 1 3 9 0 0 , FAX 9 1 3 9 0 1 1
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Beiträge
zur
Geschichte
Osteuropas
H e r a u s g e g e b e n v o n Dietrich Beyrau, Bernd Bonwetsch, Dietrich G e y e r u n d M a n f r e d Hildermeier. - Eine Auswahl Bd. 22: Gerd Benno Ennker Die A n f ä n g e d e s Lenink u l t s in d e r S o w j e t u n i o n 1997. VIII, 3 7 9 S. 17 s / w A b b . G b . ISBN 3-412-10996-7 Bd. 23: Markus Wehner Bauernpolitik im » p r o l e t a r i s c h e n Staat« Die Bauernfrage als zentrales Problem der sowjetischen Innenpolitik 1921-1928. 1998. 4 9 6 S. G b . ISBN 3-412-05897-1 Bd. 24: Nada BoSkovska Lebenswelten russischer F r a u e n i m 17. J a h r h u n d e r t 1998. IX, 4 9 7 S. G b . ISBN 3-412-08297-X Bd. 25: Thomas M. Bohn Russische Geschichtswissenschaft von 1880 bis1905 Pavel N. Miljukov und die »Moskauer Schule«. 1 9 9 8 . XVIII, 4 7 3 S. G b . I S B N 3-412-12897-X. Bd. 26: Eckhard Hübner, Jan Kusber, Peter Nitsche (Hg) R u ß l a n d z u r Zeit K a t h a r i n a s II. Absolutismus Aufklärung — Pragmatimus. 1998. 4 3 2 S. G b . m . S U . I S B N 3-412-13097-4 Bd. 27: Trude Maurer Hochschullehrer im Zarenreich
Bd. 28: Nikolaus Katzer D i e w e i ß e B e w e g u n g in Rußland Herrschaftsbildung, praktische Politik und politische Programmatik im Bürgerkrieg. 1999. X I V , 6 2 2 S. G b . 3-412-11698-X Bd. 29: Werner Benecke Die Ostgebiete der Zweiten Polnischen Republik Staatsmacht und öffentliche Ordnung in einer Minderheitenregion 1918-1939 1999. XI, 321 S. G b . I S B N 3-412-01199-1 Bd. 30: Andreas R. Hofmann Die Nachkriegszeit in S c h l e s i e n Gesellschafts- und Bevölkerungspolitik in den polnischen Siedlungsgebieten 1945-1948 2000. XV, 476 S. Gb. ISBN 3-412-07499-3
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Bd. 31: Andreas Renner Russischer Nationalismus u n d Öffentlichkeit im Zarenreich 1855-1875 2 0 0 0 . IX, 4 4 7 S. G b . ISBN 3-412-07999-5 Bd. 32: Tanja Penter O d e s s a 1917 Revolution an der Peripherie 2 0 0 0 . X , 4 6 9 S. G b . ISBN 3-412-02200-4 Bd. 33: Dietmar Neutatz Die M o s k a u e r Metro Von den ersten Plänen bis zur Großbaustelle des Stalinismus (1897-1935) 2001. X V I , 6 7 8 S. 61 s / w A b b . a u f 3 6 Taf. G b . m . S U . ISBN 3-412-12500-8
Ein Beitrag zur russischen Sozial- und Bildungsgeschichte. 1998. XII, 9 5 9 S. G b . 3-412-11598-3 U R S U L A P L A T Z I , D-50668 K Ö L N , T E L E F O N ( 0 2 2 1 ) 9 1 3 9 0 0 , F A X
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