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German Pages 351 Year 2018
Christian Freigang ist Professor für Kunst- und Architektur geschichte an der Freien Universität Berlin. Forschungs schwerpunkte sind die Architekturgeschichte des Mittelalters und des 19. bis 20. Jahrhunderts, Architekturtheorie und -wahrnehmung sowie die Geschichte der Kunstgeschichte.
Christian Freigang
Von der Französischen Revolution bis heute, vom Klassizis mus bis zur Postmoderne spannt sich der Bogen dieser Architekturgeschichte. Sie verbindet die Vorstellung promi nenter Schlüsselwerke mit einer allgemeinen Charakte ristik der historischen und baukünstlerischen Entwicklung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Europa, doch kommen auch Beispiele von anderen Kontinenten zur Sprache. Die Einbettung der Bauten in den kulturgeschichtlichen, theo retischen und politischen Kontext ist integraler Bestandteil der Architekturbeschreibung. Materialien, Organisationen, Bauausstellungen, Denkmalpflege und Stararchitekten werden kompetent diskutiert.
Die Moderne
Die Vielfalt der Stile
Die Moderne
wbg Architekturgeschichte
Christian Freigang
www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27023-1
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wbg Architekturgeschichte Herausgegeben von Christian Freigang
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Christian Freigang
Die Moderne 1800 bis heute Baukunst – Technik – Gesellschaft
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Academic ist ein Imprint der wbg. Sonderausgabe 2018 (2., unveränderte Auflage 2018) © 2015 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Redaktion: Barbara Eggert, Berlin Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Seeheim Einbandgestaltung: Harald Braun, Berlin Einbandabbildung: Berlin, Neue Nationalbibliothek, Ludwig Mies van der Rohe © akg-images / Hilbich Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27023-1 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73978-3 eBook (epub): 978-3-534-73979-0
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Vorbemerkung zur Neuauflage Überblickswerke haben – selbst wenn dies im Zeichen der Nachmoderne anachronistische Züge zeigen kann – immer etwas mit Kanonisierung zu tun: Ein bestimmter Blick auf einen Gegenstand soll in praktische, lehrreiche, informative, hoffentlich originelle Form gegossen werden. Die Autoren dieser Buchreihe waren sich dieser Herausforderung schon 2013 bei der ersten Auflage bewusst. Die Nachfrage hat aber gezeigt, dass durchaus Interesse und Bedarf an diesem Versuch besteht, einen bestimmten, individuellen Zugang zu über 1000 Jahren Architekturgeschichte zu eröffnen. Wir freuen uns daher, wenn diese Sonderausgabe der anhaltenden Nachfrage entgegenkommt. Berlin, Chapel Hill und Darmstadt 2018
Vorwort des Herausgebers Die WBG Architekturgeschichte umfasst drei Bände und erläutert kompakt die bedeutendsten Entwicklungen, Hauptthemen und wesentliche Schlüsselwerke des Bauens ab ca. 800 bis heute in Europa und ausgewählten weiteren Gebieten. Der erste Band („Klöster – Kathedralen – Burgen“) umfasst das Mittelalter bis ca. 1500, der zweite („Ordnung – Erfindung – Repräsentation“) behandelt die Architektur der Neuzeit von 1450 bis 1800, also Renaissance und Barock, der dritte ist einer ‚langen‘ Moderne, also der Epoche von der Französischen Revolution bis heute, gewidmet („Baukunst – Technik – Gesellschaft“). Die Epochenschwellen – um 1500 bzw. um 1800 – folgen einer lange bestehenden und gut begründeten Einteilung der europäischen Architekturgeschichte: Vor der Neuentdeckung der antiken Säulengrammatik, dem sog. Vitruvianismus, im 15. Jahrhundert und vor der gleichzeitigen Erfindung des massenhaften Bilddrucks war das Bauen grundsätzlich anders: eine virtuos gehandhabte Technik im Dienst von Liturgie und Ritual, Verteidigung und Verkehr. Danach, im vitruvianischen Zeitalter, wurde das Bauen zu einer rhetorisch-künstlerischen Sprache, die vermittels eines universellen Kanons verstanden und bewertet sein wollte. Dies wiederum änderte sich seit 1800 in grundlegender Weise: Architektur sollte nunmehr (auch) unmittelbar wirken oder aber vielfältig ältere Stile abrufen oder neue Bautechniken gestalterisch steigern; der Vitruvianismus unterliegt seither einer grundlegenden Verdammung oder zumindest Revision. In jedem Band bildet die exemplarische Darstellung von jeweils 50 besonders signifikant erscheinenden, realisierten und erhaltenen Ensembles den Schwerpunkt. Das stellt sicherlich eine knappe Auswahl berühmter und auch
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weniger bekannter Bauten dar, ein kleiner Ausschnitt aus der immensen Geschichte des Bauens. Doch geht es darum, die faszinierende Vielzahl der Kriterien, aus denen Architektur entstanden ist und entsteht, an konkreten Gebäuden, weniger an theoretischen Entwürfen, Konzepten und Diskursen zu erfahren. Bauen heißt im Gegensatz zu den anderen Künsten immer, in die Erde einzugreifen, mit der Schwere der Materialien richtig umzugehen, auf gesellschaftliche und politische Gegebenheiten zu reagieren und nicht zuletzt: omnipräsent zu sein, unübersehbar, wunderschön oder auch störend und beunruhigend, der Pflege wie der Kommentierung bedürftig. Das ist die Besonderheit von Architektur als kulturellem Faktor, und deswegen bilden hier hauptsächlich konkrete Bauten den Ausgangspunkt, Bauten, an denen beispielhaft größere und theoretische Zusammenhänge erläutert werden: Was etwa sind die Vorteile des Spitzbogens, warum benötigt ein Herrscher ein Schloss, kann und soll Architektur ‚sprechen‘, in welchem Zusammenhang können Philosophie und Architektur stehen? Die Beschreibung der Schlüsselwerke folgt prinzipiell einer chronologischen Ordnung, ohne dass beabsichtigt ist, hier eine kontinuierliche Entwicklungsgeschichte in allen Verästelungen vorzulegen. Deren Grundzüge sind gleichwohl in einem eigenen Kapitel ausgeführt, ebenso wie Erläuterungen zu essentiellen Themen der Architekturtheorie sowie zur Entwicklung der Erforschung der Architekturgeschichte. Wichtige Einzelthemen, zum Beispiel zur Bautechnik, den Säulenordnungen, der Architektenausbildung, zu Baugattungen und Vermittlungsmedien, sind in separaten Themenblöcken dargestellt. Querverweise sorgen dafür, dass sich die Kenntnisse vertiefen und erweitern lassen. Die Texte können also auch auswahlweise und springend gelesen werden. Literaturverweise ermöglichen es, Weiteres zu den Themen in Erfahrung zu bringen. Zeittafel und Register tragen zur praktischen Benutzbarkeit der Bände bei. Die Absicht der Autoren, allesamt Hochschullehrer im Bereich der Architekturgeschichte, ist es, nicht Altbekanntes vorzutragen, sondern neuere Erkenntnisse in ihre Texte einfließen zu lassen. Insofern beansprucht die WBG Architekturgeschichte, ein faszinierendes Thema aktuell und angemessen übergreifend zu überblicken: intensiv, ohne zu überborden; vielfältig, ohne beliebig zu sein; unterhaltsam, ohne ins Oberflächliche zu gleiten; originell, ohne Einseitigkeit zu forcieren; didaktisch, ohne belehrend zu wirken. Sie wendet sich an alle, die an der Geschichte der Architektur interessiert sind oder beruflich mit ihr zu tun haben. Berlin, im Mai 2013 Christian Freigang
Vorwort des Herausgebers
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Inhalt Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Geschichte der Geschichten der Architektur 1800 – 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Die Erfindung der Stile und der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Die Industrialisierung der Architektur: Materialien und Technologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Architektur und Emotionen: Wahrnehmungskriterien der Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
II. Grundzüge der Architektur 1800 bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
Sentiment und Vernunft: Landschaftsgarten und griechische Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft: Vom Historismus zur Eisenarchitektur . . . . . . . . . . . . 31 Großstadt und Landschaft nach 1850: Die Entstehung des Urbanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Um 1900: Architektur als Gesamtkunstwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Genese der Avantgarden im Ersten Weltkrieg: Die europäische Illusion des Neubeginns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Alternativen der Moderne: Pluralismus der Baustile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Bauen in Diktaturen: Architektur als Teil des Totalitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Neuanfänge und Kontinuitäten nach 1945: Wiederaufbau und Kritik der Moderne . . . . . . 64 High Tech und Partizipation: Utopien und Konsequenzen der Großtechnik . . . . . . . . . . . . . 70 Was ist Architektur? Bauen und Poststrukturalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Themenblock · Medien der Architekturvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Architekturtheorie 1800–2000: Vom ‚sprechenden‘ zum ‚fiktionalen‘ Bauen . . . . . . . . . . . . 79
III. Schlüsselwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |1| Wörlitzer Anlagen bei Dessau: Der Garten als Ort des Stilpluralismus . . . . . . . . . . . . |2| Die Saline von Chaux in Arc-et-Senans:
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Die Idealstadt der architecture parlante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
|3| Monticello und Virginia University: Beginn der Architektur in den USA . . . . . . . . . . . |4| Das Alte Museum in Berlin: Das Museum als neue Bauaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8
Themenblock · Die Öffentlichkeit als Bauherrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
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Residenz und Ludwigstraße in München: Der Historismus des Auftraggebers . . . . 119 Houses of Parliament in London: Architektur und Monarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Erstes und zweites Hoftheater in Dresden: Wege der Neorenaissance . . . . . . . . . . . . 127 Bibliothèque Ste-Geneviève in Paris: Stein und Eisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Crystal Palace in London: Typisierung und Weltausstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Gare du Nord in Paris: Bauaufgabe Schienenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
Themenblock · Architektenausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |11| Red House in Bexleyheath: Handwerklichkeit als Reformprogramm . . . . . . . . . . . . . . |12| Die Opéra in Paris: Selbstdarstellung des Großbürgertums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Themenblock · Die Entstehung der modernen Denkmalpflege . . . . . . . . . . . . . . . . 154
| 13| | 14| |15| |16| |17| |18|
Die Wiener Ringstraße: Umbau einer Kapitale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Der Justizpalast in Brüssel: Hypertrophes Staatssymbol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand: Tempel des Konsums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Die Mietskaserne in Berlin: Massenwohnbau und Industrialisierung . . . . . . . . . . . . 169 Guaranty Building in Buffalo: Die Geburt des Wolkenkratzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Das Bayerische Nationalmuseum in München: Stilvielfalt als museologisches Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
| 19| Maison Horta in Brüssel: Dekoration des Lebens im Art nouveau . . . . . . . . . . . . . . . . |20| Das Postsparkassenamt in Wien: Ästhetik des Bekleidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
180 184
Themenblock · „Ornament und Verbrechen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
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Die Garnisonkirche in Ulm: Liturgiereform und sakrales Bauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Gartenstadt Hellerau bei Dresden: Die Gartenstadt als Reformbewegung . . . . . . . . 194 Die Turbinenhalle der AEG in Berlin: Der Werkbund und die Industrie . . . . . . . . . . . 199 Robie House in Chicago: Die Suche nach einem Stil der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Das Théâtre des Champs-Elysées in Paris: Klassik und Betonarchitektur . . . . . . . . . . 208 Die Stadtbibliothek in Stockholm: Das Potenzial der Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Une Ville contemporaine: Le Corbusier als Urbanist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Themenblock · Organisationen und Interessenverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
|28| Haus Schröder-Schräder in Utrecht: Abstrakte Komposition im Raum . . . . . . . . . . . . |29| Zweites Goetheanum in Dornach: Anthroposophie und Expressionismus . . . . . . . . .
|30| Berliner Wohnsiedlungen: Wohnungen für den ‚neuen Menschen‘ . . . . . . . . . . . . . . Themenblock · Bauausstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . | 31| Bauhausarchitektur in Dessau: Synthese des Neuen Bauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |32| Das Verwaltungsgebäude der IG Farben in Frankfurt: Repräsentatives Bauen für die Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |33| Haus Schminke in Löbau: Organische Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt
221 226 230 235 237 242 247
9
| 34| Casa del Fascio in Como: Modernes Bauen im faschistischen Italien . . . . . . . . . . . . . | 35| Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg:
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Staatsarchitektur im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
| 36| Kaufmann Desert House in Palm Springs: Life style in der Nachkriegsmoderne . . . | 37| Die Unité d’habitation in Marseille: Umsetzung der Charta von Athen . . . . . . . . . . . |38| Stalinallee und Hansa-Viertel in Berlin:
Wiederaufbau im Wettbewerb der Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . | 39| Torre Velasca in Mailand: Die Wiederentdeckung der historischen Stadt . . . . . . . . . |40| Seagram Building in New York: Wolkenkratzer und corporate identity . . . . . . . . . . . .
260 263 267 273 276
Themenblock · Architekten-Rollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
| 41| | 42| |43| |44| |45| |46| |47| |48| | 49| |50|
Technische Universität Otaniemi/Espoo: Landschaft und moderne Architektur . . . . 281 Brasília, Stadtanlage und Parlamentsbau: Eine Hauptstadt als Staatssymbol . . . . . 285 Rundfunk- und Pressezentrum in Kofu: Prozesshafte Großform . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Haus der Nationalversammlung in Dhaka: Monumentalität und Moderne . . . . . . . . 293 Die Wallfahrtskirche in Neviges: Formsuche im Sakralbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Das Olympiazentrum in München: Ökologie und sanftes Bauen . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Centre Beaubourg in Paris: Pop und High Tech . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Die Neue Staatsgalerie in Stuttgart: Strategien der Postmoderne . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Jüdisches Museum in Berlin: Dekonstruktion und Fragmentation . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Das 21. Jahrhundert: Positionen der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
IV. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Register der Bauten und Stadtanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
Inhalt
I. Einleitung
Geschichte der Geschichten der Architektur 1800 – 2000
D
ie Architekturgeschichte des 19. und 20. Jh.s hat lange gebraucht, bevor sie sich selbst historisch reflektierte. Das lag daran, dass noch bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts das 19. Jh. als die Epoche der Dekadenz, der beliebigen Vielfalt und des lügnerischen Prunks galt und die Kontrastfolie für die Avantgarden seit dem Anfang des 20. Jh.s bildete. Einer solch negativ verorteten Epoche konnte kaum die Ehre einer profunden historischen Darstellung angetan werden. Auch für konservative Kunsthistoriker blieb lange die Architekturmoderne des 20. Jh.s fremd, ja sie unterlag weiterhin der populären Verdammung, die ihr seit den 20er Jahren entgegen gebracht wurde und die auch nach 1945 – trotz ihrer allgemeinen Rehabilitation in der Bundesrepublik als anti-nationalsozialistisches, demokratisches Bauen – vielfach weiterbestand. Diese Verurteilung galt ebenso im Osten Deutschlands, wo bis in die 60er Jahre die ‚westliche‘ Moderne als imperialistisch kritisiert werden konnte. – So ist es nicht unverständlich, dass es lange nur vereinzelte historische Gesamtdarstellungen gibt. Immerhin erschien 1915 und 1917 im „Handbuch der Kunstwissenschaft“ eine sehr knappe, expressionistisch-volkspsychologisch argumentierende Darstellung der Zeit ab 1800 (Griesbach 1915, Burger 1917). Gustav Adolf Platz veröffentlichte schon 1927 eine detaillierte Gesamtdarstellung der Architekturgeschichte seit 1900 als Ergänzungsband der „Propyläen-Kunstgeschichte“ (Platz 1927), ließ aber bezeichnenderweise das 19. Jh. aus. Den eigentlichen Ausgangspunkt der Geschichtsschreibung des Bauens des 19. und 20. Jh.s bildete Nikolaus Pevsners „Pioneers of the Modern Movement from William Morris to Walter Gropius“ von 1936 (Pevsner 1936), 1949 neu unter dem Titel „Pioneers of Modern Design“ herausgegeben. Die englische Arts-and-Crafts-Bewegung wurde hier zusammen mit der Industrialisierung zum Generator eines neuen zeitgenössischen Stils. Pevsner schrieb als Kunsthistoriker, der seine eigene Gegenwart – die Studien zu dem Buch entstanden schon vor seiner Emigration aus Deutschland nach England – historisch ‚ableiten‘ wollte. Das ist insofern bemerkenswert, als Berufskollegen wie Hermann Beenken und Hans Sedlmayr zur selben Zeit dem 19. Jh. insbesondere mangelnde Einheit und Größe attestierten – mit dekadentistischer, nationalsozialistisch gefärbter Note.
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Im Weiteren entstanden historische Gesamtdarstellungen, die aus den Blickwinkeln von Protagonisten der Moderne verfasst waren. Für mehrere Jahrzehnte wurde Sigfried Giedions „Space, Time and Architecture: The Growth of a New Tradition“ (Giedion 1941), 1941 in den USA erstveröffentlicht, zur Bibel sämtlicher Architekturstudenten. Die Moderne hatte sich hiermit eine historische Legitimation gegeben, erschien nicht weiter wie in den Avantgardediskursen der 20er Jahren als der deus ex machina zur Erneuerung des Bauens. Diese fast zwanghafte Traditionsbildung wird vor allem daran deutlich, dass Giedion die Entwicklung der Architektur eng mit derjenigen der Malerei parallelführt und daraus eine notwendige Entwicklung insbesondere zu den Architektursprachen von Le Corbusier und Alvar Aalto ableitet. Bruno Zevi, als Architekturkritiker ebenfalls engstens in die Diskurse um eine aktuelle ‚organische Architektur‘ involviert, legte 1950 eine detaillierte Gesamtdarstellung vor (Zevi 1950), in der als Star nunmehr Erich Mendelsohn auftrat. Henry-Russell Hitchcocks Überschau über das 19. und 20. Jh. von 1958, eigentlich eine etwas eintönige Geschichte von stilistischen Filiationen (Hitchcock 1958), stellte zum ersten Mal die Bedeutung der USA heraus. Wenig später las Reyner Banham, auch er intensiv in der damals aktuellen Diskussion um den Brutalismus engagiert, in „Theory and Design in the First Machine Age“ (Banham 1960) die Moderne als Geschichte ihrer technischen Herausforderungen. Die bis heute anspruchsvollsten Überschauen bieten Leonardo Benevolo (Benevolo 1960) sowie Manfredo Tafuri und Francesco Dal Co (Tafuri/ Dal Co 1967), jener wegen der Umfassendheit, mit der auch der Städtebau einbezogen ist, diese aufgrund ihrer methodischen Perspektivierung. Die Architekturgeschichte des 19. und 20. Jh.s wird hier in marxistischer Perspektive in Bezug auf das Kapital und die Produktionsbedingungen dargestellt und daraus Kritik an einer Moderne abgeleitet, die sich dieser gesellschaftlichen und politischen Bezüge nicht immer klar war. Unter den Überschauen seit den 80er Jahren (Frampton 1980, Colquhoun 2002) wendet sich insbesondere die globale Architekturgeschichte von Spiro Kostof (Kostof 1985), von der sich der dritte Band dem 19. und 20. Jh. widmet, in gewisser Weise von einer Erfolgsgeschichte der großen Namen ab, um dagegen auch unspektakuläre soziologische und urbanistische Entwicklungen ins Feld zu führen. Derartige Kontextualisierungen finden sich auch in den jüngsten Überblicken über das 19. Jh. (Bergdoll 2000) und das 20. Jh. (Cohen 2012), wo die Architekturgeschichte mit der Veränderung von Wahrnehmungsweisen und Weltdeutungen bzw. von Mentalitäten zusammengeführt ist. Seit kurzer Zeit ist zu Recht auch die jüngere Vergangenheit – die Architektur der 1960er und 70er Jahre – in den Blickwinkel der historischen Erforschung gerückt worden. Der folgende Extrakt aus einer Architekturgeschichte im betreffenden Zeitraum muss selektiv verfahren: ‚Große Erzählungen‘ oder gar der Versuch, ungebrochen fließende Entwicklungsströme nachzuzeichnen, sind verdächtig bzw. unmöglich geworden. Gemäß dem Untertitel des Buches sollen aber – implizit gesetzte – Akzente auf die Kriterien des künstlerischen Status von Bauwerken und ihrer Wahrnehmung sowie der technologischen und soziologischen Bedingungen gelegt werden. Bewusst ist die Geschichte der Architekturtheorie in einem eigenen Kapitel (vgl. S. 79 – 98) skizziert: Wenngleich sie auch vielfältig in die Praxis der baulichen Gestaltung verwoben ist, so geht es in diesem Buch doch nicht darum, Architekturgeschichte primär auf ihren gedanklichen Konzeptualisierungen aufzubauen, sondern konkrete Realisierungen in den Vordergrund zu stellen.
I. Einleitung
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Die Erfindung der Stile und der Geschichte
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war wird bereits seit der zweiten Hälfte des 20. Jh.s die Untergliederung der Geschichte in aufeinander folgende, klar abgrenzbare Epochen kritisch hinterfragt, doch bildet gleichwohl die Erfindung der Geschichte und – als Ableitung davon, der Stile – die Grundlage der historistischen Architektur des 19. Jh. und damit als Negativfolie auch der Moderne. Dass die Weltenläufe chronologisch und kausal als ‚Geschichte‘ zu fassen sind, ist erst ein Deutungsansatz der späten Neuzeit. Zwar gab es davor bereits Chroniken, Genealogien, Biographien und erzählende Mythen, doch waren diese in hohem Maße unabhängig voneinander und beruhten auf unterschiedlichen Vorstellungen davon, wie historische Abfolgen zu verstehen seien – etwa als Nacheinander von Anekdoten oder als göttliches Wirken. Erst in der Mitte des 18. Jh.s werden diese ‚Einzelgeschichten‘ zu dem sog. Kollektivsingular ‚der Geschichte‘ gebündelt, dabei kritisch geprüft und wissenschaftlich untersucht. Ein beobachtendes Subjekt deutet und interpretiert Geschichte mit einem ausgefeilten Instrumentarium, mit dem etwa eine gefälschte von einer echten Urkunde unterschieden werden kann, und somit eine ‚wahre‘, ‚richtige‘ Rekonstruktion historischer Abläufe zu ermitteln ist. Prinzipiell liegen hierbei komplexe, aber rational zu ermittelnde kausale Begründungsmuster zugrunde, um das Voranschreiten der Geschichte zu erklären. Zunehmend wird Geschichte als eine absolute, für sich selbst existierende Kategorie begriffen, was sich auch heute noch in Wendungen wie „die Geschichte wird zeigen“ oder „die Geschichte verlief“ ausdrückt. Das bedeutete vor allem, dass die Geschichte nicht mehr an Herrscherfiguren oder göttliches Wirken gebunden war, sondern einen komplexen, von Menschen produzierten Gesamtzusammenhang darstellte. Hierbei kann man vielerlei Einzelaspekte isoliert fokussieren und in eine Entwicklungsperspektive stellen: die Geschichte der Kunst, die Geschichte der Architektur oder die Geschichte einzelner Völker, Nationen oder Regionen. Geschichte soll nach der Auffassung des 19. Jh.s auch moralisch und politisch wirken, Anleitungen für gutes und richtiges Handeln bieten. Die Annahme eines gemeinsamen, weit zurückreichenden historischen Schicksals stellt denn auch eine wichtige Bedingung zur Ausbildung von Nationalstaaten im 19. Jh. dar. Dies wiederum macht verständlich, warum die Geschichtswissenschaften in dieser Zeit eine zentrale Rolle innerhalb der universitär vermittelten Geisteswissenschaften spielen: Es ist die Epoche des Historismus |▶ 4, 5, 12, 13, 18|. Dieser Optimismus ändert sich zwar gegen Ende des 19. Jh.s, als sich herausstellt, dass Geschichte kaum direkte Anweisungen für das Heute geben kann und auch ihre Erforschung ein mühevolles, ‚verstaubtes‘ Gewerbe ohne konkreten Bezug zur Gegenwart sein kann. Seit den sechziger Jahren des 20. Jh.s werden auch zunehmend die Gültigkeiten von ‚großen Erzählungen‘ (z. B. des Marxismus) in Frage gestellt und Geschichte als eine individuell erdachte Konstruktion, Fiktion oder Simulation begriffen |▶ 48|. Trotzdem vermittelt die Geschichte auch heute noch die grundlegende Erkenntnis, in einem unendlich komplexen und prinzipiell kausalen, also nicht etwa göttlich vorbestimmten, System zu leben.In diesem Zusammenhang spielt für die Architekturgeschichte auch der Begriff des Stils eine zentrale Rolle. Aus stylus, dem Handgriffel, abzuleiten, bedeutete Stil ursprünglich eine bestimmte persönliche Ausdrucksweise oder Redeebene, seit dem 16. Jh. auch regional unterschiedlich zu fassende,
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in sich vergleichbare künstlerische Idiome. Später, und bis heute, bezieht man den Begriff auch auf Bekleidung, Einrichtungsensembles, Konsumgegenstände, Gastronomietraditionen und Geschmackskulturen. Als seit dem 18. Jh. die Bedeutung der Geschichte wie auch die Kenntnis historischer Architektur zunimmt, dient Stil vor allem auch zur Bezeichnung bestimmter Epochen, in denen die äußeren Merkmale der Bauten insgesamt jeweils vergleichbar erscheinen. So entsteht, teilweise kontrovers und mit unterschiedlichen Benennungen und national unterschiedlich diskutiert, eine Kunst- und Architekturgeschichte, die sich lückenlos in eine Abfolge von Stilen einteilen lässt. Im Deutschen am geläufigsten sind Romanik, Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko, Klassizismus. Diese Grobeinteilungen können auch nach Früh-, Hoch- und Spätzeiten, Herrschernamen oder Regionen differenziert werden (‚Frühgotik‘, ‚Hochbarock‘, ‚Louis XV.‘). Entscheidend dafür, dass die Stile im 19. Jh. als Zeichensystem der Architektur so wichtig wurden, war aber die Vorstellung, dass sie für jede Epoche spezifisch seien und überdies die damaligen Mentalitäten und sozialen Gegebenheiten vollständig zum Ausdruck brächten. Überspitzt gesagt, sei Nordfrankreich im 12. Jh. einheitlich durch die Frühgotik geprägt, und dies verkörpere die aufstrebende französische Monarchie, die deutsche Renaissance war angeblich der typische Stil des Bürgertums, und das antike Bauen Griechenlands zeuge von der Geburt der Zivilisation. Somit standen vielfältige Bezugnahmen zur Verfügung, die auch gezielt miteinander kombiniert werden konnten. Die Prämisse jedoch, dass Stil immer ein notwendiger Ausdruck einer einheitlichen Epoche gewesen sei, legte um 1900 auch den Keim zu einer fundamentalen Kritik am architektonischen Historismus und an der Gegenwart. Denn wenn alle historischen Epochen sich deutlich und einheitlich in ihren jeweiligen Stilen vermittelt hatten, wo blieb dann der eigene, aktuelle Stil? Dieser musste um jeden Preis gefunden werden und rechtfertigte, dem Historismus seit ca. 1900 eine radikale Absage zu erteilen |▶ 19, 20, 27, 28|. In einem Zeitalter, das massiv durch neue Technologien und ihre industrielle Umsetzung geprägt war, trat nun vielfach Baumaterial und Bautechnik als das neue Paradigma einer zeitgemäßen Architektur in Erscheinung.
Die Industrialisierung der Architektur Materialien und Technologien
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n der Tat bildeten technische Entwicklungen eine der wesentlichen, unabdingbaren Voraussetzungen für die radikalen Veränderungen in der Geschichte der Architektur während des 19. Jh.s. Hierbei sind vor allem die massenhafte Verwendung von Metall, speziell Eisen und Stahl, sowie die Technik des Stahlbetons von entscheidender Bedeutung, die die Bauformen genauso betreffen wie die Produktionsweisen und grundsätzlichen Auffassungen von Architektur. Aus solchen Gründen ist die Geschichte der modernen Architektur früher gerne als eine Reaktion auf technologische Entwicklungen dargestellt worden. Das ist zwar etwas einseitig, doch müssen zum Verständnis des Bauens seit etwa 1850 die grundsätzlichen Merkmale der Eisen/Stahl- wie der Betonkonstruktion benannt werden, welche die traditionellen Bauweisen in Stein, Backstein und Holz ersetzten. Bei der Eisen-
I. Einleitung
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□ 1 Walzprofile und Nietverbindungen einer Eisenkonstruktion (Markthalle in Breslau von R. Plüddemann, E. 19. Jh.)
architektur bildet ein Metallskelett das konstruktive Grundgerüst, das etwa mit Backstein oder Glas ausgefacht oder mit verschiedenen Materialien verkleidet wird oder auch für sich stehen kann (Brückenbau, Eiffelturm, □ 15). Im Unterschied zum Steinbau entsteht ein Gebäude nicht durch allmähliches Aufschichten, sondern durch die Montage von industriell und vorab produzierten, vorwiegend Zugspannungen aufnehmenden Standardelementen (|▶ 9|, □ 1). Deren Produktion war erst seit der Zeit um 1800 möglich. Zwar gab es schon in Antike und Mittelalter handgeschmiedete Eisenklammern und Anker, doch waren diese nicht standardisiert und exakt berechenbar herzustellen. Roheisen, das Primärprodukt beim Schmelzen von Eisenerzen und dem Reduktionsmittel Koks oder Kohle, konnte zwar in Standardformen gegossen werden, war aber wegen seiner Sprödigkeit nur wenig auf Zugspannung zu belasten. Erst die Reduzierung des im Roheisen enthaltenen Kohlenstoffs (von 2,5 – 4 % auf unter 1,7 %) ermöglichte die Herstellung von schmiede- und vor allem walzbarem Stahl. Dies geschah seit 1776 durch das Puddelverfahren, bei dem hoch erhitzte Luft in das flüssige, ständig umgerührte Roheisen geblasen wurde. Seit Mitte des 19. Jh.s konnte mit der Entwicklung der Bessemerbirne die Stahlproduktion nochmals verbessert werden. Für die Stahlproduktion in industriellem Maßstab war also das Vorkommen von Eisenerzen und Kohle, zudem aber von Holz als Brennmaterial wichtig. Ebenso entscheidend war aber auch die Entwicklung von Walzverfahren seit dem späten 18. Jh., mit deren Hilfe gleichsam endlose Eisenprofile in gleichmäßiger Qualität produziert werden konnten. Die T-, I- und Doppel-T-Walzprofile bilden die Grundelemente der meisten historischen Stahlbauten. Diese Profilierungen verhindern bei weitgehender Material- und Gewichtsreduktion Belastungsverformungen, sie bieten aber auch genügend gerade Flächen zur einfachen Anbringung weiterer Trägereinheiten. Dies wurde bis in die erste Hälfte des 20. Jh.s mit Nieten oder Schrauben bewerkstelligt. Für diese mussten
Die Industrialisierung der Architektur
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sämtliche Löcher schon vor der Montage exakt berechnet und gebohrt sein (□ vgl. 1). Seit ca. 1930 kam auch das Lichtbogenschweißverfahren auf den Baustellen zum Einsatz. Bei dem zuvor meist angewandten Gasschmelzschweißverfahren wurden die Nähte temporär so geschwächt, dass sein Einsatz am Bau nicht möglich war. – Stahl als Baumaterial ist verhältnismäßig leicht, doch kann er industriell in Standardformen vorgefertigt und auch über weite Strecken transportiert werden. Zur Montage sind oftmals keine gesonderten Gerüste vonnöten, der Bau scheint gleichsam von selbst zu wachsen. Die hervorragenden Trägereigenschaften erlauben kühne, weitspannende Konstruktionen. Allerdings schwindet die Stabilität bei großer Hitze rapide, weswegen es im 19. Jh. immer wieder zu spektakulären Brandkatastrophen kam, bei denen die Stahlskelette weich wurden und in sich zusammensackten. Überdies eignet Eisen und Stahl als Baumaterialien nicht nur eine ‚schmutzige‘, rostende bzw. banale Oberfläche, den Skelettkonstruktionen fehlt auch die Körperlichkeit und plastische Kraft, die in der Auffassung des 19. Jh.s die essentiellen Kriterien waren, um eine künstlerisch wirksame, vom Licht modellierte Außenhülle zu kreieren |▶ 9|. Die frühe Kritik an der Eisenkonstruktion betraf aber auch ihre markante Technizität und die scheinbare Auflösung der Gattungsgrenzen (vgl. S. 36 und □ 15). Ein ausgiebiger und komplizierter Rechenprozess mit zahlreichen Parametern stand am Anfang des Entwurfs, nicht mehr eine künstlerische Idee. Zudem war das Grundmaterial der gewalzten Stahlprofile mit demjenigen von banalen technischen Apparaturen identisch: Eisenträger und Eisenbahnschienen sind grundsätzlich dasselbe |▶ 10|. Diese mangelnde Körperlichkeit hat die Betonkonstruktion nicht, die heute die am häufigsten angewandte Bautechnik ist (ital. cimento armato oder calcestruzzo armato; franz. béton armé; engl. concrete). Es handelt sich um eine Verbundbautechnik, bei der die Vorteile des auf Druck belastbaren (Kunst)Steins mit denjenigen der auf Zug belastbaren Stahlkonstruktion miteinander kombiniert werden. Das Eisen wird als innere Bewehrung innerhalb eines vielfältig formbaren Gemenges von Bindemitteln (Zement) und Zuschlagstoffen (Kiesel, Bims etc.) verwendet. Diese werden, mit Wasser vermischt, in flüssigem Zustand in vorab erstellte Negativformen der Konstruktion, die sog. Schalung gegossen oder gar gespritzt. Das Wasser wird in der entstehenden Hydratisierung gebunden, der gelöschte Kalk härtet unter Sauerstoffaufnahme aus, so dass insgesamt ein Kunststein entsteht, der innen armiert ist. Eisen/Stahl und die Zementmasse verbinden sich innig miteinander und weisen überdies denselben Wärmeausdehnungskoeffizienten auf, so dass sie bei Temperaturschwankungen identisch reagieren. Erfunden wurde die Technik in der Mitte des 19. Jh.s (François Coignet, Joseph Lambot, Joseph Monier), und zwar zunächst zur Herstellung von Kübeln und Boten, in deren Zementwände Drahtgitter eingelegt waren. Seit dem Ende des Jahrhunderts wurde die Technik in zahlreichen Abwandlungen weiterentwickelt, bald entstanden weltweit agierende Betonunternehmen wie François Hennebique, Wayss & Freytag u. a. Meist handelte es sich bei den Bauten um fachwerkartige Skelettkonstruktionen aus geraden Balken, die aus einfachen Verschalungen mithilfe von Brettern entstanden (□ 2, |▶ 25|). Der Betonbau hat viele Vorteile, denn außer seiner Tragund Bruchfestigkeit sowie seiner Härte ist er absolut feuersicher. Er kann schnell und höchst wirtschaftlich errichtet werden, hat zudem eine lange Lebensdauer bei insgesamt geringem Pflegeaufwand. Zudem können mit ihm standardisierte Einzelteile hergestellt werden, etwa Decken- und Balkenplatten, Hohlsteine, Wabenformen, Gewölbeelemente
I. Einleitung
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usw. Vor allem aber handelt es sich ästhetisch um einen plastisch-körperlichen Baustoff, der sogar nachträglich auf der Oberfläche bearbeitet werden kann. Je nach Zuschlägen können auch Farbigkeit und Musterung reichhaltig variiert werden, aufgrund des Grundstoffes Zement hat er aber eine grundsätzlich graue Tönung. Die Formen des Kunststeins sind wesentlich von den Schalungsformen abhängig. Diese selbst können prinzipiell sehr variabel sein, denn sie sind konstruktiv nicht wirksam |▶ 29, 39, 45|. Die aus □ 2 Schema eines Betontragewerks nach F. Hennebique ihnen gebildete Positivkonstruktion bildet in(um 1900) dessen eine monolithische Einheit, die in sich stabil und weder geschichtet noch montiert ist. All das ist präzise vorherberechenbar und entsprechend optimierbar. Beim Spannbeton, insbesondere für weit spannende Balken angewandt, werden die Zugspannungen der Armierung vor dem Verguss simuliert, um eine ideale Position der Stahlkerne zu garantieren. Ähnlich wie im Fall der Eisen- und Stahlkonstruktionen eignet dem Beton eine breite Einsetzbarkeit, denn er wird im Tief- wie im Hochbau eingesetzt. Da er im 19. Jh. lange für banale Konstruktionen verwendet wurde und die Grundfarbe Grau mit lebloser Neutralität assoziiert wird, haftete dem Beton lange der Makel des Unkünstlerischen an |▶ 25|. Vor allem aber gibt es keine natürlich sich aus dem Beton ergebende konstruktive Urform (wie etwa die aus Baumstämmen gefertigte Blockhütte), so dass es schwierig ist, eine ‚richtige‘, weil konsequent materialgerechte Betonkonstruktion zu benennen.
Architektur und Emotionen Wahrnehmungskriterien der Architektur
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ie Geschichte der modernen Architektur ist unter vielen Blickwinkeln beschrieben worden: als Überwindung einer moralisch bedenklichen Dekorationsarchitektur in Richtung auf eine ‚wahre‘ Baukunst, als Umsetzung neu entwickelter Techniken und Produktionsverfahren (vgl. S. 11 f.) oder als Erfüllung sozialer Aufgaben. Bis vor kurzem wurde kaum beachtet, dass Architektur, gerade in dem hier behandelten Zeitraum, auch die Aufgabe hat, in verschiedenster Weise auf Gemüt und Psyche zu wirken. Architektur nimmt insofern Einfluss auf eine in Öffentlichkeit agierende und kommunizierende Gesellschaft. Dies setzt schon im 18. Jh. ein, als wirkungsästhetische Ziele aus der Gartenkunst auf das Bauen übertragen werden. Insbesondere die Theorieentwürfe von Germain Boffrand, Jacques François Blondel und Nicolas Le Camus de Mézières ordnen der Architektur psychologische Wirksamkeit – zwischen den Gefühlen von Freude, Ernsthaftigkeit, Trauer, Schrecken und Erschaudern – zu. Daran knüpft unmittelbar Étienne-Louis Boullée am Ende des 18. Jh.s mit seinen Entwürfen an (von Engelberg 2013, S. 323 – 326), die das Ziel haben, die
Architektur und Emotionen
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erhabenen Naturwirkungen in der Architektur „ins Werk zu setzen“. Diese spätaufklärerische Ästhetik der Leidenschaften wirkt unmittelbar auch auf die deutsche Architekturdebatte. Im 19. Jh. findet sich die psychologische Wirkqualität indessen weniger prägnant begrifflich formuliert; die theoretische Literatur ist stark durch rationalistische Ansätze (Rolle von Konstruktion und Material) geprägt. Gleichwohl finden die psychologischen Kriterien in hohem Maße Eingang in die architektonische Praxis und Wahrnehmung. Begriffe wie Fröhlichkeit, Ernsthaftigkeit, Gelassenheit, Bedrückung, Erhebung usw. finden sich vielzahlig in Kritiken oder in Wettbewerbs- und Preisurteilen, unterschwellig aber z. B. auch im zentralen Kunsttraktat des französischen 19. Jh.s, in Charles Blancs „Traité des arts du dessin“ (1867). Vor allem aber berührt auch der in der ersten Hälfte des 19. Jh.s um die Frage der Farbigkeit der antiken Architektur in ganz Europa ausgetragene Streit die Frage nach der emotionalen Wirkung der gebauten Umgebung |▶ 12|. Was die Baupraxis angeht, so sind nur auf der Grundlage einer derartig weiterwirkenden psychologischen Ästhetik der Architektur die bewusst emotionslosen Häuserfassaden der Pariser Straßenregulierung unter dem Präfekten Haussmann einerseits wie die Dramatisierung architektonisch-psychologischen Erlebens in der Pariser Oper andererseits zu verstehen |▶ 12|. Farben, Materialien, Raumdispositionen und -abfolgen sind hier als empathische Inszenierungsmittel eingesetzt. Umgekehrt ist zu beachten, dass gezielt strenge Architekturen implizit auf die bürgerliche Maxime der ‚Sittlichkeit‘ als Gegenposition zu unkontrollierbaren Affektinduktionen zielen. Überspitzt formuliert stellt sich die bürgerliche Stadt des 19. Jh.s als eine regelrechte Topographie der Emotionenerzeugung, -konditionierung und -repression dar: Ernsthaftigkeit qua Bauten der Bildung, seelische Erbauung in der Kirche, Ausgelassenheit im Zirkus, Niedergeschlagenheit vor dem Gefängnis, Trauer auf dem Friedhof usw. Ende des 19. Jh.s entwickeln sich die Einfühlungsästhetik, die Psychophysik und die Psychologie zu eigenen Wissenschaften, die insgesamt die affektive Stimulierung der Psyche als Wahrnehmungsinstanz untersuchen. Solche Ansätze spielen sodann seit dem Ende des 19. Jh.s im Bauen, gerade auch des Jugendstils, eine zentrale Rolle |▶ 19|. Ziel des Architekten ist es, über seine Innenräume und Fassaden verschiedenartige Stimmungen zu erzeugen. Das wird vor allem im Privathausbau, in der Theater- und der Denkmalsarchitektur sowie im Kirchenbau wirksam. Den Hintergrund dafür bildet der Anspruch, dass Architektur nicht länger dadurch zu verstehen sei, dass man – mit entsprechendem Bildungshintergrund – Stile ‚erkennt‘ und allegorische Dekorationen dechiffriert. Im Gegenteil sollen die Bauten unmittelbar auf die Seele eines jeden wirken. Darin liegt aber gleichzeitig der Keim der radikalen Erneuerungsbestrebungen in der Architektur kurz nach 1900: Seelische Affizierung wird nun vielfach als emotionale ‚weibliche‘ Verführung durch Architektur abgewertet und diesem eine positiv verstandene ‚männlich‘-objektive Schönheit als Ideal guter Baukunst entgegengesetzt |▶ 25|. Die im Zusammenhang der Jugendstilkritik deutlich werdende Polarisierung zwischen Emotion und Ratio als entscheidende Sensorien bei der Produktion und Wahrnehmung von Architektur wird durch die Krise des Ersten Weltkrieges zugunsten einer als überzeitlich begriffenen, rationalen Architektur entschieden. Gleichwohl wirken die Kriterien sensueller Stimulierung und emotionaler Überwältigung gerade in der sich entwickelnden Moderne weiter. Gerade bei Le Corbusier als einem der theoretischen Wortführer spielt die emotionale Überwältigung durch die technische Rationalität der neuen Architekturen eine zentrale Rolle. Auch die
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Farbigkeit mancher moderner Architekturen, etwa in Wohnsiedlungen |▶ 30|, soll direkt erfahrbare psychische Energien erzeugen. Trotzdem wurde das Kriterium der emotionalen Wirkkraft von Architektur innerhalb der internationalen Moderne kaum explizit als Ziel benannt. Man wollte ‚sachlich‘ und ‚objektiv‘ sein. Umso leichteres Spiel hatte das Bauen in den Diktaturen, in denen emotionale Kriterien als massenpsychologische Instrumente neu aktiviert wurden, zwischen kameradschaftlicher Gemütlichkeit und pathetischer Überwältigung. Die Architektur der Nachkriegszeit hat die emotionale Komponente hingegen vielfältig ausgebaut. Vor allem im Kirchenbau und auch in Gedenkstätten gibt es zahlreiche Ansätze, seelisch irritierende Räume und Lichteffekte zu schaffen. Das reicht bis zu Projekten der jüngsten Vergangenheit wie Peter Zumthors Projekt zur Berliner „Topographie des Terrors“, Peter Eisenmans Denkmal für die ermordeten Juden in Europa in Berlin (S. 77, □ vgl. 38) und Daniel Libeskinds Jüdischem Museum in Berlin |▶ 49|. Darüber hinaus hat sich der Begriff der ‚Atmosphäre‘ in der neueren Ästhetik zu einem Leitbegriff entwickelt (Gernot Böhme), der auch von der Architektur bzw. dem Architekturdiskurs aufgenommen wird. Hier geht es um Stimmungswerte, die aus Umgebungen auf ein Individuum psychologisch wirken. Diese Umgebungen können architektonisch geformte Räume und Materialien sein, aber vor allem auch situative, durch bestimmte soziale Komponenten bestimmte Umgebungen. Vielfältig sind solche Mechanismen aber auch für Event- und Konsumarchitekturen umgesetzt, in denen es – etwa bei anspruchsvollen Shopping Malls – darum geht, komplexe Raumbildungen mit Infrastrukturen und emotional ansprechenden Ambientes zu verbinden.
Architektur und Emotionen
II. Grundzüge der Architekturgeschichte 1800 bis heute
Sentiment und Vernunft Landschaftsgarten und griechische Antike
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ngesichts der Bedeutung von Affekten und Emotionen in der Menschen- und Gesellschaftsauffassung seit dem 18. Jh. ist es auch kein Wunder, dass in den folgenden Grundzügen der Architekturgeschichte derartige Themen am Anfang stehen und auch in den Abschnitt der 50 Schlüsselwerke immer wieder eine wichtige Rolle spielen. – Eine der fundamentalen Veränderungen im Verhältnis zwischen dem Menschen, der Natur und dem Bauen ereignet sich im späten 18. Jh. mit der Vollendung des Konzeptes des Landschaftsgartens. Die scheinbar als regellos inszenierte Natur in all ihrer botanischen Vielfalt und ihren wechselnden Licht- und Farbeffekten, in die bedeutungshaft allerlei Architekturen und Denkmäler eingestreut sind, versteht sich gleichsam als ein riesiges, betretbares Landschaftsgemälde. Doch dieses Bild ist nicht in Öl auf Leinwand gemalt, also eine illusionistische Täuschung, sondern als Künstlerin tritt gleichsam die Natur selbst auf, die Komposition, Farbe und räumliche Tiefe verwirklicht und unmittelbar auf die Sinne einwirken lässt. Wesentliche Gestaltungsmittel sind bewegte Konturen, sinnreiche Tiefenstaffelungen, die bedeutungshafte Bezugnahme von point-de-vues, die über geschwungene Wege überraschend erreicht werden. All das soll in abwechslungsreicher Mannigfaltigkeit der Naturformationen (Hügel, Täler, Wiesen, Felsen, verschiedenste Baumarten, Wälder, Lichtungen, Seen, Teiche, Bäche, Wasserfälle, Inseln usw.) strukturiert und mit assoziationsreichen Kleinarchitekturen bestückt sein, welche stimmungshaft das Wirken der Zeit (Ruinen), die Größe historischer Epochen, moralische Ideale (Eintracht, Freundschaft) oder die Autorität von Philosophen und Dichtern evozieren. Die empfindsame Reaktion soll sich im Gemüt einer individuell fühlenden Seele ereignen. Nicht ohne Grund steht dahinter eine philosophische Grundhaltung, der Sensualismus, wie in Bezug auf den Landschaftsgarten schon zu Beginn des 18. Jh.s vor allem von Anthony AshleyCooper (3. Earl of Shaftesbury), Joseph Addison, Alexander Pope oder Henry Home vertreten. Demnach sei die Erfahrung und Beurteilung der Welt sowie von Moral und Schönheit über die individuellen Sinneseindrücke und einen angeborenen moral sense möglich. Dieses erzeugt natürliche Gemütsbewegungen, die – in richtiger Mischung – echte Moralität
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unabhängig von religiösen Normvorstellungen entstehen lassen. Entsprechend kann das Gemüt in besonderer Weise von vielfältigen Natureindrücken, dem Pittoresken im Gegensatz zum künstlich geordneten Schönen, in idealer Weise stimuliert werden und somit die göttliche Harmonie in der Naturschöpfung erkennen lassen. Insofern ist es auch nicht ganz richtig, den Landschaftsgarten vom älteren französischen Barockgarten deswegen abzusetzen, weil dieser die Beherrschung der Natur durch die göttlich legitimierte fürstliche Macht, jener aber das aufklärerische Ideal von Freiheit ausdrücke. Der Landschaftsgarten will nicht alleine etwas versinnbildlichen, sondern unmittelbar auf die Sinne und das Gemüt wirken. Ein Kind der Aufklärung ist der Landschaftsgarten aber insofern, als hier unaffektierte, nicht von höfischer Etikette verdorbene Natürlichkeit und Aufrichtigkeit erlebt werden sollen. Solche Rückbezüge auf ein ursprüngliches Paradies, einen Garten Eden, beinhalten auch eine Reihe neuer Lebensmodelle und Entwürfe. Idealtypisch sind sie von Jean-Jacques Rousseau formuliert, dessen Ideale von echter Liebe und aufrichtiger Freundschaft nicht umsonst als ein „Zurück zur Natur“, also als ein programmatisches Abwenden von Stadt und Herrscherhof zu verstehen sind. Den historischen Vorlauf hat diese Bewegung im Umfeld einer liberalen neuen englischen Aristokratie, die sich seit dem 17. Jh. im Gegensatz zu Frankreich nicht dem König, sondern individuell dem eigenen Land verantwortlich fühlte. Insofern hatte jeder Adelige als man of taste Bildung und moral sense zu erwerben und staatsmännisch umzusetzen. Die Bildungsreise zu den verehrten Stätten von Zivilisation und Moral im antiken Italien (Grand Tour) verschafft insoweit ein intensives Erleben nicht nur von alter Kunst, sondern von einer als arkadisch wahrgenommenen mediterranen Natur. Denn hier, in der nicht domestizierten, wilden Natur regiert die Göttin der Freiheit (Addison). Bald kommen auch andere Kulturen hinzu, insbesondere fernöstliche. Die prägendsten Formulierungen realisierte William Kent in der Mitte des 18. Jh.s für Lord Burlington in Chiswick, für den Viscout Cobham Sir Richard Temple in Stowe (von Engelberg 2013, S. 301– 309), für den Bankier Henry Hoare d. J. in Stourhead: Gesamtkunstwerke, die sich an den römischen und italienischen Landschaftsgemälden etwa eines Nicolas Poussin oder Claude Lorrain orientierten und sie mit Tempelchen für moralische Tugenden und Laster ausstatten. Lancelot Brown, wegen seiner trickreichen Erfindung in der Gartengestaltung Capability Brown genannt, wurde insbesondere deswegen wichtig, weil er die vorgefundene Naturformation zum Ausgangspunkt jeweils individueller Gärten machte. Es ist bezeichnend für die Konjunktur des Landschaftsgartens, dass sie schon um 1780 in Form eines Handbuches systematisiert wurde. Christian Cay Lorenz Hirschfelds fünfbändige „Theorie der Gartenkunst“ (1775 – 85) unterteilt die Gärten nach verschiedenen Auftraggebern, Typen, Funktionen und Ausstattungsmitteln. Darunter rangiert zum ersten Mal auch der Volksgarten, also der öffentlich zugängliche Landschaftspark, der bald ein unverzichtbares Element des Städtebaus werden wird, das sowohl der Erholung und der Volksbildung als auch der urbanistischen Auflockerung sowie der klimatischen Verbesserung der verrauchten Städte dient. Derartige Vorgaben nahmen vor 1800 die aufgeklärten Fürsten in ganz Europa auf und führten sie weiter. Der Wörlitzer Landschaftsgartens |▶ 1|, initiiert durch Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, fügt sich insofern ein in ein wahres Reformprogramm, das auch Pädagogik und religiöse Toleranz umfasste und in dem auch der Fürst selbst nach
II. Grundzüge der Architekturgeschichte 1800 bis heute
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den Rousseau’schen Idealen echter Liebe lebte. Im Seifersdorfer Tal bei Dresden schufen die Grafen Brühl um 1780 einen Landschaftsparcours der von ihnen verehrten Dichter. Goethe und Herzog Carl August entwarfen in Weimar den Ilmpark, einen wildbewachsenen Wiesengrund mit mehreren sentimentalen Erinnerungsorten; wenig entfernt davon entstand in der Sommerresidenz der Herzogin Anna Amalia in Tiefurt ein Gartenort, in dem sich Literatur und Landleben vereinten und der der gesellige Ort des Weimarer Literaturlebens wurde. Auch in Kassel-Wilhelmshöhe wurde der bereits bestehende barocke, von einer großartigen Kaskade dominierte Garten zunächst durch einen empfindsamen Landschaftsgarten mit Philosophendenkmälern, wenig später durch einen romantischen Park mit der neugotischen Löwenburg erweitert. Diese sollte allerdings weniger melancholische Reflexionen auslösen, sondern diente dem Landgrafen Wilhelm dazu, seine Anciennität vorzuführen. In der Folgezeit schmücken sich alle großen Fürstenhäuser mit bis heute genussreich genutzten, weiträumigen und großzügigen Landschaftsgärten, für die professionelle Gartenarchitekten tätig waren, welche zumeist eine Studienzeit in England wie in Italien verbracht hatten: Das gilt für Erdmannsdorff in Anhalt-Dessau, Ludwig von Sckell in Bayern und der Pfalz, Peter Joseph von Lenné in Preußen. Von Sckell erweiterte den barocken Schwetzinger Schlossgarten, u. a. mit einer künstlichen Moschee, und schuf vor allem in München den Englischen Garten, der, größer als der New Yorker Central Park, die bayerische Landeshauptstadt bis heute städtebaulich prägt. Der Park wurde seit 1789 unter dem pfälzischen Kurfürsten Karl-Theodor als Militär- und Volkspark im Nordosten der Stadt angelegt (□ 3). Die Idee dazu verdankte der Herrscher dem aus Massachusetts stammenden Kriegsminister Benjamin Thompson, die Ausführung des Landschaftsgartens wurde 1799 von Sckell übertragen. Über fünf Kilometer erstreckt sich ein Naturgelände, das in Stadtnähe noch höfischen Charakter hat, aber an der Peripherie gleichsam in reiner Natürlichkeit aufgeht. Als Fixpunkte dienen exotische Staffagearchitekturen wie die Pagode des Chinesischen Turms (nach dem Vorbild des Londoner Parks von Kew) und der griechische Rundtempel (Monopteros). – Für die preußischen Könige gestaltete Peter Joseph von Lenné im zweiten Viertel des 19. Jh.s die weite Umgebung Potsdams zu einem umfangreichen Gartenreich um: Der Neue Garten, Klein-Glienicke, Charlotten-
□ 3 München, Englischer Garten, Plan A, Ludwig von Sckell, 1804.
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hof, die Parkerweiterung von Sanssouci, die Pfaueninsel und Babelsberg formen die Seenlandschaft der Havel zu einem Gesamtkunstwerk um, in dem verschiedenste Ambientes – römische Antike, Byzanz, Gotik, Bauernhof, italienische Mittelmeerlandschaften – evoziert sind. Die hier errichteten Architekturen sind nicht nur □ 4 Paris, Parc des Buttes-Chaumont, J.-Ch.-A. Alphand, 1860 – 70 Staffagearchitekturen, sondern von namhaften Architekten wie vor allem Karl Friedrich Schinkel und Ludwig Persius entworfene Großbauten (Schloss Klein-Glienicke, Schloss Babelsberg). Den ausgedehntesten europäischen Landschaftsgarten entwarf ab 1815 Hermann Fürst von Pückler für die Umgebung von Muskau. Das alte Dorf wurde selbst Teil der Anlage, die insgesamt eine Gesamtschau der Geschichte liefern sollte. – In Frankreich wurde der Landschaftsgarten recht früh übernommen, allerdings zunächst, wie im Park Monceau in Paris (1769) im Sinne einer Abfolge von Theatertableaus. Einen empfindsamen Garten mit zahlreichen Stationen zur philosophischen Reflexion ließ der Gönner von Rousseau, der Marquis de Girardin, seit 1766 in Ermenonville anlegen. Im Zuge der Stadtregulierung von Paris unter Haussmann |▶ 12| wurden auch die Parks in Volksparks umgewandelt, wobei soziale Distinktionen durchaus wirksam werden konnten: Die großen innerstädtischen Parks in Paris, der Parc Montceau und der Parc des Buttes-Chaumont wurden beide in den 1860er Jahren vom Gartenarchitekten Jean-Charles-Adolphe Alphand umgestaltet bzw. neu angelegt. In beiden Fällen handelt es sich um Landschaftsgärten, doch bleibt beim Parc Montceau, im noblen 8. Arrondissement gelegen, die Tradition des französischen Barockgartens weiter wirksam. Von einem eleganten hohen Metallgitter eingefasst, ist die Wegeführung gut ersichtlich. Im Parc des Buttes-Chaumont hingegen wurde ein ehemaliger Steinbruch innerhalb eines armen Arbeiterviertels im Osten der Stadt zu einem bewegten, pittoresken Landschaftsrelief mit windungsreichen Wegen, Grotten und Kaskaden umgestaltet (□ 4). – Weitere großangelegte Landschaftsgärten in Europa finden sich etwa in Tsarskoye Selo und Pavlovsk (1770/1780, Landschaftsarchitekt Charles Cameron) oder um die Franzensburg bei Wien, seit 1800 ausgeführt. Etwas überspitzt kann man sagen, dass die britische Entwicklung von den aufklärerischen Idealen insbesondere die individuelle Freiheit als Kriterium der Architektur umsetzt: als ein subjektiv-stimmungshaftes Erlebnis des gestalteten Raums. In Frankreich wird hingegen ein anderes emanzipatorisches Ideal zum architektonischen Grundprinzip: Eine – vor allem baukonstruktiv begründete – Vernunft soll sich dem Äußeren des Gebäudes vermitteln, das dadurch als das Produkt strenger Naturgesetzlichkeit zu erkennen ist. Hier setzt sich letztendlich eine Tradition der Gotik mit ihrer virtuosen Beherrschung der Baukonstruktion fort. Dass Architektur durch ihre sie tragenden und schützenden
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Glieder bestimmt wird, kann auch auf die klassisch-vitruvianische Architektursyntax angewandt werden. Marc-Antoine Laugier etwa fordert in seinem „Essai sur l’architecture“ von 1756, das rationale Prinzip der hölzernen Urhütte – Stämme, die ein Giebeldach tragen – müsse immer im Bauen ablesbar sein. Giebel in Superposition etwa seien deswegen verboten, denn jedes Haus könne nur ein Dach haben. Das bedeutendste Gebäude, das die Verbindung von kühnster Konstruktion, gotischer Proportionierung und klassischem Formenapparat wagt, stellt die Kirche Ste-Geneviève in Paris (sog. Panthéon) dar, von Germain Soufflot 1757 begonnen (von Engelberg 2013, S. 318 – 322). Hohe schlanke Säulen tragen ein Gebälk, über dem nochmals Bögen aufgesetzt sind, und führen insgesamt zu einer virtuosen Reduktion von Mauermasse trotz aller gewaltigen Dimensionen der Kirche. Das Pendant zu dieser Bedeutung der Konstruktion bildet die Gründung der technologisch ausgerichteten École des Ponts et chaussées 1747 und der École polytechnique im Jahre 1794 ( Themenblock · Architektenausbildung, S. 145 f.). Sowohl die Entwicklung in England als auch in Frankreich als den beiden architektonisch maßgebenden Nationen wurden durch ein neues Ideal befördert: die Entdeckung der griechischen Kunst und Architektur der Antike. Zwar war seit langem bekannt, dass diese älter als die römische war und folglich als der unverfälschte Ursprung der Architektur zu gelten hatte. Doch wie diese Architektur beschaffen war, blieb trotz einiger weniger Erkundungsfahrten von Gelehrten bis zur Mitte des 18. Jh.s unbekannt bzw. rein spekulativ. Dabei war das Bestreben, auf eine ‚reine‘ Architektur zurückzugreifen, gerade in England seit der ersten Hälfte des 18. Jh.s sehr ausgeprägt. Der englische Palladianismus verstand sich als Gegenbewegung zum angeblich unvernünftigen und verschwenderischen Barock, der Renaissancearchitekt Andrea Palladio mit seinen kubisch-klaren Gebäuden, die vor allem durch Säulenportiken ausgezeichnet sind, hingegen als der getreueste Vermittler antiker Reinheit. Davon zeugen eine Reihe von Bauwerken, etwa im Umfeld von Lord Burlington und des Architekten William Kent (von Engelberg 2013, S. 297 – 305). In solchen Zusammenhängen waren nach dem Vorbild der Pariser Akademie 1717 die Society of Antiquaries und 1732 die Society of Dilettanti als Club von gentle men gegründet worden, die den Grand Tour hinter sich gebracht hatten. Das Ziel einer guten Geschmacksbildung ließ hier nun den Plan entstehen, die vorbildhaften Bauten in Griechenland wissenschaftlich präzise zu untersuchen. Einflussreich waren hierbei die Exkursionen von Nicholas Revett und James Stuart, bei denen seit der Jahrhundertmitte detaillierte Vermessungen der antiken Bauten Athens vorgenommen und in großen Mappenwerken unter dem Titel „Antiquities of Athens“ von 1762 – 1816 veröffentlicht wurden. Konkurrenziert wurde das Unternehmen durch ein sehr viel oberflächlicheres, schnell angefertigtes Bildkonvolut der griechischen Bauten durch David Le Roy („Ruines des plus beaux monuments de la Grèce“, Paris 1758), doch bestätigt dies nur die Konjunktur griechischer Kunst. Ergänzend dazu hatte Johann Joachim Winckelmann („Geschichte der Kunst des Altertums“, 1764) die griechische Skulptur, die durch „edle Einfalt und stille Größe“ gekennzeichnet sei, als Gipfelpunkt der Kunst vorgestellt, hervorgegangen aus einem klimatisch begünstigten Volk voller Freiheitsliebe. Weitere graphische Dokumentationen griechischer Monumente aus dem Nahen Orient (Palmyra, Balbec) und Süditalien ergänzten die Nachfrage nach Vorbildern idealer Bauten. Dort, in Süditalien, waren zudem seit 1711 die Ausgrabungen in den von der Vesuvasche verschütteten Städten Herculaneum und seit 1748 Pompeji
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in Gang gekommen und hatten mit einem Mal Einblick in eine antike Alltagskultur, vor allem vermittels der Bilder auf den in Süditalien gefundenen griechischen Vasen, gegeben. Aus dieser Griechenlandbegeisterung leitete sich ein um 1800 einsetzender archäologisch inspirierter, allerdings die Einzelmotive meist kreativ neu kombinierender Klassizismus ab. Dessen erstes großes Werk ist das Brandenburger Tor in Berlin, 1788 – 91 von Carl Gotthard □ 5 Berlin, Brandenburger Tor, Carl Gotthard Langhans, 1788 – 91 Langhans nach dem Vorbild der Propyläen der Akropolis errichtet (□ 5). Allerdings wandte er für die Säulen eine römische Dorica, nicht die basenlose griechische Variante an. 1797 entwarf Friedrich Gilly für sein Denkmal Friedrichs des Großen einen dorischen Tempel, der sich über hohen Substruktionen erheben sollte. Auch Friedrich Schinkels frühen Werke, etwa die Neue Wache (1816) oder das Schauspielhaus (1818, □ 6) in Berlin, fügen archäologisch präzise studierte Säulenvorhallen vor klare stereometrische Baukörper. Diese sind, gerade am Schauspielhaus, durch eine durchaus nicht direkt aus der Antike abzuleitende Rasterstruktur aus Mauerabschnitten und Balken gegliedert, aufgrund derer eine flexible Inneneinteilung entsteht. Wirtschaftlichkeit in Konzeption und Ausführung verbindet sich
□ 6 Berlin, Schauspielhaus, Karl Friedrich Schinkel, 1818 – 21
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mit eminent erzieherischen Zielen der Architektur |▶ 4|: Die große, zu dem Portikus führende Freitreppe des Schauspielhauses macht den Besuch der Bildungsinstitution zum Besteigen des Parnass, dem mythischen Wohnsitz des Dichtergottes Apoll, der auch im Giebel dargestellt ist. Im Spätwerk Schinkels wird die ökonomische Rationalität der Konzeption zu einer konsequenten Gerüstarchitektur geführt, die nur noch mittelbar mit der griechischen Antike zu verbinden ist: Die 1832 – 35 erstellte Bauakademie in Berlin (□ 7) bildet eine viergeschossige Vierflügelanlage, die aus einem rasterartigen Steinskelett besteht, das nachträglich □ 7 Berlin, Bauakademie, Karl Friedrich Schinkel, 1832 – 35 mit standardisierten Backsteinelementen der Mauern, Fenster und Reliefs ausgefacht wurde. Auch hier spielt der erzieherische Charakter eine wesentliche Rolle, denn die Terrakottareliefs thematisieren die Geschichte des Bauens. Und dieses beschränkt sich nicht darauf, vorbildliche antike Formen zu imitieren, sondern entsteht – ähnlich wie dies zur selben Zeit Heinrich Hübsch formuliert hatte (vgl. S. 81 f.) – aus den Bedingungen von technischer Konstruktion und sozialem Zweck. – Leo von Klenze schuf nach einem Entwurf von 1817 die Propyläen auf dem Münchner Königsplatz als genau studierte Kopie des gleichnamigen Athener Gebäudes, und für die Walhalla (1830 – 42) wählte er das Vorbild des Athener Parthenons (□ 8). In Frankreich schlug sich die rationalistisch-klassizistische Auffassung des Bauens vor allem in großen öffentlichen Theaterbauten nieder: Der anti-höfische goût à la grecque begleitete in bezeichnender Weise auch eine Bauaufgabe, die den Ort schlechthin abgab, um einer neuen bürgerlichen Öffentlichkeit Moralität und Rechtsstaatlichkeit zu vermitteln. Das 1773 – 89 von Victor Louis errichtete Große Theater in Bordeaux (□ 9), die von Marie-Joseph Peyre und Charles de Wailly 1779 – 82 erbaute Comédie française (Théâtre de l’Odéon) in Paris oder das Theater in Besançon (1778 – 84) von Ledoux |▶ 2| bilden frei stehende – also nicht mehr in Schlossbauten integrierte –, kubische Blöcke, denen eingangsseitig eine kolossale Kolonnade als Vorhalle zu einem öffentlichen Platz angegliedert ist. In der □ 8 Donaustauf bei Regensburg, Walhalla, Leo von Klenze, großzügigen, auf Geselligkeit ausgelegten 1830 – 42
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□ 9 Bordeaux, Grand Théaˆtre, Victor Louis, 1773 – 89
Innenerschließung mit großem Treppenhaus, Foyer und kreisrundem Zuschauersaal bildet das Bordeleser Theater das Vorbild späterer französischer Theaterbauten |▶ 12, 25|. Die neue Bedeutung der frei stehenden Säule als dominantes Element zeigt sich auch in vielen Kirchenbauten des späten 18. Jh.s, in denen Basiliken über Säulenkolonnaden mit kassettiertem Tonnengewölbe errichtet werden (z. B. St-Philippe-du-Roule in Paris von Jean-François-Thérèse Chalgrin, 1772 – 84; die Kathedrale von Arras von Jean-François Labbé und Pierre Contant d’Ivry, 1778). Das architektonische Vokabular reduziert sich insgesamt auf wenige Motive: geometrisch klare Formen wie Kuben, Zylinder (Tonnengewölbe, Kuppeltambours, Apsiden) und Kugelausschnitte (Gewölbekalotten, Kuppeln), Säulen und Gebälke sowie flache Dreiecksgiebel, Rundbogen- und Rechtecköffnungen. Die von Ledoux 1785 – 89 errichteten Zollhäuser am Pariser Stadtrand (erhalten davon die Barrière d’Enfer, die Barrière du Trône, die Rotonde de la Villette und die Rotonde de Monceau) bieten Musterbeispiele von Architekturen, die aus solchen Standardelementen zu in sich symmetrischen Zentralbauten komponiert sind. Wie in Arc-et-Senans |▶ 2| handelt es sich darum, die Aufgabe der kommunalen Steuererhebung zu monumentalisieren und insofern die staatliche Ordnung architektonisch zum Ausdruck zu bringen. In diese Tendenz lassen sich auch viele monumentale Idealprojekte einordnen, die die genannten Grundelemente in den Dimensionen und einer monotonen Repetition zu Überwältigungseffekten von erhabener Wirkung steigern. Étienne-Louis Boullées Riesenmonumente (von Engelberg 2013, S. 323 – 326) stehen insofern den gigantischen Entwürfen von Marie-Joseph Peyre (vgl. S. 80, □ vgl. 39) nahe. Aus diesen, an den Nischen- und Gewölbearchitekturen römischer Thermenanlagen orientierten Vorgaben leitet sich die Architekturdoktrin der 1816 gegründeten Pariser École des Beaux-Arts ab: Außenfassaden wie Innengliederungen müssen eine reliefhaft gegliederte und monumentale, streng axialsymmetrische Komposition von Vor- und Rücksprüngen ergeben.
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Die bedeutendsten Figuren des klassizistischen Englands sind William Chambers und dessen Erzfeind Robert Adam. Chambers errichtete seit 1781 das monumentale Gebäude des Sumerset House in London, eine Art Stadt- und Kulturhaus, in dem u. a. die Königliche Akademie und die Society of Antiquarians untergebracht wurden. Zur Themse erhebt sich das Gebäude über einer wuchtigen Terrasse und kündet somit bewusst monumental von der neuen Bedeutung derartiger öffentlicher Einrichtungen. Robert Adam hatte seit dem letzten Drittel des 18. Jh.s römische Formmotive neu aktualisiert, etwa in Übernahme der Disposition des Konstantinsbogens in die Ballsaalfront von Kedleston Hall (1759). Außerdem hatte er in der Art eines auf Ausstattungskultur spezialisierten Familienunternehmens zahlreiche Innenräume in ausgewählten Farbakkorden und variationsreichen Ornamenten ausstaffierte. Dabei kam ihm seine reiche Kenntnis zahlreicher italienischer Monumente der Antike und Renaissance zugute, so dass sich in den Ausstattungen römische, pompejanische und ‚etruskische‘ Ornamente, u. a. aus der antiken Vasenmalerei entnommen, verbinden (Osterley Park, 1775). Ende des 18. Jh.s prägte Adam den Ausbau der Altstadt und die Gründung der Neustadt von Edinburgh: Nach einem bemerkenswerten Plan von James Craig war die Neustadt über einem Raster mit drei parallelen Hauptstraßen angelegt worden, deren mittlere jeweils in einem großen Platz endet. Adam schuf hierfür die klassizistischen Entwürfe des Register House mit einer monumentalen überwölbten Halle im Inneren der rechteckigen Anlage sowie die Randbebauung des Charlotte Square (□ 10). In der Altstadt entstand nach den Plänen Adams und seiner Nachfolger William Playfair und Robert Reid ein umfangreiches Universitätsgebäude, dessen Bibliothekslesesaal in einer Art Basilika, von zwei Reihen viereckiger ionischer Säulen und einer kassettierten Tonne gebildet, eingerichtet ist. Zahlreiche weitere klassizistische öffentliche Bauten verleihen dem Stadtumbau von Edinburgh den programmatischen Anspruch eines neuen Athen. Der Einfluss Adams bzw. der klassizistischen schottischen Hauptstadt ging so weit, dass ein Schüler Adams, Charles Cameron, zum Hofarchitekten der Zarin Katharina II. berufen und u. a. für das Schloss Tsarskoye Selo tätig wurde. Davon ausgehend, sollte auch St. Petersburg zu Anfang des 19. Jh.s zu einer klassizistischen Hauptstadt ausgebaut werden (Kasaner Kathedrale, 1801 – 11, von Andrey Voronichin; Börse, 1805 – 10, von J. Thomas de Thomon; Admiralität, 1806 – 12, von Andreyan Zacharov). Im Zusammenhang eines programmatisch aufklärerischen Absolutismus im Königreich Dänemark ist die Karriere des Architekten Christian Frederik Hansen zu sehen. Das von ihm 1803 – 15 neu errichtete Stadtund Gerichtshaus von Kopen□ 10 Edinburgh, New Town, Entwurf der Gesamtanlage, James Craig, 1767
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hagen folgt in seiner klaren kubischen Blockhaftigkeit mit vorgelegtem Säulenportikus klar den palladianischen Vorgaben (□ 11). Allerdings ist die ionische Ordnung als kolossale Ordnung vor eine die gesamte Gebäudehöhe durchmessende Vorhalle mit Freitreppe gestellt. Die hier erreichte Würde und Ernsthaftigkeit wird durch das angegliederte Gefängnis variiert, dessen Sockel und Portal durch Bossierung Festigkeit und Stärke signalisieren, ganz entsprechend der Torinschrift: ‚Für die allgemeine Sicherheit‘. Die Werke Hansens bilden Musterbeispiele einer erzieherisch wirkenden architecture parlante (|▶ 2|, vgl. S. 79): Seine Kopenhagener Frauenkirche (1810 – 29) bildet einen langgestreckten Kubus, dessen Schmalseite eine Säulenvorhalle nach dem Vorbild griechisch-archaischer Tempel in Paestum vorgelegt ist, um der edelsten und ursprünglichsten Ordnung Reverenz zu erweisen. Aber auch für die USA wurde ein purifizierter Klassizismus zum Ausgangspunkt einer neuen, Wirtschaftlichkeit mit Eleganz und Würde verbindenden Architektur |▶ 3|. Jeffersons Entwurf des Capitols von Richmond von 1785 folgt getreu dem Modell des hervorragend erhaltenen römischen Podiumstempels im südfranzösischen Nîmes, der maison carrée, und das Weiße Haus in Washington (James Hoban, Benjamin Latrobe u. a., seit 1792) enthält in seiner nach vorne tretenden Säulenexedra Anklänge an römische Rundtempel. Diese Idiome bestimmten die gesamte nordamerikanische Architektur bis zum Bürgerkrieg. Die Präsenz Englands in den Kolonialländern führte dazu, dass sich der britische Klassizismus als sog. Kolonialstil auch in Indien (Regierungspalast in Kalkutta, 1798, nach Vorbildern Robert Adams) oder Australien (Camden Park House in Menangle, John Verge, 1831 – 35) verbreitete. Der gediegene, auf Vernunft und Moralität bedachte Klassizismus als Weltarchitektur insistierte in fast allen Fällen darauf, Ordnung als Prinzip der Weltschöpfung vorzuführen: in axialen Raumfolgen, symmetrischen Gebäudegruppierungen und erkennbar zitierten berühmten Vorbildern wie den Tempeln aus Paestum, den athenischen Propyläen oder
□ 11 Kopenhagen, Stadt- und Gerichtshaus, Christian Frederik Hansen, 1803 –15
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31 □ 12 London, Bank of England, John Soane, 1788 –1833, Tivoli Corner (1807)
dem römischen Pantheon. Doch gibt es auch kreative Verstöße gegen diese Regelhaftigkeit. Insbesondere John Soanes Ausbau der Bank of England in London 1794 – 1810 ist ein prominentes Beispiel dafür. Für das damals größte und politisch höchst bedeutungsvolle Finanzinstitut der Welt schuf der Architekt eine labyrinthisch anmutende Architektur, die einer Komposition aus Kuppelräumen mit zenitaler Belichtung und Übergangsräumen in verschiedensten Licht-Schatten-Modellierungen gleicht, dabei aber klassische architektonische Details und Proportionen abändert und verzerrt. Das Areal wird außen von einer hohen Mauer umschlossen, die sich an den Ecken bugartig ausprägt. An der Tivoli Corner schmückt ein Segment des berühmten Rundtempels der gleichnamigen italienischen Stadt die Gebäudeecke, zwängt sich gleichsam zwischen den Seitenmauern durch und wird zudem von einer Art rückspringender Palastfassade darüber bekrönt (□ 12). Solche Effekte des vielfältig unregelmäßigen Malerischen, des Pittoresken, waren schon in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s durch Piranesi als Gegenentwurf zum klassisch Griechischen propagiert worden.
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft Vom Historismus zur Eisenarchitektur
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enn bereits im Landschaftsgarten Referenzen auf verschiedenste geschichtliche Erlebnissphären beabsichtigt waren, so ist der architektonische Historismus der Notwendigkeit geschuldet, die Vielfalt der Bauinitiatoren, Bauaufgaben und Bauorte geschichtlich zu legitimieren und die Bauwerke in dieser Hinsicht zum Sprechen zu bringen ( Themenblock Denkmalpflege, S. 154 f., |▶ 5|, vgl. S. 13 f.). Damit verbindet sich vielfach auch eine programmatische Absage an einen schnell akademisch-doktrinär gewordenen Klassizismus. Dieser verstand sich als ein überzeitlich gültiges Regelsystem, doch im Lichte der seit dem Beginn des 19. Jh.s blühenden historischen Erforschung der Welt war das unhaltbar. Im Bereich der Architektur war es vor allem der Polychromiestreit, der, aufbauend auf genauen historischen Untersuchungen, das Ideal einer weißen Klassik außer Kraft setzte (vgl. S. 82 f.). Die Evokation von Geschichtsepochen im Landschaftsgarten des 18. Jh.s, die romantische Entdeckung des Mittelalters als Sehnsuchtsziel in ganz Europa |▶ 6|, aber auch die sich etablierende nationale Geschichtsschreibung – z. B. in Jules Michelets „Histoire de la France“ ab 1833 oder Leopold von Rankes „Deutsche Geschichte im Zeitalter
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der Reformation“ ab 1839 – schlugen sich seit dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jh.s auch darin nieder, die gesamte Bandbreite historischer Stile für repräsentative Bauaufgaben umzusetzen. Dabei lässt sich eine zunehmende Erweiterung der Vielfalt feststellen: Trat zunächst vor allem die Gotik als Alternative neben die römische und griechische Antike, so folgten bald Renaissance, Byzanz, Romanik, Barock und Orient als weithin verwendete Stiloptionen. So ist zu betonen, dass schon früh in den Werken eines einzigen Architekten und für einen einzigen Auftraggeber auf verschiedenste Idiome zurückgegriffen wurde: Das macht etwa die Ausgestaltung Münchens durch Leo von Klenze unter Ludwig I. von Bayern |▶ 5| deutlich. Mit einer solchen, etwa für Bayern aufzuzeigenden Inszenierung der Geschichte als Herrschaftslegitimation verband sich aber auch die Genese der Idee von Nationalstilen. In Deutschland erhielt dies durch den Sieg über Napoleon in den Befreiungskriegen einen klaren patriotischen Impuls: So entwarf Karl Friedrich Schinkel 1815 einen Befreiungsdom in neogotischen Formen, da diese angeblich typisch deutsch seien. Auch die seit derselben Zeit betriebenen Initiativen, den im Mittelalter als Bauruine liegen gebliebenen Kölner Dom zu vollenden, geschahen vor dem Hintergrund einer patThemenblock · Denkmalpflege, S. 154 f.). Auch die sich riotischen Mittelalterbegeisterung ( als Institution gesetzlich verfestigende Denkmalpflege wandte sich zunächst vor allem dem Mittelalter als einer angeblich besonders ruhmvollen Epoche zu. – Auch in England, wo noch in den 20er Jahren der mächtige klassizistische Säulenportikus zum Erkennungszeichen jedes öffentlichen Gebäudes gehört hatte (Robert Smirkes British Museum in London, 1823 – 46), wählte man im folgenden Jahrzehnt programmatisch den perpendicular style als ebenso reformerischen wie landestypischen Ausdruck |▶ 6|. Bis weit in das 20. Jh. werden die teilweise mit aller Härte ausgetragenen Dispute um die Deutungshoheiten andauern, welcher ‚Stil‘ für welche Nation, welche Region, welche soziale Schicht bzw. welche Bauaufgabe der jeweils angemessene sei. Der Historismus der ersten Hälfte des 19. Jh.s beinhaltete aber nicht nur eine Absage an eine angeblich überzeitliche klassizistische Norm, sondern setzte auch den Blick für die Gegenwart frei. Die geschichtlichen Verläufe mündeten in ein Jetzt, das auch Innovation bedeuten konnte, ja musste. Deswegen reichte es bald nicht mehr aus, ‚stilrein‘ auf jeweils eine Epoche Bezug zu nehmen. Kreative Neukombinationen von Stilen erschienen als innovative Vorgehensweisen, die Traditionen nicht nur rezipieren, sondern eigenständig fortführen sollten. In Frankreich sind die Lebensläufe von Antoine-Laurent-Thomas Vaudoyer und seinem Sohn Léon bezeichnend: Während der Vater, einer der Promotoren der neu gegründeten École des Beaux-Arts, einem klassizistischen Akademismus anhing, studierte und proklamierte der Sohn seit der Zeit um 1830 eine nationale Architekturgeschichte Frankreichs, aus der sich ein zunehmender zivilisatorischer Fortschritt ableiten lasse und den modernen Architekten demgemäß in eine strenge Pflicht nehme. Die historischen Stile werden insofern nicht zitiert, sondern nach Maßgaben des Bauprogramms und der regionalen Traditionen synthetisisiert: Vaudoyers Kathedrale von Marseille (beg. 1852, □ 13) verbindet insofern die Typologie der klassischen französischen gotischen Kathedrale mit Formen der Romanik und der byzantinischen Kuppelkirche (Bergdoll 1994). Auch die Pariser Oper |▶ 12| kombiniert wie in einem Museum Referenzen auf verschiedenste Epochen und setzt damit in der Tat einen Markstein, der als französischer Beitrag zum Neobarock weltweit beachtet wurde.
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□ 13 Marseille, Kathedrale, Léon Vaudoyer, 1852 – 93
Der Akzent, der bei diesen Prachtwerken der École des Beaux-Arts auf Bildlichkeit und Monumentalität gelegt wurde, sollte von der Moderne als oberflächlicher ‚Fassadismus‘ kritisiert werden. Doch stellten die Prinzipien der École des Beaux-Arts eben diejenigen Mittel zur Verfügung, die nötig waren, um den zahlreichen Stadterweiterungen weltweit eine würdevolle, komponierte urbane Ordnung zu verleihen. Diese bietet eine Vielzahl von malerischen Tableaus innerhalb eines Außenraums, in dem Perspektivfluchten und pointde-vues eine wichtige Rolle spielen |▶ 12|. Große Brunnen und Wasserbecken, unübersehbare Denkmäler und imposante Laternen bilden weitere sinnreiche Ausstattungsstücke. Als Beispiel diene die Stadterweiterung von Marseille (□ 14): Der die Prachtstraße der Canebière fortsetzende Boulevard Longchamp endet in einer großartigen stadtraumbeherrschenden Architektur, dem Palais Longchamp, das Henri Espérandieu 1862 – 69 realisierte. Die Verbindung aus einem riesigen künstlichen Wasserfall, einem Kunstmuseum und einem Naturkundemuseum bildet zugleich auch die Endstation eines Kanals, der die Stadt mit Wasser aus der Durance versorgt. Dieses tritt hier in einem neobarocken Brunnen zum Vorschein, umgeben von den Allegorien des Flusses Durance, des Weizens und des Weines sowie von mächtigen Stieren. Halbkreiskreisförmig steigen darum herum zwei gegenläufige Treppen auf, die von Kolonnaden hinterfangen werden. Hinter dem Palais Longchamp erstreckt sich als fließender Übergang in die damalige städtische Peripherie, ein schöner Park mit einen kleinen Zoo. Die neue Bedeutung des Außenraums reagierte auf eine veränderte Öffentlichkeit, in der geschäftiges Treiben, Feiern, Einkaufen, Flanieren, Ausgehen ein neues Moment der Dynamik und Mobilität anzeigen. Die klassizistische Tradition, mit der seit dem späten
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34 □ 14 Marseille, Palais Longchamp,
Henri Espérandieu, 1862 – 69
18. Jh. eine zivile und institutionalisierte Öffentlichkeit sich architektonisch manifestiert hatte – in Theatern, Rathäusern, Zollstationen oder Gefängnissen |▶ 2, 4 – 8| –, gewann an Dynamik und Pracht. Öffentliche Transportmittel wie die Straßenbahn und Untergrundbahn (in London seit 1863) beschleunigten und kanalisierten diese Bewegung. Hier feierte das in Städten und Nationalstaaten endgültig verfasste Großbürgertum seine zivilisatorischen Erfolge. Dies schlug sich in zahlreichen neuen Bauaufgaben nieder, die den staatlich fest verankerten Institutionen Raum und Ausdruck geben: Regierungs- und Justizgebäude |▶ 13, 14|, Bauten der öffentlichen Bildung wie Universität, Schulen, Bibliotheken |▶ 8|, Theater |▶ 7, 12| und Museen |▶ 4|, sodann Bauten des Konsums |▶ 15| und der Verwaltung, des Feierns und des Bestrafens und schließlich auch Verkehrsbauten wie Bahnhöfe und Brücken |▶ 10|. Das Bewusstsein, innerhalb des Stromes der Geschichte zu stehen, in dem der traditionsbildenden und identitätsstiftenden Vergangenheit ein alltäglich erlebtes und zu bewältigendes Gegenwärtiges sowie ein Zukünftiges gegenüberstehen, war auch eine entscheidende Voraussetzung, aktuelle Baumaterialien und -techniken anzuwenden und zum Generator neuer Gestaltungsidiome werden zu lassen. Dies gilt vor allem mit Hilfe der neuen standardisiert und massenweise herzustellenden Eisenarchitektur, die ungeahnte Möglichkeiten hinsichtlich der Raumüberspannung, der Lichtfülle, der flexiblen Kombinationsmöglichkeiten bot (vgl. S. 14 f.). Die Notwendigkeit, derartige Konstruktionen physikalisch-mathematisch vorzuberechnen, half auch, Planung und Logistik vorab zu beschreiben ( Themenblock · Bauverwaltung und Architektenausbildung, S. 118, 145 f.): Zweckerfüllung und Kosten traten in ein kalkulierbares und bewertbares Verhältnis zueinander. So determinierte zumindest fallweise die neue Machart die Form: Die metallene eiserne Dachkonstruktion von Labroustes Bibliothèque Ste-Geneviève |▶ 8|, welche die Disposition des ganzen Gebäudes als gelängtes gleichmäßiges Rechteck bestimmt, lässt sich zwar formal mit dem gotischen Refektorium von St-Martin-des-Champs in Paris vergleichen, doch insbesondere bringt sie eine ungekannte Lichtfülle in den großen öffentlichen Bau, schützt (begrenzt) vor Feuer und zeigt mit all diesem den innovativen Beitrag dieser Architektur des Wissens für die allgemeine Wohlfahrt. Vergleichbar damit, wenn auch nicht auf die Eisenarchitektur bezogen, war der Beitrag von Heinrich Hübsch (vgl. S. 81 f.). Sein
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‚Rundbogenstil‘ ermöglichte ein flexibel einsetzbares Bogenrastersystem zur flexiblen und ökonomischen Eindeckung von komplexen Räumen. Solches geschah vielfältig für Verwaltungsgroßbauten seit den 40er Jahren des 19. Jh.s in Deutschland, deren regional unterschiedlichen Rundbogenstile sich zwar vage an Renaissancevorbilder anlehnen, vor allem aber mit der raschen Abfolge von Rundbogenfenstern in den Fassaden für eine flexible Ausgestaltung und Belichtung der Räume sorgen (|▶ 5|, Staatsbibliothek in München, □ vgl. 56). Ähnlich wie bei Schinkels Bauakademie geht es bei diesen Raster- bzw. Skelettkonzeptionen jedoch nicht primär um den Einsatz neuer Materialien und Bautechniken. In letzter Konsequenz für die Bahnhofs- und Ausstellungshallen angewandt, veränderte die Eisen/Glas-Architektur die architektonische Wahrnehmung radikal |▶ 9, 10|. In der Auflösung der Architektur als fester begrenzender Hülle gibt es nur noch eine rudimentäre Fassade. In dem gleichmäßigen Rapport bzw. der potentiellen Unendlichkeit der Konstruktion (Crystal Palace, |▶ 9|) wird die Forderung nach rhythmisierter Komposition unerheblich; doch zugleich erinnerten Bauten wie der Glaspalast an mythische Kristallschlösser der Vorzeit. Dieses Ungewöhnliche, ja Beunruhigende der Eisentechnik musste für vertrautere Bauaufgaben durch die Rückbindung der Skelettstruktur in die Geschichte gezähmt werden. Natürlich war es vor allem die grazile und technisch virtuos gehandhabte Baukunst der Gotik, die sich am ehesten mit der Eisenkonstruktion verbinden ließ. Beide Verfahren schienen auch einer vergleichbaren strengen Rationalität zu folgen, und insofern konnte etwa Viollet-le-Duc die Eisenkonstruktion als moderne, weite (demokratische) Versammlungssäle überspannende Technik in ihrem Innovationspotenzial mit der Fortschrittlichkeit der Baumeister des 13. Jh.s parallelisieren. Einige realisierte Eisenbauten setzten die neue Technik konkret in gotische Formen um; das gilt etwa für die Kirche St-Eugène-Ste-Cécile in Paris (1854 – 55, Louis-Auguste Boileau), aber auch für das naturkundliche Oxford Museum, das Benjamin Woodward 1855 – 60 als Eisen-Glas-Kathedrale errichtete. Wichtiger als der Bezug zur Gotik wurde aber das tendenzielle Auflösen der architektonischen Form und Körperlichkeit, wie sie der Kristallpalast vorgeführt hatte. Schlanke Träger, verglaste Seiten- und Dachöffnungen, dünne Zwischenböden schufen einen lichterfüllten, flexibel auszugestaltenden und auszufüllenden Innenraum, wie er für Markthallen und die neue Gattung der Kaufhäuser benötigt wurde. Die berühmtesten Beispiele für derartige Architekturen, in denen beständig neu arrangierte Waren die Wahrnehmung dominieren sollten, um von einem mobilen Publikum konsumiert zu werden, sind Victor Baltards zentrale Markthallen für Paris (seit 1851) und der Innenausbau des Kaufhauses Au Bon Marché 1872 – 74 durch Louis-Charles Boileau, Sohn des Erbauers von St-Eugène |▶ 15|. Ähnlich wie in der gleichzeitig errichteten Oper |▶ 12| schwebte man gleichsam auf den geschwungenen Treppen von einer Etage zur anderen, doch im Gegensatz zu Garniers Bau trat die Architektur zugunsten der luxuriösen und farbenprächtigen Warenauslage zurück. Der Kulminationspunkt dieser neuen Technologie ist zugleich ihr eigenes Denkmal: Der eiserne Turm, den das Ingenieursbüro Gustave Eiffel für die Weltausstellung 1889 als Denkmal zur Hundertjahrfeier der Revolution errichtete, glorifizierte den zivilisatorischen und technischen Fortschritt der jungen französischen III. Republik nicht mehr im Sinne einer allegorischen Statue – wie dies gleichzeitig von dem französischen Bildhauer Frédéric Auguste Bartholdi in Zusammenarbeit mit dem Ingenieursbüro Eiffel für die New
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36 □ 15 Paris, Eiffelturm, Maurice Koechlin und Gustave Eiffel, 1886 – 89
Yorker Freiheitsstatue geschehen war –, sondern in einer architektonischen Monumentalisierung des technischen Fortschritts (□ 15). In seiner Genese stellt der Turm eigentlich einen vom Mitarbeiter Maurice Koechlin entworfenen Brückenpylon dar. Derartige Fachwerkstützen hatte das Unternehmen Eiffel für die Brücken über den Douro in Porto oder das Garabit-Tal im Zentralmassiv erfolgreich realisiert. Doch in der Umarbeitung vereinigt der Turm verschiedenste Typologien und sprengte sie durch seine Technologie gleichsam auf. Er ist vierseitiger Bogen und Turm zugleich, Pylon, Aussichtsplattform, Leuchtturm und Denkmal, steht wie eine Skulptur im Zentrum des Märzfeldes bzw. der Weltausstellung und ist bei alledem ‚nur‘ ein reines Skelett, dem jede Körperlichkeit und reliefhafte Durcharbeitung abgeht. Daran vor allem stießen sich die vielzähligen harschen Kritiken, weil ihnen die durchkomponierte, mit Licht und Schatten erreichte Modellierung des Turms als Kunstwerk fehlte. Zugleich aber war der Turm eine Architektur, die Wahrnehmungsweisen völlig veränderte: Entrückt vom Moloch der Großstadt durchstieß man bei der Auffahrt plötzlich deren Dreck- und Rußschwaden und konnte den banalen und enervierenden Alltag mit einem Mal auf einer im wahrsten Sinne des Wortes gesunden und erhebenden Distanz halten. Doch die Weltausstellungen des 19. Jh.s und ihre technologischen Höchstleistungen hatten noch weitere Folgen: Sie belebten den Markt von Konsumprodukten und ließen die Herstellung von kunsthandwerklichen Erzeugnissen beständig ansteigen. Dank der neuen Technologien war der gestiegenen Nachfrage durch eine halbindustrielle Fertigung in Serien zu begegnen, doch stieß dies auf vielfältigen Widerstand. Die Vorbilder der Formen waren uninspirierte Stilmodelle, die Produktion oblag nicht dem Menschen, sondern in hohem Maße Maschinen ( Themenblock · Bauschmuck, S. 188 f.). Um den Status von Kunst und Geschmack zu erhalten, waren Reformen vonnöten. Die Vielfalt der verfügbaren Formen aus aller Welt war wissenschaftlich zu erfassen und öffentlich zugänglich zu machen: Das war die Aufgabe des South-Ken-
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sington-Museums, des heutigen Victoria & Albert Museum in London und vieler weiterer derartiger Institutionen in allen Ländern |▶ 18|. Der bloßen Imitation von ornamentalen Formen zum Schmuck des Kunsthandwerks war durch deren kreative Aneignung beizukommen. Dies übernahm etwa Owen Jones, der das Farbkonzept des Crystal Palace entworfen hatte, in seinem umfangreichen Werk „Grammar of Ornament“ (1856), gefolgt von ähnlichen abstrahierenden Vorlagewerken wie Eugène Grassets „Méthode de composition ornementale“ (1905). Schließlich und vor allem waren die Produktionsprozesse generell zu reformieren, denn die maschinelle Fertigung hatte den solchermaßen Produzierenden im Gegensatz zum Handwerker von der Gesellschaft und ihren Bedürfnissen entfremdet. Die Arts-and-Crafts-Bewegung um William Morris und viele andere kreierte hier im Zusammenspiel mit der englischen Mittelalterbegeisterung und sozialistischen Reformen eine Kunstgewerbereformbewegung, die über das Konzept eines gattungsübergreifenden Gestaltens die Impulse der frühen Moderne lieferte |▶ 11, 16|, aber in ihren Ursprüngen als Gegenbewegung zur Industrialisierung zu begreifen ist.
Großstadt und Landschaft nach 1850 Die Entstehung des Urbanismus
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ie Industrialisierung, die Landflucht und die Ausbildung eines immer größer werdenden Konsummarktes ließen die europäischen Großstädte im 19. Jh. rapide anwachsen und sich verdichten. Die Folge waren nicht nur soziale Probleme infolge von mangelnder Hygiene; sondern ebenso war die Stadt den Anforderungen an Handel und Verkehr, Erholung und Vergnügen kaum mehr gewachsen. Und überdies war es durch die sich verdichtende und ungeordnete Stadt immer schwieriger, öffentlich wirksame Repräsentationsbauten zu errichten. Der in vieler Hinsicht modellhafte Stadtumbau von Paris, der unter Kaiser Napoléon III. durch den Präfekten Georges Haussmann ab 1853 vorgenommen wurde, traf grundsätzliche Entscheidungen zur Behebung dieses Problembündels. Der Plan sollte eine Sanierung für die Wohlhabenden werden, nicht für die Arbeiter; im Gegenteil, der öffentliche soziale Wohnungsbau entstand in Frankreich erst um 1900 und zumeist aus philanthropischen Initiativen. Haussmanns umfangreiche, durch Enteignungen rechtlich abgesicherte Durchbrüche durch die gewachsene Stadt schufen die berühmten Boulevards, die zum attraktiven Außenraum einer Öffentlichkeit von Vermögenden wurde und entsprechend die Randbebauung der neuen Straßen zu attraktiven Wohn- und Geschäftslagen umwandelten. Davon profitierten die für 20 Jahre von der Steuer befreiten Bauspekulanten, so dass sich der Umbau selbst finanzieren konnte. Korrelat dieses Liberalismus war eine strenge Fassadenbauverordnung |▶ 16|, die ein einheitliches, geordnetes und repräsentatives Erscheinungsbild der Stadt zuließ. Zugleich trugen die geraden breiten Verkehrswege zu einer entscheidenden Infrastrukturverbesserung bei: Im Wesentlichen handelte es sich um die gegenseitige Verbindung der kaiserlichen Residenz des Louvre, der neuen Bahnhöfe, der Verkehrsknotenpunkte und des zentralen Markts durch ein System von kreuzweise und ringförmig angelegten Achsen. Eingelagert sind zudem
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die neuen Zentren gesellschaftlicher Repräsentation wie die Opéra und die beiden Theater an der Place du Châtelet |▶ 12|, außerdem Krankenhäuser und öffentliche Gärten. Die geraden breiten Boulevards schufen nicht nur weite Räume des Flanierens mit sinnfälligen Zielpunkten (etwa auf die Oper, den Louvre oder die Bahnhöfe, |▶ 10|, sie sollten auch der raschen Mobilisierung gegen Volksaufstände dienen. Doch mehr als solche repressiven Maßnahmen führte die gezielt betriebene, bis heute sehr wirksame soziale Aufwertung der Stadt dazu, dass ärmere Schichten in die Peripherie verdrängt wurden. Und natürlich gingen bei den massiven Eingriffen in die alte Substanz zahlreiche historisch bedeutende Baulichkeiten zugrunde – was immerhin durch gezielte Fotokampagnen der Altbausubstanz kompensiert wurde. Haussmanns Modell wurde weltweit nachgeahmt, u. a. in Berlin |▶ 16| oder Buenos Aires. – Andere Stadterweiterungen hatten die soziale Frage eher im Blick, so der radikal egalitäre und nicht zentralisierende Ensanche-(‚Erweiterungs‘-)Plan für Barcelona von 1859 in Form eines gleichmäßigen Schachbrettrasters (|▶ 13|, □ vgl. 74). Und mit der Anlage der Ringstraße in Wien wies man die Flächen der öffentlichen Repräsentation in einem konzentrischen Bereich aus, der die Altbausubstanz unangetastet ließ |▶ 13|. Die massive Landflucht infolge der Industrialisierung hatte viele europäische Städte über das gesamte 19. Jh. zu unhygienischen und unsozialen Molochs werden lassen (|▶ 16|, □ vgl. 82). Der steile wirtschaftliche Erfolg, begünstigt durch die Vergrößerung von Konsumentenschichten und den zunehmenden Überseehandel, hatte insofern gefährliche Konsequenzen, denn die Verdichtung des Industrieproletariats hatte nicht nur sanitäre und medizinische Risiken, sondern trug den Keim von Aufständen und Unkontrollierbarkeit in sich. Die Lösung der sozialen Frage vor dem Hintergrund einer liberalistischen, kapitalistischen Wirtschaftsordnung wurde insofern zu einer der wesentlichen Konstanten von Politik, Soziologie, Philosophie und auch der Architektur. Marx’ und Engels Analyse dieses Systems hat insofern eine Reihe proto-sozialistischer Vorläufer, etwa Saint-Simons christliche Soziallehre, Pugins Mediavalismus |▶ 6|, Charles Fouriers Arbeitskommunen und Pierre-Joseph Proudhons Kritik des Eigentums und Ablehnung der Staatsgewalt. In städtebaulicher Hinsicht erschien daher die asoziale, unhygienische und unkontrollierbare Industriestadt als ein vielschichtiger Missstand, dem eben das Bauen in Natur und Landschaft positiv gegenübergestellt wurde. Diese Denkfigur der Natur als göttlich beseeltes Paradies war ja bereits in den aufklärerischen und romantischen Diskursen vorgeprägt. Die ersten Umsetzungen für den sozialen Wohnungsbau begannen in der Mitte des 19. Jh.s in England, als Unternehmen ihre Produktionsstätten auf das Land verlegten und hier Werkssiedlungen errichteten. Ein Beispiel dafür ist das nach einem regelmäßigen Raster geplante Städtchen Saltaire, im Auftrag des Fabrikanten Titus Salt 1850 – 63 in der Nähe von Bradford errichtet. Der hier wirksame sog. Paternalismus sicherte den Arbeiterfamilien ein Mindestmaß an Komfort, band sie aber eng an das Unternehmen. Die Notwendigkeit, selbst für Haus und Familie sorgen zu müssen, hatte zudem einen erzieherischen Nebeneffekt. Auf dem Kontinent übernahm etwa Krupp mit seinen ab ca. 1860 errichteten Arbeitersiedlungen in der Umgebung von Essen die englischen Erfahrungen. Als Weiterentwicklung der philanthropischen und utilitaristischen Elemente des Paternalismus entstanden seit dem Jahrhundertende in England mehrere Gartenstädte, etwa Port Sunlight bei Warrington, seit 1889 von William Owen für den Seifenhersteller Leverhulme
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errichtet, oder Bournville, von Alexander Harvey für den Schokoladefabrikanten George Cadbury ab 1895 erbaut. Beide Städte sind in ausgedehnte Parkanlagen gesetzt, in denen die meisten Bewohner über einen eigenen Garten zur Selbstversorgung verfügen. Es gibt Bildungs- und Erholungseinrichtung, Kirchen und einen zentralen Platz. Subtil sind pittoreske Elemente des Landschaftsgartens wie geschwungene Wegführungen, points-de-vues und lebhafte Farben mit regelhaften Strukturen, etwa einem kreuzförmigen zentralen Platz in Port Sunlight, kombiniert. Das Ganze bildet ein vielschichtiges System, in dem Aspekte der Terrainerschließung, der Kanalisation, der Bautechnik, der Infrastruktur, der Gartenplanung und nicht zuletzt des architektonischen Stils zusammenwirken. Aus solchen Erfahrungen wurde die Urbanistik als eigenständige Disziplin geboren: 1909 gründete Leverhulme die Town Planning School in Liverpool, 1911 zog □ 16 Ebenezer Howard, „Tomorrow“, 1898, Schema der Cadbury mit einer vergleichbaren Schule in Garten- und Satellitenstädte" Birmingham nach. 1910 fand in Berlin die große Städtebauausstellung statt, die vor allem dem Wohnungsbau gewidmet war. Entscheidenden Einfluss daran hatte Ebenezer Howards 1898 erschienene Schrift „Tomorrow. A Peaceful Path to Real Reform“ (seit der Neuauflage 1902 „Garden Cities of Tomorrow“), in der die Gartenstadt als wirtschaftlich eigenständige, in ihrer Größe begrenzter und nicht der Spekulation anheimfallender Satellit im Grünen formuliert wird (□ 16, |▶ 22|). Hier war der Schritt einer Versöhnung von Natur und Stadt vorgedacht, deren Bedeutsamkeit sich international in vielen Gartenstadtvereinigungen niederschlug, so der 1899 gegründeten Garden Cities Association oder der sich 1902 zusammenschließenden Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft. Weitere umfangreich angelegte Gartenstädte entstanden: Hampstead von Raymond Unwin und Barry Parker wurde seit 1905 geplant, ab 1907 entstand Hellerau |▶ 22|, von 1909 an die von Georg Metzendorf entwickelte Gartenvorstadt Margarethenhöhe in Essen. Ernst May, der vor und nach dem Zweiten Weltkrieg in Breslau, Frankfurt, Magnitogorsk, Darmstadt usw. zahlreiche Siedlungen realisierte |▶ 30|, hatte von 1910 – 12 bei Unwin in Hampstead gearbeitet und dessen theoretisches Werk „Town Planning in Practice“ (1909) ins Deutsche übersetzt („Grundlagen des Städtebaus“, 1910). So sind also historisch auch noch die Schlafvorstadt der 60er Jahre des 20. Jh.s mit den Konnotationen von Paradies und Freiheit verbunden, wie sie der aufklärerische Landschaftsgarten entwickelt hatte. Die Wohnviertel im Inneren der Städte blieben im 19. Jh. durch einen liberalistisch-radikalen Funktionalismus geprägt, der sich im Wohnbau in der hochverdichteten Mietskaserne niederschlug |▶ 16|. Doch auch hier regten sich Reformansätze im Sinne einer mehr und mehr systematisch durchdachten Intervention in das
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urbanistische Gefüge. Paris und Berlin hatten seit der Mitte des 19. Jh.s Bauverordnungen, die zunächst Fassadenhöhen im Verhältnis zu Straßenbreiten regelten und begrenzten (Paris: 20 m, Berlin: 22 m), bald nach der hauptsächlichen Nutzung des jeweiligen Viertels unterschieden. Vor allem agierte nach der Reichsgründung 1871 auf kommunaler Ebene eine effiziente Bauleitplanung mit neutralen Fachbeamten, die etwa juristisch verbindliche Flächennutzungspläne ausarbeiteten und somit partikularen Wildwuchs und exzessive Spekulation unterbanden bzw. hygienische Standard (Belichtung und Belüftung) und ästhetisches Wohlgefallen im Ansatz sicherstellten ( Themenblock · Bauverwaltung, S. 118 f.). 1875 wurde für Preußen das Fluchtliniengesetz verfügt, 1906 eine Vorform des Flächennutzungsplans verordnet, nach dem auch etwa die Ausnutzung von Grundstücken (Grundflächenzahl: maximale Ausnutzung eines Grundstücks, Geschossflächenzahl: Verhältnis der gesamten Geschossfläche zu der Fläche des Baugrundstücks) Bestandteil des Genehmigungsverfahrens ist. Dies ging mit einer ausgesprochenen Fachliteratur einher, vor allem dem erstmals 1890 in der Reihe „Handbuch der Architektur“ erschienenen „Handbuch des Städtebaus“ von Hermann Joseph Stübbens sowie der Zeitschriftenreihe „Der Städtebau“. Somit entstanden administrative und politische Rahmenbedingungen für den im internationalen Vergleich sehr umfangreichen und letztlich effektiven sozialen Wohnungsbau der Weimarer Republik und auch der Nachkriegszeit |▶ 30|. Die städtebauliche Verschönerung folgte vielfach den von Camillo Sitte („Der Städtbau nach seinen künstlerischen Grundsätzen“, 1889) und auch dem Brüsseler Bürgermeister Charles Buls („Esthétiques des villes“, 1894) formulierten Prinzipien. Die Fassaden sollen wie Theaterkulissen von malerischer Natur sein und beim Bewohner visuelles Gefallen auslösen. Dabei kam auch den historischen Monumenten eine zentrale Bedeutung zu. Die neue Bedeutung der Denkmalpflege wurde also in den Städtebau integriert, mitsamt den pittoresken Fassaden ein bisweilen nostalgischer Ton angeschlagen. Man kann die hiermit intendierte Identifikation mit einem wohlhabenden und funktionierenden städtischen Gemeinwesen auch als Kompensation von der durch Technik, rationale Funktionalität und Anonymität geprägten modernen Stadt begreifen. Beispielsweise markieren die historistischen Rathäuser in München (1867 – 1909, Georg von Hauberrisser) oder Hannover (1901 – 13, Hermann Eggert), aber auch von Paris (1874 – 88, Théodore Ballu und Pierre Deperthes) bis heute zentrale symbolische Orte dieser Städte. Man muss dieses Insistieren auf die alte monozentrale europäische Stadt vor dem Hintergrund ganz anderer Ansätze sehen, das ungezügelte Wachstum der Städte zu regeln, etwa Ildefons Cerdàs dezentrale, völlig rasterartige Stadterweiterung von Barcelona von 1859 |▶ 13|. Im Anschluss an diese radikale Rationalisierung entwarf Arturo Soria y Mata, Initiator der Straßenbahn und des Telefonnetzes in Madrid, 1882 den Plan einer Bandstadt, die entlang eines breiten Boulevards als zentraler, einem Rückgrat ähnlicher Verkehrsachse wachsen kann. Dieses Konzept sollte vor allem Auswirkungen auf Le Corbusiers Ville radieuse von 1935 haben |▶ 27|, in ihrer Zeit fügte sich Soria y Matas urbanistischer Plan aber ebenfalls in die Dichotomie Stadt vs. Land, die im Ausgreifen der schmalen Bandstadt in die Umgebung aufgehoben werden sollte, ohne dabei schädliche Verdichtungen, aber auch ohne zentralen Orte zu schaffen. Der Städtebau des 19. Jh.s war auch ein Mittel des Kolonialismus und der Kolonisierung. Die Zentren der ehemaligen Kolonien wurden nach den Modellen ihrer jeweiligen Mutterstaaten teilausgebaut, was etwa in Kairo, Alexandria, Oran und Algier bis heute wirksame
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□ 17 New York, Central Park, Frederick Olmstedt, 1859 – 63, Grundriss von 1875
städtische Bezugspunkte schuf. Aber auch die Erschließung der USA geschah über einen sich wandelnden Städtebau. Der massiv betriebene Eisenbahnbau und die großmaßstäbliche Industrialisierung schufen seit der Jahrhundertmitte Verkehrswege und Städte, ohne dass es hierfür gewachsene historische Strukturen gab. Die Logik der Wege und der Planstädte war zunächst allein eine betriebswirtschaftliche: Zahlreiche der neuen Ansiedlungen wie z. B. Pullman Town oder Tacoma waren entlang der Eisenbahnlinien errichtete sog. company towns, also riesige Werksiedlungen. In den auf rasterförmigen schematischen Grundrissen geplanten Städten herrschte ein vergleichsweise guter hygienischer Standard, aber auch eine problematische soziale Homogenität, waren diese Kommunen doch reine Arbeiterstädte. Gerade in den Industriezentren an den Großen Seen sollte diese Segregation zu großen sozialen Problemen führen. Dagegen standen Bestrebungen, über ein emphatisches Erleben der unendlichen, neu eroberten Natur Gemeinschaft zu stiften. Diese, mit der amerikanischen Romantik, dem sog. Transzendentalismus etwa eines Ralph Waldo Emerson und Walt Whitman verbundene Bewegung prägt das US-amerikanische Selbstverständnis bis heute; im 19. Jh. schlug es sich etwa in den Bildern großartiger, erhabener, von Siedlern eroberter Landschaften nieder, wie sie Alfred Bierstadt malte; und noch der Westernfilm fußt auf solchen Traditionen. Städtebaulich und architektonisch waren solche Auffassungen bereits bei der Planung der Mall in Washington mit ihren grandiosen Sichtachsen wirksam geworden |▶ 3|. Als gemeinschaftliche Identität stiftende Maßnahme war in diesem Sinn aber vor allem die Einrichtung des riesigen Central Park in New York durch Frederick Law Olmstedt beispielhaft. Seit 1853 geplant, wurde zwischen 1859 und 1862 die 3,41 Quadratkilomenter große Freifläche zwischen der 59. und 110. Straße im Sinne eines vielfältig für Sport, Erholung und Kommunikation nutzbaren englischen Landschaftsparks angelegt (□ 17). Olmstedt legte vier Durchgangsstraßen an, die aber dank vielerlei Brücken und Unterführungen die Kontinuität der landscape nicht beeinträchtigen. Der pittoreske Park ist nicht nur ein Ort der innerstädtischen Naherholung, sondern ein gelebtes Symbol individueller Freiheit inmitten einer grandiosen Natur (Tafuri/Dal Co 1977, S. 17 – 25). Und gleichzeitig wurde mit ihm eine rapide Aufwertung des Zentrums von Manhattan erreicht, das sich in einer hochrangigen Randbebauung v. a. durch Museen (Metropolitan Museum of Art, Guggenheim Museum) niederschlug. Olmstedt plante nicht nur zahlreiche weitere innerstädtische Parks als innerstädtische Nobi-
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litierungsmaßnahme sowie die Campusanlagen von Berkeley und Columbia University, sondern war in bezeichnender Weise auch für die Konzeption von Nationalparks wie des Yosemite National Park (1864) oder der Niagarafälle (1879) zuständig, in denen die Natur vor der industriellen Expansion geschützt werden sollte. In den USA gab es allerdings in den boomenden Städten New York, Philadelphia und Chicago eine sehr frühe City-Bildung in den Zentren. Bauen konnte hier bedeuten, Etagen in einem Kubus aufeinanderzustapeln und die Fassade so gut wie möglich als Lichtquelle zu benutzen, wie das schon um die Jahrhundertmitte im Cast Iron District in New York zum Ausdruck kam. Das nun konzeptuell entstehende Hochhaus stellte technische Anforderungen, etwa an die Tragfähigkeit der neu entwickelten Eisenskelette, aber auch an die Erschließung durch einen mechanischen Aufzug, der 1853 erstmals eingesetzt wurde |▶ 17|. Aber auch die adäquate Gestaltung blieb eine Frage, denn die monotone Rasterstruktur eines vielgeschossigen Gebäudes mit rascher Fensterfolge ließ sich nicht ohne weiteres mit historischen Gliederungselementen verbinden. So gab es eine Reihe von Lösungsvorschlägen unter den Architekten der sog. Chicago School, insbesondere bei dem Chicagoer Architekten William Le Baron Jenney, der im Home Insurance Building (1883 – 86) das freigelegte Stahlskelett zur Fassade machte bzw. es im Second Leiter Building (1889 – 91) mit einer nüchtern-unpersönlichen rechtwinkeligen Rasterstruktur verkleidete. Henry Hobson Richardson hingegen umgab seinen Marshall Field’s Wholesale Store (1885 – 87) vollständig mit Rundbogenarkaden in Rustikamauerwerk. Daniel Hudson Burnham unterließ es, das Hochhaus über referentielle Formen als herausragendes und vornehmes Werk des Handelszeitalters zu kennzeichnen. Sein Flatiron Building in New York, auf einem spitz zulaufenden Grundstück 1902 errichtet, gliedert vielmehr wirkungsvoll den städtischen Raum (Tafuri/Dal Co 1977, S. 58 – 74). Vor diesem Hintergrund, der Aporie einer Sprachfähigkeit des Wolkenkratzers und seiner Anonymität, treten die Ansätze des charismatischen Louis Sullivan hervor, seine Hochhäuser (Wainwright Building in Chicago, Guaranty in Buffalo, |▶ 17|) zu individualisieren – als kraftvollen und höchst eigenständigen Ausdruck amerikanischen Naturbewusstseins. Das Komplement zur buchstäblichen Auslagerung der Wohnviertel aus den kollabierenden Großstadtzentren in die ländlichen Außenbezirke einerseits und der nachdrücklich einsetzenden City-Bildung aus Verwaltungsgebäuden in den Zentren andererseits war deren prononcierte monumentale Verschönerung. Die amerikanische City-Beautiful-Bewegung entstand vor allem im Zusammenhang mit der Weltausstellung in Chicago im Jahre 1893, auf deren immensem Gelände Daniel Burnham eine ausgedehnte Komposition aus Bassins, Plätzen und Prachtachsen anlegte, die mit den monumentalen Ausstellungsarchitekturen verzahnt war (□ 18). Die größtenteils weißen Gebäude folgten – ganz entgegen den Bestrebungen der gerade genannten Chicago School – der neubarocken Formensprache der Pariser École des Beaux-Arts. Dazwischen integriert waren auch weite als Landschaftsparks angelegte Zonen in der Tradition von Olmstedt. Die Ausstellung führte mit dieser opulenten Architektur die wirtschaftlichen und innenpolitischen Erfolge der USA als geeinter Nation vor. In der Folge statteten weitere amerikanische Städte ihre Zentren mit monumentalen klassischen Gebäuden aus, auch mit der theoretischen Begründung, diese Verschönerung würde nationale Identität und moralische Integrität stiften. Das größte Projekt in diesem Zusammenhang war der sog. McMillan-Plan für die Washingto-
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□ 18 Chicago, Weltausstellung 1893, Gesamtansicht
ner Mall, die unter Mitarbeit von Burnham und Olmstedt jr. seit 1902 ihre monumentale Ausgestaltung in Form von nationalen Monumenten und Institutionen erhielt. Auch hier ist das charakteristische Zusammenwirken von landscape und Architektur wesentlich. Die City-Beautiful-Bewegung mit ihrem pompösen Prunk entstand in einem diffizilen Aushandlungsprozess, in dem ein uneingeschränkter Wirtschaftsliberalismus und die Lösung drängender sozialer Probleme infolge der kollabierenden Städte sowie philanthropische Elemente miteinander verbunden werden mussten. Flächennutzungspläne und Bauverordnungen als Mittel der weit vorausschauenden Planung waren hier nur in größter Allgemeinheit zu verordnen, wie das Beispiel New York zeigt: Die Zoning Resolution von 1916, nach der die Wolkenkratzer mit steigender Höhe zurückspringen müssen, ansonsten aber die volle Ausnutzung des Grundstücks möglich ist, diente lediglich dazu, die schlimmsten – weil renditeschädlichen – Auswüchse zu verhindern. – Die City-Beautiful-Bewegung in ihrer markanten Einbeziehung der Landschaftsgestaltung wurde international intensiv rezipiert, so von Edwin Lutyens in Neu-Delhi (1913, |▶ 42|) oder für die Stadtgestalt von Canberra. Der nur in Ansätzen verwirklichte Plan von Walter Burley Griffin sah eine sternförmige, im zentralen Capitol mündende Anlage von Monumentalachsen in einem von Seen und Hügeln bestimmten Terrain vor.
Um 1900 Architektur als Gesamtkunstwerk
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egen Ende des 19. Jh.s konsolidierte sich ein über viele Jahrzehnte andauernder Prozess, in dem das Bürgertum, institutionell und politisch etabliert, zur kulturell bestimmenden Schicht aufgestiegen war. Das galt vor allem auch deshalb, weil es nunmehr zu den wesentlichen Konsumenten von Verbrauchsgütern zählte: Die großen Kaufhäuser und
Um 1900
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zahllose Handwerksbetriebe rechneten damit, dem Geschmack der neuen Käuferschichten zu entsprechen bzw. ihn zu formen. Dabei kam auch eine soziale Differenzierung hinzu: Frauen wurden nämlich nunmehr immer wichtigere Akteure, ja diejenigen, die über einen besonders verfeinerten Geschmack verfügen sollten. Sie waren mittlerweile zumindest in den Oberschichten gut gebildet, hatten dabei vielfach auch eine künstlerisch-handwerkliche Technik, das Handarbeiten, in der Schule erlernt. Seit dem letzten Jahrhundertdrittel gab es zudem die Haute Couture, initiiert durch Charles Frederick Worth, die die Kriterien von Originalität und Geschmack in die Damengarderobe einführte. Solche Entwicklungen verzahnten sich auch mit der Frage des Interieurs bzw. der Inneneinrichtung besserer Wohnungen. Sie waren, häufig zu geregelten Zeiten, etwa dem Nachmittagstee, Orte einer gepflegten Geselligkeit und dienten dem Salonhalten, also exklusiven Empfängen, häufig durch die Dame des Hauses. Die Einrichtung des privaten home blieb somit nicht Privatsache, sondern erhielt eine halböffentliche, kommunikative Funktion, die über den Geschmack der Bewohner eines Hauses Auskunft geben konnte. In dieser Halböffentlichkeit bildete dieses Kriterium ein wesentliches soziales Distinktionsmerkmal, in dem mentale, künstlerische und politische Einstellungen deutlich zum Ausdruck kamen, etwa Aufgeschlossenheit, Originalität, Traditionsbewusstsein u. v. m. Verstärkt wurde dies durch die Entstehung eines privaten Kunstmarktes zu dieser Zeit, der seine Objekte analog zu den kunstgewerblichen Arbeiten in diese Ausstattungskultur einspeiste. Die neue Kunstgewerbereformbewegung ( Themenblock · Interessensverbände, S. 220 f., |▶ 18, 22|) wiederum rechnete mit diesen neuen Käuferschichten, die international vertreten waren – in Berlin ebenso wie in Paris, New York oder Moskau. Aus diesen Gründen ging es nicht nur um Fragen von Form, Produktion und Vertrieb, sondern hier wurden auch Geschmackskulturen verhandelt: Eine Reihe von – erstmals reich mit Fotoabbildungen versehenen – Zeitschriften („The Studio“, „Art et décoration“, „Deutsche Kunst und Inneneinrichtung“) machte die Diskurse um das Kunstgewerbe allgemein öffentlich und kritisch bewertbar. Vielfalt war dabei durchaus erwünscht, denn es ging nunmehr nicht länger um eingespielte Muster und kanonische Formen, sondern um den Ausweis origineller Individualität. Es ist aus solchen Gründen verständlich, dass industriell gefertigte Kunstgegenstände oder historistische Formenwiederholungen diese Bedürfnisse nicht mehr befriedigen konnten. Außerdem bestand der Anspruch, das Interieur geschmacklich aufeinander abzustimmen, also nicht etwa ein collageartiges Durcheinander vorzuführen. Dies wiederum stellte besondere Ansprüche an die Innenarchitektur: denn jedes Möbel und jeder Einrichtungsgegenstand sollte seinen eigenen Platz innerhalb eines klug ermittelten Innenraums haben, und dessen Einbindung in die Gesamtstruktur einer Wohnung oder eines Wohnhauses beeinflusste notwendigerweise die ganze Architektur. Derartige Aufgabenstellungen verbanden sich mit dem durchaus neuen Anspruch, psychologisch wirkende Stimmungen durch die Innenräume und die Fassaden zu schaffen (vgl. S. 17 f.). Die wesentlichen Mittel dazu waren nicht Verweise auf ältere Stile, sondern der Einsatz von bewegten Linien und lebhaften Farben sowie Lichtwirkungen. Das ging zurück auf die damals aktuelle Einfühlungsästhetik bzw. -psychologie von Friedrich Theodor Vischer und seinem Sohn Robert, was u. a. von den Kunsthistorikern Heinrich Wölfflin und August Schmarsow zur Deutung historischer Architekturen umgesetzt wurde. Die Kunsterfahrung entspreche dem körperlichen Empfinden, das Wahrnehmen der Architektur also dem Wahrnehmen des eigenen
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□ 19 Darmstadt, Mathildenhöhe, Ernst-Ludwig-Haus, Joseph Maria Olbrich, 1900
Körpers. Die wissenschaftliche Untersuchung der psychologischen Wirkung von Formen und Farben, wie sie von Wilhelm Wundt und Theodor Lipps betrieben wurde, rezipierten viele der um 1900 tätigen Architekten, so etwa Henry van de Velde, August Endell oder Hermann Obrist. Insofern wurde die schwingende Linie zu einer Art Leitform der Jugendstilarchitektur, denn sie vermittelte gattungsübergreifend Rhythmus und Vitalität, vermochte zudem Inneneinrichtung, Innenräume und Außenerscheinung einer Architektur zu einem synästhetischen Gesamtkunstwerk zusammenzubinden. Diese Ansätze sind an verschiedenen Orten gleichzeitig zu beobachten: Mit Victor Hortas eigenem Brüsseler Atelierhaus |▶ 19| sind zahlreiche weitere von ihm entworfene Privathäuser zu vergleichen; auch Henry van de Velde, der sich vom pointillistischen Maler zum Kunsthandwerker und Architekten entwickelte, kreierte in seinen eigenen Häusern (Bloemenworf bei Brüssel, 1895; Hohe Pappeln in Weimar, 1907/08) sowie mit seinen Villen (Villa Esche in Chemnitz, 1902/03; Haus Hohenhof in Hagen, 1906 – 08) programmatische Gesamtensembles. Van de Velde sollte diese Grundsätze auch in der von ihm gegründeten Kunstgewerbeschule in Weimar umsetzen und damit die Keime der Reformpädagogik des Bauhauses legen. Ähnliches gilt für Hector Guimard in Paris, dessen Hauptwerk, das Castel Béranger (1895 – 98), ein vegetabil belebtes, gezielt freudig stimmendes Etagenwohnhaus darstellt. Auf der Mathildenhöhe in Darmstadt entstand unter der Federführung von Joseph Maria Olbrich eine Künstlerkolonie, um im Auftrag des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt geschmackvolles Kunsthandwerk zu produzieren. Die zumeist von Olbrich entworfenen Häuser für die Künstler und Fabrikanten achten darauf, in ihren Wegführungen und Räumen angemessene Stimmungen entstehen zu lassen (□ 19). Im Kreis der Wiener Sezession, dem Olbrich entstammte, wurde das Thema der Emotionserzeugung unter anderen Vorzeichen behandelt: Das 1905 errichtete Sanatorium Purkersdorf von Josef Hoffmann, ein aus abstrakten Quadratmodulen komponierter Bau, sollte ein nervenberuhigendes, gleichsam therapeutisches Ambiente kreieren. Sein Kontrahent Adolf Loos hingegen ( Themenblock · Bauschmuck, S. 188 f.) schuf insbesondere mit dem Geschäfts-
Um 1900
46 □ 20 Wien, Haus am Michaelerplatz, Adolf Loos, 1909 – 10
und Wohnhaus gegenüber der Wiener Hofburg (Michaelerhaus) ein programmatisches Gebäude mit nackter, völlig neutraler Fassade, die jedes Ornament negiert (□ 20,|▶ 20|). – Diese prinzipiell vergleichbaren Tendenzen, die sich auch in Italien, Katalonien |▶ 19| und in Städten wie Glasgow, Riga usw. verfolgen ließen, wurden in ihrer Zeit emphatisch begrüßt, weil damit ein übernationaler Epochenstil entstanden zu sein schien, welcher entsprechend optimistisch intituliert wurde: Jugendstil, art nouveau, modernismo, stile Liberty. Die Ernüchterung setzte schon kurz nach der Jahrhundertwende ein. Schon die Gründung des Deutschen Werkbundes im Jahr 1907 als Dachverband der Kunstgewerbebewegungen markierte einen Umschwung. Hier verbanden sich die Traditionen der Artsand-Crafts-Bewegung, der Gartenstadt und der Lebensreform mit dem Jugendstil, um eine marktorientierte Qualitätssicherung der architektonischen und kunsthandwerklichen Produktion zu erreichen. Wichtige Gründungsmitglieder waren Hermann Muthesius |▶ 11|, Richard Riemerschmid |▶ 22|, Heinrich Tessenow |▶ 22| und Henry van de Velde. Aber die zu schaffenden Gesamtensembles standen unter dem Diktat einer programmatisch schlichten Form. Die Ehrlichkeit der ‚guten Form‘ sollte pädagogisch wirken und auch für eine industrielle Massenherstellung geeignet sein. Implizites Ziel war es, solchermaßen gleichsam von oben her die ersehnte Einheit einer gegenwärtigen ‚Kultur‘ wiederherzustellen |▶ 23|. Die Zeit luxuriöser Gesamtensembles in individueller Fertigung war vorüber. Ein Weiteres kam hinzu: Im Zuge der im Vorfeld des Ersten Weltkriegs stärker werdenden Konkurrenzen der europäischen Staaten untereinander nationalisierten sich die Diskurse in ausgeprägter Weise. Modernes Bauen hieß nunmehr auch, eine neue ‚männliche‘, jeweils angeblich national spezifische Monumentalität dem angeblich effeminierten, internationalen Jugendstil entgegenzusetzen. Die damit verbundene Entflechtung der im Jugendstil programmatisch integrierten Kunstgattungen sah die Architektur nunmehr wieder als die Königin aller Künste, die sich ihr sichtbar unterzuordnen haben. Zudem müsse die Konstruktion als objektives Grundprinzip der Architektur herausgestellt und radikal vom bloß applizierten Ornament abgesetzt werden ( Themenblock · Bauschmuck, S. 188 f.). Das implizierte auch, die industrielle Produktion als wesentliches Charakteristikum in die Architektur zu integrieren, wie das etwa nachdrücklich im Rahmen des Werkbundes propagiert wurde. Peter Behrens, Walter Gropius, Hans Poelzig, Max Berg und Auguste Perret entsprachen sich insofern prinzipiell in ihren Architekturkonzepten um 1910:
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Behrens transformierte mit seiner AEG-Turbinenhalle |▶ 23| eine kühne stählerne Werkhalle zu einem modernen Tempel, der auch zur Imagebildung der AEG beitrug. Denn Behrens war auch der Chefdesigner des Unternehmens, das sich eine kohärente corporate identity gab. Weitere vergleichbare Hallen von Behrens (Montagehalle und Kleinmotorenfabrik) sowie von Walter Gropius und Adolf Meyer (Alfeld a. d. Leine) sollten bis 1913 folgen. Hans Poelzig schuf mit seinem Kaufhaus in der Breslauer Junkernstraße (1911) eine künstlerische Umsetzung des Stahlbetons: Konsequent angewandt ergibt sich eine betont horizontale Gliederung, die dynamisch um die Gebäudeecke geführt ist, also keine zentriert komponierte Fassade mehr kennt. Die 1913 ebenfalls in Breslau errichtete Jahrhunderthalle von Max Berg verwirklichte eine riesige überkuppelte Festhalle in kühner Ausnutzung der Betontechnik. Die Halle erinnert über ihren Namen an die Befreiungskriege. Vor allem symbolisierte sie allein durch ihre gewaltige Größe Gemeinschaft und konnte dies ganz ohne Zuhilfenahme von sprechenden Zierformen tun. Auguste Perrets Pariser Théâtre des Champs Elysées versteht sich als konsequente Anwendung einer Betonskelettkonstruktion, die sich nach außen in einer streng rechtwinkligen Komposition aus vereinfachten klassischen Gliederungselementen in weißfarbigem Marmor äußert |▶ 25|.
Genese der Avantgarden im Ersten Weltkrieg Die europäische Illusion des Neubeginns
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er Erste Weltkrieg brachte das architektonische Geschehen zwar nicht zum Erliegen, doch schränkte er die Produktion selbst in nicht-kriegführenden Ländern merklich ein. Einige Architekten, etwa Erich Mendelsohn, waren zudem eingezogen. Vor allem in Deutschland beeinträchtigte zudem die nachfolgende Hyperinflation das Baugeschehen beträchtlich. Als Konsequenz blieben viele, gerade junge, noch nicht etablierte Architekten teilweise über mehrere Jahre ohne Aufträge und widmeten sich insbesondere theoretischen Entwürfen. Dies taten zumindest einige umso intensiver und radikaler, als schon vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs der Anspruch bestanden hatte, als Intellektueller und Künstler gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Der Künstler und insbesondere der immer im sozialen Raum agierende Architekt geriet insofern zum Propheten, zum Künder einer neuen Welt (vgl. S. 90). Hier mag zwar der schlichte Hintergedanke wirksam gewesen sein, mit radikalen Entwürfen auf sich aufmerksam zu machen, aber insgesamt hatte das über diese Schriften und Entwürfe verbreitete Pathos eines völligen Neuanfangs insofern seine Berechtigung, als in den 20er Jahren nun tatsächlich eine radikale Neukonzeption der Architektur festzustellen ist, es also nicht nur bei hohlen Worten blieb. Vor allem im Umfeld der De Stijl-Gruppe |▶ 24|, des russischen Konstruktivismus, bei den Mitgliedern der Gläsernen Kette und im Bauhaus sowie bei Le Corbusier verbanden sich theoretisches Nachdenken, publizistische Präsenz und praktisches Entwerfen in bemerkenswerter Weise ( Themenblock · Architektenrollen, S. 280). Und immer ist implizit oder explizit die Katastrophe des Ersten Weltkriegs mit seinen umfassenden sozialen, ethischen und politischen Umwälzungen als entscheidender Anlass zu benennen.
Genese der Avantgarden im Ersten Weltkrieg
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Generell ist diese Proklamation eines Neuanfangs dadurch gekennzeichnet, dass überbrachte architektonische Elemente (Tür, Fenster, Mauer) dissoziiert, abstrahiert und neu kombiniert werden. Die damit einhergehende Herauslösung aus traditionalen Entwicklungen transponiert die meist in eine physikalische Naturgesetzlichkeit eingebundenen Architekturelemente auf eine höhere, gleichsam immaterielle oder metaphysische Bezugsebene: Aus der schweren Mauer wird die neutrale Scheibe, aus dem gerahmten Fenster die Rechtecköffnung, aus dem komplizierten Dach eine gleichsam schwebende Fläche. In dieser Weise entstehen Umwertungen von herkömmlichen Beurteilungskriterien, wenn etwa die Dialektik von Innen- und Außenraum als ein Oszillieren von beidem zu erfahren ist oder sich die physische Schwere der Tektonik in eine gleichsam erdungebundene Leichtigkeit auflöst. Diese Transponierung löst notwendigerweise die Architektur aus ihrer historischen Gewordenheit und kann somit in der Vorstellung eines kompletten, voraussetzungslosen Neubeginns Befreiung von Tradition und Freiheit zu radikalen Lösungen proklamieren. Insofern verstehen sich die Realisierungen wie auch die theoretischen Äußerungen immer als Manifeste, nicht etwa als ‚natürliche‘, allmähliche Lösungen eines Problems. In den Niederlanden konnte sich, da das Land nicht in den Krieg eingetreten war, das praktische Bauen während und unmittelbar nach den Kampfhandlungen am ehesten fortsetzen. Dies schlug sich in einer Reihe von Großsiedlungen und öffentlichen Gemeindebauten (Rathäuser, Schulen) etwa von Willem Marinus Dudok und Jacobus Johannes Pieter Oud nieder, in denen sehr früh Standardisierung, Wohnkomfort, gute Belichtung und kubische, schlichte Bauformen angewandt wurden |▶ 28|. In diesem Umfeld entstand 1917, vor allem aufgrund der Bekanntschaft zwischen Oud und Theo van Doesburg, die Gruppe De Stijl, die im Anschluss an die abstrakten, geometrisch rigiden Bilder Piet Mondrians beanspruchte, das Lebensumfeld derart aus elementaren Formen gestalten zu können, dass die Kluft zwischen Leben und Kunst bzw. zwischen zweckdienlicher Architektur und ihrer künstlerischen Ausstattung aufgehoben würde |▶ 28|. Der Ausgangspunkt der Formverschränkungen von kubischen Gebilden bildete die Villa Henny in Huis ter Heide von Robert van ’t Hoff (1915 – 19, □ 21). Aus dem für den Villenbau ungewöhnlichen, aber jedenfalls ‚künstlichen‘ Material Stahlbeton errichtet sind hier auf zwei Etagen kubische Formen zwischen deutlich vortretenden horizontalen Flächen (Sockel, Balkon, Vordach, Flachdach) angeordnet. Hier wurde ganz klar das Vorbild der prairie houses von Frank L. Wright |▶ 24| – den van ’t Hoff persönlich kannte – zu einer Großskulptur aus elementaren Formen und Räumen weiterentwickelt. Während van Doesburg sich vor allem damit beschäftigte, rechtwinkelige Farbfeldkompositionen als Innengestaltung von Fußböden, Wänden und Decken bzw. als Fassadengliederung anzuwenden, setzte Oud etwa für seine Siedlung Oud Mathenesse in Rotterdam 1923 farbliche unterschiedliche Blöcke als Grundelemente der Architektur ein. Starkfarbige Flächen als Leisten und Paneele entwickelte seit 1919 vor allem Vilmos Huszár zusammen mit Möbelbauern (Inneneinrichtung der Villa De Arendshoeve in Voorburg, 1919). Ein weiterer dieser Möbelbauer war Gerrit Rietveld, der seinen berühmten Rot-Blau-Stuhl als konsequente Konkretisierung der De Stijl-Auffassungen entwickelte: Kanthölzer und Platten sind scheinbar ohne konstruktive Verbindungen zu einem Sitzmöbel zusammengefügt, dessen Linien und Achsen mit denjenigen des umgebenden Raums in Beziehung gesetzt werden können. Aus solchen Prinzipien entstand auch das Haus Schröder-Schräder in Utrecht, das – ganz aus dem
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□ 21 Huis ter Heide, Villa Henny, Robert van ’t Hoff, 1915 – 19
Inneren entworfen – gleichsam als konsequent zu Ende gedachte, aus Einzelteilen montierte Raumkomposition gelten kann |▶ 28|. Über das architektonische Darstellungsverfahren der Axonometrie wurden solche Baukonzeptionen insbesondere bei van Doesburg rückübersetzt in Bildkompositionen aus regelmäßigen Rechtecken und Parallelogrammen, so dass auf dieser Ebene Architektur, Skulptur und Malerei eng miteinander verschränkt werden konnten. Für Frankreich, wo nach dem Ersten Weltkrieg die Vision einer Fortsetzung des ‚klassischen Geistes‘ des 18. Jh.s als Rezept einer nationalen Moderne beschworen wurde, gibt es eine einzige herausstechende Figur, die eine exponierte Rolle als Avantgarde-Erneuerer reklamierte: Charles-Edouard Jeanneret, seit 1920 alias Le Corbusier. Er äußerte sich vor allem in verschiedenen polemischen Artikeln von 1920 – 22 in einer von ihm mitherausgegebenen Kunstzeitschrift mit dem bezeichnenden Titel „Esprit nouveau“ (‚Neuer Geist‘). Diese Artikel erschienen 1923 zu einem Buch zusammengefasst unter dem Titel „Vers une architecture“ (vgl. S. 89). Vor allem auch die Stadtplanungsmodelle, 1925 in „Urbanisme“ veröffentlicht, visionierten einen kompletten Neubeginn des Urbanismus in einem paradiesischen Urzustand, in dem die historische Stadt vergessen ist |▶ 27|. Der bis 1917 in La-Chaux-de-Fonds im Schweizer Jura lebende Jeanneret hatte dort bereits einige bemerkenswerte Villenbauten errichtet und sich seit 1914 beim Wiederaufbau zerstörter französischer Städte engagiert, indem er ein flexibles Standardgerüstmodul für Einzelhäuser konzipierte. Das Dom-Ino genannte Haus besteht aus drei Betontrageböden, die durch sechs leicht nach innen gesetzte Metallstützen getragen werden sollten. Um und in diesem Gerüst können Außenwände und Inneneinteilung flexibel je nach Bedürfnis angebracht werden. Dieses radikal reduzierte Architekturkonzept wurde der Ausgangspunkt des gesamten ‚modernen‘ architektonischen Werks von Le Corbusier seit den 20er Jahren. Nach seiner Übersiedlung nach Paris begann er zunächst zum einen in einem spätkubistischen Stil (sog. Purismus) zu malen, zum anderen seine publizistisch-theoretische Tätigkeit zu verstärken (vgl. S. 89). Die seit 1922 realisierten Wohnhausbauten zeichnen sich dadurch aus, dass sie die architektonischen Einzelelemente (Fenster, Türe, Dach usw.) gedanklich in ihre Einzelfunktionen zerlegen und neu und ungewöhnlich, teilweise auch ironisch neu kombinieren. Die Krönung der Villenbauten dieser Zeit bildet die Villa Savoye in Poissy
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westlich vor Paris, inmitten eines großen Wiesenterrains 1928 – 31 errichtet (□ 22). Der nahezu quadratische Baukörper besteht aus drei Ebenen, von denen die mittlere, weißfarbige, äußerlich einen flachen rechteckigen, von einem überlangen Bandfenster durchzogenen Block zu bilden scheint. Dieser erhebt sich auf regelmäßig gesetzten dünnen Stützen, hinter denen das Erdgeschoss mit der Garage und den Bedienstetenwohnungen zurückgesetzt ist. In der Außenansicht ist also das Urthema der Architektur, das anschaulich gestaltete Verhältnis von Tragen und □ 22 Poissy, Villa Savoye, Le Corbusier, 1928 – 31 Lasten an Hand einer tempelartigen, regelhaften Baugestalt assoziiert. Aber die Stützen sind viel zu schlank, das ‚Gebälk‘ viel zu mächtig, um stabiles Tragen zu evozieren: Das Obergeschoss, in dem sich der Wohnbereich befindet, schwebt gleichsam schwerelos über dem Terrain. Darüber steigen sich rundende Bauelemente ähnlich der Brücke eines Ozeandampfers auf. Die Anspielung auf den noblen Bautypus des Tempels wird ergänzt durch eine abwechslungsreiche und geradezu zeremoniöse Erschließung des Gebäudes, die ganz im Sinne der vom Architekten intendierten promenade architecturale eine Serie wechselnder Sinneseindrücke bietet. Man nähert sich der Villa mit dem Auto, umfährt sie, um am rückseitig gelegenen Haupteingang auszusteigen, durch eine Glaswand in das Foyer einzutreten, in dem den Besucher paradoxerweise ein wie eine Skulptur frei stehendes Waschbecken empfängt. Im Wohnbereich überschneiden und durchdringen sich die Innen- und Außenbereiche. Ein Teil der Wohnfläche ist als gartenartige Terrasse unter freiem Himmel gestaltet. Aber diese Terrasse ist unverkennbar geordnete künstliche Natur: Wie in einem Zimmer gibt es einen fest eingemauerten Tisch, und vor allem schneidet ein langes Mauerband in Höhe der Oberkante des Obergeschosses eine streifenartige Fensteröffnung aus der Raumbegrenzung der Terrasse. Durch dieses Fensterband erscheint die umgebende Natur in einem Panoramablick, wie als gerahmtes Bild einer unnahbaren kruden Natur, von der sich das geometrisch harmonisch gestaltete Freiluftambiente der Terrasse markant absetzt. In Deutschland schlug sich die neue, emphatisch bekannte Verantwortlichkeit der Architekten in verschiedenen Gruppierungen nieder: Gropius, Bruno und Max Taut, Otto Bartning und einige expressionistische Maler gründeten 1918 den Arbeitsrat für Kunst, in dessen Rahmen eine Reihe utopischer Entwürfe kristalliner Architekturen auf Ausstellungen präsentiert wurden. Ähnliche Protagonisten waren auch in der 1919 ins Leben gerufenen Gläsernen Kette tätig, einem geheimbundähnlichen Zirkel, in dem utopische Projekte kursierten. Der utopische Sozialismus und der übersteigerte esoterische Messianismus von Bruno Taut äußerte sich auch in einer Reihe von dessen Publikationen in dieser Zeit (vgl. S. 90), unterstützten aber seine schon vor dem Krieg mit der Gartenstadt Falken-
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berg bei Berlin begonnene Stellung als Architekt von Sozialwohnungen. Der Arbeitsrat für Kunst war auch der Ausgangspunkt des 1919 von Walter Gropius gegründeten Bauhauses. Die programmatische Zusammenführung aller Handwerke in der gemeinschaftlichen Errichtung eines „Bau[s] der Zukunft“ (Bauhaus-Programm, 1919) manifestierte sich in den ersten Jahren in einer heterogenen Zusammensetzung des Lehrpersonals, in dem etwa Georg Muche und Johannes Itten stark esoterisch und eskapistisch agierten. Elitismus und überschwängliche Utopie markierten auch hier den radikalen Neubeginn. Gropius’ bedeutendstes eigenes Werk in dieser Zeit ist das Haus für den hauptsächlichen Förderer des Bauhauses, den Unternehmer Adolf Sommerfeld. Das 1920/21 aus wiederverwendeten Schiffsplanken in Berlin-Steglitz errichtete Haus folgte in seinem weit vorkragenden Dach und der markanten Horizontalität klar dem Vorbild der prairie houses von Frank L. Wright |▶ 24|, die generell eine zentrale Inspirationsquelle der Moderne darstellten. Hier verwirklichte sich idealtypisch die vom Bauhaus erstrebte Gesamtschöpfung, denn für die Innenausstattung arbeiteten Josef Albers (Glasfenster) und Marcel Breuer (Mobiliar). Nach Misserfolgen architektonischer Experimente, Veränderungen der Personalstruktur und einer radikalen Neuorientierung wurde innerhalb des Bauhauses ab 1923 die Zusammenarbeit mit der Industrie entschiedener verfolgt. Gropius nahm mit einem konsequent als Rechteckrasterstruktur konzipierten Hochhausentwurf am Wettbewerb für einen Wolkenkratzer teil, den die „Chicago Tribune“ 1922 ausgelobt hatte. Auch entwickelte er ein System vielfältig kombinierbarer Kubenmodule für Wohnhäuser („Baukasten im Großen“, 1923). Dieses sich als streng rational, sachlich und gezielt unemotional verstehende Bausystem wurde konsequent weiter angewandt – für die Dessauer Bauten |▶ 31|, im Weiteren aber vor allem auch für den Massenwohnbau, in dem Gropius für die Siedlung Karlsruhe-Dammerstock ( Themenblock · Bauausstellungen, S. 235 f.) und die Reichsversuchssiedlung Haselhorst in Berlin (beide 1928 – 29) Scheibenwohnhochhäuser in Zeilenbauweise mit identisch ausgerichteten, also jeweils von gleicher Besonnung profitierenden Wohneinheiten entwarf |▶ 30|. Gropius’ Nachfolger als Leiter des Bauhauses wurde Hannes Meyer, auf ihn folgte 1930 Mies van der Rohe. Der Architekt hatte bis 1926 vor allem Villen in einem strengen klassizistischen Idiom errichtet, war aber seit 1920 mit radikalen Vorschlägen aufgefallen. Für Berlin entwarf er 1920/21 ein vollständig mit Glas umhülltes Hochhaus, dessen ondulierende Fassade einer effizient reduzierten Stahlkonstruktion aus Auslegerträgern vorgehängt ist. Bei den Entwürfen für ein Landhaus aus Backstein (1923) bzw. aus Stahlbeton (1924) handelt es sich um bungalowartige Strukturen, die aus orthogonal zueinander gesetzten Mauerzügen bestehen, die derart angeordnet sind, dass sie Innenräume nur noch andeuten. Eingeschnittene Fenster- und Türöffnungen gibt es nicht mehr. Als Mies 1926 auch zweiter Vorsitzender des Werkbundes wurde, konnten solche Entwürfe auch realisiert werden, zunächst für den Appartementblock auf der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, der bei größter Reduktion der architektonischen Gestaltungsmittel im Inneren eine flexible Raumeinteilung ermöglicht. Ganz aufgehoben von Gattungszwängen erscheint sodann sein Deutscher Pavillon für die Weltausstellung in Barcelona (|▶ 32|, □ vgl. 121): eine Orthogonalkomposition aus Rechteckflächen von unterschiedlichsten edlen Materialien wie Glas, Marmor, Wasser. In der Villa Tugendhat in Brno 1930 sind diese Konzeptionen des ‚fließenden Raumes‘ in ein bewohnbares Wohnhaus umgesetzt worden. Das
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am Hang liegende Haus wird vom Obergeschoss betreten und enthält im Hauptgeschoss einen riesigen, vollständig gegen den Garten geöffneten Raum, in dem über Wandstücke aus ausgesuchten Materialien Nutzungsinseln angedeutet werden. Der Essbereich etwa wird von einer halbrund geformten Wand aus Ebenholz ausgegrenzt. Vor allem in Deutschland verband sich der Utilitarismus der Internationalen Moderne – der sich dadurch legitimierte, dass diese ökonomisch rationalisiert, hygienisch und zur ‚Sachlichkeit‘ erziehend sei – mit dem Massenwohnungsbau |▶ 30|. Das gilt im Prinzip auch für den niederländischen und französischen Siedlungsbau. Hier wurde ein nachgerade revolutionäres Potential gesehen, bei dem erst die Anwendung moderner effizienter Techniken die perfekte Erfüllung elementarer menschlicher Bedürfnisse möglich macht. Die zu bewältigende diffizile Herausforderung an den Architekten und Stadtplaner war dabei, individuelle Ansprüche und Lebensformen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, der zudem auch möglichst klein – also wirtschaftlich sinnvoll – erschien. Die intelligente und erfindungsreiche Integration von adäquaten Raumeinteilungen, hygienischen Standards und modernem Komfort – etwa standardisiert hergestellten Einbauküchen (Frankfurter Küche) – musste aber in allen Optimierungskonzepten immer vom status quo ausgehen. Die unterschiedlichen Vorstellungen etwa eines Gropius und eines Ernst May auf dem CIAM-Kongress von 1929, ob ein finanziell optimiertes hohes Etagenwohnhaus oder standardisiert gefertigte Einzelhäuser in einer Siedlung die ultima ratio sein sollten, betraf zwar grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen vom Verhältnis zwischen rationalisierter Wohnungsproduktion und Mindeststandards der Wohnqualität. Doch keines der mit hohen politischen und finanziellen Investitionen verbundenen Modelle konnte auch nur eine mittelfristige Planungsperspektive einnehmen. Veränderung von Lebensmodellen oder der sozialen Struktur der Bewohnerschaft waren hier nicht vorgesehen. Man kann deswegen dem monofunktionalistischen Wohnungsbau der Weimarer Republik vorwerfen, dass er die soziale Frage prinzipiell vom falschen Ende angegangen habe, indem er einer Niedriglohnpolitik zuarbeitete. Dies setzte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort, wo der in der funktionalistischen Moderne erprobte Massenwohnbau in städtischen Randbereichen als Gegenmittel zu sozialer Misswirtschaft fungierte. In der westlichen Welt wurde somit die Rendite von Bauinvestitionen in großem Stil gesteigert, in den Planwirtschaften der sozialistischen Länder ein mangelnder Geldumlauf kompensiert. Anders stellt sich dies übrigens in Wien dar, das zwischen 1919 und 1934 sozialdemokratisch regiert wurde. Bodenerwerb und Mietpreisobergrenzen wurden staatlich kontrolliert, so dass im Inneren der Stadt ein sozialer Wohnungsbau entstand, mit dem immerhin 60 000 Einheiten neu geschaffen wurden. Das Ideal war nicht die Vorstadtsiedlung, sondern der dicht bebaute ‚Hof‘, der einerseits aufgrund seiner Lage in die städtische Textur eingebunden ist, andererseits eine eigene Infrastruktur mit Läden, Bädern und Kultureinrichtungen aufweist. Außerdem sind die meisten Höfe von bedeutender Höhe und Größe, umschließen zumeist einen gemeinsamen Innenhof und weisen Identität stiftende Bildprogramme auf, zumeist in Form von allegorischen Skulpturen. Den berühmtesten der Wohnhöfe des ‚Roten Wien‘ bildet der Riesenkomplex des Karl-Marx-Hofes, 1929 von Karl Ehn mit fast 1400 Wohnungen errichtet (□ 23). Er mutet mit seinen über die siebengeschossigen Wohnblöcke hoch aufragenden und mit Fahnenstangen bewehrten Treppentürmen wie eine mittelalterliche Festung an. Majestätische Rundbogenportale führen durch
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□ 23 Wien, Karl-Marx-Hof, Karl Ehn, 1929
die Wohnblöcke in das Innere der Anlage. Trotz des relativ niedrigen Ausstattungskomforts – Bäder fehlen in den meisten Appartments – wird in den Wiener Wohnhöfen eine sozialistische Klassenidentität durchaus verwirklicht, erobern doch solchermaßen monumentale Arbeiterburgen die Innenstadt. Im bolschewistischen Russland war das Bauen engstens mit dem revolutionären Impuls verbunden, der ja nichts weniger als eine ‚Umformung des Alltagslebens‘ und eine totale Kulturrevolution prätendierte. Der allumfassende Umsturz mit der Auflösung des Privateigentums und der Leibeigenschaft, einer totalen Kollektivierung und ‚Proletarisierung‘ der Künste verstand sich als revolutionäre Modernisierung und griff deswegen die Technikbegeisterung und den Antiakademismus der Moderne reflexhaft auf. So maß sich Vladimir Tatlins berühmter Turmentwurf für die III. Internationale (1921) als kühne, unrealisierbare Konstruktion klar am Eiffelturm. In einer den Fortschritt symbolisierenden, sich kegelförmig verjüngenden Doppelspirale von 400 m Höhe waren in verschiedenen Geschwindigkeiten rotierende Gehäuse für Institutionen der Internationale aufgehängt. Vladimir Shuchov, ein begnadeter Ingenieur, realisierte eine vergleichbare Konstruktion in dem Shabolovka-Radioturm in Moskau (1922), einer äußerst grazilen Stahlnetzkonstruktion von 150 m Höhe. Vor allem aber der Entwurf für einen Arbeitspalast der Brüder Alexander, Leonid und Viktor Vesnin 1923 markierte – als radikale Abgrenzung von einer zaristisch-historistischen Bauweise – den Beginn einer frühsowjetischen Moderne, die zeitgleich mit Gropius, Le Corbusier und De Stijl klare geometrische Strukturen stark kontrastierend gegeneinanderstellt, im Fall des Arbeitspalastes in Form eines gigantischen Wolkenkratzers und eines monumentalen Kongresssaales auf ovalem Grundriss. Eine monumentale Realisierung fanden derartige Konzepte in dem 1929 begonnenen Gasprom-Baukomplex in Charkiv (Ukraine) von Samuil Krawetz, Mark Felger und Sergey
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Serafimow: Die hohen Stahlbetonblöcke sind untereinander durch Brückenpassagen in den oberen Geschossen verbunden. Das lässt monumentale Toreffekte und in der Silhouette die Wirkung von amerikanischen Wolkenkratzer-Skylines entstehen. Der Theorie von Moisey Ginzburg zufolge setzte sich diese als ‚Konstruktivismus‘ bezeichnete Architektur in ihrer konsequenten Beachtung industrieller Planungsmethoden zur Schaffung der Rahmenbedingungen des ‚neuen Lebens‘ im Sozialismus von der westlichen Moderne ab (Post 2004, 74 – 87). Nach dem Ende des Bürgerkriegs und einer gewissen wirtschaftlichen Konsolidierung wurde dies nach 1925 vor allem von den VChUTEMAS, auf universelle Fertigkeiten ausgerichtete, dem Bauhaus vergleichbare Kunsthochschulen, vermittelt und auf eine Reihe von völlig neuen Bautypen angewandt, insbesondere proletarische Kultureinrichtungen wie Arbeiterklubs, Volkshäuser, Volkspaläste und Arbeitspaläste. Der Zuyev-Klub der Kommunalarbeiter in Moskau (Ilya A. Golosov und Konstantin Melnikov, 1927 – 30) beherbergt in einem durch große Rechteckfenster geöffneten Block einen Veranstaltungssaal; ein großer Glaszylinder ist als Treppenhaus in den Block eingeschoben. Beim Rusakov-Klub (Melnikov, 1927 – 30) steigt die Baumasse der Zuschauersäle über einem dreieckigen Grundriss nach oben und kragt am breiten Ende in drei Baukörpern zwischen Glasschlitzen über die Straße. Der revolutionäre Impetus schloss nicht aus, westliche Architektenstars zu verpflichten: So errichtete Erich Mendelsohn 1926 eine große Werkhalle bei Leningrad/St. Petersburg. Zahlreiche Vertreter der Internationalen Moderne, unter anderen Hannes Meyer und Le Corbusier, beteiligten sich 1931 am Wettbewerb für den Sowjetpalast, aus dem schließlich 1934 Boris Iofans späthistoristischer Entwurf eines monumentalen Wolkenkratzers mit einer riesigen Leninstatue als Sieger hervorging (□ vgl. 25). Le Corbusier konnte immerhin ab 1928 den Centrosoyuz-Palast, den Sitz des Zentralverbandes der Konsumgenossenschaften in Moskau, entwerfen. Die Realisierung des aufgeständerten Beton-Glas-Gebäudes wurde allerdings durch den eklatanten Mangel an Rohstoffen verhindert. Generell stieß sich der revolutionäre Impuls an einer technologischen und ökonomischen Rückständigkeit des Riesenreichs, die nur durch eine massive Industrialisierung zu beseitigen war. So wurden Modelle von Massenwohnbauten mit extrem hoher Verdichtung kleiner Wohnungen mit Gemeinschaftseinrichtungen entwickelt. Das Moskauer Narkofimgebäude von Ginzburg (1927 – 30, □ 24), ein langer, horizontaler aufgeständerter Wohnblock für Mitarbeiter des Volkskommissariats für Finanzen, enthält zahlreiche unterschiedliche, meist kleine Familienwohnungen, teilweise als Maisonette. Gemäß dem neu erprobten Konzept der Kommunehäuser gab es ein Nebengebäude für die Gemeinschaftseinrichtungen wie Kantine und Sporthalle. Klar sind hier Konzepte von Le Corbusier |▶ 27, 37| vorweggenommen, von denen dieser sich auch direkt inspirieren ließ. Vor allem mit dem ersten ab 1928 umgesetzten □ 24 Moskau, ehem. Narkofimgebäude, Moisey Ginzburg, 1927 – 30
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□ 25 Moskau, Palast der Sowjets, Entwurf von Boris Iofan, 1934
Fünfjahresplan mit dem energischen Ausbau der Schwerindustrie bestand die Aufgabe, neue Städte für Millionen von Arbeitern zu planen und zu verwirklichen. Hierbei nahm der 1930 aus Frankfurt/M. abgeworbene Ernst May eine zentrale Rolle ein, besaß er doch intensive Erfahrungen in der Anwendung zonierten Städtebaus und rationalisierter Standardbauweisen im Wohnungsbau |▶ 30|. May konzipierte als oberste Planungsinstanz bis 1932 den großmaßstäblichen Bau zahlreicher neuer Städte wie Magnitogorsk, Stalingrad und Novosibirsk. Sein Idealkonzept waren flexibel erweiterbare Bandstädte, in denen die Nähe zur Arbeitsstätte und eine weitgehende Vergesellschaftung des Alltagslebens durch Großküchen, Großkinderhorte u. Ä. die essentiellen Merkmale darstellten. Die Wohnhäuser bildeten einfach hergestellte zwei- bis viergeschossige Typenhäuser. Angesichts der Unvereinbarkeit von modernen industriellen Bauformen und rückständiger Produktion sowie der Schwierigkeit, Millionen von Menschen über konstruktivistische Kunstkonzepte zum neuen sozialistischen Leben zu erziehen, aber auch in Folge einer massiven Lobbyarbeit konservativer Strömungen und einer internationalen Infragestellung der Moderne, schließlich auch aufgrund der Ablösung einer staatlichen Planwirtschaft durch eine Kommandowirtschaft setzte seit 1932 eine massive Umstrukturierung der Kulturpolitik ein. An die Stelle einer radikal unhistorischen, vielfach seriell konzipierten Architektur, die das Ideal einer völlig neuen, egalitären Gesellschaft baulich umsetzten sollte, trat nunmehr eine monumentale klassizistische Architektur, welche, als ‚sozialistischer Realismus‘ proklamiert, allenthalben den heroischen Sieg des stalinistischen Systems und die Bedeutsamkeit seiner Nomenklatura vor Augen stellen sollte (□ vgl. 25). Dies ging einher mit einer schlagartigen Diffamierung und Verfolgung der Internationalen Moderne, der
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vorgeworfen wurde, rückständig und technisch qualitätslos zu sein, bloße ‚Schrott-Kästen‘ zu produzieren und insofern das ‚formalistische‘ Bauen des Kapitalismus zu übernehmen. Die ausländischen Architekten mussten überstürzt das Land verlassen, konnten vielfach, wie etwa Ernst May, wegen der nationalsozialistischen Verfolgung aber nicht in ihre Heimatländer zurückkehren.
Alternativen der Moderne Pluralismus der Baustile
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ie vorgenannten Architekturauffassungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die Frage, wie Architektur im 20. Jh. kommunizieren kann, grundsätzlich hinterfragen. Elementare Raumgefüge, kubisch-orthogonale Ordnungssysteme und die dezidierte Reduktion von Formen rechnen mit einem Bewohner oder Benutzer, der sich aufgrund elementarer anthropologischer Faktoren beschreiben und typisieren lässt. Diese klare, ‚aufrichtige‘ Sachlichkeit ist Ausdruck eines unsentimentalen Bewältigens und Begreifens der Moderne. Der ‚neue Mensch‘, wie er häufig genannt wurde, sollte seine (gebaute) Umgebung mit einer geläuterten Emotionalität wahrnehmen, doch begleitete diese Avantgardearchitektur von Anfang an der Vorwurf von atmosphärischer Kälte, schlechter Nutzbarkeit und Menschenverachtung. Diesem Vorwurf nicht entschieden genug begegnet zu sein, wird eine späte Erkenntnis mancher Protagonisten des Neuen Bauens, wie etwa von Gropius, der erst am Anfang seiner Lehrtätigkeit in Harvard 1937 das Thema reflektiert. Jedenfalls wurde die Kritik daran, dass das Neue Bauen den Menschen vor sich selbst entfremde, zu dem Grundtenor der konservativen Architekturkritik in allen Ländern, ein Grundtenor, der in Deutschland durch die Nationalsozialisten rassistisch gesteigert wurde, während der Stalinismus seit 1932/34 vergleichbare Kriterien als Imperialismuskritik verstand. Weitaus nicht alle modernen Architekten haben den radikalen Schnitt mit der Vergangenheit geteilt, sondern etwa versucht, architektonische Urformen des gesamten Bauens der Welt in ihrer Wirkqualität zu steigern. Hans Poelzig beispielsweise gestaltete sein Großes Schauspielhaus in Berlin (1919) als einen riesigen Kuppelbau, in dessen Schale Tausende von stalaktitenähnlichen Tropfenformen herabhingen; farbiges Licht umspielte diese künstliche Höhle, auch die palmenartig sich in die Gewölbe schmiegenden Pfeiler schimmerten in bunten Lichteffekten. Diese expressionistischen Architekturen sollte Poelzig zu monumentalen Bauten weiterentwickeln, in denen Materialoberflächen und leicht geschwungene Baukörper – etwa im Frankfurter IG-Farben-Gebäude (mit Travertin-Verkleidung, |▶ 32|) oder dem Rundfunkgebäude in Berlin mit dunkelroter Backsteinhaut (1928 – 30) – eine Belebung vermitteln, die von Poelzig als „Raumorchester“ (Rede „Der Architekt“, 1931) verstanden wurde und gegen die Technokratie der Internationalen Moderne gerichtet war. Ähnliche Übersteigerungen der Materialeffekte finden sich im Werk von Fritz Höger, der seinem Hamburger Kontorhaus (Chilehaus, 1923) eine regional typische Backsteinhaut gab und über eine gezackte Dachkontur spitze bugartige Silhouetten entstehen ließ. Im Werk von Hugo Häring und Hans Scharoun werden schwellende,
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abgerundete bzw. nicht rechteckig organisierte Grund- und Aufrissformen als Ergebnis einer komplexen, „organhaften“ (Häring) Funktionalität verstanden |▶ 31|. Scharoun, der in seinem Werk der 20er Jahre den dynamischen Impuls seiner Bauten auch als naturhaftes ‚Verschlingen‘ verstehen konnte, interpretierte Architektur mehr und mehr als eine vielfältig gestaltete Landschaft, was sich bis hin zu seinen Berliner Großbauten der Nachkriegszeit, der Philharmonie (1960 – 63) und der Staatsbibliothek (1964 – 78), fortsetzen sollte. Besonders Erich Mendelsohn begriff eine von starken Schatteneffekten gegliederte Bauform als energisch gestaltete, skulpturale Masse. In der Nachfolge der abstrakten Plastiken eines Hermann Obrist wurde sein Potsdamer Einsteinturm (1920 – 21, □ 26), ein Observatorium zur Lichtmessung, ein mit tiefen Kerben eingeschnittenes, organisches Gebilde, das keine geraden Kanten kennt |▶ 29|. Konsequent nehmen die weiteren Architekturen Mendelsohns Abschied von auf statische Betrachtung berechneten Fassaden. Die zahlreichen Verwaltungs- und Kaufhäuser (Mossehaus in Berlin, 1921 – 23; Kaufhaus Petersdorf in Breslau 1927/28, Kaufhaus Schocken in Chemnitz, 1927 – 30 (□ 27), Columbushaus am Potsdamer Platz in Berlin, 1931/32), inmitten der umtriebigen Stadtzentren errichtet, sind horizontal aus Fensterund Mauerbändern geschichtete Kompositionen, die sich dynamisch bewegt um bugartig gerundete Ecken oder Treppenhausexedren biegen. Daneben gibt es einen monumentalen Klassizismus, der zwar auf historistische Stilzitate verzichtet, aber intendiert, natürliche Materialien mit archetypisch reduzierten alten Motiven zu verbinden: Paul Bonatz’ zusammen mit Friedrich Eugen Scholer errichteter Stuttgarter Hauptbahnhof (1912 – 28) ist hierfür ein Hauptbeispiel: Die überlange, mit rauer Rustika umhüllte Empfangshalle wird durch hohe Eingangspavillons gegliedert, die sich in Rundbögen öffnen. Ähnliche Konzepte vertrat auch Wilhelm Kreis (Tonhalle Düsseldorf 1925/26 als überkuppelter Zentralbau über schlitzartigen Arkaden). Doch kannten sowohl Bo-
□ 26 Potsdam, Einsteinturm, Erich Mendel- sohn, 1920 – 21
□ 27 Chemnitz, ehem. Kaufhaus Schocken, Erich Mendelsohn, 1927 – 30
Alternativen der Moderne
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natz als auch Kreis andere Ausdrucksformen: Das Stummhaus in Düsseldorf von Bonatz (1922 – 24) ist ein backsteinverkleidetes Turmhaus mit ausgeprägtem Vertikalismus, und Kreis’ Dresdener Hygienemuseum erinnert typologisch eher an einen Palast, ist allerdings in schlichten kubischen Formen formuliert. – Vor allem in Frankreich diente eine klassizistische Spielart der Moderne, deren Hauptvertreter Auguste Perret war |▶ 25|, dazu, eine angeblich uralte französische Tradition rationaler Klarheit auch mit Hilfe von modernen Bautechniken in Gegenwart und Zukunft wirksam zu halten. Bauten wie das Etagenwohnhaus in der Rue Raynouard (1932), das Mobilier national (1935) oder das Musée des Travaux publiques (1936, heute: Conseil social et économique) setzten die Ansätze Perrets aus der Vorkriegszeit fort, die rektanguläre Skelettstruktur der Stahlbetontechnik als Grundlage einer fein reliefierten – und auch Säulen nicht ausschließenden – Rechteckkomposition zu verstehen. Es war dies der Versuch, Schnelllebigkeit und Internationalisierung innerhalb der modernen Welt mit der Vorstellung abzuwenden, es gebe unabänderliche nationale Traditionen. In den skandinavischen Ländern entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg zunächst eine Moderne, die die dortigen klassizistischen Traditionen der Zeit nach 1800 (Christian Frederick Hansen in Dänemark, Carl Ludwig Engel in Finnland) aufgriff und etwa in Asplunds Stockholmer Bibliothek |▶ 26| oder Alvar Aaltos Bibliothek in Viipuri (1927 – 35) ihre herausragenden Realisierungen fand. Um 1930 wurden die Möglichkeiten von Stahlbetonkonstruktionen mit ihren klaren Formen in eine besondere Art des ‚organischen‘ Bauens umgesetzt, die menschlichen Bewegungen sowie den Wahrnehmungen von Materialien und Licht besondere Aufmerksamkeit schenkt. Aaltos Tuberkulose-Sanatorium in Paimio (1929 – 32) nutzt die Typologie der Hochhausscheibe, um jedes Krankenzimmer intensiv mit Frischluft und Licht zu versorgen, achtet aber auch im Inneren auf wohltuende Ausgestaltung wie etwa blendungsfreie Deckentönungen. In der Villa Mairea in Noormarkku, (1937 – 39) übernahm der Architekt Anregungen von Wrights Falling-Water-Haus |▶ 36| und schuf eine L-förmige Hausanlage, an die sich ein winkelförmiger Saunatrakt anschließt. In den teilweise über kurvigen Grundrissen angelegten Innenräumen dominiert Naturstein, Backstein und vor allem Holz, so dass eine Wohnlandschaft entsteht. Hier finden sich, vergleichbar mit den Bauten eines Hugo Häring oder Hans Scharoun |▶ 31|, die Ansätze eines ökologischen Bewusstseins, das im physiologischen Erleben des Wohnens über die Forderungen einer rationalen Optimierung von Grundrissen hinausgeht. Das Bauen in den USA zur Zwischenkriegszeit wurde vor allem durch eine neu sich entwickelnde Ästhetik der Wolkenkratzer bestimmt. Seit der New Yorker Bauordnung von 1916 mussten Hochhäuser über dem zwölften Geschoss Rücksprünge aufweisen, um ein Minimum an Lichteinfall zwischen den Bauten zu gewährleisten. In Verbindung mit der wirtschaftlichen Hochkonjunktur in den 20er Jahren und der technischen Herausforderung, so hoch wie möglich zu bauen, entstanden zahlreiche phantasievoll ausgestaltete Hochhausbauten. Nunmehr waren es nicht mehr klassische Motive der Fassadengliederung: Erinnerte der aus einem international beachteten Wettbewerb hervorgegangene Chicago Tribune Tower von Raymond Hood und John Mead Howells (1922 – 25) an neugotische Türme mit Strebewerk im oberen Abschluss, so erscheint im New Yorker Radiator Building von Raymond Hood ein ähnlicher Vertikalismus. Allerdings verschmel-
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zen die dunklen Fensteröffnungen mit der schwarzen Verkleidung des Hauses, der effektvoll goldfarbene Spitzen kontrastiert sind. Den bekanntesten dieser Art-déco-Wolkenkratzer bildet das Chrysler Building (William van Alen, 1928 – 30) mit seiner kurzfristigen Weltrekordhöhe von 319 m. Die markante Pyramidenspitze aus sich auftürmenden, edelstahlverkleideten Halbkreisscheiben geht überein mit überraschenden Kragfiguren am Turmschaft: Die Wasserspeiern ähnlichen Gebilde orientieren sich an Kühlerfiguren. Insofern stellt das gezielt auffällige Gebäude eine frühe Realisierung von branded architecture dar, damals als ‚Werbe-Architektur‘ für den Automobilhersteller bezeichnet. Wenige Monate später, 1931, wurde der Wolkenkratzer durch das Empire State Building (Richard H. Shreve, William Lamb u. Arthur Loomis Harmon, |□ 28|) übertroffen, das inklusive der nicht benutzten Zeppelin-Andockstation auf der Spitze 381 m erreicht. Es handelte sich um eine technische Höchstleistung auch hinsichtlich der Logistik und Innentechnik (Fahrstühle, Klimatisierung), so dass das Gebäude nicht ohne Grund als achtes Weltwunder bezeichnet wurde und als spektakuläre Filmkulisse (King Kong, 1933) diente. Zwar ist das Innere wie im Fall des Chrysler Building opulent im Art déco ausgestaltet, von außen erscheint die Architektur aber in kühler Eleganz, denn die □ 28 New York, Empire State Building, Richard H. Shreve, Kalksteinverkleidung ist vertikal von rahmenWilliam Lamb u. Arthur Loomis Harmon, 1929 – 31 den Chromnickelstreifen eingefasst und die Fenster alternieren vertikal mit abgestrahlten Aluminiumplatten. Zur gleichen Zeit schuf Raymond Hood, der schon den Chicago Tribune Tower und das Radiator Building errichtet hatte, mit dem New Yorker Daily News Building den ersten ‚sachlichen‘ Wolkenkratzer. Das schlichte Scheibenhaus (slab) verzichtet auf die nach oben ragende Spitze und jedes Bauornament, hüllt die Fenster vielmehr mit einer dichten Abfolge vertikaler spornartiger Streifen ein. Derartige abstrahierende Idiome setzten sich im schlank aufragenden RCA Tower des Rockefeller Centers in New York fort. Das hier entstandene Ensemble aus 14 Hochhäusern, als private Investition von John Rockefeller jr. inmitten der Weltwirtschaftskrise 1933 – 40 ausgeführt, schuf – wiederum unter wesentlicher Planungsarbeit von Raymond Hood – eine Stadt in der Stadt, mit Sportanlagen, Restaurants, Gärten, einer Eislaufbahn und einer riesigen Konzerthalle. All das staffelt sich auch in der Höhe,
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weil die Flachdächer zu benutzbaren Flächen werden. Der Wolkenkratzer, bislang ein monofunktionaler Solitär, erhielt somit einen öffentlichen Umraum als vielfältigem Ort von Kommunikation. Solche Entwicklungen waren allerdings nicht staatlicher Initiative, sondern einer großmaßstäblich agierenden gesellschaftlichen Verantwortung eines privaten Sponsors geschuldet.
Bauen in Diktaturen Architektur als Teil des Totalitarismus
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enito Mussolini wurde in den Architektenkreisen ganz Europas weithin verehrt, denn durch die Gründung von Architekturschulen in Venedig, Turin, Florenz und Mailand während der 20er Jahre schien nunmehr die Bedeutung des Bauens als Kunst auch institutionell gegenüber den Ingenieuren ( Themenblock · Architektenausbildung, S. 145 f.) abgesichert und konnte im revolutionären Aufbruchspathos des Faschismus eine herausgehobene Position reklamieren. Die Betonung einer angeblichen italianità, auf der das faschistische System Mussolinis wesentlich beruhte, wurde von der Rationalistengruppe so verstanden, dass sich in dem auf elementaren Formen beruhenden Architekturidiom (etwa eines Le Corbusier) in Wirklichkeit ein mediterraner Geist ausdrücke, der insbesondere in Italien als neuer Stil wieder aufleben müsse. Obwohl sich die Bewegung landesweit zum Movimento Italiano per l’Architettura Razionale (MIAR) unter ihren Leitfiguren Giuseppe Terragni und Adalberto Libera zusammenschloss, mehrere Ausstellungen organisierte und mit der Casa del Fascio in Como programmatisch faschistische Bauten verwirklichte |▶ 34|, konnte sie sich im Konzert der sich dem Duce anbiedernden Gruppierungen nicht durchsetzen. Architekten hatten sich, um Erfolg zu haben, in das korporatistische Gesellschaftssystem einzufügen, also dem Architektensyndikat beizutreten. Das institutionelle System der Architektur im Faschismus wurde von dem römischen Architekturprofessor Marcello Piacentini dominiert, der insgesamt aber versuchte, integrativ zu wirken, indem er verschiedene Formsprachen, selbst diejenigen der Rationalisten, bei Gemeinschaftswerken wie etwa der Città Universitaria in Rom (1932 – 35) zuließ. Eine Erneuerungskampagne der italienischen Bahnhöfe hatte eine Reihe von puristischen Neubauten zu Folge, die ohne historistische Anklänge in klaren kubischen Formen gestaltet sind (Hauptbahnhof von Florenz, 1933 – 35, Giovanni Michelucci). Ebensolches gilt für manche Einsendung für den Wettbewerb des Palazzo del Littorio, eine monumentale Gedenk- und Feierstätte für den Faschismus auf dem Gelände des Forum Romanum, der 1934 ausgelobt wurde. Insgesamt wurde ein allgegenwärtiger Vergleich von Mussolinis System mit der römischen Antike die ideologische Grundlage des Bauens. Dies schlug sich vor allem in der Freistellung antiker Monumente in Rom und dem Durchschlagen großer Aufmarschachsen an den antiken Hauptorten nieder: Die Via dell’Impero führt an den Kaiserforen vorbei, die Via della Conciliazione öffnete die (schon lange zuvor geplante) Verbindung zwischen Petersdom und Engelsburg. Die Verpflichtung auf romanità wurde vor allem auch in dem Weltausstellungsgelände südlich von Rom deutlich (E42 oder EUR). Entlang breiter, sich lotrecht schneidender Achsen stehen
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61 □ 29 Rom, Esposizione universale di Roma, ehem. Palazzo della Civiltà Italiana, Ernesto Bruno La Padula u. a., 1938 – 43
programmatische Ausstellungsgebäude, die insgesamt den Aufstieg der Zivilisation ausdrücken sollen. Ernesto Bruno La Padula errichtete einen mächtigen, glattflächigen Block als Palazzo della Civiltà Italiana, dessen Wände durch monotone Reihen von wie ausgestanzt erscheinenden Rundbögen, vage an das Colosseum erinnernd, geöffnet sind (□ 29). Die Klarheit des ornamentlosen Kubus sollte das Gebäude aber ebenfalls mit der Internationalen Moderne verbinden. Wie an vielen italienischen Gebäuden dieser Epoche zeigt sich die Intention, eine mythische Vergangenheit mit emphatischer Zukunftserwartung als von allen Architekten unisono geteilte faschistische Botschaft zu verbinden. Anders als in Italien verstand sich die Architektur im nationalsozialistischen Deutschland als Erfüllung einer massiven antimodernen Polemik, die in erstaunlich weiten Kreisen schon seit den 20er Jahren kursierte. Paul Schultze-Naumburg, Paul Schmitthenner, Karl Willy Straub und viele andere schmähten die Internationale Moderne ob ihres ‚undeutschen‘ Charakters und ihres ‚formalistischen‘ Spiels mir Rechtecken, ihres nur vorgeblichen Insistierens auf perfekter Funktionserfüllung. Was vor 1933 noch als politisch unterfütterte Eifersucht gegenüber einer publizistisch sehr präsenten modernen Architektur gelten konnte, schlug mit der Machtübernahme Hitlers in die ersehnte Erfüllung einer Prophetie um: eine neu errichtete ‚völkische‘ Einheit in allen Bereichen. Die Gleichschaltung aller Publikationsorgane, Fachinstitutionen und Hochschulen erfolgte binnen weniger Monate. Gleichwohl beteiligten sich gerade etablierte Architekten der Moderne weiter an Staatsaufträgen, wie etwa Mies mit seinem Entwurf für den Erweiterungsbau des Reichsbankgebäudes in Berlin. Spätestens 1938 waren zahlreiche Vertreter der Moderne zum Exil gezwungen, so Erich Mendelsohn, Bruno Taut, Walter Gropius, Mies van der Rohe, Ernst May, Adolf Rading. Andere, etwa Hans Scharoun, Otto Haesler oder die Brüder Luckhardt waren von größeren Aufträgen ausgeschlossen. Wie in den anderen Diktaturen des 20. Jh.s wurde auch im nationalsozialistischen Deutschland der Staat zu einem Bauträger von bislang unbekannter Größenordnung. Die gigantischen Summen, die hierbei verausgabt wurden, sollten aber nur im Nebeneffekt Wirtschaft, Verkehr und Wohnsituation verbessern. Dies gilt selbst für den Autobahnbau durch die Organisation
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Todt, der nicht eigentlich der damals kaum entwickelten individuellen Mobilität bzw. dem Güterverkehr diente, sondern vielmehr militärischen Zwecken sowie dem erhabenen Erlebnis ‚deutscher Landschaft‘. Die zahlreichen, wirtschaftlich unsinnigen Aufmarsch- und Repräsentationsbauten des Regimes verstanden sich als Vorführung einer angeblichen nationalen Einheit, so wie das früher die Tempel und Dome getan hätten. Daraus erklärt sich auch, warum die Großbauten in fast allen Fällen mit Naturstein verkleidet und in vereinfachten klassizistischen Formen errichtet sind: Das verlieh ihnen die erhabene und dauerhafte Aura antiker Architekturen, die gleichsam in erneuerter und vergrößerter Form neu erstehen |▶ 35|. Gezielt wurde der Entstehungsprozess dieser Architekturen publizistisch herausgestellt: als beständiger Schöpfungsprozess, für den letztlich der verhinderte Künstler Hitler selbst verantwortlich und für dessen Realisierung selbst Terror und Vernichtung nötig seien. Programmatisch dafür steht bereits das erste Großprojekt, das nach Plänen von Paul Ludwig Troost 1933 begonnene und 1937 eingeweihte Haus der Kunst in München. Mit seiner langen Kolonnadenvorhalle erinnert es ebenso an griechische Tempel wie an Schinkels Altes Museum |▶ 4|. Der klassizistische Königsplatz in München |▶ 5| wurde auf seiner Ostseite ebenfalls mit zwei ‚Ehrentempeln‘ und der Parteizentrale der NSDAP (Paul Ludwig Troost) ergänzt, somit zum ‚Parteiforum‘ umfunktioniert. Vergleichbare Foren als zentrale Orte der Propaganda waren für alle Gauhauptstädte geplant (verwirklicht in Weimar), München sollte zudem durch eine Ost-West-Achse und einen riesigen neuen Bahnhof erweitert werden. Berlin als Hauptstadt sollte weitgehend urbanistisch neu gegliedert werden, vor allem durch die Anlage einer 7 km langen, immerhin in Ansätzen verwirklichten Nord-Süd-Achse |▶ 35|. Dieser massive städtebauliche Eingriff übersteigerte bewusst Haussmanns Pariser Stadtregulierung |▶ 12| ebenso wie Mussolinis Monumentalachsen im historischen Zentrum Roms. Ebenfalls Bezüge zum französischen Klassizismus wies die Neue Reichskanzlei von Albert Speer auf (1938 – 43): Eine Anspielung auf die Spiegelgalerie des Versailler Schlosses sollte das Übertrumpfen der Kulturnation Frankreich vorführen. Der Inszenierung pseudomythischer Einheit dienten des Weiteren Assoziationen zum Mittelalter, wie dies in der Errichtung von sog. Ordensburgen und Thingstätten sowie dem Umbau der Stiftskirchen von Braunschweig und Quedlinburg als Feierstätten nationalsozialistischer Institutionen deutlich wird. Der Kontrast zur Baupolitik der Weimarer Republik zeigt sich in mehrfacher Hinsicht, denn diese hatte nur wenige repräsentative Staatsbauten errichtet, dafür aber den Massenwohnbau gefördert. Dieser wurde unter den Nationalsozialisten zwar fortgesetzt, aber dafür kaum mehr öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt und der Ausstattungskomfort der meist schlichten Einzelhäuser radikal abgesenkt. Der hier wirkende antiurbane Reflex machte sich auch gestalterisch bemerkbar, denn allenthalben folgten diese nicht repräsentativen Architekturen regionalistischen Modellen oder der Reformarchitektur um 1910 |▶ 22|. Im nachrevolutionären Russland bzw. der Sowjetunion verstand sich die Avantgardebewegung der Konstruktivisten ähnlich wie der italienische razionalismo als programmatische Unterstützung des neuen diktatorischen Systems; in beiden Ländern trat dagegen aber auch eine gewichtige traditionalistische Strömung mit dem Anspruch auf, den überhistorischen Gehalt der Revolution in ewig dauerhafte klassische Formen umzusetzen. In Russland zeugt etwa die Moskauer Leninbibliothek (beg. 1928, Vladimir Tshuko u. Vladimir Gelfreich) davon. Die energischen Debatten und Polemiken zwischen den Fraktionen (OSA ‚Organi-
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sation zeitgenössischer Architekten‘ vs. VOPRA ‚Allunionsverband proletarischer Architekten‘) wurden durch die staatliche Verpflichtung auf einen monumentalen ‚sozialistischen Realismus‘ seit 1932 zugunsten der Vertreter akademischer Idiome entschieden, und zwar im Rahmen des Wettbewerbs für den Sowjetpalast im Zentrum von Moskau, in dessen Planung Stalin selbst eingegriffen hatte. Mit der Entscheidung für das gigantische, von einer riesigen Leninstatue bekrönte, nie über die Fundamentierung hinausgekommene Projekt von Boris Iofan (□ vgl. 25) äußerte sich die Sowjetunion architektonisch in einer auf kolossale Dimensionen gesteigerten klassisch-vitruvianischen Architektur, die fallweise Referenzen auf die Antike, die Renaissance, den Barock und den Klassizismus integrieren konnte. 1932 wurden zudem die Interessenvertretungen und Fachverbände gleichgeschaltet, 1933 die Allrussische Architekturakademie (VAA) als oberste Fachinstanz gegründet, Stalin selbst musste repräsentative Bauwerke genehmigen. Insofern ist der landläufig verwendete Terminus „stalinistische Architektur“ durchaus gerechtfertigt, verbindet sich dieses Idiom doch mit der Periode des Personenkults um Stalin und eines gnadenlosen und verlustreichen Terrors gegen (angeblich) Andersdenkende, der jede Architekturdebatte erstickte. Erst Chrustshov gebot diesen Auswüchsen nach dem Tod des Diktators 1953 ebenso Einhalt wie dem unsinnig verschwenderischen ‚Zuckerbäckerstil‘. Die monumentalen Entwürfe der 30er Jahre entstanden meist im Zusammenhang anspruchsvoller programmatischer Staatsbauten, so außer für den Sowjetpalast etwa für das Volkskommissariat für Schwerindustrie in Moskau oder den Rat des Zentralkomitees in Kiew. Verwirklichte Beispiele für die frühe stalinistische Architektur sind etwa das Theater der Sowjetarmee in Moskau (1934, Vladmir Simbirzev u. Karo Alabyan) – auf dessen Bühne Panzer einfahren konnten! –, das STO-Gebäude für den Arbeiter- und Verteidigungsrat in Moskau (1935, Arkadi Langman) und das Hotel Moskva in Moskau (1936, Alexej Shchusev). Die stalinistische Architektur hatte vor allem auch wesentliche Auswirkungen auf Grundprinzipien des Städtebaus, die vor allem für den 1935 vorgelegten Ausbauplan Moskaus, der neuen Hauptstadt des Reiches, zu ersehen sind. Das historische Zentrum sollte erhalten werden, aber mit monumentalen Gebäuden wie etwa dem Sowjetpalast als neuem Fluchtpunkt neu strukturiert werden. Radial und ringförmig angelegte Straßenachsen gewaltigen Ausmaßes erschließen diesen zentralen Bereich auch für Massenaufmärsche und Paraden. Um die Kernstadt legen sich Wohnviertel und Grüngürtel. Der Ausbau des Straßennetzes wurde durch denjenigen des Wasserstraßennetzes ergänzt; die Hauptstadt war insofern vermittels Kanälen mit fünf Meeren verbunden. Der Moskauer Umbauplan übernahm Stadtregulierungskonzepte, wie sie etwa Haussmann für Paris in der Mitte des 19. Jh.s angewandt hatte |▶ 12|, und stellte insoweit eine klare Gegenposition gegen die 1933 mit der Charta von Athen entwickelten Konzepte der Internationalen Moderne |▶ 37| dar. Allerdings wurde der Plan nur teilweise verwirklicht, vor allem deshalb, weil mit dem deutschen Angriff auf Russland die Bauarbeiten eingestellt wurden. Im Zusammenhang mit dem Ausbau Moskaus wurde auch mit dem bereits länger geplanten Bau der Metro begonnen, deren Anspruch es war, die Ausstattung der stalinistischen Hauptstadt mit sozialistischen Palästen auch unterirdisch fortzusetzen. So sind die Bahnsteighallen als neubarocke Galerien angelegt und vermitteln über reliefierte oder mosaizierte Bildzyklen alltäglich und unausweichlich stalinistische Propaganda. In der Station Komsomolskaya (1952, A. Shchusev und Pavel Korin) steigt die Bahnsteighalle in einer hohen Tonne auf, von der Kronleuchter herabhängen.
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Neuanfänge und Kontinuitäten nach 1945 Wiederaufbau und Kritik der Moderne
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er weltumspannende Krieg in der Mitte des 20. Jh.s hatte immense politische und wirtschaftliche Folgen nicht nur für die von Zerstörung betroffenen Gebiete und Staaten. In diesen boten sich aufgrund der durch den Bombenkrieg entstandenen tabula rasa in den Innenstädten die Möglichkeiten großzügigen Experimentierens. Konsequenter und zügiger Wiederaufbau, wie etwa der Innenstadt von Warschau, stand der Anwendung neuer Planungs- und Baukonzepte im Sinne aufgelockerter, zonierter Stadtlandschaften gegenüber: Scharouns Kollektivplan für Berlin 1946 hat klare Vorläufer im Londoner Stadtentwicklungskonzept der Gruppe Modern Architecture Research Society und Parallelen in den Neubauplänen für Mainz oder Saarbrücken, die Marcel Lods bzw. André Sive und Marcel Roux Ende der 40er Jahre vorlegten. Generell entsprechen diese Planungen den Forderungen der Charta von Athen (vgl. S. 93, |▶ 37|). Le Havre wurde nach den Prinzipien von Auguste Perret als geometrisch geordnete Stadt in relativ niedriger Blockbebauung neu errichtet. In England wurden in der Tradition der Satellitenstädte der Gartenstadtbewegung als Entlastung der Londoner City in den 50er Jahren zehn New Towns gegründet (Harlow, Stevenage u. a.), die zumindest prinzipiell auf eine lebensvolle soziale Durchmischung in Form von Nachbarschaftseinheiten achteten; seit den 60er Jahren folgten in ganz England Dutzende von neuen Mittelstädten von bis zu 250 000 Einwohnern. Ähnliches gilt für Frankreich, wo die wachsenden Ballungsgebiete, insbesondere dasjenige von Paris, durch Grands Ensembles in der banlieue entlastet wurden. Diese blieben allerdings reine Wohngebiete mit geringer Infrastruktur und wurden seit den 60er Jahren zunehmend privatwirtschaftlich entwickelt – mit bis heute zu spürenden sozialen Problemen. In der Bundesrepublik verfolgte man ein weites Spektrum eines neuen Urbanismus. In Münster bemühte man sich, den Altstadtplan unter Andeutung der alten Hausformen neu entstehen zu lassen, in Frankfurt am Main gab es vergleichbare Tendenzen, die aber bald ergänzt wurden durch prominente Bürohochhäuser – eine bis heute anhaltende Tradition. Nördlich der Stadt entstand in Ergänzung der nur teilweise realisierten Römerstadt unter Ernst May |▶ 30| die Nordweststadt (Walter Schwagenscheidt u. Tassilo Sittmann) als autofreie Parklandschaft mit Wohnhochhäusern. In fast allen größeren Städten wurden innerstädtische Schneisen angelegt, um für eine automobilgerechte Mobilität zu sorgen. Generell führte in der Fortsetzung der Politisierung der Architektur auch die Abgrenzung der Machtblöcke nach 1945 dazu, das Bauen weiterhin als sichtbaren Ausdruck der Politik zu begreifen. Einer massiven Amerikanisierung des Westens in allen Kulturbereichen (Musik, Kino, Nahrung) stand der zur Doktrin erhobene ‚sozialistische Realismus‘ im Ostblock gegenüber |▶ 38|. Gemäß der oben benannten, 1935 entwickelten Doktrin einer radial organisierten, von prächtigen Magistralen erschlossenen Stadt wurde Moskau bis in die 50er Jahre als Musterstadt des stalinistischen Städtebaus vergrößert. Als sich herausstellte, dass damit weder der Verwaltungs- noch der Wohnsektor ausreichend bedient wurde, wurde das Stadtzentrum als Verwaltungsbereich vergrößert und mit hohen Verwaltungshochhäusern entlang der Prachtstraßen versehen. Vor allem wurden unmittelbar nach dem Krieg für das Moskauer Zentrum acht gigantische Hochhäuser für Büros
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und Wohnungen sowie als Hotels und für die Universität geplant, sieben davon auch errichtet. Diese sog. ‚Sieben Schwestern‘ folgen in ihren weit ausladenden Baumassen, die in einer zentralen Spitze kulminieren, programmatisch dem geplanten Sowjetpalast, der insofern – obwohl nie errichtet – ein Supersymbol der Stalinzeit wurde. In ihrer zurückgestuften Silhouette sind zwar auch Bezüge zu amerikanischen Wolkenkratzern der 20er Jahre und auch zu gotischen Großkirchen wirksam, doch sollten die Moskauer Projekte ebenso als signalhafte Denkmäler fungieren: Die Gliederung der Baumassen, ihre Akzentuierung mit riesigen Vorhallen, das Ausbilden von Zwischenebenen als Plattformen für Plastiken und das Auftürmen der Bauten in einen spitzen Aufsatz, der wiederum ein pyramidenähnliches Gebilde mit dem Sowjetstern trägt, folgt einer skulpturalen Konzeption. In diesen Riesendenkmälern, von vielen Orten der Stadt sichtbar, sind die Funktionseinheiten gleichsam nachträglich untergebracht, das Gesamtensemble ähnelt einer bewohnten und benutzten Trophäe. Dieser ‚ideelle‘ Wert der Moskauer Hochhäuser unterscheidet sie von den US-amerikanischen Wolkenkratzern, deren Höhe lediglich eine Funktion der Renditeerwartung ist. Die markanteste dieser urbanistischen Orientierungsmarken bildet das 240 m hohe Gebäude der Lomonosov-Universität, 1949 – 53 von Lev Rudnev und Mitarbeitern auf einer hohen innerstädtischen Erhebung errichtet (□ 30). In den immensen Wohnvierteln der Außenbereiche entstanden riesige Wohnblöcke in standardisierter Fertigung, deren Eintönigkeit als Ausdruck der planvollen Zielstrebigkeit des Sozialismus gegenüber der angeblichen Heterogenität der westlichen Stadt interpretiert wurde. – Auch in der DDR legte man Wert darauf, eine kompakte Stadt zu erhalten, also neue Wohnviertel zentrumsnah entstehen zu lassen. Die alten Mittelpunkte wurden dabei aber zu Lasten der Altbebauung als repräsentative Achsen umgestaltet, so etwa in Dresden, Rostock, Magdeburg und vor allem in Berlin. Hier mündet die Stalinallee (heute KarlMarx-Allee, |▶ 38|) auf den gegenüber seinem Altbestand beträchtlich vergrößerten Alexanderplatz, an dem historische Baugattungen eines Kleinstadtmarktplatzes in überdimensionierter Form gesteigert sind: Ein Hotelhochhaus tradiert das zentrale Gasthaus, ein Kaufhausblock die Geschäfte am Marktplatz und der Brunnen der Völkerfreundschaft ist die übersteigerte Version eines Marktbrunnens. Gegen die Doktrin der zonierten, technokratisch aufgefassten Stadt ohne Geschichte, für die die Charta von Athen programmatisch steht, □ 30 Moskau, Gebäude der Lomonosov-Universität, Lev Rudnev, 1949 – 53
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formierte sich im Rahmen des CIAM zunehmender Widerstand, der dazu führte, dass sich die Vereinigung 1959 auflöste. Eine jüngere Architektengeneration protestierte gegen die übermächtig gewordenen Begründer der Moderne, und in diesem Zuge fanden auch Erfahrungen und Architekten aus außereuropäischen Regionen – Nordafrika, Japan, Brasilien – Eingang in die Debatte. Diese löste sich zunehmend von den Kriterien von sozialer Logistik und ökonomischer Effizienz und wandte sich Fragen von innerstädtischen Kontinuitäten, regionalen Spezifika und sozialer Kommunikation zu. Vor allem das Architektenehepaar Peter und Alison Smithson sowie die niederländischen Architekten Jacob Bakema und Aldo van Eyck, im Team X zur Vorbereitung des CIAM 1959 zusammengefasst, entwickelten vielfältig gemischte Stadtstrukturen, sog. Cluster, die in bestehende Bebauung eingefügt werden. Herausragendes Beispiel dafür ist das Economist Building in London, 1959 – 64 von den Smithsons errichtet. Mehrere Stahlbetonbauten von unterschiedlicher Höhe füllen die inmitten von historischer Bebauung liegende Parzelle auf, lassen zwischen einer Bank und einem Verwaltungsgebäude Gassen und platzartige Räume entstehen. Anstatt einer eleganten Eisen-Glas-Kiste handelt es sich bei den Bauten um recht massive Gebäude mit abgeschrägten Ecken. Der hier praktizierte sog. Brutalismus, vertreten etwa auch durch die Schule in Hunstanton von Alison und Peter Smithson (1949 – 54) oder die Torre Velasca von BBPR |▶ 39|, verstand sich durchaus nicht nur als Formenspielerei mit groben Betonblöcken, sondern setzte in der Integration in die gewachsene Stadt die Kriterien des CIAM außer Kraft. Süd- und Mittelamerika waren während des zweiten Drittels des 20. Jh.s in weit geringerem Maße als Europa den Schlachten der Ideologien ausgesetzt. Seit den 30er Jahren griff man hier das moderne Bauen auf, nahm aber Abstand von utilitaristischen und rationalistischen Konzepten. In Brasilien bildete das nach einem Urentwurf von Le Corbusier 1935 von Lucio Costa errichtete Erziehungsministerium in Rio de Janeiro den Ausgangspunkt (□ 31, |▶ 42|). Dabei gab es bezeichnende Veränderungen: denn die Pilotis, über denen das Scheibenhochhaus scheinbar schwebt, wurden in kühner Weise nach oben gestreckt, und die repräsentativen Innenräume mit farbenfrohen Azulejo-Kacheln verkleidet, was einerseits eine heitere Note beisteuert und andererseits die erwünschte Internationalität der neuen Architektur mit einem lokalen Akzent versieht. Oscar Niemeyer schuf seit 1940 die ersten Häuser der Modellstadt Pampulha, vor allem eine Kirche und ein Casino. Während die Kirche gleichsam unter einer in hohe Wel□ 31 Rio de Janeiro, ehem. Erziehungsministerium, Lucio len aufgewölbten Betonfläche untergebracht ist, Costa, Le Corbusier, Oscar Niemeyer, 1937 – 43 winden sich im mondänen Casino auf mehreren
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□ 32 Ronchamp, Notre-du-Haut, Le Corbusier, 1950 – 55
Ebenen kurvig geschwungene Galerien um Felsen und kleine Teiche der bestehenden Landschaft. Niemeyer hat mit vergleichbaren Architekturen, etwa dem großen Ausstellungspark Ibirapuera oder dem Copan-Gebäude (1957 – 66) in São Paulo Brasilien ein architektonisches Image gegeben, das in der neu errichteten Hauptstadt Brasília kulminierte |▶ 42| und auch nach Europa zurückstrahlte. Die Pariser Parteizentrale der Kommunistischen Partei Frankreichs (1965 – 71) mit ihrer geschwungenen Glasfassade verdankte sich der politischen Ausrichtung des Architekten. Daneben erfuhr der sog. Brutalismus in Brasilien eine besondere Ausprägung: In João Batista Vilanova Artigas’ Architekturfakultät in São Paulo (1966 – 69) umgeben zerklüftete Betonwände einen riesigen stützenlosen Innenraum. Die ondulierenden Formen in virtuoser Betontechnik gibt es auch in anderen lateinamerikanischen Ländern. In Mexiko experimentierte der spanisch-mexikanisch-US-amerikanische Architekt Felix Candela mit großen Falt- und Hyperboloidschalen, die wie riesige Muscheln freitragende Dachwerke für einen Freiraum darunter ausbilden (Kirche de la Virgen Milagrosa, 1954 und Los Manantiales Restaurant in Mexico City, 1958) und eine von Antonio Gaudí begründete Tradition kühner Gewölbekonstruktionen fortsetzten. Auch Le Corbusier hatte sich bereits seit Beginn der 30er Jahre geradezu sinnlich ondulierenden Formen und kruden Naturmaterialien zugewandt. In dem Studentenwohnhaus, das er für die Schweiz auf der Pariser Cité internationale universitaire 1932 errichtete, schwingt der Festsaal in einer Art Flaggenkontur aus, und die Stützen der Wohnblocks stehen auf nierenförmigem Grundriss. In der Villa für Helène de Mandrot in Le Pradet bestehen die Seitenmauern aus offen liegenden Bruchsteinen. Für den Architekten wirkten bei dieser Zurückdrängung technologischer Momente angeblich die heroischen Konturen der südamerikanischen Gebirge und eine weibliche Sinnlichkeit, welcher er bei seinen Aufenthalten in Südamerika seit 1929 gewahr geworden sei. Derartige Elemente – raue, ondulierende Konturen – finden sich auch an der Unité d’habitation (1945 – 52, |▶ 37|). Wie ein Donnerschlag wirkte aber die Kapelle von Ronchamp im französischen Jura, die der Architekt von 1950 – 55 als völlig untektonische, aber eminent skulpturale Form aus schwellenden und sich krümmenden Mauern und Decken errichtete (|▶ 45|, □ 32). Die früher bei Le Corbusier proklamierte Ordnung und das technische Kalkül sind nun einer effektvollen Bespielung des öffentlichen Raumes bzw. einer sensuellen Wahrnehmung
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von variationsreichen Innenräumen gewichen, in der vor allem die individuelle künstlerische Inspiration des Baukünstlers gewürdigt werden will. Aus solchen Gründen ist Le Corbusier für seine Kapelle scharf kritisiert worden, was aber ein intensives Weiterwirken solch organoider Idiome vor allem in den 50er und 60er Jahren, gerade auch im Kirchenbau nicht beeinträchtigt hat |▶ 45|. Nicht zuletzt beruht auch Le Corbusiers stark individualistische, ja pathetische Modellierung der indischen Provinzhauptstadt Chandigarh auf solchen Prinzipien |▶ 44|. Auch die skandinavische Nachkriegsmoderne ist stark durch sinnliche Materialien und Raumformen geprägt |▶ 41|. Für die USA waren die Nachkriegsjahre in architektonischer und städtebaulicher Hinsicht ebenfalls ein Einschnitt. In der Austeritätspolitik des New Deal in Folge der Weltwirtschaftskrise 1929 waren originelle Entwürfe eines extremen Funktionalismus entstanden, unter anderem von Richard Buckminster Fuller. Die Kriegsteilnahme hatte den USA indessen eine Wirtschaftskonjunktur in Zusammenhang mit einer politisch-moralischen Wertschätzung eingebracht, mit der die Rezession schnell überwunden wurde. Im Zuge des renewal und des dezidiert antikommunistisch grundierten Kapitalismus beschleunigte sich eine Tertiarisierung der Stadtzentren in Form von großen Hochhäusern; die Wohngebiete wurden nach außen verlegt, soziale Wohnungsbauprogramme größtenteils zurückgefahren. So ist die Nachkriegsarchitektur der USA ein Bauen im großen Maßstab, für Verwaltungs- und Kulturbauten oder auch für anspruchsvolle Villen |▶ 36|. Das Ende des New Deal bezeichnete auch eine programmatisch ausgerufene neue Monumentalität, die in einem großen Kongress von 1944 zum Thema „New Architecture and City Planing“ (Kongressakten hrsg. v. Paul Zucker) verhandelt wurde. Insbesondere bei Louis I. Kahn wurde dies dadurch umgesetzt, dass er die grazile, aus einer konsequenten Materialreduktion entstandene moderne Stützkonstruktion, wie sie etwa von Le Corbusier in seinem Dom-Ino-System oder von Mies van der Rohe in seinem Deutschen Pavillon für die Weltausstellung in Barcelona |▶ 32| formuliert worden war, konterkarierte. In den Richards Laboratories der Universität Pennsylvania in Philadelphia (1957 – 61) bilden massive, aus Beton und Backstein bestehende Türme vertikale Raumkuben, denen außen schlankere Stege angegliedert sind. Sie enthalten die in den Worten Kahns ‚dienenden‘ Elemente wie Ventilation und Aufzüge, die die ‚bedienten‘ Teile im Inneren versorgen und im Grundriss freihalten, aber selbst Teil der monumentalen Komposition werden. Dabei werden auch immer wieder Bezüge zu historischer Architektur wirksam – im Fall der Richards-Laboratorien etwa auf die mittelalterliche vieltürmige Stadt Carcassonne in Südfrankreich |▶ 44|. Dieser Bezug auf die Geschichte kennt aber keine Werthierarchien oder tiefsinnige Bedeutungen, sondern verankert Kahns Architekturen in einer wertneutralen Weltgeschichte des Bauens. Vor allem aber äußerte sich die nordamerikanische Konjunktur in einem außerordentlichen Boom des anspruchsvollen Hochhausbaues |▶ 40|, in dessen Zusammenhang sich einige Architekturbüros zu riesigen Bauplanungs- und Logistikunternehmen vergrößerten. Das beste Beispiel dafür ist SOM (Louis Skidmore, Nathaniel Owings und John O. Merrill), 1936 gegründet und auch heute noch existierend, in dem schon bald zahlreiche Architekten als Angestellte tätig waren und sind. Konzeptionell am wichtigsten war sicherlich der Beitrag von Mies van der Rohe, der, 1938 an das Illinois Institute of Technology in Chicago berufen, umgehend an die Gesamtplanung des Campus ging. Seit 1940
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□ 33 New York, ehem. TWA-Terminal, Eero Saarinen, 1957 – 62
entstanden außer dem Masterplan des Universitätsgeländes auch mehrere wichtige Einzelbauten darauf. Das Metal Research Building (zus. mit Holabird und Root, 1942 – 43) realisiert ein exaktes und regelmäßiges Stahlraster, das mit Backstein ausgefacht ist. Bei der Crown Hall ist der eigentliche kubisch strenge Baukörper in einen nach außen verlegten Stahlrahmen eingehängt, ein Prinzip, das Mies in kleinem Maßstab am Farnworth House in Plano (Ill.) 1945 – 51 vorexerziert hatte. Hier ist der Baukörper mit der vorgelagerten Terrasse zudem etwas vom Boden abgesetzt und vor allem vollständig verglast. Gleichsam entmaterialisiert öffnet sich das Gebäude der umgebenden dichten Natur. In Übertragung auf den Hochhausbau wurden die Mies’schen ‚Kisten‘, die beiden Wohnhochhäuser am Lake Shore Drive in Chicago (1948 – 51) und das Seagram-Bürogebäude |▶ 40|, zu den Inkunabeln perfekt regelmäßiger Blöcke mit veredelter Außenhaut. Die zahllosen, weltweiten Nachahmungen dieses Hochhaustyps haben häufig dessen wesentliche Kriterien missachtet: sorgfältigste modulare Kohärenz in den Proportionierungen und Gediegenheit der Außenhaut. Mies’ Architekturen beziehen sich bewusst nicht auf die dort stattfindenden Nutzfunktionen, sondern verstehen sich als erhabene Obdächer, die ähnlich wie der griechische Peripteraltempel (eine von Säulenreihen umgebene Cella) mittels einer kostbaren Hülle einen fast sakralen Raum umgrenzen. Nicht umsonst erweckt die Berliner Neue Nationalgalerie, Mies’ letztes großes Werk (1962 – 68), mit ihrem weit auskragenden, von wenigen Stützen getragenen Stahldach unmittelbare Assoziationen an einen Tempel. – Von dieser Auffassung der Architektur als erhabener Hülle abzusetzen sind stark skulptural konzipierte Architekturen in den USA, die häufig durch die Repräsentation einer corporate identity motiviert sind. Zu den berühmtesten dieser Bauten gehört das Flughafenterminal, das Eero Saarinen 1957 – 62 für die Fluggesellschaft TWA auf dem New Yorker Flughafen Idlewild (John F. Kennedy) errichtete (□ 33). Der technisch äußerst aufwendige Betonbau lässt sich als zwei Flügel eines majestätischen, sich in die Lüfte erhebenden Vogels verstehen. Die aerodynamisch wirkenden Kurven dieser Riesenskulptur wollen eine Eleganz und Mühelosigkeit des Fliegens vermitteln, welche auch im Inneren des Gebäudes wirksam ist. In einer aus dem Firmenlogo der Fluggesellschaft abgeleiteten Farbigkeit breitet
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sich hier eine mehrfach abgestufte kurvig geführte Landschaft aus, in der über die Namen von Restaurants wichtige Flugziele von TWA angedeutet sind. Der Bezug auf jeweils unterschiedliche corporate identities verschiedener Auftraggeber führte auch dazu, individuelle Architektenhandschriften unkenntlich zu machen. Wie auch SOM keinen spezifischen ‚Stil‘ hat, sind auch Saarinens weitere Großprojekte aus solchen Gründen in formaler Hinsicht sehr unterschiedlich. Ähnliche Ziele verfolgte das Guggenheim-Museum in New York von Frank Lloyd Wright (1943 – 1959). Es ähnelt einer Schüssel, in deren Innenwand die Ausstellungsfläche als lange Spirale eingefügt ist, welche in der Gebäudemitte einen inneren Schacht entstehen lässt, in dem sich die Schneckenfigur abzeichnet. Die Berühmtheit und penetrante Selbstinszenierung des Architekten spielte dabei eine wichtige Rolle, um hier ein signature building entstehen zu lassen, das Teil der Selbstinszenierung des Museums wurde. – In solch einem Zusammenhang ist auch Jørn Utzons Opernhaus in Zusammenarbeit mit dem Ingenieur Ove Arup |▶ 47| in Sydney zu sehen, 1957 begonnen, aber erst 1973 fertiggestellt. Zwei Reihen von Betonschalen in den Formen von aneinandergelehnten, aufrecht stehenden Bootsrümpfen oder geblähten Segeln bilden eine Silhouette, die umgehend zum logoartigen Erkennungszeichen der Hafenstadt wurde. Wie spätere derartige Eventarchitekturen bildete auch das Opernhaus umgehend ein neues, attraktives städtebauliches Zentrum aus, das an die Stelle von Sanierungsgebieten trat.
High Tech und Partizipation Utopien und Konsequenzen der Großtechnik ie Eroberung des Weltraums durch den Menschen, wie ein Paukenschlag initiiert durch den Flug von Sputnik 1 im Jahre 1957, hatte auch ihre Parallelen in den architektonischen Diskursen und Projekten seit den 50er Jahren. Hochleistungstechnik und eine immense Logistik erhielten aber nunmehr nicht mehr nur die Aufgabe, die statische Konstruktion und die Bauphysik zu optimieren, sondern eine Flexibilität in das Bauen zu bringen, die mit sich verändernden menschlichen und sozialen Bedürfnissen einhergehen sollte. Die vitruvianische Kategorie der Dauerhaftigkeit, technisch und ästhetisch begriffen, war in dieser Hinsicht zum Negativum geworden: Unfähig zur Anpassung an sich verändernde Bedingungen, räumlich in ihrer Unbeweglichkeit störend, ästhetisch rasch veraltend und überdies als Einzelfertigung teuer, war eine solche Architekturauffassung ethisch nicht mehr zu rechtfertigen. So gab es eine Reihe sich ergänzender, meist utopischer Entwürfe für eine standardisiert zu produzierende, einfach in kombinierbaren Modulen zu montierende und zu demontierende Architektur. In bezeichnender Hinsicht waren diese Vorschläge auch urbanistischer Natur, denn sie richteten sich ja auf die ständig im Fluss befindlichen sozialen und wirtschaftlichen Faktoren städtischer Gemeinschaften, die politisch teilweise mühevoll reguliert werden müssen. Yona Friedman entwarf Ende der 50er Jahre die ville spatiale: Eine vorgegebene Infrastruktur sollte mit flexiblen Sekundärstrukturen auszufüllen sein. Die Idee der Stadt als ein mobiles Raumschiff bzw. eine Raumstation, wie sie ironisch von der Gruppe Archigram in den 60er
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Jahren imaginiert wurde (vgl. S. 94), war insofern nicht weit entfernt von den im Rahmen der japanischen Metabolisten entwickelten Idee der Megastrukturen, also von urbanistischen Rahmenstrukturen, die flexibel mit unterschiedlichen kapselähnlichen Modulen ausgefüllt werden können |▶ 43|. Richard Buckminster Fuller entwickelte ebenso eine Reihe kurios wirkender metallener Einzelmodule, die er bezeichnenderweise aus militärischen Notwendigkeiten für flexible Unterkünfte abgeleitet hatte: Voll ausgestattete, aus Metall produzierte Badezimmer und vor allem das bereits 1929 in einer Vorversion erdachte Dymaxion-Haus, ein zusammenlegbares und transportables Aluminiumhaus. Als technisch optimierte Räume von extremer Leichtigkeit entwickelte Fuller die geodätischen Kuppeln, also eigenstabile Gitterstrukturen in Form von riesigen Polyedern aus in sich verwindungssteifen Dreiecken. Für die Weltausstellung in Montreal 1967 wurde eine solche Riesenkuppel als amerikanischer Pavillon errichtet. Unter den realisierten Werken – die allerdings in keinem Fall flexibel zu montierende und demontierende Module aufweisen – ist insbesondere Moshe Safdies Habitat 67 hervorzuheben, das ebenfalls für die Weltausstellung in Montreal errichtet wurde. Nach dem Baukastenprinzip sind kubische Wohneinheiten teilweise vorkragend bzw. mit Lücken übereinandergestapelt. Das Verwaltungsgebäude Centraal Beheer in Apeldoorn von Herman Hertzberger (1968 – 72) schuf über die intelligente Kombination von Standardkuben zahlreiche Raumbeziehungen und -nutzungsmöglichkeiten. In dieses Grundsatzkriterium flexibler Nutzung sind neben dem epochalen Centre Georges Pompidou in Paris |▶ 47| auch die Werke des Berliner Architektenpaares Ralf und Ursulina Schüler-Witte einzuordnen. Ihr Berliner Internationales Congress Centrum (1971 – 79) ähnelt einer Raumstation, ein metallischer Solitär mit Tiefgarage, zahlreichen Kongressräumen, Restaurants und Büros, alles durch Rolltreppen miteinander verbunden. Ähnlich funktioniert das ebenfalls 1971 entworfene, 1984 fertiggestellte festungsartige, aber starkfarbig gestaltete Universitätsklinikum Aachen. Vor allem ist der Anspruch auf eine prinzipiell flexible, indessen antimonumentale Architektur seit den 50er Jahren von Frei Otto verfolgt worden, dessen leichte Kuppeln, Schalen und Zelte ähnlich wie bei Fullers geodätischen Kuppeln flexibel einzurichten sind |▶ 46|. Ein wichtiges Vorbild bildete dabei Konrad Wachsmann, ein von Deutschland in die USA emigrierter Architekt, für den die maschinelle Produktion von Architektur nicht in monotone Standardprodukte führen durfte, sondern als flexibel einsetzbare und gleichwohl ökonomisch wie materiell optimierte Skelettstruktur aus Stäben und Knotenverbindungen zu konzipieren war (Entwurf eines kühn auskragenden Flugzeughangars aus Tetraederelementen für die United Air Force, 1950). Die Faszination, die das Centre Georges Pompidou ausübte, mündete aber insbesondere in eine eigenständige Ästhetik, die die offen in ihrer technischen Struktur zu Tage tretenden und monumentalen Tragwerke und Versorgungseinheiten zum wesentlichen Kriterium machte. Diese High-Tech-Architektur (benannt nach dem 1978 erschienenen Buch „High Tech: The Industrial Style and Source Book for The Home“ der Design-Journalisten Joan Kron und Suzanne Slesin) schafft sehr markante selbstreferentielle Bauwerke, die nicht in postmoderner Manier auf historische Referenzen oder auf den Ausdruck der Gebäudenutzung schielen müssen. In ihrer signalhaften Wirkung vermittelten diese Bauten zunächst vor allem für Finanzinstitute das Image von Potenz und Leistungsfähigkeit. Dabei stellte sich die schon um 1900 virulente Frage, ob die technische Struktur in teilweise
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prononcierter Weise freigelegt werden sollte oder aber ihre virtuose Behandlung ungewöhnliche Effekte bewirken könnte. Richard Rogers entwickelte die Maschinenästhetik des Centre Pompidou, auch als struktureller Expressionismus bezeichnet, weiter. Das Bankgebäude von Lloyd’s in London (1978 – 86) ist ein brutaler, innen hohler Kasten aus gewaltigen Stützen, dem außen die Versorgungseinrichtungen mit ihren riesigen Röhren und Nottreppenspindeln vorgelegt sind. Ein Vorläufer einer derartigen Ästhetik ist das 344 m hohe John-Hancock-Center in Chicago, ein sich nach oben verjüngender Wolkenkratzer mit auffälligen Diagonalverstrebungen (Skidmore, Owings & Merrill, 1965 – 69). Norman Fosters HSBC-Hauptgebäude in Hongkong (1983 – 85, □ 34) besteht aus acht gigantischen, durch Kreuzverbindungen gesicherten Stützen in die die Gebäudescheiben wie bei einer Hängebrücke eingehängt sind. Bei anderen Werken Fosters hingegen ermöglicht die kühne technische Beherrschung elegante, klassisch zu nennende Proportionierungen und Oberflächeneffekte: Das Sainsbury Center for the Visual Arts der Universität Norwich (voll. 1977) formt eine glatt ausgefachte Gitterkonstruktion als Hülle eines breit gelagerten, im Inneren völlig flexibel zu bespielenden Hangars. Das Commerzbankhochhaus in Frankfurt steht auf dem Grundriss eines Bogendreiecks mit abgerundeten Ecken; die glatte Außenhülle umspielt tageszeitlich wechselnd die Sonne. Nicht nur im Inneren spendet ein Innenhof Licht, sondern abschnittweise sind auch jeweils mehrere Etagen durch verglaste Gärten ersetzt. Santiago Calatrava beeindruckt durch kühn und dynamisch geschwungene Gitterstrukturen, die häufig an die Formen von Gerippen, Vogelschwingen, Tierpanzern oder auch hohen Bäumen erinnern sollen. Bevorzugte Bauaufgaben sind Brücken, Bahnhöfe (Gare do Oriente in Lissabon, 1994 – 98), Flughafenterminals, aber auch Kulturzentren (Kunst- und Wissenschaftszentrum Valencia, 1989 – 2006). Frank O. Gehry entwickelte seit den 70er Jahren eine Architektur, die zunächst collageartig mit Vorgefundenem und banalen Materialien umging (eigenes Wohnhaus in Santa Monica, 1977) und Einzelteile scheinbar zusammenhanglos kombinierte, z. B. in Form von außen angebrachten Treppen, aufgesplitteter Zimmerzusammenhänge, bei denen jeder Raum einen eigenen Kubus bildet. In diesem Sinne arbeitete er auch mit Pop-Art-Künstlern wie z. B. Claes Oldenbourg zusammen, der für das Chiat/Day-Gebäude in Venice/Cal. (1985 – 91, heute bezeichnenderweise Hauptsitz von Google) die Portikus in Form eines aufgestellten Fernglases gestaltete. Mit der Walt Disney Concert Hall (1987 – 2003), den Museen in Weil am Rhein (Vitra, 1987 – 89) und v. a. Bilbao für Guggenheim (1991 – 97, □ 35) nahmen seine Bauten kräftig-skulpturale, in große geschwunge□ 34 Hongkong, HSBC-Hauptgebäude, Norman Foster, 1983 – 85
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□ 35 Bilbao, Guggenheim-Museum, Frank O. Gehry, 1991 – 97
ne Formen zersplitterte Gestalt an, die zunehmend technische Höchstleistungen darstellen. Trotz seiner skulpturalen Qualitäten und seiner selbstgenügsamen technologischen Virtuosität geht das Museum in Bilbao in Wegführung und Silhouettierung subtil auf die städtebauliche Umgebung ein und bieten auch museologisch funktionale und gleichzeitig emotional zu erlebende Räume. Auch sind die architektonischen Vergleichsmöglichkeiten vielfältig, z. B. zu Le Corbusiers Kapelle in Ronchamp oder Scharouns Berliner Philharmonie. Die durch die signalhafte Architektur ausgelöste Konjunktur Bilbaos als Kulturstadt (sog. Bilbao-Effekt) ist auch der Tatsache zu verdanken, dass hier ein Joint-Venture-Verfahren zum Tragen kam: Schon beim Mutterbau in New York war darauf geachtet worden, dass sich das Image des Museums mit demjenigen des damals berühmtesten amerikanischen Architekten verbinden ließ: Frank Lloyd Wright (|▶ 37|, vgl. S. 70). Dieser schuf eine, ein ganzes Stadtviertel beherrschende, äußerst publikumswirksame Eventarchitektur. Diese Image-bildende Funktion eines Stararchitekten mit seinen äußerst markanten und technisch aufwändigen Architekturen wiederholte man in Bilbao. Und aus solchen Gründen entwarf Gehry auch den New Yorker Erweiterungsbau des Museumskonzerns (aufgegeben 2002) sowie die geplante Dependance in Abu Dhabi. Gehry gehörte zu den ersten Architekten, die mit einer aus dem Flugzeugbau übernommenen 3-D-Planungssoftware arbeiteten (seit 1992 mit dem Modeller CATIA: Computer Aided Three-Dimensional Interactive Application), um seine zunächst bildhauerisch als Modelle skulptierten Formen in tragfähige Architektur umzusetzen. Klassische statische Formeln beziehen sich auf regelmäßig geformte (gerade oder runde) Einzelteile, jede kurvig oder gar sphärisch gekrümmte Form lässt die Anzahl und Komplexität der Kräfteberechnungen so ansteigen, dass für manche älteren Bauwerke ganze Bücher an Formelberechnungen durch einen wochenlang mit Rechenschiebern oder computerartigen Rechenmaschinen (Konrad Zuse hatte diese seit 1941 entwickelt) arbeitenden Stab an Statikern notwendig wurden. Erst der Computer leistete hier Abhilfe, denn er macht eine komplex gekrümmte Architektur
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wie in Bilbao erst exakt darstellbar und statisch berechenbar. Vor allem kann die von ihm ermittelte Konstruktion über eine Robotersoftware, die CNC (Computerized Numerical Control) in die Fertigung von jeweils individuell geformten und mit je eigenen Kanten und Anschlüssen versehenen Einzelteilen umgesetzt werden. Gegen die architektonische Praxis der 60er Jahre mit dem verkehrsgerechten Ausbau der Innenstädte zu Verwaltungscities und den seelenlosen Schlafstädten in den Außenbereichen konnten die technologisch zwar ausgefeilten, aber nicht von Benutzerseite konzipierten utopischen Konzepte des frühen High Tech wenig ausrichten. Dies gilt vor allem deswegen, weil gerade die im Geist von Megastrukturen konzipierten Ensembles nur als autoritäre Maßnahme ‚von oben‘ funktionieren konnten. Dieser Zusammenhang zwischen Architektur, Städtebau und Politik wurde auch zu einem wichtigen Thema der Studentenproteste um den Mai 1968; auch aus solchen Gründen waren Architekturschulen wie die Pariser École des Beaux-Arts besonders aktive Zentren der Demonstrationen. Auch die wilde, deregulierte Vereinnahmung von städtischem Wohnraum in der Besetzerszene seit den 70er Jahren (Freistaat Christiana in Kopenhagen, seit 1971, Frankfurt/M., Münster) war Ausdruck der Kritik an einer verordneten Architektur. In institutionalisierter Form ging solch ein kritisches Bewusstsein in die seit 1977 geplante und 1984 – 87 veranstaltete Internationale Bauausstellung in Berlin (IBA) ein. Ziel war die Entwicklung von städtebaulichen Grundsätzen, die die historische Gewordenheit jedes Stadtviertels in die Planung einbezogen und deren soziale Prägungen akzeptierten. Die zentrale Aufgabe der IBA war demnach der Wohnungsbau inmitten der Kernstadt, der sich zum ersten Mal auch der kreativen Umgestaltung von Altbausubstanz widmete und dabei auch auf Erfahrungen der Besetzerszene zurückgriff. Im damals entwickelten Konzept der ‚Kritischen Rekonstruktion‘ waren traditionelle städtebauliche Untereinheiten wie Wohnung, Haus, Baublock, Straße und Platz, Garten und Parks die Ausgangspunkte für Collagierungen, Dekompositionen und Vermischungen, die aber immer auch ökologische Faktoren, individuelle Erinnerungskulturen jeder Einheit und die daraus resultierenden sozialen Beziehungen im Blick haben sollten. An derartige Erfahrungen knüpfen gegenwärtige Architekturpraktiken an, die in Entwicklungsländern nachhaltige Bauten aus lokalen und teilweise recycelten Materialien planen und dabei lokale Produktions- und Wahrnehmungsweisen beachten |▶ 50|.
Was ist Architektur? Bauen und Poststrukturalismus eit den 60er Jahren ist eine mit dem Begriff des Poststrukturalismus belegte grundsätzliche Infragestellung von überbrachten Repräsentationsmustern im Gang: In welcher Weise können Medien wie Sprache, Text und Bild Wirklichkeit vermitteln? Oder konstruieren diese Medien Realität nur als bloße Simulation (Baudrillard)? Das Internet mit seinen virtuellen Räumen und seiner Bilderflut hat diese Fragen in drängender Weise verschärft: Was ist Realität, was ist Imagination? Rational vermeintlich logische Sinnkon-
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□ 36 Paris, Fondation Cartier, Jean Nouvel, 1994
struktionen und Deutungsweisen der Welt erweisen sich als über bestimmte Diskurse konstruiert (Foucault). Und in jedem Entäußern und Wahrnehmen von Zeichen schwingen Nebenbedeutungen mit, so dass ein eigentlich Gemeintes gar nicht mehr vermittelt werden kann (Derrida, |▶ 49|). Insofern besteht die Aufgabe von Sozial- und Geisteswissenschaften darin, diese medialen Brechungen zwischen Realität und ihrer Repräsentation in einem Akt der Dekonstruktion bewusst zu halten. Diese Infragestellungen betreffen auch direkt die Architektur, die ja schon immer entweder als zeichenhafte Repräsentation, als Medium (architecture parlante, |▶ 2|), oder als buchstäbliche Wirkungsinstanz als Teil der ‚Realität‘ galt (etwa von Stimmungen, |▶ 1|). Der Poststrukturalismus in seiner kritischen Haltung gegenüber rein begrifflichen Herangehensweisen fällt in allgemeinem Sinn mit der Postmoderne im Sinne von pluralistischen Deutungsmustern zusammen |▶ 48|. Insofern kann auch die postmoderne Architektur in ihren intelligenten Realisierungen dazu beizutragen, historische Bezugnahmen kritisch zu hinterfragen, indem etwa Motivzitate neu kontextualisiert, collagiert oder gebrochen werden. Häufig aber handelt es sich um ein unerhebliches Spiel mit historischen Referenzen oder aber um eine anachronistische Untermauerung angeblich überzeitlicher Idiome, vor allem des klassischen Vitruvianismus, wie das bei Rob und Leon Krier oder Ricardo Bofill zum Ausdruck kommt. Die Dekonstruktion als Verfahren der Architektur zeigt sich denn auch nicht eigentlich in der architektonischen Postmoderne, sondern vor allem in Ansätzen, den Repräsentationsmodus von Architektur grundsätzlich neu zu formulieren. Jean Nouvel thematisiert insbesondere Raumgrenzen und -trennungen. Feste Wände werden durch Bildschirme als Portale virtueller Räume ersetzt. In der Fondation Cartier in Paris (1994, □ 36) tritt an die Stelle der klassischen Straßenfassade eine riesige Glasfront, hinter der das ebenfalls gläserne Ausstellungsgebäude erscheint, sich aber mit den Spiegelungen auf der Glasfront überblendet: Bild(schirm) wird Architektur, die Architektur erscheint nur noch als Projektionsbild. Die Bedeutung des Glases als Durchblicksmedium, Projektionsfläche
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und Konstruktionselement läuft indessen Gefahr, sich zum bloßen Showeffekt zu verwandeln, wie die irisierenden und verzerrenden Spiegeleffekte des gläsernen Innentrichters von Jean Nouvel im Kaufhaus Galeries Lafayette in Berlin (eröff. 1996) zeigen. – Nachgerade aufgeladen mit Kunstdiskursen und in sie eingebettet sind die Werke des Schweizer Architekturbüros Herzog & de Meuron: Auffallend häufig handelt es sich um Bauwerke für Museen, Ausstellungshallen, Konzertsäle, Bibliotheken und Stadien, die an der Außenhülle effektvoll mit Bildern (Hochschulbibliothek Eberswalde, □ 37 Cottbus, Universitätsbibliothek, Herzog & de Meuron, 1999 – 2004 1998) oder Buchstaben (Universitätsbibliothek Cottbus, 1999 – 2004, □ 37) übersät sind. Dagegen steht eine teilweise frappierend unarchitektonische Gestalt, wenn etwa die Riesenstadien von Peking (Olympiastadion, 2001 – 08) und München (Allianz Arena, 2002 – 05) als Nester oder Kissen von ausgeprägter ästhetischer Eigenständigkeit erscheinen. Die Architekturen sind eben keine zweidimensionalen Bildschirme, wohl aber synästhetisch wahrnehmbare Räume eines medialen Overkills von Erinnerung, Reflexion, Aneignung, Repräsentation, Symbol, Bild, Text: ein riesiges Ausstellungsobjekt, das seine Referenzen aus dem aktuellen Kunstdiskurs, nicht der Geschichte, der Konstruktion oder der Funktion des Gebäudes enthält (Ursprung in Ursprung 2002). – Rem Koolhaas und sein Architekturbüro OMA (Office for Metropolitan Architecture) weisen in ihren Konzeptionen überbrachte architektonische Paradigmen wie Tektonik, Block, Fassade, Freier Plan (vgl. S. 97 f.), Innen/Außen zurück. Deren angestammte Funktionen, Ordnung zu stiften und Beziehungen (etwa zwischen Innen und Außen) zu definieren, zeigen sich als aporetisch. Die Casa da Música in Porto (1999 – 2005) bildet einen zentral auf dem Boavista-Platz ‚gerollten‘ riesigen Solitär in Form eines unregelmäßigen Polyeders – also nicht einer klassischen ‚Schachtel‘. Dieser Block erscheint gleichsam ausgehöhlt, um den großen Konzertsaal aufzunehmen. Die Resträume erhalten unregelmäßige Zuschnitte und schiefe Decken, sind durch zahlreiche Treppen miteinander verbunden, so dass keine Stockwerkgliederung, sondern ein labyrinthisches Auf und Ab die Raumerfahrung bestimmt. Farblichteffekte und unterschiedliche Wandverkleidungen definieren nicht etwa klare Funktionsräume, sondern machen das Innere zu einem spannungsreichen Begegnungsort, in dem ein Restaurant, eine Bar und Wandelgänge um den Konzertsaal eher angedeutet sind. Im TGV-Bahnhofs-, Verwaltungsund Entertainmentkomplex Euralille, für den OMA das Grand Palais als Konzert- und Veranstaltungshalle entwarf, ist diese Überlagerung von Funktionen, Räumen und Bildern als internetähnliche Informationsflut in räumlicher Bewegung erfahrbar.
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77 □ 38 Berlin, Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Peter Eisenman, 2002 – 05
Daniel Libeskinds Bauten |▶ 49| verdanken ihre Form – die sich von keiner Stelle als klassische Einheit fassen lässt, sondern in verschiedene Ansichtsfragmente zerfällt – einer bewusst assoziativen, irrationalen und kryptischen Beziehung zu externen Sinnstrukturen, im Fall des Jüdischen Museums in Berlin etwa ehemaligen Wohnorten jüdischer Bürger, einer Oper von Schönberg, einem Davidstern. Diese werden in verschiedenen Medien vermittelt: Achsen, Schächten, Bewegung in der Architektur, Stimmungen, Texten usw. – Ganz aus dem Anspruch, etwas über Architektur symbolhaft zu repräsentieren, austreten will Peter Eisenmans Denkmal für die ermordeten Juden Europas (2002 – 05, □ 38). Die Hunderte, auf unebenem Terrain errichteten Stelen sollen in der Verfremdung von Raster und Logik, Weg und Ziel, Labyrinth und Achse Irritation und Nachdenken auslösen, nicht etwa als Objekte einen in seiner Unfassbarkeit nicht darstellbaren Völkermord versinnbildlichen. Allerdings wird ein solcher Anspruch von offiziösen Erklärungen konterkariert, die Blöcke sollen an jüdische Friedhöfe erinnern. Damit wird dem bewusst Uneindeutigen eine scheinbar klare, aber banalisierende ‚Erklärung‘ an die Seite gestellt oder vielleicht auch davon überblendet.
Medien der Architekturvermittlung Publikations- und Darstellungsformen
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ie Vermittlung von Architektur war bis um 1800 vor allem in Form des Buches geschehen: Lehrbücher, Essays und Stichwerke waren die üblichen Medien des Architekturdiskurses. Um 1800 und nochmals um 1900 erweiterte sich dies zu einer Vielzahl neuer Vermittlungsformen: Architekturzeitschriften,
Lexika, Manifeste, Fotobände, Filme, Videos kommen nun hinzu. Das ist zum einen neuen drucktechnischen Verfahren geschuldet: Die Lithographie und der Stahlstich erlaubten um 1800 eine Steigerung der Auflagenhöhe des Bilddrucks, und als um 1900 auch fotografische Bilder massenweise gedruckt vervielfältigt werden
Medien der Architekturvermittlung
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konnten, öffnete dies den Weg zu einer aktuellen Bildberichterstattung und Kritik der Architekturproduktion und -debatte. Vor allem zeigt diese Vielfalt, dass der Architekturdiskurs zunehmend öffentlich wurde. Bezeichnenderweise entstanden die ersten Bauzeitschriften aus der Tradition der aufklärerischen, allgemein bildenden Periodika, aber auch aus der Notwendigkeit, eine kompetente Bauverwaltung aufzubauen. Beispiele sind das 1789 zum ersten Mal erschienene „Allgemeine Magazin für die Bürgerliche Baukunst“ und die seit 1797 edierte „Sammlung nützlicher Aufsätze und Nachrichten, die Baukunst betreffend“. Einen umfassenden Spiegel der Baukunst bot dann von 1829 bis 1851 das „Journal für die Baukunst“. Zahlreiche Fachzeitschriften entstanden seit der Mitte des 19. Jh.s als Ausdruck der in Technik, Bauaufgaben und Bauverwaltungen immer komplexer werdenden Architektur. Um 1900 wurden dann, auch aufgrund der Erweiterung des Architekturdiskurses auf Innenausstattungen, viele neue Reihen gegründet, die Architektur im Zusammenhang mit allgemeinen Geschmacksfragen präsentieren („The Studio“, 1893 – 1974; „Deutsche Kunst und Dekoration“, 1897 – 1934). Im Einzelnen kann man etwa in der ersten Hälfte des 20. Jh.s folgende Medien unterscheiden (jeweils mit wenigen Titeln als Beispiel): Ingenieurszeitschriften: z. B. „Beton und Eisen“ (1902 – 40); „Le génie civil“ (1880 – 1977) ◫ Fachzeitschriften und Verbandsorgane: z.B. „Bauwelt“ (seit 1910); „Die Baugilde“ (1920 – 41, Verbandsorgan des BDA); „Die Form. Zeitschrift für gestaltende Arbeit“ (1922 – 35, Organ des Deutschen Werkbundes) ◫ Architekturzeitschriften: z. B. „Casabella“ (seit 1933), „L’architecture d’aujourd’hui“ (seit 1930); „Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau“ (1914 – 32); „Stavba: meˇsícˇník pro stavební umeˇní“ (1922 – 38); „Baukunst und Werkform“ (1947 – 54) ◫ Institutionsreihen: z. B. „WerkbundJahrbuch“ (Kat. 23); Bauhaus-Bücher ◫ Lehrbücher: z. B. „Handbuch der Architektur“, 4 Teile, insg.
143 Bde, 1880 – 1943; Julien Guadet: „Eléments et théorie de l’architecture. Cours professé à l’Ecole nationale et spéciale des Beaux-Arts“, 4 Bde, Paris 1901 – 04; Ernst Neufert: „Bauentwurfslehre“, Berlin 1936 (viele Neuauflagen) ◫ Fachlexika: z. B. „Wasmuths Lexikon der Baukunst“, 1929 – 32 ◫ Architekturgeschichten: Gustav Adolf Platz: „Die Baukunst der Neuesten Zeit“, Berlin 1927 (= Propyläen-Kunstgeschichte, Erg.-Bd. 1) ◫ Kongressakten: z. B. „Internationale Kongresse für Neues Bauen: Die Wohung für das Existenzminimum“, 1930 ◫ Theorietraktate: z. B. Le Corbusier: „Vers une architecture“, Paris 1923 (S. 89); Herman Sörgel: „Ästhetik der Architektur: Theorie der Baukunst“, Berlin 1918 ◫ Essays: z. B. Fritz Schumacher: „Im Kampfe um die Kunst: Beiträge zu architektonischen Zeitfragen“, München 1913; Adolf Loos: „Ornament und Verbrechen“, 1908 (zuerst veröff. in „Cahiers d’aujourd’hui“ 1913) ◫ Werkmonographien: z. B. Fritz Hoeber: „Peter Behrens“, München 1913; Erich Mendelsohn: „Das Gesamtschaffen des Architekten“, Berlin 1930 ◫ Bildbände zu Baugattungen, Firmenbauten, städtischen Neubauten: z. B. Walter Müller-Wulckow: „Deutsche Baukunst der Gegenwart“, 4 Bde., Königstein i. T., 1929 – 32 (Reihe „Die Blauen Bücher“); Hans Hertlein: „Neue Industriebauten des Siemenskonzerns: Fabrik- und Verwaltungsgebäude, Wohlfahrtsanlagen“, Berlin 1927 ◫ Kulturwissenschaftliche Studien: Sigfried Giedion: „Mechanization takes command“, New York 1948 ◫ Ausstellungskataloge: Henry Russell Hitchcock (Hrsg.): „The international Style: Architecture since 1922“, Ausst.-Kat. New York, Museum of Modern Art 1932 (S. 92) ◫ Philosophische Abhandlungen: Friedrich Dessauer: „Philosophie der Technik“, Bonn 1927; Paul Valéry: „Eupalinos ou l’architecte“, Paris 1923 (S. 90 f.) ◫ Pamphlete: Alexander von Senger: „Die Brandfackel Moskaus“, Zurzach 1931 ◫ Propagandafilme: Ernst May: „Neues Wohnen in Frankfurt/M.“, 1927; Hans Richter: „Die neue Wohnung“, 1930; Pierre Chenal: „Architectures d’aujourd’hui“, 1930.
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Architekturtheorie 1800 – 2000 Vom ‚sprechenden‘ zum ‚fiktionalen‘ Bauen Schon in der Antike ist schriftlich niedergelegt worden, was Architektur sein soll, zu welchem Zweck sie dient und mit welchen Mitteln dies umzusetzen sei. Die „Zehn Bücher über die Baukunst“, die der röm. Militäringenieur Vitruv zwischen 33 und 14 v. Chr. verfasst hat, bilden das einzige aus dieser Zeit überlieferte Traktat, das sich mit diesen Fragen befasst. Allerdings hatte dieses seit dem 15. Jh. einen unerhörten Einfluss. Die bei Vitruv formulierten Grundelemente der Säulenordnungen (dorisch, ionisch, korinthisch) sollten zur weltumspannenden Syntax der sog. neuzeitlich-vitruvianischen Architekturästhetik werden. Deren Wirksamkeit reichte bis weit in das 20. Jh., ja teilweise bis heute. Mit der umfangreichen, deutlich um Systematik und Kohärenz bemühten Schrift wurde aber auch eine literarische Gattung geschaffen: die Architekturtheorie. Nicht belangloses Plaudern über das Bauen fällt darunter, auch nicht die Kurzformen der Architekturkritik und ebenfalls nicht die reine technische Fachliteratur zu Materialverhalten oder Bauvorschriften. Architekturtheorie zielt vielmehr auf eine systematische weltanschauliche Begründung des Bauens: „Architekturtheorie ist jedes umfassende oder partielle schriftlich fixierte System der Architektur, das auf ästhetischen Kategorien basiert.“ (Kruft, 1991, S. 11.) Insoweit vermittelt die Architekturtheorie weniger Informationen zum praktischen Bauen – auch wenn das immer wieder so gesehen wird und fallweise auch zutreffen kann – als zu künstlerischen, ästhetischen, philosophischen, sozialen und politischen Diskursen der Zeit. Das späte 18. und auch das frühe 19. Jh. brachten eine Reihe anspruchsvoller spätaufklärerischer Traktate hervor, die vor allem auf die erzieherische Wirkqualität von Architektur abheben. Sie bilden die Parallele zu zahlreichen gartentheoretischen Schriften, die – aufbauend auf der seit dem 17. Jh. zunehmenden Einsicht, dass das Gefühl neben der Vernunft Erkenntnis stiftet und Sinnesempfindung als alleinige Quelle der Wahrnehmung zu verstehen ist (Sensualismus) – die emotionalen Wirkeffekte von Landschaftsgärten mit ihren vielfältigen Stationen des Erlebens und Reflektierens systematisieren (|▶ 1|, allg. Wimmer 1989). Auf den Bereich der Architektur bezogen hatte Étienne-Louis Boullée in seinem in den 80er Jahren des 18. Jh.s entstandenen „Architecture. Essay sur l’art“ (allerdings erst im 20. Jh. veröffentlicht) – gefordert, das Bauen müsse megaloman sein, gemäß der Theorie des Erhabenen zur heftigsten Rührung (émouvoir) anstiften und hatte insofern der Architektur die Funktion zugewiesen, besser als die, etwa im Landschaftsgarten inszenierte, Natur zu wirken (von Engelberg 2013, S. 323 – 326). In Nicolas Le Camus de Mézières Traktat „Le genie de l’architecture ou l’analogie de cet art avec nos sensations“ (1780) erstellt der Autor eine Art Grammatik, wie über die Umrissformen von Bauwerken verschiedene Gefühle beim Betrachter erzeugt werden können, etwa die Kuppel des Petersdoms Würde und Größe vermittele. Der Architekt müsse derartige Gefühlswirkungen beim Entwurf wirksam werden lassen, insbesondere auch den Charakter der Hausbewohner über ihre jeweiligen Architekturen anzeigen. Auch Claude-Nicolas Ledoux geht es in seinem umfangreichen Traktat „L’architecture considérée sous le rapport de l’art, des mœurs et de la législation“ (1804) um die unmittelbare Wirkqualität einer ‚sprechenden‘ Architektur, die mahnen und moralisch erheben soll |▶ 2|.
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80 □ 39 Marie-Joseph Peyre, „Œuvres d’architecture“, 1765: Entwurf einer Kathedrale, Grundriss
Für die architektonischen Diskurse sehr viel wirkungsvoller als diese prominenten Theoriegebäude der missverständlicherweise so genannten ‚Revolutionsarchitektur‘ waren allerdings zwei andere französische Schriftsteller im Gefolge der Aufklärung. Marie-Joseph Peyres beeindruckend riesige, streng axial und symmetrisch konzipierte und subtil komponierte Idealprojekte in seinen „Œuvres d’architecture“ (1765) sollten die Lehre an der École des Beaux-Arts bis weit in das 20. Jh. prägen. Kennzeichnend für alle Entwürfe sind raumbestimmende Kompositionseinheiten, die von römischen Gewölbebauten der Antike sowie aus Kreisfiguren abgeleitet sind: Insbesondere halbkreisförmige Nischen und Apsiden, Exedren und Zirkusanlagen schaffen dominante Achsen, die durch Kuppeln bekrönt und mit akzentuierenden Säulenkolonnaden und Portiken weiter untergliedert sind (□ 39). Als wesentliche Prinzipien erachtet Peyre nicht den Umgang mit den Säulenordnungen. Für wahre Größe in der Architektur sei die richtige Anordnung des pleins et des vides, also der Massen und der Öffnungen entscheidend. Dem revolutionären Bestreben nach konsequenter Rationalisierung aller Lebensbereiche folgten hingegen die Architekturtraktate Jean-Nicolas-Louis Durands. Im Fall des „Précis des leçons d’architectures données à l’École polytechnique“ (1802 – 05) handelt es sich um eine in ihrer Konsequenz erstaunliche Standardisierung, ja Schematisierung der Architekturkonzeption. In einer als egalitär gedachten Gesellschaft steht das Prinzip der Wirtschaftlichkeit des Bauens an oberster Stelle. Im Architekturentwurf sollen also nicht mehr verschiedene, sozial unterschiedlich konnotierte Baumotive und -typen den Ausgangspunkt abgeben, sondern ein radikal systematisiertes Entwurfsprinzip in Form eines quadratischen Achsrasters. Wie in einem Steckbaukasten können hieraus alle Bautypen zusammengefügt werden. Davon setzt sich Durands „Recueil et parallèle des édifices de tout genre anciens et modernes“ (1799 – 1801) ab. Hier wird eine umfassende Historisierung der vergangenen Weltarchitektur vorgenommen, die nunmehr in einer Art imaginärem Museum umfassend und ohne bestimmte Idealbauten herauszustellen präsentiert wird. Gleichzeitig wird diese Architektur aber damit auf Distanz zum gegenwärtigen Architekturgeschehen gerückt – damit ist der Keim gelegt für die schon etwa in den 30er Jahren des 19. Jh.s etwa bei Gottfried Semper zu vernehmende, sich aber vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jh.s manifestierende antiakademische Schmähung der Architekturgeschichte als unaktuell.
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Schon am Anfang des Historismus also zeigt sich die Problematik, für die verschiedenen Stile theoretische Begründungen und Einsatzmöglichkeiten zu formulieren. Zwar etablierte sich eine subtile Herleitung der Tektonik, also der visuellen Veranschaulichung des Tragens und Lastens als den ästhetischen Hauptfunktionen der klassischen Architektur. Hier – etwa bei Antoine Chrisostôme Quatremère de Quincy, Aloys Hirt, Karl Bötticher oder Arthur Schopenhauer – geht es darum, die Konturen und Profile der Säulen als kraftvolles, gleichsam muskulöses Emporstemmen der getragenen Elemente zu verstehen und daraus eine Entwicklung, meist aus einem hölzernen Urtempel, der im steinernen Tempel in dauerhaftem Material verewigt wird, abzuleiten. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Beitrag des Sekretärs der Académie des Beaux-Arts, Quatremère de Quincy, zu. Seine Theorie bildet einen Brückenschlag von der Spätaufklärung in das 19. Jh., denn das von ihm verfasste „Dictionnaire historique d’architecture“ erscheint zwischen 1788 und 1832, also vom Ancien Régime bis zur Restauration. Er formuliert eine durch und durch klassizistische Theorie, in der die ‚Imitation‘ als die vernünftige, an Regeln gebundene und gleichzeitig als geniale Erfindung verstandene Nachahmung nicht der Formen, sondern der Gesetze der Natur den Kern abgibt. Die Nachbildung der Natur in der hölzernen Urhütte, die sich die ersten Menschen zu Schutzzwecken aus Stämmen gebaut hätten, sei eine solche Imitation. Deren Umsetzung in Stein, also ein anderes Material, lasse einen Abstraktionsprozess erkennbar werden, mit dem Form und Prinzipien der Naturhütte in dem wohlproportionierten griechischen Tempel repräsentiert würden. Was die freiheitlichen Griechen vorgeführt hätten, verpflichte auch die neuere Architektur auf einen solchen Imitationsvorgang, der in der Anwendung von Regeln wie von Erfindung die Ideale von Vernunft und Naturgesetzlichkeit präsent mache. Neben dieser klassizistischen Theorie lässt sich eine romantische Auffassung benennen, die das gotische Bauen vom mannigfaltigen, wachsenden Naturwerk ableitet. Architektur hat die Aufgabe, diese natürliche, gottbeseelte Mannigfaltig in eine Einheit zu überführen, die die göttlichen Prinzipien der geschöpften Natur erlebbar und erkennbar hält. Diese romantische Theorie wird in Variation von Goethe, Friedrich Schlegel und vor allem Karl Friedrich Schinkel in seinem Entwurf für ein „Religiöses Gebäude“ um 1815 vertreten. Allerdings bildet dieses nur die eine Seite von Schinkel als Architekturtheoretiker, denn er entwarf weitere anspruchsvolle Lehrbücher, von denen aber keines vollendet wurde. Neben der romantischen Theorie stehen extrem rationalistische Textfragmente, die ganz ähnlich wie bei Durand Material, Raumanordnung und Konstruktion zu den wesentlichen Kriterien der Architektur erklären. Aus deren richtiger Anwendung ergeben sich Charakter und Schmuck eines Gebäudes gleichsam von selbst. Seit den 20er Jahren des 19. Jh.s gewinnt also ein bemerkenswert früher technologischer Funktionalismus die Überhand. Der gute ‚Stil‘ eines Bauwerks entstehe aus der materialgerechten Anwendung und Veranschaulichung der Konstruktion eines Gebäudes, nicht aus dem Rückgriff auf bestimmte historische Gestaltungmotive. Ähnlich wie es später Viollet-le-Duc in seinen „Entretiens“ (1863 – 72) feststellen wird, seien in dieser logischen Vermittlung der Konstruktion das griechische und das gotische Bauen vergleichbar. Den drängenden Fragen, wie neue Baumaterialien und -techniken, neue Bauaufgaben und neue ökonomische Anforderungen in eine aktualisierte Theorie der Architektur Eingang finden sollten, widmet sich vor allem der Karlsruher Residenzbaumeister Heinrich
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Hübsch in seiner häufig missverständlich zitierten Schrift „In welchem Style sollen wir bauen“ (1828). Schönheit liege nicht in der Begründung von Stützsystemen, sondern in dem Zusammenwirken von vielen Faktoren, wie Klima, Konstruktionstechnik und Gebrauchsfunktion. Insbesondere die überkommene Säule im Inneren und Äußeren von Gebäuden behindere aber flexible und ökonomische Grundriss- und Fassadeneinteilung. Stattdessen fordert Hübsch einen vielfach variablen, aus verschiedenen Faktoren des Materials, des Klimas und der Funktion resultierenden ‚Rundbogenstil‘, der auch ästhetisch ansprechende Fassaden ermögliche. In der Tat werden Architekturen mit bisweilen fast monoton gereihten Rundbogenöffnungen zu einem Charakteristikum der deutschen Architektur von ca. 1830 bis in das späte 19. Jh., gerade für komplexe Bauaufgaben wie Verwaltungsbauten u. Ä. (|▶ 5|, □ vgl. 56). Hübsch stellt damit die grundsätzliche Frage an den Historismus, inwiefern ein Stil aus der Vergangenheit oder einer anderen Region die Gegenwart repräsentieren könne. Zudem muss man Hübschs Theorie als den Versuch ansehen, zwei damals auseinanderdriftende Sparten des Bauens wieder miteinander zu vereinen. Auf der einen Seite hatte sich die immer anspruchsvoller werdende, in eigenen Ausbildungswegen erlernte Technik des Bauingenieurs – Materialkunde, Statik, Ökonomie – etabliert, die ohne ästhetische Theorie auskam ( Themenblock · Architektenausbildung, S. 145 f.). Auf der anderen Seite stand die Auffassung der Architektur als Kunst und ästhetisches Phänomen, unabhängig von den profanen Aspekten wie Technik und Gebrauchsfunktion. Die idealistischen klassizistischen wie auch die romantischen neugotischen Konzepte wirkten in diesem Zusammenhang wie Bemäntelungen, Stil-Fassaden als unmoralische Verkleidungen. In diese polemische Zuspitzung sollte die Debatte jedenfalls um 1900 getrieben werden und als entscheidender Motor wirken, in einer reformierten Architektur Technik und Kunst wieder einander anzunähern. Zur selben Zeit, als Hübsch seine Infragestellung eines zu akademischen und blutleeren Historismus formulierte, wurde ein folgenreicher Streit in der Architekturtheorie ausgefochten, der ebenfalls die Grundfesten einer traditionellen Antikenverehrung erschütterte. Die Auseinandersetzung über die Frage, ob die verehrten griechischen Tempel und antiken Monumente steinfarben-hell bzw. weiß oder vielmehr farbig gefasst waren, ergriff seit den 20er Jahren des 19. Jh.s die gesamte gelehrte Welt Europas, insbesondere Architekten wie Jacques-Ignace Hittorff und Gottfried Semper, Altertumswissenschaftler wie Quatremère de Quincy, Désiré Raoul-Rochette und Carl Otfried Müller oder auch Vertreter der damals noch jungen Kunst- und Architekturgeschichte, etwa Franz Kugler. Aus heutiger Sicht wirkt es teilweise kurios, wie in der Debatte kleinste Farbreste oder philologisch unklare Textstellen als Argumente herangezogen werden. Doch zielte die Auseinandersetzung letztendlich darauf, die Geschichtswissenschaft als Leitwissenschaft zur Erkundung des Ursprungs der Zivilisation einzusetzen. Welche Methode kann hier überzeugen: die archäologisch-bauforscherische Untersuchung der Monumente, die textkritisch-philologische Quellenkunde oder etwa die künstlerisch-architektonische Intuition? Welche Disziplin kann die Deutungshoheit darüber beanspruchen, wie die ideale Kultur der Griechen als unhinterfragtes Vorbild wirklich beschaffen war? Entsprechend schwingen hier in hohem Maße auch politische Wunschvorstellungen mit. Vor allem der damals noch junge Gottfried Semper griff beherzt in den Streit ein. In „Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architektur“ (1834) kritisiert er heftig die angeblich blutleere historistische Architektur – die er seinem Erz-
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feind Leo von Klenze unterstellt |▶ 5| – ebenso wie den Schematismus der Rastermodule Durands. Ziel des Studiums der Antike sei vielmehr, in der Gegenwart Natur, Umgebung und Menschen mittels der Architektur zu verbinden. Auch Malerei und Plastik seien aufeinander bezogen, der Architekt leite diese Symphonie an, die inmitten einer farbig erlebten Natur zu realisieren sei. Durch Farbbehandlung werde Architektur in farbig erlebte Natur einbezogen, jetzt erst befreie sich die höchste Kunst aus ihren älteren Regelzwängen: Die farbige Architektur wird angesichts ihrer archetypischen Verortung im demokratischen Athen zum Vorboten republikanischer Freiheiten, und das lebensvolle, ‚malerische‘ Bauen benötige keine kleinlichen Proportionsregeln, um schön zu sein. Vielmehr sei das harmonische Zusammenwirken aller Künste – Architektur, Skulptur und Malerei – Symbol und Ergebnis der bürgerlichen Freiheit. Semper hat in den Folgejahrzehnten diese antirationalistische, ‚malerische‘ Architekturauffassung zu einer quasi wissenschaftlichen Fundierung der Architektur weiterentwickelt, die in origineller Form ältere, ‚konstruktivistische‘ Interpretationen – etwa der Ableitung der Architektur aus dem beständig verbesserten hölzernen Urtempel – konterkariert. Entscheidend ist nunmehr der Akzent, den Semper nicht auf die Konstruktionsprinzipien des Tragens und Lastens legt, sondern auf die prinzipiellen Eigenschaften der Materialien des Bauens. In „Die vier Elemente der Baukunst“ von 1851 unterscheidet er jeweils aus unterschiedlichen Stoffen bestehende Grundelemente der Architektur, die auch in eine entwicklungsgeschichtliche Reihe einzufügen sind: Herd, Dach, Umfriedung und Erdaufwurf. Die Wand sei entwicklungsgeschichtlich aus textilen Materialien entstanden. Urprinzip der Architektur sei mithin, Schutz und Wärme zu geben, nicht ein Konstruktionsprinzip zu verfolgen. In seinem theoretischen Hauptwerk „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten“ (1860 – 63) hat Semper diesen Ansatz im Sinne einer umfassenden wissenschaftlich-ethnographischen Untersuchung vervollkommnet. Da sämtlichen Formbildungen der Menschheit ein bestimmtes, in einer bestimmten Technik zu einem bestimmten Zweck bearbeitetes Material zugrunde liege, könne man eine grundsätzliche Entwicklungsgeschichte der Materialien und Bearbeitungstechniken schreiben und daraus allgemeine Gesetze ableiten. Analog zu den „Vier Elementen“ sind die Urmaterialien der ‚technischen Künste‘ – Kunsthandwerk und Architektur sind darunter subsumiert – in vier grundsätzliche Kategorien zu klassifizieren: 1. Biegsame, zähe, feste Rohstoffe bilden die textilen Künste, aus denen das Gewebe, sodann die Umzäunung, schließlich der Wandbehang hervorgingen. 2. Aus weichen, biegsamen, sich in Form fügenden Materialien gehe die keramische Kunst hervor, aus der die Gefäßkunst, sodann der Herd als Feuerplatz entstanden seien. 3. Aus stabförmigen, elastischen Materialien von relativer Festigkeit sei die Zimmermannskunst – hier als Tektonik bezeichnet – entwickelt worden, aus der schließlich Gerüste und dann das Dachwerk ausgebildet worden seien. 4. Aus festen und dichten Materialien sei die Stereotomie, die Maurerei, abzuleiten, die in Mauern und Erdarbeiten, schließlich als Substruktionen umgesetzt worden sei. Die Entwicklung der Materialbehandlung folge, gemäß den umfangreichen ethnographischen Studien Sempers, bestimmten Gesetzmäßigkeiten: So gebe es einen sog. Stoffwechsel von einer Entwicklungsstufe zur anderen, bei dem die sich entwickelnde Technik die Form der älteren Stilstufe übernehme. So erkennt Semper etwa in hölzernen Wänden von bestimmten außereuropäischen Holzarchitekturen das ornamentale Teppichmuster der vorgängigen Webtechnik. Insgesamt lasse sich eine historische
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Abfolge der Urtechniken konstatieren. Die textile Kunst sei die älteste, die immer wieder von anderen Künsten nach dem Stoffwechselprinzip imitiert und wiederholt worden sei. Die Textilkunst erfülle Urbedürfnisse im Decken, Schützen und Abschließen und bilde auch die Grundprinzipien jeder Ornamentik, etwa des Prinzips der rahmenden Einfassung, die aus der Urtechnik der genähten Saumkante entstanden sei. Sempers Theorieentwurf greift weit aus, denn er versteht das Bauen nicht als die oberste der Künste, sondern eingebettet in eine Geschichte der Materialien und ihrer Technik, innerhalb derer sie einen zwar wichtigen Platz, aber nicht den Rang einer Ursprungsschöpfung einnimmt. Ihre essentielle, entwicklungsgeschichtlich scheinbar klar ableitbare Funktion ist der Schutz des Menschen, aus der sich alle Einzelelemente des Bauens als soziale Wirkqualität ableiten: die Wand, das Dach, der Herd und die Ummauerung. Die Stoffwechseltheorie unterscheidet implizit zwischen einem konstruktiven Kern und einer symbolisch-ornamentalen Hülle, die diesen entwicklungsgeschichtlich kennzeichnet: Die schützende Wand mit dem Teppichmuster ordnet dem Dekor nicht eine beliebige zierende Rolle zu, sondern verweist notwendig auf die vorgängige essentielle Funktion des Teppichs als konstruktiver Kern einer schützenden Umhüllung ( Themenblock · Bauschmuck, S. 188 f.). Eigenartigerweise behandelt Semper das neue Baumaterial des 19. Jh.s, das Eisen, nur an untergeordneter Stelle, es findet keinen Eingang in das magische – ganz offensichtlich gemäß der antiken Vierzahl der Elemente als Urstoffe der Welt konzipierte – Quartett der architektonischen Urelemente. Sempers wissenschaftlich fundierte Architekturtheorie war zu komplex, als dass sie im Ganzen weitergewirkt hätte. Sie leistete aber einen gewichtigen Beitrag zur Enttektonisierung der Architektur im Jugendstil und gab hinsichtlich der eindringlich dargestellten Zusammenhänge zwischen Funktion und Form, gerade auch von Gebrauchsgegenständen, eine wichtige Argumentationsbasis für die Kunstgewerbereform um 1900 ab. Hier wirkten aber auch noch zwei andere monumentale Theorieentwürfe des 19. Jh.s hinsichtlich des Topos von Werk- und Materialgerechtigkeit als moralischer Kategorie des Bauens: die Lehren von John Ruskin und Eugène Emmanuel Viollet-le-Duc. John Ruskin muss nach Pugins eifernder, moralisierender Überhöhung mittelalterlicher Lebens- und Produktionsmodelle |▶ 6| als wichtigster Theoretiker gelten, der gotische Prinzipien theoretisierte und aktualisierte. Auch bei Ruskin ist die moralisch-beschwörende Zielsetzung zentral, wie aus seinem 1849 erschienenen Hauptwerk „The Seven Lamps of Architecture“ hervorgeht. Die Gesetze der Architektur sind identisch mit denen der menschlich-moralischen Existenz, die menschliche Natur entspricht den Gesetzmäßigkeiten des Materials, dem die mittelalterlichen Baumeister gerecht geworden seien. So sind auch die meisten der „Sieben Leuchten“ weit von vertrauten architektonisch-ästhetischen Kriterien entfernt, sondern nähern sich anthropologischen und ethischen Kategorien an: sacrifice (Opfer), truth (Wahrheit), power (Macht), beauty (Schönheit), life (Leben), memory (Erinnerung), obedience (Ehrerbietung). Das Ornament sei Ausdruck eines heiteren, mit der Welt und Natur versöhnten Schaffens, das Bauen reflektiere also jeweils einen bestimmten gesellschaftlichen Zustand. Deswegen wendet sich Ruskin als früher Theoretiker der Denkmalpflege gegen jede restauratorischen Eingriffe in alte Bausubstanz. Der Zusammenhang zwischen Natur, Produktion und Mensch müsse bestehen bleiben, insoweit auch an die Stelle der industriellen Fertigung wieder das Handwerk treten. Diese
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Ornamentauffassung wird in „Stones of Venice“ (1851 – 53) noch weiter ausgebaut. Die eingehende Analyse der mittelalterlichen Steinmaterialien der Lagunenstadt, ihrer Bearbeitung, Profilierung und Verwitterung, erlaubt Ruskin, abstrakte Prinzipien des gotischen Ornaments zu ergründen: Bei den Steinen handele es sich um Abstraktionen der göttlichen Schöpfung, die sich in charaktervollen Profillinien ausdrücken. Diese Konturlinien seien ewig dauerhafte Spuren von Menschen, welche in Gottvertrauen und ohne Entfremdung zu ihrem Produkt gewerkt hätten. Insofern geht es hier keineswegs um die Formulierung eines architektonisch-konstruktiven Systems, im Gegenteil sind gerade die Abwechslung, die Fehlerhaftigkeit und der Pasticcio-Effekt als Folgen eminent menschlichen Handelns zu würdigen. Die Seele der Gotik sei insofern von savegeness (Rohheit), changefulness (Variation), naturalism (Natürlichkeit bzw. auch Farbigkeit), grotesqueness (Komischem), rigidity (Starrheit) und redundance (Überfülle) gekennzeichnet. Das klingt wie ein ‚Aufruf zur Unordnung‘, und tatsächlich charakterisiert Ruskin den gotischen Erbauer als von Wildheit oder Rohheit, der Liebe zur Abwechslung und zur Natur geprägt, mit verwirrter Phantasie, von Eigensinn, aber Großmut. Wie bei Pugin |▶ 6| und wenig später in der Arts-and-Crafts-Bewegung |▶ 11|, deren Prophet Ruskin zweifellos war, wird hier eine widerständige, gegen die Industrialisierung und den Kapitalismus gerichtete Erneuerung gepredigt. Einer der Grundgedanken Ruskins, die Entfremdung des Handwerkers von seinem Produkt, taucht zur selben Zeit auch bei Marx und Engels als wesentliches Movens der proletarischen Revolution auf, und der von Ruskin geförderte Rollback sollte seine Auswirkungen noch auf agrarkommunistische Strömungen bei Mahatma Gandhi oder Mao Tse-Dong haben. Mit dem wissenschaftlichen Anspruch Sempers durchaus vergleichbar, mit dem ‚queren‘ Denken Ruskins aber inkompatibel sind die umfangreichen theoretischen Schriften des Architekten und Restaurators Eugène Emmanuel Viollet-le-Duc. Sie schlagen sich insbesondere in einer umfangreichen historischen Darstellung der architektonischen Grundlagen, den 1863 – 72 erschienenen „Entretiens sur l’architecture“ nieder. Die spezielle Kompetenz Viollet-le-Ducs in der mittelalterlichen Architektur ist der Ausgangspunkt des umfangreichen, von 1854 bis 1868 publizierten „Dictionnaire raisonné de l’architecture française du XIe au XVIe siècle“. Im Gegensatz zu Vorgängerunternehmen wie dem Architekturlexikon von Quatremère de Quincy aus der Zeit um 1800 handelt es sich um eine minutiöse Realienkunde einer historischen Epoche, in der die grundsätzlichen Auffassungen Viollet-le-Ducs zur Architektur zwar in einigen wesentlichen Artikeln (z. B. Architecture, Construction, Restauration, Style usw.) explizit abgehandelt sind, ansonsten aber den zahlreichen Einträgen eher implizit zugrunde liegen. Die im 13. Jh. hervortretenden Prinzipien logischer, d. h. materialgerechter und effizienter Bauweisen hätten eine Skelettarchitektur entstehen lassen, die in den großen Bischofskirchen in ungeahnter Kühnheit ausformuliert worden sei. Die Einzelelemente des Bauens wie Pfeiler, Dienste, Strebepfeiler, Triforien usw. seien im Wesentlichen als Sekundärresultate der konstruktiven Notwendigkeiten der Rippenwölbung zu begreifen. Viollet-le-Ducs Funktionsbegriff ist durchaus komplex, enthält etwa auch Kriterien der Dauerhaftigkeit bzw. der gezielten Anschaulichkeit der Konstruktion oder der logistischen Bedingungen des Bauens, allerdings kaum Kriterien der konkreten Nutzung der Räumlichkeiten. Den ideologischen Hintergrund Viollet-le-Ducs gibt seine dezidiert antiklerikale bzw. bürgerlich-laizistische
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Position ab. Erst nachdem erstarrte Bauregeln in der Klosterkultur der Romanik von der angeblich säkularen Kultur der Städte überwunden worden seien, als nämlich diese sich aus der Abhängigkeit des lokalen Adels emanzipiert und freie Bürger die Bauträgerschaft über die großen Projekte übernommen hätten, sei der Gipfelpunkt des Bauens möglich geworden: Da sie nun in Korporationen tätig gewesen seien, habe sich den Architekten die Gelegenheit geboten, in reiner Logik und Vernunft nach den Naturgesetzen und zur konsequenten Erfüllung der Zwecke der jeweiligen Bauaufgaben zu bauen. Die Anwendung der Prinzipien von Vernunft und Logik generiere Fortschritt, der zum zentralen Begriff guter Architektur in emanzipierten Gesellschaftssystemen wird. Dies gelte insbesondere für die griechische und die gotische Bauweise, solle aber vor allem in der Gegenwart wieder angewandt werden. Einschränkende Faktoren des Fortschritts seien etwa bloßer formaler Traditionalismus und überkommene akademische Regelsysteme. Alle Objekte, die ihre Funktion in naturgesetzlich vollendeter Weise erfüllten, verfügten über die höchste – aus dem Begriffsrepertoire vor allem des 18. Jh.s tradierte – Qualität des style. Dies gelte auch etwa für eine funktions- und materialgerecht angefertigte Vase, ein Dampfschiff oder eine Lokomotive. Viollet-le-Ducs auf die konstruktiven Grundsätze der Architektur ausgerichtetes Theoriegebäude hat trotz seiner genialen Einseitigkeit (die insbesondere im Vergleich mit der zeitgleichen „Geschichte der Baukunst“ von Franz Kugler deutlich wird) bis weit in das 20. Jh. gewirkt. Dies gilt auch wegen des wohlfeilen Antiakademismus Viollets, der um 1900 zum Mantra aller Reformbewegungen wurde. Die Forderung nach konstruktiver Logik und materialgerechtem Bauen – gerade auch in der Eisenarchitektur und seit 1900 auch in der Betonarchitektur – zieht sich wie ein roter Faden durch die österreichische (Otto Wagner), deutsche (Walter Gropius), französische (Anatole de Baudot), aber auch etwa niederländische Architekturtheorie (Hendrik Petrus Berlage) der frühen Moderne. Besondere Verbreitung erfuhr dabei die in Form eines Buches in mehreren Auflagen verbreitete Schrift Otto Wagners „Moderne Architektur“, erstmals 1896 erschienen. Wagner entwirft einen auf aktuelle Situationen bezogenen Kriterienkatalog der Architektur. Die mit Augenmaß und Pragmatismus erstellten Forderungen lesen sich wie das Curriculum einer reformierten Architekturausbildung. Der moderne Architekt dürfe nicht in erster Linie in den Kategorien historischer Stile entwerfen, sondern vielmehr im Bewusstsein des Zusammenwirkens von Geschmack, Mode und Stil eine einheitliche, auch in das landschaftliche oder städtische Umfeld passende und vor allem – analog zur Kleidermode – zeitgemäße Gestaltung erarbeiten. Dies sei aber nur möglich, wenn neue Bauprogramme sinnvoll in die Komposition von Grundrissen umgesetzt würden und die Kenntnis der technischen Möglichkeiten sowie der ökonomischen Bedingungen in den Entwurf einflössen. Wagner gibt hier dem komplexen Anforderungsprofil eines Architekten der Zeit um 1900 Ausdruck. In der kompetenten Verbindung technischer und künstlerischer Kriterien entfaltet sich ein neues Bild von den Aufgaben des Architekten, der keineswegs im Bauingenieur aufgeht. Die in dieser Zeit europaweit als vorbildlich aufgenommene Wiener Architektur |▶ 20| erhielt durch Wagners Buch eine passende theoretische Ergänzung, deren Material umgehend als Ausgangspunkt weiterer theoretischer Entwürfe, etwa bei Adolf Loos, Walter Gropius oder Le Corbusier dienen sollte. Wagners Aktualität wird verständlich, wenn man seine Theorie mit den Lehrinhalten an der Pariser École des Beaux-Arts vergleicht, die 1894 von Julien Guadet in seinem umfangreichen Handbuch
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„Éléments et théorie d’Architecture“ niedergelegt werden. Zwar stellt Guadet keine historistische Stillehre vor; ausschlaggebend sei immer das einem Entwurf zugrundeliegende inhaltliche Programm, das pragmatisch mit historistischen Formen auszufüllen sei. Doch das Hauptkriterium guter Architektur müsse in einer gut proportionierten Komposition nach Symmetrie und Axialität begründet liegen. Baukonstruktive Fragen oder neuere Bauaufgaben spart der akademische Lehrer ganz aus. Zu Wagners Theorie vergleichbare Forderungen kommen indessen aus den Niederlanden. Hier beansprucht Hendrik Petrus Berlage in seinem Buch „Gedanken über Stil in der Baukunst“ (1905), die Lehren Sempers und Viollet-le-Ducs, also vor allem Material- und Technikgerechtigkeit in eine aktuelle Architekturauffassung umzusetzen, die unabhängig von Stilübernahmen ist. Stattdessen solle der Entwurf auf der Grundlage von abstrakten Proportionsrastern erfolgen. Auffällig ist die politische Stoßrichtung dieser Theorie, spielt sie doch die prunkvolle Stilarchitektur des Kapitalismus gegen eine demokratische und sozialistische moderne und schlichte Architektur aus. In den USA entwickelte sich über das gesamte 19. Jh. eine Architekturtheorie, die darauf bedacht ist, eine spezifisch nordamerikanische Grundlegung des Bauens zu formulieren. Dabei spielen der spätromantische amerikanische Transzendentalismus, vor allem eines Ralph Waldo Emerson, sowie religiös-protestantische Ideale eine ebenso große Rolle wie das Pathos der Landerschließung mit einfachen Mitteln und die Idee einer individuellen Freiheit in der Demokratie. Insbesondere der Bildhauer Horatio Greenough formuliert in der Mitte des 19. Jh.s ein extrem funktionalistisches Architekturideal, das überbrachte Formmotive konsequent ablehnt. Wesentlich ist die Analogie zu einer göttlich durchwirkten Natur, deren äußere Erscheinung nur Resultat komplexer Funktionen ist. Aus solchen Motiven kann Greenough (wie Viollet-le-Duc) das Bauen auch mit perfekt funktionierenden Maschinen in Zusammenhang bringen. Derartige Positionen sind auch die Grundlage für die vielen Äußerungen von Louis Sullivan gegen Ende des 19. Jh.s |▶ 17|. Dessen schlagwortartiges Diktum form follows function darf nicht als Ausdruck eines schlichten technologischen Funktionalismus, wie ihn der ehemalige Büropartner Dankmar Adler 1896 tatsächlich formulierte, missverstanden werden. Vielmehr geht der Funktionsbegriff über die Architektur hinaus, enthält emotionale und soziale Komponenten und schließt immer die Analogie zur Natur ein. So sei etwa auch der demokratische Geist eine Funktion, die kraftvollen Formausdruck suche. Im Bereich der Architektur wird der Naturbezug vor allem über das Ornament hergestellt, das aber individuell unterschiedlich immer aus dem Gebäude organisch ‚herauswachsen‘ soll. Eine besondere Herausforderung der Zeit um 1900 bestand darin, die theoretisch formulierte rationale Verbindung zwischen Technik und architektonisch-anschaulicher Gestalt auf die neuen Bautechniken wie den Eisen/Glas-Bau oder die gleichsam beliebig formbare Betonskelettarchitektur anzuwenden. Doch was nützt jede ethisch hochstehende Materialgerechtigkeit im technisch perfekten Gebäude, wenn dieses dabei seiner kommunikativen Fähigkeit verlustig geht, also nicht mehr etwa vermittels Säulen, Säulenordnungen, Gebälken und Giebeln repräsentativ sprechen kann. Das sollte die Architektur durchaus weiterhin, und sie tat es in der Tat häufig dadurch, dass eine anspruchsvoll skulptural gestaltete Fassade als Gebäudehülle einer ausgefeilten technischen Konstruktion vorgeblendet wurde. Damit aber fiel dem Architekten hauptsächlich die Aufgabe zu, diese Hülle ohne
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direkte Verbindung mit dem Gebäudekern zu gestalten. Dieser aber musste gerade bei Großprojekten technisch aufwendig von einem Ingenieur konzipiert werden. Das Leiden an einer tiefgreifenden Dekadenz in der Architektur, omnipräsent in der Architekturkritik und -theorie um 1900, lag also zum einen daran, dass die Profession des Architekten gegenüber dem technisch-professionellen Ingenieur zum bloßen Dekorateur degradiert erschien ( Themenblock · Architektenausbildung, S. 145 f.). Zum anderen wurde dieser Hiatus als Ausdruck einer fehlenden Einheit zwischen Kern und Hülle verstanden, mehr noch: In der angeblichen Beliebigkeit der Fassadendekoration schien sich eine epochale Krise zu äußern, die das Zusammenwirken von Bauherrn und Baumeister bzw. von Bautechnik und Baugestalt nicht mehr kennt. Die eklektische Fassadenvielfalt wurde insofern grundsätzlich als das Zeichen der verlorengegangenen Einheit zwischen Gesellschaft, Kunst und Architektur kritisiert. Die Architekturtheorie der einsetzenden Moderne ist insofern vielfach aus einer apologetischen Situation geboren, nämlich im Gegensatz zum unbeirrt rechnenden Ingenieur Bauwerke zu schaffen, die technisch aktuell sind, dabei aber einen gestalterischen Charakter haben, der auf Höheres verweist, beglückt oder vollendet schön ist. Daher rührt die bis lange in das 20. Jh. anhaltende radikale Verdammung der historistischen Architekturauffassung – eine Verdammung, die in höchstem Maße ungerecht ist, denn deren urbanistische und künstlerische Prägekraft war natürlich nicht nur beliebigen Verkleidungsstrategien geschuldet |▶ 12, 14, 18|. Daher rührt aber auch der Umstand, dass die Theorie der Moderne sich insbesondere am Leitthema der Technik bzw. der Maschine als dem ‚Kern‘ eines Gebäudes bzw. dem Ornament als seiner ‚Verkleidung‘ abarbeitet. Was bei Berlage oder Wagner angeklungen war, erschien nunmehr radikalisiert bei Adolf Loos, Walter Gropius und sodann bei Le Corbusier, dessen zahlreichen Schriften nach dem Ersten Weltkrieg den nachhaltigsten Einfluss auf das gesamte spätere Bauen und das Nachdenken darüber haben sollten. Adolf Loos schmäht in einem polemischen, 1908 verfassten Essay „Ornament und Verbrechen“ ( Themenblock · Bauschmuck, S. 188 f.) das Ornament als Verbrechen, denn es sei gleich einer Tätowierung primitiv, überdies nutzlos und teure Verschwendung. In bemerkenswerter Weiterführung der Metapher von Kern und Bekleidung stellt Loos dem alten bunten Schmuck den modernen Herrenanzug gegenüber. Dieser sei eine universelle und vor allem neutrale Hülle des zeitgemäßen modischen Großstadtmenschen (‚-mannes‘, müsste man präzisieren), der sein Inneres eben nicht nach außen preisgibt. Eine analoge ornamentlose Diskretion sei auch den neuen Architekturen angemessen, die überdies auf eine ökonomische Produktion achteten. Die Forderung nach ornamentloser Schlichtheit verbindet sich mit den Forderungen, reine geometrische Grundformen seien wirkungsästhetisch beruhigend, gleichsam eine Hygiene der Seele. Außerdem bietet sich insbesondere das Quadrat als vielfältig zu variierende Grundeinheit an, um Architektur, Innenausstattung und Kunsthandwerk als Einheit aufeinander zu beziehen. Schließlich galten Würfel, Kugel, Kegel usw. als geometrische Grundformen auf einer höheren Abstraktionsstufe angesiedelt als kleinliche Ornamente und können insofern in Klarheit und Reinheit ästhetisch wirken. In diesem Sinne veröffentlichte Gropius im „Werkbund-Jahrbuch“ 1913 eigentlich banale, aber stereometrisch klare Industriebauten als Vorbilder reiner Architektur. Später, 1923, sollte er einen „Baukasten im Großen“ entwickeln, bei dem kubische Grundmodule flexibel für verschiedene Wohnhaustypen kombiniert werden können. Auch in Le Corbusiers zentralem Buch „Vers
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une architecture“ von 1923 ist diese Berufung auf stereometrische Grundformen mit der Forderung verbunden, technisch zeitgemäß zu bauen. In eigenartiger Parallele erscheinen bei Gropius wie bei Le Corbusier riesige blockhafte oder zylinderförmige Industriebauten (Speicher, Silos) aus Übersee als Vorboten einer auf das Essentielle und ‚Wahre‘ reduzierten Architektur. In der ästhetisch richtigen Gestaltung des industriell gewordenen Bauens liege die eigentliche Aufgabe des Architekten, so Gropius. Noch weiter geht Le Corbusier, denn die ideale, in ihren reinen geometrischen Formen unerbittlich und maschinengleich auf die Seele wirkende Architektur entstehe aus einer gleichsam industriell logischen Produktselektion. Das Unnütze und Teure werde dabei ausgeschieden, um eine „Wohnmaschine“ zu kreieren, deren Gestaltungsprinzipien allein moderner Technik verdankt sind. All das sei von den – pauschal als blind diffamierten – Architekten bislang nicht erkannt worden. Le Corbusier fasst die daraus abgeleiteten Grundprinzipien des neuen Hauses 1927 in fünf Punkten zusammen (□ vgl. 22): Das Haus solle auf Stützen stehen (1), somit von der Erdoberfläche abgesetzt sein, der Grundriss könne dank der Reduktion von tragenden Stützen frei und daher funktional eingeteilt werden (2), ebenso die Fassade, die nur noch vor das Skelett vorgehängt ist (3). Das Fenster könne als umfassend belichtendes horizontales Band konzipiert werden (4), auf dem Haus bietet ein flaches Dach eine zusätzliche Terrassennutzfläche (5). Bei aller Variabilität der Ausbaumöglichkeiten sei eine solche Architektur wie ein Auto am Fließband standardisiert zu produzieren. Le Corbusiers provokanter und im Einzelnen inkonsistenter und unpraktikabler Entwurf hatte deswegen so durchschlagende Wirkung, weil er das Konfliktpotential zwischen Architekt und Ingenieur sozusagen an beiden Enden überzieht und zusammendenkt. Das Haus soll in der Konzeption, Produktion und Wirksamkeit eine Maschine sein, doch alles zusammen erbringt einen ästhetischen Mehrwert: nämlich Rührung ob der hier angewandten Ordnung und Regelhaftigkeit. In provokanter Weise wird dieser Gedanke durch die Behauptung untermauert, dass die griechischen Tempel nach den gleichen Prinzipien entstanden seien. Außerdem schafft das standardisierte Haus auf Stützen mit seiner Unabhängigkeit von verpflichtenden Straßenfluchten die Grundeinheit für weitreichende neuartige Städtebaukonzepte, die aufgelockerte Stadt |▶ 27|. Der Hintergrund für diese theoretischen Konzepte ist das seit Beginn des 20. Jh.s allgemein zunehmende Bewusstsein des Architekten, in sozialer Verantwortung für eine neue Gesellschaftsstruktur zu entwerfen. Gute Architektur für alle Schichten zu entwerfen, enthält prinzipiell das Bekenntnis für eine demokratische Gesellschaft, impliziert aber auch, technische und massenhafte Produktion als Grundbedingung des Bauens zu akzeptieren. Le Corbusier versteigt sich gar zur Behauptung, nur dadurch könne eine politische Revolution verhindert werden. Derartige Inhalte gelten insbesondere auch für die konstruktivistische Architekturtheorie in der UdSSR, die von Moisey Ginzburg formuliert wurde („Stil i epocha“‚ dt. ‚Stil und Epoche‘ 1924, engl. Übers. in Battisti 1977). In Absetzung von einer schrittweise in einer dekorativen Architektur versinkenden kapitalistischen Architektur prognostiziert Ginzburg ein neues Bauen in der Sowjetunion, das sich insbesondere der Arbeiterklasse mit allen Möglichkeiten der konstruktiven Rationalität und industriellen Standardisierung im ‚Pathos der Arbeit‘ widme. Die hier wirkenden dynamisch-pathetischen konstruktiven Kräfte, die ‚Konstruktivität‘, sollen sichtbar gehalten werden, somit Schönheit und einen neuen Stil entstehen lassen.
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90 □ 40 Bruno Taut, „Stadtkrone“, 1919: Ansicht des Zentrums der Idealstadt
Anders, weniger technokratisch, wird die sich allenthalben nach dem Ersten Weltkrieg manifestierende soziale Verantwortung in der Architekturtheorie des deutschen Expressionismus umgesetzt. Vor allem Bruno Taut engagierte sich gegen Ende des Ersten Weltkriegs vermittels einer Reihe von Publikationen gegen das Versagen der Politik. Stattdessen reklamiert er eine gottähnliche Rolle des Architekten als gleichsam religiöser Visionär und Retter der Menschheit. In einer sehr unsystematischen, Traditionen der deutschen Romantik, des utopisch-anarchischen Sozialismus und esoterisch-mystische Vorstellungen verbindenden Weise visioniert er – etwa in „Alpine Architektur“ (1920) – den architektonischen Umbau der Alpen und die Auflösung des Universums in einem Kristallstern: Gemeint ist eine totale Beseelung aller Dinge des Kosmos durch den visionären Architekten. Konkreter auf städtebauliche Vorstellungen bezogen ist sein Buch „Stadtkrone“ von 1919, das eine Idealstadt entwirft, die die Erkenntnisse der modernen Gartenstadt und des Siedlungsbaus vereint (|▶ 30|, □ 40): regelmäßige Grundrissanlage, Hygiene, funktionelle Hauskonzeptionen. Im Zentrum der auf 300 000 Einwohner berechneten Idealstadt erheben sich auf einem Plateau die öffentlichen Bildungseinrichtungen, nicht aber Regierungsgebäude. Stattdessen reckt sich ein immenser Kristalldom in die Höhe, den jeder Bewohner einmal in seinem Leben besichtigen solle, um dort im farbglühenden Erleben des kosmischen Lichts zu einem sozialen und friedlichen Mitglied dieser anarchistischen Gesellschaft zu werden. Ganz ähnlich und zur gleichen Zeit formuliert es das Eröffnungsmanifest und Lehrprogramm des Bauhauses in Weimar |▶ 31|: Das emphatische Zusammenwirken aller Menschen am Bau einer prismatisch funkelnden Kathedrale – so bildet sie der begleitende Holzschnitt von Lyonel Feininger ab – ist die Präambel der Kunsthochschule sowie einer Gesellschaftsvision. Prinzipiell aus ähnlichen Motiven wie die expressionistische Architekturtheorie gespeist, aber im Tenor deutlich klassizistisch, erscheint nach dem Ersten Weltkrieg auch in der französischen Architekturtheorie die Denkfigur des architektonischen Bauens als höchster menschlicher Tätigkeit. Dies hat vor allem der Schriftsteller Paul Valéry in seinem antikisierenden Dialog „Eupalinos ou l’architecte“ von 1921 formuliert. Der Text analysiert metaphorisch die Bedingungen menschlichen Erkennens und (Kunst-)Schaffens. Die Architektur sei die höchste Exemplifizierung einer durch den handelnden Akt des
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Menschen entstehenden „Konstruktion“, zu unterscheiden von dem durch die Naturkräfte bewirkten „Gewordenen“ und dem rein kontemplativen, nicht handelnden „Wissen“. In Wechselwirkung von denkendem Konzipieren und handelndem Konstruieren entstehe somit Schönheit, die – von vollendeten Proportionen – ein Bauwerk „singen“ lasse. Valéry formuliert damit eine durch und durch klassizistische Ästhetik, die energisch darauf achtet, die alte Einheit von Konstruktion und Schönheit in eine immerwährend gültige „Poesie“ umzusetzen. In Analogie zu der emphatischen Aufwertung des gemeinschaftlichen Bauens im deutschen Expressionismus erscheint bei Valéry die „Konstruktion“ als verallgemeinerbares Grundprinzip des Lebens. Hier wird aber im Gegensatz zum Expressionismus der Versuch unternommen, eine harmonisch ausponderierte Einheit zwischen Kunst und Leben wiederzugewinnen, die auf Hierarchie und Ewigkeit setzt – und dies durchaus als demokratiekritische Botschaft versteht. In den Bereich der Architekturphilosophie tendierend sind die theoretischen Schriften des vor allem als Kirchenarchitekten tätigen Rudolf Schwarz, die 1927 mit Überlegungen zur Bedeutung der Technik in der modernen Welt einsetzen. In Zurückweisung der oberflächlichen Auffassungen, Technik bzw. industrialisiertes Bauen seien bloß zweckrationalen und ökonomischen Zielen geschuldete Optimierungen, macht Schwarz auf die eigenartige Stellung des technischen Werks aufmerksam: Es sei von ausgeprägter und teilweise unheimlicher Materialität, entstehe aber aus Anwendung rein geistiger Prozesse auf der Grundlage naturwissenschaftlicher Erkenntnis, welche aber letztlich nicht in ihrem Tiefsten verstanden werden könne. In späteren Büchern („Vom Bau der Kirche“ 1938, „Von der Bebauung der Erde“ 1949) entwickelte Schwarz eine stark neoplatonisch geprägte, allgemeingültige Theorie der Gestaltbildung. Aus einer als Keim begriffenen Idee konkretisiere sich eine Blüte und bilde dabei eine Raumform, in der neue Samen heranreifen. Diese an Goethes Metamorphosenlehre angelehnte Auffassung gelte auch für das Bauen als einer „Gestaltwerdung der Idee im Raum“, die wie ein Keim zu verstehen sei, der sich verlebendigt und Substanz annimmt. Schwarz verbildlicht diesen zyklischen Wachstumsprozess durch Schemata: Ring, Offener Ring, Kelch, Weg, Wurf, Heiliges All, Der Dom aller Zeiten. Doch handelt es sich hierbei nicht um Grundrissfiguren für Kirchen, sondern um Diagramme eines universalen Prinzips der Gestaltwerdung – zu beziehen auf das Leben Christi oder jedes Individuums oder den katholischen Sakralbau, wo sich christlicher Geist im konkretisierten Raum verkörpert. Das vorgenannte Ästhetiktraktat von Valéry wurde auch häufig als Kronzeuge von Architekturauffassungen bemüht, die sich nicht primär auf Technik, Standardisierung und soziale Funktionalität beziehen wollen, wie dies das Neue Bauen zumeist tut. Stattdessen wurde als Reaktion auf solche Positionen gegen Ende der 20er Jahre in ganz Europa eine neue Symbolik der Architektur eingefordert, in der auch das Ornament wieder als belebendes und sprechendes Element eine positive Rolle einnimmt. Doch in der Zeit der fast weltweit extremen weltanschaulichen Polarisierungen wurde der Diskurs über Architektur in einer fatalen, für die Betroffenen unentrinnbaren Weise politisiert. So gab es allenthalben polemische Verdammungen der Internationalen Moderne, die als anti-national, internationalistisch und bolschewistisch bzw. als imperialistisch diffamiert wurde. Auch Paul Schmitthenners Versuch, in „Das deutsche Wohnhaus“ 1932 mit Hilfe von subtilen Kriterien der Wohnbaugestaltung (Proportionen, Raumdisposition, Wegführungen, Ein-
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richtungen, Bautechniken, Traditionspflege) an derartige Traditionen Heinrich Tessenows |▶ 22| anzuknüpfen, ist eingebettet in einen rassistisch-völkischen Rassismus, der sich in einem verpflichtenden ‚deutschen Haus‘ niederschlagen müsse. Die Suche nach einer neuen Symbolik des Bauens pervertierte sich in Deutschland in einen angeblich „deutschen“ Heimatstil bzw. das gigantomane repräsentative Bauen |▶ 35|. Gleichzeitig setzte man in der Sowjetunion in einer radikalen Wende seit 1932 auf einen monumentalen Klassizismus, der – gerade vermittels seiner großformatigen Baudekoration – von einer heroisch erhebenden Allgemeinverständlichkeit sein sollte. Ernstzunehmende Theorieentwürfe entstanden aus diesen Gründen in dieser Zeit des Terrors in Deutschland und der UdSSR keine. Ähnliche Tendenzen eines sozialistischen Realismus gelten ungeachtet der unterschiedlichen politischen Systeme auch für Spanien, Italien, aber auch etwa Frankreich. So erhielt die Theorie der Modernen Architektur mit Anfang der 30er Jahre eine Wende. Dies gilt trotz oder gerade wegen ihrer großangelegten Ehrenrettung, die 1932 vermittels einer bedeutenden Ausstellung „Modern Architecture: International Exhibition” im New Yorker Museum of Modern Art und der Begleitpublikation „The International Style: Architecture Since 1922“ durch Philip Johnson und Henry-Russell Hitchcock unternommen wurde. Die Bauten von Le Corbusier, Gropius, Mies van der Rohe und vielen anderen vereinen nunmehr nicht theoretische Begründungen – ihr sozialer Auftrag oder die Herausforderung durch Technik –, sondern ihre formal ähnlichen ästhetischen Qualitäten: kubisch-klare Formen, glatte Oberflächen, Ornamentlosigkeit und Regelhaftigkeit. Was die Theorien der Moderne eigentlich als sekundäre Resultate der Erfüllung anthropologischer Grundprinzipien erachtet hatten, die sich nicht in äußerlichen Formfragen erschöpften, wird nun zum ‚Stil‘, einer bloßen äußeren Erscheinung. Dass die weißen Kuben und Metallgeländer der Moderne eigentlich nur ein beliebiges Formenspiel seien, diente zur gleichen Zeit auch als negativ gemünztes Argument der anti-modernen Polemiker. Nunmehr wurde dies positiv als Weltstil konnotiert und in einer analysierenden Rückschau von Johnson und Hitchcock gegen die herrschenden nationalen Architekturbegründungen gewendet. Im Grunde hatten die amerikanischen Kuratoren Recht, wenn sie die teilweise inkonsistenten Theorien der Moderne schlicht missachteten, deren Produkte stattdessen in ihrem mondänen Life-Style-Image ernst nahmen und damit die Moderne zum neuen Stil bzw. einer Marke erhoben |▶ 36|. Das blieb auch nicht unwidersprochen, denn Sigfried Giedions umfangreiches Buch „Space, Time and Architecture“, 1941 zum ersten Mal erschienen, vielfach übersetzt und über Jahrzehnte das maßgebliche Referenzwerk über die Moderne, versucht, die höhere Notwendigkeit der Internationalen Moderne in einer historischen Perspektive herauszustellen und damit gegen ihre Rezeption als schicke ‚Playboy-Architektur‘ zu verteidigen. In einer Art kulturgeschichtlicher Analyse vergleicht der langjährige Sekretär der CIAM ( Themenblock · Organisationen und Interessenverbände, S. 220 f.) grundsätzliche Verständnisweisen von Welt und Architektur bzw. Städtebau seit der Renaissance, welche von einem durchwirkenden Rationalisierungstelos gekennzeichnet sei. So entspreche der Systematisierung des Bildraums durch die Zentralperspektive der Renaissance eine Modellierung des urbanen Außenraums. Mit der Erfindung neuer technischer Möglichkeiten, insbesondere der Eisenarchitektur, sowie einer gestiegenen moralischen Verantwortung des Architekten im 19. Jh. sei eine Wende eingeläutet worden, die die Auflösung der Perspektive mit sich gebracht habe und sich umfassend in der
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kubistischen Malerei wie der modernen Architektur, aber auch der Mathematik zeige: Zu den drei Dimensionen des Raumes trete nun die Zeit. Damit meint Giedion eine dynamische Auffassung der Welt, die sich architektonisch den neuen Produktionsbedingungen verdanke und in halb abstrakten, halb natürlichen, teilweise schwingenden und vor allem sich durchdringenden Formen (in der Malerei) und Räumen (in der Architektur) zeige. Trotz des Umfangs des Buches – der den zahlreichen gewissenhaft besprochenen Einzelbeispielen geschuldet ist – bleibt die Argumentation eigentümlich einseitig, denn sie blendet etwa den Expressionismus vollständig aus, ergreift dafür allzu ersichtlich Partei für wenige, ausführlich vorgestellte Protagonisten wie Le Corbusier, Gropius, Mies, Aalto und Jørn Utzon (den Erbauer des Opernhauses von Sydney). Giedions Handbuch, das man wohl eher als historische denn als theoretische Abhandlung zu verstehen hat, ist also auch eine Art späte Rechtfertigungsschrift einer Internationalen Moderne, die sich vor allem in den seit 1928 veranstalteten Congrès Internationaux d’Architecture Moderne konstituiert hat und aus der auch die für die Nachkriegsarchitektur folgenreichste Städtebautheorie hervorging: die 1933 beschlossene und 1943 mit vielen Änderungen von Le Corbusier publizierte Charta von Athen |▶ 37|. Das konsequent an Primärfunktionen – Arbeiten, Wohnen, Erholen, Fortbewegen – orientierte Regelwerk einer modernen Stadtplanung wurde aber ob seiner Einseitigkeit und Radikalität seit den 50er Jahren in den Reihen der jüngeren CIAM-Mitglieder zunehmend kritisiert |▶ 39|. In den 60er Jahren formierte sich daraus breiter Widerstand, etwa auch von psychotherapeutischer Seite (Alexander Mitscherlich: „Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden“, 1965), aber auch von Seiten einer neuen Architekturtheorie, welche mit dem Schlagwort der Postmoderne versehen worden ist. Sehr einflussreich war hierfür Aldo Rossis umfangreiches Buch „L’Architettura della Città“, 1966 erschienen. Entschieden stellt Rossi die Stadt nicht als einen Funktionszusammenhang dar, sondern als ein künstlich-ästhetisches Gebilde, das selbst Individualität habe. Völlig neu im Feld der Architekturtheorie, stützt sich Rossi auf Studien zur Erinnerungskultur des Menschen (Fustel de Coulanges, Maurice Halbwachs), welche Konstanz und Identität auch im Bauen stiften. Ganz anders als im Rahmen der frühen Postmoderne funktioniert die Kritik am starren Funktionalismus der Moderne, wie sie die japanischen Metabolisten um Kisho Kurokawa, Noboin Kawazoe und andere seit 1960 vortrugen („Metabolism 1960 – A Proposal for a New Urbanism“, 1960). Der Name leitet sich bewusst von biologischen Stoffwechselvorgängen ab – es war die Zeit wichtiger Entdeckungen in der Molekulargenetik – und bezieht diese Metapher auf städtische Gebilde, die einem unregelmäßigen und schnellen Wachstum unterliegen. Um die Flexibilität und Fluidität der urbanen Strukturen zu verbessern, fordern die Metabolisten Megastrukturen, also größere städtische Untereinheiten, in die Einzelkapseln und Funktionsmodule flexibel integriert und entfernt werden können |▶ 39|. Soziale Ordnung soll insofern über kybernetische geregelte Wachstumsvorgänge entstehen, die Stadt wird insofern als organischer – und nicht wie in Europa als historischer – Prozess aufgefasst. Damit ist auch eine spezifisch japanische Moderne formuliert, die im Rückgriff auf buddhistische Glaubensvorstellungen Architektur und Urbanismus als veränderlichen und fließenden Prozess versteht, während Europa an statischen und immobilen, auf Formen und Masterplänen insistierenden Architektur- und Städtebaukonzepten festhalte. Nicht ohne Grund veröffentlichen Kenzo Tange und Kurokawa auch
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□ 41 Ron Herron, „Walking City on the Ocean“, Collage 1966 (New York, Museum of Modern Art)
Bücher über die immer wieder gleich einem Naturprozess erneuerten Heiligtümer des Ise-Schreins und der Kaiservilla Katsura. Im Zusammenhang des Metabolismus ist vor allem auch die englische Gruppe Archigram zu sehen, die überdies einen entscheidenden Schritt weg vom Urmedium der Architekturtheorie, dem von einem Autor geschriebenen Buch, vollzog. Im Fall von Archigram sind es mehrere Verfasser, Zeichner, Typographiker, vor allem Peter Cook, Dennis Crompton, Ron Herron und Mike Webb, damals junge Studenten, die Archigram als neun Nummern einer zwischen 1961 und 1973 erscheinenden Pop-Architektur-Publikation präsentierten. Comic Strip, Werbegraphik und Collage sind neue Medien einer Architekturtheorie, die unkonventionell und humorvoll, lebensbejahend und unsystematisch ist. Vor allem utopische Projekte werden hier vorgestellt: Futuristische Architekturen in Riesengerüsten, in die neue Baueinheiten flugs ein- und ausgebaut werden können und in denen eine schnelle Kommunikation über Kapseln, Kräne, Röhren und Rolltreppen, nicht die überlebte Straße, gewährleistet ist. Futuristische, aus Science-fiction-Comics adaptierte raumschiffartige Walking Cities machen die Immobilität der Architektur obsolet, denn die Stadt, einem gigantischen Kriechtier ähnlich, kann sich auf Riesenbeinen fortbewegen, um Lebensbedingungen und die Energieversorgung äußeren Veränderungen anzupassen (□ 41). Architektur ist eine hedonistische Angelegenheit, ein wegwerfbares Konsumprodukt, dazu konzipiert, das moderne junge Leben, Konsum, Fernsehen, Werbung, Pop und Sex, gleichsam psychodelisch angeregt zu genießen. Insofern schlägt Archigram einen ironisch übersteigerten, auf eine kurzfristige Nutzung ausgerichteten Funktionalismus im Sinne eines buy-and-throw-away vor, der sich nicht mehr um Dauerhaftigkeit und äußere Form, um das Zusammenspiel von Kern und Fassade, um das Umgehen mit Raum und Licht, um Tradition und Gegenwart kümmert. Archigram ist das Pendant zu der englischen Pop-Art mit ihrer ironisch-optimistischen Bejahung der Popkultur (Ausstellung
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„This is tomorrow“ in der Londoner Whitechapel Gallery, 1956; Richard Hamilton) sowie zu den Beatles. Gleichzeitig dazu, 1966, erschien als US-amerikanisches Pendant die Schrift „Complexity and Contradiction in Architecture“ des Architekten und Theoretikers Robert Venturi. Es handelt sich um ein explizites Pamphlet, das sich den Idealen der Moderne – exemplifiziert vor allem durch Mies van der Rohe –, Formen und Bedeutungsgehalte möglichst zu vereinfachen, zu generalisieren oder zu typisieren, entgegenstellt. Anhand zahlreicher Beispiele aus der Architekturgeschichte bis in die Gegenwart – diese Öffnung gegenüber historischer Architektur allein ist ungewöhnlich – führt Venturi aus, dass nur Widersprüche, Kontraste und Konfrontationen in Architektur und Städtebau der Komplexität der Welt angemessen Ausdruck geben könnten. Dabei bezieht er sich zumeist auf Formanalysen, argumentiert aber auch mit Kriterien des Geschmacks, wenn etwa ‚Schönes‘ mit ‚Vulgärem‘ konfrontiert werden kann. Ähnlich der amerikanischen Pop-Art geht es darum, überlieferte Motive zu verfremden und in neue, überraschende Zusammenhänge zu übernehmen. Dabei wird das hierarchische Verhältnis von Hochkunst und Populärkunst kreativ außer Kraft gesetzt, nicht ohne dabei aber auf spielerische Weise Aussagedimensionen der Architektur als Assoziation oder Ironie neu zu gewinnen. In einer weiteren, zusammen mit seiner Frau Denise Scott Brown und Steven Izenour verfassten Studie, „Learning from Las Vegas“, widmet sich Venturi ebenfalls der Rückgewinnung von symbolischen Kommunikationsebenen der zeitgenössischen Architektur. In einer Gesellschaft, die sich primär im Auto bewegt, verändern sich die Wahrnehmungsbedingungen von Architektur. Wie im damaligen Las Vegas mit seinen überbreiten Straßen und riesigen Parkplätzen zu studieren, muss sich die Fassade als ein überdimensioniertes Hinweisschild am Straßenrand von dem eigentlichen, entfernt von der Straße liegenden Bauwerk trennen. Das riesige Schild und der Empfangsbereich selbst wiederum unterliegen, weil sie ja zum Konsum verführen sollen, einer hybriden Bildkultur, die verschiedenste Klischees ebenso respektlos wie assoziativ wirksam übereinanderblendet: Für Cesar’s Palace, schon im Namen auf das Klischee antiken Luxus anspielend, steht eine comicartig verzerrte Tempelfassade, in Kombination mit einer Western-Saloon-Schrift und übergroßen Kopien von Renaissanceskulpturen. Eine andere Möglichkeit der populären eindeutigen Semantisierung von Baulichkeiten sei, dass sie die Form des dort zu konsumierenden Produktes annehmen: Das Autorestaurant The Long Island Duckling signalisiert seine Funktion durch eine Ausformung als betretbare, große Ente. Venturi rückprojiziert dieses Insistieren auf den weiterhin aktuellen – in der modernen Konsumgesellschaft essentiellen! – symbolischen und kommunikativen Potentialen der Architektur augenzwinkernd auf die gesamte Architekturgeschichte: Diese lasse sich immer auf die beiden Grundprinzipien des decorated shed, des ‚dekorierten Schuppens‘ bzw. der duck, der ‚Ente‘ zurückführen (□ 42). Cesar’s Palace und die Chicken-Bude stehen also in einer Linie mit der Kathedrale von Chartres und dem Palazzo Farnese – warum nicht? In dieser Rückgewinnung der Sprachfähigkeit des Bauens liegt ein gewichtiger Beitrag der Architektur zur sog. Postmoderne. Dabei handelt es sich aber nicht um das ideologische Wiederbeleben erschöpfter klassisch-vitruvianischer Vokabulare oder historischer Stile, sondern um eine prinzipiell bereichernde, weil beziehungsreiche Neuverknüpfung und Collagierung, ironische Brechung und anspielungsreiche Fragmentierung zwischen
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96 □ 42 Robert Venturi/Denise Scott Brown: „Learning from Las Vegas“, 1972
Hochkunst und Populärkultur | ▶ 48|. Dieses Bewusstsein postmoderner Denkund Wissensstrukturen hat auch Charles Jencks in seinen sehr bekannten Entwurf einer postmodernen Architektur einfließen lassen, der 1977 unter dem Titel „The Language of Post-modern Architecture“ erschien. Jencks entwirft seine Theorie der postmodernen Architektur bereits aus einer gewissen Rückschau heraus, indem er die Postmoderne als umfassendes weltanschauliches Phänomen zur Grundlage nimmt und augenzwinkernd konstatiert, dass die Moderne am 15. Juli 1972 in St. Louis mit der Sprengung der Pruitt-Igoe Housings, 1952 – 55 von Minoru Yamasaki (dem Architekten des New Yorker World Trade Centers!) errichtet, gestorben sei. Das umfangreiche, durchgängig in humoriger Diktion verfasste Buch bringt zunächst die Gründe für die Erschöpfung der Moderne: Sie sei zu einer Formspielerei ohne Lebensbezug verkommen bzw. zum Büttel eines renditeorientierten Kapitalismus, die einstigen humanistischen, emanzipatorischen und rationalen Ziele seien in der Wirklichkeit irrationale Worthülsen geworden. Dagegen setzt Jencks eine neue Zeichenhaftigkeit der Architektur, die aber nun bewusst doppelt kodiert sei: Elitär und populär zu verstehen, dürfe sie aber nicht nur beliebig Bezüge zu anderen Sinnsystemen erstellen, sondern müsse primär Raumgestaltung bleiben. Die metaphorische Qualität von Architektur halte in der Imagination ein großes Sinnpotential bereit, wie etwa Eero Saarinens TWA-Terminal in New York zeige (□ vgl. 33): Denn der Flughafen mit zwei sich symmetrisch ergänzenden riesigen Betonschalen sei nicht nur ein ikonischer Verweis auf einen Vogel, sondern mache anhand der konsequenten Ausformung als Knochen, Sehnen und Flächen das Thema des Fliegens vielschichtig bewusst. Oftmals gefällt sich aber Jencks darin, solche Vielfalt der Bedeutungsdimensionen in vexierbildhaften Interpretationen von äußeren Formen auszumalen: Die berühmte Kirche in Ronchamp von Le Corbusier (□ vgl. 32) könne als Portrait Napoleons, als Ente usw. gesehen werden. Indem er den Metaphernbegriff in einem linguistischen Sinn weiter unterteilt – in Wort, Satz, Syntax usw. –, macht Jencks auf die komplexe Elastizität aufmerksam, mit der Sinnbezüge nicht nur in Texten, sondern auch in einer ‚radikal eklektizistischen‘ Architektur erstellt werden können. Mit solchen Forderungen ist allerdings die Annahme verbunden, dass die neue, pluralistische und vielschichtige Bedeutungshaftigkeit von postmoderner Architektur sich
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auch auf eine tatsächliche Realität bezieht, also auf die Geschichte oder moralische oder ästhetische Werte, mithin Komponenten der Welt, die durch die Architektur sinnstiftend repräsentiert werden sollen. Diese Zusammenhänge hat der Architekt und Theoretiker Peter Eisenman 1984 grundsätzlich in Frage gestellt („The End of the Classical. The End of the Beginning, the End of the End”, in Eisenman 2004, S. 153 – 168). Die Vorstellung, dass die Architektur seit der Renaissance ‚Welt‘ repräsentiere, gelte auch noch für die Moderne, auch wenn es nicht um den Verweischarakter von Säulenordnungen und Stilen geht. Doch noch im Dogma des Funktionalismus solle etwa ‚Wahrheit‘ vergegenwärtigt werden. Was bedeutet es nun aber, wenn – wie dies der Poststrukturalismus und insbesondere Jean Baudrillard erkannt haben – die ganze Welt und die Begriffe ihrer Erfassung nur eine gedankliche Konstruktion, eine ‚Simulation‘, darstellen? Eine Architektur, die Repräsentation leisten soll, hat somit ihre Bezugsebene in einer nicht zu erfassenden Realität verloren, die Repräsentation ist selbst nur noch eine Simulation. Alle Versuche insbesondere der Moderne, Allgemeingültiges – also Wahrheit und überzeitlich gültige Sinnzusammenhänge gegen die ‚lügnerische‘ und schnelllebige Dekorationsarchitektur des 19. Jh.s – vor Augen zu stellen, verlieren ihren Boden, denn sie gründen in nicht objektivierbaren Realitätsvorstellungen von Wahrheit und Zeitlosigkeit. Dies könne die Architektur nur dadurch beantworten, dass sie sich als bedeutungsfreie, beliebige und zeitlose Schöpfung (meaning-free, arbitrary, timeless creation of artificiality), als eine ‚Dissimulation‘ darbiete, die die Grenze zwischen Realität und Künstlichkeit offenhält. Sie wird das Zeichen eines Zeichens, offenbart beständig ihre eigene Fiktionalität, will keine Werte schöpfen und Utopien ankündigen und verzichtet darauf, die Kausalität von Welt vorzuführen. So bezieht sich Architektur nur auf sich selbst, gibt Anleitung zum Lesen und Agieren, macht Fiktionalität bewusst, ohne ein Ausdruck von etwas anderem sein zu wollen. Auch in Rem Koolhaas’ Buch „Delirious New York“ (1978) ist die Repräsentationsfähigkeit von Architektur radikal in Frage gestellt. Anhand einer geistreichen und vergnüglichen, bisweilen ironischen Analyse der Architekturgeschichte von Manhattan beschreibt Koolhaas die Entstehung von Superblocks, die als selbstgenügsame Container von vitaler Lebensenergie funktionieren. Ein zeitloses und dynamisch sich änderndes Leben – Wohnen, Arbeiten, Vergnügen – spielt sich im Inneren der Wolkenkratzer ab, die unabhängig von der Außenwelt sind. Entsprechend wird die Frage der Außengestaltung der Riesenblocks in einem Akt der Lobotomie (Durchtrennung der zentralen Nervenbahnen vom Gehirn) von dem phantasierend-wahnsinnigen (delirious) Vitalen im Inneren der Blocks separiert. Koolhaas’ Akzeptieren eines unbewusst-chaotisch Prozessualen versteht sich auch als eine prinzipielle Abrechnung mit Le Corbusiers ‚puritanischem‘ und kleinmütigem Konzept, durch eine aufgelockerte Stadtstruktur in grünen Landschaftsparks und mit funktionalistisch organisierten Hochhäusern urbane Probleme in klinischer Weise zu lösen, dabei aber berauschendes Lebensvergnügen zu verhindern. Diesen Antiurbanismus hat Koolhaas zusammen mit Bruce Mau in der opulenten, als typographische Collage in jeder Hinsicht überbordenden Publikation „S, M, L, XL“ (1995) weiterentwickelt. In einer über mehr als 1300 Seiten reichenden Collage aus Tausenden von Bildern, Plänen, Zeitungsausschnitten und Texten, Essays, Chroniken, Statements, Zitaten und Projektvorstellungen in verschiedensten Typographien wird die Gestaltung des Buches selbst zur theoretischen Textur. Zwar gibt es eine Art Blockstruktur und ein Raster: die Kapiteleinteilung
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nach den Projektformaten (klein, mittel, groß, sehr groß) und schematisch durch das Buch laufende alphabetisch geordnete Begriffsdefinitionen. Doch innerhalb dieser Blockstruktur kommt es beständig zu unvorhersehbaren Überraschungen, Zusammenstößen, Konfrontationen. Das Chaos hat kaum eine rational begreifbare und in Handeln übersetzbare Struktur, sondern will im subjektiven Erleben assoziativ verknüpft und ‚geordnet‘ werden. Gleichwohl stellt Koolhaas implizit, z. B. im Essay „Bigness“, eindringliche Fragen nach den Lösungsstrategien von Städtebau innerhalb einer globalisierten Welt, in der über global players corporate identities vermittelt werden, anstatt – so wäre hinzuzufügen – dass ‚große Erzählungen‘ historische Identität stiften könnten. Im Abstreifen von Bezügen auf bestimmte Orte und Zeiten entsteht also eine Architektur der Transitorik, die in den riesigen Flughäfen, Bahnhöfen und Shopping Malls viel eher eine globalisierte Identität des mobilen Menschen stiftet als in ‚öffentlichen‘ Bauprojekten einer früheren Zeit.
II. Grundzüge der Architekturgeschichte 1800 bis heute
III. Schlüsselwerke
Wörlitzer Anlagen bei Dessau Der Garten als Ort des Stilpluralismus
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n den Jahren vor 1800 bereitet sich ein grundlegender Wandel in der Architektur vor: Bislang war ein zentrales Qualitätskriterium gewesen, die seit der Renaissance von dem antiken römischen Architekturtheoretiker Vitruv übernommenen fünf Säulenordnungen gemäß der jeweiligen Bauaufgabe und in den richtigen Proportionen anzuwenden. Eine gute und regelgerechte Architektur sollte mit Hilfe der Vernunft erkannt werden können. Voraussetzung für dieses ‚Verstehen‘ war eine entsprechende Bildung. Nunmehr ändern sich die Kriterien: Zum einen soll Architektur direkt auf eine empfindsam reagierende Seele des Benutzers wirken, zum anderen kommt mehr und mehr zu Bewusstsein, dass der Weltverlauf sich nicht einem göttlichen Plan verdankt, sondern einem vielgestaltigen kausalen Entwicklungssystem, der Geschichte, folgt (vgl. S. 13 f.). Hiermit verbindet sich die Erkenntnis, dass die römische Antike, deren Monumente man vor allem kannte und wertschätzte, aus der griechischen Antike entstanden war. Erste Vermessungskampagnen auf der Akropolis, insbesondere durch die Engländer James Stuart und Nicholas Revett
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in der Mitte des 18. Jh.s, zeigten, dass es die griechische Architektur war, die als wirklich ursprünglich und rein zu gelten hatte. Daneben treten auch andere Hochkulturen und ihre Architekturen, insbesondere China, in das Bewusstsein des Architekturdiskurses. Der Ort, an dem diese Veränderungen in der Wertschätzung von Architektur zusammentreffen, ist der Landschaftsgarten des späten 18. Jh.s. Der englische Garten, entstanden im England des frühen 18. Jh.s, basiert ganz wesentlich auf dem Konzept, ‚mit der Natur zu malen‘, ihrem Licht, ihren Farben, ihren Stimmungen, aber auch mit ihrer historischen Umgestaltung in früheren Zeiten, in der Antike, im Mittelalter oder aus fernen Regionen. Staffagearchitekturen, die stimmungshaft empfunden werden sollen, nehmen deswegen historische Formen an. Der späte englische Landschaftsgarten steht insofern am Anfang zweier radikaler Veränderungen in der Architekturgeschichte: Der Wunsch nach unmittelbarer, direkt von den Sinnen aufgenommener Wirkung wird eine Konstante der Moderne. Historische Stile als Bedeutungsträger einzusetzen, wird vor allem im 19. Jh. zu
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□ 43 Wörlitz, Grundriss des Landschaftsgartens, Israel Salomon Propst nach Johann Chr. Neumark, 1784
dem dominierenden Grundsatz architektonischen Konzipierens. Das Gartenreich von Wörlitz zeigt all diese Aspekte umfassend und vielschichtig. Zudem offenbart es ein bemerkenswert frühes ökologisches, ethisch begründetes Umgehen mit der Natur. Auftraggeber war Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, der zusammen mit dem ihm freundschaftlich verbundenen adeligen Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff und dem Gärtner Johann Leopold Schoch d. Ä. die weitläufigen Anlagen plante (□ 43). Begonnen hatte man schon 1764, dabei war zunächst ein Schloss mit Rokokogarten geplant, doch nach einer Reise des Fürsten mit seinem Architekten 1765 – 67 durch Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, England und Schottland änderte sich
III. Schlüsselwerke
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die Planung umfassend. Es handelte sich um eine intensive Bildungsreise, genannt Grand Tour, um dem aufklärerischen Ideal des man of taste nachzukommen. Erst eine profunde Bildung konnte ‚Geschmack‘ als wesentliches Beurteilungskriterium für alle Dinge bewirken. Und nur auf einer solchen Grundlage konnte ein Grundherr oder Herrscher beanspruchen, gut und richtig zu handeln. So ging es in Wörlitz zunächst auch um landwirtschaftliche Erwägungen, denn es sollten die in dem Dessauer Umland häufigen Hochwasser von Elbe und Mulde in einem weiten Bereich um Wörlitz-Dessau, Oranienbaum, Mosigkau usw. eingedämmt und die landwirtschaftliche Nutzung reformiert werden. Dies wurde nun ganz im Sinne eines aufklärerischen Musterlandes umgesetzt, in welchem Nutzen und Schönheit, Antike und Gegenwart miteinander versöhnt wurden und dabei – anders als in England – für jeden frei zugänglich blieben. Die insgesamt fünf Wörlitzer Gärten sind um den vierarmigen Wörlitzer See angeordnet und über Wege, Fähren und vor allem Sichtachsen vielfältig miteinander verbunden. Überraschende Durchblicke, points-de-vue, kulissenhafte Staffelungen, Rahmeneffekte, Hell-Dunkel-Kontraste – und nicht zuletzt eine sich über das Jahr beständig verändernde Farbigkeit der Vegetation – schaffen hier vielfältige Kompositionen, gleichsam, als hätte man ein perfektes Landschaftsgemälde betreten, das so natürlich wirkt, dass man seine Kunsthaftigkeit vergisst. In der Tat ist das heitere und aufmerksame Ergehen das wesentliche Mittel, die zahlreichen Sinnbezüge zwischen Floratempel, Venustempel, Rousseauinsel, einer Nachbildung des Vesuvs, dem Gotischen Haus, dem Pantheon usw. wahrnehmen zu können. Auf den Dämmen erlauben sog. belt walks eine schöne Übersicht über die Natur, in der es keine Grenzen zwischen umgestalteter und gewachsener Landschaft zu geben scheint: Statt durch Zäune werden die Bereiche durch
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in Nahsicht überraschende, ansonsten nicht wahrzunehmende Gräben, sog. Ha-has (auch Aha) abgegrenzt. Es gab keinen vorgegebenen Plan, sondern aus landschaftlichen Gegebenheiten wuchs der Garten nach und nach, verquickte dabei agrarische Nutz- und Versuchsflächen mit scheinbar wilder Natur und der Evokation verschiedenster Stimmungsbilder. Dabei spielte die Kenntnis des Wachstums und der Farbigkeit der Bepflanzungen eine entscheidende Rolle. Zahlreiche Pflanzenarten kamen zum Einsatz, die sich zu mannigfaltigen Kompositionen und Bildachsenrahmungen in jahrzeitlich wechselnden Farben fügen und verschiedenste Stimmungen und Landschaftsbilder erzeugen sollen. Pappeln etwa dienen als Ersatz für Zypressen, zugeschnittene Kiefern imitieren Pinien, um eine mediterrane, die Antike evozierende Stimmung zu vermitteln. Die Hauptakzente innerhalb des Gartens bilden annähernd 60 Architekturen, Kleinbauten und Bildwerke, die mal omnipräsent, mal versteckt, teils farblich an die Vegetation angepasst, teils aufgrund ihrer weißen Farbe mit ihr kontrastierend, in den Garten eingefügt sind. Auch das alte Dorf Wörlitz wurde, um das Seeufer der Vegetation überlassen zu können, abgerissen und völlig umgestaltet neu errichtet. Ausgangspunkt der Anlage war ein Landschloss östlich des Wörlitzer Sees, das Erdmannsdorff an der Stelle eines barocken Jagdsitzes 1768 errichtete. Der kubisch klare und schlichte Baublock in einheitlich heller Farbigkeit erhält als einziges markantes Motiv eine übergiebelte Säulenvorhalle. In dieser Außenerscheinung erinnert das Schloss eher an ein Landhaus – und war in seiner schlichten Struktur und der Vorhalle sofort als Übernahme von Bauformen zu verstehen, wie sie Andrea Palladio im 16. Jh. im Veneto errichtet hatte. Für den Bauherrn verband sich mit diesem Palladianismus aber vor allem ein programmatischer Bezug auf England, hatte man dort diese schlichte und doch edel distinguierte Baukunst als Ideal des
erwähnten gesellschaftlich verantwortungsvollen, gebildeten man of taste verstanden. Dies war ebenso für Fürst Franz Programm und bestätigt sich auch im Schlossinneren. Hier betritt man zunächst eine Rotunde, in der antike Skulpturen präsentiert werden. Die übrigen Räume sind bewusst daraufhin konzipiert, bestimmte historische Vorbilder zu vergegenwärtigen: Der Festsaal führt ein Bildprogramm vor, das sich auf die italienische Hochrenaissance bezieht, daneben gibt es Räume nach chinesischer Mode, die Möbel sind nach englischem Vorbild grazil und schlicht. Hier wird ein aus den Reiseerfahrungen des Fürsten gespeistes Bildungsprogramm vorgeführt, das zeremonielle Anforderungen in den Hintergrund treten lässt: Die Treppen führen nicht in voluminösen repräsentativen Treppenhäusern nach oben, sondern sind wahre ‚Stiegen‘ zu Seiten der Eingangsrotunde. Das Gotische Haus, Wohnung und Werkstatt des Gärtners, Rückzugsort des Fürsten und zugleich ein Museum für zahllose mittelalterliche Bildwerke und Objekte, entstand ohne verbindlichen Gesamtplan in mehreren Erweiterungen zwischen 1773 und 1813 (□ 44). Gleich einer kleinen englischen Burg liegt es als unregelmäßiges Bauensemble inmitten von Weidefläche und Versuchsgärten. Die Rekurse auf die Geschichte der Architektur werden vielfältig vermittelt. In der dem Kanal zugewandten Front erhebt sich eine Fassade, die an die gotische Architektur Venedigs, vor allem die dortige Kirche S. Maria dell’Orto erinnert, während auf der Gartenseite eine englische Kirchenfassade der Spätgotik angedeutet ist. Die großen Maßwerkfenster belichten den dahinter liegenden ‚Rittersaal‘ und enthalten in ihrer Verglasung zugleich die Sammlung historischer Glasgemälde. Hier wird ein historisches Museum eingerichtet, das eine romantische Zwiesprache mit der ‚heroischen‘ Epoche des Mittelalters und die assoziative Rückbindung der Anhaltiner in die Geschichte erlauben sollte. Das Vorbild für diese museumhafte Inszenierung des Mit-
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102 □ 44 Wörlitz, Landschaftsgarten, Blickachse auf das Gotische Haus mit Bepflanzung in Form eines Phallus
opold Wert auf den privaten Charakter seines Museums legte. Diese gleichsam bürgerliche Privatheit war Lebensprogramm, denn anstatt eines standesgemäßen Familienzeremoniells bevorzugte er es, mit der Tochter des Gärtners in wahrer, also persönlich empfundener Liebe zusammenzuleben. Gezielt einen anderen Stil nimmt das 1795 – 1797 von Erdmannsdorff konzipierte Pantheon im Ostteil des Parks ein (□ 45). Es folgt in Verkleinerung dem berühmten römischen Rundtempel mit vorgelagerter Portikus. Man kann den Tempel als gebautes Kunsttraktat verstehen: Das als Spitzenleistung der Architektur angesehene Pantheon ist eingebettet in eine hoch aufragende Baumgruppe und erhebt sich über einem Sockel aus rohem Fels. Die Kunst entsteht somit im innigen Verhältnis zur Natur, wächst gleichsam aus ihr hervor. Das Innere, eine kuppelbekrönte zweigeschossige Ro-
telalters war zweifellos der neugotische Landsitz Strawberry Hill, den sich der Politiker und Schriftsteller Horace Walpole 1748 in Twickenham bei London hatte errichten lassen (von Engelberg 2013, S. 314 – 317). Mittelalterentdeckung und Neugotik wurden um 1800 auch andernorts als dynastische Rückversicherung angewandt: Die Löwenburg im Landschaftspark von Kassel-Wilhelmshöhe diente als Grablege von Landgraf Ludwig IX. – und auch hier hatte man schon im 18. Jh. begonnen, neben Antiken auch prähistorische Überreste aus dem eigenen Land zu sammeln. Allerdings dient das Kasseler Ensemble eher einer öffentlich wirksamen Zurschaustellung der angeblichen Anciennität des Fürstentums, während in Wörlitz Fürst Le□ 45 Wörlitz, Landschaftsgarten, Blick auf das Pantheon, Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, 1795 – 97
III. Schlüsselwerke
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□ 46 Wörlitz, Landschaftsgarten, Insel Stein und künstlicher Vesuv, Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, 1788 – 94
tunde, ist nach einer damals von dem Berliner Archäologen Aloys Hirt vorgelegten Rekonstruktion des römischen Pantheons gestaltet. Hier war ursprünglich im wahrsten Sinne des Wortes ein ‚Musentempel‘ geplant, der antike Dokumente zu wissenschaftlichen Studien versammeln sollte. 1802 ausgeführt wurde allerdings eine Ausstattung mit griechischer antiker Skulptur und im unteren Teil mit Abgüssen nach ägyptischen Werken. Über die zahlreichen Kanäle führen verschiedenartige Brücken, die sich auf mehrere Regionen der Welt beziehen lassen: So gibt es fernöstliche Brücken, eine Kettenbrücke und sogar eine verkleinerte Nachbildung einer Inkunabel der Eisenarchitektur, der Coalbrookdale Brigde bei Shrewsbury von 1781. Konkret zu einem Erlebnis- und Stimmungsraum führt der sog. Stein im Südteil des Parks (□ 46). Hier ist inmitten eines künstlichen Sees auf einem schroffen Felsgelände eine Kopie der Villa des englischen Diplomaten und Kunstsammlers William Hamilton am Golf von Neapel ver-
wirklicht. Wie der charismatische Engländer vereinte auch Fürst Leopold hier eine Kunstsammlung, doch vor allem war hier sein Süditalien-Erlebnis zu wiederholen. Mithilfe eines Feuerwerks konnte ein Vesuvausbruch imitiert werden, mit einem Nachen konnte man wie in Capri in eine künstliche Blaue Grotte einfahren oder es war ganz schlicht möglich, ein ungezwungenes Bad im Wasser zu nehmen, wie es die Neapolitaner Jungen auch im Mittelmeer taten. Der landschaftliche und architektonische Erlebnisraum war eingebettet in durch und durch philanthropisch geprägte Reformbestrebungen im Fürstentum Anhalt-Dessau. Vor allem zahlreiche pädagogische und edukative Neuansätze versuchten, antikes Bildungsgut, vor allem in Moral und Ethik, auf natürliche und lebensvolle – sogar teilweise erotisch anregende – Weise zu vermitteln. Die programmatische religiöse Toleranz zeigt sich etwa darin, dass das neu gebaute Dorf Wörlitz auch eine Synagoge erhielt. Dies verband sich mit der Erforschung und Ausnutzung naturwissenschaft-
Wörlitzer Anlagen bei Dessau
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licher Gesetze, insbesondere im Bereich der Botanik und Landwirtschaft. Was die Architektur im Wörlitzer Gartenreich angeht, so ist ihr Stilpluralismus also nicht bloßem Streben nach pittoresker Vielfalt geschuldet, sondern Teil eines pädagogischen Reformprogramms, das umfassende Bildung als neues Ideal verfolgt. Jeder Stil und jeder Bautypus ist mit einem Netzwerk von Bedeutungen und Eindrücken versehen, die in unterschiedlicher Weise wahrgenommen werden können: als vage Stimmung, als erhabenes Erlebnis, als Evokation geschichtlicher Epochen oder als veranschaulichte Architekturtheorie. Es ist diese in Wörlitz exemplarisch zu beob-
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achtende Vielfalt der Konnotationen, die einen immensen Pool von Ausdruckmöglichkeiten der Stile bereithält, aus dem in der folgenden Zeit, in der Epoche des architektonischen Historismus, geschöpft werden wird. Die entschieden volkspädagogische Ausrichtung des Wörlitzer Gartenreichs wird dabei insbesondere von den Volksparks (□ vgl. 4) und auch den zoologischen Gärten aufgenommen werden, die vor allem seit der zweiten Hälfte des 19. Jh.s als Erholungsbereiche innerhalb der umfangreichen Stadterweiterungen und -umgestaltungen angelegt werden (z. B. Wilhelma in Stuttgart, 1846; Parc Monceau in Paris, 1861; Volkspark Jungfernheide in Berlin, 1904).
Die Saline von Chaux in Arc-et-Senans Die Idealstadt der architecture parlante
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bgelegen in den bergigen Regionen des französischen Jura sollte eine der Musterstädte der späten Aufklärung entstehen, deren Zentrum und Ausgangspunkt kurioserweise eine Saline war. Architekt war Claude-Nicolas Ledoux (1736 – 1806), Schüler von JacquesFrançois Blondel und bald ein gefragter Architekt. 1771 hatte er den hochrangigen Posten eines Inspektors der Königlichen Salzbergwerke in der Franche-Comté eingenommen. Diese Anstellung sollte mitprägend für seine Theorie werden, denn er hatte sich fernab von Paris weniger um Repräsentationsbauten, sondern um Ingenieursprojekte, Forstwirtschaft, Kanalbau und logistisch-organisatorische Fragen zu kümmern. Hier entwickelte er eine umfangreiche und komplexe, völlig neue Architekturauffassung, in deren Zentrum die unausweichliche moralische und erzieherische Wirkung des Bauens auf den Menschen steht.
III. Schlüsselwerke
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Die Salzgewinnung in dem aufstrebenden Jurastädtchen Salins geschah durch Aufkochen und Verdunsten der Sole und war ein durchaus lukrativer und deswegen staatlich geregelter Produktionszweig, den Ledoux völlig neu aufbaute. Aus Brandschutzgründen verlegte er die Saline an den Stadtrand in die Nähe der Dörfer Arc und Senans und entwickelte zunächst ein Projekt in Form einer Vierflügelanlage um einen quadratischen Innenhof. Nachdem er aber umfangreiche Nutzungsrechte des umliegenden Waldes erworben hatte, plante er in großem Maßstab neue Wasserzu- und -ableitungen sowie ein Verkehrsnetz. 1775 bis 1778 wurde die neue Anlage ausgeführt, zu der aus 24 km Entfernung das salzhaltige Wasser zu den Gradieröfen herbeigeführt, das Salz als dicke Klumpen gewonnen und weiter vertrieben wurde. Bis 1895 lief der Betrieb, 1936 begannen Wiederinstandsetzungen.
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□ 47 Arc-et-Senans, ehem. Saline, Claude-Nicolas Ledoux, 1775 – 78
Nur ein kleiner Teil der geplanten Anlage wurde verwirklicht: Die Bauten gliedern sich entlang den Konturen eines Halbkreises an, in dessen Mitte sich das Direktorengebäude erhebt (□ 47). Dieses wird durch zwei langgestreckte, niedrige Gebäude flankiert, in denen die Sole gekocht wurde. Das Halbrund hingegen wird eingenommen von fünf Häusern, von denen das mittlere, in der Achse des Direktorenhauses, das Portal- und Pförtnerhaus bildet, während die seitlichen als Wohnhäuser der Salzsieder dienen. Die Gesamtanlage erinnert an ein aus Einzelpavillons bestehendes Schloss; allerdings ist der Hauptflügel nicht der Repräsentation eines Herrschers, sondern der Verwaltung und Produktion des Salzes gewidmet. Alle Gebäude scheinen zunächst nach einem gleichen Schema konzipiert zu sein: Ein
Querriegel unterbricht ein langgestrecktes Gebäude mit hohem Dachaufbau. Arbeiterhäuser und Direktorenhaus gleichen sich insofern einander an. Allerdings erhebt sich dieses über quadratischem Grundriss, steigt dominant auf zwei Geschosse an und wird durch eine markante dorische Vorhalle mit abwechselnd runden und quadratischen Säulentrommeln herausgehoben. Aber auch das Portalgebäude ist nach außen durch eine mächtige dorische Säulenvorhalle ausgezeichnet und erinnert unmissverständlich an einen griechischen Tempel. Im Inneren öffnet sich das Portal in einer mächtigen Nische, die, aus rohen Bruchsteinen gemauert, eine Grotte vorstellt, also die Herkunft des salzigen Wassers verbildlichen soll. Diese Thematik ist auch an den Siedehäusern aufgenommen, denn hier scheint – in Stein ge-
Die Saline von Chaux in Arc-et-Senans
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hauen – durch runde Öffnungen die dickflüssige konzentrierte Sole herauszuquellen. Die Architektur repräsentiert also in monumentaler Form nicht etwa soziale Hierarchien, Bildung oder Frömmigkeit, sondern die Produktion eines Konsumgutes und deren logistische Organisation: Sole und Salzgewinnung, die praktischen Kräfte (Sieder) und das administrative Zentrum, die Direktion. Die Arbeiterhäuser, von erstaunlicher Geräumigkeit, setzen sich jeweils aus einander symmetrisch ergänzenden Appartements zusammen und sind untereinander völlig identisch, eine frühe Standardisierung von funktionsgerechten Arbeiterhäusern. Alle Bewohner der Anlage erhalten somit einen angemessenen, wenn auch sicher nicht luxuriösen architektonischen Ort, der vergleichsweise geringe soziale Unterschiede aufweist, dafür aber alles auf die Salzgewinnung orientiert – fast vergleichbar mit moderner Unternehmungskultur mit ausgeprägter corporate identity. Geplant war eine utopische, aber sehr signifikanten Anlage: Sie sollte kreisrund sein, somit das Haus des Direktors nochmals deutlicher als heute sichtbar ins Zentrum stellen und sich nach außen in zahlreichen weiteren
□ 48 Claude-Nicolas Ledoux, Idealprojekt für Chaux nach „L’architecture considérée sous le rapport de l’art, des mœurs et de la législation“, 1804
III. Schlüsselwerke
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Bauten weit in die Landschaft erstrecken. Die veritable Stadt sollte Rahmen, Anleitung und Veranschaulichung einer utopisch-egalitären Gesellschaft sein, die ihr Tun ausschließlich auf eine effiziente Produktion und ihr Leben auf eine perfekte Moralität ausrichten sollte. Architektur und Städtebau regulieren und veranschaulichen in totaler Weise eine perfekte Gesellschaft. Ledoux hat diese spätaufklärerische Vision in einem in Text und Bebilderung umfangreichen, doch noch weit größer angelegten Traktat „L’Architecture considérée sous le rapport de l’art, des mœurs et de la législation“ (1804) dokumentiert (□ 48). In pathetischer und weitschweifiger Diktion wird eine weltumspannende Architekturvision vorgetragen, die keine sozialen Standesschranken mehr kennen soll, sondern die Gesellschaft nach ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern in monumentaler Weise architektonisch-anschaulich strukturieren will. Dahinter steckt zum einen die Rousseau’sche Idee des gemeinsamen Gesellschaftsvertrags, zum anderen der in Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s entwickelte sog. Physiokratismus. Dieses erste Modell einer Nationalöko-
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nomie entwickelte die Vorstellung eines natürlichen Wirtschaftskreislaufs innerhalb eines abgeschlossenen Staatssystems. Eine endlose Abfolge von Tauschakten sollte – wie in einer ‚natürlichen‘, am Modell des Blutkreislaufs angelehnten Ordnung – Produktion, Bearbeitung und Umlauf der Waren beständig in Gang halten. In diesem Kreislauf sollen alle sozialen Klassen, insbesondere auch die landwirtschaftlich tätigen, ihr Recht auf Selbstdarstellung erhalten. Für Ledoux bedeutete das, dass die Architekturen nun nicht mehr den sozialen Rang ihrer Besitzer bzw. Benutzer anzeigen, sondern den in ihnen verrichteten handwerklichen und beruflichen Tätigkeiten und ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen Ausdruck verleihen sollten. Das Konzept der architecture parlante erhält deswegen eine ganz neue Funktion, die nicht mehr unter dem Oberbegriff der convenance, also der sozialhierarchischen Angemessenheit, sondern unter dem der Erziehung zu fassen ist. Die einzelnen Berufsgruppen sollen gleichsam Monumente bewohnen bzw. benutzen, die der Bedeutsamkeit ihrer Tätigkeit gerecht werden: Die (zur Herstellung von Fässern wichtigen) Reifenmacher sollen in riesigen radförmigen Häusern untergebracht werden. Dem Gemeinschaftshaus des pacifère, des ‚Friedensstifters‘, sind Liktorenbündel vorgeblendet, die Einigkeit symbolisieren. Im Fall des Hauses des Flussinspektors wird der Wasserlauf kurzerhand durch das Haus geleitet. Dem Projekt einer Schule hingegen ist nicht so einfach eine symbolische Form zu geben: Ihr kreuzförmiger Grundriss soll in der Mitte eine Kapelle enthalten; die einzelnen Unterrichtsfächer, die in den Kreuzarmen gelehrt werden, würden auf ein gemeinsames ideelles Ziel ausgerichtet sein, von dem überdies auch eine perfekte Überwachung der Schüler möglich sei. Besonders kurios wirkt das Projekt eines Massenbordells auf der Grundrissform eines riesigen Phallus. Auch hier ist die erzieherische Funktion entscheidend, denn der Besucher des
Hauses soll hier nicht etwa seine Fleischeslust befriedigen, sondern in der Erkenntnis, wie widerwärtig das dort vonstatten gehende Treiben sei, zu sittlicher Reife geführt werden. In diesem System haben die Säulenordnungen keinen Platz mehr, um soziale Ränge zu kennzeichnen. Vielmehr verwendet Ledoux zumeist urtümliche, gleichsam direkt aus der Natur entstandene Säulenordnungen wie die Dorica, um damit einen erhaben wirkenden Akzent zu setzen. Die landumspannende Strukturierung der Gesellschaft durch die Architektur lässt ansonsten ornamentales Beiwerk nicht zu: Schon die aufwendigen Blattkränze der korinthischen Ordnung sind unnützes, ja volkswirtschaftlich schädliches Beiwerk. Das Bekenntnis zur Befolgung von Naturkreisläufen schließt bei Ledoux auch eine unmittelbar in den Stichen deutlich werdende Stadtkritik ein. In Aufnahme der Ideen Rousseaus von einer natürlichen, in der Natur abseits der zerstörerischen Städte lebenden menschlichen Gemeinschaft, sind alle Projekte in ausgeglichenen, leicht hügeligen und von reichhaltigen Vegetationen aufgelockerten Landschaften angesiedelt. Dieses Paradies wird zum Zweck des Menschen kultiviert und mit Hilfe der Architektur strukturiert: Die radial um die Gradierwerke und das Direktorenhaus angelegten Arbeiterhäuser sind zwar in ihrer Eingeschossigkeit und den fehlenden Auszeichnungsmotiven dem zentralen Direktorenhaus deutlich unter- und ihm unmissverständlich zugeordnet. Aber sie verfügen alle über einen kleinen Garten zur eigenen Bewirtschaftung. Ledoux visioniert radikal wie kaum ein Zweiter an der Wende um 1800 die Architektur als Erfüllerin von komplexen sozialen Funktionen, die in geradezu totalitärer Weise die Lebenswelt bestimmen sollen. Die Architektur soll die Güte und Qualität dieser Utopie beständig erweisen und vor Augen führen. Ihr eigentlicher Schöpfer ist aber der Architekt, der dem ‚armen Menschen‘ wie dem ‚Armen‘
Die Saline von Chaux in Arc-et-Senans
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die Gnade der Vernunft zuteil werden lässt: In einer berühmten Illustration zur „Schutzhütte des Armen“ (l’abri du pauvre) wird ein unbekleideter Mann unter einem verlassenen Baum am Meeresstrand gezeigt. Der Arme ist im Begriff, der Gnade der Musen des weiten olympischen Himmels darüber teilhaftig zu werden, um seine Unbehaustheit zu lindern. Unter den Göttern im Himmel, die wohl Urbedürfnisse des Menschen befriedigen sollen, befinde sich auch, so Ledoux, der Architekt. Dem armen ersten Menschen wird nicht mehr, wie in der vielfältig tradierten Urfassung des Topos der Urhütte bei Vitruv, das Ingenium zugestanden, seine Urbehausung selbst zu erfinden. Ledoux’ verstiegene Gesellschaftsvision, erst 1804 veröffentlicht, wirkte zunächst weniger über seine konkreten Bauvorschläge, sondern aufgrund seines grundsätzlichen Anspruchs, Architektur müsse moralisch erziehen. Das gilt etwa für die englische und deutsche Reformarchitektur |▶ 11, 22|, in der sich Schlichtheit, Aufrichtigkeit und Wahrheit ausdrücken sollen. Vor allem aber die klassische Moderne mit ihrem vielfach geteilten Ziel, einen ‚neuen Menschen‘ von zeitgemäßem Geschmack und rationaler Lebensführung über das ‚Neue Bauen‘ zu kreieren, lässt sich mit den spätaufklärerischen Entwürfen verbinden. Le Corbusier sollte gar so weit gehen zu behaupten, dass nur der Architekt die proletarische Revolution aufhalten könne |▶ 27|. Dass Architekturen ihre Funktionen konkret-bildlich anzeigen, ist außer in den Pop-Architektur-Konzepten ( vgl. S. 94 f. ) der 60er Jahre des 20. Jh.s – ein Verkaufsstand in Form eines überdimensionalen Donuts zeigt die dort verkauften Waren an – in der sog. branded architecture ein wichtiges Konzept geworden: Das elegante, aus vogelflügelähnlichen Betonschalen bestehende TWA-Terminal des John-F.Kennedy-Airports von Eero Saarinen etwa soll die elegante Eroberung der Lüfte vermittels der TWA vermitteln (□ vgl. 33).
III. Schlüsselwerke
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In Abwandlung begegnen Ledoux’ soziale und urbanistische Visionen auch im Konzept der Phalansterien des frühsozialistischen Theoretikers Charles Fourrier. Dieser konzipierte zu Anfang des 19. Jh.s eine Gesellschaftsvision, in der alle Mitglieder ihre Leidenschaften und Triebe ungehemmt verwirklichen sollten. Das bedeutete zum einen, dass jeder Einzelne seine Lust individuell ausleben könnte – insbesondere als freie Liebe –, zum anderen aber, dass diese Energien gleichsam naturgesetzlich in ein harmonisches Zusammenwirken einer idealen Gesellschaft fließen sollten. Fourrier ersann als Umsetzung dieser Gedanken eine Miniaturstadt in der Art eines riesigen Gemeinschaftsbaus, das sog. Phalansterium, in dem eine Wirtschafts- und Liebesgemeinschaft von über 1500 Personen gemeinsam und glücklich zusammenleben und arbeiten sollte. In der graphischen Umsetzung erscheint das als eine monumentale, dem Versailler Schloss ähnliche Anlage, in der im Hauptflügel die Gemeinschaftseinrichtungen wie Bibliothek und Speisesaal untergebracht sind, während die geräumigen Seitentrakte zum Wohnen und Arbeiten dienen. Tatsächlich wurden mehrere derartiger Bauten in Frankreich und den USA verwirklicht, waren aber meist von kurzer Lebensdauer. Folgenreicher war es, das Konzept als paternalistisches Modell eines privatwirtschaftlichen Unternehmens umzuwandeln. Noch erhalten ist das 1859 errichtete Familistère im französischen Guise (Aisne), das der frühsozialistische Fabrikant Jean-Baptiste André Godin als schlossähnliche Wohnanlage für seine Arbeiterfamilien errichten ließ. Von derartigen Unternehmungen inspiriert sind zahlreiche Werkssiedlungen des späten 19. Jh.s, in denen große Unternehmen wie Krupp oder Borsig ihren Arbeitern eigene Häuser oder Wohnungen zur Verfügung stellten. Als Nebeneffekt war beabsichtigt, dass über die Pflege von Haus und Garten Disziplin und Verantwortungsbewusstsein der Arbeiterfamilien gestärkt würden.
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Monticello und Virginia University Beginn der Architektur in den USA
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ie nordamerikanische Architektur, bis in das frühe 19. Jh. nur aus pragmatischen Behelfsbauten bestehend, hat einen klar zu bestimmenden Anfang, an dem sich die aufklärerischen Gründungsideale der jungen USA mit einem inhaltsreichen klassizistischen Bauen verbinden und dies zudem in der Figur des 3. Präsidenten und dilettierenden Architekten Thomas Jefferson vereint ist. Allein die Bauprogramme seiner architektonischen Entwürfe sind bezeichnend für die emanzipatorische Ausrichtung: das State Capitol in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, die Beteiligung an der Stadtplanung von Washington, die Universität von Virginia in Charlottesville sowie eine Mustervilla als privates Landgut in Monticello bei Charlottesville. Damit beginnt das US-amerikanische Bauen, das sich im weiteren Verlauf, etwa bei Louis Sullivan oder Frank Lloyd Wright |▶ 17, 24|, eine markante eigene Identität verschaffen wird. Der Campus von Charlottesville vereint dezidierte Rückgriffe auf Architekturen des vene-
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zianischen Architekten und Theoretikers Palladio sowie auf die römische Antike als auch den englischen Landschaftsgarten mit innovativen und idealistischen Bildungsidealen. Das seit 1810 geplante, seit 1817 mithilfe der Architekten William Thornton und Benjamin Latrobe umgesetzte und 1826 weitgehend fertiggestellte Academical Village besteht aus zwei parallel geführten zweigeschossigen Pavillons – Unterrichts- und Wohnstätten jeweils eines Professors für jede der 10 Fakultäten –, die unter sich durch Arkadengänge verbunden sind (□ 49). Zwischen den Reihen erstreckt sich der Lawn, ein geordneter Park, von parallelen Baumreihen bestanden. Hinter den Pavillons gehen als englische Gärten gestaltete Terrains ab, die zu einer zu den Pavillons parallel geführten Reihe von zumeist eingeschossigen Hotels und Studentenhäusern führen. Die Hotelbauten wiederum wenden ihre Hauptfront rückwärtigen Erschließungsstraßen zu. Die Längsachse des Lawn mündet an der nördlichen Schmalseite in den Ziel- und Hauptbau der Anlage, die
□ 49 Charlottesville, University of Virginia, Thomas Jefferson, William Thornton und Benjamin Latrobe, 1817 – 26, Schema der Gesamtanlage nach Alden Hopkins
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Universitätsbibliothek in Form einer exakt im Maßstab 1 : 2 verkleinerten Kopie des römischen Pantheons. Es handelt sich also um eine im Wesentlichen durch die Gartenlandschaft bestimmte Anlage, in der geordnete und freie Gestaltungen miteinander verbunden sind: Der auf die Bibliothek gerichtete Freiraum des Lawn dient als ein öffentliches Forum im Grünen, während sich die Gärten an der Peripherie als frei gestaltete Reformnutz- und ziergärten im Sichtschatten der Arkadengänge darstellen. Alle Pavillons haben zwar jeweils einen gewissen Abstand voneinander und sind insofern klar als Einzelbauten innerhalb einer Reihe konzipiert, allerdings variieren diese Distanzen leicht, ebenso wie die architektonische Struktur jedes einzelnen Gebäudes. Alle weisen einen ähnlichen farblichen Grundakkord aus Backsteinmauern und weißen architektonischen Gliederungen auf. Palladianische Grundmotive, insbesondere der kompakte quadratische Grundriss zu zwei Geschossen sowie
die Markierung der Vorderfront durch eine zumeist übergiebelte Säulenvorhalle, geben hier das Grundvokabular ab, ohne sich dabei monoton zu wiederholen. Selbst die Säulenordnungen wechseln ab, auch ist die Portikus zumeist mithilfe über zwei Geschosse reichender Kolossalsäulen aufgebaut, doch auch das gilt nicht einheitlich. Gleichwohl ist darauf geachtet, dass alle Details, vor allem die Kapitellformen, exakt antiken Vorbildern entsprechen. Die Pavillons, im Erdgeschoss Lehrsäle und darüber eine Professorenwohnung enthaltend, sind also Anschauungsmaterial einer als ideal erachteten architektonischen Kultur der Antike. Insgesamt ergibt sich in der Sicht vom Lawn auf die Bibliothek eine klare, aber von leicht variierten Bauten gesäumte Perspektive. Als point-de-vue fungiert die Rotunde der Bibliothek, effektvoll durch mehrere Stufen leicht erhöht gegen die Landschaft dahinter aufragend ( □ 50). Auch hier ist der Bezug auf den seit jeher verehrten römischen Rundtempel ebenso klar wie individuell akzentuiert. Der grundsätzliche proportionale Aufbau ist identisch, denn in beiden Fällen ist der Kuppelradius gleich der Kuppelhöhe. Insofern lässt sich das Bauwerk im Grundriss wie im Aufriss in einen Kreis und ein Quadrat einschreiben. Allerdings weist Jeffersons Säulenvorhalle nur sechs statt acht Säulen auf, im Inneren sind drei Ebenen eingezogen, deren obere durch eine rund umlaufende Galerie auf korinthischen Säulen gebildet wird. Das Musterbeispiel harmonisch proportionierter Architektur, seit der Spätantike allen Heiligen geweiht, dient in seiner Umdeutung durch Jefferson als Universum des Wissens – als Bibliothek und zugleich lehrhafte Veranschaulichung des Kosmos: In der inneren Kuppelschale sollte ursprünglich nämlich ein Planetarium angebracht werden. □ 50 Charlottesville, University of Virginia, Thomas Jefferson, William Thornton und Benjamin Latrobe, 1817 – 26, Lawn und Bibliothek
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Man kann die grundsätzliche Anlage mit europäischen Vorbildern vergleichen, etwa der untergegangenen Schlossanlage in Marly bei Paris, bei der ebenfalls eine breite Gartenanlage von Pavillons begrenzt und auf den Hauptbau des Schlosses orientiert war. In der Tat hatte Jefferson als Botschafter in Europa insbesondere Frankreich und seine Architektur intensiv studiert. Auch war er bereits früh mit den architekturtheoretischen Werken Andrea Palladios sowie den damals neuen archäologischen Erkundungen in Pompeji und Athen vertraut. Doch handelt es sich bei dem Universitätscampus von Virginia trotzdem nicht um eine formale Übernahme europäischer Gartenkonzepte. Entscheidend ist vielmehr Jeffersons durch und durch aufklärerische Auffassung von öffentlicher Bildung. Diese – intensiv an antiken Maßstäben gemessen – stellt den Kern eines funktionierenden republikanischen Gemeinwesens dar, in dem unbeeinflusst von irrationalem Eigennutz der Ausgleich zwischen privaten Eigeninteressen und gemeinschaftlicher Verantwortung gelingen muss. Bildung stellt insofern das Fundament von Freiheit – also dem Kernelement der Amerikanischen wie der Französischen Revolution – dar, weil erst eine umfassende Bildung dieses Ideal erkennen und also auch fördern lasse. Entsprechend vereinen sich in Charlottesville anschaulich Individualität und Ordnung, erhabene Geste und pittoreske Vielfalt. Keiner der Pavillons sticht hervor, alle erscheinen gleich und doch jeweils individuell. Das architektonische Zentrum ist keine Kirche und auch kein Schloss, sondern eine Bibliothek – Fundament von Gleichheit und Freiheitlichkeit. Auch das Baumaterial hat republikanische Konnotationen: Der verwendete Backstein ließ sich trotz des Mangels an kompetenten Bauhandwerkern relativ einfach produzieren und einsetzen und vermied zudem Anlehnungen an steinerne Prachtbauten des europäischen Adels. Hinzu kommt jedoch auch eine geradezu emphatische Verehrung
der unermesslichen und weitgehend noch unerschlossenen amerikanischen Landschaft, die Jefferson und andere in den Kriterien des Erhabenen und Pittoresken erfuhren. Insofern komplettieren die vielfältigen Ausblicke in die weite Landschaft der sog. Neuen Welt die Rückbezüge auf die verehrte Antike, die mit den Bauten vermittelt wird. Auch die Gesamtkonzeption entspricht antiken Vorgaben, ohne sie formal zu kopieren. Denn mit der Auflösung eines kompakten, massiven Baublocks in einzelne villenartige Gebäude im Grünen, durch Säulengänge verbunden, folgte Jefferson einem aus der römischen Antike entnommenen Ideal, das in der villa suburbana, dem Landhaus vor der Stadt, Gestalt angenommen hat. Unbeschwert vom geschäftigen Treiben und den dienstlichen Verpflichtungen (dem negotium) inmitten der tobenden Stadt war hier in der luxuriösen Beschaulichkeit der Landvilla erholsame und unbeschwerte Zerstreuung (otium) möglich. Jefferson hat dies auch in seinen Privatbauten eindrücklich umgesetzt: Vor allem in seinem zweiten Landhaus in Monticello, 1796 bis 1809 errichtet, ist dies deutlich (□ 51): Inmitten eines weiten, botanisch sehr bewusst angelegten Gartens erhebt sich auf insgesamt einem Rechteck angenäherten Grundriss eine Villa aus rotem Backstein. An den Längsseiten springt jeweils eine blendend weiße Säulenportikus vor, auf der Gartenseite wird der dahinter liegende achteckige Salon von einer Achteckkuppel bekrönt. Der Bau wirkt einfach und klar, in Wirklichkeit entfaltet sich im Inneren ein wohlkalkuliertes Raumprogramm, dessen Zimmer dem gelehrten Studium, der musealen Präsentation verschiedenster Naturalien, Kunstwerke und ethnographischer Artefakte (indianische Kunst!) sowie einer gediegenen Gastlichkeit dienen. Die Anordnung der Räume und ihre großen Fenster sind auf den Tagesverlauf der Sonne und den umgebenden Garten und die Landschaft dahinter ausgerichtet, der Baukörper greift über
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□ 51 Monticello, Landhaus Jefferson, Thomas Jefferson, voll. 1809
seitliche terrassierte Gänge weit in die unmittelbare Umgebung ein. Mit der Übernahme solcher Konzepte in die Universitätsarchitektur unterschied sich Jefferson klar von den Kollegien und höheren Bildungseinrichtungen der Alten Welt, die zwar in den englischen Colleges durchaus klosterartig um einen großen, begrünten Hof gruppierte Gebäude (Oxford, Cambridge) kannten. Auf dem Kontinent waren Universitätsgebäude aber kompakte Gebäudeensembles, Schlössern und Palästen ähnelnd und solchermaßen repräsentative bauliche Gefüge der Wissenschaften. Auch eine Kirche als geistlicher Bezugspunkt dieser Universen fehlte hier nicht, ganz anders als bei Jefferson. Eine bezeichnende Zwischenstufe zwischen den europäischen Traditionen und den in den USA neu begründeten stellt übrigens das Union College der Universität Schenectady (New York) dar, die Joseph-Jacques Ramée 1813 als aufgelockerte Palastanlage um einen riesigen, halbkreisförmig schließenden Campus-Park errichtete (Rückbrod 1977). Jeffersons Campuskonzepte sollten für viele spätere Universitätsanlagen in Nordamerika und später der ganzen Welt wirksam werden
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(Berkeley, Stanford, Harvard, Yale, Ohio State University, Columbus; University of British Columbia, Vancouver), vor allem aber wirkten sie auch auf andere mit dem Namen Jefferson verbundene Architekturen in den USA. Hier ist an erster Stelle die Anlage der neuen Hauptstadt Washington zu nennen, wo sich Jefferson mit einem eigenen Entwurf beteiligte. Auch wirkte er auf den grundlegenden Bebauungsplan des französisch-amerikanischen Architekten Pierre-Charles L’Enfant in hohem Maße ein. Dieser sah vor, als Kern der neuen Stadt ein immenses begrüntes Band – die sog. Mall – anzulegen, an dessen Ostende sich das Kapitol erheben sollte. In ihrem Westteil führte von Norden eine weitere Grünachse lotrecht auf die Mall; hier sollte sich zurückgesetzt das Haus des Präsidenten, das Weiße Haus, erheben. Im Kreuzungspunkt der beiden Achsen war ein Reitermonument für George Washington geplant – leicht davon abgerückt sollte das Monument in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s als riesenhafter Obelisk entstehen. Zu Seiten der Mall waren schon im Ursprungsplan eine Reihe von Sitzen nationaler Institutionen und Botschaften geplant. Die National Mall als architektonisch geordnete und unmittelbar
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anschauliche Repräsentation der Verfassungsorgane sollte das Zentrum der neuen Hauptstadt abgeben. Mit der Realisierung dieses Planes wurde umgehend begonnen, doch 1901 setzte im Zuge der City Beautiful-Bewegung die Errichtung der prächtigen Randbebauung ein. Diese in einen weiten Landschaftsgarten gesetzte, über Achsbeziehungen höchst aussagekräftige Architektur erinnert unmittelbar an das Academical Village, und wie hier wurden auch in Washington europäische Vorbilder – vor allem die Pariser Place de la Concorde mit ihren Bezügen zum Tuilerienschloss einerseits und zur Madeleinekirche andererseits – zu einem völlig neuen Gesamtensemble umgeformt. Um den Kern der Hauptstadt wurde ein regelförmiges Straßenraster mit diagonalen Hauptachsen
angelegt, welches die Bundesstaaten mithilfe der Straßennamen evozierte, und zwar derart, dass die Lage der Straße innerhalb der Stadt der topographischen Anordnung im neuen Staatenbund entsprach. Washington bildet also gleichsam ein städtebauliches Abbild der USA. Von zentraler Bedeutung war indes auch hier der Naturbezug, denn beide Hauptachsen waren, vergleichbar zur Universität von Virginia, nicht allseitig geschlossen, sondern liefen in die heroische Natur weiter, in die Ufer des Potomac im Westen und Süden und die dahinter sich erhebenden Berge. Bis zu ihrer Umgestaltung seit 1901 war die Mall im Wesentlichen ein immenser Landschaftsgarten geblieben, und auch heute dominiert dieser Charakterzug unverkennbar.
Das Alte Museum in Berlin Das Museum als neue Bauaufgabe
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er Baugattung des Museums – und insbesondere des Kunstmuseums – kommt unter den zahlreichen neuen Bauaufgaben seit etwa 1800 eine besondere Aussagekraft für ein verändertes kulturelles Bewusstsein zu, das bis heute ungebrochen wirkt. Die Gründe liegen in einem neuen Status der Kunst, die zum einen als Teil der Geschichte entdeckt wurde – und dabei deren Entwicklung in sublimierter Art als Teil der Zivilisation ausdrückte. Zum anderen aber kam zu Anfang des 19. Jh.s die Betrachtung von Kunst vielfach einer religiösen Handlung gleich: Nachdem es – gemäß der Erkenntnistheorie Kants – unmöglich geworden war, das Göttliche und Geistige direkt zu schauen und zu verstehen, konnte dieses nur indirekt anhand des Irdischen und Materi-
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ellen wahrgenommen werden. Wenn Kunst als dessen erhabener, gleichsam gereinigter Ausdruck gelten konnte, sollte nunmehr mit ihrer Hilfe die Welt in ihrem tieferen Sinne erfasst werden. Es versteht sich von selbst, dass die bislang als Aufbewahrungsorte für Kunstwerke genutzten fürstlichen Kuriositätenkabinette solch einer neuen Funktion kaum gerecht werden konnten, sondern eine der religiösen Aufgabe angemessene Präsentationsstätte entwickelt werden musste. Ein Drittes kam hinzu: Die nachrevolutionäre bürgerliche Gesellschaft, die sich in Nationalstaaten neu konstituierte und von einer patriotischen Begeisterung getragen wurde, wollte sich einer jeweils eigenen historischen Identität versichern, die gerade auch im Kunstbesitz sichtbar wurde – ein kul-
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tureller Schatz, der nunmehr auch für alle Mitglieder der Gesellschaft zugänglich sein sollte. Auch das musste die neue Bauaufgabe des Museums leisten. Ein besonders frühes und inhaltlich vielschichtiges, zugleich künstlerisch sinnreich geformtes und entsprechend berühmtes Beispiel stellt das Alte Museum in Berlin dar, in den Jahren 1822 bis 1830 von Karl Friedrich Schinkel unter dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. konzipiert und errichtet. Zwar waren schon zuvor Museen eingerichtet worden, so etwa 1793 die ehemals königliche Sammlung des französischen Königs im Louvre, bzw. eigenständige Museumsbauten konzipiert und errichtet worden. Dazu zählen etwa das Museo Pio Clementino im Vatikan (1771) oder das Museum Fridericianum in Kassel (1779, heute einer der Veranstaltungsorte der Documenta). Von Etienne-Louis Boullée (von Engelberg 2013, S. 323 – 326) oder Jean-Nicolas-Louis Durand waren großartige Museumsprojekte theoretisch entworfen worden. Doch in seiner Eigenschaft als öffentliches Museum, das eine umfassende Kunstsammlung in würdiger Weise der Öffentlichkeit präsentiert, steht Schinkels Gebäude am Anfang einer langen, noch längst nicht abgebrochenen Reihe des Museumsbaus |▶ 18, 48, 49|. Schon die Planungsgeschichte zeigt sehr signifikante Wendungen. Seit 1797 war eine Zusammenführung der königlichen Sammlungen, bislang in den verschiedenen Schlössern und teilweise unzureichend untergebracht, in Angriff genommen worden. Ziel der von dem Akademieprofessor Aloys Hirt betriebenen Unternehmung war es, die Künstlerausbildung in Berlin dadurch zu verbessern, dass alle verfügbaren Vorbilder zum Studium an einem Ort zusammengeführt wurden. Als Gebäudestandort war das sog. Kastanienwäldchen am Ostende der Straße Unter den Linden vorgesehen, unmittelbar neben der Akademie der Schönen Künste und dort, wo sich wenig später die Neue Wache Schinkels erheben sollte. An
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dem Wettbewerb dafür beteiligte sich neben anderen Architekten auch schon der junge Schinkel, der einen rechteckigen Vierflügelbau mit zwei Rotunden und einer Giebelvorhalle entwarf. Dieses Projekt, stark an den idealen französischen Vorbildern orientiert, sollte die Grundlage für den ausgeführten Entwurf abgeben. Die napoleonische Eroberung verhinderte die Ausführung dieser Pläne, doch wurde dies umso vehementer nach dem Sieg über Napoleon gefordert: 1817 waren die durch ihn geraubten Kunstwerke wie Trophäen nach Berlin zurückgeführt worden. Und zugleich hatte eine gezielte Ankaufspolitik vor allem italienischer und altdeutscher Kunst sowie von antiken Werken eingesetzt. All diese Bestände sollten nun auch der Öffentlichkeit präsentiert werden. Zunächst plante man nunmehr eine Zusammenführung von Akademiegebäude und Kunstmuseum am alten Areal Unter den Linden. Auch hierfür legte Schinkel 1822 einen Entwurf vor. Trotz der Forderungen nach einer öffentlichen Präsentation der Sammlungen setzte diese Planung weiterhin die Traditionen einer Studiensammlung für Gelehrte und Künstler fort, wie allein daraus deutlich wird, dass Museum und Akademie in einem Gebäudekomplex untergebracht werden sollten. Hier prallten unterschiedliche Konzepte aufeinander, die nicht nur zu Raumnot führen mussten, sondern sich in einer langwährenden Kontroverse zwischen Hirt und Schinkel niederschlagen sollten: Elitäre Künstlerausbildung stand dem Kunstgenuss einer egalitären Bürgerlichkeit gegenüber. 1822/23 wagte Schinkel durch einen radikalen, direkt dem König vorgelegten Konzeptionswechsel erfolgreich den Ausbruch aus dem Dilemma. Er schlug einen neuen Standort vor und pflanzte dadurch den Keim zu der zukünftigen Museumsinsel: Das Museumsgebäude sollte sich nunmehr nördlich des Lustgartens, also der – allerdings zum Exerzieren genutzten – Parkanlage auf der Nordseite des Schlosses auf der Spreeinsel erheben. Auch
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wenn Schinkel diese Standortverlegung gegenüber dem König mit höchst pragmatischen Argumenten rechtfertigte, bedeutete sie eine weitreichende Konzeptionsänderung, die die Umgebung der Hohenzollernresidenz und das Zentrum des preußischen Königreiches völlig umgestaltete. Schinkel hatte diese Aufwertung schon kurz zuvor begonnen: Die Schlossbrücke zwischen dem Schloss und den Linden, bislang ein hölzerner Übergang, wurde 1819 als steinerne, skulpturenbesetzte Brücke zu einem zwischen der Residenz und der Prachtallee vermittelnden Scharnier. Der Dom, ein querrechteckiger Saal mit zentraler Kuppel an der Ostseite des Lustgartens, erhielt durch Schinkel eine aufwertende Ausgestaltung, u. a. vermittels einer zentralen Giebelportikus. Vor allem aber wurde der Lustgarten zu einer gärtnerisch gestalteten Parkanlage von zentraler Qualität, die nach allen Achsen bedeutungshafte Perspektiven und Bezüge entwarf: Der Ausfahrt der Linden im Westen und dem barocken Zeughaus am Westufer der Spree steht der Dom als Ostabschluss des Parks gegenüber. Diese Achse wird in nord-südlicher Richtung überkreuzt von der Bezugnahme von Schlossfassade und Museum. Zeughaus, Dom, Schloss und Museum umschließen ein weites, dezidiert öffentliches Areal und machen somit grundsätzlich neue Konstellationen im Kräftefeld zwischen Militär, Kirche, Aristokratie und Bürgertum erlebbar. Der Hauptakzent liegt dabei aber zweifellos auf Schinkels Museum: Nicht nur wirkt der Lustgarten wie die Ouvertüre zu dessen Schaufront, sondern mit deren heller, durch Südlicht belichteten Säulenkolonnade gibt das Museum klar den Hauptakzent ab. Das Museumsgebäude, ab 1824 errichtet und 1830 eingeweiht, bildet einen sehr einfachen, leicht querrechteckigen, breit gelagerten Kubus, dessen fünf Flügel im Inneren zwei Innenhöfe ausbilden (□ 52). Den zentralen Flügel bildet eine breite Rotunde, deren Kuppel über das Gebäude hinausragt, allerdings von au-
□ 52 Berlin, Altes Museum, Karl Friedrich Schinkel, 1824 – 1830, Grundriss von Sockel, Haupt- und Obergeschoss
ßen nicht sichtbar ist, da sie von einem flach gelagerten attikaähnlichen Geschoss verblendet wird. Während alle nicht auf den Platz gerichteten Außenseiten von größter Schlichtheit sind, zieht die Südfassade in ihrer subtilen Originalität und einladenden Transparenz umso mehr Aufmerksamkeit auf sich: Über dem sehr hohen Sockelgeschoss bietet sich die Front als eine in voller Höhe und über die gesamte Breite verlaufende Vorhalle, die seitlich durch Antenmauern eingefasst wird (□ 53). 18 monumentale Säulen ionischer Ordnung sind in regelmäßiger Reihung in diese breit gelagerte Öffnung
Das Alte Museum in Berlin
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□ 53 Berlin, Altes Museum, Karl Friedrich Schinkel, 1824 – 30, Fassade zum Lustgarten
eingestellt und bilden eine symbolische Grenze zwischen innen und außen, ohne dabei abzuschließen. In dem Säulengang, immer wieder mit dem antiken Wandelgang einer Stoa verglichen, waren bis zum Zweiten Weltkrieg Wandbilder nach Schinkels Entwurf ausgeführt, die die Entwicklung der Menschheit darstellten. Zu der Wandelhalle führt eine hohe, das Sockelgeschoss überwindende Freitreppe von einem Drittel der Gebäudebreite. Nach Durchschreiten der Halle kommt man über eine hohe, von vier Vorhallensäulen gestützten Öffnung in das Treppenhaus, unmittelbar vor der zentralen Rotunde gelegen: Die doppelarmige gegenläufige, einmal gewendete Treppe nimmt ihren Anlauf im rückwärtigen Treppenlauf, so dass man zunächst über einen kurzen, dunklen Korridor das Treppenmassiv durchqueren muss, um dann nach der Treppenwendung wieder in Richtung des zum Freien gelegenen äußeren, von Tageslicht beschienenen Laufs zu gelangen. Auf dem abschließenden Podest befindet man sich in ungewöhnlicher Nähe zu den Kapitellen der inneren Vorhallensäulen und hat zugleich einen weit über die Stadt reichenden Ausblick – auf das Panorama von Dom, Lustgarten, Schloss, die Linden und das Zeughaus (□ 54). Innen und Außen, Natur und Architek-
III. Schlüsselwerke
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tur verschmelzen ebenso würdig wie annehmlich miteinander. Von dem oberen Treppenabsatz führen seitlich Türen zu den Schauräumen des Oberschosses, ehemals der Gemäldegalerie gewidmet; das mittlere Portal aber geht auf die Empore der Rotunde, der Klimax der sukzessiven, erlebnishaften Erfahrung des Museums. Die Rotunde, zweigeschossig und von einer durch 20 korinthische Säulen getragenen Empore innen umlaufen, versteht sich als eine klare Referenz auf das römische Pantheon. 117 n. Chr. errichtet und später als Kirche allen Heiligen geweiht, galt der berühmte Rundtempel seit der Renaissance als Inbegriff der römischen Antike |▶ 1, 3|. Bei aller Eindeutigkeit der Bezugnahme Schinkels (Proportionen, kassettierte Tonne, runde Scheitelöffnung) gibt es aber eine Reihe von Veränderungen, vor allem das Einziehen der Innenempore und eine ganz andere Wandgliederung. Das bewunderte Vorbild wurde den museologischen Nutzungen angepasst, denn hier standen die besten der antiken Skulpturen der Berliner Sammlung. Schinkels Museum will also trotz aller Strenge und trotz einer Reihe höchst pragmatischer Aspekte – so verdeckt es z. B. die Hafenanlagen auf dem Nordteil der Spreeinsel, und seine Untergeschosse sollten sogar als Lagerflächen die-
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nen – ebenso empfindsam erlebt wie intellektuell verstanden werden: Die einladende Öffnung der Fassade, das würdevolle Aufsteigen im Treppenhaus, das emphatische Eintreten in Rotunde und Sammlungsräume sollen ebenso genussvoll ‚gefühlt‘ werden wie die gelehrten Verweise auf die Architekturgeschichte entschlüsselt werden wollten. Dementsprechend ist diese Hinführung zu den Spitzenleistungen der Kunstgeschichte begleitet durch programmatische Wandgemälde und Skulpturen, die die Rolle der Kunst in der Zivilisation allegorisch vorführen. Vor allem aber sind auch die unverkennbaren Bezüge auf vorbildliche Architekturen – die Athener Stoa, das römische Pantheon, französische Museumsentwürfe sowie zahlreiche ‚korrekt‘ wiedergegebene Details der Säulenordnungen usw. – nicht als bloße gelehrte Zitate zu verstehen. Sie sind als unverzichtbare Leistungen der Architekturgeschichte vielmehr integriert in ein durch und durch neues Gesamtensemble, das städtebaulich, in der inneren Erschließung, aber auch in der museologischen Konzeption gleichermaßen intelligent gestaltet ist. Schinkel ging es darum, mit dem emphatischen Appell seiner Architektur dem fast religiösen Status von Kunst gerecht zu werden. Darin war er nicht unumstritten, denn Hirt zum Beispiel sollte, getreu seiner Auffassung, das Museum solle primär der Künstlerausbildung dienen, den luxuriösen Aufwand des Baues kritisieren. Auch um die Präsentation der Kunstwerke gab es eine bezeichnende Debatte. Die Hängung nach historischen ‚Schulen‘ implizierte ein primär intellektuelles Verstehen der Kunst, Schinkel hingegen ging es im Benehmen mit dem ersten Direktor Gustav Friedrich Waagen ebenso um ihr genussvolles Erlebnis an einem dafür angemessen gestalteten Ort. Dies entsprach auch der Position von Wilhelm von Humboldt, der diese ästhetische Erziehung als ethische Grundlage begriff und das staatliche Bildungswesen Preußens darauf ausrichtete.
Die Debatten um die Rolle des Museums zu Anfang des 19. Jh.s waren nicht auf Berlin beschränkt, in München etwa gab es ähnliche Auseinandersetzungen um den Bau der Glyptothek und der Neuen Pinakothek |▶ 5|. In der Folgezeit allerdings wird die wissenschaftlich-historische Perspektive zur bestimmenden und den Ausbau der Berliner Museumsinsel befördernden Position. Unmittelbar nördlich hinter dem Alten Museum wird 1841 – 59 durch den Schinkelschüler Friedrich August Stüler das Neue Museum errichtet. Es dient dazu, die ägyptischen und frühgeschichtlichen Werke, das Kunstgewerbe (Münzen und Medaillen) und die Gipssammlung im Kontext einer vielschichtigen historischen Entwicklung der Menschheit und der Künste zu präsentieren. Es folgte 1863 – 76 die ebenfalls von Stüler entworfene Alte Nationalgalerie neben dem Neuen Museum, um die zeitgenössische deutsche Kunst präsentieren zu können. 1904 wurde das Kaiser-Friedrich-Museum (heute Bode-Museum) an der Nordspitze der Insel nach einem Entwurf von Ernst von Ihne eröffnet. Die beträchtlich gewachsenen Sammlungen vor allem mittel-
□ 54 Berlin, Altes Museum, Karl Friedrich Schinkel, 1824 – 1830, Blick vom Treppenhaus durch die Kolonnade
Das Alte Museum in Berlin
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alterlicher Kunst wurden hier in historisierenden Sälen untergebracht |▶ 18|. In der Lücke zwischen Neuem Museum und Kaiser-Friedrich-Museum wurde schließlich das Perga-
mon-Museum 1907 – 30 erbaut (Alfred Messel), eine Art Erweiterungsbau, der vor allem der Erwerbung des kolossalen hellenistischen Pergamonaltars geschuldet ist.
Die Öffentlichkeit als Bauherrin Bauverwaltung und soziale Verpflichtung
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is in das 18. Jh. war geregelte Bauverwaltung eine Seltenheit. Zwar benannten insbesondere größere Kommunen Stadtbaumeister, doch wechselnde Ressorteinteilungen und Amtsbefugnisse sowie unklare Finanzierungsmodi und inkompetente Mitarbeiter behinderten weitgehend planvolles Bauen bzw. machten den jeweiligen Herrscher zur leitenden Instanz. Im Laufe des 18. Jh.s gab es zur Verbesserung der wirtschaftlichen Infrastruktur auf regionaler Ebene Landbaumeister, die die Aufsicht über Wirtschaftsbauten und Befestigungen übernahmen. Angesichts der wachsenden Erkenntnis, dass ein Gemeinwesen der Wohlfahrt bedürfe und insofern in ökonomischer und technologischer Hinsicht effizient zu führen sei, entwickelte sich etwa in Preußen seit 1770 ein Oberbaudepartement als Prüf- und Genehmigungsbehörde öffentlicher Bauvorhaben. Dies wiederum erforderte professionelle Kompetenz der Mitarbeiter und beförderte auch die fachliche Kommunikation, etwa über Zeitschriften („Sammlung nützlicher Aufsätze und NachrichThemenblock · ten, die Baukunst betreffend“, Medien, S. 77 f.), sowie die Einrichtung von Bauhochschulen, in Preußen die 1799 gegründete BauakaThemenblock · Architektenausbildung, demie ( S. 140 f.). 1804 wurde das Oberbaudepartement in die Oberbaudeputation auf Ministerialebene umgewandelt. Daraus entstand schließlich 1848 ein veritables Bauministerium nach dem Vorbild des 1830 eingerichteten französischen Ministère des Travaux publiques. Bis um 1900 entstanden schrittweise auf jeder Verwaltungsebene (Staat, Länder, Städte) Bauämter, in denen verbeamtete Bauspezialisten gemäß einer Bauordnung das Bauwesen kontrol-
III. Schlüsselwerke
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lierten. Die Kriterien waren insbesondere die technische und hygienische Eignung von Bauvorhaben, die Einhaltung der jeweiligen Bauvorschriften, die Vereinbarkeit mit Flächennutzungsplänen und die ästhetische Qualität. Obwohl diese von Beamten geleiteten Bauverwaltungen im 20. Jh. oftmals als Behinderung von Innovation und Originalität gebrandmarkt wurden, bestand und besteht die Hauptleistung von Bauverwaltungen darin, Bauen als eine Aufgabe der Gesellschaft staatlich kompetent zu regeln, also nicht dem Wildwuchs von Einzelinteressen oder den Gefahren von mangelnden Fachkenntnissen zu überlassen, wie das weiterhin vielfach in Schwellenländern zu beobachten ist. Gerade in der Frühzeit haben Baubeamte bemerkenswerte Innovationen geleistet, etwa Karl Friedrich Schinkel als Mitglied der Oberbaudeputation, der eine Reihe von ökonomisch verantwortungsbewussten Standardtypen für Kirchen und Wohnhäuser entwickelte. In der Weimarer Republik entfalteten gerade Stadtbauräte wie Ernst May in Breslau und Frankfurt/M., Bruno Taut in Magdeburg oder Martin Wagner und Bruno Taut in Berlin |▶ 30| eine äußerst innovative Tätigkeit, die sich in einem gesunden Massenwohnungsbau, aber auch der Förderung von modernen Infrastruktureinrichtungen (z. B. Straßenbahn in Frankfurt, Strandbäder Wannsee und Müggelsee in Berlin) niederschlug. Auch heute haben Stadtbauräte bzw. Stadtbauverwaltungen einen teilweise bedeutenden Einfluss auf städtebauliche Prinzipien bzw. Einzelprojekte. So förderte etwa Hans Stimmann in Berlin nach der Wiedervereinigung eine entschieden traditionsverbundene – keineswegs unumstrittene – Erneuerung der Stadt.
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Residenz und Ludwigstraße in München Der Historismus des Auftraggebers
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echnischer und sozialer Fortschritt, Bildung und historisches Bewusstsein stehen am Anfang des 19. Jh.s in engem Zusammenhang – und zwar gerade auch bei manchen Monarchen des 1803/06 aufgelösten Hl. Römischen Reichs Deutscher Nation. Spätestens mit dem Wiener Kongress, der nach der napoleonischen Herrschaft über weite Teile Europas die politische Einteilung Deutschlands in zahlreiche Fürstentümer festlegte, traten diese in eine durchaus produktive Konkurrenz miteinander. Das betrifft auch und gerade die Residenzstädte, die in vielen Fällen ihre alten, einschnürenden Befestigungsanlagen schleifen und damit ihre Gebiete erweitern, wobei sich Identitäten und Images ausbilden, die bis heute wirksam sind. Insofern hat etwa die sprichwörtliche Konkurrenz zwischen Bayern und Preußen eine historische Grundlage in Gestalt zweier innovativer, aufgeklärter Monarchien, die in puncto Bildung, Verkehr und Wirtschaft vergleichbare Wege gehen. Dieses soll sich auch sichtbar und unabweisbar in den Residenzstätten niederschlagen: als Werk gebildeter Staatsführer gleichermaßen wie als Resultat einer wirkungsvollen und umfassenden staatlichen Administration. Der Fall München kann insofern parallel zu Berlin verstanden werden, denn in beiden Fällen nimmt hier im zweiten Jahrzehnt des 19. Jh.s eine umfassende städtebauliche Erweiterung der Hauptstädte ihren Ausgang, verbunden mit der Errichtung programmatischer Gebäude. Im Vergleich zu Berlin geht diese Expansion in München aber sehr viel weiter und ist historisch sehr viel pointierter mit einem Monarchen zu verbinden: Ludwig I., der das seit 1806 als Königreich bestehende Bayern von 1825 bis
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1848 regiert und auf der Grundlage eines intensiven, allerdings eigenwilligen historischen Interesses seine Hauptstadt umfassend vergrößert und neu gestaltet. Der maßgebliche Architekt für diese Aufgaben war Leo von Klenze (1784 – 1864), der zu Recht als das bayerische Pendant zu Schinkel in Preußen anzusehen ist: Das gesamte Areal im nordwestlichen Sektor vor der Altstadt, die Maxvorstadt, geht auf seine Stadterweiterungen zurück. Das umfasst im Einzelnen die Anlage des Königsplatzes im Westen, mit dem Antikenmuseum und der Glyptothek und einem neuen Stadttor nach dem Vorbild der Propyläen auf der Athener Akropolis. Von hier aus führt die Achse der Brienner Straße bis an die alte Residenz am Nordrand der Altstadt. Vom dortigen Odeonsplatz aus erstreckt sich die Ludwigstraße als neue lange Prachtachse nach Norden, führt über das Siegestor in das Umland, wo sie zunächst von der pappelbestandenen Ausfallallee Leopoldstraße fortgesetzt wird. Auf dem Terrain zwischen diesen Achsen entstehen zwei höchst innovative Museumsneubauten: die Alte und die Neue Pinakothek. Den bezeichnenden städtebauliche Ausgangs- und Brennpunkt für diese städtische Neugliederung bildet aber sinnvollerweise der Umbau der alten fürstlichen Residenz, eine der ausgedehntesten Schlossanlagen Mitteleuropas. Ehemals außerhalb und in Opposition zur Bürgerstadt um Rathaus und Frauenkirche gelegen, wird die Residenz nunmehr zum Scharnier zwischen Altstadt und ludovizischer Erweiterung. Auf dem Gelände zwischen den beiden Stadtteilen befand sich ursprünglich das Franziskanerkloster. Dieses musste dem von Carl von Fischer 1810 – 18 unter Maximilian I. errichteten neuen Hoftheater
Residenz und Ludwigstraße in München
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□ 55 München, Residenz, Königsbau, Leo von Klenze, 1826 – 35
(heute Bayerisches Nationaltheater) weichen. Aber erst die Umbautätigkeit Klenzes an der Residenz seit 1826 schuf eine höchst aussagekräftige städtebauliche Situation. Es handelte sich um eine regularisierende Ummantelung der alten Residenz, die also im Kern bewusst erhalten wurde. Nach Süden hin errichtete Klenze 1826 – 35 den sog. Königsbau, der die (zeremoniellen) Privatgemächer der Königsfamilie enthielt und eine breite Schaufront rechtwinklig zur Säulenhalle des Nationaltheaters ausbildet (□ 55). In ihren Rundbogenfenstern in deutlicher Geschossgliederung sowie der wuchtigen Rustikaverkleidung zitiert diese Front den Palazzo Pitti in Florenz. Insgesamt entstand damit südlich vor der Residenz ein großzügiger Platz mit dichtem Aussagegehalt, nach Westen begrenzt von der Bildungseinrichtung des Theaters und im Norden von der Altstadt. Die Gemächer des Monarchen wandten sich nunmehr der Stadt zu, und die Bezüge auf die Erbauer des Florentiner Vorbildes, die Familie Medici, sollten Ludwig als vergleichbaren kunstsinnigen Mäzen ausweisen. Klenze band
III. Schlüsselwerke
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die Fassade des Königsbaus klug in die westliche Kontur der Residenz ein, die hier entlang der Dienerstraße ein Beispiel der deutschen Renaissance ist. Nach Osten fügte Klenze die Allerheiligenhofkirche gemäß normannisch-byzantinischen Inspirationen Ludwigs an. Im Norden wurde die Residenz durch den sog. Festsaalbau reguliert, der die neuen Empfangssäle der Residenz enthielt und entsprechend im Stile eines monumentalen Palladianismus gestaltet ist. Ganz gemäß diesem höfisch-festlichen Charakter wurde die alte Gartenanlage davor zu dem von Arkadengalerien gerahmten Hofgarten umgebaut. Westlich vom Nordteil der Residenz und dem Hofgarten sowie gegenüber der barocken Theatinerkirche öffnet sich der rechteckige Odeonsplatz, von dem aus die Ludwigstraße als prächtige Ausfallstraße nach Norden sowie die Briennerstraße nach Westen ihren Ausgang nehmen. Die Residenz fungiert also einerseits als eine ‚volkstümliche‘ Anbindung der staatlich-monarchischen Institutionen an die Bürgerstadt – auf prinzipiell vergleichbare Maßnahmen populärer Traditionsschaffung
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durch Ludwig gehen viele heute zum Klischee erstarrte Einrichtungen wie das „Oktoberfest“ zurück. Zum anderen schuf Klenze mit dem Odeonsplatz ein unzweifelhaft aristokratisches Ambiente: Stilistisch angemessen erhebt sich auf der Westseite das für den Schwiegersohn des Königs von 1816 – 21 errichtete Leuchtenbergpalais als ein großer Block in – damals ungewöhnlichen – Formen der italienischen Renaissance. Von hier aus wurde eine weitere Erschließung der Ludwigstraße in Form von luxuriösen Wohngebäuden in klassizistischen Palais betrieben. Allerdings hatte man sich bei diesen Investitionen verrechnet – der Markt für exklusive Wohnungen war um 1830 saturiert. Im Zusammenhang mit solchen finanziellen Schwierigkeiten und dem autokratischen Selbstverständnis des Königs, vor allem aber mit konzeptionellen Änderungen der Ludwigstraße ist auch der plötzliche Wechsel von Klenze zum seither von Ludwig favorisierten Architekten Friedrich von Gärtner zu sehen. Mit der
Thronbesteigung Ludwigs 1825 sollte die Ludwigstraße gemäß den Prachtstraßen der Pariser Champs-Elysées und dem Berliner Lindenboulevard verlängert werden und durch ein Prachttor als Landstraße weitergeführt werden. Die seit 1827 zunächst für einen Standort am Königsplatz geplante Staatsbibliothek kommt nun an die Ostseite der Ludwigstraße zu stehen und wird dort 1832 bis 1843 errichtet (□ 56). Nach Norden folgt die für das neu erschlossene Wohnviertel notwendige Pfarrkirche, die Ludwigskirche Gärtners von 1829 – 44, in Anlehnung an die italienische Spätgotik (□ 57). Als Abschluss der Prachtstraße und als Pendant zum Odeonsplatz folgt schließlich das Universitätsforum, zunächst als runder Platz in Anlehnung an die Place de l’Étoile in Paris geplant, doch aus funktionalen Erwägungen rechteckig gestaltet. Den Platz umschließen die Gebäude der durch Ludwig I. von Landshut nach München transferierten Universität sowie des Priesterseminars Georgianum. Nördlich des Univer-
□ 56 München, Staatsbibliothek, Friedrich von Gärtner, 1832 – 43
Residenz und Ludwigstraße in München
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□ 57 München, Ludwigskirche, Friedrich von Gärtner, 1829 – 44
sitätsforums, in der Mitte der Straße, erhebt sich als symbolische Stadtgrenze das Siegestor (1834 – 52, Gärtner), eine klare Referenz auf den Anfang der Champs-Elysées in den Tuileriengärten des Louvre. Hier steht der an römischen Triumphbögen (Konstantinsbogen) orientierte Arc du Carrousel (1807 – 09), und das Siegestor nimmt das in seinen Formen unmissverständlich auf. Es antwortet städtebaulich auf die Feldherrnhalle (1841 – 44, Gärtner) als dem südlichen Abschluss des Odeonsplatzes zwischen Theatinerkirche und Residenz – auch diese eine klar als solche erkennbare Architekturkopie, nämlich der Loggia dei Lanzi in Flo-
III. Schlüsselwerke
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renz aus dem späten 14. Jh. Im Gegensatz zu der Bebauung Klenzes im südlichen Teil der Ludwigstraße mit ihren isolierten Einzelpalais eignet den Gebäuden Gärtners in der Nordhälfte eine neue und radikale Großformigkeit und fast monotone Regelmäßigkeit: Die Staatsbibliothek bildet eine langgestreckte flache Fassade aus, deren Horizontalität durch markante Geschosstrennungen in drei Ebenen noch betont wird. In jedem dieser Geschosse reihen sich rundbogige Fenster, absolut regelmäßig, ohne jegliche Rhythmisierung. Abrupt springt aus dieser abweisenden, geraden Mauerflucht in der Gebäudemitte eine doppelläufige Freitreppe als festlicher Eingang in den Außenbereich der Straße (□ vgl. 56). Auch nach dem Eintreten in das Gebäude zeigt sich die strenge Monumentalität der Staatsbibliothek, denn von hier aus führt eine mächtige einarmige Treppe in einem steil proportionierten Treppenhaus zu den Lesesälen im Obergeschoss. Auch die Universitätsgebäude weisen nüchterne, durch gleichmäßige Reihen von Rundbögen gegliederte Fassaden auf. Selbst wenn diese Nüchternheit auch auf Vorlieben des Auftraggebers zurückgeht, so entwirft Gärtners sog. Rundbogenstil insgesamt eine innovative rasterartige Modularchitektur, die sich vor allem funktionalen Erwägungen beugt: Hinter den Fassaden ist eine flexible Raumeinteilung möglich, die Rundbögen spenden ausreichend Licht, ohne die Wand als Innenbegrenzung aufzuzehren. Die Formen können im Einzelnen zwar auf historische Vorlagen bezogen werden, doch insgesamt wollen diese Gebäude nicht mehr programmatisch ideale Vorbilder oder Epochen evozieren. Das zeigt sich besonders deutlich an der Ludwigskirche (□ vgl. 57), die zwar Einzelmotive der italienischen Sakralarchitektur des Mittelalters zeigt, z. B. Fensterrosen oder Mosaikschmuck. Doch unterliegt das alles einer strengen rechteckigen Rasterung durch Gesimse und Lisenen, zumal die doppeltürmige Fassade sich trotz ihrer Breite flach in die Straßenkontur einfügt und in bo-
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gengeöffneten Flügelbauten fortgesetzt wird. Insgesamt kann man das Ensemble aus Residenz und Ludwigstraße als ein immenses Museum der Weltarchitektur begreifen, das, aus der Bildungsbeflissenheit des Fürsten entstanden, zum einen der für jede Bauaufgabe angemessenen Repräsentation dient: florentinisch als Ausweis des Mäzenatentums, französisch für hochstehende Wohngebäude, palladianisch für Festsaaltrakte. Zum anderen sind diese Bauten inhaltlich und symbolisch durch Skulpturen und Wandmalereien ergänzt, die eine ideale, aber komplexe Geschichte der Welt und Bayerns erzählen und sich auf das Haus Wittelsbach und die (militärische) Stärke Ludwigs I. beziehen. All das ist aber in hohem Maße öffentlich ausgestellt, dient der Bildung der Passanten und der Einbindung Münchens in ein
Netz historisch vorbildlicher Kulturen. Insofern ist der sich hier äußernde Historismus das Pendant zu den durchgreifenden frühen Denkmalpflegemaßnahmen ( Themenblock · Denkmalpflege, S. 154 f.) unter Ludwig sowie zu den ‚richtigen‘ Museumsbauten, die der König errichten ließ: Glyptothek, Alte und Neue Pinakothek. Doch beginnen sich mit Gärtner die historischen Versatzstücke zu isolieren. Sie werden neu und tlw. in unendlicher Reihe zusammengesetzt und lassen insoweit die Präsentation von Einzelstücken zusammenschmelzen in ein städtebauliches Gesamtensemble, das im nördlichen Teil der Ludwigstraße im raschen Vorbeiziehen in großer Emphase als eine Einheit zu begreifen ist, die den Bezug auf Vorbildensembles nur stellenweise – wie am Siegestor – als wichtig erachtet.
Houses of Parliament in London Architektur und Monarchie
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ie Verwendung historischer Stile im 19. Jh. geschieht nicht nur, um damit gelehrte Verweise auf eine aus politischen oder religiösen Gründen verehrte oder als ideal erachtete Vergangenheit zu geben. Ebenso wichtig war eine emotionale Erfahrbarkeit dieser Architekturen, und dies galt in besonderem Maße für den Einsatz mittelalterlicher Stile. Das emphatische oder empfindsame Erleben pittoresker Ensembles und Atmosphären bildete ja schon im Landschaftsgarten, in dem gotische Bauten und Versatzstücke zum Grundrepertoire gehören |▶ 1|, einen entscheidenden Faktor. Im Zuge der nationalen Begeisterungen in Folge der Befreiungskriege – also dem Ende der napoleonischen Herrschaft über Europa – vermischen sich Mittelalterbegeisterung, roman-
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tische Überhöhung der Kunst als Religion und Patriotismus, und dies wird in vielen Ländern auf mittelalterliche oder neumittelalterliche Architekturen projiziert. In ihrer Gesamtwirkung von beeindruckenden Raum- und Lichteffekten sowie Wandmalereien und Skulpturen eignen sich gerade gotische Räume für solch pittoreske Ensembles. Das gilt auch für die Vollendung von mittelalterlichen Bauten, die nunmehr an vielen Orten energisch betrieben wird: Von zahlreichen, sich wandelnden Bedeutungsschichten durchzogen ist hierbei insbesondere die Vollendung des Kölner Doms, seit 1815 als neukatholische und patriotische Aktion initiiert, 1842 begonnen und 1880 schließlich als Symbol der Reichseinigung vollendet. Prinzipiell vergleichbare Vollendungsunternehmen
Houses of Parliament in London
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gibt es aber auch in Italien (Fassaden der Dome von Florenz und Mailand), Spanien (Fassade der Kathedrale von Barcelona) und Frankreich (Vollendung und Ausbau der Kathedrale von Clermont-Ferrand oder des Schlosses von Pierrefonds). Die neugotischen Neubauprojekte sind Legion, doch stehen auch sie sehr häufig in Verbindung mit der patriotischen Stimmung nach 1815, wie zum Beispiel Schinkels Entwürfe eines riesigen gotischen Denkmaldoms für den Leipziger Platz in Berlin zum Gedenken an die Befreiungskriege verdeutlicht. Auch in England, wo das Gothic Revival schon seit der Mitte des 18. Jh.s als sentimentale Rückversetzung in eine glorreiche Vergangenheit eingesetzt wurde (von Engelberg 2013, S. 314 – 317), wird die Neugotik im 19. Jh. zu einer monarchisch konnotierten historischen Stimmungslandschaft. So gilt dies zumindest für eine der viktorianischen Weltarchitekturen in London, die auch heute noch Symbol des englischen Regierungssystems ist: den Houses of Parliament am linken Themseufer, neben Westminster Abbey. Optisch und akustisch ist das riesige Gebäude nachgerade zu einem allgemein bekannten Erkennungszeichen von London geworden: Der Glockenturm des Big Ben ist allgemein sichtbar und tönt zugleich in charakteristischer Klangfolge. Die neugotische Formensprache des Palastes gibt insgesamt das bestimmende pittoreske Element der Londoner Ufer-Skyline ab. Die Erbauung des Palastes (1835 – 60) wurde notwendig, weil 1834 der Vorgängerbau – der königliche Westminster Palace mit dem Parliament’s House – durch einen spektakulären Großbrand weitgehend vernichtet wurde. Umgehend machte man sich unter der Leitung einer eigenen Kommission an die Neuerrichtung und Neustrukturierung des Gebäudes. Obwohl sich auch andere Standorte angeboten hätten, sollte der Neubau am Standort des alten Parlaments entstehen und diese Kontinuität insbesondere auch durch den Stil kenntlich machen: Verpflichtend vorgegeben war nämlich der goti-
III. Schlüsselwerke
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sche Stil des 13.–15. oder aber der sog. elisabethanische Stil des 16. Jh.s. Als Sieger ging der Entwurf von Charles Barry hervor, der diese inhaltlichen Vorgaben intelligent gestalterisch weiterführte. Nach zahlreichen Erweiterungen seines Urentwurfs stellt sich der Komplex als ein langgestrecktes Gebäude dar, das zwei Reihen von Höfen umschließt. Auf der Flussseite erstreckt sich eine hauptsächlich durch Eckpavillons gegliederte Front, an den Schmalseiten erheben sich zwei markante Türme: im Süden der mächtige Victoria Tower als königlicher Zeremonialzugang zum Oberhaus, im Norden der berühmte Glockenturm mit der großen Uhr und der großen Glocke, dem Big Ben. Auf der Westminster Abbey zugewandten Seite im Westen hat Barry den riesigen mittelalterlichen Versammlungssaal, Westminster Hall, erhalten, auf dem Standort der südlich angrenzenden St Stephen’s Chapel wurde die St Stephan’s Hall errichtet. Sie bildet einen majestätischen Zugang zu der Mitte des Gebäudes, der achteckigen, von einem weiteren Turm bekrönten Central Lobby (□ 58). Von dieser aus erstrecken sich die beiden Haupträume in dem Mittelflügel des Gebäudekomplexes, der Versammlungssaal des Oberhauses nach Süden, derjenige des Unterhauses nach Norden. Als Stil für sein Gebäude wählte Barry sehr geschickt den sog. perpendicular style, eine überaus typische englische Spielart der Gotik, die sich durch vertikal angeordnete, reich durchbrochene Maßwerkdekorationen auszeichnet. Damit war zum einen den Vorgaben der Baukommission hervorragend Genüge getan, denn Barrys Neugotik verbindet sich bruchlos mit dem erhaltenen ehrwürdigen Gebäude der Westminster Hall aus der Zeit um 1400. Zum anderen erweist sich das kleinteilige, aber auf zu komplizierte Maßwerkformen verzichtende Idiom als hervorragend geeignet, um jeder Grundrissform gerecht zu werden; mehr noch, dieser Stil erlaubte auch anspruchsvolle Räume, in denen zahlreiche Nischen und Rahmenfelder für dekorative Skulp-
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□ 58 London, Houses of Parliament, Charles Barry, 1835 – 60, Ansicht aus der Luft
turen, Wappen und Wandmalereien eingebracht werden können. Sehr gut ist das in der Central Lobby (□ 59) zu studieren, deren acht Seiten gleichmäßig von acht Spitzbögen gebildet werden, die abwechselnd als Zugangsportale bzw. als reich belichtende Maßwerksfenster ausgefüllt sind. Zusammengefasst wird der Raum durch ein kompliziertes Sterngewölbe. Durch und durch erscheint das Äußere wie das Innere als eine perfekte neugotische Anlage, in der zudem alles korrekt aus einer immensen Vorlagensammlung gotischer Bauskulptur entnommen und stimmig zusammengefügt ist. Diese Ausstattung ist das Werk eines der wesentlichen Wortführer des Gothic Revival, Augustus Welby Northmore Pugin. Beeinflusst durch die katholische Reformbewegung in England (eigene Konversion zum Katholizismus 1835) propagierte Pugin die ‚Wahrhaftigkeit‘
und Schönheit der gotischen Architektur. Diese ergebe sich konsistent aus Gebäudefunktion und Konstruktion, sei zudem katholisch und landestypisch. Vor allem in seinen 1836 – also zeitgleich zum Baubeginn am Parlamentsgebäude – erschienenen Werk „Contrasts“ zeigt Pugin in kontrastierenden, überaus polemischen Illustrationen, wie das Abweichen von den Prinzipien gotischen Bauens in der klassischen Architektur vom Auseinanderfallen von Bauform und -funktion, von Protestantismus und sozialem Niedergang, Industrialisierung und Revolutionen begleitet gewesen sei. Diese Sichtweise – die Dekadenz der Gegenwart durch die Wiederherstellung mittelalterlicher Zustände aufzuhalten – versteht sich nicht nur als eine Kunsttheorie, sondern als eine umfassende politische und soziale Botschaft. In der Kunstreformbewegung der Arts-and-Crafts-Be-
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□ 59 London, Houses of Parliament, Charles Barry, 1835 – 60, Central Lobby
wegung wird diese weltweite Wirkkraft entfalten |▶ 11|. Vor allem fügt sich die Position Pugins in eine damals durchaus gängige Mittelalterbegeisterung, die sich insbesondere in adeligen Kreisen höchster Beliebtheit erfreute: Mit mittelalterlichen Kostümen, Ritterspielen und Lektüren (z. B. Thomas Carlyle: „Past and Present“, London 1843) war eine zwar fiktive, aber alle Lebensbereiche umfassende Verankerung im Mittelalter möglich. Solche Aspekte gelten aber in besonderem Maße auch für das Parlamentsgebäude: Es steht nicht nur auf dem Ort der alten Königsresidenz, innerhalb derer
III. Schlüsselwerke
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das Parlamentsgebäude nur einen Teil abgegeben hatte, sondern konserviert die alte Königshalle und überträgt deren Stil auf die Neubauten. Dass es bei den Houses of Parliament schwerpunktmäßig um die Rolle eines sakral überhöhten Königtums und nicht so sehr um diejenige der verfassungsmäßigen Legislative ging, machen noch andere Aspekte deutlich: Pugins Thron und der an einen breiten, goldverzierten Schirm angebrachte Thronbaldachin als zentrales Ausstattungsstück im Oberhaus haben einen fraglos sakralen Charakter. Der große Turm im Süden, Victoria Tower (ehem. King’s Tower), dient als monumentales Portal für königliche Zeremonien, vor allem die Eröffnung des Oberhauses. Und zahllos sind die Skulpturen, die Monarchen der englischen Geschichte zeigen. Wenn man sich vor Augen führt, dass unmittelbar vor der Errichtung des Parlamentspalastes Volksaufstände England erschüttert hatten, die Industrialisierung ihre ersten Höhepunkte erreicht hatte und in den Great Reform Acts Zugeständnisse an untere Bevölkerungsschichten gemacht werden mussten, so ist das neue Parlamentsgebäude eine kolossale Inszenierung einer angeblich besseren Zeit, in der der Monarch die Geschicke eines Landes bestimmte, das als frei von den Problemen der Moderne erachtet wurde. Insofern sind die Houses of Parliament in ihrer Entstehungszeit auch weiterhin ein königlicher Palast. Da aber in Wirklichkeit dort die beiden Parlamentskammern tagten und ihre verfassungsmäßigen Aufgaben erfüllten, und auch Königin Victoria in ihrer langen Amtszeit das Parlamentsgebäude lediglich aus Anlass der vorgesehenen Zeremonien betrat, übernahmen es das neugotische Gebäude und seine perfekte Ausstattung, die rückwärtsgewandte Utopie eines monarchischen und adeligen Mittelalters emotional und theatralisch zu inszenieren. Als seit dem Ende des 19. Jh.s die politische Bedeutung des Königtums gegenüber den demokratischen Instanzen weiterhin abnahm, tat dies der
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Signifikanz und Funktionstüchtigkeit des Parlamentsgebäudes keinen Abbruch. Es wandelte sich gleichsam zu einem Museum oder einem „hohlen Filigran“, wie es John Ruskin ausdrückte, dessen Pracht und ästhetische Stimmigkeit indes dafür sorgen, dass hier bis heute das unangefochtene Symbol des englischen Parlamentarismus wahrgenommen werden kann. Die pittoreske Neugotik als Stil für repräsentative Parlamentsbauten hatte eine bedeutende Nachfolge, selbst wenn seit dem letzten Drittel des 19. Jh.s klassizistische, breit gelagerte und von einer hohen Tambourkuppel bekrönte Paläste in Anlehnung an das amerikanische Capitol ein vielfach angewandtes, sofort erkennbares Schema bildeten. Gerade auch in den jungen Staaten in Südamerika ist dies zu sehen (Buenos Aires, Montevideo). Ein
mächtiger neugotischer Palast entstand als klare Referenz auf das Londoner Vorbild aber für das kanadische Parlament in Ottawa (Thomas Fuller u. H. C. Jones, 1859 – 67) – auch als programmatischer Ausdruck der Zugehörigkeit Kanadas zum britischen Commonwealth. Auch in Budapest rekurrierte der Architekt Imre Steindl für das neue Parlamentsgebäude (1883 – 1902) auf London. Die ungarische Hauptstadt war damals die zweite Residenz des Österreich-Ungarischen Riesenreichs. Mit der langen, turmbesetzten Front entlang der Donau, in der zwei Parlamentssäle axial angeordnet sind, und durch die markante zentrale Kuppel folgt die Disposition sogar sehr genau Barrys Londoner Anlage, aber eben nicht dem wenig älteren Wiener Parlament mit seiner griechischen Formensprache |▶ 13|.
Erstes und zweites Hoftheater in Dresden Wege der Neorenaissance
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er weltberühmte Bau der sog. Semperoper, neben der Frauenkirche das Wahrzeichen der Stadt Dresden, lässt in dem Glanz und der Pracht, in der er heute erscheint, leicht übersehen, dass in seinem Kern weitreichende neue Ideen für das Theater enthalten sind, verbunden mit den Reformen Richard Wagners. Dass das Theater weniger als Ort gesellschaftlicher Repräsentation und Geselligkeit, sondern als Institution gemeinschaftlicher, ja demokratischer Bildung und moralischer Erbauung zu begreifen sein solle, und insofern auch eine genau darauf abgestimmte räumliche Hülle benötigt, verdankt man wesentlich dem ersten Gebäude von Gottfried Sempers königlichem Hoftheater in Dresden, das allerdings bald
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durch ein zweites ersetzt wurde, welcher unser Bild der Dresdner Oper prägt. Die Diskussion um einen Neubau für das anspruchsvolle, aber baulich unzureichend untergebrachte Dresdner Hoftheater hatte sich über das gesamte erste Drittel des 19. Jh.s erstreckt, als der junge, 1834 eben zum Professor und Vorstand der Bauschule der königlichen Akademie berufene Gottfried Semper den Auftrag erhielt, einen Aufstellungsort für das Denkmal Friedrich Augusts I. zu ermitteln. Der Architekt nutzte die Aufgabe für eine komplette Umplanung des vom sog. Italienischen Dorf bestandenen Areals nördlich des Schlosses, zwischen Zwinger und Elbe. Ziel war die Schaffung eines Kulturforums, ähnlich wie dies in Berlin am
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Ostende der Linden seit dem späten 18. Jh. zur Verwirklichung gekommen war. Semper plante, an die Ostseite des Zwingers zwei parallele Flügel in Richtung Elbe anzuschließen, von denen einer die Gemäldegalerie, der andere die Orangerie und Skulpturensammlung aufnehmen sollte. Dazwischen hätte effektvoll das Kronentor des Zwingers einen point-de-vue abgegeben. An der nördlich gelegenen Orangerie sollte das neue Theater anschließen. Dieses Kulturforum kam allerdings nicht zustande, die ebenfalls von Semper entworfene Gemäldegalerie sollte schließlich, um 90 ° gedreht, 1839 – 55 als Osttrakt den Zwingerhof schließen. Der ursprünglich geplante Theaterbau wies eine Reihe bemerkenswerter Eigenschaften auf: Im Wesentlichen bestand er aus einem kubusförmigen Bühnenhaus, an das als Halbzylinder der Trakt des Zuschauersaals anschloss. Dessen Disposition folgte einer halbkreisförmigen Anlage der Logenränge und zweier, diese umlaufender, übereinander angeordneter Ringfoyers. Semper folgte in diesem Vorentwurf einer reformierten, bereits von Schinkel, Goethe und Tieck geforderten, aber erst um 1900 als sog. Reliefbühne wieder diskutierten Bühnenkonzeption. Die übliche Tiefenbühne sollte nur noch der Ort von Kulissen und Prospekten sein, den eigentlichen Hauptspielort hingegen das Proszenium, die Vorbühne, abgeben. Diese sollte durch stark abgeschrägte Bühnenrahmen mit architektonischer Gliederung eingefasst werden, über die die Bühne auch direkt betreten werden konnte. Die Proszeniumslogen mit schlechten Sichtbedingungen sollten entfallen. Zuschauer und Spieler wären also aufeinander ausgerichtet gewesen: Die halbrunde Sitzanordnung erlaubt gute Sichtbedingungen von allen Seiten, die Bühne mit dem dramatischen Geschehen ist nach vorne in Richtung des Zuschauersaals gerückt. Semper beabsichtigte damit, vor allem antike Bühnenkonzepte wiederzubeleben: ein Auditorium, das sich von halbkreisförmig geführten Sitzplätzen aus
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konzentriert dem Bühnengeschehen widmen kann, welches auf einer breit gelagerten Bühne (skene, proscenium) vor einer architektonisierten Wand, der scenae frons stattfindet. Dezidiert steckte dahinter die Idee einer demokratischen Teilhabe am Theater, wie es zu dieser Zeit in Dresden von Ludwig Tieck und Eduard Devrient konkret vertreten wurde. Entsprechend verzichtete Semper auch auf alle Nobilitierungen in Form von Fürstenlogen oder Prachteingängen. Auch die Rundfoyers sind, ganz anders als die festsaalartigen Foyers der meisten bürgerlichen Theater |▶ 12|, Wandelhallen, die zur Diskussion und Unterhaltung einladen. Diese Bühnenkonzeption wurde nicht realisiert. Bis 1841 kam dennoch ein bemerkenswerter Bau zur Ausführung. Zahlreiche akribisch unternommene Maßnahmen im Inneren sollten eine perfekte Akustik gewährleisten. Auch war Semper, der sich eben in diesen Jahren intensiv mit der malerischen Wirkung farbiger Architektur beschäftigte (vgl. S. 82), auch um eine gediegene, „anmuthige“ (Malgrave 2001, S. 134) Farbwirkung des Inneren bemüht, die hauptsächlich auf den Akkord Weiß und Grau mit goldenen Akzenten abgestimmt war. Die klare Struktur der Gesamtdisposition wurde dadurch erweitert, dass seitlich Vestibüle und Treppenhäuser inklusive einer Vorhalle angelegt wurden (□ 60). Diese hielten zum einen die markante Exedrastruktur des Zuschauersaals nach außen frei, zum anderen wurde ihr dreigeschossiger Aufbau durch ein Querdach bzw. einen Dreiecksgiebel nach oben abgeschlossen, so dass das Theatergebäude nun auch seitliche Fassaden erhielt. Ähnlich war die ‚Rückseite‘ gegliedert. Sempers Hoftheater folgte also insgesamt in seiner klar gegliederten Außenstruktur sehr konsequent den inneren Funktionseinheiten. Damit entsprach Semper aktuellen Theaterbauten, etwa in Mainz (1833) und Antwerpen (1834), die ihrerseits auf Entwürfe von Jean-Nicolas-Louis Durand oder Pietro Sangiorgio für das Teatro al Corso
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□ 60 Dresden, Ansicht des ersten Hoftheaters, Gottfried Semper, 1841 voll. (Gemälde von Chr. G. Hammer, 1845)
in Rom (1821) zurückgingen. Sempers Theater verbindet diese Disposition aber mit einem damals neuen Stilidiom, der Neorenaissance. Die äußere Gliederung wird durch gleichförmig umlaufende Bogenreihen mit vorgeblendeter Kolonnade, dem sog. Tabulariumsmotiv, gebildet und erinnert somit an italienische Renaissancearchitektur des frühen 16. Jh.s. Hier wird nicht prunkvoll akzentuiert, sondern die Gleichförmigkeit der Arkaden zum demokratischen Programm. Für Semper war die Renaissance aber vor allem auch eine Neubelebung der Antike – analog zu dem, was er selbst betrieb – und so erinnern die übereinandergelegten Arkaden auch an römische Amphitheater, etwa das Colosseum in Rom. Das antike Amphitheater mit seinen großen arkadenbesetzten Fassaden ist somit städtebaulich wirksam zu einer bürgerlich-demokratischen Bauaufgabe umformuliert. Semper führt als weiteren Grund für die Verwendung von Hochrenaissanceformen auch an, dass sie auf den mit Shakespeare verbundenen Aufschwung des Theaters im 16. Jh. verwiesen. Schließlich war dieser
Stil ein ‚neutrales‘ Idiom, das der „chamäleontischen Färbung“ (Semper 1849, S. 10) des Theaterbaus – mal Komödie, mal Tragödie zu umschließen – am ehesten gerecht wurde. Und in der Tat fügte sich das Theater mit seiner riesigen Rundung bestens zu den großen, bugartigen Exedren der benachbarten Großbauten des Zwingers bzw. der katholischen Hofkirche. Sempers Hoftheater ging in mehrerer Hinsicht mit Richard Wagners Konzeption des Gesamtkunstwerks überein, die dieser – seit 1842 Kapellmeister in Dresden, in dessen Hoftheater auch einige frühe Opern uraufgeführt wurden! – 1850 in seinem Aufsatz „Das Kunstwerk der Zukunft“ veröffentlicht hatte (Mallgrave 2001, S. 138 – 139). Als Weihestätte eines erneuerten Festspiels, das vom ganzen Volk zu erleben sei, müsse eine tempelgleiche Architektur, das Theater, dienen. Hier habe unter den besten akustischen und optischen Bedingungen ein vollständig illusionistisches Drama zur Aufführung zu kommen, in dem Wort, Gesang, Musik, Tanz, Skulptur und Bühnenbild sich zu einem kontinuierlichen, also
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□ 61 Dresden, Zweites Hoftheater, Gottfried Semper, 1871 – 78 (in Weiß die Umbauten der Nachkriegszeit)
nicht durch Pausen und virtuose Gesangseinlagen unterbrochenen Gesamtkunstwerk zusammenfügen. Semper und Wagner vereinte die Konzentration auf das Bühnengeschehen, der demokratische Anspruch eines neuen Theaters und die Vorbildlichkeit der Antike. Nicht umsonst sollte Semper später intensiv an Plänen eines Richard-Wagner-Festspielhauses für München arbeiten. 1848 beteiligte sich Semper ganz gemäß seiner vormärzlich-demokratischen Einstellung an der Revolution in Dresden, wurde aus dem Freistaat verbannt und musste ins Exil gehen. 1869 brannte das Hoftheater ab. Angesichts Sempers künstlerischer Reputation und dank der Aufhebung des Steckbriefes 1863 erhielt er den Auftrag, einen Neubau zu errichten, der von 1871 bis 1878 realisiert wurde (□ 61, 62). Gegenüber dem ersten Theater springt der Bau deutlich zurück, gibt deswegen die Sicht auf die mittlerweile errichtete Gemäldegalerie frei. Ansonsten übernahm Semper viele Eigenheiten des alten Projekts, vor allem die Grunddisposition als mächtiger Kubus mit prägnanter Exedra. Allerdings tritt diese nur
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noch als Kreissegment in Erscheinung, und auch der Zuschauersaal hat den Grundriss eines auf einer Schmalseite segmentbogenförmig schließenden Rechtecks. Demgemäß treten die nunmehr sehr raumhaltigen Vestibül- und Treppenhäuser an die Seiten des Zuschauertraktes, wodurch es umgekehrt möglich wird, das Bühnenhaus als (u. a. auch feuerschutztechnisch) eigenständigen Bereich zu gestalten. Das Bühnenhaus mitsamt seiner Technik steigt nunmehr prägnant als eigener bekrönender Bauteil über die umgebenden Bauteile des Theaters und selbst der Umgebung hervor. Insgesamt ist der zweite Theaterbau sehr viel reicher instrumentiert. Die ‚Grundtonart‘ ist weiterhin die Architektur der italienischen Hochrenaissance, doch erscheint sie nunmehr ‚volltönender‘ als beim Vorgängerbau. In Anlehnung an die Gemäldegalerie sind Erdgeschoss und Seitentrakte mit einer kräftigen Rustizierung versehen, die Pilaster im unteren sowie die Säulen im oberen Foyer erscheinen gedoppelt. Vor allem ist die Gebäudeachse platzseitig durch eine monumentale Nische ausgezeichnet, die – auf dem großen Rundbogen des Hauptportals im Erdgeschoss aufsitzend – die zweite Foyerreihe weit überstreicht und in einer monumentalen Figurengruppe gipfelt. Die Panthergruppe mit Dionysos und Ariadne (von Johannes Schilling) versinnbildlicht das im Theater sich ereignende Zusammengehen von Eros und Drama. Diese Nische dient als Austritt vom oberen Rundfoyer, das im Vergleich zum unteren einen sehr viel opulenteren Charakter annimmt. Es verbindet gleichsam schwingend die beiden aufwendig mit frei stehenden Doppelsäulen orchestrierten seitlichen Vestibüle, auf die großzügige Doppeltreppen führen. Im Inneren des Zuschauersaals hat die Außennische ihr Pendant in Form einer großartigen königlichen Galaloge, direkt gegenüber der Bühne. Diese wird in durchaus konventioneller Manier durch Proszeniumslogen begleitet, in doppelter Säulenstellung sich aufbauend. Hinzu kommt eine intelligent kon-
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zipierte, komplexe bildnerische Ausstattung des Gebäudes, die programmatisch vom Thema der durch die Liebe verführten Kunst (Ariadne und Apollon) in die verschiedenen Stufen von Tanz, Gesang und Rausch – quasi vom Apollinischen zum Dionysischen oder, auf die Erschließung des Gebäudes bezogen: vom Dezenten zum Opulenten – führt. Nicht zuletzt in seiner ausgefeilten technischen Ausstattung im Bereich von Bühne und Beheizung steht auch das zweite Dresdner Hoftheater neben den fast gleichzeitigen Opern in Wien (1861 – 69, August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll) und Paris (1874, |▶ 12|. Im Vergleich hierzu zeigt sich der Dresdner Bau in einer damals unisono emphatisch hervorgehobenen Klarheit: Alle wesentlichen Bestandteile – Foyer, Treppenhäuser, Vestibül, Zuschauerraum –kommen in einer logisch strukturierten, zudem stadträumlich beherrschenden Gesamtkomposition zum Ausdruck. Die gut ablesbare,
in ‚Hochrenaissance-Gewändern‘ gekleidete Konstruktion kann man aber auch mit Sempers Bekleidungstheorie verbinden. Nach dieser lässt sich die Geschichte der Kunst und Architektur als ein beständiges, bestimmten Formgesetzen folgendes ‚Maskieren‘ der materiellen und strukturellen Realität, die dadurch ‚vernichtet‘ wird, begreifen (vgl. S. 83, Malgrave 2001, S. 316 – 317). Wie auch die Theater- und Opernaufführung selbst die Realität verhülle und die Alltagswirklichkeit ‚vernichte‘, kann man das Hoftheater selbst als eine theatralische Inszenierung begreifen, die, vergleichbar einer ephemeren Festarchitektur, in der sublimierenden Umhüllung der Konstruktion ihre eigentliche Aufgabe sieht. Damit markiert Sempers Hoftheater ein sensuelles und emotionelles, von der Evokation, von Stimmung und Atmosphäre gekennzeichnetes Architekturverständnis, das bis zum Jugendstil reichen wird (vgl. S. 17 f.).
□ 62 Dresden, sog. Semperoper, Gottfried Semper,
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Bibliothèque Ste-Geneviève in Paris Stein und Eisen
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m 19. Jh. entstand eine Wissensgesellschaft, die eine sich zunehmend ausdifferenzierende Wissenschaft als Erklärung, Beherrschung und Umgestaltung der Welt einsetzte. Das Medium dieses Wissens war das gedruckte Buch, dessen technische Entwicklung sich damals rapide beschleunigte. Die Druckkapazitäten wie die Informationsfülle stiegen an, Letzteres vor allem dank einer stetigen Verbesserung der Qualität gedruckter Bilder: von der Lithographie und dem Stahlstich bis hin zur Entwicklung fotomechanischer Druckverfahren. Diese Bücher als Medien der Wissenschaft waren und sind koordiniert zu sammeln und zugänglich zu machen: Dies stellt bis heute die Aufgabe der Bibliothek als Verwahrungs- und Konsultationsort des Wissens dar. Natürlich reicht die Bauaufgabe der Bibliothek bis in die Antike zurück und hat eine ungebrochene Kontinuität in den Kloster- und Hofbibliotheken (z. B. in Rom, Wien, Paris, Waldsassen, St. Gallen, Mafra) und bald auch den universitären Büchersammlungen (Cambridge, King’s College; Göttingen, Universitätsbibliothek; Coimbra, Biblioteca Joanina). Doch veränderten sich im 19. Jh. die Rahmenbedingungen beträchtlich. Zum einen gingen nach der Säkularisation die alten Kloster- und Hofbestände in staatlichen Besitz und staatliche Verwaltung über: Das ließ z. B. in Paris, München oder Berlin die Bestände sprunghaft anwachsen und verlieh ihnen den Status eines öffentlichen Gutes. Der Zugang dazu war seither zumindest prinzipiell jedermann gestattet, und der Zweck der Bibliotheken war nunmehr primär auf die Bildung ausgerichtet, während der frühere Aspekt der symbolischen Repräsentation durch gelehrte Büchersammlungen in den Hintergrund trat. Hinzu kam die
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steil ansteigende Buchproduktion, die bibliothekarisch systematisiert und organisiert sein wollte. Somit sah sich der Bautypus der Bibliothek mit einer Reihe neuer Anforderungen konfrontiert: Als öffentliches Gebäude musste es (feuer)sicher sein und einer großen Zahl von Lesern gute Lesebedingungen (Licht zu allen Tageszeiten, Heizung) verschaffen. Hinzu kamen gestiegene Bedürfnisse hinsichtlich der Magazinierung (Größe, Zugänglichkeit, Klimatisierung) und der Verwaltung. In dieser Hinsicht ist die Bibliothèque Ste-Geneviève in Paris ein vorbildliches, weil konsequent mit neuen Materialien und Techniken errichtetes Bauwerk. 1838 war Henri Labrouste, ihr künftiger Erbauer, der Architekt der Klosterbibliothek der in der Revolution aufgehobenen Abtei Ste-Geneviève geworden. Inmitten des Pariser Universitätsviertels gelegen, diente die Büchersammlung den Studierenden der Sorbonne, war allerdings völlig unzureichend in den alten Abteigebäuden untergebracht. Nach verschiedenen Vorstudien zwischen 1839 und 1842 erfolgte die Grundsteinlegung 1843, bis 1850 wurde die neue Bibliothek fertiggestellt. Der Standort nördlich des Panthéons, wo sich ein altes Gefängnis befand, wurde vollständig freigelegt, so dass der Bau frei stehen konnte. Er ist von einer, von den Zeitgenossen bisweilen kritisch vermerkten Nüchternheit (□ 63): Ein überlanger Block (21 × 85 m) zu zwei Etagen, gegliedert in 19 × 4 Achsen erstreckt sich, ohne weitere Vor- und Rücksprünge, unmittelbar nördlich des Pantheons (von Engelberg 2013, S. 318 – 322). Die untere Etage von äußerster Schlichtheit wird durch ein geradezu monoton erscheinendes Band von Festons nach oben
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□ 63 Paris, Bibliothèque Ste-Geneviève, Henri Labrouste, 1843 – 50, Außenansicht
abgeschlossen. Auf dieser Ebene befinden sich die Magazin- und Verwaltungsräume sowie ein quer durch die Gebäudemitte verlaufendes, durch ein Rundbogenportal zu betretendes Vestibül, das zu einer rückwärtig in einer Konche angelegten Treppe führt, über die man in das Obergeschoss gelangt (□ 64). Und dieses umschließt nun einen einzigen, in zwei Schiffe eingeteilten Hauptraum, den Lesesaal, ursprünglich angelegt für 600 Leser und 80 000 Bücher (plus 40 000 im Erdgeschoss magazinierte). Die besondere Bedeutung dieses Hauptraumes teilt sich auch am Äußeren mit, denn die Wände des Oberschosses bestehen aus gleichförmigen Arkaden auf schlanken Mauerstücken. In der unteren Hälfte der Bogenöffnungen erscheinen, gleichsam wie eine Brüstung eingesetzt, fünf Meter hohe Mauern, an denen im Inneren die Buchregale angebracht sind. An der Außenseite sind in regelmäßigen Zeilen und zu je drei Spalten geordnet die Namen von 810 Autoren eingraviert. Es handelt sich um
eine Art monumentalen Katalog der wichtigsten Verfasser, deren Werke in der Bibliothek zu konsultieren sind. Allerdings folgen die Namen nicht einer alphabetischen Ordnung, sondern einer chronologischen, beginnend mit Moses und endend mit dem damals gerade verstorbenen Chemiker Berzelius. Die Buchaufstellung im Inneren erscheint also symbolisch auch auf der Außenseite und bildet hier – anders als in den damals üblichen allegorischen Bildhauerarbeiten – eine Art konzeptueller Dekoration, die die Aufgabe des Baues verdeutlicht. Die Fassade verweist – allerdings ohne jedes Pathos – auf eine internationale Geschichte der Gelehrsamkeit, die zu pflegen und deren Werke bereitzustellen Aufgabe der Bibliothek ist. Der obere Teil der Bögen ist jeweils durch Fenster geöffnet, die das Innere des Lesesaals generös und von allen Seiten mit Licht versorgen. Diese Außenseite des Lesesaals bildet aber auch konsequent die innere Konstruktion ab: Das bemerkenswert weit erscheinende Innere wird
Bibliothèque Ste-Geneviève in Paris
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134 □ 64 Paris, Bibliothèque Ste-Geneviève, Henri Labrouste, 1843 – 50, Lesesaal
nämlich von einer Eisenkonstruktion überfangen, die eng und subtil auf die steinerne Außenhülle bezogen ist. Das, was außen als Tragmauer der Bögen sichtbar ist, erweist sich im Inneren als eine Abfolge von nach innen gezogenen Strebepfeilern. Dadurch entstehen im unteren Bereich Kompartimente, in denen die Buchregale eingelassen sind. Über den Abschlussgesimsen der Pfeiler sind eiserne Fachwerkbögen eingelassen, die 18 Mal als Doppelbögen quer durch das lange Innere geschlagen sind. In der Mittelachse stützen sich diese Doppelbögen auf eine Reihe äußerst schlanker Eisenpfeiler, die in Längsrichtung durch eiserne Bogenbinder versteift sind. Auch die Scheitellinie der Bögen erhält durch Firststreben eine Querversteifung, dazwischen bilden hellockerfarbene Tonnengewölbe den Raumabschluss, und darüber trägt die Eisenbogenkonstruktion das schmiedeeiserne Dachwerk. Die Freistützen erheben sich auf würfelförmigen Sockeln, die ursprünglich Teil von durchgehenden Regalen in der Mittelachse waren. Alle Elemente sind somit intelligent aufeinander bezogen: Die rasterförmige Eisenkonstruktion geht überein mit der kastenartigen Gesamtanlage, die relativ schlanken und monotonen Pfeilerarka-
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den im Obergeschoss sind der Unterbau des Eisengerüstes im Inneren. Labrouste hatte in seinen Studienjahren in Rom anhand der griechischen Tempel in Süditalien lange den Zusammenhang zwischen Materialökonomie und Ornamentformen der antiken Stützsysteme studiert, und diese Aspekte machen auch einen wesentlichen Aspekt seiner Bibliothek aus. So sind etwa die Übergangsstellen von Stein und Eisen ohne Brüche formuliert, und die kühnen frei stehenden Eisensäulen in der Mittelachse sind mit ionischen Kapitellen angeschlossen, aus denen stengelartig-elastisch die T-förmigen Querschnitte der Bögen aufsteigen. Die Bogenbinder, aus mehreren standardisierten Einzelteilen zusammengesetzt, sind zur Versteifung und Materialersparnis als Fachwerkbinder gegossen, doch ist dieses Fachwerk als eine Abfolge dekorativer Ranken formuliert. Das eiserne Dachwerk erlaubt große Fenster und somit Licht – aber keine ablenkenden Blicke nach außen – und macht das Gebäude zudem feuersicher, und das alles für eine sehr große Zahl von Lesern. Dass der Lesesaal und die Bücherregale im Obergeschoss platziert wurden, hat seinen Grund zum einen darin, dass hier bessere Lichtbedingungen als im Erdgeschoss
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herrschten, außerdem die Gefahr von Durchfeuchtung vermieden werden konnte. Zum anderen machte Labrouste dadurch den Weg zum Lesesaal zu einem Erlebnisparcours. Denn den strahlend hellen Lesesaal erreicht man erst, nachdem man über das dämmrige Vestibül den Bau gequert und dann rückwärtig nach oben aufgestiegen ist – vorbei an einer Kopie von Raffaels Programmbild der „Schule von Athen“. Im Inneren des Vestibüls, ebenfalls von Eisenträgern gestützt, begleiten Scheinmalereien von üppiger Vegetation mit davor aufgestellten Büsten den Ankommenden. Man durchschreitet gleichsam einen immergrünen Garten, vorbei an den Vorbildern der Gelehrsamkeit, bevor man in den abgeschiedenen Lesesaal in seiner strahlenden Helligkeit eintritt. Nicht nur am Tag, sondern auch abends und nachts war der Lesesaal gut beleuchtet; Hunderte von Gaslampen spendeten Licht für die Lektüre und schufen eine ganz eigenartige Lichtatmosphäre. Dieses klösterliche Moment wird nun auch sehr klar in einer signifikanten Bezugnahme auf das Refektorium des ehemaligen Pariser Cluniazenser-Priorats von St-Martin-des-Champs. Dieser Bau, um 1230 errichtet, ist eine Meisterleistung der Gotik, wird doch das Gewölbe durch eine Mittelreihe äußerst schlanker Pfeiler getragen – mehr noch: Auch dieser Raum wurde gleichzeitig zur Bibliothèque Ste-Geneviève, 1844, durch Léon Vaudoyer zum Lesesaal der École des Arts et Métiers umgebaut. Zu den technischen Finessen von Labroustes Bibliothek zählt auch eine ausgeklügelte Belüftung und Beheizung, die vermittels einer riesigen Apparatur im Untergeschoss Warmluft durch Gitter in den Lesesaal blies. Das Gesamtkonzept war derart erfolgreich, dass die Bibliothek umgehend intensiv frequentiert war – was auch einen durchaus erwünschten Domestizierungseffekt auf vergnügungssüchtige Studenten im Quartier latin hatte ... Labroustes Bibliothek ist nicht, wie das manchmal zu lesen ist, das erste Bauwerk, in
dem Eisen umfassend angewendet wurde. Es gibt zahlreiche Vorläufer, vor allem eiserne Dachstühle, die allerdings optisch nicht in Erscheinung treten. Der Bibliotheksbau vereint aber wie selbstverständlich und unübersehbar Eisen- und Steinbau zu einer vielschichtig funktionalen und zudem angemessen repräsentativen Einheit. Einige Jahre später konnte Labrouste sein Konzept in einem anderen berühmten Bibliotheksbau variieren, dem 1854 – 75 errichteten Lesesaal der Bibliothèque nationale in Paris, dessen weiter Raum von neun Kuppelschalen überdeckt wird, die von grazilen Eisenstützen im Inneren getragen werden. Das Licht strömt über verglaste Opaia (Rundöffnungen in den Kuppelscheiteln) ein. Der langgestreckte Rechtecksaal der Bibliothèque Ste-Geneviève ist allerdings für die Mobilität der Leser und die Erreichbarkeit der Bücher in den seitlichen Regalen nicht die ideale Lösung. Zukunftweisend für den Bibliotheksbau wurden deswegen zentral angelegte runde oder polygonale Lesesäle. In Innenhöfen gelegen, konnten sie über oben angelegte Fenster gut belichtet werden, während unten an den Wänden sowie in radial angeordneten Regalen Platz für zahlreiche Bücher war. Ein zentral positionierter Bereich für die Buchausgabe und die Information ließ sich störungsfrei und über kurze Wege von jedem Leseplatz erreichen. Diese Lösung wurde zum ersten Mal von der riesigen Lesesaalrotunde der British Library (eröffnet 1857) verwirklicht und auch für den Neubau der Library of Congress in Washington, der umfangreichsten Büchersammlung der Welt, für ihren 1897 eröffneten Neubau übernommen. Und als durch Ernst von Ihne zwischen 1903 und 1914 für die Staatsbibliothek in Berlin das damals weltgrößte Bibliotheksgebäude realisiert wurde, griff man für den Lesesaal auf einen zentralisierenden Achteckgrundriss von 43 m Durchmesser zurück, der von einer auf 34 m Höhe ansteigenden Kuppel überfangen wird.
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Crystal Palace in London Typisierung und Weltausstellung
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s gibt Gebäude, die an Wunder grenzen – nicht allein aufgrund ihrer technischen Kühnheit, sondern auch wegen ihrer Eigenschaft, eine Epoche in vielfältigster und zugleich überraschender Weise zum Ausdruck zu bringen und dabei alle bislang herrschenden Konventionen außer Kraft zu setzen. Zu solchen Gebäuden zählt der Crystal Palace, 1851 für die Weltausstellung in London im Hyde-Park von John Paxton und Charles Fox errichtet, 1852 – 54 in Sydenham südlich von London in veränderter Form neu aufgebaut (□ vgl. 67) und dort 1936 durch einen Brand zu einer unförmigen Masse verglüht. Der Crystal Palace hat, auch wenn er letztendlich ein fragiles Gebilde war, die Architekturgeschichte verändert und wird insofern entgegen dem Prin-
□ 65 London, Crystal Palace, John Paxton, 1851, Teilauf- riss und Grundriss
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zip dieses Buchs, nur existierende Gebäude zu behandeln, hier besprochen. Der Crystal Palace war ein Gebäude von unendlichen, vom menschlichen Auge kaum zu erfassenden Dimensionen: Der Bau erstreckte sich in einer Länge von 615 m und einer Breite von 150 m; im Querschnitt staffelte er sich dreifach in die Höhe (□ 65, 66). Der obere Abschluss der fünf ‚Schiffe‘ war flach, das Innere bildete insofern eine endlos erscheinende gerade Allee aus. In der Mitte war diese durch ein ebenfalls dreifach gestaffeltes sog. Querhaus durchkreuzt, dessen Fronten mit den Längsseiten des Grundrissrechtecks fluchteten und dessen ‚Mittelschiff‘ von einer mächtigen Glastonne eingedeckt war. Ermöglicht wurde diese Konstruktion durch eine Rasterstruktur aus vollständig gleichförmigen Eisenrahmen von 7,3 m Breite. Im Prinzip wurden diese aus schlanken Eisenstützen gebildet, die durch jeweils identische eiserne Fachwerkträger oben verbunden waren. Der dadurch gebildete Rahmen konnte in Reihe und über quadratischen Grundriss gesetzt werden, er wurde fallweise durch diagonal eingesetzte Zugseile verspannt und diente als Auflager für Böden, weitere Rahmenreihen oder Glasdachkonstruktionen (□ vgl. 65). Diese hat Paxton, da die Produktion großformatigen Flachglases damals nicht möglich war, als parallel gesetzte schmale gläserne Satteldächer entworfen. Im sog. ridgeand-furrow-System (First und Furche) bildeten sich zwischen den Dachschrägen automatisch Ablaufkanäle für Regenwasser, das – auch dies eine der ingeniösen Erfindungen Paxtons – über Rinnen abgeleitet wurde, die im oberen Profil der Fachwerkträger eingearbeitet waren. Die grazilen Eisenstützen sollten im Ge-
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□ 66 London, Crystal Palace, John Paxton, 1851, Gesamtansicht (zeitg. Graphik)
samteindruck keineswegs optisch verschwinden, sondern waren gemäß einem Farbkonzept, das der Architekt Owen Jones – Autor des wichtigen Vorlagenwerks „Grammar of Ornament“ von 1856 – entwickelt hatte, farbig gefasst. Jones verwendete nur vier Farben – Rot, Gelb, Blau und Weiß – und wollte mit diesen psychologische bzw. physiologische Farbwirkungen zur Anwendung kommen lassen, um damit perspektivische Effekte zu erzeugen sowie Räume zu definieren und zu ordnen. Die konstruktiven Elemente des Eisengitters waren in diesem Sinne keine architektonischen Einheiten, sondern malerisch-graphische Linien im Raum. Vor dem Hintergrund des damaligen Architekturverständnisses konnte – und kann – man sich fragen, ob es sich bei dem Glaspalast überhaupt um Baukunst im eigentlichen Sinne handelte. Denn die grazile Rasterstruktur in – trotz der gewaltigen Dimensionen – äußerst klarer Kubatur zeigte ja keinerlei körperliches Relief, auf dem das Licht Plastizität modellieren konnte, so wie Architektur normalerweise mithilfe skulptural verstandener Gliederungselemente – Säulen, Giebeln, Gebälken usw. – ‚komponiert‘ wurde. Zudem ließen die rasterförmigen Standardelemente keinerlei Rhythmisierung
und Akzentsetzungen zu, sondern erzeugten eine monotone, gleichsam unendliche Reihung (□ 67, □ vgl. 66). Auch eine weitere Funktion von Architektur, nämlich über Mauern und Öffnungen ein Innen und Außen in beziehungsreiche Abgrenzung zu setzen, fehlte bei dem Londoner Gebäude weitgehend: Es gab keinen Schatten, vielmehr strömte ungehindert Licht ins Innere, die Grenze zwischen Innen und Außen schien nicht mehr zu existieren, zumal wenn sich die unendliche Reihung der Stützen in der Tiefe optisch nicht mehr nachvollziehen ließ. Übermenschliche Größe und Unermesslichkeit sind Wahrnehmungsmuster des Erhabenen, wie es etwa von Burke und Kant im 18. Jh. formuliert worden war: erschaudern machende Wirkungen der Natur, die mehr über das Gemüt als über den Verstand wirksam werden. Wie in einem Wunder aber gab es trotz dieser Aufhebung materieller Begrenzungen dennoch ein markant zu erlebendes Inneres: eine künstliche und geschützte Atmosphäre, in der auch nicht irgendetwas Beliebiges ausgestellt wurde, sondern programmatisch Produkte aus der ganzen Welt (□ vgl. 67). Diese waren um große Brunnen, Skulpturen und natürliche Bäume des Hyde-Parks geordnet. Hier
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138 □ 67 London, Crystal Palace, John Paxton, 1851, Inneres nach dem Neuaufbau in Sydenham Hill
war gleichsam ein neues Paradies entstanden, geschaffen vom Ingenium des modernen Menschen mit seinen industriellen Mitteln zur Verbesserung der Natur. Der Palast, der diese neue Schöpfung barg, reflektierte das Licht, ließ es eindringen und irisieren, so dass der Name Crystal Palace keineswegs ein bloßer Titel war. In der Anspielung auf den Kristall lebte zum einen die Erinnerung an die wunderhaften gläsernen Schlösser der mittelalterlichen Literatur weiter, zum anderen ist dem Kristallinen eine merkwürdige Zwischenstellung zwischen einem natürlich gewachsenen Naturprodukt und unergründlicher geometrisch-abstrakter Regelmäßigkeit eigen. Dieses Wunderwerk war zudem nicht in architektonisch traditioneller Weise aufstapelnd gemauert worden, sondern mithilfe zahlreicher Transportmaschinen (fahrbare Arbeitsbühnen, Kräne usw.) ohne Gerüste montiert worden, und zwar in der Rekordgeschwindigkeit von 17 Wochen. Die Bewunderung und Faszination, die das Werk ausübte, teilten alle, die es sahen – mit einem Mal benötigte die Wertschätzung der neuen Architektur nicht mehr elitäre Bildung und Geschmack.
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Doch konnten sich gerade auch Intellektuelle und Aristokraten – allen voran und leidenschaftlich Königin Victoria – der paradoxen Faszination des Glaspalastes nicht entziehen: Ein offensichtlich mit allen Mitteln technischer Vernunft errichtetes Gebäude erzeugte ein Höchstmaß an irrationalen Effekten. Ebenso paradox erschien auch der Kontrast, mit dem die unentwirrbare Vielfalt von 10 000 Ausstellungsobjekten von einer höchst repetitiven, einheitlichen Baustruktur eingefasst wurde. Hier konzentrierten sich, wie die vielen zeitgenössischen Berichte deutlich machen, alle bürgerlichen Ängste und Fantasien: Diese Vielfalt war ein Dschungel, aber ohne Gefahr; hier versammelte sich die größte damals gesehene Menschenmenge, aber ohne Revolutionsabsichten zu haben; eine neue ‚Natur‘ war komponiert, die echt und künstlich zugleich war, sogar in dem Treibhaus besser als sonst gedieh, doch als Gefahren höchstens den Kot der vielen Vögel im Inneren kannte. Trotz aller Faszination war die hier inszenierte sorgenfreie Routine auch kritisch zu hinterfragen. Gottfried Semper und dem Dichter Fyodor Dostoyevski etwa fehlte an der kalten und ex-
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akten Rationalität das Moment der kritischen Selbstbefragung. Der Palast führe zu Langeweile und Überdruss, zu einem Leben ohne Abenteuer und Kreativität. Diese Kritik hat angesichts von heutigen banalen Shopping Malls nichts von ihrer Weitsicht verloren. Der Crystal Palace war überdies Ergebnis und Zeugnis eines tiefgreifenden Wertewandels: Die maßgeblichen Promotoren der Weltausstellung innerhalb der 1754 gegründeten Society of Arts waren keine Künstler oder hommes des lettres, sondern Ingenieure und Unternehmer: Robert Stevenson, der Vater der Dampflokomotive, Henry Cole, der Promotor der Weltausstellung, Charles Fox und John Paxton agierten mit höchstrangiger Unterstützung durch Prinzgemahl Albert. Die neue Maxime lautete: Wachstum und Fortschritt, und dies sollte durch Wettbewerb dergestalt angestachelt werden, dass die Vorherrschaft Frankreichs, vor allem im Bereich der Luxusgüter, gebrochen werden konnte. Dieser internationale Wettbewerb, der, demokratisch orientiert, an die Stelle kriegerischer Auseinandersetzungen treten sollte, benötigte ein Forum – die Weltausstellung – und dieses einen Ort, nämlich die Ausstellungshalle zum simultanen Vergleich aller Güter ( Themenblock · Ausstellungen, S. 235). Das alles geschah in atemberaubender Zeitnot: Im März 1849 formulierte die Society of Arts die Idee einer großen Ausstellung, das königliche Ausstellungskomitee beschloss im Januar 1850, die Schau im Hyde-Park abzuhalten, am 1. Mai 1851 wurde sie eröffnet; für die Vorbereitung und Aufrichtung des Riesengebäudes wurden also lediglich sieben Monate benötigt. Als Kosten waren 100 000 Pfund angesetzt. All das waren produktionstechnische Superlative: Noch nie war ein Gebäude dieser Dimensionen mit weniger Geld und Zeit errichtet worden. Vorangegangen war in durchaus programmatischer Weise ein Wettbewerb, für den 233 Einsendungen eingingen. Den Zuschlag bekam aufgrund königlicher Intervention – nach in-
tensiver, aber fruchtloser Diskussion zwischen Ingenieuren und Architekten – allerdings der Landschaftsgestalter John Paxton, der sich auf ein reines Ingenieurswerk ohne gezielt künstlerische Eingriffe festlegte. Voraussetzung dazu bildeten seine ingeniösen Verwirklichungen als Gartengestalter. So hatte er kurz zuvor eine riesige Wasserlilie, die Victoria-Regia-Lilie gezüchtet und den Garten von Chatsworth mit einem monumentalen Gewächshaus, dem Great Stove von 100 m Länge und 20 m Höhe bereichert. Hierfür wurde das ridge-and-furrow-System entwickelt (zunächst aus Holz) sowie die Wärmeausdehnung und die Kondenswasserableitung gelöst; zudem musste Paxton riesige Bäume versetzen und eine auf 100 m Höhe aufsteigende Fontäne konstruieren. Technisches Ingenium und vielfältigste Problemstellungen verbanden Paxton persönlich mit herausragenden Ingenieuren seiner Zeit, etwa dem genannten Robert Stevenson. Paxton ging dabei von empirischen Befunden aus, etwa, wenn er die komplizierte Blattadernkonstruktion der schwimmenden Victoria-Regia-Lilie in seine Eisenkonstruktion umzusetzen wusste. Architektur als Kunst, die auf Regeln und Traditionen baut, spielte hier keine Rolle mehr. Im Gegenteil folgte der Crystal Palace vielmehr den neuen wirtschaftlichen Prinzipien: Freihandel und Kapitalismus erklärten die Welt als einen wirtschaftlichen Mechanismus, und dem folgte gleichsam programmatisch der Ausstellungspalast: Er war nicht eigentlich eine modellierte und komponierte Form, sondern das Ergebnis von Optimierungs- und Rationalisierungsprozessen. Entscheidend waren die Logistik und der Produktionsprozess: Dieser konzipierte standardisierte Einzelelemente, die unabhängig von der schließlich erreichten Form, dafür aber kombinierbar und wiederverwendbar waren – ganz ähnlich wie dies für andere technische Produktionen galt, etwa den Schiffsund Eisenbahnbau. Das war radikal entfernt vom traditionellen Anspruch an Architektur,
Crystal Palace in London
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vermittels der künstlerischen Inspiration ein unverwechselbares ‚Original‘ zu schaffen. Der Montagecharakter des Gebäudes war während der Errichtung klar zu verfolgen, es brauchte keine verhüllenden Gerüste, und dieser Montagecharakter blieb dem Gebäude auch nach Vollendung unmissverständlich anzusehen. Der Erfolg des Crystal Palace führte dazu, dass ähnliche Konstruktionen auch an anderer Stelle ausgeführt wurden. August von Voit errichtete in München 1854 einen ebenfalls sehr großen ‚Kristallpalast‘ als Ausstellungshalle der Ersten Allgemeinen Deutschen Industrieausstellung. Der Palast diente bald als Kunstausstellungshalle, brannte 1931 ab und wurde in bezeichnender Weise nicht wieder
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aufgebaut, sondern durch den 1937 an anderer Stelle eröffneten Monumentalbau des Hauses der Deutschen Kunst abgelöst. Auf dem Dach des Festsaalbaus der Münchener Residenz |▶ 5| ließ König Ludwig II. um 1870 einen voll verglasten Wintergarten errichten. Auf einer Fläche von 70 × 17 m entstand eine künstliche Welt aus exotischer Flora und Fauna, mit einem künstlichen See, einem maurischem Kiosk, einer Fischerhütte und großen austauschbaren Panoramagemälden. Die großen Ausstellungshallen, die 1900 für die Pariser Weltausstellung errichtet wurden, insbesondere das Grand Palais, verhüllen allerdings ihre kühne Eisen-Glas-Architektur hinter einer monumentalen neubarocken Fassade.
Gare du Nord in Paris Bauaufgabe Schienenverkehr
W
ohl kaum eine Baugattung drückt die massiven kulturgeschichtlichen Veränderungen des 19. Jh.s nachdrücklicher aus als der Bahnhof. Er ist notwendiger Bestandteil des sich schlagartig ausweitenden Schienenverkehrs als eines völlig neuen Fortbewegungsmittels. Diese Neuartigkeit betrifft nicht nur die unerhörte Geschwindigkeit, mit der man sich seit den 40er Jahren fortbewegen konnte, sondern sie betrifft in vieler Hinsicht auch die grundsätzliche Art, wie die Welt wahrzunehmen war. Fortbewegen und Reisen war bislang eng an die Natur gebunden: Über windungsreiche Wege zogen der Mensch oder Reit- und Zugtiere ihre Bahnen. Nunmehr übernahm eine Maschine auf Schienen diese Aufgabe – und diese durchschnitt radikal die Landschaft, überwand rücksichtslos Täler und durchdrang Berge, im ständigen Hin und Her
III. Schlüsselwerke
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zwischen zwei Zielen. Wo es bislang ruckartig voranging, durch Wind und Wetter beeinträchtigt, da war nunmehr eine Art Gleiten und Schweben, mehr oder weniger sicher vor den Naturgewalten. Die vorbeieilende Landschaft löste sich gleichsam vom Reisenden ab, dieser befand sich seither etwas erhöht über ihr, blickte eher auf sie als dass er sie direkt erlebte, und auch dieses Blicken war eine ganz neue Erfahrung: Bilder wechselten rasch, schienen sich zu verwischen, die ganze Welt war plötzlich ein bewegtes Bild. Und mehr noch: Sie wurde scheinbar kleiner, denn Ziele, die bislang weit abgelegen waren, konnten plötzlich in wenigen Stunden erreicht werden. Umgekehrt wurden von dort Waren und Rohstoffe transportiert: Die bunte Welt der Markthallen, Kaufhäuser und Ausstellungshallen ist ohne die Eisenbahn nicht denkbar. Sie ermöglichte, dass die Welt
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mit ihren vielfältigen Menschen und Erzeugnissen sich gleichsam komprimierte, insbesondere in den – eben durch solche Prozesse bewirkten – Großstädten und Metropolen, die die Knotenpunkte des Eisenbahnnetzes und der Nationalstaaten wurden: London, Paris, Berlin, Wien, Budapest, Moskau, New York. Geschwindigkeit, Mobilität und eine neue Reichweite des Bewusstseins konnten ein Gefühl von optimistischer Ungebundenheit vermitteln, aber ob der irritierenden Vielfalt und Neuartigkeit auch verunsichern (Schivelbusch 2000). Die Eisenbahn war aber nicht nur neu, sondern erforderte präzise Planung und Unterhaltung. Vor allem war sie in unerhörtem Maße raumgreifend, durch Bahndämme, Tunnel und Brücken, insbesondere aber durch die Bahnhöfe. Diese bildeten die neuen Einfallstore in die historisch gewachsenen Städte und formten zugleich kulturelle Schnittstellen: zwischen Land und Stadt, zwischen rascher und langsamer Fortbewegung, zwischen Eisen und Stein bzw. Holz, zwischen Neu und Alt. Aus diesen Gründen war es in den meisten Fällen unmöglich, Bahnhöfe zentral anzulegen; sie entstanden vielmehr an den Stadträndern, vielfach entlang der geschleiften alten Befestigungen, also dort, wo ehemals Tore und Durchlässe den Eintritt in die Stadt kennzeichneten. Auch die Bahnhöfe, prinzipiell immer aus den zwei Bereichen von Empfangshalle und Bahnsteigen bestehend, bildeten also solche modernen Versionen von repräsentativen Stadttoren. Sie entwickelten sich aufgrund ihrer verkehrstechnischen Bedeutsamkeit sehr schnell zu neuen urbanen Zielpunkten und Zentren, gaben immer auch den Fokus neuer Achsen ab, um die sich Konsum- und Geschäftsviertel ansiedelten, die wiederum städtebauliche Entwicklungen anstießen. Der andere Bereich des Bahnhofs waren (und sind) die Gleise und Bahnsteige, untergebracht in einer Art Maschinenhalle, weit, hell und hoch, um das Gedränge nicht zu behindern, Dampf und Rauch entweichen zu lassen,
Wind- und Regenschutz zu bieten, das Zischen und Fauchen zu dämpfen und den Funkenflug nicht zur Gefahr werden zu lassen. Dem repräsentativen Empfangsgebäude, zumeist mit luxuriösem Hotel, Restaurant und Wartesälen ausgestattet, steht also eine Eisen-Glas-Konstruktion, feuersicher, weit und hell gegenüber, ein technisch optimiertes Industriebauwerk. Und diese ‚hässliche‘ Seite erstreckte sich gleichsam unsichtbar noch weit ins Hinterland der Bahnhöfe: Drehscheiben, Lokschuppen, Kohlelager, Wassertürme, Stellwerke waren durch den Bahnhof abgeschirmt von der theatralischen Bühne, die der urbane Raum zur Verfügung stellte. Ingenieur und Architekt waren hier gleichermaßen gefordert: jener für die umfangreichen Bereiche von Bahnsteighalle und Gleistechnik, Letzterer für den vergleichsweise kleineren, aber alle Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Empfangsbereich. Dieser bildete eine Zone des Übergangs, vor allem in einer Zeit, in der Reisen wie ein Zeremoniell stattfand: Vom Bahnhofsvorplatz – eine Art Ehrenhof eines Schlosses – gelangte man in die Schalterhalle und die nach verschiedenen Klassen eingeteilten Warteräume am Querbahnsteig und musste dort so lange warten, bis die Aufforderung zum Betreten der Waggons ertönte und das Abenteuer der Reise begann. Exemplarisch kann diese Aspekte die neue Gare du Nord in Paris veranschaulichen: Ab 1843 wurde ein erster Nordbahnhof für die französische Hauptstadt geplant und 1845 – 46 vom angesehenen Architekten und Ingenieur Léonce Reynaud als recht große zweischiffige Halle (133 × 35 m) ausgeführt. Dass der Auftrag an Reynaud ging, ist bezeichnend, denn er war Schüler der École polytechnique und der École des ponts et chaussées, und er machte seine Karriere in erster Linie als Bauingenieur, nicht etwa als Architekt. Der Standort des neuen Bahnhofs am damaligen Stadtrand von Paris war ideal, denn hier traf der Verkehr von Norden (Brüssel) in die Stadt, um sich von dort
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□ 68 Paris, Gare du Nord, Jacques Ignace Hittorff, 1851 – 65, Stadtfassade
fächerförmig nach Westen, Süden und Osten zu verteilen. Diesen Achsen folgten die bald angelegten Boulevards La Fayette (zur Oper, |▶ 12|), Strasbourg (zum Zentrum) und de Magenta. Doch dieser Bahnhof erwies sich schnell als zu klein, um die ständig wachsende Zahl der Reisenden aufzunehmen. So wurde seit 1858 ein neues Bahnhofsgebäude geplant, das die Anzahl der Gleise auf zwölf erhöhte und eine repräsentative Front zur Stadt vorsah. Hier waren zunächst die Ingenieure der Eisenbahngesellschaft tätig, doch übernahm bald der aus Köln stammende, aber in Paris zu hohen Ehren gekommene Architekt Jacques Ignace Hittorff die architektonischen und teilweise auch die konstruktiven Planungen. Das seit 1861 ausgeführte und nach vier Jahren vollendete Grundkonzept ist im Prinzip einfach zu erfassen: Eine aus Stahl und Glas gefertigte Bahnhofshalle wird an drei Seiten umgeben von einer aus Stein und Backstein gemauerten Hülle, die
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gleichzeitig auch eine repräsentative Fassade als Einkleidung der ‚Maschinenhalle‘ im Innern ausbildet. Vor allem die Hauptfront nach Süden, zur Place Napoléon-III, zeigt sich als intelligente Synthese einer mit Hilfe der alten Architektursyntax sprechenden Architektur einerseits und einer innovativen Konstruktion andererseits (□ 68). Es handelt sich um eine breit gelagerte Front, die – einem klassischen Palast vergleichbar – an den Ecken und in der Mitte klare Akzente erhält. Die Mitte wird gebildet aus einer mächtigen, sofort an Triumphtore erinnernden übergiebelten Dreibogenstaffel mit einer hohen und weiten Mittelarkade. Getrennt sind diese Bögen durch breite kolossale Doppelpilaster mit robusten ionischen Kapitellen, die durch ein Gebälkstück oben verbunden sind. Hier wie auch auf den Giebelspitzen erheben sich mächtige allegorische Figuren, vor allem französische Städte repräsentierend. Seitlich davon schließen sich arkatierte Verbindungstrakte an, die mit einer Art Pavillon enden. In den Dimensionen sind sie vergleichbar den kleineren Bögen der zentralen Dreibogenstaffel. Zwischen ihren seitlichen Kolossalsäulen öffnet sich eine hoch aufsteigende Arkade, die bis unter den giebelförmigen Abschluss des Pavillons reicht. Die Eckpavillons sind nicht nur kompositorisch notwendig, sondern bilden auch die Fassaden der hier in die Tiefe führenden seitlichen Bahnhofsflügelbauten. All das erinnert zwar an eine gelungene Komposition in klassischer architektonischer Formensprache, doch ungewöhnlicherweise steigt der Mittelteil sehr hoch giebelartig an: Er entspricht dem Querschnitt des dahinter abgehenden Dachs der Bahnsteighalle (□ 69). Diese, eine dreischiffige Perronhalle, wird aus einer regelmäßigen Abfolge von schlanken Eisenstützen getragen. Darüber lagert über einer grazilen Eisenkonstruktion ein Dach auf, das im Firstbereich aus Glas besteht. Diese Transparenz des Inneren zeigt sich aber auch in der Fassade selbst, denn vor allem innerhalb der großen Bögen zeigt
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sich die Stockwerksstruktur dahinter, die durch bemerkenswert große Fenster gegen das Äußere geöffnet ist. Das ist insofern folgerichtig, als die Hauptfront im Inneren nur eine große Empore trägt, ansonsten aber der Querbahnsteig direkt dahinter beginnt. Die Fassade der Pariser Gare du Nord umhüllt also keine Empfangsräume – diese befinden sich in den Seitentrakten –, sondern bringt in ihrer Transparenz und ihrer Kontur die technische Bahnsteighalle zum Ausdruck und verwandelt sie intelligent in eine wohlgeordnete, städtebaulich wirksame architektonische Komposition. Es gibt verschiedenste Lösungen, Bahnsteighalle und Empfangsgebäude aufeinander zu beziehen. Bei den Durchgangsbahnhöfen verläuft als Empfangshalle zumeist eine palastartige Einflügelanlage entlang der Bahnsteighalle. In den größeren Städten wurden zumeist Kopfbahnhöfe wie in Paris verwirklicht. Im Gegensatz zur Gare du Nord aber, in der die Bahnsteighalle in eigenartiger Weise gleichsam bis
an die Innenseite der Hauptfassade hineinreicht, wird das Empfangsgebäude ansonsten zumeist als eigenständiger Querflügel von teilweise beträchtlicher Tiefe konzipiert (Frankfurt, 1888, Hermann Eggert; Leipzig, 1906 – 15, William Lossow und Max Hans Kühne, Ing. Louis Eilers; Stuttgart, 1910 – 28, Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer). Seit Lokomotiven nicht mehr durch Dampf, sondern durch Elektrizität betrieben werden konnten, hatte das auch auf die Bahnhofsarchitektur gewichtige Auswirkungen, denn nunmehr konnten die großen, weiten Bahnsteighallen entfallen. Für den größten Bahnhof der Welt war dies die Voraussetzung: Grand Central Terminal in New York. Schon der Vorgängerbau von 1871, in Auftrag gegeben von dem Eisenbahnmagnaten Commodore Cornelius Vanderbilt, war ein kolossaler Kopfbahnhof mit 19 Gleisen. Die Bahnhofshalle wurde von der damals weitspannendsten Eisen-Glas-Konstruktion überfangen, die Empfangshalle bot sich
□ 69 Paris, Gare du Nord, Jacques Ignace Hittorff, 1851 – 65, Bahnsteighalle
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als monumentales Palastgebäude im Stil des französischen Second Empire an. Der Bahnhof lag mitten in Manhattan, zwischen der 42. und der 48. Straße. Die Zufahrtsgleise wurden bald tiefergelegt, seitlich darüber die Park Avenue angelegt. Schon 30 Jahre später war der Bahnhof aber zu klein. Unter dem Ingenieur William J. Wilgus entstand zwischen 1903 und 1913 nun ein in seiner Logistik und seinen Dimensionen kaum zu übertreffender Neubau. Wilgus begann damit, den gesamten Zugverkehr nach Manhattan zu elektrifizieren. Die Gleisharfe wurde auf 56 Gleise vergrößert, diese auf zwei unterirdischen Ebenen angelegt, die äußeren Gleise umrunden als Wendeschleife die Harfe. Dazu musste auch das Gleisterrain massiv erweitert werden: Es nimmt zwei Grundstückblockreihen zwischen der 42. und der 50. Straße ein. Das eigentliche Bahnhofsgebäude entstand zwischen der 42. und 45. Straße, nördlich davon errichtete man ein riesiges Plateau über den Gleisen, das verpachtet wurde und auf dem bald Hochhausbauten errichtet waren. Die Zufahrt wurde nun komplett untertunnelt und damit aus der Park Avenue ein luxuriöser Boulevard gemacht. Die dank der Elektrifizierung mögliche Verbannung der Bahnsteige in zwei relativ niedrige Untergeschosse ermöglichte es nun, die Empfangshalle als monumentales Bauwerk darüberzusetzen. Es wurde vom Büro Whitney Warren & Charles D. Wetmore als beeindruckende Beaux-Arts-Architektur entworfen und besteht im Prinzip aus einem riesigen Rechteckblock von zwölf Geschossen, der sich an der Hauptfassade im Süden in drei riesigen Bögen mit begleitenden kolossalen Doppelsäulen öffnet. Dieses Gebäude erhebt sich seinerseits auf einem riesigen Sockel, dessen Plateau auf derselben Ebene liegt wie die von Süden über eine Brücke eintreffende Park Avenue. Von der niedriger liegenden 42. Straße gelangt man direkt in den Sockel, der die eigentlichen Zugänge zum Bahnhof bietet. Das Innere besteht vor allem aus einer unglaublich
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weiten und hohen, in ihrem Niveau gegenüber dem Außenbereich abgesenkten Empfangshalle, mit einer majestätischen Tonne überwölbt und von römischen Thermenfenstern von oben generös belichtet. Die immense Weite der Empfangshalle erlaubt zahlreiche Schalter und seitliche Zugänge zu den allesamt unterirdischen Bahnsteigen. Diejenigen zu den Fernzügen erreicht man ähnlich wie bei einem gewöhnlichen Kopfbahnhof direkt über eine nach unten führende Rampe. Auf der höher, auf Straßenniveau gelegenen Peripherie des zentralen Empfangssaales liegen u. a. der elegant ausgestattete Wartesaal und exklusive Restaurants. – Die vorab genannte Ambiguität zwischen Technik und Baukunst ist also im Fall des Grand Central Terminal anders als etwa in Paris gelöst. Die Schnittstelle zwischen beiden Bereichen ist in den Erdboden verbannt, ja gleichsam heimlich unterirdisch entfernt man sich aus der Stadt bzw. kommt in ihr an. Die Architektur mit ihrer majestätischen Geste wird insofern zu einer Art Forum, das einen urbanen Zusammenhang vermittelt. Der große Bahnhof ist dadurch einer der wesentlichen Beiträge zur amerikanischen City Beautiful-Bewegung, die mit den Architekturauffassungen der École des Beaux-Arts – klassische monumentale Formen, Axialität, Symmetrie – eine opulent orchestrierte Stadtverschönerung betrieb. Das monumentale Pendant dazu war in New York die 1910 eröffnete Pennsylvania Station (McKim, Mead & White, 1963 abgerissen), die sich unübersehbar an römisch-antiken Basiliken und Thermen orientierte – allerdings auf weite Eisen-Glas-Hallen nicht verzichten konnte. Die überragende zentrumsbildende Funktion von Grand Central ist auch daraus zu ersehen, dass in unmittelbarer Umgebung bald eine Reihe prestigeträchtiger Bauvorhaben realisiert wurde, wie das Chrysler Building von 1928 – 30 (William Van Alen, vgl. S. 59) oder das MetLife Building von 1960 – 63 (ehem. PanAm Building; Emery Roth & Sons, Walter Gropius, Pietro Belluschi).
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Architektenausbildung Vom Meisterschüler zum Diplomingenieur
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m 1800 veränderte sich der Status des Architekten und seiner Ausbildung grundsätzlich. Zuvor hatte er sich zumeist als Handwerker begriffen, der als Geselle, oftmals im familiären Umfeld, an der praktischen Produktion geschult worden war. Zudem hatte er Zeichnen gelernt und eventuell auch eine akademische Einrichtung besucht, in der er mit ästhetischen Fragen repräsentativer Bauten und mit nützlichen bzw. originellen Grundrissentwürfen konfrontiert worden war. Nunmehr, im Zuge von industriellen Fertigungsmethoden und komplexer werdenden logistischen Ansprüchen, im Angesicht zahlreicher neuer Bautypen und effizient arbeitender Bauverwaltungen sowie einer neuen gesellschaftlichen Verantwortung des Architekten, verwissenschaftlichte sich das Metier des Architekten und damit auch seine Ausbildung. Bauen war seither vor allem auch eine technische Angelegenheit, in der präzise und verlässliche Vorberechnungen der eigentlichen Realisierung vorangehen. Entwurf und Produktion trennten sich zeitlich und örtlich. Voraussetzung dazu war ein enormer Aufstieg der Naturwissenschaften im 18. Jh.: Materialverhalten und statische Prinzipien wurden experimentell untersucht und daraus verallgemeinerbare, universal anzuwendende physikalische Formeln abgeleitet. Erst auf solcher Grundlage konnte die neue Eisenarchitektur entstehen, bei der vorgefertigte Standardteile im Montageverfahren zusammengesetzt werden (□ 8 – 10, vgl. S. 14 f.). Dieser technisch-naturwissenschaftlichen Spezialisierung des Bauwesens entsprach eine Neuorientierung der Architektenausbildung, die sich schon in der Gründung der École royale des ponts et chaussées in Paris im Jahr 1747 angekündigt hatte. Vor allem die Eröffnung der École polytechnique 1794 setzte einen Markstein, denn die hier ausgebildeten Techniker sollten an der – bald auch militärisch unter Napoleon – vorgenommenen baulichen Erschließung Frankreichs und Europas entscheidenden An-
teil haben: Verkehrswege, Tunnels, Brücken, bald auch Bahnhöfe, Werk- und Markthallen usw. waren die Voraussetzung dafür, die Nationen bzw. die Erde in riesigem Maßstab wissenschaftlich und wirtschaftlich verfügbar zu machen. In der École polytechnique gab es ein einheitliches Curriculum, das nach Klassen unterrichtet wurde. Labore, Modellwerkstätten und Fachbibliothek ergänzten die technische Ausbildung, die nicht speziell auf Bauingenieure zugeschnitten war. Für die weitere Entwicklung wichtig war die 1829 in Paris gegründete École centrale des arts et manufactures, die von vornherein auf die industrielle Produktion eingestellt war und neue Materialien und Technologien in ihren Lehrplan aufnahm. In Deutschland folgte 1825 die Polytechnische Schule in Karlsruhe dem Pariser Modell; diese wiederum wurde für das 1855 gegründete Polytechnikum in Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule) vorbildlich, das nunmehr in verschiedene Fakultäten eingeteilt war, die bis heute auch Geistes- und Sozialwissenschaften umfassen. Die technisch-konstruktive Ausrichtung dieser technischen Hochschulen Frankreichs führte bis in das frühe 20. Jh. zu einer steigenden Konkurrenz mit den Architekturklassen der École des Beaux-Arts, die 1816 aus der alten königlichen Akademie neu gegründet worden war. Hier lag der Schwerpunkt klar auf der Vermittlung ästhetischer Prinzipien, insbesondere des Zeichnens und der richtigen Komposition auf der Grundlage des klassischen Formenvokabulars. Das pädagogische System beruhte in hohem Maße auf einer Anzahl von Ateliers, die von berühmten Architekten geleitet wurden. In einer Reihe von Wettbewerben wurde jährlich ein Stipendiat für einen mehrjährigen Studienaufenthalt in Rom ermittelt. Diese mühevollen, aber prestigeträchtigen Karrieren sollten insbesondere zu repräsentativen Staatsaufträgen befähigen. Obgleich die Technikferne und die mangelnde pädagogische Struktur dieser künstlerisch-historischen Ausbildung zu einem immer wie-
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derholten Gemeinplatz der antiakademischen Kritik wurde, hatte diese künstlerische Gestaltungslehre nach den Prinzipien von Axialität und Symmetrie einen weltweiten Einfluss. Im Zuge der Kunstgewerbebewegung waren Ende des 19. Jh.s zahlreiche Kunstgewerbe- und Gewerkschulen entstanden, die den Umgang mit Material, Technik und Gestaltung in den Mittelpunkt des Unterrichts stellten und damit handwerkliche Ausbildungen ersetzten sowie sich gleichzeitig gegen die industrielle Fertigung von Kunstgegenständen wandten. Bald wurde hier auch die Architektur in den Unterricht aufgenommen, um dem lebensreformerischen Ideal um 1900, Gesamtensembles zu schaffen, besser zu entsprechen. Nach den Vorbildern der Arts-and-Crafts-Bewegungen schuf etwa Henry van de Velde 1908 in der Kunstgewerbeschule Weimar eine solche Lehranstalt. Auch die Nachfolgeinstitution, das 1919 gegründete Bauhaus |▶ 31|, fußte auf solchen Ideen (unterrichtete die Architektur allerdings erst ab 1928).
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Unbesehen verschiedenster Reformen ist über das 20. Jh. eine (Fach-)Hochschulausbildung Voraussetzung für den Architektenberuf geworden. Erst nach dem Studienabschluss (bis vor kurzem in Deutschland meist der Dipl.-Ing.) und einer gewissen Berufserfahrung kann die geschützte Berufsbezeichnung geführt werden und damit ein Bauantrag gestellt werden. Allerdings bestehen auch die grundsätzlich unterschiedlichen Traditionen der Architektenausbildung weiter: Wird an technischen Hochschulen der Akzent vor allem auf die konstruktiven Aspekte des Entwerfens gelegt, so nehmen an künstlerischen Hochschulen oft ästhetische Kriterien des Entwurfs eine wichtige Rolle ein. Die seit dem 17. Jh. traditionellen Entwurfsmittel – kippbarer Zeichentisch mit Reißschiene, Kurvenlineal, Bleistift, Tuscheziehfeder und Rechenschieber – sind seit den achtziger Jahren des 20. Jh.s leistungsfähigen Computern gewichen, die über CAD (computer-aided design) Entwerfen in drei Dimensionen und eine robotergesteuerte Fertigung der Konstruktionselemente ermöglichen.
Red House in Bexleyheath Handwerklichkeit als Reformprogramm
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ie industrielle Revolution, die sich so nachdrücklich im 19. Jh. auf die Architektur auswirkte – ihre Bahnhöfe und Brücken, den Crystal Palace |▶ 9| und den Eiffelturm –, hat auch ihre architektonisch wirksame Gegenreaktion in England seit der Mitte des Jahrhunderts: Die Arts-and-Crafts-Bewegung beanspruchte sogar, durch eine Rückkehr zu mittelalterlicher Handwerklichkeit die Entfremdung des Menschen in einer zunehmend technisierten Welt überwinden zu können. Es ging hier um mehr als nur
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um rein Architektonisches: Betroffen war vielmehr gerade auch das Kunsthandwerk, das die Innenräume zu gestalten hatte, in denen sich Geschmack und Moral unmittelbar zu zeigen hatten. Damit waren weitreichende Themen und Diskurse eingeleitet, die allenthalben für die radikale Wende und typische Positionen der Moderne ab 1900 bestimmend werden sollten. Generell handelte es sich also um die Frage einer von Aufrichtigkeit bestimmten allumfassenden Geschmackskultur, die Zeichen und Förde-
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rer einer gesteigerten Moralität war. Es ging im Weiteren um die Forderung, Architektur im engen Zusammenhang mit der Inneneinrichtung zu verstehen, zu entwerfen und dies in eine reformierte Ausbildung einfließen zu lassen. Und schließlich stand die Frage des Publikums zur Debatte, das tendenziell – schon aus konsumorientierten Interessen – als ein demokratisches, umfassend reformorientiertes begriffen wurde. Der Jugendstil und die Reformbewegung um 1900 |▶ 19|, die Gartenstadtbewegung |▶ 22|, die Architekturen eines Louis Sullivan und F. L. Wright in den USA |▶ 17, 24| und schließlich der Werkbund |▶ 22, 23| und noch das Bauhaus |▶ 31| sind ohne die Vorgaben von Arts and Crafts nicht zu verstehen. Eine programmatische Verbindung der Künste stellte bereits das Red House dar, das 1859 von Philip Webb in Bexleyheath für William Morris, den Wortführer der Bewegung schlechthin, und seine junge Frau Jane Burden errichtet wurde (und das sie allerdings schon sechs Jahr später wieder verließen). Entstanden war das Haus kurz nach zwei ausgedehn-
ten Entdeckungstouren durch Nordfrankreich mit seinen mittelalterlichen Bauten, die Morris mit seinen Freunden, darunter dem berühmten präraffaelitischen Maler Edward BurneJones, 1856 und 1858 unternommen hatte. Die Freundschaft Morris’ mit Webb resultierte aus einem gemeinsamen Aufenthalt im Atelier des neogotischen Architekten George Edmond Street. Der aus solchen Verbindungen entstehende Wunsch nach einer alle Kunsthandwerke vereinenden ‚Bruderschaft‘ schlug sich in dem Plan eines gemeinsamen Hauses nieder. Der Bauplatz, zwischen London und Canterbury gelegen, war einerseits an die Eisenbahn angebunden, lag andererseits nahe der mittelalterlichen Pilgerstraße nach Canterbury, Schauplatz von Chaucers „Canterbury Tales“. Das Haus brach mit allen klassischen Kompositionsvorgaben von Symmetrie und Proportion: Auf L-förmigem Grundriss errichtet, umschließt es einen offenen Gartenhof, in dessen Winkel sich ein markanter, von einem Kegeldach überfangener Ziehbrunnen inmitten des wuchernden Gartens erhebt (□ 70).
□ 70 Bexleyheath, Red House, Philip Webb, 1859
Red House in Bexleyheath
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□ 71 Bexleyheath, Red House, Philip Webb, 1859, rückwärtige Ansicht
Das Baumaterial ist ein intensiv orangefarbener und roter Backstein – daher der Name des Hauses –, der nicht verputzt wurde, sondern seine farblich changierende Oberfläche zur warmtonigen Haut des Hauses machte. Auch für das Dach wurden warmrote Dachziegel verwendet. An allen Seiten drücken sich in den relativ schmalen, von einem gartenseitig liegenden Korridor erschlossenen Flügeln die Räume gleichsam von innen nach außen durch und sind an der Außenseite jeweils individuell durch Giebel überfangen oder in Erker eingelassen (□ 71). Das gilt insbesondere auch für das leicht spitzbogige Eingangsportal, das sich in der Mitte des kürzeren Flügels auf der Nordseite in einen querhausähnlichen, übergiebelten Risalit einlässt. Die sich hinter dem Eingang längsrechteckig erstreckende Halle durchmisst die ganze Gebäudetiefe und drückt sich in der Innenecke des Grundrisswinkels als von einem eigenen Dach bekrönter eckiger Vorsprung durch. Hier erschließt im Inneren eine steile, zweifach gewendete Eichenholztreppe das Obergeschoss. Auch die Fensteröffnungen in den unterschiedlichsten Formen – rund oder hochrechteckig, gerade, spitz- oder rundbogig abschließend – tragen in der Außenansicht
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stark zu der pittoresken Vielfalt der Gesamterscheinung bei, folgen im Übrigen den Funktionen der dahinter liegenden Räume, die sie teilweise opulent belichten. Das Prinzip guter Belichtung und durchdachter Funktionalität liegt auch dem jeweils individuellen, teilweise L-förmigen Zuschnitt und der Anordnung der Innenräume zugrunde. Auch variieren die Zimmerdecken, die mal als offener Dachstuhl formuliert sind – als Bekrönung der Treppe –, mal in Anpassung an die Dachneigung in geknickter Kontur verlaufen. Die Inneneinrichtung entstand in einer Art Gemeinschaftsarbeit der ‚Bruderschaft‘ und ihrer Freunde. In der pittoresken Unregelmäßigkeit und der naturhaften Backsteinoberfläche passt sich das Haus bruchlos in den umgebenden Garten ein, halb romantischer Zier-, halb Nutzgarten, von Morris selbst entworfen. Das Haus steht also in engster Beziehung mit der umgebenden Natur, ihren Farben, Materialien und ihrer bewegten Kontur. Die Arts-and-Crafts-Bewegung gründete in der generellen Mittelaltermode des frühen Victorianismus in England, im Speziellen aber in der scharfen Zeitkritik, mit der Pugin seiner angeblich durch die Technik entwurzelten
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Gesellschaft den Spiegel eines harmonischen Mittelalters entgegengehalten hatte |▶ 9|. Insbesondere John Ruskin hatte die profunde Maschinenverachtung in weithin gelesenen Werken, „The Seven Lamps of Architecture“ und „The Stones of Venice“ (vgl. S. 84 f.) über das Gegenbild der gotischen Architektur begründet. Die lebendige, handgeschaffene Individualität der gotischen Steine, ihrer Profile und ihrer Altersspuren, und außerdem das detaillierte Naturstudium seien die eigentliche Grundlage, göttliche Schönheit zu schaffen, nicht maschinelle Standardproduktion. Die durch die Weltausstellung 1851 |▶ 9| ausgelöste Reform des britischen Kunsthandwerks, die u. a. zur Einrichtung des South Kensington Museum (heute Victoria & Albert Museum) als Sammlung mittelalterlicher Modelle führte, bildete die eigentliche Grundlage der Arts-and-Crafts-Bewegung. Ruskins Auffassung einer engen Zusammenarbeit zwischen dem mittelalterlichen Werkmeister und den Handwerkern wurde seit 1861 in der aus der klösterlichen ‚Bruderschaft‘ in Red House hervorgegangenen Manufaktur von Morris, Marshall, Faulkner & Co. realisiert, in der dekorative Malereien, Schnitzwerk, Möbel, Kunsthandwerk, Textilien, Tapeten, bald auch Druckwerke usw. nach alten, nicht ausschließlich mittelalterlichen Vorbildern produziert wurden. Der Erfolg dieser Werke verdankte sich unter anderem einer intensiven Neubelebung mittelalterlicher Kirchenausstattung im Zuge ihrer damaligen Restaurierungen. Architektur galt selbstverständlich als diejenige Gattung, die alle anderen Künste vereint, und so gründete der Architekt Arthur H. Mackmurdo 1882 die Century Guild, eine Berufsgenossenschaft für Architekten und Kunsthandwerker, über die dank der Veröffentlichung der populären Zeitschrift „The Hobby Horse“ die Artsand-Crafts-Bewegung weiteren Zulauf erhielt. Die dezidiert handwerkliche Produktion wurde in England konkret umgesetzt, um krisenanfällige Werkstätten auf dem Lande zu fördern. Die
Fertigung ging oftmals mit der Einrichtung von Handwerksschulen einher, und die Produktion umfasste alle Arten des Kunsthandwerks, von Textilien und Buchkunst über Metallarbeiten bis zu Möbeln. Das bildete Vorformen der jüngeren Kunsthandwerkreformen, wie sie etwa das Bauhaus betreiben sollte. Es entstand in diesem Zusammenhang ein neuer Berufstypus, derjenige des Designers, der, obzwar Teil der Gilden oder Werkstätten, nicht die Anfertigung, sondern den Entwurf, insbesondere der Ornamente und Dekorationen der verschiedenartigen Werke, ausarbeitete. Auch heute noch berühmte Namen sind Charles R. Ashbee von der Guild and School of Handicraft (1888 gegr.), Walter Crane und Charles F. A. Voysey. Letzterer trat maßgeblich auch in der Entwicklung preisgünstiger und einfachster, meist schlicht weiß verputzter Häuser sowie ihrer Inneneinrichtung in Erscheinung. Eine auf das Kunsthandwerk spezialisierte und in neuartiger Weise reich illustrierte Zeitschrift, „The Studio“, berichtete ab 1893, und bald in internationalem Rahmen intensiv rezipiert, von der englischen Reformbewegung im Bereich von Architektur, Innenausstattung und Kunsthandwerk. Das sog. englische Haus ist insofern in ganz Europa als innovatives Modell wirksam geworden, insbesondere in Frankreich und Deutschland, um Abstand von verpöntem falschem Luxus und historistischen Versatzstücken zu gewinnen und eine sichere Geschmackskultur zu propagieren. Davon zeugen allein begriffliche Übernahmen von zentralen Eigenschaften der englischen Wohnkultur: Das Cottagehaus bezieht sich auf eine vorstädtische Villa von gezielt pittoreskem Äußeren (verschieden große Fenster, bewegte Dachlandschaft, Balkone, Vorhallen usw.) mit zahlreichen Asymmetrien und natürlich belassener Außenwand. Das Innere ist sorgfältig funktional eingeteilt, weist allen Hausmitgliedern einschließlich der Dienerschaft gediegene Räume zu. Häufig wird die Eingangshalle zum zentral gelegenen
Red House in Bexleyheath
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Kern des Hauses, wie zum Beispiel beim Haus Freudenberg in Berlin-Zehlendorf (1907/08) von Hermann Muthesius – das sich im Übrigen auch in seiner winkelförmigen Anlage mit übergiebeltem Eingang von The Barn von Edward Schroeder Prior in Exmouth von 1896 ableiten lässt. ‚Das Heim‘ bzw. ‚le home‘ wird zum Ort einer besonders kultivierten Privatheit, in dem sich ein kultivierter persönlicher Geschmack spiegeln kann. Schlichte, aus einfachen Rahmen und Leisten gefertigte Möbel waren das Ideal. Das Ganze sollte die Düsternis überbrachter Neurenaissance-Innenräume überwinden. Deswegen waren große lichtspendende Fenster erwünscht, die im sog. bowoder bay-window – also dem über zwei schräge verglaste Außenseiten nach vorne tretenden
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Fenster – eine klare englische Markierung erfahren. Dieser nachhaltige Englandbezug kann in seiner Intensität kaum unterschätzt werden: Robert Dohme und Hermann Muthesius verfassten ausführliche Bücher über das englische Haus, Letzterer sogar in offiziellem Auftrag, der ihm einen mehrjährigen Studienaufenthalt in England gewährt hatte. Bedeutende Jugendstil-Zeitschriften, wie „Innendekoration“ des Darmstädter Verlegers Alexander Koch (gegr. 1890), bald konkurrenziert durch „Deutsche Kunst und Dekoration“ (gegr. 1897) oder das französische Pendant „Art & Décoration“ (gegr. 1897) verstanden sich zunächst als Umsetzer des englischen Impulses. Schließlich ging auch die Gartenstadtbewegung aus der Artsand-Crafts-Bewegung hervor |▶ 22|.
Die Opéra in Paris Selbstdarstellung des Großbürgertums
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n der Pariser Opéra ist hervorragend zu veranschaulichen, dass die lange kritisierte ‚pompöse‘ historistische Architektur des 19. Jh.s keineswegs als uninspiriertes und beliebiges Umhüllen mit Stilabklatschen zu gelten hat. Vielmehr lässt sich hier von einem subtilen architektonischen und städtebaulichen Inszenieren sprechen. Dieses Inszenieren ist nicht nur auf die Bauaufgabe ‚Oper‘ zu beziehen, sondern auch auf das sich dort darstellende Publikum, die Raumkomposition, den Einsatz von Farbe und Licht sowie die Gesamtkulisse der städtebaulichen Textur. Es ist nicht nur eine Redensart, die Pariser Oper als Symbol des Großbürgertums als der dominierenden Schicht des späten 19. Jh.s zu bezeichnen, denn ihre Grundstrukturen wurden in der ganzen Welt immer wieder wiederholt, wenn es
III. Schlüsselwerke
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darum ging, Luxus, Bildung und Soziabilität als gesellschaftliche Dominanten architektonisch auszudrücken. Ursprünglich ging die Initiative zu dem Opernhaus aber nicht auf eine bürgerliche Auftraggeberschaft zurück, sondern auf den französischen Kaiser Napoléon III. (reg. 1852 – 71), der ähnlich wie andere Monarchen des 19. Jh.s ein prunkvolles ‚Aufführen‘ zu den monarchischen Pflichten zählte. Das konnte insbesondere im Zusammenhang der umfassenden urbanistischen Regulierung von Paris geleistet werden, die unter dem Präfekten des Départements Seine, Eugène Haussmann, durchgeführt wurde. Nach dessen Plänen wurde bis Anfang des 20. Jh.s ein umfangreiches System von Prachtboulevards und neuen Plätzen angelegt, die der Stadt eine neue Funktionalität und
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vor allem eine moderne urbanistische Erfahrbarkeit verliehen. Napoléon wirkte hier mit der Anlage von umfangreichen Prachtprojekten mit: einem neuen Justizpalast auf der Île-dela-Cité, zwei Theaterbauten im Stadtzentrum (Place Châtelet), dem Ausbau des Louvreschlosses und einem neuen Opernhaus (vgl. S. 37 f.). In diesem Zusammenhang wurde 1860 ein Standort im Nordwesten der Stadt bestimmt, also in einiger Entfernung von der Kernstadt. Mit der Standortwahl erhielt das Viertel ein neues Zentrum und wurde völlig neu strukturiert. Die Oper entstand auf einem riesigen rhombusförmigen Platz, auf den mehrere der neuen Boulevards zulaufen bzw. sich dort kreuzen. Dabei bildeten sich höchst signifikante Sichtachsen: Vor allem die Avenue de l’Opéra verbindet den Louvre und das Hôtel du Louvre mit dem neuen prominenten Gebäude: In der Fernsicht formt dieses mit seiner Kuppel den abschließenden Schirm der Prachtstraße, steht man aber unmittelbar am Ende der Avenue, öffnet sich der Platz theatralisch in großer Geste und präsentiert die vielfach modellierte Bau-
masse des Operngebäudes (□ 72). Außerdem bestehen schnell zu bewältigende schnurgerade Achsverbindungen zu den Bahnhöfen Gare St-Lazare und Gare du Nord |▶ 10|. Auch das unmittelbare Umfeld der Oper wurde zu einem Zentrum von Konsum und Mobilität umgestaltet: Hier sollte das große Kaufhaus der Galerie Lafayette entstehen; das Café de la Paix und das luxuriöse Hôtel de la Paix wurden zeitgleich zur Oper errichtet. Deren architektonische Form wurde in mehreren Wettbewerben ermittelt, für die insbesondere ein Fassungsvermögen von 2000 Zuschauern, die Anlage von Prachttreppen und ein eigener Eingangsbereich für den Kaiser zu beachten waren. Als klarer Sieger ging der bislang unbekannte Architekt Charles Garnier, ein Schüler der École des Beaux-Arts, hervor. 1862 war die Grundsteinlegung, 1875 konnte die Einweihung gefeiert werden – mithin unter vollständig neuen, aber in bezeichnender Weise veränderten politischer Bedingungen. Denn das Zweite Kaiserreich hatte in Folge des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 und der politischen Um-
□ 72 Paris, Opéra, Charles Garnier, 1862 – 75, Hauptfassade zur Avenue de l’Opéra
Die Opéra in Paris
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wälzungen des Commune–Aufstandes der parlamentarisch-demokratischen Staatsform der Dritten Republik Platz gemacht. Der Kaiserpavillon war als Teil des Gebäudes damit funktionslos geworden, gleichwohl entsprach der Bau in seiner Opulenz und seinem Luxus vollständig den Ansprüchen des neuen Großbürgertums als politisch und wirtschaftlich bestimmender Schicht. Garniers Aufgabe bestand zum einen darin, verschiedenste gewichtige Bestandteile sinnvoll anzuordnen: Der Kern des Gebäudes, der Zuschauersaal, war dabei nicht der zentrale Teil, wie das noch für die Theaterbauten des frühen 19. Jh.s gegolten hatte, als das Theater vor allem als moralische Lehranstalt verstanden worden war. Nunmehr kamen noch eine Probebühne und aufwendige Verwaltungseinheiten, vor allem aber prächtige Eingangspavillons, Garderoben, Prunktreppen, Galerien und, als Höhepunkt, das Foyer hinzu. Diese Orte, Korridore und Räume lenken und leiten die Besucher, inszenieren verschiedenste Richtungstendenzen und räumliche Stimmungen. Der repräsentative Aufwand führt dazu, dass das Raumvolumen der Erschließungsbereiche größer ist als dasjenige des Zuschauersaals. Dieser bildet gleichwohl die Mitte des Gebäudes, nach Norden folgt das hoch aufsteigende, aber durch die Kuppel über dem Zuschauersaal kaschierte Bühnenhaus, dahinter schließen sich ein Ballettsaal und die Verwaltung an. Der Zuschauer tritt entweder seitlich – über den überkuppelten Pavillon des Abonnées auf der Ostseite als Gegenstück zum Pavillon de l’Empereur im Westen – oder über die Hauptfassade in das Gebäude. In beiden Fällen erwartet ihn ein erlebnisreicher, langer Parcours, der über das Treppenhaus in das Foyer im Obergeschoß der Hauptfassade führt. Kommt man von der Seite, betritt man durch niedrige Gänge einen zentralen runden Garderobensaal, wird von dort gleichsam aus einer Grotte über einige Stufen in das prächtige, sich über die gesamte Gebäudehöhe erstreckende
III. Schlüsselwerke
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Vestibül geleitet. Von der Hauptfassade erreicht man es über mehrere niedrige, breit gestreckte, in ihren Niveaus stufenweise nach oben ansteigende Räume. Im Vestibül also treffen sich die Besucherströme, und von hier aus steigt die berühmte T-förmige Treppe in leichter Schwingung an, um auf eine Galerie zu münden, die das Treppenhaus umläuft und Zugang sowohl zum Zuschauersaal im rückwärtigen als auch zum Foyer im vorderen Teil gibt (□ 73). ‚Sehen und gesehen werden‘ wird durch zahlreiche Kunstgriffe ermöglicht, so ragen etwa balkonartige Emporen von der Galerie in das Treppenhaus, die Treppe ist von allen Seiten bestens einsehbar, die Korridore haben eine Breite, die entspanntes Wandeln vorsieht. Das Foyer, würdigster Zielpunkt des Parcours, erstreckt sich als immenser querrechteckiger Raum über die gesamte Gebäudebreite. Hier ist der gemeinsame Repräsentationsort der Besucher, die von hier aus auch eine Terrasse in Richtung der Avenue de l’Opéra betreten können. Natürlich genügt auch der Zuschauersaal selbst solchen Prinzipien: Kreisrund, können jeweils die gegenüberliegenden Logen und deren Gäste gut gesehen werden. Damit dies auch während der Aufführungen möglich war, wurde (bis 1936) das Licht des großen Kronleuchters in der Saalmitte nicht abgeschaltet. Eine allseitig gute Bühnensicht ist hingegen nicht vorgesehen. Dafür sind die Ränge in bequeme Logen eingeteilt, in denen sich eine intime Atmosphäre entwickeln konnte. Garniers Leistung liegt vor allem in der subtilen Verschränkung und Instrumentierung dieser Raumkomposition. Sind die passierten Räume zunächst niedrig sowie stark quer- bzw. längsgerichtet, von dämmriger Belichtung und in abgedämpften Tönen gehalten, so vermittelt das Treppenhaus einen triumphalen Vertikalzug, orchestriert durch verschiedene Marmorsorten und Farbakkorde, weißlich, rötlich, golden, die im künstlichen Licht glitzern und strahlen. Im Foyer herrscht wiederum eine andere, festlich-schwere Stim-
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mung, denn hier dominiert eine sehr schwere Instrumentierung aus Doppelsäulen, der Farbakkord changiert zwischen braun und gold. Es ist allerdings nicht nur die Gestaltung mit Licht, Farbe, Raumbezügen und -proportionen, sondern vor allem auch die Verwendung historisch bedeutungsvoller Architekturmotive und -dispositionen, die die gestalterische Komplexität des Baues ausmachen. In ihrer Dichte, aber auch in ihrer bisweilen eigenartig unvermittelten Positionierung bilden sie eine wahre Enzyklopädie der Baukunst, vom Kenner klar zu identifizieren, aber weit mehr als nur bildungsbeflissene Besserwisserei. Die Architekturreferenzen vermitteln nämlich je eigene Stimmungen, die sehr wichtig für die emotionale, unmittelbare Erfahrbarkeit des Gebäudes sind. Insgesamt nimmt die Raumabfolge, vor allem der runde Zuschauersaal, die Gesamtanlage des berühmten Theaters von Bordeaux von 1772 – 80 von Victor Louis (□ vgl. 9) auf. Das Foyer erinnert hingegen an die Spiegelgalerie im Versailler Schloss (von Engelberg 2013, S. 258 – 264), also den Archetyp eines französischen Festsaals. Allerdings versammeln sich nunmehr die Bürger und nicht mehr der Hof in diesem Festsaal. Auch die Anspielungen auf den schweren Louis-XIV-Stil im Foyer passen nicht nur historisch hierher, sondern vermitteln eine festliche ernste Würde, die nichts von leichtem Rokoko an sich haben soll. Ähnlich verhält es sich mit der Außenfassade, die eine siebenachsige zweigeschossige Front mit seitlichen Risaliten ausbildet (□ vgl. 72). Der untere Bereich öffnet sich hohen Mauerarkaden, im piano nobile hingegen überstreicht eine mächtige kolossale Ordnung aus gedoppelten Kompositsäulen eine Kolonnade auf schlanken Pfeilern, die die Fenster des Foyers rahmen. Den Gebäudeabschluss bildet eine schwere Attika, deren seitliche Abschlüsse als Sockel für riesige allegorische Figuren dienen. Hier sind zahlreiche Rückbezüge miteinander verwoben; in der Gesamtkomposition erinnert man sich an
□ 73 Paris, Opéra, Charles Garnier, 1862 – 75, Treppenhaus
Palladios Stadtpalast in Vicenza, die sog. Basilica; die Einstellung der kleinen Säulen hingegen nimmt Michelangelos Konservatorenpalast in Rom auf. Vor allem aber stellen die gekuppelten Kolossalsäulen nicht nur eine Kombination dar, die gemäß der vitruvianischen Grammatik als wuchtigster, gleichsam laut tönender Akzent eingesetzt werden konnte. Garnier zitierte nämlich mit den Doppelsäulen die berühmte Ostfassade des Louvre und schuf damit einen weiteren Bezug zum Bauen in Paris bzw. der französischen Monarchie. Diese gleichsam symphonische Orchestrierung des Gebäudes stellt also weit mehr dar als eine vergangenheitsselige, aber beliebige ‚Verhüllung‘, wie das bestimmte Wortführer der Moderne einige Jahrzehnte später behauptet haben. Die technische Struktur der Oper ist ebenfalls eine innovative, sich des Stahlbaus bedienende Leistung, gerade für die Bühnenmaschinerie und die Stützkonstruktion, aber diese ist eben nicht das
Die Opéra in Paris
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Entscheidende. Vielmehr geht es um ein Gesamtkunstwerk, das – auch dafür ist die Pariser Oper signifikant – beansprucht, ein aufwändiges Bildprogramm in die äußerst kommunikative Architektur zu integrieren, in Form von Vollskulpturen, Reliefs sowie Wand- und Deckenmalereien. Hierfür kam zum einen der Motivvorat der klassischen Mythologie zum Einsatz, zum anderen aber finden sich historisch belehrende Programme zur Geschichte der Musik und der musikalischen Gattungen. Einige dieser Werke sind künstlerisch qualitätvolle Schöpfungen, wie etwa Jean-Baptiste Carpeaux’ Figurengruppe „La Danse“ (Der Tanz) vor dem östlichen Fassadenportal: Die Pariser Oper versteht sich auch als Museum, das bildet, Traditionen evoziert und vorbildhafte Kunstwerke präsentiert, ja die ganze Welt künstlerisch spiegelt (Steinhauser 1969). Der Dichter Théophile Gautier pries die Oper denn auch als „weltliche Kathedrale der Zivilisation, wo Kunst, Reichtum und Eleganz ihre schönsten Feste feierten“. Garniers Hauptwerk kennt keine kanonischen Epochen und Doktrinen, seien sie klassizistisch auf eine Formensyntax oder rationalistisch auf bestimmte Konstruktionsprinzipien verpflichtet; es verfährt gezielt eklektisch, und in seiner
Buntfarbigkeit folgt es dem Ideal einer malerischen Architektur, wie sich dies innerhalb der über die erste Hälfte des 19. Jh.s heiß debattierten Frage um die Polychromie der vorbildlichen griechischen Bauten herausgebildet hatte (vgl. S. 82 f.). Hier lag aber auch der Keim der Kritik, denn in der überbordenden symphonischen Gesamtanlage überlagerten sich die Töne, und in der Konkurrenz der Instrumente sollten sich einige Stimmen verselbständigen – sich buchstäblich von der Architektur befreien, wie das „La Danse“ vorführt. Damit wurde die Architektur desavouiert als bloßer Sockel oder banales Gerüst, dem das eigentlich Architektonische fehle, so lauteten die Vorwürfe seit der Zeit um 1900, um daraus eine gereinigte, sich auf sich selbst besinnende Baukunst begründen zu können. – Trotz solcher Kritik sind die Pariser Opéra und ihre Gestaltungsprinzipien in der ganzen Welt zum Archetyp vergleichbarer Bauaufgaben am Ende des 19. und Anfang des 20. Jh.s geworden: Das Teatro Colón in Buenos Aires (1889 – 1908, Francesco Tamburini, Angelo Ferrari, Victor Meano und Julio Dormal) oder das Theater von Rio de Janeiro (1905 – 09, Francisco de Oliveira Passos) legen davon beispielhaft Zeugnis ab.
Die Entstehung der modernen Denkmalpflege Debatten und Begriffe
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eit der Zeit um 1800 steht die jeweils aktuelle Architektur in einem Spannungsverhältnis zur ‚alten‘ Architektur: Diese kann als Vorbild gelten, als vielfältige historische Sinnstiftung, eine zu verbessernde Traditionslinie darstellen oder als dysfunktionaler Plunder diffamiert werden. Dies ist auch Ausdruck der Tatsache, dass sich im Zuge des historischen Bewusstseins (vgl. S. 13 f.) seit dieser Zeit eine institutionalisierte Denkmalpflege ausbildet. Sie hat die Aufgabe, den Umgang mit
III. Schlüsselwerke
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den alten Monumenten gemäß einer eigenen Gesetzgebung zu regeln und sie gegen die Einwirkung privater Einzelinteressen zu schützen. Bodenfunde und Altertümer wurden zum Beispiel im Fürstentum Kassel schon während des 18. Jh.s zunächst aus Gründen der dynastischen Legitimierung, im weiteren Verlauf aus einem generellen historisch-antiquarischen Interesse im eigens dafür 1769 errichteten Museum Fridericianum präsen-
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tiert. In diesem Zusammenhang wurden 1780 in Deutschland (Bayreuth und Hessen-Kassel) die ersten Denkmalschutzverordnungen erlassen. Diese frühen Formen der Denkmalpflege bildeten in der Romantik und im Frühhistorismus die Grundlagen für eine zumeist stimmungshafte Inszenierung historischer Denkmäler. Entscheidende Neubestimmungen für die Geschichte der Denkmalpflege brachte die Zeit nach den Freiheitskriegen mit sich: Der unvollendete gotische Kölner Dom wurde zum Nationaldenkmal, sein Weiterbau zum Symbol der zu vollendenden Einheit Deutschlands erhoben. Dies beförderte eine detaillierte Kenntnis mittelalterlicher Baukunst. Eine neue Auffassung des historischen Denkmals als Erinnerung der Gemeinschaft an eine ihr spezifisch eigene umfassende historische Kontinuität, der bürgerliche Anspruch einer detaillierten Geschichtsschreibung sowie der Aufschwung der Universitäten und der regionalen Gelehrsamkeit bildeten die Voraussetzungen zu einer intentional lückenlosen Inventarisierung und Erhaltung der nationalen bzw. regionalen Denkmäler. Diese erhielten nunmehr ihren Status als ideelles Eigentum bürgerlich-staatlicher Kollektive. Schutzverordnungen für Baudenkmäler waren entsprechend in den meisten europäischen Staaten bereits nach 1800 erlassen worden. Nach 1830 wurde dies in den meisten deutschen Ländern, ebenso aber auch in Frankreich und England gesetzlich verankert. In der Folgezeit entstanden umfangreiche Inventare v. a. mittelalterlicher Monumente, die auch unmittelbar in die gleichzeitige Kunstgeschichtsschreibung eingingen. Architekten wie Eugène Viollet-le-Duc und Gilbert Scott entwickelten aus ihrer intensiven Beschäftigung mit den Altbauten einen positivistischen Wissenschaftsoptimismus, der auch ‚ verbessernde‘ und verändernde Restaurierungen eines Gebäudes beinhaltete (S. 85 f.). Dieser auf ‚stilreine‘ Restaurierungen abzielenden Doktrin setzten insbesondere John Ruskin und William Morris (vgl. S. 84 f.,|▶ 11|) eine sich ergänzender Rekonstruktionen enthaltende Kon-
servierung der Vergangenheitsspuren entgegen. Vor allem auch in Deutschland führte die durch die ergänzende Restaurierungspraxis und die gründerzeitliche Baukonjunktur verursachte Denkmalsgefährdung in den Jahren um 1900 zu einer institutionellen Festigung der Denkmalpflege und einer Intensivierung des denkmalpflegerischen Diskurses. Vor allem Georg Dehio ging – mit der berühmten Devise „konservieren, nicht restaurieren“ – gegen die nachschöpfende Denkmalpflege an, indem er den archivalisch-historischen Quellenwert der alten Bauwerke betonte. Für Alois Riegl hingegen bildete der historische Wert nur eine von mehreren Denkmalskategorien, von denen insbesondere der ‚Alterswert‘, ein sentimentales Wahrnehmen des Verfallens, einen besonderen Stellenwert erhalte. Generell ging es in der Grundsatzdebatte also um die Neudefinition der Relation von Geschichte vs. Gegenwart, moderner Stadtentwicklung vs. Altstadtnostalgie, neuer Industrie vs. alte Handwerkstechniken. Dementsprechend waren mit der Debatte vielfach eher kulturpessimistische Perspektiven verbunden, die mit einer restaurierenden Denkmalpflege das Fehlen eines Gegenwartsstils auszugleichen suchten. Unter dem Nationalsozialismus sollten Denkmäler als assoziationsreiche, emotional wirksame Sinnbilder nationalistischer und rassistischer Geschichtsideologie dienen. Angesichts der massiven Denkmälerverluste und des Einflusses neuer urbanistischer Wiederaufbaupläne (zonierte, aufgelockerte Stadt,|▶ 38|) musste die Denkmalpflege nach 1945 neue, teilweise kontroverse Handlungsmöglichkeiten zwischen der Totalbeseitigung, dem Ruinenerhalt, der modernen Ergänzung bzw. Nachempfindung und der Teil- oder Gesamtrekonstruktion zerstörter Monumente definieren und abwägen. Die seit den sechziger Jahren im Westen zunehmende Kritik an dem ungezügelten Wachstum der Städte, dem einseitigen Rationalismus der Moderne und dem ökologischen Raubbau stand im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erweiterung des Begriffs schützenswerter
Die Entstehung der modernen Denkmalpflege
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Denkmäler auf Gesamtensembles, technische Anlagen und auch jüngere Architekturen. So wurden v. a. in der Charta von Venedig 1964 und im Zusammenhang des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975 auf internationaler Ebene Grundsätze der Denkmalpflege betont. Deren wichtigste Punkte sind: Primat der Konservierung und möglichst Nutzbarhaltung der Monumente, und zwar in ihrem komplexen historischen Zusammenhang und in der Vielfalt ihres
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Bestandes; restauratorische Eingriffe als Ausnahme und ohne Beeinträchtigung der Originalsubstanz; Erkennbarkeit, Dokumentation und Reversibilität der Eingriffe. Um die Denkmalserhaltung auch eng mit ästhetischen, emotionalen und pädagogischen Qualitäten zu verbinden, wird in jüngerer Zeit ein nuancenreiches, gestalterisch-aktives Eingreifen der Denkmalpflege in Fragen von Stadtplanung, Architektur, Geschichte und politischer Kultur gefordert.
Die Wiener Ringstraße Umbau einer Kapitale
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ine der größten Herausforderungen, die die Veränderungen des frühen 19. Jh.s in architektonischer und urbanistischer Hinsicht mit sich brachten, war es, die zumeist dicht besiedelten, engen und durch Befestigungswerke eingeschlossenen Städte zu modernisieren und erweiterungsfähig zu machen. Der sprunghaft gestiegene, durch eine neue Mobilität ermöglichte Warenumsatz benötigte breite und vielfältige Wege und Plätze: Straßendurchbrüche, Bahnhöfe, Markthallen. Die zahlreichen, durch die politischen, sozialen und kulturellen Veränderungen notwendig gewordenen neuen Bauaufgaben – Parlamente, Museen, Kaufhäuser, Universitäten, Schulen, Krankenhäuser usw. – waren an ein städtisches Umfeld gebunden und benötigten insofern Platz, mussten erreichbar und vielfach prominent sichtbar sein. Und ebenso bestand Bedarf, die rapide sich vergrößernden Industrieanlagen verkehrstechnisch auf die alten Stadtkerne zu beziehen und den in die Städte drängenden neuen Bewohnern Unterkünfte zu bieten. Aber neben solchen streng praktischen Aufgaben
III. Schlüsselwerke
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hieß es auch, die Stadt als öffentlichen Raum zum Kommunizieren und Erholen neu zu organisieren. Eine unerlässliche Voraussetzung für solche Maßnahmen war, die einengenden und militärisch schon lange nicht mehr notwendigen Befestigungsanlagen zu schleifen, deren Grundfläche aufgrund der weit ausgedehnten Bastionen und Kasematten oft ein Vielfaches der Kernstädte betrug. In vielen Fällen – vielfach aber erst im 20. Jh. – gewann die Altstadt durch die Eingemeindung von benachbarten Verwaltungseinheiten Erweiterungsfläche. Gleichwohl reichte der dadurch gewonnene Raum kaum für großmaßstäbliche Erweiterungsplanungen, und diese ließen sich aufgrund von rechtlichen Faktoren kaum gänzlich durchführen. In Paris schritt man deswegen zu einer inneren Neuordnung der Stadt in Form von breiten Straßendurchbrüchen und einer strengen Bauordnung |▶ 12|. Allein in Barcelona wurde eine immense Stadterweiterung nach einem rigiden Schachbrettmuster durchgeführt. Dort begann 1854 die Entfestigung der Stadt, und der Straßenbauingenieur und Sozi-
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altheoretiker Ildefons Cerdà bekam die Möglichkeit, eine entschieden egalitäre und verkehrstechnisch optimierte Stadterweiterung, die Ensanche, seit 1859 zu realisieren (□ 74). Damit konnte er sich über eine neubarocke Erweiterungsplanung hinwegsetzen, die von Antonio Rovira i Trias vorgelegt und vom einheimischen bürgerlichen Lager favorisiert worden war. Cerdà legte einen geometrisch strikten Rasterplan zugrunde, dessen Ausrichtung sich an bestimmten Achsen der Altstadtbefestigung und hygienischen Bedürfnissen orientierte: So sollte keine Hausfassade entstehen, die direkt nach Norden orientiert war. Durchstoßen wird das rigide Raster von dem diagonal dazu angelegten Prachtboulevard Avenida Diagonal. Das quadratische Straßenraster lässt knapp 600 Baublöcke entstehen, die jeweils 114 m Seitenlänge haben. Die Straßen sind mit 20 m sehr breit, und da auch die Blöcke breit abgeschrägte Kanten haben und dadurch jede Kreuzung wie ein kleiner, übereck gestellter Quadratplatz wirkt, ist es innerhalb der neuen Stadt sehr hell. Ursprünglich sollten zudem die Parzellen eher locker nur auf zwei Seiten bebaut werden, um dazwischen einen Grünstreifen zu erhalten,
doch das ökonomische Kalkül führte dazu, dass hier schnell verdichtet wurde. Im Ergebnis wurde bis zu Anfang des 20. Jh.s eine hohe Blockrandbebauung mit Innenhöfen und prunkvollen Straßenfassaden ausgeführt. Als revolutionär an Cerdàs Plan hat vor allem das Bemühen nach Dezentralisierung zu gelten: Denn statt eine Hierarchie zwischen reichen und ärmeren Stadtvierteln von unterschiedlicher Infrastruktur zu planen bzw. entstehen zu lassen, sollten öffentliche Einrichtungen – Kirchen, Markthallen, Schulen, Verwaltungsbauten, Erholungsparks – über das Straßenraster verteilt eingerichtet werden. Diese dezentralisierte Struktur sollte durch eine vorzügliche Mobilität ausgeglichen werden, die durch die geraden und breiten Straßen und Gehwege sowie den Einsatz von Nahverkehr gewährleistet wurde. Cerdà zielte nicht auf eine utopische Bewohnerschaft aus Menschen von jeweils ähnlichen Bedürfnissen, wohl aber darauf, die Arbeiter als gleichberechtigte Mitglieder in die Großstadt zu integrieren und somit eine soziale Mischung als neues Gesellschaftsideal zu bewirken. Ganz im Gegensatz zu der rigiden Rasterordnung in Barcelona funktionierte die in kom-
□ 74 Barcelona, Stadterweiterungsplan, Ildefons Cerdà, 1859
Die Wiener Ringstraße
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158 □ 75 Wien, sog. Grundplan für die Anlage der Ring- straße, 1859
plexester Weise baukünstlerisch komponierte Stadtweiterung in Wien: die Anlage der Ringstraße. Im Vergleich zu anderen europäischen Städten wurde Wien relativ spät entfestigt. Während etwa in München, Berlin oder Genf die Wallanlagen schon Ende des 18. Jh.s. geschleift worden waren, war man in Wien erst nach der Mitte des 19. Jh.s so weit, u. a., weil der symbolische Wert der Bastionen bei der Abwehr der Türken im 16. und 17. Jh. nicht beeinträchtigt werden sollte. Indessen entwickelten sich in der Hauptstadt einer der größten damaligen Staaten anachronistische Zustände: Die zunehmende Anzahl öffentlicher und karitativer Bauten, das Militär, vor allem aber das sich rapide vergrößernde Verkehrswegenetz, über Land und über Schiene, mussten sich entweder in der engen, gut einen Kilometer im Durchmesser zählenden, über 600 Jahre lang nicht erweiterten Kernstadt ballen. Die Folge waren galoppierende Grundstückspreise, unhygienischer Zustände und eine armselige Außenerscheinung der – in Wien innerhalb der Umwallungen gelegenen – Hofburg als herrscherlicher Zentrale. Oder aber sie waren, wie
III. Schlüsselwerke
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etwa die Bahnhöfe, in einem zerfließenden Umland ohne Bauordnung jenseits der Bastionen anzusiedeln, wo seit dem 17. Jh. ausgedehnte Adelspaläste mit großen Parks am Rand der Glacis errichtet worden waren. Der Verkehr zwischen beiden Bereichen musste über Umwege und enge Öffnungen innerhalb der mehrere hundert Meter tiefen Wallzone geführt werden. Immerhin bildete das Glacis seit dem späten 18. Jh. einen durchgrünten, von Alleen durchzogenen Naherholungsbereich zum Promenieren. Trotz mehrerer Initiativen zur Niederlegung der Wallanlagen und der städtischen Neuordnung kam erst 1859 der Durchbruch. Im Zuge eines von Kaiser Franz Joseph I. ausgelobten internationalen Concurs [sic!] mit 85 anspruchsvollen Vorschlägen wurde der sog. Grundplan beschlossen (□ 75). Zu beachten waren bei dem Wettbewerb bemerkenswert präzise Vorgaben, wie auch generell die Planung und Durchführung der Ringstraße von einer verschiedenste Aspekte berücksichtigenden Verwaltung geleitet wurde. Zu den Vorgaben gehörte zum einen die Einbeziehung der
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Votivkirche, die schon 1855 als Andenken an ein missglücktes Attentat auf den Kaiser auf dem nordwestlichen Teil des Glacis errichtet worden war. Vor allem war die Hauptmasse öffentlicher Gebäude in angemessener Weise auf dem Ringgelände zwischen Kern- und Vorstadt unterzubringen: General-Kommandantur, Stadtkommandantur, Opernhaus, Reichsarchiv, Bibliothek, Stadthaus (für Festivitäten), Museen und Galerien usw. Eine kompetent besetzte Kommission prüfte die Projekte nach einem detaillierten Kriterienkatalog: Schifffahrt, Eisenbahn, militärische Aspekte, innerer Verkehr (organischer Anschluss an Vorstädte, Regulierung der inneren Stadt, Boulevard-Gestaltung), praktische Bedürfnisse (Wohnungen, Markthallen), Behandlung der öffentlichen Gebäude, Rücksichten der Ausführung. Hier ging eine professionelle Institutionalisierung von Stadtplanung vonstatten, die sich als eigene Disziplin erst am Ende des 19. Jh.s ausbilden und sich etwa 1890 im berühmten Handbuch „Der Städtebau“ von Joseph Stübben niederschlagen sollte. Der durch die Architekten Ludwig Zettl, Julius von Wurmb und Moritz Löhr auf Grundlage insbesondere des Entwurfs von Ludwig Förster ausgearbeitete sog. Grundplan vereinte die gesamte Klaviatur urbanistischer Gestaltungsmöglichkeiten. Im Prinzip beschreibt der Ring ein fast regelmäßiges Fünfeck, an dessen Ecken Kasernen für den militärischen Schutz vorgesehen sind. Jede Seite bzw. die Eckzwickel sind auf eine übergeordnete Funktion ausgerichtet, mit einer mittig, axial oder in Parallelführung angeordneten Gebäudegruppe; von Norden entgegen dem Uhrzeiger: Kaserne, Universität mit Votivkirche, Paradeplatz mit Schauspielhaus, Hofburgbereich mit Kommandantur, Hofbibliothek u. a., Museumsgebäude und Operhaus, Markthalle; die nordöstliche Seite folgt als Quai dem hier passierenden Donaukanal. Ein ausgeklügeltes System hierarchisch gestaffelter Ring- und Querstraßen erschließt den Bereich, bindet ihn mit Kern- und
Vorstadt zusammen, gliedert und ordnet in subtiler Weise: So wird die in sich symmetrisch von einer doppelten Baumreihe (Allee), einer Zufahrtsstraße und einem Trottoir begleitete eigentliche Ringstraße außen von einer zweiten, parallel geführten Straße ergänzt, die die Zufahrt zu den von der Ringstraße abgerückten Gebäuden erlaubt. Diesem Doppelboulevard folgt an der Außenkante des Glacisterrains die wiederum parallel geführte Lastenstraße. Verschiedenste Sichtachsen und Perspektiveffekte waren im Grundplan vorgesehen: Das winkelig-zweiflügelige Universitätsgebäude umfängt kulissenartig die Votivkirche in seiner Achse, der von Bauten freie Paradeplatz bietet weite Überblicke, die parallel geführten Bauten vor der Hofburg bilden eine majestätische Platzrahmung für die alte Kaiserresidenz – der Ausgangspunkt für die ab 1869 u. a. durch Gottfried Semper betriebenen Planungen des die Ringstraße überschneidenden Kaiserforums. Demnach wurde der jenseits des Rings gelegene Teil (Maria-Theresia-Platz) durch die sich gegenüberstehenden Blöcke des Naturhistorischen bzw. des Kunsthistorischen Museums gebildet. Von diesen sollten monumentale, über die Ringstraße geschlagene Triumphbögen zu konkav seitlich ausschwingenden Gebäuden als Anschluss zur Hofburg überleiten. Der dadurch gebildete quergerichtete, ovale Vorplatz wäre ein kaum zu übertreffendes monumentales Entree zur Hofburg geworden, dessen Prunk durch ein weiteres Triumphtor am – hier platzartig sich verbreiternden – Ring als Durchlass zu dem Vorplatz noch gesteigert worden wäre. Diese – deutlich dem römischen Trajansforum folgende – Anlage blieb ein Torso: Verwirklicht wurden die Museumsbauten, das Triumphtor in der Hofburgachse sowie die südliche Exedra als Gebäude der Österreichischen Nationalbibliothek, nach Norden aber erstreckt sich statt des geplanten Exedrapendants der Heldenplatz in Form des Volksgartens.
Die Wiener Ringstraße
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160 □ 76 Wien, Parlamentsgebäude an der Ring- straße, Theophil von Hansen, 1873 – 83
Aber auch in den meisten anderen Bereichen erfuhr der Grundplan mannigfache und tiefgreifende Veränderungen innerhalb einer langen Bauzeit in vier Bauphasen zwischen 1859 und 1910. Die wichtigste war, dass ein Teil der immensen Rechteckfläche des Paradeplatzes für die symmetrisch als Dreiergruppe komponierten Gebäude des mittig und zurückversetzt platzierten Wiener Rathauses, der Universität im nordöstlichen Eck und des Parlamentsgebäudes als dessen Pendant im südöstlichen Eck weichen musste. Durch die Ausweisung einer Reihe von Grünflächen als öffentliche Volksgärten im englischen Stil (Rathauspark, Volksgarten und Hofgarten als Pendants vor der Hofburg, Stadtpark, Kinderpark) gewann die Ringstraße ihren öffentlich-bürgerlichen Charakter, wobei die Gebäude der Ringstraße, aber auch außerhalb von ihr und in der Altstadt gelegene Bauwerke über eine schier unendliche Zahl von Sichtachsen in einen gegenseitigen Dialog treten. Hier vollzieht sich eine höchst bedeutsame Aneignung der Residenzstadt, die durch Kaiser Franz Joseph vor allem prachtvoll verschönert und funktionsfähig gemacht werden sollte, durch das Bürgertum. Signifikant ist zum Beispiel das von Gottfried Semper und
III. Schlüsselwerke
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Carl von Hasenauer in Formen der venezianischen Renaissance errichtete k. k. Hofburgtheater (1874 – 88) an der Westseite des Rings (Franzensring). Eigentlich in der verlängerten Nordflucht der Hofburg situiert, wurde es mit der Errichtung des Rathauses genau westlich gegenüber zur städtisch konnotierten Institution. Diese über Sichtachsen vermittelten Beziehungen benötigen klare Erkennungszeichen, um mit inhaltlichem Sinn versehen zu werden: Diese werden durch die verschiedenen Stilidiome der einzelnen Gebäude gewährleistet. Prägnant ist vor allem das Parlamentsgebäude (□ 76), von Theophil von Hansen (1873 – 83) als griechischer Tempel ausgebildet, der sich auf die antike Demokratie bezieht und sich somit resolut von der Barock- und Neobarocksprache des Hofburgbereichs absetzt. Das Rathaus (Friedrich von Schmidt, 1872 – 83) erinnert an flämische Rathäuser als Inbegriff kommunalen Prestiges. Die Votivkirche (Heinrich von Ferstel, 1856 – 79) evoziert als perfekte Summe hochgotischer Architektur katholische Religiosität, während die Museumsbauten als Neorenaissancearchitekturen (Semper u. Hasenauer, 1871 – 91) auf die Wiege der neuzeitlich-klassischen Kunst in Italien verweisen.
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Der Justizpalast in Brüssel Hypertrophes Staatssymbol
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as 19. Jh. ist in Europa wie auf dem amerikanischen Kontinent durch die Etablierung (USA seit 1776) bzw. Entstehung von Nationalstaaten gekennzeichnet, in denen eine – wie auch immer definierte – Nation als Souverän auftritt und sich eine Verfassung gibt. Die hier regierenden Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative sowie die fundamentalen Werte jeder dieser Nationen, wie zum Beispiel ihre wissenschaftliche und künstlerische Leistungsfähigkeit, ihre heroische Geschichte oder ihre Fürsorge um das Gemeinwohl, sollten aber nicht abstrakte Begriffe bleiben, sondern öffentlich für alle sichtbar sein. Zusammen mit den großmaßstäblichen Stadterweiterungen und urbanistischen Umplanungen |▶ 13| führte das zu einer weitgehenden allegorischen und architektonischen Überformung praktisch aller Städte der Alten Welt. Parlaments- und Gerichtsbauten, Museen und Universitäten wurden zumeist als monumentale Paläste errichtet. Es handelte sich immer um riesige und räumlich komplexe Bauten, um die zahlreichen Funktionen zu bergen und räumlich zu strukturieren. Vor allem aber sollten diese Werke unübersehbar sein und vernehmlich ‚sprechen‘. Historische Stile und allegorische Bilder waren insofern ebenso unabdingbar für diese Staatsbauten wie die zahllosen Denkmäler und Statuen historisch wichtiger Personen und Ereignisse, die den öffentlichen Raum in eine immense Erinnerungslandschaft umformten. Einen Höhepunkt erreichte diese Ästhetik öffentlicher Architektur im Brüsseler Justizpalast, der allein in seinen schieren Dimensionen nur Superlative zu bieten hat: Die Grundfläche beträgt 26 000 m², die Höhenerstreckung 117 m, im Inneren befinden sich 27 Gerichts-
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säle und Hunderte weiterer Funktionsräume. Vor allem aber verstand sich der Palast als eine in ein gewaltiges Orchester eingefügte Summe der Instrumentierungsmöglichkeiten der klassisch-vitruvianischen Architektursprache mit Säulen, Gebälken, Giebeln, Risaliten, Pavillons und Kuppeln sowie begleitender skulpturaler Ausgestaltung. Begonnen wurden die Planungen für einen Justizpalast des 1830 gegründeten Königreichs Belgien im Jahre 1860. Er sollte alle juristischen Institutionen der jungen Hauptstadt, u. a. zahlreiche Verhandlungssäle, eine Bibliothek, außerdem ein Restaurant und ein Postamt aufnehmen. Ein erster Wettbewerb scheiterte, darauf beauftragte 1862 die Stadt ihren Stadtbaumeister Joseph Poelaert mit der Planung und Ausführung des monumentalen Gebäudes. Die Arbeiten begannen 1866, die Eröffnung fand 1883 statt, die zentrale Kuppel musste nach Kriegsschäden 1948 leicht verändert teilrekonstruiert werden. Signifikant ist allein die städtebauliche Lage, südwestlich des Zentrums, auf einer merklich ansteigenden Anhöhe, die nach Westen steil abfällt. Dort legte man eine nach Norden und Westen sich hoch in die Unterstadt schiebende Terrasse als Unterbau an. Somit thront der Palast von allen Seiten unübersehbar über der Stadt, scheint von einigen Seiten dramatisch in den Himmel zu wachsen und wird an diesen auch nur über ein System von Rampen erschlossen. Zudem aber wird er auf signifikante Weise in die Straßen- und Bedeutungsachsen der Stadt eingebunden: Auf dem Plateau treffen sich die Ausfallstraße Avenue Luise und die damals neu angelegte Rue de la Régence, die, zwischen Universitätsviertel und Königsschloss hindurchführend, direkt auf eine
Der Justizpalast in Brüssel
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162 □ 77 Brüssel, Justizpalast, Joseph Poelaert, 1866 – 83, Gesamtansicht (historische Aufnahme)
Ecke des großen Parc Royal trifft. Somit ist die Architektur der Justiz auf sinnfällige Weise mit anderen staatlichen Einrichtungen in Beziehung gesetzt. Diese markante städtebauliche Einbindung des Palastes ging allerdings mit massiven Enteignungen und der Zerstörung eines ganzen ‚volkstümlichen‘ Stadtviertels einher. Der Palast erhebt sich über einem annähernd quadratischen Geviert von 150 auf 160 m Seitenlänge, das insgesamt acht Innenhöfe umschließt. Jede Seite ist anders komponiert, doch stellt sich die Grundeinheit als breit gelagerter Flügel mit kolossaler, über zwei Riesengeschosse reichender Säulenkolonnade dar (□ 77). Hier herrscht eine strenge Achsensymmetrie, die durch kolossale Portalanlagen als Mittelbetonung und durch Eckpavillons angezeigt wird. Die inneren Hauptachsen erschließen das Gebäude kreuzförmig und treffen in der Gebäudemitte auf die Salle des pas perdus, einen riesenhaften, rechteckigen Saal, der sich in fast 100 m Höhe in die zentrale Kuppelkonstruktion in der Gebäudemitte erstreckt. Von außen türmt sich diese Kuppel über mehrere zurückspringende, kubusartige Blöcke steil nach oben. Diese in ihren Dimensionen gigantische und nur durch vielfältigen Einsatz von Eisenkonstruktionen
III. Schlüsselwerke
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(Konzeption François Wellens) ermöglichte Grundstruktur ist nun mit allen Formmotiven des klassischen Repertoires komponiert, angereichert und durchmodelliert. Dabei kommen aber nicht nur etwa die fünf klassischen Ordnungen zum Einsatz, sondern auch ägyptische und mesopotamische Vorbilder. Alle Elemente sind von volltönender, schwerer Wucht, oftmals eng nebeneinander gestellt, vollplastisch oder tief schattend modelliert. Man hat den Eindruck, dass die Hunderte von Ädikulen sich gegen die kräftigen Säulen zu ihrer Seite stemmen und über die Gebälke nach oben durchbrechen. Dabei spielt sich dieser Kampf der Säulen und Gebälke in mehreren Schichten ab. Die Hauptfassade zur Rue de la Régence etwa wird seitlich eingefasst durch weit nach vorne springende Eckpavillons – die so geräumig sind, dass sie jeweils große Gerichtssäle enthalten (□ vgl. 77). Die Fassade selbst wird gebildet durch eine offene Kolonnade, die in der Mitte durch ein gewaltiges, nach vorne und oben weit aufkragendes, übergiebeltes Hauptportal von 39 m Höhe (!) durchbrochen wird. Dieses übergreift indessen aber nur eine einzige hohe Öffnung, in die nun aber Säulen eingestellt sind, die trotz ihrer gewaltigen Größe nicht bis an die Unterseite des Portalsturzes reichen.
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Von hier aus geht die Hauptachse des Gebäudes in das Innere. Hinter der doppelreihigen Säulenkolonnade folgt nicht etwa ein Eingang, vielmehr erstreckt sich links und rechts des Portaldurchgangs je ein quergerichteter Peristylhof. Jeder enthält eine symmetrische Treppenanlage, die eine Galerie im Inneren des Hofes bedient, welche zu den genannten Gerichtssälen in den Eckpavillons führt (□ 78). Allerdings liegt die Höhe dieser so würdevoll erschlossenen Galerie gerade einmal auf einem Fünftel der Höhe der Portalädikula! Ein Grund für die erdrückende Dominanz von Säulen und Pilastern stellt auch ihre völlig unkanonische Verwendung in jeweils identischen Dimensionen pro Säulenordnung dar. So sind die Palmensäulen jeweils 20 m hoch, während die kompositen Säulen einheitlich gerade einmal 3,75 m erreichen. Damit wird zum einen der klassische Grundsatz, wonach Corinthia und Composita die würdigsten Ordnungen abgeben, gesprengt und durch einen Bedeutungsmaßstab der absoluten Größe ersetzt. Zum anderen kommen somit kleine neben großen Säulen zu stehen. Sie sind im Grunde nur in ihrer Gesamtheit als ins Hypertrophe gesteigerte Pracht bzw. als bedeutungslose Gliederungselemente zu verstehen. Säulen übereinanderzustellen, wie das durchaus üblich war (Superposition), hätte eine nicht angemessene Kleinteiligkeit ergeben. Dabei sind sämtliche Detailformen sehr getreu von einer Vielzahl berühmter antiker Monumente übernommen, in ihrer Massierung und unkanonischen Verwendung wird das zur ausgeklügelt komponierten, aber latent ironischen Collage von Klischees, allerdings mit dem Ergebnis, damit größtmögliche Raum- und Modellierungseffekte zu erreichen. Ähnliches gilt auch für das Innere, bei dem Poelaert vor allem auf äußerst variationsund erlebnisreiche Raumabfolgen in immer wechselnden Lichtstimmungen geachtet hat. Vor allem die Salle des pas perdus mit 3600 qm Grundfläche staffelt sich im Inneren über ein
virtuoses System von unterschiedlich belichteten Galerien, Emporen und Zwischengeschossen nach oben und kulminiert unter der inneren Kuppelschale. Das Auf und Ab der Treppen, die kurvierten Treppenhäuser, die überraschenden Austritte und Durchblicke lassen die Architektur in drei Dimensionen erleben, in atemberaubender und oftmals bedrückender und einschüchternder Weise. Hinzu kommt, dass sich Poelaert Steinverkleidungen unterschiedlichster Farbabstufungen bedient, die in
□ 78 Brüssel, Justizpalast, Joseph Poelaert, 1866 – 83, Treppenhaus
Der Justizpalast in Brüssel
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der dominierenden Hellfarbigkeit Akzente setzen. In diese komplexe Raumstruktur sind nun vielfach Bilder eingesetzt, die ähnlich wie barocke Allegorien das Rechtsverständnis erläutern. So stehen an den Treppenaufgängen in den seitlichen Peristylhöfen Statuen antiker Rechtslehrer (Demosthenes, Lykurg, Cicero und Ulpian, □ vgl. 78). Am letzten Kuppeltambour thronen an den Ecken riesenhafte Personifikationen von Kraft, Gerechtigkeit, Gesetz und königlicher Milde. Diese sollten der Bevölkerung präsent halten, dass in dem jungen Staat „eine durch das Gesetz geleitete und durch die königliche Milde abgedämpfte Gerechtigkeit als Souverän über die Nation regiere“ (Wellens 1881, S. 6). Hier vermittelt sich ein politisches Programm, das sich – auch wenn es dies nicht explizit benennt – mit allen Mitteln durchzusetzen hat, zum Beispiel gegen absolutistische oder klerikale Auffassungen – aber auch gegen eine eingesessene Brüsseler Bevölkerung in dem Stadtviertel, in dem dieses Staatssymbol errichtet wurde. Gleichwohl war diese, seit dem 19. Jh. sich etablierende Rechtsauffassung die entscheidende Legitimation der neuen Staaten, waren es doch allein sie, die die Gesamtheit des Rechts zu institutionalisieren und administrativ zu regeln hatten. Daraus erklärt sich, dass gerade auch Gerichtsgebäude eine derart monumentale Bauaufgabe vor allem im 19. Jh. bildeten. Außer dem Brüsseler Bauwerk kann man beispielsweise ähnlich opulente historistische Architekturen in Rom (Palazzo della Giustizia, 1889 – 1911, Guglielmo Calderini; Neorenaissance), London (Law Courts, 1870er Jahre, George Edmund Street; Neugotik), Berlin-Tiergarten (Amts- und Landgericht, 1902 – 06, Rudolf Mönnich und Carl Vohl; Neubarock) oder München (Justizpalast, 1890 – 97, Friedrich von Thiersch; Neubarock) nennen. In all diesen Beispielen fällt auf, dass die Wahl des Baustils ein gewichtiges Argument für die staatliche Selbstdarstellung im Sinne einer ideellen Verankerung in einer vor-
III. Schlüsselwerke
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bildlichen, identitätsstiftenden Vergangenheit bildet. Das Brüsseler Monument allerdings folgt dieser Logik nicht mehr, denn zu eklektisch sind die vielfachen Referenzen und zu ungewöhnlich ihre Kombination. Die Verbindung von Größe und Schönheit sollte in allgemeiner Weise an antike Riesenbauten erinnern. Noch stärker als die Pariser Oper |▶ 12| will der Justizpalast nicht nur ‚gelesen‘ und ‚verstanden‘, sondern unmittelbar in seinen Licht- und Raumeindrücken ‚erlebt‘ werden. Der respektlose und ironische Umgang mit dem klassischen Architekturvokabular deutet sicherlich auf die endgültige Krise des Historismus: Dieser veritable ‚Turmbau zu Brüssel‘ war zum einen Ausdruck einer Hybris, nämlich souverän über die Weltarchitektur verfügen zu können und ihre ehemaligen Regeln umzudeuten, doch offenbarte er zum anderen eine Sprachverwirrung bzw. kann stellvertretend für diese stehen. Welcher Stil für welchen Inhalt stehen konnte, wurde immer unklarer und förderte in der Architekturkritik um 1900 den Eindruck, der im Eklektizismus endende Historismus sei eine beliebige und bloß pompöse Dekorationsarchitektur. Insofern ist verständlich, dass sich die auf Poelaert folgende Generation belgischer Architekten (Paul Hankar, Victor Horta |▶ 19|, Henry van de Velde) darum bemühte, die genuin architektonischen Eigenschaften etwa des Justizpalastes zu den wesentlichen Architekturkriterien des sog. Jugendstil um 1900 zu erheben: komplexe Raumkomposition, Licht, Farbe, emotionale Wirkqualität, vgl. S. 17 f.). Der Weg dahin war aber nicht der einzig mögliche: Daneben stand ein pragmatischer Historismus, der Bauprogramme und ihre stilistische Ausführung unter funktionalen und formalästhetischen Kriterien betrachtete. Die pittoreske Stadtverschönerung war dabei ebenfalls wichtig, und insofern sollte dem lange verachteten Eklektizismus ein langes Leben, mindestens bis zu Anfang des 20. Jh.s, beschieden sein.
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Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand Tempel des Konsums
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an hat die Ladenpassage, eine gedeckte innerstädtische Verkaufsstraße, die einen Baublock durchschneidet, zu Recht als einen Bautyp des 19. Jh.s bezeichnet, auch wenn die Voraussetzungen dazu uralt sind: arabische Bazare, Gefängnisse, Gewächshäuser, vor allem aber auch zum Promenieren errichtete Schlossgalerien sowie Markthallen für den Handel. Erst im 19. Jh. allerdings ergab sich die Möglichkeit, in den sich verdichtenden Großstädten ganze Häuserblöcke zu Zwecken der Spekulation anzukaufen, hier innen liegende Passagen anzulegen, die als reine Fußgängerzonen bereits bestehende Straßen und Plätze verkehrsgünstig verbinden und zudem mit einem bestimmten luxuriösen Ambiente versehen werden können. Eine konsum- und vergnügungsorientierte reiche Bürgergesellschaft fand hier – so hat es Walter Benjamin beschrieben – zerstreute Entspannung, in einer aus der lauten, verschmutzten, von Not und niedriger Geschäftigkeit der industrialisierten Stadt ausgegrenzten städtischen Insel des verfeinerten Luxus. Die Passage wurde zur Wohnung des Flaneurs, der in einer abgeschlossenen Außenwelt seinen hohen Bedarf an Sinnenreizen befriedigen konnte. Die Menge des eleganten Publikums, die exquisite Geschäfte und Restaurants besuchte, war beständig in Wechsel und Bewegung. Die Investition in solch einen Tempel des Konsums musste allerdings bestimmte Kriterien beachten, um erfolgreich zu sein: Zentrumsnah und zwischen belebten Orten der Stadt, von einem elitären Publikum frequentiert, sollte die Anlage architektonisch derart gestaltet sein, dass die Dimensionen und die Ausstattung von Binnenstraßen und Ladeneinbauten den Erwartungen des Ziel-
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publikums nachhaltig entsprach. Dazu waren konstruktive Voraussetzungen unabdingbar, insbesondere weit spannende transparente Dachwerke, die erst mit Eisenbindern und Glashaut befriedigend zu realisieren waren. All das – die urbanistischen, wirtschaftlichen, sozialen, mentalen und eben architektonischen Faktoren – macht die Passage neben dem Theater, dem Bahnhof und der Markthalle – zu einer typischen Gebäudegattung des 19. Jh.s. Die Passage entstand in Paris Ende des 18. und zu Anfang des 19. Jh.s als Agglomeration von Läden (erhalten sind etwa die Galeries Vivienne und Colbert, 1824 – 26) und breitete sich rasch in allen Großstädten der Alten und Neuen Welt aus, vielfach als Mittel einer liberalistischen Stadtsanierung und als kommunale Prestigeprojekte. Große Beispiele sind etwa die Royal Opera Arcade in London (1816 – 18), die Galeries St-Hubert in Brüssel (1838 – 47), die Kaisergalerie in Berlin (1870 – 73), die Galleria Umberto I in Neapel (1885 – 92), die Torgowy Dom Glawny Uniwersalny Magasin (GUM) in Moskau (übers. Warenhaus Neue Handelsreihen, 1888 – 93) und die Cleveland Arcade (1888 – 90). Transformiert wurde der Typus schon bald, seit dem letzten Jahrhundertviertel, vom ganz anders architektonisch aufgebauten Warenkaufhaus, dem allerdings sowohl organisatorisch als auch hinsichtlich der Produktpalette der Käuferschichten der Anspruch auf elitären Luxus mehr und mehr abhandenkam. Einen Höhepunkt des Bautypus bildet aber sicherlich die monumentale und architektonisch sehr einflussreiche Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand. Hier war die Passage kein privates Spekulationsobjekt, sondern zu einem kommunalen Prestigeprojekt geworden. Die
Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand
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□ 79 Mailand, Galleria Vittorio Emanuele II, Giuseppe Mengoni, 1865 – 77
seit dem Beginn des 19. Jh.s begonnene Erweiterung und Regularisierung des Domplatzes überschnitt sich historisch mit der Befreiung Mailands von den Österreichern im Jahr 1859 und der Gründung des Staates Italien im folgenden Jahr. Seither wurde die städtebauliche Verbindung der Piazza del Duomo und der nördlich davon gelegenen Piazza della Scala energisch als städtisches Projekt betrieben. Umgesetzt wurde das Projekt des jungen Architekten Giuseppe Mengoni, der 1860 eine längsrechteckige Erweiterung des Domplatzes vorschlug, deren Nordseite von der Galleria als Verbindung zur Piazza della Scala durchdrungen wird (□ 79). Als Pendant auf der Südsei-
III. Schlüsselwerke
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te des Domplatzes sollte sich das triumphale Portal des Königspalasts erheben, dazwischen, im Kreuzungspunkt mit der Achse der Domfassade, die Reiterstatue des ersten italienischen Königs, Vittorio Emanuele II. (die erst Ende des 19. Jh.s westlich verrückt zur Ausführung kam). Eine eigens gegründete englische Finanzierungsgesellschaft übernahm die Investitionsplanung, neben dem Architekten Mengoni war der französische Ingenieur Henri Joret vor allem für die Eisen-Glas-Dächer tätig. Die Grundsteinlegung erfolgte 1865, schon zwei Jahre später konnte die Eröffnung gefeiert werden, doch erst 1877 war die Gesamtanlage mit dem Triumphtor zum Domplatz vollendet. Der Grundriss der Galerie ist einfach (□ vgl. 79): Zwei sich lotrecht kreuzende Verkaufspassagen von ca. 15 m Breite werden durch seitlich hoch aufragende, gleichmäßig durchlaufende Fassadenwände eingefasst und durch ein rundbogiges Glasdach über Eisenbinder eingedeckt (lichte Höhe 32 m). Die seitlichen Fassaden staffeln sich in vier Geschossen und folgen in ihrem Aufriss frühbarocken Kirchenschiffen: Die Wand öffnet sich im Erdgeschoss in hohen Rundbogenarkaden, darüber folgt ein hochrechteckiges Fenster mit einer balkonartigen Balustrade (□ 80). An den Pfeilerstirnen zwischen den Arkaden erheben sich doppelt aufgesockelte Pilaster, die unter einem weitausladenden Gebälk – gleichzeitig eine balkonartige Galerie – über dem ersten Obergeschoss enden. In der hochgestreckten Attikazone darüber wird die Hochwandgliederung in Variation weitergeführt: Zwei weitere Geschosse öffnen sich in je einem Rechteckfenster, die Pilaster verwandeln sich in Karyatiden. Die Mauerzone schließt mit einem Kranzgesims ab, das als einheitlich durchlaufendes Auflager für die Glastonne dient. Das barocke Traveensystem, bei dem eine Fensterachse durch dekorative Stützelemente – Pilaster – horizontal gegliedert und durch markante Gesimse abgeschlossen wird, ist in der Galleria zu einem Modulsystem ge-
□ 80 Mailand, Galleria Vittorio Emanuele II, Giuseppe Mengoni, 1865 – 77, zentrale Kuppel
worden, hinter dem sich ein rasterähnlicher Grundriss verbirgt. Jede Arkade entspricht einer Ladenparzelle von jeweils identischer Breiten- und Tiefenerstreckung, die aber auch zu größeren Einheiten zusammengefasst sein können. Somit entsteht ein eigenartiger Effekt zwischen innen und außen, der auch schon bei den barocken Saalkirchen mit Kapellenanbauten zu beobachten ist. Die Innenstraße bildet eine Außenzone, einer Straße oder einem Platz vergleichbar, von dem aus sich einladend große Arkaden zu halböffentlichen Räumen – den Geschäften und Restaurants – auftun. Diese Öffnung der Wandfassade ist auch – im Gegensatz zu den barocken Vorbildern – in den oberen Etagen angewandt, wo Balkone und umlaufende Galerien mit Eisenbrüstungen großflächige Austritte aus den dort befindlichen Büros und Clubs bieten und den Blick in die Ladenstraßen ermöglichen. Das Irritierende besteht aber darin, dass die Ladenstraßen mit der Eisenglaskonstruktion gedeckt sind: Somit sind sie räumlich und klimatisch abgeschlossen, erhalten aber dennoch Tageslicht und lassen den Blick in die Wolken zu. Auch am Abend strahlten 600 – 2000 Gaslampen ein behagli-
ches Licht aus. Man befindet sich zugleich in einem Innen- wie in einem Außenraum. Dieser Effekt ist am größten in dem zentralen Kreuzungspunkt der beiden Straßen: Er weitet sich, da die Ecken großflächig abgeschrägt sind, zu einer groß dimensionierten Platzanlage über achteckigem Grundriss. Hier steht verschwenderisch Raum für Außenterrassen von Cafés und Restaurants zur Verfügung. Da sich über jeder Seite des Achtecks Stichbögen wölben, die eine Ringkonstruktion tragen, über der sich die majestätische zentrale Kuppel erhebt, fühlt man sich sofort an die kuppelüberwölbten Vierungen italienischer Barockkirchen erinnert, und in der Tat wetteiferte Mengoni mit keinem geringeren Gebäude als dem Petersdom (von Engelberg 2013, |▶ 21|). Allerdings sind in Mailand die vormals massiven Gewölbe in eine hell erleuchtete Eisen-Glas-Konstruktion verwandelt. Im achteckigen zentralen Ort summieren sich auch allegorische Darstellungen in Form von Statuen, Fresken und dem Bodenmosaik, deren Inhalte Künste und Wissenschaften in Bezug zum Haus Savoyen setzen. Die Abgrenzung der Passagen nach außen wird vor allem durch monumentale Eingänge in die Galleria
Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand
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□ 81 Mailand, Galleria Vittorio Emanuele II, Giuseppe Mengoni, 1865 – 77, Fassade zum Domplatz
verstärkt. Vor allem vom Domplatz aus ist dies unmittelbar deutlich: Denn inmitten der regulierten Arkadenfronten der Domplatzkante erhebt sich ein großer, dreitoriger Triumphbogen mit korinthischer Ordnung als Eingang in die Galleria (□ 81). Unverkennbar sind hier die Anklänge an antike römische Ehrenbögen, die in der ersten Hälfte des 19. Jh.s in ganz Europa als Vorbilder zahlreicher Denkmäler gedient hatten, so in Paris (Arc du Carrousel, 1806, Charles Percier und Pierre-François-Léonard Fontaine; Arc de Triomphe, 1806 – 36, Jean-François Chalgrin), Marseille (Porte d’Aix, 1825 – 39 von Penchaud), London (Marble Arch, 1828, John
III. Schlüsselwerke
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Nash), München (Siegestor, 1843 – 50, |▶ 5|, Friedrich von Gärtner). In Mailand ist der Bogen ebenso triumphales Monument wie eine Art einladendes, weit geöffnetes Stadttor, hinter dem sich der luxuriöse Bereich der Galleria erstreckt. Dabei ist der Bogen nicht nur wie eine äußere Verkleidung vorgesetzt, sondern entspricht in seiner inneren Öffnung genau dem Querschnitt der Passagenstraße dahinter. Insgesamt grenzt sich also die Galleria deutlich aus dem urbanen Geflecht aus, steht aber durchaus in vielfältigen Achsbeziehungen mit ihrem Umfeld: Sie markiert die Querrichtung zur Ost-West-Erstreckung des Doms mit seiner neugotischen Fassade, und auf der Piazza della Scala steht das Denkmal für Leonardo da Vinci in der Achse des entsprechenden Passagenarms. Trotz der Schwelle, die die Passage zu den umgebenden öffentlichen Bereichen bezeichnet, soll sie durchaus nicht abweisend wirken. Dieses Oszillieren zwischen Abgrenzung und Einladung hat seinen Grund: Es geht ja zum einen darum, einen luxuriösen Geschäftsbereich mit einer bestimmten Klientel und mit hohen Renditeerwartungen auszuweisen. Zum anderen aber musste den Mailänder Investoren daran gelegen sein, ein möglichst großes Publikum anzuziehen. Dieses fand und findet einen künstlich klimatisierten und sauberen urbanen Bereich vor, eine geschützte barocke Platzanlage, in der gelassen und unbeschwert zu flanieren, zu kommunizieren sowie, in den davon wiederum klar geschiedenen Läden und Restaurants, in unterschiedlichster Weise zu konsumieren ist. Dieses Prinzip der räumlichen Segregation von Shopping Malls als kontrollierbare innerstädtische Bereiche wird bis heute angewandt, allerdings mit dem Unterschied, dass das große urbane Flair in den Ladenpassagen – nicht ohne Zufall häufig nach dem geläufigen englischen Begriff für die Passagen ‚Arkaden‘ genannt – häufig zu Alibi-Einrichtungen – Pflanzinseln und lächerliche Brünnlein – verkümmert ist.
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Die Mietskaserne in Berlin Massenwohnbau und Industrialisierung
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ie Mietskaserne in Berlin ist zum Inbegriff unhygienischen und unsozialen Wohnens des 19. Jh.s geworden. Sie hat auch zum Mythos der deutschen Hauptstadt beigetragen, spätestens als Werner Hegemann sein Buch „1930. Das steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt“ herausgab, das wie ein Pendant zu dem ein Jahr zuvor erschienenen Roman „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin zu lesen ist. Vor allem aber nimmt die Mietskaserne in der Meistererzählung der Moderne die Rolle der überwundenen schlechten Vergangenheit ein. Denn das Neue Bauen der Weimarer Republik verstand sich in hohem Maße als Reform des Massenwohnungsbaus, der an Stelle der unhygienischen, dunklen Mietskasernen Häuser mit ‚Licht, Luft und Sonne‘ konzipierte. Doch gab es schon seit 1900 vielfältige und qualitätsvolle Weiterentwicklungen der Mietskaserne. Dass sie als Wohnkonzept noch darüber hinaus eine Zukunft hatte, zeigt ihre Wiederentdeckung ‚von unten‘, durch private Initiativen seit den 60er Jahren und vor allem durch die Internationale Bauausstellung in Berlin 1977 – 87, deren einer Teil, die IBA-Altbau, der kreativen Wiedergewinnung und Rehabilitation der Altsubstanz im Wohnbau gewidmet war. Spätestens seit dieser Zeit ist das ‚Leben im Kiez‘ zu einer lukrativen – weil hochverdichtet-städtischen – Wohnform hoher Lebensqualität, insbesondere in gentrifizierten Stadtteilen geworden. Vom architektonischen Konzept her ist die Berliner Mietskaserne der Zeit um 1870/80 ein meist fünfgeschossiger Baublock, der auf im Vergleich zu anderen Städten sehr großen, verhältnismäßig schmal und tief proportionierten Parzellen errichtet ist und auf der Schmalseite
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zur Straße hin eine ca. 6 – 12 Fensterachsen zählende, traufständige Fassade aufweist. Da diese Hausstrukturen ohne Zwischenabstand in Reihe geschaltet sind, ergibt sich eine strikte Blockrandbebauung, das heißt, die Straßenbzw. Gehwegkante ist identisch mit der Flucht der Häuserfassade. Dahinter erstrecken sich Seiten- und Querflügel, die auf höchste Verdichtung des Wohnraums achten: Knappstens bemessene Innenhöfe (ursprünglich nur nahezu 6 qm als Untergrenze zum Wenden der Feuerspritze) verschaffen ein Minimum an Licht und Luft, so dass in vielen Fällen mehrere Querflügel hintereinander angeordnet werden konnten (□ 82). Aus der Baustruktur ergibt sich, dass die in die Tiefe führenden Seitenwände des Mietshauses fensterlose Brandwände sind, also nur das zur Straße gehende sog. Vorderhaus Fenster zur Straße sowie zum rückwärtigen Innenhof aufweisen kann. Diese Vorderhauswohnungen enthalten zumeist zwei Reihen von
□ 82 Berlin, Ackerstraße, enggestellte Querblöcke einer Mietskaserne (historische Luftaufnahme)
Die Mietskaserne in Berlin
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Zimmern, die über einen mittleren Stichkorridor erschlossen werden. Der Rest der Wohnungen erhält nur von einer Seite, und dazu nur über einen Innenhof Licht. Die Mietskaserne war insofern ein Spiegel der Gesellschaft: Nur im Vorderhaus herrschten gute und komfortable Wohnbedingungen, zumal die Wohnungen fast immer winkelförmig über das sog. Berliner Zimmer (ein im Knick liegendes, großes, aber schlecht belichtetes Zimmer) in die Seitenflügel übergingen, wo häufig auch die Dienstbotenaufgänge und -wohnungen angelegt waren. Einzig die Vorderhauswohnungen konnten über eine Außenfassade repräsentativen Aufwand zeigen und mit dem öffentlichen Straßenraum kommunizieren, auch durch Loggien und Balkone. Doch von diesen Wohnungen im Vorderhaus gab es jeweils nur ca. fünf oder zehn, eben gemäß der Etagenanzahl des Hauses und der Lage des Treppenhauses: Liegt dieses mittig im Baublock, können von hier zwei Wohnungen pro Absatz abgehen (sog. Zweispänner). Aber auch innerhalb des Vorderhauses sind Hierarchien festzustellen, denn da die Berliner Mietshäuser fast niemals einen Aufzug besaßen, lag die anspruchsvollste Wohnung im ersten Obergeschoss. Im Erdgeschoss konnten Läden und von der Straße zugängliche Keller untergebracht sein. Hinter dieser funktionalen und repräsentativen Schnittebene zwischen Straßenund Wohnraum erstreckten sich aber Dutzende und Hunderte kleinerer Wohnungen ohne Komfort, Wohnstatt für den Großteil der Mieter. Erschlossen wurden die Höfe durch hohe, von Fuhrwerken passierbare Tore in Vorderhaus und den Querflügeln. In zumeist kleinen 1 – 2Zimmer-Wohnungen konnten hier unzählige Personen zur Miete untergebracht werden, die teils als Familien, teils als sog. Schlafgänger im Schichtwechsel hausten. Zumeist gab es nur einen heizbaren Raum und erst in den 80er Jahren wurde es üblich, die Wasserversorgung in die Häuser zu verlegen. Diese Baukonzeption war das Ergebnis einer liberalistischen Wirt-
III. Schlüsselwerke
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schaftsordnung, in der freie Bauunternehmer die Mietskasernen als reines Spekulationsobjekt, d. h. mit größtmöglicher Renditeerwartung errichteten – unterstützt durch ein Mietrecht, das dem Mieter fast keine eigenen Rechte einräumte. Dabei war das Baukonzept im Einzelnen flexibel auszutarieren: Je nach Stadtviertel, Lage und Mieterschaft konnte die Ausgestaltung der Fassade und der Vorderhauswohnungen, die Größe der Innenhöfe und die Qualität der hygienischen Einrichtungen variieren und dem Markt angepasst werden. Das Konzept und die Entwicklung der Mietskaserne entsprach auch dem System der Berliner Stadterweiterung, die im Zuge einer rasanten, in der Mitte des 19. Jh.s einsetzenden und nach der Reichsgründung sich nochmals verstärkenden Bevölkerungszunahme (auf über 2 Mio. nach 1900) dringend notwendig geworden war. 1853 hatte die Polizeibauordnung Minimalstandards bei Baumaßnahmen festgelegt, insbesondere eine Traufhöhe von 20 m (später auf 22 m erhöht). Der große Bebauungsplan unter James Hobrecht von 1862 sah vor allem eine zukunftsweisende Verkehrs- und Erschließungsplanung (Kanalisation) vor. Hobrecht konzipierte zwei große Ringstraßen und eine Reihe von boulevardartigen Radial- und Verbindungsstraßen, skandiert von teils großen Plätzen an den Wegekreuzungen. Das Pariser Vorbild der Stadterweiterung unter dem Präfekten Haussmann |▶ 12| ist hier unverkennbar. Allerdings handelte es sich bei Hobrechts Plan um einen reinen Fluchtlinienplan. Die Ausführung der Baulichkeiten übernahmen finanziell potente und kommunalpolitisch einflussreiche Terrainbaugesellschaften. Dies führte einerseits zu den auch heute noch zu bemerkenden unterschiedlichen Charakteristiken mancher – teilweise benachbarter – Stadtteile, die vor allem im Südwesten der Stadt auf ein wohlhabendes bürgerliches Publikum ausgerichtet waren. Andererseits breiteten sich in den Arbeitervierteln im Norden, Osten und Südosten der Stadt die
□ 83 Berlin-Steglitz, Wohnanlage des Beamten-Wohnungsvereins, Paul Mebes, 1907 – 08, Innenstraße
reinen Mietskasernen als privatwirtschaftliche Spekulationsobjekte ohne Komfort aus. Dass sich die Berliner Mietskaserne als ein bestimmter architektonischer Typ ausbilden konnte, liegt also an bestimmten Grundfaktoren: Die finanzielle Spekulation mit Mietswohnungen trifft auf eine innerhalb kürzester Zeit in unglaublicher Weise expandierende Stadt, deren Parzellierung allerdings vorbereitet ist. Hier, an den Rändern des damaligen Berlin, stand Bauland ohne Einschränkung zur Verfügung und ermöglichte eine großformatige Parzellierung. In anderen Städten Europas gab es diese Stadterweiterungen nicht in diesem Ausmaß oder aber nicht in vergleichbarer Weise durch Bauordnungen vorstrukturiert. Bei der erwähnten Pariser Stadtsanierung etwa unterlag nur das Kerngebiet der 20 Arrondissements einer seit dem 16. Jh. beständig aktualisierten Fassadenverordnung, die 1859 im Zuge der Stadtregulierung unter Haussmann |▶ 12| eine detailliert geregelte Strenge annahm: flache Fassaden von ca. 18 m, an den Boulevards maximal 20 m Höhe, durch klare Register hochrechteckiger Fenster geöffnet, zunächst ohne vorspringende Balkone. Bis 1902 wurden die Vorschriften schrittweise gelockert, so dass Vorsprünge, mächtige Konsolen, Balkone und vor allem eine reich silhouettierte Dachlandschaft möglich wurden. Doch diese insgesamt schlichten und strengen Pariser Straßenfassaden legen sich vielfach vor eine im Kern alte,
sehr unterschiedlich für den Massenwohnbau umgestaltete Bausubstanz, es entwickelt sich nicht ein regelrechter Typus daraus. Die Berliner Mietskaserne erschien Architekten und Stadtplanern seit der Zeit vor 1900 als Skandalon, nicht nur wegen der durch sie beförderten sozialen Missstände, sondern auch, weil sich der Anteil des genuin Künstlerisch-Architektonischen auf einige Motive an der Fassade beschränkte. Die Reformen des Mietshauses wurden zunächst durch neue Finanzierungsmodelle bewirkt: Baugenossenschaften und private Bauvereine wollten nicht Spekulationsobjekte errichten, sondern lebenswerten und bezahlbaren Wohnraum schaffen, je nach der sozialen Schicht, auf die die Genossenschaft abzielte. So entstanden vor allem für Angestellte und Beamte qualitätsvolle Mietshäuser, die hygienische Standards erfüllten, also insbesondere WC und Bäder aufwiesen. Auf den großen Parzellen wurden nunmehr Höfe zu einem Innenfreiraum zusammengefasst oder auch direkt zur Straße ausgerichtet: Das Vorderhaus mit großen Öffnungen und Austritten schmiegt sich dann um einen Vorgarten oder -hof. Der Innenhof gewinnt in den sog. Wohnhöfen generell eine neue Bedeutsamkeit als ruhiger Aufenthaltsort, und er ist groß genug, um den Lichteinfall in die Wohnungen nicht zu behindern. Viele der damals berühmten Berliner Architekten dieser Zeit waren mit einfallsreichen Lösungen im Bereich des
Die Mietskaserne in Berlin
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Mietshausbaues tätig, etwa Alfred Messel, der junge Bruno Taut |▶ 30| oder Paul Mebes. Von Letzterem stammt eine besonders gelungene Lösung in dem damals am Stadtrand gelegenen Steglitz (□ 83). Der Beamten-Wohnungsverein ließ durch Mebes 1907/08 eine pittoreske Anlage errichten, die sich durch eine mittig durchgeführte, leicht geschwungene Innenstraße auszeichnet. In der Mitte weitet sich die Innenstraße zu einer Art zentralem Platz, an den Außenkanten der Parzelle wird die Innenstraße durch die seitlichen Blöcke torartig eingeleitet. Die leicht unregelmäßig geführten Wohnblöcke erhalten ihr Licht von der Innenstraße wie von den Rückseiten, wo Versorgungsgärten angelegt sind. Zahlreiche Balkone und Loggien verschaffen Austritt und dienen zudem als variierende Fassadengliederung. Diese achtet geschickt darauf, interessante Perspektiven innerhalb der Innenstraße zu bilden. Trotz dieser bewusst malerischen Auffassung gibt es eine Reihe von standardisiert hergestellten Einzelformen, wie Fenster, Türen usw. Das Ganze erhält durch die unverputzten, intensiv dunkelockerfarbenen Ziegelaußenwände ein sehr warmtoniges, intimes Ambiente, zu dem die Baumbepflanzung und der Rasen in der Innenstraße als kühlender Kontrast wirken.
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Vor allem im Werk von Albert Gessner sind diese Reformen des Miethausbaues in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg weitergeführt. Der Außenraum wird nunmehr als Pendant zum Innenraum begriffen: Von Fassaden umstanden bildet er einen eigenen Raum aus, der vielfältig akzentuiert sein kann. Die Monotonie der Fassaden weicht Kompositionen, die versuchen, vor allem vermittels großer Giebel und Pseudomansarddächern die Allüre von Landhäusern bzw. mittelalterlichen Fachwerkhäusern in die städtischen Wohngebiete zu tragen. Jedes Haus ist als Individuum verstanden und stellt dies auch über seine Fassade dar. Generell sind die neuen Fassaden malerisch mannigfaltig und farbenfroh. Auch die Wohnungsgrundrisse variieren vielfältig, und selbst wenn es davon Wiederholungen innerhalb eines Hauses gibt, so dürfen diese nicht monoton übereinandergestaffelt sein. Die Grundrisse sind so gestaltet, dass alle Zimmer gut belichtet werden können, unter anderem dadurch, dass die Grundrisskonturen ondulieren oder zurückspringen. Hier sind Ideen der Arts-and-Crafts-Bewegung und der englischen Landhausbewegung sowie der Gartenstadt |▶ 11, 22| wirksam, ohne dass aber die städtische hohe Bebauungsdichte aufgegeben würde.
Guaranty Building in Buffalo Die Geburt des Wolkenkratzers
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ochbauten sind eine Konstante der Architekturgeschichte. Der Leuchtturm von Alexandria, eines der Sieben Weltwunder, oder die Westfassade der Kathedrale von Straßburg – bisweilen als achtes Weltwunder bezeichnet – waren technische Höchstleistungen, die vor allem symbolische Aussagekraft
III. Schlüsselwerke
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hatten. Die Geschichte des Hochhauses aber, also einer vielfältig nutzbaren, aus städtebaulichen Zwängen enger Bebauung in die Höhe gebauten Architektur, beginnt erst mit der fortschreitenden Entwicklung der Stahlskelettarchitektur in den 80er Jahren des 19. Jh.s und der Erfindung des absturzsicheren Fahrstuhls
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1853 durch Elisha Graves Otis. Außerdem waren zahlreiche infrastrukturelle Probleme wie die Versorgung mit Wasser, Elektrizität, Heizung und Frischluft sowie die innere und äußere Reinigung zu bewerkstelligen. Als erstes Gebäude, das derartige Kriterien erfüllte, gilt das Home Insurance Building in Chicago, 1883 von William Le Baron Jenney errichtet. Das Problem besteht aber nicht darin, einen sich in die Höhe reckenden Stahlrahmen zu konstruieren, der rein funktional dafür konzipiert wird, Büroräume aus Renditegründen übereinanderzustapeln. Ebensolche Gründe der finanziellen Spekulation haben gleichwohl das Wachstum der Turmhäuser zu Wolkenkratzern angefacht. Auf dem begrenzten Terrain von Manhattan etwa führte der Hochhausboom der Jahrhundertwende zur Verteuerung der Grundstücke, dem ökonomisch nur durch noch höhere Häuser begegnet werden konnte. Insofern hatte das Hochhaus lange Zeit das Image, eine gerade für die USA – und insbesondere für New York und Chicago – spezifische Architekturform zu sein, die auf baukünstlerische Faktoren zugunsten eines unbehinderten Fortschrittsvertrauens verzichten konnte. In der Tat waren der Wirtschaftsaufschwung nach dem Bürgerkrieg zum einen und das weitgehende Fehlen von Bauordnungen bzw. historischer Bausubstanz zum anderen wichtige Voraussetzungen dafür, dass gerade in den USA seit dem Ende des 19. Jh.s ein Hochhaus-Boom einsetzte. Erst in den 20er Jahren sprang er vereinzelt auf Europa über. Deutschland war hierbei relativ früh beteiligt, denn schon seit den frühen 20er Jahren entstanden hier Hochhäuser bzw., in der Diktion der Zeit, Turmhäuser, also Bauten, die die normale, behördlich vorgeschriebene Traufhöhe klar überschritten. Beispiele sind etwa der Borsig-Turm in Berlin von 1922 – 24 (Eugen Schmohl), das Hochhaus am Hansaring in Köln von 1924 – 25 (Jacob Koerfer) oder der Tagblatt-Turm in Stuttgart (1927 – 28, Otto Oßwald). – Das „hohe Bürogebäude, künstlerisch
betrachtet“ – gemäß Louis Sullivans berühmter theoretischer Schrift von 1896, „The Tall Office Building Artistically Considered“ – ist aber eine ganz besondere Herausforderung an die Architektur: Bei den hochgestreckten Proportionen und der rasterartigen, dicht Raum ausnutzenden Gleichförmigkeit des Hochhauses musste jeder Versuch einer Gliederung mit Hilfe der überkommenen neuzeitlich-vitruvianischen Grammatik mit Säulen, Bögen, Gebälken und Giebeln versagen – es sei denn, man wollte die Formen gotischer Türme übernehmen. Dies geschah auch einige Male, etwa am bekannten Chicago Tribune Tower von 1925 (Raymond Hood und John Mead Howells). Eine maßstabsetzende innovative Lösung dieser schwierigen Aufgabenstellung stellte das Baubüro Dankmar Adler & Louis Sullivan seit den 1890er Jahren vor, vor allem im Wainwright Building in St. Louis von 1890 (□ 84) und im Guaranty Building von 1894 – 96 in Buffalo (□ 85). Dieses ist eine den Baugrund voll ausnutzende, blockartige Stahlrahmenkonstruktion von 13 Geschossen. Die eigentlich banale Struktur wird vollständig mit Terracottaplatten eingekleidet, die dem Gebäudeäußeren seine besondere Gliederung verleihen. Die ersten beiden Geschosse sind unmissverständlich für den Publikumsverkehr konzipiert, denn im Erdgeschoss öffnet sich weit eine Säulenstellung, darüber verläuft eine Reihe querrechteckiger großer Fenster. Über einem Gesims ändert sich die horizontale Gliederung der Sockelgeschosse: Recht weit ausladende ornamentierte Rechteckprofile schießen über zehn Geschosse in die Höhe, zwischen sie sind zurückversetzt und in voller Breite die Fenster der Büros eingelassen, das sog. Chicagofenster. Es ergibt sich somit vertikal eine monotone Abfolge von Brüstungsplatten und Schiebefenstern. Im Grundriss ist dieser Bauteil U-förmig, so dass sich ein Lichthof ergibt, der ursprünglich in spektakulärer Weise die Sockelgeschosse mit Oberlicht versorgte. In ihrem oberen
Guaranty Building in Buffalo
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Abschluss biegen sich die Rechteckvorlagen in der Art von Rundbögen um und tragen zudem in Superposition jeweils ein Rundfenster. Ein weit kurvig ausladendes Gesims schließt das Gebäude mit einer kräftig horizontalen Dominante nach oben ab. Diese Gesamtstruktur folgt anschaulich der Inneneinteilung: Im horizontal gegliederten Sockel finden sich die öffentlich zugänglichen Bereiche, darüber – in dem vertikal aufsteigenden ‚Schaft‘ – sind die Büros untergebracht, gleichförmig, eines wie das andere und potentiell in weiteren Etagen nach oben zu vervielfältigen. Und im obersten Bereich findet sich ein Teil der Gebäudetechnik, Aufzugsmaschinen, Wasserbassins zum Feuerlöschen usw. Sullivan hat diese Einteilung, die im Prinzip der klassischen Einteilung einer Säule in Basis, Schaft und Kapitell folgt, auch in seinem oben genannten Essay beschrieben. Vor allem aber ist die gesamte Verkleidung gleichsam ‚poetisiert‘, denn die Konstruktion drückt sich expressiv in einer differenzierten Ornamentierung aus, ohne dass diese die Gesamtstruktur etwa kaschieren würde. Die Kapitelle der Erdgeschosssäulen etwa scheinen im dichten gekräuselten Laubwerk zu wuchern, doch dieses
ist genau auf die statisch relevanten Achsen des Gebäudes bezogen. Auch darüber verleugnen die Träger und Stützen ihren rechteckigen, ein H-förmiges Stahlprofil enthaltenden Querschnitt nicht, im Gegenteil erscheint dieser auf der Vorderseite als flaches Relief von Quadraten, gekippt und multipliziert, eingefasst in rahmende Bänder. Analoges gilt für die Streben der aufgehenden Teile: Auch sie sind mit – nunmehr tief reliefierten – diamantförmigen, von vegetabilen Linien umspielten Ornamentfeldern geziert. Oben, um die Bogen und Rundfenster scheint die vegetabile Verkleidung den Höhepunkt zu erfahren, denn Pflanzen gleich entwachsen hier vielfältige Rankenornamente, die sich trotz aller Überschneidungen und Verdrehungen als geordnete Umrahmungen der Öffnungen erweisen. Nur an den Gebäudekanten scheint dieses Wachstum so furchtbar zu sein, dass die Ranken über die ausladende Gesimskante wachsen und sie gleichsam festhalten. Sullivan übernimmt also keineswegs historische Stilformen für seine Ornamente, vielmehr sind diese aus den konstruktiven Grundformen heraus konzipiert. Aus Quadraten und Kreisen, auf denen auch die technische Konstruktion der Stahlprofile bestehen, wachsen, nach strengen Regeln, aber üppig und eigenwillig-fantasievoll, neue Ornamente hervor, die die Konstruktion beleben. Auf solche Zusammenhänge bezieht sich das – oft missverstanden verwendete – Schlagwort Sullivans „form follows function“: Es geht nicht um die Gesamtdisposition (alleine), sondern die formgebende Auszierung. Diese setzt die wuchtige technische Konstruktion gleichsam wieder in ein Naturwerk um. Dazu kommt das Material der Terracotta, die dem Gebäude nicht nur eine ausnehmend warme Tonigkeit verleiht, sondern eine eigentümliche Zwischenstellung zwischen Handwerk und Serienproduktion einnimmt: Aufmerksam und □ 84 St. Louis, Wainwright Building, Dankmar Adler & Louis Sullivan, 1890
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subtil modellierte, ‚natürliche‘ Erdmasse aus der näheren Region, wird sie im Brand zur festen und schützenden Umhüllung des stählernen Kerns. Dies alles zielt für Sullivan darauf, die banale Konstruktion poetisch zu inspirieren und sie gefühlsmäßig erlebbar zu machen. In dem aufmerksamen Naturstudium und dem Verfolgen von Wachstumsprozessen bezieht er sich zweifellos auf die Gotikinterpretation von John Ruskin (vgl. S. 84 f.); doch in dem Bestreben, dies kraftvoll und ‚männlich‘ in eine neue massive stählerne Architektur umzusetzen, vermitteln sich typische Elemente des amerikanischen Transzendentalismus eines Ralph Waldo Emerson und vor allem deren poetische Umsetzung bei Walt Whitman. Beide hat Sullivan intensiv rezipiert, ja in seiner Sprache selbst vergleichbare dichterische Ansprüche vorgeführt. Wie der Dichter den Geist Gottes in jeder Einzelheit der Natur erkennt und offenbart, so gilt das auch vom Architekten. Er weiß um den Geist und die lebensvolle, unermessliche und herrliche Kraft der Natur und hat sie in poetisierte Technik und künstlerische Form umzusetzen: Das Diktum „Die Form folgt der Funktion“ bedeutet eigentlich: „Die Form/ Materie folgt dem Gesetz/Geist“. Diese spätromantische Naturphilosophie versteht sich als entschieden demokratisch, denn jedem soll dieses Bewusstsein möglich sein, schöpferisch inmitten der Natur zu stehen. Hier ist eine spezifisch US-amerikanische Identität formuliert, und diese wurde in der Zeit Sullivans zur Grundlage auch eines neuen Selbstverständnisses in der Architektur, das sich abseits der Ostküste in dieser Zeit neu begründete. ‚Männlich‘ und spezifisch amerikanisch sollte sie sich von der angeblich zu traditionell-europäischen, an historischen Stilen orientierten Architektur an der Ostküste absetzen. Für Sullivan bedeutete dies etwa im Fall des Guaranty Buildings, an der aufragenden Hochhausstruktur den Rhythmus von Wachsen und Tod in erhabener Weise kenntlich zu machen – und eben nicht
□ 85 Buffalo, Guaranty Building, Dankmar Adler & Louis Sullivan, 1894 – 96
mit angestammten architektonischen Vokabeln zu arbeiten. Der Wolkenkratzer als junge US-Architektur bot sich in besonderem Maße für eine derartige Akzentuierung an, um nicht lediglich reine Stahlskelettstrukturen zu errichten. Diese gab es durchaus (Tacoma Building in Chicago, 1886 – 89, Holabird & Roche), doch sie waren eben primär funktional, nicht sprechend und nicht ‚architektonisch‘ modelliert, stapelten entsprechend schlicht ein Geschoss über das andere. Eben in Chicago versuchte deswegen Henry Hobson Richardson mit dem Marshall Field’s Wholesale Store (1885 – 87) Alternativen zu schaffen: Der Riesenblock ist vollständig mit Rundbogenarkaden in Rustikamauerwerk umgeben. Die dadurch zweifellos erreichte ‚männliche‘ Monumentalität erinnert allerdings sehr an europäische Burgen, den Pont du Gard bei Nizza oder vor allem Florentiner Stadtpaläste der Renaissance (Palazzo Strozzi). Diese monumentale Blockstruktur ist den typischen großen Parzellierungen in Chicago geschuldet. Sullivan hingegen sucht sich anders als Richardson
Guaranty Building in Buffalo
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nicht einen scheinbar passenden historischen Bautypus, sondern entwickelt die oben dargestellte neue Konzeption des Hochhauses. Die Abhängigkeit der Hochhauskonzeptionen von der Terrainparzellierung zeigt sich vor allem im Vergleich mit New York, wo die relativ beschränkten Grundstücksgrößen zum turmartigen Bauen zwangen. Insofern unterscheidet man die grundsätzliche Struktur von Hochhäusern nach Block, Scheibe und Turm. Bei anhaltend steigender Konjunktur verbanden sie diese Typen bis zu den 20er Jahren des 20. Jh.s zu regelrechten Hochhaus-Clustern. In New York als dem Vorreiter erheben sich diese vor allem im Financial District in Lower Manhattan auf der Südspitze der Insel sowie im Central Business District in Midtown, südlich des Central Parks. Hier bildete sich der vor allem in seinem oberen Abschluss auffällig gestaltete Typus des Wolkenkratzers als Höhendominante und Symbol von Potenz und Beherrschung. Mit Staunen wurde 1913 weltweit die Eröffnung des Woolworth-Gebäudes (Cass Gilbert) wahrgenommen, das sich auf 241 m erhebt; 1930 – 31 folgte das Empire State Building (William F. Lamb) mit einer Höhe von 381 m (□ vgl. 28). Charakteristisch ist, dass diese Hochhauscluster auf relativ dichter Parzellierung sich von etwas älteren amerikanischen Hochhaus-
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bauten unterscheiden, die zumeist aufgrund ihrer gesellschaftlichen Symbolkraft als hochaufragende Akzente errichtet wurden. Hierbei handelte es sich um gigantische Kuppelbauten, städtebaulich mehr oder weniger freigestellt und weithin gut sichtbar, auf monumentalen Baublöcken aufruhend. Das Kapitol in Washington, 1865 von William Thornton und Benjamin Latrobe als Pendant zu dem Obelisken des Washington-Monuments in der Mall (1848 – 84, Höhe 169 m) konzipiert, erreicht immerhin 82 m Höhe |▶ 3|. Und in der Gründungsstadt der USA, Philadelphia, entstand genau am Kreuzungspunkt die City Hall mit einem Turm von 156 m Höhe (John McArthur). Solche Dimensionen staatlichen Bauens sollten bezeichnenderweise erst wieder von den totalitären Staaten des 20. Jh.s angestrebt werden, etwa dem über 400 m hoch aufragenden Sowjetpalast für Moskau, 1934 geplant (aber in den Fundamenten steckengeblieben) durch Boris Iofan (vgl. S. 54 u. 63, □ 25), oder dem megalomanen Projekt einer dem römischen Pantheon nachempfundenen, aber 320 m hohen ‚Ruhmeshalle‘, die Albert Speer 1938 – 41 als nördlichen Abschluss der riesigen Nord-Süd-Achse in Berlin plante |▶ 35|, oder auch in dem 82 m hohen Präsidentenpalast in Bukarest (1982 – 89, Anca Petrescu).
Das Bayerische Nationalmuseum in München Stilvielfalt als museologisches Konzept
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as Bayerische Nationalmuseum kann als „der Höhepunkt des […] malerischen Bauens in München gesehen werden“ (Schickel, in: Hofer 2002, S. 143). Doch darüber hinaus vertritt das Museum auch eine ganz eigenartige Spätphase des Historismus: Gebaut, um
III. Schlüsselwerke
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die Geschichte des bayerischen Kunstgewerbes würdig zu präsentieren, zielt es darauf ab, dies auch in stimmungsvollen und belehrenden Ambientes vorzuführen. Das Bauwerk wird zu einem geschickt zusammengefügten Pasticcio verschiedenster Stil- und Motivvor-
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gaben. Das historische Museum ist nicht eine wie auch immer würdig, pompös oder neutral gestaltete Hülle, sondern stellt sich sozusagen selbst aus und überführt damit die Geschichte bruchlos in die Gegenwart: Alles, was ist, ist Geschichte, auch sämtliche Formen des prominenten Riesenbaues. Dieses Jonglieren mit den geschichtlichen Versatzstücken nimmt in vielem, vor allem in all seiner augenzwinkernden Virtuosität, Elemente der Postmoderne vorweg |▶ 48| – aber andererseits macht es auch ein Grundproblem der Zeit deutlich: Wenn alles Geschichte ist und man über diese souverän verfügen kann, wie soll es dann ein Neues oder Gegenwärtiges oder gar ein vielversprechendes Zukünftiges in der Architektur geben? Das war die Frage, die schlagartig und mit bohrender Dringlichkeit mit dem Anbruch des 20. Jh.s in den Vordergrund trat. Der Neubau des Nationalmuseums ist in mehrerer Hinsicht für wichtige politische und künstlerische Entwicklungen des späten 19. Jh.s ein repräsentatives Beispiel. Die Initiative ging nämlich von der parlamentarischen Volksvertretung, dem Bayerischen Landtag, aus, der damit auf bürgerliche Reformbewegungen antwortete. Dazu zählte insbesondere das gestiegene Bewusstsein einer eigenen regionalen, hochstehenden künstlerischen Tradition, aus der heraus eine qualitätsvolle und wirtschaftlich erfolgreiche neue Gewerbetradition abzuleiten war. Damit hatte sich auch in Bayern eine säkular-bürgerliche Auffassung durchgesetzt, wohingegen bislang kulturell eine kirchliche bzw. vor allem monarchische Selbstdarstellung gepflegt wurde. War diese unter Ludwig I. durchaus dem Gemeinwohl verpflichtet |▶ 5|, so galt das für die monarchistische Repräsentationswut unter Ludwig II. aber in deutlich geringerem Maße. München sollte in der bürgerlichen Kunstgewerbereformbewegung eine führende Rolle einnehmen, etwa über den 1851 gegründeten Bayerischen Kunstgewerbe-Verein. Um 1900 war München zu ei-
nem deutschen Zentrum des Kunstgewerbes aufgestiegen, doch schwenkte diese Modernität wenig später um in eine traditionsverpflichtete Pflege der ‚Volkskunst‘. Der Neubau des Museums wurde 1892 beschlossen und unter kräftiger Einflussnahme der mächtigen Münchener Kunstszene, insbesondere des Malerfürsten Franz von Lenbach, als höchst repräsentativer, ‚schöner‘ Bau propagiert. Vermittels eines beschränkten Wettbewerbs ging 1893 der Auftrag an den mit Lenbach verbundenen Münchener Stararchitekten Gabriel von Seidl. Dieser schlug einen Standort am Ostende der kürzlich angelegten, von der Residenz nach Osten führenden Prinzregentenstraße vor. Ein Jahr später begannen die Bauarbeiten, 1900 konnte das Museum feierlich eröffnet werden. Von Seidls Entwurf war revolutionär, denn er verzichtete auf jede monumentale Allüre, etwa durch die Anlehnung an Schlosstypologien oder die Planung von prächtigen Freitreppen, Kuppeln u. Ä. Es ging nicht darum, eine Dynastie und ihre Sammlungen zu würdigen. Vielmehr konzipierte der Architekt eine langgestreckte, durchgehend zweigeschossige Baugruppe, aus der drei jeweils unterschiedlich gestaltete Baukörper nach vorne, d. h. auf die Längsseite einer längsovalen Erweiterung der Prinzregentenstraße, vorspringen (□ 86, 87). Obwohl der mittlere Flügel den Eingangstrakt enthält, gibt es keinerlei Symmetrie, denn alle Teile zeigen unterschiedliche Stilformen und Baumotive: Ecktürmchen, Arkaden, Risalite, Apsiden in Formen des Mittelalters, der Renaissance und des Barock. An der Rückseite des Gebäudes fallen eine gotische Apsis sowie eine ovale Dorfkirche des Rokoko ins Auge. Historische Gärten füllen die Rücksprünge der Baugruppe, die sich insgesamt wie eine über viele Jahrhunderte gewachsene Anlage zeigt, dabei aber ihrerseits gleichsam museal vom Stadtraum entrückt ist: denn eine Mauer umgibt das Gesamtareal, auf dem zahlreiche Baumgruppen, Ausnischungen und
Das Bayerische Nationalmuseum in München
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178 □ 86 München, Bayerisches
Nationalmuseum, Gabriel von Seidl, 1893 – 1900, Grundriss
Brunnenanlagen unterschiedlichste Stimmungen hervorrufen. Das Ganze war vor allem deswegen ungewöhnlich, weil selbst der Eingangstrakt in einem nur eingeschossigen Vorbau äußerst bescheiden geplant war. Durchaus repräsentativ war dafür aber die städtebauliche Einbindung, denn unmittelbar östlich des Museumskomplexes plante von Seidl für die Prinzregentenstraße zwei torartig sich ergänzende Zwillingspavillons. Gegenüber dem Museum war eine arkadenumstandene Gruppe von Wohnhäusern vorgesehen, die zwischen sich die quer auf den Platz und axial auf den Eingangspavillon zulaufende Alexandrastraße hätte passieren lassen. Von Seidl entwarf sein Museum ganz offensichtlich von innen nach außen, denn die Unregelmäßigkeit der Anlage entsteht aus der Abfolge von Räumen von unterschiedlichen Zuschnitten, Proportionen und Deckenhöhen. Aufgrund massiver Kritik an der mangelnden Monumentalität sah sich von Seidl genötigt, den Eingangsbereich aufzustocken und mit einem Turm zu akzentuieren. Im selben Zuge ergänzte er weitere Gebäude, etwa einen Studiensaal im Westen. Im Ergebnis wurde also eine äußerst lebhafte, malerische Baugruppe errichtet, die aus mehreren, vor- und zurückspringenden Fassaden und Hausgruppen komponiert scheint. Dies ist nun aber nicht dem Bestreben geschuldet, beliebige pittoreske
III. Schlüsselwerke
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Effekte zu schaffen, sondern folgt einem durchdachten museologischen Konzept. So enthält der Westtrakt mit schlossähnlicher Fassade die Objekte des Herrscherhauses der Wittelsbacher, der blockhafte Mittelteil spielt mit zwei seitlichen Stutzkuppeln auf das Augsburger Rathaus an. Aufgrund dieser bürgerlich-kommunalen Konnotation enthält er den Eingang und die Verwaltung. Sämtliche Innenräume sind stilistisch und atmosphärisch den Sammlungsgruppen angepasst, die sie zeigen. Es soll also eine untrennbare Einheit der Künste vorgeführt werden, die vom kleinsten kunsthandwerklichen Objekt über die Innenraumgestaltung bis hin zur Außenfassade reicht. Hier schimmert ein zeitgenössisches Ideal durch: den ‚Stil‘ für die Gegenwart zu finden, der alle (künstlerischen) Äußerungen umfasst, so wie dies auch in der Vergangenheit der Fall gewesen sei. Dabei achtete von Seidl darauf, dass seine subtil anverwandelten Vorbilder aus Bayern stammten: Es ging ja darum, die lang gewachsene Mannigfaltigkeit und zugleich die Einheit der bayerischen Nationalkunst vorzuführen und erlebbar zu machen. Vorbilder solcher Inszenierungen waren unter anderem das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, im ehemaligen Kartäuserkloster eingerichtet, oder das Musée de Cluny in Paris, das die mittelalterliche Residenz der Äbte von Cluny ein-
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nimmt. Beide Institutionen sind als nationale Kunstgewerbemuseen, also ‚passend‘ in alten historischen Baulichkeiten eingerichtet. Bezeichnenderweise war von Seidl darauf bedacht, die Architekturmotive nicht prägnant und kontrastierend voneinander abzusetzen, denn es ging ja nicht darum, konkurrierende Mächte herauszustellen – etwa die Wittelsbacher oder die Kirche –, sondern darum, eine bruchlose Kontinuität zu evozieren (Schickel, in: Bauer 2000, S. 56 – 57). Dabei fungiert der Stil der deutschen Renaissance, auf den von Seidl an vielen Bauteilen – insbesondere am Mitteltrakt – zurückgriff, gleichsam als mittlere Ebene, von der aus in die Vergangenheit, das Mittelalter, wie auch in darauf folgende Epochen wie den Barock Übergänge möglich waren. Die deutsche Renaissance war aber vor allem für das sich emanzipierende Bürgertum der deutschen Städte insofern von Bedeutung, als sich dieser Stil historisch so markant und eigenwillig von der ‚klassischen‘ Renaissance Italiens absetzte und angeblich in einer Zeit entstanden war, als Bürger, Handwerker und
Kaufleute die politische Vorherrschaft übernommen hatten. Überdies galt die Renaissance als Hochzeit eines bodenständigen und gleichwohl verfeinerten regionalen Kunstgewerbes. Um 1850 entstanden, ist diese malerische Auffassung der deutschen Renaissance ein Akt der bürgerlichen Opposition gegen monarchischen Dirigismus bzw. einen monumentalen Schematismus, der zwar prächtig, aber ohne innere Notwendigkeit erschien. Das Nationalmuseum führt in seinem museologischen Konzept eben diese Vorbildfunktion des historischen Kunstgewerbes vor und ist in seiner Architektur selbst Ausdruck dieser Auffassung. Seine stimmungsvolle, ‚malerische‘ Auffassung bleibt nicht nur Attitüde, sondern verdankt sich dem Wunsch nach einer Einheit von Seele, Handwerk und Architektur: Das Innere wirkt auf das Äußere und dies ist individuell im Einzelnen und einheitlich im Ganzen. In Absetzung von prachtvollen Außenfassaden wird das Interieur □ 87 München, Bayerisches Nationalmuseum, Gabriel von Seidl, 1893 – 1900
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zu einem neuen Leitbild der Architektur: Auf der Jubiläumsausstellung des Bayerischen Kunstgewerbevereins 1876 wurden zum ersten Mal vollständige historische und vor allem neu gestaltete Raumensembles in ‚künstlerischer Totalwirkung‘ präsentiert. Dies entspricht einerseits der Bedeutung, die differenzierte Raumfunktionen im Zuge der Arts-and-Craftsund der Landhausbewegung |▶ 11| gewannen. Andererseits ist hier die programmatische museologische Konzeption des Nationalmuseums vorgezeichnet. Das bürgerliche Interieur wird noch nach 1900 den Hauptgegenstand der Reformbestrebungen abgeben und solchermaßen im internationalen Rahmen als für die deutsche Kunst repräsentativ und beunruhigend innovativ wahrgenommen. 1900 errichtete von Seidl das preisgekrönte Haus der deutschen Sektion auf der Pariser Weltausstellung. An der Gründung der Münchener Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk im Jahr 1898 waren namhafte moderne Künstler wie Richard Riemerschmid, Bernhard Pankok und Peter Beh-
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rens beteiligt. Von hier aus wurde intensiv die Gründung des Werkbundes betrieben, ( Themenblock · Interessensverbände, S. 220 f.,|▶ 22|) und 1910 sollte die Vereinigung auf dem Pariser Herbstsalon präsent sein und mit ihren schlichten und qualitätvollen Raumensembles einen schockartigen Skandal in der französischen Kunstgewerbebewegung auslösen. Im selben Jahr präsentierten sich auf der Brüsseler Weltausstellung deutsche Raumausstatter des jungen Werkbundes mit einer ähnlichen Strategie – mit der architektonischen Inszenierung war dabei der Bruder Gabriel von Seidls, Emanuel, betraut. Die Konzeption des auf deutscher Renaissance und bürgerlicher Innerlichkeit beruhenden Bayerischen Nationalmuseums wurde gleichwohl schon nach einigen Jahren – und auch durch den Architekten selbst – auf die Pflege von vorwiegend ländlicher Volkskunst und Heimat uminterpretiert. Damit war das einst in die Zukunft weisende Museum zur antimodernen Institution geworden.
Maison Horta in Brüssel Dekoration des Lebens im Art nouveau
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n den Jahren 1893 – 95 entstand in ganz Europa und den USA recht unvermittelt eine neue Gestaltungsweise in Architektur und Kunsthandwerk, die mit einem Mal erhoffen ließ, nun sei der ersehnte Stil der Moderne gefunden: der Art nouveau bzw. Jugendstil. Damit schien eine Krise überwunden, die man darin diagnostiziert hatte, dass im Historismus scheinbar beliebig verschiedenste Stil abgerufen werden konnten, ohne dass hier eine künstlerische Einheitlichkeit erkennbar war. Man glaubte weithin, dass die vergangenen
III. Schlüsselwerke
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‚Stile‘ wie die Gotik oder der Barock als klar identifizierbarer Ausdruck einer Epoche gleichsam notwendig in Zeiten entstanden waren, in denen der Einzelne und die Gesellschaft, Herrscher und Gott eine unverrückbare Einheit bildeten. Wenn nunmehr, am Ende des 19. Jh.s, eine derartige stilistische Vielfalt zu konstatieren war, so konnte das im Rückschluss nur anzeigen, dass diese alte vertraute Einheit zutiefst gestört war. Mit dem Art nouveau schien das nun überwunden, denn in seiner floralen Beschwingtheit und der bruchlosen Harmonie
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zwischen Architektur und Innenausstattung schien der Historismus, ja überhaupt die Orientierung an Historischem überwunden. Da sich der Jugendstil auch als internationales Phänomen rasch durchsetzte, stellte sich der kurzfristige Eindruck ein, hier handele es sich in der Tat um den neuen Epochenstil des 20. Jh.s. Das böse Erwachen kam schon ca. zehn Jahre später, denn nunmehr hatte sich diese dekorative Ästhetik als ungeeignet für Massenfertigung erwiesen und überdies galt die Betonung des Dekorativen als geschmacklos, beliebig, individuell, weiblich – als ‚Schienbein-‘ oder ‚Nudelstil‘. Diese negative Einschätzung erfuhr er bis in die 70er Jahre des 20. Jh.s. Dabei kann man aber – zumindest was die frühen, in Belgien realisierten Jugendstilbauten betrifft – kaum übersehen, dass es sich keineswegs um eine Architektur handelt, die lediglich mit Jugendstilornamenten verkleidet ist. Es geht um intelligente Raumerschließungen, großzügige Helligkeit und variantenreiche Lichteffekte sowie um den technisch innovativen Einsatz neuer Baumaterialien, insbesondere des Eisens. Vor allem aber spielt nunmehr ein sensuell zu erfahrendes Innenraumambiente von psychologischer Wirkung eine entscheidende Rolle. In dieser Hinsicht zeigt sich der belgische Architekt Victor Horta als einer der Initiatoren der Jugendstilarchitektur, die man nicht zu Unrecht schlagartig mit dessen Haus Tassel von 1893 – 95 einsetzen lässt. Umgehend folgten weitere Meisterwerke Hortas, das Hôtel Solvay (1894 – 98), das Hôtel van Eetvelde (1895 – 99 – mit zahlreichen Materialien aus der belgischen Kolonie Kongo), das Hôtel Aubecq (1899 – 1903), allesamt in Brüssel. Mit seinem eigenen Atelierhaus, 1898 – 1901 im Brüsseler Viertel Saint-Gilles errichtet, realisierte Horta ein programmatisches Gebäude und damit den Typus des Künstlerhauses. Dieser sollte vor allem in der klassischen Moderne wichtig werden: Bruno Taut, Erich Mendelsohn, Walter Gropius, Le Corbusier, Philip Johnson
□ 88 Brüssel, Atelierhaus Victor Horta, Victor Horta, 1898 – 1901, Straßenfassade
und viele andere bauten damit nicht nur eine Art idealer Summe ihrer Architekturauffassungen, sondern stilisierten sich – den Künstler – zum idealen Bewohner und moralischen Vorbild der Gesellschaft. Hortas Haus erhebt sich über zwei schmalen, sich relativ lang nach hinten erstreckenden Grundstücken, wie sie typisch für die Brüsseler Stadthäuser sind. Die architektonische Herausforderung liegt darin, innerhalb dieser schmalen, nur von der Straße bzw. von der Gartenrückseite belichteten Par-
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zellen eine kluge Innenaufteilung und Licht zu schaffen. Hortas Haus zeigt zwei klar unterschiedliche, eigenständige Fassaden (□ 88): Rechts befinden sich über drei Etagen, durch große Fenster belichtet, die Modellierwerkstatt und Hortas Atelier. Originell ist vor allem die eigentliche Wohnhausfassade links davon. Dreiachsig erhebt sie sich recht steil über vier Geschosse. Im dritten tritt ein zweiachsiger Erker weit aus der Flucht hervor, seine Bedachung ist als Austritt mit einem Metallgitter in Libellenflügelform gestaltet. Von den steinernen Konsolen des Erkers, an deren Unterseiten sich eiserne Ausleger anschmiegen, scheinen eiserne lianenähnliche Gebilde nach unten herabzuhängen und einen Balkon vor dem ersten Obergeschoss zu tragen. Das Innere ist klar aufgebaut und doch eine theatralische Inszenierung: Man betritt das Haus durch die rechte Achse, trifft nach einigen Stufen auf das Podest des Treppenhauses, das sich in quadratischer Führung vom Souterrain nach oben windet (□ 89). Fast jeder Treppenlauf führt auf einen spektakulären point-de-vue: ein Blumenarrangement, eine Tür mit farbigen Gläsern usw. Gartenseitig sind die großen Räume angeordnet, vor allem der Speisesaal mit Salon im ersten Geschoss, die weiteren Wohnräume darüber. Diese originelle Komposition aus Räumen, Farben und Licht ist nur möglich durch den großzügigen Einsatz des Eisens, das für Stützen, Aussteifungen und Geländer verwendet wird. Die grazilen Profile verschlanken nicht nur die tragende Substanz des Hauses und tragen dadurch wesentlich zu seiner Lichtfülle bei. Sie sind zudem als Naturformen begriffen: Als Äste, Stengel und Stiele vermitteln sie eine elastisch sich krümmende Spannkraft, die als Linien wirksam wird. Als solche können sie auch übergehen in mosaizierte Bodenauszierungen oder die Wandmusterung. Horta zeigt sich hier von Viollet-le-Ducs rationalistischen Grundsätzen (vgl. S. 58) beeinflusst, nach denen die grazile Eisenkonstruktion auch ostentativ
III. Schlüsselwerke
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im Gebäude zum Einsatz kommen kann. Doch die schwingenden Konturen der Linien verstehen sich auch als psychologisch wirksame Elemente, die auf das Gemüt des Bewohners wirken sollen. Henry van de Velde wird das später als „Gemütslinie“ bezeichnen, die aus dem gestischen Schwung des Künstlers entsteht und von der darstellenden Linie zu unterscheiden sei, welche Konturen von Naturformen nachzieht. Derartige physiologische und psychologische Momente der Architektur werden auch direkt in den Brüsseler Avantgardezirkeln der Zeit wirksam: Die Gruppe Les Vingts mit ihrem Organ „L’Art moderne“ rezipiert insbesondere die neoimpressionistische Malerei eines Georges Seurat, der in seinen pointillistischen Bildern die physiologische Wirkung der reinen Farbe als gleichsam naturwissenschaftlichen Zusammenhang begriff. Dies ist zum einen auf die vielfältige Farbigkeit der Horta’schen Innenräume zu beziehen, aber teilweise auch auf ihre Ausstattung. Ein Hauptwerk der Brüsseler neoimpressionistischen Malerei, Théo van Rysselberghes „Lektüre im Garten“ hängt prominent auf dem Treppenabsatz des Hôtel Solvay, 1894 – 98 von Horta erbaut. Die Farbigkeit des Bildes wird gleichsam von seinem Mahagonirahmen und der weiteren Innenausstattung aufgenommen. Malerei, Raum und Ausstattung bilden ein Gesamtkunstwerk. Die Entstehung und Blüte des Art nouveau in Belgien verdankt sich einer besonderen historischen Konstellation. Seit den 80er Jahren des 19. Jh.s profitierte das Land von Kolonien in Afrika, die luxuriöse Bodenschätze zur Verfügung stellten. Zugleich entwickelte sich das Land rasch zu einer vor allem Stahl verarbeitenden Industrienation. Aus derartigen Faktoren entstand zum einen ein liberales, der Kunst aufgeschlossenes Bürgertum, zum anderen eine starke sozialistische Bewegung mit bedeutenden volkserzieherischen Momenten. Beides traf auf eine, unter anderem in den großen Warenhäusern ausgestellte und propagierte Konsumkul-
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tur, deren Protagonisten daran interessiert waren, neue Käuferschichten zu erschließen, die sich vergnüglich auf den neuen Luxus einstellen. Man kann diese Konstellation allein in den Bauaufgaben ablesen, die Horta erhielt: Neben zahlreichen Stadthäusern für Intellektuelle und Unternehmer errichtete er die eindeutig sozialistisch inspirierte Maison du Peuple in Brüssel (eröffnet 1899, abgerissen 1965) sowie zahlreiche Kaufhäuser – À L’innovation hieß sehr bezeichnend eines dieser großen Brüsseler Warenhäuser (errichtet 1901 – 03, abgebrannt 1967). Das neu und zukunftsweisend, gesund und schön sowie individuell gestaltete Ambiente für den Arbeiter wie für den Großbürger hat in all diesen Zusammenhängen Konjunktur. Die zur schön klingenden Linie stilisierten Eisenprofile und die Wertschätzung vielfältigster Materialien verbinden sich in all diesen Bauten mit sehr eigenwilligen Raumerfindungen und einer ingeniösen Transparenz, Helligkeit und Leichtheit der Innenräume. Zukunftsweisend konnte das allerdings kaum sein. Denn Hortas geniale Raumkompositionen und Ausstattungen mussten aufwendig konzipiert und eingerichtet werden, sie waren das Gegenteil von Standardisierung und Typisierung, denen bald die Gunst der Stunde gelten sollte. Der Art nouveau bzw. Jugendstil kannte verschiedene Zentren: Neben Brüssel sind Städte wie Glasgow, Riga, Nancy, Wien und vor allem Barcelona zu nennen. Allerdings herrschten dort jeweils unterschiedliche Vorzeichen. Das macht exemplarisch das Werk von Antoni Gaudí deutlich. Seine bekannten Wohnhäuser Casa Battló und Casa Mila in Barcelona wirken wie vollständig irrational aus weichen Materialien geformte Skulpturen. Die Casa Battló entstand 1904 – 06 aus dem Umbau eines Mehretagenwohnhauses an der Flaniermeile Passeig de Gràcia. In traditioneller Weise umschließt die Hausgruppe einen engen Innenhof, der sich nach unten weitet, weil hier die Innentreppe von der Hoffassade anläuft. Die farbintensive
□ 89 Brüssel, Atelierhaus Victor Horta, Victor Horta, 1898 – 1901, Innenansicht
Kachelung des Innenhofs erzeugt nicht nur eine heitere Atmosphäre, sie verändert sich auch von blau im oberen Bereich nach weiß im unteren. Das dient einer besseren Belichtung in diesen Etagen, deren Fenster auch aus demselben Grund größer sind als oben. Die Straßenfassade selbst besteht aus ondulierend plastischen Rahmen, die insbesondere die erste Etage als vornehmsten Bereich auszeichnen. Knochenartige Stützen sind zwischen die Fenster eingestellt, die Balkonbrüstungen erinnern ebenfalls an tierische Skelettformen. Die Dachtraufen mit ihren Schornsteinausgängen sind als künstliche Landschaft mit Figurinen geformt. Alle Maueroberflächen überzieht ein Mosaik aus bunten Keramikscherben (trencadís), die Blumen und andere vegetative Ornamentik ausbilden. Das ganze Haus ist also
Maison Horta in Brüssel
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funktional durchdacht und schmückt überdies den Außenraum, es wird seinen repräsentativen Zwecken gerecht und trägt der Förderung des Kunsthandwerks Rechnung. Und zugleich versteht es sich als ein belebtes, ja nachgerade lebendes Gesamtkunstwerk. Gaudís Hintergrund war zum einen eine tiefe katholische Religiosität, die ihn von der durch Gott geschaffenen Natur lernen ließ: von Bäumen, Felsen, Schalen, Schnecken, Knochen. Auch hier handelte es sich in der konsequenten Anwendung logischer Konstruktionen um eine Fortführung der Lehren von Viollet-le-Duc. So wandte Gaudí parabelförmige Bögen als statisch ideal belastbare Überbrückungen an, die er aus nach unten hängenden Ketten gewonnen hatte. Daran eingehängte Gewichte als Zugbelastung entsprechen den sich als Druck äußernden statischen Kräften, sobald die Parabelform
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umgedreht wird. Zugleich ist der nationalistische Hintergrund der katalanischen Autonomiebewegung Renaixensa zu beachten, die die katalanische Gotik zu einer innovativen eigenständigen Architektur in der Moderne führen wollte, wie nicht zuletzt Gaudís Hauptwerk, die monumentale Kirche der Sagrada Familia in Barcelona erweist, deren Bau der Architekt 1883 über den Grundmauern eines kurz zuvor begonnenen neugotischen Projektes übernommen hatte. Das noch immer im Bau befindliche Riesenprojekt versteht sich als eine mithilfe der Betontechnik und den geschilderten Optimierungsberechnungen modernisierte Version einer Kathedrale. Im Inneren tragen sich verzweigende, grazile, an Bäume erinnernde Stützen das Gewölbe, das so effektiv konstruiert ist, dass es perforiert werden kann, um die Belichtung zu verbessern.
Das Postsparkassenamt in Wien Ästhetik des Bekleidens
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ie baut man, wenn sich klassisches Vokabular und klassische Grammatik der Architektur – Säulen, Pilaster, Gebälke, Giebel – nicht mehr problemlos anwenden lassen, weil sie sich nicht mehr mit der Inneneinteilung eines Gebäudes vereinbaren lassen? Weil sie modernen, effizienten Baumaterialien und Installationen (Heizung, Belüftung) widersprechen, weil sie für öffentliche oder auch private Aufträge zu teuer geworden sind, weil sie der komplexen Vielzahl von Bauaufgaben nicht angemessen gerecht werden oder weil sie als reine Fassadenarchitektur den eigentlichen Gebäudekern nur umhüllen, ja ihn in unmoralischer Weise verleugnen? Derartige Fragen bewegten die Architektur allenthalben in der Zeit
III. Schlüsselwerke
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um 1900, und dies wurde durchgehend als ein tiefgreifendes, weit über eine Fachdebatte hinausreichendes Krisenphänomen wahrgenommen. Eine Reihe von Antworten darauf gab der Wiener Architekt Otto Wagner (1841 – 1918), denn er war einer der ersten Architekten, der sein umfangreiches Werk in städtebaulichen Kriterien konzipieren musste und deswegen mit einer Vielzahl moderner Anforderungen konfrontiert wurde: Der Ausbau der Wiener Stadtbahn, der er ihre architektonische Gestalt gab, ging einher mit dem ökonomischen Einsatz von Eisen und Glas sowie mit verkehrslogistischen Herausforderungen. In der ‚kakanischen‘ Metropole waren eine Vielzahl unterschiedlichster Baugattungen zu bewälti-
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gen: Villen, Geschäftshäuser, Mietshäuser, Verwaltungsbauten, Regierungsgebäude, Museen, Bahnhöfe, Brücken. Wagner entwarf zahlreiche Lösungen, um den Anspruch auf eine repräsentative Architektur mit moderner Technologie zu verbinden und außerdem das Auseinanderklaffen von Gebäudekern und -hülle zu bewältigen. Da er an der Wiener Akademie lehrte und seine Prinzipien zudem in einer programmatischen Schrift „Moderne Architektur“ (1896, mehrere Folgeauflagen) niederlegte, beeinflusste er ganz wesentlich die Diskursfelder der Moderne nach der Jahrhundertwende. Nicht umsonst gehörten manche seiner Schüler zu deren wesentlichen Protagonisten, etwa Joseph Maria Olbrich als Jugendstilarchitekt, Josef Hoffmann mit einer kubisch abstrahierten Formensprache und Adolf Loos als radikaler Verweigerer von Ornament und Fassade ( Themenblock · Bauschmuck, S. 188 f.). Das Postsparkassenamt in Wien, im Ostteil der Inneren Stadt, in der Nähe des Stubenrings als chronologisch letzter Teil der Ringstraße
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□ 90 Wien, Postsparkasse, Otto Wagner, 1904 – 12, Hauptfassade
Das Postsparkassenamt in Wien
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nenhöfe für eine allseitig gute Belichtung, die auch dadurch verbessert wird, dass die Wände zum Hof mit hygienischen weißen, gut Licht reflektierenden Kacheln verblendet sind. Charakteristisch am Äußeren ist das insgesamt sehr flache Mauerrelief, das auf Motive der Säulengrammatik verzichtet, aber gleichwohl eine Reihe klassischer Gliederungsmotive aufweist: So sind Tief- und Hochparterre durch flache Granitplatten hervorgehoben, die die Erinnerung an einen rustizierten Sockels hervorrufen. Auch wird der Mittelrisalit durch die leicht hervortretenden äußeren Achsen gerahmt und von einer Attikazone bekrönt, auf der in Lettern aus Aluminium der Institutionenname prangt: „Postsparkassenamt“. An den Attikaecken erhebt sich als Akroter je eine große, Kränze in die Höhe haltende Genienfigur aus Aluminium, geschaffen von Othmar Schimkowitz. Der Mittelrisalit entspricht in seinen Dimensionen dem Querschnitt der davor abgehenden Straße, bildet also gleichsam deren Abschluss und zugleich den point-de-vue von der Ringstraße aus. Die Fläche über dem Sockelgeschoss wird durch weiße Marmorplatten verkleidet, die in völlig unkonventioneller Weise durch dunkle nietenartige Knöpfe belebt sind. Die Dichte ihrer Verteilung variiert, im Mittelteil des Risalits sind es pro Platte drei um einen zentralen kleineren angeordnete Knöpfe. Diese dichte Rasterstruktur der wiederum mit Aluminium verkleideten eisernen Scheinnieten evoziert also die Befestigung der Marmorplatten, allerdings auf bildhaft übertriebene Weise, denn die Nietköpfe sind viel größer als dies bei gewöhnlichen Befestigungssystemen der Fall wäre. Damit ist aber die Verkleidung des Gebäudeäußeren durch Platten offensichtlich gemacht und zudem ästhetisch und sinnbildlich umgedeutet: Die Marmorplatten sind ersichtlich Umhüllung und täuschen nicht massives Mauerwerk vor – in Wirklichkeit besteht das Gebäude aus einer ziegelausgefachten Eisenbetonkonstruktion. Zudem erlaubt die Raster-
III. Schlüsselwerke
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struktur der Knöpfe eine plastische Belebung der Fassade und deren Strukturierung durch wechselnde Rasterdichten. Und außerdem sollte hier ‚Goldregen‘ als Symbol des Wohlstandes bzw. der Bank sinnbildlich vermittelt werden. Im Inneren zeigt vor allem die große Schalterhalle, wie moderne Technologie zu einem Gesamtensemble höchster Effektivität und Eleganz transformiert ist (□ 91). Es handelt sich um eine dreischiffige basilikale Skelettstruktur aus vernieteten Stahlprofilen. Diese an Werkhallen erinnernde Struktur ist so weit als möglich lichtdurchlässig: Verglaste Sattel- bzw. Pultdächer schützen vor Regen, lassen aber das Tageslicht einfallen. Dieses wird durch die wiederum vorständig verglasten, in der Konstruktion abgehängten Decken diffus gefiltert. Im Mittelschiff ist diese Decke in Art eines Tonnengewölbes mit korbbogenförmigem Querschnitt geführt, über den Seitenschiffen sind es leicht geneigte Flachdecken. Aber auch der Fußboden ist gläsern, nämlich aus Glasbausteinen zusammengesetzt, die in Rechtecken aus 8 × 10 dieser Elemente in das stählerne Bodengitter des Hauptsaals eingelassen sind und somit auch den Saferäumen im Untergeschoss Tageslicht spenden. Das Rechteckraster der Stahlträger ist konsequent als Gesamtgliederung des Raumes umgesetzt, denn es ist nicht etwa unkenntlich gemacht, sondern durch schwarz-weiße Bänder im Boden hervorgehoben. Somit entsteht insgesamt eine Gitterstruktur von 6 × 7 Einheiten, je zwei Bahnen für die Seitenschiffe, drei für das Mittelschiff. Entsprechend diesen Bahnen sind auch die drei Eingänge in den Saal positioniert, und auch die bemerkenswerten Hutzen für die Warmluftheizung folgen dieser Gliederung. Sie sind als markant aus dem Boden herauswachsende Aluminiumröhren jeweils an die wandseitigen Enden der Fußbodenträger gestellt. Ihre Austrittsöffnungen bilden mehrere ringförmige Lamellen am oberen Abschluss der Röhren, ein Motiv, das entfernt an die Gliederung von
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klassischen Säulen erinnert. Diese ostentative Präsentation der Heizsysteme ist zwar nicht ganz neu, es gibt sie z.B. auch in manchen Bauten von Victor Horta |▶ 19|, doch bei Wagner umstehen und gliedern sie ähnlich einer regelmäßigen Säulenstellung die Innenwand. Ihre Pendants bilden die Stahlstützen, die sich logischerweise jeweils auf Kreuzungspunkten des Bodenrasters erheben. Sie sind in ihrem unteren Teil mit Aluminiumblech umhüllt. Auch hier wird ähnlich wie an der Fassade das Verkleiden als solches zum eigentlichen ästhetischen Motiv: Denn technisch unnötige Nietenreihen bieten eine Ornamentierung, die den Gegensatz von Kern und Hülle, von Stahlstütze und ihrer Verkleidung unmittelbar deutlich macht. Zudem sind die Aluminiumverkleidungen leicht ‚zu groß‘, sie scheinen wie Stiefelstulpen stählerne Unterschenkel zu schützen. Nicht nur in der Schalterhalle merkt man dem Bau seine Modernität an; auch ansonsten sind langlebige, gut zu reinigende Materialien, z. B. Linoleum, und modernste Installationen, etwa für die Saferäume, verwendet. Wagners Strategie besteht also darin, der Dialektik zwischen Kern und Hülle nicht wie bislang in der architektonischen Konzeption aus dem Weg zu gehen, indem ein ‚schmutziger‘ oder banaler konstruktiver Kern schamhaft kaschiert wurde, sondern diese Dialektik zum ästhetisch wirksamen Teil der Architektur aufzuwerten. Er verkleidet nicht, sondern bekleidet, wobei nunmehr der Kern als lebendiger Körper gedacht wird, der aber – ganz gemäß der damaligen Mode – nicht etwa exhibitionistisch zu zeigen, sondern geschmackvoll einzukleiden ist. Dieses ‚Kleid‘ ist im Falle der Postsparkasse ein durchaus edles und modisches. Die weißen Marmorplatten der Fassade zeugen ebenso davon wie die kostbaren Holzvertäfelungen in den Nutzräumen im Inneren. Die schimmernde Oberfläche des Marmors lässt in Kombination mit den aluminiumfarbigen Nietenköpfen gar an einen paillettenbesetzten Seidenstoff den-
□ 91 Wien, Postsparkasse, Otto Wagner, 1904 – 12, Schalterhalle
ken. Das an vielen Stellen eingesetzte Aluminium – auch etwa die Stützen des Vordachs, die Balkonbrüstungen usw. bestehen daraus – hat nicht nur in seiner schimmernden Oberfläche die Qualitäten eines, allerdings modernen, Edelmetalls, sondern war tatsächlich ein damals nur in geringen Mengen produziertes Material. Diese Ästhetik des Bekleidens hat Wagner auch variiert, denn die Fassade des sog. Majolikahauses in Wien (1898 – 99) besteht aus einer völlig glatten, mit Terracotta verkleideten Fassade, in die die Fensteröffnungen rahmenlos eingeschnitten sind. Als Muster bildet sich auf der Keramikoberfläche ein sich über die gesamte Hausbreite ausspannendes üppiges Blumengehänge. Da aber unter der Traufe stilisierte Aufhängevorrichtungen abgebildet sind, die Keramikfassade zudem einen unteren Ornamentsaum aufweist, kann man sie auch wie ein riesiges Tuch, eine elegante textile Drapierung begreifen, die zum Schmuck des Außenbereichs der Straße vor die eigentliche Architektur gehängt ist. Auch bei den Wag-
Das Postsparkassenamt in Wien
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nerschülern Loos und Hoffmann wird diese Ästhetik des Bekleidens weiterwirken: In dem großbürgerlichen Palais Stoclet in Brüssel von Hoffmann besteht die Fassade aus Platten, die durch plastische Ornamentrahmen zu großen Fassadenpanneaux zusammengefasst sind, also keine Assoziation auf geschichtete Steinlagen zulassen. Adolf Loos hingegen begreift in seinen polemischen Essays (vgl. S. 88; Themenblock Bauschmuck, S. 188 f.) die Fassade eines Hauses als einen modernen Herrenanzug: gut geschneidert, aber in seinen Ausdrucksqualitäten neutral und nüchtern. In Kontrast dazu stünde eine Applikation von Ornamenten – eine primitive Praxis, die mit dem Tätowieren des ‚Kaffern‘ gleichzusetzen sei. Man kann diese gezielt polemischen Äußerungen durchaus auch mit berühmten Werken von Loos verbinden, insbesondere mit dem seinerzeit äußerst umstrittenen Haus am Michaelerplatz, das er 1909 – 10 genau gegenüber der Hofburg errichtete (□ vgl. 20). Das äußerst noble Geschäfts- und Wohnhaus beherbergte in den beiden Sockelgeschossen das gediegene Herrenbekleidungsgeschäft Goldman & Salatsch. Gleichwohl versagte sich Loos jede plastische oder figürliche Ornamentierung. Die Wände
bleiben völlig glatt, Fensteröffnungen erhalten keine plastischen Rahmungen. Immerhin aber besteht die Verkleidung des Sockelgeschosses aus sehr edlem, dunkelgrünen Cipollino-Marmor und in den konkav nach innen schwingenden Eingangsbereich sind zwei dorische Säulen aus demselben Material eingestellt. Die hier vermittelte Eleganz beruht also nicht auf dekorativen Formen – die auch leicht aus der Mode kommen können –, sondern auf edlen Oberflächen und Texturen. Es erscheint für einen Herrenausstatter, dessen Grundmaterial vor allem gute Textilien sind, durchaus angemessen, eher auf langlebigere Außenwirkung als auf Ornamente zu setzen. Über dem Sockelgeschoss erhebt sich die Hausmauer als völlig glatte weiße Fläche, in der Fenster wie als Rechtecklöcher eingeschnitten und zudem repetitiv, ohne kompositorische Akzente, angeordnet sind. Die weiße Oberfläche ist gleichsam eine Unfarbe, auch Materialität oder Oberflächenstruktur sind nicht prägnant zum Ausdruck gebracht. Hier wird dezidiert – und radikaler, als dies Loos in seiner Metapher des neutralen Herrenanzugs fordert – nicht mehr architektonisch kommuniziert, selbst die Wagner’sche Dialektik von Kern und Hülle scheint aufgehoben.
„Ornament und Verbrechen“ Zur Frage des Bauschmucks in der Moderne
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s ist umstritten, was Ornament in der Architektur des 19. und 20. Jh.s bedeutet. Eigentlich leitet sich der Begriff von der antiken Rhetorik ab, in der ornatus die jeweils angemessen zu verwendende Ausdrucksverstärkung eines Gedankens meint. Bei dem antiken Architekturtheoretiker Vitruv bedeutet ornamentum diejenige Bauzier der Säulen, die ihnen ihre Sprachfähigkeit verleiht: Die zierenden Voluten der ionischen Ordnung etwa beziehen sich auf starke weibliche Götter. Im Laufe der Neu-
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zeit unterschied man konzeptuell häufig zwischen dem Ornamentträger und der Ornamentform: Diese wird insofern zur sekundär aufgelegten Zierde, ohne notwendige Verbindung mit dem ‚Kern‘ des Bauwerks. Mustersammlungen von ornamentalen Vorbildern (Owen Jones: „Grammar of Ornament“, London 1856) verstärkten solche Vorstellungen. Trotzdem bestand weiterhin der Anspruch, das Ornament müsse eng auf den Gebäudekern zu beziehen sein, etwa als naturähnliche Veranschauli-
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chung von konstruktiven Kräften. Zum ästhetischen Problem wurde die Frage des Ornaments in dem Moment, in dem Zierformen maschinell vorfabriziert wurden und in der Tat beliebig appliziert werden konnten: eine falsche, weil oberflächliche Pracht, deren Anwendung umso problematischer erschien, als eben die Ornamente den jeweils gewählten historischen Stil vorführten, gleichzeitig aber zahlreiche neue Baugattungen entstanden. Was hatten ägyptische, gotische oder barocke Zierformen mit einem Etagenmietshaus oder einer Fabrik zu tun? Und welche Verbindung bestand zwischen rational gefertigten neuen, rechteckigen Architekturen und vegetabilen, phantasievollen Zierformen? Vor allem aber wurde problematisch, dass das maschinell produzierte historische Ornament seine handwerkliche Entstehung einfach nur vortäuschte, aus der ursprünglichen exklusiven Kunst nunmehr einen Massenartikel machte. Nun hätte man es zwar durchaus begrüßen können, dass auf diese Weise auch niedrigen Gesellschaftsschichten der Zugang zu Kunstwerken zu ermöglichen ist. Doch da bei der industriellen Fertigung zudem auf eine wirtschaftliche Herstellung geachtet werden musste, verschlechterte sich die Formenqualität und konterkarierte insofern auch das volkspädagogische Ziel, guten Geschmack vermitteln zu wollen. Einer der Lösungsversuche der Krise des Ornaments sollte es ab den 1880er Jahren sein, Bau und Zierde zu einer künstlerischen Einheit zu verbinden. Das Ornament war nun nicht länger nur mehr ein historisches, sondern unterlag einem eigenständigen künstlerischen Entwurf – etwa in Form abstrahierter Naturformen –, der gestalterisch aus dem zu schmückenden Objekt/Bauwerk hervorgehen sollte. Hieraus gewann das Ornament auch die Fähigkeit, emotional zu wirken, zu animieren, zu beleben, zu dynamisieren. Im Jugendstil schließlich war es in hohem Maße das lineare schwingende Ornament, das die als Gesamtkunstwerk gestalteten Innenräume bestimmt |▶ 19|. Das Ornament symbolisiert und betont nicht nur essentielle Struk-
turen eines Hauses, etwa Stützen oder Öffnungen, sondern vermittelt Dynamik und Atmosphäre. Um 1910 setzte hier ein Paradigmenwechsel ein, der die Moderne bis nach dem Zweiten Weltkrieg begleiten sollte: Denn in der neuen, sozial und ethisch untermauerten Forderung, Kunsthandwerk und Architektur müssten sich aus dem Gebrauchszweck ableiten und diesen als eine tiefere Wahrheit ausdrücken, ergab sich eine Entflechtung der Gattungen: Die Architektur als komplexeste Funktionseinheit, in der Tektonik und Gebrauch logisch und konsequent zu verbinden sind, wurde die Leitgattung der Künste. Das drückte sich in einem neuen vereinfachten Klassizismus in klaren großen Formen aus, der vielfach als ‚männlich‘ charakterisiert wurde und dem nunmehr das schwingende Linienornament des Jugendstils ebenso wie die historistischen Zierformen als feminine Verkleidungen kritisch entgegengesetzt wurden. Konstruktion und Sachlichkeit standen gegen Dekoration und Emotionalität. Ebenso würde der Anspruch nach überindividueller klarer, tektonischer Struktur der modernen Architektur durch das phantasievolle Linienornament beeinträchtigt werden. Und auch die neue Zielsetzung des Bauens, gesellschaftliche und moralische Ordnung zu stiften, war in dieser Sichtweise mit dem ungezügelten Ornament nicht zu leisten. Nicht einmal um die Stilisierung von vegetabilen Formen – etwa um Naturgesetze abstrahierend aufzuzeigen – konnte es mehr gehen, denn die geometrische Ordnung der Architektur stellte ein übergeordnetes Prinzip dar, das sich in aller Wahrheit und Vollkommenheit vermitteln sollte. Bauskulptur und Dekoration durften insofern nur an untergeordneter und klar durch die architektonische Ordnung definierter Stelle auftauchen. Wenn Architektur zunehmend als logisches Ergebnis von Technik und Industrie begrüßt wurde, so sollte sie eine unerbittliche und klare physikalische Gesetzmäßigkeit der Welt vorführen, in der keine ‚unnütze‘ Dekoration zugelassen war. Architektur
„Ornament und Verbrechen“
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sollte so sein, wie man damals den griechischen Tempel dachte: eine rein aus der Notwendigkeit geborene Form, deren Schönheit sich gleichsam von selbst einstellt, vergleichbar einer Maschine, die keinen Zierrat kennt. Diese Verdammung des Ornaments hat in äußerst polemischer Weise Eingang in den Architekturdiskurs der klassischen Moderne genommen, etwa in der Gegenüberstellung von griechischem Tempel und Automobil in Le Corbusiers „Vers une architecture“ von 1923: Die Architektur als „Wohnmaschine“ müsse einem rein technischen Fortschrittsgedanken folgen (S. 89). Noch radikaler ging der Wiener Architekt Adolf Loos vor, der bereits 1908 in seinem berühmt gewordenen Vortrag „Ornament und Verbrechen“ (zuerst auf Französisch veröffentlicht 1913 in den „Cahiers d’aujourd’hui“, vgl. S. 88), das Ornament mit Tätowierungen verglichen hatte: Es gehört der Sphäre primitiver Kulturen, der Kriminalität und auch des Weiblichen an. Im Gegensatz dazu ist ornamentlose Architektur männ-
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lich, zivilisiert, erhaben. Solche Denkfiguren bestimmten auch lange, bis nach dem Zweiten Weltkrieg, die Geschichtsschreibung der Moderne, wo etwa bei Sigfried Giedion das Neue Bauen als eine heroische ‚Befreiung‘ vom Ornament dargestellt wird (Ocón 2004). Zwar gab es etwa im Art déco seit den zwanziger Jahren eine Gegenbewegung, die entschieden auf – allerdings sparsam und maßvoll eingesetzten – Zierelementen als Belebung bestand. Doch wirkte die Verachtung des Zierrats etwa in Deutschland so nachhaltig, dass seit den zwanziger Jahren, und insbesondere in den fünfziger Jahren, an Tausenden historistischer Fassaden der dekorative Stuck als überflüssiges, geschmackloses Ornament abgeschlagen wurde. Erst mit der Infragestellung der Doktrinen der Internationen Moderne bahnte sich seit den sechziger Jahren ein Ende der Entstuckung an. Seither sind auch die weltanschaulichen Debatten um die Rolle des Ornaments als Gegenpol zum ‚Gebäudekern‘ verstummt.
Die Garnisonkirche in Ulm Liturgiereform und sakrales Bauen
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as moderne Bauen wurde von vielen seiner Wortführer als demokratische und emanzipatorische, ja durch und durch sozial oder gar sozialistisch geprägte Bewegung verstanden und propagiert, zumal nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Internationale Stil nachgerade als Symbol der Überwindung des totalitären, nationalsozialistischen Regimes galt. Dabei wird vielfach übersehen, dass entscheidende Beiträge für das Bestreben nach einer der Zeit und Geschichte enthobenen Architektur von den religiösen Erneuerungsbewegungen seit der Zeit um 1900 kamen. Es war auch der Kirchenbau, der
III. Schlüsselwerke
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einerseits konsequent funktional zu sein hatte, allerdings in einem übergeordneten liturgischen Sinn, um Gemeinde und Kult eng aufeinander zu beziehen. Andererseits kam gerade im Sakralbau die heilsstiftende Bedeutung und Wirkung der architektonischen Form eine entscheidende Rolle zu. Und schließlich galten gerade auch für Kirchenbauten ökonomische Zwänge, die es angeraten erscheinen ließen, neue Baumaterialien und -techniken anzuwenden. Ein derartiges, frühes Beispiel ist auch die evangelische Garnisonkirche (heute Pauluskirche) in Ulm von Theodor Fischer, 1905 bis 1910
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als Ergänzung bzw. in Konkurrenz zu einer kurz zuvor in neugotischem Stil errichteten katholischen Garnisonkirche erbaut (□ 92). Beide Kirchen dienten der gottesdienstlichen Versorgung einer großen Anzahl von Militärangehörigen, deswegen bestand eine der Hauptanforderungen darin, reichlich Platz zu schaffen. Vorgesehen waren 2000 Sitzplätze, von denen als Grundanforderungen an den protestantischen Gottesdienst gewährleistet sein musste, gute Sichtbedingungen auf den Altar und vor allem eine perfekte Vernehmbarkeit der Predigt zu bieten. Fischer löste die Aufgabe, indem er einen verhältnismäßig kurzen Longitudinalbau von beträchtlicher Breite, nämlich 22,5 m, konzipierte. Keine seitlichen Emporen oder innere Stützen beeinträchtigen diesen immensen, zudem durch große Fenster unter der Deckenkante gut belichteten Innenraum (□ 93). Erschlossen wird die Kirche durch eine halbrund nach außen vortretende Vorhalle, die sich turmartig nach oben bis über die Firstkante des Langhausdaches fortsetzt und von einem Zeltdach abgeschlossen wird. Dieser Aufbau birgt im Inneren die Orgel auf einer weit in das Langhausinnere ragenden Empore. Der Altar ist in einer seichten Rechtecknische in der ansonsten flach schließenden Ostwand untergebracht. Außen vorgelagert ist ein hohes, riegelartiges Massiv, das das Langhaus weit überragt und aus dem zwei runde Türme mit konischen Helmen abgehen. Nach Osten durchstreicht eine monumentale Rundbogennische beinahe die volle Höhe des Ostmassivs. Der Bau, insbesondere des Langhauses, konnte nur mithilfe des konsequenten Einsatzes des Stahlbetons realisiert werden. Der weite Innenraum wird konstruktiv durch vier, in weitem Abstand voneinander stehende Betonbinder getragen. Diese, in sich Meisterleistungen der damaligen Ingenieurskunst, sind nun nicht verkleidet, sondern mit dem Stockhammer aufgeraut. Außerdem kann man den Binderpfosten an der Außenwand des Langhauses in Form steil abfal-
□ 92 Ulm, ehem. Garnisonkirche, Theodor Fischer, 1905 – 10
lender Strebepfeiler nachvollziehen, welche im unteren Bereich Trennwände einer niedrigen Kapellenreihe ausbilden. Im Inneren treten die Balkenträger der Betonbinder als sog. Fischerbögen – stark gedrückte Kleeblattbögen – deutlich sichtbar zutage. Fischers Leistung bestand also darin, funktional-liturgische, konstruktiv-technische und ästhetisch-städtebauliche Aspekte zu verbinden. Gemäß schon älteren Forderungen an den evangelischen Kirchenbau (Eisenacher Regulativ 1861) sollte sich die Aufmerksamkeit der Gemeinde auf die sog. Prinzipalstücke von Altar, Kanzel und Taufstein richten, die aber getrennt voneinander aufzustellen waren. Das löste Fischer sehr einfach dadurch, dass er vor die flache Ostwand zu Seiten der Altarnische mit überkrönendem Kruzifix die Kanzel und die Taufe anordnete. Das Gegen-
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□ 93 Ulm, ehem. Garnisonkirche, Theodor Fischer, 1905 – 10, Inneres zum Altar
stück dazu, die Orgel im Westen, erhielt durch die monumentale Überkuppelung einen wirksamen Klangraum. Die Konstruktion ist unaufdringlich und doch wirkungsvoll präsent, etwa in den weiten schwingenden Kurven, in denen die Bogenbinder das Langhaus durchmessen und sich seitlich auf halber Höhe mit der Wand verschneiden. Die Deckenkonstruktion ist in Plattenbalken mit längsgeführten Unterzügen in Beton ausgeführt. Das Ganze erinnert an eine sich leicht nach oben wölbende Balkendecke, nur dass der Querbalken als Betonbinder formuliert ist. Aber Fischer nutzte die monumentale Architektur auch, um die Garnisonkirche historisch und städtebaulich zu situieren. Die beeindruckende Ostanlage mit ihrer Doppelturmfront antwortet klar auf die markante Ulmer Stadtsilhouette mit dem überhohen Münsterturm und dem diesen paraphrasierenden Turm der katholischen Garnisonkirche. Fischers Bau zeigt hier eine selbstbewusste Eigenständigkeit, die sich auch im Eindruck
III. Schlüsselwerke
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einer mittelalterlichen Wehrkirche äußert. Das passt zu der militärisch ausgerichteten Gemeinde wie auch zum ehemals prominent über dem Altar prangenden Luther-Sinnspruch der Kirche „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen“. Für den Westteil der Kirche hingegen denkt man eher an barocke oder klassizistische Vorbilder, aber das ist bewusst im Vagen gelassen. Die Biberschwanzziegeldeckung der bewegten Dachlandschaft entspricht einer lokalen Dachwerktradition. Trotz ihrer kühnen Betonkonstruktion fügt sich die Kirche also vielfältig in eine historische Motivik ein, ohne diese zu kopieren – im Gegenteil wird hier manches geradezu verdreht: Die Doppelturmgruppe erwartet man eher im Westen, den turmartigen Aufbau eher im Osten, etwa als Vierungsturm. Vor allem konstruktiv bildet die Ulmer Garnisonkirche einen außerordentlich innovativen Markstein innerhalb des Sakralbaus des 20. Jh.s, der einige radikale Lösungen aufweist.
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Die Ende des 19. Jh.s schnell wachsenden Großstädte beförderten zahlreiche Kirchenneubauten (z. B. 75 allein in Berlin zwischen 1890 und 1914) und intensivierten die theoretische Debatte. Als entscheidend für die Entwicklung des modernen Kirchenbaus beider Konfessionen wirkten die liturgischen Reformbestrebungen, deren generelle Zielsetzung, die gesamte Gemeinde aktiv mitgestaltend in den Gottesdienst einzubinden, allmählich die bildenden Künste als gewichtigen Teil der Liturgie begreifen ließ. Was den evangelischen Kirchenbau angeht, so sollte er, entgegen älterer Richtlinien (Eisenacher Programm) eine funktionale Baugruppe als Zentrum der Gemeinde abgeben (Wiesbadener Programm von 1891). Hauptelement sollte ein ungeteilter, auf Kanzel und Altar gerichteter Raum sein. Katholischerseits formiert sich die Liturgiereform seit dem letzten Drittel des 19. Jh.s u. a. in den Klöstern Beuron, Maria Laach, Mont César bei Löwen und Solesmes, stellte zunächst aber die liturgische Handlung und die bildliche Ausstattung, nur ausnahmsweise die Kirchenarchitektur zur Diskussion. Die würdige Ausgestaltung des Kirchenbaus implizierte tendenziell auch die Abkehr von historistischer Stildekoration zugunsten der Aufnahme eines modernen, dem fortschrittlichen bürgerlichen Geschmack angemessenen Kunstgewerbes. Die kurz nach 1900 realisierten Kirchen folgen mit ihren straffen, großflächigen Formen, die über meist kompakten Grundrissen errichtet sind, ebenfalls klar den zeitgenössischen Architekturtendenzen, blieben aber in der liturgischen Einteilung meist traditionell. Das herausragende Beispiel hierfür ist die Ulmer Kirche. Auch nach dem Ersten Weltkrieg sind in der jüngeren liturgischen Reform prinzipielle Übereinstimmungen zwischen beiden großen Konfessionen auszumachen. Die evangelisch-ökumenische „Hochkirchliche Bewegung“ (seit 1918) wie auch die evangelische „Berneucher Konferenz“ forderten eine betonte kollektiv-emotional wirkende
Sakralisierung der Gemeinde und der von ihr mitvollzogenen Liturgie, in der die künstlerische Form des Kirchenbaus und insbesondere des Altarbereichs Bestandteil des Kultus wird. Insbesondere Otto Bartning („Vom Neuen Kirchenbau“, 1919) stellte heraus, dass die Kirche weder funktionalistischer Rahmen noch historistische Scheinarchitektur sein dürfe, sondern eine monumentale, einheitliche und erhaben wirkende Form annehmen müsse, um in „Wohlgestalt“ oder „Willensgebärde“ gemeinschaftsstiftende „Erscheinungsform der Religion“ zu sein. Im katholischen Bereich hob vor allem Romano Guardini („Vom Geist der Liturgie“, 1918) die kultisch-erlebnishafte Symbolkraft aller Einzelheiten der liturgischen Handlung hervor, in die auch die Ausstattung und die Gestalt des Kirchengebäudes als Teil eines künstlerischen Gesamtzusammenhangs einzubeziehen seien. Grundthema der ausgeführten modernen Kirchenbauten der Zwischenkriegszeit ist, einerseits funktional und visuell der Einheit der feiernden Gemeinde und andererseits der Orientierung auf das kultische Zentrum gerecht zu werden. Die Vorschläge bzw. Lösungen reichen von Zentralbauten mit mittiger Altaranordnung und segmentweiser Nutzung des Gemeinderaumes (Bartnings expressionistisches Sternkirchenprojekt, 1922; mehrfach gestaffelte Zentralanlage der Auferstehungskirche in Essen, 1929) zu ovalen Kirchenräumen mit exzentrischer Altarplatzierung (Messopferkirchenentwurf „Circumstantes“ von Dominikus Böhm und Martin Weber, 1922). Die Gebote von Materialtreue, Wirtschaftlichkeit und Zeitgemäßheit ließen moderne Baumaterialien zum Ausgangspunkt der architektonischen Gestaltung werden, wobei der Eisenbeton aufgrund seiner schlanken Stützen Farbverglasung, Helligkeit und gute Sichtbedingungen ermöglicht. Das epochemachende Beispiel dafür ist die Kirche in Le Raincy von Auguste Perret (1922, |▶ 25|) bald variiert von Karl Mosers weiträumiger Antoniuskirche in Basel (1925 – 27).
Die Garnisonkirche in Ulm
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Von ebenfalls weiträumiger Wirkung war Bartnings evangelische Kirche für die Kölner Pressa-Ausstellung 1928. Hier schließt an einen blockhaften, kupferverkleideten Westriegel der Kirchenraum als vollständig farbig verglaste Stahlskelettkonstruktion auf parabelförmigem Grundriss an, in dessen Rundung sich der Altar erhebt. Am konsequentesten entmaterialisiert bietet sich St. Fronleichnam in Aachen von Rudolf Schwarz (1928) dar, wo der kubische, durch einen niedrigen, seitenschiffartigen Raum erweiterte Hauptsaal Wandöffnungen vor allem im Chorbereich enthält, die erlauben, das Licht als das eigentliche Gestaltungselement einzusetzen. Die Kirchen von Dominikus Böhm (Dettingen, St. Peter und Paul, 1922; Mainz-Bischofsheim, Christkönigskirche, 1926) zeichnen sich durch eine expressionistisch-skulpturale Durchbildung des Inneren, häufig in parabelförmigen Querschnitten, aus, wobei Elemente des mittelalterlichen Bauens abstrahierend vergrößert werden (Spitzbogen und -tonne, Zellengewölbe).
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Ein Meisterbeispiel des expressionistischen Kirchenbaus findet sich in der Grundtvigs-Kirke in Kopenhagen (1921 – 40, Peder Vilhelm Jensen-Klingt), die das Thema des Westriegels zu einer überdimensionalen, nach oben zugespitzten Turmwand steigert. Die katalanische Autonomiebestrebung der zweiten Hälfte des 19. Jh.s war die Grundlage für eine entschieden antiklassische, sich regionalistisch definierende Form des Jugendstils. Antonio Gaudí verwirklichte seit 1883 mit der gigantischen, noch immer unvollendeten Kirche Sagrada Família in Barcelona eine programmatische Synthese, die im Rückgriff auf das Konzept der hochgotischen Kathedrale und unter Verzicht auf Ingenieursberechnung neue Entwurfsmethoden und Betontechnik, Dekoration und Bauskulptur verbindet. Auch die Kapelle der Kolonie Güell (1898 – 1915) mit ihren rohen und schrägen Stützen versteht sich als grottenhaft-organische Architekturmetapher in der Synthese von Natur und Menschenwerk.
Gartenstadt Hellerau bei Dresden Die Gartenstadt als Reformbewegung
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ie Zeit um 1900 wird im Deutschen zumeist als Jugendstil bezeichnet und damit auf eine Kunstproduktion bezogen, die sich einer emphatischen Ästhetisierung des ganzen Lebens verschrieben hatte (| ▶ 19|, vgl. S. 43 – 47) Ebenso kann man diese Zeit auch als Epoche der Lebensreformbewegung kennzeichnen. Das Reformkleid und die Reformkost, die Freikörperkultur, die Reformpädagogik, die Wandervogelbewegung und vieles mehr, was auch heute noch als ökologisches Bewusstsein zu verorten ist, entstanden im späten Wilhelminismus in Deutschland. Es ist eine Zeit, die von
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vielen Zeitgenossen als höchst dekadent und krisenhaft empfunden wurde, da traditionale Werteordnungen in rasanter Geschwindigkeit außer Kraft gesetzt wurden. Die Krise gebar Reformbestrebungen, die in allen Lebensbereichen zu vernehmen waren, um die Versöhnung des Menschen mit einer natürlichen Umwelt wiederherzustellen. In diesen Kontext gehört auch die Entstehung der Gartenstadt (S. 38 f.), dessen frühestes deutsches Beispiel in Hellerau bei Dresden errichtet wurde. Sehr bezeichnend ist Hellerau aber auch deswegen, weil es im engsten Zusammenhang mit der
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deutschen Kunstgewerbereform, speziell dem Deutschen Werkbund |▶ 23|, sowie der Tanzund Theaterreformbewegung steht. Die Gartenstadt Hellerau entstand als Mustersiedlung der vom Möbelfabrikanten Karl Schmidt geleiteten Deutschen Werkstätten. Vorangegangen war ein Jahr zuvor die Aufsehen erregende 3. Deutsche Kunstgewerbeausstellung, die 1906 in Dresden als die Summe der gesamtdeutschen Reformbewegungen gezeigt worden war. Hierbei wurden insbesondere die Weichen für eine industrielle Großserienproduktion eines guten, aber schlichten Kunstgewerbes gestellt. In diesem Umfeld gelang es Schmidt, die von ihm initiierten Dresdener Werkstätten mit den Münchener Werkstätten für Wohnungseinrichtung zu den Deutschen Werkstätten zu fusionieren und parallel dazu an der Gründung des Deutschen Werkbunds als nationaler Interessenvertretung des Kunsthandwerks mitzuwirken ( Themenblock · Interessensverbände, S. 220 f., |▶ 23|). Erster Sekretär wurde Schmidts Mitarbeiter Wolf Dohrn,
und auch die Geschäftsstelle befand sich in der Verwaltung der Deutschen Werkstätten. Parallel dazu hatte Schmidt ganz im Sinne der Reformbewegung seit 1904 für die Dresdener Werkstätten einen gesunden Standort – inklusive von Werkswohnungen – außerhalb der Stadt gesucht und bald, 1906, bei dem Dorf Klotsche nördlich von Dresden gefunden. Der Münchener Architekt und Mitbegründer der Münchener Werkstätten Richard Riemerschmid erarbeitete die Bebauungspläne, und 1908 wurde die gemeinnützige Gartenstadtgesellschaft zur Errichtung der Mustersiedlung Hellerau gegründet; ihr Leiter wurde Wolf Dohrn. Diese juristische Konstruktion erlaubte durchaus auch externen Bewohnern eine Heimstätte, die Siedlung war also weder eine paternalistische Firmensiedlung noch eine privatwirtschaftliche Investition. Programmatisch sollte sie „eine einheitliche Anlage [werden], wie sie in Deutschland zur Zeit noch nicht besteht, wie sie aber als Vorbild notwendig ist, wenn die im Kunstgewerbe herrschende Anarchie überwun-
□ 94 Hellerau, Gartenstadt, Straße Am Grünen Zipfel, Richard Riemerschmid, 1908
Gartenstadt Hellerau bei Dresden
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□ 95 Hellerau, Gartenstadt, Straße Am Schänkenberg, Heinrich Tessenow, 1910
den und an ihre Stelle ein geordnetes Gesamtbild unseres Lebens und unseres Schaffens treten soll“ (Schmidt, nach Lindner/Lühr 2008, S. 29). Hellerau zeigte also umfassend zahlreiche Aspekte der Lebensreform: Ein nach modernsten Erfordernissen geplanter Kunsthandwerksbetrieb versorgte seine Mitarbeiter mit idealen, gesunden und angenehmen Wohnungen. Das innovative Finanzierungsmodell erlaubte den Aufbau einer gemeinnützigen, kapitalkräftigen Gesellschaft, die die Grundstücke der Bodenspekulation entzog. Geplant waren auch eine antiautoritäre Reformschule, Sport- und Badeplätze, ein Gesellschaftshaus zum ‚geistigen und künstlerischen Genuß‘. Die Interieurs der Häuser waren durch die Deutschen Werkstätten angefertigt und führten die praktischen und zugleich geschmackvollen Typenmöbel in ihrer tagtäglichen Benutzung vor. Das war nicht uneigennützig gedacht, denn beispielsweise für den sozialliberalen Politiker Friedrich Naumann, bald einer der wesentlichen Promotoren des Werkbunds, sollten die Dresdener Werkstätten Typenmöbel produzieren, die ei-
III. Schlüsselwerke
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nen für alle vorbildlichen ‚deutschen Volksstil‘ generieren könnten, welcher Deutschland die internationale Führung im Kunsthandwerk sichern solle. Bis in den Zweiten Weltkrieg bzw. bis zu ihrer Verstaatlichung 1946 produzierten die Deutschen Werkstätten und experimentierten mit seriellen Fertigungsmethoden, auch im Bereich des Wohnhausbaues. 1953 begann erneut die Produktion von Typenmobiliar unter veränderten politischen Bedingungen. Die architekturgeschichtliche Bedeutung Helleraus liegt darin, dass hier das junge Konzept der Gartenstadt in ein Großexperiment umgesetzt wurde, in dem namhafte deutsche Architekten Musterlösungen für schlichte und zugleich praktikable Typenhäuser entwickelten, und dies überdies zu einem äußerst pittoresk-vielfältigem Gesamtstadtbild zusammengefasst wurde. Der Bebauungsplan wurde von Richard Riemerschmid entworfen, der als einer der neben Henry van de Velde und Peter Behrens |▶ 23| bekanntesten Universalkünstler bereits seit 1902 für Schmidt tätig (und zudem sein Schwager) war und sehr erfolgreich vor allem maschinell gefertigte Typenmöbel konzipierte. Der Plan sah ein Viertel für Kleinwohnungen der Arbeiter, ein Quartier für Landhäuser der Gartenstadtfreunde, sodann den Bereich der Werkstätten sowie einen zentralen Ort für die Tätigkeiten der Allgemeinheit, schließlich ein Ersatzgelände vor. Verschiedenste Bauaufgaben waren hier also zu erproben – und zu präsentieren: Von der Kleinstwohnung über die Reformvilla bis zum Festspielhaus, ja sogar ein Reformgasthaus war vorgesehen. Die Verkehrsverbindungen übernahmen sanft gekrümmte Straßen, die natürlich den Höhenlinien des recht bewegten Terrains folgen, vielfältige Tor- und Raumsituationen schaffen und zwanglos auf einen sog. Marktplatz münden. Insgesamt sollte der Gesamtcharakter derjenige eines großen Dorfs sein, und entsprechend plante Riemerschmid den Fabrikbau gemäß einem großen Gutshof.
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Die malerischen Prinzipien des Hellerauer Städtebaus sind im allgemeinen Sinne auf das vielgelesene Buch von Camillo Sitte „Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen“ (1889) zurückzuführen, konkret aber vor allem der städtebaulichen Praxis Theodor Fischers |▶ 21| zu verdanken. Für die Wohnhäuser wurden mithilfe einer Fragebogenaktion unter den Arbeitern Mindeststandards entwickelt und in unterschiedliche Reihenhauskonzepte umgesetzt, bei denen die einzelnen Elemente wie Türen und Fenster standardisiert gefertigt wurden. Namhafte deutsche Architekten wurden hier tätig; neben Riemerschmid und Theodor Fischer sind vor allem der Spezialist für die Landhausbewegung Hermann Muthesius |▶ 11| sowie Heinrich Tessenow zu nennen. Riemerschmids Lösung der ökonomischen Frage bestand insbesondere darin, Dorfhaustypen nach rationalistischen und ökonomischen Prinzipien neu zu konzipieren. Für die Zeile Am grünen Zipfel etwa entwarf er eingeschossige Häuser mit nach oben mittels einer eingeschobenen Wandzone erweitertem Dach (□ 94). Das sparte Baumaterial und erleichterte die Konstruktion. Insgesamt ducken sich die Häuser gleichsam in die umgebenden Gärten. Derartiges Bauen in den Traditionen des sog. Heimatstils ließ allerdings schon damals Kritik an allzu biedermeierlichen Allüren entstehen. Einen anderen Weg verfolgte Hermann Muthesius, der im Kleinhausbereich und im Villenviertel mehrere Häuser bzw. Hausgruppen errichtete. Auch ihm ging es um differenzierte und praktische Hauseinteilungen und die Entwicklung typisierter und kombinierbarer Bauelemente, doch erhielten seine Bauten durchaus ein nobilitierendes Äußeres, etwa dadurch, dass sie auf Bruchsteinsockel gesetzt sind und durch markante Giebel jede Hauseinheit zur Straße hin anzeigen. In der Straße Am Gräbchen entsteht aus der dortigen Reihenhausgruppe ein Stakkato spitz aufragender Giebel, deren strikte Wiederholung nur durch
rhythmisch dazwischengesetzte Traufstücke unterbrochen wird. Hier und an anderer Stelle zeigt sich, dass Muthesius bestens mit der englischen Gartenstadtbewegung vertraut war, denn gerade das prägnante, aber schlichte Ausbilden von Fassaden vermittels großer Giebel findet sich hier wieder |▶ 11|. Kontrovers innerhalb der Hellerauer Protagonisten aufgenommen wurden die Vorschläge von Heinrich Tessenow, der 1909 nach Hellerau gekommen war und gerade eine subtil argumentierende Schrift „Der Wohnhausbau“ veröffentlicht hatte. Zahlreiche architektonische Kriterien wie Raumbedarf, thermische Isolation, Lichtzufuhr, Hygiene, Materialverhalten, Reinigung und Instandhaltung waren hier zu einem ‚Ur-Ausdruck‘ des Hauses zusammengeführt, das äußerlich schlicht und völlig ornamentlos, ja ärmlich erschien, gleichwohl aber äußerst vielschichtig konzipiert war. Entlang der Straße Am Schänkenberg wurden nun eine Reihe derartiger Häuser realisiert (□ 95): Frei stehend, auf quadratischem Grundriss, von einem in 45°-Winkel geneigten Satteldach gedeckt und mit scharfen, klaren Giebelprofilen stellen sie das Äußerste an Vereinfachung des Typus Einzelhaus dar, sind gleichsam reine stereometrische Form. Dieser Typ kann, ebenfalls Am Schänkenberg zu sehen, auch in einer Häuserreihe vervielfältigt werden, deren glatte Fassade als Gliederung einzig gleichförmig wiederholte Rechteckformen von Türen und Fenstern sowie skandierende Regenfallrohre aufweist. Zum Hellerauer Reformprogramm gehörte von Anfang an auch eine paternalistische Fürsorge für musikalische Erziehung und ein dafür notwendiges Veranstaltungshaus. 1909 gelang es Dohrn und Schmidt, den Genfer Erfinder der rhythmischen Tanzgymnastik, Émile Jaques-Dalcroze, nach Hellerau zu holen. Sein Programm war, eine ganzheitliche Harmonie durch ein eurythmisches, über Musik und Tanz erzeugtes Körperbewusstsein herzustel-
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len. Dohrn erkannte hier die Möglichkeit, in Hellerau den ‚Zukunftsmenschen‘ kreieren zu können, der – fernab von großstädtischer Zivilisation, inmitten der Natur und ‚natürlichen‘ Häusern – einer vitalen, rhythmisch pulsierenden Daseinserfahrung teilhaftig werden könne. Jaques-Dalcroze sowie der Bühnenbildreformer Adolphe Appia wurden nach Hellerau verpflichtet und 1911 durch Tessenow ein großes Festspielhaus am nördlichen Rand der Gartenstadt errichtet. Der Bau ist von einer revolutionären Schlichtheit und zugleich Monumentalität (□ 96): Ein in die Tiefe sich orientierender Hauptbau mit Giebelfassaden und je einem Portikus aus rechteckigen Stützen wird seitlich begleitet von niedrigeren Flügelbauten, die jeweils einen Hof umschließen. Alle Baueinheiten bestehen aus klar definierten Baukörpern: Kuben, Rechtecken, Dreiecken in wohl abgewogenen Proportionen. Dieser Bau bildet die Mitte der Breitseite eines großen querrechteckigen Vorhofs, der von niedrigen schlichten Bauten umgrenzt wird. Im Inneren enthält der Hauptbau einen würfelförmigen Saal, ohne vorgegebene Einteilung in Bühne und Zuschauerraum. Appia installierte hier große Freitreppen, in denen die rhythmischen Tanzaufführungen stattfanden. Aber nicht nur auf einen Bühnenrahmen war verzichtet worden, der Innenraum war eine riesige Lichtinstallation, denn Wände und Decke waren mit zwei Schichten weißen Wachstuchs bespannt, innerhalb derer Tausende von Glühbirnen lichtorgelartige Effekte produzieren konnten. Tessenows abstrakter Tempel umschließt gleichsam einen white cube, in dem das eurythmische Totaltheater – Musik, Tanz, Gesang zusammenführend – sakrale Weihen erhielt. Der junge Charles-Édouard Jeanneret, alias Le Corbusier |▶ 27, 37|, dessen Bruder Albert Mitarbeiter von Jaques-Dalcroze war und der 1910/11 mehrmals von Berlin nach Hellerau gekommen war, erkannte das innovative Potential des Hauses umgehend. Am Festspielhaus in Hellerau zeigten sich aber
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auch tief greifende und vielfältige Konflikte um die grundsätzliche Konzeption der Reformbewegung. Das Bestreben, durch eine ‚gesunde‘, typisierte Schlichtheit zu einer sentimentalen Behaglichkeit zu finden, wie das Riemerschmid vertreten hatte, wurde nunmehr durch radikale abstrakte Konzepte ersetzt, die auf das Essentielle des Lebens in der geometrischen Form der Architektur, der reinen Farbe des Lichts und der klaren rhythmisch-harmonischen Bewegung lebender Konturlinien im Tanz abhoben. Hellerau ist insgesamt nicht ohne die englische Gartenstadtbewegung zu verstehen, umso mehr, als sie über Hermann Muthesius, der sie intensiv und in offiziellem Auftrag studiert hatte, die Planungen direkt beeinflusste. Der Rückzug auf das Land, von der Arts-andCrafts-Bewegung vorexerziert |▶ 11| und von William Morris auch in seinem utopischen Roman „News from Nowhere“ 1890 beschworen (dt. „Kunde von Nirgendwo“), sollte die sozialen und hygienischen Probleme der Großstadt im Sinne eines utopischen Sozialismus heilen. 1898 veröffentlichte der Parlamentsschreiber Ebenezer Howard eine urbanistische Studie, die zur Gründungsschrift der Gartenstadtbewegung werden sollte: „Tomorrow. A Peaceful Path to Real Reform“ (seit 1902 unter dem Titel: „Garden-Cities of Tomorrow“), in der er die Vergesellschaftung des Bodens als Voraussetzung eines kontrollierten Städtebaus forderte. Er entwickelte ein System von Satellitenstädten, die, in sich autark, im Grünen angelegt werden und untereinander durch schnelle Verkehrswege verbunden sein sollten. Die Größe jeder Stadt ist begrenzt; wächst der Wohnungsbedarf über 32 000 Einwohner, ist eine neue Stadt im Grünen zu gründen. Die Vorteile des Landlebens seien demgemäß mit den Vorzügen der Stadt harmonisch zu verbinden. In Deutschland entstanden parallel dazu genossenschaftlich organisierte, sozialistische Kolonien auf Selbstversorgerbasis (z. B. „Eden“ bei Berlin, 1893). Seit 1900 institutionalisierte sich die Gartenstadtbe-
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wegung allenthalben, vor allem in England und Deutschland entstanden mächtige Interessenvertretungen. Die neu gegründeten englischen Gartenstädte Letchworth und Welwyn erhielten Modellcharakter, auch wenn keine dieser Anlagen im Sinne Howards autark waren. Doch der pittoreske Städtebau mit seiner subtilen Abstimmung von Landschaft und Häusern in Verbindung mit den funktionalen Prinzipien der Arts-and-Crafts-Bewegung wirkte nachhaltig. Dies gilt umso mehr, als einige der großen Siedlungsbauer der Weimarer Republik |▶ 30| direkten Kontakt nach England hielten. Ernst May etwa hatte 1908 bei dem Architekten von Letchworth, Raymond Unwin, gearbeitet. Insofern ist allein das städtebauliche Konzept der Gartenstadt, das man in Hellerau aufgriff, Ausdruck des unbedingten Reformwillens der Beteiligten. Allerdings überhöhte man diesen Impetus zu einem alle Lebensbereiche durchdringenden Prinzip einer neuen Humanität; deswegen kam auch den konkurrierenden architektonischen Prinzipien grundsätzliche Bedeutung zu. Als zukunftweisend stellte sich,
□ 96 Hellerau, Gartenstadt, Festspielhaus, Heinrich Tessenow, 1911
das erkannte in aller Schärfe nicht nur CharlesEdouard Jeanneret, eine standardisierte, geometrisch-klare und konsequent unhistorische Architektur dar, wie sie Heinrich Tessenow im scharfen Widerspruch zu Riemerschmids Heimatstil vorschlug. Der Grundstein für die Moderne der Weimarer Republik war gelegt.
Die Turbinenhalle der AEG in Berlin Der Werkbund und die Industrie
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ie kann eine Elektrolampe schön sein? Wie soll dazu passend ein Plakat gestaltet sein? Wie überhaupt muss eine Werkhalle aussehen, damit sie sich als zeitgemäß, funktional und monumental zugleich ausnimmt? Das waren drängende Fragen, die um 1900 an eine Warenproduktion gestellt wurden, die seit einiger Zeit in Großserie herstellte und zugleich auf die erzieherischen Werte ‚guter Formen‘ achten wollte. Diese Bestrebungen mündeten vor allem im Deutschen Reich in einen innova-
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tiven Zusammenschluss von Industrie, Design, Kunstpädagogik und nationaler Imagebildung, deren wichtigste Interessenvereinigung der „Deutsche Werkbund“ wurde ( Themenblock · Interessenverbände, S. 220 f.,|▶ 22|). Einer der weltweit agierenden deutschen Industriebetriebe, die früh die Bedeutsamkeit eines koordinierten corporate designs erkannten, war die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft mit ihrem Hauptsitz in Berlin. 1907 hatte sie den Direktor der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule,
Die Turbinenhalle der AEG in Berlin
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□ 97 Berlin, AEG-Turbinenfabrik, Peter Behrens, 1908 – 09
Peter Behrens, als künstlerischen Beirat berufen, und bereits 1908 – 09 konzipierte dieser eine gestalterisch epochale Werkhalle mit zwei großen Laufkränen mit je 50 t Tragekraft zur Montage von Turbinen der AEG. Der Baukörper ist einfach zu erfassen, besteht neben der ca. 25 m hohen Haupthalle von 123 m, später auf 207 m vergrößerten Länge aus einer seitlich begleitenden, architektonisch schlichten Nebenhalle (□ 97). Die große Halle wird gemäß einer vom Betriebsdirektor Oskar Lasche und dem Ingenieur Karl Bernhard entwickelten Konzeption von einer Abfolge aus Dreigelenkbögen aus vernieteten Doppel-T-Profilen getragen. Dazwischen öffnen sich fast in voller Breite Fenster, auch von oben erhält das Innere durch ein sattelförmiges Oberlicht Beleuchtung. An der Stirnseite zur Huttenstraße tragen zwei mächtige, seitliche Mauerblöcke einen Giebel, der dem Querschnitt des Hallendaches folgt. Darunter, zwischen den Eckmassiven, ist wiederum ein großes Fenster eingelassen. All das erscheint ganz ungewöhnlich und
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vertraut zugleich, insbesondere die Konstruktion einer Werkhalle aus Dreigelenkbindern. Diese Konstruktion besteht aus zwei Bogenschenkeln, die am Erdboden und in ihrem Scheitel mit Gelenken verbunden sind, damit sie thermische Ausdehnungen ohne Brüche gestatten können. Entscheidend ist aber, wie Behrens diese Gegebenheiten gestalterisch umgesetzt hat: So bestehen die einzelnen Binderschenkel aus einer senkrechten Seitenstütze, die in einen mehrfach geknickten Dachträger überführt. Aus statischen und ökonomischen Gründen sind die Binderschenkel an der Knickstelle am stärksten, während sie zu den Gelenken zusammenlaufen, also schmäler werden können. Während demnach die Außenkante jeder Stütze senkrecht nach oben läuft, neigt sich die Innenkante leicht, aber klar sichtbar nach innen. Hier, in der Innenflucht der Stützen, sind die Fenster eingesetzt, die mithin nach oben leicht in das Innere zu kippen scheinen. Umgekehrt zeigt sich dadurch die gesamte Eisenkonstruktion am Äußeren, und zwar dergestalt, dass der
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obere Teil stärker ist als der untere hervortritt. Dieser allerdings ist jeweils aufgelagert in dem großen Rollengelenk, das seinerseits in hohe Betonsockel einfundamentiert ist (□ 98). In der monotonen Abfolge dieser markant nach außen gesetzten Stützen evoziert Behrens klar eine klassische Kolonnade, verdreht aber die Prinzipien der Tektonik. War in der klassisch-vitruvianischen Syntax die Säule unten stärker, um sich nach oben zu verjüngen und dort mithilfe eines gestalterisch herausgestellten Kapitells die Auflage für einen Architrav zu bilden, so ist es an der Turbinenhalle genau umgekehrt: Das Bindergelenk als Auflastpunkt erscheint nun unten, die Stütze wird nach oben stärker. Gleichwohl ist alles konstruktiv logisch und in dieser Konsequenz – ganz analog zu den klassischen Prinzipien des Tempels – auch gestalterisch freigelegt. An der Schmalseite bestätigen sich diese Prinzipien. Der seitlich abgestützte Giebel erinnert unweigerlich an eine Tempelfront, zumal es ein dekoriertes Tympanon gibt: Statt allegorischer Figuren prangt hier nunmehr aber das Firmenlogo, drei gestaffelte Waben von kristalliner Prägnanz mit den Firmeninitialen. Und dennoch resultieren alle Einzelheiten aus der Stahlkonstruktion. Die seitlichen Mauern neigen sich an den Außenkanten oben nach innen, folgen also der Flucht der Seitenfenster; dasselbe gilt für die polygonal gebrochene Oberkante des Giebels, die den Querschnitt der Dachkonstruktion getreu abbildet. Die Festigkeit der Seitenmauern betont Behrens noch dadurch, dass sie ganz gemäß klassischer Architektur kräftig genutet sind. In diesem Aussehen – genutet und sich oben leicht verjüngend – könnten sie auch Brückenpfeiler sein. Wie an der Seitenfassade sind hier nunmehr aber Paradoxa eingebaut: Insbesondere macht das große Stirnfenster die Neigung der Seitenpylone nicht mit, fluchtet dafür aber mit dem Giebel. Die massiven Seitenteile, die nach der klassischen Architekturästhetik eigentlich fest erscheinen sollten, treten etwas
zurück, während der gläserne, ‚leichte‘ Mittelteil plastisch etwas nach vorne steht, als ob er trage oder aber von der Giebelunterkante abhängen würde. In der Tat ist die Konstruktion des Giebels wie des Fensters Teil der Stahlkonstruktion. Diese wird also auch ästhetisch zum Prinzip der Gestaltung, folgt einer tektonischen Logik, die traditionsgemäß insbesondere dem griechischen Tempel attestiert wurde – und erreicht damit eine Form, die eben an einen Tempel mit seiner Stützenabfolge und Giebelfront erinnert und dessen monumentale Wirkung kaum geringer sein könnte. Dabei handelte es sich weniger um eine städtebauliche Geste, sondern um eine Nobilitierung der AEG, die sich hier geschmackssicher eine branded architecture errichten ließ: Technische Innovation und Zuverlässigkeit paaren sich mit absoluter Modernität und traditionsbewusster Monumentalität.
□ 98 Berlin, AEG-Turbinenfabrik, Peter Behrens, 1908 – 09, Auflager eines Bogenbinders
Die Turbinenhalle der AEG in Berlin
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Die so erstaunliche Architektur der AEG-Turbinenhalle muss vor dem Hintergrund einer Bewegung gesehen werden, die in der Gründung des Werkbundes ihren bezeichnenden Ausdruck fand. Die Diskussion um ein zeitgemäßes Kunstgewerbe hatte ja spätestens mit der Arts-and-Crafts-Bewegung | ▶ 11| eine erneuerte Geschmackskultur als Pendant zur Erschließung neuer Konsumgüterbereiche gefordert. Unentschieden war allerdings, welche Bedeutung der genuin künstlerische Entwurf und das traditionelle Handwerk dabei haben sollten. Mit dem Zusammenschluss von 12 Künstlern (u. a. Peter Behrens, Richard Riemerschmid |▶ 22|, Theodor Fischer |▶ 21|, Josef Hoffmann |▶ 20|) und 12 Firmen zum Deutschen Werkbund entstand im Oktober 1907 auf nationaler Ebene eine Interessensvereinigung, die resolut die industrielle Konsumgüterproduktion in Verbindung mit einem aktuellen, gegenwartsbezogenen Design in allen Lebensbereichen vertrat. Ziel war die „Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk, durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu allen einschlägigen Fragen“ (Satzung des WB 1907); Grundlage dieser Produktion sollte der ‚gute Gebrauchswert‘ sein, aus dem sich Schönheit automatisch ergebe; als Vorbild diente die Kunstpolitik der AEG und ihres Leiters Peter Behrens. Dank der Unterstützung von Großfirmen wie AEG und Bahlsen, aber auch den Deutschen Werkstätten in Dresden |▶ 22| stieg der Werkbund bis zum Ersten Weltkrieg rasch zum Aushängeschild der deutschen Kunstgewerbereform auf, bald gefolgt von ähnlichen Organisationen in Österreich 1912 und der Schweiz 1913. Maßgeblich für den Erfolg verantwortlich war eine kluge Medienpolitik des Werkbundes, die schon im kurzen und prägnanten Namen (im Kontrast zu den meist umständlich betitelten anderen Kunstgewerbevereinigungen) zum Ausdruck kam. Vor allem große Ausstellungen, insbesondere
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die Werkbundausstellung in Köln 1914 und ein aufwändig gestaltetes Jahrbuch machten das Wirken des Werkbundes öffentlich sichtbar. Programmatisch wurden bis hin zur Architektur ‚Typen‘ präsentiert: Die Mustersiedlung Hellerau |▶ 22| verstand sich als Modellausstellung des Wohnungsbaus, und in Köln waren etwa ein Glaspavillon für die Glasindustrie (Bruno Taut), ein gläsernes Fabrik- und Verwaltungsgebäude (Walter Gropius) oder ein Theater für neue Aufführungspraktiken (Henry van de Velde) zu sehen. Die durch führende Politiker, etwa Friedrich Naumann, entschieden unterstützten Aktivitäten des Werkbundes hatten auch das Ziel, mit der Kreation eines neuen und modernen Image den Konsum deutscher Produkte im In- und Ausland zu beleben. Auf der einen Seite breitete sich das großstädtische Bürgertum als dominierende Konsumentenschicht mit neuen Lebensstilen aus, auf der anderen Seite herrschte angesichts der rapiden Verstädterung, eines unerbittlichen Kapitalismus und einer zunehmenden nationalen Konkurrenz um 1900 allgemein das Gefühl von sozialer Verunsicherung und abhandengekommener mentaler Verwurzelung. Der Soziologe Ferdinand Tönnies hat das schon 1887 in seiner Unterscheidung zwischen ‚kalter‘, funktionierender ‚Gesellschaft‘ und ‚warmer‘, erlebter ‚Gemeinschaft‘ beschrieben. Allgemein wurde daraus bald ein grundsätzlicher Unterschied zwischen ‚Zivilisation‘ und ‚Kultur‘. Die vielfach beklagte Disharmonie, dass der moderne Großstadtmensch nur noch ‚Moden‘ folge anstatt wie früher sich in einer von einheitlichem ‚Stil‘ geprägten ‚Kultur‘ zu bewegen, trat nun allenthalben zu Tage: Eine pseudoaristokratische und unpraktische Damenbekleidung war ebenso nur modische Verkleidung wie eine Villa zum Barockschloss zu stilisieren, beides Ausdruck schlechten Geschmacks. Die Politik des Werkbundes setzte zur Beseitigung dieser Disharmonie nun aber nicht ‚unten‘ an, indem man versucht hätte, ‚Stil‘ als ganzheitliche
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Summe von ‚Kultur‘ sich ausprägen zu lassen. Vielmehr ging es darum, die Konsumobjekte so attraktiv, neu und passend zu gestalten und zu verbreiten, dass sie ihrerseits einen ‚guten Geschmack‘ stifteten. Über die massenweise Produktion guter Waren könne, so die Vorstellung, auch ‚Kultur‘ und nationale Einheit wieder hergestellt werden. Um verfügbar zu sein, dürfen diese Produkte keine Einzelstücke sein, sondern müssen massenweise erstellt und verbreitet werden, die Entwicklung von Typen guter Gestaltung wurde als das Mittel angesehen, die eitle, individuelle ‚Mode‘ einzudämmen. Der Erziehung zum neuen Menschen kam daher eine zentrale Funktion zu, und sie wurde in allen Medien (Ausstellungen, Publikationen, Ausbildungscurricula) betrieben (Schwartz, in: Nerdinger 2007). Diese Politik des Werkbundes war selbst intern nicht unumstritten, und aus diesen Gründen entlud sich 1914 ein heftiger Streit, in dem eine Fraktion unter Führung von van de Velde sich für die Dominanz des künstlerischen Entwurfs und eine sich daraus entwickelnde Genese eines neuen Stils einsetzte. Generell entsprach aber das Insistieren auf Typen und Volksbildung einer Auffassung, die noch in den 20er Jahren vielfach vertreten wurde und darin zum Ausdruck kam, einen Idealtyp des rational-sachlich denkenden und fühlenden ‚Neuen Menschen‘ zu fordern. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, welche Bedeutung zentrale Begriffe wie ‚gute Form‘, ‚Einfachheit‘ und ‚Funktionalität‘ kurz nach 1900 haben sollten: Sie versprachen die Rückkehr zu einer harmonischen Kultur unter der Führung der mit dem Werkbund assoziierten Firmen und Künstler. Daran hatte auch die Turbinenhalle der AEG in Berlin ihren Anteil, selbst wenn in ihr keine Konsumgüter produziert wurden. Das tat die Firma aber in Hunderten, jeweils wiederum vielfach in zukunftweisender funktionaler Form von Behrens gestalteten Haushaltsgegenständen, von der elektrischen Bogenlampe bis zum Wasserkocher.
Die nachgerade programmatische Verbindung zur Industrie äußerte sich wenig später in einer weiteren Inkunabel der frühen Moderne: den von Adolf Meyer und Walter Gropius 1911/12 errichteten Fagus-Werken in Alfeld an der Leine. Der Verwaltungstrakt bildet einen fast vollständig verglasten Kubus, bei dem eine gläserne Vorhangfassade ostentativ vor die Stockwerkeinteilung gesetzt ist. Ein ähnlich homogener Glaskubus um eine Stahlskelettkonstruktion war schon 1903 für die Fa. Steiff in Giengen an der Brenz errichtet worden, doch ist die Alfelder Lösung weit subtiler: Die schwarzen Bänder, die die Fassade horizontal durchziehen, geben keine Stockwerkseinteilung wieder, sondern dienen der Versteifung des Fensterrahmenrasters. Die mit gelbem Klinker verkleideten Stahlstützen bilden das konstruktive Skelett des Baues, das in seiner regelhaften Abfolge schlanker Stützen und der darüber geführten Gebälkzone analog zu der AEG-Turbinenhalle Assoziationen zum klassischen Tempel aufkommen lässt, der gleichsam in eine zeitgemäße Form überführt worden zu sein scheint und in seiner noblen Konnotation dem Firmenimage dient. Analog zu Behrens greifen aber auch Meyer und Gropius in die tektonische Funktionslogik ein. Hier nun aber sind es die Backsteinpfeiler, die sich – ganz gemäß der Verjüngung der klassischen Säule, aber im Widerspruch zu einer Stahlkonstruktion – leicht nach innen neigen. Paradoxerweise treten dazwischen die gläsernen Wandflächen leicht nach vorne, wie an der Stirnseite der Turbinenhalle fluchten sie mit dem Gebälk, scheinen vorhangähnlich von dem Gebälksturz herunterzuhängen: Das Gebäude hat in seiner gläsernen kompakten Form Ähnlichkeiten mit einem Kristall, doch ist es zudem eigenartig gewichtslos |▶ 9|. Kunst und Industrie, das war die Botschaft der Fagus-Werke, brachten gemeinsam ‚gute‘, geläuterte Form hervor, und von diesem Image konnten die in dem Betrieb massenhaft hergestellten Schuhleisten nur profitieren.
Die Turbinenhalle der AEG in Berlin
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Robie House in Chicago Die Suche nach einem Stil der USA
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m Jahre 1908 durchlebte ein schon nicht mehr ganz junger nordamerikanischer Architekt eine Sinn- und Lebenskrise: Trotz zahlreicher erfolgreicher Realisierungen bricht Frank Lloyd Wright, zusammen mit der Frau eines seiner Klienten, von Chicago nach Europa auf, um hier in Fiesole in ein viele Monate dauerndes Exil zu gehen. Nach seiner Rückkehr in die USA wird er nie mehr in sein altes Atelier im Chicagoer Vorort Hyde Park zurückkehren, sondern sich noch weiter in das Landesinnere nach Taliesin zurückziehen, weiterhin sehr erfolgreich als Architekt wirken und sich überdies bis ins hohe Alter zum Doyen der US-amerikanischen Moderne und – in seinem eigenen Selbstverständnis – größten Baumeister aller Zeiten stilisieren. Der Aufenthalt in Europa diente aber nicht nur der Meditation, sondern der Vorbereitung einer großformatigen, deutschsprachigen Publikation seiner bisherigen Werke „Ausgeführte Bauten und Entwürfe“, 1910/11 im Wasmuth-Verlag erschienen. Diese Publikation sollte das Bauen in Europa in entscheidendem Maße verändern. Die Publikation enthielt vor allem Abbildungen von äußerst ungewöhnlich konzipierten großbürgerlichen Villenbauten. Damit wirkte Wright auf eine der zentralen Bauaufgaben der Zeit: Der großbürgerliche Wohnbau, in dem der Anspruch verfolgt werden konnte, über innovative und aufgeschlossene Bauherren auf die Geschmackskultur zu wirken, hatte bislang mit Emphase und in allen Ländern auf Modelle des englischen Landhauses |▶ 11|, aber auch den Heimatstil oder klassizistische Vorbilder zurückgegriffen. Die prairie houses (Präriehäuser) von Wright folgten völlig anderen Grundsätzen, und diese sollten entscheidend auf die Entwicklung des
Villenbaus in der ganzen Welt wirken. Das bekannteste Beispiel hierfür stellt das Robie House dar, 1907 – 08 entworfen und 1909 – 11 in Oak Park für Frederick C. Robie, den Sohn eines reichen Unternehmers, in bewusster Nähe zur Chicagoer Universität errichtet. Auf einem relativ schmalen, längs der Straße sich erstreckenden Terrain entstand ein extrem lang gestrecktes Gebäude innerhalb eines ummauerten Areals. Das Haus besteht aus zwei langen, zweigeschossigen Flügeln, die aneinander angrenzend parallel, allerdings stark versetzt verlaufen (□ 99). Den rückwärtigen Flügel mit den Privaträumen, Dienstbotenwohnung sowie einer Garage für drei (!) Autos umgibt ein von einer Mauer umgrenzter Hof. Der spektakuläre Hauptflügel besteht aus einem einzigen, immensen, lang gestreckten Raum für Wohn- und Speisezimmer, der an den Schmalseiten leicht eingezogen wird und hier bugartig in Form eines Rechteckwinkels auslädt. Der Innenraum setzt sich an der Westseite in einer großen Terrasse in der Breite des Wohnzimmers fort. Terrasse, Wohnraum und ein Teil des Hofes überstreicht ein extrem flaches, weit ausladendes Walmdach (□ 100). An keiner Stelle wird die scharf geschnittene Dachkante dieser lang gestreckten Fläche beeinträchtigt. Die markante Horizontalität gilt aber auch für alle anderen Teile des Hauses: Die Südfenster sind als eine gleichsam endlose Reihe monoton nebeneinander gesetzt; die Gartenmauer besteht ebenfalls aus einem ununterbrochenen steinernen Sockel- und Brüstungsband, das sich deutlich von dem dunklen Backstein absetzt, der das sonstige Baumaterial abgibt. Der Backsteinverband ist subtil derart gestaltet, dass die vertikalen Stoßfugen durch dunkle Tönung unkenntlich
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gemacht werden, während die horizontalen Lagerfugen hell hervorgehoben sind. Höchst eigenartig ist auch die Erschließung des Hauses: Denn auf der Straßenseite gibt es kein – vertikale Akzente setzendes – Portal, im Gegenteil läuft vor der Seitenfassade des Hauses mit ihrer überlangen Fensterreihe eine an den Ecken mit Postamenten akzentuierte Mauer durch. Zum Haus gelangt man durch einen niedrigen, fast versteckt gelegenen Eingang auf der Rückseite des Hauses. Auf dieser Ebene liegen ein großes Billard- und ein Spielzimmer. Von dort, aus dem Dämmrigen, geht in der Mitte des Wohnflügels eine mehrfach gewendete Treppe nach oben und führt in die Helle des lang gestreckten Wohnraums auf dem Hauptgeschoss (□ 101). Hier gibt es keine Wände und keine klar definierten inneren Raumbegrenzungen. Einzig ein mächtiger Kamin neben dem Treppenaufgang erhebt sich in der Mitte des Raums, doch kann man an ihm an beiden Seiten vorbeigehen und –sehen. Der Kamin durchzieht als einziges klar vertikales Element das ganze Haus von unten bis oben: Er bildet den Kern, an dem das Haus erstiegen wird, von dem die freien Räume abgehen und vor dem die Fensterreihe vorbeizuziehen scheint. Diese ‚Feuerstelle‘ verbildlicht auch die symbolische und funktionale Mitte des Hauses; konsequent ist diese ‚private‘ Achse auch nach oben fortgesetzt, denn die Treppe führt weiter zu einem kompakten, von einem eigenen, weit auskragenden Dach gedecktes Obergeschoss mit einer Gruppe von Schlafzimmern. Auf der Hauptebene finden sich unmittelbar neben Treppe und Kamin auch der Frühstücks- bzw. Essbe-
reich. Diese bildeten jeweils intime Zonen, indem durch die exakt vertikal geführten und hoch aufragenden Stuhllehnen gleichsam eine Raumschale angedeutet wurde, die den Essbereich umgrenzte. Doch all das ereignet sich in einer inselartigen Verdichtung inmitten eines ansonsten freien Raumes. Mehrfache horizontale Strukturen erzeugen einen starken Tiefenzug zu den Stirnseiten des Raumes: insbesondere die monotone Reihung der Fenster, das Band des durchlaufenden Fenstersturzes und eine durchlaufende, soffittenartige Erhöhung des Mittelteils der Decke. Der Knickung dieser Erhöhung folgen auch farblich stark abgesetzte Querstreifen aus Naturholz: Sie erinnern an Deckenbalken, sind jedoch zu Bandstrukturen abstrahiert, die Bezug nehmen auf eine konsequente dunkelfarbige Rahmung sämtlicher Wand- und Fensterpaneele darunter. Von diesen Deckenbalken ragen jeweils kugelförmige Lampen in die Soffitte, eine schier endlose Reihung von punktartigen Lichtquellen bildend. Der Längszug des Raums setzt sich auch in den Außenbereich jenseits der Stirnseiten fort, denn deren winkelförmige Brechung zieht ihn gleichsam auf die Terrassen, wo die Decke des
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□ 100 Chicago, Robie House, Frank Lloyd Wright, 1909 – 11, Seitenansicht von der Straße
Innenraums in die Unterseite des weit vorkragenden Vordaches übergeht. Zu betreten ist die Terrasse durch vollständig verglaste Türen zwischen der Stirnseiteneinziehung und der Längswand: Die Reihe der Fenster setzt sich ins Äußere fort, die Fenstersohlbank innen wird zur Brüstung der seitlichen Terrassenmauer außen. Das Robie House folgt insgesamt einer bewusst ambivalenten Struktur: In seiner Horizontalität erstreckt es sich weit in seinen natürlichen, baumbestandenen Umraum. Gleichzeitig schottet sich der Bau mit seinen massiven Mauern davon ab. In dem Hauptmaterial Backstein übernimmt die Architektur natürliche, warmfarbige Materialien, doch zugleich kommen in den kühn und ohne Außenstützen vorkragenden Vordächern unübersehbar moderne Materialien wie Stahl zum Einsatz. Wiewohl die Villa einen einzigen immensen Innenraum umschließt, so wird dieser doch markant in verschiedene Zonen der Privatheit eingeteilt. Und diese geradezu rustikale Intimität um den Kamin kontrastiert mit der programmatischen Entwertung von Außengrenzen: Das Innere
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gleitet sanft über in das Äußere der Terrasse. Symbolisch Sprechendes vermittelt sich mit abstrakt Kompositorischem: Der Kamin und sein rustikales Ambiente machen Feuerschein sichtbar und Wohligkeit fühlbar, aber Licht und Heizung werden ansonsten künstlich erzeugt. Die ‚urtümlichen‘ Balken im Inneren werden zu abstrakten Bandstrukturen. Und nicht das kleinste Detail ist der klassischen Formensyntax verpflichtet, im Gegenteil, die horizontal geschichteten Backsteinmassive ohne eindeutige Schauseite konterkarieren vertraute Vorstellungen einer Fassade als der Hauptschauseite eines Gebäudes. In dieser Struktur repräsentiert das Robie House verschiedene nordamerikanische Mythen und Mentalitäten der Zeit: die Ehrfurcht vor der weiten Natur, der Prärie, sowie die industrielle Beherrschung moderner Stahltechnik, die Eroberung des unbegrenzten Siedlungslandes sowie eine gediegene Kultiviertheit – in Absetzung von einer Verwurzelung in der Alten Welt. Wright hat dieses Modell des weit in dem Umraum ausgreifenden prairie house über lange Jahre, seit 1893 (Winslow House, Chicago), aus kompakteren,
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zunehmend kreuzförmig nach außen ragenden Dispositionen entwickelt. Für das dezidierte Abweichen von tradierten europäischen Sprachen ist dabei auch eine intensive Rezeption des japanischen Wohnhauses in dieser Zeit verantwortlich zu machen: Das aus Balken mit leichter Ausfachung errichtete, oft von einem weit auskragenden Dach gedeckte Haus umschließt auch hier einen Einheitsraum, der sich in der Fläche, weniger in der Höhe entwickelt, und nur durch leichte Membranen unterteilt ist. Dieses Modell galt als Muster von Materialgerechtigkeit und Funktionalität und insofern auch als Vorbild einer neuen Architektur des amerikanischen Westens, um sich gegen die Traditionen des Bauens in Europa und der Ostküste zu wenden. Auch wenn der Auftraggeber Frederick C. Robie sein Haus nur einige Monate bewohnen sollte, so war er doch typisch für die generelle Klientel der prairie houses, für die es kein Pendant in Europa gab: der junge, reiche Self-made man, aufgeschlossen und liberal, unternehmenslustig, erfinderisch und künstlerisch begabt sowie in innovativen Berufszweigen tätig. Robie investierte in die Produktion von Automobilen, ein Verkehrsmittel, dessen Entwicklung sich eigenartigerweise parallel zu Wrights prairie houses vollzog. Chicago, Zentrum der Automobilindustrie, war zudem eine architektonisch junge, im (Wieder-)Aufbau befindliche Stadt: Im Zuge der großen Weltausstellung, die hier 1893 stattgefunden hatte, hatte man sich allerdings
programmatisch mit der City Beautyful-Bewegung verbunden (□ vgl. 18). Die großartigen, meist hellfarbigen Prachtbauten in neubarockem oder klassizistischen Idiom erschienen als die Mittel, um eine Stadt, die 1871 durch einen riesigen Brand dem Erdboden gleichgemacht worden war und bald darauf eine Weltausstellung ausgerichtet hatte, architektonisch und urbanistisch neu zu ordnen. Wright allerdings hatte vor der Eröffnung seines eigenen Büros bei Sullivan & Adler gearbeitet, u. a. am Entwurf des Wainwright Building. Er folgte dem dort entwickelten anti-klassizistischen Anspruch, Funktion in organische Form umzusetzen |▶ 17|, dies aber auf den Landhausbau anzuwenden und daraus eine neue Strategie zu entwickeln, in der sich Natur und Technik, Rustikales und Kultiviertes auszudrücken vermochten. Viele Besonderheiten der europäischen Avantgardemoderne der 20er Jahre sind in Bauten wie dem Robie House – die Wright ja in der genannten Veröffentlichung 1910/11 publiziert und in Vorträgen in Europa erläutert
□ 101 Chicago, Robie House, Frank Lloyd Wright, 1909 – 11, Innenansicht des Wohnraumes
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hatte – vorgebildet. Dass geometrisch abstrahierte Blockformen um einen zentralen Kern zu pivotieren scheinen, ist etwa vielen De Stijl zuzuordnenden Entwürfen eigen |▶ 28|. Der ‚fließende‘ nur durch gleichsam mobile Wände strukturierte Raum kann geradezu als ein Markenzeichen für Mies van de Rohes Hauptwerke gelten, wie der Barcelona-Pavillon (□ vgl. 121) oder die Villa Tugendhat in Brno deutlich machen |▶ 32|. Dies gilt auch für das Verschleifen von Innen- und Außenraum, das etwa vielfach bei Le Corbusier aufgenommen wurde, etwa der Villa Savoye in Poissy (□ vgl. 22), wo die Terrasse wie ein Zimmer im Freien wirkt. Auch die Umformulierung tradierter Architekturelemente konnte man bei Wright vorgeprägt finden: Wandöffnungen anstatt gerahmter Türen und Fens-
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ter, flache Platten statt voluminöser Dachaufbauten. Viel weniger als bei Wright wird in der europäischen Moderne aber auf mythische Topoi – die wilde Natur, das Lagerfeuer – verwiesen, sondern eher versucht, eine abstrakte Weltordnung über die Architektur zu vermitteln |▶ 28, 31|. Interessanterweise ist Wright selbst in seiner weiteren Karriere ganz andere Wege gegangen. Sein weltberühmtes Landhaus Falling Water, 1935 – 37 für Edgar Kaufmann |▶ 36| in Mill Run (Pennsylvania) errichtet, lässt die Wildnis Teil der Architektur werden: Nicht nur, dass sich das Haus in verschiedenen terrassenartigen Auskragungen kühn über einem Wasserfall inmitten der Natur erhebt, sondern auch im Inneren ist der Fußboden als (geglätteter) Fels zu betreten.
Das Théâtre des Champs-Elysées in Paris Klassik und Betonarchitektur
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it der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg endet der Jugendstil: Das betrifft nicht nur die Rolle des bislang als zentrales Kriterium erachteten Ornaments, sondern vor allem das bislang beschworene Überschneiden der Künste, bei denen das Kunsthandwerk das einende Element bildete. Nunmehr, in der Zeit sich verschärfender nationaler Konkurrenzen und patriotischer Appelle, sollte die Architektur zum einen zeitgemäß, zum anderen aber dauerhafter Ausdruck nationaler Charaktere sein. Und innerhalb der Differenzierung der Künste sollte sie wieder in ihre alte Rolle als deren ‚Königin‘ eintreten, der Bauskulptur und Ausstattung ‚untertan‘ sind. Im Zuge einer solchen Rehierarchisierung entstand ein neuer Klassizismus, der zeitgemäß in Bautechnik und Details ist, sich aber in der Gesamtkonzeption auf angeb-
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lich ewig gültige Modelle berief, die man einmal mehr in der griechischen Antike zu finden glaubte. Das Théâtre des Champs-Elysées in Paris steht am Anfang dieser bis heute währenden Tradition einer klassizistischen Moderne. Der Theaterbau, 1901 von dem einflussreichen Musikimpresario Gabriel Astruc initiiert, sollte Paris einen modernen Aufführungsort für zeitgenössische Musik, Oper und Ballett geben. Entsprechend übernahmen die ersten Entwürfe verschiedener, einander ablösender Architekten gezielt Vorschläge, wie sie in der Nachfolge der Reformen Richard Wagners in Deutschland realisiert und in Frankreich diskutiert wurden, insbesondere einen fächerförmigen Grundriss für den Zuschauersaal. Nach mehreren Projekten und einer Standortverlagerung an die Avenue Montaigne wurde 1910 ein Architekt zum künst-
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lerischen Leiter bestellt, der damals zu den berühmtesten modernen Baukünstlern gehörte: Henry van de Velde, Direktor der herzoglichen Kunstschule in Weimar. Das Theater sollte nun zu einem zeitgenössischen Gesamtkunstwerk werden, an dem unter anderen Maurice Denis für die malerische Ausstattung und für die Bauskulptur der Rodinschüler Antoine Bourdelle tätig werden sollten. Die neue Ausrichtung des Projekts schlug sich aber umgehend darin nieder, dass von wichtigen theaterfunktionalen Erfordernissen abgerückt wurde. Der Zuschauersaal erhielt wieder seine in Frankreich angestammte kreisrunde Grundrissform, in der das ‚Gesehen-Werden‘ ebenso wichtig wie das ‚Sehen‘ ist |▶ 12|. Der Zuschauersaal befindet sich im Projekt van de Veldes am Ende eines lang-
gestreckten Grundstückes, das von drei Seiten eingebaut ist. Es gibt also nur die Erschließung von der straßenseitigen Fassade, hinter der im oberen Bereich ein querliegender kleiner Theatersaal untergebracht ist, die „Comédie“. Darunter und dahinter erstrecken sich also die eigentlichen repräsentativen Bereiche, im Wesentlichen eine Empfangshalle, von der zwei Treppenläufe auf eine umlaufende Galerie führen. Auf ein opulentes Foyer ist verzichtet, und ansonsten ist dem Bauprojekt seine Modernität vor allem an den auf klassisches Architekturvokabular verzichtenden dynamischen Linienführungen der architektonischen Elemente anzumerken. Die mit weißem Marmor verkleidete Schaufront sollte durch wenige flache Bänder vertikale Akzente erhalten.
□ 102 Paris, Théâ- tre des ChampsElysées, Auguste Perret, 1911 – 13, Fassade
Das Théâtre des Champs-Elysées in Paris
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Inzwischen war auch der Betoningenieur und Architekt Auguste Perret mit seinem Büro tätig geworden und hatte die Statik des Baues ermittelt, dabei einige Änderungen – insbesondere im Stützensystem des Zuschauersaals – vorgegeben. Diese verteilen sich derart in vier Gruppen von je zwei Stützen um den nunmehr vollends kreisrunden Zuschauerraum, dass sie ein in den Hauptachsen des Gebäudes stehendes Quadrat umschreiben. Aber Perret war über seinen Auftrag hinaus auch noch für einen weiteren Fassadenentwurf tätig, konzipierte deshalb unter Umgehung des federführenden Architekten van de Velde eine Lösung, die den grundsätzlichen Aufbau des Saalinneren nach außen abbilden sollte. Demgemäß wurde das Theater von 1911 bis 1913 auch ausgeführt – und van de Velde dabei restlos aus dem Projekt gedrängt. Man kann Perrets Konzept vor allem an der abgeänderten Straßenfassade studieren (□ 102): Das stützende Betongitterraster (□ 103) drückt sich gleichsam an den Außenfassaden durch, bestimmt dort die hauptsächlichen Kompositionsachsen. So ergeben sich zwei seitliche kolossale Pilaster, zwischen die ein etwas kleinteiligeres Mittelfeld eingefügt ist, dessen Achseinteilung sich ebenfalls aus der inneren Struktur ableiten lässt. Trotzdem ist die Fassade aber fein reliefartig modelliert: Es gibt große Formen – die Pilaster und die Attika –, die nachgeordnete Gliederungselemente übergreifen, welche entsprechend kleiner und zurückversetzt erscheinen. Insgesamt ergibt sich aber eine flache, rechtwinklig systematisierte Fassade. Das sind durchaus klassische architektonische Kompositionsweisen, wie sie zum Grundbestand der Auffassungen der École des Beaux-Arts ( Themenblock · Architektenausbildung, S. 145 f.) gehörten. Zudem aber ist das Ganze in hellem Marmor verkleidet und die allegorischen Relieffelder von Antoine Bourdelle sind streng in die rechteckige Ordnung eingefügt. Kein Wunder also, dass der Bau umgehend an antike Bauwerke Griechen-
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lands erinnerte: Der strahlende Marmor, die in die Baustruktur eingefügten Reliefs, vor allem auch die strenge, ‚kristalline‘ und hierarchische Anordnung von vertikalen und horizontalen Architekturgliedern zeigen eine klare Referenz auf die verehrten Bauten Griechenlands, vor allem den Athener Parthenon. Entscheidend für die begeisterte Aufnahme des Theaters war aber, dass diese Bezüge auf die Geschichte nicht bloß beliebig ‚appliziert‘ sind, sondern gleichsam automatisch aus der inneren konstruktiven technischen Form entstanden zu sein schienen. Die Betontechnik, bislang nur selten offensiv bei repräsentativen Bauten eingesetzt, galt damals als überaus innovativ, aus Brandschutzgründen war sie effektiv und ökonomisch günstig. Was also für ein Kontrast zu den historistischen ‚Verkleidungen‘ und den opulent schwingenden Fassaden der Zeit, von denen sich eine überbordende Bauskulptur bisweilen so weit verselbständigte, dass sie in Form von geflügelten Figuren wortwörtlich davon zu fliegen schien |▶ 12|! Das Theater und sein ausführender Architekt wurden in Frankreich unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg zum Ausdruck nationaler Charaktereigenschaften von Einfachheit, Logik und Vernunft, in ihm erstehe der ‚griechische Geist‘, der die Nation als ewig währende Verpflichtung auf Zivilisation und Humanität präge. Solche Interpretationen verstanden sich oftmals auch als grundlegende Kritik an der herrschenden republikanisch-parlamentarischen Verfasstheit der Dritten Französischen Republik und der von ihr maßgeblich unterstützten lebensreformerischen Tendenzen des Jugendstils. In einer jahrelangen Auseinandersetzung um die Frage, ob denn van de Velde oder Perret der eigentliche Autor des Theaters gewesen sei, galt der Jugendstilkünstler van de Velde bezeichnenderweise als ‚Dekorateur‘, hingegen Perret als ‚Konstrukteur‘. Das Theater stand insofern auch für eine gefestigte Nation, die gegen den freiheitlichen Individualismus und die demokratische Egalität, wie
□ 103 Paris, Théâtre des Champs-Elysées, Auguste Perret, 1911 – 13, Vestibül/Foyer
sie die Französische Revolution als Zukunftsvision beschworen hatte, angehen konnte. Der strenge Klassizismus von Perret war eben nicht einfach ‚neu‘ – und daher schnell wieder veraltet –, sondern verstand sich als überzeitlich, war er doch logisch aus den naturgesetzlichen Prinzipien der Betonkonstruktion abzuleiten. Bei einer solchen Konzentration auf konstruktive Kriterien blieben manche Aspekte einer modernen Architektur ausgeklammert, wie sie andernorts ebenfalls die Reformdebatte prägen konnten: die Funktionalität von Raumanordnungen, die Wirkqualitäten von Innen und Außen oder auch die ökonomischen Aspekte. Perret wurde seit den 20er Jahren zu dem anerkanntesten französischen Architekten schlechthin, der mehr und mehr große Staatsaufträge ausführte (Paris, Marineministerium, 1932; Musée des Travaux publiques, 1936), vor allem aber auch für moderne katholische Zirkel tätig war. In diesem Sinne konzipierte er 1922/23 die Kirche von Le Raincy, östlich von Paris. Der schalungsraue Skelettbau versteht sich hier gleichsam als eine Erneuerung der Gotik aus dem Geist einer innovativ gehandhabten Bautechnik, mit extrem schlanken Pfeilern und mit Betonwabenfenstern, die an die Stelle von Maßwerkfenstern getreten sind. Abseits von allen politischen Debatten prägte
das Théâtre des Champs-Elysées die Definition einer nationalen Moderne in Frankreich. Die so typischen Art-déco-Architekturen der 20er bis 50er Jahre – steinsichtige, helle Architekturen in einer reduziert klassizistischen Formensprache mit pointiert gesetzten Ornamenten – sind hier genauso zu nennen wie eine harsche Kritik an der sog. Internationalen Moderne, wie sie vor allem Le Corbusier, der in Frankreich lebende Schweizer, so lautstark vortrug und gegen den eine neue ‚Klassik‘ ins Feld geführt wurde. Die Erneuerung der Architektur durch den Rückgriff auf klassizistische – von den Akteuren meist als ‚klassisch‘ verstandene – Prinzipien beschränkte sich aber nicht auf Frankreich, sondern ist ein weltweit zu beobachtendes Phänomen des 20. Jh.s, das sich vor allem innerhalb der weltweiten Krisen und ideologischen Selbstbehauptungen seit den 30er Jahren zeigte |▶ 34, 35|. Ähnliche Tendenzen lassen sich aber bereits parallel zum Pariser Theater etwa auch in Deutschland konstatieren, wo z.B. Peter Behrens 1911/12 in Berlin die Villa Wiegand als strengen schlichten Bau mit reduzierten dorischen Säulen errichtete. Zur selben Zeit erbaute er auch die Deutsche Botschaft in Sankt Petersburg mit ihrer monumentalen Portikus aus kolossalen Säulen. Besonders signifikant stellt sich auch der 1926 ausgeschriebene
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Wettbewerb für das Verwaltungsgebäude des Völkerbunds (heute UNO) in Genf dar: Hier bot sich die Gelegenheit, eine zeitgemäße Architektursprache anzuwenden, die der gesamten Welt, und nicht nur einer Nation, angemessen Ausdruck geben sollte. Entsprechend beteiligten sich zahlreiche Architekten an dem Wettbewerb. Gerade auch die sich selbst als international verstehende Moderne schien gute Chancen zu haben, hier ein programmatisches Gebäude zu errichten. Vor allem der Entwurf von Le Corbusier und Pierre Jeanneret errang gewichtige Auszeichnungen. Zur Ausführung kam aber bis 1937 ein Gemeinschaftsprojekt des Franzosen Paul Nénot und des Schweizers Julien Flegen-
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heimer: ein monumentaler, um mehrere Höfe gruppierter schlossartiger Bau in schlichten klassizistischen Formen aus edlen Materialien. Man berief sich hier implizit auf die griechische Antike als Wiege der Zivilisation, um daraus eine ewig gültige Weltarchitektur abzuleiten. Aus ganz ähnlichen theoretischen Überlegungen sind aber auch die klassizistischen Monumentalbauten im nationalsozialistischen Deutschland und der stalinistischen Sowjetunion entstanden |▶ 35|. Auch in der Postmoderne feiert die Idee einer angeblich überzeitlichen, ewig gültigen klassizistischen Architektur eine erneute Renaissance, so zum Beispiel bei Léon Krier oder Ricardo Bofill.
Die Stadtbibliothek in Stockholm Das Potenzial der Erinnerung
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rchitektur um 1900 diente in den meisten Staaten einem ausgeprägten nationalen Bewusstsein. Dieses aber bevorzugte nicht mehr einzelne historische Epochen, sondern bezog sich auf angebliche nationale Traditionen, die lange zurückreichten und insofern aus mehreren, einander ablösenden ‚Stilen‘ bestünden. Daher sind gerade öffentliche Gebäude eklektische Zusammenstellungen verschiedenster Idiome. Das gilt auch für die skandinavischen Architekturen: Das Rathaus in Stockholm zum Beispiel, 1913 von Ragnar Östberg entworfen, ist eine monumentale Backsteinanlage um zwei Innenhöfe, von einem hohen Glockenturm dominiert. Von außen bietet sich der Bau in verfremdeten gotischen Anklängen dar, im Inneren erzeugen Arkadengänge Assoziationen an die Romanik, und die Innenausstattung bordet über im Erzählen nordischer Mythen und Historien. Dieser Heimatstil oder Regionalismus
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geriet wie in allen europäischen Ländern auch in Skandinavien nach dem Ersten Weltkrieg in die Kritik und wich einem gereinigten, gleichsam zeitenthobenen Idiom. Trotzdem blieben, im Gegensatz etwa zu der Situation in Deutschland, historische Vorbilder wichtig, wurden indessen einer radikalen Abstraktion unterworfen. Das bis heute bedeutendste Gebäude, auf das immer wieder Bezug genommen wird, ist die Stadtbibliothek in Stockholm von Gunnar Asplund. Der Architekt erhielt den Auftrag direkt über das städtische Bauamt. Das Terrain im Nordteil von Stockholm offerierte ideale städtebauliche Möglichkeiten. Es handelte sich um einen alten Park mit einem Observatorium, erhöht über der Stadt und am Kreuzungspunkt zweier wichtiger Verkehrsachsen gelegen. In einem lange währenden Entwurfsprozess entstand zwischen 1921 und 1928 der Bibliotheksbau.
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Die Disposition des Gebäudes ist klar und überschaubar (□ 104, 105): Ein vierflügeliger Block auf quadratischem Grundriss enthält in seinem Zentrum einen zylinderförmigen Raum, der nach oben deutlich die Gebäudekante überragt. An der Süd-, Ost- und Nordseite führt je ein überhohes, eindeutig ägyptisierendes Portal in der Mitte jeden Flügels in das Innere. Somit erhebt sich über Stockholm ein eigenartig regelmäßiges Gebäude als städtebauliche Dominante: ein Zentralbau, streng achssymmetrisch, in der Mitte aufgipfelnd, von allen Seiten optisch wirksam. Auch innerhalb der näheren Umgebung setzt die Bibliothek klar den Hauptakzent: Sie kontrastiert mit einem im selben Zusammenhang umgestalteten Landschaftsgarten, in dem das alte Observatorium erhalten wurde, und auf der Ostachse erstreckt sich am Fuß des Bibliothekskomplexes ein von Bäumen umstandenes Wasserbecken. Auch die Nutzung des Gebäudes ist klar strukturiert: Die zentrale Rotunde dient als Ausleihe- und Freihandbereich, während die umgebenden drei Gebäudeflügel die eigentlichen Lesesäle darstellen. Besonders intelligent und effektvoll gelöst ist die Erschließung des Gebäudes: Weil es auf abschüssigem Terrain liegt, führt eine gemächlich ansteigende Treppe zum Haupteingang. Beim Annähern scheinen das Gebäude und sein bekrönender Zylinder sich nach oben zu recken. Auch das Portal selbst erhebt sich monumental nach oben. In der sacht trapezförmig sich nach oben verjüngenden Umrissform ist hier klar auf ein klassizistisches Hauptwerk, Michael Gottlieb Bindesbølls Kopenhagener Thorvaldsen-Museum (1839 – 48) mit seinen riesigen ägyptisierenden Portalen, angespielt. Wegen der Abschüssigkeit des Terrains befindet sich die Hauptebene der Bibliothek im ersten Geschoss, und diese erreicht man, indem man den Anstieg über eine würdevolle Treppe im Inneren fortsetzt. Über mehrere Podeste führt sie gerade durch das Erdgeschoss und endet inmitten der zentralen
□ 104 Stockholm, Stadtbibliothek, Gunnar Asplund, 1921 – 28, Hauptfassade
Rotunde. Und hier befindet man sich im richtungslosen Inneren einer kreisrund geführten und steil nach oben, in der oberen Hälfte nackt putzsichtig aufsteigenden Wand. Der räumliche Überraschungseffekt wäre noch anders gewesen, wenn die ersten Projekte ausgeführt worden wären, denn dies sahen – ähnlich wie in Jeffersons Universitätsbibliothek in Charlottesville |▶ 3| – eine klar auf das römische Pantheon verweisende kassettierte und durch verglaste Öffnungen perforierte Kuppel vor. In zurückhaltender, aber unmissverständlicher Weise setzt das Gebäude klassizistische Gliederungsformen ein: So ist die untere Hälfte des Kubus rustiziert und wird mit einem doppelten dekorativen Friesband abgeschlossen, die Fläche darüber ist gänzlich glatt, gegliedert allein durch in die Wand eingeschnittene
Die Stadtbibliothek in Stockholm
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Fenster in strenger Superposition. Die großen Portalöffnungen weisen eine klassische Faszierung und Mäanderdekorationen in den Laibungen auf, und auf den Wandflächen des Vestibüls sind in feinem Flachrelief Szenen aus Homers „Ilias“ eingelassen, die sich in ihrer Zeichnung klar an griechischer Vasenmalerei orientieren. Diese Klassizismen, auch in radikal vereinfachter Form, können sich durchaus auf eine skandinavische Tradition berufen, aus □ 105 Stockholm, Stadtbibliothek, Gunnar Asplund, 1921 – 28, Treppenaufgang
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der insbesondere der dänische Architekt Christian Frederik Hansen herausragt (□ vgl. 29 f.). Asplund selbst fühlte sich auch vor dem Bau der Bibliothek einem teilweise intelligent ironisiertem Klassizismus verpflichtet; z. B. ist die Giebelseite der Karl-Johann-Schule in Göteborg (1915 – 24) durch zu große gläserne Vertikalfenster gleichsam aufgeschlitzt. Auch Asplunds Bibliothek enthält trotz aller eindeutiger Klassizismen eine Reihe verfremdender Momente: Die Außerseite erstrahlt überall in einem tiefroten Ocker, die Kranzgesimse des Gebäudes sind einfache Bänder, die Fenster
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knapp in die Mauer eingeschnittene Öffnungen ohne Rahmung, und auf dem Südflügel, wo ein Kindertheater untergebracht ist, zeigt der klassizistische Fassadenfries Kinderspielzeug. Vor allem aber ist man überrascht über die rigorose, archetypische Vereinfachung und Klarheit: Hohe glatte Wände formen einen klaren Kubus mit eingestecktem Zylinder. Das kann man zwar mit der sog. Revolutionsarchitektur eines oder Boullée oder Ledoux |▶ 2|, vor allem dessen Rotonde de la Villette in Paris von 1785, in Zusammenhang bringen, aber auch mit der hohen Wertschätzung klarer stereometrischer Formen bei avantgardistischen Vertretern jener Zeit, etwa bei Heinrich Tessenows Festspielhaus in Hellerau |▶ 22|, bei Walter Gropius’ oder Le Corbusiers Lobpreis von abstrakt-geometrischen Industriebauten wie z. B. Silos. Letzterer argumentiert gleichzeitig mit Asplund damit, dass Kugel, Zylinder und Würfel wieder zu Grundformen der Architektur werden müssten, wie das schon in der römischen Antike der Fall gewesen sei („La Leçon de Rome“, in: Le Corbusier 1923). Dahinter steckt regelmäßig die Suche nach gleichsam außerhalb der Geschichte zu fassenden Ureinheiten der Architektur, eine Argumentation, die sich implizit oder explizit auf Platon beruft, der angenommen hatte, die Welt sei aus geometrisch klar beschreibbaren Grundkörpern entstanden. In der Tat sollte Asplund unmittelbar darauf zum Inaugurator einer Internationalen Moderne in Schweden werden: Die Stockholmer Ausstellung der Schwedischen Handwerks- und Designgesellschaft im Jahr 1930 sollte in ihrem Konzept mit architektonisch programmatischen Pavillons den Produktpräsentationen des Deutschen Werkbundes (Weißenhofsiedlung 1927 in Stuttgart) folgen. Ihr Chefdesigner Gunnar Asplund gestaltete sie stark in Anlehnung an deutsche Vorbilder, insbesondere die eleganten, schwingenden Architekturen eines Erich Mendelsohn (□ vgl. 27), die im Ausstellungsrestaurant „Paradiset“ wiederzufinden sind. Und so wird
Asplund nach seinem Aufsehen erregenden Bibliotheksbau auch wesentlich dazu beitragen, eine spezifisch schwedische Moderne zu kreieren. Trotz aller Anleihen bei der Internationalen Moderne verstand sich diese aber als eine entschieden nationale Architektur, die zu einer egalitären und demokratischen Gesellschaft beitragen sollte. Mit der Unterdrückung der Internationalen Moderne in Deutschland in den Jahren nach 1933 erhielt damit das Neue Bauen in Schweden und in den anderen skandinavischen Ländern eine eigene Fortführung, die sich zumindest latent weiterhin als emanzipatorisch und demokratisch verstand. Dabei ergibt sich eine eigene Synthese zwischen dem skandinavischen Heimatstil um 1900 und dem Neuen Bauen. Lokale Materialien wie Backstein, Stein und Holz dominieren über Beton, Stahl und Glas, doch in den Formen herrscht eine puristische Strenge. Kay Fiskers Gebäude für die Universität Århus (1932) in Dänemark bestehen aus einer Komposition von klaren Kuben mit flachen Satteldächern. Die Fenster sind teilweise längsrechteckig und wandbündig. Auch die Architekturen Alvar Aaltos |▶ 41|, des berühmtesten finnischen Architekten und langjährigen Mitarbeiters Asplunds, orientieren sich an Raumfunktionen und dem landschaftlichen und urbanen Kontext (z. B. Villa Mairea in Noormarkku, 1938 – 39), interessieren sich weniger für Standardmodule und industrialisiertes Bauen, sondern für individuelle Gestaltung, schwingende Formen und natürliche Materialien (Backstein und Holz). Innerhalb dieser Neuaufnahme von Prinzipien der Zeit um 1900 spielte auch die Gestaltung des Inneren eine große Rolle. Natürliche Materialien wie heiß verformte Schichthölzer werden etwa bei Bruno Mathsson, Carl Malmsten und Aalto seit den 30er Jahren für ein Möbeldesign angewandt, das vor allem auf ergonomische Prinzipien zu achten hat. Es ist dies der Beginn eines äußerst erfolgreichen skandinavischen Möbeldesigns.
Die Stadtbibliothek in Stockholm
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Une Ville contemporaine Le Corbusier als Urbanist
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uf dem Pariser Herbstsalon des Jahres 1922 präsentierte ein gerade einmal seit fünf Jahren in Paris lebender Architekt und Kunsttheoretiker aus dem Schweizer Jura, Charles Édouard Jeanneret-Gris, alias Le Corbusier, ein utopisches Projekt eines völlig neuen Städtebaus. Das ausführlich auch in seinem Buch „Urbanisme“ von 1925 erläuterte Projekt beschreibt das Funktionieren einer „gegenwärtigen Stadt für drei Millionen Einwohner“. In seiner Radikalität und seiner – allerdings einseitigen – Detailliertheit hat dieses städtebauli-
che Modell nachhaltig auf den Urbanismus des 20. Jh.s gewirkt, insbesondere auf die Charta von Athen von 1933/43, an der Le Corbusier ebenfalls starken Anteil hatte. Aus diesem Grund muss die Ville contemporaine, auch wenn sie zu keinem Zeitpunkt auch nur im Ansatz zu verwirklichen war, in die Reihe der 50 Schlüsselbauten dieses Bandes aufgenommen werden. Le Corbusiers Projekt unterscheidet zwischen einer Kernstadt auf regelmäßigem Grundriss, eine Art Verwaltungs-City mit ihren dort lebenden Angestellten, sowie einer landschaftlich
□ 106 Le Corbusier: Entwurf einer Ville contemporaine, 1922/25, Gesamtplan
III. Schlüsselwerke
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durchgrünten Peripherie, in der die Industrie und die in Gartenstädten lebenden Arbeiter sowie ausgedehnte Sportanlagen angesiedelt sind (□ 106). Alles ist extrem konzentrisch angelegt: Die Kernstadt ist von rechtwinkeliger Kontur und unterteilt sich in ein Straßensystem im Schachbrettmuster, dessen einzelne Blöcke 400 m Seitenlänge aufweisen. Eine zentrale Zone in Form eines diagonal gesetzten Quadrats enthält hohe Etagenwohnhäuser; innerhalb dieser Zone ist wiederum ein zentraler Bereich von 4 × 6 Planquadraten ausgegrenzt, auf denen sich jeweils ein 220 m hohes Bürohochhaus (das Woolworth Building in New York als das von 1913 bis 1930 höchste Gebäude der Welt misst 241 m!) auf kreuzförmigem Grundriss erhebt. In der geometrischen Mitte liegt, wie die ‚Nabe eines Rades‘, der zentrale Verkehrskreuzungspunkt. Hier kreuzen sich die zwei lotrecht zueinander laufenden Hauptmagistralen der Stadt, darunter liegen auf mehreren Ebenen Bahnhöfe für die U-Bahn sowie den Nah- und Fernverkehr. Darüber sieht Le Corbusier eine runde Plattform als Flughafen vor. Die hier in der Staffelung der Bauhöhen und Verkehrsebenen konzipierte Vertikale ergänzt also räumlich das zweidimensionale Grundrissgitter. Die herausgehobene Bedeutung dieses Durchdringungspunktes im Zentrum ist dadurch begründet, dass der Mobilität allerhöchste Priorität zukommt. Axial und diagonal geführte gerade Straßen erschließen schnell das Umland, und im Inneren der Kernstadt sind die Straßen nach ihren Verkehrsgeschwindigkeiten hierarchisiert. Die Durchgangsstraßen haben 60 m Breite und alle 800 bzw. 1200 m Abfahrten, die Normalstraßen definieren den Stadtgrundriss und kreuzen sich deswegen alle 400 m, verkehrsberuhigte Stichstraßen führen zu den Häusern. Die hier scheinbar technokratisch regulierte Mobilität bringt eine zeitliche Dimension in das Projekt, das pulsierendes Leben ermöglichen soll; das ist nicht zuletzt auch in „Urbanisme“ präsent, wo zwei zent-
rale Kapitel nach Tageszyklen benannt sind: „Die Stunde der Arbeit“ bzw. „Die Stunde der Erholung“. Wie im Kreislauf eines Organismus, der nicht erstickt oder blockiert werden darf, pulsieren täglich die Menschenströme. Dabei ist die Gesamtanlage von höchstem modernem Komfort und bester Hygiene. Denn dank der Betonkonstruktion ist es möglich, nach oben zu bauen, und somit die natürliche Vegetation kaum zu beeinträchtigen. Die Häuser können sogar auf Stützen gestellt werden, damit sich die natürliche Parklandschaft weiter darunter erstrecken kann. Die zentrale Fläche erlaubt es, gelassen unter den Hochhäusern zu flanieren, somit Arbeits- und Erholungsbereich zu kombinieren und beides dennoch nicht in Konflikt miteinander geraten zu lassen. Zwei Grundcharakteristika von Manhattan, der Central Park und die verdichtete Hochhausstruktur, sind hier in ungewöhnlicher Weise neu verbunden: Der Park ist unmittelbar erreichbar, die Hochhäuser dafür weit auseinandergerückt, so dass sie allseitig von Licht und Luft umgeben sind. Aufgrund des kreuzförmigen Grundrisses verfügen alle Büros auch über hervorragende Ausblicke. Und das macht einen gewichtigen Faktor der Stadt aus, denn die erhabene Gefühle evozierenden Blicke nach unten sollen – wie auf dem Eiffelturm – jeden Bewohner mit Stolz ob der hier erreichten durchdringenden Ordnung erfüllen. Trotz der extrem aufgelockerten Bebauungsstruktur ist die Flächenausnutzung optimal, denn in den Verwaltungstürmen könnten aufgrund ihrer Höhe bis zu 50 000 Menschen arbeiten. Bildet das Zentrum der neuen Stadt also eine Verwaltungscity, in der auch kulturelle Einrichtungen wie Theater, Kinos, Bibliotheken und Restaurants vorgesehen sind, so ist die schmutzige und laute Industrie in Bereiche östlich der Stadt ausgelagert; durch den in Europa am häufigsten aus Westen wehenden Wind werden also Rauch und Abgase nicht über die Stadt getrieben, im Gegenteil sorgt ein immenser Park im Westen für sau-
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erstoffreiche Frischluft. Diese Zonierung nach Funktionsbereichen gilt auch für die Wohnviertel: Es sind einerseits die verstreut im Umland liegenden – gleichwohl verkehrstechnisch gut angebundenen – Gartenstädte der Arbeiter, andererseits die in der Kernstadt angeordneten Wohnungen für höhere soziale Schichten. Auch hier werden grundsätzliche Funktionen des Wohnens voneinander getrennt und zugleich optimiert. Wiederum nämlich wird das Bodenterrain dadurch freigehalten, dass in mehreren Etagen in die Höhe gebaut wird. Daraus entstehen allerdings nicht Mietshausblöcke mit eng gedrängten Wohnungen, sondern sog. ‚Villenblöcke‘ (immeuble-villas, □ 107). Hier ist jede Grundeinheit als komfortables Einfamilienhaus mit Garten konzipiert, kann aber trotzdem in die Höhe gestapelt werden. Im Prinzip ist jede Einheit als ein zweigeschossiger Würfel aufgefasst, in dem ein L-förmiger Wohntrakt integriert ist, während die Restfläche als Terrasse oder eine Art Garten freibleibt. Da dieses Grundmodul ca. 5 m hoch ist, kann die Vorderfront in voller Höhe verglast und die Terrasse gut besonnt werden. Das gleicht den Nachteil aus, dass bei der Aufstapelung und Aneinanderreihung dieser kubischen Typenhäuser nur die Vorderseite Licht erhalten kann. Auch in der Innenorganisation sind die Häuser optimiert: Die Bereiche von Küche und Hausangestellten sind weggefallen, da das Kochen und □ 107 Le Corbusier: Entwurf einer Ville contemporaine, 1922/25, Wohnblock mit Villenappartements
III. Schlüsselwerke
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die Hauspflege in den immeubles-villas von zentralen Diensten übernommen werden können. Die einzelnen Blöcke sind in rechtwinklig sich vor- und zurückstufenden Ausrichtungen angeordnet, die jeweils gegenüberstehende Baugruppe ist spiegelsymmetrisch dazu angelegt. Somit entsteht auf jeder Parzelle eine eigene große, abgeschlossene Wohneinheit, die einen großen begrünten Innenhof umschließt. Der Städtebauentwurf versteht sich als radikale Absage an die historisch gewachsene europäische Stadt, deren Infrastruktur den raschen technischen und sozialen Entwicklungen nicht in allen Fällen gewachsen war. Unkontrollierte Verdichtung führte zu hygienischen und sozialen Notständen; dem erhöhten Verkehrsaufkommen, gerade infolge des Automobilverkehrs, konnte man sich nur schrittweise anpassen. Gleichzeitig hatte infolge eines sich verstärkenden denkmalpflegerischen Bewusstseins aber auch eine Wertschätzung der historischen Bebauung eingesetzt, die radikale Sanierungsmaßnahmen wie etwa zur Mitte des 19. Jh.s in Paris |▶ 12| nicht mehr zuließen. Als Ausweg sollen nach Le Corbusier vier Prinzipien zu verwirklichen sein: Auflockerung des Stadtzentrums, partielle Verdichtung, Intensivierung der Verkehrsmittel, Vergrößerung der Grünflächen. Le Corbusier analysiert die damals bereits intensiv thematisierten Missstände, trennt sie begrifflich und versucht, jeweils
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ein positiv besetztes Gegenteil daraus abzuleiten. In einem letzten gedanklichen Schritt werden die so gewonnenen Kriterien wieder neu kombiniert und daraus die neue Stadt entworfen: Der Verdichtung der alten Stadt steht ihre maximale Auflockerung gegenüber, der unkontrollierten Verflechtung aller Lebens- und Produktionsbereiche ist die konsequente Zonierung kontrastiert. Die im Lauf der Jahrhunderte gewachsenen Verkehrswege sollen einer Hochgeschwindigkeitsmobilität weichen. Die unhygienischen Verhältnisse sollen durch ein Maximum an Grün beseitigt werden. Der historisch lange gewachsenen städtebaulichen Vielfalt wird durch absolute rasterförmige Ordnung abgeholfen. Wenn Städte damals wegen der Hausbefeuerung und der Industrie verraucht waren und man sich meistenteils auf Erdbodenniveau bewegte, so wird jetzt die Arbeit in luftigen und sauberen Höhen mit erhabenem Blick von oben geleistet. Und selbst die Wahrnehmung der Stadt soll radikal verändert werden. Statt sie kleinteilig ‚sentimental‘ im persönlichen Umfeld zwischen Familie, der Werkstatt, Freunden und der Eckkneipe zu erleben, soll sie nun in einen sich zyklisch erneuernden Stolz auf Rationalität und Regelhaftigkeit wahrgenommen werden. Dieser radikale Neubeginn des Städtebaus setzt sich selbst von den bewunderten nordamerikanischen Metropolen ab, denn die Ville contemporaine beansprucht auch, die extreme Verdichtung der New Yorker Wolkenkratzer vermeiden zu können. Viele der in der Vision einer Ville contemporaine verarbeiteten städtebaulichen Argumente sind nicht neu: Die Schachbrettanlage als Idealstadt reicht bis weit in die Antike zurück, die Idee von kreuzungsfreien Straßen war Thema zeitgenössischer Städtebaudebatten, und vor allem lässt sich die Bedeutung, die der Auflockerung der Bebauungsdichte, der schnellen Mobilität und der Stadt im Grünen zukommt, als Fundament der urbanistischen Reform durch die Gartenstadt finden |▶ 22|. Doch Le Cor-
busier steht gleichsam über solchen bisweilen notwendigerweise kleinteiligen Diskussionen der damals noch jungen Disziplin des Urbanismus. Insofern sind seine Argumente bewusst nicht aus einer intensiven und abwägenden Analyse gewonnen, sondern in apodiktischen, polemischen, pseudowissenschaftlichen und hymnischen Statements ineinandergefügt. Werbetexte eines Immobilienunternehmens, Prophetie einer neuen Gesellschaft, ScienceFiction einer technischen Zukunft, Manifest für den Architekten als neuen Schöpfer: Solche sprachlichen Assoziationen durchdringen eine collageartige bildliche Präsentation, die suggestiv genaue Entwurfspläne mit Ansichten der ‚verdorbenen‘ alten Stadt und Dioramen von der ‚gegenwärtigen‘ Stadt – die gleichsam bereits Wirklichkeit geworden ist – gegenüberstellt. Le Corbusiers Stadtvision enthält insofern zahlreiche innere Widersprüche und grundsätzliche Probleme. Die politische und logistische Verwirklichung ist völlig unklar, der visionierte neue Menschentyp nur in totalitären Systemen vorstellbar, seine Lebensfunktionen sind zudem reduktionistisch und unterkomplex, die Stadt wäre ob ihrer starken Zentriertheit nicht erweiterbar und müsste zudem gerade im Zentrum enorme Verkehrsprobleme bewältigen. Gleichwohl hat Le Corbusier eine Reihe suggestiver, vor allem aber in Zeichnungen und Modellen präsentierte Vorschläge gemacht, wie sein Entwurf umgesetzt werden könnte. 1925 publizierte er den gezielt nach einem Automobilhersteller benannten Plan Voisin. Nach diesem sollte das gesamte, auf der rechten Seineseite gelegene Stadtkern von Paris bis auf wenige markante historische Bauten abgerissen und nach dem Muster der neuen Idealstadt mit Bürowolkenkratzern neu errichtet werden. Unermüdlich, aber verständlicherweise erfolglos beteiligte sich der Architekt in der Folgezeit an Stadterweiterungswettbewerben oder legte solche ohne konkrete Anlässe vor, etwa für Rio de Janeiro,
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Algier oder Antwerpen. So erschien schon 1935 ein weiteres Buch des Architekten zum Städtebau, „La Ville radieuse“ (dt.: ‚Die strahlende Stadt‘), das die Ville contemporaine weiterentwickelte und all die Vorschläge zum Kompendium eines weltweit operierenden innovativen Städtebaus zusammenfasste. Der unflexible Zentralismus der Ville contemporaine ist nunmehr dadurch behoben, dass alle Funktionsbereiche – Schwerindustrie, Lagerstätten, Manufakturen, Wohnviertel, Hotels und Botschaften, Bahnhöfe und Flughafen, Verwaltungsstadt, Satellitenstädte – auf einer Achse angeordnet sind, die seitlich beliebig als sog. Bandstadt erweitert werden kann. Die Wohnblocks schwingen sich nunmehr in weiten Kurven durch die Landschaft und sollen, etwa im Falle Algiers, auf ihren Dächern als Autobahn zu nutzen sein. Aber bereits 1933 hatten Le Corbusiers Vorstellungen den vierten, dem Städtebau gewidmeten Congrès international d’architecture
moderne (CIAM) dominiert, aus dem dann 1943 – wiederum nach massiven Überarbeitungen durch Le Corbusier – die Charta von Athen |▶ 37| entstand. Trotz aller utopischen und dysfunktionalen Elemente, aber dank der unermüdlichen Propagierung und der beständig steigenden Autorität Le Corbusiers gaben dessen städtebaulichen Prinzipien die Grundlage zahlloser Neu- und Erweiterungsbauten ab. In Zeiten des Kalten Krieges spielte deren Bewertung als zukunftsweisende und freiheitliche Form des westlichen Städtebaus eine sehr wichtige Rolle |▶ 38|. Obwohl die Kritik daran immer präsent war und dies auch zur Auflösung des CIAM 1959 betrug, sollte es bis in die 80er Jahre dauern, bis die in der Ville contemporaine zum ersten Mal formulierten Doktrinen von Zonierung, Verkehrsgerechtigkeit und Geschichtsverdrängung allgemein einer Revision unterzogen worden waren.
Organisationen und Interessenverbände
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rchitektur und öffentliches Bauen werden seit dem 19. Jh. zunehmend gesetzlich geregelt, staatlich verwaltet und über öffentliche Hochschulen gelehrt und weitervermittelt. Bauämter und Akademien sowie Berufsvertretungen sind aber naturgemäß nicht die Institutionen, die rasch und flexibel auf neue Entwicklungen und Bedürfnisse reagieren können. Deswegen ist das Bauwesen vor allem des 20. Jh.s durch eine Reihe unterschiedlich strukturierter Interessensverbände mitgeprägt, die zum Teil einen erheblichen Anteil an entscheidenden Neuorientierungen hatten. Dazu zählen zum einen informelle Architekten- und Künstlergruppierungen wie Die gläserne Kette und der Arbeitsrat für Kunst in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, De Stijl in den Niederlanden |▶ 28| oder
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gruppo 7 in Italien |▶ 34|. Einflussreicher waren institutionell oder personell gut verankerte Organisationen: Der 1907 gegründete Deutsche Werkbund war eine Vereinigung von Künstlern, Architekten, Industriellen und Politikern, die eine Art Dachverband für die regionalen Kunstgewerbereformbestrebungen bildete. Ziel war laut Satzung die „Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk, durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlägigen Fragen“ |▶ 23|. Es ging also sehr stark auch darum, die Stellung Deutschlands in der Produktion hochwertiger Konsumgüter international zu verbessern. Bis 1933 entwickelte der Werkbund eine ausgeprägte öffentliche Wirksamkeit, vor allem dank seiner Jahrbücher, der
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Zeitschrift „Die Form“ und mehrerer breit rezipierter Ausstellungenen. Nach dem Krieg konnte er seine dominierende Stellung nicht wiedererlangen. – Das Bauhaus entstand 1919 aus einer Fusion der staatlichen Kunsthochschule Weimar und der ehemals von Henry van de Velde geleiteten Kunstgewerbeschule Weimar. 1925 musste die Schule aus politischen Gründen nach Dessau umziehen |▶ 31|. Unter dem ersten Direktor Walter Gropius setzte das Bauhaus zunächst auf eine ganzheitliche kunstgewerbliche Ausbildung, entwickelte in diesem Zusammenhang bald einen Schwerpunkt für modernes Industriedesign. Eigene Architekturklassen gab es erst unter dem zweiten Direktor Hannes Meyer, ab 1928. Von 1930 – 33 leitete Ludwig Mies van der Rohe die Institution. Nach deren Auflösung durch die Nationalsozialisten mussten viele Bauhauslehrer emigrieren; so bildeten sich während und nach dem Krieg Nachfolgeinstitutionen in den USA sowie in Ulm (Hochschule für Gestaltung). – Der Ring, von 1926 bis 1933 bestehend, war eine informelle Interessensvereinigung von wenigen herausragenden modernen deutschen Architekten um Mies van der
Rohe und Hugo Häring |▶ 30, 40|. Ihr gegenüber stand der 1928 gegründete Block, in dem sich einige prominente Vertreter eines traditionsbewussten Bauens vereint hatten (u. a. Paul Bonatz und Paul Schmitthenner). – Die Congrès internationaux d’architecture moderne (CIAM) wurden 1928 unter maßgeblicher Initiative von Le Corbusier als international agierende Denkfabrik einer streng funktionalistischen und programmatisch anti-akademischen Moderne gegründet. Die ersten Kongresse (1929, 1930, 1933) fanden zu Themen des Wohnungsbaus und rationeller Bauweisen sowie der ‚funktionellen Stadt‘ |▶ 27| statt, nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die dogmatisch-technokratischen Kriterien der CIAM von einer jüngeren Generation von Architekten zunehmend kritisiert, so dass sich die Institution 1959 selbst auflöste |▶ 39|. Maß-geblich dafür verantwortlich war das von 1953 bis 1981 bestehende Team X (oder Team 10), geprägt insbesondere von Peter und Alison Smithson, Aldo van Eyck und Jacob Bakema, die den Prinzipien der Charta von Athen neue Strukturen von Urbanität, Verdichtung und städtischer Bestandserhaltung entgegensetzten.
Haus Schröder-Schräder in Utrecht Abstrakte Komposition im Raum
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nders als in den zwischen 1914 – 18 kriegführenden Ländern England, Frankreich, Deutschland und Russland kamen in den Niederlanden die Reformbestrebungen der Architektur während des Ersten Weltkriegs nicht weitgehend zum Erliegen. Insbesondere der soziale Wohnungsbau mit standardisierten Hausreihen um große Innenhöfe erlebte in der expressionistisch inspirierten Amsterdamer Schule um Michel de Klerk seit etwa 1914 sowie
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im Werk von Michiel Brinkman und Jacobus Johannes Pieter Oud in Rotterdam ab ca. 1917 eine erste Konjunktur mit zahlreichen Innovationen. Langgestreckte Gebäuderiegel wie etwa in den Siedlungen Spangen (ab 1918) und Tusschendijken (ab 1920) in Rotterdam enthalten standardisierte, aber hygienische Wohneinheiten und umschließen Wohnhöfe zum gemeinschaftlichen Leben. Klare Bauformen verzichten auf jedes Ornament. Daneben wurde unter
Haus Schröder-Schräder in Utrecht
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□ 108 Utrecht, Schröder-Schräder-Haus, Gerrit Rietveld, 1924
der maßgeblichen Initiative des ebenso umtriebigen wie fanatischen Malers und Kunsttheoretikers Theo van Doesburg eine neue Synthese aller Kunstgattungen – Malerei, Skulptur und Architektur – theoretisch formuliert. Diese Konzeptionen wurden – teilweise gegen den Willen der Protagonisten – unter dem Titel der von van Doesburg herausgegebenen Zeitschrift „De Stijl“ gefasst und beruhen, trotz aller interner Konflikte und Meinungsverschiedenheiten, darauf, die künstlerische Repräsentation auf elementare Kompositionen aus reinen Farben und Flächen zu reduzieren. De Stijl, von van Doesburg entgegen der Realität zur breiten Phalanx der Moderne stilisiert, hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf das moderne Werk von Mies van der Rohe, Le Corbusier und Gropius sowie das Bauhaus generell. Die architektonische Realisierung dieser Auffassung schlechthin ist aber Gerrit Rietvelds 1924 in Utrecht errichtetes Schröder-Schräder-Haus. Dem Haus in der Prins Hendriklaan am damaligen Utrechter Stadtrand lag ein einfaches Bauprogramm zugrunde: Die resolute und eigenwillige Auftraggeberin Truus Schröder-Schräder suchte nach dem Tod ihres
III. Schlüsselwerke
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Mannes ein komfortables, aber schlichtes und funktionales Wohnhaus für sich und ihre drei Kinder, inklusive Garage und Dienstbotenwohnung. Ihr damaliger Lebensgefährte Gerrit Thomas Rietveld, von der Ausbildung her Möbeltischler, entwarf ein zweistöckiges kompaktes Gebäude auf rechteckigem Grundriss, das als Endstück einer bereits bestehenden Häuserreihe errichtet wurde. Dabei ging er zunächst von der Nutzung und Einrichtung von Räumen mit Möbeln aus; die Anordnung der Tür- und Fensteröffnungen und der Treppe folgte also der inneren Disposition, nicht formalen Vorgaben durch Fassadenkonzepte oder Grundrisstypen. Somit entstand ein Gebäude, in dessen Erdgeschoss sich Garage (bald als Atelier benutzt), Wohnküche und Dienstbotenstudio befinden. Über eine zentral angeordnete, winklig geführte Treppe gelangt man zum Obergeschoss mit den Schlaf- und Kinderzimmern (□ 109). Ein flaches Dach schließt den Baukörper nach oben ab. Dieses an sich schlichte Bauprogramm ist nun zum einen höchst flexibel gestaltet, zum anderen gestalterisch in extrem ungewöhnlicher Weise formuliert. So spendet im Obergeschoss ein radikal um die Ecke geführtes Band-
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fenster generös Licht im Inneren. Insbesondere aber kann diese Etage vermittels Schiebewänden, die jeweils als Scherwände von den Außenwänden ins Innere bewegt werden können, als Gesamtraum geöffnet werden oder aber in bis zu vier Räume unterteilt werden. Eine paraventartige Klappwand erlaubt auch verschiedene Einhausungen des Badezimmers. Dabei sind sämtliche Wände nicht aus kontinuierlichen Mauerstücken mit gerahmten Öffnungen für die Fenster und Türen formuliert, sondern als Komposition von Rechteckflächen gestaltet, die – sich jeweils gegeneinander kulissenartig überschneidend – verschiedenste Formate annehmen können. Diese folgen scheinbar keinen statischen Gesetzen, indem sie etwa ersichtlich auf Unterbauten aufsetzen bzw. ihrerseits eine klar zu sehende tragende Funktion haben würden (□ 108). Markant ist das etwa an dem Balkon auf der Breitseite des Gebäudes nach-
zuvollziehen. Seine Brüstung wird aus einer einfachen Rechteckfläche gebildet, die aber unter die Austrittsfläche nach unten reicht, also gleichsam dem Balkon bzw. der Fassade ohne statische Notwendigkeit vorgelegt erscheint. In Wirklichkeit verbirgt sich hinter dem Teil unter dem Balkon ein intelligent ersonnener, vom Inneren des Erdgeschosses zugänglicher Stauraum. An allen Seiten erscheinen zudem schlanke vertikale Elemente, die Stützen sein könnten, aber vor die auskragenden Böden angeflanscht sind und nach oben weiterlaufen, also nichts sichtbar ‚stützen‘. In ihrer Form handelt es sich um schlichte Streben von rechteckigem Querschnitt, also abstrakte plastische Elemente, stereometrisch einfach zu beschreiben, keinesfalls kommen Erinnerungen an Säulen oder Pilaster auf. Analoges gilt für die Öffnungen: Sie entstehen gleichsam sekundär als Freiflächen oder Leerstellen zwischen den
□ 109 Utrecht, Schröder- Schräder-Haus, Gerrit Rietveld, 1924, Inneres des Obergeschosses
Haus Schröder-Schräder in Utrecht
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Rechteckfeldern bzw. sind in rahmende Streifen eingelassen oder von diesen unterteilt. Auch die horizontalen Flächen folgen ganz offenbar nicht einer tektonischen Logik, denn ihre L-förmigen Vorsprünge (für einen Dachüberstand oder den Balkon) treten scheinbar unmotiviert neben den vertikalen Rechteckflächen nach vorne. Das Ganze wirkt wie aus verschiedenen Platten zusammenmontiert bzw. wie eine dreidimensionale Komposition aus rechteckigen Flächen und geraden Linien. Die Farbigkeit tut ein Übriges, denn sie ist für die Flächen in verschiedenen Grautönen und Weiß gehalten, während die schmalen Bandelemente in reinem Gelb, Rot oder Schwarz erscheinen. Diese Aspekte setzen sich im Inneren fort (□ vgl. 109): Die Wände, Schiebewände, Treppenwangen, Fensterbretter und Brüstungen, ja selbst die Linoleumfußböden sind zu Rechteck- und Bandstrukturen in jeweils einheitlicher Kolorierung in Primärfarben reduziert. Jede Andeutung auf eine ‚natürliche‘ Materialität ist mithin vermieden. Das Schröder-Schräder-Haus erscheint damit wie eine ins Dreidimensionale erweiterte Komposition des Malers Piet Mondrian. In der Tat sieht das Haus auch nicht vor, hier fremde ‚Kunstgegenstände‘, etwa in Form von Bildern oder Kleinskulpturen, einzubringen. Das Haus selbst wird zum betretbaren dreidimensionalen, totalen Kunstwerk. Was die Möblierung betrifft, hatte Rietveld hier Möbel in Art seines 1919 entworfenen Rot-Blau-Sessels vorgesehen. Dieser besteht aus intelligent, aber völlig unergonomisch zusammengefügten Holzplatten und –leisten, die ähnlich wie die Architektur in Primärfarben gestrichen sind. Die Leisten laufen konsequent aneinander vorbei und erscheinen an ihren Endungen willkürlich abgesägt. Das ist das Gegenteil einer konventionellen Fertigungsmethode, bei der der Stuhlrahmen durch Verzapfungen erstellt ist, die nachträglich abgerundet und zu einem Ganzen geschliffen werden. Die Sitzfläche, oft aus anderen Materialien als der (hölzerne) Rahmen bestehend,
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ist sekundär in diesen Rahmen eingesetzt. Der Rot-Blau-Sessel hingegen besteht einheitlich aus gemäß einem ästhetischen Konzept komponierten Flächen und Linien, und nicht im statischen Sinne aus einem Ganzen aus miteinander verbundenen Funktionselementen. Derartiges lässt sich auch auf die Architektur des Schröder-Schräder-Hauses übertragen. Diese kennt kein statisch begründbares Unten bzw. Oben, keinen Sockel und kein abschließendes Kranzgesims. Virtuell kann diese Komposition gleich einer Riesenskulptur von allen Seiten, auch von oben oder in Untersicht betrachtet werden, ohne ihre künstlerische Qualität zu verlieren. Dem entsprach eine neue zeichnerische Planungspraxis, die sich über De Stijl vielfach in der Moderne etablierte, auch bei Le Corbusier oder Gropius festzustellen ist. In der sog. Axonometrie erscheinen dreidimensionale Gebilde von einem Eckpunkt gesehen, ohne dass dabei die Tiefenlinien verkürzt werden. Breiten-, Höhen- und Tiefenlinien sind in gleichmäßiger maßstäblicher Verkürzung wiedergegeben und kreuzen sich in der zeichnerischen Projektion in 60°-Winkeln. Das Architekturbild wird somit zu einer Komposition aus rhombenförmigen Vierecken, bei der wie bei einer guten Skulptur alle Seiten gleichwertig sind. Diese völlig neuartige, radikale Konzeption von Architektur als ein abstraktes Gesamtkunstwerk wurde Ende 1923 in einer kleinen, aber epochemachenden Ausstellung vorgeführt. In der Pariser Galerie Pierre Rosenberg stellten Cornelis van Eesteren, Gerrit Rietfeld, Theo van Doesburg und andere Architekturmodelle derartiger Häuser aus. Bezeichnend für die dabei vorgeführte Überlagerung oder besser: Aufhebung der Kunstgattungsgrenzen war schon allein die Präsentationsweise: Denn die Modelle waren wie Plastiken aus Gips gefertigt und auf drehbaren Modelliertischen ausgestellt, also von oben oder auch in Untersicht zu betrachten. Die Ausstellung zog zahlreiche moderne Architekten an, Le Corbusier zeig-
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te sich schon bei der Eröffnung, Mies van der Rohe war mit seinen Entwürfen für Glashochhäuser auf der Ausstellung selbst präsent. Für Mies bedeutete die Präsentation den Beginn von radikal innovativen Projekten (Landhaus in Beton), die sich aber erst einige Jahre später im Appartementhaus der Stuttgarter Weißenhofausstellung (1927), dem Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Barcelona 1929 (|▶ 32|, □ vgl. 121) und der Villa Tugendhat in Brno 1930 gegenüber seinen bis dahin üblichen klassizistischen Werken durchsetzen werden. Auch für Le Corbusier bedeutete die De StijlAusstellung, sich neu auszurichten: Denn erst mit seinen seit dieser Zeit entstandenen frühen Villen in Paris und im Pariser Umland (Paris, Villa LaRoche, 1923; Vaucresson, Villa Stein-de Monzie, 1926) beginnt sein sehr einflussreiches ‚modernes‘ Werk. Wenn viele dieser Bauten, von schmalen Stützen gestützt, über dem Boden zu schweben scheinen, dabei gleichsam um ein inneres Zentrum gedreht werden können und an den Außenfassaden der Außenraum mit dem Innenraum oszilliert (□ vgl. 49 f.), so scheint das in hohem Maße von den De Stijl-Modellen inspiriert. Aber auch für das Bauhaus hatte De Stijl vermittels seines hauptsächlichen Promotors van Doesburg eine radikale Neuorientierung zur Folge. Zwischen 1921 und 1923 drängte sich van Doesburg in den Lehrbetrieb der Kunstschule und trug in seinem polemischen und unerbittlichen Fanatismus erheblich dazu bei, dass die bislang dominierende esoterische und spätexpressionistische Ausrichtung zugunsten einer rationalistischen und auf den Bezug zur Industrie zielenden Programmatik umgestellt wurde. Theo van Doesburg hat das seit 1918 mehrmals grundsätzlich theoretisch formuliert. In radikaler Ablehnung aller vorgeprägter Typen- und Motivschätze der traditionellen Architektur forderte er ein aus dem Inneren konzipiertes Gestalten in elementaren Kriterien von Funktion, Masse, Fläche, Zeit, Raum, Licht und
Farbe. Bauen wird konsequent von allen individuellen Merkmalen wie einer persönlichen Architektenhandschrift oder regionalen Vorlieben befreit und stattdessen als ein Formgebilde aus universellen Grundelementen verstanden. Alle bisher bestehenden Grundeinheiten wie Wand und Öffnungen sind zugunsten von aktiven Flächen entwertet, die die Raumtrennung von Innen und Außen aufheben. Stattdessen lässt die Architektur ein angeblich vierdimensionales „Koordinatensystem entstehen, dessen verschiedene Punkte mit einer gleichen Anzahl von Punkten im universellen, offenen Raum korrespondieren“ (nach Ciré/Ochs 1991, S. 80). Von grundsätzlicher Bedeutung ist hierbei, dass De Stijl trotz aller theoretischen Inkonsistenzen und großsprecherischer Worthülsen sowie zahllosen persönlichen Differenzen zwischen den Akteuren eine konsequent künstlerische, von allen kleinteilig-alltäglichen technischen und sozialen Aspekten des Bauens absehende Architekturauffassung entwarf. Alle Künste schienen sich im totalen Umfeld der Architektur aufzuheben, diese wurde zur Schnittstelle zwischen irdischer Welt und Metaphysik, Wohnen eine gleichsam spirituell aufgeladene Aktivität, maßgeblich einem visionären Architekturgestalter zu verdanken. Im Gegensatz dazu wirkt das gleichzeitig erscheinende (1923), ebenfalls bahnbrechende und weit verbreitete Buch „Vers une architecture“ von Le Corbusier geradezu bodenständig-lehrbuchhaft. Das Schröder-Schräder-Haus selbst blieb nichtsdestoweniger nicht nur ein Manifest, sondern ebenso ein vielfältig praktisch nutzbares Haus, dessen Flexibilität der Innenaufteilung es der lange dort lebenden Hausherrin erlaubte, immer wieder Anpassungen an veränderte Familienkonstellationen vorzunehmen, ohne dabei radikal in die Substanz eingreifen zu müssen. Nach ihrem Tod wurde das Haus sehr bald zu einem gut gepflegten Museum für eine der wesentlichen Landmarken der modernen Architekturgeschichte.
Haus Schröder-Schräder in Utrecht
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Zweites Goetheanum in Dornach Anthroposophie und Expressionismus
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as sog. Neue Bauen der 20er Jahre des 20. Jh.s war zumeist aufgefordert, vernunftgemäße Ordnung als regulierendes Prinzip der Welt aufzuzeigen und derart auf den Benutzer einzuwirken. Doch daneben gibt es geradezu konträre Auffassungen, nach denen das Gebaute psychische Energien bewusst macht, kanalisiert und freisetzt. Gerade verschiedenste emphatische Erneuerungsbewegungen seit 1900 haben sich derartigen Wirkqualitäten verschrieben und tempelartige Gebilde ersonnen, deren fantastischer Charakter das Irdische mit dem Überirdischen verbinden und dieses in jenem präsent und erfühlbar machen sollte. Die nur gemalten Architekturvisionen eines Paul Scheerbart gehören ebenso dazu wie die Entwürfe von strahlenden Kristalldomen, die deutsche Architekten gegen Ende des Ersten Weltkrieges als farbstrahlende Aquarelle realisiert haben (Bruno Taut (vgl. S. 90 f.), Hans Scharoun |▶ 32|, Brüder Luckhardt). Realisiert werden konnten solch kühne Baulichkeiten nur in ei□ 110 Dornach, Erstes Goetheanum, 1913 – 20, historische Ansicht
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ner innovativen Bautechnik, dem armierten Beton (vgl. S. 16 f.), und auch dann waren die Bemühungen nicht immer von Erfolg gekrönt. Die kühnste, in mehrerer Hinsicht einzigartige Verwirklichung solcher Ansprüche geschah in den Jahren 1924 – 28, als Rudolf Steiner, der ebenso charismatische wie umtriebige Begründer der Anthroposophie, das zweite sog. Goetheanum in Dornach bei Basel errichtete. Der gewaltige, einem Felsengebirge vergleichbare Bau war nicht der erste an dieser landschaftlich markanten Stelle, die, von weither sichtbar, erhabene Ausblicke in die Juralandschaft erlaubt. Denn nach mehreren erfolglosen Anläufen, einen Versammlungssaal der anthroposophischen Bewegung u. a. in München zu errichten, war dank eines im Basler Jura-Umland zur Verfügung gestellten Grundstückes 1913 – 20 ein erstes Goetheanum entstanden (□ 110). Das auffälligste Merkmal dieser theaterähnlichen Architektur bestand darin, dass sich zwei runde, aus Holz auf ei-
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nem immensen Betonfundament errichtete zylinderförmige Säle von leicht unterschiedlichen Dimensionen verschnitten. Jeder Saal war von einer schindelgedeckten Kuppel bekrönt, so dass eine ungewöhnliche Außenansicht zweier sich teilweise durchdringender Kugeln leicht unterschiedlicher Dimension entstand. Der größere, von zwei Reihen von je sieben Säulen umstandene Saal diente als Zuschauerraum, der kleinere, ebenfalls von Säulen umzogene als Bühne. Aus der Sekante der Überschneidungen beider Räume ergab sich die Vorbühne oder wahlweise der Ort des Vortragspults. An dieser Stelle befand sich auch der Ausgangspunkt der Grundkonzeption. Diese beruhte auf einer konzentrischen, mehrfachen Fünfeckkonstruktion, aus der sich die Dimensionen des Hauptbaues ergaben, aber durch die auch die Standorte von Satellitenbauten festgelegt wurden, die das Goetheanum im Sinne eines Bilds des Kosmos umgaben bzw. umgeben sollten. Dem entsprach auch der Querschnitt des Baues, dessen Kuppelräume jeweils einer Kugelform einbeschrieben sind. Die im Westen vorgelagerte Doppeltreppe sowie vor allem die Sockel, Kapitelle und Gebälke der Säulen im Zuschauerraum und auch die Fensterfüllungen waren von eigenartig ‚knorpelhafter‘ und vielfach variierter Gestalt. Die Kanten der Vordächer über den Portalen wölbten sich lippenähnlich nach oben. In diesen architektonischen Elementen sollte sich die Metamorphose einer Urform ereignen und entsprechend nachgefühlt werden: Steiner beanspruchte damit, Goethes Lehre von der Metamorphose der Pflanze als Prinzip allen Lebens in und durch die Architektur zur Nachfühlung zu bringen – daher auch der Name des Gebäudes. Dies galt nicht nur für die Bauform selbst, sondern auch ihren Zweck: Denn der Bau sollte eine Synthese von Theater, Hörsaal, Raum für Mysterienspiel und Eurythmie sein, um die ganzheitliche, mit Verstand und Gefühl zu vernehmende Welt- und Lebensanschauung der Anthroposophie zu vermitteln.
Wissenschaft, Kunst und Religion sollen sich gemeinsam zum Ausdruck bringen. Wie die Nuss die sie umhüllende Schale hervorbringt, sollen sich die – kosmologische Bezüge aufweisenden – Aufführungen im Inneren in der Architektur ausdrücken. Weitere Gebäude in der unmittelbaren Umgebung des tempelartigen Baus entstanden noch während dessen Bauzeit, unter anderem das Kraftwerk, ein von zwei Kuppeln gedecktes Gebäude, dessen Schornstein sich als unregelmäßige, dramatisch sich verjüngende Felsnadel nach oben reckt. 1922 brannte das erste Goetheanum ab und wurde umgehend durch einen vollständig aus Beton bestehenden Bau ersetzt. Anhand eines Plastilinmodells entwarf Steiner nunmehr ein eigenartiges Gebilde, das zwar die grundsätzliche Raumabfolge des ersten Baues tlw. maßgleich beibehielt, diese aber in der Ausdehnung und Höhe beträchtlich erweiterte. Der Sockel erstreckt sich breit als ein Plateau, gleichsam eine erhobene Erdoberfläche (□ 111). Darüber türmt sich der nunmehr im Grundriss trapezförmige Zuschauersaal, ihm an der schmalen Seite des Trapezes vorgelagert ist ein Treppenhaus mit einer schräg geführten, über mehrere Podeste ansteigenden Doppeltreppe. Im Gegensatz zu anderen Theaterbauten weitet sich das Trapez des Zuschauersaals nach Osten in Richtung Bühne. Am Äußeren lädt auf dieser Ebene ein Querriegel aus, in dem seitliche Treppenhäuser und Nutzräume untergebracht sind, das Bühnenhaus erstreckt sich als monumentaler Block dahinter. Die riesige Baumasse wirkt wie ein regelhaft – denn es gibt durchaus eine längs geführte Symmetrieachse – gesplitterter Felsblock, der die Kontur eines Hauses mit sehr flach geneigtem, aber vorkragendem Dach angenommen hat. Die Betonwände krümmen sich also an vielen Stellen im oberen Bereich nach außen, um dort mit scharfem Knick in die Oberseite des Blocks überzugehen. Diese ähnelt dem Ausschnitt eines unregelmäßigen
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Polyeders, der kappenartig das Gebäude zu schützen scheint. Das Grundmotiv – gleichsam die ‚Urform‘ – bildet dabei eine zweifach leicht geknickte Splitterfläche. Seitlich des Zuschauerbereichs ragt diese ‚Kappe‘ weit über, spannt sich nach Osten zu den Stirnseiten des Querriegels und vereinigt sich im Westen mit zwei prominent zu Seiten des Zuschauersaals gesetzten Betonpfeilern. Diese sind statisch vollständig unnötig, haben in ihrer Präsenz aber eine unübersehbare symbolische Funktion, indem sie etwa bewusst vage gehaltene Assoziationen an die beiden Säulen Jachin und Boas wecken, die der alttestamentarische König Salomo zuseiten seines Jerusalemer Tempels errichtet haben soll. Trotz aller scheinbaren Unregelmäßigkeit ist das Gebäude keineswegs willkürlich entworfen, im Gegenteil erinnert die Längssymmetrieachse an ein Lebewesen, und die Grundriss- und Querschnittskonturen lassen sich in regelhafte Kreisfiguren einschreiben. Das Innere entspricht in dieser Hinsicht dem Äußeren: Die Hauptsäle und Treppenhäuser erscheinen als von großen Splitterflächen umgebene höhlenartige Räume. Eine derartige Anwendung der Betontechnik für solch eine Riesenskulptur war damals – und ist bis heute – ein einzigartiges Unternehmen. Die Schalungen der unregelmäßig gekrümmten Oberflächen wurden mithilfe von vorab in Wasser eingeweichten, biegsamen Brettern ausgeführt, die Bewehrungen aufwendig darauf abgestimmt. Derartiges unterschied sich radikal von den üblichen, hauptsächlich rechtwinklig konstruierten Betonskelettkonstruktionen. Zu der in Dornach angewandten Technik war nur ein leistungsfähiges Unternehmen fähig, das Steiner in der Basler Baugesellschaft fand. Es ging tatsächlich auch darum, die Konstruktionstechnik sichtbar zu belassen, denn die zahlreichen Rauigkeiten der Oberfläche schaffen eine äußerst lebendige, sehr sensibel auf verschiedenste Schattenwirkungen und Lichtfarben reagierende Oberfläche. Außerdem
III. Schlüsselwerke
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konnte man (neben der Feuersicherheit) im anthroposophischen Sinn darauf verweisen, dass zur Herstellung des Betons zwei Urelemente nötig waren: Feuer (zur Zementgewinnung) und Wasser zur Hydratisierung der Zementmasse (vgl. S. 16). Vor allem aber ging es wohl darum, das neue Material als durch und durch plastisch modellierbares, nur von wenigen technischen Faktoren eingeschränktes Material auszunutzen. Bezeichnenderweise war es beim zweiten Goetheanum der Meister selbst, der anhand des plastisch formbaren Plastilinmodells seine Vorstellungen von Urformen entwickeln konnte, während in den vorangegangenen Etappen zur Realisierung eines Versammlungssaals der direkte Anteil professioneller entwerfender Architekten viel größer gewesen war. Obwohl das Goetheanum zu seiner Realisierung eine Vielzahl hochqualifizierter Fachkräfte benötigte (Ernst Aisenpreis, Hermann Ranzenberger, Hermann Moser, Albert von Baravalle), arbeiteten diese, dem Meister verpflichtet, praktisch anonym und in aller Hingabe an einem Gemeinschaftsbau, ähnlich wie es zur selben Zeit das Bauhaus forderte. Umso deutlicher konnte umgekehrt in diesem Tempel der Anthroposophie der Gedanke Steiners in aller Deutlichkeit und Monumentalität hervortreten und sich jene auf Körper, Intellekt und Geist wirkende Qualität entwickeln, die der neuen ‚Geisteswissenschaft‘ so wichtig war. Enthielt der erste Bau, trotz Steiners Reserviertheit gegenüber rein begrifflich verweisenden und nicht ganzheitlich zu erkennenden Symbolen, eine Reihe von Bildmetaphern (etwa der Formenmetamorphose der Säulendetails), so ist das Goetheanum aus Beton ein reiner psychischer Erlebnisraum. Hierin hat der Bau trotz seiner genialen Einzigartigkeit wichtige Vorläufer und Parallelen: Denn schon der Jugendstilarchitektur etwa eines Victor Horta |▶ 19|, Henry van de Velde, Hector Guimard, Joseph Maria Olbrich oder August Endell war daran gelegen, Bauten und
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□ 111 Dornach, Zweites Goetheanum, Rudolph Steiner, 1924 – 28
Räume zu schaffen, die über räumliche Dynamiken und Stimmungswerte direkt auf die Psyche wirken, also nicht aufgrund von historischen Stilen ‚verstanden‘ wurden. Ähnliches gilt auch für verschiedene zeitgleiche Ansätze zur Reform von Bühne und Regie im Theater |▶ 25|: Ein neuer psychologischer Impuls sollte von Gestik und Mimik des Schauspielers ausgehen, eine neue, sich dem Zuschauer zuwendende Choreographie konnte übergeführt werden in den rhythmischen Tanz. Das hatte auch Konsequenzen für einige Reformtheater – und in diese Gattung ist ja auch das Goetheanum prinzipiell einzuordnen –, die die Einstimmung des Gemüts des Zuschauers befördern, nicht sein kulturelles Wissen (zu Bühnengattungen, Komponisten u. Ä.) über figürlichen Schmuck bestätigen sollten. Ein besonders markantes und Aufsehen erregendes Gebäude in dieser Hinsicht hatte Henry van de Velde 1914 für das Theater auf der Ausstellung des Deutschen Werkbundes in Köln errichtet. Sanft schwingende Formen leiteten hier den
Zuschauer in gleichsam fröhlicher Besinnlichkeit zu einer modernen, weil in drei Abschnitte unterteilten Bühne. Was die skulpturale Auffassung des Bauens ausmacht, hatte kurz vor dem Goetheanum noch eine andere Architektur Aufsehen erregt: In den Jahren 1919 – 22 hatte Erich Mendelsohn in Potsdam ein Observatorium errichtet, mithilfe dessen die Relativitätstheorie Albert Einsteins mit astronomischen Experimenten bestätigt werden sollte (□ vgl. 26). Mendelsohn schuf hier sein erstes Werk, in dem programmatisch eine neue ‚Ausdrucksarchitektur‘, befreit von den Bedingtheiten von Technik und Physik, entstehen sollte. Diese spannungsreiche und dynamische Architektur sollte über eine energisch plastisch geformte Architektur geschehen, die starke Linien in der Binnenund Außenkonturierung gleichsam als Spuren von genialen Eingebungen des Künstlers betonte – ganz ähnlich wie bei Steiners Dornacher Bau. Bei Mendelsohn sind das schnell hingetuschte ‚Gesichte‘, kleine, teilweise farbig
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akzentuierte Skizzen, deren Grundcharaktere sich auch im Einsteinturm wiederfinden: Über einem flachen, auf einem künstlichen Erdsockel sich erstreckenden Flügel erhebt sich der Turm des Observatoriums. Das Gebäude besitzt allenthalben abgerundete Kanten, der Grundriss des Turms ähnelt einem Ei; Fenster und Türen sind in schattende Wandöffnungen eingelassen, deren Konturen gleichsam dynamisch schwingen, sich etwa um den Turmschaft herumschmiegen. Für Mendelsohn war der neue Eisenbeton prinzipiell das ideale Material zur Realisierung dieser Bauidee; doch im Gegensatz zum Goetheanum ließen sich hier die komplizierten Schalungen nicht verwirklichen und so musste das berühmte Gebäude in seinen oberen Teilen konventionell, aber aufwendig aus Ziegel gemauert und anschließend dick verputzt werden, um die gewünschte skulpturale Oberfläche zu erlangen. Bei der Kirche Ste-Bernadette-du-Banlay bei Nevers in Frankreich war das anders. Die Archi-
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tekten Claude Parent und Paul Virilio errichteten 1963 dieses Sakralgebäude wie einen Bunker, also als einen fast fensterlosen Block aus undurchdringlichem, rau belassenem Stahlbeton. Der eigentliche Kirchenraum mit stark geneigter Unterseite scheint wie ein unterspülter Bunker des Atlantikwalls schief auf den Gemeinde- und Verwaltungsgebäuden zu lasten. Im Inneren sitzen die Gläubigen auf stark sich neigenden Fußböden, um irritierende Körperwahrnehmung und damit neue Formen der Kommunikation zu erzeugen, so die von den Architekten als architecture principe vertretene Auffassung. Das wird gesteigert durch die Inszenierung des Betonmassivs, die bestimmte Momente des Goetheanums – wohl gezielt – verschiebt. Die Bunkerkirche wächst nicht wie dieses, einem Gebirge gleich aus einem Sockelplateau, sondern erscheint als gestrandeter Fremdkörper inmitten einer banalen Wohnbebauung, und aus dem bergenden Schutz ist eine wehrhafte Einschließung geworden.
Berliner Wohnsiedlungen Wohnungen für den ‚neuen Menschen‘
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ie deutsche Architektur der Weimarer Republik zeichnet sich durch eine Baugattung aus, die innerhalb der klassischen Moderne in anderen Ländern viel weniger verfolgt wurde: die Wohnsiedlung, kurz Siedlung, ein Begriff, der sich schwer in andere Sprachen übersetzen lässt. Gemeint ist damit ein Massenwohnbau, der durch die Anwendung rationalisierter Planungs- und Fertigungsmethoden einerseits kostengünstig ist, andererseits essentielle Lebens- und Wohnqualitäten zur Verfügung stellt. Die schlagwortartige Grundforderung des modernen Bauens, „Licht, Luft,
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Sonne“ anstelle unhygienischer Bedingungen zu gewährleisten, bezieht sich also maßgeblich auf den Siedlungsbau. Fast jede deutsche Stadt hat sich in der Weimarer Republik diese Politik zu eigen gemacht, und deswegen gibt es fast überall jene reihenhausartigen Anlagen, in ihren klaren kubischen Formen erkennbar ‚modern‘ und zumeist eingebettet in zugehörige Gartenanlagen, Grünflächen oder auch die natürliche Landschaft. Die Ursachen für diese Wohnungsbaupolitik liegen in einer massiven Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg, verursacht durch einen Boom an Familienneugrün-
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dungen, die Flüchtlingsbewegungen, die Verzögerung der Bauaktivität in der Kriegszeit sowie die unhygienische, nur rudimentär ausgestatte Altbausubstanz im Bereich des Massenwohnungsbaus |▶ 16|. Vielerorts übernahmen gewerkschaftliche Organisationen die Initiative, um über genossenschaftliche Baubetriebe den Wohnungsbau nicht dem freien Markt zu überlassen. Schließlich bildete die 1924 beschlossene sog. Hauszinssteuer – eine auf Altbauten erhobene zweckgebundene Ertragssteuer – in Verbindung mit der Gründung der Wohnungsfürsorgegesellschaft zu deren Umverteilung an die Wohnungsbaugesellschaften die nationalen Rahmenrichtlinien für den Aufschwung im Wohnungsbau der Weimarer Republik. Bekannt, ja geradezu Teil von städtischen oder auch parteipolitischen Images geworden, sind die Siedlungen in Celle, Köln oder Magdeburg, vor allem aber in Frankfurt und in Berlin. In der ehemaligen Reichsstadt am Main begann die Stadt unter dem Bürgermeister Ludwig Landmann und dem allmächtigen Stadtbaurat Ernst May 1925 eine umfangrei-
che Investition in den Massenwohnungsbau, der in Form von – allerdings verkehrstechnisch gut angebundenen – Satellitenstädten im grünen Umland der Stadt geplant wurde. Die bekannteste davon ist die Römerstadt, in deren zum Teil den Höhenlinien folgenden Straßen weiterhin Konzepte der um 1900 entstehenden, pittoresken Gartenstädte in England und Deutschland wirksam sind |▶ 11|. Auch räumliche Binnenstrukturen in Form von torartigen Durchlässen, Platzerweiterungen, Sichtachsen usw. zeugen davon. Gegen Ende der Tätigkeit Mays in Frankfurt im Jahr 1930 wird sich im Zuge der Weltwirtschaftskrise eine konsequente technokratische Rationalisierung und Egalisierung in der Konzeption durchsetzen. Die Siedlung Westhausen etwa besteht aus rasterartig gleichförmig angeordneten Hausreihen in Nord-Süd-Ausrichtung mit jeweils identischer Erschließung der winzigen Wohnungen: Vorgarten, Eingang im Osten, Wohnzimmer nach Westen, davor ein kleiner Garten. Noch bekannter sind die Siedlungen in Berlin, insbesondere die Hufeisensiedlung, die
□ 112 Berlin-Britz, Hufeisensiedlung, Bruno Taut und Martin Wagner, 1924 – 32
Berliner Wohnsiedlungen
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□ 113 Berlin-Britz, Hufeisensiedlung, Bruno Taut und Martin Wagner, 1924 – 32, Eingang zum „Hufeisen“
Waldsiedlung Zehlendorf, die Siemensstadt oder die Weiße Stadt. Diese vier Ensembles fungierten schon auf der Internationalen Bauausstellung 1931 als die Modellprojekte des deutschen Massenwohnungsbaus. Doch darf man nicht vergessen, dass gerade in Berlin im Siedlungsbau unterschiedliche Bauträgerschaften tätig waren, die weltanschaulich, betriebswirtschaftlich und nicht zuletzt auch in den grundsätzlichen architektonischen Auffassungen miteinander konkurrierten. Gleichsam zum allgekannten Wahrzeichen des sozialen Wohnungsbaus geworden ist die sog. Hufeisensiedlung in Berlin-Britz, damals noch im grünen Umland von Berlin gelegen. Erbaut ab 1924 im Auftrag der gewerkschaftseigenen Gemeinnützigen Heimstätten Sparund Bau-AG (GEHAG) durch den Architekten Bruno Taut unter der Ägide des GEHAG-Leiters Martin Wagner, steht die Siedlung am Anfang des Massenwohnungsbaus der Weimarer Republik bzw. Berlins und lässt zugleich noch utopisch-sozialistische Visionen Tauts von um 1919 nachklingen (vgl. S. 90). Die Siedlung bildet überdies aufgrund ihrer zentralen, von einer hufeisenförmig geführten Häuserreihe um-
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laufenen Grünfläche eine einprägsame Mitte, die sich mit der offenen Seite des Hufeisens mit großer Geste einladend gegen die vierspurige Fritz-Reuter-Allee auftut (□ 112, 113). Dieses unverkennbare Zentrum der Siedlung, eine einfache, sich zu einem kleinen Weiher absenkende Grünfläche, bildet aber keinen städtischen Platz im Sinne eines öffentlichen Forums, sondern einen allen Bewohnern der umgrenzenden dreistöckigen Hausreihe gleichermaßen sich darbietenden Park. Alle Balkone und Wohnzimmer gehen auf diese Grünfläche, so dass wie in einem Theater von jeder ‚Balkonloge‘ das gesamte Rund überblickt werden kann. Das sollte ein intensives Gemeinschaftsgefühl stiften, wie sich dies auch anderen architektonischen Maßnahmen entnehmen lässt. Das leicht längsrechteckige Areal der ersten Bauphase, in dem das Hufeisen die Mitte bildet, wird nämlich nach Osten, zur Fritz-Reuter-Allee durch einen langgestreckten dreistöckigen Block begrenzt, dessen Treppenhäuser regelmäßig als rechteckige Vorsprünge hervortreten. Da zudem dieser Block einheitlich bordeauxrot gestrichen war, hieß er im Volksmund umgehend „Rote Front“ (□ 114). Damit wurde
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auf die Vereinnahmung der Siedlung durch linksgerichtete Parteien, z. B. die SPD, angespielt, aber auch darauf, dass sich diese Hausreihe als klare architektonische Abgrenzung zum ‚Außen‘ der städtischen Allee verstand. Dieser Abgrenzung entgegengesetzt ist das Hufeisen, das sich umso einladender in ein ‚Inneres‘ öffnet. Die hufeisenförmige Anlage wird auch deshalb als zentraler Bereich wahrgenommen, weil von der sie umlaufenden Straße unregelmäßig Stichstraßen abgehen; es entsteht dadurch eine Art Sternform. In der Längsachse des Hufeisens weitet sich diese Straße zu einem rhombenförmigem kleinen Platz, dem Hüsung – eine typische Form des märkischen Angerdorfs, ohne dass in der Hufeisensiedlung in der Mitte dieses Plätzchens nun öffentliche Bauten, etwa eine Kirche, stehen würden. Im nordwestlichen Teil der Siedlung war sogar ein ‚Dorfweiher‘ geplant. Insgesamt entsteht mit solchen architektonischen Anspielungen ein gezielt ‚heimeliger‘, dorfartiger Charakter. Dieser wird dadurch verstärkt, dass die Hauszeilen hier, außerhalb des Hufeisens und hinter der „Roten Front“ mit ihren dreigeschossigen Etagenwohnungen und einem abschließenden Flachdach, nun satteldachgedeckte Einfamilienreihenhäuser sind. Urbane Ambientes mit Korridorstraßen („Rote Front“/Fritz-Reuter-Allee) beschützen gleichsam einen Innenraum, der pittoresk gegliedert ist: Die Hausreihen sind relativ kurz, in ihnen springen einzelne Häuser ein wenig vor oder zurück, erzeugen Weitungen und Engungen, schaffen damit Andeutungen von Vorplätzen und Torsituationen. Es entstehen also komplizierte, aber subtil eingesetzte Raumbezüge: Auf der urbanen Allee herrscht schnellerer Durchgangsverkehr, auf den man von den Wohnungen aus höchstens passiv blickt, im Inneren der Siedlung verlang-
samt sich die Geschwindigkeit; der Außenraum unmittelbar vor dem Hauseingang in Form eines Vorgartens, des Austritts usw. kann sogar als Erweiterung des Innenraums gelesen werden. All das wird durch markante Farbigkeit unterstützt, denn die Hauswände sind jeweils dunkelrot, blau und ockergelb verputzt. Auch die Außenseite der Hufeisenzeile zeigt eine solche farbliche Komposition aus einer strahlend weißen Fassadenfarbe, in der die Treppenhäuser als intensiv blaue vertikale Streifen abgesetzt sind. Diese bilden gleichsam Landmarken für die auf das Hufeisen zulaufenden Straßen. Die Farbigkeit der Architektur korrespondiert mit der gärtnerischen Ausgestaltung der Siedlung durch Leberecht Migge – der auch einen Großteil der Frankfurter Siedlungen gartenarchitektonisch plante. In gesuchter Abwechs-
□ 114 Berlin-Britz, Hufeisensiedlung, Bruno Taut und Martin Wagner, 1924 – 32, Wohnblock „Rote Front“ zur Fritz-Reuter-Allee
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lung zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Bepflanzung wurden vor allem Obstbäume gesetzt, die Häuser und Straßen nicht überwachsen, dafür aber zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich farbig blühen und somit koloristische Akzente setzen. Trotz aller feinfühliger Variationen hinsichtlich verschiedener Ambientes, Farben und Räume war die Hufeisensiedlung auch ein Experiment bautechnischer Rationalisierung, im Prinzip ganz gemäß den vor allem von Henry Ford und Frederick Winslow Taylor propagierten und damals allenthalben verfolgten Optimierungsprinzipien in der industriellen Produktion. Standardisierte Einzelteile sollten nach einem in kleinste Einheiten zerleg- und berechenbaren Produktions- und Montageplan gefertigt und zusammengesetzt werden. Dies war auch der – allerdings nur in Ansätzen geglückte – Anspruch der Siedlung: Von einem genau vorgegebenen Arbeitsdiagramm bis hin zu einem Schaufelradbagger reichten die Maßnahmen, um die Effizienz auf der Baustelle zu verbessern. Für die architektonische Form noch bedeutsamer war aber die massenweise Vorfertigung von wenigen Grundtypen an Fenstern, Türen, Balkonen, Dachstuhlbalken usw. Diese setzte auch eine Normierung der Grundrisse voraus: Im ersten Bauabschnitt der Britzer Siedlung kamen vier Wohnungstypen zur Anwendung, die zwischen 49 m² und 100 m² variierten. Jeder Einheit war gemeinsam, dass sie über einen eigenen Garten bzw. – für die Etagenwohnungen – einen Balkon verfügte und quergelüftet werden konnte, d. h. nach zwei gegenüberliegenden Himmelsrichtungen Aussicht hat. Die Grundrisse halten überdies die Verkehrsfläche (Korridore und Treppeneinbauten) so gering wie möglich. Die emphatische Betonung des Gemeinschaftssinnes, wie sie in Britz I zum Ausdruck kommt, ging in hohem Maße auf utopische Projekte zurück, die Taut als anarchistische Vision friedlicher Gemeinwesen entworfen hatte. Vor
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allem in der ‚Stadtkrone‘ wird ein utopischer Plan einer friedliebenden Großstadt entworfen, deren Bewohner einmal im Leben im zentralen Kristalldom der Harmonie des Universums gewahr werden (vgl. S. 90). Die von Taut entworfene Idealstadt entspricht im Wesentlichen den Idealen der Gartenstadt |▶ 22|, denen Taut auch in seinen gebauten Projekten vor dem Ersten Weltkrieg (z. B. in der Gartenstadt Falkenberg) gefolgt war. Deren pittoreske Grundauffassung wird allerdings im Laufe des weiteren Ausbaus der Britzer Siedlung zugunsten stark rationalisierter Aspekte aufgegeben. Der letzte Bauabschnitt, 1932 errichtet, besteht aus parallel in strenger Zeilenordnung gesetzten, dreigeschossigen Wohnblöcken mit Kleinstwohnungen. Auch Terrainerschließung und Kanalisation folgten mithin einer standardisierenden Normierung. Viele der modernen Siedlungen waren Ausdruck einer sozialistischen bzw. gewerkschaftlichen Politik oder Gesinnung – selbst wenn in den meisten Fällen die Mieten nicht so abgesenkt werden konnten, dass hier Arbeiter, sondern insbesondere Beamte und Angestellte einzogen. So waren die Siedlungen und ihr modernes Lebensgefühl, das sie vermittelten, seit den späten 20er Jahren Ziel heftiger, vielfach nationalistischer Attacken, die sich etwa an der Frage des Flachdachs entzündeten. In mehreren Fällen entstanden Gegenmodelle des Wohnens. So wurde am Südrand der Waldsiedlung Zehlendorf „Onkel-Toms-Hütte“, von Taut, Hugo Häring und Otto Rudolf Salvisberg errichtet, die sog. Fischtalgrundsiedlung konzipiert. Sie stellt eine Musterschau der sog. konservativen Moderne (Heinrich Tessenow, Paul Schmitthenner u. a.) dar, die zwar den Baukörper weitgehend ohne zierendes Ornament einsetzt, ihn in wohl abgewogenen Proportionen gliedert, aber keinesfalls auf ein prominentes, gleichsam optisch schützendes Steildach verzichtet. Derartige Modelle des sozialen Wohnungsbaus wurden unter dem Nationalsozialismus weiter
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verfolgt, zum Teil auch als Reihenhäuser mit hohem Satteldach. Daraus gingen nach dem Zweiten Weltkrieg die massenweise verbreiteten Reihenhausviertel der Bundesrepublik hervor. Aber auch der ebenfalls im Zusammenhang des Siedlungsbau der Weimarer Republik entwickelte Typus des rationell errichteten Mehretagenmietshauses verbreitete sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg massenweise, als renditeträchtige Investition in
Großwohnviertel im Westen oder als planwirtschaftlich zu konzipierende Großwohneinheiten im Osten. Die damit nicht ganz zu Unrecht assoziierte Technik des Plattenbaus – also der Vorfertigung von Wand- und Fassadenteilen – geht ebenfalls auf Versuche in der Weimarer Republik (Dessau-Törten unter Gropius; Frankfurt/M. unter Ernst May) zurück, über rationelle Baufertigung die Wirtschaftlichkeit des Bauens zu erhöhen.
Bauausstellungen Architektur als Exponat
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eit dem späten 19. Jh. wird Architektur zunehmend als ein Produkt begriffen, dessen Leistungsfähigkeit öffentlich präsentiert werden soll, auch um damit den Fortschritt von bestimmten Institutionen, Städten, Regionen oder Staaten vorzuführen und konkret erlebbar zu machen. Dabei geht es anders als bei den Präsentationen von Prachtentwürfen in Kunstausstellungen (etwa den Pariser Salons) nicht um die ästhetische Qualität von Fassaden, sondern um die Demonstration von Gesamtensembles, deren gestalterische Kohärenz und bewohnerfreundliche Funktionalität oder der Einsatz neuer Technologien und Produktionsweisen nachvollziehbar gemacht werden sollen. Verschiedene Strategien können hierfür gewählt werden: von der Vorführung von Innenräumen, etwa im Rahmen von Welt- und Kunstgewerbeausstellungen, über die zeitweise Errichtung von Mustersiedlungen innerhalb einer großen Messe bis hin zur dauerhaften Erbauung eines ganzen Stadtviertels, das zunächst sich selbst innerhalb einer landschaftlichen oder urbanen Umgebung ausstellt, danach aber dauerhaft bewohnt wird. Gerade diese Mustersiedlungen riefen und rufen ein besonderes Publikums- und Presseinteresse hervor und sind in vielen Fällen Marksteine der Moderne geworden. Manchmal sind die Grenzen zwischen publikumswirksamer Präsentation
und alltäglicher Nutzung fließend: Den Meisterhäusern in Dessau |▶ 31| oder vielen der Wohnsiedlungen der Weimarer Republik eignet eine derartige fruchtbare Ambivalenz. In dieser Art der Bauausstellung bleibt die programmatische Investition in die Zukunft nicht nur ein Versprechen, sondern ist gebaute Realität geworden, die teilweise gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt wurde. Folgende Bauausstellungen, auf denen nicht nur Modelle und Innenräume, sondern ganze Architekturensembles präsentiert wurden, haben eine besondere historische Bedeutung erhalten: Die Mathildenhöhe in Darmstadt, 1901 eröffnet, bildete eine Künstlerkolonie, in der Künstler und teilweise auch Fabrikanten eigene programmatische Bauten erhielten. Die größtenteils von Joseph Maria Olbrich entworfenen, sehr individuellen Jugendstil-Häuser waren auf das ideelle Zentrum der parkähnlichen Anlage, das Ateliergebäude, ausgerichtet (□ vgl. 19). Der Deutsche Werkbund feierte 1914 sein siebenjähriges Bestehen mit der Werkbundausstellung in Köln |▶ 23|. Auf dieser Leistungsschau wurden ideale Bautypen vorgeführt, etwa ein Theater (Henry van de Velde) oder eine Fabrik (Walter Gropius). – 1925 wurden auf der Exposition des arts décoratifs in Paris nicht nur neue Dörfer als Mustersied-
Bauausstellungen
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□ 115 Stuttgart-Weißenhof, Werkbundsiedlung 1927 (hist. Aufnahme) lungen gezeigt, sondern einige Länder- und Institutionenpavillons in programmatischen Architekturen untergebracht: Die Sowjetunion präsentierte sich in einem konstruktivistischen Pavillon von Konstantin Melnikov, und Le Corbusiers Stand für seine Zeitschrift „Esprit nouveau“ war ein naturgroßes Modell einer multiplizierbaren Villa |▶ 27|. 1927 und 1929 zeigte sich der Deutsche Werkbund erneut in Form von großen Bauausstellungen in Stuttgart-Weißenhof („Die Wohnung“) (□ 115) bzw. in Breslau („Wohnung und Werkraum“). Vor allem die Stuttgarter Exposition zeigte spektakuläre und sehr umstrittene Haustypen namhafter Architekten aus Deutschland, den Niederlanden und Frankreich, so ein Einfamilienhaus und ein aufgestelztes Doppelhaus von Le Corbusier sowie einen Wohnblock von Mies van der Rohe. – In KarlsruheDammerstock wurde 1929 die Siedlung „Die Gebrauchswohnung“ errichtet. Hier wurde von verschiedenen Architekten, u. a. Walter Gropius und Otto Haesler, mit Wohnriegeln experimentiert, die nach dem Prinzip der Zeilenbauweise, also jeweils nach den gleichen Himmelrichtungen ausgerichte-
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ten, parallel geführten Wohnbauten, angeordnet waren. – Der Schweizerische Werkbund organisierte 1930 in Basel und 1931 in Zürich eine Wohnbauausstellung, 1932 folgte eine ähnliche Schau des Österreichischen Werkbundes in Wien. – Die politisch-programmatischen Dimensionen der Bauausstellungen zeigten sich 1928 in der Fischtalgrundsiedlung in Berlin und 1933 in der Kochenhofsiedlung in Stuttgart, 1934 in München-Ramersdorf sowie 1937 in Düsseldorf („Schaffendes Volk“), wo insbesondere schlichte, satteldachgedeckte Wohnhäuser aus lokalen Materialen verwirklicht wurden. Das waren antimoderne Manifeste, die aber noch lange nach dem Krieg für die typischen Reihenhaussiedlungen weiterwirkten. – 1951 wurde im Rahmen der 2. Darmstädter Gespräche die Ausstellung „Mensch und Raum“ auf der Mathildenhöhe gezeigt, bei der vor allem Reformschulbauten von Max Taut und Hans Schwippert als „Darmstädter Meisterbauten“ realisiert wurden. Im selben Jahr zeigte die Stadt Hannover gleichzeitig zur ersten Bundesgartenschau die „Constructa“, auf der vor allem Musterlösungen für einen neuen Städtebau
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nach dem Zweiten Weltkrieg präsentiert wurden. – Die „Interbau“ in West-Berlin 1957 war die Antwort auf den Bau der Stalinallee |▶ 38|. Eine aufgelockerte Hochhausstadtlandschaft in einer Parkumgebung inmitten der Stadt sollte „Weite, Natürlichkeit, Zwanglosigkeit“ der Internationalen Moderne zeigen. – 1982 wurde als Ergänzung der Documenta 7 in Kassel die Bauausstellung „documenta urbana – sichtbarmachen“ gezeigt, bei der verschiedene Architekten Interventionsmöglichkeiten an städtebaulichen Problemstellen der Stadt vorführten. – Einen noch wichtigeren Markstein zur Wiedergewinnung urbaner Strukturen setzte schließlich
die „Internationale Bauausstellung“ (IBA) in Berlin 1984 – 87. In dezidierter Abwendung von den überlebten Grundsätzen der Internationalen Moderne wurden hier stadtbaupolitische Grundsätze verfolgt, die gewachsene urbane Strukturen aktualisierten, dabei neue soziale, funktionale und künstlerische Grundsätze wirksam werden ließen („Kritische Rekonstruktion“). Die Postmoderne fand hier eine Spielwiese. Zum ersten Mal wurden hier aber nicht nur Neubauten errichtet, sondern auch ein kreativer, zudem durch die Partizipation der Bewohner geprägter Umgang mit rehabilitierter Altbausubstanz vorgeführt.
Bauhausarchitektur in Dessau Synthese des Neuen Bauens
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aum ein anderes Gebäude ist mehr zum Inbegriff des Neuen Bauens bzw. der Internationalen Moderne geworden als das Schulgebäude des Staatlichen Bauhauses Dessau. Das liegt daran, dass das Bauwerk eben die Institution beherbergte, die sich zum Ziel genommen hatte, eine radikal veränderte Kunst- und Architekturauffassung in staatlich anerkannter Form zu lehren und damit auch zu verbreiten ( Themenblock · Interessenverbände, S. 220 f.). Dazu kam, dass die Bauhauspädagogik umfassend war, also alle Gattungen vom Kunsthandwerk bis zur Architektur umgriff, und zudem eine neue Wahrnehmung der Welt einforderte. Da dies auch publizistisch sehr vernehmlich – im gewissen Gegensatz zu der insgesamt nicht immer erfolgreichen Produktivität des Bauhauses – verbreitet wurde, zudem die ‚Bauhäusler‘ einen sehr eigenständigen Korpsgeist ausprägten, konnte es geschehen, dass das
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Bauhaus und zumal sein Dessauer Schulgebäude schon in den 20er Jahren allenthalben zum Inbegriff des Neuen Bauens wurden. Das hatte auch negative Konsequenzen: Der vernichtenden Kritik durch den Nationalsozialismus war das Bauhaus, nicht zuletzt wegen des Schulgebäudes, im Übermaße ausgesetzt; doch trug dies wiederum dazu bei, dass das ‚Bauhaus‘ als Image einer ‚sachlichen Moderne‘ bis heute allgemein präsent ist. Zahllos sind Wendungen wie ‚Bauhaus-Stil‘ u. Ä., gerade auch für jedwede ornamentlose, geometrisch klare Architekturen, auch wenn sie nichts mit dem Bauhaus zu tun haben. Auch begann eine eigenständige Architekturlehre am Bauhaus erst 1928 – und musste schon 1933 eingestellt werden: Sie konnte also kaum dazu beitragen, einen ‚Bauhaus-Stil‘ zu initiieren. Der Bau war allerdings immerhin vom damaligen Direktor des Bauhauses, dem Archi-
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tekten Walter Gropius, entworfen worden, der damit – ganz gemäß der innovativen Bauhauspädagogik – einen durch und durch programmatischen Bau schuf. Die Aufgaben, die an das Gebäude gestellt wurden, waren vielfältig. Nach der Kündigung der Zusammenarbeit mit der Stadt Weimar 1924 musste ein neues Domizil in der sozialdemokratisch regierten Stadt Dessau errichtet werden; dies gelang in den Jahren 1925 – 26. Dabei waren die Technische Lehranstalt der Anhaltinischen Berufsschule, die Ateliers der verschiedenen Fachausrichtungen des Bauhauses, Verwaltungs- und Direktionsräume, Wohnungen für die Studierenden des Bauhauses und überdies eine Kantine sowie eine Studiobühne zu integrieren. Dafür schuf Gropius zusammen mit den Architekten Ernst Neufert und Carl Fieger eine ebenso ungewöhnliche wie klare Massenverteilung (□ 116). Zwei je längsrechteckige, viergeschossige Gebäudetrakte stehen sich an der Straße Leopolddank (heute Bauhausstraße) versetzt gegenüber: im Norden die Fachschule, im Süden die Gemeinschaftsbauten des Bauhauses. Verbunden sind beide durch eine rechtwinklig dazu auf Höhe der Oststirn □ 116 Dessau, Bauhausgebäude, Walter Gropius, 1925 – 26, Grundriss
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der Fachschule über die Straße geführte sog. Brücke. Hier sind in zwei Etagen Verwaltung und die Direktion untergebracht: diese genau in der Mitte der Brücke bzw. der Straße darunter. Parallel zur Brücke sind die beiden jeweils identischen Eingänge angelegt, die sich mithin genau gegenüberliegen. Der Bauhaustrakt schwenkt westlich des Eingangsbereichs mit dem Treppenhaus in den berühmten langen, voll verglasten Ateliertrakt um (□ 117). Östlich des Treppenhauses geht es über den niedrigeren Bereich von Aula, Bühne und Kantine zu dem abschließenden Trakt des Studentenwohnheims, der in seiner aufragenden, sechs Geschosse umfassenden und zur Straße vorspringenden Struktur pavillonartigen Charakter hat. So entsteht insgesamt eine optisch und funktional mathematisch präzise Komposition aus drei miteinander verbundenen Rechteckwinkeln. Ihre Verbindungsstelle ist tatsächlich das kommunikative Zentrum des Ensembles, denn hier liegt der Eingang des Bauhauses, von hier steigt die – von Oskar Schlemmer mehrfach als programmatisches Bildthema behandelte – Treppe durch das Gebäude, und von hier aus erreicht man jeweils direkt Werkstätten-, Verwaltungs-, Gemeinschafts- und Ateliertrakt. Die Anordnung von weißen und grauen Wandflächen, belichtenden Öffnungen und verglasten Einheiten schafft eine selbstgenügsame Komposition, ästhetisiert auswahlweise aber einige wesentliche Funktionen des Gebäudes: So vermitteln die vielen weit vortretenden Balkone des Ateliertraktes gerade in ihrer Rasterstruktur den dort herrschenden Wohnkomfort, und über den Portalen erhebt sich jeweils eine hohe gläserne Rechteckfläche zur Belichtung der Treppenhäuser. Vor allem aber der Werkstatttrakt erscheint in voller Verglasung, denn er erfordert auch die beste Belichtung. Die Subtilität der Lösung liegt darin, dass diese wirklich als einheitlicher und großer Glasblock erscheint, denn die in ein Stahlraster eingelassene Glashaut umhüllt als curtain wall alle drei Etagen
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□ 117 Dessau, Bauhausgebäude, Walter Gropius, 1925 – 26, Werkstatttrakt
des als Stahlbetonskelett errichteten Gebäudes (□ vgl. 117): Dessen Stockwerkböden werden durch nach innen gesetzte Pfeiler getragen und reichten ursprünglich nicht bis zur Fensterebene vor. Zudem kragt der Kubus der Werkstätten über einem niedrigen Kellergeschoss aus, er schwebt gleichsam über der Erde. Es geht also nicht nur darum, ähnlich wie im Fabrikbau große Öffnungen in Skelettstrukturen einzusetzen, um eine gute Belichtung zu garantieren, sondern darum, Transparenz zwischen Innen und Außen regelrecht zu demonstrieren: Die Bauhausschüler waren nicht in schmutzigen Ateliers eingeengt, sondern profitierten von vielfältigen Blicken nach außen – und genauso waren sie von dort wahrzunehmen: Die Glaswand präsentierte also visuell – ohne Logos und Allegorien –, was das Bauhaus trieb. Und überdies wirkt der wundersame Glaskubus auch nach außen: Da Glasflächen Licht oftmals eher reflektieren als es einzulassen, erscheint der Trakt aus bestimmten Blickpunkten mal als dunkler Kubus – was durch die dunklen
Rahmengitter unterstützt wird –, mal in voller Transparenz. Dieses geheimnisvolle Changieren kann man mit einem Kristall vergleichen, also einem Gegenstand von perfekter, absolut naturgesetzlicher Gestalt, aber irisierenden, gleichsam unwirklichen Lichtwirkungen. In solchen Auffassungen war der Kristall eines der wichtigsten Ideale der deutschen Architektur seit ca. 1900 geworden. Auch aus solchen Vorprägungen ist zu verstehen, warum Gropius und sein damaliger Atelierkollege Adolf Meyer für die Fabrikbauten der Faguswerke in Alfeld/Leine 1911 |▶ 23| und die Kölner Werkbundausstellung 1914 große gläserne curtain-wall-Fassaden entworfen hatten. Noch in der Titelvignette des Bauhausmanifestes von 1919, einem von Lyonel Feininger geschaffenen Holzschnitt, erschien das Kristalline in Form einer sich in kubistische Splitterflächen auflösenden Kirchenansicht. Am Werkstatttrakt des Bauhauses gewann die Kristallanalogie eine komplexe Aussagekraft, denn es war ja eben das Programm der Schule, industrielle
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Fertigungsweisen in künstlerische Gestaltung zu überführen: Die Stahl-Glas-Technik ist die Voraussetzung dafür, nicht nur eine moderne Fabrik- oder Werkhalle zu realisieren, sondern sie als monumentalen Kristall von absoluter Regelmäßigkeit und perfekter Proportion zu präsentieren. Das Bauhausgebäude ist also weit mehr als eine rein ‚funktionalistische‘ Architektur, obwohl allenthalben technische Innovationen zur Anwendung kamen: von den massengefertigten Stahlrohrmöbeln von Marcel Breuer bis zu den Lüftungsmechanismen in den Glasfassaden des Werkstatttraktes. Ein von Hinnerk Scheper entworfener Farbplan differenzierte einzelne Funktionsbereiche durch verschiedene, harmonisch abgestimmte Farbfassungen von Treppenwangen, Fußböden, Türblättern usw. Die künstliche Beleuchtung erfolgte über dünne, kaum als objekthafte Lampen wahrzunehmende Leuchtstoffröhren, die gleichsam Lichtbahnen unter die Decke zeichneten. So nahm man Inneres wie Äußeres des Bauhausgebäudes als Resultat einer neuen visuellen Kultur wahr, die von den Lehrern und teilweise den Schülern selbst gestaltet wurde. Sich im Bauhaus zu bewegen, etwa die große Treppe zu besteigen, setzte in den Drehungen des Körpers und des Auges wechselnde Farbkompositionen und Ausblicke nach außen frei. Von den Balkonen und der Dachterrasse des Wohntraktes gewannen die am Bauhaus Studierenden ungewöhnliche Perspektiven auf das Schulgebäude, aber auch auf sich selbst als Teil dieser neuartigen Schule des Sehens. Lucia Moholy-Nagy hat diese neuartige visuelle Kultur des Bauhauses auch in ungewöhnlich komponierte Fotografien umgesetzt. Mit dieser kinetischen Erfassung hat es auch zu tun, dass das Bauhaus keine Hauptfassade hat. Die verschiedenen Ansichtsseiten entwickeln sich im Herumgehen, und erst der Blick aus der Luft macht die Baumassenkomposition aus drei Winkeln richtig sinnfällig. Allerdings prangt auf der
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linken Ecke der südlichen Stirnseite des Werkstättentraktes – diese sah man ursprünglich als Erstes bei der üblichen Annäherung an das Gebäude – vertikal und in großen Lettern ausgeführt der Name der Institution (□ vgl. 117). In Verbindung mit der Fensterabfolge rechts davon, vier übereinandergestapelte Querrechtecke, hat diese Stirnseite den Charakter einer typographischen Komposition. Das Schulgebäude des Bauhauses war in Dessau nicht die einzige Architektur, die direkt oder indirekt mit der neuen Lehranstalt zusammenhing. Gropius’ Büro vermochte dank guter Beziehung zur Lokalpolitik weitere wichtige Ensembles zu errichten, nämlich eine ausgedehnte Arbeiterversuchssiedlung im Stadtteil Törten (1926 – 28), das Gebäude des Konsumvereins (1928) und das Arbeitsamt (1927 – 29). Aber im engsten Zusammenhang mit dem Schulgebäude entstanden 1925 – 26 vor allem auch sieben Wohnungen für den Bauhausdirektor und sechs Professoren (□ 118). Es handelt sich um bürgerlich-mittelständische Wohnhäuser, von denen das Direktorenhaus als Einzelwohnhaus (zerstört, seit 2012 rekonstruiert), die übrigen als Doppelvillen konzipiert waren. Als Baumaterial kamen industriell vorgefertigte Produkte zur Anwendung, vor allem sog. Jurkoplatten, also Betonplatten aus Schlacke, Sand und Zement, die gerade noch mit der Hand versetzt werden konnten. Die drei zweigeschossigen Doppelwohnhäuser wurden jeweils so konzipiert, dass jede Haushälfte aus zwei ineinanderdringende, zueinander versetzte Kuben besteht. Der eine, zweigeschossig horizontal organisiert, enthielt den Wohnraum im Erdgeschoss, darüber ein Atelier mit großzügiger Nordbelichtung. Der andere Kubus von drei Etagen beherbergte die Treppe und weitere kleinere Wohnräume. Die beiden Hälften waren aber nicht etwa symmetrisch oder in Reihe zusammengestellt, sondern derart, dass die Treppentrakte einmal im rechten Winkel, einmal in Längsrichtung angefügt sind, zudem
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auf der einen Seite nach vorne, auf der anderen nach hinten verspringen. In den dadurch entstehenden Winkeln sind Terrassen angelegt, und auch die Obergeschosse sind durch Balkone begleitet. Insgesamt entsteht dadurch eine sehr vielfältige Komposition aus doppelwinkelig angeordneten Kuben, der man nicht ansieht, dass sie aus exakt identischen Grundeinheiten bestehen. Diese Standardisierung gilt auch für die Grundstückseinteilung, die aus gleich breiten und jeweils identisch eingeteilten Parzellen besteht. Es handelt sich also um den Versuch einer gestalterisch-technischen Standardisierung und Optimierung, die mit wenigen Grundeinheiten verschiedene Kombinationsmöglichkeiten zulässt. Natürlich müssen dabei die Grundmodule und ihre Binnengrundrisse so konzipiert sein, dass etwa Fenster, Durchgänge und Treppen in verschiedenen Zusammenstellungen sinnvoll passen. Gropius hatte derartige Prinzipien schon 1923 theoretisch in seinem „Baukasten im Großen“ entwickelt; nunmehr
ging es darum nachzuweisen, dass eine derartige Standardisierung bei gleichzeitiger Kombinationsfähigkeit auch praktisch möglich war und sich nicht nur für den Siedlungsbau, sondern für komplexere Einzelhaustypen einsetzen ließ. Der experimentelle Charakter bezog sich auch auf die Innenausstattungen und die farbige Behandlung der Wände. Gropius und Moholy-Nagy entwarfen eine große Variationsbreite an Wandschränken, Tischen sowie Sitzund Liegemöbeln, die später im Bauhausgebäude verwendet bzw. in Serie produziert wurden. Die technische Ausstattung der Küchen setzte innovative Standards, die wenig später auch die sog. Frankfurter Küche beeinflussten |▶ 30|. Die farbige Fassung sollte hingegen die individuelle Ausgestaltungsmöglichkeit der Typenhäuser aufzeigen. Insbesondere das Haus Kandinsky wies eine überraschende Farbigkeit mit einer goldgefassten Nische im rosafarbigen Wohnraum und einem schwarz gestrichenen Esszimmer auf.
□ 118 Dessau, Meisterhäuser des Bauhauses, Walter Gropius, 1925 – 26
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Das Verwaltungsgebäude der IG Farben in Frankfurt Repräsentatives Bauen für die Industrie
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ine der Hauptforderungen der Internationalen Moderne, das Bauen auf industrielle Fertigungsmethoden einzustellen, beruhte auf der moralisch, ökonomisch und politisch untermauerten Notwendigkeit, die architektonische Produktion durch Effizienzsteigerung anzukurbeln und zu verbessern. Das vertrug sich allerdings nicht ohne weiteres mit repräsentativen Bauaufgaben für die Industrie bzw. für staatliche und öffentliche Institutionen. Zwar führte der Anspruch der Moderne, nationale Bezugsrahmen zu überwinden, dazu, sich gerade bei übernationalen Bauaufgaben als besonders kompetent für solch neue Aufgaben zu verstehen. Das bezeugen eine Reihe höchstrangiger Wettbewerbe, so etwa für den Völkerbundpalast in Genf 1927 und den Palast der Sowjets in Moskau 1930 – 34. Hier beteiligte sich die gesamte Architekturavantgarde und errang auch Erfolg versprechende Platzierungen. Letztendlich fehlte diesen Projekten in den Augen der Auslober aber eine repräsentative Monumentalität, und so ging der Zuschlag in diesen Fällen an klassizistische Entwürfe, im Fall des Sowjetpalastes gar an ein hypertroph gesteigertes, 415 m hohes Projekt von Boris Iofan, das von einer 75 m messenden Lenin-Statue bekrönt werden sollte (vgl. S. 54, □ 25). Le Corbusier initiierte nach seinem Scheitern im Wettbewerb für den Völkerbundpalast eine Medienkampagne, deren Ergebnis u. a. die Gründung der Congrès internationaux d’architecture moderne im Jahre 1928 war. Auch im Fall des repräsentativen Bauens für die Verwaltungsbauten der Industrie waren die Kriterien unklar, nach denen der Anspruch auf eine würdige repräsentative
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Außendarstellung mit dem Image von Modernität zu verbinden war. Konsequent moderne Lösungen blieben die Ausnahme, ein Beispiel bietet die Van-Nelle-Tabakfabrik in Rotterdam (1927 – 32, Johannes Brinkman und Leendert van der Vlugt). Eine vielfach beachtete Lösung der Aufgabe stellt das Verwaltungsgebäude der IG Farben in Frankfurt am Main von Hans Poelzig dar. Der Bau sollte die Konzernleitung eines Großunternehmens inklusive Versuchslabore unterbringen. Dieser Zusammenschluss der größten Chemieunternehmen des Deutschen Reichs ging bis auf die Zeit des Ersten Weltkriegs zurück, setzte sich in den 20er Jahren fort und mündete in die Gründung der IG Farben 1925. Damit entstand das europaweit größte Industrieunternehmen seiner Zeit (dessen Potenz in fataler Weise auch von den Nationalsozialisten unter anderem zur Produktion von Zyklon B vereinnahmt werden sollte und das deswegen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst wurde). Aus diesem Grund war ein repräsentatives Verwaltungsgebäude zu errichten, das zugleich den Verwaltungsabläufen optimal genügen musste sowie Modernität und Innovationsgeist als Signum des Trusts anzeigen konnte. Auf den Standort Frankfurt am Main einigte man sich rasch, weil man damit an zentraler Stelle im Reich, aber gleichzeitig nicht an einem der angestammten Standorte der chemischen Industriebetriebe war, sondern gleichsam neutrales Terrain in Anspruch nahm. Außerdem entsprach dies der investitionsorientierten, expansiven städtischen Politik der Stadt Frankfurt, wo sich ein ausgedehntes Grundstück im
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□ 119 Frankfurt a. M., ehem. Verwaltungsgebäude der IG Farben (heute Universität Frankfurt), Hans Poelzig, 1928 – 31, rückwärtige Ansicht
Norden der Stadt anbot, in dem der Bürokomplex eine städtebauliche Dominante setzen konnte. Eine Delegation des Firmentrusts hatte vorab eine Studienreise in die USA unternommen, um sich mit neuesten betriebswirtschaftlichen, administrativen und architektonischen Entwicklungen vertraut zu machen. Dennoch blieb die Konzipierung eine Herausforderung, denn für den Bautypus ‚Verwaltungsgebäude‘ gab es in Deutschland bis auf vielfältige expressionistische Einzelfälle (z. B. das WilhelmMarx-Haus in Düsseldorf, 1922 – 24 von Wilhelm Kreis, das Hansahochhaus in Köln, 1925 von Jacob Koerfer) keine aktuellen Standardlösungen. Diese hatte es durchaus noch vor dem Ersten Weltkrieg gegeben, als häufig die historische Disposition des klassizistischen Palastes den neuen Funktionen angepasst worden war; das gilt auch für die großen Verwaltungsbauten, die etwa Peter Behrens für Mannesmann in Düsseldorf (1911 – 12) und Continental in Hannover (1912 – 14) verwirklicht hatte. Zu-
nächst beauftragte die IG Farben die konzerneigene Bauabteilung mit einem Projekt, das sich aber, als es bereits fundamentiert war, als ungeeignet erwies. Der daraufhin ausgelobte Wettbewerb unter namhaften Architekten erbrachte vielfältige Lösungen. Darunter befand sich auch ein resolut moderner Entwurf der Frankfurter Architekten Martin Elsaesser und Ernst May, der, in Stahl und Glas ausgeführt, ein enthierarchisiertes und asymmetrisches Gebäude präsentierte. Als Gewinner ging allerdings Hans Poelzig hervor, dessen breitschultriger, konvex zurückschwingender Riegel mit sechs kammartig unterteilenden Querbauten eine perfekte Verbindung von belebter Monumentalität, zeitgemäßer Formabstraktion sowie moderner Gebäudetechnik und Erschließung garantierte. Die 1928 – 31 realisierte Gesamtanlage umschließt ein Gelände in Form eines Bogendreiecks, dessen Südseite von dem Hauptgebäude eingenommen wird, während sich nach Norden ein Park anschließt, der
Das Verwaltungsgebäude der IG Farben in Frankfurt
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über Geländestufen in dem sog. Casino, dem eleganten Restaurant des Unternehmens, an der nördlichen Spitze des Dreiecks kulminiert. Eine klar wahrzunehmende Achse führt vom zentralen, portikusbewehrten Eingangsbereich des Hauptgebäudes über eine vollständig verglaste, weit vorspringende Rotunde in dessen rückwärtigem Bereich und ein rechteckiges Bassin in der Mittelachse des Parks zu dem Casino (□ 119). Konstruktiv ist der Bau eine innovative, aufwändige Stahlkonstruktion, die mithilfe modernster Logistik montiert wurde. Dieses Metallskelett ist allerdings mit Platten aus Cannstätter Travertin verkleidet, die dem Äußeren des Gebäudes eine variationsreiche Farbigkeit von gelbgrau zu ockergelb verleihen. Diese Warmtonigkeit verändert sich je nach Sonneneinstrahlung, die zudem auf der bogenförmig sich nach vorne biegenden Hauptfassade unterschiedlichste Schattenbildungen bewirkt. Poelzig hat die steinerne Verkleidung so komponiert, dass gleichermaßen Referenzen auf die Tradition wie auf moderne Gestaltungsprinzipien deutlich werden: Die Fensterreihen sind an den Querriegeln zwar etagenweise zu horizontalen Bändern zusammengefasst, doch alle Reihen sind von wuchtigen, leicht hervortretenden Lisenen an den Kanten bzw. einer Art Attikazone umfahren, so dass insgesamt eine monumentale Rahmung entsteht. Im unteren Teil sind die Wände wie bei einem traditionellen Gebäudesockel leicht geböscht, also geneigt. Das vermittelt dem Gebäude eine solide Standfestigkeit, und die Travertinverkleidung erinnert an das Hauptmaterial der römischen Barockarchitektur. Nach oben hingegen schließt das Gebäude mit einem Flachdach ab, eindeutiges Signum einer modernen, kubisch-abstrakt sich darbietenden Architektur. Auch im Inneren gibt es zahlreiche derartige Ambivalenzen: Der Hauptflügel wird in voller Länge (250 m!) pro Etage von einem durchgehenden, nordseitig belichteten Korridor er-
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schlossen (sog. einbündiges System); doch wegen der Kurvierung der Traktes entschwinden die Korridorenden aus dem Blick. Im zentralen Eingangsbereich, einem weit ausladenden Oval, das das gesamte Gebäude durchdringt, führen seitlich, sanft sich in die Innenwand einschmiegend, breite Treppenläufe auf das Niveau der Ersten Etage, die hier in einer Art Brücke quert (□ 120). Von hier ging es ehemals in die Vorstandsbüros und den Sitzungssaal des Aufsichtsrates, ohne dass diese Räume deswegen als Erben fürstlicher Festsäle in der Beletage wahrzunehmen sind. Eleganz und Innovation teilen sich unmittelbar in den Materialien des Eingangsbereiches mit: Den Ockergrundton übernehmen nunmehr aber verschieden modulierte, aufwendig polierte Marmorsorten, die aber ergänzt werden durch eine Decke mit Aluminiumauftrag. Dieser strahlt nicht nur diffuse Helligkeit ins Innere ab, sondern teilt sich auch als durchaus edles Produkt moderner chemischer Industrie mit. Überall kamen die Produkte der IG Farben zum Einsatz: Türen und Wände waren mit neuartigen Nitrolacken bzw. Caparol-Farben gestrichen, wobei der Farbton in jedem Geschoss wechselte. Aus der Firmenproduktion entstammten auch das Linoleum und die Gardinen. Diese Produktpräsentation war auch Aufgabe der großen Glasrotunde im rückwärtigen Teil, die als Fortsetzung der halbovalen Eingangshalle deren Grundriss zum Garten spiegelt (□ vgl. 119): Durch technisch aufwendig produziertes großflächiges und entsprechend der Rundung leicht gekrümmtes Glas strömt das Tageslicht in eine Präsentation von wichtigen Produkten der IG Farben. Im rückwärtigen Teil des Gebäudes verläuft die Achse des Eingangsbereichs weiter, führt über das große längsrechteckige Wasserbassin zu einer Geländekante, von der aus ein Wasserfall das Becken speist. Darüber ist die Bronzeskulptur eines sitzenden Frauenaktes von Fritz Klimsch aufgestellt, die gelassen sinnend über das Gelände zu blicken scheint. Diese Skulptur
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bildet die einzige Bauplastik in dem Gebäudekomplex, doch entgegen den Praktiken der Zeit um 1900 hat sie keine den Bau dekorativ auszeichnende oder die Firma allegorisch bezeichnende Funktion, sondern steht in Frankfurt gleichsam museal isoliert – sie ist Ausdruck dafür, dass hier die Wertschätzung für Gegenwartskunst herrschte. Wenn die Skulptur von Klimsch indes trotz aller abstrahierender Vereinfachungen auf eine belebte, ja sinnliche Natürlichkeit nicht verzichtet, so entspricht das durchaus auch der Architekturauffassung Poelzigs: Denn obwohl hier moderne Technik vielfältig eingesetzt, auch auf überbordenden Prunk verzichtet worden und stattdessen eine großformatige Abstraktion der Baumassen verwirklicht ist, so geht es doch in der Kurvierung des Gebäudes, seiner warmtonigen, sinnlich rauen Verkleidung oder seinen Bezügen zum barocken Garten darum, Tradition und synästhetisches Erleben der Architektur miteinander zu verbinden. Poelzig, damals Präsident des Bundes Deutscher Architekten, hat eine derartige Synthese damals auch programmatisch als
Ausweg aus den Extrempositionen der Moderne benannt und gefordert, eine neue Symbolik im ‚Raumorchester‘ der Architektur zu kreieren. Der für die Erbauung Hauptverantwortliche innerhalb der IG Farben war der Aufsichtsratsvorsitzende Georg von Schnitzler, der zusammen mit seiner Frau Lilly als kunstsinniger Promotor und Förderer der Moderne auftrat. In diesem Zusammenhang ist der Frankfurter Bau auch mit einer Ikone des Neuen Bauens in Deutschland zu verbinden: dem deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Barcelona von 1929 (□ 121). Es ist maßgeblich der Initiative und finanziellen Förderung von Schnitzlers zu verdanken, dass der Auftrag dafür an den stellvertretenden Werkbundvorsitzenden Mies van der Rohe erging und verwirklicht werden konnte. Nach der Abtragung des Pavillons am Ende der Ausstellung wurde er 1984 – 86 an der gleichen Stelle rekonstruiert. Er bildet □ 120 Frankfurt a. M., ehem. Verwaltungsgebäude der IG Farben (heute Universität Frankfurt), Hans Poelzig, 1928 – 31, Eingangshalle
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□ 121 Barcelona, Pavillon des Deutschen Reichs, Ludwig Mies van der Rohe, 1929 (hist. Aufnahme)
eine längsrechteckige flache Architektur, die, auf einem langgestreckten Sockel sich erhebend, am ehesten einem Bungalow gleicht, in Wirklichkeit aber eine reine Ausstellungsarchitektur darstellt. Zwei Reihen von extrem grazilen, verchromten Stützen auf kreuzförmigem Grundriss scheinen eine weit auskragende längsrechteckige Dachplatte zu tragen. Darin eingestellt sind eine – ebenfalls tragende – Wand aus gelblich-goldfarbenem Onyx sowie Wände aus Glaspaneelen in verchromten Edelstahlrahmen. Allerdings erscheinen diese Wände nur abschnittweise, so dass kein Raum umschlossen wird, sich dieser vielmehr vielfältig öffnet. Auf der einen Schmalseite mündet
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der Pavillon in ein vollständig von einer Mauer umfasstes Bassin, in dessen einer Ecke sich die Skulptur „Morgen“ von Georg Kolbe erhebt. Der anderen Schmalseite vorgelagert ist ein langes Wasserbassin, hinter dem sich eine Mauer in Höhe des Pavillons erstreckt und in dessen hintere Flucht übergeht. Die langgestreckten Wände aus Stein und Glas bilden fluchtende Perspektiven, überraschende Durchsichten, Spiegelungen und Reflektionen. Die Ausstattung war auf ein Minimum beschränkt: Sessel, Hocker, Tisch, alles vor der Onyx-Wand platziert. Zu erleben ist diese vollständige Auflösung der Grenze von Innen und Außen zugunsten eines ‚fließenden Raums‘ durch ein kurvenreiches Durchschreiten oder Gleiten. Essentielle Funktionen der Architektur scheinen hier außer Kraft gesetzt, etwa ihr schützendes Umhüllen, ihre Definition von Räumen, ihre Veranschaulichung von Tragen und Lasten. Trotz dieser Radikalität gibt es wichtige Bezüge zum IG-Farben-Gebäude in Frankfurt, die nicht nur in Georg von Schnitzler als dem gemeinsamen spiritus rector zu fassen sind. Denn auch der Barcelona-Pavillon führt in der Verchromungstechnik und dem Stützenaufbau sowie den großflächigen Glaspaneelen modernste industrielle Fertigungen vor. Auch erinnert er in seiner insgesamt regelhaften Anordnung von Stützen auf einem Sockel an Prinzipien des griechischen Tempels und legt dabei wie das Frankfurter Gebäude sehr großen Wert auf Material- und Oberflächeneffekte. Schließlich ist auch die gleichsam museale Inszenierung klassizistischer weiblicher Aktskulpturen innerhalb eines vielfältig instrumentierten ‚Raumorchesters‘ vergleichbar. Mies van der Rohe schuf hier ebenso wie Hans Poelzig nicht nur industrielles Bauen, sondern die repräsentative Architektur einer modernen Industrie. Wirksam wurde das vor allem nach dem Krieg, wie nicht zuletzt die eleganten Hochhausverwaltungsbauten, gerade auch im Spätwerk von Mies van der Rohe, deutlich machen |▶ 40|.
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Haus Schminke in Löbau Organische Moderne
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ie ‚Internationale Moderne‘ wurde bereits 1932 als ein neuer ‚Stil‘ präsentiert: Auf einer spektakulären Ausstellung im Museum of Modern Art präsentierten der Architekturhistoriker Henry-Russell Hitchcock jr. und der Architekt Philip Johnson die neue europäische Architektur (vgl. S. 92). Ihre Protagonisten wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe oder Le Corbusier waren somit – in einigen Fällen binnen weniger Jahre – zu Stararchitekten aufgestiegen. Ebenso hatte umgehend die Historisierung der jungen Bewegung eingesetzt: Denn die beiden Kuratoren vertraten nicht die Auffassung, die neue Architektur sei ein Produkt aus Gebrauchsfunktionen, Technologien und Ökonomie, sondern präsentierten sie als einen neuen, eben den internationalen ‚Stil‘. Konsequenterweise wurde in dem Katalog der Versuch unternommen, dessen formale Kriterien zu definieren. Dazu gehörten vor allem geometrisch klare, wie schwebend erscheinende Volumina, horizontale Fensterbänder und frei fließende Grundrisse. Diese formalistische, bis heute populäre Auffassungen bestimmende Definition der Moderne unterdrückte aber, dass es auch ein sog. organisches Bauen gab, das die Architektur nicht über ästhetisch-formale Grundprinzipien definierte, sondern aus einer jeweils individuellen und komplexen Funktionserfüllung. Die Ergebnisse dieser architektonischen Konzeption konnten selbstverständlich keine geometrisch regelmäßigen Formen sein, sondern vielfältig strukturierte Gebilde. Eine der schönsten Lösungen dieser ‚organischen Architektur‘ stellt die Villa dar, die Hans Scharoun 1930 – 33 für die Familie des Nudelfabrikanten Fritz Schminke in Löbau in Sachsen erbaute. Der Auftrag lautete auf eine
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eher bescheidene Villa, da – durchaus modern – die Ehefrau Charlotte Schminke sich um die Kindererziehung und Gartenpflege kümmern wollte und somit nur mit einer Hausangestellten als Mitbewohnerin zu rechnen war. Die Aufmerksamkeit Scharouns galt insbesondere der guten Ausrichtung aller Räume, der Einbettung in den recht großen Garten und die Innengestaltung des als ausgefachte Eisenskelettkonstruktion erbauten Wohnhauses. Es bildet einen verhältnismäßig langgestreckten, zweigeschossigen Flügel in Ost-West-Ausrichtung, der an den Enden in jeweils gegenläufiger Richtung in einem flachen Winkel von 26° abgeknickt ist (□ 122). Im Westteil durchdringt ein blockartiger Körper das Haus, füllt somit hier den Grundrisswinkel auf und tritt im Norden wie ein Erker nach außen. Auf der dadurch entstehenden weiten Grundrissfläche sind Eingang, Mädchenzimmer, Küche sowie eine über beide Geschosse gehende Halle angelegt, in der sich ein Kinderbereich und die Essdiele (im Erker) sowie die Treppe zum Obergeschoss befinden. Diese verläuft entlang der abknickenden Achse, schneidet deswegen schräg in die Wohnhalle und führt in einer Empore über die Essdiele hinweg zu einer Gästewohnung und den verhältnismäßig kleinen Schlafzimmern. Im Erdgeschoss schließt nach Osten vermittels einer Schiebetür der große, fast vollständig verglaste Wohnbereich an die Halle an (□ 123). Sie besteht aus einem Wohn- und Musikzimmer im Hauptflügel sowie aus einem durch gläserne Schiebetüren abgeteilten Speisezimmer, das in dem verschwenkten Nordschenkel eingerichtet ist. Vollständig verglast, erinnert dieser Raum an einen Wintergarten. Im Süden endet er in einem großen, bepflanzten Blumenfenster
Haus Schminke in Löbau
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□ 122 Löbau in Sachsen, Haus Schminke, Hans Scharoun, 1930 – 33, Ansicht von Norden
mit schräger Außenverglasung, ein veritables kleines Gewächshaus. Da das Haus auf einer Geländekante errichtet ist, ragt es mit seinem Ende auf der Nordostseite wie schwebend in den Gartenbereich hinein, dessen Zentrum einstmals ein Teich bildete (□ vgl. 122). Dieses Vorkragen wirkt vor allem deswegen spektakulär, weil an dieser Seite alle Etagen als Terrassen enden und auch das flache Dach darüber hinweggezogen ist. Somit entstehen drei flache Tragböden, die jeweils unterschiedlich abgeschrägt sind: Das Dach etwa endet in einem abgerundeten 26°-Winkel. Gerade in der Untersicht scheint sich dieser spitze Keil bugartig in den Himmel zu bohren. Eine in der Flucht der Grundrissknickung, also parallel zum Aufgang der Wohnhalle angebrachte Außentreppe verbindet die beiden Etagen und führt nach unten weiter in den Garten. Das Haus Schminke ist ein Musterbeispiel für die oft, etwa von Le Corbusier, beschworene Analogie moderner Bauten mit Schiffen. Diese Metapher bezieht sich auf den Anspruch, eine autonome, technisch effiziente Funktionsein-
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heit zu bilden, assoziiert aber auch die internationale Mobilität ihrer Benutzer sowie den Glamour der Ozeandampfer. Am Haus Schminke wirken die Terrassen wie Schiffsdecks, zumal das Außengeländer aus Stahl mit einer Metallgitterfüllung besteht. Die seitlich angebrachte Außentreppe macht das Haus gleichsam zu einem Schiffsrumpf, der von einer Hafenmole betreten werden kann. In der Tat hat Scharoun die Villa als „Lebensschiff“ der Familie Schminke bezeichnet. Die eigentliche Qualität liegt aber nicht in solchen Assoziationen, sondern in der subtil und komplex auf verschiedene Wohnqualitäten bezogenen inneren Organisation des Hauses. Es verfügt über alle für eine derartige Bauaufgabe üblichen Räume: Halle, Esszimmer, Musikzimmer, Salon, Domestiken- und Gästewohnung, Schlafzimmer. Doch sind diese neu ausgestaltet und flexibel kombiniert. Die Halle etwa vereint den Esserker, den Kinderbereich und den Treppenaufgang in einem großen Raumkontinuum, bildet den Kreuzungspunkt des alltäglichen Familienlebens – der Handlauf der recht flach geführten Treppe war auch als
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Rutsche für die Kinder gedacht! Die Essdiele erhält Intimität und Bezug zum Außen, indem sie sich unter die Empore und in den nach außen ausladenden Erker duckt. Von diesem Bereich klar abgetrennt, aber weit gegeneinander zu öffnen, erscheinen die sehr großen Räume von Wohnzimmer und Wintergarten. Sie sind von allen Seiten durch Licht erfüllt, bieten aber eine Reihe interner Raumeinteilungen und Bezugnahmen zur umgebenden Natur. Ein offener Kamin akzentuiert die Mitte der Nordseite des Wohnzimmers, eine L-förmige Sofasitzgruppe antwortet gegenüber darauf. Östlich abgesetzt davon steht der Flügel. Beide Räume können durch Glasschiebetüren voneinander abgegrenzt werden, der dunkelblaue Veloursboden im Musiksalon differiert mit dem dunklen Marmorfußboden im Wintergarten. Von hier geht es auf die Außenterrassen und zum Garten, der in Form des großen Blumenfensters bereits schon innerhalb des Hauses beginnt (□ vgl. 123). Die beiden Räume enthalten mit ihrer geknickten Achse verschiedene Blickrichtungen und Ausblicke. Sie konnten aber auch vollständig durch Vorhänge geschlossen werden, dann übernahm eine ausgeklügelte Licht-
regie die Raumunterteilung. Im Musiksalon schufen Deckenfluter Lichtinseln, im Wintergarten ist an der Decke ein origineller Beleuchtungskörper in Form eines großen Rasters rot hinterlegter Rundöffnungen angebracht, in die in einem bestimmten Rhythmus Kugelleuchten eingelassen sind. Eine durchdachte Farbigkeit unterstützte diese Schaffung unterschiedlichster Ambientes. Die Eingangshalle war in verschiedenen Weißabtönungen gehalten, damit kontrastierte der dunkle Parkettfußboden und die Treppen mit blauen und schwarzen Stufen und dem in Weiß und Rot gestrichenen Geländer. Darüber erstreckte sich eine orangefarbene Decke. Im Musikzimmer dominierte der dunkle Teppich, im Wintergarten die Naturfarbigkeit des Außenbereichs. Zahlreiche Lichteffekte ließen das Innere des Hauses funkeln, verstärkt durch verschiedene eingravierte Musterungen der Glasscheiben, zum Beispiel zwischen Wintergarten und Musiksalon, sowie die Schattenstreifen der Gestänge von Außentreppe und Geländer. All das kann gegeneinander vielfältig □ 123 Löbau in Sachsen, Haus Schminke, Hans Scharoun, 1930 – 33, Blick aus dem Musiksalon in das Esszimmer
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geöffnet und geschlossen werden, von den Terrassen gibt es verschiedenartige Blickpunkte und auch das Besteigen der Treppen außen und innen hat eine eigene Erlebnisqualität. Im Eingangsbereich überrascht ein kleiner Okulus, der einen eigenartigen runden Ausschnitt des Äußeren nach innen einlässt. So wird das traditionelle Raumprogramm einer Villa neu zusammengefügt. Einerseits sind Wohn-, Schlaf- und Wirtschaftsbereich klar voneinander geschieden und die Raumgrößen stark unterschiedlich, andererseits werden bestimmte Wohnfunktionen flexibel in einer Raumeinheit aufeinander bezogen. Dadurch entsteht der Eindruck von Weite, der dadurch verstärkt wird, dass sich das Haus an allen möglichen Stellen zu Licht und Landschaft öffnet. Insofern bildet das Haus einen vielfältig wandelbaren Erlebniskörper, in dem subtil verschiedenste Funktionen des Wohnens miteinander verbunden sind. Man kann es als einen Organismus begreifen, in dem verschiedene funktionelle Einheiten eng aufeinander bezogen sind und insgesamt eine lebendige Einheit bilden. Lebendig ist sie insofern, als die Architektur mit den Bewohnern interagieren kann, intensiv mit dem natürlichen Außenraum verschränkt ist, der im Fall des Blumenfensters wortwörtlich in das Innere gerückt wurde. Vor allem aber äußert es sich darin, dass das natürliche Licht, das Wetter sowie die Tages- und Jahreszeiten intensiv erlebt werden können. In solchen Kriterien unterscheidet sich Scharouns Architektur durchaus von Auffassungen, die geometrische Grundprinzipien zum konzeptuellen Ausgangspunkt des Bauens machen |▶ 27, 28, 31|. Ähnliche Kriterien wie bei Scharoun werden auch gleichzeitig im Werk von Hugo Häring wirksam, der in seinem Mustergut Garkau bei Klingberg (1922 – 28) ein Hauptbeispiel des „organischen Bauens“ realisiert hatte. Eine präzise Analyse der Funktionsabläufe bei der Großtierhaltung lässt etwa einen im Grundriss trop-
III. Schlüsselwerke
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fenförmigen Kuhstall entstehen, der von dynamisch außen vorstoßenden Anbauten umgeben ist. Ähnlich wie bei Scharouns Entwürfen für öffentliche Bauten geht es darum, die Bewegung von Lebewesen in Baulichkeiten zu fassen. Wenn sich solches in der Architektur in bewegten, plastisch-dynamischen Formen äußert, ergeben sich auch formale Analogien zu belebten Naturformen. Insofern hat man hier von „organischer Architektur“ gesprochen und ordnet ihr gemeinhin das Werk von Henry van de Velde, Hans Poelzig |▶ 32|, Erich Mendelsohn, Hugo Häring, Adolf Rading, Hans Scharoun und Alvar Aalto |▶ 41| zu (Brinitzer 2006). All diese Architekten arbeiten meist mit je nach Bau individuell und komplex funktional verstandenen Kriterien, was sich in plastisch modellierenden, häufig schwingend dynamischen Formen niederschlägt, die erkennbar nicht Orthogonalität und Raster als universell einsetzbare Grundmuster des Bauens zugrunde legen. Allerdings ist der Begriff der „organischen Architektur“ insofern problematisch, als er vom Wortführer des organischen Bauens in den 20er Jahren, Hugo Häring, als Gegenbegriff zu den „geometrischen Kulturen“ verwendet wurde, die er vor allem mit den Rasterstadtplänen Le Corbusiers verband (|▶ 37|, Schirren 2001). Wenn Häring fordert, „organhaftes“ Bauen jeweils individuell gemäß dem Leben der komplex gestaltenden Natur zu konzipieren, wendet er sich dezidiert gegen ein Neues Bauen, das glaubt, in abstrahierend reinen geometrischen Gestaltprinzipien allgemein gültige Architekturprinzipien formuliert zu haben. Bei Häring schwingen hierbei allerdings kulturelle Stereotype mit, die eine angeblich französisch-lateinische Klassik und Rationalität gegen ein angeblich deutsches, romantisches Naturbewusstsein setzen. Die Wirklichkeit ist komplexer, denn Scharouns und Härings dynamisierte Innenräume mit ihren vielfältigen Perspektiven und Farbeffekten führen zum einen Ansprüche weiter, die etwa im Jugendstil bereits formuliert waren, wie etwa
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die Häuser von Victor Horta zeigen |▶ 19|. Zum anderen hatten auch die Arts-and-Crafts- und die englische Landhausbewegung darauf insistiert, die funktionalen Untereinheiten eines Hauses, insbesondere die richtige Raumanordnung, -größe und –orientierung zur Grundlage des Entwurfs zu machen. Dies hatte sich schon um 1900 etwa bei Fritz Schumacher explizit in der Grundforderung eines „architektonischen Organismus“ niedergeschlagen (Schirren 2001, S. 19) und war implizit auch in der Lehre von Theodor Fischer |▶ 22| präsent. Beide Figuren sollten für Häring prägend werden und dieser
wiederum Scharoun beeinflussen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der Begriff der „organischen Architektur“ wieder Hochkonjunktur, verband sich insbesondere etwa bei dem Architekten und Städteplaner Hans Bernhard Reichow mit dem Konzept der Stadtlandschaft („Organische Stadtbaukunst“, 1948). Dies war die Grundlage, auf der Scharoun seinen berühmten Kollektivplan für Berlin 1946 entwarf: eine durchgrünte Landschaft entlang der Spree, in der die Architekturen und Wohnsiedlungen wie Elemente einer schönen Landschaft zusammenwirken sollten |▶ 38|.
Casa del Fascio in Como Modernes Bauen im faschistischen Italien
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as Bauen in den totalitären Diktaturen des 20. Jh.s ist keineswegs automatisch qualitätslos, lügnerisch oder rückwärtsgewandt (vgl. S. 60 – 64). In der Sowjetunion herrschte bis 1933/34 eine konstruktivistische Spielart des Internationalen Bauens, die das revolutionäre, auf die ganze Welt gerichtete Potential des Kommunismus in gebaute Umwelt umsetzen sollte. Aber auch im italienischen Faschismus entwickelt der sog. razionalismo Strategien, faschistische Massenmobilisierung, technische Innovation und staatliche Neuordnung in intelligente architektonische Ausformungen umzusetzen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass sich das historistische Bauen in Italien fast unangefochten bis in die Zwischenkriegszeit erstreckte. Als Adalberto Libera, Giuseppe Terragni und andere junge Architekten 1926 mit der avantgardistischen gruppo 7 den razionalismo initiierten, war Mussolini bereits vier Jahre lang an der Macht. Es ging nunmehr darum, innerhalb der Aufbruchsstimmung
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des italienischen Faschismus mit den anderen nationalen Avantgardebewegungen gleichzuziehen, um das italienische Innovationspotential herauszustellen. Dabei zielte man darauf, eine geringe Zahl von Bautypen zu generieren, die sich aus der römischen Antike ableiteten und in der Gegenwart eine neue ;Klassik‘ als Gegenentwurf zum italienischen Art déco (novecento) bzw. dem Jugendstil (stile Liberty), vor allem aber gegenüber dem monumentalen puristischen Klassizismus eines Marcello Piacentini (Anlage der Via dei Fori imperiali 1932, Planung der Città universitaria 1932 – 35 und der Esposizione universale di Roma, 1936 – 43, alles in Rom, □ vgl. 29) zu formulieren. Dabei muss betont werden, dass etwa Terragni seine Architektur keineswegs als opportunistisch-unpolitisch bzw. als reines Formexperiment oder gar als latent kritisch verstand; im Gegenteil trat er 1928 in die faschistische Bewegung ein. Das zeigt sich in seinem Hauptwerk schon in der Bauaufgabe selbst: Die Casa del Fascio in
Casa del Fascio in Como
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Como wurde 1932 – 36 im Auftrag der faschistischen Partei Mussolinis, der Stadt Como und der neuen Freizeitorganisation Dopolavoro aus Anlass der Zehnjahresfeier der Machtübernahme des Duce errichtet. Sie diente zugleich als lokale Parteizentrale, Versammlungsstätte und Gefallenendenkmal sowie als Verwaltungsort einer Reihe faschistischer Organisationen. Die politische Bedeutsamkeit kommt allein dadurch zum Ausdruck, dass der Bau in Sichtweite des Domes liegt und damit mit der Erbauung ein neuer urbanistischer Akzent entstand. Die
□ 124 Como, ehem. Casa del Fascio, Giuseppe Terragni, 1932 – 36, Grundriss des Erdgeschosses
mit hellem Marmor verkleidete Eisenbetonkonstruktion erhebt sich auf einem exakt quadratischen Grundriss von 33 m Seitenlänge und erreicht in der Höhe die Hälfe einer Seite, bildet also einen halbierten Würfel bzw. jede Fassade zwei Quadrate (□ 124). Diese kubische Grundform ist konzeptuell als ein dreidimensionales Raster von 8 × 8 × 5 Gitterebenen (bzw. 7 × 7 × 4 Joche) gedacht. Allerdings ist das nicht streng regelmäßig gelöst, weil im Fassadenjoch die Stützreihe gegen den geometrischen Rhythmus nach hinten und im rechten Joch die erste
III. Schlüsselwerke
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Stützenreihe nach außen versetzt sind. In diese Gitterstruktur sind nach einem ausgeklügelten System Trennmauern, Fassadenwände und Öffnungen eingefügt, so dass eine abstrakte räumliche Struktur entsteht, die aber gleichwohl eine Reihe von historischen Referenzen andeutet. In sehr allgemeinem Sinne wird die blockhafte Gliederstruktur des griechischen Tempels aufgenommen oder aber auch eines venezianischen Palastes mit seiner durch ein Vestibül geöffneten blockhaften Gesamtdisposition. Denn im Prinzip stellt sich auch die Casa del Fascio als ein von vier Fassaden umgebener Block dar, der sich im Erdgeschoss vermittels einer zentralen Glasfront in eine tiefe, die ganze Gebäudetiefe durchmessende Halle öffnet (□ 125). Im ersten Geschoss umläuft eine Innengalerie die auf halber Gebäudehöhe durch ein Glasdach gedeckte Halle, fassadenseitig und rückwärtig werden die Seitentrakte durch Flügel mit Büros geschlossen. In den beiden Geschossen darüber setzt sich diese Vierflügeldisposition mit einem innen liegenden Lichthof fort. Dieser ist in seinem quadratischen Grundriss der Außenkontur vergleichbar, bildet in dem vom ihm umschlossenen Raumvolumen also einen (allerdings vom Glasdach auf halber Höhe durchschnittenen) Würfel. Das Betongerüstgitter ist an einigen Stellen ostentativ freigelegt, vor allem an der Rückfassade sowie an der Vorderfront. Hier nämlich tritt, um eine loggienähnliche Raumschicht zu ermöglichen, die Wandbegrenzung etwas hinter das die Fassade in voller Höhe durchlaufende Gitter zurück. Im oberen Teil öffnet sich sogar eine Dachterrasse, doch auch über dieser setzen sich die Balken der Oberseite des Würfelgitters fort. Allerdings ist an dieser Hauptfassade die Gitterstruktur nur über fünf Jocheinheiten freigelegt, der rechte Teil ist als hochrechteckige Marmorfläche davorgelegt. Derartige Prinzipien gelten auch für die anderen Schauseiten. Hier sind in verschiedenen Variationen die Rasterfelder nur partiell geschlossen, dafür aber etwa eine
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horizontale Rechtecköffnung L-förmig mit einer quadratischen Öffnung kombiniert. Dieses Muster wird nicht über die gesamte Fassade wiederholt, sondern folgt den Funktionen der dahinter liegenden Räume, die sich aber meist über mehrere Etagen gleichen. Somit entstehen auf jeder Schauseite vertikale Einheiten jeweils identischer Ausfachungen und Öffnungsmuster. Diese lassen sich optisch zu größeren kompositorischen Mustern zusammenfassen, etwa zu einem zentralen Feld von 3 × 5 Fächern, das an der Rückfassade entsteht und somit den Querschnitt der inneren Halle nach außen andeutet. Das Thema der Transparenz, das durch die vielfältige Freilegung der Gitterfächer entsteht, ist auch im Inneren präsent, wo zahlreiche Räume nicht durch feste Mauern, sondern vermittels Glasbausteinen voneinander abgegrenzt sind. Vor allem der Eingangsbereich überrascht in dieser Hinsicht. Seine etwas zurückgesetzte, also verschattete, aber verglaste Vorderfront öffnet sich nämlich in 16 in Batterie gesetzten Glastüren. Diese Lösung dient nicht nur einer opulenten Belichtung und
Sicht nach außen – auf den Dom! –, sondern erlaubt ein gleichzeitiges Betreten bzw. Verlassen des Gebäudes. Hier setzt Terragni programmatisch die faschistische Massenmobilisierung in Architektur um: Die Casa del Fascio ist kein Verwaltungsgebäude, sondern ein Ort, an dem das kollektive Erstürmen der Parteizentrale bzw. der Stadt inszeniert werden sollte. Das betrifft auch die weitere Erschließung des Gebäudes, denn nach Betreten der Halle wurde man über eine seitlich gelegene große Treppe zum Versammlungssaal der Parteiführung auf dem ersten Stockwerk – dem klassischen piano nobile – geleitet, wo ein futuristisches Wandgemälde von Mario Radice ein abstraktes Standportrait des Duce zeigte, der bei jeder Versammlung wortwörtlich hinter den Versammelten stand. Auch die Loggien auf der Hauptfassade dienten als Tribünen für Massenveranstaltungen, und die große Marmorfläche auf der rechten Fassadenseite sollte mit riesigen Propagandafotos der faschistischen Bewegung versehen werden. Deren Motto prangte auf einer großen futuristischen Collage im Inneren:
□ 125 Como, ehem. Casa del Fascio, Giuseppe Terragni, 1932 – 36, Hauptfassade
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ordine – autorità – giustizia. Das musste auch omnipräsent sein und erforderte insofern die weitgehende Transparenz bzw. Öffnung des Gebäudes – in der Tat hatte Mussolini den italienischen Faschismus mit einem ‚Haus aus Glas‘ verglichen, um die allgegenwärtige Präsenz der Massenmobilisierung auszudrücken. Will man Terragnis Architektur historisch einordnen, so sind sicherlich vor allem die Pariser Vorortvillen der 20er Jahre von Le Corbusier (Villa Stein-de Monzie, Villa Savoye, vgl. □ 22 und S. 50) ein sehr wichtiger Bezugspunkt. Auch sie gehen von würfelförmigen Grunddispositionen aus, die ausgehöhlt und unterschnitten werden. Allerdings basieren sie konzeptuell auf nach innen gesetzten Stützen, die eine Tragwerkdecke tragen. Terragni ist hier radikaler, denn seine Bauten nehmen ein Rastergitter zum Ausgangspunkt der Konzeption. Auch dieses kann man etwa bis auf Jean Louis Nicolas Durand um 1800 zurückführen, der eine modulare Rasternormierung entwickelt hatte, um darin jedweden Architekturtypus unbelastet von historischen Gewohnheiten einfügen zu können (vgl. S. 80). Bei Terragni ist dieser Entwurfsraster aber auch als konkrete, monolithische und in sich stabile Betongitterkonstruktion präsent. Diese ist nicht mehr auf den Ausgleich von Tragen und Lasten angewiesen, wie das für die aufeinandergeschichtete Steinarchitektur der Fall ist. Das homogene Betonskelett ist davon unabhängig, könnte gleichsam auch umgedreht werden, ohne an Festigkeit zu verlieren. In dieser Eigenschaft wurde und wird der Stahlbeton für zahllose Nutzbauten angewandt. Terragni legt aber die aus dem Rastergitter abgeleiteten Gestaltungsprozesse gleichsam frei: Es liegt offen zutage, kann aber auch verhüllt werden. Mauern und Jochachsen können in Bezug auf das Raster versetzt und verändert werden, Stützen weggenommen und zugefügt werden. Aus solchen Operationen ergeben sich Fassadenkompositionen und Raumeinteilungen, Proportionierung
III. Schlüsselwerke
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und stadträumliche Wirkung, und ebenfalls andeutungsweise Bezüge auf historische Architekturen wie den Renaissancepalazzo. Die konzeptuelle Stringenz und Intelligenz hat dazu geführt, dass der razionalismo nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus fortlebte. Aldo Rossis Anspruch, Haustypologien historisch zurückzuverfolgen und in stereometrischen Gebilden zu synthetisieren (vgl. S. 93), zählt hier ebenso dazu wie die Wiederaufnahme des Rastergitters als konzeptueller Grundlage bei stark theoretisch ausgerichteten Architekten wie Oswald Matthias Ungers und Peter Eisenman |▶ 49|. Umso drängender stellt sich die Frage, wie der Anspruch des razionalismo, eine spezifisch faschistische Architektur zu entwickeln, moralisch zu beurteilen ist. Die Formen und Gestaltkonzepte leisten eine solche Programmatik für sich sicherlich nicht, genauso wie ein monumentaler Klassizismus eines Albert Speer oder Marcello Piacentini zunächst einmal ‚unschuldig‘ ist. Doch zur Geschichte der Architektur gehört auch die Frage, von wem, wie und warum die architektonischen Gegebenheiten mit Bedeutung aufgeladen werden und wie sich diese Konnotationen wiederum dauerhaft mit Formen verbinden. Und hier erweist sich die radikale Innovation des razionalismo als weitaus weniger vorbelastet als der monumentale Klassizismus, den fast alle totalitären Systeme Europas zum Staatsstil erhoben. Dahinter steckte eine Auffassung von ‚Klassik‘ als einer vollendeten formalen Repräsentationsleistung, einer perfekten Harmonie von Form und Inhalt. Diese Qualitäten sind meist Teil einer ganzheitlichen Weltauffassung, in der Kunst und Architektur als ideale Repräsentation aller Lebensbereiche (Körper, Moral, Religion, Staat) gedacht wird. In fast allen Klassikauffassungen fungiert die Kultur der Antike, v. a. die griechische Kultur des 5./4. Jh.s v. Chr. bzw. in Italien die römische Kaiserzeit, als unumstößliches Ideal. Da Klassik insoweit auf der Grundlage eines historischen Bewusstseins definiert wird,
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erscheint sie als ein überzeitliche Gültigkeit beanspruchender Gegenentwurf einer als dekadent kritisierten Gegenwart. Angesichts ihres ganzheitlichen Anspruchs unterscheidet sich Klassik in diesem Sinne von einer rein oberflächlichen Nachahmung antiker Vorbilder. Wenn also die neoklassizistische Moderne in den Diktaturen zum Staatsstil erhoben wurde, so liegt das daran, dass solchermaßen eine über alle historischen Epochen und bis weit in die Zukunft reichende Kontinuität ganzheitlicher Harmonie postuliert werden konnte. Der
Neoklassizismus erscheint wie die Wiederherstellung dieser totalitär erreichten angeblichen Perfektion, die Monumentalität suggeriert die Unzerstörbarkeit und die ewige Dauer dieser Systeme. Hiervon unterscheidet sich der italienische razionalimo allerdings durchaus. Trotz aller emphatischen Bekenntnisse von Terragni zu Mussolini und zu einer neuen ‚Klassik‘ und trotz aller Hinweise auf historische Architektur kann man die Casa del Fascio doch nicht einfach als ewig gültige Wiedergeburt antiker Idealität verstehen.
Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg Staatsarchitektur im Nationalsozialismus
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olitik und Architektur gehören eng zusammen, denn beide gestalten und ordnen Gesellschaften. Das schlägt sich in einer Reihe von Denkfiguren und Topoi nieder: Metaphorisch wird der Staat vielfach auch als Gebäude bezeichnet; der alttestamentarische König Salomon wurde sowohl für seine Gerechtigkeit als auch als Errichter des Jerusalemer Tempels als sapiens architectus (weiser Baumeister) verehrt; und einer der Ehrentitel des Papstes lautet Pontifex maximus, also oberster Brückenbauer. Umgekehrt kann Architektur entscheidend in soziale Systeme eingreifen: So ist etwa der Massenwohnungsbau der Weimarer Republik Teil einer umfassenden Sozialpolitik |▶ 30|. Besondere Schärfe erreicht dieser Zusammenhang in den auf charismatische Führerfiguren orientierten Diktaturen des 20. Jh.s, in denen sich der grundsätzliche und umfassende gesellschaftliche Wandel gerade auch in monumentalen Bauprojekten äußern sollte. Das gilt für die Baupolitik unter Stalin in der Sowjetunion genauso wie unter Nicolae Ceaus˛escu in
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Rumänien (Präsidentenpalast in Bukarest). Im faschistischen Italien und insbesondere im nationalsozialistischen Deutschland verschmilzt dabei die Figur des Diktators mit derjenigen eines genialen Baumeisters, der Gesellschaft und Raum im wortwörtlichen Sinne umgestaltet. Das betraf in Deutschland zuallererst die Hauptstadt Berlin sowie die Gauhauptstädte, die dauerhafte und gigantische Bühnen erhielten bzw. erhalten sollten, auf denen die nationalsozialistische Massenmobilisierung in ritualisierter Form immer und immer wieder aufgeführt werden konnte. Seit 1938 wurde unter Albert Speer die massive Umgestaltung Berlins zu Germania begonnen, die insbesondere den Bau einer monumentalen Nord-Süd-Achse als Pracht- und Aufmarschstraße vorsah. In den Gauhauptstätten mussten für vergleichbare Massenkundgebungen sog. Gauforen errichtet werden, von denen insbesondere dasjenige in Weimar fast vollendet wurde. Daneben gab es kaum eine Bauaufgabe, die nicht der Massenmobilisierung und Herrschaftsinszenierung
Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg
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unterlegen wäre, von Turnhallen, Sportstadien und Jugendherbergen über Autobahnen und Bahnhofsprojekte (München) bis hin zu Regierungsbauten wie der Neuen Reichskanzlei in Berlin. Dabei ist es wichtig zu unterstreichen, dass es keinen nationalsozialistischen ‚Baustil‘ gegeben hat, wie man das häufig den neoklassizistischen Großprojekten entnehmen zu können glaubt. Vielmehr behauptete die rassistische Ideologie des Nationalsozialismus einen Determinismus, der, unbehindert durch ‚fremde Einflüsse‘, notwendigerweise zu einer ‚deutschen Baukunst‘ führen müsse. Das konnte, etwa für eine Jugendherberge, durchaus auch die Beachtung (angeblicher) regionaler Traditionen beinhalten. Für öffentliche Großprojekte kam allerdings fast ausschließlich ein vereinfachter Klassizismus als Gestaltungsidiom zur Anwendung, weil insbesondere Hitler selbst hier eine Fortführung und Steigerung des Bauens im antiken römischen Weltreich sah. Allen Großprojekten dieser Art ist eine gezielte gigantische Übersteigerung der Dimensionen gemeinsam: ‚Größe‘ wird hier wortwörtlich als Übertrumpfen verstanden, durch das oftmals historisch gewachsene Ensembles überbaut oder optisch unwirksam gemacht wurden. Die große Kuppelhalle am nördlichen Ende der Berliner Nord-Süd-Achse, provozierend neben das Reichstagsgebäude gesetzt, sollte 320 m Höhe erreichen! Vor allem diente die Gigantomachie dazu, über die damit notwendig verbundene hypertrophe Logistik und Ressourcenverschwendung die Illusion einer permanenten, ekstatisch erlebten Neugestaltung aufrechtzuerhalten. Daran war gleichsam das ganze Volk beteiligt, das damit zumindest in einigen Fällen, wie dem Triumphbogen an der Nord-Süd-Achse, Architekturskizzen Hitlers selbst umsetzte. Diese Inszenierung einer permanenten gigantischen Schöpfung durch ein angeblich zur Weltherrschaft berufenes Volk rechtfertigte alles: von der Übertretung institutioneller Zuständigkeiten über die mas-
III. Schlüsselwerke
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senweisen Enteignungen bis zum mörderischen Einsatz von Arbeitssklaven. Die Logistik von Völkermord und Krieg und die Logistik des Bauens gehen insofern ineinander über: denn die symbolische und militärische Besitzergreifung und Zerstörung auf der einen Seite sind nicht ohne die architektonische Umgestaltung auf der anderen Seite zu denken. Die vielfältigen damit verbundenen Aspekte lassen sich anhand des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg veranschaulichen. In der alten Reichsstadt, lange Zeit Aufbewahrungsort der kaiserlichen Reichsinsignien, hatte die NSDAP schon in den 20er Jahren trotz der demokratischen, ‚roten‘ Stadtregierung mehrere Parteitage als monströse, die gesamte Innenstadt dominierende Massenveranstaltungen organisiert. Dabei ging es keineswegs um Zusammenkünfte zur Entscheidungsfindung, sondern um die teilweise sakral konnotierte Inszenierung von massenhafter Kollektivität und von bestimmten Rollen Hitlers als oberstem Herrscher, Denker und Feldherrn. Zünftiges Lagerleben verband sich mit andächtig zu erlebenden Fahnenweihen und Gefallenengedenken sowie Ekstase auslösenden Reden, insbesondere Hitlers. Schon im Juli 1933 befahl Hitler, die hier entstandenen politischen Rituale architektonisch zu rahmen und zu monumentalisieren. Ein eigener Zweckverband sollte sich um die umfangreiche Organisation kümmern, die Finanzierung erfolgte durch die Stadt Nürnberg, die Deutsche Arbeitsfront, das Kriegsministerium und das Finanzministerium, das letztlich als Unterabteilung der Wehrmacht agierte. 1934 trat Albert Speer in die Funktion als oberster Architekt der Anlage ein, alsbald begannen die Bauarbeiten, 1937 wurde das Modell der Planung auf der Pariser Weltausstellung gezeigt und mit einem Grand Prix ausgezeichnet. Verschiedene Parteitage fanden auf dem nie vollendeten Gelände statt, allerdings nur bis 1939. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs brach die Tradition der Parteitage ab, gleichwohl gin-
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gen die Bauarbeiten trotz massiver logistischer Probleme und zahlreicher Unterbrechungen weiter. Nach dem Krieg blieb das Gelände sich überlassen und verfiel rasch, mittlerweile wird es denkmalpflegerisch kontrolliert. Mit der Wahl des Luitpoldhains im Süden von Nürnberg als Standort des Geländes wurde eine bestehende Tradition umfunktioniert, denn aus einem Naherholungs- und Ausstellungsgelände mit Sportanlagen und Schwimmbad wurde nun ein Ort der Aufmärsche, Appelle und öffentlicher Wehrübungen. Die Dimensionen sind gewaltig, weder im Ganzen überschaubar noch in kurzer Zeit begehbar: Das 7,5 × 5 km messende Terrain durchzieht eine große Aufmarschachse, die bezeichnenderweise auf die Nürnberger Burg und somit assoziativ auf die kaiserliche Vergangenheit der Stadt ausgerichtet ist. Den nördlichen Ausgangspunkt bildet die rechteckige Luitpoldarena, die als Appellplatz von SA und SS sowie anderen nationalsozialistischen Organisationen diente (□ 126). In unmittelbarer Nachbarschaft stand die Luitpoldhalle von 1906, die für die Parteiversammlungen der NSDAP genutzt wurde. Nach Süden folgte ein riesiges Plateau, auf dem sich eine sog. Kongresshalle (unvollendet) und ein ‚Kulturbau‘ (geplant) gegenüberstehen sollten. Von dort aus begann die zwei Kilometer lange zentrale Achse, die in das sog. Märzfeld mündete, ein von Wehrtürmen und Tribünen umstandenes ca. 1 km breites Rechteckterrain, in dem Gefechtsübungen der Wehrmacht vorgeführt wurden. Auf halber Höhe der Großen Straße ging es zum Zeppelinfeld im Osten sowie zum Neuen Stadion nach Westen ab. Das Zeppelinfeld okkupierte die alte Luftschifflandewiese und diente als Aufmarschort von Reichsarbeitsdienst und Wehrmacht (□ 127). Südlich des Märzfeldes schlossen sich auf einem wiederum immensen Areal Lagerbaracken für mehr als 500 000 SA-Angehörige an. Das zu Fuß kaum zu durchmessende Gelände wurde von zwei Bahnhöfen erschlossen. Ange-
sichts des gigantischen Bauvolumens war die Bauplanung keineswegs einheitlich, sondern durch zahlreiche Abänderungen, Kompromisse und Interventionen Hitlers geprägt. Weitgehend ausgeführt wurden die Große Straße, die Luitpoldarena, das Zeppelinfeld und das Märzfeld, während Kongresshalle und Stadion als Bauruinen liegen blieben. Einsetzbar waren also die Aufmarschareale, die im Wesentlichen aus Freiflächen mit rahmenden Zuschauer- und einer Rednertribüne bestanden. Kongresshalle und Stadion hingegen, u-förmige Riesenauditorien, sollten gigantische Höhen erreichen: 60 m im Fall der Kongresshalle und über 80 m für das Stadion. Das stellte, trotz eines absurden Ressourceneinsatzes, ein nicht zu bewältigendes Bauvolumen dar. An beiden Bauten standen der unvorstellbare Bauaufwand im
□ 126 Modell des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg, 1937 (hist. Aufnahme)
Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg
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eklatanten Missverhältnis zur intendierten Funktion: Bei der Kongresshalle umschließen weit aufsteigende Tribünen allein ein erhöhtes zentrales Rednerpult, das Stadion hätte sich mit seinen Ausmaßen für sämtliche Sportarten als disproportioniert erwiesen: Die Kampfbahn sollte 380 m messen, und die über 400 000 Besucher hätten die Wettkämpfe aufgrund der Sichtentfernungen kaum verfolgen können. Doch darum ging es auch nicht, sondern um die sich zyklisch wiederholende Inszenierung von exaltierten Menschenmassen, die auf einen Fokus, den ‚Führer‘, ausgerichtet waren. In diesem Zusammenhang erhielten die riesigen Dimensionen durchaus ihren Sinn, wie das Beispiel des Zeppelinfeldes verständlich machen kann: Das 289 × 312 m messende Aufmarschfeld besitzt auf einer Seite eine steinerne Tribüne, die seitlich durch große Wangen eingefasst ist und oben von einer doppelreihigen Kolonnade bekrönt war (1967 gesprengt). Im Mittelteil waren die Interkolumnien geschlossen und mit einem riesigen Hakenkreuz in der zentralen Achse gekrönt, darunter staffeln sich Podien, auf denen sich ein Block als Rednerkanzel erhebt. Da die menschliche Figur des Redners angesichts der gigantischen Dimensionen untergehen würde, muss sie über mehrfache konzentrische Rahmungen und Heraushebungen fokussiert werden. Dadurch erscheint der Redner zugleich weit über die Menschenmassen auf den Zuschauerrängen und der Arena herausgehoben. Dazu im scharfen Kontrast steht die Inszenierung der militärischen Verbände aus bis zu 250 000 Mann im Inneren des Feldes. In schier unendlicher Zeit zogen sie für die Appelle ein, bis sie in Formationen komponiert eine gleichsam kompakte lebende Blockarchitektur ergaben. Die strenge Rechteckform der Tribüne und die Kolonnadenwand bildeten also die Rahmen eines riesenhaften, gleichsam architektonischen Tableaus, das zyklisch wiederholt auf Kommando entstand und ein einheitliches Volk darstellen sollte. Die räumliche
III. Schlüsselwerke
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Exklusivität dieser Gemeinschaft wurde dann bei nächtlichen Zeremonien noch dadurch gesteigert, dass vom Rand der Tribüne 150 Flakscheinwerfer ihr Licht senkrecht bis zu 5 km nach oben strahlten und dadurch einen ‚Lichtdom‘, also eine virtuelle Säulenwand aus Lichtbündeln, entstehen ließen. Zudem aber waren Referenzen auf christliche Bautypen wirksam: Die Luitpoldarena, ein rechteckiges Feld für 150 000 Akteure, weitete sich auf der Breitseite in eine riesige Rundung, in deren Scheitel die Rednertribüne stand (□ vgl. 126). Das sind klare Referenzen auf frühchristliche Apsiden mit dem zentralen Bischofsthron. Axial gegenüberliegend erhob sich das 1928 errichtete Gefallenendenkmal der Stadt Nürnberg, das nunmehr für den Totenkult der Nationalsozialisten vereinnahmt wurde. Auch hierfür formten die militärischen Menschenmassen eine gleichsam lebende klassizistische Architektur: Denn wenn Hitler und einige Begleiter die Arena von der Rednertribüne zum Gefallenendenkmal durchschritten, um dort die Totenehrung vorzunehmen, bildeten die militärischen Verbände einen breiten, einer Prachtstraße ähnlichen Durchlass. Die dabei gemessenen Schrittes zu bewältigende Entfernung von 240 m stand in Relation zur Dauer der Zeremonie. Diese entwickelte ob ihrer Stille und Dauer eine schier unerträgliche Spannung, die erst durch die folgenden Akte aufgelöst wurde. Generell folgten die über mehrere Tage abgehaltenen Parteitage einer präzisen Regie, in der die messianische Ankunft Hitlers, das Bad in der Nürnberger Menschenmenge, Reden, Volksfest, zeremonielle militärische Aufmärsche, Sportwettkämpfe, rituelle Opfergänge, Weihe von Militärverbänden, Paraden und ein abschließender Fackelzug nach Nürnberg in eine durchdachte zeitliche Ordnung gefügt waren. Spannung, Neugier, Erschaudern, Erheiterung, Hingabe vermittelten Kollektivbewusstsein in verschiedenen Strategien. Wenn man sich dabei von der historischen Stadt Nürnberg
□ 127 Nürnberg, ehem. Reichsparteitagsgelände, Haupttribüne des Zeppelinfelds, 1937 (zeitgenössische Aufnahme)
zu einem außerhalb der Stadt liegenden Areal bewegte, so nahm dieses den Charakter eines Tempelbezirks oder geheiligten Hains an, um so viel mehr, als die Beteiligten hier anders als in der Stadt einem strengen Ritual unterlagen. Dies erklärt auch das klassizistische Erscheinungsbild der Architekturen: Mit ihren breiten Treppen der Tribünen, den Kolonnaden am Zeppelinfeld und den Rundbogenarkaden am Äußeren von Stadion und Kongresshalle sollen sie an antike Tempelstätten, Altäre (Pergamonaltar) und Amphitheater erinnern. Die Riesenbauten stehen, ohne einer allzu rigiden Ordnung zu folgen, inmitten einer scheinbar unberührten Landschaft, gleichsam in einem heiligen Hain. Doch diese Kultstätten waren nicht als archäologische, ‚tote‘ historische Überreste wahrzunehmen, sondern verstanden sich als für die Ewigkeit gebaut und in wortwörtlichem Sinne mit Leben ausgefüllt. Dies vermittelten nicht zuletzt die fotografischen und filmischen Bilder, die die Parteitage begleiteten und für die die Bauwerke des Reichsparteitagsgeländes als wirkungsvolle Kulissen ebenfalls konzipiert waren. Signalhaftes Rot der zahllosen Hakenkreuzfahnenbahnen belebte wirkungs-
voll das antikische Weiß der Bauten. Und in Leni Riefenstahls Parteitagsfilm „Triumph des Willens“ von 1935, einer nachgestellten Scheindokumentation der Veranstaltung von 1934, erinnern die schweißglänzenden Athletenkörper nicht von ungefähr an antike Sportveranstaltungen und verbinden dies mit den obstinaten, nicht enden wollenden Marschgeräuschen der militärischen Formationen, die in den Baulichkeiten zu lebender Architektur erstarren. Im Reichsparteitagsgelände entstand somit aus einer eminent politischen Botschaft – völkische Einheit und Führerprinzip einzuhämmern – ein pervertiertes erhabenes Gesamtkunstwerk, bei dem Architektur, Theater, Sport und Tanz untrennbar zusammenwirkten und dabei eine objektive und ‚schöne‘ Komponiertheit anzunehmen schienen. Hehre Kunst und gesteigertes Leben hatten in der terroristischen Inszenierung wieder zusammengefunden, die seit dem Ende des 19. Jh.s so beklagte Entfremdung des Menschen wurde als überwunden ausgewiesen, allerdings um den kalkulierten Preis der tödlichen Ausgrenzungen von Millionen Menschen, die der Nationalsozialismus zum Feind erklärt hatte.
Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg
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Kaufmann Desert House in Palm Springs Life style in der Nachkriegsmoderne
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rchitektur besteht nicht nur aus der Realisierung von Techniken und Funktionen oder aus der Materialisierung architekturästhetischer Ideale. In hohem Maße kreiert und rahmt das Bauen Mentalitäten und Lebensstile. So basierte die ‚Behaglichkeit‘ und ‚Gemütlichkeit‘ des ‚Heims‘, die man um 1900 suchte |▶ 11, 22|, auf einer bestimmten großbürgerlichen Lebensauffassung zwischen Saturiertheit und familiärer Intimität. Heute kennen wir bestimmte elegante und luxuriöse Wohn- und Empfangsambiente, in denen sich die Stimmung eines geschmackssicheren und weltoffenen jet set verdichtet: lichtdurchflutete, großzügige Räume, die vor allem fühlen lassen, welche stilsichere Freizeitkultur hier gepflegt bzw. konsumiert wird oder werden soll. Designermöbel, Swimming-Pool, Bar inmitten eines unbeschwerten Ambientes zeigen unvermittelt eine Freizeitkultur an, die auf die Wohlhabenheit und gesellschaftliche Bedeutung des Besitzers schließen lässt. Die Grundelemente einer derartigen architektonischen Inszenierung von life style haben nun aber ihrerseits eine Tradition, die in hohem Maße von der US-amerikanischen Kultur der Nachkriegszeit geprägt ist. Insbesondere um Los Angeles in Südkalifornien, von der Sonne und wild-erhabenen Landschaften verwöhnt und aufgrund des Filmzentrums Hollywood zumindest teilweise von einer mondänen und reichen Klientel bewohnt, entsteht mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine ganz bestimmte luxuriöse Villenkultur, die eng mit dem Namen des aus Wien stammenden, seit 1923 in den USA lebenden Architekten Richard Neutra in Verbindung zu bringen ist. Seine zahlreichen, teilweise dramatisch aus den Abhängen um
III. Schlüsselwerke
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Los Angeles über die Tiefe auskragenden gläsernen Villenbauten zählen noch heute zum Inbegriff einer exquisiten und distinguierten modernen Wohnkultur. Besonders signifikant ist dies an einer der Inkunabeln in dieser Hinsicht zu veranschaulichen, dem 1946 – 47 errichteten Desert House für den Kaufhausbetreiber Edgar J. Kaufmann. Der Bauplatz war wild und erhaben: ein trockenes, heißes, im Licht flirrendes Wüstengebirge, in dem Sturmböen Sand aufwirbeln. Es war eine Herausforderung, hier zu bauen; aber diesen Dialog mit der Natur aufzunehmen, hat vor allem in Nordamerika eine sehr präsente Tradition, die sich etwa auf die prairie houses von Frank Lloyd Wright um 1900 beziehen lässt |▶ 24|. Von deren Konzeption als horizontal organisierte, breit hingelagerte Bauten geht auch Neutra aus. Wie die Flügel einer Windmühle erstrecken sie die Arme der eingeschossigen, über 375 m² messenden Villa in die Himmelsrichtungen der gleißenden Landschaft (□ 128). In der Ost-West-Achse sind Kinderzimmer und Elterschlafzimmer untergebracht, dazwischen weitet sich der zentral gelegene großzügige Wohnbereich. Vor diesem erstreckt sich längs der Elternschlafzimmer ein Swimmingpool. In den beiden anderen Flügeln sind südlich der gedeckte, nach einer Seite offene Zugang zum Eingang sowie die Garage bzw. im Norden der Gästetrakt untergebracht. Auf der Dachterrasse erhebt sich, angelehnt an den das Haus zentral durchlaufenden Kamin, ein gläserner Aufbau, die sog. gloriette. Intelligent hat Neutra darauf geachtet, das Innere einerseits schützend gegen die Sandstürme abzuschotten und andererseits weit zum Pool und einen gepflegten Garten zu öffnen, ja, hier jede Raumgrenze
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□ 128 Palm Springs, Kaufmann Desert House, Richard Neutra, 1946 – 47
verschwinden zu lassen. So sind die West- und Nordmauern aus dicken Natursteinmauern errichtet, während die nach Süden und Osten gehenden Seiten entweder ganz offen oder vollständig aus verschiebbaren Glaswänden bestehen. Der rechteckige Pool im Winkel zwischen Wohn- und Schlafbereich wirkt wie ein Zimmer ohne räumliche Umgrenzung, das aber eingelassen ist in den hellen umfassenden Stein. An der direkt auf den Pool führenden Südwestecke des Wohnbereichs lassen sich die Schiebetüren auf beiden Seiten öffnen, die Ecke verschwindet, der Innenraum läuft unterbrechungslos nach außen. Ermöglicht wird dieser wirkungsvolle Effekt dadurch, dass das Dach, in das die Schiebefenster eingehängt sind, nach außen vor dem Schlafbereich weiterläuft und sein Träger dort durch einen schmalen Rundstab gestützt wird. In anderen Häusern legt Neutra diese Auslegerkonstruktion aus Träger und Stütze ganz frei (sog. spider leg). Das Innere des Hauses dominieren matte und glänzende Grauund Silbertöne, die übereingehen mit den metallenen Rahmen der raumhohen Glasfenster.
Dieses kontrastiert an einigen Stellen mit den holzverkleideten Decken sowie den hölzernen Einbaumöbeln. Besonders wirkungsvoll ist der Kontrast zwischen der präzisen und kühlen Metall/Glas-Optik und dem rohen Mauerwerk der dicken Wände und vor allem des Kamins, der – auch hierin ähnlich wie in den prairie houses von Wright – das Zentrum des Hauses in vertikaler Richtung durchzieht und damit einen markanten Kontrapunkt zu der ansonsten herrschenden raumverschwendenden Horizontalität setzt (□ 129). Noch eindrücklicher aber ist die Einbettung des Hauses in die wilde Natur der Umgebung: Karstige Gebirgsketten, grobe Findlinge und Kakteen bieten sich dem weit öffnenden Blick aus dem Haus. Fast wirkt das Haus wie eine Raumstation auf einem fremden Planeten, dessen unwirtliche Bedingungen in aller technischer Perfektion und ästhetischer Eleganz überwunden und zum Ort luxuriösen Wohlbehagens umgewandelt zu sein scheinen. Darauf spielt auch der von Neutra programmatisch gegebene Name des Hauses an: Das ‚Wüstenhaus‘ suggeriert, hier würde
Kaufmann Desert House in Palm Springs
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262 □ 129 Palm Springs, Kaufmann Desert House, Richard Neutra, 1946 – 47, Inneres mit Speisebereich
ein spezifischer Bautypus konzipiert worden sein. Eher ist von einem Image zu sprechen: Das Ziel ist, die Natur so zu domestizieren, dass ihre Wirkungen gefiltert und sublimiert werden können: Sonne und Wärme inmitten einer erhabenen Umgebung. In der Tat verfolgt Neutra mit seinen Landvillen Konzepte weiter, die zuvor im Bereich des hygienebewussten Sanatorien- und Reformschulbaus mit Freilichtklassenräumen erprobt worden waren (z. B. die Freiluftschule in Amsterdam, 1926, das Sanatorium Sonnenstrahl in Hilversum, 1926, beides von Johannes Duiker; École de plein air in Suresnes, 1932 – 35, Eugène Beaudouin, Marcel Lods, Jean Prouvé). Neutra selbst legitimierte seine Architektur damit, dass sie Gesundheit und Wohlbefinden fördere und berief sich hierbei auf die Erkenntnisse von Gestalt- und Einfühlungspsychologie. Eine seiner ersten großzügigen Realisationen, das weitläufige Haus Lovell in Los Angeles (1927 – 29), trug den programmatischen Namen Health House. Diese Architektur war Neutras Gesellenstück als High-Society-Architekt. Im Fall des Kaufmann Desert House kann man aber auch gut verdeutlichen, in welch intensiver und gezielter Weise die Architektur als Rahmen einer gezielten promotion-Politik eines bestimmten US-amerikanischen life style funktioniert. Die Auftraggeber, Edgar J. und Liliane
III. Schlüsselwerke
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Kaufmann, waren äußerst wohlhabende Warenhausbesitzer und engagierten sich intensiv in der Förderung moderner Kunst und Architektur. Mit Frank Lloyd Wright verband sie eine tiefe Freundschaft, und dieser errichtete für die Familie eines seiner späten Hauptwerke, die berühmte, über einem Wasserfall angelegte Villa Falling Water in Mill Run (Pennsylvania) von 1937. Gleichsam missionarisch verfolgten die Kaufmanns das Ziel, über modernes Design – gerade auch der von ihnen vertriebenen Waren – den Geschmack der Bevölkerung zu verbessern. Insofern setzte man sich aber programmatisch von der europäischen Moderne ab. Sei diese aus sozialen und politischen Gründen entstanden, so vertrete sie in den Vereinigten Staaten die Summe aller mit Lust und Wohlbefinden zu erfahrenden und im positiven Sinn auf Körper und Seele einwirkenden technischen Möglichkeiten, ganz vergleichbar dem Automobil. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs boten sich neue Chancen, solche Konzepte auch auf die rasch bedeutender werdenden Konsumenten aus der middle-class anzuwenden. Insofern ist das Kaufmann House auch der Rahmen, eine neue Variante des life style vorzustellen, um geschmacksbildend für eine neue Konsumentenschicht zu wirken. In Neutras Häusern, und insbesondere in ihren zu Ikonen gewordenen fotografischen Abbil-
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dungen durch Julius Shulman, wird modernes Design zu einem Ambiente von gelassener und gebildeter Entspannung. Das bildet einen Gegensatz zu Häusern und Ausstattungsensembles von Frank Lloyd Wright, denen häufig ein schier unerreichbarer Luxus und eine aristokratische Salonkultur eignet. Wie die Zeitschriften
das Leben der Hollywood-Stars als glamorous verklärten, so wurden auch Neutras Villen inklusive ihres mondänen Einrichtungsstils und ihrer eleganten Ausstattung vielfach fotografisch und museal präsentiert und glamourized – was bis heute nachwirkt (Friedman 2010, S. 75 – 107).
Die Unité d’habitation in Marseille Umsetzung der Charta von Athen
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er vierte der Internationalen Kongresse moderner Architektur (CIAM, Themenblock · Interessenverbände, S. 220 f.) sollte sich als Kulminationspunkt einer entschieden modernen, anti-historistischen Architektur dem modernen Städtebau widmen. Eigentlich sollte die Versammlung 1933 in Moskau stattfinden, doch weil sich die sowjetische Kunstpolitik in dieser Zeit nachdrücklich von modernen Positionen zugunsten eines monumentalen ‚sozialistischen Realismus‘ verabschiedete und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten auch ein Ausweichort in Deutschland ausfiel, wurde der Kongress auf einer Schiffsreise mit der Patris II von Marseille nach Athen abgehalten. Die zahlreich anwesenden modernen Architekten und Städtebauspezialisten einigten sich nach vielen Kontroversen schließlich auf eine lange Resolution, die als Charta von Athen weltweite Berühmtheit und Bedeutsamkeit erlangen sollte. Veröffentlicht wurde sie erst zehn Jahre später durch Le Corbusier, allerdings nicht ohne eigenmächtig entscheidende Veränderungen in vielen Punkten vorgenommen zu haben. Grundsätzlich fordert die Charta eine nach bestimmten Regeln und Kontrollmechanismen voranschreitende Stadtentwicklung, um die Stadt als Lebensumfeld
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einer egalitären Gemeinschaft planbar machen zu können. Gegen den Wildwuchs konkurrierender Privatinteressen setzt man darauf, vier Schlüsselfunktionen bestmöglich zu erfüllen, die nach den Tätigkeiten eines Tageszyklus bestimmt werden: Wohnen, Arbeiten, Erholen, Fortbewegen. Architektur und Städtebau müssen das Zusammenspiel all dieser Funktionen beachten. Deswegen ist ein schnelles Verkehrssystem mit hoher Mobilität ebenso wichtig wie eine ‚hygienische‘ Entmischung der Wohn- und Arbeitsbereiche (Zonierung). Bauen in die Höhe erlaubt, gesunde Grünfläche am Boden und gute Luft in der Höhe zu schaffen. Die Stadt ist eine funktionelle Einheit wie ein durchdachtes Unternehmen, sie braucht Gesetze und Vorplanung, um einem utilitaristischen Gesamtziel folgen zu können. Die Erhaltung historisch wichtiger Substanz ist für besonders typische Bauten erlaubt, generell aber dem Wohlergehen der Bewohner unterzuordnen; heruntergekommene Stadtviertel müssen abgerissen werden, die Anwendung historischer Stilformen für Neubauten ist untersagt. Diese Grundsätze sollten den Stadtbau über mehrere Jahrzehnte bestimmen: Die Veränderungen vieler alter Stadtzentren zu ‚Cities‘ mit Verwaltungs- und Konsumbauten ließen als
Die Unité d’habitation in Marseille
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Pendant dazu Vorortsiedlungen entstehen, bei denen hohe Wohnblöcke in aufgelockerter Bebauung im Grünen stehen, zu erreichen durch hierarchisch gestaffelte, voneinander getrennte Verkehrssysteme (Umgehungsstraßen, Durchgangsstraßen, Erschließungsstraßen, Stichstraßen, Fußwege). All das hat eine längere Vorgeschichte, in der Le Corbusiers Buch „Urbanisme“ von 1925 eine einflussreiche Etappe darstellt |▶ 27|. Insoweit ist die Charta, insbesondere in ihrer Umarbeitung durch denselben Autor, als dessen konsequente Weiterentwicklung zu verstehen. Eine erste und umfassende Umsetzung der neuen Städtebauideen schien sich für Le Corbusier im Zuge der Neubautätigkeiten während und nach dem Zweiten Weltkrieg zu bieten. Nachdem er sich vergeblich darum bemüht hatte, innerhalb des Vichy-Regimes städtebaulich tätig zu werden, konzipierte er um 1944 Projekte von sich linear entwickelnden, konsequent zonierten Bandstädten als Anwendungen der Charta von Athen in einem europäischen Maßstab. Über das Engagement des französischen Wiederaufbauministers Raoul Dautry erhielt Le Corbusier 1945 den Auftrag, ein ganzes Stadtviertel in Marseille neu zu planen (mit dem politisch gewollten Nebeneffekt, dass der
umstrittene, aber unumgehbare Architekt in der widerständigen Stadt Marseille am Rande Frankreichs aus anderen Wiederaufbauprojekten herausgehalten werden konnte). Gegen unzählige Widrigkeiten und Anfeindungen konzipierte und realisierte Le Corbusier zusammen mit dem Ingenieur Vladimir Bodiansky bis 1952 hier eine prinzipiell universell einsetzbare Wohneinheit, die die Vorteile von Gartenstadt und Großstadt miteinander verbindet. Dies geschieht dadurch, dass viele Wohnungen in ein Scheibenhochhaus eingefügt werden, das zudem über eine perfekte Infrastruktur verfügt. Die Hochhausstruktur erlaubt eine ausgedehnte Freifläche im Umfeld sowie beste Sicht nach außen. Dieses eigentlich prima vista kaum innovative Prinzip ist in Marseille – und später mit Einschränkungen auch in Nantes Rezé, Berlin, Briey-en-Forêt und Firmigny-Vert – aber in einer konzeptuellen Dichte in allen Details umgesetzt: Individuelles Wohnen in der Natur wird engstens mit der verdichteten Struktur urbaner Räume verbunden. So handelt es sich bei dem Baukörper um ein 165 m langes und 56 m hohes Betonskelettraster von 19 Geschossen, in das – wie bei einem Flaschenregal – die einzelnen Wohnungen als jeweils selbständige Einheiten wie eingeschoben sind (□ 130, 131).
□ 130 Marseille, Unité d’Habitation, Le Corbusier, 1945 – 52, Dachgrundriss und Querschnitt über drei Etagen mit Innenstraße
III. Schlüsselwerke
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□ 131 Marseille, Unité d’Habitation, Le Corbusier, 1945 – 52
Erschlossen werden sie von im Inneren des Gebäudes angelegten Korridoren, den sog. Innenstraßen. Die 336 Wohnungen existieren in 23 Grundtypen, vom eingeschossigen, die Hälfte der Gebäudetiefe durchmessenden Studio bis zu großzügigen, zweigeschossigen Appartements, in denen über eine Treppe ein weiterer Wohnflügel erreicht wird, der dann die gesamte Gebäudetiefe durchläuft (□ vgl. 130 unten). Insofern sind auch die Innenstraßen nur in jedem dritten Geschoss notwendig, weil man von ihnen jeweils noch eine Wohnebene erreicht, die unter bzw. über der Innenstraße verläuft. Alle Appartements sind insofern nur an den Stirnseiten belichtet, nach innen nimmt die natürliche Belichtung deutlich ab. Trotz der einseitigen Belichtung herrscht opulente Lichtfülle, denn in den zahlenmäßig vorherrschenden doppelgeschossigen Duplex-Appartements ist die obere Ebene als Empore gestaltet, stößt also nicht an die Fensterebene des Gebäudes, sondern lässt hier eine über zwei Geschosse reichende, von einer fast 5 m hohen Stirnseite belichtete Wohnhalle entstehen. Alle Appartements enden außen in einer Loggia, deren Zugangstür sich in voller Breite der Wohnung öffnen lässt. Hier also ist der Bereich des gut belichteten ‚Salons‘, in dem Innenraum und Außenraum gleichsam ineinander übergehen. Den anderen Pol bildet die im rückwärtigen Teil der Appartements
angeordnete offene Einbauküche. Über eine Durchreiche zur Innenstraße sollte hier Essen u. a. angeliefert werden können. In der kleinsten Wohneinheit folgt nach der Küche dann in Richtung Fenster der Schlaf- und Essbereich, der ohne weitere Raumtrennung in den Wohnbereich übergeht. In den großen Appartements trennen längs eingebrachte, verschiebbare Wände zwei nebeneinanderliegende, extrem schmale Kinderzimmer voneinander. Die Standardisierung erlaubt also eine große, allerdings typisierte Vielfalt individuellen Lebens, für Singles bis zur kinderreichen Familie. Von außen beschatten die Loggienunterseiten, vor allem aber auch vor die Duplexfenster eingehängte waagerechte Paneele, die sog. brise-soleils, die Wohnungen (□ vgl. 131). Dadurch entsteht eine tief schattende, unregelmäßige Rasterschicht, die wie eine Schutzzone vor den Wohnungen wirkt, ein Erscheinungsbild, das deutlich von den glatten Kuben mit ihren in der Mauerflucht sitzenden Fenstern der Zwischenkriegsmoderne abweicht. Alle Maße in der Unité leiten sich angeblich von Grundmaßen des menschlichen Körpers ab, wie sie Le Corbusier gemäß seinem ‚Modulor‘ entwickelt hatte. Die sukzessive Unterteilung der Maße eines Menschen mit nach oben gereckten Armen (= 2,26 m, entsprechend einem Mann von 1,83 m Körpergröße) nach den Prinzipien des Goldenen Schnitts ergibt eine
Die Unité d’habitation in Marseille
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Reihe von kombinierbaren Längenmaßen. Diese liegen vor allem der Proportionierung der Wohnungsquerschnitte zugrunde: Die lichte Geschosshöhe beträgt 2,26 m, die Breite jeder Einheit 2 × 1,83 m. Die Dimensionierung und Proportionierung der neuen Wohneinheit folgt also nicht ‚kalten‘ technischen, sondern – der Absicht nach – ‚lebensvollen‘ menschlichen Maßen. Solch eine natürliche Ursprünglichkeit soll auch die allenthalten schalungsrau gelassene Oberfläche des Betons hervorrufen. Lebhafte Lichteffekte entstehen auf den unregelmäßigen Oberflächen, die Assoziationen zu den karstigen Gebirgen in Sichtweite der Unité sind durchaus gewollt. An Mediterran-Griechisches lässt auch die Proportionsfigur des Modulors denken, die im Sockel des Hauses reliefhaft im Beton erscheint: Er erinnert an griechisch-antike Athletenstatuen, sog. Kouroi. Die Optimierung und Reduktion im Bereich der individuellen Ausstattung der Appartements wird kompensiert durch kollektive Services. Die in der Unité wohnende Gemeinschaft von 1500 bis 1700 Personen, eine Art größeres Dorf in der Vertikalen, verfügt über eine gut organisierte Infrastruktur: Im Erdgeschoss und in halber Höhe des Gebäudes verlaufen Ebenen, in denen sich eine Wäscherei, Geschäfte, ein Restaurant, ein Postamt sowie ein Hotel befinden bzw. befanden. Gästezimmer und große Küchen sind insofern unnötig. Auf dem Dach des Gebäudes umrundet eine 300-m-Laufbahn weitere Gemeinschaftseinrichtungen, etwa einen Kindergarten oder einen Fitnessraum (□ vgl. 130 oben). Die Dachterrasse bildet zugleich eine Art Museum, denn die hier austretenden Schornsteine sind als ondulierende Skulpturen geformt und der – auf Stelzen stehende! – Kindergarten ahmt in verkleinertem Maßstab ein Hauptwerk des Architekten, die Villa Savoye von 1930, nach (vgl. S. 50). Diese Terrasse hat ein ganz besonderes Ambiente, denn weil sie von hohen, direkte Blicke nach unten nicht ermöglichenden Brüstungen umge-
III. Schlüsselwerke
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ben ist, ist man hier direkt unter dem provenzalischen Himmel, wie auf einem Dampfer nur Wind und Sonne ausgesetzt, fernab von der unruhigen Stadt Marseille. Insgesamt zeigt sich die Autonomie dieser Architektur bzw. dieser Lebensgemeinschaft durchgängig: in der Selbstgenügsamkeit der Infrastruktur wie in der kompakten, in sich zentrierten Blockstruktur, die jeden Bewohner opulent mit Licht und Luft sowie einer majestätischen Aussicht versorgt. Der Hausblock ist über wiederum ondulierend plastisch geformte Stützen vom Erdboden abgesetzt, er scheint gleichsam zu schweben. Der Vergleich mit einem Ozeandampfer als einer perfekt für sich funktionierenden Maschine, die luxuriöses Leben von vielen Passagieren ermöglicht, ist zu Recht immer wieder gezogen worden, ebenso wie die Verbindung zu einer Klosteranlage als effizient strukturierter, selbstversorgender Lebensgemeinschaft eines Kollektivs. Tatsächlich hat Le Corbusier 1956 – 60 die Prinzipien seiner Unité auch für den Neubau des Klosters Ste-Marie de La Tourette bei Lyon angewandt, in dem der Aufbau der Mönchszellen und ihre Proportionierung nach dem Modulor ganz dem Marseilleser Bau entspricht, allerdings in der schlichtesten und kleinstmöglichen Variante. Diese Klosterzellen sind gleichsam das nicht weiter reduzierbare Urmodell elementaren Wohnens. Die Unité ist die Summe der Wohn- und Stadtprojekte des Architekten Le Corbusier, deren wichtigste Stationen die Stadtutopien der Ville contemporaine von 1922/25 |▶ 27| und der Ville radieuse (1930) bzw. das Schweizer Studentenwohnheim auf der Cité internationale universitaire de Paris (1930 – 32) und das Immeuble Clarté (1931 – 32) in Genf als Vorformen der Unité bilden. Eigentlich war geplant, es in Marseille nicht bei einer Unité zu belassen, sondern noch weitere zu errichten, doch dazu kam es nicht. Ein Grund dafür war, dass Le Corbusiers extreme Lösung des Massenwohnbaus nur funktioniert, wenn sich die integrierte Infrastruktur
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auch selbst trägt. Das ist aber die Achillesferse des Gesamtkonzepts: Hotel, Restaurant und Supermarkt müssen in ihren Angeboten und Möglichkeiten den Bedürfnissen der Bewohner entsprechen, doch das war häufig nicht der Fall. Nur in Marseille ist die eingeschränkt erhaltene Infrastruktur mittlerweile eine mit dem Namen des Architekten verbundene Attraktion. Prinzipiell andere und praktikablere Lösungen fand man etwa in den 50er Jahren in Rotterdam, wo der Architekt Jacob Bakema an der Lijnbaan die erste Fußgängerzone Europas entwickelte. Die Straße wird gesäumt von längsgerichteten niedrigen Geschäftshäusern,
die rückwärtig durch eine Zubringerstraße beliefert werden. Dahinter, also vom Geschäftstreiben abgerückt und doch in unmittelbarer Nähe dazu, erheben sich kammartig recht große Wohnhochhausscheiben, zwischen denen Freiraum für Kinderspielplätze u. Ä. zur Verfügung steht. Die Wohn- und Geschäftsbereiche sind entflochten und bleiben, anders als in den Unités, in sich flexibel. Diese Integration von Massenwohnbau und urbaner Infrastruktur ist in der Folge in Ost und West immer wieder angewandt worden, etwa in der Berliner Straße in Frankfurt am Main oder an der Straße der Nationen in Chemnitz.
Stalinallee und Hansa-Viertel in Berlin Wiederaufbau im Wettbewerb der Systeme
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ie bereits seit Ende der 20er Jahre in Europa zu vernehmende Politisierung der Architektur und ihrer Diskurse lag wesentlich daran, dass viele der ästhetischen, gesellschaftlichen und politischen Theorien und Ideologien Anspruch darauf erhoben, alle Lebensbereiche zu durchdringen. Das galt zumal für die Diktaturen in Nazideutschland und in der Sowjetunion. Architektur war niemals ‚unschuldig‘, und jede Ideologie gab vor, eine bestimmte bauliche Umgebung als die einzige ideale propagieren zu müssen. Dieser Zusammenhang setzte sich im Kalten Krieg fort, ja die expliziten und impliziten Konfrontationen im Bereich von Architektur und Städtebau waren ein nicht unbedeutender Teil dieses Kalten Krieges. In der geteilten Stadt Berlin war das an einem einzigen Ort simultan zu verfolgen, in dem bis 1961 auch noch ein Pendeln zwischen dem Ostund dem Westteil möglich war. Der Wettbewerb entzündete sich insbesondere im Bereich ver-
gleichbarer Bauaufgaben, unter denen dem Wohnungsbau eine herausragende, politisch von höchster Stelle betriebene Rolle zukam. Die Auseinandersetzungen begannen schon unmittelbar nach Kriegsende. 1945 wurde Hans Scharoun |▶ 33| als Stadtbaurat eingesetzt, und bald wurde in diesem Umkreis der sog. Kollektivplan vorgelegt, nach dem Berlin in eine begrünte Stadtlandschaft als ‚lebendiger Ordnung‘ verwandelt worden wäre. Zonierte Wohn- und Arbeitsbänder sollten den natürlichen Begebenheiten folgen und sich dabei in Ost-West-Richtung entlang dem Urstromtal der Spree erstrecken. Vorbild hierfür waren die Charta von Athen |▶ 37| und auch sowjetische Bandstädte. Demgegenüber forderte der sog. Zehlendorfer Plan, vertreten von Walter Moest und Karl Bonatz, eine Rekonstruktion der alten Stadt, bei der allerdings die Verkehrsinfrastruktur neu geordnet werden sollte. Schon 1946 wurden die Stadtbauämter nach
Stalinallee und Hansa-Viertel in Berlin
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der West- und der Ostzone getrennt. Im Westen fand offiziell ein gemäßigter Wiederaufbau statt. Im Osten hingegen betrieb man den ‚Kollektivplan‘ pragmatisch weiter: Provisorische Wiederherstellungen sollten mit Neubauten übereingehen, die eine Auflockerung der Stadt aus hygienischen und sozialen Gründen vorsahen. Verwalten und Regieren sollte im Zentrum stattfinden, Wohnen in äußeren Bezirken, die Industrie sei an der Peripherie anzusiedeln. Zu dieser Zeit rechneten alle Planer noch mit einer raschen Wiedervereinigung, insofern ging es bei allen Plänen um den zukünftigen kulturellen und politischen Führungsanspruch für Gesamtdeutschland. In diesem Zusammenhang waren 1949 an der Südseite des Ostbereichs der Frankfurter Allee, wenig später Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee), zwei moderne Laubenganghäuser und schräg dazu geordnete Riegel errichtet worden. Hier wirkte noch Scharouns ‚Kollektivplan‘ als Visitenkarten eines neuen Deutschlands. Mit der Gründung beider deutscher Staaten gerieten diese direkt oder indirekt in den Einfluss der Machtsphären der USA bzw. der Sowjetunion. In der BRD funktionierte die Vor□ 132 Berlin, Karl-Marx-Allee (ehem. Stalinallee), 1951 – 53, Baublock F am Frankfurter Tor
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bildwirkung der USA eher indirekt und über längere Perioden und wurde zudem durch eine nachhaltige Rehabilitierung der Internationalen Moderne überlagert. Programmatisch forderte etwa der SPD-Politiker Adolf Arndt 1949 für das Bauen in der westlichen Demokratie, es müsse leicht und transparent – also modern im Sinne der Vorkriegsarchitektur – sein. Daneben gab es aber auch eine Fortsetzung klassizistischer oder regionalistischer Positionen aus der Hitlerzeit. Die Stalinisierung der SED bedeutete hingegen, dass in der DDR verpflichtend auch die entsprechenden künstlerischen, architektonischen und urbanistischen Doktrinen anzuwenden waren. Auch die rasche administrative Einbindung des Bauwesens in den Wirtschaftssektor band das weitere Planen eng an die Parteipolitik. Eine hochrangige Architektendelegation wurde 1950 nach Moskau geschickt, um das Bauen unter Stalin zu studieren. Im Ergebnis formulierten die Baufachleute im Einklang mit der politischen Führung die „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus“, die einer als westlich und imperialistisch definierten Internationalen Moderne eine Abart des sozialistischen Realismus gegenüberstellen. Die „Grundsätze“ sind ein Plädoyer für die Gewachsenheit der Städte und regionale Bauformen, für städtische Räume, die als Ensembles angelegt sind. Dabei
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sollte eine traditionell gedachte Architektur entstehen, die „sozialistisch im Inhalt, national in der Form“ sei, insofern auch von allen verstanden werde. Zur Stalinisierung der DDR gehörte städtebaulich aber auch, prächtige Magistralen für politische Massenkundgebungen und Aufmärsche in allen größeren Städten zu planen. In Berlin wurde hierfür auf Anordnung Walter Ulbrichts eine völlig neue Trasse im Bereich der Frankfurter Allee zwischen dem Frankfurter Tor und dem Strausberger Platz sowie weiter über den Alexanderplatz bis hin zum Brandenburger Tor konzipiert. Der Kulminationspunkt sollte der zentrale Kundgebungsplatz im historischen Zentrum Berlins sein, am Ort der alten Hohenzollernresidenz. Aus diesem Grund wurde das Berliner Schloss 1950 gesprengt: Man zeigte symbolisch den Sieg des Sozialismus über Adelsherrschaft und Kapitalismus und schuf zugleich an dieser Stelle Platz für Tribünen sowie ein „zentrales Gebäude“ und ein Denkmal zu Ehren von Marx und Engels. Daraus entstanden über zahlreiche Planungsstufen der Palast der Republik (1973 – 76, Heinz Graffunder), das bescheidene Marx-Engels-Denkmal und der Berliner Fernsehturm. Mit dem Bau der Stalinallee verbanden sich symbolische und städtebauliche Aspekte. Sie war offiziell ein Geschenk der DDR an Stalin, bildete außerdem die Einfallsstraße von Osten, wo der ‚Große Bruder‘ residierte, doch sie lag auch in einem Viertel, das zu den schlechtesten und rückständigsten ganz Berlins gehörte. Hier war eine Sanierung im Sinne von Neubauplanung nicht nur dringend vonnöten, sondern sie konnte der dortigen – vor allem im kleinen Textilgewerbe tätigen – Bevölkerung aus insgesamt niedrigen sozialen Schichten sinnfällig als Sieg der Arbeiterklasse vermittelt werden. Nach den Grundsätzen einer klassizistischen und repräsentativen Architektur wurde die monumentale Achse der Stalinallee seit 1951 geplant. Der Übergang von den Prinzipien einer ‚modernen‘ Architektur, wie sie noch
mit den erwähnten Laubenganghäusern von 1949 zum Ausdruck gekommen waren, zu dem stalinistischen Klassizismus ging also bei den beteiligten Architekten innerhalb von wenigen Monaten vonstatten. Vom Februar 1952 bis zum 21. Dezember 1953, dem Geburtstag Stalins, wurde die Allee weitgehend ausgeführt, allerdings unter betriebswirtschaftlich extremen Bedingungen. Der Aufstand des 17. Juni 1953 entzündete sich denn auch an unsinnigen Erhöhungen der Arbeitsnormen. Verschiedene Bürokollektive unter den führenden Architekten Richard Paulick als Leiter und Hermann Henselmann entwarfen abschnittweise angeordnete, hohe Wohnblocks, die nach klassischen Prinzipien komponiert sind: deutlich markierte Sockel und Eckrisalite, teilweise Mittenbetonung, kräftig modellierte Säulen, Pilaster und Gebälke (□ 132). Gegenüberstehende Blöcke beziehen sich in Risalitbildung und Achsentsprechungen aufeinander. Jeder Abschnitt wird dadurch zu einer klar erkennbaren eigenen Baugruppe, ohne gegen die einheitliche Gesamtwirkung zu verstoßen. Zwischen die immer mit einer Lücke voneinander abgesetzten Bauten sind Gemeinschaftsbauten gesetzt, wie etwa eine Sporthalle. Generös ist mit dem Platz umgegangen, denn neben der sechsspurigen Fahrtrasse mit Mittelstreifen erstrecken sich sehr breite Gehwege. Subtil ist dabei die Fahrtrasse nicht mittig, sondern nach Süden versetzt geführt: Das macht den nördlichen Fußweg zu einer sehr breiten und besonnten Fußgängerzone, die teilweise mit Baumreihen von der Fahrspur abgesetzt ist. Am Strausberger Platz umschließt eine Grundrissführung in Form eines sehr großen Ovals mit gekappten Spitzen einen nur leicht ovalen Kreisverkehr von kleinerem Radius, so dass auch hier sich die Gehwege vor den Hausblocks zu begrünten Vorplätzen ausweiten können. An einigen Stellen sind Zitate auf berühmte Berliner Bauten zu erkennen: So werden die Kopfbauten der Allee im Osten, am Frankfurter Tor, durch
Stalinallee und Hansa-Viertel in Berlin
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hohe Tambourkuppeln nach dem Modell des Deutschen und des Französischen Domes auf dem Gendarmenmarkt geziert (□ vgl. 132). In gewisser Weise bleiben die pompösen Bauten dennoch gleichsam bewohnte Fassade, denn an keiner Stelle entwickeln sich die Baugruppen nach hinten, im Gegenteil bleiben die Blöcke auffallend flach (ca. 12 m), können somit auch keine allzu großen Wohnungen enthalten. Im Durchschnitt messen die ca. 5000 Wohnungen 60 qm. Allerdings wurde am Komfort vor allem in der Ausstattung der Küchen und Bäder oder dem Einbau von Müllschluckern und Fahrstühlen nicht gespart. Auch Telefonanschluss, Warmwasser und Fernheizung waren vorgesehen. Für viele, die hier einzogen, war das in der Tat ein Wunderwerk des Sozialismus. Insgesamt erwies sich der Bau der Allee als viel zu teuer. Mit dem Tod Stalins 1953 und der umgehend eingeleiteten Entstalinisierung wurden der Pomp dieser Architekturen als volkswirtschaftlicher Schaden erkannt und stattdessen schon 1954 auf der Moskauer Baukonferenz die Standardisierung und die Industrialisierung des Bauens eingeleitet. Es war der Beginn der Großplattenbauweise. Als Antwort auf den 1955 in Bonn ausgeschriebenen provozierenden Wettbewerb „Hauptstadt Berlin“ wurden nunmehr ‚sozialistische Wohnkomplexe‘ entworfen, die den Sieg des Sozialismus auch international sichtbar machen sollten. Der zweite große Bauabschnitt der Stalinallee zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz fügt sich deswegen in eine weltweit zu beobachtende rationalisierte Nachkriegsmoderne im Bereich des Massenwohnbaus. Der grundlegende, von 1960 – 65 realisierte Bebauungsplan von Edmund Collein und Werner Dutschke sieht kubische Scheibenhochhäuser in Plattenbauweise vor, die auf Bauornamentik und kompositorische Gliederungen verzichten (□ 133). Die Breite der Allee wurde auf 120 m vergrößert, und die einzelnen Bauten stehen zudem weit abgerückt von der Straße. Dadurch
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wurde der Alexanderplatz als sich aus einer Straße heraus öffnender Raum entwertet. Die Wohnkomplexe stehen in recht weiten Abständen in rechtem Winkel zueinander. Es handelte sich also durchaus um eine aufgelockerte Bebauung in parkähnlicher Umgebung, doch folgt die Positionierung einer strengen Komposition. Neben ihrer lotrechten Anordnung zueinander stehen die der Stalinallee nächstgelegenen Wohnkomplexe in Längsausrichtung, erinnern also an das Prinzip der Blockrandbebauung. Außerdem stehen sich jeweils gleiche Bauten entlang der Allee gegenüber bzw. sind in der Westhälfte der Straße auf Lücke gesetzt. Markante öffentliche Gebäude (zwei Kinos, Restaurant, Hotel, Kongresshalle, Haus des Lehrers) rhythmisieren die Abfolge oder dienen als points-de-vue. Die städtebaulichen Anordnungsprinzipien folgen also in vielen Aspekten denjenigen des ersten Großabschnitts, weswegen der zweite Teil der Straße eher als deren radikal vereinfachte Variante und weniger als programmatische Aufnahme internationaler Tendenzen erscheint. Technologische Fragen rationeller Fertigung mit dem Ziel, der Bevölkerung Wohnraum zu verschaffen, dominierten dementsprechend nunmehr die Politik und die Debatten. Die Antwort des Westens auf die Stalinallee ließ nicht lange auf sich warten: 1953 lobte der Westberliner Senat einen Wettbewerb zur Bebauung des Berliner Hansaviertels und die Ausstellung „Interbau“ für das Jahr 1957 aus. Das einstmals vornehme Viertel nördlich und südlich der Altonaer Straße war durch den Krieg stark beschädigt worden und erforderte zahlreiche Neubauten. Zudem lag es nah am alten Zentrum und auf der Haupt-Ost-West-Achse der Stadt, konnte insofern als ein reich bestücktes ‚Schaufenster zur Freiheit‘ fungieren. Das siegreiche Bebauungsprojekt von Willy Kreuer und Gerhard Jobst sah eine aufgelockerte Hochhauslandschaft vor, in der ‚Weite, Natürlichkeit, Zwanglosigkeit‘ programmatisch gegen ‚dikta-
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torisches Bauen‘ verwirklicht werden sollten. Nachdem das Terrain vollständig enteignet, freigeräumt und reprivatisiert worden war, wurde die Bebauung in einer Art Galashow von Stararchitekten aus der westlichen Welt realisiert, um solchermaßen Offenheit und Fortschrittsbewusstsein des Westens zu demonstrieren. Somit wurde das Hansaviertel zu einer Musterschau der internationalen Nachkriegsmoderne: In einer natürlichen Parklandschaft erheben sich scheinbar zwanglos hauptsächlich Wohnhochhäuser sowie eine vielfältige Infrastruktur wie Läden, eine evangelische und eine katholische Kirche, eine Stadtbücherei, das Gebäude der Berliner Akademie der Künste usw. (□ 134). Das Viertel ist hervorragend über breite Straßen sowie eine neue U-Bahn-Station angebunden, im Inneren herrscht hingegen Verkehrsberuhigung, weil es nur untergeordnete Durchgangs- und Stichstraßen sowie davon unabhängige Gehwege gibt. Das Verhältnis der Summe der Geschossflächen zur verfügbaren Grundfläche konnte von vormals 2,2 auf 0,9 abgesenkt werden. Die konsequent aufgelockerte
Bebauung im Grünen führt zu einer von natürlicher Vegetation geprägten und ‚hygienischen‘ Umgebung. Diese Verschwendung von Grundstücksfläche wurde dadurch kompensiert, dass die Hochhäuser teilweise auf 17 Geschosse ansteigen. Für die Planung war eine Reihe von Fachkräften aus allen Gebieten des modernen Lebens tätig: Ärzte, Volkswirte, Soziologen, Politiker, Landwirte, Pädagogen, Landschaftsgestalter und Architekten. Letztere waren vor allem prominent, selbst wenn sie nicht in allen Fällen auf den Etagenwohnbau spezialisiert waren. Zu der Riege aus 53 Architekten, davon 19 aus dem Ausland und 16 aus Westberlin, zählten etwa Alvar Aalto |▶ 41|, Walter Gropius, Wassili Luckhardt, Oscar Niemeyer |▶ 42|, Hans Scharoun, Max Taut und Pierre Vago. Le Corbusier vermied es, als einer von vielen präsent zu sein, sondern errichtete im Rahmen der Interbau eine Unité d’habitation |▶ 37) nahe dem weit entfernt gelegenen Olympiastadion. Als weiteres Werk außerhalb des Hansaviertels erbaute der us-amerikanische Architekt Hugh Stubbins die Kongresshalle im Tiergarten als
□ 133 Berlin, Karl-Marx- Allee (ehem. Stalin- allee), Grundriss des 2. Bauabschnitts zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz, 1959
Stalinallee und Hansa-Viertel in Berlin
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□ 134 Berlin, Hansaviertel, mit Wohnhäusern von López/ Beaudouin (links) und Schwippert (1957)
eine programmatisch-technisch kühne Betonarchitektur. Das Hansaviertel stellt nicht nur architektonisch-städtebaulich, sondern auch politisch und soziologisch eine Gegenposition zur Stalinallee dar. Im Wesentlichen wurden hier die schon im Kollektivplan Scharouns zugrunde liegenden Prinzipien der Charta von Athen |▶ 37|, der aufgelockerten Stadtlandschaft, aufgegriffen und damit ein dezidiertes Bekenntnis zur Gegenwart mit Fortschrittsglauben verbunden. Wenn auch im Einzelnen parallele Bauvorhaben etwa in England konstatiert werden können, knüpfte man in Berlin zudem – und bisweilen in personam (Gropius, Luckhardt) – an die gerade in Berlin reiche und positiv besetzte Architekturavantgarde der Weimarer Republik an. Hierdurch wollte man dazu beitragen, die nationalsozialistische Vergangenheit zu bewältigen. Dies bedeutete auch, Planungskriterien dieser Moderne zu übernehmen. In erster Linie waren das Themenbereiche von Gesundheit, Hygiene, Verkehr und Lebenskomfort, gar nicht aber von Geschichte und Tradition – was ja unter problematischen Vorzeichen für die Stalinallee durch-
III. Schlüsselwerke
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aus bedeutungsvoll war. In beiden Fällen ging es darum, in der Fortsetzung der Moderne einen ‚neuen Menschen‘ mithilfe der Architektur zu kreieren. War dies im Fall der Stalinallee der sozialistische Arbeiter, so rechnete man im Hansaviertel mit Bewohnern, die westlichen Komfort, also das bequeme und gesunde Wohnen sowie das eigene Auto, in eine neue Konsumkultur umzusetzen wussten. Auch diese unterschiedlich erhofften Siege der jeweiligen Systeme waren Teil des Kalten Krieges – und daran hatte die Architektur unmittelbar Anteil. Das Hansaviertel war nicht das einzige derartige Neubauviertel: Die Neue Vahr in Bremen (1956 – 62, Ernst May, Hans Bernhard Reichow u. a.) oder die Nordweststadt in Frankfurt am Main (seit 1959, Walter Schwagenscheidt u. Tassilo Sittmann) sind weitere, umfangreiche und durchaus gelungene Realisierungen der Vorgaben der Charta von Athen. Dass das Zusammenwirken der Faktoren aber prekär sein kann, zeigt vielfach der großflächige Siedlungsbau der 60er Jahre: Im Märkischen Viertel in Berlin etwa bebaute man zwischen 1963 und 1974 380 Hektar für ca. 38 000 Einwohner, v. a. durch die Architekten Hans C. Müller, Georg Heinrichs und Werner Düttmann. Das Projekt war innovativ, denn nunmehr sollten zusammenhängende, geschwungene Wohneinheiten in einen Dialog mit dem Außenraum treten. Urbanität sollte durch erhöhte Dichte sowie durch große Einkaufs- und Kommunikationszentren sowie Nahversorgungseinrichtungen erreicht werden. Aber die Überdimensionalität in Verbindung mit Planungsfehlern in der Verkehrsinfrastruktur, die negativen Effekte durch Massierung und Anonymität sowie Finanzierungsprobleme führten schon in der Endphase des Ausbaus zu massiven Protesten, die auch zur Neubewertung der alten Innenstädte bzw. in alternative Modelle der Wohnbauplanung führten, die etwa im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) in Berlin 1977 – 87 ihren Niederschlag fanden.
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|39| Torre Velasca in Mailand Die Wiederentdeckung der historischen Stadt
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beritalien, und speziell Mailand, spielt in der modernen Architektur eine besondere Rolle. Das liegt zum einen an der höchst erfolgreichen Industrialisierung der Region seit der zweiten Hälfte des 19. Jh.s, die sich früh in einer Architektur niederschlug, die der corporate identity der Unternehmen Ausdruck verlieh: Für das neue Werkgebäude von FIAT in Lingotto bei Turin (1914 – 23) verwirklichte der Architekt Giacomo Mattè-Trucco die futuristische Idee, den hohen, langgestreckten Bau mit einer Versuchsrennstrecke mit Steilkurven einzudecken. In Mailand ließ die Firma Pirelli 1956 – 58 durch Pier Luigi Nervi und Gio Ponti einen 127 m hohen Wolkenkratzer errichten, der das Thema des Scheibenhochhauses gleichsam wie ein Design-Produkt auffasst: Ein im Grundriss linsenförmiges Gebäude mit glatter curtain-wall-Fassade ist an den Kanten bugartig von gedoppelten Pylonen eingefasst und verschlankt sich unmerklich nach oben. Diese ebenso elegante wie optisch eindrückliche Lösung einer branded architecture, die wie eine Landmarke das Weichbild Mailands beherrscht, wurde umgehend berühmt und in der ganzen Welt nachgeahmt. Zum anderen aber ist für die architekturgeschichtliche Position Mailands bzw. Oberitaliens hervorzuheben, dass sich hier früh Gegenpositionen zu einer einseitig auf primäre funktionale Bedürfnisse abhebenden Moderne formierten, die wesentliche Grundlagen für deren Infragestellung schufen. Eines der Hauptwerke in dieser Hinsicht steht ebenfalls in Mailand und wurde zur gleichen Zeit wie das Pirelli-Gebäude und ebenfalls als Hochhaus errichtet: Die Torre Velasca wurde durch das Architekturbüro BBPR (Gian Luigi Banfi, Ludovico Barbiano di Belgiojoso, Enrico
Peressutti und Ernesto Nathan Rogers) in den Jahren 1952 – 58 als Stadtentwicklungsprojekt für ein kriegszerstörtes Viertel, kaum einen halben Kilometer vom Dom entfernt, erbaut. Die 106 m hohe, 29 Geschosse enthaltende Stahlbetonskelettstruktur bietet eine gezielt konzipierte Mischung von Geschäften in den unteren beiden Etagen, Büros im Mittelteil des Gebäudeschaftes und Wohnungen in dem oberen, die letzten sechs Etagen umfassenden Teil (□ 135). Dieser bricht mit jeder gewohnten Hochhaustradition, denn er springt, von schrägen Betonstreben konsolartig unterstützt, um mehrere Meter nach vorne. Somit erinnert das im Grundriss rechtwinklige Gebäude mit seinem vorkragenden Abschluss unmittelbar an mittelalterliche Wehrtürme, so wie in Mailand etwa am Castello Sforzesco zu sehen – dessen Ausstellungsräume übrigens von BBPR kurz zuvor neu konzipiert worden waren. Solche Bezüge zur lokalen Architekturgeschichte sind auch in weiteren Eigentümlichkeiten zu erkennen, die als provokative Umdeutung moderner Strukturkonventionen zu verstehen sind. So wird das Gebäude durch einen Mansarddach-ähnlichen Aufbau abgeschlossen, vor allem aber ist das Betonskelett durch rötlichen Veroneser Pressstein ausgefacht, der in scheinbar unsystematischer, in Wirklichkeit von der Raumeinteilung diktierter Weise Fensteröffnungen freigibt. Die raue, steinfarbige, fast schmutzige Oberfläche steht im scharfen Gegensatz zur glatten eleganten Haut des Pirelli-Hauses und evoziert hingegen eher mittelalterliche Hausfassaden. Vor allem aber widersteht die Torre Velasca auch der zeitgenössischen Verkleidungsästhetik im Sinne der nahtlosen curtain-wall-Fassade: Das Betonskelett ist sichtbar und klar tragend, auch
Torre Velasca in Mailand
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wenn es von einem Betonkern im Inneren in dieser Funktion unterstützt wird. Das wird vor allem an den konsolartigen Aufstrebungen des oberen Teils überdeutlich. Gotischen Strebepfeilern prinzipiell nicht unähnlich liegt ein besonderes Augenmerk auch auf den meist T- oder kreuzförmigen Profilierungen dieses Betonfachwerks und seiner Streben. Auch verjüngen sich etwa die Pfosten in eleganter Weise nach oben, neigen sich zur Wand und werden kurz unter der Traufkante von einer Art Kaffgesims, einem kleinen Dach, abgeschlossen. Im Gegensatz zu der akzentlosen Blockhaftigkeit so mancher Hochhäuser legt die Torre Velasca Wert auf zahlreiche gut erfassbare Untergliederungen. Der obere Teil setzt sich etwa dadurch optisch deutlich vom Schaft ab, dass dessen letzte Etage schattend zurückspringt, die Anzahl der Stützen ist sofort gut erfassbar: sechs auf den Lang-, vier auf den Schmalseiten. Zwischen ihnen sind jeweils vier Achsen für Öffnungen oder Wandeinheiten eingelassen.
□ 135 Mailand, Torre Velasca, BBPR, 1952 – 58
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Insgesamt lassen sich an dem Bauwerk zahlreiche harmonische Proportionsverhältnisse finden, deren markantestes wohl der Gesamtaufbau in Art einer Säule mit – allerdings wie im Mailänder Dom sehr hochgestrecktem – Kapitell bildet. Diese vielfältigen Referenzen auf die historische Baukultur des regionalen Umfeldes sind allerdings weder oberflächlich noch dominant: Denn zunächst steht das Hochhaus inmitten eines relativ eng umbauten Umfeldes, dessen gemischte Nutzung es selbst aufnimmt; und bei allen historischen Referenzen ist es eine moderne, technisch kühne Konstruktion. Der vorgelagerte Eingangspavillon empfängt den Besucher mit einer grazilen Konstruktion aus Glas in Stahlrahmen. Entscheidend scheint, dass hier programmatisch das beginnt, was die Moderne gerade in der Aufbruchsemphase der Nachkriegszeit immer wieder vergessen hatte: den städtebaulichen und historischen Kontext kreativ aufzunehmen und weiterzuentwickeln, ohne oberflächlich historistisch zu bauen. Die
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Torre Velasca kann dies besonders anschaulich vermitteln: Denn auch wenn sie sich unmissverständlich als ‚moderner‘ Typus des Hochhauses als zeitgenössisch zu erkennen gibt, so nimmt sie dabei doch ebenso viel ältere Konstellationen auf: Die Typologie der miteinander konkurrierenden mittelalterlichen Geschlechtertürme der italienischen Stadtkommunen mündet hier in den Wettbewerb zwischen Pirelli und Velasca. Dieses Thema hat zudem eine jüngere oberitalienische Tradition, denn noch 1863 – 88 hatte man in der Konkurrentin Turin die höchste jemals in traditioneller Stein-Ziegel-Bautechnik projektierte Turmkonstruktion von 167 m Höhe errichtet, die Mole Antonelliana (Architekt Alessandro Antonelli). Die Wiederentdeckung der historischen Stadt ist als eine fundamentale Neuorientierung der architektonischen Grundsätze zu verstehen, und sie ist von dem exponiertesten Mitarbeiter von RRBP, Ernesto Nathan Rogers, auch theoretisch in vielen Beiträgen untermauert worden. Von 1953 – 64 leitete er die wichtige Architekturzeitschrift „Casabella“ und setzte programmatisch den Begriff continuità als Zusatz in den Titel. Damit trug er einer Protestbewegung innerhalb der Moderne Rechnung, die sich zum Beispiel anhand der Congrès internationaux d’architecture moderne (CIAM) der Nachkriegszeit verfolgen lässt. Gegründet 1928 als informelle Interessengemeinschaft der internationalen Moderne, wurde hier die berühmte Charta von Athen 1933 verabschiedet und 1943 von Le Corbusier in veränderter Form herausgegeben |▶ 37|. Hier war die Doktrin eines radikal funktionalen Städtebaus formuliert, der den durch die historische Substanz gegebenen Faktoren eine eindeutig negative Rolle zuwies. 1947 nahm Rogers die Stelle des Generalsekretärs des CIAM ein und trat seither parallel mit anderen Vertretern einer jüngeren Generation – etwa Aldo van Eyck, Georges Candilis, Peter und Alison Smithson usw. – für die Rolle von Geschichte und urbanistischer Kon-
textualisierung im Stadtbau ein, protestierte also gegen den Kanon des CIAM. Dabei ging es prinzipiell darum, Architektur und Städtebau nicht nach geschichtslos-schematischen, voneinander isolierten Funktionsmodellen, etwa von Wohnen, Arbeiten, Erholung, aufzufassen und sie auch nicht auf eine Frage nach zeitgemäßer Form bzw. Stil zu reduzieren. An diesem Protest gegen eine mittlerweile etablierte Moderne als Weltsprache, formuliert von in die Jahre gekommenen Vorreitern wie Gropius, Mies und Le Corbusier, sollte der CIAM schließlich auch zerbrechen. Nach dem vom Team X, einer Untergruppe aus jüngeren Architekten, organisierten 11. Treffen in Otterlo löste sich der CIAM als internationales Sprachrohr der Moderne auf. Für Rogers und seine Partner war die neue Berufung auf historische Kontexte durchaus zwiespältig. Denn RRBP hatten als junge Architektengruppe den italienischen Faschismus zunächst gutgeheißen und etwa an dem Wettbewerb für Mussolinis Palazzo del Littorio auf dem Forum Romanum in Rom 1934 teilgenommen. Wenn auch dieses Engagement in Tod (Banfi in Mauthausen) und Exil (Rogers) umschlagen sollte, so war doch hier die Grundlage gegeben, sich mit der faschistischen Rückbeziehung auf die angeblich heroische Vergangenheit Italiens in der Antike architektonisch zu beschäftigen. Die Torre Velasca in Mailand, der international präsente Rogers und die berühmte Zeitschrift „Casabella“ bildeten die Schaltzentralen für verschiedene, bis heute wirksame Entwicklungen. Gae Aulenti, Vittorio Gregotti und Ezio Bonfanti als wichtige Vertreter der sogenannten Postmoderne gingen hieraus hervor. Vor allem aber ist Aldo Rossi (1931 – 97) zu nennen, der 1955 als Redakteur bei „Casabella-continuità“ eintrat und 1966 ein entscheidendes Buch zur Neubewertung der historischen Stadt verfasste: „L’Architettura della Città“ (dt.: „Die Architektur der Stadt. Skizze zu einer grundlegenden Theorie des Urbanen“, 1973, vgl. S. 93).
Torre Velasca in Mailand
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Seagram Building in New York Wolkenkratzer und corporate identity
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eder Wolkenkratzer stellt ein Investitionsprojekt von gigantischen Ausmaßen dar, bei dem eine Reihe von komplizierten Faktoren ineinandergreifen: juristische, technische, betriebswirtschaftliche, logistische. Hochhäuser dienen insofern nur in seltenen Fällen staatlichen bzw. öffentlichen Zwecken, sondern in der Regel Gewinn erwirtschaftenden Institutionen wie Banken, Versicherungen, Unternehmen, aber auch der Gastronomie und dem Konsum. Das ökonomische Ziel beim Hochhausbau ist also in erster Linie, Rendite aus der Vermietung einer großen Zahl an Geschossflächen zu erwirtschaften. Dies allerdings stellt nicht nur eine Frage der durch einen Hochhausbau zur Verfügung gestellten Fläche dar, sondern ist gekoppelt an eine Reihe von Faktoren, etwa die innerstädtische Lage, Bauvorschriften, die Verkehrsanbindung, die technische Ausstattung, den Komfort sowie die ästhetischen und architektonischen Qualitäten des Gebäudes und auch das von ihm vermittelte Image. Dabei sind die meisten Wolkenkratzer für eine Mischnutzung konzipiert und können somit architektonisch nicht für den Erbauer oder einen einzigen Nutzer sprechen. Sie müssen stattdessen Neutralität wahren, gleichzeitig aber von sich aus ein eigenes Image und Prestige schaffen, die ihrerseits Teil der Investitionsstrategie sind. Das wiederum verbindet sich mit der Erwägung, über Luxus und Raffinement die Attraktivität des Objektes von vorneherein so hoch zu veranschlagen, dass einträgliche Mieten erwartet werden können. Das stellt große Erwartungen an die Architekten und Ingenieure, die in Nutzung und Ausstattung auf Modernität, Langlebigkeit und weite Akzeptanz zu achten haben. Eine solche Universalität einer höchst
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anspruchsvollen Architektur, die sich gerade nicht aus einem Fächer je individueller und wandelbarer Nutzfunktionen ableitet, hat kaum ein anderer so deutlich vertreten wie Ludwig Mies van der Rohe. Das zeigt sich bereits etwa am Barcelona-Pavillon der Weltausstellung in Barcelona 1929 |▶ 32|, aber auch an der Neuen Nationalgalerie in Berlin (1962 – 68), einem erhabenen Tempel aus Stahl und Glas, der 1957 in fast gleicher Form auch für den Neubau der Bacardi-Fabrik in Santiago de Cuba vorgesehen worden war. Analoges hat Mies auch für den Wolkenkratzerbau realisiert. Das begann schon 1922 mit spektakulären Projekten für vollständig verglaste Hochhäuser mit einem Minimum an Stützen und führte mit den Lake-Shore-DriveApartment-Häusern in Chicago (1948 – 51) in erste Realisierungen. Schulbildend wurde aber das von 1954 – 58 errichtete Seagram Building in New York. Der Auftrag für ein neues Verwaltungsgebäude für den Spirituosenhersteller Joseph E. Seagram and Sons ging 1954 von dessen Präsident Samuel Bronfman aus, der der Idee anhing, staatsbürgerliche Verantwortung müsse der Gesellschaft als nachahmenswert vorgeführt werden. Neben den unternehmerischen Faktoren waren deswegen bei solch einem öffentlich wahrnehmbaren Großprojekt auch hohe ästhetische Ansprüche zu erfüllen. Es sollte einen guten Einfluss auf die Umgebung und das Nutzungsklima ausüben, und insofern spielte die Wahl eines guten Architekten eine wesentliche Rolle. Als Standort war ein Block in East Side Manhattan angekauft worden, in der Park Avenue zwischen der 52. und 53. Straße. Es war die Zeit, als sich diese Gegend von einem eleganten Wohnviertel zu einem exquisiten Geschäfts-
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viertel wandelte. Gegenüber befindet sich das Gebäude des vornehmen Racquet and Tennis Club, 1918 vom Architekturbüro McKim, Mead & White als anspruchsvoller Neorenaissancepalast errichtet. Direkt schräg gegenüber war eben, von 1951 – 52, das Lever House von SOM (Gordon Bunshaft im Büro Skidmore, Owings & Merrill) erstellt worden. Das über einem weit vorkragenden Flachbau mit Lobby aufragende, lotrecht zur Straße gesetzte Scheibenhochhaus setzte Maßstäbe. Es ist ein völlig regelmäßiger Block, dessen Hülle zum ersten Mal als vollständige curtain-wall-Glasfassade ausgeführt ist. Die blaugrünlich getönten Scheiben sind in ein völlig gleichmäßig gerastertes Gitter aus äußerst feinen Aluminiumprofilen eingefügt. Angesichts dieser auf höchste architektonische Standards verpflichtenden Umgebung ging der Auftrag an das durchaus renommierte Büro William Peirera & Charles Luckman. Allerdings konnte die Tochter Bronfmans, Phyllis Lambert, als umtriebige Kunstinteressierte ihren Vater davon überzeugen, ein kühnes Glashochhaus in modernsten Formen zu errichten. Sie machte sich an eine intensive Suche nach einem geeigneten Architekten – auch über Le Corbusier und Frank Lloyd Wright wurde nachgedacht – und veranlasste schließlich, Mies van der Rohe zu beauftragen. Der 39 Stockwerke bzw. 157 m hohe Bau gilt als technische und gestalterische Meisterleistung einer auf einem absolut regelhaften Raster konzipierten Architektur. Die durchgehend durchgehaltene Grundeinheit misst 1,41 m, die tragenden Stützen erheben sich auf einem quadratischen Raster von 8,46 m Seitenlänge, also 6 × 1,41 m (□ 136). Völlig neu war, dass Mies seine Hochhausscheibe auf dem 91,5 × 61 m messenden Grundstückblock um 30,5 m zurücksetzte. Das war bisher in New York noch nie geschehen, denn wegen der geforderten dichten Ausnutzung des Terrains nahmen die Wolkenkratzer die gesamte Parzelle ein, mussten aber gemäß der New Yorker Bauordnung von 1916 ab dem 12. Geschoss die Etagen zu-
rückspringen lassen, damit zumindest eine gewisse natürliche Belichtung der gegenüber liegenden Häuser bzw. der Straßen gewährleistet war. Aus diesem Grund entstanden die typischen zikkuratförmigen oberen Abschlüsse (genannt ‚Hochzeitstorten‘) vieler Wolkenkratzer in Manhattan. Mit Mies’ Lösung wurde ein
□ 136 New York, Seagram Building, Ludwig Mies van der Rohe, 1954 – 58, Grundriss
Vorplatz, eine Plaza, möglich, die die Vorderfront des Hochhauses wirklich als Fassade erlebbar machte. Dem entspricht, dass der Bau auf einem die ganze Parzelle einnehmenden Sockel steht, auf dem auch die Plaza als Teil des Gesamtkonzeptes erscheint: Die Granitplattierung folgt in ihren Ausmaßen dem Grundraster, läuft insofern bruchlos in das offene Erdgeschoss durch. Die in die Tiefe führenden Seitenwände des Plateaus sind mit Streifen aus grünem Marmor bedeckt und an der Park Avenue sind in die Ecken des Plateaus symmetrisch Wasserbassins eingelassen. Dazwischen entsteht eine eindeutig symmetrisch angelegte Hauptachse zur Fassadenfront und dem Haupteingang. In der Halle setzt sich diese fast zeremonielle Achse bis in den Restaurantbereich
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□ 137 New York, Seagram Building, Ludwig Mies van der Rohe, 1954 – 58
im rückwärtigen Teil fort. Derartige Achsenbetonungen erinnern an Prinzipien der École des Beaux-Arts, und in der Tat muss man auch den eigentlichen Hochhausturm als eine, auf diese Achse Bezug nehmende Fassade bezeichnen. Er steht nämlich vor Rückgebäuden, die den durch die Rückversetzung entstehenden Verlust an Geschossfläche ausgleichen sollen. Das ist ein essentielles Kriterien beim Wolkenkratzerbau: Die immensen Investitionskosten müssen so auf das Baukonzept bezogen sein, dass es Rendite abwirft. Das war gerade beim Seagram Building ein entscheidender Faktor, denn seine Baukosten erreichten den damaligen Spitzenwert von 36 Mio. Dollar, wozu noch 5 Mio. Dollar für das Grundstück hinzuzurech-
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nen sind. Wenn die Rendite nicht durch die konsequente Ausnutzung der nach der New Yorker Bauordnung möglichen Geschossfläche erfolgte, so musste das durch Qualität und Luxus des Gebäudes ausgeglichen werden: Auch das wurde mit dem Gebäude verfolgt, und zwar nicht nur über ausschließlich architektonische Elemente, sondern etwa auch mit der Einrichtung des Luxusrestaurants Four Seasons in den unteren Geschossen des rückwärtigen Traktes. Der rückwärtige Teil dient also der Vermehrung der Geschossfläche und wurde als ein relativ niedriger quergelegter viergeschossiger Riegel über die gesamte Grundstücksbreite ausgebildet; hinter dem ‚Vordergebäude‘ steigt darüber noch ein weiterer fünfgeschossiger Block auf. Das Hochhaus kommuniziert über ein nach hinten heraustretendes, nur drei Jocheinheiten breites und ein Joch tiefes ‚Rückgrat‘ in voller Höhe mit den Rückgebäuden. Die dadurch bewirkte Einschnürung zwischen beiden Bauteilen führt dazu, dass das Hauptgebäude als eigenständiger, in sich perfekter Block wahrgenommen werden kann: In den Einschnürungen schneiden seitliche Treppen quer in das Plateau ein, außerdem verdecken seitlich des Hochhauses gepflanzte Bäume den Blick auf den hinteren Querriegel. Das eigentliche Hochhaus kann also kompromisslos seine perfekte geometrische Regelhaftigkeit vorführen: Es erhebt sich über 3 × 5 Einheiten des Grundstützenrasters, lässt damit Proportionen nahe dem Goldenen Schnitt anklingen. Die unteren beiden Geschosse sind als völlig freie Halle gestaltet. Hier erscheinen nur die Stützen und vier gleichartige Rechteckblöcke, die die Aufzugschächte enthalten. Eingefasst ist die Halle durch eine, gegenüber dem Oberteil des Gebäudes zurücktretende Glasfläche, in der die Eingänge eingelassen sind. Der hohe Schaft des Büroteils darüber scheint insofern zu schweben, gerade auch, wenn künstliches Licht die Halle erleuchtet. Er ist als völlig regelmäßiger, vollständig ver-
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glaster Kubus gestaltet (□ 137). Jedes Joch ist in sechs Fensterbahnen eingeteilt, die vertikal als strikte, unterbrechungslose Abfolge von Brüstungsplatte und hochrechteckiger Fensterfläche organisiert sind. Diese Fensterfläche ist dem konstruktiven Kern als anschaulicher Vorhang vorgelegt: Die eigentlichen Stützen bestehen aus Doppel-T-Stahlprofilen, die aus Feuerschutzgründen in einen quadratischen Betonpfeiler eingegossen sind. Dieser Betonkern ist wiederum mit Stahl ummantelt und hält an Auslegern den Glasvorhang. Dessen Zwischenstreben sind sog. mullions in Form von kleineren Doppel-T-Profilen vorgelegt: Über die gesamte Gebäudehöhe ziehen sich diese scharfen graphischen Bahnen von unerbittlicher exakter Vertikalität. Sie bilden ein scharfkantiges Relief, das Schatten wirft und jeder Gebäudeseite verschiedene Reflexionswirkungen zuteil werden lässt, je nachdem, ob man auf eine belichtete oder schattende Seite blickt. Dass die mullions allein ästhetische Funktion haben, zeigt sich auch daran, dass sie an der Unterkante des Gebäudes einfach abbrechen, und in ihren Doppel-T-Profilen präsentieren sie gleichsam wie eine ornamentale Form das konstruktive Grundelement des Bauwerks, den ebenso geformten Stahlträger. Die vorgehängte Wand erhält dadurch eine sprechende Funktion, die sich wortwörtlich loslöst vom tragenden Gerüst. Das erinnert eher an die Unterscheidung von tragendem Kern und verkleidender Hülle, wie sie der Architekturästhetik des späten 19. Jh.s vertraut war, kaum mehr aber Forderungen der Moderne, Fassade und Konstruktion müssten in eins fallen. Wie konsequent das Konzept der curtain wall weitergedacht wurde, zeigt sich auch an den berühmten Ecklösungen des Mies’schen Gebäudes: Hier steht eigentlich ein Vierkantstiel, dessen freiliegende Ecke aber so verkleidet ist, dass zwischen den über Eck stehenden mullions und der Gebäudekante eine gut proportionierte und klar akzentuierte Eckbegrenzung des Blocks ent-
steht. Vor allem aber sind die mullions ebenso wie die Fensterrahmen aufwendig aus Bronze hergestellt, auch die stählerne Verkleidung der Stützen umgibt ein Bronzemantel. Zusammen mir der topasgrauen Tönung des Fensterglases wirkt das ganze Gebäude wie ein kostbarer, riesenhafter Metallgegenstand, der auch tatsächlich aufwendiger Pflege bedarf. Denn damit das Haus keinen Grünspan ansetzt, muss es regelmäßig mit einer speziellen Lösung gereinigt werden. Man hat diese dunkle Tönung ironisch auf eines der Hauptprodukte von Seagram, nämlich Whiskey, bezogen. Das ist in der Tat ein vielschichtiges Bonmot, denn mit Bronze wie mit Whiskey werden ja auch Gediegenheit und Handwerklichkeit assoziiert; und ebenso wie Whiskey altern soll, ist auch das Seagram Building darauf angelegt, dass man ihm wie einem herkömmlichen Steinbau eine würdevolle Langlebigkeit ansehen soll. Auch die von Philip Johnson entworfene Inneneinrichtung, insbesondere auch des Four Seasons, war eine puristische, in exquisiten Materialien ausgeführte Raumkomposition, die bezeichnenderweise auch als Ausstellungsräume genutzt wurde. Hinzu trat aber der Aspekt, dass der perfekt mathematisch zu erfassende, formenstrenge und technisch kühne – vollklimatisierte! – Glaskubus ein Höchstmaß an Rationalität und Technikvertrauen mitteilte. In all diesen Faktoren lassen sich Bestandteile einer corporate identity festmachen, die aber weniger auf Seagram zu beziehen sind, sondern sich der Riesenarchitektur als gleichsam eigenständigem Unternehmen einschreiben. Derartige Strategien lassen sich im Werk von Mies schon in der Vorkriegszeit erkennen |▶ 32|. Mies’ Wolkenkratzer hatte weitreichende Konsequenzen: Die Schaffung der Plaza lud dazu ein, sie als temporären Ausstellungsort für moderne Skulptur zu nutzen, wie dies bis heute der Fall ist. Damit formierte sich aber vor allem im bisher eng bebauten Manhattan ein neuer Begriff von Öffentlichkeit und Zivilengage-
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ment. Denn Mies’ Plaza-Idee ging unmittelbar in eine neue Bauordnung ein, die seit 1961 ein ungehindertes Höhenwachstum der Wolkenkratzer zulässt, solange im Erdgeschoss ausreichend öffentliche Zonen ausgewiesen sind. Die erhaben puristische und hochgelobte Großform des Seagram Building stellte aber auch einen gewissen Endpunkt der Entwicklung dar, denn sie war kaum noch subtiler zu formulieren. Und so gab es in der Nachfolge zahllose banale Büroglaskisten, die nicht wenig zum bisweilen schlechten Ruf der Moderne der Nachkriegszeit beitrugen. Die Lösung war, den Wolkenkratzern wieder markante Zeichenhaftigkeit zu verleihen. Schon die Verdoppelung von zwei an sich banalen Türmen, wie sie Minoru Yamasaki
am World Trade Center von 1973 – 74 vornahm, hatte ja eine ausgesprochen stadtbildprägende Aussage, die die Türme fatalerweise zum Ziel des Terroranschlags vom 11. September 2001 werden ließ. Subtil spektakulär sind die Wolkenkratzerlösungen von Mies’ ehemaligem Mitarbeiter Philip Johnson. Das AT & T Building (1984) mit seinem von einer Rundöffnung durchbrochenen Giebelabschluss erinnert an ein Möbelstück, das PPG Corporate Headquarter in Pittsburgh steigt als hoher, von neugotischen Fialen bestandener Glasgiebel auf, eine mehrfach gebrochene Anspielung auf das Mittelalter, die englische Neugotik |▶ 11| und die neugotischen Universitätsbauten von Pittsburgh selbst.
Architektenrollen Künstler, Techniker, Baubeamte und Medienstars
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rchitektur hat einen intensiven Bezug zum Menschen als Individuum und Kollektivwesen: Sie strukturiert den Raum und setzt komplexe Zeichen, sie kostet meist viel Geld, und ihre Erhaltung geschieht keineswegs automatisch, sondern erfordert teilweise komplizierte Aushandlungen. Architektur hat insofern mit Technik, Gesellschaft, Politik, Biologie, Moral, Religion, Philosophie und Kunst zu tun. Dies wurde insbesondere in dem Moment deutlich, als seit dem 19. Jh. derartige Bereiche des Lebens sich als wissenschaftliche Disziplinen bzw. als staatliche Verwaltungseinheiten in all ihrer Komplexität etabliert hatten. Entsprechend vielfältig und farbig wurde das Konzert der Architekturdiskurse, in denen beständig ein Kampf der Deutungshoheit tobt: Architektur als Verschönerung des öffentlichen Raums, als weltanschauliche Sinnstiftung, als perfekte Anwendung innovativer Technik, als ökonomische Verbesserung von Lebensbedingungen, als Ausweis von gutem Geschmack, als Signum von Unternehmenskulturen, als Vermittlung
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zu Gott: Das sind nur einige derartige Aspekte der Debatten und Diskurse. Und diese werden überdies in verschiedensten Medien verhandelt wie Fachzeitschriften, Büchern, Werbefilmen usw. ( Themenblock · Medien, S. 77 f.). Angesichts dieser konkurrierenden Vielfalt kann es kaum verwundern, dass auch die Architekten selbst verschiedene Rollen einnehmen, um Kompetenz und Autorität für die intendierte Auffassung von Architektur zu erheischen. Dabei spielen Bildmedien, insbesondere auch die Fotografie, eine wichtige Rolle, denn sie zeigen die Architekten in scheinbar typischen und authentischen Aktionen, Outfits und Ambientes. Vor allem aber überschneiden sich dabei in gezielter Weise verschiedene Kompetenzbereiche: Technik und Philosophie, Konstruktion und Malerei, Städtebau und Soziologie, Bauen und Literatur, Architektur und Archäologie. Als romantisches Universalgenie, malend, schreibend und bauend, erscheint etwa Karl Friedrich Schinkel, der aber zugleich auch Teil der neuen
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preußischen Bauverwaltung ist. Sein Münchener Kollege Leo van Klenze wurde als verdienstvoller, umfassend archäologisch gebildeter Gelehrter inszeniert. In solchen Traditionen des Universalgenies stehen auch viele Jugendstilarchitekten, etwa Henry van de Velde. Als kühl und sachlich rechnende Ingenieure traten etwa die Brückenbauer Robert Maillart oder Fritz Leonhardt auf. Gerade in der ersten Hälfte des 20. Jh.s verstanden sich viele Architekten als politische Akteure: Hannes Meyers lebenslanges sozialistisches Engagement kontrastiert dabei mit der rechtsextremistischen Parteinahme eines Paul Schultze-Naumburg oder eines Paul Schmitthenner. Als betont sachlich und ökonomisch konzipierende Sozialingenieure wollten sich Otto Haesler oder Ernst May sehen. Nachhaltig als Architekturtheoretiker wirkten viele Architekten, etwa Gottfried Semper, Le Corbusier, Fritz Schu-
macher, Theo van Doesburg, Rudolf Schwarz, Aldo Rossi, Oswald Matthias Ungers oder Robert Venturi. In die Rolle des emphatischen, nietzscheanischen Propheten schlüpfte dabei insbesondere Bruno Taut um 1920; als theologisch inspirierter Grübler erscheint hingegen Rudolf Schwarz. Früh erkannte Le Corbusier die Chancen, die eine vielfältige Medienpräsenz bietet: Als Herausgeber von Zeitschriften und vielen Büchern, gefragter Vortragsredner und Interviewpartner gehörte er seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Medienstars, über die in der populären Presse intensiv berichtet wurde. Auch Ludwig Mies van der Rohe und Ernst May schafften es auf die Titelblätter des Magazins „Life“ bzw. des „Spiegel“. Auch heute sind Namen wie Frank O. Gehry, Zaha Hadid und Daniel Libeskind als Personen des öffentlichen Lebens fast jedermann vertraut.
Technische Universität Otaniemi/Espoo Landschaft und moderne Architektur
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er Zweite Weltkrieg hatte für Finnland einschneidende Konsequenzen – der finnisch-sowjetische Krieg mit dem Einmarsch der Sowjets 1941, der Beitritt des Landes an die Seite Hitlerdeutschlands, Ressourcenknappheit sowie Gebietsabtretungen und hohe Reparationszahlungen an die UdSSR hatten katastrophale Folgen und machten mit Kriegsende ein umfassendes Wiederaufbauprogramm notwendig. Ziel war, aus dem Land einen Wohlfahrtsstaat zu machen. Das betraf in hohem Maße auch die Architektur: Wohnungsbauprogramme und der energische Ausbau der Bildungseinrichtungen sowie eine Neuorientierung des Kirchenbaus hinsichtlich liturgischer und sozialer Aspek-
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te setzten in umfassender Weise bereits Ende der 40er Jahre ein, selbst wenn sich die Vollendung der Ensembles in vielen Fällen um viele Jahre verzögerte. Wie Deutschland kannte auch Finnland ein bereits in den frühen 50er Jahren einsetzendes Wirtschaftswunder, das sich etwa in der Abhaltung der Olympischen Spiele in Helsinki 1952 und der Abzahlung der Reparationsforderungen im selben Jahr niederschlug. Ein vornehmlich agrarisch bestimmtes Land wurde energisch urbanisiert, handwerkliche Traditionen durch industrielle Fertigung ersetzt. Das Land bot insofern ein vielfältiges Experimentierfeld, um neue Planungs-, Konstruktions- und Einrichtungskonzepte auf ho-
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□ 138 Technische Universität Otaniemi/Espoo, Alvar Aalto, 1960 – 66, Grundriss der Kernbauten
hem Niveau zu erproben. In diesem Kontext wird der bereits vor dem Krieg tätige Architekt Alvar Aalto (Sanatorium in Paimio, voll. 1932) zu der führenden Autorität, neben anderen wichtigen Figuren wie z. B. Aarne Adrian Ervi oder Keijo Petäjä. Der Neubau des Komplexes war nötig geworden, da die alte Universität im Stadtzentrum von Helsinki während des Zweiten Weltkrieges durch die Sowjets schwer beschädigt und überdies räumlich ungenügend geworden war. So wählte man als Bauplatz 1949 den Stadtteil Otaniemi in Espoo, westlich der Hauptstadt, der halbinselartig in eine Ostseebucht ragt und damals ein bewegtes, schütter bewaldetes Terrain darstellte. Die Neugründung der Universität war der entscheidende Markstein für den umfassenden Ausbau des finnischen Hochschulsystems, aber auch für die Neuorientierung der finnischen Architektur. Denn die Einpflanzung des Universitätscampus in eine landschaftlich angenehme Umgebung war von Anbeginn programmatisch: Die Studierenden sollten beim Genießen der Natur lernen. Dies entsprach zum einen den Modellen der angloamerikani-
III. Schlüsselwerke
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schen Universitätscampi, vor allem aber auch den finnischen Stadterweiterungsmodellen der Nachkriegszeit; ein Beispiel hierfür ist die unweit der Universität gelegene große Gartenvorstadt Tapiola in Espoo (ab 1954 nach Plänen von Otto-I. Meurman, Aarne Adrian Ervi u. a.). Hier wurden nach dem Vorbild schwedischer Nachbarschaftsmodelle Wohnsiedlungen im Grünen, in variantenreicher Bebauung und mit guter Infrastruktur geplant und damit Alternativen zu übermäßig technisch rationalisierten Siedlungsmodellen |▶ 30, 37| wie etwa der Zeilenbauweise entwickelt. 1949 legten Aino und Alvar Aalto erste Entwürfe für den Campus vor und wurden ohne offene Wettbewerbsausschreibung als Architekten verpflichtet; die eigentliche Entwurfsarbeit dauerte von 1953 bis 1955. Aber erst ab 1960 konnte man an die Errichtung der 1966 eröffneten Hauptbauten des weitläufigen Campus gehen, der auch Studentenwohnheime und Sportanlagen enthält und dessen Gesamtausbau sich bis Mitte der 70er Jahre erstreckte. Das Grundprinzip war, die natürlichen Gegebenheiten des Terrains beizubehalten bzw. intelligent auszunutzen. So bildet der Hauptflügel der Anlage eine winkelförmige Grundrissform, deren Schenkel sich in die Landschaft erstrecken (□ 138). An der höchsten Stelle, über die freigebliebenen Wiesen und Felder gut sichtbar, erhebt sich in der Mitte des Winkels der zentrale Komplex – der ‚Festplatz‘ mit dem Auditorium maximum, einem nach Osten gerichteten Foyer mit einem weiteren Hörsaal sowie der Hauptverwaltung im Südflügel. Leicht schräg davor versetzt entstand in den 60er Jahren die Universitätsbibliothek. Die restlichen Seminargebäude sind im Norden in einer doppelten Kammstruktur angeordnet, die zahlreiche Höfe ausbildet, sich aber teilweise und ganz im Gegenteil zu dem zentralen Bereich in den bestehenden Baumbestand duckt. Autozufahrten waren nur von wenigen Seiten möglich, insbesondere über eine westlich passierende Tangente, ansonsten sollten Fußgän-
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□ 139 Technische Universität Otaniemi/Espoo, Alvar Aalto, 1960 – 66, Auditoriengebäude und Annexbauten
gerwege den gesamten Bereich durchziehen. Dieser Grundplan, in dem der Kern der Universität in etwa die Mitte der Halbinsel einnahm, war von vornherein auf Expansion angelegt, die schon in den 60er Jahren nötig wurde, so dass heute fast das gesamte Terrain mit Universitätsbauten bedeckt ist und die Landschaft als essentielle Komponente der Architektur nunmehr insbesondere im zentralen Bereich nachzuvollziehen ist. Seit 2010 ist die Technische Universität administrativ in der Aalto-Universität Helsinki aufgegangen. Insgesamt also scheint die Architektur gleichsam aus der Natur hervorzuwachsen und auf dem höchsten Punkt in dem Auditoriengebäude zu kulminieren (□ 139): Von relativ schlichter kubischer Architektur mit Backsteinfassaden, in den äußeren Bereichen und teilweise hinter Bäumen versteckt, steigert sich das Ensemble in der eigenartigen Baulichkeit des geschwungenen zentralen Hörsaals. Das entspricht auch der funktionalen Einteilung, denn hier treffen der Haupteingang und der repräsentative Bereich zusammen, um den herum sich radial die Funktionsbereiche der einzelnen Lehreinrichtungen sowie Wohnungsbauten anordnen. Zur Mitte hin steigert sich aber auch die symbolische Aussagekraft der Architektur, denn das Auditorium hat im Grundriss die Form eines Viertelkreises, in dem die Sitzreihen konzentrisch ansteigen – eine klare Erinnerung an griechische Theater der Antike.
Diese Struktur wird auch aufgenommen in der Decke, die in vier rund geführten Stufen nach außen ansteigt. Damit wird auf ingeniöse Weise auch nach außen, monumental über dem Haupteingang aufsteigend, die antike Theaterform durch weitere Bedeutungsdimensionen ergänzt. Die Stufen bilden dynamisch gerundete Konturen und erinnern insofern auch an geschwungene Klippen einer natürlichen Landschaft. Darüber erstreckt sich als Abschluss nach oben ein steiles, der kurvigen Struktur folgendes Pultdach mit Zinkabdeckung. Das Ganze wirkt, als habe man aus einem römischen Amphitheater – das als Bautyp ja häufig in bestehende Hügelformationen eingearbeitet ist – ein Viertel herausgeschnitten; entsprechend treten die Schnittflächen markant als steil nach oben weisende Dreiecksflächen aus dunkelrotem Backstein zu Tage. Die gestaffelte Struktur hat aber auch subtil erdachte Funktionen: denn die Stirnseiten der Abstufungen sind – im wirksamen Gegensatz zu den Backsteinmauern der Seiten – voll verglaste, nach außen glänzende Fensterbänder. Durch sie tritt Licht – in Finnland häufig ein stark seitlich einfallendes Licht einer niedrig stehenden Sonne – in das Innere, wird aber sogleich gebrochen und indirekt diffus nach unten abgestrahlt. Die Fensterstürze sind nämlich riesige, kurvig geführte Betonwinkelprofile. Die Winkelöffnung geht nach vorne und unten, so dass aufgrund der stufigen Abfolge der Träger weite Schlitze in diesen
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□ 140 Technische Universität Otaniemi/Espoo, Alvar Aalto, 1960 – 66, Inneres des Auditoriengebäudes
Richtungen entstehen, durch die das Licht eintreten kann und umgelenkt wird. Diese kurvig geführten Träger werden durch vier große, radial angeordnete Betonbinder gestützt, die, dem Längsschnittprofil des Auditoriums folgend, auf seiner Rückwand hoch ansteigen und nach vorne umknickend zur Bühne steil herab zusammenlaufen (□ 140). Im Inneren macht dies den Eindruck, als bestehe die Architektur nicht aus tragenden Wänden und abschließender Decke, sondern aus kulissenartigen Segeln oder Paneelen, die im Oberteil aufgespannt sind, dort die Fenster verdecken, aber reichlich diffuses Licht spenden. Auch die Rückwand des Saals sowie die Podiumswand bestehen aus solchen sich sphärisch biegenden Paneelen. Ähnliche Konzeptionen wie bei dem Universitätscampus in Otaniemi werden auch im neuen finnischen Schulbau wirksam, der vor allem Pavillonschulen im Grünen realisiert. Aber auch der Kirchenbau zählte zu den florierenden Baugattungen, die als Teil der neuen Stadterweiterungen im Grünen errichtet wurden und dabei liturgische wie auch soziale Zentren abgeben sollten. Das gilt etwa für ein weiteres Hauptwerk Aaltos, der evangelischen Pfarrkirche in Vuoksenniska/Imatra (1955 – 58). Unübersehbar weist der schlanke, energisch sich emporreckende Kirchenturm auf die in einem grünen Tannenwald liegende Kirche hin. Der
III. Schlüsselwerke
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stark organische Sakralbau besteht aus drei sich rhythmisch dehnenden und gleichsam fächerförmig ausweitenden Raumblasen. Das dient zunächst der akustischen Verbesserung, schafft aber ähnlich wie in einem barocken Gebäude auch unterschiedliche Lichtakzente. So ist der Altarbereich hell erleuchtet. Insgesamt geben 103 verschiedene Öffnungen Licht, absichtsvoll wechselnd über den ganzen Tag. Der ondulierende Innenraum ist aber auch wandelbar, um etwa einen Gemeindesaal abzutrennen oder gar die Nutzung als Turnhalle zu ermöglichen. Alltagsleben soll sich, wie auch in vielen öffentlichen Bauten des neuen Finnlands, mit den Hauptfunktionen des jeweiligen Bauwerks verbinden. Ein weiterer vom Raumerlebnis überwältigender Kirchenbau ist die Kirche von Kaleva in Tampere, 1959 – 66 von Raili und Reima Pietilä errichtet. Der Ausschreibungsvorgabe folgend, handelt es sich um eine monumentale Anlage: Konvex und konkav sich krümmende, hoch aufsteigende Pfeilermassive umstehen den unregelmäßig geformten Innenraum und lassen zwischen sich hohe Lichtschlitze frei. Auch hier sind die Landschaftsbezüge wichtig, denn obwohl die Kirche innerhalb einer städtischen Umgebung steht, evoziert das Innere das Erlebnis einer Gebirgsschlucht. Derartige Themen werden wiederum aufgenommen in der Johanneskirche von Männistö in Kuopio (1986 – 92, Juha Leiviskä und Pekka Kivisalo), allerdings sind die Wandbegrenzungen in diesem Fall aufrecht stehende, gegeneinander leicht verschobene und in der Höhe dramatisch ansteigende Paneele aus Beton- und Backsteinflächen. Die verglasten Zwischenräume lassen Licht ins Innere strömen. Auch in diesem späten Beispiel bleibt über das Material des Backsteins, aber vor allem durch die scheinbar unregelmäßig bis zum Glockenturm sich staffelnden Paneele – gleichsam die Schichtungen eines Felsblocks – die landschaftliche Bezugnahme ein zentrales Moment.
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Brasília, Stadtanlage und Parlamentsbau Eine Hauptstadt als Staatssymbol
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ann die Stadtanlage einer Hauptstadt das Zusammenwirken der Staatsorgane so bildwirksam umsetzen, dass daraus ikonenhafte Zeichen entstehen, die sogar als Logos einsetzbar sind? Kann man daraus auch grundsätzliche politische Zielsetzungen ablesen? Kann solch eine sinnbildhafte Stadtanlage auch ihren praktischen und repräsentativen Zwecken nachkommen? Diese Fragen stellen sich insofern, als die meisten der im 20. Jh. neu angelegten Hauptstädte zwar darauf achteten, die wesentlichen Institutionen würdig herauszustellen und miteinander städtebaulich in Bezug zu setzen sowie eine repräsentative Ordnung vorzuführen oder auch Geschichte und Natur des Landes wahrnehmbar zu machen |▶ 5, 6, 13, 14, 44|. Doch nur die brasilianische Hauptstadt Brasília ist zu einer regelrechten Marke und einem Imageträger geworden, auch und vor allem aufgrund ihrer eigentümlichen Gesamtanlage und architektonischen Ausgestaltung. Brasília ist eine verspätete Gründung, obgleich der Plan für eine neue Hauptstadt bis auf die Unabhängigkeit des Landes 1822 zurückgeht und seine Verwirklichung sogar in der Verfassung verankert worden war. Die alten Hauptstädte der riesigen portugiesischen Kolonie, Salvador de Bahia und ab 1763 Rio de Janeiro, lagen an der Küste, nicht zuletzt, um eine gute Anbindung über See an das Mutterland zu gewährleisten. Die schon vor der Gründung des Staates bestehenden Pläne, eine zentral im Inneren des Landes gelegene Hauptstadt zu errichten, verstärkten sich nach der Umwandlung des Staates in eine föderale Republik im Jahre 1889. Fünf Jahre später wurde ein zentral gelegenes, klimatisch begünstigtes Terrain im wenig besiedelten Bundesstaat Go-
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ias ausfindig gemacht, das letztendlich trotz anderer Vorschläge das Terrain für die neue Hauptstadt abgeben sollte. Die Verwirklichung dauerte indessen noch über ein halbes Jahrhundert und verdankte sich einer besonderen politischen Konstellation: Von 1930 – 45 führte der diktatorisch regierende Getúlio Vargas das Land, indem er sich die Unterstützung niedriger Schichten (sog. Populismus) sicherte und gleichzeitig dem Land eine anti-amerikanisch grundierte industrielle Modernisierung verschrieb. Da sich Vargas trotz des verfassungsmäßigen Auftrages nicht um die Hauptstadtplanung kümmerte, übernahm dies mit dem Ende seiner Präsidentschaft umso entschiedener eine eigene Kommission, die 1955 schließlich den 1894 vorgeschlagenen Standort beschloss. Die Entscheidung fiel vor allem aufgrund seiner zentralen Lage, seiner von allen Großstädten des Landes ähnlichen Entfernung, des ausgeglichenen Klimas und der guten landwirtschaftlichen Bedingungen. Als Vargas nach seiner zweiten Amtszeit 1954 spektakulär durch Selbstmord aus dem Leben schied, wirkte sein politisches Programm weiter und musste mit der nunmehr in Gang gekommenen Hauptstadtplanung verbunden werden. Dies wurde die Aufgabe des wenig später folgenden Präsidenten Juscelino Kubitschek de Oliveira, der seither redundant, aber nicht ganz zu Recht, als der Gründer von Brasília verehrt wird. Ihm blieb zur Verwirklichung allerdings nur die reguläre Amtszeit von fünf Jahren, da nicht zu erwarten war, dass sein Nachfolger die 1956 begonnene und bereits 1960 offiziell eröffnete neue Stadt weiterführen würde. Die Zeitnot erklärt, dass der Realisierungsprozess in hohem Maße durch einen pragmatisch zu rechtfertigenden Nepo-
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tismus geprägt war: Kubitschek wandte sich an Oscar Niemeyer, der zusammen mit Lúcio Costa und Le Corbusier 1935 das Erziehungsministerium in Rio de Janeiro und seit 1940 in seinem Auftrag bereits die umfangreiche Modellsiedlung Pampulha errichtet hatte. Da Niemeyer es ablehnte, den städtebaulichen Entwurf vorzunehmen, wurde ein innerbrasilianischer Wettbewerb ausgelobt, der, auch dank Niemeyer als Jurymitglied, von Lúcio Costa gewonnen wurde. Der maßgebliche Architekt der einzelnen Bauten blieb dank dieses Nepotismus allerdings Niemeyer, auch der Hauptbauunternehmer der neuen Stadt, Israel Pereira, wurde über dieses Klientelsystem gewonnen. Diese personellen Verbindungen sind deswegen wichtig, weil die Stadtplanung Costas auf Kubitscheks intendierte industrielle und soziale Erneuerung des Landes Rücksicht zu nehmen hatte und sich zugleich die organisch-sinnlich schwingenden und zugleich großzügigen Formen Niemeyers nunmehr mit einem programmatisch nationalen Modernismus verbanden. In Costas Stadtplan überkreuzen sich zwei große Achsen: Eine Nord-Süd-Achse in Form eines Bumerangs folgt der Ausrichtung eines sichelförmigen künstlichen Sees, des Lago do Paranoá (□ 141). An den Hauptarterien sind
Wohngebiete samt Infrastruktur angegliedert. Gemäß dem Konzept der Bandstadt |▶ 13, 27| kann diese Struktur entlang der Achse auch erweitert werden. Als Wohnbebauung entwarf Costa in Erweiterung von Vorschlägen im Sinne der Charta von Athen |▶ 37| das Konzept der Superquadras: Quadratische Parzellen bilden eine individuell mit Bauten zu füllende, durchgrünte und verkehrsberuhigte Großwohneinheit, die durch Baumreihen von Straße und Nachbarbebauung abgegrenzt wird. Mittig wird diese Hauptachse von einer zweiten, schnurgeraden Achse überschnitten, deren kürzeres Ostende in eine Halbinsel des Sees reicht. Entlang der Achse stehen die Regierungsbauten, auf der Halbinsel selbst erhebt sich am Seeufer der Präsidentenpalast inmitten eines Parks. Entlang der anderen, längeren Hälfte der Achse reihen sich Sportstätten, Kongresszentrum, Fernsehturm usw. bis zum abschließenden Bahnhof. Costas sog. plano piloto hat eine äußerst hohe Symbolkraft: In der Überkreuzung zweier großer Achsen kommt ein monumentales Markieren, ein nachdrückliches ‚Ankreuzen‘ des neuen Hauptstadtortes zum Ausdruck; in der grundsätzlich unterschiedlichen Nutzung der Hauptachsen sind die Aspekte von modernem Wohnen und staatlicher Repräsentation nach dem Prinzip des Zonings prägnant getrennt und zugleich aufeinander bezogen. Im Grundriss erinnert die Figur an einen Vogel- oder Menschenkörper, an dem sich Kopf, Rumpf und Extremitäten bzw. Denken und Handeln unterscheiden lassen. Auch der oftmals gezogene Vergleich mit einem Flugzeug, das von einem verantwortungsvollen Piloten gesteuert wird, ist – selbst wenn er durch ein verballhornendes Verständnis von plano piloto entstanden ist – sicher nicht von der Hand zu weisen, denn Costa selbst bezeichnete die Wohnachsen als Flugzeugflügel. □ 141 Brasília, Entwurf für den Bebauungsplan, Lúcio Costa, 1955
III. Schlüsselwerke
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□ 142 Brasília, Nationalkongress, Oscar Niemeyer, 1956 – 60
Die auf 500 000 Bewohner angelegte Gesamtanlage ist von riesigen Dimensionen, die eine sehr aufgelockerte Bebauung erlauben. Vor allem auf der sich über zehn Kilometer erstreckenden monumentalen Achse, zumal in ihrem Westteil, stehen die Gebäude bisweilen mehrere hundert Meter entfernt voneinander. Hier war eine Alternative zu den dicht bebauten US-amerikanischen Metropolen angestrebt. Zur Überbrückung der riesigen Entfernungen benötigt man allerdings ein Auto, und die Bedeutsamkeit dieses Verkehrsmittels wird in mehrerer Hinsicht vorgeführt. Die Monumentalachse wird eingefasst durch im Abstand von ca. 100 m parallel geführte sechsspurige Autobahnen im Einbahnverkehr. Die Kreuzung der Hauptachsen ist als große Kleeblattkreuzung auf mehreren Ebenen gebildet: Hier liegt konsequenteweise ein Busbahnhof. Dieses Straßennetz war zumindest zur Erbauungszeit völlig überdimensioniert und erlaubte allen Autobesitzern ein genüssliches Gleiten von einem Ort zum anderen. Für die vielen anderen, lange Zeit nicht motorisierten Bewohner wurde Fortbewegung zu einem Hindernislauf auf Trampelpfaden und wilden Straßenquerungen. Doch entsprach diese extreme Ausbildung einer autogerechten Stadt durchaus den politischen Zielen, deren eines der massive Ausbau einer landeseigenen Automobilindustrie war. Nicht
ohne Grund taufte man eines der von Volkswagen-Brasilien produzierten Kleinwagenmodelle denn auch „Brasília“. Die monumentalen Straßenzüge gliedern aber markant die Gesamtanlage, wie dies insbesondere in dem repräsentativen Ostteil der Monumentalachse deutlich wird: Die Achse bleibt zwischen den Straßenzügen eine weite Freifläche ohne jede Bebauung. Das erinnert an die Washingtoner Mall |▶ 3|, auch in dem Sinne, dass es am Ostende höchst bedeutungsvolle architektonische Zielpunkte gibt, die zwischen die Straßenachsen eingefügt sind, nämlich das Parlamentsgebäude als Querriegel (□ 142), gefolgt von einem etwas aus der Symmetrieachse nach Norden verschobenen Doppelhochhaus für Abgeordnetenbüros und dem quergerichteten Platz der Drei Gewalten (Praça dos tres Poderes) dahinter. Hier stehen sich der Oberste Gerichtshof und der Amtssitz des Präsidenten (Palácio do Planalto) gegenüber. Ansonsten aber sind die öffentlichen Gebäude außerhalb des monumentalen Grünstreifens angeordnet. Im Umfeld der Hauptkreuzung, die das funktionale Zentrum der Stadt mit Geschäften und Restaurants abgibt, gilt dies für das Theatergebäude auf der Nordseite der Achse sowie, weiter in Richtung auf das Regierungszentrum gerückt, für die Kathedrale auf der Südseite. Dann folgen auf beiden Seiten insgesamt elf
Brasília, Stadtanlage und Parlamentsbau
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□ 143 Brasília, Palácio do Itamaraty (Außenministerium), Oscar Niemeyer, 1956 – 60
Ministerienbauten als quergestellte Hochhausriegel. Der immense, von der Autobahn umfahrene Freiraum zwischen den Gebäudereihen und die große Entfernung zu den abschließenden Hauptbauten ermöglicht weite unbehinderte Blicke, vorzugsweise aus dem Auto. Das Ganze erinnert damit an ein überdimensioniertes Museum, entlang dessen ‚Wänden‘ Kunstwerke aufgestellt sind. Dieser Eindruck wird vor allem dadurch verstärkt, dass sämtliche von Niemeyer hier entworfenen Bauten einen unverkennbar skulpturalen Charakter haben: Das Theater- und Operngebäude, zum Teil unterirdisch angelegt, erscheint als ungewöhnlicher Pyramidenstumpf auf trapezförmiger Grundfläche. Darunter verbergen sich die gegeneinander auf ein gemeinsames Bühnenhaus ausgerichteten Zuschauersäle von Oper und Theater. Auch die Kathedrale ragt nur mit ihrer originellen Kuppel aus dem Erdbodenniveau hinaus: Es handelt sich um eine Art runder Rippenkonstruktion, bei der die einzelnen Rippen wie Bumerangs geformt sind und sich oben nach außen biegen. Somit entsteht eine Art Strahlenkrone. Im Ostbereich des Regierungsviertels, also dort, wo die wichtigsten Bauten stehen, verstärkt sich die Originalität der architektonischen Form noch weiter. Das Außenministerium als östlichster Bau der südlichen Ministerienreihe erhebt sich inmitten eines Wasserbassins, in dem sich die Außenseite des Gebäudes spiegelt (□ 143). Sie besteht aus einer hohen Arkade auf abge-
III. Schlüsselwerke
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fassten Pfeilern. Aus dem wiederum halb in den Erdboden versenkten Parlamentsgebäude in Form eines Querriegels stößt eine Flachkuppel hervor, daneben erhebt sich ein schüsselartiges Gebilde; beides bezeichnet die beiden Parlamentssäle darunter (□ vgl. 142). Eine markante Rampe führt auf das Dach, hier gibt es Gelegenheit zum Spaziergang über den Redesälen. Der Platz der Drei Gewalten als bandartige Querfläche ist mittig über ein Bassin mit dem Parlamentsgebäude und das Abgeordnetenhaus verbunden, so dass sich eine T-Form ergibt, deren Endpunkte die drei Hauptgewalten versinnbildlichen: die Legislative im Parlamentsriegel, die Exekutive im Präsidentensitz und die Judikative im Obersten Gerichtshof. Diese beiden Gebäude sind jeweils durch eine Art Säulenstellung eingefasst, die das Dach der rechteckigen Bauten trägt. Allerdings schwingt im unteren Bereich der rückwärtige Teil der Stützen in einer Art Ausleger nach hinten, um dort den etwas erhöhten Boden des Erdgeschosses zu tragen. Diese Formen erinnern an geblähte Segel, und Niemeyer hat sie auch, zu drachenähnlichen Vierecken mit einschwingenden Seiten verdoppelt, als Umhüllung des Palácio da Alvorada am Seeufer angewandt. Am Justizministerium auf der Nordreihe stoßen zwischen den Außenarkaden breite, flache Rinnen hervor, von denen sich Wasserkaskaden in das umgebende Bassin ergießen – eine klare Evokation einer wilden Dschungellandschaft.
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Dieses Museum aus abstrakten Bauskulpturen wird ergänzt durch weitere Gebilde, die zwischen Großplastik und Architektur oszillieren. Auf dem Platz der Drei Gewalten erheben sich in der Mitte nämlich u. a. ein Museum der Geschichte Brasiliens, faktisch in Inschriften gemeißelte Aussprüche von Kubitschek präsentierend, als ein exzentrisch aufgesockelter waagrechter Betonriegel sowie ein Taubenschlag, dessen Form an eine riesige Wäscheklammer erinnert. Daneben gibt es einige großformatige öffentliche Großskulpturen wie etwa Bruno Giorgis „Krieger“ auf dem Platz der Drei Gewalten oder eine Bronzeskulptur „Badende“ von Alfredo Ceschiatti vor dem Alvorada-Palast. Allerdings sind diesen skulpturalen Bauten kaum klare politische Inhalte zu entnehmen, ganz davon abgesehen, dass auch die Anordnung der Gebäude auf dem Platz der Drei Gewalten insofern unrichtig ist, als für den Präsidenten eine seiner tatsächlichen Macht nicht entsprechende Unterordnung suggeriert wird.
Es geht insgesamt nicht darum, eine belehrende Staatsarchitektur zu errichten, sondern ein beeindruckendes museales Arrangement zu schaffen, in dem die politischen Instanzen als Kunstwerke aufgewertet sind. Innerhalb dieses freigeräumten Areals kommt den Architekturen Niemeyers die Aufgabe zu, ihre sinnlichen skulpturalen Reize als sublime Evokationen Brasiliens – oder vielleicht von Brasilienklischees – zu vermitteln – etwa die Fruchtbarkeit des Urwalds in den Wasserkaskaden des Justizministeriums oder der gewächshausartigen Struktur des Opernhauses. Die sinnlich-bildliche Wirksamkeit der musealen Hauptstadt wurde tatsächlich zum Image einer eigenständigen Moderne, aus der sogar logoähnliche Bilder abgeleitet werden konnten. Das gilt sowohl für den Gesamtplan, der etwa auf Münzen und Banknoten erschien, als auch für Niemeyers segelartige Stützen, die selbst als Formen für Krawatten und Bikinioberteile Verwendung fanden.
Rundfunk- und Pressezentrum in Kofu Prozesshafte Großform
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eit dem Zweiten Weltkrieg wuchsen die Städte in Asien – zunächst in Japan, bald in Hongkong, Singapur, Shanghai usw. – sowie in Lateinamerika explosionsartig; mittlerweile ist die Anzahl der Städte mit mehreren Millionen Einwohnern, der Mega-Cities, unübersehbar geworden. Spätestens seit dieser Zeit konnte sich die Aufgabe der Architektur nicht mehr darauf beschränken, Einzelwerke oder Bauensembles zu planen. Vielmehr war mit drängenden städtebaulichen Faktoren zu rechnen: Neben das rasante Bevölkerungswachstum in den Städten trat eine zunehmende individuelle Mobilität – also der Automobil- und Schie-
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nenverkehr: Straßensysteme und Parkmöglichkeiten, Schienen und Bahnhöfe müssen funktionell mit den immobilen Einheiten der Stadt verknüpft werden, allein deswegen, weil eine sehr große Zahl von Pendlern zu bewältigen ist. Eine immense Infrastruktur muss zur Ver- und Entsorgung der Riesenagglomerationen ineinandergreifen, und diese trifft in den Mega-Cities zumeist auf chaotisch organisierte oder schwache Verwaltungen. Außerdem gibt es eingreifende ökonomische Faktoren: Da der Baugrund rar ist, schnellen die Preise in astronomische Höhen; Bauen muss also hochverdichtet erfolgen und Rendite abwerfen: Hoch-
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hausstrukturen mit zeitgemäßer Infrastruktur sollen darauf antworten. Zudem verändern sich all diese Faktoren in einer kaum zu kontrollierenden Geschwindigkeit: Wohnviertel werden zu Geschäftsvierteln, in Brachen entstehen und verschwinden Slums, kulturelle Zentren verschieben sich. Das jahrtausendealte Konzept der europäischen Stadt ist solchen Veränderungen nicht mehr gewachsen: Ein radial organisiertes Gemeinwesen mit einem historisch allmählich gewachsenen Zentrum, sukzessiven Erweiterungen und verkehrstechnischen Verbesserungen kollabiert angesichts solcher Probleme – auch deshalb, weil die europäische Stadt immer ein Ort der Erinnerung mit einer über lange Zeiträume entstandenen, tendenziell erhaltenswerten Bausubstanz ist. All das erweist sich als viel zu wenig flexibel, als dass es den neuen, drängenden Bedürfnissen gerecht werden könnte. Es waren insofern vor allem japanische Architekten, die diese städtebaulichen und architektonischen Herausforderungen seit den 1950er Jahren angingen. Kenzo Tange ist einer der prominentesten von ihnen, auch weil er bis ins hohe Alter weltweit, insbesondere allerdings in Japan (Tokio: City Hall, Olympiastadion, Kathedrale), Singapur, den arabischen Län-
dern sowie in Europa (Bologna, Neapel, Paris, Skopje) Riesenkomplexe entworfen bzw. realisiert hat. Außerdem war Tange seit den 1950er Jahren mit der europäischen Debatte im Rahmen der späten CIAM-Treffen verbunden, auf denen sich die Internationale Moderne selbst hinterfragte, und wirkte als entscheidender Mentor der sog. Metabolisten. 1961 erhielt Tange den Auftrag, für die relativ kleine Stadt Kofu das Yamanashi-Presseund Rundfunkzentrum zu errichten. Drei Medienunternehmen waren hier unterzubringen: die Lokalzeitung Yamanashi News, der örtliche Radiosender und eine Druckerei. Tange organisierte zunächst die funktionalen Grundbestandteile der Einheiten und stapelte sie sodann auf Flächen übereinander: die Druckerei mit ihrem Lieferverkehr im Erdgeschoss, die Radiostudios in abgeschlossenen Boxen in den oberen Ebenen, die Büros aller drei Firmen in einer mittleren Ebene, die durch Fenster und Balkone geöffnet ist. In einem zweiten Schritt wurden alle Versorgungsbereiche wie Fahrstühle, Treppen, Toiletten, Stauräume usw. zusammengefasst, auf 16 je 5 m im Durchmesser aufweisende Betonröhren verteilt und diese auf ein 4 × 4-Raster angeordnet (□ 144). Hierin sind die in sich frei disponiblen Funktionseinheiten auf insgesamt
□ 144 Kofu, Yamanashi-Presse- und Rundfunkzentrum, Kenzo Tange, 1961
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□ 145 Kofu, Yamanashi-Presse- und Rundfunkzentrum, Kenzo Tange, 1961
zehn Etagen eingehängt – es handelt sich also um unabhängige Container, die in ein festes Versorgungs- und Kommunikationsraster eingefügt sind, ein sog. core-and-bridge-System (□ 145). Die Flexibilität sieht man dem Gebäude an: In einigen Ebenen ‚fehlt‘ ein Container, hier ergibt sich eine Art Fußgängerzone; und nach oben kann man die 16 auf unterschiedlichen Ebenen endenden Schäfte gleichsam weiter fortsetzen. Auch die Wände sind aus Großblöcken in Beton erstellt, die modular und flexibel ineinandergesteckt wurden. Mobilität und Kommunikation, Flexibilität und Erweiterbarkeit des Pressezentrums sind in Tanges Auffassung modellhaft für das Übereingehen von Urbanismus und Einzelarchitektur. Die Vertikalen sind permanente Strukturen, die wie nach oben führenden Straßen Zutritt zu variabel veränderbaren Funktionseinheiten – darunter auch Fußgängerzonen und Plätze – erlauben. Für Tange sollte dieses core-and-bridge-System zum Keim einer umfassenden analogen Erneuerung der Stadt Kofu werden – was allerdings, trotz einiger Umbauten in dem Gebäude selbst, nie umgesetzt wurde. Wesentlich ist die Unterscheidung von dauerhaft konzipierten Mega-Strukturen einerseits und flexibel verfügba-
ren, modular kombinierbaren Untereinheiten andererseits, welche verändert, weggenommen oder erweitert werden können, um somit den rasch sich verändernden Bedingungen einer Riesenagglomeration gerecht werden zu können. Die Megastruktur schafft somit ein ‚dreidimensionales Raum-Netzwerk‘ (Tange), in dem sich Städtebau und Architektur vereinen. Tange geht also weiter als der von ihm bewunderte Le Corbusier, dessen Unité d’habitation |▶ 37| in ihrem Rasterprinzip einen wichtigeN Vorläufer der Mega-Struktur bildet, aber sich entschieden als eine autonome und nicht erweiterbare Einheit versteht. Derartige Megastrukturen waren bereits in dem berühmten Tokyo Bay Plan konzipiert worden, den Tange in Zusammenarbeit u. a. mit Arata Isozaki und Kisho Kurokawa von 1958 bis 1961 als radikale Erweiterungsvision der japanischen Hauptstadt entwickelt hatte (□ 146). Es handelt sich um eine Bandstadt, die sich allerdings nicht über der weithin überbauten, städtebaulich chaotischen und eigentumsrechtlich komplizierten Landmasse Tokios erstrecken, sondern über 30 km die vorgelagerte Meeresbucht bis zur gegenüberliegenden Stadt Chiba überbrücken sollte. Dieser Plan einer
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□ 146 Kenzo Tange u. a., Modell der Überbauung der Bucht von Tokio, 1958 – 61, Grundriss und Schnitt
civic axe basiert wesentlich auf Aspekten des Verkehrs und der Kommunikation, denn er besteht aus einer elaborierten Autobahnstruktur, 40 m über der Stadt und 50 m über dem Wasser, getragen von einer Abfolge riesiger Brückenpfeiler in jeweils einem Kilometer Entfernung voneinander. Wie zwei ineinandergedrehte Girlanden bilden diese Autobahnen acht sog. Distrikte von ca. 3 × 3 km aus, die verschiedenen Funktionen – Verwaltung, Kommerz, Erholung – gewidmet sind. Unter- und oberhalb dieser Verkehrsebene ist jeder Distrikt durch drei kleinere Schnellbahnschleifen von je 1 km Seitenlänge untergliedert bzw. sind je drei Distrikte durch eine Umgehungsautobahn zusammengefasst. In den Querbahnen zwischen den Distrikten – da, wo sich die Girlandenbänder überschneiden –, können die Fahrbahnen über Rampen von einer Ebene zu anderen bis zur untersten Zone der Parkplätze problemlos gewechselt werden. Von hier aus gehen auch fischgrätenartig Stichstraßen zu den Wohngebieten ab, die ihrerseits als zeltförmige Megablöcke auf Plattformen über dem Wasser flexi-
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bel an die Stichbahnen angedockt bzw. auch entfernt werden können. Verschiedenste, wie in einem Holzbaukasten übereinandergelegte Riegel füllen als Megastrukturen je nach Bedarf die Distrikte aus, können in kühner Weise auch die Autobahnen überbauen. Erschlossen werden die Blöcke – ähnlich wie beim Yamanashi-Center – durch hohle, flexibel nutzbare Riesenröhren. Entscheidend ist also eine höchst effektive Mobilität zwischen den einzelnen Stadtteilen, deren Funktionen – im Unterschied zu älteren Stadtbaukonzepten – variabel und flexibel veränderbar sind. Der futuristische Plan muss vor dem Hintergrund intensiver Planungstätigkeiten für den Umbau der japanischen Metropole gesehen werden: Inmitten eines beispiellosen wirtschaftlichen Aufstiegs bereitete man sich seit 1958 auf die Olympischen Spiele im Jahre 1964 vor. Das bedeutete, vor allem den chaotischen, kleinteiligen Wildwuchs der Stadt beherrschbar zu machen. Tanges Idee, die Bucht zu überbauen, war in diesem Kontext nicht ganz neu, hatte aber vor allem den Effekt, neuen Baugrund zu schaffen und ihn öffentlich in Megastrukturen zu gliedern und insofern einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die Bedürfnisse einer egalitären und demokratischen Gesellschaft verwirklichen sollten. Auch hier gibt es wichtige Vorbilder im Werk von Le Corbusier: Dieser hatte in seiner Ville radieuse das schon ältere Konzept der Bandstadt mit einer zonierten Stadtanlage verbunden |▶ 27, 37|. In seinem Plan Obus hatte Le Corbusier eine Stadterweiterung für Algier vorgestellt, bei der Riesenwohnblöcke aus flexibel eingefügten Einheiten mit einer darüber angelegten Autobahn verbunden werden sollten. Bei Tange allerdings dominiert nun der Aspekt von Verkehr und Kommunikation derart konsequent, dass er die permanente Megastruktur einer ansonsten variablen und veränderbaren neuen Stadt abgeben soll. Die Assoziationen zur Wirbelsäule eines Nervensystems sind durchaus gewollt; und die beständige Er-
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neuerbarkeit berief sich durchaus auch auf die japanische Naturreligion. Denn Tanges Auffassung der ‚Stadt als Prozess‘ versteht sich als Fortführung religiöser Prinzipien des Shintoismus: Wie sich die Natur beständig erneuert, so werden auch die Kultbauten der Schreine – Tange selbst hat sich dem Ise-Schrein intensiv gewidmet – alle 20 Jahre neu errichtet, und zwar mit hölzernen, modularen Bauelementen. Die historische Bedeutsamkeit des Tokyo Bay Plan liegt vor allem darin, dass Tange ihn 1959 auf dem letzten Treffen des CIAM als Alternative zu der damals massiv in Frage gestellten Charta von Athen bzw. den Fehlentwicklungen eines primär technokratischen Funktionalismus präsentierte. In bezeichnender Weise trat Tange dabei in Opposition zu Ernesto N. Rogers Vision einer regionalistischen, wieder auf die Geschichte abhebenden Reform des modernen Städtebaus |▶ 39|. Vor allem aber fungierte Tange als Mentor für die sich ebenfalls 1960 mit ihrem Manifest „Metabolism 1960 – A Proposal for a New Urbanism“ in die Öffentlichkeit tretende Metabolistengruppe (vgl. S. 93). Kiyonori Kikutake präsentierte riesige Turmhäuser (Marine City und Tower Shape City), Kisho Kurokawa sah eine Stadt in Form einer riesigen, beständig weiter wachsenden Stadt-Mauer
vor, Arata Isozaki träumte von baumartigen Riesenstrukturen, an deren Ästen die Funktionseinheiten der Stadt angehängt und entfernt werden sollten. Obwohl bis auf Kurokawas Nakagin Capsule Tower in Tokio mit zahlreichen Kapselappartements um einen zentralen Mast kaum eine der metabolistischen Ideen umgesetzt werden konnte, hatte die Bewegung großen Einfluss auf eine flexibel modulare und erneuerbare Architektur, wie sie weltweit zum Beispiel von Yona Friedman oder Moshe Safdie vertreten wurde (vgl. S. 71). Auch das Pariser Centre Georges Pompidou |▶ 47) ist ohne die Metabolisten bzw. Kenzo Tange nicht denkbar. Der größte öffentliche Erfolg der Metabolisten war die Weltausstellung in Osaka 1970. Tange entwarf für die Hauptfreifläche ein riesiges Dach aus stählernen Dreieckselementen, Kisho Kurokawa und Kiyonori Kikutake kühne Stahlgerüste, in die variabel Kapseln als Ausstellungspavillons eingehängt waren. Allerdings war die Ausstellung auch eine Art Schwanengesang der metabolistischen Bewegung, denn was als emanzipatorisches Projekt einer Architektur als sozialer Reform begonnen hatte, war nunmehr zu einer gigantischen Maschine zur Konsumgüterproduktion und –präsentation geworden.
Haus der Nationalversammlung in Dhaka Monumentalität und Moderne
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u den ambitiösesten architektonischen Unternehmungen des 19. und 20. Jh.s gehörte es, in jungen Staaten bzw. neuen Hauptstädten große Regierungszentren zu entwerfen und zu gestalten. Das gilt zumal für eine Reihe neuer Staaten, die seit dem späten 18. Jh. im Zuge der Dekolonialisierung entstanden. Damit war
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aber ein grundsätzliches Problem aufgeworfen, denn da, wo es keine fortführbaren eigenen oder nur fremde Traditionen – etwa der ehemaligen Kolonialherren – gab, stellte sich die Frage nach den Konnotationen der jeweils angewandten Lösungen, die notwendigerweise zunächst ‚anders‘, dem ‚Eigenen‘ nicht entspre-
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□ 147 Dhaka, Parlamentsgebäude, Louis I. Kahn, 1964 – 83, Grundriss
chend waren. Dabei musste die bauliche Form ja eine eindringliche Symbolik aufweisen, sie hatte nicht etwa ‚neutral‘ zu bleiben. Und gleichzeitig bestand der Anspruch, alle neuen Erkenntnisse in puncto Infrastruktur und technischen Errungenschaften anzuwenden. Deswegen gehörten bereits die neu entworfenen Regierungssitze des 19. und frühen 20. Jh.s zu manifestartigen Architekturen. Das gilt z.B. für Washington |▶ 3|, Buenos Aires, Neu-Delhi oder Canberra. Doch gab es für diese Fälle die vitruvianische Syntax der klassischen Architektur, die insbesondere über die international vorbildhafte Pariser École des Beaux-Arts als universal akzeptiert wurde und vielfältig kombinierbar war. Diffiziler wurde die Situation, nachdem die Gültigkeit des vitruvianischen Vokabulars durch die Moderne grundsätzlich in Frage gestellt worden war und diese selbst im Zuge der großen Konflikte des 20. Jh.s in vielfältiger Weise politisch belastet erschien. Diese
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Problematik betraf vor allem die Herausbildung von eigenständigen Staaten auf dem indischen Subkontinent. Hier gibt es mehrere anspruchsvolle Projekte für moderne Regierungszentren, die allesamt intendieren, einer angeblich stagnierenden Gesellschaft nach westlichen Mustern Kapitalen angedeihen zu lassen, in denen Modernisierung und Zukunftserwartung architektonisch zum Ausdruck kommen: Das bekannteste ist Chandigarh, nach der Abspaltung Pakistans von Indien als neue Provinzhauptstadt des Punjab seit 1951 von Le Corbusier und Pierre Jeanneret geplant und realisiert. Weniger bekannt ist das 1965 entworfene, nicht verwirklichte Projekt von Louis I. Kahn für die damals west-, seit 1971 gesamtpakistanische Hauptstadt Islamabad. Als Pendant dazu plante und verwirklichte derselbe Architekt in Ostpakistan ebenfalls ein monumentales Regierungszentrum, für die Hauptstadt Dhaka. Mit der Eigenständigkeit von Bangladesch 1971 wurde diese zur Kapitale. Kahns Parlamentsgebäude Jatiya Sangsad Bhaban gehört in seiner komplex geordneten Monumentalität zu den beeindruckendsten Architekturen der Nachkriegsmoderne. Der Auftrag ging 1962 an Kahn, nachdem die zunächst angefragten Architekten Alvar Aalto und Le Corbusier dem Projekt eine Absage erteilt hatten. 1964 begannen die Bauarbeiten, die – verzögert durch Bürgerkrieg und Hungersnot – erst 1983 abgeschlossen werden konnten, lange nach dem Tod des Architekten im Jahr 1974. In einem sichelförmigen künstlichen See entstand ein monumentales Ensemble (□ 147). Zwei symmetrische Flügel mit diagonal verketteten Gruppen von Baublöcken enthalten Wohnungen für Angestellte und Minister sowie Dienstleistungseinrichtungen. An zentraler Stelle dazwischen erhebt sich das einer Zitadelle ähnliche Parlamentsgebäude, umgeben von vier Blöcken für Sekretariate und Ministerienbüros sowie vier großzügige Gebäude für Restaurants und Erholung sowie
□ 148 Dhaka, Parlamentsgebäude, Louis I. Kahn, 1964 – 83, Haupteingang
einer nach Süden abgehenden Moschee inklusive eines vorgelagerten Raums für religiöse Waschungen. Nördlich davon erstreckt sich ein Plateau als monumentaler Vorplatz, über den man den nördlichen Haupteingang erreicht. Charakteristisch ist Kahns Komponieren in klaren geometrischen Formen – vor allem Kubus und Zylinder –, die jeweils eine Gebäudeeinheit bestimmen und über strenge Achsen miteinander verbunden bzw. aufeinander bezogen sind. So steht das Parlamentsgebäude auf einem polygonalen, fast rund erscheinenden Grundriss. In der Nord-Süd-Achse erhebt sich als Würfel der Eingangstrakt bzw. die Moschee, deren Plan ebenfalls ein Würfel ist, dessen Ecken allerdings durch monumentale Zylinder umgriffen sind. Die Annexgebäude in Ost-West-Richtung setzten sich aus gegenständigen bzw. paarweise nebeneinandergestellten Halbzylindern zusammen. Die jeweils gleichartigen Gebäude in den Diagonalachsen sind rechteckig gelagerte Kuben. Alles ist aus Sichtbeton gegossen, der allerdings regelmäßig durch horizontale schmale Marmorstreifen wie gebändert erscheint. Was hier mit Wucht inmitten des künstlichen Sees gesetzt ist, er-
weist sich als eine Komposition aus verschiedenartigsten, sich geordnet überschneidenden Räumen und Tiefenschichten (□ 148). Riesenhafte runde und dreieckige Öffnungen geben Einblicke in das Innere, lassen hier theatralisch Treppenläufe oder Innenhöfe erscheinen. Daraus entstehen genau kalkulierte Lichtregulierungen und Abschattungen. Vor allem in den Umgangszonen um den Hauptsaal werden daraus eine Fülle von Durchblicken, Lichtstreifen, Repoussoir-Effekten usw. bewirkt, die an die berühmten Gefängnis-Radierungen von Piranesi denken lassen (□ 149). Alle konstruktiven Großformen sind also als Raumgebilde erkenn- und erfahrbar. Das wird etwa an den Eckzylindern der Moschee deutlich, die nicht feste, kompakte Einheiten sind, sondern hohl belassen wurden und von den sich hier einschneidenden, aus Glas gebildeten Mauern des Grundquadrats unterteilt werden. Das stützende runde Eckmassiv ist also nicht eine feste bzw. räumlich passive technische Konstruktion, sondern ein aktives, vier Mal wiederholtes und auf den Zentralraum der Moschee bezogenes Raumkompartiment, ein, in den Worten Kahns, „dienender Raum“, der auf den
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„bedienten Raum“ zugeordnet ist. Auch am Eingangsbereich wird das deutlich, denn hier durchzieht ein breiter, gerade geführter Spalt die Mauer von unten nach oben und vermittelt somit Außen- und Innenraum. – Die seitlichen Annexbauten, jeweils aus gleichförmigen Kuben gestaltet, variieren diese Prinzipien, unterscheiden sich aber insofern von dem zentralen wuchtigen Kastell aus Sichtbeton, als sie mit Backstein verkleidet sind. All das setzt einen klaren Kontrapunkt in der Geschichte der sich aus der Architekturavantgarde der 20er Jahre ableitenden Nachkriegsmoderne. Kahn versteht Raum nicht als ‚fließenden‘, zwischen Innen und Außen oszillierenden Raum |▶ 24, 28, 36|, sondern als aktives Mittel der architektonischen Komposition, die entschieden hierarchisiert und geordnet erscheint. Die geradezu klischeehaft propagierte Leichtigkeit und Transparenz der Moderne wird ersetzt durch Monumentalität und Präsenz. Ordnung, ein Zentralbegriff Kahns, teilt sich in der strengen Axialität und Symmetrie mit, die im Großen und im Kleinen herrschen. Hier geht es nicht um eine pittoreske Baugruppe, denn alle Annexbauten erreichen dieselbe Traufhöhe, über die nur die Mauern des Parlamentssaals mit einem □ 149 Dhaka, Parlamentsgebäude, Louis I. Kahn, 1964 – 83, Innenansicht
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schirmähnlichen Gewölbe im Inneren hinausragen. Dieses rigorose Schaffen von Ordnung muss sich vereinen mit den Aspekten von technischer Konstruktion und der Performanz der Architektur – das ist die eigentliche, schwierige Arbeit des Architekten (Leslie 2005, 243 – 263). Kahns monumentale Gebäude erfordern einen erheblichen konstruktiven Aufwand, und sie wollen in höchstem Maße expressiv und emotional wirken – ohne aber den Aspekt der ‚Ordnung‘ zu beeinträchtigen. Insofern wird hier mehrfach die Tradition des monumentalen Bauens wirksam, allerdings in radikal abstrahierter Form. Axialität und Symmetrie sind die Grundprinzipien der bis in das 20. Jh. dominierenden École des Beaux-Arts. Bei einem ihrer Vertreter, Paul Philippe Cret, hatte Kahn auch an der University of Pennsylvania, Philadelphia, studiert, und somit wird auch verständlich, dass sich Kahn der großen Tradition der Weltarchitektur nicht verweigerte, sondern sie im Gegenteil intensiv durch Reisen und Skizzen studierte. Auch ein zweites der akademischen Grundprinzipen, nämlich das Verständnis der Architektur als einer Komposition des pleins et des vides, also von (hervortretenden) Mauern und (zurückspringenden) Öffnungen kann man als Grundlage von Kahns Umgehen mit Konstruktion und Raum verstehen. Insofern stellen sich zahlreiche Erinnerungen an die große Weltarchitektur ein: Wenn der Innenraum des Parlamentssaals einer Kugel ähnelt, so kann man das mit dem römischen Pantheon vergleichen. Die zentrale Anlage mit acht Annexräumen, die axial in zwei rotierenden Kreuzen angeordnet sind, hat ihre Vorläufer im Idealentwurf Leonardos für eine Kirche oder auch im Grundriss des Petersdoms (vgl. von Engelberg 2013, S. 184 –190). Die Verweise auf ein mittelalterliches Kastell sind ebenfalls überdeutlich, und die kubischen Grundformen und die Backsteinverkleidung gibt es auch bei dem damals in den USA wie eine Vaterfigur verehrten Frank L. Wright
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□ 150 Chandigarh, Parlamentsgebäude, Le Corbusier, 1952 – 62
|▶ 24|. Für Kahn selbst waren es Parallelen mit römischen Thermenanlagen, und in der Tat erinnern die in den Ziegelmauern erscheinenden Backsteinbögen klar an römisches Mauerwerk. Man könnte diese Liste lange fortsetzen, vor allem auch das Taj Mahal im indischen Agra (17. Jh.) oder das Humayun-Mausoleum in Delhi (Mitte 16. Jh.s) sind mit Kahns Monumentalbau in Verbindung zu bringen. Doch solche Vergleiche sind nicht als historistische Rückgriffe im Sinne gelehrter ‚Zitate‘ zu verstehen, sondern als sich gleichsam automatisch einstellende Verbindungen einer Architektur, die Ordnung und Monumentalität in eine performative und gleichsam überzeitliche und vor allem überregionale Qualität umsetzt. Die wuchtige und feste, offensichtlich an ihren Ort gebundene Architektur des Parlamentszentrums von Dhaka war insofern als bedeutungsvolles und Identifikation stiftendes Zentrum des Staates Bangladesch zu verstehen. Hier summiert sich tausendjährige Tradition des Bauens, nicht spezifisch der USA oder etwa gar Europas. In der Zielstellung ähnlich wurde die neue Hauptstadt des Punjab, Chandigarh, vom indischen Staatschef Jawaharlal Nehru als Teil eines programmatischen Umbaus des Landes nach westlichen Mustern von Demokratie und Fortschritt in Auftrag gegeben. Ein erster Plan für die neue Stadt an der Stelle mehrerer kleiner Dörfer wurde 1950 von den US-ame-
rikanischen Architekten Albert Mayer und Matthew Nowicki im Sinne einer Gartenstadt erarbeitet. Nach dem Tod von Nowicki ging der Auftrag 1951 an Le Corbusier, der zusammen mit seinem Cousin Pierre Jeanneret, Maxwell Fry, Jane Drew sowie einer Equipe von neun indischen Architekten dem Gesamtplan die Form eines regelmäßigen, sehr großmaschigen Rechteckgitters verlieh. Damit nahm der Architekt sowohl Bezug auf seine eigenen Stadtplanungen |▶ 27| als auch auf das regelmäßige, von einer zentralen Achse durchzogene Straßensystem der neuen indischen Hauptstadt Neu-Delhi, das bis 1931 von Edwin Lutyens und Herbert Baker im Sinne der City Beautiful-Bewegung verwirklicht worden war. Statt der eigentlich von Le Corbusier vorgesehenen Wohnhochhäuser |▶ 37| wurde eine niedrige Wohnbebauung verwirklicht. Das eigentliche Eingreifen des Stararchitekten konzentrierte sich auf das Regierungszentrum, insbesondere den Obersten Gerichtshof, das Parlamentsgebäude und das Sekretariat. Der Gerichtshof erscheint als ein riesiger tiefer Rahmen, in den eine von Säulen skandierte hohe Öffnung und die Gerichtssäle gleichsam eingeschoben sind. Letztere öffnen sich durch ein unregelmäßiges Raster von rechteckigen Öffnungen, die von tief schattenden Sonnenbrechern eingerahmt sind. Das Parlamentsgebäude, ein horizontal organisierter Bau auf quadratischem Grund-
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riss, erhält eine markante, die gesamte Front durchlaufende Vorhalle, deren riesiges Flugdach sich – einer monumentalen Rinne ähnlich – markant konkav nach oben biegt (□ 150). Der eigentliche Parlamentssaal gewinnt sein Licht über einen weit nach oben vorstoßenden Konus, der nach dem Vorbild eines Kühlturms gestaltet ist: Über seine schräg eingeschnittene Öffnung strömt das Licht in den sich nach unten öffnenden Trichter. Die beiden Bauten stehen weit von der eigentlichen Stadt abgesetzt und führen einen Dialog mit den sich dahinter abzeichnenden Bergketten des Himalayas. Hier geht es darum, diese Region zu markieren; und das hat Le Corbusier auch dadurch verstärkt, dass die architektonischen Hauptthemen sich nicht etwa auf die politischen Funktionen der Gebäude, sondern auf das extreme Klima beziehen. Der Gerichtshof ist ein monumentaler
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Sonnenschutz, das Parlamentsgebäude sammelt Regenwasser und Licht. Das Ensemble wird bereichert durch eine Reihe von in die Betonflächen des Bauwerks eingelassenen hieroglyphenartigen Tiefreliefs, die sich auf allgemeine Themen wie den Kosmos, den Menschen, die menschliche Schöpfung, Pflanzen und die Schrift beziehen, insgesamt aber eher esoterisch bleiben. Dies gipfelt in der monumentalen Skulptur einer sich nach oben öffnenden Hand, die für den Architekten symbolisch die Reichtümer der Schöpfung aufnimmt und eine zweite Ära des Maschinenzeitalters, diejenige der Harmonie, ankündigen solle. Das wirkt emphatisch unverbindlich, machte den Architekten aber zu einem philosophierenden Künstler mit starker Autorität. Und dies entsprach wohl durchaus auch der generellen Zielsetzung Nehrus.
Die Wallfahrtskirche in Neviges Formsuche im Sakralbau
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er Kirchenbau zählte in der Nachkriegszeit zu den Gattungen, in denen eine erstaunliche Vielfalt von Formmöglichkeiten erprobt und durchexerziert wurde. Das lag daran, dass die Frage nach der ‚Sakralität‘ der Gestalt der Kirche zum einen nicht mehr an die Frömmigkeit und insofern die göttliche Inspiration des entwerfenden Architekten gebunden war. Vielmehr waren die essentiell künstlerischen Fähigkeiten ausschlaggebend für die Wahl des Architekten. Zum anderen verlor sich endgültig die Verpflichtung auf historische Stile und bestimmte liturgische Topographien, wie das vor dem Zweiten Weltkrieg teilweise administrativ verordnet worden war. Somit hatten die Architekten und Ausstattungskünstler viele
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Freiheiten, eine archetypische Symbolik, mit der das Haus Gottes auf Erden aufgeladen werden kann – etwa als Zelt, Weg oder Burg –, mit beeindruckenden Raumschöpfungen zu kombinieren. Exemplarisch dafür kann die Wallfahrtskirche in Neviges stehen, Hauptwerk des Architekten Gottfried Böhm, Sohn des berühmten Kirchenbaumeisters Dominikus Böhm |▶ 21| und Vater des ebenfalls vor allem als Sakralbauarchitekt bekannten Paul Böhm. Der zwischen Wuppertal und Essen im Bergischen Land gelegene Ort Neviges war schon seit dem späten 17. Jh. eine gegenreformatorisch inspirierte franziskanische Wallfahrtsstätte zu Ehren der Unbefleckten Maria. Inmitten einer hauptsäch-
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lich protestantischen Bevölkerung sollte hier seit 1959 nach dem Willen des Kölner Erzbischofs Josef Kardinal Frings eine riesige Kirche, die zweitgrößte nach dem Dom, errichtet werden. Ein 1962 ausgelobter Wettbewerb forderte eine Kirche mit 900 Sitz- und 2- bis 3000 Stehplätzen. Auf Intervention des Erzbischofs, der in einer guten Architektur die Schöpferkraft Gottes verwirklicht sah, fiel die Entscheidung gegen den im Wettbewerb erstplatzierten Entwurf von Kurt Faber zugunsten eines Projektes von Gottfried Böhm aus. 1964 erhielt dieser den Auftrag und setzte ihn bis 1968 um. Die Gesamtanlage besteht aus einem unweit des Bahnhofs beginnenden, nach oben führenden Pilgerweg, der in das hoch aufragende, gebirgsartige Kirchengebäude mündet. Die leicht unregelmäßig sich krümmende Via sacra wird gesäumt von einer Baumreihe sowie niedrigen zweigeschossigen Schwesternwohnheimen mit erkerartigen Ausbuchtungen. Kurvig geführte Treppenstufen unterteilen den Weg: Fünfmal wiederholt sich eine Gruppe von drei Stufen. In Anlehnung an ältere zeichenhafte Aufladung von Pilgerwegen kann man hier Zahlensymboliken annehmen, die auf die drei christlichen Tugenden und das Alter Mariens von 15 Jahren bei der Verkündigung Bezug nehmen (Kiem, in: Voigt 2006, S. 74). Der Kirchenbau selbst türmt sich als künstliches Gebirgsmassiv auf, gebildet aus drei sich aufstaffelnden, spitz zulaufenden Polyedern aus Stahlbeton (□ 151). Man tritt unter einem weit vorkragenden Block in die Kirche ein, ein dunkler Übergangsraum, nach dem man sich in einem eigenartigen, wie verzauberten Innenraum befindet. Der Grundriss wird durch ein unregelmäßiges Polygon gebildet, das einen Zentralraum mit Längstendenz bildet. Hohe Wandpfeiler schießen seitlich auf. Dahinter sind Kapellen verborgen, wiederum auf unregelmäßigem Polygongrundriss; darüber staffeln sich mehrere Emporen (□ 152). Im Osten falten sich in analoger Weise hohe Nischen auf, davor steht der Altar. Die hoch
□ 151 Neviges, Wallfahrtskirche, Gottfried Böhm, 1964 – 68, Außenansicht mit Pilgerweg
nach oben strebende Decke besteht aus in sich gefügten Flächen eines unregelmäßigen Polyeders, in den man von innen hineinblickt. Auf der Nordseite vermittelt ein Betonpfeiler zwischen Fußboden und Decke, aus ihm scheint die Kanzel aus Splitterflächen herauszuwachsen. Das Ganze wirkt wie eine Felsenhöhle mit einem Stalagmiten an der Seite. Damit kontrastiert indessen die eigenartig verfremdende Innenausstattung: denn der Fußboden ist mit kleinen Pflastersteinen in Art einer Fußgängerzone belegt, und mitten im Kirchenraum stehen Straßenlaternen zur Beleuchtung des Innenraums. Ansonsten gibt es in den Außenschalen des Gebäudes Glasfenster mit farbigen Scheiben, die vor allem indirektes rotes Licht in das Innere treten lassen. Scheinbar zufällig stehen schlichte Klappstühle auf den Altar ausgerichtet, auch das könnte die Bestuhlung eines kleinen öffentlichen Platzes sein. Im Kircheninneren kann der Besucher und Pilger mithin zirkulieren, auf die Emporen und zum Gnadenbild in einer der Anbauten treten, ohne den Gottesdienst zu behindern. Verschiedene
Die Wallfahrtskirche in Neviges
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□ 152 Neviges, Wallfahrtskirche, Gottfried Böhm, 1964 – 68
Assoziationsebenen verschneiden sich also in der Kirche: Der Marktplatz als öffentlicher Versammlungsraum, für jedermann zugänglich, formuliert eine ungezwungene Willkommensgeste und die Aufforderung, eine Gemeinschaft zu bilden. Die übereinandergestaffelten Emporen werden in dieser Lesart zu Balkonen von Häusern am Rand dieses Platzes. Paradoxerweise ist diese Assoziation eines Platzes aber eingehaust in ein künstliches Gebirge, das eine Schutz bietende Höhle aufzuweisen scheint. Diese wirkt in ihrer Mächtigkeit und Rohheit erhaben und beeindruckend: ein Naturwerk, das die göttliche Schöpfung der Erde andeutet und gleichzeitig auch die irdische Verhaftung des Menschen materialisiert. Die theatralisch
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vermittelte Erdgebundenheit kontrastiert mit der hier verkündeten Heilsbotschaft, die jene überwinden soll. Der Charakter des sich auftürmenden Felsmassivs, den die Kirche von außen vermittelt, ist ebenfalls nicht ohne Bedeutung. Denn zum einen wird hier innerhalb der bewegten Landschaft des Bergischen Landes ein markanter, aber gleichsam natürlicher Akzent gesetzt; und zum anderen kann man das Betonmassiv auf Petrus, das Felsfundament der katholischen Kirche, beziehen. Gottfried Böhms Kirche ist in der Verbindung von symbolischen Bezügen und intensiver Wirkästhetik nur ein Beispiel für die vielgestaltigen Möglichkeiten im Sakralbau der zweiten Hälfte des 20. Jh.s. Die massiven Kriegszerstörungen sowie demographische und konfessionelle Verschiebungen, insbesondere auf Grund der Ansiedelung von 12 Mio. Flüchtlingen sowie des einsetzenden industriellen Aufschwungs, machten in der Bundesrepublik Deutschland den Bau von ca. 8000 neu- bzw. wieder zu errichtenden Kirchen notwendig. In der evangelischen Debatte wurde vor allem das Altarsakrament als das Zentrum der Kirchenbauten herausgestellt; architektonisch bevorzugte man zunächst aber den Längsbau. Die transzendente Qualität von Bauform und -material ließ nicht-natürliche Baumaterialien für die Prinzipalstücke als unangemessen erscheinen. Im katholischen Bereich wurde die Debatte durch die 2. Aufl. von Rudolf Schwarz’ „Vom Bau der Kirche“ (1938, ²1947) beeinflusst, wo archetypische Raumanlagen („Heiliger Aufbruch – der offene Ring“, „Heiliger Wurf – der dunkle Kelch“ usw.) als anthropologische oder kosmologische Ursymbole des Kirchenbaus präsentiert werden (vgl. S. 91). Positionen der liturgischen Reform und Toleranz gegenüber zeitgenössischer Kunst fanden zunehmend Eingang in die amtskirchliche Politik, v. a. unter Pius XII. (Enzyklika „Mediator Dei“, 1947). Die von der Fuldaer Bischofskonferenz 1949 einberufene Liturgische Kommission definierte
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den Kirchenbau aus den Erfordernissen der gemeinschaftlichen Messfeier und der Sehnsucht nach Stille und Frieden heraus, legte sich aber nicht auf formale Bestimmungen fest. Generell sind die Einstellungen zum modernen katholischen Kirchenbau nach Diözesen zu unterscheiden; innovativ wirkten u. a. Köln, Würzburg und München. Das Zweite Vatikanische Konzil erklärte schließlich 1963 Grundpositionen der liturgischen Bewegung zur verbindlichen Konstitution, namentlich den Grundsatz der Mittätigkeit der Gläubigen bei der Liturgie. Verbindliche formale Gestaltungsvorschriften für den Sakralbau wurden auch hier abgelehnt. Die konkrete Neubautätigkeit unter evangelischer und katholischer Trägerschaft setzte mit einfach zu errichtenden Notkirchen ein, doch gab es bald anspruchsvolle Kirchenbauten von bedeutender Konzeptionsvielfalt. Generelles Ziel dieser Bauten ist es, mithilfe elementarer architektonischer Gestaltungsmittel den Kirchen eine in Ernsthaftigkeit, Würde und ‚Monumentalität‘ zu erfahrene ‚Sakralität‘ zu verleihen, die sich dezidiert vom ‚Profanen‘ absetzt. Allgemein kennzeichnend war der Einsatz unverkleideter Materialien wie Bruchstein, Ziegel, Beton, die, häufig großflächig präsentiert, mit schlanken Stützelementen bzw. unfesten Materialien kontrastiert sind und dadurch einerseits in ihrer Körperlichkeit präsent, andererseits ihrer Schwere entkleidet scheinen. Der Altarraum ist zumeist klar in den Gemeinderaum integriert. Es mehren sich auch zentralisierende Grundrisse als Alternative zu der longitudinal aufgebauten ‚Wegkirche‘. Motivisch spielt die Metapher des Zeltes als Hinweis auf die Auffassung des Lebens als Wanderschaft und als einer auf den zentralen Altar umhüllend bezogenen Bauform eine besondere Rolle. Die Gliederung des Inneren in Raumzonen geschieht durch Lichtführung, Grundriss- und Fußbodenanordnung, seit den 1960er Jahren häufig auch durch dynamische Seiten- und Dachgestaltungen, diagonal aus-
gerichtete liturgische Achsen, spezielle Lichtführungen, wechselnde Fußbodenbeläge u. Ä. Richard Jörg erbaute 1951 ff. in Mainz-Zahlbach die Hl.-Kreuz-Kirche als reinen, in ein trapezförmiges Atrium integrierten, zur Mitte markant stufenförmig aufsteigenden Zentralbau, in dem der Altar durch vier Stützen in der Mitte hervorgehoben wird. In der bugartig konzipierten Kirche St. Wendel in Frankfurt/M. (Johannes Krahn, 1956) werden die schweren Bruchsteinmauern durch Glasbänder von Boden und Dach getrennt. Nach ähnlichen Prinzipien arbeitet der Würzburger Dombaumeister Hans Schädel. Die von ihm entworfene Gedenkkirche St. Maria Martyrum in Berlin-Plötzensee ist ein aus rechteckigen Betonscheiben zusammengesetzter, scheinbar labil aufgesockelter Quader, in dem die lichthinterfangene Altarwand zugleich ein abstraktes Wandgemälde von Georg Meistermann trägt. Rudolf Schwarz konzipierte über häufig längsrechteckigen, gerade oder rund schließenden, manchmal kreuzförmig oder oval geschwungenen Grundrissen. Markant ist die Kastenform von St. Anna in Düren (1956), die einen hohen, L-förmig geknickten Saal mit Betondecke umschließt, der auf der einen Seite durch eine durchgehende Lichtzone erhellt wird, auf den übrigen aber von den kompakten Bruchsteinwänden des Vorgängerbaues ummantelt wird. Eine vollständige Aufhebung der Mauerhaftigkeit erreichte Egon Eiermann durch die Verwendung farbig verglaster Betonrastersteine, die ein irisierendes Inneres erzeugen und nachts die Kirche durch farbige Lichtwirkungen städtebaulich hervorheben (Pforzheim, ev. Kirche, 1954). Dasselbe Prinzip wandte er bei der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (1961) an, deren achteckiger Grundriss sich bewusst auf alte protestantische Kirchenbautraditionen bezieht und somit zusammen mit dem hohen sechseckigen Glockenturm Kontinuität und Kontrast zur in den Baukomplex einbezogenen Ruine des Altbaus deutlich macht. Zu den Meisterstücken der mo-
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dernen Architektur zählt St. Johann von Capistran, von Sep Ruf 1960 in München errichtet. Umgrenzt von als Solitären gebildeten Gemeindebauten erhebt sich die Kirche als perfekter Backstein-Zylinder mit weit auskragendem Flachdach, das von feinsten Stahlrundstäben gestützt wird. Belichtet wird diese Neuinterpretation des römischen Pantheons durch eine mittige, runde Deckenöffnung. Gottfried Böhms Kirchen sind generell durch phantasievolle Betonformen gekennzeichnet, die sich auch zu abstrakten geometrischen Kompositionen (Kassel-Wilhelmshöhe, Marienkirche, 1978) formen können. Die bewusste Isolierung von Formelementen der klassischen Moderne führt teilweise zu Lösungen, die die Postmoderne vorwegnehmen. Dies gilt etwa für St. Nikolaus in München-Hasenbergl (Hansjakob Lill, 1962) mit einem überspitzen Campanile in Form eines Betonkegels; eine Parabolkuppel und zwei markante, spitz aufragende Betonskeletttürme kombinierte Thomas Wechs 1960 in der Don-Bosco-Kirche in Augsburg. – Die Auffassung, die künstlerische Form insbesondere des Kirchenbaus solle zur Sakralisierung beitragen, wurde seit den 60er Jahren in Frage gestellt, im Gegenteil müsse die sakramentale Kulthandlung selbst hervortreten. Im Zusammenhang mit dieser Diskussion entwickelte sich sowohl im katholischen wie v. a. im evangelischen Bereich die Tendenz, in den Alltagsbereich integrierte, auf Veränderbarkeit angelegte Mehrzweckbauten zu bevorzugen, die bisweilen nur vorübergehend zum Gottesdienst kirchlich-liturgisch genutzt wurden. Dieser Position wurde bereits seit den 1970er und vermehrt den 80er Jahren energisch widersprochen, so dass seither vielfach eine ‚Neue Monumentalität‘ mit postmodernen Einflüssen die Diskussion bestimmt. – Wichtige Impulse erhielt der moderne Kirchenbau aus Frankreich. Hier traten insbesondere Père Pie Regamey („L’art sacré du XXe siècle“, 1953, dt. „Kirche und Kunst im XX. Jahrhundert“, 1954) und Père Marie-Alain
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Couturier für die transzendente Funktion moderner Kunst ein, ohne dass die entwerfenden Künstler selbst gläubig sein müssten. Dies wirkte sich insbesondere auf betont zeitgemäße Ausstattungsprogramme aus, die Fernand Léger mit Jean Lurçat, Georges Rouault u. a. in Assy bei Chamonix (ab 1938, Maurice Novarina) übertragen wurden. Einen weithin architektonisch einflussreichen, aber kirchlicherseits auf Grund der Betonung einer höchst eigenwilligen formalen Durchgestaltung umstrittenen Bau errichtete Le Corbusier mit der Wallfahrtskapelle von Ronchamp (1951 – 55, □ vgl. 32). Die baulich irrationale, ähnlich einer abstrakten Skulptur in schwellenden, sich biegenden und neigenden Wänden und aus einem sich gestisch nach oben wölbenden Doppelschalendach konzipierte Kirche inszeniert im dezidiert asymmetrisch angelegten Inneren zahlreiche raffinierte Lichteffekte. Die Kirche des vom selben Architekten entworfenen Klosters La Tourette (1952 – 58) hingegen ist als schlichter kastenförmiger Innenraum konzipiert, der durch die Wirkung von gebündeltem farbigem Licht auf der rauen Betonoberfläche strukturiert wird. Als Vergleich zu Neviges ist vor allem Ste-Bernadette in Nevers von 1963 zu nennen, wo die Architekten Paul Virilio und Claude Parent versuchten, in einer bunkerartigen Struktur atavistische Erlebnisse (Zuflucht) als Gegenmodelle zu einer rein funktionalistischen Wohnarchitektur zu entwerfen |▶ 29|. In eine ähnlich brutalistische Tendenz ist auch Walter Förderer mit seinen landschaftsformationsartigen Betonarchitekturen einzuordnen, in denen die Kirchen pathosgeladene, stark reliefierte ‚begehbare Großplastiken‘ darstellen (Hérémance, St-Nicolas; Lichtensteig, St. Gallus, 1968), eine Tendenz, die weithin den Schweizer Kirchenbau der 1970er Jahre bestimmt. Das österreichische Pendant dazu bildet die Kirche in Wien-Mauer von Fritz Wotruba (1974), scheinbar urtümlich aus riesenhaften Betonblöcken gefügt.
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Das Olympiazentrum in München Ökologie und sanftes Bauen
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936 hatten die Olympischen Spiele in Berlin und Garmisch-Partenkirchen stattgefunden. Diese Austragungsorte waren zwar bereits vor dem Machtantritt Hitlers festgelegt worden, doch dieser machte aus ihnen eine Inszenierung des nationalsozialistischen Deutschlands vor internationalem Publikum. Architektonisch äußerte sich das in einem monumentalen Klassizismus, den insbesondere das Berliner ‚Reichssportfeld‘, nach längerer Vorplanung 1934 – 36 durch Werner March als erstes nationalsozialistisches ‚Gesamtkunstwerk‘ erbaut, prägte. Als 1966 die Bewerbung Münchens für die XX. Olympischen Sommerspiele 1972 erfolgreich war, war dies Ausdruck für eine völlig neue, programmatische Präsentation der bayerischen Landeshauptstadt und der Bundesrepublik. Entgegen den Vorstellungen des IOC, das es auf eine repräsentative Inszenierung der Spiele abgesehen hatte, wurden nunmehr die ‚Olympiade im Grünen – der kurzen Wege – der Musen und des Sports‘ bzw. die ‚heiteren Spiele‘ ausgerufen, und dies schlug sich in zahlreichen Aspekten nieder: Für die Bundesrepublik ging es darum, Gastfreundschaft und gelassene Herzlichkeit zu präsentieren, für München darum, den Makel als nationalsozialistische ‚Hauptstadt der Bewegung‘ abzuwaschen und auch sein Image von einer konservativ-behäbigen Landeshauptstadt zugunsten einer innovativen, infrastrukturell funktionierenden Großstadt zu verändern. Dies geschah auf allen Ebenen: Der Designer Otl Aicher verschaffte den Spielen über ein umfassendes Graphikdesign ein innovatives visuelles Erscheinungsbild (eigene, an Regenbogenfarben orientierte Farbwerte, Solarisierungseffekte, Groteskschriften), bei dem vor allem zum ersten Mal Pikto-
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gramme aus jeweils gleichen Grundelementen entwickelt wurden. In allen Logistikbereichen kamen zum ersten Mal Computer in großem Maßstab zum Einsatz. Und schließlich setzte man bemerkenswert früh das Lebensgefühl und Naturbewusstsein einer sich erst formierenden ökologischen Bewegung um. Eine neue Bewertung des Spiels als Lebensprinzip schlug sich darin nieder, verschiedenste Nutzerschichten bei der Planung mit zu bedenken, diese nicht allein auf Sportbegeisterte zu reduzieren. Vor allem aber entstand architektonisch ein Gesamtensemble, das nur aus einem schwingenden Dach zu bestehen schien, damit erkennbar ‚leicht‘, transparent und naturverbunden war. Als Terrain stand ein weitgehend freies, von einem Schuttberg und dem gerade errichteten Fernmeldehochturm (1965 – 68, Sebastian Rosenthal) dominiertes Schotterfeld im Norden der Stadt zur Verfügung. Aus dem Wettbewerb 1967 ging das Stuttgarter Büro von Günter Behnisch & Partner mit einem Aufsehen erregenden Entwurf für ein zeltähnliches Dach als wesentlichem Merkmal der Gestaltung hervor; die Parkgestaltung wurde von Günther Grzimek und Günter Behnisch übernommen (□ 153). Da an der technischen Realisierbarkeit Zweifel herrschten, wurde unter Hinzuziehung des Architekten Frei Otto und des Betonschalenspezialisten Heinz Isler durch die Ingenieure Fritz Leonhardt und Wolfhart Andrä (LAP) sowie Egon Schlaich die technische Realisierung als punktgestütztes Hängedach mit sattelförmigen Seilnetzen erprobt und das Gesamtgelände schließlich unter hohem Zeitdruck fristgerecht bis 1972 ausgeführt. Mit der Konzeption des Olympiazentrums wurde zugleich seine Nachnutzung als Hochschulsportzentrum und
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modernes Wohnviertel geplant und mit einer neuen U-Bahn-Strecke an das Stadtzentrum angebunden. Bemerkenswerterweise kann man sich über die eigentliche Architektur nicht äußern, ohne die landschaftliche Umgestaltung des Geländes mitzudenken: Beides geht unlösbar ineinander über bzw. ergänzt sich gegenseitig. Zwar durchschneidet ein Autobahnring das Gelände mittig und ermöglicht somit eine schnelle Erreichbarkeit des ausgedehnten Terrains, ansonsten reduzieren sich die Autoverkehrssysteme auch im nördlich gelegenen Wohnviertel auf Zubringerstraßen. Vollständig als durchgrünter Park ist das Gelände der Hauptsportstätten mit ihren Unterzentren von Leichtathletikstadion, Sport- und Schwimmhalle südlich des Autorings gestaltet. Mit den modernsten Tiefbaumethoden wurde aus der Schotterebene ein bewegtes Landschaftsrelief aus Mulden und Hügeln modelliert. In seinen Höhenunterschieden von 60 m nimmt es Bezug
□ 153 Günter Behnisch, Skizze der Gesamtanlage des Olympiaparks in München 1967
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zu dem Schuttberg aus der Nachkriegszeit. Unterhalb seiner nördlichen Abhänge wurde aus dem hier passierenden Nymphenburger Kanal ein künstlicher See von etwa einem Kilometer Länge mit bewegter Uferkante aufgestaut. Das andere Ufer des Sees steigt wiederum als unregelmäßige Hügellandschaft auf. In dieses Relief sind nun die Hauptsportstätten integriert, und zwar in einer halbkreisförmigen, einer Bucht des Sees folgenden Anordnung, die ein Plateau für ein Freiluftfoyer (Theatron) auf dem Courbertinplatz umschließt. In Anlehnung an griechische Theater der Antike sind die drei Hauptsportstätten teils in das Erdbodenrelief eingelassen, teils schmiegen sich die Tribünen in die künstlichen Hügelabfolgen ein. Somit werden die Stadien Teil des Landschaftsreliefs, sind aus bestimmten Blickwinkeln kaum als massive Architekturen wahrzunehmen. Zum See und zum Theatron öffnen sich die Sporthallen in großen, auf gekrümmtem bzw. ondulierend geführtem Grundriss stehenden Flächen aus Pressglas, die bis auf 28 m Höhe aufsteigen. Somit gibt es keinerlei feste Mauern, man meint hingegen, in die Sportstätten zu gleiten, kann aus der Nähe und der Ferne in sie hineinsehen. Darüber wächst das berühmte, von mächtigen Pylonen getragene Zeltdach in bewegter Kontur auf, in der sich die Silhouette der bewegten Landschaft fortsetzt und variiert (□ 154). Allerdings ist im Fall des großen Leichtathletikstadions nur die Westseite des ovalen Grundrisses von dem Dach überdeckt, die andere liegt unter freiem Himmel, bildet gleichsam eine Geländekante. Außerhalb des Zeltdachs gehen von mächtigen Fundamenten die Zugseile aus, mit denen seine Säume gespannt werden. Die solchermaßen erzeugten Wahrnehmungseffekte sind höchst unerwartet: Die Ausmuldungen und künstlichen Hügel schaffen mit all den flach oder steil abfallenden Hängen und den durch sie gebildeten Lichtund Schatteneffekten sowie der vielfältigen Silhouette eine gleichsam voralpine Landschaft
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□ 154 München, Olympiastadion, Günter Behnisch, Frei Otto u. a., voll. 1972
mit „Reliefenergie“ (Grzimek). Diese natürlich wirkende Landschaft durchdringt und überschneidet sich mit zahlreichen Flächen und Linien, die durch die Seile, Pylone und Häute der Dachkonstruktion entstehen, dabei das Sonnenlicht in ungewohnter Weise reflektieren oder bei Dunkelheit von innen leuchten. Mit ihren weit vor den Bauten im Boden verankerten Seilen und den transparenten Öffnungen verschneiden sich Architektur und Landschaft zu einer unauflösbaren Einheit. Und diese kann durchaus Elementargewalten zum Erklingen bringen, etwa wenn sich Regenwasser in dichten Kaskaden vom Dach auf den Erdboden ergießt (Erben, in: Hennecke 2012). Das Gesamtensemble ist also nicht auf eine Heraushebung von massiven Sportstätten konzipiert, sondern soll vielfältig sich äußernde Muße, Freizeitgestaltung und Erholung ermöglichen. Das Wegesystem mäandriert vielfältig, aber durchaus nicht planlos durch den Park, schafft zahlreiche Nischen und Aussichtspunkte, eine Reihe von Spiel- und Erholungsmöglichkeiten werden bis heute beständig genussvoll erprobt, vom Rodeln über Lagerfeuer bis hin zum Theaterspielen. Trampelpfade waren vorgesehen, sollten aber durch die tägliche Benutzung erst ausgetreten werden. Hier finden sich frühe Formen einer Partizipation der Benutzer an öffentlichen Bauprojekten, die von Behnisch und Grzimek dezidiert als eine Demokratisierung
verstanden wurden, selbst wenn die Bürger nicht konkret im Vorfeld der Planungen beteiligt waren. Der Park und seine Bauten bilden für den Benutzer nicht ein ehrfurchtsvoll erlebtes Gegenüber, sondern einen robusten Gebrauchsgegenstand. Er schafft ein selbstgenügsames Biotop, das zumindest theoretisch keines größeren pflegerischen Aufwandes bedarf. Auch die Konzeptfindung war ungewöhnlich, denn hierfür kamen nicht die üblichen festen Baumodelle aus Klötzchen, Pappflächen u. Ä. zum Einsatz, sondern ein vielfältig variables und provisorisches Sandmodell. Allerdings entstand dadurch kein Zufallsprodukt, sondern eine landschaftsgärtnerisch feinsinnig konzipierte Gesamtanlage; so folgen die Baumpflanzungen etwa einem Generalkonzept, das sie botanisch einbindet: Die Leitbäume am See sind Silberweiden, an den Hängen ist Bergkiefer gepflanzt, an den Parkeingängen bilden Linden Höhenakzente. Der Bau des Olympiageländes war aber auch ein technisch zukunftweisendes Projekt. Das betraf zum einen die technische Infrastruktur der computergesteuerten Anzeigetafeln oder der Rasenheizung. Zum anderen bezieht sich diese Innovation auf die Dachkonstruktion als eine vorgespannte Seilnetzkonstruktion: Ein fest im Erdboden verankertes flexibles Netz aus Stahlseilen wird nach oben gezogen. Die hier wirkenden immensen Zugkräfte gleichen
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□ 155 München, Olympiazentrum, Günter Behnisch, Frei Otto u. a., voll. 1972, Detail der Hängedachkonstruktion
sich gegenseitig so aus, dass eine in sich stabile Haut entsteht, die sich nicht bei äußerer Belastung verformt, wie das etwa bei einer reinen, nicht vorgespannten Hängekonstruktion unter Schneelast der Fall wäre. Je nach Netzform und Anordnung der Haltepunkte kann eine variable Dachhaut erzeugt werden, die das Charakteristikum der Münchener Zeltlandschaft ausmacht. Entsprechend der bewegt fließenden Reliefierung des Parks schwingt sich auch das Dach ohne Unterbrechung über alle drei Sportstätten. Technisch besteht das 74 500 m² große Netz aus 75 × 75 cm großen Maschen, die durch massive Randseile an den Säumen eingefasst werden (□ 155). Die Stränge des Netzes werden aus parallelen Stahlseilen gebildet, die an den Überkreuzungspunkten durch Schraubklemmen verbunden sind. Diese wurden erst bei Aufrichtung des Netzes festgezogen. Vorab – und mit Hilfe der hier in diesem Ausmaß zum ersten Mal eingesetzten Computer – zu berechnen waren aber die Längen der Doppelseile. Verspannt ist dieses Seilnetz durch dicke Litzen, die es über bis zu 80 m hohe und 3,5 m dicke Pylone als Umlenker nach oben ziehen. Die Randseile, die einen entsprechenden Gegenzug ausüben müssen, sind in teilweise riesige Fundamentblöcke (bis zu 13 × 12 × 30 m, also den Dimensionen eines Bürohauses entsprechend) eingelassen, die innerhalb des
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Landschaftsparks wie Felsklötze wirken. Gemäß einer ausgeklügelten Technik wurde das Seilnetz dadurch aufgerichtet und gespannt, dass die beweglich gelagerten Pylone in ihre richtige Position geschwenkt wurden. Ein wesentliches Kriterium für die Dachkonstruktion war, zu starke Kontraste zwischen Sonnenlicht und Schlagschatten zu vermeiden, zum einen wegen der Sichtbedingungen von Sportlern und Zuschauern, zum anderen, weil ansonsten die neue Technik des Farbfernsehens eine stark schwankende Bildqualität geliefert hätte. Somit war die Seilnetzkonstruktion mit einer transparenten Haut zu versehen. Diese besteht aus 3 × 3 m großen Plexiglasplatten, die mit Abstandshaltern auf die Kreuzungspunkte des Netzes aufgeflanscht wurden und mit einer Rahmenkonstruktion aus Aluminium und Kunststoff untereinander verbunden sind. Die leichte Netzdachkonstruktion vermeidet konsequent Druckkräfte, wie sie bei jedem Massivbau, aber auch bei Skelettbauten im Zusammenspiel von Gewicht und Gravitation ausgenutzt werden. Das äußert sich geradezu archetypisch in Großbauten wie etwa Amphitheatern, wo die Ableitung der Druckkräfte über eine Reihe massiver Arkaden funktioniert. Darauf rekurrierten auch etwa die Berliner Stadionbauten von 1936. Das Olympiadach von 1972 muss also technisch als eine komplette Umkehrung dieser konstruktiven Auffassung gelesen werden und erreicht damit und im Zusammenwirken mit dem Olympiapark eine geradezu programmatische Leichtigkeit und Transparenz. Derartiges war im Übrigen zur Zeit der technischen Realisierung als offizieller Beitrag der Bundesrepublik für die Weltausstellung in Montreal 1967 entwickelt worden. Frei Otto und Rolf Gutbrod realisierten eine grazile Innenarchitektur, die von einem zeltartigen Seilnetzdach überfangen wurde. Über Frei Otto ist das Münchener Olympiagelände auch in einem weiteren Sinne eingebunden in die Erforschung von Naturkreisläufen
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und ökologischen Prozessen und ihre Anwendung auf die Architektur. In dezidierter Abwendung der massiven, Ressourcen verschwendenden Architektur des Nationalsozialismus bilden bei Frei Otto natürliche und leichte Konstruktionen den Ausgangspunkt einer über lange Studien ermittelten ökologischen Architektur. Dabei geht es um mehr, als nur konstruktive Analogien zwischen der vegetabilen Natur und der Architektur zu bilden. Denn beispielsweise Muschelschalen, Spinnennetze oder Seifenblasen folgen prozessualen Vorgängen des Wachsens, Spinnens oder Aufblasens. Dabei kommen minimierende Faktoren hinsichtlich von Masse, Energie und Material zum Tragen, was – umgesetzt auf das menschliche Bauen – nicht nur ökonomische, sondern auch ethische Komponenten beinhaltet. Frei Ottos Entwicklung von leichten Tragewerken in Form von Zelten, pneumatischen Blasen oder aber Seilnetzen orientiert sich dabei programmatisch an natürlichen
Versuchsanordnungen, also nicht an statischen Berechnungen. Die Konzeption des Münchener und Montrealer Dachs oder auch der Mannheimer Multihalle (1970 – 75), einer aus einfachsten, in sich statisch kaum belastbaren Holzlatten gefertigten Großveranstaltungshalle in Form unregelmäßiger Blasen, erfolgte mithilfe eines Hängemodells in Form eines beweglichen Metallgitters, bei dem sich aufgrund der Schwerkraft die statisch richtige Krümmung der Gitterlinien als Parabolkurven ergibt. Dieses Modell wurde aufwendig fotografiert und daraus die wesentlichen Ansatzstellen und Winkelausrichtungen des Gitternetzes auf die konkrete Konstruktion übertragen. Bei der Errichtung des dreidimensionalen Gitters ergaben sich von selbst, also ohne Einzelberechnungen, alle sekundären Verbindungen und Überkreuzungen, die lediglich fixiert werden mussten, um der riesigen Halle ihre perfekte Stabilität zu verleihen.
Centre Beaubourg in Paris Pop und High Tech
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ie Pariser Stadtbaugeschichte ist gekennzeichnet durch lange Perioden allmählichen Wachstums, das dann punktuell und radikal durch weitgehende Eingriffe in neue Bahnen gelenkt wird. Das galt für die Anlage neuer breiter Boulevards, die auf Veranlassung des Präfekten Haussmann in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s in das alte Stadtgewebe geschnitten wurden |▶ 12|, und das gilt heute für die Einrichtung eines vollständig neuen Stadtviertels im Osten der Stadt, dessen monumentales Zentrum der Neubau der Bibliothèque nationale de France (Dominique Perrault, 1990 – 96) bildet. Städtebaulich und architektonisch epochal war
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aber insbesondere die Erbauung des Centre Georges Pompidou inmitten des Herzens der Kapitale: eine überdimensionierte blockhafte Maschine, deren kulturelle Einrichtungen einen haut-lieu des Massentourismus ausmachen und weit in die Entwicklung des städtebaulichen Umfelds ausstrahlen. Das nach dem alten Stadtviertel auch Centre Beaubourg genannte Gebäude ist deswegen von überragender historischer Bedeutung, weil sich in ihm soziale, politische, städtebauliche und architektonisch-konzeptuelle Umwälzungen spiegeln. Allein die Entstehungsgeschichte ist höchst signifikant. Der Bauplatz am West-
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□ 156 Paris, Centre Georges Pompidou, Renzo Piano und Richard Rogers, 1970 – 72, Seitenansicht
rand des alten Maraisviertels geriet in den Studentenunruhen von 1968 in den Fokus, weil sich in dem heruntergekommenen Viertel eine Subkultur etabliert hatte, die in einer Mischung aus Antiamerikanismus, Antikapitalismus und Hippie-Lebensgefühl gegen die moderne Umgestaltung der Stadt opponierte. Darauf reagierte indessen nicht die Stadt Paris, sondern der Staat in der Figur des Präsidenten Georges Pompidou höchstpersönlich, der verfügte, hier ein Kulturzentrum in neuen Dimensionen und für ungewöhnliche kulturelle Erfahrungen zu errichten: Zusammenführung von Produzieren und Ausstellen von Kunst, gegenseitiges Öffnen der Künste und kulturelle Volksbildung bildeten die wesentlichen Ausgangskonzepte. Das bedeutete eine soziale Domestizierung der Subkultur ebenso wie ein Bekenntnis zu Pop-Phänomenen und eine städtebauliche Sanierung zugleich. Entsprechend ungewöhnlich las sich das konkrete Programm des 1970 ausgelobten Wettbewerbs, denn die Entwürfe sollten eine – bislang in Frankreich unbekannte – öffentliche wissenschaftliche Bibliothek, mehrere Kinos und Restaurants mit einer großen Ausstellungshalle, dem nationalen Museum für Moderne Kunst, dem Zentrum
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für Industriedesign und einer Forschungs- und Dokumentationsstätte für Akustik und Musik (IRCAM) miteinander verbinden. Statt also jeder dieser Institutionen mit jeweils gänzlich unterschiedlichen Publikumsspektren – Studenten, Bewohner, Touristen, Kunstliebhaber, Musiker, Forscher – eigene und je nach deren Bedürfnissen individuell und angemessen ausgestattete Bauten zu geben, wurde nunmehr alles miteinander verbunden. Damit wich das Bauprogramm radikal von einem gerade in Frankreich geschätzten Elitismus ab, der Kultur als Angelegenheit einer gebildeten Schicht erachtete. Dieses upside-down-Prinzip galt nun auch für den Entwurf von Renzo Piano und Richard Rogers, dem eine hochrangig besetzten Jury unter anderen mit Jean Prouvé, Philip Johnson und Oscar Niemeyer |▶ 42|, 1971 den ersten Preis verlieh. Das umfangreiche neu zu bebauende Rechteckterrain, für das Hunderte alter Häuser enteignet und abgerissen werden mussten, wurde nur zur Hälfte vom Kulturzentrum (ohne IRCAM) eingenommen, der Rest verblieb als ein öffentlicher Vorplatz. Er bildet eine einfache Freifläche, von den Randbebauungen der alten Straßenzüge eingefasst und sich merklich nach Osten zu dem Gebäudeblock absenkend. Trotz der Anklänge an den berühmten, nach unten zum Rathaus abfallenden Campo in Siena handelt es sich nicht um einen komponierten Platz oder einen Ehrenhof, denn das Gebäude hat kein architektonisches Portal als Fokus. Im Gegenteil war ursprünglich geplant, diese öffentliche, zum Flanieren einladende Freifläche unter dem Gebäude weiterzuführen; dieses sollte sich darüber auf Stelzen bis auf eine Gesamthöhe von 60 m erheben. Auch im verwirklichten Zustand mit auf 42 m heruntergesetzter Gesamthöhe setzt sich die Ebene des Vorplatzes bruchlos im Erdgeschoss des Gebäudes fort. Dieses, 1977 vollendet, verwirklicht in radikaler Weise die Anforderung an eine multiple Flexibilität: Völlig frei erstrecken sich fünf Tragflächen im Abstand von 7 m
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übereinander über eine Tiefe von 48 m, an den Breitseiten getragen von 14 Stützenpaaren im Abstand von 12,9 m (□ 156). Für derartig hohe statische Belastungen wären traditionellerweise schräggestellte bzw. massive Pylone als Aufhängung notwendig gewesen. Das Ingenieursbüro Ove Arup & Partner wandte stattdessen die Technik der vor allem beim Brückenbau verwendeten sog. Gerber-Träger oder gerberettes an: Zwei in sich stabile Kragträger (die bei einer Brücke etwa von der Uferfundamentierung und einem Pylon gestützt werden) halten zwischen sich einen Einhängeträger ohne eigenes Auflager. Im Fall des Centre Beaubourg sind an einem vergleichsweise schlanken Mast massive zweiarmige Hebel mit ungleicher Schenkellänge eingehängt: Die an der Außenseite des Gebäudes abgehenden langen Hebelarme werden durch Stahlstangen nach unten gezogen, so dass auf der Gegenseite die Fachwerkträgern eingehängt werden können. Auf diesen ruhen die durchgehenden Tragböden. An der Außenseite sind die Gerberträgerenden in horizontaler, vertikaler und diagonaler Rich□ 157 Paris, Centre Georges Pompidou, Renzo Piano und Richard Rogers, 1970 – 72
tung durch Stahlstangen verspannt. Mit dieser Technik wurden flexibel bespielbare weite Flächen ohne einen innen liegenden tragenden Kern geschaffen. Ursprünglich sollten die Tragflächen auch in der Höhe verstellbar sein, im ausgeführten Bau lässt der Geschossabstand von 7 m immerhin Zwischeneinteilungen von je 3,5 m zu. Vor allem aber hat das System der an der Außenseite verspannten Gerberträger den Effekt, dass um das völlig leere Innere der Konstruktion herum eine raumhaltige Hülle entsteht, die für verschiedenste, sich verändernde Zwecke genutzt wird. Die Gerberträgerarme wirken als Ausleger, in die die Treppen, Fahrstühle und Versorgungseinrichtungen (Klimatisation, Wasser, Elektrizität) eingefügt sind. Was normalerweise im Inneren eines Gebäudes angelegt ist, wird hier nach außen gekehrt – also dorthin, wo traditionellerweise eine Fassade eine kommunikative Schnittstelle zwischen Innen und Außen bildet. Am Centre Beaubourg besteht diese ‚Fassade‘ an der Gebäuderückseite aus riesigen Rohren und Abzugshutzen, auf der zum Vorplatz zugewandten Seite aber insbesondere aus einer diagonal über die gesamte Breite, von links unten bis rechts oben verlaufenden, in einer gläsernen
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Röhre eingehausten Rolltreppe. Da auf jeder Ebene Absätze notwendig sind, bildet sie einen markanten Zickzackverlauf. Trotz der dominanten High-Tech-Struktur gibt es also durchaus stark bildlich wirkende kompositorische Elemente von fassadenhafter Wirkung (□ 157): Die diagonal vor einer Rasterstruktur verlaufende Zickzacklinie dient dementsprechend auch als Logo des Centre Georges Pompidou. Die Rolltreppe als Hauptmotiv der Platzseite ist aber nicht bloß ein formales Motiv, sondern Mittel einer spektakulären Erschließung des Gebäudes: Von Absatz zu Absatz führt die Rolltreppe den Besucher höher und höher, bis weit über die Dächer von Paris hinaus. Das entertainment auf dem Vorplatz mit den Kleinkünstlern und Touristenmassen, wie dies der Besucher gerade erlebt hat, verwandelt sich zur munteren und heiteren Bühne, die im Blick von oben mit dem Panorama von Paris verschmilzt. Insofern antwortet die demokratische Freifläche auf die Westfront des Gebäudes, beides ist nicht unabhängig voneinander. Es gibt also durchaus fassadenhafte Wirkungen, und zwar umso mehr, als auch den anderen Seiten jeweils bestimmte Charaktere eigen sind: Die Seiten-‚Fassaden‘ zeigen konsequenterweise den konstruktiven Querschnitt des Gebäudes, sind gleichsam Brandmauern (□ vgl. 156). Die Ostfront hingegen wirkt klar als Rückfront, aus der Rohre herausragen. Hier ist der Maschinencharakter des Gebäudes provozierend deutlich, denn die in Primärfarben gestrichenen Röhren erinnern an ein technisches Demonstrationsobjekt, das in überragender Höhe ohne Vermittlung der Altbebauung des Marais gegenübergestellt ist. Der kulturelle Supermarkt, der gemäß Rogers wie ein Erstaunen machendes außerterrestrisches Raumschiff wirken sollte, verstand sich als transparent, frei und flexibel. Das genießerische Erleben von Popkultur auf dem Vorplatz sollte sich im Prinzip auch in den oberen Etagen, mit einem volkserzieherischen Impetus durchsetzt, fortführen, ohne dass Hemmschwel-
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len oder Barrieren Zugänge zu Sammlungen und Bibliothek erschwert hätten. In dieser Radikalität konnte das Konzept nie durchgesetzt werden, denn zum einen schließen sich die Ausstellungssäle in feste Wände ein, bilden insofern klassische Museumsräume, zum anderen erschweren Sicherheitskontrollen an den Eingängen ein ungehindertes Hineinströmen der Besucher. Und schließlich hat umgehend eine derartige touristische Vermarktung des Centre Beaubourg eingesetzt, so dass die hehren Ideale einer Synthese von künstlerischer Kreation und Rezeption und eines egalitären volkserzieherischen Auftrags höchstens in der großen öffentlichen Bibliothek weiter spürbar sind. Pianos und Rogers’ bis heute stark umstrittene Kulturmaschine hat durchaus Vorläufer, etwa in den sich sozialistisch verstehenden Volkshäusern (maison du peuple) des frankophonen Raumes seit ca. 1900. Einige davon waren programmatisch in einer innovativen Metallarchitektur ausgeführt, so etwa die Brüsseler Maison du peuple von Victor Horta |▶ 19| oder das vielfältig als Markthalle, Theater und Versammlungsstätte nutzbare Volkshaus in Clichy von Marcel Lods, Eugène Beaudouin und Jean Prouvé (1935 – 38), mit einer auffaltbaren Zwischendecke. Doch das Centre Beaubourg zeugt gerade auch von den internationalen Kulturdiskursen der Zeit. Denn in dem so ostentativ vorgeführten Aspekt von High Tech wird ein Vertrauen in industriell beherrschte Großtechnik wirksam, die das Mittel darstellt, um soziale und politische Ideale von Partizipation, Transparenz und Effizienz zu verwirklichen. Ähnlich hatte dies auch die metabolistische Bewegung gesehen |▶ 43|. Konkreter noch sind die Bezüge zu der englischen Gruppe Archigram (vgl. S. 94), die in den 60er Jahren teilweise im Medium des Comic eine lustvolle und ironisch gebrochene Bejahung von ScienceFiction und moderner Werbung betrieben hatte. Die Walking Cities eines Ron Herron, auf Stelzen sich bewegende Städte, deren Aussehen
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sowohl an Rieseninsekten als auch an futuristische Raumschiffe denken lässt (□ vgl. 41), haben in der fremdartigen Kulturmaschine mitten in Paris durchaus eine Realisierung erfahren. Das geht bis hin zu den Kommunikationssystemen – denn bei Archigram sollte die Mobilität durch Röhrensysteme verbessert werden, was in der großen Westtreppe des Centre Beaubourg aufgenommen wird. Und die von Archigram enthusiastisch begrüßte entertainment culture wird ebenfalls von dem Pariser Konzept einer kulturellen Erlebnislandschaft übernommen. Mit derartigen Anspielung wird aber auch deutlich, dass die Kulturmaschine nicht nur eine unschuldige Huldigung an die Möglichkeiten der Technik darstellt, sondern sich wie Archigram einer Pop-Ästhetik von Science-fiction, Comic und Unterhaltungsindustrie verschreibt, die – in grotesker Überzeichnung des Gesamtprogramms des Gebäudes – gegen elitäre Auffassungen von ‚Hochkunst‘ opponiert. Die Qualität des Centre Beaubourg liegt also in der durchaus ironischen Note, mit der die
technische Konstruktion verfremdet wird. Sie mutiert zum Raumschiff, erinnert an eine Art Lebewesen mit Knochen (gerberettes) und Eingeweiden (Röhren) und lässt dabei traditionelle ästhetische Kriterien (Fassaden, Beziehung zum Vorplatz) gleichsam durch die Hintertür wieder Eingang finden. Damit unterscheidet sich das Centre Beaubourg von der gleichzeitig entstehenden sog. High-Tech-Architektur, die die kühne technische Konstruktion ostentativ zur Grundlage des architektonischen Entwurfs macht (vgl. S. 71 f.). Diesem Weg folgte weitgehend Richard Rogers mit Aufsehen erregenden Großbauten. Renzo Piano experimentierte nach der Erbauung des Centre Georges Pompidou mit ungewöhnlichen Materialien. Dazu zählt auch das 1991 – 98 errichtete Kulturzentrum Jean-Marie Tjibaou in Nouméa (Neukaledonien). In Anlehnung an indigene Hausbautechniken schuf das Architekturbüro aus durch Flechtwerk verbundenen Holzleisten hohe Segelformen, die von korbartigen Grundrissen aufsteigen.
Die Neue Staatsgalerie in Stuttgart Strategien der Postmoderne
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ls Postmoderne bezeichnet man im allgemeinen Sinn eine in den 1960er Jahren einsetzende kulturgeschichtliche Epoche bzw. philosophische und ästhetische Strömungen, die durch die dezidierte Pluralität von Wertvorstellungen, Handlungsmustern und Verfahrensweisen gekennzeichnet sind. Diese Anerkennung und Wertschätzung von kreativer Vielfalt bezieht sich einerseits auf die damals beginnende Auflösung bzw. Vermischung von Lebensmustern, künstlerischen Genres und Ausdrucksmodi, v. a. auf die Aufhebung der
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Grenzen zwischen Hochkunst und Populärkultur (z.B. in der Pop-Art), oder in der Literatur auf die Enthierarchisierung des Verhältnisses von Autor und Leser (z. B. in Umberto Ecos „Der Name der Rose“). Andererseits betrifft diese Pluralität die Analysemethoden und die zugrunde liegenden Wissenssysteme in Philosophie und Soziologie. Dabei spielt die implizite oder programmatische Abgrenzung von Wissens- und Analysemodellen der Moderne eine gewichtige, allerdings unterschiedlich bewertete Rolle.
Die Neue Staatsgalerie in Stuttgart
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Der bald inflationär verwendete und deswegen umstrittene Begriff ‚Postmoderne‘ existierte vereinzelt bereits im Avantgardekontext des späten 19. Jh.s. In der Philosophie maßgeblich rezipiert und ausformuliert wurde die Postmoderne durch Jean-François Lyotard („La condition postmoderne“, 1979, dt. 1982), der die Krise und Aporie vorgeblich sinnstiftender ‚Großer Erzählungen‘ der Moderne (Fortschrittsoptimismus, Marxismus) konstatierte und dagegen fragmentarische und pluralistische Wissensmodelle stellte. Was die Künste betrifft, so hat sich der Begriff vor allem für die Architektur zu einem wahren Epochenbegriff verfestigt, vor allem seit Charles Jencks („The Language of Postmodern Architecture“, 1977, dt. 1978) ihn als einen neuen Stil interpretiert hatte, der präzise zu definierende Charakteristika, insbesondere eine neue kommunikative Vielfalt aufweise und der eine zu technokratische und geschichtsvergessene Moderne ablöse. Dass dies die Sachlage etwas vereinfacht, zeigt die Neue Staatsgalerie in Stuttgart, 1977 – 84 von James Stirling und Michael Wilford als Museum für die Kunst der Moderne und der Gegenwart errichtet. Das Haus beherbergt zudem auch noch das Stuttgarter Kammertheater. Der Standort des Museums war delikat: Entlang der Oberen Neckarstraße, die östlich hinter den Repräsentationsbauten von Neuem Schloss und Theater im Oberen Schlossgarten vorbeiführte, waren im 19. Jh. eine Reihe wichtiger Kulturbauten entstanden, darunter auch das Museum der Bildenden Künste (Gottlob Georg Barth, 1838 – 43). Das im Krieg stark zerstörte Areal war danach durch die starke Verbreiterung der Straße (seither Konrad-Adenauer-Straße) von der Altstadt abgetrennt worden. Stirlings und Wilfords Projekt nahm nun, im Gegensatz zu anderen Vorschlägen des Architekturwettbewerbs für die Neue Staatsgalerie, diese Gegebenheiten intelligent auf: Sein sich entsprechend dem seitlich der Straße ansteigenden Terrain in mehreren Terrassen
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staffelndes Gebäude steht direkt neben dem alten Kunstmuseum und variiert in seiner grundsätzlichen Anlage als Dreiflügelbau mit einer zentralen Rotunde den H-förmigen Grundriss mit Mittensymmetrie des Altbaus. Mehr noch: Der Fußgängerweg, der dessen Eckpavillons in Durchgängen passiert, setzt sich vor der Neuen Staatsgalerie in einer Allee fort, die diese gleichzeitig von der Durchgangsstraße absetzt. Rechts bzw. südlich der Dreiflügelanlage ragt der Riegel für das Kammertheater vor, der auf die Seitenflügel der Alten Staatsgalerie antwortet. Dieses Motiv von in sich zentrierten Ehrenhöfen wird sodann nochmals nach Süden wiederholt, denn der Kammertheaterflügel ist entlang der hier abgehenden Eugenstraße im Haus der Geschichte von Wilford und Manuel Schupp gespiegelt. Die Erschließung des Gebäudes folgt einer ausgeklügelten Dramaturgie: Der Museumseingang liegt auf einer erhöhten Terrasse über einer senkrechten Sockelmauer (□ 158). Diese überwindet man von der Straße durch mittig abgehende, von einem stählernen Baldachin markierte Zugänge in Form einer Treppe rechts oder einer Rampe links. Auf dem weiten Terrassenplateau angekommen, gibt es linkerhand einen Komplex mit S-förmig geschwungener und sich leicht neigender Glasfront, hinter der sich der Eingangsbereich befindet. Zur Rechten geht eine weitere Rampe nach oben und führt in der Tiefe in eine Rotunde als dem zentralen Motiv des Museumsbaus (□ 159): eine zylinderförmig geführte, oben bepflanzte Mauer, die einen Innenhof definiert bzw. in den Restflächen zu den Gebäudeflügeln Skulpturenterrassen begrenzt. An der Innenseite des Zylinders führt der Rampenweg weiter, um anschließend den rückwärtigen Teil des Gebäudes zu durchdringen. Mit seinen gestaffelten Terrassen, abknickenden Rampen und intimen Höfen bildet des Museum eine Art „postmoderne Architekturlandschaft“ (Klotz, nach Krämer 1998), in der verschiedenste historische Baumotive eingearbeitet sind: Das Mu-
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seum stellt sich gleichsam selbst aus. So ist das Gebäude größtenteils mit ockerfarbenen Natursteinplatten in farblich leicht unterschiedlicher Bänderung verkleidet, die etwa an mittelalterliche Bauten Italiens erinnern; die Dreiflügelanlage entspricht klassischen Schlossanlagen, und vor allem die zentral gesetzte Rotunde stellt eine klare Anspielung auf Schinkels Altes Museum |▶ 4| dar. Eine der rot lackierten Drehtüren im Inneren der Rotunde ist von einer wuchtigen klassizistischen Ädikula mit dorischen Säulen gerahmt (□ vgl. 159). Diese unmittelbar als historische Zitate erkennbaren Motive verquicken sich indes mit Anleihen aus der modernen Architektur: Wenn im Inneren sich eine Rampe in Gegenrichtung wendet, so nimmt das ein Hauptmotiv aus Le Corbusiers Villa Savoye in Poissy von 1928 – 31 (□ vgl. 22) auf; das Verwaltungsgebäude auf der Rückseite des Komplexes verweist in seiner Aufstelzung im Sockelbereich und den langen Fensterbändern ebenfalls klar auf Le Corbusier, insbesondere dessen Zweifamilienhaus, das 1927 auf der Weißenhofausstellung in Stuttgart (□ vgl. 115) errichtet wurde; knallbunte Luftansaughutzen auf der Hinterseite erinnern an das Centre
Beaubourg in Paris |▶ 47|. Insbesondere die schwingende und sich neigende Glasfront am Eingang kann als augenzwinkernd wörtlich genommene Variation eines der Grundmotive der Moderne verstanden werden: der curtain wall, also eine der eigentlichen Konstruktion vorgehängte (Glas-)Fassade. Hier scheint der ‚Vorhang‘ gar durch einen Luftzug gebläht zu sein! Durchgängig sind die einzelnen Motive so miteinander kombiniert, dass sie sich scheinbar ironisch kommentieren: Die stählerne knallbunte Portalfüllung des erwähnten Doricamotivs kontrastiert mit der noblen steinernen Umrahmung. Im Gebäudesockel gibt es Entlüftungsöffnungen, die als herausgebrochene Steine gestaltet sind: Diese liegen konsequenterweise auch unter der ‚Schadensstelle‘. Allerdings sind die Spuren dieses scheinbar ziellosen Alterungsprozesses symmetrisch geordnet, in der rechten wie der linken Hälfte der Sockelwand platziert. Im Inneren laufen weit ausladende Pilzstützen kurioserweise an Gebälke, und am Eingang des Kammerthea□ 158 Stuttgart, Neue Staatsgalerie, James Stirling und Michael Wilford, 1977 – 84, Eingangsbereich mit Rampen
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□ 159 Stuttgart, Neue Staatsgalerie, James Stirling und Michael Wilford, 1977 – 84, Innenrotunde
ters erhält ein um das Eck geführtes Bandfenster – ebenfalls ein Grundmotiv der klassischen Moderne – an eben jener Ecke eine dicke gelbe Stütze, der allerdings die Verglasung in einer konkaven Rundung ausweichen muss. Weiterhin ist auffällig, dass Stirling auch die Referenzen auf eine dem Anspruch nach künstlerisch gestaltete historische Architektur mit rein technisch-konstruktiven Elementen kontrastiert: So stützen sich die vorkragenden Vordächer am Eingang auf einen banalen I-Träger, der wie ein Provisorium erscheint: Auf der einen Seite ist er auf einer Konsole abgekragt, das andere, freie Ende hängt an einem stählernen Ausleger. Der Eingangsbaldachin auf Straßenniveau (vgl. □ 158) steht sehr würdig und hochaufragend in der Mittelachse des Gebäudes, doch handelt es sich technisch um eine aus einfachen Stahlprofilen zusammengesetzte ‚Notkonstruktion‘. Dieses gilt auch für das Innere, wo ein Fahrstuhlschacht als stählerne Rahmenkonstruktion in den Raum geklemmt zu sein scheint. Die Kontrastwirkung dieser Effekte wird vor allem farblich verstärkt, denn diese technischen Teile sind in starken Primärfarben gestrichen: Knallrot und eisblau sind die Stahlträger sowie die zu dicken Röhren aufgeblähten Handläufe der
III. Schlüsselwerke
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Rampen, giftgrün dagegen die Fensterstäbe der Glaswand, rot die Drehtüren. Hier ist man an ähnliche Effekte in der De Stijl-Architektur |▶ 28| und wiederum an das Centre Beaubourg | ▶ 47| oder aber an Nutzarchitekturen wie U-Bahnhöfe u. Ä. erinnert. Die giftgrüne Farbe hat auch der Kunststoffnoppenboden des Eingangsbereichs, ein eigenartiger Verstoß gegen übliche noble Museumsambientes. Dieses unendlich vielfältige Kontrastieren enthält insofern zahlreiche Ironien, führt aber nicht zu karikierenden Effekten. Vielmehr erscheint Stirlings Konzept wie die vielfältige Anreicherung eines Gesamtkomplexes, der seinen Ausgangspunkt in der Alten Staatsgalerie hat. Und so handelt es sich auch nicht um wahllose Übernahmen und beliebige Überraschungseffekte, sondern um architektonische Reflexionen: Das rote Stahltor markiert die Schwelle des Bezirks in einer extrem lakonischen, eben nicht dekorativen Form; die rote Stahldrehtür in der dorischen Ädikula macht Durchgangsfunktionen bewusst: Schutz, Rahmung, Raumveränderung, Einstimmung. Die Integration der Rotunde stellt im Hinweis auf Schinkels Museum die Staatsgalerie nachdrücklich in eine typologische Tradition und weicht zugleich aus ihr aus: Denn die Stuttgarter Rotunde ist zu einem Hof der Entspannung geworden, stellt nicht mehr den Kulminationspunkt der Kunstverehrung dar. Es geht Stirling also um eine kreative und umdeutende Verbindung von historischen und modernen Gestaltungselementen der Architektur, und nicht etwa darum, historische Referenzen schon allein deswegen einzusetzen, weil sie irgendwie sprechen – das könnte auch respektloses Plappern bedeuten. Obwohl die Staatsgalerie durchsetzt mit Pop-Elementen ist, nimmt sie doch die Textur der klassizistischen Vorkriegsbebauung wieder auf und öffnet sich gegenüber der Stadt. Dabei ist vor allem der Einfluss des englischen Architekten und Theoretikers Colin Rowe zu bedenken, der seit den
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frühen 1960er Jahren den sog. Kontextualismus als eine neue Form der Stadtplanung entwickelte hatte, bei der historische Gegebenheiten mit modernen Konzepten in einen komplizierten kreativen Dialog, die Collage City, treten sollten. Damit wurde eine grundsätzliche Kritik an einer Moderne geübt, die primär anthropologisch argumentiert und die Bedeutsamkeit historisch gewachsener Strukturen vernachlässigt hatte. Dies zeigte sich zuvor schon in der Entwicklung der Congrès internationaux d’architecture moderne, innerhalb derer bis zu ihrer Auflösung 1959 die technokratische Ausrichtung des modernen Städtebaus mehr und mehr kritisch hinterfragt wurde. Dagegen stand, etwa bei dem Team X (vgl. S. 221) die Forderung, innerhalb der gewachsenen und sich erneuernden Stadt miteinander verbundene, gruppierende Untereinheiten zu bilden, um identifikatorische Elemente in den modernen Städtebau zu integrieren (Krämer 1998). Wenn sich die Architektur Stirlings als kreative historische Collage darbietet, so stellt dies also nicht einfach eine Besonderheit einer ‚Postmoderne‘ genannten Epoche dar. Vielmehr kann man weiterhin auf eine lange Tradition verweisen, bei der auch immer wieder Museumsbauten eine besondere Rolle spielen.
Der englische Architekt John Soane etwa schuf 1792 in seinem Londoner Haus eine multiple Integration verschiedenster Architekturmotive, die auch als Rahmen einer höchst vielfältigen Kunstsammlung dienen (vgl. S. 31, □ 12). Aber auch Museumsgebäude wie das Bayerische Nationalmuseum | ▶ 18| sind von solchen Prinzipien der Collage geprägt, die auch in die Moderne weiterreichen. Asplunds Stockholmer Bibliothek |▶ 26| ist solch ein Beispiel: In der Kombination von Rechteckkörper und zentraler Rotunde bildet sie neben dem Berliner Alten Museum einen zweiten wichtigen Referenzbau zu Stirlings Stuttgarter Bau, aber sie kombiniert ja ihrerseits historische Vorgaben weiter: das römische Pantheon oder altägyptische, griechische und klassizistische Baumotive. Die Vielfalt postmoderner Strategien wird deutlich, wenn man sich andere Realisierungen vor Augen hält. Die Piazza d’Italia in New Orleans von Charles Moore (1977 – 79) transformiert Italienklischees, v. a. der Architektur des Barock, im Sinn einer Leuchtreklame zu einer fragmentierten Platzkulisse. Leon Krier und Ricardo Bofill kehren mit ihren klaren Rückbezügen auf Antike und Klassizismus zu einer Epoche zurück, der sie universelle ästhetische Gültigkeit zuschreiben.
Jüdisches Museum in Berlin Dekonstruktion und Fragmentation
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ine uralte, bis auf den antiken Theoretiker Vitruv zurückgehende Forderung an die Architektur lautet, dass sie sprechen, also mit den Menschen, die mit ihr in Kontakt kommen, kommunizieren solle: über ihre Funktion, ihre Auftraggeber, ihre Nutzer oder auch über sich selbst. Ein historistisches Gerichtsgebäude
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etwa |▶ 14| soll über sein Äußeres erkennbar machen, dass dort im Auftrag einer staatlichen Gemeinschaft von Richtern über Angeklagte Recht gesprochen wird – und dass es zudem ein wohlgestaltetes Gebäude ist. Dieses Sprechen oder Kommunizieren geschieht über Zeichen, die auf ein Bezeichnetes rekurrieren:
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Bei Vitruv war dies zum Beispiel der dorische Tempel, der über die feste, männliche Säulenordnung der Dorica auf Jupiter als den mächtigsten der Götter verweisen sollte. Später, im 19. Jh., war es das Vokabular der Stile, mit dem verschiedene Inhalte vermittelt werden sollten: zahlreiche Bauaufgaben, nationale oder regionale Identitäten, Geschmack, urbanistisches Zusammenstimmen usw. Und auch die so radikal referenzlose Moderne, die eigentlich nicht Zeichen für etwas anderes sein, sondern unmittelbar soziale Ordnung stiften wollte, wurde in sich umgehend ein Symbol: für Demokratie, Modernität, Innovation oder auch politische Systeme |▶ 38|. Die Postmoderne wiederum bemühte sich, die Vielfalt von Zeichen und Referenzsystemen zu erweitern, auch populäre und verfremdete Jargons zuzulassen |▶ 48|. Was aber, wenn jedes Zeichen je nach kommunikativer Situation im Akt des Sprechens, Schreibens, Hörens und Lesens nicht etwa einen klaren ‚Begriff‘ vermittelt, sondern unendlich viele Nuancen des Bezeichneten andeutet, umkreist, insinuiert? Wie kann unter solchen Vorbedingungen Architektur noch sprechen oder zeichenhaft kommunizieren? Jedenfalls sind derartige grundsätzliche linguistische Ausrichtungen auch in der Architektur der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts sehr eindrücklich umgesetzt worden, indem sie versuchen, das Angedeutete, Fragmentarische, Assoziative zu bewusst heterogenen Bezugspunkten architektonischer Bedeutungsstiftung zu machen, die notwendig vielfältig, inkohärent und subjektiv sind. Das bekannteste Beispiel dafür ist das Jüdische Museum in Berlin des Architekten Daniel Libeskind. Der Bau hat eine komplizierte Planungsgeschichte: 1989 gewann der Architekt einen Wettbewerb für einen Erweiterungsbau des Westberliner Stadtmuseums (Berlin Museum), in dem vor allem, aber nicht ausschließlich die Jüdische Abteilung untergebracht werden sollte. Programmatisch war vorgese-
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hen, die Interdependenzen, Verschränkungen und Fehlstellen von Berliner und jüdischer Geschichte auch architektonisch und museologisch wirksam werden zu lassen. Darauf antwortete Libeskind mit einem Entwurf vielfältig sich überschneidender Räume in unvermittelten Orientierungswechseln. Als der Bau 1993 begonnen wurde, hatten sich allerdings die Rahmenbedingungen vor allem in Folge der Fusion der beiden Stadtmuseen und der Planungen von hauptstädtischen Gedenkstätten des nationalsozialistischen Völkermordes radikal verändert. Aus dem Erweiterungsbau eines Stadtmuseums wurde das eigenständige Jüdische Museum. Die ursprüngliche Zielsetzung sieht man dem Bau auch heute noch an, denn sein bandartiger, mehrfach gezackter, einem Blitz ähnlicher Grundriss (□ 160) schließt, allerdings mit einigem Abstand, an den Hauptflügel des ehem. Collegienhauses von 1734 – 35 an, in dem das Berlin Museum untergebracht war. Doch solches ‚Bauen im Kontext‘ wird ansonsten vollständig konterkariert. In der mit Aluminium verkleideten Hülle schneiden sich scheinbar wahllos schräg und sich überkreuzend Schlitze als Fenster ein (□ 161), südlich des gezackten Hauptflügels erhebt sich markant ein hoher Betonturm auf unregelmäßig gezacktem Grundriss, daneben steht auf einem gekippten Plateau ein Raster von schräg nach oben strebenden Betonstelen, die eine Art Labyrinth zwischen sich ausbilden. Der Grundriss des Hauptgebäudes entsteht prinzipiell dadurch, dass zwei im Abstand von einigen Metern parallel geführte, exakt gerade Achsen überlagert werden von der zackigen Struktur des Hauptflügels. Dessen Fluchten entstehen gemäß den Angaben Libeskinds dadurch, dass sich hier zahlreiche bedeutungsvolle Achsen überschneiden, die sich aber nur als fragmentierte Abschnitte konkretisieren. Verlängert man die Achsen, so sollen sie zu den Wohnstätten bedeutender jüdischer Intellektueller führen oder können auch einen stark gestreckten
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Davidstern ergeben. Das ist bewusst assoziativ, als eine von unendlich vielen Sinnstiftungen und Verweisen des Baues zu verstehen. Wo sich das Zackengebilde mit der geraden Achse überschneidet, sind Schächte wie aus der Baumasse herausgetrennt; der seitlich stehende Turm ist wie die positive Substanz eines solchen Schachts als architektonische Matrize. Libeskind will diese Schächte als Leerstellen (voids) verstanden wissen (□ 162); in der Tat bilden sie keine nutzbaren Höfe, sondern sind nicht zu betreten und vom Inneren des Gebäudes nur unvollständig durch Schlitze zu sehen. Spektakulär ist die Erschließung des Gebäudes, das keinen sichtbaren Eingang aufweist. Man betritt es unterirdisch über den barocken Bau, wird in dunklen, sich überkreuzenden Korridoren weitergeleitet. Ein Arm führt zu dem genannten Turm mit der Bezeichnung Holocaust-Turm, in dessen nackten Betonwänden der Blick nach oben geleitet wird, ohne ein Ziel zu finden. Der Hauptkorridor verwandelt sich in eine lange, nach oben aufsteigende Treppe mit mehreren Zwischenpodesten; eigenartige Balkenstrukturen durchdringen den Oberteil dieses Treppenhauses, aber es wird zunehmend heller, bis die Treppe unvermittelt an eine Wand stößt. Einige Stufen zuvor geht es aber seitlich ab in die Sammlungsräume. Auch diese irritieren (wenn dies nicht durch die opulenten Inneneinbauten gemildert wäre)
aufgrund ihrer brüsken Richtungsänderungen, der spitzwinkeligen Ecken und der die Fußbodenebenen übergreifenden schrägen Schlitzungen der Außenwand. Es handelt sich also um eine Architektur, die psychisch irritieren, ja verstören soll, um zum Fragen und Reflektieren anzuregen. Doch versichernde ‚Antworten‘ oder ‚Erklärungen‘ gibt es nicht, denn in seiner Gesamtkomposition, seinem Bautypus oder der Raumanordnung entzieht sich der Bau jeder (offensichtlichen) Bezugnahme, ja, die Absenz von verweisenden Zeichen ist ja gerade in den voids präsent. Sicherlich könnte man den Bau formal auf konstruktivistische Architekturexperimente oder Gropius’ Weimarer Märzgefallenendenkmal in Form einer Splitterfigur (von 1922) oder auch originelle Grundrissentwürfe für Fortifikationen, etwa von Michelangelo, beziehen. Aber vielmehr könnte sich ein sinnstiftender Inhalt nur in subjektiv-individuellen Wissensfragmenten, Assoziationen, Erlebnissen immer wieder neu konstruieren, keinesfalls aber als begrifflicher Kern einer architektonischen Aussage freigelegt werden. Das Gebäude unterminiert den Gedanken, es könne einen begrifflich zu fassenden inhaltlichen Sinn geben, der über eine bauliche Gegebenheit eindeutig zu ver□ 160 Berlin, Jüdisches Museum, Daniel Libeskind, 1993 – 99, Grundriss
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□ 161 Berlin, Jüdisches Museum, Daniel Libeskind, 1993 – 99, Detail
mitteln wäre. Libeskind leistet dem Vorschub, indem er suggeriert, dem Entwurf hätten heterogene, stark assoziative Gedankenfragmente, Assoziationen und Aperçus zugrunde gelegen. Außer den genannten Verbindungsachsen benennt er Schönbergs in Berlin entstandene, aber unvollendete Oper „Moses und Aaron“: Der jüdisch-alttestamentarische Stoff endet an der Stelle, an der Moses wie Schönberg den Namen Gottes aussprechen wollen, ihn also in sprachliche bzw. musikalische Zeichen umsetzen sollen. Zudem assoziiert Libeskind sein Entwurfskonzept mit der unendlichen Anzahl jüdischer Schicksale in Berlin und Walter Benjamins Collage „Einbahnstraße“. Die ‚Leere‘ des Gebäudes reagiere auf den Mangel an materiellen Überresten jüdischer Kultur nach dem Holocaust, solle aber eine hoffnungsvolle Matrix des Gedenkens ausbilden. Eine etwas andere Lesart dieses ersten realisierten Werks von Libeskind könnte es als das Resultat eines Entwurfsprozesses darstellen, der im Akt des Zeichnens beständig neu ansetzt, korrigiert, revidiert, verwirft – in der beständigen Erkenntnis, dass niemals eine ad-
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äquate Relation zwischen Inhalt und Form erzielt werden kann. Libeskind hat dies in seinen Frühwerken etwa anhand der „Micromegas“ vorgeführt, collageartiger, verdichteter Architekturzeichnungen, die aus assoziierenden Entwurfsprozessen zu stammen scheinen und zu vexierbildhaft uneindeutigen over-all-Strukturen geraten. Damit übersetzt der Architekt linguistische Reflexionen Jacques Derridas zu den Relationen von Zeichen und Bezeichnetem, die im Akt des Sprechens, Schreibens – bzw. bei Libeskind: im Akt des zeichnenden Architekturentwerfens – sich unaufhörlich neu konstituieren und letztlich keinen begrifflich scharf umrissenen Logos freilegen. Dieses fragile und tastende Räsonieren über Architektur bricht sich allerdings an den Bedürfnissen einer massentouristischen Vermittlung und der politischen Indienstnahme – zumal eines Museums der jüdischen Kultur in Berlin. Denn hier geraten die Aperçus Libeskinds zu scheinbar eindeutigen Metaphern und Symbolen. Der Holocaust-Turm etwa wird zum Symbol für den Völkermord an den Juden, die voids repräsentieren die untergegangene jüdische Geschichte in Berlin. Damit aber wird die Architektur zu banalen Merkzeichen für unendlich komplexe Sachverhalte. Die grundsätzliche Hinterfragung der Sprachmöglichkeit von Architektur bzw. ihrer auf Realität verweisenden metaphorischen Eigenschaften wird auch von anderen Architekten veranschaulicht: Peter Eisenman, ebenso Architekt wie Philosoph, nimmt in Teilen seines Werks bewusst inkonsistente Denkmodelle der modernen Soziologie und Sprachwissenschaft sowie des postmodernen Romans auf, um die grundsätzliche Fiktionalität der Architektur gegen ihren vergeblichen Anspruch zu richten, Welt zu repräsentieren. Auch der Anspruch der Moderne, rein funktional zu sein, und damit einer rationalen Weltordnung zu gehorchen, erweise sich als bloße Simulation. Aufgabe der Architektur sei es, sie als Fiktion wahrnehmbar zu machen.
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In seinem teilrealisierten Wohnhausprojekt für die IBA in Berlin (Kochstraße/Friedrichstraße) wird ein dreidimensional organisiertes Rechteckraster innerhalb des Wohnblocks deutlich, das auch im Hinterhof gleichsam archäologisch ausgegraben erscheint. Doch der vorsätzlich verbindliche Ordnungsanspruch dieses Gitters wird nicht nur dadurch konterkariert, dass die Freilegung erkenntlich künstlich ist. Auch ist der Baublock ein wenig gegenüber den Rasterachsen verdreht, nimmt nicht auf sie Bezug und erscheint insofern als eine rein auf sich bezogene kubische Architektur. Auch der Begriff der Dekonstruktion, von dem sich dieser Dekonstruktivismus ableitet, geht auf die Philosophie Jacques Derridas zurück, der damit nicht ‚Zerstörung‘, sondern den ‚Ab-Bau‘ von immer wieder tradierten und transformierten philosophischen Theoremen meint. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass Begründungszusammenhänge, auf denen Wissen und Erkenntnis beruhen, nicht von vornherein vorhanden und insofern adäquat in Begriffe zu fassen, sondern vielmehr ‚konstruiert‘ sind. Die Faszination, die derartige Hinterfragungen auf eine Reihe von Architekten seit der Mitte der 80er Jahre ausübte (Bernhard Tschumi, Zaha Hadid, Frank O. Gehry, Coop Himmelb(l)au, Daniel Libeskind, Peter Eisenman), liegt zum einen darin begründet, dass Wissenstheoreme häufig über architektonische Metaphern vermittelt werden: Das ‚Fundament‘, die ‚Struktur‘ oder die ‚Stabilität‘ einer logischen ‚Konstruktion‘ sind Beispiele dafür. Architektonische Relationen dienen insofern der Begriffs- und Wissensbildung (Wigley 1994). Sobald an der Gültigkeit solcher Zusammenhänge Zweifel aufkommen, kann die Architektur insofern darauf reagieren, indem sie etwa derartige Begriffe als keineswegs von vornherein gegeben ausweist. Deswegen ähneln die Bauten des ar-
chitektonischen Dekonstruktivismus häufig instabilen, collageartigen Gebilden. Sie machen deutlich, dass Logik und Gesetzlichkeit nicht a priori gegeben sind. Zum anderen misstrauen die Architekten wie die Philosophen dem Repräsentationscharakter von baulichen Dispositionen bzw. Begriffen. Sie sollen stellvertretend für ein Anderes, Eigentliches stehen, ohne dass klar wäre, wie dies ohne die Zuhilfenahme von Zeichen, die dieses übersetzen, auszudrücken wäre. Im Bereich der neuzeitlich-vitruvianischen Architektur war es lange die Tektonik, die die Wirksamkeit von Naturgesetzlichkeit vermitteln sollte. Im anschaulich gemachten Prinzip von Tragen und Lasten repräsentiert sich demnach die Welt in Logik, Kausalität und Rationalität, also Kriterien, denen auch jeder Benutzer teilhaftig ist. Doch wenn diese repräsentationale Funktion der Architektur – also ihr Anspruch, einen übergeordneten Inhalt zu vermitteln – in Frage zu ziehen ist, so besteht das Paradox, auf architektonischem Wege hinter diese Funktion zu gelangen. Das kann aber nur dadurch geleistet werden, dass diese Infragestellung der Tektonik baulich aufgezeigt wird.
□ 162 Berlin, Jüdisches Museum, Daniel Libeskind, 1993 – 99, Blick in eines der voids
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Freilich birgt das inhärente Probleme, denn die auf den ersten Blick instabilen Gebilde des Dekonstruktivismus wollen in ihren Materialoppositionen, Raumdurchdringungen und Überraschungsmomenten ja nicht ihrerseits als ein kohärentes und komplexes Zeichensystem dechiffriert werden. Somit erliegen die dekonstruktivistischen Architekturen latent einer Ästhetik der Transzendenz, also der Bewunde-
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rung, dass trotz scheinbarer Regellosigkeit Stabilität und Funktionalität gewährleistet sind. Dies wiederum ist in vielen Fällen zu spektakulären und bisweilen monumentalen Eventarchitekturen umgedeutet, die ihrerseits Teil eines corporate design und insofern in hohem Maße repräsentational sein können. Das populärste Beispiel dafür ist das Guggenheim-Museum in Bilbao (□ vgl. 35).
Das 21. Jahrhundert Positionen der Gegenwart
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auen und Architektur hatten immer einen sozialen Auftrag |▶ 2, 16, 22, 30|, gerade in der Moderne, in der ökonomische Effizienz und soziale Hygiene zu Grundforderungen einer ‚guten‘ Architektur wurden. Das Scheitern vieler Großsiedlungen zeigt aber, dass das großmaßstäblich-industrielle Bauen nicht immer ein Garant für sozialen Fortschritt und die erhoffte Wohlfahrt darstellt. Auch kann, und das ist alltägliche Praxis insbesondere in den expandierenden Megacities Asiens und Lateinamerikas, die ökonomische Rationalisierung von einem ethischen Grundsatz zu einem Mittel der Renditevergrößerung umschlagen. Soziale Eingriffe sind hier nicht mehr über Archi□ 163 Gando (Burkina Faso), Grundschule, Diébédo Francis Kéré, 1999
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tektur, sondern höchstens über politische und wirtschaftliche Maßnahmen möglich. Vor allem implizieren derartige Modelle der effizienten Rationalisierung, dass es eine hochentwickelte Infrastruktur gibt, die Teil des alltäglichen Lebens ist – individuelle Mobilität, Ausstattungskomfort, Versorgung mit Energie und Nahrung. Und sie rechnen zudem mit bestimmten westlichen Lebensmodellen, was etwa die Funktion von Familie, die Bedeutung von Bildung oder das Konsumverhalten betrifft. Angesichts der Globalisierung der Welt stellt sich zunehmend die Erkenntnis ein, dass derartige Kriterien nicht auf Gesellschaften übertragbar sind, die nicht über solche Infrastrukturen verfügen.
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Das gilt in hohem Maße für die ländlichen, extrem armen Regionen Afrikas. Ökonomische Effizienz heißt in diesem Zusammenhang, lokale Materialien, traditionelle Techniken und Partizipation der Bewohner mit innovativem Knowhow zu verbinden, um daraus Architekturen entstehen zu lassen, die effektiv und in ihrer ästhetischen Form identitätsstiftend sind. Vor allem dem Lehmbau kommt hier eine wesentliche Rolle zu. Exemplarisch kann dies anhand der 1999 begonnenen Grundschule mit Bibliothek und Frauenhaus in Gando in Burkina Faso aufgezeigt werden. Die preisgekrönten Bauten wurden von dem aus dem Land stammenden, in Deutschland ausgebildeten Architekten Diébédo Francis Kéré und den Bewohnern des Dorfes errichtet (□ 163). Der Schulbau besteht aus einer Abfolge von rechteckigen Pavillons für die Klassenräume und einer über ovalem Grundriss errichteten Bibliothek. Konstruktiv kam ein einfaches Eisenbetonskelett zur Anwendung, dessen Ausfachung aus Lehm von den Dorfbewohnern selbst gestampft und eingebracht wurde. In die Ausfachung wurden auch Tonbehälter als Getreidespeicher eingemauert. Auch für die Decke der Bibliothek wurden derartige Tongefäße ohne Boden verwendet, so dass durch viele runde Öffnungen Tageslicht in den Innenraum rieseln kann. Die überdachte Veranda wurde aus einem Gitter von Eukalyptusbäumen erstellt, die Dächer bestehen aus einem aufgestelzten und weit vorkragenden leicht konvex gekrümmten Wellblech. Aus der pragmatischen Verbindung von preiswerten lokalen Baustoffen und gemeinschaftlicher Partizipation entsteht eine für die lokale Bildung sehr wichtige Schulinstitution, die in ihrer insgesamt schlichten, aber sehr klar gegliederten Architektur mit den eleganten horizontalen Flugdächern eine identitätsstiftende Wirkung hat. Der Synagogenbau erlebt in der letzten Zeit einen bemerkenswerten Aufschwung, zumal in Deutschland, wo sich seit dem Holocaust
□ 164 Mainz, Neue Synagoge, Manuel Herz, 2008 – 10
wieder jüdische Gemeinden als Teil des öffentlichen Lebens gebildet haben. Daraus ergeben sich zwei Leitfragen grundsätzlicher Natur, nämlich nach dem Repräsentationspotential der Synagogenarchitektur in Bezug auf ein gegenwärtiges Selbstverständnis des Judentums in Deutschland zum einen und zum anderen nach der architektonischen und urbanistischen Spezifik des Synagogenbaus im wiedervereinten Deutschland. Beide Fragen orientieren sich vor allem an grundsätzlichen Problemstellungen der Baugattung im 19. Jh. Diese waren getragen von einem weitgehend durch Assimilation geprägten Judentum und einer ausgeprägten Übernahme historistisch-stilistischer Architekturidiome, die auf romanische, orientalische bzw. christlich-sakrale Vokabulare Bezug nehmen. Die besondere Relevanz der Fragestellung ergibt sich aus dem epochalen Bruch, den die Shoah im Hinblick auf die Tradition des Synagogenbaus in Deutschland verursacht hat. So steht der aktuelle Synagogenbau vor dem Anspruch, sich als ein besonderer Bautypus auszuweisen, sich gleichzeitig städtebaulich zu integrieren und dabei ein innovatives Potential zu verwirklichen. In mehreren Fällen wird das dadurch deutlich gemacht, dass am Baukörper in abstrahierender Weise der Davidstern variiert wird, z. B. am Jüdischen Zentrum in München (Wandel, Hoefer & Lorch, 2003 – 06). Etwas andere Wege ging der Architekt Manuel Herz bei der Neuen Synagoge in der Mainzer
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□ 165 München, BMW Welt, Coop Himmelb(l)au, 2001 – 07
Neustadt, die von 2008 – 10 an der Stelle des 1938 zerstörten Gebetshauses errichtet wurde. Der Grundriss ist einfach, denn er besteht aus einem mehrfach abknickenden Riegel, in dessen östlichem Ende der eigentliche Synagogenraum mit dem Thoraschrein eingerichtet ist. Seine dunkle Möblierung kontrastiert mit den goldgefassten Innenwänden, von denen die Ostwand als reliefierte Textur aus ineinanderverschränkten hebräischen Schriftzeichen gestaltet ist. Großzügig belichtet wird der Saal durch einen steilen Lichttrichter. Im anderen Gebäudeteil befinden sich mehrere Veranstaltungssäle. Diese Raumabfolge ist nun in eine äußerst bewegte Außenfassade eingefasst, die in ihren Konturen den hebräischen Lettern des Segensspruchs „Keduschah“ (Heiligung, Erhöhung) folgen. Das gezackte Auf und Ab ist aber durchaus städtebaulich eingefügt, denn es nimmt zunächst die Traufhöhe der umgebenden Gründerzeitbebauung auf, um markant in der Umhüllung des Lichttrichters zu kulminieren. Entlang der Konturen sind parallele Scharen von Riefelungen in moosgrüner Keramik geführt, die gemäß den Konturknickungen Felder von unregelmäßigen Vielecken, meist Rhomben, Trapeze und Parallelogramme, ausbilden (□ 164). Je nach Lichteinfall schimmern diese Felder unterschiedlich, reflektieren mal das Licht, mal dominiert die Färbung des keramischen Materials. Die Architektur scheint
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somit im flirrenden Grün der umgebenden Bepflanzung aufzugehen, umschließt sogar einen Garten im rückwärtigen Bereich. Somit steht die Synagoge inmitten eines innerstädtischen Platzes, der teilweise als grüne Piazza gestaltet ist und zum Verweilen und Feiern einlädt. Während also die Synagogen in Dresden (Wandel, Hoefer & Lorch, 1997 – 2001) und München in ihrer hieratischen Aufsockelung gleichsam auch Denkmals- und Mahnmalcharakter haben, verzichtet das Mainzer Gebäude auf solche negativen Bezugnahmen, sondern vermittelt eine optimistische Verankerung im städtischen Umfeld, ohne dabei aber auf die große Aufgipfelung über dem Synagogenraum zu verzichten. Die Symbolik kann dem Bau nicht durch konventionelle Zeichen entnommen werden, sondern ist ihm wortwörtlich eingeschrieben, denn seine äußere Form folgt dem Segensspruch, stellt ein gebaute Form gewordenes Motto für die Synagoge wie auch das unmittelbare Umfeld dar. Die spektakulären, formal auffälligen Großprojekte folgen häufig dem Konzept einer branded architecture, also einer Markenbildung, die Teil der corporate identity des Bauherrn darstellt. Auch die verschiedenen Erlebnisparks von Automobilherstellern gehören in diesen Zusammenhang. Im Fall von BMW kann auch ansatzweise die dahin führende Entwicklung innerhalb eines Areals nachverfolgt werden: In unmittelbarer Nachbarschaft des Münche-
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ner Olympiageländes |▶ 46| und dessen Aufwertung des Stadtviertels folgend errichtete Karl Schwanzer 1972 die Hauptverwaltung und ein Automobilmuseum des Unternehmens. Das Verwaltungshochhaus erhielt die an einen Hochleistungsmotor erinnernde Form von zweimal vier kompakt zusammengefassten Zylindern. Das Museum wurde als riesige Schüssel gestaltet und umgehend als Weißwurstkessel bezeichnet und insofern als ‚bayerisch‘ konnotiert. Die BMW Welt, 2001 – 07 zwischen Olympiagelände und der BMW-Zentrale von dem Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au errichtet, bezieht sich aber nicht mehr mit solchen Bildverweisen auf das Unternehmen, sondern auf die Schaffung einer totalen Entertainment-Architektur: Das im Grundriss in etwa dreieckige Gebäude enthält eine Premiereplattform, auf der in einem ausgeklügelten Zeremoniell Neuwagen in Empfang genommen werden und dann über eine spektakulär im Inneren hängende Rampe ausfahren können. Sodann vereint die Architektur ein Kundenzentrum, Ausstellungs- und Veranstaltungsräume, eine Flanierzone, Präsentations- und Simulationsflächen, einen Forschungsbereich, mehrere gastronomische Einrichtungen usw. All das ist Tag und Nacht geöffnet, von einer geradezu provozierenden Öffentlichkeit: ein um das Auto herum arrangiertes Kulturzentrum. Die drei Stockwerke in die Erde und drei in die Höhe reichende Konstruktion enthält in paradoxer Weise eine Art gebauter Wolke (□ 165). Aus zwei übereinanderstehenden gläsernen, mit den spitzen Seiten sich berührenden Kegeln – einer Hurrikanwolke nicht unähnlich – zieht sich entlang der Decke ein auf- und abschwellender Wolkenstreifen als Dach über das Gebäude. Daran vorbei führt von außen nach innen eine geschwungene Passerelle, sich im Inneren zu einem eigenen überhängenden Geschoss ausweitend. Die wolkenartigen Formationen scheinen sich im Inneren dynamisch in ein großes Oval einzudrehen; dort findet der Empfang der
Neuwagen statt. Zwischen Hallenboden und Wolkendach verbleibt ein weiter Freiraum, der nirgendwo die immer spektakulären, berauschenden Blicke auf die hier statthabenden Events behindert. Technisch ist die Konstruktion eine Meisterleistung der Tragwerksplaner Klaus Bollinger und Manfred Grohmann, die die schwingenden Formen und die dazu nötige komplizierte, vom Dach abgehängte Fachwerkkonstruktion der Wolke mit Hilfe von aufwendigen computergesteuerten Entwurfs- und Roboterprogrammen verwirklichten. Die Nutzbereiche im Inneren sind mit organisch-schwellenden Blechen verkleidet, aerodynamisch wie leistungsstarke Automobile geformt und in ihrer mattiert grauen Lackierung auch vergleichbare Oberflächenreize aufweisend. Dazu kontrastiert die ‚Wirbelsturm‘-Decke, aus der bisweilen rötliches Licht durchzuschimmern scheint. Wolf Prix, der Leiter des Architekturbüros, hatte schon in den 60er Jahren mit fliegenden Architekturen experimentiert, also einem eigentlich unlösbaren Paradox – schwere Bauten sich in die Luft heben zu lassen. Mit Hilfe massiver Technik scheint in der BMW Welt dieses eigentlich Unmögliche Wirklichkeit geworden zu sein, nämlich das Fliegen, Schweben und Wirbeln zu bauen. Ging es früher darum, mit der Erfahrung des Schwebens starke beunruhigende, euphorische Emotionen zu wecken und insofern der Architektur neue Erlebnisqualitäten zu verleihen, so verbinden sich diese in der BMW Welt mit einer ästhetisch aufgeladenen Sinnlichkeit des Konsums von perfekt beherrschten Wunderdingen. Ungebundene Fortbewegung inmitten der rauschenden und berauschenden, aber gleichwohl beherrschten Naturkräfte: Solche Erlebnisqualitäten eignen der Architektur wie dem Image der Automarke. Wenn man das mit der Grundschule in Gando in Zusammenhang bringt, eröffnet sich eine geradezu irritierend große Bandbreite dessen, was gegenwärtige Positionen der Architektur sein können.
Das 21. Jahrhundert
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IV. Anhang Zeittafel 1747 Gründung der École des ponts et chaussées in Paris 1748 Beginn der Ausgrabungen in Pompeji 1756 Marc-Antoine Laugier: „Essai sur l’architecture“ 1757 Paris, Ste-Geneviève (Panthéon, Germain Soufflot) 1758 David Le Roy „Ruines des plus beaux monuments de la Grèce“ 1762 – 1816 Nicholas Revett und James Stuart: „Antiquities of Athens“ 1764 Johann Joachim Winckelmann: „Geschichte der Kunst des Altertums“ 1765 Marie-Joseph Peyre: „Œuvres d’architecture“ 1768 – 1813 Wörlitzer Gartenreich (Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff) 1773 – 1789 Großes Theater in Bordeaux (Victor Louis) 1775 – 1778 Saline von Arc-et-Senans (Claude-Nicolas Ledoux) 1775 – 1785 Christian Cay Lorenz Hirschfeld: „Theorie der Gartenkunst“ 1778 – 1784 Theater in Besançon (Claude-Nicolas Ledoux) 1779 – 1782 Comédie française (Théâtre de l’Odéon) in Paris (Marie-Joseph Peyre und Charles de Wailly) 1780 Nicolas Le Camus de Mézières: „Le genie de l’architecture ou l’analogie de cet art avec nos sensations“ 1781 Sumerset House in London (William Chambers) 1785 – 1789 Zollhäuser in Paris (Claude-Nicolas Ledoux) 1788 Brandenburger Tor in Berlin (Carl Gotthard Langhans) 1789 Englischer Garten in München (Benjamin Thompson und Ludwig von Sckell) 1792 Bebauungsplan für Washington (Pierre-Charles L’Enfant) 1794 Gründung der École polytechnique in Paris 1794 – 1810 Ausbau der Bank of England in London (John Soane) 1796 – 1809 Zweites Landhaus Jefferson in Monticello 1799 – 1801 Jean-Nicolas-Louis Durand: „Recueil et pa- rallèle des édifices de tout genre anciens et modernes“ 1800 Rathaus von Kopenhagen (Christian Frederik Hansen) 1802 – 1805 Jean-Nicolas-Louis Durand: „Précis des leçons d’architectures données à l’école polytechnique“ 1804 Claude-Nicolas Ledoux: „L’architecture considérée sous le rapport de l’art, des mœurs et de la législation“ 1810 – 1829 Frauenkirche in Kopenhagen (Christian Frederik Hansen)
1816 Gründung der École des Beaux-Arts in Paris Neue Wache in Berlin (Karl Friedrich Schinkel) 1817 Propyläen in München (Leo von Klenze) 1817 – 1826 Academical Village in Charlottesvilles (Thomas Jefferson, William Thornton u. Benjamin Latrobe) 1818 – 1821 Schauspielhaus in Berlin (Karl Friedrich Schinkel) 1822 – 1830 Altes Museum in Berlin ( Karl Friedrich Schinkel) 1825 – 1842 Umbau der Residenz in München (Leo von Klenze) 1828 Heinrich Hübsch: „In welchem Style sollen wir bauen?“ 1830 – 1842 Walhalla bei Donaustauf (Leo von Klenze) 1832 Bauakademie in Berlin (Karl Friedrich Schinkel) 1832 – 1843 Staatsbibliothek in München (Friedrich von Gärtner) 1833 Jules Michelet: „Histoire de la France“ 1834 Gottfried Semper: „Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architektur“ 1839 Leopold von Ranke „Deutsche Geschichte im Zeit- alter der Reformation“ 1839 – 1841 Erstes Hoftheater in Dresden (Gottfried Semper) 1840 – 1852 Houses of Parliament in London (Charles Barry, Augustus Welby Northmore Pugin) 1842 – 1850 Bibliothèque Ste-Geneviève in Paris (Henri Labrouste) 1842 – 1880 Vollendung des Kölner Doms (Friedrich Zwirner) 1849 John Ruskin: „The Seven Lamps of Architecture“ 1850 – 1863 Anlage von Saltaire bei Bradford 1851 Crystal Palace in London (Joseph Paxton und Charles Fox) Gottfried Semper: „Vier Elemente der Baukunst“ Markthallen in Paris (Victor Baltard) Weltausstellung in London 1851 – 1853 John Ruskin: „Stones of Venice“ 1852 Kathedrale von Marseille (Léon Vaudoyer) 1853 Mechanischer Personenaufzug (Elisha Graves Otis) 1853 – Anf. 20. Jh. städtebauliche Neuordnung von Paris (Georges-Eugène Haussmann) 1854 – 1875 Lesesaal der Bibliothèque nationale in Paris (Henri Labrouste) 1856 Owen Jones: „Grammar of Ornament“ 1854 – 1868 Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc:
325 „Dictionnaire raisonné de l’architecture française du XIe au XVIe siècle“ 1859 Ensanche (‚Erweiterungs‘)-Plan für Barcelona (Ildefons Cerdà) Red House in Bexleyheath (Philip Webb) 1859 – 1862 Central Park in New York (Frederick Law Olmstedt) 1859 – 1910 Ringstraße in Wien 1860 Umgestaltung des Parc Montceau in Paris (Jean-Charles-Adolphe Alphand) 1860 – 1863 Gottfried Semper: „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten“ 1861 Gare du Nord in Paris (Jacques Ignace Hittorff) 1862 Bebauungsplan für Berlin (James Hobrecht) 1862 – 1869 Palais Longchamps in Marseille (Henri Espérandieu) 1862 – 1870 Parc des Buttes Chaumont in Paris (Jean-Charles-Adolphe Alphand) 1862 – 187 Opéra in Paris (Charles Garnier) 1863 Untergrundbahn in London 1863 – 1872 Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc: „Entre- tiens“ 1866 – 1877 Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand (Giuseppe Mengoni) 1866 – 1883 Justizpalast in Brüssel (Joseph Poelaert) 1871 – 1878 Zweites Hoftheater in Dresden (Gottfried Semper) 1872 Ausbau des Kaufhauses Au Bon Marché in Paris (Louis-Charles Boileau) 1882 Bandstadtentwurf von Arturo Soria y Mata 1883 Sagrada Familia in Barcelona (Antonio Gaudí u. a.), noch nicht voll. 1883 – 1886 Home Insurance Building in Chicago (William Le Baron Jenney) 1883 – 1902 Parlamentspalast in Budapest (Imre Steindl) 1885 – 1887 Marschall Field’s Wholesale Store (Henry Hobson Richardson) 1889 Camillo Sitte: „Der Städtbau nach seinen künstle- rischen Grundsätzen“ Eiffelturm in Paris (Maurice Koechlin u. Gustave Eiffel) Port Sunlight bei Warrington (William Owen) 1889 – 1891 Second Leiter Building in Chicago (William Le Baron Jenney) 1890 Hermann Joseph Stübben: „Handbuch des Städtebaus“ Wainwright Building in St. Louis (Dankmar Adler & Louis Sullivan) 1891 Wiesbadener Programm für den ev. Kirchenbau 1893 Weltausstellung in Chicago 1893 – 1900 Bayerisches Nationalmuseum (Gabriel von Seidl) 1894 Julien Guadet: „Éléments et théorie d’Architecture“ 1894 – 1996 Guaranty Building in Buffalo (Dankmar Adler & Louis Sullivan)
1895 Castel Béranger in Paris (Hector Guimard) Bournville (Alexander Harvey) 1896 Otto Wagner: „Moderne Architektur“ 1898 Ebenezer Howard: „Tomorrow. A Peaceful Path to Real Reform“ 1898 – 1899 Majolikahaus in Wien (Otto Wagner) 1898 – 1901 Maison Horta in Brüssel (Victor Horta) 1899 Gründung der Garden Cities Association Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt (Joseph Maria Olbrich u. a.) 1900 Weltausstellung in Paris 1902 Flatiron Building in New York (Daniel Hudson Burnham) Gründung der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft McMillan-Plan für die Mall in Washington 1903 – 1913 Grand Central Terminal in New York (William J. Wilgus u. Withney Warren & Charles D. Wetmore) 1903 – 1914 Preußische Staatsbibliothek in Berlin (Ernst von Ihne) 1904 – 1906 Casa Battló in Barcelona (Antonio Gaudí) 1904 – 1912 Postsparkassenamt in Wien (Otto Wagner) 1905 Sanatorium Purkersdorf bei Wien (Josef Hoffmann) 1905 – 1910 Garnisonkirche (heute Pauluskirche) in Ulm (Theodor Fischer) 1906 3. Deutsche Kunstgewerbeausstellung in Dresden Haus Hohenhof in Hagen (Henry van de Velde) 1907 Gründung des Deutschen Werkbundes 1907 – 1908 Wohnanlage Fritschweg in Berlin (Paul Mebes) 1908 Adolf Loos: „Ornament und Verbrechen“ 1908 – 1909 AEG-Turbinenhalle in Berlin (Peter Behrens) 1908 – 1913 Gartenstadt Hellerau 1909 Raymond Unwin: „Town Planning in Practice“ 1909 – 1910 Michaelerhaus in Wien (Adolf Loos) 1909 – 1911 Robie House in Chicago (Frank Lloyd Wright) 1910 – 1911 Fagus-Werke in Alfeld a. d. Leine (Adolf Meyer und Walter Gropius) Frank Lloyd Wright: „Ausgeführte Bauten und Entwürfe“ 1910 – 1913 Théâtre des Champs-Elysées in Paris (Henry van de Velde u. Auguste Perret) 1911 Kaufhaus Junkernstraße in Breslau (Hans Poelzig) 1912 – 1928 Hauptbahnhof in Stuttgart (Paul Bonatz u. Friedrich Eugen Scholer) 1913 Jahrhunderthalle in Breslau (Max Berg) 1913 – 1920 Erstes Goetheanum in Dornach bei Basel 1914 Entwurf des Dom-Ino-Hauses (Charles-Edouard Jeanneret = Le Corbusier) Werkbund-Ausstellung in Köln 1915 Villa Henny in Huis ter Heide (Robert van ’t Hoff) 1916 Zoning Resolution für New York 1917 Gründung von De Stijl 1918 Gründung des Arbeitsrats für Kunst Romano Guardini: „Vom Geist der Liturgie“
Zeittafel
326 1919 Bruno Taut: „Stadtkrone“ Großes Schauspielhaus in Berlin (Hans Poelzig) Gründung der Gläsernen Kette Gründung des Bauhauses in Weimar Otto Bartning: „Vom Neuen Kirchenbau“ 1920 Bruno Taut: „Alpine Architektur“ 1920 – 1921 Entwürfe für Glashochhäuser (Ludwig Mies van der Rohe) Einsteinturm in Potsdam (Erich Mendelsohn) 1920/1921 Haus Sommerfeld in Berlin (Walter Gropius) 1921 Paul Valéry: „Eupalinos ou l’architecte“ Turmentwurf für die III. Internationale (Vladimir Tatlin) 1921 – 1928 Stadtbibliothek in Stockholm (Gunnar Asplund) 1922 Notre-Dame de la Consolation in Le Raincy (Auguste Perret) Projekt einer Ville contemporaine für 3 Mio. Einwohner (Le Corbusier) Wettbewerb für einen Wolkenkratzer der „Chicago Tribune“ 1922 – 1928 Mustergut Garkau (Hugo Häring) 1923 De Stijl-Ausstellung in Paris Entwurf für einen Arbeitspalast (Brüder Vesnin) Le Corbusier: „Vers une architecture“ Siedlung Oud Mathenesse in Rotterdam (Jacobus Johannes Pieter Oud) 1924 Moisey Ginzburg: „Stil i epokha“ Schröder-Schräder-Haus in Utrecht (Gerrit Rietveld) 1924 – 1928 Zweites Goetheanum in Dornach bei Basel (Rudolf Steiner u. a.) 1924 – 1932 Hufeisensiedlung in Berlin (Bruno Taut und Martin Wagner) 1925 Le Corbusier: „Urbanisme“ Umzug des Bauhauses nach Dessau 1925 – 1926 Bauhausgebäude und Meisterhäuser in Dessau (Walter Gropius) 1925 – 1930 Ernst May Stadtbaurat in Frankfurt a. M. 1926 – 1937 Verwaltungsgebäude des Völkerbunds (UNO) in Genf (Paul Nénot und Julien Flegenheimer) 1927 Weißenhofsiedlung in Stuttgart 1927 – 1930 Narkofimgebäude in Moskau (Moisey Ginzburg) Zuev-Klub der Kommunalarbeiter in Moskau (Ilja A. Golosov u. Konstantin Melnikov) 1927 – 1935 Bibliothek in Viipuri (Alvar Aalto) 1928 Gründung der Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM) Kaufhaus Schocken in Chemnitz (Erich Mendelsohn) St. Fronleichnam in Aachen (Rudolf Schwarz) 1928 – 1929 Reichsversuchssiedlung Haselhorst in Berlin Siedlung Karlsruhe-Dammerstock (Walter Gropius u. a.) 1928 – 1930 Chrysler Building in New York (William van Alen)
Anhang
1928 – 1931 Villa Savoye in Poissy (Le Corbusier) IG-Farben-Verwaltungsgebäude in Frankfurt a. M. (Hans Poelzig) 1929 Deutscher Pavillon auf der Weltausstellung in Barcelona (Ludwig Mies van der Rohe) II. CIAM-Kongress (Die Wohnung für das Existenzminimum) Karl-Marx-Hof in Wien (Karl Ehn) Gasprom-Baukomplex in Charkiv (Samuil Krawetz, Mark Felger und Sergey Serafimov) 1929 – 1930 Daily News Building in New York (Raymond Hood) 1929 – 1932 Tuberkulose-Sanatorium in Paimio (Alvar Aalto) 1930 Ausstellungsrestaurant „Paradiset“ in Stockholm (Gunnar Asplund) Empire State Building in New York (Richard H. Shreve, William Lab u. Arthur Loomis Harmon) 1930 – 1933 Haus Schminke in Löbau (Hans Scharoun) 1932 Ausstellung „Modern Architecture: International Exhibition” im New Yorker Museum of Modern Art, Katalog: „The International Style: Architecture Since 1922“ Paul Schmitthenner: „Das deutsche Wohnhaus“ Schweizer Studentenwohnhaus in der Pariser Cité internationale universitaire (Le Corbusier) Wettbewerb für den Sowjetpalast in Moskau 1932 – 1935 Città Universitaria in Rom 1932 – 1936 Casa del Fascio in Como (Giuseppe Terragni) 1933 4. CIAM-Kongress, Charta von Athen 1933 – 1937 Haus der Kunst in München (Paul Ludwig Troost) 1933 – 1940 Rockefeller Center in New York (Raymond Hood) 1934 – 1944 Reichsparteitagsgelände in Nürnberg (Albert Speer) 1935 Erziehungsministerium in Rio de Janeiro (Le Corbusier von Lucio Costa) Landhaus Falling Water in Mill Run (Pennsylvania, Frank Lloyd Wright) Le Corbusier: „La Ville radieuse“ 1936 Nikolaus Pevsner: „Pioneers of the Modern Movement from William Morris to Walter Gropius” 1936 – 1943 Esposizione universale di Roma (EUR, Marcello Piacentini u. a.) 1937 Villa Mairea in Noormarkku (Alvar Aalto) 1938 Rudolf Schwarz: „Vom Bau der Kirche“ 1938 – 1943 Neue Reichskanzlei in Berlin (Albert Speer) 1939 Villa Tugendhat in Brno 1930 (Ludwig Mies van der Rohe) 1940 Modellstadt Pampulha (Oskar Niemeyer) 1941 Sigfried Giedion: „Space, Time and Architecture“ 1943 Publikation der Charta von Athen 1945 – 1951 Farnworth House in Plano (Ill.; Ludwig Mies van der Rohe)
327 1945 – 1952 Unité d’habitation in Marseille (Le Corbusier und Vladimir Bodiansky) 1946 sog. Kollektivplan für Berlin (Hans Scharoun) 1946 – 1947 Desert House in Palm Springs (Richard Neutra) 1948 – 1951 Wohnhochhäuser am Lake Shore Drive in Chicago (Ludwig Mies van der Rohe) 1949 Rudolf Schwarz: „Von der Bebauung der Erde“ 1949 – 1953 Lomonosov-Universität in Moskau (Lev Rudnew u. a.) 1950 „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus“ in der DDR 1950 – 1955 Kapelle von Ronchamp (Le Corbusier) 1951 Planungsbeginn für Chandigarh (Le Corbusier und Pierre Jeanneret) 1951 – 1965 Stalinallee (Karl-Marx-Allee) in Berlin 1952 – 1958 Kloster La Tourette (Le Corbusier) Torre Velasca in Mailand (BBPR) 1954 – 1958 Seagram Building in New York (Ludwig Mies van der Rohe) 1955 – 1958 Pfarrkirche in Vuoksenniska/Imatra (Alvar Aalto) 1956 – 1958 Pirelli-Turm in Mailand (Pier Luigi Nervi und Gio Ponti) 1956 – 1959 Guggenheim-Museum in New York (Frank Lloyd Wright) 1956 – 1960 Stadtanlage von Brasília (Lucio Costa und Oscar Niemeyer) 1957 „Interbau“ in Berlin-West, Bebauung des Hansa-Viertels 1957 – 1961 Richards Laboratories in Philadelphia (Louis Kahn) 1957 – 1962 TWA-Flughafenterminal in New York (Eero Saarinen) 1957 – 1973 Opernhaus in Sydney (Jørn Utzon u. Ove Arup) 1958 – 1961 Tokyo Bay Plan (Kenzo Tange u. a.) 1959 Auflösung des CIAM 1959 – 1964 Economist Building in London (Peter und Alison Smithson) 1959 – 1966 Kirche von Kaleva in Tampere (Raili und Reima Pietilä) 1960 „Metabolism 1960 – A Proposal for a New Urbanism“ 1960 – 1966 Technische Universität in Espoo (Alvar und Aino Aalto) 1961 Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (Egon Eiermann) Yamanashi-Presse- und Rundfunkzentrum in Kofu (Kenzo Tange) 1961 – 1973 Archigram 1962 – 1968 Neue Nationalgalerie in Berlin (Ludwig Mies van der Rohe)
1963 Ste-Bernadette-du-Banlay bei Nevers (Claude Parent und Paul Virilio) 1964 – 1968 Wallfahrtskirche in Neviges (Gottfried Böhm) 1964 – 1983 Regierungszentrum in Dhaka (Louis Kahn) 1966 Aldo Rossi: „L’Architettura della Città“ Robert Venturi: „Complexity and Contradiction in Architecture“ 1966 – 1969 Architekturfakultät in São Paulo (João Batista Vilanova Artigas) 1967 Amerikanischer Pavillon auf der Weltausstellung in Montreal (Richard Buckminster Fuller) Habitat 67 in Montreal (Moshe Safdie) 1967 – 1972 Olympiazentrum in München (Günter Behnisch, Günther Grzimek, Frei Otto u. a.) 1970 Weltausstellung in Osaka 1971 – 1977 Centre Georges Pompidou in Paris (Renzo Piano u. Richard Rogers) 1971 – 1979 Internationales Congress Centrum in Berlin (Ralf und Ursulina Schüler-Witte) 1972 Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenvour: „Learning from Las Vegas“ 1977 Charles Jencks: „The Language of Post-modern Architecture“ Rem Koolhaas: „Delirious New York“ 1977 – 1984 Neue Staatsgalerie in Stuttgart (James Stirling und Michael Wilford) 1978 – 1986 Lloyd’s-Bankgebäude in London (Richard Rogers) 1983 – 1985 HSBC-Hauptgebäude in Hongkonk (Norman Foster) 1984 – 1987 Internationale Bauausstellung in Berlin (IBA) 1991 – 1998 Kulturzentrum Jean-Marie Tjibaou in Nouméa (Renzo Piano) 1993 – 1997 Guggenheim-Museum in Bilbao (Frank O. Gehry) 1993 – 1999 Jüdisches Museum in Berlin (Daniel Libeskind) 1994 Fondation Cartier in Paris (Jean Nouvel) 1995 Rem Koolhaas u. Bruce Mau: „S, M, L, XL“ 1999 Grundschule in Gando (Burkina Faso; Diébédo Francis Kéré) 1999 – 2005 Casa da Música in Porto (Rem Koolhaas) 2001 – 2007 BMW Welt in München (Coop Himmelb(l)au) 2002 – 2005 Denkmal für die ermordeten Juden in Europa in Berlin (Peter Eisenman) 2004 Universitätsbibliothek Cottbus (Herzog & De Meuron) 2008 – 2010 Neue Synagoge in Mainz (Manuel Herz)
Zeittafel
328
Glossar Ädikula Wörtlich: Kleines Haus. Umrahmung einer Öffnung durch eine → Sohlbank, seitliche Stützglieder (Säulen oder Pfeiler) und ein Giebelfrontispiz (meist segmentbogen- oder dreiecksförmig). Aha Auch: Ha-Ha. An der Innenseite erhöhter Trockengraben zur unsichtbaren Begrenzung von Parkanlagen, bevorzugt im → Englischen Garten des 18. Jh.s, benannt nach dem Ausruf der Überraschung beim Entdecken dieses Kunstgriffs. Akroter Figürlicher oder ornamentaler Aufsatz an Spitze und Ecke eines Giebels. Altar Opferstein oder -tisch, in christlichen Kirchen zentraler Ort der Abendmahlsfeier, oft verwechselt mit dem dahinter befindlichen Aufbau. Ante Seitliche Zungenmauern bei Säulenportiken. Apsis, Apsiden Chorabschluss, meist auf halbkreisförmigem oder polygonalem Grundriss und überwölbt. Architecture parlante Begriff der (franz.) Architekturtheorie seit ca. 1770: ‚Sprechende‘ Wirkung der architektonischen Gestaltung zur unmittelbaren emotionalen Vermittlung von Funktion und Bedeutung des Gebäudes an die ‚Seele‘ des Betrachters (vgl. → caractère). Arkade Lat. arcus = Bogen, Bogenstellung, meist Abfolge mehrerer Bögen auf Säulen oder Pfeilern. Atlant Männliche Trägerfigur (vgl. → Karyatide). Attika (Halb-)Geschoss oder Aufbau oberhalb des Kranzgesimses eines Gebäudes. Aufriss Lat. (nach Vitruv) orthographia: Zeichnerische maßhaltige Darstellungsform der unverkürzten (Außen-) Ansicht eines Gebäudes in Orthogonalprojektion.
Baluster Kleines Stützelement, oft als Teil einer Brüstung,
wegen seiner gebauchten Form an einen Granatapfel (griech. balaustion) erinnernd. Mit seitlich rahmenden → Postamenten, einer → Sohlbank und Sockel als sog. Balustrade oft zum oberen Abschluss eines Gebäudes verwendet. Basilika Bautypus eines mehrschiffigen → Longitudinal- baus (in der Antike profan, danach meist als Sakralbau), bei dem das Mittelschiff höher ist als die Seitenschiffe und durch eigene Fenster (→ Obergaden) belichtet wird. Basis Fußteil eines vertikalen Stützglieds, in der frühen Neuzeit (im Unterschied zur Antike) bei allen → Ordnungen üblich. Binder In sich stabile Konstruktion zur Überdeckung großer Spannweiten, z. B. Dreigelenkbogenbinder (mit drei Gelenken aufgelagerte bzw. verbundene → Träger, etwa aus Stahl). Blendgliederung, -bögen, -arkaden, -felder etc. Architektonische Gliederung, die einer geschlossenen Wand dekorativ vorgelegt ist und häufig Strukturen eines Gliederbaus abbildet.
Caractère Begriff der (franz.) Architekturtheorie seit ca. 1750: Ausstrahlung eines Gebäudes, das Rang, Eigenart, Funktion und Bedeutung ‚aktiv‘ und unmittelbar
Anhang
durch seine Gestaltung dem Betrachter vermittelt (vgl. → architecture parlante). Corinthia, korinthische Ordnung Reichste der → Säulenordnungen, gekennzeichnet durch zwei Blattkränze und Voluten darüber.
Dorica, dorische Ordnung Schlichteste der → Säulen-
ordnungen, ausgezeichnet durch ein kissenförmiges Kapitel.
Eklektizismus, eklektisch Von eklektos (griech.), ausge-
wählt: künstlerisches Verfahren, durch Auswahl und neue Zusammenstellung verschiedener Vorbilder ein neues Werk zu generieren, das die unterschiedlichen Qualitäten der Vorbilder möglichst verbinden und dadurch steigern soll. Enfilade Franz. für Auffädelung, Anordnung der Türen einer Folge aneinanderstoßender Räume in einer optischen Achse. Englischer Garten Auch: Landschaftsgarten, meist malerisch-asymmetrisch und scheinbar natürlich gestaltet. Erhabenheit Franz. sublimité: ästhetische Kategorie des 18. Jh.s, die die Wirkung eines überwältigend großen, aus der Natur abgeleiteten Seheindrucks auf die Architektur übertragen will. Exedra Meist halbkreisförmige, nischenartige Erweiterung eines Gebäudes oder Begrenzung eines Freiraums. Im Grundriss oft mit einer Apsis zu verwechseln, aber im Unterschied zu dieser nicht überwölbt.
Fassade Von ital. faccia = Gesicht: Außenansicht eines
Gebäudes. Der Begriff Innenfassade wird nur für die Innenseite einer Schaufront verwendet, z. B. für die sog. Rückfassade eines Kirchenraums. Französischer Garten Auch: Formaler Garten, einem erkennbar künstlichen, geometrisch-regelmäßigen Grundplan folgend. Frontispiz Giebelmotiv, oft als Fassadenschmuck und Reduktionsform einer Tempelfassade.
Galerie Langgestreckter Repräsentationsraum, vor al-
lem im französischen Schlossbau. Durch die Dekoration mit Gemälden überträgt sich der Begriff später auf Bildersammlungen. Gebälk Horizontales, in der klassischen (Säulen-)Ordnungsarchitektur meist dreigeteiltes Bauglied, bestehend aus (von unten nach oben) Architrav, Fries und → Gesims (Geison). Gekuppelt Zwei gleiche Bauteile (z. B. Säulen, Fenster) werden nebeneinandergesetzt und zu einer Zweiergruppe verbunden. Gesims Horizontales, lineares Bauelement, oberster Teil des → Gebälks oder auch isoliertes Element, oft zur Stockwerksgliederung. Als oberer Abschluss eines Gebäudes häufig besonders hervorgehoben als sog. Kranzgesims.
329 Gewände Seitliche Begrenzungen einer Öffnung (Fenster oder Tür). Griechisches Kreuz Kreuz mit gleich langen Armen. Grotte Element der Gartengestaltung, künstlich geschaffene, meist reich und unkonventionell dekorierte Höhle. Grundriss Lat. (nach Vitruv) ichnographia: Zeichnerische Darstellungsform eines horizontalen Schnitts durch ein Gebäude, die alle Wandstärken und Flächenmaße exakt wiedergibt. Oft durch die Einzeichnung der darüber befindlichen Gewölbeformen als Projektionen ergänzt.
Halle Raum aus mehreren gewölbten, gleich hohen →
Jochen. Hôtel Wörtlich Herberge, franz. Pendant zu → Palazzo, d. h. innerstädtisches (Privat-)Haus für Adelige oder Institutionen (z. B. Klöster), deren Hauptwohnsitz auf dem Land liegt. In deutschen Städten oft ‚Hof‘ genannt. Hôtel particulier Franz. für ein anspruchsvolles, hof- artiges Privatwohnhaus in der Stadt.
Interkolumnium Freier (lichter) Zwischenraum zwischen
zwei Säulenschäften. Das Maß unterscheidet sich vom Achsabstand (dem Abstand zweier Säulenmitten) um eine Säulenbreite und gilt seit Vitruv als zentrale Grund- einheit der Gebäudeproportionierung.
Joch Gewölbeeinheit eines Bauwerks (mit den zugehörigen Stützgliedern). Jonica, jonische Ordnung → Säulenordnung mit Voluten im Kapitell.
Kaffgesims Auch: Wasserschlag. Pultdachähnlich abge-
schrägtes Gesims an der Außenseite von mittelalterlichen Gebäuden zum Schutz gegen Regenwasser. Kalotte Gewölbter Teil einer → Kuppel, Kuppelschale. Kannelur, kanneliert Gestaltung eines Stützenschaftes durch vertikale eingetiefte Rillen. Kapelle Kleiner Sakralraum, entweder selbständig oder in ein anderes Gebäude inkorporiert bzw. als Annex angeschlossen. Kapitell Verziertes Kopfteil eines vertikalen Stützglieds, prägendes Element zur unterschiedlichen Gestaltung der verschiedenen → Ordnungen. Karyatide Weibliche Trägerfigur (Herme, vgl. → Atlant). Kassettierung Gestaltung einer Fläche durch ein regelmäßiges Gittermuster mit eingetieften Flächen. Kathedrale Von lat. cathedra = Thron (eines Bischofs), Rangbezeichnung einer Bischofskirche, Synonym im Deutschen: Dom. Kenotaph Schau- oder Leergrabgebäude als Denkmal eines Verstorbenen. Kolonnade Von ital. colonna = → Säule, Säulenfolge, meist mit geradem Gebälk.
Kolossalordnung Auch: Große Ordnung. Säulen- oder Pilastergliederung, die mehrere Geschosse eines Bauwerks zusammenfasst. Konsole An einer Wand angebrachtes vorkragendes Tragelement, oft in Form einer → Volute. Kuppel Gewölbte, oft turmartig erhöhte Überdeckung eines → Joches in runder oder polygonaler Form.
Laterne Aufsatz auf dem Scheitel einer → Kuppel, meist
durchfenstert zur Belichtung des Kuppelinneren durch ein → Opaion. Loggia Überwölbte Halle, an mindestens einer Seite zum Freiraum geöffnet. Longitudinalbau Bauform mit klar ausgeprägter Hauptachse, z. B. längsgerichtete → Basiliken über Lateinischem Kreuz. Lukarne Dachfenster oder kleiner Zwerchgiebel, dessen Firstrichtung quer (= zwerch) zum Hauptfirst steht.
Mansarddach/Mansart-Dach Geknicktes Walm- oder
Satteldach mit unten steiler, oben flacherer Neigung (auch: Mansarde), gebräuchlich vor allem im französisch beeinflussten Spätbarock, benannt nach dem Architekten François Mansart. Mezzanin Ital. für Zwischengeschoss, meist mit reduzierter Höhe gegenüber den Hauptgeschossen. Modul Maß, Grundeinheit zur Berechnung von Gebäude- proportionen, z. B. die Breite eines Gewölbejochs, nach Vitruv meist der untere Durchmesser eines Säulenschaftes. Mullion Engl. für Fensterpfosten, aber auch vor die Fassade gelegte vertikale Stahlprofile. Mythologie Überlieferung der griechisch-römischen Götter- welt als symbolisch-assoziative Bedeutungsträger, z. B. die Identifikation des Herrschers mit dem Sonnengott Apoll.
Obelisk Ital. guglia, nach oben spitz zulaufender frei
stehender Pfeiler, ursprünglich aus Ägypten stammend, im Rom der Frühen Neuzeit als Denkmal und → pointde-vue im Städtebau neu eingesetzt. Obergaden Auch: Lichtgaden. Von Fenstern durchbrochene obere Wandzone des Mittelschiffs einer → Basilika. Okulus Kreisrunde Fensteröffnung. Opaion Griech. für Auge, kreisrunde Lichtöffnung eines Kuppelscheitels. Ordnung, Säulenordnung Architektonische Gliederung aus vertikalen ( → Säulen, → Pfeiler, → Pilaster) und horizontalen Elementen ( → Gebälk), die festgelegten Gesetzmäßigkeiten folgt und neben der konstruktiven und dekorativen vor allem semantische (zeichenhafte) Funktionen erfüllt; zentraler Gegenstand der → vitruvianischen Architekturtheorie.
Palazzo Ital. für Palast, größeres innerstädtisches, öffent- liches oder privates Wohn- oder Verwaltungsgebäude.
Glossar
330 Pavillon Turmartig überhöhter Bauteil der (vor allem) franz. Profanarchitektur, im Unterschied zum → Risalit durch ein eigenes Dach hervorgehoben. Pendentifkuppel Hängekuppel, meist in Kugelsegmentform. Zur Überleitung auf einen meist quadratischen Raum dienen vier dreieckige, sphärische Zwickel in den Raumecken, die sog. Pendentifs. Peristyl Griech. für einen rundum von Säulen umstandenen Hof. Pfeiler Rechteckiges oder polygonales Stützglied, meist in Anlehnung an den Aufbau einer → Säule gestaltet. Piano nobile Ital. für das ‚vornehme‘ oder Hauptgeschoss eines Palasts, meist im 1. Obergeschoss, oft durch größere Raumhöhe hervorgehoben (auch: Beletage). Pilaster → Blendgliederung in der Art eines → Pfeilers, einer Wand vorgesetzt. Point-de-vue Franz. für Sichtpunkt, optisches Ziel einer Achse in Gärten oder Städten. Portikus, der oder die Vorhalle, meist → Kolonnade mit Giebel, ggf. auch → Arkade oder → Frontispiz. Postament Auch: Piedestal. Meist quaderförmiger, sockelartiger Unterbau einer Stütze oder Statue. Proportion Verhältnismäßigkeit der Bauteile an einem Gebäude, bei Vitruv auch als → Symmetrie bezeichnet. Pylon Griech. für Torbau, die Toröffnung in der Mitte meist ; massive Stützen einer Brücke.
Relief Plastisches Bild, man unterscheidet je nach Tiefe
der Figuren auf dem Bildgrund Flach- von Hochrelief. Risalit / Rücklage Vorspringender Teil einer Fassade, oft zur Betonung der Ecke oder Mitte und zur Rahmung der (meist weniger reich dekorierten) sog. Rücklagen. Rustika, Rustizierung Raue, d. h. scheinbar unbearbeitete oder wenig bearbeitete Gestaltung einer Oberfläche, meist an untergeordneten Zonen, z. B. dem Sockel, oder als ‚Verstärkung‘ an Gebäudeecken, Stein oder Putz.
Säule Rundes Stützglied mit → Kapitell und → Basis,
deren Schaft meist leicht gebaucht ist (sog. Entasis), evtl. auch als Wandvorlage (Halb- bzw. Dreiviertelsäule). Die Proportionen der einzelnen Teile folgen bestimmten → Proportionsregeln. Säulenordnung Vgl. → Ordnung Schaft Mittelstück eines vertikalen Stützgliedes, seine Höhe steht im → Vitruvianismus je nach → Ordnung in einem festen Verhältnis zum unteren Durchmesser. Scheitrechter Bogen Ein (scheinbarer) Balken, der konstruktiv einem Bogen gleicht, indem er aus radial aneinandergestützten Keilsteinen besteht. Segmentbogen / -giebel Bogen in Form eines Kreisausschnitts.
Anhang
Sohlbank Auch: Fensterbank. Unterer Abschluss einer Öffnung. Strebepfeiler Stützkonstruktion einer Wand zur Ableitung von seitlich einwirkenden Kräften (z. B. Gewölbeschub), bevorzugt in der mittelalterlichen Architektur: Mauerstück, das meist im 90°-Winkel an eine Wand gestellt ist, um diese zu verstärken, oft auch zur Trennung von dazwischen angegliederten Räumen (→ Kapellen) genutzt. Sturz Oberer Abschluss einer Öffnung (Fenster oder Tür). Superposition Die axiale Anordnung mehrerer, meist unterschiedlicher Säulen- oder Pfeilerordnungen an einer Fassade in der Vertikalen. Als kanonisch gilt die Abfolge dorisch, ionisch, korinthisch (oder komposit).
Tambour Franz. für Trommel, gerade Mauerzone unter
einer → Kuppelschale, meist durchfenstert. Theater- oder Tabulariumsmotiv Wandgliederung nach römischem Vorbild: Kombination aus → Pfeilerarkade und → Kolonnade, wobei (Halb-)Säulen und → Gebälk die Bogenstellung einfassen. Thermenfenster Halbrund oder segmentbogenförmig be- grenztes Fenster, meist vertikal dreigeteilt, benannt nach seiner häufigen Verwendung in spätantiken Großbauten. Träger Waagrechter Tragebalken, auf zwei oder mehr Auflagern. Travée Element der Wandgliederung aus zwei flankieren- den Stützen und einem dazwischenliegenden Wandfeld oder einer Öffnung unter einem Gebälk oder Bogen. Triumphbogen Frei stehender, monumentaler Ehrenbogen nach antiken Vorbild, auch: (östliche) Schildwand eines Kirchenraums zwischen Querhaus und eingezogenem (in Höhe und Breite gegenüber dem Langhaus reduzierten) Chor.
Villa Lat. für Landhaus, meist repräsentativ gestaltetes
Gutshaus mit angeschlossenem landwirtschaftlichen Betrieb. Villa suburbana Landhaus in unmittelbarer Stadtnähe für temporären Aufenthalt, meist ohne wirtschaftliche, aber mit repräsentativer Bedeutung. Vitruvianismus Vorherrschendes architekturtheoretisches Denkmodell der Frühen Neuzeit, benannt nach dem römischen Schriftsteller Vitruvius, das die regelgerechte, ‚richtige‘ Anwendung antiker Formen als Norm für gute Architektur voraussetzt. Volute Schneckenförmig gedrehtes, dekoratives Element, z. B. als Eckvolute des korinthischen → Kapitells oder an → Konsolen.
Zentralbau Bauform mit völlig oder annähernd gleicher
Längen- und Breitenausrichtung, die auf eine Mitte hin orientiert ist, oft über einfachen geometrischen Grundformen.
331
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Anhang
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341
Register der Bauten und Stadtanlagen Aachen
– St. Fronleichnam 194 – Universitätsklinikum 71 Agra, Taj Mahal 297 Alfeld a. d. Leine, Fagus-Werke 47, 203, 239 Amsterdam, Freiluftschule 262 Antwerpen, Theater 128 Apeldoorn, Verwaltungsgebäude Centraal Beheer 71 Arc-et-Senans, Saline von Chaux |2| 28, 105 Århus, Universitätsgebäude 215 Arras, Kathedrale 28 Assy bei Chamonix, Kirche 302 Athen 25, 111 – Akropolis 99 – Parthenon 27, 210 – Propyläen 26, 29 Augsburg, Don-Bosco-Kirche 302
Barcelona
– Casa Battló 183 – Casa Mila 183 – Deutscher Pavillon (Weltausstellung 1929) 51, 68, 208, 225, 244, 245, 246, 246, 276 – Kapelle der Kolonie Güell 194 – Kathedrale 124 – Sagrada Familia 184, 194 – Stadtanlage 38, 40, 156, 157, 157 Basel, Antoniuskirche 193 Berlin 118 – AEG-Turbinenhalle |23| 47, 200, 201 – Amts- und Landgericht Tiergarten 164 – Alexanderplatz 65, 269, 270 – Alte Nationalgalerie 117, 118 – Altes Museum |4| 62, 115 – 117, 313, 314 – Bauakademie 27, 27 – Borsig-Turm 173 – Brandenburger Tor 26, 26, 269 – Collegienhaus (Altbau Jüdisches Museum) 316 – Columbushaus 57 – Denkmal für die ermordeten Juden in Europa 19, 77, 77 – Deutscher und Französischer Dom 270 – Dom 115, 116 – Galeries Lafayette 76 – Großes Schauspielhaus 56 – Hansaviertel |38| 267, 270 – 272, 272 – Haus Freudenberg 150 – Haus Sommerfeld 51 – Hufeisensiedlung |30| 231 – 233
– Internationale Bauausstellung (IBA) 74, 237, 272 – Internationales Congress Centrum 71 – Interbau 237, 270 – Jüdisches Museum |49|19, 77, 317 – 319 – Kaiser-Friedrich-Museum (Bode- Museum) 17 – Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche 301 – Kaisergalerie 165 – Kongresshalle 271 – Kuppelhalle (Nord-Süd-Achse) 176, 256 – Lustgarten 114 – 116 – Märkisches Viertel 272 – Mossehaus 57 – Neue Nationalgalerie 69, 276 – Neue Reichskanzlei 62, 256 – Neue Wache 26, 114 – Neues Museum 117, 118 – Nord-Süd-Achse 62, 176, 255, 256 – Palast der Republik 269 – Pergamonmuseum 118 – Philharmonie 57, 73 – Reichsbankgebäude 61 – Reichssportfeld (Olympiastadion) 303, 306 – Reichsversuchssiedlung Haselhorst 51 – Rundfunkgebäude 56 – Schauspielhaus 26, 26 – Schloss 114, 116, 269 – Schlossbrücke 115 – Siedlung Fischtalgrund 234, 236 – Siedlung Siemensstadt 232 – Siedlung Weiße Stadt 232 – St. Maria Martyrum 301 – Stadtanlage 64, 169 – 171 – Staatsbibliothek (Potsdamer Straße) 57 – Staatsbibliothek (Unter den Linden) 135 – Stalinallee (Karl-Marx-Allee) |38| 65, 237, 269, 271 – Strandbad Müggelsee 118 – Strandbad Wannsee 118 – Villa Wiegand (Deut. Arch. Inst.) 211 – Volkspark Jungfernheide 104 – Wohnhaus Kochstraße/Friedrich- straße 319 – Unité d’habitation (Le Corbusier- Haus) 264, 271 – Waldsiedlung Zehlendorf (Onkel- Toms-Hütte) 232, 234 – Wohnanlage des Beamten- Wohnungsvereins (Steglitz) 171, 172 – Zeughaus 115, 116
Besançon, Theater 27 Bexleyheath, Red House |11| 147, 148 Bilbao, Guggenheim Museum 73, 73, 320 Bordeaux, Theater 27, 28, 153 Bournville 39 Brasília – Außenministerium (Palácio do Itamaraty) 288, 288 – Justizministerium 289 – Kathedrale 287 – 289 – Oberster Gerichtshof 288 – Parlamentsgebäude 287, 287, 288 – Platz der Drei Gewalten (Praça dos tres Poderes) 287 – 289 – Präsidentenpalast (Palácio da Alvorada) 288, 289 – Präsidentensitz (Palácio do Planalto) 287 – Stadtanlage |42|67, 286 – Theater- und Operngebäude 288 Braunschweig, Stiftskirche 62 Bremen, Neue Vahr 272 Breslau 118 – Jahrhunderthalle 47 – Kaufhaus Junkernstraße 47 – Kaufhaus Petersdorf 57 Briey-en-Forêt, Unité d’habitation 264 Brno (Brünn), Villa Tugendhat 51, 208, 225 Brüssel – Galeries St-Hubert 165 – Hôtel Aubecq 181 – Hôtel Solvay 181, 182 – Hôtel van Eetvelde 181 – Justizpalast |14| 162, 163 – Kaufhaus À L’innovation 183 – Maison du Peuple 183, 310 – Maison Horta |19| 45, 181, 183 – Maison Tassel 181 – Palais Stoclet 188 Budapest, Parlamentsgebäude 127 Buenos Aires 127 – Teatro Colón 154 Buffalo – Guaranty Building |17| 42, 175 Bukarest, Präsidentenpalast 176
Canberra, Stadtanlage 43 Capri 103 Carcassonne, Stadtanlage 68 Chandigarh, – Oberster Gerichtshof 297, 298 – Parlamentsgebäude 297, 297, 298 – Sekretariat 297 – Stadtanlage 294, 297
Register der Bauten und Stadtanlagen
342 Charkiv, Gasprom-Baukomplex 53 Charlottesville, University of Virginia |3| 109, 110, 213 Chartres, Kathedrale 95 Chatsworth, Great Stove 139 Chemnitz – Kaufhaus Schocken 57, 57 – Straße der Nationen, Bebauung 267 Chicago – Appartmenthäuser am Lake Shore Drive 69, 276 – Chicago Tribune Tower 58, 59, 173 – Home Insurance Building 42, 173 – Illinois Institute of Technology, Campusbauten 68 – 69 – John-Hancock-Center 72 – Marshall Field’s Wholesale Store 42, 175 – Robie House |24| 205 – 206 – Second Leiter Building 42 – Tacoma Building 175 – Weltausstellung 1893 42, 43 – Winslow House (River Forest) 206 Chiswick (London) 22 Clermont-Ferrand, Kathedrale 124 Clichy, Maison du peuple 310 Como, Casa del Fascio |34| 60, 252, 253 Cottbus, Universitätsbibliothek 76, 76
Darmstadt
– Mathildenhöhe 45, 45, 235 – Reformschulbauten 236 Delhi, Humayun-Mausoleum 297 Dessau – Arbeitsamt 240 – Bauhaus-Meisterhäuser |31| 235, 240, 241, 241 – Bauhaus-Schulgebäude |31| 238, 239 – Konsumverein 240 – Siedlung Törten 235, 240 Dettingen, St. Peter und Paul 194 Dhaka, Parlamentsgebäude Jatiya Sangsad Bhaban |44| 294 – 296 Donaustauf, Walhalla 27, 27 Dornach, erstes und zweites Goetheanum |29| 226, 229 Dresden – Gemäldegalerie 128 – Hoftheater (‚Semperoper‘) |7| 129 – 131 – Hygienemuseum 58 – Neue Synagoge 322 – Schloss 127 – Stadtanlage 65 – Zwinger 128 Düren, St. Anna 301
Anhang
Düsseldorf – Mannesmann-Verwaltungs- gebäude 243 – Stummhaus 58 – Tonhalle 57 – Wilhelm-Marx-Haus 243
Eberswalde, Hochschulbibliothek 76 Edinburgh, Stadtanlage 29, 29 Ermenonville, Landschaftsgarten 24 Espoo – Gartenstadt Tapiola 282 – Universitätsgebäude in Otaniemi |41| 282 – 284 Essen, Gartenstadt Margarethenhöhe 39 Éveux, Ste-Marie de La Tourette 266, 302 Exmouth, The Barn 150 Firmigny-Vert, Unité d’habitation 264 Florenz – Dom 124 – Hauptbahnhof 60 – Loggia dei Lanzi 122 – Palazzo Pitti 120 – Palazzo Strozzi 175 Frankfurt a. M. 118 – Bahnhof 143 – Berliner Straße, Bebauung 267 – Commerzbankhochhaus 72 – IG-Farben-Gebäude (Universität) |32| 56, 243, 245 – Nordweststadt 64, 272 – Siedlung Römerstadt |30| 64, 231 – Siedlung Westhausen 231 – Stadtanlage 64 – St. Wendel 301 Franzensburg, Landschaftsgarten 24
Gando (Burkina Faso), Schulkomplex
mit Frauenhaus |50| 320, 321 Genf – Immeuble Clarté 266 – Völkerbundpalast (UNO-Gebäude) 212, 242 Giengen an der Brenz, Werkhalle 203 Göteborg, Karl-Johann-Schule 214 Guise, Familistère 108
Hamburg, Chilehaus 56 Hampstead 39 Hannover – Continental-Verwaltungsgebäude 243 – Rathaus 40 Hellerau bei Dresden 39 – Festspielhaus |22| 198, 199, 215 – Gartenstadt |22| 195, 196, 202
Herculaneum 25 Hérémance, St-Nicolas 302 Hilversum, Sanatorium Sonnenstrahl 262 Hongkong, HSBC-Hauptgebäude, 72, 72 Huis ter Heide, Villa Henny 48, 49 Hunstanton, Schule 66
Kaleva/Tampere, ev. Pfarrkirche 284 Kalkutta, Regierungspalast 30 Karlsruhe, Siedlung Dammerstock 51, 236 Kassel – Löwenburg 102 – Museum Fridericianum 114, 154 – Wilhelmshöhe, Landschafts- garten 23 – Wilhelmshöhe, Marienkirche 302 Kedleston Hall 29 Kiew, Rat des Zentralkomitees 63 Klingberg, Mustergut Garkau 250 Kofu, Yamanashi Rundfunk– und Pressezentrum |43| 290, 291 Köln – Dom 123, 155, 299 – Fabrikgebäude (Werkbund- ausstellung) 202, 235, 239 – Hochhaus am Hansaring 173, 243 – Pavillon der Glasindustrie (Werk- bundausstellung) 202 – Pressa-Kirche 194 – Werkbundtheater 202, 229, 235 Kopenhagen – Frauenkirche 30 – Grundtvigs-Kirke 194 – Stadt- und Gerichtshaus 29, 30 – Thorvaldsen-Museum 213 Kyoto, Katsura-Villa 94 La-Chaux-de-Fonds 49 Las Vegas, Cesar’s Palace 95 Le Havre, Stadtanlage 64 Le Pradet, Villa de Mandrot 67 Le Raincy, Pfarrkirche Notre-Dame de la Consolation 193, 211 Leipzig, Bahnhof 143 Letchworth, Gartenstadt 199 Lichtensteig, St. Gallus 302 Lille, Euralille, Grand Palais 76 Lingotto, FIAT-Werksgelände 273 Lissabon, Gare do Oriente 72 Löbau, Villa Schminke |33| 248, 249 London – Bank of England 31, 31 – British Library 135 – British Museum 32 – Crystal Palace |9| 35, 37, 136 – 137, 146
343 – Economist Building 66 – Houses of Parliament |6| 125, 126 – Hyde Park 136, 137 – Law Courts 164 – Lloyd’s-Bankgebäude 72 – Marble Arch 168 – Royal Opera Arcade 165 – Soane-House (Soane-Museum) 315 – South-Kensington-(Victoria & Albert-)Museum 36, 37 – Sumerset House 29 – Westminster Abbey 124 Los Angeles, Haus Lovell (Health House) 262
Magdeburg 118
– Stadtanlage 65 Magnitogorsk 55 Mailand – Castello Sforzesco 273 – Dom 124 – Galleria Vittorio Emanuele II |13| 166 – 168 – Piazza del Duomo 166 – Piazza della Scala 166, 168 – Pirelli-Hochhaus 273 – Torre Velasca |39| 66, 274 Mainz – Christkönigskirche (Bischofsheim) 194 – Hl.-Kreuz-Kirche (Zahlbach) 301 – Neue Synagoge |50| 321, 321, 322 – Stadtanlage 64 – Theater 128 Mannheim, Multihalle 307 Männistö/Kuopio, Johanneskirche 284 Marly, Schloss 111 Marseille – Kathedrale 32, 33 – Palais Longchamp 33, 34 – Unité d’habitation |37| 67, 264, 265 Menangle, Camden Park House 30 Mexico City – Kirche de la Virgen Milagrosa 67 – Restaurant Los Manantiales 67 Mill Run, Haus Falling Water 58, 208, 262 Montevideo 127 Monticello, Villa Jefferson |3| 109, 111, 112, 112 Montreal – amerikanischer Pavillon der Weltausstellung 71 – deutscher Pavillon der Welt- ausstellung 306, 307 – Habitat 67 71
Moskau – Centrosoyuz-Palast 54 – Hotel Moskva 63 – Komsomolskaya 63 – Lenin-Bibliothek 62 – Lomonosov-Universität 65, 65 – Narkofim-Gebäude 54, 54 – Rusakov-Klub 54 – Shabolovka- Radioturm 53 – ‚Sieben Schwestern‘ 64 – Sowjetpalast 54, 55, 63, 176, 242 – Stadtanlage 63, 64 – STO-Gebäude für den Arbeiter- und Verteidigungsrat 63 – Theater der Sowjetarmee 63 – Torgowy Dom Glawny Uniwer- salny Magasin (GUM) 165 – Volkskommissariat für Schwerindustrie 63 – Zuev-Klub 54 München 32 – Allianz Arena 76 – Alte Pinakothek 123 – BMW-Hauptverwaltung und Museum 322 – BMW Welt |50| 321, 322, 322 – Englischer Garten 23, 23 – Feldherrenhalle |5| 122 – Fernmeldehochturm 303 – Frauenkirche 119 – Glyptothek 117, 119, 123 – Haus der Kunst 62, 140 – Jüdisches Zentrum 321, 322 – Justizpalast 164 – Königsplatz 62, 119 – Kristallpalast 140 – Leuchtenbergpalais 121 – Ludwigskirche |5| 121 122 – Ludwigstraße |5| 119 – 123, 122 – Nationalmuseum |18| 178, 179, 315 – Nationaltheater 120 – Neue Pinakothek 117, 123 – Odeonsplatz 120, 121 – Olympiazentrum |46| 304 – 306 – Propyläen 27, 119 – Rathaus 40 – Residenz |5| 120, 140 – Siegestor |5| 119, 122, 168 – St. Johann von Capistran 302 – St. Nikolaus 302 – Staatsbibliothek |5| 35, 121, 121, 122 – Universitätsgebäude 121 – Theatinerkirche |5| 120 Münster, Stadtanlage 64 Muskau, Landschaftsgarten 24
Nantes Rezé, Unité d’habitation 264 Neapel, Villa Hamilton 103 Neu-Delhi, Stadtanlage 43, 297
Nevers, Ste-Bernadette-du-Banlay 230, 302 Neviges, Wallfahrtskirche |45| 299, 300 New Orleans, Piazza d’Italia 315 New York, – AT & T Building 280 – Central Park 23, 41, 41, 217 – Chrysler Building 59, 144 – Daily News Building 59 – Empire State Building 59, 59, 176 – Flatiron Building 42 – Freiheitsstatue 35 – Grand Central Terminal 143 – 144 – Guggenheim-Museum 70, 73 – Lever House 277 – Manhattan 97 – MetLife Building (PanAm Building) 144 – Pennsylvania Station 144 – Racquet and Tennis Club 277 – Radiator Building 58, 59 – Rockefeller Center 59 – Seagram Building |40| 69, 277, 278 – TWA-Terminal (JFK-Flughafen) 69, 69, 96, 108 – Woolworth Building 176, 216 – World Trade Center 280 Noormarkku, Villa Mairea 58, 215 Norwich, Sainsbury Center for the Visual Arts 72 Nouméa (Neukaledonien), Kulturzentrum Jean-Marie Tjibaou 311 Novosibirsk 55 Nürnberg – Germanisches Nationalmuseum 178 – Reichsparteitagsgelände |35| 257, 259
Osaka, Weltausstellungsgelände 293 Ottawa, Parlamentsgebäude 127 Oxford, Museum 35
Paestum 30 Paimio, Tuberkulose-Sanatorium 58, 282 Palm Springs, Kaufmann Desert House |36|261, 262 Pampulha 286 – Kirche und Casino 66 Paris – Arc de Triomphe 168 – Arc du Carrousel 122, 168 – Au Bon Marché 35 – Bibliothèque nationale (rue Richelieu) |8| 135 – Bibliothèque nationale de France (Tolbiac) 307
Register der Bauten und Stadtanlagen
344 – Bibliothèque Ste-Geneviève |8| 33, 133 – 134 – Castel Béranger 45 – Centre Georges Pompidou |47| 71, 293, 308, 309, 313, 314 – Eiffelturm 15, 35, 36, 36, 53, 146, 217 – Etagenwohnhaus Rue Raynouard 58 – Fondation Cartier 75, 75 – Galeries Lafayette 151 – Galeries Colbert und Vivienne 165 – Gare du Nord |10| 141 – 142, 151 – Gare St-Lazare 151 – Grand Palais 140 – Justizpalast 151 – Louvre 153 – Marineministerium 211 – Markthallen 35 – Mobilier national 58 – Musée de Cluny 178 – Musée des Travaux publiques (Cons. écon. et soc.) 58, 211 – Opéra (Opernhaus) |12| 18, 32, 131, 152, 153, 164 – Panthéon s. Ste-Geneviève – Parc des Buttes-Chaumont 24, 24 – Parc Monceau 24, 104 – Pavillon de L’Esprit nouveau (Exp. arts décoratifs) 236 – Place de l’Étoile 121 – Place de la Concorde 113 – Rathaus 40 – Schweizer Studentenwohnheim 67, 266 – Sowjetischer Pavillon (Exp. arts décoratifs) 236 – Stadtanlage 37, 63, 150 – 151, 156, 170, 171, 218, 307 – St-Eugène-Ste-Cécile 35 – Ste-Geneviève 25, 132 – St-Martin-des-Champs 33, 135 – St-Philippe-du-Roule 28 – Théâtre de l’Odéon 27 – Théâtre des Champs-Elysées |25| 47, 209, 211 – Villa La Roche 225 – Zentralverwaltung der Kommunis- tischen Partei 67 – Zollhäuser (Rotonde de la Villette) 28, 215 Pavlovsk, Landschaftsgarten 24 Peking, Olympiastadion 76 Pforzheim, ev. Kirche 301 Philadelphia – City Hall 176 – Richards Laboratories 68 Pierrefonds, Schloss 124 Pittsburgh, PPG Corporate Head- quarter 280 Plano, Farnworth House 69
Anhang
Poissy, Villa Savoye 49, 50, 50, 208, 266, 313 Pompeji 25, 111 Port Sunlight bei Warrington 38, 39 Porto – Casa da Música 76 – Dourobrücken 36 Potsdam – Einsteinturm 57, 57, 229, 230 – Gartenreich 23 Pullman Town 41
Quedlinburg, Stiftskirche 62 Richmond, Capitol 30, 109 Rio de Janeiro – Erziehungsministerium 66, 66 – Theater 154 Rom – Città Universitaria 60, 251 – Colosseum 61, 129 – Engelsburg 60 – Esposizione universale di Roma (EUR) 251 – Konstantinsbogen 122 – Museo Pio Clementino 114 – Palazzo del Littorio 60 – Palazzo della Civiltà Italiana 61, 61 – Palazzo della Giustizia 164 – Palazzo Farnese 95 – Pantheon 31, 103, 109, 116, 176, 213, 302 – Petersdom 60, 79, 167, 296, 296 – Teatro al Corso 128 Ronchamp, Notre-Dame-du-Haut 67, 67, 73, 96, 302 Rostock, Stadtanlage 65 Rotterdam – Lijnbaan-Bebauung 267 – Siedlung Oud Mathenesse 48 – Siedlung Spangen 221 – Siedlung Tusschendijken 221 – Van-Nelle-Tabakfabrik 242 Saarbrücken, Stadtanlage 64 Salins 104 Saltaire bei Bradford 38 Sankt Petersburg – Admiralität 29 – Börse 29 – Deutsche Botschaft 211 – Kasaner Kathedrale 29 Santa Monica, Haus Gehry 72 São Paulo – Architekturfakultät 67 – Copan-Gebäude 67 – Ibirapuera-Park 67 Schenectady, Union College 112 Schwetzingen, Schlossgarten 23
Seifersdorfer Tal, Garten 23 Shrewsbury, Coalbrookdale Brigde 103 Siena, Campo 308 St. Louis – Pruitt-Igoe Housings 96 – Wainwright Building |13| 42, 173, 174, 207 Stalingrad (Wolgograd) 55 Stockholm, – Ausstellungsrestaurant „Paradiset“ 215 – Rathaus 212 – Stadtbibliothek |26| 58, 213, 214, 315 Stourhead (Stourton) 22 Stowe 22 Stuttgart – Alte Staatsgalerie (Museum der Bildenden Künste) 312, 314 – Appartementhaus (Weißenhof- ausstellung) 225, 236 – Hauptbahnhof 57, 143 – Kochenhofsiedlung 236 – Neue Staatsgalerie |48| 313, 314 – Schloss 312 – Tagblatt-Turm 173 – Theater 312 – Weißenhofsiedlung 51, 236, 236, 313 – Wilhelma 104 Sydney, Opernhaus 70
Tacoma 41 Tiefurt, Landschaftsgarten 23 Tokio – City Hall 290 – Kathedrale 290 – Nakagin Capsule Tower 293 – Olympiastadion 290 – Tokyo Bay Plan 291 – 293, 292 Tsarskoye Selo, Landschaftsgarten 24, 29 Turin, Mole Antonelliana 274 Twickenham, Strawberry Hill 102 Ulm
– Garnisonkirche, ev. (Pauluskirche) |21| 191, 192 – Garnisonkirche, kath. 191, 192 Utrecht, Haus Schröder-Schräder |28| 48, 222, 223
Valencia, Kunst- und Wissenschafts-
zentrum 72 Vaucresson, Villa Stein-de Monzie 225 Venedig 85 – S. Maria dell’Orto 101 Venice/Cal., Chiat / Day-Gebäude 72 Versailles, Schloss 153
345 Vicenza, sog. Basilica 153 Viipuri, Bibliothek 58 Voorburg, Villa De Arendshoeve 48 Vuoksenniska/Imatra, ev. Pfarrkirche 284
Warschau, Innenstadt 64 Washington – Stadtanlage 30, 112 – Kapitol 112, 176 – Library of Congress 135 – Weißes Haus 30, 112 Weimar – Gauforum 62, 255
– Ilmpark 23 – Märzgefallenendenkmal 317 Welwyn, Gartenstadt 199 Wien – Michaelerhaus 45, 46, 46, 158 – 160, 188 – Hofburg 46, 188 – Karl-Marx-Hof 52, 53 – Kunsthistorisches Museum |13| 159, 160 – Majolikahaus 187 – Naturhistorisches Museum |13| 159, 160 – Opernhaus 131
- Parlamentsgebäude |13| 127, 160, 160 – Postsparkassenamt |20| 185, 187 – Rathaus 160 – Ringstraße |13| 158 – Sanatorium Purkersdorf 45 – Universitätsgebäude 160 – Votivkirche |13| 159 Wörlitz – Gotisches Haus 101, 102 – Landschaftsgarten |1| 22, 100 – Pantheon 101 – 103, 102 – Schloss 101 – Villa Stein 103, 103
Ashbee, Charles Robert, Architekt (1863 – 1942) 149 Ashley-Cooper, Anthony, 3. Earl of Shaftesbury (1671 – 1713) 21 Asplund, Gunnar, Architekt (1885 – 1940) 58, 212 – 215, 315 Astruc, Gabriel, Musikimpresario (1864 – 1938) 208 Aulenti, Gae, Architektin (1927 – 2012) 275
Beenken, Hermann, Kunsthistoriker (1896 – 1952) 11 Behnisch, Günter, Architekt (1922 – 2010) 303 – 306 Behrens, Peter, Architekt (1868 – 1940) 46, 47, 180, 196, 199 – 203, 211, 243 Belluschi, Pietro, Architekt (1899 – 1994) 144 Benevolo, Leonardo, Architekturhistoriker (geb. 1923) 12 Benjamin, Walter, Philosoph (1892 – 1940) 318 Berg, Max, Architekt (1870 – 1947) 46, 47 Berlage, Hendrik Petrus, Architekt (1856 – 1934) 87, 88 Bernhard, Karl, Ingenieur (1859 – 1937) 200 Bierstadt, Alfred, Maler (1830 – 1902) 41 Bindesbøll, Michael Gottlieb, Architekt (1800 – 1856) 213 Blanc, Charles, Kunsttheoretiker (1813 – 1882) 18 Blondel, Jacques François, Architekt (1705 – 1774) 17, 104 Bodiansky, Vladimir, Ingenieur (1894 – 1966) 264 Boffrand, Germain, Architekt (1667 – 1754) 17 Bofill, Ricardo, Architekt (geb. 1939) 212, 315 Böhm, Dominikus, Architekt (1880 – 1954) 193, 194, 298 Böhm, Gottfried, Architekt (geb. 1920) 298 – 300, 302 Böhm, Paul, Architekt (geb. 1959) 298 Böhme, Gernot, Philosoph (geb. 1937) 19 Boileau, Louis-Auguste, Architekt (1812 – 1896) 35
Personenregister Nichtadlige Personen werden mit wenigen Ausnahmen unter ihren Nachnamen aufgeführt, Adlige und kirchliche Würdenträger unter ihren Vornamen.
Aalto, Aino, Architektin und Designerin
(1894 – 1949) 282 Aalto, Alvar, Architekt (1898 – 1976) 12, 58, 93, 215, 250, 271, 282 – 284, 294 Adam, Robert, Architekt (1728 – 1792) 29, 30 Addison, Joseph, Philosoph (1672 – 1719) 21, 22 Adler, Dankmar & Louis Sullivan, Baubüro > Sullivan, Louis Aicher, Otl, Designer (1922 – 1991) 303 Aisenpreis, Ernst, Architekt (1884 – 1949) 228 Alabyan, Karo, Architekt (1897 – 1959) 63 Albers, Josef, Maler (1888 – 1976) 51 Albert, brit. Prinzgemahl (1819 – 1861) 139 Alen, William van, Architekt (1882 – 1954) 59, 144 Alphand, Jean-Charles-Adolphe, Gartenarchitekt (1817 – 1891) 24 Andrä, Wolfhart, Ingenieur (1914 – 1996) 303 Anna Amalia, Herzogin von SachsenWeimar-Eisenach (1739 – 1807) 23 Antonelli, Alessandro, Architekt (1798 – 1888) 274 Appia, Adolphe, Bühnenbildner (1862 – 1928) 198 Arndt, Adolf, Politiker (1904 – 1974) 268 Arup, Ove, Ingenieur (1895 – 1988) 70, 309
Bakema, Jacob, Architekt (1914 – 1981)
66, 221, 267 Baker, Herbert, Architekt (1862 – 1946) 297 Ballu, Théodore, Architekt (1817 – 1885) 40 Baltard, Victor, Architekt (1805 – 1874) 35 Banham, Reyner, Architekturkritiker (1922 – 1988) 12 Baravalle, Albert von, Architekt (1902 – 1983) 228 Barry, Charles, Architekt (1795 – 1860) 124 – 126 Barth, Gottlob Georg, Architekt (1777 – 1848) 312 Bartholdi, Frédéric Auguste, Bildhauer (1832 – 1904) 35 Bartning, Otto, Architekt (1883 – 1959) 50, 193 Baudot, Anatole de, Architekt (1834 – 1915) 86 Baudrillard, Jean, Philosoph (1929 – 2007) 74 BBPR (Gian Luigi Banfi, Ludovico Barbiano di Belgiojoso, Enrico Peressutti, Ernesto Nathan Rogers) 66, 273 Beaudouin, Eugène, Architekt (1898 – 1983) 262, 310
Personenregister
346 Boileau, Louis-Charles, Architekt (1837 – 1914) 35 Bollinger, Klaus und Manfred Grohmann, Ingenieursbüro 323 Bonatz, Karl, Architekt (1882 – 1951) 267 Bonatz, Paul, Architekt (1877 – 1956) 57, 58, 143, 221, 267 Bötticher, Karl, Architekturtheoretiker (1806 – 1889) 81 Boullée, Étienne-Louis, Architekt (1728 – 1799) 17, 28, 79, 114, 215 Bourdelle, Antoine, Bildhauer (1861 – 1929) 209, 210 Boyle, Richard, 3. Lord of Burlington und Architekt (1694 – 1753) 22, 25 Breuer, Marcel, Designer und Architekt (1902 – 1981) 51, 240 Brinkman, Johannes, Architekt (1902 – 1949) 242 Bronfman, Samuel, Unternehmer (1891 – 1971) 276 Brown, Denise Scott, Architektin (geb. 1931) 95 Brown, Lancelot, Gartenarchitekt (1716 – 1783) 22 Buls, Charles, Politiker (1837 – 1914) 40 Bunshaft, Gordon, Architekt (1909 – 1990) 277 Burden, Jane, Modell (1839 – 1914) 147 Burke, Edmond, Philosoph (1729 – 1797) 137 Burne-Jones, Edward, Maler (1833 – 1898) 147 Burnham, Daniel Hudson, Architekt (1846 – 1912) 42, 43
Cadbury, George, Unternehmer
(1839 – 1922) 38, 39 Calatrava, Santiago, Architekt (geb. 1951) 72 Calderini, Guglielmo, Architekt (1837 – 1916) 164 Cameron, Charles, Gartenarchitekt (1843 – 1912) 24, 29 Candela, Felix, Architekt (1919 – 1997) 67 Candilis, Georges, Architekt (1913 – 1995) 275 Carl August, Großherzog von SachsenWeimar-Eisenach (1757 – 1828) 23 Carlyle, Thomas, Dichter (1795 – 1881) 126 Carpeaux, Jean-Baptiste, Bildhauer (1827 – 1875) 154 Ceauçescu, Nicolae, rumän. Diktator (1918 – 1989) 255 Cerdà, Ildefons, Architekt (1815 – 1876) 40, 157 Ceschiatti, Alfredo, Bildhauer (geb. 1918) 289 Chalgrin, Jean-François-Thérèse, Architekt (1739 – 1811) 28, 168
Anhang
Chambers, William, Architekt (1723 – 1796) 29 Charles, Jencks, Architekturtheoretiker (geb. 1939) 96, 312 Chaucer, Geoffrey, Dichter (ca. 1334 – 1400) 147 Chenal, Pierre, Filmemacher (1904 – 1990) 78 Coignet, François, Ingenieur (1814 – 1888) 16 Cole, Henry, Staatsbeamter (1808 – 1882) 139 Collein, Edmund, Architekt (1906 – 1992) 270 Contant d’Ivry, Pierre, Architekt (1698 – 1777) 28 Cook, Peter, Architekt (geb. 1936) 94 Coop Himmelb(l)au, Architekturbüro 319, 322, 323 Costa, Lúcio, Architekt (1902 – 1998) 66, 286 Couturier, Père Marie-Alain, Theologe (1897 – 1954) 302 Craig, James, Architekt (1739 – 1795) 29 Crane, Walter, Maler (1845 – 1915) 149 Cret, Paul Philippe, Architekt (1876 – 1945) 294 Crompton, Dennis, Architekt (geb. 1935) 94
Dal Co, Francesco, Architekturhistoriker
(geb. 1945) 12 Dehio, Georg, Kunsthistoriker (1850 – 1932) 155 Deperthes, Pierre, Architekt (1833 – 1898) 40 Derrida, Jacques, Philosoph (1930 – 2004) 75, 318, 319 Dessauer, Friedrich, Chemiker und Philosoph (1881 – 1963) 78 Devrient, Eduard, Schauspieler (1801 – 1877) 128 Döblin, Alfred, Schriftsteller (1878 – 1957) 169 Doesburg, Theo van, Architekt (1883 – 1931) 48, 49, 222, 224, 225, 281 Dohme, Robert, Kunsthistoriker (1845 – 1893) 150 Dohrn, Wolf, Kulturfunktionär (1878 – 1914) 195, 197, 198 Dormal, Julio, Architekt (1846 – 1924) 154 Dostoyevski, Fyodor, Schriftsteller (1821 – 1881) 138 Drew, Jane, Architektin (1911 – 1996) 297 Dudok, Willem Marinus, Architekt (1884 – 1974) 48 Duiker, Johannes, Architekt (1890 – 1935) 262
Durand, Jean-Nicolas-Louis, Architekt (1760 – 1834) 80, 81, 83, 114, 128 Dutschke, Werner, Architekt (geb. 1919) 270 Düttmann, Werner, Architekt (1921 – 1883) 272
Eco, Umberto, Schriftsteller (geb. 1932)
311 Eesteren, Cornelis van, Architekt (1897 – 1988) 224 Eggert, Hermann, Architekt (1844 – 1920) 40, 143 Ehn, Karl, Architekt (1884 – 1959) 52 Eiermann, Egon, Architekt (1904 – 1970) 301 Eiffel, Gustave, Ingenieur (1832 – 1923) 35, 36 Einstein, Albert, Physiker (1879 – 1955) 229 Eisenman, Peter, Architekt (geb. 1932) 19, 77, 97, 318, 319 Elsaesser, Martin, Architekt (1884 – 1956) 243 Emerson, Ralph Waldo, Schriftsteller (1803 – 1882) 87, 175 Endell, August, Architekt (1871 – 1925) 45, 228 Engel, Carl Ludwig, Architekt (1778 – 1840) 58 Erdmannsdorff, Friedrich Wilhelm von, Architekt (1736 – 1800) 23, 100 – 103 Ernst Ludwig, Großherzog von HessenDarmstadt (1868 – 1937) 45 Ervi, Aarne Adrian, Architekt (1910 – 1977) 282 Espérandieu, Henri-Jacques, Architekt (1829 – 1874) 33 Eyck, Aldo van, Architekt (1918 – 1999) 66, 221, 275
Feininger, Lyonel, Maler (1871 – 1956)
90, 239 Ferstel, Heinrich von, Architekt (1828 – 1883) 160 Fieger, Carl, Architekt (1893 – 1960) 238 Fischer, Carl von, Architekt (1782 – 1820) 119 Fischer, Theodor, Architekt (1862 – 1938) 190 – 192, 197, 202, 251 Fisker, Kay, Architekt (1893 – 1965) 215 Flegenheimer, Julien, Architekt (1880 – 1938) 212 Fontaine, Pierre-François-Léonard, Architekt (1762 – 1853) 168 Ford, Henry, Industrieller (1863 – 1947) 234 Förderer, Walter, Architekt (1928 – 2006) 302 Förster, Ludwig, Architekt (1797 – 1863) 159
347 Foster, Sir Norman, Architekt (geb. 1935) 72 Foucault, Michel, Philosoph (1926 – 1984) 75 Fourier, Charles, Sozialreformer (1772 – 1837) 38, 109 Fox, Charles, Ingenieur (1810 – 1874) 136, 139 Franz Joseph I., österr. Kaiser (1830 – 1916) 158, 159 Friedman, Yona, Architekt (geb. 1923) 71, 293 Friedrich Wilhelm III., preuß. König (1770 – 1840) 114 Frings, Josef Kardinal, Kölner Erzbischof (1887 – 1978) 299 Fry, Maxwell, Architekt (1899 – 1987) 297 Fuller, Richard Buckminster, Architekt (1895 – 1983) 68, 71 Fuller, Thomas, Architekt (1823 – 1898) 127 Fustel de Coulanges, Numa Denis, Historiker (1830 – 1889) 93
Garnier, Charles, Architekt (1825 – 1898)
35, 151 – 54 Gärtner, Friedrich von, Architekt (1791 – 1847) 121 – 123, 168 Gaudí, Antonio, Architekt (1852 – 1926) 67, 183, 184, 194 Gautier, Théophile, Dichter (1811 – 1872) 154 Gehry, Frank O., Architekt (geb. 1929) 72 – 73, 281, 319 Gelfreich, Vladimir, Architekt (1885 – 1967) 62 Gessner, Albert, Architekt (1868 – 1953) 172 Giedion, Sigfried, Architekturhistoriker (1888 – 1968) 12, 78, 92, 93 Gilbert, Cass, Architekt (1859 – 1934) 176 Gilly, Friedrich, Architekt (1772 – 1800) 26 Ginzburg, Moisey, Architekt (1892 – 1946) 53, 54, 89 Giorgis, Bruno, Bildhauer (1905 – 1993) 289 Godin, Jean-Baptiste André, Fabrikant (1817 – 1888) 108 Goethe, Johann Wolfgang, Dichter (1749 – 1832) 23, 81, 91, 128, 227 Golosov, Ilya A., Architekt (1883 – 1945) 54 Graffunder, Heinz, Architekt (1926 – 1994) 269 Grasset, Eugène, Produktgestalter (1845 – 1917) 37 Greenough, Horatio, Bildhauer (1805 – 1852) 87
Gregotti, Vittorio, Architekt (geb. 1927) 275 Griffin, Walter Burley, Architekt (1876 – 1937) 43 Gropius, Walter, Architekt (1883 – 1969) 46, 47, 50, 51, 53, 56, 61, 86, 88, 89, 92, 93, 144, 181, 202, 203, 215, 221, 222, 224, 235, 236 – 241, 247, 271, 272, 275, 317 Grzimek, Günther, Gartenarchitekt (1915 – 1996) 303, 305 Guadet, Julien, Architekt (1834 – 1908) 78, 86, 87 Guardini, Romano, Theologe (1885 – 1968) 193 Guimard, Hector, Architekt (1867 – 1942) 45 Gutbrod, Rolf, Architekt (1910 – 1999) 306
Hadid, Zaha, Architektin (geb. 1950)
281, 319 Haesler, Otto, Architekt (1880 – 1962) 61, 236, 281 Halbwachs, Maurice, Historiker (1877 – 1945) 93 Hamilton, Richard, Maler (1922 – 2011) 95 Hamilton, William, Diplomat (1730 – 1803) 103 Hankar, Paul, Architekt (1859 – 1901) 164 Hansen, Christian Frederik, Architekt (1756 – 1845) 29, 30, 58, 214 Hansen, Theophil von, Architekt (1813 – 1891) 160 Häring, Hugo, Architekt (1882 – 1958) 56, 221, 234, 250, 251 Harmon, Arthur Loomis, Architekt (1878 – 1958) 59 Hasenauer, Carl von, Architekt (1833 – 1894) 160 Hauberrisser, Georg von, Architekt (1841 – 1922) 40 Haussmann, Georges-Eugène, Politiker (1809 – 1891) 18, 37, 62, 63, 150, 170, 171, 307 Hegemann, Werner, Architekturkritiker (1881 – 1936) 169 Heinrichs, Georg, Architekt (geb. 1926) 272 Hennebique, François, Bauingenieur (1842 – 1921) 16 Henselmann, Hermann, Architekt (1905 – 1995) 269 Herron, Ron, Architekt (1930 – 1994) 94, 310 Hertlein, Hans, Architekt (1881 – 1963) 78 Hertzberger, Herman, Architekt (geb. 1932) 71
Herz, Manuel, Architekt (geb. 1969) 321, 322 Herzog, Jacques (geb. 1950) & Pierre de Meuron (geb. 1950), Architekturbüro 76 Hirschfeld, Christian Cay Lorenz, Gartenarchitekt (1742 – 1792) 22 Hirt, Aloys, Architekt (1759 – 1837) 81, 103, 114 Hitchcock, Henry-Russell, Kunsthistoriker (1903 – 1987) 12, 78, 92, 247 Hitler, Adolf, dt. Diktator (1889 – 1945) 61, 255 – 259 Hittorff, Jacques-Ignace, Architekt (1792 – 1867) 82, 142 Hoare, Henry d. J., Bankier (1705 – 1785) 22 Hoban, James, Architekt (1762 – 1831) 30 Hobrecht, James, Stadtplaner (1825 – 1902) 170 Hoeber, Fritz, Kunsthistoriker (1885 – 1921) 78 Hoffmann, Josef, Architekt (1870 – 1956) 45, 185, 188, 202 Höger, Fritz, Architekt (1877 – 1949) 56 Holabird, William (1854 – 1923) & Martin Roche (1853 – 1927), Baubüro 175 Home, Henry, Lord Kames Philosoph (1696 – 1782) 21 Hood, Raymond, Architekt (1881 – 1934) 58, 59, 173 Horta, Victor, Architekt (1861 – 1947) 45, 181 – 183, 187, 228, 251, 310 Howard, Ebenezer, Stadtplaner (1850 – 1928) 39, 198, 199 Howells, John Mead, Architekt (1868 – 1959) 58, 173 Hübsch, Heinrich, Architekt (1795 – 1863) 27, 33, 81 – 82 Humboldt, Wilhelm von, Gelehrter (1767 – 1835) 117 Huszár, Vilmos, Architekt (1884 – 1960) 48
Ihne, Ernst von, Architekt (1848 – 1917)
117, 135 Iofan, Boris, Architekt (1891 – 1976) 63, 176, 242 Isler, Heinz, Ingenieur (1926 – 2009) 303 Itten, Johannes, Maler (1888 – 1967) 51 Izenour, Steven, Architekt (1940 – 2001) 95
Jaques-Dalcroze, Émile, Musikpäda-
goge (1865 – 1950) 197, 198 Jeanneret, Albert, Musiker (1886 – 1973) 198 Jeanneret, Pierre, Architekt (1896 – 1967) 212, 294, 297
Personenregister
348 Jeanneret-Gris, Charles-Édouard > Le Corbusier Jefferson, Thomas, US-amerik. Präsident (1743 – 1826) 30, 109 – 113, 213 Jensen-Klingt, Peder Vilhelm, Architekt (1853 – 1930) 194 Jobst, Gerhard, Architekt (1888 – 1963) 270 Johnson, Philip, Architekt (1906 – 2005) 92, 181, 246, 280, 308 Jones, Owen, Architekt (1809 – 1874) 37, 188 Joret, Henri, Ingenieur (1825 – 1883) 166 Jörg, Richard, Architekt (1908 – 1992) 300
Kahn, Louis I., Architekt (1901 – 1974)
68, 294 – 297 Kandinsky, Vasili, Maler (1866 – 1944) 241 Kant, Immanuel, Philosoph (1724 – 1804) 113, 137 Karl-Theodor, Kurfürst von der Pfalz und Bayern (1724 – 1799) 23 Katharina II., russ. Zarin (1729 – 1769) 29 Kaufmann, Edgar J., Unternehmer (1885 – 1955) 208, 260 – 264 Kent, William, Architekt (1685 – 1748) 22, 25 Kéré, Diébédo Francis, Architekt (geb. 1965) 321 Kikutake, Kiyonori, Architekt (1928 – 2011) 293 Klenze, Leo von, Architekt (1784 – 1864) 27, 32, 83, 119 – 122, 281, 281 Klerk, Michel de, Architekt (1884 – 1923) 221 Klimsch, Fritz, Bildhauer (1870 – 1960) 244, 245 Koch, Alexander, Verleger (1860 – 1939) 150 Koechlin, Maurice, Ingenieur (1856 – 1946) 36 Koerfer, Jacob, Architekt (1875 – 1930) 173, 243 Kolbe, Georg, Bildhauer (1877 – 1947) 246 Koolhaas, Rem, Architekt (geb. 1944) 76, 97, 98 Korin, Pavel, Architekt (1892 – 1967) 63 Kostof, Spiro, Architekturhistoriker (1936 – 1991) 12 Krahn, Johannes, Architekt (1908 – 1974) 301 Kreis, Wilhelm, Architekt (1873 – 1955) 57, 58, 243 Kreuer, Willy, Architekt (1910 – 1984) 270 Krier, Leon, Architekt (geb. 1946) 75, 212, 315
Anhang
Krier, Rob, Architekt (geb. 1938) 75 Kubitschek de Oliveira, Juscelino, bras. Staatspräsident (1902 – 1976) 285, 286 Kugler, Franz, Architekturhistoriker (1808 – 1858) 82 Kühne, Max Hans, Architekt (1874 – 1942) 143 Kurokawa, Kisho Noriaki, Architekt (1934 – 2007) 93, 293
L’Enfant, Pierre-Charles, Architekt
(1754 – 1825) 112 La Padula, Ernesto Bruno, Architekt (1902 – 1968) 60 Labrouste, Henri, Architekt (1801 – 1875) 132, 135 Lamb, William F., Architekt (1883 – 1952) 59, 176 Lambert, Phyllis, Architektin (geb. 1927) 277 Lambot, Joseph, Ingenieur (1814 – 1887) 16 Landmann, Ludwig, Politiker (1868 – 1945) 231 Langhans, Carl Gotthard, Architekt (1732 – 1808) 26 Langman, Arkadi, Architekt (1886 – 1968) 63 Lasche, Oskar, Ingenieur (1868 – 1923) 200 Latrobe, Benjamin Henry, Architekt (1764 – 1820) 30, 109, 176 Laugier, Marc-Antoine, Architekturtheoretiker (1713 – 1769) 25 Le Baron Jenney, William, Architekt (1832 – 1907) 42, 173 Le Camus de Mézières, Nicolas, Architekt (1721 – 1789) 17, 79 Le Corbusier, Architekt (1887 – 1965) 12, 18, 40, 47, 49, 53, 54, 60, 66 – 68, 72, 78, 88, 89, 92, 93, 96, 97, 108, 181, 190, 198, 199, 208, 211, 212, 215, 216 – 222, 225, 236, 242, 247, 248, 250, 263 – 267, 271, 275, 277, 281, 286, 292, 294, 297 – 298, 302, 313 Ledoux, Claude Nicolas, Architekt (1736 – 1806) 28, 79, 104 – 108, 215 Léger, Fernand, Maler (1881 – 1955) 302 Leiviskä, Juha, Architekt (geb. 1936) 284 Lenbach, Franz von, Maler (1836 – 1904) 177 Lenné, Peter Joseph, Gartenarchitekt (1789 – 1866) 23 Leonhardt, Fritz, Ingenieur (1909 – 1999) 281, 303 Leopold III. Friedrich Franz, Fürst von Anhalt-Dessau (1740 – 1817) 22, 100, 101
Le Roy, Julien-David, Architekt (1724 – 1803) 25 Leverhulme, William Hesketh, Unternehmer (1851 – 1925)] 39 Libera, Adalberto, Architekt (1903 – 1963) 251 Libeskind, Daniel, Architekt (geb. 1946) 19, 77, 281, 316 – 320 Lill, Hansjakob, Architekt (1913 – 1967) 302 Lipps, Theodor, Psychologe (1851 – 1914) 45 Lods, Marcel, Architekt (1891 – 1978) 64, 262, 310 Löhr, Moritz, Architekt (1810 – 1874) 159 Loos, Adolf, Architekt (1870 – 1933) 45, 78, 88, 185, 188, 190 Lorrain, Claude, Maler (1600 – 1682) 22 Lossow, William, Architekt (1852 – 1914) 143 Louis, Victor, Architekt (1731 – 1800) 27, 153 Luckhardt, Hans (1890 – 1954) und Wassili (1889 – 1972), Architekten 61, 226, 271, 272 Ludwig I., bayr. König (1786 – 1868) 32, 119, 123 Ludwig II., bayr. König (1845 – 1886) 140, 177 Lurçat, Jean, Maler (1892 – 1966) 302 Lutyens, Edwin, Architekt (1869 – 1944) 43, 297 Lyotard, Jean-François, Philosoph (1924 – 1998) 312
Mackmurdo, Arthur Heygate, Architekt
(1852 – 1941) 149 Maillart, Robert, Ingenieur (1872 – 1940) 281 Malmsten, Carl, Möbeldesigner (1888 – 1972) 215 March, Werner, Architekt (1894 – 1976) 303 Mathsson, Bruno, Möbeldesigner (1907 – 88) 215 Mattè-Trucco, Giacomo, Architekt (1869 – 1934) 273 Maximilian I., bayr. König (1756 – 1825) 119 May, Ernst, Architekt (1886 – 1970) 39, 52, 55, 56, 61, 78, 118, 199, 231, 235, 243, 272, 281 Mayer, Albert, Architekt (1897 – 1981) 297 McKim, Charles Follen, William Rutherford Mead & Stanford White, Architekturbüro 144, 277 Meano, Victor, Architekt (1860 – 1904) 154 Mebes, Paul, Architekt (1872 – 1938) 172 Meistermann, Georg, Maler (1911 – 1990) 301
349 Melnikov, Konstantin, Architekt (1890 – 1974) 54 Mendelsohn, Erich, Architekt (1887 – 1953) 12, 47, 54, 57, 61, 78, 181, 215, 229, 230, 250 Mengoni, Giuseppe, Architekt (1829 – 1877) 166 – 169 Messel, Alfred, Architekt (1853 – 1909) 118, 172 Metzendorf, Georg, Architekt (1874 – 1934) 39 Meurman, Otto-Iivari, Architekt (1890 – 1994) 282 Meyer, Adolf, Architekt (1881 – 1929) 47, 54, 203, 239 Meyer, Hannes, Architekt (1889 – 1954) 51, 221, 281 Michelet, Jules, Historiker (1798 – 1874) 31 Michelucci, Giovanni, Architekt (1891 – 1990) 60 Mies van der Rohe, Ludwig, Architekt (1886 – 1969) 51, 61, 68 – 69, 92, 93, 95, 208, 221, 222, 225, 236, 245, 246, 247, 275 – 281 Migge, Leberecht, Gartenarchitekt (1881 – 1935) 233 Mitscherlich, Alexander, Psychoanalytiker (1908 – 1982) 93 Moholy-Nagy, László, Maler (1895 – 1946) 241 Moholy-Nagy, Lucia, Fotografin (1894 – 1989) 240 Mondrian, Piet, Maler (1872 – 1944) 48, 224 Monier, Joseph, Ingenieur (1823 – 1906) 16 Mönnich, Rudolf, Architekt (geb. 1922) 164 Moore, Charles, Architekt (1925 – 1993) 315 Morris, William, Maler und Architekt (1834 – 1896) 37, 147, 155, 198 Moser, Hermann, Architekt (1890 – 1945) 228 Moser, Karl, Architekt (1860 – 1936) 193 Muche, Georg, Grafiker (1895 – 1987) 51 Müller, Hans Christian, Architekt (1921 – 2010) 272 Müller, Karl Otfried, Archäologe (1797 – 1840) 82 Müller-Wulckow, Walter, Kunsthistoriker (1886 – 1964) 78 Mussolini, Benito, ital. Diktator (1883 – 1945) 60, 62, 252 Muthesius, Hermann, Architekt (1861 – 1927) 46, 150, 197, 198
Napoleon Bonaparte, franz. Kaiser (1769 – 1821) 32, 114
Napoléon III., franz. Kaiser (1808 – 1873) 37, 150 Nash, John, Architekt (1752 – 1835) 168 Naumann, Friedrich, Politiker (1860 – 1919) 196, 202 Nehru, Jawaharlal, ind. Präsident (1889 – 1964) 297, 298 Nénot, Henri-Paul, Architekt (1853 – 1934) 212 Nervi, Pier Luigi, Architekt (1891 – 1979) 273 Neufert, Ernst, Architekt (1900 – 1986) 78, 238 Neutra, Richard, Architekt (1892 – 1970) 260 Niemeyer, Oscar, Architekt (1907 – 2012) 66, 67, 271, 286 – 289, 308 Nouvel, Jean, Architekt (geb. 1945) 75, 76 Novarina, Maurice, Architekt (1907 – 2002) 302 Nowicki, Matthew, Architekt (1910 – 1950) 297 Nüll, Eduard van der, Architekt (1812 – 1868) 131
Obrist, Hermann, Bildhauer
(1862 – 1927) 45, 57 Olbrich, Joseph Maria, Architekt (1867 – 1908) 45, 185, 228, 235 Oliveira Passos, Francisco de, Architekt (1836 – 1913) 154 Olmstedt, Frederick Law jr., Architekt (1870 – 1957) 43 Olmstedt, Frederick Law, Stadtplaner (1822 – 1903) 41 Oßwald, Ernst Otto, Architekt (1880 – 1960) 173 Östberg, Ragnar, Architekt (1866 – 1945) 212 Otis, Elisha Graves, Ingenieur (1811 – 1861) 173 Otto, Frei, Architekt (geb. 1925) 71, 303, 306, 307 Oud, Jacobus Johannes Pieter, Architekt (1890 – 1963) 48
Palladio, Andrea, Architekt
(1508 – 1580) 25, 101, 111, 153 Pankok, Bernhard, Maler (1872 – 1943) 180 Parent, Claude, Architekt (geb. 1923) 230, 302 Parker, Richard Barry, Architekt (1867 – 1947) 39 Paulick, Richard, Architekt (1903 – 1979) 269 Paxton, Sir John, Ingenieur (1803 – 1865) 136 – 140 Pereira, William & Charles Luckman, Architekturbüro 277
Percier, Charles, Architekt (1764 – 1838) 168 Pereira, Israel, Bauunternehmer 286 Perrault, Dominique, Architekt (geb. 1953) 307 Perret, Auguste, Architekt (1874 – 1954) 46, 47, 58, 64, 193, 210, 211 Persius, Ludwig, Architekt (1803 – 1845) 24 Petäjä, Keijo, Architekt (1919 – 1988) 282 Petrescu, Anca, Architektin (1949 – 2013) 176 Pevsner, Nikolaus, Kunsthistoriker (1902 – 1983) 11 Peyre, Marie-Joseph, Architekt (1730 – 1785) 27, 28, 80 Piacentini, Marcello, Architekt (1881 – 1960) 60, 251 Piano, Renzo, Architekt (geb. 1937) 307 – 311 Pietilä, Raili (geb. 1926) und Reima (1923 – 93), Architekten 284 Pius XII., Papst (1876 – 1958) 300 Platz, Gustav Adolf, Kunsthistoriker und Architekt (1881 – 1947] 11, 78 Playfair, William, Architekt (1759 – 1823) 29 Poelaert, Joseph, Architekt (1817 – 1879) 161, 163, 164 Poelzig, Hans, Architekt (1869 – 1936) 46, 47, 56, 242 – 246, 250 Pompidou, Georges, franz. Staatspräsident (1911 – 1974) 308 Ponti, Gio, Architekt (1891 – 1979) 273 Poussin, Nicolas, Maler (1594 – 1665) 22 Prior, Edward Schroeder, Architekt (1857 – 1932) 150 Prix, Wolf D., Architekt (geb. 1942) 323 Prouvé, Jean, Architekt (1901 – 1984) 262, 308, 310 Pugin, Augustus Welby Northmore, Architekt (1812 – 1852)] 38, 84, 125, 126
Quatremère de Quincy, Antoine
Chrysostôme, Architekturtheoretiker (1755 – 1849) 81, 82, 84
Rading, Adolf, Architekt (1888 – 1957)
61, 250 Raffael, Maler (1483 – 1520) 135 Ramée, Joseph-Jacques, Architekt (1764 – 1842) 112 Ranke, Leopold von, Historiker (1795 – 1886) 31 Ranzenberger, Hermann, Architekt (1891 – 1967) 228 Raoul-Rochette, Désiré, Altertumswissenschaftler (1789 – 1854) 82
Personenregister
350 Regamey, Père Pie, Theologe (1900 – 1996) 302 Reichow, Hans Bernhard, Architekt (1899 – 1974) 251, 272 Reid, Robert, Architekt (1774 – 1856) 29 Revett, Nicholas, Architekt (1720 – 1804) 25, 99 Reynaud, Léonce, Architekt (1803 – 1880) 141 Richardson, Henry Hobson, Architekt (1838 – 1886) 42, 175 Richter, Hans, Maler und Filmemacher (1888 – 1976) 78 Riefenstahl, Leni, Filmemacherin (1902 – 2003) 259 Riegl, Alois, Kunsthistoriker (1858 – 1905) 155 Riemerschmid, Richard, Architekt (1868 – 1957) 46, 180, 195, 196, 198, 199, 202 Rietveld, Gerrit Thomas, Möbeltischler und Architekt (1888 – 1964) 48, 222 – 224 Robie, Frederick C., Unternehmer (1879 – ?) 204, 207 Rogers, Ernesto Nathan, Architekt (1909 – 1969) 274, 275, 293 Rogers, Richard, Architekt (geb. 1933) 72, 307 – 311 Rossi, Aldo, Architekt (1931 – 1997) 93, 275, 281 Roth, Emery (1871 – 1948) & Sons, Architekturbüro 144 Rouault, Georges, Maler (1871 – 1958) 302 Rousseau, Jean-Jacques, Philosoph (1712 – 1778) 22, 24, 104, 106 Rovira i Trias, Antonio, Architekt (1816 – 1889) 157 Rowe, Colin, Architekturtheoretiker (1920 – 1999) 314 Rudnev, Lev, Architekt (1885 – 1956) 65 Ruf, Sep, Architekt (1908 – 1982) 302 Ruskin, John, Schriftsteller (1819 – 1900) 84, 127, 149, 155, 175 Rysselberghe, Théo van, Maler (1862 – 1926) 182
Saarinen, Eero, Architekt (1910 – 1961)
69, 96 Safdie, Moshe, Architekt (geb. 1938) 71, 293 Salt, Titus, Unternehmer (1803 – 1876) 38 Salvisberg, Otto Rudolf, Architekt (1882 – 1940) 234 Schädel, Hans, Architekt (1910 – 1996) 301 Scharoun, Hans, Architekt (1893 – 1972) 56, 57, 61, 64, 226, 247 – 250, 267, 268, 271, 272
Anhang
Scheper, Hinnerk, Designer und Denkmalpfleger (1897 – 1957) 240 Schilling, Johannes, Bildhauer (1828 – 1910) 130 Schimkowitz, Othmar, Bildhauer (1864 – 1947) 186 Schinkel, Karl Friedrich, Architekt (1781 – 1841) 24, 26, 27, 32, 62, 81, 113 – 119, 124, 128, 280 Schlegel, Friedrich, Dichter (1772 – 1829) 81 Schlemmer, Oskar, Maler (1888 – 1943) 238 Schmarsow, August, Kunsthistoriker (1853 – 1936) 44 Schmidt, Friedrich von, Architekt (1825 – 1891) 160 Schmidt, Karl, Unternehmer (1873 – 1948) 195, 196 Schminke, Fritz (1897 – 1971) und Charlotte (? – 1976), Fabrikantenehepaar 247, 248 Schmitthenner, Paul, Architekt (1884 – 1972) 61, 91, 234, 281 Schmohl, Eugen, Architekt (1880 – 1926) 173 Schnitzler, Georg von, Industrieller (1884 – 1962) 245, 246 Schoch, Johann Leopold d. Ä., Gärtner (1728 – 1793) 100 Scholer, Friedrich Eugen, Architekt (1874 – 1949) 57, 143 Schönberg, Arnold, Komponist (1874 – 1951) 318 Schopenhauer, Arthur, Philosoph (1788 – 1860) 81 Schröder-Schräder, Truus, Auftraggeberin (1889 – 1985) 222 Schüler-Witte, Ralf (1930 – 2011) und Ursulina (geb. 1933), Architekten 71 Schultze-Naumburg, Paul, Architekt (1869 – 1949) 61, 281 Schumacher, Fritz, Architekt (1869 – 1947) 78, 251, 281 Schupp, Manuel, Architekt (geb. 1959) 312 Schwagenscheidt, Walter, Architekt (1886 – 1968) 64, 272 Schwanzer, Karl, Architekt (1918 – 1975) 322 Schwarz, Rudolf, Architekt (1897 – 1961) 91, 194, 281, 300, 301 Schwippert, Hans, Architekt (1899 – 1973) 236 Sckell, Ludwig von, Gartenarchitekt (1750 – 1823) 23 Scott, George Gilbert, Architekt (1811 – 1878) 155 Seagram, Joseph E. (1841 – 1919) and Sons, Spirituosenhersteller 276, 279
Sedlmayr, Hans, Kunsthistoriker (1896 – 1984) 11 Seidl, Emanuel von, Architekt (1856 – 1919) 180 Seidl, Gabriel von, Architekt (1848 – 1913) 177 – 180 Semper, Gottfried, Architekt (1803 – 1879) 80, 82 – 84, 87, 127 – 131, 138, 159, 281 Senger, Alexander von, Architekt (1880 – 1968) 78 Shakespeare, William, Dichter (1564 – 1616) 129 Shchusev, Alexey, Architekt (1873 – 1949) 63 Shuchov, Vladimir, Bauingenieur (1853 – 1939) 53 Sicard von Sicardsburg, August, Architekt (1813 – 1868) 131 Sitte, Camillo, Architekt (1843 – 1903) 40, 197 Sittmann, Tassilo, Architekt (geb. 1928) 64, 272 Sive, André, Architekt (1899 – 1958) 64 Smirke, Robert, Architekt (1780 – 1867) 32 Smithson, Peter (1923 – 2003) und Alison (1928 – 1993), Architekten 66, 221, 275 Soane, John, Architekt (1753 – 1837) 31, 315 SOM (Louis Skidmore, Nathaniel Owings und John O. Merrill), Architekturfirma 68, 70, 72, 277 Sommerfeld, Adolf, Bauunternehmer (1886 – 1964) 51 Sörgel, Herman, Architekt (1885 – 1952) 78 Soria y Mata, Arturo, Stadtplaner (1844 – 1920) 40 Soufflot, Germain, Architekt (1713 – 1780) 25 Speer, Albert, Architekt (1905 – 1981) 62, 176, 255 – 259 Stalin, Josef, sowj. Diktator (1878 – 1953) 63, 255, 268 – 270 Steindl, Imre, Architekt (1839 – 1902) 127 Steiner, Rudolf, Philosoph (1861 – 1925) 226 – 229 Stevenson, Robert, Ingenieur (1772 – 1850) 139 Stirling, James, Architekt (1926 – 1992) 312 – 315 Straub, Karl Willy, Schriftsteller (1880 – 1971) 61 Street, George Edmund, Architekt (1824 – 1881) 147, 164 Stuart, James (1713 – 1788), Archäologe 25, 99
351 Stübben, Hermann Joseph, Stadtplaner (1845 – 1936) 40, 159 Stubbins, Hugh, Architekt (1912 – 2006) 271 Stüler, Friedrich August, Architekt (1800 – 1865) 117 Sullivan, Louis, Architekt (1856 – 1924) 42, 87, 109, 147, 173 – 176, 207
Tafuri, Manfredo, Architekturhistoriker
(1935 – 1994) 12 Tamburini, Francesco, Architekt (1846 – 1891) 154 Tange, Kenzo, Architekt (1913 – 2005) 93, 290 – 293 Tatlin, Vladimir, Künstler (1885 – 1953) 53 Taut, Bruno, Architekt (1880 – 1838) 50, 61, 90, 118, 172, 181, 202, 226, 232 – 234 Taut, Max, Architekt (1884 – 1967) 50, 236, 271 Taylor, Frederick Winslow, Ingenieur (1856 – 1915) 234 Temple, Sir Richard, Viscount Cobham (1675 – 1749) 22 Terragni, Giuseppe, Architekt (1904 – 1943) 60, 251 – 253 Tessenow, Heinrich, Architekt (1876 – 1950) 46, 92, 197 – 199, 215, 234 Thiersch, Friedrich von, Architekt (1852 – 1921) 164 Thomon, J. Thomas de, Architekt (1760 – 1813) 29 Thompson, Benjamin, Offizier (1753 – 1814) 23 Thornton, William, Architekt (1759 – 1828) 109, 176 Tieck, Ludwig, Dichter (1773 – 1853) 128 Tönnies, Ferdinand, Soziologe (1855 – 1936) 202 Troost, Paul Ludwig, Architekt (1878 – 1934) 62 Tschumi, Bernhard, Architekt (geb. 1944) 319 Tshuko, Vladimir, Architekt (1878 – 1939) 62
Ulbricht, Walter, Politiker (1893 – 1973)
269 Unwin, Raymond, Architekt (1863 – 1940) 39, 199 Utzon, Jørn, Architekt (1918 – 2008) 70, 93
Vago, Pierre, Architekt (1910 – 2002) 271 Valéry, Paul, Schriftsteller (1871 – 1945) 78, 90, 91
van ‘t Hoff, Robert, Architekt (1887 – 1979) 48 van der Vlugt, Leendert, Architekt (1894 – 1936) 242 Vanderbilt, Commodore Cornelius, Unternehmer (1794 – 1877) 143 Vargas, Getúlio, bras. Staatspräsident (1882 – 1954) 285 Vaudoyer, Antoine-Laurent-Thomas, Architekt (1756 – 1846) 32 Vaudoyer, Léon, Architekt (1803 – 1872) 32, 135 Velde, Henry van de, Architekt (1863 – 1957) 45, 46, 164, 182, 196, 202, 203, 209, 210, 221, 228, 229, 250, 281 Venturi, Robert, Architekt (geb. 1925) 95 Verge, John, Architekt (1782 – 1861) 30 Vesnin, Brüder Alexander (1883 – 1959), Leonid (1880 – 1933) und Viktor (1882 – 1950), Architekten 53 Victoria, engl. Königin (1819 – 1901) 126, 138 Vilanova Artigas, João Batista, Architekt (1915 – 1985) 67 Viollet-le-Duc, Eugène Emmanuel, Architekt (1814 – 1879) 35, 81, 84 – 87, 155, 182, 185 Virilio, Paul, Philosoph (geb. 1932) 230, 302 Vischer, Friedrich Theodor, Philosoph (1807 – 1887) 44 Vischer, Robert, Philosoph (1847 – 1933) 44 Vitruv, Architekturtheoretiker (ca. 75 – ca. 15 v. Chr.) 79, 99, 188, 315, 316 Vittorio Emanuele II., ital. König (1820 – 1878) 166 Vohl, Carl, Architekt (1853 – 1932) 164 Voit, August von, Architekt (1801 – 1870) 140 Voronichin, Andrey, Architekt (1759 – 1814) 29 Voysey, Charles, Architekt (1857 – 1941) 149
Waagen, Gustav Friedrich, Kunsthis-
toriker (1794 – 1868) 117 Wachsmann, Konrad, Architekt (1901 – 1980) 71 Wagner, Martin, Architekt (1885 – 1957) 118, 232 Wagner, Otto, Architekt (1841 – 1918) 85 – 88, 184 Wagner, Richard, Komponist (1813 – 1883) 127, 129, 208 Wailly, Charles de, Architekt (1730 – 1798) 27 Walpole, Horace, 4. Earl of Oxford, Schriftsteller (1717 – 1797) 102
Wandel, Andrea, Andreas Hoefer & Wolfgang Lorch, Architekturbüro 321, 322 Warren, Whitney & Charles D. Wetmore, Architekturbüro 144 Webb, Mike, Architekt (geb. 1937) 94 Webb, Philip, Architekt (1831 – 1915) 147 Weber, Martin, Architekt (1890 – 1941) 193 Wechs, Thomas, Architekt (1893 – 1970) 302 Wellens, François, Ingenieur (1812 – 1897) 162 Wetmore, Charles D., Architekt (1866 – 1941) 144 Whitman, Walt, Dichter (1819 – 1892) 175 Wilford, Micheal, Architekt (geb. 1938) 312 Wilgus, William J., Ingenieur (1865 – 1949) 144 Wilhelm IX., Landgraf von HessenKassel (1743 – 1821) 23, 102 Winckelmann, Johann Joachim, Kunsttheoretiker (1717 – 1768) 25 Wölfflin, Heinrich, Kunsthistoriker (1864 – 1945) 44 Woodward, Benjamin, Architekt (1816 – 1861) 35 Worth, Charles Frederick, Textilunternehmer (1826 – 1895) 44 Wotruba, Fritz, Bildhauer (1907 – 1975) 302 Wright, Frank Lloyd, Architekt (1867 – 1959) 48, 51, 58, 70, 73, 109, 147, 204 – 208, 260 – 263, 277, 296 Wundt, Wilhelm, Psychologe (1832 – 1920) 45 Wurmb, Julius von, Architekt (1804 – 1875) 159
Yamasaki, Minoru, Architekt (1912 – 1986) 96, 280
Zacharov, Andreyan, Architekt
(1761 – 1811) 29 Zettl, Ludwig, Architekt (1821 – 1891) 159 Zevi, Bruno, Architekturhistoriker (1918 – 2000) 12 Zucker, Paul, Kunstkritiker (1888 – 1971) 68 Zumthor, Peter, Architekt (geb. 1943) 19 Zuse, Konrad, Bauingenieur (1910 – 1995) 73
Personenregister
352
Abbildungsnachweis Alvar Aalto, Architect: University of Technology, Otaniemi 1949 – 74. Helsinki 2008: Abb. 139, 140 Andreoli, Elisabetta / Forty, Adrian: Brazil’s Modern Architecture. New York 2004: Abb. 141 Archiv Christian Freigang: Abb. 116 Bandmann, Günther: Die Galleria Vittorio Emanuele II. zu Mailand, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 29 / 1966, S. 81 – 110: Abb. 79 Bauer, Ingolf (Hrsg.): Das Bayerische Nationalmuseum. Der Neubau an der Prinzregentenstraße 1892 – 1900. München 2000: Abb. 86 Beaver, Patrick: The Crystal Palace, 1851 – 1936. A Portrait of Victorian Enterprise. London 1970: Abb. 66 Bednorz, Achim: Abb. 8, 13, 14, 22, 26, 32, 70, 71, 78, 89, 93, 97, 131, 152, 157, 158 Besset, Maurice: Le Corbusier. Genf 1976: Abb. 130 Bettinotti, Massimo (Hrsg.): Kanzo Tange 1946 – 1996. Architecture and Urban Design. Architettura e disegno urbano. Mailand 1996: Abb. 145 Bildarchiv Foto Marburg / Gert von Bassewitz: Abb. 125 Bildarchiv Foto Marburg / Norbert Latocha: Abb. 19 Blundell Jones, Peter: Asplund. London u. New York 2006: Abb. 104, 105 Blundell Jones, Peter: Hans Scharoun. London 1995: Abb. 123 Brawne, Michael: University of Virginia. The Lawn. London 1994: Abb. 49, 50 Burkhardt, Berthold (Hrsg.): Scharoun. Haus Schminke. Die Geschichte einer Instandsetzung. Stuttgart 2002: Abb. 122 Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou (Hg.): De Stijl. Ausstellungskatalog. Paris 2010: Abb. 109 Centrum Industriekultur Nürnberg (Hrsg.): Kulissen der Gewalt. Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. München 1992: Abb. 127 Christophe, Paul: Le béton armé et ses applications. Paris 1902: Abb. 2 Davey, Peter: Arts-and-Crafts-Architektur. Stuttgart 1996: Abb. 99 De Magistris, Alessandro: URSS anni ’30 e ’50. Paesaggi dell’utopia staliniana. Turin 1997: Abb. 25 Deutsche Architektur 10 / 1959: Abb. 133 Die Form, Heft 16 / 1929: Abb. 121 Dierkens-Aubry, Françoise: Musée Horta (Bruxelles Saint-Gilles). Brüssel 1990: Abb. 88 Drexler, Arthur: Ludwig Mies van der Rohe, New York 1960: Abb. 136 Fleig, Karl: Alvar Aalto, Bd. II 1963 – 1970. Zürich 1971: Abb. 138 Freigang, Christian: Abb. 29, 44, 45, 54 – 57, 68, 69, 72, 83, 94, 95, 98, 102, 111, 113, 114, 117 – 120, 132, 134, 154-156, 159, 161, 162 Freigang, Christian: Auguste Perret, die Architekturdebatte und die „Konservative Revolution“ in Frankreich 1900 – 1930. Berlin u. München 2003: Abb. 103 Freyberg, Pankraz von: 200 Jahre Englischer Garten München 1789 – 1989. Offizielle Festschrift. München 1989: Abb. 3 FU Berlin, KHI, Diathek: Abb. 77 Giurgola, Romaldo / Mehta, Jaimini: Louis I. Kahn. Zürich 1975: Abb. 147 Gössel, Peter / Leuthäuser, Gabriele: Architektur des 20. Jahrhunderts. Köln 1990: Abb. 124 Graml, Hubert: Abb. 53 Hänsch, Wolfgang: Die Semperoper. Geschichte und Wiederaufbau der Dresdner Staatsoper. Stuttgart 1986: Abb. 61
Anhang
Hess, Alan: Frank Lloyd Wright – Prairie Houses. Mailand u. New York 2006: Abb. 101 Huse, Norbert (Hrsg.): Vier Berliner Siedlungen der Weimarer Republik. Britz, Onkel Toms Hütte, Siemensstadt, Weiße Stadt, Ausst.-Kat. Berlin 1984 – 85. Berlin 1984: Abb. 112 Kürvers, Klaus / Geist, Johann Friedrich: Das Berliner Mietshaus 1862 – 1945. München 1984: Abb. 82 Kultermann, Udo: Kenzo Tange. 1946 – 1969. Architecture and Urban Design. Zürich 1970: Abb. 146 Le Corbusier, Urbanisme. Paris 1925: Abb. 106 Le Corbusier / Willy Boesiger: Œuvre Complète. Le Corbusier et Pierre Jeanneret. Zürich 1937, Bd. I: Abb. 107 Ledoux, Claude-Nicolas: L’architecture considérée sous le rapport de l’art des mœurs et de la législation, Paris 1804: Abb. 48 Lupfer, Gilbert / Sigel, Paul: Walter Gropius. 1883 – 1969. Propagandist der neuen Form. Taschen 2004: Abb. 116 Magnago Lampugnani, Vittorio / Schneider, Romana: Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 1950. Expressionismus und Neue Sachlichkeit. Stuttgart 1994: Abb. 115 MacLamprecht, Barbara: Richard Neutra (Complete Works). Köln und London 2000: Abb. 128, 129 McKean, John: Crystal Palace. Joseph Paxton and Charles Fox. London 1994: Abb. 65 McQuaid, Matilda: Visionen und Utopien. Architekturzeichnungen aus dem Museum of Modern Art [Katalog zur Ausstellung: Frankfurt a. M., Schirn Kunsthalle, 29.04. – 03.08.2003], New York / London: Abb. 41 Moatti, Jacques, Beauvert, Thierry, Kahane, Martine, Die Pariser Oper. Das „Palais Garnier“. Ein Gesamtkunstwerk. Tübingen 1988: Abb. 73 Nerdinger, Winfried / Oechslin, Werner: Gottfried Semper 1803 – 1879. Architektur und Wissenschaft. Ausst. Kat. München u. Zürich 2003. München, Berlin, London, New York u. Zürich 2003: Abb. 60 Nerdinger, Winfried (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Eisen, Markus und Strobl, Hilde: L’Architecture Engagée. Manifeste zur Veränderung der Gesellschaft. Publikation zur Ausstellung des Architekturmuseums der Technischen Universität München in der Pinakothek der Moderne 14. Juni bis 02. September 2012. München 2012: Abb. 16 Paul, Christophe: Le béton armé et ses appli- cations. Paris 1902 Peyre, Marie-Joseph: Œuvres d’architecture de Marie-Joseph Peyre. Paris 1765: Abb. 39 Port, Michael Harry: The Houses of Parliament, New Haven 1976: Abb. 59 Rykwert, Joseph: Louis Kahn. New York 2001: Abb. 148, 149 Scheider, Bernhard: Daniel Libeskind. Jüdisches Museum Berlin. München 1999: Abb. 160 Schmidt, Johann-Karl / Zeller, Ursula: Behnisch & Partner. Bauten 1952 – 1992. Stuttgart 1992: Abb. 153 Schneider, Richard (Hrsg): Berlin um 1900. Berlin 2004: Abb. 7 Schumann-Bacia, Eva: Die Bank von England. Und ihr Architekt John Soane. München / Zürich 1989: Abb. 12 Stichweh, Dirk / Machirus, Jörg: New York Skyscrapers. München u. a. 2009: Abb. 28 Taut, Bruno: Die Stadtkrone. Jena 1919: Abb. 40
Toman, Rolf (Hrsg.): Wien. Kunst und Architektur. Königswinter 1999: Abb. 75, 76 Toman, Rolf (Hrsg.): Wien. Kunst und Architektur. Potsdam 2010: Abb. 91 Troost, Gerdy: Das Bauen im neuen Reich. Bayreuth 1938: Abb. 126 TU Berlin, Architekturmuseum: Abb. 1 Underwood, David: Oscar Niemeyer and the architecture of Brazil. New York 1994: Abb. 31 Universität Freiburg, Diathek: Abb. 47 Venturi, Robert / Scott Brown, Denise: Learning from Las Vegas. Cambridge / London 1972: Abb. 42 Voigt, Wolfgang (Hrsg.): Gottfried Böhm. Ausst.-Kat. Frankfurt / M. 2006. Berlin 2006: Abb. 151 Warncke, Carsten-Peter: Das Ideal als Kunst. De Stijl 1917 – 1931. Köln 1990: Abb. 21 Weiss, Thomas / Quilitzsch, Uwe (Hrsg.): Den Freunden der Natur und Kunst. Das Gartenreich des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau im Zeitalter der Aufklärung. Ostfildern-Ruit 1997: Abb. 43 Weston, Richard: Alvar Aalto. London 1995: Abb. 138 Wilson, Richard Guy (Hrsg.): Thomas Jefferson’s Academical Village. The Creation of an Architectural Masterpiece. Charlottesville und London 2009: Abb. 51 Zadow, Mario: Karl Friedrich Schinkel. Berlin 1980: Abb. 52 Zanten, David van: Sullivan’s City. The Meaning of Ornament for Louis Sullivan. New York 2000: Abb. 84, 85
Internetquellen http://m.cdn.blog: Abb. 135 www.goetheanum.org: Abb. 110 www.sachsen-erkunden.de: Abb. 96 Wiki Commons: Abb. 4 (Traktorminze), Abb. 5 (Berthold Werner), Abb. 6 (Beek100), Abb. 9 (Marc Ryckaert), Abb. 10 (BotMultichillT), Abb. 11 (Tomasz Sienicki), Abb. 15 (Benh Lieu Song), Abb. 17 (UpstateNYer), Abb. 18 (RillkeBot), Abb. 20 (Gryffindor), Abb. 23 (Dreizung), Abb. 24 (NVO), Abb. 27 (Shaqspeare), Abb. 30 (Steven Pavlov), Abb. 33 (Dmitry Avdeev), Abb. 34 (WiNG), Abb. 35 (Phillip Maiwald), Abb. 36 (Jean-Louis Zimmermann), Abb. 37 (Alexandru.giurca), Abb. 38 (K. Weisser), Abb. 46 (Masei1202), Abb. 51 (YF12s), Abb. 58 (David Hunt), Abb. 62 (Ingersoll), Abb. 63 (Mbzt), Abb. 64 (Marie-Lan Nguyen), Abb. 65 (Hohum), Abb. 67 (Tldtld), Abb. 74 (Amadalvarez), Abb. 80 (Jean-Christophe Benoist), Abb. 81 (Stefan Bauer), Abb. 87 (Oliver Raupach), Abb. 90 (Bwag), Abb. 92 (G8w), Abb. 100 (lykantrop), Abb. 108 (Andreas 2309), Abb. 137 (Noroton), Abb. 142 (Mario Roberto Duran Ortiz), Abb. 143 (A C Moraes), Abb. 150 (duncid - KIF_4646_Pano), Abb. 163 (Helge Fahrnberger), Abb. 164 (Manuel Herz Architects), Abb. 165 (Diego Delso)
Trotz sorgfältiger Recherche ist es nicht immer möglich, die Inhaber von Urheberrechten zu er- mitteln. Berechtigte Ansprüche werden selbstver- ständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgeglichen.
Christian Freigang ist Professor für Kunst- und Architektur geschichte an der Freien Universität Berlin. Forschungs schwerpunkte sind die Architekturgeschichte des Mittelalters und des 19. bis 20. Jahrhunderts, Architekturtheorie und -wahrnehmung sowie die Geschichte der Kunstgeschichte.
Christian Freigang
Von der Französischen Revolution bis heute, vom Klassizis mus bis zur Postmoderne spannt sich der Bogen dieser Architekturgeschichte. Sie verbindet die Vorstellung promi nenter Schlüsselwerke mit einer allgemeinen Charakte ristik der historischen und baukünstlerischen Entwicklung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Europa, doch kommen auch Beispiele von anderen Kontinenten zur Sprache. Die Einbettung der Bauten in den kulturgeschichtlichen, theo retischen und politischen Kontext ist integraler Bestandteil der Architekturbeschreibung. Materialien, Organisationen, Bauausstellungen, Denkmalpflege und Stararchitekten werden kompetent diskutiert.
Die Moderne
Die Vielfalt der Stile
Die Moderne
wbg Architekturgeschichte
Christian Freigang
www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27023-1
9 783534 270231 WBG Architekturgeschichte_Moderne_RZ4.indd 1
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