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German Pages 304 Year 2016
Stephanie Stadelbacher Die körperliche Konstruktion des Sozialen
KörperKulturen
Stephanie Stadelbacher (M.A.), geb. 1982, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Soziologie mit besonderer Berücksichtigung der Sozialkunde an der Universität Augsburg.
Stephanie Stadelbacher
Die körperliche Konstruktion des Sozialen Zum Verhältnis von Körper, Wissen und Interaktion
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Inhalt
1.
Einleitung: Fragestellung und deren soziologische Relevanz | 7
2.
Die Rolle des Körpers im Prozess sozialer Interaktion bei ausgewählten Klassikern | 19
2.1. Soziale Interaktion bei Emile Durkheim und Max Weber – Die Konzeption »körperloser« Sozialakteure | 20 2.2. Theoretische Berücksichtigung der Körperlichkeit in der interaktionistischen Soziologie: Soziale Verständigung bei Georg Simmel, George Herbert Mead, Erving Goffman und Harold Garfinkel | 24 2.3. Die Gesellschaftlichkeit des Körpers aus praxistheoretischer Perspektive: ›sens pratique‹ und soziale Abstimmung bei Pierre Bourdieu | 38 2.4. Resümee: Der Körper in klassischen soziologischen Handlungs-, Interaktions- und Praxistheorien | 46 3.
Der wissenssoziologische Beitrag zur körperlichen Konstruktion des Sozialen | 53
3.1. Einführung: Thematik und Hintergrund der Neuen Wissenssoziologie | 54 3.2. Der Körper in der anthropologisch-phänomenologisch fundierten Wissenssoziologie: Die Einflüsse von Edmund Husserl und Helmuth Plessner | 64 3.3. Wissen als Effekt und Bedingung von sozialer Interaktion in der Alltagswelt | 69 3.4. Die Rolle des Körpers in der alltäglichen Kommunikation: Differenz zwischen direktem und indirektem Verständigungshandeln | 105 3.5. Resümee: Die körperliche Konstruktion des Sozialen aus wissenssoziologischer Perspektive | 118 4.
Die Theorie kognitiver Metaphorik als Beitrag zur körperlichen Konstruktion des Sozialen | 129
4.1. Einführung in die Theorie kognitiver Metaphorik von George Lakoff und Mark Johnson | 131
4.2. Der Körper in der Theorie kognitiver Metaphorik: Zwischen leiblichem In-der-Welt-Sein und neuronalem Embodiment | 145 4.3. Metaphern als Elemente des gesellschaftlichen und subjektiven Wissensvorrats | 157 4.4. Gemeinsame Erfahrungsstruktur als Bedingung und Möglichkeit wechselseitiger Verständigung | 214 4.5. De-/Konstruktion: Wo sind die Grenzen der Theorie kognitiver Metaphorik? | 236 5.
Fazit: Ein neues Verständnis der körperlichen Konstruktion des Sozialen | 247
Literaturverzeichnis | 261 Anhang | 291
1. Einleitung: Fragestellung und deren soziologische Relevanz1
Seit ihrer Begründung als moderne Wissenschaft ist soziale Ordnung resp. Sozialität2 ein zentrales Thema der Soziologie. Wie Menschen Gesellschaft auf Dauer stellen und zugleich immer wieder durch alltägliches Handeln neu herstellen und was Gesellschaft oder generell soziale Gefüge zusammenhält, sind bis heute – auch angesichts sozialer Wandlungsprozesse – für die Soziologie relevante Fragestellungen (vgl. Joas/Knöbl 2004: 37). Breiter Konsens in den diese Thematik adressierenden Ansätzen (zumindest der handlungstheoretischen) ist die Annahme einer grundlegend konstitutiven Bedeutung symbolischer Interaktion für die Re-Produktion sozialer Wirklichkeit. Diese kann formal differenziert werden in direkte und indirekte, unmittelbar-praktische und mittelbar-abstrakte Interaktion – aber immer gilt:3 Unsere Alltagswelt ist im Kern intersubjektive 1
An dieser Stelle möchte ich den bei allen bedanken, die zum Entstehen des vorliegenden Textes beigetragen haben. Namentlich zu nennen sind hier vor allem Prof. Dr. Fritz Böhle, Prof. Dr. Werner Schneider und Prof. Dr. Rudolf Schmitt, die den Text durch hilfreiche Anmerkungen und kritisches Feedback bereichert sowie das Schreiben durch ermutigende Worte erleichtert haben. Auch Liselotte Winterholler möchte ich für ihre akribische und gewissenhafte Lektüre danken.
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Sozialität meint zum einen die anthropologische Notwendigkeit einer sozialen Gemeinschaft als menschliche Existenzbedingung, zum anderen – und dieser Aspekt steht hier im Vordergrund – die interaktiv hergestellte gemeinsame Wirklichkeit als Sozialwelt.
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In dieser Arbeit wird soziale Interaktion demnach im handlungstheoretischen Sinn verwendet. Interaktion wird gefasst als »die durch Kommunikation (Sprache, Symbole, Gesten usw.) vermittelten wechselseitigen Beziehungen zwischen Personen und Gruppen und die daraus resultierende wechselseitige Beeinflussung ihrer Einstellungen, Erwartungen und Handlungen« (vgl. Fuchs-Heinritz 2007: 304). Die Bedeutung
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und pragmatische Sozialwelt. Die damit verbundene Frage nach den Voraussetzungen erfolgreicher Interaktion i.S. wechselseitiger Verständigung, also wie es Menschen gelingt, im Prozess sozialer Abstimmung eine gemeinsam geteilte Wirklichkeit zu erzeugen, wurde und wird dabei noch oft mit Modellen kognitiv verfügbaren, mentalen Wissens beantwortet. Wissen, genauer: gemeinsam geteiltes, gesellschaftliches Interpretations- und Handlungswissen, gilt noch immer als das zentrale Fundament des Sozialen (vgl. Böhle/Weihrich 2010b; Bonß et al. 2013). Auf der Grundlage gemeinsamer Deutungen, Vorstellungen und Relevanzen erzeugen soziale Akteure eine gemeinsame Definition der Situation, handeln dieser entsprechend, indem sie sich an Normen und Rollenregeln orientieren und erzeugen damit aktiv (und intentional) soziale Ordnung/Wirklichkeit. Das zentrale Medium des Austausches ist dabei die Sprache als semantische Materialisierung kollektiv geteilten Wissens. Einer solchen Konzeption des Sozialen folgend, findet gesellschaftliches Handeln vorrangig »in den Köpfen der Individuen« statt (Gebauer/Wulf 1998: 18). Die Frage, welche Rolle der Körper dieser Akteure dabei spielt, blieb lange ein blinder Fleck soziologischer Theorie und Empirie (vgl. Kamper/Rittner 1976; Shilling 1993; Turner 1996; Gugutzer 2004; Meuser 2004). Gesa Lindemann hat das die »quasimentalistische Bornierung« der Soziologie genannt, die sich darin ausdrücke, dass das »gesellschaftliche Personal, das Soziologen vor Augen bekommen, [...] aus Engeln zu bestehen« scheint (Lindemann 2005: 114f.). Dabei müsste es eine selbstevidente, unbestreitbare und in Theorien des Sozialen zu berücksichtigende Faktizität sein, dass Sozialität (als praktische Intersubjektivität) auch und gerade mit der Körperlichkeit und der Leiblichkeit der Akteure unmittelbar verbunden ist – schließlich hat bereits einer der Begründer der Wissenssoziologie festgestellt, »daß wir keine Engel sind, sondern einen Leib besitzen« (Scheler 1916: 419; Herv.i.O.). Denn per definitionem entsteht die kleinste Einheit, gleichsam die Quelle oder Basis
von Kommunikation wird hier als Medium der wechselseitigen Vermittlung des jeweils gemeinten Sinns besonders hervorgehoben. Gemeint ist sowohl intersubjektives Handeln in direkter Form als auch über (sprachliche) Kommunikation vermitteltes, ohne Anwesenheit der Interaktanten (indirekte Interaktion). Handeln meint damit im Folgenden sowohl pragmatisches als auch kommunikatives Handeln. Entscheidend für den Interaktionsbegriff ist also die Wechselseitigkeit der Akteure, nicht deren Anoder Abwesenheit. Soziale Verständigung ist als alltägliches Prozessieren gemeinsamer Ordnung i.S. sozialer Abstimmung als ein Element sozialer Interaktionsprozesse zu verstehen. In dieser Arbeit wird es demnach um koordinatives Verständigungshandeln auf mikrosozialer Ebene gehen, also um die Frage, wie sich Akteure auf eine gemeinsame Deutung der Situation verständigen können.
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von Gesellschaft bereits dort, wo mindestens zwei Subjekte direkt, also auch körperlich aufeinandertreffen, sich wechselseitig als (verkörperte) Subjekte (auch leiblich) wahrnehmen und ihr Handeln mehr oder weniger explizit aufeinander beziehen.4 Das Soziale ist demzufolge »auf einer basalen Ebene als InterSubjektivität konstituiert« (Gugutzer 2006: 31), d.h. als Begegnung mindestens zweier konkreter und das bedeutet eben auch körperlicher Individuen.5 Daher wundert es umso mehr, dass gerade der omnipräsente, das Soziale (mit-)konstituierende Körper in der Soziologie bis heute nicht in den Kanon der Grundfragen sozialen Handelns eingegangen ist, sondern stattdessen noch immer das (kognitive) Wissen der Akteure als interaktionsleitend im Vordergrund steht und »der Körper in den meisten Handlungstheorien überhaupt nicht auf[tritt]« (Joas 1992: 245). Das lässt sich nicht zuletzt mit dem modernen, cartesianisch geprägten Körperverständnis unserer Kultur erklären, in die auch wissenschaftliche Theorien eingebettet sind: Der Körper galt und gilt z.T. noch heute als biologische Materialität ohne soziale Relevanz und wird als solcher in weiten Teilen der Soziologie als Residuum des Menschseins vernachlässigt. Auch der Leib als ›sinnliches‹ Pendant zum biologischen Substrat ›Körper‹ wird als Inbegriff des A-Rationalen und Vor-Gesellschaftlichen gesehen und gilt somit für soziale Prozesse als zu vernachlässigen.6 Aus dieser Wahrnehmung und Rahmung heraus,
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Die hier umschriebene vis-à-vis-Situation ist sowohl in mikro-, als auch makrosoziologischer Dimension die Basis von Gesellschaft. Sie bildet zum einen qua Unmittelbarkeit den Urtypus sozialer Interaktion und (re-)produziert zum anderen die soziale Ordnung und in diesem Sinn Gesellschaft auf einer Makroebene. Vgl. Raab/Soeffner (2005: 169); Hahn/Meuser (2002: 9f.).
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Robert Gugutzer differenziert hier weiter zwischen leiblicher Intersubjektivität/ Zwischenleiblichkeit (in Anlehnung an Maurice Merleau-Ponty bzw. Hermann Schmitz) und Interkorporalität (in Anlehnung an Erving Goffman) und weist somit auf die zwei unterschiedlichen Qualitäten von leiblicher und körperlicher Interaktion hin. Vgl. Gugutzer (2006: 31). Zur Differenzierung von Körper und Leib vgl. die Kapitel 3 und 4 in dieser Arbeit).
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An dieser Stelle ein paar Erläuterungen zur Begrifflichkeit: In Anlehnung an ihre philosophischen Wurzeln wird in der Körpersoziologie in der Regel nicht einfach von ›dem Körper‹ gesprochen. Vielmehr macht man sich die anthropologisch-phänomenologische Unterscheidung von Leib und Körper zu Nutze, wie sie v.a. von Helmuth Plessner und Maurice Merleau-Ponty vorgelegt wurde. »Im Gegensatz zum Leib, welcher der Mensch ist und dem Bereich der subjektiven Wahrnehmung und Erfahrung zugeordnet wird, gilt der Körper als etwas, was der Mensch hat und dem Bereich der objektivierbaren Betrachtung zugänglich ist.« (Fuchs-Heinritz et al. 2007:
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verbunden mit der soziologischen Prämisse, Soziales durch Soziales zu erklären (Durkheim 1976), wurde die Körperlichkeit sozialer Akteure in der Soziologie lange ausgeklammert bzw. als störender »Hemmschuh der Erkenntnis« (Bourdieu 1997: 176) definiert und deshalb zu überwinden versucht. Zwar finden sich bereits bei einigen Klassikern Ansätze, den Körper als sozial relevant zu konzipieren (vgl. Kapitel 2), aber erst in neueren v.a. handlungsbzw. praxistheoretischen Ansätzen beginnt sich in der Soziologie der Blick auf den Körper deutlich zu wandeln (zum ›practice turn‹ als gleichzeitigem ›body turn‹ vgl. z.B. Schmidt 2012). Parallel zur zunehmenden Körperthematisierung, ja der »Wiederkehr des Körpers« (Kamper/Wulf 1982) in Alltagsdiskursen
366; Herv.S.S.) Während der Körper als materiale Existenzform die Dimension des instrumentellen Körper-Habens in den Blick nimmt, verweist der Leib als sinnlichspürende Existenzform auf den immer schon subjektiv-wahrnehmenden Zugang zur Welt und zu den Dingen und Menschen in ihr. Diese begrifflich Unterscheidung ist aber zugleich immer auch als eine analytische Unterscheidung zu verstehen, den empirisch sind die beiden Dimensionen ›verschmolzen‹. Gugutzer spricht daher mit Bezug auf Plessner auch von der »Zweiheit des Körpers« (2004: 146; Herv.S.S.; vgl. auch 2002: 127), von einem Körperhaben und und einem Körpersein, wobei mit Sein und Haben keine Trennung in zwei Körper gemeint ist, sondern die »Einheit aus zwei komplementären Perspektiven«, die untrennbar miteinander verbunden sind, sich wechselseitig bedingen. In diesem Sinne wird im Folgenden der Körper als allgemeiner Begriff verwendet, der dabei immer in seiner konzeptuellen Doppelheit von physiologischem Organismus als materiale Dinghaftigkeit, Objekt, Instrument und sinnlich-spürendem Wahrnehmen als subjektive leibliche Erfahrung zu denken ist. Zwar haben bspw. Ulle Jäger und Gesa Lindemann Vorschläge gemacht, wie die Doppelheit begrifflich anders gefasst werden könnte – Jäger schlägt den Begriff des ›körperlichen Leibs‹ vor (Jäger 2004: 108f.), Lindemann die Differenzierung in »Dingkörper« und Leib (Lindemann 1993: 52f.) – und dieser Differenzierung inhaltlich sicher zu folgen ist, so halte ich mich (nicht zuletzt der besseren Lesbarkeit wegen) an die in der Körpersoziologie gängige Verwendungsweise des Körperbegriffs, nämlich als ››Globalkategorie‹, die Körperhaben und Leibsein umfasst. Denn aus soziologischer Perspektive ist der Körper im Grunde immer nur in seiner Zweiheit interessant und relevant (vgl. Gugutzer 2004: 155). Wenn jedoch eine der beiden analytischen Facetten, also Körperhaben oder Leibsein für die Argumentation relevant ist, dann wird darauf jeweils durch spezifische Begrifflichkeiten wie biologischer Körper, Physiologie, Organismus bzw. Leib, leibliches Spüren gesondert hingewiesen. Um die Bedeutung beider Facetten hervorzuheben, ist mitunter dann auch vom Leibkörper die Rede (was wiederum dem Jägerschen ›körperlichen Leib‹ nahe kommt).
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und -praktiken einer individualisierten Gesellschaft (Körper als Medium der Identität, Selbstdarstellung, Distinktion, Sinnfindung, etc.; vgl. Gugutzer 1998, 2004: 34ff.; Meuser 2004; Shilling 2007), etabliert sich in den letzten Jahr(zehnt)en die Körpersoziologie als eigene Disziplin mit dem Anspruch auf gesamtsoziologische Relevanz (Gugutzer 2004: 156; Schroer 2005: 11). Mittlerweile ist der Körper ein zunehmend zentrales Thema soziologischer Theorie und v.a. Empirie, sodass man unumwunden von einem »body turn« in den Sozialwissenschaften sprechen kann (Gugutzer 2006; vgl. auch Shilling 2005). Ein zentrales Feld nimmt dabei die unterschiedlichen Körperkonzeptionen, -konstruktionen und -thematisierungen im dia- sowie im synchronen Vergleich in den Blick, die stets als Effekte gesellschaftlicher Strukturen und Prozeduren aufgefasst werden. 7 Der Körper wird hier in erster Linie als Produkt von Gesellschaft thematisiert – ob nun als ›Zielscheibe‹ von Disziplinar- und Optimierungsmacht (Foucault 2005; Villa 2008b; Viehöver 2011), als (de-)konstruierter Geschlechtskörper (Butler 1991, 1997, 2009; Riegraf et al. 2012; Wagels 2013), als mediale Repräsentation (Shelton 2008; Hoffmann 2010; Müller et al. 2011) oder als Identitätsmedium (Gugutzer 2002; Posch 2009), um nur eine kleine thematische Auswahl zu nennen. Auch hier spielt Wissen eine Rolle, und zwar als Wissen über den oder vom Körper. Damit ist jenes Wissen gemeint, das den Körper zum Gegenstand hat und in seiner Wirkung (und Zielsetzung) den Körper gestaltet. Dieses Wissen ist gesellschaftlich generiert (diskursives Wissen) und erzeugt durch die impliziten Normierungen, Bewertungen und Anforderungen überhaupt erst Körper als Objekte sozio-kulturell spezifischen Sehens, Wahrnehmens und Handelns. Körper sind aus dieser Perspektive materiale Produkte bestimmter kognitiv-mentalistischer und manifest wirksamer Wissensordnungen.
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Ein für diese Perspektive grundlegender klassischer Ansatz ist hier bspw. Mary Douglas’ Konzept der »zwei Körper«, mit dem sie eine Entsprechung von sozialen Verhältnissen und Körperlichkeit darstellt (Douglas 1974: 99f.). Auch Marcel Mauss geht von einer gesellschaftlichen Konstruiertheit von Körperlichkeit und körperlicher Praxis aus (Mauss 1975); ebenso Norbert Elias (1969a/b), der auf die Bedeutung eines zivilisierten Körpers für das Gelingen von sozialer Ordnung hingewiesen hat. Bei Michel Foucault – einem weiteren ›Klassiker‹ der Körpersoziologie – wird der Körper als Effekt von Machtdiskursen/-dispositiven und damit ebenfalls als von vornherein gesellschaftlich konzipiert (Foucault 1977, 1994, 2005; Foucault/Finas 1978). Aus der zuletzt genannten Denktradition heraus stammen in den letzten Jahren zahlreiche Arbeiten mit Bezug auf den Körper und dessen diskursiver Hergestelltheit.
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Ein zweites Themenfeld der Körpersoziologie – das auch in dieser Arbeit im Vordergrund stehen soll – sind die Grundlagenfragen handlungs- bzw. interaktionstheoretischen Inhalts, bei denen es darum geht, welche körperlichen Voraussetzungen soziales und welche sozialen Prägungen körperliches Handeln hat. Die Rolle des Körpers in der (direkten) Interaktion wird dabei in einigen körpersoziologischen (bzw. als körpersoziologisch einzustufenden) Ansätzen als wahrnehmender, wahrgenommener und handelnder Akteur sui generis konzipiert.8 Aktuelle Arbeiten in diesem Bereich thematisieren bspw. die Choreografie sozialer Ordnung als Verflechtungszusammenhang von Körpern, Dingen, Räumen und Sprache (Alkemeyer et al. 2009), koordinierende und kommunizierende Abstimmungsprozesse mittels Körperlichkeit (Böhle/Weihrich 2010a), Körperhandeln und Körpererleben in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern (Abraham/Müller 2010), die Vermittlung von Wissen durch körperliches Tun (Schindler 2011) oder die Explikation impliziter Wissensdimensionen in verschiedenen Praktiken (Porschen 2008; Schmidt 2012). Die Dimensionen von Körperwissen, die hier (auch in ihrer Wechselwirkung) adressiert werden, sind als Wissen des Körpers und Wissen am Körper zu bezeichnen. Das Wissen des Körpers meint in den Körper eingegangenes, leibgebundenes Wissen, das in seiner praktischen Extraversion Handlungen, Wahrnehmungsund Empfindungsweisen hervorbringt. Aus praxeologischer bzw. praxistheoretischer Perspektive ist damit der kompetente, handelnde Körper adressiert (Bourdieu 1976; Polanyi 1985; Joas 1992; Ryle 1992; Reckwitz 2003; Schatzki et al. 2001), aus leibphänomenologischer Perspektive der wahrnehmende, spürende Leib (z.B. Merleau-Ponty 1966; Schmitz 1998; Lindemann 1992, 1996; Abraham 2002; Gugutzer 2012). Der Körper wird hier jeweils als Subjekt, Agens und Produzent des Sozialen betrachtet. Die Dimension des Wissens am Körper wiederum adressiert den Körper als interaktiv wirksamen Wissensträger, der in der direkten Interaktion über sinn(en)hafte Zeichen Wissen vermittelt. Der Körper ist hier ein mittels Haltung, Gestik, Mimik, Kleidung, Schmuck etc. soziale Zu-
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Natürlich berücksichtigen auch die handlungstheoretisch orientierten Ansätze die sozio-kulturelle Hergestelltheit des Körpers, dessen Materialisierungen und Entäußerungen nicht ohne ein Eingebundensein in Gesellschaft gedacht werden kann. Der Fokus des theoretischen und empirischen Interesses liegt aber auf den Herstellungsweisen des Sozialen durch den Körper. Konkret sind hier auch die, die beiden Dimensionen der Gesellschaftlichkeit des Körpers in ihrer Wechselseitigkeit verbindenden, strukturierungstheoretischen Ansätze zu nennen (z.B. Shilling 1999). Auf Pierre Bourdieu als einen Vertreter dieses Ansatzes werde ich unter Kapitel 2.3 näher eingehen.
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gehörigkeiten, Identität und Kompetenzen kommunizierendes Wissensmedium (z.B. Mead 1968, Goffman 1994a; vgl. zu den hier analytisch differenzierten Dimensionen des Körperwissens grundsätzlich auch Gebauer 1981; Hirschauer 2008; Alkemeyer 2010; Keller/Meuser 2011; zur Übersicht vgl. auch die Tabelle auf Seite 254).9 Auch wenn der Körper also inzwischen durchaus in der theoretischen und vor allem empirischen Betrachtung von Prozessen sozialer Verständigung Beachtung findet, so ist die Tatsache, dass die Körperlichkeit interagierender Subjekte von zentraler Bedeutung und soziale Abstimmung damit auch immer schon leiblich-körperliche Abstimmung ist, bislang (noch) nicht in den Kanon soziologischer Grundannahmen eingegangen – der Körper ist (noch) keine Basiskategorie des Sozialen und der Anspruch auf gesamtsoziologische Relevanz konnte diesbezüglich noch nicht eingelöst werden (vgl. Hahn/Meuser 2002: 11; Schroer 2005: 39; Gugutzer 2006: 11; Böhle/Weihrich 2010b: 9; Abraham/Müller 2010: 9f.) In jüngster Zeit beginnt sich jedoch die Diskussion um die grundsätzliche Bedeutung des Körpers für das Soziale und deren Integration in theoretische Modelle zu konkretisieren und zu vertiefen (vgl. z.B. die Entwürfe einer neophänomenologisch fundierten ›verkörperten Soziologie‹ bei Gugutzer 2012 und Uzarewicz 2011). An diesem Punkt knüpft die vorliegende Arbeit an. Es soll gezeigt werden, dass dem Körper die Bedeutung einer analytischen sowie praktischen Basiskategorie des Sozialen auf unterschiedlichen Ebenen zukommt. Im Folgenden wird dafür zunächst die Frage nach dem Beitrag zur körperlichen Konstruktion des Sozialen in ausgewählten handlungstheoretischen Ansätzen rekapituliert. Die Leitfragen sind dabei folgende: (1) Wie wird das generelle Verhältnis von Körper, Wissen und Interaktion konzipiert, also wie werden Wissen, soziale Interaktion und Körper theoretisch zueinander in Beziehung gesetzt und dabei besonders, welche Bedeutung wird dem Körper jeweils zugeteilt? (2) Zum anderen
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Freilich stehen die analytisch differenzierten Dimensionen des Körperwissens in wechselseitigem Verhältnis zueinander: das gezeigte Wissen am Körper drückt u.a. das praktische Wissen des Körpers aus; das Wissen am Körper löst andersherum die Manifestation eines Wissens des Körpers aus (z.B. bestimmte Gefühle als Effekt der Wahrnehmung einer körperlichen Äußerung des Anderen oder der Bewusstwerdung einer Vermittlung von Wissen am eigenen Körper); Wissen über den Körper schlägt sich mittels Inkorporierung als Wissen des Körpers nieder; zur Interpretation von Wissen am Körper spielt Wissen über den Körper eine Rolle etc. Auf das Verhältnis von Wissen, Körper und Interaktion wird in den ausgewählten Ansätzen im Laufe der Arbeit jeweils gesondert eingegangen.
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wird ein Aspekt dieses Komplexes herausgegriffen und das Augenmerk auf Interaktion (i.e. Verständigung) gelegt. Zu untersuchen ist, wie alltägliche soziale Abstimmung als ›Keimzelle‹ der Sozialität im Hinblick auf Wissen und Körperlichkeit der Interaktanten konzipiert wird. Die leitenden Fragen lauten demnach: Wie wird die Rolle des Körpers bei der Konstruktion des Sozialen (i.e. Herstellung von Sozialität/sozialer Ordnung) in etablierten soziologischen Ansätzen – implizit oder explizit – gefasst? Inwiefern kann man hier von einer körperlichen Konstruktion des Sozialen sprechen und wo liegen die Grenzen? Es soll aber nicht bei einer Betrachtung des Status Quo bleiben. Vielmehr soll die Arbeit über die Analyse bestehender Ansätze und deren Verständnis einer Körperlichkeit sozialen Handelns hinaus deren Erweiterbarkeit um eine zusätzliche Dimension des Körperwissens aufzeigen, nämlich des Wissens durch den Körper, mit dem der Körper als Wissensgenerator konzipiert wird. Hierfür wird die philosophisch-linguistische Theorie kognitiver Metaphorik von George Lakoff und Mark Johnson als entscheidender Beitrag zu handlungstheoretischen Fragestellungen diskutiert. Lakoff/Johnson postulieren einen grundsätzlich körperlichen Zugang zur Welt, der über bisherige soziologische Ansätze noch hinausgeht. Sie heben damit die Bedeutung des Körpers für Prozesse sozialer Interaktion in bislang einzigartiger Weise hervor. Denn mit der vorherrschenden Perspektive auf wahrnehmende, wahrgenommene und handelnde Körper ist nur ein Aspekt sozialer Interaktion benannt. Die Relevanz unserer Körperlichkeit erschöpft sich eben gerade nicht, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, v.a. in der bloßen Anwesenheit und der Möglichkeit körpervermittelter Kommunikation, also der pragmatischen Konstruktion von Sozialität. Mit Lakoff/Johnson ist ebenso unser Alltagswissen, hier auch und besonders die symbolische Form der Kommunikation: Sprache – beides gleichermaßen Effekt und Voraussetzung von Interaktion – im Wesentlichen körperbasiert. Das bedeutet, dass unser Körper nicht nur eine Bedeutung in der face-to-face-Interaktion hat, sondern auch in Prozessen mittelbarer Verständigung. Vor diesem Hintergrund wird geprüft, ob und inwieweit die Theorie von Lakoff/Johnson die mikrosoziologisch orientierte Körpersoziologie sinnvoll erweitern und einen bisher in den Dimensionen der Körpersoziologie nicht erkennbaren Beitrag zum Verstehen sozialer Interaktionsprozesse liefern kann. Kurzum: Ziel dieser Arbeit ist es, die grundlegende Relevanz des Körpers zum einen für ein grundsätzliches Verständnis von Welt und zum anderen für alltägliche soziale Interaktion herauszustellen und damit unsere Körperlichkeit als fundamental für Sozialität aufzuzeigen, wobei eine so verstandene körperba-
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sierte und -vermittelte Sozialität als Komplex aus Wahrnehmen, Handeln, Wissen und Sprechen konzipiert wird. Der zentrale Beitrag der Arbeit soll darin bestehen, mit der soziologischen Wendung der Theorie kognitiver Metaphorik und der Entwicklung einer neuen Dimension von Körperwissen an der Schnittstelle von Körper- und Wissenssoziologie die aktuelle Körpersoziologie um die Dimension des kognitiven Wissens zu ergänzen und zugleich die körpersoziologische Fundierung der sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie zu befördern, indem der basale Zusammenhang von Körperlichkeit mit den etablierten Grundkategorien des Sozialen – Wissen und Sprache – aufgezeigt wird. Theoriearchitektonisch betrachtet, soll damit ein weiterer Schritt hin zu einer körperlichen »Mikrofundierung des Sozialen« (Böhle/Weihrich 2010b: 8) gemacht werden – und zwar einer Mikrofundierung, die über die Bedeutung des Körpers für situatives leibliches Erfahren einerseits und praktisches Handeln andererseits hinaus geht sowie die dichotome Unterscheidung zwischen Geistig-Mentalem und Leiblich-Körperlichem überwindet. Nicht zuletzt soll damit ein Beitrag zur Überwindung des rationalistischnormorientierten bzw. kognitivistisch-wissensfokussierten Fokus der vorherrschenden Handlungstheorien geleistet werden.10 Dieses Ziel wird in drei Schritten verfolgt. Da das Interesse insbesondere auf dem Verständnis des Körpers im Zusammenhang mit sozialen Interaktionsprozessen liegt, werden zunächst klassische Ansätze bzw. deren handlungstheoretisch und wissenssoziologisch relevanten resp. anschlussfähigen Elemente auf deren ›Körperlichkeit‹ hin untersucht (Kapitel 2). Dabei wird geprüft, was diese zu einer handlungstheoretisch fundierten Soziologie des Körpers im Allgemeinen und zur Erschließung der körpervermittelten Konstruktion des Sozialen im Besonderen beitragen und wo die Grenzen liegen. Im Anschluss wird es ausführlicher um die Analyse des Zusammenhangs von Körper, Wissen und Interaktion in der konstruktivistischen Wissenssoziologie nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann gehen (Kapitel 3). Obwohl zentral um das Konzept Wissen konzentriert, sind auch hier bereits – nicht zuletzt durch ihre phänomenologische Fundierung (Schütz) – deutliche Ansätze einer theoretischen Berücksichtigung der körperlichen Konstruktion des Sozialen zu finden, die mitunter aber in der Rezeption ›übersehen‹ werden.11 Allgemein formuliert ist das zentrale Thema
10 Handlungstheorie meint hier das Feld von ›Handeln – Kommunikation – Interaktion‹ im weiten Sinn (in Abgrenzung zur Strukturtheorie). 11 Nicht zufällig haben Berger/Luckmann schon 1966 auf die »Möglichkeit einer Soziologie des Körpers« hingewiesen, wenn auch nicht weiter ausbuchstabiert (vgl. Berger/Luckmann 2004: 193).
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der sog. Neuen Wissenssoziologie12 die soziale Wirklichkeitskonstruktion durch handelnde Akteure. Und auch wenn der Körper bei Schütz und Berger/Luckmann nicht als Kernelement der Erklärung sozialer Prozesse aufgefasst bzw. rezipiert wird, kann man ihn als bedeutsam für soziale Interaktion im Allgemeinen und Prozesse sozialer Verständigung im Besonderen interpretieren und die phänomenologisch fundierte Wissenssoziologie (Knoblauch 2007) als für die Körpersoziologie fruchtbar herausstellen sowie Elemente einer theoretischen Berücksichtigung der körperlichen Konstruktion des Sozialen erkennen. Deutlich wird aber auch: Die Basiskategorie ist und bleibt hier das (kollektiv geteilte, bewusste oder prinzipiell dem Bewusstsein zugängliche, kognitiv-mentale) Wissen als Ergebnis und Voraussetzung von Interaktion: Wissen ist es, »was den Gegenstand ›menschliche Gesellschaft‹ mitkonstituiert« (Scheler 1926: 47). Im Folgenden gilt es deshalb, v.a. das Verhältnis von Körper und Wissen in der sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie zu klären. Neben der eingangs erwähnten grundsätzlichen Relevanz von Wissen für Sozialität einerseits und den anknüpfungsfähigen Ansätzen einer körperlichen Fundierung wissenssoziologischer Überlegungen bei Berger/Luckmann andererseits, war für die Wahl der Neuen Wissenssoziologie als zentraler Ausgangspunkt für meine Fragestellung jedoch v.a. ihre Stellung im Kanon allgemeinsoziologischer Theoriemodelle ausschlaggebend. Denn um zu prüfen, ob und inwiefern dem Körper ein Status als Basiskategorie des Sozialen zuerkannt werden sollte, erscheint der konzeptionelle Ausgang bei einem umfassenden gesellschaftstheoretischen Ansatz zielführend. Und schließlich war ein viertes Kriterium zur Auswahl dieses theoretischen Zugangs die großteils vorhandene Passung bzw. die Anschlussfähigkeit im Denken von Berger/Luckmann hier und Lakoff/Johnson dort. Anders ausgedrückt: Der Ansatz von Lakoff/Johnson, um dessen Beitrag zur körperlichen Konstruktion des Sozialen es ja gehen soll, kann aus soziologischer Perspektive durchaus und am ehesten in einen wissenstheoretischen Rahmen eingeordnet werden, da es ihnen um das aus dem körperlichen In-der-WeltSein abgeleitete Wissen des Einzelnen geht. Genau wie Schütz und Berger/Luckmann interessieren sie sich dabei besonders für das ›Alltagswissen der Lebenswelt‹. Auch deshalb beschränkt sich die genauere Analyse soziologischer Ansätze in dieser Arbeit auf die Ausführungen zur sozialphilosophischen Mundanphänomenologie von Schütz und die sozialkonstruktivistische Wissenssozio-
12 Die sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie ist auch unter dem Terminus ›Neue Wissenssoziologie‹ bekannt, da Berger/Luckmann deren Neubegründung initiierten, indem sie (Alltags-)Wissen und (Alltags-)Handeln grundlegend miteinander verknüpften. Vgl. hierzu u.a. Knoblauch (2010), Schnettler (2007).
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logie nach Berger/Luckmann.13 Ziel der Ausführungen wird es sein, den handlungstheoretischen Impetus und damit den Beitrag der Wissenssoziologie zur Erklärung interaktionistischer Prozesse der Konstruktion des Sozialen und der Prozesse gegenseitiger Verständigung herauszuarbeiten – und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Körperlichkeit der Interaktanten. Diese für sich eigenständigen Ausführungen in Kapitel 3 fungieren gleichzeitig als Hintergrundfolie, vor der dann im zweiten Hauptteil ein Erkenntnisgewinn der Theorie von Lakoff/Johnson zu prüfen ist (Kapitel 4). Die in dieser Theorie zentrale These ist, dass der Körper die Wirklichkeit v.a. auch in ihrer kognitiv-mentalen Dimension des Denkens und Sprechens entscheidend prägt (s.o.). Nicht nur, was die Menschen tun, ist von ihrer Körperlichkeit geprägt, sondern auch das, was sie über elementare kulturelle Phänomene wissen und ihnen die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft ermöglicht. Interaktion ist für Lakoff/Johnson selbst zwar kein elementares Thema, da sie sich als linguistische Philosophen (oder philosophische Linguisten) für individuelle Bewusstseinsprozesse interessieren. Dennoch findet man mit der ›soziologischen Brille‹ Aussagen sowohl zur Bedeutung von Interaktion für die Konstruktion von Wirklichkeit im Allgemeinen und Sozialität im Besonderen, als auch für Prozesse wechselseitigen Verstehens. Diese Theorie gilt es im Folgenden als entscheidende Bereicherung bisheriger Ansätze auszuweisen, und zwar sowohl körper- als auch wissenssoziologischer Art.
13 Sicherlich wäre in einem größeren Rahmen die Differenz zu bspw. pragmatistischinteraktionistischen Ansätzen in der Tradition Meads genauer zu analysieren. Vgl. zu den ›Spielarten‹ der Wissenssoziologie Schützeichel (2007).
2. Die Rolle des Körpers im Prozess sozialer Interaktion bei ausgewählten Klassikern
Untersucht man die Theorien soziologischer Klassiker auf deren ›Körperlichkeit‹ hin, so muss man gleich zu Beginn festhalten, dass der Körper in den meisten Ansätzen keine wesentliche, d.h. theoretisch zentrale Rolle spielt. Dies ist mit der Kultur des 19. Jahrhunderts als Entstehungszeit der Soziologie zu erklären.1 Als neue Wissenschaft war die Soziologie gerade anfangs bemüht, sich von anderen Humanwissenschaften abzugrenzen, um sich so eine Existenzberechtigung bspw. neben der Psychologie und der Biologie zu verschaffen. Und gerade das konstitutive Durkheimsche Diktum, Soziales durch Soziales zu erklären (Durkheim 1976: 193) und eben nicht durch die bloße Aggregation psychischer Individuen oder evolutionär-biologische Determinanten, führte – verbunden mit dem modernen Körperverständnis2 – zur Vernachlässigung des Körperlichen bei der Erklärung sozialer Prozesse.3 Sozialität, so die klassische Soziologie, spielt sich vorwiegend »in den Köpfen ihrer Mitglieder« (Schroer 2005: 13) ab. Individuen als soziale Akteure bräuchten demnach zur wechselseitigen Verständigung nicht 1
Im Folgenden werden die m.E. wichtigsten Gründe für eine Vernachlässigung des Körpers herausgegriffen. Für weitere Gründe vgl. Schroer (2005: 11ff.).
2
Dieses moderne Körperbild geht auf den cartesianischen Körper-Geist-Dualismus zurück, der zu einer ›Vergeistigung‹ des spezifisch Menschlichen führte (vgl. Descartes 1965). Alles, was den Menschen in seiner Spezifität ausmacht und wesentlich vom Tier unterscheidet, ist geistiger Natur: neben der Vernunft eben auch seine Sozialität.
3
Der Körper als Akteur gesellschaftlicher und sozialer Wirklichkeit wird vernachlässigt, der Körper als bildgebende Referenz hingegen hat einen prominenten Platz in den ersten soziologischen Ansätzen: Zur Beschreibung der Differenziertheit von Gesellschaft in verschiedene Strukturen und Funktionen wird der biologische Organismus als Analogon herangezogen (Spencer 1996: 71ff.; vgl. die »organische Solidarität« bei Durkheim 1988; vgl. zur Organismusmetapher auch Schlechtriemen 2014).
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zwingend einen Körper, entscheidend sei die Verinnerlichung abstrakt-theoretischen Wissens in Form von Werten, Normen und Regeln.4 Es wäre jedoch zu kurz gegriffen bzw. sogar falsch von einer gänzlichen Leugnung des Körpers zu sprechen, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Der Körper, in seiner Omnipräsenz nicht völlig zu übergehen, zeichnet sich in einigen klassischen Theorien vielmehr durch seine »absent presence« aus (Shilling 1993: 9), die im Folgenden aufgespürt werden soll. Dabei verfolgen die Ausführungen nicht den Anspruch, alle etablierten Ansätze auf ihre ›Körperlichkeit‹ hin zu prüfen. Vielmehr werden in diesem Kapitel Ansätze ausgewählt, die explizit handlungstheoretisch orientiert sind und den Fokus auf Interaktion bzw. die Bedingungen wechselseitiger Abstimmung legen.5
2.1 S OZIALE I NTERAKTION BEI E MILE D URKHEIM UND M AX W EBER – D IE K ONZEPTION » KÖRPERLOSER « S OZIALAKTEURE Emile Durkheim und Max Weber als zwei der einflussreichsten Soziologen des 19. Jahrhunderts, die sich sowohl mit sozialem Wandel als auch mit Fragen sozialer Ordnung beschäftigten, gründeten ihr Denken und ihre Erklärungen sozialer Abstimmung in Interaktionsbeziehungen auf ein körperloses bzw. den Körper überwindendes, ›wissendes‹ Individuum. Der homo socius ist hier ein geistiges Wesen.
4
Zu ergänzen ist hier, dass die thematische Orientierung der Gründerväter epochenbedingt sich vor allem (wenngleich nicht ausschließlich) auf gesamtgesellschaftliche Fragestellungen des sozialen Wandels einerseits und der sozialen Ordnung andererseits bezog. Konkret umfasste dies die zunehmende Modernisierung, Rationalisierung oder die soziale Schichtung. Das Interesse lag also primär auf makro-, anstatt auf mikrosoziologischen Aspekten sozialer Ordnung, wobei auch letztere die Gründerväter beschäftigten. Sie standen aber nicht im Zentrum von Theoriebildung (vgl. Gugutzer 2004: 20.). Zur thematischen Orientierung der Klassiker vgl. auch Turner (1991: 6ff.); Shilling (1993: 24ff.).
5
Teile dieses Kapitels erschienen als Aufsatz in Böhle/Weihrich (2010a), vgl. Stadelbacher (2010a).
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2.1.1 Emile Durkheim – Soziale Ordnung durch Überwindung des Körpers Emile DURKHEIM (1858-1917), Vertreter der Soziologie als einer positiven Wissenschaft in Comtescher Tradition, interessiert sich in erster Linie dafür, welche Bindungen Menschen haben, was sie als Kollektiv bzw. soziales Aggregat zusammenhält. Er erklärt dies unter Verweis auf die dem Individuum übergeordneten ›faits sociaux‹, die sozialen Tatsachen (vgl. Durkheim 1976: 105ff.). Werte und Normen, oder kurz: Moral, als Produkt eines überindividuellen Kollektivbewusstseins üben auf den Einzelnen sozialen Zwang aus (vgl. ebd.: 114). Diese kollektiven Repräsentationen, die handlungsleitend wirken und Sozialität erst ermöglichen, sind selbst ein Effekt dieser Sozialität, mithin das eigentlich Soziale als Realität sui generis. Die Moral und, dadurch vermittelt, die soziale Abstimmung werden bei Durkheim ganz elementar als mental konstruiert. Darüber hinaus basieren sie, unter Bezugnahme auf die hier zugrunde liegende spezielle Fragestellung, auf einer Disziplinierung alles Körperlichen. An dieser Stelle ist zur Konzeption des Körpers bei Durkheim auf den in seinem Denken vorherrschenden cartesianischen Dualismus hinzuweisen. Durkheim spricht in »Le dualisme de la nature humaine et ses conditions sociales« vom »konstitutionelle[n] Dualismus der menschlichen Natur«. Körper und Seele gelten als »zwei radikal heterogene Elemente […] [die] wesensverschieden, […] unabhängig voneinander; oft […] in Konflikt miteinander« (Durkheim 1914: 369) sind. Zum Wesen des Körpers gehören Sinneseindrücke und »gefühlsmäßige Tendenzen« – allgemein das rein Individuelle (vgl. ebd.: 369, 371). Zur Seele zählen im Gegensatz dazu »begriffliches Denken« und die moralischen Handlungen – kurz: »die Verlängerung der Gesellschaft« (ebd.: 369, 379). Beide »Gravitationszentren« menschlicher Existenz »widersprechen und verneinen sich gegenseitig« (ebd.: 371). Durkheim spricht bezüglich dieser Gespaltenheit des Menschen vom homo duplex, dessen »heilige« Seite die Seele und dessen »profane« Seite der Körper ist (ebd.: 376). Durkheim überträgt diesen Dualismus im Inneren des Menschen auf die Gesellschaft, indem alles Körperliche (und damit Individuelle) der Natur, dem Nicht-Sozialen, und alles Seelisch-Geistige der Gesellschaft, dem Sozialen zugeordnet wird (die Seele als Sitz moralischer, also sozialer Handlungen). Der Körper als das Kreatürliche, Individuelle des Menschen kann keine Erklärungskraft für das Soziale bieten, da er, in einem vorsozialisierten, vormoralischen Zustand, von egoistischen Motiven durchzogen ist (vgl. ebd.: 379). Die kollektiven Bewusstseinszustände sind es, die soziale Interaktion ermöglichen: »durch sie und mit ihnen allein können wir mit anderen Menschen in Verbin-
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dung treten« (ebd.). Obwohl die Dualität nie auf-gehoben werden kann, kann und muss der Körper vor dem Hintergrund des Kollektivbewusstseins sozialisiert werden. Dies kommt einer im Laufe der Zivilisation fortschreitenden Unterwerfung der Natur unter das Soziale gleich, ohne die Gesellschaft nicht möglich wäre – wir sind gezwungen, »uns selbst aufzugeben« (ebd.: 380). Denn: »Der Mensch ist nur deswegen Mensch, weil er zivilisiert ist.« (Ebd.: 368) Noch oder gerade in zivilisiertem, also moralisch-vergeistigtem Zustand spielt der Körper bei Durkheim dennoch implizit eine Rolle bei der Herstellung sozialer Ordnung. Zum einen kann er als Objektivation kollektiver Vorstellungen und Deutungen gelten und so Kommunikation und Verstehen ermöglichen. Zum anderen deutet Durkheims Betonung der individuellen Unterwerfung unter moralische Standards auf die soziale Relevanz des Körpers als kontrollierter, disziplinierter Körper hin. Man könnte es so auf den Punkt bringen: Nur in einem zivilisierten Körper wohnt ein sozialer Geist. 2.1.2 Max Weber – Interaktion als sinnhaft aufeinander bezogenes Handeln Einzelner Während Durkheim auf das Ganze, das Kollektiv als Konstituens und Regulativ sozialer Beziehungen verweist, kann MAX WEBER (1864-1920) als einer der Begründer einer handlungstheoretisch ausgerichteten Soziologie gelten, deren wesentliche Aufgabe er darin sieht, »soziales Handeln deutend [zu] verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich [zu] erklären« (Weber 1980: 1). Um soziale Verständigung zu erklären, setzt Weber in seiner verstehenden Soziologie Handeln bei sinnhaften Handlungsorientierungen des Einzelnen an. Sinn ist hierbei die wesentliche Kategorie des Sozialen, genauer der subjektiv gemeinte, handlungsorientierende und -initiierende Sinn. Liegt eine solche Sinnhaftigkeit vor, spricht Weber von Handeln, ist dieser Sinn an anderen orientiert und richtet sich in Ablauf und Wirkung an ihnen aus, liegt soziales Handeln vor. Idealtypisch davon abgrenzbar ist ein bloßes (Sich-)Verhalten, das rein reaktiv und nicht mit einem subjektiven Sinn verbunden ist. Verhalten meint dann »das bloße Agieren von Körpern« (Gugutzer 2004: 21). Diese Unterscheidung in sinnhaftes und nicht-sinnhaftes (körperliches) Agieren findet sich auch in den Weberschen Handlungstypen wieder. Zwar gelten zweckrationales, wertrationales, traditionales und affektuelles allesamt als soziales Handeln, trotzdem setzt Weber die letzten beiden Typen an die »Grenze und oft jenseits dessen, was man ein ›sinnhaft‹ orientiertes Handeln überhaupt nennen kann« (Weber 1980:
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12).6 Insofern traditionales und besonders affektuelles Verhalten als präreflexive Reaktionen konzipiert sind, wird ihnen Sinnhaftigkeit abgesprochen. Da aber gerade hier die Körperlichkeit (bzw. Leiblichkeit) in Form inkorporierter Gewohnheiten und reaktiver Gefühlslagen/Emotionen noch am ehesten zu finden ist, scheinen sich körper- bzw. leibvermitteltes Agieren und sinnhaftes Handeln bei Weber einander auszuschließen. Aufgabe der wissenschaftlichen Betrachtung sozialen Handelns (oder sozialer Verständigung) soll es dann auch sein, »alle irrationalen, affektuell bedingten Sinnzusammenhänge des Sichverhaltens, die das Handeln beeinflussen, am übersehbarsten als ›Ablenkungen‹ von einem konstruierten rein zweckrationalen Verlauf desselben...« (ebd.: 2f.) zu isolieren. Als Ausgangspunkt bzw. Reintyp sozialen Handelns gilt für Weber das zweckrationale Handeln. Affektuelles sowie traditionales Verhalten werden hierbei als »Störung« (ebd.: 2f.) behandelt, »als Randbedingungen des Handelns, nicht als soziales Handeln selbst« (Meuser 2004: 203).7 Der Körper kommt bei Weber also implizit in Form von Affekten/sinnlichen Bedürfnissen (und damit eigentlich als Leib) und evtl. habitualisierten Gewohnheiten vor – und damit aber eben nicht als für soziales, i.e. sinnhaftes Handeln relevant. Wenn soziales Handeln darin besteht, sein Verhalten an dem des anderen auszurichten, so hat es zwar eine nicht unwesentliche körperliche Komponente, doch primär sind es Einstellungen, Erwartungen und soziale Regeln, die soziale Verständigung möglich machen und Interaktionen prägen, nicht der Körper. Aber auch als Deutungsträger könnte der Körper Beachtung finden, selbst wenn Weber dies nicht expliziert. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass Weber Sinn bzw. kollektiv geteiltem Wissen einen zentralen Stellenwert für aufeinander bezogenes Handeln und soziale Verständigung einräumt: »die soziale Beziehung besteht [...] durchaus und ganz ausschließlich: in der Chance, daß in einer sinnhaft angebbaren Art so-
6
Das zeigt sich auch terminologisch, wenn er von traditionalem Verhalten und affektuellem Sichverhalten, aber von zweck- oder wertrationalem Handeln spricht (vgl. Weber 1980: 12).
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Vgl. hierzu auch Turner (1991: 9). Weber betont gleichwohl, dass damit kein Werturteil verbunden ist. Aber Folge einer derartigen Konstitution der Soziologie als »rationalistische« (ebd.: 3) Wissenschaft ist, dass zwangsläufig rationale, weil sinnhafte Aspekte sozialen Handelns in den Fokus gelangen. Das entspricht zumindest dann auch wieder der Weberschen Deutung einer sich zunehmend modernisierenden Gesellschaft, deren Primat Rationalität ist und prägt die Soziologie in der Folge durch einen deutlich »rationalistischen Bias« (vgl. Gerhards, zit. nach Meuser (2004: 203).
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zial gehandelt wird.« (Weber 1980: 13; Herv.S.S.) Es sind mentale Konstrukte als kulturelle ›Objektivationen‹ in den Köpfen der Individuen, die soziale Beziehungen konstituieren, nicht (interaktive) Körper.
2.2 T HEORETISCHE B ERÜCKSICHTIGUNG DER K ÖRPERLICHKEIT IN DER INTERAKTIONISTISCHEN S OZIOLOGIE : S OZIALE V ERSTÄNDIGUNG BEI G EORG S IMMEL , G EORGE H ERBERT M EAD , E RVING G OFFMAN UND H AROLD G ARFINKEL Erfährt der Körper also bereits bei Durkheim und Weber als zwei zentralen Gründervätern der Soziologie eine zwiespältige Betrachtung hinsichtlich seiner konstitutiven Bedeutung für Sozialität, so wird im Folgenden gezeigt, inwiefern aus anderen Richtungen wie z.B. interaktionistischen Ansätze, bei denen es zentral auch um Fragen sozialen Handelns und wechselseitiger sozialer Abstimmung geht, dem Körper ein prominenter Platz in ihrer jeweiligen Sozialtheorie eingeräumt wird. 2.2.1 Georg Simmel – Gegenseitige sinnliche Wahrnehmung als Basis sozialer Ordnung GEORG SIMMEL (1858-1918) unterscheidet sich von Durkheim und Weber wesentlich hinsichtlich der Konzeption von Sozialität. Denn weder das große Ganze noch der Einzelne und dessen Handlungsorientierungen interessieren ihn. Bei Simmel steht ein in gewisser Weise interaktionistisches Denken im Vordergrund.8 Gesellschaft entsteht nicht durch die Abfolge sinnhafter, intentionaler 8
Interaktion steht nur ›in gewisser Weise‹ bei Simmel im Zentrum, denn im Grunde geht es ihm genauer um Wechselwirkungen. Der Unterschied ist, dass Interaktion immer aufeinander bezogenes, wechselseitig aneinander orientiertes soziales Handeln meint. Wechselwirkung hingegen muss diese wechselseitige Orientierung nicht umfassen, Wechselwirkung entsteht auch nichtintentional, unbeabsichtigt und unbemerkt. Und Wechselwirkung meint auch die Relationen zwischen sozialen Systemen, die nicht im eigentlichen Sinne interagieren können (vgl. Helle 2001: 130ff.). Intersubjektive Interaktion ist aber insofern als Teilbereich gesellschaftlicher Wechselwirkungen in konkreten Situationen zu verstehen und als solche stehen sie hier im Zentrum der Ausführungen.
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Handlungen einzelner Subjekte, sondern als Effekt von wechselseitig aufeinander bezogenen Handlungen der Individuen, die von einem bestimmten Zweck, Interesse, Motiv geleitet sind (vgl. Simmel 1968: 5) – Gesellschaft als Effekt von Interferenzen. Diese lassen, durch die Konstitution sog. sozialer Kreise, Interaktionsnetze entstehen, in die der Einzelne eingebunden ist und die durch wiederholtes soziales Handeln aufrechterhalten, erweitert oder neu erzeugt werden. Sozialität erklärt sich bei Simmel damit nicht aus individuellen Motivlagen oder aus moralischen Zwängen, sondern aus sozialer Vernetzung. Und auch der Körper spielt hier eine Rolle. In seinem »Exkurs über die Soziologie der Sinne« erläutert Simmel, dass – und darin unterscheidet er sich in seinem Denken grundsätzlich von Durkheim und Weber – der Körper oder genauer die Sinne »von fundamentaler soziologischer Bedeutung« sind (ebd.: 483).9 Sinneseindrücke ganz allgemein verbinden die Menschen, sie schlagen eine »Brücke« zwischen ihnen und bilden die »Grundlage unserer Beziehung« (ebd.: 484) zueinander, und zwar der »primären unmittelbaren Beziehungen, die dann auch alle höheren Gebilde bestimmen« (ebd.: 487), also die Basis sozialer Ordnung schaffen. Dies tun sie »nach zwei Seiten hin« (ebd.: 483), nämlich gleichzeitig auf einer subjektbezogenen (leiblichen) Gefühls- und einer objektbezogenen Erkenntnisebene. Der optische, akustische oder olfaktorische Sinneseindruck löst beim Wahrnehmenden »Gefühle von Lust und Unlust, [...] von Erregung oder Beruhigung [...] durch seine [des Gegenübers; Anmerkung S.S.] bloße sinnliche Gegenwart in demselben Raume« aus. Diese subjektiven Empfindungen dienen zwar explizit »nicht zum Erkennen oder Bestimmen des Anderen« (ebd.: 484), sind analytisch also vom Verstehen des Anderen zu unterscheiden, ermöglichen aber einen ersten Zugang zu seiner Person, seiner »persönlichen Atmosphäre« (ebd.: 490). Beide Dimensionen der Fremdwahrnehmung, sowohl die sinnlich-affektive als auch die kognitive, sind in der sozialen Situation – und das ist wichtig – »zusammenwirksam und praktisch eigentlich unentwirrbar« (ebd.: 484). Leibliches Wahrnehmen, Erkennen und Verstehen sind somit untrennbar verbunden. Besonderen Stellenwert unter den Sinnen hat nach Simmel das Auge. Das »gegenseitige Sich-Anblicken […] [ist] vielleicht […] die unmittelbarste und reinste Wechselbeziehung, die überhaupt besteht«. Sie ist zwar zerbrechlich,
9
Bei Simmel ist der Körper in erster Linie ein sinnlicher, d.h. er bezieht sich auf das sinnliche Wahrnehmen und Wahrgenommenwerden des Menschen. Hier trifft er sich mit Merleau-Ponty, der den Leib als sinnlich Erfahrenden, vor allem Sehenden und Tastenden, und den Körper als sinnlich wahrzunehmendes Körperding konzipiert. Aber auch die Dimension des leiblichen Empfindens taucht bei Simmel auf (s.u.).
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denn sie »stirbt in dem Augenblick, in dem die Unmittelbarkeit der Funktion nachläßt«, aber auch nachhaltig: »[...] der ganze Verkehr der Menschen, ihr Sichverstehn und Sichzurückweisen, ihre Intimität und ihre Kühle, wäre in unausrechenbarer Weise geändert, wenn der Blick von Auge in Auge nicht bestünde [...]« (ebd.: 484). Somit erhält das Auge eine zutiefst soziale Funktion. Indem wir den anderen oder genauer sein Gesicht betrachten, erkennen wir sein Wesen. Dieses (bewusste oder instinktive) Erkennen »färbt unvermeidlich unsre momentane wie unsre dauernde Beziehung zu ihm« (ebd.: 485). Das Zusammenwirken von Auge und Gesicht ist somit eine der entscheidenden Quellen sozialer Verständigung in direkten vis-à-vis-Situationen, da der Blick des Einen jeweils den Anderen fokussiert, interpretiert und so wechselseitiges Verstehen auf einer präverbalen Ebene möglich wird: »Das Gesicht bewirkt, daß der Mensch schon aus seinem Anblick, nicht erst aus seinem Handeln verstanden wird.« (Ebd.) Mittels seines Gesichts als »Symbol« und »Ausdrucksorgan« (ebd.) wird der Andere in seiner Individualität erfasst, denn es ist der Körper als »unser erstes und unbedingtes Eigentum« – und das Gesicht hierbei im Besonderen –, »worin mein Ich sich ausdrückt und äußerlich realisiert« (ebd.: 281) und somit für den Anderen erkennbar wird. Aber auch der Wahrnehmende, Erkennende wird Objekt der Betrachtung durch das Gegenüber: »In dem Blick, der den anderen in sich aufnimmt, offenbart man sich selbst; mit demselben Akt, in dem das Subjekt sein Objekt zu erkennen sucht, gibt es sich hier dem Objekte preis.« (Ebd.: 484)
Der Blick in das Gesicht des Anderen ist gleichsam der Ort der Wahrheit, der Erkenntnis. Simmel nennt dies auch das »Wunder des ›Blickes‹« (ebd.: 487). Das Wundersame ist weiterhin das gegenseitige instinktive Erkennen, das aber »[n]ichts mit Begriffen Ausdrückbares, in einzelne Beschaffenheiten Zerlegbares« (ebd.: 485) meint, sondern ein wechselseitiges gänzliches Erfassen des Gegenübers.10 Ein anderes Sinnesorgan, dem Simmel soziale Bedeutung zuspricht, ist das Ohr. Es erscheint zwar als das »egoistische Organ« (ebd.) schlechthin, da es im
10 Dieses erste Erfassen des Anderen ist nicht objektiv greifbar: »Was aber jener erste Anblick seiner uns vermittelt, ist in solches Begriffliches und Ausdrückbares gar nicht aufzulösen und auszumünzen [...], sondern es ist das unmittelbare Ergreifen seiner Individualität« (Simmel 1968: 485). Vgl. hier wieder den Ansatz des sinnlich-spürenden, leiblichen Erfassens des Anderen, das auf einer anderen, bei Simmel zusätzlichen Ebene zum kognitiven Erkennen anzusiedeln ist.
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Gegensatz zum Auge nur nimmt und nicht gibt. Aber dennoch ist es für soziale Verständigung wichtig: Wechselseitige visuelle Wahrnehmung offenbart zwar das Dauerhafte, das »Zugleich aller Wesenszüge« (ebd.: 486), zum situativen Verstehen des Anderen aber – seines Handelns, Denkens, Fühlens – ist die akustische Wahrnehmung bedeutend, da sich Informationen darüber im Gesagten symbolisieren. Auge und Ohr sind demnach zum Zweck der sozialen Verständigung »im Ganzen doch auf die gegenseitige Ergänzung ausgelegt« (ebd.).11 Zuletzt befasst sich Simmel mit dem Geruchssinn, den er beim Subjekt der Wahrnehmung verortet: »Der Geruch bildet nicht von sich aus ein Objekt, wie Gesicht und Gehör es tun, sondern bleibt sozusagen im Subjekt befangen.« (Ebd.: 489) Gleichwohl sind die dadurch entstehenden »instinktmäßigen Antipathien und Sympathien« bedeutsame ›Rahmenbedingungen‹ sozialer Interaktion – sich verstehen ist also nicht zuletzt auch eine »Nasenfrage« (ebd.). Wenn wir jemanden riechen, ist das die »intimste Wahrnehmung seiner, er dringt sozusagen in luftförmiger Gestalt in unser Sinnlich-Inneres ein« (ebd.) und löst ›Gefühle der Lust und Unlust‹ aus – Kommunikation hat also auch insofern eine leibliche Komponente. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Körper bei Simmel eine wesentliche Funktion in sozialen Interaktionen hat. Er ist »das primäre Deutungsobjekt im Fremdverstehen« (Raab/Soeffner 2005: 178) – Zeichenträger und Ausdruck der Individualität, des Wesens des Gegenübers. Der Körper ist aber nicht nur ein sinnlich Wahrgenommener, sondern immer zugleich auch sinnlich Wahrnehmender, quasi Subjekt des Fremdverstehens. Der gesehene Körper ist kenntnisvermittelndes Symbol, der sehende Körper ist erkennender Leib – damit geht Simmel implizit bereits vom phänomenologischen Leibkörper aus, also einem Zugleich von wahrgenommenem Objekt und wahrnehmendem Subjekt. Durch wechselseitiges sinnliches Wahrnehmen verständigen sich Individuen auf eine fundamentale Art und Weise, die durch keine Normen, Werte oder andere sozio-kulturelle Konzepte erklärbar, geschweige denn ersetzbar wäre. Und die grundlegende »Sinnlichkeit« unserer sozialen Beziehungen ist »nur mit der Natur des Menschen solidarisch [und nicht mit der Natur der Gesellschaft; Anmerkung S.S.]; aus den besonderen Bedingungen dieser fordern sie [d.h. die Beziehungen; Anmerkung S.S.] daher ihre Erklärung« (Simmel 1968: 487). Kurz: der Körper hat eine zentrale soziale Funktion, er ist die Basis zwischenmenschlicher Interaktion und damit »liegt [es] auf der Hand, daß von dieser Struktur un-
11 Nur das gleichzeitige Sehen und Hören des Anderen knüpft eine enge und intime Bindung, wohingegen rein auf visueller Wahrnehmung basierende Einheiten abstrakt bleiben (vgl. Simmel 1968: 488f.).
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serer Sinne und ihrer Objekte, soweit der Mitmensch ihnen solche bietet, die ganze Art des menschlichen Verkehrs getragen wird« (ebd.: 486).12 In seinen Ausführungen legt Simmel zwar den Fokus der Bedeutung von Körperlichkeit auf unmittelbare vis-à-vis-Situationen, doch indem er die primären, sinnlich geprägten und damit körperlichen Beziehungen, den menschlichen und immer schon auch körperlichen ›Verkehr‹, als Quelle »alle[r] höheren Gebilde« betrachtet, ist der Körper, wie eingangs zitiert, von fundamentaler soziologischer Bedeutung, wenn es um die Frage nach sozialer Interaktion geht. 2.2.2 George Herbert Mead – Der Organismus als Motor des Sozialen Wie Simmel schreibt auch GEORGE HERBERT MEAD (1863-1931) dem Körper eine entscheidende Bedeutung für Sozialität zu, geht aber noch über ihn hinaus. Mead kann wohl als der Klassiker gelten, dessen Theorie am grundlegendsten von der Körperlichkeit des Menschen ausgeht. Denn nicht nur die soziale Situation der direkten Interaktion ist es, wo der Körper wirksam wird, sondern er ist es bereits auf einer viel fundamentaleren Ebene: Gesellschaft basiert bereits auf dem körperlichen Zugang zur Welt schlechthin. Mead, in dessen Sozialanthropologie der Körper physiologischer Organismus ist, schreibt diesem in einem ersten Schritt realitätskonstituierende Funktion für den Einzelnen zu. Der Organismus (i.e. das biologische Individuum) schafft sich seine Umwelt selbst.13 Nur was sinnlich wahrgenommen wird, ist real: die Welt existiert für uns durch dis-
12 Zwar liegt die Bedeutung des Körpers bei Simmel schwerpunktmäßig in unmittelbaren vis-à-vis-Situationen, doch indem er die primären, sinnlich geprägten und damit körperlichen Beziehungen als Quelle »alle[r] höheren Gebilde« betrachtet, ist der Körper, wie eingangs zitiert, von fundamentaler soziologischer Bedeutung, wenn es um die Frage nach sozialer Interaktion geht. 13 Durch impulsgeleitete Reaktionen auf Reize aus seiner Umgebung bestimmt »der einzelne Organismus in gewissem Sinn durch seine Sensitivität seine eigene Umwelt« (Mead 1968: 291). Impuls ist bei Mead wie folgt definiert: »Ein Impuls ist eine angeborene Tendenz, unter bestimmten organischen Voraussetzungen in einer bestimmten Weise auf einen bestimmten Reiz zu reagieren.« (Ebd.: 387) Mead spricht explizit nicht von Instinkten als Quelle menschlichen Verhaltens. Impulse sind im Gegensatz zu Instinkten nicht unmittelbar verhaltenswirksam, determinieren den Menschen also nicht. Beispiele wären die allgemeine Orientierung an Objekten und Kontaktaufnahme mit/Manipulation derselben oder ›soziale Impulse‹ wie der »Fortpflanzungstrieb« oder der »Elterninstinkt« (vgl. ebd.: 181, Fn 2a, 399).
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tanzierte visuelle Wahrnehmung zunächst als bloße »Hypothese« und erst durch direkten physischen Kontakt wird diese Hypothese Wirklichkeit (vgl. Mead 1968: 293).14 Innerhalb dieses Aneignungsprozesses, in dem wir in ständigem körperlichen Austausch mit der Umwelt stehen, entwickelt sich Bewusstsein – für die Dinge als Objekte um uns herum (ebd.: 170, 1987a: 212f.) und für uns selbst (Mead 1987a: 221, 1987b: 99, 138). Wir setzen uns selbst in ein Wechselverhältnis zur Umwelt und genau hier zeigt sich die soziologische Bedeutung dieses körperlichen Zugangs zur Welt. Denn diese Umwelt ist nicht zuletzt sozialer Natur. »Menschliches Verhalten leitet sich aus Impulsen ab« (Mead 1968: 387), aber dieser durch unser biologisches Wesen initiierte Prozess ist abhängig von ›Reizquellen‹ in Form anderer Individuen, da der Einzelne seine Impulse »ohne die Hilfe eines oder mehrerer anderer Individuen nicht durchführen, offen ausdrücken oder befriedigen kann. Die physiologischen Verhaltensprozesse, deren Mechanismen sie darstellen, umfassen notwendigerweise mehr als ein Individuum« (ebd.: 181).15
Die Erfahrungen des Individuums sind nur durch andere, sich wechselseitig beeinflussende Individuen möglich (vgl. ebd.: 174). Der Körper, i.e. der Organismus des Menschen ist somit in einem ganz grundlegenden Sinn sozial.16 Eine anthropologische Konsequenz dieses Aufeinanderbezogenseins ist die symbolisch vermittelte Kommunikation, die auch Kernstück der Meadschen Handlungstheorie ist. Der Mensch ist als soziales Wesen fähig zu und angewiesen auf sozialkommunikativen Austausch. Kommunikation ist nach Mead das »Grundprinzip der gesellschaftlichen Ordnung« (ebd.: 299), wobei dies auch,
14 »Die Dinge sind nicht real, so wie sie gesehen, gehört oder gerochen werden; sie sind real, wenn sie wirklich oder potentiell durch Kontakt erfahren werden.« (Mead, 1987b: 95; vgl. auch ebd.: 137.) Hier zeigen sich deutlich Meads Wurzeln im amerikanischen Pragmatismus. 15 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Meadsche Definition sozialer Handlung: »Sozial ist eine Handlung, wenn in ihr ein Individuum durch sein Handeln als Auslösereiz für die Reaktion eines anderen Individuum dient.« (Mead 1987a: 210) 16 »Diese relativ einfachen und rudimentären physiologischen Mechanismen und Tendenzen des individuellen menschlichen Verhaltens bilden nicht nur die physiologische Grundlage allen gesellschaftlichen Verhaltens, sondern auch die fundamentalen biologischen Materialien der menschlichen Natur. Wenn wir von der menschlichen Natur sprechen, beziehen wir uns also auf ein wesentlich gesellschaftliches Phänomen.« (Mead 1968: 181, Fn 2a.)
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aber eben nicht nur Sprache meint, sondern v.a. die nonverbale Verständigung über Gesten. Gesten oder Gebärden als konkrete körperliche Ausdrucksbewegungen mit ausgehandelter Bedeutung (signifikante Symbole in der Funktion der obigen ›Reize‹) sind gleichsam die elementare Urform menschlicher Interaktion und Voraussetzung gelingender Sozialisationsprozesse (Mead 1987a: 210)17 Der Körper ist unhintergehbar bei der Entstehung und Weitergabe gemeinsam geteilter Bedeutungen (objektiviert in Symbolen), da diese in direkter Interaktion erzeugt/vermittelt werden und nur so eine gemeinsame Definition der Situation gelingen kann. In der vis-à-vis-Situation fungieren Gesten als elementare Bedeutungsträger, die (intuitiv oder bewusst) interpretiert werden und als Auslöser von Anpassungen des Interaktionspartners wirken (ebd.: 219). Die Fähigkeit zur Interpretation der gestisch und symbolisch vermittelten Intentionen und Erwartungen des Anderen in Form der Perspektivenübernahme und Selbst-Objektivierung ermöglicht die Antizipation von Handlungsfolgen und somit auch die selbst-bewusste Reflexion und Kontrolle des eigenen Verhaltens/Handelns. Sie bildet somit »das wirkungsvollste Mittel zur Anpassung an die gesellschaftliche Umwelt, ja an die Umwelt überhaupt« (Mead 1968: 140). Erst ein solches intelligentes Verhalten macht das biologische auch zum gesellschaftlichen Individuum (vgl. ebd.: 290), möglich durch die physiologisch angelegte fundamentale Sozialität des Menschen. (Selbst-)Bewusstsein, Perspektivenübernahme und Symbole als Effekte körperbasierter sozialer Interaktion mit der dinglichen und sozialen Umwelt ermöglichen also eine wechselseitige Abstimmung des Handelns durch Kontrolle bzw. soziale Ausrichtung des impulsiven Verhaltens – die Voraussetzung für soziale Verständigung und die Entwicklung einer kooperativen Gesellschaft (ebd.: 301).18 Neben Gesten bzw. auf diesen aufbauend, erscheint als wichtigstes solcher Symbolsysteme die Sprache, weshalb sie einen zentralen Stellenwert in der Meadschen Sozialtheorie erhält. Sprache bzw. vokale Gesten sind deshalb von besonderer sozialkommunikativer Bedeutung, weil sie selbstreflexive Antizipa-
17 Gebärdenvermittelte Kommunikation wird aber im Laufe der Phylo- und Ontogenese tendenziell von der Sprache als komplexes und v.a. abstraktes Symbolsystem überlagert und emanzipiert die Verständigung vom Körper dann weitgehend, d.h. es ist nicht mehr zwingend notwendig, dass beide Interaktanten zeitgleich anwesend sind, um sich zu verständigen. 18 Hans Joas spricht diesbezüglich von der »praktischen Intersubjektivität« bei Mead (Joas 1989).
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tionsprozesse beim Sender und (komplexe) Deutungsleistungen beim Empfänger auslösen. Mead spricht hier von der »reflektiven Intelligenz« des Menschen (ebd.: 136ff.). Und auch im sprachlichen Austausch bleibt der Körper neben der körpervermittelten Form verbaler Gesten (Sprechen ist immer auch ein körperlicher Akt) insofern relevant, als sowohl diese selbstreflexiven Haltungen als auch die Haltungen, die durch das Verstehen der Gesten ausgelöst werden, keine rein mentalen, sondern ›Körperhaltungen‹ sind (vgl. ebd.: 111f., 136ff.).19 Der Organismus ist Teil des Verstehensprozesses, indem jede Geste zuerst im Sender, dann im Empfänger (Reagenten) eine Haltung im Organismus auslöst, die der eigentlichen Handlung bzw. Reaktion vorausgeht. Der Organismus, genauer: das Zentralnervensystem ist gleichsam die Voraussetzung intelligenten Verhaltens bzw. des Denkens. 20 Denken ist bei Mead damit als ein im Organismus zu lokalisierender Prozess und nicht als substanziell-geistiges Werk einer körperlosen res cogitans zu verstehen; Bewusstsein und Denken sind immer schon mit Prozessen im zentralen Nervensystem verbunden und damit körperrelational. Und indem der Auslöser hierfür immer eine Handlung im Sinne eines Reizes ist, wird Denken bei Mead gleichsam als interaktive »Praktik« konzipiert (Schmidt 2006: 301). Mit dieser Konzeption menschlicher Wahrnehmung und Kognition ist jede Art von kommunikativem Austausch letztlich immer (auch) körperbezogen: durch den körperlich vermittelten Austausch von (vokalen) Gesten einerseits und die kognitiv-interpretative Verarbeitung dieser Gesten andererseits, durch die sie erst ihren verständigungsbedingenden Sinn verliehen bekommen (Mead 1968: 118). Denken ist eine Funktion und Handeln ein Ausdrucksmodus des Organismus.21
19 Vgl. auch: »Der gesellschaftliche Prozess […] wird tatsächlich in die Erfahrung des Einzelnen hereingenommen, so daß die Ereignisse wirksamer ablaufen können, weil sie gleichsam im Einzelnen erprobt wurden« (Mead 1968: 222; Hervorhebung S.S.). 20 Bei Mead heißt es: »Ein Mensch, der das Wort ›Feuer‹ ausruft, kann in sich selbst jene Reaktion auslösen, die er auch in anderen auslöst. Insoweit der Mensch die Haltung anderer Menschen einnehmen kann […], macht diese Reaktion seinen eigenen Schrei, sein eigenes Verhalten gegenüber dem Verhalten der anderen zu einer geistigen Angelegenheit« (Mead 1968: 234; Hervorhebung S.S.). Geist oder Denken sind bei Mead somit keine rein mentalen Konzepte. 21 Herbert Blumer entwickelt Meads Kommunikationstheorie weiter zu dem Ansatz, der heute als ›Symbolischer Interaktionismus‹ bekannt ist (Blumer 2013). Dabei verliert die körperliche Komponente von Interaktion jedoch ihren Stellenwert zugunsten abstrakterer Modellelemente von Verständigung (interaktive Aushandlungen von Situationsdefinitionen auf Grundlage kognitiv verankerter Bedeutungszuschreibungen).
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Zusammengefasst wird der Körper in der pragmatistisch fundierten Sozialtheorie von Mead nicht nur als ›Exkurs‹ (vgl. Simmel) in seiner Bedeutung für soziale Prozesse berücksichtigt, sondern »…als handelnder [und denkender; Anm. S.S.] Organismus und damit als Agent von Wirklichkeitsgenerierung gedacht« (Klein 2005: 75). Nur wenn man vergesellschaftete und vergesellschaftende Individuen als immer schon physiologische Wesen denkt, wird man den Grundlagen und der Komplexität des menschlichen Verhaltens als sozialem Handeln gerecht. 2.2.3 Erving Goffman – Der dramaturgische Körper als Effekt und Agens sozialer Interaktion Der amerikanische Soziologe ERVING GOFFMAN (1922-1982), ein »Klassiker der zweiten Generation« (Hettlage/Lenz 1991), zeichnet sich gegenüber den bisher dargestellten Klassikern durch seine primär mikroanalytische Perspektive aus.22
22 Goffman war bestrebt, die unmittelbare Interaktion als Realität sui generis zu etablieren (vgl. Goffman 1994a: 55; Knoblauch 1994: 33). Dabei konzentriert er sich auf die »Analyse banaler Prozesse im Mikrobereich« (Hettlage 1991: 414). Goffman durchweg als Mikrosoziologen zu interpretieren greift aber sicherlich zu kurz (zur Frage der theoretischen Verortung von Goffman vgl. Hettlage/Lenz 1991). Situative Interaktionen sind in der Regel in spezifische Wissenskontexte, institutionell vorgegebene Regeln, Normen und Wertsetzungen eingebettet, welche die Perspektiven bzw. Situationsdefinitionen der Interagierenden und damit ihre Erfahrungen ›organisieren‹ (vgl. Goffman 1980). In der späten Phase seines Schaffens interessiert sich Goffman daher auch deutlicher für das Mikro-Makro-Verhältnis von direkter Interaktion einerseits und Sozialstruktur andererseits. Ein Beispiel hierfür ist die ständige (Re-)Produktion und (Re-)Konstituierung der Geschlechterordnung mittels durch die institutionelle Reflexivität vorstrukturierter Handlungen. Das ›Arrangement der Geschlechter‹ zeigt sich so z.B. in der ›Toilettenordnung‹, die »eine Art Rhythmus des Zusammenkommens und Wieder-Auseinandergehens« entstehen lässt. Dieser stellt sicher, »daß subkulturelle Unterschiede trotz häufiger Kontakte zwischen den Geschlechtern erhalten und wiederhergestellt werden« (Goffman 1994b: 133). Goffman ist demnach kein Anhänger eines »Situationalismus« (wie bspw. die Ethnomethodologen), sondern er zeigt die Wechselwirkung zwischen Interaktionsordnung und Sozialstruktur anhand sog. ›Schnittstellen‹ auf und verbindet die interpretative mit der strukturellen Perspektive in Form einer »Paradigmenklammer« (Hettlage 1991: 419). Im Folgenden soll der Fokus aber auf die situative Aushandlung von Bedeutung und Herstellung von Ordnung gelegt werden, da der Körper v.a. hier von Bedeutung ist.
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Fragen nach sozialer Verständigung sind mit ihm immer im Rahmen alltäglicher, direkter Interaktion zu beantworten. Diese ist die Grundeinheit der Goffmanschen Soziologie. Interaktion ist dabei stets die vis-à-vis-Situation, d.h. Situationen, »in denen zwei oder mehr Individuen körperlich anwesend sind, und zwar so, daß sie aufeinander reagieren können« (Goffman 1994a: 55). Dieses Reagieren findet primär als Austausch körperlich vermittelter Informationen statt und erst in zweiter Linie in Form verbaler Kommunikation (vgl. Meuser 2002: 28f.). Indem die Akteure wechselseitig aufeinander bezogen handeln, verständigen sie sich auf eine bestimmte, gemeinsam definierte Situation. Die körperliche Kopräsenz und das sinnliche Wahrnehmen des jeweils anderen sind konstitutive Bedingungen jeder Interaktion.23 Die ›Ordnung‹ ergibt sich dann durch ein (präreflexives) Interpretieren körperlicher Bedeutungen. Die körperliche Kommunikation ist elementar, weil sie unvermeidbar ist: »Ein Mensch kann aufhören zu sprechen, er kann aber nicht aufhören, mit seinem Körper zu kommunizieren; er muß damit entweder das Richtige oder das Falsche sagen; aber er kann nicht gar nichts sagen« (Goffman 1971b: 43).24 Goffman geht es »nicht um Menschen und ihre Situationen, sondern eher um Situationen und ihre Menschen« (Goffman 1994a: 9). Der Körper, der bei Goffman an so zentraler Stelle steht, ist daher auch nicht der individuelle, biologische, sondern stets der vergesellschaftete Körper, der bei ihm nur als relationaler von Interesse und Bedeutung ist.25 Mit der sich damit ergebenden Außenperspektive auf den Körper bleibt das Subjektive im Sinne des Leiblichen jenseits soziologischer Analyse. Dieser im Goffmanschen Sinne ›interaktionistische‹ Körper fungiert vielmehr zum einen als Zeichen- oder Bedeutungsträger, zum anderen als Agens sozialer Verständigung: Der Körper ist immer der eines Rollenträgers, d.h. er ist von vornherein symbolische Objektivation seiner sozio-kulturellen
23 »Das Band zwischen bloßen Sinnen auf der einen und körperlicher Übermittlung auf der anderen Seite stellt eine der entscheidenden Kommunikationsbedingungen der Interaktion von Angesicht zu Angesicht dar [...] jeder Sender ist zugleich auch Empfänger und jeder Empfänger ist zugleich auch Sender« (Goffman 1971b: 26). 24 Vgl. auch Watzlawicks erstes Axiom: Man kann nicht nicht kommunizieren (Watzlawick et al. 1990: 50ff.). 25 »Ich setze voraus, daß der eigentliche Gegenstand der Interaktion nicht das Individuum und seine Psychologie [und Physiologie; Anmerkung S.S.] ist, sondern eher die syntaktischen Beziehungen zwischen den Handlungen verschiedener gleichzeitig anwesender Personen [oder, genauer, deren Körpern; Anmerkung S.S.]« (Goffman 1971a: 8).
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Prägung. In Optik, Gestik und Mimik repräsentiert er die soziale und personale Identität seines Besitzers (vgl. z.B. Goffman 1971b: 42). Der Körper wird hier als gesellschaftlich überformtes bzw. nur durch soziale Bedeutung relevantes Körperding erfasst, das in der Wahrnehmung der Interaktanten immer schon auf ein bestimmtes Innen zu verweisen scheint.26 Damit verbunden ist die zweite Wirkung des Körpers als Generator von Sozialität, als expressiv nutzbares Medium. Mittels teilweise intendierter, teilweise nicht-intendierter dramaturgischer Akte stellen wir uns vor anderen (und auch vor uns selbst) dar, sind präsent. Indem wir den zeichenhaften Körper sprechen lassen bzw. verstehen, erzeugen wir Wirklichkeit. Jeder Ausdruck, jede Geste, jede Handlung ist damit auch ein Akt sozialer Verständigung und – je nach Kontext mehr oder weniger elementares – Konstituens sozialer Ordnung. Zwar differiert die Relevanz körperlichen Austauschs beispielsweise zwischen der Notwendigkeit sozialer Abstimmung in überfüllten Bahnhöfen oder Fußgängerzonen einerseits27 und geschäftlichen Meetings, Vorträgen o.Ä. andererseits. Aber gleich welche Rahmenbedingungen Prozesse sozialer Verständigung haben, körperliche Kommunikation ist für Goffman unhintergehbarer Bestandteil von visà-vis-Interaktion. Dabei ist jede Form der Körpersprache eine konventionalisierte, normative Unterhaltung, eine Form des Eindrucksmanagements.28 Eine notwendige Voraussetzung dieser Unterhaltung ist die Disziplinierung: Um in sozial erwünschter Weise agieren zu können, muss der Einzelne seine Bewegungen und seinen Ausdruck kontrollieren, nur so ist die Her- und Sicherstellung der Interaktionsordnung (d.h. der sozialen Ordnung auf Mikroebene) zu gewährleisten (vgl. ebd.: 35ff.). Hier wird wieder der analytische Fokus Goffmans auf normative Reglementierungen von Körpern und Körperhandlungen in der sozialen Interaktion deutlich. Es geht primär um die für soziale Ordnung konstitutiven Regeln, die eben auch und nicht zuletzt am Körper der Akteure ansetzen, und weniger um leiblich-körperliche Abstimmung als Metaebene sozialer Interaktion.
26 Damit knüpft Goffman implizit an die Plessnersche Exzentrizität des Leibkörpers an, die eben dieses (gesellschaftlich auszugestaltende) Verweisungsverhältnis von körperlichem Außen und leiblichem Innen mit sich bringt (s. dazu die Ausführungen unter Kapitel 3.1.2.2). 27 Vgl. zur körperlichen »Intentionskundgabe« und »Abtastung« im Fußgängerverkehr Goffman (1974: 30ff.). 28 »Das heißt, für alle besteht die Verpflichtung, im Zusammensein mit anderen bestimmte Informationen zu geben, bestimmte andere Eindrücke aber keinesfalls zu vermitteln – so wie ja auch eine bestimmte Erwartung darüber herrscht, wie sich andere zu repräsentieren haben« (Goffman 1971b: 43).
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Insgesamt wird an all diesen Punkten deutlich, dass bei Goffman der Körper als von außen wahrnehmbarer Bedeutungsträger sozial relevant erscheint, der als solcher entweder von anderen gedeutet oder vom Subjekt expressiv eingesetzt wird. »Der dramaturgische Körper« (Gugutzer 2004: 3) ist ein kontrollierter, gedeuteter, ein sich in Szene setzender und Identität (re-)produzierender Körper, stets bedeutsam für praktische Intersubjektivität. Allgemein kann man sagen: Der Körper als Produkt von Gesellschaft (der Körper als repräsentierender Zeichenträger) ist Bedingung für seine Funktion als Produzent des Sozialen (der Körper als inszenierendes Agens). Letztendlich bleibt bei Goffman aber der Austausch von (präreflexiv) zu verarbeitenden Informationen, die an bereits vorhandenes Deutungs- und Performanzwissen der Akteure anknüpfen, für die Herstellung sozialer Ordnung ausschlaggebend: »Und in der Tat ist die Kenntnis und das Verständnis einer gemeinsamen Körpersprache ein Grund dafür, eine Ansammlung von Individuen als Gesellschaft zu bezeichnen« (Goffman 1971b: 43; Herv.S.S.). 2.2.4 Harold Garfinkel – Die situative Abstimmung im alltäglichen Tun Ein Ansatz, der mit Blick auf die Bedeutung des Körpers in der direkten Interaktion in eine sehr ähnliche Richtung geht wie Goffman, ist die Ethnomethodologie, die wesentlich von HAROLD GARFINKEL (1917-2011) geprägt wurde. In expliziter Abgrenzung zu Durkheims Konzeption der Objektivität sozialer Tatsachen und zu Parsons normativistischem Funktionalismus, der soziale Interaktion mit der Orientierung an vorgegebenen Normen und Regeln erklärt, macht die Ethnomethodologie die situative Herstellung von Wirklichkeit durch alltägliche, praktische Handlungen zum Thema (Garfinkel 1967; Weingarten et al. 1976): Der Ethnomethodologie »geht es darum, die Methoden aufzudecken, deren sich die Gesellschaftsmitglieder bedienen, um die Vielzahl ihrer Alltagshandlungen durchzuführen« (Weingarten/Sack 1976: 10).29 Denn es sind letztendlich allein diese alltäglichen Handlungen, die immer wieder aufs Neue Wirklichkeit herstellen und ein wechselseitiges Abstimmen in der Situation möglich machen.30 Dabei geht es nicht um eine Analyse des Warum, sondern des Wie des Handelns
29 Garfinkel entwickelt zentrale Elemente seines Konzepts vor dem Hintergrund der Schützschen Überlegungen zum alltäglichen, intersubjektiven Sinnverstehen (Garfinkel/Sacks 1976: 134; vgl. zu Schütz genauer Kapitel 3). 30 Garfinkel bezeichnet die Fluidität des Sozialen als seine »haecceitas« (vgl. Bergmann 2008: 134).
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und Verstehens in der konkreten Situation, also um den tatsächlichen Handlungsvollzug im ›doing reality‹ (ebd.: 13; Garfinkel/Sacks 1976: 148). Deshalb interessieren sich Ethnomethodologen auch nicht für allgemeingültige Werte, Normen oder Regeln, die dem Handeln zugrunde liegen. Diese werden in ihrer Existenz zwar nicht angezweifelt, werden aber nicht als geeignete Erklärungsmodelle für den Herstellungsprozess des Sozialen gesehen, denn ›objektive‹ Wirklichkeit gilt als »fortwährende Leistung oder Herstellung [...], die sich in und mit den Aktivitäten des Alltagslebens vollzieht« (Bergmann 2008: 122). Und weil ›objektive‹ Wirklichkeit immer schon eine intersubjektiv geteilte bzw. gemeinsam hergestellte sein muss, interessiert sich Garfinkel vor allem für soziales Interaktionshandeln. Die dabei von den Akteuren angewandten ›EthnoMethoden‹ sind in Fleisch und Blut übergegangene praktische (nicht normative!) Regeln und Techniken des Alltagshandelns. Die Praktiken sind meist routinehaft, werden nicht reflektiert, sondern einfach praktiziert – nur bei Störung des Selbstverständlichen werden sie zu reflexivem Wissen.31 Die Leistung der Akteure ist es nun, Handlungen im Alltag zu koordinieren, was fortwährende Interpretationen des Geschehens erfordert. Denn ein wesentliches Merkmal von Alltagskommunikation ist die Indexikalität (Garfinkel 1967: 10f.; Garfinkel/Sacks 1976: 143ff.; Abels 2010: 131ff.): Alle Äußerungen – die sprachlichen (»indexical expressions«) und die körperlichen (»indexical actions«) – sind immer im Kontext der aktuellen Situation verortet, in ihrer Form meist vage und unvollständig und nur eingebunden in den Fluss des Geschehens verstehbar. Daher sind im Alltag vielfältige, implizit ablaufende Rekonstruktions- und Deutungsprozesse erforderlich, die jedoch als immer schon in den Ablauf des praktischen Geschehens verwoben betrachtet werden (und nicht etwa als vom Tun isolierte bzw. diesem nachgelagerte kognitiv-mentale Verstehensprozesse; vgl. hierzu Kapitel 3.4.1).32 Fragt man nun gezielt nach der Rolle des Körpers in der Ethnomethodologie, so ist zum einen die Verkörperung von Geschlecht(lichkeit) als prototypisches Beispiel zu nennen. Geschlechtszugehörigkeit und -identität – das zeigt Garfinkel anschaulich an der Transsexuellen Agnes – ist im Wesentlichen Folge eines
31 Vgl. hierzu die Krisenexperimente (Garfinkel 1967: 35-75) und die Studie zur Transsexuellen Agnes (ebd.: 116-185). 32 Das »stets neu in Gang zu bringendes Tun« impliziert dabei mehr »als mit dem traditionellen Handlungsbegriff ausgedrückt ist« (Weingarten/Sack 1976: 13). Damit setzen sich die Ethnomethodologen dezidiert vom Weberschen Handlungsbegriff ab, der immer schon die subjektive Sinnsetzung als Ausgangspunkt und Erklärung des tatsächlichen Handelns begreift und das Tun intentionalistisch verkürzt.
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auf gesellschaftlichem Geschlechterwissen beruhenden Tuns, nicht eines Seins (zum Konzept des ›doing gender‹ vgl. auch Gildemeister 2004). Zum anderen ist auf die programmatische Fokusverschiebung von Garfinkel zu verweisen (Garfinkel 1996). Während zu Beginn der Ethnomethodologie noch die genannten Interpretationsleistungen und Sinnzuschreibungen der handelnden Individuen im Vordergrund stehen, die bspw. durch die Indexikalität der Sprache erforderlich sind (Garfinkel 1967; Garfinkel/Sacks 1976) und der Körper in Form kommunikativer Äußerungen als »Sinnindikationen« (Bergmann 2008: 122) von Bedeutung ist, radikalisiert Garfinkel später mit den sog. ›studies of work‹ (Garfinkel 1986) seinen Ansatz, indem der die wirklichkeits- und wissenskonstitutive Bedeutung von ›embodied practices‹ ins Zentrum stellt (vgl. Abels 2009: 103ff.; Bergmann 2008: 129ff.; Knoblauch 1996a). Dabei geht es nicht (nur) um sprachliche und nichtsprachliche Interaktion (wie sie bspw. in Konversationsanalysen von Interesse sind), sondern es wird auf die »Unteilbarkeit und Nichtreduzierbarkeit der lokalen Produktion von sozialer Ordnung in und als den verkörperten Praktiken (embodied practices) der Handelnden« (Bergmann 2008: 131) abgestellt. Die Entwicklung und Rezeption dieses Ansatzes fand bzw. findet v.a. im Bereich von Arbeitsprozessen statt. Hier sollen praktische Kompetenzen, die beruflichen Tätigkeiten zugrunde liegen, also das implizite Wissen (›tacit knowledge‹, Polanyi 1985) und das ›knowing how‹ (Ryle 1992) praktischen Arbeitens in seiner Anwendung beschrieben werden, wobei hier nicht nur ›Hand‹-, sondern genauso auch ›Kopfarbeit‹ in den Blick genommen wird (z.B. Schmidt 2012: 156-203). Dabei wird der Körper in Form des Wissensträgers und -anwenders als ein Element der Situation unter anderen betrachtet. Neben konkret körperlichem Tun beziehen die ›studies of work‹ in ihre Analysen alles ein, was mit praktischem Tun verbunden ist, also auch den Umgang mit Dingen, Material, Räumen etc. (vgl. Garfinkel 1996; Bergmann 2008: 130f.). Das praktische Wissen, das situativer Verständigung zugrunde liegt, schließt also auch die handlungsrelevante Umgebung mit ein. Situative Wirklichkeit und wechselseitiges Verstehen sind »eine Einheit, [...] ein in der Ausführung sinnlich-körperlicher Tätigkeiten sich realisierendes Ganzes« (Bergmann 2008: 131). Die Ergebnisse der Analyse sind aber nicht auf den Gegenstand »(technologisierte) Arbeit« beschränkt, sondern lassen sich als allgemeine Beschreibung des Wissens und seiner Anwendung im praktischen Tun bzw. der Verwobenheit von Wissen, Körper, Handeln/Interagieren und Materialitäten verstehen.33
33 Ein anderer Ansatz, der ebenfalls die Ganzheitlichkeit von Arbeitsprozessen in den Blick nimmt, ist das subjektivierte Arbeitshandeln von Fritz Böhle u.a. (vgl. z.B. Böh-
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Zusammenfassend geht es der Ethnomethodologie im Unterschied zu Goffman nicht um (übersituative) Darstellungsregeln (z.B. als Elemente einer bestimmten Rolle), die in der direkten Interaktion körperlich vermittelt werden, sondern um deren praktische Aktualisierung und konkrete ›Füllung‹ im Hier und Jetzt, im Tun von Wirklichkeit.34 Der Körper ist bei Garfinkel daher auch nicht als dramaturgischer Körper im Sinne eines Eindrucksmanagements unter Anwendung gesellschaftlicher Regeln relevant. Aber auch bei ihm ist der Körper in der sozialen Interaktion ein Darstellender, und zwar von aktuellen Situationsdeutungen, und somit ›Sinnindikator‹ für das Gegenüber. Und der Körper ist zugleich performatives ›Werkzeug‹ des praktischen Tuns, Sitz verkörperten Wissens. Vor dem Hintergrund eines Verständnisses von fluider Situativität von Wirklichkeit und damit auch vom Verstehen im Hier und Jetzt, ist der Körper als Indikator und Praxisgenerator unhintergehbar für aktuelles Verstehen und Interagieren. Damit ist, wie bereits bei Goffman (wenn auch in der jeweils eigenen Konzeption) also auch bei Garfinkel der Körper v.a. als Produzent des Sozialen konzipiert.35
2.3 D IE G ESELLSCHAFTLICHKEIT
DES K ÖRPERS AUS PRAXISTHEORETISCHER P ERSPEKTIVE : › SENS PRATIQUE ‹ UND SOZIALE ABSTIMMUNG BEI P IERRE B OURDIEU
In den bisherigen Ausführungen stand vor allem das in der Situation handlungsleitende Körperwissen im Zentrum der Darstellung. PIERRE BOURDIEU (19302002) geht mit seinem praxeologischen ›Strukturierungsansatz‹ über die aktuelle Situation hinaus und beleuchtet die gesellschaftliche bzw. strukturelle Einbin-
le 2009). Bzgl. der Forderung eines ›neuen Denkens‹ des Körpers in sozialen Interaktionsprozessen vgl. auch Joas (1992), der die Berücksichtigung der Intentionalität des Körpers im sozialen Handeln als Erweiterung der »instrumentalistischen Einschränkung« (ebd.: 246) bisheriger Handlungstheorien fordert. 34 Zum Verhältnis von Goffman und Garfinkel vgl. vom Lehn (2012: 105ff.). 35 Um die Bedeutung der beiden Ansätze für die Konzeption der Körperlichkeit sozialer Abstimmung zu unterstreichen, bezeichnet Paula-Irene Villa Goffman und Garfinkel als »›Begründer‹ einer handlungstheoretisch orientierten Körpersoziologie« (Villa 2008a: 208).
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dung allen körperlichen Seins und Tuns.36 Genauer geht es ihm um die Überwindung der in weiten Teilen, v.a. in der klassischen Soziologie herrschenden Dichotomien: Objektivismus vs. Subjektivismus, Struktur vs. Handlung, Individuum vs. Gesellschaft, Körper vs. Geist.37 Damit entwirft Bourdieu auch eine Verschränkung der beiden analytischen Modelle der Gesellschaftlichkeit des Körpers, in denen der Körper entweder als Produkt gesellschaftlicher Prägung oder als wahrnehmender und handelnder Produzent des Sozialen konzipiert wird (vgl. Hubrich 2013). Dazu dient ihm das Konzept des Habitus, der als Vermittlungsinstanz zwischen Gesellschaft und Individuum (genau genommen spricht Bourdieu vom Subjekt) fungiert.38 Durch kontinuierliche praktische Erfahrungen in der und mit der sozialen Welt entsteht ein Geflecht aus Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, das in Form von handlungs- und orientierungsleitenden Dispositionen eine den Entstehungsbedingungen ähnliche Haltung zur und adäquates
36 Der Begriff der Strukturierung stammt eigentlich von Anthony Giddens (1997). Da sich beide in ihrer Zielsetzung, objektivistische und subjektivistische Konzeptionen des Sozialen dialektisch zu verbinden, treffen, übertrage ich hier den Strukturierungsbegriff auch auf den Bourdieuschen Ansatz. An dieser Stelle ist auch auf die Arbeiten von Chris Shilling (1993, 1999) hinzuweisen. Er stellt – in Anlehnung an Goffman – die systematische Aufeinanderbezogenheit von Gewordensein des Körpers (worunter Shilling auch und v.a. Emotionen fasst) und Herstellen von Wirklichkeit durch den Körper ins Zentrum seiner Überlegungen (vgl. auch Gugutzer 2004: 118-124). Als paradigmatischer (und mittlerweile klassischer) Vertreter eines ›körpersensiblen‹ Strukturierungsansatzes wird in der vorliegenden Arbeit Bourdieu genauer dargestellt. 37 Bourdieus Ansatz kann als Vermittlung von Durkheim, Weber und Marx betrachtet werden (vgl. Saalmann 2003: 49). Zur Kritik Bourdieus an den genannten Dichotomien vgl. Bourdieu (1976: 139ff., 1987: 49ff.). 38 Der Habitus »gibt dem Akteur eine generierende und einigende, konstruierende und einteilende Macht zurück und erinnert zugleich daran, daß diese sozial geschaffene Fähigkeit, die soziale Wirklichkeit zu schaffen, nicht die eines transzendentalen Subjekts ist, sondern die eines sozial geschaffenen Körpers, der sozial geschaffene und im Verlauf einer räumlich und zeitlich situierten Erfahrung erworbene Gestaltungsprinzipien in die Praxis umsetzt« (Bourdieu 1997: 175). Neben dem Habitus als ›Körper gewordene Geschichte‹ (Bourdieu 1987: 105) entwirft Bourdieu das Konzept des Feldes als ›Ding gewordene Geschichte‹ (Bourdieu 1997: 193ff.; zur Abstimmung von Habitus und Feld vgl. Bourdieu 1987: 122ff.). Da in dieser Arbeit die Frage nach der Rolle des Körpers im Zentrum steht, wird im Folgenden nur der Habitus genauer betrachtet.
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Handeln in der Sozialwelt erzeugt und diese damit tendenziell reproduziert.39 Der Habitus ist somit multidimensional, er besteht aus psychischen, emotionalen, kognitiven und physischen Elementen, die – und das ist entscheidend – als in der Praxis immer schon miteinander verwoben zu denken sind. Der Habitus ist in Fleisch und Blut übergegangene soziale Geschichte, körperlicher Erfahrungsund Wissensspeicher, praktisches und leibliches Gedächtnis »desjenigen Wissens, das sich auf die Zugehörigkeit zu einer Soziallage bezieht« (Meuser 2004: 206)40: »Der Körper ist in der sozialen Welt, aber die soziale Welt steckt auch im Körper.« (Bourdieu 1997: 194) Dabei ist die Verkörperung des Habitus ebenso multidimensional: Sie umfasst zum einen die Hexis als »die realisierte, einverleibte, zur dauerhaften Disposition, zur stabilen Art und Weise der Körperhaltung, des Redens, Gehens und damit des Fühlens und Denkens gewordene politische Mythologie« (Bourdieu 1987: 129; Herv.i.O.). Mit Hexis sind bei Bourdieu v.a. körperliche i.S. von äußerlich wahrnehmbaren Aspekten wie Körperbau, Körperhaltung, -bewegung, Auftreten und Verhalten bezeichnet, also von Kulturpraktiken (Gehen, Sitzen, Sprechen) über mimisches und gestisches Ausdrucksverhalten bis hin zu Kleidung und Körperschmuck. Aber die Hexis schließt auch leibliche Phänomene des Spürens, Fühlens und des Geschmacks mit ein.41 Zum anderen ist auch die Inkorporierung kognitiver Schemata wörtlich zu nehmen: Bourdieu spricht von »synaptischen Verbindungen«, die beim »Ler-
39 Um einem Missverständnis vorzubeugen: Bourdieu geht hier nicht von einem automatischen Mechanismus der Reproduktion des Sozialen durch den Habitus aus. Zwar legt er eine gewisse Prädetermination – oder besser: eine denk- und handlungsleitende Disposition des Einzelnen durch seine soziale Lage nahe (Bourdieu 1976: 164ff., 1987: 101ff.; vgl. auch den »Hysteresis-Effekt«, Bourdieu 1987: 116f.), zugleich betont er an vielen Stellen auch die Kreativität des Handelns, freilich nur innerhalb der durch den Habitus vorgegebenen Grenzen: Bourdieu spricht bei der Übereinstimmung von Habitus und Struktur sogar von einem »Sonderfall, der [...] zwar besonders häufig auftritt, den man aber nicht verallgemeinern sollte« (Bourdieu 1997: 204). Vgl. auch die Analogie zur ›generativen Grammatik‹ von Chomsky zur Verdeutlichung des Habitus als »Erfinderkunst«, mit der »unendlich viele und [...] relativ unvorhersehbare Praktiken [...] erzeugt werden können« (Bourdieu 1987: 104; vgl. auch 1999: 284ff.). 40 Unter Soziallage fasst Bourdieu v.a. die Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse, aber auch die sozialen Kategorien Geschlecht und Alter bzw. Generationenzusammenhang im Sinne von Mannheim 1970 (Bourdieu 1987: 132). 41 Bourdieu differenziert nicht systematisch zwischen Körper und Leib, sondern verwendet die Begriffe weitgehend synonym. Der Habitus umfasst sowohl körperlichmateriale als auch leiblich-sinnlich-spürende Aspekte.
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nen als selektive und dauerhafte Umwandlung des Körpers« entstehen (Bourdieu 1997: 175). Auch kognitive Schemata schreiben sich so in den Körper ein. Analytisch gesehen besteht der Habitus demnach aus einer körperlich-leiblichen und einer kognitiven Dimension (vgl. z.B. Gugutzer 2002: 119; Jäger 2004: 176f.; Kastl 2007), die in der Praxis aber als ein praxeologisch konsistentes Erzeugungsprinzip wirken, das eine Trennung von Körper und Geist unsinnig macht.42 Die zentrale Funktion bzw. Wirkung des Habitus ist dann auch seine wirklichkeitskonstitutive bzw. -reproduktive Kraft: Als »System dauerhafter Dispositionen, strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende Struktur zu wirken« fungiert er als »Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxisformen und Repräsentationen«. (Bourdieu 1976: 165) Bourdieu spricht hier auch vom habitualen ›sens pratique‹ (Bourdieu 198743), dem praktischen Sinn als Grundlage jeder Orientierung und jeden Agierens in der Welt. Als verleiblichte und verkörperte Praxisorientierung beschreibt der praktische Sinn ein inkorporiertes »Wissen ›ohne Bewusstsein‹« (Bourdieu 1997: 104). Durch das dadurch mögliche präreflexive, selbstverständliche (Re)Agieren erfolgt eine quasiautomatische Passung zwischen Position, Situation und Verhalten. Das dieser Passung zugrunde liegende (übersituativ gültige) Gespür für die Bedingungen und Anforderungen in der konkreten Situation geht über den klassischen Handlungsbegriff, der auf bewusst-sinnhafte Intention und Motivation rekurriert, hinaus; es soll zeigen, dass es neben kulturellen Normen, Verhaltensregeln und dem rationalen Kalkül auch andere – körpergebundene – Erzeugungsprinzipien von Praktiken gibt. Ein Bewusstwerden der Praxis ist aus dieser Sicht nicht nur meistens nicht nötig – »ein explizites Denken [...] [kommt] in der praktischen Logik definitionsgemäß nicht [vor]« (Bourdieu 1987: 169) –, sondern es behindert sogar das reibungslose Funktionieren des praktischen Sinns (ebd.: 165). Vor diesem Hintergrund wird klar, warum Bourdieu auf der Berücksichtigung der eige-
42 Mit ›Geist‹ sind hier jedoch in erster Linie nicht logisch-abstrakte Denkprozesse gemeint, sondern praktisch relevante Kognitionen, die i.d.R. nicht ins Bewusstsein kommen (müssen). Praxistheoretisch relevant ist v.a. ein ›Denken im Tun‹, ein »praktisches Reflektieren« (Bourdieu 1997: 209), das im situativen Handeln das gezeigte Verhalten auf seine Passung hin ›überprüft‹. Dieses findet unterhalb der vollbewussten Reflexion statt, erfolgt in actu und erfordert kein distanzierendes Innehalten. 43 Der Originaltitel von ›Sozialer Sinn‹ ist ›Le sens pratique‹. Damit wird die Bedeutung der praxisgenerierenden Orientierung, Haltung und Wahrnehmung betont, die der praktische Sinn einschließt. Die Bezeichnung ›Sozialer Sinn‹ unterstreicht hingegen die (ebenso wichtige) Bedeutung der soziale Genese und der sozialen Funktion dieses Sinns, der Basis von Verständigung und Interaktion ist (s.u.).
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nen Logik der Praxis44 insistiert und diese Logik zum Ausgangspunkt seines praxeologischen Ansatzes macht.45 Der Konnex von Körper und Wissen im Konzept des Habitus bzw. des praktischen Sinns ist deutlich geworden: habituales Wissen hat man nicht, man ist es. Bezieht man nun das dritte Element der dieser Arbeit zugrunde liegenden Fragestellung mit ein – soziale Interaktion –, so zeigen sich verschiedene konzeptionelle Verbindungen zwischen den benannten Elementen des Sozialen. Zum einen ist soziale Interaktion oder besser: soziales Interagieren Grundlage für den Erwerb habitualen (Körper)Wissens. Die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata und damit das Gespür für soziale Situationen und Positionen (v.a. auch in Relation zu anderen Positionen) entwickeln sich durch mimetisches Lernen im Tun, gleichsam als Übertragung »von Praxis auf Praxis [...] ohne den Weg über Diskurs und Bewußtsein zu nehmen«, also auch jenseits des logischen Verstandes (vgl. Bourdieu 1987: 134ff.). Deshalb geht auch die In-eins-Setzung der sozialkonstruktivistisch-wissenssoziologischen Konzepte der Sedimentierung (Schütz) bzw. der Habitualisierung (Berger/Luckmann) mit dem Habituskonzept (vgl. Knoblauch 2003; auch Keller/Meuser 2011: 17) an dem vorbei, worum es Bourdieu geht: Der Erwerb des Habitus erfolgt in weiten Teilen ohne jemals den Weg über das Bewusstsein zu gehen; er erfolgt nicht durch bewusstes Nachahmen, Versuch-Irrtum-Lernen und auch ohne ein (mehr oder weniger) bewusstes Sich-in-den-Anderen-Hineinversetzen (vgl. Bourdieu 1987: 134f.). Kritisch anzumerken wäre hier allerdings, dass Bourdieu selbst nicht expliziert, wie genau er sich ein solches bewusstloses Aneignen in der praktischen Mimesis vorstellt. Zum anderen lässt sich die Funktion des habitualen Körperwissens in alltäglichen Verständigungsprozessen verdeutlichen. Erstens ist hier die Hexis als äußerlich wahrnehmbare Sozialstruktur zu nennen. Die Akteure tragen ihre soziale
44 »Man muß der Praxis eine Logik zuerkennen, die anders ist als die Logik der Logik, damit man der Praxis nicht mehr Logik abverlangt, als sie zu bieten hat.« (Bourdieu 1987: 157) 45 Der Begriff ›Praxeologie‹ bezeichnet »sowohl die Vorgehensweise als auch den Inhalt seiner [i.e. Bourdieus; Anm.S.S.] Soziologie« (Saalmann 2009: 196) und umfasst damit Sozialtheorie wie auch Methodologie. Nicht das erkennende, kognitives Wissen anwendende Subjekt ist von Interesse, sondern der praktisch handelnde Alltagmensch. Das heißt, Bourdieu geht es um das Verstehen und Rekonstruieren des praktischen Verhältnisses zur Welt, »jene beschäftigte und geschäftige Gegenwärtigkeit« (Bourdieu 1987: 97), das nur durch den praktischen Sinn erfolgen kann. Zu den methodologischen Konsequenzen die damit einhergehen vgl. Schmidt (2012: 28ff.).
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Position am Körper, der in Form von körperlichen Zeichen (Bewegungen, Haltungen, Körperformen etc.) und den damit verbundenen typischen Identitätsmarkern (von kosmetischer Körpergestaltung über Kleidung bis hin zum Lebensstil) Wissen über die eigene soziale Position ausdrückt (vgl. Bourdieu 1982). Das dramaturgische Element der körperlichen Repräsentation sozialer Identität, wie es bei Goffman im Vordergrund steht, erhält bei Bourdieu eine habituale Fundierung, die erklären will, warum wir uns so darstellen (wollen/müssen/können), wie wir es tun. Denn die Regeln dessen, was darstellbar ist und was wie dargestellt werden muss, sind in Fleisch und Blut über- bzw. eingegangen. Vor dem Hintergrund der immer schon sozialen Positionierung des Körpers kann dieser auch als »körperliches Kapital« fungieren (Bourdieu 1982: 329; Gugutzer 2004: 66-74). Der – schöne, gesunde, sportliche – Körper wird dann zur Währung im Spiel um Anerkennung (Körper als symbolisches Kapital) oder im Kampf um gesellschaftliche Vorteile (Konversion des Körperkapitals in ökonomisches oder soziales Kapital).46 Über die Hexis als sichtbare Entäußerung des Habitus hinaus ist der Körper zweitens als »realer Akteur« (Bourdieu 1997: 171) interaktionsrelevant. Als handelnder Operator greift er in die Welt ein, gestaltet und kommuniziert. Wie wir handeln, ist durch den praktischen Sinn, oder anders: die Eigenschaft des Habitus als modus operandi vermittelt. Durch ihn ›wissen‹ wir, wie wir uns zu verhalten haben; er reduziert die Kontingenz möglicher Handlungsoptionen und filtert Sinn (d.h. nur bestimmte Dinge sind denk- und machbar). Robert Gugutzer spricht in diesem Zusammenhang auch vom sozialen »Spürsinn« (Gugutzer 2002: 116). Aber nicht nur die ›Auswahl‹ passender (im Sinne von erwartbaren, der Situation angemessenen) Praktiken, sondern auch das HandelnKönnen ist im Habitus verankert. Bourdieu hat sich bspw. ausführlich mit der Bedeutung des Sprechens als soziales Handeln befasst, das über den Habitus immer schon sozial eingebettet ist (Bourdieu 1990). ›Richtiges‹ im Sinne von angemessenem Sprechen ist Ausdruck eines sozialen Sinns, nicht zuletzt auch verstanden als soziales Können, das der sozialen Grammatik entspricht und dadurch eng mit Macht gekoppelt ist.47 Neben der präreflexiven ›Auswahl‹ und Umsetzung geeigneter Praktiken – Thomas Alkemeyer und Kollegen nennen das
46 Bei Bourdieu ist der Körper dabei in seiner Gestalt und seiner Verwendung einerseits sowie in seiner ›Wertigkeit‹ und der Chance auf Rendite andererseits immer schon »Klassenkörper« (Bourdieu 1982: 307). 47 Sprache ist eine Form von Kapital: Je nach Nähe oder Distanz zur legitimen Sprache ist Sprechen als kulturelles mit symbolischem Kapital verbunden und wirkt distinguierend. Im sprachlichen Austausch kommen damit – je nach Situation und Kontext – auf verschiedene Art und Weise Machtverhältnisse zum Ausdruck.
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die »praktische Mitspielfähigkeit« (Alkemeyer et al. 2010: 236) – gehören dazu auch die für die wechselseitige Verständigung notwendigen Kompetenzen wie »Takt, Fingerspitzengefühl, Feinfühligkeit« (Bourdieu 1987: 147). Ebenso wichtig ist der für das ›passende‹ Handeln notwendige »Sinn für soziale Abstände und Unterschiede« (Alkemeyer et al. 2010: 236), ein Gespür für soziale Positionen, Relationen und Grenzen, das ein quasi-selbstverständliches – konkret-räumliches und symbolisches – Anordnen im sozialen Raum (gemeint: in der konkreten Situation) als ›irritationslosen Background‹ wechselseitigen Verstehens und Interagierens ermöglicht. In der Interaktion, in der konkreten Situation ist der Körper also auch hinsichtlich der Materialisierung impliziten Handlungswissens in Form konkreter Praktiken von Bedeutung. Und drittens ist der Körper für das Verstehen der Zeichen und Praktiken des jeweils Anderen relevant. Dabei ist ein Verstehen mittels des eigenen Körpers gemeint, eine Art »körperlicher Erkenntnis« (Bourdieu 1997: 174) im Sinne eines praktischen Verstehens im Wahrnehmungsprozess selbst.48 Das praktische Erkennen besteht darin, »fortwährend die nur flüchtig wahrgenommenen Hinweise zu entschlüsseln« und auf dieser Basis »die Anpassung der Praktiken und Expressionen an die Erwartungen und Reaktionen der anderen Handlungssubjekte zu gewährleisten« (Bourdieu 1976: 146). Über unseren Habitus verfügen wir über Wahrnehmungs- und Klassifikationsschemata, mit denen wir die wahrnehmbaren Äußerungen der Anderen einordnen und dies dann – gleichsam uno actu – zum Anlass unserer Reaktion machen, ohne uns bewusst in den Anderen hineinversetzen zu müssen. Es geht um ein praktisches Erfassen, ein Verstehen im Tun, ein präreflexives Interpretieren, Deuten und Klassifizieren sowie die Aktivierung praktischer Kompetenzen, durch die praktisches Handeln in situ ermöglicht wird, und zwar ein Handeln, das passt, ohne bewusstes, logisches oder intellektuelles Entziffern des Sinns im Handeln des anderen – ein praktisches Verstehen im Handeln (damit ›überspringt‹ Bourdieu gleichsam die Perspektivenübernahme, die bei Mead u.a. eine Grundvoraussetzung sozialer Verständigung ist). Eine solche präreflexive Verständigung als wechselseitiges, aufeinander abgestimmtes Verstehen im Tun setzt gemeinsame habituale Strukturen voraus: Die Praxis der Abstimmung durch eine Abstimmung der Praxis(formen) bedingt die »Beherrschung eines gemeinsamen Codes« (Bourdieu 1976: 178). Ein implizites ›blindes‹ Verstehen des Anderen und das dazu passende Handeln benötigen also homologe Habitusstrukturen, die wiederum auf gemeinsamer oder ähnlicher Soziallage beruhen.
48 Damit bezeichnet Bourdieu ein Erfassen von Welt und den Anderen, »das von dem gewöhnlich mit der Vorstellung des Erfassens verbundenen absichtlichen, bewußten Entziffern völlig verschieden ist« (Bourdieu 1997: 174).
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»Die Homogenität der Habitusformen [...] bewirkt nämlich, daß Praktiken unmittelbar verständlich und vorhersehbar sind und daher als evident und selbstverständlich wahrgenommen werden…« (Bourdieu 1987: 108)
Daraus ergibt sich, dass eine Verständigung zwischen verschiedenen Habitus einen (höheren) Reflexionsaufwand der Beteiligten erfordert – und Missverständnisse wahrscheinlicher werden. Zusammengefasst bekommt man mit Bourdieus Konzepten des Habitus und des praktischen Sinns die wechselseitige Verständigung als direkte Interaktion, genauer als unmittelbares Interagieren i.S. eines aufeinander bezogenen, wechselseitig wahrnehmbaren Tuns und Sagens in den Blick. Der Habitus sorgt dabei für wechselseitiges intuitives Verstehen, indem er der situativen (als Repräsentation der gesellschaftlichen) Ordnung »unmittelbar angemessene, also von dem, der sie vollbringt, wie auch von den anderen als passend, richtig, geschickt, angemessen wahrgenommene und bewertete Verhaltensweisen« (Bourdieu 1997: 184) erzeugt bzw. genauer gesagt, die Dispositionen dafür zur Verfügung stellt.49 Soziales Interagieren vollzieht sich damit gleichsam als eine ›Choreographie der Leiber‹. Der Körper ist dabei sowohl Träger als auch Mittler von Wissen: Am, im und durch ihn realisiert sich der Habitus. Als Medium der ›Exteriorisierung‹ des Habitus und aller Verweise, die damit einhergehen (auf Klasse, Geschlecht, Alter) einerseits (Hexis) und als interiorisierter Habitus in Form eines Wissensspeichers, der praktische Kompetenz genauso umfasst wie Wahrnehmungs- und Interpretationsdispositionen gegenüber der Sozialwelt und den anderen Akteuren andererseits, ist der habituale Körper Effekt sozialer Interaktion und zugleich deren Voraussetzung.
49 Aus einer Soziologie der Praxis heraus wird an Bourdieu kritisiert bzw. einschränkend erwähnt, dass sein Habituskonzept nur erklären kann, was Individuen als angemessenes Handeln verstehen, nicht aber die Erzeugung konkreter Praktiken. Genau genommen geht es, so die Kritik, bei Bourdieu also nicht um den körperlichen Vollzug an sich – das performative Wissen im eigentlichen Sinn –, sondern um das Generationsprinzip angemessener sozialer Praxis – das praxisbezogene Einordnungs- und Interpretationswissen (Auswahl der Spielzüge, Entscheidung was gesagt werden kann/ muss etc.). Vgl. zu dieser Kritik Meier (2004).
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2.4 R ESÜMEE : D ER K ÖRPER IN KLASSISCHEN SOZIOLOGISCHEN H ANDLUNGS -, I NTERAKTIONS UND P RAXISTHEORIEN Der rote Faden dieses lediglich kursorischen Einleitungskapitels war die Frage, wie etablierte Theorien die Tatsache unserer Körperlichkeit für Prozesse sozialer Interaktion bewerten und welchen Beitrag sie für die handlungstheoretische Körpersoziologie leisten. Sowohl Durkheim als auch Weber betrachten den Körper als vorsozial und eher hinderlich für Interaktionen – soziale Verständigung findet auf geistig-sinnhafter Ebene statt. Durkheim und Weber stehen damit paradigmatisch für die Vernachlässigung des Körpers bei den (meisten) ›Gründervätern‹ der Soziologie.50 Bei anderen Klassikern spielt Körperlichkeit dagegen eine zentrale Rolle in sozialen Prozessen, wenn auch in unterschiedlicher Form. Simmel betont die sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit und das Interpretationspotenzial als Basis von Wechselwirkungen51: der Körper, genauer Gesicht, Auge und Ohr als Mittler zwischen den Individuen. Mead hebt die Grundsätzlichkeit unseres körperlichen Zugangs zur Welt und der basalen körpervermittelten Kommunikationsmechanismen durch Austausch von Gesten hervor: der Körper als organische Grundlage von Wahrnehmen und Denken einerseits und als Initiator sozialer Prozesse andererseits. Goffman zeichnet sich durch seine intensive Analyse körperlicher Facetten direkter Interaktionen aus. Bei ihm repräsentiert der Körper zum einen die Identität seines Besitzers und in einem umfassenderen Sinn die soziale Ordnung: der Körper als Zeichenträger. Zum anderen fungiert er als Bedeutungsgenerator gemeinsam geteilter Wirklichkeit, indem er selbst mittels Gesten, Haltungen etc. kommuniziert, inszeniert und etwas be-deutet: der Körper als Produzent von Gesellschaft. Bei Garfinkel schließlich steht das implizite, in den Körper eingeschriebene Handlungswissen im Zentrum. Es geht um das praktische ›Wie‹ alltäglicher Verständigungsprozesse, bei dem der Körper zum einen als situativer Sinnindikator für das Gegenüber fungiert, zum anderen als performatives Werkzeug des Tuns: der Körper als Mittel vorbewusster praktischer Abstimmung.
50 Zur ›Abwesenheit des Körpers‹ bei anderen Klassikern vgl. z.B. Gugutzer (2004) und Meuser (2004). 51 Anzumerken ist hier, dass der Körper bei Simmel zwar lediglich in einem Exkurs behandelt wird, also thematisch nicht im Zentrum seiner Sozialtheorie steht. Dennoch hebt er die Bedeutung des Körpers für soziale Prozesse in diesem Exkurs umso eindringlicher hervor.
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In Bourdieus praxeologischem Ansatz ist der Körper (1) Speicher von Wissen, genauer von inkorporiertem, implizitem, in den Körper eingegangenem und durch ihn externalisiertem Orientierungs- und Handlungswissen. Er ist dadurch in der direkten Interaktion als (2) Zeichenträger und als (3) Medium der Materialisierung praktischer Kompetenzen sowie leiblicher Wahrnehmung (praktischer Sinn) bedeutsam. Und schließlich ist der Körper auch (4) zentrales Medium der Wissensvermittlung (Weitergabe von Wissen ›von Praxis zu Praxis‹). Über die aktuelle, situative Relevanz körperlicher Präsenz – im Tun und im Sein – hinaus, kommt bei Bourdieu mit der dialektischen Konzeption von Körper und Gesellschaft eine ganz grundlegende körperliche Dimension des Sozialen in den Blick, indem er beschreibt, wie der Körper kulturell und sozial geformt und so zum Ausdruck und Stabilisator gesellschaftlicher (Herrschafts)Ordnung wird.52 In den skizzierten Ansätzen wird der Körper in unterschiedlicher Form thematisiert: entweder als Organismus mit Zentralnervensystem und synaptischen Verbindungen, als sinnlich wahrnehmender, leiblich spürender Leib, als wahrnehmbare zeichenhafte Oberfläche oder als Kommunikator bzw. agens mit eigener Handlungskompetenz. Meist steht eine dieser Dimensionen des Körperlichen im Zentrum, z.T. werden aber auch gerade die Verbindungen dieser Dimensionen in den Blick genommen. Gemeinsam ist allen Perspektiven auf das Körperliche die Tatsache, dass nicht der Körper an sich – im Sinne eines naturhaften, akulturellen und a-sozialen Organismus – betrachtet wird, sondern aus soziologischer Sicht ist es immer das an ihn gebundene, in ihn eingegangene bzw. von ihm repräsentierte Wissen, das sozial relevant ist, weshalb sich die dargestellten
52 An dieser Stelle ist nochmals auf die herrschafts- und machttheoretischen Arbeiten von Norbert Elias (1969 a,b) und Michel Foucault (1978, 1994) zu verweisen, die sich ebenfalls für den Aspekt der Formung, genauer der Dressur und Disziplinierung des Körpers interessieren. Die dialektische Komponente der Reproduktion gesellschaftlicher Ordnung im Handeln – und damit auch die zentrale Bedeutung des Körpers für die Herstellung des Sozialen – findet hier auch Berücksichtigung, steht aber nicht im Zentrum der theoretischen Ausführungen. Zur soziologischen Relevanz Bourdieus ist anzumerken: Obwohl von Bourdieu »als allgemeine Sozialtheorie mit universellem Erklärungsanspruch konzipiert, beschränkt sich die bisherige Wirkungsmacht seiner Theorie der Praxis [...] weitgehend auf die Thematik strukturierter sozialer Ungleichheit« (Ebrecht/Hillebrandt 2002: 12). Vielleicht auch weil Bourdieu selbst keine ausgearbeitete Gesellschafts-/Sozialtheorie vorgelegt hat, erfolgt die Rezeption seiner Werke weniger im Sinne eines allgemeinsoziologischen Ansatzes als vielmehr im Rahmen spezialsoziologischer Fragestellungen (vgl. zur Rezeption auch Fröhlich/Rehbein 2009).
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Klassiker auch alle mehr oder weniger in den großen Bezugsrahmen der Wissenssoziologie einordnen lassen.53 So finden sich die eingangs definierten handlungstheoretisch relevanten Dimensionen von Körperwissen bei den skizzierten Klassikern in unterschiedlicher Tiefe und mit unterschiedlicher Relevanz für den jeweiligen sozialtheoretischen Ansatz: Als Wissen des Körpers ist zunächst die praktische Kompetenz zu fassen, ein in den Körper eingegangenes und damit im Subjekt verortetes Handlungswissen. Dabei ist der Körper nicht nur Werkzeug zum Einsatz bzw. zur Umsetzung von kognitivem Wissen, sondern selbst Wissensträger im Sinne eines ›knowing how‹ (Garfinkel, Bourdieu). Auch die subjektive sinnlich-leibliche Wahrnehmungskompetenz ist hier zu nennen. Damit ist die sinnliche (Mead) bzw. spürende Orientierung in der Welt im Allgemeinen und das soziale Gespür als Verstehensmodus im Besonderen gemeint (Bourdieu, in Ansätzen auch Simmel). Besonders mit Blick auf die Einverleibung von Wissen, wie sie Bourdieu betont, könnte man auch von einem Wissen im Körper sprechen, um das Präreflexive und unmittelbar Körperliche dieser Form des Wissens zu markieren. Als Wissen am Körper erscheint der Körper als Zeichenträger, der mittels Gestik, Mimik, Körperhaltung, Kleidung etc. – bewusst und unbewusst – Wissen im Sinn einer der eigenen sozialen Position angemessenen Darstellungskompetenz repräsentiert und kommuniziert (Goffman, Bourdieu, aber auch Simmel, Mead, Garfinkel). Diese Dimension des Körperwissens ist immer schon interaktiv angelegt, da nur in der Wahrnehmung durch das Gegenüber dieses am Körper festgemachte Kommunikationswissen sowie das die Zeichen lesbar machende Deutungswissen (sozial) relevant werden. In diesem Zusammenhang fungiert der Körper schließlich auch als Medium der intersubjektiven Wissensvermittlung in konkreten sozialen Situationen, in denen mittels körperlicher Praxis Wissen ausgetauscht und (ggf.) übernommen wird (Wissen mittels des Körpers).54 Somit finden sich bereits bei den Klassikern Ansätze einer Wissenssoziologie des Körpers, wobei v.a. das Habituskonzept Bourdieus hier gesondert zu nennen ist, da mit der Betonung der grundlegenden Körperlichkeit des sozialen Sinns jenseits kognitiver Konstrukte (z.B. Normen) bereits »ein systematischer Anknüpfungspunkt für eine soziologische Analyse der körperlichen Dimension des Sozialen« (Krais/Gebauer 2002: 76) vorliegt. Jedoch ist diese soziologische
53 Vgl. Schützeichel (2007); Knoblauch (2010). Wissenssoziologie wird hier im weiten Sinn verstanden, vgl. zur Abgrenzung dazu bzw. zur differenzierten Betrachtung Kapitel 3. 54 Zur Übersicht der analytischen Dimensionen von Körperwissen vgl. auch die Tabelle auf Seite 254.
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Analyse – gerade wenn man ›das Soziale‹ als wechselseitige Verständigung/ Interaktion fasst – weitestgehend auf das Konkrete, das Unmittelbare, das Direkte beschränkt. Denn was allen Ansätzen gemein ist – und mit den Dimensionen von Körperwissen auch nahe gelegt wird – ist die Thematisierung der sozialen Relevanz des Körperlichen in der konkreten Situation, im praktischen Tun und Zeigen, kurz: in der direkten Interaktion. Die Relevanz des Körpers für soziale Abstimmung verbleibt vorwiegend im konkreten Aufeinandertreffen von Individuen, es sind die alltäglichen vis-à-vis-Situationen, in denen der Körper präsent und wichtig ist, in denen er sinnlich wahrnimmt, wahrgenommen wird, handelt, kommuniziert.55 Ein weiterer die soziale Relevanz des Körpers einschränkender Punkt ist hier zu nennen. Die Bestimmung des Verhältnisses oder genauer die Vermittlung von Körperwissen auf der einen Seite und mentalem im Sinn von abstraktem, kognitivem, logischem, intellektuellem Wissen auf der anderen Seite bleibt weitgehend ungeklärt bzw. fehlt. Zwar erscheint bspw. bei Mead und Bourdieu das Denken als der Form nach körperlicher Prozess im Sinne eines im Zentralnervensystem gesteuerten bzw. durch synaptische Verbindungen ermöglichten Vorgangs, aber der Inhalt und die Ausrichtung des Denkens bzw. der kognitiven
55 Das wird besonders auch in der aktuellen Rezeption der im Grunde alle skizzierten Klassiker verbindenden praxistheoretischen Perspektive im Rahmen einer Soziologie der Praxis bzw. der Praktiken (Reckwitz 2003; Hillebrandt 2009; Schmidt 2012) deutlich. Mit Verweis auf Goffman, Mead, Garfinkel, Bourdieu u.a. (zur ›Familienähnlichkeit‹ vgl. Schmidt 2012: 26; Reckwitz 2003) wird das Soziale »wesentlich und allererst [als] ein Beziehungsgefüge situierter Praktiken« (Schmidt 2012: 24) verstanden. »Das Soziale ist hier nicht in der ›Intersubjektivität‹ und nicht in der ›Normgeleitetheit‹, auch nicht in der ›Kommunikation‹ zu suchen, sondern in der Kollektivität von Verhaltensweisen, die durch ein spezifisches ›praktisches Können‹ zusammengehalten werden.« (Reckwitz 2003: 289) Von Interesse für eine Soziologie der Praxis sind demnach »soziale Praktiken in ihrer Situiertheit, ihrer materialen Verankerung in Körpern und Artefakten sowie in ihrer Abhängigkeit von praktischem Können und implizitem Wissen« (Schmidt 2012: 24) Der Handelnde ist hier kein sinnhaft reflektierender Akteur, sondern ein »körperlich befähigter und körperlich agierender« Teilnehmer im »Vollzugsgeschehen« des Sozialen (ebd.: 13, 24). Kultur bzw. Wissen sind aus dieser Perspektive in ihrer Form als »praktisches Wissen, ein Können, ein know how, ein Konglomerat von Alltagstechniken« relevant (Reckwitz 2003: 288). Aus praxistheoretischer Perspektive ist das Soziale demnach ganz wesentlich (auch) körperlich fundiert, weil es immer schon erst durch den praktischen Vollzug im Hier und Jetzt – durch direkte Inter/Aktion – wirklich ist.
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Muster werden entweder nicht systematisch oder wenn, dann einseitig in Bezug zur Körperlichkeit des Denkenden gesetzt, nämlich lediglich als ein ›Denken im Tun‹, ein praktisch relevantes Denken. Betrachtet man Denkprozesse allerdings im Sinne von Deutungs- und sinnrekonstruktiven Interpretationsvorgängen, so zeigt sich: Unabhängig davon, ob man Denken als dem Handeln vor- und nachgängige Reflexion begreift (wie in der klassischen Handlungstheorie) oder als unmittelbaren Bestandteil des aktuellen Handelns (wie in aktuellen praxissoziologischen Ansätzen), es bleibt dabei: Der Körper ›beherbergt‹ mentale Denkprozesse, er initiiert sie, indem er dem Gegenüber zu interpretierende Signale sendet, und er macht sie bisweilen nach außen hin sichtbar, z.B. als Emotion oder als »verkörpertes Denkhandeln« (Schmidt 2012:170) – aber das Denken als Deuten der Informationen erscheint als mentaler Vorgang von Typisierung und Interpretation, der konzeptionell vom Körper getrennt bleibt.56 Und das für soziales Handeln und Interagieren relevante Wissen ist in erster Linie ein solches kognitives Deutungswissen, das als mehr oder weniger abstraktes Wissen über Symbole, Zeichen etc. konzipiert wird. Indem die Verbindung von Denken und Körper also auf das praktische Tun beschränkt wird, endet die Relevanz der Körperlichkeit mit dem situativen Handlungskontext und der praktischen Gegenwärtigkeit. Im Folgenden soll entlang der Theorie kognitiver Metaphorik von Lakoff/ Johnson gezeigt werden, dass der Körper bzw. Körperwissen nicht nur als ein inkorporiertes und performatives Wie des praktischen und dramaturgischen Tuns und Zeigens sowie als Reflexionsfläche mentaler, psychischer und leiblicher Zustände sozial relevant ist. Vielmehr ist der Körper für die körperliche Konstruktion des Sozialen – über die direkte Begegnung hinaus – von ganz grundlegender Bedeutung. Denn Körperlichkeit liegt auch der Wissensdimension zugrunde, die bislang nicht in Verbindung mit dem Körper bzw. sogar konträr dazu konzipiert wird (vgl. Weber): dem (subjektiven) Sinn bzw. – allgemeiner ausgedrückt – dem (gesellschaftlichen) Deutungswissen. Körperlichkeit bzw. körperliches Inder-Welt-Sein ist auch entscheidend dafür, was wir als sinnhaft wahrnehmen, al-
56 Noch am weitesten geht die Konzeption einer systematischen Verbindung von Körperlichkeit und Mentalem im gerade skizzierten Entwurf einer Praxissoziologie: Hier geht es um die in der alltäglichen sozialen Praxis »jeweils vorfindbaren Beziehungen zwischen Verhalten, Körperbewegungen und mentalen Aspekten« (Schmidt 2012: 57). Ein praktisches Ineinandergreifen von körperlichem Tun/Können/Zeigen und Denken wird also betont, jedoch werden beide Elemente der Praxis konzeptionell voneinander unterschieden und das Mentale nicht als eine Form des Körperlichen konzipiert.
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so auch dafür, was wir denken und warum wir handeln. Werte, Ideen, Überzeugungen – all diese (vermeintlich) abstrakten Konzepte des Sozialen und Kategorien der Soziologie sind ebenfalls körperverbunden. Und auch Sprache als wichtigstes Zeichen- und Symbolsystem der Gesellschaft ist nicht nur in seiner Anwendung körperbezogen – nicht nur das Sprechen, sondern auch Sprache selbst als Sammelbecken gesellschaftlichen Wissens gründet auf dem körperlichen Inder-Welt-Sein. Denken bzw. mentale Prozesse sind somit nicht nur im Sinne organischer Vorgänge, Expressionen in oder Deutungen von äußerlich sichtbaren Verhaltensweisen als körperbezogen zu verstehen. Mentale Prozesse sind vor ihrem Sichtbarwerden am Körper bzw. jenseits davon bereits in ihrem Vollzug, also der Art und Weise wie wir über bestimmte Dinge denken, sie als wahr und handlungsleitend verstehen, selbst wesentlich körperverbunden. Damit sind zentrale Grundfragen der allgemeinen verstehenden Soziologie adressiert, wie sie v.a. in der sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie in der Tradition von Schütz und Berger/Luckmann im Zentrum stehen. Wie Körper, Wissen und Interaktion zusammen hängen und inwiefern die körperliche Konstruktion des Sozialen auch über das Konzept eines Wissens durch den Körper verstanden und der Körper damit als Basiskategorie des Sozialen konzipiert werden kann, soll daher im Folgenden in Anlehnung an den allgemeinsoziologischen gesellschaftstheoretischen Ansatz der neuen Wissenssoziologie vorgestellt werden. Dieser in den Kanon grundlagensoziologischer Theorien eingegangene Ansatz soll gleichsam den soziologischen Boden für die Integration der Theorie kognitiver Metaphorik bilden, die eine solche Konzeption eines Wissens durch den Körper, gemeint als körperliche Fundierung abstrakten, logischen, intellektuellen, kurz: mentalen Wissens vorschlägt und damit eine weitere Form der (dialektischen) Vermittlung von Körper und Geist anbietet.57
57 Für die Auswahl der sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie als soziologisches ›Sprungbrett‹ zur Prüfung der Ideen von Lakoff/Johnson sind demnach – wie in der Einleitung bereits erwähnt – besonders zwei Gründe zu nennen: Zum einen werden Sinn bzw. Wissen zum Ausgangspunkt der Erklärung von Gesellschaft gemacht – und es soll gezeigt werden, dass eben diese Konzepte des Sozialen auch körperrelationale Elemente haben (Deutungswissen ist auch eine zentrale Kategorie bei Lakoff/Johnson). Zum anderen integrieren Berger/Luckmann – nicht zuletzt durch ihre enge Anlehnung an die Phänomenologie von Schütz – viele der gerade skizzierten Gedanken der Klassiker zu einem allgemeinsoziologischen, gesellschaftstheoretischen Ansatz.
3. Der wissenssoziologische Beitrag zur körperlichen Konstruktion des Sozialen1
Um eine sinnvolle Erweiterung der handlungstheoretischen Wissenssoziologie (verstanden als allgemeine Soziologie) um die Basiskategorie ›Körper‹ durch Lakoff/Johnson erarbeiten zu können (Kapitel 4), bedarf es zunächst einer systematischen Analyse der dort bereits vorhandenen Ansätze einer körperlichen Konstruktion des Sozialen. Daher wird im Folgenden der Beitrag der Wissenssoziologie zur Frage nach körpervermittelter Herstellung von Wirklichkeit im Allgemeinen und sozialer Verständigung im Besonderen entlang der verschiedenen Wissensformen rekonstruiert. Präziser werde ich mich, wie bereits erwähnt, auf die phänomenologisch orientierte Soziologie nach ALFRED SCHÜTZ (1899-1959)2 bzw. die im Wesentlichen darauf aufbauende sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie nach PETER L. BERGER (*1929) und THOMAS LUCKMANN (*1927)3 beziehen. Hierbei wird ein besonderer Fokus auf den Zusammenhang von Körper, Interaktion und Sprache gelegt, der auch in der sog. kommunikativen Wende bei
1
Einige Argumentationslinien der Kapitel 3 und 4 wurden als Aufsatz in Böhle/ Weihrich (2010a) veröffentlicht, vgl. Stadelbacher (2010b).
2
Die folgenden Ausführungen zu Schütz stützen sich in erster Linie auf sein Werk Strukturen der Lebenswelt (Schütz/Luckmann 1979/1984), weil hier der sozialwissenschaftliche Aspekt am deutlichsten herausgestellt ist (in Theorie der Lebensformen (1981) und Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt (1960) überwiegt hingegen die phänomenologische Perspektive). Darüber hinaus bieten die Strukturen, die von Thomas Luckmann nach den Plänen und Manuskripten von Schütz zu Ende geführt wurden, eine systematische Zusammenfassung des Schützschen Ansatzes.
3
Ihren Ansatz haben Berger/Luckmann im Wesentlichen in ihrem gemeinsamen Hauptwerk Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit dargelegt, das den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt ist.
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Luckmann deutlich wird.4 Diese Ansätze werden unter der hier vorliegenden speziellen Fragestellung auf ihren handlungstheoretisch-interaktionistischen Impetus hin analysiert. Nach einem einführenden Kapitel (Kapitel 1) wird das Körperverständnis von Schütz bzw. Berger/Luckmann geklärt (Kapitel 3.2). In den folgenden Abschnitten gilt es zum einen, unsere Wirklichkeit als inter-aktive Alltagswelt herauszustellen, um vor diesem Hintergrund die besondere Bedeutung wechselseitig aufeinander bezogenen Handelns für die Konstruktion des Sozialen am Beispiel der Wissensgenese herauszustellen (Kapitel 3.3).5 Zum anderen wird die Frage zu klären sein, was genau die Voraussetzungen und Bedingungen erfolgreicher Abstimmungsprozesse im konkreten Alltag sind, wie es Menschen also gelingt, sich zu verstehen und zu verständigen (Kapitel 3.4). Als roter Faden wird im Einzelnen der Körperbezug bzw. die Rolle des Körpers in diesen Prozessen beleuchtet und hinterfragt.
3.1 E INFÜHRUNG : T HEMATIK UND H INTERGRUND DER N EUEN W ISSENSSOZIOLOGIE In einem ersten Schritt soll die sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie nach Berger/Luckmann als philosophisch fundierte Soziologie der Wirklichkeitskonstruktion kurz vorgestellt werden (Kapitel 3.1.1). Des Weiteren werden in diesem einführenden Kapitel die philosophischen Wurzeln herausgestellt, da so wichtige Prämissen des Körperverständnisses geklärt werden (Kapitel 3.1.2).
4
Berger/Luckmann entfernten sich im Anschluss an die Ausarbeitung der ›Neuen Wissenssoziologie‹ in Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit von der dialektischen Mikro-Makro-Struktur, die sie für zu abstrakt erachten. Vor allem Luckmann interessiert sich stattdessen für die Sprache als beide (oder alle drei Ebenen, nimmt man die Mesoebene mit hinzu) verbindendes Symbolsystem (vgl. Knoblauch/ Schnettler 2004). Die sog. ›kommunikative Wende‹, die schon bei Schütz angelegt ist, versteht Luckmann dann auch als ›neues Paradigma der Wissenssoziologie‹ (Luckmann 2002e). Zur Sprache als besonderes soziales Phänomen vgl. Kapitel 3.3.3.
5
Dieser Punkt adressiert den ersten Teil der Fragestellung, den Komplex KörperWissen-Interaktion.
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3.1.1 Wirklichkeit als dialektischer Prozess – oder: »Die pragmatische Konstruktion des Sozialen« Die sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie von Berger/Luckmann zentriert sich um die Frage, wie sich Gesellschaft als objektive Faktizität, als fait social (Durkheim) aus subjektiv sinnhaftem Handeln (Weber) ihrer Mitglieder hergestellt wird und wie diese gesellschaftlichen Tatsachen – als institutionelle Gegebenheiten und sozialisiertes Wissen – wieder auf das Handeln von und vor allem zwischen Individuen zurückwirken.6 Kurz: es geht darum, die Dialektik der Wirklichkeitskonstruktion aufzuzeigen: »Gesellschaft ist ein menschliches Produkt. Gesellschaft ist eine objektive Wirklichkeit. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt.« (Berger/Luckmann 2004: 65)7 Die Wirklichkeit und damit nicht zuletzt soziale Ordnung sind ein Produkt konkreter Handlungen Einzelner: »Sowohl nach ihrer Genese (Gesellschaftsordnung ist das Resultat vergangenen menschlichen Tuns) als auch in ihrer Präsenz in jedem Augenblick (sie besteht nur und solange menschliche Aktivität nicht davon abläßt, sie zu produzieren) ist Gesellschaftsordnung als solche ein Produkt des Menschen.« (Ebd.: 55)
Da das (intersubjektive) Handeln als Nexus zwischen Gesellschaft und Individuum einen besonderen Stellenwert hat, kann die sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie in die Reihe der Handlungstheorien oder der handlungstheoretisch ausgerichteten Soziologie eingeordnet werden: Es sind Interaktionen, die im Zentrum der Wirklichkeitskonstruktion stehen.8 Von zentraler Bedeutung ist hier das Wissen, das ›in den Köpfen‹ der Individuen handlungsleitend wirkt.
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Luckmann benennt in diesem Zusammenhang auch das »Grundproblem« der Soziologie: »Dieses besteht darin, daß die objektiven Eigenschaften historischer sozialer Wirklichkeiten im intersubjektiven menschlichen Handeln hervorgebracht werden (›sozial konstruiert‹ sind) und daß dieses auf den universalen Strukturen der subjektiven Orientierung in der Welt beruht.« (Luckmann 2002b: 51)
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Dieser Dialektik zwischen Gesellschaft und Individuum liegt die konzeptionelle Trias aus Externalisierung, Objektivation und Internalisierung zugrunde: Wissen entsteht, indem menschliches Handeln entäußert, im Falle intersubjektiver Relevanz habitualisiert, typisiert und in Institutionen vergegenständlicht und im Prozess der Sozialisation von jedem neuen Gesellschaftsmitglied als übersubjektiv gültiges Wissen verinnerlicht wird.
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Zur grundlegenden Bedeutung des Handelns als Grundform des gesellschaftlichen Daseins für die Herstellung von Wirklichkeit vgl. auch Luckmann 1992.
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Berger/Luckmann zielen mit ihrer Neubegründung der Wissenssoziologie auf eine Abkehr ideologiekritischer Färbung der Wissenssoziologie in der Tradition Max Schelers (1926) und v.a. Karl Mannheims (1970) und weiten ihre Analysen auf die Basis der Wirklichkeit aus – das Alltagswissen.9 Der Wissensbegriff wird dabei recht breit gefasst und meint dabei alles, was in einer konkreten Gesellschaft in einer konkreten sozio-historischen Situation für den »Mann auf der Straße« (Berger/Luckmann 2004: 3) ›gewiss‹ i.S. von gültig ist. Wissen meint mithin »die Bedeutungs- und Sinnstruktur, ohne die es keine menschliche Gesellschaft gäbe« (ebd.: 16). Deshalb hat sich die Wissenssoziologie »mit allem zu beschäftigen [...], was in einer Gesellschaft als ›Wissen‹ gilt...« (ebd.: 3). Dazu gehören kulturrelationale Wissensformen wie Sprache, Werte, Normen (Typen des sozialen Handelns, des sozialen Umgangs) und Rollen (Typen sozialer Akteure), Wissen über die typischen Relevanzstrukturen von Interaktionspartnern (ebd.: 47), Handlungs- und Deutungswissen im weiteren Sinn. Kurzum: Gegenstand der ›neuen Wissenssoziologie‹ ist damit nicht mehr und nicht weniger als »das Ganze gesellschaftlicher Wirklichkeit« (Plessner in Berger/ Luckmann 2004: X), die als wissensbasiertes Konstrukt sinnhaft handelnder Individuen, eingebettet in institutionelle Rahmenbedingungen, verstanden wird. Das dem gesellschaftskonstitutiven Handeln zugrunde liegende Wissen stellt die Verbindung zwischen der mikrosozialen Ebene des konkreten Handelns und der makrosozialen Ebene der quasi-objektiven gesellschaftlichen Strukturen dar.10
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Berger/Luckmann grenzen sich damit auch von der philosophischen Einbettung der Schelerschen und der Mannheimschen Wissenssoziologie ab. Erkenntnistheoretische Fragen werden aus dem Programm der Neuen Wissenssoziologie ausgeklammert: »Gegen diese Prävalenz philosophischer Interessen in der bisherigen Wissenssoziologie setzen sie [i.e. Berger/Luckmann; Anm. S.S.] sich für eine von philosophischen Interessen unbelastete Theorie des Wissens ein.« (Plessner in Berger/Luckmann 2004: XII) Wissenssoziologie wird von der ›Last‹ selbstreflexiver Fragen nach der soziohistorischen Bedingtheit des eigenen Wissens befreit, indem diese zur »Sache der Philosophie« deklariert werden (vgl. Berger/Luckmann 2004: 14ff.; das Verhältnis von Philosophie und Soziologie wird auch Thema bei der Einbindung der Schützschen Ideen sein, s.u.). Wesentliche Grundannahmen Schelers und Mannheims, vor allem das Konzept der ›relativ-natürlichen Weltanschauung‹ und die radikale ›Seinsverbundenheit‹ des Denkens, bleiben jedoch »von entscheidender Bedeutung für die Wissenssoziologie« (ebd.: 9).
10 Insofern verbinden Berger/Luckmann hier die konstruktivistische Perspektive wie sie im Thomas-Theorem zum Ausdruck kommt (»If men define situations as real, they
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3.1.2 Philosophische Einflüsse auf die Neue Wissenssoziologie Das Programm der ›neuen‹ Wissenssoziologie von Berger/Luckmann ist ein Kompendium aus »theoretischen ›Ingredienzien‹« (Berger/Luckmann 2004: 17): Einerseits fungieren die Klassiker (allen voran Marx, Durkheim, Weber und Mead bzw. der Symbolische Interaktionismus) als soziologische Grundpfeiler ihrer Wissenssoziologie, andererseits bilden Basisannahmen der philosophischen Anthropologie (Gehlen, Plessner) und vor allem der Mundanphänomenologie (Schütz) deren philosophisches Fundament. 3.1.2.1 Alfred Schütz’ Mundanphänomenologie Die sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie wird auch als phänomenologisch orientierte bzw. fundierte Wissenssoziologie bezeichnet (Luckmann 2007b; Knoblauch 2007, 2010). Damit soll der wesentliche Einfluss der sozialtheoretischen Grundannahmen von Alfred Schütz ausgedrückt werden, dessen Werk Berger/Luckmann sich »tief verpflichtet« fühlen (Berger/Luckmann 2004: 18). Mit ihrer Grundfrage – »Wie ist es möglich, daß subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird?« (Ebd.: 20) – knüpfen Berger/Luckmann im Grunde direkt an Schütz’ Programm einer philosophisch, genauer: phänomenologischanthropologisch begründeten Allgemeinen Sozialtheorie an. Auch wenn Schütz selbst also keine explizite Wissenssoziologie konzipiert hat, sind seine Grundfragen, (1) wie Sinn, Handeln und Wirklichkeit zusammen hängen und (2) wie wechselseitiges Verstehen und soziales Handeln zustande kommen, als Grundlage einer wissenssoziologischen Perspektive auf Gesellschaft zu betrachten. Schütz knüpft hier an Webers verstehende Soziologie an und konzipiert Wirklichkeit als Effekt sinnhaften Handelns. In seinem ersten Hauptwerk »Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie« (1960 [1932])11 setzt er sich zum Ziel, den Weberschen Sinnbegriff, den er
are real in their consequences.«, Thomas/Thomas 1928: 572) mit der positivistischen Perspektive auf die Gesellschaft als objektive Tatsache. Später konzentrieren sich die Autoren auf die Analyse von Sprache/Kommunikation als einen Bewusstsein/Subjekt und Struktur/Gesellschaft verbindenden Prozess (vgl. Fn 4 in Kapitel 3). Zur weiteren theoretischen Entwicklung dieser Dialektik vgl. Knoblauch/Schnettler (2004). 11 Schütz verarbeitet seine Gedanken in zahlreichen Büchern und Aufsätzen (vgl. z.B. Schütz 1981, 1960, 1971a/b, 1972). Im Folgenden beziehe ich mich vor allem auf die ›Strukturen‹, die »endgültige Zusammenfassung seiner Gedanken und seiner Arbeit« (Schütz/Luckmann 1979: 15), die als Schütz’ sozialwissenschaftliches Hauptwerk be-
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für unzureichend geklärt hält, unter Rückgriff auf zentrale Gedanken v.a. seines Lehrers Edmund Husserl durch eine phänomenologische Sozialtheorie zu fundieren und damit konzeptionell zu festigen.12 Sinn oder besser Sinnzuschreibung ist für Schütz ein handlungskonstituierender Bewusstseinsvorgang: Sinnsetzung meint die reflexive Zuwendung zum Erlebten, die diesem Bedeutung verleiht, das Erlebte wird zur Erfahrung.13 Handeln wird verstanden als bewusstes »Entworfensein der Handlung, die durch das Handeln zur Selbstgegebenheit gelangen soll« (Schütz 1960: 59). Handeln ist sinnhaft, indem das Ergebnis der (dann abgeschlossenen) Handlung antizipiert, also reflexiv vorweggenommen wird. Handeln selbst ist aber ein prozesshaftes Geschehen, das als solches nicht komplett antizipiert werden kann. Soziales Handeln besteht in der Sinnausrichtung des Handelns auf den Anderen hin. Fremdverstehen als Basis wechselseitigen sozialen Handelns meint dann die subjektive Deutung des vom Anderen (vermutlich) gemeinten Sinns hinter seiner Handlung.14 Intersubjektive Verständigung wird als wechselseitige, auf Verstehen des Anderen hin motivierte Sinnsetzung und Sinndeutung konzipiert (vgl. hierzu genauer Kapitel 3.4.1). Und schließlich wird so soziale Realität durch wechselseitig aufeinander bezogenes sinnhaftes Handeln hergestellt. Schütz’ konzeptioneller Ausgangspunkt ist dabei zunächst die egologische Perspektive, d.h. er geht vom einzelnen Subjekt aus und fragt, wie es gelingt, dass ego und alter ego sich verstehen. Sinnhaftes Handeln, Verstehen und darauf aufbauend auch Verständigung basieren jedoch – und hier distanziert sich Schütz von der Transzendental-Phänomenologie Husserls – nicht allein im Bewusstsein des Einzelnen, quasi als solitäre Handlungsentwürfe und -vollzüge, sondern finden in Interaktion statt: »Die transzendentale Subjektivität wird durch die mund-
zeichnet werden können und alle wesentlichen Bausteine einer phänomenologisch orientierten Sozialtheorie beinhalten. 12 Vgl. zur Kritik an Weber Schütz (1960: 12ff.). 13 Damit ein Erlebnis im ›dauernden Bewusstseinsstrom‹ sinnhaft werden kann, »so setzt dies voraus, daß ich es aus der Fülle der mit ihm zugleich seienden, ihm vorausgegangenen und ihm nachfolgenden schlicht erlebten Erlebnisse ›heraushebe‹, indem ich mich ihm ›zuwende‹. Wir wollen ein so herausgehobenes Erlebnis ein ›wohlumgrenztes Erlebnis‹ nennen und von ihm sagen, daß wir mit ihm einen ›Sinn verbinden‹.« (Schütz 1960: 39f.) 14 Ein Verstehen des Anderen ist nie direkt möglich, sondern immer nur über die von ego subjektive Selbstauslegung der am Anderen, an alter ego wahrgenommenen Anzeichen und Zeichen; vgl. Schütz 1960: 124ff. (s.u.).
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ane Sozialität ersetzt.« (Srubar 1988: 259) 15 Intersubjektivität bzw. Sozialität als Bedingungen des Sozialen sind nicht allein im Einzelnen verortet, sondern werden erst in der Wahrnehmung von und im Austausch mit Anderen konstituiert. Indem er damit die Rekonstruktion der subjektiven Bedingungen der Sinnkonstitution allein als einseitig ablehnt und eine Fundierung des Sozialen sowohl im Subjekt als auch in der Gesellschaft, vermittelt im Handeln, fordert, nimmt Schütz eine soziologische Erweiterung der egologischen Perspektive vor. Hubert Knoblauch spricht deshalb auch von »eine[r] zweite[n], konstruktivistische[n] Perspektive« (Knoblauch 1995: 41) bei Schütz. Schütz geht also vom sozialen Subjekt aus, für das Sinn immer im Agieren und vor allem Interagieren mit Anderen in der alltäglichen Lebenswelt begründet ist.16 Sinn erhält so einen sozialen Ursprung. Dem trägt der Begriff des Wissens
15 Schütz vollzieht hier eine ›anthropologische Wende‹ (vgl. Srubar 1988: 271ff.): Vor allem die (wenngleich jeweils nicht unkritisch rezipierte) Perspektive des pragmatischen Weltzugangs bei Scheler und des amerikanischen Pragmatismus seiner Zeit (vor allem William James und John Dewey) prägen Schütz’ Denken. Zur allgemeinen philosophischen Entwicklung von Schütz insbesondere hin zur mundanphänomenologisch-anthropologisch-pragmatischen Fundierung seiner Sozialtheorie vgl. Srubar 1988; Lüdtke 2008. Vgl. zur Abkehr von der transzendentalen Phänomenologie auch Schütz 1971e. 16 Das Konzept der Lebenswelt übernimmt Schütz von Husserl, der sie als »die raumzeitliche Welt der Dinge, so wie wir sie in unserem vor- und außerwissenschaftlichen Leben erfahren und über die erfahrenen hinaus als erfahrbar wissen« definiert (Husserl 1962: 141). Husserl verweist bei aller Relativität dieser Erfahrungen bzw. Erfahrbarkeiten auf die allgemeine Struktur, die jeder Lebenswelt zugrunde liegt: »Diese allgemeine Struktur, an die alles relativ Seiende gebunden ist, ist nicht selbst relativ. Wir können sie in ihrer Allgemeinheit beachten und mit entsprechender Vorsicht ein für allemal und für jedermann gleich zugänglich feststellen.« (ebd.: 142) Schütz betont daneben vor allem den intersubjektiven Charakter der Lebenswelt als immer schon soziale Um- und Mitwelt (vgl. hierzu Schütz 1960: 181ff.; Schütz/Luckmann 1979: 87ff.). Dazu heißt es bei Schütz: »…die Phänomene der äußeren Welt haben nicht nur Sinn für mich oder für dich [...], sondern für uns alle, die wir gemeinsam in dieser Welt leben und denen nur eine einzige äußere Welt, die Welt jedermanns vorgegeben ist.« (Schütz 1960: 30) An dieser Stelle spannt Schütz den Bogen zum soziologisch relevanten Begriff des Wissens als intersubjektiv bzw. gesellschaftlich gültige Sinnsetzung. Berger/Luckmann sprechen deshalb auch nicht, wie Schütz, von (Lebens)Welt, sondern von (gesellschaftlich konstruierter) Wirklichkeit, um den Aspekt zu betonen, dass Lebenswelt immer auch Sozial- und Kulturwelt ist. ›Lebenswelt‹ als
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Rechnung: Wissen bezeichnet den »sozial gewordenen Sinn« (Knoblauch 2010: 360) und bildet – sofern es kollektiv geteilt ist – als intersubjektiv verfügbares »Sinnreservoir« (Keller 2005: 41) die Grundlage für gemeinsame Bedeutung und damit Verständigung. Insofern lässt sich die egologische Perspektive auf das soziale Subjekt mit der kosmologischen Perspektive der Soziologie auf ›das Soziale‹ bzw. ›die Wirklichkeit‹ als empirisches Phänomen verbinden. Die hier nur angedeuteten soziologisch relevanten Ideen und Konzepte von Schütz finden sich in kondensierter Form in den »Strukturen der Lebenswelt« (1979, 1984). Dieses von Thomas Luckmann nach den Notizen von Schütz posthum verfasste Werk bildet die philosophische Grundlage für die phänomenologisch fundierte, sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie. Allgemein ist zum Verhältnis von Soziologie und Phänomenologie (wozu neben der Phänomenologie auch die Anthropologie zählt, s.u.) festzuhalten, dass für Berger und Luckmann die Frage nach den invarianten Strukturen der Lebenswelt – allen voran der alltäglichen Lebenswelt – und damit nach dem quasi-ontologischen Wesen der Wirklichkeit eine »Sache der Philosophie« und »eigentlich keine soziologische Analyse« (Berger/Luckmann 2004: 21) ist. Die in phänomenologischen Konstitutionsanalysen freizulegenden Strukturen der Lebenswelt bilden die Rahmenbedingungen subjektiver Bewusstseinsprozesse und sind somit die anthropologische Basis jeder sozio-historischen Wirklichkeit mit ihren je eigenen Wissensvorräten. Die Soziologie als empirische Erfahrungswissenschaft hingegen interessiert sich für eben jene Wirklichkeit(en) als kulturell vorgeformte Sozialwelt(en) sowie die interaktive Herstellung, Vermittlung und Wirkung gesellschaftlichen Wissens. Dieses Wissen wiederum – und hier treffen sich die Phänomenologie und die sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie – kann immer nur im subjektiven Bewusstsein als Sinn entfaltet und damit wirksam werden.17 Kurzum: Es geht
philosophischer Begriff rekurriert eher auf die subjektiven Erfahrungen und Auslegungen, Berger/Luckmann interessieren sich aber für die Wirklichkeit als objektivierter Sinn- und Deutungszusammenhang, der sich dann in subjektiven Erfahrungen und Auslegungen widerspiegelt. 17 Bei allen Unterschieden bildet den gemeinsamen Nenner von Phänomenologie und sozialkonstruktivistischer Wissenssoziologie der methodologische Individualismus, also der analytische Ausgangspunkt beim verstehenden und handelnden Individuum (das freilich immer schon ein soziales ist). Denn auch in der Neuen Wissenssoziologie steht weiterhin das soziale Subjekt als ein mit ›sozialem Bewusstsein‹ ausgestatteter Akteur im Zentrum.
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der Phänomenologie um die Aufdeckung der universal-anthropologischen Grundbedingungen, die es den konkret Handelnden überhaupt erst ermöglicht, sich ihre jeweilige historische Wirklichkeit zu schaffen, indem sie Erfahrungen machen und diese zu kollektiv geteiltem Wissen verfestigen – und das ist dann Gegenstand soziologischer Rekonstruktion.18 Insofern ist die phänomenologische Konstitutionsanalyse subjektiven Sinns, wie Luckmann es nennt, »Protosoziologie« (Luckmann 2002b: 51), die als »Parallelaktion« (Luckmann 1999: 21) die soziologische Analyse gesellschaftlicher Konstruktionsprozessen ergänzen kann bzw. eine wichtige Vorstufe für diese bildet, selbst aber keine Soziologie ist.19
18 Zum Verhältnis von Phänomenologie und Soziologie vgl. z.B. Wolff (1997), Knoblauch et al. (2002), Schnettler (2007b), Dreher (2007), Raab et al. (2008), Fischer (2012). Luckmann selbst weist in verschiedenen Publikationen immer wieder auf diese Trennung hin (vgl. z.B. 1979, 1999, 2002b, 2007b, 2007c, 2008). 19 Luckmann nennt hier etwa als Möglichkeit einer solchen ›Parallelaktion‹ den interund intrakulturellen Vergleich all dessen, was über die universal-menschlichen Strukturen der Bewusstseins- und Erfahrungsprozesse hinausgeht (Luckmann 2002b). Ein Beispiel für eine phänomenologisch-soziologische ›Parallel-Aktion‹ ist die Analyse Luckmanns zu den »Grenzen der Sozialwelt« (Luckmann 1999, 2007c): Luckmann geht hier zunächst vom universellen Bewusstseinsvorgang der apperzeptiven Sinnübertragung aus, in der allen anderen (gegenständlichen) Körpern in unmittelbarer Umgebung gleich einer »universalen Projektion« (Luckmann 2007c: 68) die Bedeutung ›Leib‹ zugeschrieben wird (vgl. auch Husserl 1977: 114ff.; Husserl selbst beschränkt diese Sinnübertragung jedoch von vornherein auf Mitmenschen). Diese generelle ›Beseelung‹ der Lebenswelt wird dann entlang gesellschaftlicher Deutungsmuster in (unbelebte) ›Körper‹ jenseits und (belebte) ›Leiber‹ diesseits der Grenzen der Sozialwelt differenziert. Grundlegende Definitionskriterien hierbei sind physiognomischer Ausdruck, Beweglichkeit sowie prinzipielle Kommunikabilität bzw. Sprachfähigkeit, weil diese Eigenschaften die Existenz eines ›Innen‹ am deutlichsten bestätigen und die Übertragung des ›Leibseins‹ auf den wahrnehmbaren Körper rechtfertigen (vgl. Luckmann 2007c: 80ff.). Welchem ›Körper‹ nun aber diese Eigenschaften zugeschrieben werden, hängt von kultur- bzw. gesellschaftsspezifischen, wissensbasierten Selektionen ab (Bsp. Totemismus, Animismus). Sozialwelt basiert also auf universalen Strukturen (Sozialität ist ein Anthropologicum), die konkrete Ausgestaltung des A-/Sozialen kann jedoch zwischen historischen Gesellschaften differieren (Inter-/ Subjektivität ist ein gesellschaftliches Produkt), wobei körperlicher Ausdruck leiblichen Empfindens und Wahrnehmens sowie sinnhaftes Handeln sowohl ontogenetisch
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Dennoch: Gerade wenn es um Fragen zur Wirklichkeit geht, um die Erfahrungen, Handlungen und das Wissen des Einzelnen als Gesellschaftsmitglied, scheint eine strikte Trennung philosophisch-phänomenologischer und soziologischer Überlegungen kontraproduktiv (vgl. Berger/Luckmann 2004: 201). Vor diesem Hintergrund und weil Berger/Luckmann in ihrer Arbeit unmittelbar an Schütz anschließen – ihr Ansatz kann »im Kern als eine Weiterentwicklung des Schützschen Programms verstanden werden« (Fischer 2012: 104; vgl. auch Knoblauch 2010: 157) –, werden im Folgenden die Fragen nach sozialer Interaktion, Verständigung und Alltagswissen aus der Perspektive einer insofern integrierten phänomenologisch fundierten Wissenssoziologie betrachtet. 3.1.2.2 Philosophische Anthropologie nach Max Scheler, Arnold Gehlen und Helmuth Plessner Die zweite Säule der Wissenssoziologie ist die Philosophische Anthropologie. Schon bei Schütz zeichnet sich eine sog. ›anthropologische Wende‹ ab. In seiner späten Phase entfernt sich Schütz zunehmend von der transzendentalphänomenologischen Perspektive Husserls und wendet sich dem anthropologischen Ansatz MAX SCHELERS zu.20 Die Grundlagen bzw. invarianten Strukturen der menschlichen Wirklichkeit gilt es nicht auf ihren in der Alltagswelt (und somit auch für die Soziologie) irrelevanten metaphysischen Kern hin zu analysieren, sondern die philosophisch-anthropologische Grundlage der Wirklichkeit zu betonen. Scheler führt hier zwei Aspekte besonders an: Pragma und Sozialität.21 Diese Grundkategorien des Menschen, die auch bei Husserl zu finden sind, werden nun als anthropologische Grundkonstanten, als mundane conditiones humanae gesetzt. Der Weltzugang des Menschen ist grundsätzlich pragmatischer Natur: »…das primäre Verhältnis des Menschen – ja aller Organismen – zur Welt [ist] keineswegs ein theoretisches, sondern ein praktisches….« (Scheler 1926: 296) Gleichzeitig ist der Mensch ein soziales Wesen: »Kein ›Ich‹ ohne ein ›Wir‹…« mit der »›Du-heit‹ [als] fundamentalste Existenzkategorie des menschlichen Denkens« (Scheler 1926: 48, 54). Zu zeigen, wie die anthropologische Notwendigkeit des und die Fähigkeit zum Sozialen aber konkret hergestellt bzw. umgesetzt werden, ist Aufgabe der (Wissens-)Soziologie.
als auch pragmatisch die bedeutsamsten Kriterien für ›Sozialwesen‹ sind. Eine neuere ›Parallel‹-Analyse ist die »Protosoziologie zur Freundschaft« von Dreher (2008b). 20 Zur philosophischen Entwicklung von Schütz vgl. Srubar (1988: 254ff.). Zu Scheler vgl. Ders. (1926). 21 Auf beide Aspekte wird unter Kapitel 3.3 genauer eingegangen, weshalb sie hier nur genannt werden.
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Auch bei Berger/Luckmann ist die Anthropologie ein wichtiges Element ihrer Theorie. Die für die Neue Wissenssoziologie konstitutive Ausgangsannahme der dialektischen Trias aus Externalisierung, Objektivation und Internalisierung wird durch die »biologisch unterbaute philosophische Anthropologie« von HEL22 MUTH PLESSNER (1892-1985) und ARNOLD GEHLEN (1904-1976) fundiert. Wesentliches Merkmal des Menschen ist demnach seine biologisch bedingte ›Weltoffenheit‹: Als physisch unspezialisiertes, instinktarmes ›Mängelwesen‹ ist er auf Sozialität und Kultur angewiesen (Gehlen 1966: 31-40). Es ist eine humane Existenzbedingung, eine gemeinsam geteilte Wirklichkeit zu schaffen, die in Form von Kultur (Handlungs- und Orientierungswissen, Institutionen) als ›Instinktersatz‹ den Menschen entlastet und ihm eine »relative Weltgeschlossenheit« gewährt (Berger/Luckmann 2004: 55). 23 Der Mensch ist aufgrund seiner biologischen Gegebenheiten also notwendig ein soziales und kulturschaffendes Wesen. Dass der Mensch sich Kultur als eine »zweite Natur« (Gehlen 1966: 38; Plessner 1965: 309-321) erschaffen kann, dass er sich entäußern kann, liegt wiederum im speziellen Verhältnis zu seinem Körper begründet. Plessner spricht hier von der ›exzentrischen Positionalität‹ als typisch menschliche Körper-UmweltBeziehung. So ist es dem Menschen möglich, die Welt und sich selbst zum Gegenstand von Reflexion und Handeln zu machen.24 Insgesamt sind Externalisierung im (sozialen) Handeln, Objektivation in Form gesellschaftlicher Produkte (Institutionen) und Internalisierung von Kultur (Wissen) somit anthropologische Konstanten, ohne die Menschsein nicht möglich ist – die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit ist aus dieser Sicht ebenso wie Pragma und Sozialität eine im Wesentlichen (auch) biologisch bedingte conditio humana.
22 Vgl. Berger/Luckmann (2004: 18 und im Folgenden 49ff.). 23 Institutionen sind überdauernde ›Lösungen‹ für wiederkehrende, gesellschaftlich relevante ›Probleme‹. Indem »habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert« und an Dritte weitergegeben werden, entsteht eine Institution, die, weil sie »dem Menschen als äußeres, zwingendes Faktum gegenübersteht« (Berger/Luckmann 2004: 58, 62), fortan objektiven und subjektiven Wirklichkeitscharakter hat. Legitimationen sorgen für die fortdauernde Gültigkeit und Wirksamkeit von Institutionen (vgl. allg. hierzu ebd.: 56ff., 98ff.; Luckmann 1992: 125ff., 2002d). Zu Begriff und Funktion von Institutionen vgl. auch Gehlen 1986: 69ff. Am Institutionenbegriff wird am deutlichsten, wie Berger und Luckmann die konstruktivistische mit der positivistischen Perspektive auf Gesellschaft verbinden. 24 Zur Exzentrizität des Menschen vgl. Plessner (1965: 288-293), auch Dux (1970), Kämpf (2001). Auf die Konzeption des Körperhabens und Leibseins gehe ich unter Kapitel 3.2 genauer ein.
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Die sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie fußt also stark auf anthropologischen und phänomenologischen Grundannahmen: Während Berger/ Luckmann von Schütz wesentliche, insbesondere handlungstheoretische Grundannahmen übernehmen, machen sie die Aussagen der philosophischen Anthropologie bezüglich des Verhältnisses von Mensch und Gesellschaft insbesondere für institutionentheoretische Elemente ihrer Wissenssoziologie fruchtbar. Die philosophische Grundlegung prägt aber auch ganz entscheidend das Verständnis der Rolle von Körper und Leib in und für Wirklichkeit, wie im Folgenden herausgestellt werden soll. Darin zeigt sich auch, dass die allgemeine Kritik an einer kognitivistischen ›Schlagseite‹ (Fokus auf Bewusstsein und Sinn) der anthropologisch-phänomenologisch fundierten, sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie verkürzt ist. Zum einen betont Schütz in seiner Sozialtheorie die Bedeutung des Körpers als primären Modus von Weltwahrnehmung und -erleben, zum anderen befassen sich auch Berger/Luckmann mit den körperlichen Voraussetzungen von Gesellschaft bzw. den Wechselwirkungen von körperlicher und gesellschaftlicher Existenz.
3.2 D ER K ÖRPER
IN DER ANTHROPOLOGISCH PHÄNOMENOLOGISCH FUNDIERTEN W ISSENSSOZIOLOGIE : D IE E INFLÜSSE VON E DMUND H USSERL UND H ELMUTH P LESSNER
Vor dem Hintergrund der anthropologisch-phänomenologischen Wurzeln des Sozialkonstruktivismus wird nun das den theoretischen Ausführungen zugrunde liegende Körperverständnis von Schütz bzw. Berger/Luckmann dargestellt. In den frühen Schützschen Schriften spiegelt sich die phänomenologische Tradition, der Schütz bis zuletzt verbunden blieb, wider. Dies zeigt sich auch beim Körperverständnis.25 Mit Husserl geht Schütz (und mit ihm auch Berger/Luckmann) vom ›fungierenden Leib‹ als primärem Modus des Weltzugangs aus: »›Fungieren‹ bedeutet: er leistet etwas, spielt eine Rolle, ist Bedingung für etwas.« (Waldenfels 2000: 249)26 Der bei Schütz mundan gewendete Leib er-
25 Zu nennen ist hier v.a. Theorie der Lebensformen. In seinen späteren Werken verschiebt sich der Stellenwert, den Schütz dem Leib beimisst, zunehmend an den Rand des eigentlich relevanten Sinnverstehens (vgl. hierzu Abraham 2002; s. auch Kapitel 3.5). 26 Zum Ursprung des Begriffs bei Husserl vgl. auch Waldenfels (2000: 42). Allgemeine Anmerkung: In der Körpersoziologie wird heute, wenn es um den leiblichen Zugang
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scheint zum einen als Mittler zwischen Ich und Umwelt: »So gleichermaßen unserem inneren Ich und dem Außen zugeordnet, bietet der Leib ein besonders geeignetes Vermittlungsglied zwischen der Welt des Außen und des Innen dar.« (Schütz 1981: 92)27 Der Leib als mein aktuelles Hier und Jetzt ist der »Nullpunkt des Koordinatensystems« (Schütz/Luckmann 1979: 64)28, der absolute Ort jeder Wahrnehmung, der primäre Weltzugang. Gleichzeitig ist dieser Leib »Werkzeug oder Träger des handelnden Ich« (Schütz 1981: 92) D.h. indem er handelt, sich bewegt, wirkt, ermöglicht seine Leiblichkeit dem Einzelnen einen Zugang zu diesem Außen, zur Welt. Im Moment der Expression nimmt er seinen Leib als »Ausgedehntes, als Extensives, als Körper im Raum« (ebd.: 164; Herv.S.S.) wahr. Er sieht sich selbst als Teil der Welt, als ›Ding‹, das behandelt, bewegt, auf das eingewirkt werden kann. Hier zeigt sich deutlich die Dualität des menschlichen Leibkörpers – als ›fungierender Leib‹ einerseits, als Körper im Raum (›Körperding‹) andererseits.29 Der Leibkörper ist in der Husserlschen Terminologie eine ›Umschlagstel-
zur Welt geht, in erster Linie Maurice Merleau-Ponty (1908-1961) und dessen Deutung des leiblichen Zur-Welt-Seins herangezogen. Das ist darauf zurück zu führen, dass Husserl zwar den fungierenden Leib als wichtigen Zugang zur Welt sieht, aber den Schwerpunkt auf die Intentionalität des Bewusstseins legt. Merleau-Ponty hingegen sieht die Leiblichkeit als fundamentalen Zusammenhang von Dasein und Welt (vgl. Merleau-Ponty 1966). Schütz (als Zeitgenosse Merleau-Pontys) bezieht sich aber auf Husserl. Helmuth Plessner wiederum beleuchtet einen anderen Aspekt der Leiblichkeit, indem er die Externalisierung und Konstruiertheit des Körpers als anthropologisches Existenzmerkmal des Menschen in den Vordergrund stellt. Hierauf beziehen sich dann v.a. Berger/Luckmann, wie im Folgenden entsprechend dargestellt wird. 27 Husserl spricht hier vom »Orientierungsraum« (vgl. Waldenfels 2000: 116). 28 Vgl. auch: »Mein Körper ist [...] nicht ein Gegenstand im Raum, sondern die Bedingung für alle meine Erfahrungen der räumlichen Gliederung der Lebenswelt. In jeder Situation wirkt mein Körper wie ein Koordinatensystem in der Welt, mit einem Oben und Unten, einem Rechts und Links, Hinten und Vorn.« (Schütz/Luckmann 1979: 136) 29 Husserl nennt das auch die »psychophysische Einheit« des Menschen als objekthafter Körper und empfindender Leib (vgl. Husserl 1977: 99ff.). Weiter präzisiert er diese zwei Dimensionen des ›Leibkörpers‹ anhand entsprechender Einstellungen. Ich nehme dem Leib gegenüber eine personalistische Einstellung ein, d.h. »ich fasse mich auf als jemand, der als Person in der Welt, in der Mitwelt lebt.« (Die soziale Relevanz diese Einstellung wird im Folgenden noch genauer herauszustellen sein.) Die naturalisti-
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le‹ zwischen Natur und Kultur – weder ganz das eine, noch ganz das andere (Husserl 1952: 284ff.; Waldenfels 2000: 247). Der Mensch ist also durch seine Dualität einerseits Subjekt, andererseits Objekt der Welt, in der er lebt, der Wirklichkeit. Diese Dualität ist keineswegs ein Dualismus, denn beide Dimensionen sind miteinander verschränkt. Diesen Aspekt verdeutlicht Husserl mit dem Begriff der Appräsentation.30 Körper, genauer ›Körperding‹ und Leib stehen in einer Art Abbildverhältnis zueinander. Durch das eigenleibliche Erleben ergibt sich eine automatische ›Paarung‹ der mir zugänglichen Wahrnehmungsdaten ›Körper‹ und ›Leib‹. Der Leib als das Subjektive, das Absolute findet seinen Ausdruck im Körperlichen, wird also auf diese Weise objektiviert. Der Körper ist die Präsentation des Leibes, der auf diese Weise, abgesehen von der generellen Bedeutung für den Weltzugang, für soziale Verständigungsprozesse relevant wird. Für letztere ist die weitere, quasi ›intersubjektive‹ Stufe der appräsentativen Assoziation, also der Verweisung etwas Gegenwärtigem auf etwas NichtGegenwärtiges, von entscheidender Bedeutung, denn das immer schon NichtGegenwärtige Leibliche meines Gegenübers erfasse ich appräsentativ mittels
sche Einstellung gegenüber dem Körper macht diesen zu einem innerweltlichen Etwas, einem Gegenstand wie andere auch (vgl. Waldenfels 2000: 248). 30 Appräsentation meint hier im Husserlschen Sinn die ›Mit-Vergegenwärtigung‹ des Anderen. Eigentlich bezeichnet Husserl damit die assoziative Projektion der Leiblichkeit auf alter ego durch ego aufgrund der Analogisierung der typisch ähnlichen Körper in der konkreten vis-à-vis-Situation (vgl. Husserl 1977: 112). Schütz entfaltet diesen Begriff v.a. in Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, nimmt ihn aber auch in Strukturen der Lebenswelt als wichtige Funktion bei der Herstellung von Sozialität wieder auf. Schütz distanziert sich allerdings stark von der monistischen Erklärung bei Husserl und betont die intersubjektive Grundlage von Appräsentationen (vgl. Kapitel 3.1.2.1). Allgemein bezeichnet Appräsentation die universelle Fähigkeit des Menschen, Transzendenzen zu überbrücken, also räumlich, zeitlich oder prinzipiell unzugängliche Erfahrungen durch Anzeichen, Merkzeichen, Zeichen und Symbole mitzuvergegenwärtigen. Durch wiederholte Bestätigung der Appräsentationsbeziehung verfestigt sich die Bedeutungsbeziehung. Appräsentationssysteme sind für eine soziale Gemeinschaft unerlässlich: »Es gäbe Leben und Erlebnisse, vielleicht sogar Erfahrungen, aber keine Lebenswelt.« (Schütz/Luckmann 1984: 179; Herv.i.O.) Appräsentationen sind also die Basis für jegliche Art von Zeichensystemen, aber auch für körperlich vermittelte Verständigung. Für die hier zu erörternde Fragestellung ist besonders das appräsentative Verhältnis zwischen Leib und Körper interessant (vgl. hierzu auch Kapitel 3.3.1). Zur Appräsentation bei Husserl vgl. Ders. (1977: 111ff.); Knoblauch (1985).
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seines körperlichen Ausdrucks. Die darin enthaltenen Implikationen für die Klärung der Frage nach der körperlichen Konstruktion des Sozialen werden im Folgenden an den entsprechenden Stellen genauer erläutert. An die Idee der leiblichen Verfasstheit des Menschen, des Leibes als Umschlagstelle, schließt Plessner an. Wie bereits erwähnt, begründet er dieses duale Verhältnis anthropologisch mit der besonderen Positionalität, also Umweltbeziehung des Menschen.31 Die durch die organische Ausstattung bedingte zentrische Positionalität entspricht dem leiblichen Verortet-Sein im Hier und Jetzt – Ich bin mein Leib. Von meiner zentrischen Position, dem absoluten Ort des Innens ausgehend, nehme ich die Welt wahr, von hier aus wirke ich auf sie ein. Dass ich auf sie einwirken kann, mich zu ihr in Beziehung setzen kann, ergibt sich durch die gleichzeitige exzentrische Positionalität. Mein Körper ist für mich ein relationaler Ort, d.h. ich kann ihn in Beziehung zu anderen ›Gegenständen‹ setzen, mich vom ›Hier und Jetzt‹ emanzipieren. Gleichzeitig kann ich meinen Körper »instrumentell oder expressiv nutzen« (Gugutzer 2004: 147) – Ich habe meinen Körper. Im Anschluss an Plessners Konzeption des Leibkörpers gehen Berger/Luckmann in ihrer anthropologisch-phänomenologisch fundierten Wissenssoziologie zwar auch grundsätzlich vom Leib aus, setzen den Schwerpunkt aber auf die gesellschaftlichen Folgen der Exzentrizität: die Konzeption des Körpers als kulturelles Produkt und Wissensspeicher.32 In den an Schütz angelehnten sog. ›philosophischen Prolegomena‹ (Berger/Luckmann 2004: 22) betonen Berger/ Luckmann zunächst den grundsätzlich leiblichen Weltzugang. Der Leib trägt als aktiv handelndes und auf die Welt einwirkendes Quasi-Subjekt zur Konstruktion der Wirklichkeit in wesentlichen Teilen bei. Die räumliche Wahrnehmung, Grenzerfahrung zwischen Körper und Umwelt, Bewegung und Tätigsein sind die wesentlichen Erfahrungen, die dem Einzelnen den Zugang zur Welt und die Wahrnehmung als gegenüber der Umwelt abgegrenztes Selbst ermöglichen: der
31 Das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper ist immer ein zweifaches, indem er ein Leib ist, also auf das ›Hier und Jetzt‹ verwiesen ist, und zugleich einen Körper hat, meint: sich seiner Dinghaftigkeit bewusst werden, sich selbst zum Objekt machen. Diese Zweiheit von Sein und Haben ermöglicht erst eine reflexive Zuwendung zum eigenen Selbst sowie eine Selbst-Stellung in sozial-dinglicher Umwelt (vgl. Plessner 1965). Plessner legt in seiner Anthropologie den Fokus auf die bewusste In-BesitzNahme des Körpers als Potenzialität der Exzentrizität (vgl. hierzu Abraham 2011). Vgl. zum Folgenden Plessner (1965: 288ff.) und Kämpf (2001). 32 Vgl. hierzu das ›erste anthropologische Grundgesetz‹ nach Plessner: Das Gesetz der natürlichen Künstlichkeit (Plessner 1965: 309-321).
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Leib als Ausgangspunkt allen gesellschaftlichen/sozialen Seins. Das ›Hier‹ und ›Jetzt‹ als »fundamentale Konstituenten des In-der-Welt-Seins« (Abraham 2002: 114). Dass der Mensch die Wirklichkeit also in einem ersten Schritt leiblich erfährt und diese gestaltet, erkennen Berger/Luckmann als generelle menschliche Bedingung an. Hier an Plessner anknüpfend (und Schütz erweiternd), betonen sie dann die kulturellen Folgen, die die Doppelheit des Leibkörpers impliziert. Wie wir nämlich leiblich fungieren, ist Effekt sozio-kultureller Einflüsse. Berger/Luckmann fassen dieses Verhältnis als Dialektik zwischen Natur und Kultur, Organismus und Gesellschaft.33 Durch seine anthropologische Doppelexistenz als Naturwesen, das ein Leib ist, und Kulturwesen, das einen Körper hat, ist es für den Menschen nötig und möglich zugleich, sich selbst zu produzieren.34 Phylogenetisch gesehen Kulturschaffender ist der Mensch ontogenetisch betrachtet zugleich bereits in ganz existenzieller – meint v.a. auch körperlicher – Hinsicht ebenso kulturabhängig, denn »[v]om Augenblick seiner Geburt an ist die organische Entwicklung des Menschen, ja, weitgehend seine biologische Existenz überhaupt, dauernd auch dem Eingriff gesellschaftlich bedingter Faktoren ausgesetzt« (Berger/Luckmann 2004: 51). So ist der Mensch als »Frühgeburt«35 von Beginn seiner ontogenetischen Entwicklung an auf seine Umwelt angewiesen
33 Auch wenn Berger/Luckmann immerzu von »Organismus«, »biologischer Natur« und »Animalität« sprechen, ist bei ihnen der Organismusbegriff eher allgemein gehalten, da sie sowohl organische Vorgänge (Krankheit, Sterben), als auch Körpertechniken (Essen, sexuelles Verhalten) und Bewegungs- und Ausdrucksverhalten (Gang, Expressivität, Gestik, Mimik) darunter fassen, aber auch leibliches Wahrnehmen, Empfinden etc. (vgl. Berger/Luckmann 2004: 49ff., 191ff.). Mit ihrer Dialektik weisen Berger/Luckmann sowohl einen einseitigen Naturalimus/ Biodeterminismus, als auch einen strengen Soziologismus ab, betonen auf der Grundlage anthropologischer Rahmenbedingungen aber die Tatsache der kulturellen Prägung körperliche Phänomene (vgl. z.B. die Aussage: »Gesellschaftliche Existenz hängt von der unausgesetzten Unterwerfung des biologischen Widerstandes beim Einzelnen ab...«; Ebd.: 194.). Der Sozialkonstruktivismus Berger/Luckmanns ist insofern auch als ›gemäßigter Konstruktivismus‹ zu bezeichnen. 34 Der Leibkörper als Umschlagstelle, begründet auf die Exzentrizität, ermöglicht erst die Existenz als Kulturwesen, da die exzentrische Perspektive auf die Umwelt und sich selbst Voraussetzung für das Körper-Haben und dessen Gestaltung ist. 35 Vgl. Portmanns Formulierung des »extrauterinen Frühjahrs«, das die unabgeschlossene Ausbildung der organischen Ausstattung des Menschen nach der Geburt und dessen Prägung v.a. im ersten Lebensjahr bezeichnet (Berger/Luckmann 2004: 50f.).
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und durch sie geprägt: »Homo sapiens [oder genauer auf den Körper bezogen: Homo naturalis; Anm. S.S.] ist immer und im gleichen Maßstab auch Homo socius.« (Ebd.: 54) Es gibt zwar in gewissem Sinne eine menschliche Natur als vorsoziale Essenz des Menschen, diese beschränkt sich aber auf die Rahmenbedingungen, innerhalb derer der Körper immer schon zum gesellschaftlichen Körper wird. Die gesellschaftliche Prägung reicht von Formen der Expressivität, Gestik und Gang auf der körperlichen Ebene bis hin zur leiblichen Dimension des Spürens, Empfindens, Wahrnehmens und Erfahrens (ebd.: 53, 193). Der Leibkörper ist also weder ein bio-deterministisches Phänomen des Vorsozialen, noch ein kontingentes Produkt sozio-kultureller Prägungen im Sinne einer ›Auffüllung‹ oder ›Bestückung‹ einer tabula rasa, sondern ein Hybrid aus biologischen Schranken und kulturellen Einflüssen, ein soziales Konstrukt auf der Grundlage universal-humaner Rahmenbedingungen. Die anthropologische Seite, also die Exzentrizität bei gleichzeitiger biologisch bedingter Zentrizität bleibt immer vordergründig, »unsere Animalität wird durch Sozialisation zwar transformiert, aber nicht aufgehoben« (ebd.: 192), denn »das des eigenen Körpers Innesein ist [...] vor und unabhängig von allem, was in einer Gesellschaft über ihn erlernbar ist« (ebd.: 144). Sich von diesem ›Innesein‹ reflexiv zu distanzieren, den eigenen Leib also als Körper wahrzunehmen, ist aber gleichzeitig Vorbedingung jeglicher Erkenntnis und jeder Einflussnahme auf körperliche, aber auch leibliche Vorgänge, kurz: jeglichen Wissens über und durch den Körper. Über diese grundsätzliche Klärung des wissenssoziologischen Körperbegriffs und der Konzeption der allgemeinen körperlichen Verfasstheit des Menschen hinaus soll im Folgenden die für die in dieser Arbeit zu verhandelnde Frage nach dem Zusammenhang von Körper-Wissen-Interaktion genauer untersucht werden, also welche Rolle der Körper für Schütz und Berger/Luckmann bei der Wirklichkeitskonstruktion konkret spielt, wie Leibkörper und Wissen in Beziehung stehen und wie Verstehen bzw. Verständigung mit Blick auf den Körper gefasst werden – kurzum: Inwiefern man also von der körperlichen Konstruktion des Sozialen sprechen kann. Darauf soll nun genauer eingegangen werden.
3.3 W ISSEN
ALS E FFEKT UND B EDINGUNG VON SOZIALER I NTERAKTION IN DER ALLTAGSWELT
Unter den verschiedenen Wirklichkeiten heben Schütz und Berger/Luckmann die Wirklichkeit der Alltagswelt hervor.
70 | DIE KÖRPERLICHE KONSTRUKTION DES S OZIALEN »Die Wirklichkeit der Alltagswelt ist um das ›Hier‹ meines Körpers und das ›Jetzt‹ meiner Gegenwart herum angeordnet. Dieses ›Hier‹ und ›Jetzt‹ ist der Punkt, von dem aus ich die Welt wahrnehme. Was ›Hier‹ und ›Jetzt‹ mir in der Alltagswelt vergegenwärtigen, das ist das ›Realissimum‹ meines Bewußtseins.« (Berger/Luckmann 2004: 25; vgl. auch Schütz/Luckmann 1979: 25ff.)36
Ihre herausgehobene Realitätsqualität erhält die Alltagswelt auch dadurch, dass sie immer schon auch intersubjektiv geteilte Welt ist. »Doch ist die Welt des Alltags durchaus nicht meine private Welt. Sie ist von vornherein eine intersubjektive Welt, die ich mit meinen Mitmenschen teile, eine Welt, die von anderen erfahren und gedeutet wird, kurz eine Welt, die uns allen gemeinsam ist.« (Schütz 1971e: 360)37
Der Alltag bildet damit die Wirklichkeit »par excellence« (Berger/Luckmann 2004: 24), denn in ihr sind unmittelbare Wahrnehmung, direktes Eingreifen in die Welt und v.a. auch soziales Handeln als »zweifelsohne [...] die Grundform des gesellschaftlichen Daseins des Menschen« (Luckmann 1992: 4; Herv.i.O.) möglich. Und weil Wissen die zentrale gesellschaftliche Sinn- und Bedeutungs-
36 Andere Wirklichkeiten – Schütz spricht hier von »mannigfaltigen Wirklichkeiten« oder »geschlossenen Sinngebieten« (Schütz 1971e: 392ff.; Schütz/Luckmann 1979: 49), Berger/Luckmann von »Enklaven« (Berger/Luckmann 2004: 28) – sind die Welt der Wissenschaft, der Religion, des Traums oder der Phantasie. Sie zeichnen sich alle durch eine je spezifische Bewusstseinsspannung, Form der Spontaneität, Sozialität und Selbsterfahrung sowie eine besondere Zeitperspektive aus. Aufgrund unserer Wahrnehmung der ›obersten Wirklichkeit‹ als Wirklichkeit schlechthin, als Kern unserer Realität, in die wir immer wieder aus den anderen Wirklichkeiten zurückkommen bzw. diese von der Alltagswirklichkeit stets umschlossen sind (vgl. ebd.: 28), meint der Begriff ›Wirklichkeit‹ im Folgenden immer diese alltägliche Wirklichkeit. 37 Zur Intersubjektivität vgl. Schütz/Luckmann (1979: 87ff.) und Berger/Luckmann (2004: 25f.). Das ›Problem der Intersubjektivität‹, also wie es möglich ist, das Individuen sich wechselseitig als alter ego erkennen und aufeinander bezogen handeln, versucht Schütz in Abgrenzung zu Husserl nicht transzendental zu lösen, sondern stellt Intersubjektivität als Gegebenheit der alltäglichen Lebenswelt, als in der alltäglichen Wahrnehmung fraglose Tatsache der natürlichen Einstellung fest, womit eine Ergründung des ›So-geworden-Seins‹ unnötig wird (vgl. hierzu Schütz 1971 c/e, 1960, insbes. S.106ff.; Lüdtke 2008). Zur Dimensionalität der Intersubjektivität vgl. Srubar (2005: 166f.).
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struktur ist, ohne die (verstehendes) Wahrnehmen, Handeln und wechselseitige Verständigung38 nicht möglich wären, und es folglich eine elementare Bedeutung für die Existenz und das Gelingen von alltäglicher Wirklichkeit hat, soll im folgenden Kapitel auf Struktur und Genese des gesellschaftlichen bzw. subjektiven Wissensvorrates eingegangen und dabei vor allem die Bedeutung des Körpers für eben jene Struktur und Genese herausgestellt werden. 3.3.1 Körperrelationale Dimensionen und Elemente von Wissen Der gesellschaftliche Wissensvorrat, der die Basis des jeweils subjektiven Wissensvorrats des Einzelnen bildet, lässt sich analytisch in verschiedene Dimensionen differenzieren, die von jeweils unterschiedlicher Körper- und Verständigungsrelevanz sind. Da es mir um die körperliche Konstruktion des Sozialen geht, werden im Folgenden v.a. die Wissensanteile expliziert, die vorrangig den Körper betreffen, also Wissen, das durch oder über den bzw. im Körper erzeugt wird. Zunächst sind hier die universellen Strukturen der Lebenswelt zu nennen, die Schütz als ihre Grundstrukturen oder Grundelemente bezeichnet (Schütz/ Luckmann 1979: 133ff.). Diese bilden den Rahmen, innerhalb dessen Erfahrungen gemacht werden können – sie sind »ein notwendiger Bestandteil eines jeden Erfahrungshorizonts, ohne selber Erfahrungskern zu werden« (ebd.: 135), d.h. sie sind dem Einzelnen in der natürlichen Einstellung des Alltags nicht bewusst. Diese Grundelemente sind »universell und, prinzipiell, unveränderlich«: »Die Grundelemente des Wissensvorrats sind für jedermann, gleich in welcher relativnatürlichen Weltanschauung er sozialisiert wurde, vorhanden. Die relativ-natürlichen Weltanschauungen unterscheiden sich allenfalls hinsichtlich des Grades, bis zu welchem diese Grundelemente thematisiert und sprachlich objektiviert sind.« (Ebd.: 143)
Die Grundelemente bilden damit die Bedingungen von Wissen i.S. sedimentierter Erfahrung, weil sie aber nicht ins Bewusstsein treten, sind sie kein Gegen-
38 Unter Verständigung wird eine auf Wechselseitigkeit ausgerichtete Form des sozialen Handelns verstanden, die auf interaktiven Aus-Handlungen je gegebener Situationen basiert und durch das Motiv des wechselseitigen Verstehens angetrieben ist. Auf Verständigung als Interaktionsprozess der alltäglichen Lebenswelt wird in Kapitel 3.4 genauer eingegangen.
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stand von Erfahrung und damit selbst kein Wissen im eigentlichen Sinn.39 Indem sie jedoch den Rahmen für mögliche Erfahrungen bilden, liegen sie jeder Erfahrung und damit jedem Wissen zugrunde, sind immer mitgegeben und fließen als Bedingung mit in Erfahrungen ein – sowohl im Hinblick auf die Konstitution des kulturrelationalen, gesellschaftlichen Wissensvorrats (phylogenetisch), als auch auf den subjektiven Erwerb dieses Wissens in einer sozio-historisch konkreten Gesellschaft (ontogenetisch). Was sind nun die Grundelemente der alltäglichen Lebenswelt? Schütz nennt hier vor allem die Begrenztheit der Situation bzw. »Grenzen der Leiblichkeit« (ebd.: 172) sowie die räumliche und soziale Gliederung der Lebenswelt.40
39 Erfahrungen sind reflexive, d.h. bewusste Hinwendungen zum Erlebten, dem so im Nachhinein Sinn verliehen wird. »Sinn ist [...] das Resultat meiner Auslegung vergangener Erlebnisse, die von einem aktuellen Jetzt und von einem aktuell gültigen Bezugsschema reflektiv in den Griff genommen werden.« Und weiter: »… Erlebnisse werden erst dann sinnvoll, wenn sie post hoc ausgelegt und mir als wohlumschriebene Erfahrung faßlich werden.« (Schütz/Luckmann 1979: 38; zum Erlebnis- und Erfahrungsbegriff bei Schütz vgl. auch Srubar 1988; Schütz 1960) Sinn wiederum basiert auf Wissen als Ergebnis vorangegangener Erfahrungen. Wissen als sozial relevanter, objektivierter Sinn entsteht aus intersubjektiv bedeutsamen Erfahrungen, die als typisierte ›Essenz‹ im Hintergrund des Bewusstseins des Einzelnen sedimentiert werden, so bis auf Weiteres fraglose Gültigkeit erhalten und in die Auslegung weiterer Erfahrungen eingehen. »Jeder Typ des lebensweltlichen Wissensvorrates ist ein in lebensweltlichen Erfahrungen gestifteter ›Sinnzusammenhang‹ [...] der Typ ist eine in vorangegangenen Erfahrungen sedimentierte, einheitliche Bestimmungsrelation.« (Schütz/Luckmann 1979: 278) Sedimentierung heißt dabei, dass der polythetische Aufbau von Erfahrungen monothetisch zusammengefasst wird, im Hintergrund des Bewusstseins abgelagert wird und dem je relevanten Sinn nach als ›Typ‹ in den Wissensvorrat eingeht (vgl. allgemein hierzu ebd.: 154ff.). Dabei unterscheidet sich Wissen aber durchaus nach dem Grad der Vertrautheit (ebd.: 174ff.; die Begriffe ›Vertrautheits‹- und ›Bekanntheitswissen‹ stammen von James 1950: 221ff.), der Bestimmtheit (Schütz/Luckmann 1979: 185ff.) oder der Relevanz (ebd.: 224ff.). Gesellschaftlich wird Wissen in dem Moment, in dem das intersubjektive Wissen in objektivierter (meist sprachlicher) Form an Dritte weitergegeben wird (vgl. ebd.: 293ff.; vgl. auch den Prozess der Institutionalisierung bei Berger/Luckmann 2004: 49ff.). 40 Zudem ist die Lebenswelt zeitlich gegliedert (vgl. Schütz/Luckmann 1979: 73ff.). Hier spielt in gewisser Weise auch der Körper eine Rolle, denn »[j]edes Individuum ist sich des Flusses seiner Zeit bewußt, welcher eng mit den physiologischen Rhythmen seines Organismus verbunden ist…« (Berger/Luckmann 2004: 29). Darüber hin-
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Die Grenzen des Körpers gegenüber der Umwelt sowie dessen gewohnheitsmäßiges Funktionieren sind für das Subjekt »die Basis der ersten ›Selbstverständlichkeiten‹« jeder Erfahrung und eine »ständig in jeder Erfahrung und jeder Situation gegenwärtige Dimension des Wissensvorrats« (ebd.: 135, 143): »Mein Körper ist [...] nicht ein Gegenstand im Raum, sondern die Bedingung für alle meine Erfahrungen der räumlichen Gliederung der Lebenswelt. In jeder Situation wirkt mein Körper als ein Koordinatensystem in der Welt, mit einem Oben und Unten, einem Rechts und Links, Hinten und Vorn.« (Ebd.: 135f.; Herv.S.S.)41
Das ›Hier‹ und ›Jetzt‹ meiner Gegenwart bildet den Kern der Wirklichkeitserfahrung. Indem er zwischen der gegenständlichen Außenwelt und der wahrnehmenden Innenwelt vermittelt, trägt der Leib ein ›Moment der Wirklichkeitsgarantie‹ in sich (Srubar 2008: 45). Denn in der alltäglichen Lebenswelt nehme ich meinen Körper als Gegenstand relational zur gegenständlichen Umwelt wahr. Dadurch ist die Welt um mich herum räumlich gegliedert mit meinem Körper als Wahrnehmungsachse, von der aus ich mich in der Welt orientiere und mir die Dinge perspektivisch, nah oder fern gegeben sind. Zugleich nehme ich meine Umgebung auch sinnenhaft wahr – ich rieche, höre und schmecke die (alltägliche) Welt. Sie ist der Ort direkten Erlebens. Aber bereits an dieser Stelle kommt man an die Grenze universeller Strukturen, denn wie etwas Sinnenhaftes zu etwas Sinnhaftem wird, das Wahrgenommene also Bedeutung, inhaltliche Füllung, eben: Sinn bekommt, hängt vom gesellschaftlichen Wissen ab – Sinneswahrnehmungen werden sozialisiert, leibliches Wahrnehmen wird durch Auslegungsakte vermittelt, die wiederum auf gesellschaftlichen Deutungsangeboten basieren. Neben Kenntnis meiner Umwelt habe ich in der Lebenswelt des Alltags auch »Wissen um nicht eigentlich erlerntes, aber erfahrbares und manchmal sogar ›bewußt‹ durchgeführtes Funktionieren des Körpers, wie Atmen oder Schlucken« (Schütz/Luckmann 1979: 139) – dieses ›Wissen‹ um die eigene Körperlichkeit gehört auch zu den Grundelementen des Wissensvorrats und ist deshalb besser als Kenntnis zu bezeichnen. So wie ich meinen Körper ›von außen‹ wahr-
aus ist dieser Aspekt aber für mein Thema von untergeordneter Bedeutung, weshalb ich ihn hier nur der Vollständigkeit halber anführe. 41 Schütz und Luckmann nehmen an dieser Stelle Bezug auf die Leibphänomenologie von Maurice Merleau-Ponty, der ebenfalls den Körper als Ausgangspunkt des ›ZurWelt-Seins‹ markiert. Merleau-Ponty wird in der Theorie kognitiver Metaphorik noch eine Rolle spielen (vgl. Kapitel 4.2.1).
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nehme, so nehme ich ihn zugleich also auch ›von innen‹ her wahr, d.h. auch das Erleben des Leibseins und Körperhabens selbst gehört in die Lebenswelt des Alltags. Neben organischen Funktionen sind hier bspw. Schmerz, Freude oder Leid zu nennen. Allerdings zeigt sich auch hier die fließende Grenze zwischen den Grundelementen des Wissensvorrates und dem Wissen im eigentlichen Sinn. Auch hier gilt: Um meine eigenleiblichen Erlebnisse deuten, sie in Kontexte einordnen und mit ihnen umgehen zu können, brauche ich gesellschaftliches Wissen – nur so erfahre ich meinen Schmerz, meine Freude und mein Leid.42 Die Alltagswelt ist aber nicht nur die Wirklichkeitsregion, in der ich alles »relativ zu meinem Leib« wahrnehme, in der alles in Hör-, Seh-, Reichweite ist. Denn außer Ort verschiedenster Wahrnehmungsakte ist die alltägliche Lebenswelt auch der Ort des Handelns: Sie »ist die Wirklichkeitsregion, in die der Mensch eingreifen und die er verändern kann, indem er in ihr durch die Vermittlung seines Leibes wirkt…« (ebd.: 25). In der Welt meiner »aktuellen Reichweite«, genauer: in der »Wirkzone« (ebd.: 63, 69), in die ich durch direktes Handeln eingreifen kann, bildet der fungierende Leib den Ausgangspunkt von Wirklichkeitskonstruktion (im wahrsten Sinne des Wortes).43 Geht man über die simple Annahme hinaus, dass jedes Eingreifen in die Umwelt zunächst Bewegung voraussetzt, so zeigt sich bald, dass sowohl das nicht-intendierte ›Eingreifen‹ durch bloßes agierendes ›Körpersein‹ (das ja auch als eigenwirksame Veränderung der gegenständlichen Umwelt wahrgenommen werden kann) als auch intendiertes Wirken, also absichtsvolles Handeln in der Welt (Schütz und Luckmann sprechen hier von Arbeit, 1984: 23ff.) zu wesentlichen Teilen auf Wissen, im Alltag vor allem dem sog. Gewohnheitswissen, basiert.
42 Bei dem Beispiel Schmerz umfasst dieses Wissen bereits das Körperschema, das selbst nicht mehr zu den universellen Gegebenheiten lebensweltlicher Strukturen gehört, aber auch Wissen um Ursachen, Ausdrucks- und Behandlungsmöglichkeiten gehören dazu. Zur Sozialisation von Gefühlen und Emotionen vgl. Ulich et al. (1999). 43 Schütz und Luckmann gehen damit von einem primär pragmatischen Weltzugang und ›In-der-Welt‹-Sein aus: »Wir können sagen, daß unsere natürliche Einstellung der Welt des täglichen Lebens gegenüber durchgehend vom pragmatischen Motiv bestimmt ist.« (Schütz/Luckmann 1979: 28; Herv.i.O.) Hier zeigt sich klar der Einfluss des Pragmatismus (vgl. z.B. Meads Begriff der »manipulativen Zone« (Mead 1980: 124), in der die Dinge als physisch widerständig und deshalb als real erfahren werden können; vgl. auch Mead 1968: 291ff., 1987). Durch das Verwenden von Werkzeugen erweitert sich die primäre Wirkzone als Ort unvermittelten, handelnden Eingreifens in die Welt und wird zur »sekundären Wirkzone« (Schütz/Luckmann 1979:72).
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Gewohnheits- bzw. Routinewissen nimmt eine »Zwitterstellung« (Schütz/ Luckmann 1979: 143) zwischen den Grundelementen und spezifischen Teilinhalten des Wissensvorrats ein: Es ist zwar erlernt, aber automatisiert, so dass es nicht mehr als ›gewusstes Wissen‹ bewusst ist. Hierbei lässt sich wiederum zwischen Fertigkeiten, Gebrauchswissen und Rezeptwissen differenzieren. Fertigkeiten bezeichnen »auf die Grundelemente des gewohnheitsmäßigen Funktionierens des Körpers aufgestufte gewohnheitsmäßige Funktionseinheiten der Körperbewegung« (ebd.: 140). Dazu zählen bspw. das Körperschema44, Gehen, Schwimmen oder mit Besteck Essen.45 Für das Thema Verständigung von besonderer Bedeutung sind allerdings die interaktionsrelevanten Fertigkeiten und Kenntnisse unseres Körpers, in erster Linie das Bewegungs- und Ausdrucksverhalten. Hier sind allen voran die (mehr oder weniger bewusste) Setzung und Deutung von Gestik, Mimik, Tonfall, Sprechrhythmik etc. zu nennen. Fertigkeiten sind noch nahe an den universellen Grundelementen und können »als konkrete Ausprägung bzw. ›Ausdehnung‹ des Wissens um die Leiblichkeit« (ebd.: 173) bezeichnet werden. Gebrauchswissen baut auf Fertigkeiten auf, ist aber nicht mehr Teil des gewohnheitsmäßigen Funktionierens des Körpers. Es umfasst automatisierte und standardisierte (präreflexive) Handlungen in der Wirkzone der Alltagswelt, die weitgehend den Charakter von Handlungen verloren haben. Dazu gehört bspw. Rauchen, Rasieren, Schreiben, Sprechen oder Klavierspielen. Schließlich bildet das Rezeptwissen die Wissensform, die am weitesten von den Grundelementen entfernt ist und sich am nächsten an den spezifischen bzw. expliziten Teilinhalten des Wissensvorrats befindet. Es umfasst verinnerlichte Handlungsanweisungen wie das Spurenlesen, automatisches Auslegen von Wetteränderungen (bei Schiffsleuten) oder Übersetzungsphrasen (eines Dolmetschers). Neben diesem (praktisch und theoretisch) körperbezogenen Wissen gehören zum Gewohnheitswissen auch Normen und Typen des sozialen Um-
44 »Das Gedächtnis, oder präziser ausgedrückt, die Sedimentierung visueller, auditorischer, taktiler, haptischer, olfaktorischer Erfahrungen zum Anderen, der gesehen, gehört, berührt und gerochen wird, helfen dem Kind, seinen Körper nicht nur als Gefäß für äußere Eindrücke, sondern sich gerade in seiner Körperlichkeit als ein aktives Wesen zu fassen.« (Luckmann 2006: 23) Zur interaktiven Genese dieses Körperwissens vgl. Mead (1968: 177ff.), Joas (1992: 245ff.). 45 Vgl. auch die Untersuchung zu den »Techniken des Körpers« als historische und kulturelle Wissensformen von Mauss, der sogar das Ausspucken als Kulturtechnik aufzeigt (Mauss 1975).
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gangs.46 Die generelle Antizipierbarkeit eines Interaktionsablaufs, die typischen Phasen, Erwartungen, Reaktionen etc. gehören hierher. Auch Handlungsmuster, allgemeine Verhaltens- und Konversationsregeln und Motive, also zwar pragmatisch orientierte, aber in ihrer Form theoretische Elemente des Wissens sind als Basis alltäglicher Verständigungsprozesse ein wesentlicher Bestandteil des Rezeptwissens. Ähnlich wie die Grundelemente des Wissensvorrats ist Gewohnheitswissen in jeder Situation mit vorhanden und muss nicht aktiv hervorgeholt werden. Diese Form des automatisierten, verinnerlichten, meist inkorporierten Wissens (das gilt vor allem für Fertigkeiten und Gebrauchswissen, Rezeptwissen liegt bereits auf einer körperferneren Ebene), das permanent zuhanden ist (oder wäre), unterscheidet sich genau in diesem Punkt von den spezifischen Inhalten des Wissensvorrats, die, wenngleich vorläufig als fraglos unthematisiert bleiben, jederzeit ›problematisch‹ werden können. Dennoch geht Gewohnheitswissen über die Grundelemente hinaus, weil es sozialisiertes, also sozial vermitteltes und u.U. sogar sozial verteiltes Wissen ist – und insofern ist es von wissenssoziologischem Interesse: »Grundsätzlich können wir sagen, daß je weiter wir uns von den Grundelementen des Wissensvorrats (in diesem Zusammenhang vor allem als das auf das gewohnheitsmäßige Funktionieren des Körpers bezogene Wissen zu verstehen) entfernen, die interkulturelle Ausprägung und intrasoziale Verteilung des Gewohnheitswissens umso differenzierter wird.« (Ebd.: 145)
Neben dem Ort der räumlichen und pragmatischen Orientierung/Erfahrung ist die alltägliche Lebenswelt auch und vor allem intersubjektive Sozialwelt. Dass die ›Grenzen der Sozialwelt‹ prinzipiell offen sind und jene nicht immer nur aus Menschen, sondern bspw. auch aus Yam-Pflanzen bestehen könnte (vgl. Luckmann 2007c; Dreher 2008a) kann für die weiteren Überlegungen außer Acht gelassen werden, denn Luckmann hat auf die besondere Rolle der leiblichkörperlichen Merkmale des Menschen als Definitionskriterium für soziales MitSein hingewiesen. Welche Form Sozialität bzw. Intersubjektivität aber annimmt, was also als sozial gilt und was als nicht-sozial, ist Effekt kultureller Konvention. 47
46 »Auch vom Funktionieren menschlicher Beziehungen habe ich mein Rezeptwissen.« (Berger/Luckmann 2004: 44) 47 Vgl. hierzu Luckmann (1999, 2007c). Die Grenze zwischen Natur und Gesellschaft wird im Bereich des Sozialen gezogen, nämlich in der Interaktion zwischen ego und
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Nun ist es nicht nur die bloße Existenz, sondern vor allem das unmittelbare Gegebensein anderer Menschen in der Face-to-Face-Situation, was die fundamentale Erfahrung der Welt als immer schon soziales Mit- und Nebeneinander ausmacht. Die direkte Interaktion ist die Basis aller anderen Interaktionsformen: »Die fundamentale Erfahrung des Anderen ist die von Angesicht zu Angesicht. Die Vis-àvis-Situation ist der Prototyp aller gesellschaftlichen Interaktion. Jede andere Interaktionsform ist von ihr abgeleitet.« (Berger/Luckmann 2004: 31)
Was sie zu einer so besonderen Situation macht, ist die räumlich-zeitliche Gegenwärtigkeit des Anderen als körperliches Wesen, das umfassend sinnlich wahrnimmt und wahrgenommen werden kann.48 Das ist gleich in mehrfacher
alter ego. Die ursprünglich »universale Projektion« des Leiblichen auf alles Gegenständliche (nach Husserl) wird auf bestimmte Phänomene der Welt beschränkt. Je nach funktionalen Erfordernissen wird es zur Konvention, die zur Wechselseitigkeit, Re-Aktion und praktischen Inter-Aktion fähigen Elemente der Umwelt als Teil der Sozialwelt zu definieren. Dinge, die sich durch die Eigenschaften Beweglichkeit, Ausdrucksänderungen und v.a. Kommunikabilität auszeichnen, haben für unser alltägliches Wirken grundsätzliche Priorität. Deshalb ist auch die direkte Beziehung zu einem mir ähnlichen Körper von so entscheidender Bedeutung. Innerhalb dieser Beziehung erwerbe ich das ›Wissen‹, wie ein menschlicher Körper aussieht. Insofern kann »nur das empirische und weltliche Ich [...] Menschlichkeit erlangen. Seine Menschlichkeit ist konstituiert, nicht konstitutiv, und sie ist auf die Menschlichkeit des alter ego gegründet, nicht umgekehrt.« (Luckmann 2007c: 69) Ronald Hitzler stellt vor diesem Hintergrund die Frage, wann für uns jemand noch zur Sozialwelt gehört und wann nicht mehr (Hitzler 2011). Er kommt zu der Antwort, dass kommunikativer körperlicher Ausdruck als Hinweis auf leibliche Zustände (also die Zuschreibung von Leibsein und Körperhaben als Merkmal der typisch menschlichen körperlichen Verfasstheit) hierfür basal sind, wobei es variabel ist, welche Regungen jeweils als Vorhandensein von (intendierter) physischer Regung, Bewegung und Kommunikabilität gedeutet werden. Die Identifikation von Sozialwelt und Menschenwelt (bzw. andere Variationen des Sozialen) werden elementarer Bestandteil der natürlichen Weltanschauung in eben dem betreffenden Sozialverbund. Im Folgenden werde ich die Variante der Gleichsetzung von Sozialwelt und Menschenwelt voraussetzen. 48 Wenn Berger/Luckmann hier von einer Erfahrung »von Angesicht zu Angesicht« sprechen, so ist damit nicht eine Reduktion auf das visuelle Wahrnehmen des jeweils anderen gemeint. Vielmehr umfasst die Face-to-Face-Situation prinzipiell alle sinnlichen Wahrnehmungskanäle. Die Frage der Realisation der (potenziell) umfassenden
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Hinsicht relevant. Den Anderen in meiner direkten Umwelt nehme ich zuallererst als mir ähnliches körperliches Wesen wahr: Er ist für mich ein von außen wahrnehmbarer Körper, und zugleich verweist dieser Körper immer schon auf ein ›Innen‹, ein Leibsein i.S. von subjektiven Bewusstseinsprozessen (vgl. Schütz/Luckmann 1979: 27, 1984: 153ff.).49 Grundlage hierfür ist die anthropologische Doppelexistenz des Menschen: Die ›Selbsterfahrung‹ als Einheit aus bewusstseinsfähigem (wahrnehmendem und wirkendem) ›Innen‹ und wahrnehmbarem ›Außen‹ wird auf den Anderen ›gleich mir‹ projiziert. Es gilt als unhinterfragt gültig, dass »… in dieser meiner Welt auch andere Menschen existieren, und zwar nicht nur leiblich wie andere Gegenstände und unter anderen Gegenständen, sondern als mit einem Bewußtsein begabt, das im wesentlichen dem meinen gleich ist.« (Schütz/Luckmann 1979: 26; Herv.S.S.)
Dieses Erleben des Anderen als wahrnehmenden, denkenden, kurz: bewusstseinsfähigen Menschen erfolgt präreflexiv in gleichzeitiger und automatischer Synthese seines (mir typischerweise ähnlichen) Körperhabens und damit immer schon mit-gegenwärtigen Leibseins. Husserl spricht hier von der Appräsentation bzw. der »analogischen Apperzeption« (Husserl 1977: 111ff.)50 – der Andere ist
sinnlichen Wahrnehmung hängt dagegen freilich von den konkreten situativen Bedingungen ab, z.B. ob man tatsächlich jemanden in der Situation berühren kann oder ob das durch die räumliche Umgebung o.A. verhindert ist. Anzumerken ist jedoch, dass Schütz und auch Berger/Luckmann den Fokus auf die wechselseitige visuelle und akustische Wahrnehmung legen, die Dimension der taktilen Wahrnehmung, das Berühren des Anderen oder aber auch das Riechen und Schmecken des Anderen, werden hingegen vernachlässigt (diesen Hinweis verdanke ich Rudolf Schmitt). Hier drücken sich das moderne Primat der visuellen Wahrnehmung bzw. die »Prävalenz des Optischen« und seine »Suprematie über alle sonstigen Nah- und Fernsinne« aus (Plessner 1970: 204; vgl. auch Raab 2008; Prinz 2014). Gleichwohl kann auch in der Berührung des Anderen eine Erfahrungsappräsentation ausgelöst werden (bspw. durch die Kälte oder Hitze des anderen Körpers). 49 Schütz spricht hier auch von der Annahme der strukturell ähnlichen Erlebnis- und Bewusstseinsströme des Anderen ›gleich mir‹, d.h. es wird (pragmatisch begründet) unterstellt, »daß sein Bewußtseinsleben im wesentlichen die gleiche Struktur besitzt wie das meine« (Schütz 1971e: 378). 50 »Tritt nun ein Körper in meiner primordialen Sphäre abgehoben auf, der dem meinen ›ähnlich‹ ist, d.h. so beschaffen ist, daß er mit dem meinen eine phänomenale Paarung
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im wahrsten Sinne des Wortes ein ›anderes Ich‹, ein alter ego. Diese Wahrnehmung des Anderen ist dann auch die Voraussetzung für sog. ›Spiegelungsprozesse‹, die neben der grundsätzlichen Konstitution sozialen Wissens vor allem in der (primären) Sozialisation relevant sind.51 Ego spiegelt sich (bzw. sein Verhalten) in alter ego, indem er dessen Perspektive einnimmt. Und indem ego die Reaktionen nicht zuletzt am Körper alter ego abliest, auf sein eigenes Verhalten zurückspiegelt und so dessen Auslegungsprozesse rekonstruiert, erwirbt es nicht nur eine eigene Identität und Selbst-Bewusstsein, sondern auch grundlegendes (gesellschaftliches) Wissen – angefangen bei der Erfahrung von Wahrnehmungen des Anderen ›gleich mir‹ bis hin zur Genese bzw. Vermittlung abstrakten Wissens wie bspw. der Sprache (vgl. Berger/Luckmann 2004: 139ff.). Diese Fähigkeit zur deutenden Perspektivenübernahme beruht auf der anthropologischen Verfasstheit des Menschen, die eine sinnverstehende Perspektivenübernahme des Anderen, also sinnverarbeitende Bewusstseinsprozesse ermöglicht.
eingehen muß, so scheint nun ohne weiteres klar, daß er in der Sinnüberschiebung alsbald den Sinn Leib von dem meinen her übernehmen muß.« (Husserl 1977: 116; Herv.S.S.) Die eigene Erfahrung einer leib-körperlichen Verbindung übertrage ich auf andere ›Körper‹, zu denen ich einen Leib mitvergegenwärtige (Husserl spricht hier auch von der »analogisierenden Auffassung«; ebd.: 113). Dieser Vorgang der verähnlichenden Apperzeption ist anthropologisch gegeben und läuft automatisch, präreflexiv ab (»Apperzeption ist kein Schluß, kein Denkakt.«; Ebd.). Plessner spricht in diesem Zusammenhang von der auf andere übertragenen Selbstreferentialität des Leibkörpers: die Fähigkeit mich aus mir selbst herauszusetzen (Exzentrizität) ermöglicht mir auch, mich in den anderen, den ich als ›mir gleich‹ identifiziere, hineinzuversetzen und ihm eine gleiche Leib-Körper-Dualität zu unterstellen. Wie Husserl bzw. Schütz macht auch Plessner diese Projektion an der körperlichen Materialität des Gegenüber fest. Vgl. hierzu die Ausführungen von Lindemann (2005: 120ff.). Dass ich dem Anderen ähnliche oder gleiche Grunderfahrungen unterstelle, beruht auf einem weiteren Element der natürlichen Einstellung, nämlich dass die Strukturen des menschlichen Erlebnisstroms die gleichen sind (»Für unsere Zwecke genügt uns die Einsicht, daß auch das Du Bewußtsein überhaupt habe [...], daß sein Erlebnisstrom die gleichen Urformen aufweise wie der meine.« (Schütz 1960: 107; Herv.i.O.) 51 Zu Spiegelungsprozessen vgl. den ›looking-glass‹-Effekt bei Cooley (1964: 183ff.) und die Perspektivenübernahmen bei Mead (1968: 194ff.). Die Bedeutung von Spiegelungsprozessen bei der Entstehung gesellschaftlichen Wissens und in der primären Sozialisation wird in Kapitel 3.3.2 noch einmal aufgegriffen. Auf die aktuelle Debatte um die neuronalen Voraussetzungen der Perspektivenübernahme in Form von Spiegelneuronen gehe ich in Kapitel 4.4.2 genauer ein.
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Die Ko-Existenz anderer Menschen als ›bewusstseinsfähige Körper‹ und die Fähigkeit zur ›Spiegelung‹ im Anderen sind selbst keine Erfahrung im eigentlichen Sinn, sondern gehören zu den invarianten Grundelementen des Wissensvorrats. Sie sind das anthropologische Fundament sozialer Erfahrungen. Eine Mittelposition zwischen Grundstrukturen des Wissensvorrats und Wissen im eigentlichen Sinn nimmt die sog. ›Generalthese der Reziprozität der Perspektiven‹ als Voraussetzung einer gemeinsamen Wirklichkeit ein.52 Damit sind die in der natürlichen Einstellung als fraglos hingenommenen ›Idealisierungen‹ gemeint, die selbst als besondere Form von Wissen auf Erfahrungen gründen und somit nicht nur Voraussetzung, sondern auch Effekt sozialer Interaktion sind: In kontinuierlichen sozialen Austauschprozessen macht ego die Erfahrung, dass die (körperlichen) Standorte prinzipiell austauschbar sind: das ›Hier‹ egos ist das ›Dort‹ alter egos. Alles was alter ego aus seiner Perspektive (leiblich) wahrnimmt, würde auch von ego in typisch ähnlicher Weise (leiblich) wahrgenommen (Idealisierung der Vertauschbarkeit der Standorte): »Wäre ich dort, wo er jetzt ist, würde ich die Dinge in gleicher Perspektive, Distanz, Reichweite erfahren wie er; und wäre er hier, wo ich jetzt bin, würde er die Dinge in gleicher Perspektive erfahren wie ich.« (Schütz/Luckmann 1979: 88; Herv.S.S.)53
Zudem ›lernt‹ ego, dass die Dinge für seine Mitmenschen eine typischerweise ähnliche Bedeutung haben wie für es selbst (Idealisierung der Kongruenz der Relevanzsysteme):
52 Vgl. im Folgenden Schütz (1971e: 364ff.), Schütz/Luckmann (1979: 88ff.), Luckmann (1992: 35ff.). 53 Die Idealisierung der Vertauschbarkeit der (körperlichen) Standorte stammt von Husserl (1977: 119ff.). Schütz erweitert diese körperliche um eine wissensbasierte, deutende Vertauschbarkeit: »Nun ist es ein grundsätzliches Axiom aller Deutungen der gemeinsamen Welt und der Gegenstände in ihr, daß die verschiedenen gleichzeitig bestehenden Koordinatensysteme [die um meinen Leib als Nullpunkt herum angelegt sind, Anm. S.S.] ineinander umgewandelt werden können. Ich setze es als selbstverständlich voraus, daß mein Mitmensch und ich typisch die gleichen Erfahrungen von der gemeinsamen Welt machen würden, wenn wir unsere Plätze austauschten, wenn sich also mein ›Hier‹ in sein ›Hier‹ und sein ›Hier‹, für mich jetzt noch ein ›Dort‹, in mein ›Hier‹ verwandelten.« (Schütz 1971e: 364f.; Herv.S.S.) Bereits die bei Schütz und Berger/Luckmann prominenten Begrifflichkeiten ›ego‹ und ›alter ego‹ verweisen auf die Konzeption des Anderen als ›wie ich‹, als ein Quasi-›anderes Ich‹.
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»Ich und er lernen es als gegeben hinzunehmen, daß Unterschiede der Auffassung und Auslegung, die sich aus der Verschiedenheit meiner und seiner biographischen Situation ergeben, für seine und meine, für unsere gegenwärtigen praktischen Zwecke irrelevant sind, daß ich und er, daß wir so handeln und uns so verständigen können, als ob wir die aktuell und potentiell in unserer Reichweite stehenden Objekte und deren Eigenschaften in identischer Weise erfahren und ausgelegt hätten.« (Ebd.: 89)
Diese zweite Idealisierung schließt unmittelbar an die erste an, denn eine Voraussetzung der Annahme ähnlicher oder gar gleicher Erfahrungen ist die Übereinstimmung der diesen zugrunde liegenden Deutungsschemata.54 Das heißt: Trotz aller räumlich, körperlich und biographisch bedingten Perspektivität der Weltsichten sind die Unterschiede in den Wahrnehmungen im Alltag bis auf Weiteres vernachlässigbar, die Wahrnehmungen und Deutungen sind in ihrer Typik ›analogisierbar‹ – es wird angenommen, »daß die Mitmenschen das gleiche wissen wie ich und umgekehrt« (ebd.: 365). Für den erwachsenen, vollsozialisierten ›Jedermann‹ sind die ›Idealisierungen‹ alltagsweltliche Axiome, sie treten in den Hintergrund des Bewusstsein und ›verlieren‹ ihren Charakter als Erfahrung/Wissen. Damit erhält die grundlegende Erfahrung des Anderen als typischer Mitmensch den gleichen ›Wissensstatus‹ wie das oben skizzierte Gewohnheitswissen. Zum einen fließt sie als Grundelement in jede Situation mit ein – direkt als konkrete Interaktionspartner oder indirekt in Form von Wissen über Typen und Erwartungs-Erwartungen. Zum anderen gründet jedoch besonders die Annahme der wechselseitigen Übernahme der Deutungsperspektive auf erworbenem Wissen, d.h. es müssen gemeinsame bzw. für den anderen typische Deutungsschemata über Interaktionen, Situationen, Gegenstände etc. bekannt sein, um die sinnverstehende Perspektive des Anderen einnehmen zu können. Und auch das Wissen über die biographische Einbettung des Anderen ist beiden Interaktionspartnern (mehr oder weniger bewusst) gegeben. Das heißt, sie wissen, dass die Relevanzen, Deutungen etc. nie identisch sein können, dass aber diese Varianten im alltäglichen sozialen Handeln (bis auf Weiteres) irrelevant bleiben können und Verständigung trotzdem (oder gerade deshalb) möglich ist. Als Grundaxiom jeder sozialen Interaktion und »Voraussetzung für eine Welt der gemeinsamen Gegenstände und dadurch der wechselseitigen Verständigung« (Schütz 1971e: 365) einerseits und Effekt alltagsweltlichen Wissenserwerbs bzw. Erfahrungen andererseits nimmt die ›Generalthese‹ somit ebenfalls eine
54 Der ›Standort‹ der ersten Idealisierung kann hier durchaus in seiner metaphorischen Bedeutung als Perspektive der Wahrnehmung verstanden werden (vgl. zur Metaphorik körperlicher Zustände Kapitel 4).
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›Zwitterstellung‹ ein: ego und alter ego sind nie ›nur‹ körperliche Menschen, sondern immer schon Mitglieder einer Gesellschaft. Jede Erfahrung des Anderen ist damit immer schon kulturell eingebettet, die ›natürliche‹ ist immer auch eine kulturspezifische Einstellung. Von den Grundelementen und auch den Zwischenstufen von Wissen analytisch zu trennen ist das Element des gesellschaftlichen Wissensvorrates, das bislang immer wieder als explizites Deutungswissen angesprochen wurde. Zum einen ist hier – mit Bezug auf den Körper – das Interpretationswissen körpergebundener Informationen zu nennen. Schütz/Luckmann sprechen hier von Anzeichen oder Protozeichen, deren Sinn vom Gegenüber erschlossen werden muss.55 Dieses Erschließen erfolgt durch (mehr oder weniger) bewusste Appräsentationsleistungen des Einzelnen, durch die etwas Gegenwärtiges, Präsentes als auf etwas Nichtgegenwärtiges, Appräsentes Verweisendes erkannt wird. Körperliche Ausdrücke wie Gesten, Gang, Physiognomie verweisen demnach, basierend auf der Generalthese der Reziprozität, auf die Bewusstseinslage des Anderen, auf seine cogitationes.56 In der Erfahrung abgelagerte Deutungsschemata dieser typischen Verbindungen, die sich im Laufe konkreter Interaktionen bilden und die anthropologische Fähigkeit des ›Sich-in-den-Anderen-Hineinversetzens‹ inhaltlich füllen, haben »zweifellos eine besondere phylogenetische und ontogenetische Bedeutung« (Luckmann 2007d: 104), denn so ist es ego möglich, alter ego zu verstehen.57 Zum anderen ist hier das jenseits des praktischen bzw. pragmatisch orientierten Körperwissens jedes Wissen über den Körper i.S. eines ›Körperdings‹ als Teil der theoretischen Dimension des Wissensvorrates zu nennen. Theoretisches Wissen über den Körper reicht von ganz allgemeinen Funktionszusammenhängen58 bis hin zu Expertenwissen biologischer, physikalischer, medizinischer, sportwissenschaftlicher o.ä. Natur, das i.d.R. aber nicht (zur Gänze) kollektiv geteilt ist (vgl. ›Sonderwissen‹ weiter unten). Des Weiteren sind abstrakte Symbole/Symbolsysteme Teil des allgemeinen Rezeptwissens. In diesem Zusammen-
55 Zu An- und Protozeichen vgl. Schütz/Luckmann (1984: 184ff.). Im Folgenden werden Genese und Bedeutung von An-/Proto-/Zeichen noch genauer erläutert. 56 Schütz bezeichnet damit »Gefühle, Strebungen, Empfindungen usw.« (Schütz 1971e: 368). Mit cogitationes sind in einem erweiterten Sinn sowohl leibliches Empfinden als auch kognitive Vorgänge wie Bewertungen zu bezeichnen. 57 Vgl. zur kommunikativen Funktion körperlicher Anzeichen Kapitel 3.4. 58 Knoblauch spricht hier auch von »explizitem Körperwissen«, das sich »vermutlich zu großen Teilen als ›gesunkenes Kulturgut‹ aus den massiv verbreiteten Elementen des Körperwissens der Experten zusammensetzt« (Knoblauch 2005b: 99).
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hang ist v.a. auf das Zeichensystem hinzuweisen.59 Zeichen sind abstrakte Verweisungszusammenhänge, »die über subjektive Intentionen im ›Hier und Jetzt‹ hinausreichen« (Berger/Luckmann 2004: 38) und deren primäres Ziel wechselseitige Verständigung ist. Mittels Zeichen, allen voran der Sprache, ist es zwei Individuen möglich, auf ihre Gedanken, Empfindungen etc. explizit hinzuweisen. Zeichen haben (im Gegensatz zu Anzeichen) von vornherein eine kommunikative Implikation.60 Zusammenfassend kann zum Verhältnis von Grundelementen und gesellschaftlichem Wissen festgehalten werden, dass die Grundelemente keine Teilinhalte des Wissensvorrates sind, die je nach Situation angewandt werden oder nicht, sie sind keine kontingenten, beliebigen Erfahrungssedimentierungen, sondern präreflexives Erleben. Da die Grundelemente nicht Gegenstand reflexiver Zuwendung sind, werden sie auch in der Regel nicht zur Erfahrung in diesem Sinn und können deshalb als von sozio-kultureller Prägung unabhängige Universalien gesehen werden. Universell sind jedoch, wie beschrieben, ausschließlich die Grunderlebnisse unseres Körpers und die prinzipielle Erfahrbarkeit desselben, also die Erzeugung von Wissen über, aber auch durch den Körper aus der exzentrischen Position heraus. Die Form, die dieses Wissen annimmt, kann dann je nach Kultur variieren. So »gibt es Formen des Wissens vom eigenen Körper, die nicht in allen Gesellschaften gleich sind und nicht einmal innerhalb derselben Gesellschaft gleich sein müssen« (Schütz/Luckmann 1979: 143). Schütz/ Luckmann bezeichnen Körperwissen deshalb auch als Grenzbereich zwischen den universellen Grundelementen und dem kulturspezifischen Wissen. Jede reflexive Bezugnahme auf eigenleibliches Erleben setzt Sinn bzw. Wissen voraus, damit ist jede körperliche Erfahrung immer auch sozio-kulturelle Erfahrung. Und weil die körperlich fundierten Grundstrukturen unseres Wissen unter der Oberfläche objektivierten, versprachlichten Wissens bleiben, dienen sie in der Regel auch nur bedingt der kommunikativen sozialen Abstimmung (ebd.: 142f.). Bedingt deshalb, weil die körperlichen Grunderfahrungen bzw. die diesen impliziten anthropologischen Tatsachen (mithin v.a. die Erfahrung der Doppelheit des
59 Vgl. zur Zeichentheorie von Schütz z.B. Schütz (1971e), Schütz/Luckmann (1979/ 1984) und zur Zeichen- bzw. Sprachtheorie Luckmanns z.B. Luckmann (2002a, 2007d, 2007e). 60 Auf das An-/Zeichensystem im Allgemeinen und auf Sprache als das sozial wichtigste Zeichensystem im Besonderen, werde ich im Folgenden noch genauer eingehen (vgl. Kapitel 3.3.2 und 3.3.3).
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Körpers) die natürliche Einstellung61 gegenüber alter ego begründen, allen voran die sog. ›Generalthese der Reziprozität der Perspektiven‹. Die Leiblichkeit erhält insofern eine wesentliche soziale Funktion. Neben den ihrer Struktur nach anthropologisch-universellen Formen menschlichen ›Wissens‹ (Grundelemente, Appräsentation, Idealisierungen), die für soziale Verständigungsprozesse zwar notwendig, aber nicht hinreichend sind, erweisen sich daher die inter- und intrakulturell spezifischen Dimensionen, die in der ›Generalthese‹ z.T. schon vorausgesetzt sind, als für die Soziologie von besonderem Interesse. Denn diese machen den Wissensvorrat erst zu einem gesellschaftlichen Phänomen und ermöglichen Verständigung jenseits rudimentärer Körpersprache überhaupt erst.62 Abschließend ist noch auf die soziale Verteilung von Wissen hinzuweisen: Sowohl die Grundelemente, die natürliche Einstellung mit ihren Idealisierungen, als auch weite Teile des Gewohnheitswissens gehören zum Allgemeinwissen einer Gesellschaft, d.h. sie sind (im ›Normalfall‹) in jedem subjektiven Wissensvorrat vorhanden. Allgemeinwissen sind Lösungen von Problemen, die für jedermann relevant sind.63 Probleme also, die allen Mitgliedern einer Gesellschaft in irgendeiner Art und Weise begegnen und deren Lösungen von ihren Vorgängern konventionalisiert und so zum allgemeinen Teil des Wissensvorrates wurden. Die konkreten Ausformungen dieses Wissens können hingegen sozial differieren, denn aufgrund der biographischen Rahmung der Erfahrungen ist eine
61 »Sie ist die sedimentierte Gruppenerfahrung, die die Probe bestanden hat und vom einzelnen nicht auf ihre Gültigkeit nachgeprüft werden muß« (Schütz/Luckmann 1979: 30). Das Konzept der (quasi-)natürlichen Einstellung übernehmen Schütz und Berger/Luckmann von Scheler, der von der »relativ-natürlichen Weltanschauung« spricht (vgl. Scheler 1926: 59). Sie bezeichnet alles, was für den Einzelnen bzw. in einer Gesellschaft als fraglos gilt: sie wird als in der Regel nicht reflexionsbedürftige Gegebenheit angenommen. Für die Frage nach Verständigung ist besonders die natürliche Einstellung gegenüber meinen Mit- und Nebenmenschen von Bedeutung. 62 Vgl. hierzu Luckmanns Annahme universal-anthropologischer »quasi-instinktive« Kommunikationselemente wie den »Augenkontakt, [...] gewisse Grundzüge des Erschreckens, des Lachens und vielleicht auch mancher schon recht komplexer Ausdruckgebärden« (Luckmann 1984: 78). 63 ›Problem‹ meint im wissenssoziologischen Kontext eine neue, noch nie da gewesene oder veränderte Situation, für die ein sinnvoller, akzeptabler Umgang, eine ›Lösung‹ gefunden werden muss. Werden solche ›Lösungen‹ intersubjektiv gültig und wirksam, finden sie Eingang in den objektiven Wissensvorrat und bleiben solange unhinterfragt, wie sie dem ›Problem‹ angemessen sind (vgl. Schütz/Luckmann 1979: 342ff.).
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»absolute Gleichmäßigkeit in der Verteilung der Elemente des gesellschaftlichen Wissensvorrates grundsätzlich unmöglich« (ebd.: 372). Auch die spezifischen Teilinhalte, also der Wissensvorrat im engeren Sinn, können intrakulturell stark variieren. Je nach sozialer Position (Geschlecht, Alter, Beruf etc.) erwirbt der Einzelne Sonderwissen, das (prinzipiell oder nur typischerweise) anderen nicht zugänglich ist. Wissen ist sozial verteilt.64 Vor allem in funktional differenzierten Gesellschaften weitet sich der Bereich des Experten- oder Sonderwissens und damit die Ungleichmäßigkeit bis hin zur Ungleichheit des Wissens immer mehr aus.65 Es ist aber gerade das allgemeine oder kollektiv geteilte Wissen, das die Voraussetzung der natürlichen Einstellung in einer Gesellschaft bildet, das Wissen, das Sozialität erst ermöglicht. Es umfasst die Konstruktionen, Konventionen, Legitimationen, die Wirklichkeit überhaupt erst konstituieren, die definieren, was wahr oder unwahr, richtig oder falsch, real oder irreal ist. Wissen ermöglicht uns nicht nur, unsere Erfahrungen, Pläne, Meinungen, Interpretationen zu kommunizieren, es ist überhaupt erst die Voraussetzung, dass wir Erfahrungen ma-
64 Vgl. hierzu Schütz/Luckmann (1979: 363ff.). Dabei differieren sowohl Inhalt als auch Form des Wissens: »...sowohl das ›Was‹, als auch das ›Wie‹ des Wissens [sind] sozial verteilt...« (Ebd.: 381; vgl. auch Berger/Luckmann 2004: 47f., 76ff.). Zum Sonderwissen gehört auch die Unterscheidung in Laien und Experten – Ärzte haben somit körperliches Expertenwissen (im- wie explizites), Patienten hingegen lediglich Laienwissen. Im historischen Verlauf kann sich der Status von Wissen auch ändern, bspw. wenn Expertenwissen zunehmend diffundiert und zu Laienwissen wird oder wenn jedermann zugängliches Wissen spezifischer und differenzierter und durch spezielle Zuteilungs- und Legitimationsprozesse zu Expertenwissen wird (vgl. das Beispiel Geburtenhilfe im Übergang vom 18. zum 20. Jahrhundert in Schlumbohm 1998). Auch Mannheim verweist mit seiner Unterscheidung zwischen Seinsgebundenheit des Denkens als prinzipielle, anthropologisch begründete soziale Bedingtheit des Wissens und der Seinsverbundenheit des Wissens als Ausdruck konkreter, sozialstruktureller und damit kontingenter Di- und Konvergenzen von Weltanschauungen und Denkstilen bestimmter Gruppen oder Milieus (vgl. hierzu Jung 2007: 139f.). 65 Als Folge von Pluralisierungs- und Differenzierungsprozessen, wenn in einer Gesellschaft Wissen also auf komplexe Art sozial verteilt ist, kann für den Einzelnen die Annahme der Gleichheit der Relevanzstrukturen und Wahrnehmungen seiner Mitmenschen »nur noch bedingt und nur bis auf Widerruf« gelten (Schütz/Luckmann 1979: 388). Und je differenzierter die Verteilung von und der Zugang zu Wissen wird, desto mehr wird Wissen zu einem Machtfaktor (vgl. hierzu ebd.: 374f.).
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chen, Pläne schmieden, Meinungen haben und Situationen interpretieren und v.a. prägt unser Wissen die Art, wie wir das tun. Da unser Wissen einen solch grundlegenden, weil wirklichkeitskonstitutierenden Stellenwert hat, soll dessen Entstehung und Vermittlung in einem eigenen Abschnitt aufgezeigt werden. Schließlich gehört es zu den basalen Fragen einer als gesellschafts-/grundlagentheoretisch verstandenen Wissenssoziologie, wie es möglich ist, »daß subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird [...], daß menschliches Handeln (Weber) eine Welt von Sachen (Durkheim) hervorbringt« (Berger/Luckmann 2004: 20; Herv.i.O.). Und nicht zuletzt kann hier der Zusammenhang von Körper, Wissen und Interaktion deutlich gemacht werden. 3.3.2 Genese und Vermittlung von Wissen als interaktiver Prozess Bei der Konstitutionsanalyse von sozialem und schließlich gesellschaftlichem Wissen (praktischer und abstrakt-symbolischer Art) wird zwischen der gattungsgeschichtlichen Entstehung und dem subjektiven Erwerb unterschieden. Da die verschiedenen Formen der An-/Zeichensysteme von herausragender Bedeutung sind, wenn es um die Herstellung von Intersubjektivität und Prozesse wechselseitiger Abstimmung geht66 und sich anhand ihrer Konstitution die Bedeutung des Körpers bei der Genese auch nicht-praktischen Wissens gut aufzeigen lässt, sollen diese hier als exemplarisch für die Genese des gesellschaftlichen Wissensvorrats etwas ausführlicher dargestellt werden. 3.3.2.1 Phylogenese des Wissens – Entstehung des gesellschaftlichen Wissensvorrats (Phänomeno-)Logisch gesehen hat der gesellschaftliche Wissensvorrat subjektiven, genauer subjektrelationalen Ursprung. Schütz/Luckmann sprechen hier von der »grundsätzliche[n] Priorität des subjektiven Wissenserwerbs«. (Schütz/
66 Verschiedene Bereiche des Alltags sind von unterschiedlicher Relevanz, aber »habitualisiert werden muß in jedem Falle der Vorgang der Kommunikation von A und B« (Berger/Luckmann 2004: 61). Intersubjektivität kann nur im Handeln und durch die Verwendung transzendenzüberbrückender An-/Proto-/Zeichen erzeugt werden, da nur so ego Zugang zu alter ego erhält. Andere Beispiele intersubjektiver Probleme, die durch Objektivierung unterschiedlicher Art (v.a. Habitualisierungen) gelöst werden, sind Nahrungsbeschaffung, Schutz oder Geschlechtlichkeit (vgl. Luckmann 1992: 140).
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Luckmann 1979: 315) Es sind immer konkrete Individuen, die leiblich vermittelte Erlebnisse machen, diesen Sinn verleihen und sie bewusst als Erfahrungen deuten, m.a.W. die Lösungen für Probleme des Alltags finden.67 Diese gehen dann als Erfahrungen in den Wissensvorrat des Einzelnen ein. Da diese konkreten, wirkenden Individuen aber immer schon soziale Wesen sind, die Probleme des Alltags soziale Probleme sind, die den Anderen bzw. beide als soziale Einheit betreffen, sind auch die Lösungen von überindividueller Bedeutung: »Wissen, das ›Lösungen‹ für typisch ähnliche Probleme des einen wie des anderen darstellt, ist intersubjektiv relevant, bzw. [...] zumindest im Ansatz auch schon sozial relevant. [...] Auf Grund gemeinsamer Relevanzen bildet sich [...] aus subjektiven Wissenselementen ein gemeinsamer, quasi-sozialer Wissensvorrat aus.« (Ebd.: 344f.)68
Damit die subjektiven Erfahrungen von sozialer Relevanz bzw. die intersubjektiven Wissensbestände über die konkrete Situation und die Interaktion zweier konkreter Individuen hinaus Bestand haben, bedarf es der Objektivierung (Schütz/Luckmann) bzw. Institutionalisierung (Berger/Luckmann).69 Mit Objektivierung meinen Schütz/Luckmann »die Verkörperung subjektiver Vorgänge in Vorgängen und Gegenständen der Lebenswelt des Alltags« (ebd.: 317), d.h. in Phänomenen, die von anderen Subjekten wahrnehmbar und deutbar sind. Diese reichen vom konkreten Verweisungszusammenhang in Form von Anzeichen und Merkzeichen bis hin zu abstrakten Verweisungszusammenhängen in Form von Zeichen und Symbolen.70
67 Zum Problem-Begriff in der Wissenssoziologie vgl. Fn 63 in Kapitel 3.3.1. 68 Vgl. hierzu auch Luckmann: »Typisierungen, Erfahrungsschemata und Handlungsmuster bieten ›Lösungen‹ für Probleme von subjektiver Bedeutung an. Sie werden genau aus diesem Grund im subjektiven Wissensvorrat eines Individuums abgelagert. Weil Individuen in einer sozialen Welt leben, werden viele Probleme der Handelnden auch als für andere Handelnde von Relevanz verstanden.« (Luckmann 2002e: 207; Herv.S.S.) 69 Vgl. hierzu Schütz/Luckmann (1979: 317ff., 1984: 178), Berger/Luckmann (2004: 56ff.), Luckmann (1992). 70 Anzeichen überwinden als Appräsentationszeichen die räumlichen Grenzen, Merkzeichen transzendieren die zeitlichen. Da Merkzeichen als von A bewusst gesetzte Erinnerungen an einen bestimmten Handlungsablauf o.ä. von B wie Anzeichen gedeutet werden, sobald sie soziale Bedeutung erlangen, beschränke ich mich im Folgenden auf die Ausführungen von Anzeichen. Bei Symbolen verhält es sich ähnlich. Sie entsprechen in ihrer Form den Zeichen, unterscheiden sich lediglich hinsichtlich ihrer
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Anzeichen sind erst einmal von Intersubjektivität unabhängig. In der alltäglichen Erfahrung, im alltäglichen Wirken, ergeben sich im Bewusstsein des Einzelnen immer wieder überzufällige Verbindungen in Form ›quasi-natürlicher‹ Kausalzusammenhänge zwischen Handlungen und deren Resultaten, cogitationes und deren Ausdrucksformen. Da diese alltägliche Erfahrung meist auch eine sozial relevante, interaktive Erfahrung ist, erhalten Anzeichen in der konkreten Situation eine intersubjektive Bedeutung. Bei Übereinstimmung des Relevanzund Erfahrungssystems von A und B71, d.h. wenn beide die Situation als Problem wahrnehmen und die appräsentative Verbindung von Anzeichen und Situation erkennen, entwickelt B durch Beobachtung in der konkreten Situation Wissen durch die Externalisierungen von A. Durch Interpretation der präsenten Anzeichen (Ausdrucksformen, Handlungen oder Handlungsresultate) als Verweisungen auf bestimmte Bewusstseinsvorgänge von A entsteht Wissen über bestimmte Zusammenhänge, Kausalitäten, erfolgreiche oder erfolglose Strategien etc. Voraussetzung ist, neben gemeinsam geteilten Relevanzen, die Spiegelung im Anderen und die Übernahme seiner Perspektive, also die Wahrnehmung des Anderen als ›wie ich‹, mit der Schlussfolgerung, dass ego (B) die gleichen Wahrnehmungen und Erfahrungen machen würde, wäre er an Stelle alter egos (A). 72 Eine besondere Bedeutung für die Genese basalen Verständigungswissens haben leibliche Verweisungszusammenhänge, also die erfahrungsbasierte Verbindung körperlicher Anzeichen und leiblicher, ›innerer‹ Vorgänge: »Schon allein durch die kontinuierliche visuelle Wahrnehmung des Leibes und der Leibesbewegungen des Anderen konstituiert sich ein Appräsentationssystem wohlgeordneter Anzeichen seines Seelenlebens und seiner Erfahrungen.« (Schütz 1971e: 362f.)
Funktion. Symbole überwinden Transzendenzen des Alltags, ermöglichen also eine Kommunikation über verschiedene ›Wirklichkeiten‹ hinweg, während Zeichen die prinzipiell unüberwindbare Grenze zum Bewusstsein, zum Denken des Anderen überwinden sollen. Zur genaueren Differenzierung vgl. Schütz (1971e). 71 Zur besseren Veranschaulichung werde ich im Folgenden mit A und B Vertreter der ›ersten Generation‹ und mit C den Vertreter der ›zweiten Generation‹ bezeichnen. 72 Anzumerken ist hier, da es sich ja noch um den idealtypisch ›vor-gesellschaftlichen‹ Aufbau des Wissens handelt, dass sich die Wechselseitigkeit der Relevanzen und Erfahrungen und damit zusammenhängend die Reziprozität der Perspektiven auf ganz grundlegende, universell-menschliche, damit aber auch rudimentäre Motive, Bedürfnisse und ›Erfahrungen‹ handelt, kurz: um die »Minimalform der Intersubjektivität« (Luckmann 1992: 143).
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Auf der Grundlage der (pragmatischen) Reziprozität der Standorte und Perspektiven, unter Abstraktion von konkreten Erfahrungen eines konkreten A und der In-situ-Beobachtung eines konkreten B wird in der Folge dann ein typisiertes Appräsentations- und Deutungssystem erzeugt.73 Haben sich derartige Appräsentationen erst einmal gebildet, können später auch die Handlungen bzw. deren Resultate unabhängig von den konkreten Eigenschaften der Entstehungssituation als Anzeichen erkannt und gedeutet werden.74 Bezogen auf künftige Interaktionen können Anzeichen dann als Wissen, werden sie im Rahmen sozialen Handelns verwendet, die Funktion von ProtoZeichen übernehmen.75 Sie dienen ihrem Ursprung nach zwar nicht der Kommunikation, der Mitteilung von Absichten, sind kein Medium wechselseitiger Verständigung. Werden sie allerdings von A in dem Bewusstsein der Reziprozität mit B gesetzt, ist der Grad der Zeichenhaftigkeit erreicht (s.u.). So übernehmen Anzeichen als Effekte interaktiven Verständigungshandelns die Funktion, soziale Situationen zu initiieren, zu regulieren und zu strukturieren. Anzeichen sind demnach wichtige Elemente des Wissens einer Gesellschaft. Sie ermöglichen es, wenn auch begrenzt, die (vermutliche) Absicht des Gegenübers zu deuten, seine Handlung zu antizipieren und den eigenen Handlungsentwurf dementsprechend zu konzipieren. Diese Form der Objektivierung bleibt aber in ihrer Entstehung und Funktion als Verständigungsmedium abhängig von der direkten, leibgebundenen Wir-Beziehung bzw. der Du-Orientierung von B und der typischen Übereinstimmung der rahmenden Problem-Situation. Anzeichen bleiben also stark
73 Hier ist noch einmal explizit auf die soziologische Interpretation von zwar grundsätzlich subjektrelationalen, aber immer intersubjektiv eingebetteten appräsentativen Bewusstseinsleistungen bei Schütz hinzuweisen. Zum Begriff der Appräsentation s.o. 74 Das meint z.B., jedes ›typische‹ Lächeln ist ein ›typischer‹ Hinweis auf Wohlbefinden o.ä. 75 »Sobald ›objektivierte‹ Ausdrucksformen in den intersubjektiven Wiederspiegelungsvorgang, der soziales Handeln in konkreter Intersubjektivität kennzeichnet, eingeflochten werden, sind die Voraussetzungen für die Konstitution proto-typischer Zeichen gegeben. Eine Ausdrucksform in gemeinsamer Reichweite der Partner in der Situation kann vom einen wie vom anderen absichtlich hervorgebracht, von beiden gleichartig erfahren und von beiden in gleichartigen Deutungsschemata erfasst werden.« (Luckmann 2007d: 106) Proto-Zeichen sind keine Zeichen, weil sie zur Deutung und als Medium der Verständigung auf die situative Aktualität und die räumlichkörperlichen Bedingungen der direkten Interaktion angewiesen sind, ebenso wie auf die Übereinstimmung der Erfahrungs- und Relevanzstrukturen. Vgl. auch Schütz (1971e); Schütz/Luckmann (1979: 331ff., 1984: 187).
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personen- und lagegebunden und eignen sich demnach nicht zum Aufbau eines komplexeren gemeinsamen Wissensvorrates, der die Generation von A und B überdauern und so zum gesellschaftlichen Wissensvorrat werden soll.76 Intersubjektiv relevantes Wissen betrifft freilich auch nicht nur Probleme der praktischen Weltbewältigung, der Koordination wechselseitig relevanter Handlungen etc. Auch kognitive Konstruktionen, Auslegungsakte, Deutungen, die abstrakte, dem leiblichen Erfahrungszusammenhang enthobene Phänomene fassbar machen, sind als zu lösende Probleme Elemente des Wissensvorrats, denn eine zunehmend ausdifferenzierte soziale Wirklichkeit überschreitet den Bereich des pragmatischen Wirkens im Alltag.77 Viele komplexe Sinnsysteme gründen auf sozialen Konventionen, auf Lösungen, die einen adäquaten Umgang mit abstrakt-ideellen Wirklichkeitsdimensionen erlauben. Da diese Lösungen nicht auf intersubjektive Erfahrungen rekurrieren können, es demnach keine lebensweltlichen Anzeichen geben kann, sind sie von vornherein, also schon in der Minimalsozialität von A und B, in abstrakter Zeichenform objektiviert.78 Generell gilt: Soll das Wissen die Situation überdauern und über den konkreten Handlungs- und Kommunikationszusammenhang hinaus verständigungsrelevant bleiben (also zum gesellschaftlichen Wissen werden), muss es in abstrahierter Form als Zeichen objektiviert werden. Das gilt für Wirk- wie für Denkakte. Berger/Luckmann sprechen in diesem Zusammenhang von Institutionalisierungsprozessen, die »am Anfang jeder gesellschaftlichen Situation, die ihren eigenen Ursprung überdauert« (Berger/Luckmann 2004: 59) stehen. Die reziproke Typisierung von Handelnden und ihren (sozial relevanten) Handlungen, von Deutungen bestimmter Situationen etc. sind Vorstufen von Institutionen.79 Damit Konventionen, Habitualisierungen und die dazu gehörigen Rollenmuster zur In-
76 »Wenn wir [...] von einem gesellschaftlichen Wissensvorrat sprechen, denken wir grundsätzlich an eine Vermittlung des Wissens über die Generationen.« (Schütz/ Luckmann 1979: 346) 77 Luckmann differenziert in diesem Zusammenhang zwischen »unmittelbar auf Sinneswahrnehmungen beruhenden Erfahrungen«, nicht-universalen Gegenständen der sozialen Wirklichkeit, die eine »historische, von der Sprache wesentlich mitkonstituierte Existenz« haben und Gegenständen, die »ohne solche Vermittlung [durch Zeichen und Symbole, Anm. S.S.] prinzipiell nicht erfahrbar« sind (vgl. Luckmann 1969: 1083). 78 Vgl. besonders zu diesem Punkt Kapitel 4 über Lakoff/Johnson. 79 Berger/Luckmann vertreten einen weiten Institutionenbegriff, der sich auf alle habitualisierten und objektivierten Handlungen und Verhaltensweisen bezieht.
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stitution werden, müssen sie den Status der Objektivität erlangen, also in ein Zeichensystem transformiert werden, denn »individuelle Erfahrungsablagerungen können nur dann als gesellschaftlich bezeichnet werden, wenn ihre Objektivation mit Hilfe des Zeichensystems vollzogen worden ist, das heißt, wenn die Möglichkeit vorhanden ist, die Objektivation gemeinsamer Erfahrungen zu wiederholen« (ebd.: 72).
Dieses Zeichensystem konstituiert sich im interaktiven Aushandlungsprozess (Schütz/Luckmann 1984: 192), ist ein Effekt, eine Art ›Weiterentwicklung‹ der Anzeichensysteme, baut also schon auf gemeinsamen Erfahrungen auf und ist demnach genetisch und intentional ursprünglich sozial vermittelt.80 Zeichen sind von vornherein anonymisiert und von der Situation abstrahiert. Existiert erst einmal ein gemeinsames Zeichensystem, mit dem beide vertraut sind, sind nicht mehr zwei konkrete Individuen A und B in einer gegebenen, klar definierten Situation nötig, um subjektives Wissen von A zu objektivieren. So kann A einem B sein bzw. A und B einem C ihr erworbenes Wissen vermitteln, und zwar auf abstrakt-symbolische Art und Weise, ohne auf körperliche Präsenz in der betreffenden ›Problem‹-Situation angewiesen zu sein. Und es sind auch nicht mehr die subjektiven Erfahrungen als solche, die ja immer räumlich, zeitlich und sozial eingebettet und damit leiblich gebunden sind, sondern die typisierte, anonymisierte und abstrahierte Form derselben, die vermittelt wird. Zusammenfassend gilt nach Schütz und Berger/Luckmann, und das ist hier wichtig zu betonen, dass durch körperliches bzw. körperlich vermitteltes Wirken erzeugtes Wissen, ist es von sozialer Relevanz und soll deshalb intersubjektiv gelten, typisiert, anonymisiert, idealisiert, also v.a. vom pragmatischen Ursprung leiblicher Erfahrung, die notwendig subjektiv81 und spezifisch ist, abstrahiert
80 Die soziale Intentionalität von Zeichen ergibt sich durch die von vornherein auf Andere hin orientierte Verwendung. Sowohl der Zeichensetzende, als auch der Zeichendeutende wissen um die Bedeutung der jeweiligen ›Objektivierungen‹: A unterstellt B typischerweise ähnliche Relevanzen und geht des Weiteren wie selbstverständlich davon aus, dass B die Zeichen deutet, wie A sie deuten würde und B unterstellt A, dass er das ausdrücken will, was B den Zeichen entnimmt (vgl. hier wieder die Reziprozität der Perspektiven). 81 Leibliches Erleben, Empfinden, Wirken – wird es zur konkreten leiblichen Erfahrung (als reflexive Deutungen des Erlebten) – hat von vornherein einen subjektiven (aber nicht vor-sozialen) Charakter (vgl. Schütz 1971c). Das zeigt sich auch implizit in der grundlegenden Bedeutung der leiblich vermittelten Interaktion für die Wahrnehmung
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werden muss. Nur durch diese Entsubjektivierung und Verallgemeinerung ist es auch überhaupt erst möglich, eine gemeinsame Wirklichkeit zu konstruieren, da die zwangsläufige Perspektivität der Weltwahrnehmung mittels typisierten Wissens dieser Form überwunden und der Anspruch auf intersubjektive Geltung aufrechterhalten werden kann (vgl. Srubar 1979). Nur so ist die Voraussetzung für die Konstruktion eines sozialen (meint intersubjektiven) Wissensbestandes zwischen A und B sowie die eines gesellschaftlichen Wissensvorrates, der die Generation von A und B überdauert und an C weitergegeben werden kann, erfüllt. Wissen erhält von nun an eine neue Dimension. Als Manifestation im gesellschaftlichen Wissensvorrat konstituiert und repräsentiert es Wirklichkeit. Probleme bzw. Relevanzen mit sozialer, überindividueller Bedeutung und deren Lösungen sind in objektivierter, institutionalisierter Form Teil des gemeinsamen Wissens.82 3.3.2.2 Ontogenese des Wissens – Erwerb eines subjektiven Wissensvorrats Konstitutionslogisch basiert gesellschaftliches Wissen also auf interindividuellen, pragmatisch fundierten Konventionen, die weitgehend kontingent sind (das betrifft v.a. theoretisches und abstrakt-symbolisches Wissen). Empirisch gesehen ist allerdings jede Erfahrung von vornherein sozial geprägt, da es keinen »absoluten Nullpunkt des Wissensstandes« (Schütz/Luckmann 1979: 280) gibt. Sobald A und B, bei gleicher Relevanz- und Erfahrungsstruktur, die selbst wiederum auf vergangenen Erfahrungen aufbaut, eine Situation ähnlich deuten und sich dies gegenseitig anzeigen, existiert geteiltes Wissen, auf dem immer wieder neues aufgebaut wird. Der sich im Laufe der Zeit, genauer im Laufe von Interaktionen, entwickelnde gemeinsame Wissensvorrat ist ein Sammelsurium, ein »Warenlager der vergangenen, objektivierten Deutungsakte zahlloser anderer Menschen« (Luckmann 2002c: 76), die stets aufeinander aufbauen, diese ablösen, verändern oder erweitern. Und dieses Warenlager ist für jedes neue Gesellschaftsmitglied als »objektive Wirklichkeit« (Berger/Luckmann 2004: 49) gegeben. Schon die erste Generation, die mit gesetztem Wissen konfrontiert wird, verfolgt die ursprünglichen Konstitutionsbedingungen dieses Wissens nicht zurück. Damit sich
des Anderen als Individuum, als eigenständiges Subjekt (vgl. Schütz 1971e: 366; Berger/Luckmann 2004: 31ff.). Vgl. näher hierzu Kapitel 3.4.2. 82 Dass nicht jedes subjektive Wissen, auch wenn es prinzipiell sozial relevant ist, von allen anderen Gesellschaftsmitgliedern geteilt wird, wurde oben bereits dargestellt (vgl. Sonderwissen).
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der Einzelne dann aber Teile dieses objektiven Wissens als »subjektiven Wissensvorrat« aneignet, bedarf es der Legitimation83 und der Sozialisation.84 Das Angewiesensein auf soziale Interaktion vom ersten Tag nach der Geburt an, gehört, wie oben ausgeführt, zu den anthropologischen Grundtatsachen: »Solange Menschen von Müttern geboren werden, fundiert Intersubjektivität und Wirbeziehung alle anderen Kategorien des Menschseins« (Schütz 1971c: 116).85 Nur im Rahmen dieser Interaktion erwirbt das Individuum praktisches und theoretisches Wissen und erschließt sich so die Welt: »Das Welterfassen ist nicht das Ergebnis selbstherrlicher Sinnsetzungen seitens isolierter Individuen, sondern es beginnt damit, daß der Einzelne eine Welt ›übernimmt‹, in der Andere schon leben.« (Berger/Luckmann 2004: 140)
Im alltäglichen Interagieren mit der Umwelt und den Mitmenschen, primär den sog. »signifikanten Anderen«86 (die später zu Vertretern der »generalisierten An-
83 Legitimationen sind nötig, da bereits C nicht mehr auf plastische Erinnerungen des Entstehungsprozesses zurückgreifen kann, die Begründungen überflüssig machten. Vor allem Konventionen müssen der zweiten Generation als sinnvoll und ›wahr‹ einsichtig gemacht werden. Die Wirklichkeit, die C als gegeben vorfindet, wird durch einfache ›Versicherungen‹ eines »so ist es eben« und »das macht man so« bis hin zu Mythen, Glaube, Werte etc. selbstverständlich. Diese kognitiven und normativen Legitimationen erzeugen die natürliche Einstellung und halten diese aufrecht. Vgl. hierzu Berger/Luckmann (2004: 66, insbes. 98ff.). Diese Perspektive auf Legitimationen von Wirklichkeitskonstruktionen und die damit verbundene Frage nach Machtprozessen und -strukturen werden heute vor allem in diskurstheoretischen Ansätzen weiter verfolgt (Keller 2005; Keller et al. 2005). 84 Vgl. im Folgenden Schütz/Luckmann (1979: 154ff., 293); Berger/Luckmann (2004: 139ff.). 85 Das Eingebundensein in Gesellschaft und die sozio-kulturelle Prägung der Entwicklung beginnen natürlich auch schon vor der Geburt im Mutterleib. Von ›Interaktion‹ ist der Wortbedeutung nach aber hier noch nicht zu sprechen, da dies sinnhaftes Handeln beider Interaktanten voraussetzt. 86 Ein Spezifikum der primären Sozialisation ist die notwendige Identifikation des Sozialisanten mit den Sozialisanden. Nur wenn sich das Kind mit den »signifikanten Anderen« in seiner Umgebung identifiziert, übernimmt es von ihnen Wissen. Diese Identifikation beinhaltet – und das ist wichtig – eine emotional-leibliche Komponente, eine Gefühlsbindung, ohne die »ein Lernprozeß schwierig, wenn nicht unmöglich wä-
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deren« ergänzt werden) macht der Einzelne kontinuierlich Erlebnisse, die nach entsprechender Deutung zu Erfahrungen werden und sich als solche im Bewusstsein sedimentieren und vertraut werden.87 Diese Deutung beruht nun eben nur in einzelnen Fällen auf eigenständigen (deshalb aber auch nicht vor-sozialen) Auslegungen. Wissen wird zwar immer in alltäglichen Erfahrungen subjektiv erworben, jedoch nicht immer bzw. in den seltensten Fällen werden diese Erfahrungen subjektiv ausgelegt. Der überwiegende Teil des Wissens ist vielmehr sozial vermittelt und dies in zweierlei Hinsicht. Sowohl die konkrete Erfahrungssituation als auch deren Deutung, Auslegung und Einordnung nach Relevanzen, die immer vor dem Hintergrund dem Individuum bzw. der aktuellen Erfahrung vorangegangener Deutungen, Auslegungen und Einordnungen stattfindet, sind sozial: die Welt des Einzelnen ist von Anbeginn an »vor-gemerkt«, »vor-angezeigt«, »vor-gedeutet« und sogar »vorsymbolisiert« (Schütz 1971e: 401) – die Welt ist immer schon typisierte und sinnhafte Kultur- und Sozialwelt.88 Durch Spiegelungsprozesse (Cooley) und Perspektivenübernahme (Mead) eignet sich das Kind diese Kultur- und Sozialwelt im Sinne eines »Protorealismus« als Wirklichkeit, die er mit anderen teilt und die als fraglos gegeben hingenommen wird, allmählich an (vgl. Berger/Luckmann 2004: 141ff.). Jede zwangsläufig subjektive Erfahrung wird, abhängig von der Relevanz für den Einzelnen, vom konkreten polythetischen Erfahrungszusammenhang anonymisiert und idealisiert und als monothetischer Typus im subjektiven Wissensvorrat abgespeichert. So erwirbt das Individuum nach und nach die unterschiedlichen Elemente des kollektiven Wissensvorrates (Allgemeinwissen) und, je nach biographischem und sozialem Hintergrund, bestimmtes Sonderwissen.
re« (Berger/Luckmann 2004: 142). Berger/Luckmann stützen sich hier auf die Sozialisationstheorie von Mead (1968). 87 Den Begriff der Sedimentierung übernehmen Schütz und Berger/Luckmann von Husserl. Damit ist die Ablagerung der Erfahrung als Erinnerung im Bewusstsein des Einzelnen gemeint (vgl. Schütz/Luckmann 1979: 154; Berger/Luckmann 2004: 72). Zu den »Stufen der Vertrautheit« und damit der Selbstverständlichkeit von Wissen vgl. Schütz/Luckmann (1979: 174ff.). 88 Der Inhalt der sozialen Vermittlung von Sinn bzw. Wissen »besteht aus einer Reihe von Systemen relevanter Typifikationen, typischer Lösungen für typische praktische und theoretische Probleme, typischer Vorschriften für typisches Verhalten, einschließlich des jeweils angemessenen Systems appräsentativer Verweisungen« (Schütz 1971e: 401; Herv.S.S.)
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Prinzipell kann man sagen, dass die Ontogenese des subjektiven Wissensvorrats die teilweise Wiederholung der Phylogenese des gesellschaftlichen Wissensvorrates ›im Kleinen‹ darstellt. Der Einzelne durchläuft zwar nicht die singulären Konstitutionsschritte des gesellschaftlichen Wissensvorrats und die gesellschaftlich konventionalisierten Bedeutungen bestimmter Situationen, Zeichen etc. Diese gehen zum Großteil unhinterfragt als natürliche Einstellung in den Wissensvorrat ein. Aber der primär leibliche Zugang zu und die direkte, interaktive (pragmatische) Auseinandersetzung mit der Umwelt, die in erster Linie eine Sozialwelt ist, bleiben unverrückbar.89 Zudem sind subjektive Sinnkonstitution und soziale Konstruktion immer als ineinander verwobener Prozess zu betrachten, somit ist auch jede Erfahrung immer perspektivisch (subjektiver Erfahrungszusammenhang) und sozial (Erfahrungszusammenhang ist von vornherein sozio-kulturell geprägt).
89 Im Hinblick auf die (immer auch) leiblich-pragmatische Fundierung der (primären) Sozialisation ist kritisch auf die mentalistische Verkürzung der interaktionistischpragmatischen Ansätze durch den Symbolischen Interaktionismus hinzuweisen, auf den sich Berger und Luckmann berufen und die in Aussagen wie »…das Selbst [ist] ein reflektiert-reflektierendes Gebilde, das die Einstellungen, die Andere ihm gegenüber haben und gehabt haben, spiegelt« (Berger/Luckmann 2004: 142) deutlich wird. Cooley und vor allem Mead beschreiben noch explizit die pragmatische Fundierung von Identität und Wissenserwerb und betonen, trotz aller Fokussierung auf die Kognitivität von Perspektivenübernahmen (»Das Wesen der Identität ist [...] kognitiv.«, Mead 1968: 216), auch die körperliche i.S. von sinnlich-praktische Verankerung intersubjektiver Austauschprozesse, die vor allem, aber nicht nur in der Sozialisation von Bedeutung sind: Cooley verortet den Erwerb des individuellen und sozialen Bewusstseins in Spiegelungsprozessen zunächst im (interaktiven) Handeln (und nicht im abstrakten Reflektieren; Cooley 1964: 190ff., 196ff.). Mead knüpft ganz grundsätzlich die Entstehung von Sozialität und Identität an gattungsspezifische organische Reifungsprozesse einerseits (vgl. Mead 1968: 291ff., insbes. 295f.) und an ein reflexives Selbstverhältnis zur eigenen Körperlichkeit und deren sozialer Funktion/Wirkung andererseits (vgl. ebd.: 177ff., 214f.; vgl. auch Joas 1989: 91ff., 1992: 265ff.; vgl. zur Bedeutung der pragmatischen Auseinandersetzung mit der Welt auch die Funktion von ›play‹ und ›game‹ bei Mead 1968: 194-206). Aber die Rezeption im Symbolischen Interaktionismus vernachlässigt diesen Aspekt und legt den Fokus auf Kognitionen in Form symbolisch vermittelter Interaktion, die die sinnrekonstruierende Perspektivenübernahme ins Zentrum stellt (vgl. Blumer 2013).
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3.3.3 Sprache als besonderes Appräsentationssystem Die Sprache als »zweifellos wichtigste[s] der lebensweltlichen Zeichensysteme« (Schütz/Luckmann 1984: 201) verdient ob ihrer herausragenden Bedeutung für Verständigungsprozesse, ja für Wirklichkeit überhaupt, eine genauere Betrachtung: »Vor allem anderen ist die Alltagswelt Leben mit und mittels der Sprache, die ich mit den Mitmenschen gemein habe. Das Verständnis des Phänomens Sprache ist also entscheidend für das Verständnis der Wirklichkeit der Alltagswelt.« (Berger/Luckmann 2004: 39)90
Entwicklungsgeschichtlich gesehen ist die Sprache das Resultat »ursprüngliche[r] sinnstiftende[r] Akte reflexiver Auslegungen.« (Schütz/Luckmann 1979: 39)91 Wie bei anderen Zeichensystemen ist es ein wesentliches Merkmal der
90 Vor allem Luckmann hat sich schon früh mit der Sprache als soziales Phänomen beschäftigt und spricht sog. von einer ›kommunikativen Wende‹ bzw. dem ›kommunikativen Paradigma‹ der neuen Wissenssoziologie (vgl. Luckmann 1969, 2002e; Knoblauch 1995; aktuell dazu Keller et al. 2013). Sprache ist dabei zunächst als Zeichensystem und wesentliche Wissensstruktur relevant, vor allem aber als Medium der Kommunikation, als Anwendung der Sprache im Sprechen und damit als Form des sozialen Handelns. Vor allem mit diesem Aspekt haben sich Luckmann selbst und insbesondere dann auch die auf die sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie aufbauende Forschung beschäftigt (vgl. die Beiträge in Keller et al. 2013 sowie die Hinweise in Knoblauch 2013: 25f.). Abgesehen davon, scheint eine eigene Betrachtung der Sprache in der Wissenssoziologie auch aus dem Grund als gerechtfertigt und nötig, dass Sprache in der Theorie kognitiver Metaphorik ebenfalls eine besondere Bedeutung hat. Vgl. im Folgenden Schütz/Luckmann (1979, 1984); Knoblauch (1995); Knoblauch et al. (2003); Berger/Luckmann (2004, insbes. 36ff., 72f.); Luckmann (2007d, 2007e). 91 Anzumerken ist hier, dass die Rekonstruktion der Sprachentstehung kaum möglich ist. Deshalb sind Aussagen zum ursprünglichen Konstitutionsprozess nur »kontrollierte Spekulation« (vgl. Luckmann 1969: 1063). Vor diesem Hintergrund gilt das, was zur Konstitution und Vermittlung von Zeichensystemen geschrieben wurde, im Folgenden auch für die Sprache. Sprache kann daher als das Ergebnis der »Aufstufung verwickelter auf einfachen Formen der Appräsentation« (Schütz/Luckmann 1984: 202) betrachtet werden. Sie ist damit phylogenetisch gesehen sowohl auf semantischer als auch auf phonologischer und syntaktischer Ebene als Weiterentwicklung von Anzeichen aus leiblichem Wirken entstanden. Ihr Ursprung liegt in der direkten sozialen
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Sprache, dass sie auf der Bedeutungsebene von ihren pragmatischen, also leiblich vermittelten, kommunikativen Konstitutionsbedingungen losgelöst und zu einem reflexiv-kognitiven Appräsentationssystem, ja sogar zum »wichtigsten Mittel der Wissensobjektivierung« wird (ebd.: 158). Alle relevanten Erfahrungsschemata der Vergangenheit sind in der Sprache sedimentiert: »Die typische Erfahrung von Lebensproblemen mit der physikalischen und sozialen Wirklichkeit früherer Generationen werden zusammen mit den entsprechenden sozialen ›Lösungen‹ in die syntaktische Struktur und das semantische Repertoire einer Sprache eingebaut und gelagert.« (Knoblauch 1995: 44)
Das Zeichensystem Sprache steht dem Einzelnen in dieser Form als ›soziale Tatsache‹, als objektives Datum gegenüber und zeichnet sich durch eine »relative Autonomie«, einen »quasi-idealen Status« gegenüber dem einzelnen Individuum und seinen Sinnzuschreibungen aus: »Die relative Autonomie und die dieser Autonomie entsprechende innere Gliederung der Sprache begründen die Ablösung ›objektiver‹ Bedeutungen von ›subjektiven‹ Sinnmomenten. Die Sprache hat gegenüber dem Einzelbewußtsein einen quasi-idealen Status: sprachliche Bedeutungen bleiben als ›Stellenwerte‹ im Zeichensystem von den biographischen und situationsgebundenen Sinnhorizonten, die den ›Gebrauch‹ der Bedeutungen in konkreten subjektiven Erfahrungen umgeben, weitgehend unabhängig. Der quasi-ideale Status der Sprache ist es, der ihr den Charakter einer sozialen Tatsache im Durkheimschen Sinn verleiht.« (Luckmann 1969: 1061) 92
Beziehung, »in der der Mensch seine Mitmenschen als Einheiten ihres Leibes und ihres ›Innenlebens‹ erlebt« (Luckmann 1972: 222). Im Zuge der Entwicklung abstrakter Zeichensysteme wird »die Bedeutung von Sprachformen [...] relativ unabhängig vom unmittelbaren Kontext der Situation.« (Luckmann 2007d: 107) Ontogenetisch wird die Sprache dann als Element des abstrakt-symbolischen Wissens einer Gesellschaft erlernt. 92 Quasi-ideal ist der Status der Sprache, weil »die Verbindung zur subjektiven Erfahrung obschon schwach, nicht vollständig abgebrochen wird« (Luckmann 1972: 236, Fn 9). Weiter heißt es: »Alle ›natürlichen‹ Sprachen enthalten Bestandteile, die noch Spuren der Bedingungen für das Entstehen der Sprache tragen: Onomatopoieia, Interjektionen, deiktische Formen (Lautmalereien, Ausrufwörter, Hinweiswörter), semantische und syntaktische Kategorien, die wesensmäßig mit der spezifischen Situation des Sprechers oder des Hörers (bzw. beider) verknüpft sind, usw.« (Ebd.) Zur Objektivität der Sprache vgl. auch Schütz: Durch die Symbolifikation von Erfahrungen wird »das
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Ist das Zeichensystem selbst also in seiner Art abstrakt und von subjektiven Sinnmomenten losgelöst, so verbleibt der Prozess der (zumindest ersten, elementaren) Vermittlung dieses Systems im Konkreten. Das historische, dem Einzelnen vorgegebene Sprachsystem wird in der Sozialisation vermittelt und im beständigen (körperlichen) Austausch mit unserer unmittelbaren, kommunikativen Umwelt gelernt, denn »die konkrete Wirklichkeit der Wir-Beziehung ist die gesellschaftliche Grundlage dafür, daß der einzelne die Sprache als ein Bedeutungssystem, das sich auf ›Wirklichkeit überhaupt‹ bezieht, erlernt« (Schütz/ Luckmann 1979: 300).93 Im konkreten, alltagsweltlichen Vermittlungsprozess ist Spracherwerb also in gewissem Sinne praktisch bzw. körperlich begleitet, wobei »das subjektive Erleben von Lauten [und nicht erst deren gedeutete Erfahrung; Anm. S.S.] [...] die grundlegende Fundierungsschicht für die Konstitution von Sprache« bildet (Schütz/Luckmann 1984: 203; Herv.i.O.). Wie bedeutsam dabei auch die körperliche Anwesenheit des ›Lehrers‹ für den Erwerb formal abstraktsymbolischen Wissens ist, zeigt z.B. der Zusammenhang von Spracherwerb und Handzeichen. Gesten sind nicht nur marginal, sondern elementar mit dem Erlernen der Sprache verbunden.94
Ding [bzw. die Erfahrungen, Anm. S.S.], seine Eigenschaften, der Affekt und seine Intensität, die Handlung und ihr Lauf der Sphäre meines spezifischen Erlebens völlig entrückt. Ich finde in der Sprache keine Erlebnisse vor...« (Schütz, zit. nach Srubar 1988: 75) Der Begriff ist losgelöst von »konkrete[n] subjektive[n] Sinnzusammenhänge[n]. Das macht seine Objektivität aus« (ebd.: 86). Die Begriffs- und Bedeutungsebene ist also von der Ebene des Leiblichen/Körperlichen unabhängig. 93 An anderer Stelle heben Schütz/Luckmann das interaktive Element der Sprachvermittlung wie folgt hervor: Die subjektive Aneignung abstrakt-symbolischen Wissens wie »historische Zeichensysteme [erfolgt] natürlich auch in den Vorgängen der intersubjektiven Spiegelung – vor allem in den frühesten Wir-Beziehungen…« (Schütz/ Luckmann 1979: 334; Herv.S.S.). An anderer Stelle heißt es: »Man könnte auch betonen, daß vorsprachliches, wechselseitig kommunikatives Handeln in der Unmittelbarkeit von Wir-Beziehungen eine unerläßliche Voraussetzung für den Erwerb einer Sprache und der durch diese Sprache vermittelten relativ-natürlichen Weltanschauung bildet.« (Schütz/Luckmann 1984: 109; Herv.S.S.) Vgl. zur interaktiven Genese der Sprache auch Luckmann 1972. Aktuelle Studien in den Neurowissenschaften belegen die Bedeutung von zwischensubjektiven Spiegelungsprozessen beim Erwerb der Sprache auch auf neuronaler Ebene (vgl. Keysers 2013: 92ff.). 94 Diesen Zusammenhang zeigen Studien mit Kleinkindern aus verschiedenen sozialen Schichten. Je vielfältiger die gestische Kommunikation der Eltern mit ihren Kindern ist, desto umfangreicher und differenzierter ist deren Wortschatz. Vgl. hierzu
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Genau wie alle anderen Erfahrungen erlebt das Kind also auch die sprachlichen Erfahrungen zunächst subjektiv (i.e. körpergebunden) und umreißt den objektiven Sinnzusammenhang erst nach und nach.95 Ist Sprache als objektives Symbolsystem erst einmal gelernt und vom konkret-pragmatischen Geneseprozess abstrahiert, wird sie gleichsam zur ›zweiten Natur‹ im Gehlenschen Sinn. Indem das Kind die Sprache, i.e. die verschiedenen semantischen, phonologischen, syntaktischen und normativen96 Aspekte des Sprechens verinnerlicht, verinnerlicht es zugleich eine bestimmte Welt(-für-)wahrnehmung. Es eignet sich die in der jeweiligen Gesellschaft vorherrschenden Deutungssysteme, Typisierungen, Relevanzen, ja Wissen im Allgemeinen an.97
Rowe/Goldin-Meadow (2009). Dieser Umstand deutet ebenfalls auf eine Verbindung von Wahrnehmung, Motorik und Spracherwerb hin. 95 »Die Bedeutung der sprachlichen Zeichen bezieht sich zunächst, in der Unmittelbarkeit der Wir-Beziehung, auf die Erfahrungen in der aktuellen Situation, auf die natürliche und soziale Umwelt.« (Schütz/Luckmann 1979: 299; vgl. auch Berger/ Luckmann 2004: 63) Diese Direktheit verliert die Sprache dann allerdings, denn »nachdem jedoch die Sprache als eine zusammenhängende semantisch-syntaktische Struktur erworben wurde, wird sie von der konkreten Wir-Beziehung und der Unmittelbarkeit der Erfahrung weitgehend unabhängig.« (Schütz/Luckmann 1979: 300) 96 Damit sind die Regeln bzgl. des Sprachgebrauchs gemeint, die Luckmann auch als »Kommunikative Gattungen« bezeichnet. (vgl. Luckmann 2002d, 2007d). Kommunikative Gattungen sind gleichsam als »Institutionen des kommunikativen Handelns«, als »Muster und Vorfertigungen kommunikativer Abläufe, die als solche im Wissensvorrat abgelegt sind« zu verstehen (Knoblauch 2010: 177, 179), also die institutionalisierten Arten des Sprechens entlang bestimmter Rollen, Situationen oder Themen. Zusammen bilden die spontanen und vorgefertigten kommunikativen Handlungen den »kommunikativen ›Haushalt‹ einer Gesellschaft« (Luckmann 2007e: 291) Vgl. dazu auch Knoblauch (1995); zu aktuellen Forschungsgebieten von Klatschgesprächen, Argumentationen, medialen Kommunikationsformen bis hin zur Analyse von Polizeigesprächen vgl. Knoblauch (1996b) und die Hinweise in Knoblauch et al. (2002) und Knoblauch (2010). 97 Und mit dem Wissen eignet es sich die soziale Wirklichkeit an, wobei »Aneignung der sozialen Wirklichkeit heißt, daß Taxonomien und Deutungsschemata, soziale Raum-, Zeit- und Kausalitätskategorien, Selbstverständlichkeiten und Problematisches, typische Motivzusammenhänge und Relevanzstrukturen, Verhaltensrezepte und Bewertungshierarchien in subjektiven Besitz überführt werden« (Luckmann 1969: 1069).
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Sprache ist damit doppelt relevant: Sie ist selbst eine Wissensform und zugleich ist sie wichtigstes Medium der Vermittlung von Wissen (im sozialisatorischen wie im kommunikativen Sinn).98 Damit sind auch ihre beiden wichtigsten Funktionen bei der Konstruktion des Sozialen benannt. Ganz grundlegend ist Sprache bedeutsam, weil sie Wirklichkeit repräsentiert und (re-)produziert. Das zeigt sich bereits bei den ersten eigenen Erfahrungen. Diese sind zwar vorprädikativ, meint: körperlich vermitteltes Erfahrungswissen ist zunächst vorsprachlich, es wird aber im Entstehungszusammenhang stets sprachlich begleitet.99 Durch sprachliche Codierung werden Erlebnisse zu Erfahrungen; Wahrnehmungen bekommen einen Sinn, werden so erst für-wahrgenommen. Über die Konstruktion sinnlich-leiblicher Wirklichkeit hinaus umfasst die sprachliche Vermittlung auch implizites Handlungswissen (Gewohnheits- und Routinewissen), das im Erwerb durch sprachliche An- und Unterweisungen gestützt wird. Sprache dient somit als ein »Modell für die subjektiven Erfahrungsstrukturen von ›jedermann‹« (Schütz/Luckmann 1979: 298), wobei mit diesen Erfahrungsstrukturen neben Erlebnis- eben auch Praxisformen von Wissen gemeint sind. Und auch abstrakte Phänomene, die sich nicht aus dem konkreten Erfahrungshorizont ergeben, aber dennoch als wichtige Elemente des gesellschaftlichen Wissensvorrates gelten, werden durch deren sprachliche Konzeptualisierung verstehbar. Insgesamt erzeugt das »von außen« (Luckmann 1969: 1082) kommende kognitiv-strukturierende System Sprache im Individuum die ›innere‹ Einstellung zur und Wahrnehmung von Wirklichkeit, eine Art »gesellschaftlich-historisch vorgezeichnete ›Wirklichkeitstopographie‹« (ebd.): In der direkten Interaktion mit (signifikanten) Anderen lernt das Kind nicht nur einen bestimmten Sprach-, sondern damit auch einen bestimmten Denkstil.100 Sprache manifestiert, bestätigt und verfestigt so die natürliche (kognitive, eva-
98
Damit ist gemeint: Sprache vermittelt dem Kind im Laufe der Sozialisation das Wissen einer Gesellschaft und in der Kommunikation vermittle ich über Sprache dem Gegenüber mein Wissen.
99
Die sprachliche Vermittlung und damit Verwirklichung von Körperwissen bezieht sich sowohl auf dessen Erlebnis- als auch auf dessen Praxisformen. Und »sogar das Wissen über unseren eigenen Körper müssen wir nicht selbst Stück für Stück erwerben; es wird uns – gewissermaßen schon abgepackt – von anderen vermittelt. Diese ›soziale Ableitung‹ verdanken wir eben der Kommunikation.« (Knoblauch 1996c: 11)
100 In Anlehnung an Humboldt schreibt Luckmann: »Die ›innere Form‹ der Sprache objektiviert eine Weltansicht und übt [...] einen entscheidenden Einfluß auf das Denken und Handeln des Individuums aus.« (Luckmann 1969: 1053)
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luative und perzeptive) Einstellung der Sprechenden, aber auch der sie verstehenden Hörenden.101 Hier schließt die zweite wesentliche Funktion von Sprache an: Kommunikativer Austausch, und zwar auf komplexer Ebene. Sprache transzendiert das Hier und Jetzt: (1) Als Medium der Überbrückung mittlerer Transzendenzen im Alltag »verbindet [sie] gegenwärtige mit vergangenen und zukünftigen Erfahrungen« und sie überwindet größere Transzendenzen, indem sie zwischen Alltag und »anderen Ebenen der Realität« vermittelt (Luckmann 1972: 222) – Sprache ermöglicht Kommunikation, die thematisch über die aktuelle Lebenswelt hinaus geht. (2) Außerdem ermöglicht Sprache den Zugang zu subjektiven Vorgängen des Anderen über die direkte Face-to-Face-Situation hinaus – sie ermöglicht Verständigung in mittelbarer Interaktion. »Meine Mitmenschen [, meine Zeitgenossen; Anm. S.S.] und ich haben schon gelernt oder brauchen nur noch zu lernen, wie dieses System [i.e. die Sprache, Anm. S.S.] beschaffen ist – und schon können wir uns verständigen.« (Schütz/Luckmann 1984: 193)102 Hierfür ist v.a. die Entsubjektivierung der Erfahrungen durch transsituative, überindividuelle Zeichen eine wesentliche Voraussetzung, weil nur so die »selbstverständliche Wechselseitigkeit gesellschaftlichen Handelns« (ebd.: 208f.) zu gewährleisten ist, die bei anzeichenbasierter Interaktion notwendig im Unklaren, im Raum des Möglichen, höchstens Wahrscheinlichen bleiben muss. Nur durch Sprache ist eine komplexere Verständigung möglich, weil Zeichen (und hier eben an erster Stelle die Sprache) sich ja gerade durch ihre Objektivität, ihre Abstraktion von allem Subjektiven von anderen kommunikativen Mitteln abheben und so zum Verständigungsmedium erster Art werden. Das ist möglich, weil das Kind, wie oben beschrieben, im Laufe des Sozialisationsprozesses die Bedeutungen der sprachlichen Zeichen vom konkreten Erfahrungszusammenhang abstrahiert und das Zeichensystem Sprache zur objektiven Wirklichkeit jenseits subjektiver Erfahrung wird (s.o.). Sprache ist auf der Begriffs- und Bedeutungsebene also unabhängig von der Sphäre des Körperlichen und muss dies auch sein. Durch ihre abstrakte Verweisungsfunktion transzendiert sie das Hier und Jetzt, verweist auf etwas,
101 Verstehen erzeugt gemeinsames Deutungswissen (Sozialisation), setzt dieses aber gleichzeitig auch in der alltäglichen sozialen Abstimmung voraus (vgl. Kapitel 3.4). Gleichwohl ist natürlich auch Sprache, wie anderes gesellschaftliches Wissen, sozial verteilt (vgl. hierzu Luckmann 1969). 102 Zur Differenzierung von Mitmenschen als (potenzielle) Interaktanten in unmittelbarvermittelter Reichweite und Zeitgenossen als die Anderen in doppelt mittelbarere Reichweite vgl. Schütz/Luckmann (1984: 151-161).
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das selbst nicht präsent ist und appräsentiert es gleichsam. Auf der formalen Ebene der (im Hier und Jetzt gesprochenen) Sprache bleibt der Körper jedoch weiterhin relevant. Sprachliche Kommunikation zeichnet sich gegenüber der schriftlichen, zeichenbasierten v.a. durch ihre Vokalität aus.103 Die körperliche Relevanz ergibt sich hier durch die – wenn auch relativ banale – Tatsache, dass Sprechen auf basalen körperlichen Fähigkeiten beruht, nämlich dem verbalen Artikulieren, dem Formen von Lautmustern auf der einen und dem Hören, dem Wahrnehmen von Lautmustern auf der anderen Seite.104 Auf diesem Anthropologicum aufbauend, aber in ihrer sozialen Prägung und Bedeutung darüber hinausgehend – vor dem Hintergrund sedimentierten Deutungswissens werden Töne als typisierte, sinnhafte Lautmuster wahrgenommen – können körperlich vermittelte Aspekte des Sprechens quasi-zeichenhafte Funktion erhalten. Neben abstrakt-symbolischen, kognitiven Verweisungen (i.e. Begriffs- und Bedeutungsebene) gehören zur Sprache als »phonetisch-semantisch-syntaktisches Ganze[m]« (Knoblauch 1995: 43) deshalb auch wichtige anzeichenhafte, sog. paralinguistische105 Elemente: Lautstärke, Tonhöhe, Rhythmus und Melodie fungieren als Anzeichen für die konventionalisierten Bedeutungen des Gesagten, aber auch für den ›inneren Zustand‹ des Sprechers. Auf diese Weise ist ein Verstehen des Anderen auf quasi-leiblicher Ebene möglich, da bestimmte Wahrnehmungsmodalitäten dem Hörenden einen (vermeintlichen) Zugang zum Spre-
103 Vgl. Luckmann: »Die Sprache als historisches Zeichensystem besteht aus einem Geflecht von geschichteten Lautformen als bedeutungs-appräsentierendem Mittel und von appräsentierten, vermittelten Bedeutungen, nämlich verbindlich typisierten Erfahrungsschemata, intersubjektiv relevanten ›Problemlösungen‹.« (Luckmann 2007e: 283) Die Schrift bezeichnen Berger/Luckmann dagegen aufgrund ihrer eingeschränkten Anzeichenhaftigkeit (die Schriftart kann hier als Ausnahme gelten) und ihrer Ableitung aus Sprachformen als »Zeichensystem zweiter Ordnung« (Berger/Luckmann 2004: 39). 104 Knoblauch schreibt dem Körper eine sinnverobjektivierende Funktion zu: »Kommunikatives Handeln objektiviert Sinn, weil und wenn es mit dem Körper vollzogen wird. Sei es die Artikulation eines Klanges, das Zeichnen von Buchstaben oder das Drücken auf eine Tastatur – es ist der Körper, der Handeln und Welt miteinander verknüpft.« – »Erst durch den Körper wird Sinn sozial sichtbar.« (Knoblauch 2013: 30, 29) 105 Para-linguistische Elemente der Sprache sind jene, die nicht zum syntaktischen und semantischen Sprachinhalt gehören, aber in der Produktion und Rezeption von Gesprochenem als sinnhaft angezeigt und gedeutet werden können (vgl. Schütz/ Luckmann 1984: 211).
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chenden gewähren bzw. (typisierte) Rückschlüsse auf dessen Wahrnehmung zulassen. Die akustische Komponente der sprachlichen Kommunikation vergegenwärtigt aber gleichzeitig auch dem Sprechenden selbst sein Dasein und Sosein, auf das er in der Situation reagieren kann – Lautmuster als »Grundlage des synchronisierten intersubjektiven Erlebens der Partner« und der darauf aufbauenden Verständigung.106 Luckmann nennt dies die indikative Funktion der Sprache: »Aus der Symptomfülle des individuellen Sprachstils bzw. sprachlichen Repertoires werden Schlüsse auf den affektiven Zustand, die Situationsbestimmung und soziale Biographie des Sprechers gezogen, die zur Situationsbestimmung seitens des Hörers beitragen.« (Luckmann 1969: 1084)
Die damit verbundene phatische Funktion bezeichnet die identifikatorische Kraft des Sprechens. Durch die Art sich auszudrücken, verweist der Sprecher auf seine soziale Position mit entsprechenden Effekten beim Zuhörer: »Durch Verortung des Sprechers in der sozialen Wirklichkeit kommt es zu Identifikation, Solidarität, Abneigung, Hass.« (Luckmann 2007d: 111)107
Dennoch liegt die eigentliche Besonderheit der Sprache in ihrer abstraktsymbolischen Begriffs- und Bedeutungsebene, was deutlich wird, indem die auf den Körper hin-/verweisende bzw. über den Körper Wissen vermittelnde phatische und indikative Funktion nur als Nebenfunktionen der Sprache verstanden werden (Luckmann 1969: 1084). Das liegt zum einen darin begründet, dass diese Äußerungen nicht immer bzw. sogar in geringem Maße intentional sind, so dass nur bedingt von Zeichen im eigentlichen Sinn gesprochen werden kann (ebd.). Es liegt aber auch und vor allem daran, dass, im Gegensatz zu zeit- und raumgebundenen non-verbalen sowie zumindest zeitgebundenen para-linguistischen An-/Zeichen als Elemente der Sprache im Sinne eines Handlungssystems (s.u.), Sprache im Sinne einer abstrakt-zeichenhaften Wissensform die leib-bedingten Grenzen der alltäglichen Lebenswelt (Raum, Zeit, Körper) überbrückt (vgl.
106 Vgl. zur Selbstvergegenwärtigung im Sprechen Schütz/Luckmann (1984: 204f.; Berger/Luckmann (2004: 40). Vor allem Mead weist auf diese Funktion und damit auch besondere Wahrhaftigkeit von Sprache als System vokaler signifikanter Gesten hin (s.o.). 107 Zu diesen »Nebenfunktionen« der Sprache vgl. auch Luckmann (1969: 1084). Dieser Aspekt wird bei der Bedeutung der Sprache in der Interaktion noch einmal aufgegriffen (vgl. Kapitel 3.4.2).
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Schütz/Luckmann 1984: 208): Nur sprachliche Zeichen, die in ihrer Bedeutung immer schon von allem Konkreten abstrahiert sind, können die räumlichzeitliche Koinzidenz der Kommunizierenden transzendieren, und genau deshalb sind sie gesellschaftlich so bedeutsam. Sprache, genauer Konversation, hat also alles in allem ganz grundlegende soziale Funktionen: Sie bildet Wirklichkeit ab und erzeugt diese zugleich. Denn in der Sprache spiegelt sich die natürliche Einstellung des Alltags wider und auf dieser Basis ermöglicht eine gemeinsame Sprache soziale Abstimmung. Gleichzeitig wird in kommunikativen Vorgängen Wirklichkeit erzeugt und aufrechterhalten. Das meinen Berger/Luckmann mit der »wirklichkeitsstiftende[n] Macht« des Gesprächs: »Das notwendigste Vehikel der Wirklichkeitserhaltung ist die Unterhaltung. Das Alltagsleben des Menschen ist wie das Rattern einer Konversationsmaschine, die ihm unentwegt seine subjektive Wirklichkeit garantiert, modifiziert und rekonstruiert [...] Sprache [hat] eine Vorzugsstellung im gesamten menschlichen ›Konversationssystem‹ [...]. Im Gespäch werden die Objektivationen der Sprache zu Objekten des individuellen Bewußtseins.« (Berger/Luckmann 2004: 163f.)
Sprache ist in ihrer (Phylo- und Onto-)Genese, ihren Funktionen und ihrem Stellenwert ein besonderes Appräsentationssystem, dessen Struktur dem Einzelnen sinnhafte Orientierung verleiht und komplexere Formen der Kommunikation und damit die Konstruktion von Wirklichkeit überhaupt ermöglicht. Sprache dient als Verbindungsglied zwischen makrosozialen Strukturen und mikrosozialen Interaktionsprozessen, strukturiert das Denken, Wissen und Wirken der Individuen und reproduziert infolgedessen in der Kommunikation, im Handeln die Ordnung des Sozialen. Damit ist Sprache auf unterschiedlichen analytischen Ebenen bedeutsam: Als Objektivierung intersubjektiv gültiger und überdauernder Problemlösungen hat sie gesellschaftliche Bedeutung. Als zentrales Medium der Sozialisation, der Identitätsbildung und -expression sowie der alltagsweltlichen Orientierung, hat sie subjektive Bedeutung. Und als kommunikatives Medium, das aufeinander bezogenes soziales Handeln auf komplexer Ebene ermöglicht, hat sie intersubjektive Bedeutung. Von dieser dialektischen Verwobenheit ausgehend, lassen sich bzgl. der Beziehung zwischen Sprache und Körper folgende Aspekte resümierend festhalten: (1) Der Körper wird durch Sprache wirklich: Leibliche Erlebnisse werden durch Benennung zu (damit immer schon sozialen) Erfahrungen; zugleich prägen sprachlich objektivierte Bedeutungszusammenhänge auch Aufmerksamkeitsintensität und Relevanz körperlicher Erfahrungen (individuelle
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Ebene). (2) Sprache wird in direkten (körperlich vermittelten) Interaktionszusammenhängen erzeugt, vermittelt und erlernt (inter-/individuelle Ebene). (3) Vokale Elemente von Sprache dienen dem verstehenden Zugang zum Anderen (interindividuelle, soziale Ebene). (4) Sprache selbst ist als objektives, symbolisches Zeichensystem auf der Bedeutungsebene von der Sphäre des Körperlichen losgelöst (gesellschaftliche Ebene). Ausgehend von der zentralen Bedeutung von Kommunikation im Allgemeinen und von Sprache im Besonderen, soll im Folgenden der Fokus auf die Rolle des Körpers in Verständigungsprozessen gelegt werden. Damit wird ein Aspekt der Trias ›Körper-Wissen-Interaktion‹, der bislang an geeigneten Stellen an-, aber nicht systematisch ausgeführt wurde, hervorgehoben: Alltägliche Interaktionsprozesse mit dem Ziel des wechselseitigen Verstehens.
3.4 D IE R OLLE DES K ÖRPERS IN DER ALLTÄGLICHEN K OMMUNIKATION : D IFFERENZ ZWISCHEN DIREKTEM UND INDIREKTEM V ERSTÄNDIGUNGSHANDELN Die bisherigen Ausführungen haben aufgezeigt, dass und wie Interaktion und Kommunikation als Basiskategorien des Sozialen aufgefasst werden können. Die wissenssoziologische Fokussierung auf Kommunikation ist bereits bei Schütz (z.B. 1971d) und Berger/Luckmann (2004) angelegt, wo sie als zentraler Mechanismus eingeführt wird, der der gesellschaftlichen bzw. intersubjektiven Konstruktion von Wirklichkeit zugrunde liegt: »Kommunikation gilt [...] als ein – oder vielleicht das – konstitutive Element des gesellschaftlichen Lebens und der sozialen Ordnung.« (Luckmann 2002e: 202; Herv.i.O.) Bislang wurde dargelegt, wie ein Mensch – ganz generell – zu einem sozial handlungsfähigen Individuum wird. Interaktionen wurden dabei v.a. als Bedingung des Wissenserwerbs und der Wissensvermittlung betrachtet: Auf der Basis kommunikativ vermittelten körperlichen Wirkens in der Welt erwirbt der Mensch Wissen, das in jede Interaktion als implizite und explizite Vorannahmen mit einfließt. Im Folgenden wird es um die Frage gehen, wie Menschen alltägliche Verständigungsprozesse bewältigen, welches Wissen und welche Medien ihnen jeweils in welcher Weise zur Verfügung stehen und welche Rolle der Körper dabei spielt. 108 Interaktion wird nun also als herzustellende we-
108 In diesem Abschnitt wird einiges des bisher Erläuterten noch einmal aufgegriffen und zur Beantwortung der Frage nach Verständigung zusammengeführt. Um thema-
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chselseitige Abstimmung im Alltag in den Blick genommen, die erfolgreich sein kann (und in der Regel auch ist), die sich aber auch oft als problematisch erweist oder gar scheitert. Es geht m.a.W. um soziale Situationen des Alltags, in denen sozialisierte Mitglieder einer Gesellschaft, m.a.W. bereits ›wissende‹ Individuen kommunizieren und sich verständigen. 3.4.1 Begriffliche Vorbemerkungen: Verstehen und Verständigung Da in den folgenden Kapitel der Fokus auf den Prozess des tagtäglichen wechselseitigen Verstehens und Verständigens in der konkreten Alltagswelt gelegt wird, sollen die beiden zentralen Begriffe – Verstehen und Verständigung – an dieser Stelle noch einmal expliziter und vor allem in ihrer Bezogenheit aufeinander dargelegt werden. Jeder Verständigung geht ein Verstehen des Anderen voraus. Schütz spricht hier vom ›Fremdverstehen‹. In Anlehnung an Weber bezieht sich Fremdverstehen auf die Erfassung des von alter ego subjektiv gemeinten Sinns, nur dann kann von ›echtem‹ Fremdverstehen gesprochen werden. Die Äußerungen von alter ego werden als von ihm konstituierte Effekte seines Bewusstseinsvorganges betrachtet und als An-/Zeichen interpretiert. 109 Dieses Verstehen kann immer nur ein annäherndes Erfassen, eine Projektion von ego auf alter ego im Sinne einer Selbstauslegung sein. Eigene Erfahrungen von alter ego fundieren ein mögliches Verstehen der Erfahrungen des alter ego in Form von dessen Externalisierungen (vgl. Schütz 1960: 117ff., 149ff.).110 Um auf alter hin handeln
tische Überschneidungen und evtl. Redundanzen möglichst gering zu halten, werde ich manches nur noch erwähnen und nicht weiter ausführen. 109 Dahingegen bleibt die Erfassung des objektiven Sinns einer Äußerung immer auf den Deutenden bezogen und ermöglicht keinen Zugang zum Anderen: »Objektiver Sinn steht daher nur in einem Sinnzusammenhang für das Bewußtsein des Deutenden, subjektiver Sinn verweist daneben und darüber hinaus auf einen Sinnzusammenhang für das Bewußtsein des Setzenden.« (Schütz 1960: 151) Vgl. hier wieder die Funktion von Zeichen: sie dienen dazu, eben jene Transzendenz zu Mitmenschen zu überbrücken (Schütz spricht hier von der mittleren Transzendenz, da ein Zugang zum Anderen zwar prinzipiell, aber immer nur mittelbar möglich ist; vgl. Schütz/ Luckmann 1984: 151ff.). 110 Schütz spricht hier von der Selbstauslegung als einzige Möglichkeit des Fremdverstehens. Ich kann immer nur meine eigenen Bewusstseinsvorgänge erleben, erfahren, nie die des Anderen. Hierfür müssten unsere gesamten biographischen Erfah-
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zu können, muss ego seine Beweggründe, seine Motive, seine Gedanken verstehen, das meint in typisierter Form erfassen (vgl. Luckmann 2007e: 278). Die Interaktanten müssen auf der Grundlage der Reziprozität der Perspektiven und der im subjektiven Wissensvorrat abgelagerten Typen (von Handlungsabläufen, Akteuren, Situationen etc.) den jeweils vermeintlichen Sinn hinter den Äußerungen des Anderen erfassen – wenn auch nur soweit, dass eine gemeinsame Deutung der Situation ermöglicht wird. Und genau hier geht Verständigung über das Verstehen hinaus: Verstehen ist zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für Verständigung, denn dafür bedarf es eben einer solchen Aushandlung einer gemeinsamen Definition der Situation. Verständigung ist eine auf Wechselseitigkeit ausgerichtete Form des sozialen Handelns. Sie ist angetrieben durch den »Um-zu-Zusammenhang des Verstanden-werden-Wollens« auf der Seite des Sendenden und den »Um-zuZusammenhang des Verstehen-Wollens« (Schütz/Luckmann 1984: 192) auf der Seite des Rezipienten. Dabei beruht sie auf der Idealisierung der Wechselseitigkeit der Motive, einer Abwandlung der Reziprozität der Perspektiven. Ego versetzt sich in die Lage alter egos und antizipiert »modo futuri exacti« seine Handlung und die Reaktion des Rezipienten mit dem Ziel, dass das Um-zuMotiv egos zum Weil-Motiv alter egos wird und umgekehrt. Wechselseitiges Handeln ist somit eine »intersubjektive Verkettung der Motive und Entwürfe« sozialer Handlungen (ebd.: 119ff.).111 Im Gegensatz zum im Bewusstsein des Einzelnen lokalisierten Sinnverstehen beruht Verständigung als sozialer Prozess also immer auf interaktiven, wechselseitig aufeinander bezogenen Aus-Handlungen.112 Aus diesen gehen dann (zeichen- oder anzeichenhafte) Objektivationen hervor, die wiederum gedeutet und verstanden werden müssen. Dabei ist der Ausgang solcher Abstimmungs-
rungen identisch sein (vgl. das Bewusstsein/Wissen als kumulierte Sedimentierung vergangener Erfahrungen). Es kann also immer nur eine vermeintliche Erfassung des Anderen geben, die als Vorannahme in die Interaktion mit einfließt und dort bestätigt oder revidiert wird. 111 Die Reziprozität der Motive besagt, dass »der andere [...] ungefähr durch solche Motive zu bestimmten Handlungen veranlaßt [ist], die ein entsprechendes Handeln auch bei mir motivieren würden« (Schütz/Luckmann 1984: 119). 112 Bernhard Waldenfels weist hier auf die »dreistellige Relation« der Verständigungsakte hin, die im Gegensatz zum bloßen Verstehen eben keine egologische Ausrichtung erlauben: »Ich verstehe etwas oder jemand, aber ich verständige mich mit jemand über etwas; der Andere tritt hier nicht als ein besonderes Objekt auf, sondern als Mitsubjekt.« (Waldenfels 1980: 212; Herv.i.O.)
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prozesse immer unsicher. Die Handlungsbasis ist schließlich (erst einmal) nur typisiertes Vorwissen um die Motive, Ziele und Handlungsabläufe des Anderen. Nicht zuletzt deshalb muss das Verstehen der Objektivationen immer wieder mit der Mitteilungsabsicht des Zeichensetzenden abgeglichen werden. Soziologisch interessant ist es deshalb zu untersuchen, wie es Menschen gelingt, sich wechselseitig die eigenen Bewusstseinsabläufe (Empfindungen, Wahrnehmungen, Gedanken, Absichten etc.) so anzuzeigen, dass der Andere sie versteht und der Prozess der Interaktion aufrechterhalten und möglichst ›erfolgreich‹ wird. Anders: Wie gelingt es Individuen, eine gemeinsame Deutung der Situation auszuhandeln? Hierzu unternehmen Menschen kommunikative Anstrengungen unterschiedlicher Art und Reichweite. Kommunikation meint im Folgenden jedes soziale Handeln, das sich durch den Austausch von Mitteilungen mit dem Ziel des Verstandenwerdens auszeichnet – Kommunikation als ein reziprokes, wiederholtes Vermitteln und Austauschen von Wissen mit dem Ziel der Verständigung.113 Kommunikative Mittel sind alle deutungsfähigen Äußerungen wie sprachliche, schriftliche, aber auch para-linguistische,
113 Natürlich ist unter Kommunikation jede potenziell wahrnehmbare Äußerung zu fassen, die im sozialen Austausch Informationen unterschiedlichster Art, Dimension und Reichweite übermittelt (ob intendiert oder nicht) und der vom Wahrnehmenden Sinn zugeschrieben wird. Diese weite und damit grundlegende Auffassung greifen Keller und Kollegen auf, wenn sie betonen, dass die ›kommunikative Konstruktion der Wirklichkeit‹ immer schon mehr ist als absichtsvolle Informations- oder Wissensübermittlung, sondern »[...] Kommunikation ist immer auch die menschliche Praktik, mit der zugleich Identität, Beziehung, Gesellschaft und Wirklichkeit festgestellt werden.« Kommunikation dient damit insbesondere »der Vermittlung (sozialer Identität und sozialer Ordnung)« ( Keller et al. 2013: 13) und der Aus-Handlung von Wirklichkeit. Diese Bedeutung von Kommunikation unbenommen, interessiert im Folgenden vor allem die Frage, wie es Menschen gelingt, sich im Alltag wechselseitig zu verstehen und sich auf eine gemeinsame Definition der Situation zu verständigen, wie also eine kommunikative Konstruktion gemeinsamer Welt- oder zumindest Situationsdeutungen erfolgt. Dass dafür immer auch die soziale (und personale) Verortung des Gegenübers sowie die Verklarung der vorliegenden Beziehung eine Rolle spielt bzw. diese Aspekte in der Kommunikation selbst (immer wieder) hergestellt und verfestigt werden, wird dabei vorausgesetzt. Inwiefern Kommunikation grundlegend als Wirklichkeitsgenerator fungiert, wurde weiter oben dargelegt.
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konventionalisierte körperliche Ausdrucksformen (vgl. ebd.: 211)114 – kurz: alle Formen von (Proto-)Zeichen. 3.4.2 Dimensionen sozialen Handelns Schütz und (in Anlehnung an ihn) Luckmann differenzieren anhand der zentralen Dimensionen der Reichweite und ›Seitigkeit‹ vier Formen sozialen Handelns (Schütz/Luckmann 1984: 101ff.; Luckmann 1992: 110ff.). Einseitig-unmittelbares und einseitig-mittelbares Handeln stellen keine Interaktionen dar und sind folglich (eher) nicht interessant für unsere Fragestellung.115 Demgegenüber beziehen sich wechselseitig-unmittelbare und wechselseitig-mittelbare Handlungen immer auf mindestens zwei miteinander in Beziehung stehende Akteure. Diese beiden Dimensionen sozialer Interaktion sollen nun näher bzgl. folgender Fragen untersucht werden: Welche Verständigungsmedien stehen jeweils zur Verfügung? In welcher Relation stehen Wissen und Körperlichkeit beider Interaktanten? Welche Bedingungen müssen für eine erfolgreiche Interaktion jeweils erfüllt sein? 3.4.2.1 Wechselseitig-unmittelbares Handeln als direkte Interaktion Wenn zwei Akteure sich in aktueller Reichweite befinden, sich unmittelbar begegnen und in Interaktion miteinander treten, also wechselseitig aufeinander be-
114 Zu para-linguistischen Kommunikationsmitteln (Beispiele sind Tonfall, Sprechtempo, Rhythmus etc.) vgl. Fn 105 in Kapitel 3.3.3. Körperliche Ausdrucksformen sind neben Gestik und Mimik auch die Körperhaltung oder Distanzierungen/ Annäherungen. Diese müssen aber konventionalisiert, also in diesem Fall als Anzeichensysteme Teil des gemeinsamen Wissensvorrats sein. 115 Einseitig-unmittelbares Handeln können reine Denkakte sein (insofern sind sie analytisch gesehen ein wesentlicher Teil jeder Interaktion) oder Handlungen von A, die zwar auf B ausgerichtet sind, von diesem aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht beachtet wurden (eine Ausnahme ist die absichtliche Nicht-Reaktion, die als wechselseitiges soziales Handeln zu verstehen ist, da dies auch das Unterlassen einer Reaktion umfasst; vgl. Weber 1980: 1). Prinzipiell wird eine Reaktion als möglich erachtet und oft geht einseitig-unmittelbares Handeln in wechselseitiges über. Einseitig-mittelbare Handlungen sind dagegen von vornherein auf die Nichtantwort des Adressaten ausgelegt, sei es, dass eine Wechselseitigkeit als unmöglich angesehen oder aber der Urheber nicht als solcher identifiziert werden will und deshalb eine mögliche Reaktion verhindert (vgl. Luckmann 1992: 110ff., 122ff.).
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zogen handeln, stehen ihnen mehrere Verständigungsformen zur Verfügung. Stellen wir uns vor, A und B kommunizieren miteinander. Was die unmittelbare Begegnung gegenüber allen anderen Formen der Kommunikation auszeichnet, ist die körperliche Anwesenheit der Interaktanten, die zeitliche, räumliche und körperliche Koinzidenz des Denkens, Fühlens, Wahrnehmens. Diese Bewusstseinsvorgänge von A sind B zwar niemals unmittelbar zugänglich, der Körper von A als dessen appräsentierter Leib ermöglicht B jedoch – basierend auf der Generalthese der Reziprozität –, sich diese zu erschließen: »Es ist sein Körper in lebendiger Gegenwart, der mir sein Fühlen, Wollen und Denken ›unmittelbar‹ vermittelt. Der Mitmensch verkörpert sich in meiner Gegenwart [...] gibt uns die Berechtigung, von unmittelbaren Erfahrungen eines Mitmenschen in der Wir-Beziehung zu sprechen.« (Schütz/Luckmann 1984: 156)116
Da mir in der direkten Interaktion das »Maximum an Symptomfülle« zur Verfügung steht, »da er mir leiblich gegenübersteht, kann ich die Vorgänge in seinem Bewußtsein nicht nur durch das, was er mir vorsätzlich mitteilt, erfassen, sondern auch noch durch die Beobachtung und Auslegung seiner Bewegungen, seines Gesichtsausdrucks, seiner Gesten, des Rhythmus und der Intonation seiner Rede usw.« (Schütz/Luckmann 1979: 95)
Dabei erfolgt die Beobachtung und Auslegung quasi-automatisch: Zwar basieren diese Vorgänge auf Wissen in Form kulturrelationaler Verbindungen von Ausdruck und zugrundeliegenden Bewusstseinsvorgängen, das als Bezugsrahmen sowohl sinnverstehender Auslegungsprozesse der Anzeichen des Anderen als auch eigener sinnsetzender Ausdruckshandlungen fungiert (deshalb nur ›quasi‹automatisch). Dieses Wissen wirkt dann aber (bis auf weiteres) als gewohnheitsmäßiges Deutungs- und Handlungswissen ohne notwendige reflexive Zuwendung in der konkreten Situation.
116 Vgl. auch: »Was immer er sonst sein mag, in meiner Reichweite ist der Andere ein Körper, den ich wahrnehmen kann wie andere Gegenstände in meiner Umgebung. In seiner Körperlichkeit erfahre ich den Anderen unmittelbar [...]. Der Körper, den ich wahrnehme, verweist auf etwas, das ich nicht wahrnehmen kann, von dem ich aber ›weiß‹, dass es mit-gegenwärtig ist: ein Innen [...]. Das andere, dessen Körper ich wahrnehme, ist in der Erfahrung von vornherein meinesgleichen.« (Schütz/ Luckmann 1984: 153)
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Im Deutungsakt des Wahrnehmenden werden die leibvermittelnden, körperlichen Anzeichen zu verständigungsrelevanten ›Zeichen‹ – oder auch nicht. Denn wird eine bestimmte Bewegung, Gestik, Mimik oder lautliche (paralinguistische) Äußerung von B als bloßes Verhalten interpretiert, das nicht auf eine Mitteilungsabsicht oder einen bestimmten ›inneren Zustand‹ von A verweist, kann es zwar verstanden werden, aber es bleibt ›unbeantwortet‹, ihm wird kein ›Um-zu-Motiv‹ zugeschrieben, es dient nicht der Verständigung. Das heißt aber nicht, dass es keine Auswirkungen auf die Interaktion hat, es wird lediglich nicht bewusst als Element sozialen (Abstimmungs-)Handelns aufgefasst. Nimmt B die körperliche Äußerung jedoch als zeichenhaft wahr, unterstellt A also eine soziale Handlung, erfolgt eine bewusste Reaktion (die natürlich auch in Form der absichtlichen Nicht-Beantwortung, des Unterlassens stattfinden kann). Eine Zwischenform sind Verhaltensweisen, die zwar von A nicht beabsichtigt, aber dennoch von B als zeichenhaft interpretiert werden können. Dies können physiognomische Veränderungen wie Erröten oder reflexartiges Zusammenzucken sein, die von B als (unbeabsichtigter) Ausdruck der ›inneren Vorgänge‹ von A interpretiert werden. Hier handelt es sich per definitionem zwar nicht um soziales Handeln, aber dennoch um sozial relevante Informationen.117 In diesem Sinne ist der Körper
117 Schütz spricht in diesem Zusammenhang von Ausdrucksbewegungen, die als bloßes Verhalten kein soziales Handeln sind, z.B. das »Mienenspiel und die Gesten, mit welchen wir unsere Reden begleiten, ohne damit eine ausdrückliche Absicht zu verbinden« (Schütz 1960: 129). Ausdruckshandlungen hingegen sind bewusste kommunikative Akte wie das »Setzen von Zeichen, sei es, daß ein Artefakt, sei es, daß eine Körperbewegung gesetzt wurde« (ebd.: 131). Schütz betont in diesem Zusammenhang auch, dass die Definition einer körperlichen Äußerung als Handeln oder Verhalten auf interaktive Effekte zurück geht. Der Interaktionspartner »entscheidet« also durch seine Reaktion, ob die Äußerung seines Gegenübers Kommunikation war oder nicht (vgl. Schütz/Luckmann 1984: 18f.; auch Knoblauch 2005b: 108). Damit fällt dem Anderen die Bedeutung der »praktischen Instanz [zu], die über den Sinn einer Handlung entscheidet« und nicht, wie bspw. bei Weber, dem Handelnden selbst (vgl. Auer 2013: 127). Durch die interaktionistische Konzeptualisierung von Kommunikationsprozessen wird zudem die Webersche Unterscheidung zwischen Verhalten und Handeln zumindest aufgeweicht, da auch das Verhalten – als nichtintendierte, nicht sinnhafte Äußerung – vom Gegenüber als durchaus kommunikativ relevantes Anzeigen wahrgenommen werden kann, vorausgesetzt er schreibt dem Verhalten Sinn zu, es be-deutet für ihn etwas.
112 | DIE KÖRPERLICHE KONSTRUKTION DES SOZIALEN »ein Ausdrucksfeld [...] für die Bewußtseinsvorgänge des Mitmenschen, für seine Erfahrungen und Handlungen. Als Beobachter der Mitmenschen lernen wir es, an ihren Körpern und Körperbewegungen abzulesen, was sie tun und wie sie erfahren, was ihnen widerfährt. Diese Verhaltensindizien sind für uns als in einer Gesellschaft Handelnde nicht nur gelegentlich nützlich, sie sind grundsätzlich notwendig.« (Luckmann 1992: 39)
Neben situativen Ausdruckshandlungen und -bewegungen, die auf die momentane Verfasstheit des Partners verweisen, bildet der Körper eine Reflexionsfläche der persönlichen und sozialen Identität seines ›Besitzers‹.118 Kleidung, Expressivität, Gang etc. werden als Anzeichen für die sozialstrukturelle Verortung des Gegenübers interpretiert und von diesem z.T. bewusst eingesetzt. Der Körper als Träger der Individualität sowie der sozialen Position verweist über die aktuelle Situation hinaus auf den Anderen als Person. Als dritte Quelle der Verständigung dienen körperliche Handlungsstandardisierungen wie etwa das Händereichen zur Begrüßung/Verabschiedung oder andere interaktionsstrukturierende Höflichkeitsformen (Tür aufhalten, den Vortritt gewähren etc.). Generell kann man sagen: Körperliche Äußerungen welcher Art auch immer (also bewusste Setzung, reaktive Verhaltensäußerung oder bestimmte Merkmale), die als Proto-Zeichen wahrgenommen werden, fließen als performative und repräsentative Akte bewusst oder unbewusst in die Interaktion mit ein. Der Leib bzw. der Körper als dessen Ausdruck wirkt kommunikativ, fungiert als Apperzeptionsschema nonverbaler, para-linguistischer Kommunikation. Denn sobald B die körperlichen Anzeichen von A als Proto-Zeichen versteht und auf sein Handeln rückbezieht bzw. dieses darauf ausrichtet, werden sie zu ›WeilMotiven‹ für B. Dessen sind sich sowohl A als auch B bewusst. Auf der Basis fortwährender Spiegelungsprozesse, der darin impliziten Generalthese der Reziprozität und eines gemeinsamen Wissensvorrats aus typischen Anzeichen und deren Deutung, fungiert der Körper als wesentliches Medium im alltäglichen wechselseitigen sozialen Handeln unmittelbarer Präsenz. Er ist in Form indexikaler Verweise eine Quelle des Fremdverstehens und damit der Verständigung. Die direkte Interaktion gilt auch genau aus diesem Grund als Prototyp jeder Form der Verständigung: »Die Grundform der menschlichen Kommunikation ist natürlich die der mündlichen, unmittelbaren und wechselseitigen Verständigung.
118 Zu den von Goffman entlehnten Begriffen persönliche und soziale Identität vgl. Goffman (1975).
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Die Handelnden stehen sich gegenüber: Sie können sich sehen, hören, berühren, riechen« (Luckmann 2002d: 162), sich als In-Dividuen erfassen.119 Verständigung (i.S. von im Handeln prozessierten, wechselseitig aufeinander bezogenen Verstehensprozessen) in leibhaftiger Gegenwart der Interaktanten erfolgt über unterschiedliche Kommunikationskanäle: den sprachlich-zeichenhaften und, das ist das Besondere, den körperlich-anzeichenhaften. Alle Formen körperlich vermittelter Kommunikation sind aber eben ob ihrer Körpergebundenheit auf die konkrete Situation fixiert, überdauern diese nicht und verweisen nur beschränkt auf andere Zeit- und Raumhorizonte als die des aktuellen ›Hier und Jetzt‹.120 In den meisten Alltagssituationen beruht Verständigung deshalb auch hauptsächlich auf gemeinsamem, zeichenhaft objektiviertem Bedeutungswissen, allen voran der Sprache und ist insofern mittelbar. 3.4.2.2 Wechselseitig-mittelbares Handeln als indirekte Interaktion Mittelbare Kommunikationsformen haben in modernen Gesellschaften an Raum gewonnen und breiten sich immer weiter aus bzw. nehmen neue Dimensionen an. Sprachlich vermittelte Kommunikation spielt dabei eine immer wichtigere Rolle (vgl. Luckmann 2002d; Knoblauch 1996b, 2005a). Wir leben in einer »geschwätzigen Gesellschaft« (Knoblauch 1996c), in der »unablässig und schier pausenlos [...] die Menschen zu reden, zu schreiben, zu lesen, in Bildschirme hineinzustarren oder auf Tastaturen zu drücken« scheinen (ebd.: 8). Und gerade angesichts der zunehmend medialen Vermitteltheit von Kommunikation zeigt sich der Vorrang sprachlicher gegenüber körpergebundenen Kommunikationsformen besonders, denn die Sprache als wichtigstes der gesellschaftlich objektivierten Zeichensysteme, das sowohl kognitive (i.e. darstellende) als auch affektive (i.e. gefühlsausdrückende) und pragmatische (i.e. handlungsauslösende) As-
119 Vgl. den Hinweis von Schütz und Berger/Luckmann, dass ich gerade wegen seiner körperlichen Anwesenheit den Anderen als Individuum wahrnehme (vgl. Schütz 1971e: 366; Berger/Luckmann 2004: 31ff.). 120 Hinzu kommt der unterschiedliche Grad an Erlebnistiefe, -nähe und -intensität, die die Partner in der direkten Interaktion verbindet. Die in der alltäglichen vis-à-visSituation sich gegenseitig als ›Typen‹ wahrnehmende Akteure (Zeitgenossen in der Ihr-Beziehung) können nicht voraussetzen, dass sie die körperlichen Proto-Zeichen richtig deuten, wie das in Wir-Beziehungen aufgrund vergangener gemeinsamer Erfahrungen eher der Fall ist. Je anonymer sich die Interaktionspartner sind, desto mehr sind sie auf voll-objektivierte Zeichen angewiesen, um eine Verständigung zu gewährleisten.
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pekte integriert, eröffnet einen ungleich komplexeren Horizont der Verständigung als Körpersprache im umfassenden Sinn.121 Mittelbare Kommunikation definiert Luckmann wie folgt: »Mittelbar ist ein kommunikatives Handeln dann zu nennen, wenn es sich entweder sprachabhängiger oder begriffs- bzw. bildbezogener ikonischer Zeichensysteme – die verschiedenen Schriftsysteme sind unter ihnen das wichtigste Beispiel – oder anderer raumund zeitüberwindender technischer Mittel bedient.« (Luckmann 2002d: 162)
Genau genommen gilt also bereits jede Form der sprachlichen Kommunikation als mittelbarer Austausch. Das Unterscheidungskriterium, nach dem ich hier die Dimensionen mittelbarer Interaktion differenziere, ist deshalb das der Lokalität, der Reichweite. Sprache spielt, wie beschrieben, auch in unmittelbarer Interaktion eine wichtige Rolle, die entscheidende Differenz zur mittelbaren Interaktion ist daher die körperliche An- bzw. Abwesenheit der Partner. Zwischen ›echter‹ unmittelbarer und ›echter‹ mittelbarer Interaktion122 gibt es realiter einige Übergangsformen, die sowohl Merkmale der direkten Begegnung von Angesicht zu Angesicht als auch der indirekten, technisch vermittelten Abstimmung haben. Beispiele für quasi-unmittelbare mittelbare Kommunikation sind Telefongespräche oder die Form des elektronisch-medialen Austauschs über Webcams, Videotelefonie u.ä. Hier ist der Partner nur bedingt körperlich zugänglich, aber seine Körperlichkeit ist dennoch von relativer Bedeutung für den Abstimmungsprozess. Denn mittelbare, also technisch vermittelte Kommunikation ist nicht zwangsläufig ›entsinnlicht‹, der Fokus liegt lediglich auf bestimmten Wahrnehmungskanälen, bedingt durch visuelle, akustische oder audiovisuelle Medien (vgl. Knoblauch 2005a: 186f.). Es stehen, wenn auch technisch ver-
121 »Es muß hervorgehoben werden, daß auch die sprachlichen Zeichen, in denen die Erfahrungsschemata (und mittelbar die Relevanzstrukturen) objektiviert werden, neben einer kognitiven (primär darstellenden), eine affektive (primär gefühlsausdrückenden) und pragmatische (primär handlungsauslösende) Bedeutung haben können… Allerdings ist dabei festzustellen, daß durch die semasiologische Objektivierung ein in der Sprache als Zeichensystem angelegtes kognitiv-darstellendes Grundmoment in den Vordergrund tritt. Trotzdem darf die Herauslösung des kognitiven Moments [...] nicht als allgemeingültiges Muster für die alltäglichen sprachlichen Leistungen genommen werden.« (Luckmann 1969: 1082; Herv.S.S.) 122 Mit ›echter‹ mittelbarer Interaktion ist eine gänzlich unpersönliche Kommunikation gemeint, die jeder Form der körperlichen Interaktion entbehrt.
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mittelt, die gleichen para-linguistischen, manchmal sogar gestischen und mimischen An-/Protozeichen zur Verfügung, wie bei einem vis-à-vis-Gespräch. In ›echten‹ mittelbaren Situationen (Briefe, Nachrichtenvermittlung über Dritte u.ä.) sind A und B ausschließlich auf transsituative, überindividuelle, abstrakte und damit ent-körperlichte Medien angewiesen. Ein gleichzeitiges Überprüfen des Handlungserfolgs wie bei der direkten Interaktion ist nicht gegeben. Eine synchrone Abstimmung ist nicht möglich, »im Gegensatz zum unmittelbaren Handeln greifen die Schritte des Vollzugs nicht in der gemeinsamen Erfahrung der Handelnden, sozusagen vor ihren Augen und in ihren Ohren, ineinander« (Schütz/Luckmann 1984: 123). Umso mehr ist deshalb ein anonymisiertes, objektives Be-Deutungssystem, das beiden gemeinsam ist, Voraussetzung: »Was immer sonst noch die Bedeutung objektivierter Deutungsschemata für den Menschen und die Gesellschaft, in der er lebt, sein mag, im mittelbaren gesellschaftlichen Handeln helfen sie, ›erfolgreiche‹ Wechselseitigkeit herzustellen.« (Ebd.: 126; Herv.S.S.)
Die Objektivität der Sprache bzw. deren Bedeutungen bildet die Basis, auf der anonyme Verständigung überhaupt als erfolgreich zu denken ist: »Die sprachlich objektivierte Welt ist transsubjektiv, insofern das, was geteilt wird, nicht die [subjektiven] Erfahrungen sind, sondern die [objektiven; Anm. S.S.] sprachlichen Symbole.« (Knoblauch et al. 2003: 26; Herv.S.S.) Was die Rolle des Körpers in ›echten‹ mittelbaren Verständigungsprozessen betrifft, so erscheint er hier lediglich noch als implizite Vorannahme. Der Körper wird in der natürlichen Einstellung von A als unabdingbar zu B gehörig erinnernd oder phantasierend appräsentiert. Jede Interaktion basiert auf im Wissensvorrat sedimentierten Typisierungen. Diese können auf eigenen Erfahrungen mit einem konkreten alter ego oder auf von vornherein anonymisierter Erfassung des Zeitgenossen als potenziellem Mitmenschen begründet sein. Ich stelle mir also meinen Interaktionspartner auch im Falle der reinen Mittelbarkeit als körperliches Wesen vor, es wird eine »Schein-Unmittelbarkeit« erzeugt, die als »hypothetische Intersubjektivität« (Schütz/Luckmann 1984: 110, 122) interaktionsrelevant ist, und zwar insofern sie mein Handeln, die Umsetzung meines Um-zuMotivs beeinflussen kann. Der entscheidende Unterschied ist aber das erkennbare Fehlen jeder Möglichkeit des leibvermittelnden Informationsaustauschs. Der Körper als Anzeichenträger ist im mittelbaren Austausch nicht verständigungsrelevant. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Feststellung Luckmanns, »die Entpersönlichung [und damit Entkörperlichung; Anm. S.S.] der Kommunikation [sei] eine – vermutlich – unvermeidliche Folge der funktionsspezifischen Organisati-
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on vieler Arten von Handlungen [in modernen Gesellschaften; Anm. S.S.]« (Luckmann 1984: 81; Herv.S.S.)123 wie folgt interpretieren: Je weiter die räumliche und zeitliche Unmittelbarkeit zur Mittelbarkeit wird, desto mehr nimmt die Symptomfülle ab und mit ihr die Bedeutung, die der (als Teil des Persönlichen, des Individuellen verstandene) Körper in der aktuellen Situation der Verständigung hat. Der Körper gerät in den Hintergrund, verschwimmt bis hin zur bloßen Vorstellung des Anderen als körperliches Individuum. Und diese Entpersönlichung, die Abstraktion des Individuellen (und damit des Körperlichen) kennzeichnet Verständigungshandeln in modernen Gesellschaften. »In diesem Prozess wird die [...] wirklichkeitsbildende Funktion des Leibes zu einer unter vielen anderen.« (Srubar 2005: 159) 3.4.3 Nicht-Verstehen als Grund ›erfolglosen‹ Verständigungshandelns Wie eingangs erwähnt (und aus eigener Erfahrung für jeden nachvollziehbar), kann alltägliche Interaktion auch scheitern, meint: soziale Abstimmung bleibt (vorerst) erfolglos. Der Grund: Verständigung ist ein voraussetzungsvoller Vorgang. Beide Partner müssen sich erstens verstehen, zweitens sinnhaft aufeinander bezogen handeln und zwar so, dass dabei, drittens, die Idealisierung der Wechselseitigkeit der Motive aufrechterhalten werden kann. Damit dies gelingt, müssen beide Wissen in je nach Situation mehr oder weniger umfangreichem Maß teilen. Sowohl gemeinsame Relevanz- und Deutungsschemata als auch gemeinsame kommunikative Medien (v.a. Zeichensysteme als symbolisches Wissen) bilden die notwendige Voraussetzung wechselseitiger Abstimmung. In der natürlichen Einstellung des Alltags nehmen wir diese im kollektiven Wissen, v.a. in der Umgangssprache manifestierten Voraussetzungen als gegeben hin, sie stellen kein Problem dar.124 Verstehen und Verständigung sind damit aber natürlich noch nicht sichergestellt.
123 Indem der Körper in der Interaktion v.a. als Ausdruck der Persönlichkeit, Identität etc. gesehen wird, scheint mir der analoge Schluß von der »Entpersönlichung« zur Entkörperlichung plausibel. 124 »Solange kein Gegenbeweis vorliegt, nehme ich als selbstverständlich hin, daß die verschiedenen Apperzeptions-, Appräsentations, Verweisungs- und Deutungsschemata, die in meiner sozialen Umwelt als typisch relevant gelten und von ihr bestätigt werden, auch [...] für [...] meine[n] Mitmenschen in der Welt des Alltags relevant sind.« (Schütz 1971e: 378)
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Aufgrund der mehrfach erwähnten zwangsläufigen Indirektheit des Austauschs und der notwendigen Perspektivität des Wissens können Fehlinterpretationen in jeder Kommunikation auftreten.125 Aber auch hier zeigt sich ein Unterschied in ›echten‹ unmittelbaren, quasi-unmittelbaren mittelbaren und ›echten‹ mittelbaren Situationen. Sind aufgrund der »unmittelbaren, währenden und kompakt wirklichen Präsenz seines subjektiven Ausdrucks [...] Mißdeutungen [...] im Vis-à-vis-Kontakt schwerer durchzuhalten als in weniger ›nahen‹ Formen der Interaktion« (Berger/Luckmann 2004: 33), besteht die Möglichkeit des synchronen Ausgleichens, des gleichzeitigen Abstimmens in mittelbaren Situationen nicht oder nur eingeschränkt. Die Perspektivität des Wissens macht zudem deutlich, warum eine gemeinsame Basis immer wieder neu hergestellt werden muss, denn die Typisierungen und Standardisierungen des Allgemeinwissens können die Unterschiede im praktischen und symbolischen Wissen zwar bis zu einem gewissen Grad überbrücken, aber nicht gänzlich ausgleichen.126 Hier ist zudem wieder auf die soziale Verteilung von Wissen hinzuweisen, die Verständigung zusätzlich erschweren kann. Je nach Relevanz des Themas und jeweiligem Sozialisationshintergrund verstehen sich die Akteure, können sich verständigen – oder eben nicht. Je größer die Unterschiede sind, desto schwieriger ist soziale Abstimmung. »Bei gänzlich verschiedenen Relevanzsystemen kann es nicht mehr gelingen, eine ›gemeinsame Sprache‹ zu finden.« (Schütz 1971e: 373)127 Die Verständigung bleibt erfolglos.
125 Eine »vollkommen erfolgreiche Kommunikation [ist] nicht möglich. Eine unzugängliche Zone im Eigenleben des Anderen bleibt und transzendiert alle meine möglichen Erfahrungen« (Schütz 1971e: 377). Aber im Alltag wird diese Unzugänglichkeit durch kollektiv geteiltes Wissen (Typisierungen, Abstraktionen, Standardisierungen in der Umgangssprache) ausgeglichen und bildet bis auf weiteres kein Problem. 126 »Eine auf verschiedene Subjekte bezogene Gleichheit der Erfahrung kann zwar als Folge der komplexen und allgegenwärtigen intersubjektiven Widerspiegelungsprozesse recht weitgehend entwickelt sein, sie kann aber nie den Status des Übereinstimmungs- oder Ähnlichkeitswissens überschreiten, und sie muß alltäglich im Zusammenspiel der Subjekte von diesen neu wiederhergestellt und modifiziert werden.« (Schröer 1999: 207). In diesem Zusammenhang kritisiert Schröer die Annahme, die er bei Luckmann herausliest, nämlich dass mit der Sprache als quasi-ideales, objektives Zeichensystem die verschiedenen Perspektiven der Interaktanten als überwunden gelten sollen (vgl. ebd.: 205ff.). 127 Neben Relevanz-, sind hier natürlich auch Deutungssysteme zu nennen.
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Eine Situation, in der die verständigungshemmenden Wirkungen von Wissensgrenzen deutlich werden, ist der interkulturelle Austausch. Dabei muss man nicht erst in andere Gesellschaften bzw. andere Kulturen gehen, auch innerhalb einer Gesellschaft existieren verschiedene (Wissens)Kulturen. Das gilt umso mehr, je sozialstrukturell und -kulturell differenzierter die Gesellschaft ist. Vor diesem Hintergrund stellt Knoblauch fest, dass aufgrund nicht zuletzt wissensbezogener Pluralisierungsprozesse in (differenzierten und) individualisierten Gesellschaften »interkulturelle Kommunikation [...] zu einem durchgängigen Merkmal der modernen Gesellschaft geworden« ist: »Kommunikationskulturen [sind] immanent ›multikulturell‹, so dass eine in diesem Sinne weiter gefasste ›interkulturelle Kommunikation‹ allgegenwärtig ist.« (Knoblauch 2005a: 192)128
Alles in allem ist kommunikative Verständigung einerseits durch Fragilität, andererseits durch hohe Frequenz im Alltag gekennzeichnet. Immer wenn Menschen sich etwas mitzuteilen haben, immer wenn sie sich wechselseitig der Wirklichkeit versichern, müssen Abstimmungsprozesse in Form sozialen, meist kommunikativen Handelns stattfinden, um die »Konversationsmaschine« ›am Laufen‹ zu halten. Wie aber die notwendige Verständigung jenseits gemeinsam geteilten (Deutungs-)Wissens denkbar ist, findet mit diesem wissenstheoretischen Ansatz keine Antwort.
3.5 R ESÜMEE : D IE KÖRPERLICHE K ONSTRUKTION DES S OZIALEN AUS WISSENSSOZIOLOGISCHER
P ERSPEKTIVE
Ausgehend von der Frage nach dem Beitrag der phänomenologisch fundierten Wissenssoziologie zur Konzeption einer körperlichen Konstruktion des Sozialen, ist zunächst einmal festzuhalten, dass der Körper weder von Schütz noch von Berger/Luckmann ›vergessen‹ wird. Vielmehr lassen sich wichtige analytische Grundlegungen der gesellschaftlichen Relevanz des Körpers vor allem in den philosophischen Grundlagen rekonstruieren. Im Folgenden sollen die bisherigen
128 Knoblauch spricht in diesem Zusammenhang auch von notwendigen De- und Rekontextualisierungsprozessen der durch kommunikatives Handeln erzeugten kulturellen Kontexte, die den Austausch über milieuspezifische oder institutionelle Grenzen hinweg kennzeichnen (Knoblauch 2005a: 191f.).
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Ausführungen entlang der verschiedenen Dimensionen von Körperwissen zusammenfassend dargestellt werden. Generell kommt auch beim Thema ›Körper‹ das in der gemäßigt konstruktivistischen Wissenssoziologie prominente dialektische Moment zum Tragen. Körper und Gesellschaft – oder wie Berger/Luckmann sagen Natur und Kultur129 – stehen in einer wechselseitigen, durch Wissen vermittelten Beziehung zueinander, die sich wie folgt ausbuchstabieren lässt: »Der Mensch ist biologisch bestimmt, eine Welt zu konstruieren und mit anderen zu bewohnen. Diese Welt wird ihm zur dominierenden und definitiven Wirklichkeit. Ihre Grenzen sind von der Natur gesetzt. Hat er sie jedoch erst einmal konstruiert, so wirkt sie zurück auf die Natur. In der Dialektik zwischen Natur und gesellschaftlich konstruierter Welt wird noch der menschliche Organismus umgemodelt. In dieser Dialektik produziert der Mensch Wirklichkeit – und sich selbst.« (Berger/Luckmann 2004: 195)130
Die Dialektik bezieht sich zunächst auf die, bei Berger/Luckmann v.a. aus makrosoziologischer Perspektive bedeutsame Erkenntnis, dass die leib-körperliche bzw. biologisch-organische Ausstattung und anthropologische Verfasstheit des Menschen »die Voraussetzung und Grenze der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit« (ebd.: 191) zugleich bildet. Voraussetzung ist sie, weil sie das Wahrnehmen und Handeln des Menschen in seiner Umwelt ermöglicht und so das Fundament jeder Erfahrung, die subjektive Bedingung von Wissen bildet: Das räumliche, durch den Körper als Koordinationspunkt zentrierte, erlebende, wahrnehmende sowie wirkende In-der-Welt-Sein ist die alles fundierende Form des primären Weltzugangs. Dieser primäre Weltzugang ist zugleich begleitet von anderen Körpern, denn die Alltagswelt ist immer schon intersubjektiv geteilte Sozialwelt. Und jede soziale Begegnung ist in ihrer ursprünglichen, d.h. unmittelbaren Form eine Begegnung von Körpern, mit denen sich die Partner in le-
129 Neben (einer insgesamt ohnehin weitgehend undifferenzierten) Verwendung der Begriffe ›Körper‹ und ›Leib‹ sprechen Berger und Luckmann (im Unterschied zu Schütz, der in der phänomenologischen Begrifflichkeit bliebt) vor allem vom ›Organismus‹ (s.o). Damit wird auf die ›natürliche‹ Seite des Biologisch-Körperlichen hingewiesen, die in einem dialektischen Wechselverhältnis zur Kultur steht. 130 Berger/Luckmann differenzieren analytisch zwischen einer äußerlichen und einer innerlichen Dialektik: »Äußerlich ist das eine Dialektik des individuellen Lebewesens und seiner gesellschaftlichen Welt. Innerlich ist es eine Dialektik der biologischen Grundlage des Einzelnen und seiner gesellschaftlich produzierten Identität.« (Berger/Luckmann 2004: 192)
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bendiger Gegenwart gegenüber stehen. Sie stehen sich jedoch nicht nur gegenüber, sondern versetzen sich in die Position des jeweils Anderen. Diese Fähigkeit zu wechselseitiger Spiegelung ist wiederum durch die leibkörperliche Doppelexistenz des Menschen bedingt. Die Gleichzeitigkeit des zentrischen In-der- und des exzentrischen Zur-Welt-Seins ermöglicht ein ›Herausgehen‹ aus mir und ein ›Hineinversetzen‹ in den Anderen als immer schon körperlich angezeigten Menschen ›gleich mir‹, m.a.W. die Perspektivenübernahme des ›anderen Ichs‹ (alter ego). Durch die exzentrierende und transzendierende appräsentative Wahrnehmung des Anderen als mir prinzipiell ähnlichem Körper, den »raum-zeitlichen Platzwechsel« (Dux 1970: 311), wird der Mensch einerseits zum sozialen und andererseits auch zum gesellschaftlichen Wesen, denn diese Prozesse ermöglichen erst die Genese, Vermittlung und Aneignung von (potenziell kollektiv geteiltem) Wissen als Produkt praktischer/pragmatischer Erfahrungen und Aushandlungen mit Anderen.131 In gewisser Weise könnte man hier von einem Wissen durch den Körper sprechen, wobei damit keine bestimmte Form von Wissen, sondern eher das Wissen-Können als anthropologische Gegebenheit gemeint ist. Der subjektive Körper ist also zunächst einmal ermöglichende Bedingung von Gesellschaft. Zugleich ist der Körper als biologischer Organismus konstitutiv für Gesellschaft, weil er ihr ›Probleme‹ macht, die in jeder Gesellschaft, unabhängig von Zeit und Raum, thematisiert werden müssen und deren Lösungen in den gesellschaftlichen Wissensvorrat eingehen. Beispiele wären hier der Umgang mit Müdigkeit, Hunger oder Altern bzw. Vergänglichkeit (vgl. Berger/Luckmann 2004: 193): Der Mensch muss zwangsläufig irgendwann einmal schlafen, essen und trinken bis hin zur biologischen Gesetzmäßigkeit, dass er irgendwann einmal auch sterben muss. Gerade das letzte Beispiel zeigt, dass der Körper dem gesellschaftlich Möglichen auch Grenzen setzt, denn gegen »die harten Tatsachen der Biologie« kommt keine kulturrelationale Sinnsetzung an (Berger/Luckmann nennen hier das Beispiel des Kindergebärens, ebd.: 192). Damit ist jede gesellschaftliche Einflussnahme (Lösung) nicht beliebig, sondern nur in-
131 Die »konkrete Intersubjektivität [ist] nicht nur der Prototyp gesellschaftlicher Situationen, sondern auch die konstitutive Grundlage der Phylogenese und der ontogenetischen Aneignung der Gesellschaftsstruktur.« (Luckmann 2007d: 91) Schütz spricht in diesem Zusammenhang von der konkreten Wir-Beziehung. Diese definiert er als wechselseitige Du-Einstellung in der unmittelbaren Situation, d.h. als aktuelle, präreflexive Erfassung des Anderen als Mensch ›wie ich‹, ausgestattet mit einem mir ähnlichen Körper und einem strukturell gleichen Bewusstsein (Schütz/Luckmann 1979: 26, 91).
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nerhalb des biologisch bzw. anthropologisch bedingten Rahmens möglich.132 Der Körper ist also auch begrenzende Bedingung von Gesellschaft. Der Körper bedingt also Wissensbildung und erfordert sie zugleich: Das körperliche In-der Welt-Sein und der Umgang mit den oben genannten unterschiedlichen Dimensionen von ›körperlichem Eigensinn‹ müssen institutionalisiert werden – dies gilt für jede Gesellschaft, die Lösungen fallen jedoch zum Teil unterschiedlich aus. (1) Körperverbundene Phänomene vom Wahrnehmen, Empfinden, Schlafen, Essen, Trinken bis hin zum Sterben sind Gegenstand expliziten Wissens und zugleich Formen praktischen Wissens, i.S. variabler Kulturtechniken. Das explizite Wissen über den Körper ist Teil der theoretischen Dimension des gesellschaftlichen/subjektiven Wissensvorrates. Es umfasst bspw. Wissen über das organische Funktionieren, über Gesundheit/Krankheit und über Normalität/Abweichung, das zum einen als spezifisches Expertenwissen (von der Medizin bis zur Sportwissenschaft), zum anderen aber auch als ein aus diesem in das alltägliche Körperwissen (übergegangene) »gesunkene Kulturgut« (Knoblauch 2005b: 99) vorkommt. Daneben sind Leibsein und Körperhaben zugleich Objekte gesellschaftlichen Wissens, indem beide Dimensionen immer schon kulturell ›überformt‹ sind, Wissen also in den Körper eingeht. Hier werden die Einwirkungen der Gesellschaft auf den Organismus bzw. den Leib des Einzelnen deutlich: »die gesellschaftliche Welt, die vor jedem Einzelnen ist, beschränkt auch das, was für den Organismus biologisch möglich wäre« wie eben bspw. Schlafverhalten, sexuelle Orientierung und Praktiken, Lebensdauer, Gesundheitszustand sowie Ernährung, Geschmack, Expressivität, Gang oder Gestik (Berger/Luckmann 2004: 192f.). Hiermit lässt sich der objektive Einfluss auf und der subjektive Umgang mit gesellschaftlichen An- und Aufforderungen hinsichtlich der eigenen Leib- bzw. Körperlichkeit auch aus mikrosoziologischer Sicht in den Blick nehmen. (2) Der subjektive Körper fungiert aus dieser Perspektive zum einen als Speicher für Wissen des Körpers. Zunächst ist hier das Körper- bzw. Leibschema zu nennen. Damit verbunden sind internalisierte Wahrnehmungs- und Erlebnismuster: Wie ich die Welt sinn(en)haft wahrnehme, welche Erlebnisse relevant
132 Anke Abraham sieht im körperlichen Eigensinn eine Möglichkeit, den Organismus als eigengesetzlichen Akteur zu fassen, der sich kulturellen Einflüssen auch widersetzen kann, was sich z.B. in der Abstoßung transplantierter Organe zeigt (Abraham 2011). Sie fordert die stärkere Berücksichtigung der Eigenlogik des Körpers, was einen anderen Aspekt der Dualität beleuchtet, den des Körper-Seins (anstelle des Leib-Seins, aber auch des Körper-Habens).
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sind und zu bestimmten Erfahrungen werden, welche Gefühle empfunden werden, all das ist abhängig von gesellschaftlich vermitteltem Deutungswissen, das in sedimentierter Form präreflexiv wirkt. Und auch das habitualisierte, implizite Handlungswissen gehört in diese Dimension von Körperwissen. Fertigkeiten und Gebrauchswissen als »automatische Verhaltensmuster« (Schütz/Luckmann 1979: 287) sind inkorporiertes, leibgebundenes Körperwissen, das sich im Handeln äußert und wirksam wird, also zugleich auch körpergebunden ist. (3) Zum anderen ist der Körper expressiver Wissensträger und -kommunikator. Der normativ geregelte Umgang mit dem Körper (also etwa die ästhetisierende Gestaltung durch Kleidung, Tattoos o.ä.) macht ihn als Manifestation von Einstellungen, Denkweisen, ja ganzen Identitäten zum Objekt gesellschaftlichen Wirkens und Formens und damit zugleich zum Ausdruck gesellschaftlichen Seins. Als Sinngebilde wirkt der Körper damit als Ausdrucksfeld für die ihn Wahrnehmenden. Der in diesem Sinne kommunikative Körper ist als expressiver, performativer Agent Träger von Darstellungs- und Identitätswissen am Körper, das anzeichenhaft auf seinen Träger verweist und vor dem Hintergrund eines gesellschaftlich angebotenen »explizite[n] Interpretationsschema[s]« (ebd.: 287) etwas be-deutet und ›entziffert‹ werden kann – der Körper ist das »soziale Medium des Subjekts« (Knoblauch 2013: 29f., Fn 10). Vor dem Hintergrund des Körpers als ›wissender‹ und ›gewusster‹, als handelnder und be-handelter, als (Quasi-)Subjekt und Objekt ist sowohl von der körperlichen Konstruktion des Sozialen als auch und vor allem von der sozialen Konstruktion des Körperlichen zu sprechen: Als Ausgangspunkt jeden Handelns und jeder Interaktion ist der Körper die Primärquelle von Wissen bzw. von Gesellschaft: Die Körperlichkeit ist die anthropologische Voraussetzung jeden Wirkens und fundiert damit alles Wissen – ob praktischer, theoretischer oder abstrakt-symbolischer Art.133 Körperlichkeit und die mit ihr verbundenen Situationsmerkmale der (alltäglichen) Lebenswelt sowie Wesensmerkmale biologischen Menschseins sind damit als »quasi-ontologische Wirklichkeitsbereiche«
133 Die Betonung liegt hier auf der fundierenden Funktion. Das leibliche Erleben, Wahrnehmen und Wirken bilden zwar die Basis sozialen bzw. gesellschaftlichen Wissens; dadurch ergeben sich Probleme, die es zu lösen gilt. Aber – und hier soll an die Schützsche Auffassung von Sinnzuschreibung und Wissensgenese erinnert werden – schon das Erleben wird erst durch reflexive Sinnzuschreibung zur Erfahrung. Also erst durch die kognitive Auseinandersetzung mit dem Erlebten wird dieses sinnvoll und kann durch Objektivierung zum gemeinsamen Wissen werden. Wissen gründet also sowohl auf dem leiblichen Zugang zur Welt, als auch auf der bewusst-kognitiven Reflexion dieses Zugangs.
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(Schütz/Luckmann 1979: 47) wesentliche Konstitutionsbedingungen des gesellschaftlichen und subjektiven Wissensvorrats. Und zugleich wird der Körper als zum einen zentrisch-exzentrisches und zum anderen durch Weltoffenheit qua Instinktarmut charakterisiertes Dasein im praktischen und gleichzeitig sozialen Austausch zum kulturrelationalen Sosein.134 Als solcher ist der »Kulturkörper« (Knoblauch 2005b) mit seinen ›Praxis- bzw. Erlebnisformen‹ auf allen Ebenen der sozialkonstruktivistischen Trias zu verorten: Er erscheint als handelnder und kommunizierender Körper in Prozessen der Externalisierung, er tut dies als sozialisierter Körper, als Träger internalisierten (besser: inkorporierten) Wissens und schließlich ist er – indem er gesellschaftlich thematisiert, behandelt, gestaltet und eingesetzt wird – immer schon kulturelles Produkt, Objektivation der gesellschaftlichen Prozesse, in denen er ›konstruiert‹ wird. Es zeigt sich also, dass der Körper in der Neuen Wissenssoziologie in der Tat nicht ›vergessen‹, sondern – mal als (biologischer) Organismus, mal als (fungierender) Leib – als Grundlage von Gesellschaft betrachtet wird. Zudem weisen Berger/Luckmann selbst zwar nicht auf die Notwendigkeit, so aber zumindest – wenn auch mit dem Charakter einer Fußnote – auf die »Möglichkeit einer Soziologie des Körpers« (Berger/Luckmann 2004: 193) hin. Die hier skizzierten Thematisierungen des Körpers bei Schütz und Berger/Luckmann müssen hinsichtlich ihres Stellenwertes für das gesamte Theoriegerüst der Neuen Wissenssoziologie allerdings relativiert werden. Die Relevanz der Körperlichkeit des Menschen wird vorrangig in den philosophischen Prolegomena – der »protosoziologischen Vorspeise« (Wolff 1997: 41) – verortet. Die anthropologisch-phänomenologischen Grundstrukturen und damit auch die Bedeutung, die dem Körper darin zukommt, stellen keine Kernthemen der Wissenssoziologie dar – oder, um im Bild zu bleiben, sind nicht ihre ›Hauptspeise‹. Sie bilden lediglich den subjektiven Rahmen von vergesellschafteten und vergesellschaftenden Erfahrungen bzw. Wissen, also den eigentlichen wissenssoziologischen Fragestellungen (vgl. Dreher 2008b). Es gilt: »Eine Proto-Soziologie ist keine Soziologie, noch nicht und nicht mehr.« (Luckmann 1979: 205) Indem elementare Bereiche des Körperlichen in den ›philosophischen Rahmungen‹ verortet werden, wird dem Körper eine unter- bzw. hintergründige Relevanz für die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit zu-
134 Neben basaler Intersubjektivität ermöglicht die durch Exzentrizität gegebene reflexive Selbstbezogenheit des Menschen schließlich nicht zuletzt auch überhaupt erst die In-Besitznahme der objektiven Umwelt sowie die kulturelle Gestaltung des leiblichen und gegenständlichen Körpers.
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geschrieben.135 Zwar finden sich auch Hinweise und Ansätze bezüglich einer soziologischen Relevanz des Körperlichen, diese bleiben – vor dem Hintergrund der eigentlichen wissenssoziologischen Fragestellung, nämlich das Alltagswissen des Jedermann in seiner dialektischen Genese und Anwendung zu rekonstruieren – im Endeffekt theoretisch-konzeptionell wie thematisch marginal. Allgemein kann festgehalten werden: Je mehr sich das Wissen von den Grundelementen entfernt und den Status des Wissens im eigentlichen Sinn erhält, desto mehr ›verschwindet‹ auch der Körper (Bsp. Rezeptwissen); sogenannte »höhere Wissensformen« (Schütz/Luckmann 1979: 341f.) – abstrakt-symbolisches und theoretisch-normatives Wissen im allgemeinen Sinn – sind dann weitgehend fern von allem Körperlichen bzw. haben allenfalls den Körper zum Gegenstand von Wissen. Und auch bei der Erklärung alltäglichen Verständigungshandelns tritt der Körper – jenseits seiner unbenommen wichtigen expressiven, performativen und repräsentativen Funktion auf der vorprädikativen Ebene der asemiotischen Kommunikation – gegenüber dem kognitiv-sinnverstehenden (reflexiven) Wissen zurück. Und dieses »Verstehen von Handeln und von Sinn [und damit auch Verständigung; Anm. S.S.] vollzieht sich im gedanklich-idealen Raum« (Abraham 2002: 75), dessen zentrales Medium die Sprache ist. Zwar ist auch dieser Bereich des Wissensvorrats durch seine nicht zuletzt körperlich basierte Vermittlung und ihre handlungsleitende Funktion bis zu einem gewissen Grad körperbezogen, jedoch besteht er formal aus körperunabhängigen, kognitiven Elementen gesellschaftlichen Wissens, die vom körperlich vermittelten Konstitutionszusammenhang gleichsam emanzipiert sind. Die positive Konnotation des Wortes ›Emanzipation‹ verdeutlicht dabei die als fortschrittlich, als evolutionären Sprung (vgl. Luckmann 1984: 78) interpretierte
135 Die Antwort auf die Frage nach dem Stellenwert des Körpers bei der Konstruktion des Sozialen hängt damit im Wesentlichen davon ab, wie stark man die Unterscheidung zwischen Soziologie und Philosophie (Phänomenologie und Anthropologie) als Proto-Soziologie macht. Einige Autoren im Anschluss an Schütz und Berger/Luckmann stellen die Differenzen nicht so klar heraus wie die ›Klassiker‹ und bereiten damit den Weg, den Körper in seiner gesellschaftskonstitutiven Bedeutung stärker in die (sozialkonstruktivistische) Wissenssoziologie zu integrieren. Zu nennen wären hier bspw. Grathoff (1989), Srubar (1988, 2008), Bühl (2002) oder Knoblauch (2005b, 2007, 2013).
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Bewertung der Symbolisierung und Objektivierung, kurz: der Entkörperlichung des Wissens.136 Hier zeigt sich die Grenze der ›Körperlichkeit‹ der sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie: »…in der natürlichen Einstellung ist mir die Welt zur Auslegung aufgegeben. Ich muß meine Lebenswelt zu jenem Grad verstehen, der nötig ist, um in ihr handeln und auf sie wirken zu können.« (Schütz/Luckmann 1979: 28; Herv.S.S.) »Sie [i.e. die Lebenswelt; Anm. S.S.] stellt sich mir als subjektiver Sinnzusammenhang dar; sie erscheint mir sinnvoll in Auslegungsakten meines Bewußtseins.« (Ebd.: 38; Herv.S.S.)
Mit der Erklärung der Wirklichkeitskonstruktion als vornehmlich interpretativsinnverstehenden (kognitiven) und symbolgebundenen (sprachlichen) Prozess beschränkt bzw. verkürzt sich die körperliche Konstruktion des Sozialen auf das in der Interaktion appräsentative Mit-Vergegenwärtigen des Anderen einerseits und auf Sinneswahrnehmungen sowie praktisch her- und darstellende Akte andererseits. Auf letzteres bezogen resümiert Lindemann: »Als soziologisch relevant gilt der Körper, insofern er als Mittel gesehen werden kann, das dazu dient, etwas zu tun. Dieses kann in der praktischen Weltbewältigung bestehen [...] oder in der expressiven Darstellung einer sozialen Ordnung« (Lindemann, zit. nach Abraham 2002: 104; Herv.S.S.) Diese Diagnose einer pragmatistischen Verkürzung des Körperlichen in der Soziologie allgemein lässt sich auch auf die Wissenssoziologie im Speziellen beziehen. Durch den Anschluss an phänomenologisch-anthropologische Basisannahmen setzt die Neue Wissenssoziologie zwar
136 Der hier erweckte Eindruck einer gewissen pejorativen Konnotation des Körperlichen zeigt sich auch in der analytischen Unterscheidung zwischen einem »höheren und niedrigeren Selbst«, wobei das ›höhere‹ den vergesellschafteten Teil des Subjekts, das ›niedrigere‹ die biologisch-organische und explizit »vorgesellschaftliche, ja, gar antigesellschaftliche Animalität« bezeichnet (vgl. Berger/Luckmann 2004: 194). Berger/Luckmann sprechen diesbezüglich auch von der »Herrschaft über das biologische Substrat«, die jedoch immer in einem nie endenden »Widerstreit« zwischen Biologie und Kultur befangen bleibt (ebd.: 194f.). Und auch die Deutung körperlicher bzw. organischer Bedingungen als ›Grenzen‹ bzw. ›Beschränkungen‹ (z.B. Schütz/Luckmann 1979: 133ff.; Berger/Luckmann 2004: 192ff.) stützt diesen Eindruck.
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an, den cartesianischen Körper-Geist-Dualismus zu überwinden.137 Aber in dem Moment, wo (1) Wissen als objektivierte reflexive Sinnzuschreibung und phänomenologische Abstraktion des Erlebten konzipiert wird138, (2) Verständigung im Wesentlichen auf Motiven und Handlungsentwürfen der Subjekte aufbaut und (3) ihr Gelingen auf gemeinsames kognitives Deutungswissen einerseits und Vorgänge der Sinnsetzung, Deutung, Interpretation andererseits zurückgeführt wird, wird der Körper auf das Konkrete beschränkt und selbst dort im Grunde auf eine Nebenrolle verwiesen. Es sind primär eben nicht leiblich empfindende, spürende, sinnlich wahrnehmenden Subjekte, die sich verständigen, sondern denkende, interpretierende, deutende, kurz: wissende Subjekte. Und Wissen hat jenseits konkreten Körperwissens die Form symbolisch-abstrakten, vom Körper losgelösten Wissens. Verstehen ist ein kognitiver Vorgang. Der Körper findet sich in der Interaktion lediglich als Sitz praktischen Handlungswissens (Körperwissen im eigentlichen Sinn) und er bildet eine Wahrnehmungsfläche – beides erzeugt Informationen, die dem Anderen wiederum zur Auslegung aufgegeben sind. Kurzum: Insgesamt liegt sowohl bei Schütz als auch und noch stärker bei Berger/Luckmann der Fokus auf kognitivem Deutungs- und Verständigungswissen, das vom Körper ›emanzipiert‹ ist, denn letztlich geht es ihnen um die »Erklärung jener Wirklichkeit [...], die dem Verstand des gesellschaftlichen Nor-
137 Gemeinsames Wissen wird auf Interaktion, auf Verständigungshandeln zurückgeführt und nicht auf eine asomatische, denkende Monade. Verkürzt könnte man sagen, wir erzeugen Wissen, weil wir körperlich und sozial wirken. 138 Der wesentliche wissenskonstituierende Prozess ist der der Sinnsetzung und Deutung (s.o.). Wissen ist damit im bewussten Sinnverstehen von Ego verortet (wobei Luckmann betont, dass dies zunächst nichts über den Grad der Bewusstheit des jeweiligen Wissens aussagt, vgl. Luckmann 1992: 273). Das betrifft in letzter Konsequenz auch jede Form des Körperwissens, dessen Sitz zumindest ursprünglich immer im verstehenden Bewusstsein des wissenden Subjekts liegt, auch wenn dieses Wissen durch Automatisierungs- und Sedimentierungsprozesse dann in den Hinterbzw. Untergrund des Bewusstseins gelangt. Man braucht hier ja nur an die Vielzahl impliziten Rezeptwissens zu denken, das eben gerade nicht in jeder Situation, bei jeder Handlung neu reflektiert werden muss. Aber auch Rezeptwissen ist in seinen Ursprüngen (und bei problematischen Situationen des Nicht-Funktionierens kann man sich das verdeutlichen) ein bewusst erworbenes Wissen, das sich im Laufe des Sedimentierungsprozesses im Hintergrund des Bewusstseins abgelagert hat – damit wird es genau genommen aber nur weniger bewusst und nicht gänzlich unbewusst (vgl. auch Knoblauch 2010: 148ff.; zu Merkmalen von Wissen im Gegensatz zu Grundelementen vgl. Kapitel 3.3.1)
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malverbrauchers zugänglich ist« (Berger/Luckmann 2004: 21; Herv.S.S.). Der Mensch bleibt ein »mit Bewusstsein ausgestatteter Körper« (Abraham 2002: 421), der sich zwar durch seinen leiblichen Zugang zur Welt und durch Interaktion auszeichnet – aber mehr noch durch die wissensbasierte, kognitive (und damit nicht- körperliche) Konstruktion derselben.139
139 Diese Diagnose zeigt sich bereits bei Schütz selbst, vor allem im chronologischen Verlauf seiner Werkentwicklung, deren vordergründiges Interesse für Sinnsetzung und Sinndeutung (Schütz 1960), Zeichensysteme (v.a. die Sprache) und Symbole (Schütz 1971e) die Relevanz des Leibköpers zunehmend in den Hintergrund treten lässt. Zur Rekonstruktion der zunehmenden Verdrängung bzw. Relativierung der Bedeutung des Körpers in den Werken von Schütz vgl. Abraham (2002). Bei Berger/Luckmann wiederum geht es primär um die soziologische Beschreibung und Erklärung von Institutionalisierungsprozessen und deren Legitimationen, um symbolische Sinnwelten als »Matrix aller gesellschaftlich objektivierten und subjektiv wirklichen Sinnhaftigkeit« (Berger/Luckmann 2004: 103; Herv.i.O.) und um Sozialisations- und Identitätsprozesse. Diese tendenzielle konzeptionelle Verdrängung bzw. thematische Randständigkeit des Körpers zeigt sich vor allem auch in der weiteren Entwicklung der sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie. Während sich Berger vor allem mit Religion in der modernen, pluralistischen Gesellschaft (1973, 1995, zusammen mit Luckmann 1995), aber auch mit dem (quasi)religiösen Charakter von Humor (1998) befasste, arbeitete Luckmann ebenfalls zu Religion sowie zu Zeit und Identität in der Moderne (als Überblick über prominente Arbeitsfelder bei Luckmann vgl. Ders. 2002a, 2007a).
4. Die Theorie kognitiver Metaphorik als Beitrag zur körperlichen Konstruktion des Sozialen
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Zusammenhänge der Kategorien Wissen und Körper anhand bestehender Ansätze in der Soziologie als Bestandsaufnahme der bisher vorhandenen Ansatzpunkte für eine ›Somatisierung der Wissenssoziologie‹ systematisch zu analysieren. Die bisherigen Rekonstruktionen der ›Körperlichkeit‹ bestehender Ansätze im wissenssoziologischen Paradigma haben gezeigt, dass dem Körper konzeptionell in Form unterschiedlicher Dimensionen und Kategorien Bedeutung zugeschrieben wird. Dennoch ist der Körper als Element handlungs- und sozialtheoretischer Ansätze noch weitgehend als eher randständig bzw. auf das Konkret-Pragmatische beschränkt zu bezeichnen. Die bislang betrachteten Ansätze haben alle ein Merkmal gemeinsam: Der Körper wird entweder als Gegenstand oder als Träger von Wissen in den Blick genommen. Entweder werden die Formen, Reichweiten und Auswirkungen von gesellschaftlichem Wissen über den Körper thematisiert (der Körper als Objekt von Wissen) oder der Körper wird als Speicher von Wissen in seiner handlungspraktischen Bedeutung betrachtet (der Körper als Sitz präreflexiven Wissens) oder er wird als Schaufläche von Wissen in seiner kommunikativen Funktion relevant gemacht (der Körper als eine Art Ablesefläche, die erst interpretiert werden muss). Insbesondere der Körper als Träger von Wissen, also die Perspektive auf intersubjektiv bedeutsame pragmatische, implizite, inkorporierte Wahrnehmungsmodalitäten und Fertigkeiten, ermöglicht eine »das Kognitive transzendierende Erweiterung« des Wissensbegriffs (Keller/Meuser 2011: 12), wie er bisweilen in der Soziologie verhandelt wird. Jedoch macht die erkennbare Erweiterung noch immer an der nachhaltig wirksamen – wenn auch diskursiv mittlerweile latenten – cartesianischen Trennlinie zwischen dem Leib-Körperlichen auf der einen und dem Kognitiv-Mentalen
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auf der anderen Seite Halt. Ansätze, die den Körper als Wissensträger über den pragmatischen Wahrnehmungs- und Handlungsbezug hinaus zum Thema haben, finden sich kaum. Im Folgenden soll es deshalb darum gehen, die nach wie vor erkennbaren kognitivistischen Verkürzungen zu adressieren, den Körper als Wissensgenerator für Phänomene jenseits des Konkret-Körperlichen herauszustellen und damit einen Beitrag zur Erweiterung der Diskussion über die Zusammenhänge von Wissen und Körper und zu einer – wie Reiner Keller und Michael Meuser es einfordern – »anstehenden körpersoziologischen Reformulierung oder Erweiterung der sozialkonstruktivistischen Handlungstheorie« (ebd.: 12) zu leisten. Das soll durch die soziologische Reflexion und Integration einer kognitiv-linguistischen Perspektive auf Körperwissen erfolgen. Im zweiten Hauptteil dieser Arbeit soll damit der Anspruch eingelöst werden, die bisherigen körpersoziologischen Ansätze um einen weiteren, ganz wesentlichen Aspekt zu ergänzen. Es wird zu zeigen sein, dass der Körper von viel umfassenderer Bedeutung für unsere Sozialität ist als bisher dargestellt, reicht er denn gerade auch in den Bereich des Kognitiv-Mentalen hinein, ja konstituiert diesen sogar in wesentlichen Teilen. Der Körper verdient damit den Status einer Basiskategorie des Sozialen, weil er nicht nur additiv mit Wissen verknüpft ist, vielmehr wird herauszustellen sein, dass Wissen und Körper in einem holistischen Sinne systematisch miteinander verbunden sind und damit die cartesianische Trennlinie zwischen Körperlichem und Mentalem weiter fragilisiert wird. Hierfür wird die Theorie kognitiver Metaphorik von GEORGE LAKOFF (*1941) und MARK JOHNSON (*1949) vorgestellt, der zufolge der Körper auch als Quelle abstrakten Denkens und damit für das Mentale in einem grundlegenden Sinn elementare Bedeutung hat. Wobei ›abstrakt‹ in diesem Zusammenhang nicht die Form des Denkens meint (dagegen wenden sich Lakoff/Johnson explizit), sondern den Inhalt, also das Denken von Abstrakta. George Lakoff ist genuin Linguist mit philosophisch-politischem Anspruch1, Mark Johnson ist Philosoph mit linguistischem Interesse – beide sind keine Soziologen. Das Ziel der folgenden Ausführungen soll es sein, zu prüfen, inwiefern der Ansatz aus wissenssoziologischer Perspektive dennoch integrations- bzw. anschlussfähig ist. Darüber hinaus soll sein Beitrag zur Erklärung sozialer Abstimmungsprozesse sowie ganz allgemein zum Verständnis der Rolle des Körpers auf einer bislang unbeachteten Ebene des Sozialen verdeutlicht werden.
1
Aufgrund seiner kritischen Haltung gegen die Vorherrschaft konservativer Rhetorik und sich darin ausdrückender konservativer Weltsicht und Politikpraxis in den USA wird Lakoff auch als »cognitive activist« bezeichnet (Kimminich 2008: 11).
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Hierfür werden in erster Linie die soziologisch relevanten Aspekte der Theorie herausgestellt und diese durch eigene Überlegungen ergänzt.2 Nach ein paar einführenden Hinweisen zur Theorie im Allgemeinen und zu ihrer disziplinären Verortung (Kapitel 4.1), wird der Körperbegriff von Lakoff/ Johnson dargestellt (Kapitel 4.2). Im Anschluss wird analog zu Kapitel 3.4 zunächst der erste Teil der globalen Fragestellung der vorliegenden Arbeit behandelt, der Komplex Körper-Wissen-Interaktion, und körperbasierte Metaphern als grundlegende Elemente unseres Wissensvorrats und Modus der Wirklichkeitskonstruktion dargestellt (Kapitel 4.3). Dem zweiten Fragenkomplex, wie soziale Verständigung im Hinblick auf die Körperlichkeit der Akteure erklärt werden kann – gerade auch vor dem Hintergrund differenten Wissens –, wird dann im letzten inhaltlichen Punkt nachgegangen (Kapitel 4.4). Zum Schluss werden noch offene Fragen, Kritik und Grenzen der Theorie aus soziologischer Perspektive aufgezeigt (Kapitel 4.5).
4.1 E INFÜHRUNG IN DIE T HEORIE KOGNITIVER M ETAPHORIK VON G EORGE L AKOFF UND M ARK J OHNSON 4.1.1 Grundgedanke George Lakoffs und Mark Johnsons primäres Interesse ist es, das menschliche Denken und Wahrnehmen sowie das darauf aufbauende Handeln zu ergründen. Es interessiert sie, wie es dem Einzelnen möglich ist, sich die Alltagswelt als Komplex aus direkten und abstrakten Elementen zugänglich zu machen, sie zu verstehen (vgl. Lakoff/Johnson 2004: 136). Genau wie Schütz und Berger/ Luckmann legen sie ihr Interesse also nicht auf spezielle Bereiche des Wissens, sondern auf das Wissen der Alltagswelt, der alltäglichen Lebenswelt des Jedermann, die auch bei Lakoff/Johnson eine pragmatische und soziale Um- bzw. Mitwelt ist. Als Philosophen und Linguisten fokussieren sie dabei jedoch das
2
Die folgenden Ausführungen beziehen sich v.a. auf die zwei gemeinsamen Hauptwerke von George Lakoff und Mark Johnson: Leben in Metaphern (2004; Originaltitel Metaphors We Live By (1980) und Philosophy in the Flesh (1999) sowie deren jeweilige Hauptmonographien: The Body In The Mind (Johnson 1987) und Women, Fire, and Dangerous Things (Lakoff 1987a). Aber selbstverständlich werden auch die aktuellen Veröffentlichungen von Lakoff/Johnson und die Weiterentwicklungen bzw. Akzentuierungen ihrer Theorie durch andere Autoren berücksichtigt.
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Denken und Verstehen des Einzelnen und nicht den Prozess der Verständigung, der für meine Fragestellung vor allem interessant ist. Im Folgenden und insbesondere unter Kapitel 4.4 wird zu zeigen sein, dass die Theorie aber dennoch für einen interaktionistischen Ansatz erkenntnisgewinnend sein kann. Die Kernaussage der Theorie kognitiver Metaphorik kann mit folgendem Zitat auf den Punkt gebracht werden: »The mind is inherently embodied. Thought is mostly unconscious. Abstract concepts are largely metaphorical.« (Lakoff/Johnson 1999: 3; Herv.S.S.)
Unser Denken – und zwar auch das abstrakte Denken im Sinne von ›höheren‹ geistig-mentalen Prozessen3 – ist untrennbar mit unserem Körper verbunden, und zwar nicht nur hinsichtlich der körperlichen Ausstattung, die Denken ermöglicht (also etwa das organische Gehirn), sondern insbesondere auch hinsichtlich der konzeptuellen Grundlagen des Denkens, die sich aus unserem leibkörperlichen In-der-Welt-Sein ergeben. Hierfür werden einfache und direkt verstandene Konzepte, die sich aus unserer Eingebundenheit in die physische und soziale Welt ergeben, auf komplexe und abstrakte, d.h. nicht klar umrissene Phänomene projiziert und diese so reflektier-, begreifbar und fassbar gemacht. Letztere sind zwar ebenso Element unserer Erfahrung, haben aber nur wenige inhärente Merkmale, die ein Verstehen ohne metaphorisches ›Ausschmücken‹ schwer vorstellbar macht.4 Kurz: Wir übertragen systematisch physische, relativ klar kontu-
3
Zur begrifflichen Konkretisierung, was unter ›niederen‹ und ›höheren‹ kognitiven Leistungen zu verstehen ist, sei hier die definitorische Differenzierung von Fingerhut et al. herangezogen (2013b: 10f.): Kognition bezeichnet danach »alle intelligenten Vermögen oder Fähigkeiten, die von Sinneswahrnehmungen über die bildliche Vorstellung bis zur Entscheidungsfindung reichen«, umfasst also sog. ›niedere‹ und ›höhere‹ kognitive Prozesse vom Wahrnehmen, Lernen, Erinnern, Entscheiden bis hin zum Kommunizieren. Der Begriff des Geistigen oder Mentalen legt dagegen den Fokus auf bestimmte, i.e. »›höhere‹ kognitive, intelligente Leistungen«, wie z.B. Prozesse des abstrakten Schließens, das Bilden von Analogien, Rechnen, Sprechen, Ausbilden von Überzeugungen/Wünschen/Absichten, Problemlösen etc.
4
Um Missverständnissen vorzubeugen: wenn von der metaphorischen Erschließung abstrakter Phänomene die Rede ist, meint das keineswegs, dass deren Konzeptualisierung ausschließlich metaphorisch ist. »Abstract concepts have two parts: (1) an inherent, literal, nonmetaphorical skeleton, which is simply not rich enough to serve as a full-fledged concept; and (2) a collection of stable, conventional metaphorical extensions that flesh out the conceptual skeleton in a variety of ways...« (Lakoff/Johnson
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rierte Konzepte auf nichtphysische, weniger klar konturierte. Der Körper spielt dabei eine basale Rolle, weil er uns die hierfür nötigen Strukturen zur Verfügung stellt. Das zu erschließende und verstehbar zu machende Explanandum wird im Folgenden als (bilderhaltender) Zielbereich, das klar strukturierte, konkrete Explanans als (bildgebender) Quellbereich bezeichnet. Beispiele für Zielbereiche sind Zeit, Emotionen (Liebe, Wut), (normatives) Verhalten in sozialen Situationen (Argumentieren, Kommunikation), philosophische Konzepte (Moral, Gerechtigkeit oder Selbst), Wissenschaft (z.B. die vermeintlich abstrakteste unter den Wissenschaften, die Mathematik), Politik, Religion, Leben und Tod.5 Quel-
1999: 128) Dieses ›Skelett‹ besteht aus einfachem ›Wissen‹ von geringem Umfang. Dieses ›Wissen‹ kann verschiedener Art sein: kulturell oder »metaphysisch«, empirisch oder theoretisch (vgl. Jäkel 1997: 286). Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu sog. Komplexen Metaphern weiter unten. Zur Kritik an dieser vagen Beschreibung eines ›nonmetaphorical skeleton‹ vgl. Brünner (1987). Sie fragt, »...in welchem Umfang die Realität durch metaphorische Konzepte definiert ist, wo die Beschränkungen der ja nur partiellen metaphorischen Strukturierung genau liegen« (ebd.: 102). 5
Zur Metaphorik verschiedener Zielbereiche vgl. z.B. Lakoff/Johnson (2004, 1999), Johnson (2008), Lakoff/Turner (1989), Lakoff/Núñez (2003), Núñez (2008), Lakoff (2002), Lakoff/Wehling (2009), Kövecses (2000, 2008b), Jäkel (1997, 2003a), Moser (2000), Lemke (2010), Stadelbacher (2014) sowie verschiedene Beiträge in Junge (2010, 2011a, 2014) und Geideck/Liebert (2003); eine Übersicht findet sich in Goatly (2007). Vgl. auch die Zusammenstellung von entsprechender Literatur in Goschler 2012 sowie in der Metapherndatenbank auf http://www.lang.osaka-u.ac.jp/ ~sugimoto/MasterMetaphorList/MetaphorHome.html sowie in der Online-Zeitschrift http://www.metaphorik.de/ (zuletzt aufgerufen am 02.09.2015). Und auch in soziologischen Theorien finden sich zahlreiche Metaphern: So nutzen z.B. Schütz, Berger und Luckmann Raum- und Reisemetaphern, um die verschiedenen Wirklichkeitsbereiche zu erfassen und sprechen von symbolischen Sinnwelten als ›umgrenzte Sinnprovinzen‹. Auch finden sich bei Luckmann Beschreibungen sozialer Beziehungen als Gebäude (Luckmann 1992: 139f.) und der Institutionalisierung als Erzeugen von Gleichschritt (ebd.: 158). Blumer versteht hermeneutisch-rekonstruktives Forschen als Lüften eines Schleiers, entsprechend der Metapher WISSEN IST SEHEN (Blumer 2013: 112f.). Bourdieu setzt den gesellschaftlichen mit dem geographischen Raum gleich: »Der gesellschaftliche Raum ist – wie der geographische – im höchsten Maße determinierend; wenn ich sozial aufsteigen möchte, habe ich eine enorme Steigung vor mir, die ich nur mit äußerstem Kraftaufwand erklettern kann; einmal oben, wird mir die Plackerei auch anzusehen sein, und angesichts meiner Verkrampftheit wird es dann heißen: ›Der ist doch nicht wirklich distinguiert!‹.« (Bourdieu 2005a: 37)
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len von Metaphern sind ganz allgemein körperliche oder körpervermittelte Erfahrungen in der und mit der dinglich-materialen und sozialen Umwelt, also bspw. die körperliche Orientierung, Erfahrung mit Entitäten (Substanzen/Objekten) und typisierte, gestalthafte soziale Situationen, deren Eigenschaften jeweils auf den betreffenden Zielbereich projiziert werden.6 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle zunächst, dass abstrakte, nicht direkt aus sich selbst heraus verständliche Konzepte keine rein kognitiven Konstruktionen oder symbolische Repräsentationen im (körperlosen) Geist, sondern mittels metaphorischer Übertragungen zutiefst verkörpert sind: »So-called ›abstract thought‹ is largely metaphorical, making use of the same sensorymotor system that runs the body.« (Lakoff 2003a: 50) »It is to say that we think from and within our bodily experience.« (Johnson in Pires de Oliveira/de Souza Bittencourt 2008: 24)
4.1.2 Disziplinäre Verortung der Theorie Ganz allgemein ist der Ansatz von Lakoff/Johnson der Kognitionswissenschaft zuzuordnen, genauer der sog. zweiten Generation der Kognitionswissenschaft. Als Kritik an der formalistisch-mechanistischen Vorstellung von Kognition im Rahmen der klassischen Kognitionswissenschaft, wie sie sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts etabliert (aufgrund der technizistischen Konzeption von Kognition wird sie auch als Computationalismus bezeichnet), erfolgte in den 1990er Jahren ein Paradigmenwechsel hin zum embodiment- oder embodied mindAnsatz, dessen Ziel die Überwindung des cartesianischen Dualismus aus res cogitans und res extensa ist. »Kognition findet nicht im Kopf statt, sondern in der Welt.« (Fingerhut et al. 2013a: 2)7
6
Eine Übersicht über gängige Quellbereiche und deren Verwendung findet sich bspw. in Baldauf 1997, vgl. ebenfalls die Zusammenstellung in Goschler 2012 sowie in der genannten Metapherndatenbank. Allgemeiner Hinweis: Diese Theorie lebt natürlich durch ihre zahlreichen Beispiele. Deshalb werden die Darstellungen mit geeigneten Beispielen veranschaulicht, zudem findet sich im Anhang eine ausführlichere Auflistung und Darstellung einiger Beispiele metaphorischer Konzeptualisierungen.
7
Zur klassischen Kognitionswissenschaft und ihrer Reformulierung im Rahmen des embodied-mind-Ansatzes vgl. Varela et al. (1993); Thompson (2007); Gallagher (2005); Shapiro (2004, 2011, 2014); Fingerhut et al. (2013a); Ziemke et al. (2007); Frank et al. (2008).
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Die entscheidende Neuerung in der Betrachtung von Kognition ist, dass die Verkörperung von Subjekten und die Einbettung in eine – materiale und soziale – Umwelt berücksichtigt werden muss, um die Prozesse und Strukturen, die dem menschlichen Denken und Wahrnehmen zugrunde liegen, adäquat rekonstruieren zu können. Kognition ist eine »konzertierte Aktivität des Körpers und des interagierenden Subjekts« (Fingerhut et al. 2013b: 59). Im Gegensatz zur ersten Generation wird hier nicht von einem linearen Modell des ›Wahrnehmen– Berechnen–Handeln‹ ausgegangen, sondern von einem Verwobensein von Wahrnehmen, Denken und Handeln, einer »co-ordination between the inner and the outer worlds« (Clark 1999: 346).8 Dabei stehen weniger das Verstehen abstrakter Problemlösungs- und Reflexionsprozesse im Zentrum, das Erkenntnisinteresse öffnet sich vielmehr für das alltägliche, praktische Wissen-wie (›knowing how‹). Der Körper wird in seiner erkenntnisleitenden Funktion nicht in ein dualistisches, sondern in ein duales Verhältnis zum Geist gestellt: Wahrnehmen und Denken sind immer auch körperlich. Innerhalb des embodied-mind-Ansatzes gibt es verschiedene Richtungen, die den Zusammenhang von Denken und Körper auf unterschiedliche Art in den Blick nehmen (vgl. Fingerhut et al. 2013b; zur ›Polysemie‹ innerhalb des embodied-mind-Ansatzes vgl. auch Clark 1999; Núñez 1999; Shapiro 2011). Der extended-mind-Ansatz betrachtet die Umwelt als konstitutiv für Kognitionsprozesse, der Geist dehnt sich gleichsam über den Körper hinaus in die Umgebung aus.9 Der embedded-mind-Ansatz geht lediglich
8
Tim Rohrer bringt die Differenz zwischen der ersten und der zweiten Generation der Kognitionswissenschaft auf den Punkt: »Under the functionalist paradigm, the mind was treated as if it were a series of modular computer programs – or ›black boxes‹ – whose inputs and outputs could be specified in symbolic termes.« (Rohrer 2007: 340) Kognition wurde unabhängig von der körperlichen, materialen und sozialen Umwelt aufgefasst. In der zweiten Generation wird berücksichtigt, dass »the specific details of how the brain and body embody the mind do matter to cognition« (ebd.).
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So werden bspw. Gesten als Bestandteil der Kognition betrachtet, die das Denken konstitutiv unterstützen. Sie fungieren als »Feedbackschleife zwischen Körper, Welt und Hirn [...], die als Ganzes kognitive Prozesse konstituiert« (Fingerhut et al. 2013b: 18; vgl. auch Goldin-Meadow 2003). Vgl. zur Bedeutung von Gestik für das Denken den Hinweis, dass sogar von Geburt an Blinde beim Sprechen gestikulieren. Dies verweist auf die Bedeutung von Gesten für Denkprozesse jenseits von Kommunikation mit anderen (man gestikuliert sozusagen auch ›für sich‹; vgl. Núñez 2008: 353; Goldin-Meadow 2003: 141ff.). Auch materiale Dinge wie Stift und Papier sind Teil des Kognitionsprozesses. Vgl. zum extended-mind-Ansatz allgemein z.B. Clark/
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von einem Eingebettet-Sein des Denkens in die sozio-kulturelle Umwelt aus, deren kollektiv erschaffene ›Denkhilfen‹ wie z.B. Schilder, Institutionen, Umgangsformen die Welt vorselektieren, Kontingenz reduzieren und so das Denken unterstützen.10 Schließlich betont der enactivism-Ansatz (enaktivistischer Ansatz), dass der menschliche Organismus seine Umwelt aktiv gestaltend hervorbringt und damit »Erkenntnis vom In-der-Welt sein abhängt, das wiederum untrennbar ist von unseren Körpern, unserer Sprache und unserer Sozialisierung – kurz gesagt: von unserer Verkörperung« (Varela et al. 2013: 296; Herv.i.O.). Embodied mind bedeutet dabei ein Verkörpert-Sein des Denkens in zweifacher Hinsicht: als Effekt des körperlichen Interagierens mit der Welt und als in Fleisch und Blut übergegangene kognitive Struktur. Zu den Hauptvertretern eines solchen Verständnisses von embodiment gehören u.a. Francisco Varela, Alva Noe, Eleanor Rosch und Evan Thompson.11 Den benannten Richtungen gemeinsam ist die Annahme, »dass sowohl die kognitiven als auch die geistigen Zustände und Prozesse von [...] Menschen intrinsisch verkörpert und als solche wesentlich in eine Umwelt eingebettet sind« (Fingerhut et al. 2013b: 9). Mit der Neukonstitution der Kognitionswissenschaft entlang der skizzierten Grundannahmen geht auch eine Öffnung für andere Disziplinen einher. So bildet die ›neue‹ Kognitionswissenschaft ein interdisziplinäres Feld, bestehend aus Neurowissenschaften, Informatik, Linguistik, Philosophie und Psychologie – mit Anschlussfähigkeit für die Soziologie. Zur konzeptionellen Begründung des embodiment-Ansatzes finden sich insbesondere zentrale Referenzen auf die Leibphänomenologie Maurice Merleau-Pontys sowie auf den Pragmatismus, wie ihn John Dewey geprägt hat (Vallega-Neu 2005; Ignatow 2007; Sonesson 2007; Bower/Gallagher 2013).12 Die Prämisse, dass das körperliche inter-aktive und
Chalmers (1998) und Aizawa (2014). Vgl. an dieser Stelle auch die Prämissen der Praxeologie: auch hier ist z.B. die Interaktion mit der materialen Umgebung kognitionsrelevant (z.B. Schmidt 2012). 10 Vgl. zum embedded-mind-Ansatz allgemein Haugeland (1995), Sterelny (2010) und Dawson (2014). 11 Vgl. zum enactivism-Ansatz neben Varela et al. (1993) auch Thompson (2007), Di Paolo/Thompson (2014) und Myin/Degenaar (2014). 12 Der Pragmatismus geht – anstatt von kulturellen wie z.B. normativen Grundlagen von Denken, Handeln und Sozialität – vom Primat des Praktischen aus und betont die einheitliche Beziehung zwischen Denken und Handeln. Einer der wichtigsten Vertreter des klassischen Pragmatismus ist John Dewey (1859-1952). Genau wie Maurice Merleau-Ponty (1908-1961) aus phänomenologischer Perspektive lehnt er jeden Dualismus von Körper-Geist, Natur-Kultur oder Subjekt-Objekt ab. Der Geist bzw. das
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wahr-nehmende In-der-Welt-Sein die Voraussetzung nicht nur für den pragmatischen und sensorischen, sondern auch für den kognitiven Zugang zur Welt ist, findet vor allem im enaktivistischen Ansatz von Varela et al. Widerhall, der die praktische Aneignung von Wissen und Kognition als »embodied action« (Varela et al. 1993: 172), als ›verkörperte Tätigkeit‹ in den Fokus stellt. Jedoch verbleibt Kognition hier – wie auch in den anderen embodied-mind-Ansätzen – noch weitgehend im Konkreten. An diesem Punkt gehen Lakoff/Johnson über bestehende Ansätze hinaus. Auch Lakoff/Johnson lassen sich am ehesten der Richtung des enaktivistischen Ansatzes von Varela et al. zuordnen. Ihr erfahrungsbasierter Ansatz (sie selbst nennen ihn auch ›Experientialismus‹ oder ›erfahrungsbasierten Realismus‹ (Lakoff/Johnson 2004: 177f., 206; 220ff., 262ff.; vgl. auch Lakoff 1987a, Johnson 1987) ist ein Beitrag zu dieser Debatte, die den Menschen als Einheit aus Subjektivität, (körperbasierter) Interaktion und Kognition konzipiert. Das Besondere ihres Ansatzes ist nun die Erweiterung bzw. die engere Verknüpfung von konkreten Körpererfahrungen und abstraktem Wissen. In Arbeiten im Rahmen des embodiment-Ansatzes wird v.a. alltägliche Kognition (Entstehung und Anwendung von Wissen) mit Schwerpunkt auf direkte Erfahrungen und Kognitionen im Sinne einer praktischen Intelligenz verhandelt, die sich in Wahrnehmungen, Bewegungen, Tätigkeiten und Interaktionen mit der Umwelt manifestiert: »The central idea of the embodied approach is that cognition is the exercise of skillful know-how in situated and embodied action. Cognitive structures and processes emerge from recurrent sensorimotor patterns that govern perception and action in autonomous and situated agents.« (Thompson 2007: 11; Herv.S.S.)13 Lakoff/Johnson erweitern die verkörperte praktische nun um die verkörperte abstrakte Intelligenz – und genau das ist der die aktuelle Diskussion um die ›Verkörperung der (Wissens)Soziologie‹ erweiternde Beitrag ihres Ansatzes. Durch konzeptuelle Übertragung vom Direkten, Konkreten auf das Indirekte, Abstrakte werden auch ›komplexe‹ bzw. ›höhere‹ kognitive, geistige und
Denken ist ein Produkt der sozialen Interaktion (vgl. zu Dewey: Ders. 2008; Pape 2008: 170ff.; zu Merleau-Ponty: Ders. 1966; Bermes 1998). Die Verbindung von Kognitionswissenschaft und Phänomenologie geht schon auf Merleau-Ponty selbst zurück und hat damit eine längere Tradition (vgl. seine Analysen zum Fall Schneider in: Merleau-Ponty 1966: 128ff.; zum Bezug Merleau-Pontys auf die Neurowissenschaft/Neurophysiologie seiner Zeit vgl. auch Zaboura 2009: 43ff.). 13 Für einen Überblick über aktuelle Studien, die den Zusammenhang von körperlicher Bewegung/Haltung und Wahrnehmung, Emotion u.a. aufzeigen, vgl. Gallagher (2005: 8ff.) und Klatzky et al. (2008).
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mentale Fähigkeiten wie das begriffliche Denken oder das logische Schließen durch das verkörperte In-der-Welt-Sein und die körperliche Interaktion mit der Umwelt geprägt. Diese Erweiterung lässt sich gut mit dem Begriff des ›offline embodiment‹ von Margaret Wilson beschreiben (Wilson 2002: 632ff.). Während praktische Intelligenz einem ›online embodiment‹ entspricht, also einer Verkörperung durch unmittelbaren Bezug auf die reale Umwelt, bezeichnet das ›offline embodiment‹ »the continuing influence of this repertoire of bodily responses even when cognitive activity is decoupled from the social and physical environment« (Ignatow 2007: 122). Indem direkte Körpererfahrungen auf abstrakte Phänomene übertragen werden und damit die Basis abstrakten Denkens bilden, kann das ›online embodiment‹ somit gleichsam als Grundlage für abstraktes Denken im Sinne des ›offline embodiment‹ verstanden werden. Wichtig ist zu betonen, dass dabei das Verkörpertsein abstrakten Denkens nicht ›abgekoppelt‹ oder ›stillgelegt‹ wird, sondern die ›Körperlichkeit des Denkens‹ ›lebendig‹ bleibt (siehe Kapitel 4.2, 4.3.1). Um diesen Zusammenhang von direkter Körperlichkeit und abstraktem Denken zu betonen, verweisen Lakoff/Johnson neben anthropologischen,14 entwicklungspsychologischen15 und v.a. neurowissenschaftlichen16 Bezügen als Philosophen ebenfalls explizit auf die post-husserlschen phänomenologischen sowie die
14 An erster Stelle steht hier die biologische Anthropologie. Lakoff/Johnson verweisen auf die evolutionsbedingte Körperausstattung, Sensomotorik und die Struktur unseres Gehirns, die jeweils unsere Fähigkeit und Notwendigkeit zur Konzeptualisierung i.A. und zur Metaphorisierung i.B. bedingen (vgl. Johnson 1987: 205ff.; Lakoff/Johnson 1999: 16ff., 89ff.). Implizit nehmen Lakoff/Johnson auch Anleihen bei der philosophischen Anthropologie im Anschluss an Plessner und seine Theorie der Positionalität, vgl. hierzu Kapitel 4.2.1 und 4.4.5. Generell fassen sie Konzeptualisierungen/Metaphorisierungen via unseres Verkörpert-Seins, unseres embodiments als anthropologische Fähigkeit und Notwendigkeit zugleich: Wir können nicht nicht verkörpert sein und metaphorische Konzeptualisierung als Art zu denken ist universell. Dies ist eine unhintergehbare ›Wahrheit‹ jenseits jeder Konstruktion (vgl. Lakoff/Johnson 1999: 89f.). 15 V.a. bei der Entstehung der Metaphern greifen Lakoff/Johnson auf die Erkenntnisse von Jean Piaget zurück (vgl. Lakoff/Johnson 2004: 85). 16 Den Verweis auf Neurowissenschaft findet man v.a. im zweiten Hauptwerk Philosophy in the Flesh. Hier veranschaulichen die Autoren das Verkörpertsein unserer Wirklichkeit auf mehreren Ebenen (vgl. Kapitel 4.2.2). Diese Linie hat insbesondere George Lakoff im Anschluss weiter verfolgt und in der Neural Theory of Metaphor ausgearbeitet (z.B. Lakoff 2008).
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pragmatistischen Wurzeln ihres Ansatzes (vgl. Lakoff/Johnson 1999; Johnson 2007; Johnson/Rohrer 2007). Merleau-Ponty und Dewey sind für sie »the two greatest philosophers of the embodied mind« (Lakoff/Johnson 1999: XI). Dies rechtfertigen sie, neben deren Betonung einer unmittelbaren, interaktiven Beziehung von Geist und Körper, v.a. mit der (von Lakoff/Johnson selbst vehement postulierten) Verknüpfung von philosophischem Denken und empirischen Erkenntnissen, die ihnen eine Fundierung des leiblichen Zugangs zur Welt als Voraussetzung jeglicher Wahrnehmung und Erkenntnis ermöglicht (ebd.: 97). Auch die konstruktivistische Grundorientierung auf Wirklichkeit entnehmen Lakoff/ Johnson vorrangig der phänomenologisch-pragmatischen Philosophie. In Anlehnung daran lehnen Lakoff/Johnson jeden Objektivismus ab und verstehen Wirklichkeit als Produkt des Austausches mit der Umwelt und nicht als objektive Metaphysik.17 Auch hinsichtlich der Art zu denken, quasi der ›Natur abstrakter Kognition‹, verweisen Lakoff/Johnson einerseits auf Merleau-Ponty, der von einer »gewissermaßen organischen Verbindung zwischen der Wahrnehmung und der verstandesmäßigen Erkenntnis« ausgeht (Merleau-Ponty, zit. nach Bermes 1998: 87) und andererseits insbesondere auf Dewey und dessen Prinzip der Kontinuität: »Das primäre Postulat einer naturalistischen Theorie der Logik ist die Kontinuität der niedrigeren (weniger komplexen) und der höheren (komplexeren) Tätigkeiten und Formen.« (Dewey 2008: 38) Für Lakoff/Johnson heißt das – übertragen auf Kognition allgemein – nichts weniger, als dass sich aus pragmatistischer Perspektive ›höhere‹ kognitive Prozesse aus ›niederen‹ heraus entwickeln und erstere auf letzteren aufbauen. Bei Lakoff liest sich dies bspw. so: »Abstract reasoning is a special case of image-based reasoning. Image-based reasoning is fundamental and abstract reasoning is image-based reasoning under metaphorical projections to abstract domains.« (Lakoff 1993a: 229).
Praktisches In-der-Welt-Sein fundiert damit alle Arten des wahrnehmenden, handelnden und kognitiven Seins. Entscheidend ist hier die Kontinuierung der
17 Mit der grundsätzlichen Annahme der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit und Wahrheit zeigen Lakoff/Johnson bereits eine entscheidende Gemeinsamkeit mit dem intersubjektiv-phänomenologischen, konstruktivistischen Ausgangspunkt von Schütz bzw. Berger/Luckmann. Den Aspekt der Konstruiertheit von Wirklichkeit werde ich v.a. in Kapitel 4.3.3 wieder aufnehmen. Vgl. zum Stellenwert der Phänomenologie auch Lakoff/Johnson (2004: 208) und zur Ablehnung jeder Metaphysik und A-Priori-Philosophie Dies. (1999: 74ff., 94ff.).
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Relevanz des Körperlichen bis in die höchsten Stufen des Mentalen: Kognition ist generell und grundlegend verkörpert. Abstrakte Phänomene, die selbst nicht oder nicht hinreichend wahrnehmbar und nur indirekt fassbar sind (also durch ›höhere‹ kognitive Prozesse erschlossen werden müssen) werden mittels konkreten, körpervermittelten Erfahrungswissens (das nur ›niedere‹ kognitive Leistungen erfordert) konzeptualisiert. Oder anders: Wissen aus konkreten, weil körperlich vermittelten Erfahrungsbereichen wird durch metaphorische Übertragung zu Wissen über abstrakte Erfahrungsbereiche. Bevor die Elemente und Thesen der Theorie kognitiver Metaphorik im Einzelnen betrachtet werden, gilt es, den Begriff der Metapher genauer in den Blick zu nehmen. In Abgrenzung von der konventionellen Verwendung und Konzeptualisierung in der Sprachwissenschaft wenden Lakoff/Johnson den Metaphernbegriff kognitionswissenschaftlich. Im Rahmen des embodied-mind-Paradigmas verknüpfen sie Körper, Denken und Sprache auf ganz bestimmte Weise, indem sie von der Sprache auf das zugrunde liegende Denken schließen und beides in unserem körperlichen In-der-Welt-Sein begründet sehen.18 Was genau mit metaphorischer Übertragung und mit dem ›Denken und Handeln in Metaphern‹ gemeint ist, wird im Folgenden ausgeführt. 19 4.1.3 Metaphernbegriff Der etymologischen Herkunft nach bedeutet der Begriff Metapher ›etwas hinübertragen‹, zusammengesetzt aus dem griechischen ›meta‹ (über) und ›phérein‹ (tragen). Der Duden definiert Metapher als »sprachlicher Ausdruck, bei dem ein Wort, eine Wortgruppe aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen wird, ohne dass ein direkter Vergleich zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem vorliegt« (Duden 2005: 654; Herv.S.S.). Die Metapher fällt unter die Gruppe der Tropen und bezeichnet die Ersetzung eines Ausdrucks durch einen anderen, der einem vom eigentlichen Begriff verschiedenen Bedeutungsfeld angehört. In Form bildhafter Übertragung physisch-konkreter Begrifflichkeit auf abstrakt-komplexe Phänomene war die Metapher als Element der Sprache, genauer: als rhetorisches Stilmittel schon in der Antike bekannt (eine erste Definition findet sich bei Aristoteles; vgl. Kohl 2007: 106ff.). Die Funktion von metaphorischer Sprache ist es, bereits existierende Ähnlichkeiten zwischen dem Ziel- und
18 Zur Kritik an dieser empirischen Vorgehensweise vgl. Fn 109 in Kapitel 4.5. 19 Vgl. hierzu Kohl (2007) sowie Lakoff/Johnson (1999: 118ff.). Zum Metaphernbegriff in der Theorie kognitiver Metaphorik vgl. auch Kövecses (2002a).
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dem Quellbereich zu erkennen und diese herauszustellen, um eine bestimmte Vorstellung zu kreieren bzw. bestimmte Aspekte zu betonen. Metaphern galten zwar schon damals als alltäglich, blieben aber als kreative, innovative Form des Redens eine Ausnahme, eine außergewöhnliche Ausdrucksweise der Rhetorik, Metaphern sind ein ›Schmuck der Sprache‹. Und da der ›ausgeschmückte‹ Begriff über eine eigentliche Bedeutung verfügt und durch die Metapher lediglich ›bebildert‹ wird, erscheint die Verwendung von Metaphern bspw. für die Darstellung ›objektiver‹ Wahrheiten in der Wissenschaft ungeeignet und unnötig – die Metapher ist und bleibt eine Sache der Poesie und Phantasie. Im Gegensatz zur Tradition der rhetorischen Metapher etablierte sich im Rahmen der kognitiven Linguistik die kognitive Metapherntheorie, zu deren Hauptvertretern Lakoff/Johnson zählen. In Abgrenzung zu anderen Theorien in diesem Feld20 radikalisieren sie in ihrem Ansatz die Fundamentalität der Metapher. In ihren Werken postulieren sie die Kognitivität und Ubiquität von Metaphorik und veranschaulichen dies empirisch; hier erscheint die Metapher (in erster Linie) nicht als Element der Sprache, der Kommunikation, sondern als Modus des Denkens – und zwar des alltäglichen, un-/vorbewussten, alle Lebensbe-
20 Es ist Lakoff/Johnson immer wieder vorgeworfen worden, dass sie viele der historischen Vorläufer ihrer Theorie gar nicht zur Kenntnis genommen haben (vgl. hierzu u.a. Baldauf 1997; Jäkel 1997; Surmann 2005: 62ff.). Zu nennen sind hier Vordenker wie Max Black (Interaktionstheorie), Hans Blumenberg (philosophische Relevanz der Metapher) oder Harald Weinrich (Bildfeld-Theorie; kreative, poetische Metapher); vgl. hierzu die Darstellungen in Rolf (2005) und Jäkel (1999, 2003a), wobei Olaf Jäkel Blacks Interaktionstheorie nicht als Vorläufer von Lakoff/Johnson sieht, weil hier von einer wechselseitigen Beeinflussung von Quell- und Zielbereich ausgegangen wird. Lakoff/Johnson hingegen vertreten die sog. Unidirektionalitätsthese, die Übertragungsrichtung vom Konkreten auf das Abstrakte als Regel setzt. Jäkel geht – nach empirischer Überprüfung – mit Lakoff/Johnson ebenfalls von der Unidirektionalitätsthese aus (Jäkel 1997: 86ff., 65-88). Durch den Verweis auf zahlreiche Vordenker und -arbeiten ist die »revolutionäre Neuerung« durch die Theorie der kognitiven Metaphorik zwar relativiert, dennoch kommt Lakoff/Johnson der Verdienst zu, den »Dornröschenschlaf« bestehender Ansätze beendet und »die Rolle der Metapher in Bedeutungs- und Kognitionsforschung« herausgestrichen zu haben (Baldauf 1997: 295). Es ist »das Verdienst von George Lakoff und Mark Johnson, [...] die alltagssprachliche Metapher und zugleich deren kognitive Dimension dezidiert ins Zentrum der Metapherntheorie gestellt zu haben« (Kohl 2007: 23). Katrin Kohl spricht bzgl. des Ansatzes von Lakoff/Johnson auch vom »wohl bedeutendsten Paradigmenwechsel in der Metaphernforschung« (ebd.: 119).
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reiche strukturierenden Denkens. Die uns allen bekannte sprachliche Metapher ist nur der Effekt, die Manifestation des zugrunde liegenden systematischen metaphorischen Denkens. Deshalb sprechen Lakoff/Johnson auch genauer von konzeptuellen Metaphern, um zu verdeutlichen: »Conceptual metaphor is a natural(!) part of human thought, and linguistic metaphor is a natural part of human language.« (Lakoff/Johnson 2003: 247)21 Die bildhafte Übertragung findet auf der konzeptuellen Ebene statt und spiegelt sich v.a. – aber nicht nur – auf sprachlicher Ebene wider, und zwar in Form semantischer Wortlexeme, aber auch als Propositionen (»in«, »auf«) oder grammatikalische und lautsprachliche Strukturen. Metaphorik ist allgegenwärtig. Kognitionswirksam sind Metaphern vor allem deshalb, weil sie nicht ›tot‹ sind. In der klassischen Metapherntheorie gelten Metaphern dann als ›tot‹, wenn mit zunehmender Konventionalisierung die ursprüngliche Wortbedeutung verloren geht und der originär metaphorische zum wörtlichen Ausdruck wird (lexikalisierte Metapher), wohingegen Metaphern im eigentlichen Sinn Ausdruck kreativen, innovativen Sprechens sind (vgl. Kohl 2007: 20ff.). Im Gegensatz dazu sind nach Lakoff/Johnson auch konventionelle Metaphern, um die es ihnen ja geht, ›lebendig‹ (Lakoff/Johnson 2004: 69) – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Kognitive Metaphern bestehen als neuronale Verknüpfungen zwischen Quellund Zielbereich (vgl. Kapitel 4.3.1), das bedeutet, sie sind nicht nur Ausdruck des Gedachten, sondern das Denken selbst. Auf diese neuronalen Verknüpfungen sind zentrale Merkmale konzeptueller Metaphern zurückzuführen: ihre Systematik bzw. Kohärenz und ihre Multimodalität. Konzeptuelle Metaphern fungieren als ganze Systeme von Denk-, Handlungs- und Sprachelementen. Durch systematische Vernetzungen und Aktivierungen zwischen Quell- und Zielbereich bringen Metaphern neben sprachlichen Äußerungen auch Handlungen und Objektivationen hervor (vgl. hierzu Kapitel 4.3.3, 4.4.1). Diese Derivationen konzeptueller Metaphern sind keine einzelnen isolierten Manifestationen der konzeptuellen Metapher, vielmehr hängen sie sinnhaft zusammen, sind Ausdruck ei-
21 In diesem Zitat wird auch der Stellenwert der Metaphorisierung bzw. des metaphorischen Denkens als Anthropologicum, als ›natürliche‹ Art zu denken und folglich auch zu sprechen deutlich – wir können gar nicht anders, als in Metaphern zu denken. Und eben weil wir primär metaphorisch denken und wahrnehmen, sind Metaphern Teil des alltäglichen, selbstverständlichen Existierens und (Inter-)Agierens. Sie sind konventionelle Denk- und Redeweisen, die jede Art von Phantasie, Poesie oder Rhetorik nicht mehr als Regel, sondern vielmehr als ›Sonderformen‹ der Metapher in den Hintergrund stellen (vgl. zur Analyse poetischer Metaphern vor diesem Hintergrund auch Lakoff/Turner 1989).
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nes kohärenten, in sich schlüssigen Konzeptsystems.22 Diese Systematik konzeptueller Metaphern erklärt auch, warum wir bspw. komplett neue Ausdrücke aus dem Bedeutungsfeld des Quellbereichs verstehen bzw. verwenden können, und zwar »automatically and without conscious reflection« (Lakoff/Johnson 1999: 66; zur Kreativität von Metaphern vgl. ebd.: 125f.).23 Des Weiteren stellen diese ›lebendigen‹ Metaphern im Unterschied zu Annahmen der klassischen Analogietheorie Ähnlichkeiten erst her und repräsentieren sie nicht nur, d.h. Metaphern wirken konstruktiv, sind sinn- und strukturstiftend und erzeugen Wirklichkeit. Damit lehnen Lakoff/Johnson die Annahme einer präexistenten eigentlichen Bedeutung des Zielbereichs jenseits der metaphorischen Übertragung ab (vgl. Duden-Definition) – die metaphorische Übertragung ist die eigentliche Bedeutung, und zwar in einem radikalen Sinne entsprechend der Blumenbergschen ›absoluten Metapher‹.24 Das heißt, wir verstehen den Zielbereich nur, ja, der Zielbereich existiert nur, indem wir »Erfahrungen, Wahrnehmungen, Wissen und Handlungsdispositionen aus einem Bereich erlebter Wirklichkeit auf einen anderen übertragen« (Schmitt 1995: 117). Metaphorische Übertragung ist ein essentieller Prozess der Zuschreibung von Sinn und Bedeutung – das gilt neben Phänomenen des Alltags nicht zuletzt auch für Philosophie, Wissenschaft und Politik (vgl. Johnson 2008; Lakoff/Núñez 2003; Lakoff 2002). Michael B. Buchholz bezeichnet die (kognitive) Metapher daher auch als das »zentrale Sinnesorgan für unsere soziale und kognitive Welt« (Vorwort in Lakoff/Johnson 2004: 8). Genauer müsste man sagen: die Metapher ist ein ›Sinn-Organ‹, da durch sie überhaupt erst Sinn hergestellt und vermittelt wird. Aufgrund der skizzierten konstitutiven Funktion sprechen Lakoff/Johnson auch davon, dass sprachliche Metaphern als Ausdruck des zugrunde liegenden Den-
22 Zur inneren und äußeren Kohärenz von Metaphern vgl. Lakoff/Johnson (2004: 106ff.). 23 Ein Beispiel wäre hier der Ausdruck »die beiden fahren auf der Überholspur« als spezifische Variante der Metapher »ein Paar befindet sich auf einem gemeinsamen Weg«, um die Entwicklung in einer Beziehung zu bezeichnen; oder auch der Ausdruck »etwas springt einem geradezu ins Auge« anstatt dass man es nur »kommen sieht«/»jemand klebt an einem anderen dran« für die Betonung einer starken Affinität und ›Anhänglichkeit‹. 24 Nach Blumenberg (1998) korrespondiert eine absolute Metapher mit keiner direkten, substantiellen Erfahrung mit dem Phänomen. Der Zugang zu diesem Phänomen ist deshalb allein durch die Metapher möglich. Lakoff/Johnson gehen zwar von einem ›skelettalen‹ Gerüst aus, das alleine ermöglicht jedoch keinen sinnhaften Zugang zum Phänomen.
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kens nicht nur als ›lebendig‹, sondern auch als »wörtlich« zu verstehen sind (Lakoff/Johnson 2004: 14).25 Da wir die Welt gemäß unserer Konzeptualisierungen wahrnehmen und entsprechend handeln, werden Metaphern wirk-lich (vgl. Kapitel 4.3.3).26
25 Jäkel weist dies als unnötige Begriffsdiffusion zurück und plädiert für die konsequente Bezeichnung als konventionelle Metapher: »...ein Oxymoron ›wörtliche Metapher‹ ist mit seiner contradictio adjecto nicht nur unsinnig, sondern auch noch überflüssig« (Jäkel 2003a: 43). 26 Neben ›lebendigen‹ gibt es für Lakoff/Johnson aber durchaus auch ›tote‹ Metaphern. Diese isolierte historische metaphorische Ausdrücke, die in die Sprache eingegangen und nicht (mehr) Teil eines kognitiven Konzepts sind (vgl. Lakoff 1987b; Lakoff/Johnson 1999: 124, 2004: 68f.; Surmann 2005: 92ff.; Kohl 2007: 20f.; allgemein zur Diskussion um tote und lebendige Metaphern vgl. auch Müller 2003, 2008; Jäkel 2003a; Schmitt 1995, 1995/1996). Die metaphorische Basis ist hier nur noch in der etymologischen Herkunft erkennbar, wie z.B. bei den Begriffen Leben (das vom indogermanischen [s]lei- ›kleben, hängen bleiben‹ abstammt), Kummer (mittelhochdeutsch kumber ›schwere Last tragen‹), Depression (vom lateinischen deprimere, ›bedrückt sein‹), Devianz (vom lateinischen de via ›vom Weg abkommen‹) oder Perspektive (vom lateinischen perspectare ›durch etw. hindurchsehen‹, ›etw. genau ansehen‹). Diese Ausdrücke sind tot, weil im alltäglichen Gebrauch deren Wortherkunft nicht mehr erkennbar ist, sie also für uns kein Ausdruck eines erfahrungsbasierten Quellbereichs sind. Wenn einzelne Begriffe ihr Leben verlieren, weil sie nicht mehr als Teil eines kognitiven Konzepts fungieren, heißt das aber nicht, dass das Konzept als solches gestorben ist. Vielmehr sind diese toten metaphorischen Ausdrücke z.T. noch innerhalb lebendiger Metaphernkonzepte zu verorten, z.B. Kummer und Depression als Audrücke innerhalb der lebendigen Metapher PROBLEME SIND LASTEN, Devianz als Ausdruck von MORAL IST BEWEGUNG GERADEAUS (lebendige Ausdrücke heute sind »vom rechten Weg abkommen«, »geradlinig«) und Perspektive als Ausdruck der Metapher DENKEN/WISSEN IST SEHEN. Auch die ›toten‹ Metaphern stehen damit für (historische) lebendige Metaphernkonzepte, sind in ihrer Wirkungsweise aber nicht mehr Teil konzeptueller Metaphern. Der Großteil der alltäglichen sprachlichen Metaphern ist jedoch – eben weil sie Ausdruck zugrundeliegenden Denkens sind – lebendig, was sich in den im Text benannten Indikatoren zeigt (Systematik der Übertragung, Verstehen neuer Ausdrücke, multimodale Veräußerung konzeptueller Metaphern). Vor allem konzeptuelle Metaphern sind, eben weil sie lebendig sind und deshalb wirklichkeitskonstitutiv wirken, von sozialwissenschaftlichem Interesse, denn sie sind Basis des Verstehens, Sprechens, Handelns von Subjekten. Wenn der übertragene Sinn im alltagssprachlichen Verständnis nicht mehr als solcher erkennbar ist, wirken die Ausdrü-
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Metaphern sind also alltägliche, konventionalisierte, als solche un-/ vorbewusste und – im wahrsten Sinne des Wortes – kreative Arten und Weisen des Denkens und, als Derivation davon, auch des Sprechens und der Verständigung. »Rather than being decorative or irrelevant to reality, metaphor is very much the stuff of our everyday life.« (Johnson/Lakoff 1982: 1) Die verschiedenen hier genannten Aspekte und Merkmale konzeptueller Metaphorik werden im Folgenden wieder aufgegriffen und näher ausgeführt. Das Entscheidende für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist nun die Tatsache, dass diese Metaphern, »in denen wir leben« (Lakoff/Johnson 2004: 69), in denen wir wahrnehmen, denken und fühlen, in mehrfacher Weise verkörpert sind. Unser Körper ist die fundamentale Quelle des Denkens, der Wahrnehmung und des (sozialen) Handelns – bezogen auf letzteres nicht nur in unmittelbarer, sondern auch und gerade in mittelbarer Form. Wie genau unser Metaphernsystem entsteht, welche Rolle der Körper hierbei spielt und welchen Beitrag die Theorie zur körperlichen Konstruktion des Sozialen leistet, soll in den nun folgenden Abschnitten aufgezeigt werden.
4.2 D ER K ÖRPER IN DER T HEORIE KOGNITIVER M ETAPHORIK : Z WISCHEN LEIBLICHEM I N - DER -W ELT -S EIN UND NEURONALEM E MBODIMENT Dass Lakoff/Johnson, wie eingangs erwähnt, Philosophen bzw. Linguisten mit phänomenologischem und kognitionswissenschaftlichem Schwerpunkt sind, zeigt sich auch und besonders in ihrem Körperbegriff, also in dem, was sie embodiment nennen. Wie im Folgenden auszuführen ist, adressiert der Begriff des embodiment zwei Aspekte des Verkörpertseins unseres Denkens: zum einen das leiblich erfahrende In-der-Welt-Sein als Grundlage metaphorischer Konzepte (Kapitel 4.2.1), zum anderen die Tatsache der körperlichen Realisierung abstrak-
cke auch nicht mehr metaphorisch im Sinne Lakoffs/Johnsons. Deshalb plädiert Lakoff dafür, dass »[a]n adequate theory must distinguish conceptual mappings from linguistic mappings, conventional mappings from novel mappings, systematic mappings from one-shot mappings, and currently existing mappings from mappings that ceased to exist centuries ago« (Lakoff 1987b: 146).
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ter Konzepte auf neuronaler Ebene (Kapitel 4.2.2; vgl. hierzu auch Varela et al. 1993: XVI und Kapitel 4.1.2 sowie 4.3.1).27 4.2.1 Leibphänomenologisches In-der-Welt-Sein und anthropologische Exzentrizität Wie der embodied-mind-Ansatz im Allgemeinen (s.o.) schließen sich auch Lakoff/Johnson der Leibphänomenologie Merleau-Pontys an.28 Das bedeutet, sie gehen vom Leibkörper aus, jener dualen Einheit von fungierendem Leib, der etwas wahrnimmt, etwas erfährt und materialem Körperding, das wahrgenommen, erfahren wird. Ähnlich wie bei Husserl ist auch bei Merleau-Ponty der Leibkörper zugleich Erlebter und Erlebender, Subjekt und Objekt des Weltzugangs, die direkte Verbindung von Physis und Psyche. Der Zugang zur Welt erfolgt nicht als mentale Repräsentation des objektiv Gegebenen, sondern als ein aktives ZurWelt-Sein (Merleau-Ponty 1966: 102f.), als sehendes und tastendes »Sichumtun in der Welt« (Waldenfels 2000: 149). Erfahrungen von und mit der Umwelt sind immer leibzentrierte und damit subjektrelationale Erfahrungen, ausgehend vom Körper als ›Hier und Jetzt‹, als ›Nullpunkt des Koordinatensystems‹. Aus diesem körperlichen In-der-Welt-Sein ergeben sich nun die wichtigsten Quellbereiche von Metaphern: räumliche Orientierung, Sinneswahrnehmungen und die Erfahrung mit Substanzen, Objekten und Personen. Diese praktischen Verankerungen verbinden das Erleben mit und mittels unseres Körpers mit dem kognitiven Erfassen der Welt. So erfahren wir unseren Körper bspw. als Entität, als Objekt wie andere Objekte auch: Zum Beispiel wird unser Körper zum einen
27 Zum Körperverständnis bei Lakoff/Johnson vgl. im Folgenden v.a. Lakoff (1987a), Johnson (1987), Lakoff/Johnson (1999: 16ff., 2004: 70ff.; im Einzelnen auch ebd.: 22ff. , 35ff. , 75ff.). 28 Hier ist natürlich auf die Herkunft Merleau-Pontys aus der Husserlschen Tradition zu verweisen. Da die Autoren aber explizit auf das vorbewusste Erleben rekurrieren, ist es nur plausibel, dass sie sich nicht auf Husserl, der die Intentionalität des Bewusstseins ins Zentrum seiner Phänomenologie gestellt hat, sondern auf die Leibphänomenologie Merleau-Pontys beziehen. Anzumerken ist hier, dass Husserl präreflexive oder unbewusste Zustände nicht gänzlich vernachlässigt, aber nicht ins Zentrum seiner Phänomenologie gestellt hat (vgl. Schmicking 2006). Denn auch Schütz und Berger/Luckmann knüpfen mit der Appräsentation und Teilen der ›natürlichen Einstellung‹ an die Ebene des Vorbewussten bei Husserl an. Vgl. zum Unterschied zwischen Husserls und Merleau-Pontys Körperbegriff auch Carman (1999).
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als Gefäß erfahren, das Luft und Nahrung aufnimmt und Substanzen ausscheidet (Perspektive auf den Körper als Körperding): »Wir sind Wesen mit einer Physis, wir haben äußere Begrenzungen und sind durch die Hautoberfläche von der übrigen Welt getrennt; wir erfahren die übrige Welt als etwas, das uns äußerlich ist. Jeder Mensch ist ein Gefäß mit einer begrenzenden Oberfläche und einer Innen-außen-Orientierung...« (Lakoff/Johnson 2004: 39; Herv.S.S.)
Gleichzeitig erfahren wir zum anderen die Umwelt mittels unseres Körpers als zum Großteil aus Gefäßen wie Räumen oder ganzen Gebäuden bestehend (Perspektive auf den Körper als fungierendes Medium von Erfahrung). Die Vorstellung davon, was ein Gefäß typischerweise ausmacht, genauer die Erfahrungen mit Gefäßen, übertragen wir dann auf abstrakte Zielbereiche (z.B. EMOTIONALER ZUSTAND ALS GEFÄSS: »in eine Depression verfallen«, »in großer Freude sein«).29 Aus unserem alltäglichen leiblichen Wahrnehmen und Wirken, unserem selbstverständlichen »In-der-Welt-Sein« (ebd.: 263) ergeben sich also präreflexiv emergente Konzepte, die zu Elementen von Metaphern werden. Mit dem Hinweis auf die Präreflexivität der erfahrenen Konzepte wird der Bezug auf Merleau-Ponty wieder deutlich, der die vorbewusste Leiblichkeit als Zusammenhang von Ich und Welt sieht.30 Lakoff/Johnson bieten mit ihrer Darstellung der Bedeutung körperlichen Bewegungs- und Wahrnehmungsvermögens für unseren Geist, unsere Kognitionen aber gleichzeitig auch eine Ergänzung zur leibphänomenologischen Perspektive: Wenn Merleau-Ponty noch davon ausgeht, dass »unser Leib, ein System von Bewegungs- und Wahrnehmungsvermögen, [...] kein Gegenstand für ein ›Ich denke‹ [ist]« (Merleau-Ponty 1966: 184), so ist
29 Anmerkung: Im Folgenden werden Metaphern und Konzepte durch Kapitälchen gekennzeichnet. Bei Metaphern bezeichnet der erste Teil des Konzepts immer den Ziel-, der zweite den Quellbereich der Metapher. Zur Veranschaulichung der ontologischphänomenalen Basis körperlicher Metaphorik vgl. die Zusammenstellung von Jäkel (1997) im Anhang dieser Arbeit. Zur Art der Übertragung leibphänomenologischer Erfahrungen vgl. die Ausführungen unter Kapitel 4.2.2. 30 Merleau-Ponty spricht jedoch genau genommen nicht vom In-der-Welt-Sein, sondern vom Zur-Welt-Sein (vgl. Merleau-Ponty 1966: 102ff.). Damit betont er die Situativität des Umweltbezugs, d.h. der Mensch ist nicht einfach nur in der Welt (Dasein), sondern steht immer in einem bestimmten Verhältnis zur Welt (Sosein). Vgl. hier auch Plessners exzentrischen Ich-Umwelt-Bezug. Im Folgenden bleibe ich bei der Formulierung von Lakoff/Johnson.
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dieses leibliche System bei Lakoff/Johnson das generative Prinzip unserer Wirklichkeit – in ihrer pragmatischen und kognitiven Dimension. Sie erweitert in der Perspektive des embodied mind dieses ›Ich kann‹ des präreflexiven Zur-WeltSeins mit einem ›Ich kann, um zu denken‹, da praktische Fähigkeiten der Auseinandersetzung mit der Welt zentral für die geistige Aneignung zahlreicher Abstrakta ist. Lakoff/Johnson verstehen die körperlichen Erfahrungen und deren Projektion auch als anthropologisches Basismerkmal. Hier meint embodied mind die universelle, weil anthropologisch begründbare Fähigkeit und Tendenz, abstrakte Phänomene mittels verkörperter/körpervermittelter Konzepte zu erschließen (vgl. hierzu z.B. die Ausführungen in Johnson/Lakoff 2002, insbes. 251f.). Auch wenn sie sich nahezu ausschließlich auf die biologische Anthropologie berufen, um bestimmte körperliche Strukturen als evolutionär entstandene Universalien des Menschen auszuweisen31, lassen sich auch implizit Anschlüsse an die philosophische Anthropologie Plessners ausmachen. Denn die Exzentrizität des Menschen ist gleichsam die entscheidende Fähigkeit jeder körperbasierten Metaphorisierung. Nur durch das Aus-sich-selbst-Heraustreten kann sich der Mensch überhaupt selbst zum Objekt der Erfahrung machen und – das ist das Entscheidende – die eigenleiblichen Erfahrungen auf andere Objekte (oder QuasiObjekte) übertragen, um diese zu verstehen.32 Die mit der Konzeption des exzentrischen Körpers verbundene Frage nach dem Verhältnis von Natur und Kultur lässt sich mit Lakoff/Johnson im Anschluss an die Auffassung des Körpers als ›Umschlagstelle‹ (Husserl), ›natürliche Künstlichkeit‹ (Plessner) bzw. ›Ambiguität‹ (Merleau-Ponty) in dialektischer Form beantworten. 33 Der Leib, genauer die leiblich fundierten Erfahrungen, sind ein Produkt sozio-kultureller Einflüsse auf biologisch-anthropologischer Basis, die das universal-humane Bewegungs- und Wahrnehmungs-
31 Lakoff/Johnson gehen von einem universellen »Körper bestimmter Bauart« (Lakoff/ Johnson 2004: 71) aus, der uns einige Erfahrungen universeller Natur machen lässt, aber gleichzeitig kulturelle Variabilität zulässt (vgl. Kapitel 4.3.2). Neben der Körperausstattung mit Extremitäten, Sinnesorganen etc. gehören hier v.a. auch die neuronale Sensomotorik unseres Gehirns, die Kategorisierung und Konzeptualisierung ermöglicht und strukturiert (vgl. Lakoff/Johnson 1999: 18f.; s. auch Kapitel 4.2.2). 32 An dieser Stelle soll es bei dem Hinweis belassen werden. Die Bedeutung der Exzentrizität als entscheidende Vorbedingung jeder Verständigung auf metaphorischer Basis wird unter Kapitel 4.4 noch einmal aufgegriffen. 33 Vgl. zum »Ineinander von Kultur und Natur« in den verschiedenen Theorien Waldenfels (2000: 253ff.).
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vermögen als ermöglichende, aber zugleich auch beschränkende Tatsache umfasst. Die Dialektik von Körper und Gesellschaft darf nicht als Dualismus missverstanden werden. Vielmehr spiegelt sich hier die Dualität des Körpers auf gesellschaftlicher Ebene wider.34 Hier zeigen sich konzeptionelle Anknüpfungspunkte an die neue Wissenssoziologie. Auch Schütz bzw. Berger/Luckmann gehen ja von einem grundsätzlich leiblichen Weltzugang aus. Der wesentliche Unterschied zu Lakoff/Johnson an dieser Stelle ist jedoch, dass Schütz und Berger/Luckmann die universellen Grundelemente, i.e. die räumliche Orientierung im ›Hier und Jetzt‹, die Erfahrung der Körpers als Grenze etc. – also das, was Lakoff/Johnson bereits als basale Quellerfahrungen für Metaphern benennen – in der Regel nicht als Gegenstand von Erfahrung, damit auch nicht als Element des objektivierten, v.a. versprachlichten Wissens verstehen und sie somit auch nicht der Kommunikation dienen. Räumliche Orientierung und sinnenhafte Wahrnehmung von Welt sind bei Schütz/Luckmann, »ein notwendiger Bestandteil eines jeden Erfahrungshorizonts, ohne selber Erfahrungskern zu werden«. Lebensweltliche Grundstrukturen bilden demnach keine Erfahrung, sie sind lediglich deren Rahmenbedingungen. Alles was bei Lakoff/Johnson als Grundstruktur von Erfahrung, die bereits selbst zur Erfahrung gehört und ihr nicht vor-, nach- oder nebensteht, bleibt bei Schütz durch fehlende reflexive Zuwendung sinn-los. Die sprachlichen Ausdrücke von Metaphern, die auf diesen Grundelementen, also der basalen und universellen Orientierung in der Welt basieren, wären demnach bei Schütz und Berger/Luckmann ›tote‹ Metaphern (s.o.), ohne direkte, lebendige Bezüge zum Körper (vgl. im Gegensatz dazu die folgenden Ausführungen, v.a. unter Kapitel 4.3). Bezogen auf die Grundaussage kann man daher von einer Verlängerung der wissenssoziologischen Annahmen sprechen: Gemäß dem Prinzip der Kontinuität des Niederen zum Höheren (Dewey) wird dem pragmatischen und sozialen Weltzugang, den Schütz und Berger/Luckmann als Prämisse menschlicher Existenz sehen, auch die Bedeutung als Voraussetzung für das Verstehen von abstrakten Phänomenen zugeschrieben – und zwar nicht nur qua intersubjektiver Vermittlung im Sozialisationsprozess (wie es auch bei Schütz und Berger/ Luckmann zu finden ist), sondern in dem Sinne, dass die subjektive Erfahrung
34 Vgl. analog dazu Berger/Luckmann, Kapitel 3.2. Auch sie begreifen das Verhältnis Körper-Gesellschaft als dialektischen Prozess und die anthropologische Grundeinheit ›Leib/Körper‹ als universelle Möglichkeits- und Grenzstruktur des Menschen. Auf den Aspekt der Kulturalität wird unter Kapitel 4.3.2 und 4.5 noch genauer eingegangen.
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des körperlichen In-der-Welt-Seins die Grundlage für das Verstehen mittels Metaphern bildet. Um zu zeigen, wie genau das körperliche In-der-Welt-Sein nun zur Grundlage unseres abstrakten Denkens wird, beziehen sich Lakoff/Johnson auf Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft. 4.2.2 Neuronales Embodiment Schon mit ihrem expliziten Bezug auf Merleau-Ponty und Dewey wird klar: Lakoff/Johnson wollen die post-cartesianischen Dichotomien endgültig verabschieden und fordern nicht zuletzt aus diesem Grund ein interdisziplinäres Ergänzungsmodell, da sie einen rein anthropologisch-phänomenologischen Zugang zur (gerade auch kognitiven) Bedeutung unserer Körper-/Leiblichkeit für zu unterkomplex halten: »What is important is not just that we have bodies and that thought is somehow embodied. What is important is that the peculiar nature of our bodies shapes our very possibilities for conceptualization and categorization. [...] Phenomenological reflection, though valuable in revealing the structure of experience, must be supplemented by empirical research into the cognitive unconscious.« (Lakoff/Johnson 1999: 5, 19; Herv S.S.; vgl. auch ebd.: 102ff.)
Deshalb plädieren sie für die Integration kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse und verleihen v.a. in ihrem zweiten gemeinsamen Hauptwerk Philosophy in the Flesh wie auch in späteren Publikationen (Johnson 2007; Lakoff 2008) ihrem Verständnis des embodiment eine neurowissenschaftliche ›Fundierung‹. Diese soll zum Verständnis des kognitiv Unbewussten und Präreflexiven35 beitragen und damit eine erklärende Ergänzung phänomenologischer Konstitutionsanalysen bieten – kurz: neurowissenschaftliche Empirie soll erklären, wie wir von den konkret-körperlichen Erfahrungen zu metaphorischen Konzepten kommen (vgl. hierzu vor allem auch die Ausführungen unter Kapitel 4.3.1).36
35 Zur Terminologie des Unbewussten und Präreflexiven ist zu sagen, dass das kognitiv Unbewusste von vornherein jeder Reflexion versperrt ist. Präreflexive Kognition hingegen ist u.a. durch phänomenologische Konstitutionsanalysen dem Bewusstsein prinzipiell zugänglich (vgl. Schmicking 2006). Lakoff/Johnson selbst gehen von vorbewusster Verwendung von Metaphern aus, die auch bewusst werden kann (vgl. Lakoff/Johnson 1999: 10ff.; Johnson 2008) 36 Diese Schwerpunktsetzung auf neurowissenschaftliche Aspekte der Verkörperung unseres Wissens im Sinne eines ›embodied realism‹ in Philosophy in the Flesh hat La-
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Nach Lakoff/Johnson strukturiert unser sensomotorisches und zerebrales System ganz generell unseren körperlichen Zugang zur Welt und unser Verständnis von Wirklichkeit: »Our sense of what is real begins with and depends crucially upon our bodies, especially our sensorimotor apparatus, which enables us to perceive, move, and manipulate, and the detailed structures of our brains, which have been shaped by both evolution and experience.« (Lakoff/Johnson 1999: 17; Herv.S.S.)
Als Ergebnis unserer Erfahrungen in und mit der Umwelt bilden sog. image schemas (bildhafte Schemata) und basic level categories (Kategorien der basalen Ebene) die Quellen unserer Metaphern. Bildhafte Schemata sind »relatively simple structures that constantly recur in our everyday bodily experience: CONTAINERS, PATHS, LINKS, FORCES, BALANCE, and in various orientations and relations: UP-DOWN, FRONT-BACK, PART-WHOLE, CENTER-PERIPHERY, etc.« (Lakoff 1987a: 267; vgl. auch Johnson 1987; Lakoff/Johnson 1999: 30ff.) Bildhafte Schemata sind Gestaltschemata bestehend aus verschiedenen Erfahrungselementen (TeilSchemata). So umfasst das CONTAINERSCHEMA z.B. räumliche Dimensionen wie innen-außen, vorne-hinten oder unter-über. Andere Beispiele sind VERTIKALITÄT (oben-unten), WEG-ZIEL/BEWEGUNG (nah-fern, gerade-kurvig), ZENTRUM/PERIPHERIE (im Zentrum-am Rand; eine Erfahrung, die durch unser begrenztes Sichtfeld entsteht, das wir aufgrund unserer Augenanordnung haben), SKALA (mehr-weniger) oder KRAFT (schwach-stark), aber auch sinnliche Wahrnehmungen (SEHEN, HÖREN etc.) oder leibliche Empfindungen wie TEMPERATUR (warm-kalt), die sich als schematische Erfahrungsbilder aus unseren physischen Erfahrungen, Sinneswahrnehmungen und motorischen Abläufen ergeben. Bild-
koff/Johnson viel Kritik eingebracht (vgl. Angaben unter Fn 40 in Kapitel 4.3). Der Vorwurf einer Verkürzung des ursprünglich in Metaphors We Live By breiter angelegten (aber zuweilen diffusen) Erfahrungsbegriffs des sog. ›Experientialismus‹ ist einerseits nachvollziehbar, weil nun die neuronal verankerten Konzepte im Fokus stehen, die die Grundlage für kognitive Metaphern bilden, und die sozio-kulturelle sowie die leibphänomenologische Perspektive zu kurz kommt. Andererseits muss eine solche biologistische Verkürzung nicht mitgegangen werden, stattdessen kann der Blick auf die neuronalen Schemata, die im Folgenden dargestellt werden, als Ergänzung des Konzepts körperbezogener Erfahrung verstanden werden und der ›embodied realism‹ der neueren Arbeiten Lakoffs/Johnsons in diesem Sinne interpretiert werden (vgl. hierzu auch Kapitel 4.3). Und nur ein Ansatz erfahrungsbasierter Metaphern, wie er hier verstanden wird, ist soziologisch anschlussfähig, verwertbar und interessant.
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hafte Schemata sind in Form neuronaler Karten sedimentierte Erfahrungen des sensomotorischen Welterfahrens, die zugleich Bedingung unserer Welterfahrung in anderen Bereichen sind, eben durch deren metaphorische Verwendung (vgl. Johnson/Rohrer 2007). Dabei sind bildhafte Schemata keine abstrahierten Repräsentationen des Erfahrenen, sondern sie bleiben lebendig, indem sie als Wahrnehmungs- und Handlungsmuster weiteren und neuen Erfahrungen aktiv zugrunde liegen (vgl. hierzu Gibbs 2005; Johnson 2007). Die Schemata sind damit körperlich und geistig zugleich (vgl. Johnson 2007: 140): »If you treat an image schema as merely an abstract, formal cognitive structure, then you leave out its embodied origin and its arena of operation. On the other hand, if you treat the image schema as nothing but a structure of a bodily (sensorimotor) process, you cannot explain abstract conceptualization and thought.« (Ebd.: 141)
Die Kategorien der basalen Ebene als zweites wichtiges Element der verkörperten Kategorisierung sind nach Eleanor Rosch (z.B. 1978) Kategorien mittlerer Abstraktion, die auf Gestaltwahrnehmung, motorischen Programmen und mentalen Bildern basieren (vgl. Lakoff 1987a: 39ff., 271ff.; Lakoff/Johnson 1999: 26ff.). Lakoff bezeichnet sie auch als die »earliest and most natural form of categorization« (Lakoff, 1987: 49), weil auf dieser mittleren Ebene die Kategorie als Ganze am besten repräsentiert wird: »In short, basic level is the highest level at which mental imagery, motor schemas, and gestalt perception characterize the entire category and the basic level is the optimal level at which people interact with objects.« (Lakoff 2003: 57)
Während Kategorien der basalen Ebene eine vertikale Differenzierung darstellen (hier am Beispiel der Kategorie Tier: übergeordnete Ebene = Tier, Basisebene = Vogel, untergeordnete Ebene = Spatz), sind Prototypen einer Kategorie auf einer horizontalen Ebene verortet (der Spatz und nicht etwa der Strauß oder der Pinguin ist ein prototypischer Vertreter der Kategorie Vogel). Ein Prototyp umfasst den eindeutigsten Vertretern bzw. das beste Beispiel einer Kategorie und markiert die Grenze zu einer anderen Kategorie.37 Neben der Wahrnehmung von Objekten wie z.B. Tieren, aber auch Möbeln, Obst etc. haben wir auch basale Kategorien und Prototypen für Handlungen wie z.B. Schwimmen, Gehen, Greifen, Kämpfen oder für soziale Institutionen wie z.B. Familie. Kategorien der basalen
37 Zum Zusammenhang von Kategorien der basalen Ebene und Prototypen vgl. Schmid (1998).
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Ebene sind dabei zum einen Produkte verkörperter Erfahrungen, indem sie vom sensomotorischen In-der-Welt-Sein abhängen: »Perhaps the best way of thinking about basic-level categories is that they are ›humansized‹. They depend not on objects themselves, independent of the people, but on the way people interact with objects: the way they perceive them, image them, organize information about them, and behave toward them with their bodies. The relevant properties clustering together to define such categories are not inherent to the objects, but are interactional properties, having to do with the way people interact with objects.« (Lakoff 1987a: 51)
Wolf-Andreas Liebert spricht deshalb von einer »prinzipiellen Interaktionsgebundenheit« der Basiskategorien (Liebert 1992: 65f.). Und wenn man davon ausgeht, dass Interaktionserfahrung immer in einer sozialen, kulturellen und materialen Umgebung stattfinden, dann sind die Kategorien auch wesentlich soziokulturell geprägt. Die Erfahrungen mit den Dingen in einer gesellschaftlichen Umwelt sind ausschlaggebend dafür, wie wir sie kategorisieren, was wir als typischen Vertreter wahrnehmen etc. Zum anderen sind die Kategorien verkörperte Konzepte. Als ›gemachte Erfahrungen‹ werden sie, wie die bildhaften Schemata auch, in Form neuronaler Netze als mentale Repräsentationen abgespeichert und bei jeder Wahrnehmung oder Handlung aktiviert. Die kinästhetischen bildhaften Schemata und körperbasierten Prototypen von Erfahrungen und Situationen (bzw. deren neuronale Repräsentationen) sind wichtige Primärerfahrungen, die im alltäglichen In-der-Welt-Sein gemacht werden und auf unserer sensomotorischen und neuronalen Verfasstheit gründen. Im Grunde sind das die strukturellen Grundlagen eben jener Erfahrungen, die weiter oben mit leiblichem Wahrnehmen und Wirken (Sinneswahrnehmung, Orientierung, Erfahrung mit Objekten etc.) beschrieben wurden. Als drittes Element verkörperten Denkens führt Lakoff schließlich ein integratives Konzept ein, um die neuronale Organisation unseres Wissens zu bezeichnen, die sog. Idealisierten Kognitiven Modelle (IKM; vgl. Lakoff 1987a: 68-76). Die IKM sind »idealisierte Modelle der Realität, [...] Strukturen, die eine idealisierte Repräsentation rekurrenter Erfahrungen darstellen« (Baldauf 1997: 72). Sie bilden holistische, gestalthafte Wissensmodelle bestehend aus Kategorien der basalen Ebene, bildhaften Schemata, Prototypen, Frames, Szenarien, Skripten, Merkmalsbündeln und Taxonomien (vgl. Lakoff 1987a: 284), die sich jeweils aus physischen und sozialen Erfahrungen ergeben. IKM sind damit »selbst direkt erfahrungsbegründet« (Baldauf 1997: 91). So beinhaltet das IKM WEG z.B. körperliche, zeitliche und räumliche Komponenten (Bewegung, Richtung, Ziel,
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Dauer der Bewegung). Das IKM EINKAUFEN umfasst z.B. die Rollen des Käufers und Verkäufers, den Verkaufsgegenstand, den Tauschgegenstand etc. Das IKM RESTAURANT besteht aus Tischen, Stühlen, Gästen, Kellnern, Menükarte, Bestellung, Rechnung etc. Auf der neuronalen embodiment-Ebene hängen in einem IKM verschiedene neuronale Bereiche (z.B. visueller, motorischer, akustischer Bereich) zusammen; sie beschreiben die holistische Organisation des Wissens in unserem Gehirn. Auf der phänomenologischen embodiment-Ebene sind IKM Sedimentierungen des gesellschaftlichen Wissens, das aus konkreten körperlich vermittelten Erfahrungen in der und mit der Umwelt hervorgeht – IKM sind damit immer auch kulturelle Modelle. Für die Theorie kognitiver Metaphorik ist dieses Konzept der IKM von Bedeutung, da nach Lakoff/Johnson dieses neuronal verankerte Hintergrundwissen nun zur metaphorischen Übertragung verwendet wird. Die IKM charakterisieren die strukturgebenden Herkunftsbereiche der Metapher und stellen typisierte, idealisierte Repräsentationen konkreter Erfahrungen zur Verfügung, die metaphorisch übertragen werden (können). Indem IKM als Quellbereich fungieren, sind auch konzeptuelle Metaphern zweifach verkörpert: als Übertragung phänomenaler Welterfahrung auf Basis bildhafter Schemata und Kategorien der basalen Ebene einerseits und als anatomische Realisierung in Form neuronaler Vernetzungen zwischen Quell- und Zielbereich andererseits. Wie genau Metaphern als neuronale Konzepte funktionieren, wird in den Kapiteln 4.3.1 und 4.3.3 noch einmal aufgegriffen. Multidimensionalität des Verkörpertseins metaphorischer Konzepte Wie in Kapitel 4.2 gezeigt werden sollte, besteht der embodiment-Begriff im Rahmen der Theorie kognitiver Metaphorik aus verschiedenen Ebenen und Dimensionen des Verkörpertseins unseres Denkens. Durch die Verbindung von neurologischer und phänomenologischer Perspektive auf die Verkörperung werden zum einen die grundlegenden biologischen Strukturen, die leibliches Erleben und Erfahren bedingen, in ihrer Bedeutung für die Wahrnehmung von Welt berücksichtigt. Der zusätzliche Wert dieser Perspektive in Ergänzung zum leibphänomenologischen sinnlichen Wahrnehmen und Agieren liegt hier auf dem Aspekt der anatomischen Ebene des embodiment, die aufzeigt, welche biophysischen Prozesse der leiblich fundierten Konzeptualisierung zugrunde liegen. Zum anderen werden diese biologischen Strukturen unseres Körpers als immer schon eingebettet in einen kulturellen, sozialen und materialen Kontext verstanden, der als Erfahrungs- und Deutungshintergrund unser körperliches In-derWelt-Sein entscheidend prägt (vgl. auch Merleau-Ponty 1966: 223f.).
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Diese Doppelaspektivität des Verkörpertseins verdeutlicht sich auch bei der Definition des embodied-Begriffs durch Lakoff/Johnson: »A concept is embodied when its content or other properties are motivated by bodily [i.e. körperliche; Anm. S.S.] or social experience.« (Lakoff 1987a: 154) Und gleichzeitig ist »an embodied concept [...] a neural structure that is actually part of, or makes use of, the sensorimotor system of our brains« (Lakoff/Johnson 1999: 20). Embodied concepts sind zum einen leib- und körpervermittelte, zum anderen verkörperte und inkorporierte Konzepte. Lakoff/Johnson postulieren damit eine mehrfache Verkörperung der Wirklichkeit, die die Ebene der aktuellen, interaktiven Leiberfahrungen eigener Qualität ([prä-]reflexives »phenomenological embodiment«) mit der Ebene der biophysischen Ausstattung unseres Körpers (Extremitäten, Sinnesorgane; Sensomotorik) und der Ebene des prinzipiell dem Bewusstsein nicht zugänglichen kognitiv Unbewussten (neuronale Prozesse, v.a. der Speicherung; »neural embodiment«) verbindet. »...Explanations at all three levels are necessary (though certainly not sufficient) for an adequate account of the human mind.« (Ebd.: 104; vgl. zu den »Levels of embodiment« auch ebd.: 54f., 102ff.) Embodiment bzw. embodied mind umfasst damit eine Wechselwirkung zwischen den analytischen Ebenen des phänomenologischen, sensomotorischen und neuronalen Verkörpertseins. Im Anschluss an Merleau-Ponty sind Lakoff/Johnson damit Vertreter einer empirischen Phänomenologie (im Gegensatz zur transzendentalen Phänomenologie nach Husserl), die für eine Ko-Evolution von Phänomenologie und Kognitionswissenschaft plädiert: »We are promoting a dialogue between philosophy and cognitive science. Ideally, they should co-evolve and mutually enrich each other.« (Ebd.: 552; Herv.i.O.)38
Auch in ihrem Erfahrungsbegriff lehnen sich Lakoff/Johnson an Merleau-Ponty an. Wenn sie von erfahrungsbasierten Metaphern sprechen, legen sie damit immer einen subjektrelationalen, erlebnisbasierten Erfahrungsbegriff zugrunde. Im Unterschied zu Schütz wird dem Erlebten aber nicht erst im Nachhinein Sinn zugeschrieben, sondern unmittelbar im Erleben selbst, das dann zur ›sinnvollen‹ Erfahrung und der präreflexiven Basis abstrakten Wissens wird:
38 Auf das Verständnis des Leibkörpers als biologische und phänomenologische Struktur schon bei Merleau-Ponty habe ich oben bereits hingewiesen (vgl. Fn 12 in Kapitel 4.1.2).
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Erfahrungswissen wird also nicht erst in den Hintergrund des Bewusstseins gedrängt, sondern ist von vornherein dort. Auch Merleau-Ponty geht von einer der Reflexion vorgängigen (Wahrnehmungs-)Erfahrung und dem Menschen als sensorium commune aus: »Bewusstsein ist Sein beim Ding durch das Mittel des Leibes.« (Merleau-Ponty 1966: 167, 168; vgl. allg. hierzu ebd.: 277ff.).39 Um aber Metaphern als objektiviertes, kollektiv geteiltes Gesellschaftswissen zu rekonstruieren, bedarf es eines gesellschaftlichen Erfahrungs- und Wissensbegriffs, der die intersubjektive Genese und Vermittlung von Wissen konzeptionell in den Blick nimmt (siehe hierzu genauer Kapitel 4.3.1.2). In den folgenden Abschnitten soll dargestellt werden, wie genau die oben beschriebenen mehrfach verkörperten Erfahrungskonzepte zu metaphorischen Konzepten, genauer zu kollektiv geteiltem Wissen werden und welche Bedeutung sie für die Konstruktion der Wirklichkeit haben.
39 An dieser Stelle noch ein paar Anmerkungen zum Erfahrungsbegriff bei Lakoff/Johnson: Im Allgemeinen kann man ›Erleben‹ und ›Erfahrung‹ differenzieren (vgl. die Ausführungen zum Erfahrungsbegriff bei Schütz unter Kapitel 3.3.1; vgl. im Folgenden v.a. Junge et al. 2008; Rehberg 2008). Das Erleben meint dann das präreflexive leibliche Wahrnehmen und Wirken als psychophysische Einheit (»leibliche Ganzheitskategorie«, Rehberg 2008: 133). In seiner evidenten Selbstgegebenheit überschreitet es die rationalistische Handlungs- und Erfahrungsvorstellung und betont den Subjektbezug: Erleben ist immer an ein leibliches Ich gebunden. Erfahrung baut auf Erleben auf: »Das ›Erlebnis‹ ist die subjektive Seite der ›Erfahrung‹, die selbst die objektive Seite des ›Erlebnisses‹ ist« (Baumann 2008: 45). Aber Erfahrung ist noch mehr: durch das aktive In-der-Welt-Sein wird diese erfahren, produktiv angeeignet. Weiterhin geht Erfahrung durch die begriffliche Vermittlung und Deutung über das Unmittelbare, Aktuelle hinaus. Des Weiteren ist zur Art der Erfahrung zu sagen, dass Lakoff/Johnson von einem generalisierten/typisierenden Erfahrungsbegriff ausgehen, also nicht individuelle Aspekte, sondern »the totality of human experience« (Lakoff 1987a: 266) meinen (vgl. subjektrelational ist nicht gleich individuell). Beide Aspekte – die präreflexive Sinnzuschreibung und der typisierende Erfahrungsbegriff – sind den Ausführungen zu Lakoff/Johnson zugrunde gelegt und werden an entsprechenden Stellen ausgeführt.
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4.3 M ETAPHERN
ALS E LEMENTE DES GESELLSCHAFTLICHEN UND SUBJEKTIVEN W ISSENSVORRATS
Neben der Darstellung wesentlicher Grundannahmen der Theorie kognitiver Metaphorik sollen die bisherigen Ausführungen auch gezeigt haben, dass ein häufiger Vorwurf, der Lakoff/Johnson mitunter entgegen gebracht wird, nämlich dass sie mit ihrer Theorie in einen Naturalismus zurück fallen, so nicht haltbar ist.40 Christian Gärtner bspw. kritisiert, dass, obwohl sie einen mehrdimensionalen embodiment-Begriff vertreten, »sie in ihrem Werk doch nicht immer darüber hinwegtäuschen [können], dass sie den neurologischen Ausstattungen unseres Körpers den eigentlichen Erklärungswert zuordnen« (Gärtner 2007: 229). Das Postulat einer integrativen Konzeption von embodiment, das sowohl phänomenologisches Leibsein als auch biologisches Körperhaben in ihrer Bedeutung für Wahrnehmung und Konstruktion von Welt vereint, bleibt ein »eklektizistischer Ansatz« (ebd.: 230). Auch wenn Lakoff/Johnson vor allem in Philosophy in the Flesh tatsächlich den universellen Charakter der auf der sensomotorischen und neuronalen Grundausstattung des menschlichen »Körpers bestimmter Bauart« (Lakoff/Johnson 2004: 71) beruhenden metaphorischen Konzeptualisierung hervorheben, also die neuro-biologische Fundiertheit universeller menschlicher Erfahrung(smöglichkeit) und damit vieler basaler Metaphernkonzepte betonen, wird die systematische Konzeption einer dialektischen Gleichzeitigkeit von universellen Strukturen und Grunderlebnissen auf der Basis unserer biophysischen Ausstattung einerseits und kultureller Prägung der spezifischen interaktiven Leib-/Körpererfahrung in der Lebenswelt andererseits innerhalb der Theorie kognitiver Metaphorik nicht versperrt. Vielmehr erscheint es möglich und fruchtbar, das universelle Anthropologicum, dass Menschen Abstrakta metaphorisch erschließen, also metaphorisch denken, zu unterscheiden von dessen konkreter Ausgestaltung, also der Frage, wie welche Erfahrungen für welche Abstrakta metaphorisch genutzt werden. Ansätze für eine kulturrelationale Offenheit und Anschlussfähigkeit der Theorie wurden in den bisherigen Ausführungen aufgezeigt und finden sich bspw. auch bei Johnson, wenn er schreibt, dass
40 Vgl. zur Kritik der Kulturvergessenheit bei Lakoff/Johnson u.a. Schmitt (1995/1996, 2004, 2009), Debatin (1995), Zinken (2002), Gärtner (2007). Zur Replik auf die Kritik vgl. Johnson/Lakoff (2002).
158 | DIE KÖRPERLICHE KONSTRUKTION DES SOZIALEN »…meaning includes patterns of embodied experience and preconceotual structures of our sensibility (i.e., our mode of perception, of orienting ourselves, and of interacting with other objects, events, or persons). These embodied patterns do not remain private or peculiar to the person who experiences them. Our community helps us interpret and codify many of our felt patterns. They become shared cultural modes of experiences and help to determine the nature of our meaningful, coherent understanding of our ›world‹.« (Johnson 1987: 14)
Noch klarer formulieren Lakoff/Johnson es in Leben in Metaphern: »Das, was wir als ›direkte physische Erfahrung‹ bezeichnen, hängt niemals alleine davon ab, daß wir einen Körper bestimmter Bauart haben; alle Erfahrung ereignet sich vielmehr in einem riesigen Kosmos kultureller Vorgaben. Deshalb kann es irreführend sein, wenn wir von direkter physischer Erfahrung sprechen, als ob es einen Kern unmittelbarer Erfahrung gäbe [...]. Kulturell geprägte Annahmen, Wertvorstellungen und Einstellungen sind kein konzeptueller Überzug, den wir nach Belieben unserer Erfahrung überstülpen können oder auch nicht. Es wäre korrekter zu sagen, daß alle Erfahrungen durch und durch kulturabhängig sind, daß wir unsere ›Welt‹ in einer Weise erfahren, derzufolge die Erfahrung selbst unsere Kultur schon in sich trägt.« (Lakoff/Johnson 2004: 71; Herv.i.O.)
Auch wenn sie im darauf folgenden Absatz diese Aussage wieder relativieren, indem sie zwischen Erfahrungen »eher physischer Natur« und Erfahrungen »eher kultureller Natur« differenzieren und sensomotorische Erfahrungen sowie die sich daraus ergebenden bildhaften Schemata dem physischen und damit universell-menschlichen Pol zuordnen (vgl. ebd. 71f.), so wird insgesamt betrachtet der Vorwurf einer Verkürzung auf naturalistische und kulturvergessene Leerstellen dem Ansatz Lakoffs/Johnsons nicht gerecht. Sie selbst lehnen einen naturalistischen Reduktionismus auch dezidiert ab (v.a. in Johnson/Lakoff 2002). Unbestritten ist aber, dass – um den Fehlschluss von universeller basaler Körpererfahrung in Form grundlegender Orientierungsmodalitäten o.Ä. auf universelles embodiment und v.a. universelle Bedeutung desselben zu vermeiden – statt einer Fokussierung auf die biologische Ausstattung eher der Leiblichkeit des In-derWelt-Seins und der sinnhaften Deutung sinnlicher, motorischer Erfahrungen Rechnung zu tragen und damit die Kulturalität von Erfahrungen und somit auch von Metaphern stärker zu betonen wäre. Nur so können Metaphern als letztlich immer sozial und kulturell bedingte Konzepte in den Blick genommen werden. Wirklichkeit – metaphorische und nicht-metaphorische – ist eben nicht nur eine physisch-mentale Repräsentation objektiver Gegebenheiten in unserem Gehirn, sondern ein Zusammenspiel gelebt-erfahrener Leiblichkeit und biophysisch-
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neuronalem embodiment innerhalb gesellschaftlicher Kontexte mit Vorgängigkeit der Kultur. Jedoch bleiben Lakoff/Johnson in ihrem Ansatz die Antwort darauf, wie genau die Ebenen des embodiment zusammenhängen, wie darüber hinaus Körper, Wissen und Gesellschaft in Wechselwirkung zueinander stehen bzw. »wie sich die Fundierung unserer Konzepte in physischer oder kultureller Erfahrung historisch, gesellschaftlich und kulturvergleichend ausarbeiten und präzisieren läßt« (Brünner 1987: 102), letztlich schuldig. Eine systematische Berücksichtigung und konzeptionelle Ausbuchstabierung des sozio-kulturellen Rahmens für konzeptuelle Metaphorisierungen wird nicht geleistet, weder auf der den Metaphern zugrunde liegenden Erfahrungsebene (im Quellbereich), noch auf der die Metaphern als Quell-Ziel-Verbindung etablierenden Wissenskonstitutionsebene. Damit kann auch nicht erklärt werden, wie und warum welche Metaphern in welcher Kultur bzw. in welchen Bereichen von Gesellschaft für welche Phänomene verwendet werden, kurzum: wie konventionelle Metaphern als gesellschaftliches Wissen entstehen, weitergegeben werden und so für den Einzelnen erst zu subjektivem Wissen werden. Diesen Fragen soll im Folgenden aus wissenssoziologischer Perspektive nachgegangen und damit der Versuch unternommen werden, die Theorie kognitiver Metaphorik zu ›soziologisieren‹. Wie Metaphern konkret entstehen (unter besonderer Berücksichtigung der Körperlichkeit der Akteure), welchen Stellenwert sie im gesellschaftlichen resp. subjektiven Wissensvorrat haben und inwiefern sie wirklichkeitskonstitutiv sind, ist Gegenstand der folgenden Abschnitte. 4.3.1 Arten und Genese kognitiver Metaphern Zunächst werden die Entstehung der verschiedenen Arten von Metaphern der Ausarbeitung Lakoffs/Johnsons folgend dargestellt und damit die bisherigen Ausführungen mit konkreten Beispielen unterfüttert (Kapitel 4.3.1.1). Da Lakoff/Johnson bzgl. der Frage der Entstehung von Metaphern aber aus wissenssoziologischer Perspektive an einigen Punkten Leerstellen in ihrer Theorie belassen, wird im Anschluss gezeigt, dass und inwiefern die Differenzierung in phylogenetische und ontogenetische Entwicklungsprozesse unseres Wissensvorrats eine Erweiterung der Theorie darstellt (Kapitel 4.3.1.2).
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4.3.1.1 Metaphern als Produkt der pragmatischen Auseinandersetzung mit der Umwelt »Experience is always an interactive process, involving neural and physiological constraints from the organism as well as characteristic affordances from the environment and other people for creatures with our types of bodies and brains.« (Johnson/Lakoff 2002: 248)
Wie bereits betont, lässt uns die permanente leibkörperliche, also biologisch strukturierte, sinnlich-wahrnehmende Interaktion mit unserer unmittelbaren physikalischen und sozialen Umgebung bestimmte Erfahrungen machen, die die meisten und wichtigsten unserer Konzepte konstituieren, welche wiederum die Verständnisbasis für abstrakte, nur indirekt fassbare Phänomene bilden. In Leben in Metaphern differenzieren Lakoff/Johnson nun drei Arten von Metaphern, die sich aus unserem alltäglichen Wahrnehmen und Wirken ergeben. Die wichtigsten erfahrungsbasierten Konzepte sind die Raumkonzepte, die sich aus unserer aufrechten Körperhaltung, Bewegung, Raum-Orientierung, Erfahrung mit Gravitation etc. ergeben (vgl. bildhafte Schemata). Diese bilden den Quellbereich sog. Orientierungsmetaphern, mit denen Strukturen wie INNENAUSSEN oder VORNE-HINTEN auf Objekte oder Zustände projiziert werden, denen diese nicht vorgängig inhärent sind und deren Verständnis und Kommunizierbarkeit durch solche Projektionen erst möglich werden. Beispiele hierfür wären MEHR IST OBEN-WENIGER IST UNTEN (»das Einkommen steigt«), GUT IST OBENSCHLECHT IST UNTEN (»hochwertig«), GLÜCKLICH SEIN IST OBEN-TRAURIG SEIN IST UNTEN (»obenauf sein«, »niedergeschlagen sein«), KONTROLLE AUSÜBEN IST OBEN-KONTROLLE AUSGESETZT SEIN IST UNTEN (»Macht über jemanden haben«, »Über-/Unterlegenheit«).41 Eine weitere Form der verkörperten Konzepte sind die ontologischen Metaphern42, die zu den »Grundwerkzeugen [gehören], mit denen wir unsere Erfahrung erschließen und verstehen können« (Lakoff/Johnson 2004: 251). Hier ist die empirische Basis die alltägliche Erfahrung mit konkreten Objekten, Materien
41 Vgl. Lakoff/Johnson (2004: 24f.). Für weitere Beispiele vgl. ebd. (59-65), Lakoff/ Johnson (1999: 50-54), Johnson/Lakoff (2002: 254f.); vgl. zudem die Aufstellung im Anhang dieser Arbeit. 42 Ontologisch sind die Metaphern nicht zuletzt deshalb, weil sie in der jeweiligen Kultur als selbstverständlich gelten und nicht mehr hinterfragt werden (vgl. Lakoff/ Johnson 2004: 39). Vgl. hier auch die ›natürliche Einstellung‹ als in diesem Sinne ontologische Wissensstruktur (Kapitel 3.3.1). Vgl. hierzu auch Kapitel 4.3.1.2.
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und Personen, geht also über die bloße Orientierung hinaus (vgl. Kategorien der basalen Ebene). Wir übertragen bspw. unsere körpervermittelte Erfahrung mit schweren Objekten auf das abstrakte Konzept SCHWIERIGKEIT/PROBLEM und werden von einer Verantwortung erdrückt oder haben eine schwere Last zu tragen. Die Erfahrung mit Gefäßen (bildhaftes Schema Containern) übertragen wir auf (emotionale) Zustände (»aus allen Schwierigkeiten heraus sein«, »in guter Stimmung sein«, »aus dem Koma aufwachen«, »im Sterben liegen«). Eine weitere und besondere Form der ontologischen Metapher ist die Personifikation. Hier werden Erfahrungen mit anderen Menschen auf zu erschließende Phänomene übertragen. Abstraktem werden »körperliche und geistige Attribute und Fähigkeiten« wie typisch menschliche Motivationen, Eigenschaften und Tätigkeiten untergelegt; als auf diese Weise anthropomorphisiertes Konzept können wir es dann verstehen (Kohl 2007: 38; vgl. auch Lakoff/Johnson 2004: 44ff.). So ist bspw. der Tod für uns ein Feind, den wir bekämpfen müssen. Diese aus der körperlich vermittelten und gleichzeitig sozialen Interaktion entstandenen Konzepte bilden dann die Elemente für Strukturierungsmetaphern, die die zu erschließenden Zielbereiche differenzierter konzeptualisieren. Ein Beispiel ist die Metapher GEIST UND SEELE SIND ENTITÄTEN, aus der sich dann komplexere Metaphern wie DER GEIST IST EINE MASCHINE (»uns rauchen schon die Köpfe«) oder DIE SEELE IST EIN ZERBRECHLICHES OBJEKT (»er ist daran zerbrochen«) ergeben, um »verschiedene Aspekte der geistigen und seelischen Erfahrung« erfassen zu können (vgl. Lakoff/Johnson 2004: 38). Primäre Metaphern In Philosophy in the Flesh lösen sich Lakoff/Johnson von dieser heuristischen Einteilung in drei Typen von Metaphern und differenzieren nur noch zwischen primären und komplexen Metaphern, worin sie die verschiedenen Arten der Metaphorisierung (Orientierung, Ontologisierung, Strukturierung) integrieren.43 Da es bei primären Metaphern um das (leibliche) Wahrnehmen und Wirken geht, können diese m. E. an die Beschreibung von Orientierungs- und ontologischen Metaphern anschließen. Komplexe Metaphern knüpfen an den ›alten‹ Strukturierungsmetaphern an, da sie den Zielbereich umfassender strukturieren. Mit der
43 Lakoff/Johnson haben damit in der Weiterentwicklung ihrer Theorie Kritik eingearbeitet. So relativieren sie bereits in ihrem Nachwort zur aktuellen Auflage von Leben in Metaphern die Dreiteilung und weisen sie als Idealtypen aus, deren klare Unterscheidung in der Realität so nicht aufzufinden ist (vgl. Lakoff/Johnson 2003: 264; zur Kritik vgl. u.a. Baldauf 1997: 245ff.).
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Reformulierung der Metapherntypologie und der Unterteilung in primäre und komplexe Metaphern präzisieren Lakoff/Johnson den direkten Erfahrungsbezug der meisten Metaphern. Hierzu greifen sie auf neuere Erkenntnisse der Kognitionswissenschaftler Christopher Johnson, Joseph Grady, Srini Narayanan, Gilles Fauconnier und Mark Turner zurück und machen damit die neurowissenschaftliche Fundierung ihrer Theorie wieder deutlich (vgl. im Folgenden Lakoff/Johnson 1999: 45ff.; Lakoff 2008). Deren Befunde verwenden sie integrativ, erweitern ihren Ansatz um entwicklungspsychologische Erkenntnisse und begründen das Verkörpertsein unseres Metaphernsystems auch auf biophysischer Ebene, was sich wie folgt zeigt. Primäre Metaphern zeigen, dass nicht nur der Quellbereich verkörperte Erfahrung darstellt, die dann auf den Zielbereich übertragen wird (s.o.), sondern dass bereits viele Metaphern, also Quell-Ziel-Verbindungen an sich, körperlich verankert sind. Primäre Metaphern sind evidente Konzepte aus empirischen Korrelationen zweier Erfahrungsbereiche in der interaktionalen Umwelt, die als neuronale Verknüpfung metaphorisch wirksam werden. Sie entstehen von Anbeginn unseres inter-aktiven, verkörperten In-der-Welt-Seins an. So kommt es bei Kleinkindern in der alltäglichen Interaktion zu einer Verschmelzung von konkreten sensomotorischen Erfahrungen einerseits (vgl. bildhafte Schemata und Kategorien der basalen Ebene) und ›subjektiven‹ Erfahrungen andererseits.44 Diese konvergierende Erfahrung wird dann als neuronale Verknüpfung im Gehirn verfestigt und dient fortan als kognitive Metapher. Dieser Prozess lässt sich an Beispielen wie VERSTEHEN IST BEGREIFEN (»ich habe es erfasst«, »etwas kapieren«) veranschaulichen45: Diese entsteht in der frühkindlichen Erkundungsphase, in der Kinder alles anfassen, begreifen, was sie sehen und so ein erstes Verständnis
44 Als subjektiv fassen Lakoff/Johnson nicht klar umrissene Erfahrungen wie Emotionen (Liebe, Intimität) und Bewertungen (Wichtigkeit, Schwierigkeit). Diese subjektiven Erfahrungen stellen nicht klar umrissene Konzepte dar und bezeichnen jeweils den Zielbereich der Metapher (vgl. Lakoff/Johnson 1999: 45). 45 Im Original ist hier die Metapher KNOWING IS SEEING (»I see what you mean«) aufgeführt, was ich an unseren Sprachgebrauch angepasst habe. WISSEN IST SEHEN ist im deutschsprachigen Raum seltener, findet sich aber in Ausdrücken wie »die Augen vor etwas verschließen«, »sich etwas vor Augen halten«, »etwas wird klar« oder »Aufklärung« wieder. Dieses Beispiel verschiedener hegemonialer Metaphern ist bereits ein Hinweis auf kulturelle Variationen in der Ausprägung kognitiver Metaphorik (vgl. dazu Kapitel 4.3.2).
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der Dinge entwickeln.46 Begreifen und verstehen sind hier noch präkonzeptuelle Erfahrungsbereiche, die empirisch – phänomenologisch – korrelieren (conflations- bzw. Verschmelzungs-Stadium nach C. Johnson). Als Ergebnis dieser erfahrenen Korrelation entsteht eine permanente neuronale Verbindung zwischen diesen beiden Bereichen (Narayanan). Im weiteren Entwicklungsprozess differenzieren sich die vormals koaktiven Bereiche aus und werden zu metaphorischem, d.h. bildgebendem Quell-Konzept (BEGREIFEN) und bilderhaltendem Ziel-Konzept (VERSTEHEN) (Differenzierungs-Stadium nach C. Johnson). Die kognitiven Topologien des Quellbereichs werden fortan via präreflexive Schlussfolgerungen auf den Zielbereich projiziert.47 Das Ergebnis ist die konzeptionelle Metapher VERSTEHEN IST BEGREIFEN. Ein anderes Beispiel ist die konzeptuelle Metapher ARGUMENTIEREN IST KAMPF, das aus der Korrelation von zunächst v.a. körperlicher Behauptung gegenüber anderen (meist den eigenen Eltern oder Geschwistern) und sprachlicher Auseinandersetzung um den ›umkämpften‹ Gegenstand oder die zu ›verteidigende‹ Sache entsteht. Sprachliche Ausdrücke dieser Metapher sind dann z.B. »Schwachpunkte in einer Argumentation angreifen«, »seine Position verteidigen« oder »in einer Diskussion unterlegen sein«. Die Metapher WICHTIG IST GROSS basiert auf der Erfahrung, dass wichtige Personen wie Eltern aus der Perspektive des Kindes groß erscheinen. Sie sind wichtig, weil sie Einfluss auf das Kind ausüben können und weil sie der elementare soziale Vermittler zur Welt sind. Ausdrücke dieser Metapher sind z.B. »ein großer Tag«, »ein hohes Tier«, »einen kleinen Beitrag leisten«. Die Metapher HILFE IST UNTERSTÜTZUNG (»jemandem unter die Arme greifen«, »jemanden unterstützen/eine Stütze sein«) geht auf die Erfahrung zurück, dass Dinge oder Menschen manchmal physische Unterstützung brauchen, um weiter
46 Hier wird Rekurs auf Piaget deutlich, den Lakoff/Johnson auch schon in Leben in Metaphern klar machen (vgl. Lakoff/Johnson 2004: 85). 47 Ein Beispiel einer solchen Übertragung der Topologie eines Konzepts ist im Falle der Metapher VERSTEHEN ist BEGREIFEN die aktive und intentionale Aneignung einer Sache/eines Phänomens: Das Kind eignet sich die Dinge in seiner Umgebung interessiert und aktiv an, indem es sie begreift – und wir eignen uns Wissen an, indem wir das, wovon die Rede ist, begreifen, also verstehen. Hingegen legt die Metapher KNOWING IS SEEING
im Englischen bspw. einen eher passiven Rezeptionsprozess nahe. Den tak-
tilen Erfahrungsbereich (greifen, berühren) verwenden wir aber nicht nur aktiv - die Passivität des Konzepts findet sich bei uns für den Bereich von Emotionen: wir werden von etwas ergriffen, sind von etwas berührt. Für weitere Beispiele solcher »Inventarisierungen« der Quellschemata vgl. Jäkel (1997: 288f.). Zur Funktionsweise von Metaphern via topologischer Übertragung vgl. Kapitel 4.3.3.
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funktionieren bzw. um ein Ziel erreichen zu können. Zusammen mit der Konzeptualisierung dessen, wobei jemand Unterstützung braucht, als LAST, bekommen Aussagen wie eine schwere Aufgabe oder eine große Verantwortung zu tragen haben, Sinn. Ein anderes Beispiel sind die Metaphern INTIMITÄT IST (PHYSISCHE) NÄHE (»ein enger Freund«, »jemandem zu nahe treten«) und (EMOTIONALE) NÄHE IST WÄRME (»ein warmes Lächeln«). Diese entstehen aus der Korrelation der subjektiven Erfahrung ›Zuneigung‹ (der Begriff selbst ist im Übrigen ein versprachlichter Ausdruck dieser Metapher: ›Zu-neigung‹) mit der sensomotorischen Erfahrung ›Wärme‹ im Rahmen der körperlich intensiven Mutter-/VaterKind-Interaktion. In der vom Kind erlebten Umarmung durch eine andere Person verbinden sich die Erfahrungskomponenten ›Nähe‹, ›Wärme‹ und ›Intimität‹, die später als Konzeptensemble metaphorisch genutzt werden (können). Und schließlich gründet die olfaktorische Metapher für unsicheres Wissen – AHNEN/VERMUTEN IST RIECHEN (›rumschnüffeln‹, ›den Braten riechen‹) – auf der Erfahrung, dass wir manche Dinge erst riechen, bevor wir sie sehen oder gar begreifen können (vgl. Ibarretxe Antuñano 1999; für weitere Beispiele siehe Anhang). Alltägliche Wahrnehmungen werden so zur Basis metaphorischer Konzeptualisierungen: from perception to conception. Dabei bilden bereits die anthropologischen Grundstrukturen des körperlichen In-der-Welt-Seins den Kern der Erfahrung – bei den oben genannten Beispielen wären das z.B. die räumliche Orientierung entlang einem Oben-Unten- oder Links-Rechts-Schema, die Erfahrung mit dinglichen Objekten (und deren materialer Widerständigkeit) oder die Wahrnehmung von Wärme bzw. analog Kälte. Diese Grundstrukturen lebensweltlicher Erfahrung ergeben sich durch die senso-motorische Ausstattung des Menschen in einer bestimmten physikalischen Umgebung (z.B. Schwerkraft) – und können somit als universell gelten. An dieser Stelle ist auf die Nähe konzeptueller primärer Metaphern zum Anzeichenbegriff bei Schütz/Luckmann hinzuweisen: Analog zur Entstehung von Anzeichen entstehen primäre Metaphern durch lebensweltliche Koexistenz von Explanans und Explanandum als assoziative Paarung. In der konkreten Situation korreliert die sensomotorische Erfahrung (a) mit der subjektiven Erfahrung (b) und erzeugt einen Verweisungszusammenhang: BEGREIFEN verweist auf VERSTEHEN, GROSS auf WICHTIG, NAH auf INTIM etc. (conflation). Nach dem Stadium der Differenzierung, die diesen Verweisungszusammenhang vom direkten Erfahrungszusammenhang emanzipiert, appräsentiert die sprachliche Objektivation von Erfahrung (a) selbstständig Teile der Erfahrung (b): mit der ›Größe‹ eines Problems geht automatisch dessen Bedeutsamkeit einher, der Begriff der sozialen ›Nähe‹ verweist auf eine intime Beziehungsqualität etc. Jedoch ist der ent-
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scheidende Unterschied zum Schützschen Anzeichenbegriff, dass Erfahrung (a) in metaphorisierter Form vom ursprünglichen Erfahrungszusammenhang nicht abstrahiert wird und Erfahrung (b) damit ihre leibliche Fundierung beibehält. Das Entscheidende bei der Entstehung und Wirkung von primären Metaphern ist nämlich die weiter bestehende Aktivität beider Erfahrungsbereiche der Metapher in Form neuronaler Vernetzung und phänomenologischer Wahrnehmung: »the cross-domain associations persist. These persisting associations are the mappings of conceptual metaphor that will lead the same infant, later in life, to speak of ›a warm smile‹, ›a big problem‹, and ›a close friend‹« (Lakoff/Johnson 1999: 46). Lakoff beschreibt primärmetaphorische Konzepte als neuronale Ko-Aktivität zweiter Erfahrungsbereiche: »…a correlation in experiences is realized in the brain as the co-activation of distinct neural areas, which leads to the formation of circuits linking those areas.« (Lakoff 2008: 27) Mit den Worten Donald Hebbs, einem berühmten kognitiven Psychobiologen, auf den Punkt gebracht heißt das, »neurons that fire together wire together« (vgl. ebd.: 19; Herv.S.S.). Und nicht nur im Entstehungskontext, sondern auch bei der späteren Verwendung der Metapher wird die bildgebende Erfahrung aktiviert, es findet also keine Abstraktion auf der Konzeptebene statt. Die beiden Erfahrungsbereiche einer Metapher sind und bleiben durch lebensweltliche Erfahrung und deren neuronale Sedimentierung »physically linked« (ebd.: 35) und sind so direkt verstehbar. Sie bilden die »anatomische Basis für Quell- und Zielaktivierungen« und bleiben als »assoziativer Erfahrungsschatz« erhalten (Surmann 2005: 40) – kurzum: Metaphorische Übertragungen sind ›lebendig‹: »There is no severing, separation from, or bleaching out of the bodily dimensions of meaning. Mind is embodied, meaning is embodied, and thought is embodied in this most profound sense.« (Johnson/Lakoff 2002: 249)
Empirische Evidenz für diese Lebendigkeit erbringen Studien aus der Neurobiologie und der Psycho- bzw. Neurolinguistik.48 Neben Studien zum Sprachverste-
48 Lera Boroditsky etwa zeigt den Zusammenhang von kognitiver Aktivierung eines sensomotorischen Bereichs und dem Verstehen von dessen metaphorischer Übertragung: Ausgehend davon, dass die Probanden in verschiedenen Zeitmetaphern leben – Engländer konzeptualisieren Zeit mit vorne-hinten (ZUKUNFT IST VORNE/VERGANGENHEIT IST HINTEN), IST OBEN)
Chinesen mit oben-unten (ZUKUNFT IST UNTEN/VERGANGENHEIT
– wurden ihnen bildhafte Darstellungen zunächst von vorne/hinten-Orien-
tierungen und später dann von oben/unten-Orientierungen gezeigt. Die Aufgabe war, den neutralen Satz zu einer Zeitangabe (etwa ›April kommt früher als Mai‹) als wahr
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hen zeigen v.a. Befunde der funktionellen Magnetresonanztomographie, dass beim Verstehen von konzeptuellen Metaphern beide Bereiche – also Ziel- und Quellbereich – im Gehirn aktiviert werden bzw. dass bei metaphorischer Verwendung eines Quellkonzepts die Regionen im Gehirn aktiviert werden, die auch bei dessen wörtlicher bzw. praktischer Verwendung involviert sind (vgl. Johnson/Rohrer 2007: 40ff.; Rohrer 2001, 2005; Lakoff 2008).49 Eine konzeptuelle Metapher ist demnach eine »neuronale Holographie« in Form eines »interhemisphärischen Zusammenspiels« (Debatin 1995: 251, 253), eine Kombination von Neuronen in verschiedenen Bereichen des Gehirns, die miteinander gekoppelt sind und bei der Verwendung von Metaphern koaktiv sind. In Abwandlung zu Hebbs gesagt: »Neurons that wire together fire together«. Die Verwendung der Erfahrung als sprachliche, zeichenhafte Metapher entspricht dann der appräsentativen Paarung, bei der das Zeichen das Appräsentierende und die körperlich-leibliche Erfahrung das Appräsentierte ist, das dem Bezeichneten seine Bedeutung gibt. ›Lebendige‹ Metaphern verbinden damit Zei-
oder falsch einzuordnen. Wenn die bildhafte Darstellung der Zeitkonzeptualisierung entsprach, kam die Antwort schneller (Boroditsky 2001). Verschiedene andere Studien zeigen, dass das Durchführen einer Handlung, die dann als Quelle verwendet wird, das Verstehen einer Metapher, die diese Handlung beinhaltet, erleichtert bzw. beschleunigt (vgl. zur Übersicht Gibbs/Matlock 2008). Alle Experimente zeigen, dass im Sprachverstehen Quell- und Zielbereiche nicht unabhängig voneinander sind, sondern korrelieren. 49 Diese Koaktivität zeigt sich nicht nur bei metaphorischer Übertragung, sondern auch auf einer Ebene ›darunter‹, also der wörtlichen, konkreten Bedeutung des Quellbereichs. Das heißt, es werden die gleichen Hirnareale aktiviert, wenn man eine Handlung durchführt (direkter praktischer Bezug) und wenn man über diese Handlung liest oder davon hört (kognitiver indirekter Bezug): »We understand an action sentence because we are subconsciously imaging performing the action.« (Rohrer 2005: 172; vgl. auch Svensson et al. 2007; Scorolli 2014) Verantwortlich hierfür sind die sog. kanonischen Neuronen (vgl. Rizzolatti/Craighero 2004). Einen Schritt weiter, bezogen auf die metaphorische Verwendung eines Quellbereichs, zeigt sich, dass auch hier die gleichen Neuronen feuern, die aktiv sind, wenn wir eine Handlung durchführen oder eine wörtliche Beschreibung dieser Handlung lesen: »many of the same brain regions which map sensorimotor stimulation become active when reading sentences either about hand action or which contain hand action terms used metaphorically.« (Rohrer 2001: 5) Das Gehirn ist also zwischen visuellen, motorischen, auditiven sowie emotionalen Arealen vernetzt und holistisch organisiert. Zur sozialen Relevanz von Spiegelneuronen in diesem Zusammenhang vgl. Kapitel 4.4.2.
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chen und Anzeichen – sofern man davon ausgeht, dass die assoziierten Erfahrungen, die dem Zeichen zugrunde liegen, aktiv bleiben. Das heißt, etwas Gegenwärtiges (Zeichen; sprachliche Metaphern wie »ein warmes Lächeln«, »die Zeit rennt davon«) verweist zugleich auf etwas ebenfalls Gegenwärtiges, nämlich die leibliche Erfahrung des Quellbereichs (Wärme, Wohlbefinden; Erfahrung von räumlicher Entfernung) und auf etwas Abstraktes, nicht unmittelbar Wahrnehmbares bzw. nicht konkret Umrissenes, nämlich den Zielbereich (hier »eine angenehme Person« bzw. »Zeit«). Im Laufe unserer Entwicklung entstehen auf die beschriebene Weise hunderte von primären Metaphern als Effekt unseres alltäglichen, interaktiven embodiments: »We do not have a choice as to whether to acquire and use primary metaphor. Just by functioning normally in the world, we automatically and unconsciously acquire and use a vast number of such metaphors. Those metaphors are realized in our brains physically and are mostly beyond our control. They are a consequence of the nature of our brains, our bodies, and the world we inhabit.« (Lakoff/Johnson 1999: 59; Herv.S.S.)
›Primär‹ sind diese Metaphern zum einen also, weil sie als emergente Konzepte im Zuge unserer ersten Erfahrungen mit unserem Körper und der Umwelt automatisch, unbewusst und quasi-natürlich durch alltägliche Interaktionen und gelebtes Verkörpertsein entstehen. Die metaphorisch zu erschließenden Abstrakta – Emotionalität, Verstehen/Wissen, soziale Auseinandersetzungen u.a. – sind bereits Teil der lebensweltlichen Erfahrung und können deshalb auf neuronale Verknüpfungen zurückgreifen. Metaphern sind immer rückgebunden an unsere Erfahrungswelt (vgl. Núñez 1999: 52f.; Johnson 2007: 19-32). In diesem Sinne sind sie unvermeidlich und alles andere als willkürlich. Es ist demnach überzufällig, dass wir z.B. ZEIT in BEWEGUNGS-Metaphern konzeptualisieren, denn die Erfahrung Zeit korreliert im kindlichen Erfahrungsraum mit Fort-Bewegung und Wegstrecken (und nicht etwa mit Farbe oder Geschmack). Deshalb vergeht die Zeit, deshalb nähern wir uns einem Zeitpunkt, deshalb dauert etwas kurz oder lang und deshalb kommt ein Ereignis auf uns zu.50 Zum anderen haben primäre
50 An den beiden Ausdrücken »die Zeit vergeht« und »wir nähern uns einem Zeitpunkt« wird auch etwas anderes deutlich: Wir haben verschieden ausgerichtete Bewegungskonzepte für Zeit. Einmal ist die Zeit ein bewegliches Objekt, das sich auf uns zu bewegt, das andere Mal steht die Zeit und wir als Personen bewegen uns durch sie hindurch in Richtung Zukunft (Lakoff/Johnson 2004: 56f.). Beide Versionen haben die Vorstellung gemeinsam, dass die Zeit an uns vorüber zieht, und zwar von vorne nach
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Metaphern als basale Elemente komplexerer, strukturierter Metaphern ›Baustein‹-Funktion. Komplexe Metaphern Komplexe Metaphern bauen auf simplen primären Metaphern auf, gehen aber über bloße Orientierung oder Ontologisierung hinaus und differenzieren unseren Erfahrungs- und Wissensraum dadurch weiter aus. Sie bestehen neben primären Metaphern zusätzlich aus kollektiv geteiltem Deutungswissen: »...complex, everyday metaphors are built out of primary metaphors plus forms of commonplace knowledge: cultural models, folk theories, or simply knowledge or beliefs that are widely accepted in a culture.« (Lakoff/Johnson 1999: 60; Herv.S.S.)51
Ein Beispiel ist die konzeptuelle Strukturierungsmetapher LIEBE IST EINE REISE. Das IKM REISE als Quellkonzept ist ein komplexes kulturelles Phänomen, das auf einzelnen konkreten (primären) Erfahrungselementen aufbaut: ZWECKE SIND (GEOGRAPHISCHE) ZIELE, denen man unterschiedlich nah oder fern sein kann, ZIELERREICHUNG IST EINE BEWEGUNG, wofür es verschiedene Fortbewegungsmittel gibt, SCHWIERIGKEITEN SIND HINDERNISSE, die entweder durch Kraftanstrengung überwindbar sind oder den Weg versperren etc. (zu diesem Bsp. vgl. auch ebd.: 60ff., 2004: 81) Auf das Konzept LIEBE wird so eine Entitätsstruktur (inklusive der Elemente Beginn, Ziel, Route und Entfernung) und das kulturelle Bild einer Reise projiziert. So bietet das Konzept REISE eine vielfältige metaphorische Quelle, die ganz unterschiedliche Übertragungen ermöglicht, je nachdem,
hinten (aus der Perspektive der Person, die über Zeit denkt und spricht), sie sind als »Subkategorien einer Hauptkategorie« kohärent zur Bewegungsmetaphorik für Zeit (ebd.). 51 Jäkel schlägt für folk theories die Übersetzung »Alltagstheorie« vor und verdeutlicht damit die Alltäglichkeit und Selbstverständlichkeit solchen – mit Schütz und Berger/Luckmann zu sprechen – ›Allgemeinwissens‹ einer Gesellschaft (vgl. Jäkel 2003a: 26). Ein Beispiel ist die Konzeptualisierung von Wut (z.B. WUT IST HITZE, vgl. Lakoff 1987a: 380ff.). Hier liegt die physiologische Erfahrung (Blutdruck und Körpertemperatur steigen) und die ›folk theory‹ einer Vorstellung von Körper, Emotion und Selbst als jeweils eigenständige Entitäten zugrunde (»Anger, as a separable entity, can overcome someone, take control, and cause him to act in ways he would not normally act. In such cases, the self is no longer in control of the body. Thus, the ontology of anger must include a self, anger, and the body.«, Ebd.: 399).
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welcher Aspekt des Zielbereichs in den Blick genommen werden soll. Wir verstehen Liebe dann als einen gemeinsamen Weg, auf dem man weit vorangeschritten sein kann, bis man an einen Punkt kommt, der sich als Sackgasse herausstellt und an dem man überlegen muss, ob man die Beziehung am Laufen halten will oder besser getrennte Wege geht. Manchmal kann ein Seitensprung einen solchen Punkt markieren. Ein Quellbereich kann auch für mehrere Zielbereiche genutzt werden. So haben wir z.B. auch die Metapher EIN ZIELGERICHTETES LEBEN IST EINE REISE (vgl. Lakoff/Johnson 1999: 60ff.). Metaphorisch erschlossen wird das Konzept LEBEN wieder mit simplen primären Metaphern wie ZWECKE SIND ZIELE und HANDLUNGEN SIND BEWEGUNGEN plus die kulturellen Vorstellungen und Implikationen einer Reise. Mit diesem Lebenskonzept macht man die ersten Schritte im Leben, kann diese in die richtige oder die falsche Richtung gehen, die einen dann weiter bringen oder vom richtigen Weg abkommen lassen. Manchmal hinterlässt man Spuren in Form von Fußstapfen, in die andere hineintreten können, die dabei aber auch zu groß sein können. Wenn man Glück hat, wird man zeitweise von Weggefährten begleitet, manchmal hat man einen schweren Rucksack zu tragen, und wichtige Stationen im Leben sind im Lebenslauf festgehalten. Komplex ist auch die Metapher DISKUSSION IST KRIEG, die aus der primären Metapher AUSEINANDERSETZUNG IST KAMPF und den kulturellen Vorstellungen von Diskussionen als verbal vermittelte, soziale Auseinandersetzungen auf der einen Seite (ergibt zunächst die Metapher DISKUSSION IST KAMPF) und das (meist) medial vermittelte Wissen über Krieg auf der anderen Seite angereichert ist. Wenn wir miteinander diskutieren, schießen wir los, greifen entweder die Position des anderen an oder verteidigen unsere eigene. Wir können die Argumente des anderen niedermachen oder selbst attackiert werden. Ein anderes Beispiel ist die Metapher ARBEIT IST EINE RESSOURCE (Arbeit soll sinnvoll eingesetzt werden) bzw. ZEIT IST EINE RESSOURCE (Zeit kann verschwendet werden oder verloren gehen). Beide Metaphern gründen zum einen in der leiblichen Erfahrung mit Substanzen, die zur prinzipiellen Konzeptualisierung von Arbeit und Zeit herangezogen werden (ontologische Metaphern ARBEIT IST EIN GEGENSTAND, ZEIT IST EIN GEGENSTAND), zum anderen werden diese differenziert durch die in (westlichen) Industriegesellschaften vorherrschenden kulturellen Deutungen von Arbeit und Zeit (sog. »commonplace knowledge«). Die Erfahrung in Industriegesellschaften, dass der zeitliche Umfang für eine Aufgabe mit dem Arbeitsaufwand korreliert, erzeugt eine empirisch fundierte Ähnlichkeit zwischen den Konzepten ARBEIT und ZEIT. Und mit der ökonomischen Relevanz des Einsatzes und Ertrags von Zeit werden beide – also Arbeit und Zeit – als wertvolle Ressource konzeptualisiert. Die daraus ableitbare Metapher ZEIT IST
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GELD konkretisiert die RESSOURCEN-Metapher für Zeit noch. Diese ergibt sich durch die Korrelation von Arbeit und Zeit und der Verbindung von Arbeit mit Geld. Demzufolge konzeptualisieren wir auch Zeit als GELD. Aufgrund ihrer Kompositionalität sind auch die komplexen Metaphern verkörpert: »The grounding of the whole is the grounding of its parts.« Sie selbst haben zwar keine direkte experimentell-leibliche Entsprechung wie die primären Metaphern, bleiben aber dadurch direkt erfahrungsbasiert, indem sie auf primären Metaphern aufbauen. Das verkörperte Eingebettetsein von komplexen Metaphern ergibt sich dadurch, dass »that grounding is preserved when the primary metaphors are combined into the larger complex metaphor« (ebd.: 63). Also auch hier findet keine Abstraktion statt, Metaphern sind und bleiben in unserer verkörperten Erfahrung verankert. Eine kurze Zusammenfassung der Konstitution konzeptueller Metaphern Bei kognitiven Metaphern werden einfache, wenig komplexe Erfahrungen in Form von bildhaften Schemata und Kategorien der basalen Ebene oder komplexe Erfahrungen in Fom ganzer IKM auf einen Zielbereich übertragen. Viele Metaphern sind in korrelativen Alltagserfahrungen begründet und bilden evidente Metaphernkonzepte (primäre Metaphern). Andere Metaphern gründen auf lebensweltlich verankerter, körperlich vermittelter Quell-Erfahrung, die dann in Form bspw. bildhafter Schemata auf abstrakte Phänomene übertragen wird, ohne dass letztere bereits Teil der lebensweltlichen Erfahrung wären (ich nenne diese einfache Metaphern; z.B. die Metapher VERSTAND IST OBEN/GEFÜHL IST UNTEN: »auf die Gefühlsebene abrutschen«). Komplexe Metaphern schließlich bilden Konstrukte aus einfachen und/oder primären Metaphern und kulturellem Deutungswissen, das in Form von IKM übertragen wird. Lakoff/Johnson begründen die Entstehung von Metaphern auf individuellen Erfahrungen, die auf entwicklungspsychologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Was in ihrer Theorie fehlt, ist die Konzeption von Sozialität und Kulturalität, die Ausarbeitung eines sozialwissenschaftlichen Zugangs – sowohl in theoretischer als auch empirischer Weise. Auf die Frage, wie sich körperliche und kulturelle Fundierung verhalten, gehen sie nicht dezidiert ein. Auch legen sie nicht dar, wie man es sich vorzustellen hat, dass Metaphern als konventionalisiertes Wissen entstehen und weitergegeben werden. So lautet auch eine häufig geäußerte Kritik, dass »das Verhältnis von subjektiver Konstruktion und sozialer Vermittlung [...] unthematisiert« (Schmitt 1995/1996: 53) bleibt. Im folgenden Abschnitt werde ich aufzeigen, dass die Prozesse der (im wissenssoziologischen Sinn) phylo- und ontogenetischen Denk- und Sprachentwicklung als
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fruchtbare Erweiterung in die Theorie integrierbar sind und die oben benannte Leerstelle der Theorie füllen können. 4.3.1.2 Metaphern als konventionalisiertes Wissen – Differenzierung in Phylo- und Ontogenese Aus wissenssoziologischer Perspektive irreführend und zu kurz gegriffen ist die bei Lakoff/Johnson theoretisch-konzeptionell implizierte Vorrangigkeit des Denkens bzw. eigentlich genauer: die Nachrangigkeit des Sprechens, die darauf zurückzuführen ist, dass Lakoff/Johnson die Metapher als kognitives Instrument, als Modus des Denkens herausstellen wollen und nicht (nur) als sprachliches Phänomen, wie bis dato üblich. Metaphorisches Sprechen wird deshalb konsequent als dem Denken nachgängig konzipiert, in ihren Augen haben wir bestimmte metaphorische Konzepte und sprechen deshalb in Metaphern: »Metaphor is centrally a matter of thought, not just words. Metaphorical language is a reflection of metaphorical thought. Metaphorical thought, in the form of cross-domain mappings is primary; metaphorical language is secondary.« (Lakoff/Johnson 1999: 123; Herv.S.S.)
Aber wie entstehen diese kognitiven Konzepte jenseits der ebenso bedeutsamen wie simplen, aber unterkomplexen Antwort ihrer leiblichen Fundiertheit und lebensweltlichen Verortung? Damit verbunden ist die Frage, warum wir gerade diese und keine anderen Metaphern haben. Dass Kultur bzw. Sozialität eine Rolle spielen und Metaphern »eine Grundlage in unserer physischen und kulturellen Erfahrung« haben, gestehen Lakoff/Johnson – wie oben skizziert – ein (Lakoff/ Johnson 2004: 22; Herv.S.S.). Welche Prozesse dem gesellschaftlichen Metaphernsystem im Einzelnen zugrunde liegen, ist dann aber nicht mehr Gegenstand ihrer Theorie. Um diese Prozesse zu beleuchten, werde ich mich im Folgenden auf die Ausführungen von Schütz/Luckmann bzw. Berger/Luckmann zur Phylound Ontogenese unseres Wissensvorrats beziehen (vgl. Kapitel 3.3.2). Daher werden zur Verdeutlichung wieder A und B als idealtypische Konstruktionen einer Minimalsozialität und C als Vertreter der ›zweiten Generation‹ zur Verdeutlichung der generationalen Vermittlung von Wissen verwendet. Die Konzeptualisierung nicht aus sich selbst heraus verständlicher Phänomene ist eine anthropologische Fähigkeit und Notwendigkeit zugleich: Fähigkeit, weil nur durch das exzentrische Aus-sich-selbst-Heraustreten sich der Mensch zum Objekt der Erfahrung machen und die eigenleiblichen Erfahrungen auf andere (Quasi-)Objekte übertragen kann; und Notwendigkeit, denn nur durch die metaphorische ›Verbildlichung‹ ist es uns möglich, abstrakt zu denken und dann
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auf dieser Ebene zu interagieren. Diese Fähigkeit und Notwendigkeit betreffen also in erster Linie den Austausch, die Verständigung auf kognitiver Ebene und in zweiter Linie damit verbundene praktische Fragen der alltäglichen Interaktion. Zur Phylogenese gesellschaftlicher Metaphorik Phylogenetisch (also entwicklungsgeschichtlich) gesehen ist die Problematik der Konzeptualisierung und ›Begreifbarmachung‹ abstrakter Phänomene als gemeinsam geteilte Relevanzstruktur jeder Sozialität inhärent. Sobald ein nicht aus sich selbst heraus verständlich zu machendes abstraktes Phänomen von A und B als sozial relevant erfasst wird und damit intersubjektiven Charakter erhält, existiert es als Problem, das gelöst werden muss. Die hier verhandelten konzeptuellen Metaphern können als Lösungen dieser intersubjektiv relevanten Probleme gesehen werden. Diese Lösungen sind jedoch keine rein willkürlichen Konstruktionen von A und B. Beide machen primordiale körperliche Erfahrungen, i.e. sinnhafte und deutbare Erlebnisse, die von ihrer Verwendung als Metaphern grundsätzlich unabhängig bzw. dieser vorgängig (präkonzeptuell) sind. Jene Erfahrungen weisen systematische Korrelationen auf, d.h. es bestehen typische Zusammenhänge von Quell- und Zielerfahrung, die sich aus der biologischen Verfasstheit und der ökologischen Situation ergeben. Diese Zusammenhänge können (!) dann zu konzeptuellen Metaphern verfestigt werden. So ergibt sich bspw. die Metapher des BLICK-FELDS (»etwas kommt in Sicht«, »etwas im Blick haben«) durch die visuellen Sinneseindrücke und die räumliche Gestaltung der Umwelt. Auch die Erfahrungen von Gesundheit und Glücklichsein bilden in Kombination mit der unmittelbar damit verbundenen körperlichen Erfahrung einer aufrechten Körperhaltung direkt emergente und untereinander kohärente Metaphern (GESUND SEIN IST OBEN und GLÜCKLICH IST OBEN). Ein weiteres Beispiel ist die Metapher MEHR IST OBEN, die sich aus der räumlichen und objektbezogenen Erfahrung ergibt.52 Analytisch zu unterscheiden sind hier jedoch zwei Ebenen: Zum einen die emergenten Erfahrungskorrelationen, also die empirisch wahrnehmbare und deutbare Verbindung zweier Erfahrungsbereiche und zum anderen deren Verwendung als metaphorische Konzepte, also die Objektivation und Konventiona-
52 Die primäre Metapher MEHR IST OBEN ergibt sich bspw. aus der Erfahrung, dass der Pegel in einem Gefäß in dem Maße steigt, in dem man Flüssigkeit hinein schüttet. MEHR IST UNTEN dagegen wäre eine mit der Erfahrung inkohärente Metapher und kommt als solche deshalb auch nicht vor (vgl. Lakoff 1993a: 240).
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lisierung als gemeinsames Wissen über ein Abstraktum. Denn prinzipiell gibt es eine enorme Variationsbreite solcher emergenten Erfahrungkorrelationen, deren konkrete Auswahl aber nicht mehr auf die Erfahrung an sich zurückgeführt werden kann, sondern Ergebnis (vor)sprachlicher Verständigung ist. »Im allgemeinen scheinen sich die Hauptorientierungen oben-unten, innen-außen, zentralperipher, aktiv-passiv usw. quer durch alle Kulturen zu ziehen; welche Konzepte aber welche Orientierung haben und welche Orientierungen dabei am wichtigsten sind, schwankt von Kultur zu Kultur [und ist nicht auf die körperliche Erfahrung allein zurück zu führen; Anm. S.S.].« (Lakoff/Johnson 2004: 34)
So können in einer Kultur LEBEN oder GESUNDHEIT primär mit AKTIV statt mit OBEN verbunden werden und zur hegemonialen Metapher GESUND IST AKTIV führen – aber beide Konzeptualisierungen basieren auf Korrelationserfahrungen. Werden bestimmte Erfahrungen dann als hegemoniale primäre Metaphern festgelegt und konventionalisiert, ist das weitere Konzeptsystem davon nicht mehr unabhängig. Systematische Ähnlichkeiten zwischen metaphorischen Konzepten erklären Lakoff/Johnson mit der Kohärenz innerhalb des Metaphernsystems: GLÜCKLICH SEIN IST OBEN ist maximal kohärent mit den emergenten Konzepten GESUND IST OBEN, LEBEN IST OBEN, GUT IST OBEN etc. (vgl. ebd.: 27). Welche Erfahrungen metaphorisch genutzt werden, hängt also auch von der Kohärenz mit anderen (als hegemonial festgelegten) Erfahrungen ab. Gleichzeitig gibt es einfache Metaphern, die sich nicht direkt aus der empirischen Korrelation ergeben, wie z.B. die Konzeption von Liebe als PHYSIKALISCHE KRAFT (»sich zu jemandem hingezogen fühlen«) oder von Zeit als SUBSTANZ (»ich habe wenig Zeit«). Hier ist nicht die Verwendung von erfahrenen Quell-Ziel-Verbindungen, sondern bereits die Projektion vom Quell- auf den Zielbereich ein Effekt intersubjektiver Konvention. Zinken weist hier auf kulturelle Unterschiede hin: So wird bspw. im Finnischen Stimmung nicht wie bei uns als GEFÄSS konzeptualisiert (»in guter/schlechter Stimmung sein«), sondern als FLÄCHE (vgl. Zinken 2002: 127; zur kulturellen Variabilität konzeptueller Metaphorik vgl. gesondert Kapitel 4.3.2). Festzuhalten ist: (1) Metaphern liegen immer primäre Körpererfahrungen zugrunde, egal ob ihre Etablierung als Wissen emergenz- oder konventionsbedingt ist. Erfahrungen, die auf der biophysischen Ausstattung und dem leiblichen In-der-Welt-Sein basieren, sind in ihrer basalen Qualität universell (vgl. die Grund-elemente und die darauf aufbauende gemeinsame Erfahrungsstruktur bei Schütz/Luckmann, Kapitel 3.3.1, wobei diese Grundelemente bei Lakoff/ Johnson eben bereits Teil der Erfahrung sind und ihr nicht nur als ›Erfahrungs-
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horizont‹ vorangehen/-stehen). Sobald die Art der Umgebung – in sozialer, kultureller, materieller Form – für die Erfahrungen relevant wird, sind diese in ihrer Qualität eingebettet in einen bestimmten lebensweltlichen Erfahrungs- und Deutungsrahmen und damit als gemeinsame Erfahrungsstruktur nur noch von denen kollektiv geteilt, die den gleichen Erfahrungsraum bewohnen. (2) Präkonzeptuelle Erfahrungen sind von ihrer metaphorischen Verwendung zunächst unabhängig bzw. dieser vorgängig, determinieren die späteren Metaphern also nicht. Entscheidend ist hier der Prozess der Verständigung und Habitualisierung bzw. Institutionalisierung auf der Basis der gemeinsam geteilten Relevanz- und Erfahrungsstruktur (vgl. hier die Ausführungen zu Objektivierungs- bzw. Institutionalisierungsprozessen bei Schütz bzw. Berger/Luckmann unter Kapitel 3.3.2.1). A und B müssen die jeweilige metaphorische Konzeptualisierung des Anderen verstehen und als wahr annehmen, sonst kann es nicht zu intersubjektiv gültigen Lösungen kommen. Dafür müssen sowohl A als auch B ihren Erlebnissen Sinn zuschreiben, also Erfahrungen machen, die dann als solche – als sinnhafte Erlebnisse – dem jeweils anderen kommunizierbar und damit konventionalisierbar sind. A und B verständigen sich so auf bestimmte primäre bzw. einfache Metaphern und objektivieren diese als konventionelle Form des Denkens und Sprechens. Dieser Prozess liegt genauso auch komplexen Metaphern zugrunde, die aus bestimmten Erfahrungen i.e. Deutungen (›folk theories‹) und den basalen primären Metaphern kombiniert werden. Ob Liebe als REISE, Argumentieren als KRIEG oder Arbeit als RESSOURCE begriffen werden, ist reiner Effekt sozialer Konvention auf der Basis von Deutungen und Erfahrungen mit dem entsprechenden Zielbereich.53 In der Regel gibt es für komplexe Phänomene mehrere Metaphern, die je einen bestimmten Aspekt erschließen, da eine Metapher allein zu unterkomplex ist und – im Sinne des Prinzips der Bildübertragung – mit dem Zielbereich nicht konsistent sein kann. Ein Beispiel für eine diversifizierte, multiple Metaphorisierung eines Phänomens ist das Konzeptsystem für Leben: So beschreibt das Bild des FLUSSES oder der REISE das Prozesshafte des Lebens, das GEFÄSS-Schema dagegen adressiert die Begrenztheit (»ein erfülltes Leben«). Ähnlich bei Zeit: Zeit als RESSOURCE beschreibt den Wert, der Zeit zugeschrieben wird; Zeit als BEWEGLICHES OBJEKT bezieht sich auf den Verlauf von Zeit;
53 Ein Beispiel ist die Konzeptualisierung von Arbeit als RESSOURCE. Diese hat ihren Ursprung in der Industrialisierung. Bezahlte Arbeit war nun das primäre Mittel der Wertschöpfung und zeichnete sich durch zunehmende Spezialisierung aus. Fortan galt Arbeit als wertvolles Gut, das sinnvoll einzusetzen, möglichst zu optimieren und nicht zu verschwenden war (vgl. Lakoff/Johnson 2004: 79ff.). Vgl. hierzu auch das Beispiel in Kapitel 4.3.1.1.
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Zeit als RAUM, durch den man sich hindurch bewegt, drückt die egozentrische, perspektivenabhängige Erfahrung von Zeit aus (»wir nähern uns einem Zeitpunkt«). Und Emotionen werden durch die Konzepte KRAFT, BEWEGUNG oder FLÜSSIGKEIT konzeptualisiert (vgl. zur Diversifizierung eines Zielkonzepts auch Goatly 2007: 197-214; Kövecses 2002a: 84-90). Wie bei direkt emergenten primären Metaphern gilt auch hier das KohärenzPrinzip, d.h. die einzelnen Elemente dieses Metapherngefüges passen in bestimmten Ableitungen zusammen und ergeben eine sinnvolle Erschließung des Gesamtphänomens ohne logischen Widerspruch. Ein Beispiel für ein komplexes kohärentes Metaphernkonzept ist ARGUMENTIEREN. Es zeigt sich eine innere Kohärenz einzelner Ausdrücke, die bspw. dem Quellbereich des Wegs entstammen. Wenn man bis jetzt die Standpunkte ausgetauscht hat und dann zum nächsten Punkt geht, um voranzukommen und am Ende zu einem konsensfähigen Schluss zu gelangen, beschreiben die einzelnen Ausdrücke das kohärente Bild eines Weges. Auch zwischen verschiedenen Quellkonzepten entsteht Kohärenz. Argumentieren wird neben der REISE (»ich gehe von einem Aspekt aus«, »wir sind Schritt für Schritt an einen Punkt gekommen«) auch durch die Konzepte GEBÄUDE (»die Argumentation hat ein solides Fundament«) und GEFÄSS (»inhaltsleere Argumentation«) konzeptualisiert – je nachdem, welcher Aspekt erschlossen werden soll (Inhalt, Verlauf, Richtung etc.). Die einzelnen Elemente haben meist ein bestimmtes Kernelement als Referenzpunkt gemeinsam, hier die Oberfläche: ein Gebäude hat in Form von Fundament und Außenmauern eine Oberfläche, eine Reise schafft durch die Wegstrecke eine ›beschrittene‹ Oberfläche und ein Gefäß definiert durch seine Oberfläche den möglichen Inhalt (vgl. Lakoff/Johnson 2004: 114ff.). 54 Zusammenfassend ist die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Metaphernsystems also nicht völlig beliebig, sondern baut auf dem körperlichen In-derWelt-Sein, aber auch den grundlegenden sozialen Konventionen (bzw. Institutionalisierungen) auf, mit denen auch eine gewisse ›Pfadabhängigkeit‹ metaphorischer Konzeptualisierungen einhergeht. Diese machen aus körperlich fundierten Erfahrungen erfahrungsbasiertes symbolisches Kollektivwissen über Abstrakta. Und als solches existieren konventionalisierte bzw. wissenssoziologisch gesprochen: institutionalisierte Metaphern in der Generation von C bereits als ob-
54 Zur inneren und äußeren Kohärenz zwischen empirischen Emergenzen und dem (primären) Metaphernsystem vgl. Lakoff/Johnson (2004: 106ff.). Christa Baldauf hingegen kritisiert die Argumentation der äußeren Kohärenz als »äußerst konstruiert« und stellt sie aufgrund ihrer »nur beschränkte[n] Gültigkeit« in Frage (vgl. Baldauf 1997: 257f.).
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jektive Gegebenheit. Im Laufe der Sozialisation werden Metaphern von A und B objektiviert (also das kognitive Konzept lebensweltlich realisiert) und kommuniziert (also als phänomenologischer Wahrnehmungsgegenstand lebensweltlich realisiert). So erwirbt C die in seiner Umwelt gültigen Konzeptualisierungen abstrakter Phänomene. Die Basis des Verstehens und Aneignens dieser Metaphern sind auch hier die diesen vorgängigen und denen von A und B typischerweise ähnlichen (weil universellen) Grunderfahrungen. Das heißt, die kulturell verfestigten und tradierten Sprachbilder von A und B treffen auf z.T. vorprädikative körperliche Erfahrungen von C, weshalb C diese Sprachbilder und damit die abstrakten Phänomene verstehen kann. Zur Ontogenese subjektiven Metaphernwissens Aus ontogenetischer Perspektive und unter Rekurs auf das wissenssoziologische, genuin soziale Wissens- und Erfahrungsverständnis, ist die Entstehung von konzeptuellen primären Metaphern bei C nun wie folgt zu rekonstruieren. Bei direkt emergenten Metaphern läuft bei C in der Sozialisation ein dreifacher ›Verschmelzungs‹-Prozess ab (conflation): (1) Grundlage jeder metaphorischen Konzeptualisierung sind basale Primärerfahrungen, die auf körperliches In-der-WeltSein (Grundelemente) aufbauen. Damit basales Erleben zu Erfahrung und damit intersubjektiv relevant wird, bedarf es der Sinnzuschreibung und der Herstellung gewisser kognitiv-leiblicher Aufmerksamkeit beim Kind, in der Regel durch sprachliche Objektivation. Das heißt: Das leibliche, sensomotorisch strukturierte Orientierungs-, Raum- und Wahrnehmungserleben wird im Erleben bzw. das Erleben begleitend sprachlich codiert, wird aus dem ›Erlebnisstrom‹ heraus gehoben, bekommt Sinn zugeschrieben und wird so zur Erfahrung. Es kommt gleichsam zur Verschmelzung (conflation) von Erleben und Sprache (Bsp. Wärme, Oben-unten-Orientierung, Körpergröße des signifikanten Anderen). (2) Diese Erfahrung korreliert empirisch mit der Erfahrung aus einem anderen Bereich (›subjektive Erfahrung‹ nach Lakoff/Johnson, Bsp. Zuneigung, Glücklichsein, Wichtigkeit des signifikanten Anderen). Das heißt, das körperliche In-der-WeltSein wird mit einer konkreten Situation, einer konkreten Erfahrungskonstellation spezifiziert. Und (3) diese spezifische Erfahrungskonstellation – in Form der korrelativen Primärerfahrung – erfährt wiederum eine bestimmte sprachliche Codierung und objektiviert sich dadurch. Jene ›Korrelation‹ wird also ebenfalls – dann in Form der primären Metapher – sprachlich manifestiert, d.h. be-zeichnet und in einen Deutungszusammenhang gestellt, somit in der situativen Erfahrung aus dem Erlebnisstrom herausgenommen und als Erfahrung wirklich (Bsp. ZUNEIGUNG IST WÄRME: »eine warme Person«; GLÜCKLICH SEIN IST OBEN: »Auftrieb bekommen«; »in Hochstimmung sein«; WICHTIG IST GROSS: »die großen
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Drei«, »ein großer Tag«, »eine Riesensache«). Durch diese sozialisatorische Einbettung sind Primärerfahrungen und die daraus entstehenden Metaphern auch immer schon affektuell-evaluativ verortet, also emotional gerahmt und gewertet, d.h. wir lernen, welche Erfahrungen gut sind und welche schlecht, dass z.B. die Nähe der Eltern schützt, ihre Größe keine Bedrohung, sondern Zeichen von Wichtigkeit ist etc. (vgl. Bower/Gallagher 2013) – auch das ist Grundlage für die spätere Verwendung dieser Korrelationserfahrung als konzeptuelle Metapher, die damit immer schon ein mehrdimensionales kognitives Konzept ist (vgl. hierzu genauer Kapitel 4.3.3). Wichtig ist dabei: Im Zuge der Differenzierung werden die in der Kultur gültigen primären Metaphern dann zwar vom konkret-situativen Erfahrungszusammenhang, aber nicht von ihrer körperlichen Verankerung abstrahiert – sie bleiben »physically linked« (Lakoff 2008: 35; s.o.). Die Sinnhaftigkeit metaphorischer Konzepte ergibt sich nicht allein und sogar nicht primär auf der kognitivinterpretativen Ebene, sondern bleibt an die leibliche Erfahrungsdimension gekoppelt (vgl. Kapitel 4.3.1.1). Das heißt, fortan kann C die Ausdrücke »eine warme Person«, »eine enge Beziehung« etc. ohne die entsprechende direkte korrelative Erfahrung aus dem Entstehungskontext unter Rückgriff auf die sedimentierte Erfahrung verstehen. Andere Primärerfahrungen, derer prinzipiell unzählige gemacht werden und die eine potenzielle Basis von Metaphern darstellen, die aber nicht in einem Übertragungskontext verbalisiert und damit zu metaphorischem Wissen werden, bleiben (in dieser Gesellschaft) bloße nichtmetaphorische Erfahrungen ohne sinn- und strukturstiftende Wirkung für abstrakte Phänomene. Analog zu oben würde das heißen, wenn Neuronen nicht gemeinsam feuern (›fire together‹) – angeregt durch sprachliche Reize – verbinden sie sich nicht zu neuronalen Netzen (›wire together‹).55 Zugleich bleiben diese Erfahrungen aber eine potenzielle Quelle metaphorischer Konzeptualisierung, d.h. für das Verstehen anderer/neuer Metaphern bleiben sie als Referenzquelle verfügbar (vgl. Kapitel 4.4). Einfache Metaphern, deren Basis nicht empirische Emergenz, sondern kulturelle Konvention ist, sind von vornherein ohne eigenleibliche Nachvollziehbar-
55 Vgl. hierzu: »Certain neural connections between the activated source- and targetdomain networks are randomly established at first and then have their synaptic weights increased through their recurrent firing. The more times those connections are activated, the more the weights are increased, until permanent connections are forged.« (Lakoff/Johnson 1999: 57) Im Umkehrschluss heißt das, bleibt ein wiederholtes gekoppeltes Feuern aus, gehen neuronale Verbindungen verloren bzw. stabilisieren sich gar nicht erst.
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keit der Korrelation (nicht der Quellerfahrung!) sozial vermittelt. Hier findet beim Einzelnen eine Verschmelzung von Erfahrungen mit dem Zielbereich und dessen metaphorischer Konzeptualisierung durch sprachliche Codierung statt. Auch wenn sich die Korrelation nicht aus dem Erleben selbst ergibt (z.B. EMOTIONALE REGUNG IST KRAFT), bleibt die Quelle auch dieser Metaphern das eigenleibliche Erleben des Einzelnen (hier: die Erfahrung mit Kraft). So können Ausdrücke wie »ihr Tod hat ihn schwer getroffen«, »sie ist umwerfend«, »einen Eindruck auf jemanden machen«, »das hat mich umgehauen« auf Basis der eigenen Erfahrungen mit Kraft als sinnvoll verstanden werden. Insofern ist die konventionell festgelegte Metapher auch eine subjektiv ›erlebte‹ und keine theoretisch erlernte, da die Quelle der Metapher und damit deren Referenzwissen eben jene eigenleibliche Erfahrung ist. Komplexe Metaphern sind ebenso Inhalt der Sozialisation, wobei hier der überindividuelle, kulturelle Aspekt bei Lakoff/Johnson selbst evident wird, wenn sie von komplexen Metaphern als »primary metaphors plus forms of commonplace knowledge« sprechen (Lakoff/Johnson 1999: 60). Genauso wie die Codierung und Deutung körpervermittelten Erlebens und dessen metaphorische Verwendung sind auch die jeweils gültigen ›folk theories‹ bzw. komplexen Deutungsbilder wie Krieg oder Reise als kollektiv geteiltes Deutungswissen einer Gesellschaft dem Einzelnen vorgegeben. Damit ist natürlich auch die Vermittlung von nicht direkt eigenleiblich basiertem Wissen erfahrungsgebunden (kultureller Erfahrungshorizont), hier spielt das lebensweltliche Verkörpertsein (pragmatisch-körperfundierter Erfahrungshorizont) aber nur noch in der Art der Vermittlung des Wissens im direkten intersubjektiven Austausch und kaum bis nicht mehr in der Art der Wissens selbst eine Rolle. Bezüglich indirekter, vermittelter Erfahrungen als Grundlage von Metaphern sprechen Lakoff/Johnson auch von »indirectly based metaphors« (Johnson/Lakoff 1982: 5). Um aber weiterhin von erfahrungsbasierten im Sinne von körperbezogenen Metaphern und einem embodied mind im umfänglichen Sinne sprechen zu können, bedarf es einer direkten, eigenleiblichen Erfahrungsgrundlage, an die angeschlossen werden kann. Das sind z.B. die dem Konzept Krieg inhärenten Kampferfahrungen, über die jedes Kind in seiner lebensweltlichen Wirklichkeit verfügt. Komplexe Metaphern bestehen damit – aus ontogenetischer Sicht – aus direkten körperlichen Erfahrungskonzepten (i.e. sensomotorische Primärerfahrungen, -metaphern) und indirekten, vermittelten Erfahrungskonzepten (i.e. kulturelles Wissen über Krieg), die aber im Kern an eigenleibliche Erfahrungen als Quell-Wissen anschließen. Aus phylogenetischer Sicht resultieren beide Bereiche der Quell-Erfahrung aus direkter eigenleiblicher Erfahrung, das heißt die Kriegserfahrung war bei der ur-
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sprünglichen Konstruktion von Metaphern mit dieser Quelle Element konkreter Erfahrungswirklichkeit. Sind Metaphern – ob primäre bzw. einfache oder komplexe – erst einmal als Wissen etabliert und vermittelt, sind sie immer vorgegebener Teil der Erfahrung mit dem entsprechenden Zielbereich, d.h. die Erfahrung von C mit abstrakten, nicht klar umrissenen Phänomenen ist immer schon sozial vorgedeutet – durch die Auswahl und Institutionalisierung bestimmter Metaphern. Als soziale und kulturelle Subjekte verstehen wir Liebe, Argumentieren oder Zeit daher immer schon als GEMEINSAMEN WEG, KRIEG oder RESSOURCE.56 Die Verortung im Wissensvorrat soll nun in Anlehnung an die Ausführungen von Schütz/Luckmann (vgl. v.a. Kapitel 3.3.1) zusammenfassend herausgestellt werden. Metaphern und die verschiedenen Dimensionen von Wissen Prinzipiell tangieren Metaphern mehrere Dimensionen von Wissen: (1) Quellbereiche sind v.a. die körperlich-leiblichen Grundelemente (Räumlichkeit, leibliches Wirken jenseits reflexiver Zuwendung). Auf dieser Vorstufe des eigentlichen gesellschaftlichen Wissensvorrates befinden sich bildhafte Schemata und Kategorien der basalen Ebene als (großteils) universelle, präkonzeptuelle Erlebnis- und Erfahrungsdimensionen. Genauer gesagt bilden diese den Möglichkeitsraum/Ermöglichungsraum für konzeptuelle (i.e. gedeutete, versprachlichte) Primärerfahrungen. Und auch kulturell formierte Körpertechniken wie Kämpfen, Gehen oder Essen (Gewohnheitswissen) können als Quelle von Metaphern herangezogen werden. Neben ontologischen (erlebnisimmanenten) und epistemischen Projektionen aus dem Quellbereich gehören v.a. zu komplexen Metaphern (2) kulturelles Deutungswissen und Erfahrungen mit dem Zielbereich, die ›folk theories‹ (Bsp. Deutung von Zeit und Arbeit in der industrialisierten Gesellschaft). (3) Metaphern selbst können als wesentliches Element der natürlichen Einstellung des Einzelnen gesehen werden. Durch ihre Verankerung im eigenleiblichen, subjektiven Erfahrungsraum und der damit gegebenen Nachvollziehbarkeit und Direktheit fungieren Metaphern als Deutungswissen auf vorbewusster Ebene, als Wahrheit, die in der Regel nicht hinterfragt, sondern einfach als wirklich hingenommen wird. Metaphern zeichnen sich durch eine hohe ›Vertrautheitsstufe‹ aus und ermöglichen ein Verstehen von und ein Leben in Metaphern ohne kognitiven Aufwand, also auch ohne reflexive Zuwendung. (4) In sprachlicher Form bilden sie eine wesentliche Quelle der Kommunikation. Sie
56 Dass Metaphern nicht nur ein Verstehen ermöglichen, sondern die Erfahrung selbst prägen, zeige ich unter Kapitel 4.3.3.
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sind insofern wichtiges interaktionsrelevantes Rezeptwissen einer Gesellschaft. Entscheidend – und nicht oft genug zu betonen – ist die Tatsache, dass (sprachliche) Metaphern auf der Begriff- und Bedeutungsebene nicht vom leiblichen Erfahrungszusammenhang abstrahiert sind. Hier unterscheiden sich Lakoff/ Johnson von Schütz und Berger/Luckmann (vgl. hier zur Abgrenzung v.a. Kapitel 3.3.3). Besonders die Ausführungen zur Objektivität des Sprach- und Wissensbegriffs in der Wissenssoziologie sind hier von Bedeutung. Sprache und konzeptuelles Wissen sind bei Lakoff/Johnson eben nicht losgelöst von »konkrete[n] subjektive[n] Sinnzusammenhänge[n]« (vgl. Srubar 1988: 86; vgl. auch Kapitel 3.3.3). Metaphorischer Sinn ist durch die sprachliche Objektivation zwar auch auf der abstrakt-symbolischen Ebene verortet, denn Sprache als Zeichensystem ist in ihrer Form auch bei Lakoff/Johnson als symbolisches Wissenssystem zu betrachten. Aber sprachlich objektivierter metaphorischer Sinn ist nicht auf das Verstehen auf abstrakt-symbolischer Ebene beschränkt – metaphorisches Sinnverstehen ist kein bewusst-intentionaler, interpretativer Vorgang der Rekonstruktion einer bestimmten Zeichen-Sinn-Korrelation. Mit Lakoff/Johnson ist das Erfassen von Sinn auf präreflexiver Ebene vielmehr im Sinne eines leiblichen Miterfassens von Sinn zu verstehen. Genauere Ausführungen hierzu finden sich unter Kapitel 4.4. Zum Verhältnis von Denken und Sprechen Bezogen auf die Eingangsfrage bleibt als Fazit festzuhalten, dass sich die Entstehung und Wirkung von Metaphern genau umgekehrt zu den Ausführungen von Lakoff/Johnson verhalten, denen zufolge das Sprechen dem Denken in Metaphern nachgelagert ist: (1) Phylogenetisch gesehen ist die Art und Weise, wie konventionalisierte Metaphern als kollektiv geteilte Metaphern, »die sich in unserer Kultur über einen langen Zeitraum hinweg entwickelt haben« (Lakoff/ Johnson 2004: 184) entstehen, kommunikationsgebunden. Damit erfolgt logisch gesehen zunächst eine (mitunter auch quasi- bzw. vor-)sprachliche Verständigung zur gemeinsamen Verwendung von Metaphern, dann gehen diese in den gesellschaftlichen Wissensvorrat ein und begründen fortan das Denken über die entsprechend metaphorisierten Konzepte. Auch aus ontogenetischer Perspektive dreht sich die Logik um: Weil wir in der Primärsozialisation von versprachlichten Metaphern umgeben sind, die unseren Erfahrungen Sinn verleihen, denken wir bald auch in diesen (und keinen anderen) Metaphern. Metaphern als kollektiv geteiltes Wissen sind in jedem Fall ein Produkt interaktiven Verständigungshandelns und dem Einzelnen immer schon als Deutung der eigenen Erfahrungen vorgegeben. Metaphern als subjektives Wissen werden aber erst im Handeln des
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Einzelnen intersubjektiv wirklich. Insofern sind metaphorisches Sprechen und Handeln Produkte des metaphorischen Denkens und vice versa. Letztendlich ist die schematische Trennung von Denken und Sprechen vermutlich für einen empirischen Blick nicht sinnvoll, denn Metaphern entstehen zwar im Sprechen als kognitive Konzepte, sind als solche subjektiv wirksam, weil sie Verstehen ermöglichen, werden aber wiederum erst im Sprechen intersubjektiv gültig und wirklich. Vor diesem Hintergrund fokussiert Katrin Kohl in ihrem »ganzheitlichen Ansatz« den interaktiven, Sprache und Kognition verbindenden Entstehungsprozess von Metaphern und relativiert damit auch den primordialen Stellenwert des Denkens bei Lakoff/Johnson: Metaphern »entstehen und wirken prozessual, ohne dass sich zwischen Kognition und Sprache eine ›zeitliche‹ oder ›räumliche‹ Grenze ziehen ließe« (vgl. hierzu Kohl 2007: 122ff.). Für den analytisch-rekonstruktiven Blick hat die Differenzierung der beiden Ebenen – Sprechen und Denken – im Rahmen der Phylo- und Ontogenese jedoch den Vorteil, die Genese kollektiv geteilter Metaphern als gesellschaftliches Wissen rekonstruierbar zu machen. Zudem wird damit auch die Verbindung von sozialer und körperlicher Konstruktion von Wirklichkeit konzipierbar. Metaphernsysteme sind nicht völlig willkürlich – nicht nur ob ihrer körperlichen Fundierung, sondern auch wegen des kulturellen Deutungsrahmens zugrunde liegender Grunderfahrungen und des sinnhaften Bezugsystems der Metaphern untereinander, das auf kultureller Konvention basiert. Dass wir metaphorisch denken, einen embodied mind haben, ist universell, wie dieses Denken ausgestaltet ist, ist sozio-kulturell variabel. Entscheidend ist die Tatsache, dass die leibliche Erfahrungsgrundlage der Metaphern nicht abstrahiert wird, m.a.W. sie bleiben ›lebendig‹. Damit sind Metaphern sozial vermittelt und leiblich verankert – quasiobjektives und subjektrelationales Wissen zugleich. 4.3.2 Universalität versus Kulturalität? – Intra- und Interkulturelle Pluralität metaphorischer Konzepte In den bisherigen Ausführungen wurde bereits auf die sozio-kulturelle Einbettung von Erfahrungen und Metaphernkonzepten als gesellschaftliches sowie subjektives Wissen hingewiesen und an verschiedenen Stellen exemplarisch interkulturelle Variationen in Metaphernsystemen angedeutet. Zugleich wurde aber auch die universell-anthropologische Basis metaphorischer Konzeptualisierungen deutlich. Das Verhältnis von Universalität und Kulturalität bzgl. metaphorischen Denkens soll in einem systematischen Überblick noch einmal genauer in
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den Blick genommen und dabei sowohl auf inter- als auch auf intrakulturelle Dimensionen metaphorischer Konzeptualisierungen eingegangen werden. Um die anthropologische Grundlage und Bedeutung metaphorischen Denkens zu betonen, rücken Lakoff/Johnson vor allem in ihrem zweiten Hauptwerk Philosophy in the Flesh (1999) den Aspekt der Universalität körperlicher Erfahrung und zahlreicher darauf aufbauenden Metaphern ins Zentrum ihrer Theorie (vgl. hierzu auch Lakoff 1987a, Johnson/Lakoff 2002 und Kövecses 2000, 2005). Die phänomenologisch-biologische Basis metaphorischen Denkens ist der menschliche Körper »including its physiological, structural, motor, perceptual, and so on, makeup« (Kövecses 2005: 285), also das, was Schütz/Luckmann als Grundelemente bezeichnen, die »für jedermann, gleich in welcher relativnatürlichen Weltanschauung er sozialisiert wurde, vorhanden« sind (Schütz/ Luckmann 1979: 143). Diese Grundelemente bilden den immanenten anthropologischen Kern körperlicher Erfahrungen in und mit der Welt. Universell sind damit einfache, primitive bildhafte Schemata wie räumliche Orientierungen (links-rechts, innen-außen, oben-unten), Balance, Nässe/Trockenheit, räumliche Entfernung oder das Einwirken von Kraft (auf uns oder durch uns). Es ist universelles ›Wissen‹, dass wir verschiedene Körperteile haben, mit denen wir sehen, gehen, greifen, schmecken, riechen, fühlen können – zunächst unabhängig von den Inhalten dieser Erfahrungen (also z.B. warum etwas für jemanden gut oder schlecht riecht): »These preconceptual dimensions of meaning are shared by creatures with bodies similar to ours, who inhabit and interact with similarly structured environments.« (Johnson/Lakoff 2002: 252)
Auch manche korrelativen Primärerfahrungen sind in ihrer Grundstruktur universell (vgl. Kövecses 2005). Wir ›wissen‹, dass Bewegungen in einem Raum mit Zeit korrelieren (ZEIT IST BEWEGUNG) oder dass wir ein Hindernis umgehen müssen, wenn wir auf einem Weg weiterkommen wollen (PROBLEME SIND HINDERNISSE). Die Korrelation von Intensität und Wärme (INTENSITÄT IST WÄRME) ergibt sich aus der Erfahrung, dass wir bei körperlicher Anstrengung schwitzen, und zwar schwitzen wir umso mehr, je intensiver wir uns anstrengen – auch das dürfte kulturell invariant sein. Ein weiteres Beispiel ist die phänomenologische Koexistenz von Wohlbefinden, Gesundheit und aufrechter Körperhaltung bzw. im Umkehrschluss die Erfahrung des Daniederliegens bei Krankheit (GESUND/GLÜCKLICH SEIN IST OBEN). Auch die kindliche Erfahrung, dass ›große Menschen‹ (Erwachsene) für das eigene (Über)Leben wichtig sind, kann als universelles ›Grundwissen‹ gelten, insofern in allen Gesellschaften Kinder versorgt
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werden müssen (WICHTIG IST GROSS). Und es kommen wohl in jeder Kultur ›Kampfhandlungen‹ vor, die mit der Erfahrung von Kontrolle bzw. Ohnmacht inklusive typischer Körperlagen einhergehen (KONTROLLE IST OBEN). Und eben weil solche typischen Erfahrungen mit und mittels unseres Körpers universell sind – zumindest in ihrer Grundstruktur – können sie prinzipiell von allen Menschen gedacht, nachvollzogen, übertragen und verstanden werden – zumindest auf einer allgemeinen Ebene. Damit ist bereits angedeutet, dass nicht nur basale Erfahrungen und somit der potentielle Erfahrungs- bzw. Konzeptualisierungsraum universell sein können, sondern dass auch manche darauf aufbauenden realisierten Primärmetaphern auf einer allgemeinen Ebene interkulturell weit verbreitet sind: »When the embodied experiences in the world are universal, then the corresponding primary metaphors are universally acquired. This explains the widespread occurence around the world of a great many primary metaphors.« (Lakoff/Johnson 1999: 56)
So findet Zoltán Kövecses in verschiedenen nicht verwandten Sprachen57 Ausdrücke, die sich der Metapher EINE WÜTENDE PERSON IST EIN BEHÄLTER UNTER DRUCK bzw. ÄRGER/WUT IST EINE (HEISSE) FLÜSSIGKEIT IN EINEM BEHÄLTER zuordnen lassen (Kövecses 2000, 2005). Hintergrund ist die körperliche Erfahrung, dass mit Ärger physiologische Reaktionen innerhalb des ›Körper-Containers‹ einhergehen wie z.B. erhöhte Körpertemperatur, erhöhter Blutdruck oder ein erhöhter Puls (vgl. Lakoff 1987a). Die Erfahrungskomponenten Wärme/Hitze und Druck bilden nun die universelle Basis für die Deutung i.S. von sprachlich vermittelter Sinnzuschreibung sowie die Konzeptualisierung der komplexen Emotion Ärger/Wut (Kövecses 2005: 39ff.). Zusammengefasst: Universelles, weil sensomotorisch und physiologisch gegebenes körperliches In-der-Welt-Sein und dessen sinnhaftes Erfahrbar-Machen sind die Basis für Deutungen komplexerer Erfahrungen und damit auch für deren Verstehen. Und auch wenn Deutungen und damit das Erfahrbar-Machen immer in einem kulturellen Kontext stattfinden, kann man zumindest eine Ähnlichkeit in der Sinnzuschreibung vermuten, sofern man von universellen physiologischen Mechanismen ausgeht (vgl. ebd.: 42f.). Mit der sozio-kulturellen Einbettung sind aber auch Unterschiede in den Metaphernsystemen zu erklären. Denn wie bei der Erläuterung des embodiment-
57 Kövecses vergleicht Metaphernkonzepte im Englischen, Ungarischen, Chinesischen und Japanischen und bezieht z.T. auch afrikanische Sprachen und Tahitianisch mit ein.
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Begriffs unter Kapitel 4.2 sowie bei der Genese von Metaphern bereits dargelegt wurde – und Lakoff/Johnson selbst sowie v.a. in der Folge auch andere Autoren (wenngleich noch ohne theoretische Fundierung) anmerken58 – können metaphorische Konzepte kulturell variieren, und zwar in ihrer Ausgestaltung und Form sowie in der Position im Relevanzsystem. Im Folgenden wird das Verhältnis von universellem embodiment und inter- und intrakultureller Variation auf verschiedenen Ebenen näher differenziert: auf der Ebene der (1) Grunderfahrungen, der (2) einfachen und primären Metaphern und der (3) komplexen Metaphern. Sozio-kulturelle Variation auf der Ebene der Grunderfahrungen Zum einen beginnt die Variation schon bei einzelnen (1) Grunderfahrungen, die auf den Grundelementen unseres verkörperten In-der-Welt-Seins aufbauen: »...highly structured preconceptual experiences may be different« (Lakoff 1987a: 310). Man kann sagen, sobald die Art der Umgebung für die Erfahrung relevant wird, können sozio-kulturelle Einflüsse eine Rolle spielen. Sowohl die spezifische Art (im Sinne von Ausformung) als auch die Intensität der körperlichen Interaktion mit der physikalischen und sozio-kulturellen Umwelt sind immer auch durch diese geprägt (vgl. hier den Hinweis auf die Dialektik Leib/Körper-Kultur bei Berger/Luckmann u.a.). Dies kann dazu führen, dass bestimmte Erfahrungen in einigen Kulturen einen anderen Stellenwert haben bzw. anders strukturiert sind als in anderen Kulturen. So gibt es Gesellschaften, in denen die signifikanten körperlich vermittelten Erfahrungen mit Wasser, Bergen oder Tieren grundlegend anders geartet bzw. von differenter Intensität sind als bspw. in westlichen urbanisierten Gesellschaften. Die Erfahrungen sind zwar i.d.R. nicht essenziell verschieden (meint: Erfahrung mit Flüssigkeit oder Steigung findet sich in jeder Kultur), sie haben aber z.B. aufgrund der geographischen Lage eine andere Qualität und eine andere gesellschaftliche Relevanz. Dementsprechend sind auch die hegemonialen metaphorischen Konzepte in diesen Kulturen andere als bei uns. Ein Beispiel ist die Grunderfahrung der Sinneswahrnehmung: So ist die lebensweltliche Umgebung der Kaluli in Papua-Neuguinea von unzähligen Vögeln geprägt (es gibt dort über 120 Arten). Das Hören bildet für sie eine hegemoniale Grunderfahrung, auf der ihre kulturellen Metaphern aufbauen (vgl. Johnson/
58 Vgl. Hinweise in Lakoff (1987a), Johnson (1987), Johnson/Lakoff (2002), Johnson (2008), insbesondere aber die Arbeiten von Kövecses (2000, 2004a/b, 2005, 2006, 2008a), Debatin (1995), Gibbs (1999), Núñez (1999), Zinken (2002), Schmitt (2004, 2009), Núñez/Sweetser (2006), Rohrer (2007), Yu (2008).
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Lakoff 1982: 5). Die westliche Kultur ist hingegen eine ›visuelle‹ Kultur (vgl. Prinz 2014).59 Aus (wissens-)soziologischer Perspektive müssen hier auch manche hegemoniale Kategorien der basalen Ebene innerhalb einer Gesellschaft angeführt werden. Neben weniger direkt mit Körperlichkeit verbundenen komplexeren Kategorien wie REISE oder FAMILIE, die in ihrer konkreten Ausgestaltung differerieren können, sind auch Erfahrungsschemata wie z.B. KAMPF oder WÄRME, die über einfache Orientierungen oder Gestaltwahrnehmung hinaus gehen und auf einer komplexen psycho-physischen Erfahrung gründen, in ihrer konkreten Ausgestaltung immer an soziale Interaktion und damit Kultur gebunden. Sie sind über ihre primitive Grundstruktur hinaus immer schon auch gedeutete und deshalb sinnvolle Erfahrungen, allein durch deren sprachliche Objektivation im sozialen Austausch. So ist z.B. anzunehmen, dass eine Kampf-Erfahrung nicht unabhängig von geschlechtsspezifischer Sozialisation gemacht wird (zur notwendigen Geschlechterreflexion im Rahmen der Metapherntheorie und -forschung vgl. generell Schmitt 2009). Generell sind leibliches Wahrnehmen und Wirken in der Welt, darunter die einfachsten Körpertechniken, die als Quellen herangezogen werden (können), nie ohne die sozio-kulturelle Rahmung (i.e. die Sinnwelt) zu denken. Im Allgemeinen kann man deshalb sagen: Je komplexer eine Erfahrung ist und je mehr Sozialität (im Sinne von sozialer Interaktionserfahrung) einerseits sowie der kulturelle Deutungshorizont andererseits darin eine qualitative Rolle spielen, desto stärker ist die sozio-kulturelle Prägung und damit die potentielle (inter- und intrakulturelle) Variabilität von Quell-Erfahrungen. Zugleich sei aber noch einmal betont, dass zwar je nach sozio-kultureller Einbettung Erfahrungskontext, Erfahrungsdimensionen sowie deren Bedeutung und Relevanz variieren können, dennoch haben selbst komplexe, sozio-kulturell
59 Ein anderes Beispiel ist die Weiterentwicklung von Sprachen in anderen Kulturkreisen. Vgl. hierzu das Beispiel der Weiterentwicklung des Dänischen im Südafrikanischen Afrikaans, das durch zahlreiche Bilder von Tieren angereichert wurde (Kövecses 2005: 95). Und Lakoff nennt hier das Beispiel der Cora, einem Volk in den Bergen Mexikos. Für sie bildet die Erfahrung mit Bergen eine überaus differenzierte Kategorie basaler Ebene. Auch die Cora machen von der universellen Konzeptualisierungsfähigkeit Gebrauch, die Kategorie Berg erreicht aber einen für die Metaphernbildung hegemonialen Status, den sie bei uns nicht erreichen würde: »Cora speakers may have the same conceptualizing capacity as we do, but they have a different system, which appears to arise from a different kind of fundamental experience with space.« (Lakoff 1987a: 310; Herv.i.O.) Zur kulturellen Variabilität von Grunderfahrungen vgl. auch Kimmel (2004).
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geprägte Erfahrungsformen immer auch anthropologisch-universelle Erfahrungsinhalte oder -elemente. Das lässt sich an der Körpertechnik Schwimmen veranschaulichen: Schwimmen ist als konkrete Erfahrung historisch und kulturell variabel (Mauss 1975: 200f.) – in den Grunddimensionen wie Fortbewegung im Wasser, verbunden mit der Gefahr, unterzugehen u.a. kann man Schwimmen in seiner Grundstruktur aber als gemeinsame Erfahrung auf der Basis menschlicher Kapazitäten unterstellen (zumindest in den Kulturen, in denen geschwommen wird!). Und auch komplexere Konzepte wie bspw. REISE rekurrieren in ihrer Grundstruktur typischerweise auf ähnliche Erfahrungselemente bspw. im Sinne von Raum-Zeit-Bewegungskonstellationen. Sozio-kulturelle Variation auf der Ebene einfacher und primärer Metaphern Neben Art und Qualität körpergebundener bzw. -vermittelter Erfahrung ist der Aspekt der sozio-kulturellen Variation weiterhin v.a. auf der Deutungsebene auch prinzipiell gemeinsamer typischer Erfahrungen bedeutsam. Denn auch bei gleichen Grunderfahrungen kann das (2) System von einfachen und primären Metaphern variieren: »...since experience does not determine conceptual systems, but only motivates them, the same experiences may provide equally good motivation for two somewhat different conceptual systems« (Lakoff 1987a: 310; Herv.i.O.). Hier geht es also nicht um die differente Art oder Qualität der QuellErfahrung, sondern um deren metaphorische Verwendung, und zwar in Art, Form, Umfang und – bei einfachen Metaphern60 – in der Zielauswahl. Dabei wird der Prozess der sozialen ›Konventionalisierung‹ relevant (vgl. Kapitel 4.3.1.2). Das kulturelle Konzeptsystem entsteht aus einer Reihe von Habitualisierungen und ist somit ein Produkt wechselseitiger Verständigung und Relevanzsetzung. So gibt es Kulturen, in denen Zukunft nicht – wie bei uns – vor, sondern hinter dem Betrachter liegt (ZUKUNFT IST HINTEN bzw. VERGANGENHEIT IST VORNE): Die Aymara (ein indigenes Volk Südamerikas), die Trique (ein mittelamerikanischer Volksstamm) oder die Maori (ein indigenes Volk in Neuseeland) verstehen Zeit im Kontext von Handlungsabläufen und demzufolge die Vergangenheit als etwas, dessen Resultate bekannt sind und deshalb gesehen
60 Die Kombination von Quelle und Ziel ist bei einfachen Metaphern kontingent, weil sie – im Gegensatz zu primären Metaphern – nicht aus der lebensweltlichen Erfahrung heraus als emergente Konzepte entstehen. Auch bei primären Metaphern ist zwar die Auswahl der signifikanten Primärerfahrung kulturell variabel, die Auswahl ist aber bedingt durch die direkte Erfahrungskorrelation begrenzter (siehe das Beispiel der kulturell differenten Konzeptualisierung von Zeit im Text).
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werden können – und man kann nur etwas sehen, das vor einem liegt, deshalb ist die Vergangenheit ›vorne‹. Zukunft dagegen ist nicht im Sichtfeld, hier können die Handlungsresultate noch nicht gesehen werden, sie sind noch unbekannt – und deshalb ist die Zukunft ›hinten‹ (vgl. Lakoff/Johnson 1999: 141; Kövecses 2005: 252; Núñez/Sweetser 2006). Die Quelle für das Konzept Zeit ist hier also die visuelle Erfahrung (WISSEN IST SEHEN) im Zusammenhang mit einem Handeln in der Zeit. Westliche Kulturen hingegen verstehen Zeit primär als ein sich bewegendes Objekt – und da die Zukunft noch kommt, liegt sie vor uns (Quelle ist die Bewegungserfahrung). Dieses Beispiel verdeutlicht die Variation der Auswahl von möglichen Korrelationserfahrungen.61 Und auch bei der Verwendung der gleichen Erfahrung gibt es kulturelle Unterschiede in der Ausgestaltung und Füllung von konzeptuellen Metaphern. So zeigt Kövecses am Beispiel der Konzeptualisierung von Ärger/Wut, dass es zwar in (wesens)verschiedenen Sprachen metaphorische Ausdrücke für EINE WÜTENDE PERSON IST EIN BEHÄLTER UNTER DRUCK gibt und diese Konzeptualisierung auf der allgemeinen Ebene als kulturübergreifend bezeichnet werden kann (s.o.). In der speziellen Auswahl der Aspekte des Erfahrungsbereichs, die zur Konzeptualisierung von Ärger/Wut verwendet werden, unterscheiden sich die Sprachen aber: Im Chinesischen findet sich z.B. – wie bei den anderen Sprachen auch – die Verwendung von Druck (verärgerte Person als Behälter unter Druck), im Gegensatz zu den anderen Sprachen gibt es jedoch kaum einen Verweis auf die Erfahrung von Wärme/Hitze. Das Ungarische und Englische unterscheiden sich hingegen darin, welche Teile des ›Körper-Containers‹ verwendet werden (Kövecses 2000: 170): »While the body is a potentially universal source for emerging metaphors, culture functions as a filter that selects aspects of sen-
61 Ein anderes Beispiel für die Konventionalisierung einfacher Metaphern, also die Übertragung bildhafter Schemata auf abstrakte Dinge, bieten die Haussa, eine Volksgruppe im Sudan. Diese verwendet die Vorne-hinten-Orientierung als Metaphorisierung von Objekten, denen diese Orientierung nicht inhärent ist, in genau umgekehrter Weise zu uns: Liegt der Stein vor uns, ist seine Vorderseite diejenige, die wir unmittelbar sehen können. Für die Haussa ist genau die andere Seite des Steines seine Vorderseite, analog zur Blickrichtung des Betrachters. »Both choices are equally reasonable – equally consonant with our experience. In such situations, the same conceptualizing capacity and experiences can give rise to different systems.« (Lakoff 1987a: 310) Und auch die Deutung bestimmter Erfahrungen kann variieren: »Für uns ist die Metapher AKTIV IST OBEN; PASSIV IST UNTEN von großer Bedeutung. Aber es gibt Kulturen, in denen Passivität einen höheren Stellenwert hat als Aktivität.« (Lakoff/Johnson 2004: 34)
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sorimotor experience and connects them with subjective experiences and judgements for metaphorical mappings.« (Yu 2008: 247)62 Und als weitere Dimension neben Auswahl der Erfahrung und Auswahl der Erfahrungskomponenten kann schließlich auch die Art bzw. Form der Realisierung einer konzeptuellen Metapher benannt werden, also z.B. die Konventionalisierung konkreter linguistischer Ausdrücke, aber auch, ob es entsprechende Gesten oder andere Formen der Objektivation gibt (siehe hierzu Kapitel 4.3.3). Zur sozio-kulturellen Variabilität bei der Konstruktion und Verwendung konzeptueller Metaphern kann zusammenfassend festgehalten werden: Grundsätzlich bietet »unsere physische und kulturelle Erfahrung [...] viele verschiedene Fundamente für [...] [M]etaphern. Welche Grundlagen ausgewählt werden und welche Fundamente die wichtigen sind, hängt von der jeweiligen Kultur ab« (Lakoff/Johnson 2004: 28). Mit Schütz/Luckmann könnte man sagen, dass auch wenn Grundelemente und Grunderfahrungen auf phänomenologischer Ebene gleich oder ähnlich sind, so sind »die Grenzen des Körpers und sogar die Erfahrung des Körpers als Einheit nicht in gleicher Weise [...] gesellschaftlich (das heißt vor allem sprachlich) objektiviert« (Schütz/Luckmann 1979: 143). Eine weitere Dimension sozio-kultureller Variation ist die Ebene der inhaltlichen Ausgestaltung von in einer Gesellschaft existierenden primären Metaphern. Hier finden sich z.B. intrakulturelle Unterschiede: Auf der Deutungsebene, also hinsichtlich der Sinnbezüge und inhaltlichen Füllung von gemeinsamen Metaphern, kann es – ausgehend von der sozialen Verteilung des Wissens – milieu-, geschlechts- oder altersrelational sein, wie solche hegemonialen Metaphernverbindungen wie z.B. MEHR IST OBEN plus GUT IST OBEN ist gleich MEHR IST BESSER besetzt sind. Die primäre Metapher ist die gleiche, aber was ›mehr‹ sein soll, reicht dann von materialen Gütern bis hin zu Tugend und Moral. Neben der inhaltlichen Ausgestaltung kann zudem die Art der hegemonialen, handlungsleitenden primären Metapher intrakulturell variieren. Lakoff/Johnson nennen hier folgendes Beispiel: In der weltanschaulichen Orientierung ›alternativer‹ Milieus erhalten die ideellen Metaphern TUGEND IST OBEN plus ENERGIE SPAREN IST TUGENDHAFT dann als ENERGIE SPAREN IST OBEN den Vorzug vor materialen Metaphern wie MEHR IST OBEN plus GUT IST OBEN ergibt MEHR/GRÖSSER IST BES-
62 Ergänzend gilt, indem Metaphern Emotionen nicht nur verstehbar im Sinne von reflektier- und kommunizierbar machen, sondern sie in ihrer Erlebbarkeit erst konstituieren, wirkt Kultur nicht nur als Filter zur Selektion bestimmter sensomotorischer Erfahrungselemente im Quellbereich, sondern auch als Generator von Erfahrung im Zielbereich (vgl. hierzu Kapitel 4.3.3).
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Dies kann sich auf die banalsten Alltagshandlungen bis hin zum Autokauf oder Hausbau auswirken (vgl. Lakoff/Johnson 2004: 32f.). Generell gestehen Lakoff/Johnson also (inter-/intra-)kulturelle Variation auch auf der Ebene der Primärerfahrung und -metapher zu, und zwar sowohl in der Art als auch in der inhaltlichen Füllung und den Sinnbezügen der Metaphern – ein ethnozentristischer Kurzschluss ist ihnen demnach nicht vorzuwerfen. Gleichwohl legen sie selbst, v.a. bezogen auf die Art der Metapher (die inhaltliche Füllung ist in einem zweiten Schritt zu betrachten), den Fokus ihrer Argumentation nicht auf die sozio-kulturelle Ausdifferenzierung oder variable Deutung der Erfahrung, sondern auf deren typische, kollektiv geteilten Elemente. Im Zentrum ihrer Theorie steht die Universalität emergenter Konzepte, deren empirische Kohärenz auf die universelle biophysische/neuronale und leibliche Verfasstheit des Menschen zurück geht und als anthropologisch gelten kann. Sind die Umweltbedingungen grundsätzlich ähnlich, sind dies auch die interaktiven Erfahrungen. »Inevitably, many primary metaphors are universal because everybody has basically the same kinds of bodies and brains and lives in basically the same kinds of environments, so far as the features relevant to metaphor are concerned. The complex metaphors that are composed of primary metaphors and that make use of culturally based conceptual frames are another matter. Because they make use of cultural information, they may differ significantly from culture to culture.« (Lakoff/Johnson 2003: 257; Herv.S.S.)
Sozio-kulturelle Variation auf der Ebene komplexer Metaphern Auf der Ebene (3) komplexer Metaphern und des darin enthaltenen Deutungswissens steht für Lakoff/Johnson also außer Frage, dass die Art und Ausgestaltung inter- aber auch intrakulturell variabel ist, da die Verbindung von Quellerfahrung und Zielbereich durch ›kulturelle Information‹ von vornherein eine konstruierte ist (und nicht durch lebensweltliche Erfahrung ›nahegelegt‹). Erstens gibt es synchron divergente Metaphernkonzepte in verschiedenen Kulturen, als Audruck des jeweiligen phylogenetischen Hintergrundes. Ein eindrückliches Beispiel findet sich bei der Konzeptualisierung von Zeit. Wie erwähnt, verstehen wir Zeit als RESSOURCE. Diese Metapher geht einerseits auf den Verlust der christlichen Vorstellung des Ewigen Lebens und die damit faktisch einhergehende Verkürzung der nun umso kostbareren Lebenszeit und andererseits auf die Industrialisierung und die damit verbundene Deutung von Zeit als wertvolle, rational und effizient einzusetzende Substanz zurück. Damit verbunden ist die Metapher ZEIT IST GELD, die sich aus dem kohärenten Gefüge ARBEIT IST EINE
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RESSOURCE plus ZEIT IST EINE RESSOURCE ableitet. Zur Erklärung der Genese unserer RESSOURCEN-Metapher(n) im Rahmen der Industrialisierung und ihrem Arbeits- und Zeitbegriff, können Max Webers Studien zur protestantischen Arbeitsmoral und dem frühen Kapitalismus angeführt werden (Weber 2006; vgl. auch Schmitt 2004: [6]; Liebert 1992: 128-140).63 Andererseits gibt es bei anderem kulturellen Hintergrund »people in the world who live their lives without even the idea of budgeting time or worrying if they are wasting it« (Lakoff/ Johnson nennen hier das Beispiel der Pueblo-Indianer mit ihrer »Indian Time«; vgl. 1999: 164f.). Ein anderes Beispiel ist die Konzeptualisierung von Leben in verschiedenen Kulturen. So verstehen Westeuropäer und US-Amerikaner das Leben als wertvollen BESITZ oder REISE. Der Ausgangspunkt dieser komplexen Strukturmetapher ist der kulturelle Wert eines sinnhaften, weil zweckgerichteten Lebens und die Norm des beständig auf diese Ziele hin orientierten Handelns (i.e. die kulturelle Vorstellung eines ›sinnvollen‹ Lebens). Metaphorisch erschlossen wird das Konzept Leben dann mit den einfachen primären Metaphern ZWECKE SIND ZIELE und HANDLUNGEN SIND BEWEGUNGEN. Diese werden zum Bild einer Reise kombiniert. Die metaphorische Manifestation eines sinnvollen Lebens ist dann ein Lebensziel, das auf einer langen Reise – die mitunter auch gut geplant sein will – durch Handeln Stück für Stück erreicht werden soll (für weitere Ausführungen zur Metaphorik des Lebens als REISE siehe Anhang). Kövecses zeigt die Kulturalität dieses Verständnisses von Leben in einem Vergleich mit Ungarn, wo die Metaphern LEBEN IST KRIEG oder LEBEN IST EIN KOMPROMISS vorherrschen (Kövecses 2005). Er führt dies auf die Geschichte Ungarns zurück, das seit seiner Entstehung mit Krieg und kämpferischen Auseinandersetzungen konfrontiert war, und diese Erfahrungen die Kultur geprägt haben (ebd.: 241f.). Schließlich ist hier als weiteres Beispiel wieder die Konzeptualisierung von Krankheit zu nennen. In westlichen Kulturen wird Krankheit als KAMPF verstanden, der z.B. beginnt, wenn Viren in den Körper eindringen und die menschliche Immunabwehr nicht stark genug ist. Wenn dann aber Anti-bio-tika zum Einsatz kommen und wirken, besiegt der Patient die Krankheit – ansonsten verliert er den Kampf mit dem Tod. In einigen indigenen afrikanischen Kulturen (z.B. Malawi) wird Krankheit hingegen häufig als ESSEN konzeptualisiert (vgl. Wolf 1996). AIDS z.B. ist ein »wildes Tier«, eine gefährliche »kleine Bestie«, die »frißt, selbst aber nicht gefressen werden kann« (ebd.: 215; zur genaueren Darstellung der Metaphorisierung von Krankheit siehe Anhang).
63 Zur Genese und den Auswirkungen des oben genannten Zeitbegriffs als wertvolle Ressource vgl. Geißler (2008) und Rosa (2012); zur kulturellen Verortung von Zeit vgl. Levine (1998).
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Die jeweilige synchron divergente Konzeptualisierung eines Zielbereichs ist also Ausdruck historisch kontingenter Deutungs-, Sinn- und Erfahrungswelten. Vor diesem Hintergrund kann es zweitens auch im diachronen Verlauf zu konzeptuellem Wandel kommen (auf der Ebene einfacher und komplexer Metaphern). So ist Zeit für uns heute nicht nur eine Ressource, sondern auch ein BE64 WEGLICHES OBJEKT (die Zeit ist vergangen oder wird kommen). In der traditionellen westlichen Gesellschaft galt Zeit jedoch nicht wie heute als linearer Verlauf, als Abfolge nicht wiederkehrender Zeitsequenzen mit klarer Sortierung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (monochrone Zeitvorstellung). Zeit wurde vielmehr als Zyklus verstanden, als immer wiederkehrender Kreislauf des Lebens, der Wechselwirkungen zwischen Phänomenen und Ereignissen in den Blick nimmt (polychrone Zeitvorstellung).65 Ein weiteres Beispiel ist die Konzeptualisierung von Wissenschaft im Wandel der Zeit (Jäkel 1997, 2003b; speziell für die Soziologie vgl. Schlechtriemen 2014, für die Psychoanalyse vgl. Beiträge in Buchholz 1993). Und drittens sind auch innerhalb einer gegebenen Gesellschaft relevante Metaphern zugleich sozial verteiltes (Deutungs-)Wissen (im Vergleich zu oben nicht nur in der inhaltlichen Füllung, sondern in der Art der Metapher selbst). So müssen hegemoniale Metaphern nicht in allen Teilen einer Gesellschaft (Milieus, Geschlecht, Alter/Generation) den gleichen Stellenwert haben. Das Phänomen ARBEIT kann von bestimmten Schichten oder Milieus bspw. eher als LAST, denn als RESSOURCE konzeptualisiert werden. Zudem bestehen oft plurale, (nahezu) äquivalente Metaphorisierungen einzelner Konzepte. Ein Beispiel ist die eheliche Lebensform, bei der die erstmoderne bürgerliche Variante ihre Monopolstellung im Zuge von Differenzierungs- und Pluralisierungsprozessen eingebüßt hat (vgl. Beck-Gernsheim 2000). So gibt es in unserer Kultur die Metaphern (1) EHE ALS GESCHÄFTSPARTNERSCHAFT, (2) EHE ALS PATERNALISTISCHES VERHÄLTNIS und (3) EHE ALS EINHEIT. Es hängt von der Sozialisation ab, welche Metapher als kognitives Modell fungiert. Je nachdem, ob Ehe dem Einzelnen als Gleichheit mit individualistischer Orientierung (1), als Ungleichheit mit einem
64 Zur mehrfachen Metaphorisierung eines Phänomens vgl. auch Kapitel 4.3.1.2: Bei der RESSOURCE-Metapher steht der (Stellen-)Wert der Zeit, bei der BEWEGUNGSMetapher der Zeitverlauf im Vordergrund. Zugleich ist die Vorstellung eines monochronen Zeitverlaufs Grundlage für die Vorstellung von Zeit als RESSOURCE: Eben weil sie nicht wieder kommt, muss Zeit optimal genutzt werden. 65 Die zirkuläre Zeitvorstellung gibt es auch heute noch, bspw. in den Teilkulturen des Taoismus, Konfuzianismus oder Buddhismus, in denen Zeit ein Kreislauf ist (vgl. Goatly 2007: 263ff.; Popp o.J.).
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Abhängigkeitsverhältnis der Frau (2) oder als Komplementarität mit kollektivistischer Orientierung (3) gedeutet wird, er also mit einer der entsprechenden Metaphern in seiner Paarsozialisation primär konfrontiert wird (Paarsozialisation in einem umfassenden Sinne verstanden, da auch die Erfahrung der Eltern als Paar darunter fällt), erhält diese Metapher Wirklichkeitscharakter (zu den entsprechenden primären Metaphern und damit der ›Körperfundierung‹ der Metaphern vgl. Anhang). Ein weiteres Beispiel sind metaphorisch begründete Identitätsmodelle. Gugutzer zeigt in seiner Studie zu personaler Identität, wie Ordensangehörige und Balletttänzerinnen ihren Körper unterschiedlich konzeptualisieren – Körper als Maschine, Gegner, Werkzeug bei den Balletttänzerinnen und Körper als Geschenk Gottes bei den Ordensschwestern – und wie diese Konzeptualisierungen mit den jeweiligen Identitätskonzepten zusammenhängen (Gugutzer 2002).66 Die Differenz metaphorischer Konzeptualisierung ist schließlich auch auf ganz grundlegender phänomenologischer Ebene zu vermuten. Denn angesichts der geschlechtsspezifischen leiblichen Sozialisation, also der gesellschaftlichen Prägung oder gar Erzeugung leiblichen Spürens der Geschlechter, ist es durchaus wahrscheinlich, dass komplexe Metaphern für Schmerz, Trauer oder Glück durch eine geschlechtsspezifische Wahrnehmung bei Männern und Frauen jeweils andere sind. Überhaupt ist die Geschlechtszugehörigkeit ein zentraler Filter nicht nur für körperliche Erfahrungen (s.o.), sondern auch für deren Übertragung auf Zielbereiche bzw. das Verständnis von metaphorischen Übertragungen. In diesem Zusammenhang kritisiert Rudolf Schmitt deshalb auch ganz generell die systematische Geschlechtsvergessenheit bei Lakoff/Johnson und verweist auf die Notwendigkeit, einerseits ggf. unterschiedliche Quellerfahrungen und damit ein möglicherweise differentes Verständnis verschiedener konventioneller Metaphern bzw. der diesen zugrunde liegenden Quellerfahrungen sowie andererseits die unterschiedliche Nutzung von Quellerfahrung zur Konzeptualisierung in der Metapherntheorie und -forschung stärker zu berücksichtigen (Schmitt 2009). Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil damit immer auch Macht- und Herrschaftseffekte verbunden sind (z.B. Altman 1990; vgl. hierzu auch Kapitel 4.5). Als Beispiel kann hier die Konzeptualisierung von Wirtschaft als KRIEG oder als SPORT genannt werden, wodurch Frauen in diesem Bereich marginalisiert werden, weil »Krieg und Sport auch geschichtlich in einem hohen Maße vermänn-
66 Gugutzer zeigt hier auch, dass es bei beiden Gruppen übergeordnete, gemeinsame Metaphern gibt – ein Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Sprach- bzw. ›Denk‹-Gemeinschaft. Die spezifischen Metaphern sind wiederum Ausdruck subkultureller Besonderheiten innerhalb der Kollektivgemeinschaft.
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licht sind« (Schmitt 2009: [46]; vgl. auch Koller 200467). Eine ähnliche Kritik kann man im Übrigen für die Vergessenheit sozialer Ungleichheit formulieren, denn auch vor dem Hintergrund schicht- oder milieuspezifischer Wahrnehmungen bzw. Erfahrungen können Konzeptualisierungen Machteffekte haben. In Bezug auf Geschlecht ist schließlich noch zu erwähnen, dass auch Metaphern für die Geschlechter selbst variieren (Geschlecht hier als Zielbereich): Frausein wird bei uns mit kleinen Tieren, süßen Speisen oder Wärme und Weichheit konzeptualisiert, während Mannsein mit Kälte, Kraft, Macht, Stärke und entsprechenden Tierbildern einhergeht (vgl. Kövecses 2005: 89f., Melnick 1999) – und auch dies impliziert mehr oder weniger subtile Machtansprüche und Herrschaftsverhältnisse zwischen den Geschlechtern.68 Zur Konzeptualisierung von Geschlecht als so-
67 Bei ihrer Analyse metaphorischer Beschreibungen von Geschäftsfrauen in BusinessMagazinen findet Veronika Koller interessanterweise heraus, dass Frauen häufiger in Kriegs-Begriffen beschrieben werden als Männer. Koller bietet hierfür folgende Interpretationsvorschläge an: Andere feldinadäquate Metaphern (Wirtschaft wird konventionell als Krieg konzeptualisiert) wären politisch inkorrekt (würde Frauen also diskriminieren), die Adaption von Kriegsmetaphern auf (unkriegerische) Frauen wirkt der Aggressionskonnotation entgegen (›verweichlicht‹ also die Geschäftsbranche, gibt ihr einen ›schöneren Anstrich‹) oder die häufigere Beschreibung von Geschäftsfrauen als ›Kämpferinnen‹ bildet schlicht deren Verhaltensanpassungen an hegemoniales Männerverhalten in dem Bereich ab. Dem entgegen wäre auch eine macht-/ diskurstheoretische Interpretation denkbar: Die weiblichen Geschäftsfrauen werden überproportional als Kämpferinnen und damit als unweiblich, abweichend beschrieben (Kampf geht in westlichen Gesellschaften mit Mannsein einher), weil nur so die Feldlogiken und deren Funktionsweisen aufrechterhalten werden können. Während hierfür das männliche Kämpfersubjekt nur bestätigt werden muss, da es ohnehin gesellschaftlich verankert ist (deshalb sind auch andere Metaphern mit Geschäftsmännern kompatibel), bedarf es zur diskursiven Integration von Frauen in das Feld der Wirtschaft eines diskursiven Mehraufwandes, d.h. bei Geschäftsfrauen muss das weibliche Kämpfersubjekt durch häufigere Bezeichnungen erst diskursiv hergestellt werden. 68 Vgl. zur Machtachse zwischen Geschlecht und Metaphorik auch die Darstellung der kabylischen Geschlechterordnung in Bourdieu (2005b: 18ff.): »Die für sich genommen willkürliche Einteilung der Dinge und der Aktivitäten (geschlechtlicher oder anderer) nach dem Gegensatz von weiblich und männlich erlangt ihre objektive und subjektive Notwendigkeit durch ihre Eingliederung in ein System homologer Gegensätze: hoch/tief, oben/unten, vorne/hinten, rechts/links, gerade/krumm (und hinterlistig), trocken/feucht, hart/weich, scharf/fade, hell/dunkel, draußen (öffentlich)/drinnen (privat)
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ziale Kategorie sowie zur unterschiedlichen Metaphernverwendung durch die Geschlechter vgl. auch die Beiträge in Bidwell-Steiner/Zangl (2009). Auf Machteffekte metaphorischer Konzeptualisierungen generell wird im nächsten Kapitel nochmals eingegangen. Metaphern als anthropologisch fundierte gesellschaftliche Konstrukte: Universelle Erfahrungsbasiertheit bei gleichzeitiger sozio-kultureller Variabilität Solche ethnologischen, historischen und soziologischen Beispiele, die in den vorangegangenen Beschreibungen schlaglichtartig skizziert wurden, machen die Kulturalität und damit die Konstruiertheit bzw. den Wandel von Metaphernsystemen deutlich. Sie zeigen aber auch, dass die intra- und interkulturelle Variabilität nicht mit der Grundaussage des prinzipiellen Verkörpert-Seins unseres Denkens, Wahrnehmens und Sprechens konfligiert. Der menschliche Körper und das leibliche In-der-Welt-Sein stecken den Rahmen unserer Erfahrungen ab, innerhalb dessen Platz für sozio-kulturelle Differenzierung bleibt. Man kann sagen, dass das Konzeptsystem einer Gesellschaft in dem Maße kulturell bzw. universell ist, wie die zugrundeliegenden Quell-Erfahrungen, deren Deutungen und das ›Wissen‹ über den Zielbereich kulturell bzw. universell sind. Dieses Verhältnis zu klären, ist eine empirische Frage. Aber die Tatsache, dass wir abstrakte Phänomene mittels unserer Leib-/Körpererfahrung verstehen, ist anthropologisch gegeben, genau wie ein Großteil dieser basalen Erfahrungen, auf denen Metaphern aufbauen (können). Auch wenn die konkrete Ausgestaltung der Metaphernsysteme variieren kann
usf., die zum Teil Bewegungen des Körpers (nach oben/nach unten, hinaufsteigen/hinabsteigen, nach draußen/drinnen, hinaustreten/eintreten) entsprechen.« Und weiter: »Die Einteilung der Geschlechter scheint in der ›Natur der Dinge‹ zu liegen, wie man manchmal sagt, um von dem zu sprechen, was normal, natürlich und darum unvermeidlich ist: Sie ist gleichermaßen – in objektiviertem Zustand – in den Dingen (z.B. im Haus, dessen Teile allesamt ›geschlechtlich bestimmt‹ sind), in der ganzen sozialen Welt und – in inkorporiertem Zustand – in den Körpern, in dem Habitus der Akteure präsent, die als systematische Schemata der Wahrnehmung, des Denkens und des Handelns fungieren.« Auch bei Bourdieu findet sich also eine erfahrungsbasierte, körperrelationale Einteilung der Weltordnung. Dieser Ansatz ist bei ihm aber nicht weiter ausbuchstabiert und wird v.a. im zitierten Kontext, der ethnologischen Beschreibung der kabylischen Gesellschaftsordnung thematisiert. Zudem bleibt Bourdieu auf der Ebene sprachlicher Metaphern (vgl. hierzu die Beispiele in Bourdieu 1976: 194f. und die Diskussion in Schmitt 2009).
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und sie dies v.a. auf der komplexeren Ebene meist auch tut, wird der Aspekt eines (potenziellen) gemeinsamen Erfahrungsraumes für die Frage nach sozialer Verständigung noch von entscheidender Bedeutung sein (vgl. Kapitel 4.4). 4.3.3 Die Konstruktion von Wirklichkeit – Wirken und Bedeutung von Metaphern »Das Wesen der Metapher besteht darin, daß wir durch sie eine Sache oder einen Vorgang in Begriffen einer anderen Sache bzw. eines anderen Vorganges verstehen und erfahren können.« (Lakoff/Johnson 2004: 13; Herv.S.S.)
Wie bereits erwähnt, können Metaphern als Elemente der natürlichen Einstellung des Einzelnen gelten. Durch das leibliche Erleben als Basis und die neuronale Verankerung der Korrelationen von Quelle und Ziel wirkt metaphorisches Wissen in der Regel vorbewusst und erhält den Status nahezu unerschütterlicher Wahrheit (vgl. »Protorealismus« bei Berger/Luckmann, Kapitel 3.3.2.2). Wir denken abstrakte Phänomene ganz selbstverständlich in leibbasierten Kategorien, es erfordert vielmehr einen kognitiven Bewusstseinsaufwand, Metaphern zu reflektieren und zu hinterfragen.69 Metaphern sind aber nicht nur notwendig, um Erfahrungen verstehbar zu machen. Metaphern repräsentieren bzw. rekonstruieren nicht nur eine quasiobjektive soziale Wirklichkeit, sie erzeugen diese überhaupt erst. Die abstrakten Phänomene werden für uns durch deren metaphorische Konzeptualisierung überhaupt erst erfahrbar, wahr-nehmbar und damit wirklich. Metaphern prägen unser Denken und unser Verstehen, unser Erleben und unsere Wahrnehmung, unsere Einstellungen und unsere Entscheidungen sowie nicht zuletzt damit auch unser soziales Handeln (im Sinn Max Webers) und unsere Gestaltung materialer Wirklichkeit. Konzeptuelle Metaphern sind zentrale Elemente »unser[es] alltägliche[n] Konzeptsystem[s], nach dem wir sowohl denken [und wahrnehmen, empfinden; Anm. S.S.] als auch handeln…« (ebd.: 11; Herv.S.S.). Lakoff/Johnson weisen mehrfach darauf hin, »welche Kraft die Metapher besitzt, Realität zu schaffen, und daß sie nicht nur eine Möglichkeit vorgibt, prä-
69 Gisela Brünner nennt das den »kognitiven Effekt« von Metaphern (vgl. näher hierzu Brünner 1987). Damit verbunden ist eine methodologische Herausforderung: Da die meisten der alltäglichen, konventionalisierten Metaphernkonzepte nicht als solche wahrgenommen werden – auch vom Forscher selbst nicht –, ergibt sich in der Analyse ein besonderer Reflexionsaufwand beim Auffinden von Metaphern (vgl. Kruse et al. 2011: 73f.; vgl. auch Schmitt 2011).
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existierende Realität zu konzeptualisieren. [...] Metaphern können für uns Realitäten schaffen, vor allem soziale Realitäten« (ebd.: 167, 179).70 Worin genaue diese ›Kraft‹ liegt, verdeutlicht die Funktionsweise von Metaphern. »The heart of metaphor is inference.« (Lakoff/Johnson 2003: 244) Vor dem Hintergrund aktueller neurowissenschaftlicher Befunde, deren Ziel es ist, präreflexive Kognitionsprozesse zu beleuchten (vgl. Kapitel 4.3.1.1), gehen Lakoff/ Johnson von der sog. Invarianzthese aus. Diese besagt, dass metaphorisches Denken mittels inferentieller Übertragung der Gesamtstruktur des nichtmetaphorischen Konzepts auf das Abstraktum funktioniert. Die gestalthaften Konzepte des Quellbereichs als Kombination verschiedener Wahrnehmungs- bzw. Erfahrungselemente und -qualitäten werden auf der Konzeptebene komplett auf den Zielbereich übertragen. Das heißt, die ganze topologische Struktur des Quellkonzepts, bestehend aus körperlicher Erfahrung und dem darin enthaltenen bzw. damit verbundenen Deutungs- und Handlungswissen, werden unverändert auf den Zielbereich projiziert (vgl. hierzu Lakoff 1990, 1993a: 215ff.; Johnson 2005, 2007: 165ff.; Gibbs/Matlock 2008; Jäkel 2003a: 29ff.)71 Wenn wir bspw. davon sprechen, dass die Zeit wie im Flug vergeht, dann wird damit das gesamte bildhafte Schema FORT-BEWEGUNG aktiviert – und damit z.B. auch die Idee, dass die Zeit nicht nur schnell vergeht, sondern dann auch weg ist, nicht wieder kommt. Dabei können Erfahrungselemente unterschiedlicher Dimensionen übertragen werden, also neben kognitiven auch ästhetische, normativ-evaluative und affektuell-emotionale Aspekte des Quellkonzepts, die bei dessen metaphorischen Übertragungen erhalten bleiben.72 Beim Verwenden und Verstehen von Metaphern wird der Quellbereich gleichsam simuliert (vgl. z.B. Gibbs/Matlock 2008).
70 Vgl. auch: »...our cognitive unconscious plays a central role not only in conceptualization but in creating our world as we experience it« (Lakoff/Johnson 1999: 509). 71 Beispiele derartiger gestalthafter inferentieller Strukturen sind: GEFÄSS-Schema: Begrenzung/Zugang (offen/geschlossen, innen/außen), Inhaltsdimension (voll/leer); PERSONEN-Schema: lebendiges Gegenüber mit zugeschriebener Intentionalität und Selbstbestimmung; KAMPF-Schema: Antagonismus, Aggressivität zum Zweck der Selbstbehauptung, Angriff/Verteidigung, Ziel ist Sieg (vgl. für weitere Beispiele Jäkel 1997: 288f.). 72 Anzumerken ist hier, dass Lakoff/Johnson sich selbst nicht sicher sind, ob komplexe affektiv-leibliche Elemente der Quell-Schemata mit übertragen werden: »It is possible that the activation of the metaphor, that is, of the neural connections between source and target domains, also activates the source-domain concept (e.g., betrayal), which in turn activates the affect associated with that source-domain concept (e.g., guilt). We do not know whether this is so, but it is one of the intriguing questions raised by the
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Und wenn von einer invarianten Übertragung der Wissensdimensionen des Quell- auf das Zielkonzept auszugehen ist, kann angenommen werden, dass auch auf komplexer Ebene abstrakte Logiken, Prinzipien und Konnotationen des Quellbereichs übertragen und damit ganze Diskurse vernetzt werden (vgl. Kruse et al. 2011: 75), was wiederum die wirklichkeitskonstitutive Macht von Metaphern unterstreicht (siehe als Bsp. Übertragungen im Migrationsdiskurs weiter unten). Von der konzeptuellen Übertragung ist die realisierte Übertragung zu unterscheiden. Denn auch wenn prinzipiell alle Elemente des Quellbereichs zur Übertragung auf den Zielbereich offen stehen, so ist der tatsächliche lebensweltliche Gebrauch bspw. in Form sprachlicher Ausdrücke nie erschöpfend, die Realisierung konzeptueller Metaphern hat immer partiellen Charakter (vgl. hierzu Lakoff/Johnson 2004: 66ff.). Aber auch wenn nur bestimmte Elemente des Quellbereichs in konventionalisierten Metaphern verwendet werden, so wird beim Verstehen der Ausdrücke das gesamte kognitive Quellkonzept aktiviert und appräsentiert (siehe auch Kapitel 4.3.1.1 und 4.3.3).73 Aufgrund der appräsentativen Beziehung zwischen Quell- und Zielbereich entsteht eine innere sinnhafte Kohärenz. Mit Ludwig Wittgenstein könnte man auch von Familienähnlichkeit sprechen (vgl. Wittgenstein 1971: 56f.; Baldauf 1997: 59f.), die durch die konzeptionelle Verbindung von Quell- und Zielbereich hergestellt wird (wobei der Quellbereich Ähnlichkeiten herstellt, nicht umgekehrt; vgl. Unidirektionalitätsthese). Insofern sind konzeptuelle Metaphern systematisch, weil sie als kohärentes, d.h. in sich sinnhaft schlüssiges System dem Phänomen (Zielbereich) Sinn
knowledge that we conceptualize our inner lives via metaphor.« (Lakoff/Johnson 1999: 289) Es scheint aber einiges dafür zu sprechen. Bei einfachen, mit sensomotorischen Erfahrungen korrelierenden qualitativen Wahrnehmungen gehen sie allerdings – gestützt durch neurowissenschaftliche Befunde (vgl. Johnson/Rohrer 2007; Rohrer 2001) – von einer Übertragung aus: »These primary metaphors supply the logic, the imagery, and the qualitative feel of sensorimotor experience to abstract concepts.« (Ebd.: 128, vgl. das Bsp. Intimität und Wärme) Vgl. zur Problematik der Vagheit des Invarianzprinzips auch Jäkel (1997: 286ff.). 73 Cornelia Müller spricht in Bezug auf die unterschiedlichen Ebenen von Metaphern als kognitive Konzepte einerseits und deren sprachliche/praktische/objektive Realisierung andererseits auch von ›schlafenden‹ und ›wachen‹ Metaphern (Müller 2003, 2008). Als kognitive Konzepte sind Metaphern potenziell zugänglich für das Verstehen von Abstrakta, manche bleiben aber vor ihrer Aktivierung durch den Gebrauch der Metapher (bspw. im Gespräch mit anderen) schlafend – im Gebrauch werden sie dann geweckt, also für das Verstehen aktiviert.
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verleihen – und ihre Realisierungen nicht nur einzelne, isolierte Ausdrücke der jeweiligen Metaphernkonzepte sind. Einzelne sprachliche und nicht-sprachliche Manifestationen von Metaphern sind keine zufälligen, voneinander unabhängigen Akte, sondern ergeben einen sinnhaften Zusammenhang – bedingt durch »eine gemeinsame kognitive Tiefenstruktur« (Schmitt 2004: [3]), sowohl hinsichtlich der Verbindung zwischen den einzelnen metaphorischen Ausdrücken (also der Systematik in Bezug auf den Quellbereich) als auch hinsichtlich der Verbindung zwischen Quell- und Zielbereich. Die Systematik und Kohärenz innerhalb einer Metapher – und die damit verbundene Lebendigkeit – zeigen sich u.a. daran, dass wir ›neue‹ bzw. uns unbekannte metaphorische Ausdrücke ohne kognitiven Aufwand verstehen, eben weil mit der Metapher der ganze darin enthaltene ›Erfahrungsschatz‹ auf ontologischer und epistemischer Ebene mit appräsentiert wird und wir so auf einen komplexen Verweisungszusammenhang zurückgreifen können (vgl. hierzu auch Kapitel 4.4). Und die Systematik zeigt sich vor allem auch in der Multimodalität metaphorischer Realisierungen – von denen die Sprache nur eine Form ist. Metaphern als ganze Komplexe mentaler Assoziationen implizieren wirklichkeitskonstitutive Kraft auf mehreren Ebenen. Dies soll im Folgenden veranschaulicht werden. Zur Multimodalität metaphorischer Konzepte Wie gerade skizziert, haben Metaphern neben ihrer kognitiven Funktion – die zugegebenermaßen bei Lakoff/Johnson im Vordergrund steht – auch psychophysische, i.e. evaluative und affektive Dimensionen. Damit erzeugen Metaphern eine bestimmte (1) qualitative Wahrnehmung der Innen- und Außenwelt. Sie verleihen dem Erleben Sinn und machen es zur Erfahrung. So sind bspw. Emotionen als komplexe, aber diffuse Gefühlszustände zwar Teil der direkten gelebterlebten Leiblichkeit, aber im Gegensatz zu konkret-physischen Erfahrungen nicht selbstevident, also ein Zielbereich von Metaphern (vgl. Kövecses 2000, 2002b). Indem wir nun bestimmte Metaphern in der Sozialisation erlernen – z.B. GLÜCKLICHSEIN IST OBEN – und sie als gültiges Wissen über den Zielbereich inkorporieren, empfinden wir Glücklichsein auch tatsächlich als innere Leichtigkeit, als Schweben, als Abgehobensein, eben weil die Primärerfahrung der Leichtigkeit, des Obenaufseins durch die Metapher aktiviert wird. Mittels Metaphern erfolgt eine Sozialisation von Emotionen, deshalb spüren wir im wahrsten Sinne des Wortes auch Intimität als WÄRME oder Liebe als PHYSIKALISCHE KRAFT: »We may very well experience emotions in the same way we experience certain physical forces [...] the metaphor structures experience itself.« (Lakoff/ Johnson 1999: 72) Und wenn wir gemäß der Metapher EMOTION IST EINE KRAFT
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leben, wobei diese Kraft auf uns einwirkt, dann gilt – insbesondere für negative Emotionen wie Wut oder Ärger –, dass diese Kraft unter Kontrolle gebracht bzw. gehalten werden muss. Damit wird ein bestimmtes kulturelles Modell von Emotionen konstruiert, das sich entsprechend in der Sozialisation neuer Gesellschaftsmitglieder und in der sozialen Kontrolle im Rahmen sozialer Interaktion durchsetzt, sich gleichsam leibphänomenologisch realisiert: Emotionen als sozial und subjektiv zu kontrollierende Gewalten. Die wirklichkeitskonstitutive Kraft von Metaphern betrifft also nicht nur den Zugang zum Erleben/Erfahren oder dessen Kommunikation, sondern das leiblich-affektive Erleben/Erfahren selbst (subjektive Ebene) sowie den gesellschaftlichen Umgang damit (sozio-kulturelle Ebene). Die Erfahrung des Zielbereichs ist generell nicht losgelöst von der Konzeptualisierung des Ziels in der Kultur, in der man lebt (vgl. Kapitel 4.3.1.2). Emotionen sind aber nicht nur Zielbereich, sondern als Element von primären Metaphern selbst Teil konzeptueller Metaphern (Kohl verwendet hier den Begriff der »affektivischen Metapher«, 2007: 122). Denn wenn via invariante Projektion alle Erlebniselemente der koinzidenten Primärerfahrung konzeptionell auf den Zielbereich übertragen werden, dann werden auch leiblich-affektive Komponenten zur Konzeptualisierung von Abstrakta (potenziell) relevant (zur Übertragung von Gefühlen und Wertungen vgl. z.B. Johnson 1987: 167ff., 2007). Leben wir bspw. nach der Metapher ARGUMENTIEREN IST KAMPF/KRIEG, nehmen wir eine verbale Auseinandersetzung kognitiv und emotional als Kampf oder Krieg wahr: »Man befindet sich gefühlsmäßig in einer Argumentation, wenn man feststellt, daß die eigene Position angegriffen wird, oder das Bedürfnis verspürt, die Position des anderen anzugreifen.« (Lakoff/Johnson 2004: 95; Herv.S.S.)
Die Aus-Wirkungen der Metapher POLITIK IST KRIEG beschreibt Kurt Beck (1994 bis 2013 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, SPD) wie folgt: »Verletzungen, die einem aus den eigenen Reihen zugefügt werden, die sind viel schmerzhafter, das muss man sagen. Denn dass der politische Gegner einen angreift, wer das nicht verträgt, der darf nicht in die Politik gehen [...]. Aber wenn von hinten getreten wird, wenn verdeckt agiert wird, dann ist das schon sehr schmerzhaft und das geht auch an die Substanz.« (aus der Dokumentation »Schlachtfeld Politik. Die finstere Seite der Macht«, Lamby 2013)
Und diese Beschreibungen bleiben nicht nur kognitiv-konzeptueller Natur, sondern realisieren sich – wie in der Dokumentation deutlich wird – bei den ent-
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sprechenden Politiker auch auf psychischer und psychosomatischer Ebene in Form von Depression oder Herz-Kreislauferkrankungen. Politik verletzt im wahrsten Sinne des Wortes. Ein anderes Beispiel ist Zeit, die als RESSOURCE verschwendet, investiert oder verschenkt werden und entsprechend mit Gefühlen des Verlusts oder der Freude verbunden sein kann. Oder versteht man SCHWIERIGKEITEN ALS LAST, dann fühlt man sich wirklich bedrückt und belastet, wenn man mit Problemen konfrontiert ist. Und wenn im Migrationsdiskurs Einwanderung als NATURKATASTROPHE und das Fremde mit »einer bedrohlich wachsenden Pflanze, einem grausamen Naturelement, einem gefährlichen wilden Tier, einem Fremden, der den Frieden der Familie ins Wanken bringt, und einer Krankheit, die das Wohlbefinden des Körpers beeinträchtigt« konzeptualisiert wird (Andreeva 2011: 32), so gehen damit Abneigungen und Ängste gegenüber Fremdem einher. Schließlich veranschaulichen Lakoff/Johnson selbst die qualitative Dimension metaphorischer Konzeptualisierung, wenn sie schreiben, dass viele Metaphern »...seem to capture something of the qualitative feel of inner life. When we conceptualize a difficult decision metaphorically in terms of inner struggle, many of us experience aspects of such a struggle. When we conceptualize acting sensibly about our bodies metaphorically as caring for ourselves, it is common to experience the affect of caring and being cared for. When we do something we shouldn’t have done and bawl ourselves, many of us experience a sense of shame...« (Lakoff/Johnson 1999: 288)
Metaphern wirken also nicht nur kognitiv im Verstehen von Zielbereichen, sondern wirken auch in einem leiblichen Sinn, werden leibphänomenologisch real. Mit dem Zitat von Lakoff/Johnson ist neben der subjektiv-affektuellen Wirkung von Metaphern auch eine weitere Form der qualitativen Dimension metaphorischer Realisierungen angedeutet: (2) Auf der kollektiven Deutungsebene ist hier der prinzipielle Zusammenhang zwischen Metaphern und Werten bzw. Grundhaltungen einer Kultur zu nennen. Ausgangspunkt ist die Multivalenz eines Quellbereichs, also dessen vielfältige Nutzung für die Übertragung auf verschiedene Zielbereiche, wodurch auch die entsprechenden Zielbereiche miteinander verbunden werden. Basierend auf der Kohärenzannahme postulieren Lakoff/Johnson damit einen prinzipiellen Zusammenhang zwischen den metaphorischen Konzepten und den Werten einer Kultur. Das soll an folgenden Beispielen veranschaulicht werden: Die konventionalisierten Metaphern MEHR IST OBEN und GUT IST OBEN führen zur konzeptuellen Verbindung MEHR IST GUT bzw. BESSER; MACHT IST OBEN und GLÜCKLICHSEIN IST OBEN führt zu MACHT MACHT GLÜCKLICH; ZUKUNFT IST OBEN und GUT IST OBEN führt zu ZUKUNFT WIRD BESSER SEIN;
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VERÄNDERUNG IST BEWEGUNG und WEITERENTWICKLUNG/ERFOLG IST BEWEführt zu VERÄNDERUNG IST ERFOLG; BEZIEHUNG IST NÄHE und FREIHEIT IST RAUM ZUR BEWEGUNG führt zu (ENGE) BEZIEHUNG IST FREIHEITSMANGEL (vgl. Lakoff/Johnson 2004: 31f.; Goatly 2007: 163-197). Ein anderes Beispiel ist der diskursiv vermittelte Werte- und Normenkomplex rund um die Metapher ZEIT IST EINE WERTVOLLE RESSOURCE: Mit der Metapher des Zeit-Reichtums bzw. der Zeit-Armut geht auch der Anspruch auf die Deutungs- und Gestaltungshoheit über persönliche Zeit einher. Wenn Zeit eine Ressource ist, dann wollen – und sollen – wir selbst bestimmen (können), wie wir mit unserer Zeit umgehen. Das spiegelt sich auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Diskursund Praxisebenen, z.B. in der Bedeutung von Freizeit, im Nutzen von HomeShopping/-Banking oder Home-Service-Angeboten, in der Debatte um Ladenöffnungszeiten, in der Flexibilisierung von Arbeitszeit sowie im Stellenwert von Pünktlichkeit in unserer Kultur. Auch populärwissenschaftliche Zeitratgeber reproduzieren die Anrufung des Einzelnen als Manager seiner (Lebens)Zeit – sei es in Form der Reproduktion einer utilitaristischen Zeitstrategie im Sinne einer möglichst gewinnbringenden Verfügung über die eigene Zeit oder als Alternativmodell mit dem Ziel, gegen den Beschleunigungstrend die eigene Zeitsouveränität (zurück) zu gewinnen (Hoklas 2011). Die Beispiele zeigen, dass Werte bzw. kulturelle Grundhaltungen einen kohärenten, systematischen Zusammenhang mit den hegemonialen metaphorischen Konzepten einer Gesellschaft bilden und demnach nicht unabhängig von der Konzeptualisierung und v.a. der diesen zugrunde liegenden Körpererfahrung sind. Denn nachdem die kohärenten metaphorischen Konzepte auf körperlicher Erfahrung basieren, sind unsere Werte in gewissem Sinne auch körperlich fundiert. Über Kognition, Deutung und affektive Wahrnehmung hinaus haben Metaphern eine buchstäblich konstruktive Wirkung, denn indem wir metaphorisch denken, wahrnehmen und fühlen ist es nur logisch, dass wir auch so (3) handeln. In Form bestimmter Handlungsimplikationen strukturieren Metaphern unser »nichtreflektiertes Alltagshandeln« und »wie wir uns auf andere Menschen beziehen« (Lakoff/Johnson 2004: 11). Auf der Ebene des Alltagshandelns führt Lakoff sogar die simpelsten Alltagsbegegnungen auf Metaphern zurück: die Metapher SEHEN IST BERÜHREN (»unsere Augen treffen sich«) wird real »in the social practice of avoiding eye ›contact‹ on the street, and in the social prohibition against ›undressing someone with your eyes‹« (Lakoff 1993a: 243). Ähnlich sind auch die konventionellen Zonen persönlicher und sozialer Distanz aus der konzeptuellen Metapher INTIMITÄT IST NÄHE heraus zu erklären: je näher uns eine Person ›auf den Leib‹ rückt, desto intimer werden wir mit ihr; deshalb gibt es implizite gesellschaftliche Regeln des körperlichen Abstandes bzw. der körperliGUNG
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chen Nähe als Ausdruck für die soziale Beziehung zum Anderen.74 Und auch die Körperhaltung kann Ausdruck zugrundeliegender metaphorischer Konzepte sein. So gehen gemäß der Metapher SCHWIERIGKEITEN SIND LASTEN mit psychischen Belastungen körperliche Anzeichen physischer Belastung einher wie bspw. eine gebückte Körperhaltung oder ein gesenkter Kopf. In der sozialen Interaktion können Metaphern und deren physische Manifestationen in Form von Anzeichen für damit ausgedrückte Probleme dann wiederum sozial relevant werden. Die inter-/aktionsleitende Kraft von Metaphern zeigt sich auch wieder am Beispiel Zeit: Im Alltag gehen wir entsprechend sinnvoll und effektiv mit der Ressource Zeit um; wir planen und handeln so, dass wir Zeit möglichst gewinnbringend nutzen. Wenn uns jemand Zeit stiehlt, ist die Interaktion mit dieser Person reine Verschwendung oder ein Verlust, dementsprechend versuchen wir den Kontakt auf ein Minimum zu reduzieren. Sogar die eigentlich ›freie‹ Zeit wird heute in der RESSOURCEN-Metapher konzeptualisiert und soll optimal genutzt, keinesfalls verschwendet oder weggeworfen werden. In unseren Freizeitaktivitäten orientieren wir uns demnach nicht zuletzt nach deren Nutzen, sie sollen uns etwas ›bringen‹. In einer Argumentation handeln wir dagegen wie in einem Kampf, wir drohen, schüchtern den Anderen ein, verteidigen unsere Position und wollen gewinnen. Diese Form des sozialen Handelns fungiert dabei gleichzeitig als Auslöser für das Gegenüber, sich »gefühlsmäßig in einer Argumentation« zu befinden, ebenfalls mit entsprechenden Folgen. Die Beispiele zeigen, dass durch ihre handlungsinduzierende Dimension Metaphern durchaus zu einer self-fulfilling prophecy, einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden können (Lakoff/ Johnson 2004: 179). Das lässt sich auch noch einmal am Beispiel des Migrationsdiskurses veranschaulichen. Entsprechend der Logik des katastrophenartigen Migrationsdiskurses und der damit verbundenen geschürten Ängste können Schutz- und Abwehrreaktionen gegenüber dem Fremden in der Bevölkerung entstehen. Daraus können wiederum aggressive Reaktionen der ›Fremden‹ resultieren, die Abwehr und Angst erst empirisch legitimieren. Auch in speziellen gesellschaftlichen Systemen fungieren Metaphern handlungsorientierend. So veranschaulicht Lakoff z.B. den Zusammenhang von politischen Metaphern und deren Konsequenzen in Form politischer Entscheidungen, Sozialprogrammen, Steuer- und Gesetzesregelungen (Lakoff 2002; La-
74 Vgl. zu den Distanzzonen beim Menschen Hall (1976). Auch Goffman spricht vom persönlichen Raum als »Raum, der ein Individuum überall umgibt und dessen Betreten seitens eines anderen vom Individuum als Übergriff empfunden wird…« (Goffman 1974).
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koff/Wehling 2009).75 Das geht sogar so weit, dass Metaphern – indem sie z.B. Ideologien, gesellschaftliche Strafpraxis oder Außenpolitik gestalten – auch töten können (Lakoff 2003b). Ein historisches und drastisches Beispiel hierfür ist die im Nationalsozialismus hegemoniale metaphorische Konzeptualisierung von Juden als UNMENSCHEN, konkreter als PARASITEN und UNGEZIEFER, was zur Folge hatte, dass deren ›Ausrottung‹ als Ziel proklamiert wurde – und zwar durch unmenschliches Behandeltwerden bspw. in Form von Vergiftung durch das Insektizid Zyklon B (vgl. zu diesem Beispiel Kruse et al. 2011: 72f.). Ein anderes System, in dem Metaphern handlungsleitend wirken, ist die Medizin: Hier zeigt Christina Schachtner, wie Metaphern die ärztliche Praxis prägen – vom ›ersten Blick‹ auf den Patienten über die Auswahl von Diagnoseverfahren bis hin zu Behandlungsmethoden (Schachtner 1999, 2001).76 Mechthilde Kütemeyer verweist auf die Bedeutung des »Hinhörens« bei metaphorischer Schmerzbeschreibung, die die unterschiedliche Wahrnehmung und Einordnen von Schmerzen vermittelt – nur so kann der Arzt Schmerzen adäquat erkennen, verstehen und behandeln (Kütemeyer 2002). Krankheit wird in unsere Kultur in der Regel als Kampf konzeptualisiert: Wenn Viren in unseren Körper eindringen oder Bakterien diesen besiedeln und unsere Immunabwehr versagt, werden diese Vi-
75 Lakoff rekonstruiert verschiedene FAMILIEN-Metaphern für Gesellschaft bei konservativen und liberalen politischen Parteien in den USA. Das konservative Modell von Gesellschaft folgt einer patriarchalen und paternalistischen Familien-Idee, der eine ›Strenger-Vater‹-Moral entspricht. Der Vater als autoritäres Oberhaupt – vertreten durch die entscheidungstragenden Politiker – verteidigt die Familie, i.e. die Gesellschaft gegen das Böse. Politik bedeutet also Stärke, um Gefahren und Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Dementsprechend braucht es harte Gesetze und Strafen sowie eine strikte Verfolgung abweichenden Verhaltens. Sozialprogramme und andere ›falsches‹ Verhalten ›belohnende‹ Einrichtungen hingegen verderben die Moral. Liberale Strömungen folgen eher dem ›Fürsorgliche-Eltern‹-Modell. Hier geht es darum, sich um die Kinder, i.e. die Gesellschaft zu kümmern, indem man sie zu eigenständigen, freien, mündigen, verantwortungsvollen und sozialen Bürgern macht. Entscheidungen werden demokratisch getroffen, die Eltern-Kind-Beziehung ist eine Beziehung auf Augenhöhe. Sozialfürsorge ist hier ein wesentliches Fundament von Gesellschaft. 76 Schachter rekonstruiert bei den von ihr untersuchten Ärzten z.B. die Metapher KRANKHEIT IST EINE NORMABWEICHENDE URSACHE-WIRKUNGS-KETTE, die ein rationales, systematisches und planvolles Behandeln von Krankheit nahelegt; der Arzt ist dabei der aktive, der Patient als be-handelter der passive Part. KRANKHEIT ALS MISSLUNGENE
LEBENSBEWÄLTIGUNG betont hingegen stärker psychosomatische Wech-
selwirkungen und verfolgt eine kommunikative Arzt-Patient-Beziehung.
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ren/Bakterien bekämpft – entweder mit Antibiotika oder anderen ›chemischen Keulen‹. Dann bleiben zwei Möglichkeiten: der Patient besiegt die Krankheit oder er verliert den Kampf und stirbt. Vor diesem Hintergrund wird auch erst der Umgang mit Sterben und Tod in unserer Gesellschaft verständlich. Sterben gilt als erfolgloser Versuch der Heilung und damit als Niederlage und Scheitern der Medizin als System und der Ärzte als funktionale Rollenträger: »Krankenhäuser […] [stehen] mit Sterben und Tod im Prinzip auf Kriegsfuß«. (Gronemeyer 2007: 81) Deshalb haben Sterbende auch im wahrsten Sinne des Wortes keinen Raum im Krankenhaus – es sei denn, es hat mittlerweile eine Palliativstation (zur Konzeptualisierung von Sterben und Tod in der Klinik und von hospizlicher Sterbebegleitung als Alternativkonzept vgl. Stadelbacher 2014).77 Über die konkrete Handlungsebene hinaus objektiviert bzw. materialisiert sich metaphorisches Denken und Handeln in unterschiedlichsten Formen. Zu nennen sind hier (4) Kulturgegenstände im Sinne objektivierter Praxis. Dazu gehören Uhren, die ZEIT ALS RAUM objektivieren: Die Zeiger sind der sich durch die Zeit bewegende Betrachter, die Stellung der Zeiger verweist auf dessen aktuelle Position im ›Raum‹ Zeit (vgl. Lakoff/Johnson 1999: 155). Thermometer basieren wiederum auf der Metapher MEHR IST OBEN: Die Höhe des Quecksilbers korrespondiert mit der Höhe der Temperatur (vgl. Lakoff 1987a: 241). Der Schnellkochtopf, Instantkaffee oder Fast Food vergegenständlichen ZEIT ALS RESSOURCE – alles muss schnell gehen (kohärent mit der Metapher ZEIT IST EIN BEWEGLICHES OBJEKT) und darf nicht zu viel Zeit kosten. Auch (5) Räume, Gebäude bzw. allgemein architektonische Strukturen können metaphorisch interpretiert werden, z.B. drückt sich die Metapher MACHT IST OBEN darin aus, dass die Chefetage meist ganz oben im Gebäude verortet ist – und der erste Platz auf dem Siegertreppchen der höchste ist (vgl. Kruse et al. 2011: 73). Ebenso metaphorische Vergegenständlichung können (6) visuelle Metaphern in Form von Bildern und Cartoons, oder audiovisuelle Metaphern in Form von Filmen, Fernsehberichterstattungen oder Werbung sein (vgl. Kövecses 2002a: 58f.; Forceville 2003, 2008; Fahlenbach 2010). Am Beispiel von Werbe-
77 Für weitere Beispiele wirklichkeitskonstitutiver Implikationen auf der Handlungsebene vgl. McCloskey (2009), für die Metaphorik der Ökonomie Hroch (2003), für die Wirkung von Metaphern des Umweltmanagements in Unternehmen Hroch (2005), für Metaphern im Bereich psychosozialer Arbeit Schmitt (1995), und für die Wirkung von (unterschiedlichen) Metaphern in der psychotherapeutischen Interaktion Buchholz/von Kleist (1993, 1997). Weitere Skizzierungen der Metaphern EIN SINNVOLLES LEBEN IST EINE REISE, ARBEIT IST EINE RESSOURCE und KRANKHEIT IST KAMPF/ESSEN finden sich im Anhang.
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bildern zeigt Charles Forceville die piktographische Realisierung metaphorischer Konzepte, deren Verstehen auf dem Verstehen zugrunde liegender Quellbereiche basiert (zur Interpretation der Werbung für SENSEO®-Kaffeemaschinen, in deren Design die Metapher GERÄTE SIND DIENER steckt, vgl. Forceville 2008; zur kulturellen Variabilität bildlicher Metaphorik in der Werbung vgl. Maalej 2001). Auch in Werbespots finden sich multimodale Metaphern. Das Besondere bei bewegten Bildern ist, dass Quelle und Ziel versetzt (nacheinander) gezeigt werden können. Zusätzliche Bedeutungsträger wie Musik und Geräusche tragen zur Metaphorik bei, und auch Kamerabewegungen können Ähnlichkeiten herstellen. Vor diesem Hintergrund interpretiert Forceville z.B. einen politischen Spot zum Thema Klimawandel, in dem die Erde als aufheizbarer Dampfkessel dargestellt wird, der kurz davor steht, ›in die Luft zu gehen‹. Die dargestellte Metapher legt nahe, dass der Treibhaus-Effekt die Erde implodieren lässt, zugleich wird suggeriert, »dass man die Energieverschwendung ebenso ›natürlich‹ abschalten kann wie den dampfenden Kessel« (Forceville 2003: 45; für verschiedene Typen von bewegt-bildlichen Metaphern vgl. ebd.: 41ff.). (7) Weitere metaphorische Realisierungen finden sich in Träumen, Ritualen, Mythen, Symbolen, Kunst und Musik etc. (Lakoff 1993b; Johnson 2007; Kennedy 2008; Zbiknowski 2008). Und auch (8) komplexe soziale Institutionen bzw. deren Organisation sind Manifestationen von Metaphern. Unser Arbeitsleben korrespondiert bspw. mit der Metapher ZEIT IST GELD. Wir werden nach der gearbeiteten Zeit bezahlt (pro Stunde, Woche, Monat), es gibt ›Deadlines‹ für bestimmte Ergebnisse (Effizienzorientierung) und Zeitplaner (›Timer‹), die den Tag strukturieren (Lakoff/ Johnson 1999: 164). Ein weiteres Beispiel sind die Hochschulen, die heute als UNTERNEHMEN konzeptualisiert werden. Das Primat des Ökonomischen prägt das Leitbild heutiger Universitäten und manifestiert sich in deren Organisation, die durch zunehmende Verwettbewerblichung, Qualitätsmanagement, Effizienzsteigerung und Outputorientierung geprägt ist und zu einem »akademischen Kapitalismus« führt (vgl. Klein 2003; Münch 2011). Metaphern ›leben‹ und werden auf vielfache Weise wirk-lich Die skizzierte multidimensionale und -modale wirklichkeitskonstitutive Wirkung von Metaphern kann aus soziologischer Sicht mit dem Thomas-Theorem auf den Punkt gebracht werden: »If men define situations as real, they are real in their consequences« (Thomas/Thomas 1928: 572) – wenn Probleme eine Last, wenn Zeit eine Ressource, wenn Krankheit Kampf ist, dann realisiert sich das in entsprechenden Gefühlen, Einstellungen, Bewertungen, Handlungen und materialen
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wie institutionellen Objektivationen. Mit Bourdieu kann hier von konzeptuellen auch als praktische Metaphern gesprochen werden.78 Analytisch gesehen wirken und realisieren sich Metaphern dabei auf allen gesellschaftlichen Ebenen: (1) Auf der Mikroebene konkreter subjektiver Wahrnehmungen, Entscheidungen und Handlungen, (2) auf der Mesoebene interaktiver Praxis, intersubjektiver Verständigung und institutioneller Realisationen sowie (3) auf der Makroebene in Form kultureller Orientierungs- und Wertemuster. Hier ist noch einmal auf die Lebendigkeit von Metaphern hinzuweisen: Zum einen sind Metaphern als neuronale Vernetzungen von Quell- und Zielkonzepten kognitiv lebendig. Zum anderen realisieren sich Metaphern, wie gezeigt, auf unterschiedlichen Ebenen, in unterschiedlichen Formen und Dimensionen gesellschaftlicher Wirklichkeit. Die damit angesprochene Multimodalität von Metaphern, die in diesem Kapitel dargestellt wurde, verdeutlicht die Lebendigkeit von Metaphern auf phänomenologischer, also empirisch wahrnehmbarer Ebene. Diese beiden Formen – neuronale und phänomenologische Lebendigkeit – stehen zudem in Wechselwirkung zueinander: Phänomenologische Realisierungen gehen auf kognitive, affektuelle, evaluative Konzeptualisierungen zurück, diese sind wiederum als lebensweltliche Manifestation empirische Grundlage für Wahrnehmungen und Konzeptualisierungen. Und so fungieren all die genannten Manifestationen als Effekt des metaphorischen Denkens und Handelns in der nächsten Generation als dessen phänomenologische Erfahrungsgrundlage, als Sozialisationsraum für die Vermittlung metaphorischer Konzepte: »…one generation’s realization of a metaphor can become part of the next generation’s experiential basis for that metaphor« (Lakoff 1993a: 244). Konzeptuelle Metaphern sind damit Effekt und Konstrukteur gesellschaftlicher Wirklichkeit zugleich. Buchholz nennt sie deshalb auch den »immanente[n] Demiurg, dessen Geschöpfe wir sind und den doch niemand anders erschafft als wir...« (Buchholz 1993: 9).
78 »Da strukturierte Produkte derselben strukturierenden Struktur, von dieser hervorgebracht durch Rückübersetzungen entsprechend der spezifischen Logik eines Feldes, sind die Praxisformen und Werke eines Akteurs fern jedes absichtlichen Bemühens um Kohärenz in objektivem Einklang miteinander und fern jeder bewußten Abstimmung auch auf die Praxisformen aller übrigen Angehörigen derselben Klasse objektiv abgestimmt. Der Habitus erzeugt fortwährend praktische Metaphern, bzw., in einer anderen Sprache, Übertragungen (worunter die Übertragung motorischer Gewohnheiten nur einen Sonderfall darstellt) oder besser, durch die spezifischen Bedingungen seiner praktischen Umsetzung erzwungene systematische Transpositionen…« (Bourdieu 1982: 281; Herv.i.O.)
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Festzuhalten bleibt, dass Metaphern als kulturelles Deutungswissen im wahrsten Sinne des Wortes wirklich werden, sie stellen durch sinnhafte Bezüge zwischen Quell- und Zielbereich Wirklichkeit her – mit realen Folgen: »In allen Lebensbereichen [...] definieren wir unsere Realität von Metaphern her und handeln auf der Basis der Metaphern. Wir ziehen Schlußfolgerungen, verfolgen Ziele, gehen Verpflichtungen ein und führen Pläne aus: Und das alles geschieht auf der Grundlage dessen, wie wir unsere Erfahrung – bewußt oder unbewußt – mittels der Metapher partiell strukturieren.« (Lakoff/Johnson 2004: 182)
Und: »How we think metaphorically matters. It can determine questions of war and peace, economic policy, and legal decisions, as well as the mundane choices of everyday life.« (Lakoff/Johnson 2003: 243)
Ein wichtiger Aspekt metaphorischer Wirklichkeitskonstruktion wird an allen Beispielen deutlich und auch im obigen Zitat benannt: Konstruktion ist notwendig selektiv. Da kulturelle Zielkonzepte meist recht komplex sind, kann nicht alles, was diese ausmacht (Dimensionen, Ebenen, Qualitäten) durch eine Metapher abgedeckt werden, weshalb wir verschiedene Metaphern für einen Zielbereich haben (s.o.). Einzelne Metaphern erfassen deshalb nie das ganze Phänomen, sondern beleuchten immer nur bestimmte Aspekte und verbergen andere (vgl. Lakoff/Johnson 2004: 18ff., 81ff.). Diese Selektivität wird in der praktischen Verwendung von Metaphern jedoch nicht oder selten reflektiert. Verbunden mit der quasi-natürlichen Gültigkeit von Metaphern werden damit mögliche alternative Konzeptualisierungen verdeckt. So bleibt z.B. bei der Metapher ARGUMENTIEREN IST KRIEG die Kooperativität einer Argumentation ausgeblendet, bei der Metapher ZEIT IST EINE RESSOURCE bleibt die ›freie‹ Zeit jenseits sinnvoller Nutzung im »toten Winkel« der Metapher.79 Und wenn ein Hospiz als Gegenmodell zum technizistischen, isolierten Sterben im Krankenhaus als FAMILIE konzeptualisiert wird – basierend auf dem erstmodernen Leitbild emotionalisierter und solidarischer Beziehungen unter allen Familienmitgliedern – so wirkt diese Metapher selektiv, weil Konflikte, Machtgefälle und Abhängigkeiten (v.a. auf der
79 Der Begriff »toter Winkel« geht auf Brünner zurück (1987: 107). Für eine Analyse der »toten Winkel« bspw. in der RÖHREN-Metapher von Reddy vgl. ebd.: 108 sowie Lakoff/Johnson (2004: 18ff.). Zur RÖHREN-Metapher selbst vgl. Anhang.
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Seite des Patienten) ausgeblendet werden (vgl. Stadelbacher 2014).80 Kurzum: Wenn Metaphern selektiv wirken, sind auch Wirklichkeit und Wahrheit selektiv.81 Damit ist die Frage nach Macht und Herrschaft als Wirkungsdimension von Metaphern gestellt. Lakoff/Johnson machen unseren kulturellen Glauben an Objektivität dafür verantwortlich, dass einzelne Menschen es schaffen, uns ihre Sicht der Wirklichkeit als wahr ›aufzudrängen‹. Sind diese Menschen in entsprechenden Positionen mit der Möglichkeit, unser Leben zu beeinflussen, so stehen sie in einer Machtposition, in der sie »ihre Metapher dieser Kultur überstülpen können, [sie haben] die Definitionsmacht darüber, was wir letztlich als wahr – als absolut und objektiv wahr – zu betrachten haben« (Lakoff/Johnson 2004: 184). Metaphern bilden so ein indirektes und umso effektiveres Ideologie- und Machtmittel: Denn zum einen bedeutet es einen erheblichen Reflexionsaufwand, uns die Metaphern, die »auf leisen Sohlen ins Gehirn« (Lakoff/Wehling 2009) geschlichen sind, nach denen wir unser alltägliches Leben strukturieren und die eng an unser embodiment als metaphorische Basis gebunden sind, bewusst zu machen, da dies u.U. ähnliche Probleme hervorruft, wie das In-Frage-Stellen elementarer Normalität und der natürlichen Einstellung. Schon Luckmann verweist ja auf die Stabilität eigenleiblicher Erfahrung im Gegensatz zum Wissen, das auf bloßem Hörensagen basiert (vgl. Luckmann 2007c: 82) – nach Lakoff/ Johnson trifft das auch auf abstraktes Wissen zu. Zum anderen aktivieren Metaphern systematische Zusammenhänge und übertragen diese quasi-automatisch auf das Ziel-Phänomen. So werden Konzeptualisierungen wie FREMDE SIND FEINDE oder TERROR IST KRIEG subtil und ohne weitere Legitimation zu Wahrheiten mit entsprechenden wirklichkeitskonstitutiven Konsequenzen (vgl. hierzu z.B. Lakoff/Johnson 2004: 179ff. und Lakoffs Analyse zu den Terroranschlägen des ›11. September‹ und ihren Folgen, Lakoff 2001).82 Metaphern wirken wie ei-
80 Genau genommen wird die unhintergehbare Machtasymmetrie, die in einer ›totalen‹ Betreuung und ganzheitlichen Erfassung des Sterbenden steckt, durch die FAMILIENMetapher erst legitimiert. 81 Zum Wahrheitsbegriff bei Lakoff/Johnson vgl. auch (Lakoff/Johnson 1999: 94ff., 104ff., 118ff.). 82 Natürlich sind wir Metaphern nicht hilflos ausgeliefert – »We need not to be slaves operating blindly under the harsh influence of our metaphors. We can learn what our founding metaphors are and how they work.« (Johnson 2008: 51; Herv.d.Verf.) Der Punkt ist aber, Metaphern sind gerade deshalb so wirksam, weil sie als selbstverständliches Wissen nicht reflektiert werden müssen.
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ne »hidden hand« (Lakoff/Johnson 1999: 13f.), die unsere Wahrnehmung lenkt, auf bestimmte Aspekte hinweist und andere verdeckt. Aber über die Frage nach personaler Macht Einzelner aufgrund bestimmter Positionen, die ihnen erlauben, ›ihre‹ Metaphorik durchzusetzen, hinaus, ist aus zeitdiagnostischer sowie gesellschaftstheoretischer Sicht eher die Frage relevant, aufgrund welcher Voraussetzungen sich wie, wo und mit welchen Konsequenzen welche Metaphern als gesellschaftliche Wahrheiten durchsetzen. Der diskursive Hintergrund ist es, der Sprecherpositionen generiert, der Metaphern als kulturelle Strömungen befördert und andere verhindert. Damit ist die Verbindung der Metaphernanalyse Lakoff/Johnsonscher Prägung mit einer an Michel Foucault (1978, 2005) orientierten diskurs-, besser: dispositivanalytischen Perspektive nahegelegt.83 Mittels multimethodischer Metaphernanalyse, die neben Textkorpora auch materiale, architektonische, institutionelle Objektivationen sowie Verhaltensweisen (z.B. ethnographisch) in den Blick nimmt und die sensibel ist für machtvolle Verbindungen und Wirkungen metaphorischer Realisierungen, kann die »Rekonstruktion der gesellschaftlichen Ordnung« auf der Basis metaphorischer Konzeptualisierung von Wirklichkeit in unterschiedlichen Bereichen als »relationale Machtanalyse« betrieben werden (vgl. Schneider 2012: 440; Stadelbacher 2014). 4.3.4 Resümee: Zum Zusammenhang von Körper, Wissen und Interaktion – Wissen durch den Körper In diesem Kapitel 4.3. wird die Tragweite unserer Körperlichkeit für die Wirklichkeit als ›embodied realism‹ deutlich.84 Mit dem Ziel der Überwindung der
83 Die Dispositivanalyse geht über eine reine Diskursanalyse hinaus, indem sie Wirklichkeit als Komplex von diskursiven Aussageregeln und -praktiken, Subjektivationen (Subjektpositionen und Subjektivierungsweisen) sowie materiale Vergegenständlichungen betrachtet, die jeweils und vor allem im Zusammenspiel machtvolle Wirkung haben, indem sie Wahrheit(en) produzieren – mit intendierten und nicht-intendierten (Neben-)Folgen (vgl. Bührmann/Schneider 2008). 84 Der Genauigkeit halber verweise ich nochmals auf meine breitere Interpretation des ›embodied realism‹-Ansatzes bei Lakoff/Johnson, der nicht nur die neuronale Verankerung, sondern auch die lebensweltliche und leibliche Dimension erfahrungsbasierter Metaphern in den Blick nimmt (vgl. Fn 36 in Kapitel 4.2.2).
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klassischen Dichotomie zwischen Objektivismus und Subjektivismus85 lehnen Lakoff/Johnson mit ihrem erfahrungszentrierten Ansatz die Annahme absoluten Wissens bzw. absoluter Wahrheit genauso ab, wie de- oder radikalkonstruktivistische Theorien einer völligen Konstruiertheit (und damit Beliebigkeit) unserer Wirklichkeit. Stattdessen verbinden sie objektivistische und subjektivistische Elemente dialektisch miteinander und gehen von einem embodied realism, einer unhintergehbaren Verschränktheit von Körper und Wirklichkeit aus.86 Diese zeigt sich in mehrfacher Hinsicht. (1) Zum einen ist der primäre Weltzugang pragmatisch: durch leibliches Wahrnehmen und Wirken – begründet auf unserer biophysischen Ausstattung – erfahren wir unsere Umgebung (etymologisch gesehen) im wahrsten Sinne des Wortes, haben wahrnehmend und handelnd Zugang zu ihr. Die Welt ist uns durch unseren Körper zunächst präreflexiv gegeben (vgl. Schützsche Grundelemente als Erfahrungskern bzw. -grundstruktur). Im Zuge des Inter-Agierens in einer sozio-kulturellen Umgebung differenzieren sich sowohl die Bezüge zum eigenen Körper als auch zur sozialen, kulturellen und materialen Umwelt weiter aus und werden zu komplexen Erfahrungsgestalten. (2) Im Zuge unseres leiblichen und sozial-interaktiven In-der-Welt-Seins entstehen dann Metaphern als Grundlage unseres Denkens. Diese erzeugen und strukturieren die kognitive und affektive Wahrnehmungsdimension der Wirklichkeit. Metaphern selbst sind wiederum auf drei Arten verkörpert: Erstens ist deren Quelle die alltägliche Interaktionserfahrung als ›embodied functioning‹, basierend auf der biophysischen Sensomotorik als grundlegendes Orientierungs- und Strukturierungssystem des Menschen (vgl. pragmatischer Weltzugang). Zweitens ergeben sich zahlreiche Metaphern empirisch aus der leiblich vermittelten Korrelation verschiedenartiger Erfahrungen (von denen manche als etablierte Metapher angesprochen werden, andere bloße Erfahrung bleiben; Koinzidenz
85 Als Subjektivismus bezeichnen Lakoff/Johnson »radical relativism and social constructionism« (Lakoff/Johnson 1999: 25). Damit ist aber nicht der Sozialkonstruktivismus in der Tradition Berger/Luckmanns gemeint, da sie mit diesen mehr Ähnlichkeiten als Differenzen aufweisen. Zur Auseinandersetzung mit Objektivismus und Subjektivismus vgl. u.a. (ebd.: 88ff., 118ff., 2004: 212ff.). 86 »Embodied realism, as we understand it, is the view that the locus of experience, meaning, and thought is the ongoing series of embodied organism-environment interactions that constitute our understanding of the world. According to such a view, there is no ultimate separation of mind and body, and we are always ›in touch‹ with our world through our embodied acts and experiences.« (Johnson/Lakoff 2002: 249; Herv.S.S.)
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von pragmatischen und wertenden/deutenden, i.e. ›subjektiven‹ Wissenselementen). Und drittens bilden diese Korrelationen auf neuronaler Ebene eine anatomische Vernetzung, sind also in unserem Gehirn tief verankert und in diesem Sinne ver-körpert. Damit sind Metaphern nicht nur in der Entstehung, sondern auch in der Wirkung körperverbunden. Sowohl in der Phylo- als auch in der Ontogenese bleibt der leiblich-vermittelte Erfahrungszusammenhang bestehen, Konzepte werden keine abstrakten Modelle des Denkens und Wahrnehmens, sondern bleiben embodied – in allen damit verbundenen Dimensionen. »Konzeptuelle Metaphern sorgen durch die Rückbindung des abstrakt-begrifflichen Denkens an die sinnliche Anschauung für die körperlich-biophysische [und leibliche; Anm. S.S.] Fundierung der Kognition« (Jäkel 2003a: 41). Vor dem Hintergrund ihrer präreflexiven Verankerung in der natürlichen Einstellung (auch des wissensvermittelnden Sozialisanten) lernen wir Metaphern im Sinne einer konzeptionellen Quell-Ziel-Verbindung – also als Deutungswissen – auch nicht im klassischen Sinn, was Reflexion und rekonstruktive Interpretation voraussetzen würde, sondern wir verstehen und adaptieren diese auf einer Metaebene, die jeder Reflexion vorgängig und an das subjektive Erleben gebunden ist und bleibt. Auf der formal-sprachlichen Bezeichnungsebene kann man zwar wiederum vom Erlernen von Metaphern sprechen, der Punkt ist jedoch, dass die konzeptuelle Dimension der spezifischen Quell-Ziel-Verbindung i.d.R. ›unthematisiert‹ bleibt. Hier ist auch noch einmal explizit auf die grundlegend unterschiedliche Konzeption abstrakt-symbolischen Wissens bei Lakoff/Johnson und bei Schütz/Luckmann bzw. Berger/Luckmann hinzuweisen. Metaphorisches Denken und damit auch metaphorische Sprache sind auf der Begriffs- und Bedeutungsebene eben gerade nicht vom leiblichen Erfahrungszusammenhang (wenn auch anderer Art, z.B. bei nicht-emergenten Metaphern) abstrahiert, sondern im wahrsten Sinne des Wortes embodied. Die körperrelationale Dimension von Wissen, die mit der Theorie kognitiver Metaphorik rekonstruiert werden kann, ist als Wissen durch den Körper zu bezeichnen. Der Körper fungiert dabei nicht als Gegenstand abstrakt-theoretischen Wissens (Wissen über den Körper), als Speicher praktischen Wissens (im Sinne eines knowing how; Wissen des Körpers) und auch nicht als Ausdruck von Wissen (Wissen am Körper), sondern ist Quelle konzeptuellen Wissens und in dem Sinn Grundlage abstrakt-theoretischen und evaluativ-normativen Wissens. Genau genommen liegt hier eine Doppelheit von Körperwissen vor: Erfahrungswissen als Wissen des Körpers ist Quelle für ein Wissen durch den Körper, indem Wissenselemente der ersten Dimension in eine jeweils strukturell andere Sinndimension übertragen werden. Anders: Das phänomenologisch-praktische Erfah-
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rungswissen dient der Konzeptualisierung abstrakten Deutungswissens. Als solches ist Wissen durch den Körper wirklichkeitskonstitutiv. (3) Damit ist benannt, dass Metaphern nicht nur auf phänomenologischem In-der-Welt-Sein basieren, sondern dieses auch gestalten. Weil wir mit dem Wissen durch den Körper auf alltägliche eigene Erfahrungen zurückgreifen, erhalten Metaphern für uns den Status einer unhinterfragbaren Wahrheit: Aus etwas Wahrgenommenem (dem erfahrungsbasierten Quellbereich) wird etwas Fürwahr-Genommenes (das metaphorisch erschlossene Phänomen). Dabei strukturieren Metaphern nicht nur unser Denken und Wahrnehmen, sondern auch und vor allem unsere Handlungen, Werte und soziale Ordnung. Indem Metaphern sowohl in ihrer Genese als auch ihrer Wirkweise grundlegend an den Körper und die mit ihm bzw. durch ihn gemachten Erfahrungen gebunden sind, beruht Gesellschaft in entscheidendem und umfassendem Maße auf den subjektrelationalen Erfahrungen leibkörperlicher Akteure. Eine solche ›verkörperte Wirklichkeit‹ ist eine anthropologische Tatsache mit universeller Prägung. Abstrakta metaphorisch zu konzeptualisieren, ist eine Fähigkeit und Notwendigkeit des Menschen zugleich – wir können gar nicht anders, als in Metaphern zu denken. So ist zu erklären, dass sich in jeder Kultur ein umfangreicher Korpus an körperbasierten Konzepten findet. Die erste Grundlage metapherngenerierender Erfahrungen sind basale Erfahrungen, die als anthropologische Kollektiverfahrung bezeichnet werden können: jeder Mensch erlebt seinen Körper als Grenze zur Umwelt und sich selbst als aktives Subjekt (vgl. Plessner), jeder orientiert sich in Raum und Zeit und interagiert mit Personen und Objekten in der Umgebung (vgl. Sozialität als Anthropologicum). Ob seiner körperlichen Basis ist unser Konzeptsystem demnach alles andere als willkürlich: »...the system of conceptual metaphors is not arbitrary or just historically contingent, rather it is shaped to a significant extent by the common nature of our bodies and the shared ways that we all function in the everyday world« (Lakoff/Johnson 2003: 245).
Über die basale Fundierung (potenziell) metapherngenerierender Erfahrungen hinaus sind diese auch ein sozio-kulturelles Produkt, denn Erfahrungen und Metaphern sind immer schon in eine vorgedeutete, sozio-kulturelle Welt eingebunden, in der Sozialität bzw. Kultur für die konkrete Ausgestaltung des Konzeptsystems eine wichtige Rolle spielen. Sie finden nie im vorsozialen Raum statt und sind zum Großteil Interaktionserfahrung:
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»Sowohl direkt emergente Konzepte [...] als auch Metaphern [...] haben ihren Ursprung darin, daß wir mit unserer physischen und kulturellen Umgebung in permanenter Interaktion stehen. [...] Unsere Art von Konzeptsystem ist gewissermaßen ein Produkt aus unserem Menschsein und unseren spezifischen Interaktionen mit der physischen und kulturellen Umgebung.« (Lakoff/Johnson 2004: 139; Herv.S.S.)
Indem der embodied realism immer gesellschaftlich verortet ist sowie zur Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit beiträgt, hat er immer schon auch eine kulturelle und eine soziale Dimension. Die wissenssoziologische Relevanz kognitiver Metaphern Zusammengefasst zeigt sich, dass kognitive Metaphern soziologisch relevante Konzepte sind: Sie strukturieren unser Denken, unsere Wahrnehmung, unsere Sprache und damit soziale Interaktion in ganz entscheidendem Maße. Sie erzeugen Sinn und definieren ›Wahrheit‹. In ihrer Form sind Metaphern subjektrelationales und gleichzeitig gesellschaftlich vermitteltes und dadurch kollektiv geteiltes bzw. teilbares Wissen. In diesem Sinne können sie in der wissenssoziologischen Terminologie als Element des gesellschaftlichen Wissensvorrates bezeichnet werden. Und vor dem Hintergrund der somatozentrischen Fundierung unseres abstrakt-konzeptuellen Denkens und der Tatsache, dass Metaphern unsere Wirklichkeit (mit)konstituieren, kann man in umfänglichem Sinn deshalb von der körperlichen Konstruktion des Sozialen sprechen. Damit ist Wirklichkeit nicht nur, oder gar primär ein soziales Konstrukt, sondern fundamental an unsere Körperlichkeit gebunden. Körper und Gesellschaft bedingen sich wechselseitig. Wirklichkeit ist dann das Ergebnis intersubjektiven Wirkens, bei dem der Körper eine strukturierende und generierende Rolle spielt: »What we understand the world to be like is determined by many things: our sensory organs, our ability to move and to manipulate objects, the detailed structure or our brain, our culture, and our interactions in our environment, at the very least. What we take to be true in a situation depends on our embodied understanding of the situation, which is in turn shaped by all these factors. Truth for us, any truth that we can have access to, depends on such embodied understanding.« (Lakoff/Johnson 1999: 102)
Insofern sind Lakoff/Johnson mit ihrem Experientialismus als ›gemäßigte Konstruktivisten‹ zu bezeichnen, die sich der Konstruktivismus-Version der Berger/Luckmannschen Tradition anschließen: Der Körper bildet die biologische Grenze – oder positiv formuliert: den Möglichkeitsraum gesellschaftlicher Konstruktion bei gleichzeitiger sozio-kultureller Prägung der spezifischen Ausfor-
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mungen und Umgangsweisen mit dem Körper (vgl. Kapitel 3.2). Gezeigt werden konnte aber auch, dass sie dem Körper eine weitaus grundlegendere Rolle für Kultur und Sozialität zuweisen als bisher in der Wissenssoziologie (oder Soziologie generell) üblich.
4.4 G EMEINSAME E RFAHRUNGSSTRUKTUR ALS B EDINGUNG UND M ÖGLICHKEIT WECHSELSEITIGER V ERSTÄNDIGUNG Wie Metaphern als gesellschaftliches Wissen entstehen, welche Rolle der Körper dabei spielt und welche Bedeutung dieses erfahrungsbasierte Wissen für die Konstruktion von Wirklichkeit hat, wurde in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt. Analog zur Darstellung unter Kapitel 3.4 soll nun der zweiten Teilfrage dieser Arbeit nachgegangen werden, nämlich welche Rolle körperbasierte Metaphern in der alltäglichen Interaktion spielen, wie also soziale Verständigung mit der Theorie von Lakoff/Johnson erklärt werden kann. Wie eingangs angemerkt, ist dieses kein zentrales Thema der Autoren. Demnach basieren die folgenden Abschnitte zum Teil wieder auf eigenen Ausführungen im Anschluss an die Theorie kognitiver Metaphorik.87 4.4.1 Ubiquität von Metaphern Um sich der Frage nach Verständigung auf der Basis von Metaphern und damit der Bedeutung des Körpers zu nähern, muss man sich die verschiedenen Dimensionen vergegenwärtigen, auf denen Metaphern in Interaktionen wirken (vgl. hierzu v.a. Lakoff/Johnson 2004: 147ff.). Metaphorisches Sprechen Eine Dimension ist die sprachliche Kommunikation. Auf lexikalischsemantischer Ebene sind Substantive und Verben Ausdruck metaphorischen Denkens (sog. Wortmetaphern oder Lexeme). Als besondere Form metaphorischer Realisierung auf lexikalischer Ebene sind die Modalverben zu nennen. Eve Sweetser zeigt auf, inwiefern sich das Erfahren von Krafteinwirkung auf unseren Körper auf semantischer Ebene in den Modalverben ›können‹, ›müssen‹, ›dür-
87 Hierbei beziehe ich mich unweigerlich z.T. auf bisher Erläutertes, jedoch nun unter dem Aspekt der Kommunikation.
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fen‹ metaphorisch niederschlägt (Sweetser 1990). Die Modalverben werden einmal im konkreten Kontext verwendet, also etwa im Rahmen der sensomotorisch vermittelten lebensweltlichen Erfahrung. Hier bezeichnet ›können‹ in einem ursprünglichen bzw. konkreten Sinn (»root sense«, ebd.: 49) eine Möglichkeit zu handeln, weil wir die Fähigkeiten dazu haben. ›Dürfen‹ bezeichnet dann eine Möglichkeit zu handeln, weil es keine Verhinderung oder Barrieren gibt. Und ›müssen‹ bezeichnet den Zwang, etwas zu tun. Wir erlernen die Bedeutung der Modalverben also im direkten, sprachlich begleiteten Erfahrungskontext von Macht/Zwang/Kraft. Die Gestalt der Modalverben (also Erfahrung mit Kraft/Macht und deren sprachliche Bezeichnung) wird dann übertragen auf den abstrakten Bereich, genauer: auf abstraktes Denken, Argumentieren etc. – die Modalverben erhalten einen »epistemischen Sinn« (ebd.). So können wir unsere Arbeit nicht machen, weil uns das schöne Wetter daran hindert. Wir müssen gehen, weil uns der nächste Termin dazu zwingt. Der frisch getraute Ehemann darf die Braut jetzt küssen, weil die Macht, die beide vorher davon (theoretisch) abhielt, mit der Hochzeit beseitigt ist. Zum Verstehen des epistemischen Sinns wird jeweils die zugrundliegende Erfahrung von Gewalt/Zwang aktiviert »as involving forces and barriers analogous to those involved in ›real-world‹ physical and social interactions« (ebd.: 74). Ein zentraler Zielbereich, der mit Modalverben metaphorisch konzeptualisiert wird, ist der Bereich sozialer Macht in Form (abstrakter) sozialer Normen (NORMEN SIND KRAFT). Normen verstehen wir als Kraft/Macht, der wir als Gesellschaftsmitglieder in mehr oder weniger rigider Form ausgesetzt sind, soll ein Zusammenleben funktionieren – sie wirken ähnlich wie direkte Kräfte, die uns zu Handlungen veranlassen oder sie verhindern: »our reason for applying the same modal verbs to the real world and to the epistemic world is that we view the epistemic world as having a force-dynamic structure parallel to that of the real world« (ebd.: 69).
Die bisher im Vordergrund stehende semantische Bedeutung sprachlicher Metaphern ist nur ein Aspekt. Auch syntaktische und phonetische Elemente der Kommunikation gründen auf Metaphern und damit indirekt auf körperlicher Erfahrung. Da Sprechen mit dem Faktor Zeit korreliert und wir wiederum Zeit als Raum verstehen, konzeptualisieren wir analog dazu auch Sprache als Raum (SPRACHE IST RAUM). Davon ausgehend projizieren wir Elemente des Raum-Konzepts auf Sätze. Auf dieser Basis ergibt die Korrelation von Raumerfahrung und Erfahrung mit für uns wichtigen Personen bspw. die primäre Metapher NÄHE IST EINFLUSS. Auf syntaktischer Ebene finden wir diese Metapher in der Satzstellung wieder: je
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näher zwei Worte/Wortteile zusammenstehen, desto stärker ist deren Bezug zueinander. So hat z.B. das Negationswort in »Er ist nicht glücklich« eine schwächere Bedeutung als das Negationsaffix in »Er ist unglücklich«. Ein weiteres Beispiel ist »Ich habe ein Buch für ihn gekauft« vs. »Ich habe ihm ein Buch gekauft«. Auf wortsemantischer Ebene entsprechen dieser Metapher Aussagen wie »Diese Männer stehen der Kanzlerin am nächsten.« Aus der GEFÄSS-Metapher wiederum stammt bspw. MEHR FORM IST MEHR INHALT, wobei mit Form der ›Raum‹ gemeint ist. Diese spiegelt sich in Reduplikationen wider: »Er rannte und rannte und rannte.«; »Er ist sehr, sehr groß.« Basierend auf der Erfahrung mit (Inhalte fassenden) Gefäßen wird hier Bedeutung auf der formalen Ebene der Sprache transportiert. Den gleichen Effekt hat diese Metapher auf phonetischer Ebene durch die Dehnung eines Vokals (»Er ist sooo groß«) oder die Variation der Lautstärke einzelner Worte (»Ich habe es schon IMMER gesagt«). Je mehr ›Raum‹ ein Wort, Satz oder Satzteil einnimmt, desto mehr wird dessen inhaltliche Bedeutung hervorgehoben. Auch die Phonetik von Frage- oder Aussagesätzen ist überzufällig. Die steigende bzw. fallende Intonation ist kohärent mit der Metapher UNBEKANNT IST OBEN/BEKANNT IST UNTEN, die sich aus der Erfahrung mit der Erreichbarkeit und damit zusammenhängender ›Erkenntnis‹ ergibt: nur Dinge in unserer Reichweite (›unten‹) können wir im wahrsten Sinne des Wortes begreifen und damit verstehen, wir ›wissen‹ diese Dinge dann (vgl. auch VERSTEHEN IST BEGREIFEN). Sind sie jedoch außerhalb unserer Reichweite (›oben‹), bleiben sie uns unbekannt. Auf dem Sprecher unbekannte Sachverhalte weist demzufolge dessen Intonation hin, die seinen Satz als Frage ausweist.88 All diese Regelmäßigkeiten unserer Sprache (und den meisten anderen Sprachen) sind nicht ausschließlich formal zu erklären oder auf beliebige Konventionen zurückzuführen. Deren Bedeutung wird erst vor dem Hintergrund der entsprechenden Metaphern sinnvoll. Form (NÄHE, RAUM, OBEN) und Bedeutung (EINFLUSS, INHALT, UNBEKANNT) werden also nicht nur auf der semantischen, sondern auch auf der syntaktischen und phonetischen Ebene miteinander verbunden. Metaphorische Gestik Neben der Sprache wirken Metaphern auch in einer weiteren interaktionsrelevanten Dimension: der nonverbalen Kommunikation, genauer der Gestik.
88 Beispiele auf wortsemantischer Ebene wären hier »Fragen aufwerfen«, »Das Verfahren ist in der Schwebe« oder »etwas ad acta legen«.
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Sprachbegleitend dient diese auf eigener Ebene der Verständigung, indem sie zusätzlich auf die Konzeptualisierungen des abstrakten Bedeutungsgehalts abstellt. Gesten entspringen dabei nicht der sprachlichen Metapher, sondern der zugrunde liegenden konzeptuellen Metapher, was sich daran zeigt, dass sie auch unabhängig von der Sprache selbst auftreten können, etwa zeitlich vorgelagert oder auch ohne dass eine verbale Metapher verwendet wird. Damit sind Gesten als »window on the mind« (Goldin-Meadow 2003), als Fenster zu unseren Gedanken und unserer Art zu denken ein weiteres Indiz für die Lebendigkeit von konzeptuellen Metaphern. Gesten sind demnach gleich auf zwei Arten verkörpert: formal als körperliches Protozeichen und inhaltlich als Materialisierung erfahrungsbasierter Metaphorik. Ein Beispiel ist die Wiegebewegung der Hände, wenn es um Entscheidungen o.ä. geht, die auf die Metapher AUSWÄHLEN/ENTSCHEIDEN IST WIEGEN verweist (vgl. auch »abwägen«, »ein (ge)wichtiger Entschluss«). Dabei sind die Hände die ›Waage‹ und die Optionen die jeweiligen ›Gewichte‹. Ein anderes Beispiel: Die Handbewegung von vorne nach hinten über die Schulter im Kontext von Zeit verweist auf die Metapher ZEIT IST EIN BEWEGLICHES OBJEKT, bei dem die Vergangenheit hinter einem liegt. In den Anden wäre dagegen diese Geste ein Hinweis auf Zukunft (vgl. Kapitel 4.3.2). Im Kontext von zwischenmenschlichen Beziehungen kann die beschriebene Handbewegung auf die Metapher WISSEN IST SEHEN rekurrieren und ›schon vergessen‹ im Sinne von ›ich sehe es nicht mehr und damit weiß ich es auch nicht mehr‹ meinen. Eine Handbewegung, die eine gerade Linie nach vorne macht, ist Ausdruck der Metapher MORALISCH IST GERADEAUS (vgl. hierzu auch Cienki 1998). Die Geste der geöffneten Hand mit Handfläche nach oben (sog. PUOH-Geste, Palm Up Open Hand; vgl. Müller 2004; Schmidt 2007) ist Teil der RÖHREN-Metapher für Kommunikation. Dabei werden Ideen, Gedanken – kurz: das zu Kommunizierende als Objekte verstanden, Worte sind Behälter für diese Objekte, die Kommunikation ist die Sendung der Objekte in Form von Worten und das Verstehen ist die Entnahme der Objekte aus den Wort-Behältern (sprachliche Ausdrücke sind hier: etwas griffig formulieren, einen Gedanken fassen und austauschen, jmd. etwas an den Kopf werfen, etwas rüberbringen, für eine Idee offen sein).89 In diesem Kontext bedeutet die PUOH-Geste, dass dem Gegenüber gerade ein Gedanke präsentiert wird, er gleichsam auf der Hand liegt und offensichtlich scheint. Für weitere Beispiele empirischer Analysen verschiedener Gesten, die anschaulich die Bedeutung dieser kommunikativen Manifestationen metaphorischen Denkens für soziale Ver-
89 Zur näheren Erläuterung siehe Reddy (1993) und Anhang. Zur Kritik an dieser simplifizierten Vorstellung von Kommunikation und Verständigung vgl. Brünner (1987).
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ständigung zeigen, auch in ihrer kulturellen Variabilität, vgl. z.B. McNeill (1992, 2005, 2006), Sweetser (1998), Cienki (1998), Müller (1998, 2004), Cienki/Müller (2008) und Schmidt (2007).90 Metaphorische Objektivationen In einem weiter gefassten Verständnis wechselseitiger Verständigung spielen natürlich auch die Objektivationen metaphorischen Denkens und Handelns als Bezugspunkte in der Interaktion eine Rolle (vgl. Kapitel 4.3.3). Uhren, Tarifverträge oder Lebensläufe sind manifester Ausdruck von Konzeptualisierungen und gründen in dem Maße auf körperlicher Erfahrung, wie ihre metaphorische Ausgestaltung auf diese rekurriert. Metaphern kommen also in unterschiedlichster Art und Form überall in unserem Alltag vor und sind als solche interaktionsrelevant. Denn gemäß dem Verständnis kognitiver Metaphern sind (linguistische, institutionelle etc.) Manifestationen unmittelbar auf die zugrunde liegenden kognitiven Konzepte rückbeziehbar. Mit anderen Worten: Der Rezipient kann von gestischen und semantischen, aber auch phonetischen und syntaktischen Äußerungen seines Gegenübers sowie von dessen Bezugnahme auf Objektivationen metaphorischer Konzeptualisierung auf dessen Denken schließen. Dieser Prozess des interaktiven Verstehens ist Inhalt des nächsten Abschnitts. 4.4.2 Imagination als Modus des Verstehens Interaktionsinhalte und kommunikative Äußerungen aller Art basieren also zu einem nicht unwesentlichen Teil auf Metaphern. Wie ist mit Lakoff/Johnson gegenseitiges Verstehen als Basis von Verständigung nun zu erklären? Stellen wir uns im Folgenden wieder A und B vor, die interagieren.91 Hierbei liegt der Fokus zunächst auf einer beiden gemeinsamen Basis körperlicher Grunderfahrungen und konventionalisierter Metaphern, d.h. sowohl Primäre als auch komplexe Metaphern sind Elemente des kollektiven Wissensvorrates von A und B.
90 Auch Zeichensprache bedient sich Metaphern. Vgl. Hierzu Farnell (2009), GoldinMeadow (2003) und insbesondere Taub (2010). 91 A und B sind hier wieder zwei typische Vertreter einer sozialen Gruppe (also keine Individuen im psychologischen Sinn!), die entweder Mitglieder einer Gesellschaft sind oder unterschiedlichen Kulturen angehören. Dies wird im Text im Einzelnen expliziert.
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Deren (para-)linguistische und pragmatische Manifestationen werden nun im Kontext jeweils mittels Projektion und Imagination verstanden (vgl. Kapitel 4.3.3). Allgemein gilt: indem die Äußerungen von A die für ihn wirkliche konzeptuelle Metapher indizieren, kann B von diesen Äußerungen, die ja dem Quellbereich der Metapher entspringen, auf die zugehörige Zielkonzeptualisierung schließen. Die Form (Quelle) appräsentiert den Inhalt (Ziel). Dabei werden alle mit dem Quellbereich verbundenen Erfahrungen imaginiert. Das heißt, andere (in der Äußerung nicht direkt angesprochene) kognitive und wahrnehmungsbezogene Komponenten des bildgebenden Erfahrungskonzepts werden automatisch mit appräsentiert. Ein Verstehen des Anderen erfolgt demnach in Form eines monothetischen Erfassens (vgl. Schütz), d.h. die Metapher und damit der Zielbereich wird unter Rückgriff auf eigenes lebensweltliches Erfahrungs- und Hintergrundwissen als ›ein Ganzes‹ verstanden, das im Verstehen nicht ›auseinandergenommen‹ oder reflektiert wird. Bernhard Debatin spricht hier von der »Evokationsfunktion« konzeptueller Metaphern (Debatin 1995: 315). Kognitionswissenschaftlich ausgedrückt: Durch die Realisierungen bildhaften Denkens (egal in welcher Form) von A werden bei B die entsprechenden neuronalen Verknüpfungen als »neuronale Holographie« (ebd.: 251) aktiviert, die sich im Zuge von Primärerfahrungen gebildet haben (das trifft bei der Verwendung von einfachen, primären sowie komplexen Metaphern zu). Um zu erklären, dass B durch die Äußerungen von A veranlasst wird, dessen Wahrnehmungen zu verstehen, wird aus neurologischer Sicht auf die sog. Spiegelneuronen verwiesen, auf die hier kurz eingegangen werden soll. Exkurs Beginn Bei Experimenten mit Schweinsaffen, die ursprünglich dazu dienen sollten, Nervenzellen, die bei eigenen Handlungen feuern, näher zu untersuchen, machten Giacomo Rizzolatti und Vittorio Gallese 1996 die Aufsehen erregende Entdeckung der sog. Spiegelneuronen, also jener Neuronen, die (auch) feuern, wenn ein Anderer eine Handlung durchführt (Gallese/Goldman 1998; Rizzolatti/Craighero 2004). Im Unterschied also zu ›egologischen‹ kanonischen Neuronen, die feuern, wenn man eine Handlung durchführt sowie wenn man einen Gegenstand sieht, mit dem man diese Handlung durchführen könnte (pragmatischmateriale Ausrichtung), sind Spiegelneurone in gewissem Sinne ›sozial‹, d.h. sie feuern, wenn man selbst eine Handlung durchführt bzw. etwas leiblich wahrnimmt (z.B. Ekel) ebenso wenn man sieht, wie ein anderer diese Handlung durchführt bzw. etwas wahrnimmt (intersubjektive Ausrichtung) (vgl. Rizzolatti/Craighero 2004; Lakoff 2003a; Johnson 2007; Rohrer 2005; Bayram/Zaboura 2006; Zaboura 2009; Shapiro 2011; Keysers 2013). Dabei werden mittels neuro-
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naler Vernetzungen die Dimensionen und Qualitäten aktiviert, die bei der eigenen Handlung bzw. Wahrnehmung auch aktiviert würden: sensomotorische, affektuelle, evaluative o.a. (vgl. Rohrer 2005, Bayram/Zaboura 2006) – vorausgesetzt, B verfügt über ein eigenes entsprechendes (neuronal verfestigtes) Erfahrungsrepertoire, kurz: Wissen (vgl. Rissolatti/Craighero 2004: 179; Zaboura 2009: 70).92 Diese Funktionsweise ist insofern für das Verstehen von Metaphern relevant, weil mit Handlungen und Wahrnehmungen auch Sprach- und andere Kommunikationshandlungen gemeint sind. Das heißt, sowohl sprachliche Zeichen als auch körperliche Anzeichen des Gegenübers aktivieren Spiegelneurone (vgl. Keysers 2013: 134ff.; Lakoff 2003a; Rohrer 2005). Und je nachdem, auf welche Erfahrungsdimension die Metapher von A rekurriert, feuern bei B visuomotorische, audio-visuelle und/oder emotionale Spiegelneurone und simulieren so offline pragmatisch-motorische, taktile, emotionale oder viszeralen Zustände (Keysers 2013: 50f., 118ff., 170; Rohrer 2005; Bower/Gallagher 2013: 127f.; Lakoff 2003a: 72ff.; Zaboura 2009): »Mirror-neuron phenomena suggest that understanding is a form of simulation.« (Johnson 2007: 161; Herv.i.O.) Und indem Simulation über bloße Wahrnehmung hinaus geht, immer schon mehr ist als ein Registrieren, ist das Verstehen des Anderen mit Blick auf Spiegelneurone vielmehr als Bewegtsein oder Betroffensein zu betrachten.93 Damit sind Spiegelneurone sozial relevant, denn sie stellen durch Simulation des Erlebens, Wahrnehmens oder Handelns des Gegenübers Intersubjektivität ›direkt‹ her (vgl. Zaboura 2009). Spiegelneurone und die damit abbildbare simultane und automatische Aktivierung eigener Erfahrungen in der sozialen Interaktion beschreiben die vorbewusste Ausrichtung auf Intersubjektivität, wie sie bspw. in der Leibphänomenologie Merleau-Pontys, in der Sozialtheorie von Mead, aber auch in der phänomenologisch begründeten Wissenssoziologie nach Schütz, Berger und Luckmann bedeutsam ist. Spiegelneurone erklären Intersubjektivität zwar nicht alleine, aber sie bilden eine wichtige Voraussetzung, gleichsam die »somatische Grundlage für den […] Intersubjektivitätsbegriff« (ebd.: 119; Herv.S.S.).
92 Nur die Handlungen, die man kennt und selbst ausführen könnte, aktivieren Spiegelneurone, nur dann findet Resonanz statt, ansonsten bleibt es bei einer rein visuellen Wahrnehmung. Dabei ist es allerdings ausreichend, wenn die beobachtete Handlung typischerweise einer bekannten Handlung ähnlich ist, es geht also um prototypische Handlungserfahrung (gleiches gilt für Wahrnehmungserfahrungen). 93 Damit es nicht zur Auslösung entsprechender Bewegungen oder ähnlichem, also zum Vollzug der simulierten Wahrnehmungen kommt, wirkt ein neuronaler Sperrmechanismus, der »die Feuerungsenergie nicht über einen kritischen Schwellenwert« hinaus steigen lässt (vgl. hierzu Zaboura 2009: 66ff.).
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Damit können Spiegelneurone als ein Baustein der Erklärung für die Reziprozität der Perspektiven (Schütz) und identitätsrelevante Spiegelungsprozesse (Cooley, Mead) betrachtet werden – Spiegelneurone als »somatogene […], physiologische Basis bzw. als kein Bewusstsein voraussetzender somatischer Sozialitätsrahmen [auch; Anm. S.S.] für höhere geistige Funktionen« (ebd.: 135; Herv.S.S.) sowie als somatischer Verständigungsrahmen. Spiegelneurone adressieren auf neuronaler Ebene die intersubjektive Perspektivenübernahme, die Voraussetzung dafür ist, den Anderen zu verstehen, und zwar auf spontane, intuitive Weise.94 Exkurs Ende Die bereits beschriebene Systemhaftigkeit von konzeptuellen Metaphern ermöglicht es B nun, nicht nur die aktuelle Aussage von A zu verstehen, sondern dessen Verständnis des abstrakten Zielbereichs auf einer komplexeren Ebene, d.h. die ganze dahinter stehende Denk- und Wahrnehmungsweise nachzuvollziehen. Wenn A bspw. von einem ›steinigen Weg‹ spricht, appräsentiert B automatisch damit verbundene Hindernisse, Unwägbarkeiten und Mühsal, vielleicht auch Frustration o.ä. – kurzum: die ›cogitationes‹ (Schütz 1971e: 368), die mit der Metapher von A gekoppelt sind. Dieses konzeptuelle Erfassen des Anderen ermöglicht es B schließlich auch, für ihn neue bzw. unbekannte Ausdrücke oder Gesten einer von beiden prinzipiell geteilten konzeptuellen Metapher trotzdem ohne kognitive Anstrengung zu verstehen. Ein Beispiel wäre die Aussage »Ich
94 Zur Einordnung der Relevanz von Spiegelneuronen soll noch einmal verdeutlicht werden, dass mit Spiegelneuronen nicht Verstehens- und Verständigungsprozesse abgelöst werden sollen bzw. Spiegelneurone an sich oder für sich kein Verstehen des anderen ermöglichen, dafür ist gesellschaftliches Wissen (Erfahrungs-/Deutungswissen) erforderlich, ob es nun reflexiv oder präreflexiv zur Anwendung kommt. Jedoch sind Spiegelneurone (als somatische Elemente) konstitutiv in Verstehens- und Verständigungsprozesse eingebunden: »Während der automatischen Spiegelung findet keine direkte Bedeutungs- bzw. Inhaltsübertragung statt, sondern schlicht ein offline verlaufendes Miterleben.« (Zaboura 2009: 117). Verstehen ist »kein somatisches Nachvollziehen«, aber »der Miteinbezug des Körpers [ist] entscheidend für die Fähigkeit [...], geistreich zu agieren« (ebd.). Spiegelneurone alleine ermöglichen kein sinnhaftes Verstehen des Anderen, wohl aber ein leibliches ›Sich-auf-den-AnderenEinstellen‹ durch Simulation von eingeleibtem Erfahrungswissen und tragen damit zur Aufhebung der Körper-Geist-/Leib-Seele-Dichotomie bei. Zur Kritik an der tendenziell aufkommenden »Neuromythologie« vgl. Hasler (2012).
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habe mir durch diesen Weg zwar aufgeschürfte Knie geholt, aber ich bin trotzdem weitergegangen«, um eine falsche Entscheidung im Leben zu beschreiben. Entscheidend ist, dass B Aussagen wie »Die Preise steigen« (MEHR IST OBEN), »Wir haben eine enge Beziehung« und »Du bist mir gerade zu nahe getreten« (jeweils INTIMITÄT IST NÄHE) oder bestimmte Gesten und andere Objektivationen nicht deshalb versteht, weil er diese im Zuge seiner Sprach-/ Kommunikationssozialisation erlernt hat, sondern weil sie auf einer präreflexiven Metaebene die eigenen körperlichen Erfahrungen ansprechen. »People understand metaphors by creating an imaginative simulation of their bodies in action that mimics the events alluded to by the metaphor.« (Gibbs/Matlock 2008: 162)
Und nimmt man Lakoff/Johnson ernst, so verstehen wir auch die Frageintonation, Betonungen oder Reduplikationen intuitiv auf der Basis eigener Erfahrungen und übernehmen diese Sprachregeln nicht einfach nur mit dem mimetischen Spracherwerb. Gerade weil also weder metaphorische Protozeichen noch Zeichen vom körperlichen Erfahrungszusammenhang abstrahiert werden, sondern im Verstehen implizites Erfahrungswissen evozieren und damit in ihrer Bedeutung an das subjektrelationale Erleben des Einzelnen gebunden bleiben, sind sie intuitiv verstehbar und Basis präreflexiver, körperlich vermittelter sozialer Verständigung, denn in der Folge bauen auch die konkreten Handlungen von B sowie die Reaktionen von A etc. – kurz: das Verständigungshandeln – auf diesen kognitivverkörperten Mustern auf. Metaphern können somit als »genuine Verständigungsform« bezeichnet werden (vgl. Debatin 1995: 312-323). Aus Sicht der Theorie kognitiver Metaphorik ist es deshalb zu kurzgriffig, Sprache als »transsubjektiv« zu bezeichnen, weil »das, was geteilt wird, nicht die [subjektiven] Erfahrungen sind, sondern die [objektiven; Anm. S.S.] sprachlichen Symbole« (Knoblauch et al. 2003: 26; Herv.S.S.). Auf der Zeichen- oder Symbolebene stimmt das. Aber das Entscheidende für die Frage nach sprachlicher Verständigung und der Rolle des Körpers dabei ist doch, dass Sprache auf der semantischen Bedeutungs- und kognitiven Verständnisebene immer auch subjektiv ist. Verstehen und Verständigung sind eben gerade dadurch möglich, dass beim Sprachverstehen auf typische (und damit prinzipiell intersubjektiv geteilte und kategorial ähnliche) subjektrelationale und körperbezogene Erfahrungen rekurriert werden kann – Sprache bzw. sprachlich-zeichenhafte Kommunikation ist damit ebenso körperverbunden wie körperlich-anzeichenhafte Kommunikation. Und damit ist der Körper nicht nur Basis unmittelbaren wechselseitigen Verstehens in direkter Interaktion, bei der sich die Individuen »sehen, hö-
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ren, berühren, riechen« können (Luckmann 2002d: 162), sondern er ist auch bei mittelbarer, indirekter Interaktion relevant, nämlich indem er als Medium und Speicher konkreter Erfahrungen und Quelle metaphorischer Konzeptualisierungen das Fundament zum Verständnis metaphorischer Aussagen unterschiedlicher Art bildet. 4.4.3 Exkurs: Verständigung auf leiblich-spürender Ebene? Vor dem Hintergrund des eben Erläuterten und im Anschluss an die Ausführungen zu Spiegelneuronen ist zu fragen, ob und inwiefern neuere leibphänomenologische Ansätze anschlussfähig für die Theorie kognitiver Metaphorik wären. Wie mehrfach erwähnt, legen Lakoff/Johnson den Fokus auf die kognitive Funktion von Metaphern: In der Interaktion kann A durch Imagination und Projektion die kognitive Wirklichkeitsauffassung von B erschließen. Aber wie ebenfalls erwähnt, lässt es die Theorie auch zu, Konzeptualisierungen in ihrem Gehalt qualitativer Wahrnehmung zu verstehen. Geht man davon aus, dass alle Erlebniskomponenten des Quellkonzepts auf das Zielkonzept übertragen werden, so findet Verständigung nicht nur auf kognitiver, sondern auch auf leiblichaffektiver Ebene statt (sofern diese Wahrnehmungsebene Teil des Quellkonzepts ist). Denn werden in der konkreten Interaktion zwischen A und B entsprechende Schemata angesprochen (bspw. durch sprachliche oder gestische Äußerungen), so ist es gemäß des Invarianzprinzips durchaus plausibel, dass die impliziten Emotionen beim jeweils Anderen appräsentiert werden. Damit würde auch leiblich-spürendes Erleben beim Rezipienten aktiviert – je nachdem, aus welchen Elementen sich die Metapher zusammensetzt.95 Als ein möglicher Anschluss an diese Deutung der Theorie von Lakoff/ Johnson wäre hier die Leibphänomenologie von HERMANN SCHMITZ (*1928) denkbar (vgl. im Folgenden Schmitz 1994, 1998, 2003 sowie die Darstellung in Gugutzer 2002, 2012). Schmitz fasst den Leib bzw. Leiblichkeit anders als es bisher durch den Rekurs auf Husserl und Merleau-Ponty im Vordergrund stand. Schmitz setzt sich im Gegensatz zu anderen Phänomenologen primär mit dem leiblichen Spüren auseinander. Der Leib ist bei ihm spürende Ich-UmweltBeziehung und nicht (primär) sehende und tastende Sinneswahrnehmung wie
95 Anzumerken ist hier, dass Lakoff/Johnson selbst zu diesem Aspekt keine klare Aussage machen (vgl. Fn 72 in Kapitel 4.3.3). Aber nimmt man das Invarianzprinzip als typische Wirkweise von (konzeptuellen) Metaphern in vollem Umfang an, legt das die Schlussfolgerung einer Übertragung auch auf leiblicher Ebene nahe.
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etwa bei Merleau-Ponty.96 Leibliche Regung ist ein Zustand von Engung und Weitung, der sich im Spüren von Angst, Schmerz, Beklommenheit, Erleichterung etc. äußert. »Die Polarität von Enge und Weite liefert das Bauprinzip einer Dynamik, die mit wenigen Ergänzungen zu einem übersichtlichen Kategoriensystem eine durchdringende Analyse und Rekonstruktion aller leiblichen Regungen gestattet, wobei ich als leibliche Regung [...] alles verstehe, was jemand von sich, als zu einem eigenen Zustand gehörend, in der Gegend [...] seines eigenen sicht- und tastbaren Körpers spüren kann, ohne sich auf das Zeugnis der fünf Sinne [...] und des perzeptiven Körperschemas [...] zu stützen.« (Schmitz 2003: 25)
Leibsein ist »affektives Betroffensein« in einer je bestimmten Atmosphäre (ebd.: 25, 44ff.). In sozialen Situationen wie dem Gespräch, kommt es nun zur wechselseitigen Einleibung, gleichsam zur ›Verschmelzung‹ i.S. des vorbewussten Erkennens bzw. der »spontanen Gewissheit« (ebd.: 40) des Anderen als Partner. In der sozialen Interaktion, in der »der sonst immanent leibliche Dialog [zwischen Enge und Weite; Anm. S.S.] gleichsam herausgekehrt und an den Partner [...] verteilt ist, bildet sich ad hoc so etwas wie ein übergreifender Leib, in dem die Rolle der Enge, die zugleich Quelle des den Leib durchziehenden und ordnenden Richtungsgefüges ist, jeweils von einem der Partner übernommen wird; das ist Einleibung.« (Schmitz, zit. nach Gugutzer 2002: 106; Herv.i.O.)
Durch visuelle, taktile oder akustische Wahrnehmung des Anderen (i.e. leibliche Kommunikation) kommt eine »Du-Evidenz« als Bedingung von Intersubjektivität zustande (vgl. Schmitz 1994: 123ff., 2003: 39ff.). Die Einleibung bzw. leibliche Kommunikation im Gespräch macht dieses »offen für gemeinsame Situationen, die sich in der Begegnung bilden« (Schmitz 2003: 144), und zwar ohne eine reflexive Zuwendung zum Anderen. Verstehen ist somit ein intuitiver Vorgang. Erweitert man nun die rein sinnliche Wahrnehmung des Anderen um die Ebene des Kommunikationsinhalts – oder m.a.W.: wendet man Schmitz’ Theorie auf die Theorie kognitiver Metaphorik an – hieße das, dass A durch Einleibung affektiv nachempfinden könnte, wie B ein bestimmtes Phänomen wahrnimmt, welche Emotionen (i.e. welchen leiblich-affektiven Zustand) er damit
96 Vgl. zur Abgrenzung zur Phänomenologie der Wahrnehmung von Merleau-Ponty u.a. Schmitz (2003: 282ff.); Gugutzer (2002: 76/Fn 21, 88ff.).
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verbindet. Beispiele wären die bereits angedeutete Ohnmacht/Passivität bei der Metapher LEBEN IST EIN FLUSS oder auch Aggression bei der Metapher ARGUMENTIEREN IST KRIEG. Hier gehören auch Emotionen wie Sieg oder Niederlage, Demütigung oder Macht zur Primärmetaphorik und damit zur Konzeptualisierung und Wahrnehmung des Argumentierens. In der Schmitzschen Terminologie sind A und B in einem Zustand leiblicher Regung – irgendwo auf dem Kontinuum von Enge und Weite. Und indem Metaphern sich nicht nur in sprachlichen Zeichen ausdrücken, sondern ebenfalls in der phänomenologischen Dimension der Körperwahrnehmung und des entsprechenden körperlichen Ausdrucks von A, kann B neben sprachlich vermittelter Erfassung auch über die entstehende Atmosphäre in raum-zeitlicher Koexistenz mit A dessen Wahrnehmung auf leiblich-affektive Weise nachempfinden, die Situation geht ihm »spürbar nahe« (Gugutzer 2012: 80). Das Nachempfinden oder besser: Mitempfinden der leiblich-affektiven Regung von A findet auf der leiblich-affektiven Wahrnehmungsebene von B statt. Für intersubjektive Verständigung wäre daraus zu schließen, dass das reaktive Handeln von B auf dem so erzeugten »affektiven Betroffensein« aufbaut. Denn, »dass ein durch die leibliche Kommunikation spontan zu Stande gekommener gemeinsamer, überindividueller Leib Auswirkungen auf [...] den Fortgang einer Interaktion hat, scheint nahe liegend. Die soziale Relevanz einer leiblichen Kommunikation besteht somit darin, dass die Interaktionspartner das, was sie vom anderen am eigenen Leib spüren, auf irgendeine Weise in ihr Handeln aufnehmen.« (Gugutzer 2002: 107)97
Verständigung hätte damit eine auf die direkten leiblichen Erfahrungen zurückgehende affektive Ebene, die entscheidend dazu beitragen kann, wie der Prozess der sozialen Abstimmung im Weiteren verläuft. Bezogen auf das Gespräch ist Einleibung also der Boden, auf dem die Kommunikation ihre Form annimmt. Damit beeinflusst sie auch, ob A und B sich ›erfolgreich‹ verständigen oder ›scheitern‹. Somit ist für Schmitz »Sprechen [und jede andere Form metaphernbasierter Kommunikation; Anm. S.S.] ein Beispiel dafür, wie sich durch Personen hindurch in leiblicher Kommunikation gemeinsame Situationen bilden.« (Schmitz 2003: 155) Wieder auf Lakoff/Johnson bezogen, entstünde die »gemeinsame Situation« dann nicht allein durch leibliche Kommunikation im engeren Sinn, sondern – in Form erfahrungsbasierten metaphorischen Redens – als leibliche Kommunikation durch Einleibung im weiteren
97 Gugutzer spricht hier auch in Anlehnung an Schmitz vom »leiblichen Perspektivenwechsel« (Gugutzer 2002: 107).
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Sinn. Statt allein des direkten intersubjektiven Kontakts »in entfalteter Gegenwart« (ebd.: 143), wäre dann auch jede Form der Verständigung durch mittelbare Kanäle (v.a. Schrift) leibbezogen – sofern sie auf Metaphern gründet. Dieser ›Ausblick‹ lässt die Frage nach der leiblich-spürenden Ebene von Verstehen und Verständigung natürlich noch weitgehend unbeantwortet. Festzuhalten ist jedoch: Rationales Denken kommt nicht ohne Metaphern aus, aber Metaphern strukturieren nicht nur unser rationales Denken. 4.4.4 Verständigung trotz differenten Deutungswissens? In der Darstellung des generellen Prozesses des Verstehens (Kapitel 4.4.2) wurde von einer gemeinsamen Wissensbasis ausgegangen – und zwar bezogen auf Erfahrungswissen (Grunderfahrung im Quellbereich und Korrelationserfahrung zwischen Quelle und Ziel, Primärerfahrung), bezogen auf die metaphorische Verwendung dieser Erfahrung (i.e. Metaphern als konzeptuelles Deutungswissen) sowie auf Deutungswissen als Basis komplexer Metaphern (i.e. ›kulturelle Informationen‹, die Grundlage für die Quell-Ziel-Verbindung sind). Nun bleibt die Frage zu klären, ob mit der Theorie kognitiver Metaphorik auch Verständigung jenseits gemeinsamen Deutungswissens im Sinne metaphorischer Konzeptualisierungen konzipierbar ist (vgl. Kapitel 4.3.2).98 Werden prinzipiell geteilte kategoriale Grunderfahrungen (i.e. bildhafte Schemata, Kategorien der basalen Ebene) in unterschiedlicher Art und Weise zur Metaphorisierung herangezogen, kommt es auf den Kontext an, ob und wie sich A und B verstehen. Nehmen wir das Beispiel ZUKUNFT IST HINTEN. Zeit impliziert kein eindeutiges emergentes Konzept, sondern ist durch unterschiedliche Erfahrungskorrelationen fassbar (z.B. visuelle oder motorische Erfahrung). Gehören A und B nun verschiedenen Kulturen an (d.h. A lebt z.B. nach der Meta-
98 Um Missverständnisse zu vermeiden: Dass für intersubjektives Verstehen und Verständigung auch gemeinsames Deutungswissen – konkret: Sprache – relevant ist, wird hier nicht bestritten. Wenn im Folgenden von Verständigung trotz differenten Deutungswissens die Rede ist, dann ist damit konzeptuelles Wissen im Sinn von Metaphern für abstrakte Phänomene gemeint. Die Sprache – im Mindesten rudimentäre sprachliche Kenntnisse – müssen freilich durchaus geteilt werden, zumindest wenn man von sprachlichen Metaphern ausgeht, da ansonsten ein Verstehen der sprachlichen Zeichen des Anderen nicht möglich ist. Bei Gesten und sonstigen Objektivationen wäre allerdings noch einmal genauer zu differenzieren (aber auch wenn diese sprachlich begleitete sind, was in der Regel vorkommt, ist Sprachverstehen notwendig).
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pher ZEIT IST EIN BEWEGLICHES OBJEKT, B aber nicht), werden sich beide der unterschiedlichen Konzeptualisierung schnell bewusst – und zwar indem sie sich zunächst nicht verstehen oder zumindest irritiert sind. Bei einzelnen Ausdrücken wird es B nun vielleicht schwer fallen, den dahinter stehenden Sinn zu erfassen – wobei bei signifikanten Ausdrücken auch das nicht ausgeschlossen ist. Begreift man Interaktion aber als komplexen Prozess wechselseitigen Austausches, so lässt sich die Annahme, B verstehe die Konzeptualisierung von A (hier bezogen auf Zeit) im Laufe der Interaktion auf der körperlichen Metaebene, durchaus aufrechterhalten. Das heißt, es ist nicht zwingend notwendig, dass A seine primären Metaphern expliziert (was je nach Zielbereich auch sehr schwer bis unmöglich ist), sofern sich seine Aussagen im kommunikativen Austausch klären, wenn also noch zusätzlich andere Äußerungen, Gesten etc. auf sein Konzept von Zeit hinweisen (Kommunikationskontext). Aber auch wenn dies nicht gelingen sollte, wenn A also doch sein Verständnis von Zeit offen erklären muss, indem er sein eigenes Verständnis von Zeit reflektiert, nicht-metaphorisch paraphrasiert (was bei manchen Zielbereichen eben schwer werden dürfte) oder mittels anderer Metaphern verbalisiert, so bleibt das eigentliche Verstehen auf der Seite von B in Form von Imagination und Appräsentation trotzdem auf vorbewusster, quasileiblicher Ebene. B versteht A aufgrund der gemeinsam geteilten sensomotorisch vermittelten Grunderfahrung (hier: etwas, das hinter einem liegt, kann man nicht sehen) und der darauf aufbauenden Korrelationserfahrung (Ergebnisse des Handelns sind sichtbar – Vergangenheit ist sichtbar, Zukunft ist nicht sichtbar). B kann sein auf A gerichtetes Handeln danach ausrichten und interkulturelle Verständigung ist möglich – und zwar indem gemeinsam geteilte körperliche Erfahrungen als Quelle des Verstehens ›geweckt‹ werden (angelehnt an Müller 2003), auch wenn diese Erfahrungen normalerweise selbst nicht zur Konzeptualisierung abstrakter Zielbereiche von B herangezogen werden.99
99 Damit soll das Potenzial der Theorie kognitiver Metaphorik für eine Theorie interkulturellen Fremdverstehens angedeutet werden. Wenn Verständigung auf erfahrungsbasiertem Wissen beruht und angenommen werden kann, dass zumindest grundlegende Erfahrung mittels unseres Körpers in und mit der ihn umgebenden Umwelt typischerweise ähnlich sind, dann ist damit eine gemeinsame Basis für Verständigung gegeben. Wie weit diese Basis reicht, ist wiederum eine empirische Frage, denn sobald man davon ausgeht, dass die Umwelt und mit ihr Erfahrungen sozio-kulturell geprägt sind, hängt es von der Ähnlichkeit eben jener sozio-kulturellen Erfahrungen ab, wie tief oder breit eine metaphernbasierte Verständigung auf Erfahrungsbasis sein kann (vgl. auch die Hinweise weiter unten).
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Auch wenn A und B einer Kultur angehören, können ihre Konzeptsysteme unterschiedlich gestaltet sein (vgl. soziale Verteilung von Wissen). Das Beispiel in Kapitel 4.3.2 aufgreifend, verstehen sich A und B auch, obwohl die inhaltliche Ausgestaltung (›Auffüllung‹) der gemeinsamen primären Metaphern verschieden ist. Sobald A z.B. Lexeme oder Gesten der Metapher MEHR IST OBEN verwendet, versteht B was sein Gegenüber meint – und damit auch, wie A denkt, wahrnimmt etc., und zwar egal auf was sich dieses ›mehr‹ bezieht. Ein Beispiel wäre, wenn A davon spricht, dass er eine hohe Anerkennung von seinem Vorgesetzten erwartet. B appräsentiert mit dem Lexem ›hoch‹ (bzw. oben) automatisch ›mehr‹. Dagegen möchte B vielleicht eher eine Gehaltserhöhung – und A versteht ohne jede Reflexion, dass B sich mehr Gehalt wünscht. MEHR IST OBEN bezieht sich einmal auf die Anerkennung, einmal auf das Gehalt, ist also inhaltlich unterschiedlich aufgefüllt. A und B verstehen sich aber trotzdem – auf der Ebene der gemeinsamen Primärerfahrung: ›mehr‹ korreliert mit ›oben‹ (und nicht weil sie diese Wendungen gelernt haben). Die gemeinsame Basis sind in diesem Fall bestimmte Grunderfahrungen (z.B. Orientierung) und Korrelationserfahrungen zwischen Quelle (Vertikalität) und Ziel (Quantität). Differente Deutungen bzw. die konkrete inhaltliche Füllung einer (gemeinsam geteilten) Metapher, aber auch ggf. neue einfache oder primäre Metaphern, die B so nicht verwendet, werden auf der Basis eines gemeinsamen Erfahrungshintergrundes erschlossen.100 Auch auf der Ebene komplexer Metaphern ist trotz unterschiedlichen konzeptuellen Deutungswissens eine Verständigung auf der Basis gemeinsamer Erfahrungen konzipierbar. Hier wird nicht nur die Deutung (i.e. inhaltliche Auffüllung) der primären Metapher erschlossen, sondern durch die Kombination von Quell- und Zielbereich auch die jeweilige ›Alltagstheorie‹ des Anderen. A und B kompensieren hier eventuell fehlendes Wissen, indem sie von den gemeinsamen Grund- und/oder Korrelationserfahrungen auf das der komplexen Metapher zu-
100 An dieser Stelle ist jedoch auch auf die Problematik der Mehrfachverwendung der Orientierung ›oben‹ hinzuweisen: so kann man bspw. von der »hohen Inflationsrate« oder »steigenden Kriminalität« genauso sprechen, wie von einem »Hochgefühl« oder einem »Spitzenprodukt« – je nach Kontext ist die Metapher MEHR IST OBEN oder GUT IST OBEN verständnisrelevant. Baldauf plädiert für eine ›Lösung‹, in der die einzelnen Metaphern aufgrund der verschiedenen Erfahrungsgrundlagen (Quantität vs. Wohlergehen, vgl. Lakoff/Johnson 2004: 23ff.) als je eigenständige Konzepte betrachtet werden: »Es spricht nichts dagegen, in diesem Fall von zwei völlig verschiedenen, voneinander unabhängigen Metaphernkonzepten zu sprechen...« (Baldauf 1997: 253) Um das jeweilige Konzept richtig zu verstehen, ist demnach der Kontext relevant.
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grunde liegende Deutungswissen schließen. Angenommen für A hat die Metapher DAS LEBEN IST EIN FLUSS kognitiven Wert, um das Prozesshafte des Lebens zu denken. Sein Interaktionspartner B teilt diese Metapher aber nicht, d.h. für B ist diese Konzeptualisierung unbekannt, kein ›gültiges Wissen‹. Trotzdem versteht B aufgrund der eigenen Erfahrung mit Wasser, Flüssen, Wellen etc. Texte wie: »Mein Leben hat die eine oder andere Biegung gemacht und Veränderungen kamen in Wellen auf mich zu. Am Ende mündete alles in einem großen Desaster, weil ich mich einfach habe treiben lassen und nicht irgendwo meinen Anker geworfen habe.« Die implizite passive Grundhaltung und ›Ohnmächtigkeit‹ gegenüber dem Leben, das sich in den Worten (und damit auch kognitiven Strukturen) von A zeigt, appräsentiert B auf präreflexiver Ebene und kann so das Denken und Wahrnehmen von A nachvollziehen, kann ihn verstehen. Ähnlich muss man sich die Verständigung mittels Konzepten wie ARBEIT IST EINE RESSOURCE, LEBEN IST KAMPF oder ARGUMENTIEREN IST KRIEG vorstellen.101 Und auch unterschiedliche Metaphorik von Emotionen kann so verstanden werden: Bspw. werden die Gefühle und Wahrnehmungen im Kontext von Depression von Betroffenen als DUNKELHEIT, GEWICHT, ABWÄRTSBEWEGUNG und GEFANGENSCHAFT konzeptualisiert (Kövecses 2005: 244). Die ersten drei Metaphern finden sich auch bei der konventionellen Konzeptualisierung von Trauer und können somit von Nichtbetroffenen unter Rückgriff auf eigenes Wissen verstanden werden. Aber auch das letzte Bild – Depression als GEFANGENSCHAFT – kann von Nichtbetroffenen verstanden werden, sofern sie die Erfahrung von ›Gefangenschaft‹ in einem weiten Sinn gemacht haben. Ein weiteres Beispiel ist religiöses Deutungswissen: Olaf Jäkel rekonstruiert eine umfassende REISE-Metaphorik mit dem zugrunde liegenden WEG-Schema im Alten Testament und zeigt, wie ein moralisches Leben als REISE AUF GOTTES WEG, von dem einen Sünden abbringen, dessen Ziel das Ewige Leben ist und auf dem Gott die ›Gerechten‹ führt, die Gottlosen jedoch behindert (Jäkel 2002). Selbst wenn das religiöse Deutungswissen unvertraut ist und auch wenn das Bild der Reise in einem anderen Kontext als konzeptuelles Wissen verwendet wird (bspw. für Liebe), so kann
101 Der RESSOURCEN-Metapher liegt bspw. die gemeinsame Erfahrung mit wertvollen, begrenzt verfügbaren Substanzen zugrunde. Die KAMPF-Metapher beinhaltet Ohnmachtserleben, stete Anstrengung, Sieg und Niederlage oder strategisches Handeln. Das KRIEGS-Konzept wiederum enthält stärker kulturelle Elemente und muss damit als Ausdifferenzierung des Kampf-Konzepts gelten. Die universelle Basis ist hier zwangsläufig eingeschränkter. Mögliche alternative Konzeptualisierungen auf der Seite von B wären ARBEIT IST EINE LAST, LEBEN IST EIN SPIEL oder ARGUMENTIEREN IST TANZ
(vgl. zu letzterem Lakoff/Johnson 2004: 13).
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die religiöse Metaphorik dennoch verstanden werden, sofern die verwendeten Aspekte und Dimensionen an Wissenselemente des eigenen Reise-Konzepts anschließt. Indem die Metaphern für Gott, das Leben und das Böse basales Erfahrungswissen referenzieren, wirkt Religion – in diesem Fall die christlichmonotheistische Religion – als universelles, überkulturelles und damit inklusives Wissenssystem. Festzuhalten ist, dass sich A und B trotz fehlender gemeinsamer konzeptueller Deutungsbasis verstehen und verständigen können, indem sie auf einen gemeinsamen Erfahrungsvorrat bzw. genauer einen sich überschneidenden Vorrat an typisierten, kategorialen Erfahrungen zurückgreifen und so die Deutung des jeweils anderen rekonstruieren. Damit sind kulturelle und soziale Grenzen (wie Geschlecht, Milieu oder Alter) mittels metaphorischer Kommunikation überwindbar – zumindest bis zu einem gewissen Grad.102 Besonders der Aspekt der erfahrungsbasierten Verständigung trotz divergenten konzeptuellen Deutungswissens auf komplexer Ebene geht über die Ausführungen von Lakoff/Johnson hinaus. Bezüglich der ›folk theories‹ als Basis komplexer Metaphern greifen sie wieder auf ein Verstehen auf der Basis eines gemeinsamen Wissensvorrats zurück: »Where the speaker and hearer do not immediately share the same sense of reality, the hearer will have to imaginatively restructure his own sense of reality according to the clues provided by the speaker. [...] This is possible because you have access to those metaphors through your culture’s pool of conventional metaphors and folk theories – assuming that you are both members of the same culture.« (Johnson/Lakoff 1982: 11; Herv.S.S.)
102 Als Beispiel greife ich auf den Hinweis unter Kapitel 4.3.2 zurück: Angenommen, Männer und Frauen konzeptualisieren Gefühle jeweils unterschiedlich (Beachte: Gefühle sind Zielbereiche). Trotzdem ist ein Verstehen möglich, weil und wenn die Quelle die gemeinsame Grunderfahrung bildet. So können Männer zumindest ansatzweise die Gefühlskonzeption von Frauen nachvollziehen – wenn auch nicht ganz: hinzuweisen ist hier auf das »inherent, literal, nonmetaphorical skeleton« und die typisisierten und idealisierten Annahmen bei der Imagination, die Perspektivität nie überwinden lassen (vgl. zu diesem Punkt auch die Kritik unter Kapitel 4.5). Mögliches Scheitern metaphernbasierter Kommunikation nimmt Schachtner (2001) in den Blick und zeigt, dass man sich zwar verstehen kann, wenn Metaphern nicht übereinstimmen, aber die Sicht auf die Welt dennoch nicht überstimmen muss und daher mehr oder weniger aufwändige Abstimmung notwendig ist, um sich zu verständigen.
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Um Verständigungsbarrieren zu überwinden, müsste B das typische Wissen von A reflektieren, sich also in seine Position versetzen, indem er auf seinen eigenen subjektiven Wissensvorrat zurück greift, der Elemente der diesbezüglichen sozialen Verteilung von Wissen enthält – B rekonstruiert demnach die Bedeutung der Aussagen von A unter Rückgriff auf den kulturellen Vorrat an ›conventional metaphors and folk theories‹. Verständigung würde also wieder unter Rekurs auf gemeinsames konzeptuelles Deutungswissen stattfinden. Diesen Schritt zu überwinden ist aber ja gerade das, was die Theorie gegenüber bisherigen soziologischen Ansätzen auszeichnet und interessant macht. Es ist eben nicht das kollektiv geteilte Allgemeinwissen über die soziale Verteilung von Deutungen, Wertungen etc., sondern die körperlichen Erfahrungen, also (präkonzeptuelles) Erfahrungswissen, das ohne bewussten Decodierungsaufwand eine gemeinsame Basis des Sozialen schafft. Divergierende Metaphern können zwar bewusst gemacht werden, ein Verstehen findet doch aber gerade auf vorbewusster eigenleiblicher Erfahrung statt. An diesem Punkt folgen sich Lakoff/Johnson selbst nicht konsequent genug. Aus kommunikationstheoretischer und -praktischer Sicht ist schließlich Folgendes festzuhalten: Erfahrungsbasierte Metaphern können integrativ wirken. Viele Metaphern gründen als basale evidente Erfahrungskorrelationen in lebensweltlicher Wirklichkeit und sind als solche direkt verstehbar – auch über den sozio-kulturellen Kontext hinaus, zumindest in ihrer Grundstruktur (vgl. Kapitel 4.3.2). Aber auch wenn nur die Quelle der Metapher einer lebensweltlichen Erfahrung entspringt und wir die Metapher selbst nicht als konventionelles Konzept in unserem Wissensvorrat implementiert haben, verstehen wir die Metapher. Schließlich kommt es darauf an, dass die Quelle, die sich in sprachlichen Äußerungen widerspiegelt, eine Erfahrung ist, an die wir mit unserem eigenen lebensweltlichen Erfahrungswissen anschließen, die wir nachvollziehen oder besser: nacherleben können. Verstehens- und darüber hinaus verständigungsrelevant sind die typischen, intersubjektiv geteilten, erfahrungsrelationalen Wissenselemente, die den metaphorischen Äußerungen von A einerseits und dem Verstehen von B andererseits zugrunde liegen. Wenn die Erfahrungen sich allerdings in ihrer konkreten Ausformung, Dimensionierung, Bewertung, Kontextuierung u.ä. (stark) unterscheiden – was umso wahrscheinlicher wird, je komplexer die Erfahrungsbereiche, die als Quelle herangezogen werden, sind – kann zwar ein Verstehen der Äußerungen von A durch B erfolgen, aber eben immer nur auf Grundlage der eigenen Erfahrungen mit dem Quellbereich, die nicht zwangsläufig mit denen von A übereinstimmen
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müssen.103 Eine Verständigung im Sinne erfolgreichen wechselseitigen Verstehens und der adäquaten Realisierung des intersubjektiven Um-Zu-Zusammenhangs (Schütz/Luckmann 1984: 192) muss damit also noch nicht alleine deshalb erfolgreich sein, weil auf körperrelationale Erfahrungen zurückgegriffen wird (vgl. Junge 2011b). Wenn nämlich diese Erfahrungen divergieren und A mit seiner Äußerung (als Ausdruck seines Denkens) auf etwas anderes abstellt als B versteht, kann Verständigung sogar eher erschwert werden, da der Reflexionsaufwand bzgl. metaphorischen Denkens und Sprechens recht hoch ist (vgl. Kapitel 4.3.3). Dann kann auch gelten: Erfahrungsbasierte Metaphern wirken eher desintegrativ.104 Insgesamt ist festzuhalten: Für wechselseitiges Verstehen und Verständigung ist nicht eine gemeinsame Basis abstrakt-theoretischen Deutungswissens von Bedeutung (also kollektiv geteilte konzeptuelle Metaphorik), vielmehr ist eine gemeinsame Erfahrungsbasis entscheidend dafür, ob die der Metapher inhärente appräsentative Beziehung von Quell- und Zielbereich in ein aktuelles Verstehen
103 Wenn hier von divergenten Erfahrungen gesprochen wird, dann sind damit ebenfalls kulturell typisierte Erfahrungen gemeint – denn dass A niemals genau die gleichen Erfahrungen wie B macht, ist selbstverständlich. Es geht daher – wie bereits im Text erwähnt – immer um typisisierte Erfahrungen im Schütz/Luckmannschen Sinn. 104 Potentielles Missverstehen geht aber noch weiter: Denn auch wenn die konzeptuelle Metapher und die zugrunde liegende Erfahrung von A und B prinzipiell geteilt werden, ist wechselseitiges Verstehen u.U. nicht zwangsläufig gegeben. Das Verstehen des Satzes »Das Treffen nächsten Mittwoch wird um zwei Tage nach vorne verlegt« hängt z.B. von der Interpretation des Ausdrucks ›nach-vorne-verlegen‹ bzw. genauer von der Anwendung verschiedener möglicher Subkategorisierungen von Zeit zur Interpretation ab (Zeit bewegt sich durch den Raum auf mich zu vs. ich bewege mich durch die Zeit hindurch; vgl. Fn 50 in Kapitel 4.3.1.1). Diese Anwendung ist wiederum durch die eigene Positionierung im Raum-Zeit-Verhältnis bedingt. Konkret: Fragt man Menschen auf einer Zugfahrt, an welchem Tag das Treffen nach der Vorverlegung nun stattfindet – am Montag oder am Freitag – so antworten jene, die am Ende ihrer Reise sind, das Treffen sei am Freitag, ziehen folglich das Konzept »Person bewegt sich durch die Zeit« heran, während jene, die mitten in ihrer Reise waren, signifikant häufiger den Montag als Termin angeben, sich also auf das Konzept »Zeit bewegt sich auf die Person zu« beziehen (Boroditsky/Ramscar 2002). Diese Interpretationsoffenheit und Situationsabhängigkeit mancher Konzepte ist augenscheinlich nicht unwichtig für die Frage, ob und wie wechselseitiges Verstehen und Verständigung auf der Basis – auch gemeinsam geteilter – Metaphernkonzepte gelingen kann.
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des Gegenübers umgesetzt werden kann. Das heißt, Deutungswissen auf der konzeptuellen Ebene muss nicht zwangsläufig geteilt werden, Deutungswissen auf der Erfahrungsebene aber schon, soll Verständigung erfolgreich sein. Und je umfassender dieser gemeinsame Erfahrungsvorrat ist, desto breiter ist die Basis erfolgreicher Verständigung. 4.4.5 Resümee: Der Körper als Quelle ›abstrakter‹ Verständigung – eine Synopse aus metapherntheoretischer und wissenssoziologischer Perspektive Beleuchtet man die Frage nach sozialer Abstimmung aus der Perspektive Lakoffs/Johnsons, so ergibt sich eine zentrale Aussage: Verstehen und damit Verständigung auch und v.a. auf inhaltlich (nicht formal) abstrakter Ebene, ist durch und durch körperbasiert. Überall wo Metaphern zu finden sind, spielt der Körper eine wichtige, ja sogar entscheidende Rolle für den Zugang zum Anderen. In ›echter‹ unmittelbarer und quasi-unmittelbarer mittelbarer Interaktion als gestische, linguistische und/oder para-linguistische (Proto-)Zeichen sowie in ›echter‹ mittelbarer Interaktion als linguistische (Schrift-)Zeichen – stets bleibt auf der Bedeutungsebene der körperliche Erfahrungsbezug erhalten. Metaphern können zwar auch bewusst gemacht werden, Verstehen und Verständigung aber finden i.d.R. ohne kognitiven Aufwand auf einer quasileiblichen Metaebene statt. Unter welchen Aspekten der Körper im Einzelnen im Anschluss an die Theorieperspektive Lakoffs/Johnsons verständigungsrelevant ist, soll hier unter Bezug auf wissenssoziologische Grundannahmen noch einmal zusammengefasst werden. Grundsätzlich ist hier die Positionalität des Menschen zu nennen. Immer wenn Metaphern verwendet werden – ob bewusst oder unbewusst – verstehen A und B die Äußerungen des jeweils anderen aufgrund deren leiblicher Verfasstheit, dem exzentrischen Leibkörper. In Anlehnung an Plessner sind wir nur, weil wir leiblich in die Welt hinein wirken und uns als gegenständlichen Körper wie andere Objekte auch wahrnehmen, fähig, dieses Erleben auf andere Phänomene zu projizieren. Und gleichzeitig ermöglicht uns die exzentrische Position von der metaphorischen Verwendung eigenleiblicher Erfahrungen (wenn also die bspw. linguistische Form der Metapher eine subjektiv erlebte Erfahrung beinhaltet) auf diese zurück zu schließen – so können wir sprachliche und anders objektivierte Metaphern bzw. das damit erfasste Zielphänomen verstehen.
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Zweitens bildet neben der prinzipiellen Fähigkeit und Notwendigkeit zu metaphorischer Konzeptualisierung die Wahrnehmung des Anderen als Körper ›gleich mir‹ die andere anthropolgische Basis für erfahrungszentrierte Verständigung auf abstrakter Ebene. 105 Wenn ich in der Interaktion Metaphern verwende – unbewusst oder bewusst –, konzipiere ich den Anderen automatisch als ›wie ich‹. Körperliche Erfahrungen und deren Deutung (Quellbereich) werden als typischerweise gleich idealisiert: Ich unterstelle dem Anderen die gleiche Oben-unten-Orientierung, Gestaltwahrnehmung und Erfahrung mit Objekten sowie prinzipiell ähnliche Korrelationserfahrungen. Ich unterstelle ihm also grundsätzlich gleiche Grunderfahrungen und damit ein grundsätzliches Verstehen meiner Konzeptionen. Gleichzeitig gehe ich wie selbstverständlich von einer Erfassung der Konzeptionen des Anderen aus, die ja auf mir gleichen Grunderfahrungen beruhen (Perspektivenübernahme). Eine wesentliche Basis auch und gerade metaphernbasierter Verständigung ist also die auf der leibkörperlichen Verfasstheit des Menschen begründete Generalthese der Reziprozität der Perspektiven (vgl. Kapitel 3.3.1). Sowohl die ›Austauschbarkeit der Standorte‹ als auch die ›Übereinstimmung der Relevanzsysteme‹ gehen als idealisierte Vorannahmen in jede Interaktion mit ein. Die Einschränkung, dass ein vollständiges Erfassen der Konzeptualisierung des Gegenübers nie gelingen kann, wird ausgeblendet. Verstehen und damit Verständigung (i.S. erfolgsorientierter Kommunikation) basieren immer auf Auslegungen der eigenen Erlebnisse und Erfahrungen. Bedeutung ist aber immer Bedeutung für jemanden, i.e. eine konkrete Person A oder B, deren ›Erlebnisstrom‹ nie mit dem meinen identisch sein kann. Verstehen ist also zwangsläufig perspektivisch.106 Trotz der damit tendenziell implizierten Möglichkeit des Nicht-Verstehens gelingt die Konstitution einer gemeinsamen Definition der Situation in der Regel. Denn die Idealisierungen der Generalthese finden ihre Entsprechung im Aufbau des gesellschaftlichen Metaphernsystems. Es sind eben gerade typisierte Erfahrungselemente, die den metapherngenerierenden Quellbereich bzw. die Primären Metaphern bilden. Wie bei gesellschaftlichem Wissen generell, bestehen also auch konventionalisierte Metaphern aus typischem und damit
105 Vgl. wieder die soziale Bedeutung der Exzentrizität nach Plessner: Mit dem Aussich-heraus-Setzen ist gleichzeitig die Fähigkeit, sich in andere hinein zu versetzen gegeben. Diese kreiert die quasi-natürliche Annahme der bei gleicher leiblicher Verfasstheit gemeinsamen Erlebnis- und Erfahrungsstruktur (vgl. auch Kapitel 3.3.1). 106 Vgl. zur Selbstauslegung als Modus des Fremdverstehens auch die Ausführungen zu Schütz/Luckmann unter Kapitel 3.4.1.
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kollektiv geteiltem Erfahrungswissen und nicht etwa subkulturellem Spezialwissen. Intrakulturelle oder gar interindividuelle Unterschiede können in der natürlichen Einstellung bis auf Weiteres ausgeblendet werden. Beide Aspekte, die Generalthese und die Typisierung von Grunderfahrungen, basieren auf folgender, die Theorie in ganz entscheidendem Maße konstituierenden Prämisse: der Großteil der typisierten Grund-/Korrelationserfahrungen wird in seiner Grundform als universell angenommen. An dieser Stelle kommt zur phänomenologisch-anthropologischen Perspektive des exzentrischen In-der-Welt-Seins die biophysische Ebene hinzu. Weil wir als Menschen über bestimmte sensomotorische und neuronale Fähigkeiten verfügen, bilden wir universelle Erfahrungsstrukturen aus. Zahlreiche grundlegende bildhafte Schemata und Kategorien der basalen Ebene sowie deren Verbindung mit ›subjektiven‹ Erfahrungen sind Teil des ›menschlichen Wissensvorrats‹. Und genau mit dieser Universalität steht und fällt der innovative Gehalt der Theorie kognitiver Metaphorik für die Frage nach sozialer oder genauer: interkultureller Verständigung. Nur wenn die Primärerfahrungen einen gemeinsamen, intersubjektiven Kern haben – was inter-/intrakulturelle Prägung der Erfahrung an sich nicht ausschließt – und sie dadurch als gemeinsame Erlebnis- und Erfahrungsstruktur gelten können, kann von Verständigung auf leiblich-körperlicher Metaebene jenseits von Wissen im klassischen Sinn die Rede sein. Nicht mehr gemeinsames Deutungswissen (abgesehen von zumindest rudimentären geteilten Sprachkenntnissen, siehe Fn 98 in Kapitel 4.4.4), sondern eine gemeinsame Erlebnis- und Erfahrungsstruktur ermöglicht intuitives Verständigen über abstrakte Inhalte – mittelbar und unmittelbar. Damit ist die gemeinsame Erfahrungsstruktur Bedingung und Möglichkeit wechselseitiger Verständigung zugleich. Die ›soziale Verteilung des Wissens‹ könnte zumindest in gewissem Maße überwunden werden und der Körper wäre als mögliche Quelle der sozialen Abstimmung über sozio-kulturelle Grenzen hinweg, denkbar.107 Denn sofern abstrakt-symbolisches Wissen verkörpertes Wissen ist, konstituiert dieses phänomenale Substrat von Metaphern das Soziale wesentlich mit:
107 Mit Martin Endreß kann hier ein Ansatzpunkt für Fragen des interkulturellen Vergleichs und Verstehens gesehen werden: »Wenn es [...] gelingt, universale Strukturen freizulegen, könnten diese der vergleichenden Analyse verschiedener Kulturen nicht nur als struktureller Leitfaden im Sinne einer ›Matrix‹ dienen [...], sondern zugleich als Orientierungspunkte interkultureller Übersetzungsprozesse.« (Endreß 2006: 111)
236 | DIE KÖRPERLICHE KONSTRUKTION DES SOZIALEN »His [i.e. Mitglied einer anderen sozio-kulturellen Gruppe; Anm. S.S.] conceptualizing ability would enable him to construct the other conceptual system as he goes along and to understand it via the shared preconceptual experiential structure. [...] understanding only requires correspondences in well-structured experiences and a common conceptualizing capacity.« (Lakoff 1987a: 312)108
Verständigung mittels Imagination und Projektion durch Selbstauslegung bleibt zwar zwangsläufig vage und fragil. Sie bietet aber Ansatzpunkte, eine gemeinsame Definition der Situation zu erarbeiten, indem gemeinsame Metaphern ausgehandelt werden. Die Basis hierfür ist der ›gemeinsame‹ Leibkörper. Soziale Abstimmung ist also, über die konkrete Körperlichkeit der unmittelbaren Interaktion (An-/Protozeichen) hinaus, auch auf der Bedeutungsebene grundlegend embodied. Indem Verständigung über abstrakte Phänomene auf leiblichem Wirken und Wahrnehmen im Rahmen der biologischen Gegebenheiten begründet ist (i.e. Sensomotorik), wird sie, zusammen mit der Exzentrizität des Menschen, zu einem Anthropologicum, einer universellen Fähigkeit und Praxis des Menschen. Weil wir einen ›Körper bestimmter Bauart‹ (Lakoff/ Johnson) haben und mit/mittels diesem universelle Erfahrungen machen, ermöglicht gerade dieser (Leib-)Körper Abstimmung (auch über kulturelle und soziale Grenzen hinweg). Und zwar nicht nur auf der Basis von Primären Metaphern, sondern via Imagination und inferentieller Projektion auch und gerade bzgl. komplex strukturierter Wissenselemente.
4.5 D E -/K ONSTRUKTION : W O SIND DIE G RENZEN DER T HEORIE KOGNITIVER M ETAPHORIK ? Am Ende meiner Ausführungen bleibt bzgl. der Einschätzung der Theorie kognitiver Metaphorik zu sagen, dass sie einerseits große Begeisterung hervorrief, andererseits auch auf viel Kritik stößt. Auf die wichtigsten Punkte, die in der Rezeption von Lakoff/Johnson erwähnt werden, wurde im Text bereits eingegan-
108 Auch hier bezieht sich Lakoff auf die Ebene von klar strukturierten primären Metaphern (»concepts for well-structured experiences«) und nicht, wie in Kapitel 4.4.4 angedeutet, auf komplex strukturierte Metaphernsysteme: »When one goes outside of these [i.e. concepts for well-structured experiences; Anm. S.S.], the difficulties begin...« (Lakoff 1987a: 312)
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gen.109 Speziell aus soziologischer Sicht lassen sich v.a. im unmittelbaren Anschluss an das eben Diskutierte jedoch noch mehr Fragen an die Theorie kogni-
109 Hierzu gehören v.a. die mangelnde Reflexion der Theoriegeschichte und die fehlende sozial- und kulturwissenschaftliche Erweiterung, die das Verhältnis von subjektiver Metaphernverwendung und kultureller Metapherngenese/-vermittlung erhellen könnte. Auch könnte man hier die ›Entgrenzung‹ des Metaphernbegriffs nennen. So kritisiert z.B. Schmitt die »Allgegenwart« von Metaphern, indem er die Prämisse von Lakoff/Johnson auf den Punkt bringt, »jedes nicht nur streng wörtlich zu nehmende Wort als Metapher zu deuten« (Schmitt 1995/1996: 59). Ein weiterer Punkt ist das Problem der empirischen Datengrundlage. So basiert Lakoffs/Johnsons Postulat alltäglicher und kognitiver metaphorischer Konzepte vorwiegend auf dem »bloßen Aufzeigen passender Beispiele zum jeweils durchgeführten Theorieteil« (ebd.: 60). Vor allem in Leben in Metaphern erwecken die Autoren diesen Verdacht der unsystematischen, selektiven Auswahl: »Lakoffs und Johnsons intuitives Vorgehen stellt ohne Zweifel einen Schwachpunkt ihrer Arbeit dar.« (Baldauf 1997: 93) In Philosophy in the Flesh ziehen die Autoren dann – wie gezeigt – zur Veranschaulichung der Evidenz ihrer Basisprämissen Erkenntnisse unterschiedlicher Provenienz heran (vgl. Lakoff/Johnson 1999: 81ff.). Diese reicht von psychologischen Studien zum Spracherwerb (vgl. C. Johnson, Kapitel 4.3.1.1) über historisch-linguistische Untersuchungen bis hin zur Analyse gestischer Untermalung in der Kommunikation (vgl. McNeill, Kapitel 4.4.1). Auch dass wir neue/uns unbekannte Ausdrücke ohne Probleme (meint: ohne kognitiven Aufwand) verstehen, gilt als Hinweis auf das vorbewusste Wirken und die Systemhaftigkeit metaphorischer Konzepte. Einen zentralen Stellenwert nehmen hier v.a. Erkenntnisse der Neurologie ein, die in den Augen Lakoffs/Johnsons einen möglichen Beleg der kognitiven (und eben nicht primär sprachlichen) Bedeutung von Metaphern darstellen (vgl. Lakoff/Johnson 1999: 42). Alles in Allem bildet die Neurowissenschaft dann auch den entscheidenden Stützpfeiler ihrer Theorie. Lakoff/Johnson verbinden zum Nachweis ihrer Theorie also empirisch-induktives (von der Alltagssprache auf das zugrunde liegende Denken schließendes) und logisch-deduktives Vorgehen (Hirnstudien ›belegen‹, dass wir in Metaphern denken und auf der Grundlage dieser Gesetzmäßigkeit wird metaphorische Sprache als Ausdruck des metaphorischen Denkens begriffen). Eine breitere Datengrundlage, die solide Aussagen über die Verbreitung und Bedeutung von Metaphern zulässt, fehlt noch. Hierbei sind detaillierte Korpusanalysen wie die von Baldauf (1997) und Jäkel (1997, 2003a) eine hilfreiche Vertiefung der Theorie kognitiver Metaphorik. Weitere Forschung zur Untermauerung v.a. der für den soziologischen Kontext zentralen Annahme der Körperbasiertheit und Kommunikabilität von Metaphern wäre wünschenswert und notwendig. In Gibbs (2002, 2006) findet
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tiver Metaphorik stellen als ich sie in der Arbeit aufgegriffen habe. Mit der soziologisch-konstruktivistischen Perspektive auf die Theorie einerseits und der konkreten Thematik der Leib-/Körperlichkeit andererseits ergibt sich bspw. noch eine zentrale Frage, auf die ich an dieser Stelle noch einmal etwas genauer eingehen möchte. Aus (de-)konstruktivistischer Sicht ist eine, wenn nicht die zentrale Annahme Lakoffs/Johnsons kritisch zu hinterfragen: die mehrfach als theoriekonstitutiv darlegte Universalität der bildgebenden Basiserfahrungen aufgrund einer gewissen biologischen Grundausstattung. Von einer solchen gehen neben Lakoff/Johnson im Übrigen auch Schütz und Berger/Luckmann aus (vgl. Kapitel 3.2 und 3.3.1), weshalb die folgenden Bemerkungen auch auf die (phänomenologisch fundierte) sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie zu beziehen sind. Die wichtigsten Implikationen seien zunächst noch einmal zusammengefasst: Wie Schütz und Berger/Luckmann verstehen auch Lakoff/Johnson den Körper als biologische Grenze gesellschaftlicher Konstruktion. Ein ›Radikalkonstruktivismus‹ (Lakoff/Johnson) bzw. ›Soziologismus‹ (Berger/Luckmann) wird abgelehnt. Ausgehend von einer natürlich-kulturellen Dialektik beinhaltet der Körper ein gewisses Reservat vorkultureller Natürlichkeit, einen kollektiv geteilten, universellen Kern von Erfahrungen. Bei Schütz/Luckmann sind das die sog. Grundelemente des Wissensvorrats, die als »universell und, prinzipiell, unveränderlich« gelten, bei Lakoff/Johnson sind es die Erfahrungen, die auf die sensomotorische und neuronale Ausstattung des Menschen mit einem ›Körper bestimmter Bauart‹ sowie sein interaktives leibliches Wahrnehmen und Wirken in der Welt zurückgehen. Insofern diese Eigenschaften und die umweltlichen Gegebenheiten universell sind, sind auch die Erfahrungen universell, d.h. zumindest im Kern unabhängig von Kultur und sozialer Verortung. Was aber bedeutet ›universell‹ eigentlich bzw. wie weit geht die Universalität auf Erfahrungsebene wirklich? Was wäre, wenn primitive, primäre, ja basale Erfahrungen nicht nur bzgl. ihrer Intensität und gesellschaftlichen Relevanz, sondern schon in ihrem Kern verschieden sind, also nicht nur »...highly structured preconceptual experiences« (Lakoff 1987a: 310) systematisch unterschiedliche Qualität haben, sondern auch einfache Bildschemata. Einige alternative Ansätze machen eine Variation selbst des elementaren Erlebens und Erfahrens
sich eine große Übersicht über die psychologischen Studien, die sich auf Lakoff, Johnson berufen (Schwerpunkt Entwicklungspsychologie).
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denkbar. Zu nennen ist hier v.a. Gesa Lindemann, auf die ich mich im Folgenden beziehen werde.110 Lindemann interessiert sich für die gesellschaftliche Konstruktion von Geschlecht und knüpft dabei an die Anthropologie Plessners an (vgl. z.B. Lindemann 1992, 1993, 1994, 1995, 1996). Genau wie Berger/Luckmann (vgl. Kapitel 3.2) und auch Lakoff/Johnson (vgl. Kapitel 4.2.1 und 4.4.5) geht sie von der Doppelaspektivität des Menschen aus, seinem Leib-Sein und Körper-Haben, jedoch hat Lindemann eine andere Lesart des Natur-Kultur-Verhältnisses bei Plessner.111 Zwar nimmt auch sie die prinzipielle Leib-Umwelt-Beziehung, das ›Hier und Jetzt‹ als anthropologisch gegeben an. Statt aber von einer quasideterminativen biologischen Basis (in diesem Falle des Geschlechts) und der damit quasi-natürlich gegebenen Ausgestaltung dieses Verhältnisses auszugehen, lehnt Lindemann jede Universalität eines phänomenalen Substrats ab: »Der Leib ist einerseits total natürlich, denn das Faktum der Strukturalität ist nicht auf eine Kultur relativ; andererseits ist der Leib aber total relativ auf die jeweilige Kultur, denn seine Form ist eine je historische, an der kein Substrat feststellbar ist, das sich diesseits von ihr befände.« (Lindemann 1996: 175)
Demzufolge sind auch elementare Orientierungen wie innen-außen, oben-unten oder offen-geschlossen immer schon Orientierungen innerhalb eines soziokulturellen Rahmens. So ist die Erfahrung mit ›Öffnung‹ (ein bildhaftes Schema im Sinne Lakoffs/Johnsons) immer schon auch eine geschlechtlich erlebte:
110 Bezüglich der (De-)Konstruktion des Körpers sind sicherlich z.B. auch Judith Butler oder Michel Foucault zu nennen. Was die Arbeiten Gesa Lindemanns jedoch kennzeichnet, ist ihr Leibbezug. Lindemann erweitert bisherige Ansätze zur (De-)Konstruktion von Körperlichkeit um den Aspekt des leiblichen Wahrnehmens und Spürens. Deshalb bietet sie gerade für Lakoff/Johnson eine andere, eine kritische Perspektive auf zentrale Aussagen bzgl. metaphernbasierter Verständigung. 111 Es gibt im Wesentlichen zwei Lesarten Plessners. Zum einen kann man den Leib als ›Ort der Natur‹ und damit des Vorsozialen lesen, zum anderen als ›Ort der Konstruktion‹, der, bedingt durch das ›Gesetz der natürlichen Künstlichkeit‹, immer schon sozialer Effekt ist. Berger/Luckmann und auch, obwohl sie es selbst nicht explizieren, Lakoff/Johnson sind der ersten Lesart zuzuordnen. Lindemann beruft sich auf die zweite Interpretation Plessners: »Naturhaft ist die Struktur der Umweltbeziehung, insofern sie der zentrischen Position entspricht, aber nicht irgendein besonderer Inhalt.« (Lindemann 1992: 335/Fn 15; Herv.S.S.); vgl. hierzu auch Jäger (2004: 129ff.).
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»...die Vagina als erlebte Öffnung des körperlichen Leibes [ist] so [...] auf der leiblichen Ebene geschlechtlich signifikant...«. (Lindemann 1993: 248). Das Beispiel ›offen-geschlossen‹ zeigt auch den Zusammenhang von geschlechtsspezifischer normativer Konstruktion (Frauen sind aufgrund der ›Öffnung‹ ihres Körpers verletzlich) und dem subjektiven leiblichen Erleben (Angst vor Verletzung). »Es scheint ein fast ubiquitäres Phänomen zu sein, daß Frauen sexuellen Zumutungen ausgesetzt sind. Das Faktum der Offenheit des weiblichen körperlichen Leibes wird dabei zum Ausgeliefertsein gegenüber der ›Verletzungsmacht‹ eines anderen gesteigert. In der Angst vor einer Vergewaltigung wird dieses Ausgeliefertsein als dauernde Möglichkeit mehr oder weniger alltagsrelevant...« (Ebd.: 249; zu den Konzepten Verletzungsmächtigkeit und Verletzungsoffenheit vgl. Popitz 1992: 43ff.)
Das Konzept OFFEN erhält im Laufe der Geschlechtersozialisation eine neue bzw. erweiterte Bedeutung: ›offen‹ ist gleich negativ, angstbesetzt, bedrohlich etc. Ähnlich wären z.B. die geschlechtsspezifische Deutung und das damit zusammenhängende Erleben von oben-unten denkbar. Da Frauen i.d.R. kleiner sind als Männer und Männer eine Dominanzposition in der Gesellschaft und im Alltag der Frauen haben (was sicherlich auch wieder schicht-/milieuspezifisch gesondert zu betrachten wäre), wird das ›oben‹ der Körpergröße mit dieser Dominanz und die eigene Position des ›unten‹ mit Ausgeliefertsein, Ohnmacht etc. verbunden.112 Die Wahrnehmung von oben bzw. unten ist dann immer geschlechtsrelational: Männer nehmen ›oben‹ als Sinnbild ihrer eigenen – biologischen und (im metaphorischen Sinn) gesellschaftlichen – Stärke wahr, Frauen als Symptom ihrer Schwäche. Geht man nun von der invarianten Projektion des Quellbereichs auf den Zielbereich aus, so werden eben auch solche geschlechtsspezifischen (und darüber hinaus auch milieu-, alters- oder kulturspezifischen) Wahrnehmungen mit projiziert und imaginiert. Und nicht nur simple Orientierungen oder ontologische Erfahrungen mit Substanzen/Objekten/Personen können demzufolge divergieren, sondern auch, und wohl noch stärker, komplexere Erfahrungsstrukturen. Zu verweisen ist hier auf die Basiskategorien, deren (von Lakoff/Johnson durchaus anerkannte) soziokulturelle Prägung bereits unter Kapitel 4.3.2 angesprochen wurde. Dort wurde
112 Diese Analogie bezieht sich auf die typisierte Wahrnehmung und Deutung von Mann und Frau, denn dass die Variation innerhalb der Geschlechter auch und gerade bzgl. physischer Merkmale wie Körpergröße oder Kraft größer ist als die zwischen den Geschlechtern, ist als wissenschaftliche Erkenntnis nicht gleichzeitig auch alltagsrelevant und für den Einzelnen ›wahres‹ Wissen.
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analog zu den Ausführungen von Lakoff/Johnson aber immer noch von einem gemeinsamen Kern ausgegangen, eben jenem ›Substrat‹, das Lindemann nicht akzeptieren will. KAMPF und WÄRME sind selbst in ihren scheinbar biologischen Grundlagen immer schon sozial gedeutet und damit potenziell variabel. Genauer: auch die vermeintlich allgemeine Oben-unten-Orientierung und Erfahrung mit Sieg oder Niederlage sind eben nicht allgemein, sondern immer schon Erfahrungen aus der Perspektive von Männern oder Frauen. Mit der Verschränkung von Körperwissen und Leiberfahrung bis auf die elementare Stufe hinunter, ist jedes leiblich-körperliche Erleben, unabhängig von der ›natürlichen‹ Ausstattung sensomotorischer und neuronaler Körper, immer schon ein gesellschaftlich strukturiertes Erleben: »In dieser Perspektive zeigt sich, daß es weder einen natürlichen Körper noch eine natürliche Erfahrung des eigenen Leibes gibt, sondern daß es darum geht, Körper und Leib als grundlegende Elemente sozialer Strukturen und ihrer Reproduktion herauszustellen.« (Lindemann 1995: 139)
Zu fragen bleibt an dieser Stelle, was die Verbindung von Phänomenologie und De-/Konstruktivismus, wenn man sie bis in die letzte Konsequenz ernst nimmt, für die Theorie kognitiver Metaphorik bzw. deren soziologischen Nutzen für eine Theorie körperbasierter Verständigung bedeutet. Bereits auf der subjektrelationalen Ebene der Konzeptualisierung abstrakter Phänomene impliziert sie einen (potenziell) divergenten Zugang zum Zielbereich und damit ein ungleiches Verstehen und Bewerten desselben. Selbst wenn ein und die selbe Metapher als Quell-Ziel-Verbindung für zwei Individuen wirklichkeitskonstitutiv ist, kann der entsprechende Zielbereich – zumindest in gewissen Nuancen – unterschiedlich gefasst werden. Hier schließt auch die soziale Ebene der Verständigung an. Verwendet A die gleiche Metapher, nach der auch B lebt, heißt das noch nicht, dass beide die gleichen Erfahrungen zur Erschließung des Zielbereichs heranziehen. Bei verschiedenen Metaphern wird das noch deutlicher: Jedesmal, wenn A seine Äußerungen (welcher Art auch immer) auf einer Metapher gründet, die B nicht teilt, die aber als Quelle körperliche Erfahrungen von B beinhaltet, imaginiert B die damit angesprochenen subjektiven Erfahrungen. Das heißt aber auch, dass B Erfahrungen appräsentiert, die A vielleicht gar nicht ›im Kopf hat‹ (im wahrsten Sinne des Wortes). Auf dieser Basis versteht B (vermeintlich), wie A denkt, wahrnimmt etc. und richtet sein Handeln danach aus (vgl. auch Kapitel 4.4.4). Aber was bedeutet das für die Verständigung zwischen A und B? Wenn es kein Substrat und demnach auch keinen automatisch-universellen Kern gemein-
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samer Erfahrungen gibt, was ist dann die Basis der Verständigung? Wenn auch die vermeintlich lediglich typisierten, aber als gleich idealisierten Grund-/ Korrelationserfahrungen eine Illusion sind, ist Verständigung dann doch wieder auf kollektiv geteiltes abstrakt-theoretisches Deutungswissen zurückzuführen? Vielleicht übertreffen diese Fragen die Grundaussage Lindemanns unnötigerweise an Radikalität und die Theorie Lakoffs/Johnsons muss damit nicht gleich ad absurdum geführt werden.113 Zum einen ist mit der gesellschaftlichen Prägung körperlicher Erfahrung nicht zugleich ausgeschlossen, dass es doch einzelne – und vielleicht gerade relevante – Elemente gibt, die als gemeinsame Basis herangezogen werden (können). Um bei dem obigen Beispiel zu bleiben: ›offen‹ ist dann eben auch, aber nicht nur negativ und angstbesetzt und Sieg/Niederlage kann auch geschlechtsunspezifische Sinndeutungen wie ›Sieg ist gut‹ und ›Niederlage ist schlecht‹ haben. Des Weiteren ist wohl auch zwischen eher ›neutraleren‹ umweltbezogenen Erfahrungsschemata wie REISE oder GEBÄUDE und unmittelbar körpergebundenem Erleben wie KAMPF oder WÄRME zu differenzieren. Je nachdem, welcher Provenienz der Quellbereich ist, kann dessen intra-, aber natürlich auch interkulturelle Variation stark oder weniger stark ausgeprägt sein. Körperliche Behinderung als Grenze der integrativen Wirkung von Metaphern? Hinsichtlich der Annahme universeller Erfahrungssubstrate bei Lakoff/Johnson möchte ich noch auf eine weitere Frage eingehen, die vor diesem Hintergrund zu stellen ist: Wie ist Behinderung in die Theorie zu integrieren? Auch hier ist der Ausgangspunkt, dass selbst basale Körpererfahrungen wie Tasten, Greifen, Stehen, Bewegen bis hin zu räumlichen Orientierungen verhindert oder zumindest grundlegend anders gestaltet sind als bei Nichtbehinderten. Ist es zu erklären, dass körperbehinderte Menschen auch nach körperlich fundierten Metaphern leben, obwohl sie die zugrunde liegende Erfahrung gar nicht machen und demnach
113 Lindemann selbst wäre als ›Radikal‹-Konstruktivistin (bezogen auf den Umfang der sozialen Konstruiertheit (Soziologismus), nicht im Sinne Ernst v. Glasersfeld) auch missverstanden, denn sie sieht Leiblichkeit und Affektivität nicht ausschließlich als soziale Konstruktionen an, sondern als »Phänomene sui generis«, die sich der Dichotomie Natur-Kultur ein Stück weit entziehen: »Deren [i.e. die leiblich-affektive Dimension der Erfahrung; Anm. S.S.] konkrete Ausgestaltung unterliegt dem historischen Wandel, aber das Faktum dieser Erfahrungsdimension ist der Konstruiertheit sozialer Realität genauso vorausgesetzt wie das der kognitiven Welterfassung und der Symbolverwendung.« (vgl. Lindemann 1992: 331, 335)
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entsprechende neuronale Strukturen und Verknüpfungen nicht ausbilden konnten? Sicherlich wäre zu unterscheiden zwischen von Geburt an Behinderten und bspw. Verunfallten, die vor der Behinderung die entsprechenden Konzepte gebildet haben können. Geht man aber bspw. von Aplasie-Patienten oder Contergan-Geschädigten aus, denen von Geburt an bestimmte Gliedmaßen fehlen oder defizitär ausgebildet sind, so ist erst einmal nicht ersichtlich, warum Menschen ohne Arme im hier vorgestellten konzeptuellen Sinn davon sprechen können, etwas zu »begreifen« oder Menschen ohne Beine etwas als »Stolperstein« verstehen (und es dann auch so meinen). Tatsächlich scheinen aber, ähnlich wie bei dem bekannten Phänomen des Phantomschmerzes, einige Aplasie-Patienten zwischen dem fünften und neunten Lebensjahr so etwas wie Phantomerlebnisse zu haben (vgl. Gärtner 2007: 243; bei Contergan-Geschädigten ist dies nicht untersucht, die Befunde aber wohl übertragbar). Dann wäre auch denkbar, dass diese Personen erfahrungsbasierte Konzepte ›quasi-leiblich‹ verstehen, selbst wenn sie diese Erfahrungen nicht ›am eigenen Leib‹ gemacht haben. In Anlehnung an Merleau-Pontys Erklärung des Phantomschmerzes mittels der Konzepte des habituellen und aktuellen Leibes (vgl. Merleau-Ponty 1966: 100ff.), schlägt Gärtner hier zur Erklärung eine Erweiterung vor: Nicht die ursprüngliche Ausbildung einer habituellen Leibdisposition, die auf den aktuellen (jetzt behinderten) Leib übertragen wird, sondern die Ausbildung eines intersubjektiven Vermögensraumes könnte diese Phänomene erklären (vgl. Gärtner 2007: 274ff.). Der dem Behinderten fehlende habituelle Leib (den er ja nicht entwickeln konnte) wird »im Umgang mit den Mithandelnden und dem Behandelten« erworben (ebd.: 275). Dazu passt auch, dass diese Phantomerlebnisse meist durch Beobachtung und/oder in Interaktion mit anderen auftreten. Indem Leiblichkeit immer schon Zwischenleiblichkeit (Interkorporeität), der Andere also immer schon Teil meiner leiblichen Erfahrung ist (Waldenfels 2000: 284), wäre hier ein möglicher Ansatz, Körperbehinderung nicht von vornherein als Widerspruch zur Theorie kognitiver Metaphorik zu sehen. Ein ähnlicher Hinweis findet sich auf neurowissenschaftlicher Seite: So berichtet Christian Keysers von Studien mit Menschen, die ohne Arme geboren wurden. Es sollte herausgefunden werden, ob bzw. wo bei ihnen Spiegelneurone aktiv sind, wenn sie Handlungen mit Beteiligung der Arme/Hände – konkret: Greifbewegungen – anderer wahrnehmen. Es zeigte sich, dass sie »vollkommen normale Spiegelaktivierungen in dem Areal [hatten; Anm. S.S.], in dem auch Teilnehmer [an diesen Studien; Anm. S.S.] mit Händen und Armen diese Aktivität erkennen lassen« (Keysers 2013: 70). Interessant ist daran, dass bei den Armlosen während der visuellen Wahrnehmung die gleichen Regionen feuerten, die auch bei ihren eigenen Greifbewegungen mit dem Mund oder den Füßen aktiv waren. Es gibt also augenscheinlich Hirnregionen für das
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Handlungsmuster ›Greifen‹, das jeweils aktiv wird, wenn wir selbst greifen oder andere greifen sehen – und zwar unabhängig davon, mit welchem Körperteil dieses motorische Programm gekoppelt ist: in der Regel der Arm oder die Hand, bei Körperbehinderten aber eben stattdessen z.B. der Mund oder der Fuß. So ist auf neuronaler Ebene erklärbar, warum Menschen mit Körperbehinderung auch Metaphern verstehen, die sie ›eigentlich‹ nicht verstehen können, weil diese auf ob ihrer Behinderung verwehrte körperliche Erfahrungen rekurrieren: Wenn diese Erfahrungen durch andere Körperprogramme kompensiert werden, werden eben diese bei der Verwendung der entsprechenden Metapher aktiviert. Bei Blindheit sind diese Erklärungen allerdings fraglich bzw. noch zu überprüfen, da weder eine (mittelbare) Beobachtung des leiblichen Erlebens hier stattfinden kann (phänomenologische Erklärung), noch klar ist, ob bei Blinden im Falle der Verwendung visueller Metaphern bspw. neuronale Areale angesprochen werden, die bei ihnen für das Betasten von Welt zuständig sind. Hintergrund für diese Annahmen sind Befunde, dass bei von Geburt an Blinden ein Wahrnehmungsschwerpunkt das Berühren ist und weitgehend das Sehen ersetzt (Macpherson 2009) – und visuelle Areale demnach zu taktilen ›umsortiert‹ werden müssten. Differenzierter Blick auf die Wirkweise von Metaphern nötig Auch wenn Geschlecht und Behinderung als unmittelbar körpergebundene gesellschaftliche Kategorien mit Differenzierungspotenzial auch bei einfachsten Grunderfahrungen die Theorie kognitiver Metaphorik und ihre Implikationen für wechselseitige Verständigung nicht grundlegend in Frage stellen, so ist doch stets zu beachten – und darauf soll diese kritische Reflexion nicht zuletzt noch einmal hinweisen –, dass bei jeder metaphernbasierten Verständigung, Kommunikation nicht einfach zwischen Menschen, sondern zwischen Personen stattfindet. Soziale Abstimmung auch (oder gerade?) auf der Ebene ›körperlicher‹ Metaphern bleibt zwangsläufig perspektivisch und damit fragil. Diese Tatsache betonen schon Schütz und Berger/Luckmann bzgl. Wissen allgemein (vgl. Kapitel 3.4.3) und muss in gewissem Maße auch auf Lakoff/Johnson bezogen werden. Es bleibt letztlich empirisch zu klären, ob bzw. inwieweit die körperliche Erfahrung aufgrund anthropologischer Strukturen noch am ehesten eine gemeinsame Basis der Verständigung schaffen kann oder ob Metaphern gerade wegen ihrer präreflexiven Wirkung und subjektrelationalen Ausgestaltung nicht eher unterschiedliche Deutungen verdecken und damit Verständigung erschweren können. Für die Herstellung sozialer Ordnung auf einer eher ›oberflächlichen‹ Ebene scheint die erfahrungsbasierte Metaphorik aber bis zu einem gewissen
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Grad eine mögliche Quelle wechselseitigen Verstehens und ›erfolgreicher‹ Kommunikation zu bieten.
5. Fazit: Ein neues Verständnis der körperlichen Konstruktion des Sozialen
Nun gilt es Bilanz zu ziehen. Nachdem im Laufe der Arbeit in den einzelnen Resümees die essentiellen Aspekte der jeweiligen Kapitel zusammengefasst wurden, sollen nun in einem letzten Kapitel die Ergebnisse dieser Arbeit in einer Gesamtübersicht dargestellt und darauf aufbauend die Frage beantwortet werden, ob und inwiefern man nun mit bisherigen Ansätzen und v.a. nach einer Integration der Theorie kognitiver Metaphorik in die handlungstheoretisch ausgerichtete Körpersoziologie von der körperlichen Konstruktion des Sozialen sprechen kann und welche Möglichkeiten hier für Verständigung liegen. Bei den eingangs vorgestellten Klassikern räumt Mead dem Körper den wohl umfangreichsten Stellenwert ein, indem er von einem grundsätzlich körperlichen Weltzugang ausgeht. Bei ihm ist der Körper ein physiologischer, von Impulsen geleiteter Organismus mit sozialer Ausrichtung. Auch die sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie – die in ihren Grundlagen u.a. an Mead anschließt – geht von einem grundsätzlich körpervermittelten, pragmatischen Weltzugang aus. Hier wird der Körper aber stärker in seiner Doppelheit als fungierender Leib und Körperding konzipiert. Die Prämissen sind: (1) Nur indem der Mensch in einer immer schon sozialen Umwelt leiblich wahrnimmt und wirkt, ist er in der Lage, Wissen zu erwerben und Wirklichkeit zu konstruieren. Und (2) es sind die anthropologischen Tatsachen der exzentrischen Position des Menschen und des Verweisungszusammenhangs von Körper und Leib, die ihn erst zu einem sozialen Wesen machen. Nur mittels dieser leiblichen Verfasstheit ist es möglich, sich in den Anderen hinein zu versetzen (Perspektivenübernahme), seine An-/Zeichen zu deuten und so einen gemeinsamen Deutungshorizont auszuhandeln. Als körperliches Wesen ist der Mensch sozial und hat Kultur. Schließlich ist auf der grundsätzlichen Ebene auch Bourdieu zu nennen, bei dem der Körper in Form des inkorporierten praktischen Sinns von grundlegender Bedeutung für Wahr-
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nehmen, Denken und Handeln ist und als Sitz habitueller Strukturen als Mittler zwischen Subjekt und Sozialwelt fungiert. Neben dieser elementaren Bedeutung spielt der Körper in den verhandelten soziologischen Ansätzen auf mehreren Ebenen und in verschiedenen Wissensdimensionen eine Rolle bei der Konstruktion des Sozialen, insofern er gleichzeitig Wissensobjekt und Wissensträger ist. Aufgrund der Exzentrizität ist es dem Menschen einerseits möglich, (theoretisches) Wissen über seinen Körper zu erwerben (explizites Körperwissen). Dieses kann nun dezidiert zum Gegenstand subjektiver Reflexionen oder zum »Thema der Kommunikation« (Knoblauch 2005b: 110), zum Inhalt von Verständigungshandeln werden. Andererseits ist der Körper in gewissem Sinn selbst Wissen. Er ist ein Speicher der gesellschaftlichen praktischen und praxisrelevanten Wissensformen im Körper – von sozialem Orientierungs- bis hin zu praktischem Handlungswissen (implizites Körperwissen). Als solches ist der Körper immer schon Produkt der Gesellschaft, in der er existiert. Er ist sozial konstruiert – und als solcher hat er wiederum auch Anteil an der Konstruktion des Sozialen. Denn indem der Mensch handelt, erzeugt er gleichzeitig erst die soziale Situation als ›Wirklichkeit im Kleinen‹. In dem Maße, wie dieses Handeln körperliches Handeln ist – das reicht von Sprechakten bis hin zu reiner non-verbaler Kommunikation –, ist der Körper Produzent des Sozialen. Er ist Medium der Externalisierung praktischen Wissens (Fertigkeiten, Gebrauchswissen) und erzeugt durch seine Bewegungen und seinen Ausdruck sozialen Sinn (vgl. neben Schütz und Berger/Luckmann insbesondere Goffman, Garfinkel und Bourdieu). Gleichzeitig dient der Körper als sozio-kulturelles Produkt in der konkreten Interaktion als Medium der Verständigung. Als Zeichenträger verweist der Körper (als wahrnehmbarer Teil des Leibkörpers) auf die soziale Position und Identität des Gegenübers (Wissen am Körper). Er ist gleichsam Medium der Externalisierung symbolischen sozialen Wissens (vgl. u.a. das Gesicht als Spiegel der Individualität bei Simmel oder den Körper als Spiegel der sozialen und personalen Identität bei Goffman). In dieser Dimension des Körperwissens ist die Funktion des Körpers jedoch nicht nur auf passives Repräsentieren beschränkt, vielmehr dient Wissen am Körper zur Initiation und Vermittlung sozialer Situationen. Hier zeigt sich die Verwobenheit des Körpers als Zeichenträger einerseits und als Produzent des Sozialen anderseits: jede Bewegung, jede Handlung, jeder Ausdruck kann in gleichem Maße als An-/Zeichen für das Gegenüber fungieren. Und in dieser (selbst)reflexiven Verwobenheit dient der Körper auch als Medium der Wissensvermittlung. Durch praktisches Zeigen, körperlich-objektiviertes bzw. körper-begleitetes Interagieren und mimetisches Lernen kommt es zu einem Austausch von Wissen mittels des Körpers (vgl. insbesondere Schütz, Berger/Luckmann und Bourdieu).
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Aus wissenssoziologischer Perspektive ist soziale Ordnung demnach grundsätzlich auch körpervermittelte Ordnung. Erstens, indem sie auf Wissen gründet, das in der körperlichen Interaktion mit der (sozio-kulturellen) Umwelt erzeugt, vermittelt und erworben wird. Zweitens, indem soziale Ordnung – aus interaktionistischer Perspektive – im Kleinen entsteht, also immer in der konkreten intersubjektiven Verständigung auf eine gemeinsame Definition der Situation hin, bei der der Körper repräsentativ, performativ und praktisch-sinnhaft agiert. Bei aller grundsätzlichen Beachtung der Leib- und/oder Körperlichkeit der Akteure haben die in dieser Arbeit verhandelten klassischen Ansätze einen zentralen Aspekt gemeinsam: die cartesianische Trennung von Körper und Geist wird trotz z.T. tragfähiger Ansatzpunkte (vgl. Kapitel 2.4 und 3.5) nicht gänzlich überwunden, was sich an zwei Punkten zeigt. Zum einen gilt die Perspektivenübernahme zwar als durch die leibliche Verfasstheit erst möglich, aber in ihrer Form bleibt sie in den meisten Ansätzen ein mentaler Prozess des Sich-in-denAnderen-Hineindenkens. Sinnverstehen ist ein kognitiver Vorgang der Anwendung von Wissen, auch wenn dieser dann z.T. als vorbewusst, präreflexiv und quasi-automatisch konzipiert wird: Sinnverstehen ist ein (mehr oder weniger) bewusster, intentionaler, interpretativer Vorgang der Rekonstruktion subjektiv gemeinten Sinns bzw. subjektiven Wissens. Und hier schließt der zweite Punkt an. Zum anderen zeigen sich analog zur Ebene des Sinnverstehens Elemente der cartesianischen Logik auf der Ebene des Wissens selbst. Verständigung und damit soziale Ordnung werden durch das gemeinsame Wissen der Akteure erzeugt, für das Folgendes gilt: (1) Wissen wird zwar als Produkt des körperlich-interaktiven In-der-Welt-Seins begriffen. In dem Moment aber, wo erst die reflexivbewusste Sinnsetzung dieses Erleben zur Erfahrung und damit zum Wissen macht – auch wenn die Reflexion dann gleich wieder in den Hintergrund des Bewusstseins treten kann –, wird die Erkenntnisfähigkeit des Körpers wieder kognitiv überlagert und damit verkürzt (diese Konzeption findet sich v.a. bei Schütz und Berger/Luckmann). Der Körper und die mit ihm substantiell verbundenen Wahrnehmungsmodalitäten rücken konzeptionell in den Hintergrund des Wissensbegriffs (diese Kritik kommt aus der Perspektive leibphänomenologischer Zugangsweisen zum Sozialen). (2) Des Weiteren wird zwischen praktischkörpergebundenem (Handlungs-)Wissen (z.B. Fertigkeiten) und theoretischem, großteils pragmatisch orientiertem (z.B. Normen) bzw. abstrakt-symbolischem (Deutungs-)Wissen (v.a. Sprache, Schrift) differenziert. Und als gemeinsame Basis für Verständigung wird i.d.R. letzteres, also das kollektiv geteilte kognitivsinnverstehende (reflexive) Deutungswissen hervorgehoben, das als ›höhere Wissensform‹ (Schütz/Luckmann) formal und konzeptionell weitgehend fern von körperlichen Erfahrungs- und Sinndimensionen ist. Auf der Bedeutungsebe-
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ne jenes Wissens spielt der Körper also keine Rolle mehr. Vor allem Sprache als das wichtigste Kommunikationsmedium gilt als objektives, entsubjektiviertes (und entkörperlichtes), ›quasi-ideales‹ Symbolsystem.1 Vor dem Hintergrund einer solchen Konzeption abstrakt-theoretischen, sinnorientierenden Deutungswissens ist noch eine zweite Gemeinsamkeit der skizzierten klassischen Ansätze hinsichtlich der Thematisierung von Körperlichkeit zu nennen: Da Deutungswissen als Basis auch unmittelbarer, indirekter Verständigung ›körperlos‹ ist, wird die Bedeutung des Körpers für soziale Abstimmung weitgehend auf direkte Interaktion, also Situationen unmittelbarer Vis-à-VisKommunikation reduziert (vgl. Körper als agens und Körper als Wahrnehmungsfläche). Diese Fokussierung findet sich z.B. auch bei Bourdieu, der hinsichtlich des zuvor genannten Aspekts der cartesianischen Verlängerung einer Körper-Geist-Dichotomie durchaus als Ausnahme zu bezeichnen ist. Kurz hierzu: Für Bourdieu steht nicht reflexives Deutungswissen als kognitiv verfügbarer Sinn im Vordergrund, sondern vielmehr der praktische Sinn in Form praktisch relevanter Kognitionen. Damit stellt Bourdieu gerade die Verbindung von Körper und Geist heraus – nicht zuletzt durch die Inkorporierung kognitiver Schemata in Form synaptischer Verbindungen. Die Form des Denkens ist bei Bourdieu also eine mehr oder weniger direkte Vermittlung von Sozialwelt, Subjekt und dessen organischen Strukturen (zu Art und Inhalt des Denkens ist damit jedoch noch nichts gesagt; siehe unten). Aber auch wenn Bourdieu die Kritik am cartesianischen Dualismus zentral adressiert und er Körper und Wissen z.T. unmittelbar verknüpft, gilt eben auch bei ihm weitgehend der zweite gerade benannte Aspekt: Die Thematisierung des Körpers hinsichtlich pragmatischer Verständigungsprozesse in direkter Interaktion. Verstehen und Interagieren basieren auch bei Bourdieu auf einem Denken bzw. einem Verstehen ›im Tun‹, im aktuellen Hier und Jetzt mit dem Gegenüber. Die Antwort auf die Frage nach der Relevanz des Körpers für die Konstruktion des Sozialen wird so auch bei Bourdieu pragmatisch verkürzt. Unter Rückgriff auf kognitionswissenschaftliche Begrifflichkeiten (vgl. Núñez 1999; Clark 1999) kann man resümierend festhalten, dass bestehende An-
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Sprache gilt als »System typisierender Erfahrungsschemata, das auf Idealisierungen und Anonymisierungen der unmittelbaren subjektiven Erfahrung beruht. Diese von der Subjektivität abgelösten Erfahrungstypisierungen sind sozial objektiviert, wodurch sie zu einem Bestandteil des dem Subjekt vorgegebenen gesellschaftlichen Apriori werden« (Schütz/Luckmann 1979: 282). Dass der Leibkörper in Form von Spiegelungs- und Identifikationsprozessen beim Erwerb von Sprache (und damit auch anderem Deutungswissen) durchaus wichtig ist, wurde unter Kapitel 3.3.3 dargelegt.
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sätze durchaus die ›triviale Verkörperung‹ des Wissens berücksichtigen, i.e. die Tatsache, dass der Mensch zum Denken neuro-biologische Strukturen braucht, Denken also immer auch ein körperlicher Prozess ist. Auch finden sich Ansätze einer ›materialen Verkörperung‹ des Wissens, die darauf abstellt, dass der denkende Mensch immer eingebettet ist in eine soziale und materiale Umwelt, Denken damit auch pragmatisch ist. Die Grenze bestehender Ansätze bildet die ›radikale‹ bzw. umfassende Verkörperung des Wissens im Sinne einer körperlichen Fundierung jeder Form der Kognition – »from the most basic perspective activity to the most sophisticated form of poetry and abstract thinking« (Núñez 1999: 56). Zusammenfassend ist mit Blick auf bestehende Ansätze im Rahmen der Wissenssoziologie trotz der skizzierten Anhaltspunkte für eine Relevanz des Körperlichen deshalb letztlich doch Lindemann weitgehend zuzustimmen, die hinsichtlich der »Vorliebe für Wissen, Sprache und Semantik« in der Soziologie allgemein von deren »quasimentalistische[r] Bornierung« (Lindemann 2005: 115) spricht. Und nach Lindemann kann diese Bornierung nur überwunden werden, »wenn Verkörperung grundlegend in die Konzeption von Sozialität einbezogen wird« (ebd.) – ein Anspruch, der bis dato noch nicht eingelöst ist. Genau hier liegt der Gewinn der Theorie kognitiver Metaphorik von Lakoff/ Johnson für eine körpersoziologische Handlungstheorie. Zum einen ist ihre philosophisch-linguistische Theorie durchaus in die Soziologie integrierbar, da Lakoff/Johnson auch vom sozialen Subjekt der Alltagswelt ausgehen, das in der Interaktion mit der sozio-kulturellen und physikalisch-dinglichen Umwelt gesellschaftlich relevantes Wissen erwirbt. Und indem diesem Wissen eine handlungsrelevante Funktion und wirklichkeitskonstitutive Wirkung zugeschrieben wird, ist mit Lakoff/Johnson die (wissens- und handlungsbasierte) soziale Konstruktion der Wirklichkeit konzipierbar. Zum anderen – und das ist das Entscheidende – ist mit ihrem experientialistischen Ansatz die körperliche Konstruktion des Sozialen um die epistemologische Ebene erweiterbar. Grundsätzlich ist demnach nicht nur das praktische Wissen, sondern zu einem Großteil auch das theoretische bzw. abstrakt-symbolische Wissen in gewissem Sinne ›körperlich‹, indem nämlich abstrakte, nicht klar umrissene Phänomene mittels erfahrungsbasierter Metaphernkonzepte erschlossen, verstanden und so erst wirklich werden. Nicht (allein) soziale Konvention und Vermittlung von Wissen, sondern die universelle Grunderfahrung durch unser leibliches Wahrnehmen und Wirken im Rahmen der biologischen Gegebenheiten unseres Körpers, ist die entscheidende Basis von Wirklichkeit: »...our bodies, brains, and interactions with our environment provide the mostly unconscious basis for our everyday metaphysics, that is, our sense of what is real« (Lakoff/Johnson 1999: 17). Lebensweltlich verankerte und bio-physisch realisierte Erfahrungen bilden die Basis für ein Wissen durch den
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Körper, ein Wissen, für das der Körper sowohl in seiner Form (neuronale Netze mit leiblichen Resonanzen), vor allem aber auch in seiner Bedeutung zur Erfassung anderer Sinnbereiche direkt körpergebunden bleibt.2 Jenseits der etablierten Selbstreferenz von Wissensform und Wissensinhalt (praktisches Körperwissen) dient der Körper damit gleichsam auch als Speicher für abstraktes Wissen.3 Ent-
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Auch Fritz Böhle und Stephanie Porschen-Hueck verwendet in einem Aufsatz den Begriff des Wissens durch den Körper, meinen damit aber etwas anderes (Böhle/Porschen 2011). In dem auf empirischen Befunden im Kontext des technischen Arbeitshandelns beruhenden Ansatz des erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Handelns zeigen Böhle et al., inwiefern der subjektiv-empfindenden und spürenden Wahrnehmung von Situationen Erkenntnisleistung zugeschrieben werden kann (vgl. auch Böhle et al. 2004; Böhle 2009). Es wird ein Denken und Erkennen im Handeln und Wahrnehmen beschrieben, das den praktischen Umgang mit »eher diffusen und nicht präzise definierbaren Eigenschaften und Ausdrucksformen konkreter Gegebenheiten« (Böhle/Porschen 2011: 58) jenseits rational-objektivierender Logik ermöglicht. Es geht um das Erfassen unsicherer oder unklarer situativer Gegebenheiten, die an Geräuschen, Vibrationen (Technik), Haltungen, Gesichtsausdrücken, der Atmosphäre eines Raumes, der Stimmigkeit von Bewegungen etc. festgemacht werden und den praktischen Umgang damit (z.B. indem Entscheidungen trotz unsicheren Wissens getroffen werden). Komponenten des erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Handelns sind sinnlich-spürende Wahrnehmung, assoziatives und bildhaftes Denken sowie ein explorativ-entdeckender und dialogisch-interaktiver Umgang mit der Umwelt, die allesamt eine Beziehung zur Umwelt ausdrücken, die durch Nähe und Gemeinsamkeit charakterisiert ist (vgl. hierzu genauer Böhle 2009). In weiteren Untersuchungen wurde das Konzept des subjektivierenden Handelns auch auf kooperatives Handeln ausgeweitet (z.B. Böhle/Fross 2009). Im Gegensatz zur Theorie kognitiver Metaphorik wird hier jedoch Körperwissen wieder auf den konkret praktischen Handlungsbezug bezogen: Bei Böhle et al. geht es um praktisches Wissen, genauer den »praktischen Vollzug des Handelns« angesichts gegebener situativer Bedingungen (Böhle/Porschen 201: 64) – und nicht um abstraktes Deutungswissen oder besser: erfahrungsgeleitetes Deutungswissen über Abstrakta, wie es in der Theorie kognitiver Metaphorik im Zentrum steht.
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An dieser Stelle ist auf die Kritik an Begriffen wie dem Körper als ›Speicher‹ oder ›Träger‹ von Wissen kurz einzugehen: Jäger (2004: 192f.), Gugutzer (2012: 71), Uzarewicz (2011: 162f.) u.a. kritisieren hier die begriffliche und konzeptionelle Diffusität bei etablierten Ansätzen (insbesondere in Bezug auf Bourdieus begriffliche Unschärfen): »Welcher Art ist dieser Speicher, wo im Körper sitzt er… In den Genen, den Nerven, den Hormonen, dem ›Fleisch‹?« (Gugutzer 2012: 71). Mit Lakoff/Johnson
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scheidend ist hier also der Transfer von Körperwissen auf andere Dimensionen von Wissen, konkret: auf abstrakte, logische und theoretische Wissensbereiche. Damit ist die Theorie ein wichtiger Beitrag zur Aufhebung der cartesianischen Dichotomie zwischen Körper und Geist: »Because concepts and reason, both derive from, and make use of, the sensorimotor system, the mind is not separate from or independent of the body.« (Ebd.: 555)4 Verkörperung des Wissens umfasst also nicht nur, dass Mentales physisch eingebettet ist, wir also einen Körper zum Denken brauchen und dieser Körper immer in einem konkreten physischsozialen Raum wirkt (siehe oben: triviales und materiales embodiment). Die Konzeption eines embodied mind umfasst auch, dass das, was wir denken, im Wesentlichen körperverbunden ist – und zwar »in the richest possible sense«, indem das Geistige »any mental operations and structures that are involved in language, meaning, perception, conceptual systems, and reason« (ebd.: 12) umfasst. Die zentrale These ist also die Annahme der Kontinuität von verkörperter Erfahrung einerseits und Denken, Vernunft andererseits – kurz: Körper und Kognition sind keine zwei getrennten Sphären, sondern eng verwoben. Damit wird der kognitive Wissensbegriff mit dem körperrelationalen Erfahrungsbegriff systematisch verbunden: Körperlich-Konkretes und Theoretisch-Abstraktes bilden einen postcartesianischen Holismus. Descartes’ Diktum des ›cogito ergo sum‹ könnte man mit Lakoff/Johnson somit gleichsam vom Kopf auf die Füße stellen und sagen: ›sum ergo cogito‹ – Ich bin (ein Leibkörper), also denke ich.5 Die folgende Tabelle stellt die theoretischen Dimensionen von Körperwissen noch einmal auf einen Blick zusammen.
bekommt der Speicher nun einen konkreteren Ort: Erfahrungswissen und Deutungswissen sitzen in neuronalen, hemisphärischen Netzen, deren phänomenologische Resonanzen aber über den ganzen Leib verteilt sind. 4
Um die Dimension des embodied mind genauer zu fassen, müsste man hier allerdings das sensomotorische System durch das leibliche In-der-Welt-Sein ergänzen (vgl. die verschiedenen Ebenen des embodiment bei Lakoff/Johnson, Kapitel 4.2).
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Mit Blick auf die Anlagen bei Mead kann man die Theorie kognitiver Metaphorik auch als Rekonstitution der ursprünglichen Basisannahmen des symbolischen Interaktionismus fassen. Indem Lakoff/Johnson die verkörperten Strukturen als Grundlage von Sprache, abstraktem Denken und symbolischer Interaktion verstehen, geben sie dem Symbolischen Interaktionismus wieder eine Meadsche Prägung (zur Kritik der kognitiven Verkürzung des Symbolischen Interaktionismus bei Blumer vgl. Fn 21 in Kapitel 2.2.2).
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Tabellarische Übersicht über die analytischen Dimensionen von Körperwissen: Wissen über den Körper
Wissen des Körpers
Wissen am Körper
Wissen mittels des Körpers
Wissen durch den Körper
Der Körper als Gegenstand von Wissen: Diskurse bzw. das darin prozessierte Wissen konstruieren den Körper, stellen ihn als Objekt sozio-kulturell spezifischen Sehens, Wahrnehmens und Handelns erst her (z.B. Elias, Foucault, Berger/Luckmann). Der Körper als Wissensspeicher: Wissen meint hier zum einen die praktische Kompetenz als in den Körper eingegangenes Handlungswissen im Sinne eines ›knowing how‹ (Wissen im Körper) und zum anderen eine sinnlich-leibliche Wahrnehmungskompetenz bspw. als ›sozialer Sinn‹ (z.B. Simmel, Mead, Goffman, Garfinkel, Bourdieu, Schütz, Berger/Luckmann). Der Körper als Ausdrucksfeld: Als interaktiv wirksamer Zeichenträger vermittelt der Körper über Gestik, Mimik, Körperhaltung, Kleidung etc. Darstellungskompetenz und Identitätswissen und kommunziert durch Ausdrucksverhalten und -handlungen mit seinem Gegenüber (z.B. Simmel, Mead, Goffman, Garfinkel, Bourdieu, Schütz, Berger/Luckmann). Der Körper als Wissensmedium: In direkter Interaktion dient der Körper als performative und kommunizierende ›Schaufläche‹ zur intersubjektiven Vermittlung von Wissen. D.h., im praktischen Austausch wird Wissen prozessiert, ausgetauscht und (ggf.) vom Gegenüber übernommen (z.B. Mead, Garfinkel, Bourdieu, Schütz, Berger/Luckmann). Der Körper als Quelle von Wissen: Der Körper ist Quelle für ›anderes‹ Wissen. Erfahrungswissen (Wissen des Körpers) dient als Grundlage abstrakttheoretischen und evaluativ-normativen Wissens (Wissen durch den Körper). Dieses Wissen kann dann z.B. als Wissen am Körper (Gesten) realisiert und interaktiv wirksam werden (Lakoff/Johnson).
Konkret bezogen auf die Frage nach der körperlichen Konstruktion des Sozialen bedeutet die Körperbasiertheit von Wissen, dass wir uns in der alltäglichen Interaktion (auf dieser inhaltlich abstrakten Ebene) demzufolge auch nicht primär deshalb verstehen, weil wir in der Sozialisation die gleichen Konzeptualisierun-
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gen gelernt haben, also gemeinsames konzeptuelles Deutungswissen besitzen, sondern weil wir die gleichen basalen körperlichen Erfahrungen gemacht haben, die Grundlage für gemeinsames Deutungswissen (und auch für das Verstehen differenten Deutungswissens) sind. Verstehen und Verständigung auf der Basis von Metaphern sind intuitive, präreflexive, gleichsam leiblich-interpretative Prozesse ›unterhalb‹ der Kognition. Der Körper fungiert dabei als Ressource für Verstehen und Verständigung – sowohl in direkter als auch in indirekter, in verbaler und nonverbaler Kommunikation. Bedingung erfolgreicher Verständigung welcher Art auch immer, müssen also nicht gemeinsame Relevanz- und Deutungssysteme sein. Bereits die gemeinsame Erfahrungsstruktur der Akteure bietet bis zu einem gewissen Grad eine Quelle des Verstehens und der Abstimmung. Subjektives Erleben und Empfinden (vgl. auch Kapitel 4.4.3) sind damit keine Störfaktoren der Vernunft und der sozialen Abstimmung mehr, sondern für diese eine wichtige Voraussetzung. Erfahrungsbasierte Metaphern als Verständigungsmedium in Zeiten von Individualisierung und Pluralisierung? Neben Fragen einer Erweiterung bisheriger grundlagentheoretischer Ansätze zu Handeln, Interaktion, Verständigung und Wissen um die systematische Berücksichtigung körperlicher Aspekte des Sozialen, erhält die Thematik erfahrungsbasierter Verständigung vor dem Hintergrund einer in der Soziologie aktuell viel diskutierten modernisierungstheoretischen Gegenwartsdiagnose noch einmal besondere Bedeutung: Kollektiv geteiltes Wissen wird in der reflexiven Moderne eine zunehmend brüchige Basis von Verständigung und sozialer Ordnung.6 Gerade in Zeiten sozialer Differenzierung, Pluralisierung und Individualisierung ist das gemeinsame Aushandeln von Situationsdefinitionen vor dem Hintergrund von Unsicherheit und dem Verlust von Gemeinsamem oder Altvertrautem mehr denn je eine Voraussetzung von Verständigung. Die daran unmittelbar anknüpfende Frage nach Bedingungen gelingender sozialer Verständigung ist virulent wie selten zuvor. Eine mögliche Antwort findet sich bspw. in aktuellen Arbeiten
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Zur Darstellung wesentlicher Merkmale reflexiver Modernisierung vgl. Beck (1986), Beck et al. (2001). Es ist ein Merkmal der funktional differenzierten Moderne, dass das Wissen unter den Individuen verteilt ist und nicht jeder gleichermaßen Zugang zu diesem Wissen hat. Schon Simmel hat das quantitativ und qualitativ ungleichmäßige Verhältnis des Subjekts zur Kultur als die »Tragödie der Kultur« betrachtet (Simmel 1986). In Zeiten reflexiver Modernisierung verschärft sich diese ›Ungleichmäßigkeit‹ aber noch und stellt völlig neue Anforderungen an Individuen und Gesellschaften.
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im Rahmen der sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie (vgl. ›Kommunikative Wende‹ bzw. ›Kommunikativer Konstruktivismus‹): Hier wird aufgrund der neuen Bedingungen der Verständigung in einer individualisierten und pluralisierten Gesellschaft die Konversation als wesentlich wirklichkeitsgenerierende Form sozialen Handelns hervorgehoben: »Da von einer annähernden Gleichverteilung der Elemente des gesellschaftlichen Wissensvorrates immer weniger – stillschweigend – ausgegangen werden kann, ist es für das Verständigungshandeln zwingend notwendig [...] zu kommunizieren.« (vgl. Knoblauch et al. 2002: 31.)
oder: »Im Rahmen verschärfter Individualisierung und Pluralisierung sozialer Lebenswelten erfordern die privaten Interaktionsformen zunehmend mehr Kommunikation – sozusagen zum Abgleich der Perspektiven.« (Knoblauch 2005a: 172)
Interaktion als kommunikatives Handeln gilt als Lösung sozialer Abstimmungsprobleme. Aber auf welcher Basis? Was ist das Gemeinsame in Zeiten von Uneindeutigkeit und Unsicherheit? Wie gelingt soziale Abstimmung unter Bedingungen der ›Entzauberung‹ moderner, sozialitätsstiftender Werte und Normen als unmissverständliche Basis gegenseitigen Verstehens? Auf welche vergemeinschaftenden Elemente kann man angesichts der Erosion kollektiv sinnstiftender Deutungsmuster noch zurückgreifen? Was gewährleistet die (mikro-)soziale Ordnung eines ›Wir‹? Und welche Rolle kann gerade hier der Körper in der Interaktion als Quelle sozialer Abstimmung jenseits gemeinsam geteilten Deutungswissens spielen? Kurzum: Noch nie scheint das Problem der »doppelten Kontingenz« (Luhmann 1984: 148ff.) so thematisierungswürdig und -bedürftig wie heute. An diesem Punkt umfasst die Theorie kognitiver Metaphorik bzw. deren kommunikationssoziologische Interpretation neben der grundsätzlichen Bedeutsamkeit unserer Körperlichkeit für Verständigung noch ein mit den skizzierten Fragen zusammenhängendes Potenzial: Denn abgesehen von der Tatsache, dass wir geteiltes Wissen aufgrund gemeinsamer Körperlichkeit verstehen, bilden Metaphern darüber hinaus auch eine potentielle Basis der Aushandlung einer gemeinsamen Definition der Situation ohne von bereits vorher geteiltem Deutungswissen ausgehen zu müssen:
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»Such cross-linguistic and cross-cultural variation [des Deutungswissens; Anm. S.S.] doesn’t make primitive image schemas [and basic-level categories; Anm. S.S.] any less universal, or any less body-based. Indeed, it is the fact of shared bodily structures that even makes it possible for us to understand different cultures, their conceptual systems, and their symbolic expressions.« (Johnson/Lakoff 2002: 252)
Und hier zeigt sich der gegenwartsdiagnostische Beitrag der Theorie kognitiver Metaphorik: Denn gerade diese Möglichkeit, die in der erfahrungsbasierten Theorie von Lakoff/Johnson liegt, scheint in reflexiv modernen, globalisierten Gesellschaften nützlicher denn je. Statt nur auf ›different cultures‹ im uns geläufigen interkulturellen Sinn, kann dieses Zitat auch auf das innerhalb einer Kultur sozial verteilte Deutungswissen angewandt werden. In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf Knoblauchs Charakterisierung der (reflexiv-)modernen Gegenwartsgesellschaften als »immanent ›multikulturell‹« hinzuweisen (vgl. Kapitel 3.4.3): Aufgrund der Differenzierung und Pluralisierung des Wissens und der (möglichen) Kontexte sowie der »dem kommunikativen Handeln immer innewohnenden Kontingenz subjektiver Handlungsmöglichkeiten«, ist »interkulturelle Kommunikation [...] zu einem durchgängigen Merkmal der modernen [und noch mehr der reflexiv-modernen; Anm. S.S.] Gesellschaft geworden«. Weiter stellt er fest: »Man könnte natürlich vermuten, dass sie [i.e. die Mitglieder einer Kultur; Anm. S.S.] dazu eine ›gemeinsame‹ Grundausstattung besitzen, wie etwa die der geteilten Sprache. Allerdings handelt es sich dabei auch um eine Romantisierung…« (Knoblauch 2005a: 192) Und genau hier könnten Metaphern dazu beitragen, der Romantisierung ein realistisches Fundament zu geben. Denn eben weil sie nicht entsubjektiviert und abstrakt ist, sondern die subjektive (aber gerade nicht individuelle) körperliche Basis bei der Verwendung von Metaphern erhalten bleibt und vom Sprecher, wie vom Rezipienten appräsentiert wird, wirkt metaphorische Sprache integrativ.7 Verständigung basiert auf gemeinsamen Erfahrungsstrukturen, die immer auch eingebunden sind in einen sozio-kulturellen Rahmen. Aber indem gerade der Rahmen biologischer Gemeinsamkeiten jenseits kultureller Prägung eine wesentliche Ebene der körperlichen Konstruktion des Sozialen bildet, wäre der Rekurs auf diese anthropologisch-universellen Grundgegebenheiten jenseits komplexen Erfahrungswissens eine denkbare Basis der kreativen Koordination und Kooperation in Zeiten diffe-
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Sprache wird hier ob ihrer grundsätzlichen Bedeutung für soziale Verständigung als Hauptmedium konzeptueller Metaphern herausgegriffen. Natürlich wären hier auch Gesten, Intonation oder andere Formen metaphorischer Objektivation zu nennen (vgl. Kapitel 4.4.1).
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renzierter und pluraler Wissensformen, in denen die Menschen sich die Grundlagen mikrosozialer Ordnung weitgehend selbst schaffen müssen (vgl. Böhle/Weihrich 2010a; Böhle/Stadelbacher 2016). Unsicherheit könnte reduziert werden, da mit Metaphern ein ganzer Deutungshorizont eröffnet wird, der (scheinbar) keiner weiteren Erklärung bedarf, da er ja auf universellem Erfahrungswissen beruht. Hier ist sicherlich einzuhaken, um der ›Romantisierung‹ keinen Vorschub in anderer Richtung zu leisten. Denn nur, wenn die zugrunde liegende Quellerfahrung typischerweise gleich oder vergleichbar ist, ist ein solches Verstehen denkbar. Aber selbst wenn die Quellerfahrung an sich auch unter die multikulturelle Variation gesellschaftlichen Wissens fällt, bleibt noch der Rückgriff auf einfaches Orientierungswissen etc., also die Grundelemente des körperlichen In-der-Welt-Seins als gemeinsame Grundlage – die dann freilich recht schmal ist und nur basale, wenig komplexe Verständigung ermöglicht. Aus de/konstruktivistischer Sicht ist die Unterstellung universeller Grunderfahrung, die einer solch weitreichenden interaktionistischen Interpretation der Theorie zugrunde liegt, aber – wie gezeigt – keinesfalls unproblematisch (vgl. insbesondere Kapitel 4.4.4 und 4.5). Die konstruktivistische oder anthropologisch-phänomenologische Positionierung, inklusive der jeweils impliziten Basisprämissen bzgl. Körperlichkeit, ist eine grundsätzliche und theoretisch zu beantwortende Frage, von der die Bewertung des Beitrages von Lakoff/Johnson zu einer handlungstheoretischen Körpersoziologie wesentlich abhängt. Mit den Hinweisen auf die intersubjektive Relevanz der erfahrungsbasierten Verständigung soll vor dem Hintergrund der Einwände und Fragezeichen nicht naiverweise davon ausgegangen werden, dass Verständigung damit ausschließlich und immer auf der präreflexiven Basis gemeinsamer körperlicher Erfahrung erfolgreich funktionieren kann. Auch ein Scheitern des sozialen Austauschs kann gerade dadurch erfolgen, dass Unterschiede des Erfahrungshorizonts (besonders komplexer Quellerfahrung) vielleicht nicht expliziert werden, aber deshalb noch lange nicht irrelevant sein müssen (vgl. Perspektivität, Vagheit und Komplexität der Verständigung). Dennoch ist hier m.E. ein Ansatz aufgezeigt, wie bestimmte Grunderfahrungen in und mit der Umwelt eine mögliche, bisher nicht erschöpfend genutzte Quelle von Verständigung auch jenseits gemeinsamen Deutungswissens sein kann. Ob sich diese Einschätzung halten lässt, ist wiederum eine empirische Frage. Insgesamt scheint nicht nur angesichts der vielen neuartigen modernisierungsbedingten Probleme (im Schütz/Luckmannschen Sinn) und des Mangels ebenso neuartiger Lösungen, sondern auch um die theoretische Lücke innerhalb der (Wissens)Soziologie weiter zu schließen, eine in die hier aufgezeigte Richtung weitergeführte »Verkörperung der Soziologie« (Gugutzer 2004: 156; vgl.
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auch 2012) ein durchaus vielversprechendes Unterfangen. Denn versteht man »Sozialität als Verhältnis verkörperter Personen«, Verkörperung als unumgängliche Wesenhaftigkeit dieser Personen (und nicht etwa als in den Hintergrund tretende Schattierung des Menschseins) und das Soziale damit »initial als verkörperte Sozialität« (Lindemann 2005: 125), dann ist es das Verdienst der Theorie kognitiver Metaphorik, dass diese ›verkörperte Sozialität‹ eine entscheidende Erweiterung um die epistemische Ebene des Sozialen erhält – jenseits der Unterscheidung in direkte und indirekte, unmittelbare und mittelbare Interaktion.8 Nicht nur im Wahrnehmen und Tun ist der Körper Grundlage von Selbst, Gesellschaft und symbolischer Ordnung – wie Nick Crossley mit seinem Konzept der »carnal sociology« hervorhebt (Crossley 1995) – sondern wie mit Lakoff/ Johnson zu zeigen ist, ist er dies auch bezogen auf die jeweiligen konzeptionellen Grundlagen von Selbst, Gesellschaft und symbolischer Ordnung. Vor dem Hintergrund einer solchen allgemeinsoziologischen Einbettung der Theorie kognitiver Metaphorik bietet diese nicht nur Anschlussmöglichkeiten für den Bereich Verständigung und Interaktion (handlungstheoretische Interpretation), der in dieser Arbeit im Vordergrund stand. Auch für Fragen nach subjektivem Wahrnehmen und Erfassen von Wirklichkeit (wahrnehmungs- und erkenntnissoziologische Fragestellungen), nach Identität und Selbstbild (sozialisationstheoretische Schwerpunktsetzung) sowie nach der Funktions- und Wirkweise in Bezug auf Macht und Herrschaft (macht-/herrschaftssoziologische, ungleichheitssoziologische, dispositivanalytische Ausrichtungen) wäre dieser Ansatz für die Soziologie ertragreich. Aber wie in dieser Arbeit mehrfach deutlich wurde, ist die hier verhandelte Grundfrage nach dem Verhältnis von Körper, Wissen und Interaktion keine rein soziologische, sondern immer schon auch eine interdisziplinär zu beantwortende, bei der eventuell bestehende Schranken zwischen Anthropologie, Phänomenologie, Biologie/Neurologie und Soziologie überwunden werden müssen. Nur so kann ein adäquates Bild der körperlichen Konstruktion des Sozialen und deren Optionen in einer ›neuen‹ Moderne gezeichnet werden. Deshalb ist Knoblauchs Forderung nach einer »Öffnung der Wissenssoziologie« (Knoblauch 2010: 347) und Maasens Plädoyer für einen »multidisziplinären Zusammenschluss und problembezogene Brückenschläge zwischen ganz unterschiedlichen Wissenskulturen […] weit in die verhaltens- und neurowissenschaftliche Erforschung kogni-
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Damit kann der Prognose Luckmanns, wonach dem Körper in einerseits zunehmend mittelbaren, anonymen und anderseits pluralisierten Gesellschaften eine immer geringere Bedeutung für Verständigung zukommt (vgl. Kapitel 3.4.2.2), nicht zugestimmt werden.
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tiver Prozesse hinein« (Maasen 2009: 88) nur zuzustimmen. Die vorliegende Arbeit soll als Beitrag zu einer solchen als paradigmatisch verstandenen und interdisziplinär rekonstruierbaren ›Mikrofundierung des Sozialen‹ dienen.
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Anhang
Z USAMMENSTELLUNG DES SCHEMATISCHEN I NVENTARS UNSERER PRÄKONZEPTUELLEN E RFAHRUNGEN ALS Q UELLE VON M ETAPHERN Jäkel (1997: 291) fasst die unterschiedlichen Dimensionen und Situationen, in denen wir körperrelationale Schemata erwerben, mit dieser pointierten Skizzierung zusammen, die aufgrund ihrer Prägnanz hier in voller Länge zitiert werden soll. »Ausgangspunkt aller Schemata [i.e. bildhafte Schemata und Kategorien der basalen Ebene; Anm.S.S.] sind unsere ursprünglichen Körpererfahrungen in der physischen Lebenswelt: Von Anfang an stoßen wir (KONTAKT) auf das Andere (OBJEKT), das wir nicht sind, und lernen dabei allmählich uns selbst (SUBJEKT) vom Rest der Welt unterscheiden. Bald schon können wir uns auf selbstgewählte Ziele zubewegen (WEG und BEWEGUNG) und zwischen leblosen Gegenständen (OBJEKT) und Lebewesen (LEBEWESEN, PERSON) unterscheiden. Lebenslänglich bleibt unser Körper Mittelpunkt (ZENTRUM/PERIPHERIE) unserer Weltwahrnehmung und Maß aller Dinge, die zunächst nach ihrer Entfernung von uns (NAH/WEIT) eingeteilt werden; später, wenn wir uns nach langem Kräftemessen mit der Erdanziehung (BALANCE) zur aufrechten Körperhaltung erhoben haben (VERTIKALITÄT), auch nach ihrer vertikalen Position (OBEN/UNTEN). Schon lange vorher haben wir unseren Körper als den exemplarischen Behälter (BEHÄLTER) erfahren, dem sich Dinge einverleiben lassen (NAHRUNG), der anderes wieder ausscheidet (INNEN/AUSSEN), der als mehr oder weniger gefüllt (VOLL/LEER) empfunden wird, und dessen Ein- und Ausgänge wir durch teils lustvolle, teils mühsame Übung zu beherrschen lernen (OFFEN/GESCHLOSSEN). Die sich ebenfalls durch Übung stetig verfeinernde Motorik unserer Hände dient uns zur willentlichen Kontaktaufnahme mit der Objektwelt, in die wir zu unserer (noch) sprachlosen Freude sogar kausal eingreifen können (MANIPULATION).
292 | DIE KÖRPERLICHE KONSTRUKTION DES SOZIALEN
Diese Kurzdarstellung der denkbaren ontogenetischen Ausbildung von Vorstellungs-Schemata enthält fast alle maßgeblichen Schemata [...], um die abstrakten Zielbereiche zu strukturieren. Damit werden in der experientialistischen Sichtweise also auch die abstraktesten Domänen rückgebunden an elementarste sensomotorische [bzw. leibliche; Anm. S.S.] Erfahrungen und quasi ›biophysisch fundiert‹. Die obige Kurzdarstellung läßt auch als plausibel erscheinen, daß solche präkonzeptuellen Vorstellungs-Schemata, wenn dann ihre Existenz und Binnenstruktur durch sprachunabhängige Evidenz belegt werden könnte, als aussichtsreiche Kandidaten für die Anwartschaft auf den Titel kognitiver Universalien anzusehen wären.«
M ETAPHERN -B EISPIELE 1 Einfache und primäre Metaphern Orientierungsmetaphern MEHR IST OBEN/WENIGER IST UNTEN:
»Zahlen steigen an«, »unter 18 sein«, »Einkommen steigt« etc. – Grundlage: wird Substanz in ein Gefäß gegossen oder werden Objekte gestapelt, erhöht sich der Mengenstand; direkt emergentes Konzept. GUT IST OBEN/SCHLECHT IST UNTEN: »es geht bergab«, »Tiefpunkt«, »hochwertige Arbeit« etc. – Grundlage: Werte, die der Mensch als gut für sich betrachtet, sind oben (Gesundheit, Leben, Kontrolle; direkt emergentes Konzept). GESUND SEIN UND LEBEN SIND OBEN/KRANKHEIT UND TOD SIND UNTEN: »in Höchstform sein«, »mit der Gesundheit geht es bergauf«, »eine Krankheit warf ihn nieder«, »einer schweren Krankheit erliegen« etc. – Grundlage: eine schwere Krankheit/Tod ›zwingt‹ den Menschen, sich hinzulegen, direkt emergentes Konzept; vgl. Kohärenz zu GUT IST OBEN. GLÜCKLICHSEIN IST OBEN/TRAURIG SEIN IST UNTEN: »ich fühle mich obenauf«, »Stimmung steigt«, »in eine tiefe Depression verfallen« etc. – Grundlage: ergibt sich aus der typischen Korrelation einer aufrechten/gebeugten Körperhaltung mit heiterem Gemütszustand/Traurigkeit; direkt emergentes Konzept; vgl. Kohärenz zu GUT IST OBEN. KONTROLLE/MACHT AUSÜBEN IST OBEN: »Kontrolle über jemanden haben«, »Überlegenheit«, »auf der Höhe der Macht«, »über der Situation stehen«,
1
Vorrangig zusammengestellt aus Lakoff/Johnson (1999, 2004).
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»unter Kontrolle haben« – Grundlage: körperliche Erfahrung eines Kampfes – der Unterlegene ist typischerweise unten; direkt emergentes Konzept. ZUKUNFT IST VORNE/VERGANGENHEIT IST HINTEN: »bevorstehende Ereignisse«, »die folgenden Wochen«, »letzte Woche«, »eine spannende Zeit liegt hinter uns« etc. – Grundlage: die Zukunft kommt erst noch und etwas, das auf uns zukommt, liegt vor uns; konventionalisiertes Konzept, vgl. ZUKUNFT IST HINTEN. TUGEND IST OBEN/LASTER IST UNTEN: »er hat eine hohe Gesinnung«, »hohe Standards setzen«, »einen aufrechten Charakter haben«, »niederträchtig«, »unter meiner Würde« – die Grundlage liegt in den Metaphern GUT IST OBEN und GESELLSCHAFT IST EINE PERSON (Personifikation): tugendhaft sein heißt, in Übereinstimmung mit den von der Gesellschaft (i.e. Person) gesetzten Normen handeln, um Wohlergehen (s. GUT IST OBEN) zu gewährleisten. Tugend ist oben, weil tugendhaftes Handeln aus gesellschaftlicher bzw. persönlicher Sicht sozialem Wohlergehen entspricht; konventionalisiertes Konzept. VERSTAND IST OBEN/GEFÜHL IST UNTEN: »auf die Gefühlsebene abrutschen«, »hohes intellektuelles Niveau«, »seine Gefühle nicht überwinden können« – Grundlage: in unserer Kultur betrachtet sich der Mensch als ein Wesen, das Tiere und die Natur unter seiner Kontrolle hat; und die Fähigkeit zu reflektieren stellt den Menschen über die Natur und verleiht diese Kontrolle. KONTROLLE IST OBEN und DER MENSCH IST OBEN ergibt VERSTAND IST OBEN, konventionalisiertes Konzept. HOHER STATUS IST OBEN/NIEDRIGER STATUS IST UNTEN: »bis zur Spitze aufsteigen«, »Ober-/Unterschicht«, »die oberen Zehntausend«, »die da oben«, »Klein-/Großbürgertum« – Grundlage: der Status eines Menschen hängt zusammen mit (gesellschaftlicher) Macht und (physische) MACHT IST OBEN, folglich STATUS IST OBEN; konventionalisiertes Konzept. WICHTIG IST GROSS/UNWICHTIG IST KLEIN: »ein großer Tag«, »die großen Drei«, »ein hohes Tier«, »einen kleinen Beitrag leisten« – Grundlage: wichtige Dinge oder Personen wie Eltern sind aus der Perspektive des Kindes groß. Sie sind wichtig, weil sie Einfluss/Gewalt auf das Kind ausüben können. Ontologische Metaphern BLICKFELD IST EIN GEFÄSS: »etwas kommt in Sicht«, »jdn. im Auge haben«, »etwas im Blick haben« – Grundlage: unser Seh-Feld begrenzt auf natürliche Weise den Bereich, den wir noch erfassen können und definiert, was außerhalb unseres Blickfeldes liegt; direkt emergentes Konzept.
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ZUSTÄNDE SIND GEFÄSSE: »in Liebe entbrannt sein«, »aus allen Schwierigkeiten heraus sein«, »aus dem Koma aufwachen«, »in guter Stimmung sein«; konventionalisiertes Konzept. EMOTIONALE REGUNG IST PHYSISCHER KONTAKT: »ihr Tod hat ihn schwer getroffen«, »sie ist umwerfend«, »einen Eindruck auf jemanden machen«, »das hat mich umgehauen«; konventionalisiertes Konzept. PHYSISCHE/EMOTIONALE ZUSTÄNDE SIND ENTITÄTEN IM MENSCHEN: »Schmerzen in der Schulter haben«, »die Erkältung ist vom Kopf bis in die Brust gewandert«, »die Schmerzen gingen von selber wieder weg«, »sein Lächeln verschwand aus seinem Gesicht« etc.; konventionalisiertes Konzept (hier ist die Abgrenzung zu Personifikation jedoch fließend). HILFE IST UNTERSTÜTZUNG: »Er hat sie in dieser Situation sehr unterstützt«, »Du bist mir eine echte Stütze« etc. – Grundlage: Erfahrung, dass Dinge oder Menschen manchmal physische Unterstützung brauchen, um weiter ›funktionieren‹ zu können; direkt emergentes Konzept. ZEIT IST EIN BEWEGLICHES OBJEKT: »die Zeit fliegt«, »etwas kommt auf uns zu«, »wir sehen dunklen Zeiten entgegen«, »die Zeit wird kommen«, »die folgenden Wochen« – Grundlage: konkrete Erfahrung, dass ein Objekt, das sich auf uns zu bewegt, eine gewisse Zeit braucht, um uns zu erreichen plus die Projektion der vorne-hinten-Orientierung auf Zeit, bei der die Vorderseite auf die Bewegungsrichtung gelegt ist (heute lineare Zeitvorstellung, im diachronen Vergleich: Zeit als zirkulär bewegendes Objekt); emergentes Konzept. SCHWIERIGKEITEN SIND LASTEN: »er ist unter der Aufgabe zusammengebrochen«, »von der Verantwortung erdrückt werden«, »diese Arbeit belastet mich« etc. – Grundlage: konkrete eigenleibliche Erfahrung, schwere Dinge nur unter Anstrengung tragen zu können; emergentes Konzept. ZWECKE SIND (LOKALE) ZIELE: »ich bin am Ziel angekommen«, »er hat dieses Ziel lange verfolgt und es schließlich erreicht« etc. – Grundlage: Erfahrung, bestimmte Zwecke nur erfüllen zu können, wenn man ein lokales Ziel erreicht, Bsp. Essen und Trinken von einem anderen Ort holen, um das Bedürfnis Hunger/Durst zu stillen etc.; emergentes Konzept. HANDLUNGEN SIND BEWEGUNGEN: »ich bewege mich langsam aber sicher in Richtung Ende dieser Arbeit«, »ich komme bei diesem Projekt ganz gut voran« etc. – Grundlage: die alltägliche Bewegungserfahrung als ›Handlung‹, v.a. in der frühen Kindheit; emergentes Konzept. PERSONIFIKATION: »die Theorie erklärt den Zusammenhang von...«, »diese Tatsache spricht dagegen«, »die Inflation frisst unsere Gewinne auf«, »die Krankheit hat ihn eingeholt« etc.; konventionalisiertes Konzept.
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Komplexe Metaphern ARGUMENTIEREN IST KRIEG: »Schwachpunkte in einer Argumentation angreifen«, »Position verteidigen«, »Schießen Sie los«, »Strategie«, »Argumente niedermachen«, »Aus der Auseinandersetzung als Sieger hervorgehen« (zusammengesetzt aus der Primären Metapher ARGUMENTIEREN IST KAMPF, die sich aus der erst physischen, dann verbalen Auseinandersetzung mit den Eltern ergibt – Korrelation Kampf und Argumentieren – und dem kulturellen Deutungsmuster Krieg). ZEIT IST EINE RESSOURCE/GELD: »Zeit vergeuden/verlieren«, »Zeit ist kostbar/knapp«, »Zeit nutzen«, »Zeit investieren«, »Zeit ist knapp«: Primäre Metapher ZEIT IST SUBSTANZ und Deutungsmuster Ressource und kulturelle Korrelation von Arbeit und Zeit (vgl. Bsp. ARBEIT IST EINE RESSOURCE weiter unten). THEORIEN SIND GEBÄUDE: »Fundament einer Theorie«, »Theorie untermauern«, »in sich zusammenfallen«, »einen Argumentationsgang konstruieren«, »Theorie stützt sich auf Fakten«, »Gerüst der Theorie«, »die Theorie muss ausgebaut werden« (Lakoff/Johnson 2004: 59). Das ist ein Beispiel für den partiellen Charakter von Metaphern: ›unbenutzte‹ Teile des Konzepts Gebäude sind z.B. die Außenwände oder die verschiedenen Räume; diese können aber auch als Metapher im klassischen Sinn verwendet und verstanden werden: »die Theorie hat tausend Kämmerchen«, »komplexe Theorien haben oft Probleme mit der Inneneinrichtung«, »diese Daten sind die Ziegelsteine der Theorie«. LIEBE IST EINE REISE: »Liebe ist ein gemeinsamer Weg«, »weit gekommen sein«, »es war ein langer Weg«, »Wir müssen nun getrennte Wege gehen«, »wir sind in einer Sackgasse angekommen«, »Die Beziehung am Laufen halten«, »Seitensprung« – Grundlage: auf das Konzept LIEBE wird eine Entitätsstruktur und das kulturelle Bild einer Reise projiziert inklusive der Elemente ›Beginn‹, ›Ziel‹, ›Route‹ und ›Entfernung‹; Metapher zielt auf Liebe als Beziehung zwischen zwei Menschen. Andere Metaphern für Liebe: LIEBE IST PHYSIKALISCHE KRAFT (ontologische Metapher): »Anziehungskraft«, »es hat gefunkt«, »sich zueinander hingezogen fühlen« (Liebe als Gefühl); LIEBE IST KRIEG: »Eroberung«, »Annäherungsversuche«, »überwältigt sein«, »hinter jemandem her sein« (Phase des Kennenlernens). SEELE IST EIN ZERBRECHLICHES OBJEKT: »zusammenbrechen«, »niedergeschmettert sein«, »an etwas zerbrechen«, »Scherbenhaufen«, »jemanden wieder aufbauen«; konventionalisiertes Konzept.
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GEIST IST EINE MASCHINE: »uns rauchen schon die Köpfe«, »in Fahrt kommen«, »eingerostet/verkalkt sein«, »keine Kraft mehr haben«, »nachtanken müssen«; konventionalisiertes Konzept. GEIST IST EIN KÖRPER: «It is virtually impossible to think or talk about the mind in any serious way without conceptualizing it metaphorically.« (Lakoff/Johnson 1999: 235) Das Gerüst, eine bestimmte (nicht-metaphorische) Vorstellung von Geist als das Denkende, Wahrnehmende, Glaubende, sich Vorstellende und Wollende existiert zwar (vgl. »nonmetaphorical skeleton«), aber sobald wir diese Eigenschaften genauer in Worte/Gedanken fassen wollen, brauchen wir Metaphern. Beispiele hierfür sind: DENKEN IST BEWEGUNG: »Meine Gedanken sind umhergewandert«, »Schlussfolgerungen ziehen«, »einen bestimmten Punkt erreichen«, »Standpunkt«, »Dreh- und Angelpunkt«, »ich kann dir nicht folgen« (VERSTEHEN IST FOLGEN). Körperliche Basis: Einer unserer Hauptzugangswege zu Erfahrung ist die Bewegung in der Welt. DENKEN IST WAHRNEHMEN: »Die Augen vor etwas verschließen«, »einen Schleier vor den Augen haben«, »klare Worte finden«, »etwas illustrieren«, »Perspektive«, »ich zeige dir das anhand folgender Beispiele« (KOMMUNIZIEREN IST ZEIGEN), »etwas gegenüber blind sein«, »das riecht nach Ärger«, »etwas ist ganz nach meinem Geschmack«. Körperliche Basis: zu Informationen/Wissen gelangen wir oft durch das Sehen von etwas, aber auch durch andere Sinneseindrücke (Geruchs-, Geschmackssinn). DENKEN IST MANIPULATION VON OBJEKTEN (entspricht dem Konzept Ideen als Entitäten): »Gedanken austauschen«, »jdm. etwas entgegenwerfen/an den Kopf werfen«, »einen Gedanken festhalten«, »ich übermittle ihm die Nachricht sofort« (KOMMUNIZIEREN IST SENDEN), »ich begreife das einfach nicht« (VERSTEHEN IST BEGREIFEN). Körperliche Basis: wir erfahren Dinge, indem wir sie im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, wir untersuchen sie auf ihre Gestaltbarkeit hin. GEDANKEN ERLANGEN ALS ESSEN: »Wissensdurst«, »Lernbegierde«, »aufgewärmte Theorie«, »halbgare Ideen«, »die Aussage hat einen fahlen Beigeschmack«, »eine Idee verdauen«, »die Theorie ist schwer zu verdauende Kost«. Körperliche Basis: das Konzept eines gesunden Körpers wird auf den Geist als gut funktionierender Geist übertragen – »just as the body needs the right kind of food...so the mind needs the right kind of ideas« (Lakoff/Johnson 1999: 241). Eine weit verbreitete Komplexe Metapher ist die für Kommunikation nach dem Rohrpost-Prinzip (Conduit-Metapher nach Reddy 1993). Diese Metapher für
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Sprache umfasst mehrere Konzeptualisierungen: wir verstehen Ideen/ Bedeutungen als Objekte, sprachliche Äußerungen als Gefäße für diese Objekte und nennen das Senden dieser Gefäße Kommunikation. Beispiele der Alltagssprache: »er konnte seinen Gedanken gut rüberbringen«, »die Idee habe ich von dir bekommen«, »ich konnte meine Vorstellung nicht in Worte fassen«, »die Botschaft hat er schön verpackt«, »diese Worte enthalten wenig Sinn«, »dieser Satz ist mit Information überladen«, »für neue Ideen offen sein«, »etwas in den Raum stellen«, »große Worte« (vgl. mehr Raum ist mehr Inhalt), »ich konnte seinen Worten etwas entnehmen«, »diese Bedeutung wurde einfach in das Wort hinein gelegt«, »deine Botschaft kommt nicht an«, »wir haben aneinander vorbei geredet«, »das war ein anregender Gedankenaustausch« etc. (vgl. Reddy 1993; Brünner 1987: 103ff.; Baldauf 1997: 24f.; Lakoff/Johnson 2004: 19). Diese Metapher ist auch ein gutes Beispiel für die ›toten Winkel‹ jeder Metaphorisierung. Zum einen legt die Conduit-Metapher ein Verständnis von vorfabrizierter Bedeutung nahe: der Sprecher muss die in ihm vorgefertigten Gedanken, Gefühle etc. nur noch in Worte fassen und sie dem Hörer übermitteln. »Nicht ins Blickfeld tritt, was Kleist die allmähliche Verfertigung von Gedanken beim Reden genannt hat.« (Brünner 1987: 108) Zum anderen werden die reifizierten Bedeutungen vom Kontext abstrahiert. Für die Kommunikation bedeutet das, dass der Hörer den Worten nur noch die vom Sprecher hinein gelegte Bedeutung (i.e. den Inhalt) entnehmen muss, um ihn zu verstehen. Dass Bedeutung vom Hörer immer vor seinem jeweiligen Wissenshintergrund rekonstruiert wird und damit nie mit der Bedeutung des Sprechers genau übereinstimmen kann, bleibt im ›toten Winkel‹ der Metapher. Das Scheitern von Verständigung wird demnach auch entweder dem Sprecher überantwortet, dem es nicht gelungen ist, die richtigen Worte zu finden oder aber dem Hörer, der es nicht geschafft hat, die richtige Bedeutung zu entnehmen. Dass Verständigung ein von beiden Partnern koaktiv zu bewältigender, komplexer Prozess und nie unabhängig vom jeweiligen Kontext ist, bleibt dabei außer Acht. Intra-, interkulturelle und historische Spezifität und Variation von Konzeptualisierungen Intrakulturelle Variabilität von Konzeptualisierungen: Das Beispiel Ehe EHE IST EINE GESCHÄFTSPARTNERSCHAFT: Ehe ist hier eine gleichwertige Beziehung mit bestimmten Zielen, auf die beide Partner aktiv hinarbeiten sollen. Beziehungen können bei Nichterreichen eherelevanter Ziele scheitern und die Partnerschaft kann aufgelöst werden. Hier erhält das Vertragsmodell der Zielvereinbarungen und Pflichtzuschreibung eine große Bedeutung. Die Entscheidung für
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den Anderen wird Tag für Tag neu getroffen (man nennt dies auch das individualistische Beziehungskonzept; vgl. hierzu Schneider et al. 2005: 214). EHE IST EINE DYADE/EINHEIT: Hier herrscht auch Gleichheit vor, jedoch eher i.S. einer kompensatorischen Verschmelzung der Geschlechter: Mann und Frau ergänzen sich und werden so zu einer Einheit. Der dauerhafte Bestand der gemeinsamen Beziehung (im Gegensatz zu individueller Vorteilsabwägung) ist das primäre Ziel. Die Zweierbeziehung hat einen Eigenwert (hier spricht man vom kollektivistischen Beziehungskonzept; vgl. ebd.). Eine mögliche Quelle wäre in beiden Fällen das bildhafte Schema BALANCE: nur unter (gemeinsamer) Anstrengung kann ein Gleichgewicht aufrechterhalten werden. Wie und in welchem Deutungsrahmen (Partnerschaft versus Einheit) dieses Gleichgewicht aufrechterhalten wird, variiert allerdings. EHE IST EIN PATERNALISTISCHES VERHÄLTNIS (ELTERN-KIND-BEZIEHUNG): Diese Form der Ehekonzeptualisierung ist von Ungleichheit gekennzeichnet. Ein Partner (bei gegengeschlechtlichen Beziehungen i.d.R. der Mann) ist der Patriarch, der Kontrolle und Macht hat, der andere (analog dazu die Frau) ist dem Mann untergeordnet (traditionales Ehemodell). Diese traditionellen geschlechtsspezifischen Zuschreibungen gründen wiederum auf biologischen Gegebenheiten wie der physischen Größe des Mannes. Denkbare Primäre Metaphern wären hier demnach KONTROLLE/MACHT IST OBEN, der Mann ist ›oben‹ (i.e. groß), also hat der Mann die Kontrolle; oder auch GROSS IST WICHTIG, der Mann ist groß, also ist der Mann wichtig etc. Jede Konzeptualisierung hat nun Auswirkungen auf die Partnerauswahl, die Gründe für eine Heirat, die damit verbundenen Erwartungen sowie die Bewertung einer Ehe. Auch was als mögliches Problem gilt, ist abhängig von der jeweils zugrunde liegenden Metapher. Konflikte entstehen demnach oft daraus, dass die Partner in unterschiedlichen Konzepten leben: »...misunderstandings and other difficulties in a marriage are typically generated by metaphor conflict.« (Johnson/Lakoff 1982: 4) Interkulturelle Variabilität von Konzeptualisierungen: Das Beispiel Krankheit KRANKHEIT IST KAMPF: in unseren westlichen Kultur wird Krankheit typischerweise als KAMPF oder KRIEG konzeptualisiert (Johnson/Lakoff 1982: 4.). Die Voraussetzung hierfür war die Entdeckung der Zelle und die Etablierung der Bakteriologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Von nun an erkannte man Mikroorganismen als Ursachen verschiedenster Erkrankungen. Mit der weiteren Forschung zu Ätiologie und Therapiemöglichkeiten entfaltete sich die KAMPFMetapher und wurde zum hegemonialen Konzept für Krankheit. Wenn Viren in unseren Körper eindringen oder Bakterien diesen besiedeln und unsere Immun-
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abwehr versagt, werden diese Viren/Bakterien bekämpft – entweder mit Antibio-tika oder anderen ›chemischen Keulen‹. Dann bleiben zwei Möglichkeiten: der Patient besiegt die Krankheit oder er verliert den Kampf und stirbt. An diesem linguistischen Beispiel wird auch deutlich, dass die KAMPF-Metapher nicht nur unser Denken und Sprechen, sondern auch unser Handeln prägt. Angelika Wolf, die eine empirische Untersuchung zur Konzeption von Krankheit mit Schwerpunkt AIDS gemacht hat, nennt hier das Beispiel der Forderungen nach Zwangstests, Isolierung der Kranken oder einem Verbot sexueller Aktivität. (vgl. Wolf 1996: 207) KRANKHEIT IST ESSEN: In einigen indigenen afrikanischen Kulturen (z.B. Malawi) wird Krankheit hingegen häufig als ESSEN konzeptualisiert. AIDS z.B. ist ein »wildes Tier«, eine gefährliche »kleine Bestie«, die »frißt, selbst aber nicht gefressen werden kann« (ebd.: 215). Dieses Konzept erschließt sich, wenn man sich andere in Afrika geläufige Metaphern vor Augen hält. So werden auch Macht und Reichtum als Essen beschrieben: der Mächtige ist jemand, der einen essen will und der Leben kontrollieren kann, indem er seine Macht (wie Essen) teilt oder nicht; »Einseitiges Konsumieren ist ein Gradmesser für Machtmißbrauch«. (Ebd.: 221) AIDS wird nun ebenfalls in der vertrauten Terminologie des Essens erfasst: die Bestie tritt in den Körper ein und frisst dort die lebensnotwendigen Stoffe wie Blut oder Nahrung. So hat sie uneingeschränkte (und nicht einzuschränkende) Macht über den Kranken. Interkulturelle Variabilität von Konzeptualisierungen: Das Beispiel Leben EIN ZIELGERICHTETES LEBEN IST EINE REISE (bzw. EIN WEG MIT ZIEL). Der Ausgangspunkt dieser komplexen Strukturmetapher ist der kulturelle Wert eines sinnhaften, weil zweckgerichteten Lebens und die Norm des beständig auf diese Ziele hin orientierten Handelns (i.e. kulturelle Vorstellung eines ›sinnvollen‹ Lebens). Metaphorisch erschlossen wird das Konzept Leben dann mit den einfachen Primären Metaphern ZWECKE SIND ZIELE und HANDLUNGEN SIND BEWEGUNGEN (s.o.). Diese werden zum Bild einer Reise kombiniert. Die metaphorische Version eines sinnvollen Lebens ist dann ein Lebensziel, das auf einer langen Reise durch Handeln Stück für Stück erreicht werden soll. Die Metapher wird wirklich, indem wir z.B. ständig nach dem Sinn des Lebens bzw. der richtigen Zielsetzung suchen, weil eine Reise ohne oder mit falschem Ziel sinnlos scheint bzw. in die Irre führt. Auf dieser Reise werden uns aber bestimmte Ziele bereits als sinnvoll vermittelt und in Form idealerweise zu erreichender Werte gesellschaftlich vorgegeben (Bildung, Gesundheit, Wohlstand, Prestige). Auf dem Weg, diese zu erreichen, können wir »einen schwierigen Start gehabt haben« und irgendwann »an einem Punkt ankommen, an dem
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wir uns entscheiden müssen«, wir stehen »am Scheideweg«. Mit dem Bild der Reise ist weiterhin verbunden, dass man sein Leben in gewisser Weise planen, mit Hindernissen (»Stolpersteine«) rechnen, diese zu antizipieren versuchen und Schwierigkeiten (»Irrwege« oder »Sackgassen«) so weit wie möglich vorzubauen sollte. Auf jeden Fall sollen alle Handlungen »Schritte in die richtige Richtung« sein und den ›Reisenden‹ »weiter bringen«. Als Manifestation unserer Reise dokumentiert der Lebenslauf dann die wichtigsten ›Handlungen‹ auf diesem Weg, auf dem die zentralen Etappen oder Stationen institutionell vorstrukturiert sind. Gelingt es einem Mitglied der Gesellschaft nicht, sein Leben auf diese Weise sinnvoll zu gestalten – »verirrt« er sich auf seiner Reise oder »rutscht ab« – so ist es das gesellschaftliche Ziel, ihn möglichst wieder auf den »rechten Weg zu bringen«. Hierfür gibt es Institutionen für Jugendhilfe, Resozialisation Straffälliger o.ä. Diese Konzeption eines sinnvollen Lebens ist (wie die meisten Komplexen Metaphern) kulturspezifisch: »...recall that there are cultures around the world in which this metaphor does not exist; in those cultures people just live their lives, and the very idea of being without direction or missing the boat, of being held back or getting bogged down in life, would make no sense.« (Lakoff/Johnson 1999: 63) Historische Variabilität von Konzeptualisierungen: Das Beispiel Arbeit ARBEIT IST EINE RESSOURCE. Die Grundlage dieser komplexen Metaphern ist Arbeitsbegriff in der modernen Industriegesellschaft: Arbeit muss sinnvoll, effizient, produktiv, wert-voll sein (i.e. ›kulturelle Erfahrung mit Arbeit‹ als Basis der Komplexen Metapher). Diese ›Erfahrung‹ bzw. Deutung von Arbeit gründet auf der Erfahrung mit materialen Ressourcen: Beiden wird ein Wert zugeschrieben, sie sind quantifizierbar, dienen einem sinnvollen Zweck und können verbraucht oder verschwendet werden. Der zugrundeliegende Körperbezug ist die Primäre Metapher Tätigkeiten sind Substanzen (Lakoff/Johnson 2004: 42): Die Tätigkeit Arbeit wird als Substanz konzeptualisiert und zusammen mit der Erfahrung mit Substanzen, die nicht im Überfluss gegeben und deshalb wertvoll sind (Ressource) ergibt sich das Konzept Arbeit ist eine Ressource. Die Metapher ARBEIT IST EINE RESSOURCE hat sich in unserer Kultur entwickelt, weil sie die »Aspekte von Arbeit [...], die in unserer Kultur von zentraler Wichtigkeit sind«(Lakoff/Johnson 2004: 81) beleuchten und unseren Erfahrungen entsprechen. Die wirklichkeitskonstitutiven Konsequenzen einer solchen metaphorischen Erschließung von Arbeit sind: menschliche Arbeitskraft wird als Ressource, Ware oder Rohstoff konzeptualisiert, die nach der Logik von Angebot und Nachfra-
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ge funktioniert. Menschen als Träger von Arbeitskraft werden »eingesetzt«, »bezahlt«, ihre Arbeitskraft wird »aufgebraucht«. Es gilt, Kosten und Nutzen abzuwägen. Damit geht einerseits die Bewertung »gute (i.e. wertvolle) Arbeit ist teuer« einher. Aber gerade heute scheint sich in einigen Sektoren der umgekehrte Leitsatz »billige Arbeit ist gute (weil gewinnbringende) Arbeit« durchzusetzen. Nach Lakoff/Johnson verbirgt eine solche Ressourcen-Metaphorik die oftmals menschenunwürdigen Bedingungen von Arbeit: »Wenn wir die Metapher Arbeit ist eine Ressource akzeptieren und davon ausgehen, daß die Kosten für Ressourcen niedrig gehalten werden müssen, dann ist billige Arbeit eine gute Sache und steht auf gleicher Stufe mit billigem Öl. Die Ausbeutung von Menschen, die durch diese Metapher zum Ausdruck kommt, ist besonders drastisch in den Ländern, die sich mit ihrem ›eigentlich unerschöpflichen Angebot an billigen Arbeitskräften‹ brüsten; diese Feststellung klingt nach einer neutralen ökonomischen Aussage, die die Realität menschlicher Degradierung verbirgt. « (Lakoff/Johnson 2004: 271). Die Metapher verdeckt zugleich eine mögliche Neo-/Re-Konstruktion von Arbeit, die bspw. den Sinn einer Tätigkeit vor ökonomischen Nutzen stellt. Mögliche alternative Konzeptionen von Arbeit (und Zeit), »die in anderen Kulturen und in einigen Subkulturen unserer eigenen Gesellschaft existieren«, bleiben am Rande des hegemonialen Arbeitskonzepts. Dazu gehören z.B. »die Vorstellung, daß Arbeit Spiel, daß Inaktivität produktiv sein kann, daß vieles, was wir als Arbeit klassifizieren, entweder keinem eindeutigen Zweck oder keinem lohnenswerten Ziel dient« (Lakoff/Johnson 2004: 83). Die soziale Relevanz der hegemonialen Ressourcen-Metaphorik liegt auf der Hand, wenn man sich den nach wie vor hohen Stellenwert von Arbeit vergegenwärtigt: sie gestaltet konkrete soziale Beziehungen, Interaktionen und strukturiert ganze Systeme gesellschaftlicher Wirklichkeit. Individuen, die dem neoliberalen Paradigma der Nützlichkeit, Eigeninitiative, Kreativität und Flexibilität entsprechen, gelten als Ressourcen, die als solche Wertschätzung und Anerkennung erfahren, die anderen sind »die Überflüssigen«, Unbrauchbaren, Inaktiven, der Rest. Stigmatisierungen und Exklusion von Arbeitslosen/-unfähigen, die sich in konkreten Interaktionen und Handlungen manifestieren (können), sind heute eine reale Folge dieser Konzeptualisierung von Arbeit. Zur Ähnlichkeit von Zeit und Arbeit (nach Lakoff/Johnson 2004: 175): Die Erfahrung in der Industriekultur, dass der zeitliche Umfang für eine Aufgabe mit dem Arbeitsaufwand korreliert, erzeugt eine empirisch fundierte Ähnlichkeit zwischen den Konzepten Arbeit und Zeit. Folglich werden beide als Ressource konzeptualisiert. Lakoff/Johnson konkretisieren die RESSOURCEN-Metapher für
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Zeit noch und sprechen von Zeit ist Geld. Diese ergibt sich durch die Korrelation von Arbeit und Zeit und der Verbindung von Arbeit mit Geld. Demzufolge konzeptualisieren wir auch Zeit als Geld (s.o.).
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