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German Pages 213 Year 2000
STAMATIA DEVETZI
Die Kollisionsnormen des Europäischen Sozialrechts
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von
Siegfried Magiera und Detlef Merten
Band 64
Die Kollisionsnormen des Europäischen Sozialrechts
Von Stamatia Devetzi
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Devetzi, Stamatia: Die Kollisionsnormen des Europäischen Sozialrechts / von Stamatia Devetzi. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum europäischen Recht; Bd. 64) Zug!.: Osnabrück, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09743-2
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 2000 Duncker &
ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-09743-2 Gedruckt auf aIterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
e
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück im Sommersemester 1998 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum konnten bis Ende 1998 berücksichtigt werden. Die Dissertation wurde mit dem Förderpreis für Nachwuchswissenschaftler, der in Verbindung mit der Heinrich-Lünendonk-Medaille auf dem Gebiet des Sozial versicherungswesens vergeben wird, ausgezeichnet. Während der Fertigstellung der Dissertation habe ich vielfältige Unterstützung erhalten, für die ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte. Zuallererst gebührt mein Dank meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Eberhard Eichenhofer. Weit über seine kritische und anregende wissenschaftliche Betreuung hinaus stand er mir jederzeit als hilfsbereiter Gesprächspartner zur Verfügung. Herrn Prof. Dr. Albrecht Weber danke ich ganz herzlich für die schnelle Durchsicht der Arbeit als Zweitgutachter. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft habe ich zu danken, da sie mir durch ein Promotionsstipendium diese Arbeit ermöglicht hat. Während meiner Promotionszeit war ich als Doktorandin des interdisziplinären Graduiertenkollegs ..Migration im modemen Europa" am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück institutionell eingebunden. Weiterhin möchte ich mich bei all den Freunden bedanken, die sich die Mühe gemacht haben, die diversen Textfassungen Korrektur zu lesen. Mein ausdrücklicher Dank gilt außerdem lutta Tiemeyer für die abschließende Formatierung des Manuskripts. Für die Aufnahme meiner Dissertation in die ..Schriften zum Europäischen Recht" danke ich den Herausgebern, Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera sowie Herrn Prof. Dr. Detlef Merten. Ganz besonders danke ich schließlich meinen Eltern, die mir während der gesamten Studienzeit - und nicht nur in dieser Zeit - stets die notwendige Unterstützung und Motivation gegeben haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.
Frankfurt am Main, Oktober 1999
Stamatia Devetzi
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung.............................................................................................................
17
B. Geltungsbereich des Europäischen Sozialrechts .................. .......... ...... ............
27
I.
Räumlicher Anwendungsbereich ....................................................................
27
11. Persönlicher Anwendungsbereich ...................................... ............................. 27
c.
1. Das Kriterium der wirtschaftlichen Stellung..............................................
28
a) Arbeitnehmer ........................................................................................
28
b) Selbständige..........................................................................................
29
c) Beamte ..................................................................................................
30
2. Das Kriterium der sozialen Stellung: Familienangehörige und Hinterbliebene................ ......................................................................................
31
3. Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats .............................. .....................
32
4. Kein Erfordernis einer Ausübung der Freizügigkeit bzw. der Niederlassungsfreiheit ..... ....... ......................................................... .....................
33
III. Sachlicher Geltungsbereich.............................................................................
34
1. Begriff der "sozialen Sicherheit" ...............................................................
34
2. Abgrenzung zwischen Leistungsgattungen der sozialen Sicherheit und der Sozialhilfe ............................................................................................
35
Die Normen über das anwendbare Recht .........................................................
39
I.
Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 ...........................................................................................................
39
I. Das auf die obligatorische Sozialversicherung anwendbare Recht ............
40
a) Die "Grundregel" ..................................................................................
40
aa) Arbeitnehmer ................................................................... ...............
40
bb) Selbständige....................................................................................
42
cc) Verhältnis der Art. 13 ff. zu Art. I VO (EWG) 1408171................ 43
8
Inhaltsverzeichnis (1) Die Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" in Art. I, 2 und Art 13 Abs. 2 VO (EWG) 1408/71.................................... 43 (2) "Zirkelschluß"?........................................................................ 46 dd) Seeleute .......................................................................... ,. ............... 48 ee) Beamte ............................................................................................ 49 ff) Wehr- und Zivildienstleistende.......................................................
51
gg) Diplomaten .....................................................................................
51
hh) Nichterwerbstätige ..........................................................................
53
b) Beschäftigungffätigkeit in mehr als einem Mitgliedstaat.....................
54
aa) Arbeitnehmer .......................................... .................. ........... ....... .... (1) Die Regelungen des Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) VO (EWG) 1408/71..................................................................................... (2) Grenzüberschreitende Betriebe................ ................................. (3) Verfahrens vorschriften .............................................................
55
bb) Selbständige....................................................................................
57
ce) Personal im internationalen Transportgewerbe...............................
59
dd) Seeleute...........................................................................................
60
ee) Gleichzeitige abhängige Beschäftigung und selbständige Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten .................................................... (1) Die Regelung des Art. 14c VO (EWG) 1408/71 ...................... (2) Kritik an Art. 14c Buchst. b) VO (EWG) 1408/71................... (3) Der Begriff "Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis" in Art. 14c VO (EWG) 1408/71 ................................................... ff) Beamte............................................................................................ c) Vorübergehende Beschäftigung oder Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat...............................................................................................
55 56 56
61 61 62 63 64 64
aa) Arbeitnehmer: Regelungen bei Entsendung ................................... 64 (1) Regelung der Entsendung......................................................... 64 (2) Zweck der Entsendungsregelung.............................................. 65 (3) Voraussetzungen der Entsendung............................................. 66 (4) Kurzzeitige Entsendungen........................................................ 71 (5) Entsendungsvorschriften: Ausnahme oder Konkretisierung des Art. 13 VO (EWG) 1408/71? ............................................. 71 bb) Selbständige: Vorübergehende Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ....... .............................................................................. .... (1) Die Regelung des Art. 14a Abs. 1 VO (EWG) 1408/71........... (2) Zweck der Regelung über die vorübergehende Tätigkeit der Selbständigen............................................................................ (3) Voraussetzungen der Regelung des Art. 14a Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 ........................................................................
73 73 73 73
Inhaltsverzeichnis (4) Natur der vorübergehenden Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat............................ .......................................................
9
74
cc) Entsendung von Seeleuten und Hafenpersonal. ..............................
75
dd) Probleme bei der Anwendung der Entsendungsvorschriften ... ....... (1) Unterscheidung zwischen Entsendung und gleichzeitiger Beschäftigung bzw. Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten.......... (2) Die sogenannten "Dreiecksverhältnisse".................................. (3) Praktische Probleme .................................................................
76 76 77 78
d) Ausnahmevereinbarungen nach Art. 17 VO (EWG) 1408171 ..............
79
e) Kriterien, die das anwendbare Recht bestimmen ..................................
82
aa) Beschäftigungsort .... ......................... ............... ... .......... ..... ...... ....... (1) Der Beschäftigungsort als prägendes Kriterium des Titels 11 der VO (EWG) 1408171 ........................................................... (2) Kriterien, die mit dem Beschäftigungsort eng verbunden sind...
82 82 84
bb) Tätigkeitsort ....... .......... ................. ............................... ................ ...
85
cc ) Wohnort.................................. ...................... ........................... .......
85
dd) Sitz des Unternehmens oder Arbeitgebers ......................................
87
ee) "Haupttätigkeitsort" und Sitz der Selbständigen ............................
88
2. Freiwillige Versicherung............................................................................
89
3. Beitragspflichten und Leistungsberechtigung ............................................
90
a) Beitragspflichten ...................................................................................
91
aa) Das Verbot der Doppelbelastung des Einkommens........................
91
bb) Die Künstlersozialabgabe nach dem deutschen Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).......................................................... cc) Regelung der Beitragspflicht für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Selbständige in der VO (EWG) 1408171 ........................................ (I) Arbeitnehmer und Selbständige................................................ (2) Arbeitgeber .................................................................. ...... ....... b) Leistungsrechte .....................................................................................
92 94 94 94 96
aa) Ein nationales Sozialversicherungsrecht für alle Leistungsarten .... 96 bb) "Zuständiger Träger" für die Leistungen im Titel III der VO (EWG) 1408171 .............................................................................. 97 11. Besondere Bestimmung des anwendbaren Rechts ........ .............. ....................
99
1. Konkretisierungen des Titels 11 der VO (EWG) 1408171 .......................... 100 2. Modifizierungen des Titels 11 der VO (EWG) 1408171 ............................. 103 a) Leistungen für Grenzgänger bei Arbeitslosigkeit ..... ........................ .... 103 aa) Lex domicilii statt lex loci laboris ......... ........... ............. ........... ...... 103 bb) Anwendung der lex loci laboris ...................................................... 106
10
Inhaltsverzeichnis b) Art. lOa VO: Das anwendbare Recht für die beitragsunabhängigen Sonderleistungen .................... ............................................................... 107 3. Die besondere Bestimmung des anwendbaren Rechts ............................... 110 III. Zukunftsperspektiven der Normen über das anwendbare Recht der VO (EWG) 1408/71 ............................................................................................... 111
D. Systematische Einordnung........... ............................................................ .......... 113 I.
Grund für die Existenz von Normen über das anwendbare Recht .................. 113 1. Die nationalen Normen .............................................................................. 113 a) Der personelle Wirkungskreis des nationalen Rechts ........................... 113 b) Europa: Ein Raum - zwei sozialrechtliche Grundansätze ..................... 114 c) Grund für die unterschiedlichen Tendenzen ......................................... 115 d) Probleme, die sich aus dem unterschiedlichen Anwendungsbereich der nationalen Gesetzgebungen ergeben ..................... .......................... 117 2. Die Normen über das anwendbare Recht im Abkommensrecht und in der VO (EWG) 1408/71 ............................................................................. 118
11. Der Rechtscharakter der Normen über das anwendbare Recht.. ..................... 121 1. Die Begrifflichkeit des Internationalen Privatrechts .................................. 121 a) Denkweisen des Internationalen Privatrechts ....................................... 121 b) Sach- und Kollisionsnormen ................................................................. 122 c) Prämissen des Verweisungsrechts ......................................................... 123 d) Bedeutung der Begriffe "Kollisions-" und "Sachnorm" für die nachfolgende Untersuchung ......................................................................... 125 2. Autonomes internationales öffentliches Recht und autonomes internationales Sozialrecht .................. ............................. ............................... ....... ... 126 a) Die Diskussion im öffentlichen Recht .................................................. 126 aa) Die Untauglichkeit des kollisionsrechtlichen Denkens im öffentlichen Recht .............. ............ ..... ..................................................... 126 bb) Die Annahme des kollisionsrechtlichen Denkens im öffentlichen Recht ............................................................................................... 128 (1) Die Existenz von "echten" Kollisionsnormen .......................... 128 (2) Der notwendig einseitige Charakter der Kollisionsnormen des öffentlichen Rechts............................................................. 129 b) Die Diskussion im Sozialrecht.. ............................................................. 130 aa) Die Verweigerung des kollisionsrechtlichen Denkens im Sozialrecht ................................................................................................ 130 bb) Die Annahme des kollisionsrechtlichen Denkens im Sozialrecht... 132
Inhaltsverzeichnis
11
(1) Die Existenz von Kollisionsnormen ....... .................................. 132
(2) Eigenheiten der sozialrechtlichen Kollisionsnormen........ ........ 133 (3) Auseinandersetzung mit den Prämissen des IPR - Die Besonderheit des ISR .................................................................. ....... 135 (4) Der Begriff der Rechtsanwendung ........................................... 137 cc) Zusammenfassung .......................................................................... 141 III. Die Normen über das anwendbare Recht in der VO (EWG) 1408171 ............ 143 1. Normative Struktur .................................................................................... 143 a) Keine materiellrechtliche Folge ............................................................ 143 b) Kollisionsrechtlicher Tatbestand ........................................................... 145 aa) Anknüpfungsgegenstand ................................................................. 145 bb) Anknüpfungspunkte ........................................................................ 145 2. Normzweck ................................................................................................ 147 3. Andere Pendants zum IPR ......................................................................... 149 a) Alternative Anknüpfungen .................................................................... 149 b) Gesonderte Anknüpfung einer Teilfrage ............................................... 150 c) Akzessorische Anknüpfung .................................................................. 151 4. Zusammenfassung................................................... ............ ............ ........... 152 IV. Verhältnis der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 zu den Kollisionsnormen des Abkommensrechts und den nationalen Kollisionsnormen .......... 153 1. Verhältnis zu den Kollisionsnormen des Abkommensrechts ..................... 153 2. Verhältnis zu den nationalen Kollisionsnormen ........................................ 155 a) Vorrang der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 ...................... 155 aa) Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht ........ 155 bb) Der Vorrang der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 vor den nationalen Kollisionsnormen .................................... ............... (1) Keine zusätzliche nationale Kollisionsnorm ............................. (2) Keine nationale Kollisionsnorm, die andere Anknüpfungspunkte enthält als die der VO (EWG) 1408171.. ....................... (3) Verdrängung von nationalen Sachnormen? .............................. (4) Fazit: Die "starke Wirkung" der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408/71 ........................................................................
156 156 157 159 160
cc) Bedeutung der "starken Wirkung" der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 für den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung..................................................................................... 161 b) Die "exklusive" Wirkung der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408/71 ................................................................................................. 162
12
Inhaltsverzeichnis aa) Artikel 13 Abs. 1 va (EWG) 1408171 ........................................... 162 bb) Die Diskussion um den exklusiven Charakter des Art. 13 Abs. 1.... 162 3. Ergebnis: Vereinheitlichung der nationalen Kollisionsnormen durch die Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 ............................................... 164 V. Stellung der Kollisionsnormen in der va (EWG) 1408171 ............................ 165 1. Die Aufgabe der Kollisionsnormen im Rahmen des Koordinationsauftrags der va (EWG) 1408171 .................................................................... 165 2. Koordinierungsregeln der va (EWG) 1408171 und Rolle des durch die Kollisionsnormen bestimmten zuständigen Mitgliedstaats und dessen Träger ......................................................................................................... 166 a) Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft.. ........................................ 166 aa) Zusammenrechnung von Versicherungszeiten ............................... 166 bb) Gewährung von Leistungen bei Krankheit in einem anderen Mitgliedstaat ......................................................................................... 167 cc) Sachleistungen durch Leistungsaushilfe ......................................... 168 b) Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten .................................................. 171 c) Rentenrecht ........................................................................................... 172 aa) Alter und Tod.. ................................................................................ 172 bb) Invalidität .......... .......................................... ................ .................... 173 cc) Verfahren der Zusammenrechnung - Rolle der Träger der beteiligten Mitgliedstaaten ..................................................................... 174 d) Arbeitsförderung ................................................................................... 176 e) Familienleistungen ................................................................................ 177 f) Der zuständige Staat für die arbeitslosen Grenzgänger......................... 177
g) Rolle des "zuständigen Trägers" und Zusammenarbeit mit den anderen Trägern............................................................................................ 178 3. Bedeutung der Unterscheidung zwischen Kollisionsnormen und Koordinierungsregeln ..................................................................................... ....... 179 VI. Der Rechtscharakter der Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171............ 181 1. Die Formulierung der Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 ............ 182
2. Möglichkeit der Anwendung ausländischen Sozialrechts? ........................ 184 a) Haben die Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 die gleiche Funktion wie die mehrseitigen Kollisionsnormen des IPR? ................. 186 b) Handelt es sich im System der va (EWG) 1408171 um eine Anwendung ausländischen Rechts wie im IPR? ............................................... 187 aa) Sachleistungsaushilfe im Krankheitsfall.. ....................................... 187
Inhaltsverzeichnis
13
bb) Zusammenrechnung von Versicherungszeiten ............................... 188 cc) Rentengewährung ........................................................................... 188 dd) Zwischenergebnis ................................................................. .......... 189 ee) Invaliditätsfeststellung .................................................................... 190 ff) Durchsetzung der Beitragsanspruche in anderen Mitgliedstaaten und Amtshilfe............................................................... .................. 190 gg) Ergebnis.... ....................... ..... ... ............... ............................. ........... 191 c) Versicherungsträger sind Träger hoheitlicher Gewalt... ........................ 192 d) Zusammenfassung. ............................. ................. ........................... ....... 193
E. Schluß .............. ....................... ..... ................. ........................... ............................. 195 I.
Der kollisionsrechtliche Charakter der Normen über das anwendbare Recht der VO (EWG) 1408/71 .................................................................................. 195
11. Die Behauptung der Mehrseitigkeit ..................... ........................................... 196 III. Praktische Bedeutung der Einseitigkeit.................................... .......... ............. 197 Literaturverzeichnis .................................... ............. ....................................... .......... 199
Stichwortverzeichnis ................................................................................................. 211
Abkürzungsverzeichnis a.F.
alte Fassung
abgedr.
abgedruckt
ABI.
Amtsblatt (EG)
AKW
Algemene Kinderbijlagwet
Ann.
Annees
AOW
Algemene Oudersdomswet
Az
Aktenzeichen
BABI.
Bundesarbeitsblatt
BB
Betriebs-Berater (Zeitschrift)
BErzGG
Bundeserziehungsgeldgesetz
BfA
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte
BG
Die Berufsgenossenschaft (Zeitschrift)
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBI.
Bundesgesetzblatt
BKK
Die Betriebskrankenkasse (Zeitschrift)
BMFuS
Bundesministerium für Familie und Senioren
BSG
Bundessozialgericht
BSGE
Entscheidungen des Bundessozialgerichts
BT-Drucks
Bundestagsdrucksache
Buchst.
Buchstabe
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
Cass. ch. soc.
Cour de Cassation, Chambre sociale
C.E.E.
Communaute Economique Europeenne
Chron.
Chronique
CMLRev
Common Market Law Review (Zeitschrift)
CRvB
Centrale Raad van Beroep
DAngVers
Die Angestelltenversicherung (Zeitschrift)
DOK
Die Ortskrankenkasse (Zeitschrift)
DRV
Deutsche Rentenversicherung (Zeitschrift)
DStZ
Deutsche Steuerzeitung
Abkürzungsverzeichnis DVBI.
Deutsches Verwaltungsblatt
EAS
Europäisches Arbeits- und Sozialrecht
&I.
Editor
EG
Europäische Gemeinschaft
EGBGB
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
EGKSV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGV
Vertrag über die Europäische Gemeinschaft
EISS
European Institute of Social Security
EU
Europäische Union
EuGH
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
EuroAS
Informationsdienst Europäisches Arbeits- und Sozialrecht (Zeitschrift)
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
EWR
Europäischer Wirtschaftsraum
IAO
Internationale Arbeitsorganisation
ILO
International Labour Organisation
IPR
Internationales Privatrecht
IPRax
Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrenrechts (Zeitschrift)
ISR
Internationales Sozialrecht
ISSR
International Social Security Review
IVSS
Internationale Vereinigung für soziale Sicherheit; Zeitschrift der Internationalen Vereinigung für soziale Sicherheit
JA
Juristische Arbeitsblätter
J.c.P.
Juris Classeur Periodique (Zeitschrift)
JZ
Juristenzeitung
KOM
Dokumente der Kommission der Europäischen Gemeinschaft
KSVG
Künstlersozialversicherungsgesetz
KV
Krankenversicherung
Losebl.-Ausg.
Loseblatt-Ausgabe
LSG
Landessozialgericht
n.F.
neue Fassung
15
16
Abkürzungsverzeichnis
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NKES
Nomos-Kommentar zum Europäischen Sozialrecht
No.
Number
NZS
Neue Zeitschrift für Sozialrecht
RabelsZ
Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Rabel
RdA
Recht der Arbeit (Zeitschrift)
Rev.
Revue
Rev. belg. sec. soc.
Revue beige de securite sociale
Rev. crit. dr. int. pr.
Revue critique de droit international prive
R.M. Themis
Rechtsgeleerd magazijn Themis: tijdschrift voor publiek en privaatrecht (Zeitschrift)
RS
Rechtssache
RTDE
Revue trimestrielle de drot europeen
RVO
Reichsversicherungsordnung
S.E.W.
Sociaal Economische Wetgeving (Zeitschrift)
SGB
Sozialgesetzbuch
SGb
Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift)
SGB SozVersGesKomm
SozialgesetzbuchlSozialversicherung Gesamtkommentar (hrsg. v. Bley/Gitter u.a.)
Slg.
Sammlung
SozR
Sozialrecht (Entscheidungssammlung)
SRH
Sozialrechtshandbuch (hrsg. v. Rulandlvon Maydell)
StGB
Strafgesetzbuch
SZIER
Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht
verb.
verbundene
Verfass.
VerfasserN erfasserin
VO
Verordnung
VSSR
Vierteljahresschrift für Sozialrecht
Weekblad v. fisc. Recht
Weekblad voor fiscaal Recht
ZAS
Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht
ZfSH/SGB
Sozialrecht in Deutschland und Europa (Zeitschrift) (früher: Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch)
ZIAS
Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeitsund Sozialrecht
ZSR
Zeitschrift für Sozialreform
A. Einleitung Die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes, in dem innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Freiheit für den Waren-, Kapital-, Dienstleistungs- und Personenverkehr herrschen sollte, war vor vierzig Jahren das Ziel des Vertrags von Rom. Die Verwirklichung des Binnenmarktes ist nunmehr von der Europäischen Gemeinschaft (EG) übernommen worden. Seit dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäische Akte (EEA) 1 am 1.7.1987 bestimmt der Artikel 7 a des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV): "Der Binnenmarkt umfaßt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital [ ... ] gewährleistet ist". Unter diesen vier Grundfreiheiten gehört der freie Personenverkehr zum Kern der Rechte der Unionsbürger. Wenn von den die Menschen betreffenden Vorteilen der Gemeinschaft die Rede ist, wird regelmäßig auf die Freizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit hingewiesen. 2 Zusammen mit der Dienstleistungsfreiheit bilden sie denjenigen Aspekt des Binnenmarktes, dessen Ergebnisse sich am unmittelbarsten auf die einzelnen Bürger auswirken. Art. 48 EGV sieht vor, daß jeder Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Gemeinschaft ist, zum Zwecke der Ausübung einer abhängigen Beschäftigung in die anderen Mitgliedstaaten einreisen und sich dort aufhalten kann. Nach Art. 48 Abs. 2 EGV umfaßt die Freizügigkeit die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer. Während die Freizügigkeit für die Aufnahme und Ausübung unselbständiger Erwerbstätigkeit gilt, kommen die Niederlassungsfreiheit (Art. 52-58 EGV) und der freie Dienstleistungsverkehr (Art. 59-66 EGV) den selbständig Erwerbstätigen zugute. Diesen Freiheiten ist gemeinsam, daß sie Selbständigen die Ausübung ihrer Tätigkeit grenzüberschreitend ermöglichen. Sie unterscheiden sich aber dadurch, daß die Niederlassungsfreiheit die dauernde Ansiedlung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat
ABI. (EG) Nr. L 169/1. Wölker, in: GITIE, Kommentar zum EWGV, 1991, Vorbemerkung zu den Artikeln 48 bis 50, Rdnr. 7. 1
2
2 Devetzi
18
A. Einleitung
ermöglicht, während das Wesensmerkmal der Dienstleistungsfreiheit die vorübergehende Grenzüberschreitung ist: Die Dienstleistungsfreiheit ermöglicht nämlich erwerbswirtschaftliche Tätigkeiten ohne Sitzverlagerung. 3 Die Gründerstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft waren sich bewußt, daß die Freizügigkeit auch sozialrechtlich flankiert werden müsse. Dem Entschluß eines Arbeitnehmers, sich zur Aufnahme einer Beschäftigung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, könnte die Gefahr entgegenstehen, daß er dadurch Ansprüche auf Sozialleistungen verlieren oder eine Verminderung dieser Leistungen erleiden würde. Deshalb bestimmte der Art. 51 EWGV (nunmehr Art. 51 EGV): "Der Rat beschließt einstimmig auf Vorschlag der Kommission die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen; zu diesem Zweck führt er insbesondere ein System ein, welches aus- und einwandernden Arbeitnehmern und deren anspruchs berechtigten Angehörigen folgendes zusichert: a) die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen; b) die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen." Durch dieses System soll verhindert werden, daß Arbeitnehmern durch den Wechsel von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat sozialrechtliche Nachteile entstehen. Es sollen also die Voraussetzungen geschaffen werden, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. 4 Das Bestreben, diese Voraussetzungen zu schaffen, beschränkt sich jedoch nicht auf die abhängig Beschäftigten: Die Selbständigen, die von der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machen, können denselben sozialrechtlichen Schutz beanspruchen wie die Arbeitnehmer, die innerhalb der EU mobil sind. 5 Der in Art. 48 EGV beschriebene Inhalt der Arbeitnehmerfreizügigkeit gibt auch für die Auslegung der Niederlassungsfreiheit wertvolle Hinweise: Das Aufenthalts-, Freizügigkeits- und Verbleiberecht gilt für die Selbständigen ebenso wie für die Arbeitnehmer,6 und die Rechtsprechung des EuGH wendet
3 Streinz, Europarecht, 1995, Rdnr. 700 und 721; Oppermann, Europarecht, 1991, Rdnr. 1482, 1494, 1496. 4 NKES, Schulte, I.A (Vorbemerkungen), Rdnr. 4. 5 Eichenhofer, Sozialrecht als Gegenstand des Gemeinschaftsrechts, EAS B 1200, Rdnr. 53. 6 Roth, Niederlassungs- und Dienst1eistungsfreiheit, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, E. I, Rdnr. 10.
A. Einleitung
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auf jene die gleichen Prinzipien wie auf diese an. 7 Deshalb ist es folgerichtig, auch sie vor sozialrechtlichen Nachteilen zu bewahren, um ihre Grundfreiheiten zu ermöglichen. 8 Das in Art. 51 EGV vorgesehene freizügigkeitsspezifische Sozialrecht ist Teil der Sozialpolitik9 der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft verfolgt nämlich einige sozialpolitische Ziele. Dazu gehören, wie der nach dem Amsterdamer Vertrag neu gefaßte Art. 117 EGV festlegt, neben der "Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen" auch "die Förderung von Beschäftigung, ein angemessener sozialer Schutz, der soziale Dialog, die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau und die Bekämpfung von Ausgrenzungen". Diese sog. "Sozialvorschriften" (Art. 117-122 EGV) wurden im Vertrag von Amsterdam durch die Artikel des Abkommens über die Sozialpolitik ersetzt. Dieses Abkommen war dem Protokoll Nr. 14 des Vertrages über die Europäische Union beigefügt und ermächtigte damals elflO von zwölf Mitgliedstaaten mit Ausnahme Großbritanniens -, den durch die Gemeinschaftscharta sozialer Grundrechte eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Nach dem Sieg der LabourParty in Großbritannien im Mai 1997 war der Weg frei für die Einbeziehung des Sozialabkommens in den EGV. Vor dem Amsterdamer Vertrag war die Sozialpolitik grundsätzlich Angelegenheit der Mitgliedstaaten;!! nach dem ursprünglichen Art. 118 EGV beschränkten sich die Befugnisse der Kommission auf "die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen", mit Ausnahme von Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz und der Gleichbehandlung der Geschlechter. 12 Nach dem neuen Art. 118 Abs. 1 EGV "unterstützt und ergänzt" die Gemeinschaft die Tätigkeit der Mitgliedstaaten zur Verwirklichung der Ziele des Art. 117 EGV. In bestimmten Bereichen, wie bei der Verbesserung der Arbeitsumwelt und der Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt, wird die Verabschiedung von Richtlinien mit qualifizierter Mehrheit ermöglicht (Art. 118 Abs. 2 EGV). Die Tatsache, daß die Aufgaben 7 EuGH, RS C-363/89 (Roux/Belgischer Staat), Slg. 1991,1-273; Randelzhofer, in: Grabitz / Hilf, Kommentar zur EU, Art. 52 Rdnr. 48. 8 s. die Präambel der VO (EWG) 1390/81 (ABI. 1981, L 143/1 ff.), mit der die VO 1408171 auch auf Selbständige und ihre Familienangehörigen ausgedehnt wurde. 9 s. EuGH, Gutachten 2/91 (insb. Erwägungsgrund 30): Unter Hinweis auf die sozialrechtlichen Vorschriften in Titel m, Kapitel I EGV wird von der "Sozialpolitik" der Gemeinschaft gesprochen. 10 Die 1995 mit dem Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands 14 wurden. !! s. Steinmeyer, Harmonisierung des Arbeits- und Sozialrechts in der EG, ZIAS 1989,208 ff., 214; Kuhn, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, 1995, 308 ff. 12 Die früheren Art. 118a und 119 EGV (vor dem Amsterdamer Vertrag).
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der Gemeinschaft im Bereich der Sozialpolitik unterstützend und ergänzend sind, bedeutet, daß noch immer die Mitgliedstaaten über die sozialpolitische Primärzuständigkeit verfügen, mögen auch die gemeinschaftlichen Kompetenzen erweitert worden sein. 13 Dies zeigt sich auch daran, daß einige für die Mitgliedstaaten besonders sensible Bereiche, wie der soziale Schutz und die soziale Sicherheit, die Mitbestimmung und Beschäftigungsmaßnahmen, dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegen (Art. 118 Abs. 3 EGV). Während die Handlungskompetenzen der Gemeinschaft in bezug auf die Sozialpolitik im allgemeinen nur langsam ausgeweitet werden konnten, hat die sozialrechtliche Unterstützung der Freizügigkeit eine lange Geschichte im Europäischen Raum. In diesem Bereich hatte die Gemeinschaft von Anfang an nicht nur eine Regelungsbefugnis, sondern darüber hinaus eine Regelungspflicht. Schon 1958 hat der Rat in Erfüllung der ihm durch Art. 51 EWGV übertragenen Aufgabe seine ersten Rechtsetzungsakte erlassen: Die Verordnung (EWG) Nr. 3 14 des Rates vom 25. September 1958 über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer l5 und die Verordnung (EWG) Nr. 4 des Rates vom 3. Dezember 1958 zur Durchführung und Ergänzung der va (EWG) Nr. 3. 16 Bereits 1963 war offensichtlich geworden, daß die Verordnungen Nr. 3 und 4 revidiert werden mußten. 17 Am 1.1 0.1972 traten an deren Stelle als grundlegende Neugestaltung die "va (EWG) 1408171 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern,,18 sowie die "va (EWG) 574/72 des Rates über die Durchführung der va (EWG) 1408171,,19 in Kraft. Die zum Schutz der Rechte in der sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer geschaffenen Verordnungen bilden das System des Europäischen Sozialrechts. Sie bezwecken die zwischenstaatliche "Koordinierung" unter den Sozialleistungssystemen der Mitgliedstaaten. Dieser Begriff steht mit der sozial-
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Kliemann, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, 1997,98. Diese Verordnung ist inhaltlich fast identisch mit dem auf Art. 69 § 4 EGKSV ge-
stützten "Europäischen Abkommen über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer" (abgedr. in BABI. 1958, 101 ff); dazu Pompe, Leistungen der sozialen Sicherheit bei Alter und Invalidität für Wanderarbeitnehmer nach Europäischem Gemeinschaftsrecht, 1986,41 ff., 43; Klang, Soziale Sicherheit und Freizügigkeit im EWG-Vertrag, 1986,3lf. IS ABI. (EG) Nr. 30 v. 16.12.1958,561 ff. 16 Ebd., 597 ff. 17 Pompe, Leistungen der sozialen Sicherheit bei Alter und Invalidität für Wanderarbeitnehmer nach Europäischem Gemeinschaftsrecht, 1986,43. 18 ABI. (EG) Nr. L 149 v. 5.7.1971, 2, in der Neufassung der VO (EG) Nr. 118/97 des Rates v. 2.12.1996, ABI. EG Nr. L 28 v. 30.1.1997,4. 19 ABI. (EG) Nr. L 74/1 v. 27.03.1972.
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politischen Primärzuständigkeit der Mitgliedstaaten der EU in unmittelbarem Zusammenhang, setzt diese geradezu voraus. Die einzelnen Mitgliedstaaten gestalten und verwalten nach wie vor ihre eigenen Systeme der sozialen Sicherheit. Die Schaffung eines gesonderten, selbständigen Sozialversicherungssystems durch die Gemeinschaft ist nicht vorgesehen. 2o Mit .. Koordinierung" ist die Verflechtung der sozialen Sicherungssysteme der Mitgliedstaaten durch europarechtliche Regelungen für grenzüberschreitende Sachverhalte gemeint. 21 Die nationalen Rechtsnormen der einzelnen Mitgliedstaaten über die soziale Sicherheit werden so aufeinander abgestimmt, wie dies die Freizügigkeit der Arbeitnehmer bzw. die Dienst- oder Niederlassungsfreiheit der Selbständigen innerhalb der Gemeinschaft erfordern?2 Die Koordinierung ist keine Besonderheit des Europäischen Sozialrechts;23 schon 1935 wurde im Übereinkommen Nr. 48 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) diese bedeutende Gestaltungsaufgabe des internationalen Sozialrechts den Mitgliedstaaten der IAO aufgegeben. 24 Die Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme der Mitgliedstaaten der EU beruht auf folgenden Prinzipien: 25
20 Borchardt, Sozialrecht, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, D.II, Rdnr. 78. Wie Leibfried und Pierson es formulieren: "Es gibt kein europäisches Sozialrecht, das individuelle Leistungsanspruche gegenüber Brussel verleiht"; Leibfried / Pierson, Halbsouveräne Wohlfahrtstaaten, in: dieselben (Hrsg.), Standort Europa, 1998,58 ff., 59. 21 s. dazu Watson, Social Security Law of the European Communities, 1980, 38 ff., 52 ff.; Watson-Olivier, ZIAS 1991, 4lff., 47; Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 124. 22 Schulte, Supranationales Recht, in: v. Maydell / Ruland, Sozialrechtshandbuch, 2. Auf!. 1996, Rdnr. 16. 23 Für die Bedeutung dieses Prinzips im Internationalen Sozialrecht s. Eichenhofer, ISR, 1993, Rdnr. 105 ff; ILO, Social Security for Migrant Workers, 1977,32 ff.; Perrin, Introduction au droit international de la securite sociale - Coordination des legislations nationales, Rev. belg. sec. soc. 1991,3 ff., 17 ff. 24 Watson, Social Security Law of the European Communities, 1980, 16. Die auf Art. 51 EGV gestützten europäischen Koordinierungsregeln sind vergleichbar mit den klassischen Instrumenten des internationalen Sozialrechts aufgrund deren historischer Grundlage sowie der von ihnen angewendeten typischen Mechanismen der internationalen Abkommen: s. hierzu Trutman, Die Auswirkungen eines Beitritts der Schweiz zum EWR, SZIER 1992, 305 ff., 311; vgl. aber Willms, Soziale Sicherung durch europäische Integration, 1991,239: Der größte Unterschied sei, daß die Vorgaben des primären Gemeinschaftsrechts rechtsverbindlich sind, während die Parteien internationaler Abkommen im Hinblick auf die Gestaltung der Koordinierungsregeln grundsätzlich frei sind; so auch Kahil, Europäisches Sozialrecht und Subsidiariät, 1996, 253. 25 Comelissen, Die vier Grundsätze der Koordinierung in: Soziales Europa 3/92, 12 ff., 14 ff.; Pieters, Europäisches und nationales Recht der sozialen Sicherheit, ZIAS 1991, 72ff, 74; Eichenhofer, EAS, B1200, Rdnr. 84; Perrin, Rev. belg. sec. soc. 1991, 3 ff., 17 ff.; Polster, Koordinierung des Europäischen Sozialrechts, DRV 1994,50 ff.
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a) Gleichbehandlung der EG-Staatsangehörigen, b) Erhaltung wohlerworbener Rechte, c) Sicherstellung von Anwartschaften durch Zusammenrechnung der in mehreren Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs-, Beschäftigungs- oder Wohnzeiten und d) Amtshilfe zwischen den Versicherungsträgern der Mitgliedstaaten. Die Gleichbehandlung unter den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten gehört zu den fundamentalen Prinzipien nicht nur des koordinierenden Sozialrechts, sondern des Gemeinschaftsrechts im allgemeinen. Einer der Grundsätze, auf denen der EG-Vertrag beruht, ist das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit des Art. 6 EGV. Dieses Verbot wird in Art. 48 Abs. 2 EGV spezifiziert, indem bestimmt wird, daß die Freizügigkeit die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen umfaßt. Für die soziale Sicherheit konkretisiert Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit. 26 Er bestimmt, daß alle Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten wie die Staatsangehörigen dieses Staats haben, soweit die Verordnung selbst nichts anderes vorsieht. Unter das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 fällt nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare Diskriminierung. 27 Die erste wendet die Staatsangehörigkeit direkt als Unterscheidungskriterium an; die mittelbare Diskriminierung führt durch andere Unterscheidungskriterien tatsächlich zum gleichen Ergebnis wie die unmittelbare Diskriminierung. 28 Ein solches Kriterium ist z.B. der Wohnort der Familienangehörigen: Von einer Regelung, die die Gewährung einer Leistung an Arbeitnehmer von dem Wohnort ihrer Familienangehörigen im leistungsgewährenden Staat abhängig macht, werden im wesentlichen Arbeitnehmer aus anderen Staaten betroffen sein. 29
26 Bieback, Diskriminierungs- und Behinderungsverbote im europäischen Sozialrecht, SGb 1994,301. 27 EuGH, RS 41/84 (Pinna), Sig. 1986, I; EuGH, RS 20/85 (Roviello), Sig. 1988,
2805. 28 Hailbronner, D. I.: Freizügigkeit, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, Rdnr. 31; Schulte, Supranationales Recht, in: v. Maydell / Ruland, Sozialrechtshandbuch, 2. Auf!. 1996, Rdnr. 45. Diese Unterscheidung hat der EuGH zunächst in seiner Rechtsprechung zum Gebot der Gleichbehandlung von Mann und Frau im Arbeitsleben (Art. 119) entwickelt und dann auf die Rechtsprechung zum Europäischen Sozialrecht übertragen: Eichenhofer, EAS, B 1200, Rdnr. 107. 29 EuGH, RS 41/84 (Pinna), Sig. 1986, I, Rdnr. 23 und 24. s. auch EuGH, RS 33/88 (Allue und Coonan), Sig. 1989, 1591: Der EuGH legte fest, daß das in Art. 3 VO
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Die Wahrung von erworbenen Ansprüchen auf Geldleistungen ist durch den sog. Leistungsexport zu gewährleisten. In den Rechtsvorschriften einzelner Mitgliedstaaten ist festgelegt, daß die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit an den Wohnsitz im Leistungsstaat gebunden ist, oder, anders ausgedrückt, daß diese Leistungen bei einem Wohnort außerhalb des zuständigen Staats gekürzt oder ganz eingestellt werden. Solche "Wohnortklauseln" verhindern die Wahrnehmung des Rechts auf Freizügigkeit. Deshalb sieht Art. 10 VO (EWG) 1408/71 vor, daß Renten bei Invalidität, Alter, Tod, Arbeitsunfall oder Berufskrankheit, auf die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats Anspruch besteht, dem Betreffenden auszuzahlen sind, und zwar auch dann, wenn er in einem anderen Mitgliedstaat wohnt. Die Sicherstellung von Anwartschaften ist durch die Zusammenrechnung der in verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegten Zeiten zu erreichen. In allen Staaten der Europäischen Union wird für die Erlangung eines Anspruchs auf bestimmte Leistungen eine Wartezeit vorgesehen. Solche Wartezeiten könnten nachteilig sein für die Arbeitnehmer und Selbständigen, die in mehreren Mitgliedstaaten einer Beschäftigung oder Tätigkeit nachgegangen sind. Wurde nämlich die Gesamtversicherungszeit zum Teil in dem einen und zum Teil in dem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt, so kann es vorkommen, daß die Wartezeit in keinem Staat erfüllt ist. Deshalb sieht die VO (EWG) 1408/71 vor, daß für die Begründung des Leistungsanspruchs die in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Zeiten wie Zeiten im System des zuständigen Staats zu berücksichtigen, d.h. "zusammenzurechnen" sind. 3o Die Zusammenrechnung von Zeiten hat zur Folge, daß die von dem einzelnen nationalen System geforderten Wartezeiten gleichwertig auch durch Versicherungszeiten des Systems eines anderen Mitgliedstaats erfüllt werden können. Die VO (EWG) 1408/71 regelt in den Artikeln 80-84 und 87 das Zusammenwirken der Sozialleistungsträger. Die Mitgliedstaaten bestimmten einzelne Verwaltungen zu ihren Verbindungsstellen. Diese Verbindungsstellen sind zu enger Zusammenarbeit verpflichtet. 31 Die der internationalen Amtshilfe die-
(EWG) 1408171 erwähnte Prinzip der Gleichbehandlung verletzt wird, wenn eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern - in der Mehrzahl Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten - aus dem Sozialversicherungssystem eines Mitgliedstaats, daß im allgemeinen Arbeitnehmer dieses Mitgliedstaats umfaßt, ausgeschlossen wird. Im vorliegenden Fall sahen die italienischen Rechtsvorschriften vor, daß Fremdsprachenlektoren die überwiegend nicht Italiener sind - verpflichtet seien, ihre Sozialversicherungsbeiträge selbst zu zahlen, während im Falle einer normalen Tätigkeit der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den größeren Teil dieser Beträge zusätzlich zum Gehalt behalte. 30 Cornelissen, Soziales Europa 3/92, 17. 31 NKES, Cornelissen, 1.84, Rdnr. 2.
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nenden Vorschriften sind ein wichtiges Instrument, um die Verflechtung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit zu fördern. 32 Die genannten Grundsätze prägen zwar das Europäische Sozialrecht; das Koordinierungswerk der Gemeinschaft erschöpft sich in ihnen aber nicht. Für die Arbeitnehmer oder Selbständigen, die in einem anderen Staat als deren Wohnstaat beschäftigt sind, gilt es darüber hinaus zu vermeiden, in keinem Mitgliedstaat versichert zu sein oder in mehreren Mitgliedstaaten gleichzeitig versichert zu sein. So sind in einigen Mitgliedstaaten nur Erwerbstätige der sozialen Sicherheit unterworfen; in anderen ist jeder versichert, der in den entsprechenden Staaten wohnt. Arbeitet jemand z.B. in Staat A, der eine Versicherung für alle Erwerbstätige vorsieht, und wohnt in Staat B, der eine Versicherung für alle Einwohner vorsieht, ist er doppelt versichert. Im umgekehrten Fall, wenn also jemand im Staat A wohnt und im Staat B arbeitet, bleibt er ohne Versicherung. Die Anwendung unterschiedlicher Kriterien für die Zugehörigkeit zu einem nationalen System der sozialen Sicherheit kann also internationale Konflikte auslösen, die im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch "Gesetzeskonflikte" genannt werden. Im ersten Beispiel handelt es sich um einen positiven Gesetzeskonflikt, der für den Arbeitnehmer die Pflicht zur doppelten Beitragsleistung begründet; im zweiten Beispiel handelt es sich um einen negativen Gesetzeskonflikt, der den Arbeitnehmer schutzlos läßt. Die Vermeidung von solchen positiven und negativen Gesetzeskonflikten gehört zu den wichtigsten Zielen der va (EWG) 1408171. Sie legt deshalb das nationale Recht fest, dem ein Arbeitnehmer oder Selbständiger unterliegt. Diese Festlegung geschieht anhand einheitlicher Kriterien, welche sich im wesentlichen in Titel 11 (Artikel 13-17) der va (EWG) 1408171 befinden. Die Normen, die zu klären bezwecken, welche nationale Rechtsordnung angewendet werden muß, wenn ein sozialrechtlicher Sachverhalt die Rechtsordnungen mehrerer Mitgliedstaaten berührt, sind Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung. Diese Regelungen haben zwar seit mehr als einem Vierteljahrhundert Gültigkeit, sie geben aber immer noch Anlaß zur Diskussion. Wichtigster Grund und Ausgangspunkt der Diskussion über diese Normen ist ihre Ähnlichkeit mit Normen aus anderen Gebieten des Rechts. Normen über das anwendbare Recht gibt es nicht nur in der va (EWG) 1408171. Denn positive und negative Gesetzeskonflikte sind in allen durch nationales Recht geregelten Rechtsgebieten unvermeidlich. Im Rahmen des Privatrechts bestimmt das Internationale Privatrecht bei Sachverhalten mit einer Verbindung zum Recht eines ausländischen Staats, welche Rechtsordnung anzuwenden ist.
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Perrin, Rev. belg. sec. soc. 1991,18.
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Die Normen des Internationalen Privatrechts, die das auf einen Sachverhalt anwendbare nationale Recht bestimmen, heißen "Kollisionsnormen".33 Zentrale Frage der nachfolgenden Untersuchung ist: Wie sind die in der VO (EWG) 1408171 enthaltenen Vorschriften systematisch einzuordnen? Die wichtigste Frage, die sich hier stellt, ist: Haben die Normen über das anwendbare Recht des Europäischen Sozialrechts die gleiche Funktion und Aufgabe wie die Kollisionsnormen des Internationalen Privatrechts? Beide Normengattungen schreiben die Anwendung eines bestimmten nationalen Rechts vor. Fraglich bleibt, ob sie in allen Aspekten identisch sind. Zur Beantwortung dieser Frage müssen weitere Fragen geklärt werden: Welche Stellung haben die Normen über das anwendbare Recht in der VO (EWG) 1408171, und welche Aufgabe erfüllen sie im Verhältnis zu anderen Normen dieser Verordnung? Welche Wirkung haben sie auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten? Auf welche Weise beeinflussen sie den Modus des HandeIns der Mitgliedstaaten? Die Frage nach der Einordnung der Normen über das anwendbare Recht der VO (EWG) 1408171 in die juristische Begrifflichkeit ist daher nicht nur von theoretischem Interesse. Denn die Einordnung kann nicht erfolgen, ohne zuvor überprüft zu haben, wie das gesamte Europäische Sozialrecht funktioniert, oder, allgemeiner formuliert, ohne das Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und Gemeinschaftszuständigkeit und nationalem Recht und nationaler Zuständigkeit zu klären. Um die Frage nach der systematischen Einordnung der Normen über das anwendbare Recht des Europäischen Sozialrechts zu beantworten, ist zunächst zu klären, welchen Personenkreis und welche Art von Leistungen diese Vorschriften betreffen (Teil B). Im Anschluß daran erfolgt die Darstellung der Normen über das anwendbare Recht (Teil C). Hier wird die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 dargestellt (I). Fraglich ist darüber hinaus, ob die im Titel 11 enthaltenen Normen alle Leistungsarten betreffen oder ob es auch an anderen Stellen in der Verordnung besondere Bestimmungen des anwendbaren Rechts gibt (11). Teil D ist der systematischen Einordnung der Normen über das anwendbare Recht der VO (EWG) 1408171 gewidmet. Zuerst wird dargestellt, warum sich die Staaten zur Schaffung von Normen über das anwendbare Recht im nationalen und zwischenstaatlichen Recht veranlaßt sahen (I). Sodann folgt die Frage nach den besonderen Merkmalen der Normen über das anwendbare Recht im IPR, im autonomen internationalen öffentlichen Recht und im Sozialrecht (11). Anschließend werden die Struktur und Aufgabe der Normen über das anwendbare Recht der VO (EWG) 1408171 dargestellt (III). Um die Wirkung dieser Normen auf das nationale Recht näher aufzeigen zu können, ist die Beschrei33
Kropholler, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1997, § I. I.
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bung ihres Verhältnisses zu anderen Normen internationalen Ursprungs und zu den nationalen Normen (IV) sowie ihrer Stellung im Rahmen des Koordinationsauftrags der Verordnung (V) erforderlich. Schließlich erfolgt die Beantwortung der Frage, ob die Normen über das anwendbare Recht der VO (EWG) 1408171 identisch mit den Normen über das anwendbare Recht des Internationalen Privatrechts sind (VI). Dazu wird die Gültigkeit verschiedener theoretischer Auffassungen anhand konkreter Beispiele überprüft.
B. Geltungsbereich des Europäischen Sozialrechts I. Räumlicher Anwendungsbereich Die Va,(EWG) 1408171, die das Europäische Sozialrecht und - als dessen Teil - die Normen über das anwendbare Recht regelt, gilt für die 15 EUStaaten: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Irland, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und Spanien. Sie gilt darüber hinaus auch für die dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) angehörenden Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen. In den folgenden Erläuterungen sind alle oben genannten Staaten gemeint, wenn von einem "Mitgliedstaat" die Rede ist.
11. Persönlicher Anwendungsbereich Nach Artikel 2 Abs. 1 gilt die va (EWG) 1408171 für Arbeitnehmer, Selbständige sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebene, wenn sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und wenn für sie die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten. Aus dem Wortlaut des Artikels geht hervor, daß es drei Kriterien gibt, die den persönlichen Geltungsbereich der va (EWG) 1408171 bestimmen: 34 Das erste Kriterium beruht auf der wirtschaftlichen Stellung des Betroffenen: Eine Person muß "Arbeitnehmer" oder "Selbständiger" sein; für diese Person müssen die Rechtsvorschriften zumindest eines Mitgliedstaats gelten oder gegolten haben. Dies bedeutet, daß Personen, die zwar Arbeit suchen, aber noch niemals zuvor erwerbstätig waren, nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung fallen. Das zweite Kriterium betrifft die soziale Stellung des Betroffenen: Familienangehörige und Hinterbliebene von Arbeitnehmern und Selbständigen werden in den persönlichen Geltungsbereich der va (EWG) 1408171 einbezogen. Das dritte Kriterium ist die Staatsangehörigkeit: Die Person muß Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats sein.
34 Eichenhofer, Sozialrecht als Gegenstand des Gemeinschaftsrechts, EAS, B 1200, Rdnr. 59; Pennings, Introduction to European Social Security Law, 1994,56.
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B. Geltungsbereich des Europäischen Sozialrechts
1. Das Kriterium der wirtschaftlichen Stellung
a) Arbeitnehmer
Maßgebend für den Begriff "Arbeitnehmer" ist die Definition des Art. 1 Buchstabe a) der VO (EWG) 1408/71. Demnach ist Arbeitnehmer jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer erfaßt werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist. Der Begriff des Arbeitnehmers wird also nicht etwa im Hinblick auf die ausgeübte Tätigkeit oder die arbeitsrechtliche Stellung des Betroffenen definiert, sondern im Hinblick darauf, ob die Person einem Sozialversicherungssystem für Arbeitnehmer angehört. Dieser Begriff wird somit durch das nationale Sozialversicherungsrecht des Mitgliedstaats bestimmt, in dem die Person versichert ist. Dies bedeutet allerdings nicht, daß es sich hier um einen nationalen Rechtsbegriff handelt, der beliebig und ausschließlich durch den nationalen Gesetzgeber geändert werden kann. Bereits in seiner ersten Entscheidung auf so-zialrechtlichem Gebiet hat der EuGH klargestellt, daß der Terminus· "Arbeitnehmer" gemeinschaftsrechtlich zu bestimmen sei. Denn würde die Regelungskompetenz für den Begriff den Mitgliedstaaten überlassen, so wäre jeder Staat in der Lage, bestimmten Personengruppen den Schutz des Vertrages zu entziehen. 35 Bei der Konkretisierung des gemeinschaftsrechtlichen Begriffs des Arbeitnehmers ist die Rechtsprechung des EuGH heranzuziehen. Grundsätzlich werden alle Personen erfaßt, welche die materiellen Voraussetzungen erfüllen, die von dem für sie geltenden System der sozialen Sicherheit objektiv festgesetzt worden sind, selbst wenn die für den Beitritt zu diesem System erforderlichen Schritte nicht unternommen wurden. 36 Die Definition des Arbeitnehmerbegriffs in Art. 1 Buchst. a) VO (EWG) 1408/71 ist von allgemeiner Tragweite. Sie erstreckt sich auf jede Person, welche die geforderte Versicherteneigenschaft besitzt, unabhängig von einer Erwerbstätigkeit. 37 Diese Eigenschaft erlischt nicht dadurch, daß die Person zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles keine Beiträge entrichtet hat und dazu auch nicht mehr verpflichtet ist. 38 Der Begriff erfaßt ebenso Teilzeitbeschäftigte (auch wenn diese Beschäftigung nicht das Existenzminimum sichert), Arbeitslose und ehemalige Beitragszahler. 39 EuGH, RS 75/63 (Unger), Slg. 1964, 379. EuGH, RS 39/76 (Mouthaan), Slg. 1976, 1901. 37 EuGH, RS 182/78 (Pierik 11), Slg. 1979, 1977. 38 EuGH, RS 143/79 (Walsh), Slg. 1980, 1638. 39 EuGH, RS C-2/89 (Kits van Heiningen), Slg. 1990, 1-1755; EuGH, RS 53/81 (Levin), Slg. 1982, 1036; EuGH, RS 136/85 (Kempf), Slg. 1986, 1741. 35
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11. Persönlicher Anwendungsbereich
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Der Arbeitnehmerbegriff hat also in der VO (EWG) 1408/71 einen gemeinschaftsrechtlichen und nicht einen spezifisch nationalen Inhalt; außerdem ist er sozialversicherungsrechtlich und nicht arbeitsrechtlich zu verstehen. 40 Die Rechtsprechung des EuGH hat dazu geführt, daß zwei gleichlautende Begriffe, nämlich der Arbeitnehmerbegriff in der VO (EWG) 1408/71 und der zitierte Begriff in Art. 48 EGV und in der VO (EWG) 1612/68 unterschiedlich ausgelegt und angewendet werden. 41 In Art. 48 EGV wird dieser Begriff arbeitsrechtlich verstanden: Entscheidend ist das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses. Das wesentliche Merkmal dieses Verhältnisses besteht darin, daß jemand für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. 42 In der Auslegung der VO (EWG) 1408/71 werden demgegenüber Kriterien wie "abhängige Beschäftigung" oder "Entlohnung" außer Betracht gelassen, um ohne arbeitsrechtliche Begriffsbestimmungen die begünstigten Personen lediglich nach sozialrechtlichen Kriterien43 zu qualifizieren. 44
b) Selbständige Die Selbständigen wurden durch die Verordnung Nr. 1390/81 in den persönlichen Anwendungsbereich der VO (EWG) 1408/71 einbezogen. Der Verordnung lag die Erwägung zugrunde, daß das Recht auf Freizügigkeit nicht nur von Art. 48 EGV gewährleistet wird, sondern im Rahmen der Niederlassungsfreiheit (Art. 52 EGV) und der Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 EGV) auch den Selbständigen zusteht. Da Art. 51 EGV jedoch nur auf die Arbeitnehmer-
40 Borchardt, Sozialrecht, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, 19; ders., Die Rechtsprechung des EuGH und das Sozialrecht, ZfSH/SGB 1991, 132 ff., 134; Willms, Soziale Sicherung durch Europäische Integration, 1990, 70f. 41 Klang, Soziale Sicherheit und Freizügigkeit im EWG-Vertrag, 1986, 102 ff., 130 ff., 160 ff.; Willms, Soziale Sicherung durch Europäische Integration, 1990,70-75; Pieters / van den Bogaert, The Co-ordination of Social Security Schemes for Civil Servants, in: Schoukens (Hrsg.), Prospects of Social Security Co-ordination, 1997, 127 ff.; Willms und Pieters / van den Bogaert vertreten die Auffassung, der Arbeitnehmerbegriff des Art. 48 sei ein anderer als der des Art. 51 EGV. Wamecke, Koordinierendes Arbeitsförderungsrecht und Freizügigkeit, 1995,20 ff., 22, behauptet dagegen, daß sich für eine unterschiedliche Auslegung innerhalb des Primärrechts keine zwingende Notwendigkeit ergebe, während eine unterschiedliche Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs im Primärrecht einerseits und im Sekundärrecht andererseits zulässig und auch notwendig sei. 42 EuGH, RS 66/85 (Lawrie-Blum), Slg. 1986,2121, Rdnr. 17. 43 "To be insured or not to be insured, that is the question": so Verschueren, EC Social Security Coordination Excluding Third Country Nationals: Still in Line with FOundamental Rights after the Gaygusuz Judgement, CMLRev 1997,991 ff., 1013. 44 EuGH, RS 75/63 (Unger), Slg. 1964, 379.
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B. Geltungsbereich des Europäischen Sozialrechts
Freizügigkeit aus Art. 48 EGV bezogen ist, mußte die Einbeziehung der Selbständigen in die VO (EWG) 1408/71 auf Art. 235 EGV gestützt werden. 45 Nach Art. 1 Buchst. a) VO (EWG) 1408/71 ist ein Selbständiger jede Person, die gegen ein Risiko oder mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Selbständige erfaßt werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist. Auch dieser Begriff wird also nach sozialrechtlichen Kriterien definiert. "Selbständiger" ist wie "Arbeitnehmer" ein gemeinschaftsrechtlicher Funktionsbegriff. Der Begriff des Selbständigen soll den gleichen sozialen Schutz bieten wie der Arbeitnehmerbegriff für die von ihm erfaßten Personen: Somit erfordert der Begriff des Selbständigen auch eine weite Auslegung. 46 Selbständiger ist jeder, der eine nicht-abhängige Arbeit ausübt; es ist nicht erforderlich, daß man ein Entgelt für diese Tätigkeit erhält. 47
c) Beamte
Bis zur Verabschiedung der VO (EG) Nr. 1606/98 vom 29. Juni 199848 "zur Änderung der VO (EWG) 1408/71 [ ... ] zwecks Einbeziehung der Sondersysteme für Beamte und ihnen gleichgestellte Personen,,49 fielen Beamte praktisch nicht unter den persönlichen Geltungsbereich der VO (EWG) 1408/71: Nach Art. 2 Abs. 3 VO (EWG) 1408/71 a.F. waren nämlich Beamte in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung einbezogen, insoweit sie einem Sozialversicherungssystem angeschlossen sind, auf das die Verordnung Anwendung findet. Nach Art. 4 Abs. 4 VO (EWG) 1408/71 a.F. fand die Verordnung aber keine Anwendung auf die Sondersysteme für Beamte und ihnen Gleichgestellte. Deshalb waren die Beamten auch aus ihrem persönlichen Geltungsbereich so gut wie völlig ausgeschlossen. 5o
45 Altmaier, Die Ausweitung des persönlichen GeItungsbereichs der Gemeinschaftsverordnungen über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, in: Eichenhofer (Hrsg.), Reform des Europäischen koordinierenden Sozialrechts, 1993, 35 ff., 39; Cornelissen, The Self-employed and the Co-ordination of Social Security in Europe, in: Schoukens (Hrsg.), Social Protection of the Self-employed in the European Union, 1994, 43 ff., 45-47. 46 EuGH, RS 300/84 (Van Roosmalen), Slg. 1986,3097. 47 Ebd. 48 ABI. (EG) Nr. L 20911 v. 25.7.1998; die Verordnung ist am 25.10.1998 in Kraft getreten. 49 Schumacher, Verordnung zur Einbeziehung der Beamten in den Geltungsbereich der VO (EWG) 1408171 verabschiedet, EuroAS 1998,95 ff. 50 Altmaier, Die Ausweitung des persönlichen Geltungsbereichs, in: Eichenhofer (Hrsg.), Reform des Europäischen koordinierenden Sozialrechts, 1993,35 ff., 41f.; 80r-
11. Persönlicher Anwendungsbereich
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Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Vougioukas 51 wurde deutlich, daß diese Regelungen reformbedürftig waren. Wie der Gerichtshof ausgeführt hat "hat der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht die erforderlichen Maßnahmen erlassen, um den sachlichen Geltungsbereich der VO (EWG) 1408171 auf die Sondersysteme für Beamte auszudehnen, so daß aufgrund des Art. 4 Abs. 4 der Verordnung eine erhebliche Lücke in der gemeinschaftsrechtlichen Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit bestehen bleibt". Zwar berührte diese Überlegung nicht die Gültigkeit dieses Artikels. 52 Der Gerichtshof stellte jedoch fest, daß der Rat seiner Verpflichtung aus Art. 51 EGV "nicht in vollem Umfang nachgekommen ist". Nach dieser Entscheidung bestand für die Kommission und den Rat ein Handlungsbedarf; diesem sind sie nachgekommen, in dem die VO (EG) Nr. 1606/98 verabschiedet wurde. Art. 1 Buchst. a) Ziff. 1) VO (EWG) 1408171 umfaßt nunmehr auch Beamte, die in einern Sondersystem pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert sind. Nach Art. 1 Buchst. ja) ist ein Sondersystem für Beamte jedes System der sozialen Sicherheit, das sich von dem allgemeinen System der sozialen Sicherheit, das auf die Arbeitnehmer in dem betreffenden Mitgliedstaat anwendbar ist, unterscheidet und das für alle oder bestimmte Gruppen von Beamten oder ihnen gleichgestellte Personnen unmittelbar gilt. Art. 2 Abs. 3 a.F. VO (EWG) 1408171 wurde gestrichen.
2. Das Kriterium der sozialen Stellung: Familienangehörige und Hinterbliebene Familienangehörige und Hinterbliebene von Arbeitnehmern und Selbständigen, für welche die VO (EWG) 1408171 gilt, werden in deren persönlichen Geltungsbereich einbezogen. 53 Die Definitionen der Begriffe "Familienangehörige" und "Hinterbliebene" befinden sich entsprechend in Art. 1 Buchst. f) und g) VO (EWG) 1408171. Ihnen wurden ursprünglich keine eigenständigen, sondern lediglich abgeleitete Rechte eingeräumt, d.h. solche, die sie als Familienangehörige eines Arbeitnehmers bzw. Selbständigen erworben hatten. 54 Mit chardt, Sozialrecht, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993,
Rdnr.73. 51 RS C-443/93 (Vougioukas), Slg. 1995,1-4033 = EuroAS 111996, 14ff. mit Anmerk. Schuler, 17 ff. 52 RS C-443/93 (Vougioukas), Slg. 1995,1-4033, Rdnr. 35. 53 NKES, Schulte, 1.2, Rdnr. 3; EuGH , RS 7177 (Eheleute F.), Sig. 1976,679; RS 63176 (Inzirillo), Sig. 1976,2057. 54 EuGH, RS 40176 (Kermaschek), Sig. 1976, 1669; EuGH, RS 157/84 (Frascogna), Sig. 1985, 1739; EuGH, RS 94/84 (Deak), Sig. 1985, 1873; EuGH, RS 147/87 (Zaoui),
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B. Geltungsbereich des Europäischen Sozialrechts
der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Cabanis-Issarte55 wurde jedoch die Unterscheidung zwischen eigenständigen und abgeleiteten Rechten aufgegeben. Allerdings wurde die Differenzierung zwischen eigenständigen und abgeleiteten Rechten nicht bezüglich allen Leistungsarten aufgegeben: Der Gerichtshof stellte fest, daß einige Vorschriften der va (EWG) 1408171 immer noch nur für die Arbeitnehmer gelten. So kann sich der Ehegatte eines Arbeitnehmers aus der Gemeinschaft für die Inanspruchnahme der Art. 67 bis 71 der Verordnung nicht auf seine Eigenschaft als Familienangehöriger berufen, da diese Bestimmungen in erster Linie nur die Ansprüche auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit koordinieren sollen, welche nach den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Arbeitnehmern, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, und nicht deren Familienangehörigen gewährt werden. 56
3. Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats
Art. 2 Abs. 1 der va (EWG) 1408171 unterscheidet hinsichtlich der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats zwischen zwei Gruppen: Die Arbeitnehmer und Selbständigen auf der einen und deren Familienangehörige und Hinterbliebene auf der anderen Seite. Die Verordnung gilt nur für Arbeitnehmer und Selbständige, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind. In der Regelung ihres Staatsangehörigkeitsrechts genießen die Mitgliedstaaten völlige Freiheit. 57 Das Gemeinschaftsrecht gibt also weder ein bestimmtes Prinzip - ius soli oder ius sanguinis - vor, noch legt es bestimmte Regeln für den Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats fest, obgleich die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaat die Unionsbürgerschaft nach sich zieht (Art. 8 EGV). Darüber hinaus werden Staatenlose und Flüchtlinge einbezogen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen. Gemäß Art. 1 Buchst. d) und e) va (EWG) 1408171 sind diese Begriffe nach internationalen Übereinkommen auszulegen. Dagegen hängt die Geltung der Verordnung für Farnilienangehörige und Hinterbliebene von Arbeitnehmern und Selbständigen, die Gemeinschaftsangehörige sind, nicht von deren Staatsangehörigkeit ab.
Slg. 1987,5511; EuGH, RS C-243/91 (Taghavi), Slg. 1992,1-4401; EuGH, RS C310/91 (Schmidt), Slg. 1993,1-3011. 55 EuGH, RS C-308/93, Slg. 1996,1-2097. 56 s. Rdnr. 23 des Urt. in der RS Cabanis-Issarte, ebd. 57 Altmaier, Die Ausweitung des persönlichen Geltungsbereichs, in: Eichenhofer (Hrsg.), Reform des Europäischen koordinierenden Sozialrechts, 1993, 35 ff., 41.
11. Persönlicher Anwendungsbereich
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Die va (EWG) 1408/71 gilt ferner für Hinterbliebene von Arbeitnehmern oder Selbständigen, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten galten, und zwar ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit dieser Arbeitnehmer oder Selbständigen, wenn die Hinterbliebenen Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen. (Art. 2 Abs. 2 va (EWG) 1408/71). Dies bedeutet, wenn die Familienangehörigen Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, jedoch nicht der Arbeitnehmer bzw. Selbständige, daß sie nur nach seinem Tod in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung einbezogen werden. Im übrigen werden aber die Drittstaatsangehörigen vom persönlichen Geltungsbereich der Verordnung ausgeschlossen, was zunehmend kritisiert wird. 58
4. Kein Erfordernis einer Ausübung der Freizügigkeit bzw. der Niederlassungsfreiheit Zwar soll Art. 51 EGV verhindern, daß Arbeitnehmern durch die Ausübung der Freizügigkeit sozialrechtliche Nachteile entstehen. Die Flankierung der Freizügigkeit ist also das Ziel des Art. 51 EGV. Nach der Ausweitung der va (EWG) 1408/71 auf Selbständige gilt es auch zu vermeiden, daß durch die Ausübung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit Ansprüche auf Sozialleistungen verlorengehen. Es sollte allerdings nicht der Eindruck entstehen, daß die va (EWG) 1408171 nur Arbeitnehmer und Selbständige schützt, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit bzw. Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen. 59 Die Verordnung schützt nämlich auch Versicherte in jeglicher grenzüberschreitenden Lage, unabhängig davon, ob diese infolge der Inanspruchnahme der Freizügigkeit,
58 Commission of the European Communities / Departamento de Rela~öes lnternacionais e Conven~öes de Seguran~a Social (Hrsg.J, Social Security in Europe: Equality between Nationals and Non-nationals, 1995; s. auch Pieters, Enquiry into the Legal Foundations of a Possible Extension of Community Provisions on Social Security, in: Eichenhofer (Hrsg.), Social Security of Migrants in the European Union of Tomorrow, 1997, 103 ff. und Verschueren, EC Social Security Coordination Excluding Third Country Nationals: Still in Line with Fundamental Rights after the Gaygusuz Judgement?, CMLRev 1997, 991 ff. Nach Pieters kann Art. 51 EGV direkt die Grundlage sein für eine Ausweitung des persönlichen Geltungsbereichs der VO (EWG) 1408/71 auf Drittstaatsangehörige (107 ff.). S9 Langer, Zukunftsperspektiven des Europäischen Sozialrechts - Koordinierendes Sozialrecht und Gleichbehandlung von Männem und Frauen, in: v. Maydell / Schulte (Hrsg.), Zukunftsperspektiven des Europäischen Sozialrechts, 1995,25 ff., 26; Pieters / van den Bogaert, The Co-ordination of Social Security Schemes for Civil Servants, in: Schoukens (Hrsg.), Prospects of Social Security Co-ordination, 1997, 127 ff., 140. 3 Devetzi
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B. Geltungsbereich des Europäischen Sozialrechts
Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit entstanden ist oder nicht. 60 Als Beispiel sind hier die gemeinschaftsangehörigen Touristen zu nennen, die durch Europa reisen. Wenn sie in einem Mitgliedstaat versichert sind, genießen sie in den anderen Mitgliedstaaten während ihrer Reise den Schutz bei Krankheit nach der Verordnung. In diesem Fall ist die Ausübung der Freizügigkeit nicht der Grund für die Wanderung. Es können auch andere Beispiele erwähnt werden, nämlich die Rentner, die sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten und denen die grenzüberschreitende Auszahlung der Renten garantiert ist, oder Personen, die sich aus familiären Gründen in andere Mitgliedstaaten begeben. Ein anderes Beispiel sind die minderjährigen Kinder von Versicherten, die an Schul ausflügen oder Klassenfahrten in einen anderen Mitgliedstaat teilnehmen: Auch sie werden durch die va (EWG) 1408171 im Falle einer Krankheit oder Unfalls geschützt. Es ist also nicht erforderlich, das Recht auf Freizügigkeit bzw. Niederlassungsfreiheit auszuüben, um die Anwendung der va (EWG) 1408171 hervorrufen zu können. 61 Dies bedeutet, daß diese Verordnung eine große Relevanz für die meisten Unionsbürger hat, weit größer als ihr ursprünglicher Anlaß vermuten läßt. 62
IH. Sachlicher GeItungsbereich 1. Begriff der "sozialen Sicherheit"
Der sachliche Geltungsbereich der va (EWG) 1408171 erstreckt sich auf die "soziale Sicherheit". Nach Art. 4 Abs. 1 gilt die Verordnung für alle Zweige der sozialen Sicherheit, die Leistungen bei Krankheit, Mutterschaft, Invalidität, Alter, Arbeitsunfallen, Berufskrankheiten und für Hinterbliebene betreffen, sowie Sterbegeld, Leistungen bei Arbeitslosigkeit und Familienleistungen (Abs. 1). Dabei ist es unerheblich, ob diese Leistungen in einem allgemeinen oder besonderen, auf Beiträgen beruhenden oder beitragsfreien System vorgesehen sind (Abs. 2). Allerdings erfaßt die Verordnung nicht die Sozialhilfe und die Leistungssysteme für Kriegsopfer (Abs. 4). Der Begriff der sozialen Sicherheit gehört zu den Zentralbegriffen des Europäischen koordinierenden Sozialrechts. Da die va (EWG) 1408171 im allge-
60 s. EuGH, RS 75/63 (Unger), Slg. 1964, 379; EuGH, RS 31/64 (Bertholet), Slg. 1965, 111. 61 Anders ist es bei der va (EWG) 1612/68, die auf Art. 48 EGV gestützt ist: Dort ist es erforderlich, von der Freizügigkeit Gebrauch zu machen. 62 Comelissen, The Principle of Territoriality and the Community Regulations on Social Security, CMLRev 1996, 439 ff., 444.
III. Sachlicher Geltungsbereich
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meinen und deren Normen über das anwendbare Recht im spezifischen auf die Leistungsgattungen der sozialen Sicherheit Anwendung finden, ist es notwendig zu untersuchen, was genau unter diesem Begriff zu verstehen ist.
2. Abgrenzung zwischen Leistungsgattungen der sozialen Sicherheit und der Sozialhilfe Bei der Abgrenzung zwischen der sozialen Sicherheit und der Sozialhilfe hat der Europäische Gerichtshof eine richtungsweisende Rolle gespielt. In seiner Rechtsprechung ist erkennbar, daß er den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung autonom gemeinschaftsrechtlich qualifiziert hat. Dies gründet sich auf das Erfordernis der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts, welches verlangt, daß die in der VO (EWG) 1408171 verwendeten Begriffe nicht nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Rechts verändert werden dürfen. 63 Bei der Feststellung der Kriterien, nach denen eine bestimmte Leistungsart in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, ist eine Entwicklung in der Rechtsprechung zu erkennen. So war ursprünglich das entscheidende Kriterium für die Charakterisierung einer Leistung der sozialen Sicherheit als solcher die "gesetzlich umschriebene Stellung" des Betroffenen. 64 Angesichts der Tatsache, daß sich heute in den Mitgliedstaaten eine Tendenz zu der Schaffung eines allgemeinen Rechtsanspruchs auch auf Sozialhilfe zeigt,65 stellt der EuGH aber zunehmend auf die Zweckbestimmung und die Voraussetzungen für die Gewährung der fraglichen Leistung ab. 66 Hierzu kommt noch die Feststellung, daß eine Rechtsvorschrift nur dann in den sachlichen Geltungsbereich der VO (EWG) 1408171 fällt, wenn sie zur Abdeckung eines bestimmten Risikos dient, das in Art. 4 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 genannt ist. 67
EuGH, RS 69179 (Jordens-Vosters), Slg. 1980,75. EuGH, RS 1/72 (Frilli), Slg. 1972,457; EuGH, RS 187173 (Callemeyn), Slg. 1974, 553; EuGH, RS 79176 (Fossi), Slg. 1977, 667; EuGH, RS 39174 (Costa), Slg. 1974, 63
64
1251. 65 Schulte, Grundsicherung - Sozialhilfe, in: Deutscher Sozialrechtsverband (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, 1992, 199 ff., 207. 66 Zum erstenmal erwähnt in der Rechtssache Gillard, RS 9178, Slg. 1978, 1661; s. auch EuGH, RS 207178 (Even), wo der Hauptzweck der in Frage kommenden Leistung (Altersrente für Kriegsteilnehmer) war, den Leuten, die während des Krieges gekämpft hatten, eine Gegenleistung für die dem Staat erwiesenen Dienste zu gewähren. Sie konnten deshalb nicht als ..Leistungen der sozialen Sicherheit" qualifiziert werden. 67 Z.B. EuGH, RS 249/83 (Hoeckx), Slg. 1985, 973; EuGH, RS 122/84 (Scrivner), Slg. 1985, 1027. s. auch Schulte, Die Judikatur des EuGH zur Abgrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der VO (EWG) 1408171 im Hinblick auf Sozialhilfe und sozialhilfeähnliche Leistungen, BMFuS, 1994, 48.
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B. Geltungsbereich des Europäischen Sozialrechts
Zusammenfassend hängt die Einordnung einer Leistung in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung von ihrer Zielsetzung und den Voraussetzungen für ihre Gewährung ab,68 wenn auf sie ein gesetzlich umschriebener Rechtsanspruch besteht und die fragliche Leistung bei Eintritt eines der in Art. 4 Abs. 1 der va (EWG) 1408171 aufgeführten Risiken gewährt wird. 69 Des weiteren wurde deutlich, daß es eine breite "Grauzone" zwischen sozialer Sicherheit im klassischen Sinn und Fürsorge gibt. 7o Bestimmte Leistungen nähern sich durch einige Merkmale der Sozialhilfe an, weil Bedürftigkeit ein wesentliches Kriterium für ihre Gewährung ist und sie nicht auf der Zusammenrechnung von Beschäftigungs- oder Beitragszeiten beruhen. Andererseits kommen sie aber auch dem Bereich der sozialen Sicherheit nahe, weil sie den Empfängern, unabhängig von jeder auf Ermessensausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit, aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung gewährt werden. 71 Da Zweck dieser Leistungen ist, den Berechtigten die Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu ersparen, sind nach dem Gerichtshof diese Leistungen als Zweig "soziale Sicherheit" zu qualifizieren. So befand der Gerichtshof, daß z.B. das belgisehe Altersmindesteinkommen,72 die italienische "pensione sociale", die allen in Italien ansässigen Personen über 65 Jahre gewährt wird73 , und die britische "mobility allowance,,74 als der sozialen Sicherheit zugehörig anzusehen sind. Infolge dieser Rechtsprechung des EuGH wurde es vom Rat als notwendig angesehen, diese "beitragsunabhängigen Mischleistungen" in der Verordnung besonders zu regeln. Durch die va (EWG) Nr. 1247/92 vom 30. April 199275 wurde ein neuer Abs. 2a in Art. 4 der va (EWG) 1408171 eingeführt. Damit wurde konkretisiert, daß die Verordnung auch für die beitragsunabhängigen Sonderleistungen gilt, die in anderen als den in Art. 4 Abs. 1 erfaßten Vorschriften vorgesehen sind. Voraussetzung dafür ist, daß sie (a) entweder in Versicherungsfällen, die den in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) bis h) va (EWG) 1408171 aufgeführten Zweigen entsprechen, ersatzweise oder zusätzlich gewährt werden, oder (b) allein zum besonderen Schutz der Behinderten bestimmt sind. 68 Sie hänge dagegen nicht davon ab, ob die Leistung von den nationalen Rechtsvorschriften als eine Leistung der sozialen Sicherheit eingestuft wird (s. z.B. EuGH, RS 249/83 (Hoeckx), Slg. 1985,973, Rdnr. 11). 69 EuGH, RS C-66/92 (Acciardi), Slg. 1993, 1-4567; RS C-78/91 (Hughes), Slg. 1992,1-4839; RS C-ll1/91 (Kommission.l.Luxemburg), Slg. 1993,1-817. 70 Borchardt, ZfSHlSGB 1991,132 ff., 134; Lang, Die Rolle des EuGH bei der Integration auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechts, SGb 1996, 103 ff., 107. 71 EuGH, RS C-66/92 (Acciardi), Slg. 1993,1-4567, Rdnr. 14. 72 EuGH, RS 1/72 (Frilli), Slg. 1972,457. 73 EuGH, RS 139/82 (Piscitello), Slg. 1983,1427. 74 EuGH, RS C-356/89 (Newton), Slg. 1991,1-3017. 75 ABI. Nr L 136/1 v. 19.5.1992.
III. Sachlicher Geltungsbereich
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Diese Regelung bestätigt einerseits die Rechtsprechung des EuGH, sofern die beitragsunabhängigen Sonderleistungen in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung einbezogen worden sind, andererseits aber werden diese Leistungen von den Leistungstypen des Art. 4 Abs. I va (EWG) 1408171 ausdrücklich differenziert. 76 Bei der Gewährung der Leistungen des Art. 4 Abs. 2a va (EWG) 1408171 macht Art. lOa va (EWG) 1408171 eine Ausnahme von dem Grundsatz des "Leistungsexports" (Art. 10).77 So beschränkt sich der Leistungsexport nur auf die Leistungsgattungen des Art. 4 Abs. 1 va (EWG) 1408171.
76 Verschueren, Les prestations specia1es a caractere non contributif, Droit Socia1 1995,921 ff., 925. 77 NKES, Schulte, l.lOa, Rdnr. 4; Verschueren, Droit Socia1 1995,927.
C. Die Normen über das anwendbare Recht I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 140Snl Die in Art. 13-17 va (EWG) 1408171 enthaltenen Nonnen stellen fest, welches nationale Sozialrecht auf einen Sachverhalt angewendet werden muß. Es muß ein - und nur ein - nationales Recht angewendet werden: Artikel 13 Abs. 1 va (EWG) 1408171 schreibt vor, daß vorbehaltlich des Art. 14c und 14e 8 die Personen, die in den persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen. Nur dieser Staat ist für die soziale Sicherheit einer Person zuständig. Die Artikel 13 bis 17a va (EWG) 1408171 gelten für sämtliche Aspekte des Sozialversicherungsverhältnisses zwischen einer Person und einem Träger der sozialen Sicherheit; sie unterscheiden nämlich nicht zwischen der Leistungsund der Beitragsseite?9 Von diesem Grundsatz macht die Verordnung in anderen Artikeln einige Ausnahmen für bestimmte Kategorien von Leistungen: Für diese Leistungsarten wird das anwendbare Recht besonders geregelt. Wenn von "Sozialversicherung" die Rede ist, ist die obligatorische Sozialversicherung gemeint: Diese erfaßt entweder die gesamte Wohnbevölkerung eines Staats oder diejenigen Personen, für die unter bestimmten Voraussetzungen - namentlich Ausübung einer Beschäftigung - von Gesetzes wegen ein Sozialversicherungsverhältnis zustande kommt (Pflichtversicherung). 80 Darüber hinaus kennt die va (EWG) 1408171 auch die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung: Einige Mitgliedstaaten ennöglichen den Personen, die nicht (oder nicht mehr) pflichtversichert sind, einer schon bestehenden Versicherung beizutreten. 8I Da die Verordnung besondere Regelungen über die freiwillige Versicherung trifft, folgt die Darstellung der Unterscheidung zwischen obligatorischer Sozialversicherung und freiwilliger Versicherung.
78 Eingefügt durch die VO (EG) Nr. 1606/98. 79 NKES, Steinmeyer, Vorbemerkungen zu Titel 11, Rdnr. 3. 80 v. Maydell (Hrsg.), Lexikon des Rechts - Sozialrecht, 1994, 532. 81 Ebd., 528; Julliot, La securite sodale, 1991, Rdnr. 197; Catala / Bonnet, Droit sodal europeen, 1991, Rdnr. 404.
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
1. Das auf die obligatorische Sozialversicherung anwendbare Recht
a) Die "Grundregel"
aa) Arbeitnehmer Art. 13 Abs. 2 Buchst. a) der VO (EWG) 1408171 sieht vor, daß "eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staats unterliegt, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat." Auf die soziale Sicherheit von Arbeitnehmern, die in einem Mitgliedstaat ihrer Beschäftigung nachgehen, ist also das Recht ihres Beschäftigungsstaats anwendbar. Dem Recht des Wohnsitzstaats kommt indes keine Bedeutung zu. Dies hat zur Folge, daß ein Arbeitnehmer auch dann dem Recht des Staats unterliegt, in dem er arbeitet, wenn dieser Mitgliedstaat eine Einwohnerversicherung hat. An die Stelle der Wohnsitzvoraussetzung tritt die Voraussetzung, daß im Gebiet des betreffenden Staats eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt wird. 82 Umgekehrt unterliegt ein in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigter Arbeitnehmer auch dann nicht den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften seines Wohnstaats, wenn dieser die Versicherungspflicht nur vom Wohnen abhängig macht. 83 Art. 13 Abs. 2 Buchst. a) VO (EWG) 1408171 weist Personen dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats zu, in dem die Beschäftigung ausgeübt wird, auch wenn das Unternehmen, dem sie angehören, seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat. 84
Es kommt nicht darauf an, ob es sich um eine Voll zeit- oder nur um eine Teilzeitbeschäftigung handelt: Der EuGH stellte fest, daß für einen Dozenten, der in Belgien wohnte und zwei Tage in der Woche in den Niederlanden für wenige Stunden beschäftigt war, der letztgenannte Staat als Beschäftigungsstaat zuständig sei. 85 Der Arbeitnehmer wird also von den Vorschriften des Beschäftigungsstaats nicht nur während seiner Tätigkeit erfaßt, sondern auch in Zeiten, in denen er seine Beschäftigung nicht ausübt. 86
EuGH, RS C-2189 (Kits van Heinigen), Sig. 1990, 1-1755. EuGH, RS 102/76 (Perenboom), Sig. 1977,815. 84 BSG, Urt. v. 2.11.1988, 219b RU 38/87, SozR 2200 § 646 Nr. 5. 85 EuGH, RS C-2/89 (Kits van Heinigen), Sig. 1990,1-1755. 86 s. Rdnr. 15 der Entscheidung in der RS Kits van Heinigen, ebd. 82
83
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 41
Unter der Geltung der früheren VO (EWG) Nr. 3 wurde festgestellt, daß der Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat wohnt und in einem anderen arbeitet, dem Recht seines Beschäftigungsstaats auch auf der Fahrstrecke unterworfen bleibt, die in seinem Wohn staat zurückgelegt wird. 87 Nach dem Bundessozialgericht ist auch eine vorübergehende, unentgeltliche und wirtschaftlich unabhängige Tätigkeit wie die Pannenhilfe als Beschäftigung i.S.v. Art. 13 Abs. 2 Buchst. a) VO (EWG) 1408171 zu behandeln. 88 Dies hat das Gericht festgestellt, um den Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs.2 RVO (= § 2 Abs. 2 SGB VII) zu bejahen. 89 In der Literatur wird es allerdings als zweifelhaft betrachtet, ob die einzelnen Vorschriften der Verordnung auf die deutsche unechte Unfallversicherung anwendbar sind. 90 Die VO (EWG) 1408171 legt als solche nicht die Voraussetzungen fest, unter denen eine Person einem System der sozialen Sicherheit oder einem bestimmten Zweig eines solchen Systems beitreten kann oder muß. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist es Aufgabe der nationalen Gesetzgeber, diese Voraussetzungen festzulegen, solange es zu keiner Diskriminierung zwischen Inländern und Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten kommt. 91 Der Gerichtshof hat es als vereinbar mit der VO (EWG) 1408171 betrachtet, daß das niederländische Recht bestimmte, daß die Ehefrau für den Zeitraum der Beschäftigung ihres Ehemannes in einem anderen Mitgliedstaat keine Rentenversicherung beziehe, da er dem System des anderen Staats unterworfen sei. 92 Das nationale Recht, das nach Art. 13 VO (EWG) 1408171 berufen wird, wird also angewendet, auch wenn dies in casu zu strengen Ergebnissen führen kann.
EuGH, RS 19/67 (Van der Vecht), Sig. 1967,462. BSG, Urt. v. 13.12.1984 - 2 RU 79/83, SGb 1986, 125 ff., mit Anm. 19l / Schuler, 127 ff. 89 Kritisch 19l / Schuler, ebd.; Fuchs, Soziale Sicherung für den Fall des Arbeitsunfalls und der Berufskrankheit, in: Deutscher Sozialrechtsverband (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, 1992, 123 ff., 129; Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 435-436. 90 Schuler, Das ISR der BRD, 1988,635; Willms, Soziale Sicherung durch Europäische Integration, 1990, 146. 91 EuGH, RS 110179 (Coonan), Sig. 1980, 1445; EuGH, RS 368/87 (Hartmann Troiani), Slg. 1989, 1333; EuGH, RS C-245/88 (Daalmeijer), Sig. 1991,1-555; EuGH, RS C-349/87 (Paraschi), Slg. 1991,1-4501; EuGH, RS C-I2193 (Drake), Sig. 1994,14337. 92 EuGH, RS 275/81 (Koks), Slg. 1982,3013; vgl. auch NKES, Steinmeyer, I. 13, Rdnr. 9. Ein Verstoß gegen die Richtlinie 7917 über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen kam nicht in Betracht: Die Umsetzungsfrist war noch nicht abgelaufen. 87
88
C. Die Normen über das anwendbare Recht
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bb) Selbständige Für Selbständige gilt das Recht des Staats, in dem die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird (Tätigkeitsland) (Art. 13 Abs. 2 Buchst. b) va (EWG) 1408171). Dies stellt das Pendant zu dem Beschäftigungslandprinzip für Arbeitnehmer dar. 93 Das "Tätigkeitslandprinzip" gilt auch dann, wenn die Person im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. So war ausschließlich das belgisehe Recht auf einen Selbständigen anzuwenden, der seine Tätigkeit in Belgien ausübte und in den Niederlanden wohnte. 94 Es mußte hingenommen werden, daß ihm dadurch Nachteile entstehen konnten, nämlich daß ihm keine niederländische Familienbeihilfe gewährt werden konnte. 95 Bevor die Verordnung (EWG) Nr. 1390/81 zur Ausdehnung der va (EWG) 1408171 auf die Selbständigen in Kraft getreten ist, hat sich der Gerichtshof auf Art. 52 EGV gestützt, um die Anwendbarkeit (zumindest) eines nationalen Systems der sozialen Sicherheit zu begründen. Nach dem EuGH erlauben es die Art. 52, 58 EGV den zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats nicht, dem Geschäftsführer einer Gesellschaft eine sozialversicherungsrechtliche Leistung zu verweigern, nur weil diese Gesellschaft nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegründet wurde und sie dort auch ihren Sitz hat. 96 Umgekehrt wird die Ausübung der Niederlassungsfreiheit erschwert (und deshalb verstößt es gegen Art. 52 EGV), wenn ein Mitgliedstaat einen Selbständigen zur Entrichtung von Beiträgen zur Sozialversicherung verpflichtet, obwohl er schon in einem anderen Mitgliedstaat aufgrund einer Beschäftigung oder einer anderen selbständigen Tätigkeit versichert ist. 97
NKES, Steinmeyer, I. 13, Rdnr. 15. EuGH, RS 60/85 (Luijten), Slg. 1986,2365. 95 Zumindest nach der Verordnung. Zugunsten von Herrn Luijten wurde ein Belgisch-Niederländisches Abkommen angewendet, das ihm ermöglichte, Familienbeihilfe für seine in den Niederlanden wohnenden Kinder zu bekommen: Comelissen, Tbe SelfEmployed, in: Schoukens, Social Protection of the Self-Employed in the EU, 1994, 43 ff., 57. 96 EuGH, RS 79/85 (Segers), Slg. 1986,2375. 97 EuGH, RS 143/87 (Stanton), Slg. 1988,3877; EuGH, RS 154 und 155/87 (Wolfu. a.), Slg. 1988,3897; EuGH, RS C-53/95 (Kemmler),Slg. 1996,1-703. 93
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I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 43
ce) Verhältnis der Art. 13 ff. zu Art. 1 VO (EWG) 1408171 (1) Die Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" in Art. 1, 2 und Art 13 Abs. 2 va (EWG) 1408171 In Art. 1 Buchst. a) VO (EWG) 1408171 werden die Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" definiert. Danach ist "Arbeitnehmer" oder "Selbständiger" jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige erfaßt werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist. Damit wird auf die sozialrechtliche Stellung der betroffenen Person Bezug genommen. In Art. 13 Abs. 2 Buchst. a) und b) VO (EWG) 1408171 werden die Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" allerdings von den Begriffen "Person, die im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist" und "Person, die eine selbständige Tätigkeit ausübt" abgelöst. 98 Der Unterschied im Wortlaut hat zu der Behauptung99 geführt, der Arbeitnehmerbegriff in Art. 13 sei nicht der gleiche wie der Begriff des Art. 1 VO (EWG) 1408171, sondern hänge von der tatsächlichen Aktivität der Person ab. Die Eigenschaft des Arbeitnehmers oder Selbständigen dürfe nicht vom nationalen Verständnis abhängen, sondern müsse einheitlich gemeinschaftsrechtlich ausgelegt werden. 100 Ein Beispiel aus der Rechtsprechung des EuGH kann das Problem verdeutlichen. In der Rechtssache Hervein lol war zu entscheiden, ob Herr Hervein eine "Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis" oder eine "selbständige Tätigkeit" ausübte. Er war Geschäftsführer von Gesellschaften, die sowohl in Frankreich als auch in Belgien ihren Sitz hatten. Nach den französischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit werden die Führungskräfte von Gesellschaften Arbeitnehmern gleichgestellt; nach dem belgischen Recht der sozialen Sicherheit sind sie dagegen Selbständige. Die gleiche Tätigkeit wird in den verschiedenen Sozialversicherungssystemen unterschiedlich charakterisiert. Die Ant98 s. auch die niederländische Fassung: Statt "werknemer" und "zelfstandige" in Art. 1, sind es in Art. 13 "degene die werkzaamheden in loondienst verricht" und "degene die werkzaamheden anders dan in loondienst verricht". In anderen Sprachen sind allerdings die Ausdrücke ähnlicher (s. z.B. die französiche Fassung: "travailleur salarü!" und "travailleur non salarie" in Art. 1 und "la personne qui exerce une activite salariee" oder "non salariee" in Art. 13; so auch in der griechischen Fassung: Art. I: "mishtwtos" und "mi misthwtos" - Art. 13: "misthwti drastiriotita" und "mi misthwti drastiriotita". In der englischen Fassung sind die Ausrücke in Art. I und 13 identisch: "employed" und "self-employed person". 99 van der Steen, Soziale Verzekeringswetten, 2A (Grensarbeit) XII, 10. 100 Ebd. 101 EuGH RS C-221/95, Sig. 1997, 1-609; fast identisch war auch die RS C-340/94 (De Jaeck), Sig. 1997,1-461.
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
wort auf die Frage, ob Herr Hervein Arbeitnehmer oder Selbständiger ist, ist wichtig, um herauszufinden, welche der Vorschriften des Titels 11 der VO (EWG) 1408/71 auf ihn anwendbar ist. 102 In den schriftlichen Erklärungen wurde behauptet, daß die in Rede stehende Tätigkeit eine selbständige Tätigkeit sei. Die Person sei an keinen Arbeitsvertrag gebunden; es gebe nicht das diesem innewohnende Unterordnungsverhältnis. Obwohl die Führungskräfte von Gesellschaften in Frankreich in bezug auf soziale Sicherheit Arbeitnehmern gleichgestellt werden, verlören sie dadurch nicht ihre Eigenschaft als Selbständige. 103 Die Begriffe "Tätigkeit im Lohnoder Gehaltsverhältnis" und "selbständige Tätigkeit" in Titel 11 der VO (EWG) 1408/71 verwiesen somit auf die nationalen arbeitsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten, in denen die betreffenden Tätigkeiten ausgeübt werden. 104 Der Gerichtshof hat diese Auffassung und das durch sie hervorgebrachte arbeitsrechtliche Kriterium für die Charakterisierung einer Tätigkeit als "Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis" oder "selbständige Tätigkeit" nicht akzeptiert. Gemäß Art. 1 Buchst. a) i.V.m. Art. 2 Abs. 1 sei die VO (EWG) 1408/71 auf Arbeitnehmer und Selbständige anwendbar, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, wobei unter Arbeitnehmern und Selbständigen die Personen zu verstehen seien, die in einer dieser Eigenschaften im Rahmen eines Systems der sozialen Sicherheit versichert sind. Die in der Verordnung verwendeten Begriffe des Arbeitnehmers und des Selbständigen griffen somit auf die Definitionen dieser Begriffe in den sozialrechtlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zurück und seien von der Natur der ausgeübten Tätigkeit unabhängig. Es sei zwar richtig, daß sich die Vorschriften des Titels 11 der VO (EWG) 1408/71 nach ihrem Wortlaut auf Personen beziehen, die eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit ausüben, und nicht auf Arbeitnehmer oder Selbständige. Es sei aber nicht davon auszugehen, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber für die Anwendung der Vorschriften des Titels 11 den in der Verordnung verwendeten Begriffen der Tätigkeit im Lohnoder Gehaltsverhältnis und der selbständigen Tätigkeit eine eigenständige gemeinschaftsrechtliche Bedeutung verleihen wollte, die zudem noch dem Arbeitsrecht entlehnt sei. 105 Eine logische und kohärente Auslegung des persönli102 Ist er als Selbständiger zu qualifizieren, dann gilt für ihn Art. 14a Abs. 2 VO (EWG) 1408171 und ist auf ihn das Recht seines Wohnstaats anwendbar. Ist er dagegen nach den Rechtsvorschriften der bei den Mitgliedstaaten sowohl als Arbeitnehmer als auch als Selbständiger zu qualifizieren, unterliegt er nach Art. 14c Abs. 1 Buchst. b) i.V.m. Anhang VII der VO (EWG) 1408171 den Rechtsvorschriften bei den Staaten. 103 s. die Schlußanträge des Generalanwalts Colomer in der RS C-221195 (Hervein), Sig. 1997,1-609, Rdnr. 13. 104 EuGH, RS C-221/95 (Hervein), Rndr. 13. 105 s. Rdnr. 28 des Urteils in der RS C-340/94 (De Jaeck), Slg. 1997, 1-461.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408/71 45
chen Geltungsbereichs der Verordnung und des durch sie geschaffenen Systems von Normen über das anwendbare Recht gebiete es, die fraglichen Begriffe des Titels II der va (EWG) 1408171 im Licht der Definitionen von Art. 1 Buchst. a) va (EWG) 1408171 auszulegen. 106 Dies bedeute, daß unter einer "Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis" oder "selbständige Tätigkeit" eine Tätigkeit zu verstehen ist, die im Rahmen der Anwendung der Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit des zuständigen Mitgliedstaats als solche angesehen wird. In den schriftlichen Erklärungen in der Rechtssache Hervein wurde die Kommission gebeten, mit Beispielen ihre Behauptung zu erläutern, daß die Heranziehung des Arbeitsrechts bei der Definition des Begriffs der Tätigkeiten im Lohn- oder Gehaltsverhältnis und der selbständigen Tätigkeiten für die Anwendung von Titel II der Verordnung in bestimmten Fällen die Anwendung der Normen dieses Titels auf in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung fallende Personen unmöglich machen würde. 107 Die Kommission hat folgende Beispiele genannt: Erstens sind nach den deutschen Rechtsvorschriften Studenten dem System der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer angeschlossen und fallen somit in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung, obwohl sie nicht erwerbstätig sind. Wenn die arbeitsrechtlichen Kriterien für die Anwendung des Titels 11 heranzuziehen wären, könnte nicht festgestellt werden, ob sie eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit ausübten, und es könnte auch nicht festgestellt werden, welche Rechtsvorschriften auf sie anwendbar wären, wenn sie sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhielten. Darüber hinaus hat die Kommission auf die Definition des Arbeitnehmers hingewiesen, die der Gerichtshof für die Anwendung von Artikel 48 EGV gegeben hat. 108 Danach sind berufliche Tätigkeiten, die von so geringem Umfang 106 Dieser Feststellung widerspricht ein - vor der Entscheidung in der RS Hervein ergangenes - Urteil des niederländischen Centrale Raad van Beroep (CRvB, 22.10.1993, RSV 1994/70). Das Gericht hat einen in Portugal wohnenden Niederländer, der in den Niederlanden zwei Läden vermietete, als "selbständig" charakterisiert. Diese Person kehrte jedes Jahr für ein paar Monate in die Niederlanden zurück und verrichtete dort selbst die "Unterhalts arbeiten" (z.B. malen, tapezieren usw.). Dies war für den CRvB das entscheidende Argument, um ihn als "selbständig" zu bezeichnen. Hier wurde der Wortlaut des Art. 13 Abs. 2 Buchst. b) als Grundlage für seine Bezeichnung als sebständig benutzt ("anders dan in loondienst"), und es wurde nicht zuerst festgestellt, ob er selbständig i.S.d. Art. 1 der Verordnung war. s. dazu die Kritik von Kavelaars, Ontwikkellingen an het intemationaal sociaal-verzekeringsfront, Weekblad v. fisc. Recht, 1994, 1052 ff., der bedauert, daß das Gericht nicht eine präjudizielle Frage an dem EuGH gestellt hat (1054). 107 Schlußanträge des Generalanwalts Colomer in der RS C-22I195 (Hervein), Sig. 1997,1-609, Rdnr. 18 und 20. 108 EuGH, RS 53/81 (Levin), Slg. 1982, 1035; EuGH, RS C-107/94 (Asscher), Slg. 1996, 1-3089.
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
sind, daß sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen, keine Beschäftigung. Folgte man dieser Definition, könnte eine Person, die eine geringfügige Tätigkeit von z.B. zwei Stunden an je zwei Wochentagen ausübt, nicht als Arbeitnehmer angesehen werden. Der Gerichtshof hat jedoch die Ansicht vertreten, daß der zeitliche Umfang der Beschäftigung bei der Beantwortung der Frage, ob eine Person in den persönlichen Geltungsbereich der va (EWG) 1408171 fällt, unerheblich sei. 109 So würde zwar diese Person in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung fallen, aber keine Vorschrift wäre auf sie anwendbar, da sie weder Arbeitnehmer noch Selbständiger wäre.
(2) "Zirkelschluß" ?
"Arbeitnehmer" oder "Selbständiger" ist nach Art. 1 Buchst. a) va (EWG) 1408171 jede Person, die von einem System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats für Arbeitnehmer oder Selbständige erfaßt wird. Diese Definition scheint auf einem Zirkelschluß zu beruhen: 110 Die Eigenschaft des Versicherten entscheidet über die Anwendung der va (EWG) 1408171; es ist aber die Verordnung, die erst bestimmt, welche nationalen Rechtsvorschriften auf eine Person anwendbar sind, und diese entscheiden danach darüber, ob diese Person versichert ist. Deshalb dürfte die national-bestimmte Versicherten-Eigenschaft nicht für die Anwendung der Verordnung entscheidend sein. Die Frage, die sich stellt, ist, ob eine Person, die nicht versichert ist, trotzdem in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung fallen kann. Diese Frage war in der Rechtssache Zinnecker lll relevant. In diesem Fall ging es um einen deutschen Staatsangehörigen, der sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden Imbißstuben betrieb. Er war in Deutschland weder pflichtversichert noch freiwillig versichert. Auch in den Niederlanden war er nicht versichert. Es war in diesem Fall fraglich, ob Herr Zinnecker in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung falle, da er in keinem dieser bei den Staaten versichert war. Nach Art. 2 Abs. 1 va (EWG) 1408/71 fällt eine Person in den persönlichen Geltungsbereich, wenn sie dem System der sozialen Sicherheit zumindest eines Mitgliedstaats angehört oder angehört hat. Was die niederländischen Rechtsvorschriften betrifft, war der Kläger nicht versicherungspflichtig. Die Frage war, ob er trotzdem als Selbständiger angesehen werden konnte. Da im Anhang I Teil I der va 1408171 für die Nieder-
EuGH, RS C-2189 (Kits van Heinigen), Slg. 1990, 1-1755. Eichenhofer, EAS, B 1200, Rdnr. 61. 111 EuGH, RS C-121/92 (Zinnecker), Slg. 1993, 1-5023.
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I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408/71 47
lande vorgesehen ist, daß als Selbständiger gilt, wer eine Tätigkeit oder einen Beruf außerhalb eines Arbeitsvertrages ausübt, hat der Gerichtshof entschieden, daß Herr Zinnecker als Selbständiger anzusehen sei, der in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung falle. Nachdem er dies festgestellt hat, hat auch das auf ihn anwendbare nationale Recht bestimmt werden können. Das Urteil 112 selbst macht nicht deutlich, wie der EuGH das Problem des "Zirkelschlusses" überwunden hat. Hilfreich sind die Schlußanträge des Generalanwalts Jacobs: Er hat nämlich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hingewiesen, wonach Arbeitnehmer oder Selbständige nicht nur die tatsächlich versicherten Personen sind, sondern auch die Personen, die die materiellen Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein System der sozialen Sicherheit erfüllen. 113 Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, daß erst die Verordnung das anwendbare Recht bestimmt, das danach über die Versicherten-Eigenschaft einer Person entscheidet, können m. E. in den meisten Fällen vermieden werden, wenn die Schritte der Rechtsanwendung klar voneinander getrennt werden. Zuerst muß festgestellt werden, ob eine Person in den persönlichen Geltungsbereich der va (EWG) 1408/71 fällt. Bei der Beantwortung der Frage tendiert die Rechtsprechung l14 des Gerichtshofs dazu, möglichst viele Personen zu erfassen: Der gemeinschaftsrechtliche Begriff des Versicherten erfaßt nämlich alle Personen, welche die materiellen Voraussetzungen eines Systems der sozialen Sicherheit erfüllen, das für sie gelten würde, wenn die für den Beitritt zu diesem System erforderlichen Schritte unternommen worden wären. Sodann kommen die Bestimmungen des Titels 11 der Verordnung zur Geltung. Sie dienen dazu, das auf eine Person anwendbare Recht zu bestimmen; sie besagen aber selbst nicht, ob die Person tatsächlich als Arbeitnehmer oder Selbständiger versichert ist oder ob sie überhaupt versichert ist. Sie sollen nur die anzuwendenden nationalen Vorschriften bestimmen, nicht aber die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein System der sozialen Sicherheit. 115 Dies wird ausschließlich das anwendbare nationale Sozialrecht bestimmen. 116 Letzeres wird also festlegen, ob der Betroffene in dem nationalen System der sozialen Sicherheit tatsächlich als Arbeitnehmer oder Selbständiger versichert ist. 117
112 Kritisch Brinkmann, Enkele aantekeningen bij het arrest Zinnecker, Migrantenrecht 1994, 86f. 113 EuGH, RS 39/76 (Mouthaan), Slg. 1976, 1901. 114 Insb. EuGH, RS Mouthaan, ebd. l1S EuGH, RS C-2189 (Kits van Heinigen), Slg. 1990, 1-1755. 116 EuGH, RS 110/79 (Coonan), Slg. 1980, 1445. 117 s. die Schlußanträge des Generalanwalts Colomer in der RS C-221195 (Hervein), Slg. 1997, 1-609, Rdnr. 19, der auf das Urteil in der RS C-121192 (Zinnecker) verweist: Die Einstufung einer Person als Arbeitnehmer, als Selbständiger oder als jemand, der zu
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C. Die Nonnen über das anwendbare Recht
dd) Seeleute Art. 13 Abs.2 Buchst. c) va (EWG) 1408171 schreibt vor, daß Personen, die ihre Berufstätigkeit an Bord eines Schiffes ausüben, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fahrt, den Rechtsvorschriften dieses Staats unterliegen. Für Seeleute gilt also das Flaggenrechtsprinzip. Diese Vorschrift gilt sowohl für die als Arbeitnehmer zu betrachtenden Seeleute als auch für die auf einem Schiff tätigen Selbständigen. Nach internationalem Seerecht unterliegen Reeder dem Recht des Staats, dessen Flagge ihr Schiff führt. Dabei kommt es ausschließlich auf die Registrierung 1l8 des Schiffes an. 1l9 Jeder Staat regelt in eigener Souveränität, unter welchen Voraussetzungen er eine Registrierung von Schiffen bewilligt. 120 Die Anwendung des Flaggenrechtes ist auch im Internationalem Arbeitsrecht l21 und im deutschen internationalen Sozialrecht üblich,122 da es dem Beschäftigungsort entspricht. 123 Nicht nur das Schiff ist mit der Führung der Flagge eines Staats dessen Recht unterstellt, sondern auch die Personen, die auf diesem Schiff beschäftigt sind. l24 Gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. c) va (EWG) 1408171 ist das deutsche Recht auf einen Briten anzuwenden, der auf einem unter deutscher Flagge fahrenden Seeschiff beschäftigt war. 125
keiner dieser Gruppen gehört, hänge von der Antwort auf folgende Fragen ab: Erstens davon, ob sie in den persönlichen Geltungsbereich der VO (EWG) 1408171 falle (Titel I), bejahendenfalls davon, welche Rechtsvorschriften auf sie anzuwenden seien (Titel 11), wobei dies andere als die Rechtsvorschriften sein können, die zu ihrer Einstufung als Arbeitnehmer oder Selbständiger gedient hätten, und schließlich davon, ob die Person nach diesen Rechtsvorschriften als Arbeitnehmer oder als Selbständiger versichert oder auch gar nicht versichert sei. 118 Und nicht auf die Staatsangehörigkeit des Schiffeigners oder des Reeders. 119 Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 4. Aufl. 1990,388. 120 Ebd., 388f. 121 Morgenstern, International Conflicts of Labour Law, 1986, 30; Eichenhofer, IPR und ISR, 1987, 82. 122 Bokeloh, Die soziale Sicherheit der Seeleute, SGb 1997, 154 ff.; Eichenhofer, IPR und ISR, 1987,82. Schon ziemlich früh bei der Entwicklung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit haben die Staaten mit einem großen maritimen Sektor den Geltungsbereich ihrer Systeme auf die Seeleute erstreckt; der Staat war zuständig für die Schiffe, die dort registriert waren, allerdings meistens nur für seine Staatsangehörigen oder Einwohner: s. [LO, Introduction to Social Security, 3. Aufl. 1984,151. 123 Morgenstern, International Conflicts of Labour Law, 1986, 30. 124 Bokeloh, SGb 1997, 154. 125 BSG, Urt. v. 29.6.1984 Az RK 15/81, SozR 2400 § 8 Nr. 1.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 49
Nachteilig bei der Anwendung des Flaggenrechts ist die Tatsache, daß so die Seeleute nicht erfaßt werden, deren Schiffe unter den sog. "Billigflaggen" fahren. 126
ee) Beamte Art. 13 Abs. 2 Buchst. d) va (EWG) 1408171 besagt, daß Beamte dem Recht des Staats unterliegen, in dem der Dienstherr seinen Sitz hat. Das Recht des Staats, in dem der Dienstherr des Beamten seinen Sitz hat, gilt auch, wenn der Beamte seine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat verrichtet oder dorthin zur Ausführung eines Auftrags gesandt wird. 127 Auf die Dauer des Einsatzes in dem anderen Staat kommt es nicht an: Die zeitliche Befristung der Entsendung des Art. 14 va (EWG) 1408171 betrifft nach dem Wortlaut des Artikels nur die in Art. 13 Abs. 2 Buchst a) va (EWG) 1408171 angesprochenen Personen. 128 Die in Art. 13 Abs. 2 Buchst. d) va (EWG) 1408171 enthaltene Regelung weicht von der allgemeinen Grundregel des Art. 13 Abs. 1 Buchst. a) va (EWG) 1408171 ab, da die Beamten auch weiterhin in einem Sonderrechtsverhältnis zu dem Entsendestaat stehen, von welchem sie zur Erfüllung ihnen übertragener Aufgaben in einen anderen Staat gesandt werden. 129 In Anwendung dieser Vorschrift steht einem nach Deutschland entsandten Beamten eines anderen EG-Mitgliedstaats kein (deutsches) Kindergeld zu. l3O Art. 13 Abs. 2 Buchst. d) va (EWG) 1408171 ist nicht anwendbar auf einen Beamten, der seine Tätigkeit in der Verwaltung eines Mitgliedstaats endgültig aufgegeben hat. 131 Die Beamten sind nach dem EG-Vertrag als Arbeitnehmer anzusehen. Hierfür spricht die Existenz des Art. 48 Abs. 4 EGV: wären sie keine Arbeitnehmer, so wäre es nicht nötig gewesen, in Art. 48 Abs. 4 EGV für die in der öffentlichen Verwaltung beschäftigten Personen eine Ausnahme von der allgemeinen
126 NKES, Steinmeyer, I. 13, Rdnr. 17; Dioikitiko Protodikeio Athinon, Urt. 14388/1986 v. 28.11.1986, Armenopoulos 1988, 386-397: Art. 13 Abs. 2 Buchst. c) VO (EWG) 1408171 findet keine Anwendung auf Seeleute, die auf einem unter der Flagge
Panamas fahrenden Schiff beschäftigt sind. SGB-SozVers-GesKomm-Baumeister, Art. 13 VO Nr. 1408171,139. Vgl. auch Költzsch, Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, DRV 1995, 74 ff. (80); Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 294 nennt den Staat, in dem der 127
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Dienstherr des Beamten seinen Sitz hat, sofort "Entsendestaat". 129 BSG, Urt. v. 15.12.1992 -10 Rkg 18/91, SozR 3-6050 Art. 13 Nr. 3. 130 Ebd. 131 EuGH, RS C-245/88 (Daalmeijer), Slg. 1991,1-555. 4 Devetzi
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C. Die Nonnen über das anwendbare Recht
Regel des Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer vorzusehen. 132 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der gemeinschaftsrechtliche Begriff des Arbeitnehmers LS.d. Art. 48 EGV anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis kennzeichnen. Dessen wesentliches Merkmal besteht darin, daß jemand für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt. Der Wortlaut des Art. 48 Abs. 4 EGV, der zwischen Stellen, die von Beamten, und Stellen, die von anderen Bediensteten besetzt werden, nicht unterscheidet, zeigt, daß die Beamten zu den Arbeitnehmern oder unselbständig Beschäftigten gezählt werden. 133 Die Tatsache, daß die Beamten in einem besonderen Unterabsatz des Artikels 13 Abs. 2 va (EWG) 1408/71, in Buchstabe d), genannt werden, nimmt den Beamten für die Anwendung der Verordnung nicht ihre Arbeitnehmereigenschaft. 134 So wurde vom EuGH ein Fall gelöst, in dem der Beamte gleichzeitig als Selbständiger in einem anderen Mitgliedstaat tätig war: Der Gerichtshof hat ihn als Arbeitnehmer angesehen, indem er die Beschäftigung als Beamter als Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis charakterisierte, und konnte den Art. 14c va (EWG) 1408/71 auf ihn anwenden. Somit wurde festgestellt, daß er dem Recht des Staats unterlag, in welchem er seine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis - die Beschäftigung als Beamter - ausübte. 135 Nach der Verabschiedung der va (EG) Nr. 1606/98 sieht Art. 14f nunmehr ausdrücklich vor, daß Beamte, die im Rahmen eines Sondersystems für Beamte in einem Mitgliedstaat versichert sind und gleichzeitig in einem anderen Mitgliedstaat eine abhängige Beschäftigung und/oder selbständige Tätigkeit ausüben, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegen, in dem sie im Rahmen eines Sondersystems für Beamte versichert sind. Die Eigenschaft des "Beamten" und die daraus folgende Anwendung der Rechtsvorschriften des Staats, in dem der Dienstherr seinen Sitz hat, kann der Umstand nicht ändern, daß der Beamte bei Vertragsbeendigung von dem Entsendestaat rückwirkend so eingestuft wurde, als ob er als Arbeitnehmer gearbeitet hätte, damit er Arbeitslosenunterstützung und Leistungen bei Krankheit und Invalidität erhalten konnte. 136
132 So die Auffassung der Kommission z.B. in den RS 66/85 (Lawrie-Blum), Sig. 1986,2121 (2131) und C-7I193 (Van Poucke), Sig. 1994,1-1101 (1109); vgl. auch Jörg, Beamtenstatut und Europäische Gemeinschaften, 1994, 45f.; Battis, Freizügigkeit und Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung, in: Magiera (Hrsg.), Das Europa der Bürger in einer Gemeinschaft ohne Binnengrenzen, 1990,47 ff. (53). 133 EuGH (Van Poucke), Sig. 1994,1-1101, Rdnr. 17. 134 EuGH, RS C-7I193 (Van Poucke), Sig. 1994,1-1101, Rdnr. 18; EuGH, RS C308/94 (Naruschawicus), Slg. 1996,1-207, Rdnr. 21. 135 EuGH, RS C-7I193 (Van Poucke), ebd. 136 EuGH, RS C-308/94 (Naruschawicus), ebd.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408/71 51
ff) Wehr- und Zivildienstleistende Die Wehr- und Zivildienstleistenden unterliegen dem Recht des Staats, der sie einberufen hat (Art. 13 Abs. 2 Buchst. e) VO (EWG) 1408/71). Die Vorschrift gilt nur für diejenigen, die ihre Wehrpflicht bzw. ihre Pflicht zum Zivildienst erfüllen. Auf Berufs- und Zeitsoldaten ist dagegen die Sonderregelung für Beamte und ihnen Gleichgestellte anzuwenden. 137 Satz 2 des Art. 13 Abs. 2 Buchst. e) VO (EWG) 1408/71 sieht vor, daß in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegte Versicherungszeiten wie Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind, die in dem Staat zurückgelegt worden sind, der die Einberufung veranlaßt hat. Diese Regelung will die Fälle umfassen, in denen das nationale Recht die Inanspruchnahme seiner Rechtsvorschriften von dem Nachweis von Versicherungszeiten vor der Einberufung zu - oder nach der Entlassung aus - dem Wehr- oder Zivildienst abhängig macht. Nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. e) Satz 3 VO (EWG) 1408/71 bleibt die Arbeitnehmer- oder Selbständigeneigenschaft während des Wehr- oder Zivildienstes erhalten.
gg) Diplomaten Für Personen, die in diplomatischen oder konsularischen Vertretungen tätig sind, werden nach ihrem Status Differenzierungen vorgenommen. Diese Personen können drei Gruppen zugeordnet werden: - Für die Beamten, die in eine Vertretung entsandt worden sind, gilt dieselbe Regel wie für die anderen Beamten (Art. 13 Abs.2 Buchst. d) VO (EWG) 1408/71). Sie unterliegen also dem Recht des Staats, in dem der Dienstherr seinen Sitz hat. - Für das Geschäftspersonal (also für die Arbeitnehmer und nicht die Beamten) der Vertretungen gilt grundsätzlich das Recht ihres Beschäftigungsstaats, also des Aufnahmestaats (Art. 16 Abs.l i.V.m. Art. 13 Abs. 2 Buchst. a) VO (EWG) 1408/71). Diese Regelung stimmt zwar mit dem Grundsatz überein, daß die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats Anwendung finden sollen. Auf diese Weise wird jedoch von Art. 33 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. 4. 1961 138 und von Art. 48 des Wien er Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 139 abgewichen, die vorsehen, daß die Mitglieder der Vertretungen grundSätzlich von den NKES, Steinmeyer, 1., 13. Rdnr. 23. BGBI. 1964 11, 959. 139 BGBI. 1969 11, 1587. 137 138
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
im Aufnahmestaat geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit befreit sind. 140 Wenn diese Arbeitnehmer zugleich Staatsangehörige des die Vertretung unterhaltenden Staats sind, können sie durch Erklärung ihr Heimatrecht für anwendbar erklären (Art. 16 Abs.2 va (EWG) 1408171). Art. 13 va (EWG) 574/72 bestimmt, wie diese Erklärung abgegeben wird: Sie hat erstmalig innerhalb von drei Monaten nach dem Tag der Einstellung bei der diplomatischen oder konsularischen Vertretung zu erfolgen; sie kann auch am Ende eines jeden Kalenderjahres neu abgegeben werden. Der betreffende Arbeitnehmer unterrichtet seinen Arbeitgeber und den Träger, den die zuständige Behörde des Mitgliedstaats bezeichnet, für dessen Rechtsvorschriften er sich entschieden hat. - Art. 16 Abs. 3 der va (EWG) 1408171 trifft eine besondere Regelung für die Hilfskräfte der EG. Sie sind von den EG-Beamten und sonstigen Bediensteten zu unterscheiden und üben für maximal ein Jahr Hilfs- oder Verwaltungsfunktionen aus. 141 Diese Hilfskräfte können zwischen dem Recht ihres gegenwärtigen Beschäftigungsstaats oder dem Recht ihres früheren Beschäftigungsstaats oder demjenigen ihres Heimatstaats wählen. Ausgenommen von diesem Wahlrecht sind die Vorschriften über Familienbeihilfen, deren Gewährung in den Beschäftigungsbedigungen für die Hilfskräfte geregelt ist. Anders als die Arbeitnehmer bei diplomatischen und konsularischen Vertretungen, die das in erster Linie anzuwendende Recht des Beschäftigungslandes durch das Heimatrecht ersetzen können, haben die Hilfskräfte ein echtes Wahlrecht 142 zwischen drei verschiedenen nationalen Rechten. 143 Dieses Wahlrecht kann nur einmal ausgeübt werden; gemäß Art. 14 va (EWG) 574/72 muß die Hilfskraft bei Abschluß des Anstellungsvertrages entscheiden. Das Verfahren ist das gleiche wie bei dem Geschäftspersonal der diplomatischen Vertretungen. Allerdings besteht der Unterschied, daß die zum Abschluß des Vertrages befugte Behörde selbst den Träger unterrichtet, den die zuständige Behörde desjenigen Mitgliedstaats bezeichnet, für dessen Rechtsvorschriften die Hilfskraft sich entschieden hat.
140 141
Steinmeyer, Einstrahlung, 1991, 107f.; ders., NKES, I. 16 Rdnr. 2. Oppermann, Europarecht, 1991, Rdnr. 671 und 675; Rogalla, Dienstrecht der Eu-
ropäischen Gemeinschaften, 1992, 82. 142 In dem Sinne, daß die Rechtsfolge erst feststeht, nachdem die Wahl getroffen worden ist. 143 s. dazu Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 298f.; ders., EAS, 81200, Rdnr. 125.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408/71 53
hh) Nichterwerbstätige Durch die Verordnung 2195/91 144 wurde ein neuer Buchstabe f) in Art. 13 Abs. 2 eingefügt, welcher die Personen betrifft, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht mehr unterliegen. Zu dieser Vorschrift hat die Rechtsprechung des EuGH Veranlassung gegeben. Der EuGH hat Art. 13 Abs. 2 a) va (EWG) 1408/71 so ausgelegt, daß dieser auf die Rechtsvorschriften des Staats abstelle, in dessen Gebiet der Arbeitnehmer zuletzt beschäftigt war, auch wenn er nicht ausdrücklich den Fall eines Arbeitnehmers erwähnt, der zu dem Zeitpunkt des Versicherungsfalles 145 nicht beschäftigt war. 146 In der Rechtssache Ten Holder befand der Gerichtshof, daß ein Arbeitnehmer immerhin dem Recht des Staats seiner letzten Beschäftigung unterliege, und zwar unabhängig davon, wieviel Zeit seit der Beendigung seiner Beschäftigung verstrichen iSt. 147 Dennoch wurde durch die spätere Rechtsprechung des EuGH klargestellt, daß diese Auslegung nur die Personen betrifft, die vorläufig aus dem Erwerbsleben ausgetreten sind: 148 In den Entscheidungen Noji 149 und Daalmeijer150 wurde festgestellt, daß Art. 13 Abs. 2 Buchst. a) va (EWG) 1408/71 nicht auf Personen anzuwenden sei, die ihre Berufstätigkeit endgültig aufgegeben und sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben haben, wo sie keine Erwerbstätigkeit ausüben. 151 Die Begründung war, daß Art. 13 Abs. 2 Buchst. a) va (EWG) 1408/71 die Fälle der Rechtskollision lösen müsse, die sich ergeben können, wenn der Wohnort und der Beschäftigungsort während desselben Zeitraums nicht in demselben Mitgliedstaat liegen. Derartige Probleme könnten aber bei Arbeitnehmern, die jegliche Berufstätigkeit aufgegeben haben, nicht mehr auftreten. 152 Die Entscheidung Ten Holder wurde als problematisch angesehen. 153 Die Kommission weist in ihren Erklärungen zu der va (EWG) 2195/91 154 darauf
ABI. NT. L 20612 v. 29.7.1991. Es handelte sich hier um Leistungen bei Krankheit. 146 EuGH, RS 105/82 (Coppola), Sig. 1983,43, Rdnr. 11. 147 EuGH, RS 302184 (Ten Holder), Slg. 1986, 1821. In diesem Fall waren eineinhalb Jahre seit dem Ende des Arbeitsverhältnisses verstrichen worden. 148 Lefebvre, Memento pratique, 1993, Rdnr. 7034. 149 EuGH, RS C-140/88, Slg. 1991,1-387. 150 EuGH, RS C-245/88, Slg. 1991,1-573. 151 So durfte der Wohnstaat von ihnen Beiträge erheben; es durften aber keine Beiträge gefordert werden, die zu Lasten eines Trägers eines anderen Mitgliedstaats gingen (Noij). 152 s. Rdnr. 13 der RS Daalmeijer und Rdnr. 10 der RS Noij. 153 Die Kritik kam insbesondere aus dem Kreis der Systeme der Einwohnerversicherung: s. hierzu Pennings, Introduction to European Social Security Law, 1994, 103 ff; Keunen, Het arrest ten Holder en de wijzing van het KB 557, in: Sociaal Maanblad Ar144
145
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
hin, daß die buchstäbliche Umsetzung dieses Urteils sich als ungünstig erweisen könnte für diejenigen nicht im Erwerbsleben stehenden Personen, die zuletzt in einem Mitgliedstaat mit einer "Sozial-Versicherung" I 55 gearbeitet haben und in einem anderen Mitgliedstaat mit auf Wohnen gegründeter Versicherung wohnen. Deshalb sieht Art. 13 Abs. 2 Buchst. f) VO (EWG) 1408171 vor, daß die Personen, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin unterliegen, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegen, in dessen Gebiet sie wohnen. Die neue Bestimmung nennt zwei Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschriften des Wohnstaats. 156 Erstens darf die Person dem Recht des Beschäftigungsstaats nicht mehr unterliegen. Der gleichfalls durch die VO 2195/91 eingefügte Art. Wb VO (EWG) 547/72 sieht vor, daß der Zeitpunkt und die Voraussetzungen, zu denen das Recht eines Mitgliedstaats nicht weiterhin gilt, nach seinen Vorschriften bestimmt werden. Zweitens gelten die Vorschriften des Wohnstaats nur, wenn auf die Person keine andere Regelung der Art. 13-17 VO (EWG) 1408171 anwendbar ist. Die Neuregelung gilt also subsidiär. Sie kann erst angewandt werden, nachdem geprüft wurde, daß die Person keiner anderen Regel des Titels 11 der Verordnung unterfällt. In Art. 13 Abs. 2 Buchst. f) VO (EWG) 1408171 wird schließlich nochmals betont, daß das Recht des Wohnstaats ausschließlich Anwendung findet. Damit wiederholt diese Regelung den in Art. 13 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 aufgestellten Grundsatz.
b) BeschäftigunglTätigkeit in mehr als einem Mitgliedstaat
Die Verordnung enthält besondere Regelungen für Arbeitnehmer oder Selbständige, die regelmäßig in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt bzw. tätig sind. Auch hier werden wie bei der "Hauptregel" des Art. 13 Abs.2 VO (EWG) 1408171 Differenzierungen nach dem Status der betreffenden Personen getroffen. Insbesondere für die Arbeitnehmer werden unterschiedliche Regelungen getroffen, je nachdem, ob sie im internationalen Transportgewerbe beschäftigt sind oder nicht.
beid 1987,99 ff; Vonk, De "Ten-Holder - Problematiek opnieuw aanhangig bji het Hof van Justitie van de EG, Sociaal Recht 1988,371 ff. 154 KOM (90) endg. von 24.7.1990. 155 Nämlich mit einer auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gegründeten Versicherung. 156 NKES Steinmeyer,l. 13, Rdnr. 29 und 30.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 55
Entsprechend der Grundregel des Art. 13 Abs. 1 va (EWG) 1408171 wird auch hier nur ein nationales Recht für anwendbar erklärt. Es ist hier zu betonen, daß die folgenden Regelungen nur die Personen betreffen, die gewöhnlich ihre Beschäftigung bzw. Tätigkeit in mindestens zwei Mitgliedstaaten ausüben.
aa) Arbeitnehmer ( 1) Die Regelungen des Art. 14 Abs. 2 Buchst. b)
va (EWG) 1408/11
Bei den Arbeitnehmern, die in mehreren Mitgliedstaaten gleichzeitig beschäftigt sind, wird differenziert, je nachdem, ob sie einen Teil ihrer Beschäftigung auch im Wohnstaat verrichten und ob sie für einen oder mehrere Arbeitgeber bzw. ein oder mehrere Unternehmen arbeiten. - Beschäftigung auch im Wohnstaat Auf Personen, die sowohl in ihrem Wohnstaat als auch in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten, findet das Recht ihres Wohnstaats Anwendung (Art. 14 Abs.2 Buchst. b) Ziffer i), Erster Fall va (EWG) 1408171). In diesem Falle wird also von dem "Beschäftigungslandprinzip" abgewichen, weil dieses Prinzip nur bei einer Beschäftigung in einem Staat von Nutzen sein kann. Die Anwendung der Vorschriften des Wohnstaats ist hier sinnvoller. Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) Ziffer i) va (EWG) 1408171 ist z.B. anwendbar auf einen dänischen Arbeitnehmer, der in Dänemark wohnt, ausschließlich von einem Unternehmen mit Sitz in Deutschland beschäftigt wird und im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses einen Teil seiner Tätigkeit regelmäßig im Umfang von mehreren Stunden pro Woche während eines Zeitraums, der nicht ?uf zwölf Monate beschränkt ist,157 in Dänemark ausübt. 158 Die Vorschriften des Wohnstaats gelten aber nach dem EuGH nur, sofern der Arbeitnehmer dem System der sozialen Sicherheit dieses Staats angeschlossen ist; ansonsten gelten die Vorschriften des anderen Beschäftigungsstaats. 159 - Keine Beschäftigung im Wohnstaat Wenn sich Wohn staat und Beschäftigungsstaat bei Tätigkeiten in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht einmal zum Teil decken, wenn also die Beschäftigung überhaupt nicht im Wohn staat ausgeübt wird, dann gelten die Rechtsvor157 Dies ist nach dem EuGH entscheidend, um die Anwendung der Vorschrift über die Entsendung auszuschließen. 158 EuGH, RS C-425193 (Calle Grenzshop), EuroAS 1995,49. 159 EuGH, RS 8175 (Football Club d' Andlau), Sig. 1975,739.
C. Die Nonnen über das anwendbare Recht
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schriften des Staats, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat (Art. 14 Abs.2 Buchst. b) Ziffer ii) va (EWG) 1408/71. - Arbeitnehmer, die für mehrere Arbeitgeber tätig sind Arbeitnehmer, die zu mehr als einem Unternehmen im Beschäftigungsverhältnis stehen, unterliegen dem Recht ihres Wohn staats (Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) Ziffer i), Zweiter Fall va (EWG) 1408/71). Im Unterschied zu dem ersten Fall des Unterabsatzes ist es hier ohne Bedeutung, ob sie auch einen Teil der Beschäftigung in ihrem Wohnstaat verrichten. Die Anwendung der Vorschriften des Wohnstaats ist auch hier sinnvoller als die des Beschäftigungs- oder Sitzstaats, da es in diesem Fall sowohl mehrere Beschäftigungen als auch mehrere Sitze gibt. Für alle Fälle der Ausübung einer Beschäftigung in mehr als einem Mitgliedstaat ist zu bemerken, daß es keine Rolle spielt, ob die in dem zuständigen Staat verrichtete Beschäftigung als Haupt- oder Nebenbeschäftigung anzusehen iSt. 160 Eine derartige Differenzierung der Regelung könnte zu einer unerwünschten Unklarheit führen, zumal es bei mehreren Beschäftigungen oft schwierig ist festzustellen, welche Beschäftigung die Hauptbeschäftigung iSt. 161
(2) Grenzüberschreitende Betriebe
Wenn der Arbeitnehmer für ein Unternehmen in einem Mitgliedstaat arbeitet, das seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat und dessen Betrieb über die gemeinsamen Grenzen dieser beiden Staaten verläuft, dann gelten die Rechtsvorschriften des "Sitzstaats" (Art. 14 Abs. 3 va (EWG) 1408/71). Diese Regelung ist insbesondere für die Unfallversicherung von Bedeutung; denn damit wird erreicht, daß in einem solchen Betrieb nur das Unfallversicherungsrecht eines Mitgliedstaats gilt. 162
(3) Verfahrensvorschriften
Wenn ein Arbeitnehmer seine Beschäftigung gewöhnlich in mehreren Mitgliedstaaten ausübt, muß er davon den Träger seines Wohnstaats unterrichten (Art. 12a Abs. 1 Buchst. a) va (EWG) 574/72). Sind die Vorschriften des Wohnstaats nicht auf diese Person anwendbar (dies gilt für Arbeitnehmer mit
EuGH, RS 276/81 (Kuijpers), Slg. 1982,3027 ff., 3044 (Rdnr. 15). s. die Bemerkungen der Kommission bei dem schriftlichen Verfahren zu diesem Urteil, 3039 und die Schlußanträge des Generalanwalts Van Themaat, 3052 f. 162 Költzsch, Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, DRV 1995,74 ff., 88. 160 161
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der va (EWG) 1408171 57 einem Arbeitgeber, die keine Beschäftigung im Wohnstaat ausüben, sowie für Arbeitnehmer, die in grenzgeteilten Betrieben arbeiten), dann informiert der Träger des Wohn staats den Träger des Sitzstaats (Art. 12a Abs. 1 Buchst. b) va (EWG) 574172). Der zuständige Träger des jeweiligen Staats, dessen Recht anwendbar ist, stellt eine Bescheinigung aus, daß seine Rechtsvorschriften anwendbar sind, und übermittelt eine Abschrift dieser Bescheinigung den Trägern der anderen beteiligten Mitgliedstaaten (Art. 12a Abs. 2, 3 und 4 va (EWG) 574/72). Falls erforderlich, erteilen die Träger der letztgenannten Staaten die Auskünfte, die für die Festsetzung der Beiträge notwendig sind (Art. 12a Abs. 2 Buchst. b) und Abs. 3 Buchst. b) va (EWG) 574/72).
bb) Selbständige Nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 va (EWG) 1408171 unterliegt ein Selbständiger, der gewöhnlich in mehreren Mitgliedstaaten tätig ist, dem Recht seines Wohnstaats, wenn er in diesem Staat auch seiner Tätigkeit nachgeht. Ebenfalls wie bei den Arbeitnehmern, enthält die va (EWG) 1408171 auch für Selbständige eine besondere Bestimmung für den Fall, daß Wohnstaat und Tätigkeitsstaaten auseinanderfallen: Wenn der Selbständige nicht in seinem Wohnstaat tätig ist, dann gilt für ihn das Recht des Mitgliedstaats, in dem er seine Haupttätigkeit ausübt (Art. 14a Abs. 2 Satz 2 va (EWG) 1408171). Bei der Bestimmung der Haupttätigkeit werden genauere Kriterien in der Durchführungsverordnung 574172 getroffen. Es ist zunächst zu berücksichtigen, wo die feste und ständige Wohnung liegt, von der aus die betreffende Person ihren Tätigkeiten nachgeht. Andernfalls sind Merkmale wie die gewöhnliche Art oder die Dauer der ausgeübten Tätigkeiten, die Zahl der erbrachten Dienstleistungen und das Einkommen aus diesen Tätigkeiten heranzuziehen (Art. 12a Abs. 5 Buchst. d) va (EWG) 574172). Das erste Kriterium des Art. 12a Abs. 5 Buchst. d) va (EWG) 574/72 (feste und ständige Wohnung) wird allerdings nicht besonders hilfreich sein: Das Kriterium der Haupttätigkeit soll gerade für Rechtsanwendungskonflikte nützlich sein, die durch das Auseinanderfallen von Wohn staat und Tätigkeitsstaat(en) gekennzeichet sind. 163 Betrachtet man die entsprechenden Fassungen dieses Artikels in anderen Sprachen, dann wird das Wort "Wohnung" nicht benutzt. Die englische Fassung spricht von "the locality in which the fixed and permanent premises from which the person concerned pursues his activities is situated". In der französischen Fassung heißt es "lieu ou se trouve le siege fixe et permanent des activites de l'interesse". Die niederländische Fassung verlangt den "vaste en blijvende plats van waaruit belanghebbende zijn werkzaamheden 163
NKES Steinmeyer, I. 14a, Rdnr. 6.
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uitoefent". Daher wäre es sinnvoll, das Wort "Wohnung" durch das Wort "Ort" oder besser: "Sitz" zu ersetzen. Denn es geht hier gerade nicht um den Wohnort, sondern um den Sitz des Selbständigen, als der vom Wohnort zu unterscheidenden Stätte seiner beruflichen Tätigkeit. Dieses komplizierte System von Kriterien mag seinen Grund darin haben, daß die Präzisierung der Haupttätigkeit sowie der Hauptbeschäftigung oft sehr schwierig sein kann. Der Verordnungsgeber hat bei den Arbeitnehmern auf die Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenbeschäftigung zugunsten der Vorschriften des Wohnstaats verzichtet und sich im Fall des Auseinanderfallens von Wohn- und Beschäftigungsstaat für den Sitzstaat des Arbeitgebers entschieden (Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) VO (EWG) 1408171). Bei der Bestimmung des auf Selbständige anwendbaren Rechts wurde jedoch die Haupttätigkeit als Kriterium bevorzugt. Die einheitlichen Regeln in der VO (EWG) 547/72 sind notwendig, um das Ziel der Verdeutlichung zu erreichen. l64 Der Träger des Wohnstaats unterrichtet die Träger der übrigen beteiligten Mitgliedstaaten. Diese stellen im gemeinsamen Einvernehmen die Haupttätigkeit und das auf die Person anzuwendende nationale Recht fest (Art. 12a Abs. 5 Buchst. a) und b) VO (EWG) 574172). In Art. 14a Abs. 3 VO (EWG) 1408171 wird eine der Vorschrift des Art. 14 Abs.3 VO (EWG) 1408171 entsprechende Regelung getroffen. So richtet sich bei grenzüberschreitenden Betrieben die Zugehörigkeit eines Selbständigen zu einem System der sozialen Sicherheit nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen dieses Selbständigen seinen Sitz hat. Die Selbständigen können sich nicht in allen Mitgliedstaaten pflicht- oder freiwillig versichern. Die Regelungen des Art. 14a VO (EWG) 1408171 könnten dazu führen, daß ein Selbständiger den Vorschriften eines Mitgliedstaats zugeordnet wird, ohne daß er in diesem Staat versichert sein kann. Deshalb sieht Art. 14a Abs. 4 VO (EWG) 1408171 vor, daß der Staat, dessen Vorschriften gemäß Art. 14a Abs. 2 und 3 VO (EWG) 1408171 anwendbar sind, zumindestdie Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung in einem Alterssicherungssystem für die Selbständigen vorsehen muß. Ist dies nicht der Fall, wird hilfsweise das Recht des anderen Staats berufen, in dem der Selbständige tätig war; es gilt also die andere, nach Absätzen 2 und 3 subsidiäre Rechtsordnung. 165
164 Schlußanträge des Genaralanwalts Van Themaat in der RS 276/81 (Kuijpers), Slg.l982, 3027, 3053. 165 SGB SozVersGesKomm, Bawneister, Art. 14a, Anm. 5; NKES Steinmeyer, I.14a, Rdnr. 10. In Deutschland war die Regelung des Abs. 4 des Art. 14a in größerem Umfang anläßlich des Beitritts Österreichs zum EWR-Abkommen anzuwenden. Ab 1. Januar 1994 wurden Selbständige, die ihrer Tätigkeit in Deutschland und Österreich nachgingen und ihren Wohnsitz in Deutschland hatten, den deutschen Vorschriften zugewiesen, da sie ihnen die Möglichkeit geben, sich in der Alterssicherung freiwillig zu
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 59
Wenn auf diese Weise die Vorschriften zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten, dann bestimmen die zuständigen Behörden in gegenseitigem Einvernehmen die auf den Selbständigen anwendbare Rechtsordnung. Stellt ein nationaler Träger fest, daß Art. 14a Abs. 4 va (EWG) 1408/71 gilt, hat er die Träger der übrigen beteiligten Mitgliedstaaten zu unterrichten, um eine gemeinsame Entscheidung zu treffen. 166
cc) Personal im internationalen Transportgewerbe Besondere Regeln gelten für die Arbeitnehmer, die im internationalen Transportgewerbe (Güter- und Personentransport auf der Straße, auf der Schiene, in der Luft und zu Wasser l67 ) beschäftigt sind. Auf sie ist das Recht des Staats anwendbar, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat (Art. 14 Abs.2 Buchst. a) va (EWG) 1408/71). Hiervon werden zwei Ausnahmen gemacht: (1) Wenn das Transportunternehmen eine Zweigstelle oder ständige Vertretung außerhalb des Staats hat und der Arbeitnehmer vorwiegend dort beschäftigt wird, dann gilt für letzteren das Recht des Staats, in dessen Gebiet sich die Zweigstelle befindet (Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) i) va (EWG) 1408/71). (2) Wenn der Arbeitnehmer überwiegend in dem Mitgliedstaat beschäftigt wird, in dem er wohnt, gilt für ihn das Recht seines Wohnstaats (Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) ii) va (EWG) 1408/71). Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Transportunternehmen dort seinen Sitz, eine Zweigstelle oder eine ständige Vertretung hat. In beiden Fällen wird davon ausgegangen, daß der Arbeitnehmer den Mittelpunkt seiner beruflichen und persönlichen Verhältnisse in demjenigen Mitgliedstaat hat, in dem er vorwiegend arbeitet, sei es in dem Staat der Zweigstelle oder seinem Wohnstaat. Hier ist anzumerken, daß für das Personal von Unternehmen des internationalen Verkehrswesens der Begriff "vorwiegende Beschäftigung" benutzt wird, um das auf sie anwendbare Recht zu bestimmen. Dieser Begriff spielt jedoch keine Rolle bei der Bestimmung des zuständigen Staats für die anderen Arbeitnehmer, die in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt sind (Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) va (EWG) 1408/71).168 Die Anwendung des Ausdruckes "vorwiegende Beschäftigung" auf die Beschäftigten im interversichern: s. dazu Költzsch, Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, DRV 1995,87. 166 Art. 12a Abs. 6 VO 574172. 167 Mit Ausnahme von Unternehmen der Seeschiffahrt (s. Art. 14b Abs.4) und der Rheinschiffahrt: Für die letztere gilt nach Art. 7 Abs.2 VO 1408171 das Rheilschiffahrtsabkommen. 168 EuGH, RS 276/81 (Kuijpers), Slg.1982, 3027, Rdnr. 15.
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nationalen Transportgewerbe mag daran liegen, daß diese Personen besonders mobil sind und deswegen zusätzliche Nuancierungen nötig sind, um das auf sie anwendbare Recht sachgerecht zu bestimmen. Die va (EWG) 1408/71 trifft keine besondere Regelung für die Selbständigen, die im internationalen Transportgewerbe tätig sind. 169 In diesem Fall gilt die Vorschrift des Art. 14a Abs. 2 va (EWG) 1408/71 (selbständige Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten), und die Person unterliegt den Rechtsvorschriften ihres Wohnstaats, wenn sie in diesem Mitgliedstaat auch ihrer Tätigkeit nachgeht.
dd) Seeleute Artikel 14b Abs. 4 va (EWG) 1408/71 regelt den Fall, daß ein Seemann auf einem Schiff arbeitet, das die Flagge eines Mitgliedstaats führt, er aber ein Arbeitsverhältnis zu einem Unternehmen oder zu einer Person mit Sitz bzw. Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat. Wenn das Unternehmen bzw. der Arheitgeber seinen Sitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem der Arbeitnehmer auch wohnt, dann gelten für diesen Arbeitnehmer die Rechtsvorschriften dieses Staats (seines Wohnstaats und gleichzeitig Sitzstaats des Arbeitgebers). Die Vorschrift legt fest, daß das Unternehmen oder die Person, das bzw. die das Arbeitsentgelt zahlt, als Arbeitgeber gilt. So entschied der EuGH, daß ein Seemann, der seinen Wohnort in Belgien hatte, an Bord eines unter englischer Flagge fahrenden Schiffes beschäftigt wurde und von einem Unternehmen mit Sitz in Belgien entlohnt wurde, den belgisehen Rechtsvorschriften unterlag. 170 Nicht geregelt ist der Fall, daß der Seemann nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, in dem die entgeltzahlende Stelle ihren Sitz hat. In diesem Fall gilt die Grundregel des Artikels 13 Abs. 2 Buchst. c) va (EWG) 1408/71: Anwendbar ist das Recht des Mitgliedstaats, unter dessen Flagge das Schiff fährt. Wie bei Art. 13 Abs. 2 Buchst. c) va (EWG) 1408/71 werden auch von Artikel 14b Abs. 4 va (EWG) 1408/71 die Fälle der sogenannten "Billigflaggen" nicht erfaßt. Der Seemann muß auf einem Schiff arbeiten, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, und der Reeder muß seinen Sitz in einem Mitglied• staat haben. 171
169 Kritisch Schoukens, Self-employed People and the Detennination of the Legislation Applicable, in: ders., Prospects of Sodal Security Co-ordination, 1997, 157 ff., 161. 170 EuGH, RS C-196/90 (De Paep), Sig. 1991,1-4815. 171 NKES, Steinmeyer, I. 14 b, Rdnr. 5.
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ee) Gleichzeitige abhängige Beschäftigung und selbständige Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten ( 1) Die Regelung des Art. 14c
va (EWG) 1408171
Wenn eine Person gleichzeitig in einem Mitgliedstaat eine abhängige Beschäftigung und in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Tätigkeit ausübt, sind auf sie, getreu dem Prinzip des Art. 13 Abs. 1 VO (EWG) 1408171, grundsätzlich die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats anzuwenden. Der Verordnungsgeber hat sich für den Beschäftigungsstaat entschieden (Art. 14c Buchst. a) VO (EWG) 1408171): Anwendbar auf diese Person sind die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Person beschäftigt ist. Falls die Person in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt ist, verweist Art. 14c Buchst. a) auf Art. 14 Abs. 2 und 3 VO (EWG) 1408/71. Art. 14c Buchst. b) VO (EWG) 1408171 sieht vor, daß in bestimmten in Anhang VII der Verordnung erwähnten Fällen ausnahmsweise die Anwendung der Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten zugelassen ist, nämlich sowohl des Beschäftigungsstaats als auch des Staats, in dem die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird. In Anhang VII 172 der VO (EWG) 1408171 werden die Fälle erwähnt, in denen eine Person gleichzeitig den Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten unterliegt. Diese sind folgende: 1) Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in Belgien und einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat. 2) Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in Dänemark und einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat durch eine Person mit Wohnsitz in Dänemark. 3) Für die Systeme der landwirtschaftlichen Unfallversicherung und der Altersversicherung der Landwirte: Ausübung einer selbständigen landwirtschaftlichen Tätigkeit in Deutschland und einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat. 4) Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in Spanien und einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat mit Wohnsitz in Spanien. 5) Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in Frankreich und einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat außer Luxemburg. 6) Für die Rentenversicherung der Selbständigen: Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in Griechenland und einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat. 7) Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in italien und einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat. 8) Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in Österreich und ei172 Zuletzt geändert durch die Nr. L 335 v. 30.12.1995, 10.
va
(EG) 3096/95 des Rates v. 22.12.1995, ABI. EG
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ner Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat. 9) Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in Portugal und einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat. 10) Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in Finnland und einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat durch eine Person mit Wohnsitz in Finnland. 11) Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in Schweden und einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat durch eine Person mit Wohnsitz in Schweden.
(2) Kritik an Art. 14c Buchst. b)
va (EWG) 1408171
Art. 14c Buchst. b) va (EWG) 1408171 soll nach Auffassung des Rates verhindern, daß Personen, die gleichzeitig in zwei Mitgliedstaaten eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis und eine selbständige Tätigkeit ausüben, geringere Beiträge zahlen müssen als Personen, die beide Tätigkeiten im seI ben Mitgliedstaat ausüben. Andernfalls hätten sie einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten, deren Tätigkeiten sich nicht auf zwei Mitgliedstaaten verteilen. Darüber hinaus hätte die illegale oder legale Ausübung einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis außerhalb des betroffenen Mitgliedstaats auch einen ungewollten Ansatz zur indirekten Harmonisierung der in Anhang VII der Verordnung aufgeführten Systeme der sozialen Sicherheit zur Folge. I73 Es fragt sich jedoch, ob diese Begründung überzeugend ist. Gegen Art. 14c Buchst. b) va (EWG) 1408171 spricht vor allem, daß er von dem in Art. 13 Abs. 1 verankerten Grundsatz abweicht, nach dem Personen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen. Außerdem kann diese Vorschrift dazu führen, daß die Angehörigen der Mitgliedstaaten unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, wo sie eine Tätigkeit ausüben wollen. Eine Person, die eine Beschäftigung in Frankreich und eine selbständige Tätigkeit in Großbritannien ausübt, wird den Rechtsvorschriften Frankreichs unterworfen sein; wenn diese Person eine selbständige Tätigkeit in Belgien ausübt, unterliegt sie den Rechtsvorschriften sowohl Frankreichs als auch Belgiens. Dazu kommt, daß die Begriffe "Beschäftigung" und "selbständige Tätigkeit" in den verschiedenen Mitgliedstaaten in unterschiedlicher Weise definiert und angewendet werden. Schließlich trifft das Argument des Rates, ohne diese Bestimmung hätten die Personen, die in verschiedenen Mitgliedstaaten beschäftigt und selbständig tätig sind, geringere Beiträge zu zahlen als ihre Konkurrenten, nicht
173 s. Schlußanträge des Generalanwalts C%mer in der RS C-221/95 (Hervein), Slg. 1997, 1-609, Rdnr. 41 und Cornelissen, The Self-employed, in: Schoukens (Hrsg.), Social Protection ofthe Self-employed in the EU, 1994,43 ff., 51.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 63
immer zu: Die Beiträge werden von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat ganz unterschiedlich berechnet, so daß die Behauptung sehr gewagt ist, daß der Anschluß an das System nur eines Mitgliedstaats in allen Fällen einen niedrigeren Beitrag zur Folge hätte. 174 Aus diesen Gründen kann Art. 14c Buchst. b) va (EWG) 1408171 die Ausübung von Erwerbstätigkeiten in mehreren Mitgliedstaaten beeinträchtigen und damit gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und vor allem gegen die Niederlassungsfreiheit der Selbständigen verstoßen. Generalanwalt Colomer hat in seinen Schlußanträgen in der Rechtssache Hervein dem Gerichtshof vorgeschlagen, diese Vorschrift für ungültig zu erklären. Der EuGH ist dem Vorschlag des Generalanwalts nicht gefolgt. Es mehren sich aber die Stimmen, die für eine Änderung dieses Artikels sprechen. I75
(3) Der Begriff" Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis " in Art. 14c va (EWG) 1408/11 Der EuGH hat im Urteil Van Poucke l76 bei der Entscheidung darüber, ob die von einer in den Geltungsbereich der va (EWG) 1408171 fallenden Person ausgeübte Tätigkeit als Beamter eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Sinne von Art. 14c dieser Verordnung sei, auf den Begriff des Arbeitnehmers im Sinne von Artikel 48 EGV zurückgegriffen. 177 Somit wurde das arbeitsrechtliche Kriterium (Erbringung von Leistungen für einen anderen nach dessen Weisung und Erhalt einer Vergütung als Gegenleistung) anstelle des sozialrechtlichen Kriteriums (versichert in dem System eines Mitgliedstaats als Arbeitnehmer) benutzt. Der Gerichtshof hat allerdings in einer späteren Entscheidung geklärt, daß diese Auslegung nicht verallgemeinert werden dürfe, da es um ein spezielles Auslegungsproblem gegangen sei. 178 Im übrigen sind aber die Begriffe "selbständige Tätigkeit" und "Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis" nicht arbeitsrechtlich, sondern sozialrechtlich zu verstehen. 179
174 Schlußanträge des Generalanwa!ts Colomer in der RS C-221195 (Hervein), Sig. 1997,1-609, Rdnr. 50. 175 Pieters, Towards a Radical Simplification of the Socia! Security Co-ordination, in: Schoukens (Hrsg.), Prospects of Social Security Co-ordination, 1997, 177 Cf.; Schoukens, Self-employed People and the Determination of the Legislation Applicable, in: ebd., 157 Cf., 164. 176 EuGH, RS C-71193 (Guido Van Poucke), Slg. 1994,1-1101. 177 s. oben, C. I. 1. a) ee). 178 EuGH, Urt. v. 30.1.1997, RS C-340/94 (De Jaeck), EuroAS 1997,8 Cf. 179 Ebd.
c. Die Nonnen über das anwendbare Recht
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ft) Beamte Art. 14e va (EWG) 1408171 180 sieht vor, daß Beamte und ihnen gleichgestellte Personen, die im Rahmen eines Sondersystems für Beamte in einem Mitgliedstaat versichert sind und gleichzeitig in einem anderen Mitgliedstaat oder mehreren anderen Mitgliedstaaten eine abhängige Beschäftigung und/oder selbständige Tätigkeit ausüben, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegen, in dem sie im Rahmen eines Sondersystems für Beamte versichert sind. Art. 14f va (EWG) 1408171 181 sieht vor, daß in zwei oder mehr Mitgliedstaaten tätige Beamte und ihnen gleichgestellte Personen, die in mindestens einem dieser Mitgliedstaaten im Rahmen eines Sondersystems für Beamte versichert sind, den Rechtsvorschriften jedes dieser Mitgliedstaaten unterliegen. Dies wird im Erwägungsgrund Nr. 9 zur va (EG) 1606/98 damit begründet, daß angesichts der Besonderheiten der Sondersysteme für Beamte es in bestimmten Situationen angebracht ist, daß für Beamte die Rechtsvorschriften von mehr als nur einem Mitgliedstaat gelten.
c) Vorübergehende Beschäftigung oder Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat
Arbeitnehmer und Selbständige, die sich im Rahmen ihrer Beschäftigung oder Tätigkeit für relativ kurze Zeit in einem anderen Staat aufhalten, sollen grundsätzlich ihr Sozialversicherungssystem nicht wechseln müssen. Ein solcher Wechsel würde zur Schaffung administrativer Komplikationen sowohl für die betroffene Person als auch für die Behörden der sozialen Sicherheit führen.
aa) Arbeitnehmer: Regelungen bei Entsendung ( 1) Regelung der Entsendung
Art. 14 Abs. 1 va (EWG) 1408171 sieht folgendes vor: "a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt wird und die von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und sie nicht eine andere Person ab-
180 181
Eingefügt durch die VO (EG) Nr. 1606/98, ABI. L 209/1 v. 25.7.1998. Eingefügt durch die VO (EG) Nr. 1606/98, ebd.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408/71 65
löst, für welche die Entsendungszeit abgelaufen ist; b) geht eine solche Arbeit, deren Ausführung aus nicht vorhersehbaren Gründen die ursprünglich vorgesehene Dauer überschreitet, über zwölf Monate hinaus, so gelten die Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats bis zur Beendigung dieser Arbeit weiter, sofern die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Betreffende entsandt wurde, oder die von dieser Behörde bezeichnete Stelle dazu ihre Genehmigung erteilt; diese Genehmigung ist vor Ablauf der ersten zwölf Monate zu beantragen. Sie darf nicht für mehr als zwölf Monate erteilt werden." Nach Art. 11 VO (EWG) 574/72 muß der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber bei der zuständigen Behörde des Staats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, ein Formular (E 101) beantragen. In diesem Formular wird bestätigt, daß der Arbeitnehmer für die Dauer seiner vorübergehenden Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat weiterhin dem Recht des ersten Mitgliedstaats unterliegt. Auf dem Formular müssen der Name und die Adresse des Unternehmens bzw. der Person, zu der entsandt wird, sowie Beginn und Ende der Entsendung vermerkt sein. Die Verlängerungsanträge sind vom Arbeitgeber unter Verwendung des FormularsE lOi 82 bei der jeweils zuständigen Behörde bzw. Stelle des Mitgliedstaats zu stellen, in den der Arbeitnehmer entsandt worden iSt. 183
(2) Zweck der Entsendungsregelung Der EuGH hat in der Rechtssache Manpower 184 festgestellt, daß die Entsendungsregelungen des Europäischen Sozialrechts dazu dienen sollen, Hindernisse für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu überwinden, die gegenseitige wirtschaftliche Verflechtung zu fördern und dabei administrative Schwierigkeiten für die Arbeitnehmer, die Unternehmen und die Sozialversicherungsträger zu vermeiden. Ohne die Entsendungsregelung müßte eine Person auch bei kurzer Auslandsbeschäftigung ihr Sozial versicherungs system wechseln. Dieser Wechsel wäre für sie nachteilig, weil sie nur für einen kurzen Zeitraum einer ausländischen Rechtsordnung unterfallen würde und vor allem ihr rentenversicherungsrechtlicher Versicherungsverlauf unnötig kompliziert würde. Gerade solche Komplikationen versucht die VO (EWG) 1408171 auch an einer anderen Stelle In vierfacher Ausfertigung. Die zuständige Stelle, die den Verlängerungsantrag genehmigt hat, übersendet dann dem Arbeitgeber zwei Ausfertigungen des Vordruckes E 102; eine Ausfertigung wird auch an den Träger gesandt, der den Vordruck E 101 ausgestellt hat: s. dazu BfA, Die Angestelltenversicherung bei Beschäftigung in einem EG-Mitgliedstaat im Rahmen der VO 1408171 und 574/72, 57f. 184 EuGH, RS 35/70, Sig. 1970, 1251. 182 183
5 Devetzi
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
zu vermeiden, und zwar in Art. 48 VO (EWG) 1408171, wonach bei Versicherungszeiten von weniger als einem Jahr verfahrensaufwendige gemeinschaftsrechtliche Rentenberechnungen erspart werden sollen. Ohne die Entsendungsregelung wäre auch ein im Gebiet eines Mitgliedstaats ansässiges Unternehmen verpflichtet, seine gewöhnlich den Sozialversicherungsvorschriften dieses Staats unterstehenden Arbeitnehmer bei den Sozialversicherungssystemen der anderen Mitgliedstaaten anzumelden, in die sie für kurze Dauer entsandt werden. Dies würde auch zu unnötigem Zeitaufwand und Kosten führen. Der Zweck der Entsendungsregelungen liegt also in der Vereinfachung 185 i.S.d. Vermeidung bzw. Reduzierung von Verwaltungsaufwand. Es soll gewährleistet werden, daß ein Arbeitnehmer bei einer Beschäftigung von kurzer Dauer in einem anderen Mitgliedstaat nicht das bisherige Sozialversicherungssystem wechseln muß. Die ausnahmslose Anwendung der "lex loci laborisRegel" könnte nämlich in bestimmten Fällen zur Schaffung von Komplikationen führen, die Verzögerungen bei der Übersendung der den Arbeitnehmer betreffenden Unterlagen und damit eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit bewirken würden. 186
(3) Voraussetzungen der Entsendung Voraussetzungen für eine Entsendung i.S.d. Art. 14 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 sind folgende: 187 1) Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses bei einem Arbeitgeber/Unternehmen im Entsendungsstaat; 2) Ortswechsel aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat; 3) Zeitliche Befristung der Entsendung; 4) Keine Ablösung eines zuvor entsandten Arbeitnehmers, dessen Entsendungszeit abgelaufen ist. (1) Ein bereits bestehendes Beschäftigungsverhältnis bei einem Arbeitgeber oder Unternehmen im Entsendungsstaat muß während der Entsendung weiterbestehen. Ein Beschäftigungsverhältnis zu dem entsendenden Unternehmen muß vor der Entsendung schon bestehen. Dies bedeutet allerdings nicht, daß der Arbeitnehmer vor der Entsendung eine bestimmte Zeit für das entsendende Unter185 Comelissen, Entsendung von Arbeitnehmern innerhalb der EG und soziale Sicherheit, RdA 1996,329 ff., 332; ders., Le detachement 11 I'interieur de la Communaute europeenne: cadre juridique, in: v. Regenmortel / Jorens, Le detachement international, 1995,15 ff., 21. 186 EuGH, RS 101/83 (Brusse), Slg. 1984,2223, Rdnr. 16. 187 Steinmeyer, NKES, I. 14, Rdnr. 5; Költzsch, Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, DRV 1995, 74 ff., 81.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 67
nehmen gearbeitet haben muß. Eine Entsendung im Rahmen eines bereits bestehenden Beschäftigungsverhältnisses liegt auch dann vor, wenn die Person im Hinblick auf den Einsatz im anderen EG-Mitgliedstaat eingestellt worden ist (Einstellung zum Zwecke der Entsendung).188 Nach Abs. 2 Buchst. b) des Beschlusses Nr. 162 der Verwaltungskommision der Europäischen Gemeinschaften l89 gilt Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) VO (EWG) 1408171 auch für einen nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats versicherten Arbeitnehmer, der in dem Mitgliedstaat, in dem das Unternehmen seinen Sitz oder eine Betriebsstätte hat, eingestellt wird, um in einen anderen Mitgliedstaat [ ... ] entsandt zu werden, unter zwei Voraussetzungen: a) es muß zwischen diesem Unternehmen und dem Arbeitnehmer während der Dauer der Entsendung weiterhin eine arbeitsrechtliche Bindung bestehen und b) das Unternehmen muß seine Geschäftstätigkeit gewöhnlich im ersten Mitgliedstaat ausüben [ ... ]. Der Arbeitnehmer muß schon einen Bezug zu der Sozialrechtsordnung des Mitgliedstaats haben, aus dem er entsandt wird. 19O Ein solcher ist immer dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer zuvor für einen anderen Arbeitgeber gearbeitet hat l91 oder dort zumindest seinen gewöhnlichen Aufenthalt haue. 192 Ein Beispiel kann die vom Beschluß genannten Voraussetzungen erläutern: Ein Unternehmen, das seinen Sitz im Mitgliedstaat X hat und dort auch gewöhnlich seine Geschäftstätigkeit ausübt, stellt einen in diesem Staat wohnenden Arbeitslosen ein, um ihn sofort in den Mitgliedstaat Y zu entsenden. In diesem Fall liegt eine Entsendung i.S.d. Art. 14 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 vor, und der Arbeitnehmer bleibt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats X unterworfen. Stellt allerdings ein Unternehmen mit Sitz (und gewöhnlicher Geschäftstätigkeit) im Mitgliedstaat X einen Arbeitnehmer aus dem Mitgliedstaat Y ein,193 um ihn in den Mitgliedstaat Z zu entsenden, liegt keine Entsendung vor. Der Arbeitnehmer unterfällt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats Z. Zu betonen ist, daß die Beschlüsse der Verwaltungskommission keinen verbindlichen Charakter haben. 194 Gleichwohl kommt dieser Kommission aber ei-
188 EuGH, RS 19/67 (Van der Vecht), Sig. 1967,462. 189 ABI. Nr. L 241/28 v. 21.9.96. Dadurch wurde der Beschluß Nr. 128 ABI. Nr. C 141 v. 7.6.1986 aktualisiert. 190 Költzsch, Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, DRV 1995,74 ff., 81. 191 Oder z.B. Fach- bzw. Hochschulabsolvent, Hausfrau oder Arbeitsloser war: s. BfA, Die Angestelltenversicherung bei Beschäftigung in einem EG-Mitgliedstaat, 1988,20. 192 Die Einbeziehung der im Entsendestaat nicht vorbeschäftigten, aber dort wohnenden Personen ist im Beschluß nicht ausdrücklich angesprochen. Sie ist jedoch in dem noch zur VO (EWG) Nr. 3 ergangenen Beschluß Nr. 12 v. 18.9.1959 bejaht worden: s. Raschke, Entsendungen im Dreiecksverhältnis, BG 1990, 30 ff., 32, 35 (Fn. 10). 193 D.h. einen unter die Rechtsordnung des Mitgliedstaats Y fallenden Arbeitnehmer. 194 EuGH, RS 98/80 (Romano), Sig. 1981, 1259.
C. Die Nonnen über das anwendbare Recht
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ne besondere Autorität zu, und ihre Beschlüsse sind wichtige Hilfsmittel zum Verständnis der Verordnungsbestimmungen. 195 Das Arbeitsverhältnis zu demselben Arbeitgeber muß während der Entsendung fortbestehen. Eine "arbeitsrechtliche Bindung" muß während der Entsendebeschäftigung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Unternehmen weiterbestehen. Hier gilt es festzustellen, ob die Verbindung zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer während des Auslandseinsatzes hinreichend eng iSt. 196 Eine solche Feststellung läßt sich nicht immer leicht treffen. Problematisch sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Arbeitnehmerüberlassung und der Einsatz in einem Konzernunternehmen. Bei einer Überlassung des Arbeitnehmers durch das aufnehmende Unternehmen an ein drittes Unternehmen ist die Situation dagegen einfach zu beurteilen: Das Arbeitsverhältnis zu dem entsendenden Unternehmen wird unterbrochen . • Arbeitnehmerüberlassung
Bei der Arbeitnehmerüberlassung stellt ein Unternehmen Arbeitnehmer ein, um sie dann anderen Unternehmen vorübergehend zu überlassen. Hier stellt sich die Frage, ob die Person dem Verleih- oder dem Entleihunternehmen angehört. Wichtig ist, wer das Weisungsrecht hat. In gewissem Maße gibt es ein Weisungsrecht desjenigen, der die tägliche Arbeit der Person leitet (des Entleihunternehmens). Sofern jedoch das allgemeine Weisungsrecht weiterhin bei dem Verleihunternehrnen verbleibt, d.h. sofern der Arbeitnehmer während des Verleihs von dem Unternehmen abhängig bleibt, das ihn eingestellt hat, besteht das Arbeitsverhältnis zu dem Verleih unternehmen fort. Der EuGH befand, daß die Abhängigkeit des Arbeitnehmers insbesondere dann festzustellen ist, wenn er von dem entsendenden Unternehmen entlohnt wird und entlassen werden kann. Der Beschluß NT. 162 der Verwaltungskommission sieht vor, daß zur Feststellung, ob eine arbeitsrechtliche Bindung fortbesteht, ein "Bündel von Merkmalen" zu berücksichtigen ist, insbesondere die Verantwortung für Anwerbung, Arbeitsvertrag, Entlassung und Bestimmung der Arbeit. Der Beschluß Nr. 162 setzt allerdings voraus, daß das Verleihunternehmen seine Geschäftstätigkeit in dem Mitgliedstaat gewöhnlich ausüben muß, in dem es seinen Sitz hat. Dies bedeutet, daß es Personal gewöhnlich den im Gebiet des Entsendestaats niedergelassenen Entleihern zur Verfügung stellt. Überläßt das Verleihunternehrnen hingegen überwiegend Arbeitnehmer an Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten, dann unterliegt der Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften des Staats, in den er verliehen wird.
195
NKES, Comelissen, I. 81, Rdnr. 21.
196
Comelissen, RdA 1996, 329 ff., 333.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 69
• Einsatz in einem Konzernunternehmen Auch wenn Arbeitnehmer eines multinationalen Unternehmens von der Muttergesellschaft zu einem Tochterunternehmen in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, ist es nicht leicht festzustellen, ob weiterhin eine enge Verbindung zu der entsendenden Muttergesellschaft besteht. Dies muß anhand verschiedener Kriterien geprüft werden. Die fortdauernde Gehaltsabrechnung und das Recht zur Kündigung sind Schlüsselkriterien, aber nicht die einzigen Kriterien. 197 Weitere Indizien, wie Z.B. die Bindung des Arbeitnehmers an die Weisungen des entsendenden Unternehmens, die Urlaubsregelungen und andere Regeln über die Arbeitsbedingungen müssen mitbeachtet werden. 198 Ein wichtiges Indiz läßt sich schließlich dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 entnehmen. Diese Bestimmung besagt, daß der Arbeitnehmer zur "Ausführung einer Arbeit" entsandt werden muß. Die entsandte Person muß in dem Tochterunternehmen eine konkret abgrenzbare Aufgabe erfüllen. 199
• Kein Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses bei Überlassung an ein drittes Unternehmen Das Arbeitsverhältnis zu dem entsendenden Unternehmen wird beendet, wenn das aufnehmende Unternehmen den Arbeitnehmer einem dritten Unternehmen überläßt. Abs. 3 des Beschlusses Nr. 162 sieht ausdrücklich vor, daß Art. 14 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 nicht mehr anwendbar ist, wenn das Unternehmen, zu dem der Arbeitnehmer entsandt worden ist, diesen Arbeitnehmer einem anderen Unternehmen überläßt. Beispiel: Ein Unternehmen mit Sitz im Mitgliedstaat A entsendet einen Arbeitnehmer in den Mitgliedstaat B und stellt ihn dort dem Unternehmen X zur Verfügung. Wenn das Unternehmen X diesen Arbeitnehmer einem anderen Unternehmen Y mit Sitz gleichfalls im Mitgliedstaat B entleiht, besteht die Verbindung zu dem ersten Unternehmen des Mitgliedstaat A nicht mehr fort. Der Arbeitnehmer unterfällt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats B. (2) Die zweite Voraussetzung der Entsendung ist der Ortswechsel aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat. Eine Entsendung liegt nicht vor, wenn "Ortskräfte", d.h. bereits im auswärtigen Beschäftigungsstaat wohnhafte Arbeitnehmer, eingestellt werden.
Außerdem muß nach dem Wortlaut des Art. 14 Abs. I VO (EWG) 1408171 eine Entsendung von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat stattfinden. Wenn das Unternehmen einen Arbeitnehmer zu einer Tochtergesellschaft in dem Mitgliedstaat B entsendet und ihn dann weiter zu einer anderen
Vgl. die Entscheidung des EuGH in der RS 35170 (Manpower), Slg. 1970, 1251. Cornelissen, RdA 1996, 329 ff., 333. 199 NKES, Steinmeyer, I. 14 Rdnr. 10. 197
198
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C. Die Nonnen über das anwendbare Recht
Tochtergesellschaft im Mitgliedstaat C entsendet, ist Art. 14 Abs. I VO (EWG) 1408171 nicht mehr anwendbar?OO Es kann sich aber um zwei verschiedene Entsendungen handeln, für die dementsprechend zwei verschiedene Formulare E 101 benötigt werden. (3) Die Entsendung muß zeitlich befristet sein. Auf dem Formular E 101 müssen Beginn und Ende der Entsendung ausdrücklich vermerkt sein. 201 Nach dem BSG liegt eine zeitlich begrenzte Entsendung ins Ausland nur vor, wenn im voraus vereinbart worden ist oder feststeht, daß der Beschäftigte im Anschluß an die Entsendung in den entsendenden Mitgliedstaat zurückkehrt. So war ein Spanier, der von einem deutschen Unternehmen eingestellt worden war, um in den spanischen Tochterunternehmen zu arbeiten, nicht von dem deutschen Unternehmen nach Spanien entsendet worden, weil keine Rückkehr nach Deutschland vereinbart worden bzw. erkennbar war?02 Die voraussichtliche Dauer der Arbeit in dem anderen Mitgliedstaat darf zwölf Monate nicht überschreiten. 203 Steht von Beginn an fest, daß die zu verrichtende Arbeit länger als zwölf Monate dauern wird, unterliegt der Arbeitnehmer nicht mehr den Rechtsvorschriften des Entsendestaats, sondern unterliegt mit Tätigkeitsbeginn den Rechtsvorschriften des Aufnahmestaats. Wenn die Arbeit die ursprünglich vorgesehene Dauer überschreitet und über zwölf Monate hinausgeht, kann ein Verlängerungsantrag gestellt werden. Der Verlängerungsantrag ist nicht erforderlich, wenn die ursprüngliche Entsendedauer zwar überschritten wird, aber die Arbeit insgesamt nicht länger als zwölf Monate dauern wird. In solchen Fällen muß lediglich die tatsächliche Entsendedauer im Formular E 101 durch die zuständige Stelle des Entsendestaats neu bescheinigt werden. 204 (4) Der Arbeitnehmer darf keinen zuvor entsandten Arbeitnehmer ablösen, dessen Entsendungszeit abgelaufen ist. Diese Voraussetzung wurde mit der VO (EWG) 1408171 eingeführt, nachdem festgestellt worden ist, daß es unter der Geltung der älteren VO (EWG) Nr. 3, die keine solche Einschränkung enthielt, zu Mißbräuchen gekommen war. Verschiedene Unternehmen lösten nämlich
Cornelissen, RdA 1996, 329 ff., 333. Offensichtlich anderer Auffassung Marschner, EAS, B 9120, Invalidität und Alter, Rdnr. 103: Das Gemeinschaftsrecht ließe zu, daß die zeitliche Befristung [ ... ] auch aus der Eigenart der Beschäftigung gefolgert wird. Eine Befristung aus der Eigenart der Beschäftigung ergebe sich insbesondere bei Beschäftigungen, welche im Rahmen einer wirtschaftlichen Aufbauphase im anderen Mitgliedstaat geleistet werden. 202 BSG, Urt. v. 8.12.1994 - 2 RU 37/93 = SGb 1995,611 ff., mit Anm. Schuler, SGb 1995,613 ff. 203 EuGH, RS 19/67 (Yan der Yecht), Slg. 1967,462. 204 Költzsch, Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, DRY 1995,74 ff., 84. 200
201
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408/71 71
die entsandten Arbeitnehmer turnusmäßig ab, um die Bezahlung höherer Beiträge im Aufnahmestaat zu umgehen. 205 Die Einschränkung betrifft die Ablösung eines Arbeitnehmers durch einen anderen jedoch nur, wenn der Grund für diese Ablösung der Ablauf der Entsendezeit ist. Wurde jedoch der erste Arbeitnehmer für einen Tag weniger als 12 Monate entsandt, dann wird er nicht wegen Ablaufs der Entsendezeit von einem anderen abgelöst. Somit können praktisch Arbeitnehmer im Rotationsverfahren entsandt werden. 206
(4) Kurzzeitige Entsendungen Für Entsendungen, die nicht länger als drei Monate dauern, ist die Bearbeitung des Fonnulars E 101 vereinfacht worden. 207 Die Behörde des Entsendestaats kann dem antragsstellenden Unternehmen Kopien des Fonnulars E 101 übersenden, die mit einer Seriennummer versehen und nur teilweise208 ausgefüllt werden. Das Unternehmen füllt dieses Fonnular in zwei Ausfertigungen aus: Die eine wird dem Arbeitnehmer vor seiner Abreise gegeben, die andere wird binnen 24 Stunden der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats zugeschickt, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat.
(5) Entsendungsvorschriften: Ausnahme oder Konkretisierung des Art. 13 va (EWG) 1408/11? Die Regelungen der Art. 14 Abs. 1 und 14a Abs. 1 va (EWG) 1408/71 werden meistens als Ausnahme 209 des lex loci laboris-Prinzips des Art. 13 va (EWG) 1408/71 bezeichnet. Es wurde aber auch die Auffassung vertreten, sie
205 NKES, Steinmeyer, I. 14 Rdnr. 13. Steinmeyer bemerkt, daß es der Systematik des Titels 11 der Verordnung eher entsprochen hätte, auch die ablösenden Arbeitnehmer von den Rechtsvorschriften des Entsendestaats zu erfassen, da das Schutzbedürfnis das gleiche sei. 206 Kältzsch, Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, DRV 1995,74 ff., 84. 207 Das vereinfachte Verfahren wurde durch den Beschluß Nr. 125 der Verwaltungskommission eingeführt. Dieser Beschluß wurde 1992 durch den Beschluß Nr. 148 (ABI. L 22 v. 30.1.1993) abgelöst. 208 Nur Abschnitt 5 des Formulars E 101: "Bezeichnete Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften der Obengenannte unterliegt" wird dann ausgefüllt. Seit dem Beschluß Nr. 148 soll auch das genaue Datum im Abschnitt 5 eingetragen werden. 209 So NKES, Steinmeyer, 1.14, Rdnr. I; Cornelissen, RdA 1996, 330; Lyon-Caen, Droit social international et europeen, 8. Auf!. 1993, Rdnr. 303 ff.; EuGH, RS 35/70 (Manpower), Sig. 1970, 1251, 1257.
72
C. Die Normen über das anwendbare Recht
seien nicht als Ausnahme, sondern als Konkretisierung des Art. 13 1408171 zu betrachten. 21O
va (EWG)
Die Unterscheidung hat nicht nur eine theoretische Bedeutung. Die Betrachtung der Entsendungsvorschriften als Ausnahme von Art. 13 va (EWG) 1408171 hat zu der Behauptung geführt, diese Vorschriften seien restriktiv zu verstehen und anzuwenden. So wurde Z.B. in den Niederlanden 211 der Ausdruck "gewöhnliche Ausübung der Geschäftstätigkeit des entsendenden Unternehmens" in Abs. 2 Buchst. b) des Beschlusses Nr. 162 212 so interpretiert, daß, wenn ein Unternehmen mehr als zwei Drittel seines Umsatzes außerhalb seines Sitzstaats erzielt, die Hauptregel, nämlich Art. 13 va (EWG) 1408171, angewandt werden solle und keine Entsendung vorliege. Nur wenn der Auslandsumsatz eines Unternehmens ein Drittel seines gesamten Umsatzes nicht übersteige, komme die "Ausnahmeregelung" des Art. 14 Abs. 1 va (EWG) 1408171 zur Anwendung; es könne also das Sozialversicherungsrecht des entsendenden Mitgliedstaats weiterhin angewandt werden. Eine solche Auslegung findet jedoch weder im Wortlaut noch im Sinn der Entsendungsregelung eine Grundlage. Die Höhe des Auslandsumsatzes kommt nirgendwo als Kriterium oder Voraussetzung der Entsendung vor; darüber hinaus würde ein solches Kriterium zu Rechtsunsicherheit führen. Eine zu restriktive Anwendung steht aber vor allem mit dem Zweck der Entsendungsregelung nicht im Einklang. Art. 14 Abs. 1 va (EWG) 1408171 soll dazu dienen, Hindernisse für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu überwinden, indem ein unnötiger Wechsel des Sozialversicherungssystems für kurze Auslandsaufenthalte vermieden wird. Die Entsendungsregelung hat primär eine statuserhaltende Funktion: 213 Der Arbeitnehmer unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem er gewöhnlich beschäftigt bzw. tätig ist. Stabilität und Kontinuität in den Rechtspositionen ist das rechtspolitische Anliegen, das der Entsendungsvorschrift zugrunde liegt. 214 Deshalb ist sie als Konkretisierung des "lex loci laboris-Prinzips" anzusehen. Eine restriktive Auslegung des Art. 14 Abs. 1 va (EWG) 1408171 mit der Begründung, er sei eine Ausnahme von der Grundregel des Art. 13 va (EWG) 1408171, würde seinem Zweck, nämlich der Förderung der Freizügigkeit, nicht entsprechen.
210 De Muinck Keizer / van Overbeek, De toepassing van de detacheringsregels in Nederland, Sociaal Maandblad Arbeid 1995,9 ff., 16. 211 Durch den GAK: Gemeenschappelijk Administratie Kantoor; s. De Muinck Keizer/ van Overbeek, De toepassing van de detacheringsregels in Nederland, 1995, 12. 212 ABI. Nr. L 241/28 v. 21.9.96. 213 Raschke, Entsendungen im Dreiecksverhältnis, BG 1990, 30 ff., 32. 214 Lyon-Caen, La circulation des travailleurs dans l'Union: enjeux actuels et perspectives, Papier präsentiert in der Zweiten Europäischen Konferenz über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer auf Kreta, Oktober 1995,4.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 73
bb) Selbständige: Vorübergehende Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat (1) Die Regelung des Art. J4a Abs. 1
va (EWG) 1408171
Art. 14a Abs. 1 va (EWG) 1408171 sieht vor, daß eine Person, die eine selbständige Tätigkeit ausübt und eine Arbeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausführt, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats unterliegt, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet. Geht eine solche Arbeit aus nicht vorhersehbaren Gründen über zwölf Monate hinaus, so gelten die Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats bis zur Beendigung dieser Arbeit fort, sofern die zuständige Behörde des Staats, in dem der Selbständige vorübergehend seine Tätigkeit ausführt, dazu ihre Genehmigung erteilt. Diese Genehmigung ist vor Ablauf der ersten zwölf Monate zu beantragen; sie darf nicht für mehr als zwölf Monate erteilt werden.
Die Formalitäten, die von dem Selbständigen beachtet werden müssen, sind die gleichen wie beim Arbeitnehmer (Art. lla va (EWG) 574/72). Man muß bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anwendbar sind, das Formular E 101 beantragen. In dem Formular wird bestätigt, daß die Person dem Recht dieses Staats weiterhin unterliegt. Der Verlängerungsantrag wird vom Selbständigen selbst durch das Formular E 102 an die zuständige Behörde des Mitgliedstaats der vorübergehenden Tätigkeit gestellt.
(2) Zweck der Regelung über die vorübergehende Tätigkeit der Selbständigen
Zweck der Regelung des Art. 14a Abs. 1 va (EWG) 1408/71 ist, wie bei Art. 14 Abs. 1 va (EWG) 1408/71, die Vereinfachung. Es soll vermieden werden, daß ein Selbständiger aufgrund einer kurzen Auslandstätigkeit das System der sozialen Sicherheit wechselt und dadurch unnötige administrative Komplikationen entstehen. Darüber hinaus wäre es eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit, wenn ein Selbständiger verpflichtet wäre, auch für vorübergehende Tätigkeiten dem Sozialversicherungssystem eines anderen Mitgliedstaats beizutreten. 215
(3) Voraussetzungen der Regelung des Art. 14aAbs. 1
va (EWG) 1408171
Die Vorschrift des Art. 14a Abs. 1 va (EWG) 1408171 entspricht der Entsendungsvorschrift des Art. 14 Abs. 1 va (EWG) 1408/71 für Arbeitnehmer. Ein Selbständiger wird allerdings nicht ins Ausland "entsandt". Er nimmt viel215 Comelissen, Tbe Self-employed, in: Schoukens (Hrsg.), Social Protection of the Self-Employed in the EU, 1994,43 ff., 55.
74
C. Die Normen über das anwendbare Recht
mehr die Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat aufgrund eigener Initiative auf. 2I6 Die Voraussetzungen, die Art. 14a Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 für die Weitergeltung der bisherigen Rechtsvorschriften nennt, sind daher weniger zahlreich als die Voraussetzungen für die Entsendung von Arbeitnehmern. Verlangt wird erstens, daß ein Selbständiger gewöhnlich seine Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausübt, und zweitens, daß die Tätigkeit in dem anderen Mitgliedstaat zeitlich begrenzt ist. Die gewöhnliche Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ist ein rein tatsächliches Kriterium; eine fonnale Verbindung zu diesem Staat ist nicht erforderlich. 217
(4) Natur der vorübergehenden Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat Bei der Anwendung des Art. 14a Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 fragt sich weiter: Muß ein Selbständiger, der vorübergehend seine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat verrichtet, einer "selbständigen Tätigkeit" i.S.d. Arbeitsrechts des Aufnahmestaats nachgehen? Ein Beispiel sind die als "self-employed" bezeichneten Personen aus Großbritannien und Irland, die auf Baustellen in anderen Mitgliedstaaten tätig werden. 218 Nach den britischen Sozialrechtsvorschriften sind sie als Selbständige zu betrachten. Sie bekommen deshalb von der zuständigen britischen Behörde die Bescheinigung E 101 ausgestellt, wenn sie für einen Zeitraum von weniger als zwölf Monaten in einem anderen Mitgliedstaat tätig sein möchten. Nach den Rechtsvorschriften der anderen Mitgliedstaaten gehen sie jedoch einer nach arbeitsrechtlichen Kriterien abhängigen Beschäftigung nach. Im Tätigkeitsort wird also ihre Tätigkeit als abhängige Beschäftigung verstanden. Dies hat zu der Auffassung 219 geführt, derartige Personen würden nicht mehr den Rechtsvorschriften des entsendenden Staats, sondern denjenigen des Mitgliedstaats unterliegen, in dem sie die Arbeit verrichten, da sie in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis in dem letztgenannten Staat stünden. 22o
Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 322. NKES, Steinmeyer, I. 14a, Rdnr. 3. 218 Heynen, Le detachement et l'Inspection sociale, in: v. Regenmortel / Jorens (Hrsg.), Le detachement international, 1995,253 ff., 267. 216 217
219 Diese Auffassung wird vor allem in Deutschland, Belgien und den Niederlanden vertreten, nämlich denjenigen Staaten, in denen die meisten Bauarbeiter aus Großbritannien und Irland arbeiten: s. Donders, BMT-Report on the "Application of the provisions of Regulation (EEC) 1408171 and the Issue of Posting: Facts and Problems", in: Schoukens (Hrsg.), Prospects of Social Security Co-ordination, 1997,49 ff., 82f. 220 So Költzsch, Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, DRV 1995, 74 ff., 84; van den Berg, Art. 11 Vo. 574172, Toelichting, in: Fase / Opheikens / Rikkert (Hrsg.), Sociale verzekeringsweuen, Deel 2: Internationaal sociaal verzekeringsrecht.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der va (EWG) 1408171 75
Diese Auffassung ist jedoch bedenklich. Gegen sie spricht erstens der Wortlaut des Art. 14a Abs. 1 va (EWG) 1408171. In diesem Artikel ist nur die Rede von einer "Arbeit, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats" ausgeführt wird. Es wird nicht festgelegt, wie die Arbeit in dem anderen Mitgliedstaat auszuüben ist. 221 Es reicht aus, wenn die Person gewöhnlich einer Tätigkeit in einem Mitgliedstaat nachgeht und vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat tätig wird. Zweitens steht diese Auffassung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den Begriffen "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" gemäß Art. 1 und Art. 13 ff. der va (EWG) 1408171 nicht im Einklang. Der EuGH hat nämlich in den Rechtssachen Hervein und De Jaeck222 festgestellt, daß der Begriff "selbständige Tätigkeit" auf die sozialrechtlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats verweist und von der Natur der ausgeübten Tätigkeit unabhängig ist. Wenn also ein Mitgliedstaat nach seinen Sozialrechtsvorschriften eine Person als "Selbständigen" bestimmt, darf ein anderer Mitgliedstaat diese Bestimmung nicht mit der Begründung außer Kraft setzen, die Person befinde sich in einem Beschäftigungsverhältnis i.S.d. Arbeitsrechts. Denn Art. 1 Buchst. a) va (EWG) 1408171 räumt die Definition des Status als "Selbständiger" oder "Arbeitnehmer" dem Staat ein, in dessen System der sozialen Sicherheit die Person versichert ist. Nur der zuständige Mitgliedstaat kann also entscheiden, ob jemand als "Arbeitnehmer" oder "Selbständiger" zu benennen ist. 223 Ferner würde die Auffassung, welche die Anwendung des Rechts des Aufnahmestaats auf die "self-employed" Bauunternehmer befürwortet, die Erteilung der Bescheinigung E 101 jeden Sinnes berauben. Das Verfahren der Entsendung kann nur funktionieren, wenn die Bestätigung des zuständigen Mitgliedstaats über den sozialrechtlichen Status einer Person durch die anderen Mitgliedstaaten anerkannt wird.
cc) Entsendung von Seeleuten und Hafenpersonal Wird eine Person von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, im Gebiet eines Mitgliedstaats oder auf einem Schiff mit der Flagge dieses Mitgliedstaats beschäftigt, unterliegt sie weiterhin den Rechtsvorschriften dieComelissen, RdA 1996, 329 ff., 336. EuGH, RS C-221/95 (Hervein), Slg. 1997, 1-609; EuGH, RS C-340/94 (De Jaeck), Slg. 1997,1-461. 223 A.A. Mankowski, Ausländische Schein selbständige und Internationales Privatrecht, BB 1997,465 ff., 471: Der Empfangsstaat sei nicht verpflichtet, eine entsandte 221
222
Person sozialversicherungsrechtlich als Selbständigen zu behandeln. Diese Auffassung berücksichtigt jedoch nicht die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen De Jaeck und Hervein, ebd.
C. Die Normen über das anwendbare Recht
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ses Staats während ihrer Entsendung auf ein Schiff, das unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats fährt (Art. 14b Abs. 1 va (EWG) 1408/71). Hinsichtlich des hochstmöglichen Entsendezeitraumes und der Verlängerung der Entsendung gilt Art. 14 Abs. 1 va (EWG) 1408/71. Voraussetzungen für die Entsendung von Seeleuten sind also: 1) Beschäftigung auf einem Schiff oder aber auch Beschäftigung im Gebiet eines Mitgliedstaats; 2) Entsendung zur Ausführung einer Arbeit auf Rechnung des Unternehmens, dem der Arbeitnehmer gewöhnlich angehört; die Entsendung muß zwingend auf ein Seeschiff mit der Flagge eines anderen Mitgliedstaats erfolgen; 3) die Dauer der Arbeit darf voraussichtlich zwölf Monate nicht überschreiten; eine einmalige Verlängerung um zwölf Monate ist möglich. Art. 14b Abs. 2 va (EWG) 1408/71 enthält eine entsprechende Regelung für selbständige Seeleute, die auf einem Schiff mit der Flagge eines Mitgliedstaats oder im Gebiet eines Mitgliedstaats gewöhnlich tätig sind. Sie unterliegen weiterhin den Rechtsvorschriften dieses Staats, wenn sie eine Arbeit an Bord eines Schiffes ausführen, das unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats fährt. Auch hier gelten die zwölfmonatige Frist und die Verlängerungsmöglichkeit des Art. 14 Abs. 1 va (EWG) 1408/71. Art. 14b Abs. 3Va (EWG) 1408/71 betrifft gewöhnlich nicht auf See tätige Personen (Arbeitnehmer oder Selbständige), die vorübergehend eine Arbeit in den Hoheitsgewässern oder in einem Hafen eines Mitgliedstaats an Bord eines Schiffes verrichten, das unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats fährt. Für sie gelten weiterhin die Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, d.h. des Staats, in dem sie gewöhnlich beschäftigt bzw. tätig sind, und nicht die Rechtsvorschriften des Staats, dessen Flagge das Schiff führt. Sie dürfen allerdings nicht zur Besatzung des Schiffes gehören. Diese Regelung erfaßt insbesondere Lösch-, Reparatur- und Wartungsarbeiten auf einem Schiff. Angesichts der Eigenart dieser Arbeiten bedurfte es keiner Befristung der Beschäftigung oder Tätigkeit. 224
dd) Probleme bei der Anwendung der Entsendungsvorschriften ( J) Unterscheidung zwischen Entsendung und gleichzeitiger
Beschäftigung bzw. Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten
Die Unterscheidung zwischen Entsendung und gleichzeitiger Beschäftigung bzw. Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten ist nicht immer leicht vorzunehmen. Der Wortlaut der Art. 14 Abs. 1, 14a Abs. 1 und 14 Abs. 2 Buchst. b), 14a Abs.2 va (EWG) 1408/71 ist zwar relativ eindeutig: Eine Entsendung liegt 224
NKES, Steinmeyer, I. 14b, Rdnr. 4.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 77
vor, wenn sich die Person für einen Zeitraum von nicht mehr als zwölf Monaten für die Ausführung einer Arbeit in einen anderen Mitgliedstaat begibt; gleichzeitige Beschäftigung bzw. Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten liegt vor, wenn eine Person gewöhnlich im Gebiet mehrerer Mitgliedstaaten beschäftigt bzw. tätig ist. Bei ständiger Doppel- bzw. Mehrfachaktivität in verschiedenen Mitgliedstaaten liegen die Voraussetzungen einer Entsendung nicht vor. So befand der EuGH, daß ein Arbeitnehmer unter Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) VO (EWG) 1408171 fällt, wenn er in einem Mitgliedstaat wohnt und sowohl in diesem Staat als auch in einem anderen Mitgliedstaat, wo sein Arbeitgeber ansässig ist, für einen Zeitraum, der nicht auf zwölf Monate beschränkt ist, beschäftigt wird. 225 Es ist allerdings nicht immer einfach festzustellen, wann eine Person für die Ausführung einer Arbeit in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird bzw. kurzfristig tätig wird und wann sie gewöhnlich in mehreren Mitgliedstaaten arbeitet. So hat der EuGH unter Geltung der früheren Verordnung Nr. 3 befunden, daß fünf deutsche Musiker, die in Deutschland wohnten und die im Jahre 1970 bei drei Bällen in Frankreich tätig waren, als gewöhnlich in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt anzusehen waren. 226 Dies ist überraschend: In diesem Fall könnte behauptet werden, daß keine gleichzeitige Beschäftigung, sondern eine Entsendung vorlag (Ausführung einer bestimmten Arbeit während eines konkreten Zeitraums). Die Grenzen zwischen Entsendung und gleichzeitiger Beschäftigung in mehreren Staaten sind also fließend. 227
(2) Die sogenannten "Dreiecksverhältnisse" Abs. 1 des Beschlusses Nr. 162 der Verwaltungskommission setzt voraus, daß der Arbeitnehmer, der zum Zwecke der Entsendung eingestellt wird, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegt, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. Diese Voraussetzung entspricht dem Zweck der Entsendungsvorschriften im allgemeinen, nämlich daß der Arbeitnehmer während einer vorübergehenden Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat weiterhin der Rechtsordnung des bisherigen Mitgliedstaats unterliegt. Weder in Art. 14 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 noch in Beschluß 128 wird allerdings der Situation eines Arbeitnehmers Rechnung getragen, der in seinem Wohnstaat A von einem Unternehmen mit Sitz im Mitgliedstaat B eingestellt wird, um vorübergehend im Mitgliedstaat C beschäftigt zu werden. In diesem Fall sind die Entsen-
EuGH, RS C-425/93 (Calle-Grenzshop), Sig. 1995,1-269. EuGH, RS 8175 (Football Club d' Andlau), Sig. 1975, 739. 227 Schoukens, Self-employed People and the Determination of the Legislation Applicable, in: ders., Prospects of Social Security Co-ordination, 1997, 157 ff., 163. 225
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
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dungsvorschriften nicht anwendbar, und der Arbeitnehmer unterliegt den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats (lex loci laboris).228 Das bedeutet, daß dieser Arbeitnehmer sein Sozialversicherungssystem auch bei einer vorübergehenden Auslandsbeschäftigung wechseln muß. Es wäre deshalb sinnvoller, in diesem Fall die Rechtsvorschriften des Wohnstaats des Arbeitnehmers weiterhin für anwendbar zu erklären. 229 Dies würde dem Zweck der Entsendungsvorschriften eher entsprechen, der darin besteht, den Wechsel des bisherigen Systems der sozialen Sicherheit und die daraus entstehenden Komplikationen zu vermeiden.
(3) Praktische Probleme Eine Untersuchung 230 über die praktische Anwendung der Entsendungsvorschriften, die im Auftrag der Europäischen Kommission gemacht worden ist, führte zu folgenden Ergebnissen: Für einen kurzen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat wird von den betreffenden Personen oft kein Formular E 101 beantragt. Die Verlängerungsmöglichkeit des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b) VO (EWG) 1408/71 wird sehr selten genutzt. - Die Entscheidung der Verwaltungskommission Nr. 148 231 über die kurzzeitigen Entsendungen findet in der Praxis kaum Anwendung. Es herrscht die Auffassung, daß die Fertigstellung der Formulare E 101 mit Serien nummern den Betrug erleichtern kann. Die unerlaubte Ablösung von zuvor entsandten Arbeitnehmern ist sehr schwierig zu kontrollieren. Im allgemeinen ist die Kontrolle über die rechtmäßige Beachtung der Entsendungsvorschriften durch die Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht immer leicht auszuüben. Aus diesem Grund legt Abs. 4 des Beschlusses Nr. 162 der Verwaltungskommission fest, daß der Träger eines Mitgliedstaats, der mit dem Entsendungsantrag befaßt ist, in angemessener Weise das betreffende Unternehmen und den betreffenden Arbeitnehmer darüber unterrichtet, welche die Voraussetzungen für die weitere Unterstellung des entsandten Arbeitnehmers
s. oben, C. I. 1. aa) (3): Voraussetzungen der Entsendung. Darauf machen Raschke, Entsendungen im Dreiecksverhältnis, BG 1990, 30 ff., 34 und Heynen, Le detachement et l'Inspection sociale, in: v. Regenmortel / Jorens (Hrsg.), Le detachement international, 1995,253 ff., 267f., aufmerksam. 230 Donders, BMT-Report, in: Schoukens (Hrsg.), Prospects of Social Security Coordination, 1997, 49 ff. 231 ABI. L 22 v. 30.1.1993. s. oben, C. I. 1. c) aa) (4). 228 229
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 79
unter die Rechtsvorschriften des Entsendestaats sind. Der Arbeitgeber wird davon unterrichtet, daß während der ganzen Zeit der Entsendung Kontrollen durchgeführt werden können, um zu überprüfen, ob die Entsendung nicht beendet worden ist. Diese Kontrollen können sich insbesondere auf die Entrichtung der Beiträge und die Aufrechterhaltung der arbeitsrechtlichen Bindung bestehen. Ferner sollen der entsandte Arbeitnehmer sowie dessen Arbeitgeber den zuständigen Träger des Entsendestaats von allen im Laufe der Entsendung eingetretenen Änderungen unterrichten.
d) Ausnahmevereinbarungen nach Art. 17 va (EWG) 140817J Art. 17 VO (EWG) 1408171 besagt, daß zwei oder mehr Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden dieser Staaten oder die von diesen Behörden bezeichneten Stellen im Interesse bestimmter Personengruppen oder bestimmter Personen Ausnahmen von den Artikeln 13 bis 16 VO (EWG) 1408171 vereinbaren können. Nach Art. 11 und lla VO (EWG) 574172 stellt der Träger des Staats, dessen Rechtsvorschriften weiterhin anzuwenden sind, eine Bescheinigung (Formular E 101) darüber aus, daß und bis zu welchem Zeitpunkt seine Rechtsvorschriften für die betroffene Person gelten. Nach dem EuGH enthält Art. 17 VO (EWG) 1408171 eine Ausnahmebestimmung für Sachverhalte, die - obwohl sie im Titel 11 VO (EWG) 1408171 nicht besonders berücksichtigt werden - eine von den Artikeln 13 bis 16 VO (EWG) 1408171 abweichende Lösung verlangen. Die Feststellung dieser Sachverhalte und die Bestimmung der auf sie anwendbaren Rechtsvorschriften obliegt den Mitgliedstaaten. 232 Eine Ausnahmevereinbarung nach Art. 17 VO (EWG) 1408171 bietet sich zum Beispiel an, wenn von vornherein festgestellt wird, daß ein Arbeitnehmer länger als zwölf Monate in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden soll. Einer solchen Vereinbarung bedarf es auch, wenn zunächst eine kurzfristige Entsendung vorgesehen war, sich aber später herausstellt, daß die Beschäftigung bzw. Tätigkeit den Zeitraum von vierundzwanzig Monaten (zwölf Monate Entsendung und zwölf Monate Verlängerung) übersteigt. 233 Die in Art. 17 VO (EWG) 1408171 enthaltene Möglichkeit wird also vor allem benutzt, um die Anwendung des bisherigen nationalen Rechts auch bei Entsendetatbeständen aufrechtzuerhalten, die über die Regelung des Art. 14 VO (EWG) 1408171 hinausgehen. 234 Er eröffnet aber darüber hinaus die Möglichkeit zu abweichen-
EuGH, RS 101/83 (Brusse), Sig. 1984,2223, Rdnr. 17. NKES, Steinmeyer, 1.17, Rdnr. 2. 234 v. Regenmortel, Introduction et position du probleme, in: ders. / Jorens (Hrsg.), Le detachement international, 1995, 3 ff., 9; Storm, Detachement a l'interieur de la 232 233
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C. Die Nonnen über das anwendbare Recht
den Regelungen, auch wenn die sonstigen Voraussetzungen der Entsendung nicht gegeben sind. 235 Weitere Anwendungsfalle für solche Vereinbarungen sind etwa bei Mehrfachbeschäftigungen denkbar. 236 Die Verwaltungskommission hat insbesondere der Situation der Arbeitnehmer Rechnung getragen, die in multinationalen Unternehmen beschäftigt sind. 237 Sie hat mit der Empfehlung Nr. 16238 den Mitgliedstaaten vorgeschlagen, Vereinbarungen aufgrund des Artikels 17 VO (EWG) 1408/71 zu treffen, die für Arbeitnehmer gelten, welche aufgrund ihrer besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten oder wegen der besonderen Zielsetzungen der sie beschäftigenden Unternehmen oder Organisationen in deren Interesse oder in deren Namen oder auf deren Rechnung für mehr als zwölf Monate in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, in dem sie dann gewöhnlich beschäftigt sind. In diesen Vereinbarungen ist festzulegen, daß diese Arbeitnehmer für die Gesamtdauer ihrer Entsendung weiterhin den Rechtsvorschriften des entsendenden Mitgliedstaats unterliegen, sofern sie hiermit einverstanden sind. Die Höchstdauer der fortdauernden Unterstellung einer Person unter die Rechtsvorschriften des entsendenden Mitgliedstaats aufgrund einer Ausnahmevereinbarung variiert in den einzelnen Mitgliedstaaten. 239 Die meisten Mitgliedstaaten stimmen einer Freistellung von ihren Rechtsvorschriften für einen Zeitraum von fünf40 bis acht241 Jahren zu. Allerdings werden Ausnahmen in besonderen Fällen meistens akzeptiert. In manchen Mitgliedstaaten wird sogar die weitere Anwendung der Rechtsvorschriften des entsendenden Staats auf unbestimmte Zeit oder für die gesamte Beschäftigungsdauer gestattet. 242
Communaute: possibilite d' exception a la regle generale: exceptions (Art. 17), in: ebd., 39 ff., 48. 235 Schuler, Das Internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland 1988, 437; BfA, Die Angestelltenversicherung bei Beschäftigung in einem EG-Mitgliedstaat im Rahmen der VO 1408171 und 574/72, 1988,40. 236 Eichenhofer, EAS, B 1200, Rdnr. 128. 237 Lefebvre, Memento Pratique: Communaute Europeenne 1994-1995, 1993, Rdnr. 7051. 238 Empfehlung Nr. 16 v. 12. 12. 1984, ABI. Nr. C 273 v. 24.10.1985. 239 Donders, BMT-Report, in: Schoukens (Hrsg.), Prospects of Social Security Coordination, 1997, 49 ff., 70. 240 So Belgien, Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Italien, Irland, Niederlande und Spanien: ebd., 70. 241 So Frankreich und Deutschland; Portugal akzeptiert im allgemeinen flexible Zeiträume. 242 So z.B. in Frankreich für bestimmte Kategorien von Personen, nämlich Journalisten, Personal von internationalen Vereinigungen (non gouvernementales a but non lucratit), und wenn es um die internationale Zusammenarbeit in bezug auf Technologie, Wissenschaft oder Kultur geht: s. Gollot, Le maintien exceptionnel a un autre regime de securite sociale dans la C.E.E.: l'article 17 du Reglement 1408171, Centre de securite
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel II der VO (EWG) 1408171 81
Die Mitgliedstaaten haben einen weiten Ermessensspielraum in bezug auf die Gründe und die Umstände für den Abschluß von Ausnahmevereinbarungen, der ausschließlich durch das Interesse des Arbeitnehmers bzw. Selbständigen begrenzt wird. 243 Nach welchen Kriterien das Interesse des Betroffenen zu bestimmen ist, wird nicht festgelegt. Nach Auffassung der Kommission 244 muß sich das Interesse auf die Bestimmung des anzuwendenden Rechts und nicht auf dessen Anwendung beziehen. Mit anderen Worten dürfen insoweit keine Erwägungen berücksichtigt werden, die sich auf die Anzahl und den Umfang der Leistungen oder auf das Ausmaß der Belastungen beziehen, die die eventuelle Anwendung eines Rechts im Vergleich zur Anwendung eines anderen Rechts mit sich bringt. Das Interesse der betroffenen Person muß danach von derselben Art wie die Interessen sein, die bei der Auslegung und Anwendung der Artikel 13 bis 16 va (EWG) 1408171 berücksichtigt werden, und es muß schwer genug wiegen, um eine Abweichung von den im allgemeinen anzuwendenden Vorschriften zu rechtfertigen. Der Wortlaut des Art. 17 va (EWG) 1408171 könnte den Eindruck erwekken, daß die Ausnahmevereinbarungen allein auf Initiative der Mitgliedstaaten bzw. der zuständigen Stellen getroffen werden können. Wenn es aber um einzelne Fälle geht, wird der Antrag 245 zum Abschluß solcher Vereinbarungen von
sociale des travailleurs migrants, Bulletin de liaison et d'information, No I et 2 1989, 75 ff., 82 und Deletang, Le detachement, Centre de securite sociale des travailleurs migrants, Bulletin de liaison et d'information, No 2 et 3 1990,7 ff., 11. Auch die Vereinbarungen zwischen Deutschland und Griechenland tendieren in bestimmten Fällen dazu, die in Griechenland beschäftigten deutschen Arbeitnehmer für die gesamte Beschäftigungszeit den deutschen Rechtsvorschriften zu unterwerfen: s. Donders, BMT-Report, in: Schoukens (Hrsg.), Prospects of Social Security Co-ordination, 1997,70, und Sklikas/ Tsotsorou / Economidis: Article 17 Agreements between Greece and Germany: An Exceptional Paradigm, Ministry of Health, Welfare and Social Security, 1995. 243 EuGH, RS 101/83 (Brusse), Sig. 1984,2223, Rdnr. 25. 244 s. die schriftlichen Erklärungen zu der Rechtssache Brusse, ebd., 2231. 245 Als Anregung für den Antragsteller wurden im Rundschreiben Nr. 8/86 der deutschen VerbindungsteIle KV v. 23.1.1986 folgende Hinweise gegeben: Bei einer weiteren Anwendbarkeit der deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit soll der Antrag folgende Angaben enthalten: a) Vor- und Zuname, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit und bisherige Anschrift des Arbeitnehmers. b) Beginn der EntsendunglBeschäftigung und voraussichtlicher Zeitpunkt der Beendigung der EntsendunglBeschäftigung im anderen Staat sowie für welche Zeit gegebenenfalls ein Vordruck E 101 ausgestellt wurde. c) EG-Mitgliedstaat, in dem die Beschäftigung ausgeübt werden soll, sowie Anschrift des Unternehmens/der Zweigniederlassung/der Baustelle, zu/bei dem! der der Arbeitnehmer entsandtlbeschäftigt wird. d) In welcher Funktion wird der Arbeitnehmer im anderen Staat tätig sein? e) Kurze Begründung, daß die weitere Unterstellung unter das deutsche Recht der sozialen Sicherheit im Interesse des Arbeitnehmers liegt. f) Erklärung des Arbeitnehmers, daß er den deutschen Rechtsvorschriften unterstellt bleiben will. Bei Anträgen auf Abschluß einer weiteren Vereinbarung (Verlängerung) ist die Erklärung des Arbeitnehmers erneut beizufügen. g) Aktenzeichen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, wenn in dieser Angelegenheit schon 6 Devetzi
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
den einzelnen Personen (Arbeitnehmer gemeinsam mit deren Arbeitgeber) gestellt (z.B. um die Entsendungsfrist der Arbeitnehmer einer bestimmten Firma zu verlängern). Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind Herr des Verfahrens. Durch die Rücknahme ihres Antrags wird das zum Abschluß einer Vereinbarung führende Verfahren beendet. 246 Der Text von Art. 17 VO (EWG) 1408171 enthält keinen Hinweis darauf, daß die Mitgliedstaaten die Möglichkeit abweichender Vereinbarungen nur für die Zukunft wahrnehmen können. Sinn und Regelungszusammenhang des Artikels gebieten vielmehr, daß eine solche Vereinbarung auch für die Vergangenheit getroffen werden kann. 247 Eine Ausnahmevereinbarung nach Art. 17 VO (EWG) 1408171 kann nur für alle Zweige der sozialen Sicherheit beschlossen werden. Es ist nicht möglich, nur einzelne Zweige eines Sozialversicherungssystems auszuwählen, z.B. in der Art, daß in einem Mitgliedstaat die Krankenversicherung und in einem anderen Mitgliedstaat die Rentenversicherung durchgeführt wird.
e) Kriterien, die das anwendbare Recht bestimmen aa) Beschäftigungsort ( 1) Der Beschäftigungsort als prägendes Kriterium
des Titels II der
va (EWG) 1408/11
Der Beschäftigungsort ist das wichtigste Kriterium für die Bestimmung des auf einen Arbeitnehmer anwendbaren Rechts. Das sogenannte "Beschäftigungslandprinzip" entscheidet über die Zuordnung der Arbeitnehmer zu einem System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die Wahl des Beschäftigungsortes durch den Verordnungsgeber hängt zunächst mit historischen Gründen zusammen. Das Sozialversicherungsrecht der ersten sechs Vertragsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sah überwiegend die Beschäftigung als entscheidendes Kriterium für die Zugehörigkeit zu dem jeweiligen System an. 248 Die Anwendung der lex loci laboris Schriftwechsel geführt wurde. h) Aktenzeichen der zuständigen Stelle des anderen EGMitgliedstaats, falls diese bereits eine "Verlängerung der Entsendung" mit Vordruck E 102 genehmigt hatte und für welchen Zeitraum diese Genehmigung erteilt wurde. 246 SGB SozVersGesKomm, Baumeister, Anm. 3 zu Art. 17 VO (EWG) 1408171. 247 EuGH, RS 101183 (Brusse), Slg. 1984,2223, Rdnr. 20-21; EuGH, RS C-454/93 (Van GesteI), Slg. 1995,1-1707. 248 v. Raepenbusch, La securite sociale des personnes qui circulent a I'interieur de la C.E., 1991,225; ders., Securite sociale, in: Joly Communautaire, Torne 2, theme 4: La libre circulation des personnes et des services, 24.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 83
war auch in früheren bi- und multilateralen Verträge über soziale Sicherheit vorgesehen. 249 Eine Sozialversicherung gewährt ferner im wesentlichen Einkommensersatzleistungen, wenn das Einkommen aus der abhängigen Beschäftigung ausfällt. Das auf den Arbeitsvertrag anwendbare Recht wird auch objektiv250 durch die Anknüpfung an den Beschäftigungsort bestimmt. Die Anwendung der lex loci laboris auf die Sozialversicherung sichert, daß das anwendbare Recht sowohl für die Sozialversicherung als auch für den Arbeitsvertrag einer Person dasselbe ist. 251 Darüber hinaus entspricht die Wahl des Beschäftigungsortes der Finanzierung der Sozialversicherung durch Beiträge nach Erwerbseinkommen in vielen EU-Staaten. 252 Aber auch in den Mitgliedstaaten, in denen der Beitritt zu dem System der sozialen Sicherheit nicht von der Erwerbstätigkeit, sondern vom Wohnort abhängt, und in denen die Finanzierung nicht durch Beiträge, sondern aus Steuermitteln erfolgt, ist es letztlich immer die Produktivität der erwerbstätigen Bevölkerung, welche die Finanzierung der sozialen Sicherheit ermöglicht. 253 Das Recht des Staats, zu dessen Wirtschaftswachstum ein Arbeitnehmer mit seiner Arbeit beiträgt, soll auch für die soziale Sicherheit dieses Arbeitnehmers maßgebend sein. 254 Beschäftigungsort ist der Ort, an dem die Beschäftigung gewöhnlich ausgeübt wird. Nicht ausschlaggebend ist, wo der Arbeitgeber oder das Unternehmen seinen Sitz hat oder wo der Versicherte seinen Wohnsitz hat (Art. 13 Abs.2 Buchst. a) VO (EWG) 1408/71).255
249 Z.B. das zwischenstaatliche Abkommen über die Unfallversicherung, daß 1904 zwischen Frankreich und Italien abgeschlossen war; vgl. auch IAO-Übereinkommen Nr. 19 von 1925 über das Internationale Arbeitsunfallrecht und IAO-Übereinkommen Nr. 48 von 1935: s. [LO, Social Security for Migrant Workers, 1977,8 ff. 250 Subjektiv wird es durch Rechtswahl angeknüpft, wenn ein dem Arbeitnehmer günstigeres Arbeitsstatut vereinbart wird als die lex loci laboris: s. Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992, 258 ff. 251 Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 302. 252 Ausgenommen sind hiervon die Niederlande, die Nordischen Staaten (Schweden, Dänemark, Finnland und - aus dem EWR - Norwegen) sowie zum Teil Großbritannien und Irland. 253 Langer, Zukunftsperspektiven des Europäischen Sozialrechts - Koordinierendes Sozialrecht und Gleichbehandlung von Männern und Frauen, in: v. Maydell / Schulte (Hrsg.), Zukunftsperspektiven des Europäischen Sozialrechts, 1995,25 ff., 32. 254 v. Raepenbusch, Persons covered by Regulation (EEC) No 1408171 and European citizenship; from Migrant Worker to European citizen, Papier präsentiert in der Dritten Europäischen Konferenz über soziale Sicherheit, Schweden, 1996, 17. 255 Dementsprechend falsch Wiegand, Das europäische Gemeinschaftsrecht in der Sozialversicherung, 1983,98: ,,(In Art. 13 Abs. 2) stellt die Verordnung deutlich auf den Betriebssitz ab."
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
Der Beschäftigungsort weist darüber hinaus auf die Zugehörigkeit zur Arbeits- und Erwerbsgesellschaft des Staats hin, der über die Entstehung des Sozialversicherungsverhältnisses entscheidet. 256 Er ist nicht notwendigerweise Ort der Arbeitsleistung, sondern der Ort, dem die Beschäftigung sozial und wirtschaftlich zuzurechnen ist. 257 Dies wurde auch durch den EuGH bestätigt. In der Rechtssache 13173 258 wurde die Frage gestellt, welches das anwendbare Recht auf einen Handelsvertreter sei, der neun Monate im Jahr ununterbrochen Kundenbesuchsreisen in einem Mitgliedstaat ausführte, dann aber in einem anderen Mitgliedstaat mit den Unternehmen, die dort ihren Sitz hatten und die er vertrat, Kontakt aufnahm. Der Gerichtshof stellte fest, daß es nicht auf die Dauer der Beschäftigungszeiten ankomme, sondern daß die Art der fraglichen Beschäftigung in Betracht zu ziehen sei. Die Bindung dieser Beschäftigung an einen Staat sei in den beruflichen Beziehungen zwischen dem Vertreter und den Unternehmen, deren Interessen er wahrnimmt, zu finden und nicht in den vorübergehenden Kontakten, die er mit einer weit zerstreuten Kundschaft unterhält. Dem Ort der tatsächlichen Arbeitsleistung kam also eine wesentlich geringere Bedeutung zu. Vor allem wird durch die Entsendungsvorschriften aber bestätigt, daß der Beschäftigungsort vor allem auf die Zugehörigkeit zur Arbeitsgesellschaft eines Staats hinweist. Das Recht des bisherigen Beschäftigungsstaats bleibt anwendbar, weil der Erfolg der vorübergehenden Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat weiterhin dem Entsendestaat zuzurechnen ist. Die Entsendung hat vor allem eine zugehörigkeitserhaltende Funktion. 259
(2) Kriterien, die mit dem Beschäjtigungsort eng verbunden sind
In den Artikeln 13 Abs. 2 Buchst. c) und d) sowie in Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EWG) 1408171 werden andere Kriterien als der Beschäftigungsort für bestimmte Kategorien von Versicherten bevorzugt. So ist die Flagge des Schiffes für Seeleute, der Sitz des Dienstherrn für Beamte und der Sitz des Arbeitgebers für Arbeitnehmer in Transportunternehmen ausschlaggebend. Diese Kriterien sind allerdings eher als Bestätigungen, denn als Ausnahme vom Beschäftigungsortsprinzip anzusehen. Sie bestätigen die Auffassung, daß Beschäftigungsort der Ort ist, dem die Arbeit zuzurechnen ist. Sie greifen nämlich a) bei Personen, deren tatsächlicher Beschäftigungsort wegen ihrer Mobilität schwer zu bestimmen ist (Seeleute und Arbeitnehmer in Transportunternehmen) oder
Schuler, Das ISR der BRD, 1988,410. Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 307. 258 EuGH, RS 13n3 (AngenieuxlHakenberg), Slg. 1973,945. 259 Schuler, Das ISR der BRD, 1988,435. 256 257
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408/71 85
b) bei Beamten, da ihre Arbeit von ihrer besonderen Natur her dem Staat zuzurechnen ist, in dem der Dienstherr seinen Sitz hat. Dies trifft insbesondere bei Beamten in diplomatischen und konsularischen Vertretungen eines Staats zu, da sie "Stellvertreter" ihres Staats im Ausland sind. 260
bb) Tätigkeitsort Der Tätigkeitsort gilt als das entscheidende Kriterium für die Zuordnung der Selbständigen zu einem nationalen System der sozialen Sicherheit (Art. 13 Abs.2 Buchst. b) VO (EWG) 1408/71). Die Wahl des Tätigkeitsortes erklärt sich dadurch, daß die VO (EWG) 1390/81 zur Erstreckung des Europäischen koordinierenden Sozialrechts auf die Selbständigen dazu diente, die Selbständigen in das bereits existierende System der VO (EWG) 1408/71 zu integrieren. Deswegen wurden bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts für die Selbständigen ähnliche Lösungen wie für die Arbeitnehmer gefunden. Das Kriterium, welches dem Beschäftigungsort der Arbeitnehmer am meisten entspricht, ist bei den Selbständigen der Tätigkeitsort. Tätigkeitsort ist der Ort, an dem der Selbständige auf Dauer tätig ist, und nicht der Ort der einzelnen Betätigungen. Dem wird auch in der Verordnung Rechnung getragen, indem die vorübergehende Tätigkeit im Ausland zu keinem Wechsel des Sozialversicherungssystems führt (Art. 14a Abs. 1 VO (EWG) 1408/71).
cc) Wohnort Die VO (EWG) 1408/71 begreift den Wohnort des Arbeitnehmers oder Selbständigen nur subsidiär als Kriterium für das anwendbare Recht. Bei Beschäftigung bzw. Tätigkeit in verschiedenen Mitgliedstaaten wird den Rechtsvorschriften des Wohnstaats der Vorrang eingeräumt, wenn die Tätigkeit zum Teil dort ausgeübt wird (Art. 14 Abs. 2 b) i) Erster Fall, Art. 14a Abs. 2 Satz 1 VO (EWG) 1408/71). Das Recht des Wohn staats ist auch das anwendbare Recht für Arbeitnehmer in Transportunternehmen, die überwiegend in dem Mitgliedstaat beschäftigt sind, in dem sie wohnen (Art. 14 Abs.2 a) ii) VO (EWG) 1408/71). In all diesen Fällen ist also der Wohn staat gleichzeitig ein Beschäftigungsstaat. 261 Nur in dem Fall des Art. 14 Abs.2 b) i) zweiter Fall VO (EWG) Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 303. Rodiere, L'arret Bentzinger et la jurisrpudence de la C.J.C.E relative aux conflits de lois de securite sociale, Rev. trim. dr. Eur. 1974,431 ff., 441. 260
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
1408171 können der Wohnstaat und der Beschäftigungsstaat auseinanderfallen. Wenn der Arbeitnehmer in Beschäftigungsverhältnissen zu mehreren Arbeitgebern mit Sitz in verschiedenen Staaten steht, unterliegt er dem Recht seines Wohnstaats, ungeachtet der Tatsache, ob er dort auch beschäftigt ist. Die Verordnung bestimmt den Wohnort auch als Kriterium für die Zugehörigkeit zu einem Sozialversicherungssystem für die Personen, die nicht mehr erwerbstätig sind (Art. 13 Abs. 2 Buchst. f) va (EWG) 1408171). Wohnort ist laut Art. 1 Buchst. h) va (EWG) 1408171 der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Der Begriff des Wohnortes ist nicht immer leicht zu bestimmen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Wohnort der Ort, an dem sich der gewöhnliche Mittelpunkt der Interessen einer Person befindet. 262 Bei der Bestimmung dieses Begriffs sind Kriterien wie die Dauer und die Kontinuität des Wohnens sowie die Dauer und der Zweck der eventuellen Abwesenheit der Person zu berücksichtigen. 263 Diese Definition hat der Gerichtshof bei der Bestimmung der "unechten Grenzgänger" in Art. 71 Abs. 1 Buchst. b) va (EWG) 1408171 gegeben, d.h. der Personen, deren Wohn- und Beschäftigungsstaat auseinanderfallen, ohne daß sie täglich bzw. wöchentlich zwischen zwei Mitgliedstaaten pendeln. 264 Gerade für diese Personen ist es schwierig zu bestimmen, ob sie bei Aufnahme einer Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat trotzdem ihren Wohnort beibehalten haben und dort der Mittelpunkt ihrer Interessen verbleibt. Die Kriterien wurden entwickelt, um diese Bestimmung zu erleichtern. Allerdings ist auch der anhand dieser Kriterien zu bestimmende Wohnortbegriff wenig konkret. Der EuGH hat in einem Fall befunden, daß ein Arbeitnehmer, der für zehn Monate in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt war, dort auch seinen Wohnort hatte, auch wenn er seine Familie in dem ursprünglichen Staat zurückgelassen hatte. Es sind daher nicht nur die familiären Verhältnisse des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sondern auch die Gründe, die ihn zur Abwanderung bewogen haben, und die Art seiner Tätigkeit. 265 In anderen Fällen hat der EuGH hingegen entschieden, daß Personen, die für eine begrenzte Zeit von z.B. zwei Jahren eine Arbeit im Ausland aufnehmen (Sprachlehrer, Lektoren) und danach in ihr Herkunftsland zurückkehren, ihren Wohn-
EuGH, RS 13/73 (AngenieuxlHakenberg), Slg. 1973,945. EuGH, RS 76/76 (di Paolo), Slg. 1977,315; RS C-216/89 (Reibold), Slg. 1990,14163, RS C-I02/91 (Knoch), Slg. 1992, 1-4341. Aus dem Bereich des Steuerrechts, so auch RS C-297/89 (Ryborg), Slg. 1991,1-1943. 264 Wenn jemand täglich, mindestens aber einmal wöchentlich während seiner Beschäftigung in das Gebiet seines Wohnstaates zurückkehrt, ist er als "echter Grenzgänger" zu bezeichnen (Art. 71 Abs. 1 Buchst. a) VO (EWG) 1408/71). 265 EuGH, RS 76/76 (di Paolo), Slg. 1977,315, Rdnr. 17/20. 262 263
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der va (EWG) 1408171 87
ort im letztgenannten Staat beibehalten. 266 Es ist auf jeden Fall Sache des nationalen Gerichts, die Kriterien zur Bestimmung des Wohnorts auf den konkreten Sachverhalt anzuwenden. 267 Bei der Anwendung des Art. 71 VO (EWG) 1408171 ist es in der Tat nicht leicht festzulegen, ob ein Wohnsitz in einem Mitgliedstaat bestehen kann, angesichts einer ausschließlichen Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat. In Titel II der VO (EWG) 1408171 dürfte jedoch die Bestimmung des Wohnortes nicht so schwierig sein wie bei Art. 71, weil in den meisten Fällen der Wohnort mit einem der Beschäftigungsstaaten übereinstimmt. Es ist davon auszugehen, daß sich der Mittelpunkt der Interessen einer Person in demjenigen Mitgliedstaat befindet, wo sie sich gewöhnlich aufhält und einen Teil ihres Berufslebens verbringt. In dem Fall des Art. 13 Abs.2 Buchst. f) VO (EWG) 1408171 gibt es darüber hinaus keinen Beschäftigungsstaat mehr, der die Bestimmung des Wohnortes erschweren könnte.
dd) Sitz des Unternehmens oder Arbeitgebers Wenn ein Arbeitnehmer in mehreren Mitgliedstaaten arbeitet und in keinem von diesen wohnt ist der Sitz des Unternehmens oder Arbeitgebers ausschlaggebend (Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) Ziff. ii) VO (EWG) 1408171). Es wird also der Sitz der einen Partei des Beschäftigungsverhältnisses für maßgeblich erklärt. 268 Die Bevorzugung dieses Kriteriums ist wiederum dadurch gerechtfertigt, daß die Arbeit dem Staat wirtschaftlich zuzurechnen ist, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. Die Anwendung der Vorschriften des Sitzstaats ist hier aber von den oben, unter aa) (2) genannten Fällen zu unterscheiden. Bei den Seeleuten, Beamten oder Arbeitnehmern in Transportunternehmen wird nämlich nach dem Wohnstaat nicht gefragt, bevor das Recht des Sitzstaats angewendet wird. In Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) Ziff. ii) wird hingegen der Sitzstaat relevant, nachdem festgestellt wurde, daß der Arbeitnehmer in keinem seiner Beschäftigungsstaaten wohnt. Dadurch soll aber nicht der Eindruck entstehen, dem Sitzstaat des Arbeitgebers komme eine geringere Bedeutung zu als dem Wohn staat. Wie der EuGH festgestellt hat, ist der Wohnstaat dann entscheidend, wenn seine Rechtsvorschriften eine Verbindung zum Arbeitsverhältnis aufweisen. 269 Ist dies nicht der 266 EuGH, RS C-216/89 (Reibold), Sig. 1990, 1-4163; RS C-102I91 (Knoch), Sig. 1992, 1-4341. 267 EuGH, RS C-102I91 (Knoch), Sig. 1992, 1-434, Rdnr. 24. 268 NKES, Steinmeyer, I. 14 Rdnr. 28. 269 In dem einzigen Fall, in dem der Wohnstaat keine Verbindung zum Arbeitsverhältnis aufweist, nämlich bei Beschäftigung für mehrere Arbeitgeber mit Sitz in mehreren Mitgliedstaaten, ist die Wahl des Wohnstaates dadurch gerechtfertigt, daß es nicht
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
Fall, ist der Sitzstaat maßgebend. 270 So hat der Gerichtshof den Fall gelöst, in dem ein in den Niederlanden wohnender Arbeitnehmer von einem deutschen Unternehmen eingestellt wurde, das ihn sofort nach Thailand entsandte. Fraglich war, ob auf ihn die Rechtsvorschriften seines Wohnstaats oder die des Sitzstaats des Unternehmens anzuwenden seien. Ein solcher Fall wird nicht ausdrücklich von der VO (EWG) 1408171 geregelt. Der Gerichtshof stellte fest, daß in diesem Sachverhalt die Rechtsvorschriften des Wohnstaats keine Verbindung zu dem Arbeitsverhältnis aufwiesen, im Gegensatz zu den Rechtsvorschriften des Staats, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hatte. 271 Somit war der Sitz des Unternehmens das entscheidende Kriterium für die Bestimmung des anwendbaren Rechts, obwohl es sich stricto sensu nicht um eine Beschäftigung in verschiedenen Mitgliedstaaten, sondern um eine Beschäftigung außerhalb der Gemeinschaft handelte.
ee) "Haupttätigkeitsort" und Sitz der Selbständigen Der Ort der Haupttätigkeit kommt als entscheidendes Kriterium für die Zuordnung der Selbständigen zu einem System der sozialen Sicherheit in Art. 14a Abs.2 Satz 2 VO (EWG) 1408171 (Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten außerhalb des Wohnstaats) hinzu. Die Haupttätigkeit wird in erster Linie mittels des Sitzes des Selbständigen bestimmt. Der Sitz der Selbständigen findet sich auch in einem anderen Artikel von etwas geringerer praktischer Bedeutung, nämlich in Art. 14a Abs. 3 VO (EWG) 1408171 (grenzüberschreitende Betriebe). Somit wird in der Verordnung dem Sitzstaat des Selbständigen eine sekundäre Rolle beigemessen, indem er nach dem Tätigkeitsort und dem Wohnort Bedeutung erlangt. Dies ist überraschend, wenn man etwa mit einer anderen Art von Abkommen, den internationalen Steuerabkommen, vergleicht: Dort ist vom Sitz des Selbständigen die Rede. 272 Allerdings muß auch für die VO (EWG) 1408171 angenommen werden, daß der Tätigkeitsort mit dem Sitz des Selbständigen in den meisten Fällen zusammenfallen wird. Dies gilt insbesondere für diejenigen Berufe, für welche die Niederlassung einer rechtlichen Formalisierung bedarf, z.B. der Eintragung in
nur einen, sondern mehrere Sitzstaaten gibt. In diesem Fall könnte natürlich der Sitz des Arbeitgebers kein taugliches Kriterium sein. 270 EuGH, RS C-60/93 (AIdewereId), Slg. 1994,1-2991, Rdnr. 22. 271 EuGH, RS AIdewereId, ebd. 272 s. z.B. Art. 7 und 14 OECD-Musterabkommen: "permanent establishment" oder "fixed base".
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 89
das Handelsregister oder der Registrierung in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft (wie der Ärzte- oder Rechtsanwaltskammer).273
2. Freiwillige Versicherung In den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union gibt es die Möglichkeit des freiwilligen Beitritts zur sozialen Sicherheit aufgrund persönlicher Entscheidung (freiwillige Versicherung). Die ausschließlich freiwillige Versicherung gehört grundsätzlich nicht zum sachlichen Geltungsbereich der VO (EWG) 1408171. Die Koordinierung betrifft regelmäßig nur die obligatorischen Pflichtversicherungen. 274 Deshalb sieht Art. 15 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 vor, daß die Art. 13 bis 14d VO (EWG) 1408171 nicht für die freiwillige Versicherung gelten. Die Frage, ob ein nationales Recht auf einen bestimmten Sachverhalt anzuwenden ist, beantwortet im Fall der freiwilligen Versicherung nicht der Titel 11 der Verordnung, sondern allein das nationale Recht. Nur in dem seltenen Fall, daß es für einen der in Art. 4 VO (EWG) 1408171 genannten Zweige nur ein System freiwilliger Versicherung gibt, gelten die Art. 13 bis 14d VO (EWG) 1408171. Die Koordinierung der freiwilligen Versicherung regeln Art. 9 und 15 Abs. 2 und 3 VO (EWG) 1408171. Der Zugang zur freiwilligen Versicherung wird in Art.9 VO (EWG) 1408171 geregelt. Der Artikel setzt voraus, daß in einem Mitgliedstaat überhaupt die Möglichkeit zur freiwilligen Versicherung besteht. 275 Ein ehemaliger Arbeitnehmer oder Selbständiger hat das Recht, der freiwilligen Versicherung eines Staats beizutreten, wenn er in diesem Staat wegen seiner Beschäftigung/ Tätigkeit pflichtversichert gewesen ist. Dies gilt unabhängig davon, weIches sein Wohnstaat ist (Abs.l). Darüber hinaus schreibt Art. 9 Abs. 2 VO (EWG) 1408171 vor, daß in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegte Zeiten zu berücksichtigen sind, wenn sie Voraussetzung für das Recht auf freiwillige Versicherung sind. Wenn die Anwendung der Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten zu einem Zusammentreffen einer Pflichtversicherung und einer freiwilligen Versicherung oder von zwei freiwilligen Versicherungen führt, dann schreibt Art. 15 Abs. 2 VO (EWG) 1408171 vor, daß im ersten Fall der Versi-
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Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 320. Költzsch, Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, DRV 1995,77.
275 Für Mitgliedstaaten, die nur eine Pflichtversicherung kennen oder deren Sozialversicherungssysteme die gesamte Wohnbevölkerung erfassen, ist die Vorschrift gegenstandslos: NKES, Schulte, I. 9, Rdnr. I.
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
cherte ausschließlich der Pflichtversicherung unterliegt und im zweiten Fall er nur der freiwilligen Versicherung angehört, für die er sich entschieden hat. Allerdings kann der Versicherte in den Zweigen Invalidität, Alter und Tod (Renten) auch dann der freiwilligen Versicherung eines Mitgliedstaats angehören, wenn er nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats pflichtversichert ist, sofern ein solches Zusammentreffen im ersten Mitgliedstaat ausdrücklich oder stillschweigend zugelassen ist (Art. 15 AbS.3 va (EWG) 1408171). Für die deutsche Rentenversicherung gilt daher das Verbot der Doppelversicherung des Art. 15 Abs.2 va (EWG) 1408171 nicht, weil die deutschen Rechtsvorschriften eine gleichzeitige Versicherung in Deutschland und in einem anderen Staat nicht ausschließen bzw. "stillschweigend" zulassen (§7 SGB VI).276 Anhang VI der va (EWG) 1408171 sieht vor, daß Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten sowie in deren Gebiet wohnende Staatenlose und Flüchtlinge freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung zahlen dürfen, wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben oder ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat haben und zuvor in der deutschen Rentenversicherung pflichtoder freiwillig versichert waren. Hat ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet eines Drittstaats, kann er freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichten, wenn er dem deutschen System für mindestens 60 Monate Beiträge entrichtet hat oder nach § 232 SGB VI zur freiwilligen Versicherung berechtigt ist und nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats nicht pflichtversichert oder freiwillig versichert ist.
3. Beitragspflichten und Leistungsberechtigung Das das Sozialversicherungsverhältnis regelnde Recht regelt auch sämtliche mit dem Sozialversicherungsverhältnis verbundenen Fragen, namentlich die Beitragspflichten und Leistungsrechte, soweit die Verordnung nicht etwas anderes bestimmt. Die Normen über das anwendbare Recht gelten für die Beitragsseite und Leistungsseite des Versicherungsverhältnisses gleichermaßen; sie betreffen also nicht nur eine Seite von ihnen. 277 Somit gibt es eine Parallel i-
276 Kinzel / Kunhardt / Lais, Verordnungen Nr. 1408171 und 574/72 aus der Sicht der Rentenversicherung, 15. Aufl., 1995, 109. 271 Im deutschen Sozialversicherungsrecht betreffen §§ 3 bis 6 SGB IV nur die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung und werfen deshalb Probleme dann auf, wenn es um die Leistungsseite geht: NKES, Steinmeyer, 1.13, Vorbemerkungen zu Titel 11, Rdnr. 3.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der va (EWG) 1408171 91
tät zwischen dem für die Beiträge und dem für den Leistungsanspruch geltenden Sozialversicherungssystem. 278
a) Beitragspflichten
aa) Das Verbot der Doppelbelastung des Einkommens Nach Art. 13 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 muß auf die Personen, die in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung fallen, ein nationales Recht, aber auch nur ein nationales Recht angewendet werden. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung den Grundsatz des Art. 13 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 bekräftigt. Er stellte fest, daß, wenn Art. 13 Abs.2 VO (EWG) 1408171 auf die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats als die auf eine Person anwendbaren Rechtsvorschriften verweist, dies zur Folge hat, daß nur die Rechtsvorschriften dieses Staats auf sie anwendbar sind. 279 Das Gebot, ein Sozialrechtsverhältnis nur nach einem mitgliedstaatlichen Recht zu beurteilen, hat für die Beitragsseite große Bedeutung. In der Rechtssache Perenboom28o war fraglich, ob jemand, der in Deutschland arbeitet und in den Niederlanden wohnt, für sein in Deutschland erzieltes und mit deutschen Beiträgen belastetes Einkommen auch Beiträge an die niederländischen Sozialversicherungsträger zahlen müsse. Der Gerichtshof hat dies verneint. Denn die Doppelbelastung von Einkommen mit Beiträgen an mehrere Mitgliedstaaten stehe im Widerspruch zu dem Gebot der ausschließlichen Anwendung eines nationalen Rechts. 281 Doppelte Sozialversicherungsbeiträge sind neben der Regelung des Artikels 14c i.V.m. Anhang VII VO (EWG) 1408171 (gleichzeitige abhängige Beschäftigung und selbständige Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten) nur nach Art. 15 VO (EWG) 1408171 möglich. Diese Vorschrift betrifft die freiwillige Versicherung bzw. die freiwillige Weiterversicherung. Bei der freiwilligen Versicherung ist die zusätzliche Beitragszahlung gestattet, weil sie vom Arbeitnehmer selbst entschieden wird. 282
EuGH, RS C-57/90 (Kommission ./. Frankreich), Slg. 1992,1-75, Rdnr. 9. EuGH, RS 302/84 (Ten Holder), Slg. 1986, 1821; EuGH, RS 60/85 (Luijten), Slg. 1986,2365. 280 EuGH, RS 102176 (Perenboom), Slg. 1977,815. 281 Ebd., Entscheidungsgründe 10/14. 282 Schlußanträge des Generalanwalts Warner in der RS Perenboom, ebd., 825f. 278
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
bb) Die Künstlersozialabgabe nach dem deutschen Künstersozialversicherungsgesetz (KSVG) Aus dem Gebot der auschließlichen Anwendung eines mitgliedstaatlichen Sozialversicherungsrechts (Art. 13 Abs. 1 va (EWG) 1408/71) folgt nicht nur, daß ein Mitgliedstaat das in einem anderen Mitgliedstaat erzielte Einkommen in concreto mit Beiträgen nicht belasten darf, sondern auch, daß ihm im allgemeinen nicht gestattet ist, beitragsrechtliche Regelungen für Personen zu treffen, die den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterliegen. Der Beschäftigungsstaat trifft auschließlich die Regelungen für die in seinem Gebiet beschäftigten Arbeitnehmer, der Tätigkeitsstaat für die in seinem Gebiet tätigen Selbständigen usw. § 25 Abs. 4 KSVG sieht vor, daß auch das Entgelt, welches an im Ausland ansässige Künstler und Publizisten von den im Kulturbereich tätigen Unternehmen und Institutionen 283 gezahlt wird, der Abgabepflicht zur deutschen Künstlersozialversicherung unterliegt. Nach § 25 Abs. 1 KSVG bezahlen Künstler und Publizisten nur den hälftigen Beitrag zur Renten- und Krankenversicherung, während die andere Hälfte durch einen Bundeszuschuß und eine Künstlersozialabgabe der im Kulturbereich tätigen Unternehmer ("Vermarkter") aufgebracht wird. Mit der Künstlersozialabgabe sollen die "professionellen Vermarkter" ähnlich wie Arbeitgeber an der Finanzierung der Sozialversicherungsbeiträge der selbständigen Kulturschaffenden beteiligt werden;284 es handelt sich um einen sozialversicherungsrechtlichen Beitrag?85
Die in einem anderen Mitgliedstaat tätigen selbständigen Künstler unterliegen allerdings nicht der Versicherungspflicht Deutschlands, da auf sie nur die Vorschriften dieses Mitgliedstaats Anwendung finden. Daher ist Deutschland, in dem die "Vermarkter" ihren Sitz haben, nicht zuständig, das diesen Künstler gezahlte Entgelt mit Abgaben für seine soziale Sicherung zu belasten. 286 Denn so würde es trotz der Regelung des Art. 13 Abs.2 Buchst. b) va (EWG) 1408/71 sozialrechtliche Regelungen für Personen treffen, die nicht seinem Recht unterworfen sind. Das BSG vertritt in ständiger Rechtsprechung eine andere Ansicht. 287 Es betont, daß in Art. 13 Abs. 2 Buchst. b) va (EWG) 1408/71 der Fall nicht ge283 s. Wolf!, Künst1ersozialversicherung und Territorialitätsprinzip, BB 1992, 998 ff. (999). 284 BT-Drucks 9/26, 17. 285 BVerfGE 75,108 = SozR 3-5425 §1 Nr. 1. 286 Eichenhofer, Bemessungsentgelt der Künstlersozialabgabe, SGb 1992, 386 ff. (387); Wolf!, BB 1992, 998 ff; ders. / Berger-Delhey, BB 1992, Anmerkung zu dem Urteil vom LSG Nordrhein-Westfalen v. 17.6.1992, L 11 Kr 38/91,1934 ff. 287 BSGE 75, 20 = SozR 3-5425 § 25 Nr. 5; 3/12 RK 54/93 = SozR 3-5425 §25 Nr. 6; 3 RK 11/94 = Breith. 1996,562.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel II der VO (EWG) 1408171 93
regelt sei, daß die Beitragspflicht eines Selbständigen wie in der Künstlersozialversicherung durch die Abgabepflicht von Unternehmen ergänzt wird, die seine Erzeugnisse verwerten. Der im Ausland ansässige Künstler unterliege weder der Versicherungspflicht nach dem KSVG, noch werde er unmittelbar von der Abgabenbelastung des inländischen Vermarkters betroffen. Die im Schrifttum geäußerte Auffassung, der sozialversicherungsrechtliche Status einer Person bleibe durch eine bloß formale Trennung der Versicherungspflicht des Künstlers und der Abgabepflicht des Vermarkters unberücksichtigt,288 akzeptiert das BSG nicht. Diese Abgabepflicht sei eigenständig begründet und vom Sozialversicherungstatus des Künstlers unabhängig. Sie sei mit den für die Beschäftigungsverhältnisse geltenden Regelungen nicht zu vergleichen. Nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. a) va (EWG) 1408171 unterliegt ein Arbeitnehmer den Vorschriften des Beschäftigungsstaats. Maßgebend - sowohl für die Versicherungspflicht als auch für den Arbeitgeberbeitrag - ist also dieser Staat. Die im Ausland ansässigen Künstler sind aber nicht in einem Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt. Die Trennung der Abgabepflicht des Vermarkters von der Versicherungspflicht des Künstlers schließe daher aus, daß Art. 13 Abs. 1 Buchst. a) va (EWG) 1408171 auf das KSVG anzuwenden sei?89 Diese Auffassung des BSG verkennt jedoch, daß es sich in diesem Fall nicht nur um die Anwendung des Art. 13 Abs. 2 Buchst. b) va (EWG) 1408171 handelt, sondern vielmehr auch um die Anwendung des Artikels 13 Abs. 1 va (EWG) 1408171 und das Gebot der ausschließlichen Anwendung eines nationalen Rechts?90 Es geht nicht darum, ob die selbständige Person tatsächlich mit Beiträgen belastet wird oder ob die Beitragspflicht des Vermarkters von der Versicherungspflicht des Künstlers vollkommen losgelöst ist. Es geht vielmehr darum, ein nationales Sozialversicherungsrecht zu bestimmen, das Rechte und Pflichte einer Person umfassend regelt. Der im Ausland ansässige Künstler trägt durch sein Werk und das dafür bezogene Entgelt nicht nur zum Sozialversicherungssystem seines Tätigkeitsstaats bei, sondern auch zu dem Sozialversicherungssystem der Künstler im Sitzstaat des Vermarkters. Zwar ist sein Beitrag nur ein mittelbarer; er wird nicht tatsächlich mit Beiträgen "belastet". Da aber das KSVG bei der Bestimmung des Bemessungsentgelts Entgeltbestandteile der Künstlersozialabgabe unterwirft, die an im Ausland ansässige Künstler gezahlt werden, profitiert schließlich auch ein anderes Sozialversicherungssystem als das des Tätigkeitsstaats. Dies widerspricht dem Gebot der Anwendung nur eines nationalen Sozialversicherungsrechts.
288 Fuchs, Anmerkung zu Urt. v. 20.7.1994 - 3/12 RK 63/92, SGb 1995,353 ff. = BSGE 75,20, SGb 1995,357 ff. 289 3 RK 11/94 = Breith. 1996,562 ff., 565f. 290 So Fuchs, SGb 1995, 357 ff., 358.
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C. Die Nonnen über das anwendbare Recht
cc) Regelung der Beitragspflicht für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Selbständige in der VO (EWG) 1408171 ( 1) Arbeitnehmer und Selbständige
Art. 14d Abs. 1 VO (EWG) 1408171 sieht vor, daß eine Person, für die die Artike114 Absätze 2 und 3, Art.14a Absätze 2, 3 und 4 oder Art. 14c Buchst. a) VO (EWG) 1408171 gelten, bei der Anwendung der nach diesen Bestimmungen bestimmten Rechtsvorschriften so behandelt wird, als ob sie ihre gesamte Berufstätigkeit oder ihre gesamten Berufstätigkeiten im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats ausgeübt hätte. Dieser Artikel betrifft also Arbeitnehmer und Selbständige, die in mehr als einem Mitgliedstaat beschäftigt bzw. tätig sind, und bekräftigt die ausschließliche Anwendung einer Rechtsordnung. Der Versicherte wird so behandelt, als ob er seine genannten Berufstätigkeiten in dem Mitgliedstaat geleistet habe, dessen Rechtsvorschriften er unterliegt. Ist diese Berufstätigkeit nach dem anwendbaren nationalen Recht versicherungspflichtig, müssen Beiträge nach den Vorschriften dieses Mitgliedstaats - ggf. begrenzt auf die Beitragsbemessungsgrenze - gezahlt werden ohne Rücksicht darauf, in welchem Mitgliedstaat Tätigkeiten ausgeübt und Einkünfte erzielt werden?91 Nach Art. 14d Abs. 2 VO (EWG) 1408171 wird eine Person, für die Artikel 14c Buchst. b) VO (EWG) 1408171 gilt, bei der Festlegung des Beitragssatzes zu Lasten der Selbständigen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie ihre Selbständigentätigkeit ausübt, so behandelt, als ob sie ihre Arbeitnehmertätigkeit im Gebiet dieses Staats ausübe. Aufgrund dieser Regelung kann sich je nach Ausgestaltung des Sozialversicherungssystems, dem die Tätigkeit zugeordnet wird, eine Beitragsennäßigung oder eine Beitragsbefreiung ergeben. Es kann sich aber auch ein voller Beitragssatz auf einer anderen Beitragsbemessungsgrundlage ergeben?92
(2) Arbeitgeber Nach Art. 91 VO (EWG) 1408171 kann ein Arbeitgeber nicht deshalb zur Zahlung höherer Beiträge herangezogen werden, weil sein Wohnsitz oder der Sitz seines Unternehmens im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaats liegt. Somit wird es dem zuständigen Mitgliedstaat nicht gestattet, beitragsrechtlich Arbeitgeber mit Wohn- oder Unternehmenssitz außerhalb seines Gebietes zu diskriminieren. Allerdings könnte die Einziehung von Bei291 Költzsch, Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, DRV 1995, 91; Wiegand, Das europäische Gemeinschaftsrecht in der Sozialversicherung, 1983, 105. 292 NKES, Steinmeyer, 1.14 d, Rdnr. 3.
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 95 tragsforderungen durch den Sitz des beitragspflichtigen Arbeitgebers in einem anderen Mitgliedstaat erschwert werden. Deshalb sieht Art. 92 va (EWG) 1408171 ein Verfahren der effektiven Durchsetzung von Beitragsforderungen gegenüber Arbeitgebern mit Sitz außerhalb des zuständigen Mitgliedstaats vor. Beiträge, die einem Träger eines Mitgliedstaats geschuldet werden, können nämlich im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats nach dem Verwaltungsverfahren und mit den Sicherungen und Vorrechten eingezogen werden, die für die Einziehung der dem entsprechenden Träger des zweiten Staats geschuldeten Beiträge gelten. Art. 109 va (EWG) 574/72 erleichtert die Beitragszahlung für die Fälle, in denen der Arbeitgeber keine Niederlassung in dem Mitgliedstaat hat, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist. Die Vorschrift sieht vor, daß der versicherungspflichtige Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber vereinbaren kann, daß er die Pflichten des Arbeitgebers zur Zahlung der Beiträge wahrnimmt. Der Arbeitgeber hat eine solche Vereinbarung dem zuständigen Träger mitzuteilen. Der hierfür nötige Vermögensausgleich ist zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vertraglich zu vereinbaren. 293 Der EuGH befand schon unter der Geltung der va (EWG) Nr. 3, daß ein Arbeitgeber, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, dessen Sozialversicherungsrecht auf den Arbeitnehmer anwendbar ist, die nach den für den Arbeitnehmer geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Beiträge zu zahlen habe. 294 Die Einziehung von Beiträgen ist allerdings nur möglich, wenn eine Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen besteht. Diese Verpflichtung muß der Arbeitgeber selbst haben und nicht eine dritte Partei. Ein niederländisches Gesetz macht das Hauptunternehmen oder den Verleiher von Arbeitskräften für die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen verantwortlich, die sein Subunternehmen zu entrichten versäumt hat. In einem Vorabentscheidungsersuchen bei dem EuGH war fraglich, ob das Hauptunternehmen mit Sitz in Belgien für die unbezahlten Beiträge seines Subunternehmens mit Sitz in den Niederlanden verantwortlich gemacht werden könne. 295 Das Subunternehmen hat Arbeitnehmer nach Belgien entsandt; nach Art. 14 va (EWG) 1408171 unterfielen sie weiterhin der niederländischen Gesetzgebung. Der Gerichtshof befand, daß, auch wenn ein gewisser Zusammenhang zwischen den sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers und der Haftung des Hauptunternehmens nach dem Gesetz der "Ketten von Verantwortlichkeiten" ("ketenaansprakelijkheid") besteht, doch festzustellen sei, daß dieser Zusam-
293 NKES, Eichenhofer, I.92, Rdnr. 5; Lefebvre, Memento Pratique: Communaute Europeenne, 1993, Rdnr. 7035. 294 EuGH, RS 8175 (Football Club d' Andlau), Slg. 1975,739. 295 EuGH, RS C-327/92 (Rheinhold & Mahla), Slg. 1995,1-1223.
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
menhang nur mittelbar besteht. Der in diesem Gesetz begründete Grundsatz der Haftung des Hauptunternehmens beruhe nicht auf dem Bestehen eines Arbeitgeber - Arbeitnehmerverhältnisses zwischen dem Hauptunternehmen und den Arbeitnehmern, für die Beiträge geschuldet werden. Vielmehr ergebe er sich aus der Tatsache, daß der Hauptunternehmer die Dienste eines Subunternehmers in Anspruch nahm, der die Beiträge nicht entrichtet hat. Der Hauptunternehmer sei nicht zur Entrichtung VOn Beiträgen verpflichtet. Der Gerichtshof hat allerdings auch gesagt, daß etwas anderes gelten könnte, wenn die Anwendung des Gesetzes an den Nachweis eines Betruges des Hauptunternehmers geknüpft wäre. Dies könnte der Fall sein, wenn bewiesen wäre, daß der Hauptunternehmer der wahre Arbeitgeber der Arbeitskräfte ist, für die Sozialversicherungsbeiträge nicht entrichtet worden sind. 296
b) Leistungsrechte
aa) Ein nationales Sozialversicherungsrecht für alle Leistungsarten Ansprüche auf Sozialversicherungsleistungen stützen sich auf ein Rechtsverhältnis zwischen einem Sozialversicherungsträger und einer Person. Durch die Bestimmung des auf das Sozialversicherungsverhältnis anwendbaren Rechts wird auch die Zuständigkeit eines nationalen Trägers für die verschiedenen Leistungen begründet. Das Gebot der ausschließlichen Anwendung eines nationalen Rechts hat in bezug auf die verschiedenen Leistungsarten zur Folge, daß der durch die Verordnung bestimmte zuständige Staat allein für sämtliche Leistungen der sozialen Sicherheit verantwortlich ist. Wird - mit anderen Worten - das anwendbare Recht nach Art. 13 Abs. 2 ff. va (EWG) 140Snl bestimmt und soll dieses Recht unter Ausschluß aller anderen Rechte gelten (Art. 13 Abs. 1 va (EWG) 140Snl), dann gilt dieses Recht einheitlich für alle Zweige der sozialen Sicherheit, die in den sachlichen Geltungsbereich (Art. 4 Abs. 1 va (EWG) 140Snl) der Verordnung fallen. Es ist z.B. ausgeschlossen, daß in einem Mitgliedstaat die Krankenversicherung und in einem anderen Mitgliedstaat die Rentenversicherung durchgeführt wird; denn dies würde zur Anwendung mehrerer nationaler Sozialversicherungsrechte führen. Auch wenn das anwendbare Recht nach Art. 17 va (EWG) 140Snl vereinbart wird, ist es nicht möglich, die Vereinbarung nur für bestimmte Zweige der sozialen Sicherheit zu treffen. 297
296 297
EuGH, ebd., Rdnr. 31. s. oben C. I. I. d).
I. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Titel 11 der VO (EWG) 1408171 97
Eine Trennung der verschiedenen Risiken, auf die sich der Schutz der Sozialversicherung bezieht, ist also nicht gestattet. In diesem Sinne hat der EuGH den Fall eines Arbeitnehmers entschieden, der sowohl in Deutschland, wo gleichzeitig sein Wohnort war, als auch in Frankreich arbeitete und einen Arbeitsunfall in letzterem Staat erlitt. Anwendbar auf ihn war das deutsche Recht, ungeachtet der Tatsache, wo das den Leistungsanspruch auslösende Ereignis eingetreten war. 298 Es wäre nicht möglich, daß die Leistung beim Arbeitsunfall von einem anderen als dem für alle anderen Leistungen zuständigen Mitgliedstaat getragen würde. Sowohl die Verordnung Nr. 3 als auch die Verordnung (EWG) 1408/71 gehen von der Einheit des anzuwendenden Rechts für alle Versicherungszweige aus. 299 Die ausschließliche Anwendung eines Rechts auf alle Leistungsarten führt auch dazu, daß etwa ein nach Deutschland entsandter Beamter eines anderen EG-Mitgliedstaats keinen Anspruch auf deutsches Kindergeld hat. Auf ihn sind nur die Vorschriften des entsendenden Mitgliedstaats anwendbar, und er hat Anspruch nur auf die in diesem Staat vorgesehenen Leistungen und nicht auf die Leistungen des Aufnahmestaats. Die Regelungen des Titels 11 der va (EWG) 1408/71 sollen also nicht lediglich eine Belastung der Arbeitnehmer mit doppelter Beitragspflicht verhindern; sie treffen auch eine eindeutige Zuordnung hinsichtlich der Leistungsberechtigung. 3OO
bb) "Zuständiger Träger" für die Leistungen im Titel III der va (EWG) 1408/71 Titel III (Art. 18 ff.) va (EWG) 1408/71 regelt die Modalitäten der Leistungsgewährung. Der in diesem Titel erwähnte "zuständige Staat" oder "zuständige Träger" ist immer im Zusammenhang mit Titel 11 (Art. 13-17 va (EWG) 1408/71) zu verstehen. Zuständig für die verschiedenen Leistungen wird also normalerweise der Versicherungsträger des Beschäftigungs- bzw. des Tätigkeitsstaats sein. So wird er für die Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft (Art. 19 ff. va (EWG) 1408/71), für die Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (Art. 52 ff. va (EWG) 1408/71), für die Arbeitsförderung (Art.67-69 va (EWG) 1408/71) sowie für die Familienleistungen (Art. 73 ff. va (EWG) 1408/71) verantwortlich sein, und zwar unabhängig davon, wo die versicherte Person und ihre Familienangehörigen wohnen.
EuGH, RS 73172 (Bentzinger), Sig. 1973, 283. s. schriftliche Erklärungen der Kommission in der Rechtssache Bentzinger, ebd.; Forde, The Applicable Social Security Law in the European Court, The lrish Jurist, 298
299
1979, 83 ff., 97f. 300
BSG, Vrt. v. 15.12.1992 - 10 RKg 18/91 = SozR 3-6050 Art. 13 Nr. 3.
7 Devetzi
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C. Die Nonnen über das anwendbare Recht
Zentraler Punkt der Vorschriften über Krankheit und Mutterschaft ist die sogenannte "Leistungs aushilfe" bei Aufenthalt des Berechtigten außerhalb des Beschäftigungs bzw. Tätigkeitsstaats (Art. 19-24 und 25 Abs. 1 und 3 va (EWG) 1408171). Die Sachleistungen (insbesondere ambulante und stationäre Behandlung) werden im Wohn- oder Aufenthaltsmitgliedstaat vom dortigen Träger zu Lasten des zuständigen Trägers (Art. 36) erbracht. Die Leistungsaushilfe ist somit zu gewähren, wenn die versicherte Person ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, als Grenzgänger in dem zuständigen Staat beschäftigt ist, als Arbeitsloser eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat sucht oder außerhalb des zuständigen Staats wegen Akuterkrankung einer Behandlung bedarf oder vom zuständigen Staat die Genehmigung erhalten hat, in einem anderen Mitgliedstaat eine Behandlung zu bekommen. Ferner exportiert in diesen Fällen der zuständige Staat die Geldleistungen an die in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden oder sich aufhaltenden Personen. Auch in den Vorschriften über Leistungen bei Arbeitsunfallen und Berufskrankheiten ist vorgesehen, daß die Sachleistungen vom Träger des Wohnbzw. Aufenthaltsorts auf Rechnung des zuständigen Staats erbracht und die Geldleistungen vom zuständigen Mitgliedstaat gezahlt bzw. exportiert werden (Art. 52-55 va (EWG) 1408171). Der Träger des Beschäftigungsstaats bezahlt darüber hinaus die Familienleistungen, auch wenn die Familienangehörigen der berechtigten Person in einem anderen Mitgliedstaat wohnen (Art. 73 und 74 va (EWG) 1408171). Wenn beide Eltern in verschiedenen Mitgliedstaaten beschäftigt sind, ist leistungszuständig der Mitgliedstaat, in dem das Kind wohnt. Falls der andere Beschäftigungsstaat eine höhere Leistung vorsieht, hat er den Unterschiedsbetrag zu zahlen (Art. 76). Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit hat ein Arbeitnehmer grundsätzlich nur in dem Staat, in dem er arbeitslos geworden ist, d.h. in seinem Beschäftigungsstaat (Art. 67 Abs. 3 va (EWG) 1408171). Unter besonderen Voraussetzungen, die in Art. 69 va (EWG) 1408171 genannt sind, kann er sich allerdings für drei Monate zur Arbeitssuche in einen anderen Mitgliedstaat begeben. Der Leistungsanspruch in dem zuständigen Staat wird dann für diesen Zeitraum aufrechterhalten. Der Träger des jeweiligen Beschäftigungsstaats hat auch die Altersrente (Art. 44 ff. va (EWG) 1408171) für diejenigen Zeiten zu gewähren, die unter Geltung seines Rechtes zurückgelegt worden sind. Hat die Person in mehreren Mitgliedstaaten gearbeitet, gibt es mehrere "zuständige Mitgliedstaaten". In diesem Fall muß der zuständige Träger jedes Mitgliedstaats, nach dessen Recht Erwerb, Aufrechterhaltung oder Wiederaufleben eines Rentenanspruchs von der Zurücklegung bestimmter Versicherungszeiten abhängig sind, auch nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegte Zeiten berücksichtigen
11. Besondere Bestimmung des anwendbaren Rechts
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(Art. 45 va (EWG) 1408171). Nach einem Verfahren der Rentenberechnung durch die verschiedenen Träger wird der Versicherte von jedem der betroffenen Mitgliedstaaten jeweils einen Teil seiner Rente bekommen. Dieser Teil wird in dem Verhältnis geleistet, das sich aus der Dauer der anspruchsbegründenden Merkmale (Beitragszeiten, Beschäftigungszeiten, Wohnzeiten) ergibt. Ein ähnliches Verfahren der Zusammenrechung der Versicherungszeiten findet auch bei der Gewährung der Leistungen bei Invalidität statt (Art. 37 ff, Art. 40 Abs. 1 va (EWG) 1408171). Etwas anderes gilt allerdings, wenn für die Person allein nationale Rechtsvorschriften "des Typs A" gegolten haben: Nach diesen Rechtsvorschriften ist nämlich die Höhe der Leistung unabhängig von der Dauer der Versicherungszeiten. In diesem Fall wird die Person alle Invaliditätsleistungen ausschließlich vom Träger desjenigen Mitgliedstaats erhalten, in dem sie zum Zeitpunkt des Eintritts der Invalidität versichert war (Art. 39 Abs. 1-2). Die Vorschriften des Titels III der va (EWG) 1408171 orientieren sich mithin an den allgemeinen in Art. 13 ff. der Verordnung enthaltenen Zuständigkeitsregeln. Die Vorschriften über die Art der Leistungsgewährung begründen mit anderen Worten keine selbständige Anspruchsgrundlage für die verschiedenen Leistungen, sondern müssen stets in Verbindung mit Titel 11 gelesen werden. 30 !
11. Besondere Bestimmung des anwendbaren Rechts Die Vorschriften des Titels III der va (EWG) 1408171 orientieren sich an Titel 11 der Verordnung. Für besondere Fälle enthält allerdings auch Titel III einige Regeln, die das auf nur einzelne Leistungsarten anwendbare Recht betreffen. Diese Regeln sind als lex specialis zu den Artikeln 13 bis 17 va (EWG) 1408171 anzusehen. Wie der Europäische Gerichtshof festgelegt hat, gelten die allgemeinen Vorschriften über das anwendbare Recht nur insoweit, als die besonderen Vorschriften, die den Titel III bilden, nicht etwas anderes bestimmen. 302 Die Normen des Titels III, die besondere Regelungen für bestimmte Leistungen vorsehen, können in zwei Kategorien aufgeteilt werden: Die erste Gruppe umfaßt die Vorschriften, die Konkretisierungen der Art. 13-17 va (EWG) 1408171 sind; die zweite umfaßt die Vorschriften, die Modijizierungen des Titels 11 hinsichtlich einer Leistungsart sind.
301 EuGH, RS 104/80 (Beeck), Slg. 1981,503, Rdnr. 7; BSG, Urt. v. 15.12.1992 - 10 RKg 18/91 = SozR 3-6050 Art. 13 Nr. 3. 302 RS 227/81 (Aubin), Slg. 1982, 1991, Rdnr. 11.
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c. Die Nonnen über das anwendbare Recht 1. Konkretisierungen des Titels 11 der VO (EWG) 1408171
Die Artikel 27 und 28 va (EWG) 1408171 bestimmen den zuständigen Mitgliedstaat für die Leistungen bei Krankheit für Rentner. Artikel 77 Abs. 2 Buchst b) und 78 Abs. 2 Buchst. b) va (EWG) 1408171 legen den zuständigen Staat für die Familienbeihilfen für Rentner sowie für die Beihilfen für Waisen bzw. für die Waisenrenten fest. Die Anwendung der Art. 27, 28 und 77 Abs.2 Buchst b) va (EWG) 1408171 setzt voraus, daß es sich um sogenannte ..Mehrfachrentner" handelt: Dies sind Personen, die gemäß Art. 37 ff., 44 ff. va (EWG) 1408171 eine Rente nach den Rechtsvorschriften zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten beziehen. Für Leistungen bei Krankheit ist in erster Linie der Wohnstaat des Rentners zuständig. Art. 27 va (EWG) 1408171 sieht vor, daß ein Rentner, der nach den Rechtsvorschriften zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten, darunter seines Wohnstaats, zum Bezug von Renten berechtigt ist, und nach den Rechtsvorschriften seines Wohnstaats Anspruch auf Leistungen bei Krankheit hat, diese Leistungen vom Träger des Wohnorts und zu dessen Lasten erhält. Der Rentner bezieht die Leistungen, als ob er nur nach dem Recht des Wohnstaats zum Bezug einer Rente berechtigt wäre. In diesem Fall wird also der ..Mehrfachrentner" wie ein ..einfacher" Rentner des Wohn staats behandelt. Die Zuständigkeit des Wohnortträgers ist alleinig und endgültig. 303 Die Bestimmung des Art. 27 va (EWG) 1408171 bewirkt, daß der Träger des Wohnstaats, der nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Gewährung einer Leistung bei Krankheit oder Mutterschaft verpflichtet ist, sich nicht ganz oder teilweise dieser Verpflichtung entziehen kann, indem er geltend macht, der Betroffene habe Anspruch auf eine Leistung nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats. 304 Wenn der Mehrfachrentner keinen Anspruch auf Leistungen bei Krankheit nach dem Recht seines Wohnstaats hat, jedoch nach den Vorschriften eines anderen der ..rentengewährenden" Mitgliedstaaten anspruchsberechtigt wäre, wenn er dort wohnte, dann ist nach Art. 28 Abs. 1 va (EWG) 1408171 dieser Mitgliedstaat zuständig für die Leistungen bei Krankheit. Die Leistungen werden wie folgt gewährt: a) Die Sachleistungen gewährt der Träger des Wohnorts auf Rechnung des zuständigen Trägers, b) die Geldleistungen werden von dem zuständigen Träger selbst gewährt. Nach Art. 28 Abs. 2 va (EWG) 1408171 wird der Träger, der die Geldleistungen gewährt und die Kosten für die Sachleistungen trägt, wie folgt bestimmt:
303 304
NKES, Schuler, I. 27, Rdnr. 3. EuGH, RS 103/75 (Aulich), Sig. 1976,697, Rdnr. 5.
11. Besondere Bestimmung des anwendbaren Rechts
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Wenn ein Anspruch nach den Rechtsvorschriften zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten besteht, ist der Träger des Mitgliedstaats zuständig, dessen Rechtsvorschriften die längste Zeit für die Rentner gegolten haben; - bei gleicher Geltungszeit ist leistungszuständig und kostentragungspflichtig der Träger des Staats, dessen Rechtsvorschriften der Rentner zuletzt unterworfen war. Art. 33 va (EWG) 1408171 trifft eine Regelung in bezug auf die Beiträge der Rentenberechtigten. Sofern Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner von der Rente einzubehalten sind, ist dies nur dem Mitgliedstaat gestattet, dessen Träger die Leistungen zu tragen hat. Für die übrigen Rententräger ist die Einbehaltung von Beiträgen unzulässig. 305 So wird in Art. 33 im Bereich der Krankenversicherungsbeiträge der in Art. 13 Abs. 1 va (EWG) 1408171 verankerte Grundsatz konkretisiert, nämlich daß die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats anwendbar sind. 306 Auch bei den Familienbeihilfen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern und bei den Beihilfen für Waisen bzw. Waisenrenten richtet sich die Leistungszuständigkeit der Mitgliedstaaten laut Art. 77 und 78 va (EWG) 1408171 in erster Linie nach dem Wohnsitz des Rentners. Für die Familienbeihilfen der Mehrfachrentner ist nach Art. 77 Abs. 2 va (EWG) 1408171 der Wohnstaat zuständig, wenn nach seinem Recht ein Anspruch auf diese Leistungen besteht; ansonsten der Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften für den Rentner am längsten gegolten haben. Besteht auch nach diesen Rechtsvorschriften kein Anspruch, ist der in der Reihenfolge der abnehmenden Dauer der Versicherungszeiten in Betracht kommende Träger leistungspflichtig. Die Verpflichtung zur Zahlung der Familienbeihilfen und der zusätzlichen Beihilfen für Waisen sowie der Waisenrenten ist in Art. 78 Abs. 2 va (EWG) 1408171 in ähnlicher Weise geregelt wie in Art. 77 va (EWG) 1408171. Im Rahmen des Art. 78 kommt es a\1erdings nicht auf den Wohnsitz des verstorbenen Arbeitnehmers oder Selbständigen, sondern auf den Wohnsitz des Waisen an. Fa\1s der Wohn staat des Waisen nicht leistungspflichtig ist, gelten die Rechtsvorschriften des Staats, die für den Verstorbenen am längsten gegolten haben, ansonsten die des in der Reihenfolge der abnehmenden Dauer der Versicherungszeiten in Betracht kommenden Staats.
305 NKES, Schuler, I. 33, Rdnr. I; EuGH, RS 275/83 (Kommission ./. Belgien), Sig. 1985,1097, Rdnr. 3. 306 EuGH, RS C-253/90 (Komission ./. Belgien), Sig. 1992, 1-531, Rdnr. 6; RS C57/90 (Kommission ./. Frankreich), Sig. 1992,1-75, Rdnr. 8.
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C. Die Nonnen über das anwendbare Recht
Gerade bei Mehrfachrentnern, die (Teil-)Renten aus mehreren Mitgliedstaaten beziehen307 , ließe sich daran denken, auch die kinderbezogenen Beihilfen für Rentner und die Waisenrenten aufzuteilen: In diesem Fall würde jeder betroffene Mitgliedstaat einen Teil der Leistung in dem Verhältnis gewähren, das sich aus der Dauer der unter seinem Recht erbrachten Versicherungszeiten ergäbe. Die VO (EWG) 1408/71 wählt aber mit Art. 77 und 78 einen anderen Weg, nämlich die Zuständigkeit eines einzigen Rentenstaats für den vollen Betrag. Der Grund ist, daß auf diese Weise der Verwaltungsaufwand gering gehalten wird. 308 Die Zuständigkeit eines einzigen Rentenstaats für die volle Leistung wurde aber von der Rechtsprechung des EuGH modifiziert: Wenn in den Fällen der Art. 77 und 78 VO (EWG) 1408/71 der Betrag der vom Wohnstaat gewährten Leistungen niedriger ist als der Betrag der von dem anderen leistungspflichtigen Staat gewährten Leistungen, so muß der letztgenannte Mitgliedstaat eine Zusatzleistung in Höhe der Differenz zwischen diesen Beträgen zahlen?09 Zwar spricht der Wortlaut dieser Artikel gegen solch eine doppelte, wie auch immer aufgeteilte Leistungszuständigkeit. 3IO Entscheidendes Argument des EuGH ist aber der Schutz wohlerworbener Rechte; ohne diesen Schutz wäre die Freizügigkeitsgarantie beeinträchtigt. Mit den Regelungen der Art. 27 ff., 77 und 78 VO (EWG) 1408/71 wird bezweckt, stets einen Träger eines Mitgliedstaats zur Leistungserbringung zu verpflichten.3J\ So kann hier von einer "Meistbegünstigung,,312 der Rentner gesprochen werden: Anwendbar ist das nationale Recht des Mitgliedstaats, der in seiner Gesetzgebung die Berechtigung des Rentners zu einer bestimmten Art von Leistung vorsieht. Die Artikel 27 ff., 77 und 78 VO (EWG) 1408/71 können als eine Konkretisierung des Titels 11 der Verordnung bezeichnet werden. Sie bringen den dem Titel 11 zugrundeliegenden Gedanken zur Geltung, daß die Rechtsvorschriften nur eines, aber auch zumindest eines Mitgliedstaats zur Anwendung kommen müssen. So wird auch in diesen Artikeln der zuständige Träger bestimmt, der
307 Bzw. beziehen würden, wenn sie noch lebten: Dies gilt für die Waisenrenten und die Beihilfen für Waisen (vgl. Art. 78 Abs. 2 Buchst. b) VO (EWG) 1408171). 308 Stahlberg, Familienleistungen und Waisenrenten, EuroAS 1997, 101 ff., 108. 309 Ständige Rechtsprechung des EuGH: RS 733179 (Laterza), Slg. 1980, 915; RS 807179 (Gravina), Slg. 1980, 2205; RS 320/82 (0' Amario), Slg. 1983, 3811, RS C251/89 (Athanasopoulos), Slg. 1991, 1-2797. s. zu dieser Rechtsprechung Schindler, Kinderzuschüsse und Waisenrenten nach der EWG-VO Nr. 1408171, Der Kompaß 1985,
63 ff.
310 Stahlberg, Familienleistungen und Waisenrenten, EuroAS 1997, 101 ff., 109. 311 NKES, [gi, I. 77, Rdnr. I. 312 NKES, Schuler, I. 26, Vorbemerkungen, Rdnr. 2.
II. Besondere Bestimmung des anwendbaren Rechts
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für sämtliche mit dem Sozialversicherungsverhältnis verbundenen Leistungen zuständig ist und die Leistungen bei Krankheit sowie die Familienbeihilfen und Waisenrenten gewährt. Bei den "Mehrfachrentnern" gibt es mehrere rentengewährende Staaten. Um Anspruchshäufungen zu vermeiden, schreiben diese Normen vor, daß nur ein Staat - in erster Linie der Wohnstaat - leistungspflichtig sein wird. Wenn aber dieser Staat diese Leistungen in seiner Gesetzgebung nicht vorsieht, dann wird einer der anderen renten gewährenden Staaten zuständig, damit es andererseits zu keinem Anspruchsmangel kommt. Der Grund liegt darin, daß der Rentner auch in diesem Mitgliedstaat wohnen könnte und somit leistungs berechtigt wäre.
2. ModulZierungen des Titels 11 der VO (EWG) 1408/71 a) Leistungenfür Grenzgänger bei Arbeitslosigkeit
aa) Lex domicilii statt lex loci laboris Die VO (EWG) 1408171 enthält besondere Bestimmungen in bezug auf die Arbeitsförderungsleistungen für die Personen, deren Wohnstaat und Beschäftigungsstaat verschieden sind. Ein solches Auseinanderfallen von Wohn- und Beschäftigungsstaat gibt es bei Grenzgängern. Nach Art. 1 Buchst. b) VO (EWG) 1408171 sind Grenzgänger die Personen, die eine Berufstätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaats ausüben und in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, in den sie in der Regel täglich, mindestens aber einmal wöchentlich zurückkehren. Diese werden als "echte" Grenzgänger bezeichnet. 313 Es gibt aber auch andere Arbeitnehmer, die - ohne Grenzgänger zu sein - in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Beschäftigungsstaat wohnen, z.B. Saisonarbeiter. Diese werden "unechte,,314 Grenzgänger genannt. Art. 71 Abs. 1 Buchst. a) ii) VO (EWG) 1408171 bestimmt, daß ein echter Grenzgänger bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften 313 So Eichenhofer, Freizügigkeit und Europäisches Arbeitsförderungsrecht, ZIAS 1991, 161 ff., 173; Wanka, Arbeitsförderung - Soziale Sicherung für Arbeitslose, in: Schulte / Zacher (Hrsg.), Wechselwirkungen zwischen dem Europäischen Sozialrecht und dem Sozialrecht der BRD, 1991, 111 ff., 127; Wamecke, Koordinierendes Arbeitsförderungsrecht und Freizügigkeit, 1995, 71. 314 Mit ihrem Beschluß Nr. 94 vom 24. Januar 1974 hat die Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer versucht, den Personenkreis der "unechten" Grenzgänger abschließend festzulegen: Dazu sollten nur noch Saisonarbeiter und ein Teil der in Art. 14 Abs. I aufgeführten Arbeitnehmer gehören. Der EuGH hat aber in der RS 76/76 (Di Paolo), Sig. 1977,315, Rndr. 14 und 15 festgestellt, daß diese Auslegung zwar eine klarstellende Funktion, nicht aber den Charakter einer abschließenden Aufzählung habe.
104
C. Die Normen über das anwendbare Recht
seines Wohn staats erhält, als ob während der letzten Beschäftigung die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats für ihn gegolten hätten; diese Leistungen gewährt der Träger des Wohnorts zu seinen Lasten. Art. 71 Abs. 1 Buchst. b) ii) VO (EWG) 1408/71 verpflichtet den Träger des Wohnorts, die Leistungen bei Vollarbeitslosigkeit auch dem unechten Grenzgänger so zu gewähren, als ob die letzte Beschäftigung des Arbeitslosen seinem Recht unterlegen hätte. Allerdings besteht bei dem unechten Grenzgänger diese Pflicht des Wohn staats nur, wenn der Arbeitslose sich der Arbeitsverwaltung dieses Staats zur Verfügung stellt. Andernfalls erhält er diese Leistungen nach den Rechtsvorschriften des letzten Beschäftigungsstaats. Anders also als für die anderen Arbeitnehmer, für die der Beschäftigungsstaat zuständig ist (Art. 69 VO (EWG) 1408/71), ist der Leistungsanspruch des arbeitslosen Grenzgängers nach den Vorschriften des Wohnstaats zu bestimmen. Art. 69 sieht zwar vor, daß ein Arbeitsloser außerhalb des Beschäftigungsstaats Arbeit suchen kann. Dies geschieht aber unter besonderen Voraussetzungen: Der Arbeitslose muß vor seiner Abreise für mindestens vier Wochen nach Beginn der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsverwaltung des Beschäftigungsstaats als Arbeitssuchender gemeldet gewesen sein; außerdem bleibt der Leistungsanspruch gegen den Träger des Beschäftigungsstaats nur für drei Monate erhalten (Art. 69 Abs. 1 Buchst. a) und c) VO (EWG) 1408/71). Mit Art. 71 VO (EWG) 1408/71 wird der besonderen Situation der Grenzgänger Rechnung getragen. Die strikte Anwendung des Art. 69 VO (EWG) 1408/71 hätte nämlich für sie zur Folge, daß sie entweder von Anfang an keine Leistungsansprüche hätten, weil sie nicht den Arbeitsbehörden des Beschäftigungsstaats für vier Wochen zur Verfügung gestanden haben, oder aber, daß sie für höchstens drei Monate die Leistungen in ihrem Wohn staat erhalten könnten. Solche Ergebnisse werden durch die Bestimmung des Wohnstaats als zuständigen Mitgliedstaat vermieden. 315 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bezweckt Art. 71 VO (EWG) 1408/71, den Grenzgängern Arbeitsförderungsleistungen zu den Bedingungen zu garantieren, die für die Suche nach einer neuen Stelle am günstigsten sind. 316 So wird für eine bestimmte Kategorie von Arbeitnehmern - die "echten" und "unechten" Grenzgänger - hinsichtlich bestimmter Leistungen, nämlich den Leistungen bei Vollarbeitslosigkeit, ein Wechsel des anwendbaren Rechts vorgesehen. An die Stelle des Rechts des Beschäftigungsstaats tritt nunmehr das Recht des Wohnstaats.
Wamecke, Koordinierendes Arbeitsförderungsrecht und Freizügigkeit, 1995,72. EuGH, RS 227/81 (Aubin), Slg. 1982,1991; RS 236/87 (Bergemann), Slg. 1988, 5125; RS C-216/89 (Reibold), Slg. 1990,1-4163. 315
316
11. Besondere Bestimmung des anwendbaren Rechts
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Da auf diese Weise der Leistungsträger des Wohn staats für die voIlarbeitslosen Grenzgänger zuständig wird, wird er auch für die anderen Modalitäten der sozialen Sicherung der vollarbeitslosen Grenzgänger zuständig. Die VO (EWG) 1408171 beinhaltet Sonderregelungen, die verhindern, daß zwar die arbeitsförderungsrechtlichen Leistungen nach dem Recht des Wohnstaats gewährt werden, sich die übrige soziale Sicherung des Arbeitslosen wegen Titel 11 der Verordnung aber nach dem Recht des Beschäftigungsstaats richtet. Diese Regelungen sind in Art. 25 Abs. 2, 39 Abs. 6, 45 Abs. 6 und 72a VO (EWG) 1408171 zu finden. Nach Art. 25 Abs. 2 VO (EWG) 1408171 ist für die voll arbeitslosen Grenzgänger auch das Krankenversicherungsrecht des Wohn staats berufen. Demnach erhalten sie Sach- und Geldleistungen nach den Rechtsvorschriften des W ohnstaats und zu Lasten dessen Träger, als ob diese Rechtsvorschriften während ihrer letzten Beschäftigung für sie gegolten hätten. Desgleichen ist nach Art. 39 Abs. 6 VO (EWG) 1408171 der Renten- oder Unfallversicherungsträger des Wohnstaats für die Gewährung von Leistungen bei Invalidität zuständig, falls ein vollarbeitsloser Grenzgänger Invalide wird und Arbeitsfärderungsleistungen nach dem Recht des Wohn staats in Anspruch nimmt. Art. 45 Abs. 6 VO (EWG) 1408171 sieht vor, daß die Zeiten der Arbeitslosigkeit von dem Träger der Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenensicherung des Staats abzugelten sind, in dem der arbeitslose Grenzgänger gemäß Art. 71 Leistungen bei Arbeitslosigkeit bezogen hat. Mit dieser durch die VO (EWG) 2195/91 317 eingefügten Vorschrift wurde das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Rebmann 318 korrigiert. Nach diesem Urteil sollte der Träger des Beschäftigungsstaats für die Abgeltung der Zeiten der Arbeitslosigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung zuständig sein, auch wenn Leistungen nach dem Recht des Wohnstaats in Anspruch genommen worden waren. Die soziale Sicherung einer Person kann allerdings nicht nach unterschiedlichen nationalen Rechten beurteilt werden. 319 Art. 45 Abs.6 VO (EWG) 1408171 bestätigt nunmehr, daß das Recht des Wohnstaats für sämtliche Aspekte des Sozialversicherungsverhältnisses des Grenzgängers anwendbar ist. Durch die VO (EWG) 2195/91 wurde ebenfalls Artikel 72a VO (EWG) 1408171 eingeführt. Danach werden Familienleistungen an die Personen, für die Art. 71 Abs. 1 Buchst. a) ii) oder Buchst. b) ii) VO (EWG) 1408171 gilt, nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaats gezahlt. 317 VO (EWG) 2195/91 v. 25.6.1991, ABI. Nr. L 206/2 v. 29.7.1991. Sie ist am Tag ihrer Veröffentlichung in Kraft getreten. 318 EuGH, RS 58/87 (Rebmann), Slg. 1988,3467. 319 Eichenhofer, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der Entwicklung des Europäischen Sozialrechts, SGb 1992, 573 ff., 575.
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C. Die Nonnen über das anwendbare Recht
Die Artikel 25 Abs. 2, 39 Abs. 6, 45 Abs. 6 und 72a VO (EWG) 1408/71 beruhen auf dem Prinzip des Gleichlaufs?20 Dies bedeutet, daß das Recht, das den Einkommensverlust bei Arbeitslosigkeit ausgleicht, auch die soziale Sicherung des Arbeitslosen zu gewährleisten hat. Da es in Art. 71 Abs. 1 Buchst. a) ii) und Buchst. b) ii) VO (EWG) 1408/71 einen Wechsel des anwendbaren Rechts gibt und der Wohnstaat zuständig wird, sind nunmehr die Grenzgänger sowohl hinsichtlich des Einkommensverlusts als auch hinsichtlich des Verlusts der einkommensbezogenen Leistungen nach dem Recht des Wohnstaats geschützt.
bb) Anwendung der lex loci laboris Art. 71 Abs. 1 Buchst. a) ii) VO (EWG) 1408/71 bestimmt, daß das Recht des Wohn staats auf den vollarbeitslosen echten Grenzgänger Anwendung findet. Dies richtet sich nach dem typischen Verhalten des echten Grenzgängers, der nach Eintritt der Arbeitslosigkeit in seinem bisherigen Wohnstaat bleibt. Verlegt man allerdings seinen Wohnsitz in den bisherigen Beschäftigungsstaat, nachdem man arbeitslos geworden ist, dann wird nach der Rechtsprechung des EuGH der Beschäftigungsstaat leistungspflichtig. 321 Es wird also von der Regel des Art. 71 Abs. 1 Buchst. a) ii) VO (EWG) 1408/71 abgewichen und zu der "Grundregel" der Anwendung der lex loci laboris zurückgekehrt. Da durch die Verlegung des Wohnsitzes in den Beschäftigungsstaat die besonderen Bindungen an den Wohnstaat aufgegeben werden, gibt es keinen Grund mehr, der eine vom Regelfall des arbeitslos gewordenen Arbeitnehmers abweichende Behandlung rechtfertigen würde. Schließlich ist es Zweck des Art.71 VO (EWG) 1408/71, Arbeitslosen den Bezug arbeitsförderungsrechtlicher Leistungen unter den für ihre berufliche Wiedereingliederung günstigsten Bedingungen322 zu ermöglichen. 323 Dieser Zweck wäre nicht mehr erreicht, wenn durch eine formale Anwendung des Art. 71 die tatsächliche Situation des Arbeitslosen nämlich keine Bindungen mehr zu dem Wohnstaat zu haben - ignoriert würde. Das Argument der Ermöglichung der beruflichen Wiedereingliederung des Arbeitslosen hat der EuGH in dem Fall eines deutschen echten Grenzgängers benutzt, der in Belgien wohnte und in Deutschland arbeitete. Wäre er gehalten, in seinem Wohnstaat eine Beschäftigung zu suchen, wäre er auf dem belgisehen Arbeitsmarkt chancenlos, weil er weder flämisch noch französisch 320 NKES, Eichenhofer, I. 25, Rdnr. 4. 321 EuGH, RS 145/84 (Cochet), Slg. 1985,801; vgl. auch EuGH, RS 128/83 (Guyot), Slg. 1984,3507. 322 EuGH, RS 227/81 (Aubin), Slg. 1982, 1991; RS 236/87 (Bergemann), Slg. 1988, 5125; RS C-216/89 (Reibold), Slg. 1990,1-4163. 323 Diese Gründe werden von Warnecke, Koordinierendes Arbeitsförderungsrecht und Freizügigkeit, 1995,80, erwähnt.
11. Besondere Bestimmung des anwendbaren Rechts
107
sprach. Der Gerichtshof hat festgestellt, daß auch ein arbeitsloser Arbeitnehmer, der zwar die Kriterien des Art. 1 Buchst. b) VO (EWG) 1408171 erfülle ("echter" Grenzgänger), aber im Mitgliedstaat seiner letzten Beschäftigung persönliche und berufliche Bindungen solcher Art habe, daß er dort die besten Aussichten auf einen neuen Arbeitsplatz habe, als "unechter" Grenzgänger zu behandeln sei?24 Dies hätte zur Folge, daß er dann Leistungen nach dem Recht seines bisherigen Beschäftigungsstaats erhalten könnte, wenn er sich der Arbeitsverwaltung dort zur Verfügung stellte. Diese vom Wortlaut des Art. 71 Abs. 1 Buchst. b) VO (EWG) 1408171 nicht gedeckte Auslegung 325 erklärt sich dadurch, daß die zwingende Bestimmung des Wohnstaats als zuständigen Staat für die "echten" Grenzgänger und ihr Ausschluß von den Möglichkeiten, die für die "unechten" Grenzgänger vorgesehen sind, nicht mehr mit dem Ziel des Art. 71 VO (EWG) 1408171 vereinbar ist, nämlich der Gewährung der Leistungen unter den für die Arbeitsuche günstigsten Voraussetzungen. Zusammenfassend wird ein Wechsel des anwendbaren Rechts in Art. 71 VO (EWG) 1408171 vorgeschrieben: Für die echten Grenzgänger zwingend, für die unechten Grenzgänger nur, wenn sie sich der Arbeitsbehörde ihres Wohnstaats zur Verfügung stellen. Nach der Rechtsprechung des EuGH soll allerdings dieser Wechsel nicht "automatisch" sein, sondern es soll überprüft werden, ob tatsächlich ein Auseinanderfallen von Wohn- und Beschäftigungsstaat nach Eintritt der Arbeitslosigkeit fortbesteht und ob der Zweck dieses Artikels - Gewährung der Arbeitsförderungsleistungen unter den für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz günstigsten Bedingungen - nicht verfälscht wird.
b) Art. JOa VO: Das anwendbare Recht für die beitragsunabhängigen Sonderleistungen
Durch die VO (EWG) 1247/92 vom 30. April 1992326 ist der ArtikellOa neu in die VO (EWG) 1408171 eingefügt worden. Durch diese Verordnung wurde auch Art. 4 Abs. 2a VO (EWG) 1408171 eingefügt. Mit Art. 4 Abs. 2a wurde der Rechtsprechung des EuGH Rechnung getragen, wonach bestimmte Leistungen sich durch einige Merkmale gleichzeitig sowohl der sozialen Sicherheit als auch der Sozialhilfe annähern. Sie sind als Leistungen der sozialen Sicher-
EuGH, RS 1/85 (Miethe), Sig. 1986,1837. s. hierzu kritisch Wanka, Arbeitsförderung - Soziale Sicherung für Arbeitslose, in: Schulte / Zacher (Hrsg.), Wechselwirkungen zwischen dem Europäischen Sozialrecht und dem Sozialrecht der BRD, 1991, 111 ff., 128; Hennig, Zur Bedeutung der Rechtsprechung für die soziale Integration in Europa, in: Buttler / Reiter / Günther / Wanka (Hrsg.), Europa und Deutschland - Zusammenwachsende Arbeitsmärkte und Sozialräume, 1993,407 ff., 413. 326 ABI. Nr. L 136/1 v. 19.5.1992. 324
325
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C. Die Nonnen über das anwendbare Recht
heit zu betrachten, wenn sie "erstens den Empfängern unabhängig von jeder auf Ennessensausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung gewährt werden und sich zweitens auf eines der in Art. 4 Abs. 1 va (EWG) 1408171 aufgezählten Risiken beziehen".327 Nunmehr fallen die beitragsunabhängigen Sonderleistungen in den sachlichen Geltungsbereich der va (EWG) 140817l. Art. lOa Abs. 1 va (EWG) 1408171 sieht folgendes vor: "Ungeachtet der Bestimmungen in Art. 10 und Titel III erhalten die Personen, für die diese Verordnung gilt, die in Art. 4 Abs. 2a aufgeführten beitragsunabhängigen Sonderleistungen in bar ausschließlich in dem Wohnmitgliedstaat gemäß dessen Rechtsvorschriften, sofern diese Leistungen in Anhang Ha aufgeführt sind. Diese Leistungen werden vom Träger des Wohnorts zu seinen Lasten gewährt." Absatz 2 bestimmt, daß der Träger des Wohnstaats die in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Beschäftigungs-, Tätigkeits- oder Wohn zeiten zu berücksichtigen hat, als wenn es sich um in dem Wohnstaat zurückgelegte Zeiten handelte. Nach Art. lOa va (EWG) 1408171 sind also die beitragsunabhängigen Sonderleistungen Personen, die in den persönlichen Geltungsbereich der va (EWG) 1408171 fallen, ausschließlich nach den Rechtsvorschriften ihres Wohnstaats zu gewähren. Dies bedeutet, daß, wenn der Berechtigte seinen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, das Recht des letzten Mitgliedstaats angesichts dieser Leistungen auf ihn anwendbar wird. Der bisherige Wohnstaat ist nicht verpflichtet, diese Leistungen zu exportieren. Es muß allerdings betont werden, daß die Bestimmung des Art. lOa va (EWG) 1408171 nur für die in Anhang Ha aufgeführten Leistungen gilt. Wenn die beitragsunabhängigen Sonderleistungen nicht in diesem Anhang erwähnt sind, dann gilt auch für sie das bestehende Koordinierungssystem. 328 Dies kann zu dem paradoxen Ergebnis führen,329 daß mit zwei Leistungen, die im wesentlichen die gleichen Merkmale haben, unterschiedlich umzugehen ist, je nachdem, ob sie in Anhang Ha aufgeführt sind oder nicht. So werden die Mitgliedstaaten, die solche Leistungen notifiziert haben, nicht verpflichtet sein, diese zu exportieren; andere Mitgliedstaaten, die diese Notifizierung nicht vorgenommen haben, müssen diese Leistungen hingegen exportieren. Der Grund für die Anwendung des Rechts des Wohn staats liegt darin, daß eine wesentliche Voraussetzung der beitragsunabhängigen Leistungen die Bedürftigkeit ist. Zwar darf diese Voraussetzung nicht in der Einzelfallbeurteilung
EuGH, RS C-66/92 (Acciardi), Slg. 1993,1-4567, Rdnr. 14. NKES, Schulte, I. lOa, Rdnr. 2. 329 So Sanchez-Rodas Navarro, Die Exportierbarkeit der spanischen beitragsunabhängigen Altersrente, ZIAS 1996, 173 ff., 179. 327 328
11. Besondere Bestimmung des anwendbaren Rechts
109
der Bedürftigkeit liegen, da sonst Leistungen der Sozialhilfe gegeben wären. Die Bedürftigkeit bleibt aber das "Besondere", das diese Leistungen von den "klassischen" Leistungen der sozialen Sicherheit unterscheidet. Das Kriterium der Bedürftigkeit läßt sich nur in einem konkreten sozialen und wirtschaftlichen Rahmen beurteilen; deshalb wurde für die Gewährung dieser Leistungen der Wohnstaat bevorzugt. 330 Da der Wohnstaat als zuständiger Staat für die beitragsunabhängigen Sonderleistungen bestimmt wird, bildet Art. lOa va (EWG) 1408171 eine besondere Bestimmung des anwendbaren Rechts in bezug auf diese Leistungen. Dies kann zu schwierigen Situationen führen. Denn bei einer Person, die in einem Mitgliedstaat arbeitet und in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, wird der Beschäftigungsstaat für alle Leistungen der sozialen Sicherheit zuständig sein. Für die Leistungen, die in Anhang Ha va (EWG) 1408171 aufgeführt sind, wird aber der Wohnstaat zuständig sein. Dies widerspricht dem Grundsatz der ausschließlichen Anwendung eines nationalen Sozialrechts für alle Leistungsarten. Durch Art. lOa va (EWG) 1408171 wird die Möglichkeit zur gleichzeitigen Anwendung zweier nationaler Sozialrechte für verschiedene Leistungsarten eröffnet. Dagegen spricht aber Art. 13 Abs. 1 va (EWG) 1408171, der bestimmt, daß vorbehaltlich des Art. 14c va (EWG) 1408171 Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen. Darüber hinaus wurde die Frage gestellt, inwieweit die Bestimmung des Art. lOa und die Nicht-Exportierbarkeit der beitragsunabhängigen Sonderleistungen mit Art. 51 EGV vereinbar ist. 331 Denn Art. 51 EGV sieht die Zahlung der Leistungen an Personen vor, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen, und verfolgt das Ziel, möglichst günstige Voraussetzungen für die Herstellung der Freizügigkeit und der Freiheit der Beschäftigung für die Arbeitnehmer der Gemeinschaft in jedem Mitgliedstaat zu schaffen. 332 Man könnte argumentieren, daß die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beeinträchtigt werden könnte, wenn sie befürchten müßten, die beitrags unabhängigen Sonderleistungen beim Wechsel ihres Wohnstaats zu verlieren. Es kann andererseits aber auch argumentiert werden, daß die Personen diese Leistungen tatsächlich nicht verlieren: Sie dürfen sie in ihrem neuen Wohnstaat beantragen, und es kann durchaus vorkommen, daß sie dort auf einem höheren Niveau Anspruch auf Leistungen haben. 333 Mit einer Entscheidung vom November 1997 hat der
330 Verschueren, Les prestations speciales a caractere non contributif et le reglement communautaire 1408171, Droit Socia11995, 921 ff., 927. 331 Kahil, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, 1996, 260f., 270; SfmchezRodas Navarro, ZIAS 1996, 173 ff., 179. 332 EuGH, RS 375/85 (Campana), Slg. 1987, 2404, Rdnr. 8; EuGH, RS 284/84 (Spruyt), Slg. 1986, 693, Rdnr. 18; EuGH, RS 43/86 (Rijke), Slg. 1987, 3625, Rdnr. 13. 333 So Verschueren, Droit Socia11995, 921 ff., 927.
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C. Die Normen über das anwendbare Recht
EuGH festgelegt, daß Art. lOa VO (EWG) 1408/71 nicht gegen Art. 51 EGV verstößt. 334 Art. lOa VO (EWG) 1408/71 ist m.E. wegen der Spaltung des auf eine Person anwendbaren Rechts problematisch. Zwar beruhen die beitragsunabhängigen Leistungen, wie der Name schon sagt, gerade nicht auf Beiträgen. So wird auch die berechtigte Person nicht gezwungen sein, doppelte Beiträge zu bezahlen: Es könnte also behauptet werden, daß der Hauptgrund der Anwendung nur eines nationalen Rechts, nämlich das Verbot der Doppelbelastung des Einkommens, nicht gegen Art. 10a VO (EWG) 1408/71 spricht. Es liegt aber auf der Hand, daß die Anwendung von zwei nationalen Rechten gleichzeitig nämlich des Rechts des Beschäftigungsstaats auf die "beitragsabhängigen Leistungen" und des Rechts des Wohnstaats auf die beitragsunabhängigen Leistungen - nicht die Rechtssicherheit fördert. Es könnte vorkommen, daß die berechtigte Person nicht weiß, an welchen Sozialleistungsträger sie sich wenden soll. Die Situation wäre dann unnötig kompliziert. Dies könnte hingegen vermieden werden, wenn der Regel der ausschließlichen Anwendung eines nationalen Rechts strikt gefolgt würde. Denn durch diese Regel wird die sozialrechtliche Position einer Person als Ganzes betrachtet und nicht in verschiedene Teile gespalten.
3. Die besandere Bestimmung des anwendbaren Rechts Zusammenfassend sind die Art. 27 und 28, 77 Abs.2 Buchst. b) und 78 Abs.2 Buchst. b), Art. 71 Abs. 1 Buchst. a) ii) und Buchst. b) ii), Art. 25 Abs. 2, 39 Abs. 6, 45 Abs. 6 und 72a sowie Art. lOa VO (EWG) 1408/71 besondere Bestimmungen des anwendbaren Rechts hinsichtlich einiger Leistungsarten. Ihre Wirkung ist allerdings unterschiedlich. Die Art. 27 und 28, 77 Abs.2 Buchst. b) und 78 Abs.2 Buchst. b) VO (EWG) 1408/71 wählen von mehreren potentiell zuständigen Mitgliedstaaten denjenigen aus, der die vorgesehenen Leistungen gewähren soll. Es wird bezweckt, stets nur einen, aber auch möglichst einen Leistungsträger eines Mitgliedstaats zur Leistungserbringung zu verpflichten. Anders als die obengenannten Artikel, die lediglich ein nationales Leistungsrecht von mehreren "wählen", sieht Art. 71 VO (EWG) 1408/71 einen Wechsel des auf einen arbeitslosen Grenzgänger anwendbaren Rechts vor. Der Arbeitslose wäre normalerweise auf das Recht seines früheren Beschäftigungsstaats angewiesen; nun aber wechselt die Verordnung das auf ihn anwendbare Recht aus sozialpolitischen Gründen und bevorzugt das lex domicilii. Da der Wohnstaat zuständig wird, bestimmt eine Reihe von Artikeln (25 Abs. 2, 39 Abs. 6,
334
EuGH, RS C-20/96 (Snares). Slg. 1997.1-6057.
III. Zukunftsperspektiven der Normen über das anwendbare Recht
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45 Abs. 6 und 72a VO (EWG) 1408/71), daß dieser Staat auch für alle anderen Modalitäten der Sozialversicherung des arbeitslosen Grenzgängers zuständig ist. Schließlich stellt Art. lOa VO (EWG) 1408/71 etwas Einmaliges in der va (EWG) 1408/71 dar,335 weil sie auf die beitragsunabhängigen Sonderleistungen das Recht des Wohnstaats für anwendbar erklärt, während für alle anderen Leistungen der Beschäftigungsstaat zuständig ist. Auf diese Weise wird eine Spaltung des Sozialversicherungsverhältnisses einer Person vorgesehen, was der Grundregel des Art. 13 Abs. 1 va (EWG) 1408/71 widerspricht, nämlich daß eine Person den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen darf.
IH. Zukunftsperspektiven der Normen über das anwendbare Recht der VO (EWG) 140Snl Die Normen über das anwendbare Recht der va (EWG) 1408/71 folgen mit wenigen Ausnahmen - dem Prinzip der lex loci laboris. Dieses Prinzip gilt durchgehend und auch für die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit, die für alle Einwohner gelten und nicht die Entrichtung von Beiträgen durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber voraussetzen. 336 Die Bevorzugung der lex loci laboris liegt nicht zuletzt daran, daß alle sechs Gründungs-Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Beschäftigung als Kriterium für die Zuordnung zu ihren System der sozialen Sicherheit bestimmten. Inzwischen gibt es aber in den meisten Mitgliedstaaten immer mehr Sozialleistungen, die losgelöst von einer Erwerbstätigkeit beansprucht werden können. Außerdem hat sich durch das Inkrafttreten des Europäischen Wirtschaftsraums die Zahl der Staaten mit einem Einwohnersicherungsystem vergrößert. Dies hat zu der Frage geführt, ob die strenge Anwendung der lex loci laboris immer noch zeitgemäß ist oder ob nicht ein Übergang auf die lex domicilii allgemein oder auf bestimmte Leistungen der sozialen Sicherheit beschränkt geeigneter wäre. 337 335 Nach Verschueren, Droit Social 1995,921 ff., 927, ist Art. lOa der Bestimmung des Art. 71 ähnlich. Durch Art. 71 wird allerdings das anwendbare Recht in bezug auf aUe Leistungen gewechselt: Nicht nur die arbeitsförderungsrechtlichen Leistungen, sondern auch die Leistungen bei Krankheit und Invalidität oder die Familienleistungen sind von dem Träger des Wohnstaats zu gewähren. Art. lOa hat aber eine völlig unterschiedliche Wirkung, daß nämlich nur eine Leistungsart von einem anderen als dem zuständigen Träger zu gewähren ist. Deswegen ist Art. 1Da nicht direkt mit Art. 71 gleichzusetzen. 336 Langer, Zukunftsperspektiven des Europäischen Sozialrechts - Koordinierendes Sozialrecht und Gleichbehandlung von Männern und Frauen, in: v. Maydell / Schulte (Hrsg.), Zukunfts perspektiven des Europäischen Sozialrechts, 1995, 25 ff., 32. 337 Ebd., 32; Altmaier, Europäisches Koordinierendes Sozialrecht - Ende des Territorialitätsprinzips?, in: Eichenhofer / Zuleeg (Hrsg.), Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeits- und Sozialrecht im Streit, 1995, 71 ff., 77; Sasklin,
112
C. Die Nonnen über das anwendbare Recht
Die ausschließliche Anwendung der lex domicilii auf alle Leistungen scheint noch unwahrscheinlich. Zwar hätte sie den Vorteil, daß der Export von Leistungen durch den Beschäftigungsstaat überflüssig würde und dadurch bestimmte administrative Verfahren viel einfacher wären. Allerdings verlangt die Anwendung des Rechts des Wohn staats ein hohes Maß an Homogenität zwischen den einzelnen Sozialversicherungssystemen und den verschiedenen Leistungen, sollte es nicht zu einem Verlust erworbener Rechte kommen. 338 Pieters hat deswegen vorgeschlagen,339 ein doppeltes Kriterium für die Bestimmung des anwendbaren Rechts zu benutzen: Für die Einkommensersatzleistungen 340 sollte der Beschäftigungsstaat und für die Kostenausgleichsleistungen341 der Wohnstaat zuständig sein. Die Einkommensersatzleistungen sind mit der Beschäftigung verbunden; dies ist aber nicht der Fall bei den Kostenausgleichsleistungen. Letztere werden in vielen Mitgliedstaaten aufgrund des Wohnsitzes gewährt und sind nicht von einer Beschäftigung abhängig. Deswegen sollte auf diese Leistungen das Recht des Wohnstaats anwendbar sein.
Dieser Vorschlag würde jedoch die Anwendung der VO (EWG) 1408171 viel komplizierter machen; man müßte für jede Leistungsart zuerst feststellen, ob es sich um eine Einkommensersatz- oder Kostenausgleichsleistung handelt, um dann den zuständigen Staat bestimmen zu können; darüber hinaus würde das auf eine Person anwendbare Recht in hohem Maß gespalten. Es ist also kaum möglich, daß in der absehbaren Zukunft ein Wechsel von der lex loci laboris zu der lex dornicilii stattfindet.
Can the principles of the Nordic Convention on Social Protection Contribute to the Modemisation and the Simplification of Regulation 1408/71?, Papier präsentiert in der Dritten Europäischen Konferenz über soziale Sicherheit, Schweden, Juni 1996. 338 v. Raepenbusch, Persons covered by Regulation (EEC) No. 1408/71 and European Citizenship: From Migrant Worker to European citizen, Papier präsentiert in der Dritten Europäischen Konferenz über soziale Sicherheit, Schweden, Juni 1996; Langer, Zukunftsperspektiven des Europäischen Sozialrechts - Koordinierendes Sozialrecht und Gleichbehandlung von Männem und Frauen, in: v. Maydell / Schulte (Hrsg.), Zukunftsperspektiven des Europäischen Sozialrechts, 1995, 25 ff., 33. 339 Pieters, Towards a radical simplification of the Social Security Co-ordination, in: Schoukens (Hrsg.), Prospects of Social Security Co-ordination, 1997, 177 ff., 188 ff. 340 Diese sind Leistungen, die vollständigen oder partiellen Ersatz für den Verlust des Einkommens gewährleisten: z.B. Leistungen bei Invalidität, Arbeitsförderungsleistungen, Altersrenten. 341 Diese sind Leistungen, die bestimmte Kosten ausgleichen sollen, vor allem Familienleistungen und Leistungen bei Krankheit.
D. Systematische Einordnung I. Grund für die Existenz von Normen über das anwendbare Recht 1. Die nationalen Normen a) Der personelle Wirkungskreis des nationalen Rechts
Jeder Staat mit einem System der sozialen Sicherheit grenzt den personellen Wirkungskreis dieses Systems ab. 342 Die sozialpolitische Verantwortung eines Staats erstreckt sich nicht universal auf alle Personen und Lebenssachverhalte der Welt, sondern beschränkt sich auf die Gesellschaft, zur Verwirklichung deren sozialer Sicherheit dieser Staat befugt und berufen ist. Es ist das Begehren nach sozialer Gerechtigkeit bzw. sozialem Frieden in einer bestimmten Gesellschaft, das jeden Staat zur Sozialpolitik veranlaßt hat und nach wie vor veranlaßt. Neben der gesellschaftlichen Zugehörigkeit steht das sachliche Postulat der Zurechenbarkeit spezieller Risiken und sozialer Zustände. Darüber hinaus kann die sozialpolitische Verantwortlichkeit verschiedene Formen annehmen: Je nach dem besonderen Zweck und der Art einer Sozialleistung, kann sich der Schutz des Staats nur auf bestimmte Kategorien von Personen, insbesondere einzelne Berufsgruppen oder auch auf alle in dem betreffenden Land Lebenden erstrecken. 343 Da ein nationaler Gesetzgeber nicht für den sozialen Schutz aller Personen der Welt zuständig sein kann, stellt er ausdrücklich oder stillschweigend fest, welche Personen unter sein System der sozialen Sicherheit fallen. Dies geschieht durch Normen, in welchen er bestimmt, für welche Sachverhalte sein Sozialrecht gilt. Ein Staat kann mittels verschiedener Kriterien den von seinem System erfaßten Personenkreis bestimmen. Diese Kriterien können für das gesamte nationale Sozialrecht gelten oder - was häufiger der Fall ist - sich nach bestimmten Zweigen der sozialen Sicherheit richten. Die häufigsten Kriterien sind die Be-
342 Comelissen, Communautaire en Nederlandse jurisprudentie inzake de conflictregels in het Europees en internationaal sociaal zekerheidsrecht, S.E.W. 1986,799. 343 SchuLeT, Das ISR der BRD, 1988, 210f.
8 Devetzi
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D. Systematische Einordnung
schäftigung oder der Wohnsitz in dem betreffenden Staat. 344 So kann der Staat A seine Leistungen nur Personen gewähren, die während eines Zeitraums eine Erwerbstätigkeit ausgeübt oder Beiträge gezahlt haben; der Staat B kann andererseits seinen Schutz denjenigen Personen einräumen, die in seinem Staatsgebiet wohnen.
b) Europa: Ein Raum - zwei sozialrechtliche Grundansätze Innerhalb Europas sind die Systeme der einzelnen Mitgliedstaaten von zwei unterschiedlichen Grundansätze geprägt. Die meisten Staaten sehen entweder den Beschäftigungsort oder den Wohnort als entscheidendes Kriterium, sich für Individuen zuständig zu erklären. Die Bevorzugung der Beschäftigung oder des Wohnsitzes als Kriterium für die nationale Verantwortlichkeit hängt sehr eng mit dem Typus des jeweiligen Systems der sozialen Sicherheit zusammen. In Europa lassen sich zwei grundlegende Konzeptionen für die Ausgestaltung des Sozialstaats unterscheiden: Das universalistische System der sozialen Sicherheit einerseits und das Sozialversicherungssystem andererseits. 345 - Die Systeme der universellen "sozialen Sicherheit" gewähren im Idealfall unabhängig vom Erwerbs- und berufsgruppenspezifischen Status ökonomische und soziale Sicherheit. 346 Diese Systeme sind vor allem in Dänemark, Finnland, Schweden sowie partiell in Großbritannien, Irland und den Niederlanden zu finden. Der Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in diese Systeme entspricht meistens der Finanzierung eines großen Teils der Sozialausgaben aus dem Steueraufkommen. Neben dem Einkommentransfer (bei den Renten) spielen die staatlich organisierten Sozialdienstleistungen (vor allem in Form eines staatlichen Gesundheitsdienstes wie in Großbritannien) eine wichtige Rolle. 347
344 Manchmal kann das entscheidende Kriterium die Nationalität der betroffenen Person sein, wie es z.B. der Fall in der Schweiz ist: s. Comelissen, The Principle of Territoriality, CMLRev 1996,439 ff., 440. 345 Schmidt, Sozialpolitik, 1988, 158 ff.; Schulte, Europäisches Sozialrecht als Gegenstand rechtswissenschaftlicher Forschung, in: v. Maydell / Schulte, Zukunftsperspektiven des Europäischen Sozialrechts, 1995, 46 ff., 49; Dumont, Les systemes etrangers de securite sociale, 1988, 13ff. und 175 ff; ders., Les systemes de protection sociale en Europe, 1993, 4; Roepbroek, Social Policy Diversities in Europe, in: Pieters (Hrsg.), Social Security in Europe, 1991,61 ff., 63. 346 Schmidt, Sozialpolitik, 1988, 158. Dort werden diese Systeme "Systeme der Staatsbürgerversorgung" genannt; so auch Schulte, ebd. Hier wird auf diesen Terminus verzichtet, weil er irreführend sein könnte: Unter "Staatsbürgerversorgung" kann verstanden werden, daß die Versorgung nur auf die Staatsbürger=Staatsangehörige eingerichten ist, was nicht immer der Fall ist (in den Niederlande z.B. wird nicht wegen der Staatsangehörigkeit differenziert). s. auch Eichenhofer, ISR 1994, Rdnr. 34, der zwischen "Sozial-" und "Einwohnerversicherung" unterscheidet. 347 Schmidt, Sozialpolitik, 1988, 159.
I. Grund für die Existenz von Normen über das anwendbare Recht
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Ein Beispiel könnte hier das Alterssicherungssystem Dänemarks sein. 348 Dort sind alle Einwohner gesichert. Für jedes Jahr, das sie in dem entsprechenden Staat gelebt haben, bauen sie Anwartschaften in der Altersversorgung auf, so daß sie im Alter zumindest eine Mindestrente bekommen können. 349 - Bei den "Sozialversicherungssystemen" handelt es sich um einen "Erwerbspersonen-Sozialstaat", in dem die Leistungen sich in erster Linie nach den Beiträgen der Versicherten bemessen. Es gibt keine Einheitsversicherung, sondern nach Risiko (z.B. Krankheit, Invalidität, Alter, Unfall) und Berufsgruppe differenzierte Versicherungen. 35o Die Zugehörigkeit der Person zu dem nationalen Sozialversicherungssystem richtet sich also im letztgenannten Fall nach seiner Berufs- und Erwerbstätigkeit. Solche Systeme sind für Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg und Österreich kennzeichnend. Anders als im obengenannten Beispiel Dänemarks, muß in diesen Staaten eine Person eine vollständige Erwerbstätigkeitslaufbahn aufzeigen, um im Alter eine ausreichende Rente beziehen zu können. 351 Des weiteren können auch Mischtypen dieser bei den Systeme je nach verschiedenen Zweigen der sozialen Sicherheit gleichzeitig in einem Staat existieren. Die Familienleistungen Z.B. werden in vielen Staaten in ein allgemeines, steuerfinanziertes System einbezogen, unabhängig von der Berufsgruppenzugehörigkeit. 352 Darüber hinaus findet man in den Staaten Südeuropas (Italien, Spanien, Portugal und Griechenland) Mischtypen mit teils beitragsbezogenen Sozialleistungen, teils einer allgemeinen Einwohnerversorgung, vor allem im Gesundheitswesen. 353
c) Grundfür die unterschiedlichen Tendenzen
Die Dominanz der zwei unterschiedlichen Grundkonzeptionen hängt sehr eng mit der Entwicklung und dem historischen Hintergrund der nationalen So348 Langer-Stein, EG-Koordination als Antwort auf Hemmnisse in der soz. Sicherheit bei Migration, in: IVSS: Migration: Eine weltweite Herausforderung für die soziale Sicherheit, 1994,37 ff., 39. 349 Hinzu kommt noch eine zweite Säule, die auf dem Erwerbsleben aufbaut. Vgl. für Schweden Westerhäll, Universal or Occupation-based social securrity schemes - the Swedish Social Security scheme in an EEA perspective, in: EISS Yearbook 1994, 55 ff. 350 Schmidt, Sozialpolitik, 1988,159. 351 Langer-Stein, EG-Koordination als Antwort auf Hemmnisse, 1994, 37 ff. 352 s. Missoe, Soziale Sicherheit in den Mitgliedstaaten der EU, Stand 1994, 1995; Pieters, Introduction to the Basic Principles of Socia! Security, 1993,77. 353 Missoe, ebd.; Kommission, Soziale Sicherheit in Europa, KOM (95) 457 endg. v.
31.10.1995.
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D. Systematische Einordnung
zialstaaten zusammen. In Deutschland wurde bereits während der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts eine Sozialversicherung (Kranken-, Unfall-, Alters-, und Invaliditätsversicherung) für die Arbeiter geschaffen. Das System beschränkte sich auf die Arbeiter wegen des "bonapartistischen" Anliegens Bismarks, die Arbeiterschaft für den monarchischen Staat zu gewinnen; die Pazifizierung der Arbeiter und die Erhaltung und Festigung des politischen und sozialen Status quo war also der Grund dieser "Reform von oben".354 Einige Staaten sind dem Beispiel Deutschlands zum Teil gefolgt. 355 Andere Staaten haben versucht, ihre eigene Antwort auf die soziale Frage zu geben: Dänemark und Norwegen führten in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts eine Volksversicherung ein, die allen Einwohnern zugute kam und aus Steuermitteln finanziert wurde?56 Es waren die skandinavischen Staaten, insbesondere Schweden, die ungefähr ein halbes Jahrhundert später das "Beveridge-Modell" - Beveridge schlug Anfang der 1940er Jahre die Schaffung eines Sozialleistungssystems vor, in dem alle Personen gegen die sozialen Risiken gesichert werden - angewendet haben, um ihre Systeme auszubauen; und zwar nicht als Nachahmung des englischen Modells, sondern als Weiterentwicklung der eigenen, bereits existierenden Programme sozialer Sicherheit. 357 In Großbritannien 358 wurde der Beveridge-Plan (mit einigen Änderungen) von den Labour-Regierungen nach 1945 durchgeführt. Er faßte die gesamte Bevölkerung in der Sozialversicherung in einer sich auf die solidarische Tragung von Risiken gründende Gemeinschaft zusammen. Der Beveridge-Plan ist vielfach als das Grunddokument des modernen Wohlfahrtsstaats überhaupt angesehen worden. 359 Doch nach 1951, als die Konservativen die Macht wiedererlangt hatten, verlor Großbritannien seinen Glanz als Reform-Staat?60 und es waren die nordischen Staaten, die das Modell der sozialen Sicherheit für die ganze Bevölkerung und der "Volkspensionen" weiter354 Ritter, Sozialstaat, 2. Aufl. 1991, 64 ff.; Stolleis, Die Sozialversicherung Bismarcks - politisch-institutionelle Bedingungen ihrer Entstehung, in: Zacher (Hrsg.) Bedingungen für die Entstehung und Entwicklung von Sozialversicherung, 1979, 387 ff.; Wendt, "Sozialstaat" und "Welfare State" - Unterschiedliche Traditionen im Vergleich, in: Lottes (Hrsg.), Soziale Sicherheit in Europa, 1993,29 ff., 32. 355 Zacher / Köhler, Die Sozialversicherung im Europa der Iahrhundertwende, SGb 1981,420 ff. 356 Eichenhofer, Sozialrecht, 2. Aufl. 1997, Rdnr. 37. 357 Ritter, Sozialstaat, 2. Aufl. 1991, 151. 358 In Großbritanien war schon vor dem Ersten Weltkrieg vom deutschen Versicherungssystem abgewichen: es gab eine staatliche Altersversorgung, in der völlig auf Beitragsleistungen verzichtet wurde: Ritter, Sozialstaat, 2. Aufl. 1991,90. 359 Ritter, Sozialstaat, 2. Aufl. 1991, 148f. 360 Heute sind die nordischen Modelen der sozialen Sicherheit von dem britischen System zu unterscheiden: s. dazu Kommission, Soziale Sicherheit in Europa, KOM (95) 457 endg. v. 31.1 O. 1995; Bergmann / Cantillon / Marx, Tbe Future of Sodal Security, in: Berghman / Cantillon (Hrsg.), Tbe European Face of Sodal Security, 1993,369 ff.,
385 ff.
I. Grund für die Existenz von Normen über das anwendbare Recht
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entwickelt haben?61 In Frankreich und in Nachkriegsdeutschland scheiterte dagegen die Einführung des Beveridge-Modells, zumal die kontinentalen politischen Ambitionen nach Änderungen viel radikaler als die britischen oder die nordischen waren. 362 In den späteren Jahren fand die nordische Tendenz zum Universalismus auf dem Kontinent ihren Ausdruck in der immer weiteren Ausdehnung berufsbezogener Systeme, die sich schließlich stärker miteinander vereinigten. In den Staaten Kontinental-Europas wird versucht, möglichst alle Gruppen der Gesellschaft von der sozialen Sicherheit zu erfassen. Auf der anderen Seite wurden viele Volks versorgungs systeme durch individualisierte Versicherungssysteme ergänzt. Eine Bevorzugung des einen oder anderen Kriteriums (Beschäftigung oder Wohnsitz) durch einzelne Staaten ist aber immer noch deutlich zu erkennen?63
d) Probleme, die sich aus dem unterschiedlichen Anwendungsbereich der nationalen Gesetzgebungen ergeben Die einzelnen Staaten sind, je nach den typischen Merkmalen ihrer sozialen Gesetzgebung, für unterschiedliche Kategorien von Personen zuständig. Durch die Bestimmung der Personen, für welche das nationale Recht gilt (also Einwohner oder Berufstätige), wird geklärt, ob jemand in das nationale System fällt, d.h. in diesem Staat pflichtversichert ist bzw. sich freiwillig versichern kann. Nun ist die Frage, ob eine Person einem System der sozialen Sicherheit zugehört, bei der Grenzüberschreitung von besonderer Bedeutung. Wenn zwei Staaten das gleiche Kriterium benutzen, um sich für zuständig zu erklären, ist 361 s. dazu Esping-Andersen, The three worlds of welfare capitalism, 1990: Großbritannien sei seit den 80er Jahren das Prototyp des ..liberalen Wohlfahrtsstaates", der sich durch bedarfsgeprüfte Fürsorgeleistungen, bescheidene universelle Transferleistungen sowie - dem Leistungsniveau nach relativ niedrige - beitragsfinanzierte Sozialversicherungsleistungen auszeichnet; die Leistungen sind in erster Linie an die gering verdienende Erwerbsbevölkerung addressiert. Die nordischen Staaten lassen sich dagegen dem ..sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat" zuordnen, der dem Gedanken der Gleichbehandlung aller Bürger in sozialer Hinsicht verpflichtet ist; somit wird die wohlfahrtstaatliche Solidarität tendenziell auf die gesamte Bevölkerung erstreckt. Dieser Wohlfahrtsstaatstypus zeichnet sich durch ein hohes Leistungsniveau aus. 362 Baldwin, Cl ass Interests and the Post-war Welfare State in Europe: A Historical Perspective, ISSR 1990,255 ff., 258. In Deutschland hat die Rentenreform von 1957 in entscheidenden Grundsätzen Gegenpositionen zum britischen Modell bezogen: Ritter, Sozialstaat, 1991, 159. 363 Der Unterschied fällt immer besonders auf, wenn man den persönlichen Anwendungsbereich der verschiedenen Zweige der sozialen Sicherheit in der tabellarischen Darstellung der Missoe, Soziale Sicherheit in den Mitgliedstaaten der EU, vergleicht.
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D. Systematische Einordnung
die Situation grundsätzlich364 konfliktfrei. Beispiel: Der Arbeitnehmer X arbeitet in Frankreich und wohnt in Belgien. Beide Staaten bestimmen, daß dasjenige Sozialversicherungssystem für einen Arbeitnehmer gelten soll, in dessen Staat er arbeitet. Im gegebenen Beispiel wird dann der zuständige Staat Frankreich sein. Internationalrechtliche Probleme ergeben sich, wenn zwei Staaten verschiedene Kriterien benutzen: Wenn namentlich das System der Alterssicherung eines Staats für die in diesem Staat beschäftigten Personen gilt und das System des anderen Staats für die in diesem Staat wohnenden Personen gilt, können sich Schwierigkeiten ergeben. Denn eine Person, die z.B. in Belgien arbeitet und in den Niederlanden wohnt, wird in bei den Staaten versichert sein (im System für Arbeitnehmer in Belgien und - zumindest - in der allgemeinen Altersversorgung in den Niederlanden). Im umgekehrten Fall (Wohnen in Belgien, Arbeiten in den Niederlanden) wird sie in keinem Staat versichert sein oder zumindest keine ausreichende Altersversorgung aufbauen können. Im ersten Fall handelt es sich um einen positiven, im zweiten Fall um einen negativen Gesetzeskonflikt. Darüber hinaus kann es bei bestimmten Kategorien von Personen, die international mobil sind (wie Beschäftigte in Transportunternehmen), viel komplizierter sein, das auf sie anwendbare Sozialrecht zu bestimmen, weil sich ihr Beschäftigungsort nicht eindeutig bestimmen läßt.
2. Die Normen über das anwendbare Recht im Abkommensrecht und in der VO (EWG) 1408/71
Wegen der Existenz verschiedener nationaler Sozialrechten und der Tatsache, daß einige Personen Beziehungen zu mehr als einem nationalen Recht aufweisen, wurde beim Abschluß von bi- und multilateralen Verträgen zwischen Staaten der Bestimmung des anwendbaren Rechts besondere Beachtung geschenkt, um sowohl positive als auch negative Gesetzeskonflikte zu vermeiden. Schon bei dem ersten zwischenstaatlichen Abkommen wurden Regelungen über das anwendbare Recht getroffen: Dies war das Abkommen zwischen Frankreich und Italien, das 1904 abgeschlossen wurde. 365 Es betraf das Unfallversicherungsrecht und bestimmte unter anderem, daß das auf die Unfallversicherung anzuwendende nationale Recht das Recht des Beschäftigungsstaats sei.
364 Es könnte allerdings vorkommen, daß zwei Staaten das gleiche Kriterium (z.B. Wohnort) unterschiedlich definieren. 365 IW, Social Security for Migrant Workers, 1977,8; Watson, Social Security Law of the European Communities, 1980, 8f.
I. Grund für die Existenz von Normen über das anwendbare Recht
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Das belgisch-Iuxemburgische Abkommen vom 15. April 1905 enthielt neben dem Beschäftigungslandprinzip Bestimmungen über das auf entsandte Arbeiter anzuwendende Recht, und das Zusatzabkommen vom 22. Mai 1906 erweiterte diese Bestimmungen auf Personen, die in Transportunternehmen beschäftigt waren. 366 Die ersten Abkommen im Bereich der sozialen Sicherheit waren entweder Arbeitsabkommen mit einigen Vorschriften über die soziale Sicherheit oder (meistens) Unfallversicherungsabkommen. Ausführlichere Sozialversicherungsabkommen traten ab 1925 auf. Sehr detaillierte Abkommen wurden 1932 zwischen Frankreich und Italien und zwischen Frankreich und Spanien abgeschlossen. Sie enthielten insbesondere Bestimmungen über das anwendbare Recht mit speziellen Vorschriften für die Entsendung, die Transportunternehmen und das diplomatische Personal. 367 Nach dem Zweiten Weltkrieg fand eine intensive Weiterentwicklung statt, die zahlreiche bilaterale aber auch multilaterale368 Verträge mit sich brachte. 369 1919 wurde die Internationale Arbeitsorganisation (lAO) gegründet. Durch die in ihrem Rahmen getroffenen Übereinkommen und Empfehlungen wurden zentrale Anliegen des internationalen Sozialrechts gefestigt. Das erste Übereinkommen über die Koordination,37o nämlich die Verflechtung der verschiedenen nationalen Sozialrechte, wurde 1935 von der IAO geschaffen (Übereinkommen Nr. 48).37\ Neben der Sicherstellung von Anwartschaften wurden auch einheitliche Kriterien für die Bestimmung des anwendbaren nationalen Rechts festgestellt, um positive sowie negative Gesetzeskonflikte auszuschließen. 372
Perrin, Die Ursprünge des internationalen Rechts der sozialen Sicherheit, 1983, 29. [LO, Social Security for Migrant Workers, 1977,9. 368 Die erste solchen multilateralen Verträge waren das am 27.8.1949 zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden abgeschlossene Abkommen und das "Übereinkommen zur Erweiterung und koordinierten Anwendung der Gesetzgebungen über soziale Sicherheit auf die Staatsangehörigen der vertrags schließenden Teile des Vertrags von Brüssel", das am 7.11.1949 zwischen Belgien, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden und Großbritannien abgeschlossen worden ist. 369 Wickenhagen, Internationales Sozialversicherungsrecht, 2. Aufl. 1982, 50. 370 Zuvor (1925) hatte die IAO das Übereinkommen Nr. 19 verabschiedet, das vorsah, daß die Staaten bei der Entschädigung von Opfern von Arbeitsunfällen gleiche Leistungen für die Gesicherten vorzusehen hätten, unabhängig von deren Staatsangehörigkeit und deren Wohnort. Die Koordination=Verflechtung verschiedener nationalen Sozialrechte, die nicht nur die Diskriminierung von ausländischen Arbeitnehmer untersagte, sondern darüber hinaus die Bildung internationaler Versicherungsverläufe vorsah, kommt aber erstmals in das Übereinkommen Nr. 48 vor. 371 Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 64. 372 Dieses Übereinkommen hat praktisch eine begrenzte Bedeutung, da es von sehr wenigen Staaten ratifiziert wurde; immerhin ist es aber das erste Beispiel der internationalen Koordination. 366 367
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D. Systematische Einordnung
In den Jahren vor dem Vertrag von Rom enthielten auch die 1953 von den Mitgliedstaaten des Europarats unterzeichneten Vorläufigen Vereinbarungen über die soziale Sicherheit einheitliche Kriterien für das anwendbare Recht. 373 Mit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft trat die va (EWG) Nr. 3 in Kraft. Sie trat an die Stelle der zwischen den Mitgliedstaaten zuvor begründeten bi- und multilateralen Abkommen über die soziale Sicherheit. Sowohl sie als auch die va (EWG) 1408171, die ihr folgte, enthielten in Titel 11 einheitliche Regeln für die Bestimmung der nationalen Vorschriften, die auf eine Person Anwendung finden sollen. Die Regeln über das anzuwendende Recht in der va (EWG) 1408171 entsprechen der Struktur, die auch in den verschiedenen zwischenstaatlichen Abkommen zu finden ist. Die Bestimmungen in den Abkommen sind nämlich meistens nach dem folgenden Schema geordnet: 374 - Grundregel: Bestimmung des anwendbaren Rechts für Personen, die in einem Staat beschäftigt bzw. tätig sind - Entsenderegel, Ausnahmeregelungen für erwerbstätige Personen in Grenzbetrieben, bei Luftfahrt-, Transport- und anderen grenzüberschreitenden Unternehmen - Beschäftigung bei einer amtlichen Vertretung eines anderen Vertragsstaats - Möglichkeit der Ausnahmevereinbarung. Der Titel 11 der va (EWG) 1408171 ist somit einem gewissen "Modell" für die Schaffung der Normen über das anwendbare Recht gefolgt. Dieses "Modell" hat er auch weitergeführt in dem Sinne, daß sehr detaillierte Regelungen über die verschiedenen Fälle getroffen wurden. Während aber die zwischenstaatlichen Abkommen ihre Wirksamkeit durch "Transformation" - Überführung in das Recht eines Staats durch die nationalen Rechtssetzungsorgane - entfalten, ist eine Verordnung des Europäischen Gemeinschaftsrechts in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (Art. 189 EGV). Mit ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt entstehen also automatisch ihre Rechtswirkungen. 375
313 European Interim Agreement on Social Security schemes relating to old age, invalidity and survivors, Council of Europe No.l2; European Interim Agreement on Social Security other than schemes for old age, invalidity and survivors, Council of Europe No. 13: s. für die englische Fassung Pieters, Europees en internationaal sociale zekerheidsrecht, 1987, 106 ff. 374 Frank, Allgemeine Regeln des internationalen Sozialrechts - zwischenstaatliche Regelungen, in: v. Maydell / Ruland, SRH, 2. Aufl. 1996, Rdnr. 52. 375 Oppermann, Europarecht, 1991, Rdnr. 447 ff.
11. Der Rechtscharakter der Nonnen über das anwendbare Recht
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11. Der Rechtscharakter der Normen über das anwendbare Recht 1. Die Begriffiichkeit des Internationalen Privatrechts Wegen der Existenz von verschiedenen nationalen Sozialrechten und der daraus erwachsenden Möglichkeit, daß einzelne Beziehungen zu mehreren Rechtsordnungen eintreten können, stellt sich die Frage nach dem anwendbaren Recht. Diese Frage stellt sich nicht nur im Sozialrecht. Im Privatrecht befaßt man sich bereits seit Jahrhunderten mit der Frage, wie das auf einen Sachverhalt anwendbare Recht herauszufinden sei. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts wird auch hier aus zwei Gründen benötigt: Erstens gibt es verschiedene Privatrechtsordnungen auf dieser Welt; zweitens gibt es Sachverhalte, die Beziehungen zu mehr als einer Rechtsordnung aufweisen. Die Antwort auf die Frage unter welche der vielen Privatrechtsordnungen der zu entscheidende Sachverhalt zu subsumieren ist, ist die Aufgabe des Internationalen Privatrechts.
a) Denkweisen des Internationalen Privatrechts
Die Pluralität von Staaten führt zur Pluralität nationaler Rechte. Aus dieser Pluralität entstehen Probleme, falls ein Sachverhalt nicht eindeutig einer nationalen Rechtsordnung zuzuordnen ist. Die Frage, welche Rechtsordnung einen bestimmten Sachverhalt zu regeln hat, läßt sich auf zwei Weisen formulieren: 376 Man kann von einem Rechtssatz einer gegebenen nationalen Rechtsordnung ausgehen und fragen, ob er auf den Sachverhalt angewendet werden "will". Oder man kann von dem Sachverhalt ausgehen und fragen, in welcher Rechtsordnung er seinen Schwerpunkt hat. Die erste Möglichkeit der Frage-Formulierung ist in der sog. "Statutentheorie" zu finden. "Statuta" hießen die Stadtrechte in Italien im Mittelalter. Um das Problem des anwendbaren Rechts zu lösen, versuchte Bartolus de Saxoferrato von diesen Rechtssätzen her ihren Anwendungsbereich zu erschließen, indem er fragte, ob sich ein Statut auch auf Fremde erstrecke und ob ein Statut Wirkungen auch außerhalb des Territoriums des Gesetzgebers haben könne. 377 Dieser Ansatz, also der Versuch, über die "Statuta" ihren räumlichen Anwendungsbereich herauszufinden, herrschte in der Praxis und auch der Lehre ungefähr 500 Jahre (1350-1850) vor. Er scheiterte Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem, weil er durch die Auslegung der Statuta gewinnen wollte, was diese oftmals nicht hergeben konnten: Oft war es nämlich unmöglich, aus den
376 377
Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992, 44. Ebd., 45; v. Bar, IPR 1,1987, Rdnr. 422, 425.
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D. Systematische Einordnung
Nonnen des materiellen Rechts etwas über ihre Anwendungswilligkeit auf auslandsbezogene Sachverhalte zu entnehmen. 378 Die Statutentheorie wurde von Carl Georg von Wächter und Friedrich Carl von Savigny überwunden. Wächter hat vorgeschlagen, daß von der Anbindung eines Rechtsverhältnisses an ein Gesetz auszugehen sei. 379 Den entscheidenden Perspektivenwechsel lieferte aber Savigny: Statt von dem Gesetz auszugehen und zu fragen, über welche Sachverhalte es herrsche, sei vielmehr von dem Sachverhalt auszugehen und zu fragen, welcher Rechtsordnung er unterworfen ist. Die Frage Savignys war, wo das "Rechtsverhältnis" (= das Lebensverhältnis, der zu entscheidende Rechtsfall) seinen "Sitz" habe. Es gelte, für jeden Sachverhalt nach seiner Natur und Eigenart diejenige Rechtsordnung zu finden, die ihm angemessen ist. 38o Anders also als die Statutentheorie, welche auf der Prämisse beruht, daß aus den Rechtsnonnen eines Staats ihr internationaler Anwendungsbereich bestimmt werden könne, setzt die savignyanische Methode voraus, daß ein Sachverhalt ebensogut der eigenen wie einer anderen Rechtsordnung zugewiesen werden kann. Die Nonnen über das anwendbare Recht des savignyanischen Systems "verweisen". Das bedeutet: Sie weisen die Kompetenz und Verantwortung für die sachliche Entscheidung einer unter mehreren als gleich anwendbar gedachten Rechtsordnungen zu. Durch die Verweisung gilt ausländisches Recht im Inland in dem Sinne, daß Entscheidungen der inländischen Gerichte auf es zu stützen sind. 381 Das Internationale Privatrecht ist in dem Sinne Verweisungsrecht. Savigny entdeckt also die Eigenständigkeit des Internationalen Privatrechts gegenüber jedem nationalen Privatrecht; er erkennt, daß die Rechtsanwendungsfrage eine Frage ist, deren Bewältigung eigenen Rechtsregeln folgt.
b) Sach- und Kollisionsnormen Die typische Fragestellung des Internationalen Privatrechts seit Savigny lautet: Welches nationale Privatrecht ist auf den konkreten Sachverhalt anzuwenden? Diese Frage wird von einer bestimmten Gattung von Nonnen beantwortet, die "Kollisionsnonnen" genannt werden. Sie bestimmen die für die Sachentv. Bar, Grundfragen des internationalen Deliktsrechts, JZ 1985,961. Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992,47. 380 Kegel, IPR, 6. Auf!. 1987, 119. 381 Jahr, Internationale Geltung nationalen Rechts - Zur Relevanz internationaIrecht378
379
licher Fragestellungen für Praxis und Theorie des Rechts, RabelsZ 1990, 48lff., 498.
11. Der Rechtscharakter der Normen über das anwendbare Recht
123
scheidung maßgebliche Rechtsordnung. 382 Die Kollisionsnormen sind von den "Sachnormen" zu unterscheiden. Diese entscheiden "in der Sache selbst.. :383 Sie begründen unmittelbar Rechte, Pflichten oder Statusverhältnisse. Sowohl die Sachnormen als auch die Kollisionsnormen lassen sich in einem "Wenn ... , dann ... "-Satz formulieren. "Wenn diese Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, dann tritt jene Rechtsfolge ein". Bei der Sachnorm vergleicht der Richter den von ihm zu beurteilenden Lebenssachverhalt mit dem gesetzlichen Tatbestand; wenn sich der Lebenssachverhalt unter den gesetzlichen Tatbestand subsumieren (= zuordnen) läßt, dann soll die in der Norm vorgesehene Rechtsfolge gelten. Während die Rechtsfolge der Sachnormen die Begründung von Ansprüchen oder Pflichten ist, ist die Rechtsfolge der Kollisionsnormen, die Sachnormen eines Staats für anwendbar zu erklären. Der Tatbestand einer Kollisionsnorm heißt Anknüpfung. Er enthält zwei Elemente: Den Anknüpfungsgegenstand, der einen materiellrechtlich geprägten Systembegriff verwendet (z.B. Ehe, Vertrag), und den Anknüpfungspunkt, der ein Attribut (z.B. Staatsangehörigkeit, Wohnsitz) eines Subjektes bezeichnet. 384 Wie bei der Sachnorm wird auch bei der Kollisionsnorm zuerst geprüft, ob der Sachverhalt unter das im Anknüpfungsgegenstand enthaltene Tatbestandsmerkmal fällt. Wenn dies zutrifft, dann bestimmt der Anknüpfungspunkt denjenigen Staat, dessen Rechtsordnung das im Einzelfall anzuwendende Sachrecht unterzuordnen ist. Die Kollisionsnormen lassen sich in allseitige und einseitige unterteilen. Die allseitigen Kollisionsnormen sind diejenigen, die in- und ausländisches Recht unter jeweils identischen Voraussetzungen berufen. Die einseitigen Kollisionsnormen bestimmen lediglich, unter welchen Voraussetzungen das Recht des die Norm setzenden Staats anzuwenden ist. 385
c) Prämissen des Verweisungsrechts
Im Verweisungsrecht ist nach Savigny diejenige Rechtsordnung herauszufinden, in welcher das Lebensverhältnis seinen "Sitz" hat. Warum aber ist dieses Recht anzuwenden? Die Anwort findet sich in den zwei Prämissen des savi382 s. Kegel, IPR, 6. Aufl. 1987, 18; ders., The Conflict-of-Laws Machine - Zusammenhang im allgemeinen Teil des IPR, IPRax 1996, 309 ff.; Kropholler, IPR, 3. Aufl. 1997, §12. I; Firsching Iv. Hoffmann, IPR, 4. Aufl. 1997, § 4 Rdnr. 3-4. 383 v. Bar, IPR I, 1987, Rdnr. 214. 384 Kropholler, IPR, 1997, § 19. 385 Kropholler, IPR, 1997, § 12. III; v. Bar I Vogt, Konzept und Grundprinzipien des deutschen IPR, JA 1991,33 ff. (35).
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D. Systematische Einordnung
gnyanischen Ansatzes: Der Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen und der "Universalität" oder "Vorstaatlichkeit" der Lebensverhältnisse. 386 Wenn vom Sachverhalt ausgegangen wird, müssen die verschiedenen Rechtsordnungen als gleichrangig behandelt werden. 387 Das klassische IPR setzt voraus, daß ausländische Rechtsordnungen als der eigenen "gleichwertig" anzusehen sind und jeder von ihnen die mögliche Eignung zugesprochen werden muß, Fälle gerecht zu entscheiden. Eine Kollisionsnorm kann auf die eine wie auf die andere Rechtsordnung verweisen; keine von ihnen wird den anderen von vornherein vorgezogen?88 Aus dieser "Gleichwertigkeit" der Rechtsordnungen folgt ihre "Gleichberechtigung" oder "Gleichbehandlung,,389 in der Anwendung. Diese beruht nicht nur auf dem Respekt vor der ausländischen Rechtsordnung, sondern auch auf dem Interesse an einer identischen kollisionsrechtlichen Entscheidung im Inund Ausland. 390 Das Ergebnis eines Rechtsstreits soll nicht vom Ort des Verfahrens abhängen. 391 Aus dieser Gleichbehandlung folgt zugleich das Erfordernis, allseitige Kollisionsnormen auszuarbeiten: Kollisionsnormen, die nicht nur bestimmen, wann das eigene Recht anzuwenden ist, sondern auch ein fremdes Recht zur Anwendung berufen, wenn das eigene nicht anwendbar ist. 392 Die "Vorstaatlichkeit der Lebensverhältnisse" oder "Universalität der Interessengegensätze" ist die zweite wichtige Prämisse der Fragestellung vom Sachverhalt her: Wenn vom Lebensverhältnis ausgegangen und nach seinem "Sitz" gefragt wird, so muß es möglich sein, daß es in mehreren Rechtsordnungen seinen "Sitz" haben kann. Dies geschieht, weil Lebensverhältnisse unter Privaten "als solche" unabhängig vom Staat existieren, sie sind als vorrechtliche Befindlichkeiten zu verstehen. Das Verweisungsrecht verlangt eine Distanz des Staats gegenüber seinem materiellen Recht; allseitige Kollisionsnormen sind formulierbar, wenn und weil das Rechtsverhältnis nicht nur an einen Staat gebunden ist. 393
386 s. nochmals Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992, 63 ff.; Eichenhofer, ISR und IPR, 1987,261 ff. 387 v. Bar, IPR I, 1987, Rndr. 232 f. 388 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 1981, 52. 389 Kropholler, IPR, 1997, § 3. I. 390 Eichenhofer, ISR und IPR, 1987,263. 391 V. Bar, IPR I, 1987, Rdnr. 47lf. 392 Jahr, Internationale Geltung nationalen Rechts, RabelsZ 1990, 493f. 393 Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992, 67f.
11. Der Rechtscharakter der Nonnen über das anwendbare Recht
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d) Bedeutung der Begriffe "Kollisions-" und "Sachnorm" für die nachfolgende Untersuchung Ziel der nachfolgenden Untersuchung ist es, die Normen über das anwendbare Recht der VO (EWG) in das System der Rechtsnormen einzuordnen. Die Normen des Europäischen Sozialrechts sind in die Begriffe einzufügen, die die Rechtswissenschaft für die hergebrachten Normen anderer Rechtsgebiete entwickelt hat. Fraglich ist, zu welcher von den zwei Gattungen von Normen (Sach- oder Kollisionsnormen) sie gehören und, wenn sie als Kollisionsnormen zu qualifizieren wären, ob sie allseitig, wie die Kollisionsnormen des IPR, oder lediglich einseitig wären. Die Normen internationalen und nationalen Ursprungs, die in den vorigen Kapiteln dargestellt wurden, bestimmen das auf einen Sachverhalt anwendbare Recht. Deshalb könnte man geneigt sein, diese Normen als Kollisionsnormen zu charakterisieren. Diese Einordnung kann allerdings nicht so einfach vorgenommen werden. Das "Problem" der Einordnung ergibt sich daraus, daß das Sozialrecht,394 in dem hier zugrundegelegten deutschem Verständnis des Begriffs, Teil des öffentlichen Rechts ist. 395. 396 Nach einigen Autoren 397 ist es unmöglich, im öffentlichen Recht Kollisionsnormen anzunehmen: Das öffentliche Recht als Teil der Staatsgewalt beziehe sich immer und notwendig auf einen bestimmten Staat. Es sei also fraglich, ob sich der Staat überhaupt die Frage nach dem von ihm anwendbaren Recht stellt. Kann man aber so überhaupt von Kollisionsnormen im öffentlichem Recht, im nationalen "internationalen Sozialrecht" und in der VO (EWG) 1408/71 sprechen?
394 Hier wird der Begriff "Sozialrecht" nach der deutschen Tenninologie verwendet; er umfaßt nämlich nicht das Arbeitsrecht, wie z.B. das französische "droit social". 395 Rüjner, Einführung in das Sozialrecht, 2. Aufl. 1991, 45 ff; Gitter, Sozialrecht, 3. Aufl. 1992, 36 ff.; Bley / Kreikebohm, Sozialrecht, 7. Auf!. 1993, Rdnr. 3 und Rdnr. 51 ff.; vgl. für das österreichische Recht Tomandl, Grundriß des öster. Sozialrechts, 4. Auf!. 1989, 1 ff.; für das französische und das belgische "droit de la securite sociale" s. entsprechend Dupeyroux / Pretot, Droit de la securite sociale, 6. Auf!. 1993,91 und Denis, Droit de la securite sociale, 1993, 38 ff. 396 "Die Begrenzung des Sozialrechts auf öffentlich-rechtliche Institutionen steHt auf das Instrumentarium ab. Dabei bleibt unberücksichtigt, daß die soziale Zielsetzung auch durch andere Instrumente, z.B. aus dem Bereich des Arbeitsrechts, des Familienrechts etc. realisiert werden kann: v. Maydell, Sozialrecht, in: Lexikon des Rechts - Sozialrecht, 2. Auf!. 1994,447 ff., 448. 397 Dazu unten D. 11. 1. a.
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D. Systematische Einordnung
2. Autonomes internationales öffentliches Recht und autonomes internationales Sozialrecht a) Die Diskussion im öffentlichen Recht aa) Die Untauglichkeit des kollisionsrechtlichen Denkens im öffentlichen Recht Nach einer Auffassung können Kollisionsnormen im öffentlichem Recht nicht existieren. Diese Auffassung hat vor allem Klaus Vogel 398 verfochten. Seine Argumentation betont den Unterschied zwischen den Strukturen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts. Dieser Unterschied ergebe sich aus der "Vorstaatlichkeit" des Privatrechts, während öffentlichrechtliche Normen die Staatsgewalt selbst seien. Da der Staat an den Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts als handelndes Subjekt, als fordernde oder gewährende Partei unmittelbar selbst beteiligt sei, könne er, anders als im Privatrecht, sich nicht von der Frage nach der anzuwendenden Rechtsnorm allgemein distanzieren. 399 Vogel stellt die Frage nach der Selbständigkeit der Normen über den internationalen Geltungsbereich des Verwaltungsrechts und verneint sie. Während die Unterscheidung zwischen den Normen des Internationalen Privatrechts von den Normen des materiellen Privatrechts unbestreitbar sei, könne eine solche Unterscheidung im öffentlichen Recht nicht getroffen werden. Er weist diese These mit der Gegenüberstellung von Objektrechtsnormen und Metarechtsnormen nach: 4°O Die Objektrechtsnormen regelten unmittelbar einen Sachverhalt; die Metarechtsnormen bestimmten hingegen über die Gültigkeit der Objektrechtsnormen. Die (Kollisions-) Normen des Internationalen Privatrechts gehörten der Metarechtsordnung an. Die anwendungsbegrenzenden Normen des öffentlichen Rechts könnten aber dieser Metarechtsordnung nicht zugeordnet werden, weil sie nur die Sachnormen des nationalen öffentlichen Rechts konkretisierten. Sie könnten deshalb keine Rechtswahlfunktion haben, weil der Staat stets nur sein eigenes Recht anwende. Es komme ihnen also keine dem Internationalen Privatrecht vergleichbare Eigenständigkeit zu. Deshalb gehörten sämtliche Normen des öffentlichen Rechts eines Staats dogmatisch der Objektrechtsordnung des jeweiligen Staats an. 401 Denkbar seien Metarechtsnormen im Bereich des öffentlichen Rechts allenfalls im Verfassungsrecht,402 im Völkerrecht und im Recht einer Staatengemeinschaft, das die Rechtsetzungsbefugnis der dieser Gemeinschaft angehöVogel, Der räumliche Geltungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965. Ebd., 237 ff. 400 Ebd., 269 ff. 401 Ebd., 298 ff., 299. 402 Da sie ohnehin schon einer Metarechtsordnung, eben dem Verfassungsrecht angehören. 398
399
11. Der Rechtscharakter der Nonnen über das anwendbare Recht
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renden Staaten mit unmittelbarer Wirkung und mit einem Vorrang vor den innerstaatlichen Normen in bestimmter Weise begrenze. 403 Nicht ohne Zweifel nimmt er Stellung zu der Frage, ob die Regelungen des Völkerabkommensrechts Metarechtsnormen seien: Ihnen könne sogar eine Rechtswahlfunktion zugesprochen werden; "in foro interno" aber, nach ihrer Transformation begrenzten sie lediglich einseitig das nationale Recht und änderten nichts daran, daß der Staat stets nur sein eigenes öffentliches Recht anwende. 404 Die Feststellung, daß im öffentlichen Recht das anwendbare Recht von vornherein feststehe, während im Privatrecht von dem Sachverhalt ausgegangen und das anwendbare Recht gesucht werde, ist das Hauptargument der "Gegner" von Kollisionsnormen im öffentlichen Recht. 405 Sie betonen, daß das öffentliche Recht die Staatsgewalt "ist,,;406 der Staat handele nur durch die Vorschriften, die ausschließlich ihm zugeordnet seien. Diese Tatsache wird meist mit dem Ausdruck "Einseitigkeit" des "internationalen Verwaltungsrechts" beschrieben. Der Begriff "Einseitigkeit" sei zu akzeptieren, sofern darauf abgestellt werde, daß im öffentlichen Recht stets die Anwendbarkeit des eigenen Rechts abgesteckt wird. 407 Der Begriff sei aber als irreführend abzulehnen, sobald er das öffentlich-rechtliche "Rechtsanwendungsrecht" in die Nähe der einseitigen Kollisionsnormen des IPR bringe. Beide seien deutlich voneinander zu unterscheiden. Für das gesamte nationale öffentliche Recht gebe es nur eine einzige Rechtsanwendungsnorm,408 während es im IPR mehrere einseitige Kollisionsnormen geben könne. Diese hätten aber eine ganz andere Struktur als die öffentlich-rechtliche Einseitigkeitsregelung: Letztere kenne weder echte Anknüpfungsgegenstände noch echte Anknüpfungspunkte wie die IPRNormen. Daher sei der Einsatz des rechtstechnischen Mittels des IPR im öffentlichen Recht überflüssig: 409 Das "internationale öffentliche Recht" bestehe ausschließlich aus Sachnormen für internationale Sachverhalte. 41o Vogel, Der räumliche Geltungsbereich der VerwaItungsrechtsnonn, 1965,302. Ebd., 308 ff. Schuler, ISR, 1988,246, Fn. 120 weist darauf hin, daß die Ausführungen Vogels zu den Doppelbesteuerungsabkommen ebenso für die zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen gelten. 405 v. Bar, IPR I, 1987, Rdnr. 247 ff; Batiffol / Lagarde, Droit international prive, 7. Aufl., Tome I, 1981, Rdnr. 245 ff.; Mayer, Droit international prive, 1994, Rdnr. 99 ff. 406 v. Bar, Grundfragen des internationalen Deliktsrechts, JZ 1985,961 ff. 407 v. Bar, IPR I, 1987, Rdnr. 250. 408 Ebd.; Von der Existenz nur einer einzigen "Kollisionsnonn" im "internationalen Verwaltungsrecht" spricht auch Vogel, Der räumliche Geltungsbereich der Verwaltungsrechtsnonn, 1965, 310. 409 v. Bar, IPR I, 1987, Rdnr. 250. Vgl. auch Mössner, Die Methoden zur Venneidung der Doppelbesteuerung, in: Vogel (Hrsg.), Grundfragen des internationalen Steuerrechts, 1985, 135 ff., 142f.; MünchKomm, Band 7, Sonnenberger, Einleitung, Rdnr. 254. 410 v. Bar, IPR 1,1987, Rdnr. 244. 403
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D. Systematische Einordnung
bb) Die Annahme des kollisionsrechtlichen Denkens im öffentlichen Recht ( 1) Die Existenz von" echten" Kollisionsnormen
Im Gegensatz zu der Auffassung, daß das öffentliche Recht keine Kollisionsnormen kenne, wurde von anderen Autoren411 die Meinung vertreten, daß auch in diesem Rechtsgebiet kollisionsrechtliche Strukturen zu finden seien. Die Bedenken gegen die ausschließliche Anwendung des eigenen öffentlichen Rechts beginnen mit der Feststellung, daß es oft schwer zu sagen sei, wann ein Rechtssatz als öffentlich- oder privatrechtlich einzuordnen sei. Es gebe zahlreiche Grenzzonen zwischen privatem und öffentlichem Recht;412 außerdem gebe es Rechtskreise - namentlich der angloamerikanische Rechtskreis -, die, anders als der kontinental-europäische Rechtskreis, die Unterscheidung zwischem öffentlichem Recht und Privatrecht nicht kennen. 413 Insbesondere in den Bereichen, wo sich öffentliches und privates Recht verflechten - insbesondere im Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht - sei die allseitige Fragestellung des IPR möglich. Überall dort, wo der Staat ordnend, regelnd und fürsorgend wirke, könne die Frage gestellt werden: "Welches nationale Recht ist am besten geeignet, einen Sachverhalt zu regeln?,,414 Das öffentliche Recht sei daher in der Lage, wie das IPR echte zweiseitige4l5 Kollisionsnormen auszubilden, und diese Möglichkeit dürfe nicht von vornherein ausgeschlossen werden. 416 Denn die Ausgangslage sei im öffentlichen Recht genau dieselbe wie im IPR: Es gehe darum, aus den existierenden nationalen materiellen Rechtsordnungen jeweils die im Einzelfall allein maßgebende Rechtsordnung herauszufinden. 417
411 s. insb. Zweigert, Internationales Privatrecht und öffentliches Recht, in: Fünfzig Jahre Institut für internationales Recht an der Universität Kiel, 1995, 124 ff; Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, 104 ff.; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 1981, 13 8 ff. 412 Zweigert, Besprechung von Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich, RabelsZ 1967, 366 ff., 368.
413 In diesem Sinne auch Knüppel, Zwingendes materielles Recht und internationale Schuldverträge, 1988, 21. 414 Zweigert, Internationales Privatrecht und öffentliches Recht, 1965, 140. 415 Auch lsay, Internationales Verwaltungs recht, Handwörterbuch der Rechtswissenschaft III, 344 ff. (355 f.) (zitiert in Vogel, Der räumliche Geltungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, 191), bejaht die Existenz zweiseitiger Kollisionsnormen im internationalen öffentlichen Recht bei der Rechtshilfe in Verwaltungssachen. 416 Zweigert, Internationales Privatrecht und öffentliches Recht, 1965, 129; v. Bar, IPR I, 1987, Rdnr. 248 Fn. 163 wirft Zweigert vor, er gebe kein überzeugendes Beipiel für diese These. 417 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 1981, 151.
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(2) Der notwendig einseitige Charakter der Kollisionsnormen des öffentlichen Rechts Die Theorie über die Existenz eines Kollisionsrechts im öffentlichen Recht, welches jedoch gewisse grundlegende Unterschiede zu dem Internationalen Privatrecht aufweist, liegt mehrere Jahrzehnte zurück: Karl Neumeyer hat schon Anfang dieses Jahrhunderts versucht, das internationale Verwaltungsrecht umfassend darzustellen und zu systematisieren. 4J8 Neumeyer versuchte aufzuzeigen, daß das internationale Verwaltungsrecht und das Internationale Privatrecht die gleiche Funktion hätten. Seine Argumentation beruht auf der Feststellung, daß jede nationale Rechtsordnung ihre Anwendungsgrenzen habe. Nicht alle Ereignisse, die sich irgendwo auf dieser Welt verwirklichen, könnten einem einzigen Recht unterworfen sein. Aus dem Völkerrecht, das die Rücksichtnahme auf andere Staaten gebietet, ergebe sich deshalb auch die Verpflichtung für die Staaten, ihre eigenen Rechtsordnungen gegenüber den Rechtsordnungen anderer Staaten abzugrenzen. 419 Diese Verpflichtung für die Abgrenzung des eigenen Rechts sei die gemeinsame Grundlage allen internationalen Rechts 420 - also sowohl des privaten als auch des öffentlichen. Deshalb sei in allen Rechtsgebieten zwischen Grenznormen und Sachnormen zu unterscheiden. Sie hätten unterschiedliche Rechtsfolgen: Die Sachnormen enthielten eine Regelung über einen Sachverhalt; die Grenznormen grenzten die Wirkung nationalen Rechts ab und bestimmten den zur Regelung zuständigen Staat. 421 Die Sachnormen seien selbst nicht in der Lage, das nationale Recht gegenüber dem ausländischen Recht abzugrenzen; dafür seien die eigens zu schaffenden Abgrenzungsnormen nötig. 422 Neumeyer sieht aber dennoch einen sehr wichtigen Unterschied zwischen den Grenznormen des Privatrechts einerseits und den Grenznormen des öffentlichen Rechts andererseits. Während die ersteren den Anwendungsbereich sowohl des inländischen als auch des ausländischen Rechts ermittelten, könnten die Grenznormen des öffentlichen Rechts nur dem inländischen Recht Schranken ziehen. Letzere seien daher notwendig einseitig. 423 Der Grund für diesen Unterschied (Allseitigkeit des Internationalen Privatrechts - Einseitigkeit des internationalen öffentlichen Rechts) bestehe in der unterschiedlichen Natur des privaten und des öffentlichen Rechts. Im Privatrecht bestünden die Tatbestände zwischen Privaten; die Lebensbeziehungen seien "unstaatlich". Die RegelunNeumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, 1936, Bd. VI. Ebd., 432. 420 Ebd., 83 ff., 112 ff. 421 Ebd., 86. 422 Ebd., 484. 423 Ebd., 115 ff.
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D. Systematische Einordnung
gen des öffentlichen Rechts seien dagegen stets auf einen bestimmten Staat bezogen. Jeder Staat regele nur seine eigenen Angelegenheiten; über die von dem eigenen Recht nicht erfaßten Angelegenheiten könne er keine Regelungen treffen. Im öffentlichem Recht bestehe also lediglich die Wahl zwischen der eigenen Zuständigkeit oder der Nichtbeteiligung des Staats. Diese Alternative könne es dagegen im Privatrecht nicht geben. Damit die Tatbestände des Privatrechts nicht rechtlich ungeregelt bleiben, sei die Verweisung auf eine fremde Ordnung nötig, die dem Tatbestand sein Recht bestimmen solle. 424 Im öffentlichen Recht habe dagegen der Staat kein Interesse daran, ob und wieweit ein Sachverhalt von dem Recht eines anderen Staats geregelt sei oder nicht. 425 Seine "Grenznormen,,426 beantworteten nur die Frage der Behörde "Wende ich mein öffentliches Recht auf diesen Sachverhalt an?" Die Anwort könne nur ,ja" oder "nein" lauten. Falls die Anwort negativ sei, unterbleibe auch eine Tätigkeit der Behörde.427
b) Die Diskussion im Sozialrecht
aa) Die Verweigerung des kollisionsrechtlichen Denkens im Sozialrecht Im sozialrechtlichen Schrifttum wurde teilweise die Meinung vertreten, daß es im Sozialrecht keine Kollisionsnormen geben könne. 428 Diese Feststellung betont daher den Unterschied zwischen Internationalem Privatrecht einerseits und Sozialrecht andererseits: Nur im IPR stelle sich die Frage nach dem anwendbaren Recht. Im Sozialrecht (wie auch z.B. im Strafrecht) stelle die Behörde eine solche Frage hingegen nicht. Denn Sozialversicherungsträger seien Träger des öffentlichen Rechts und könnten kein ausländisches öffentliches Recht anwenden. Für eine zur 424 Ebd., 79. 425 Ebd., 120. 426 Die Terminologie Neumeyers hat auch bei anderen Autoren in anderen Staaten Anklang gefunden: s. z.B. Van Hecke, Droit public et conflits de lois, in: Travaux du comite francais de droit international prive, Ann. 1983-84, 1986, 225 ff., 229: Er spricht auch über "regles de delimitation du droit public" et "regles de rattachement du droit prive". s. auch Cornelissen, De europese verordeningen inzake sociale zekerheid, 1984, 110 ff: "grensnormen". Andere Autoren, wie z.B. Audit, Droit international prive, 1991, Rdnr. 110, bevorzugen den Ausdruck "einseitig" ("unilaterale"). 427 So auch Gamillscheg, Internationales Arbeitsrecht, 1959,9. 428 s. vor allem Freyria, Securite sociale et droit international prive, in: Rev. crit. dr. i. pr. 1956,409 ff.; Voirin, Note sous l'arret Gosset, Cass. Ch. soc. du 16.2.1965, in: Dalloz, 1965,723 ff.
11. Der Rechtscharakter der Normen über das anwendbare Recht
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Anwendung öffentlichen Rechts berufene Behörde seien nur zwei Situationen vorstellbar: Entweder werde sie das eigene Recht anwenden, oder sie erkläre sich für nicht zuständig. 429 Im IPR ende jede Rechtsanwendung mit einer Rechtsgewährung. Die Integration des "Fremden" in den heimischen Staatsverband geschehe durch die Verschaffung des Rechtsschutzes auch für "Fremde". Im Sozialrecht bedeute die Rechtsgewährung (die Integration) wesentlich mehr, nämlich die Gewährung von "Verbandsleistungen", die mit Beiträgen verbunden seien. Es handele sich sowohl um eine Leistungs- als auch um eine Deckungsgemeinschaft. 43o Ohne Integration, d.h. ohne Verbandsmitgliedschaft, bleibe es bei Regeln wie Z.B. "Inländische Sozialversicherungsverhältnisse werden nur von inländischem Recht regiert". Man gewinne aber nichts, wenn man hier von einseitigen Kollisionsnormen spreche. 431 In diesem Sinne sei das kollisionsrechtliche Denken für das autonome Sozialrecht von keinem Nutzen. Ein nationaler Sozialversicherungsträger dürfe überdies ausschließlich sowohl die materiellen als auch die verfahrensrechtlichen Vorschriften des eigenen Staats anwenden. 432 Ferner könnten die Gerichte bei Rechtsstreitigkeiten im Bereich der sozialen Sicherheit nur entscheiden, ob das Handeln der Behörde mit den inländischen Normen konform sei. Im Sozialrecht gebe es eine "Einheit" von Legislative, Exekutive und Judikative. 433 Eine Kollisionsnorm setze eine Abspaltung der Kompetenzen voraus; letztere könne es nur im IPR geben, wo die Gerichte einen Rechtsstreit auch am Maßstab ausländischen Rechts beurteilen könnten. 434 Eine AbspaItung der Kompetenzen sei weder im autonomen, noch im Abkommens-Sozialrecht zu finden. Zwar gebe es in den Abkommen einige Kriterien bzw. Regeln, um ein sozialrechtsspezifisches Risiko zu lokalisieren und Normenhäufungen bzw. Normenmangel zu vermeiden. Diese Regeln formten aber keine KoIIisionsnormen; denn sie führten nicht dazu, daß ausländisches Recht vom inländischen Versicherungsträger angewandt werde. Es gehe nur 429 Freyria, Securite sociale et droit international prive. Seine Argumentation ist insoweit fast identisch mit der von Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, wenn man von der Ablehnung des kollisionsrechtlichen Verstädnisses vom öffentlichen Recht absieht. 430 Seib, Internationales Sozialversicherungsrecht (Versuch einer Emanzipation), VSSR 1976, 293 ff., 296. 431 Ebd., 297. 432 s. die Kommentierung von Tantaroudas, La protection juridique des travailleurs mi grants de la C.E.E, 1976, 375f., an die These von Freyria und Voirin. 433 "Unite des competences legislative, administrative et judiciaire": Freyria, Securite sociale et droit international prive, 1956, 447. 434 Tantaroudas, La protection juridique des travailleurs mi grants de la C.E.E, 1976, 376.
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D. Systematische Einordnung
darum anzuerkennen, daß eventuell ein anderer Staat zuständig sei. Jeder Staat bzw. jede Behörde wende aber weiterhin nur sein/ihr eigenes Recht an. 435 Daran änderten die Bestimmungen über die Erhaltung der wohlerworbenen Rechte in den Abkommen nichts. Obwohl zu bemerken sei, daß sowohl das IPR als auch das Sozialversicherungsabkommensrecht den Schutz der wohlerworbenen Rechte beabsichtigen, täten sie das auf unterschiedliche Weise: Im IPR durch deren Anerkennung und Gewährung im Forum-Staat, im Sozialrecht durch deren Bewahrung im Entstehungsstaat. 436
bb) Die Annahme des kollisionsrechtlichen Denkens im Sozialrecht (1) Die Existenz von Kollisionsnormen
Ein großer Teil der sozialrechtlichen Literatur spricht sich für die Existenz eines Kollisionsrechts im Sozialrecht aus. Erster und namhaftester Vertreter dieser Ansicht ist von Maydell. 437 Er stellt fest, daß sich in allen Fällen mit AuslandsbeTÜhrung (also auch in öffentlich-rechtlichen Sachverhalten mit AuslandsbeTÜhrung) die Frage nach dem anwendbaren Recht stelle. Mit dieser Fragestellung werde die Eigenständigkeit des internationalen Kollisionsrechts erklärt. 438 Für den Begriff und die Funktion der Kollisionsnormen im internationalen Sozialrecht übernimmt er die Begrifflichkeit des IPR. 439 Das sozialrechtliche Kollisionsrecht sei "echtes" Kollisionsrecht in dem Sinne, daß es auch bezwecke, das anwendbare Recht zu bestimmen. Auch wenn diese Bestimmung einseitig, nämlich auf die Anwendbarkeit des eigenen nationalen Rechts beschränkt sei, bleibe sie immer noch eine kollisionsrechtliche Bestimmung. 440 Die Kollisionsnormen könnten nicht lediglich als ergänzende Sach-
435 Freyria, Securite sociale et droit international prive, 1956,451; Voirin, Note sous l'arret Gosset, Cass. Ch. soc. du 16.2.1965, in: Dalloz, 1965,723 ff., 724: "C'est une illusion de croire que les institutions de securite sociale d'un etat [ ... ] aient dans certains cas d'appliquer la Jegislation d'un autre etat". 436 Freyria, Securite sociale et droit international prive, 1956,453 ff. 437 Ders., Sach- und Kollisionsnormen im internationalen Sozialversicherungsrecht, 1967; ders., Probleme des intern. Sozialversicherungsrechts, DVBI 1971,905 ff.; ders., Gedanken zur Formulierung von Kollisionsnormen im geplanten Sozialgestzbuch, ZSR 1972, 264 ff.; ders., Die dogmatischen Grundlagen des inter- und supranationalen Sozialrecht, VSSR 1973, 347 ff.; ders., Was kann ein internationales Sozialversicherungsrecht leisten?, in: Tomandl (Hrsg.) Auslandsberührungen in der Sozialversicherung, 1980, 1 ff.; ders., Internationales Sozialrecht in: v. Maydell (Hrsg.), Lexikon des Rechts - Sozialrecht, 2. Aufl. 1994, 130 ff. 438 v. Maydell, ZSR 1972,271 ff.; VSSR 1973,357 ff. 439 v. Maydell, Sach- und Kollisionsnormen, 1967, 22 ff. 440 v. Maydell, VSSR 1973,358.
11. Der Rechtscharakter der Nonnen über das anwendbare Recht
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normen bezeichnet werden;441 eine Abgrenzung des räumlichen Geltungsbereichs allein durch Sachnormen sei nicht möglich. 442 Nach von Maydell ist die Anwendung fremden Sozialrechts möglich: Die internationale Sachleistungsaushilfe im Krankensversicherungsrecht weise darauf hin, daß eine Anwendung ausländischen Rechts durchaus denkbar sei. 443 Wie Savigny für das Privatrecht schon bewußt gemacht hatte, stelle sich auch im Sozialrecht die Frage nach dem Sitz bzw. Schwerpunkt eines Sachverhalts. Bei international - sozialrechtlichen Sachverhalten sei herauszufinden, ob der Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses in Deutschland liege. 444 Dieser sei anhand der im IPR entwickelten Anknüpfungspunkte zu ermitteln; es sollten die sachgerechten Anknüpfungspunkte gefunden werden. 445 Letztlich sei zwischen zwei Fragen zu unterscheiden: Zunächst sei die Frage nach der Anwendbarkeit des eigenen Rechts zu beantworten. Erst danach sei dieses Recht auf den jeweiligen Sachverhalt anzuwenden. 446
(2) Eigenheiten der sozialrechtlichen Kollisionsnormen
Die Auffassung von Maydells über die Existenz von Kollisionsnormen im Sozialrecht hat im deutschen sozialrechtlichen Schrifttum breite Zustimmung gefunden. 447 Einige der strukturellen Eigenheiten des sozialrechtlichen Kollisionsrechts haben darüber hinaus Eichenhofer448 und Schuler449 herausgearbeitet. Der Ausgangspunkt für die Existenz der sozialrechtlichen Kollisionsnormen liegt für beide Autoren in der Pluralität unterschiedlicher nationaler Sozialrechtsordnungen. Weil mehrere Rechtsordnungen regelnd tätig werden, sei für die konfliktfreie rechtliche Beurteilung von Sachverhalten die Respektierung der sozialrechtlichen Kompetenzen fremder Staaten notwendig. Diese Sichtweise sei die Grundlage der Fragestellung, welche der Rechtsordnungen zur
v. Maydell, Sach- und Kollisionsnonnen, 1967,89. Ebd., 82. 443 Ebd., 59. 444 Ebd., 79 f. 445 Ebd., 85. 446 Ebd., 89. 447 Vgl. Steinmeyer, Ein- und Ausstrahlung im internationalen Sozial versicherungsrecht, 1981, 22 ff.; ders., Zwischenstaatliches und internationales Sozialrecht, SRH 1988, Rndr. 4 ff; Bley / Kreikebohm, Sozialrecht, 7. Aufl 1993, Rdnr. 267 ff.; Rüjner, Einführung in das Sozialrecht, 2. Aufl. 1991, 75f.; Raschke, § 72, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 2 (Unfallversicherung), 1996, Rdnr. 12 ff. 448 Eichenhofer, ISR und IPR, 1987,209 ff., 218 ff. 449 Schuler, Das ISR der BRD, 1988,216 ff., 255 ff. 441
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Regelung des konkreten Sachverhalts heranzuziehen sei. Diese stelle sich sowohl im Privat- als auch im öffentlichen Recht. 45o Sie reduziere sich im Falle einseitiger Kollisionsnormen zwar auf den Ein- oder Ausschluß in bzw. aus dem Regelungsbereich der lex fori, bleibe jedoch eine letzI ich kollisionsrechtliche Fragestellung.451 Sowohl Privat- als auch öffentliches bzw. Sozialrecht benötigten also Normen, die feststellten, für welche "Menge" von Lebensverhältnissen das nationale Recht gelte. In der Regelung des internationalen Geltungsbereichs des nationalen Rechts, also in der Schaffung einseitiger Kollisionsnormen, bestünden keine Unterschiede zwischen IPR und Internationalem öffentlichen Recht. 452 Dagegen bleibt die Einseitigkeit des sozialrechtlichen Kollisionsrechts - im Gegensatz zum IPR - nach bei den Autoren weitgehend bestehen. Im Sozialrecht gehe es um die Begründung und Abwicklung von Sozialrechtsverhältnissen. Eines der Subjekte dieser Verhältnisse sei notwendig ein inländischer Leistungsträger. Es gebe also die staatliche Eigenbeteiligung an sämtlichen Sozialrechtsverhältnissen. Die Frage nach dem anwendbaren Recht konzentriere sich deswegen für die eigenbeteiligte Rechtsanwendung auf das eigene Sozialrecht. 453 Dies werde besonders deutlich, wenn man bedenkt, ob ein nationaler Träger von Hoheitsgewalt jemals vor der - für das IPR typischen - Frage stehe, ob der anhängige Streit nach dem Sachrecht des Forums oder dem eines anderen Staats zu beurteilen sei. 454 Es liege aber auf der Hand, daß ein nationaler Sozialversicherungsträger sich nicht die Frage stelle, ob der Anspruch eines Versicherten auf Grund des eigenen oder eines ausländischen Rechtes geschuldet sei. 455 Ferner sei die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Sozialgerichte eines bestimmten Staats zur Überprüfung der Tätigkeit der Verwaltungsträger dieses Staats beschränkt. Die Verwaltungsrechtspflege eines Staats habe das Handeln der vom öffentlichen Recht dieses Staats mit Machtbefugnis ausgestatteten Träger von Hoheitsgewalt zu kontrollieren und bei Machtüberschreitung zu verwerfen. Die internationale Zuständigkeit inländischer Gerichte sei somit eine von der "internationalen Zuständigkeit" der Leistungsträger abhängige Sachurteilsvoraussetzung. Letztere decke sich mit der einseitigen "AbgrenEbd., 255f.; Eichenhofer, ISR und IPR, 1987,219. Schuler, Das ISR der BRD, 1988,257. 452 Eichenhofer, ISR und IPR, 1987,223. 453 Schuler, Das ISR der BRD, 1988,259-261. 454 s. in diesem Zusammenhang auch Lyon-Caen, Droit social international et europeen, 1993, Rdnr. 94: "A ce titre, on peut bien dire qu'il n'y a pas place pour la methode du conflit de lois qui suppose d'un rapport de droit prive puisse etre regi par plusieurs 450
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regles concurrentes emanant d'Etats differents et qui invite a rechercher avec quel ordre juridique la situation presente Je rattachement le plus approprie." 455 Eichenhofer, ISR und IPR, 1987, 220.
11. Der Rechtscharakter der Nonnen über das anwendbare Recht
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zung" des inländischen Sozialrechts. 456 Seien im Rahmen des Anwendungsbereichs des inländischen Sozialrechts die sachrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, entstünden inländische Sozialrechtsverhältnisse; seien sie dagegen nicht erfüllt, gebe es eine ablehnende Entscheidung in der Sache.
(3) Auseinandersetzung mit den Prämissen des IPR Die Besonderheit des ISR Eichenhofer hat die Prämissen des Verweisungsrechts mit den Merkmalen des ISR verglichen, um auf die Besonderheit des letzteren hinzuweisen. 457 Diese zwei Prämissen seien die "Vorstaatlichkeit" der Lebensverhältnisse und die Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen. 458 Die Frage, ob die Gegenstände sozialrechtlicher Normen "vorstaatlich" sein und somit in irgendeiner Rechtsordnung existieren könnten, wäre zu bejahen, falls nur auf das Anliegen des Sozialrechts abgestellt würde, nämlich den Schutz vor sozialen Risiken. Da aber gerade im Sozialrecht dieses Anliegen nicht ohne die Tätigkeit eines Trägers hoheitlicher Gewalt verwirklicht werden könne, weil Sozialrecht gerade von dieser Tätigkeit konstituiert werde, sei die Vorstaatlichkeit abzulehnen. 459 Auch die zweite Prämisse, also die Gleichartigkeit aller Sozial-Rechtsordnungen, sei nicht zu übernehmen. Nur dem Privatrecht wohne der Gedanke inne, die Rechtsordnungen der Staaten als gleichrangig anzusehen und deshalb mit dem IPR eine Art Vorschaltgesetz ins Leben zu rufen. 460 Zwei Gründe werden für die Verwerfung dieses Gedankens im Sozialrecht genannt: Erstens gebe es in den verschiedenen Staaten keinen Konsens über sozialrechtserhebliche Notlagen. Zweitens seien die Sozialleistungen Verbandsleistungen. Somit könne über die Frage der Verbandszugehörigkeit nicht unabhängig von dem den Verband konstituierenden nationalen Sachrecht entschieden werden. SoziEbd., 231; Schuler, Das ISR der BRD, 1988,261 ff. Eichenhofer, ISR und IPR, 1987, 259 ff. In den Seiten 254-259 nimmt er Stellung zu der unilateralistischen Betrachtungsweise des IPR, insbesondere des pilenkoschen unilateralistischen Systems (daß nämlich jeder Sachnonn eine internationale Dimension zukommt). Er akzeptiert, daß diese Konzeption für das internationales Sozialrecht wichtig ist, da sie zeigt, daß ISR von einer besonderen Fragestellung des Sozialrechts handelt, nämlich seiner Geltung "en espace". Diese Bestimmung des Geltungsbereichs des internen Sachrechts ist die erste und sehr wichtige Aufgabe des IPR und des ISR, beide aber erschöpfen sich nicht in ihnen. Hier wurde bevorzugt, denjenigen Teil darzustellen, der sich mit der Gegenüberstellung zwischen Verweisungsrecht und interantionalem Sozialrecht befaßt, weil darin die besonderen Merkmalen des ISR sichtbarer werden. 458 s. oben, D. 11. 1. 459 Eichenhofer, ISR und IPR, 1987, 266. 460 v. Bar, IPR I, 1987, Rndr. 214. 456
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alrecht sei rein rechtliches Machwerk, nur durch ein Recht des einzelnen Staats begründbar und begründet. Deshalb könne sich auch kein Staat erlauben, ausländisches Sozialrecht dem ihn und nur ihn berechtigenden Sozialrecht gegenüber als gleichwertig und gleichartig anzuerkennen. 461 Sodann wird die Diskussion über die Mehrdimensionalität der Aufgaben der allseitigen Kollisionsnormen des IPR462 für das international-sozialrechtliche Denken fruchtbar gemacht. Allseitige Kollisionsnormen lösten zwei Aufgaben des IPR. Diese zwei Aufgaben seien folgende: Erstens den Geltungsbereich des materiellen Privatrechts eines Staats festzulegen; zweitens zu bestimmen, welches ausländische materielle Recht im Inland anzuwenden sei, soweit die erste vom IPR zu beantwortende Frage (Gilt das eigene materielle Privatrecht?) eine verneinende Anwort gefunden habe. Die erste Aufgabe werde gelöst durch die einseitige Kollisionsnorm, welche die internen Sachnormen ergänze; die zweite durch die Verweisungsregel, mit welcher die Kompetenz und Verantwortung für die sachliche Entscheidung abgewiesen werde oder, anders formuliert, mit welcher inländische Instanzen auch angehalten würden, ihre Entscheidungen auf ausländisches Privatrecht zu stützen. 463 Allseitige Kollisionsnormen lösten beide Aufgaben des IPR, sofern sie eine einseitige Kollisionsnorm mit einer Verweisungsregel verbänden. 464 Zwischen Internationalem Privatrecht und internationalem Sozialrecht bestünden Gemeinsamkeiten hinsichtlich der ersten Aufgabe. Die Bestimmung des internationalen Geltungsbereichs des nationalen Sozialrechts sei ein sehr wichtiges Anliegen des internationalen Sozialrechts (ISR). Die entsprechenden Regelungen des ISR kämen in Aufgabe und Struktur voll und ganz den einseitigen Kollisionsnormen des IPR gleich. 465 Hinsichtlich der zweiten Aufgabe bestehe zwischen den zwei internationalen Rechten weiterhin eine Gemeinsamkeit, die damit umschrieben werden könne, daß es um die Sicherung der internationalen Wirkungen nationalen Sachrechts gehe. Die Art und Weise aber, wie diese Aufgabe von den beiden Rechten zu lösen ist, sei unterschiedlich. Das IPR löse sie durch die Verweisungsregeln. Das ISR sichere die internationale Wirkung nationalen Rechts dagegen durch Äquivalenzregeln, also durch Sachnormen, nach denen Tatbestände inländischer Sozialrechtsnormen auch bei bestimmten Auslandssachverhalten als verwirklicht anzusehen seien. Ausländisches Sozialrecht sei nur ausländischen Eichenhofer, ISR und IPR, 1987, 267f. s. dazu Jahr, Internationale Geltung nationalen Rechts, RabelsZ 1990,481 ff. 463 Ebd., 493 ff. 464 Ebd., 499. Über die Tatsache, daß einseitige Kollisionsnormen in allseitigen Kollisionsnormen enthalten sind, s. auch Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 1981, \05 ff. 465 Eichenhofer, IPR und ISR, 1987, 271. 461
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Trägem zum Vollzug überantwortet. Statt also eine im ausländischen Recht gründende Rechtsfolge durch inländische Rechtsanwender zu konkretisieren, wie dies im IPR geschehe, werde im ISR ein Rechtsanspruch nach inländischem Sachrecht aufgrund ausländischer Sozialrechtsverhältnisse begründet.
(4) Der Begriff der Rechtsanwendung
- Rechtsanwendung im öffentlichen Recht und im Privatrecht Betrachtet man die Diskussion über die Existenz von Kollisionsnonnen im öffentlichen Recht und im Sozialrecht näher, muß man sich mit einem Begriff auseinandersetzen, ohne dessen Klärung die Frage nach dem Charakter der Kollisionsnonnen nicht zu beantworten ist: Dem Begriff der "Rechtsanwendung". Es heißt, die Kollisionsnonnen des IPR stellen das "anwendbare Recht" fest. Wie ist diese "Anwendung" im Zivilrecht zu verstehen? Hat dieser Begriff die gleiche Bedeutung auch im öffentlichen Recht? Zur Beantwortung dieser Frage muß immer die Prämisse des internationalprivatrechtlichen Denkens, nämlich die Vorstaatlichkeit der Lebensverhältnisse im Auge behalten werden. Lebensverhältnisse unter Privaten können unabhängig von Recht bestehen. 466 Eigentum, Kindschaft, Vertrag sind als vorstaatliche Befindlichkeiten zu begreifen, für welche es zwar in jeder Rechtsordnung eine verschiedene Ausgestaltung geben kann, die als solche aber ohne staatliche Mitwirkung existieren können. 467 Diese Lebensverhältnisse können aber im Streitfall zum Gegenstand rechtlicher Beurteilung werden. In diesem Fall ist die Streitbeendigung Aufgabe eines Richters. Staatliche lustizhoheit und lustizgewähr sind die Fonnen der "Rechtsanwendung" unter Privaten, die sich an autonomen Maßstäben orientieren. Diese Maßstäbe sind in dem Privatrecht zu finden, das der Richter anwendet, um den Streit zu beenden. 468 Die durch öffentliches Recht geregelten Lebensverhältnisse können dagegen nicht unabhängig vom Staat begründet werden. Öffentliches Recht wird durch das einseitige Handeln staatlicher Behörden verwirklicht. Der Staat ist notwendig beteiligt. Anders fonnuliert: Die vom öffentlichen Recht geregelten Lebensverhältnisse können nicht "vorstaatlich" sein, da sie gerade der Staat konstituiert, der sich in ihnen als eingreifender oder zuteilender Staat betätigt und verwirklicht. 466 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht Bd. IV, 1936, 115 ff., nennt sie "unstaatlich" . 467 Eichenhofer, ISR und IPR, 1987, 264. 468 Ebd., 220f.
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D. Systematische Einordnung
Beide Rechtsgebiete benötigen angesichts der Pluralität nationaler Sozialund Privatrechte jeweils eigene Nonnen, die den internationalen Geltungsbereich eines nationalen Rechts bestimmen. Dies aber heißt: Sie benötigen einseitige Kollisionsnonnen. Das Internationale Privatrecht verfügt darüber hinaus über Verweisungsregeln. Sind aber Verweisungsregeln auch im öffentlichen Recht im allgemeinen und im Sozialrecht insbesondere denkbar? Der Unterschied zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht fallt vor allem in den Fällen auf, wo ein Lebensverhältnis nicht von dem Sachrecht eines Staats geregelt wird. 469 Wenn dieses Verhältnis nicht vom nationalen öffentlichen Recht geregelt ist, hat die nationale Behörde weder das Recht noch die Pflicht sich darum zu kümmern. Denn diese Behörde beurteilt nicht Streitigkeiten unter Privaten, sondern gestaltet Lebensverhältnisse durch öffentlich-rechtliche Vorschriften. Gestaltet das öffentliche Recht eines anderen Staats ein Lebensverhältnis, ist und bleibt dies Sache der entsprechenden ausländischen Behörde. Ein Träger hoheitlicher Gewalt darf nur aufgrund des Rechts desjenigen Staats handeln, der ihn zu diesem Handeln ennächtigt. Entsprechendes gilt für die Verwaltungsgerichtsbarkeit: Sie überwacht, ob die Vorschriften des inländischen öffentlichen Rechts von dem inländischen Träger eingehalten werden; sie ist nicht für den Rechtsfrieden unter Privaten zuständig. Wenn aber der Zivilrichter über einen Streitfall zwischen Privaten entscheiden muß, der nicht von dem nationalen Sachrecht geregelt wird, dann muß ein Recht angewendet werden, das die Lösung des Streits ennöglicht. Hier kann sich der Staat nicht mit der Alternative "eigene Zuständigkeit oder Nichtbeteiligung hinsichtlich des Lebenssachverhalts?" begnügen. Die Wahrung des Rechtsfriedens verlangt, daß Sachverhalte des Privatrechts, welche den Vorschriften des eigenen Staats nicht unterstehen, trotzdem als rechtlich geregelt behandelt werden. 47o Diese Aufgabe erfüllt der Staat durch zwei Gattungen von Nonnen: Erstens durch die Nonnen über die internationale Zuständigkeit der Zivilgerichte, die sicherstellen, daß jede sich in dem Staat aufhaltende Person bei den inländischen Gerichten Rechtsschutz bei Streitigkeiten mit anderen Privaten beanspruchen kann;471 zweitens durch die Verweisungsnonnen, die feststellen, welches Recht Grundlage einer um des Rechtsfriedens willen zu treffenden Entscheidung werden soll. Die Verweisungsnonnen werden relevant, wenn die Gerichte zwar internationale Zuständigkeit haben, die lex fori aber
469 Ebd., 223 ff. 470 471
Neumeyer, Internationales VerwaItungsrecht Bd. IV, 1936, 79 und 178. Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 102 ff.
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keine Anwendung findet. Sie beantworten die Frage "was gilt, wenn unser Recht nicht gilt?".472 Diese Fragestellung ist aber nur im Privatrecht denkbar. Im öffentlichen Recht kann es ein Auseinanderfallen von internationaler Zuständigkeit der Behörden und dem von diesen Behörden anzuwendenden Recht nicht geben. Die einseitige Gestaltung von öffentlich-rechtlichen Verhältnissen durch die nationalen Träger bewirkt, daß deren Zuständigkeit und deren Handlungskompetenz deckungsgleich sind. Entsprechend ist die internationale Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte mit der internationalen Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden verbunden. 473 Da das öffentliche Recht im allgemeinen und das Sozialrecht im besonderen eine Diskrepanz zwischen der internationalen Zuständigkeit der normanwendenden Organe und dem internationalen Geltungsbereich des "anzuwendenden" Rechts nicht kennt, stellt sich auch nicht die für die Verweisungsregeln des Privatrechts konstitutive Frage: "Was gilt, wenn das eigene Recht nicht gilt?" Die Verweisungsregeln werden daher im öffentlichen Recht nicht gebraucht. 474 - "Anerkennungen" ausländischen Rechts: Ein Modus seiner "Anwendung"? Bei den Verweisungsregeln des IPR wird der Ausdruck "Recht anwenden" oft für zwei unterschiedliche Inhalte verwendet. 475 Ein deutscher Zivilrichter macht ausländisches Recht zur Grundlage seiner Entscheidung, wenn durch die Verweisungsregeln dieses ausländische Recht für "anwendbar" erklärt wird. Die Verweisungsregeln haben zur Folge, daß ein fremder Rechtssatz so gilt, daß Entscheidungen inländischer Instanzen auf ihn zu "stützen"476 sind. Sie führen nicht nur dazu, daß das fremde Recht als solches "anerkannt" wird; sie führen vielmehr dazu, daß es zum Gegenstand der inländischen Beurteilung wird. Auch ausländisches öffentliches Recht wird häufig im Rahmen inländischen Rechts "anerkannt". Ein Staat kann z.B. 477 ausländische Prüfungen anerkennen oder von der Einbeziehung einer Person in die inländische Sozialversicherung absehen, weil jene in einem anderen Staat pflichtversichert ist. Er kann auch s. auch oben, D. 11. 1. b) bb) (3). 473 s. oben, unter D. 11. 1. b) bb). 474 Eichenhofer, ISR und IPR, 1987, 224f. 475 Jahr, Internationale Geltung nationalen Rechts, RabelsZ 1990, 1990, 484; vgl. auch v. Bar, JZ 1986, Besprechung von Kegel, IPR, 5. Auflage: " ... Der Ausdruck "Anwendung" ausländischen Rechts hat wie kein anderer für Verwirrung und Verirrung versorgt". 476 Die Terminologie folgt Jahr, Internationale Geltung nationalen Rechts, RabelsZ 1990,484. So auch Eichenhofer, ISR und IPR, 1987,227. 477 s. für die Beispiele v. Bar, IPR I, 1987, Rdnr. 251; auch Batiffol / Lagarde, Droit international prive, 7. Aufl. 1981, Rdnr. 247f. 472
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D. Systematische Einordnung
seine Steuerforderungen reduzieren, weil das jeweilige Einkommen auch nach dem Recht eines anderen Staats steuerpflichtig ist: In den Doppelbesteuerungsabkommen verpflichten sich die Vertragsstaaten gegenseitig, in den Fällen keine oder nur ermäßigte Steuern zu erheben, die das Abkommen dem anderen Vertragsstaat ganz oder teilweise zur Besteuerung vorbehält. 478 Der deutsche Staat verzichtet auf die Durchsetzung seines eigenen Strafanspruchs, wenn im Ausland gegen einen Deutschen eine Tat begangen worden ist, die nach dem Recht des Tatorts nicht strafbar ist (§ 7 StGB). Auf eine inländische Strafe ist eine wegen derselben Tat bereits im Ausland vollstreckte Strafe anzurechnen (§ 51 Abs. 3 StGB). Sind aber solche "Anerkennungen" mit dem internationalprivatrechtlichen, durch Verweisungsregeln hervorgebrachten "Stützen" einer Entscheidung auf ausländisches Recht gleichzusetzen? Ist es mit anderen Worten möglich, daß die Rechtsfolge im Rechtssatz eines ausländischen Staats gründen kann? Das deutsche Strafgericht hat zwar in unserem Beispiel fremdes Recht zu berücksichtigen, seine Entscheidung aber ist nichts anderes als die Verwirklichung des deutschen Strafrechts; sie kann nur auf dieses Recht gestützt werden. 479 Die Steuerbehörden berücksichtigen fremdes Recht, wenn zur Vermeidung doppelter steuerlicher Belastung ausländische Steuern auf die inländische Steuerpflicht anzurechnen sind; Voraussetzungen und Höhe der Steuerpflicht bestimmen sich jedoch auch in diesen Fällen nach dem Steuerrecht des Staats, der die Steuern erhebt. 480 Die Entscheidung, den eigenen Steueranspruch im Blick auf eine durch einen anderen Staat erhobenen Besteuerung abzusenken ist einzig die Entscheidung dieses besteuernden Staats. Einzelne Tatbestandsmerkmale inländischer Sachnormen können zwar auch durch Gestaltungen fremden öffentlichen Rechts erfüllt werden. Diese Tatbestandswirkungen ausländischen Rechts im inländischen Sachrecht bleiben aber bloße "Berücksichtigungen" des anderen Rechts. Der die ausländische Rechtsgestaltung berücksichtigende Rechtsanwender anerkennt das ausländische öffentliche Recht, als ob es eine Tatsache wäre. 481 Ihm wird eine andere Relevanz zugesprochen als im Falle des "unmittelbaren Stützens " auf das ausländische Zivilrecht. Es wird in der Weise beachtet, daß Rechtsfolgen, die der "Verband" in einem bestimmten Fall aussprechen muß, von einer Voraussetzung abhängig sind, die nach
478 Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen: Kommentar, 3. Aufl. 1996, Ein!. Rdnr. 26; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl. 1998, § 16 Rdnr. 204. 479 Jahr, Internationale Geltung nationalen Rech:" RabelsZ 1990,484. 480 Vogel, Internationales Steuerrecht, DStZ 1997,269 ff., 271. 481 "Es gehört nicht in die concIusio derjenigen rechtlichen Entscheidung, um deren willen der Beurteiler entscheidet, sondern es ist eine Hilfsfolgerung, die den Untersatz dieser Entscheidung vervollständigt": Neumeyer, Internationales VerwaItungsrecht, Band IV, 1936, 192.
11. Der Rechtscharakter der Nonnen über das anwendbare Recht
141
dem öffentlichen Recht eines anderen Verbandes zu beantworten ist. 482 Es wird nicht in der Weise beachtet, daß es zur Grundlage der inländischen Entscheidung wird: 483 Würde die inländische Rechtspflege dies tun, dann würde sie sich Befugnisse ausländischer Behörden anmaßen. Eine inländische Entscheidung kann also nicht auf ausländisches öffentliches Recht gestützt werden. Sie kann lediglich dessen Rechtsverhältnisse berücksichtigen. 484 Im IPR sind wegen der Verweisungsregeln beide modi der Rechtsanwendung möglich. Die Existenz solcher Regeln im öffentlichen Recht ist zu verneinen, weil ihre Rechtsfolge, das "Stützen" einer Entscheidung auf ausländisches Recht, im öffentlichen Recht unmöglich ist.
cc) Zusammenfassung Die bisherige Diskussion behandelte die Frage, ob es Anwendungsregeln für das öffentliche Recht im allgemeinen und das Sozialrecht im speziellen gibt und wenn ja, welche Struktur diese Regeln aufweisen. Die Frage kann in zwei Teilfragen geteilt werden: 485 - Gibt es "echte" allseitige Kollisionsnormen im öffentlichen Recht? - Wenn nicht: Gibt es zumindest einseitige Kollisionsnormen? Die Auffassung, die für die Existenz von allseitigen Kollisionsnormen im öffentlichen Recht spricht, hat sich nicht durchzusetzen vermocht. Da das öffentliche Recht eines bestimmten Staats die Entfaltung der Hoheitsgewalt genau dieses und nur dieses Staats regelt, fehlt es an den sine qua non-Prämissen des Privatrechts: Der "Vorstaatlichkeit" der Lebensverhältnisse und der Austauschbarkeit der verschiedenen Rechtsordnungen. Der Rechtsgewährung und des Rechtsfriedens wegen muß im Privatrecht diejenige Rechtsordnung gefun-
482
Ebd., 451. Vgl. van Raepenbusch, La securite sociale des personnes qui circulent
a I' interieur de la C.E.E., 1991, Rdnr. 128: "La regle de droit public etrangere intervient au simple titre de conditions d'application de la lex fori: [ ... ] dans le domaine penaI, le principe bien connu de la double incrimination suppose I' examen de la loi de I'autre pays ou les faits ont ete commis [... ]. Ces hypotheses doivent etre soigneusement distinguees de celles ou la loi etrangere est appelee a regir directement les faits du litige a la place de la loi du for". 484 Jahr, Internationale Geltung nationalen Rechts, RabelsZ 1990, 484; v. Bar, IPR I, 1987, Rdnr. 251 ff.; Eichenhofer, ISR und IPR, 1987, 225 ff.; ders., ISR 1994, Rdnr. 259 ff.; Schuler, Das ISR der BRD, 1988,265 ff. Franz.: "tenir compte": Batiffol / Lagarde, Droit international prive, 1981, Rdnr. 248; van Raepenbusch, La securite sociale des personnes qui circulent a r interieur de la C.E.E., 1991, Rdnr. 128.; oder "prendre en consideration": Mayer, Droit international prive, 1994, Rdnr. 139. 485 Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992, 121 ff. 483
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D. Systematische Einordnung
den werden, in der das Lebensverhältnis zwischen den Privaten seinen Sitz hat; eine Distanz des Staats gegenüber seinem materiellen Recht und eine Diskrepanz zwischen der Geltung der lex fori und der internationalen Zuständigkeit der normanwendendeil Organe werden akzeptiert. Dies kann es im öffentlichen Recht nicht geben: Dort gibt es einen Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und anzuwendendem Recht. Die im Rechtsstaat unter Gesetzesvorbehalt stehende und aufgrund eines Gesetzes zu handeln befugte Behörde kann ihr Handeln nur auf das Recht des sie errichtenden Staats stützen. Es gibt nicht die Möglichkeit, auf der Grundlage eines von einem anderen Staat gesetzten Rechtes zu entscheiden. Sodann bleibt die Frage, ob einseitige Kollisionsnormen im öffentlichen Recht möglich sind. Die Beantwortung dieser Frage wird leichter, wenn man sich vor Augen hält, daß auch die allseitigen Kollisionsnormen des IPR zwei Aufgaben lösen, von denen die erste die Festlegung des Geltungsbereichs des eigenen Privatrechts ist. Akzeptiert man, daß die allseitigen Kollisionsnormen sich in eine einseitige Kollisionsnorm und in eine "reine" Verweisungsnorm zerlegen lassen, dann folgt daraus, daß, wenn ein Staat den internationalen Geltungsbereich seines Rechtes bestimmt und abgrenzt, er dies durch einseitige Kollisionsnormen schafft. Dies geschieht im öffentlichen Recht genau so wie im Privatrecht wegen der sich aus der Pluralität nationaler Rechte ergebenden Folgerung, daß kein Recht (einerlei ob privates oder öffentliches Recht) für sich weltweite Wirkung beanspruchen kann. Auch wenn im öffentlichen Recht die Frage nach der Anwendbarkeit einer ausländischen Rechtsordnung - im Sinne der Frage nach dem "Stützen" einer Entscheidung auf ausländisches Recht - nicht möglich ist, ist nicht anzunehmen, daß das öffentliche Recht nur aus Sachnormen für internationale Sachverhalte besteht. Es ist zwar richtig, daß eine Behörde nicht die Frage nach dem "anwendbaren" Recht stellt;486 diese ist aber nicht die einzige kollisionsrechtliche Frage. Es ist auch richtig, daß die "anwendungsbegrenzenden" Normen des öffentlichen Rechts die Sachnormen dieses Rechts ergänzen und deshalb nicht als ein aliud, als "Meta-Normen" zu charakterisieren sind: 487 Aber auch die Kollisionsnormen des IPR ergänzen die privatrechtlichen Sachnormen, weil die allseitigen Kollisionsnormen auch die Funktion einer einseitigen Kollisionsnorm erfüllen. 488 Es ist ferner richtig, daß es im öffentlichen Recht keine Diskrepanz der Kompetenzen geben kann; daß also immer die Eigenbeteiligung des Staats festzustellen ist und die nationalen Behörden und Gerichte notwendig das eigene öffentliche Recht anwenden in dem Sinne, daß ihre Entschei486 s. nochmal die Argumentation der "Gegner" des kollisionsrechtlichen Denkens im öffentlichen Recht und Sozialrecht, oben unter D. 11. 1 a) aa) und b) aa). 487 s. die Argumentation von Vogel, D. 11. 1. a) aa). 488 s. nochmals Jahr, Internationale Geltung nationalen Rechts, RabelsZ 1990, 494f.
III. Die Normen über das anwendbare Recht in der VO (EWG) 1408/71
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dungen auf das eigene öffentliche Recht zu stützen sind. Diese zutreffenden Argumente sprechen aber nur gegen die Existenz von Verweisungsregeln im öffentlichen Recht. Aus diesen läßt sich jedoch keineswegs der Schluß ziehen, die Bestimmung des Anwendungsbereichs der lex fori sei für das öffentliche Recht unmöglich. Ganz im Gegenteil: diese Bestimmung ist vielmehr möglich und nötig, und bereits in ihr ist eine kollisionsrechtliche Entscheidung zu sehen. Es ist also sinnvoll, die Sachnormen von der Festlegung ihres internationalen Anwendungsbereichs zu trennen und zu akzeptieren, daß das öffentliche Recht, dessen Teil auch das Sozialrecht ist, über einseitige Kollisionsnormen verfügt.
IH. Die Normen über das anwendbare Recht in der VO (EWG) 1408171 1. Normative Struktur a) Keine materiellrechtliche Folge Die Normen der va (EWG) 1408171 über das anwendbare Recht bestimmen den für die soziale Sicherheit einer Person zuständigen Staat. Sie regeln aber nicht unmittelbar die Voraussetzungen einzelner materiell-sozialrechtlicher Ansprüche. Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung der Normen: Sie enthalten keine Aussage über die Voraussetzungen der Versicherungspflicht im Beschäftigungsstaat. Die Tatsache, daß die Normen des Titels 11 der Verordnung nur den zuständigen Mitgliedstaat bestimmen sollen, wurde vorn Europäischen Gerichtshof bestätigt. In der Rechtssache Kits van Heinigen489 heißt es: "Artikel 13 Abs. 2 Buchst. a) va (EWG) 1408171 soll nur festlegen, welche nationalen Rechtsvorschriften für Personen gelten, die im Gebiet eines Mitgliedstaats im Lohnoder Gehaltsverhältnis beschäftigt sind. Diese Bestimmung legt als solche nicht die Voraussetzungen fest, unter denen eine Person einern System der sozialen Sicherheit oder einern bestimmten Zweig eines solchen Systems beitreten kann oder muß. [ ... ] Es ist Sache jedes Mitgliedstaats, diese Voraussetzungen durch den Erlaß von Rechtsvorschriften festzulegen".490 In der Rechtssache Brusse491 hat der EuGH die Frage eines nationalen Gerichtes, ob ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Kindergeld gemäß den Rechtsvorschriften des für ihn zuständigen Staats492 habe, in der Weise beantwortet, daß "die Antwort auf diese Frage EuGH, RS C-2189, Slg. 1990, 1-1755, Rdnr. 19. So auch in der RS 275/81 (Koks), Slg. 1982,3013, Rdnr. 9. 491 EuGH, RS 101183, Sig. 1984, 2223. 492 In diesem Fall war der zuständige Staat die Niederlande, obwohl die betroffene Person in Großbritannien arbeitete, aufgrund einer auf Art. 17 der VO (EWG) 1408/71 489
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D. Systematische Einordnung
nicht von den Artikeln 13 bis 17 der va 1408/71 abhängt, die allein dem Zweck dienen 493 , die Bestimmung der auf die verschiedenen innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandernden Arbeitnehmer anwendbaren Rechtsvorschriften zu ermöglichen; sie richtet sich vielmehr nach den aufgrund der Artikel 1317 anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften, soweit diese mit den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts auf diesem Gebiet im Einklang stehen".494 Darüber hinaus hat der EuGH mehrmals in bezug auf den Zugang zu verschiedenen Leistungsarten betont, daß "es Sache jedes Mitgliedstaats ist, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen eine Person einem System der sozialen Sicherheit beitreten kann oder muß, solange dabei nicht diskriminierend zwischen Inländern und Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten unterschieden wird".495 Die einzelnen Mitgliedstaaten regeln also allein, ob und in welchem Umfang eine Beschäftigung oder Tätigkeit der Versicherungspflicht unterliegt, wer in welcher Höhe Beiträge entrichten muß, oder ob bestimmten Erwerbsgruppen (z.B. Höherverdienenden) kein Versicherungsschutz zusteht. 496 Die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten hinsichtlich des Zugangs zu ihrem Sozialversicherungssystem kann Nachteile für einen Versicherten nicht immer verhindern. Denn jemand kann z.B. im Beschäftigungsstaat wegen der dort geltenden Bestimmungen seinen Pflichtversicherungsschutz verlieren, während er in seinem Wohnstaat versichert gewesen wäre. Dann bleibt nur die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung im Wohn- oder Beschäftigungsstaat, falls die Voraussetzungen erfüllt sind. 497 Die Normen des Titels 11 der va (EWG) 1408/71 entscheiden also nicht unmittelbar über die Entstehung des Sozialversicherungsverhältnisses selbst, sondern sie beantworten eine wichtige Frage, die sich vor der Entstehung dieses Verhältnisses stellt: Nämlich ob das nationale Recht, das für den entscheidenden Träger sozialer Sicherheit gilt, auf eine Person bzw. einen Sachverhalt gestützte Vereinbarung zwischen dem Beschäftigungsstaat (Großbritannien) und dem Staat, in dem die Person wohnte, bevor sie in GB umzog (Niederlande). 493 Hervorhebung durch die Verfass. 494 Rdnr. 28 der Entscheidung in der Rechtssache Brusse. 495 Ständige Rechtsprechung: EuGH, RS 266178 (Brunori), Slg. 1979,2705, Rdnr. 6; EuGH, RS 110179 (Coonan), Slg. 1980, 1445, Rdnr. 12; EuGH, RS 254/84 (De long), Slg. 1986, 671, Rdnr. 13; EuGH, RS 43/86 (De Rijke), Slg. 1987, 3611, Rdnr. 12; EuGH, RS 368/87 (Hartmann Trojani), Slg. 1989, 1333, Rdnr. 21; EuGH, RS C-349/87 (Paraschi), Sig. 1991,1-4501, Rdnr. 15; EuGH, RS C-I2I93 (Drake), Slg. 1994,1-4337, Rdnr.26. 496 Wiegand, Das europ. Gemeinschaftsrecht in der Sozialversicherung, 1983, 35 (Rdnr. 72) und 98 (Anm. 3); Eichenhofer, in EAS, Rdnr. 114. 497 Comelissen, Principle of Territoriality, CMLRev 1996, 439 ff., 450; PjlügerDemann, Soziale Sicherung bei Invalidität, 1991, 219f.
III. Die Normen über das anwendbare Recht in der VO (EWG) 1408171
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anzuwenden ist. 498 Sie begründen selbst keine Rechte oder Pflichten für die einzelnen Personen; sie treffen somit keine materiellrechtliche Regelung. 499 Sie treffen statt dessen eine dieser gedanklich vorgelagerte Regelung, indem sie die für die Sachentscheidung maßgebliche Rechtsordnung bestimmen.
b) Kollisionsrechtlicher Tatbestand aa) Anknüpfungsgegenstand In bezug auf welches Rechtsgebiet bestimmen die Normen des Titels 11 der VO (EWG) 1408171 das anwendbare Recht? Nach dem Obertitel des Titels 11 der VO (EWG) 1408171 bestimmen die Normen dieses Titels die "anzuwendenden Rechtsvorschriften". Damit sind nicht alle Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gemeint, sondern, wie es sich aus Art. 4 VO (EWG) 1408171 ergibt, nur die nationalen Vorschriften über die soziale Sicherheit. Anders formuliert ist die Rechtsfolge dieser Regelungen nicht die Festlegung auf eine Rechtsordnung, sondern die Ermittlung einer bestimmten Gruppe von Rechtsnormen aus einer Rechtsordnung,500 nämlich den Normen über die soziale Sicherheit. "Soziale Sicherheit" ist ein Teilgebiet des Rechts, das durch einen materiellen Systembegriff gekennzeichnet ist. Dieses Teilgebiet entspricht dem "Anknüpfungsgegenstand" des IPR. In bezug auf die "soziale Sicherheit" (und nicht z.B. die Sozialhilfe) wird das anwendbare Recht bestimmt.
bb) Anknüpfungspunkte Nach welchen Kriterien wird das anwendbare Recht bestimmt? Im Teil C. I. 1. e) wurden die Kriterien dargestellt, von denen das anwendbare Recht abhängt. Das wichtigste Kriterium ist der Beschäftigungsort des Arbeitnehmers bzw. der Tätigkeitsort des Selbständigen. Als andere mögliche Kriterien geIten die Flagge des Schiffes bei Seeleuten, der Sitz des Dienstherrn für Beamte, der Sitz des Arbeitgebers für Beschäftigte in Transportunternehmen. Subsidiär gilt der Wohnort, wenn er auch gleichzeitig einer der Beschäftigungsorte ist. 501 Eichenhofer, EAS, Rdnr. 113. 499NKES, Steinmeyer, 1.13, Vorbemerk. zu TitellI, Rdnr. 2. 500 v. Bar, IPR I, 1987, Rdnr. 518. 501 Nur in dem Fall des Art. 14 Abs. 2 b) i) VO (EWG) 1408171 können der Wohnstaat und der Beschäftigungsstaat auseinanderfa11en. 498
10 Devetzi
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D. Systematische Einordnung
Diese Kriterien bestimmen die anwendbare Rechtsordnung. "Eigenschaften" der Personen wie Beschäftigungsort, Wohnort oder Sitz legen das auf sie anwendbare Recht fest. Diese Kriterien entsprechen den Anknüpfungspunkten 502 des IPR. Wie z.B. (nach deutschem IPR) das auf Ehen anwendbare Recht von der Staatsangehörigkeit der Eheleute (Anknüpfungspunkt) abhängig ist, so hängt auch in der va (EWG) 1408171 das anwendbare Recht vom Beschäftigungsort einer Person ab. Wie im IPR bestimmt auch die va (EWG) 1408171 die Maßgeblichkeit einer Rechtsordnung anhand von einem Element des konkreten Sachverhalts. Dieses Element, der Anknüpfungspunkt, hat, wie im IPR, selbst verschiedene Elemente: Ein Subjekt, das Adressat des Rechts ist (in diesem Fall eine Person, einen Arbeitnehmer oder einen Selbständiger) und ein Attribut dieses Subjektes (Beschäftigungsort, Wohnort usw.), das die anwendbare Rechtsordnung festlegt. 503 Der Ausdruck "Anknüpfungspunkt" wird auch vom EuGH benutzt, um das Kriterium zu bezeichnen, "anhand dessen die auf eine Situation anwendbaren Rechtsvorschriften bestimmt werden können".504 Die Normen über das anwendbare Recht der va (EWG) 1408171 besagen also nicht wie, sondern nach weIchem Recht ein Sachverhalt zu entscheiden ist. Ihre Rechtsfolge ist keine Sachentscheidung, sondern statt dessen die Bestimmung der für die Sachentscheidung maßgeblichen Rechtsordnung. Darüber hinaus haben diese Normen einen Tatbestand. Dieser verknüpft zwei Arten von Merkmalen miteinander: Zum einen den materiellrechtlichen Begriff der sozialen Sicherheit und zum anderen "Eigenschaften" der am Sachverhalt beteiligten Personen, nämlich insbesondere deren Beschäftigungsort und Wohnort. Somit haben die Vorschriften über das anwendbare Recht der va (EWG) 1408171 die typischen Merkmale und die äußerliche Gestalt von Kollisionsnormen.
502 Englisch: "connecting factors": dazu Lasok / Stone, Conflict of Laws in the European Community, 1987, 101; Lipstein, Conflict of Laws in matters of Social Security under the EEC Treaty, in: Jacobs (Hrsg.), European Law and the individual, 1976, 55 ff., 59. 503 s. Kropholler, IPR, 3. Aufl. 1997, § 19. Folgte man der Terminologie des IPR für die Beschreibung der Anküpfungspunkte der VO (EWG) 1408171, wären diese "rechtssubjektbezogene Anknüpfungspunkte" im Unterschied zu den "rechtsobjektsbezogenen" und "handlungsbezogenen" Anknüpfungspunkte: v. Bar, IPR I, Rdnr. 525 ff. 504 EuGH, RS C-60/93 (AIdewereid), Slg. 1994,1-2991; die Ausdrücke "Anknüpfungspunkt" und "Anknüpfung an dem Beschäftigungsort" werden auch in den RS 73/72 (Bentzinger), Slg. 1973, 283 ff., Rdnr. 3 und RS 58/87 (Rebmann), Slg. 1988, 3467, Rdnr. 15 benutzt.
III. Die Normen über das anwendbare Recht in der VO (EWG) 1408171
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2. Normzweck Ihrer äußeren Gestalt nach sind die Normen über das anwendbare Recht der VO (EWG) 1408171 Kollisionsnormen. Fraglich ist, ob die Normen auch ihre Aufgabe erfüllen. In den Artikeln, die das anwendbare Recht für die Personen bestimmen, die in mehreren Mitgliedstaaten gleichzeitig beschäftigt oder tätig sind (Art. 14 Abs. 2 und 3, Art. 14a Abs. 2 und 3, Art. 14c Buchst. a) VO (EWG) 1408171), wird die kollisionsrechtliche Aufgabe des Titels 11 der Verordnung deutlich. Die Fälle der Beschäftigungffätigkeit in mehreren Staaten sind auch am "konfliktsträchtigsten". Hier würde die Hauptregel, nämlich die Anwendung des lex loci laboris, nicht weiterhelfen. Oder, anders ausgedrückt: Selbst wenn alle Mitgliedstaaten die gleichen nationalen Normen über das anwendbare Recht hätten und alle den Beschäftigungsort als Anknüpfungspunkt bestimmten, würden Gesetzeskollisionen trotzdem entstehen können. Denn es gäbe mehrere "leges loci laboris", die gleichzeitig zur Anwendung gebracht würden. Die Verordnung vermeidet diese Kollisionen durch die Bestimmung eines übergreifenden einheitlichen Sozialversicherungsstatuts für alle Beschäftigungenffätigkeiten (Art. 14d Buchst. a) VO (EWG) 1408171). Vor allem aber bestätigt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs über die Art. 13-17 der VO (EWG) 1408171 die kollisionsrechtliche Aufgabe dieser Normen. Schon in den ersten Entscheidungen, welche die Auslegung des Titels 11 der früheren VO (EWG) Nr. 3 betrafen, hat der Gerichtshof befunden, daß "der Vertrag den Rat verpflichtet, Vorschriften zu erlassen, die es verhindern, daß die Betroffenen in Ermangelung einer auf sie anwendbaren Rechtsordnung in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht schutzlos bleiben. Um dieses Ziel zu erreichen, war es notwendig, die Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung zwingend vorzuschreiben".505 In einer späteren Entscheidung hieß es, "im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitgeber wie auch der Kassen soll die Verordnung jede überflüssige Häufung oder Verflechtung der Beitragspflichten und Haftungen vermeiden, die sich aus der gleichzeitigen oder abwechselnden Anwendbarkeit der Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten ergäben. Die 505 EuGH, RS 92/63 (Nonnenmacher), Slg. 1964,613 ff., 627 ff. In ihrer schriftlichen Erklärung hat die Kommission die Bestimmungen über das anwendbare Recht von früheren internationalen Abkommen über die Sozialversicherung sowie die Artikel 12 ff., die sich weitgehend an ähnliche Bestimmungen früherer Abkommen anlehne, als "Kollisionsnormen" bezeichnet, welche einen doppelten Zweck verfolgen: Erstens die Belastung der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer mit doppelten Beiträgen zu vermeiden; zweitens sicherzustellen, daß die Vorschriften des einen Staates jedenfalls dann angewendet werden, wenn die Vorschiften des anderen Staates unanwendbar sind: 625 f. der Entscheidung in der RS Nonnenmacher.
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D. Systematische Einordnung
Zielsetzung des Artikels 12 wird durch die Ausnahmen des Artikels 13 bestätigt, der sogar für die Fälle, in denen der Arbeitnehmer unbestreitbar im Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten beschäftigt ist, eine ins einzelne gehende Regelung trifft, um die gleichzeitige Anwendbarkeit der Rechtsvorschriften mehrerer Staaten zu vermeiden.,,506 In späteren Entscheidungen wurde mehrmals ausgeführt, der Art. 13 Abs. 2 der VO (EWG) 1408171 "solle Fälle der Rechtskollision lösen, die sich ergeben können, wenn der Wohnort und der Beschäftigungsort während desselben Zeitraums nicht in demselben Mitgliedstaat liegen. ,,507 In den jüngeren Entscheidungen des EuGH hat sich die Charakterisierung der Normen des Titels 11 der VO (EWG) 1408171 als "Kollisionsnormen" und die Konkretisierung ihres kollisionsrechtlichen Zweckes gefestigt. Nach ständiger Rechtsprechung "bilden die Vorschriften des Titels 11 ein vollständiges und einheitliches System von Kollisionsnormen, das bezweckt, die Arbeitnehmer, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats zu unterwerfen. Mit diesen Vorschriften sollen nicht nur die gleichzeitige Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden; sie sollen auch verhindern, daß Personen, die in den Geltungsbereich der Verordnung fallen, der Schutz auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil keine nationalen Rechtsvorschriften auf sie anwendbar sind. ,,508 Somit wurde die Funktionsähnlichkeit zwischen Titel 11 der VO (EWG) 1408171 und dem IPR deutlich: Beide erklären die Vorschriften nur eines Staats für anwendbar, um Normenhäufung wie Normenmangel zu vermeiden. 509 "Daß diese Normen [des Titels 11] den Kollisionsnormen des IPR zumindest äußerlich verwandt sind, [war schon zuvor] offensichtlich.,,510 Die Rechtsprechung des EuGH bestätigt, daß sie nicht nur äußerlich, sondern auch ihrer Aufgabe
506 EuGH, RS 19/67 (Van der Vecht), Slg. 1967,461 ff., 472. 507 So z.B. in den RS C-140/88 (Noij), Slg. 1991,1-387, Rdnr. 10; RS C-245/88 (Daalmeijer), Slg. 1991, 1-555, Rdnr. 13; RS C-198/90 (Kommission ./. Niederlande), Slg. 1991,1-5816, Rdnr. 10 und I!. 508 Mit dieser Formulierung in der RS C-196/90 (De Paep), Slg. 1991,1-4828, Rdnr. 18 und RS C-71/93 (Van Poucke), Slg. 1994, 1-1101, Rdnr. 22; so auch in den RS 276/81 (Kuijpers), Slg. 1982, 3027, Rdnr. 10; RS 101/83 (Brusse), Slg. 1984, 2223, Rdnr. 14; RS 302/84 (Ten Holder), Slg. 1986, 1821, Rdnr. 21; EuGH, RS 60/85 (Luijten), Slg. 1986, 2365, Rdnr. 14; EuGH, RS C-2189 (Kits van Heijnigen), Slg. 1990, 1-1755, Rdnr.12. 509 Kropholler, IPR, 3. Aufl. 1997, § 3. 11. b; v. Maydell, Sach- und Kollisionsnormen, 1967, 61; Eichenhofer, ISR und IPR 1987, 233f. und 254 ff.; Schuler, ISR der BRD, 1988, 276 ff. 510 v. Maydell, Sach- und Kollisionsnormen, 1967,56.
III. Die Normen über das anwendbare Recht in der VO (EWG) 1408171
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nach den international-privatrechtlichen Kollisionsnonnen verwandt sind. Dadurch hat sie zu einem vertieften Verständnis dieser Nonnen geführt.5I\
3. Andere Pendants zum IPR a) Alternative Anknüpfungen
Im IPR ist die Häufung von Anknüpfungspunkten ein wohlbekanntes Phänomen: Es findet sich kaum noch ein Anknüpfungsgegenstand, dem nur ein einziger Anküpfungspunkt zugeordnet wäre. 512 Ein wichtiger Grund 513 für die Verwendung mehrerer Anknüpfungspunkte liegt darin, daß sich das IPR sachrechtlichen Wertungen geöffnet hat. Bei einer bestimmten Fonn der "Mehrfachanküpfung", der sog. "alternativen" Anknüpfung, stehen mehrere Anknüpfungspunkte gleichrangig nebeneinander; jede von ihnen berufene Rechtsordnung kann prinzipiell auf den Sachverhalt zur Anwendung kommen. 514 Die Auswahl zwischen den Anknüpfungspunkten erfolgt durch einen "materiellen Stichentscheid,,:515 Diejenige Rechtsordnung findet Anwendung, die zu dem für den Begünstigten vorteilhaftesten Ergebnis führt. 516 Zweck der alternativen Anknüpfung ist daher in der Regel die Begünstigung bestimmter materieller Ergebnisse. In der VO (EWG) 1408171 gibt es Vorschriften über das auf die "Mehrfachrentner" bezüglich ihrer Krankenversicherung anwendbare Recht, die auch einem ähnlichen "Günstigkeitsprinzip" folgen: Für Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft für Rentenberechtigte ist in erster Linie der Wohnstaat des Rentners zuständig (Art. 27 VO (EWG) 1408171). Wenn dieser aber keinen Anspruch auf solche Leistungen nach dem Recht des Wohn staats hat, jedoch nach den Vorschriften eines anderen der "rentengewährenden" Mitgliedstaaten anspruchsberechtigt wäre, dann wird der Träger des Wohnstaats als "aushelfender" Träger tätig (Art. 28 VO (EWG) 1408171). Primär zuständig ist dann der 511 Eichenhofer, Das zum europ. Sozialrecht ergangene Richterrecht, ZAS 1995, 6 ff., 7f.; ders., Der EuGH und das europ. Sozialrecht, in: Due / Lutter / Schwarze (Hrsg.), Festschrift für Everling, 1995, 297 ff., 30lf. 512 v. Bar, IPR I, 1987, Rdnr. 545. Sl3 Andere Gründe sind erstens die Tatsache, daß Anknüpfungspunkte hervorgebracht wurden, die als Primäranknüpfungen der Ergänzung durch subsidiäre Sekundaranknüpfungen bedürfen, und zweitens, daß vom Anküpfungsgegenstand aus gedacht wird und versucht wird, theoretisch allen Anknüpfungsgegenständen die Reihe der Anknüpfungspunkte zugänglich zu machen: v. Bar, IPR I, 1987, Rdnr. 545. 514 Firsching / v. Hoffmann, IPR, 5. Aufl. 1997, § 5 Rdnr. 117, Kropholler, IPR, 3. Aufl. 1997, § 20. 11; v. Bar, IPR 1,1987, Rndr. 564 ff. 515 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 1981,206 ff. 516 Firsching / v. Hoffmann, IPR, 1997, Rdnr. 117.
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D. Systematische Einordnung
Träger des Staats, dessen Vorschriften der Rentner die längste Zeit unterworfen war, und, wenn auch hiernach mehrere Träger zuständig sind, der Träger des Staats, dessen Vorschriften auf den Rentner zuletzt anwendbar waren. Für die Familienbeihilfen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern und für die Waisenrenten treffen Art. 77 und 78 va (EWG) 1408171 ähnliche Regelungen: Zuständig ist also der Wohnstaat, ansonsten der Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften für den Rentner die längste Zeit (hilfsweise zuletzt) gegolten haben. 517 Mit diesen Regelungen wird stets bezweckt, nur einen (aber auch mindestens einen) Leistungsträger eines Mitgliedstaats zur Leistungserbringung zu verpflichten. In den Artikeln 27 ff. und 77 ff. va (EWG) 1408171 geht es also auch um die Förderung bestimmter materiellrechtlicher Ergebnisse: Das Recht jenes Mitgliedstaats gilt als anwendbar, welcher in seiner materiell-sozialrechtlichen Gesetzgebung das Recht des Rentners auf eine bestimmte Art von Leistung für den Rentner vorsieht. Somit kennt nicht nur das IPR, sondern auch die va (EWG) 1408171 die "alternative" Anknüpfung. 518 Es besteht allerdings ein wichtiger Unterschied: Im IPR wendet der Richter das im Einzelfall günstigere Recht an;519 in der va (EWG) 1408171 geht es hingegen um die zuständigkeits begründende Lokalisierung eines Rechtsverhältnisses. 52o Es ist nicht der Richter, der das günstigere Recht bestimmt, sondern die Verordnung legt dieses selbst fest: Wenn z.B. der Wohnsitzstaat keine Leistungen vorsieht, dann muß der Rentner einen Vordruck beibringen, der seine Berechtigung nach dem Recht eines anderen Staats bestätigt. Dies ist ein gänzlich anderes Verfahren als im IPR, wo der Richter selbst untersuchen würde, ob eine "günstigere Lösung" nach dem Recht eines anderen Staats bestünde. Die Strukturähnlichkeit darf also nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Funktion der alternativen Anknüpfung in der va (EWG) 1408171 eine andere ist als im IPR. b) Gesondene Anknüpfi.mg einer Teilfrage
Im international-privatrechtlichen Sprachgebrauch bezeichnet man einen Einzelaspekt eines internationalen Sachverhalts als "Teilfrage", z.B. das Verwandtschaftsverhältnis eines Kindes zu seiner Mutter innerhalb des Gesamtkomplexes seiner familienrechtlichen Situation. Gebräuchlich ist der im interC. 11. 1. Schuler, Das ISR der BRD, 1988,277 ff., 440 ff., 612 ff. 519 v. Bar, IPR I, 1987, Rdnr. 567. 520 Schuler, Das ISR der BRD, 1988, 277, Fn. 10.
517 S. 518
111. Die Normen über das anwendbare Recht in der va (EWG) 1408171
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nationalen Schrifttum gebrauchte Ausdruck "depe~age": Meist wird dabei an den Fall gedacht, daß die Beurteilung eines Vertrages, der Berührungspunkte zu mehreren Rechtsordnungen aufweist, in Einzelfragen aufgespalten und auf diese Weise mehreren Rechtsordnungen zugewiesen wird. 521 Wird eine Teilfrage von einem komplexen Rechtsverhältnis abgespalten und einem anderen Statut unterstellt, spricht man von einer gesonderten Anknüpfung der Teilfrage. 522 Betrachtet man den neu eingeführten Art. lOa der va (EWG) 1408171,523 erscheint auch hier die international-privatrechtliche Terminologie tauglich zu sein. Denn die beitragsunabhängigen Sonderieistungen fallen nach dem (ebenfalls neuen) Art. 4 Abs. 2a va (EWG) 1408171 in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung;524 sie sind (und somit wurde die frühere Rechtsprechung des EuGH bestätigt)525 Teil des "Komplexes" "soziale Sicherheit". Normalerweise wären diese Leistungen, wie alle anderen Leistungen der sozialen Sicherheit, von dem Beschäftigungsstaat zu erbringen und in den Wohn staat zu exportieren (Art. 10 va (EWG) 1408/71). Nun aber sind sie "abgespalten" von den anderen Leistungen und sind nach dem Recht des Wohnstaats und zu dessen Lasten zu gewähren. Demnach gibt es auch hier eine gesonderte Anknüpfung der Teilfrage "Leistungsberechtigung für die Leistungen gemischter Art".
c) Akzessorische Anknüpjung
Das Gegenstück zur gesonderten Anknüpfung einer Teilfrage - die zu der Aufspaltung eines einheitlichen Rechtsverhältnisses in zwei Teilkomplexe führt, für die unterschiedliche nationale Rechte gelten - bildet im IPR die "akzessorische" Anknüpfung: Durch sie werden systematisch getrennte Rechtsverhältnisse, für die unterschiedliche Anknüpfungen bestehen und für die deswegen unterschiedliche Rechte zur Anwendung berufen werden können, einem gemeinsamen Recht unterstellt, weil sie funktional zusammengehören. 526 Beispiel: Das Deliktsstatut wird durch akzesssorische Anknüpfung an das Vertragsstatut bestimmt, wenn der Geschädigte durch den Schädiger im Rahmen eines bereits bestehenden Vertragsverhältnisses (z.B. Transport-, Arbeits- oder Kropholler, IPR, 3. Aufl. 1997, § 18. Im deutschen IPR ist die gesonderte Anküpfung der allgemeinen Geschäftsfähigkeit bekannt, die sich nicht nach dem oft selbstgewählten Statut des jeweiligen Rechtsgeschäftes, sondern in erster Linie nach der Person des Handelnden richtet: Art. 7 EGBGB. 523 s. C. 11. 2. b). 524 s. B. III. 2. 525 Teil B. III. 2. 526 Firsching/v. Hoffmann, IPR, 1997, § 6 Rdnr. 45. 521
522
152
D. Systematische Einordnung
Arztvertrag) geschädigt wurde. Die unerlaubte Handlung wird nach dem für dieses Vertragsverhältnis maßgebenden Recht beurteilt. Die akzessorische Anknüpfung ist gerechtfertigt, weil die unerlaubte Handlung im Rahmen des Vertragsverhältnisses begangen worden ist. Das Vertragsverhältnis verbindet die Parteien untereinander und steht mit dem Delikt in einem sachlichen Zusammenhang. 527 Art. 9 Abs. 1 der VO (EWG) 1408/71 sieht vor, daß eine Person (ehemaliger Arbeitnehmer oder Selbständiger) das Recht zur freiwilligen Versicherung in einem Mitgliedstaat hat, wenn sie in diesem Staat wegen ihrer Beschäftigungffätigkeit pflichtversichert gewesen ist, und zwar unabhängig von ihrem Wohnstaat. 528 Pflichtversicherung und freiwillige Versicherung sind systematisch zu trennende Rechtsverhältnisse: Die erste ist durch Gesetz, die zweite durch Entscheidung des Versicherten begründet; die erste fällt in den sachlichen Geltungsbereich der VO (EWG) 1408/71, die zweite nicht. Nichtsdestotrotz stehen die beiden Versicherungsformen in engem Zusammenhang. Dieser ergibt sich daraus, daß durch die Tätigkeit einer Person in einem Staat schon ein Verhältnis zu dessen Sozialversicherungssystem begründet worden ist und Beiträge bezahlt worden sind. Die VO (EWG) 1408/71 sieht deswegen die Möglichkeit vor, eine durch Ausübung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit begründete Versicherungsmitgliedschaft durch freiwillige Versicherung fortzuführen. 529 Auf diese Weise wird das Recht der freiwilligen Versicherung durch akzessorische Anknüpfung an das durch die Beschäftigungffätigkeit berufende Statut bestimmt. 53o
4. Zusammenfassung Die Normen über das anwendbare Recht der VO (EWG) 1408/71 haben die Struktur (Anknüpfungsgegenstand, Anknüpfungspunkt, Berufung eines materiellen Rechts) und Aufgabe (Vermeidung von Normenhäufungen und -mangel) der Kollisionsnormen, wie sie aus dem IPR bekannt sind. Darüber hinaus kennen die Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408/71 andere ..Anknüpfungsmethoden", die auch dem IPR bekannt sind. Die Ähnlichkeiten zum IPR sind also offensichtlich. Die Frage, die allerdings noch offen bleibt, ist, ob die Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408/71 in jeglicher Hinsicht den gleichen Charakter wie die Kollisionsnormen des IPR
527
528
Kropholler, IPR, 1997. § 53. V. 3. s. C. I. 2.
529 Solange natürlich nach dem Pflichtversicherungstatut die Möglichkeit zur freiwilligen Versicherung besteht. 530 Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 333.
IV. Verhältnis der Kollisionsnormen
153
haben. Für die Beantwortung dieser Frage soll hier zunächst das Verhältnis der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 zu den früheren Abkommenskollisionsnormen und den nationalen Kollisionsnormen dargestellt werden. Sodann wird die Stellung dieser Normen im System der Verordnung untersucht. Denn erst nachdem die Rolle der Kollisionsnormen der Verordnung genauer aufgezeigt worden ist, kann die Frage nach ihrem Rechtscharakter beantwortet werden.
IV. Verhältnis der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 zu den Kollisionsnormen des Abkommensrechts und den nationalen Kollisionsnormen 1. Verhältnis zu den Kollisionsnormen des Abkommensrechts Die VO (EWG) 1408171 verdrängt grundsätzlich die zwischen den Mitgliedstaaten zuvor beschlossenen bi- oder multilateralen Abkommen über soziale Sicherheit (Art. 6 VO (EWG) 1408171).531 Somit wird die Rechtseinheit des nationalen internationalen Sozialrechts in einer supranationalen Gemeinschaft gewährleistet. 532 Art. 8 der VO (EWG) 1408171 sieht jedoch vor, daß die Mitgliedstaaten "nach den Grundsätzen und im Geist dieser Verordnung" miteinander Abkommen schließen können. So kann das Abkommensrecht das supranationale Recht ergänzen, wenn es nach dessen Inkrafttreten erlassen worden ist. Gemäß Art. 6 der VO (EWG) 1408171 ersetzen auch die Kollisionsnormen der Verordnung die in früheren Abkommen enthaltenen Kollisionsnormen. Nach Auffassung des BSG gehen dennoch die speziellen Kollisionsnormen des NATO-Truppenstatuts den Kollisionsnormen der Verordnung vor. 533 Diese Auffassung ist zu beanstanden: Dagegen spricht der Wortlaut des Art. 6 i.V. m. Art. 7 der VO (EWG) 1408171. 534 Die Verdrängung der Kollisionsnormen des Abkommensrechts durch die Kollisionsnormen der Verordnung dürfte auch nicht von der Rechtsprechung
531 Ausnahmen von dieser Bestimmung werden in Art. 7 der VO (EWG) 1408/71 für die Koordination der sozialen Sicherheit der Rheinschiffer, der im internationalen Verkehrswesen beschäftigten Personen, sowie der in Anhang III der VO (EWG) 1408/71 aufgeführten Abkommen über soziale Sicherheit formuliert. Eine weitere Ausnahme ist in Art. 46 Abs. 4 zu finden. 532 Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 133. 533 BSG, Urt. v. 8. 10. 1981 - 7 Rar 30/80, SozR 6180 Art. 13 Nr. 3 = SGb 1983, I 17 ff. mit Anm. Schuler / Schulte. 534 Schuler / Schulte, ebd., 125 ff.; SGB SozVersGesKomm, Baumeister, Art. 13, Rdnr. 2; NKES, Steinmeyer, I. 13, Rdnr. 8.
154
D. Systematische Einordnung
des EuGH über das Verhältnis zwischen der Verordnung und den ihr vorgehenden Sozialversicherungsabkommen berührt werden. Zwar hat der Gerichtshof in der Rechtssache RönfeldtS3S festgestellt, daß Regelungen im früheren Abkommen trotz Art. 6 va (EWG) 1408/71 anwendbar bleiben, wenn die Verordnungs bestimmungen für den Betroffenen zum Verlust von Vergünstigungen der sozialen Sicherheit führen würden, die ihm nach dem Abkommensrecht zugestanden hätten. s36 In einer späteren EntscheidungS37 hat er seinen Befund modifiziert. Der Gerichtshof stellte klar, daß die Verordnung das Abkommensrecht verdrängt und an seine Stelle tritt. In Sonderfällen kann es aber neben der Geltung der Verordnung zur weiteren Anwendung der früher abgeschlossenen Abkommen kommen, und zwar dann, wenn die betroffene Person bereits vor Anwendung des EG-Rechts in zwei der Vertragsstaaten erwerbstätig gewesen ist und deshalb aus dem Abkommen hätte Rechte geltend machen können, die unter Geltung der va (EWG) 1408/71 entzogen würden. 538 Bei den Kollisionsnormen geht es aber nicht um die Frage des Erwerbs oder Verlusts von Vergünstigungen, sondern um die Bestimmung des anwendbaren Rechts: Es geht eben um keine materiellrechtliche Regelung. Deshalb dürfte der Vorrang der kollisionsrechtlichen Bestimmungen der Verordnung vor den entsprechenden Bestimmungen im Abkommensrecht nicht in Frage gestellt werden.
m EuGH, RS C-227/89, Slg. 1991, 1-323. Dieser Entscheidung widersprach eine frühere Entscheidung, die Entscheidung in der RS 82/72 (Walder), Slg. 1973, 599, in der der Gerichtshof den zwingenden Vorrang der VO (EWG) 1408171 vor bilateralen Abkommen betont hat. 536 Kritisch Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 134f.; ders., EAS B 1200, Rdnr. 106; Költzsch, Eine Entscheidung des EuGH und ihre Folgen für das ISR, SGb 1992, 591 ff. 537 EuGH, RS C-475/93 (Thevenon), Slg. 1995,1-3813 = EuroAS 1995, 201 ff. mit Anm. Zuleeg-Feuerhahn, 202 ff; so auch EuGH, RS C-113/96 (Rodriguez), Urt. v. 7.5.1998. 538 In diesem Sinne Zuleeg-Feuerhahn, ebd. und Resch, Nationale Sozialversicherungsabkommen und EG-Verordnungen zur Sozialen Sicherheit, NZS 1996, 603 ff. (s. insb. 606: "Die Entscheidung Thevenon bedeutet damit weniger eine echte Wendung der Rechtsprechung, als vielmehr eine Präzisierung und allenfalls leichte Modifikation des Urteilsspruchs in der RS Rönfeldt"). A.A. Coursier, in: Coursier / Teyssie / Antonmattei, Droit sodal europeen et international, Chron. JCP. 6 Juin 1996, M. E.1. 565, 248 ff., 253: Die Entscheidung in der RS Thevenon sei eine Rückkehr zu der WaIderEntscheidung.
IV. Verhältnis der Kollisionsnormen
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2. Verhältnis zu den nationalen Kollisionsnormen a) Vorrang der Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171
aa) Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht Gemeinschaftsrecht geht nationalem Recht vor. Wie der EuGH in der Rechtssache CostalEnel 539 ausgeführt hat, "können dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus autonomer Rechtsquelle fließenden Recht wegen seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll. [ ... ] Es würde dem Wesen der Gemeinschaftsrechtsordnung widersprechen, wenn es den Mitgliedstaaten gestattet wäre, Maßnahmen zu ergreifen und aufrecht zu erhalten, welche die praktische Wirksamkeit des Vertrages beeinträchtigen könnten." Diese Grundsätze gelten nicht nur für den Vertrag selbst, sondern auch für alle auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsakte, insbesondere die in Art. 189 EGV genannten Rechtsetzungsinstrumente.54o Als erster solcher Rechtsakt wird in dem obengenannten Artikel die Verordnung genannt. Die Verordnungen haben allgemeine Geltung (in dem Sinne, daß sie auf objektiv bestimmte Sachverhalte anwendbar sind und Rechtswirkungen für allgemein und abstrakt umrissene Personengruppen zeitigen)541, sind in allen ihren Teilen verbindlich (im Gegensatz zu den Richtlinien, die nur hinsichtlich der Ziele verbindlich sind) und gelten unmittelbar, d.h. kraft ihres Erlasses in jedem Mitgliedstaat. 542 Insbesondere aus der unmittelbaren Geltung schließt der EuGH auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts: 543 Die Unmittelbarkeit steht "der Anwendung aller gesetzgeberischen Maßnahmen entgegen, die mit den Verordnungsbestimmungen unvereinbar sind".544
RS 6/64, Sig. 1964, 1269 ff. EuGH, RS 14/68 (Wilhelm u.a.lBundeskartellamt), Sig. 1968, 1 ff.; Daig / Schmidt, Art. 189 in: G/T/E, Kommentar zum EWGV, 4,. Aufl. 1991,4937 ff., Rdnr. 2; Hirsch, Die Rechtsprechung des EuGH zum Verhältnis von nationalem und supranationalem Recht, VSSR 1996, 159 ff., 161. 541 EuGH, RS 101176 (Koninklijke Scholten HonigIRat und Kommission), Sig. 1977, 806; EuGH, RS 64/80 (Giuffrida u. Campogrande), Sig. 1981,693. 542 s. hierzu Daig / Schmidt, Art. 189, in: G/T/E, Kommentar zum EWGV, Rdnr. 27 ff.; Oppennann, Europarecht, 1991, Rdnr. 447 ff.; Streinz, Europarecht, 2. Aufl. 1995, Rdnr. 377 ff., Craig / De Burga, EC Law, 1995,97 ff. 543 Grabitz, Art. 189, Rdnr. 50, in: Grabitz / Hilf, Kommentar zur EU. 544 EuGH, RS 43170 (Politilltalien), Sig. 1971, 1039, EuGH, RS 31178 (Bussone), Sig. 1980,2329. 539 EuGH, 540
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D. Systematische Einordnung
bb) Der Vorrang der Kollisionsnonnen der VO (EWG) 1408171 vor den nationalen Kollisionsnonnen Die VO (EWG) 1408171 geht den nationalen Gesetzen (in bezug auf ihre Regelungsmaterie ) vor. Die Artikel 13 bis 17 der VO (EWG) 1408171 sowie die anderen Bestimmungen über das anwendbare Recht verdrängen daher die entsprechenden Bestimmungen in den nationalen Rechtsordnungen. Wie ist nun der Vorrang der Kollisionsnonnen der VO (EWG) 1408171 in concreto zu verstehen; oder, anders fonnuliert, welche Bedeutung hat dieser Vorrang für die Rechtssetzung und Rechtsanwendung auf nationaler Ebene?
( J) Keine zusätzliche nationale Kollisionsnorm
In der Rechtssache Kuijpers 545 ging es um einen Arbeitnehmer, der in den Niederlanden wohnte, in Belgien arbeitete und darüber hinaus eine Nebentätigkeit in seinem Wohnstaat ausübte. Gegenstand der an den EuGH gestellten Frage war eine Regelung des niederländischen Gesetzes über die allgemeine Altersversicherung (Algemene Oudersdomswet, im folgenden: AOW), nach der "der Landesansässige, der außerhalb des Staats in einem Arbeitsverhältnis steht und wegen dieser Tätigkeit nach den in dem Land, in dem er beschäftigt ist, geltenden Rechtsvorschriften [ ... ] versichert ist, als nicht nach diesem Gesetz versichert angesehen wird". In der Begründung dieser Vorschrift546 heißt es: "Durch diese Bestimmung sollen Grenzarbeiter, die in den Niederlanden wohnen, jedoch im Ausland arbeiten und dort versichert sind, vom Anwendungsbereich der niederländischen Altersversicherung ausgeschlossen werden, um eine Doppelversicherung zu venneiden." Durch die oben genannte Regelung wurden die Versicherungszeiten von Herrn Kuijpers um die Jahre gekürzt, während derer er zugleich in Belgien versichert war, mit der Folge, daß sich seine Altersrente entsprechend minderte. Der Centrale Raad van Beroep hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob diese Regelung des AOW mit Art. 13 Abs. 1 Buchst. c) Unterabsatz 1 VO (EWG) 3 und Art. 14 Abs. 1 Buchst. c) Ziff. i) VO (EWG) 1408171 547 vereinbar sei. Wie der Generalanwalt Van Themaat in seinen Schlußanträge verdeutlicht hat, handelt sich bei der obengennannten Bestimmung des AOW um eine nationale Kollisionsnonn. Die implizite Frage war also, ob eine nationale KolliEuGH, RS 276/81, Slg. 1982,3027. Diese Begründung ist in der RS 275/81 (Koks), Slg. 1982,3013 zu finden. 547 Nunmehr Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) Ziff. i) n.F. 545
546
IV. Verhältnis der Kollisionsnormen
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sionsnonn anwendbar ist, obwohl die va (EWG) 1408171 schon über eine Kollisionsnonn für das entsprechende Problem verfügt. Der Gerichtshof hat entschieden, daß die Mitgliedstaaten zwar in ihrem nationalen Recht die Voraussetzungen niederlegen können, unter denen jemand dem System der sozialen Sicherheit oder einem Zweig dieses Systems angehört; sie können jedoch nicht bestimmen, inwieweit ihre eigenen Rechtsvorschriften oder die eines anderen Mitgliedstaats anwendbar sind. Im Fall von Herrn Kuijpers hatte dies zur Folge, daß er nach Art. 14 va (EWG) 1408171 den Vorschriften seines Wohnstaats (Niederlande) unterworfen war, und zwar ungeachtet dessen, wo er seine Haupt- oder Nebentätigkeit ausübte. Die praktische Folge war, daß seine niederländische Altersrente nicht gekürzt werden durfte. Mit der Entscheidung in der Rechtssache Kuijpers wurde klargestellt, daß es den Mitgliedstaaten nicht gestattet ist, zusätzliche Kollisionsnonnen zu den Vorschriften des Titels 11 zu erlassen und anzuwenden. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist nicht mehr Sache des nationalen Gesetzgebers; nur der Verordnungsgesetzgeber hat im Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts diese Aufgabe zu erfüllen.
(2) Keine nationale Kollisionsnorm, die andere Anknüpfungspunkte enthält als die der va (EWG) 1408/11 Der Gerichtshof stellte fest, daß die Mitgliedstaaten nicht bestimmen können, "inwieweit ihre eigenen Rechtsvorschriften oder die eines anderen Mitgliedstaats anwendbar sind" 548, entsprechend ihrer Verpflichtung, "die geltenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu beachten".549 Dieser Befund bedeutet nicht nur, daß den Staaten die Bestimmung des anwendbaren Rechts entzogen wird, sondern vielmehr, daß sie keine den Kollisionsnonnen der va (EWG) 1408171 widersprechenden nationalen Nonnen anwenden dürfen. Dies wurde in folgenden Entscheidungen des Gerichtshofs präzisiert. - In der Rechtssache Kits van Heinigen550 befaßte sich der EuGH mit dem Wohnsitzerfordernis des Art. 6 Abs. 1 der niederländischen Algemene Kinderbijlagwet (AKW), nach der nur die "Inländer" versichert sind und nur ihnen Kindergeld zusteht. Nachdem er festgestellt hat, daß auch ein Teilzeitbeschäftigter wie ein Vollzeitbeschäftigter zu behandeln sei und somit auf ihn die Vor-
548 EuGH, RS 276/81 (Kuijpers), Slg. 1982,3027. 549 EuGH, RS 275/81 (Koks), Slg. 1982,3013. 550 EuGH, RS C-2189, Slg. 1990, 1-1755.
158
D. Systematische Einordnung
schriften seines Beschäftigungsstaats Anwendung fänden,551 hat er darauf hingewiesen, daß ein Arbeitnehmer immer dem Recht seines Beschäftigungsstaats unterliege, "und zwar auch dann, wenn er im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt". Dies entspricht genau dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a) va (EWG) 1408/71; der EuGH hat aber darüber hinaus ausgeführt, daß "dieser Bestimmung jede praktische Wirksamkeit genommen würde", wenn den in ihr aufgeführten Personen die Wohnsitzvoraussetzung entgegengehalten werden könnte, die von einem Staat für die Aufnahme in das System der sozialen Sicherheit vorgesehen ist. Für diese Personen bewirkt Art. 13 Abs. 2 Buchst. a) va (EWG) 1408/71 nämlich, daß an die Stelle der Wohnsitzvoraussetzung die Voraussetzung tritt, daß im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt wird. 552 Die von den Mitgliedstaaten für die Zugehörigkeit zu einem System der sozialen Sicherheit festgelegten Voraussetzungen dürfen nicht dazu führen, daß die Personen, auf die die Vorschriften des Titels 11 der va (EWG) 1408/71 anwendbar sind, vom Anwendungsbereich dieser Rechtsvorschriften ausgeschlossen werden. 553 - In der Rechtssache De Paep554 ging es um einen Seemann, der seinen Wohnort in Belgien hatte, an Bord eines unter englischer Flagge fahrenden Schiffes beschäftigt war, aber von einem Unternehmen mit Sitz in Belgien entlohnt wurde. Das Schiff war zwar als nicht seetüchtig erklärt worden, wurde aber dennoch an eine britische Gesellschaft verkauft, die es in Großbritannien registrieren ließ. Der Seemann verunglückte tödlich an Bord dieses Schiffes. Es stellte sich nun die Frage, ob seinen Hinterbliebenen ein Anspruch auf Rente zustehe. Das belgische Gesetz über Arbeitsunfälle555 macht den Zugang zu dem vorgesehenen System der sozialen Sicherheit von der Voraussetzung abhängig, daß das Schiff, auf dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, die belgische Flagge führt. Nach dem früheren Art. 14 Abs. 2 Buchst. c), der Art. 14b AbS.4 va (EWG) 1408/71 der gegenwärtigen Fassung entspricht, würden auf die betroffene Person die Vorschriften seines Wohnsitzstaats und zugleich des Sitzstaats seines Arbeitgebers anwendbar sein, also die belgischen Rechtsvorschriften. Die Frage war also, ob die belgische Kollisionsnorm der Kollisionsnorm der Verordnung entgegengehalten werden könnte.
s. oben, C. I. I. a) aa). Rdnr. 21 des Urteils in der RS C-2/89 (Kits van Heinigen), Slg. 1990,1-1755. m Ebd., Rdnr. 20. 554 RS C-196/90, Slg. 1991,1-4815. 555 Gesetz v. 10.4.1971. 551
552
IV. Verhältnis der Kollisionsnormen
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Der Gerichtshof verneinte dies. Er stellte fest, daß der obengenannte Artikel der va (EWG) 1408171 wirkungslos sei, wenn den dort genannten Personen nationale Regelungen entgegenhalten werden könnten, nach denen die Zugehörigkeit zu einem System der sozialen Sicherheit von der Flagge des Schiffs abhängt. 556
(3) Verdrängung von nationalen Sachnormen?
Neben der obengenannten belgischen Kollisionsnorm in der Rechtssache De Paep gab es noch eine nationale Norm, die den Zugang des Seemanns zum belgischen System der sozialen Sicherheit verhinderte: Dies war eine Regelung über die Arbeitsverträge in der Seefahrt, wonach ein Vertrag in dem Zeitpunkt beendet wird, in dem das Schiff offiziell für nicht seetüchtig erklärt wird. 557 Die Frage war, ob die nationale Sachnorm,558 nach der der Zugang zum System der sozialen Sicherheit von der Wirksamkeit des Arbeitsvertrages abhängt, mit der Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 vereinbar sei. Der Gerichtshof bemerkte, daß auch die Vorschriften über die Nichtigkeit des Arbeitsvertrages nicht der Anwendung der Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 entgegenstehen dürfen. Auch sie würden verhindern, daß die Kollisionsnormen ihre volle Wirksamkeit entfalten können. Diese Auslegung überrascht, wenn man die ständige Rechtsprechung des EuGH betrachtet, nach der die Mitgliedstaaten die Voraussetzungen bestimmen, unter denen eine Person dem nationalen System beitreten kann oder muß. 559 Die Entscheidung in der Rechtssache De Paep hat die frühere Rechtsprechung insoweit korrigiert, als sie klarstellte, daß die in nationalen Sachnormen enthaltenen Voraussetzungen die Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 nicht unwirksam machen dürfen. Zweck des Titels 11 der va (EWG) 1408171 ist, daß auf eine Person die Vorschriften zumindest eines, aber auch nicht mehr als eines Staats Anwendung finden. Deshalb ist nach den oben zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs über den Titel 11 (Kuijpers, Kits van Heinigen) die Anwendung von anderen als in der Verordnung enthaltenen territorialen Anknüpfungskriterien untersagt. Die Anwendung von anderen Kriterien aber, wie z.B. dem Alter, wurde
Rdnr. 19 des Urteils De Paep, ebd. Art. 89 des belgischen Gesetzes v. 5.6.1928 zur Regelung der Arbeitsverträge in der Seefahrt (Belgisch Staatsblad v. 26.7.1928). 558 Pennings, Introduction to European Socia! Security Law, 1994, 102: .. this rule is a rule of substance". 559 s. oben, D. III 1. b). 556 557
160
D. Systematische Einordnung
von der Rechtsprechung des Gerichtshofs bisher immer gebilligt, solange sie zu keiner diskriminierenden Behandlung von In- und Ausländern führte. 560 In der Rechtssache De Paep ist zwar dem Gerichtshof zuzustimmen, daß die Voraussetzung des wirksamen Vertrages Art. 14 va (EWG) 1408171 bedeutungslos machen würde. Es bleibt aber die Frage offen, ob auch alle anderen, nicht-territorialen Kriterien im Ergebnis den Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 zuwiderlaufen würden. Würde z.B. die Vorschrift des Beschäftigungsstaats, nach der Personen, deren Einkommen eine bestimmte Grenze übersteigt, nicht versichert sind, die Bestimmung des Art. 13 Abs. 2 Buchst. b) va (EWG) 1408171 auch praktisch unwirksam machen? M.E. ist die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache De Paep insofern zu beanstanden, als sie den Unterschied zwischen Sach- und Kollisionsnormen verkennt. Die Kollisionsnormen beenden lediglich die Unsicherheit darüber, welche mitgliedstaatlichen Sachnormen maßgeblich sind. Sie regeln aber nicht, ob eine Person tatsächlich in einem Mitgliedstaat versichert ist. Ihre Rolle endet mit der Bestimmung des anwendbaren Rechts; darüber hinaus haben sie zur Sachentscheidung "nichts zu sagen". Deshalb kann ihnen eine nationale Sachnorm nicht zuwiderlaufen, weil diese eine Norm von einer ganz anderen "Qualität" ist.
(4) Fazit: Die "starke Wirkung" der Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 Die Entscheidungen des EuGH haben vor allem in den Rechtssachen Kuijpers und Kits van Heinigen bekräftigt, daß die Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 die nationalen Kollisionsnormen verdrängen. Nach ständiger Formulierung bilden die Vorschriften des Titels 11 der Verordnung ein "geschlossenes,,561 oder "vollständiges,,562 System von Kollisionsnormen. Die Adjektive "geschlossen" oder "vollständig" bedeuten nichts mehr, als daß es den Staaten nicht gestattet ist, andere Kollisionsnormen statt der Verordnungsnormen zu erlassen und anzuwenden. Ihnen wird die Befugnis genommen, Geltungsbereich und Anwendungsvoraussetzungen ihrer nationalen Vorschriften im Hinblick darauf zu bestimmen, welche Personen ihnen unterliegen und in welchem Gebiet sie ihre Wirkung entfalten sollen. 563 Wenn also die nationalen
560 D. III. 1. b). 561 s. z.B. EuGH, RS 302184 (Ten Holder), Slg. 1986, 1821, Rdnr. 21; EuGH, RS 60/85 (Luijten), Slg. 1986,2365, Rdnr. 14, EuGH, RS C-2189 (Kits van Heinigen), Slg. 1990,1-1755, Rdnr. 12. 562 Z.B. in der RS C-71/93 (Van Poucke), Slg. 1994,1-1101, Rdnr. 22. 563 EuGH, RS 302184 (Ten Holder), Slg. 1986, 1821, Rdnr. 22.
IV. Verhältnis der Kollisionsnormen
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"Grenznonnen" entgegen den Verordnungsnonnen die Anwendung des eigenen Rechts nicht vorsehen, ersetzt die VO (EWG) 1408171 die nationalen Nonnen. Der EuGH hat die "starke" Wirkung der Kollisionsnonnen bestätigt und somit jeden Zweifel über den verdrängenden Charakter dieser Nonnen beseitigt. 564
cc) Bedeutung der "starken Wirkung" der Kollisionsnonnen der VO (EWG) 1408171 für den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Wegen der starken Wirkung der Kollisionsnonnen der VO (EWG) 1408171 sind die Mitgliedstaaten nicht mehr befugt, den räumlichen Anwendungsbereich ihrer eigenen Rechtsvorschriften festzulegen. Diese Feststellung ist von besonderer Bedeutung für die Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs der Verordnung (Art. 2 VO (EWG) 1408171). Der EuGH hat nämlich festgestellt, daß in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung alle Personen fallen, welche die Voraussetzungen erfüllen, die von dem für sie geltenden System der sozialen Sicherheit objektiv festgesetzt worden sind, selbst wenn die für den Beitritt zu diesem System erforderlichen Schritte nicht unternommen worden sind. 565 Zu dieser gemeinschaftsrechtlichen Definition kommt nunmehr der Vorrang der Kollisionsnonnen der Verordnung vor den nationalen Kollisionsnonnen. Dies bedeutet, daß bei der Bestimmung der nationalen Voraussetzungen, unter denen jemand einem System der sozialen Sicherheit angehören darf, die Vorschriften des nationalen Rechts über den räumlichen Geltungsbereich dieses Systems außer Betracht zu bleiben haben. 566 Die "starke Wirkung" der KoIlisionsnonnen der Verordnung trägt also auch dazu bei, die Voraussetzungen des Beitritts zu einem System der sozialen Sicherheit und damit auch des Beitritts zu dem persönlichen Geltungsbereich der VO (EWG) 1408171 genauer festzulegen: Die Festsetzung nationaler materiellrechtlicher Voraussetzungen ist gestattet; die Festsetzung nationaler koIIisionsrechtIicher Voraussetzungen dagegen nicht.
564 Vor allem in der niederländischen Literatur gab es vor der Entscheidung in der RS Kuijpers Zweifel darüber, ob die Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 über eine "starke" Wirkung verfügen: Mannoury, Besprechung des Buches von Comelissen " De Europese verordeningen inzake sociale zekerheid", in: RM. Themis 1985, 486 ff. Zur Diskussion über den verdrängenden Charakter s. Comelissen, Communautaire en Nederlandse jurisprudentie inzake de conflictregels, S.E.W. 1986, 799 ff., 802f.; Kave[aars, Toewijzingsregels in het Europees sociaalverzekeringsrecht, 1992, 111 ff. 565 EuGH, RS 39176 (Mouthaan), Slg. 1976, 1901. 566 Schlußanträge des Generalanwalts Jacobs in der RS C-121192 (Zinnecker), Slg. 1993,1-5023,1-5047 (Rdnr. 33). 11 Devetzi
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D. Systematische Einordnung
b) Die "exklusive" Wirkung der Kollisionsnormen der
va (EWG) 1408171
aa) Artikel 13 Abs. 1 va (EWG) 1408/71 Art. 13 Abs. 1 der va (EWG) 1408/71 lautet: "Vorbehaltlich des Artikels 14c unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. " Durch diesen Artikel wird geklärt, daß eine Person den Vorschriften zumindest eines, aber auch niemals mehr als eines Staats unterliegt. Diese Vorschrift ist die Kehrseite des Vorrangs der Kollisionsnormen der (EWG) 1408/71 vor den nationalen Normen: Die Mitgliedstaaten sind nicht mehr in der Lage zu bestimmen, ob ihr eigenes Recht anwendbar ist; nur das von der va (EWG) 1408/71 bestimmte Recht darf angewendet werden, um Normenhäufungen auszuschließen. Vorrang der kollisionsrechtlichen Regelungen der va (EWG) 1408/71 bedeutet nicht nur, daß ein nationales Recht angewendet wird, obwohl dasselbe seine Anwendung nicht vorsieht, sondern auch umgekehrt, daß ein nationales Recht nicht angewendet wird, obwohl es seine Anwendung in dem bestimmten Fall vorsieht.
va
bb) Die Diskussion um den exklusiven Charakter des Art. 13 Abs. 1 Der Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 ist aussagekräftiger als der Wortlaut des entsprechenden Art. 12 va (EWG) 3: "Unterliegen Personen [ ... ] den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats" statt " ... gelten für Arbeitnehmer [die] Rechtsvorschriften [des Beschäftigungsstaats ] auch dann, wenn ... ". Unter der Geltung der va (EWG) Nr. 3 hat der EuGH entschieden, daß "Art. 12 die Anwendung der Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats als des Beschäftigungsstaats nur insoweit ausschließt, als der Betroffene anderenfalls verpflichtet wäre, Beiträge an einen Sozialversicherungsträger zu entrichten, ohne daß dieser ihm für das gleiche Risiko und den gleichen Zeitraum einen zusätzlichen Vorteil gewähren würde".567 Somit hat er die konkurrierende Anwendung mehrerer nationaler Rechte als zulässig angesehen, wenn sich eine entsprechende Verbesserung des Sozialschutzes in Aussicht stellte. Diese Entscheidungen wurden kritisiert, vor allem weil die Bewertung eines zusätzlichen Vorteils für große Interpretationsprobleme sorgen würde. 568
567 EuGH, RS 92/63 (Nonnenmacher), Slg. 1964,613,629; mit ähnlicher Formulierung RS 19/67 (Van der Vecht), Slg. 1967,461,473. 568 s. Cornelissen, S.E.W. 1986,799 ff., 805; NKES Steinmeyer, I. 13 Rdnr. 2.
IV. Verhältnis der Kollisionsnonnen
163
Nach diesen Entscheidungen aus den 1960er Jahren hat der Gerichtshof diese Auffassung allerdings nicht mehr vertreten. 569 In den 1980er Jahren wurde sie ausdrücklich aufgegeben. In der Rechtssache Ten Holder57o ist der EuGH den Schlußanträgen des Generalanwalts Slynn, der für eine Auslegung wie in den Rechtssachen Nonnenmacher und Van der Vecht plädiert hatte, nicht gefolgt und stellte fest: "Wenn Art. 13 Abs. 2 Buchst. a) der va (EWG) 1408171 auf die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats als die auf einen Arbeitnehmer anwendbaren Rechtsvorschriften verweist, so hat dies zur Folge, daß nur die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats auf ihn anwendbar sind".571 Die ausschließliche Anwendung der Vorschriften eines einzigen Mitgliedstaats wurde somit zweifellos bestätigt. 572 Der Befund des Gerichtshofs hatte zur Folge, daß der betroffenen Person, die in den Niederlanden wohnte und zuletzt in Deutschland gearbeitet hatte, eine Leistung wegen Invalidität entzogen wurde, die ihr sonst allein aufgrund ihres Wohnsitzes zugestanden hätte. 573 Der EuGH führte aus, daß der Grundsatz der Anwendbarkeit nur eines nationalen Rechts nicht dem anderen vom Gerichtshof aufgestellten Grundsatz entgegenstehe: Demnach darf die Anwendung der va (EWG) 1408171 nicht zum Verlust von Ansprüchen führen, die allein nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erworben worden sind. 574 Dieser Grundsatz betrifft die Gemeinschaftsregeln über die Kumulierung von Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten, nicht aber die Normen über das anwendbare Recht. Er kann daher nicht bewirken, daß der Betroffene für einen bestimmten Zeitraum nach den Vorschriften mehrerer Mitgliedstaaten versichert ist. 575 Vor dieser Entscheidung wurde im Schrifttum die Auffassung vertreten, daß der Grundsatz der Erhaltung wohlerworbener Rechte der exklusiven Wirkung der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 entgegenstehe. Dieser Grund569 Auch nicht in der RS 73/72 (Bentzinger), Slg. 1973,283, die die Auslegung des Art. 13 Abs. 1 Buchst. c der VO (EWG) Nr. 3 betraf. 570 RS 302/84, Slg. 1986, 1821; so auch in der RS 60/85 (Luijten), Slg. 1986, 2365. 571 Rdnr. 23 des Urteils Ten Holder, ebd. 572 s. hierzu auch BSG, Urt. v. 15.12.1992, 10 RKg 18/91, SozR 3-6050 Art. 13, das an der Entscheidungen des EuGH in den RS Ten Holder und Luijten anschließt: Einem nach Deutschland entsandten Beamten eines anderen EG-Mitgliedstaates steht kein Kindergeld zu, da auf ihn ausschließlich die Vorschriften seines Entsendestaates Anwendung finden. 573 Diese Entscheidung hat auch zu einer Veränderung der VO (EWG) 1480171 geführt: mit der VO 2195/91 wurde das neue Buchst. f) in Art. 13 Abs. 2 eingeführt, nach dem auf Personen, die nicht mehr den Vorschriften ihres Beschäftigungsstaates unterliegen, das Recht ihres Wohnstaates anwendbar ist: s. C. I. 1. a) ii). 574 EuGH, RS 24175 (Petroni), Slg. 1975, 1149. 575 Rdnr. 22 des Urteils Ten Holder; so auch in der Rdnr. 15 der RS 60/85 (Luijten), Slg. 1986,2365.
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D. Systematische Einordnung
satz sei, so die Argumentation des Gerichtshofs,576 auf Art. 48 und 51 EGV gestützt und habe Vorrang vor den Bestimmungen der VO (EWG) 1408171. Die mitgliedstaatlichen Leistungsträger dürften sich nicht weigern, die Rechte eines Arbeitnehmers an ihrer eigenen Gesetzgebung zu überprüfen mit der Begründung, die eigene Rechtsordnung sei nicht anwendbar. 577 Gegen diese Meinung wurde vorgebracht, daß es nicht um Prinzipien einer höheren oder niedrigeren Ordnung gehe. Durch die exklusive Wirkung der kollisionsrechtlichen Vorschriften der VO (EWG) 1408171 werde kein bestehender Anspruch negiert bzw. reduziert, sondern nur die Frage beantwortet, ob überhaupt eine Versicherung bestehe oder nicht. 578 Das Urteil in der Rechtssache Ten Holder hat die letztere Auffassung bestätigt. 579
3. Ergebnis: Vereinheitlichung der nationalen Kollisionsnormen durch die Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 Die Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 verdrängen die in bi- und multilateralen Abkommen enthaltenen Kollisionsnormen, die vor Erlaß des supranationalen Rechts galten, und die einseitigen nationalen Kollisionsnormen. Anders ausgedrückt, treten die Kollisionsnormen einerseits an die Stelle der Kollisionsnormen der früheren Abkommen, die nur für einen Teil der Mitgliedstaaten galten, und andererseits an die Stelle der nationalen Kollisionsnormen, die nur für jeden einzelnen Staat galten. Im Ergebnis vereinheitlichen sie das Internationale Sozialrecht der einzelnen Mitgliedstaaten und gewährleisten die einheitliche Rechtsanwendung in allen Mitgliedstaaten. 58o So wenden alle Mitgliedstaaten der EU dieselben Kollisionsnormen an,58! was den Versicherungsschutz ihrer Staatsangehörigen582 betrifft.
EuGH, RS 24175 (Petroni), Sig. 1975, 1149. Govers, Communautaire jurisprudentie inzake het EEG sociaal zekerheidsrecht, S.E.W. 1977,758 ff. 578 Cornelissen, De Europese Verordeningen inzake sociale zekerheid, 1984, 150 ff. 579 Kritisch van Raepenbusch, La securite sociale des personnes qui circulent a I' interieur de la C.E.E., 1991,234 ff.; über die exklusive Wirkung der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 s. Rodiere, L'arret Bentzinger et la jurisprudence de la C.J.c.E. relative aux conflits de lois de securite sociale, RTDE, 1974,431 ff.; Comelissen, S.E.W. 1986,799 ff., 803 ff.; Kavelaars, Toewijzingsregels, 1992,97 ff. 580 Gobbers, Gestaltungsgrundsätze, 1980, 38; Schuler, Das ISR der BRD, 1988, 276 ff.; Eichenhofer. ;:SR, 1994, Rdnr. 126 und 142; ders., EAS, B 1200, Rdnr. 114. 581 v. Maydell, Sach- und Kollisionsnormen, 1967,59. 582 Und der Familienangehörigen dieser Staatsangehörigen, auch wenn sie selbst keine "Unionsbürger" sind: s. B. 11 .3. 576
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V. Stellung der Kollisionsnormen in der VO (EWG) 1408171
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v. Stellung der Kollisionsnormen in der VO (EWG) 1408171 1. Die Aufgabe der KolIisionsnormen im Rahmen des Koordinationsauftrags der VO (EWG) 1408/71 Die Kollisionsnormen der va (EWG) 1408/71 bestimmen, daß ein und nicht mehr als ein nationales (Sach-)Recht auf eine Person anwendbar ist. Dies ist eine wichtige Bestimmung. Denn dadurch werden zugleich Normenhäufungen und Normenmangel vermieden. Die internationalsozialrechtlichen Probleme beschränken sich aber nicht auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts. Erkrankt z.B. eine Person, die nach den Kollisionsnormen der Verordnung unter das System des Mitgliedstaats A fällt, im Mitgliedstaat B, stellt sich die Frage, ob sie auch in diesem Mitgliedstaat leistungs berechtigt ist. Der Schutz der Sozialversicherungsrechte von Personen in jeglicher grenzüberschreitenden Lage, "raison d'etre" des Europäischen Sozialrechts, könnte nicht erreicht werden, falls in dem erwähnten Beispiel die Erkrankung in einem anderen Mitgliedstaat vom zuständigen Staat nicht beachtet würde. Diese Beachtung wird aber nicht von den Kollisionsnormen, sondern von anderen Bestimmungen der va (EWG) 1408/71 vorgeschrieben. Diese Bestimmungen vervollständigen das Koordinierungssystem der Verordnung,583 indem sie die Gleichbehandlung unter den Angehörigen der Mitgliedstaaten,584 die Erhaltung der wohlerworbenen Rechte auch bei Auslandsaufenthalt der berechtigten Person durch Export von Geldleistungen und Aushilfe bei der Erbringung von Sach- und Dienstleistungen, die Bildung internationaler Versicherungsverläufe durch die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten und die internationale Amtshilfe zwischen den Verwaltungen und Gerichten der verschiedenen Mitgliedstaaten regeln. Sie ergänzen die anzuwendenden nationalen Sachnormen, um zu vermeiden, daß eine Person, die von der Freizügigkeit oder der Dienstleistungsfreiheit Gebrauch macht, sozialrechtliche Nachteile erleidet. Die Kollisionsnormen der va (EWG) 1408/71 tragen zur Bewältigung der Probleme bei, die sich daraus ergeben, daß eine Person Beziehungen zu mehreren Sozialrechtsordnungen hat. Sie bestimmen unter Verdrängung aller Kollisionsnormen nationalen Ursprungs, daß nur ein Sozialrecht auf diese Person anwendbar ist. Sie können aber allein nicht bestimmen, wie die verschiedenen Mitgliedstaaten mit den in anderen Mitgliedstaaten gründenden Rechtsverhältnissen und Ereignissen umgehen sollen. Letzteres ist die Aufgabe der "Koordinierungsregeln" der va (EWG) 1408/71.
583 Deswegen werden sie auch "Koordinierungsregeln" genannt: Haase, Internationales Sozialrecht, Kollisions- oder Koordinierungsrecht?, Kompaß 1985,41 ff. 584 Art. 3 VO (EWG) 1408/71.
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D. Systematische Einordnung
2. Koordinierungsregeln der VO (EWG) 1408/71 und Rolle des durch die Kollisionsnormen bestimmten zuständigen Mitgliedstaats und dessen Träger Fraglich ist, welche Auswirkungen die Koordinierungsregeln auf das Sachrecht des "zuständigen Staats", insbesondere auf die von diesem Staat zu erbringenden Leistungen haben.
a) Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft
Die Artikel 18 bis 36 va (EWG) 1408171 gelten für nahezu alle Bürger der Mitgliedstaaten und sehen insbesondere vor, daß der Angehörige eines Mitgliedstaats krankenversicherungsrechtliche Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat erhalten kann, wenn er sich dort vorübergehend aufhält, dorthin seinen Wohnsitz verlegt hat oder vom zuständigen Leistungsträger des bisherigen Mitgliedstaats die Genehmigung erhalten hat, sich in einem anderen Mitgliedstaat behandeln zu lassen. Diese insbesondere aus den Art. 19, 21 und 22 va (EWG) 1408171 folgende Leistungsberechtigung besteht auch dann, wenn die von der Krankheit betroffene Person in dem anderen Mitgliedstaat bislang weder gewohnt noch gearbeitet hat. 585
aa) Zusammenrechnung von Versicherungszeiten Art. 18 va (EWG) 1408171 sieht die Zusammenrechnung aller Versicherungszeiten vor, die einen Leistungsanspruch in der Krankenversicherung zu begründen vermögen. Es ist der "zuständige Träger", der sich gern. Art. 13 ff. va (EWG) 1408171 bestimmt, also in der Regel der Träger des Mitgliedstaats, in dem der Erwerbstätige beschäftigt ist, der diese Zusammenrechnung vornimmt586 (Art. 16 va (EWG) 574/72). Alle früheren Träger legen dem zuständigen Träger Bescheinigungen über die Versicherungszeiten vor; der Träger des Beschäftigungsortes rechnet die Zeiten aufgrund dieser Bescheinigungen zusammen (Bescheinigung E 104).587
585 Marschner, EAS B 9100, Überblick zu den sozialversicherungsrechtlichen leistungen, Rdnr. 24. 586 EuGH, RS 150/82 (Coppola), Slg. 1983,43, Rdnr. 12. 587 NKES, Bieback,l. 18, Rdnr. 8 und 12.
V. Stellung der Kollisionsnormen in der VO (EWG) 1408171
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bb) Gewährung von Leistungen bei Krankheit in einem anderen Mitgliedstaat Die "Leistungen bei Krankheit" werden nach Sachleistungen und Geldleistungen unterschieden. 588 Sachleistungen beziehen sich auf persönliche Dienstleistungen (insb. ambulante und stationäre Behandlung) sowie Heil- und Hilfsmittel. 589 Die Geldleistungen sind nur die in Geld gewährten Leistungen, die keine Sachleistungen sind; sie haben meist eine Lohnersatzfunktion. 59O Die va (EWG) 1408/71 sieht vor, daß in folgenden Fällen die Geldleistungen exportiert und die Sachleistungen im Wohn- oder Aufenthaltsort erbracht werden müssen: [1] Wenn der Versicherte in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat seinen Wohnort hat (Art. 19 Abs. 1 Buchst. b); [2] falls der Versicherte sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhält und dort akut erkrankt (Art. 22 Abs. 1 Buchst. a); [3] wenn er vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, in seinen Wohnort zurückzukehren oder einen Wohnortwechsel in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats vorzunehmen, nachdem er leistungsberechtigt geworden ist (Art. 22 Abs. 1 Buchst. b); [4] wenn er nur außerhalb des zuständigen Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat eine angemessene Behandlung erhalten kann und dafür die Genehmigung des zuständigen Trägers erhalten hat (Art. 22 Abs. 1 Buchst. c) oder [5] wenn er als Arbeitsloser eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat sucht (Art. 25 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 3 ii) va (EWG) 1408/71).591 Nach dem 1995 eingefügten Art. 22a592 gilt Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) und c) va (EWG) 1408/71, abweichend von Art. 2 va (EWG) 1408/71, nicht nur für Arbeitnehmer oder Selbständige und ihre Familienangehörigen: Er gilt für alle Personen, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind und nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats versichert sind, und für die bei ihnen wohnenden Familienangehörigen. Nach dem ebenfalls 1995 eingefügten Art. 22b593 gilt Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) für die in Art. 13 Abs. 2 Buchst. d), Art. 14, 14a, 14b, 14c Buchst. a) und 17 va (EWG) 1408/71 genannten Arbeitnehmer oder Selbständigen in jedem 588 Der EuGH hat die Abgrenzung zwischen Geld- und Sachleistungen nicht nach der Form, sondern nach Inhalt und Funktion der Leistungen gemacht: s. EuGH, RS 33/65 (Dekker), Sig. 1965,901; RS 61/65 (Vaasen-Göbbels), Sig. 1966,583. 589 Auch wenn die Krankenversicherung dafür Geld im Wege der Kostenerstattung zahlt: EuGH, RS 61165 (Vaasen-Göbbels), Sig. 1966,583,607. 590 NKES, Bieback, I. 19 Rdnr. 8; Bochardt, Sozialrecht, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, Rdnr. 92. 591 s. auch Art. 29 Abs. 2 und 31 b) für die Rentner und ihre Familienangehörigen. 592 Eingefügt durch die VO (EG) Nr. 3095/95 des Rates v. 22.12.1995, ABI. EG Nr. L 335 v. 30.12.1995,1. 593 Eingefügt durch ebd.die VO (EG) Nr. 3096/95 des Rates v. 22.12.1995, ABI. EG Nr. L 335 v. 30.12.1995, 10.
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D. Systematische Einordnung
Leistungen erfordernden Zustand bei Aufenthalt im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem die Betreffenden ihre Erwerbstätigkeit ausüben oder dessen Flagge das Schiff führt, auf dem sie erwerbstätig sind. Durch die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Kohl und Dekva (EWG) 1408/71 insoweit modifiziert worden, als der Gerichtshof festgestellt hat, daß eine Behandlung im Ausland auch ohne vorherige Genehmigung des zuständigen Trägers möglich ist. Die diesen Rechtssachen zugrundeliegende Frage, ob ein nationaler Sozialversicherungsträger die Kosten für den Kauf medizinischer Produkte bzw. für die ärztliche Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat erstatten muß, wenn der Versicherte hierfür zuvor keine Genehmigung des zuständigen Trägers eingeholt hatte, hat der Gerichtshof unter Hinweis auf den freien Dienstleistungs- und Waren verkehr (Art. 30, Art. 59 ff. EGV) bejaht und somit eine neue Möglichkeit zur Gewährung von Leistungen bei Krankheit eröffnet: Neben die schon bestehenden Möglichkeiten in Art. 19 und 22 va (EWG) 1408/71 tritt nun noch der Fall, daß der Versicherte infolge eigener Initiative Leistungen im Ausland in Anspruch nimmt und dafür eine Kostenerstattung verlangt.
ke?94 ist Art. 22 Abs. 1 Buchst. c)
cc) Sachleistungen durch Leistungsaushilfe Anders als Geldleistungen lassen sich Sachleistungen nicht exportieren, weil sie als Dienste unmittelbar dem Berechtigten erbracht und als Gegenstände ihm gewährt werden. Sie werden im W ohn- oder Aufenthaltsort nach den dortigen Vorschriften zu Lasten des zuständigen Trägers erbracht (Art 19 Abs. 1, 22 Abs. 1,25 Abs. 1, Abs. 3 i) va (EWG) 1408/71). Die in anderen Mitgliedstaaten sich gewöhnlich oder vorübergehend aufhaltenden Arbeitnehmer, Selbständigen und ihre Familienangehörigen unterliegen in der Regel den Vorschriften des Beschäftigungsstaats. Krankheitsfälle können aber in dem W ohnstaat (Art. 19 Abs. 1 und 22 Abs. 1 Buchst. b) häufig eintreten; außerdem wird in den Fällen des Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) und c) (Akuterkrankung595 oder Bedarf einer angemessenen Behandlung im Ausland) bei vorübergehendem Aufenthalt Leistungsgewährung in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich. Die va (EWG) 1408/71 erweitert bezüglich der Sachleistungen den Versiche-
594 EuGH, RS C-158/96 (Kohll), Urt. v. 28.4.1998 = NJW 1998, 1769 und RS C120/95 (Dekker), Urt. v. 28.4.1998 = NJW 1998, 1771. S. dazu Recker, Brillen aus Luxemburg und Zahnbehandlung in Brüsse! - die gesetzliche Krankenversicherung im europäischen Binnemarkt, NZS 1998, 359 ff. 595 Nach dem neuen Art. 22b gilt. wie schon erwähnt, Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) auch für die entsandten oder in mehreren Mitgliedstaaten tätigen Arbeitnehmer sowie für Selbständige. Beamte und Seeleute, deren Zustand während eines berufsbedingten Aufenthaltes behandlungs bedürftig ist.
V. Stellung der Kollisionsnormen in der va (EWG) 1408/71
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rungsschutz des zuständigen Staats auf Leistungsfälle in den anderen Mitgliedstaaten im Wege der Leistungsaushilje. s96 Wie diese Leistungsaushilfe stattfindet, ist in den Art. 17, 20-23 und 26-27 der VO (EWG) 574/72 geregelt. Der zuständige Träger stellt einen Vordruck aus, wodurch die Leistungsberechtigung des Versicherten bewiesen wird. (E 106 bei Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat, E 111 bei vorübergehendem Aufenthalt - für die Familienangehörigen sind andere Vordrucke vorgesehen). Falls der Versicherte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats erkrankt, zeigt er dem aushelfenden Träger (Träger des Wohnorts oder des vorübergehenden Aufenthalts) diesen Vordruck und erhält die Leistungen. Für die Art und Weise der Gewährung und den Umfang der Sachleistungen ist allein das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung des aushelfenden Trägers maßgeblich. s97 Der aushelfende Träger macht den konkret ausgelegten Betrag zentral über die Verbindungs stelle seines Staats geltend, die ihrerseits die Kostenaufstellung gesammelt an die Verbindungsstelle des zuständigen Trägers mit der Bitte um Erstattung weiterleitet. Der zuständige Träger erfahrt in der Regel erst nach Zugang der Kostenrechnung, ob tatsächlich aushilfsweise Sachleistungen erbracht wurden. s98 Der Versicherte und seine Familienangehörigen erhalten also vom Träger des Wohnorts oder vorübergehenden Aufenthaltsorts Sachleistungen in den Grenzen und nach den Modalitäten S99 der für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob sie bei diesem versichert wären. Dies bedeutet, daß die Sachleistung erheblich von der Leistung abweichen kann, die nach dem Recht des zuständigen Mitgliedstaats zu leisten wäre. Für deutsche Versicherte z.B. heißt das, daß sie etwa in Frankreich Leistungen nur im Wege der Kostenerstattung bekommen. 600 Die Art der Sachleistungsaushilfe - nämlich ob sie dem "Sachleistungsprinzip" oder dem "Kostenerstattungsprinzip,,601 folgt - richtet sich also nach den Rechtsvorschriften des aushelfenden Mitgliedstaats. 596 v. Maydell, Internationales Krankenversicherungsrecht, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1: Krankenversicherung, 1994, § 64, Rdnr. 79 ff.; Eichenhofer, ISR 1994, Rdnr. 412-415 und 419 ff. 597 NKES, Bieback, I. 19, Rdnr. 9. 598 Spiethoff, Leistungsaushilfe nach EG- u. Abkommensrecht, B KK 1996, 198 ff., 20 I. 599 EuGH, RS C-451193 (Delavant), Sig. 1995,1-1545, Rdnr. 14 (betont durch die Verfass.). 600 NKES, Bieback, 1.19, Rdnr. 10. 601 Krankenversicherung nach dem Sachleistungsprinzip bedeutet, daß dem Versicherten ein Rechtsanspruch auf unentgeltliche Inanspruchnahme von Leistungen der niedergelassenen Ärzte oder Krankenhäuser zusteht; deren Tätigkeit wird global durch Zahlungen der Krankenversicherung finanziert. Krankenversicherung nach dem Kostenerstattungsprinzip bedeutet, daß der einzelne Versicherte zunächst die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zu bezahlen hat; die Versicherung erstattet ihm jedoch einen Teil oder sämtliche Kosten für die Behandlung: s. Eichenhofer, Sozialrecht, 1995, Rdnr. 106.
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D. Systematische Einordnung
Für die grundsätzliche Leistungsberechtigung bzw. die Voraussetzungen für die Entstehung des Leistungsanspruchs ist der Träger des Beschäftigungsstaats zuständig, weil er nach Art. 13 ff. der VO (EWG) 1408171 über die Entstehung des Sozialversicherungsverhältnisses entscheidet. Eine Person, die nach dem Recht ihres Beschäftigungsstaats versichert und leistungsberechtigt ist, bleibt dies auch im Gebiet des aushelfenden Staats, auch wenn sie nach dessen Recht keine Leistungsansprüche hätte. 602 Dies wurde vom EuGH bestätigt und präzisiert, als festgestellt wurde, daß die Familienangehörigen einer Arbeitnehmerin Sachleistungen vom Wohnstaat (Deutschland) zu Lasten des Beschäftigungsstaats (Frankreich) erhalten konnten, obwohl sie nach dem deutschen Recht keinen solchen Anspruch hätten, weil das Einkommen des Ehemanns der Arbeitnehmerin eine bestimmte Entgeltgrenze überstieg. 603 Somit wurde die Beziehung des Titels 11 der VO (EWG) 1408171 zu den Art. 19 ff. genauer aufgezeigt und der Umfang der Berufung des Rechtes des Beschäftigungsstaats konkretisiert, indem klargestellt wurde, daß dieses Recht auch für die Leistungsberechtigung der im Ausland wohnenden Familienangehörigen maßgebend ist. Das "Ob" der Leistungsberechtigung ist also immer dem Recht des zuständigen (Beschäftigungs-) Staats zu entnehmen. 604 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß sich das "Ob" der Leistungsberechtigung nach dem Recht des zuständigen Mitgliedstaats und das "Wie" der Leistungsaushilfe nach dem Recht des aushelfenden Mitgliedstaats richtet. Ob eine Person Anspruch auf eine bestimmte Leistung hat, z.B. Zahnbehandlung, regelt allein der zuständige Staat. Der aushelfende Staat kann die Leistung nicht verweigern, selbst wenn diese Person nach seinem Recht nicht leistungsberechtigt wäre. Wie die Leistung zu gewähren ist, hat allein der aushelfende Träger zu beantworten: Es hängt von dem Recht des Staats des aushelfenden Trägers ab, ob die Person den Zahnarzt erst selbst bezahlen muß und danach eine Kostenerstattung erhält oder ob sie den Zahnarzt nicht zu bezahlen braucht, weil dies durch den Träger finanziert wird.
602 Bieback, Krankheit und Mutterschaft, in: Deutscher Sozialrechtsverband, Europäisches Sozialrecht, 1992,51 ff., 58; ders., NKES, I. 19, Rdnr. 7. 603 EuGH, RS C-451193 (Delavant), Slg. 1995,1-1545. Die Familienangehörigen unterliegen hinsichtlich der Voraussetzungen für die Entstehung des Leistungsanspruchs zu ihren Gunsten den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates, sofern sie nicht aufgrund der Rechtsvorschriften des Wohnstaates Anspruch auf Leistungen bei Krankheit haben (Art. 19 Abs.2): Letzteres wäre der Fall bei Staaten mit einem nationalen Gesundheitssystem (z.B. Großbritannien, Dänemark) - s. auch European Comission, Compendium of Community Provisions on Social Security, 4th ed. 1995, Part 4: Commentary, 430, Rdnr. 247. 604 A.A. Pennings, Introduction to European Social Security Law, 1994, 138: ..... the institutions of the state of residence determine whether a person [ is eligible for a benefit in kind."
V. Stellung der Kollisionsnormen in der VO (EWG) 1408171
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b) Arbeitsunfälle und Berujskrankheiten605 Die Vorschriften über Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten 606 (Art. 52-62 va (EWG) 1408171) sind mit den Vorschriften über Krankheit und Mutterschaft vergleichbar. Sie sehen auch vor, daß, falls Wohn- oder Aufenthaltsort des Versicherten nicht im Gebiet des zuständigen Staats liegen, - Geldleistungen der zuständige Träger (Träger des Beschäftigungsortes) zu erbringen hat und - Sachleistungen vom Träger des Wohn- bzw. Aufenthaltsorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften, aber auf Rechnung des zuständigen Staats erbracht werden (Art. 52-55 va (EWG) 1408171). ab ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit vorliegt, ob es einen Leistungsanspruch und in welcher Höhe gibt, wird nach dem Recht des zuständigen Staats bestimmt. 607 Wegeunfälle, die sich außerhalb des zuständigen Mitgliedstaats ereignen, werden so behandelt, als ob sie im Gebiet des zuständigen Staats eingetreten wären (Art. 56 va (EWG) 1408171). Personen, die unter einer Berufskrankheit leiden und in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten eine Tätigkeit ausgeübt haben, die diese Krankheit verursacht haben könnte, erhalten Leistungen nur nach den Rechtsvorschriften des Staats der letzten Beschäftigung (Art. 57 va (EWG) 1408171). Dadurch soll eine Überversorgung vermieden werden. Sämtliche Expositionszeiten in allen Mitgliedstaaten werden als Einheit gesehen; der leistungspflichtige Staat berücksichtigt die Ausübung gefährlicher Tätigkeiten in anderen Mitgliedstaaten (Art. 57 Abs. 4 va (EWG) 1408171).
Art. 57 Abs. 5 va (EWG) 1408171 macht eine Ausnahme bei Fällen sklerogener Pneumonokoniose: Dann findet ein Lastenteilungsverfahren zwischen den beteiligten Trägern statt, das pro-rata-temporis608 erfolgt. 609
605 Die Bestimmungen über die Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sind in der VO (EWG) 1408171 nach der Bestimmungen über die Invaliditäts- und Altersrenten zu finden. Da aber die ersteren den Bestimmungen über Krankheit und Mutterschaft ähnlich sind, werden sie vor den "Rentenvorschriften" dargestellt. 606 s. dazu eingehend NKES, Fuchs, I. 52-66; Raschke, Überstaatliches Recht, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des SVR, Band 2, Unfallversicherungsrecht, 1996, § 73. 607 Fuchs, Soziale Sicherung für den Fall des Arbeitsunfalls und der Berufskrankheit, in: Deutscher Sozialrechtsverband (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, 1992, 123 ff., 133. 608 Zu diesen Begriff s. gleich unten c) (Rentenrecht). 609 Dabei werden nicht die Zeiten, während derer eine gefährliche Tätigkeit ausgeübt wurde, zueinander ins Verhältnis gesetzt. Vielmehr erfolgt die Aufteilung entsprechend dem Verhältnis der in jedem Mitgliedstaat zurückgelegten Altersversicherungs- oder
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D. Systematische Einordnung c) Rentenrecht
aa) Alter und Tod Der Schwerpunkt der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Altersund Hinterbliebenenrenten liegt in der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten. Art. 45 VO (EWG) 1408/71 sieht vor, daß der zuständige Träger eines jeden Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften für den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben eines Rentenanspruchs die Zurücklegung bestimmter Versicherungs- oder Wohnzeiten verlangen, verpflichtet ist, auch die nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zurückgelegten Zeiten wie eigene Zeiten zu berücksichtigen. Jeder nationale Träger hat somit bei der Prüfung der Voraussetzungen des Rentenanspruchs all jene fremden Versicherungszeiten heranzuziehen, die der Träger eines anderen Mitgliedstaats ihm als anspruchsbegründend mitteilt. Ist - ggf. mittels Hinzuziehung von Versicherungszeiten, die in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegt wurden - ein Rentenanspruch zu bejahen, so stellt sich die Frage, wie die Höhe dieser Rente zu ennitteln ist. Hier wird zwischen zwei unterschiedlichen Fallkonstellationen unterschieden, dem innerstaatlich erfüllten Anspruch (1) und dem nicht innerstaatlich erfüllten Anspruch (2). (1) Der Rentenanspruch ist allein aufgrund der Vorschriften eines Mitgliedstaats gegeben. In dieser Fallgestaltung findet eine Doppelberechnung der Rente statt, nämlich eine innerstaatliche Berechnung und eine zwischenstaatliche Berechnung. Die innerstaatliche Berechnung ist eine Berechnung allein nach den nationalen Rechtsvorschriften, die für den Träger eines Mitgliedstaats gelten unter Außerachtlassung aller Berechnungsvorschriften der VO (EWG) 1408/71 und mitgliedstaatlicher Zeiten. Die zwischenstaatliche Berechnung vollzieht sich in zwei Schritten: Zunächst ennittelt der Träger jedes Mitgliedstaats, in dem eine Person Versicherungszeiten zurückgelegt hat, den sog. theoretischen Betrag der Leistung. Der "theoretische Betrag" ist derjenige Betrag, auf den der Betroffene Anspruch hätte, wenn er die in den verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten nur im Gebiet des einen die Berechnung vornehmenden Staats zurückgelegt hätte. Sodann erfolgt die sog. Proratisierung: Der jeweils zuständige Träger bestimmt nämlich die tatsächlich zu zahlende Rente. Diese wird auf der Grundlage des theoretischen Betrages nach dem Verhältnis der im jeweils zuständigen Mitgliedstaat zurückgelegten Zeiten berechnet. Wohnzeiten im Sinne des Art. 45 Abs. I zur Gesamtdauer der zurückgelegten AltelSversicherungs- oder Wohnzeit: NKES, Fuchs, I. 57, Rdnr. 10.
V. Stellung der Kollisionsnonnen in der va (EWG) 1408171
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Durch dieses Verfahren wird die insgesamt zu zahlende Rente "pro-ratatemporis", d.h. nach dem Verhältnis der nach dem Recht eines jeden Trägers zurückgelegten Zeiten, auf die beteiligten Versicherungsträger verteilt (Art. 46 Abs. 2 va (EWG) 1408/71).610 Mit anderen Worten hat jeder nationale Träger eine Rente zu gewähren, die dem Anteil der Zeiten in seinem Staat an dem alle Mitgliedstaaten betreffenden Gesamtzeitraum entspricht. Das Ergebnis dieser Berechnung heißt "Teilrente".611 Die innerstaatliche Rente wird dann mit der Teilrente verglichen; der höhere der beiden Beiträge steht dem Berechtigten zu (Art. 46 Abs. I und Abs. 3 va (EWG) 1408/71). (2) Der Rentenanspruch ist nur durch Zusammenrechnung der Zeiten aus einem Mitgliedstaat mit Zeiten aus anderen Mitgliedstaaten erfüllt. In diesem Fall wird die Rentenhöhe allein durch die zwischenstaatliche Berechnung ermittelt. Die innerstaatliche Vergleichsberechnung entfällt.
bb) Invalidität Für die Leistungen bei Invalidität612 hat die va (EWG) 1408/71 unterschiedliche Bestimmungen, je nachdem, ob für den Versicherten ausschließlich Systeme gegolten haben, in denen die Höhe der Leistungen von der Dauer der Versicherungszeiten unabhängig ist ("Risikosysteme" bzw. Systeme des Typs A), oder ob die Höhe der Invaliditätsrente von der Dauer der Versicherungszeiten abhängig ist ("Aufbausysteme" bzw. Systeme des Typs B). Haben für eine Person nur nationale Rechtsvorschriften des Typs A gegolten, werden die Leistungen ausschließlich vom Träger desjenigen Mitgliedstaats gewährt, in dem die Person zum Zeitpunkt des Eintritts der Invalidität versichert war613 (Art. 39 Abs. 1 und 2 va (EWG) 1408/71). Die allgemeinen 610 Borchardt, in: Dauses, 1993, Rdnr. 105 ff.; Kinzel / Kunhardt / Lais, EUIEWR Rentenversicherung, 15. Aufl. 1995,38 ff. 611 Da die deutsche Rentenfonnel den Faktor Zeit nicht mehr kennt, sind die für die jeweiligen Zeiten ennittelten Entgeltpunkte heranzuziehen. Die Teilrente wird also nicht auf der Basis eines Zeitenverhältnisses, sonder nach einem Entgeltpunkte-pro-rata berechnet: Kinzel / Kunhardt / Lais, EUIEWR - Rentenversicherung, 1995,43. 612 s. Pennings, Introduction to European Social Security Law, 1994, 151 ff.; Schulte, Rentenrecht, in: Soziales Europa 3/92, 61 ff.; Bochardt, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, Rdnr. 100-105; NKES, Schuler, 1-37 bis 1-43. 613 Die allgemeinen Regeln zur Zusammenrechnung von Versicherungszeiten gelten nur insoweit, als nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats für den Anspruchserwerb eine bestimmte Wartezeit erforderlich ist. Wenn die erforderliche Wartezeit auch durch die Zusammenrechnung nicht erfüllt ist, ist zu prüfen, ob der Versicherte eventuell eine Rente nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats, in dem er zuvor versichert war, beanspruchen kann (Art. 39 Abs. 3).
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D. Systematische Einordnung
Regeln über die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten gelten nur insoweit, als nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats für den Anspruchserwerb eine bestimmte Wartezeit erforderlich ist. Wenn die erforderliche Wartezeit auch durch die Zusammenrechnung nicht erfüllt ist, ist zu prüfen, ob der Versicherte eventuell eine Rente nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats, in dem er zuvor versichert war, beanspruchen kann (Art. 39 Abs. 3 VO (EWG) 1408171). War eine Person in zwei oder mehr Systemen des Typs B oder nacheinander bzw. abwechselnd in Systemen des Typs A und B versichert, dann erhält sie aus jedem dieser Systeme eine "pro-rata-temporis"-Rente. Für diese gelten die Vorschriften für die Berechnung der Leistungen bei Alter und Tod (Art. 40 Abs. 1 VO (EWG) 1408171).
cc) Verfahren der Zusammenrechnung - Rolle der Träger der beteiligten Mitgliedstaaten Wenn eine Person in mehreren Mitgliedstaaten Versicherungszeiten zurückgelegt hat, muß bei der Rentenfeststellung nicht von "dem", sondern Von "den" zuständigen Trägern gesprochen werden. Jeder von ihnen war in verschiedenen Zeitabschnitten "zuständiger Träger" nach dem Titel 11 der VO (EWG) 1408171, je nachdem, wo die Person ihrer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Deshalb wird in der Durchführungsverordnung nur zwischen "bearbeitendem Träger" und "beteiligten Trägern" unterschieden. Der erste ist der Träger, bei dem der Rentenantrag gestellt werden soll; regelmäßig ist er der Träger des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller wohnt (Art. 36 Abs. 1, Art. 41 Abs. 1 VO (EWG) 574/72).614 Die "beteiligten Träger" sind die Träger der Mitgliedstaaten, in denen ebenfalls Versicherungszeiten zurückgelegt wurden. (Art. 41 Abs. 2 VO (EWG) 574/72). Durch die Stellung des Rentenantrages wird das Verfahren der Rentenfeststellung grundsätzlich in allen Mitgliedstaaten ausgelöst, in denen der Antragsteller Versicherungszeiten zurückgelegt hat (Art.36 Abs.4 VO (EWG) 574172). Die fonnelle Einleitung des Rentenfeststellungverfahrens geschieht durch den bearbeitenden Träger. 615 Er unterrichtet die beteiligten Träger von der RentenantragsteIlung. Sodann werden zwischen den Trägern die Dokumen-
614 Wohnt der Antragsteller nicht in einem Mitgliedstaat oder sind im Wohnstaat keine rentenrechtlichen Zeiten zurückgelegt worden, so wird "bearbeitender Träger" derjenige Träger, bei dem zuletzt Versicherungszeiten zurückgelegt worden sind. 615 Der bearbeitende Träger prüft zuerst, ob ein rein innerstaatlicher Rentenanspruch gegeben ist; ist dies der Fall, gewährt er die innerstaatliche Rentenleistung als vorläufige Leistung (Art. 45 VO (EWG) 574/72).
V. Stellung der Kollisionsnormen in der VO (EWG) 1408171
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te über den Versicherungsverlauf, d.h. die Infonnationen über die Versicherungsdauer und das Arbeitsentgeld ausgetauscht. Die beteiligten Träger schikken dem bearbeitenden Träger ein Fonnblatt über die unter ihrer Rechtsordnung entstandenen Zeiten, welches er an die anderen Träger weiterschickt (Art. 42-43 va (EWG) 574/72). Dieses Fonnblatt ist der Vordruck E 205. Dieser Vordruck ist für alle anderen Träger verbindlich. Nur die Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem die fraglichen Zeiten zurückgelegt worden sind, sind maßgeblich im Hinblick darauf, ob die Zeiten versicherungsrechtlich relevant und somit anspruchsbegründend sind. Charakter und Umfang der Versicherungszeiten werden von jedem "zuständigen Träger" in verbindlicher Weise bestimmt und den anderen Trägem mitgeteilt. Bei der Frage also, welche Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind, ist nicht das Recht des feststellenden Staats entscheidend, sondern das Recht desjenigen Staats, in dem die Zeiten entstanden sind. 616 Nach Erhalt sämtlicher Vordrucke mit der Angabe der Versicherungszeiten, übennittelt der bearbeitende Träger je eine Ausfertigung des ausgefüllten Vordrucks jedem beteiligten Träger, der den nach Art. 46 Abs. 2 der va (EWG) 1408171 theoretischen und tatsächlichen Leistungsbetrag darin einträgt und den Vordruck dem bearbeitenden Träger zurücksendet (Art. 43 Abs. 3 va (EWG) 547172). Sobald der bearbeitende Träger über die Rentenbescheide der beteiligten Träger sowie den eigenen Bescheid verfügt, stellt er alle Bescheide mit einer sog. "zusammenfassenden Mitteilung" zu, die in der Muttersprache des Antragstellers abgefaßt ist. In den endgültigen Entscheidungen der Träger müssen die Rechtsbehelfe und Rechtsbehelfsfristen nach den in Betracht kommenden Rechtsvorschriften angegeben sein; diese Fristen beginnen erst mit der Zustellung der zusammenfassenden Mitteilung an den Antragsteller zu laufen (Art. 48 va (EWG) 547172). Bei dem anschließenden Verfahren der Rentenzahlung überweist jeder zuständige Träger die laufende Rente unmittelbar an den Berechtigten, der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt. 617
616 Pflüger-Demann, Soziale Sicherung bei Invalidität, 1991, 227f.; Hannemann, Die Feststellung von Renten nach den VO (EWG) 1408171 und 574171, SGb 1974,9 ff., 11; NKES, Schuler, I. 45 Rdnr. 16; ders., Soziale Sicherung für den Fall der Invalidität, des Alters und des Todes, in: Deutscher Sozialrechtsverband (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, 1992,79 ff., 97; Marschner, EAS, B 9120, Invalidität und Alter, Rdnr. 23 und 24; BSG, Urt. v. 27.6.1990 - 5 RJ 79/89 = SozR 3-6050 Art. 45 Nr. 2; BSG, Urt. v. 25.2.1992 - 4 RA 28/9 = So zR 3-6050 Art. 46 Nr. 5. 617 Marschner, EAS B 9120, Rdnr. 82. Nachzahlungen und einmalige Zahlungen werden über die sog. Verbindungsstelle des Wohnstaats geleistet (Anhang 6 der VO (EWG) 574/72).
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D. Systematische Einordnung
So erhält der Versicherte infolge der Beschäftigung und Versicherung in mehreren Mitgliedstaaten schließlich mehrere Renten, entweder autonome oder anteilige. 618
d) Arbeitsförderung In Art. 67 Abs. 3 VO (EWG) 1408171 wird bestimmt, daß "zuständiger Träger" der Träger des Staats ist, in dessen Gebiet der Arbeitslose seine letzte Beschäftigung vor Beginn der Arbeitslosigkeit ausgeübt hat. Dadurch wird noch einmal das Beschäftigungsstaatsprinzip statuiert. 619 Der zuständige Träger berücksichtigt, d.h. addiert die in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- bzw. Beschäftigungszeiten, soweit dies für die Begründung und die Dauer des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit von Belang ist (Art. 67 Abs. 1 und 2 VO (EWG) 1408171). Die Zusammenrechnung stützt sich auch hier auf die Angaben der früher zuständigen Träger. Maßstab für die Leistungshöhe ist das Entgelt, daß der Versicherte während seiner letzten Beschäftigung im zuständigen Staat erhalten hat (Art. 68 Abs. 1 VO (EWG) 1408171). Richtet sich die Leistungshöhe auch nach der Zahl der Familienangehörigen, so müssen auch diejenigen berücksichtigt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen (Art. 68 Abs. 2 VO (EWG) 1408171). Ein Arbeitsloser kann unter besonderen Voraussetzungen auch außerhalb des zuständigen Staats Arbeit suchen. Er muß vor seiner Abreise für mindestens vier Wochen nach Beginn der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsverwaltung des leistenden Mitgliedstaats als Arbeitssuchender gemeldet gewesen sein und sich unverzüglich nach seiner Abreise bei der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats, in den er sich begibt, als Arbeitssuchender melden und sich der dortigen Kontrolle unterwerfen (Art. 69 Abs. 1 Buchs. a) und b) VO (EWG) 1408171). Sein Leistungsanspruch gegen den zuständigen Träger bleibt jedoch bei Arbeitssuche außerhalb des zuständigen Staats nur für einen Zeitraum von höchstens 3 Monaten erhalten (Art. 69 VO (EWG) 1408171).620
618Bochardt, Sozialrecht, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, Rdnr. 112. 619 Wamecke, Koordinierendes Arbeitsförderungsrecht und Freizügigkeit, 1995,59. 620 Am geltenden Europäischen Arbeitsförderungsrecht ist mehrmals Kritik geübt worden: s. dazu Eichenhofer: Beschäftigung, Arbeitsförderung, in: Deutscher Sozialrechtsverband (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, 1992, 143 ff., 157 ff.; Eichenhofer, Arbeitsförderung, in: ders., Reform des Europ. Sozialrechts, 1993, 101 ff.; Wamecke, Koordinierendes Arbeitsförderungsrecht und Freizügigkeit, 1995, 80 ff.; vgl. aber auch
V. Stellung der Kollisionsnormen in der VO (EWG) 1408/71
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e) Familienleistungen Der - nach dem Titel 11 der VO (EWG) 1408171 für die Erbringung der Familienleistungen zuständige - Mitgliedstaat hat die in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- und Beschäftigungszeiten für den Anspruchserwerb so zu behandeln, als wären sie im Gebiet oder während der Versicherungszeit des zuständigen Mitgliedstaats zurückgelegt worden (Art. 72 VO (EWG) 1408171).621 Hier findet ebenfalls eine Zusammenrechnung von Versicherungszeiten statt, die wiederum auf Grundlage der Angaben der anderen Versicherungsträger geschieht. 622 Der zuständige Mitgliedstaat gewährt die Familienleistungen, auch wenn die Familienangehörigen der berechtigen Person in einem anderen Mitgliedstaat wohnen (Art. 73-75 VO (EWG) 1408171). Er hat die in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat wohnenden Kinder bei der Bestimmung von Familienleistungen so zu berücksichtigen, als wohnten sie im zuständigen Staat. 623 Für den Fall, daß beide Elternteile in verschiedenen Mitgliedstaaten beschäftigt sind, enthält Art. 76 VO (EWG) 1408171 eine Prioritätsregel, die besagt, daß primärzuständig der Mitgliedstaat ist, in dem das Kind wohnt. Falls der andere Beschäftigungsstaat eine höhere Leistung vorsieht, hat er den Unterschiedsbetrag zu zahlen.
f) Der zuständige Staat für die arbeitslosen Grenzgänger Art. 71 VO (EWG) 1408171 ist ebenfalls eine Vorschrift über das anwendbare Recht. 624 Aufgrund dieses Artikels findet ein Wechsel des anwendbaren Rechts statt, der nach der Terminologie des IPR als Statutenwechsel charakterisiert werden kann. 625 Für die in Art. 71 Abs. 1 Buchst. a) ii) und Buchst. b) ii) Wanka, Arbeitsförderung, in: Schulte / Zacher, Wechselwirkungen zwischen dem Europäischen Sozialrecht und dem Sozialrecht der BRD, 1991, 111 ff. 621 Diese Bestimmung hat aber lediglich für diejenigen nationalen Zweige von Familienleistungen Bedeutung, die durch Beiträge finanziert werden oder die grundsätzlich nur Arbeitnehmer oder Selbständige in den Kreis der Anspruchsberechtigten einbeziehen. Für nationale Familienlastenausgleichsrechte, die auf dem Prinzip der Einwohnerversicherung beruhen, nämlich alle Bewohner in die Sozialleistungen einbeziehen, ist diese Bestimmung ohne Belang: s. Eichenhofer, EAS, B 9200, Familienleistungen, Rdnr.29. 622 Vordruck E 405: European Commission, Compendium, 1995,466 (Rdnr. 573). 623 Dem zuständigen Mitgliedstaat ist es insbesondere nicht gestattet, die Familienleistungen für die in anderen Mitgliedstaaten lebenden Kinder niedriger zu bemessen. 624 s. C. 11. 2. a). 625 NKES, Eichenhofer, I. 71, Rdnr. 3. 12 Devetzi
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D. Systematische Einordnung
VO (EWG) 1408171 erwähnten Personen (echte Grenzgänger und unechte Grenzgänger, die sich der Arbeitsverwaltung ihres Wohnstaats zur Verfügung stellen) ist nicht mehr der Beschäftigungsstaat, sondern der Wohnstaat zuständig. Diese Zuständigkeit findet in bezug auf die einzelnen Leistungen in den Art. 25 Abs. 2,39 Abs. 6 und 72a VO (EWG) 1408171 ihre Bestätigung. Demnach ist für die Krankenversicherung, die Leistungen bei Invalidität und die Familienleistungen der Träger des Wohnstaats zuständig. Dieser Träger hat auch die Zeiten der Vollarbeitslosigkeit in die Rentenberechnung einzubeziehen (Art. 45 Abs. 6 VO (EWG) 1408171). Der Wohnstaat kann die mit diesen Leistungen verbundenen Beiträge einziehen. 626 Diese Vorschriften bilden zwar eine Ausnahme vom Beschäftigungsstaatsprinzip; sie bestätigen aber den Grundsatz, daß der "zuständige Staat" für die mit dem Sozialversicherungsverhältnis verbundene Beitragserstattung und Leistungsberechtigung verantwortlich ist. Für den Modus der Leistungsgewährung gelten auch hier die bereits dargestellten Regelungen des Titels III.
g) Rolle des "zuständigen Trägers" und Zusammenarbeit mit den anderen Trägem
Der zuständige Träger, nämlich der Träger des Beschäftigungsstaats, gewährt die Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft, bei Arbeitsunfallen, Berufskrankheit, Arbeitslosigkeit und Familienleistungen. Er exportiert diese, sofern sie Geldleistungen sind und die berechtigte Person in einem anderen Mitgliedstaat wohnt bzw. sich dort aufhält. In diesem Fall ist die Situation einfach: Er gewährt die Leistungen nach seinem materiellen Recht der sozialen Sicherheit, unter Einschluß der Vorschriften der VO (EWG) 1408171 über den Leistungsexport. Etwas anderes gilt, wenn Leistungen nicht exportiert werden können: z.B. die Sachleistungen im Krankheitsfall im Ausland. Sie werden von dem "aushelfenden Träger" des Wohn- bzw. Aufenthaltsstaats erbracht. Dabei bestimmt der Träger des Beschäftigungsstaats das "Ob" der Leistungsberechtigung; der aushelfende Träger gewährt aber die Leistungen nach den Modalitäten seines nationalen Rechts der sozialen Sicherheit, er bestimmt mit anderen Worten das "Wie" der Leistungsaushilfe. Hier fällt auf, daß die Träger des Beschäftigungsstaats und des Wohn staats (der "zuständige" und "aushelfende" Träger) zwar zusammenarbeiten, diese Kooperation aber eine besondere Form hat, wie die Vorschriften der Durchführungsverordnung zeigen: Der aushelfende Träger er626 Art. 25a, Art. 39 Abs. 6 Unterabsatz 2, 45 Abs. 6 Unterabsatz 2, 72a Abs. 2, eingefügt durch die va (EG) Nr. 3095/95 des Rates v. 22.12.1995, ABI. EG Nr. L 335 v. 30.12.1995, 1.
V. Stellung der Kollisionsnormen in der VO (EWG) 1408/71
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fährt von der Leistungsberechtigung einer Person durch einen Vordruck; er gewährt die Leistung nach seinen Vorschriften und "schickt die Rechnung" an den zuständigen Träger. Jeder arbeitet also nach seinen Vorschriften - die Zusammenarbeit hat die Fonn eines "Vordruckaustauschs" zwischen den Trägern. Nicht anders findet die Zusammenarbeit bei der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten statt (Art. 18, 38, 45 64, 67, 72 va (EWG) 1408171). Auch hier wird ein "Vordruckaustausch" zwischen den Trägern vorgenommen. Bei den Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft, Arbeitsunfall und Berufskrankheiten, Arbeitslosigkeit und Familienleistungen werden die Vordrucke, die die Versicherungszeiten nach den Vorschriften der anderen Mitgliedstaaten bestätigen, dem Träger des Beschäftigungsstaats geschickt. Er entscheidet dann, welche Leistung in welcher Höhe dem Versicherten zu gewähren ist. Bei den Renten wegen Invalidität und Alter, die naturgemäß gerade am Ende der Beschäftigungskarriere einer Person gewährt werden, werden die Vordrucke an den "bearbeitenden Träger" geschickt. Er leitet sie an alle früheren "zuständigen Träger" weiter; jeder von ihnen rechnet die Versicherungszeiten aufgrund der Angaben der anderen Träger zusammen, stellt die Rente fest, die er bezahlen muß (entweder nationale oder proratisierte, je nachdem, welche die höhere ist), und bezahlt diese an den Versicherten. Das Ergebnis ist, daß der Versicherte letztlich mehrere Renten bekommt. Auch bei der Zusammenrechnung wird also klar, daß der oder die "zuständigen Träger" zwar zusammenarbeiten, bei dieser Zusammenarbeit jedoch die Zuständigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten getrennt sind. Bei den Renten rechnet jeder nationale Träger aufgrund von Bescheinigungen, die für ihn bindend sind, die Versicherungszeiten zusammen, und jeder gewährt seine Rente. Bei der Zusammenrechnung von Zeiten für die Feststellung des Leistungsanspruchs rechnet der Träger des Beschäftigungsstaats ebenfalls aufgrund der für ihn bindenden Bescheinigungen zusammen und gewährt die entsprechende Leistung. Der zuständige Träger überprüft nicht die in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Zeiten - dafür sind die anderen Träger verantwortlich. Er akzeptiert ihre Angaben als Gegebenheiten.
3. Bedeutung der Unterscheidung zwischen Kollisionsnormen und Koordinierungsregeln Die obige Darstellung hat gezeigt, daß jeder Mitgliedstaat, dessen Recht nach den Kollisionsnonnen der va (EWG) 1408171 anwendbar ist, sein nationales Recht in Verbindung mit den anderen Bestimmungen dieser Verordnung anwendet. Die Bedeutung der Kollisionsnonnen der va (EWG) 1408171 für die Koordinierungsregeln liegt darin, daß erst die Kollisionsnonnen bestimmen, wel-
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D. Systematische Einordnung
cher Staat seinen koordinationsrechtlichen Verpflichtungen nachkommen muß. Der Rechtsanwender muß also zunächst Titel 11 der Verordnung heranziehen. Nachdem er feststellt, daß sein Recht Anwendung findet, wird er die nationalen Sachnormen in Verbindung mit den Koordinierungsregeln der Verordnung anwenden. Beispiel: Ein Arbeitnehmer arbeitet in Frankreich und wohnt in Belgien. Der französische Träger stellt zuerst fest, daß sein Recht auf diesen Arbeitnehmer anwendbar ist. Erst jetzt kann dieser Arbeitnehmer im Krankheitsfall die im französichen Recht vorgesehenen Geldleistungen in seinem belgischen Wohnort bekommen (Art. 19 Abs. 1 Buchst. b) VO (EWG) 1408171). Diesem Grundsatz widerspricht jedoch eine Entscheidung des EuGH über das deutsche Erziehungsgeld. 627 Zwei Frauen, die in den Niederlanden wohnten und deren Männer in Deutschland arbeiteten, haben deutsches Erziehungsgeld beantragt. Ihre Anträge wurden entsprechend den deutschen Vorschriften abgelehnt, weil eine der Frauen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis stand, keinen Wohnsitz in Deutschland hatte und die andere nicht mindestens 15 Stunden wöchentlich beschäftigt war. 628 Der Gerichtshof hat die erste Frage des vorlegenden Gerichts, nämlich ob das Erziehungsgeld eine Familienleistung i.S.d. Art. 4 I Buchst. h) VO (EWG) 1408171 sei, bejaht. 629 Sodann stellte er fest, daß die Ehegatten von Arbeitnehmern, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegen und mit ihren Familien in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, aufgrund von Art. 73 VO (EWG) 1408171 im Mitgliedstaat der Beschäftigung Anspruch auf das Erziehungsgeld haben. Der Anspruch auf das Erziehungsgeld steht allerdings demjenigen zu, der Erziehungsleistungen erbringt, und nicht seinem Ehegatten. 63o Hätten in den obengenannten Fällen die Männer der Frauen Hoever und Zachow den Erziehungsurlaub in Anspruch genommen, dann stünde ihnen das deutsche Erzieh627 EuGH, Urt. v. 10.10.1996 - verb. RS C-245/94 und C-312194 (Hoever u. ZachowlLand Nordrhein-Westfalen), EuZW 1996,730 ff., mit Anmerkung Eichenhofer, 716 ff.; s. auch Eichenhofer, Deutsches Erziehungsgeld und Europäisches Sozialrecht, SGb 1997, 449 ff. 628 Nach §1 I BErzGG i.d.F. v. 25.7.1989 (BGBI 1,1550), geändert durch Gesetz v. 17.12.1990 (BGBI I, 2823) hat Anspruch auf Erziehungsgeld, wer 1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, 2. mit einem Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt, 3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und 4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Nach § 1 IV BErzGG hat Anspruch auf Erziehungsgeld auch ein Angehöriger eines Mitgliedstaats der EG, der zwar nicht in Deutschland wohnt, aber ein Arbeitsverhältnis im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und die Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 2 bis 4 erfüllt. Ein Arbeitsverhältnis i.S. des § 1 IV BErzGG setzt insbesondere eine wöchentliche Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden voraus; bei einer kürzeren Arbeitszeit liegt nach § 8 SGB IV eine geringfügige Beschäftigung vor. 629 So auch EuGH, RS C-85/96 (Martinez Sala), Urt. v. 12.5.1998. 630 s. Rdnr. 30 der Entscheidung in den RS C-245/94 und C-312194 (Hoever u. ZachowlLand Nordrhein-Westfalen), EuZW 1996,730 ff.
VI. Der Rechtscharakter der Kollisionsnormen
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hungsgeld zu. Sie unterfallen nämlich den Rechtsvorschriften ihres Beschäftigungsstaats (Art. 13 Abs.2 Buchst. a) VO (EWG) 1408171) und haben Anspruch auf eine Leistung wie das Erziehungsgeld selbst dann, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Um das Recht der Frauen Hoever und Zachow auf diese Leistung festzustellen, muß zunächst bestimmt werden, welches nationale Recht auf sie anwendbar ist. Beide Frauen sind nicht erwerbstätig bzw. nur geringfügig beschäftigt. Sie unterfallen demnach den Rechtsvorschriften ihres Wohnstaats (Art. 13 Abs.2 Buchst. f) VO (EWG) 1408171). Deshalb stünde ihnen das niederländische Erziehungsgeld zu, wenn eine solche Sozialleistung im niederländischen Recht (ähnlich wie in Luxemburg) existieren würde; dies ist aber nicht der Fall. Auf das deutsche Erziehungsgeld dürften sie aber keinen Anspruch haben, weil das deutsche Recht auf sie nicht anwendbar ist. Deshalb ist dem Gerichtshof in seinem Befund nicht zuzustimmen. Denn er ist unvereinbar mit dem Prinzip der VO (EWG) 1408171, daß zunächst das auf eine Person anwendbare Recht festgestellt werden muß, um dann mittels der Koordinierungsregeln die Rechte und Pflichten der Person aus diesem Recht zu konkretisieren. Der Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) 1408171 enthält keine Kollisionsnorm. Vielmehr kommt er in Ergänzung der nationalen Sachnormen zur Geltung, nachdem bestimmt wurde, welche Sachnormen anwendbar sind. Die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Kollisionsnormen und Koordinierungsregeln in der VO (EWG) 1408171 besteht darin, daß erstere bestimmen, welcher Staat die letzteren anwenden muß. Es ist wichtig, diese bei den Gattungen von Normen genau zu unterscheiden, denn nur so kann ihre volle Wirkung entfaltet, nur so können unnötige Verwicklungen vermieden werden.
VI. Der Rechtscharakter der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408/71 Fraglich ist, ob die Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 einseitig sind, wie die Kollisionsnormen des autonomen Sozialrechts der Mitgliedstaaten, oder mehrseitig, wie die Kollisionsnormen des IPR. Nach der herrschenden Meinung sind die Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 mehrseitig. 631 Es gibt im wesentlichen zwei Argumente, die zur Be631 Aus der deutschen Literatur: v. Maydell, Sach- und Kollisionsnormen, 1967,61; ders., Die dogmatischen Grundlagen des inter- und supranationalen Sozialrechts, in: VSSR 1973, 347 ff., 358 ff.; ders, Internationales Sozialrecht, in: ders., Lexikon des Rechts - Sozialrecht 1994, 130 ff., 133; Steinmeyer, Die Einstrahlung im ISR, 1981, 24; ders. NKES, I. 13, Vorbemerkungen, Rdnr. I; Wicken hagen, Internationales Sozialversicherungsrecht, 2. Auflage 1982, 40; Költzsch, Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, DRV 1995,74; BSGE 52,210,213; BSG, Urt. v. 8.12.1994 - 2 RU
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D. Systematische Einordnung
gründung dieser Auffassung vorgebracht werden. Das erste bezieht sich auf die Formulierung der Kollisionsnormen der va (EWG) 1408/71, die der Formulierung der "klassischen" internationalprivatrechtlichen Kollisionsnormen sehr ähnlich ist. Das zweite Argument, das vor allem in der französischsprachigen Literatur vertreten wird, gründet auf der Behauptung, daß es in dem System der Verordnung die Möglichkeit der Anwendung fremden Rechts gebe. Diese Argumente sollen im folgenden überprüft werden.
1. Die Formulierung der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171
"Die Art. 13-17 der va (EWG) 1408/71 beschränken sich nicht darauf, die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit einer Rechtsordnung anzuordnen; sie bestimmen vielmehr die anwendbare Rechtsordnung aus dem Kreis der neun (nunmehr fünfzehn)632 in Betracht kommenden Rechtsordnungen. Es handelt sich dabei also um echte mehrseitige Kollisionsnormen, die die These widerlegen, im öffentlichen Recht könne es keine zwei- und mehrseitigen Kollisionsnormen geben. Daß dies im supranationalen Bereich möglich ist, beruht auf der Tatsache, daß hier ein von den Mitgliedstaaten verselbständigtes und ihnen damit in gewisser Weise übergeordnetes Gemeinschaftsorgan als Gesetzgeber auftritt. ,,633 Die Tatsache, daß die Kollisionsnormen der va (EWG) 1408/71 "eine Aussage darüber machen, welche von mehreren Rechtsordnungen Anwendung findet",634 begründe somit ihren mehrseitigen Charakter. Betrachtet man die Formulierung der Art. 13 ff. der va (EWG) 1408/71: "eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats beschäftigt ist, unterliegt den 37/93, in: SGb 1995,611, mit Anm. Schuler = SozR 3-6050, Art. 14 Nr. 4; Hannemann, in: Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, 1990, 881 (Rdnr. 49). Aus der französichsprachigen Literatur: Dupeyroux, Marche commun et securite sociale, J.c.P. 1959, 1504; Wibault, Le droit de la securite sociale et la notion de conflit des lois, Droit Social 1965, 318 ff.; Tantaroudas, La protection juridique des travailleurs migrants de la C.E.E., 1971, 372 ff., 381 ff. Die letztgenannten Autoren haben zwar nicht explizit das Wort "mehrseitig" (multilaterales) benutzt. Ihre Argumentation ginge dazu, die kollisionsrechtliche Qualität der Normen des Titels 11 der VO (EWG) 1408171 überhaupt zu begründen und die These Freyrias, es gebe keine Kollisionsnormen, abzulehnen. Ihre Behauptung der Möglichkeit einer Anwendung fremden Rechts impliziert aber den mehrseitigen Charakter. Ausdrücklich das Wort "bilaterales" (obwohl es eigentlich "multilaterales" sein sollte) benutzt Van Raepenbusch, La securite sociales des personnes qui circulent a l'interieur de la C.E.E., 1991,222. Anderer Auffassung sind: Gobbers, Gestaltungsgrundsätze, 1980, 37-38; Eichenhofer, EAS B 1200, Rdnr. 77-81; Frank, Enthalten die Art. 13 bis 17 VO Nr. 1408171 allseitige Kollisionsnormen?, DAngVers 1996, 132 ff. 632 Korrektur durch die Verfass. 633 v. Maydell, VSSR 1973, 359-360. 634 Steinmeyer, Einstrahlung, 1981,24; so auch die anderen Vetreter der Mehrseitigkeit in der deutschsprachigen Literatur.
VI. Der Rechtscharakter der Kollisionsnonnen
183
Rechtsvorschriften dieses Staats" (Art. 13 Abs.2 Buchst. a) va (EWG) 1408171), dann gibt es in der sprachlichen Fassung tatsächlich eine große Ähnlichkeit mit den Kollisionsnormen des IPR. Beispiele aus dem deutschen EGBGB sind Art. 7 I : "Die Rechtsfähigkeit [ ... ] einer Person unterliegt dem Recht des Staats, dem die Person angehört" oder Art. 25 I: "Die Rechtsnachfolge von Todes wegen unterliegt dem Recht des Staats, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte". Die Normen über das anwendbare Recht der va (EWG) 1408171 sind den IPR-rechtlichen Kollisionsnormen ähnlicher als den autonomen sozialrechtlichen Kollisionsnormen. Beispiel aus dem SGB IV, § 3: "Die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung gelten, soweit sie eine Beschäftigung [ ... ] voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches beschäftigt [ ... ] sind". Die deutschen sozialrechtlichen Kollisionsnormen bestimmen nur, ob ein Sachverhalt vom deutschen Recht erfaßt wird oder nicht. Ebenso bestimmen die französichen sozialrechtlichen Kollisionsnormen, ob ein Sachverhalt vom französichem Recht erfaßt wird, usw. Die Frage bei den nationalen Grenznormen lautet also "Gilt unser nationales Sozialrecht?" und die Antwort lautet ,ja" oder "nein". Bei den mehrseitigen Kollisionsnormen ändert sich die Frage und lautet "Welches Recht ist auf diesen Sachverhalt anzuwenden?" Die Sprachform der Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 erweckt also den Anschein einer großen Nähe zum IPR. Kann man aber nur aus ihrer Formulierung schließen, daß sie mehrseitig sind? Die Art. 13-17 der va (EWG) 1408171 verdrängen sowohl die in früheren Abkommen enthaltenen als auch die nationalen Kollisionsnormen. Sie führen dazu, daß alle Mitgliedstaaten nunmehr identische Kollisionsnormen haben, wenn es um die Versicherung eines Unionbürgers geht. 635 Bereits mit dieser Feststellung wird das Argument, das auf der Sprachform der Art. 13 ff. der va (EWG) 1408171 basiert, geschwächt. Denn statt zu fragen "Welches Recht ist anzuwenden?" kann jeder Staat immer auch fragen "Ist mein eigenes Recht auf diesen Sachverhalt anwendbar oder nicht?" Wenn die eigenen Grenznormen durch die Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 ersetzt werden, kann man nicht daraus folgern, daß letztere zwangsläufig einen anderen Charakter als die ersteren haben. Die Frage für jeden einzelnen nationalen Versicherungsträger ändert sich nicht: Er fragt stets und allein, ob das eigene Recht Anwendung findet. Der einzige Unterschied ist, daß alle Träger dieselbe Rechtsgrundlage die Verordnung - anwenden. Dadurch ist auch immer geregelt, welches Recht anwendbar sein soll, wenn - aus Sicht eines Trägers - das eigene Recht nicht anwendbar ist. Diese Tatsache allein kann aber nicht die Mehrseitigkeit einer Kollisionsnorm begründen.
635 S.
D. IV. 3.
184
D. Systematische Einordnung
Das Argument, welches sich auf die sprachliche Gestalt einer Kollisionsnorm bezieht, um ihr einen ein- oder mehrseitigen Charakter zuzusprechen, ist vor allem deswegen unzureichend, weil es sich an Ähnlichkeiten festhält, aber nicht den rechtspraktischen Unterschied zwischen ein- und mehrseitigen Kollisionsnormen berücksichtigt. Denn in jeder allseitigen Kollisionsnorm des IPR ist auch eine einseitige enthalten, die den Geltungsbereich des materiellen Privatrechts bestimmt. 636 Die allseitige Kollisionsnorm verfügt aber darüber hinaus über eine Verweisungsnorm, die besagt, welches ausländische materielle Recht durch den nationalen Richter anzuwenden ist, falls das eigene Recht nicht anwendbar ist. Aufgrund der in der allseitigen Kollisionsnorm enthaltenen Verweisungsnorm stützen die inländischen Instanzen ihre Entscheidungen auf ausländisches Recht. Die Frage, die also unbedingt beantwortet werden muß, um eine Kollisionsnorm als mehr- bzw. allseitig zu charakterisieren, ist, ob sie die Anwendung fremden Rechts, nämlich das Stützen einer Entscheidung auf fremdes Recht, vorsieht. Fraglich ist, ob dies der Fall in der Verordnung 1408171 ist.
2. Möglichkeit der Anwendung ausländischen Sozialrechts?
In der Literatur wird die Möglichkeit der Anwendung ausländischen Sozialrechts seitens einer nationalen Behörde behauptet. 637 Das wichtigste Beispiel, das hierfür präsentiert worden ist, ist die Gewährung der Sachleistungen bei Krankheit bzw. bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Die Behörden eines Mitgliedstaats seien nicht nur gehalten, die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats gemäß den Kollisionsnormen der Verordnung anzuerkennen, sondern darüber hinaus dienten sie als Verwaltungsbehörden für die Leistungserbringung, wodurch sie zur Durchführung der fremden Gesetze beitrügen. 638 Die Leistungsberechtigung im zuständigen Mitgliedstaat vermittele den Anspruch auf Leistungen im aushelfenden Mitgliedstaat. Die Leistung sei von zwei nationalen Rechten regiert: Das "Ob" der Leistung sei dem Recht des Beschäfti-
636 S. D. 11. 2 b). und Jahr, Internationale Geltung nationalen Rechts, RabelsZ 1990, 481 ff., 499. 637 Tantaroudas, La protection juridique des travailleurs migrants de la C.E.E., 1976, 388; Raschke, § 73, Überstaatliches Recht, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des SVR, Band 2, Unfallversicherungsrecht, 1996, Rdnr. 106; van Raepenbusch, La securite sociale des personnes qui circulent a l'interieur de la C.E.E., 1991,220 ff. 638 Van Raepenbusch, La securite sociale des personnes qui circulent a l'interieur de la C.E.E., 1991,221: "Les autorites d'un Etat membre ne sont pas seulement amenees a reconnaitre la competence de la legislation d'un autre Etat membre, conformement aux regles de rattachement communautaires, mais [ ... ] servent aussi parfois de relais pour le versement des prestations, participant ainsi a la mise en oeuvre de la legislation etrangere [... ]."
VI. Der Rechtscharakter der Kollisionsnonnen
185
gungsstaats, die Modalitäten der Leistung dem Recht des Wohn staats zu entnehmen. Das Leistungsrecht sei also nicht nur von einer nationalen Rechtsordnung, sondern von zwei Rechtsordnungen geregelt. "Une fois la competence legislative rompue, sur le plan international, du fait qu'un droit est regi par deux Iegislations nationales, il n'existe aucune raison pour maintenir l'unite des competences sur le plan national. ,,639 Der notwendige Gleichlauf der Zuständigkeit der Behörden und des von ihnen anzuwendenden Rechts sei durch die Verordnung überwunden. Im Streitfall würde die nationale Behörde zwei Rechte anwenden ("appliquer concuremment deux legislations nationales"),64o von denen das eine ein ausländisches Recht wäre. Noch einige andere Beispiele werden erwähnt, um die Möglichkeit der Anwendung des Sozialrechts eines Mitgliedstaats durch einen anderen Mitgliedstaat zu begründen. 641 Nach Art. 40 Abs. 4 VO (EWG) 1408/71 ist eine vom Träger eines Mitgliedstaats getroffene Entscheidung über die Invalidität eines Antragstellers auch für die Träger jedes anderen in Betracht kommenden Mitgliedstaats verbindlich, sofern die in den Rechtsvorschriften dieser Staaten festgelegten Tatbestandsmerkmale der Invalidität in Anhang V als übereinstimmend anerkannt sind. Davon sind allerdings nur vier Länder, und zwar Belgien, Frankreich, Italien und Luxemburg betroffen. In Art. 92 VO (EWG) 1408/71 wird geregelt, daß Beiträge, die einem Träger eines Mitgliedstaats geschuldet werden, auch im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eingezogen werden können. Schließlich heißt es in Art. 86 VO (EWG) 1408/71: "Anträge, Erklärungen oder Rechtsbehelfe, die gemäß den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats innerhalb einer bestimmten Frist bei einer Behörde, einem Träger oder einem Gericht dieses Staats einzureichen sind, können innerhalb dieser Frist bei einer entsprechenden Behörde, einem entsprechenden Träger oder einem entsprechenden Gericht eines anderen Mitgliedstaats eingereicht werden." In diesem Fall übennittein die in Anspruch genommenen Behörden usw. diese Anträge oder Rechtsbehelfe dem zuständigen Träger oder dem zuständigen Gericht des ersten Staats. Somit wirkten sie bei der Anwendung des Rechts der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats mit. Fraglich ist bei diesen Beispielen, ob es sich tatsächlich um eine von den Kollisionsnonnen der VO (EWG) 1408/71 ennöglichte Anwendung fremden Rechts der sozialen Sicherheit handelt.
639
Tantaroudas, La protection juridique des travailleurs migrants de la C.E.E., 1976,
387. 640
Ebd., 389.
v. Raepenbusch, La securite sociale des personnes qui circulent a I'interieur de la C.E.E., 1991,220 und 221 (Rdnr. 129: L'application dans un Etat membre du droit de la securite sociale d'un autre Etat membre sous la reglementation communautaire). 641
186
D. Systematische Einordnung
Um diese Frage zu beantworten, soll folgendes überprüft werden: Erstens, ob die Tatsache, daß ein Leistungsrecht von zwei Rechtsordnungen "regiert" wird, Folge der Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408/71 ist. Die Behauptung, daß nunmehr auch eine andere, fremde Rechtsordnung von einem nationalen Träger anzuwenden ist, setzt voraus, daß die Kollisionsnormen der Verordnung die gleiche Funktion wie die Kollisionsnormen des IPR haben. Dies ist zu hinterfragen. Zweitens wird der Frage nachgegangen, ob es sich in dem System der Verordnung tatsächlich um eine Anwendung fremden Rechts handelt, wie sie aus dem IPR bekannt ist.
a) Haben die Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408!71 die gleiche Funktion wie die mehrseitigen Kollisionsnormen des [PR?
Im IPR führt die mehreitige Kollisionsnorm dazu, daß ein nationales Privatrecht auch im Ausland beachtet und angewandt wird. Beispiel: Zwei in Deutschland wohnende Italiener möchten sich in Deutschland scheiden lassen. Nach der (deutschen) allseitigen Kollisionsnorm wird der zur Entscheidung berufene Richter den Rechtsstreit gemäß ausländischem (im Beispiel: italienischem) Sachrecht entscheiden (Art. 17, 14 EGBGB). Der Richter wird das Scheidungsbegehren nach dem gemeinsamen Heimatrecht der Eheleute beurteilen. Durch die allseitige KoIIisionsnorm wird also gesichert, daß das italienische materielle Eherecht auch außerhalb Italiens angewandt wird und die in ihm gründenden Rechtsverhältnisse von anderen Staaten als gültig und rechtswirksam anerkannt werden. Auch durch die VO (EWG) 1408/71 wird gewährleistet, daß ein im Recht eines Mitgliedstaats gründender Anspruch auch außerhalb dieses Staats anerkannt wird. Bei der Sachleistungserbringung im Krankheitsfall bei Aufenthalt des Leistungsberechtigten außerhalb des zuständigen Staats wird die im Sozialrecht des Beschäftigungsstaats gründende Leistungsberechtigung vom leistungserbringenden Träger des Aufenthaltsstaats als rechtswirksam anerkannt. Der aushelfende Mitgliedstaat erkennt nämlich an, daß nach dem Recht des zuständigen Mitgliedstaats die Person leistungsberechtigt ist; sodann gewährt er die Leistung. Diese Gewährung erfolgt jedoch nach den Rechtsvorschriften des aushelfenden Staats und gerade nicht nach den Rechtsvorschriften des anspruchsbegründenden Staats. Bei der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten addiert der Beschäftigungsstaat die in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten, um zu entscheiden, ob eine Person Anspruch auf eine bestimmte Leistung hat. Auch in diesem Fall wird eine in einem nationalen Sozialrecht gründende Berechtigung von einem anderen Mitgliedstaat als gültig und rechtswirksam beachtet. 642
VI. Der Rechtscharakter der Kollisionsnonnen
187
Diese Beachtung ist allerdings nicht das Verdienst der KoIlisionsnorrnen der Verordnung. 643 Die Anerkennung des fremden Sozialrechts in den erwähnten Beispielen wird von den Koordinierungsregeln vorgeschrieben. Die Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 haben also im Vergleich zu den Kollisionsnormen des IPR eine begrenzte Funktion: In der Verordnung wird nicht durch sie, sondern mittels der Koordinierungsregeln erreicht, was im IPR die allseitigen Kollisionsnormen zusichern, daß nämlich eine in einem nationalen Recht gründende Berechtigung auch im Ausland anerkannt wird.
b) Handelt es sich im System der va (EWG) 1408/11 um eine Anwendung ausländischen Rechts wie im 1PR?
Um diese Frage zu beantworten, sollen die Beispiele, die zur Begründung der Anwendung fremden Rechts der sozialen Sicherheit in der VO (EWG) 1408171 aufgezeigt worden sind, genauer betrachtet werden.
aa) Sachleistungsaushilfe im Krankheitsfall Bei der Sachleistungsaushilfe im Krankheitsfall, wenn Wohnort oder Aufenthaltsort außerhalb des zuständigen Mitgliedstaats liegen, obliegt das "Ob" der Leistungsberechtigung dem zuständigen Träger und das "Wie" der Leistungsgewährung dem aushelfenden Träger. Die Behauptung, daß die Leistung von zwei nationalen Rechten "regiert" werde, trifft also zu. Fraglich ist, ob diese beiden Träger jeweils das Recht des anderen Mitgliedstaats anwenden. Bei der Ausfertigung des Vordruckes über die Leistungsberechtigung wendet der zuständige Träger ausschließlich sein Recht der sozialen Sicherheit an. Die Sachleistungen gewährt der aushelfende Träger "nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften, als ob (die Person) bei diesem versichert wäre" (Art. 19 Abs. 1 a), 22 Abs. 1 i), 25 Abs. 1 a) VO (EWG) 1408171). Beide Träger wenden darüber hinaus die Vorschriften der Verordnungen (EWG) 1408171 und 574172 an. Der aushelfende Träger wendet das Recht des Beschäftigungsstaats nicht an, um die Leistungsberechtigung der Person zu überprüfen: Er ist an den Inhalt des Vordruckes gebunden. Der zuständige Träger wendet ebenfalls das Recht des Wohnortsträgers nicht an, um den Modus der Gewährung zu überprüfen,
642
643
Eichenhofer, ISR, 1994, Rdnr. 31 und 32. s. D.V.
188
D. Systematische Einordnung
sondern erstattet die Kosten für die erbrachte Leistung. 644 Nur über besonders teure Sachleistungen muß im Falle des in einem anderen Mitgliedstaat liegenden Wohnorts der aushelfende Träger den zuständigen Träger im voraus informieren, der ihre Gewährung in kurzer Frist mit Begründung ablehnen kann. Da aber auf das "Wie" der Leistungserbringung das Recht des aushelfenden Trägers Anwendung findet, kann der zuständige Träger die Ablehnung nicht damit begründen, solche Leistungen gebe es nach seinem Recht nicht oder das Recht des Wohnortes sei falsch angewandt worden. Vielmehr beschränkt sich der Widerspruch auf die Vorbeugung von Mißbrauch. 645
bb) Zusammenrechnung von Versicherungszeiten Auch das Verfahren der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten basiert auf dem Austausch von Vordrucken. Der zuständige Träger (bei der Feststellung des Leistungsanspruchs) und jeder "bearbeitende" Träger (bei Renten) rechnen aufgrund der Vordrucke, die die Versicherungszeiten bestätigen, zusammen. Diese Zeiten werden von jedem Träger so berücksichtigt, wie sie ihm verbindlich mitgeteilt werden. Ob eine Anwartschaft besteht, bestimmt der Träger, unter dessen Recht die Zeiten verbracht worden sind. Die anderen Träger können diese Angaben nicht bezweifeln: Sie betrachten sie als Gegebenheiten. 646
cc) Rentengewährung Die Rentengewährung hat die Form einer "Teilrentengewährung" von den Trägern der Mitgliedstaaten, in denen die Person versichert war. Der französische Träger wird eine Rente nicht aufgrund deutschen Rechts gewähren, son-
644 Normalerweise werden die tatsächlich entstandenen Kosten erstattet. s. aber auch EuGH, RS C-158/96 (Kohl), Vrt. v. 28.4.1998 = NJW 1998, 1769 und RS C-120/95 (Dekker), Vrt. v. 28.4.1998 = NJW 1998, 1771: Wenn der Versicherte ohne vorherige Genehmigung des zuständigen Trägers sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort behandelt zu werden, werden ihm die Kosten für die erbrachten Leistungen zu den Sätzen des zuständigen Mitgliedstaats erstattet. In diesem Fall erstattet also der zuständige Träger nur die Kosten bis zu der vom zuständigen Mitgliedstaat vorgesehenen Höhe, also nicht in allen Fällen die vollen Kosten. 645 NKES, Bieback, I. 19, Rdnr. 13; Neumann-Duesberg, Krankenversicherungsschutz bei Auslandsaufenthalt, DOK 1985, 302 ff., 310. 646 Voirin, note sous I'arret Gosset, Cass. Ch. soc. du 16.2.1965, in: Dalloz, 1965, Jur. 723 ff., 725: "Ies institutions de I'un des Etats se contentent de tenir compte des decisions [ ... ] qui leur sont communiquees par les institutions de l' autre Etat. Mais les institutions du premier Etat n'ont pas a prendre elles-memes ces decisions ou a apprecier celles qui leur sont communiquees, ni les juridictions de cet Etat aen connaitre."
VI. Der Rechtscharakter der Kollisionsnormen
189
dem nur aufgrund französischen Rechts. Die zu leistende Rente ist entweder die "nationale Rente" (wenn der Rentenanspruch bereits nach den nationalen Vorschriften erworben worden ist) oder die "proratisierte" oder "Teilrente", die nach dem Verhältnis der im jeweils zuständigen Mitgliedstaat zurückgelegten Zeiten berechnet wird. In beiden Fällen gewährt ein Träger die Rente, die der Zurücklegung von Versicherungszeiten unter seinem und nicht unter einem ausländischem System entspricht.
dd) Zwischenergebnis Vergleicht man das Verfahren der Sachleistungsgewährung, der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten und der Rentengewährung in den Verordnungen (EWG) 1408171 und 574172 mit einem international-privatrechtlichen Verfahren, werden die Unterschiede besonders auffällig. Wendet man sich im IPR an das (international zuständige) Zivilgericht und verlangt, daß es z.B. über eine Scheidung entscheidet, wird das Gericht ausländisches Privatrecht anwenden, wenn der Fall nicht von der lex fon geregelt wird. Eine mehrseitige Kollisionsnorm setzt die Möglichkeit der Anwendung eines anderen nationalen Sachrechts durch den Rechtsanwender eines Staats voraus und regelt, welches von den in Betracht kommenden Sachrechten zur Anwendung gelangen wird. Das Gericht wird das ausländische Sachrecht zur Richtschnur seiner Entscheidung machen und aufgrund dessen "Recht sprechen". Der deutsche Richter wird italienisches Recht anwenden, um das Scheidungsbegehren der zwei Italiener zu beurteilen. Das Verfahren, dem zur Durchführung der va (EWG) 1408171 gefolgt wird, ist aber ein völlig anderes Verfahren. Der deutsche Sozialversicherungsträger wird gerade nicht italienisches Sozialrecht anwenden, um zu entscheiden, ob eine italienische Leistungsberechtigung oder Anwartschaft besteht: Er ist gebunden an die Angabe des italienischen Trägers. Er kann eine Rente nur aufgrund des deutschen Rentenrechts und nicht aufgrund des italienischen Rentenrechts gewähren. Der nach Art. l3 ff. der va (EWG) 1408171 berufene nationale Träger wendet nur sein eigenes Recht an; darüber hinaus wendet er Gemeinschaftsrecht an, auf der Basis von Daten, die ihm von anderen Trägern geliefert werden. Diese Daten sind für ihn bindend; er akzeptiert sie wie Tatsachen.
190
D. Systematische Einordnung ee) Invaliditätsfeststellung
Auch in dem Fall des Art. 40 Abs. 4 va (EWG) 1408171 akzeptieren die von diesem Artikel betroffenen Mitgliedstaaten die Invaliditätsfeststellung eines anderen Mitgliedstaats wie eine Tatsache. Es handelt sich hier lediglich um eine wechselseitige Anerkennung des Invaliditätszustandes647 und nicht um die Anwendung fremden Rechts: Der italienische Träger wird z.B. nicht französisches Recht, sondern ausschließlich sein Recht anwenden, um die Invalidität festzustellen.
ff) Durchsetzung der BeitragsanspfÜche in anderen Mitgliedstaaten und Amtshilfe Darüber hinaus können weder die Durchsetzung der Beitragsansprüche in einem anderen Mitgliedstaat (Art. 92 va (EWG) 1408171) noch die Amtshilfe bei der Einreichung von Anträgen, Erklärungen und Rechtsbehelfen (Art. 86 va (EWG) 1408171) die Anwendung ausländischen Sozialrechts begründen. Nach Art. 92 kann zwar im Wege der Amtshilfe eine von einem Arbeitgeber geschuldete Beitragsforderung auch im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats durchgesetzt werden. Dies hat allerdings nicht die Anwendung des Vollstrekkungsverfahrens des zuständigen Staats im Gebiet des anderen Mitgliedstaats zur Folge. Die Zuständigkeiten sind deutlich getrennt. Die Entstehung des Beitragsanspruchs und dessen Höhe richten sich nach dem Recht des zuständigen Staats. Das Vollstreckungsverfahren leitet sich demgegenüber von dem Recht des Mitgliedstaats ab, in dem die Vollstreckung stattfindet. 648 Art. 92 Abs. 1 va (EWG) 1408171 lautet: "Beiträge, die einem Träger eines Mitgliedstaats geschuldet werden, können im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats nach dem Verwaltungsveifahren und mit den Sicherungen und Vorrechten eingezogen werden, die für die Einbeziehung der dem entsprechenden Träger des zweiten Staats geschuldeten Beiträge gelten. ,,649
647 Pflüger-Demann, Soziale Sicherung bei Invalidität in rechts vergleichender und europarechtlicher Sicht, 1991, 258: "Nur in diesen vier Ländern ähneln sich - nach der derzeitigen Auffassung - die Definitionen der "Invalidität" im Hinblick auf die festzustellenden Kriterien, so daß eine wechselseitige Anerkennung des Invaliditätszustandes möglich ist". 648 Coutanceau / Rapaud, Le recouvrement des cotisations de Securite sociale dans la Communaute europeenne, Droit Socia! 1993, 580 ff., 585; NKES, Eichenhofer, I. 92, Rdnr.4. 649 Hervorhebung durch die Verfass.
VI. Der Rechtscharakter der KoIlisionsnonnen
191
Der Träger des zweiten Mitgliedstaats trägt dazu bei, die in einem anderen Recht gründenden Ansprüche durchzusetzen; während er dies tut, wendet er nur sein Recht an.
Art. 86 VO (EWG) 1408171 soll vermeiden, daß eine Person wegen fehlender Empfangszuständigkeit ihre Ansprüche verlieren könnte. 650 Deshalb übermitteln die in Anspruch genommenen Behörden und Gerichte die Anträge oder Rechtsbehelfe der Behörde oder dem Gericht des zuständigen Staats. Der Träger bzw. das Gericht des Wohnortes übermitteln den AntragIRechtsbehelf lediglich dem Träger bzw. dem Gericht des Beschäftigungsortes; sie entscheiden nicht selbst darüber. Im IPR hätte der (international zuständige) Richter des Wohnorts den Fall nicht zu einem anderen Gericht "geschickt", sondern würde selbst auf der Basis des fremden Rechts entscheiden. In der Verordnung darf der die Amtshilfe leistende Träger bzw. das Gericht gerade nicht über den Antrag bzw. Rechtsbehelf entscheiden. Er ist lediglich dazu befugt, ihn an die zuständige Stelle weiterzuleiten. 651
gg) Ergebnis Die Beispiele, die zur Begründung der Anwendung ausländischen Rechts von den Trägern der Mitgliedstaaten gegeben worden sind, zeigen, daß die Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 niemals zur Anwendung ausländischen Rechts führen. Denn jeder Mitgliedstaat wendet weiterhin nur sein Recht der sozialen Sicherheit an. Die Mitteilungen bzw. Vordrucke der anderen Träger sind für ihn verbindlich und werden von ihm wie Tatsachen anerkannt. Die Berücksichtigung652 fremden Rechts, als ob es eine Tatsache wäre, ist aber noch keine "Anwendung" fremden Rechts i.S.d. "Stützens" der Entscheidung auf fremdes Recht. 653 Die Verweisungsregeln des IPR führen dazu, daß ein Satz fremden Rechts in dem Sinne gilt, daß Entscheidungen inländischer Instanzen auf ihn zu "stützen" sind. Ihre Folge ist nicht nur, daß das fremde Recht als solches "anerkannt"
650 651
NKES, Steinmeyer, I. 86, Rdnr. 2. EuGH, RS 149/73 (Walsh), Slg. 1980, 1639: Die Behörde, der Träger oder das
Gericht, bei dem der Antrag, die Erklärung oder der Rechtsbehelf eingereicht worden sind, ist nicht befugt, über deren Zulässigkeit zu entscheiden; sie hat sie lediglich weiterzuleiten. Dazu befugt ist nur die zuständige Institution. 652 v. Raepenbusch, La securite sociale, 1991, der für die "Zweiseitigkeit" der Kollisionsnonnen der va plädiert (222), gibt einige Beispiele (221), welche die Anwendung fremden Sozialrechts durch die Träger eines anderen Staates begründen sollen. Für diese Beispiele benutzt er aber den Ausdruck "prise en compte", der gerade nicht das "Stützen auf' sondern die bloße Berücksichtigung fremden Rechts bedeutet. 653 Jahr, Internationale Geltung nationalen Rechts, RabelsZ 1990, 484.
192
D. Systematische Einordnung
wird, sondern vielmehr, daß es zum Gegenstand der inländischen Beurteilung wird. 654 In dem System der Verordnungen 1408171 und 574172 gibt es diese Möglichkeit nicht. Die nationalen Träger beschränken sich darauf, das Recht der sozialen Sicherheit der anderen Träger zu berücksichtigen.
c) Versicherungsträger sind Träger hoheitlicher Gewalt
Die bloße Berücksichtigung und eben nicht die Anwendung ausländischen Rechts der sozialen Sicherheit ist dadurch zu erklären, daß die Versicherungsträger der Mitgliedstaaten immer Träger hoheitlicher Gewalt sind. Daran haben die Verordnungen 1408171 und 574172 nichts geändert. Die Sozialversicherungsträger sind nur aufgrund des Sozialversicherungsrechts des Staats, der sie konstituiert hat, zum Handeln befugt, wie auch jeder Träger hoheitlicher Gewalt nur aufgrund des Rechts desjenigen Staats handeln darf, der ihn zu diesem Handeln ermächtigt. Die Verwaltungs- bzw. Sozialgerichte messen das Verhalten dieser Träger nur an diesem Recht, weil einzig dieses das Handeln der Träger legitimiert und begrenzt. Auch für die Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 gelten also weiterhin die Argumente, die zur Begründung der Einseitigkeit der Kollisionsnormen des autonomen internationalen Sozialrechts angeführt werden, nämlich die Eigenbeteiligung des Staats und der notwendige "Gleichlauf' von internationaler Zuständigkeit und anzuwendendem Sachrecht. 655 Die Tatsache, daß ein Sozialversicherungsträger eines Staats die Angaben der Träger der anderen Mitgliedstaaten berücksichtigt und mit diesen Trägern zusammenarbeitet, ändert nichts daran, daß er nur in der Form tätig sein kann, die das Sozial- bzw. Verwaltungsrecht des eigenen Staats vorsieht. Entsprechend können die Entscheidungen der Verwaltungs- bzw. Sozialgerichte eines Mitgliedstaats nicht auf ausländisches öffentliches Recht bzw. Sozialrecht gestützt werden. Diese Feststellung ist auch für andere Bereiche des internationalen öffentlichen Rechts von Bedeutung. Denn auch im internationalen Strafrecht und im internationalen Steuerrecht wird das ausländische Recht als rechtswirksam beachtet und seine Wirkungen auf das inländische Recht werden anerkannt. So ist z.B.nach § 51 StGB auf die nach deutschem Recht festzusetzende Strafe die im Ausland verbüßte Strafe für dieselbe Tat anzurechnen. Im Doppelbesteuerungsabkommen verpflichten sich die Vertragsstaaten gegenseitig, in den Fällen keine oder nur ermäßigte Steuern zu erheben, die das Abkommen dem anderen Vertragsstaat vorbehält. Auch hier handelt es sich nicht um eine "Anwendung fremden Rechts"; denn die Staaten fällen Strafen und erheben 654 655
Ebd., 481 ff.,484. s. D. 11. 2.
VI. Der Rechtscharakter der Kollisionsnonnen
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Steuern nur aufgrund ihrer eigenen Straf- bzw. Steuergesetze. Es handelt sich um "Berücksichtigungen" des ausländischen Rechts, in dem Sinne, daß dies Wirkungen auf das inländische Recht entfaltet. Vogel 656 formuliert es folgendermaßen: "Die Steuerbehörden erheben grundsätzlich nur die Steuern des eigenen Staats. Steuern anderer Staaten zu erheben, ist Sache der Steuerbehörden dieser anderen Staaten. [ ... ] Ferner wenden die Steuerbehörden zur Festsetzung der Steuern des eigenen Staats grundsätzlich auch nur dessen eigenes Recht an. Nur ausnahmsweise berücksichtigen die Steuerbehörden dabei fremdes Recht, etwa dann, wenn zur Vermeidung doppelter steuerlicher Belastung ausländische Steuern auf die inländische Steuerpflicht anzurechnen sind. Voraussetzungen und Höhe der Steuerpflicht bestimmen sich jedoch auch in diesen Fällen nach dem Steuerrecht des Staats, der die Steuern erhebt. Entsprechendes gilt für die Anwendung von Steuerrecht durch die für Steuerfragen zuständigen Gerichte: Auch sie wenden grundsätzlich nur das Steuerrecht ihres eigenen Staats an." Die Ähnlichkeit des internationalen Steuerrechts mit dem System der VO (EWG) 1408171 ist offensichtlich.
d) Zusammenfassung
Die allseitigen Kollisionsnormen des IPR führen dazu, daß eine in dem Recht eines fremden Staats gründende Berechtigung auch im Ausland als gültig und rechtswirksam anerkannt wird. Die Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 allein können dagegen nicht dazu führen, daß eine in einem Mitgliedstaat gründende Berechtigung international anerkannt wird. Denn sie haben nur eine begrenzte Aufgabe: Sie bestimmen lediglich das auf einen Sachverhalt anwendbare Recht dadurch, daß sie die verschiedenen nationalen Rechtsordnungen durch einheitliche Kriterien abgrenzen. Gleichwohl wird auch in der Verordnung das fremde Sozialrecht als wirksam anerkannt: In diesem Recht gründende Berechtigungen auf Dienstleistungen (z.B. Behandlung) oder die unter diesem Recht verbrachten Versicherungszeiten werden auch in den anderen Mitgliedstaaten als rechtswirksam beachtet. Diese Beachtung wird aber nicht von den Kollisionsnormen der VO (EWG) 1408171 vorgeschrieben, sondern von einer anderen Gattung von Normen, den Koordinierungsregeln. Im IPR wird dieses Ziel allein durch die mehrseitigen Kollisionsnormen erreicht; in der VO (EWG) 1408/71 sind Kollisionsnormen und Koordinierungsregeln nötig. Diese "Anerkennung fremden Rechts" hat darüber hinaus in der Verordnung eine ganz andere Qualität als im IPR: Es handelt sich nicht um das "Stützen" einer Entscheidung auf das fremde Sozialrecht, sondern um die "Berücksich-
656
Internationales Steuerrecht, DStZ 1997,269 ff., 271.
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D. Systematische Einordnung
tigung" von dessen Rechtsverhältnissen und Gestaltungen. Jeder Träger ist an die Angaben der anderen Träger gebunden. Er wird die Entscheidung, ob eine ausländische Anwartschaft besteht, nicht auf der Basis des ausländischen Rechts treffen, sondern den entsprechenden Träger fragen und seine Mitteilung erwarten. Er wird auch ein versicherungsrechtliches Anliegen einer in einem anderen Mitgliedstaat versicherten Person nicht selbst beurteilen, sondern an den zuständigen Träger weiterleiten. Der notwendige Gleichlauf der Zuständigkeit der Behörden und des von ihnen anzuwendenden Rechts bleibt in der va (EWG) 1408171 erhalten. In dem System der va (EWG) 1408171 fehlt es also an der Möglichkeit der Anwendung fremden Recht i.S.d. Stützens auf das fremde Recht, wie sie im IPR bekannt ist. Diese Möglichkeit ist aber das Merkmal sine qua non einer mehrseitigen Kollisionsnorm, welche nicht nur den internationalen Geltungsbereich des nationalen Rechts bestimmt, sondern darüber hinaus auf das ausländische Recht verweist und es zum Gegenstand der inländischen Beurteilung macht. Deshalb sind die Kollisionsnormen der Verordnung notwendigerweise einseitige Kollisionsnormen. Durch einheitliche Anknüpfungspunkte setzen sie den internationalen Geltungsbereich jedes mitgliedstaatlichen Sozialrechts einheitlich fest; sie verweisen aber nicht auf ein anderes nationales Sozialrecht und machen es nicht zum Gegenstand der inländischen Entscheidung. Statt dessen wendet jeder nationale Träger weiterhin nur sein eigenes Recht der sozialen Sicherheit an.
E. Schluß I. Der koIlisionsrechtliche Charakter der Normen über das anwendbare Recht der VO (EWG) 140Snl Ziel dieser Arbeit war es, die Nonnen über das anwendbare Recht der VO (EWG) 1408171 rechtssystematisch einzuordnen. Diese Verordnung gibt es zwar seit mehr als einem Vierteljahrhundert; betrachtet man aber die Geschichte des Rechts, ist sie ein neues Regel werk, dem eine neue Aufgabe zukommt, nämlich die Koordinierung nationaler Systeme der sozialen Sicherheit zum Schutz der Wanderarbeitnehmer. Bei der Bewältigung dieser Aufgabe sind die Begriffe aus anderen Gebieten des Rechts nützlich. Sie helfen festzustellen, wie das System des Europäischen Sozialrechts funktioniert. Zum Verständnis der Nonnen über das anwendbare Recht der VO (EWG) 1408171 sind die Begriffe aus dem Internationalen Privatrecht hilfreich. Dort wird zwischen Sachnonnen und Kollisionsnonnen unterschieden. Während erstere unmittelbar Rechte und Pflichten begründen, treffen letztere keine Sachentscheidung, sondern entscheiden nur darüber, welchem Recht ein bestimmter Sachverhalt unterliegt. Die Nonnen über das anwendbare Recht der Verordnung sind Kollisionsnonnen. Sie haben eine kollisionsrechtliche Struktur, da sie nur das anwendbare Recht bestimmen und keine materiellrechtliche Folge haben. Darüber hinaus haben sie die typischen Merkmale der Kollisionsnonnen, wie es sie auch im IPR gibt, nämlich Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungspunkte. Außerdem kennt das Europäische Sozialrecht auch besondere Anknüpfungsweisen, wie sie dem IPR bekannt sind, nämlich alternative Anknüpfung, gesonderte Anknüpfung von Teilfragen und akzessorische Anknüpfung. Vor allem aber haben diese Nonnen eine kollisionsrechtliche Aufgabe, die nach der Rechtsprechung des EuGH darin besteht, nicht nur die gleichzeitige Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, zu venneiden, sondern auch zu verhindern, daß Personen, die in den Geltungsbereich der Verordnung fallen, der Schutz auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil keine nationalen Rechtsvorschriften auf sie anwendbar sind.
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E. Schluß
11. Die Behauptung der Mehrseitigkeit Nach der heute herrschenden Auffassung sind die Kollisionsnonnen der va (EWG) 1408171 mehrseitig. Wie die mehrseitigen Kollisionsnonnen des IPR bezeichneten sie die anwendbare Sozialrechtsordnung, wenn ein Sachverhalt die Rechtsordnungen mehrerer Mitgliedstaaten berührt. Soweit sich diese Behauptung auf die Sprachfonn dieser Nonnen stützt, die eine große Ähnlichkeit mit den Kollisionsnonnen des IPR aufweist, ist sie leicht zu beanstanden. Denn sie verkennt die besondere "Qualität" der mehrseitigen Kollisionsnonnen des IPR. Diese besteht darin, das ausländische Privatrecht anwendbar und somit zum Gegenstand der inländischen Entscheidung zu machen. Es wird aber darüber hinaus von einigen Autoren behauptet, daß in dem System der Verordnung der Gleichlauf von der Zuständigkeit der Gerichte und Behörden und dem anwendbarem Recht unterbrochen werde und dadurch die Anwendung ausländischen Sozialrechts möglich sei. Diese Behauptung widerspricht der Tatsache, daß es im öffentlichen Recht diesen Gleichlauf immer gibt. Denn der Staat handelt nur gemäß den Vorschriften, die ihm zugeordnet sind. Eine Entscheidung darf nur auf das öffentliche Recht des die Entscheidung fällenden Staats gestützt werden. Daher sind die Kollisionsnonnen des öffentlichen Rechts immer einseitig. Es wird also angenommen, daß die Kollisionsnonnen der Verordnung etwas Einmaliges schaffen: Zwar gebe es die Koordinierung von Systemen der sozialen Sicherheit, und diese gehörten dem öffentlichen Recht an, aber die Verordnung verflechte diese Systeme auf eine solche Weise, daß es die Möglichkeit der Anwendung ausländischen Rechts der sozialen Sicherheit gebe. Es wird mit anderen Worten behauptet, die Kollisionsnonnen der va (EWG) 1408171 seien mehrseitig, weil sie nicht nur in der Sprachfonn, sondern auch in ihrem Ergebnis den mehrseitigen Kollisionsnonnen des IPR entsprächen. Allerdings haben die Kollisionsnonnen der va (EWG) 1408171 nicht die gleiche Funktion wie die mehrseitigen Kollisionsnonnen des IPR. Denn die Tatsache, daß die in einem Sozialrecht gründende Berechtigung von einem anderen Mitgliedstaat als gültig und rechtswirksam anerkannt wird, ist nicht ihre Rechtsfolge, sondern die Rechtsfolge anderer Nonnen der Verordnung, die sich vor allem in ihrem Titel III befinden. Im IPR ist es statt dessen die Rechtsfolge der Kollisionsnonnen selbst, daß die in einem anderen Recht gründenden Rechtsverhältnisse auch von anderen Staaten als gültig und rechtswirksam anerkannt werden. Darüber hinaus gibt es in der Verordnung in keinem Fall das Stützen einer inländischen Entscheidung auf ausländisches Recht der sozialen Sicherheit, wie dies im IPR der Fall ist. Die Beispiele aus der Verordnung selbst über die Zu-
III. Praktische Bedeutung der Einseitigkeit
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sammenarbeit zwischen den nationalen Trägern, Behörden und Gerichten, insbesondere bei der Sachleistungserbringung im Krankheitsfall, der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten und der Durchsetzung der Beitragsansprüche in einem anderen Staat, zeigen, daß die Zuständigkeiten der jeweiligen Mitgliedstaaten immer deutlich getrennt sind. Der Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht wird durch die Verordnung nicht unterbrochen. Deswegen sind die Kollisionsnormen der Verordnung einseitige Kollisionsnormen.
III. Praktische Bedeutung der Einseitigkeit Die Feststellung der Einseitigkeit der Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 ist wichtig, weil sie das gesamte Verfahren der Koordinierung verdeutlicht; und dieses Verfahren ist eine zentrale Hervorbringung des Europäischen Sozialrechts. Sie zeigt die Grenzen des Handeins der nationalen Träger der sozialen Sicherheit auf: Jeder Träger wendet sein eigenes Recht an; darüber hinaus leistet er einen Beitrag zur internationalen Wirkung des Sozialrechts der anderen Mitgliedstaaten. Dieser Beitrag geht aber nicht so weit, daß er zum Stützen des HandeIns auf ausländisches Sozialrecht führt, wie im IPR der Richter seine Entscheidung aufgrund ausländischen Privatrechts fällt. Mehrere Beispiele können dazu erwähnt werden: - Bei der Sachleistungserbringung im Krankheitsfall gibt es keine Erbringung der Leistung in der Form des ausländischen Rechts: Der deutsche Träger wird die Leistung nach dem Sachleistungsprinzip gewähren, der französische dagegen nach dem Kostenerstattungsprinzip. Wenn das Recht des Mitgliedstaats Y eine bestimmte Behandlung vorsieht, die das Recht des aushelfenden Staats X nicht kennt, dann wird der Versicherte diese Behandlung in dem Staat X nicht bekommen können. Er hätte sie aber bekommen, wenn die Kollisionsnormen der Verordnung mehrseitig wären und der Staat X die Befugnis hätte, das Recht des Staats Y anzuwenden. Der deutsche Träger kann nicht bezweifeln, daß z.B. einer Person, die den Vordruck E 111 mitbringt, Leistungen der Krankenversicherung nach italienischem Recht zustehen. Er kann und wird nicht das italienische Recht anwenden, um festzustellen, ob diese Person tatsächlich leistungsberechtigt ist. Wenn der Träger des Mitgliedstaats X eine Forderung gegen den im Mitgliedstaat Y befindlichen Schuldner hat und diese im Wege der Amtshilfe durch letzteren Staat vollstreckt wird, kann der Schuldner Einwände gegen den Grund der zu vollstreckenden Forderung nicht an den Träger seines Sitzstaats Y richten. Er muß sie bei dem Träger des zuständigen Mitglied13 Devetzi
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E. Schluß
staats X geltend machen. Dies geschieht, weil die Zuständigkeiten getrennt sind: Die Art der Vollstreckung unterliegt dem Recht des Staats, in dem die Vollstreckung stattfindet; der zu vollstreckende Anspruch dagegen dem Recht des zuständigen Staats. Die Normen der Titel III und VI der va (EWG) 1408171 beweisen die Einseitigkeit der Kollisionsnormen des Titels 11. Umgekehrt erklärt die Einseitigkeit, warum das Verfahren der Zusammenarbeit zwischen Trägern, Behörden und Gerichten der Mitgliedstaaten so ist und nicht anders sein kann. Deutlicher formuliert: Wären die Kollisionsnormen mehrseitig, dann hätte die Verordnung wesentlich weniger Artikel: Sie bestünde nämlich - abgesehen von den Bestimmungen über den persönlichen und sachlichen Geltungsbereich - nur aus den Kollisionsnormen! Hätte der nach der Verordnung bestimmte "zuständige Staat" die Befugnis, das Recht der sozialen Sicherheit der anderen Mitgliedstaaten anzuwenden, dann würden die anderen Bestimmungen keinen Sinn mehr ergeben: Warum sollte z.B. das nationale Gericht den Antrag des in einem anderen Mitgliedstaat Versicherten dem Gericht des Beschäftigungsstaats übermitteln und nicht selbst darüber entscheiden? Die Feststellung der Einseitigkeit der Kollisionsnormen ist also nicht nur von theoretischem Interesse, sondern hilft, das gesamte System der Verordnung zu verstehen und seine Funktion zu beleuchten. Die Einseitigkeit der Kollisionsnormen der va (EWG) 1408171 verdeutlicht ferner die Aufgabenverteilung zwischen EG-Recht und nationalem Recht. Aufgabe des Europäischen Sozialrechts ist es, die unterschiedlichen nationalen Kollisionsnormen zu vereinheitlichen, um dadurch Normenhäufungen und Normenmangel zu vermeiden; darüber hinaus ist seine Aufgabe sicherzustellen, daß das Sozialrecht eines Mitgliedstaats auch in anderen Mitgliedstaaten Wirkungen entfaltet, um dadurch lückenlose internationale Versicherungsverläufe zu bilden und einen effektiven Schutz der Sozialversicherungsrechte der Wanderarbeitnehmer zu garantieren. Zu diesen Aufgaben gehört allerdings nicht die Schaffung eines neues Systems, das die Anwendung des Sozialrechts der anderen Mitgliedstaaten ermöglicht. Die ausschließliche Anwendung des eigenen Rechts der nationalen Sicherheit durch die nationalen Träger, Behörden und Gerichte war und ist immer noch ein sehr wichtiger Aspekt des öffentlichen Rechts der Mitgliedstaaten. Daran hat die va (EWG) 1408171 nichts geändert.
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Stichwortverzeichnis Abkommensrecht 118 f., 153 f.
Entsendung 64 ff., 75
Alter 172 f.
Erziehungsgeld 180
Amtshilfe 22, 190 f.
Europäische Kommission 18
Anknüpfung 123
Europäische Union (EU) 19
- gesonderte Anknüpfung einer Teilfrage 150
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 17
- akzessorische 151 - alternative 149
Familienangehörige 27, 31
Anwendungsbereich
Familienbeihilfen 101
- persönlicher 27
Familienleistungen 97, 177
- sachlicher 34
Flagge 48, 60, 75
- räumlicher 27
Flüchtlinge 28, 32
Arbeitnehmer 28, 40 f., 43 ff., 55 ff., 64 ff., 77 ff.
freiwillige Versicherung 89 f.
Arbeitnehmerüberlassung 68
Freizügigkeit 18,33
Arbeitslosigkeit 98, 103 f., 176 Arbeitsunfall 98, 171
Geldleistungen 98, 100, 167, 171
Arbeitsverhältnis 50, 68 f.
Gemeinschaftsrecht 22, 25,32, 155
Ausnahmevereinbarungen 79 ff.
Gleichbehandlung 22, 124 Grenzgänger 103 ff.
Beamte 30, 49 f., 64 Beitragspflicht 90 f. Berufskrankheit 98, 171 Beschäftigungsort 53, 82 ff.
Hafenpersonal 75 Hauptbeschäftigung 56, 58 Hilfskräfte 52
Dienstleistungsfreiheit 17, 29, 33
Hinterbliebene 27, 31, 172
Diplomaten 51 Diskriminierung 22 Doppelbelastung, Verbot der 91
Internationale Arbeitsorganisation 21, 119
Doppelbesteuerungsabkommen 140
Internationale Zuständigkeit 139
Drittstaatsangehörige 33
Invalidität 99, 173, 190
212
Stichwortverzeichnis
Kollisionsnonnen 122 f., 133 ff., 141 ff.
Seeleute 48,60,75
-einseitige 123, 141 ff., 193
Selbständiger 30, 42 ff., 57 f., 73 ff.
- mehrseitige 123, 181, 186
Sitz 42, 49f., 55 f., 58 f., 67 ff., 77, 87 f.
Kostenerstattung 167
Sozialhilfe 34 ff., 107 ff.
Kostenerstattungsprinzip 169, 197
Staatenlose 28, 32
Krankenversicherung 96, 101, 149
Staatsangehörigkeit 17,22,27,32 f.
Krankheit 34, 98,100, 149, 167 ff.
Statuta 121
Künstler 92
Statutentheorie 121 f. Steuerrecht 140, 192
Leistungsaushilfe 98, 133, 168
Strafrecht 140, 192
Leistungsberechtigung 90, 97 Leistungsexport 23, 37,178 lex domicilii 103, 110, 112
Tätigkeit 42,43 ff., 49 f., 54, 57, 61 ff.,
73f.
lex loci laboris 66, 71, 78, 82, 103, 106
Tätigkeitsort 74,85,88
Metarechtsnonnen 126
Tod 33, 90,172,174
Mutterschaft 34, 98, 149, 166
Träger 56, 78 f., 94 f., 97 f., 100 ff., 107 ff., 174 ff.
Teilrente 173, 189
Nichterwerbstätige 53 Niederlassungsfreiheit 17,29,33 Nonnenhäufung 131, 148, 152 Nonnenmangel 131, 148, 152 Objektrechtsnonnen 126 öffentliches Recht 126 ff., 137 ff. Ortswechsel 66, 69 Pro rata temporis 172 ff.
- "aushelfender" 149, 169, 174 ff. - "zuständiger" 97 f., 168 Transportgewerbe 59 Unternehmen 55 f., 60, 64 ff., 87 Verleihunternehmen 68 Versicherungsmitgliedschaft 152 Versicherungspflicht 40,92 f. Versicherungszeiten 23, 51, 66, 98, 101, 166, 172 ff. Verweisungsrecht 123 ff., 135
Rentenberechnung 66, 98, 172, 178 Rentenversicherung 61, 82, 90, 96, 105
Waisen 100 ff.
Rentner 34, 100 ff., 149 f.
Wehr- und Zivildienstleistende 51
- "Mehrfachrentner" 100 ff., 149 f.
Weisungsrecht 68 f. Wohnort 85 ff.
Sachleistungen 98,100,167,168 ff. Sachleistungsprinzip 169, 197
Zivilrecht 137, 140
Sachnonn 123, 125 ff., 133 ff., 141 ff.
Zusammenarbeit der Träger 178, 196
Sachrecht 123, 133 ff., 165, 186, 189
Zusammenrechnung 18,22, 166, 172 ff.