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German Pages X+344 [355] Year 2016
Die „Kategorien der Freiheit“ in Kants praktischer Philosophie
Kantstudien-Ergänzungshefte
Im Auftrag der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Manfred Baum, Bernd Dörflinger und Heiner F. Klemme
Band 193
Die „Kategorien der Freiheit“ in Kants praktischer Philosophie Historisch-systematische Beiträge Herausgegeben von Stephan Zimmermann
ISBN 978-3-11-048929-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-049113-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-048957-6 ISSN 0340-6059 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: Hubert und Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com.
Inhalt Vorwort
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Siglenverzeichnis Einleitung
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Theo Kobusch Die praktischen Elementarbegriffe als Modi der Willensbestimmung. Zu Kants Lehre von den „Kategorien der Freiheit“ 17 Heiko Puls Was versteht Kant unter einem „übersinnlichen Gebrauche der Kategorien“? 77 Eine Interpretation von KpV, Ak. 5, S. 5.24 – 6.1 Manfred Baum Praktische Erkenntnis a priori in Kants Kritik der praktischen Vernunft Jochen Bojanowski Kant über praktischen Gegenstandsbezug
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Jens Rometsch Kants „Kategorien der Freiheit“: Freiheit als empirischer und transzendentaler Bratenwender? 129 Ina Goy Momente der Freiheit
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Werner Euler Verstand und Wille. Die Kausalitätskategorie als Schlüssel zum Verständnis der „Kategorien der Freiheit“ in Kants Kritik der praktischen Vernunft 175 Stephan Zimmermann Zu den Freiheitskategorien der Quantität, Qualität und Relation. Eine 217 Selbstkorrektur
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Inhalt
Hans Friedrich Fulda Kants „Kategorien der Freiheit“ in rein praktischer, pragmatischer und 247 technisch-praktischer Funktion José María Torralba Zur Rolle der „Typik der reinen praktischen Urtheilskraft“ und der „Kategorien der Freiheit“ in der Konstitution des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft 269 Wolfgang Bartuschat Der eine „Gegenstand der reinen praktischen Vernunft“ und die vielen „Kategorien der Freiheit“ 295 Christian Krijnen Kants „Kategorien der Freiheit“ und das Problem der Einheit der Vernunft 309 Autoreninformationen Personenregister Sachregister
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Vorwort Der vorliegende Sammelband geht auf die international besetzte Tagung Kant und die „Kategorien der Freiheit“ mit Gästen aus Deutschland, den Niederlanden und den USA zurück, die der Herausgeber am 10. und 11. Januar 2012 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn veranstaltet hat und deren Erträge hiermit zugänglich gemacht werden. Das Erscheinen des Bandes musste länger als üblich auf sich warten lassen, zum einen aufgrund von (gesundheitlichen) Ausfällen, zum anderen, weil noch weitere Autoren hinzugewonnen werden sollten, was jedoch bei einem weithin vernachlässigten Thema der praktischen Philosophie Kants nicht ohne Weiteres zu machen war. Herausgekommen ist ein Band mit zwölf historisch-systematischen Aufsätzen, der dazu beitragen will, ebendiesem Umstand abzuhelfen und den „Kategorien der Freiheit“ zu weiterer Aufmerksamkeit und vertiefender Diskussion zu verhelfen. Mit dem Erscheinen eines fertiggestellten Buches verbindet sich von selbst die angenehme Pflicht zur Danksagung. Mein herzlicher Dank gilt an erster Stelle den Geldgebern. Die Tagung wurde durch großzügige finanzielle Unterstützung seitens der Fritz Thyssen Stiftung sowie Zuschüsse des Bonner Lehrstuhls von Prof. Dr. Markus Gabriel für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart auf den Weg gebracht. Die Drucklegung des Bandes ist der Finanzierung durch den Lehrstuhl von Prof. Dr. Michael N. Forster für Theoretische Philosophie geschuldet. Ebenfalls danken möchte ich sowohl dem Verlag De Gruyter, insbesondere Frau Dr. Gertrud Grünkorn für die freundliche und hilfsbereite Betreuung während der Erstellung des Bandes, als auch den Herausgebern der Kantstudien-Ergänzungshefte, dass sie die Reihe für aus Tagungen hervorgehende Bücher geöffnet und diesen Band als den ersten seiner Art aufgenommen haben. Zuletzt jedoch und vor allem bin ich den Tagungsteilnehmern und Autoren zu Dank verpflichtet, die mit ihren Vorträgen zu lebhaften und fruchtbaren Kontroversen sowie mit ihren Texten zum Gelingen dieses Bandes beigetragen haben. Bonn, im Juni 2016
Stephan Zimmermann
Siglenverzeichnis Die Werke I. Kants werden nach dem Text von Kants Gesammelten Schriften, hg.von der (Königlich) Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff. zitiert durch Angabe der Sigle, des entsprechendes Bandes sowie der Seitenzahl (zum Beispiel KpV, Ak. 5, S. 66). Die Kritik der reinen Vernunft wird nach der Originalpaginierung durch Angabe der Sigle, der betreffenden Auflage (A/ B) sowie der Seitenzahl zitiert (zum Beispiel KrV, A 15/B 29).
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Briefe Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolf’s Zeiten in Deutschland gemacht hat? GMS Grundlegung zur Metaphysik der Sitten GSE Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen HN Handschriftlicher Nachlass IaG Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht Log Logik KpV Kritik der praktischen Vernunft KrV Kritik der reinen Vernunft KU Kritik der Urteilskraft MpVT Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee MSRL Metaphysik der Sitten. Erster Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre MSTL Metaphysik der Sitten. Zweiter Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre NG Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen Päd Pädagogik Prol Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können Refl Reflexionen RGV Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft SF Der Streit der Fakultäten TP Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis ÜE Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll VAKpV Vorarbeit zur Kritik der praktischen Vernunft VARL Vorarbeit zur Rechtslehre VATL Vorarbeit zur Tugendlehre V-Phil-Th/Pölitz Vorlesung Philosophische Religionslehre Pölitz V-Lo/Busolt Vorlesung Logik Busolt V-Met-L1/Pölitz Vorlesung Kant Metaphysik L 1 V-Met-L2/Pölitz Vorlesung Kant Metaphysik L 2 V-Lo/Wiener Vorlesung Wiener Logik V-Mo/Mron II Vorlesung Moral Mrongovius II
X
VRML ZeF
Siglenverzeichnis
Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen Zum ewigen Frieden
Einleitung Mit seiner Lehre von den „Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 65) steht I. Kant philosophiehistorisch als Solitär da. Keiner vor ihm hat die Existenz praktischer Kategorien oder Kategorien des Willens behauptet, geschweige denn eine systematische Tafel derartiger Begriffe vorgelegt, und keiner nach ihm. Obgleich Kants Philosophie diverse Anstöße vor allem aus der zeitlich unmittelbar voraufgehenden und im Deutschland der 1770er Jahre nach wie vor lebendigen Schulphilosophie aufnimmt, setzt sich sein Nachdenken über die Natur menschlicher Rationalität und die darin verwurzelte Möglichkeit einer wissenschaftlichen Metaphysik doch seit der kritischen Kehre, welche die Kritik der reinen Vernunft mit ihrem Erscheinen im Jahre 1781 in Kants philosophischer Biographie vollzieht, so sehr davon ab, dass erst durch diesen Abstoß einer dem eigenen Anspruch nach radikalen Neubesinnung im Felde der praktischen Philosophie der Boden bereitet ist, welche dann so etwas wie kategoriale Grundbegriffe des menschlichen Willens in den Blick zu bringen vermag.Wenn es daher darum geht auszuloten, was genau es mit derlei Kategorien auf sich hat, kann man sich kaum auf geschichtliche Autoritäten und sachkundige Vorgänger Kants berufen, sondern sieht sich stattdessen in die abgesteckten Grenzen des Kantʼschen Œuvres verwiesen. Und das ist nicht ohne Schwierigkeit. Hat doch Kant die Sache der Freiheitskategrien in der Kritik der praktischen Vernunft, wo diese 1788 zum ersten und zugleich einzigen Mal in einer von Kants eigener Hand publizierten Schrift Erwähnung finden – in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten von 1785 ist davon noch keine Rede –, auf eine Weise aufgebracht und behandelt, dass sich dem Leser die herausragende Bedeutung, welche Kant diesen Begriffe für die Moralphilosophie durchaus beigemessen hat, keineswegs auf Anhieb erschließt. Mehrere Anhaltspunkte lassen sich hier allerdings zusammentragen, die von dieser Bedeutung Anzeige geben. Schaut man in das Inhaltsverzeichnis der zweiten Kritik, fällt auf, dass das Thema praktischer Kategorien und deren Zusammenstellung in einer Tafel nicht weniger als das architektonische Herzstück aller methodischen Einteilungen der „Analytik der reinen praktischen Vernunft“ ausmacht. Die Analytik gliedert sich ja zunächst in drei Hauptstücke, und die Kategorienproblematik hat ihren von Kant angewiesenen Ort im mittleren, im „Zweiten Hauptstück“. Dieses weist jedoch selber noch einmal eine interne Unterteilung auf. Prima facie scheint es zweigeteilt, zerfällt es doch vollständig in die beiden Unterkapitel „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 57) und „Von der Typik der reinen praktischen Urtheilskraft“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das „Zweite Hauptstück“ der Sache nach
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Einleitung
insgesamt aus drei Partien besteht. Das erste Unterkapitel versammelt unter einer gemeinsamen Überschrift sowohl die Lehre von den Begriffen des Guten und Bösen wie auch die von den Kategorien der Freiheit; dem schließt sich die Lehre der Urteilskraft in einem eigenen Unterkapitel an. Nicht nur im mittleren der insgesamt drei Hauptstücke angesiedelt, begegnen die Freiheitskategorien also auch innerhalb dieses Hauptstückes wiederum in der Mitte zwischen den Begriffen des Guten und Bösen und der Typik der reinen praktischen Urteilskraft. So bilden sie das kompositorische Zentrum der gesamten Analytik. Das scheint zunächst ein nur äußerlicher Umstand, doch kommt dies nicht von ungefähr. Denn Kant verbindet mit den praktischen Kategorien und deren Tafel sehr wohl eine systematische Absicht, die nicht im Geringsten zurücksteht hinter derjenigen, die er bereits mit den „Kategorien der Natur“ (KpV, Ak. 5, S. 65) und deren Tafel verfolgt, wie er die reinen Verstandesbegriffe, welche die erste Kritik exponiert, nun nachträglich nennt.¹ In der Kritik der praktischen Vernunft notiert Kant mit ausdrücklichen Worten: „Dergleichen nach Principien abgefaßte Eintheilung ist aller Wissenschaft, ihrer Gründlichkeit sowohl als Verständlichkeit halber, sehr zuträglich.“ (KpV, Ak. 5, S. 57) Und er fährt kurz darauf fort: „Auf diese Weise übersieht man den ganzen Plan, von dem, was man zu leisten hat, so gar jede Frage der praktischen Philosophie, die zu beantworten, und zugleich die Ordnung, die zu befolgen ist.“ Die Kategorien der Freiheit sollen demnach wie die theoretischen Kategorien eine Art wissenschaftliche oder methodische Anwendung haben. Kants Idee ist zur Zeit der Niederschrift des Werkes anscheinend, dass sich die Systematik der ersteren zur dereinst noch auszuarbeitenden und dann erst im Jahre 1797 fertiggestellten Metaphysik der Sitten so verhalten soll, wie die Systematik der letzteren zu den bereits 1786 veröffentlichten Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft steht.² Während das eine Kategorientableau den Grundriss für die reine Naturlehre vorzeichnet, soll das andere den Bauplan der philosophischen Sittenlehre befassen. Dass Kant ursprünglich wirklich gedachte, die an eine Kritik der praktischen Vernunft anzuschließende und durch diese überhaupt erst anzubahnende doktrinal ausgearbeitete Sittenlehre nach Maßgabe der (oder einer) Tafel der Frei-
Den Ausdruck ‚Naturkategorien‘ oder einen ähnlichen verwendet Kant in der Kritik der reinen Vernunft nicht. Eine Stelle allerdings, die dem recht nahekommt und von der Sache her wenigstens eine solche Bezeichnung rechtfertigt, findet sich in der B-Auflage gegen Ende der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, wo Kant deren Ergebnis wie folgt resümiert: „Kategorien sind Begriffe, welche den Erscheinungen, mithin der Natur, als dem Inbegriffe aller Erscheinungen (natura materialiter spectata), Gesetze a priori vorschreiben“ (KrV, B ). Für eine entsprechende Stelle in der Kritik der reinen Vernunft siehe KrV, B f.
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heitskategorien anzulegen, welche zu erstellen und darzustellen dementsprechend die Obliegenheit einer vorauszuschickenden Grundlegungsschrift ausmacht, lässt sich an den von Kant selber nicht zur Veröffentlichung gebrachten Vorarbeiten zur Metaphysik der Sitten ablesen.³ In den Vorarbeiten zur Vorrede und Einleitung in die Tugendlehre zum Beispiel zählt er einige, wie er sie hier bezeichnet, „Categorien der Moralität“ (VATL, Ak. 23, S. 382) auf. Deren Aufstellung aber erfolgt nach einem ungenannten und unersichtlichen Muster. Auch erinnern ihre Bezeichnungen nur sehr vage, wo überhaupt, an die Kategorien in der Kritik. In den Vorarbeiten zum Privatrecht nennt Kant „12 Categorien des blos-rechtlichen Besitzes“ (VARL, Ak. 23, S. 274). Abgesehen von den vier Kategorientiteln, sprich „Quantität“, „Qualität“, „Relation“ und „Modalität“, die Kant eigens angibt, haben sie allerdings gar nichts gemein mit den Freiheitskategorien. Dasselbe gilt für die kurz darauf angeführten „categorien des Rechts“ (VARL, Ak. 23, S. 298) sowie Kants hingeworfene Feststellung, „Rechtsbegriffe sind Categorien der Möglichkeit dieser Gemeinschaftlichen Willkühr“ (VARL, Ak. 23, S. 302). Und ähnlich auch im Falle der „Categorien der Quantität u. Qualität des Rechts“, welche Kant in dem Zusammenhängenden, signierten Entwurf zur Rechtslehre vorbringt und um die entsprechenden Kategorien „der Relation und Modalität“ (VARL, Ak. 23, S. 218) ergänzt, ohne diese allerdings zu erläutern. Einzig der Begriff der „Erlaubnis“ scheint sich hier erhalten zu haben, der bereits Bestandteil des Kategorienregisters der zweiten Kritik ist. Ob die uns vorliegende Metaphysik der Sitten diese anfängliche Intention tatsächlich erfüllt und, was ihre Gliederung anbelangt, nach der Tafel der Kategorien der Freiheit aufgebaut ist, sei es nur im Großen, sei es darüber hinaus auch im Kleineren, steht freilich auf einem anderen Blatt. Dazu hat M. Sänger die bislang einzige Untersuchung vom Umfang einer selbständigen Monographie vorgelegt, wobei sie sich auf eines der beiden Glieder des Systems aller Pflichten, nämlich die Rechtslehre (ius), beschränkt, die Tugendlehre (ethica) aber außen vor lässt. Ferner bedient sie sich zur Rekonstruktion der von Kant getroffenen Einteilungen der Rechtslehre zusätzlich auch und gerade der Naturkategorien.⁴ Zu beachten ist in diesem Zusammenhang imgleichen Kants Brief an J. H. JungStilling, der auf die Zeit kurz nach dem 1. März 1789 datiert wird. Darin kündigt Kant an, im Sommer mit der Abfassung seiner Metaphysik der Sitten beginnen zu wollen. Und er skizziert Jung-Stilling gegenüber seine (vorläufige) Antwort auf die von diesem angeregte, eigentlich aber von Kant selbst gestellte Frage, „wie Gesetze
In der Vorarbeit zur Kritik der praktischen Vernunft ist von den Kategorien der Freiheit noch keine Rede. Vgl. VAKpV, Ak. , S. ff. Vgl. Sänger ().
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in einer schon vorausgesetzten bürgerlichen Gesellschaft gegeben werden sollen“ (Br, Ak. 23, S. 495).⁵ Danach habe sich die Gesetzgebung im Staat bei der Auseinandersetzung mit einer zur Entscheidung anstehenden Rechtsmaterie stets an den vier Titeln aller Kategorien, also „Quantität“, „Qualität“, „Relation“ und „Modalität“, zu orientieren, welch letztere Kriterien für naturrechtlich gesehen legitime bürgerliche Gesetze vorgeben sollen. Mit anderen Worten scheint Kant vorgeschwebt zu haben, dass nicht nur die Ordnung der philosophischen Rechtslehre, sondern desgleichen die politische Praxis qua ausübende Rechtslehre irgendwie an den kategorialen Grundbegriffen des menschlichen Willens Anhalt findet.⁶ Und damit nicht genug. Nicht nur, dass der belesene Kant-Kenner kaum umhinkommt einzuräumen, dass eine Ansammlung von Begriffen innerhalb der Philosophie Kants von maßgeblicher Wichtigkeit sein muss, wenn diese von Kant selber unter der sprachlichen Bezeichnung von ‚Kategorien‘ geführt werden. Dieser schiere terminologische Umstand bereits bringt die Freiheitskategorien auf Augenhöhe mit den reinen Verstandesbegriffen. Darüber hinaus stellt Kant wiederholt und in mehreren Hinsichten einen ausdrücklichen sachlichen Vergleich mit den Kategorien der Natur an. Und er ist dabei ersichtlich um gleichlaufende Formulierungen bemüht. Auf diese Weise sollen jene verbindenden Gemeinsamkeiten, aber auch trennende Unterschiede, herausgestrichen werden, die da von der Sache her überhaupt solch eine einheitliche Benennung rechtfertigen. Beispielsweise spricht Kant die einen als „theoretische Begriffe“, die anderen als „praktische Begriffe“ (KpV, Ak. 5, S. 66) an. Er kontrastiert die einen als die „Stammbegriffe“ (KrV, A 81/B 107) der theoretischen Vernunft, wie es in der ersten Kritik heißt, mit den anderen als den „Elementarbegriffe[n]“ (KpV, Ak. 5, S. 65) der praktischen Vernunft, wie er nun in der zweiten Kritik sagt. Und schließlich stellt Kant die Funktion der jeweiligen Kategorien derart einander gegenüber, dass die einen dazu dienen, „das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein“ zu bringen, die anderen aber dazu, „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen“. Mit den
Es handelt sich hierbei um das Schreiben Jung-Stillings an Kant vom . März . Jung-Stilling beanstandet darin, dass es ihm bisher an „einer wahren und reinen Methaphysick der Gesetzgebung mangelt“ (Br, Ak. , S. ). Und er schlägt Kant nach „den vier Classen der Categorien […] vier darauf gründende Principien des Naturgesetzes“ vor,welche Kant jedoch in seiner Antwort allesamt verwirft, weil sie nur Gesetze für den noch im Naturzustand lebenden Menschen seien. Von dort aus kommt er dann auf die zitierte Frage. Die Formel, dass „Politik […] ausübende Rechtslehre“ (ZeF, Ak. , S. ) sei, entstammt bekanntlich erst der sechs Jähre später erschienen Schrift Zum ewigen Frieden.
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Theorievokabeln Synthesis, Mannigfaltigkeit und Einheit nimmt Kant Gesichtspunkte auf, die essenzielle Bausteine schon der Kategoriendiskussion in der Kritik der reinen Vernunft sind und nun wie selbstverständlich in die Kategorienlehre der Kritik der praktischen Vernunft übernommen werden. Beide Kategorienarten kommen demnach wohl darin überein, was auch sonst noch von ihnen zu sagen sein mag, dass sie in der jeweiligen Betätigung des menschlichen Intellekts am Werk sind als grundlegende Formen der Einheit einer Synthesis von Mannigfaltigem. Überdies sind auch die Freiheitskategorien in einer eigenen sogenannten Tafel zusammengefasst. Kant überschreibt sie als „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Und wie schon für die Tafel der Naturkategorien erhebt er für diese den Anspruch auf Systematizität und innere Vollständigkeit, wenn er das auch beileibe nicht mit derselben Augenfälligkeit und Häufigkeit tut.⁷ Unübersehbarerweise zeigt sie dann auch ein und ebendenselben architektonischen Aufbau wie die Tafel der Kategorien der Natur in der Kritik der reinen Vernunft und die dieser noch einmal zugrunde liegende sogenannten Urteilstafel. Sie enthalten dieselbe Anzahl an Kategorien, nämlich zwölf beziehungsweise fünfzehn Begriffe, dieselbe Einteilung in vier Quadranten („Titel“) mit jeweils drei Begriffen („Momenten“)⁸ und Gegensatzpaaren im letzten Quadranten sowie die gleiche figürliche Anordnung eines auf der Spitze stehenden Quadrates. Es steht daher zu vermuten, dass neben der Systematik der theoretischen so auch die Systematik der praktischen Kategorien auf der besagten Urteilstafel aufruht und dass ihre übereinstimmende Ordnung von da herrührt. Und zu guter Letzt stellt Kants Lehre von den Kategorien der Freiheit einen gewissen konzeptuellen Kristallisationspunkt innerhalb der zweiten Kritik dar, insofern hier Begriffe, die dem kundigen Leser bereits aus dem „Ersten Hauptstück“, ja sogar seit der Grundlegungs-Schrift, wohlvertraut und die noch dazu einschlägige Begriffe von Kants Moralphilosophie sind, gleicherweise und so vereinheitlichend als Begriffe von kategorialem Rang kenntlich gemacht werden. Dazu zählen etwa Begriffe wie „Maxime“, „Vorschrift“ und „Gesetz“ im ersten Quadranten der Tafel, „Begehen“ und „Unterlassen“ im zweiten, „Persönlichkeit“ und „Person“ im dritten und Begriffe wie das „Erlaubte“, das „Unerlaubte“ und „Pflicht“ im vierten Quadranten; im letzteren findet sich sogar eine, und für Kant
Vgl. KpV, Ak. , S. . Die Ausdrücke „Titel“ (KrV, B , A /B , A /B , A /B , A /B ) und „Momente“ (KrV, A /B , A /B ) verwendet Kant in der Kritik der reinen Vernunft zur Beschreibung der Struktur sowohl der sog. Urteilstafel als auch der Tafel der reinen Verstandesbegriffe. In die zweite Kritik übernimmt er davon lediglich die Bezeichnung „Titel“ (KpV, Ak. , S. Anm.), unter den ein jeder der vier Quadranten gestellt wird.
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augenscheinlich die primäre, pflichtentheoretische Klassifikation all unserer Pflichten in „Vollkommene und unvollkommene Pflicht“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Diese Begriffe, die Kant zum Teil bereits früher eingeführt und erläutert hat, in denen sich aber auf jeden Fall das Denken der beiden Grundlegungsschriften, der Kritik der praktischen Vernunft wie schon der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, und später ebenso das der Metaphysik der Sitten bewegt, entdecken sich jetzt erst, das ist das Neue und Beachtliche, als, wie Kant sagt, „Kategorien der praktischen Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 67 Anm.). Das alles steht nun aber in einem merkwürdigen umgekehrten Verhältnis zum textlichen Umfang, mit dem Kant die Thematik praktischer Kategorien in der zweiten Kritik bedenkt. Allzu viele Worte hat er wahrlich nicht verloren; insgesamt sind es gerade einmal vier Absätze, in denen er sich darüber auslässt, zwei direkt vor der Kategorientafel und zwei unmittelbar im Anschluss. Nach der Originalausgabe des Texts macht das nicht mehr als viereinhalb Seiten, was sich im Vergleich zu den raumgreifenden Ausführungen über die Kategorien der Natur in der ersten Kritik nachgerade spärlich ausnimmt. Warum dem so ist, darüber lässt sich im Großen und Ganzen bloß spekulieren. Ob Kant wirklich „nichts weiter zur Erläuterung gegenwärtiger Tafel“ beizufügen für nötig befunden hat, weil er meinte, die Kategorientafel sei, wie er beiläufig versichert, „für sich verständlich genug“ (KpV, Ak. 5, S. 67), ob er Detailzeichnungen womöglich aus strategischen Gründen ganz bewusst unterlassen wollte, um die zeitgenössische Rezeption nicht von seiner Einschätzung nach vordringlicheren Theoriestücken des Buches abzulenken und zermürbende Debatten auf Nebenschauplätzen von vornherein abzuwenden oder ob Kant die Kategorienproblematik im Praktischen vielleicht doch nicht ganz so klar und deutlich vor Augen stand, wie er vorgibt – eines jedenfalls zeigt die Rezeption bis heute, dass nämlich die Sache der Kategorien der Freiheit keineswegs ohne Weiteres einleuchtend und ihre Systematisierung in einer Tafel mitnichten unmittelbar evident ist. Neben dem eher bescheidenen Textkorpus sind noch weitere Umstände bemerkenswert. So handelt Kant die Freiheitskategorien nicht nur nicht in einem eigenen Kapitel oder sogar Hauptstück ab, wie man es von der ersten Kritik herkommend erwarten dürfte. Das „Zweite Hauptstück“ fungiert eben lediglich als Rahmen für zwei Unterkapitel; und nicht einmal dazu äußert sich Kant, warum diese beiden Unterkapitel eigentlich in ein gemeinsames Hauptstück zusammengehören. Im ersten ist es, dass Kant sich mit den Kategorien beschäftigt, aber das noch nicht einmal ausschließlich, sondern zusammen mit den Begriffen des Guten und Bösen. Und mehr noch, die Kategorienproblematik kommt auch nicht vorrangig, an erster Stelle zur Sprache, sondern erst gegen Ende des Kapitels in den allerletzten Absätzen. Dass Kants diesbezügliche Überlegungen in der Forschung
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bislang nicht eine anderen Passagen des Werkes vergleichbare Aufmerksamkeit gefunden haben, ist sicherlich nicht unwesentlich ebendiesem Sachverhalt geschuldet, dass sie aufgrund ihrer kompositorischen Lage doch eher durch Unauffälligkeit bestechen. Kants Schwerpunkt liegt demgegenüber eindeutig auf der Neufassung der Begriffe des Guten und Bösen aus reiner praktischer Vernunft. Das erweckt den Eindruck, als mäße er den Kategorien der Freiheit kein allzu großes Gewicht bei. In dieselbe Richtung könnte weisen, dass diese sonst nirgendwo im Haupttext ausdrücklich Erwähnung finden. Bloß in einer Fußnote der „Vorrede“, wo Kant einige Vorabrichtigstellungen wider den besorglichen Missverstand anbringt, werden neben anderen Begriffen auch einige der Modalkategorien kurz angeschnitten.⁹ Dabei reicht die Idee zur Freilegung und Festsetzung von so etwas wie praktischen Kategorien in der Vernunftsubjektivität des Menschen durchaus weiter zurück. Entwicklungsgeschichtlich bekundet sich das erste, noch zaghafte Aufleuchten eines anstehenden Projekts in den Formulierungen, die uns als Reflexionen 6854 beziehungsweise 6888 und 6948 erhalten sind, „Categorien der moralitaet“ und „Funktionen der freyheit“ (Refl, Ak. 19, Ak. S. 180) sowie „Categorien der reinen Willkühr“ (Refl, Ak. 19, Ak. S. 192, 211), die Kant in seine Ausgabe von A. G. Baumgartens Initia philosophiae practicae als Randbemerkungen notiert. Das fällt in die Jahre zwischen 1776 und 1778. In den von ihm selber zur Publikation gebrachten Schriften zur Moralphilosophie hingegen, die nach der kritischen Wende entstanden sind, ist von Kategorien der praktischen Vernunft, Kategorien der Freiheit oder Ähnlichem an keiner weiteren Stelle mehr die Rede; was er in der Kritik der praktischen Vernunft sagt, scheint alles, was er dazu zu sagen hat. Das Geringste, was sich insofern konstatieren lässt, ist, dass Kant von der Aufgabe, vor den ihn die Freiheitskategorien gestellt haben, nicht im gleichen Maße beansprucht worden ist wie von einer zufriedenstellenden Darstellung der Naturkategorien, die ihn bekanntlich bis in die Zeit der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft nicht losgelassen und zu einer Umarbeitung der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe geführt hat. Zwar führt Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten die „Kategorien der Einheit […], der Vielheit […] und der Allheit“ auf; und er bezieht sie nacheinander auf die „Form des Willens“, auf dessen „Materie“ oder „Object“ und auf die „Totalität des Systems derselben“ (GMS, Ak. 4, S. 436). Doch handelt es sich dabei um theoretische Kategorien, namentlich die der Quantität. Genauso in der Metaphysik der Sitten, wo Kant in §4 der Rechtslehre im Zuge der „Exposition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein“ die äußeren Gegenstände des menschlichen
Vgl. KpV, Ak. , S. Anm.
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Willens einteilt gemäß den „Kategorien der Substanz, Causalität, und Gemeinschaft zwischen mir und äußeren Gegenständen nach Freiheitsgesetzen“ (MSRL, Ak. 6, S. 247). Das sind abermals keine anderen als die Kategorien der Natur, nun aber die der Relation. In der Religions-Schrift endlich gibt Kant mehrere „Kennzeichen der wahren Kirche“ (RGV, Ak. 6, S. 101) an. Dazu gehört unter anderem ihre „Allgemeinheit, folglich numerische Einheit“, eine bestimmte „Beschaffenheit (Qualität)“, ihr „Verhältniß unter dem Princip der Freiheit“ sowie eine gewisse „Modalität“. Auch hierbei handelt es sich nicht oder nicht zweifelsfrei um Freiheitskategorien.¹⁰ Schon unter Kants Zeitgenossen gingen die Meinungen über die Kategorien der Freiheit markant auseinander. In der Rezeption in den Jahren unmittelbar nach Erscheinen der Kritik haben sie ein höchst unterschiedliches Echo hervorgerufen. Die Reaktionen waren von Zustimmung, von Skepsis und Ablehnung, in erster Linie aber von Stillschweigen geprägt. Nicht wenige haben sich der Ansicht des Meisters vorbehaltlos angeschlossen, darunter etwa L. Bendavid,¹¹ G. U. Brastberger,¹² Chr. F. Michaelis¹³ und G. S. A. Mellin.¹⁴ Bei anderen hingegen hat Kants Einsilbigkeit für Irritation und Ratlosigkeit gesorgt. A. W. Rehberg, der die Kritik der praktischen Vernunft für die Allgemeine Literatur-Zeitung rezensierte,¹⁵ oder Chr. G. Schütz, einer der treuesten Anhänger Kants, fühlten sich aufgerufen, Vorschläge zu unterbreiten, in welchen Punkten die Tafel zu verbessern sein könnte.¹⁶ Und wieder andere haben das Kategorienregister schlichtweg übergangen. So spart etwa J. Chr. Zwanziger, der den ersten durchgehenden Kommentar zur zweiten Kritik verfasst hat, die Freiheitskategorien vollkommen aus.¹⁷ Andere haben es ihm gleichgetan, zum Beispiel C. Chr. E. Schmid¹⁸ und, in einer anderen seiner Schriften, Mellin.¹⁹ Daran hat sich bis heute nichts wesentlich geändert. Ein Blick in die Forschungsliteratur der letzten Jahrzehnte, die trotz der langsam aufkommenden Debatte nach wie vor mehr als überschaubar bleibt, gibt das zu erkennen. Nachdem der Neukantianismus sein hauptsächliches Augenmerk auf die theo-
Vgl. RGV, Ak. , S. f. Vgl. Bendavid (). Vgl. Brastberger (). Vgl. Michaelis ( f.). Vgl. Mellin ( ff.). Vgl. Rehberg (). Siehe seinen Brief an Kant vom . Juni . Vgl. Br, Ak. , S. ff. Vgl. Zwanziger (). Vgl. Schmid (). Vgl. Mellin ().
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retische Philosophie gelegt hat und an einer erkenntnistheoretischen Grundlegung der modernen Naturwissenschaften interessiert war, ist Kants Katalogisierung praktischer Kategorien erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts in den Blick geraten. Entscheidender Auslöser war der englischsprachige, seitdem aber längst ins Deutsche übersetzte und mittlerweile Standardkommentar zur Kritik der praktischen Vernunft von L. W. Beck aus dem Jahre 1960.²⁰ Dem folgten einige Aufsätze aus den 70er und 80er Jahren von J.-C. Fraisse,²¹ R. J. Benton,²² G. Schönrich²³ und S. Bobzien.²⁴ In diesen Zeitraum fallen auch einige knappe Überlegungen von A. Pieper.²⁵ In den 1990er Jahren haben die Arbeiten zu diesem Thema dann in einem relativ kurzen Zeitraum zugenommen. Zu nennen sind hier Beiträge von Th. Kobusch,²⁶ J. Simon,²⁷ Br. Haas,²⁸ Fr. Marty,²⁹ noch einmal A. Pieper,³⁰ V. Dieringer,³¹ R. M. Bader,³² P. Kontos³³ und S.-K. Lee.³⁴ C. Graband hat eine Zusammenfassung ihrer Magisterarbeit veröffentlicht.³⁵ Der Herausgeber des vorliegenden Bandes hatte das Glück, die erste Untersuchung vom Format einer Monographie vorlegen zu können.³⁶ Seitdem hat H. Puls erfreulicherweise ein weiteres Buch³⁷ und J. Bojanowski einen Aufsatz³⁸ nachgelegt, C. Graband hat die neuesten Beiträge vorgestellt und diskutiert.³⁹ Alles in allem jedoch lässt sich die Rezeptionsgeschichte dieses Kant’schen Lehrstückes, an der, wenn ich richtig sehe, in der Mehrzahl deutschsprachige Kant-Interpreten mitgewirkt haben, nicht in ver-
Vgl. Beck (). Vgl. Fraisse (). Vgl. Benton (). Vgl. Schönrich (). Vgl. Bobzien (). Der Text ist mittlerweile ins Englische übersetzt, allerdings nur im Internet abrufbar unter http://www.researchgate.net/publication/_Kantʼs_Categories_of_Freedom (Stand . September ). Vgl. Pieper (). Vgl. Kobusch (). Vgl. Simon (). Vgl. Haas (). Vgl. Marty (). Vgl. Pieper (). Vgl. Dieringer (). Vgl. Bader (). Vgl. Kontos (). Vgl. Lee (). Vgl. Graband (). Vgl. Zimmermann (). Vgl. Puls (). Vgl. Bojanowski (). Vgl. Graband ().
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Einleitung
schiedene Epochen oder Interpretationsparadigmata einteilen, was umso erstaunlicher ist, als die Kategorien der Natur trotz einer mittlerweile unüberschaubaren Literaturlage noch immer einen beliebten Gegenstand neuer und alter Fragestellungen abgeben. Der vorliegende Sammelband möchte dazu beitragen, diese schon zu lang bestehende Lücke der Kant-Forschung weiter auszufüllen und die Debatte über Kants praktische Kategorienlehre voranzutreiben. Dazu versammelt er Stimmen von ausgewiesenen Kennern des Themas und der Kantʼschen Philosophie überhaupt, die sich dem Problemfeld mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen sowohl historisch als auch systematisch widmen. Die zwölf Beiträge sind im Wesentlichen aus einer international besetzten Tagung mit Gästen aus Deutschland, den Niederlanden und den USA hervorgegangen, welche der Herausgeber 2012 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn veranstaltet und die die Kategorien der Freiheit zum ersten Mal zum eigenständigen Gegenstand eingehender Fachdiskussionen gemacht hat. Deren Erträge sollen hiermit in ausgearbeiteter Form einem breiten Publikum zugänglich werden. Aller größeren und kleineren Differenzen unerachtet, welche die Perspektive der beitragenden Autoren auf die Kategorienthematik voneinander trennt, ist es doch allemal ein gemeinschaftliches Ziel, welches sie eint, Kants Beschäftigung mit den Freiheitskategorien und ihre Zusammenordnung in einer Tafel von dem leise schwelenden Verdacht zu befreien, es handele sich dabei lediglich um das Zeugnis eines auf Wissenschaftlichkeit versessenen und darum stur über den betreffenden Stoff hinwegsystematisierenden philosophischen Denkens. Man könnte sich der Herausforderung und jeder daranzuwenden Gedankenarbeit ja leicht entledigen, indem man, wie dies prominent E. Adickes angeregt hat, dieses Lehrstück zu einem aus bloßen, selbstauferlegten Systemzwängen geborenen herabsetzt: Man unterstellt Kant dann, dass, weil der theoretische Gebrauch der Vernunft nun einmal über kategoriale Grundbegriffe verfügt, die praktische Vernunft in ihrem Gebrauch eben auch solche haben müsse.⁴⁰ Die hier zusammengestellten Texte hingegen nehmen Kant demgegenüber ernst und beim Wort. In der Reihenfolge ihrer Komposition beschäftigen sie sich mit den folgenden Problemstellungen. Th. Kobusch nähert sich den Kategorien der Freiheit aus deren geschichtlichem Kontext an. Er fragt nach dem Herkommen von Kants Ansatz im Bereich der praktischen Philosophie und deren terminologischem Horizont und versucht, diesen im Hinblick auf die Lehre der Freiheitskategorien zu erhellen. Seine These ist, dass diese Lehre nicht so sehr am Anfang einer philosophischen Entwicklung
Vgl. Adickes (), S. f.
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steht, als sie vielmehr in einer solchen begriffen ist oder gar nur deren Ende markiert. Diese Entwicklung ist inzwischen wohl aus dem allgemeinen Bewusstsein weitgehend entschwunden, für Kant aber war sie noch lebendig; in deren Lichte konnte ihm die Sache praktischer Kategorien daher in der Tat als „für sich verständlich genug“ erscheinen. Vor dem Hintergrund mittelalterlicher Willenslehren, des neuzeitlichen Naturrechts sowie der deutschen Schulphilosophie erläutert Kobusch die Kategorien als Modi der Willensbestimmung. H. Puls erweitert die Textlage der Auseinandersetzung mit den Kategorien der Freiheit innerhalb der Kritik der praktischen Vernunft um eine bislang kaum beachtete Passage. Er macht darauf aufmerksam, dass Kant auf die kategorialen Grundbegriffe der praktischen Vernunft explicite zwar nur im „Zweiten Hauptstück“ der Analytik und in einer Fußnote der „Vorrede“ eingeht, dass sich aber in der letzteren durchaus noch ein weiterer und langer Absatz im Haupttext selbst findet, welcher in der Forschungsliteratur für gewöhnlich unerwähnt bleibt, bei näherem Zusehen aber sehr wohl relevant ist. Kant spricht dort von einem „übersinnlichen Gebrauche der Kategorien“ (KpV, Ak. 5, S. 5). Puls bezieht das auf die Freiheitskategorien und unterzieht den schwierigen Passus einer eingehenden Wort-für-Wort-Interpretation. M. Baum geht in seinem Beitrag aus von der im Jahre 1786 erschienenen Rezension, welche H. A. Pistorius von Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten angefertigt hat und darin dieser auf den vorgeblichen Hauptmangel der Schrift verweist, dass sie nämlich versäume, eine Erklärung der Begriffe des Guten und Bösen vorwegzuschicken. Baum nimmt sich die erste Sachpartie des „Zweiten Hauptstückes“ der Kritik der praktischen Vernunft vor, also das Unterkapitel „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“, wo Kant auf ebendiesen Einwand reagiert. Baum beleuchtet die Kategorien der Freiheit von Kants wortreichen Ausführungen über die Begriffe des Guten und Bösen her und untersucht ihren Zusammenhang. J. Bojanowski setzt sich gleichfalls mit dem Kapitel „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ auseinander. Im Ausgang von einer Erörterung dessen, was Kant allgemein unter praktischer Erkenntnis im Gegensatz zur theoretischen versteht, analysiert er, welche Rolle die praktischen Kategorien für das Zustandekommen solcher Art Erkenntnis spielen. Weil praktische Erkenntnis nicht darin besteht, einen sinnlich gegebenen Gegenstand durch Begriffe zu bestimmen, sondern ihn wirklich zu machen, also die Festlegung des menschlichen Willens auf ein Objekt angeht, haben die Kategorien der Freiheit für Bojanowski ihre eigentümliche Funktion in der Gegenstandskonstitution praktischer Vernunft. Diese Einsicht gestattet es, den Sinn jeder der Freiheitskategorien näher zu erläutern.
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J. Rometsch wirft in seinem Text die Frage nach derjenigen Konzeption von Freiheit auf, die in Kants Rede von Kategorien der Freiheit am Werk ist. Beginnend mit eigenen Überlegungen zu einem Minimalverständnis von Freiheit diskutiert er im Hinblick auf die Kategorien der praktischen Vernunft die in Kants Schriften auffindbaren Begriffe von der Freiheit des menschlichen Willens und sonach möglichen Kandidaten: jene empirische Freiheit, die Kant selber jedoch in der Kritik der praktischen Vernunft spöttisch als jederzeit bloß komparative Freiheit eines Bratenwenders abwertet, sowie die transzendentale Freiheit, die Kant zufolge überhaupt erst das Fundament einer Sittenlehre aus reiner praktischen Vernunft abgibt. Rometsch kommt dabei zu einem kritischen Ergebnis. I. Goy greift drei in der Forschung zu den Freiheitskategorien kontrovers diskutierte Punkte auf. Der erste betrifft den Status, den Kategorien überhaupt im Bereich des Praktischen haben.Was genau sind praktische Kategorien? Das zweite Problem besteht darin, ob die Kategorien insgesamt einen moralischen Gehalt haben oder auch sittlich indifferent sein können. Immerhin merkt Kant ja in dem Absatz vor der Tafel an, dass „diese Kategorien nur die praktische Vernunft überhaupt angehen“ und dass sie „in ihrer Ordnung, von den moralisch noch unbestimmten, und sinnlich-bedingten, zu denen, die, sinnlich-unbedingt, blos durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Ähnlich in dem Abschnitt, der direkt an die Kategorientafel anschließt; dort ist von einem „Übergang“ die Rede, den „die Kategorien der Modalität […] von praktischen Principien überhaupt zu denen der Sittlichkeit, aber nur problematisch, einleiten, welche nachher durchs moralische Gesetz allererst dogmatisch dargestellt werden können“ (KpV, Ak. 5, S. 68). Drittens verhandelt Goy die damit eng verbundene Frage, ob die Kategorien der Freiheit infolgedessen eigentlich als apriorische oder als empirische Begriffe anzusehen sind. Nach der Herkunft der Freiheitskategorien fragt W. Euler. Er argumentiert dafür, dass sie keiner eigenen metaphysischen Deduktion aus den logischen Urteilsfunktionen unseres Intellekts bedürfen wie die Kategorien der Natur, sondern dass sie vielmehr von den letzteren herstammen. Deren Ursprung hat Kant bereits in der Kritik der reinen Vernunft in Gestalt der sogenannten Urteilstafel ausgehoben, und aus den daraus deduzierten Naturkategorien, so lautet die These, folgen die Kategorien der Freiheit ihrerseits unmittelbar als sogenannte Prädikabilien, sofern jene mithilfe der Freiheitskausalität umgedeutet werden. Aus der Verknüpfung mit der Kausalkategorie resultieren sie in der Kritik der praktischen Vernunft als abgeleitete Begriffe, die nichtsdestotrotz noch als Elementarbegriffe zu verstehen sind. Um dies aufzuzeigen, unterzieht Euler beide Kategorientafeln einem Vergleich. S. Zimmermann unternimmt in seinem Aufsatz den Versuch einer Selbstkorrektur seiner vormals vertretenen Auffassung über die ersten drei Quadranten der
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Kategorientafel, also die Freiheitskategorien der Quantität, Qualität und Relation. Er gibt eine Interpretation sowohl der Bedeutung dieser Titel, unter denen die betreffenden Kategorien angeordnet sind, als auch des genauen begrifflichen Gehalts jeder einzelnen Kategorie, die hier ihren Ort hat. Was genau ist die spezifische Bestimmung, die Kant jeder Kategorienklasse zumisst? Und was ist der Sinn der jeweiligen Quantitäts-, Qualitäts- und Relationskategorien? Anlass zur Neubeantwortung dieser Fragen ist Zimmermann eine Eigentümlichkeit des praktischen Gebrauchs der Vernunft im Gegensatz zum theoretischen, den es dringend zu beachten gilt und der sich selbstverständlich auch in den kategorialen Grundbegriffen dieses Gebrauchs niederschlägt. H. F. Fulda wendet sich in seinem Beitrag dem verbleibenden vierten Quadranten der von Kant vorgelegten Kategorientafel, dem der Modalität, zu. Auf dem Hintergrund der zugrunde liegenden logischen Funktionen des menschlichen Intellekts für den Vollzug jedweden Urteilens, welche die Kritik der reinen Vernunft in der sogenannten Urteilstafel exponiert, betrachtet er die Modalitätskategorien als die objektiv reale Anwendung dieser Funktionen und legt den begrifflichen Gehalt der von Kant in Gegensatzpaaren angeordneten Modalkategorien auseinander. Und das in dreierlei Hinsicht: Fuldas These ist, dass die modalen Kategorien der praktischen Vernunft eine rein praktische, also moralische, eine pragmatische sowie eine technisch-praktische Betätigung besitzen. J. M. Torralba nimmt sich der dritten Sachpartie des „Zweiten Hauptstückes“ an, sprich des auf die Kategorienlehre folgenden Unterkapitels „Von der Typik der reinen praktischen Urtheilskraft“. Er fragt also nach den Kategorien der Freiheit im Zusammenhang mit jenem anderen Lehrstück, das Kant ganz ähnlich erst in der Kritik der praktischen Vernunft neu eingeführt und danach nicht mehr weiter verfolgt hat. Torralba entwickelt dabei den Gedanken, dass die Freiheitskategorien einerseits und die reine praktische Urteilskraft andererseits eine Rolle spielen für die Konstitution des Gegenstandes reiner praktischer Vernunft und dass sie am Leitfaden ebendieser Funktion näher aufzuklären sind. W. Bartuschat spannt einen Bogen von den wenigen Textabschnitten in der Kritik der praktischen Vernunft, die den Kategorien der Freiheit gewidmet sind, hin zur späteren Metaphysik der Sitten. Zunächst betrachtet und erörtert er die zweite Sachpartie des „Zweiten Hauptstückes“ nach beiden Seiten hin, in Bezug sowohl auf die Lehre von den Begriffen des Guten und Bösen als auch auf die Lehre von der reinen praktischen Urteilskraft. Ihre eigentliche Funktion aber haben die Freiheitskategorien, wie Bartuschat infolgedessen ausführt, darin, auf ein künftighin noch auszuarbeitendes System der Pflicht, eine Metaphysik der Sitten, vorauszuweisen. In einer Kritik der praktischen Vernunft, welche jener allererst den Boden bereitet, stehen sie in Wahrheit als bloßer Einschub da.
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Chr. Krijnen schließlich geht die Freiheitskategorien unter dem Gesichtspunkt jener grundlegenden Problemstellung an, welche die nachkantische Philosophie von Anfang an als Desiderat empfunden und zu allerlei Kants Kritizismus übersteigenden spekulativen Höhenflügen getrieben hat. Gemeint ist das Problem eines elementaren Zusammenhangs von Kritik der reinen Vernunft und Kritik der praktischen Vernunft, die Frage nach der Einheit der hier wie dort behandelten Vernunft. Krijnen erörtert, ob und inwiefern die Gesetzmäßigkeiten des theoretischen und des praktischen Gebrauchs unseres Intellekts, die Kategorien der Natur und die Kategorien der Freiheit, für Kant auf einem gemeinsamen Verständnis menschlicher Rationalität basieren, welches deren Einteilung in eine theoretische und eine praktische Seite insgesamt zugrunde liegt und erlaubt.
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Theo Kobusch
Die praktischen Elementarbegriffe als Modi der Willensbestimmung. Zu Kants Lehre von den „Kategorien der Freiheit“
Abstract. Kant’s doctrine of the „categories of freedom“ is one of the most obscure parts of his practical philosophy. This obscurity has its reason not only in Kant’s particular train of thought, but also in our unfamiliarity with the historical background of Kantian practical philosophy, which in actuality reaches back to medieval theories of the will. The categories of freedom, which prima facie seem to have been composed by strict analogy with those of theoretical reason, in fact unveil the particular nature of the realm of freedom, i. e. the practical field. As one of the most difficult parts of Kant’s thinking, the doctrine of the categories of freedom clearly shows the influence of thoughts and terminology belonging to the philosophical tradition of Chr.Wolff and his school, especially G. F. Meier and A. G. Baumgarten. Furthermore, it also demonstrates Kant’s practical philosophy to be primarily a theory of the will, not of action.
Kants Lehrstück von den „Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 66) in der Kritik der praktischen Vernunft erscheint der modernen Kant-Forschung, soweit sie überhaupt darauf eingeht, als ein besonders dunkles Kapitel. Kant selbst jedoch hat sich aller weiteren Erläuterungen der Tafel der praktischen Kategorien enthalten, „weil sie für sich verständlich genug ist“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Wie ist das zu erklären? Wie kann etwas 1788 als evident erscheinen, was über 200 Jahre später als besonders dunkel erscheint? Womöglich müssen wir zwei Arten der Dunkelheit unterscheiden: jene, durch die das Schwerverständliche im Hinblick auf die innere Kohärenz des kantischen Werkes ausgedrückt werden soll, wie es S. Zimmermann in seinem neuen Buch in einem Fragenkatalog zusammengefasst hat,¹ und jene
„Während alle Kategorien der Freiheit als solche ‚nur die praktische Vernunft überhaupt angehen‘, wie Kant notiert, trennt er diejenigen, die ‚moralisch noch unbestimmt‘ bleiben, von solchen, die ‚bloß durchs moralische Gesetz bestimmt‘ sind. Wie ist diese Differenz zu denken? Spricht Kant hier einer Zweiteilung des Kategorienspektrums das Wort? Die Kategorien, die ‚sinnlich unbedingt‘ sind und die Kant ‚Kategorien der Sittlichkeit‘ nennt, gehören sicherlich dem reinen Willen zu. Doch wie hat man jene aufzufassen, die Kant als ‚sinnlich-bedingt‘
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andere Art der Dunkelheit, die unseren Intellekt beim Lesen dieser Partien befällt, weil der philosophische Ansatz insgesamt und sein terminologischer Horizont uns fremd geworden sind. Das Ziel der folgenden Ausführungen ist es, insbesondere die zweite Art der Dunkelheit etwas zu erhellen. Die Antwort auf die Ausgangsfrage besteht in der These, dass Kants Theorie der Freiheitskategorien einen historischen Hintergrund voraussetzt, vor dem die Tafel in der Tat als etwas Evidentes erscheinen konnte. Dieser Hintergrund ist uns aber inzwischen verloren gegangen, das heißt, er ist unserem allgemeinen philosophiegeschichtlichen Bewusstsein entschwunden. Daraus ist, nebenbei bemerkt, auch dies zu entnehmen: Jede Evidenz und jede Dunkelheit ist ein historisch Bedingtes. Im Falle der kantischen Lehre von den Kategorien der Freiheit ist das augenfällig. Will man sich aber die historische Bedingtheit dieser Lehre vor Augen führen, so gilt es, sich die Herkunftswelt jener Lehre selbst wie auch der sie tragenden Grundgedanken soweit wie möglich bewusst zu machen. In der Kant-Forschung ist die Ansicht weit verbreitet, dass Kant nicht zu jenen Autoren gehöre, die von wo herkämen. Kant gilt als der, der am Anfang einer Entwicklung steht, nicht in einer solchen oder gar nur am Ende derselben. Bezüglich der theoretischen Philosophie sind da inzwischen Einschränkungen gemacht worden. Durch wertvolle historische Arbeiten wissen wir mittlerweile, dass die Ontologie Kants, auch die, die in so berühmten Sätzen wie „Sein ist offenbar kein reales Prädicat“ (KrV, B 626) oder in der Vierteilung des Nichtsbegriffs zum Ausdruck kommt, ohne die Entwicklung besonders der skotistischen, aber auch der schulphilosophischen Traditionen schlechterdings nicht zu verstehen ist.² In der praktischen Philosophie steht eine solche umfassende Aufhellung des historischen Hintergrundes noch aus – der auch hier nicht in Angriff genommen, sondern nur in Grundzügen angedeutet werden kann. Dieser Hintergrund besteht aus den Willenslehren, die seit Heinrich von Gent und den Franziskanern im Mittelalter, sodann in der sogenannten zweiten Scholastik, ferner im Naturrecht und schließlich in der Deutschen Schulphilosophie, bei Chr. Wolff und seiner Schule, die Grundlage aller praktischen Philosophie darstellt. Man könnte diese Tradition unter dem Titel der Metaphysik des moralischen Seins – weil das ens
charakterisiert? Sind das Kategorien des empirischen Willens? Und die ‚von praktischen Prinzipien überhaupt‘? Sind damit dieselben gemeint, oder kündigt Kant hier noch eine dritte Kategoriensorte an? Gibt es so etwas wie Kategorien des Willens überhaupt? Mit anderen Worten gefragt, werden in der Kategorientafel wirklich alle Kategorien ‚in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen‘ dargestellt, wie es die Überschrift erwarten lässt? Wie soll dann aber ein Fortbzw. Übergang möglich sein?“ Zimmermann (), S. Siehe schon Gilson (); Holz (); Honnefelder (); Honnefelder (); Doyle (); Kuehn (); Kuehn (); Courtine (); Courtine (); Tommasi ().
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morale oder die „moralischen Dinge“ tatsächlich die Funktion eines Leitbegriffs haben – oder auch unter dem Titel, den Kant gleichbedeutend mit dem der Metaphysik der Sitten gebraucht, nämlich „Metaphysik der Freiheit“, zusammenfassen.³ Die kantische Philosophie ist zudem gewissermaßen das Sammelbecken, in dem zwei Bedeutungen des Begriffs des Moralischen zusammentreffen, deren Unterscheidung aber von höchster Bedeutung ist: das Moralische im weiten, mittelalterlichen Sinne, nach dem es all das bezeichnen kann, was mit der Freiheit in irgendeiner Beziehung steht und was insofern das Gegenteil zum Physischen darstellt. Das Moralische im engeren Sinne ist das, was mit dem Sittengesetz oder der Autonomie des Willens vereinbar ist; sein Gegenbegriff ist bezeichnenderweise das Unmoralische.⁴ In diesem Sinne soll im Folgenden von den allgemeinsten Grundsätzen der kantischen praktischen Philosophie und ihrem historischen Hintergrund die Rede sein, indem sie – im ersten Abschnitt (I.) – als Willenslehre begriffen wird und strukturelle Ähnlichkeiten mit der traditionellen Philosophie aufgewiesen werden. Im zweiten Abschnitt (II.) soll der historische Hintergrund der Idee der Metaphysik der Sitten erhellt werden, ehe dann – im dritten Abschnitt (III.) – die Kategorien der Freiheit im historischen Kontext thematisiert werden können. Was das letzte Thema betrifft, das Lehrstück von den Kategorien der Freiheit im engeren Sinne, so weiß sich der Verfasser der jüngsten Forschung über diesen Gegenstand besonders den Arbeiten von S. Zimmermann, J. Stolzenberg, C. Graband und H. Puls in besonderem Maße verpflichtet, obwohl nicht in allen Details Übereinstimmung besteht.⁵ „Die Moral, die rein a priori Gesetze der Freiheit erkennt, ist Metaphysic der Freyheit oder der Sitten“ (V-Mo/Mron II, Ak. , S. ). G. F. Meier hat diesen mittelalterlichen Sinn des Wortes „moralisch“ vor Augen: „Es wird dieses Wort (scil. das Sittliche) in so unendlich vielen verschiedenen Fällen gebraucht, daß wir uns keinen bessern allgemeinen Begriff davon machen können, als wenn wir alles sittlich oder moralisch in weiterer Bedeutung nennen, was in einer näheren und merklichen Verbindung mit dem freyen Willen steht“ (Meier (b), S. f.).Wie der Doppelsinn eines der zentralen Begriffe der theoretischen Philosophie, nämlich des „Objektiven“, erstmals durch den gelehrten Kommentator der Werke T. Reids, W. Hamilton, im . Jahrhundert durchschaut wurde (vgl. Kobusch (), S. ), so ist der mittelalterliche und moderne Sinn des Hauptbegriffs der praktischen Philosophie, nämlich des „Moralischen“, durch den Kantianer L. H. von Jakob unterschieden worden: „Alles, was von Freyheit abhängt, wird moralisch oder sittlich in weiterer Bedeutung genannt, und in diesem Sinne sind freye Handlungen mit sittlichen Handlungen einerley. In engerer Bedeutung aber heißen nur diejenigen Handlungen moralisch, welche durch die Freyheit nach dem Sittengesetz hervorgebracht sind, da hingegen diejenigen freyen Handlungen, welche dem Sittengesetz widersprechen, unsittlich oder unmoralisch genannt werden.“ (von Jakob (), § , S. f.) Vgl. Zimmermann (); Stolzenberg (); Graband (); Graband (b); Puls ().
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1 Kants praktische Philosophie als Lehre vom Willen Kants praktische Philosophie ist im wesentlichen Willenslehre. Sie stellt, bevor sie G. W. F. Hegel in seiner Rechtsphilosophie weiterführt, den vorläufigen Abschluss einer Entwicklung dar, die im Mittelalter beginnt. Zumindest drei Elemente können genannt werden, die, aus mittelalterlicher Zeit stammend, bestimmend und konstitutiv auf Kants praktische Philosophie Einfluss genommen haben. Am besten scheint es zu sein, mit dem trivium, das heißt mit etwas Trivialem, zu beginnen, um sogleich auch zu bedenken, dass das Triviale oftmals dasjenige ist, von dem man vergessen hat, dass es zu bestimmter Zeit entstanden ist. Von solcher Trivialität ist die Aussage, dass Kants praktische Philosophie eine Lehre von der praktischen Vernunft ist, das heißt vom Willen, und dies wiederum besagt: von der Freiheit, die der Lehre von der Natur gegenübersteht. In diesem Sinne werden zum Beispiel die „Gesetze der Freiheit“ im Unterschied zu den Naturgesetzen „moralisch“ genannt, die, wenn sie bloß äußere Handlungen betreffen, juridische, wenn sie aber innere Bestimmungsgründe vorschreiben, ethische Gesetze genannt werden.⁶ Dieser Gegensatz von Freiheit und Natur spiegelt sich auch wieder in den beiden Werktiteln Metaphysik der Sitten und Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. Kant steht mit dieser Unterscheidung von Natur und Freiheit in einer langen historischen Tradition, die in der Spätantike begonnen haben mag, die aber erst im Mittelalter zu einer eigentlich markanten Unterscheidung wird.⁷ Dies geschieht nicht zuletzt dadurch, dass sie sich auch in der Ontologie niederschlägt: Vom 13. Jahrhundert an wird das Sein der Natur (esse naturae) vom Sein der Freiheit (esse morale) beziehungsweise die Welt der Naturdinge von der Welt der moralischen Dinge unterschieden. Auch Kant spricht noch bisweilen von den „moralischen Dingen“ (GMS, Ak. 4, S. 404).⁸ In der Rezeptionsgeschichte dieser Lehre von den entia moralia ragt S. Pufendorfs Werk, besonders sein De jure naturae et gentium (1672), hervor, dessen Bedeutung für die moderne Welt noch gar nicht recht erkannt ist. Die Bedeutung liegt darin, dass er die Lehre von den entia moralia als ontologische Grundlage der ersten „universalen Ethik“ ansieht – die Pufendorf auch erstmals so nennt. Gegenüber der Tradition der aristotelischen Ethik, die Pufendorf als an die griechische Polis gebundene partikuläre Ethik begreift, erhebt Pufendorf den An-
Vgl. MSRL, Ak. . S. . Siehe die gesammelten Beiträge in Müller/Pich (). Zur Geschichte des „moralischen Seins“ siehe Kobusch () und die Kurzfassung ().
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spruch, als „erster das Eis gebrochen“ und „aufgrund reiner Vernunft (ex sola ratione) das eine Prinzip erforscht zu haben, das alle Völker, welche Religion sie auch haben, zulassen oder zu dessen Zulassung sie doch durch die Evidenz der Gründe gezwungen werden (adigi) könnten“⁹. Dieses Prinzip ist der Fundamentalsatz, der sich allein aufgrund der Beobachtung der menschlichen Natur ergibt, nämlich der von der „universalen Sozialität“, die „absolut alle Menschen“ betrifft und den Gesetzen aller partikulären Sozietäten zugrunde liegt.¹⁰ In diesem Sinne sind die Fundamente des Naturrechts nach Pufendorfs ausdrücklicher Bemerkung von ihm deswegen gelegt worden, um alle Menschen, „insofern sie Menschen sind“¹¹, auf der Basis der Vernunft zu erreichen. Hält man sich diese selbstinterpretatorischen Bemerkungen vor Augen, kann es keinen Zweifel geben: Das Naturrecht in der Pufendorf’schen Form versteht sich selbst als die erste kulturund religionsübergreifende universale Ethik, deren Anliegen durch die philosophia practica universalis fortgesetzt und schließlich durch die Metaphysik der Sitten Kants vollendet wird. Es ist kein Zufall, sondern eher ein Beleg, dass der Ausdruck „universale Ethik“, durch den die Distanz zur partikulären aristotelischen Ethik gekennzeichnet wird, bei Pufendorf zum ersten Mal begegnet.¹² Wenn heutzutage namhafte Aristoteles- und Kant-Forscher den aristotelischen und kantischen Ansatz in der praktischen Philosophie miteinander harmonisieren wollen, dann wird gerade dieses neue Selbstverständnis der universalen Ethik, das zum Verständnis der praktischen Philosophie Kants unverzichtbar ist, übersehen.
Pufendorf (), S. . Zum Erstheitsanspruch siehe S. . „Ea porro socialitas, non in illis tantum terminatur, qui peculiari nobiscum societate juncti sunt, sed ad omnes omnino homines porrigitur. Et leges universalis istius socialitatis quarumvis particularium societatum leges antecedunt“ (ebd., S. ). Pufendorf charakterisiert öfter seinen „Fundamentalsatz“ als einen, der auf „Beobachtung“ (S. ) beruht, d. h. auf Erfahrung. Abgelehnt wird damit zugleich V.Veltheims Ansicht, es sei ein apriorisches indemonstrables Prinzip vom Typ der „per se nota“ (S. ). Zur Unterscheidung dieser beiden Arten von Prinzipien, den principia per se nota und den auf Erfahrung beruhenden Prinzipien siehe Kobusch (). Pufendorf (), S. . Zur Formulierung „ad captum omnium hominum“ siehe auch S. . „Verum cum nobis jus naturae et gentium hoc fine tractetur, ut sit regula actionum et negotiorum inter omnes homines non qua Christiani, sed qua homines sunt“ (S. ). „Uber Aristotelis ethicam, und undecim nomina virtutum habe ich mich vielmal mit H. Weigelio zu Jena lustig gemachet. […] Es befindet sich aber so wohl bey Aristotele, als allen Graecis, daß sie ihre democratias für die beste art von republiquen halten, und demnach auch ihre morale einrichten. […] Denn damit könnte man selbiger morale auf einmahl die kehle abschneiden, als die nur particuliere ist, und auf gewiße formam civitatis eigentlich eingerichtet. Wir aber suchen ethicam universalem.“ Brief an Thomasius vom .. in Pufendorf (), S. f. Siehe auch den Brief an Pregitzer vom . . (S. ).
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Der Anspruch auf Universalisierung der Handlungsregeln ist denn folgerichtig auch im Rahmen der philosophia practica universalis erhoben worden.¹³ Das Genre der Metaphysik der Sitten erscheint als eine nochmalige Steigerung des Universalitätsgedankens, ja als das Äußerste der universalen Geltung des Sittlichen, insofern in ihm die Gültigkeit der sittlichen Gesetze für alle vernünftigen Wesen, Gott eingeschlossen, bedacht wird.¹⁴ Was wir hier beobachten können, ist die Rezeption der These vom univoken Charakter des Moralischen. Der englische Deismus und die Cambridge Platonists haben diese Idee als Kritik am spätscholastischen Voluntarismus entwickelt. Sie haben darüber hinaus die Univozität des Moralischen als die Erweiterung seiner Universalität angesehen.¹⁵ Eine Metaphysik der Sitten ist – so gesehen – gewissermaßen die eigentliche, wahre universale Ethik. Sie beruht auf dem Grundsatz, dass ein Reich der Freiheit nur dann denkbar ist, wenn das Sittengesetz für alle freien Wesen, sowohl für die Glieder als Personen als auch für das Oberhaupt der Personen – wie die bedeutsame Unterscheidung in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten lautet –, in gleicher Weise und in gleichem Sinne gültig ist. Das eigentliche Anliegen der Kritik der praktischen Vernunft und auch der Metaphysik der Sitten ist ebenfalls im Denken der mittelalterlichen Philosophie verankert. Es gilt zunächst, dieses Anliegen als das zu durchschauen, was es wirklich ist. Kant hat es als die Funktion der „Analytik der reinen praktischen Vernunft“ bezeichnet darzutun, dass reine Vernunft praktisch sein, das heißt für sich, unabhängig von allem Empirischen den Willen bestimmen, könne.¹⁶ Der reine Wille, in dem der Begriff einer Kausalität aus Freiheit schon enthalten ist, wird – so ist kurz gefasst Kants Lösung – durch die bloße Vorstellung des mo-
Siehe z. B. Gottsched (), § , S. : „Wir nennen diese Sittenlehre aber eine allgemeine, weil ihre Lehren sich in allen Altern, Geschlechtern, Ständen und Lebensarten der Menschen ohne Unterschied brauchen lassen. […] Diese Allgemeinheit nun machet, daß diese Wissenschaft den Grund vor allen übrigen Theilen der practischen Philosophie in sich hält. Herr Bar. Wolff hat die Nothwendigkeit derselben zu alleresrt eingesehen, und schon in einer besonderen Dissertation, hier in Leipzig den ersten Entwurf dazu gemacht“. Siehe z. B. Hoffbauer (), § , S. : „Die Wissenschaft der sittlichen Gesetze heißt die Moralphilosophie, insgleichen auch die praktische Philosophie. Sie wird die reine praktische Philosophie oder Metaphysik der Sitten genannt, in so fern sie diese in der Allgemeinheit betrachtet, in welcher sie für alle vernünftigen Wesen gültig sind“. „[…] it extending universally to all, even to that of the deity itself. […] and therefore God himself cannot command, what is in its own nature unjust. And thus have we made it evident, that infinite right and authority of doing and commanding anything without exception so that the arbitrary will of the commander should be the very rule of the justice itself to others, and consequently might oblige to any thing, is an absolute contradiction“ (Cudworth (), S. ). Vgl. KpV, Ak. , S. f.
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ralischen Gesetzes a priori, das der praktischen Vernunft als Faktum gegeben ist, praktisch. Es ist eine Bestimmung des reinen Willens, die Kant „unvermeidlich“ (KpV, Ak. 5, S. 95) nennt. Es kann kein Zweifel sein, dass wir es hier mit einer Form der Selbstbestimmung des Willens zu tun haben. Die Kategorien der Freiheit sind somit Formen der Selbstbestimmung des Willens.¹⁷ Das aber ist das große Thema einer mittelalterlichen Tradition seit Heinrich von Gent, in der auch der Begriff der Selbstbestimmung (se determinare) des Willens allererst terminologisch festgelegt wurde.¹⁸ Zumindest der Struktur des grundlegenden Gedankens nach ist auch die Funktion des kantischen Freiheitsbegriffs im mittelalterlichen Denken, in der Tradition der Willenslehre, die im Mittelalter ihren Ursprung hat, grundgelegt. Nach Kant ist das moralische Gesetz, das heißt das Sollen, die Bedingung dafür, dass wir uns unserer Freiheit bewusst werden können, während die Freiheit als Seinsgrund unseres Sollens anzusehen ist. Ohne Freiheit könnte der Mensch nicht sollen. Dieser Grundgedanke ist in vielen traditionellen Freiheitslehren enthalten, besonders deutlich und nahe am kantischen Gedankengang aber bei dem Franziskaner P. J. Olivi ausgedrückt, wo gerade auch das Problem der Bewusstwerdung unserer Freiheit verhandelt wird. In seiner q. 57 im 2. Sentenzenbuch,¹⁹ einer der besten Freiheitsabhandlungen der mittelalterlichen Philosophie, entwickelt Olivi die Idee, dass der aufmerksame Blick auf unser eigenes Bewusstsein uns die Existenz unserer Freiheit entdecken lässt. Hier wird die unmittelbare Pflichtempfindung in den Kontext moralischer Gefühle gestellt. Der Bereich der Gefühle, der nach Olivi und der Scholastik überhaupt von dem Willensbegriff mit abgedeckt wird,²⁰ ist in besonderer Weise ein deutlicher Hinweis auf die Existenz unserer Freiheit. So das Gefühl des Zornes und des Mitleids: Alle inneren Anklagen und Gewissensbisse, alle Billigungen und Entschuldigungen, […] alle Mißbilligungen der Gerechtigkeit, die sich aus dem Eifer und dem Sinn für Gleichheit ergeben, die reichlich in allen Menschen vorhanden sind und die jeder in sich selbst durch eine unbezweifelbare Erfahrung wahrnimmt, bezeugen offenkundig, dass in uns die Wahlfreiheit ist.²¹
„[…] sondern dem Menschen ein Vermögen beiwohnt, sich unabhängig von der Nöthigung durch sinnliche Antriebe von selbst zu bestimmen“ (KrV, B ). Siehe auch Zimmermann (), S. und besonders Lee (). Vgl. Kobusch (), S. f. Olivi (), S. – . Vgl. Stadter (), S. – . Olivi (), q. , S. f.
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In ähnlicher Weise weisen auch die Gefühle der Freundschaft und der Feindschaft, des Sichrühmens und der Scham, der Dankbarkeit und der Undankbarkeit, der Pflicht und des Verpflichtens, der Furcht und der Sorglosigkeit in je eigener Weise auf das Bewusstsein der eigenen Freiheit hin. Der Begriff der Freiheit hat nun bei Kant in noch anderer Hinsicht eine herausragende Stellung, nämlich unter den Ideen der spekulativen Vernunft, also neben Gott und der Unsterblichkeit der Seele. Freiheit ist nämlich die einzige Idee, von deren Möglichkeit wir ein apriorisches Wissen haben, eben weil sie die Bedingung des moralischen Gesetzes ist, das wir wissen. Die Ideen von Gott und der Unsterblichkeit der Seele sind aber nicht Bedingungen des moralischen Gesetzes, sondern bloß Bedingungen des notwendigen Objekts des durch dieses Gesetz bestimmten Willens, das heißt der Bewirkung des höchsten Guts in der Welt. Kant nennt sie insofern „Postulat[e] der reinen praktischen Vernunft“, und zwar notwendige Postulate, die als solche einen Gegenbegriff zur Hypothese darstellen. Die Postulate sind selbst keine theoretischen Dogmata, sondern Voraussetzungen in notwendig praktischer Rücksicht, die, wie Kant auch ausdrücklich vermerkt, erst durch „Zergliederungen“ (KpV, Ak. 5, S. 124) ans Tageslicht kommen, gleichwohl aber unmittelbar gewisse, also unbeweisbare, praktische Sätze, das heißt, sie sind mit dem moralischen Gesetz unzertrennlich verbundene, also implizierte praktische Sätze. Kant hat den Begriff des Postulats im Sinne einer notwendigen Bedingung einer Willensbestimmung durch reine Vernunft, das heißt als Voraussetzung in notwendig praktischer Rücksicht, dem zeitgenössischen Sprachgebrauch der Wolffschule entnommen.²² Denn J. A. von Ickstatt zum Beispiel, der, ein Wolffschüler, von 1746 an das Amt des Direktors der Universität Ingolstadt innehatte und 1776 gestorben ist, bestimmt das Postulat – bemerkenswerterweise im Unterschied zur Bedeutung des mathematischen Begriffs – als einen praktischen Satz, der nicht beweisbar ist. Das ist zudem ein Beispiel zur Veranschaulichung des allgemeinen, in der mittelalterlichen Philosophie beginnenden Trends, Begriffe, die, wie Person, Kategorie oder Seiendes, ursprünglich oder vorrangig in der theoretischen Philosophie beheimatet waren, auf den Bereich des Praktischen zu übertragen.
„Postulatum dicitur propositio practica indemonstrabilis“ (von Ickstatt (), c. IV, § , S. ).
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2 Von der Idee einer Metaphysik der Sitten Die „Tafel der Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 66) steht in direktem Zusammenhang mit der Metaphysik der Sitten, denn fast alle praktischen Elementarbegriffe zählen auch zu jenen „Vorbegriffen“, die beiden Teilen der Metaphysik der Sitten, der Rechts- und der Tugendlehre, gemeinsam sind.²³ Kant hat das Werk, das schließlich in zwei Bänden erschien, über 30 Jahre lang durchdacht. Schon 1765 schreibt er an J. H. Lambert, dass die „metaphysische[n] Anfangsgründe der praktischen Weltweisheit [fertig]“ vorlägen (Br, Ak. 10, S. 56). Drei Jahre später gebraucht Kant in einem Brief an J. G. Herder wohl zum ersten Mal den Titel „Metaphysik der Sitten“ (Br, Ak. 10, S. 74). Man hat lange Zeit die Idee dieses Genres für eine kantische Erfindung gehalten. So wird etwa im KantHandbuch auf die „transzendentallogische Methode“ Kants Bezug genommen, „die zum ersten Male eine Metaphysik der Sitten ermöglichte, die es zuvor tatsächlich nicht gegeben hatte“²⁴. Schon 1989 sagte R. Bittner: „Der Gedanke einer Metaphysik der Sitten ist neu“, und O. Höffe fügte hinzu, dass schon der Titel der Schrift „eine Erfindung Kants“ sei. Beide Aussagen, die sich auf die Arbeiten von G. Tonelli berufen, sind 2010 unverändert – als ob es die historische Kant-Forschung nicht gäbe – wieder abgedruckt worden.²⁵ Beide sind falsch. Der Gedanke einer Metaphysik der Sitten ist im Schrifttum der Wolffschule unter dem Titel der philosophia practica universalis grundgelegt, die selbst durch die Rezeption einer moralischen Ontologie bestimmt ist, deren Wurzeln bis zum Beginn des Naturrechts und bis in die mittelalterliche Philosophie zurückreichen. Der Titel Metaphysik der Sitten dagegen geht auf den in der Wolffschule neu geprägten Disziplinentitel der metaphysica moralis zurück, den Kant schon bei seinem Lehrer M. Knutzen hatte kennenlernen können. Auch G. F. Meier hat die Allgemeine practische Weltweißheit ausdrücklich als die „Metaphysik aller moralischen Disciplinen“ vorgestellt, die die höchsten moralischen Begriffe erläutert, „unter welche alle möglichen moralischen Dinge […] gehören“. Er erwähnt an dieser Stelle die unsterblichen Verdienste, die sich der Freiherr von Wolff erworben hat dadurch, dass er als erster „die allgemeinern moralischen Grundsätze gesammelt und sie in ein gründliches System gebracht hat“.²⁶
Siehe auch Puls (), S. ff. Vgl. Irrlitz (), S. . Bittner (), S. ; Höffe (), S. . Meier (), §§ f., S. – .
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Da ich die Zusammenhänge an anderer Stelle ausführlich dargelegt habe,²⁷ kann ich mich hier auf die Nennung der Werke beschränken, die den Hintergrund der kantischen Metaphysik der Sitten darstellen. Zuerst ist das, wie erwähnt, die Idee einer wirklich allgemeinen Ethik, einer ethica universalis, wie sie den Naturrechtsschriften Pufendorfs zugrunde liegt, dann und besonders aber auch in dem von Wolff neu etablierten Genre der philosophia practica universalis, das wir in den Initia Philosophiae Practicae Primae (1760) seines Schülers A. G. Baumgarten und in der Allgemeinen Practischen Weltweisheit von dessen Schüler G. F. Meier wiederentdecken.²⁸ Daneben haben der Wolffschüler I. G. Canz, der in Tübingen lehrte, und der Schüler Rüdigers, A. F. Müller, sowie auch F. A. Aepinus selbständige Traktate über die allgemeinsten moralischen Begriffe, die res morales oder entia moralia, verfasst. Canz, der auch von Kants Lehrer Knutzen zitiert wird, hat seinem Traktat, in dem zum Beispiel ganz im Sinne Kants die Würde der Person und der Preis der Sachen unterschieden werden, den Titel metaphysica moralis gegeben.²⁹ Darüber hinaus hat J. H. Winckler, der allseits gebildete Wolffschüler, Professor für Philosophie, alte Sprachen und Physik in Leipzig, dessen Vorlesungen kein Geringerer als J. W. Goethe hörte, die Grundidee der Wolff’schen philosophia practica universalis in einer Allgemeinen Lehre der Sitten umgesetzt, die im Bereich der praktischen Philosophie jene Rolle einnimmt, die die Metaphysik in der theoretischen Philosophie hat. Die Prinzipien des Handelns zu erläutern, was man tun, was man lassen soll, das ist die Sache dieser Sittenlehre.³⁰ Sie setzt damit in für die Wolffschule repräsentativer Weise fort – wie andere Beispiele zeigen können –, was Thomas von Aquin mit seiner berühmten Abhandlung über die menschliche Handlung, in der Prima Secundae der Summa Theologiae, erstmals in die Welt der Philosophie hineingebracht hatte, nämlich eine Art der „Metaphysik“ beziehungsweise „Ontologie der Handlung“, die alle Prinzipien der Handlung, ihre Begleitumstände und Folgen thematisiert.³¹ J. A. Fabricius, der mit dem Pietismus Verbundene und später durch seine dreibändige Historie der Gelehrsamkeit Berühmte, hat ganz im Sinne Wolffs die philosophia practica universalis als die der Moralphilosophie und Naturrechtslehre vorgeschaltete „Wissenschaft von den allgemeinen gründen unserer handlungen“³²
Vgl. Kobusch (), S. – . Vgl. Baumgarten (); Meier (). Siehe auch Formey (). „[…] personarum dignitas, rerum pretia […]“ (Canz (), c. VI, § , S. ). Winckler (), S. – . Siehe auch Carpov (), §§ ff., S. ff. Zum Begriff der „Metaphysik der Handlung“ als Bezeichnung der thomasischen Handlungslehre siehe Kluxen (), S. ff.; zur „Ontologie der Handlung“ siehe Schönberger/ Spaemann (); Schönberger (), S. . Fabricius (), . Buch, § , S. .
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charakterisiert. Kants Metaphysik der Sitten steht somit am (vorläufigen) Ende einer langen Entwicklung – die ja, auch vom Titel her, von A. Schopenhauer fortgesetzt wird – in der der menschliche Wille und seine Äußerungen, ja sogar das Willensphänomen überhaupt, immer mehr in den Fokus einer der praktischen Philosophie immanenten, metaphysikähnlichen Disziplin geriet. Auch Hegels Rechtsphilosophie ist nach Ausweis von Zeitgenossen eine Art Fortführung der Metaphysik der Sitten.³³ Nun könnte man kritisch darauf hinweisen, dass die eigentliche Errungenschaft der kantischen Metaphysik der Sitten doch darin bestünde, Rechts- und Tugendlehre und damit äußere und innere Freiheit unter dem gemeinsamen Dach einer Metaphysik der Sitten beziehungsweise der Freiheit zusammengefügt zu haben. Das ist in der Tat so. Und doch ist zu bedenken, dass auch die Metaphysik des Rechts ihre historischen Vorläufer hat. 1741 erschien unter dem Einfluss der Wolff’schen Philosophie die Ontologia juris von J. W. Wisling, die 1748 noch einmal unter dem Titel Jurisprudentia prima aufgelegt wurde. Darin verweist der Autor auf die Metaphysica juris beziehungsweise Juridica von J. Chr. Hartung, die schon 1692 erschienen war und von G. W. Leibniz als das erste Werk solcher Art bezeichnet wurde. Hartung knüpft in diesem Werk aber an die Lehre Pufendorfs von den entia moralia an.³⁴ Auf diese Weise scheint ein zumindest vermittelter Zusammenhang zwischen der kantischen Metaphysik der Sitten und der Lehre von den entia moralia erkennbar zu sein. Dieser Zusammenhang wird von führenden Kant-Forschern geleugnet oder unterschätzt. Andere haben sogar eine tiefe Kluft zwischen der antimetaphysischen ‚civil philosophy‘ Pufendorfs und Chr. Thomasius’ einerseits und der metaphysischen praktischen Philosophie Leibniz’, Wolffs und besonders Kants andererseits angenommen, die auf die protestantische Metaphysiktradition zurückgeführt wird und die die Quelle für einen modernen intoleranten Liberalismus darstellen soll. Das eine ist so abwegig wie das andere. Hält man sich an die Texte und die philosophische Terminologie von Pufendorf, Thomasius, Leibniz, Wolff und Kant und versucht man nicht, im Sinne einer apriorischen Geschichtsschreibung, zu trennen, was die Geschichte zusammengefügt hat, kann kaum bestritten werden, dass die Lehre von den entia moralia bei Pufendorf, in der Tradition der philosophia practica universalis, in der metaphysica moralis und im Naturrecht G. Achenwalls und D. Nettelbladts den geistigen Horizont der kantischen Metaphysik der Sitten darstellt. Nicht recht nachvollziehbar ist, warum Pufendorfs Lehre von den entia moralia „antimetaphysich“ sein soll, wo doch
Vgl. Baumbach (), § , S. . Zu diesen Zusammenhängen siehe Kobusch (), S. – .
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Pufendorf schon in der Introductio seines Hauptwerks, an deren Beginn der Begriff der „Ersten Philosophie“ steht, auf das Versäumnis der aristotelischen Metaphysik hinweist, über der einseitigen Thematisierung der Naturdinge die moralischen Dinge vernachlässigt zu haben.³⁵
Hunter (). Kritiklos und ohne jeden Abstand hat sich ihm angeschlossen Haakonssen (). Beide Autoren nehmen eine künstliche Trennung vor zwischen der „civil philosophy“ einerseits, vertreten durch Pufendorf und Thomasius und der „metaphysischen“ Aufklärung andererseits, für die Leibniz, Wolff und Kant stünden. Doch was die Geschichte, besonders auch die Philosophiegeschichte und innerhalb dieser die Begriffsgeschichte miteinander verbunden hat, sollte der Historiker nicht trennen! Beide Interpreten trennen aber in ungebührlicher Weise Pufendorf einerseits von der mittelalterlichen Philosophie ab und andererseits von seiner Wirkungsgeschichte, die bis Wolff, Kant und darüber hinaus reicht. Haakonssen scheint auch den göttlichen Willensakt als Urheber von „moralischen Entitäten“ (S. ) aufzufassen. Aber nirgendwo im Mittelalter und auch nicht bei Pufendorf werden die Ergebnisse göttlicher Willensakte entia moralia genannt.Vielmehr sind die physischen Dinge durch den göttlichen Willen hervorgebracht. Hunter unterstellt Pufendorf öfter eine „epikureische Anthropologie“. Pufendorf selbst weiß von diesem Einfluss offenbar nichts, denn in seiner Eris Scandica sagt er: „Ego enim Stoicorum sanae sententiae proxime accedo, Hobbesius autem Epicureorum hypothesin recoquit“ (Pufendorf (), S. ). Nach Hunter habe die „Normativität“ (S. ) der politischen Pflicht nichts mit dem Gedanken der Vervollkommnung der menschlichen Natur zu tun. Nach Pufendorf aber haben die entia moralia insgesamt das besondere Ziel der „Vollkommenheit des menschlichen Lebens“ (JNG I., § , S. ). Pufendorf detranszendentalisiere und desakralisiere die Ethik und politische Philosophie, indem keine objektiven Werte mehr angenommen würden, behauptet Hunter. Aber sind die durch das Naturgesetz vermittelten Werte, die auf den göttlichen Willen als Quelle zurückgeführt werden müssen, für den menschlichen Willen nicht objektiv? Und stammen sie etwa nicht aus dem heiligen Willen Gottes? Beide Interpreten verstehen Pufendorfs Methode der empirischen „Beobachtung“ (observatio), deren Ergebnis schließlich auch der berühmte „Fundamentalsatz“ des Naturgesetzes ist, als eine Absage an die dem Klerus eigene theologische Sicht (vgl. Haakonssen (), S. ). Sie beachten nicht, dass Pufendorf, der in den Elementa jurisprudentiae universalis die „Beobachtungen“ (Elementa II., § , S. ) als die Erfahrungsprinzipien von den rein rationalen Prinzipien unterschieden hatte, damit in Wirklichkeit eine alte scholastische Unterscheidung, ebendie der principia per experientiam und per se nota, aufgenommen hat, die erstmals W. von Ockham (ein Mann der Kirche!) ins Spiel gebracht hatte und die in der Leibniz’schen Form der „Tatsachenwahrheiten“ und „Vernunftwahrheiten“ erhalten geblieben ist. Siehe dazu Kobusch (); Kobusch (). Einer der Hauptgegner für Hunter ist die „Neuscholastik“. Hunter wittert sie überall da, wo von Metaphysik, transzendenten Werten oder, wie im Falle meiner eigenen Pufendorf-Interpretation, von der Übertragung aristotelischer Kategorien auf die entia moralia die Rede ist.Was sein eigener Gegner ist, hält Hunter für einen Gegner Pufendorfs (vgl. S. ). Hält man sich jedoch von allen antimetaphysischen Ideologien frei und nur an den Text Pufendorfs, so kann gar nicht bezweifelt werden, dass das . Kapitel von De jure naturae et gentium eine Lehre von den Kategorien der entia moralia enthält, die sich an die aristotelische „Norm“ der physischen Dinge anlehnt, und Pufendorf fügt hinzu,weil „kaum anders als in Analogie zu den physischen Seienden unser in Materie eingetauchter Intellekt die moralischen Dinge verstehen kann“ (JNG I., § , S. ). Daher kann, obwohl die entia moralia immer
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Einer der ersten, die überhaupt auf die historischen Zusammenhänge zwischen der praktischen Philosophie Kants und der Wolffschule geachtet haben, ist G. Anderson mit seinem berühmten Aufsatz.³⁶ Das Ergebnis ist ambivalenter Natur: Einerseits sind die Übereinstimmungen mit der Wolffschule in der Metaphysik der Sitten besonders zahlreich, so dass es den Anschein hat, dass Kant „sich an dem fertigen Vorbild“ eines Systems der Ethik orientiert und „aus dem von der Wolffschule angesammelten Begriffsvorrat alles irgend Brauchbare“ herausgegriffen hat. Andererseits ist der „Geist der M.d.S. von dem Wolffs und seiner Nachfolger ebenso fern wie der der Grundlegung und der Kr.d.pr.V.“³⁷ Das zuletzt Gesagte soll auch hier nicht bezweifelt werden, aber es betrifft eher die Frage der Methode als bestimmte Inhalte, wie ja auch die bekannte Distanznahme Kants von der Tradition der philosophia practica universalis in der Grundlegung eine methodologische Distanznahme ist. Es gibt nur vereinzelte Interpretationsversuche, die diese historischen Zusammenhänge auch für wichtig, das heißt für das kantische Denken konstitutiv, halten und dies auch im Detail gezeigt haben. C. Schwaiger hat nicht nur die Sache der Wolff’schen philosophia practica universalis der unverdienten Vergessenheit zu entreißen versucht – die angesichts der Selbstdistanzierung Kants von dieser Tradition etwa in der Grundlegung droht –, sondern auch das Werk Wolffs als die „Keimzelle“ der kantischen Metaphysik der Sitten aufgezeigt und dabei auf fast identische Quellen wie hier Bezug genommen.³⁸ Schwaiger hat mit Recht gegenüber meiner allzu starken Betonung des theoretischen Charakters dieser neuen
das physische Sein voraussetzen und nicht als solche die Seinsweise der Subsistenz haben, mit Recht die Person als die moralische Substanz bezeichnet werden, der die einzelnen Bestimmungen des Status usw. wie Akzidentien inhärieren (JNG I., § , S. ; vgl. § , S. ). Beide Autoren leugnen, dass Pufendorf sich an einer Vorstellung von der „rationalen Natur“ des Menschen orientiere. Man braucht nur Pufendorf JNG III., § , S. , nachzulesen (wo zwischen angeborenen, d. h. die rationale Natur als solche begleitenden, und hinzugekommenen Pflichten unterschieden wird), um zu sehen, dass diese Behauptung ins Reich einer Pufendorf-Legende gehört. In JNG II., § , S. ist von der „Konstanz“ der menschlichen Natur die Rede, die die Garantie für die Konstanz des Naturgesetzes ist. Schließlich wird eine angemessene Deutung der Naturrechtslehre und des Voluntarismus Pufendorfs verfehlt u. a. deswegen,weil beide Lehrstücke nicht als das erkannt werden, was sie sind: Auswirkungen eines spätscholastischen Diskurses, in dem Gregor von Rimini die Rolle des scholastischen H. Grotius spielt, der sich gegen extreme Formen des Voluntarismus in seiner Zeit wendet, nach denen mit Berufung auf die alttestamentlichen Beispiele des Abrahamopfers und des Vasendiebstahls Gott de potentia absoluta das Sittengesetz neu definieren könnte. Auch nach Pufendorf JNG II., § , S. ist in diesem Sinne der Mensch ein „bloßes Instrument“. Anderson (). Ebd., S. . Schwaiger (); Schwaiger ().
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von Wolff inaugurierten Disziplin auf ihre „affektive“ und „praktische“ Intention – beide Begriffe sind nur von der mittelalterlichen Philosophie her verständlich – hingewiesen. Andererseits darf diese praktische Seite der philosophia practica universalis, die nach Wolff selbst ausdrücklich von einer theoretischen unterschieden, wenn auch nicht getrennt werden kann, nicht mit dem Praxischarakter der aristotelischen Ethik verwechselt werden, die direkt den Anspruch einer Verbesserung der Praxis erhebt, während die philosophia practica universalis „zeigt, wie man gute Handlungen vollbringen kann“³⁹. Daneben scheint es nach dem Selbstverständnis der Wolffschule auch einen theoretischen Teil der philosophia practica universalis zu geben, in dem die Prinzipien und Grundlagen des menschlichen Handelns und des Naturrechts betrachtet werden.⁴⁰ Für Baumgarten in seinen Initia – dem Titeltopos, der für Kants Anfangsgründe die Vorlage ist – stellt die philosophia practica universalis sogar gewissermaßen die Metaphysik unter den praktischen Disziplinen dar.⁴¹ So ist in jedem Falle in der vorkantischen Philosophie eine verstärkte Tendenz zur Theoretisierung der sittlichen Welt festzustellen, die die Ansätze einer Metaphysik der Handlung,wie wir sie zum Beispiel in der Prima Secundae der Summa Theologiae des Thomas vor uns haben, fortführt und ausweitet.⁴² Neben Schwaiger hat besonders auch M. Kuehn in seinen Interpretationen den Einfluss der Philosophie Wolffs und seiner Schule, bisweilen auch der älteren Pufendorf-Tradition, auf das Denken Kants mitbedacht. Es waren insbesondere die Initia philosophiae practicae primae acroamatice Baumgartens, die Kants Vorstellungen über die Metaphysik der Sitten angeregt haben. Doch zweifellos hat, wie Kuehn zu Recht betont, die Naturrechtstradition auch über Achenwall (und
Schwaiger (), S. – . Wolffs philosophia practica universalis wird in den Prolegomena als „affektive, praktische Wissenschaft“ definiert. „Affektiv“, insofern sie das Wissen von der Willensbestimmung ist, „praktisch“, insofern sie vermittelt durch die Fähigkeit der Körperbewegung (facultas locomotiva) ein Wissen über die Ausführung dessen, was wir wollen und die Auslassung dessen, was wir nicht wollen, darstellt. Sie impliziert jedoch so Vieles an theoretischem Wissen über allgemeine Strukturen des Handelns und seiner Voraussetzungen, dass Wolff in seiner „Praefatio“ von einem „theoretischen Teil“ sprechen kann. Auch die philosophia practica universalis von Formey, enthält einen theoretischen und praktischen Teil (vgl. S. – ), ebenso Thümmig (), deren erster Teil „De Theoria Philosophiae Practicae Generalis“ (S. – ) und unter diesem Titel von der Verschiedenheit der menschlichen Handlungen, der Pflicht und dem Naturgesetz u. a. handelt. Siehe auch Nettelbladt (), § , S. f.: „Philosophia practica universalis theoretica continet principia iurisprudentiae naturalis et practica principia philosophiae moralis“. „Uti metaphysica se habet ad reliquas disciplinas omnes, sic philosophia practica prima ad reliquas disciplinas practicas“ (Baumgarten (), § , S. ). Vgl. Kobusch (), S. ff.
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vermutlich auch Nettelbladt) Einfluss auf Kant gehabt.⁴³ Auf Achenwall zum Beispiel (oder auch G. F. Meier) geht Kants berühmte Unterscheidung zwischen empirischem und intelligiblem Besitz zurück.⁴⁴ Die Besitzlehre Kants spielt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle. Denn dank der Arbeiten von R. Brandt,W. Kersting, J. Hruschka und M. Kaufmann sind die historischen Hintergründe dieses Lehrstücks der kantischen praktischen Philosophie gut erschlossen.⁴⁵ Schließlich kann man darauf hinweisen, dass von den fünf oder sechs Kommentaren zur Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, die es mittlerweile weltweit gibt, einzig derjenige von H. E. Allison in Ansätzen das leistet, was ein Kommentar doch zumindest auch leisten muss – wie es etwa E. Gilson beispielgebend in seinem berühmten Commentaire zum Discours de la méthode Descartes‘ getan hat –, nämlich den historischen Hintergrund des zu erklärenden Textes aufzuhellen.⁴⁶ Allison hat das zwar nicht ad litteram getan, aber doch in seinen „Preliminaries“ auf die grundlegende Rolle der Wolffschule hingewiesen. Diese Hinweise mögen hier genügen, um es wahrscheinlich zu machen, dass Kants Idee von einer Metaphysik der Sitten, die er selbst auch „Metaphysik der Freiheit“ (V-Mo/Mron II, Ak. 29, S. 599) nennt, in einen breiten Strom des zeitgenössischen Denkens eingebettet ist, welches selbst seine Wurzeln im scholastischen Denken, sowohl in der Hochscholastik wie in der Spanischen Scholastik, hat. Warum diese Tradition in einem großen Teil bisheriger Interpretationen der kantischen Philosophie vernachlässigt wurde, liegt auf der Hand. Denn Kant hat sich von Anfang an von dieser hier aufgewiesenen Tradition distanziert. Schon 1770 ist diese Distanz gegenüber der „vermischten Sittenlehre“ Wolffs, aber auch der gesamten traditionellen metaphysica moralis, zu bemerken. Denn er nimmt sich jetzt vor, die „Untersuchungen über die reine moralische Weltweisheit“ durchzuführen, in denen „keine empirische principien anzutreffen sind und gleichsam die Metaphysic der Sitten, in Ordnung zu bringen u. auszufertigen“ (Br, Ak. 10, S. 97). Die philosophia practica universalis Wolffs aber hat nicht den „reinen Willen“ (GMS, Ak. 4, S. 390), sondern das Wollen überhaupt zum Gegenstand. Beachtet man alle Äußerungen Kants zu diesem Thema, besonders auch in der Moral Mrongovius, wie sie gerade S.-K. Lee gesammelt hat,⁴⁷ dann kann kein
Vgl. Kuehn (). Vgl. Byrd (), S. ff. Auf Meier verweist Kobusch (), S. . Kaufmann (), S. hat die Unterscheidung sogar bis zur Spanischen Scholastik (Molina) zurückverfolgt. Vgl. Brandt (); Kersting (²); Hruschka (); Kaufmann (). Allison (). Lee (), S. ff.
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Zweifel darüber bestehen, dass Kant einerseits von der Grundidee der – wie er sie selbst nennt – „allgemeinen praktischen Philosophie“ tief beeinflusst ist, andererseits ihr seine „Metaphysik der Sitten“ als die Lehre von dem durch reine Bestimmungsgründe bewegten Willen, also von den Prinzipien eines möglichen reinen Willens, gegenüberstellt. Doch ist diese Gegenüberstellung nicht im Sinne eines konträren Gegensatzes zu verstehen. Vielmehr erscheint die kantische Idee einer Metaphysik der Sitten, insofern sie den Unterschied zwischen dem Apriorischen und Empirischen bedenkt, als die spezifizierte Form der philosophia practica universalis. Sie ist gewissermaßen das Besondere gegenüber dem Allgemeinen. Ein Weiteres kommt hinzu, was die Nähe der Metaphysik der Sitten Kants zur philosophia practica universalis – trotz der Selbstdistanzierung Kants – unterstreicht: Wie A. W. Wood, dem wir viele erhellende Darlegungen über die klassische deutsche Philosophie verdanken, gezeigt hat, ist die späte Schrift Kants, die Metaphysik der Sitten, trotz der jahrzehntelangen Vorarbeit in Wirklichkeit eine „neue Konzeption“ gerade im Vergleich zur Grundlegung. Denn Kant hat dieser neuen Konzeption nach die vom höchsten Prinzip der Moralität – das selbst freilich gänzlich a priori ist – ableitbaren Pflichten im Hinblick auf die allgemeine empirische Natur des Menschen entwickelt.⁴⁸ Wenn das aber richtig ist, dann stellt die Metaphysik der Sitten zugleich auch eine Art der (bewussten) Wiederannäherung an die Tradition der philosophia practica universalis dar. Darüber hinaus kann die Selbstdistanzierung Kants in der Grundlegung gegenüber Wolff und seiner Schule, die eher methodischer als inhaltlicher Art ist (transzendentale Methode versus mos geometricus), nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Inhalt der Metaphysik der Sitten, und zwar in beiden Teilen, überwiegend und bis in die Details aus der aufgewiesenen Tradition entnommen ist. Die Spuren dieses Einflusses sind überall zu greifen, sogar in jener Schrift, in der er sich von der philosophia practica universalis am deutlichsten distanziert: Die Metaphysik der Sitten, die Kant selbst noch immerhin „reine praktische Weltweisheit“ (GMS, Ak. 4, S. 410) nennt, untersucht im Unterschied zur ‚allgemeinen praktischen Weltweisheit‘ die „Idee und die Principien eines möglichen reinen Willens“ (GMS, Ak. 4, S. 390). Ein Ergebnis dieser Untersuchung ist, dass ein reiner, das heißt ein guter,Wille allein jener Wille sein kann, der sich selbst ein Gesetz ist, das heißt dessen Maximen für eine allgemeine Gesetzgebung tauglich sind. Kant sieht es als die Aufgabe der Metaphysik an zu prüfen, ob das für alle vernünftigen Wesen, also auch für den göttlichen Willen, gilt. Will man aber die allgemeine Notwendigkeit
Vgl. Wood (), S. f.
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des moralischen Gesetzes für alle vernünftigen Wesen und damit die innere Verbindung zwischen dem objektiven Gesetz und dem Begriff des Willens überhaupt durchschauen, so muss man, wie Kant an einer bedeutsamen Stelle der Grundlegung sagt, „einen Schritt hinaus thun“ (GMS, Ak. 4, S. 426) zur Metaphysik der Sitten. Natürlich ist hier weder die später publizierte Schrift Kants gleichen Namens noch das historisch schon vorliegende Genre der metaphysica moralis gemeint, vielmehr die Idee einer Metaphysik, deren Gegenstand nicht das Seiende als solches, sondern gewissermaßen das Wollen als solches, genauer gesagt: das reine Wollen als solches, darstellt. Dieser Schritt in das Feld der Metaphysik der Sitten zeigt, was es mit dem Wollen eines Willens überhaupt, also mit dem menschlichen und göttlichen Wollen, auf sich hat.⁴⁹ Es kann nur als ein Wollen gedacht werden, das sich durch Vernunft, durch ein objektiv-praktisches Gesetz selbst bestimmt.⁵⁰ Immer wieder ruft Kant in diesem Zusammenhang in Erinnerung, dass es hier um die Selbstbestimmung des Willens vernünftiger Wesen überhaupt geht. So muss zum Beispiel auch der objektive Grund der Selbstbestimmung, den Kant den „Zweck“ nennt, „für alle vernünftigen Wesen gleich gelten“ (GMS, Ak. 4, S. 427). Als dieser objektive Zweck, der als objektives Prinzip eines jeden Willens angenommen werden muss, stellt sich das allgemein gesetzgebende vernünftige Wesen selbst heraus, das, insofern es einen absoluten Wert für jeden Willen darstellt, Person genannt wird und das zu „eine[m] ihm anhängenden sehr fruchtbaren Begriff, nämlich den eines Reichs der Zwecke“, das heißt der Personen, hinführt, in welchem der Mensch als allgemeingesetzgebender, aber dem Gesetz doch auch unterworfener Wille den Rang eines Gliedes einnimmt, während ein unabhängiger, keinem Willen eines anderen unterworfener Wille im Reich der Personen als „Oberhaupt“ (GMS, Ak. 4, S. 433 f.) angesehen werden muss.⁵¹ Es ist nun von entscheidender Bedeutung für das Metaphysische der Metaphysik der Sitten – nach dem mit Recht Kuehn in besonderer Weise fragt –⁵², dass
R. Brandt hat das richtig erkannt. Nach seiner Interpretation bezeichnet der von Kant angezeigte „Schritt“ (GMS, Ak. , S. ) den Übergang von der philosophia practica universalis zur Metaphysik der Sitten. Und zwar bestehe dieser Schritt allein darin, dass der Begriff eines Willens von vernünftigen Wesen überhaupt gewonnen wird. Vgl. Brandt (), S. . Vgl. GMS, Ak. , S. . Vgl. KU, Ak. , S. ff. „What makes the Metaphysics of Morals metaphysical?“ (Kuehn (), S. ) Freilich wird aus dem Kapitel nicht klar, was das Metaphysische denn nun ist. Denn Kuehn schränkt von vornherein die metaphysische Sicht ein auf „pure moral philosophy applied to human beings“. Nur aus dieser Sicht tritt die Frage, ob es Zwecke gibt, die zugleich Pflichten sind, in den Vordergrund. Doch hinter dieser Frage steckt das eigentlich metaphysische Problem, was die Struktur des Wollens überhaupt, also des menschlichen und göttlichen Willens, ausmacht. Die Antwort ist
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das moralische Gesetz, das in der Formel des kategorischen Imperativs in folgender Weise seinen Ausdruck findet: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ (GMS, Ak. 4, S. 429) – der ja gar nicht mehr nur formal ist –, dass also dieses Gesetz, freilich nicht in der Form eines Gebotes, auch für den göttlichen Willen gilt. Denn Kant hat ausdrücklich in der Kritik der praktischen Vernunft erklärt: „Diese Bedingung“ – nämlich ein vernünftiges Geschöpf nur dann als Mittel zu einem Zweck zu gebrauchen, wenn es zugleich auch als Zweck an sich selbst angesehen wird – „legen wir mit Recht sogar dem göttlichen Willen, in Ansehung der vernünftigen Wesen in der Welt, als seiner Geschöpfe, bei“ (KpV, Ak. 5, S. 87). Die moralischen Gesetze sollen nach dieser Idee „für jedes vernünftige Wesen überhaupt gelten“ (GMS, Ak. 4, S. 412). Man könnte versucht sein, solche und ähnliche Bemerkungen Kants als metaphysische Spekulation beiseitezuschieben. Doch in Wirklichkeit geht es hier um das Wesen des Moralischen. Zugleich sind historische Implikationen im Spiel, die für das neuzeitliche Denken insgesamt von großer Wichtigkeit sind. In dieser Lehre Kants von dem gleichen Gültigkeitswert des Moralischen für den menschlichen wie den göttlichen Willen zeigt sich nämlich der Einfluss der Moralisierung des Gottesbegriffs durch Leibniz. Denn es war Leibniz, der in dieser Deutlichkeit zum ersten Mal auf die Einseitigkeit des Gottesverständnisses der aristotelischen Tradition hinwies, nach dem er nur als Herr der Natur, als unbewegter Beweger, als Naturgott angesehen wurde. Im Reich der Geister dagegen, im Reich der Personen, der Gnade, der Freiheit, in der moralischen Welt – Begriffe, die Kant durchweg rezipiert hat –, muss Gott nicht nur als Ursache aller Wesen, sondern als das mit Willen und moralischen Eigenschaften ausgestattete „Oberhaupt“ verstanden werden.⁵³ Leibniz hat darüber hinaus im Verbund mit dem englischen Deismus, mit H. S. Reimarus und anderen Aufklärern gegen die nominalistischen Perversionen des Gottesbegriffs die Univozität des Moralischen zur Geltung gebracht. Die Grundlage der falschen Gottesvorstellung, die Leibniz bei den Nominalisten und in der Folgezeit sowohl bei protestantischen wie auch katholischen Theologen erkannt hat, ist aber die Ansicht, dass im Bereich des Moralischen eine Analogie der Begriffe möglich sei, so als ob Gottes Gerechtigkeit und Güte ganz anderen Regeln unterliege als die entsprechenden Eigenschaften des Menschen. Wenn die Rede aus der Grundlegung bekannt: Wollen überhaupt besagt, sich einen Zweck zu setzen. Es gibt einen notwendigen, objektiven Zweck für jegliches Wollen: die Person, die für alle vernünftigen Wesen, d. h. Menschen, Engel und Gott, einen Zweck an sich selbst darstellt, weil sie absoluten Wert besitzt. Vgl. Kobusch () und ().
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von der Gerechtigkeit und Güte Gottes einen verbindlichen Sinn haben soll, dann muss der Grund dieser Rede, ebendas Wesen der Gerechtigkeit selbst, „Gott und den Menschen gemeinsam sein“. Es ist zwar ganz unbezweifelbar, dass es beträchtliche Unterschiede zwischen der vollkommenen Gerechtigkeit Gottes und der unvollkommenen der Menschen gibt, aber „dieser Unterschied ist nur ein gradueller“. Im Reich der Freiheit oder der Gnade kann es Stufen der Freiheit geben, aber kein qualitativ Verschiedenes. Das ist die Leibniz’sche Lehre von der ‚justitia universalis‘. Sie ist trefflich zusammengefasst in einem Satz der Theodizee: „Le droit universel est le même pour Dieu et pour les hommes“⁵⁴. Sie ist zugleich die allgemeine, gegen den Nominalismus der Spätscholastik gerichtete Überzeugung der Zeit, die auch im Denken der Klassischen Deutschen Philosophie aufgenommen wurde, ehe sie durch S. Kierkegaards Furcht und Zittern, genauer gesagt: durch die Lehre von einer der Welt des Moralischen enthobenen religiösen Existenz, erneut in Frage gestellt wurde. Im Hintergrund dieser Problematik steht die von Platon aufgeworfene Frage, ob das Gute gut ist, weil es die Götter wollen, oder ob sie das Gute wollen, weil es in sich gut und wertvoll ist. Im Verlauf des späten Mittelalters und des 17. und 18. Jahrhunderts kommt es zu einer klassischen Gegenüberstellung. Der theologische Voluntarismus des 14. und 15. Jahrhunderts hat die Frage eindeutig beantwortet: „Nicht deswegen schreibt Gott das Gute vor, weil es gut ist oder verbietet das Schlechte, weil es schlecht ist, sondern deswegen ist es gut, weil es geboten und deswegen schlecht, weil es verboten ist“⁵⁵. Pufendorf hat einen gemäßigten Voluntarismus vertreten, indem er als das eigentliche Kriterium für das Sittliche die Übereinstimmung mit dem Naturgesetz annahm, zugleich aber dieses auf den Willen Gottes als den Urheber zurückführte. Daher ist seine Position, die er selbst der These vom Ansichsein des sittlich Guten seines literarischen Gegners V. Veltheim entgegenstellt, am besten bündig in einem Satz seiner Streitschriften ausgedrückt: „Der letzte Grund dafür, weswegen zu tun ist, was durch das Naturgesetz vorgeschrieben wird, ist der Wille und Befehl des Schöpfers“⁵⁶. Diese voluntaristische Lehre wird von Leibniz, von den deistischen Autoren, von Wolff und seiner Schule einer unmissverständlichen Kritik unterzogen: Das sittlich Gute ist nicht deswegen gut, weil Gott es will, sondern es wird gewollt von einem jeglichen Willen,weil es in sich gut ist. Die Spuren dieser Auseinandersetzung sind im Werk Kants unübersehbar.⁵⁷ Sie sind auch da deutlich zu erkennen, wo Kant Leibniz (), § , S. . Petrus de Alliaco (), I Sent., q. (unfoliert). Pufendorf (), S. . „Jedermann muß eingestehen, daß ein Gesetz, wenn es moralisch, d. i. als Grund einer Verbindlichkeit, gelten soll, absolute Nothwendigkeit bei sich führen müsse; daß das Gebot: du sollst
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jegliche Form des Moralpositivismus ablehnt.⁵⁸ Die antivoluntaristische Haltung Kants führt schließlich zu der bedeutungsvollen Bestimmung, dass das, was das objektive Prinzip des menschlichen Willens ausmacht, nämlich die Person als Zweck an sich selbst (die somit nie als bloßes Mittel gebraucht werden darf), auch für den göttlichen Willen einen Zweck an sich selbst darstellt.⁵⁹
3 Die Kategorien der Freiheit 3.1 Zur Geschichte der Freiheitskategorien In diesen Kontext der Metaphysik des Willens beziehungsweise der kantischen Rezeption der Metaphysik der Freiheit gehört auch das Lehrstück von den Kategorien der Freiheit. Die Idee von den dem Bereich des Moralischen eigenen und für
nicht lügen, nicht etwa bloß für Menschen gelte, andere vernünftige Wesen sich aber daran nicht zu kehren hätten, und so alle übrige eigentliche Sittengesetze“ (GMS, Ak. , S. ). „[…] weil moralische Gesetze für jedes vernünftige Wesen überhaupt gelten sollen“ (GMS, Ak. , S. ). „Denn da Sittlichkeit für uns bloß als für vernünftige Wesen zum Gesetze dient, so muß sie auch für alle vernünftige Wesen gelten“ (GMS, Ak. , S. ). „Dieses Princip der Sittlichkeit nun, eben um der Allgemeinheit der Gesetzgebung willen, die es zum formalen obersten Bestimmungsgrunde des Willens unangesehen aller subjectiven Verschiedenheiten desselben macht, erklärt die Vernunft zugleich zu einem Gesetze für alle vernünftige Wesen, so fern sie überhaupt einen Willen […] haben. […] Es schränkt sich also nicht blos auf Menschen ein, sondern geht auf alle endliche Wesen, die Vernunft und Willen haben, ja schließt sogar das unendliche Wesen als oberste Intelligenz mit ein.“ (KpV, Ak. , S. ) „Wie unendlich wichtig ist es aber nicht, die Kinder von Jugend auf das Laster verabscheuen zu lehren, nicht gerade allein aus dem Grunde, weil Gott es verboten hat, sondern weil es in sich selbst verabscheuungswürdig ist! […] Gott ist das heiligste Wesen und will nur das, was gut ist, und verlangt, daß wir die Tugend ihres innern Werthes wegen ausüben sollen und nicht deswegen, weil er es verlangt.“ (Päd, Ak. , S. ) Siehe z. B. die Reflexion zur Moralphilosophie: „Gott macht nicht (er gibt sie) die moralischen Gesetze oder Verbindlichkeit, sondern sagt nur, daß sie die Bedingungen seines gütigen Willens seyn“ (Refl, Ak. , S. ), oder : „Gott ist nicht durch seinen Willen der Auctor des moralischen Gesetzes, sondern der (göttliche) Wille ist das moralische Gesetz, nemlich das Urbild des vollkommensten Willens“ (Refl, Ak. , S. ). „[…] also dieses (sc. vernünftige Wesen) niemals blos als Mittel, sondern zugleich selbst als Zweck zu gebrauchen. Diese Bedingung legen wir mit Recht sogar dem göttlichen Willen in Ansehung der vernünftigen Wesen in der Welt als seiner Geschöpfe bei, indem sie auf der Persönlichkeit derselben beruht, dadurch allein sie Zwecke an sich selbst sind.“ (KpV, Ak. , S. ) Und: „Daß in der Ordnung der Zwecke der Mensch (mit ihm jedes vernünftige Wesen) Zweck an sich selbst sei, d. i. niemals blos als Mittel von jemanden (selbst nicht von Gott), ohne zugleich hiebei selbst Zweck zu sein, könne gebraucht werden, daß also die Menschheit in unserer Person uns selbst heilig sein müsse, folgt nunmehr von selbst“ (KpV, Ak. , S. ).
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ihn zuständigen Kategorien beziehungsweise vom Unzureichenden der 10 aristotelischen Kategorien ist schon sehr alt. Im 12. Jahrhundert wird von Dekretisten und Kanonisten das von ihnen entdeckte subjektive Recht des Menschen ein extrapraedicamentale genannt, weil es mit den herkömmlichen aristotelischen Naturdingkategorien nicht zu fassen ist. Es gibt ein logisches Kompendium aus dem Porretanerkreis (1155 – 1170), das erstmals solche Kategorien des Moralischen entwickelt.⁶⁰ Was diese anonyme Schrift zu einem wahrhaft bedeutenden, ja wegweisenden Zeugnis für die künftige Willensmetaphysik macht, ist, dass hier in aller Deutlichkeit die Begrenztheit der Gültigkeit der aristotelischen Kategorien erkannt ist. Die zehn Kategorien des Aristoteles gelten nur bezogen auf die Welt der Naturdinge. Darin besteht die Errungenschaft dieser kleinen porretanischen Schrift, erstmals in der Philosophiegeschichte Kategorien des Moralischen entwickelt zu haben, die freilich nicht nur die Welt der menschlichen Handlungen, sondern auch des Artifiziellen, des vom Menschen Hergestellten umfasst (und auch des Logischen), und zwar in Analogie zu den Naturkategorien. Auf die Frage, wie groß Sokrates sei, kann naturdinggemäß geantwortet werden: 160 cm. Im Leben freilich antwortete man eher: Er ist ‚kurz‘ oder ‚klein‘. Die Frage, wann Sokrates komme, kann im Sinne der Naturkategorie präzis mit ‚heute‘ oder ‚morgen‘ oder ‚übermorgen‘ beantwortet werden, aber moralisch, das heißt auf die Lebenswelt bezogen, kann auch gesagt werden: ‚am Markttag‘ oder ‚am Geburtstag‘ oder ‚an Ostern‘. Die Frage ‚Wo?‘ fragt eigentlich nach dem Unten oder Oben, nach dem Hinauf oder Hinunter von Gegenständen, moralisch aber kann sie auch nach dem ‚Vaterland‘, dem ‚Zuhause‘, also nach dem gelebten Ort fragen. Das ‚Haben‘ als Naturkategorie meint traditionell das Anhaben von Kleidern und Ähnlichem, moralisch bezeichnet es den Besitz eines Gegenstandes beziehungsweise das Eigentum.⁶¹ Was ansatzweise in diesem Text des 12. Jahrhunderts gedacht wurde, das hat dann Pufendorf durch seine systematisch durchgeführte Kategorisierung der moralischen Welt vollendet. Personen, Handlungen und moralische Dinge, aus denen diese Welt vor allem besteht, werden jetzt, das heißt im 1. Buch von De jure naturae et gentium (1672), nach dem Vorbild der aristotelischen Kategorien in „Klassen“ eingeteilt. Und dies ist nicht etwa eine Einteilung unter vielen anderen, sondern die in Europa schlechthin repräsentative. Heute, da die Werke Pufendorfs
Compendium Logicae Porretanum ex codice Oxoniensi Collegii Corporis Christi : A Manual of Porretan Doctrine by a Pupil of Gilbert’s (), zur Datierung S. vii. Die moralischen Kategorien sind zwar stringent erst in dem „Appendix“ der Schrift entwickelt (vgl. ebd., S. ff.) – siehe auch die aufschlussreichen „tabulae“ am Ende der Schrift –, aber auch in der Schrift selbst werden immer wieder einzelne moralischen Kategorien genannt. Vgl. Jakobi ().
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kaum mehr gelesen werden, ist auch nicht mehr bewusst, was für eine große Wirkung diese hatten. Um 1750 herum war das Hauptwerk in nicht weniger als dreizehn europäische Sprachen übersetzt. Überall in Deutschland wurde es, beziehungsweise die Kurzfassung De officio hominis et civis iuxta legem naturalem, die 1673 erschien und 1691 ins Deutsche und 1715 ins Englische übersetzt wurde, den moralphilosophischen und politologischen Vorlesungen in Tübingen, Helmstedt und anderswo zugrunde gelegt, freilich auch ebenso weit verbreitet und heftig kritisiert. Es gibt einen schönen literarischen Beleg für diese weite Verbreitung der Pufendorf’schen Ideen. In Kleists Der zerbrochne Krug sagt der Dorfrichter Adam: „Die Welt, sagt unser Sprichwort, wird stets klüger / Und alles liest, ich weiß, den Puffendorf [sic]“⁶². Tatsächlich sind die Ideen Pufendorfs, und das heißt immer auch: seine Lehre von den entia moralia, im 18. Jahrhundert auf breiter Ebene rezipiert worden und in das Naturrecht des 18. Jahrhunderts eingeflossen. Sie haben so vermittelt über Autoren wie Achenwall beziehungsweise Nettelbladt und Heineccius und nicht zuletzt Leibniz auch die Werke Kants und Hegels tiefgreifend beeinflusst. Gerade ein Vergleich mit Pufendorfs Lehre von den Kategorien des Moralischen kann uns das Eigentümliche der kantischen Tafel der Kategorien der Freiheit vor Augen führen. Pufendorf hat mit seiner Einteilung die gesamte Welt des Moralischen zu kategorisieren beansprucht. Neben den die Person selbst betreffenden Kategorien, wie den verschiedenen Status, ihren Titeln, ihrer Macht, ihrem Recht, ihrer Achtung usw. werden auch kategoriale Bestimmungen ihrer Handlungen wie zum Beispiel Notwendigkeit und Erlaubnis und schließlich auch Kategorien der moralischen Dinge wie der Preis oder Eigentum beziehungsweise Gemeinbesitz unterschieden. Was Pufendorf in der Form einer systematisierten Kategorienlehre des moralischen Seins an den Beginn seines Hauptwerkes De jure naturae et gentium gestellt hat, das hat Canz in Form eines Compendiolum Metaphysicae Moralis, das 1752 seinen Disciplinae Morales als Appendix angehängt wurde, aufgenommen⁶³ und somit, da Knutzen, der Lehrer Kants, diesen Autor zitiert, in das geistige Umfeld Kants gebracht, dessen Kategorienlehre aufgrund des stärkeren Einflusses anderer Wolffianer zwar ein anderes Aussehen hat, gleichwohl aber einzelne Elemente aus dieser Tradition enthält.
von Kleist (), IV. f. Canz (), S. – . Zur Rolle Canz’ in der Aufklärungsbewegung der Tübinger Universität siehe Zenker (), S. ff.
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3.2 Kants Kategorientafel Verglichen mit dieser traditionellen Lehre von den Kategorien des Moralischen erscheint Kants Tafel der Kategorien der Freiheit als eine Zuspitzung. Denn es geht bei Kant allein um Kategorien der Willenstätigkeit beziehungsweise Willensbestimmung. Das ist freilich in der modernen Kant-Forschung, soweit sie sich überhaupt um dieses Lehrstück kümmert, umstritten. So haben S. Bobzien und andere die These vertreten, die Kategorien der Freiheit bezögen sich, parallel zur Funktion der theoretischen Kategorien, auf Handlungen als Erscheinungen.⁶⁴ Doch für Kant ist das Entscheidende an einer freien Handlung nicht, dass sie in einer äußeren Tat erscheint. Vielmehr liegt dies darin, dass sie eine Willenshandlung ist, die eine Gesinnung hervorbringt.⁶⁵ Eine Parallele zur Tafel der theoretischen Kategorien steht unbestritten fest: Wie die Naturkategorien das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauungen unter ein Bewusstsein a priori bringen, so wird durch die Freiheitskategorien das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit der durch das moralische Gesetz gebietenden Vernunft unterworfen. Alle darüber hinausgehenden Parallelen sind umstritten. C. Graband hat denn auch die Parallelen auf diese Minimalanalogie reduziert: „Hierin erschöpft sich jedoch die parallele Konzeption von Funktion und Aufgabe der beiden Kategorientafeln bereits“⁶⁶. Sie hat darüber hinaus mit guten Gründen die Gegenthese aufgestellt: Worauf es bei den Freiheitskategorien jedoch ankommt, ist die zum intelligiblen Charakter gehörende, die Handlung als Erscheinung erst ermöglichende und darum vorrangig zu beurteilende Willensgesinnung. Nur diese wird von den Kategorien der Freiheit konstituiert, nicht eine Handlung in ihrer Erscheinung.⁶⁷
Ich war vor Jahren schon zu demselben Ergebnis gekommen, dass die Freiheitskategorien nur den internen Prozess der Willensbildung betreffen.⁶⁸ Graband hat in ihrer Besprechung wichtiger Beiträge zu diesem Thema die neueste Forschung einer kritischen Revision unterworfen, darunter auch die Arbeit von Zimmermann, obwohl darin der „Ausblick auf die Ausübung“ der Kausalität des Willens als eine Vgl. Bobzien (); Kontos (). Der Gegensatz von „That“ und „Gesinnung“ erscheint noch in Kants späten Reflexionen zur Moralphilosophie, etwa : „Die äußere rechtmäßigkeit der Handlungen geht nur auf die That und heißt legalität, die innere auf die Gesinnung, aus welcher sie entsprungen und auf das princip und heißt moralitaet“ (Refl, Ak. , S. ). Graband (), S. . Ebd., S. . Kobusch ().
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Willensbestimmung gerade ausgeschaltet wird. Sie kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass der durch die Kategorien der Freiheit konstituierte Gegenstand „in keinem Fall ein in der Erscheinung auftretendes Objekt sein kann, sondern ausschließlich die als innere betrachtete Willensgesinnung“⁶⁹. Kant hat auch selbst auf diesen Gegensatz der theoretischen und praktischen Philosophie verwiesen, insofern die theoretische Erkenntnis auf die Gegenstände der Erfahrung beschränkt ist, die praktische dagegen von allen empirischen Bestimmungsgründen absieht und sich, auch wenn gar kein „Gegenstand der Erfahrung“, das heißt gar keine äußere Tat, vorliegt, ganz auf die Gesinnung des Willens konzentriert und sich somit unmittelbar im Reich der Metaphysik, das ist der „vernünftigen Wesen überhaupt“, bewegt.⁷⁰ Kant hat darüber hinaus sehr deutlich darauf hingewiesen, dass, da den Kategorien der Freiheit die „Form eines reinen Willens“, das heißt wie Chr. F. Michaelis erläutert, die Idee reinsittlicher Güte als ursprünglich im vernünftigen Selbstbewusstsein gegeben zum Grunde liegt,⁷¹ „es in allen Vorschriften der reinen praktischen Vernunft nur um die Willensbestimmung“ (KpV, Ak. 5, S. 66), also um die Willensgesinnung beim Entschluss zu tun ist, nicht um die Naturbedingungen der äußerlichen Ausführung. Und auch in der Kritik der praktischen Vernunft wird insofern von der praktischen „objectiven Realität“ gesprochen, „als es nur auf das Wollen ankommt“ (KpV, Ak. 5, S. 15). Wir halten nach all dem fest: Für Kant besteht die Handlung vom Gesichtspunkt der ethischen Gesetzgebung allein im Wollen – das scheint inzwischen auch allgemein konsensfähig zu sein.⁷² Die aus der theoretischen Philosophie übernommene Vorstellung der „Erscheinung“ der Handlung ist hier fehl am Platze. Sie rückt freilich wieder in den Vordergrund, wenn es um das Äußere der Handlung geht, wenn also die Handlung unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Gesetzgebung betrachtet wird. Diese vom moralischen Standpunkt aus vollzogene Restriktion der Handlung auf den Willen ist es, was die kantische Philosophie mit der mittelalterlichen Willenslehre verbindet.
Graband (b), S. . Siehe dazu Kants Reflexion zur Moralphilosophie: „Es ist hier nun der Unterschied, daß da im theoretischen Erkentnis die Begriffe keine Bedeutung und die Grundsätze keinen Gebrauch als nur in Ansehung der Gegenstände der Erfahrung haben, im practischen dagegen viel weiter, nämlich auf alle vernünftige Wesen überhaupt gehen und von allen empirischen Bestimmungsgründen unabhängig, ja, wenn ihnen auch kein Gegenstand der Erfahrung korrespondirte, die bloße Denkungsart und Gesinnung nach Principien schon genug ist“ (Refl, Ak. , S. ). Vgl. Michaelis (/). Die Bedeutung der Freiheitskategorien liegt nach Puls darin, „dass sie im willensintrinsischen Vorgang der Herausbildung einer Handlungsabsicht eine ordnende Funktion innehaben“. Puls (), S.
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Der Begriff der Willensgesinnung verdeutlicht darüber hinaus ein Übriges: Er steht für das, was einer empirisch unbedingten Kausalität, ebender Kausalität durch Freiheit, eine wirkliche Anwendung, das heißt „Bedeutung“ und dies wiederum: objektive Realität, freilich nicht für die theoretische Vernunft, sondern in praktischer Rücksicht, gibt. Während also die theoretischen Kategorien als bloße Gedankenformen nur in der Anwendung auf Gegenstände, die uns in der Anschauung gegeben werden können, objektive Realität bekommen, haben die Kategorien der Freiheit, soweit ihnen die Form eines reinen Willens zugrunde liegt, schon dadurch objektive Realität, dass sie Formen der Willensbestimmung sind und die Wirklichkeit der Willensgesinnung selbst hervorbringen.
3.3 Was ist objektive praktische Realität? Der zentrale Begriff, durch den das Anliegen der kantischen praktischen Philosophie insgesamt ausgedrückt wird, ist der der objektiven Realität im Bereich des Praktischen. Er ist ein schon immer und auch heute noch weithin unverstandener Begriff. An seinem rechten Verständnis aber hängt Wohl und Weh der Interpretation der praktischen Philosophie Kants. Das zeigt sich schon in den frühen Untersuchungen ueber Kants Kritik der practischen Vernunft von G. U. Brastberger, die, auf der ständigen Suche nach dem wirklichen Ding an sich im Praktischen, gerade an der Bedeutung und am Nutzen der praktisch objektiven Realität schier verzweifeln, die als ein der Vorstellung Untergeordnetes angesehen wird.⁷³ Was gar nicht mit der kantischen Lehre übereinstimmt, ist der Satz, dass all unser „wirkliches Wollen und Sollen […] nur ein vorgestelltes gedachtes Wollen und Sollen“ und somit auch das „absolute, Unbedingte, das unser Wollen bestimmt, […] auch nur etwas Gedachtes“⁷⁴ sei. Wenn dann die „practische Realität“ als eine „Art von sinnlicher Darstellung eines blossen Gedankens“⁷⁵ bestimmt wird, hat sich der Kant-Interpret ganz weit von Kant entfernt. Der Begriff der praktisch objektiven Realität ist offenkundig in Analogie zu dem der objektiven Realität im Bereich des Theoretischen gebildet. Es gilt also, einerseits das Übereinstimmende beider Begriffe wahrzunehmen, andererseits die besondere Nuance des Praktischen zu bedenken. Im Bereich des Theoretischen ist die objektive Realität ausschließlich eine Bestimmung des Begriffs, weswegen Kant immer von der objektiven Realität des Begriffs spricht; aber diese Bestim-
Vgl. Brastberger (), S. , f., . Ebd., S. . Ebd., S. .
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mung betrifft, im Unterschied zur „subjektiven Realität“ der Zeit etwa, den Gegenstand. Die objektive Realität des Begriffs drückt genauer gesagt die Möglichkeit des Gegenstandes aus, die von der bloß logischen Möglichkeit des Begriffs zu unterscheiden ist: „Was sich nicht widerspricht, ist logisch möglich; das heißt, der Begriff ist zwar möglich, aber es ist keine Realität da.Von dem Begriff heißt es also: er hat keine objective Realität“ (V-Met-L2/Pölitz, Ak. 28, S. 544). Man muss also zwei Arten der Möglichkeit unterscheiden: die logische und die reale – „Denn die Möglichkeit des Begriffs von einer Sache (daß er sich nicht widerspricht) ist noch nicht hinreichend dazu, um die Möglichkeit der Sache selbst (die objective Realität des Begriffs) anzunehmen“ (MSTL, Ak. 6, S. 382). Die Sache, von der der Begriff möglich, also nichtwidersprüchlich, ist, ist noch lang keine mögliche Sache. ‚Die Sache ist möglich‘ bedeutet, dass ihrem Begriff objektive Realität zukommt. ‚Der Begriff ist möglich‘ aber besagt, dass ihm die logische Möglichkeit im Sinne der Nichtwidersprüchlichkeit zukommt. Hier ist bei Kant deutlich der Einfluss des schulphilosophischen und zuletzt des mittelalterlichen Möglichkeits- beziehungsweise Realitätsbegriffs und der Possibilienlehre spürbar. Denn Realität hängt, woran schon Heidegger erinnert hat, mit dem Begriff der res zusammen, res aber bedeutet alles das, was sein kann, nicht nur das aktuell Vorliegende. Res ist das, was einen Sachgehalt hat, so dass es zur Existenz geeignet ist. Die objektive Realität des Begriffs ist in diesem Sinne der Sachgehalt der Sache, der als solcher ein Mögliches ist.⁷⁶ Die bloß logische Möglichkeit, die als solche keinen Sachgehalt ausdrückt, wird folgerichtig bei Kant auch nie die logische Realität genannt. Realität ist also immer ein Mögliches, aber nicht jede Art der Möglichkeit ist eine Realität. Nun kann nach Kant – worin die Pioniertat seiner theoretischen Philosophie gegenüber der Possibilienlehre des Mittelalters und der Leibniz-Wolff’schen Philosophie besteht – die objektive Realität des Begriffs nur durch die Darstellung des dem Begriff korrespondierenden Objekts, das heißt nur indem ein korrespondierender Gegenstand in der Erfahrung aufgezeigt wird, bewiesen werden. Die reinen Begriffe des Verstandes, also die Kategorien der theoretischen Vernunft, erhalten ebendadurch und nur dadurch objektive Realität, dass sie „als an einem Gegenstande möglicher Erfahrung denkbar“ (FM, Ak. 20, S. 279) vorgestellt werden. Für unseren Zusammenhang ist es interessant, dass Kant schon in der Kritik der reinen Vernunft auf eine andere Möglichkeit hinweist, die objektive Realität
Zum schulphilosophischen und mittelalterlichen Hintergrund des Realitätsbegriffs siehe Courtine (a), Sp. und Arndt ().
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eines Begriffs zu beweisen, nämlich auf den Weg der praktischen Vernunft.⁷⁷ Die objektive Realität eines Begriffs kann ja immer nur durch reine Vernunft oder durch Erfahrung bewiesen werden.⁷⁸ Das gilt auch für die Begriffe der praktischen Vernunft. Nur ist hier nicht Erfahrung das, was sie im Bereich der Theorie ist. Die Erfahrung, die den sinnlich bedingten Begriffen der praktischen Vernunft, also den praktischen Kategorien, objektive Realität verschafft, kann nur eine Art Handlungserfahrung, eine praktische Erfahrung oder sittliche Erfahrung sein, niemals aber die Anschauung der Handlung als Erscheinung. Kant deutet diese Art der Erfahrung schon in der Kritik der reinen Vernunft an: Die reine Vernunft enthält also zwar nicht in ihrem speculativen, aber doch in einem gewissen praktischen, nämlich dem moralischen, Gebrauche Principien der Möglichkeit der Erfahrung, nämlich solcher Handlungen, die den sittlichen Vorschriften gemäß in der Geschichte des Menschen anzutreffen sein könnten. (KrV, B 835)
Wenig später wird sogar der praktische und moralische Gebrauch der Prinzipien der reinen Vernunft unterschieden, denen in beiderlei Gebrauch „objective Realität“ (KrV, B 836) zukommt. Wie aber die Erfahrung im theoretischen Bereich sich in der sinnlichen Anschauung konkretisiert, so findet auch der Begriff der Freiheit seine „wirkliche Anwendung“, die „sich in concreto in Gesinnungen oder Maximen darstellen läßt, d. i. praktische Realität, die angegeben werden kann“ (KpV, Ak. 5, S. 56). Gesinnungen und Maximen entsprechen also im Praktischen dem, was die sinnliche Anschauung im Theoretischen ist, nämlich das, was dem jeweiligen Begriff objektive Realität verschafft.⁷⁹ Genauer gesagt ist es freilich die objektive Realität der
„Um einem solchen Begriffe aber objective Gültigkeit (reale Möglichkeit, denn die erstere war bloß die logische) beizulegen, dazu wird etwas mehr erfordert. Dieses Mehrere aber braucht eben nicht in theoretischen Erkenntnißquellen gesucht zu werden, es kann auch in praktischen liegen.“ (KrV, B XXVI Anm.) „Begriffe, deren objective Realität es sei durch reine Vernunft, oder durch Erfahrung […] bewiesen werden kann, sind (res facti) Thatsachen“ (KU, Ak. , S. ). Munzel (), S. sagt ganz richtig, „that practical causality is realized in concreto in Gesinnungen or maxims“, und nennt die Maximen „the ‚embodiment‘ of the spirit of the law“. Hinsichtlich des Begriffs der Gesinnung muss unterschieden werden zwischen den einzelnen sittlichen Gesinnungen der Maximen und der „einzigen“ Gesinnung, die der „erste subjective Grund der Annehmung der Maximen“ darstellt und dem „ganzen Gebrauch der Freiheit“ zugrunde liegt (RGV, Ak. , S. ). Siehe dazu das Kapitel „Kant’s concept of Gesinnung“ in Allison (), S. ff., wo die Problematik ziemlich umfassend dargestellt wird, allerdings nicht umfassend genug, denn das Thema der angeborenen, gleichwohl erworbenen, also ursprünglich erworbenen, jedoch nicht in der Zeit erworbenen Gesinnung muss zusammen mit dem Problem der auch ursprünglich sich zugezogenen Schuld gesehen werden (vgl. Kapitel „Von dem Hange zum Bösen in
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reinen praktischen Vernunft, die allen übrigen Kategorien neben der Maxime ebendiese Art der Realität verleiht beziehungsweise verleihen kann. Denn sie wird durch das moralische Gesetz a priori als einem Faktum der reinen Vernunft, das heißt durch eine „unvermeidliche Willensbestimmung“ (KpV, Ak. 5, S. 55), erzeugt und allen übrigen Kategorien, sofern sie mit dem moralischen Gesetz in notwendiger Verbindung stehen – wie es in der Tafel der Freiheitskategorien angenommen wird – verliehen. Auch als praktische Realität behält sie jenen Charakter des Sachgehalts (res), der als solcher eine Möglichkeit darstellt. Bezeichnenderweise sagt Kant von der praktischen Realität: „die angegeben werden kann“ (KpV, Ak. 5, S. 56). In ähnlicher Weise wird sie an anderer Stelle erklärt als die mögliche Wirkung unserer Absicht.⁸⁰ Während also die objektive Realität der theoretischen Begriffe, das heißt der Verstandeskategorien, die Möglichkeit des (anschaubaren) Gegenstandes bezeichnet, ist mit der objektiven Realität der praktischen Begriffe, das heißt der Freiheitskategorien, nicht alles Woll- oder Wünschbare überhaupt, sondern – im Sinne realer Möglichkeit – die mögliche Bestimmung a priori der Handlungen, das heißt der Willenshandlungen, gemeint. Was nun im Zusammenhang des Begriffs der objektiven Realität obendrein von Bedeutung ist, ist die Tatsache, dass Kant sie auch jenen Begriffen zuschreibt, denen im Bereich sinnlicher Erfahrung nie ein Gegenstand entsprechen kann, das heißt den Vernunftideen. Unter ihnen nimmt der Begriff der Freiheit eine Schlüsselstellung ein, denn er ist nach den programmatischen Bemerkungen Kants in der „Vorrede“ zur Kritik der praktischen Vernunft der „Schlußstein“ (KpV, Ak. 5, S. 3) des gesamten Systems der reinen, auch der spekulativen,Vernunft; und die anderen Vernunftideen von Gott und Unsterblichkeit bekommen durch ihn objektive Realität, „d. i. die Möglichkeit derselben wird dadurch bewiesen, daß Freiheit wirklich ist“ (KpV, Ak. 5, S. 4), wie es das moralische Gesetz in uns offenbart.⁸¹
der menschlichen Natur“ in RGV, Ak. , S. ff.) und obendrein auch mit dem entsprechenden Problem der theoretischen Philosophie, wie die Vorstellungen, sei es der Anschauung, sei es der Verstandesbegriffe, als ursprünglich erworben gedacht werden können (vgl. ÜE, Ak. , S. ). „[…] um einem Zwecke, […] gleichfalls nur praktische Realität zu verschaffen, d. i. nur eine beabsichtete Wirkung als möglich denken zu können.“ (KU, Ak. , S. ) „[…] nun aber der Begriff einer empirisch unbedingten Causalität theoretisch zwar leer (ohne darauf sich schickende Anschauung), aber immer doch möglich ist und sich auf ein unbestimmt Object bezieht, statt dieses aber ihm doch an dem moralischen Gesetze, folglich in praktischer Beziehung, Bedeutung gegeben wird, so habe ich zwar keine Anschauung, die ihm seine objective theoretische Realität bestimmte, aber er hat nichts desto weniger wirkliche Anwendung, die sich in concreto in Gesinnungen oder Maximen darstellen läßt, d. i. praktische Realität, die angegeben
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3.4 Voraussetzungen der Freiheitskategorien Die Kategorien der Freiheit betreffen allerdings, wie Kant hervorhebt, die praktische Vernunft überhaupt. Sie haben als solche eine Funktion, die der der theoretischen Kategorien analog ist. Während die theoretischen Kategorien die mannigfaltigen sinnlichen Anschauungen im Dienst des apriorischen Bewusstseins zu einer Einheit zusammenfassen, so dass jegliche Vorstellung durch das ‚Ich denke‘ begleitet werden kann, werden durch die praktischen Kategorien die mannigfaltigen Begehrungen der Einheit des Bewusstseins eines reinen Willens a priori unterstellt, so dass gewissermaßen jegliche Willensäußerung durch das ‚Ich will‘ beziehungsweise ‚Ich soll‘ begleitet werden kann. Wie die ursprüngliche Apperzeption als theoretisches Selbstbewusstsein alle Vorstellungen in sich vereinigt, so stellt das unbedingte Gesetz als praktisches Selbstbewusstsein⁸² den Vereinigungspunkt aller Begehrungen dar.⁸³ Wie die theoretischen Kategorien – traditionell, aber auch nach Kant – Bestimmungen der Gegenstände sind, so müssen die praktischen Kategorien als Bestimmungen „einer freien Willkür“ gedacht werden, die, wie Kant sagt, „ein reines praktisches Gesetz a priori zum Grunde liegen hat“ (KpV, Ak. 5, S. 65) oder, wie es wenig später heißt, die „Form eines reinen Willens“ als ein dem „Denkungsvermögen“, also der endlichen praktischen Vernunft, Immanentes als „gegeben zum Grunde liegen“ (KpV, Ak. 5, S. 66) hat. Was hier als zugrunde Liegendes angenommen wird, verdankt sich – wohlgemerkt – einer Setzung des methodischen Bewusstseins. Denn um die Ausgangsfrage der zweiten Kritik, ob denn reine Vernunft den Willen bestimmen könne oder nur die empirisch bedingte, beantworten zu können, war es notwendig, im Sinne eines „Paradoxons der Methode“ (KpV, Ak. 5, S. 62) nicht den Begriff des Guten und Bösen im Sinne von Gegenständen für die Willenshandlung dem moralischen Gesetz zugrunde zu legen, sondern umgekehrt das moralische Gesetz als bestimmenden Ermöglichungsgrund der Begriffe des Guten und Bösen anzunehmen und im Sinne eines Gedankenexperimentes zu prüfen, ob sich so ein innerer Widerspruch ergibt. Andernfalls nämlich, wenn also, wie die traditionellen Ethiken es getan haben, ein Objekt des Willens wie zum Beispiel die Glückseligkeit oder die Vollkommenheit oder der Wille Gottes als Grund des Gesetzes und Bestimmungsgrund des Willens angenommen wird, müssen die Begriffe des Guten und Bösen unweigerlich im werden kann; welches denn zu seiner Berechtigung selbst in Absicht auf Noumenen hinreichend ist.“ (KpV, Ak. , S. ) Vgl. KpV, Ak. , S. . Siehe dazu Stolzenberg (), S. : „In so far as the moral-practical self identifies itself with these rules, […] i. e. the categories of freedom“. Vgl. Zimmermann (), S. ; Pieper (), S. .
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Sinne empirischer Begriffe gedacht werden – weil alle Bestimmungsgründe des Willens außer dem reinen Vernunftgesetz „insgesammt empirisch sind“ (KpV, Ak. 5, S. 93) –, so dass eine Prüfung, ob der Wille nicht auch reine Bestimmungsgründe a priori habe, von vornherein unmöglich wäre. Es ist somit schon methodologisch notwendig, der freien Willkür den reinen Willen als bestimmendes Element zugrunde zu legen, von dem der Begriff des Guten und damit auch des Bösen abgeleitet werden muss. Deswegen nennt Kant die Begriffe des Guten und Bösen „Folgen der Willensbestimmung a priori“ (KpV, Ak. 5, S. 65). Im Anklang an ein kantisches Wort könnten wir auch sagen: Um das Böse und Gute unterscheiden zu können, brauchen wir reine praktische Vernunft.⁸⁴ Dieser reine Wille wird vom späten Kant in Reminiszenz an die vormals theologische Bedeutung des Begriffs – bevor ihn J.-J. Rousseau in den politischen Zusammenhang rückte – der gemeingültige Wille genannt, dessen Gegenstand das Gute ist,⁸⁵ oder auch der allgemeine Wille. Der allgemeine Wille ist das, was der an sich regellosen Willkür ein Gesetz oder eine Regel a priori gibt, wodurch die Mannigfaltigkeit der Neigungen einer Ordnung unterworfen und eine Vernunftbestimmung allererst möglich wird.⁸⁶ Denn „Regellosigkeit […] ist Unvernunft“ (Log, Ak. 9, S. 139). Nun ist im Begriff des Willens noch etwas implizit enthalten, was hier, wo es um die Voraussetzungen der Freiheitskategorien geht, entfaltet werden muss. Das ist der Gedanke, dass wir es im Falle der Objekte des Willens nicht mit vorgegebenen Gegenständen zu tun haben, sondern mit solchen, die durch den Willen wirklich gemacht oder, wie es kurz vor der Tafel heißt, deren Wirklichkeit, ebendie Gesinnung, hervorgebracht werden.⁸⁷ Also ist im Begriff des Willens eine Kau-
Vgl. V-Met-L/Pölitz, Ak. , S. . Siehe dazu die Reflexion zur Moralphilosophie: „Der gemeingültiger Wille ist ein reiner Wille, der nicht durch Antrieb und Neigung afficirt ist, und sein Gegenstand ist das Gute“ (Refl, Ak. , S. ). Und : „Die Idee des allgemeinen Willens hypostasirt, ist das höchste selbständige Gut, das zugleich der zureichende Quell aller Glückseligkeit ist: das Ideal von Gott“ (Refl, Ak. , S. ). Siehe dazu die Reflexion zur Moralphilosophie: „Man stelle sich die Freyheit, d. i. eine Willkühr vor, die von Instinkten oder überhaupt der Leitung der Natur unabhängig ist. so ist sie an sich selbst eine Regellosigkeit und der Ursprung alles Übels und aller Unordnung,wo sie nicht sich selbst eine Regel ist.“ (Refl, Ak. , S. ) Ferner : „Der allgemeine Wille giebt darum das Gesetz, weil ohne ihn die Freyheit im gantzen genommen eine Gesetzlosigkeit und also ohne Regel ist, mithin die Vernunft im Handeln nichts bestimen kan. Wir haben auch in Ansehung unserer einen allgemeinen willen und obersten nöthig, weil sonst das Manigfaltige der Neigungen keine Regel a priori haben würde“ (Refl, Ak. , S. ). Vgl. KpV, Ak. , S. .
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salität vorausgesetzt, die ihren Bestimmungsgrund allein in einem reinen Vernunftvermögen, das heißt der reinen praktischen Vernunft, hat, die den Willen unmittelbar bestimmt.⁸⁸ Der Wille, der, unabhängig von empirischen Bedingungen, so durch die bloße Form des Gesetzes bestimmt gedacht wird, ist ein reiner Wille. Im Begriff des reinen Willens steckt aber implizit der Begriff der Kausalität der Freiheit.⁸⁹ Für die Kategorien der Freiheit ist somit dreierlei vorausgesetzt: Die Willensbestimmung a priori, die Kausalität aus Freiheit und die Begriffe des Guten und Bösen als Folgen der Willensbestimmung a priori. Doch nicht nur diese Begriffe sind als Folgen der ursprünglichen Willensbestimmung anzusehen. Vor dieser Willensbestimmung ist gar nichts sonst „vorhergehend“, sondern „jede Handlung“, jede „wechselnde Bestimmung seines Daseins“, die ganze Reihenfolge seiner sinnlichen Existenz ist im Bewusstsein seiner intelligiblen Existenz „nichts als Folge“ (KpV, Ak. 5, S. 97 f.). Die Freiheit dieser intelligiblen Existenz, die allein a priori praktisch ist, das heißt die transzendentale Freiheit, ist dasjenige, ohne welches – wie Kant sagt – kein moralisches Gesetz, keine Zurechnung möglich wäre.⁹⁰ Denkt man daran, dass Kant, wenn er den Begriff der Zurechnung gebraucht, immer den Begriff der Person oder Persönlichkeit mitdenkt,⁹¹ wird deutlich, dass hier an eine Ableitung zweier Kategorien der Freiheit, die repräsentativ für die praktische Freiheit stehen,⁹² von der transzendentalen Freiheit gedacht ist. Sie ist schließlich als Bedingung der Möglichkeit aller praktischen Vorschriften oder, wie es in den Vorlesungen über die Metaphysik heißt, aller
Vgl. KpV, Ak. , S. , . „[I]m Begriffe eines Willens aber ist der Begriff der Causalität schon enthalten, mithin in dem eines reinen Willens der Begriff einer Causalität mit Freiheit“ (KpV, Ak. , S. ). Vgl. KpV, Ak. , S. f. „Person ist dasjenige Subject, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anders, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen“ (MSRL, Ak. , S. ). „Für seine Persönlichkeit, als eines vernünftigen und zugleich der Zurechnung fähigen Wesens.“ (RGV, Ak. , S. ) Bisweilen wird in der Literatur der Unterschied zwischen Person und Persönlichkeit in den Vordergrund gestellt. Vgl. Graband (), S. ff.; Puls (), S. f., . Vgl. Graband (), S. ff.: „weil beide Begriffe so unzertrennlich verbunden sind, daß man praktische Freiheit auch durch Unabhängigkeit des Willens von jedem anderen außer allein dem moralischen Gesetze definiren könnte.“ Und andererseits V-Met-L/Pölitz, Ak. , S. : „Die practische Freiheit, oder die Freiheit der Person, muß unterschieden werden von der physischen Freiheit […]. Diese practische Freiheit beruht auf der independentia arbitrii a necessitatione per stimulos. Diejenige Freiheit, die aber ganz und gar unabhängig von allen stimulis ist, ist die transscendentale Freiheit“.
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„praktische[n] Sätze sowohl problematisch, als pragmatisch und moralisch“ (VMet-L1/Pölitz, Ak. 28, S. 269) genommen zu denken.
3.5 Der „Übergang“ Nach Kants – wie sie allgemein empfunden wird –⁹³ „dunkler Äußerung“ gibt es innerhalb der Kategorientafel einen Fort- beziehungsweise Übergang von den moralisch noch unbestimmten und sinnlich bedingten zu den sinnlich unbedingten, bloß durchs moralische Gesetz bestimmten Kategorien. Und unmittelbar nach der Tafel selbst ist von dem „Übergang“ (KpV, Ak. 5, S. 67) von den praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit die Rede, der durch die Kategorien der Modalität, das heißt durch das Erlaubte und Unerlaubte, die Pflicht und das Pflichtwidrige und die vollkommene und unvollkommene Pflicht eingeleitet würde. In der Literatur ist das Rätselraten um den Sinn dieser Äußerung groß. Ist es nun der empirische Wille oder der reine Wille, mit dem wir es hier zu tun haben? Fest steht, dass Kant hier vom menschlichen Willen spricht. Der aber ist von der Art, dass er zunächst sinnlich bedingt, wenngleich nicht notwendig sinnlich bestimmt, ist. Kant hat diesen Unterschied durch einen klassischen Satz in der Metaphysik der Sitten bewusst gemacht, obgleich er auch in der Kritik der praktischen Vernunft präsent ist: „Die menschliche Willkür ist dagegen eine solche, welche durch Antriebe zwar afficirt, aber nicht bestimmt wird“; sie ist dadurch als solche kein reiner Wille, kann aber doch „zu Handlungen aus reinem Willen bestimmt werden“ (MSRL, Ak. 6, S. 213).⁹⁴ Offenbar ist auch diese Unterscheidung ein Relikt aus der Schulphilosophie, denn Kant hat in der Metaphysik Pölitz die menschliche Willkür als freie Willkür bestimmt, weil sie – im Unterschied zur tierischen Willkür – durch die sinnlichen Antriebe (stimuli) nicht genötigt, das heißt bestimmt, sondern nur „impellirt“, also affiziert, wird. „Stimuli sind Ursachen, welche die Willkühr impelliren, so fern der Gegenstand unsere Sinne afficirt.“ (V-Met-L1/Pölitz, Ak. 28, S. 254 f.) Die freie Willkür kann sich natürlich auch durch sinnliche Antriebe bestimmen, das heißt ein äußeres Objekt als Bestimmungsgrund gelten lassen. Worauf es in unserem Zusammenhang, das heißt im Zusammenhang der Frage nach dem Sinn des Überganges von der einen Art der Freiheitskategorien zur anderen, allein ankommt, ist dies, dass die sinnlich bedingten Kategorien, die
Vgl. Zimmermann (), S. . Vgl. KpV, Ak. , S. .
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nicht Kategorien des empirisch bestimmten, sondern eben nur empirisch bedingten Willens sind, die Möglichkeit einer Willensbestimmung durch das reine Vernunftgesetz offenlassen. Das ist der Sinn jener Bemerkung Kants unmittelbar nach der Tafel der Kategorien der Freiheit, die besagt, dass der „Bestimmungsgrund jener Causalität“ – welche empirischen Bestimmungsgründen nicht unterworfen ist – „auch außer der Sinnenwelt in der Freiheit als Eigenschaft eines intelligibelen Wesens“ – die Kant sonst auch transzendentale Freiheit nennt – „angenommen werden kann“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Die Kategorien der Modalität dagegen, das heißt die sinnlich unbedingten, sind die notwendig durch das moralische Gesetz bestimmten, das heißt, für diese muss ein intelligibler Bestimmungsgrund angenommen werden. Diese Bemerkung Kants belegt auf das Deutlichste, dass den Kategorien der Modalität im Kategoriengefüge eine Sonderrolle zufällt. Sie ist darin begründet, dass, während bei den anderen Kategorien es noch unausgemacht ist, was der Bestimmungsgrund des Wollens ist, ob ein Gefühl oder der Gegenstand oder das moralische Gesetz, im Falle der Modalitätskategorien notwendig das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund des Willens angenommen werden muss. In diesem Zusammenhang erscheint die Position in der neuesten Literatur zu diesem Thema, oder etwas an ihr, schwer verständlich: Obwohl bei namhaftesten Interpreten der Freiheitskategorien (Puls, Graband) Übereinstimmung darin besteht, dass nur im Falle der Modalitätskategorien eine Willensbestimmung durch das moralische Gesetz, das heißt durch reine Vernunft, die auch die Triebfeder der entsprechenden Maxime darstellt, anzunehmen ist, gehen sie gleichwohl davon aus, dass die beiden ersten der Modalkategorien, das Erlaubte und Unerlaubte einerseits und die Pflicht beziehungsweise das Pflichtwidrige andererseits, keine genuin moralische Bedeutung hätten.⁹⁵ Das ist kaum zusammendenkbar. Deswegen wird hier im Weiteren die moralische Bedeutung des Pflichtbegriffs herausgestellt und auch das Erlaubte als das moralisch Mögliche zu verstehen versucht, dem anderes Wollbares untergeordnet ist. Da dem Begriff des Erlaubten noch eine gewisse Zweideutigkeit anhaftet, sagt Kant vorsichtig, dass die Modalkategorien diesen Übergang „einleiten“ werde. Das Erlaubte im engeren Sinne des moralisch Möglichen jedoch, also dessen, was wir wollen dürfen, das der Handlung vorangeht, kann nur dann als ein Modus der Willensbestimmung angesehen werden, wenn als Bestimmungsgrund des Willens bloß das moralische Gesetz und nicht ein Gegenstand des Begehrens angenom Vgl. Puls (), S. , ; Graband (), S. ff. Zimmermann dagegen, der vielleicht am deutlichsten auf die Sonderrolle der Modalitätskategorien hingewiesen hat, hat sich von der schon bei Mellin beginnenden Tradition distanziert, nach der die beiden ersten Modalitätskategorien keine moralische Bedeutung hätten. Vgl. Zimmermann (), S. .
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men wird. Im Falle des Letzteren nämlich spürte die Suche nach dem der Handlung Vorangehenden niemals die moralische Möglichkeit, sondern immer nur die physische Möglichkeit des Gegenstandes auf. Was aber für das Erlaubte gilt, das gilt a fortiori für die Pflicht und ihre Unterarten: Nur wenn das moralische Gesetz den Bestimmungsgrund des Wollens darstellt, können sie als Modi der Willensbestimmung verstanden werden. Der „Übergang“, von dem bei Kant die Rede ist, meint also, wie die moderne Kant-Forschung auch erkannt hat,⁹⁶ den Wechsel von jenen Willensbestimmungen, bei denen es unausgemacht bleibt, welchen Bestimmungsgrund sie jeweils haben, zu denen, die notwendigerweise den Grund ihrer Bestimmung in einem Gesetz a priori, das heißt im moralischen Gesetz, haben. Es ist, wenn man so will und wie S.-K. Lee einleuchtend dargelegt hat, der Übergang von den Freiheitskategorien der „allgemeinen praktischen Philosophie“, das heißt der philosophia practica universalis, zu den Freiheitskategorien der im kantischen Sinne verstandenen Metaphysik der Sitten.⁹⁷ Allerdings sind die Bezeichnungen für die einzelnen Modalitätskategorien auch aus der Tradition der philosophia practica universalis und noch älteren Traditionen entnommen. Kant hat diesen Unterschied zwischen der durch sinnliche Antriebe zwar affizierten, aber nicht bestimmten Willkür einerseits und der durch das moralische Gesetz oder durch reine Vernunft notwendig bestimmten Willkür andererseits auch als zwei unterschiedliche Formen der Freiheit gekennzeichnet:⁹⁸ Die erstere ist negative Freiheit, insofern sie lediglich die Unabhängigkeit von der Bestimmung durch sinnliche Antriebe meint oder, wie es in der Kritik der praktischen Vernunft heißt, von Neigungen „wenigstens als bestimmenden (wenn gleich nicht als afficirenden)“ (KpV, Ak. 5, S. 117). Sie kann auch als die Fähigkeit des Willens „unabhängig von fremden […] bestimmenden Ursachen“ (GMS, Ak. 4, S. 446) zu wirken, definiert werden. Die letztere dagegen ist positive Freiheit, weil sie die Freiheit des reinen Willens ist, das heißt das Vermögen der reinen Vernunft, für
Siehe z. B. Zimmermann (), S. : „Sie [die Kategorien des Willens überhaupt] betreffen das Wollen als solches, unbesehen seines jeweiligen Bestimmungsgrundes“. „[…] in general practical philosophy the categories of freedom are considered as those forms of willing which are ‚morally undetermined and sensibly conditioned‘. On the other hand, those forms of willing which are ‚sensibly unconditioned and determined only by the moral law‘, namely, the categories of freedom as they are employed determinatedly, […] are considered by the metaphysics of morals.“ (Lee (), S. ) Siehe dazu Allison (c), S. ff., dessen These ich zustimme, dass die Autonomie gewissermaßen die ins Praktische gewendete Idee der göttlichen Freiheit im Sinne absoluter Spontaneität darstellt. Vgl. Allison (b), S. .
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sich selbst praktisch zu sein.⁹⁹ Man kann diese beiden Elemente praktischer Freiheit auch so auseinanderhalten: Die negative Freiheit ist die Unabhängigkeit von jedem Inhalt des Gesetzes, das heißt von jedem Objekt der Begierde, die positive Freiheit aber ist die eigene, gleichwohl allgemeine Gesetzgebung der reinen praktischen Vernunft.¹⁰⁰ Insofern das Gesetz jedoch nicht von außen aufgedrückt wird, sondern sich einer Selbstgesetzgebung verdankt, ist es in seiner Unbedingtheit „das Selbstbewußtsein einer reinen praktischen Vernunft, diese aber ganz einerlei mit dem positiven Begriffe der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 29). Wenn nun in dieser Art der unbedingten Selbstgesetzgebung das Moment einer Kausalität mitgedacht wird, dann weist die positive Freiheit von sich aus auf ein implikatives Moment ihrer selbst, nämlich auf die von Kant sogenannte „transscendentale Freiheit“, die nach der berühmten Bestimmung in der Kritik der reinen Vernunft die Fähigkeit ist, „eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen.“ (KrV, B 562).¹⁰¹ Die Gesetzgebung durch die reine praktische Vernunft muss in diesem Sinne als Form reiner praktischer Spontaneität verstanden werden, ohne die die Freiheit des Menschen nur die Freiheit eines Bratenwenders wäre.¹⁰² Eine solche Form praktischer Spontaneität ist aber nur denkbar, wenn sie
Vgl. MSRL, Ak. , S. f.; KpV, Ak. , S. . Zur Unterscheidung zwischen negativer und positiver Freiheit siehe auch MSRL, Ak. , S. . Vgl. KpV, Ak. , S. . Zur engen Verbindung zwischen positiver und transzendentaler Freiheit siehe z. B. GMS, Ak. , S. : „Jenes ist […] nur in diesem einzigen Punkte positiv, daß jene Freiheit als negative Bestimmung zugleich mit einem (positiven) Vermögen und sogar mit einer Causalität der Vernunft verbunden sei, welche wir einen Willen nennen“. Das Beste über Kants Freiheitslehre ist Bojanowski (). Zur Problematik der Verbindung der Autonomie und der transzendentalen Freiheit siehe S. : „Dieser Begriff der Autonomie des Willens impliziert notwendig auch dessen absolute Spontaneität“. Vgl. KpV, Ak. , S. . Während das Beispiel des Bratenwenders in der Kritik der praktischen Vernunft die psychologische oder komparative Freiheit veranschaulichen soll, die in V-Met-L/ Pölitz, Ak. , S. mit der „praktischen Freiheit“ gleichgesetzt wird, steht er in ebendiesen Metaphysikvorlesungen als Beispiel für die von der transzendentalen Freiheit unterschiedene „bedingte Spontaneität (spontaneitas secundum quid)“. Allison hat sich um die Deutung dieser beiden Kant-Stellen gleich zweimal verdient gemacht. Einmal (Allison (c), S. ) hat er ihnen entnommen, dass – im Sinne seiner „Inkorporationsthese“ – auch schon die durch Neigungen bestimmten, also heteronomen, Willenshandlungen (Allison (a), S. xviii), sofern sie in Maximen ausgedrückt werden, mehr als nur die komparative Freiheit, nämlich die Fähigkeit, unabhängig von der Naturkausalität zu handeln, also transzendentale Freiheit voraussetze. Zum anderen (Allison (b), S. ) glaubt er, daraus ablesen zu können, dass praktische und transzendentale Freiheit nicht graduell unterschiedene Formen der Spontaneität darstellen. Ob deswegen praktische und transzendentale Freiheit nicht auch selbst – in der Sprache der Tradition (Duns Scotus, Descartes) ausgedrückt – „Stufen der Freiheit“ darstellen, bleibt eine offene Frage.
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absolut unabhängig ist von jeglichem möglichen Einfluss natürlicher Begebenheiten. Es muss ein Wille sein, der „gänzlich unabhängig von dem Naturgesetz der Erscheinungen“ ist, das heißt mit Blick auf die oben angeführte Unterscheidung: ein Wille, der unabhängig von allen bestimmenden, aber auch affizierenden sinnlichen Antrieben und somit „gänzlich unabhängig von dem Naturgesetz der Erscheinungen“ (KpV, Ak. 5, S. 29) ist. Er besitzt, wie Kant sagt, Freiheit „im strengsten, d. i. transscendentalen, Verstande“.¹⁰³ Diese Freiheitskonzeption entspricht ganz jener Bewegung, die der Tafel der Freiheitskategorien zugrunde liegt. Was Kant als den „Übergang“ von den praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit bezeichnet, ist somit nichts anderes als der Übergang von der negativen zur positiven Freiheit (die auf die transzendentale Freiheit verweist) oder von den Kategorien der philosophia practica universalis zu denen der Metaphysik der Sitten.
3.6 Die Kategorien im Einzelnen 3.6.1 Die Quantitätskategorien Was nun die einzelnen Kategorien betrifft, so konnte Kant sie für in sich genug verständlich halten, weil sie als praktische Elementarbegriffe in der zeitgenössischen Philosophie wohlbekannt waren. Die Maxime ist ein subjektiver praktischer Grundsatz, ohne den gewissermaßen überhaupt nichts unter dem Gesichtspunkt von Gut oder Böse gewollt werden kann. Puls sagt mit Recht: Sie ist eine „basale Urteilsleistung“ beziehungsweise der „intelligible Beginn der Handlungsgeschichte“¹⁰⁴. Kant hat den Begriff der Maxime offensichtlich aus der zeitgenössischen Aufklärungsphilosophie entnommen, ob von Rousseau oder von der Wolffschule, wo sie allerdings als eine Gewohnheitsregel verstanden zu werden scheint, mag hier unentschieden bleiben.¹⁰⁵ Allerdings hat Meier die Maximen, die er wie Kant „praktische Grundsätze“ nennt, nicht als unbewusste Gewohnheiten verstanden, sondern als jene Regeln, danach „wir unser Verhalten einzurichten uns angewöhnen“. Beide, Meier wie Kant, erteilen dem aristotelischen Verständnis der Tugend im Sinne der Ge-
Zur Unterscheidung zwischen der negativen und positiven Freiheit und der Verbindung letzterer mit der Autonomie siehe besonders Allison (c), S. f. Puls (), S. . Zur Diskussion um den historischen Ursprung des kantischen Maximenbegriffs siehe vor allem Albrecht ().
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wohnheit eine Absage.¹⁰⁶ Gewohnheit ist geradezu ein Gegenbegriff zur Maxime. Das wird deutlich, wenn Kant erklärt: „Man muß dahin sehen, daß der Zögling aus eignen Maximen, nicht aus Gewohnheit, gut handle, daß er nicht bloß das Gute tue, sondern es darum tue, weil es gut ist“ (Päd, Ak. 9, S. 480). Meier begreift die Maximen und ihre „lebendige Erkenntnis“ als das, was die für die Tugend unverzichtbare Entschlossenheit erleichtert und fördert¹⁰⁷ – ein Gedanke, der schließlich bei Hegel in die klassischen Worte gefasst werden sollte: „der Charakterlose kommt nie zum Beschließen.“¹⁰⁸ Die Maxime ist vor allem aber eine „sich selbst auferlegte Regel“ (GMS, Ak. 4, S. 438), das heißt, sie ist selbst schon eine Äußerung der Autonomie des Willens. Auch für diese Grundlage der Maximenlehre gibt es durchaus schon Vorbilder. So kann schon Wolff sagen: „Ja weil wir durch die Vernunfft erkennen, was das Gesetze der Natur haben will; so brauchet ein vernünftiger Mensch kein weiteres Gesetze, sondern vermittelst seiner Vernunft ist er ihm selbst ein Gesetze.“¹⁰⁹ Und ist das nicht schon eine geradezu wörtliche Vorwegnahme des Autonomiegedankens, wenn Wolff wenig später sagt: Da ein vernünftiger Mensch ihm selbst ein Gesetze ist und außer der natürlichen Verbindlichkeit keine andere brauchet; so sind auch weder Belohnungen noch Strafen bey ihm Bewegungsgründe zu guten Handlungen und zu Vermeidung der bösen. Und vollbringet dannenhero ein Vernünftiger das Gute, weil es gut ist und unterlässet das Böse, weil es böse ist: in welchem Falle er Gott ähnlich wird, als der keinen Oberen hat, der ihn verbinden kann das Gute zu thun und das Böse zu lassen.¹¹⁰
Zudem scheint Kant mit der Unterscheidung zwischen dem Gesetz als einer sowohl objektiven wie auch, im Sinne einer Triebfeder, subjektiven Willensbestimmung und den nur für viele geltenden, die technisch-praktischen Regeln durchaus einschließenden Vorschriften auf eine schon bei F. Suárez belegbare, in der Wolffschule bewusste Unterscheidung zurückzugreifen.¹¹¹ In der Kritik der Urteilskraft werden in diesem Sinne die moralisch-praktischen und die technisch Vgl. Meier (), § , S. : „[…] eine bloße Gewohnheit, etwas Guts zu thun, ist keine Tugend.“ Meier (a), § , S. – . Hegel (), § , S. . Wolff (), § , S. f. Ebd., § , S. f. Siehe auch Wolff (), § , S. . Vgl. Joesten (), S. ff.; „Die Moral ist autonom“ (S. ). Vgl. Suárez (), cap. , S. – . Siehe dazu Hedwig (), Sp. . Zur Bestimmung der Vorschrift in der Wolffschule siehe Winckler (), § , S. : „Praeceptum est regula qua rei creatae libertas ad id, quod e pluribus, quae ab illa fieri possunt, optimum est, determinatur.“
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praktischen Vorschriften unterschieden. Jene gründen sich ausschließlich auf die Freiheit als einem übersinnlichen Prinzip, diese sind vom Naturbegriff entlehnt und somit sinnlich bedingt.¹¹² Zieht man also sowohl die traditionelle Bedeutung der „Vorschrift“ als auch Kants Maximenbegriff in Rechnung, dann wird man sagen müssen, dass sich Gesetz, Vorschrift und Maxime je nach dem Grad der Allgemeinheit, Öffentlichkeit und Objektivität unterscheiden und somit auch in verschiedenem Maße verpflichtend sind.¹¹³ Das Gesetz als Moment der Willensbildung aus quantitativer Sicht steht somit für den Geltungsanspruch mit größtmöglicher Allgemeinheit, unter dem nicht nur der Mensch, sondern „alle vernünftigen Wesen überhaupt“ stehen.¹¹⁴ Was in der Forschungsliteratur zu erheblichen Irritationen geführt hat, ist die Tatsache, dass Kant unter den Quantitätskategorien auch das „Gesetz“ verzeichnet. Manche sind so weit gegangen, dass sie das für den deutlichsten Beleg ihrer These ansehen, Kant habe den Fortgang von den „moralisch noch unbestimmten und sinnlich-bedingten zu denen, die, sinnlich-unbedingt, blos durchs moralische Gesetz bestimmt sind“ (KpV, Ak. 5, S. 66) in jeder einzelnen der vier Kategoriengruppen beschreiben wollen;¹¹⁵ andere haben sogar in ihrer Verzweiflung einen außermoralischen Sinn des Begriffs des Gesetzes angenommen.¹¹⁶ Doch werden beide Deutungsversuche weder der von Kant deutlich ausgesprochenen Vorrangstellung der Modalkategorien gerecht noch dem eigentlichen Sinn der Kategorie des Gesetzes. Dieser besteht nämlich nicht darin, eine Willensbestimmung zu benennen, die den reinen Willen beträfe und so den praktischen Charakter der reinen Vernunft aufzeigte.Vielmehr geht es darum, das moralische Gesetz als einen möglichen Inhalt einer „Gesinnung“ zu denken, der dem Willen Freiheit verschafft, und zwar in einem negativen Sinne, wie es etwa im Bewusstsein der Selbstzufriedenheit erkennbar ist. Denn dieses Bewusstsein, „mit überwiegender Gesinnung das moralische Gesetz zu befolgen“, bezeichnet die Freiheit im Sinne einer „Unabhängigkeit von Neigungen, wenigstens als bestimmenden (wenn gleich nicht als afficirenden) Bewegursachen unseres Begehrens“ (KpV, Ak. 5, S. 117). Das Gesetz als Kategorie hat somit die Funktion, den Willen von allen bestimmenden Einflüssen der Neigungen zu befreien, obgleich er affizierenden sinnlichen Antrieben ausgesetzt bleibt. Die Unterscheidung zwischen dem Be-
Vgl. KU, Ak. , S. . Siehe z. B. Suárez (), cap. , S. : „[…] quia etiam praecepta privata obligant, quamvis leges non sint.“ Vgl. Puls (), S. . So z. B. Beck (), S. , ; Graband (), S. . Vgl. Bobzien (), S. f.; Benton (), S. .
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stimmenden und dem Affizierenden, der für das Verständnis der Kategorien der Freiheit von grundlegender Bedeutung ist – obwohl er kaum in der Kant-Forschung wahrgenommen zu werden scheint –, macht es möglich, die Kategorien der Quantität, Qualität und Relation und so auch die Kategorie des Gesetzes als negative Bestimmungen eines sinnlich affizierten, also nicht reinen, Willens zu denken, die gleichwohl einer positiven Bestimmung durch die Freiheit eines intelligiblen Wesens „außer der Sinnenwelt“ offenstehen.
3.6.2 Die Qualitätskategorien Auch im Falle der Regeln des Begehens, Unterlassens und der Ausnahme, bei denen sich Kant ebenfalls auf bekannte Unterscheidungen bei Wolff, Baumgarten und Meier bezieht, ist nicht bloß von der reinen praktischen, sondern von der praktischen Vernunft überhaupt die Rede.¹¹⁷ Hinter den „Praktische[n] Regeln des Begehens“ und „des Unterlassens“ (KpV, Ak. 5, S. 66) steckt historisch die im Naturrecht übliche Unterscheidung zwischen der lex praeceptiva, das heißt dem Gebot, das etwas zu tun verpflichtet, und der lex prohibitiva, das heißt dem Verbot, das dazu verpflichtet, etwas nicht zu tun.¹¹⁸ Normalerweise, das heißt dem weiteren Gedankengang der Schulphilosophie folgend, hätte Kant hier als dritte Qualitätskategorie das „Erlaubnisgesetz“ folgen lassen müssen, denn Wolff bezeichnet die Trias von Gebot, Verbot und Erlaubnis ausdrücklich als „Termini technici, die wir in der Philosophie gebrauchen“¹¹⁹. Nun hat Kant an mehreren Stellen Vorbehalte gegenüber einem Erlaubnisgesetz im Bereich des Moralischen angemeldet, während es in der „Rechtslehre“ durchaus
Vgl. Zimmermann (), S. . Zur Trias der Kategorien Begehen, Unterlassen und Ausnahme siehe Wolff(), § , S. : „Quodsi actio fuerit libera, positiva Factum commissionis; negativa vero Factum omissionis appellatur. Actionem nimirum committere dicitur, qui cum ab ea abstinere posset, eam edit; omittere autem, qui cum edere posset, ab ea abstinet.“ Vgl. Baumgarten(), S. : „Actiones vel sunt negativae vel reales, M. § . Priores liberae determinationes, quaeque tales videntur, omissiones, posteriores, quaeque tales videntur, commissiones vocantur. Obligatio ad ommittendum est negativa, ad committendum affirmativa.“ Zur „Ausnahme“ siehe § , S. : „Hinc omnis exceptio moralis est aliquid mali […] adeoque non, nisi ) inevitabilis, ) minima praeferenda est maioribus. Exceptiones morales quae possunt, paucissimae minimaeque sumto. Ergo si collidantur leges fortiores et superiores cum debilioribus et iis, quae sibi subordinandae sunt, exceptio fiat a debilioribus“. Vgl. Wolff (), §§ f., S. f. Siehe auch §§ – , S. f. Ebd., § , S. .
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möglich und angebracht erscheint.¹²⁰ Deswegen kürt Kant an der Stelle des Erlaubnisgesetzes die „Ausnahme“ zur dritten Qualitätskategorie. Auch sie hat in der philosophia practica universalis ihren festen Platz, nämlich da, wo von der Kollision der Naturgesetze die Rede ist.¹²¹ Genauer gesagt steht beim Thema der Ausnahme die Vorstellung vom punctum morale im Hintergrund, das keine Ausnahme zulässt und das von der „Weite“ eines Gesetzes, die eine solche zulässt, unterschieden werden muss.¹²² Auch Kant kennt die „Weite“ einer Verbindlichkeit und knüpft auch terminologisch an diese Tradition der philosophia practica universalis an, indem er von der „Pünktlichkeit“ (MSTL, Ak. 6, S. 392) des Gesetzes spricht.¹²³ Die „Tugendlehre“ insgesamt ist ja dadurch von der engen Verbindlichkeit der Rechtslehre unterschieden, dass sie einen „gewissen Raum zu Ausnahmen“ (MSRL, Ak. 6, S. 233) zulässt. Nicht, als ob es in diesem Feld der ethischen, das heißt „weiten“, Pflichten, wo der Observanz der Pflicht ein gewisser „Spielraum (latitudo)“ gelassen wird, um eine Erlaubnis zu Ausnahmen von der Maxime überhaupt ginge! Nach Kant kann es keine Ausnahme vom sittlich Gebotenen geben.Vielmehr ergibt sich dieser Spielraum und damit auch das entsprechende Verständnis der Ausnahme allein dadurch, dass eine Pflichtmaxime möglicherweise durch eine andere eingeschränkt wird und somit das Wie und Wieviel der Zweckerfüllung einer Handlung nicht genau festgelegt werden kann.¹²⁴ Auch nach Wolff ergibt sich die Notwendigkeit einer Ausnahme aus der Kollision verschiedener Gesetze, das heißt Pflichten.¹²⁵ Daneben scheint es allerdings auch das Phänomen der (unerheblichen und nur für diesmal abgerungenen) neigungsbedingten Ausnahme zu geben, das jedoch die unbedingte Gültigkeit des Sittengesetzes für den Willen nicht in Frage stellt, sondern sie für uns bestätigt.¹²⁶ Doch wie immer die Ausnahme verstanden wird, sie bleibt das allenfalls Zweitbeste. „Ein Plan der Auswahl,
Vgl. ZeF, Ak. , S. ; MSRL, Ak. , S. , , ; MSTL, Ak. , S. , . Zum Problem des Erlaubnisgesetzes siehe auch Graband (b), S. . Wolff (), §§ f., S. . Siehe z. B. Achenwall (), § , S. f.: „Ideoque in obligatione morali unice deprehenditur Punctum Morale, ea obligationis determinatio, quae omnem exceptionem excludit, quum contra reliquae obligationes admittant exceptionem quandam […] seu habeant latitudinem moralem.“ Zu punctum und latitudo siehe schon bei Pufendorf JNG II., § , S. . Siehe auch MSTL, Ak. , S. : „Da aber die ethische Verbindlichkeit zu Zwecken, deren es mehrere geben kann, nur eine weite ist“. KpV, Ak. , S. : „Gleichwohl gebietet das sittliche Gesetz jedermann, und zwar die pünktlichste, Befolgung.“ Vgl. MSTL, Ak. , S. . Wolff (), § , S. und § , S. . Siehe auch Wolff (), § , S. . Ähnlich Meier (), § , S. . Vgl. GMS, Ak. , S. .
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welcher in der Ausführung Collisionen hervorbrächte, und daher Ausnahmen erfordert, kann nicht der vollkommenste seyn.“ (V-Phil-Th/Pölitz, Ak. 28, S. 1058). Hier steht die Einsicht Leibniz’ im Hintergrund, der sagt: „Le sage agit toujours par principes; il agit toujours par regles et jamais par exceptions“¹²⁷.
3.6.3 Die Kategorien der Relation Denkt man die Willensbestimmung in ihrer Beziehung zu etwas anderem, so kommen die Kategorien der Relation in den Blick. Zuallererst die Kategorie der Persönlichkeit als Zweck an sich selbst unseres Handelns beziehungsweise die Person, die – analog zu den Kategorien der spekulativen Vernunft – das subsistierende Element, die Voraussetzung aller Relation, darstellt und als das Subjekt der Willensbestimmung die moralische Substanz oder die Persönlichkeit heißt. Der Begriff der Persönlichkeit vereint zwei Elemente in sich. Das eine, schon aus der theoretischen Philosophie bekannte ist die für die Persönlichkeit vorausgesetzte Substantialität und Beharrlichkeit. Das andere Element besteht darin, dass sie das eigentliche Subjekt freier Handlungen ist.¹²⁸ Sie ist in der Welt der Freiheit Substanz und Subjekt zugleich. Persönlichkeit ist nicht deutlich von Person zu unterscheiden.¹²⁹ Gleichwohl nennt Kant nicht ohne Grund als erste Relationskategorie die Persönlichkeit und nicht die Person. Denn durch den Begriff der Persönlichkeit wird – wie im Falle des Gesetzes – jene negative Freiheit im Sinne der „Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur“ (KpV, Ak. 5, S. 87) ausgedrückt, die die Kategorien der Quantität, Qualität und Relation im Ganzen kennzeichnet. Was der Person als der Substanz notwendigerweise „inhäriert“, heißt im praktischen Bereich „Zustand“. Das Verhältnis der Personen zueinander aber ist reziprok, wechselseitig. Mit der Vorstellung dieser drei Kategorien Persönlichkeit/ Person, Zustand, Wechselseitigkeit konnte Kant in seiner Zeit besonders Be Leibniz (), S. . Siehe einerseits KrV, A und andererseits V-Met-L/Pölitz, Ak. , S. : „Die Persönlichkeit kann practisch und psychologisch genommen werden; practisch, wenn ihr freie Handlungen zugeschrieben werden“. Person nennt Kant dasjenige einzelne Subjekt, das einer Zurechnung fähig ist. Die moralische Persönlichkeit ist „die Freiheit eines Vernunftwesens unter moralischen Gesetzen“ (MSRL, Ak. , S. ). Andererseits heißt es in der Religions-Schrift: „Für seine Persönlichkeit, als eines vernünftigen und zugleich der Zurechnung fähigen Wesens“ (RGV, Ak. , S. ). ‚Moralische Person‘ heißen aber auch die Institutionen, z. B. die Ehe (vgl. GSE, Ak. , S. ), die Regierung eines Staates (vgl. MSRL, Ak. , S. ), der Gerichtshof (vgl. MSRL, Ak. , S. ), der Staat selbst (vgl. MSRL, Ak. , S. ) oder die Menschheit (vgl. SF, Ak. , S. ).
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kanntes schon voraussetzen. Im Kategoriengefüge Pufendorfs nahm der Begriff der Person eine ebenso zentrale Rolle ein, wo er – wie bei Kant auch – sowohl die individuelle Einzelperson, die ein bestimmtes Amt innehat oder eine bestimmte Aufgabe verrichtet, einen bestimmten Beruf hat usw., wie auch die zusammengesetzten moralischen Personen, also die Institutionen und verschiedenen Formen der ‚Gesellschaften‘, die durch einen Willen zusammengehalten werden, bezeichnen kann.¹³⁰ Was Raum und Zeit für das Naturding, das sind die status für die Person, womit der gesellschaftliche Stand, das Lebensalter, der Zustand einer Gesellschaft, zum Beispiel Krieg oder Frieden und dergleichen, bezeichnet werden kann. Der Begriff des Zustandes ist bei Kant wie in der mittelalterlichen Tradition, die bis zur Wolffschule reicht, durchaus mehrdeutig. Er kann die Bestimmtheit eines Dinges, einer Substanz, bezeichnen, aber auch die Befindlichkeit der Seele im irdischen Leben oder nach dem Tode. Was hier, in der Tafel der Kategorien der Freiheit gemeint ist, ist der (im mittelalterlichen Sinne verstandene) moralische Zustand, das heißt der Zustand eines Willens beziehungsweise einer Person, das Wort durchaus im doppelten Sinne verstanden als die mit einem Willen ausgestattete und durch Freiheit geadelte Einzelperson wie auch als die persona moralis composita, das heißt die zusammengesetzte Person des Staates, dessen „weltbürgerlichen Zustand“ (IaG, Ak. 8, S. 28) Kant 1784 als die höchste Absicht der Natur bezeichnet hatte. Der Zustand der Person ist also der moralische Zustand. Diesem Begriff hat Meier das gesamte VII. Kapitel seiner Allgemeinen practischen Weltweisheit gewidmet. Der moralische Zustand ist der eigentlich menschliche Zustand, der den „ganzen tierischen Zustand“, welcher selbst von dem „viehischen“, das heißt dem selbstgewählten Sklavenzustand, zu unterscheiden ist, in sich begreift, aber in demselben „wird der Mensch zugleich auch als eine Person betrachtet, die mit Vernunft und Freiheit begabt ist“¹³¹. Meier hat von dieser Ursprungsbedeutung des Begriffs des moralischen Zustandes ausgehend alle anderen möglichen Zustände, wie den „gesellschaftlichen“, den „bürgerlichen“ oder den „natürlichen“ abgeleitet, mit heftiger Kritik an Rousseau und Th. Hobbes und ist auch in dieser Hinsicht ein Vorbild für Kants thematische Ausführungen der genannten Begriffe in anderen Schriften gewesen. Es ist in besonderer Weise die Kategorie des Zustandes, die uns daran erinnert, dass wir es bei den Kategorien der Freiheit nicht mit Kategorien des vernünftigen
Zu Pufendorfs Lehre von den Kategorien des Moralischen siehe Kobusch (), S. – ; Kobusch (); Kobusch (). Meier (), § , S. .
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Wollens überhaupt, sondern mit denen des menschlichen, Zeit und Raum unterworfenen, von äußeren Dingen affizierten Wollens zu tun haben. Denn nach Kant kann zum Beispiel Gott kein Zustand zugeschrieben werden: „Gott hat keinen Zustand“ (V-Met-L2/Pölitz, Ak. 28, S. 564). Der Zustand einer Person ist also ihre durchgängige Bestimmtheit in der Zeit, durch die die Person auf andere Personen, vermittelt durch deren Zustände, einwirken und entsprechend auch Einfluss erfahren kann. Kant nennt unter der Hauptkategorie der Relation neben Person und Status auch noch die Kategorie des Wechselseitigen in Analogie zur theoretischen Kategorie der „Gemeinschaft“ beziehungsweise der „Wechselwirkung“.¹³² Während die theoretische Kategorie der Gemeinschaft im Sinne des commercium das wechselseitige Verhältnis von Substanzen bezeichnet, ohne das ihr Zugleichsein im Raume nicht erfahren werden könnte, meint die praktische Kategorie der Gemeinschaft das wechselseitige Verhältnis freier Wesen beziehungsweise von Personen.¹³³ Mit gutem Grund kann man annehmen, dass in dieser Kategorie der moralischen Wechselwirkung die Idee des Reiches der Zwecke oder der Personen oder der Freiheit oder der Gnade aufgenommen worden ist.¹³⁴ Was Wechselwirkung oder Wechselseitigkeit in der naturphilosophischen Tradition genannt wurde, das heißt später, wie schon Kant selbst es andeutet, der „Verkehr“ (MSRL, Ak. 6, S. 352). H. M. Chalybäus, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine neue Konzeption der Freiheitskategorien entwickelte, sagt: „Der Verkehr aber besteht in dem Inbegriff aller Äußerungen der freien miteinander in Verbindung stehenden Personen, er ist dasselbe in der ethischen Sphäre, was die Wechselwirkung in der physischen ist“¹³⁵. Der Verkehr ist also die moralische Wechselwirkung der Personen aufeinander, „der wechselseitige moralische Einfluss der Personen auf ihre Willensbestimmung“¹³⁶, der freilich durch den jeweiligen Zustand vermittelt ist.
3.6.4 Die Kategorien der Modalität Was die Kategorien der Modalität angeht, so haben sie innerhalb der Tafel eine besondere Stellung. Denn sie kennzeichnen den Übergang „von praktischen Principien überhaupt zu denen der Sittlichkeit“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Mit den Kategorien der Modalität verlassen wir, jedenfalls nachdem wir zum Erlaubten und
Vgl. Ziche (), Sp. . Vgl. MSRL, Ak. , S. . Vgl. Puls (), S. . Chalybäus (), § , S. . Mellin (), S. .
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Unerlaubten im engeren Sinne gelangt sind, den Bereich der bloß möglichen praktischen Vorschriften und betreten offenkundig die Welt des unbedingten Sollens, der das wirkliche Vernunftgesetz als Faktum, das heißt als intelligible Tat, zugrunde liegt. Auch hinter den Modalkategorien verbergen sich die klassischen Termini der traditionellen Willensmetaphysik.
Das Erlaubte und Unerlaubte Das Erlaubte und Unerlaubte ist, wie Kant selbst sagt, das moralisch Mögliche und Unmögliche, das als das zu verstehen ist, was mit der Autonomie des Willens oder dem Sittengesetz vereinbar oder nicht vereinbar ist.¹³⁷ Diejenige Handlung kann also erlaubt genannt werden, die durch „keinen entgegengesetzten Imperativ eingeschränkt wird“ (MSRL, Ak. 6, S. 222). Der Handelnde hat in diesem Falle, wie Kant in Übereinstimmung mit der Schulphilosophie und der gesamten Tradition erklärt, ein „Recht“, das heißt die Freiheit der „Befugniß (facultas moralis)“ zur Handlung.¹³⁸ Die moralische Möglichkeit ist das, was wir wollen dürfen. Die Eigenschaft der Befugnis, die allen schon im 12. Jahrhundert, von Kanonisten und Dekretisten, entdeckten subjektiven Rechten zukommt, drückt darüber hinaus aus, dass andere verbunden sind, die Ausübung der Handlung nicht zu hindern.¹³⁹ Diese moralische Möglichkeit liegt notwendigerweise der Handlung voraus und ist nicht etwa von dem Gegenstand der Handlung abhängig, denn nicht der Gegenstand, sondern das moralische Gesetz ist der Bestimmungsgrund des Willens.¹⁴⁰ Das Gleiche gilt freilich auch für das Gegenteil, das moralisch Unmögliche, das dasjenige ist, was wir nicht wollen dürfen. Das Unerlaubte in diesem engeren moralischen Sinne ist, was Kant in der Kategorientafel das „Pflichtwidrige“ (KpV, Ak. 5, S. 66) oder sonst die „Übertretung (peccatum)“ (MSTL, Ak. 6, S. 390) – nämlich des moralischen Gesetzes –, das heißt die „Sünde“¹⁴¹ nennt.¹⁴² Vielleicht ist eine ganz geringe Nuancenverschiebung be Vgl. MSRL, Ak. , S. ; GMS, Ak. , S. . MSRL, Ak. , S. . Siehe auch Meier (), § , S. : „Und da kann man ein Recht in der weitern Bedeutung, durch ein moralisches Vermögen, erklären; oder wenn es einer Person moralisch möglich ist in der engern Bedeutung, eine Handlung zu thun, so hat diese Person ein Recht zu dieser Handlung“. Siehe dazu Kobusch (), S. ff. Vgl. KpV, Ak. , S. . In RGV, Ak. , S. bzw. ist „Sünde“ die Übertretung des moralischen Gesetzes als eines göttlichen Gebots. In MpVT, Ak. , S. und wird sie das „moralische Zweckwidrige“ genannt, das aber auch in der „Sünde“ bzw. „Übertretung der reinen Gesetze unserer Vernunft“ besteht.
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merkbar: Im Falle des Unerlaubten bewegt man sich außerhalb des Raumes der moralischen Möglichkeit, die Pflichtwidrigkeit aber drückt die Übertretung eines nötigenden Gesetzes aus. Auch das entspricht ganz der Idee und Terminologie der philosophia practica universalis. Meier zum Beispiel, der ein ganzes Kapitel seiner Allgemeinen Practischen Weltweisheit dem Thema der Sünde gewidmet hat, definiert dieselbe als eine freie Handlung, „welche das Gegenteil einer Pflicht ist“¹⁴³. Nun will Kant (gemäß der „Vorrede“ der Kritik der praktischen Vernunft) in der Tafel der Kategorien das Erlaubte und Unerlaubte ausdrücklich nicht im engeren moralischen Sinne verstehen, sondern als das „praktisch-objectiv Mögliche und Unmögliche“ (KpV, Ak. 5, S. 11 Anm.), das einer bloß möglichen Vorschrift entspricht beziehungsweise widerspricht, die in Form eines hypothetischen Imperativs, der etwas als bedingt notwendig vorstellt, den Willen bestimmt. Erlaubt ist in diesem Sinne zum Beispiel einem Dichter, was einem Redner unerlaubt ist, nämlich neue Worte zu kreieren. Dem Redner als Redner steht es nicht gut an, dies zu tun, während es dem Dichter sogar Ruhm bringen kann. Hier wird nicht an Pflicht gedacht.Vielmehr scheint es hier um jene Willensbestimmungen zu gehen, die sozusagen Kunstvorschriften, das heißt technisch-praktische Vorschriften, sind, die Kant in der „Einleitung“ zur Kritik der Urteilskraft so eingehend in ihrem Zwittercharakter zwischen den Naturbegriffen und den moralisch-praktischen Vorschriften beschrieben hat und die er auch interessanterweise im Zusammenhang der „Vorbegriffe der Metaphysik der Sitten“ als bedingt gebietende Vorschriften von kategorischen Imperativen unterscheidet.¹⁴⁴ Das praktisch-objektiv Mögliche wird in der „Vorrede“ zur zweiten Kritik als das bestimmt, „was mit einer blos möglichen praktischen Vorschrift“ übereinstimmt, während das moralisch Mögliche im engeren Sinne dasjenige ist, das der durch das „in der Vernunft überhaupt wirklich liegende Gesetz“ bestimmten Handlung vorangeht. Die Bewegung von dem einen zum anderen scheint Kant ja auch selbst andeuten zu wollen, wenn er kurz nach der Tafel von den Modalitätskategorien sagt, dass sie den Übergang von den praktischen Prinzipien überhaupt zu solchen der Sittlichkeit einleiten, und zwar zunächst „nur problematisch“, das heißt über das mögliche, also bedingte, Erlaubte und Unerlaubte zum „dogmatischen“, (KpV, Ak. 5, S. 67) vom moralischen Gesetz bestimmten, moralisch Erlaubten und Not-
MSRL, Ak. , S. wird offenbar das Pflichtwidrige direkt mit dem Unerlaubten (illicitum) identifiziert. Zimmermann versteht das „Pflichtwidrige“ als das Indifferente. Vgl. Zimmermann (), S. . Das ist ganz unhaltbar und auch nicht dazu geeignet, die Tafel im Ganzen als „für sich verständlich genug“ erscheinen zu lassen. Meier (), § , S. . Vgl. MSRL, Ak. , S. . Zur innerkantischen Entwicklung der Unterscheidung zwischen technischen und moralischen Imperativen siehe Allison (), S. .
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wendigen. Da aber jede mögliche praktische Vorschrift so wie der Zweck des hypothetischen Imperativs der Geschicklichkeit, der auch immer nur „bloß möglich“ sein kann, vom Willen gesetzt ist, kann mit dem Erlaubten im Sinne des praktisch-objektiv Möglichen nur ein Erlaubtes in einem ganz weiten Sinne gemeint sein, gewissermaßen jeder mögliche Zweck und die dafür geeigneten Mittel, sofern ihnen kein moralisches Gebot oder Verbot entgegensteht – denn der kategorische Imperativ ist selbst ein Akt der Freiheit, der den unbedingten Zweck gebietet –¹⁴⁵, aber auch kein nichtmoralisches Ge- oder Verbot. Das Unerlaubte in diesem Sinne ist dementsprechend das, dem auch nur ein mögliches Gesetz entgegensteht. Wir haben also einen zweifachen Sinn des Begriffs des „Erlaubten“ und damit auch des „Unerlaubten“ zu unterscheiden, nämlich einerseits das Erlaubte im Sinne des moralisch Möglichen und im Sinne des nichtmoralisch Möglichen, andererseits das Unerlaubte im Sinne des moralisch Unmöglichen und im Sinne des bedingten Unmöglichen.¹⁴⁶ Kant hat in diesem Sinne unter den „Vorbegriffen zur Metaphysik der Sitten“ das Erlaubte, das auch das Gebotene mit umfasst, von dem, was „bloß erlaubt“ (MSRL, Ak. 6, S. 223) ist, unterschieden, das weder genoch verboten ist und somit außerhalb des Moralischen überhaupt zu sein scheint. Kant hat beide unter dem Begriff des praktisch Möglichen zusammengefasst. Das praktisch Mögliche und damit das Erlaubte ist also in einem weiten Sinne aufzufassen. Es ist – im Unterschied zur physischen Möglichkeit – all das, „was als durch einen Willen möglich […] vorgestellt wird“ (KU, Ak. 5, S. 172). Kant hat selbst erklärt, dass hier der Begriff des Praktischen „unbestimmt“ bleibt, insofern die Bestimmung der Kausalität des Willens sowohl naturbedingt durch technischpraktische Regeln denkbar ist als auch freiheitsbedingt durch moralisch-praktische Gesetze.¹⁴⁷ Die Frage, die sich Kant und mit ihm die zeitgenössischen Kantianer stellten, ist, ob es solche bloß erlaubten Handlungen gibt, die als sittlich-indifferent anzusehen sind. Bloß erlaubt heißen sie, weil sie weder ge- noch verboten sind und es „in Ansehung ihrer gar kein die Freiheit (Befugniß) einschränkendes Gesetz und also auch keine Pflicht giebt“, wenngleich sie mit der Autonomie des Willens verträglich sein müssen, sonst könnten sie gar nicht gewollt werden. G. S. A. Mellin hat in seinem Artikel „Erlaubt“ darauf hingewiesen, dass Kant hier unter Freiheit oder Befugnis offenbar die Unabhängigkeit der „sinnlich af-
Vg. MSTL, Ak. , S. . Vgl. Zimmermann (), S. . Vgl. KU, Ak. , S. .
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ficirten Willkühr“ von einem einschränkenden Gesetz der Autonomie, das heißt vom Sittengesetz, versteht.¹⁴⁸ Das aber bedeutet, dass hier an Handlungen zu denken ist, die sinnlich bedingt, aber nicht bloß durch Antriebe der Sinnlichkeit bestimmt sind, andernfalls könnten sie nicht frei sein und gehörten gar nicht unter die Kategorien der Freiheit. Das aber ist gar nicht zu denken möglich: freie Handlungen, die nicht unter die Kategorien der Freiheit fallen. Mellin sagt im selben Sinne: „Soll sie also nicht unter gar keine Kategorie der Freiheit gehören, welches nicht möglich ist, weil der Wille in Ansehung ihrer dann nicht frei sein würde, so muß sie ihre eigene Kategorie der Freiheit haben, und das ist die der Erlaubnis“¹⁴⁹. Die bloß erlaubte Handlung ist somit ein Mögliches, das die Bestimmung des freien Willens betrifft. Die aber muss „immer autonomisch sein, das heißt durch ein vom Willen selbst gegebenes Gesetz geschehen“¹⁵⁰. Es ist die Autonomie des Willens, die auch über solche Handlungen, die weder verboten noch geboten sind, disponiert. Daraus folgert Kants bester Interpret mit Recht, dass diese Handlungen nicht sittlich-indifferent sind, sondern sittlich bestimmt, denn „das Sittengesetz tut über sie einen Ausspruch“. Kant selbst hatte ja schon so argumentiert, dass die sittlich-indifferente Handlung, wenn es sie gäbe, als eine bloß auf Naturgesetzen beruhende zu denken sei, die zum Gesetz der Freiheit in gar keiner Beziehung steht und weder dem moralischen Gesetz, in der Form des Gebots oder Verbots, noch dem sogenannten Erlaubnisgesetz unterliegt.¹⁵¹ Eine sittlich-indifferente Handlung wäre, so gesehen, gar keine freie Handlung und damit gar keine Handlung. Die Konsequenz hat der späte Kant gezogen, insofern es nach der Religions-Schrift keine sittlich indifferenten Handlungen gibt, sondern nur sittliche, das heißt freie Handlungen, die, sofern der Wille in ihnen sich etwas zum Objekt macht, notwendig gut oder böse sind. Es gibt kein Drittes. Mellin
Vgl. Mellin (), S. . Ebd., S. f. Ebd., S. . Vgl. RGV, Ak. , S. Anm. Kant stellt auch sonst die Denkbarkeit sittlich-indifferenter Handlungen in Frage (vgl. MSRL, Ak. , S. ). Er folgt in dieser Hinsicht ein weiteres Mal der Einstellung der Wolffschule. Vgl. Meier (), § , S. : „Keine menschliche moralische Handlung kann ganz gleichgültig seyn. Eine ganz gleichgültige Sache muß, in keinerley Absicht, gut oder böse seyn“. Und § , S.: „Nur die ganz gleichgültigen Handlungen, und dergleichen giebts nicht, sind, in so ferne sie gleichgültig sind, keinerlei Verbindung fähig“. Auch die Notwendigkeit eines „Erlaubnisgesetzes“, das sich nicht auf die indifferenten Handlungen – wenn es sie gäbe – bezieht, stellt Kant in Frage (vgl. ZeF, Ak. , S. Anm.). Andererseits erwägt er eines in der kasuistischen Frage, ob denn Geschlechtsverkehr erlaubt gemacht werden könne, wenn der eigentliche Naturzweck, die Fortpflanzung der Art, nicht erreicht werden kann (vgl. MSTL, Ak. , S. ). Wie immer das zu deuten ist – in jedem Falle ist ein Erlaubnisgesetz dadurch gekennzeichnet, dass es schon ein sittliches Verbotgesetz voraussetzt.
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versteht die bloß erlaubten Handlungen richtig als sittliche Handlungen, erfindet für sie aber neben dem sittlich Guten und sittlich Bösen eine dritte Ordnung: die des „sittlich Zulässigen“.¹⁵² Dass wir es hier mit einem besonders verminten Gelände der kantischen Philosophie zu tun haben, zeigen nicht nur die ambivalenten Texte Kants selbst, sondern zeigte auch ein sorgfältiger Blick in die Sekundärliteratur.Wir belassen es hier bei der Konklusion, dass „die Kategorien der Freiheit allen Handlungen zugrunde liegen“, die auch Puls gezogen hat, obgleich die Unterscheidung zwischen dem moralisch Praktischen und dem technisch Praktischen für seine Gesamtsicht eine ungleich größere Bedeutung hat, als sie hier zur Geltung kommt.¹⁵³ Die im kantischen Begriff des Erlaubten beziehungsweise Unerlaubten enthaltene Zweideutigkeit entspricht nun exakt der Unterscheidung, die auch Meier in seiner Allgemeinen Practischen Weltweisheit trifft. Danach ist moralisch möglich im weiteren Sinne des Wortes – und damit entsprechend dem, was Kant oben das „praktisch Mögliche“ genannt hat – all das, „was, mit der Natur der Freiheit des Willens zusammengenommen, keinen Widerspruch in sich enthält“ oder was durch Freiheit bewirkt werden kann. Moralisch unmöglich ist dementsprechend, was der Natur der Freiheit widerspricht, zum Beispiel dass eine menschliche Handlung frei sein sollte, die er aber nicht zu unterlassen in der Lage wäre, oder dass der freie Wille ohne alle Bewegungsgründe oder ohne vernünftige Bewegungsgründe etwas begehren oder verabscheuen könne.¹⁵⁴ Das moralisch Mögliche in der engeren Bedeutung ist dagegen dasjenige, „was einer wahren Verbindlichkeit nicht widerspricht“, oder, wie es an anderer Stelle heißt, was „den moralischen Gesetzen nicht widerspricht“. Das moralisch Unmögliche der engeren Bedeutung nach ist die unrechte Handlung oder die Sünde.¹⁵⁵ Die Doppelbedeutung des moralisch Möglichen beziehungsweise Unmöglichen steht aber – ähnlich wie das oben erwähnte „Moralische“ selbst – nicht am Anfang, sondern am Ende der Entwicklung der moralischen Modalitäten. Der Beginn dieser Entwicklung, der in der Spanischen Scholastik festzumachen ist, ist dadurch gekennzeichnet, dass das moralisch Mögliche und Unmögliche allein in der weiten Bedeutung dieser Begriffe verstanden werden. Moralisch möglich ist danach das, was durch einen Willen möglich ist, moralisch unmöglich, was durch den Willen nicht oder kaum verwirklicht werden kann. Das moralisch Mögliche ist
Mellin (), S. . Vgl. Puls (), S. , Anm. , f., . Vgl. Meier (), § , S. f. Siehe auch Meier (b), § , S. f. Meier (), § , S. ; Meier (b), § , S. f.
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dann schlicht das, was „häufig und ohne große Schwierigkeiten eintreten kann“, das Unmögliche dagegen, was „sehr selten und nur unter großen Schwierigkeiten eintreten kann“¹⁵⁶. Standardbeispiel für das moralisch Unmögliche in diesem Sinne ist, dass kein Mensch sein ganzes Leben hindurch ohne Schuld bleibt. Diese Unmöglichkeit beruht weder auf einem logischen Widerspruch noch auf einer physischen Repugnanz, sondern stellt ein Unmögliches sui generis dar. Es ist ein für den Willen Unmögliches.¹⁵⁷ Die moralische Unmöglichkeit eines Sachverhalts ist aber zugleich die moralische Notwendigkeit des kontradiktorisch Entgegengesetzten. Auf das Beispiel angewandt: Es ist moralisch notwendig, obwohl weder ein entsprechendes Naturgesetz besteht noch ein äußerer Zwang, dass der Mensch schuldig wird. Was können wir aus solcher Entwicklung ablesen? Wie im Falle des „Moralischen“ selbst ist aus der weiten Bedeutung des moralisch Möglichen beziehungsweise Unmöglichen schließlich eine enge Bedeutung geworden. Aus dem, was wir wollen können, wurde das, was wir wollen dürfen. Die moralische Möglichkeit der Spanischen Scholastik mutiert bei Kant zum moralisch Erlaubten, obwohl bei ihm auch Reste der weiten Bedeutung des moralisch Möglichen zu finden sind.
Die Pflicht und das Pflichtwidrige Verbirgt sich hinter dem Begriff des Erlaubten die traditionelle Vorstellung des moralisch Möglichen, so ist mit der Pflicht die moralische Notwendigkeit als Willensbestimmung gemeint.¹⁵⁸ Kant bestimmt sie als eine unmittelbare Nötigung durchs moralische Gesetz,¹⁵⁹ und da dies eine objektive Natur hat, auch als die „objective Nothwendigkeit einer Handlung aus Verbindlichkeit“ (GMS, Ak. 4,
Zur Modalontologie in der Spanischen Scholastik siehe Knebel (), S. . Vgl. de Medina (), S. , zitiert nach Knebel (), S. : „At moraliter loquendo, illud dicitur impossibile, quod numquam contingit, neque continget secundum facultatem liberi arbitrii.“ Bezüglich der Kategorie der Pflicht gehen die Meinungen besonders weit auseinander. Puls (), S. ff. zweifelt daran, dass wir es hier mit einer „genuin moralischen“ Bestimmung zu tun haben; er spricht von einem „prämoralischen Sollen“. Graband ging zunächst in Graband (), S. von dem nichtmoralischen Sinn des Pflichtbegriffs aus. In ihrer Dissertation Graband (a), S., die uns gewissermaßen einen „Kant von unten“, einen aristotelisierenden Kant präsentiert, hat sie ihre Meinung revidiert, aber auch nicht ganz. Aber am moralischen Sinn des Pflichtbegriffs führt kein Weg vorbei.Vgl. Zimmermann (), S. : „Wir haben es hier […] mit dem engen, dem moralischen Begriff der Pflicht zu tun“. Vgl. MSTL, Ak. , S. .
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S. 439). Sie ist als solche unterschieden von der „subjectiven Nothwendigkeit“, die in der Gewohnheit liegt. Die objektive Notwendigkeit war als modale Bestimmung der Handlung schon bei Pufendorf, in der Pufendorf-Rezeption und in der gesamten Jesuitenscholastik ein beherrschendes Thema.¹⁶⁰ Auch der Begriff der moralischen Notwendigkeit hat nach Meier eine weite und eine engere Bedeutung. Nach der weiten Bedeutung ist all das moralisch notwendig, dessen Gegenteil moralisch unmöglich in des Wortes weiter Bedeutung ist, was also um der Natur der Freiheit willen nur auf diese und keine andere Art bestimmt werden kann. Der engeren Bedeutung nach kommt die moralische Notwendigkeit der menschlichen Handlung zu, insofern der freie Wille moralisch „genöthigt“ wird, frei zu handeln. Die Verbindlichkeit oder Verpflichtung ist die moralische Nöthigung zu freien Handlungen. Oder wenn eine freie Handlung moralisch nothwendig gemacht wird, so muß sie geschehen; derjenige, von dessen freien Willen die Handlung abhanget, kann nicht anders, er muß etwas frei tun oder unterlassen, […] sein freies Verhalten ist dergestalt eingerichtet, daß das Gegentheil durch seinen freien Willen nicht mehr geschehen kann.¹⁶¹
Die moralische Nötigung des Willens aber wird nach Meier durch Bewegungsgründe verursacht, das heißt, durch die Vorstellungen des Guten und Bösen wird der Wille bestimmt, zu begehren oder zu verabscheuen – ein Begriffspaar, das ja auch Kant, und zwar auch in der „Analytik der reinen praktischen Vernunft“, das heißt in der Hinführung zur Tafel der Kategorien, öfter gebraucht.¹⁶² Hier können wir beobachten, wie die in der Spanischen Scholastik entdeckte Kategorie der moralischen Notwendigkeit, die als einzige Art der Notwendigkeit mit der Freiheit kompatibel ist, ins Denken der Schulphilosophie übernommen wurde. Die Entdeckung dieser Kategorie, die es im Denken der Antike und des Mittelalters nicht gibt, ist eine Sache von philosophiehistorisch großer, ja epochaler Bedeutung. Denn überall da, wo seitdem von einer mit der Freiheit vereinbaren Notwendigkeit oder auch von der Wahrscheinlichkeit im modernen Sinne die Rede ist, da steht sie im Hintergrund.¹⁶³ Kants Lehre von der Pflicht verrät den Einfluss dieser Tradition. Denn die Pflicht ist lediglich diejenige Form der moralischen Notwendigkeit, die den menschlichen Willen beziehungsweise
Vgl. Knebel (), S. ff. Vgl. Meier (), §§ – , S. – ; § , S. . Vgl. KpV, Ak. , S. f. Die Bedeutung der Entdeckung der Kategorie der moralischen Notwendigkeit in der Spanischen Scholastik hat zuerst und am besten beschrieben Knebel (). Siehe z. B. S. : „Die ‚moralische‘ Notwendigkeit ist definiert als diejenige, welche die Freiheit allenfalls einschränkt, aber nicht aufhebt“.
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jeden erschaffenen Willen bestimmt.¹⁶⁴ Die moralische Notwendigkeit, das heißt die Notwendigkeit des moralischen Gesetzes, aber für sich genommen gilt für den Willen aller vernünftigen Wesen, das heißt auch für den göttlichen. Das moralische Gesetz ist ja für den Willen „eines allervollkommensten Wesens“ (KpV, Ak. 5, S. 82) ein Gesetz der Heiligkeit, das heißt, hier gibt es eine vollständige Übereinstimmung der subjektiven Beschaffenheit des Willens mit dem moralischen Gesetz. Für den Willen eines endlichen vernünftigen Wesens aber ist es ein Gesetz der Pflicht. Darin eingeschlossen ist aber nicht nur die formale Erklärung der „moralischen Nöthigung“, sondern auch die „Bestimmung der Handlungen durch die Achtung für dieses Gesetz“. Es geht somit hier auch um die Triebfeder, um das subjektive Prinzip. Wenn die der Handlung zugrunde liegende Gesinnung moralisch sein soll – und diesen Bildungsprozess soll die Lehre von den Freiheitskategorien aufzeigen –, dann muss nichts anderes als das moralische Gesetz selbst als Triebfeder angenommen werden, so dass die Handlung nicht nur pflichtgemäß, sondern „aus Pflicht“ (KpV, Ak. 5, S. 82) vollzogen wird. Die „Triebfeder“ aber und mit ihr auch das „Interesse“ und ebenso die „Maxime“ sind die endlichkeitsbedingten Einschränkungen auf der subjektiven Seite, denen die „Pflicht“ auf der objektiven entspricht. Kant sagt von diesen subjektiven Prinzipien ausdrücklich, dass sie nur auf endliche Wesen, das heißt nicht auch auf den göttlichen Willen, angewandt werden können.¹⁶⁵ Die Kategorie der Pflicht vergegenwärtigt uns also den aus der Spanischen Scholastik bekannten Gedanken von einer dem Willen (dem göttlichen und menschlichen) eigenen Art der Notwendigkeit, die auch in ihrer endlichen Form als Pflicht oder Nötigung nicht als eine Beschränkung, sondern als die Verwirklichung der Freiheit angesehen wird.
Vollkommene und unvollkommene Pflicht Ein weiter und enger Sinn des Begriffs der moralischen Notwendigkeit verbirgt sich nun auch hinter Kants Unterscheidung der unvollkommenen und vollkommenen Pflichten. In der Metaphysik der Sitten hat Kant sie erläutert. Das VII. Kapitel der „Tugendlehre“ hat den Titel: „Die ethischen Pflichten sind von weiter, dagegen die Rechtspflichten von enger Verbindlichkeit“ (MSTL, Ak. 6, S. 390). Auch im VIII. Kapitel heißt es ausdrücklich von der ethischen Pflicht beziehungsweise den Tugendpflichten, dass sie von „weiter Verbindlichkeit“ (MSTL, Ak. 6, S. 392) sind. Die vollkommenen Pflichten sind die Rechtspflichten. Sie sind
Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. KpV, Ak. , S. .
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von enger Verbindlichkeit, weil sie nicht die Maxime der Handlung, sondern die Handlung selbst gebieten. Zur Erfüllung der Rechtspflichten ist der Einsatz äußeren Zwanges moralisch möglich, im Unterschied zu den unvollkommenen Pflichten.¹⁶⁶ Unvollkommene Pflichten sind allein die Tugendpflichten, für die es keine äußere Gesetzgebung geben kann, so dass sie auch nicht von außen erzwungen werden können. Ihre Erfüllung, sagt Kant, ist das „Verdienst“:¹⁶⁷ „Je weiter die Pflicht ist, je unvollkommener die Verbindlichkeit […] zur Handlung ist“ (MSTL, Ak. 6, S. 390), umso vollkommener ist die Tugendhandlung. War schon Kants Rede von der engen und weiten Verbindlichkeit ein deutlicher Hinweis auf die im Hintergrund stehende, von Meier ausgeführte Unterscheidung der moralischen Notwendigkeit im weiteren und engeren Verständnis, so verrät nunmehr die in der Tafel erwähnte Unterscheidung der unvollkommenen und vollkommenen Pflichten deutlich die Handschrift Wolffs. Wolff hat in seiner philosophia practica universalis die vollkommene Pflicht als jene Verbindlichkeit eines Menschen bestimmt, die einem anderen das sogenannte „vollkommene Recht“ zuteilt, das heißt ihm das Recht gibt, Zwang auszuüben, damit die Pflicht erfüllt werde.¹⁶⁸ Die unvollkommene Pflicht dagegen ist nicht mit der Vergabe eines Zwangsrechtes an einen anderen verbunden, vielmehr nur mit einem „unvollkommenen Recht“, und das nennt Wolff, wie auch später Kant, das Verdienst. Der reiche Krösus ist nicht durch eine erzwingbare, sondern nur durch eine unvollkommene Pflicht verpflichtet, dem armen Lazarus ein Almosen zu geben.¹⁶⁹
Siehe z. B. Eberhard (), n. , S. : „Aller moralische Zwang, der mit einer Erpressung verbunden ist, wird eine äusserliche, zwingende, vollkommene Verbindlichkeit. Eine Verbindlichkeit, die auf anderen Bewegungsgründen beruhet, ist eine innere, unvollkommene.“ „Die unvollkommenen Pflichten sind also allein Tugendpflichten“ (MSTL, Ak. , S. ). Mellin widerspricht der allgemeinen Meinung in den „Schulen der Philosophen“: „Allein auch die innern Pflichten sind theils vollkommene, theils unvollkommene. Sich tödten ist die Übertretung einer vollkommenen Pflicht, denn da man sich nie und unter keinerlei Bedingung tödten darf, so findet von der Pflicht, sich nicht zu tödten, gar keine Ausnahme statt. Und doch ist diese Pflicht, als Pflicht gegen sich selbst, keine Rechtspflicht, sondern eine Tugendpflicht, weil es dabei nicht auf die Handlung, sondern auf die Maxime der Handlung ankömmt“ (Mellin (), S. ). Wolff (), § , S. : „Perfecte mihi obligaris, si, ubi obligationi satisfacere nolueris, mihi competit jus te cogendi, seu vi adigendi, ut hoc facias. […] Quae perfecta dicitur Obligatio in relatione ad jus perfectum“. § , S. : „Jus perfectum dicitur, quod coniunctum est cum jure cogendi alterum, si obligationi suae satisfacere noluerit.“ Meier (), § , S. : „Die Juristen nennen nur die Zwangrechte eigentliche Rechte“. Wolff (), § , S. : „Imperfecte mihi obligaris, quando, ubi obligationi satisfacere nolueris, nullum mihi est jus te cogendi, ut facias. Unde patet, Te imperfecte mihi obligari ad id, ad quod mihi jus nonnisi imperfectum est. Ita Croesus imperfecte obligatur Lazaro qua Lazaro ad dandum eleemosynam: etenim si dare recusat,vi ipsum ad dandum adigere nequit.“ § , S. :
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Entsprechend unterscheidet auch Meier die äußerliche Verbindlichkeit, die auch vollkommene oder zwingende Verbindlichkeit genannt werden kann,von der innerlichen, die in Gesetzen der Großmut, der Freigebigkeit oder Frömmigkeit ausgedrückt sind. Dementsprechend gibt es auch ein äußerliches, vollkommenes Recht und ein inneres Recht. Vermöge des letzteren ist es uns zum Beispiel „möglich, etwas zu tun, aber ohne alle Erpressung. Ein Armer hat ein innerliches Recht, von einem Reichen ein Almosen zu erbitten; allein er darf es von dem Reichen nicht erpressen“¹⁷⁰. Kant hat diese Lehre vom doppelten Sinn der moralischen Notwendigkeit beziehungsweise „Nöthigung“ übernommen. In der Reflexion 7190 zur Moralphilosophie heißt es: Alle necessitatio moralis ist stricta oder lata. Die erste ist per arbitrium alterius (und passiva), die andere per statum alterius (memet ipsum cogo). Der ersteren kann kein motivum pragmaticum entgegenstehen, der zweyten aber wohl. Denn ich bin zur Erhaltung eines Armen nicht per arbitrium alterius moralisch gezwungen; also bin ich äußerlich frey, aber innerlich bin ich verbunden (Refl, Ak. 19, S. 268).
Eine vollkommene Pflicht ist nach der Erklärung von Mellin das, „was mit einem in der Vernunft nothwendig liegenden Gesetz in Einstimmung ist“¹⁷¹, eine unvollkommene dagegen, was mit einer zufällig in der Vernunft vorhandenen Regel übereinstimmt. Man muss allerdings hinzufügen, dass nach Kant die unvollkommene Pflicht natürlich „ein Gesetz für die Maxime der Handlung“ zur Grundlage hat, das aber im Hinblick auf ihre Art und den Grad der Handlung selbst einen „Spielraum verstattet“ (MSTL, Ak. 6, S. 446). Hier zeigt sich, dass die kantische Ethik viel weniger rigoros und strikt ist als der Ruf, der ihr vorauseilt.¹⁷² Der Durchgang durch die Tafel der Freiheitskategorien hat gezeigt, dass allein die Modalitätskategorien Willensbestimmungen darstellen, bei denen der Wille unter dem Anspruch eines unbedingten, das heißt auch unvermeidlichen, also wirklichen Sollens steht. Auch die Verfehlungen dieses Anspruchs (das moralisch „Unerlaubte“, „Pflichtwidrige“) sind insofern unbedingte Verfehlungen, während fehlerhafte Ausführungen bloß möglicher praktischer Vorschriften den Ungehorsam gegenüber bloß hypothetischen Imperativen bezeugen. Der Durchgang durch die Tafel der Freiheitskategorien hat aber auch dies gezeigt, dass der entsprechende, lange vernachlässigte Abschnitt aus der Kritik der „Jus imperfectum dicitur, cum quo jus cogendi non coniunctum, ubi alter obligationi, quae eidem respondet, satisfacere non vult. Dicitur a Grotio […] Aptitudo; ab Aristotele axia, sive Meritum.“ Meier (), §§ f., S. ff. Mellin (), S. . Wood (), S. f. hat das zu Recht hervorgehoben.
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praktischen Vernunft keine quantité negligeable, sondern ein Herzstück der praktischen Philosophie Kants darstellt.
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Heiko Puls
Was versteht Kant unter einem „übersinnlichen Gebrauche der Kategorien“? Eine Interpretation von KpV, Ak. 5, S. 5.24 – 6.1 Abstract. The expression of a „supersensible use of the categories“ utilised in the „Preface“ to the Critique of Practical Reason has barely received any attention in literature on the „categories of freedom“. Typically, it is interpreted solely in the sense of an extension of reason towards the supersensible, which was to be justified by the insight into the practical reality of freedom legitimised by the fact of reason. This paper analyses KpV, Ac. 5, pp. 5.24– 6.1 against the backdrop of Kant’s reflections on the categories of freedom in the „Second Chapter“ of the analytic and the role of the non-schematised categories in the second edition of the first Critique. It attempts to show that by the phrase „supersensible use of the categories“ in the „Preface“ Kant refers to the categories of freedom – and that these are, thus, declaredly and systematically at the centre of the second Critique.
1 Kants spärliche Erläuterungen zur praktischen Kategorienlehre sind in der Literatur immer wieder beklagt worden.¹ Es scheint zunächst, als ginge er nur im „Zweiten Hauptstück“ der Analytik der Kritik der praktischen Vernunft ² und in einer Fußnote zur „Vorrede“ der zweiten Kritik ³ auf die „Tafel der Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 66.16 f.) ein. Möglicherweise ist diese verbreitete Annahme aber nicht ganz zutreffend, denn in der „Vorrede“ findet sich auch ein längerer Absatz, der im Kontext programmatischer Überlegungen Kants auf einen „übersinnlichen Gebrauche“ (KpV, Ak. 5, S. 5.25) von Kategorien abhebt – und dies vor dem Hintergrund der Kategorienlehre der Kritik der reinen Vernunft erläutert.⁴
Vgl. dazu z. B. jüngst Zimmermann (), S. und Puls (), S. . Vgl. KpV, Ak. , S. . – .. Vgl. KpV, Ak. , S. Anm. Vgl. KpV, Ak. , S. . – ..
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Nur wenige Interpreten beziehen diesen Absatz in ihre Überlegungen ein. Findet er überhaupt Erwähnung, dann meist in erster Linie im Sinne einer Erweiterung der Vernunft hin zum Übersinnlichen, welche durch das Faktum der Vernunft geleistet wird.⁵ Der von Kant in der „Vorrede“ thematisierte „übersinnliche Gebrauche der Kategorien“ (KpV, Ak. 5, S. 5.25) bestünde dann allein darin, dass die Verstandeskategorie der Kausalität im Faktum der Vernunft praktische Relevanz und Rückversicherung erhielte – und so zumindest die praktische Legitimation der anderen beiden Vernunftideen, das heißt Postulate, Gott und Unsterblichkeit der Seele, erreicht werden könnte.⁶ Eine solche Deutung stellt Kants Überlegungen zu einem übersinnlichen Kategoriengebrauch aber nur verkürzt dar. Der vorliegende Aufsatz legt eine genaue Interpretation von KpV, Ak. 5, S. 5.24– 6.1 im Kontext der „Vorrede“ vor, die jenen schwierigen Abschnitt Satz für Satz analysiert und ihn in einen Zusammenhang zu Kants praktischer Kategorienlehre im „Zweiten Hauptstück“ der Analytik der Kritik der praktischen Vernunft setzt.⁷ Dabei soll gezeigt werden, dass sich der vermutete Bezug des übersinnlichen Kategoriengebrauchs aus der „Vorrede“ auf die Kategorien der Freiheit aus dem „Zweiten Hauptstück“ der Analytik anhand textueller Indizien belegen lässt.
Eine dieser Ausnahmen stellt Kobusch (), S. f. dar, der klar festhält: „Daß aber die Kategorienlehre trotz ihrer berüchtigten Kürze und Komprimiertheit einen zentralen Platz, ja das eigentliche Zentrum der Kritik der praktischen Vernunft einnimmt, kann nicht bezweifelt werden. Denn Kant bemerkt in der ‚Vorrede‘ ja selbst, daß es darum geht, das Rätsel aufzulösen, wie einerseits in der theoretischen Erkenntnis die objektive Realität der Kategorien im Falle des übersinnlichen Gebrauchs geleugnet und andererseits ‚in Ansehung der Objekte der reinen praktischen Vernunft‘, also des Guten und Bösen, zugestanden werden“ kann. Zu den weiteren Ausnahmen zählt Klemme (), S. – , der eine knappe, aber konzise Interpretation von Kants Überlegungen zu einem übersinnlichen Kategoriengebrauch vorlegt. Siehe auch die Interpretation in Puls (), S. – . Alle anderen Interpreten der Freiheitskategorien übergehen diesen Aspekt. Die umfangreiche Studie von Zimmermann () nimmt davon nicht einmal Notiz. Beispielhaft für eine solche Interpretation ist Beck (), S. ff., der die in der „Vorrede“ angesprochenen Kategorien mit den Vernunftideen identifiziert, aber auf die Kategorien der Freiheit nicht weiter eingeht. Eine solche Interpretation des übersinnlichen Kategoriengebrauchs als Rekurs auf die Postulate der praktischen Vernunft kann sich vor allem auf diesbezügliche Überlegungen Kants in KpV, Ak. , S. . – stützen. Dieser Zusammenhang wird schon in Puls (), S. ff. behauptet, aber nicht genau genug am Text erarbeitet.
Was versteht Kant unter einem „übersinnlichen Gebrauche der Kategorien“?
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2 Die einzelnen Abschnitte aus der Kritik der praktischen Vernunft und der Kritik der reinen Vernunft werden im Folgenden jeweils in Teilsätze gegliedert zitiert, beginnend mit KpV, Ak. 5, S. 5.24– 6.1: [A1] Hier erklärt sich auch allererst das Räthsel der Kritik, [A2] wie man dem übersinnlichen Gebrauche der Kategorien in der Speculation objective Realität absprechen [A3] und ihnen doch in Ansehung der Objecte der reinen praktischen Vernunft diese Realität zugestehen könne; [A4] denn vorher muß dieses nothwendig inconsequent aussehen, so lange man einen solchen praktischen Gebrauch nur dem Namen nach kennt. [A5] Wird man aber jetzt durch eine vollständige Zergliederung des letzteren inne, [A6] daß gedachte Realität hier gar auf keine theoretische Bestimmung der Kategorien und Erweiterung des Erkenntnisses zum Übersinnlichen hinausgehe, [A7] sondern nur hiedurch gemeint sei, daß ihnen in dieser Beziehung überall ein Object zukomme, weil sie entweder in der nothwendigen Willensbestimmung a priori enthalten, oder mit dem Gegenstande derselben unzertrennlich verbunden sind, [A8] so verschwindet jene Inconsequenz, weil man einen anderen Gebrauch von jenen Begriffen macht, als speculative Vernunft bedarf.
Das Lokaladverb „Hier“ in A1 bezieht sich auf den im Absatz zuvor angesprochenen „moralische[n] Gebrauch der Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 5.22), in dem die „Begriffe von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit“ (KpV, Ak. 5, S. 5.20) gesucht und begründet werden sollen, nachdem die Kritik gezeigt habe, dass diesen Begriffen durch die Mittel des theoretischen Verstandes nicht die hinreichende Gewährleistung ihrer Möglichkeit verschafft werden konnte. Im Zusammenhang mit der Frage nach der Möglichkeit und Realität dieser Vernunftbegriffe soll sich „auch“ ein bestimmtes „Räthsel“ wieder thematisieren lassen – oder besser gesagt soll es sich hier, das heißt im moralischen Vernunftgebrauch, erklären. Und es soll sich hier „allererst“ erklären, das heißt zuerst und vielleicht sogar exklusiv an dieser Stelle. Das reflexive ‚sich erklären‘ darf dabei nicht im Sinne einer diskursiven Erklärung verstanden werden, sondern eher im Sinne eines noch näher zu spezifizierenden Kundtuns oder Sich-Offenbarens,⁸ das heißt als selbsterklärend. Wichtig ist auch der differenzierende Hinweis darauf, dass sich im Kontext der Analyse der praktischen Vernunft – anders als man dem Sprachlaut nach annehmen könnte – nicht nur noch einmal in besonders prägnanter Weise ein Rätsel offenbart, sondern die Lösung dieses Rätsels in der Behandlung der praktischen Vernunft offenbar wird. Bei der in A1 angeführten „Kritik“ handelt es sich zweifelsfrei um die Kritik der reinen Vernunft. Der Teilsatz A1 lässt sich also vorläufig folgendermaßen paraphrasieren: Siehe den Artikel ‚sich erklären‘ in Grimm/Grimm (), Sp. .
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(Einzig) im moralischen Gebrauch der Vernunft offenbart sich (als Erstes) die Lösung des Rätsels der Kritik der reinen Vernunft.
Die Teilsätze A2 und A3 spezifizieren das „Räthsel“ (der ersten Kritik) aus A1 weiter. Da Kant den bestimmten Artikel „das“ verwendet, liegt die Vermutung nahe, dass es sich hierbei nicht um eines von vielen Rätseln aus der ersten Kritik handelt, sondern um das beziehungsweise ein zentrale(s) Rätsel dieses Werks. Laut A2 besteht dieses Rätsel in der Frage, wie man dem „übersinnlichen Gebrauche der Kategorien“ in der Spekulation „objective Realität“ absprechen und ihnen „doch in Ansehung der Objecte der reinen praktischen Vernunft“ (A3) diese Realität zugestehen könne. Es muss also eine explizite oder implizite Stellungnahme der ersten Kritik hinsichtlich des unterschiedlichen Gebrauchs von Kategorien geben – und damit auch einen differenzierten Geltungsbereich der Erkenntniskategorien der ersten Kritik. Aus dieser Feststellung Kants und der hier verwendeten Terminologie ergeben sich im Kern vor allem folgende Fragen: a) Worin besteht der übersinnliche Gebrauch der Kategorien in der ersten Kritik? b) Was lässt sich an dieser Stelle unter „objective[r] Realität“ verstehen? c) Was bezeichnen die „Objecte der reinen praktischen Vernunft“, angesichts derer die in der Spekulation verneinte „objective Realität“ nun im praktischen Bereich wieder zugestanden werden soll?
3 Das in A1 genannte „Räthsel“, wie der in A2 angeführte „übersinnliche Gebrauche der Kategorien“ im Hinblick auf die „Objecte der reinen praktischen Vernunft“ möglich sei, lässt sich allein durch eine Betrachtung des Geltungsbereichs der Kategorien in der Kritik der reinen Vernunft verständlich machen, deren Anwendung Kant hier noch allein auf die Erfahrung beschränken zu wollen scheint. In KrV, A 669/B 707 schreibt Kant, dass die „Begriffe von Realität, Substanz, Causalität etc. [also die Kategorien; d.Verf.] […] auf etwas, das von der Sinnenwelt ganz unterschieden ist, nicht die mindeste Anwendung“ hätten. Diese Kategorien hätten ohne den sinnlichen Anschauungsbezug „keinen Sinn“ und seien bloß „Titel zu Begriffen, die man einräumen, dadurch man aber auch nichts verstehen kann“ (KrV, A 696/B 724). Diese relativ explizite Restriktion der Anwendungsmöglichkeit der Kategorien könnte dafür sprechen, dass sich Kant (zumindest zur Zeit der Abfassung der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft) weder über eine mögliche Funktion der Kategorien als unschematisierte Kategorien noch über deren praktische Funktion bei der Bildung einer Handlungsabsicht durch den menschlichen Willen (zweite Kritik) im Klaren war. Die Annahme, er sei zu dem
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Gedanken einer Erweiterung des Geltungsbereichs der Kategorien erst durch die Auseinandersetzung mit den Einwänden Pistoriusʼ gelangt, könnte also zutreffen.⁹ In der zweiten Auflage der ersten Kritik weist Kant nämlich expliziter auf einen solchen erweiterten Gebrauch der Kategorien hin, indem er grundsätzlich zwischen der Denkbarkeit eines Gegenstands und dessen Erkenntnis differenziert. In KrV, B 166 hebt er auf die Funktion der Kategorien für das Denken einerseits und das Erkennen andererseits ab. Kategorien sind dem zufolge essenziell, um einen Gegenstand denken zu können, denn wir „können uns keinen Gegenstand denken, ohne durch Kategorien“; und sie sind notwendig, damit aus einer bloßen Anschauung Erkenntnis wird, denn wir „können keinen gedachten Gegenstand erkennen, ohne durch Anschauungen“. Mit dieser Bestimmung ist eine wichtige Differenz zwischen den Kategorien als reinen Funktionen des Denkens und ihrem Stellenwert innerhalb der empirischen Erkenntnis beschrieben: Auch ohne Anschauung haben die Kategorien einen wichtigen Nutzen; sie sind auch Grundlage eines nicht auf Anschauung bezogenen Denkens. Diese Feststellung erläutert Kant hier in einer Fußnote durch folgenden Satz, der zwecks genauerer Interpretation wieder in Teilsätze gegliedert wiedergegeben wird: [B1] Damit man sich nicht voreiliger Weise an den besorglichen nachtheiligen Folgen dieses Satzes stoße, [B2] will ich nur in Erinnerung bringen, daß die Kategorien im Denken durch die Bedingungen unserer sinnlichen Anschauung nicht eingeschränkt sind, sondern ein unbegrenztes Feld haben, [B3] und nur das Erkennen dessen, was wir uns denken, das Bestimmen des Objects, Anschauung bedürfe; [B4] wo beim Mangel der letzteren der Gedanke vom Objecte übrigens noch immer seine wahre und nützliche Folgen auf den Vernunftgebrauch des Subjects haben kann, [B5] der sich aber, weil er nicht immer auf die Bestimmung des Objects, mithin aufs Erkenntniß, sondern auch auf die des Subjects und dessen Wollen gerichtet ist, hier noch nicht vortragen läßt. (KrV, B 166 Anm.)
Die Teilsätze B1 bis B3 wiederholen noch einmal den zentralen Gedanken von KrV, B 166 Anm.: Hinsichtlich der Kategorien muss zwischen ihren Funktion als Elementen der immer auf Anschauung angewiesenen Gegenstandserkenntnis einerseits und als reinen Denkbegriffen andererseits unterschieden werden. B1 zufolge darf man sich aber durch die anschauungsunabhängige Funktion der Kategorien nicht „voreilig“ und möglicherweise „nachtheilig“ zu der Annahme verleiten lassen, ein solcher Gebrauch sei illegitim. Denn gemäß B2 sind die Kategorien im Denken durch die „sinnliche Anschauung“ nicht eingeschränkt, sondern haben ein „unbegrenztes Feld“. Während das Denken nur durch die
Für diesen Ansatz argumentieren Klemme (), S. und Milz (), S. .
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Vermeidung von Selbstwidersprüchen Begrenzung erfährt,¹⁰ bleibt die Erkenntnis (das „Bestimmen des Objekts“) B3 zufolge immer an die Anschauung gebunden. Ein anschauungsunabhängiger Gebrauch der Kategorien muss also nicht als defizitär oder gar illegitim betrachtet werden, eben weil er von ganz anderer Art ist als der Kategoriengebrauch in erkennender Perspektive. Der Gedanke an ein Objekt ohne Anschauung kann B4 entsprechend „noch immer seine wahre und nützliche Folgen auf den Vernunftgebrauch des Subjects“ haben, nur dass dieser nicht auf die Bestimmung eines Objekts und damit auf Erkenntnis, sondern „auf die des Subjects und dessen Wollen“ (B5) gerichtet sei. Der so endende Teilsatz B5 erschließt sich sprachlich nicht unmittelbar. Zweifelsfrei bezieht sich das Relativpronomen zu Beginn auf den zuvor genannten „Vernunftgebrauch des Subjects“. Grammatisch wäre unter Umständen auch ein Bezug auf den „Gedanke[n] vom Objecte“ möglich; eine solche Deutung wäre aber inhaltlich unplausibel. Es folgte daraus, dass es dieser „Gedanke“ wäre, der sich hier noch nicht vortragen ließe. Gerade diesen Gedanken, das heißt die Vorstellung des reinen Denkens ohne Anschauung, stellt Kant aber zuvor als möglich und unproblematisch heraus. Das, was sich hier Kant zufolge noch nicht vortragen lässt, besteht also, so lässt sich schließen, in dem spezifischen „Vernunftgebrauch des Subjects“. In dem Satzteil „sondern auch auf die des Subjects und dessen Wollen gerichtet ist [Herv. d. Verf.]“ aus B5 ist zunächst nicht klar ersichtlich, worauf sich der Artikel „die“ bezieht – grammatisch wie auch inhaltlich ist aber der Bezug auf „Bestimmung“ naheliegend. Kant geht es an dieser Stelle also um zwei mögliche Bestimmungen: eine „Bestimmung des Objects“, das heißt eine Erkenntnis, und eine Bestimmung „des Subjects“, das heißt eine praktische Selbstbestimmung. B4 bis B5 lässt sich damit (inhaltlich etwas vereinfachend) folgendermaßen paraphrasieren: Der Gedanke von einem Objekt, das heißt das reine Denken, kann noch immer seine wahren und nützlichen Folgen auf den Vernunftgebrauch des Subjekts haben, der aber, weil er nicht immer auf die Bestimmung des Objekts (mithin auf Erkenntnis), sondern auch auf die praktische Bestimmung des Subjekts und dessen Wollen gerichtet ist, hier, in der Kritik der reinen Vernunft, noch nicht vorgestellt werden kann.
Hier könnte man durchaus wieder beide Interpretationen von Kants übersinnlichem Kategoriengebrauch annehmen, denn die Stelle lässt sich auf zwei unterschiedliche Arten lesen. Zunächst lässt sie sich so verstehen, dass das reine Denken, das auf der Urteilstafel beruht, in Form der später, in der zweiten Kritik vorgestellten Kategorien der Freiheit seine „wahre[n] und nützliche[n] Folgen“ für
Vgl. KrV, B XXVII Anm.
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den „Vernunftgebrauch des Subjects“ haben kann. Bei der hier angesprochenen praktischen Bestimmung „des Subjects und dessen Wollen“ geht es dann entsprechend um die Formung einer Handlungsabsicht durch die praktischen Kategorien. Oder aber man liest die Stelle so, dass hier wieder nur die praktische Legitimation der Vernunftpostulate von Gott und der Unsterblichkeit der Seele durch die im Faktum der Vernunft beglaubigte Idee der Freiheit angesprochen ist. Auch diese Postulate sind ja in einer bestimmten Weise auf die praktische Bestimmung „des Subjects und dessen Wollen“ gerichtet. Allerdings ist fraglich, ob Kant in diesem Fall tatsächlich davon spräche, dass die praktische Relevanz der Postulate für das vernünftige moralische Selbstverständnis „wahre und nützliche Folgen“ hat. Die Postulate dürfen nämlich nicht der Bestimmungsgrund der Moralität sein – und damit streng genommen auch keinen Nutzen für die Moral und die praktische Vernunft haben.¹¹ Im Kontext der Selbstbestimmung durch praktische Kategorien – das heißt im Hinblick auf deren eher technische Funktion der Herausbildung einer Handlungsabsicht in Form einer Reflexion durch die verschiedenen Modi des Urteilens überhaupt –¹² lässt sich allerdings sehr wohl von einem Nutzen der Kategorien sprechen. Die erste Deutungsvariante wird auch dadurch unplausibel, dass Kant hier nicht von den Postulaten der Vernunft spricht, die durch die praktische Bestätigung der Freiheit als Kategorie der Kausalität praktisch legitimiert würden, sondern lediglich von einem Gedanken ohne Anschauung. Auch diese Aussage legt eher einen Bezug auf die Kategorien der Freiheit nahe, die in einer bestimmten Weise Ausformung der Urteilstafel und damit der verschiedenen Modi des Denkens überhaupt sind.¹³ Anders als die in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft sich andeutende Restriktion der Kategorien auf Anschauung (und die damit verbundene Beschränkung auf Erkenntnis) vermuten ließ, stellt die eben interpretierte Fußnote sehr explizit eine anschauungsunabhängige Funktion der Kategorien in praktischer Perspektive in Aussicht, die Kant dann in der zweiten Kritik ausarbeitet. In der Preisschrift weist Kant – ähnlich wie in den zweiten Auflagen der Kritik der reinen Vernunft und der Kritik der praktischen Vernunft – darauf hin, dass
Auf einer Metaebene hingegen lässt sich die existenziell-praktische Relevanz der Postulate für die Kontinuität einer moralischen Selbstbestimmung natürlich durchaus auch als einen Nutzen bezeichnen. Zu der möglichen Funktion der Kategorien der Freiheit als eines auf der Urteilstafel beruhenden „Ordnungsschema[s] der Willensbildung“ siehe Puls (), S. ff. Zum Verhältnis zwischen der Urteilstafel und der Tafel der Kategorien der Freiheit siehe Puls (), S. – und Zimmermann (), S. – , die sich beide dafür aussprechen, dass sich Kants praktische Kategorientafel einer metaphysischen Deduktion aus der Urteilstafel der ersten Kritik verdankt.
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Kategorien in dieser praktischen Verwendungsweise „keine bestimmte Art der Anschauung [voraussetzen]“ (FM, Ak. 20, S. 272.9), sondern „Denkformen“ (FM, Ak. 20, S. 272.11) für den „Begriff von einem Gegenstande der Anschauung überhaupt“ (FM, Ak. 20, S. 272.11 f.) seien, welcher „Art dieser auch sei, wenn es auch eine übersinnliche Anschauung wäre“ (FM, Ak. 20, S. 272.12 f.).¹⁴ Auch an dieser Stelle führt Kant noch einmal explizit die Legitimität eines übersinnlichen Gebrauchs der Kategorien an und spricht sogar von einer „übersinnliche[n] Anschauung“. In der „Vorrede“ der Kritik der praktischen Vernunft schließt Kant in der Sache an den letztgenannten Gedanken an, wenn er von dem „Räthsel“ spricht, dass man dem „übersinnlichen Gebrauche der Kategorien“ in spekulativer Perspektive zwar Realität absprechen müsse, diesen aber in einer anderen Hinsicht wieder „Realität“ zugestehen könne. In der ersten Kritik lag Kants Augenmerk zunächst auf einer Analyse der theoretischen Leistungen der Vernunft. Die Analyse der praktischen Vernunft behauptete schon dort ihren „Platz“, welcher aber zunächst „leer“ (KrV, B XXI) bleiben musste. Man könnte also annehmen, dass dieselbe Vermutung für die Bestimmung der Kategorien der Freiheit zutreffe. Auch der praktische Kategoriengebrauch musste, wie der praktische Gebrauch der Vernunft, seinen Platz vorerst „leer“ lassen. In A2 spricht Kant davon, dass es ein Rätsel sei, wie „man dem übersinnlichen Gebrauche der Kategorien in der Speculation objective Realität absprechen“ und ihnen doch in praktischer Rücksicht angesichts der „Objecte der reinen praktischen Vernunft“ eine solche Realität zugestehen könnte. In seiner Erkenntnistheorie versteht Kant unter objektiver Realität das Korrespondieren eines Verstandesbegriffs (Kategorie) mit der sinnlichen Anschauung.¹⁵ Die Verstandeskategorien lassen sich in diesem Kontext nicht auf etwas „Übersinnliche[s]“ anwenden, weil hier, so wie Kant es in B4 ausführt, kein Objekt vorliegt – und damit auch keine Anschauung. Ein solcher, in erkennender Perspektive als unmöglich erachteter übersinnlicher Kategorienbezug soll nun aber gemäß A3 zumindest in „Ansehung der Objecte der reinen praktischen Vernunft“ möglich sein. Eine „vollständige Zergliederung“ der praktischen Vernunft legitimiere jenen vor dieser Analyse „inconsequent“ erscheinenden Kategoriengebrauch. Kants Bemerkungen in der „Vorrede“, die auf die Vernunftideen von Gott und der Unsterblichkeit der Seele Bezug nehmen und den Sätzen A1 bis A8 vorange Zur Differenz zwischen einem auf Anschauung beschränkten und einem übersinnlichen Gebrauch der Kategorien siehe z. B. Willaschek (), S. f. und Prien (), S. ff. Auf Kants unterschiedliche Verwendungsweisen der Formulierung ‚objektive Realität‘ kann ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Siehe dazu Prien (), S. ff. und Goy (), S. – .
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hen, könnten die immer wieder vermutete Lesart nahelegen, dass die hier angesprochenen „Objecte der praktischen Vernunft“ genau in diesen Ideen der Vernunft bestünden.¹⁶ Allerdings verwendet Kant in dem Abschnitt „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ den Begriff eines „Objects der reinen praktischen Vernunft“ auch zur Bezeichnung einer menschlichen Handlung, welche das Resultat einer praktischen Synthesisleistung darstellt:¹⁷ Objekte der reinen theoretischen Vernunft bestehen in den durch die Verbindung von Verstandeskategorie und sinnlicher Anschauung erkannten Gegenständen, Objekte der praktischen Vernunft bestehen in menschlichen Handlungen aus Freiheit. In welchem Zusammenhang der in A8 genannte „andere“ Gebrauch der Kategorien mit den dort ebenfalls angeführten „Objecte[n] der reinen praktischen Vernunft“ (vgl. A3) steht, lässt sich durch eine Betrachtung der grundsätzlichen Differenz zwischen der Funktion von praktischer und theoretischer Vernunft verständlich machen. Die objektive Realität in Gestalt einer bestimmten Entsprechung zwischen Kategorie und sinnlicher Anschauung kann hier in praktischer Perspektive nicht gemeint sein. Erst die noch zu leistende „Zergliederung“ der praktischen Vernunft soll zeigen, dass die an dieser Stelle angeführte „Realität“ auf „gar […] keine theoretische Bestimmung der Kategorien und Erweiterung des Erkenntnisses zum Übersinnlichen hinausgehe“ (A6). Die Realität eines Objekts im praktischen Kontext besteht nicht in der Relation zwischen Kategorie und Anschauung. Vielmehr bedeutet diese Realität A7 zufolge, dass den Kategorien in dieser nun zu thematisierenden praktischen Hinsicht „überall ein Object zukomme“ – und zwar „weil sie [die Kategorien; d. Verf.] entweder in der nothwendigen Willensbestimmung a priori enthalten, oder mit dem Gegenstande derselben unzertrennlich verbunden sind“. In B1 bis B5 schreibt Kant – ich bin auf diese Stellen schon näher eingegangen –, dass die unschematisierten Kategorien „nützliche Folgen auf den Vernunftgebrauch des Subjects“ haben könnten und dass sie auf die praktische Bestimmung „des Subjects und dessen Wollen“ gerichtet seien. Man kann versuchen, die Passage so zu lesen, dass es sich bei diesen Kategorien um die Vernunftideen, das heißt Postulate der praktischen Vernunft, handeln könnte und dass Kant hier auf deren Bedeutung für das praktische Selbstverständnis des Menschen abhebe. In einem ähnlichen Sinne könnte man hier die Feststellung ausgedrückt sehen, dass den Kategorien immer ein Objekt zukomme, weil sie in der Willensbestimmung enthalten oder mit dieser unzertrennlich verbunden seien. Eine solche Deutung ist an dieser Stelle aber ebenso Als exemplarisch für eine solche Deutung wurde schon Beck (), S. ff.) genannt. Siehe dazu auch Eidam (), S. ff. und Sala (), S. ff. Für eine Übersicht über weitere Literatur siehe Puls (), S. – . Vgl. Puls (), S. – .
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fragwürdig wie in B1 bis B5, weil es inhaltlich wenig sinnvoll erscheint, von einem Enthaltensein a priori der Postulate in der Willensbestimmung zu sprechen. Auch die Behauptung einer unzertrennlichen Verbundenheit der Postulate mit dem Gegenstand der Willensbestimmung, das heißt der menschlichen Handlung, lässt sich nicht ohne Weiteres nachvollziehen. Die Postulate gehören Kant zufolge zwar zu einem moralisch konsistenten Selbstverständnis; man kann aber nicht davon sprechen, dass sie an der Willensbildung (in einem technischen Sinne) selbst beteiligt oder mit den daraus resultierenden Handlungen unzertrennlich verbunden wären. Die grammatische Konstruktion von A1 bis A8 (und letztlich auch B1 bis B5) spricht hingegen dafür, dass die Kategorien in der „anderen“ – nämlich praktischen – Funktion tatsächlich in der Willensbestimmung enthalten oder mit dem Gegenstand der praktischen Vernunft in Form einer menschlichen Handlung „unzertrennlich verbunden“ sind. Und zwar gilt dies in dem technischen oder besser gesagt funktionalen Sinne,¹⁸ wie man es für die Kategorien der Freiheit als Modi des Urteilens überhaupt annehmen darf: Die Kategorien beziehen sich also auf eine andere Realität als die Kategorien in der ersten Kritik. Sie sind am intelligiblen Akt der Willensbildung beteiligt und liegen dessen Resultat, den „Objecte[n] der reinen praktischen Vernunft“ in Form von Handlungen, zugrunde.¹⁹ Ihr übersinnlicher Gebrauch läuft damit in praktischer Hinsicht nicht ins Leere, wie man es im Falle des illegitimen Gebrauchs dieser Kategorien, nämlich einer Anwendung von Kategorien auf Übersinnliches in der Absicht einer Gegenstandserkenntnis, konstatieren müsste. Auf diese Weise verschwindet die von Kant in den Raum gestellte Inkonsequenz, das heißt die Gefahr eines überschwänglichen und damit leeren Gebrauchs der Kategorien, da man im praktischen Vernunftgebrauch, der hier vorausgreifend skizziert wird, „einen anderen Gebrauch von jenen Begriffen macht, als speculative Vernunft bedarf [Herv. d. Verf.]“ (A8). Wie bereits mehrfach erwähnt, könnte der in A1 bis A8 und B1 bis B5 thematisierte übersinnliche Gebrauch der Kategorien möglicherweise tatsächlich allein in der Vorstellung einer Kausalität aus Freiheit und deren Legitimation durch das Faktum der Vernunft liegen – und zwar in dem bereits skizzierten Sinne, dass der Verstandesbegriff der Kausalität, das heißt die Kategorie der Kausalität, in praktischer Perspektive durch die im Faktum der Vernunft beglaubigte Realität der Freiheit bestätigt wird und auf diese Weise eines der Postulate der praktischen Vernunft legitimiert. Kant bezeichnet die Kategorien in der Kritik der praktischen Vernunft zu Recht als „praktische Elementarbegriffe“ (KpV, Ak. , S. .) und die „Categorien der Moralitaet“ an anderer Stelle explizit als „Funktionen der freyheit“ (HN, Ak. , S. .). Zu einer möglichen Bedeutung der Kategorien der Freiheit als Funktionen der Freiheit siehe Puls (). Vgl. Puls (), S. – .
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Gegen eine solche Annahme spricht – neben den bereits in der Interpretation von A1 bis A8 und B1 bis B5 genannten Einwänden – eine spätere Stelle im „Zweiten Hauptstück“ des ersten Buchs der Analytik, wo Kant seine Überlegungen aus der „Vorrede“ ausführlicher fasst. Dabei kommt er auf eine durch die Einsicht in das Faktum der Vernunft legitimierte praktische Verwendungsweise aller Kategorien zu sprechen. Diesem Abschnitt zufolge legitimiert die durch das Faktum der Vernunft praktisch beglaubigte Kategorie der Freiheit auch die „praktischanwendbare Realität“ der „übrigen“ Kategorien (ich zitiere wieder untergliedert in Teilsätze): [C1] Aber diese einmal eingeleitete objective Realität eines reinen Verstandesbegriffs im Feld des Übersinnlichen [C2] giebt nunmehr allen übrigen Kategorien, obgleich immer nur so fern sie mit dem Bestimmungsgrunde des reinen Willens (dem moralischen Gesetze) in nothwendiger Verbindung stehen, auch objective, nur keine andere als bloß praktisch-anwendbare Realität […]. [C3] Wie wir denn auch in der Folge finden werden, daß sie immer nur auf Wesen als Intelligenzen, und an diesen auch nur auf das Verhältnis der Vernunft zum Willen, mithin immer nur aufs Praktische Beziehung haben […]. (KpV, Ak. 5, S. 56.28 – 57.1)
In der „Vorrede“ stellt Kant fest, dass in erkenntnistheoretischer Hinsicht „alle Begriffe des reinen Verstandes im theoretischen Gebrauche […] ausschließungsweise den bloßen Erscheinungen gewidmet“ (KpV, Ak. 5, S. 6.29 – 31) wurden. Diese Begriffe sollen aber nun in der zweiten Kritik im „Übergange zu einem ganz anderen Gebrauche betrachtet“ (KpV, Ak. 5, S. 7.11) werden. C1 stellt noch einmal fest, dass durch das Faktum der Vernunft eine der Kategorien (einer der „reinen Verstandesbegriff[e]“), nämlich der Begriff der Freiheit, „objective Realität“ erhalten hat, das heißt, seine Realität erfährt zumindest in praktischer Hinsicht Bestätigung. Die Formulierung „im Feld des Übersinnlichen“ muss man in diesem Kontext als Hinweis auf das Übersinnliche im Menschen lesen: Dadurch, dass die Kategorie der Kausalität (in Form von Freiheit) auf das übersinnliche Substrat im Menschen angewandt werden kann und im Faktum der Vernunft praktische Beglaubigung erfährt, zeigt sich die „objective Realität“ dieses Begriffs in praktischer Hinsicht. C2 stellt fest, dass durch die „objective Realität“ einer Kategorie auch die „objective Realität“ der anderen Kategorien erreicht wird – und damit deren „praktisch-anwendbare Realität“. Durch die Einsicht in das Faktum der Vernunft konnte gezeigt werden, dass einer der reinen Verstandesbegriffe „objective Realität“ im Kontext eines übersinnlichen Aspekts, nämlich der praktischen Selbstbestimmung des Menschen, hat. Damit ist die Kategorie der Freiheit praktisch bewiesen. Somit können auch alle anderen Verstandesbegriffe, insofern sie „mit dem Bestimmungsgrunde des reinen Willens (dem moralischen Gesetze) in nothwendiger Verbindung“ (C2) stehen, ebenfalls eine solche „objective Realität“ erreichen. Bereits in der „Vorrede“ skizziert Kant eine solche Verbindung zwischen
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den Kategorien und der moralischen Selbstbestimmung, indem er dort nicht nur von einer solchen Verbindung spricht, sondern davon, dass die Kategorien in der Willensbestimmung liegen: Sie betreffen, weil sie „in der […] Willensbestimmung a priori enthalten“ (KpV, Ak. 5, S. 5.34 f.) sind, nur das Verhältnis der Vernunft zum Willen. Diese Kategorien haben aber C3 zufolge immer nur eine Funktion im Hinblick auf die intelligible Willensbestimmung des Menschen und damit eine „Beziehung […] aufs Praktische“.
4 Die auf den analysierten Passagen A, B und C beruhende Interpretationsskizze zur Funktion der Freiheitskategorien lässt sich gut mit Kants knappen Erläuterungen zur „Tafel der Kategorien der Freiheit“ im „Zweiten Hauptstück“ der Analytik der Kritik der praktischen Vernunft zur Deckung bringen. Gleich zu Beginn des Hauptstücks „Von dem Begriffe des Gegenstandes einer reinen praktischen Vernunft“ kommt Kant auf die in A1 angeführten „Objecte der reinen praktischen Vernunft“ zu sprechen. Dieser Passage zufolge handelt es sich bei einem Objekt der praktischen Vernunft um eine „Wirkung durch Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 57.18 f.) in Form einer menschlichen Handlung, die Resultat eines Freiheitsaktes ist und moralisch bewertet werden kann: „Die alleinigen Objecte einer praktischen Vernunft sind also die vom Guten und Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 58.6 f.). Gut und böse werden von Kant an dieser Stelle als „modi einer einzigen Kategorie, nämlich der der Causalität“ (KpV, Ak. 5, S. 65.12), begriffen und können damit auf die in A2 bis A3 in Aussicht gestellte und in C1 deutlich benannte Kausalitätskategorie, die durch die Einsicht in das Faktum der Vernunft einen praktischen Gebrauch aller übrigen Kategorien ermöglicht, bezogen werden. Dieser Gebrauch der Kategorien ist – wie in der „Vorrede“ angekündigt – in der Tat „ein ganz andere[r]“ (KpV, Ak. 5, S. 7.11), weil die Kategorien dabei nicht „in der Absicht eines theoretischen Gebrauchs […], um das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen“ (KpV, Ak. 5, S. 65.21– 23), in Anspruch genommen werden. Der „übersinnliche“ (vgl. A2), „praktische“ (vgl. A4), ebender „ganz andere“²⁰ Gebrauch der Kategorien liegt vielmehr in ihrer funktionalen Bedeutung als ein Ordnungsschema der Willensbildung. Sie werden von der Vernunft auf das „Mannigfaltige der Begehrungen“ angewandt und stellen so eine „Einheit des Bewußtseins“ (KpV, Ak. 5, S. 65.24) der praktischen Vernunft her. Die Bestimmung passt zu der Feststellung in A7, nach
Vgl. KpV, Ak. , S. ..
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der die Kategorien „in der nothwendigen Willensbestimmung a priori enthalten“ sind und ihnen als grundsätzlichen, funktionalen Modi der Willenskonstitution „überall ein Object zukomme“. Die Behauptung, dass der „übersinnliche Gebrauche der Kategorien“ ein „ganz andere[r]“ sei, da diese nicht auf eine sinnliche Anschauung in Raum und Zeit bezogen würden, findet sich auch in Kants Erläuterungen zur Tafel der Freiheitskategorien. Gegenüber den Kategorien der ersten Kritik wird ihnen hier sogar ein „Vorzug“ eingeräumt: Während erstere Kategorien „Gedankenformen sind, welche nur unbestimmt Objecte überhaupt für jede uns mögliche Anschauung durch allgemeine Begriffe bezeichnen“ (KpV, Ak. 5, S. 65.29 – 31), werden die Kategorien in der praktischen Verwendung als „Elementarbegriffe“ (KpV, Ak. 5, S. 65.36) der praktischen Vernunft definiert, die zwar auf Anschauung bezogen, nicht aber auf diese angewiesen sind. Sie sind, wenn wir sie uns als handlungswirksame Modi eines intelligiblen Wesens denken, unabhängig von der Anschauung in Raum und Zeit. Die Kategorien sind diesen Beschreibungen zufolge also auch als anschauungsunabhängige Begriffe des reinen Denkens nicht bedeutungslos, sondern haben gemäß B4 „noch immer“ ihre „wahre[n] und nützliche[n] Folgen auf den Vernunftgebrauch des Subjects“. Einer der Verstandesbegriffe der Kategorientafel der ersten Kritik, nämlich der Begriff der Kausalität, wird durch das Faktum der Vernunft und das in ihm enthaltene Bewusstsein der Freiheit bewiesen. Das Faktum zeigt, dass die Anwendung der Kategorien auf „Übersinnliches“ in praktischer Hinsicht nicht ebenso „leer“ ist wie die Anwendung der Kategorien auf das Übersinnliche in erkenntnistheoretischer Perspektive. Vielmehr kommt den Kategorien in dieser Gebrauchsweise jene ganz andere Funktion zu. Alle „übrigen Kategorien“ erhalten dadurch die in C3 konstatierte „praktisch-anwendbare Realität“; das heißt, sie lassen ein Handlungssubjekt zwar nicht erkennen, haben aber doch praktische Realität, weil sie als Modi einer Kausalität aus Freiheit den „Objecte[n] der reinen praktischen Vernunft“ (A3), nämlich den Handlungen, in Form von einigenden Urteilsmomenten zugrunde liegen. Die Vernunft wendet in der Willensbildung unschematisierte Kategorien analog zum Vorgang der Gegenstandserkenntnis an, um zu einer einheitlichen Willensabsicht zu gelangen. Dabei geht es nicht um eine Schematisierung sinnlicher Anschauungen durch die Kategorien, sondern vielmehr um die Synthetisierung unterschiedlicher Begehrungen zu einer einheitlichen Handlungsabsicht. Hinsichtlich Struktur und Umfang werden die praktischen Kategorien zwar „den Kategorien des Verstandes gemäß“ (KpV, Ak. 5, S. 65.20 f.) angewandt, haben dabei aber hier die „ganz andere“ Aufgabe, „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft […] zu unterwerfen“ (KpV, Ak. 5, S. 65.23 – 26). Die Anwendung der Kategorien in praktischer
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Perspektive ist damit trotz des Fehlens einer Anschauung nicht „leer“. Der „Mangel“ (B4) einer Anschauung ist kein Defizit, sondern ist für das „Subject und dessen Wollen“ (B5) „wahr und nützlich“ (B4), indem so intrinsisch die Konstitution einer Handlung erst möglich wird.
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Praktische Erkenntnis a priori in Kants Kritik der praktischen Vernunft* Abstract. The paper first explains why Kant, contrary to the wish of his reviewer H. A. Pistorius, cannot introduce his ethics with a definition „of that which is good“. A detailed interpretation of the chapter „On the Concept of an Object of Pure Practical Reason“ follows, which deals above all with the „paradox of method in a critique of practical reason“. Here again the focus is on Kant’s claim that the justification of his new method at the same time explains „the basis that occasions all the strayings of philosophers with regard to the supreme principle of morality“. It is in this context, that Kant’s remarks on the „categories of freedom“ as concepts that ground practical cognition a priori of actions belong. The analysis of these categories and their table conclude the paper.
In seiner im Mai 1786 erschienenen Rezension von I. Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten verweist H. A. Pistorius auf einen Hauptmangel der kantischen Schrift, auf den er zweimal zu sprechen kommt. Gleich zu Beginn der Rezension referiert er aus Kants Text: Der Verfasser bemerkt zuerst, daß ohne Einschränkung nichts für gut zu halten sey, als ein guter Wille, daß dieser Wille, nicht durch das, was er bewirkt und ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgend eines vorgesetzten Endzwecks, sondern allein durch das Wollen d. i. an sich gut sey, und für sich betrachtet, ohne Vergleichung weit höher zu schätzen sey, als alles, was durch ihn zu Gunsten irgendeiner Neigung, ja, wenn man will, der Summe aller Neigungen, nur immer zu Stande gebracht werden könnte. Der Verfasser gesteht, dass in diesem Grundsatz zur Schätzung des Werths des Willens etwas Befremdliches liege, ob er gleich die Beystimmung auch der gemeinen Vernunft haben soll [!]; er hält es also für nöthig, ihn noch näher zu prüfen. Hiebey wünschte ich nun, dass es dem V. beliebt hätte, vor allen Dingen den allgemeinen Begriff von dem, was gut ist, zu erörtern, und was er darunter versteht, näher zu bestimmen, denn offenbar müßten wir uns erst hierüber einverstehen, ehe wir über den absoluten Werth eines guten Willens etwas ausmachen können. Ich bin also berechtigt zuerst zu fragen, was ist überhaupt gut, und was ist insonderheit ein guter Wille? Läßt sich auch ein an und für sich, und ohne Beziehung auf irgend ein Objekt betrachteter guter Wille gedenken?¹
* Dieser Aufsatz ist zuvor erschienen als Baum () und liegt hier in geringfügig überarbeiteter Fassung vor. Landau (), S. f.
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Nachdem er den „sogenannten categorischen Imperativ, oder ein solches höchstes Gebot der Sittlichkeit, das schlechterdings an und für sich gilt“² als untauglich zur Beantwortung seiner Frage kritisiert hat, weil „ich einen Willen blos darum, weil er gesetzmäßig, oder weil das Gesetz blos die Maxime seines Willen ist, [nicht] für schlechterdings gut erkennen kann, sondern es kömmt immer erst darauf an, ob sein Gesetz auch gut sey“³, wiederholt der Rezensent noch einmal seine Eingangsfrage: Dies führt uns dann darauf, was ich am Anfang erinnerte, daß die sittliche Untersuchung mit dem Begriff von gut anfangen, und die Frage zuerst untersucht werden müsse, ob sich in Beziehung auf das Verhalten des Menschen irgend etwas anders, als gut angeben lasse, als was wirklich für den Menschen, als ein empfindendes und denkendes Wesen gut ist.⁴
Pistorius teilt also offenbar nicht die Bedenken Platons oder G. E. Moores gegen die Definierbarkeit des Guten, und er hält sich also für berechtigt, von einem „philosophischen Forscher“⁵ zu verlangen, dass er diesen Grundbegriff aller Moralphilosophie gleich zu Beginn seiner diesbezüglichen Untersuchungen mit einer haltbaren Definition ausstatte. Kant kommt in seiner „Vorrede“ zur Kritik der praktischen Vernunft auf diesen Einwand zurück: Ich habe einem gewissen wahrheitliebenden und scharfen, dabei also doch immer achtungswürdigen Rezensenten jener Grundlegung zur Metaphysik der Sitten auf seinen Einwurf, daß der Begriff des Guten dort nicht (wie es seiner Meinung nach nöthig gewesen wäre) vor dem moralischen Princip festgesetzt worden, in dem zweiten Hauptstücke der Analytik,wie ich hoffe, Genüge gethan (KpV, Ak. 5, S. 8 f.).
Und in der Tat begründet Kant seine These, dass der Begriff des Guten nicht vor der Festsetzung des Moralprinzips definiert werden könne, gleich zu Beginn dieses Hauptstücks, das den Titel trägt „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“, und dann noch einmal im Zentrum dieses Kapitels, das von dem „Paradoxon der Methode in einer Kritik der praktischen Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 58, 62 ff.) handelt. Hier findet sich die ausführlichste Formulierung dieses Problems, die er eine „Anmerkung“ (KpV, Ak. 5, S. 64) nennt: „daß nämlich der Begriff des Guten und Bösen nicht vor dem moralischen Gesetze (dem er dem Anschein nach sogar zum Grunde gelegt werden müßte), sondern nur (wie hier auch geschieht) nach demselben und durch dasselbe bestimmt werden müsse“ (KpV,
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd. Ebd., S. .
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Ak. 5, S. 62 f.). Und Kant kommentiert seine diesbezüglichen Erörterungen so: „Diese Anmerkung, welche blos die Methode der obersten moralischen Untersuchungen betrifft, ist von Wichtigkeit. Sie erklärt auf einmal den veranlassenden Grund aller [!] Verirrungen der Philosophen in Ansehung des obersten Prinzips der Moral“ (KpV, Ak. 5, S. 64). Dass sich nämlich „die Alten“ ebenso wie „die Neueren“, die letzteren hinter „unbestimmten Worten“ versteckt, dieses „Fehlers“ schuldig gemacht haben, zeigt sich nach Kant daran, dass sie ihren Moralsystemen den Begriff des „höchsten Gutes“ (KpV, Ak. 5, S. 64 f.) zu Grunde legten und dadurch insgesamt zum Empirismus und zur „Heteronomie der praktischen Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 65) in der Moralphilosophie verdammt waren. Der Fehler besteht aber nicht darin, dass sie den Begriff des höchsten Gutes zu Grunde legten, sondern dass sie vom Begriff des Guten und Bösen als Gegenständen der reinen praktischen Vernunft ausgingen, die nur in Abhängigkeit vom höchsten moralischen Gesetz der Maximen menschlichen Handelns bestimmt werden können und durch eine solche Definition als des Gesetzmäßigen und Gesetzwidrigen geeignet sind, die herkömmlichen Begriffe des Guten und Bösen zu ersetzen. In dieser Kontroverse über die Methode der „obersten moralischen Untersuchungen“ geht es in historischer Perspektive um den Streit zwischen der platonisch-aristotelischen Ethiktradition des an sich Guten und des für den Menschen Guten, der Idee des Guten und der Tugenden des vernünftigen Lebewesens, mit der Gesetzesethik der Stoiker, die sich in Europa über Jahrhunderte mit dem jüdischchristlichen Gesetzeskanon verbunden hat. Das neuzeitliche Naturrecht und Kant stehen entschieden in der Tradition der Stoa. Wichtiger aber ist, dass Kant als erster Moralphilosoph die Unvereinbarkeit einer auf die Begriffe des Guten und Bösen gegründeten Moral mit der rein rationalen Gesetzesmoral, zu der die stoische Überlieferung bei ihm umgestaltet wurde, in radikaler Weise zum Ausdruck brachte. Das führt dazu, dass die Gegenstände des durch die reine praktische Vernunft bestimmten Willens, das Gute und Böse, auf die Gesetzmäßigkeit und Gesetzwidrigkeit der Maximen des Willens, die dem Handeln des Menschen zu Grunde liegen, reduziert werden. Der Gegenstand des Wollens und das wollende und handelnde Subjekt selbst können allein deshalb gut oder böse genannt werden, weil sie sozusagen End- und Ausgangspunkt eines Handelns sind, dessen es bestimmendes Wollen ein vernünftiges Begehren unter einem Gesetz des (äußeren und inneren) Handelns nach Maximen ist. In den Kontext dieses Programms einer Destruktion (oder Demontage) der trügerischen Begriffe des Guten und Bösen gehören auch die vier Absätze über die „Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 65) und deren Tafel, wozu allerdings noch der Abschnitt „Von der Typik der reinen praktischen Urtheilskraft“ kommt, mit seinen Ausführungen über das sittlich Gute, unter dem gemeinsamen Titel „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“.
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Dieser Begriff ist nach Kant „die Vorstellung eines Objects als einer möglichen Wirkung durch Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 57). Also ist die praktische Vernunft nicht nur ein Erkenntnisvermögen dessen, wie gehandelt werden kann und soll, sondern auch ein Wirkvermögen, dessen Kausalität eine Kausalität aus Freiheit ist. Die Art dieser Freiheit kann zunächst offen bleiben, es wird, auch in der Tafel der Kategorien der Freiheit, nicht unterschieden zwischen der negativen und der positiven, der praktischen und der transzendentalen Freiheit, ja nicht einmal zwischen der inneren (psychologischen) und der äußeren Freiheit. Entscheidend für das Verständnis der Kategorien der Freiheit wird aber auch sein, dass Kant nicht zwischen den inneren Handlungen der Zwecksetzung, des Entwurfs von Maximen, der Wahl zwischen Maximen beziehungsweise der Annehmung von Maximen und den äußeren, das heißt durch äußere Sinne wahrnehmbaren und in äußerer Relation zu anderen handelnden Personen stehenden Handlungen, unterscheidet. Der Gegenstand der praktischen Vernunft, das Gewollte des von ihr bestimmten Willens, ist jedenfalls zunächst ein Gegenstand der praktischen Erkenntnis. „Ein Gegenstand der praktischen Erkenntniß als einer solchen zu sein, bedeutet also nur die Beziehung des Willens auf die Handlung, dadurch er oder sein Gegentheil wirklich gemacht werden würde“. Was ich in einer praktischen Erkenntnis erkenne, ist also nicht geradezu ein Gegenstand, sondern die praktische Erkenntnis ist eine Erkenntnis der gewollten Handlung, die geeignet ist, den Gegenstand, das heißt das Gewollte oder sein Gegenteil, das Nichtsein des Gegenstandes, zu verwirklichen. Auch der Gegenstandsbegriff Kants hat an dieser Stelle eine große Unbestimmtheit. Er umfasst körperliche Substanzen (wie Artefakte), Zustände und Veränderungen von Gegenständen, also Ereignisse, einschließlich der Zustände und Veränderungen der handelnden Personen selbst. Entscheidend an der zitierten Bestimmung des Gegenstandes der praktischen Erkenntnis ist aber der sonderbarer Umstand, dass ein solcher Gegenstand nicht selbst gewollt und als gewollter erkannt wird, sondern dass das zu Erkennende „die Beziehung des Willens auf die Handlung, dadurch er […] wirklich gemacht würde“, wenn die physische Kraft des Handelnden dazu ausreichte, „bedeuten“ soll. Also ist die gewollte Handlung, die möglicherweise den Gegenstand zustande bringt, der eigentliche Gegenstand der praktischen Erkenntnis. Das bedeutet für die Kategorien der Freiheit, dass sie allgemein Begriffe eines Gegenstandes sind, der sich bei näherem Zusehen als gewollte freie Handlung zur Verwirklichung eines Gegenstandes erweist, der in Hinsicht auf seine freie Hervorbringung durch eine Handlung traditionellerweise zuweilen gut oder böse genannt wird. Dementsprechend fährt unser Satz fort: und die Beurtheilung, ob etwas ein Gegenstand der reinen praktischen Vernunft sei, oder nicht, ist nur die Unterscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, diejenige Handlung zu
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wollen, wodurch,wenn wir das Vermögen dazu hätten (worüber die Erfahrung urtheilen muß) ein gewisses Object wirklich werden würde.
Hier zeigt sich, dass das Gute oder Böse nicht als (sc. indirekte) Gegenstände der praktischen Vernunft, sondern als solche der reinen praktischen Vernunft gedacht werden müssen. Denn die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, eine Handlung zu wollen, durch die ein Gegenstand wirklich werden kann, ist eine moralische Möglichkeit oder Unmöglichkeit, die nur durch Einstimmung oder Widerstreit mit einem moralischen Gesetz für das Wollen von Handlungen entschieden werden kann. Ein solches moralisches Gesetz für das Wollen von Handlungen kann aber nur in einer reinen praktischen Vernunft enthalten, beziehungsweise von ihr gegeben sein. Ist es also nach einem moralischen Gesetz moralisch möglich oder erlaubt, eine Handlung der Hervorbringung von Gegenständen zu wollen, so ist die Handlung und ihr mögliches Resultat (negativ) gut oder der Pflicht nicht entgegen, ist aber eine solche Handlung moralisch unmöglich, so wird sie und ihr mögliches Resultat böse, weil gesetzwidrig, genannt. Ich habe die Erklärung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, eine Handlung zu wollen, auf ein Gesetz zurückgeführt, von dem im Text bisher nicht die Rede war. Damit habe ich, der Verständlichkeit halber, eine Pointe vorweggenommen, durch die Kant die beiden möglichen Bestimmungsgründe von Handlungen, das Objekt und das Gesetz einer Handlung, zu Gunsten des Gesetzes entscheiden will. Seine These lautet: Wenn das gewollte, also noch nicht wirkliche, Objekt, das heißt dessen Begriff, das Handeln bestimmt, dann ist die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, ein Objekt zu wollen, davon abhängig, ob es uns physisch möglich ist, es hervorzubringen. Deshalb heißt es nun: Wenn das Object als der Bestimmungsgrund unseres Begehrungsvermögens angenommen wird, so muss die physische Möglichkeit desselben durch freien Gebrauch unserer Kräfte vor der Beurtheilung, ob es ein Gegenstand der praktischen Vernunft sei oder nicht, vorangehen. Dagegen wenn das Gesetz a priori als Bestimmungsgrund der Handlung, mithin diese als durch reine praktische Vernunft bestimmt betrachtet werden kann, so ist das Urtheil, ob etwas ein Gegenstand der reinen praktischen Vernunft sei oder nicht, von der Vergleichung mit unserem physischen Vermögen ganz unabhängig, und die Frage ist nur, ob wir eine Handlung, die auf die Existenz eines Objects gerichtet ist, wollen dürfen, wenn diese in unserer Gewalt wäre, mithin muss die moralische Möglichkeit der Handlung vorangehen (KpV, Ak. 5, S. 57 f.).
Das Gesetz a priori ist ein moralisches Gesetz, und wenn es der Bestimmungsgrund der Handlung ist, dann wird sie durch reine praktische Vernunft bestimmt, und es kommt nun alles darauf an, ob wir die Hervorbringungshandlung wollen dürfen. Diese moralische Möglichkeit, zu handeln aufgrund unseres Wollens, die nur
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durch ein moralisches Gesetz entschieden werden kann, entscheidet ihrerseits darüber, ob etwas ein Gegenstand der reinen praktischen Vernunft und also gut oder böse ist. Also ist hier der eigentliche Gegenstand der reinen praktischen Vernunft und ihrer Erkenntnis das Wollen einer Handlung beziehungsweise sie selbst als gewollte unter einem moralischen Gesetz a priori. Von diesem eigenartigen Gegenstand als solchem gelten, wie wir sehen werden, die „Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Zunächst wird die Nominaldefinition des Guten und Bösen überhaupt zu Grunde gelegt: Die alleinigen [Begriffe vom] Objecte einer praktischen Vernunft sind […] die vom Guten und Bösen. Denn durch das erstere versteht man einen nothwendigen Gegenstand des Begehrungs-, durch das zweite des Verabscheuungsvermögens, beides aber nach einem Princip der Vernunft (KpV, Ak. 5, S. 58),
das heißt, dass etwas notwendig begehrt oder verabscheut wird, kann ich nicht durch die Sinne, sondern nur durch Vernunft erkennen, das heißt erschließen. Dann erfolgt die erste Zurückweisung des Einwurfs von Pistorius: Wenn der Begriff des Guten nicht von einem vorhergehenden praktischen Gesetze abgeleitet werden, sondern diesem vielmehr zum Grunde dienen soll, so kann er nur der Begriff von etwas sein, dessen Existenz Lust verheißt und so die Causalität des Subjects zur Hervorbringung desselben, d. i. das Begehrungsvermögen, bestimmt.
Entspräche man also der Forderung von Pistorius und definierte den Begriff des Guten unabhängig von praktischen Gesetzen und vielmehr die praktischen Gesetze in Abhängigkeit vom Begriff des Guten, dann wäre das Gute dasjenige, dessen Existenz Lust verheißt, deshalb begehrt und durch das Begehrungsvermögen im günstigen Falle hervorgebracht wird. Das heißt, die Zugrundelegung des Begriffs des (unmittelbar) Guten nötigte die Moralphilosophie zum Empirismus: „Weil es nun unmöglich ist a priori einzusehen, welche Vorstellung mit Lust, welche hingegen mit Unlust werde begleitet sein, so käme es lediglich auf Erfahrung an, es auszumachen, was unmittelbar gut und böse sei.“ Das bedeutete aber auch, dass in Rücksicht auf das Vermögen des Gefühls der Lust und Unlust das unmittelbar Gute und Böse mit dem Angenehmen und Unangenehmen identisch sein müsste, was schon gegen den gewöhnlichen Sprachgebrauch, also indiskutabel, ist. Verfiele der Philosoph, wie Pistorius, aber darauf, „gut [zu] nennen, was ein Mittel zum Angenehmen, und Böses, was Ursache der Unannehmlichkeit und des Schmerzes ist“, so hätte er zwar infolge der Mittel-ZweckRelation einen Vernunftbegriff vom Guten (und Bösen), aber dieses hätte sich zugleich verwandelt: „das Gute würde jederzeit bloß das Nützliche sein, und das,
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wozu es nutzt, müsste allemal außerhalb dem Willen in der Empfindung liegen“ (KpV, Ak. 5, S. 59). Das hält Kant zunächst für hinreichend, um Pistorius zu widerlegen. Nun ist aber das Gute und Böse gar nicht vermittelst der Wirkung seiner Vorstellung auf unser Vermögen des Gefühls der Lust und Unlust zu definieren, wie schon der Sprachgebrauch anzeigte. „Das Gute und Böse bedeutet […] jeder Zeit eine Beziehung auf den Willen, sofern dieser durchs Vernunftgesetz bestimmt wird, sich etwas zu seinem Objecte zu machen“ (KpV, Ak. 5, S. 60). Diese Behauptung ist ebenfalls am Alltagsverständnis der Begriffe des Guten und Bösen orientiert: Sie bezeichnen das Objekt des vernunftbestimmten Willens.⁶ Das „Vernunftgesetz“ ist nicht notwendig ein moralisches Gesetz, wenn die Vernunft aber den Willen zum Wollen eines Objekts bestimmt, so ist es notwendig etwas Gutes oder Böses: „wir wollen nach Anweisung der Vernunft nichts, als nur sofern wir es für gut oder böse halten“. Dieser Satz ist nach Kant „ungezweifelt gewiß und zugleich ganz klar ausgedrückt“, jedenfalls seit Platon und Aristoteles, könnte man hinzufügen. Das heißt aber auch, dass der Wille „durch das Object und dessen Vorstellung niemals unmittelbar bestimmt wird, sondern ein Vermögen ist, sich eine Regel der Vernunft zur Bewegursache einer Handlung (dadurch ein Object wirklich werden kann) zu machen“. Der Wille ist also ein durch eine Regel der Vernunft, also durch eine Maxime, und insofern durch sich selbst bestimmtes Begehrungsvermögen, das eine Kausalität zur Bewirkung von Objekten hat. Das hatte Kant in der Kritik der reinen Vernunft die praktische Freiheit des Willens genannt. Daraus folgt für das Gute und Böse, dass es nur uneigentlich und indirekt das Objekt des Wollens bezeichnet: Das Gute oder Böse wird also eigentlich [!] auf Handlungen, und nicht auf den Empfindungszustand der Person bezogen, und sollte etwas schlechthin (und in aller Absicht und ohne weitere Bedingung) gut oder böse sein oder dafür gehalten werden [!], so würde es nur die Handlungsart, die Maxime des Willens und mithin die handelnde Person selbst als guter oder böser Mensch, nicht aber eine Sache sein, die so genannt werden könnte.
Diese Passage ist grundlegend für das Verständnis der Kategorien der Freiheit und ihrer Tafel. Gut und böse sind also primär und im eigentlichen Sinne nicht Objekte, sondern nur Handlungen des vernunftbestimmten Willens einer Person, der hier nicht Willkür genannt wird, also freie Handlungen im Sinne der praktischen Freiheit, sekundär können auch handelnde Personen gut oder böse heißen. Was aber eine Handlung zu einer guten oder bösen macht, das ist ihre Maxime unter einem moralischen Gesetz. Diese Maxime wird hier „Handlungsart“ genannt,
Vgl. den appetitus rationalis des Thomas von Aquin.
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gelegentlich auch die allgemeine Form einer Handlung, die als gut oder böse nur durch ihr Verhältnis zu einem Gesetz für Maximen erkannt werden kann, und die individuelle Handlung, der sie zukommt, zu einer guten oder bösen macht. Diese Handlungsart ist es, die durch die Kategorien der Freiheit als Objekt bestimmt wird, wie sich noch zeigen wird. 1) Zunächst fasst Kant seine Ergebnisse hinsichtlich des Guten und Bösen zusammen, indem er das moralisch und an sich Gute und Böse von dem Guten und Bösen im bloß relativen und außermoralischen Sinne des Wohls und Übels unterscheidet: Entweder ein Vernunftprinzip wird schon an sich als der Bestimmungsgrund des Willens gedacht, ohne Rücksicht auf mögliche Objekte des Begehrungsvermögen (also blos durch die gesetzliche Form der Maxime), alsdann ist jenes Princip praktisches Gesetz a priori, und reine Vernunft wird für sich praktisch zu sein angenommen. (KpV, Ak. 5, S. 62)
Damit hat Kant seine eigene Moralphilosophie in die traditionelle Erörterung des moralisch Guten und Bösen eingeordnet, aber er tut dies, indem er ihre Grundlage aufhebt, denn hier wird der Wille „ohne Rücksicht auf mögliche Objecte des Begehrungsvermögen“, also ohne irgendein Gutes, einschließlich des höchsten Gutes, als zum Wollen bestimmbar gedacht. Bestimmungsgrund der Willensbestimmung ist vielmehr ein „Vernunftprinzip“, das „an sich“ bestimmend ist und das schon erwähnte „praktische Gesetz a priori“ selbst ist. Das bedeutet, dass der Wille „blos durch die gesetzliche Form der Maxime“ bestimmt wird. Also ist das praktische Gesetz a priori das von Kant sogenannte „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 30), durch das die Tauglichkeit einer Maxime zum Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung geboten wird. Das bedeutet aber auch, dass durch dieses oberste Moralprinzip weder ein Zweck, noch eine bestimmte Maxime, noch eine Handlung geboten wird, sondern nur die „gesetzliche Form“ derjenigen Maximen, die mir durch mein Handeln zu befolgen erlaubt sind. Die bestimmte Maxime, nicht zu lügen, ist also eine erlaubte Maxime, da sie Gesetzestauglichkeit hat. Da aber die Maxime, gelegentlich zu lügen, nicht als allgemeines Gesetz für jedermann gedacht und gewollt werden kann, so ist es Pflicht, in allen Fällen nicht zu lügen. Diese Maxime ist also nicht als eine besondere, sondern nur als eine unter denen, die gesetzestauglich sind, zur praktischen Erkenntnis a priori meiner Pflichten geeignet. Durch das genannte Moralprinzip als Gesetz a priori wird also geboten, nur nach erlaubten Maximen zu handeln, deren Erlaubtheit in ihrer Gesetzestauglichkeit besteht. Die Bestimmbarkeit des Willens durch dieses Gesetz ist gleichbedeutend mit dem Vermögen der reinen Vernunft „für sich praktisch“ zu sein.
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Das wiederum bedeutet: „Das Gesetz bestimmt alsdann unmittelbar den Willen, die ihm gemäße Handlung ist an sich selbst gut, ein Wille, dessen Maxime jederzeit diesem Gesetze gemäß ist, ist schlechterdings, in aller Absicht, gut und die oberste Bedingung alles Guten“ (KpV, Ak. 5, S. 62). Die hier angenommene Unmittelbarkeit der Willensbestimmung durch das Gesetz ist also die Folge der Unabhängigkeit dieses Gesetzes von allen vorausgesetzten Zwecken, die traditionellerweise als etwas Gutes gewollt werden konnten. An sich selbst gut sind also primär nur die dem Maximengesetz gemäße Handlung und sekundär der Wille, dessen Maxime diesem Gesetz gemäß ist. Ein Wille, „dessen Maxime jederzeit diesem Gesetze gemäß ist“, ist ein heiliger Wille, der als absolut gut gedacht werden muss. Damit hat Kant die die Ethiktradition beherrschende Lehre vom an sich und für den Menschen Guten in seine Moralphilosophie aufgenommen und zugleich deutlich gemacht, dass der Begriff des Guten (und der komplementäre des Bösen) der moralischen Gesetzgebung nicht zu Grunde gelegt, sondern von ihr nur abgeleitet werden darf. 2) Das sogenannte Gute und Böse, das vielmehr nur als relativ auf das Wohl oder Übel Gedachtes sogenannt wird, bestätigt auf seine Weise Kants neue Konzeption. Dabei geht ein Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögen vor der Maxime des Willens vorher, der ein Object der Lust und Unlust voraussetzt, mithin etwas, das vergnügt oder schmerzt, und die Maxime der Vernunft, jene zu befördern, diese zu vermeiden, bestimmt die Handlungen, wie sie beziehungsweise auf unserer Neigung, mithin nur mittelbar (in Rücksicht auf einen anderweitigen Zweck, als Mittel zu demselben) gut sind.
Handlungen als Mittel zu einem vorausgesetzten Zweck, dem der Erhöhung des Vergnügens beziehungsweise der Vermeidung des Schmerzes, sind also allenfalls (wenn durch sie kein Moralgesetz übertreten wird) nützlich oder zweckmäßig zu diesem Zweck. Solche Maximen, die ein Lust- oder Unlustobjekt voraussetzen, können alsdann niemals Gesetze, dennoch aber vernünftige praktische Vorschriften heißen. Der Zweck selbst, das Vergnügen, dass wir suchen, ist im letzteren Falle nicht ein Gutes, sondern ein Wohl, nicht ein Begriff der Vernunft, sondern ein empirischer Begriff von einem Gegenstande der Empfindung; allein der Gebrauch des Mittels dazu, d. i. die Handlung (weil dazu vernünftige Überlegung erfordert wird), heißt dennoch gut, aber nicht schlechthin, sondern nur in Beziehung auf unsere Sinnlichkeit, in Ansehung ihres Gefühls der Lust und Unlust.
Es bedarf keiner Interpretation um klarzumachen, dass das, was hier „gut“ genannt wird, nämlich „beziehungsweise auf unserer Neigung“ und „in Beziehung auf [das Gefühl] der Lust und Unlust“, nicht geeignet ist, Moralprinzipien zu Grunde gelegt zu werden. Aber auch auf dieser Schwundstufe des nunmehr au-
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ßermoralisch Guten, die dadurch bestimmt ist, dass auf ihr die Maxime des Handelns einem vorangehenden Interesse an der Existenz des lustverheißenden Gegenstandes nachgeordnet wird, ist der Träger der Prädikate „gut“ und „böse“ nur die maximenbestimmte, also rationale, Handlung im Dienste der Neigung. An dieser Stelle erfolgt Kants definitive Antwort auf Pistorius, von der wir schon gesprochen haben. Wird der Begriff des Guten dem Sittengesetz zu Grunde gelegt, so schließen wir von vornherein aus, „daß das Princip der Sittlichkeit ein reines, a priori den Willen bestimmendes Gesetz sei“ (KpV, Ak. 5, S. 63). Denn damit ist dann vorweg bestimmt, dass der Wille „blos empirische“ und keine „reinen Bestimmungsgründe a priori“ haben könne: Gesetzt, wir wollten […] vom Begriffe des Guten anfangen, um davon die Gesetze des Willens abzuleiten, so würde dieser Begriff von einem Gegenstande (als einem guten) zugleich diesen als den einigen Bestimmungsgrund des Willens angeben. Weil nun dieser Begriff kann praktisches Gesetz a priori zu seiner Richtschnur hätte, so könnte der Probirstein des Guten und Bösen in nichts anders, als in der Übereinstimmung des Gegenstandes mit unserem Gefühle der Lust oder Unlust gesetzt werden. [Herv. d. Verf.]
Damit wäre die Moralphilosophie auf den Empirismus festgelegt, der Begriff des Guten wäre notwendig ein empirischer Begriff. Die einzig mögliche Alternative besteht darin, dass ein Bestimmungsgrund des Willens a priori gefunden wird, und dieser kann, wegen seiner Apriorität, „niemals irgendwo anders, als an einem reinen praktischen Gesetze, und zwar so fern dieses die bloße gesetzliche Form ohne Rücksicht auf einen Gegenstand den Maximen vorschreibt“ gefunden werden. Die transzendentale Erkenntnis von der Möglichkeit der praktischen Erkenntnis a priori, die wir gewonnen haben, ist also keine Gegenstandserkenntnis, sondern die Erkenntnis, dass überhaupt kein Gegenstand, und sei es unter der Tarnbezeichnung des Guten, zum Prinzip einer moralischen Gesetzgebung gemacht werden darf. Damit stellt sich Kant nicht nur in einen Gegensatz zu Pistorius, sondern auch zur gesamten Ethiktradition seit Platon, Aristoteles, aber auch zu den Stoikern und zu Epikur, die ebenfalls kein formales Sittengesetz annahmen. Zusammengefasst lautet Kants Argument demnach, „dass nicht der Begriff des Guten als eines Gegenstandes das moralische Gesetz, sondern umgekehrt das moralische Gesetz allererst den Begriff des Guten, sofern es diesen Namen schlechthin verdient, bestimme und möglich mache“ (KpV, Ak. 5, S. 64), wenn es denn überhaupt ein sittlich Gutes soll geben können. Da aber das Gutsein sowohl der Handlungen als auch des Willens der Handelnden in seiner Definition unmittelbar vom Sittengesetz abhängt, so wird das Gute an sich und schlechthin zu einem Scheingegenstand der praktischen Vernunfterkenntnis, der die moralphilosophische Erkenntnis in die Irre zu führen sehr geeignet ist.
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Die richtige Methode dieser Erkenntnis besteht nach Kant darin, „zuerst nach einem Gesetze [zu] forschen […], das a priori und unmittelbar den Willen und diesem gemäß allererst den Gegenstand bestimmte“. Damit ist aber nicht nur das Gute als Gegenstand des Willens deklassiert, sondern auch das sogenannte höchste Gut der vergangenen und gegenwärtigen Moralphilosophie. Kant scheut sich nicht, diesen Systemen insgesamt Hedonismus und damit zugleich ein Heteronomieprinzip und Empirismus vorzuwerfen: Nun mochten sie diesen Gegenstand der Lust, der den obersten Begriff des Guten abgeben sollte, in der Glückseligkeit, in der Vollkommenheit, im moralischen Gefühl, oder im Willen Gottes setzen, so war ihr Grundsatz alle mal Heteronomie, sie mussten unvermeidlich auf empirische Bedingungen zu einem moralischen Gesetze stoßen: weil sie ihren Gegenstand, als unmittelbaren Bestimmungsgrund des Willens, nur nach seinem unmittelbaren Verhalten zum Gefühl, welches alle mal empirisch ist, gut oder böse nennen konnten.
An diese Abrechnung mit der moralphilosophischen Tradition schließen sich nun Kants äußerst knappe Erörterungen über die Kategorien der Freiheit an. Ihr Zweck ist es, die Begriffe des Guten und Bösen der Tradition durch eine vollständige Erfassung der formalen Bestimmungen a priori freier Handlungen unter einem praktischen Gesetz entbehrlich zu machen: Da nun die Begriffe des Guten und Bösen als Folgen der Willensbestimmung a priori auch ein reines praktisches Prinzip, mithin eine Causalität der reinen Vernunft voraussetzen: so beziehen sie sich ursprünglich nicht wie die […] Kategorien der theoretisch gebrauchten Vernunft auf Objecte, […] sondern sie sind insgesamt modi einer einzigen Kategorie, nämlich der der Causalität, sofern der Bestimmungsgrund derselben in der Vernunftvorstellung eines Gesetzes derselben besteht, welches als Gesetz der Freiheit die Vernunft sich selbst giebt und dadurch sich a priori als praktisch beweiset. (KpV, Ak. 5, S. 65)
Hier werden die Begriffe des Guten und Bösen ohne jede Vorwarnung mit den Kategorien der theoretisch gebrauchten Vernunft als deren Gegenstandsbegriffen a priori verglichen, und zwar nicht selbst als Kategorien der praktischen Vernunft und ihrer Erkenntnis a priori von Gegenständen des Willens bezeichnet, aber doch als „modi einer einzigen Kategorie“, die offenbar zur theoretischen und praktischen Vernunfterkenntnis gehört, der Kausalität. Gut und böse sind also Prädikate der freien Kausalität des durch reine Vernunft bestimmten Handelns des reinen Willens, sofern es als Gegenstand gedacht wird. Die Freiheit dieses Handelns wird präzise bestimmt als die positive Freiheit der Autonomie der reinen praktischen Vernunft. Denn das Gesetz als der durch Vernunft vorgestellte Bestimmungsgrund dieser Vernunft zur Kausalität des Willens (oder generell des Begehrungsvermögens), also zum Handeln, ist ihr durch sie selbst gegeben. Diese Selbstgesetzgebung bedeutet nichts Geringeres, als dass das Sittengesetz als ein Gesetz der
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Kausalität des Willens selbst Kausalität erhält: Aus der Selbstgesetzgebung wird Selbstbestimmung zur Kausalität, das heißt positive Freiheit des Vermögens zu handeln. Diese (indirekte) Kausalität der reinen Vernunft, die sie zu einer „für sich“, und das heißt a priori praktischen Vernunft, macht, ist dasjenige Handeln des Willens und demzufolge der Person, die diesen Willen hat, das allein die Prädikate „gut“ oder „böse“ verdiente, die nur besagen, dass die vom Willen befolgte Maxime entweder dem Gesetz a priori aller Maximen gemäß ist oder nicht, wodurch diese Prädikate zugleich entbehrlich werden. Die Handlungen der reinen praktischen Vernunft haben nun als Handlungen der Person oder des Menschen einen Doppelcharakter. Als unter einem Gesetz der Freiheit stehende gehören sie „zum Verhalten intelligibeler Wesen“, denn positive Freiheit kann keinem handelnden Subjekt als Gegenstand der Erfahrung zukommen. Aber diese Handlungen gehören auch „als Begebenheiten in der Sinnenwelt zu den Erscheinungen“, nämlich zu den Gegenständen der äußeren Sinne oder des inneren Sinnes. Die „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“, also die Prädikate „gut“ und „böse“, werden deshalb nicht in Beziehung auf eine intelligible Welt, sondern nur in Beziehung auf die Erscheinungen der Sinnenwelt, in der die Vernunfthandlungen als Begebenheiten auftreten, „Statt haben können“, nämlich nur „um das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen“. Diese a priori geschehende Unterwerfung des Mannigfaltigen der Begehrungen, die zu den Erscheinungen des inneren Sinnes gehören, unter das Sittengesetz der reinen praktischen Vernunft oder des reinen Willens besagt einfach, dass das handlungswillige Subjekt unter den empirisch gegebenen Bestimmungen seines Begehrungsvermögen diejenigen auswählt und in seine Maximen aufnimmt, die dem Gebot der im Sittengesetz gebietenden reinen Vernunft gemäß sind oder die mit der Reinheit eines reinen Willens kompatibel sind, der als Vermögen der „Einheit des Bewußtseins einer […] gebietenden praktischen Vernunft“, sofern sie nämlich Kausalität hat, gedacht wird. Dass also freie Handlungen der reinen Vernunft unter „Kategorien der Freiheit“ gedacht werden, bedeutet, dass sie Begriffe von der „Bestimmung einer freien Willkür“ sind, „die […] ein reines praktisches Gesetz a priori zum Grunde liegen hat“ und im Lichte dieses Gesetzes und unter ihm als Gebot ihre Maximen wählt. Diese sogenannten Kategorien der Freiheit sind also „praktische Elementarbegriffe“ vom Handeln der freien Willkür, die „die Form eines reinen Willens in [der Vernunft selbst], mithin dem Denkungsvermögen selbst, als gegeben zum Grunde liegen haben“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Die durch die Vernunft selbst gegebene und gedachte Form eines reinen Willens ist also das platonische Vorbild für die Wahl und Annahme der Maximen einer freien Willkür, deren Ergebnis durch die
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praktischen Elementarbegriffe „gut“ oder „böse“, das heißt als gesetzmäßige oder gesetzwidrige Maxime, und so auch als Bestimmungen dieser Willkür selbst und ihres Handelns gedacht werden kann. Dadurch geschieht es, so fährt Kant fort, „daß, da es in allen Vorschriften der reinen praktischen Vernunft nur um die Willensbestimmung […] zu thun ist, die praktischen Begriffe a priori in Beziehung auf das oberste Prinzip der Freiheit sogleich Erkenntnisse werden“. Die Willensbestimmung, das heißt das bestimmte Wollen des Willens, wird durch die praktischen Begriffe a priori „gut“ und „böse“, die die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der Maximen des Willens oder der Willkür mit dem Sittengesetz als oberstem Prinzip der Freiheit ausdrücken, sogleich a priori erkannt, da diese bloß in Denken bestehende Erkenntnis ja nur die Erkenntnis des Bestimmtseins oder Nichtbestimmtseins von Wille oder Willkür durch die reine Vernunft enthält. Den Grund für dieses eigenartige Erfülltsein aller Erkenntnisbedingungen solcher Vernunftbestimmtheit des Wollens nennt Kant selbst „merkwürdig“: Die praktischen Begriffe a priori des Guten und Bösen werden sogleich zu Erkenntnissen von Willensbestimmungen, „weil sie [diese Begriffe] die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen, (die Willensgesinnung) selbst hervorbringen, welches gar nicht die Sache theoretischer Begriffe ist“. Die Willensbestimmung heißt nun „Willensgesinnung“, weil in ihr die Sittlichkeit oder Unsittlichkeit des Wollens, das heißt seine Einstimmung oder sein Widerstreit mit dem Sittengesetz gedacht wird. Diese Willensgesinnung wird aber durch die Begriffe des Guten und Bösen nicht theoretisch erkannt als etwas im Willen Vorgegebenes, sondern sie wird selbst nach diesen Begriffen wirklich gemacht als pflichtmäßige oder pflichtwidrige Gesinnung. Denn kein Wille kann seiner Maxime nach gut oder böse werden, als derjenige, der sich selbst unmittelbar und aus keinem anderen Grunde zur Annehmung oder Verwerfung einer Maxime entscheidet, als weil sie dem Sittengesetz ihrer Form nach gemäß ist. Das selbstbestimmte Wollen nach einer solchen gesetzestauglichen Maxime ist also nur in der Erkenntnis (dem Begriff) ihrer möglichen Gesetzlichkeit begründet, ein so bestimmter Wille ist folglich ein sich durch das in seiner gebietenden Vernunft enthaltene Denkungsvermögen selbst zu seinem Wollen bestimmendes Vermögen. Umgekehrt ist die Annehmung einer sittengesetzwidrigen Maxime die selbstbestimmte Verwirklichung einer Willensgesinnung, deren Unsittlichkeit Folge der vorausgehenden Erkenntnis der Gesetzwidrigkeit dieser Maxime ist. Die Kategorien der Freiheit sind also Begriffe einer praktischen Vernunft überhaupt, die zwar ein formales Sittengesetz enthält, aber dadurch das Handeln des Willens nicht determiniert. Denn das Gebot, nur nach gesetzestauglichen Maximen zu handeln, bestimmt weder die Maximen ihrer Materie nach noch bestimmt es die möglichen Handlungen nach einer und derselben Maxime. Die Kategorien der
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Freiheit als Kategorien der praktischen Vernunft überhaupt bestimmen die freien Handlungen dieser Vernunft und ihres Willens zunächst bloß im Sinne der negativen Freiheit von Naturdeterminiertheit. Die Ordnung dieser Kategorien erfolgt in Kants Tafel „von den moralischen noch unbestimmten und sinnlich bedingten“ freien Handlungen „zu denen, die sinnlich unbedingt, blos durchs moralische Gesetz bestimmt sind“. Diese Kategorien der Freiheit sind, wie eine Betrachtung ihrer Tafel lehrt, Prädikate von freien Handlungen überhaupt, sofern sie unter einem Prinzip der Vernunft möglich sind. Diese freien Handlungen werden demnach durch die jeweiligen Kategorien als durch praktische Regeln geleitete Begehungen oder Unterlassungen, die eine Beziehung auf Persönlichkeit und Person von handelnden Subjekten haben und als moralisch erlaubte, gebotene oder verbotene zu denken sind, bestimmt. Sie sind also Prädikate zweiter Stufe vom Bestimmtsein freier Handlungen durch praktische Begriffe gemäß den Elementarfunktionen allen Denkens im Urteilen über Gegenstände. In der Kommentierung seiner nach dem Vorbild der Urteils- und Kategorientafel in der Kritik der reinen Vernunft geformten Tafel der Freiheitskategorien sagt Kant, „daß in dieser Tafel die Freiheit als eine Art von Causalität, die aber empirischen Bestimmungsgründen nicht unterworfen ist […] betrachtet werde“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Die Vernunftbestimmtheit dieser zunächst nur negativ freien Handlungen besagt noch nicht, dass diese als Erscheinungen in der Sinnenwelt anzusehenden Handlungen auch im positiven Sinne freie Handlungen sind. Dazu gehört, „daß der Bestimmungsgrund jener Causalität […] außer der Sinnenwelt in der Freiheit als Eigenschaft eines intelligiblen Wesens angenommen werden kann“. Also müssen diese Kategorien als Begriffe der praktischen Vernunft überhaupt „so allgemein genommen“ werden, dass durch sie praktisch und transzendental freie Handlungen gleichermaßen gedacht werden können. Das soll aber nur für die Kategorien der Quantität, Qualität und Relation gelten, denn die der Modalität sollen „den Übergang von praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit […] einleiten“. Diese Einleitung sei aber nur eine problematische, denn bevor das Gesetz der Vernunft nicht als das faktisch gegebene Gesetz a priori der Gesetzesförmigkeit der Maximen anerkannt wird, kann die „Sittlichkeit“ nicht aus ihren Prinzipien, also dogmatisch, begriffen werden. Die Sittlichkeit von Handlungen besteht, wie wir gesehen haben, darin, dass die Maxime einer Handlung deshalb angenommen wird, weil sie dem Gesetz a priori für Maximen gemäß ist. Solche Handlungen sind aber bloß moralisch möglich oder erlaubt. Das allgemeine Maximengesetz gebietet also nicht, wie es besondere moralische Gesetze (zum Beispiel das Lügenverbot) tun, bestimmte Handlungen als Pflichten. Es gebietet vielmehr kategorisch, nur nach erlaubten Maximen zu handeln. Aber, wie wir gesehen haben, sind auch besondere moralische Gesetze
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nur dadurch verpflichtend, dass sie die Notwendigkeit eines bestimmten Handelns aussagen, die aber nur aus der Unmöglichkeit, die Maxime der Unterlassung dieser gebotenen Handlung als allgemeines Gesetz zu wollen, erkannt werden kann. Also beruht die Erkenntnis aller besonderen Pflichten zuletzt auf einem „in der Vernunft überhaupt wirklich liegenden Gesetz“ (KpV, Ak. 5, S. 11), wodurch auf den Faktumscharakter des Sittengesetzes angespielt wird. Schließlich umfasst der Bereich der Sittlichkeit das System aller Pflichten überhaupt, deren Unterscheidung in vollkommene und unvollkommene Pflichten (die Kant auch „wesentliche“ und „außerwesentliche“ nennen kann)⁷ in der Perspektive der Ethik nicht ausschließt, dass sie alle „aus Pflicht“ erfüllt werden können, worin dann die Sittlichkeit dieser Handlungen besteht. Die freien Handlungen des Willens und der Person können also dann moralisch gut oder böse genannt werden, wenn sie gemäß den Kategorien der Modalität in ein Bestimmungsverhältnis zum Sittengesetz gebracht werden. Diesseits dieser Bewertung sind sie Handlungen, die, gemäß den drei übrigen Kategorientiteln, bloß als negativ freie, vernunftgeleitete Handlungen gedacht werden. Die Tafel der Kategorien der Freiheit trägt also dazu bei, die traditionellen Prädikate „gut“ und „böse“ entbehrlich zu machen. Nach dieser Tafel sind alle möglichen Handlungen der (zunächst nur negativ) freien Willkür als Akte einer vernünftigen Kausalität unter praktischen Prinzipien also a priori bestimmt 1) der Quantität nach durch eine für ein einzelnes Subjekt geltende Maxime oder durch eine für einige Subjekte geltende Vorschrift oder durch ein für alle handelnden Subjekte geltendes Gesetz, 2) der Qualität nach durch eine praktische Regel des Begehens oder des Unterlassens oder der (erlaubten) Ausnahme von dieser Regel, 3) der Relation nach als auf die Persönlichkeit einer Person, den Zustand einer Person oder das wechselseitige Verhältnis von Personen hinsichtlich ihrer Zustände gerichtete, und 4) der Modalität nach als durch ein mögliches Moralgesetz moralisch mögliche (und somit zugleich als mögliche Pflichten) beziehungsweise als moralisch unmögliche (verbotene) oder als durch ein faktisches Sittengesetz wirklich gebotene oder verbotene (Begehungs- oder Unterlassungspflichten) oder als eine durch ein solches faktisches Sittengesetz bestimmte wesentliche oder außerwesentliche (vollkommene oder unvollkommene) Pflichten.⁸
Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. ebd.
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Bibliographie Baum, Manfred (2015): Praktische Erkenntnis a priori in Kants Kritik der praktischen Vernunft, in: Jáuregui, Claudia/Moledo, Fernando/Pringe, Hernán/Thisted, Marcos (Hg.): Crítica y Metafísica: Homenaje a Mario Caimi, Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie, Hildesheim, S. 11 – 26. Kants Gesammelte Schriften (1900 ff.), hg. von der (Königlich) Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin. Landau, Albert (Hg.) (1991): Rezensionen zur Kantischen Philosophie 1781 – 87, Bebra.
Jochen Bojanowski
Kant über praktischen Gegenstandsbezug* Abstract. Kant’s „Table of the Categories of Freedom“ has been widely dismissed and major revisions to the table have been suggested. In this paper, I want to show how a non-hybrid account of practical reason can help us to appreciate the table of the categories as a necessary consequence of Kant’s moral philosophy. If we want to hold on to the main tenets of Kant’s moral philosophy, we also have to hold on to the table of the categories of freedom.
1 Einleitung Praktische Erkenntnis – so schreibt Kant in der „Vorrede“ zur B-Auflage der Kritik der reinen Vernunft – ist nicht die Bestimmung eines sinnlich gegebenen Gegenstandes durch Begriffe, vielmehr macht die praktische Erkenntnis den Gegenstand, den sie erkennt, auch „wirklich“ (KrV, B X). In den Worten der zweiten Kritik: Praktische Erkenntnis ist „der Grund von der Existenz der Gegenstände“ (KpV, Ak. 5, S. 46). Wenn Kant also behauptet, dass praktische Erkenntnis auf die Willensbestimmung gerichtet ist,¹ dann ist damit nicht nur gemeint, dass wir die Form oder den Inhalt unserer gegebenen Handlungsmaximen theoretisch erkennen, sondern dass die Erkenntnis konstitutiv für das praktische Urteil (die Maxime) und damit im eminenten Fall auch handlungswirksam ist.Wir haben nur dann im eigentlichen Sinne ein praktisches Erkenntnisvermögen, wenn die Erkenntnis so auf unser Begehrungsvermögen bezogen ist, dass sie den begehrten Gegenstand auch hervorbringen kann. Dabei ist es freilich nicht hinreichend, dass wir erkennen, mit welchen Mitteln wir den begehrten Gegenstand verwirklichen können. Instrumentalistische Auffassungen der praktischen Vernunft können der Vernunft keinen ursprünglichen praktischen Charakter einräumen, weil nur das Mittel und nicht der Zweck der Gegenstand der Erkenntnis ist. Die Erkenntnis ist damit gerade nicht der ursprüngliche Grund für die Handlungswirksamkeit unseres Willens. Nur wenn die Vernunft selbst durch die Erkenntnis den ursprüng-
* Dieser Aufsatz ist die geringfügig überarbeitete Fassung des Vortrages, den ich im Januar in Bonn auf dem Workshop zu Kants Freiheitskategorien gehalten habe. In der Zwischenzeit habe ich den Grundgedanken dieses Aufsatzes im Detail weiter ausarbeiten können. Vgl. Bojanowski (). Für finanzielle Unterstützung danke ich der Netherlands Organization for Scientific Research (NWO). Vgl. KpV, Ak. , S. .
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lichen Zweck der Handlung hervorbringt, darf man mit Recht davon sprechen, dass das Erkenntnisvermögen ursprünglich praktisch ist. Nun behauptet Kant aber auch, dass wir theoretische Erkenntnis nicht bloß erleiden, sondern sie erst durch den Gebrauch unserer Verstandesbegriffe (Kategorien) möglich wird. Die Verstandesbegriffe sind Bedingung der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung. Ohne Kategorien ist Erfahrung im Sinne von bestimmter Erkenntnis unmöglich. Doch auch wenn die theoretischen Kategorien für die Naturerkenntnis konstitutiv sind, ist der Gegenstand, auf den sich theoretische Erkenntnis richtet, nicht selbst ein Produkt der Vernunft. In der Naturerkenntnis sind wir lediglich auf die Bestimmung eines uns durch die Sinne gegebenen Gegenstandes gerichtet. „Vermittelst der Sinnlichkeit […] werden uns Gegenstände gegeben“ (KrV, A 19/B 33), und ebendiese Gegebenheit liegt im Unterschied zu ihrer Reglementierung gerade nicht in der Macht des Subjekts. Praktische Erkenntnis ist im Unterschied dazu gerade nicht auf einen schon gegebenen Willen bezogen, sie bringt vielmehr auch noch den Gegenstand des Willens ursprünglich hervor. In der praktischen Erkenntnis werden also die Kategorien nicht auf unsere gegebenen Neigungen bezogen, so dass wir erkennen, was wir bereits begehren. Durch die Kategorien wird der Gegenstand, den wir begehren, erst hervorgebracht. Wir wählen aus Freiheit, unter dem Anspruch sittlicher Verpflichtung und der damit verbundenen vernunftgewirkten Selbstaffektion, gemäß der Kategorien einen Handlungsgrundsatz und bringen so im eminenten Fall den Gegenstand der Erkenntnis, das Gute, selbst hervor. Dieser fundamentale Unterschied zwischen praktischer und theoretischer Erkenntnis hat Konsequenzen auch für die Verstandes- beziehungsweise Vernunftbegriffe der theoretischen und praktischen Vernunft – sowohl für die Kategorien der Natur wie auch für die „Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Dieser Unterschied wird aber nicht immer hinreichend in Anschlag gebracht, wenn es darum geht, Kants Kategorien der Freiheit zu verstehen. Jede der vier Kategoriengruppen hat zu besonderen Verständnisproblemen Anlass gegeben. Die Auflösung dieser Schwierigkeiten war meist nur um den Preis einer Revision der Kategorientafel möglich. Selbst die Überschrift der Tafel „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ ist davon nicht verschont geblieben. Insbesondere ist es das Verständnis der Gesetzeskategorie im ersten Quadranten, das Verhältnis der Qualitätskategorien untereinander sowie das Verständnis der Gegensatzpaare „Das Erlaubte und Unerlaubt“ und „Die Pflicht und das Pflichtwidrige“, das zu Kritik Anlass gegeben hat. Ich denke, dass wir mit diesen Revisionsbestrebungen vorsichtig sein sollten. Um sehen zu können, warum diese Bestrebungen verfrüht sind, müssen wir allerdings Kants kognitivistische Moraltheorie so zur Geltung bringen, dass wir ihr ein, wie ich es nenne möchte, einheitliches Verständnis von praktischer Rationalität unterstellen. Die Einwände, die gegen Kants Kategori-
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entafel hervorgebracht werden, gehen zu einem großen Teil von einer Uneinheitlichkeit des moralneutralen und moralischen Vernunftgebrauchs aus. Demnach werden dann einige Kategorien als moralneutral andere als moralisch ausgewiesen. Ich denke, dass jede der Kategoriengruppen ein Moment eines einheitlichen Aktes moralischen Urteilens ausmacht. Das reine praktische Vernunftvermögen ist primär ein Vermögen moralischer Rationalität. Wenn wir die moralische und die sogenannte moralneutrale Rationalität voneinander trennen, geben wir auch die Einheit unseres Bewusstseins auf. Diese Einheit des Bewusstseins ist aber gerade eine Bedingung dafür, dass wir unsere vielfältigen Begehrungen dem moralischen Gesetz unterwerfen können. Dieses einheitliche Verständnis der praktischen Vernunft kann uns dann auch dabei helfen, die wesentlichen semantischen Unklarheiten, die die Kategorien im Einzelnen betreffen, aufzuklären. Für die Tafel der Freiheitskategorien ist Kants Theorie der moralischen Selbstkonstitution essenziell. Ich möchte daher zunächst diese Theorie in ihren Grundzügen darlegen (II.). Anschließend werde ich das, was ich in der Einleitung nur in abstracto angedeutet habe, konkretisieren (III.). Anhand von einer Maxime als Ausdruck kategorialer Willensbestimmung möchte ich die Kategoriengruppen der Reihe nach durchgehen und zeigen, wie sich die oben genannten Verständnisschwierigkeiten weitgehend auflösen lassen. Kant ist offensichtlich zu optimistisch gewesen, wenn er von der Kategorientafel sagt, sie sei „für sich verständlich genug“ und bedürfe keiner weiteren Erklärung (KpV, Ak. 5, S. 67). Ich möchte hier jedoch dafür argumentieren, dass, wenn wir an Kants kognitivistischer Moraltheorie festhalten wollen,wir auch an seiner Kategorientafel festhalten müssen.
2 Freiheitskategorien und Willensbestimmung Kants Moraltheorie geht von der Voraussetzung aus, dass menschliches Handeln nur dann moralisch zurechenbar ist, wenn es auf Maximen beruht. Maximen sind nicht bloß singuläre Intentionen. Ein Wesen, das nach Maximen handelt, erhebt vielmehr den Anspruch, dass diese Maximen als gerechtfertigte Grundsätze (Obersätze) in einem praktischen Syllogismus fungieren können. Als moralisch zurechenbare Wesen müssen wir über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus dieselben Gründe als verbindlich anerkennen. In kritischer Selbstreflexion können wir in Distanz zu unseren unmittelbaren Handlungsimpulsen treten und darüber entscheiden, was für ein Mensch wir sein wollen. Unser vernunftfähiges Begehrungsvermögen agiert dabei nicht nach dem Reiz-Reaktions-Modell. Nach Kants sogenannter Inkorporationsthese werden wir nicht unmittelbar von Triebfedern
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als Naturtrieben zum Handeln bestimmt, sondern nur, indem wir sie „in [unsere] Maxime aufgenommen [haben], kann eine Triebfeder, welche sie auch sei, mit der absoluten Spontaneität der Willkür (der Freiheit) zusammen bestehen“ (RGV, Ak. 6, S. 23 f.). Die Wahl der Handlungsmaximen ist also ein Akt der moralischen Selbstkonstitution aus absoluter Freiheit. Diese These dürfen wir aber nicht als eine Art Voluntarismus missverstehen. Bei der Wahl der Handlungsmaximen sind wir uns zugleich der normativen Anforderungen bewusst, die Maximen als gültige Obersätze in praktischen Syllogismen erfüllen zu müssen. „Sobald wir uns Maximen des Willens entwerfen“, so heißt es in der Kritik der praktischen Vernunft, sind wir uns des Anspruches des Moralgesetzes „unmittelbar bewußt“ (KpV, Ak. 5, S. 29). Solang wir wie im frühen Kindesalter unser Handeln noch nicht an Grundsätzen orientieren können,² haben wir kein Bewusstsein des moralischen Gesetzes. Erst wenn wir uns darauf verstehen, allgemeine Handlungsgrundsätze zu bilden, werden wir uns bewusst, dass einige von ihnen so beschaffen sind, dass sie nicht von allen Vernunftwesen gewollt werden können. Als Vernunftwesen mit einem Willen haben wir nicht nur die Fähigkeit, nach Gesetzen zu handeln. Nach Gesetzen handeln auch nichtvernünftige Wesen. Wir Menschen haben als Vernunftwesen darüber hinaus die Fähigkeit, nach der Vorstellung von Gesetzen zu handeln.³ Es ist die Vorstellung des Gesetzes, die uns bereits bei der Willensbildung, bei der Annahme von Handlungsgrundsätzen leitet. Nur weil wir diese Fähigkeit besitzen, sind wir nach Kant moralisch zurechenbare Wesen. In der Kant-Literatur wird der Kategorische Imperativ oft als ein Testverfahren bezeichnet. Diese Redeweise ist nicht falsch. Kant selbst spricht davon, dass unsere Maximen die „Probe“ (KpV, Ak. 5, S. 70) an der Form des Naturgesetzes bestehen müssen. Dennoch kann uns diese Redeweise leicht in die Irre führen. Der Begriff des Testverfahrens legt nahe, dass vernünftigen Handlungssubjekten ihre Maximen immer schon gegeben sind und diese dann noch durch den Kategorischen Imperativ auf ihre moralische Qualität hin getestet werden müssen. Tatsächlich ist der Kategorische Imperativ ein normativer Anspruch, dessen wir uns bereits bei der Gründung unserer moralischen Grundsätze, „so bald wir uns Maximen des Willens entwerfen“ (KpV, Ak. 5, S. 29), bewusst sind; ein Anspruch, den wir als Wesen, die nach Maximen handeln, implizit selbst erheben.Vermittels der Kategorien der Freiheit müssen wir „das Mannigfaltige der Begehrungen“ erst zur „Einheit des Bewußtseins“ (KpV, Ak. 5, S. 65) bringen. Sobald wir unsere Begehrungen zur Einheit des Bewusstseins bringen, wird uns bewusst, dass
Vgl. TP, Ak. , S. . Vgl. GMS, Ak. , S. .
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manche Maximen nicht in einem einheitlichen Bewusstsein widerspruchsfrei gewollt werden können. Vermittels der Kategorien der Freiheit erkennen wir also nicht das, was wir bereits wollen. Die Kategorien der Freiheit sind keine theoretischen Vernunftbegriffe, mit denen wir das gegebene Mannigfaltige unserer Begehrungen theoretisch erkennen. Vielmehr werden wir uns durch diese Begriffe überhaupt erst bewusst, welche Form unser Wollen (unsere Handlungsgrundsätze) haben muss, damit es vernünftig ist. Die Kategorien der Freiheit sind in diesem Sinne die Konstitutionsbedingungen für unser moralisches oder unmoralisches Wollen.
3 Bedeutung der Freiheitskategorien Verdeutlichen wir uns diesen abstrakten Gedanken an einem von Kants bekannten Beispielen. Nehmen wir an, jemand erwägt, ob er sich die folgende Maxime zu eigen machen soll: „Wenn ich mich in Geldnot zu sein glaube, so will ich Geld borgen und versprechen, es zu bezahlen, ob ich gleich weiß, es werde niemals geschehen“ (GMS, Ak. 4, S. 422). Es ist hier nicht der Ort, die Schwierigkeiten zu erörtern, die Kants Theorie der praktischen Verallgemeinerung mit sich bringt. Kants zentrale These ist, dass diese Maxime nur eine bloße Maxime und nicht zugleich ein Gesetz ist, weil sie ihren Anspruch auf Allgemeingültigkeit nicht einlösen kann. Das wird deutlich, wenn man sich die Maxime in ihrer verallgemeinerten Form denkt: „Jeder, nachdem er in Not zu sein glaubt, kann versprechen was ihm einfällt mit dem Vorsatz, es nicht zu halten.“ Kant behauptet nun, dass ein Widerspruch in der Maxime auftritt. Dabei ist es entscheidend, dass wir als rationale Wesen, die nach Maximen handeln, immer schon deren Allgemeingültigkeit in Anspruch nehmen. Wenn wir jene Maxime als gültigen Obersatz eines praktischen Syllogismus wollen, dann wollen wir zugleich, dass wir uns Geld borgen können und niemand sich Geld borgen kann. In diesem Fall stellt sich der Zweck durch die Verallgemeinerung der bloß subjektiven Maxime als undenkbar heraus. Praktische Erkenntnis ist also „unmittelbar“, weil uns die mögliche Verallgemeinerbarkeit unserer Maximen nicht durch sinnliche Erkenntnis vermittelt ist, sondern eine Selbsterkenntnis praktischer Rationalität darstellt. Während in der theoretischen Erkenntnis durch einen bloß problematischen Gedanken nichts bestimmt werden kann, ist der problematische Gedanke einer allgemeinen Gesetzgebung Grund der Willensbestimmung und damit Grund der Wirklichkeit eines Objekts: der guten Handlung. Damit ist aber nicht erklärt, welche Rolle die Kategorien der Freiheit bei der Gegenstandskonstitution der praktischen Erkenntnis spielen. Nehmen wir uns die
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Kategoriengruppen der Reihe nach vor und untersuchen, wie die Kategorien der Freiheit unsere praktischen Urteile bestimmen.
3.1 Quantität Unsere Beispielmaxime ist eine bloße Maxime und nicht etwa eine Vorschrift oder ein Gesetz. Eine bloße Maxime ist eine Maxime, die nicht zugleich ein Gesetz ist. Man hat versucht, den ersten Quadranten der Kategorientafel so zu interpretieren, dass er sich auf die Anzahl der Fälle bezieht, auf die sich die Maxime des Handelnden erstreckt. Demnach werde durch die Quantitätskategorie bestimmt, ob wir die Wahrheit in einem Fall, in vielen Fällen oder in allen Fällen sagen wollen.⁴ Das Problem dieser Interpretation besteht darin, dass sie auf einer voluntaristischen Interpretation der Inkorporationsthese beruht. Eine Maxime, die als gültiger Obersatz in einem praktischen Syllogismus fungieren soll, beansprucht aber gerade nicht, nur für einen Einzelfall gültig zu sein. Für die Maximenwahl gilt, was wir bereits im Abschnitt zuvor angedeutet haben: Wenn wir eine Maxime wählen, sind wir uns der normativen Standards, die konstitutiv für Maximen sind, bewusst. Kants These ist, dass wir als Handelnde nicht die Geltung der Maxime auf einen Einzelfall einschränken. Vielmehr nehmen wir in Anspruch, dass jedes vernünftige Wesen in der Situation S der Handlungsmaxime M zustimmen kann. Die Kategorien sollen als Konstitutionsbedingungen der Objekte praktischer Erkenntnis ausgewiesen werden. Nun ist es aber grundlegend für den moralischen Wert einer Maxime, ob sie nur von einem Akteur oder von allen Akteuren gewollt werden kann. Erstreckte sich die Quantität unserer Maximen allein auf die Anzahl der Fälle, nicht aber auf das Wollen der anderen, wäre die Quantitätskategorie nicht konstitutiv für die Gegenstände der praktischen Erkenntnis: das Gute und Böse. Nur wenn wir die Maxime danach beurteilen, ob sie von allen vernünftigen Wesen ohne Widerspruch gewollt werden kann, können wir ihr moralische Prädikate zuschreiben. Deshalb ist es notwendig, die Quantität nicht auf die Anzahl der Fälle, sondern auf die mögliche Einstimmigkeit der Subjekte zu beziehen. Wenn wir die Quantität der Maxime bestimmen, dann fragen wir uns, ob die Maxime für einen, für viele oder für alle Vernunftwesen gültig ist. Unsere Beispielmaxime ist ihrer Quantität nach eine bloße Maxime. Wenn man die Maxime aber in ihr Gegenteil verkehrt, könnte sie nicht nur als Handlungsgrundsatz eines bestimmten Subjektes fungieren, sondern es könnten darüber hinaus alle ver-
Vgl. Haas (), S. f.; Zimmermann (), S. ff.
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nünftigen Wesen unabhängig von ihren zufälligen Wünschen zustimmen; sie wäre dann als Maxime auch zugleich ein praktisches Gesetz. Nun sagt Kant aber ausdrücklich, dass es die Kategorien der Modalität sind, die „den Übergang von praktischen Principien überhaupt zu denen der Sittlichkeit […] einleiten“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Es ist also problematisch, einen solchen Übergang bereits innerhalb der Quantitätskategorien zu lokalisieren. Aus diesem Grund hat man versucht, den Gesetzesbegriff in einem weiten nichtmoralischen Sinne zu interpretieren.⁵ Doch auch wenn diese Interpretation dem unmittelbaren Kontext der Kategorientafel besser gerecht wird, so ist sie doch schwer vereinbar mit Kants Behauptung, dass nur kategorische Imperative mit Berechtigung „Gesetze“ genannt werden können.⁶ Sowohl unsere Maxime „Wenn ich mich in Geldnot zu sein glaube, so will ich Geld borgen und versprechen, es zu bezahlen, ob ich gleich weiß, es werde niemals geschehen“ als auch ihr Gegenteil (‚Wenn ich in Geldnot zu sein glaube, so will ich Geld borgen und versprochen, es zu bezahlen, nur wenn ich auch weiß, dass ich es zurückzahlen kann‘) wären nach der Fall-Lesart Gesetze. Dies ist aber bekanntermaßen nicht vereinbar mit dem Grundgesetz der kantischen Ethik, wonach nur die Maximen sich auch als Gesetze qualifizieren, die von allen Handlungssubjekten gewollt werden können. Die Fall-Lesart ist deshalb unbefriedigend. „Gesetz“ hier im engen Sinn von Naturgesetz zu verstehen, kommt ebenfalls nicht in Frage, weil Naturgesetze keine möglichen Kandidaten dafür sind, durch die Kategorien der Freiheit konstituiert zu werden. Ich denke deshalb, dass wir in den vergleichsweise sehr viel weniger sauren Apfel beißen sollten und die dritte Kategorie der Quantität als moralisch bestimmt verstehen müssen.⁷ Anders ausgedrückt: Wenn eine Maxime als ein Gesetz bestimmt wird, ist es keine offene Frage mehr, ob sie gut oder böse ist. Diese Lesart wird auch dadurch unterstützt, dass sich alle Interpreten darüber einig sind, dass das modale Kategorienpaar „Vollkommene und unvollkommene Pflicht“ (KpV, Ak. 5, S. 66) moralisch bestimmt ist. Nun ist der praktische Notwendigkeitsbegriff, den wir für den Begriff der Pflicht in Anspruch nehmen müssen, wie unten im Zusammenhang mit den Modalitätskategorien deutlich werden wird, mit dem Gesetzesbegriff koextensiv. Also muss auch die Gesetzeskategorie moralisch bestimmt sein. Im Zusammenhang mit den Modalitätskategorien werden wir dann auch die Quantitätskategorie der Vorschrift, der keine praktische Notwendigkeit zukommt, noch genauer analysieren.
Bobzien (), S. im Anschluss an Benton (), S. . Vgl. GMS, Ak. , S. . Vgl. Beck (), S. ; Bader (), S. f.
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3.2 Qualität Der Qualität nach ist die Beispielmaxime eine Regel des Begehens. In Kants allgemeiner Logik bezeichnet die Qualität eines Urteils, ob der Subjektbegriff in die Sphäre eines Prädikatbegriffs P fällt (bejahendes Urteil), ob er außerhalb dieser Sphäre liegt (verneinendes Urteil) oder ob der Subjektbegriff in der Sphäre eines anderen Begriffes (nicht-P) liegt, der außerhalb der Sphäre von P liegt (unendliches Urteil). Um also die Qualität eines praktischen Urteils zu bestimmen, muss man sich fragen, ob das Subjekt (der Handelnde) in der Sphäre einer bestimmten Handlung Φ (Begehung), außerhalb dieser Sphäre (Unterlassung) oder in der Sphäre einer anderen Handlung non-Φ (Ausnahme) liegt. Im Fall unserer Beispielmaxime liegt das Subjekt innerhalb der Sphäre der Handlung. Die Maxime sagt aus, welche Handlung im Falle der Geldnot begangen wird. Lautete die Maxime ‚Wenn ich in Geldnot zu sein glaube, so will ich es unterlassen mir Geld zu borgen, wenn ich weiß, dass ich es nicht zurückzahlen kann‘, wäre sie ihrer Qualität nach eine Unterlassungsregel. Damit ändert sich auch der moralische Wert der Maxime. Dieser Unterschied hinsichtlich des moralischen Werts der Maxime kann aber nur bestimmt werden, wenn wir die Maxime auf den problematischen Begriff einer gesetzmäßigen Maxime beziehen. Wir müssen uns also fragen, ob die Maxime eine gesetzmäßige Form hat, das heißt ob sie praktisch notwendig ist. Das bedeutet aber auch, dass die Kategorie der Modalität den moralischen Wert noch unbestimmt lässt (dasselbe gilt für die Relationskategorien). Ob die Handlung einer Maxime (sei es eine Begehung, Unterlassung oder Ausnahme) eine Pflicht oder pflichtwidrig ist, ist eine Frage der Modalität. Diese Kategorien sind moralisch bestimmt in dem oben genannten Sinn: Wenn eine Maxime ihrer Modalität nach bestimmt ist, ist es keine offene Frage mehr, ob die Maxime gut oder böse ist. Eine moralisch bestimmte Kategorie legt den Wert der Maxime so fest, dass ihr Gegenteil ausgeschlossen ist. Dasselbe gilt nicht für die Qualitätskategorien. Durch sie wird der moralische Wert der Maxime nicht auf die eine oder andere Weise festgelegt, sie lassen es noch offen, welchen moralischen Wert die Maxime hat. Kurz: Wenn wir eine Maxime als pflichtwidrig bestimmen, kann sie nur böse sein. Bestimmen wir dagegen eine Maxime als Begehung kann sie gut oder böse sein. Nun ist man von dieser Behauptung der moralischen Unbestimmtheit auch noch zu einer weiteren grundsätzlicheren Behauptung übergegangen. Demnach sei die Überschrift der Kategorientafel zu eng. Nicht alle, sondern nur einige Kategorien beziehen sich auf die Begriffe des Guten und Bösen.⁸ Folgt man dieser
Beck (), S. f.; Zimmermann (), S. f., S. .
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Interpretation, dann haben zumindest die Qualitätskategorien und die Relationskategorien keinen Bezug auf die Begriffe des Guten und Bösen. Tatsächlich kann der moralische Wert entscheidend von der Qualität einer Maxime abhängen. Ob ich mir Geld borge, auch wenn ich weiß, dass ich es nicht zurückzahlen kann, oder ob ich das Geld nicht borge, wenn ich weiß, dass ich es nicht zurückzahlen kann, macht den entscheidenden moralischen Unterschied aus. Wir sollten also nicht von der Behauptung, dass einige Kategorien moralisch noch unbestimmt sind, darauf schließen, dass sie moralisch neutral sind.⁹ Es ist freilich nicht die Kategorie der Qualität selbst, durch die die moralische Gültigkeit der Maxime bestimmt wird. Aber draus folgt eben noch nicht, dass wir uns mit den Kategorien der Qualität nicht auf die Begriffe des Guten und Bösen beziehen. Diese Lesart der Qualitätskategorien wird auch von denjenigen Interpreten in Zweifel gezogen, die davon überzeugt sind, dass ein Übergang von den moralisch unbestimmten zu den moralisch bestimmten Kategorien innerhalb jeder einzelnen Kategoriengruppe stattfindet. Folgt man dieser Lesart, dann sind ausschließlich die Unterlassungsregeln und die Begehungsregeln moralisch bestimmt, Ausnahmeregeln dagegen seien immer moralisch bestimmt: The former depend on the faculty of desire, telling us to seek out that which is agreeable and promotes our well-being. The latter depend on the faculty of aversion and command us to avoid what is disagreeable and leads to ill-being. Good and evil, on the contrary, pertain to practical rules of exceptions.¹⁰
Wenn ich diese Deutung richtig verstehe, dann können nur moralische Regeln Ausnahmeregeln sein, weil nur moralische Regeln hypothetische Imperative übertrumpfen können. „The imperative not to lie amounts to the practical rule of exception that says that one should not lie even though there is a hypothetical imperative telling one to lie if it is in one’s interest.“¹¹ Man könnte sich hier fragen, warum die Regel nicht auch als seine Unterlassungsregel reformuliert werden könnte, die uns verpflichtet, nicht zu lügen. Die moralische Regel eine Ausnahmeregel zu nennen, scheint letztlich auf eine Absurdität hinauszulaufen, weil man damit gerade voraussetzt, dass es grundsätzlich geboten ist zu lügen. Es gibt aber keinen hypothetischen Imperativ, der uns geböte zu lügen, um unsere eigenen Interessen zu verwirklichen. Hypothetische Imperative sind nur dann verbindlich, wenn ihre Zwecke nicht im Konflikt mit dem moralisch Gebotenen stehen. Ausnahmeregeln gebieten uns nicht „to do x even
Vgl. Schönrich (), S. ; Zimmermann (). Bader (), S. . Ebd., S. .
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though the hypothetical imperative told us not to do x“¹². Stattdessen drücken sie einen allgemeinen Willen aus, dass wir unter bestimmten Umständen x wollen oder sollen, auch wenn wir unter allen andern Umständen nicht x wollen oder sollen. Eine Ausnahmeregel kann moralisch gut oder böse sein; sie kann eine Pflicht oder pflichtwidrig sein. Eine Ausnahmeregel ist pflichtwidrig, wenn ich beispielsweise nur die Wahrheit sagen will, wenn jemand mich mit dem Tode bedroht. Eine Ausnahmeregel ist eine Pflicht, wenn ich beispielsweise meine Glückseligkeit nur dann nicht verfolge, wenn sie mit der Glückseligkeit der anderen moralischen Subjekte im Konflikt liegt. Ich denke, dass diese, wie ich glaube, falsche Lesart ein Ausdruck jener gemischten oder hybriden Konzeption der praktischen Vernunft ist, die ich in der Einleitung angesprochen habe. Demnach gibt es unterschiedliche Regeln, die zu zwei unterschiedlichen Vermögen gehören. Jedes Vermögen generiert seine eigenen gültigen Imperative, die dann anschließend miteinander in Konflikt geraten.Wenn wir jedoch die Willensbildung als einen einheitlichen Akt denken, dann kann der Konflikt zwischen den unterschiedlichen Arten von Imperativen gar nicht entstehen. Der hypothetische Imperativ heißt hypothetisch, weil er nur dann ein Gebot ist, wenn wir tatsächlich einen bestimmten Zweck wollen. Dass dieser Zweck nicht mit dem moralisch Gebotenen konfligiert und also auch vernünftigerweise gewollt werden kann, ist vorausgesetzt, damit der hypothetische Imperativ überhaupt für uns verbindlich ist. Anders gesagt: Es gibt keinen, auch nicht hypothetischen, Imperativ, der uns dazu verpflichtete, zu lügen oder – um Kants berühmtes Beispiel aufzugreifen – ein Depositum zu unterschlagen. Es ist undenkbar, dass zwei widersprüchliche Imperative Geltung haben. Hypothetische Imperative müssen einen moralisch erlaubten Zweck voraussetzen, andernfalls verlieren sie ihre normative Kraft. Nur so lässt sich letztlich auch erklären, warum alle, auch hypothetische, Imperative „objectiv“ (KpV, Ak. 5, S. 20) gültig sind. Keine der drei Kategorien der Qualität ist also moralisch bestimmt. Ob es sich um eine Pflicht handelt, lässt sich freilich nur dadurch ermitteln, dass wir den problematischen Gedanken der gesetzmäßigen Form auf die Maxime beziehen und uns fragen, ob die Willensbestimmung eine gesetzmäßige Form (subjektive und objektive Universalität) hat, das heißt praktisch notwendig ist. Deshalb, so will ich behaupten, sagt Kant, dass die Qualitätskategorien (und die Relationskategorien) moralisch noch unbestimmt sind. Ob eine Maxime praktisch möglich (bloß erlaubt/unerlaubt) oder notwendig ist, lässt sich nur in Bezug auf das moralische Gesetz bestimmen. Ob hingegen eine Maxime eine Begehung oder Unterlassung oder Ausnahme darstellt, hängt nicht vom Moralgesetz ab. Das
Ebd.
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bedeutet aber nicht, dass die Qualitäts- und Relationskategorien, wie es im Titel der Kategorientafel heißt, keinen Bezug auf die Begriffe des Guten und Bösen haben. Vielmehr hängt der moralische Wert der Maxime entscheidend davon ab, ob es sich um eine Begehung oder eine Unterlassung handelt. Ob ich mein Vermögen durch alle sicheren Mittel vergrößern will oder ob ich mein Vermögen nicht durch alle sicheren Mittel vergrößern will, ist ein moralischer Unterschied ums Ganze. Auch wenn also die Quantitätskategorien moralisch unbestimmt sind, bedeutet das nicht auch, dass sie sich nicht auf das Gute und Böse beziehen. Alle unsere moralischen Urteile gründen sich auf die „Elementarbegriffe“ (KpV, Ak. 5, S. 65) der praktischen Erkenntnis. Nur durch diese Begriffe können wir das „Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft oder eines reinen Willens […] unterwerfen“. Ohne diese Kategorien wäre es für uns, mit anderen Worten, unmöglich zu wissen, was uns moralisch geboten, was gut oder böse ist. Wenn man behauptet, dass manche der Kategorien keinen Bezug auf den moralischen Wert unseres Urteils haben, käme das der Behauptung gleich, dass manche der Naturkategorien keinen Bezug auf die Wahrheit oder die objektive Realität unserer Urteile haben. In beiden Fällen ist das Urteil ein einziger und einheitlicher Akt. Wenn wir nicht die Qualität eines Urteils bestimmten, urteilten wir nicht moralisch. Dasselbe gilt, wie wir nun sehen werden, für die Kategorie der Relation: Nur wenn wir das Verhältnis zwischen dem zugrundeliegenden Subjekt und dem Zustand des Subjekts bestimmen, können wir moralisch urteilen.
3.3 Relation Im ersten Abschnitt haben wir bereits erklärt, inwiefern Maximen auf einen freien Akt der moralischen Selbstkonstitution zurückgehen. Die Fähigkeit, nach verallgemeinerbaren Maximen zu handeln und dem moralisch guten Handeln emotional affirmierend gegenüber eingestellt zu sein, ist das,was uns zu freien und der moralischen Verantwortung fähigen Wesen macht. Kant nennt dieses Vermögen unsere Persönlichkeit.¹³ Dementsprechend drücken unsere Maximen immer eine Relation zu unserer Persönlichkeit aus. Genauer drücken sie eine Relation zwischen dem zugrunde liegenden Subjekt, dem Ich, und dem frei gewählten Zweck aus. In dieser Weise kommen die Maximen der Persönlichkeit dem handelnden Subjekt zu. Nur wenn wir die Maxime der Persönlichkeit zuschreiben, können wir dem Handelnden die Maxime und mit ihr die Handlung moralisch zurechnen. Alle
Vgl. RGV, Ak. , S. .
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unsere Maximen beziehen sich notwendig auf das Vermögen, nach der Vorstellung von verallgemeinerbaren Maximen zu handeln. Deshalb ist die „Persönlichkeit“ das zugrunde liegende Relatum der ersten Relationskategorie.¹⁴ Die von uns analysierte Maxime bezieht sich aber zudem auch noch sowohl auf den Zustand desjenigen, der die Maxime hat, als auch auf den Zustand anderer Personen. Demgemäß betreffen die zweite und dritte Relationskategorie die Wirkung, die die Handlung auf den Zustand des Subjekts der Handlung beziehungsweise auf den Zustand anderer Subjekte hat. Entweder ist der Zweck des Handelnden einseitig auf seinen eigenen Zustand gerichtet, oder die Relation geht in beide Richtungen und betrifft dann sowohl den Zustand des Handelnden als auch den Zustand eines oder mehrerer anderen Subjekte. In unserem Beispiel drückt die Maxime eine wechselseitige Relation aus. Der Handelnde verändert mit dieser Maxime seinen Zustand, indem er sich mit ihr etwa in der entsprechenden Situation zu einem Schuldner macht; und er verändert den Zustand anderer Personen, indem sie zu Kreditgebern oder auch Kreditverweigerern werden. Die Relationskategorien sind ebenso moralisch unbestimmt wie die Qualitätskategorien. Das heißt, dass, wenn wir die Relation einer Maxime bestimmen, damit nicht auch ihr moralischer Wert festgelegt wird. Alle Maximen (gute und böse) drücken notwendigerweise eine Relation des Handelnden zu seinem intendierten Zweck aus. Ob der Zweck eine Pflicht oder pflichtwidrig ist, ist eine Frage der Modalität der Maxime. Auch wenn Kant den moralischen Begriff der Persönlichkeit verwendet, bedeutet das noch nicht, dass die Kategorie moralisch determiniert ist. Wäre die Kategorie moralisch bestimmt, dann wäre der moralische Wert der Maxime als gut oder böse festgelegt. Dasselbe gilt auch für die anderen beiden Relationskategorien. Aber auch wenn die Kategorien der Relation moralisch unbestimmt sind, sind sie ebenfalls nicht jenseits der Moral oder moralisch neutral. Alle drei Kategorien drücken nämlich nicht etwa eine Relation zu Tieren oder unbelebten Objekten aus, die Kant zufolge keine (oder zumindest nur in einem abgeleiteten Sinne) moralischen Rechte besitzen. Stattdessen sind die Relationskategorien auf die Wesen eingeschränkt, die moralische Rechte haben: Personen. Die Relation besteht zwischen dem Subjekt (der Person), dem die Maxime zukommt beziehungsweise zuzurechnen ist, und den Personen (sie selbst eingeschlossen), die die Gegenstände ihrer Absichten sind (Pflichten gegen sich selbst, Pflichten gegen andere). Nur weil diese Kategorien eine Relation zwischen Personen als moralisch zurechenbare Wesen ausdrücken, ist Kant berechtigt zu sagen, dass auch sie „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ entwickelt sind.
Vgl. RGV, Ak. , S. f.
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Damit ist auch die Frage beantwortet, warum Kant überhaupt die Begriffe Persönlichkeit und Person und „nicht ganz andere“¹⁵ ins Spiel bringt, wenn es um darum geht, den Gehalt der Relationskategorien zu bestimmen. Praktische Erkenntnis als Erkenntnis des Guten beinhaltet notwendigerweise die Erkenntnis einer bestimmten Art von Relation: die Relation zwischen dem Subjekt des moralischen Urteils (der moralisch Handelnde) und seiner ebenso moralisch zurechenbaren und achtenswerten Objekte. Im Gegenzug zu Kants dezidiert moralischem Verständnis der Relationskategorien ist der Versuch unternommen worden, die Relationskategorien moralneutral zu explizieren. Demnach „relationier[en] [die Relationskategorien] Erscheinungen auf unterschiedliche Weise zu einem Sachverhalt, den ein Subjekt vermöge der Kausalität seines Willens in Raum und Zeit verwirklichen kann“¹⁶. In dem praktischen Urteil ‚Ich will mich mit der rechten Hand kratzen‘ sei die rechte Hand der Träger einer Bestimmung, und durch den Begriff des Kratzens werde dessen Zustand vorgestellt.¹⁷ Es ist nicht ganz klar, welche Rolle nach dieser Interpretation der Subjektbegriff in diesem praktischen Urteil eigentlich einnimmt. Warum sind die Relata ‚rechte Hand‘ und ‚kratzen‘? Grundsätzlicher kann man vielleicht sagen, dass die Kategorien nach dieser Interpretation nicht als Funktionen der praktischen Erkenntnis, die für Kant ja gerade moralische Erkenntnis ist, verstanden werden. Nur indem die Relationskategorien eine Relation zwischen dem Subjekt, dem die Maxime zuzurechnen ist, und den Personen, die Gegenstand ihrer Absichten sind, können wir sagen, dass die Relationskategorien konstitutiv für die moralischen Grundbegriffe sind.¹⁸ Ich denken, dass der moralneutralen Interpretation letztlich eine, wie ich es nennen möchte, bloß repräsentationale Konzeption praktischer Erkenntnis zugrunde liegt. Die repräsentationale Konzeption führt die Analogie zwischen den Kategorien der Freiheit und den Naturkategorien zu weit. In beiden Fällen ist Erkenntnis nur durch den Gebrauch der Kategorien möglich. Aber im praktischen Fall wird nicht ein gegebenes Mannigfaltiges so bestimmt, wie es ist (‚Ich will mich mit der rechten Hand kratzen‘), vielmehr bestimmen wir, wie dieses Mannigfaltige sein soll, und diese Erkenntnis verwirklicht im eminenten Fall auch den Gegenstand der Erkenntnis. Praktische Erkenntnis ist also nicht nur ein Wissen davon, was wir aktual begehren, sondern die Erkenntnis bringt den Gegenstand des Wollens, den Zweck der Handlung, erst hervor. In der repräsentationalen Konzeption der praktischen Vernunft wird durch die Kategorien so wie in der theoretischen Erkenntnis lediglich ein gegebenes
Zimmermann (), S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. f. Vgl. KpV, Ak. , S. .
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Mannigfaltiges bestimmt, es wird aber nicht der Zweck des Willens durch die Erkenntnis erst hervorgebracht. Wie wir oben gesehen haben, ist aber das genau das wesentliche Merkmal genuin praktischer Erkenntnis.
3.4 Modalität Die Kategorien der Modalität sind die Kategorien, die „den Übergang von praktischen Principien überhaupt zu denen der Sittlichkeit […] einleiten“. Es nicht ganz klar,wie dieser Satz zu verstehen ist. Er kann zum einen so aufgefasst werden, dass bereits das erste Kategorienpaar der Modalitätskategorie moralisch bestimmt ist, er kann aber auch so verstanden werden, dass der eigentliche Übergang erst innerhalb dieser Kategoriengruppe vom ersten auf das zweite oder vom zweiten auf das dritte Kategorienpaar stattfindet. Tatsächlich scheint eine Fußnote aus der „Einleitung“ der zweiten Kritik diese letztere Lesart zu bestätigen. Dort schreibt Kant, dass die drei Kategorienpaare der Modalitätskategorien den drei Arten der Imperative entsprechen: dem problematischen, assertorischen und apodiktischen Imperativen.¹⁹ Nun sind die problematischen Imperative, wie Kant sagt, bloß „technisch“ (GMS, Ak. 4, S. 416). Deshalb ist es prima facie einleuchtend, dass Kant zumindest das erste Kategorienpaar (erlaubt – unerlaubt) ausschließlich für technische und nicht für moralische Überlegungen reservieren will. Aus dieser Lesart folgte aber auch, dass die ebenfalls prima facie plausible Implikationsbeziehung zwischen der zweiten Kategorie des ersten Kategorienpaares (unerlaubt) und der zweiten Kategorie des zweiten Paares (pflichtwidrig) nicht gültig wäre. Denn wenn man ‚pflichtwidrig‘ im Sinne von Kants Pflichtbegriff in einem moralischen Sinne versteht, dann folgt, dass Handlungen, die pflichtwidrig sind, nicht auch unerlaubt wären, weil ‚unerlaubt‘ eine ausschließlich moralneutrale Kategorie ist. Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn man bedenkt, dass auch die technischen Vorschriften Imperative sind. Auch wenn wir nicht kategorisch zu diesen Imperativen verpflichtet sind, ist es doch unter den angemessenen Bedingungen geboten, diesen Vorschriften zu folgen. Die hypothetischen Imperative als bloß erlaubt zu bezeichnen, erscheint daher zu schwach. Eine Lösung dieses Problems kann uns helfen, Kants These besser zu verstehen, wonach er die Kategorien der Freiheit „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ entwickelt hat. Ich denke, wir sollten davon ausgehen, dass wir bei der Anwendung des Kategorienpaars ‚erlaubt – unerlaubt‘ ein Auge immer auch auf die moralische Legitimität
Vgl. KpV, Ak. , S. Anm.
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richten. Wenn etwas als erlaubt oder unerlaubt beurteilt wird, muss es moralisch möglich oder, anders ausgedrückt, nicht pflichtwidrig sein. Die Maxime wird vom moralischen Standpunkt als erlaubt beurteilt. Es ist daher auch nicht zu schwach, eine „Vorschrift“, die ja einen imperativischen Charakter hat, als bloß erlaubt zu qualifizieren. Machen wir uns diesen Gedanken an einer Maxime deutlich, die ihrer Quantität nach eine Vorschrift sein kann und ihrer Modalität nach erlaubt ist. Ich will „in der Jugend arbeiten und sparen […], um im Alter nicht zu darben“ (KpV, Ak. 5, S. 20). Diese Maxime ist unter bestimmten Umständen eine Vorschrift. Im Unterschied zum Gesetz ist sie also nicht uneingeschränkt gültig. Die Gültigkeit der Vorschrift hängt von zwei Bedingungen ab. Zum einen muss man den Zweck tatsächlich wollen. Zum anderen müssen die Mittel zur Verwirklichung des Zweckes führen. Im Fall unserer Maxime ist es wahrscheinlich, dass die erste Bedingung erfüllt ist. Ob sie erfüllt ist, hängt aber letztlich von unserer zufälligen Konstitution ab. Ob die zweite Bedingung erfüllt ist, hängt dagegen wesentlich von unseren Lebensumständen ab. Kant nennt selbst drei Bedingungen, unter denen diese konkrete Vorschrift (‚Du sollst in der Jugend arbeiten und sparen‘) ihre bindende Kraft verlöre, selbst wenn wir den Zweck tatsächlich verfolgen: i) Wir verfügen über „andere Hülfsquellen, außer [unserem] selbst erworbenen Vermögen“, ii) der Handlende „hoffe [gar nicht], alt zu werden“, iii) wir uns „im Fall der Not dereinst schlecht behelfen“ können (KpV, Ak. 5, S. 20). Diese Maxime wird nicht dadurch zu einem Gesetz, dass für alle, die in den entsprechenden Verhältnissen leben, die Mittel verbindlich sind. Die Maxime würde auch nicht dadurch zu einem Gesetz, wenn alle Handelnden zufällig mit allen anderen hinsichtlich ihrer Zwecke übereinstimmten. Nur wenn die Übereinstimmung der Handelnden hinsichtlich ihrer Zwecke ihren Grund in der Erkenntnis der Universalisierbarkeit der Maxime hat, kann die Maxime zugleich als ein praktisches Gesetz gelten. Für diejenigen, die tatsächlich den vorausgesetzten Zweck verfolgen und sich in den richtigen Bedingungen befinden, kann die Maxime tatsächlich eine gültige praktische „Vorschrift“ sein. Ihrer Quantität nach ist die Maxime daher nicht eine bloße Maxime, eine bloße „Willensmeinung“ (KpV, Ak. 5, S. 66) die nur private Gültigkeit hat. Sie ist aber auch, wie wir oben gesehen haben, kein Gesetz, weil sie nicht für alle vernünftigen Wesen gilt. Sie ist vielmehr eine Vorschrift, die für manche Handelnden verbindlich ist oder der bedingte praktische Notwendigkeit zukommt. „Alle Imperativen werden durch ein Sollen ausgedrückt“ (GMS, Ak. 4, S. 413). Aber das Sollen oder die praktische Notwendigkeit von „Vorschriften“ kann (im Unterschied zu Gesetzen) nicht unbedingt sein, weil sie sonst für alle rationalen Wesen verbindlich wären. Wenn Kant also schreibt, dass den Vorschriften die „Nothwendigkeit fehlt“ (KpV, Ak. 5, S. 20), meint er, dass ihnen unbedingte Notwendigkeit fehlt. Und Kants Behauptung, wonach alle Im-
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perative objektiv sind oder objektive Notwendigkeit ausdrücken, muss so verstanden werden, dass hypothetische Imperative oder Vorschriften unter bestimmten subjektiven Bedingungen objektiv notwendig sind. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, ist es dem Handelnden nicht mehr freigestellt, ob er die zur Realisierung des Zweckes erforderlichen Mittel ergreifen will oder nicht. Das macht aber Vorschriften nicht zu Pflichten, weil Pflichten in dem oben explizierten Sinn unbedingt notwendig sind. Wir haben zuletzt den Gesetzesbegriff über den Begriff der unbedingten Notwendigkeit erklärt. Auch bei den Kategorien der Natur ist die Quantitätskategorie der Allheit mit der Modalitätskategorie der Notwendigkeit koextensiv. Alles, was mit strikter Notwendigkeit (Allgemeingültigkeit) gilt, hat auch Gesetzescharakter. Und alles was Gesetzescharakter hat, ist auch strikt allgemeingültig. „Alle Ereignisse haben eine Ursache“ ist beispielsweise ein synthetisches Urteil a priori. Die strikte Universalität, die dieses Urteil beansprucht, ist nur dann gerechtfertigt, wenn es nicht anders sein kann, als dass ein Ereignis auch eine Ursache hat, das heißt dass es notwendig ist. Im Fall der Freiheitskategorien muss der Unterschied zwischen Vorschriften, die für einige Subjekte objektive Gültigkeit haben, und Gesetzen, die für alle Vernunftwesen objektiv gültig sind, so verstanden werden, dass die Gesetze moralisch notwendig, die Vorschriften hingegen moralisch möglich sind. Es ist nicht in irgendeiner Weise moralisch unmöglich, in der Jugend arbeiten und sparen zu wollen oder nicht arbeiten und sparen zu wollen, wenn man im Alter nicht darben will. Beide Zwecke als solche können ohne Widerspruch gewollt und gedacht werden. Unser Wille ist nur dann moralisch unmöglich, wenn unsere Handlungsgrundsätze so geformt sind, dass sie nicht als ein allgemeines Gesetz gewollt werden könnten. Die erlaubten und unerlaubten Maximen sind moralisch möglich und also nicht pflichtwidrig. Sie sind aber auch keine Pflichten, weil ihr Gegenteil ebenso ohne Widerspruch gewollt werden kann. Auch wenn eine Maxime also als moralisch erlaubt oder unerlaubt beurteilt wird, sind die Begriffe des Guten und Bösen im Spiel. Sie bestimmen nicht den Inhalt der Vorschrift, weil der Inhalt der instrumentellen oder technischen Prinzipien von theoretischer Erkenntnis (meist a posteriori) abhängt. Damit also eine Maxime sich als eine Vorschrift qualifiziert, muss sie sich als moralisch möglich erweisen; sie muss, mit anderen Worten moralisch erlaubt sein. Kurz: Vorschriften sind keine Pflichten. Aber Vorschriften dürfen auch nicht pflichtwidrig sein. Andernfalls müssten wir entweder die Einheit der praktischen Vernunft aufgeben oder die absurde Konsequenz in Kauf nehmen, dass uns sowohl Φ als auch nicht-Φ geboten sein können. Diese Interpretation ist auch mit Kants Korrespondenzthese aus „Vorrede“ der zweiten Kritik kompatibel. Die drei Paare der Modalitätskategorien korrespon-
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dieren den drei Arten der Willensbestimmung: problematisch, assertorisch, apodiktisch. Ein Urteil oder ein Begriff ist nur dann problematisch, wenn es widerspruchsfrei ist.Wenn nun jedoch das praktische Urteil bereits ein Widerspruch im Denken oder Willen impliziert, dann ist es noch nicht einmal ein problematisches Urteil. Kants Korrespondenzthese bestätigt also meine These, dass sogar das erste Paar der Modalitätskategorien nur mit Bezug auf das Moralgesetz zu verstehen ist. Nur wenn der vorausgesetzte Zweck in einer „Vorschrift“ (in Kants terminologischer Bedeutung) ohne Widerspruch gewollt oder gedacht werden kann, ist sie überhaupt normativ verbindlich. In diesem Sinne ist bereits das erste Kategorienpaar der Modalitätskategorien „moralisch bestimmt“²⁰. Das bedeutet aber nicht auch, dass das moralische Gesetz die Mittel, die die Vorschrift gebietet, bestimmt. Es bedeutet lediglich, dass sowohl der Zweck als auch die Mittel der Vorschrift moralisch möglich sein müssen. Ob etwas eine gültige praktische Vorschrift ist, kann nicht allein durch reine praktische Vernunft bestimmt werden. Theoretische Erkenntnis ist erforderlich, um herauszufinden, welche Mittel für die Verwirklichung unserer Zwecke notwendig sind. Auch wenn also unser praktisches Urteil weder eine Pflicht noch pflichtwidrig ist, ist es nicht auch schon moralisch indifferent oder moralisch neutral. Damit eine Maxime erlaubt oder unerlaubt ist, müssen wir sie bereits als moralisch möglich erkannt haben. Diese Erkenntnis ist ein Akt reiner praktischer Erkenntnis und nur durch das moralische Gesetz und die aus ihm folgenden Begriffe des Guten und Bösen möglich. Es gibt also gute Gründe, an der zum Beispiel von Chr. G. Schütz vertretenen These zu zweifeln, dass die Kategorien ‚erlaubt‘ und ‚unerlaubt‘ moralneutral sind.²¹ In der Religions-Schrift sagt Kant: Eine moralisch-gleichgültige Handlung (adiaphoron morale) würde eine bloß aus Naturgesetzen erfolgende Handlung sein, die also aufs sittliche Gesetz, als Gesetz der Freiheit, in gar keiner Beziehung steht: indem sie kein Factum ist und in Ansehung ihrer weder Gebot, noch Verbot, noch auch Erlaubniß (gesetzliche Befugniß) statt findet, oder nöthig ist. (RGV, Ak. 6, S. 22)
Mit anderen Worten: Die Modalitätskategorien moralneutral zu verstehen, heißt, sie als Kategorien der Natur zu interpretieren. Alle drei Modalkategorien sind „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ entwickelt. Alle sind moralisch bestimmt und die Vehikel, durch sich die praktische Erkenntnis artikuliert. Jeder Versuch die Kategorien der Freiheit als konstitutiv für nichtmoralische praktische
Vgl. Zimmermann (), S. f. im Unterschied zu Bobzien (), S. und Bader (), S. . Siehe den Brief von Schütz an Kant vom . Juni . Vgl. Br, Ak. , S. f.
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Urteile auszuweisen,²² ist mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass moralische Erkenntnis die einzig mögliche praktische Erkenntnis ist.Wenn unser Wohl und Übel (oder ein anderer moralneutraler Begriff) der Zweck unseres Handelns ist, ist unser Handeln nicht durch praktische Erkenntnis bestimmt. Die Vernunft wäre dann nur der Administrator beziehungsweise Diener unserer subjektiven Bedürfnisse.²³ Die Kategorein hörten in diesem Fall auf, konstitutiv für die praktische Erkenntnis und damit Kategorien zu sein. Wir haben bisher in erster Linie über die moralische Möglichkeit gesprochen. Es ist aber noch nicht klar, wie wir von der möglichen Verallgemeinerbarkeit der Maxime darauf kommen, dass es eine Pflicht ist, nach ihr zu handeln.Wir können nicht in nichttrivialer Weise von der Tatsache, dass eine Maxime ohne Widerspruch gewollt werden kann, darauf schließen, dass sie eine Pflicht ist. Genau aus diesem Grund haben manche Interpreten behauptet, der Kategorische Imperativ sei bloß ein Test für moralische Erlaubnis. Moralische Pflichten können auf der Grundlage dieses Verfahrens nicht etabliert werden. Es ist aber kein Zufall, dass Kant sowohl in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten als auch in der Kritik der praktischen Vernunft, wenn er sich mit der Bewertung der moralischen Maximen befasst, Maximen auswählt, die pflichtwidrig sind. Um also zu wissen, dass eine Maxime auch eine Pflicht ist, müssen wir wissen, dass ihr Gegenteil einen praktischen Widerspruch beinhaltet. Pflicht als uneingeschränkte Verpflichtung impliziert, dass es nicht der Willkür des Handelnden überlassen ist, nach einer Maxime oder ihrem Gegenteil zu handeln. Wenn eine Maxime sowohl als ihr Gegenteil keinen praktischen Widerspruch beinhalten, sind sie beide moralisch erlaubt, und wir sind nicht unbedingt verpflichtet, eine dieser beiden Maximen zu folgen.Wenn jemand pflichtwidrig handelt, dann will er nicht, dass seine Maxime ein allgemeines Gesetz wird.Vielmehr will er, wie Kant ausdrücklich schreibt, dass „das Gegenteil derselben […] allgemein ein Gesetz bleiben [soll]“, und dass seine Handlung lediglich eine „Ausnahme“ darstellt (GMS, Ak. 4, S. 424). Nun gibt es aber auch Interpreten, die den Übergang zu den moralisch bestimmten Kategorien innerhalb jeder einzelnen Kategoriengruppe von der zweiten auf die dritte Kategorie ausmachen wollen. Wenn man behauptet, dass nur die dritte Kategorie jeder Gruppe moralisch bestimmt ist, dann ist man damit auch zu der Behauptung verpflichtet, dass das zweite Paar der Modalitätskategorie (Pflicht – pflichtwidrig) moralisch unbestimmt ist.²⁴ Ein weiterer Grund scheint diese Lesart zu unterstützen: Das kontradiktorische Gegenteil von Pflicht ist nicht
Vgl. Zimmermann (), S. . Vgl. GMS, Ak. , S. . Vgl. Bader (), S. im Anschluß an Mellin (), S. ; Benton (), S. .
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pflichtwidrig, sondern Nicht-Pflicht.²⁵ Man hat deshalb den Vorschlag gemacht, dass der Begriff pflichtwidrig in der Kategorientafel entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch auch bei Kant als Nicht-Pflicht verstanden werden muss. Nun enthält die Menge der Handlungen, die nicht Pflichten sind, auch die Handlungen, die moralisch erlaubt und moralisch neutral sind. Das zweite Paar der Modalitätskategorien wäre also noch nicht moralisch bestimmt. Diese Lesart ist nicht plausibel. Kant schränkt den Begriff der Pflicht ausdrücklich auf uneingeschränkte Verbindlichkeit ein.²⁶ Uneingeschränkte Verbindlichkeit ist identisch mit moralischer Verbindlichkeit. Zudem ist die Kategorientafel, wie die Überschrift sagt, „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ entwickelt. Für einen nichtmoralischen Begriff der Pflicht ist daher innerhalb der Kategorien der Freiheit kein Platz. Von der Tatsache, dass manche Kategorien moralisch noch unbestimmt sind, sollten wir nicht, wie oben bereits deutlich wurde, darauf schließen, dass sie moralisch neutral sind. Die bloß moralisch erlaubten Handlungen sind bereits mit dem ersten Paar der Modalitätskategorien abgedeckt.
4 Schluss Fassen wir abschließend die Ergebnisse zusammen: Die Kategorien der Freiheit sind die Elementarbegriffe der praktischen Erkenntnis. Genuin praktische Erkenntnis ist Kant zufolge nur eigentlich in Bezug auf moralisches Handeln möglich. Schon deshalb ist es schwer verständlich zu machen, wie auch nur einige der Freiheitskategorien moralneutral entwickelt werden könnten. In diesem Aufsatz sollte deutlich geworden sein, warum eine einheitliche Konzeption der praktischen Vernunft verständlich machen kann, dass die Kategorien der Freiheit insgesamt „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ zu explizieren sind. Doch die Verständnisprobleme haben sich dadurch nicht vollständig auflösen lassen. Die Gesetzeskategorie der Quantitätskategorien wurde hier als moralisch bestimmt interpretiert, auch wenn das zumindest nicht unmittelbar mit Kants ausdrücklicher Behauptung, dass erst die Modalitätskategorien den Übergang von den moralisch unbestimmten zu den moralisch bestimmten Kategorien einleiten, vereinbar ist. Es konnte aber nachgewiesen werden, dass der Gesetzesbegriff koextensiv mit dem Begriff praktischer Notwendigkeit ist. Alles was mit strikter Notwendigkeit (Allgemeingültigkeit) gilt, hat auch Gesetzescharakter. Und alles
Beck (), S. im Anschluss an Schütz Brief an Kant vom . Juni (vgl. Br, Ak. , S. f.). Vgl. GMS, Ak. , S. ; KpV, Ak. , S. .
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was Gesetzescharakter hat, ist auch strikt notwendig (allgemeingültig). Insofern weisen die beiden Kategorien Gesetz und Pflicht wechselseitig aufeinander zurück. Wenn wir also den Gesetzescharakter einer Maxime bestimmen, bestimmen wir immer auch ihre Modalität. Nur wenn das Urteil durch die Modalitätskategorien bestimmt ist, ist es keine offene Frage mehr, ob die Maxime moralisch gut oder böse ist. Insofern kann man Kants Übergangsthese so interpretieren, dass die Modalitätskategorien notwendig sind, um eine Maxime moralisch zu bestimmen. Die Kategorien der Qualität und Relation konnten dagegen alle insgesamt als moralisch unbestimmt ausgewiesen werden. Im Unterschied zu den moralisch bestimmten Kategorien legen sie den moralischen Wert einer Maxime nicht so fest, dass das Gegenteil ausgeschlossen wäre. Wir haben aber auch gesehen, dass wir von Kants Behauptung, wonach manche Kategorien moralisch unbestimmt sind, nicht zu der weiteren Behauptung übergehen sollten, dass sich diese Kategorien auf das Wohl und Übel beziehen. Kants Unbestimmtheitsthese muss vielmehr so verstanden werden, dass diese Kategorien es noch offenlassen, ob die Maxime als gut oder böse zu qualifizieren ist. Das bedeutet konkret, dass eine Unterlassung sowohl gut als auch böse sein kann. Wird die Unterlassung als pflichtwidrig bestimmt, kann sie jedoch nur böse sein. Das bedeutet aber gerade nicht, dass wir eine Maxime ohne die moralisch unbestimmten Kategorien als gut oder böse bestimmen können. Die vier Kategoriengruppen sind vielmehr vier notwendige Momente eines einheitlichen Aktes moralischen Urteilens. Ohne die „moralisch unbestimmten“ Kategorien können wir nicht moralisch urteilen. In der Selbstbestimmung eines praktischen Urteils erheben wir erstens einen Anspruch hinsichtlich der praktischen Allgemeinheit des Urteils (Quantität), zweitens bestimmen wir, ob wir als Handelnde in der Sphäre einer bestimmten Handlung stehen oder nicht (Qualität), drittens drückt jedes unserer praktischen Urteile eine Relation zumindest zu uns selbst aus (Relation), viertens urteilen wir, ob eine Handlung moralisch möglich, unmöglich oder notwendig ist (Modalität). Nicht nur in unseren theoretischen, sondern auch in unseren praktischen Urteilen müssen alle unsere Vorstellungen zur Einheit des ‚Ich denke‘, das alle unsere Vorstellungen begleiten können muss, gebracht werden. Nur wenn wir unsere Begehrungen tatsächlich zur Einheit des Bewusstseins bringen, das heißt sie auch widerspruchsfrei gewollt werden können, ist unser Wille auch tatsächlich moralisch gut. Das Mannigfaltige unserer Begehrungen wird also durch die Kategorien zur Einheit des Bewusstseins gebracht, um diese Begehrungen, wie Kant sagt, „einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft oder eines reinen Willens […] zu unterwerfen“. Auch wenn die Absicht unseres Handelns unser Wohl und die Vermeidung des Übels ist, muss sich diese Absicht an der Moral messen lassen. Auch die bloß prudenziellen oder technischen Maximen beziehungsweise
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Vorschriften sind nicht, wie wir an den ersten beiden Kategorienpaaren der Modalitätskategorien gezeigt haben, moralneutral in dem Sinne, dass sie jenseits der Moral stünden. Auch ihre Maximen müssen sich als moralisch mögliche Absichten am Moralgesetz ausweisen. Praktische Erkenntnis ist gerade nur in Bezug auf das Gute und Böse, nicht in Bezug auf das Wohl und Übel möglich. In Bezug auf das Wohl und Übel haben wir bestenfalls theoretische, aber keine praktische Erkenntnis. Wären die Kategorien auf die Erkenntnis von Wohl und Übel und nicht auf das Gute und Böse bezogen, wären sie Naturkategorien und keine Kategorien der Freiheit oder bestenfalls Kategorien relativer oder kompatibilistischer Freiheit.²⁷ Sie wären dann gerade nicht die Erkenntnisfunktionen eines Erkenntnisvermögens das, wie Kant sagt, „für sich selbst“ (KpV, Ak. 5, S. 62), das heißt ohne ein vorausgesetztes Begehren, praktisch sein kann. Die hier vorgeschlagene nichthybride Interpretation hat den Vorzug, dass sie auch diese Konsequenz vermeiden kann.
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Beck (), S. ; Zimmermann (), S. f.
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Jochen Bojanowski
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Jens Rometsch
Kants „Kategorien der Freiheit“: Freiheit als empirischer und transzendentaler Bratenwender? Abstract. One of the most fundamental questions with respect to Kant’s „categories of freedom“ concerns the overall character of freedom in Kant’s second Critique. Kant operates with a juxtaposition of „transcendental freedom“ and the „comparative freedom“ instantiated by a turnspit. Obviously, „comparative freedom“ is no freedom at all, since Kant considers the movements of a turnspit to be absolutely determined by natural causes. Absolute determination implies that at any given point in time, preceding conditions limit the future course of the turnspit’s movements to just one possible option. The article examines if actions or processes characterised by „transcendental freedom“ aren’t determined in essentially the same manner, albeit not by natural causes, but nonetheless absolutely. By means of being absolutely determined by the moral law, processes (actions, maxim-forming thoughts, decisions etc.) that count as cases of „transcendental freedom“ seem to be simply bound to another form of absolute determination. Inasmuch as moral obligation leaves us without options, „transcendental freedom“ turns out to be a higher-order variation of empirical turnspit freedom.
Der Begriff der Freiheit ist nicht nur für die Philosophie I. Kants, sondern auch für die Philosophien J. G. Fichtes, F. W. J. Schellings und G. W. F. Hegels zentral. Über die Grenzen philosophischer Fachdebatten hinaus bleibt er außerdem von kulturgeschichtlicher Relevanz. Bereits in der Zeit der Reformation spielt er als politische Vokabel eine bedeutende Rolle. Seine Karriere erhält durch die französische Aufklärung weiteren, bis heute unaufhaltsamen Aufschub. Spätestens mit den französischen und amerikanischen Revolutionen wird Freiheit gegen Ende des 18. Jahrhunderts zum welt- und denkgeschichtlichen Schlüsselbegriff. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Noch bis in jüngste, weltpolitisch entscheidende Entwicklungen hinein (zum Beispiel den ,arabischen Frühling‘) triumphiert der Ruf nach Freiheit. Obwohl der Begriff der Freiheit dermaßen ubiquitär gebraucht wird, bleibt er häufig unverstanden. Das ist kaum verwunderlich. Denn angesichts einer unüberschaubaren Vielzahl einander überkreuzender Freiheitsdiskurse fällt es schwer, nicht aus dem Blick zu verlieren, was mit Freiheit ernsthaft gemeint sein
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könnte. Nicht alles, was als Freiheit apostrophiert wird, trägt diesen Titel zu Recht. Die Usurpation beginnt meines Erachtens da, wo eine systematische Mindestbedingung verletzt wird. Es gibt ein Minimalverständnis des Ausdrucks ‚Freiheit‘, ohne dessen Beachtung der Ausdruck bedeutungslos wird. Die Missachtung oder Unterlaufung dieses Verständnisses hat meines Erachtens zur Folge, dass Freiheit in jeder auch noch so theoretisch elaborierten Verwendung keine ernst zu nehmende Bedeutung mehr hat oder eben etwas ganz anderes heißt, als das, was üblicherweise unter Freiheit verstanden wird. Ich werde zunächst versuchen, dieses Minimalverständnis zu umreißen und zu begründen (I.). Danach werde ich, insbesondere inspiriert durch S. Zimmermanns Überlegungen zu Kants „Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 65),¹ untersuchen, inwieweit die Freiheitskonzeptionen Kants, die für seine Moralphilosophie einschlägig sind, diesem Minimalverständnis genügen (II.). Selbstverständlich kann ein Autor des ausgehenden 18. Jahrhunderts das Wort ‚Freiheit‘ anders gebrauchen als wir; unser Verständnis ist für Kant nicht bindend, und sollte sich herausstellen, dass Kant unter ‚Freiheit‘ etwas anderes versteht als wir, behält seine praktische Philosophie ihren Wert. Allerdings müsste bei so einem Ergebnis eventuell gefragt werden, inwieweit Kant in zeitgenössischen Debatten zum Thema Freiheit versus Determinismus noch als Gewährsmann gegen den Determinismus geführt werden darf. Doch der Reihe nach.
1 Es reicht offensichtlich nicht, wenn gesagt wird, bei der Rede von Freiheit müsse man sich darüber verständigen, was (beziehungsweise welches Etwas) als frei designiert wird, und wovon und wozu es befreit sei. F sei im Folgenden dasjenige, was tatsächlich frei ist, beziehungsweise dasjenige, dem zutreffend Freiheit zugesprochen wird. Kandidaten für F wären etwa tierische oder menschliche Individuen, die Willkür oder der Wille, eine Gesellschaft, ein Staat, ein Kulturkreis (‚die freie westliche Welt‘), die Presse, die Kunst, der Geist, der Verstand, die Vernunft, das Denken, das Erkennen, das Handeln oder eine Handlung, ein Entschluss, eine Meinung, ein ‚freies‘ Radikal. Alle genannten Beispiele für F und viele andere könnten falsche Beispiele sein, denn Urteile der Form ‚P ist (ein Fall von) F‘ sind ebenso fallibel wie andere Urteile.Wie die Beispiele andeuten, kann F nach vielen gängigen Redeweisen entweder eine tätige Instanz oder deren Tätigkeit selbst sein (ein Handelnder ist zum Beispiel insofern frei, als seine
Vgl. Zimmermann ().
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Handlungen ebenfalls frei sind). Wenn man sich nur damit begnügt anzugeben, was alles ein Fall von F sei und wovon oder wozu es jeweils befreit ist, droht man die entscheidende Frage zu unterlaufen: was Freiheit eigentlich ist. Was immer Freiheit auch sein mag, die Beobachtung trifft zu, dass sie nicht überall vorkommt, und ihr jeweiliger episodischer Kontext zu ihrer vollen Beschreibung dazugehört. Aber wenn ich lediglich irgendetwas als ein F designiere und kontextuell angebe, wobei es frei ist, weiß ich noch nicht, was ‚frei‘ heißt. Ich ahne dann allenfalls, in welchen Kontexten man von dem reden sollte, was hier als ‚frei‘ oder ‚Freiheit‘ bezeichnet wird, aber noch nicht, um was es sich dabei handelt. Einen entscheidenden ersten Aufschluss, worum es sich bei der Freiheit handelt, ergibt sich aus dem Umstand, dass solche Kontextanalysen meistens miterklären, wobei oder worin F nicht frei ist. Häufig wird bei Exemplifizierungen von F auch ganz unvermeidlich von Freiheitseinschränkungen, Freiheitsbegrenzungen oder Freiheitsentzug gesprochen. In verschiedenen Theorien über Fälle von F spielen aus jeweils unterschiedlichen Gründen Interessen, Neigungen, Triebe, Natur, Naturkausalität, Gewalt, die logische Notwendigkeit, der politische und ökonomische Sachzwang oder Ähnliches die Rolle eines Faktors, der die jeweils kontextuell konstatierte Freiheit relativiert. Insofern ein F diesen Faktoren unterworfen ist, gilt es dementsprechend als nicht frei oder unfrei – die Relativierung macht es zum partiellen ‚Non-F‘. Nur sofern diese Faktoren die jeweils konstatierte Freiheit nicht völlig entziehen, gibt es sie überhaupt. Mit dieser einfachen Beobachtung lässt sich bereits das entscheidende Minimalverständnis vorbereiten, das ich als Mindestbedingung für jedes theoretisch elaborierte, sinnvolle Verständnis von Freiheit behaupten möchte: Wo dieses Minimalverständnis durch ein elaboriertes Verständnis negiert, konterkariert oder in anderer Weise missachtet wird, wird meines Erachtens die Rede von Freiheit fragwürdig.Wie wir sahen, kann F nach gängiger Ausdrucksweise auch insofern es frei ist Einschränkungen und Begrenzungen unterworfen sein. Damit ist aber bereits impliziert, wodurch F frei wird und worin F frei bleibt. Nämlich durch Indetermination. Frei ist F, insoweit es nicht determiniert wird, nicht darauf festgelegt wird, sich (im Fall einer Instanz) so oder so zu verhalten beziehungsweise (im Fall einer Tätigkeit) so oder so zu verlaufen, und sich nicht anders verhalten beziehungsweise nicht anders verlaufen zu können. Insoweit F keiner Regel, keinem Zwang, keiner Ist-Norm unterliegt, mit der gewährleistet ist, dass es sich ceteris paribus nur auf genau eine mögliche Weise verhalten kann, nennen wir F frei beziehungsweise attribuieren ihm Freiheit. Freiheit erfordert also mindestens, nicht durch Antezedensbedingungen auf genau eine Möglichkeit der Weiterentwicklung festgelegt zu sein: Indetermination in diesem Sinne (also nicht im Sinne eines Ausbleibens jeglicher Antezedensbedingung) ist eine Minimalvoraussetzung dafür, etwas als Fall von F gelten zu
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lassen. Damit ist noch Weiteres impliziert. Indetermination lässt sich nämlich nur da sinnvoll konstatieren, wo eine Veränderung stattfindet. Im Gegensatz zu Determination ist Indetermination ein Begriff, der sich, wenn er etwas heißen soll, nur auf Prozesse beziehen kann, in denen etwas anders wird. Worin eine statische Struktur, an der keinerlei Veränderung stattfindet, indeterminiert sein sollte, bliebe schleierhaft,wenn so etwas jemals behauptet würde.Wenn zum Beispiel ein Gesteinsbrocken bei hinlänglich stabilen Umweltbedingungen eine gleichbleibende (nicht korrodierende) Struktur hat, ist diese durch die statische Zusammensetzung bestimmter Bestandteile determiniert, ohne dass deshalb gefolgert werden müsste, dass er oder seine Struktur immer noch Veränderungen unterworfen ist (zum Beispiel Veränderungen der Art, die zu seiner Genese führten).Wo eine Zusammensetzung gleich bleibt, ist sie auch als ebendiese gleichbleibende Zusammensetzung determiniert. Statik und Determination gehören so sehr zusammen, dass der Begriff einer indeterminierten Statik ein hölzernes Eisen wäre. Selbst da, wo die statische Zusammensetzung einer nicht in Veränderung befindlichen Sache unbekannt ist, kann deshalb nicht angenommen werden, diese Sache und ihre Zusammensetzung seien indeterminiert. Wenn von Indetermination die Rede ist, muss es also um Prozesse gehen. Neben indeterminierten Prozessen gibt es wohl auch determinierte. Ein maschineller oder mechanischer Ablauf wird von uns häufig als durchgängig determiniert vorgestellt. Er ist gewissermaßen von einer ins Zeitliche gezogenen Statik – sein Verlauf lässt sich bestenfalls exakt berechnen und, wie die Komposita eines Gesteinsbrockens, summarisch zusammenfassen. Im Gegensatz dazu gibt es Prozesse, die F betreffen. Auch diese Prozesse mögen teilweise determiniert sein. Aber wenn wir dank ihrer etwas sinnvoll als einen Fall von F designieren können, dann nur, insofern sie indeterminiert sind. Gilt uns ein Prozess als in jeder Hinsicht determiniert, dann halten wir es für festgelegt, welchen unausbleiblichen Verlauf er unter bestimmten äußeren Bedingungen tatsächlich nimmt. Dieser Verlauf wird unter Rekurs auf eine Ist-Norm eruierbar und vorhersagbar. Solche Prozesse lassen sich entsprechend als feststehende Regeln formulieren: ‚Immer wenn A, dann B‘. Ob die Entdeckung der entsprechenden Ist-Norm hier empirisch oder apriorisch verfährt, macht für die Determination, die wir der mit dieser Norm zu beschreibenden Sache unterstellen, keinen entscheidenden Unterschied. Im Fall einer empirischen Ist-Norm ist man vielleicht geneigter, sie für kontingent zu halten, weil man ja auch ein anderes empirisches Gesetz akzeptiert hätte, wenn man es denn vorgefunden hätte. Meint man apriorische Ist-Normen konstatieren zu können, hofft man, sie dadurch zu nobilitieren, dass man eine Alternative zu ihnen schlechterdings und unter keinen Umständen für möglich hält. Mit dieser Hoffnung kann man sich allerdings täuschen; mindestens insofern man sich hier täuschen kann, wären auch konstatierte apriorische Ist-Normen kontingent.
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Indeterminierte Prozesse lassen sich jedenfalls nicht mehr nach dem Muster ‚Immer wenn A, dann B‘ beschreiben. Wenn ein ansonsten determinierter Prozess auch noch irgendeine Indetermination haben soll, dann nur, wenn er an mindestens einer Stelle seines Verlaufs auf eine Maximaldetermination nach folgendem Muster beschränkt werden kann: ‚Immer wenn A, dann entweder B oder C‘. Sobald eine Veränderung so verstanden wird, dass sie nicht einmal mehr zwei voneinander verschiedene, distinkte Verlaufsformen annehmen kann, wird sie als durchgängig determiniert verstanden. Wird sie dagegen so verstanden, dass sie mindestens zwei distinkte Verlaufsformen (‚B oder C‘) annehmen kann, wird sie als indeterminiert verstanden. Die binäre Option zwischen exakt zwei verschiedenen Verlaufsformen ist natürlich die schwächste Form der Indetermination. Aber sie ist eine. Wenn durch keine Ist-Norm bestimmbar wird, ob an einem Stadium A eines Alterationsprozesses entweder die Entwicklung B oder die Entwicklung C eintritt, dann ist der Prozess an dieser Stelle indeterminiert, auch wenn es allein die beiden Entwicklungsmöglichkeiten B und C gibt. Wahrscheinlichkeitskalküle könnten eine solche Indetermination nicht wirkungsvoll bestreiten, sondern allenfalls als Kalkulierbarkeit relativieren. Wenn zum Beispiel bei einem Alterationsprozess an einem Stadium A von den genau zwei möglichen Entwicklungen B und C die Entwicklung B mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit und C nur mit 1-prozentiger Wahrscheinlichkeit eintreten können soll, ist die unwahrscheinlichere Entwicklung C dennoch nicht unmöglich. Ein solcher Prozess wäre an dieser Stelle seines Ablaufs von einer denkbar geringen Indetermination, aber eben dennoch nicht determiniert – auch das weniger Wahrscheinliche könnte eintreten. Eine geringe Wahrscheinlichkeit ist schließlich keine Unmöglichkeit – es ist unwahrscheinlich, aber eben doch möglich, im Lotto zu gewinnen. Bei einigen Alterationsprozessen vermuten wir mehr als zwei distinkte Entwicklungsmöglichkeiten. Manche beschreiben wir vielleicht so, dass in einem Stadium A unendlich viele Entwicklungsmöglichkeiten bestehen. Sobald es jedoch bei einem Alterationsprozess in einem Stadium A nur noch genau eine Entwicklungsmöglichkeit gibt, handelt es sich um einen (wenigstens an dieser Stelle seines Verlaufs) durchgängig determinierten Prozess. Und bei keinem derartigen Prozess (zum Beispiel einer Tätigkeit) und bei keiner (ausführenden oder erleidenden) Instanz eines solchen Prozesses könnten wir sinnvoll von einem Fall von F sprechen. Die Behauptung, dass nur dann sinnvoll ein Fall von F konstatiert werden kann, wenn es um die Indetermination von Prozessen geht, ist aber nicht nur eine Feststellung zum bevorzugten Wortgebrauch der Ausdrücke ‚frei‘ und ‚Freiheit‘. Es geht um einen sachlichen Unterschied, der diese Ausdrücke erst erfordert, und der zur Insistenz auf einem sinnvollen Gebrauch berechtigt. Ob Prozesse an einer bestimmten Stelle ihres Ablaufs nur genau einen Verlauf nehmen können oder mindestens zwei, ist für unsere Beschreibung und Bewertung
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dieser Prozesse von zentraler, durch nichts zu nivellierender Bedeutung. Auch ein anderes Sprachspiel, das zum Beispiel die Ausdrücke ‚Freiheit‘, ‚Notwendigkeit‘, ‚Indetermination‘, ‚Determination‘ nicht kennt, müsste die mit diesen Ausdrücken gemeinten Distinktionen weitgehend treffen können, um zwischen statischen und dynamischen Prozessen unterscheiden zu können. Das angebotene Minimalverständnis von Freiheit als Indetermination von Alterationsprozessen ist natürlich nicht neu. Allerdings erfährt gerade dieses Verständnis bei vielen Denkern der Tradition eine auffällige Geringschätzung, obwohl es meines Erachtens die unhintergehbare Minimalbedingung für elaborierte und kontextspezifischere Freiheitskonzeptionen darstellt. Als prominentes Beispiel für diese Art von Geringschätzung sei Descartes genannt. Descartes hält die Freiheit unseres Willens für schlechterdings unbegrenzt; schließlich lässt sich nicht sagen, dass wir irgendetwas nicht wollen könnten.² Diese Unbegrenztheit unseres Willens ist ihm in besonderem Maße Garant unserer vermeintlichen Gottesebenbildlichkeit.³ Gerade für einen derart aufgeladenen Willensbegriff gilt aber die genannte Mindestbedingung für einen sinnvollen Gebrauchs des Begriffs Freiheit: Der Wille muss seiner Natur nach gegenüber allen in einer bestimmten Situation bestehenden Optionen gleichgültig sein, darf zu keiner mehr als zu einer anderen getrieben werden, wenn er tatsächlich frei sein soll. Doch gerade diese als Gleichgültigkeit (lat. indifferentia) apostrophierte Indetermination des Willens wird von Descartes zwar nicht infrage gestellt, aber eben doch als die niedrigste Form der Freiheit denunziert: „Indifferentia […] est infimus gradus libertatis“ (AT, VII, S. 58). Sie bleibt jedoch die unerlässliche Voraussetzung dafür, dass von einem freien Willen überhaupt die Rede sein kann. Zumindest dann nicht, wenn man für den allgemeinen Fall des Desiderate-Habens nicht zwischen Wünschen und Wollen unterscheidet. Wünschen kann man sich alles (z. B. dass vor drei Tagen besseres Wetter gewesen wäre), wollen kann man nur das, was man für realisierbar hält. Man kann aber viele Desiderate irrtümlich für realisierbar halten, so dass man sich nicht ohne Weiteres sicher sein kann, ob man etwas tatsächlich wollen oder doch nur wünschen kann. Mindestens deshalb relativiert sich die Unterscheidung von Wünschen und Wollen. „Nec vero etiam queri possum, quod non satis amplam & perfectam voluntatem, sive arbitrii libertatem, a Deo acceperim, nam sane nullis illam limitibus circumscribi experior […] Sola est voluntas, sive arbitrii libertas, quam tantam in me experior, ut nullius majoris ideam apprehendam; adeo ut illa praecipue sit, ratione cujus imaginem quandam & similitudinem Dei me referre intelligo / Und ich kann auch wirklich nicht klagen, dass ich von Gott einen Willen oder eine Entscheidungsfreiheit erhalten habe, die nicht weitreichend und vollkommen genug wäre, denn ich mache die Erfahrung, dass ihr in der Tat keinerlei Grenzen gezogen wurde […] Es ist allein der Wille oder die Freiheit der Entscheidung, die ich in mir als so groß erfahre, dass ich die Idee keiner größeren erfasse; so sehr, dass es vor allem die Freiheit ist, aufgrund deren ich verstehe, dass ich ein gewisses Bild und ein Gleichnis Gottes darstelle“ (AT, VII, S. f.). Zur Unendlichkeit des Willens siehe auch AT, VIII, S. oder AT, IX, S. .
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Besonders klar erkannt wird dieser Umstand von J.-P. Sartre. Für Sartre steht fest, dass wir der ständigen Konfrontation mit unserer eigenen Indetermination gar nicht entkommen können. Er verdeutlicht dies am dramatischen Beispiel eines Spaziergangs über einen geländerlosen Abgrund im Hochgebirge. Das Schaudern vor dem Abgrund („horreur du précipice“ (EN, S. 66)) in dieser Situation wird nach Sartre nicht durch den Gedanken an einen möglichen tödlichen Unfall ausgelöst (der zum Beispiel durch plötzliches, unkontrollierbares Ausrutschen auf einem Gerölluntergrund eintreten könnte). Das Schaudern entsteht beim Gedanken daran, dass ich durch nichts gezwungen werde, meine eigene Kraft und Achtsamkeit zur Vermeidung eines solchen Unfalls, und damit zur Erhaltung meines Lebens einzusetzen, dass ich also durch keine Determination, der ich unterworfen zu sein meine, daran gehindert werde, mich in den Abgrund zu stürzen: „Si rien ne me contraint à sauver ma vie, rien ne m’empèche de me précipiter dans l’abîme.“ (EN, S. 67)⁴ Anhand dieses Beispiels wird deutlich, was Sartre mit der berühmten Aussage meint, wir seien zur Freiheit verdammt.⁵ Es sind häufig Situationen, in denen unser eigenes Leben auf dem Spiel steht, in denen wir unsere eigene, beängstigende Freiheit bemerken, es aufs Spiel zu setzen: Kein noch so verlässlicher Überlebenstrieb gewährleistet uns, dass wir uns nicht in den Abgrund stürzen. Aber auch wenn wir uns nicht am Abgrund bewegen, bewahrt uns niemals ein zuverlässig verlaufender Automatismus davor, selber die Entscheidungen treffen zu müssen, die jede Situation erfordert. Wir sind zur Freiheit verdammt, heißt für Sartre: Wir können uns bei keiner Praxis darüber hinwegtäuschen, dass wir auch anders agieren könnten, als wir es eben tun; wir müssen selbst dafür sorgen, dass wir nicht aus der Rolle fallen.Wir werden im Folgenden sehen, dass wir nach Kant in einigen lebensbedrohlichen Situationen noch mit einer anderen, singulären Art von Freiheit konfrontiert sein können.
2 Gleich zu Beginn seiner eindrucksvollen und eindringlichen Studie stellt Zimmermann fest, dass „Kant mit seinen Kategorien der Freiheit philosophiehisto-
„Wenn nichts mich zwingt, mein Leben zu retten, hindert mich nichts, mich in den Abgrund zu stürzen“. „En fait, nous sommes une liberté qui choisit mais nous ne choisissons pas d’être libres: nous sommes condamnés à la liberté.“ (EN, S. ).
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risch als Solitär“⁶ dastehe. Worum es bei diesen Kategorien geht, bringt Zimmermann folgendermaßen auf den Punkt: Kategorien der Freiheit [sind] für die Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch dasjenige […], was Kategorien der Natur für die Vernunft in ihrem theoretischen Gebrauch sind. Sie stellen die konstitutiven Bedingungen der Möglichkeit, nicht der Erfahrung von Gegenständen, sondern des Wollens von Objekten dar.⁷
Zimmermanns Kant gibt uns mit dieser Kategorientafel also eine prinzipielle Auskunft darüber, was es heißen könnte, etwas zu wollen. Diese Auskunft wäre im Kontext einer Philosophie besonders wichtig, der es nicht nur um die Beschreibung unseres Wollens und unseres Verständnisses davon geht, sondern vor allem darum, festzulegen, was wir wollen sollen. Zimmermanns filigrane Deutung buchstabiert diese These in allen Facetten aus und nimmt dabei durchaus überraschende Konsequenzen in Kauf. Das wird besonders deutlich, wenn er sich für das bei Kants Kategorien der Freiheit veranschlagte Freiheitsverständnis interessiert.⁸ Sollen Kants Freiheitskategorien tatsächlich die konstitutiven Bedingungen der Möglichkeit des Wollens von Objekten darstellen, wäre in der Tat kaum einzusehen, wie mit „Freiheit“ hier nur jene Freiheit gemeint sein soll, deren „ratio cognoscendi“ das „moralische Gesetz“ (KpV, Ak. 5, S. 4 Anm.) ist. Denn offensichtlich kann es nicht überall, wo wir uns ein Wollen von Objekten, eine Aktualisierung unseres „Begehrungsvermögens“ attestieren, darum gehen, allein aus Pflicht das Gebotene zu tun. Das Wollen von Objekten meint ebenso sehr den Heißhunger auf ein Dessert wie den Karriereplan. Viele Fälle eines Wollens von Objekten zählen wir mit guten Gründen unter die „adiaphora“, also zu jenen Fällen, in denen nach Maßstäben eines kantisch verstandenen „moralischen Gesetzes“ gar nicht zu entscheiden ist, was man wollen soll.⁹ Entsprechend trägt Zimmermann unter subtilem Rekurs auf die Kritik der reinen Vernunft („Dialektik“ und „Kanon“), auf die nähere Textumgebung der Freiheitskategorientafel sowie auf die erst in der Metaphysik der Sitten zu terminologischer Eindeutigkeit gereifte Unterscheidung zwischen Willkür- und Willensfreiheit weitere Gründe für seine
Zimmermann (), S. . Ebd. Vgl. ebd., S. ff. „Phantastisch-tugendhaft aber kann doch der genannt werden, der keine in Ansehung der Moralität gleichgültige Dinge (adiaphora) einräumt und sich alle seine Schritte und Tritte mit Pflichten als mit Fußangeln bestreut und es nicht gleichgültig findet, ob ich mich mit Fleisch oder Fisch, mit Bier oder Wein, wenn mir beides bekömmt, nähre; eine Mikrologie, welche, wenn man sie in die Lehre der Tugend aufnähme, die Herrschaft derselben zur Tyrannei machen würde.“ (MSTL, Ak. , S. )
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Annahme vor, dass es auch für Kant beim freien Wollen von Objekten nicht nur um die Freiheit zum Wollen und Handeln aus Pflicht zu tun sein kann. Die überraschende Konsequenz dieser Deutung ist, dass man in Zimmermanns Kant plötzlich eine „empirische Freiheit der Willkür“¹⁰ entdeckt. Diese Konsequenz ist originell, scheint aber auch nicht ganz den Rahmen dessen zu sprengen, was in der Fachliteratur zu Kants Freiheitskonzeptionen diskutiert wird, insbesondere als eine Textstelle der ersten Kritik eine entsprechende Lesart begünstigt (dazu unten mehr).¹¹ Das Überraschende an ihr ist, dass sie mit anderen festen Bestandteilen von Kants Philosophie nicht zusammenpasst. Das wird deutlich, wenn man sich fragt, was an einer Willkürfreiheit empirisch sein könnte. Wenn ich recht sehe, kann hier im Sinne Kants nur zweierlei gemeint sein, und dies nur so, dass bei einer Charakterisierung einer Freiheit als „empirisch“ beides untrennbar zusammengehört: Erstens, dass es sich bei dieser Freiheit um ein empirisches Phänomen handelt, also um eines, das zur Welt gehört, insofern sie allein Gegenstände möglicher Erfahrung umfasst. Und zweitens, dass wir von dieser Freiheit eben in der Weise einer Erfahrung, also einer Erkenntnis a posteriori, wissen, bei der Sinnlichkeit und Verstand auf die von Kant in der Kritik der reinen Vernunft dargestellte Weise miteinander kooperieren. Hier stößt Zimmermanns Lesart auf das Problem, dass nahezu alles, was Kant in seiner ersten Kritik über Erkenntnis aus Erfahrung und ihre möglichen Gegenstände ausführt, dagegen spricht, irgendeine Form von Freiheit als einen dieser Gegenstände gelten zu lassen. Und es ist keinesfalls so, dass Kant in der Kritik der praktischen Vernunft diese Position zur Erfahrungserkenntnis zurücknimmt; das Gegenteil ist der Fall, er bekräftigt sie. Zimmermann selbst nimmt auf diejenigen Stellen in der Kritik der praktischen Vernunft Bezug, die diese Position bekräftigen, scheint sie aber nicht für hinlänglich relevant zu halten. Kant spricht in seiner zweiten Kritik davon, dass man bei der Beschreibung von Naturphänomenen gelegentlich einen „comparativen Begriffe von Freiheit“ gebraucht, um diesen Gebrauch allerdings gleich als
Zimmermann (), S. . Zimmermann selbst interessiert sich für die Frage einer „empirischen Freiheit“ vor allem im Kontext seiner Interpretation der Kategorien der Freiheit, der zufolge es sich bei der Freiheit, die Kant hier kategorialisiert, „vielleicht nicht um Freiheit im transzendentalen Verstande handeln könnte“ (ebd., S. ). Zimmermann plädiert dafür, dass in den „Kategorien der Freiheit“ die „empirische Freiheit der Willkür aufscheint“ (S. ). Bei der Einführung dieser These kommt er auf Beispiele der Fachliteratur zu sprechen, nach deren Auffassung mit Freiheit in den Kategorien der Freiheit sowohl eine transzendentale als auch eine empirische Freiheit gemeint ist. Vgl. Michaelis (); Beck (); Schönrich (); Bobzien (). Es gibt also offensichtlich Fachmeinungen, die Kant die Auffassung einer „empirischen Freiheit“ zuschreiben.
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„Ausflucht“ (KpV, Ak. 5, S. 96) zu kennzeichnen. Denn selbst wenn Handlungen von empirisch eruierbaren Vorstellungen motiviert werden, eignet ihnen nach Kant immer noch eine „psychologische und nicht mechanische Causalität“. Handlungen unterstehen also immer noch einer strengen Naturnotwendigkeit. Zwar mögen bei einer psychologisch verursachten Handlung Abwägungen stattfinden; aber das erlaubt uns keinesfalls, sie als eine Handlung aus genuiner Wahlfreiheit zu verstehen. Nach Kant kann keine unserer Handlungen als indeterminierter Alterationsprozess gelten: Will man also einem Wesen, dessen Dasein in der Zeit bestimmt ist, Freiheit beilegen: so kann man es, so fern wenigstens, vom Gesetze der Naturnothwendigkeit aller Begebenheiten in seiner Existenz, mithin auch seiner Handlungen, nicht ausnehmen; denn das wäre so viel, als es dem blinden Ungefähr übergeben. (KpV, Ak. 5, S. 95).
Sofern wir empirisch beschreibbare Naturwesen sind, an denen in einer vergleichsweisen (komparativen) empirischen Betrachtung so etwas wie Freiheit ausgemacht werden soll, kann nach Kant nur die sogenannte „Freiheit eines Bratenwenders“ (KpV, Ak. 5, S. 97) entdeckt werden – also nur etwas, das im Lichte einer oberflächlichen Komparation einem Fall von genuiner Indetermination ähnelt, aber in Wahrheit keinen darstellt, sondern einen Fall strenger Naturkausalität. Diese Konsequenz ist nach allen mir von Kant bekannten Charakterisierungen empirischer Erkenntnis zwingend. Behielte er sie in der zweiten Kritik nicht bei, müsste er die erste Kritik, wie mir scheint, nahezu komplett widerrufen. Es empfiehlt sich, das Bratenwenderbeispiel ausführlich zu zitieren: Hier wird nur auf die Nothwendigkeit der Verknüpfung der Begebenheiten einer Zeitreihe, so wie sie sich nach dem Naturgesetze entwickelt, gesehen, man mag nun das Subject, in welchem dieser Ablauf geschieht, automaton materiale, da das Maschinenwesen durch Materie, oder mit Leibnizen spirituale, da es durch Vorstellungen betrieben wird, nennen, und wenn die Freiheit unseres Willens keine andere als die letztere (etwa die psychologische und comparative, nicht transscendentale, d. i. absolute zugleich) wäre, so würde sie im Grunde nichts besser, als die Freiheit eines Bratenwenders sein, der auch, wenn er einmal aufgezogen worden, von selbst seine Bewegungen verrichtet.
Zimmermann misst dem systematischen Punkt, den ich hier besonders betonen möchte, offensichtlich nicht dieselbe Bedeutung bei, beziehungsweise schätzt ihn ganz anders ein. In seiner Lesart, die sich am „übersteigert spöttischen Ton“ der zitierten Passagen stört, verwirft Kant „jene komparative Freiheit des menschlichen Willens nicht“¹². Jedoch erläutert Kant in diesen Passagen gerade, dass die
Zimmermann (), S. .
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„komparative“ Freiheit gar keine ist, sondern eine bloße Scheinfreiheit. Den Bratenwender oder ein in einer Flugbahn befindlichen Körper oder ein Uhrwerk¹³ können wir wohl kaum im unter I. skizzierten oder irgendeinem anderen intelligiblen Sinne frei nennen, wenn Freiheit nicht exakt dasselbe heißen soll, wie Naturkausalität. Dennoch liegt die Intuition hinter Zimmermanns Lesart,wenn ich sie recht verstehe, völlig richtig: Wir können nicht so tun, als hätten wir von unserer eigenen Freiheit keine Erfahrung. Wir machen unweigerlich die Erfahrung, dass wir frei sind: Die Frage ist, ob sich unsere individuellen Neigungen und Absichten ebenso wie die universalen Gebote der Sittlichkeit gleichsam automatisch, ohne unser Zutun und an uns vorbei in die Wirklichkeit überführen. Oder stehen wir in der Möglichkeit, Alternativen zu präferieren, innezuhalten, uns zu bedenken und gegebenenfalls auf Distanz zu gehen, aus welchen Gründen auch immer? Die Freiheit der Willkür ist die Freiheit der Wahl. Wo immer sich mehrerlei Optionen auftun, wo immer Konflikte zwischen widerstreitenden Neigungen oder zwischen Pflicht und Neigung aufreißen, da steht ein handlungsauslösender Entschluss an.¹⁴
Der cartesischen Intuition einer „Freiheit der Wahl“, zu der wir nach Sartre und Zimmermann unweigerlich verdammt sind (dass der Entschluss „ansteht“, heißt ja eben nicht, dass man sich aussuchen kann, ob man sich entschließen möchte oder nicht), stimme ich vorbehaltlos zu. Wenn Kants Freiheitskonzeptionen sachlich zu retten sein sollen, müssen sie dieser Erfahrung unserer eigenen Indetermination Rechnung tragen können. Deshalb ist Zimmermanns interpretatorische Forderung goldrichtig. Ich denke nur, dass ihr anders nachzukommen wäre, als Zimmermann vorschlägt. Denn Kants Begriff von Erfahrung passt nicht auf die Art von unweigerlicher Erfahrung, die Zimmermann meint, wenn er von empirischer Willkürfreiheit spricht. Die „Nothwendigkeit der Verknüpfung der Begebenheiten einer Zeitreihe“ lässt keine Indetermination zu, das freie „Ungefähr“, in dem wir in der Zeitreihe unserer Abwägungen und wahlfreien Entschlüsse nach Zimmermann stecken, ist für Kant ein „blinde[s] Ungefähr“, dem wir nach seiner Einschätzung unmöglich überantwortet sein können. Wenn die „Begebenheit“ A mit der konsekutiven „Begebenheit“ B verknüpft wird, dann kann letztere nach diesem Notwendigkeitsverständnis niemals als eine nur mögliche Konsekutivfolge von A verstanden werden, an deren Stelle auch die „Begebenheit“ C eintreten könnte. Die Notwendigkeit der Verknüpfung, von der hier die Rede ist, meint nach meiner Lesart dasselbe, was ich oben als durchgängige Determination gekennzeichnet habe. Erfahrungen können wir nach Kant
Vgl. KpV, Ak. , S. . Zimmermann (), S. .
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nur von dem machen, was alternativlos und durchgängig determiniert erscheint. Und auch wenn wir bei erfahrbaren Prozessen urteilen, dass sie an einer bestimmten Stelle mehrere Verlaufsmöglichkeiten nehmen können (dass zum Beispiel auf A auch B oder C folgen könnte), tun wir dies nach Kant nur, weil wir in einigen Fällen die durchgängige Determination nicht vollständig einsehen, die jedem erfahrbaren Prozess unvermeidlich zukommen muss. Wir meinen nur, wir hätten eine Wahl zu treffen zwischen mehreren Optionen; welche dieser „Optionen“ eintritt, hängt jedoch mit einer einzigen Ausnahme (siehe unten) nicht von unseren Abwägungen ab.Vielmehr flankieren unsere Abwägungen nur, was, wenn wir „einmal aufgezogen“ sind, ohnedies eintritt. So kann man nach Kant auch dasjenige, was aus Erfahrung als ein Fall von F konstatiert werden könnte, wie bereits zitiert, vom „Gesetze der Naturnothwendigkeit aller Begebenheiten in seiner Existenz, mithin auch seiner Handlungen, nicht ausnehmen; denn das wäre so viel, als es dem blinden Ungefähr übergeben“. Für uns als erfahrbare Naturwesen gilt: Entweder uns beherrscht durchgängige Determination oder „blinde[s] Ungefähr“. Entsprechend gilt meines Erachtens für die von Zimmermann zitierten Beispiele einer empirischen Freiheit, dass Kants Deutung hier anders ausfällt, als von Zimmermann vorgeschlagen. Was wir nach Kant an uns selbst als Entscheidungsfähigkeit zwischen mehreren Handlungsoptionen zu erleben meinen, ist auf diese Weise nur deutbar, weil uns in keinem Augenblick alle Gesetze, die uns als automaton materiale oder automaton spirituale determinieren, durchgängig einsehbar sind. Die Erfahrung, uns vermeintlich so oder so entscheiden zu können, ist für Kant also nur ein Symptom einer unbehebbaren Unkenntnis unserer selbst und dessen, was uns materiell und repräsentational-imaginativ antreibt beziehungsweise, wie Kant es ausdrückt, betreibt. Nach allem, was sich laut Kant empirisch behaupten lässt, bestimmen unsere Vorstellungen und Abwägungen das, was wir tatsächlich tun, nicht in der Weise, dass sie uns eine Wahl zwischen mindestens zwei distinkten Optionen ließen – in der Weise also, dass die Abläufe unseres Tuns jemals indeterminiert und insofern ein genuiner Fall von F wären. Soweit es empirisch (physiognomisch oder psychologisch) untersuchbar ist, bleibt unser Tun auf jeden Fall dasjenige eines „automaton“ oder „Maschinenwesen[s]“. Bleibt zu prüfen, ob sich dieser Befund einer durchgängigen Determination ändert, wenn wir den Fall von F nicht mehr empirisch situieren, indem wir uns und die Prozesse, die an und mit uns stattfinden, nicht mehr empirisch untersuchen. Kant zufolge müssten wir dafür uns und unser Tun als Fall einer Freiheit verstehen, die „transscendental, d. i. absolute zugleich“, ist. Gemeint ist hier jene Freiheit, die genau dann wirksam wird, wenn unser Tun allein durch die Vorstellung unserer Pflicht bestimmt ist. Für Kant ist eine Handlung aus Pflicht ein Prozess, der nicht mehr durch empirisch eruierbare
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Zusammenhänge (Naturgesetze oder Neigungen) ausgelöst und determiniert wird. Gemäß dem zitierten Bratenwenderbeispiel kommt bei einer solchen Handlung eine transzendente beziehungsweise absolute Freiheit als Auslöser in Betracht, die für Kant mehr ist als die „Freiheit eines Bratenwenders“. Während die letztere zu Unrecht Freiheit heißt, da sie keinen Fall von Indetermination darstellt, müssen wir für die transzendentale Freiheit erstens untersuchen, ob sie Indetermination zulässt und damit den Minimalbedingungen für einen sinnvollen Gebrauch des Begriffs Freiheit genügt; und wir müssen zweitens untersuchen, wie bei einem konkreten Fall einer Handlung aus Pflicht unsere empirisch durchgängige Determination mit einer überempirischen Form der Freiheit in Verbindung gebracht werden können soll. Ich schlage vor, beide Fragen exemplarisch an einem Beispiel zu untersuchen, das noch dramatischer ist als Sartres Spaziergang am Abgrund: Setzet, daß jemand von seiner wollüstigen Neigung vorgiebt, sie sei, wenn ihm der beliebte Gegenstand und die Gelegenheit dazu vorkämen, für ihn ganz unwiderstehlich: ob, wenn ein Galgen vor dem Hause, da er diese Gelegenheit trifft, aufgerichtet wäre, um ihn sogleich nach genossener Wollust daran zu knüpfen, er alsdenn nicht seine Neigung bezwingen würde. Man darf nicht lange rathen,was er antworten würde. Fragt ihn aber, ob, wenn sein Fürst ihm, unter Androhung derselben unverzögerten Todesstrafe, zumuthete, ein falsches Zeugniß wider einen ehrlichen Mann, den er gerne unter scheinbaren Vorwänden verderben möchte, abzulegen, ob er da, so groß auch seine Liebe zum Leben sein mag, sie wohl zu überwinden für möglich halte. Ob er es thun würde, oder nicht, wird er vielleicht sich nicht getrauen zu versichern; daß es ihm aber möglich sei, muß er ohne Bedenken einräumen. Er urtheilet also, daß er etwas kann, darum, weil er sich bewußt ist, daß er es soll, und erkennt in sich die Freiheit, die ihm sonst ohne das moralische Gesetz unbekannt geblieben wäre. (KpV, Ak. 5, S. 30)
Das Doppelbeispiel eignet sich für diese Untersuchung deswegen, weil es alle einschlägigen Motive vereinigt. Zunächst die komparative „Freiheit eines Bratenwenders“: Erstimpulse (unmittelbare Neigungen und Gelüste) können nach diesem Beispiel genau dann bezwungen werden, wenn durch Abwägung eine Vorstellung davon entsteht, was auf dem Spiel steht, wenn man ihnen nachgäbe. Das auf diese Weise reflektierte Interesse fungiert dann immer noch als naturkausal wirksamer, handlungsdeterminierender Antrieb. Die Freiheit vom Erstimpuls ist nur ein reflektierter Zweitimpuls, der seinerseits nicht mehr ist als ein repräsentational-imaginativer (psychologischer), durchgängig determinierender Impuls.¹⁵ Das automaton spirituale bleibt somit trotz Deliberation ein Braten-
In diesem Punkt ist sich auch Hegel mit Kant einig. Nach Hegel wären nicht nur die situativen Reflexionen von Einzelimpulsen, sondern selbst ein aufs Ganze unserer Existenz reflektiertes
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wender. Zimmermann beurteilt die Bedeutung der Deliberation unter anderem mit Verweis auf eine merkwürdige Bemerkung in der ersten Kritik völlig anders, in der davon die Rede ist, eine „praktische Freiheit“ könne „durch Erfahrung bewiesen werden“ (KrV, B 830): Die Deliberation von Erstimpulsen versteht Zimmermann als Indetermination beim Versuch, „Kosten und Nutzen einer beabsichtigten Handlung und deren voraussichtlicher Folgen gegeneinander zu halten und miteinander zu verrechnen“¹⁶. Nach meiner Lesart bleibt ein durch verstandesmäßige Abwägung unserer Impulse gesteuertes Handeln für Kant immer noch ein impulsives Handeln: Die Klugheit, dem Galgen zu entkommen, ist nur ein reflektierter Trieb, ein existenzsichernder Trieb höherer Ordnung, dem wir nach Kant nicht aus Indetermination nachgeben. Die Bemerkung in der ersten Kritik erläutert auch in keiner Weise, wie „praktische Freiheit“ empirisch bewiesen werden könne.¹⁷ Sie widerspricht allem, was die beiden ersten Kritiken sonst über Erfahrung und Freiheit lehren. Es dürfte sich bei ihr daher nicht um einen doktrinalen Bestandteil von Kants theoretischer Philosophie handeln. Im zweiten Teil unterstellt Kants Galgenbeispiel jedoch, dass wir gegen alle empirischen Impulse und Interessen handeln können, nämlich genau dann, wenn wir unter Suspension selbst unseres eigenen Überlebenstriebs das „moralische Gesetz“ befolgen. An anderen Stellen gibt Kant zu, dass durch kein denkbares Beispiel empirisch zu beweisen ist, dass uns die Entkräftung aller empirischen Impulse und Interessen zugunsten dieses Gesetzes tatsächlich möglich ist.¹⁸ In
Ideal individualbiographischer Glückseligkeit nicht mehr als bloß ein Impuls höherer Ordnung. Vgl. Rometsch (), S. f.; Rometsch (). Zimmermann (), S. . Die Stelle ist leider unklar. Einerseits wird hier die praktische Freiheit von der Freiheit „in transscendentaler Bedeutung“ (KrV, B ) unterschieden; andererseits wird sie aber „praktisch“ genannt, weil sie im Gegensatz zu „pathologischen“ Antrieben die Freiheit einer Willkür ist, „welche unabhängig von sinnlichen Antrieben, mithin durch Bewegursachen, welche nur von der Vernunft vorgestellet werden, bestimmet werden kann“ (KrV, B ). Unter diese Bewegursachen zählt Kant an dieser Stelle noch das, was „auf entferntere Art nützlich oder schädlich ist“, also „Überlegungen […] von dem, was in Ansehung unseres ganzen Zustandes begehrungswerth, d. i. gut und nützlich, ist“. Die Rede von der Nützlichkeit legt hier tatsächlich nahe, dass es sich bei dieser Freiheit um einen reflektierten Impuls zur Erhaltung der eigenen Glückseligkeit handelt, also um eine empirisch feststellbare Fähigkeit.Warum eine solche Fähigkeit im Lichte der zweiten Kritik allerdings nicht pathologisch genannt werden soll, beziehungsweise warum die Entdeckung überlebenssichernder Klugheitsregeln „nur von der Vernunft“ und nicht auch vom impulsgesteuerten Verstand geleistet werden soll, erklärt diese Ausführung aus der ersten Kritik nicht. Auch Zimmermann bemerkt, dass sich Kant mit der Behauptung, praktische Freiheit könne durch Erfahrung bewiesen werden, etwas „überschwänglich ausdrückt“. Zimmermann (), S. . „Auch ist das moralische Gesetz gleichsam als ein Factum der reinen Vernunft, dessen wir uns a priori bewußt sind und welches apodiktisch gewiß ist, gegeben, gesetzt, daß man auch in der
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unserem Beispiel könnten wir uns dem Exekutionseifer unseres Fürsten schließlich auch aus anderen Motiven aussetzen – zum Beispiel aus Todessehnsucht, maßlosem Stolz, der falschen Hoffnung auf Gnade oder auf eine überraschende Rettung in letzter Sekunde usw. Nach Kant ist es aber eben auch nicht möglich, empirisch auszuschließen, dass wir empirische Antriebe gänzlich suspendieren und uns vom „moralischen Gesetz“ leiten lassen. Es wäre also in unserem Beispiel immerhin möglich, allein durch die Vorstellung des moralischen Gesetzes unsere „Liebe zum Leben“ zu suspendieren, um uns erhängen zu lassen. Nehmen wir einstweilen an, diese Möglichkeit bestünde tatsächlich. Nehmen wir also an, die durchgängige Determination, die wir nach Kant empirisch an uns feststellen müssen, wäre in besonderen Fällen suspendierbar und ersetzbar durch „transscendentale, d. i. absolute“, Freiheit, also durch einen tentativen Fall von F. Das völlige Ausbleiben einer Handlungsdetermination durch einen empirisch feststellbaren Impuls muss für diese besonderen Fälle charakteristisch sein, wenn hier ernsthaft die Rede davon sein kann, dass der Mensch „etwas kann, darum, weil er sich bewußt ist, dass er es soll“. Auch der in der zweiten Kritik eingeführte besondere empirische Impuls einer Achtung vor dem moralischen Gesetz soll das Eintreten dieser besonderen Fälle lediglich begünstigen, aber nicht erzwingen. Denn nicht nur das moralische Gesetz, sondern auch das Gefühl der Achtung vor dem moralischen Gesetz verbietet uns nach Kant, diesem Gesetz lediglich aufgrund eines Gefühls (zum Beispiel dem der Achtung vor dem Gesetz) Folge zu leisten. Allein die gefühlsunabhängige Vorstellung davon, dass wir etwas kategorisch sollen, hat nach Kant auszureichen, um eine Handlungsdetermination durch einen empirisch feststellbaren Impuls ausbleiben zu lassen. Wenn dieser Impuls ausbleibt, stellt sich die Frage, was ihn ersetzt: eine andere Art von Determination? Dann wäre aber noch nicht ersichtlich, warum es sich bei einer nichtempirischen Determination um einen Fall von F handeln sollte: Wären wir in besonderen Fällen nicht mehr in empirisch (physiognomisch oder psychologisch) feststellbarer Weise, sondern durch ein lediglich transzendentalphilosophisch zu formulierendes Gesetz determiniert, dann wären wir ja gerade nicht indeterminiert. Wenn also im Fall einer ausbleibenden, empirisch feststellbaren Determination eine andere durchgängige Determination vorliegt, besteht vielleicht noch gar kein Fall von F. Damit ein Fall von F besteht, müsste noch eine Indetermination bestehen, wenn ein empirisch feststellbarer HandlungsimErfahrung kein Beispiel, da es genau befolgt wäre, auftreiben konnte. Also kann die objective Realität des moralischen Gesetzes durch keine Deduction, durch alle Anstrengung der theoretischen, speculativen oder empirisch unterstützten Vernunft, bewiesen, und also, wenn man auch auf die apodiktische Gewißheit Verzicht thun wollte, durch Erfahrung bestätigt und so a posteriori bewiesen werden, und steht dennoch für sich selbst fest.“ (KpV, Ak. , S. )
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puls ausbleibt, der Handelnde und seine Handlung also keinem empirischen Gesetz folgen, sondern dem „moralischen Gesetz“ unterliegen. Das Ausbleiben einer empirischen Determination müsste uns erlauben, zwar einem „moralischen Gesetz“ zu unterliegen, aber eben doch so dass wir durch dieses nicht durchgängig determiniert sind: so also, dass wir ohne empirische Determination in einer bestimmten Handlungssequenz an einer bestimmten Stelle mindestens zwei voneinander unterscheidbare Handlungsoptionen folgen lassen können. Nur wenn wir, ohne an einer bestimmten Stelle eines Handlungsprozesses empirisch feststellbar determiniert zu sein, mindestens zwei voneinander distinkten Optionen folgen können, sind wir in der Befolgung des „moralischen Gesetzes“ frei (im Sinne der in I. formulierten Minimalbedingungen für einen sinnvollen Gebrauch des Begriffs Freiheit). Ist dies nicht der Fall, dann besteht die „transscendentale, d. i. absolute“, Freiheit“ wohl allein darin, von aller empirischen Determination suspendiert werden zu können, um dann aber ohne weiteres einer anderen (transzendentalen) durchgängigen Determination zu unterliegen. Ebenso wie uns als empirischen Akteuren, als die wir ausnahmslos durch Impulse und Impulsabwägungen determiniert sind, nur die Scheinfreiheit des empirischen Bratenwenders zukommt, käme uns als moralischen Akteuren, die wir ausnahmslos durch ein transzendentalphilosophisch zu formulierendes „moralisches Gesetz“ determiniert sind, nur die Scheinfreiheit eines transzendentalen Bratenwenders zu. Der einzige tatsächliche Fall von F läge darin, dass wir nicht auf das empirische Bratenwenden festgelegt sind, sondern uns, selbst unter einer Todesdrohung, auf das transzendentale Bratenwenden verlegen können. Dass diese Darstellung Kants Auffassung entspricht, wird durch die Opposition von Heteronomie und Autonomie bekräftigt. Mit dem Ausdruck ,Autonomie‘ wird in der zweiten Kritik spezifiziert, worin die „transscendentale, d. i. absolute“, Freiheit bestehen soll. Nämlich erstens negativ darin, dass moralische Akteure von empirischen, impulsgebenden Objektvorstellungen unabhängig sind – also befähigt sind, nicht durch empirisch feststellbare Impulse determiniert zu werden; und zweitens positiv darin, dass sie statt dieser empirischen Determinierung durch fremde, irgendwoher gegebene Impulse eine neue Eigendeterminierung treten lassen können: Jene Unabhängigkeit aber ist Freiheit im negativen, diese eigene Gesetzgebung aber der reinen, und, als solche, praktischen Vernunft ist Freiheit im positiven Verstande. Also drückt das moralische Gesetz nichts anders aus, als die Autonomie der reinen praktischen Vernunft, d. i. der Freiheit (KpV, Ak. 5, S. 33).
Das „moralische Gesetz“ drückt die Freiheit aus, um die es hier geht. Damit gilt für diese Freiheit: Sie ist ein Gesetz. Sie ist eine statische Determination. Ein Handeln
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im Sinne des „moralischen Gesetzes“ erlaubt nicht, an einer bestimmten Stelle eines Handlungsprozesses zwei voneinander unterschiedene,vielleicht sogar zwei einander entgegengesetzte Handlungsoptionen zu ergreifen. Wenn wir tatsächlich dem „moralischen Gesetz“ folgen, bleibt uns stets nur genau eine Handlungsoption. Wenn wir ihm nicht folgen, fallen wir zurück in die heteronome Determinierung durch empirisch feststellbare Impulse und Impulsabwägungen. Im zweiten Teil der Metaphysik der Sitten (der Tugendlehre) räumt Kant zwar mittels einer Inszenierung moralischer Zweifelsfälle indirekt ein, dass nicht immer eindeutig zu ermitteln sei, was unter Befolgung des „moralischen Gesetzes“ zu tun ist.¹⁹ Aber diese Schwierigkeit ist nichts weiter als ein Symptom unseres notorisch schwachen moralischen Urteilsvermögens. Sie berechtigt nicht zur Annahme, dass Handlungsoptionen, die im Sinne des „moralischen Gesetzes“ gleichwertig scheinen könnten, es auch tatsächlich sind – das „moralische Gesetz“ lässt immer nur eine Option zu. Schließlich berechtigen auch die Schwierigkeiten bei der empirischen Feststellung unserer heteronomen Determinierungen durch Impulse nach Kant nicht zur Annahme, ihre Determination sei nicht durchgängig und ließe mehrere Verlaufsoptionen zu. Der einzige bekannte Fall von F, den Kant gelten lässt, besteht lediglich darin, dass wir hinsichtlich der Heteronomie oder Autonomie unserer situativen Determinierung indeterminiert sind. Es ist in keinem Fall, in dem wir ceteris paribus von Neigungen getrieben sind, ausgeschlossen, dass wir uns nicht von ihnen treiben lassen, sondern stattdessen allein aus der Vorstellung unserer Bindung an das „moralische Gesetz“ handeln. Wann wir tatsächlich heteronom und wann wir autonom determiniert sind, ist durch kein empirisch oder transzendentalphilosophisch eruierbares Gesetz festgelegt. Ganz gleich, ob die Kategorien der Freiheit nur auf die „transscendentale“ oder auch auf eine „empirische“ Freiheit gemünzt sind: Es handelt sich in beiden Fällen nur um eine Scheinfreiheit. Wie das Galgenbeispiel illustriert, kommt es lediglich in bestimmten Handlungssituationen zu einer Indetermination, insofern als durch kein (empirisches oder transzendentales Gesetz) festgelegt ist, ob wir entweder (empirisch determiniert) aus Neigung oder (transzendental determiniert) aus Pflicht handeln. Dass für Kant Freiheit weder in einer empirischen noch in einer transzendentalen Variante der unter I. erläuterte ‚Fall von F‘ ist, zeigt sich schon daran, dass die Verlaufsmöglichkeiten für einen ‚Fall von F‘ gerade nicht in In der „Ethischen Elementarlehre“ werden hier nach jedem Paragraphen „Casuistische Fragen“ gestellt, die zum Teil von unbestreitbarer ethischer Relevanz sind, auf die Kant aber nicht antwortet – so z. B. die Frage, ob trotz eines bestehenden Selbsttötungsverbots in bestimmten Situationen Selbsttötung dennoch erlaubt, vielleicht sogar geboten, sein könnte.Vgl. MSTL, Ak. , S. f.
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der statischen Form eines Kategoriensystems zu fassen sind. Sofern etwas als ‚Fall von F‘ gelten darf, ist es gerade indeterminiert, unterliegt also gerade keinen Kategorien. Wenn es sich um ein genuin freies, mithin wesentlich indeterminiertes, Wollen handelt, dann können die „konstitutiven Bedingungen der Möglichkeit […] des Wollens von Objekten“²⁰ wohl kaum den regelwerklichen Charakter einer Kategorientafel annehmen. Wir stellen also fest, dass Kant mit seiner Konzeption einer als „moralisches Gesetz“ ausgedrückten Autonomie unter Freiheit etwas völlig anderes versteht, als das, was unter I. erläutert wurde. Man kann darüber mutmaßen, warum er dies Freiheit nennt, obwohl ihm die gängigere Konzeption von Freiheit als Wahlfreiheit bekannt gewesen sein dürfte – vielleicht, weil die Befreiung von Fremddetermination (Heteronomie) für seine Konzeption des „moralischen Gesetzes“ so entscheidend ist; vielleicht auch, weil für Kant empirisch nicht auszuschließen ist, dass wir zwischen Neigung und Pflicht eine genuin freie Wahl haben – nichts determiniert uns dazu, angesichts eines drohenden Galgens entweder unserer rettenden Neigung oder der tödlichen moralischen Pflicht zu folgen. Allerdings ist diese Wahl für Kant die einzige, die wir haben – sobald wir entweder zu einer empirischen oder einer transzendentalen Determination tendieren, läuft der Bratenwender.
Bibliographie Beck, Lewis W. (31995): Kants Kritik der praktischen Vernunft. Ein Kommentar, übers. von Karl-Heinz Ilting, München. Bobzien, Susanne (1988): Die Kategorien der Freiheit bei Kant, in: Oberer, Hariolf (Hg.): Kant. Analysen – Probleme – Kritik, Bd. 1, Würzburg, S. 193 – 219. Descartes, René (1897 ff.): Œuvres de Descartes. Publiés par Charles Adam et Paul Tannery, Paris; dt. Übersetzung der Meditationes von Andreas Schmidt (Göttingen 22011). (= AT) Kants Gesammelte Schriften (1900 ff.), hg. von der (Königlich) Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin. Michaelis, Christian F. (1796): Ueber die sittliche Natur und Bestimmung des Menschen. Ein Versuch zur Erläuterung über I. Kants Kritik der praktischen Vernunft, Bd. 1, Leipzig. Rometsch, Jens (2007): Hegels Theorie des erkennenden Subjekts. Systematische Untersuchungen zur enzyklopädischen Philosophie des subjektiven Geistes, Würzburg. Rometsch, Jens (2012): Hegel on Knowledge of What We Are Doing, in: SATS Northern European Journal of Philosophy 13/2, S. 95 – 115. Sartre, Jean-Paul: L’être et le néant. Essai d’ontologie phénoménologique, Paris 1943 f.; dt. Übersetzung von Traugott König und Hans Schöneberg (Hamburg 1991). (= EN)
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Kants „Kategorien der Freiheit“
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Ina Goy
Momente der Freiheit
Abstract. Among the most important controversies about the form and content of the „Table of the Categories of Freedom“ are the questions, first, what this table is about; second, if the categories of freedom have moral content or if they can be morally indifferent; and third, if the categories of freedom are a priori unconditioned or a posteriori conditioned concepts. I will argue, first, that the categories of freedom thematise particular aspects of determining grounds of human actions and man’s voluntary treatment of these determining grounds. Second, they are determining grounds of human actions „with respect to the concepts of the good and evil“, that is, they do have good or evil moral content and cannot be morally indifferent. And third, all categories of freedom thematise aspects of determining grounds of human actions under empirical conditions in their relation to the unconditioned: the practical law (which is itself not part of the table of the categories of freedom) and the generation of moral contents (the concepts of good and evil which are derived from the practical law).
1 Im „Zweiten Hauptstück“ der „Analytik“ der Kritik der praktischen Vernunft, am Ende des Kapitels „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“, fügt Kant die „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 66) an. Sie enthält die folgenden Stichworte:
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Die kategoriale Architektonik ist einer der umstrittensten Züge der kritischen Philosophie Kants. In der theoretischen Philosophie präsentiert Kant eine Tafel der Kategorien oder reinen Verstandesbegriffe;¹ die damit verwandten architektonischen Gliederungen finden sich in der Tafel der Urteile,² den Schematismen,³ den transzendentalen Naturgesetzen oder synthetisch apriorischen Grundsätzen des Verstandes,⁴ den Begriffen des Nichts,⁵ in den Tafeln psychologischer,⁶ kosmologischer⁷ und theologischer Ideen. Schon A. Schopenhauer äußert sich bissig über Kants „sonderbares Wohlgefallen an der SYMMETRIE“, die „eine ganz individuelle Eigenthümlichkeit des Geistes Kants“ sei, wobei Kant „jener Neigung zu Liebe, so weit geh[e], der Wahrheit offenbare Gewalt anzuthun und mit ihr zu
Vgl. KrV B, . Vgl. KrV B, . Vgl. KrV B, – . Vgl. KrV B, . Vgl. KrV B, . Vgl. KrV B, . Vgl. KrV B, .
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verfahren, wie mit der Natur die altfränkischen Gärtner, deren Werk symmetrische Alleen, Quadrate und Triangel, pyramidalische und kugelförmige Bäume und zu regelmäßigen Kurven gewundene Hecken sind“⁸. E. Adickes kommentiert ironisch, dass das „schöne Rechteck“ der reinen Verstandeskategorien mit seinen „zwölf Feldern“ zwar Kants „Liebe zur Symmetrie und Architektonik sehr schmeicheln“⁹ müsse, „jene ganze gewaltsame Anordnung mit all ihren Folgen“ jedoch „absolut keinen wissenschaftlichen Wert“¹⁰ habe. Irritiert notiert auch P. F. Strawson: Kant’s uncritical acceptance, and unconstrained manipulation, of the forms and classifications of traditional logic […] may be held in part responsible for his boundless faith in a certain structural framework, elaborate and symmetrical, which he adapts freely from formal logic as he understands it and determinedly imposes on the whole range of his material. Over and over again the same pattern of divisions, distinctions, and connexions is reproduced in different departments of the work. The artificial and elaborate symmetry of this imposed structure has a character which, if anything in philosophy deserves the title of baroque, deserves that title.¹¹
Einer der Wenigen, die Kants Tafel(n) Großes abzulocken versuchen, ist R. Brandt, der im „1, 2, 3 / 4“-Muster ein „Ordnungsprinzip der europäischen Kulturgeschichte“ entdeckt.¹² Ähnlich der Tafel der Kategorien der Natur in der theoretischen Philosophie ist die Tafel der Kategorien der Freiheit eines der umstrittensten Theoreme in der praktischen Philosophie Kants. Anders als in der theoretischen Philosophie findet sich diese Tafel jedoch nur an einer einzigen Stelle.¹³ Sie wird in der praktischen Philosophie sonst nirgends wiederholt. Anders als in der theoretischen Philosophie scheint es auch, dass die Tafel, deren theoretische Version(en) Kant kunstvoll und sorgfältig komponiert, in der praktischen Philosophie eher fahrig geschrieben und in Eile notiert ist. So nennt L. W. Beck die Tafel der Kategorien der Freiheit ein „Beispiel für Kants ‚vitiöse‘ Architektonik“, die selbst „wohlwollendste[n]“ Interpreten „esoterisch und dürftig gebaut“¹⁴ erscheinen müsse. Wahrscheinlich, vermutet Beck, habe Kant mit den „Kategorien der praktischen Vernunft“ ein „vollkommen neues Gelände“ betreten, das er noch „nicht sorgsam zu kultivieren vermochte“. C. Graband dokumentiert, dass ein Großteil der Kant-Forschung Kants Schopenhauer (/), S. . Adickes (), S. . Adickes (), S. xxi. Strawson (), S. . Brandt (). Siehe auch Brandt (). Vgl. KpV, Ak. , S. . Beck (), S. f.
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Tafel der Kategorien als „eine von Kant im Dunkeln gelassene und nicht weiter erläuterte Passage“ verstanden und als ein „systematisches Anhängsel ohne eigene Bedeutung“¹⁵ behandelt habe. R. M. Bader bezeichnet die Tafel als „one of the most obscure parts of Kant’s critical system“, dessen Flüchtigkeit viele Interpreten vor den Kopf gestoßen habe („baffled many interpreters“¹⁶). S. Bobzien beklagt die Kategorien der Freiheit als „äußerst komprimiert“, „dunkel und schwer verständlich“¹⁷. Zuversichtlicher dagegen schreibt A. Pieper, dass, selbst wenn „Kants Ausführungen außerordentlich kurz ausgefallen sind und sich keineswegs von selbst verstehen“, man nur zu wenig berücksichtigt habe, dass „die Kategorien der Freiheit „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ zu rekonstruieren sind, also aus der Perspektive des Sittlichen, und deshalb als moralische Postulate resp. Imperative zu lesen sind„¹⁸. S. Zimmermann schließlich, der die bisher ausführlichste Analyse der Kategorien der Freiheit vorgelegt hat, schreibt in der Anzeige zu seinem Buch, die Tafel der Kategorien sei vielleicht der ‚heimliche Kristallisationspunkt von Kants praktischer Philosophie‘¹⁹. Aus den gegenwärtigen exegetischen und systematischen Kontroversen um Form und Inhalt der Tafel der Kategorien der Freiheit möchte ich in dieser Abhandlung drei der umstrittensten Fragen aufgreifen: erstens die Frage, wovon die Tafel der Kategorien der Freiheit überhaupt handelt; zweitens die Frage, ob die Kategorien der Freiheit einen moralischen oder unmoralischen, positiven oder negativen sittlichen Gehalt haben oder ob sie auch sittlich indifferent sein können; und drittens, eng damit verbunden, die Frage, ob die Kategorien der Freiheit apriorische oder empirische Begriffe, sinnlich unbedingt, sinnlich bedingt oder beides sind. Ich werde dafür argumentieren, erstens, dass die „Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ einzelne Aspekte der Bestimmungsgründe für Handlungen und deren Kombinationen sowie den willentlichen Umgang mit diesen Bestimmungsgründen thematisieren. Ich argumentiere, zweitens, dass, da es sich um Bestimmungsgründe für Handlungen „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ handelt und das Gute und Böse moralisch bestimmte, sittlich gehaltvolle Begriffe sind, diese Bestimmungsgründe durch Kategorien repräsentiert werden, die positiven (guten) oder negativen (bösen) sittlichen Gehalt haben, aber nicht sittlich indifferent sein können. Ich werde, drittens, dafür argumentieren, dass sich der positive oder negative sittliche Gehalt der Kategorien der Freiheit aus ihrem Verhältnis zum praktischen Gesetz
Graband (), S. . Bader (), S. . Bobzien (), S. . Pieper (/), S. Anm. Zimmermann ().
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ergibt, das selbst nicht Bestandteil der Tafel der Kategorien der Freiheit ist, sondern den Kategorien als oberster Grundsatz zugrunde liegt.²⁰ Sinnlich unbedingt ist zum einen das praktische Gesetz. Ohne Rekurs auf die Erfahrungswelt können auch die Begriffe des Guten und des Bösen bestimmt werden, da sie als das, was bei einer Verallgemeinerung widerspruchsfrei bleibt oder selbstwidersprüchlich wird, direkt aus dem praktischen Gesetz gefolgert werden können.²¹ Die Tafel der Kategorien der Freiheit systematisiert die Arten und Weisen, wie sich der Handelnde durch die Wahl der Bestimmungsgründe seines Handelns zum praktischen Gesetz und zur Erzeugung der Gegenstände des Guten und Bösen stellen kann. Alle Kategorien der Freiheit thematisieren das Handeln unter sinnlichen Bedingungen, in seinem Bezug zum sinnlich Unbedingten, dem praktischen Gesetz, und im Blick darauf, wie sittliche Gehalte (das moralisch Gute und das unmoralisch Böse) erzeugt werden können.
2 Wie antworten die Interpreten der letzten Jahre auf die genannten drei Fragen? Bobzien versucht zu zeigen, dass und inwiefern die Kategorien der Freiheit „ein unentbehrliches Bindeglied zwischen dem Sittengesetz und dem von diesem abgeleiteten ‚intelligiblen‘ Begriff des moralisch Guten einerseits und der Möglichkeit von moralisch Gutem in der ‚Erscheinungswelt‘ andererseits bilden“²². Bobzien argumentiert, dass einige der Kategorien der Freiheit moralisch bestimmt, andere moralisch unbestimmt, einige sinnlich bedingt, andere sinnlich unbedingt sind. Sie unterscheidet „zwei verschiedene Arten“ von Kategorien der praktischen Vernunft, „solche, die moralisch noch unbestimmt und sinnlich bedingt sind, und solche, die moralisch bestimmt und sinnlich unbedingt sind“. Die „Kategorien der Gruppen 1 bis 3“, also die der Quantität, Qualität und Relation, gehören „zur ersten Art“; „die Kategorien der Modalität“ entsprechen denen „der zweiten Art“²³. Bader sieht in den Kategorien der Freiheit „fundamental practical concepts“, „that can be used in practical contexts and are concerned with rules for actions“²⁴. Genauer handle es sich um eine Tafel „of the pure and fundamental practical concepts that are concerned with the use of freedom, i. e., with practical rules or maxims of actions“. Nach Bader synthetisieren und ordnen die Kategorien der
Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. KpV, Ak. , S. . Bobzien (), S. . Ebd., S. . Bader (), S. f.
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Freiheit die Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse. Wie Bobzien argumentiert Bader, dass einige der Kategorien der Freiheit moralisch bestimmt, andere moralisch unbestimmt, einige sinnlich bedingt, andere sinnlich unbedingt sind. Aber Bobziens und Baders Ansichten unterscheiden sich darin voneinander, welche der Kategorien der Freiheit je das eine und welche das andere sind. Bader behauptet: „[T]he first two categories under each heading must be morally undetermined and sensibly conditioned, while the third category is sensibly unconditioned and is determined only by the moral law“²⁵. Nach Bader sind in jedem der vier Momente der Kategorien der Freiheit je die ersten beiden Kategorien moralisch unbestimmt und sinnlich bedingt, während die dritte jeweils moralisch bestimmt und sinnlich unbedingt ist. Mit R. J. Benton und Graband finden sich zwei Vertreter der These, dass sich alle Kategorien der Freiheit nicht nur auf Bestimmungsgründe für moralische, sinnlich unbedingte Handlungen beziehen. Benton vertritt die Ansicht, dass die Kategorien der Freiheit Bestimmungsgründe für Handlungen jedweder Art benennen: [T]he categories are conceived at a level of generality at which abstraction has been made from the possible determining grounds of the will – whether those determining grounds be based in pure reason (in the case of pure moral willing) or in sensibility (in the case of merely prudential willing). As a consequence of this abstraction it will turn out that the categories of freedom are not pure moral categories, nor are they merely prudential categories: Instead they are something more general, whose functioning is presupposed by all willing.²⁶
Nach Benton sind alle Kategorien der Freiheit weder rein moralisch bestimmte Kategorien noch werden sie allein durch Klugheitserwägungen bestimmt. Für Graband repräsentieren die Kategorien der Freiheit die Konstituentien (Grundlagen) der Willensgesinnung. Sie meint dabei, dass sich „die Kategorien der Freiheit, als die Willensgesinnung konstituierend […], nicht […] lediglich auf moralische Handlungen beziehen, sondern auf das gesamte praktische Vermögen des Menschen“²⁷. Nach Zimmermann sind die Kategorien der Freiheit Bestimmungen der Form des Willens.²⁸ Dabei sind sie auch für Zimmermann keine Formbestimmtheiten entweder nur des sinnlich bedingten oder nur des sinnlich unbedingten Willens, sondern sie sind Kategorien von praktischen Prinzipien überhaupt; es sind Formen sowohl des aus Lustgefühlen als auch des durch Vernunftvorstellungen der
Ebd., S. . Benton (), S. . Graband (), S. . Vgl. Zimmermann (), S. – .
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Freiheit bestimmten Willens.²⁹ Mit dieser These bleibt Zimmermann Benton und Graband nahe. Mit Bobzien teilt Zimmermann die These, dass es einen Unterschied zwischen den quantitativen, qualitativen und relationalen Kategorien auf der einen und den modalen Kategorien auf der anderen Seite gibt.³⁰ Aber nach Zimmermann verläuft diese Unterscheidung so, dass die quantitativen, qualitativen und relationalen Kategorien für beides, die Bildung sowohl des empirischen als auch des reinen Willens, verantwortlich sind, die modalen Kategorien dagegen „Kategorien einzig und allein des reinen, nicht aber zugleich auch des empirischen, Willens“³¹ sind. Pieper bezieht einen radikaleren Standpunkt als die anderen Interpreten. Nach ihrer Lesart sind die Kategorien der Freiheit „Handlungsanweisungen an den Willen, praktische Urteile unter Zugrundelegung der a priori rekonstruierbaren, sittlichen Urteilsformen zu bilden und empirische Begehrungen nie ohne Bezug auf eine Freiheitskategorie für gerechtfertigt zu erklären“³². Pieper vertritt die Ansicht, dass „die Kategorien der Freiheit“, und zwar alle Kategorien der Freiheit, „,in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen‘ zu rekonstruieren“, „also aus der Perspektive des Sittlichen, und deshalb als moralische Postulate resp. Imperative zu lesen“³³, sind. Bei allen Kategorien der Freiheit geht es um moralisch bestimmte, sittlich gehaltvolle Kategorien. Nach Pieper fasst die Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen die „normativen“, „sittliche[n]“, „apriorischen Grund-Sätze zusammen, die die praktische Vernunft als an den empirischen Willen ergehende sittliche Forderungen generiert“³⁴. Für Pieper gibt es innerhalb der Tafel keinen Unterschied zwischen Kategorien der einen und der anderen Art dahingehend, dass die einen Kategorien sittlich bestimmt, die anderen sittlich unbestimmt oder gar indifferent wären – alle Kategorien sind sittlich bestimmte, da sie die Erzeugung des moralisch Guten oder unmoralisch Bösen beschreiben.
3 Was also sind die Kategorien der Freiheit? Sind sie, und inwiefern sind sie, sittlich bestimmt oder unbestimmt? Sind sie apriorisch oder empirisch, sinnlich unbe-
Vgl. ebd., S. f., , . Vgl. Bobzien (), S. . Zimmermann (), S. . Pieper (/), S. . Ebd., S. Anm. Ebd., S. f.
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dingt oder sinnlich bedingt? Kant behandelt die „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bösen“ im „Zweiten Hauptstück“ der „Analytik“ der Kritik der praktischen Vernunft, nachdem er im „Ersten Hauptstück“ das „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 30) oder „Sittengesetz“ (KpV, Ak. 5, S. 31) als formalen Bestimmungsgrund der Handlungen etabliert hat und bevor er im „Dritten Hauptstück“ das „moralische Gefühl“ (KpV, Ak. 5, S. 80) der Achtung als vernunftgewirktes Gefühl einführen wird. Sowohl das praktische Gesetz als Grundsatz als auch das Gute und Böse als Begriffe als auch das moralische Gefühl der Achtung als sinnliches Element sind apriorische Prinzipien (Anfangsgründe, Bestimmungsgründe) moralischer Handlungen, wobei die Begriffe des Guten und des Bösen und das sinnliche Element des moralischen Gefühls der Achtung in Abhängigkeit vom obersten Grundsatz der Moral, dem praktischen Gesetz, erzeugt werden. Kant konstruiert die systemarchitektonische Abfolge dieser Theoriestücke in gespiegelter, aber umgekehrter Reihenfolge zu den analogen Elementen in der theoretischen Philosophie, wo er mit der Behandlung der sinnlichen Anschauungsformen a priori vor den apriorischen Begriffen des Verstandes als Prinzipien des Wissens beginnt und schließlich zeigt, wie beide in den apriorischen Grundsätzen des Verstandes zur Synthese kommen.³⁵ Obgleich Kant in den drei Hauptstücken der „Analytik“ der Kritik der praktischen Vernunft auch materiale Bestimmungsgründe des Handelns thematisiert, liegt der wesentliche Fokus seiner Analyse darauf, die Prinzipien moralischer (und unmoralischer), sittlich gehaltvoller Handlungen auszuarbeiten. Erschwerend für ein Verständnis dessen, was in der „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bösen“ passiert, ist, dass Kant zum einen die Begriffe des Guten und des Bösen als ‚Begriffe‘ (KpV, Ak. 5, S. 90) bezeichnet, zum anderen von den ‚Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen‘ spricht, so dass man es am systemarchitektonischen Ort der Begriffe folglich mit zwei Arten von Begriffen zu tun bekommt: dem Guten und dem Bösen sowie den Kategorien der Freiheit. Anders als in der theoretischen Philosophie, in der die a priori reinen Begriffe des Verstandes die Kategorien der Natur sind, gibt es in der praktischen Philosophie die Begriffe des Guten und Bösen und die (ebenfalls begrifflichen) Kategorien der Freiheit.Wie verhalten sich beide zueinander? Wie der Titel der „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ anzeigt, sind die Kategorien der Freiheit Begriffe, die die Entstehungsbedingungen des moralisch Guten und des unmoralisch Bösen als sittlichen Gegenständen der reinen praktischen Vernunft bezeichnen. Sie be-
Vgl. KpV, Ak. , S. f.
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nennen und differenzieren die Bestimmungsgründe, durch die man Handlungen mit positivem (guten) und negativem (bösen) sittlichen Gehalt, das heißt moralische und unmoralische Handlungen, hervorbringen kann und charakterisieren den willentlichen Umgang mit diesen Bestimmungsgründen. Durch ihren Bezug auf die Begriffe des Guten und des Bösen bezeichnen alle „Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bösen“ etwas, was in den Bereich des Sittlichen gehört. Sittlich gehaltvoll oder moralisch bestimmt sind die Kategorien jedoch nicht aus sich selbst, sondern durch ihr Verhältnis zum praktischen Gesetz, welches nicht Teil der Tafel der Kategorien der Freiheit ist. Die Kategorien der Freiheit umfassen solche Bestimmungsgründe, die, wenn sie verallgemeinerbar sind, im praktischen Gesetz („[H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde!“ (GMS, Ak. 4, S. 421))³⁶ enthalten sind und Bestimmungsgründe des Guten werden können, und solche Bestimmungsgründe, die, wenn sie nicht verallgemeinerbar sind, nicht im praktischen Gesetz enthalten sind und so Bestimmungsgründe des Bösen werden können. Denn für Kant hängt sittlich positives (moralisch gutes) und negatives (unmoralisch böses) Handeln daran, ob der Wille in moralisch relevanten Situationen Bestimmungsgründe von Handlungen wählt, die durch das praktische Gesetz als verallgemeinerbar (moralisch gut) oder als nicht verallgemeinerbar (unmoralisch böse) ausgewiesen werden können. Das praktische Gesetz steht als Maßstab des Guten oder Bösen im Hintergrund aller Kategorien der Freiheit. Es ist als oberster Grundsatz indirekt in der Tafel präsent, ohne selbst zu den Begriffen der Kategorien der Freiheit zu gehören, so wie in der theoretischen Philosophie die Grundsätze als transzendentale Gesetze der Natur nicht selbst in der Tafel der Kategorien der Natur als Begriffen enthalten sind. Kant stellt in der Tafel der Kategorien der Freiheit die Kategorien sowohl als Bestimmungsgründe des Guten wie auch des Bösen dar. ‚Gut‘ und ‚böse‘ sind Begriffe, deren moralische oder unmoralische Wertigkeit sich im Rekurs auf das praktische Gesetz entschiedet, denn das „Gute oder Böse bedeutet […] jederzeit eine Beziehung auf den Willen, so fern dieser durchs Vernunftgesetz bestimmt wird, sich etwas zu seinem Objekte zu machen“ (KpV, Ak. 5, S. 60); „der Begriff des Guten und Bösen“ kann „nicht vor dem praktischen Gesetze […] sondern nur […] nach demselben und durch dasselbe bestimmt werden“ (KpV, Ak. 5, S. 62 f.). Dies geschieht durch den Universalisierungstest: Frage dich selbst, ob die Handlung, die du vorhast, wenn sie nach einem Gesetze der Natur, von der du selbst ein Theil wärest, geschehen sollte, sie du wohl als durch deinen Willen
Siehe auch: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“ (KpV, Ak. , S. ).
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möglich ansehen könntest. Nach dieser Regel beurtheilt in der That jedermann Handlungen, ob sie sittlich gut oder böse sind (KpV, Ak. 5, S. 69).
Daher beziehen sich die Kategorien der Freiheit als Weisen, sowohl das Gute als auch das Böse hervorzubringen, sowohl auf den apriorischen, sinnlich unbedingten, formalen Bestimmungsgrund von Handlungen: das praktische Gesetz als Grundsatz und Sittengesetz, das die Verallgemeinerbarkeit von Maximen fordert, als auch auf empirische, sinnlich bedingte, materiale Bestimmungsgründe von Handlungen: alle anderen Handlungsgründe als mögliche Maximen der Handlung, und zwar insofern sie sich im Test auf Verallgemeinerbarkeit befinden (weil es um das Gute und Böse geht). Wenn man Kants Aussage im Titel der Tafel, dass es in den Kategorien der Freiheit um etwas geht, das auf die Erzeugung des Guten und Bösen zielt, streng liest, folgt, dass willensbestimmende Gründe von Handlungen, die weder einen positiven (guten) noch negativen (bösen) sittlichen Gehalt haben und moralisch indifferent sind, durch Begriffe beschrieben werden, die nicht in der Tafel der Freiheit enthalten sind, sondern die sich in der Tafel der Kategorien der Natur finden; denn der Wille wird dann durch die Naturkausalität bestimmt. Die Bestimmungsgründe für moralisch indifferente Handlungen wie zum Beispiel jene, die aus hypothetischen technischen und pragmatischen Imperativen hervorgehen, werden nicht in der Tafel der Kategorien der Freiheit thematisiert.³⁷
Ich füge die für diesen Punkt meiner Interpretation wichtige Referenzstelle aus dem ersten Abschnitt der zweiten „Einleitung“ der Kritik der Urteilskraft ein: „Es sind aber nur zweierlei Begriffe, welche eben so viel verschiedene Principien der Möglichkeit ihrer Gegenstände zulassen: nämlich die Naturbegriffe und der Freiheitsbegriff. Da nun die ersteren ein theoretisches Erkenntniß nach Principien a priori möglich machen, der zweite aber in Ansehung derselben nur ein negatives Princip (der bloßen Entgegensetzung) schon in seinem Begriffe bei sich führt, dagegen für die Willensbestimmung erweiternde Grundsätze, welche darum praktisch heißen, errichtet: so wird die Philosophie in zwei den Principien nach ganz verschiedene Theile, in die theoretische als Naturphilosophie und die praktische als Moralphilosophie (denn so wird die praktische Gesetzgebung der Vernunft nach dem Freiheitsbegriffe genannt), mit Recht eingetheilt. Es hat aber bisher ein großer Mißbrauch mit diesen Ausdrücken zur Eintheilung der verschiedenen Principien und mit ihnen auch der Philosophie geherrscht: indem man das Praktische nach Naturbegriffen mit dem Praktischen nach dem Freiheitsbegriffe für einerlei nahm und so unter denselben Benennungen einer theoretischen und praktischen Philosophie eine Eintheilung machte, durch welche (da beide Theile einerlei Principien haben konnten) in der That nichts eingetheilt war. Der Wille, als Begehrungsvermögen, ist nämlich eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nämlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt; und Alles, was als durch einen Willen möglich (oder nothwendig) vorgestellt wird, heißt praktisch-möglich (oder nothwendig): zum Unterschiede von der physischen Möglichkeit oder Nothwendigkeit einer Wirkung, wozu die
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Gegen die alternative Ansicht einiger Interpreten, die behaupten, dass Kant in der Tafel der Kategorien der Freiheit in den ersten drei Kategoriengruppen Bestimmungsgründe für Handlungen nennt, die auch sittlich indifferente Handlungen beschreiben und erst in den modalen Kategorien mit normativ sittlichem Gehalt aufgeladen werden, spricht zum einen, dass man dann die Rede von den Kategorien in „Ansehung des Guten und des Bösen“ sehr liberal interpretieren muss, weil sie nur auf ein Viertel der Kategorien, die modalen, zutrifft – was unplausibel scheint. Zum anderen scheint es dann in der Tafel keine sittlich indifferenten modalen Kategorien für sittlich indifferente Bestimmungsgründe der Handlungen zu geben. Sie müssten den modalen Kategorien der Natur, der „Möglichkeit“ und „Unmöglichkeit“, dem „Dasein“ und „Nichtsein“, der „Nothwendigkeit“ und „Zufälligkeit“ (KrV, B 106) gleichen und nicht vom sittlichen Status sittlich indifferenter Bestimmungsgründe sprechen wie dem Erlaubten und Unerlaubten, der Pflicht und dem Pflichtwidrigen, der vollkommenen und unvollkommenen Pflicht. – Im Einzelnen ergibt sich damit für die Bedeutung der Kategorien der Freiheit das folgende Bild: 1. Der Quantität Subjectiv, nach Maximen (Willensmeinungen des Individuum) Objectiv, nach Principien (Vorschriften) A priori objective sowohl als subjective Principien der Freiheit (Gesetze). (KpV, Ak. 5, S. 66)
Ursache nicht durch Begriffe (sondern wie bei der leblosen Materie durch Mechanism und bei Thieren durch Instinct) zur Causalität bestimmt wird. – Hier wird nun in Ansehung des Praktischen unbestimmt gelassen: ob der Begriff, der der Causalität des Willens die Regel giebt, ein Naturbegriff, oder ein Freiheitsbegriff sei. Der letztere Unterschied aber ist wesentlich. Denn ist der die Causalität bestimmende Begriff ein Naturbegriff, so sind die Principien technisch-praktisch; ist er aber ein Freiheitsbegriff, so sind diese moralisch-praktisch: und weil es in der Eintheilung einer Vernunftwissenschaft gänzlich auf diejenige Verschiedenheit der Gegenstände ankommt, deren Erkenntniß verschiedener Principien bedarf, so werden die ersteren zur theoretischen Philosophie (als Naturlehre) gehören, die andern aber ganz allein den zweiten Theil, nämlich (als Sittenlehre) die praktische Philosophie, ausmachen. Alle technisch-praktische Regeln (d. i. die der Kunst und Geschicklichkeit überhaupt, oder auch der Klugheit, als einer Geschicklichkeit auf Menschen und ihren Willen Einfluß zu haben), so fern ihre Principien auf Begriffen beruhen, müssen nur als Corollarien zur theoretischen Philosophie gezählt werden. Denn sie betreffen nur die Möglichkeit der Dinge nach Naturbegriffen, wozu nicht allein die Mittel, die in der Natur dazu anzutreffen sind, sondern selbst der Wille (als Begehrungs-, mithin als Naturvermögen) gehört, sofern er durch Triebfedern der Natur jenen Regeln gemäß bestimmt werden kann.“ (KU, Ak. 5, S. 171 ff.)
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Die ersten drei Momente der Tafel der Kategorien der Freiheit sagen in quantitativer Hinsicht, durch wie viele Akteure und ihre moralisch guten oder unmoralisch bösen Bestimmungsgründe des Handelns das moralisch Gute oder unmoralisch Böse hervorgebracht werden soll. Dabei unterscheidet Kant, ob das Gute oder Böse durch die Bestimmungsgründe eines einzelnen Handelnden, „[s]ubjectiv, nach Maximen (Willensmeinungen des Individuum)“, durch die Bestimmungsgründe vieler Handelnder, „[o]bjectiv, nach Principien (Vorschriften)“ oder durch die Bestimmungsgründe aller Akteure, durch „[a] priori objective sowohl als subjective Principien der Freiheit (Gesetze)“, hervorgebracht werden soll. Die erste quantitative Kategorie der Freiheit „Subjectiv, nach Maximen (Willensmeinungen des Individuum)“ erläutert Kant ein zweites Mal in KpV, Ak. 5, S. 67; dort heißt es: „So weiß man z. B. aus obiger Tafel und der ersten Nummer derselben sogleich, wovon man in praktischen Erwägungen anfangen müsse: von den Maximen, die jeder auf seine Neigung gründet“. Die Kategorie besagt, dass ein Subjekt eine Maxime als Bestimmungsgrund des guten oder bösen Handelns vor Augen hat. Umgekehrt könnte sie bedeuten, dass es auf der Ebene subjektiver Maximen unendlich viele Bestimmungsgründe geben kann, das Gute oder Böse hervorzubringen, da subjektive Maximen, die auf individuellen Neigungen beruhen, unendlich verschieden sein können. Die zweite quantitative Kategorie „Objectiv, nach Principien (Vorschriften)“ erläutert Kant ebenfalls in KpV, Ak. 5, S. 67: „So weiß man z. B. aus obiger Tafel und der ersten Nummer derselben sogleich, wovon man in praktischen Erwägungen anfangen müsse: von […] den Vorschriften, die für eine Gattung vernünftiger Wesen, so fern sie in gewissen Neigungen übereinkommen, gelten“. Diese Kategorie besagt, dass ein oder mehrere handelnde Subjekte entweder viele, von der Gemeinschaft vernünftiger Wesen geteilte Prinzipien oder ein gemeinsames, von der Gemeinschaft vernünftiger Wesen geteiltes Prinzip als Bestimmungsgrund ihrer Handlungen vor Augen haben, um das Gute oder Böse hervorzubringen. Die dritte quantitative Kategorie bezeichnet Kant innerhalb der Tafel als „A priori objective sowohl als subjective Principien der Freiheit (Gesetze)“, was von der wenige Zeilen später folgenden Erläuterung in KpV, Ak. 5, S. 67 abweicht, wo es (enger) heißt, dass alle Akteure in ihren (guten) Handlungen von „dem Gesetze, welches für alle unangesehen ihrer Neigungen gilt“, ausgehen. Diese dritte quantitative Kategorie besagt nach der Version in der Tafel, dass die handelnden Subjekte subjektive Maximen und/oder objektive Prinzipien als Bestimmungsgründe ihrer guten oder bösen Handlungen vor Augen haben; oder, nach der wenige Zeilen später folgenden Erläuterung, dass alle Akteure ein Gesetz vor Augen haben, das unabhängig von den subjektiven Neigungen gilt. Es scheint sich aufzudrängen, die Klammerformulierung „Gesetze“ in der Nennung der dritten quantitativen Kategorie in der Tafel und die Phrase „dem Gesetze“ in der Erläu-
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terung mit dem praktischen Gesetz zu identifizieren. Aber das praktische Gesetz ist erstens nur eines, es müsste in der Formulierung der dritten quantitativen Kategorie der Tafel im Singular adressiert werden. Außerdem steht es als Grundsatz (und nicht als Kategorie oder Begriff) im Hintergrund aller Kategorien der Freiheit, insofern sie das Gute oder Böse hervorbringen sollen, und ist selbst keine Kategorie der Freiheit. 2. Der Qualität Praktische Regeln des Begehens (praeceptivae) Praktische Regeln des Unterlassens (prohibitivae) Praktische Regeln der Ausnahmen (exceptivae). (KpV, Ak. 5, S. 66)
Das quantitative Moment führt zum qualitativen, insofern im quantitativen Moment offen bleibt, ob man den subjektiven Maximen oder objektiven Prinzipien als Bestimmungsgründen der Handlung zustimmt oder nicht oder Ausnahmen von der üblichen Verwendung von Regeln macht. Die quantitativen Kategorien unterscheiden nur, durch wie viele Handelnde beziehungsweise Bestimmungsgründe der Handlung das Gute oder Böse hervorgebracht werden soll, aber noch nicht, ob man die Bestimmungsgründe als verbindlich anerkennt oder nicht. In den qualitativen Momenten der Kategorien der Freiheit beschreibt Kant den Akt der Wahl der Bestimmungsgründe des Handelns, der entweder bejahend, verneinend oder Ausnahmen erwägend ausfällt. Jedes Moment in der qualitativen Gruppe kann von jedem Moment in der quantitativen Gruppe ausgesagt werden. Die qualitativen Momente der Tafel spezifizieren, ob der Handelnde den Bestimmungsgründen des Handelns, die in den ersten drei Momenten genannt werden, zustimmt (begehen), nicht zustimmt (unterlassen) oder ausnahmsweise zustimmt, weil er sie als geboten („preaceptivae“), verboten („prohibitivae“) oder als in Ausnahmefällen geboten („exceptivae“) identifiziert.³⁸ In der von mir hier vertretenen sittlichen Lesart aller Kategorien bedeutet ‚Zustimmen‘ dabei nicht nur ein willkürliches Bejahen, auch kein Bejahen, das durch Gründe der Geschicklichkeit oder Ratschläge der Klugheit technisch oder pragmatisch begründet ist, sondern es bedeutet, dass der Handelnde die Verbindlichkeit (Nötigung, Ver-
In der Metaphysik der Sitten erläutert Kant „Gebotsgesetze (lex praeceptiva, lex mandati)“ und „Verbotsgesetze (lex prohibitiva, lex vetiti)“ wie folgt: „Der kategorische Imperativ, indem er eine Verbindlichkeit in Ansehung gewisser Handlungen aussagt, ist ein moralisch-praktisches Gesetz. Weil aber die Verbindlichkeit nicht bloß praktische Nothwendigkeit (dergleichen ein Gesetz überhaupt aussagt), sondern auch Nöthigung enthält, so ist der gedachte Imperativ entweder ein Gebot- oder Verbot-Gesetz, nachdem seine Begehung oder Unterlassung als Pflicht vorgestellt wird“ (MSRL, Ak. , S. f.).
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pflichtung) jener Bestimmungsgründe des Handelns anerkennt, die sich nach der Forderung des praktischen Gesetzes wie Naturgesetze verallgemeinern lassen, oder sie nicht anerkennt, weil sie sich nicht verallgemeinern lassen, oder in einer Ausnahmesituation für etwas anerkennt, zu dem man sonst nicht moralisch verbunden wäre. Das erste qualitative Moment besagt, dass der Handelnde einer subjektiven Maxime, die Handelnden einem oder mehreren objektiven Prinzipien oder alle Handelnden subjektiven Maximen und objektiven Prinzipien zustimmen, um (je nach Verallgemeinerbarkeit) das Gute oder Böse hervorzubringen, das heißt eine gute oder böse Handlung zu begehen. Das zweite qualitative Moment besagt, dass der Handelnde einer subjektiven Maxime, die Handelnden einem oder mehreren objektiven Prinzipien oder alle Handelnden subjektiven Maximen und objektiven Prinzipien nicht zustimmen, um (je nach Verallgemeinerbarkeit) das Gute oder Böse nicht hervorzubringen, das heißt eine gute oder böse Handlung zu unterlassen. Das dritte qualitative Moment besagt, dass der Handelnde einer subjektiven Maxime, die Handelnden einem oder mehreren objektiven Prinzipien oder alle Handelnden subjektiven Maximen und objektiven Prinzipien ausnahmsweise zustimmen, um (je nach Verallgemeinerbarkeit oder Nichtverallgemeinerbarkeit) das Gute oder Böse ausnahmsweise hervorzubringen, das heißt eine gute oder böse Handlung zu begehen oder zu unterlassen, obgleich derselbe Fall normalerweise zur entgegen gesetzten Entscheidung führen müsste. Impliziert in diesem Gedanken ist, dass das Gute durch Bestimmungsgründe des Handelns entsteht, die sich verallgemeinern lassen, das Böse durch Bestimmungsgründe des Handelns, die sich nicht verallgemeinern lassen. 3. Der Relation Auf die Persönlichkeit Auf den Zustand der Person Wechselseitig einer Person auf den Zustand der anderen. (KpV, Ak. 5, S. 66)
Die dritten drei Momente der Tafel spezifizieren, ob der Handelnde oder die Handelnden – der oder die in quantitativer Hinsicht subjektiven Maximen oder objektiven Prinzipien oder beiden als Bestimmungsgründen des Handelns folgen, denen er oder sie in qualitativer Hinsicht zugestimmt (begehen, gebieten), nicht zugestimmt (unterlassen, verbieten) oder denen er oder sie ausnahmsweise zugestimmt haben (gestatten) – in relationaler Hinsicht entweder die eigene Persönlichkeit, den eigenen Zustand oder eines von beiden im Verhältnis zur Persönlichkeit oder zum Zustand anderer Menschen zum Bestimmungsgrund der Handlungen machen und so das Gute oder das Böse hervorbringen.
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Für das Verständnis der relationalen Kategorien der Freiheit sind die Interpretationen der Begriffe „Persönlichkeit“ und „Zustand der Person“ ausschlaggebend. ‚Persönlichkeit‘ ist an zentralen Stellen in der Kritik der praktischen Vernunft ein Begriff, der auf das intelligible Selbst verweist.³⁹ Deutlich wird dies etwa im Triebfedernkapitel, wo der Begriff der ‚Persönlichkeit‘ als „Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur“ (KpV, Ak. 5, S. 87) erläutert wird.⁴⁰ Den Begriff ‚Zustand‘ verknüpft Kant im unmittelbaren Umfeld der Tafel der Kategorien der Freiheit mit den Vorstellungen des Angenehmen und Unangenehmen, mit Vergnügen und Schmerz, das heißt mit empirisch sinnlichen Empfindungen des Menschen.⁴¹ Grundsätzlich eignet dem Begriff aber keine bestimmte Konnotation; er erscheint häufiger im Zusammenhang mit dem empirischen,⁴² seltener aber auch mit dem intelligiblen Selbst („moralischer Zustand“ (KpV, Ak. 5, S. 84)). Kontextbedingt scheint in der Tafel der Kategorien der Freiheit „Persönlichkeit“ eher das intelligible und „Zustand der Person“ das empirische Selbst zu bezeichnen. Die Kategorien der Relation besagen, dass der Handelnde oder die Handelnden bei der Wahl der Bestimmungsgründe und der Zustimmung beziehungsweise Nichtzustimmung zu diesen entweder zu sich selbst als intelligible Wesen (Persönlichkeit) oder zu sich selbst als empirische Wesen (Zustand der Person) ins Verhältnis treten oder aber als entweder intelligible oder Wesen in einem bestimmten empirischen Zustand zu anderen intelligiblen Wesen oder deren empirischen Zuständen ins Verhältnis treten. In den Kategorien der Relation geht es darum, worauf der Handelnde in sich selbst und in anderen achtet,wenn er sich für einen Bestimmungsgrund einer Handlung entscheidet, um das Gute oder das Böse hervorzubringen: auf sein intelligibles Selbst (Persönlichkeit), sein empirisches Selbst (Zustand der Person) oder auf das empirische oder intelligible Selbst in seiner Wechselwirkung mit anderen in der menschlichen Gemeinschaft.
Vgl. KpV, Ak. , S. , , . Siehe auch im vierten Abschnitt der „Einleitung in die Metaphysik der Sitten“, wo es heißt: „Person ist dasjenige Subject, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anders, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen (die psychologische aber bloß das Vermögen, sich der Identität seiner selbst in verschiedenen Zuständen seines Daseins bewußt zu werden) woraus dann folgt, daß eine Person keinen anderen Gesetzen als denen, die sie (entweder allein, oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst giebt, unterworfen ist“ (MSRL, Ak. , S. ). Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. KpV, Ak. , S. , , .
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4. Modalität Das Erlaubte und Unerlaubte Die Pflicht und das Pflichtwidrige Vollkommene und unvollkommene Pflicht. (KpV, Ak. 5, S. 66)
Die modalen „Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ sagen, welchen normativen Daseinsgrad die Bestimmungsgründe von Handlungen haben können beziehungsweise sollen. Auch hier zeigt sich, dass im Hintergrund der Kategorien der Freiheit das praktische Gesetz steht, denn die Bestimmungsgründe von Handlungen, welche das Gute und Böse erzeugen sollen, werden ihrer Modalität nach nicht einfach als Daseinsgrade beschrieben (möglich/unmöglich, wirklich/nicht wirklich, notwendig/nicht notwendig), sondern in ihrem normativen Sein-Sollen betrachtet: erlaubt sein/nicht erlaubt sein, Pflicht sein/Pflichtwidriges sein, vollkommene Pflicht sein/unvollkommene Pflicht sein. Aber erneut hat man es mit Stichworten zu tun, deren buchstäbliche Interpretation schwierig ist und auch nicht eindeutig aus Kants Schriften rekonstruiert werden kann, da Kant die Begriffe ambivalent verwendet. So sagt Kant etwa über das ‚Erlaubte‘ und ‚Unerlaubte‘, die ‚Pflicht‘ und das ‚Pflichtwidrige‘, wie sie in der Tafel der Kategorien der Freiheit verstanden werden sollen, in einer längeren Fußnote der „Vorrede“ zur Kritik der praktischen Vernunft: Es solle in der „Tafel der Kategorien der praktischen Vernunft in dem Titel der Modalität das Erlaubte und Unerlaubte (praktisch-objectiv Mögliche und Unmögliche) […] dasjenige bedeuten, was mit einer blos möglichen praktischen Vorschrift in Einstimmung oder Widerstreit ist“, und die „Kategorie der Pflicht und des Pflichtwidrigen […], was in solcher Beziehung auf ein in der Vernunft überhaupt wirklich liegendes Gesetz steht“ (KpV, Ak. 5, S. 11). Diese Aussage ist etwas undeutlich, was eine sittliche Lesart dieser Begriffe anbelangt, widerspricht ihr aber nicht. An anderen Stellen verwendet Kant das ‚Erlaubte‘ und ‚Unerlaubte‘ als sittlich indifferente Begriffe. So sagt er in MSRL, Ak. 6, S. 223, eine „Handlung, die weder geboten noch verboten ist, ist bloß erlaubt, weil es in Ansehung ihrer gar kein die Freiheit (Befugniß) einschränkendes Gesetz und also auch keine Pflicht giebt“, eine „solche Handlung heißt sittlich-gleichgültig (indifferens, adiaphoron, res merae facultatis)“. Im Zuge der hier vertretenen Interpretation und Kants ambivalenter Verwendung der Begriffe muss ich mich auf jene Stellen berufen, in denen Kant eine sittliche Deutung des ‚Erlaubten‘ und ‚Unerlaubten‘ vertritt. Für den Begriff der ‚Pflicht‘ und des ‚Pflichtwidrigen‘ in der zweiten modalen Kategorie sowie die Unterscheidungen der Pflicht in „vollkommene“ und „unvollkommene Pflichten“ in der dritten modalen Kategorie gibt es viele Referenzstellen in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, der Kritik der praktischen Vernunft sowie der Metaphysik der Sitten. Die Pflicht wird in den populärsten und
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wichtigsten dieser Passagen als sittlich gehaltvoller Begriff gedeutet. Um nur einige Beispiele zu nennen: Der „Pflicht“ zu folgen, so KpV, Ak. 5, S. 86 – 89, bedeutet, subjektive Neigungen den Forderungen des praktischen Gesetzes hintanzustellen. Die Metaphysik der Sitten unterscheidet zwischen rechtlichen und ethischen Pflichten, wobei eine ethische Pflicht nicht wie eine rechtliche auf äußerem Zwang beruht, sondern auf einem inneren oder „Selbstzwang“, der „durch die Vorstellung des [moralischen] Gesetzes allein“ (MSTL, Ak. 6, S. 380) bewirkt wird. Für den Willen eines jeden endlichen vernünftigen Wesens bedeutet die moralische Pflicht eine „Nöthigung“ und „Bestimmung der Handlungen“ durch „Achtung für dies Gesetz und aus Ehrfurcht für seine Pflicht“ (KpV, Ak. 5, S. 82). Vollkommene und unvollkommene Pflichten unterscheidet die Metaphysik der Sitten so, dass vollkommene Pflichten streng verbindlich sind, während unvollkommene Pflichten „die Einschränkung einer Pflichtmaxime durch die andere“ bedeuten, zum Beispiel wenn man zugleich die Pflicht der allgemeinen „Nächstenliebe“ und der „Elternliebe“ (MSTL, Ak. 6, S. 390) hat und nicht einer davon mit Ausschließlichkeit nachkommen kann. Steht eine quantitativ-qualitativ-relationale Kombination von Aspekten von Bestimmungsgründen einer Handlung möglicherweise mit dem praktischen Gesetz in Übereinstimmung, ist es erlaubt, sie zum Ausgangspunkt einer Handlung zu machen; man darf das Gewollte tun. Steht sie möglicherweise mit dem praktischen Gesetz in Widerspruch, hat man keine Erlaubnis, sie zum Ausgangspunkt einer Handlung zu machen; man darf das Gewollte nicht tun. Steht eine quantitativ-qualitativ-relationale Kombination von Aspekten von Bestimmungsgründen einer Handlung wirklich in Übereinstimmung mit dem praktischen Gesetz, hat man die Pflicht, sie zum Ausgangspunkt einer Handlung zu machen; man soll das Gewollte tun. Steht sie wirklich im Widerspruch damit, wäre es pflichtwidrig, sie zum Ausgangspunkt einer Handlung zu machen; man soll das Gewollte nicht tun. Steht eine quantitativ-qualitativ-relationale Kombination von Aspekten von Bestimmungsgründen einer Handlung notwendig in Übereinstimmung mit dem praktischen Gesetz, hat man eine vollkommene Pflicht, sie zum Ausgangspunkt einer Handlung zu machen; man soll das Gewollte immer tun. Steht sie im Konflikt mit den Bestimmungsgründen einer anderen moralisch gebotenen Handlung, hat man nur eine unvollkommene, beschränkte Pflicht, sie zum Ausgangspunkt einer Handlung zu machen; es gibt für die Art und Weise der Pflichterfüllung einen Handlungsspielraum. Im Anschluss an die Präsentation der Tafel hebt Kant eine Sonderstellung der modalen Kategorien unter allen Kategorien der Freiheit hervor, dass nämlich die „Kategorien der Modalität den Übergang von praktischen Principien überhaupt zu denen der Sittlichkeit, aber nur problematisch einleiten, welche nachher durchs moralische Gesetz allererst dogmatisch dargestellt werden können“ (KpV, Ak. 5,
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S. 67). Diese Bemerkung hat in der Literatur erhebliche Verwirrung verursacht und gilt übereinstimmend als eine der rätselhaftesten Aussagen im Umfeld der Tafel der Kategorien der Freiheit.⁴³ Es wird an dieser Stelle häufig auf eine parallele Bemerkung zur Sonderstellung der modalen Kategorien in der theoretischen Philosophie verwiesen, wonach die „Kategorien der Modalität“ das „Besondere an sich [haben]: daß sie den Begriff, dem sie als Prädicate beigefügt werden, als Bestimmung des Objects nicht im mindesten vermehren, sondern nur das Verhältniß zum Erkenntnißvermögen ausdrücken“ (KrV, B 266). – Im Anschluss an die von mir entwickelte sittliche Interpretation der Kategorien der Freiheit verstehe ich Kants Bemerkung in KpV, Ak. 5, S. 67 so, dass er ein weiteres Mal betont, dass das praktische Gesetz, das selbst nicht Teil der Tafel der Kategorien ist, sondern dieser zugrunde liegt, schließlich auch darüber entscheidet, für welche der gewählten Kombinationen der Aspekte von Bestimmungsgründen von Handlungen ein sittliches Dasein in der Erfahrungswelt (Natur) – nicht nur möglich, wirklich oder notwendig ist, sondern – erlaubt oder nicht erlaubt, verpflichtend oder pflichtwidrig, vollkommene oder unvollkommene Pflicht sein soll. Das meint Kant, wenn er sagt, dass die Kategorien erst „nachher“, nachdem das praktische Gesetz auf sie angewandt wurde, „durchs moralische Gesetz dogmatisch dargestellt werden können“. – Aus der Perspektive der hier vertretenen Lesart möchte ich nun auf einige Vorschläge aus der Literatur antworten.
4 Pro et contra Bobzien. Bobziens These, dass die Kategorien der Freiheit „ein unentbehrliches Bindeglied zwischen dem Sittengesetz und dem von diesem abgeleiteten ‚intelligiblen‘ Begriff des moralisch Guten einerseits und der Möglichkeit von moralisch Gutem in der ‚Erscheinungswelt‘ andererseits bilden“⁴⁴, kann ich teilen, fügte jedoch hinzu, dass die Kategorien der Freiheit auch das Böse generieren. Bobziens Ansicht, dass einige der Kategorien der Freiheit moralisch bestimmt, andere moralisch unbestimmt, einige sinnlich bedingt, andere sinnlich unbedingt sind, und zwar so, dass sich moralisch noch unbestimmte und sinnlich bedingte Kategorien in den quantitativen, qualitativen und relationalen Kategorien, moralisch bestimmte und sinnlich unbedingte Kategorien in den modalen Kategorien finden,⁴⁵ teile ich nicht. Moralisch oder sittlich bestimmt werden die
Siehe z. B. Benton (), S. , – . Bobzien (), S. . Vgl. ebd., S. .
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Kategorien der Freiheit allein durch das praktische Gesetz, das selbst nicht Teil der Tafel der Kategorien der Freiheit ist. Dieses allein ist sinnlich unbedingt. Sinnlich unbedingt erfolgt weiterhin die Genese der Begriffe des Guten und des Bösen insofern, als sie a priori aus dem praktischen Gesetz folgen. Alle in der Tafel der Kategorien der Freiheit enthaltenen Aspekte der Bestimmungsgründe des Willens dagegen sind solche, die unter sinnlichen Bedingungen verlaufen. Ob sich aus ihnen das Gute oder das Böse in der Erfahrungswelt hervorbringen lässt, entscheidet sich daran, ob man die Bestimmungsgründe durch das Testverfahren des praktischen Gesetzes verallgemeinern kann oder nicht. Im Detail widerspreche ich Bobzien auch darin, dass sie die erste Kategorie der Quantität als eine Handlungsanweisung interpretiert, die „gut für ein Individuum (welches die Maxime hat)“ ist, die zweite als eine Handlungsanweisung, die „gut für viele Individuen (welche in einer Neigung, die die Bedingung der hypothetischen Vorschrift ausmacht, übereinstimmen)“ ist, und die dritte Kategorie der Quantität als eine Handlungsanweisung deutet, die „gut für alle Individuen“⁴⁶ ist. Denn Bobziens Analyse ist durch die Mehrdeutigkeit des „für“ Missverständnissen ausgesetzt. Da Kant keine konsequenzialistischen, sondern motivationale Betrachtungen der Willensbestimmung durchführt, kann sich die Genese des Guten oder Bösen in den quantitativen Momenten nicht darum drehen, ob die Handlungsanweisung gut oder böse „für einen, viele oder alle“⁴⁷ Menschen ist, das heißt gute oder böse Auswirkungen oder Konsequenzen für die entsprechenden Zahlen von Personen hat, sondern nur darum, ob das Gute oder Böse quantitativ durch einen, durch viele oder durch den Willen aller Menschen hervorgebracht werden soll. Pro et contra Bader. Baders Ansatz ist, dass die Kategorien der Freiheit oder der praktischen Vernunft „fundamental practical concepts“ sind, „that can be used in practical contexts and are concerned with rules for actions“⁴⁸. Genauer handle es sich um eine Tafel „of the pure and fundamental practical concepts that are concerned with the use of freedom, i. e., with practical rules or maxims of actions“. Nach Bader synthetisieren und ordnen die Kategorien der Freiheit die Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse. So weit kann ich Bader zustimmen, vermisse aber eine Differenzierung zwischen der Rolle der Begriffe des Guten und Bösen und den Kategorien selbst. Besonders signifikant ist Baders Ansatz in Bezug auf die Frage, ob die Kategorien sittlichen Gehalt haben oder nicht. Bader glaubt, „the first two categories
Ebd., S. . Ebd., S. . Bader (), S. .
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under each heading must be morally undetermined and sensibly conditioned, while the third category is sensibly unconditioned and is determined only by the moral law“⁴⁹. Bader bezieht sich für diese Aussage auf „KpV 5:66“ (ohne Zeilenangabe). Ich nehme an, Bader meint Kants Bemerkung, dass „diese Kategorien nur die praktische Vernunft überhaupt angehen und so in ihrer Ordnung von den moralisch noch unbestimmten und sinnlich bedingten zu denen, die, sinnlich unbedingt, blos durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen“. Aber diese Bemerkung kann nicht nur auf die innere Struktur der Tafel der Kategorien der Freiheit und auf die einzelnen Quadranten in dieser Tafel bezogen werden, sondern auch, was durch den Kontext der Stelle im vorangehenden Satz nahegelegt wird, auf einen Vergleich der Kategorien der Freiheit in der praktischen Philosophie mit den Kategorien der Natur in der theoretischen Philosophie. Diese theoretischen Kategorien der Natur sind es, die Kant als „moralisch noch unbestimmte“ und „sinnlich bedingte“ bezeichnet, und zwar in dem Sinne, dass die moralisch unbestimmten Kategorien in der theoretischen Philosophie als reine Verstandesbegriffe ihre Funktion nur in Anwendung auf sinnliche Anschauungen erfüllen. Die Kategorien der Freiheit hingegen sind solche, die zu den „sinnlich unbedingt[en], blos durchs moralische Gesetz bestimmt[en]“ fortgehen, aber nur in dem Sinne, dass die Begriffe des Guten und Bösen unmittelbar aus dem praktischen Gesetz folgen (und die Kategorien der Freiheit eine Systematik der Aspekte der Bestimmungsgründe für Handlungen vorstellen, die sich auf die Erzeugung des Guten und Bösen richten). Anders als Bader denke ich, dass es bei allen Kategorien der Freiheit um Bestimmungsgründe für Handlungen geht, die das moralisch Gute oder unmoralisch Böse hervorbringen sollen, das heißt dass es sich um sittlich gehaltvolle Möglichkeiten handelt, die sich vor dem Hintergrund des praktischen Gesetzes als Grundsatz und im Blick auf die Erzeugung von Gegenständen, die durch die Begriffe des Guten und Bösen bezeichnet sind, ergeben. Die Kategorien der Freiheit sind immer Kategorien im Angesicht des praktischen Gesetzes und „in Ansehung“ der Gegenstände des Guten und Bösen,welche aus dem praktischen Gesetz folgen. Baders Ansatz bringt viele verzwungene und willkürliche Detailinterpretationen mit sich. So wirkt es zum Beispiel unplausibel, dass die erste relationale Kategorie „Auf die Persönlichkeit“ als moralisch unbestimmt und sinnlich bedingt analysiert werden muss, obgleich die Begriffe der Persönlichkeit und der Person bei Kant zentrale Termini sind, die jenen Aspekt des Menschen beschreiben, den er mit noumenalen, reinen Vernunftwesen teilt und der ihn als moralitätsfähiges Wesen kennzeichnet. Umgekehrt ist nicht ohne Weiteres einsehbar, inwiefern die
Ebd., S. .
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dritte quantitative Kategorie „Praktische Regeln der Ausnahmen (exceptivae)“ und die dritte relationale Kategorie „Wechselseitig einer Person auf den Zustand der anderen“ einen Aspekt der Bestimmungsgründe von Handlungen beschreibt, der sinnlich unbedingt, bloß durchs moralische Gesetz bestimmt sein soll. Pro et contra Benton und Graband. Benton vertritt die Ansicht, dass die Kategorien der Freiheit Bestimmungsgründe für Handlungen jedweder Art benennen. Nach Benton sind alle Kategorien der Freiheit weder rein moralisch noch durch Klugheitserwägungen bestimmt: „[T]the categories of freedom are not purely moral categories, nor are they merely prudential categories: Instead they are something more general, whose functioning is presupposed by all willing“⁵⁰. Ähnlich schreibt Graband, dass die Kategorien der Freiheit als Bestimmungen einer praktischen Vernunft „das Wollen eines jeden handelnden vernünftigen Menschen im Hinblick auf das Moralgesetz“⁵¹ konstituieren. Aus der Anwendung der Kategorien „folgen die Begriffe des Guten und des Bösen“ als Objekte der Handlungen. Die Kategorien der Freiheit beziehen sich nach Graband aber nicht nur auf moralisch gehaltvolle Handlungen, sondern „auf das gesamte praktische Vermögen des Menschen“⁵², wobei es einen Unterschied zwischen den ersten drei Kategoriengruppen der Quantität, Qualität und Relation einerseits gibt, die nach Grabands Meinung Ordnung in die Begehrungen bringen und als Bestimmungsgründe jedweder, auch moralisch indifferenter, Handlungen gelten können, und der vierten Kategoriengruppe der Modalität andererseits, durch die das Begehren ins Verhältnis zum Moralgesetz gesetzt wird und durch die die in den drei ersten Kategoriengruppen zusammengestellten Bestimmungsgründe für Handlungen moralischen Gehalt annehmen. Obgleich diese Lesart in vielen Punkten stimmig wirkt und sensibel auf den Text eingeht, bleiben dennoch Zweifel bestehen. Denn es macht wenig Sinn zu sagen, dass die quantitativen, qualitativen und relationalen Bestimmungsgründe für andere Handlungen da sind als die durch die modalen Kategorien charakterisierten Handlungen. Das wäre so, als wenn man in der theoretischen Philosophie durch die quantitativen, qualitativen und relationalen Kategorien ein Urteil gebildet hätte, das ein Erfahrungsobjekt konstituiert, dann aber nicht sagt, ob ebendieses Erfahrungsobjekt dem Dasein nach möglich, wirklich oder notwendig ist, sondern behauptet, dass die modalen Kategorien über den Grad des Daseins anderer Objekte sprechen. Die modalen Kategorien sowohl in der theoretischen als auch in der praktischen Philosophie beziehen sich auf das, was in den anderen
Benton (), S. . Graband (), S. . Ebd., S. .
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drei Gruppen von Kategorien entwickelt wurde. In der praktischen Philosophie bildet man durch die ersten drei Kategoriengruppen eine Aussage über die Bestimmungsgründe für gute und böse Handlungen, für welche die letzte Kategoriengruppe sagt, welchen Grad von sittlichem Dasein, von moralisch normativer Präsenz diese Bestimmungsgründe haben. In der Tafel der Kategorien schreitet man nicht von weniger moralisch gehaltvollen Kategorien zu stärker moralisch gehaltvollen fort, sondern formuliert mit den ersten drei Kategoriengruppen eine Aussage über die Bestimmungsgründe einer Handlung und sagt sodann in der modalen Kategoriengruppe, wie sittlich zwingend und um ihrer selbst willen verpflichtend diese Bestimmungsgründe sind. Dies bedeutet zum einen, dass nicht nur die modalen, sondern alle Kategorien im Verhältnis zum praktischen Gesetz stehen, das selbst, wie ich schon sagte, nicht in der Tafel der Kategorien der Freiheit genannt wird. Zum anderen bedeutet es, dass alle Kategorien der Freiheit im Verhältnis zu den moralisch bestimmten Begriffen des Guten und des Bösen stehen, wodurch unwahrscheinlich wird, dass es in den quantitativen, qualitativen und relationalen Kategorien um die Darstellung der Bestimmungsgründe sittlich indifferenter Handlungen geht, da diese gerade keine moralisch gehaltvollen Gegenstände haben. Mein Einwand gegen Graband setzt voraus, dass man Kants Ansage im Titel der Tafel,wonach es sich bei den Kategorien um Kategorien „in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bösen“ handelt, im starken Sinn liest. Graband könnte wiederum für sich veranschlagen, dass man Kants Ansage „in Ansehung der Begriffe des Guten und des Bösen“ weich lesen kann, im Sinne von: ‚so, wie sie sich auf die Begriffe des Guten und des Bösen beziehen können, aber nicht müssen‘. Pro et contra Zimmermann. Mit Graband teilt Zimmermann die Ansicht, dass es in den quantitativen, qualitativen und relationalen Kategorien der Freiheit um Handlungsgründe jedweder Art (empirische, reine, sittlich unbestimmte) geht, während erst die modalen Kategorien genuin sittlichen Gehalt mit sich bringen. Zimmermann nimmt an, dass der von Kant angezeigte „Übergang“ (KpV, Ak. 5, S. 66 f.) innerhalb der Kategorien eine „Grenzlinie“ bezeichne, die „durch die Kategorientafel hindurchgehen soll“⁵³ und zwischen verschiedenen Arten von praktischen Kategorien trenne. Diese Grenzlinie unterscheide jene Kategorien der Freiheit, die nur die praktische Vernunft überhaupt angehen und moralisch noch unbestimmt sind, von solchen, die bloß durchs moralische Gesetz bestimmt sind. Auch für Zimmermann verläuft die Grenzlinie zwischen den quantitativen, qualitativen und relationalen Kategorien einerseits und den modalen Kategorien
Zimmermann (), S. .
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andererseits, wovon erst letztere moralisch gehaltvoll sind, wogegen ich schon argumentiert habe. Pro et contra Pieper. Ich schließe mich in meiner Argumentation Piepers Interpretation in dem Punkt an, dass alle Kategorien der Freiheit in den Bereich des Sittlichen gehören und Kants Ansage im Titel der Tafel „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ in strengem Sinn gelesen werden muss. Der Punkt, an dem ich Pieper nicht folgen kann, ist der, dass die Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen die „apriorischen GrundSätze zusammen[fasst], die die praktische Vernunft als an den empirischen Willen ergehende sittliche Forderungen generiert“⁵⁴. Nach Pieper sind diese „normativen Grundsätze“ keine synthetischen Urteile a priori wie die Grundsätze der reinen theoretischen Vernunft, die nur deshalb für Naturerkenntnisse konstitutiv sind, weil sie das Resultat einer apriorischen Anwendung der Verstandeskategorien auf die reine Anschauungsform der Zeit als Stellvertreter für sinnlich Erfaßbares schlechthin sind.
Dagegen bedürfen, so Pieper, die „Kategorien der praktischen Vernunft“ „einer solchen Anwendung nicht, so dass sie kraft der Autonomie der praktischen Vernunft direkt als Freiheitspostulate formuliert und unmittelbar als sittliche Grundsätze ausgedrückt werden können“⁵⁵. Es spricht manches dagegen, die Kategorien der Freiheit (sowohl einzelne als auch ihre Kombinationen) als ‚Grundsätze‘ zu bezeichnen – denn dem, was in der theoretischen Philosophie ‚Grundsätze‘ des reinen Verstandes sind, entspricht in der praktischen Philosophie nur eines, nämlich das praktische Gesetz, das nicht Teil der Tafel der Kategorien der Freiheit ist. Dieser Umstand verkompliziert sich weiter dadurch, dass Kant in §1 der Kritik der praktischen Vernunft von „Grundsätzen der reinen praktischen Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 19) spricht und darunter sowohl subjektive Maximen als auch objektive praktische Gesetze subsumiert und den eigentlichen Grundsatz der reinen praktischen Vernunft, das praktische Gesetz, dann in §7 als „Grundgesetz“ (KpV, Ak. 5, S. 30) präsentiert. Wenn wir die Bedeutungen von ‚Grundsatz‘ aus §1 auf die Tafel der Kategorien der Freiheit anwenden, fänden sich nur in den quantitativen Kategorien Grundsätze (subjektive Maximen, objektive Prinzipien), nicht aber in den qualitativen, relationalen und modalen Kategorien. Wenn anders Pieper mit ihrer Rede von Grundsätzen meint, dass die verschiedenen Kategorien zu Handlungsgrundsätzen kombiniert werden können, „die die praktische Vernunft als an den empirischen Willen er Pieper (/), S. . Ebd., S. f.
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gehende sittliche Forderungen generiert“, ist das insofern seltsam, als die Tafel eine der ‚Begriffe‘ und ‚Kategorien‘ ist, also eben Begriffe und Kategorien und keine Grundsätze enthalten soll.
5 In dieser Abhandlung habe ich drei der umstrittensten Fragen zu „Kants Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ aufgegriffen. Als Antwort auf die Frage, wovon die Tafel der Kategorien der Freiheit überhaupt handelt, habe ich argumentiert, dass die „Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ einzelne Aspekte der Bestimmungsgründe für Handlungen und deren Kombinationen sowie den willentlichen Umgang mit diesen Bestimmungsgründen thematisieren. Als Antwort auf die Frage, ob die Kategorien der Freiheit moralischen oder unmoralischen, positiven oder negativen sittlichen Gehalt haben oder ob sie auch sittlich indifferent sein können, habe ich argumentiert, dass, da es sich um Bestimmungsgründe für Handlungen „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ handelt und das moralisch Gute und das unmoralisch Böse bestimmte, sittlich gehaltvolle Begriffe sind, ihre Bestimmungsgründe durch Kategorien repräsentiert werden, die positiven (guten) oder negativen (bösen) sittlichen Gehalt haben, aber nicht sittlich indifferent sein können. Die Frage schließlich, ob die Kategorien der Freiheit dabei apriorisch oder empirisch, sinnlich unbedingt oder sinnlich bedingt oder beides sind, wurde so beantwortet, dass sich der positive oder negative sittliche Gehalt der Kategorien der Freiheit aus ihrem Verhältnis zum praktischen Gesetz ergibt, welches selbst nicht Bestandteil der Tafel der Kategorien der Freiheit ist, sondern den Kategorien als oberster Grundsatz zugrunde liegt. Das praktische Gesetz ist sinnlich unbedingt. Ohne Rekurs auf Daten aus der Erfahrungswelt können auch die Begriffe des Guten und des Bösen bestimmt werden, da sie als das, was bei einer Verallgemeinerung widerspruchsfrei bleibt oder selbstwidersprüchlich wird, direkt aus dem praktischen Gesetz gefolgert werden können. Die Tafel der Kategorien der Freiheit systematisiert die Arten und Weisen, wie sich der Handelnde zum praktischen Gesetz und zur Erzeugung der Gegenstände des Guten und Bösen aus den ihm verfügbaren Bestimmungsgründen seiner Handlung stellen kann. Alle Kategorien der Freiheit thematisieren das Handeln unter sinnlichen Bedingungen in Bezug zum sinnlich Unbedingten, dem praktischen Gesetz, im Blick darauf, wie sittliche Gehalte, das moralisch Gute und das unmoralisch Böse, erzeugt werden können.
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Werner Euler
Verstand und Wille. Die Kausalitätskategorie als Schlüssel zum Verständnis der „Kategorien der Freiheit“ in Kants Kritik der praktischen Vernunft Abstract. In my paper, I intend to outline a new understanding of the „categories of freedom“ in Kant’s Critique of Practical Reason. The main idea of my proposition concerns the role and the significance of the category of causality through freedom as a key-term for the understanding required. For, this predominant role allows the reader to interpret the table of the categories of freedom as consisting in mere modifications of causality which are, of course, at the same time elementary concepts essentially determined by the moral law of practical reason. Therefore, the function of those categories is not to determine moral human action as their object, but to express only the modalities or options of the free will. The conclusion drawn from that conception is that we should not regard the categories of freedom as a new system of categories alongside and in addition to the categories of pure understanding presented in the Critique of Pure Reason, but as mere transformations of these categories of nature according to the causality of freedom, in other words, as mere „predicables“. This means that the categories of nature are still valid and present in the background, even in the second Critique, although they are interpreted in terms of the freedom of the will.
1 Methodische Vorüberlegungen Wer sich mit Kants Kritik der praktischen Vernunft, insbesondere mit der Aufgabe der Interpretation der sogenannten Freiheitskategorien, befasst, gelangt rasch zu der Einsicht, dass man durch die Textbeschaffenheit der von Kant edierten Schrift gezwungen ist, über den unmittelbaren Text hinauszugehen. Das gilt in besonderem Maße für die Erläuterungen zu der Präsentation der „Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Kants Äußerungen über Inhalt, Funktion und Zweck dieser „Kategorien“ sind äußerst sparsam und erlauben für sich genommen keine eindeutigen Interpretationsmuster. So kann man davon ausgehen, dass die ‚Identität‘ der Theorie in der ‚Identität‘ des Textes nicht unmittelbar zum Vorschein kommt oder nicht mit ihm schon
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gegeben ist.¹ Man muss sogar als Interpret an nicht wenigen Stellen diese ‚Identität‘ des Textes selbst – sofern es sie gibt – erst herstellen oder ganz auf den Anspruch ihrer Rekonstruierbarkeit verzichten. Das notwendige Hinausgehen über den Text birgt jedoch auf der anderen Seite die Gefahr in sich, seinen Inhalt, die ‚Identität‘ der Theorie, gewaltsam zu entstellen. Die Verfassung des Textes und die Konsistenz der Theorie müssen sich also idealerweise gegenseitig bedingen. Meine Untersuchung soll die Frage beantworten: In welchem Zusammenhang stehen die Kategorien mit dem Begriff der Freiheit? Bei der Beantwortung dieser Frage sollen die in der Kritik der reinen Vernunft eingeführten Kategorien Hilfestellung geben. Von der Antwort erhoffe ich neue Einsichten in die Funktion und Bedeutung der Tafel der Freiheitskategorien in der zweiten Kritik. Meine Interpretationshypothese besagt, dass die „Kategorien der Freiheit“ keiner besonderen Deduktion aus den logischen Urteilsfunktionen bedürfen, sondern als Prädikabilien unmittelbar aus den Kategorien der Natur folgen, sofern sie mit Hilfe der Freiheitskausalität umgedeutet werden. Um dies zeigen zu können, werde ich die beiden Kategoriensysteme, wie sie in der Kritik der reinen Vernunft einerseits und in der Kritik der praktischen Vernunft andererseits aufgestellt werden, einem Vergleich unterziehen, ein Mittel, das Kants Text selbst dem Leser an manchen Stellen nahelegt. Im theoretischen (empirischen) Gebrauch haben die Kategorien unmittelbar dieselbe Bedeutung wie im transzendentalen, der sich auf Anschauung überhaupt bezieht, wohingegen sie im praktischen Gebrauch von der transzendentalen, auf Anschauung überhaupt bezogenen, Bedeutung abstrahieren. Trotzdem behaupte ich: Die Kategorien sind Kategorien der Freiheit und der Natur.
2 Einheit oder Duplizität? Eine einfache und naheliegende Erklärung für das Auftauchen des spezifischen Kategorienspektrums in der Kritik der praktischen Vernunft ist die eines vom Autor namens der Vernunft bewusst herbeigeführten Parallelismus, den man sogar mit Kants eigener Beschreibung der Verwandtschaft zwischen erster und zweiter Kritik rechtfertigen könnte.² Diese Erklärung enthält die schlichte Behauptung, es gebe die in der ersten Kritik aufgestellte Haupttafel und daneben noch weitere, mindestens aber eine, und das ist die mit ihr zusammenhängende, obzwar für sich eigenständige Tafel der Freiheitsbegriffe in der zweiten Kritik. Darüber hinaus
Vgl. Brandt (). Vgl. KpV, Ak. , S. , .
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behauptet sie das Vorliegen sachlicher Gründe für die Notwendigkeit eines solchen Parallelismus, zum Beispiel den einer als unvermeidlich angenommenen und Kants kritischer Metaphysik zugrunde liegenden Dichotomie von Denken und Wollen, Verstand und Wille oder auch der Annahme der Existenz zweier voneinander unabhängiger Arten von Kausalität und Welten (einer Welt der Erscheinung und einer noumenalen Welt).³ Nun kann man gegen solche Behauptungen, wenn man sie mit dem Problem der Auslegung der Freiheitskategorien konfrontiert, schon Kants Erklärung in der Kritik der reinen Vernunft ins Feld führen, er nenne diejenigen reinen Verstandesbegriffe, die „a priori auf Gegenstände der Anschauung überhaupt [reine oder empirische sinnliche; d. Verf.] gehen“, „Kategorien“ (KrV, B 105). Reine Verstandesbegriffe aber heißen die „Vorstellungen“ des Verstandes deswegen, weil sie durch die „synthetische Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt“ einen „transscendentalen Inhalt“ erhalten. Damit sei nun ein für alle Mal die Bedeutung der Kategorien festgelegt und erlaube keine späterhin – aus welchen Gründen auch immer – vorzunehmende Ergänzung oder Abänderung. Kant erinnert sogar in der Kritik der praktischen Vernunft ausdrücklich an die Einführung der Kategorien in dieser Bedeutung. Zugleich schlägt er für die zweite Kritik eine neue Bezeichnung vor, nämlich „Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 65). Aber es bleibt dabei unklar, ob diese Namensänderung zu einer anderen (inhaltlich neu festgelegten) Tafel führt oder ob es der Sache nach dieselbe Tafel bleibt, nur mit einer anderen Ausrichtung. Jedenfalls gibt schon der Umstand Anlass zur Nachprüfung, dass bei der Aufstellung der Freiheitskategorien überhaupt der Beiname der „Kategorien“ als Begriffen, die ursprünglich dem Verstand eigen sind, erhalten bleibt. Denn da wir uns in einer kritischen Untersuchung der Möglichkeit des Praktischseins der reinen Vernunft befinden, würde doch die Erwartung eigentlich eher auf ein System von Ideen der (praktischen) Vernunft gerichtet sein. Die Ideen der reinen Vernunft erscheinen auch tatsächlich in der „Analytik der reinen praktischen Vernunft“, jedoch an anderem systematischen Ort, allein die wichtigste unter ihnen – die Idee der Freiheit – an systematisch privilegierter Stelle. Sie eröffnet die ganze Abhandlung. Man hat also allen Grund zu fragen, was die Vernunftidee der Freiheit mit reinen Begriffen des Verstandes zu tun hat innerhalb der systematischen Begründung des Praktischseins der reinen Vernunft.
Siehe dazu unter anderem Beck (), S. ; Zimmermann (), S. f., für weitere Literaturangaben zum Verhältnis der Kategorien der Freiheit und der Natur vgl. S. f. Siehe auch die Diskussion über die neueste Forschungsliteratur zu diesem Thema in Puls (), S. – .
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Unter dieser Vorgabe müsste man dann entweder – um die ParallelismusThese zu retten – annehmen, dass die Kategorien der Freiheit in einem anderen Sinne als Kategorien zu verstehen seien als die aus der Kritik der reinen Vernunft bekannten (diejenigen „der Natur“), oder man hätte – um dieselbe These zu widerlegen – zu zeigen, dass das anschauungs- und naturbezogene Verständnis der Kategorien der Willensbestimmung nicht widerspricht. Dazu ist zunächst zu bemerken: Kant hat den allgemeinen Kategorienbegriff im Nachhinein nicht ausdrücklich neu bestimmt oder seine Bedeutung abgeändert. Das, was er dazu in der ersten Kritik erklärt hat, bleibt also gültig. Es muss sich demnach in der zweiten Kritik gleichfalls um reine Verstandesbegriffe handeln. Abgesehen von der Beibehaltung der vier Haupttitel der Einteilung der Tafel und ihrer Anordnung, haben sich jedoch die diesen Titeln jeweils untergeordneten Namen durchweg geändert. Von ihnen kann jedenfalls nicht mehr gelten, dass sie sich ursprünglich auf ein Objekt der reinen Anschauung bezögen (obwohl dies auf der Grundlage der ersten Kritik zu den Grundmerkmalen der Kategorien überhaupt gehört). Denn sonst erweiterte man durch sie die ursprüngliche Tafel de facto nachträglich – ein Bestreben, das Kant energisch zurückweist.⁴ Andererseits sollen sie sich mit Notwendigkeit auf irgendein unbestimmtes Objekt (ein Objekt überhaupt) beziehen. Es ist abstrakter, unbestimmter als das Objekt der Kategorien der Natur, nämlich ein Objekt, das sogar in der Hinsicht unbestimmt ist, dass es offen lässt, ob es sinnlich oder übersinnlich (Erscheinung oder Ding an sich) ist. – Es bleibt somit die Frage bestehen: In welchem Sinne kann man oder muss man die Freiheitskategorien als reine Verstandesbegriffe betrachten? Der enge Zusammenhang der Kategorien mit den Urteilsfunktionen in der Kritik der reinen Vernunft gibt einen Hinweis auf eine mögliche Antwort: Man muss die Freiheitskategorien nur als konkrete Folgerungen bloß logischer Funktionen möglicher Urteile interpretieren, sofern von ihnen praktischer Gebrauch gemacht wird.⁵ Denn diese Funktionen bezeichnen laut Kant in der ersten Kritik dieselben Einheitsformen des Verstandes, die sowohl den Gegenstand der Anschauung bestimmen als auch in einem entsprechenden Urteil als Bestimmung des Gegenstandes vorkommen.⁶ Als solche Funktionen beziehungsweise Einheiten sind sie indifferent gegen die Unterscheidung zwischen ihrem sinnlichen oder übersinnlichen Gebrauch. Entsprechend könnten sie sich also auch auf Gefühle beziehen und im praktischen Urteil das Objekt bestimmen. Als logische Funktionen aber müssen die Kategorien in der Kritik der praktischen Vernunft nicht extra aus
Vgl. KpV, Ak. , S. , . Siehe auch unten Abschnitt III. Vgl. KrV, B . Vgl. KrV, B f.
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einer ursprünglichen Verstandeshandlung hergeleitet werden.⁷ Sie können schlichtweg von der in der ersten Kritik präsentierten „Tafel der Kategorien“ (KrV, B 95) übernommen werden. Kant erwähnt sie nicht extra, und noch weniger hält er es für nötig, sie nochmals aufzuzählen und einzeln zu thematisieren. Direkt der Kausalität des Willens unterstellt, werden sie in neue Ausdrucksformen transformiert. In diesem Sinne kann man sie als abgeleitete Begriffe und trotzdem zugleich noch als reine Elementarbegriffe verstehen, für welche Kant in der ersten Kritik der reinen Vernunft den Ausdruck „Prädicabilien“ (KrV, B 108)⁸ benutzt. Prädikabilien sind laut Kant, allgemein gesprochen, Begriffe, die aus der Verknüpfung von Kategorien untereinander oder der Kategorien mit den Formen der reinen Anschauung oder „mit ihrer Materie, so fern sie noch nicht empirisch bestimmt ist“ (Prol, Ak. 4, S. 324), resultieren, im besonderen Fall der zweiten Kritik aus der Verknüpfung der Kausalitätskategorie mit allen übrigen Kategorien, und das auch mit sich selbst. Man darf sie nur nicht als Prädikabilien der Kategorien der Natur (im engeren Sinne) missverstehen.⁹ Abgeleitet sind sie für uns, im übertragenen Sinne, insofern, als sie ein Prinzip der praktischen Vernunft als Bedingung ihrer objektiven Realität voraussetzen; und elementar sind sie insofern, als ihre transzendentale Bedeutung unverändert bleibt. Vor diesem Hintergrund gibt es also nur ein einziges Kategoriensystem in Gestalt der in der Kritik der reinen Vernunft von Kant bestimmten und geordneten zwölf Kategorien, die auf denselben Urteilsfunktionen beruhen wie die Freiheitskategorien. Den Namen „Kategorie“ führen sie streng genommen nur unter der einschränkenden Bedingung ihrer objektiven Beziehung auf ein Mannigfaltiges möglicher Anschauung a priori.¹⁰ Dieses selbe Begriffssystem ist unter Abstraktion von der Bedingung der Anschauung implizit auch in den Freiheitskategorien enthalten und liegt ihnen zugrunde. Der Bezug auf die Anschauung ist also notwendig, um Begriffen überhaupt als Kategorien objektive Realität zu geben. Die Abstraktion von der Anschauung ist dann an zweiter Stelle ebenso
Zum Verständnis der (logischen) Funktion bei Kant siehe Wolff (), S. – . Vgl. Prol, Ak. , S. . Kant sagt an den bezeichneten Stellen nur wenig über die Natur dieser Begriffe. Er bemerkt, es komme nur auf die ursprünglichen Begriffe an, die „abgeleiteten und subalternen“ ließen sich leicht ergänzen und so „der Stammbaum des reinen Verstandes völlig ausmalen“ (KrV, B ). Er verschiebe zum Zweck seiner unmittelbaren Untersuchung „diese Ergänzung auf eine andere Beschäftigung“. Dies entspricht der Bedeutung der Funktion der reinen Verstandesbegriffe, deren Name auf ihrem transzendentalen Inhalt beruht, der sich wiederum der „synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt“ (KrV, B ) verdankt. Im Hinblick auf die Kombination mit den Freiheitsbegriffen in der Kritik der praktischen Vernunft ist diese Festlegung allerdings problematisch.
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notwendig, um aus den Kategorien als solchen die Freiheitskategorien ableiten und deren objektive Realität dartun zu können.¹¹
3 Zweiheit in der Einheit: theoretischer und praktischer Gebrauch In der „Vorrede“ zur Kritik der praktischen Vernunft entdeckt man einige Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass der Wortlaut des Textes implizit eine Übereinstimmung zwischen der Tafel der Freiheitskategorien und derjenigen der Kategorien in der ersten Kritik unterstellt.¹² Dem zufolge handelte es sich in der jeweiligen „Analytik“ beider Kritiken um ein und dasselbe Kategoriensystem, das sich erst in seinem theoretischen beziehungsweise praktischen Gebrauch spezifisch unterscheidet. Doch was heißt hier Gebrauch? Betrachten wir dazu drei Stellen aus der „Vorrede“.¹³ Kant erläutert in der „Vorrede“ zwei sachlich bedeutsame Einwände gegen die Kritik der reinen Vernunft. Der erste Einwand richtet sich gegen die scheinbare Inkonsequenz, das „Räthsel der Kritik“, die man darin sehen könnte, die „objective Realität der auf Noumenen angewandten Kategorien“ deshalb zu bestreiten,weil die Kategorien eigentlich der „theoretischen Erkenntniß“ (KpV, Ak. 5, S. 5) dienen und weil sie – nichtsdestotrotz – dieselbe objektive Realität in Bezug auf denselben Gebrauch (nämlich die Anwendung auf Noumena) derselben Kategorien behaupten. Aus diesem Gegensatz zweier Behauptungen resultierte ein Widerspruch, wenn die hier von mir hervorgehobenen Übereinstimmungen tatsächlich alle miteinander eine unmittelbare Identität zum Ausdruck brächten.¹⁴ Der dieser Stelle unmittelbar vorausgehende Text, auf den der Anfang derselben verweist („Hiedurch verstehe ich auch […]“ (KpV, Ak. 5, S. 6)), deutet Kants Lösungsstrategie zur Vermeidung des anscheinenden Widerspruchs an. Zunächst hat Kant nicht alle denkbaren (alle beliebigen) Noumena („übersinnlichen“ Gegenstände, „Dinge an sich“) als Gegenstand, von dem die objektive Realität der Kategorien behauptet wird, im Auge, sondern nur einen einzigen: den der Freiheit
Zu den unterschiedlichen Bedeutungen von objektiver Realität in Bezug auf Begriffe des Verstandes und der Vernunft siehe Bojanowski (), S. ff. Vgl. KpV, Ak. , S. , . Vgl. KpV, Ak. , S. , . – , . – . An dieser Stelle ist auf die sorgfältige Analyse der Redeweise Kants vom „übersinnlichen Gebrauch“ der Kategorien in der „Vorrede“ der Kritik der praktischen Vernunft bei H. Puls hinzuweisen. Vgl. Puls (), S. – .
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als des Gegenstandes der Kausalitätskategorie. Sodann hat zu gelten, dass „Realität“ im praktischen Gebrauch (der praktischen Erkenntnis) der Kategorien etwas anderes bedeutet als im theoretischen (der theoretischen Erkenntnis). Dieser Unterschied wird zwar hier nicht näher erläutert, er lässt sich aber auf Kants Hinweis beziehen, dass die praktische Vernunft selbst – und nur sie – es ist, die dem von ihr selbst bewirkten übersinnlichen Gegenstand zugleich Realität verleiht. An einer früheren Stelle ist Kants Erläuterung etwas ausführlicher, was die Frage nach der Bedeutung der Realität der Kategorien im praktischen Gebrauch angeht. Allerdings ist diese Textstelle im weiteren Verlauf nicht leicht zu verstehen. Nachdem klargestellt wurde, dass mit der behaupteten objektiven Realität weder eine „theoretische Bestimmung“ von Kategorien noch eine „Erweiterung“ der Erkenntnis zu einem übersinnlichen Gegenstand beansprucht wird, erklärt Kant, es sei damit gemeint, „daß ihnen [den Kategorien] in dieser Beziehung [hinsichtlich der Frage ihrer Realität] überall ein Object zukomme, weil sie [die Kategorien; d. Verf.] entweder in der nothwendigen Willensbestimmung a priori enthalten, oder mit dem Gegenstande derselben unzertrennlich verbunden sind“ (KpV, Ak. 5, S. 5). Unter diesem Blickwinkel des praktischen Gebrauchs der Kategorien verschwinde die oben angezeigte Inkonsequenz.¹⁵ Schwer nachzuvollziehen ist in dem letzten Zitat die Begründung, die anscheinend aus einer Disjunktion besteht. Behauptet wird, dass den Kategorien in ihrer (kausalen) Beziehung auf das „Übersinnliche“ immer „ein Objecte“ zukommt, so dass sie immer schon objektive Realität mit sich bringen. Man kann das (zunächst) so verstehen, dass ihnen insgesamt naturgemäß und notwendigerweise (in jeder Rücksicht) ein unbestimmtes Objekt überhaupt zukommt, weil das Übersinnliche, auf das sie sich beziehen sollen, ein theoretisch prinzipiell unerkennbarer Gegenstand ist. Um aber auch die Begründung zu verstehen („weil […] entweder […] oder […]“), müssen wir fragen: a) Inwiefern sind die Kategorien „in der nothwendigen Willensbestimmung a priori enthalten“? Die notwendige Willensbestimmung ist die gesetzmäßige Selbstbestimmung durch das moralische Gesetz. Und wir müssen fragen: b) Inwiefern sind sie „mit dem Gegenstand derselben [der notwendigen Willensbestimmung] unzertrennlich verbunden“?
Siehe zu der zitierten Stelle die von meiner Lesart abweichende Interpretation von H. Puls.Vgl. ebd., S. , .
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Nur eine der beiden möglichen Antworten, die gesucht werden, scheint die richtige zu sein, da die erste sich auf den Bestimmungsgrund, die zweite aber auf die Folge bezieht. Ich beginne mit der Beantwortung der zweiten Frage, weil sie naheliegender ist: Das den Kategorien zukommende Objekt kann nicht das höchste Gut sein, welches die Mitwirkung des moralischen Gefühls erforderte; denn sonst wäre die Kategorie auch empirisch bedingt. Es geht aber hier um die Willensbestimmung a priori. Gegenstand der Willensbestimmung (der Bestimmung des Willens durch das moralische Gesetz) ist vielmehr die Freiheit. Mit der Freiheit aber sind die Kategorien untrennbar verbunden, weil sie alle als „modi“ (KpV, Ak. 5, S. 65) der Kausalität aus Freiheit begriffen (vorgestellt) werden.¹⁶ Diese Modi sind in der Kausalität als der Substanz enthalten. Das Kausalitätsgesetz ist wiederum im moralischen Gesetz enthalten. Das moralische Gesetz ist der Bestimmungsgrund des Willens. Somit sind die Kategorien im Bestimmungsgrund des Willens enthalten. Bedeutet „nothwendige Willensbestimmung a priori“ aber, dass die Willenskausalität der Bestimmungsgrund des einen Objekts (der Freiheit) sein soll, dann trifft es gleichfalls zu, dass die Kategorien in ihr enthalten sind. Wir müssen aber mit Rücksicht auf die schwer zu interpretierende Textstelle hier weiter fragen: c) Inwiefern folgt aus der gegebenen Antwort, dass den Kategorien „überall ein Object“ zukommt? Die Antwort auf diese dritte Frage ist nun aber nicht mehr so schwer: Da das eine „Object“ hier die Freiheit ist, die Freiheit selbst aber zugleich auch als die Kausalität aller Kategorien betrachtet werden muss, so ist aufgrund der Kausalität überhaupt (als Gesetz) jede einzelne Kategorie der Freiheit mit dem Gegenstand der Willensbestimmung (das ist der Freiheit) „unzertrennlich verbunden“ (das ist notwendig). Die objektive Realität beruht aber deswegen nicht auf dem Objekt, das mit den Kategorien verbunden ist, sondern zuletzt auf dem moralischen Gesetz. Denn es ist die in diesem Gesetz enthaltene Kausalität, die die Freiheit als Gegenstand a priori der Kategorien hervorbringt. Nun zuletzt noch zur ersten Frage: In der Willensbestimmung a priori enthalten sind die Kategorien dann – unter der Voraussetzung der Antwort auf die zweite Frage – insofern, als der Wille als freier Wille sich unmittelbar und not-
H. Puls interpretiert diese leicht missverstandene Textstelle auf dieselbe Weise.Vgl. ebd., S. .
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wendig selbst, nämlich seine Kausalität,¹⁷ bestimmt. Der Bestimmungsgrund ist dabei immer und zuletzt, wie Kant oft genug unterstreicht, das moralische Gesetz. Auf die schon erklärte Weise sind die Kategorien bereits darin enthalten, obwohl sie erst später aus den Grundsätzen folgen. Und insofern kommt ihnen dann auch ein Objekt zu. Weil das moralische Gesetz in der Willensbestimmung zugleich die Form der Freiheit ist, hängt die Freiheit als Inhalt, das heißt als Kausalitätskategorie, aber untrennbar (wie die Antwort auf die zweite Frage gezeigt hat) mit den Kategorien zusammen. So wie die Willensbestimmung Freiheit zum Gegenstand hat, so enthält sie a priori bereits die Kategorien. Deshalb kann Kant an einer anderen Stelle mit Bezug auf die Freiheitskategorien auch von „unsere[n] Begriffe[n] von dem Bestimmungsgrund eines solchen Willens“ (KpV, Ak. 5, S. 16) sprechen. Die Disjunktion, die in dem weiter oben angeführten Zitat vermutet wurde, besteht demnach nicht in der Sache, sondern nur in der Weise der Betrachtung (im Unterschied der Richtung) oder der Begründungsweise. Die Freiheit (als Kategorie der Kausalität) ist auch in diesem zweiten Falle das Objekt, auf das sich die Kategorien notwendig beziehen, und insofern ist sie Grund ihrer Realität. Ferner kann zur Unterstützung der zuletzt gegebenen Antwort auf die erste Frage noch folgende Überlegung angefügt werden: Wenn es zutrifft – wie Kant später bemerkt –, dass der Begriff der Kausalität aus Freiheit im Begriff des reinen Willens schon enthalten ist,¹⁸ dann müssen auch alle anderen Kategorien (insofern sie als „modi“ der Kausalität der Freiheit verstanden werden) in demselben Begriff enthalten sein. Der zweite Einwand, den Kant an der oben betrachteten Textstelle ausführlicher diskutiert, hängt mit dem ersten unmittelbar zusammen. Er bezieht sich auf die Kehrseite des Problems, das ist darauf, dass das „Subject der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 6) sich selbst zweifach zum Gegenstand macht: einerseits zum Noumenon – und zwar hier, bezogen auf die Kritik der reinen Vernunft, nur als reines Selbstbewusstsein oder reines Denken –, andererseits zum Phaenomenon im empirischen Bewusstsein. Dieser zweite Einwand beruht nach Kant auf einem Missverständnis, das erst durch die Analyse der Begriffe von „Sittlichkeit und Freiheit“ im Rahmen der Kritik der praktischen Vernunft auszuräumen sei („Nur eine ausführliche Kritik der praktischen Vernunft kann alle diese Missdeutung heben und die consequente Denkungsart […] in ein helles Licht setzen“ (KpV, Ak. 5, S. 6 f.)). Durch diese Kritik, so lautet Kants interessante Behauptung an einer früheren Stelle,¹⁹ werde nun auch die Behauptung aus der Kritik der reinen Ver-
Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. KpV, Ak. , S. . – .
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nunft vollständig bestätigt, dass das denkende Subjekt „in der inneren Anschauung“ sich selbst „bloß Erscheinung sei“, und diese Bestätigung sei „so gut, daß man auf sie kommen muß, wenn die erstere diesen Satz auch gar nicht bewiesen hätte“ (KpV, Ak. 5, S. 6). Wie man darauf kommt, ohne die Kritik an der rationalen Psychologie im Paralogismus-Kapitel zu berücksichtigen, hat Kant antizipierend in der ersten Kritik ²⁰ dargelegt (indem man nämlich indirekt von dem Spontaneitätsvermögen ausgeht, das „das Bewußtsein des moralischen Gesetzes allererst offenbart“ (KrV, B 431). Auf diese Möglichkeit kann ich an dieser Stelle nicht näher eingehen.²¹ Kant rechtfertigt in der „Vorrede“ sein weiteres Vorgehen, „die Begriffe und Grundsätze der reinen speculativen Vernunft“ hier in der zweiten Kritik „hin und wieder nochmals der Prüfung“ (KpV, Ak. 5, S. 7) zu unterwerfen, als eine erlaubte Notwendigkeit. Denn es gehe darum, die Vernunft „im Übergang“ zu einem (verglichen mit der ersten Kritik) „ganz anderen Gebrauche“ zu untersuchen. Ebendieser „Übergang“ erfordere aber einen Vergleich beider Gebrauchsweisen. Der Vergleich soll einerseits den Unterschied, andererseits aber „zugleich den Zusammenhang derselben“ aufdecken. Diese Aufgabenstellung weist voraus auf die Thematik in der „Kritischen Beleuchtung“.²² Insbesondere wird bei dem Erinnern im Zuge der wiederholten Betrachtung der Begriff der Freiheit unter dem Aspekt seines praktischen Gebrauchs akzentuiert. Ausdrücklich wird angemerkt, dass es dabei nicht um eine Ergänzung früherer Betrachtungen gehe, denn das System der spekulativen Vernunft sei „in seiner Absicht vollständig“. Mit anderen Worten, der praktische Begriff der Freiheit und seine „modi“ – die Kategorien der Freiheit – korrigieren, ergänzen oder vervollständigen nicht das bereits vorhandene und geprüfte System der Kategorien, wie es seit der Kritik der reinen Vernunft vorliegt. Wir müssen also davon ausgehen, dass dieses seine ganze Gültigkeit auch in der Kritik der praktischen Vernunft behält. Das wird ja auch durch Kants Darstellungsweise des Problems einer Begründung der objektiven Realität der Kategorien deutlich, wenn er vom theoretischen beziehungsweise praktischen Gebrauch „der Kategorien“ (KpV, Ak. 5, S. 5), also derselben Kategorien, handelt. Auf der anderen Seite wird die erneute Betrachtung der Begriffe des Verstandes und der darauf bezogenen Grundsätze in der zweiten Kritik unter dem Gesichtspunkt des systematischen Zusammenhangs des Ganzen notwendig, um die Modalität der Kategorien, insbesondere aber den Begriff der Freiheit, zu verstärken („um Begriffe, die dort nur
Vgl. KrV, B f. Siehe dazu Klemme (), S. – . Siehe unten Abschnitt X.
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problematisch vorgestellt werden konnten, jetzt in ihrer realen Darstellung einsehen zu lassen“ (KpV, Ak. 5, S. 7)). Kant macht hier übrigens keinen definitiven Unterschied zwischen Kategorien und Ideen, wenn er rückblickend vom Begriffsinventar der Vernunft spricht. So bemerkt er von dem zentralen Begriff der Freiheit, dass er in transzendentaler Bedeutung als problematischer Begriff unentbehrlich (insofern zugleich notwendig) sei, um den Gebrauch der spekulativen Vernunft systematisch zu vervollständigen – dass er aber zugleich auf der Grundlage des theoretischen Gebrauchs allein auch völlig unbegreiflich sei.²³ Beide Merkmale des transzendentalen Begriffs der Freiheit lassen sich, so können wir weiter folgern, erst durch seine Bestimmung im praktischen Gebrauch mittels der Grundsätze hinreichend verdeutlichen. Kant weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung seiner Erklärung am Schluss der „Analytik“ hin.²⁴ Gemeint ist damit der Abschnitt mit der Überschrift „Kritische Beleuchtung der Analytik der reinen praktischen Vernunft“. Ich werde meine Betrachtung des von Kant gegebenen Hinweises für den letzten Teil meines Aufsatzes aufsparen. Der Gang von den Grundsätzen der reinen praktischen Vernunft zu den Kategorien der Freiheit leitet zugleich in das Gebiet des Verstandes über. Kategorien sind, nach der Festlegung in der Kritik der reinen Vernunft, reine Verstandesbegriffe; rein heißen sie insofern, als sie keine empirische Beimischung enthalten. Die Überleitung ist zugleich mit einer Beschränkung auf das menschliche Begehrungsvermögen verbunden. Der Übergang ist nicht anders denkbar, als dass der Wille bereits das Begriffsinventar des Verstandes enthält. Aber die Kategorien sind damit nicht bloß vom Verstand gegeben, dem Willen also nicht einfach vorgesetzt, sondern mit Freiheitskausalität hervorgebracht, mit anderen Worten, Ausdrucksweisen des Willens und der reinen Vernunft. Der Wille macht bereits vom Denken, und zwar vom Begriff der Kausalität – darüber vermittelt aber auch von allen anderen Kategorien –, Gebrauch und setzt also den Verstand und dessen Tätigkeit voraus. Er wäre unwirksam, wenn er nichts von seiner eigenen Wirkungsweise wüsste. Der Form nach ist der reine Wille in der Vernunft enthalten, die als das „Denkungsvermögen selbst“ (KpV, Ak. 5, S. 66) ausgewiesen wird. Umgekehrt kann man sagen: Insofern Kant das Denken als ursprüngliche Spontaneität begreift,²⁵ ist sogar die Freiheit schon im Denken enthalten. Insofern sind Verstand und Wille also gar nicht als einander ausschließend entgegenge-
Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. KrV, B , (reine Apperzeption = Verstand, KrV, B f.); KpV, Ak. , S. .
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setzt, sondern ursprünglich aufeinander bezogen. Der Wille folgt aus dem Verstandesdenken (qua reiner Vernunft) und bleibt auf das Denken angewiesen. Seine Bestimmungen und die des Denkens sind einerlei (und zugleich verschieden). Der Wille ist mit anderen Worten nichts anderes als das Sichbegreifen des Verstandes als spontane produktive Handlung beziehungsweise als der hervorbringenden Ursache seiner Begriffe (als seiner Produkte), soweit es sich um transzendentale und moralisch-praktische Produkte und nicht um Erfahrungsbegriffe handelt. Dieses Sichbegreifen schließt die Einsicht ein, dass das denkende Subjekt, eben weil die damit verbundene Freiheit übersinnlich (übersinnlicher Gegenstand der Kausalitätskategorie) ist, sich nur als Erscheinung und nicht als Ding an sich erkennen kann.²⁶ Es fehlt in dieser Überlegung allerdings noch der Gesichtspunkt des moralischen Gesetzes (beziehungsweise aller damit verbundenen Grundsätze) als Bestimmungsgrund des Willens und „Form“ (KpV, Ak. 5, S. 73) der Kausalität des Willens, der der Freiheit erst Realität verschafft. Das moralische Gesetz ist mit der „Form“ der Freiheit als intellektueller Kausalität gemeint. Als „Form“ des reinen Willens ist es schon in der Vernunft als „dem Denkvermögen selbst“ (KpV, Ak. 5, S. 66) enthalten. Durch diese Rücksicht wird der Unterschied zwischen Verstand und Wille zuerst gesetzt. Denn das moralische Gesetz ist (als Idee) nicht aus dem reinen Verstand ableitbar. Die Entscheidung zugunsten des theoretischen oder praktischen Gebrauchs der Kategorien beruht also auf einer Überlegung, die selbst schon eine willensabhängige Bewusstseinshandlung ist (sofern sie einer Absicht unterliegt). Die Verdopplung der Kategorien beruht eigentlich nur auf einer Änderung ihrer Gebrauchsart, das heißt einer Erweiterung ihrer Anwendungsgegenstände. Was aber gebraucht wird, ist ein und dasselbe Kategoriensystem. Die Freiheitskategorien sind nur Überformungen oder Modifikationen des ursprünglichen Systems infolge der besonderen Bedingungen, die der praktische Gebrauch verlangt. Das ist jedoch nur eine formale Verdopplung.
4 Freiheitskausalität Um die alle Ideen der reinen Vernunft überragende Stellung und Bedeutung des Freiheitsbegriffs zu erläutern – welches der einzige Begriff unter denselben ist, dem eine bestimmende Funktion in der praktischen Erkenntnis zukommt –²⁷,
Vgl. KpV, Ak. , S. . – , . – . Vgl. KpV, Ak. , S. .
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schlägt Kant folgenden Argumentationsweg ein, der für meine Betrachtungen in den folgenden Abschnitten zu berücksichtigen ist: a) Man müsse, um die Vernunftidee der Freiheit zu untersuchen, zuerst die Kategorie der Kausalität darin aufsuchen, da man „nichts ohne Kategorie denken“ (KpV, Ak. 5, S. 103) könne. b) Diesem Verstandesbegriff müsse aber vor dem Gebrauch (das heißt auch vor dem praktischen Gebrauch, das ist der Beziehung desselben auf die Vernunft) „zuvor eine sinnliche Anschauung gegeben werden“ (KpV, Ak. 5, S. 103 f.), um seine objektive Realität zu sichern. c) Alle Kategorien teilen sich in mathematische und dynamische. ²⁸ Die erste Klasse, die die Kategorien der Quantität und der Qualität umfasst, enthalten nur eine Synthesis des Gleichartigen, in der laut Kants Erklärung prinzipiell kein Unbedingtes gefunden werden kann, insofern Dinge in Raum und Zeit stets aufs Neue sinnlich bedingt sind.²⁹ d) Die zweite Klasse – die Kategorien der Kausalität (= Relation) und der Notwendigkeit (= Modalität) – richtet sich nicht auf die Zusammensetzung eines Mannigfaltigen in der Anschauung, sondern auf die Synthesis der Existenz des bedingten Gegenstandes der Anschauung mit der Existenz der Bedingung (im Verstand). Für sie ist keine Synthesis des Gleichartigen erforderlich, sondern sie erlaubt die Verbindung des sinnlich Bedingten mit dem unbestimmten, intelligiblen Unbedingten (als einer transzendenten Synthesis).³⁰ e) Aus diesem Grund führte die „transzendentale Dialektik“ der Kritik der reinen Vernunft auch zu dem Ergebnis, dass im Falle der Vereinigung der Kausalität der Erscheinungen mit der gedachten sinnlich unbedingten Kausalität kein Widerspruch vorliege³¹ beziehungsweise dass – mit Kants deutlichen Worten – dieselbe Handlung, die, als zur Sinnenwelt gehörig, jederzeit sinnlich bedingt, d. i. mechanisch nothwendig ist, doch zugleich auch, als zur Causalität des handelnden Wesens, so fern es zur intelligibelen Welt gehörig ist, eine sinnlich unbedingte Causalität zum Grunde haben, mithin als frei gedacht werden könne. (KpV, Ak. 5, S. 104)
Entsprechend der Festlegung in KrV, B . Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. ebd. Siehe dazu die Auflösung der dritten Antinomie (KrV, B – ).
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Was Kant hier zum Ausdruck bringt, ist nichts anderes als die spekulative Idee transzendentaler Freiheit, die er in der „transzendentalen Dialektik“ der ersten Kritik entwickelt hat.³² f) Da dieser Begriff zunächst nur eine negative (problematische) Bestimmung enthält, insofern er zwar möglich, zugleich aber theoretisch unbestimmbar ist, ist Kant berechtigt, als Konsequenz die Verwandlung des „Können[s] in ein Sein“ zu fordern. Diese Verwandlung läuft darauf hinaus, „in einem wirklichen Falle gleichsam durch ein Factum“ zu „beweisen“, dass bestimmte (wirkliche oder nur gebotene, jedenfalls aber „objectiv praktisch nothwendig[e]“) Handlungen eine sinnlich unbedingte Kausalität voraussetzen. g) Da nun die geforderte Verbindung an wirklichen Handlungen in der Erfahrung nicht nachgewiesen werden kann (denn Kausalität durch Freiheit ist stets sinnlich unbedingt), sieht Kant nur einen einzigen Lösungsweg: Es muss ein „objectiver Grundsatz der Causalität“ „gefunden“ (KpV, Ak. 5, S. 105) werden, dessen Bestimmung sinnlich unbedingt ist. Ein solcher „Grundsatz“ muss offensichtlich in der reinen praktischen Vernunft selbst schon enthalten sein. Insofern enthält sie auch den „Bestimmungsgrund in Ansehung der Causalität“ bereits in sich. Diesen Grundsatz nennt Kant an dieser Stelle „Grundsatz der Sittlichkeit“, und von diesem behauptet er zugleich, dass er dem Wesen aller Menschen bereits „einverleibt“ sei. h) Der vorläufige Schluss, den Kant aus diesen Überlegungen zieht, besteht darin, dass die „unbedingte Causalität“ oder die Kausalität aus Freiheit nicht nur „unbestimmt und problematisch gedacht“, sondern hinsichtlich des Kausalitätsgesetzes „bestimmt und assertorisch erkannt“ wird, so dass für uns „die Wirklichkeit der intelligibelen Welt“ praktisch bestimmt und gegeben wird. Diese Bestimmung ist in praktischer Hinsicht „immanent“. i) Gleichzeitig begründet Kant, weshalb die Gottesidee nicht dieselbe Bestimmung und Funktion erfüllt wie die Freiheitsidee (weil es von der Sinnlichkeit und der Natur aus keinen direkten Weg zu ihr gibt. Das wird Kant unter anderem in der Kritik der Urteilskraft noch ausführlicher thematisieren: Die Physikotheologie scheidet als Nachweis des Daseins Gottes aus). Somit ist die Freiheit die einzige Idee, die zwischen Erkenntnislehre und praktischer Philosophie (Erkenntnis) vermitteln kann. Denn die Freiheit ist eine Wesensbestimmung des menschlichen Subjekts selbst. Das menschliche Wesen ist aber auch das einzige Wesen, das
Vgl. KrV, B ff.
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einerseits intelligibel, durch das moralische Gesetz bestimmt und damit frei, ist, und andererseits „sich […] selbst“ in der Sinnenwelt freitätig „erkennt“. j) Der Freiheitsbegriff allein sagt uns, dass wir das Unbedingte und Intelligible, welches Bedingung des Sinnlichen ist, nicht außer und über uns suchen dürfen. Denn wir haben es in uns selbst, und die Vernunft „erkennt“ sich selber durch das unbedingte praktische Gesetz. Damit ist es das Praktische in der Vernunft, das uns „Erkenntnisse von einer übersinnlichen Ordnung und Verknüpfung“ (KpV, Ak. 5, S. 106) verschafft.
5 Korrespondenz zwischen der ersten und der zweiten Kritik. Wissenschaftliche Methode Bereits in der „Einleitung“ zur Kritik der praktischen Vernunft weist Kant darauf hin, dass hier die Einteilung in „Elementarlehre“ und „Methodenlehre“ und dann in „Analytik“ und „Dialektik“ dem „allgemeinen Abrisse nach der der speculativen gemäß angeordnet werden“ (KpV, Ak. 5, S. 16) müsse, wenngleich in anderer Abfolge. Diese Behauptung wird damit gerechtfertigt, dass die Erkenntnis der reinen Vernunft auch dem praktischen Gebrauch noch zum Grunde liege. Die Betrachtungen zur Stellung und Bedeutung der Freiheitskausalität³³ nimmt Kant unmittelbar zum Anlass, die in der „Einleitung“ bereits unterstellte enge systematische Verknüpfung der jeweiligen Begründungslinien in der ersten und zweiten Kritik miteinander hervorzuheben und zu erläutern. Kant behauptet, dass jeder Schritt, den man mit der reinen theoretischen Vernunft thut, sogar im praktischen Felde […] sich so genau und zwar von selbst an alle Momente der Kritik der theoretischen Vernunft anschließe, als ob jeder mit überlegter Vorsicht, blos um dieser Bestätigung zu verschaffen, ausgedacht wäre (KpV, Ak. 5, S. 106).
Es ist mit anderen Worten die Vernunft selbst, die sich – unabhängig von der Absicht des Philosophen und Autors und gleichermaßen von den Überlegungen des Lesers und Interpreten – objektiv und mit logischer Konsequenz den Weg so bahnt, dass sie im Aufbau der Kritik der praktischen Vernunft die ihr angemessene Gestalt annimmt. Alle Ausrüstung, die dazu nötig zu sein scheint, ist mit den Resultaten der Kritik der reinen Vernunft vorhanden. Kant führt dieses Ergebnis –
Vgl. KpV, Ak. , S. , .
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die genaue Entsprechung – indirekt auf die methodische Strenge der wissenschaftlichen Untersuchung zurück, die jedoch nicht das Ergebnis einer intendierten „Suche“ sein soll. Das unerwartete Eintreffen eines Forschungsergebnisses, das man bei der Nachforschung gar nicht gesucht hat, ist hier das Prinzip der Kongruenz zwischen der ersten und der zweiten Kritik – und somit auch der Kategorien. Was man dazu tun muss, ist nur die konsequente Fortsetzung der Nachforschungen auf dem Gebiet der Moral „bis zu ihren Principien“ (KpV, Ak. 5, S. 106). Dann finde sich „von selbst“ die Übereinstimmung („genaue Eintreffung“) der Hauptsätze der praktischen Vernunft „mit den oft zu subtil und unnöthig scheinenden Bemerkungen der Kritik der speculativen“. Es bestätige sich damit die Forschungsmaxime, „in jeder wissenschaftlichen Untersuchung mit aller möglichen Genauigkeit und Offenheit seinen Gang ungestört fortzusetzen“ und „sie für sich allein so viel man kann, wahr und vollständig zu vollführen“.
6 Selbstbestimmung und Kausalität des Willens Ebenfalls in der „Einleitung“ in die Kritik der praktischen Vernunft geht Kant von der Unterscheidung zwischen dem theoretischen und dem praktischen Gebrauch der reinen Vernunft aus, um auf dieser Grundlage die Willensbestimmung und die Kausalität des Willens – zunächst noch ohne besondere Berücksichtigung des Begriffs der Freiheit – zu thematisieren. Im Unterschied zum theoretischen Gebrauch der Vernunft, der sich auf das Erkenntnisvermögen und seine Gegenstände (Erscheinungen der Natur) richtet und Thema der Kritik der reinen Vernunft ist, hat die Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch das Anliegen, die Bestimmungsgründe des Willens zu klären. Der Wille als „Vermögen“ (KpV, Ak. 5, S. 15) wird dabei zweifach bestimmt: Er bringt Gegenstände, die seinen Vorstellungen entsprechen, selbst hervor, und („oder“) er bestimmt sich selbst zur Bewirkung jener Gegenstände, das heißt, er bestimmt seine eigene Kausalität. Das kann er nur als unbedingter, freier Wille. Nur dann ist er Ursache seiner selbst, Subjekt und Objekt seiner Selbstbestimmung. Auf diese Weise (mittels der Selbstbestimmung als Kausalität) gelangt die Vernunft zur Willensbestimmung. Indem sie sich auf das Wollen bezieht, hat sie nun auch (automatisch) „objective Realität“.³⁴ Diese Erklärung wird nur dann verständlich
Über das Problem des Nachweises der objektiven Realität der Kausalität aus Freiheit vgl. Bojanowski (), S. – , .
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(und ist nur dann konsistent), wenn man von der Identität (und Differenz) von reiner Vernunft und reinem Willen ausgeht. Dass es ausschließlich die reine (empirisch unbedingte) Vernunft sein muss, die praktisch ist (das heißt unmittelbar den Willen bestimmt),³⁵ wird von Kant im nächsten Schritt durch Rekurs auf den Begriff der Freiheit als den adäquaten Begriff von Kausalität gezeigt, indem bewiesen wird, dass die Freiheit als Eigenschaft dem menschlichen Willen zukommt.³⁶ Ein Teil dieses Beweises wurde in der „transzendentalen Dialektik“ der ersten Kritik im Zusammenhang mit der transzendentalen Freiheit bereits geleistet. Da es nun erklärtermaßen in der zweiten Kritik nicht (besser gesagt: nicht primär oder nicht direkt) das Verhältnis der Vernunft zu Gegenständen ist, das untersucht wird, sondern dessen Bestimmungsfunktion im Hinblick auf den Willen und die Kausalität desselben, ist dies auch der „Grund“ für die systematische Ordnung der einzelnen Momente der Kritik der praktischen Vernunft (die grob gesprochen eine Umkehrung der in der Kritik der reinen Vernunft anzutreffenden Reihenfolge sein soll), insbesondere für die Anfangsbestimmungen der „Grundsätze der empirisch unbedingten Causalität“ (KpV, Ak. 5, S. 16), worunter man sich das System der Grundsätze in der „Analytik“ der zweiten Kritik denken muss. Erst darauf soll dann der „Versuch“ folgen, „unsere Begriffe von dem Bestimmungsgrunde eines solchen Willens, ihrer Anwendung auf Gegenstände [moralische Handlungen, sofern sie sich als gut oder böse qualifizieren; d. Verf.] zuletzt auf das Subject und dessen Sinnlichkeit, allererst festzusetzen“: „Das Gesetz der Causalität aus Freiheit, d. i. irgendein reiner praktischer Grundsatz, macht hier unvermeidlich den Anfang und bestimmt die Gegenstände, worauf er allein bezogen werden kann“. „Irgendein reiner praktischer Grundsatz“ heißt: einer von denjenigen Grundsätzen im System der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft, die den Freiheitskategorien vorausgehen, nämlich der, welcher das Kausalitätsgesetz aus Freiheit ausdrückt.³⁷ Das ist das moralische Gesetz. Nachdem dieses aufgestellt ist, folgt als nächster Schritt der Versuch, „unsere Begriffe von dem Bestimmungsgrunde eines solchen Willens, ihrer Anwendung auf Gegenstände, zuletzt auf das Subject und dessen Sinnlichkeit, allererst festzusetzen“ – das heißt die Freiheitskategorien aufzustellen, die zugleich die Begriffe sind, die die Anwendung der Grundsätze („ihrer Anwendung“) auf Gegenstände festlegen. – Es ist also nicht gemeint, dass das Verhältnis der Vernunft auf Gegenstände in der Kritik der praktischen Vernunft gar nicht in Betracht zu ziehen Vgl. KpV, Ak. , S. , . Vgl. KpV, Ak. , S. . Zur Frage, wie viele Grundsätze dieses Lehrstück enthält und welche das sind, siehe Wolff (), S. f.
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wäre, sondern nur, dass die Erwägung erst an zweiter Stelle erfolgen soll. Das Gesetz der Kausalität aus Freiheit „bestimmt die Gegenstände“, und zwar eine besondere Klasse von Gegenständen, nicht bloße Erscheinungen, für welche nämlich Anschauung erforderlich wäre, sondern Dinge an sich, übersinnliche Gegenstände, als Objekte überhaupt der Kategorien, also als diejenigen Gegenstände, auf die das Kausalitätsgesetz der Freiheit als praktischer Grundsatz „allein bezogen werden kann“. Kant erklärt an zentraler Stelle in der zweiten Kritik auch, weshalb mit der Verwendung des Kausalitätsbegriffes (der „eigentlich“ nur Bedeutung „in Beziehung auf Erscheinungen“ habe, „um sie zu Erfahrungen zu verknüpfen“ (KpV, Ak. 5, S. 49)) keine Erweiterung in dem Sinn einhergeht, dass die Grenzen der Erfahrung weiter hinausgeschoben würden. Denn dazu müsste eine „causa noumenon“ als gültig für die Erfahrung erklärt werden können (was sich aber als unmöglich herausstellt); das heißt, es müsste „das logische Verhältniß des Grundes und der Folge“ mit Bezug auf eine nichtsinnliche Anschauung synthetisch gebraucht werden können. Diese falsche Konsequenz wird jedoch automatisch dadurch ausgeschlossen, dass die praktische Vernunft den Kausalitätsbegriff in ganz anderer Weise verwendet und dabei von seiner Bedingung für die Möglichkeit theoretischer Erfahrung ganz abstrahiert; das kann sie insofern, als der Begriff der Ursache „immer im Verstande, auch unabhängig von aller Anschauung, a priori angetroffen wird“. Bei der Untersuchung der praktischen Vernunft geht es zwar um den „Bestimmungsgrund der Causalität des Menschen als Sinneswesens […] in der reinen Vernunft […]“. Dieser Grund liegt aber im Intelligiblen. Es geht also der praktischen Vernunft nicht darum, mittels der Kausalität bestimmte Gegenstände zu erkennen, sondern nur darum, die Kausalität hinsichtlich der Gegenstände überhaupt zu bestimmen („die Causalität in Ansehung derselben überhaupt zu bestimmen“). Dafür muss der Bestimmungsgrund des Willens in die „intelligibele Ordnung der Dinge“ verschoben werden. Dabei – so behauptet Kant – verstehe sie gar nicht (und müsse sie auch nicht verstehen), „was der Begriff der Ursache zur Erkenntniß dieser Dinge für eine Bestimmung haben möge“. Nun macht Kant an dieser Stelle eine sehr wichtige und zugleich ziemlich rätselhafte, unter Umständen gar folgenschwere (einschränkende) Bemerkung: „Die Causalität in Ansehung der Handlungen des Willens in der Sinnenwelt muß sie [reine praktische Vernunft; d. Verf.] allerdings auf bestimmte Weise erkennen, denn sonst könnte praktische Vernunft wirklich keine That hervorbringen“. Gemeint sind anscheinend nicht die Handlungen des sogenannten unteren Begehrungsvermögens, sondern die Wirkungen des reinen Willens, die für den Menschen in letzter Konsequenz nur als Erscheinungen Wirklichkeit erlangen. Ich verstehe die zitierte Passage so, dass praktische Vernunft in der Lage sein muss zu er-
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kennen, was der eigene Wille unter den Bedingungen der sinnlichen Anschauung in der Natur bewerkstelligt (hervorbringt), was aber niemals genau dasselbe sein kann wie das, was der reine Wille als solcher will. Inwiefern ist das Vollbringen einer Tat für die praktische Vernunft an die notwendige Bedingung gebunden, dass sie die Wirkung des Willens als Handlung in der Sinnenwelt „auf bestimmte Weise“ erkennt? Antwort: vermutlich, um auf diese Weise das, was objektiv sein soll, von dem, was subjektiv getan wird, unterscheiden und beurteilen zu können. Was dagegen die Kausalität als noumenale Ursache betrifft, so ist es nicht nur unmöglich, sie theoretisch zu erkennen, sondern im Grunde auch überflüssig. Man muss sie nicht in Erfahrung bringen, um dem Begriff der Kausalität Bedeutung zu verschaffen. Denn diese Kausalität erhält ihren „Bestimmungsgrund“ (KpV, Ak. 5, S. 50) durch das moralische Gesetz allein.³⁸ Von höchster Bedeutung für das Verständnis der Kausalitätskategorie und ihres doppelten Gebrauchs – darüber hinaus aber auch für das Verständnis aller anderen Kategorien – ist der nachfolgende Text des schon einmal zitierten Abschnitts. Zunächst wird über den „theoretisch“ betrachteten Begriff der Kausalität interessanterweise bemerkt, er bleibe „immer ein reiner, a priori gegebener Verstandesbegriff, der auf Gegenstände angewandt werden kann, sie mögen sinnlich oder nicht sinnlich gegeben werden“. Als ein solcher, bloß formaler Verstandesbegriff hat er jedoch zur Konsequenz, dass er „keine bestimmte theoretische Bedeutung und Anwendung hat, sondern blos ein formaler, aber doch wesentlicher Gedanke des Verstandes von einem Objecte überhaupt ist“. Das bedeutet, dass man die Kategorientafel der Kritik der reinen Vernunft auf zwei Weisen lesen und deuten kann: als bloße Verstandesformen, die von aller Anschauung abstrahieren, oder als Begriffe, die a priori schon auf Anschauung bezogen sind. Dieser Befund lässt sich nun auf den praktischen Gebrauch derselben und die sogenannten Freiheitskategorien übertragen: Auch für die praktische Vernunft existieren die reinen Verstandesbegriffe zunächst bloß als logische Funktionen mit noch unbestimmtem Gebrauch und unbestimmter Bedeutung. Die Vernunft legt dem Kausalitätsbegriff bloß praktische Bedeutung bei, indem durch sie „die Idee des Gesetzes einer Causalität (des Willens) selbst Causalität hat, oder ihr Bestimmungsgrund ist“. Die praktische Bedeutung der Kausalitätskategorie besteht also darin, dass die bereits durch das moralische Gesetz ausgedrückte und in ihm implizit schon enthaltene Freiheitskausalität zunächst den leeren Verstandesbegriff der Kausalität (der zum Denken überhaupt gebraucht wird) determiniert, durch diesen aber mittelbar auch alle anderen Kategorien des Verstandes auf dieselbe Weise be-
Vgl. KpV, Ak. , S. .
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stimmt. Es ist also die schon zur Willenskausalität vorherbestimmte Kategorie der Kausalität, die allen Kategorien das in der Kritik der praktischen Vernunft dargestellte Gepräge der Tafel der Freiheitskategorien verleiht. Die Kausalitätskategorie in der Tafel der Freiheitsbegriffe bringt alle Kategorien hervor und ist deren Bestimmungsgrund, das heißt, alle sind als kausal determiniert oder „modi“ der Kausalität selbst Spielarten (Aspekte) von Ursachen von Handlungen. Jene Kausalitätskategorie ist damit aber immer noch ein Verstandesbegriff von einem Objekt überhaupt; die anderen sind insofern „abgeleitet“. Das moralische Gesetz ist zugleich die Idee derjenigen Kausalität, welche die Kausalität des Willens bestimmt. Oder: „die Idee des Gesetzes“ ist die durch das moralische Gesetz bestimmte Kategorie der Kausalität; diese hat selbst Kausalität, insofern das moralische Gesetz sie dazu bestimmt. Die Idee des Kausalitätsgesetzes hat selbst Kausalität, heißt, sie bestimmt die Kausalität als eine solche der Freiheit und des Willens, unabhängig von Erfahrung, und sie bringt überhaupt die Kausalität als begriffliches Verhältnis erst hervor. Der Wille ist das Vermögen, die Kausalität durch die Vorstellung von Regeln zu bestimmen.³⁹ In der zweiten Kritik behauptet Kant zu Beginn des Abschnitts „Von der Befugniß der reinen Vernunft“, „an dem moralischen Princip“ sei ein „Gesetz der Causalität aufgestellt“ worden, das den „Bestimmungsgrund“ der Kausalität über alle Grenzen der Sinnlichkeit erhebe und zugleich den Willen samt dem Subjekt dieses Willens „in Ansehung seiner Causalität vermittelst eines Gesetzes, welches zu gar keinem Naturgesetze der Sinnenwelt gezählt werden kann, bestimmt“. Die Autonomie des Willens beziehungsweise der reinen praktischen Vernunft (als alleiniges Prinzip aller moralischen Gesetze, §8), das heißt die Freiheit, wird durch das moralische Gesetz ausgedrückt, insofern dieses zu einer bestimmten Handlungsweise auffordert (§7).Wenn die Autonomie des Willens das Prinzip aller moralischen Gesetze ist, dann also notwendigerweise auch „des“ moralischen Gesetzes im Allgemeinen. Die Autonomie, die man als Kausalgesetz auslegen kann, ist dann im moralischen Gesetz enthalten. Kant fragt gezielt nach der Möglichkeit eines Nachweises der objektiven Realität der Anwendung der Kausalitätskategorie sowie aller anderen Kategorien auf Gegenstände jenseits der Erfahrung. Bisher habe er die geforderte Realität nur in Bezug auf Erfahrungsgegenstände deduzieren können. Der Umstand aber, dass er zugleich gezeigt hat, dass sich durch die Kategorien – unabhängig von der Erfahrung – „doch Objecte denken“ lassen, habe diese Kategorien und allen voran die Kategorie der Kausalität „gerettet“ und sichere ihr „einen Platz im reinen
Vgl. KpV, Ak. , S. , .
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Verstande“. Mittels des reinen Verstandes lasse sich die Kategorie „auf Objecte überhaupt“ (KpV, Ak. 5, S. 54) beziehen. Die nachgewiesene „objecitve Realität des Begriffs“ bleibe aber auch erhalten, wenn die Bedingung der Anschauung wegfalle und ihr Gebrauch auf Noumena ausgeweitet werde (wenngleich damit kein Anspruch auf theoretische Bestimmung, das heißt Erkenntnis, verbunden werden kann): „Denn daß dieser Begriff auch in Beziehung auf ein Object nichts Unmögliches enthalte, war dadurch bewiesen, daß ihm sein Sitz im reinen Verstande bei aller Anwendung auf Gegenstände der Sinne gesichert war“. Unter dieser Voraussetzung, dass sich der Begriff der Kausalität überhaupt sinnvoll auf ein Objekt beziehen lässt, ist er dann auch auf einen Gegenstand außerhalb der Erfahrung beziehbar, sofern der Gegenstand dadurch nicht als theoretisch bestimmt angesehen wird. Einer praktischen Bestimmung ist der Kausalitätsbegriff in diesem Falle allerdings fähig. Welches ist die Bedingung der Anwendbarkeit des Begriffs der Kausalität auf Noumena? – so lautet Kants Frage.⁴⁰ Dass sie überhaupt virulent wird, liegt einerseits am praktischen Interesse der Vernunft, andererseits an der unbeschränkten Natur der reinen Verstandesbegriffe,⁴¹ die diese Art der Anwendung notwendig machen. Dazu ist an Folgendes zu erinnern: Der Verstand hat nicht nur ein Verhältnis zu Gegenständen, die er theoretisch bestimmt, sondern auch ein solches zum Willen (als dem Begehrungsvermögen), und handelt es sich um den reinen Verstand und seine Begriffe, so geht es auf der anderen Seite um den reinen (empirisch unbedingten) Willen. Die objektive Realität dieses Willens „ist im moralischen Gesetze a priori gleichsam durch ein Factum gegeben“ (KpV, Ak. 5, S. 55). Kant erklärt dazu, dass man die Willensbestimmung ein „Factum“ nennen könne, weil sie – obwohl nicht von empirischen Prinzipien abhängig – „unvermeidlich“ sei.⁴² Nun soll der Begriff der Kausalität schon im Willensbegriff enthalten sein oder, genauer, der Begriff der Freiheitskausalität im reinen Willen. Diese Kausalität kann nicht durch Naturgesetze bestimmt werden, hat aber die Rechtfertigung ihrer objektiven Realität im „reinen praktischen Gesetze a priori“, das ist dem moralischen Gesetz.⁴³
Vgl. KpV, Ak. , S. f. Vgl. Prol, Ak. , S. f. Zu Kants Verwendung des Ausdrucks „Factum“ in diesem Kontext siehe Wolff (), S. – . Aber die Freiheitskausalität muss die naturgesetzliche Kausalität andererseits enthalten, weil sie ursprünglich aus einem Verstandesgesetz hervorgegangen ist, dessen Gültigkeit über sich
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Kant erklärt, weshalb der Begriff der noumenalen Ursache als der eines Wesens mit einem freien Willen, keinen Widerspruch in sich schließt. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens ist dieser Begriff „gänzlich von reinem Verstande entsprungen“, also ursprünglich von allen sinnlichen Bedingungen unabhängig; zweitens hat er in Bezug auf Gegenstände überhaupt objektive Realität. Letzteres sei „[m]it der Deduction des moralischen Gesetzes“ (KpV, Ak. 5, S. 46) sichergestellt. Daraus folgt insbesondere, dass der Begriff auf „Dinge als reine Verstandeswesen“ ohne Anschauung und dennoch ohne Widerspruch angewandt werden kann. Diese Anwendung hat zunächst zur unmittelbaren Konsequenz, dass der Begriff der „causa noumenon“ zwar möglich und denkbar, zugleich aber auch (theoretisch) unbestimmt (leer) ist. Aber darauf kommt es in diesem Falle gar nicht an. Der freie Wille eines solchen Wesens soll gar nicht theoretisch erkannt werden. Dafür genügt es, den Kausalitätsbegriff mit dem der Freiheit (beziehungsweise dem des moralischen Gesetzes) zu verbinden. Das ist aber durch den nichtempirischen („reinen“) Ursprung des Begriffs der Ursache erlaubt, insofern das moralische Gesetz alleine diese Befugnis zum ausschließlich praktischen Gebrauch erteilt. Die Kausalität des Willens hat, wie es sich ergeben hat, einen zweifachen Ursprung: Sie ist die Wirkung der Idee der Kausalität, die im moralischen Gesetz ihre objektive Realität hat, und sie ist aus dem reinen Verstandesdenken (den Funktionen und Begriffen des Verstandes) „entsprungen“. Im folgenden Abschnitt soll nun das Verhältnis der Willenskausalität zum Kategoriensystem in seiner doppelten Gestalt analysiert werden.
7 Das Verhältnis der Kausalität zu den Freiheitskategorien und den Naturkategorien Unmittelbar im Anschluss an die Präsentation der Tafel der Kategorien der Freiheit gibt Kant dazu – auf nur zwei Absätze verteilt – eine knappe Erläuterung: Es soll sich a) in der Tafel ohne lange Überlegung eine empirisch unbedingte „Art von Causalität“ (KpV, Ak. 5, S. 67) bemerkbar machen. Diese Kausalität ist die Freiheit in Bezug auf („in Ansehung“) die „Handlungen als Erscheinungen in der Sinnenwelt“, deren Ermöglichungsbedingung sie ist. b) Weil diese Beziehung der Freiheit auf Handlungen in der Erscheinung zur Freiheit gehört, folgt daraus, dass sich die Freiheit auch notwendig „auf die Kategorien ihrer Naturmöglichkeit“, auf hinaus erweitert werden musste. Auf diese Weise hat sie Eingang in eine Vernunftidee gefunden, aber sie ist nicht ursprünglich Idee.
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die „möglichen Handlungen als Erscheinungen in der Sinnenwelt“ beziehen muss. Mit anderen Worten, die Freiheit überhaupt als eine Art von Kausalität betrachten zu können, setzt notwendig ihre Beziehung zur Natur und den Kategorien der Bestimmung der Natur voraus (weil nämlich menschliche Handlungen als Wirkung der Freiheit als Ursache nur in der sinnlichen Natur effektiv werden können). c) Allerdings soll nun zugleich „jede Kategorie“ (aus der Tafel der „Naturmöglichkeit“) in ihrer abstrakten Allgemeinheit gedacht werden, das heißt ohne ihre sonst notwendige Beziehung auf sinnliche Anschauung, von der abstrahiert werden muss. Denn nur dadurch kann „der Bestimmungsgrund jener Causalität auch außer der Sinnenwelt in der Freiheit als Eigenschaft eines intelligibelen Wesens angenommen werden“. d) Die Kategorien der Modalität in der Tafel der Freiheitskategorien haben die Funktion, „den Übergang von praktischen Principien überhaupt zu denen der Sittlichkeit, aber nur problematisch ein[zu] leiten, welche nachher durchs moralische Gesetz allererst dogmatisch dargestellt werden können“. Diese rätselhafte Auskunft kann einerseits auf S. 66.12– 15 bezogen werden und betrifft dann die dort beschriebene Ordnung der Freiheitskategorien insgesamt. Oder wir können Kants Erklärungen in der Kritik der reinen Vernunft bezüglich der Modalitätskategorien zu Hilfe nehmen; diese legen nahe, den zitierten „Übergang“ als Entwicklung von Sätzen innerhalb eines logischen Schlusses zu verstehen. In der ersten Kritik hebt Kant nämlich „eine ganz besondere Function“ (KrV, B 99 f.) der Modalität in Urteilen hervor. Negativ ausgedrückt bedeutet das, dass die Modalität keinen Beitrag zur Inhaltsbestimmung des Urteils leistet, sondern „nur den Wert der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt angeht“. Dem zufolge ergibt die Differenz des „Werts“ entweder problematische (bloß mögliche), assertorische (wirkliche) oder apodiktische (notwendige) Urteile. Alle Urteile lassen sich nach diesem Gesichtspunkt einteilen: Der problematische Satz ist also derjenige, der nur logische Möglichkeit (die nicht objektiv ist) ausdrückt, d. i. eine freie Wahl einen solchen Satz gelten zu lassen, eine bloß willkürliche Aufnehmung desselben in den Verstand. Der assertorische sagt von logischer Wirklichkeit oder Wahrheit, wie etwa in einem hypothetischen Vernunftschluß das Antecedens im Obersatze problematisch, im Untersatze assertorisch vorkommt, und zeigt an, daß der Satz mit dem Verstande nach dessen Gesetzen schon verbunden sei, der apodiktische Satz denkt sich den assertorischen durch diese Gesetze des Verstandes selbst bestimmt, und daher a priori behauptend, und drückt auf solche Weise logische Notwendigkeit aus. Weil nun hier alles sich gradweise dem Verstande einverleibt, so daß man zuvor etwas problematisch urteilt, darauf auch wohl es assertorisch als wahr annimmt, endlich als unzertrennlich mit dem Verstande verbunden, d. i. als notwendig und apodiktisch behauptet, so kann man diese
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drei Funktionen der Modalität auch so viel Momente des Denkens überhaupt nennen (KrV, B 101).⁴⁴
Zweifellos bedarf dieses Zitat einer ausführlicheren Auslegung, als ich sie hier leisten kann. Es kommt für unseren Zweck jedoch hauptsächlich darauf an, die besondere Stellung und Funktion der Modalität im übrigen Kategoriengefüge anzuzeigen, um dadurch mögliche Einflüsse auf die Freiheitskategorien zu erkennen. Dem zufolge ist sie durch ihre logische Funktion der Verbindung in Urteilen und Schlüssen Gradmesser des Verstandes für das Erkennen der jeweiligen Verbindungsart. Jedes ihrer drei Momente repräsentiert darüber hinaus noch eines der drei „Momente des Denkens überhaupt“. Das Denken überhaupt ist aber auch, wie bereits gezeigt, mit dem reinen Willen ursprünglich verbunden. Deshalb ist es erlaubt, sinngemäß die zitierten Aussagen auch auf die Tafel der Freiheitskategorien zu übertragen. Der Unterschied in der Verwendungsweise der Modalitätskategorien durch die praktische Vernunft besteht darin, dass sie nicht direkt für den empirischen Gebrauch bestimmt sein können und folglich nur durch das Freiheitsgesetz der Kausalität restringiert werden. Dass Kant hier in Bezug auf die Modalität der Urteilsformen an unterschiedliche Bewertungen der Kopula denkt, bedeutet, a) dass die Bewertung in drei Stufen der (Bejahung und Verneinung) vor sich geht, also nicht fließende (ineinander übergehende) Grade meint, wobei die beiden ersten Stufen Relativierungen (Einschränkungen) der dritten sind; b) dass die Kopula hinsichtlich der Form der Verbindung von Subjekt und Prädikat bestimmt wird, ohne dass der Inhalt in irgend einer Weise davon abhängt oder einen Einfluss darauf hat; c) dass das Kriterium der Bewertung (der Bestimmung) in der Abhängigkeit des Urteils (beziehungsweise des Urteilenden) von anderen Urteilen (beziehungsweise Entscheidungen des Urteilenden) besteht.⁴⁵ Entsprechend könnte man also eine Maxime (als erste Stufe der Bejahung unter dem Titel der Qualität des moralisch-praktischen Urteils) einen problematischen praktischen Satz nennen, der so konstruiert ist, dass er formal nur eine logische Möglichkeit ausdrückt, ohne inhaltlich etwas zu bestimmen, der also auch eine „freie Wahl einen solchen Satz gelten zu lassen“ ausdrückt, das ist „eine bloß willkürliche Aufnehmung desselben in den Verstand“. Die logische Wirklichkeit oder Wahrheit eines praktischen Satzes enthält dann bereits die Stufe der logischen Möglichkeit. Der apodiktische Satz denkt sich den assertorischen als
Siehe dazu auch Kants „Erläuterung“ der „Postulate des empirischen Denkens überhaupt“ (KrV, B f.). Siehe zu diesem ganzen Komplex die Untersuchung von Wolff (), S. – , – .
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bloß durch das moralische Gesetz der Vernunft selbst bestimmt. Er ist indifferent gegenüber der subjektiven Wahlfreiheit. Die drei Funktionen der Modalität sind drei Momente des Denkens überhaupt oder Gradabstufungen der Kopula. Sie gelten also auch von den Freiheitskategorien, mit demjenigen Unterschied jedoch gegenüber den Kategorien der Natur, dass sie sich auf einen anderen, durch die Freiheitskausalität und das moralische Gesetz vorgegebenen Urteilsinhalt beziehen. Deshalb kann man, wie ich meine, die Sonderstellung der Modalitätsmomente in der Tafel der Freiheitsbegriffe nicht so interpretieren, als seien sie allein Kategorien des reinen Willens.⁴⁶ Sie bringen vielmehr logische Funktionen zum Ausdruck, die allen Kategorien der Freiheit, welche auf der Kausalität des reinen Willens beruhen, gemeinsam sind, insofern sie sich auf das reine Denken überhaupt beziehen.
8 Die Freiheitskategorien im Verhältnis zum Guten und Bösen „Die Begriffe des Guten und Bösen bestimmen dem Willen zuerst ein Object“ (KpV, Ak. 5, S. 67) – heißt es am Anfang des anschließenden Kapitels „Von der Typik der reinen praktischen Urtheilskraft“. Diese Begriffe sind es, auf die die Tafel der Freiheitskategorien ausgerichtet ist. Jede dieser Kategorien drückt insofern (der Möglichkeit nach) selbst schon unmittelbar ein Verhältnis des Guten und Bösen aus. „Die Begriffe des Guten und Bösen“ sind deshalb die Kategorien selbst. Sie sind es, die für den Willen („zuerst“) ein Objekt (eine Handlung) bestimmen. Sie haben also eine Bestimmungsfunktion, aber nur, insofern sie selbst Ausdrucksformen der Kausalität des Willens sind und (mittels des Typus) dem moralischen Gesetz subordiniert werden. Die Kategorien bestimmen also lediglich in ihrer Beziehung auf eine mögliche Handlung einerseits und auf das moralische Gesetz andererseits ein Objekt, und in dieser Anwendungsfunktion sind sie zugleich Begriffe des Guten und Bösen. Das „Object“ wird an der zitierten Stelle nicht näher benannt. Es dürfte sich dabei entweder um das „sittlich Gute“ (KpV, Ak. 5, S. 68, 69) selbst oder um die sittliche Handlung als ein Gutes handeln. Zugleich weist Kant aber darauf hin, dass jene Begriffe (die Freiheitskategorien) nicht das Erste und Ursprüngliche seien. Denn sie stehen selbst wiederum
So etwa Zimmermann (), S. .
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„unter einer praktischen Regel der Vernunft“⁴⁷, und diese Regel bestimmt nun den Willen a priori „in Ansehung seines Gegenstandes“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Das heißt also: Die Objektbestimmung seitens der Kategorien (in ihrer Beziehung auf Handlungen) ist zwar in gewisser Hinsicht das Nächstliegende der Bestimmung („zuerst“), aber nicht der hinreichende Grund der Bestimmung. Grundlegend für die mittelbare Objektbestimmung ist vielmehr die genannte, nicht näher bezeichnete praktische Regel. Das Bestimmen selbst ist ein Vorgang, welcher der praktischen Urteilskraft obliegt (Subsumtion der konkreten Handlung unter das Allgemeine der Regel). Das Problem der Subsumtion besteht darin, dass die „Fälle“ (KpV, Ak. 5, S. 68) möglicher Handlung der sinnlichen Natur und der Erfahrung angehören und demzufolge empirisch sind. Man kann dieses Problem in die folgenden Teilfragen auflösen: a) Wie kann „die übersinnliche Idee des sittlich Guten“ auf den empirischen Fall angewandt werden? b) Wie kann das sittlich Gute darin „in concreto dargestellt“ werden? c) Wie kann der Fall die Anwendung des Gesetzes der Freiheit auf sich erlauben? Diese Fragen sollen – in Analogie zum Problem der Subsumtion der theoretischen Vernunft – durch eine dem Schematismus ähnliche Funktion gelöst werden.⁴⁸ Nur handelt es sich jetzt, im Falle der praktischen Vernunft, um ein übersinnliches Objekt, das ist um das „sittlich Gute“, welches als solches in der sinnlichen Anschauung nicht vorkommt. – Worin bestehen aber dann genau die „besonderen Schwierigkeiten“, mit denen die praktische Urteilskraft konfrontiert wird? Sie beruhen – so viel lässt sich wenigstens sagen – darauf, „daß ein Gesetz der Freiheit auf Handlungen als Begebenheiten, die in der Sinnenwelt geschehen und also so fern zur Natur gehören, angewandt werden soll“. Aber das kann nicht unmittelbar geschehen. Unmittelbar kann vom Standpunkt der Freiheit aus nur auf das übersinnliche Objekt gewirkt werden. Die Lösung für das Problem des notwendigen Subsumtionsverhältnisses wird ab S. 68.26 angegeben. Im Zuge dieser Lösungsstrategie hebt Kant als Eigentümlichkeit der zu lösenden Aufgabe hervor, dass der Begriff der Kausalität nicht an die Bedingungen der Naturverknüpfung, sondern an die der Freiheit, in der
Siehe dazu oben Abschnitt VII. Vgl. KpV, Ak. , S. .
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Hauptsache an das moralische Gesetz, gebunden sei. Der Anwendung des Freiheitsgesetzes (als sinnlich unbedingter Kausalität) auf Gegenstände der Natur und dem dafür gebrauchten Begriff des „unbedingt Guten“ (KpV, Ak. 5, S. 69) kann nur der Verstand – so Kants Schlussfolgerung – als Vermögen vermittelnd zugrunde gelegt werden. Demnach sind, so schließen wir, die Kategorien unmittelbar Formen der Bestimmung eines übersinnlichen Objekts und nur indirekt und erst im weiteren Verlauf Formen von Handlungen in der Sinnenwelt, die als Handlungsbestimmung dann zuletzt dem moralischen Gesetz subsumiert werden, deren Ergebnis so ausfällt, dass die Handlungen sich als gut oder böse qualifizieren. Wie auf S. 67.25, so thematisiert Kant auch in diesem Absatz „die Begriffe des Guten und Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 65). Sie werden einerseits als „Folgen der Willensbestimmung a priori“ vorgestellt, die aber andererseits – weil sie die Kausalität der reinen Vernunft als praktisches Prinzip voraussetzen – sich nicht ursprünglich auf Objekte beziehen (im Gegensatz zu den reinen Verstandesbegriffen). Es können aber auch an der hier diskutierten Stelle nur die Kategorien der Freiheit gemeint sein, die den reinen Verstandesbegriffen aus der Kritik der reinen Vernunft gegenübergestellt werden. Ich werde also für den Ausdruck „Begriffe des Guten und Bösen“ aus den schon genannten Gründen auch weiterhin den Ausdruck „Kategorien der Freiheit“ verwenden. Dass dies naheliegend und auch erlaubt ist, beweist schon der Wortlaut am Anfang des nachfolgenden Absatzes, der mit Bezug auf den gesamten Kontext des vorhergehenden Absatzes direkt mit den Worten anschließt: „Diese Kategorien der Freiheit […]“. Im Unterschied zu den Kategorien der theoretischen Vernunft, das ist den reinen Verstandesbegriffen, beziehen sich jene „Begriffe des Guten und Bösen“ nicht ursprünglich auf Anschauungsobjekte, weil sie „Folgen der Willensbestimmung a priori“ sind. Ihr Gebrauch richtet sich folglich auch nicht darauf, „das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen“ und es dadurch zu bestimmen, sondern darauf, „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins“ des reinen Willens (der praktischen Vernunft) „a priori zu unterwerfen“. Die „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“, das ist die Freiheitskategorien, beziehen sich damit in letzter Konsequenz notwendig auf die Sinnenwelt, weil sich erst in den dortigen Zusammenhängen die Handlungen, die Wirkungen der Freiheitskausalität sind, verwirklichen lassen. Aber die Freiheitskategorien als solche können und müssen sich auch nicht a priori schon auf ein sinnliches Objekt beziehen, sondern erst a posteriori. Sie enthalten jedoch ursprünglich und unmittelbar schon ein unbedingtes, transzendentales (intelligibles) Objekt, nämlich die Freiheit, insofern diese die direkte Folge der Willensbestimmung ist.
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Die Kategorien der theoretischen Vernunft, einschließlich der Objekte, auf welche sie sich a priori beziehen, werden hingegen, so behauptet Kant, von den Begriffen des Guten und Bösen, den Freiheitskategorien, „als gegeben“ vorausgesetzt. Jene Kategorien sind also nicht unmittelbar Folge der Kausalität der praktischen Vernunft, sondern ein Produkt des Denkens des reinen Verstandes. Positiv bestimmt sind die Freiheitskategorien dadurch, dass sie, laut Kant, „insgesammt modi einer einzigen Kategorie“ sind, und zwar der Kausalität. Mit dieser Kausalität kann nicht die aus der Kritik der reinen Vernunft entlehnte Kausalität der Natur gemeint sein. Denn ihr „Bestimmungsgrund“ soll „in der Vernunftvorstellung eines Gesetzes derselben“ (also in der Idee des moralischen Gesetzes) bestehen. Das ist das „Gesetz der Freiheit“, das auf der Autonomie der reinen Vernunft beruht. Das heißt, die Vernunft selbst gibt sich dieses Gesetz, ist damit unmittelbar praktisch und beweist „sich a priori als praktisch“. Die eigene Gesetzgebung der Freiheit ist damit zugleich ein Akt freier Kausalität. – Im Text folgt unmittelbar darauf die Thematisierung der „Handlungen“. Sie stehen „unter“ dem „Gesetz der Freiheit“: Da indessen die Handlungen einerseits zwar unter einem Gesetze, das kein Naturgesetz, sondern ein Gesetz der Freiheit ist, folglich zu dem Verhalten intelligibeler Wesen, andererseits aber doch auch als Begebenheiten in der Sinnenwelt zu den Erscheinungen gehören, so werden die Bestimmungen einer praktischen Vernunft nur in Beziehung auf die letztere, folglich zwar den Kategorien des Verstandes gemäß, aber nicht in der Absicht eines theoretischen Gebrauchs desselben, um das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen, sondern nur um das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen, Statt haben können.
Der am Anfang des Zitats auftauchende Zwiespalt beruht darauf, dass die Handlungen zweiseitig determiniert sind: Sie stehen unter dem Freiheitsgesetz, und sie gehören doch auch zu den Erscheinungen der Natur. Aufgrund der letzteren notwendigen Beziehung müssen sie zum praktischen Gebrauch (das heißt nicht mit dem Ziel der Erfahrung) gehören und „den Kategorien des Verstandes gemäß“ sein. Worin besteht diese Angemessenheit? Im folgenden Absatz vergleicht Kant beide Arten von Kategorien miteinander, und daraus resultiert die Antwort auf die Frage nach der näheren Bedeutung jener Angemessenheit. Um es kurz vorweg zu sagen, der Unterschied zwischen beiden Tafeln besteht hauptsächlich in den Bedingungen ihrer Gültigkeit, ihres Gebrauchs und ihres Erkenntnisanspruchs. Während die Kategorien als Naturbegriffe „nur Gedankenformen sind“ und sich auf „unbestimmte Objecte überhaupt“ (KpV, Ak. 5, S. 66) beziehen unter der Bedingung, dass sie zugleich der sinnlichen Anschauung unterliegen, bestimmen
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die Kategorien der Freiheit die Freiheit der Willkür. Der freien Willkür kann keine korrespondierende Anschauung beigeordnet werden. Es liegt ihr aber „ein reines praktisches Gesetz a priori zum Grunde“, das moralische Gesetz nämlich. In dieser Hinsicht sind die Freiheitskategorien „praktische Elementarbegriffe“, denen ihrerseits anstelle der Anschauung „die Form eines reinen Willens“ (das ist die Kausalität der Freiheit) in der Vernunft als „dem Denkungsvermögen selbst“ zugrunde liegt. Insofern die Vorschriften der reinen praktischen Vernunft nur darauf ausgehen, den Willen zu bestimmen, werden „die praktischen Begriffe a priori in Beziehung auf das oberste Princip der Freiheit sogleich Erkenntnisse“. Sie bedürfen nicht, im Unterschied zu den theoretischen Verstandesbegriffen, der sinnlichen Anschauung als Bedingung und Vermittlung ihrer Bestimmung. Kants Begründung für diese starke Behauptung stützt sich auf das Argument, dass die praktischen Begriffe, da sie ja als „modi“ der Kausalitätskategorie selbst Kausalität besitzen, die Objekte, auf welche sie sich beziehen (Handlungen als „Willensgesinnung“), „selbst hervorbringen“.Was unmittelbar hervorgebracht wird, das wird auf demselben Weg und aus demselben Grund auch als Erkenntnis bestimmt. Jede Kategorie bringt so als Bestimmung des Willens eine Anweisung oder Regel zum Handeln hervor. Schwer zu deuten sind die letzten vier Zeilen dieses Absatzes: Nur muß man wohl bemerken, daß diese Kategorien nur die praktische Vernunft überhaupt angehen und so in ihrer Ordnung von den moralisch noch unbestimmten und sinnlich-bedingten zu denen, die, sinnlich-unbedingt, blos durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen.
Demnach, so könnte man annehmen, besteht die Tafel der Freiheitskategorien teils aus sinnlich bedingten, qua „moralisch noch unbestimmten“, teils aus sinnlich unbedingten, jedoch durch das moralische Gesetz allein bestimmten Kategorien derart, dass es innerhalb jedes Titels einen Fortgang vom Bedingten zum Unbedingten gibt (geben soll) und dass dies der Sinn ist, in dem Kant von der „praktische[n] Vernunft überhaupt“ redet.⁴⁹ Doch dies lässt sich mit den übrigen Erklärungen Kants zu dieser Tafel nicht vereinbaren, und es widerspricht auch der
Das entspricht der Lesart von Zimmermann (), S. , f. Ähnlicher Auffassung scheint H. Puls zu sein, indem er die Anordnung der Kategorien als unmittelbare Gebrauchsformen von moralischen Handlungen interpretiert. Das sind sie aber erst in zweiter Linie. Zunächst werden sie in der „Tafel“ nur analytisch, d. h. für sich genommen, vorgestellt – zwar mit der Perspektive einer möglichen Anwendung, aber noch ohne jede Spur dieser Anwendung selbst. Vgl. Puls () S. – .
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Systematik und Grundidee der Freiheitskategorien. Dagegen sprechen auch insbesondere Kants pointierte Hinweise darauf, dass die „reine Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 90) – und sie allein – den Ausgangspunkt des Praktischen bilde.⁵⁰ Sinnlich bedingt bedeutet jedenfalls nicht: abhängig von sinnlicher Anschauung, sondern allenfalls: beeinflusst durch Begierden. Doch auch die Begehrungen können kein Bestimmungsfaktor dieser Kategorien sein.Was bestimmt aber dann den Fortgang in der Ordnung der Kategorien? Diese Frage stellt sich unweigerlich, weil Kant im Anschluss an die Präsentation der Kategorientafel, welche selbst unmittelbar keine Aufschlüsse über das hier beleuchtete Problem gibt, erklärt, es werde schnell einsichtig, dass in der „Tafel“ die Freiheit „als eine Art von Causalität“ betrachtet werde, welche „empirischen Bestimmungsgründen nicht unterworfen“ (KpV, Ak. 5, S. 67) sei. Eigentlich kann es dem zufolge in der Kategorientafel der Kritik der praktischen Vernunft weder „moralisch noch unbestimmte“ noch „sinnlich-bedingte“ Kategorien geben. Das moralische Gesetz ist ihr alleiniger Bestimmungsgrund. Sie sind insgesamt moralisch bestimmt, insofern sie aus dem moralischen Gesetz hervorgehen, und aus demselben Grund können sie nicht sinnlich bedingt sein: die Triebfedern des menschlichen Willens aber (und des von jedem erschaffenen vernünftigen Wesen) [können] niemals etwas anderes als das moralische Gesetz sein […], mithin [muß] der objective Bestimmungsgrund jederzeit und ganz allein zugleich der subjectiv hinreichende Bestimmungsgrund der Handlung sein (KpV, Ak. 5, S. 72).
Was den analytischen Fortgang der Freiheitskategorien betrifft, so ist er eingebettet in die logische Entwicklung der ganzen „Analytik der reinen praktischen Vernunft“, die Kant nach dem Muster eines Vernunftschlusses einteilt: so wird die Eintheilung der Analytik der reinen praktischen Vernunft der eines Vernunftschlusses ähnlich ausfallen müssen, nämlich vom Allgemeinen im Obersatze (dem moralischen Princip) durch eine im Untersatze vorgenommene Subsumtion möglicher Handlungen (als guter oder böser) unter jenen zu dem Schlußsatze, nämlich der subjectiven Willensbestimmung (einem Interesse an dem praktisch möglichen Guten und der darauf gegründeten Maxime), fortgehend. (KpV, Ak. 5, S. 90).
Sinnlich bedingt werden die Freiheitskategorien erst in zweiter Hinsicht, das heißt unter der Perspektive ihrer Anwendung auf menschliche Handlungen.⁵¹ Wenn also in Bezug auf die „Ordnung“ im Fortgang der Kategorien davon gesprochen wird, dass sie von den sinnlich bedingten (moralisch noch unbe Noch eindeutiger sind KpV, Ak. , S. . – und S. . – .. Vgl. KpV, Ak. , S. .
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stimmten) ausgehen, dann sind erstens die Kategorien als solche gemeint, wie sie aus der ersten Kritik stammen und importiert werden. Zweitens wird hier wirklich nur über den Gebrauch gesprochen, das heißt nicht über die „Analytik“, sondern über deren synthetische Umkehrung, das ist die Anwendung in tatsächlichen Handlungsvollzügen. Insofern gehen sie „nur die praktische Vernunft überhaupt“ an. Auf der anderen Seite weist die Einschränkung in der Überschrift der Tafel „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 66) darauf hin, dass die Kategorien so präsentiert und betrachtet werden, wie sie sich in möglichen menschlichen Handlungen niederschlagen sollen. Die guten und die bösen Handlungen (die Begriffe des „schlechthin Guten und Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 90)) sind unmittelbar der Gegenstand der Kategorien.⁵² Sie enthalten noch nichts Empirisches. Erst die Sinnlichkeit, die mit dem Gefühl als subjektivem Bestimmungsgrund des Willens zum Tragen kommt, öffnet der Empirie die Tür. Die guten und die bösen Handlungen, die sich in der Natur zeigen, sind also zuletzt nicht vollständig und a priori durch das moralische Gesetz bestimmt. Und so möchte ich hier (vorläufig) auf das gestellte Problem antworten, dass Kant an der weiter oben zitierten Stelle⁵³ die beiden Ebenen des Gegebenseins und Hervorgebrachtseins der Kategorien der Freiheit einerseits und andererseits der ihrer Anwendung auf Objekte in der sinnlichen Welt (Handlungen) nicht scharf genug auseinanderhält. Die Kategorien für sich können nicht sinnlich bedingt sein (was ihren Ursprung und Bestimmungsgrund betrifft) – das werden sie erst in der Anwendung, auf die die Überschrift der Tafel lediglich (und ziemlich vage) vorausweist, und durch Zwischenschaltung der Funktion des „Typus“. Folgt man der Interpretation von S. Zimmermanns und nimmt von vornherein die praktische Vernunft überhaupt als Ausgangspunkt der ganzen Kritik (so wie das auf S. 66.12 f. anscheinend durch die Beifügung des Wortes „nur“ angedeutet wird),⁵⁴ dann ist die Kategorientafel einschließlich der Kausalität erst recht zweifach bestimmt: Die Kategorien unterliegen der Kausalität aus Freiheit und der Naturkausalität. Dann kann aber eigentlich auch nicht bloß der reine Wille am Anfang stehen, sondern auch die Willkür, das Begehrungsvermögen insgesamt. Denn im Zusammenhang der Kausalität von Freiheit zu sprechen, bedeutet eo ipso, „eine sinnlich unbedingte Causalität zum Grunde“ (KpV, Ak. 5, S. 104) zu legen.⁵⁵
Vgl. KpV, Ak. , S. . – , – . Vgl. KpV, Ak. , S. . – . Vgl. Zimmermann (), S. . Die „Causalität durch Freiheit“ muss „immer außer der Sinnenwelt im Intelligibelen gesucht werden“ (KpV, Ak. , S. ).
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Die Kategorien der Freiheit enthalten aber nun einmal, laut Kant, eine Beziehung des Verstandes auf das Begehrungsvermögen, und insofern betreffen sie die Vernunft überhaupt. Aber die Ästhetik als Theorie des „Gefühls“, das wiederum subjektiver Grund des Begehrens ist, folgt erst auf die „Logik“ (KpV, Ak. 5, S. 90) der Verstandesbegriffe, und insofern kann sie nicht Bedingung ihrer Bestimmung sein. Im Unterschied zu den Naturkategorien, die nur von empirischem Gebrauch sind, müssen die Kategorien der Freiheit als Bedingung ihres Gebrauchs alles Empirische abstreifen, sich reinigen. Genau deshalb sind sie als Kategorien in ihrem Ursprung nicht empirisch bedingt, das heißt, das Kausalitätsgesetz der praktischen Vernunft muss rein sein.⁵⁶ Der Übergang der ersten Kategorie als der moralisch noch unbestimmten hin zur dritten Kategorie als der moralisch bestimmten betrifft nur die Modalität ihres Gebrauchs im praktischen Urteil. Sie besagt lediglich, dass zum Beispiel eine Maxime, der Möglichkeit nach, empirisch bedingt ist (nämlich sofern sie angewendet wird, um sie zu verwirklichen).
9 Freiheit als Objekt überhaupt der Kategorien der Freiheit Die Funktion der Kategorien in Ansehung praktischer Ideen besteht darin, die Objekte der Ideen zu denken. Sie bedeuten „immer nur ein Object überhaupt“ (KpV, Ak. 5, S. 136). Da es aber nur um die Idee der Freiheit geht, ist sie unmittelbar das einzige Objekt überhaupt. Die Kategorien der Freiheit sind also Begriffe, durch welche die Freiheit gedacht wird („modi“ sind Ausdrucksweisen der Freiheit). Sie inhärieren der Freiheit (als ihrer Substanz), und sie resultieren zugleich aus dem Kausalitätsgesetz.⁵⁷ „Kategorien“ – heißt es sodann im siebten Abschnitt der „Dialektik“ der Kritik der praktischen Vernunft – sind notwendig zu „jedem Gebrauche der Vernunft in Ansehung eines Gegenstandes“. Dies gilt also für den theoretischen wie für den praktischen Gebrauch der Vernunft. Der theoretische Gebrauch zum Zweck der Erfahrung ist zugleich an die Bedingung sinnlicher Anschauung gebunden. Im praktischen Gebrauch sind die Vernunftideen die Gegenstände, die durch die Kategorien gedacht werden, um erkannt zu werden. Sie lassen sich aber nicht auf sinnliche Anschauung beziehen. Damit kann also keine theoretische Erkenntnis angestrebt werden. Der Anspruch besteht nur darin, den Ideen „überhaupt Ob Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. KpV, Ak. , S. .
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jecte“ und damit „Realität“ zu verschaffen. Das leistet schon die „reine praktische Vernunft“. Aber sie kann diese Operation nicht allein ausführen, sondern bedarf der Unterstützung des Verstandes. Die theoretische Vernunft hat bei der praktischen Erkenntnis die Aufgabe, die Objekte überhaupt als Objekte der Ideen „durch Kategorien blos zu denken“. Das ist, wie Kant (schon in der ersten Kritik) gezeigt zu haben beansprucht, auch ohne Anschauung ohne Weiteres möglich, „weil die Kategorien im reinen Verstande unabhängig und vor aller Anschauung, lediglich als dem Vermögen zu denken, ihren Sitz und Ursprung haben, und sie immer nur ein Object überhaupt bedeuten, auf welche Art es uns auch immer gegeben werden mag“. Gleichwohl setzt jeder Gebrauch der Verstandesbegriffe, sofern er mit dem Anspruch auf notwendige Gültigkeit verbunden ist, den Nachweis ihrer objektiven Realität voraus, das heißt dass sie auf Objekte möglicher Anschauung beziehbar sein müssen.⁵⁸ Dasselbe muss auch für ihren praktischen Gebrauch gelten. Mit anderen Worten, damit die Vernunft überhaupt in der Lage ist, ein Objekt zu denken (zu erzeugen), bedarf sie der reinen Verstandesbegriffe. Sie kann sich deren aber nur bedienen unter der Voraussetzung, dass diese auch für sich genommen Bedeutung haben, dass mithin ihre objektive Realität geprüft wurde. Das ist in der Kritik der reinen Vernunft durch den Nachweis ihrer notwendigen Beziehung a priori auf reine Anschauung in der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe geschehen. Zum praktischen Gebrauch der Vernunft müssen also theoretische und praktische Vernunft zusammenwirken (kooperieren). Die Tafel der Freiheitskategorien ist, so betrachtet, auch ein Erzeugnis der praktischen und der theoretischen Vernunft. Der praktischen Vernunft obliegt es dabei, den Kategorien, „so fern sie auf jene Ideen angewandt werden sollen“, ein wirkliches Objekt zu geben. Sie sollen als „bloße Gedankenform“ „nicht leer“ bleiben, sondern Bedeutung haben, und die haben sie – behauptet Kant an dieser Stelle – durch dasjenige Objekt, welches die praktische Vernunft „im Begriffe des höchsten Guts“ darbietet. (Dies ist also wieder ein Gedankending, kein Objekt sinnlicher Anschauung.) Gleichzeitig soll auf diese Weise „die Realität der Begriffe, die zum Behuf der Möglichkeit des höchsten Guts gehören, hinreichend gesichert“ sein. Die „Begriffe“, um die es sich hier handelt, und die die Ermöglichungsbedingung der Realisierung des höchsten Guts sein sollen, können nur die Begriffe des Guten und Bösen, das ist die Kategorien der Freiheit, sein. Das höchste Gut ist das Objekt des Begehrungsvermögens, das eine Gefühlsund eine Vernunftkomponente enthält. Insofern die Freiheitskategorien dessen Möglichkeit ausdrücken, enthalten sie der Möglichkeit nach ein empirisches Mo-
Wie in Bezug auf ihre Funktion in der Kritik der reinen Vernunft durch die transzendentale Deduktion nachgewiesen wurde.
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ment, so dass Kants Rede von der „praktische[n] Vernunft überhaupt“ im Zuge der Präsentation der Tafel plausibel wird. Das erlaubt nämlich zugleich vorauszusetzen, dass die reine Kategorie nicht empirisch bedingt oder begrenzt ist.⁵⁹ Von allen praktischen Ideen sind die einzigen Prädikate, durch welche wir sie bestimmen, „Verstand und Wille“, „und zwar so im Verhältnisse gegeneinander betrachtet, als sie im moralischen Gesetze gedacht werden müssen“ (KpV, Ak. 5, S. 137). Von allen psychologischen Attributen wird abstrahiert. Das moralische (praktische) Gesetz bestimmt a priori das Verhältnis des Verstandes zum Willen.⁶⁰ Es gibt dem „Begriff“ (KpV, Ak. 5, S. 138) dieses Verhältnisses, das hinsichtlich des Praktischen die einzige Eigenschaft des Verstandes und des Willens ist, welche (nach Abzug der psychologischen Bestimmungen) übrig bleibt, objektive Realität. Diese Relation zwischen Verstand und Wille, die zugleich im moralischen Gesetz gedacht wird, scheint mir die der Kausalität zu sein. In der Tat hat Kant ja auch davon gesprochen, dass das moralische Gesetz die Kausalitätskategorie enthalte. ⁶¹ Der reine Wille ist die Ursache, die durch das, was der Verstand denkend erzeugt, bestimmt wird. Kausalitätsrelation im praktischen Gesetz bedeutet: Das Denken als bloße Form des Gesetzes ist Ursache und Grund der a priori Bestimmung des reinen Willens. Wie Kant an früherer Stelle erklärt, führt die Vernunft den Namen „reine praktische Vernunft“ insofern, als sie Bestimmungsgrund der Kausalität des Willens ist, seine Objekte ursächlich hervorzubringen und damit eine „Natur“ (KpV, Ak. 5, S. 44) zu schaffen, die dem Willen unterworfen ist. In diesem Zusammenhang wird die Aufgabe der reinen praktischen Vernunft erneut skizziert. Sie soll „unmittelbar ein Bestimmungsgrund des Willens, d. i. der Causalität des vernünftigen Wesens in Ansehung der Wirklichkeit der Objecte, (blos durch den Gedanken der Allgemeingültigkeit ihrer eigenen Maximen als Gesetzes) sein […]“ (KpV, Ak. 5, S. 44 f.). Die Kritik der praktischen Vernunft soll erklären, wie diese Willensbestimmung der Maxime möglich ist. Dazu ist keine sinnliche Anschauung erforderlich. Die Kritik soll ja nicht erklären, „wie die Objecte des Begehrungsvermögens möglich sind“ beziehungsweise „ob die Causalität des Willens zur Wirklichkeit der Objecte zulange, oder nicht“ (KpV, Ak. 5, S. 45). Das zu ergründen wäre eine empirische Aufgabe, die an die theoretische Vernunft zu stellen ist. Dass die reine Vernunft „praktisch“ ist, bedeutet dagegen, dass sie „unmittelbar willensbestimmend“ (KpV, Ak. 5, S. 46) ist. Der Begriff der Freiheit (als Gegen die These der empirischen Bedingtheit der Kategorien spricht außerdem KpV, Ak. , S. . Zum höchsten Gut als Objekt a priori des moralisch bestimmten Willens siehe KpV, Ak. , S. . Vgl. KpV, Ak. , S. . Siehe oben S. .
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Begriff des Daseins der reinen praktischen Gesetze in der intelligiblen Welt) wird den reinen praktischen Gesetzen anstelle sinnlicher Anschauung zugrunde gelegt. Die praktischen Gesetze sind „nur in Beziehung auf Freiheit des Willens möglich“ und werden unter deren Voraussetzung notwendig. Umgekehrt wird die Freiheit notwendig, „weil jene Gesetze als praktische Postulate nothwendig sind“. Die Exposition des obersten Grundsatzes der reinen praktischen Vernunft hat unter anderem gezeigt, „daß er gänzlich a priori und unabhängig von empirischen Principien für sich bestehe“. Das moralische Gesetz nun bedarf „selbst keiner rechtfertigenden Gründe“, keiner „Deduktion“, und beweist dennoch sogar die Wirklichkeit (nicht nur die Möglichkeit) der Freiheit, und zwar an solchen Wesen, „die dies Gesetz als für sie verbindend erkennen“ (KpV, Ak. 5, S. 47), also an Menschen.⁶² Denn das moralische Gesetz ist „ein Gesetz der Causalität durch Freiheit“ beziehungsweise ein „Gesetz der Causalität in einer intelligiblen Welt (durch Freiheit)“ (KpV, Ak. 5, S. 49) und damit zugleich der Möglichkeit einer übersinnlichen Natur.⁶³ Das heißt, die Freiheitskausalität drückt sich selbst im moralischen Gesetz aus; Freiheit ist sein Inhalt. Das moralische Gesetz bestimmt ein Gesetz der Kausalität, das zwar in der ersten Kritik negativ schon vorhanden war, zugleich aber noch unbestimmt gelassen werden musste.⁶⁴ In dieser dem moralischen Gesetz immanenten Relation (der bloßen Kausalität, die als Verstandesbegriff gedacht wird) bestimmt die reine Vernunft (als die Idee der Freiheit, als Grund oder Ursache) den reinen Willen (als Folge oder Wirkung).
10 „Kritische Beleuchtung“ des Systems der Freiheitskategorien⁶⁵ Wir können uns Kants „Kritische Beleuchtung“, die Thema am Ende der „Analytik der reinen praktischen Vernunft“ ist, gerade deshalb zunutze machen bei der Lösung des Interpretationsproblems hinsichtlich der Kategorien der Freiheit, weil die propagierte (antiempiristische, rationale) Betrachtungsweise aufgrund ihrer Bedeutung und Funktion beide Kategoriensysteme einem Vergleich unterzieht. Auf diese Weise erhalten wir indirekt konkrete Aufschlüsse über die Natur der Freiheitskategorien. Kant selbst hat in der „Einleitung“ zur Kritik der praktischen
D. h., das moralische Gesetz enthält den kategorischen Imperativ. Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. ebd. Siehe zu diesem Abschnitt auch die Darstellung von Brandt ().
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Vernunft auf die besondere Bedeutung dieses Textabschnitts für das Verständnis seiner Freiheitstheorie – wie oben bereits bemerkt – hingewiesen.⁶⁶ Die „kritische Beleuchtung einer Wissenschaft“ bedeutet für Kant „die Untersuchung und Rechtfertigung“, weshalb das System einer Wissenschaft die Eindeutigkeit ihrer „systematische[n] Form“ (KpV, Ak. 5, S. 89) besitzt (im Vergleich zu einem anderen System). Der Leser der zweiten Kritik kann also von der Anwendung dieser Methode Einsichten in die Notwendigkeit der Struktur der „Analytik“ und speziell auch des Aufbaus der Tafel der „Kategorien der Freiheit“ erwarten. Die Gegenüberstellung der Systeme der Kritik der praktischen und der spekulativen Vernunft setzt voraus, dass beide auf demselben Erkenntnisvermögen, nämlich der reinen Vernunft, beruhen. So wird sich ihr Unterschied mittels eines Vergleichs ermitteln lassen. Dabei haben wir bezüglich der Freiheitskategorien jedoch das besondere Problem, dass Kant sie in Beziehung zu setzen scheint zur praktischen Vernunft überhaupt, während auf der anderen Seite die Kategorientafel der ersten Kritik reine Verstandesbegriffe ordnet und vereint. Der spezifische Unterschied besteht aber zunächst nur darin, dass die praktische Vernunft nicht die Bedingung der Erkenntnis von Gegenständen im engeren Sinne untersucht, sondern ihr Gegenstand der Wille ist, welcher das Vermögen darstellt, die Gegenstände „wirklich zu machen“. Der Wille „ist“ eine Kausalität, „so fern Vernunft den Bestimmungsgrund derselben enthält“. Der Wille ist also bereits durch das moralische Gesetz bestimmt (der Wille als Objekt), aber als Subjekt der Kausalität bestimmt er mittels der Kategorien ein Objekt überhaupt;⁶⁷ das heißt, der Wille als solcher wird nicht erst durch die Freiheitskategorien bestimmt, sondern er bestimmt umgekehrt die Freiheit als Objekt der Kategorien. Der Begriff der Kausalität muss sich auf ein Gesetz beziehen.⁶⁸ Er enthält „jederzeit die Beziehung auf ein Gesetz […], welches die Existenz des Mannigfaltigen im Verhältnis zu einander bestimmt“. In Kants Beschreibung der Abfolge der einzelnen Lehrstücke der „Analytik“ der Kritik der praktischen Vernunft fällt auf, dass der Übergang von den Grundsätzen a priori zu den „Begriffen der Gegenstände einer praktischen Vernunft“ direkt von den Begriffen des „schlechthin Guten und Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 90) handelt, ohne dass die Kategorien überhaupt extra erwähnt werden – es sei denn, man versteht unter den Begriffen des Guten und Bösen eben, wie ich vorgeschlagen habe, die Kategorien der Freiheit, insofern sie sich unter dem Gesichtspunkt des Guten und Bösen unterscheiden. Die „Analytik der reinen praktischen Vernunft“
Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. ebd.
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hat diese Begriffe gemäß den Grundsätzen „allererst zu geben“. „Geben“ kann hier nichts anderes heißen, als sie auf der Folie der reinen Verstandesbegriffe aus der Kausalität des Willens zu folgern. Als Ergebnis der vergleichenden Betrachtung der beiden Analytiken⁶⁹ ergibt sich, dass die Analytik der reinen praktischen Vernunft mit der theoretischen „den ganzen Umfang aller Bedingungen ihres Gebrauchs, aber in umgekehrter Ordnung“ teilt. Auf diese Weise gibt es auch eine „Logik“ „der Grundsätze und Begriffe“, also eine Logik der „reinen praktischen Vernunft“. Wenn man diese letzte Aussage wörtlich nimmt, ist auszuschließen, dass Kant gemeint haben könnte, mit seinem Hinweis auf die „praktische Vernunft überhaupt“ (KpV, Ak. 5, S. 66) im Vorfeld der Präsentation der Tafel der Freiheitskategorien sollten zusätzlich noch empirische Bedingungen eine immanente Rolle spielen. Die Stoßrichtung der „Kritischen Beleuchtung“, aber auch die Gesamtanlage der „Analytik“ der Kritik der praktischen Vernunft schließt kategorisch aus, der Willensbestimmung ein zweites, und zwar empirisches, Fundament voranzustellen. Das moralische Gesetz ist für Vernunftwesen das oberste praktische Gesetz, und der Begriff der Freiheit der Kausalität des Willens und der des moralischen Gesetzes sind untrennbar miteinander verbunden. – Trotzdem kann (für uns Menschen) die Notwendigkeit desselben nicht eingesehen werden, einfach deswegen,weil die Möglichkeit der „Freiheit einer wirkenden Ursache“, „vornehmlich in der Sinnenwelt“ (KpV, Ak. 5, S. 94), nicht erkannt werden kann. Auf der anderen Seite aber „postulirt“ das moralische Gesetz diese Art von Kausalität und nötigt uns dazu, „sie anzunehmen“. Es kommt darauf an, die Freiheit als „transscendentales Prädicat der Causalität“ eines Wesens in der Sinnenwelt zu begreifen und nicht als ein Prädikat, das auf empirischen Prinzipien aufbaut. Im Unterschied zur Kausalität als Freiheit ist die als Naturnotwendigkeit, wie Kant insbesondere in der zweiten (und dritten) Analogie der Erfahrung in der Kritik
R. Brandt hat darauf hingewiesen, dass der Vergleich insofern nicht ganz korrekt ist, als Kant retrospektiv (in der Einleitung (vgl. KpV, Ak. , S. )) unter Abweichung von der Gliederung des Textes der ersten Kritik im Nachhinein die transzendentale Ästhetik in die Analytik des Verstandes integriere, so wie die zweite Kritik anscheinend die Lehre der Sinnlichkeit (des Gefühls) als Bestandteil der Analytik begreift (vgl. KpV, Ak. , S. ). Vgl. Brandt (), S. f. Meiner Ansicht nach ist es nicht zwingend, hier von einer Modifizierung der Struktur der ersten Kritik auszugehen. Da ja die transzendentale Ästhetik in Analogie zur transzendentalen Logik auch von einer Zerlegung in elementare Formen, nämlich der sinnlichen Anschauung in die Formen von Raum und Zeit als Prinzipien der Erkenntnis a priori, Gebrauch macht (und in diesem Sinne analytisch vorgeht), kann sich Kant berechtigt gesehen haben, sie unter diesem Aspekt mit der transzendentalen Logik als eine Analytik gedanklich zusammenzufassen. Der Titel „Analytik“ taucht insofern in der ersten Kritik gedanklich zwei Mal auf.
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der reinen Vernunft gezeigt hat, abhängig von der Zeitordnung. Sie betrifft die Existenz der Dinge, „so fern sie in der Zeit bestimmbar ist“. Umgekehrt darf die Freiheitskausalität nicht dieser Bedingung unterliegen, denn das wäre, wie die darauf folgenden Überlegungen Kants darlegen, ein Widerspruch der Freiheit in sich. Wir können daraus schließen, dass für keine der Kategorien innerhalb der Tafel der Freiheitsbegriffe eine empirische Bedingung angenommen und zugelassen werden darf. Denn würde eine solche Bedingung a priori geltend gemacht, dann könnte es sich bei diesen Kategorien nicht mehr um Bestimmungen des Freiheitsbegriffs handeln. Angesichts der Naturbedingtheit der menschlichen Existenz, insbesondere der Einordnung menschlicher Handlungen in das Verhältnis der Kausalität unter dem universalen Gesetz der Naturnotwendigkeit, welches nach Kant keine Ausnahme zulässt, bleibt zur Rettung der Freiheit nur ein einziger Weg offen, und zwar „das Dasein eines Dinges, so fern es in der Zeit bestimmbar ist, folglich auch die Causalität nach dem Gesetze der Naturnothwendigkeit blos der Erscheinung, die Freiheit aber eben demselben Wesen als Dinge an sich selbst beizulegen“ (KpV, Ak. 5, S. 95). Trotz dieser Auflösung, die die beiden entgegengesetzten Begriffe von Kausalität betrifft, bleibt für Kant eine Schwierigkeit „in der Anwendung“, das heißt in der Handlung, sofern man diese Begriffe in ein und derselben Handlung als vereinigt denken muss. Man kann diese Vereinigung nicht ohne Schwierigkeiten erklären. Denn Handlungen ereignen sich letztlich immer nur als Wirkungen in der Sinnenwelt (beziehungsweise in Beziehung auf dieselbe), auch dann, wenn ihre Ursachen aus Freiheit wirken und direkt auf die inneren Handlungen des Subjekts gerichtet sind. Um den vermeintlichen Widerspruch im Zusammentreffen von Naturnotwendigkeit und Freiheit in derselben Handlung aufzulösen, braucht sich das Subjekt der Handlung seiner selbst nur als Ding an sich, das heißt als ausgestattet mit unbedingter Freiheit und einem freien Willen, bewusst zu sein, das heißt sein eigenes Dasein als dem Wesen nach zeitunabhängig zu betrachten. Das Handlungssubjekt begreift sich insofern selbst als ausschließlich bestimmbar durch Gesetze, die es sich durch Vernunft selbst giebt, und in diesem seinem Dasein ist ihm nichts vorhergehend vor seiner Willensbestimmung, sondern jede Handlung und überhaupt jede dem innern Sinne gemäß wechselnde Bestimmung seines Daseins, selbst die ganze Reihenfolge seiner Existenz, als Sinnenwesen ist im Bewußtsein seiner intelligibelen Existenz nichts als Folge, niemals aber als Bestimmungsgrund seiner Causalität, als Noumens, anzusehen (KpV, Ak. 5, S. 97 f.).
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Das moralische Gesetz ist dabei das „Gesetz unserer intelligibelen Existenz“ (KpV, Ak. 5, S. 99), und die Vernunft erkennt in dieser Hinsicht keine zeitliche Bedingung an. Es gibt also selbst für das „Sinnenleben“ (die Empfindung) ein intelligibles Bewusstsein des Subjekts seines Daseins, das ist die Freiheit. Insofern ist es „absolute Einheit eines Phänomens“, das Erscheinungen im Verhältnis zum moralischen Gesetz enthält. Diese Einheit kann nicht nach Naturnotwendigkeit, sondern muss „nach der absoluten Spontaneität der Freiheit“ beurteilt werden. *** Im vorliegenden Aufsatz habe ich Argumente, die in der Textumgebung der Tafel der Freiheitskategorien mehr oder weniger zutage treten, vorgetragen, die die These von einem parallelen (beziehungsweise analogischen) Aufbau dieses Systems und seiner Herleitung im Verhältnis zur transzendentalen Logik der ersten Kritik im Rahmen der „Analytik“ entkräften sollen. Zugleich hatten sie die Aufgabe zu demonstrieren, dass die Kategorien der Freiheit keine Deduktion aus den logischen Urteilsfunktionen benötigen, insofern sie als Prädikabilien aus den Kategorien der Natur folgen. Die Grundgedanken, auf denen eine Rekonstruktion des Systems der Freiheitskategorien nach meiner Vorstellung beruhen muss, betreffen a) den Ausgangspunkt: Das moralische Gesetz ist die Idee der Kausalität aus Freiheit. Es ist zugleich ein Grundgesetz des reinen Denkens und der empirisch unbedingte Bestimmungsgrund der Kategorien; b) die Freiheitskategorien sind durch die Kausalität des freien Willens hervorgebracht und durch das moralische Gesetz a priori bestimmt; sie sind „modi“ der Kategorie der Kausalität, der sie inhärieren; c) die Kategorie der Kausalität ist ihre Substanz, von der ausgehend sich ihr Status und ihre Bedeutung erschließen lassen; d) ihr reiner Gegenstand, ihr Objekt, ist die Freiheit und des Weiteren die Möglichkeit guter beziehungsweise böser Handlungen; das Gute und Böse sind insofern, in ihrer primären Bedeutung, mögliche Verhältnisse a priori der Kategorien, ihre Begriffe sind selbst die Kategorien der Freiheit; die der Möglichkeit nach guten und bösen Handlungen münden zuletzt in Erscheinungen der Natur; e) die Tafel der Freiheitskategorien muss deshalb diejenige der Naturkategorien einschließen; die Kategorien sind Ausdrucksformen der freien Kausalität des Willens, welche die Bedingungen der Möglichkeit ihrer Wirkung in der Natur (in menschlichen Handlungen) a priori schon enthalten; f) im Verhältnis zur Kausalität aus Freiheit sind die Kategorien der Freiheit von den Naturkategorien abgeleitete Begriffe, sogenannte Prädikabilien; abgeleitet heißt: unter Absehung der reinen sinnlichen Anschauung sowie bestimmt und beschränkt durch das moralische Gesetz; g) den Freiheitskategorien
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liegen wie den Kategorien der Natur die logischen Urteilsfunktionen zugrunde; h) sie bedürfen daher keiner erneuten Deduktion.⁷⁰ Es war mir im Vorstehenden nur möglich, zum Status der Freiheitskategorien Stellung zu nehmen. Die Frage nach der Einteilung ihrer Tafel sowie nach der Bedeutung jeder einzelnen Kategorie musste dabei größtenteils ausgeklammert werden. Diese Fragen sind in den letzten Jahren ausführlich diskutiert worden. Die inzwischen vorliegenden Antworten genau zu überprüfen und den aktuellen Untersuchungen gerecht zu werden, machte eine umfangreichere Abhandlung nötig.
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Um den Hauptpunkt meiner Differenz zu der Interpretation von Zimmermann () noch einmal hervorzuheben: Aus der Urteilstafel müssen die Freiheitskategorien nicht mehr entwickelt werden, sondern folgen direkt aus der Tafel der Naturkategorien. Sie stellen auch keine konsistenten Bedingungen der Möglichkeit des „Wollens von Objekten“ (S. f.) dar – diese Funktion hat allein die Freiheitskausalität in Verbindung mit dem moralischen Gesetz –, sondern sind nur Ausdrucksweisen („modi“) unbedingter Kausalität (der Freiheit), vorausgesetzt natürlich, dass sich Kants Ausdruck „modi“ im relevanten Textabschnitt (vgl. KpV, Ak. , S. ) tatsächlich auf die Kategorien der Freiheit bezieht. Diese Auslegung ist umstritten. Vgl. Zimmermann (), S. .
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Zimmermann, Stephan (2011): Kants „Kategorien der Freiheit“, Kantstudien Ergänzungshefte Bd. 167, Berlin/Boston.
Stephan Zimmermann
Zu den Freiheitskategorien der Quantität, Qualität und Relation. Eine Selbstkorrektur Abstract. The paper deals with the „Table of the Categories of Freedom“. Revisiting my elucidations in Kants „Kategorien der Freiheit“ (2011), I attempt a self-correction with regards to my interpretation of the first three quadrants of the table. The question I want to pose anew concerns the meaning of the titles by which the categories are arranged, namely „quantity“, „quality“ and „relation“.What exactly is the specific task Kant allocates to each of these category classes? More so than I have done before, the peculiarity of the practical use of reason has to be taken into account which must, of course, also and especially be reflected in the categorical basic concepts involved in this use. As a consequence, the new reading which I develop raises a follow-up question once more, concerning the precise conceptual content of each category that has its place here. What is the respective meaning of the categories of quantity, quality and relation?
In der Forschungslandschaft zur Kant’schen Philosophie lassen sich nur noch wenige Areale ausmachen, die dünn besiedelt sind. Hierzu gehört zweifelsohne die Lehre von den „Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 66) und deren systematische Zusammenstellung in einer Tafel,wie sie sich in der Kritik der praktischen Vernunft am Ende des „Zweiten Hauptstückes“ findet. Kants leichthändige Versicherung, die Tafel sei „für sich verständlich genug“ und „nichts weiter zur Erläuterung“ (KpV, Ak. 5, S. 67) beizufügen nötig, hat schon früh bei etlichen Interpreten für Irritation und Ratlosigkeit gesorgt. Denn obwohl Kant tatsächlich nicht allzu viele Worte darüber verliert, bürdet er dem Kategorientableau doch wie beihin die nicht unbeträchtliche Aufgabe auf, „den ganzen Plan“ für „jede Frage der praktischen Philosophie, die zu beantworten, und zugleich die Ordnung, die zu befolgen ist“, vorzuzeichnen. Bei der Niederschrift dieser Zeilen wird Kant die zu diesem Zeitpunkt noch zur Ausarbeitung und Niederschrift anstehende Metaphysik der Sitten vor Augen gehabt haben. Man sollte jedenfalls meinen, die verheißungsvolle Aussicht auf so viel Orientierungshilfe habe die Kantianer und Kant-Gelehrten beflügelt, sich besonders eingehend mit den Freiheitskategorien und ihrer Systematik zu befassen. Auf lange Zeit hin ist indes das krasse Gegenteil der Fall gewesen.
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Das Glück gehabt zu haben, die erste, eigens den Kategorien der Freiheit gewidmete Untersuchung vom Umfang einer Monographie vorlegen zu können,¹ bedeutete für mich unter diesen Umständen freilich zugleich die nicht eben geringe Herausforderung, ein Sachgebiet von so großer Bedeutsamkeit und Tragweite, die im Rahmen der Kant’schen Philosophie allein schon die Verwendung des Ausdrucks ‚Kategorie‘ anzeigt, erstmals gründlich anzugehen und in seinen zentralen Aspekten auszuschreiten. Seitdem haben sich mir günstige Gelegenheiten geboten, meine diesbezüglichen Überlegungen in verschiedenen Seminaren, Vorträgen und Diskussionen vorzustellen und zu erproben, wofür ich unter anderem den Universitäten Mumbai (Indien) und Tilburg (Niederlande), der Chinesischen Universität Hongkong, der Universität Chicago (USA), der Pädagogischen Universität Peking (China) und der Landesuniversität von Campinas (Brasilien) sowie dem Deutschen Akademischen Austauschdienst für seine finanzielle Unterstützung zu Dank verpflichtet bin. Die interessierten und lebhaften Auseinandersetzungen haben mich in meiner prinzipiellen Auffassung über die Freiheitskategorien weitgehend bestärkt, aber auch geholfen, das eine oder andere mittlerweile deutlicher zu sehen als zuvor.² Der vorliegende Sammelband ist mir deswegen willkommener Anlass, um meine vormalige Meinung an einem wichtigen und in der Konsequenz vermutlich auch für das Verhältnis der Kategorientafel zur Gliederung der Metaphysik der Sitten folgenreichen Punkt zu überdenken, wobei letzteres hier nicht mein Thema sein wird.³ Ich will den Versuch einer Selbstkorrektur unternehmen, und das im Hinblick auf meine Auslegung der ersten drei Quadranten der Kategorientafel. Die Frage, welche ich erneut stellen möchte, ist die nach der Bedeutung jener Titel, unter denen die Kategorien dort angeordnet sind, als da wären „Quantität“, „Qualität“ und „Relation“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Was genau ist die spezifische Bestimmung, die Kant jeder dieser Kategorienklassen zumisst? Der neue Deutungsvorschlag, welchen ich zu diesem Problem entwickeln werde, wirft jedoch in der Folge auch die andere, daran anknüpfende Frage abermals auf, wie es denn um den genauen begrifflichen Gehalt jeder einzelnen Kategorie bestellt ist, die hier ihren Ort hat. Was ist der jeweilige Sinn der Quantitäts-, Qualitäts- und Relationskategorien? Darum soll es mir im Folgenden gehen. Zunächst werde ich die wichtigsten Grundzüge meiner Zugangsweise an die Thematik praktischer Kategorien zusammenfassen, soweit sie hier von Belang ist (1.). Danach ist jener vorbezeichnete Punkt auseinanderzusetzen, der mich Vgl. Zimmermann (). Auch möchte ich mich bei W. Euler und C. Graband für ihre sachlich vorgetragenen, bedenkenswerten Einwände bedanken. Vgl. Euler (); Graband (). Siehe dazu die bislang vorliegenden Monographien von Sänger () und Gregor ().
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letztlich bewogen hat, die Bedeutung einiger Kategorientitel sowie den begrifflichen Gehalt der entsprechenden Kategorien anders einzuschätzen (2.). Dabei geht es, um dies kurz vorwegzunehmen, um die Eigentümlichkeit des praktischen Gebrauchs der Vernunft, welche sich selbstverständlich auch und gerade in den kategorialen Grundbegriffen ebendieses Gebrauchs niederschlagen muss und für Kant tatsächlich niederschlägt. Anschließend sollen die betreffenden Kategorien der Reihe nach durchgegangen werden, wie sie in der Tafel auftreten, zuerst die Kategorien der Quantität (3.), dann die der Qualität (4.) und zuletzt die der Relation (5.).
1 Analogische Herangehensweise an die Freiheitskategorien Ich bin davon überzeugt, dass sich die Kategorienproblematik im Praktischen durch die Konfrontation mit der von Kant detaillierter ausgearbeiteten und auch in der Sekundärliteratur eingehender aufgearbeiteten Kategorienproblematik im Theoretischen aufschließen lässt, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Nicht nur, dass die sachlichen wie textlichen Kenntnisse auf dem einen Gebiet den Blick zuschärfen für Schwierigkeiten, die auch auf dem anderen anstehen und der Klärung bedürfen. Kant selber ist es, der vielfach nahelegt, dass zwischen der theoretischen und der praktischen Vernunft auch noch im Hinblick auf ihre jeweiligen kategorialen Grundbegriffe und deren Tafeln eine „Analogie“ (KpV, Ak. 5, S. 91) besteht. Für einen analogischen Zugang spricht bereits der kompositorische Umstand, dass die Kategorien von der entsprechenden Kritik innerhalb des jeweils „Zweiten Hauptstückes“ traktiert werden, und das heißt innerhalb einer Analytik der Begriffe. ⁴ Diese ist je durch eine Analytik der Grundsätze und eine Lehre der Sinnlichkeit, eine Ästhetik, eingerahmt – obgleich in umgekehrter Abfolge, was Kant unter Hinweis auf die Natur des jeweils zu kritisierenden Vernunftgebrauchs, des theoretischen oder praktischen, rechtfertigt.⁵ Vgl. KpV, Ak. , S. , ff. Vgl. KpV, Ak. , S. ff. Infolgedessen gehe ich sogar so weit, in dem Kategorienthema den heimlichen Kristallisationspunkt der Kritik der praktischen Vernunft zu sehen. Die Kategorientafel bildet nicht von ungefähr das kompositorische Herzstück der methodischen Einteilungen der „Analytik der reinen praktischen Vernunft“. Nicht nur im zweiten von insgesamt drei „Hauptstücken“ angesiedelt, steht sie auch innerhalb dieses Hauptstückes noch einmal in der Mitte zwischen der Auseinandersetzung mit den Begriffen des Guten und Bösen und der Beschäftigung mit der Typik der reinen praktischen Urteilskraft.
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Ferner hebt Kant in den wenigen Ausführungen, die er der Kategorientafel mit auf den Weg gibt, mehrfach auf die Ähnlichkeit zwischen den Freiheitskategorien und den „Kategorien der Natur“ ab, als die er jetzt die reinen Verstandesbegriffe rückwirkend bezeichnet. Nicht nur, dass er beide Begriffsarten unter demselben Namen führt, eben als „Kategorien“. Er apostrophiert die einen darüber hinaus als „praktische Begriffe“ (KpV, Ak. 5, S. 66), die anderen als „theoretische Begriffe“; die einen stellt er als die „Elementarbegriffe“ (KpV, Ak. 5, S. 65) der praktischen Vernunft den anderen als den „Stammbegriffe[n]“ (KrV, A 81/B 107)⁶ der theoretischen Vernunft, wie es in der ersten Kritik heißt, gegenüber. Des Weiteren setzt Kant beide Kategorientypen unter den Gesichtspunkten Synthesis, Mannigfaltigkeit und Einheit in eine Beziehung zueinander – drei jener Gesichtspunkte also, die ganz unbestreitbar zum Kernbestand der Kategoriendiskussion der Kritik der reinen Vernunft gehören und nun in die zweite Kritik übernommen werden. Denn die Aufgabe der Naturkategorien bestehe darin, wie Kant angibt, „das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen“, die der Freiheitskategorien hingegen, „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft, oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen“ (KpV, Ak. 5, S. 65). Was auch immer das näherhin heißen möchte, offensichtlich ist Kant hier um tunlichst parallele Formulierungen bemüht. Dementsprechend sind die Kategorien der Freiheit wie die der Natur wohl zu begreifen als grundlegende Formen der Einheit einer Synthesis von Mannigfaltigem. Und schließlich zeigen beide Kategorienregister, was schon der bloße Augenschein leicht erkennen lässt, denselben architektonischen Aufbau. Sie enthalten dieselbe Anzahl an Kategorien, dieselbe Einteilung unter vier „Titel“ mit jeweils drei „Momenten“, Gegensatzpaare im letzten Quadranten und die gleiche figürliche Anordnung eines auf der Spitze stehenden Quadrates.⁷ Der Grund für diese bemerkenswerten Gemeinsamkeiten zwischen den Kategorien der Freiheit und denen der Natur lässt sich gleich mehreren Textstellen der zweiten Kritik entnehmen, wenn es Kant dort auch nicht oder nicht explicite um die Kategorienthematik zu tun ist. Demnach liegt der besagte Grund in der Selbigkeit der Vernunft beschlossen: Es ist ein und dieselbe Vernunft, welche sich da theoretisch oder praktisch betätigt.⁸ Die Kritik der reinen Vernunft und die Kritik
Siehe ebenso KrV, B , . Die Termini „Titel“ (KrV, B , A /B , A /B , A /B , A /B ) und „Momente“ (KrV, A /B , A /B ) entstammen der ersten Kritik. In die zweite Kritik übernimmt Kant nur den ersteren. Vgl. KpV, Ak. , S. Anm. Vgl. GMS, Ak. , S. ; KpV, Ak. , S. , , , . Siehe dazu Paton (), S. f.
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der praktischen Vernunft beschäftigen sich lediglich mit einer anderen Tätigkeitsweise der einen menschlichen Vernunft. Und zwar hat erstere den theoretischen Gebrauch unseres Intellekts zum Gegenstand, letztere den praktischen Gebrauch desselben.⁹ Wodurch sich für Kant die Vernunft als solche auszeichnet, entwickelt er in der ersten Kritik. In derjenigen Textpassage, die er einmal als die „metaphysische Deduction“ (KrV, B 159) der reinen Verstandesbegriffe anspricht, entfaltet er als Ausgangspunkt für alles Weitere die dem menschlichen Intellekt wesenseigene und so allemal wieder anzutreffende Vollzugsweise. Indem zunächst nämlich noch von aller Referenz des Denkens aufs Objekt abgesehen und die Vernunft in ihrem usus logicus in den Blick genommen wird, wird das rationalitätstheoretische Fundament freigelegt, auf dem die Beschäftigung mit den Kategorien der theoretischen Vernunft aufruht und hinter das auch die Auseinandersetzung mit den Kategorien der praktischen Vernunft nicht zurückkann. Die Kritik der praktischen Vernunft setzt diese Auffassung vom Intellekt des Menschen voraus. Die maßgebliche Einsicht der transzendentalen Logik besteht dabei darin, dass unser Verstand von Begriffen „keinen andern Gebrauch machen [kann], als daß er dadurch urtheilt“ (KrV, A 68/B 93). Denken im weitesten Sinne ist Synthesis von Vorstellungen. Die Vernunft, als das Vermögen zu denken, vollzieht diese ihre Tätigkeit, indem sie urteilt: Denken heißt nach Kant urteilen. „Wir können […] alle Handlungen des Verstandes auf Urtheile zurückführen, so daß der Verstand überhaupt als ein Vermögen zu urtheilen vorgestellt werden kann.“ (KrV, A 69/ B 94)¹⁰ Das Urteil ist die einschlägige Leistung unseres Intellekts. Es gibt keine Operation der Vernunft, die nicht entweder selber eine Urteilshandlung ist oder an einer solchen mitwirkt. Was folglich Objekt des Denkens ist, das kann nur als Objekt eines Urteils sein. In ihm ist eine Sache mit einer anderen verbunden und verhält sich zu dieser. Gegenstand der Vernunft ist mithin ein Sachverhalt. Auf diesem Hintergrund entwickelt Kant sodann die Kategorien der Natur als die Formen theoretisch-objektiven Urteilens. Sie werden in der metaphysischen Deduktion aus der sogenannten Urteilstafel gewonnen, der Tafel, wie Kant schreibt, aller „logischen Function[en] des Verstandes in Urtheilen“. Akte des Urteilens erfolgen stets regelgeleitet. Die logischen Urteilsfunktionen sind die formalen Gesetzmäßigkeiten jedes Urteilsgeschehens: die Weisen, wie die Ver-
Kants Schriften ist die Rede von einem sog. Gebrauch des oberen Erkenntnisvermögens (usus intellectus) geläufig.Vgl. KrV, B XXV, , A /B , A /B , A /B , A /B , A / B ; KpV. Siehe dazu auch KrV, A /B ; Prol, Ak. , S. , ; V-Lo/Busolt, Ak. , S. f. Zur Begründung dieser Rückführungsthese siehe die ausführliche Erörterung bei Wolff (), S. ff. und ff.
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nunft überhaupt nur Vorstellungen im Urteil zu platzieren und aufeinander zu beziehen vermag. Die theoretischen Kategorien sind daher aufgrund ihrer metaphysischen Deduktion nichts anderes als ebendiese Funktionen, insofern sie nicht mehr logisch, sondern stattdessen nach dem usus realis der Vernunft betrachtet werden, in welchem sie Anwendung finden auf das „Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung“. Dadurch wird dieses Mannigfaltige zur Einheit eines Objekts der Erfahrung verknüpft. Die Kategorien machen sonach notwendige Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung von Sachverhalten aus, so jedenfalls lautet das Resultat ihrer anschließenden transzendentalen Deduktion.¹¹ Die zweite Kritik nun entwirft, so meine ich, die Freiheitskategorien in Entsprechung dazu. Ihr Verzeichnis besitzt denselben Ursprung, und dieser liegt nirgendwo anders als in der sogenannten Urteilstafel. Die Urteilstafel dient Kant als Fundament beider Kategoriensysteme, und sie erbt ihre eigene Gliederung an diese fort: die entsprechende Zahl an Begriffen, die Einteilung unter vier Titel mit jeweils drei Kategorien, Gegensatzpaare im letzten Quadranten sowie die figürliche Anordnung eines auf der Spitze stehenden Quadrates.¹² Der Tafel der „logischen Function[en] des Verstandes in Urtheilen“ kommt eine nicht zu überschätzende Bedeutung für die Tafel der Freiheitskategorien zu.Wie schon die Tafel der Naturkategorien muss sie aus jener mittels einer metaphysischen Deduktion rekonstruierbar sein, wenn Kant im Text auch nicht mit ausdrücklichen Worten davon spricht.¹³ In diesem Zusammenhang ist zu erinnern, dass Kant den Willen mehrmals mit der praktischen Vernunft gleichsetzt. ¹⁴ Er versteht ihn als ein durch Vernunft bestimmbares Begehrungsvermögen – die Bestimmungsgründe mögen dabei sein, welche sie wollen, ein empirisches Gefühl der Lust und Unlust oder der intelligible Gedanke transzendentaler Freiheit. Mithin ist der Wille Kant zufolge ein absichtliches, den tatsächlichen Ereignissen bewusst vorgreifendes Aussein auf etwas. Dadurch eignet ihm per se ein rationales Moment. In seinem Begriff sind der Intellekt und das Begehrungsvermögen des Menschen als Momente aufgehoben Vgl. KrV, B . Siehe neuerdings auch Puls (), S. ff. Und auch von einer transzendentalen Deduktion der Freiheitskategorien ist in der Kritik der praktischen Vernunft mit keinem Wort die Rede. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass für die Kategorien gelten muss, was Kant zufolge für alle apriorischen Begriffe gilt, dass wir uns ihrer nämlich nicht ohne eine Rechtfertigung ihrer Objektivität a priori bedienen können. Eine durch die Orientierung an der ersten Kritik belehrte, tiefenschärfere Lektüre des Texts fördert allerdings zutage, dass Kant sehr wohl eine transzendentale Deduktion im Blick hat, dass diese aber ohne größere Schwierigkeiten zu leisten ist und daher nur einer beiläufigen Erwähnung bedarf. Vgl. Zimmermann (), S. ff. Vgl. GMS, Ak. , S. , , ; KpV, Ak. , S. , ; MSRL, Ak. , S. , .
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(wie im Begriff der Erfahrung Intellekt und Anschauungsvermögen). Im Gegensatz zum Streben von Wesen, die nicht mit Rationalität begabt sind, ist der Wille ein „Begehrungsvermögen nach Begriffen“ (MSRL, Ak. 4, S. 213).¹⁵ Und Kant behält in der Kritik der praktischen Vernunft sein rationalitätstheoretisches Konzept bei (obgleich er dies nicht extra anmerkt), wonach die Vernunft insgesamt das Vermögen zu urteilen darstellt. Denn wenn jeder Fall von Denken ein Fall von Urteilen ist, muss das ja auch auf den praktischen Gebrauch des Intellekts zutreffen. Die praktische Vernunft ist in ihrem Kern desgleichen als Urteilsvermögen anzusehen: Eine Bestimmung des Willens, wie Kant sich auszudrücken pflegt, hat die Gestalt eines praktischen Urteils.¹⁶ Einen Gegenstand wollen ist nicht weniger eine „propositionale Einstellung“¹⁷ als einen solchen erfahren. Es ist in praktischen Urteilen, dass wir etwas wollen, wie sich in theoretischen Urteilen unsere Erfahrung vollzieht. Ein vernünftiges Subjekt bestimmt seinen Willen, indem es sich etwas als Objekt seines Begehrens denkt; und die Vernunft kann das nicht anders tun als dadurch, dass sie urteilt. Wiederum wirft dabei die diskursive Verfasstheit unseres Intellekts ihren Schatten voraus. Was überhaupt Objekt praktischer Vernunft ist, vermag dies nur als Gegenstand eines praktischen Urteils zu sein. Die Objekte unseres Wollens sind imgleichen als „‚propositional‘ strukturierte Sachverhalte“¹⁸ zu explizieren. Und die Vernunft, wenn sie sich praktisch ausübt und das Begehrungsvermögen auf ein Objekt festlegt, unterliegt dabei denselben formalen Gesetzmäßigkeiten wie in ihrer theoretischen Beschäftigung.¹⁹ Sofern durch die sogenannte Urteilstafel der menschliche Intellekt „gänzlich ausgemessen“ (KrV, A 79/B 105) ist, wie Kant meint, müssen die Identitäten jedwedes Denkgeschehens, welche diese auflistet, nicht minder in der praktischen Betätigung der Vernunft am Werk sein: Weil Kant den Willen als praktische Vernunft identifiziert, und weil sich gemäß seiner Auffassung von Vernunft diese immer nur nach Maßgabe ihrer Synthesisfunktionen ausübt, muss alle Willensbestimmung wesentlich im praktischen Gebrauch dieser Funktionen bestehen. Die Kategorien der Freiheit sind als
Vgl. GMS, Ak. , S. , ; KpV, Ak. , S. , , , ; KU, Ak. , S. , . „Praktische Grundsätze“, so Kant in §, „sind Sätze, welche eine allgemeine Bestimmung des Willens enthalten, die mehrere praktische Regeln unter sich hat.“ (KpV, Ak. , S. ) Wohl spricht Kant nicht von praktischen Sätzen überhaupt, sondern speziell von Grundsätzen. Jedoch verändert der inhaltliche Abstraktions- bzw. Konkretionsgrad eines praktischen Satzes nicht, was er ist, nämlich ein praktischer Satz. Das bedeutet, praktische Sätze enthalten qua talis eine Willensbestimmung. Willaschek (), S. . Ebd., S. . Vgl. Bendavid (), S. ff.; Pieper (), S. ; Schönrich (), S. .
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Formen praktisch-objektiven Urteilens klarzulegen. Sie sind ebendie Urteilsfunktionen der Vernunft, wenn anders diese in ihrem realen Gebrauch betrachtet werden, was aber jetzt bedeutet in ihrer Anwendung auf das, wie Kant, sagt, „Mannigfaltige der Begehrungen“. Durch sie wird dieses Mannigfaltige, also die vielen Momente, die den Inhalt – nicht einer Anschauung, sondern – einer Begehrung ausmachen, als in der Einheit eines Objekts des Willens verbunden vorgestellt. Mit anderen Worten stellen praktische Kategorien für Kant notwendige Bedingungen der Möglichkeit des Wollens von Sachverhalten dar.²⁰
2 Grenzen der Analogie: das Eigentümliche praktischer Kategorien So viel nur an Grundsätzlichem. Jede Analogie hat freilich ihre Grenzen, und so auch hier. Das ist schon daraus zu entnehmen, dass die Kategorien der Freiheit eine Art Hinsichtenunterscheidung zu kennen scheinen. Kant exponiert sie ja „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 66), was womöglich einen weiteren Aspekt verheißt, unter dem sie, sei es alle oder nur manche, dargestellt werden können. Überdies soll, wie Kant ankündigt, das Tableau der Freiheitskategorien sozusagen nicht aus einem Guss sein. Die Begriffe, welche es befasst, gingen „in ihrer Ordnung, von den moralisch noch unbestimmten, und sinnlich-bedingten, zu denen, die, sinnlich-unbedingt, blos durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fort“ und beträfen „die praktische Vernunft überhaupt“ (KpV, Ak. 5, S. 66); sie gingen über von denen der „praktischen Principien überhaupt zu denen der Sittlichkeit“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Beides hat aufseiten der Naturkategorien kein Pendant. Eine Differenz von Hinsichten, die in der Darstellung der Kategorien zum Tragen kommen können, sowie das Zusammenstehen von Kategorien verschiedener Art innerhalb einer einzigen Tafel findet sich dort nicht. Das ist offenbar der Eigenart praktischer Vernunft geschuldet, und zwar vermutlich derjenigen, dass diese eines doppelten, empirischen sowohl als auch reinen Gebrauchs fähig ist.
Kants Rede vom „Mannigfaltigen der Begehrungen“ ist auf dasjenige Mannigfaltige gemünzt, worauf die einzelne Begehrung je geht, die diversen Aspekte des Gegenstandes, der da begehrt wird – analog dem „Mannigfaltigen der (sinnlichen) Anschauung“, womit in der ersten Kritik der Gehalt einer Anschauung gemeint ist, die verschiedenen Facetten des je angeschauten Objekts. Anders Haas (), S. ; Bader (), S. ; Beck (), S. f.; Graband (), S. ; Pieper (), S. .
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In einem anderen Punkt jedoch habe ich die Analogie zwischen Natur- und Freiheitskategorien wohl überstrapaziert, habe diese zu sehr an jene angenähert und von da her interpretiert. Denn können, so steht im Zuge einer vergleichenden Lesart zu fragen, die Begriffe der Freiheit in ganz demselben Verständnis Kategorien sein wie die Begriffe der Natur? Begriffe a priori von der Gegenständlichkeit des Denkens? Macht sich nicht vielleicht die Besonderheit des praktischen Gebrauchs der Vernunft noch auf eine andere Weise in ihren kategorialen Grundbegriffen geltend? Kant selber sagt es ja, und das gilt es eingehender zu bedenken, als ich bisher unternommen habe, dass die Kategorien der Natur eine gewisse Vorrangstellung einnehmen gegenüber denen der Freiheit: dass die praktischen Kategorien die theoretischen voraussetzen. So liest man zunächst im Vorfeld der Kategorientafel: Da indessen die Handlungen […] doch auch, als Begebenheiten in der Sinnenwelt, zu den Erscheinungen gehören, so werden die Bestimmungen einer praktischen Vernunft nur in Beziehung auf die letztere, folglich zwar den Kategorien des Verstandes gemäß […] Statt haben können. [Herv. d. Verf.] (KpV, Ak. 5, S. 65)
Und direkt im Anschluss an die Tafel findet sich noch einmal eine ähnlich lautende Stelle: Man wird hier bald gewahr, daß, in dieser Tafel, die Freiheit […] in Ansehung der durch sie möglichen Handlungen, als Erscheinungen in der Sinnenwelt, betrachtet werde, folglich sich auf die Kategorien ihrer Naturmöglichkeit beziehe [Herv. d. Verf.] (KpV, Ak. 5, S. 67).
Allgemein gesprochen will Kant in diesen Passagen darauf aufmerksam machen, dass das menschliche Begehrungsvermögen keineswegs durch Beliebiges bestimmbar ist. Der Spielraum der Vernunft unterliegt in deren praktischer Betätigung vielmehr einigen Einschränkungen. Einmal sind das, von Kant hier nicht erwähnt und an dieser Stelle auch nicht weiter von Relevanz, Bedingungen der formalen Logik. Vermag doch unsere Vernunft den Willen nicht durch die Vorstellung von etwas festzulegen, das zu denken allein schon aus formal-logischen Gründen unmöglich ist. Indem es ein und derselbe Intellekt ist, der sich theoretisch oder praktisch ausübt, gelten die Gesetze der formalen Logik für die theoretische und praktische Vernunft gleichermaßen. Immerhin kann ich beispielsweise nicht beabsichtigen, ein rundes Quadrat zu zeichnen. Die formale Logik ist nicht bloß eine Voraussetzung der möglichen Erfahrung von Gegenständen, der „negative Probirstein der Wahrheit“ (KrV, A 60/B 84), wie es in der Kritik der reinen Vernunft heißt, sie ist geradeso eine des möglichen Wollens von Objekten, gleichsam der negative Probierstein für das, was man überhaupt nur intendieren kann.
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Kants Augenmerk liegt in den zitierten Textstellen allerdings auf etwas anderem. Denn die Vernunft ist in ihrem praktischen Gebrauch je schon einer zweiten Gruppe von Einschränkungen „gemäß“. Und diese sind keine Geringeren als die „Kategorien des Verstandes“. Damit etwas Gegenstand des Willens werden kann, muss es zusätzlichen Bedingungen genügen, und zwar den Kategorien seiner „Naturmöglichkeit“. Das bedeutet, auch die transzendentale Logik spielt in diesem Kontext eine Rolle: Der menschliche Intellekt vermag das Begehrungsvermögen nicht durch die Vorstellung eines solchen Objekts zu bestimmen, welches aus transzendental-logischen Gründen unmöglich ist. Gegen die Kategorien der Natur, das ist Kants Idee, findet keine Willensbildung statt.²¹ Der menschliche Wille kann allein auf solches gerichtet sein, was als Gegenstand der Erfahrung infrage kommt. Muss er doch seine jeweiligen Gehalte,wie Kant bemerkt, „als Erscheinungen in der Sinnenwelt“, und das heißt in Raum und Zeit, verwirklichen können. Objekt vernünftigen Begehrens kann darum nur sein, was den Charakter einer „Erscheinung“ in sensu transcendentali besitzt. Und das trifft wohlgemerkt auf sämtliche Gegenstände ohne Ausnahme zu, auf die des empirischen wie die des reinen Willens. Auch diejenigen „Handlungen“, die uns ein moralisches Gesetz auferlegt, müssen als „Begebenheiten in der Sinnenwelt“ ausführbar sein. Wenn Kant hier von Handlungen spricht, ist das in dem engeren Sinne zu nehmen, wie wir auch alltagssprachlich zu reden gewohnt sind: als eine Wirkung des menschlichen Willens in der äußeren Welt. Man handelt, wo man seine Absichten unter raumzeitlichen Umständen realisiert, etwa den Arm hebt oder sich mit jemandem unterhält.²² Und die Alternativen zu handeln sind uns jederzeit umgrenzt durch das, was als ein solches Ereignis möglich ist. Menschliche Praxis und Natur stehen für Kant in keiner ausschließenden Opposition. Die letztere bietet den Boden, auf welchem die erstere statthat: Kants Naturbegriff umfasst den gesamten Geschehensbereich unserer Praxis im weitesten Sinne, von der handwerklichen Kunstfertigkeit und den gelebten Sitten bis hin zu wahrhaft moralischen Entscheidungen und Handlungen.²³ Was also die notwendigen Er So auch Beck (), S. f.; Bobzien (), S. f.; Graband (), S. . Kants Begriff des Handelns ist eigentlich weiter. Die Kritik der reinen Vernunft erörtert ihn im Zusammenhang der Kausalkategorie als einen davon abgeleiteten reinen Verstandesbegriff, eine sog. Prädikabilie (vgl. KrV, A /B ). Er fällt mit dem Begriff des Bewirkens zusammen: Was einen Effekt hervorruft, tut dies, indem es handelt. So kann man mit Kant etwa auch von Handlungen des Willens sprechen. Vgl. Gerhardt (). Darüber lässt sich Kant expressis verbis in der „Einleitung“ zur Kritik der Urteilskraft aus. Danach sei der „Boden, auf welchem ihr Gebiet [der Philosophie; d. Verf.] errichtet, und ihre Gesetzgebung ausgeübt wird, […] immer doch nur der Inbegriff der Gegenstände aller möglichen Erfahrung, sofern sie für nichts mehr als bloße Erscheinungen genommen werden“ (KU, Ak. , S. ).
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möglichungsbedingungen des Wollens von Objekten erfüllt, die „Bestimmungen“ beziehungsweise Kategorien der praktischen Vernunft, erfüllt ipso facto auch die notwendigen Ermöglichungsbedingungen der Erfahrung von Gegenständen, sprich die Kategorien der theoretischen Vernunft.²⁴ Daraus aber folgt bei sorgfältigem Zusehen mehrerlei. Nicht nur, warum man in der Kritik der praktischen Vernunft im Anschluss an die praktischen Kategorien kein System von Prinzipien antrifft, in denen sich die Struktur des Objekts der praktischen Vernunft entfaltet. Nimmt Kant in dieser Angelegenheit auch nicht ausdrücklich Stellung, so kann es ein derartiges Analogon zum „System aller Grundsätze des reinen Verstandes“ (KrV, A 148/B 187), in welchen die theoretischen Kategorien zu einer Erkenntnis a priori von Erscheinungen überhaupt gebraucht werden und die ausbuchstabieren, wie die Welt notwendig verfasst ist, die uns im Horizont unseres Erfahrungslebens begegnen kann, doch nicht geben. Denn wenn etwas allein unter der Voraussetzung Gegenstand des Willens zu sein vermag, dass es bereits als Objekt der theoretischen Vernunft und damit als Erscheinung begründet ist, dann ist es durch diejenigen Grundsätze schon vollständig bestimmt, denen jenes untersteht: als extensive Größe, mit einer intensiven Größe, durch das Verhältnis von Substanz und Akzidenz etc. Während also die Kategorien der Natur, wie Kants berühmte Formulierung geht, nicht nur „Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt“, sondern „zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung“ (KrV, A 158/B 197) sind, trifft etwas Ähnliches auf die Freiheitskategorien nicht zu. Sie sind die Einheits- und Ordnungsgesichtspunkte unseres Wollens, nicht aber auch die Einheits- und Ordnungsgesichtspunkte des Gewollten.²⁵ Und mehr noch. Es lässt sich daraus außerdem ersehen, dass es nicht genügt, mit Kant den Unterschied von theoretischer und praktischer Vernunft lediglich als eine Differenz im Objektbezug unseres Intellekts anzusetzen. In der „Vorrede“ zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft bemerkt Kant, dass sich die Vernunft auf „zweierlei Art auf ihren Gegenstand“ (KrV B IX) beziehen kann. Entweder ist ihr ein Objekt „anderweitig gegeben“; als theoretische geht die Vernunft auf solche Gegenstände, die ihr durch die sinnliche Anschauung dargeboten werden. Oder das Objekt wird durch die Vernunft selbst „wirklich“ (KrV B X) gemacht; als praktische hat sie es mit Gegenständen zu tun, die durch Ausübung des Willens
Es sei betont, dass hier nicht von in der äußeren Welt ausgeführten Handlungen die Rede ist. Auch schon diejenigen, welche ich nur beabsichtige, haben als solche den Charakter von Erscheinungen und sind in der äußeren Welt ausführbar. Vgl. Kontos (), S. f. Dass es doch einer derartigen Tafel praktischer Grundsätze bedarf, behaupten Beck (), S. ff.; Bobzien (), S. .
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hervorgebracht werden können.²⁶ Diese Verschiedenheit des Vernunftgebrauchs verleiht selbstverständlich den entsprechenden Kategorien ein eigentümliches Gepräge. Während man sich die Kategorien der Natur als Begriffe klarmachen muss, durch welche die Vernunft Objekte denkt, die ihr qua sinnlicher Anschauung gegeben werden, sind die Kategorien der Freiheit demgegenüber vorzustellen als Begriffe, durch die Gegenstände gedacht werden, welche die Vernunft qua Begehrungsvermögen selber zum Dasein zu bringen vermag. Doch muss man hier feiner aufschlüsseln, und darauf kommt es uns an, was genau dies heißen mag, Objekte dergestalt zu denken, dass sie hernach verwirklicht werden können. Aus dem Primat der Natur- vor den Freiheitskategorien lässt sich dafür und für die Kategorien der Freiheit selbst etwas abnehmen. Wohl ist es richtig, dass diese auch Gegenstandsbedeutung haben. Nicht umsonst verhandelt Kant die Kategorien (zusammen mit den Begriffen des Guten und Bösen) in einem Kapitel, das die Überschrift trägt „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 57). Wie den Kategorien der Natur kommt ihnen objektive Realität zu, insofern sie nämlich vorgeben, wie etwas als Objekt des Willens konstituiert werden kann. Allein, dies geschieht doch auf andere Weise als die Konstitution eines Gegenstands der Erfahrung. Hier liegt in der Tat ein gewichtiger Unterschied zwischen der theoretischen und der praktischen Vernunft, den es dringend zu beachten gilt. Denn das Material, worauf die Synthesisfunktionen des Denkens Anwendung finden, dasjenige also, was durch sie synthetisiert wird, ist doch jeweils etwas durchaus anderes. Die eine nämlich verknüpft mehrere Erscheinungen in Raum und Zeit miteinander, wir hatten gesagt zu einem Sachverhalt; und die theoretischen Kategorien geben dieser Verknüpfung ihre Ordnung und Form. Das Subjekt der Erfahrung kommt dabei gar nicht in den Blick. Die andere hingegen tut ebendies, sie bezieht einen solchen raumzeitlichen Sachverhalt, der eine etwaige Handlung des betreffenden Akteurs ist, auf das einfache, mit sich identische Selbst und dessen Begehrungsvermögen. Und es ist diese Beziehung auf das Subjekt des Willens, welche die praktischen Kategorien ordnen und formen.²⁷
„Als praktische Vernunft wird diejenige bestimmt, die als Ursache für ein Ins-Dasein-Rufen, zur Existenz-bringen in Frage kommt.“ Kaulbach (), S. . In einer Fußnote der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten vermerkt Kant: „Ich verknüpfe mit dem Willen ohne vorausgesetzte Bedingung aus irgend einer Neigung die That a priori, mithin nothwendig […]. Dieses ist also ein praktischer Satz, der das Wollen einer Handlung nicht aus einem anderen, schon vorausgesetzten analytisch ableitet […], sondern mit dem Begriffe des Willens eines vernünftigen Wesens unmittelbar als etwas, das in ihm nicht enthalten ist, verknüpft. [Herv. d. Verf.]“ (GMS, Ak. , S. Anm.) Das ist zwar eigens im Hinblick auf „kategorische Imperativ[e]“ als „synthetisch-praktische“ Sätze gesprochen, gilt aber ebenso sehr für „hypothetische Impe-
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Was Kant in der ersten Kritik über das Denken im Allgemeinen ausführt, gilt grundsätzlich ebenso für das praktische Denken, welches in der zweiten Kritik Thema ist. Demnach hängt alles Denken überhaupt an jenem „höchste[n] Punkt“, „an dem man allen Verstandesgebrauch […] heften muß“ (KrV, B 134 Anm.). Dieser Punkt ist die ursprünglich-synthetische Einheit der transzendentalen Apperzeption. Nicht nur in seiner theoretischen, auch in seiner praktischen Betätigung hat der menschliche Intellekt den unvordenklichen Einheitspol seiner Beziehungsleistungen in der Vorstellung des Ich, welches da denkt. Man wird deswegen zwischen einem theoretischen und einem praktischen Selbstbewusstsein unterscheiden müssen, das aber doch immer ein und dasselbe Selbstbewusstsein ist, in dem sich das menschliche Denken nur seiner unterschiedlichen Ausübungsweisen vergewissert.²⁸ Allerdings schließen praktische Urteile anders als theoretische anscheinend bereits Selbstbewusstsein mit ein. Wenn ein vernünftiges Subjekt die Erfahrung eines Gegenstandes macht, muss es sich dieser Erfahrung nicht schon als seiner Erfahrung bewusst sein; gefordert ist bloß, dass es sich dessen bewusst werden können muss.²⁹ Anders, wenn ein Subjekt seinen Willen zu einem Objekt bestimmt. Während ich beim erfahrungsmäßigen Aufnehmen vorgegebener Objekte zunächst und zumeist selbstvergessen an diese hingegeben bin, ist das bei der willensmäßigen Selbstfestlegung auf Gegenstände von vornherein unmöglich. Hier braucht es keinen darüber hinausgehenden apperzeptiven Zusatzakt, um sich allererst darauf zurückzubesinnen.Vielmehr handelt es sich von Grund auf um ein reflexives Bewusstsein, wo ich mich aus mir selbst heraus – sei dies auf der Basis eines empirischen Gefühls der Lust und Unlust oder des intelligiblen Gedankens transzendentaler Freiheit – zu einer Handlung bestimme. Ist es doch eben mein Wille, den ich da auf das und das festlege, um dieses, was ich je intendiere, in der Folge wirklich zu machen und entsprechend zu handeln. Wenn es aber tatsächlich ein Verhältnis zwischen dem Subjekt und dem Gegenstand des Wollens ist, welches die Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch herstellt, dann muss sich diese Eigentümlichkeit ihres Gebrauchs gleichfalls in den Kategorien reflektieren, welche diesen Gebrauch regeln. Die Kategorien der Freiheit sind sehr wohl Begriffe a priori von der Objektivität des Denkens wie die Naturkategorien auch, nur, dass Objekt des praktischen Denkens zu sein eben
rativ[e]“ (GMS, Ak. , S. ), die Kant als „analytisch“ kennzeichnet, mithin praktische Urteile überhaupt, dass sie nämlich eine Verknüpfung zwischen dem „Willen eines vernünftigen Wesens“ und einer „That“ enthalten. Zum praktischen Selbstbewusstsein siehe Allison (), S. ; Haas (), S. ; Stolzenberg (), S. ff. Siehe dazu den berühmten § der Kritik der reinen Vernunft. Vgl. KrV, B f.
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nicht dasselbe bedeutet wie Objekt des theoretischen Denkens zu sein. Und so muss sich das Charakteristische der Betätigung praktischer Vernunft folgerichtig zum einen in der Bedeutung jener Titel ausprägen, unter denen Kant die Freiheitskategorien gruppiert, und zum anderen im Begriffsgehalt der einschlägigen Kategorien selber, welche hier eingruppiert sind. Dies ist nun zu sehen. Ich beschränke mich dabei allerdings auf die Titel der ersten drei Quadranten, das heißt der „Quantität“, „Qualität“ und „Relation“, und damit den Begriffsgehalt der Quantitäts-, Qualitäts- und Relationskategorien. Ich kann mich darauf beschränken, weil die vorstehenden Überlegungen meine bisherige Auffassung von der Rolle dieser Kategorien berichtigen, aber keine Auswirkungen haben, soweit ich sehe, auf meine Ausdeutung des vierten und letzten Quadranten, also auf den Titel der „Modalität“ und somit den begrifflichen Gehalt der Modalkategorien.³⁰
3 Die Kategorien der Quantität Kant leitet die drei Quantitätskategorien von den dahinter stehenden Urteilsfunktionen ab. Werfen wir deshalb zunächst einen Blick in die Kritik der reinen Vernunft. Der erste Quadrant der sogenannten Urteilstafel ist überschrieben mit „Quantität der Urtheile“ (KrV, A 70/B 95); Kant spricht gleichbedeutend auch von deren „Größe“.³¹ Unter diesem Titel sind nacheinander die drei Momente aufgelistet „Allgemeine“, „Besondere“ und „Einzelne“. Dementsprechend ist ein Urteil in quantitativer Hinsicht entweder ein allgemeines (iudicium communium),³² ein besonderes (iudicium plurativum)³³ oder ein einzelnes (iudicium singulare).³⁴ Bei jeder Synthesis von Vorstellungen muss unter anderem der Umfang der synthetisierten Vorstellungen festgelegt werden, die Größe dessen, wie Kant schreibt, „was unter dem Begriff des Subjects enthalten ist“ (KrV, A 71/B 96). Wie viele Elemente der Menge betrifft, was da im Urteil gedacht wird? Kant zufolge schränkt der Intellekt den jeweiligen Extensionsbereich entweder nicht ein, oder er schränkt ihn ein, und das auf einige oder auf ein einziges Element.³⁵ Um das durch ein Beispiel mit den Begriffen Mensch und sterblich zu illustrieren, so können diese auf drei Weisen miteinander verknüpft sein. Man kann mittels ihrer entweder
Siehe dafür Zimmermann (), S. ff. Siehe ebenso KrV, A /B , A /B , A /B . Vgl. KrV, A /B . Vgl. Prol, Ak. , S. . Vgl. KrV, A /B . Vgl. Brandt (), S. ; Wolff (), S. f.
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formulieren ‚Alle Menschen sind sterblich‘ oder ‚Manche Menschen sind sterblich‘ oder schließlich ‚Dieser Mensch ist sterblich‘.³⁶ In der Folge müssen auch die quantitativen Freiheitskategorien, da sie auf diesen Funktionen beruhen, ihre Leistung darin finden, das in einem Urteil Vorgestellte zu quantifizieren. Ein solches Urteil ist nun aber ein praktisches, eines mithin, das eine Bestimmung des Willens enthält. Doch welche sind diese Kategorien? Ohne Weiteres lässt sich das gar nicht sagen. Anstatt eindeutige Begriffe, wie aus der Kritik der reinen Vernunft gewohnt, gibt Kant dem Leser wortreiche Formulierungen an die Hand, die sich noch dazu durch qualifizierende Adjektive voneinander abheben und um Nachträge in Klammern ergänzt sind. Man kann sich hier indes leicht behelfen. Denn obschon Kant die Kategorientafel nahezu unkommentiert belässt, bildet die Klasse der Quantitätskategorien eine erfreuliche Ausnahme. Im Anschluss an die Tafel, im allerletzten Absatz des Kapitels, lesen wir: So weiß man z. B. aus obiger Tafel und der ersten Nummer derselben sogleich, wovon man in praktischen Erwägungen anfangen müsse: von den Maximen, die jeder auf seine Neigung gründet, den Vorschriften, die für eine Gattung vernünftiger Wesen, so fern sie in gewissen Neigungen übereinkommen, gelten, und endlich dem Gesetze, welches für alle, unangesehen ihrer Neigungen, gilt u.s.w. (KpV, Ak. 5, S. 67)
Da Kant ausschließlich die Worte „Maxime“, „Vorschrift“ und „Gesetz“ verwendet, haben wir guten Grund anzunehmen, dass es sich dabei um die eigentlichen Quantitätskategorien handelt und alles Übrige nur erläuternde Paraphrase darstellt. Das macht auch insofern Sinn, als der Leser diese Ausdrücke bereits aus der Kritik der reinen Vernunft kennt, spätestens seit der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten sind sie ihm wohlvertraut; und es sind ebendieselben Theorievokabeln, mit denen auch die Kritik der praktischen Vernunft von Beginn an operiert und später noch die Metaphysik der Sitten. Solcher überwältigenden Textevidenz folgend nehme ich daher an, dass die Kategorien der Quantität namentlich anzugeben sind als: Maxime, Vorschrift, Gesetz. ³⁷ Indem Kant sie in der Kategorientafel verortet, gibt er – das ist das Neue – deren kategorialen Rang zu erkennen. Die
So auch das Beispiel in § des von G. B. Jäsche besorgten Handbuchs zu Kants Logikvorlesungen. Vgl. Log, Ak. , S. . Eine „Vorschrift“ ist hier wie sonst in Kants Ausdrucksweise ein hypothetischer Imperativ. Vgl. KpV, Ak. , S. , , , ; MSRL, Ak. , S. .
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Begriffe Maxime, Vorschrift und Gesetz entdecken sich jetzt als Kategorien der praktischen Vernunft.³⁸ Doch warum führt sie die Tafel im Plural an? Als „Maximen“, „Vorschriften“ und „Gesetze“ (KpV, Ak. 5, S. 66)? Dieser Merkwürdigkeit kann man sich desgleichen recht einfach entledigen, indem man nämlich davon ausgeht, dass die Quantitätskategorien nicht selber Maximen, Vorschriften oder Gesetze sind, sondern dass sie deren jeweiliger Bildung zugrunde liegen: Sie sind diejenigen Begriffe, welche die Ausbildung von Maximen, Vorschriften und Gesetzen ein ums andere Mal einheitlich regeln. Die Kategorien der Quantität selbst existieren so nur in der Einzahl. Es gibt je eine Kategorie für die vielen unterschiedlichen Maximen, eine für die Vorschriften und eine für die Gesetze des menschlichen Willens. Die Frage, auf welche die Kategorien der Quantität die dem Menschen grundsätzlich verfügbaren Antwortmöglichkeiten abstecken, lautet dabei: Wie viele wollen dieses oder jenes? Wer ist „unter dem Begriff des Subjects enthalten“? Bin ich allein mit dem, was ich da begehre, oder kann ich die Absichten, mit denen ich mich trage, und die Zwecke, die ich verfolge, über die Grenzen meines eigenen Willens hinaus erweitern und auch anderen ansinnen? Und wenn ja, wem? Bloß manchen oder sogar allen? Während Maximen eine nicht auf andere Personen ausdehnbare Willensbestimmung artikulieren und nur ein einziges Subjekt angehen („jeder auf seine Neigung gründet“), ist dies bei Vorschriften und Gesetzen anders. Sie können von einigen („so fern sie in gewissen Neigungen übereinkommen“) beziehungsweise von jedem („alle, unangesehen ihrer Neigungen“) endlichen Vernunftwesen Anerkennung reklamieren. Ein Beispiel soll das illustrieren: ‚Ich will rechtschaffen sein‘, ‚Einige wollen rechtschaffen sein‘ oder ‚Alle wollen rechtschaffen sein‘.³⁹ Kant wiederholt hiermit die Worterklärungen, die er schon in §1 gegeben hat. Demnach enthalten Maximen solche „Bestimmungen des Willens“, wie er dort schreibt, deren „Bedingung nur als für den Willen des Subjects gültig von ihm angesehen wird“ (KpV, Ak. 5, S. 18). Gesetze hingegen beinhalten eine Willensbestimmung, deren Bestimmungsgrund „für den Willen jedes vernünftigen Wesens gültig, erkannt wird“. Und dazwischen rangieren Vorschriften. Sie hängen, wie Kant in der „Anmerkung“ zu diesem Paragraphen ausführt, einerseits wie Maximen „von pathologischen, mithin dem Willen zufällig anklebenden Bedingungen“ ab, die man als solche „nicht in allen Subjecten in gleichem Grade Außer in der zweiten Kritik hat Kant nirgendwo sonst die Begriffe Maxime, Vorschrift und Gesetz zu Kategorien der Freiheit erklärt. Er hat diese Einschätzung meines Wissens zu keinem Zeitpunkt wiederholt. Vgl. Simon (), S. ; Graband (), S. ff.; Bader (), S. ; Bobzien (), S. ; Kobusch (), S. ; Pieper (), S. ; Mellin (), S. ff.
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voraussetzen“ (KpV, Ak. 5, S. 20) kann. Anders aber als Maximen empfehlen Vorschriften eine Handlung als nützliches Mittel zur Verwirklichung eines ersehnten Zwecks, so dass sie für all diejenigen Subjekte Gültigkeit haben, welche den gleichen Zweck zu erreichen suchen. Beide Textpassagen gehen darin konform, dass sie den Unterschied zwischen Maximen, Vorschriften und Gesetzen vom jeweiligen Bestimmungsgrund des Willens her erläutern. Maximen „gründet“ jeder auf seine jeweilige Neigung; eine Maxime beruht unmittelbar auf einem empirischen Gefühl der Lust oder Unlust, und das ist gerade nicht bei allen Menschen das gleiche und wandelt sich sogar im Laufe eines Lebens. Eine Vorschrift hat zwar in letzter Instanz dieselbe Art Voraussetzung, das jedoch nur indirekt. Was sich hier zwischenschaltet, ist das unseren Vorteil maximierende und Schaden minimierende Klugheitsdenken, welches erlaubt, nahen und weiter entfernten Zielen unter Berücksichtigung bisheriger Erfahrungen so umsichtig wie möglich nachzugehen. So handelt es sich zuletzt ebenfalls um „dem Willen zufällig anklebende Bedingungen“, doch sprechen sich in Vorschriften Möglichkeiten strategischen Vorgehens aus, die zumindest für all jene Personen dieselben sind, die „in gewissen Neigungen übereinkommen“. Ganz anders Gesetze.⁴⁰ Diese haben stattdessen eine solche „Bedingung“, die in der reinen Vernunft beschlossen liegt, und das ist die intelligible Idee transzendentaler Freiheit. Indem Gesetze auf ein Ordnungsprinzip reiner Vernunftsubjektivität zurückgehen, sind sie für „alle“ vernünftigen Wesen als solche bindend. Halten wir fest: Erstens ist es Kant zufolge die Bedeutung des Kategorientitels der Quantität, auf das Subjekt der praktischen Vernunft gemünzt zu sein. Praktische Urteile weisen eine unterschiedliche Reichweite auf, und die Freiheitskategorien, die im ersten Quadranten versammelt sind, bemessen die Menge derer, die ein bestimmtes Objekt begehren. Zweitens besteht der Sinn dieser Kategorien darin, dass die erste Kategorie die Funktion für einzelne praktische Urteile, die zweite die für besondere und die dritte die für allgemeine praktische Urteile ausmacht. Der begriffliche Gehalt des kategorialen Grundbegriffs der Maxime ist, auf ein Willenssubjekt eingeschränkt zu sein, der Vorschrift, für viele zu gelten, und des Gesetzes, uneingeschränkt für alle verbindlich zu sein.⁴¹ Drittens schließlich
Diese nennt Kant auch kategorische Imperative Vgl. GMS, Ak. , S. ; KpV, Ak. , S. ; MSRL, Ak. , S. . Die Kritik der praktischen Vernunft bietet in diesem Punkt denselben eigenartigen Anblick wie schon die Kritik der reinen Vernunft. Denn Kant entwickelt die Quantitätskategorien der Freiheit und die der Natur als einzige in entgegengesetztem Fortgang aus den Urteilsfunktionen; erwartete man doch von der sog. Urteilstafel herkommend die Kategorie der Maxime an dritter Stelle und die des Gesetzes an erster Stelle. In den Prolegomena erklärt Kant mit Blick auf das Tableau der
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scheint hier ein Übergang stattzufinden, wie Kant ihn angemeldet hat, „von den moralisch noch unbestimmten, und sinnlich-bedingten“ Kategorien, zu einer, „die, sinnlich-unbedingt, blos durchs moralische Gesetz bestimmt“ ist. Die ersten beiden Kategorien, die für Maximen und Vorschriften, sind Kategorien des empirischen, die letzte Kategorie aber, die für Gesetze, eine Kategorie des reinen Willens.
4 Die Kategorien der Qualität Auch die Qualitätskategorien dehnt Kant, anstatt mit markanten Begriffen aufzuwarten, aus zu aus mehreren Bestandteilen sich zusammensetzenden Formulierungen. An erster Stelle notiert er „Praktische Regeln des Begehens“, an zweiter „Praktische Regeln des Unterlassens“ und an dritter „Praktische Regeln der Ausnahmen“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Und Kant schiebt lateinische Zusätze in Klammer hinterher, namentlich „praeceptivae“, „prohibitivae“ und „exceptivae“. Diese Adjektive, der Schulmetaphysik entlehnt, sollen allerdings offenbar lediglich dazu dienen, durch Anknüpfung des Neuen an Bekanntes dem insbesondere in Sachen Naturrecht kundigen Leser das Verständnis der Kategorien zu erleichtern.⁴² Wie lauten nun die in Rede stehenden Kategorien? Ohne Zweifel sind die Ausdrücke „Begehen“, „Unterlassen“ und „Ausnahme“ fest in der lebendigen Praxis der deutschen Gemeinsprache verankert. Indem Kant ihnen den Rang von Kategorien verleiht, misst er ihnen jedoch eine über das alltägliche Sprachverständnis hinausgehende fundamentale Rolle für seine praktische Philosophie zu. Zwar hat er sie nur ein einziges Mal als kategoriale Grundbegriffe apostrophiert, nämlich hier in der Kategorientafel. Allerdings zeichnet sich dieser Zug ins Prinzipielle bereits darin ab, dass Kant nicht selten die Entgegensetzung von Begehen und Unterlassen bemüht, wenn es darum geht auszudrücken, worauf sich die Absicht eines handelnden Wesens richtet. Danach tut man entweder etwas, indem man handelt, oder man lässt es.⁴³ Und das gilt geradeso für dasjenige,
Naturkategorien, diese Umstellung sei „nöthig, wenn die logische Momente den reinen Verstandesbegriffen untergelegt werden sollen; im logischen Gebrauche kann man es beim Alten lassen.“ (Prol, Ak. , S. Anm.) Warum das nötig ist, lässt Kant jedoch im Dunkeln. So auch, warum es in dem Tableau der Freiheitskategorien ebenfalls zu einer solchen Umstellung kommen muss. Siehe etwa Baumgarten (), §§ f., S. f. und Wolff (), §, S. f. Siehe etwa NG, Ak. , S. ff; KrV, A /B ; GMS, Ak. , S. , ; ZeF, Ak. , S. ; MSRL, Ak. , S. , .
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was Pflicht gebietet. Diese trägt uns auf, etwas zu tun oder zu lassen.⁴⁴ Anders im Fall der Ausnahme. Wie Kant normalerweise davon redet, lässt ihren grundlegenden Stellenwert für den Bereich des Praktischen nicht erahnen. Was sich häufig findet, sind allein Wendungen der Art, dass die Verbindlichkeit eines praktischen Gesetzes keine Ausnahme verstatte.⁴⁵ Sicher ist nur, dass der Begriff der Ausnahme kaum im Sinne von Erlaubnis zu verstehen ist; immerhin stellt der Begriff der Erlaubnis selber eine Kategorie der Freiheit dar. Er wird von Kant innerhalb des Kategorientableaus aufgeführt, und zwar im letzten Quadranten: „Das Erlaubte“. Beide Begriffe werden deswegen keinesfalls unterschiedslos dasselbe bedeuten können.⁴⁶ Ich vermute, dass dieser Knoten wie schon der zuvor aufzulösen ist. Das heißt zunächst, dass die Kategorien der Qualität in den Begriffen Unterlassung, Begehung und Ausnahme vorhanden sind. Bei diesen handelt es sich um die wirklichen Grundbegriffe der praktischen Vernunft, denen gegenüber alles Drumherum in der Kategorientafel bloß klärende Zugabe bleibt. Dass Kant dabei erneut in der Mehrzahl, von „Regeln“, schreibt, heißt sodann abermals nicht, die Qualitätskategorien seien selber derartige Regeln; sondern sie sind diejenigen Begriffe, welche deren Bildung und Umbildung immer wieder ordnen. Als solche gibt es sie nur im Singular. Eine Kategorie steht jeweils hinter den vielen verschiedenen „Regeln des Begehens“, „des Unterlassens“ und „der Ausnahmen“. Schauen wir wieder auf die korrespondierenden Denkfunktionen in der Kritik der reinen Vernunft. Dort trägt der zweite Quadrant der sogenannten Urteilstafel die Überschrift „Qualität“ (KrV, A 70/B 95); das ist elliptisch für Qualität der Urteile. Unter diesem Titel zählt Kant die drei Momente auf „Bejahende“, „Verneinende“ und „Unendliche“. Ein jedes Urteil ist demnach in Betracht auf seine Qualität entweder ein bejahendes, ein verneinendes oder ein unendliches. Bei einer Synthesis von Vorstellungen ist unter anderem die Beschaffenheit dessen festzulegen, was unter die eine der synthetisierten Vorstellungen fällt: Wie steht dieses zu der anderen Vorstellung? Wird, was durch die eine gedacht wird, auch durch die andere gedacht? Um Kants eigenes Beispiel zu bemühen, können die Begriffe Seele und sterblich auf drei Arten miteinander verbunden werden: ‚Die
So gibt es „Begehungspflichten“ und „Unterlassungspflichten“ (MSTL, Ak. , S. ).Vgl. KrV, A /B , A /B ; GMS, Ak. , S. , , Anm., f.; MSRL, Ak. , S. ; MSTL, Ak. , S. Anm.; RGV, Ak. , S. , , . Und Kant unterscheidet schon früh zwischen einer sittlichen Verfehlung, die in dem Begehen einer Tat, und einer, die in dem Unterlassen einer Tat liegt, zwischen „Begehungssünden“ und „Unterlassungssünden“ (NG, Ak. , S. ). Siehe etwa GMS, Ak. , S. , Anm., ; KpV, Ak. , S. , ; VRML, Ak. , S. . So jedoch Beck (), S. ; Haas (), S. .
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Seele ist sterblich‘, ‚Die Seele ist nicht sterblich‘ und ‚Die Seele ist nichtsterblich‘.⁴⁷ Der Intellekt bezieht den Extensionsbereich des ersten Begriffs auf den anderen und sieht darauf, ob dieser zweite Begriff „dem Subject beigelegt, oder ihm entgegengesetzt werde“ (KrV, A 72/B 97). Im iudicium affirmans schreibt er ein Merkmal zu, im iudicium negans spricht er es ab, und im iudicium infinitum bejaht er die Verneinung; ein bestimmtes Merkmal wird ab- und ein unbestimmtes anderes zugesprochen (ist nicht-x).⁴⁸ Wie Kant – für uns bedeutungsvoll – erläutert, werde auf diese Weise eine „Ausnahme“ gedacht. Denn das Element, welches zur Sphäre des einen Begriffs gehört, wird wohl außerhalb der anderen Begriffssphäre gesetzt, es wird aus dieser ausgenommen, so aber, dass es in die Sphäre irgendeines weiteren, dritten gesetzt wird, unausgemacht, welcher Begriff dies sein mag. Die Möglichkeiten bleiben hier unendlich.⁴⁹ Da Kant die qualitativen Freiheitskategorien aus diesen Funktionen entwickelt, müssen sie ihre Obliegenheit folgerichtig darin haben, das, was in einem praktischen Urteil vorgestellt wird, zu qualifizieren. Die Bedeutung des Kategorientitels der Qualität liegt in der anstehenden Entscheidung darüber, wie das Subjekt der praktischen Vernunft beschaffen ist. Die Frage lautet: Wie steht dieses zu der fraglichen Bestimmung seines Willens? Wird ihm jene „beigelegt, oder ihm entgegengesetzt“? Der Betreffende kann das jeweilige Objekt entweder begehren oder nicht. Der Sinn der Kategorie des Begehens ist es, die Funktion eines bejahenden, der Sinn der Kategorie des Unterlassens hingegen, die Funktion eines verneinenden praktischen Urteils zu sein. In solchen Urteilen wird dem Ich das Wollen eines Gegenstandes zugesprochen oder abgesprochen: ‚Ich will mein Versprechen halten‘ beziehungsweise ‚Ich will mein Versprechen nicht halten‘. Die Kategorie der Ausnahme stellt die Funktion eines unendlichen praktischen Urteils dar. Ihr begrifflicher Gehalt besteht darin, dass der Wille im Ausschluss einer Möglichkeit für unendlich viele andere Festlegungen offenbleibt. Ein Inhalt des Begehrens wird verneint, ein anderer bejaht, unangesehen welcher (Ich will nichtx). Eine derartige Haltung artikuliert sich in der Alltagssprache in Aussagen der Form ‚Ich will alles, nur nicht mein Versprechen halten‘. Man intendiert dann alles andere außer x.
Vgl. KrV, A f./B f. Siehe auch Log, Ak. , §, S. . Vgl. Brandt (), S. ; Wolff (), S. f. Vgl. V-Lo/Wiener, Ak. , S. . Kant macht damit Front gegen die formale Logik. Diese nämlich schlage die unendlichen Urteile den bejahenden zu, indem sie „von allem Inhalt des Prädicats (ob es gleich verneinend ist)“ (KrV, A /B ) abstrahiert. Anders die transzendentale Logik. Sie „betrachtet das Urtheil“ nach dem „Inhalt dieser logischen Bejahung vermittelst eines bloß verneinenden Prädicats“. Auf diese Weise gelangt sie zu einem dritten Glied der Einteilung.
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Haben wir es bei den Kategorien der Qualität mit „moralisch noch unbestimmten, und sinnlich-bedingten“ Begriffen oder mit solchen zu tun, die „sinnlich-unbedingt, blos durchs moralische Gesetz bestimmt sind“? S. Bobzien vertritt die erstgenannte Meinung. Sie behauptet, dass die Qualitätskategorien insgesamt moralisch unbestimmt sind, „insofern in ihnen selbst das moralische Gesetz noch kein Bestimmungsstück ist, und eine Handlung daher durch sie noch nicht in Hinsicht auf ihre Moralität (im weiteren Sinne) bestimmt wird“⁵⁰. R. M. Bader dagegen ist der Auffassung, am Modell des Quantitätsquadranten sich orientierend, dass die Kategorien der Begehung und Unterlassung Begriffe des empirischen Willens, die Kategorie der Ausnahme dagegen ein Begriff des reinen Willens sei: „all moral rules are rules of exceptions“⁵¹. Regeln der Ausnahme seien nämlich solche, die von demjenigen, worauf Neigung und Interesse zielen, grundsätzlich ausgenommen sind, weil sie im Gegensatz zu diesen auf Freiheit beruhten. Ich glaube jedoch nicht, dass sich die Qualitätskategorien eindeutig genau entweder dem empirischen oder dem reinen Willen zuordnen lassen, wie das bei den Kategorien der Quantität der Fall ist. Kant setzt die Begriffe des Begehens und Unterlassens so allgemein ein, dass damit ohne jeden Zweifel sowohl ein Handeln spezifiziert wird, das sittliche Beweggründe hat, wie auch eines, das aus sinnlichen Antrieben herrührt. Bobziens und Baders Interpretation blendet das aus, dass man nach Kant sowohl aus Pflicht wie auch aus Neigung etwas tun oder lassen kann. Alle Kategorien der Qualität scheinen mir grundsätzlich mit allen drei Quantitätskategorien kombinierbar. Sie sind Formen sowohl des „sinnlich-bedingten“, aus einem Gefühl der Lust oder Unlust heraus bestimmten Willens als auch des „sinnlich-unbedingten“, unter der Vernunftvorstellung der Freiheit stehenden Willens.⁵² In der Klasse der Qualitätskategorien ereignet sich sonach kein Fortgang von einem Kategorientyp hin zu einem anderen. Sie alle betreffen, in Kants eigenen Worten, „die praktische Vernunft überhaupt“ beziehungsweise „praktische Principien überhaupt“.
5 Die Kategorien der Relation Die Kategorien des Relationsquadranten gelten vielen – nicht zu Unrecht – als die dunkelsten. Das zeichnet sich darin ab, dass die Forschung dazu eine Vielzahl
Bobzien (), S. . Bader (), S. . Vgl. Benton (), S. ; Mellin (), S. .
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unterschiedlichster Auslegungsvorschläge hervorgebracht hat. Ein weiteres Mal bietet Kant dem Leser keine konzisen Begriffe an, sondern längere Wendungen. An erster Stelle steht „Auf die Persönlichkeit“, an zweiter „Auf den Zustand der Person“ und an dritter „Wechselseitigkeit einer Person auf den Zustand der anderen“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Die Begriffe „Persönlichkeit“ und „Person“, um damit zu beginnen, gehören zweifellos mit in den innersten Zirkel der Kant’schen Moralphilosophie. Ihren Ausgang nehmen sie von der Kritik der reinen Vernunft, wo Kant den Standpunkt der rationalen Psychologie einer einschneidenden Kritik unterzieht. Jene vermeint, den Nachweis antreten zu können, dass „alle denkende Wesen an sich einfache Substanzen sind“ und „als solche […] Persönlichkeit unzertrennlich bei sich führen“ (KrV, B 409).⁵³ Dieser Lehre rechnet Kant einen Fehlschluss vor, denn sie macht einen unzulässigen Gebrauch von den Kategorien der Natur. Diese werden auf etwas angewandt, worauf sie aus Gründen des Prinzips gar nicht angewandt werden dürfen. Indem das Subjekt des Denkens unter die Kategorie der Substanz gebracht wird, wird es im zeitlichen Wechsel seiner Zustände als beharrend vorgestellt und damit fälschlicherweise wie ein Objekt möglicher Erfahrung behandelt.⁵⁴ In der Kritik der praktischen Vernunft kehrt der Persönlichkeitsbegriff sodann wieder. Kant behauptet nun positiv, dass die Beharrlichkeit der Seele ein sogenanntes Postulat ist. Lässt sich die Fortexistenz unserer Seele nach dem Tode auch nicht im theoretischen Gebrauch der reinen Vernunft dartun, so doch durch den praktischen. Kants eigener Unsterblichkeitsbeweis der menschlichen Seele ist ein moralphilosophischer. Danach eignet dem Subjekt des Denkens genau dadurch Persönlichkeit, dass es „Subject des moralischen Gesetzes“ (KpV, Ak. 5, S. 87) ist. Die Anerkennung der Gültigkeit des Sittengesetzes zieht die Anerkennung von Artikeln eines moralisch gegründeten Vernunftglaubens, der Postulate, nach sich. Ein intelligentes Wesen, das sich dem sittlichen Geboten unterworfen weiß, kann nur um den Preis eines Selbstwiderspruchs nicht auf seine „ins Unendliche fortdaurende Existenz und Persönlichkeit […] (welche man die Unsterblichkeit der Seele nennt)“ (KpV, Ak. 5, S. 122) hoffen.⁵⁵ Damit ist der Begriff der Person aufs Engste verquickt. Kant erörtert ihn in der zweiten Kritik im Kontext der Unterscheidung zweier Ordnungen. „Es kann nichts
Die „Identität derselben [der Seele; d. Verf.], als intellectueller Substanz, giebt die Personalität“ (KrV, A /B ). Jedoch können wir, so Kant, „vom Object, welches einer Idee correspondirt, keine Kenntniß, obzwar einen problematischen Begriff, haben“ (KrV, A /B ). Siehe auch KrV, A /B , A /B , A /B und A ff./B ff. Vgl. Zimmermann ().
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Minderes sein“, schreibt er, „als was den Menschen über sich selbst (als einen Theil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knüpft, die nur der Verstand denken kann“ (KpV, Ak. 5, S. 86). Gemeint ist die Persönlichkeit. Diese erklärt Kant hier als „die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur“: Der Mensch ist „vermöge der Autonomie seiner Freiheit“ Teil einer „intelligibelen Welt“ (KpV, Ak. 5, S. 87) und hat insofern Persönlichkeit. Das ist aber nur die eine Seite, „zu beiden Welten gehörig“ hat der Mensch noch eine andere. Er ist ein endliches Vernunftwesen mit empirischen Zuständen, mit unausbleiblichen Bedürfnissen und Interessen. Das Subjekt des Denkens heißt für Kant genau dann Person, wenn es nicht nur dem Sittengesetz, sondern ebenso Anforderungen der Sinnlichkeit unterliegt. Person ist, wenn man so will, Persönlichkeit in raumzeitlichen Verhältnissen; der Begriff der letzteren ist im Begriff der ersteren enthalten. Die Unterscheidung von mundus intelligibilis und mundus sensibilis geht durch die Person hindurch.⁵⁶ Damit zum Begriff „Zustand“. Um welche Art Zustand handelt es sich hier? Kant selber verliert dazu im Umfeld des Kategorientableaus kein Wort. In der Literatur ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass Zustand in diesem Zusammenhang höchst Verschiedenes sein kann. L. W. Beck unterscheidet zwischen moralischem, emotionalem und physischem Zustand.⁵⁷ Alle drei Wortverwendungen lassen sich bei Kant dokumentieren. So spricht er etliche Male explizit von einem moralischen Zustand, womit er die Tugendhaftigkeit eines Menschen meint⁵⁸ oder dass sein Herz gut beziehungsweise böse ist.⁵⁹ Der emotionale Zustand ist dagegen einer des Glücks oder Unglücks. In diesem Sinne äußert sich Kant über den Zustand des Gemüts, in dem bald Lust, bald Unlust überwiegt,⁶⁰ über den Zustand des Genusses⁶¹ und den für eine wirkliche oder erdenkliche Neigung befriedigenden Zustand.⁶² Der physische Zustand schließlich betrifft nach Beck vornehmlich das natürliche Dasein eines einzelnen. Dazu zählt so
In diesem Sinne spricht Kant wiederholt von der Menschheit in meiner Person.Vgl. KpV, Ak. , S. , , ; GMS, Ak. , S. , ; KU, , , ; ZeF, Ak. , S. ; MSRL, Ak. , , . Siehe dazu Nenon (). Vgl. Beck (), S. . Ebenso Graband (), S. . Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. MSTL, Ak. , S. . Auch liest man über den gesitteten Zustand der Menschen (vgl. RGV, Ak. , S. ) oder den Zustand seiner Gesinnung (vgl. RGV, Ak. , S. ). Überdies zählt Kant zum moralischen Zustand die Höhe der Sünde oder die Stärke einer Schuld, die jemand auf sich geladen hat, ebenso die Unanfechtbarkeit seiner Reinheit oder Unschuld (vgl. NG, Ak. , S. ). Vgl. NG, Ak. , S. . Vgl. KpV, Ak. , S. . Vgl. GMS, Ak. , S. . Ferner ist vom Zustand der Annehmlichkeit und Unannehmlichkeit die Rede, des Vergnügens oder Schmerzes sowie vom Empfindungszustand (vgl. KpV, Ak. , S. ).
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etwas wie Alter, gesundheitliche Verfassung, biologisches Geschlecht, körperliche Merkmale und Körperschmuck wie Tattoos.⁶³ Kant selbst verwendet diesen Ausdruck. Er meint dann allerdings nicht immer das, was Beck vorschwebt; überhaupt hat er bei Kant keine gleichbleibende Bedeutung.⁶⁴ Gehen wir wieder auf die sogenannte Urteilstafel zurück, so finden wir den dritten Quadranten betitelt mit „Relation“ (KrV, A 70/B 95); Relation steht verkürzend für Relation der Urteile. Kant spricht synonym auch von „Verhältnis“ (KrV, A 73/B 98). Die drei Momente, welche dieser Titel zusammenführt, sind die Synthesisfunktionen „Kategorische“, „Hypothetische“ und „Disjunctive“. Ein Urteil ist demzufolge bezüglich seiner Relation ein kategorisches, hypothetisches oder disjunktives. Bei einer jeden Synthesis von Vorstellungen muss unter anderem die Beziehung festgelegt werden, in welcher die synthetisierten Vorstellungen sowie die Elemente, die zu ihrem Umfang gehören, zueinander stehen: Als was wird das eine gedacht, als was das andere?⁶⁵ Der Intellekt begründet die Vorstellungen des Urteils und damit auch deren jeweilige Gegenstände in der Relation, in welche er sie setzt, als, wie Kant sich ausdrückt, „Correlate“ (KrV, B 110).⁶⁶ Im iudicium categoricum werden „zwei Begriffe“ verknüpft, und zwar als „Subject“ und „Prädicat“ (KrV, A 73/B 98); Kants Beispiel lautet „Alle Körper sind theilbar“ (Log, Ak. 9, S. 106). Im iudicium hypotheticum werden „zwei Urtheile“ als „Grund“ und „Folge“ (KrV, A 73/B 98) miteinander verbunden; so etwa in „Wenn alle Körper zusammengesetzt sind, so sind sie theilbar“ (Log, Ak. 9, S. 106). Und im iudicium disiunctivum werden „mehrere Urtheile“ vereinigt, und das als die „Glieder“ einer „Eintheilung“ zum Ganzen der so „eingetheilten Erkenntnis“ (KrV, A 73/B 98); wie Kant veranschaulicht „Ein Gelehrter ist entweder ein historischer oder ein Vernunftgelehrter“ (Log, Ak. 9, S. 107).⁶⁷ Aus diesen Funktionen werden die drei relationalen Freiheitskategorien deduziert. Ihre Aufgabe müssen sie infolgedessen darin finden, das in einem praktischen Urteil Gedachte zu relationieren. Dieses Verhältnis ist es, was in der Präposition ‚auf‘ anklingt, mit der Kant jede Kategorie entweder anheben lässt oder durch deren Zuhilfenahme er sie formuliert, eben „Auf die Persönlichkeit“, „Auf den Zustand der Person“ und „Wechselseitigkeit einer Person auf den Zu-
Vgl. KU, Ak. , S. . Siehe etwa KpV, Ak. , S. ; RGV, Ak. , S. . Vgl. Brandt (), S. ; Wolff (), S. ff. Vgl. KrV, B Anm.; KpV, Ak. , S. . Kant spricht auch von „opposita“ (Prol, Ak. , S. Anm.). Das Beispiel, welches Kant in der Kritik der reinen Vernunft wählt, lautet: „[D]ie Welt ist entweder durch einen blinden Zufall da, oder durch innre Nothwendigkeit, oder durch eine äußere Ursache“ (KrV, A /B ).
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stand der anderen“. Allerdings bleibt hier etwas ungesagt. Denn obwohl die Präposition eine Beziehung anzeigt, wird das zweite Relatum von Kant ganz offensichtlich nicht benannt. Es kann sich dabei jedoch um nichts anderes handeln als das Objekt des Begehrens, welches den einen Bestandteil eines praktischen Urteils ausmacht: Dieses ist es, das auf das wollende Ich bezogen wird. Allerdings wird es dabei allem Anschein nach nicht zu einem „Correlat“ weiterbestimmt; jedenfalls nennt Kant in seiner Angabe der drei Kategorien nichts, was auf eine entsprechende Charakterisierung des gewollten Gegenstandes hinausläuft. Auf das Subjekt der praktischen Vernunft aber trifft das zu: Dieses, welches den anderen Bestandteil eines praktischen Urteils ausmacht, ist es, das nun als Persönlichkeit oder als Person mit Zuständen gedacht wird. Der Kategorientitel der Relation hat seine Bedeutung demnach (mindestens) darin abzuschätzen, welcher Art jenes Ich des Näheren ist: Wer ist es, der da dieses oder jenes begehrt?⁶⁸ Gehen wir das im Einzelnen durch. Entweder das Subjekt will, was es will, qua Persönlichkeit. Die erste Relationskategorie ist im Begriff der Persönlichkeit vorhanden. Dieser ist die Funktion eines kategorischen praktischen Urteils; in einem solchen Urteil wird das begehrende Subjekt als Persönlichkeit bestimmt, das heißt, negativ, durch „Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur“ und, positiv, als Teil einer „intelligibelen Welt“. Und es wird auf kategorische Weise mit dem begehrten Objekt in Beziehung gesetzt. Man muss Kant hier so verstehen, dass beide „Begriffe“, der vom Ich und der von seinem Gegenstand, wie „Subject“ und „Prädicat“ miteinander verknüpft werden, also ohne eine vorausgesetzte Bedingung. Eine solche Bedingung für die betreffende Willensbestimmung, welche doch wohl außerhalb der Persönlichkeit liegen und daher eine empirische sein müsste, ist nicht gegeben.⁶⁹ Das muss sich in der Form eines kategorischen praktischen Urteils widerspiegeln. So sagt man etwa ‚Ich will den Vertrag einhalten‘. Oder das Subjekt begehrt,was es begehrt, qua Person. Die zweite Kategorie der Relation ist der Begriff der Person. Dieser ist die Funktion eines hypothetischen praktischen Urteils; darin wird das wollende Subjekt als Person, und das heißt „Theil der Sinnenwelt“, gesetzt. Es ist nun nicht das reine, sondern das empirische Selbst. Und dieses wird auf hypothetische Weise mit dem von ihm gewollten Objekt verbunden. Wir haben es hier also mit „zwei Urtheile[n]“ zu tun, die sich als „Grund“ und „Folge“ zueinander verhalten. Das heißt wohl, die betreffende Bestimmung des Willens findet kraft einer vorausgesetzten Bedingung statt, deren
Anders Simon (), S. , der meint, dass die besagten Kategorien „Relationen zwischen Personen“ herstellen. Vgl. Graband (), S. .
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„Folge“ sie ist. Diese Voraussetzung, ihr „Grund“, liegt in einem sinnlichen Zustand der Persönlichkeit, mithin in der Person, in deren Neigungen und Bedürfnissen. Mit Beck verstehe ich also den Zustand, von welchem Kant spricht, als einen emotionalen.⁷⁰ Und das muss sich desgleichen an der Form eines kategorischen praktischen Urteils ablesen lassen. Man sagt dann so etwas wie ‚Weil ich Interesse an y habe, will ich den Vertrag einhalten‘ – weil man beispielsweise seinen Mitmenschen als redlich zu erscheinen wünscht oder es einem anderweitig nützlich dünkt. Hier, in der Tafel der Kategorien der Freiheit, ist demnach der systematische Ort, wo sich festmacht und aufklärt, warum Kant eigentlich kategorische und hypothetische Imperative mit geläufigen Attributen seiner Urteilslehre bezeichnet, eben als ‚kategorische‘ beziehungsweise ‚hypothetische‘. Diese Attribute schreiben sich von den zugrunde liegenden Synthesisfunktionen des Intellekts her und haben so durchaus einen strengen urteilstheoretischen Sinn.⁷¹ In ihnen kommt die Notwendigkeit zum Ausdruck – da im praktischen Urteil das begehrende Ich stets mit vorkommt, indem der begehrte Gegenstand darauf bezogen wird –, die Rede von diesem Ich im Lichte des doppelten Gebrauchs, dessen die praktische Vernunft fähig ist, zu disambiguieren. Wen meinen wir jeweils, wenn wir mit alltagsweltlicher Undifferenziertheit sagen ‚Ich will‘? Welches Selbst begehrt da? Das intelligible oder das Sinnenwesen? Das leisten die Kategorien der Relation. Und die Begriffe Persönlichkeit und Person entdecken sich dabei, was Kant weder zuvor bereits bemerkt hat noch hinterher irgendwo erneut andeutet, als ebendiese kategorialen Grundbegriffe der praktischen Vernunft. Im Gegensatz dazu fällt die dritte Relationskategorie sonderbarerweise aus dem Rahmen. Denn wie Kant sie präsentiert, scheint sie einzig das Objekt des Wollens zu charakterisieren: dass ich mit dem, was ich begehre, irgendwie auf den Zustand einer anderen Person bezogen bin.⁷² Diese Erklärung hat Kant jedoch zu keinem Zeitpunkt wiederholt, auch nicht in von ihm selber unveröffentlichten Vorarbeiten. Folglich sind wir weit davon entfernt, darin seine letzte oder gar eine konstante Überzeugung sehen zu dürfen. Sicher ist, dass die fragliche Kategorie die Funktion eines disjunktiven praktischen Urteils ausmacht. Als solche besteht ihr Sinn darin, die Einteilung einer Sphäre zu denken; durch sie werden „mehrere Urtheile“ als die „Glieder“ einer „Eintheilung“ zum Ganzen der so „eingetheilten
Vgl. Beck (), S. . Demgegenüber wollen Graband und Bobzien die Relationskategorien so weit halten, dass sie alle Zustandsarten gleichermaßen abdecken. Vgl. Graband (), S. f.; Bobzien (), S. f. Anders G. Patzig, der meint, dass „logische Termini im Bereich der Kantischen Ethik nur in einem eingeschränkten, analogischen Sinn Anwendung finden können“. Patzig (), S. . So etwa Kobusch (), S. f.; Pieper (), S. ; Mellin (), S. .
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Erkenntnis“ vereinigt, was Kants Rede von einer „Wechselseitigkeit“ bekräftigt.⁷³ Indessen, müssen diese Glieder nicht wie schon zuvor das Subjekt des Wollens angehen? Was hier eingeteilt wird, muss doch abermals das Selbst sein: dass dieses entweder qua Persönlichkeit oder qua Person begehrt, was es begehrt, als Teil der mundus intelligibilis oder der mundus sensibilis. Eine dritte Alternative gibt es nicht. Ein disjunktives praktisches Urteil artikuliert, dass der Wille in dem je vorliegenden Fall entweder ohne eine oder aber kraft einer vorausgesetzten Bedingung zu etwas bestimmt ist, dass er unter dem Sittengesetz steht oder unter den Anforderungen der Sinnlichkeit. Man sagt dann zum Beispiel ‚Ich will den Vertrag einhalten, entweder einfachhin oder weil ich Interesse an y habe‘. Haben wir hier nun einen Übergang zwischen Kategorien verschiedener Sorte zu verzeichnen? Während nach Bobziens Dafürhalten sämtliche Kategorien moralisch unbestimmt sind,⁷⁴ liest A. Pieper sie durchgängig als moralisch bestimmt.⁷⁵ Bader hingegen beruft sich wiederum auf das Vorbild des Quantitätsquadranten; dem zufolge seien auch in der Klasse der Relationskategorien die ersten beiden Kategorien Begriffe der praktischen Vernunft, sofern diese „sinnlich-bedingt“, die dritte Kategorie aber ein Begriff, sofern diese „sinnlich-unbedingt“ ist.⁷⁶ Dagegen ergibt unsere vorstehende Herleitung der Kategorien aus den Denkfunktionen des Intellekts ein anderes Bild. Danach ist die Kategorie der Persönlichkeit eindeutig ein Begriff des reinen Willens, die der Person dagegen eindeutig ein Begriff des empirischen Willens. Und die letzte Kategorie, für welche uns ebenso wie Kant bedauerlicherweise einer prägnanten Bezeichnung ermangelt, ist doch wohl ein Begriff, der sowohl den einen als auch den anderen gleicherweise, mithin „die praktische Vernunft überhaupt“ beziehungsweise „praktische Principien überhaupt“, betrifft. Was das scheinbar fehlende „Correlat“ anbelangt, welches nicht das Subjekt des Willens, sondern dessen Objekt weiterbestimmt, kann man darüber womöglich doch, und mit dieser Vermutung möchte ich enden, etwas ausmachen. Und zwar könnte man dabei, ohne sich allzu weit umschauen zu müssen, an die Begriffe des Guten und Bösen einerseits, die von Wohl und Wehe andererseits denken.⁷⁷ Denn das Gute und Böse beziehungsweise das Wohl und Wehe ist ja Kants anfänglichen Überlegungen im „Zweiten Hauptstück“ zufolge tatsächlich dasjenige, was begehrt wird. Ich will damit nicht behaupten, diese Begriffe seien
Die entsprechende Naturkategorie lautet ja „der Gemeinschaft (Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden)“ (KrV, A /B ). Vgl. Bobzien (), S. . Vgl. Pieper (), S. . Bader (), S. f. Vgl. Bobzien (), S. .
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selber Kategorien, dafür findet sich im Text kein Beleg, dass Kant sie als solche anspricht; aber man könnte vielleicht erwägen, ob sie nicht zum Begriffsgehalt der Relationskategorien mit hinzugehören. Das Gute und Böse werden von Kant, so kündigt es schon die Kapitelüberschrift an, als „Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ auseinandergelegt, Wohl und Wehe dagegen als Begriffe eines Gegenstandes der empirischen praktischen Vernunft.⁷⁸ Könnte man daher nicht sagen, das Gute und Böse sind das Korrelat zur Persönlichkeit, Wohl und Wehe das zur Person? Dass,was das Subjekt qua Persönlichkeit will oder nicht will, das Gute beziehungsweise Böse ist, und was es als Person will oder nicht will, sein Wohl beziehungsweise Wehe? Um das belegen zu können, müsste ich mich allerdings auf Kants diesbezügliche Ausführungen einlassen; vor allem wäre zu zeigen, inwiefern die Kategorien der Freiheit dann noch, wie Kant es unternimmt, „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ exponiert werden können. Das aber hier aus Gründen des Umfangs nicht tunlich.⁷⁹
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Hans Friedrich Fulda
Kants „Kategorien der Freiheit“ in rein praktischer, pragmatischer und technisch-praktischer Funktion Abstract. This paper considers the relation in which the „categories of freedom“ that Kant systematically presents in the Critique of Practical Reason, stand to Kant’s general distinction between the purely practical (or moral), the pragmatic and the technical-practical. The thesis is that this distinction is indeed preserved also in the context of the doctrine of the categories of freedom; they, or individuals among them, perform different functions. For reasons of space, I thereby focus on the fourth quadrant in Kant’s table of categories, in other words on the categories of modality. Although these categories are, as I argue, to be considered primarily in their purely practical, i. e. moral function, prior to this consideration, they are to be interpreted initially in and of themselves. Moreover, under additional prerequisites, that include the empirical, they also have a pragmatic and a technicalpractical function.
1 Vorbemerkungen a) Zum Kontext, dem das Thema entstammt: Das stärkste Motiv, hier den Zusammenhang zu thematisieren, den die „Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 65) mit der Kant’schen Unterscheidung zwischen rein Praktischem (oder Moralischem), Pragmatischem und Technisch-Praktischem haben – zum Beispiel in dem Fall zu unterscheidender Klassen von Imperativen, aber auch allgemeiner in Fällen irgendwelcher Faktoren der Willensbestimmung –, verdankt sich der Herausforderung, die S. Zimmermanns Buch schon während der entstehenden Dissertation für mich war und bis heute geblieben ist.¹ Im Gegensatz zu allem, was ich bisher über die Kategorien der Freiheit dachte, interpretiert Zimmermann Kants Lehre darüber so, dass aus dem Zusatzausdruck, welchen Kant dem Titel zu seiner Tafel beigibt, sehr weitgehende Konsequenzen gezogen werden müssen. Kants Hinzufügung zur „Tafel der Kategorien der Freiheit“ lautet: „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Dem möchte Zimmermann nicht nur entnehmen, dass sich die Kategorien der Freiheit auch in anderer Ansehung
Vgl. Zimmermann ().
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Hans Friedrich Fulda
als derjenigen betrachten lassen, aus welcher hier die Eintragungen in die Tafel an deren einzelnen Plätzen vorgenommen sind. Das ist unbestritten. Zimmermann glaubt dem Zusatz zur Tafelüberschrift aber auch entnehmen zu können, dass zumindest erwogen werden muss, ob es nicht außer den in der Tafel verzeichneten Kategorien auch noch andere Kategorien der Freiheit gebe, und dass dies am Ende sogar behauptet werden darf.² Das erscheint mir schon deshalb unplausibel, weil es schwer verträglich ist mit dem eindeutig hervorgehobenen Hauptteil des Titels der Tafel, der diese Tafel ja eindeutig als eine „der“ Kategorien der Freiheit ausweist. Ein solcher demonstrativ gebrauchter bestimmter Artikel meint, insbesondere in seiner Pluralform, normalerweise (und sei’s auch im Genitiv verwendet) so viel wie ‚die … alle‘. Er bezeichnet also, ob mit oder ohne Zusatz, wenn er ohne Verrenkung verstanden wird, durchaus nicht so viel wie ‚eine Auswahl von denen‘, so dass in einem Zusatz dann diese Auswahl näher bestimmt werden könnte, nicht aber die Perspektive, unter der alle Kategorien in der Tafel verzeichnet werden sollen. Der sprachliche Einwand ist selbstverständlich noch kein zureichender Grund, über Zimmermanns Deutungstendenz a limine den Stab zu brechen und sich von ihr abzuwenden; und dies schon gar nicht angesichts des exzeptionellen Umfangs an Scharfsinn, gelehrsamer Verarbeitung der bisherigen, einschlägigen Forschungsliteratur und in Anbetracht der originellen Zimmermann’schen Überlegungen zu diesem schwierigen Lehrstück Kants. Noch nie wurde darüber bisher so gründlich wie von Zimmermann nachgedacht. Meine Bedenken sind daher in erster Linie ein starker Impuls zu eigener Selbstverständigung und erneuter Besinnung auf das, was mir bisher als zutreffende Auskunft über diesen Gegenstand der Kant-Interpretation klar zu sein schien. Ich hoffe, auf diese Weise zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können: zum einen, Zimmermann am Ende doch noch davon zu überzeugen, dass mein Einspruch gegen seine Deutungstendenz berechtigt ist, und für eine hoffentlich einmal fällig werdende zweite Auflage seines Buchs erste Anregungen zu geben; zum anderen aber auch, mir selbst zur Einsicht in mancherlei zu verhelfen, das mir bisher allzu vage vorschwebte, obwohl es eigentlich bei Kant klar vor Augen liegt. b) Zu meiner Verwendung des Ausdrucks ‚Funktion‘: Kant redet von Funktionen des Verstandes, der Urteilskraft sowie der Vernunft;³ von Begriffen sagt er, dass sie auf Funktionen beruhen, von Urteilen erklärt er, dass sie Funktionen sind
Vgl. ebd., S. ff. Vgl. KrV, A /B , A /B , A /B u. ö.
Kants „Kategorien der Freiheit“
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(nämlich Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen).⁴ Im Sinn dieser genuin Kant’schen Bedeutungen soll der Ausdruck ,Funktion‘ hier nicht sogleich gebraucht werden, sondern vielmehr in der umgangssprachlich näherliegenden Bedeutung der Rede von Funktion(en), die etwas hat und bei entsprechendem Gebrauch ausübt: das bestimmte Ensemble derjenigen Begriffe nämlich, welche die Kategorien der Freiheit sind, oder wenigstens einzelne dieser Begriffe, allemal jedoch in der rein praktischen, der pragmatischen oder technisch-praktischen Funktion, die das ganze Ensemble hat oder aber einzelne seiner Begriffe haben. c) Zum Vorgehen im Folgenden: Die Konzentration auf den Aspekt verschiedener Funktionen, welche die Kategorien der Freiheit oder einzelne von ihnen ausüben mögen, erfordert glücklicherweise nicht, diese Kategorien alle und noch dazu im sehr komplexen Kontext des „Zweiten Hauptstücks“ der „Analytik der reinen praktischen Vernunft“ (mit welcher die „Elementarlehre“ in der Kritik der praktischen Vernunft beginnt) Schritt für Schritt und Quadrant für Quadrant zu durchmustern oder gar noch Zimmermanns Urteile darüber eines nach dem anderen unter die Lupe zu nehmen. Das wäre auch von einem Sammelbandbeitrag zu viel verlangt. Statt eine so umfangreiche Aufgabe in Angriff zu nehmen, will ich mein Thema verfolgen, indem ich mich auf den vierten Quadranten der Kant’schen Freiheitskategorientafel konzentriere: auf die Freiheitskategorien der Modalität. Für dieses Vorgehen gibt Kant selber schon in doppelter Hinsicht grünes Licht: zum einen, insofern er uns mit der einzigen ausdrücklichen Vorbemerkung zu seiner Tafel anweist zu sehen, die Kategorien, welche darin (als Begriffe von Gegenständen praktischen Denkens) aufgelistet werden, gingen „die Vernunft überhaupt an“ und gingen in der Ordnung, in denen die Tafel sie verzeichnet, fort „von den moralisch noch unbestimmten und sinnlich-bedingten zu denen, die, sinnlich-unbedingt, blos durchs moralische Gesetz bestimmt sind“. Zum anderen wird dieses grüne Licht sogar noch verstärkt durch die erste Nachbemerkung zur Tafel in ihrem Nachsatz. Darin nämlich wird darauf aufmerksam gemacht, dass „die Kategorien der Modalität den Übergang von praktischen Principien überhaupt“, unter denen die Kategorien der Freiheit zunächst gebraucht werden, „zu denen der Sittlichkeit […] einleiten“, dies aber sogleich mit in der Leerstelle des Zitierten enthaltener Zusatzbemerkung: „aber nur problematisch“, sowie mit dem Hinweis, dass die Prinzipien der Sittlichkeit (in bestimmten Kategorien der Freiheit) dann nach solch problematischer Einleitung „durchs moralische Gesetz allererst dogmatisch dargestellt werden können“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Nicht, dass dieser Nachsatz zum Nachsatz der Nachbemerkung auf Anhieb verständlich wäre – im Gegenteil! Aber gerade dadurch, dass er zum Nachdenken herausfordern
Vgl. KrV, A/B , A /B .
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muss, wird die Wichtigkeit betont, welche der Reflexion auf alle Modalitätskategorien der Freiheit gebührt. Sie soll auch im Kontext meines Spezialthemas erhalten bleiben, indem nach rein praktischen, pragmatischen und technischpraktischen Funktionen gerade dieser Kategorien im Unterschied zu den übrigen Kategorien der Freiheit gefragt wird. In meinem Thema geht es ja zentral darum auszumachen, welches Verhältnis – innerhalb dessen, was zu denken ist unter praktischen Prinzipien überhaupt – bezüglich der (das heißt aller) Kategorien der Freiheit die nicht rein praktischen Prinzipien zu den rein praktischen haben – und das sowohl im direkt auf die Gegenstände gerichteten Betätigen der praktischen Vernunft als auch in der modalen Beurteilung solchen Betätigens nach Maßgabe der Kategorien der Freiheit. Angesichts dieser Kant’schen Textvorgaben dürfte klar sein, dass die Modalitätskategorien der Freiheit für mein Thema vorrangig in ihrer rein praktischen, also moralischen, Funktion zu betrachten sind, dass sie aber vor dieser Funktionsbetrachtung zunächst einmal an ihnen selbst interpretiert werden wollen.
2 Die Modalitätskategorien der Freiheit – an ihnen selbst und in ihrer rein praktischen Funktion a) Werfen wir erst einmal einen Blick auf die kurzen Worteinträge auf der Tafel unter „4. Modalität“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Als im Nominativ stehender Subjektausdruck zu diesem Genitiv wäre zweifellos zu ergänzen: ,Die Kategorien der‘. Auf Anhieb nicht schwer verständlich erscheinen, wenngleich vielleicht trügerischerweise, auch die Einträge in der zweiten und dritten der darunter stehenden Zeilen: „Die Pflicht und das Pflichtwidrige“ sowie „Vollkommene und unvollkommene Pflicht“. Ohne Frage jedenfalls hat man es hier zweimal mit kategorialen Gegensatzbestimmungen zu tun, mögen diese auch vielleicht nicht „Die Pflicht“ und „das Pflichtwidrige“ etc. heißen. Gemäß der Erläuterung des Begriffs Kategorie der Freiheit, die uns Kant gleich zu Beginn seiner Rede von solchen Kategorien gibt, müssen die Begriffe, die in solchem Sinn Kategorien sind, „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft oder eines reinen Willens a priori […] unterwerfen“; oder sie müssen zumindest damit, dass sie „Statt haben“ (KpV, Ak. 5, S. 65), am Unterwerfen, auf welches die reine praktische Vernunft ausgeht, beteiligt sein. Doch die in die Tafel eingetragenen Ausdrücke sind dabei natürlich nur Hinweise darauf, um was für eine objektive Einheit von Begehrungsmannigfaltigem es sich bei der einen oder anderen so indizierten Kategorie jeweils
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handelt; nicht aber Namen für je eine konkrete Handlung, welche in einem bestimmten Fall „Die Pflicht“ ist, in einem anderen Fall (von Situation oder Handlung) hingegen „das Pflichtwidrige“ etc. Auch „Die Pflicht“ als Kollektivsingular, das heißt im Sinn von ‚alle Pflichten‘, kommt evidenterweise hier nicht in Frage, wo es sich doch, ebenso wie bei der Eintragung „das Pflichtwidrige“, um den einen oder anderen, das Objekt praktischen Denkens überhaupt a priori bestimmenden Begriff und im Ganzen um ein System solch objektbestimmender Begriffe handeln soll. Keine Frage ist ferner, dass man es beim so der Einheit des Bewusstseins zu Unterwerfenden und dann Unterworfenen unter anderem zu tun hat mit der Modalität nach moralisch real Wirklichem beziehungsweise mit gegenüber solcherart Wirklichem moralisch real Wirklichkeitswidrigem – im Unterschied zu bloß moralisch real Möglichem oder sogar Möglichkeitswidrigem. Evidenterweise indiziert die erste der drei Zeilen unter „Modalität“ dieses moralisch real Mögliche sowie seinen konträren Gegensatz,wie auch in der zweiten und dritten Zeile jeweils verwiesen wird auf ein Paar von in konträrem Gegensatz stehenden begrifflichen Bestimmtheiten, die zur Einheit des Bewusstseins gebrachte Begehrungsmannigfaltigkeiten charakterisieren, und zwar durch apriorische, gegenstandskonstitutive Begriffe in praktischen Urteilsfunktionen. Das bis jetzt Festgestellte bedeutet für die erste der drei Zeilen: Wenn darin vom „Erlaubte[n]“ und „Unerlaubte[n]“ (KpV, Ak. 5, S. 66) die Rede ist, so muss es sich beim Gegenstand solcher Rede jedenfalls um real objektiv, aber praktisch, Mögliches in konträrem Gegensatz zu real objektiv, aber praktisch, Möglichkeitswidrigem handeln; beide Male aber um Mögliches beziehungsweise Möglichkeitswidriges im Verhältnis zu einem nach Maßgabe des Faktums der Vernunft praktisch Wirklichen beziehungsweise Wirklichkeitswidrigen, das heißt zu einem sittlich Wirklichen, das zu respektieren Pflicht ist, beziehungsweise zu einem sittlich Wirklichkeitswidrigen, sprich Unwirklichen, das Pflichtwidriges ist. Insofern haben die drei Modalitätskategorienpaare unter den Kategorien der Freiheit zweifellos allesamt einen Bezug auf Sittlichkeit, nämlich auf sie als eine, die in der betreffenden Einheit des Bewusstseins und ihres jeweiligen Objekts i) problematischerweise möglich beziehungsweise unmöglich, ii) assertorisch als wirklich beziehungsweise unwirklich zu behaupten, iii) aber apodiktisch gewiss und uneingeschränkt sittlich real wirklich beziehungsweise nur eingeschränkt (mangels Erfülltheit einer zusätzlichen Bedingung für „unvollkommene“ Pflichten) sittlich real wirklich ist. Soweit hoffe ich, mit Zimmermann einig zu sein, und möchte ich mich bezüglich einiger Aussagen, die ich früher hierzu gemacht habe, berichtigen.⁵
Vgl. Fulda ().
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Zugleich aber ist nachdrücklich zu betonen, dass es sich hier nicht bloß um rein logische Modalitäten handelt, die man allein schon an den logischen Modalitäten von Urteilen über entsprechende Einheiten des Bewusstseins gewisser Begehrungsmannigfaltigkeiten ablesen könnte. Vielmehr handelt es sich durchweg um reale Gegenstücke zu logischen Urteilsmodalitäten, die begrifflich schon durch Kategorien des Denkens von Gegenständen möglicher Erkenntnis überhaupt, das heißt transzendental-logisch, bereichert sind, insofern sie solche Gegenstände „als [mindestens möglicherweise] gegeben“ voraussetzen, und nun noch einmal durch apriorische Gegenstandsbegriffe der reinen praktischen Vernunft inhaltlicher bestimmt gedacht werden. Dementsprechend aber stehen diese Begriffe,was ihr Verhältnis zueinander betrifft,wenn auf jeweils einer kategorialen Ebene indiziert, nicht in logischer Opposition, sondern in Realopposition. Sie befinden sich nicht im Verhältnis eines logischen Widerspruchs zueinander, sondern in realem, aber auch praktischem, Widerstreit. b) Das besonders zu beachten ist unerlässlich. Denn sonst tappt man in die Falle, das Erlaubte und das Unerlaubte, von denen in der ersten Zeile die Rede ist, bereits als einerseits das in assertorischer Beurteilung sittlich Erlaubte, das andererseits aber darin angeführte Unerlaubte hingegen als das in assertorischer Beurteilung sittlich nicht Erlaubte und in diesem Sinn Unerlaubte zu deuten, obwohl dieser Zeile gemäß doch nur ein möglicher- beziehungsweise problematischerweise sittlich Erlaubtes und Unerlaubtes zu denken ist. Wohlgemerkt aber: Zu denken ist dabei auf beiden Positionen dieser Zeile etwas an einem Gegenstand praktischen Denkens, das zu seinem Anderen in Realopposition steht und sich außerdem zu sittlich Wirklichem und Wirklichkeitswidrigem wie praktisch bloß real Mögliches beziehungsweise real Unmögliches verhält. Dieses praktisch bloß real Mögliche und die logische Negation des Gegenstücks dazu, das heißt das in diesem Sinn Erlaubte und das nicht Unerlaubte, bilden zusammen zwar eine Bedingung fürs sittlich Wirkliche, aber eine, die im Vergleich zum sittlich Wirklichen selbst (wie erst recht ihr Gegenstück in seiner logischen Verneinung) der Realität nach mangelhaft bestimmt ist, also keinesfalls eine hinreichende Bedingung für das sittlich Wirkliche liefert. Ja, mangelhaft bestimmt ist das im ersten Modalitätskategorienpaar Gedachte in seiner kategorialen Bestimmtheit sogar noch im Vergleich zu demjenigen Realen, das dem spezifisch sittlich Wirklichen realiter opponiert als spezifisch sittlich Unwirkliches, sprich Sittlichkeitswidriges beziehungsweise Pflichtwidriges. Denn um pflichtwidrig zu sein, darf etwas bezüglich des sittlich Wirklichen, das als solches Pflicht (etwas zu tun oder zu unterlassen) ist, nicht mehr unbestimmt sein. Es muss sich vielmehr in realoppositionellem Widerstreit dazu befinden – also, wenn das sittlich Wirkliche zu tun geboten ist, seinerseits etwas Verbotenes gemäß (beziehungsweise unter) ein und demselben Prinzip sein wie das positive Gegenstück dazu. Entsprechendes, aber
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hinsichtlich einer Entsprechung noch weiterer Reflexion Bedürftiges gilt für das möglicherweise sittlich Erlaubte beziehungsweise Unerlaubte. Anders hingegen versteht Zimmermann das erste Paar der modalen Freiheitskategorien. Ihm zufolge, wenn ich ihn recht verstehe, ist das in der ersten Zeile indizierte Erlaubte zu denken als das qua sittlicher Indifferenz (und insofern möglich) Erlaubte. Als das Gegenstück dazu hingegen – das „Unerlaubte“ genannt – gilt ihm schlicht das wirklich sittlich Unerlaubte, womit es logisch äquivalent zum sittlich Verbotenen wäre.⁶ Um das Pflichtwidrige, von welchem in der zweiten Zeile die Rede ist, davon abzugrenzen, glaubte Zimmermann dann behaupten zu müssen, unter ihm sei all dasjenige zu verstehen, was im Sinn einer aus logischer Negation gebildeten, begrifflichen Limitation Nicht-Pflicht ist, wozu dann aber auch das sittlich Indifferente gehört – im Sinn dessen, was wirklich sittlich weder geboten noch verboten ist; das aber, wohlgemerkt, auf der Ebene des kategorial sittlich Wirklichen und seines realoppositionellen Gegenstücks.⁷ Damit werden, wie mir evident scheint, die Realoppositionsverhältnisse auf den ersten beiden Modalkategorienebenen verwirrt. Zudem aber werden damit auch die aussagenlogischen Verhältnisse im deontologischen Sechseck der Unterschiede zwischen den Bewertungsprädikaten ‚geboten‘, ‚verboten‘ und ‚gegenüber beidem indifferent‘ verkannt: Das sittlich Erlaubte (als indifferent gegen ‚sittlich geboten‘ und ‚sittlich verboten‘) und das sittlich Verbotene stehen nicht im Verhältnis einer Realopposition, sondern bloß im Verhältnis einer logischen Exklusion. Ebenso das erstere und das sittlich Gebotene. Dasselbe gilt selbstverständlich für dasjenige, was Pflicht ist, im Verhältnis zu demjenigen, was Nicht-Pflicht ist. Hingegen ist das Verbotene im Sinne eines sittlich Unerlaubten (nämlich durch das Sittengesetz) dasjenige, was wir umgangssprachlich als das Pflichtwidrige verstehen; und gerade es steht in Realopposition zum sittlich Gebotenen. Es muss daher auch auf der zweiten Zeile der Modalkategorien der Freiheit berücksichtigt werden, und zwar auch dann, wenn man den aussagenverknüpfungslogischen Verhältnissen zwischen den Beurteilungsprädikaten im deontologischen Sechseck gerecht werden will.Wenn man das sittlich Verbotene nämlich bereits auf der ersten Zeile der Modalkategorien der Freiheit verortet, braucht man die kategorialen Bestimmungen gar nicht mehr, die Kants Tafel der zweiten Zeile vorbehält. Dann genügt es, dasjenige, was unter einer Vorschrift (als das praktisch objektiv Unmögliche) zu tun verboten ist, sich unter einer anderen Vorschrift (wo es der Vorschriften ja viele und vielerlei miteinander kollidierende gibt) als zu unterlassen Verbotenes zu denken – und schon hat man
Vgl. Zimmermann (), S. f. Vgl. ebd., S. ff.
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(wenngleich unter zwei Vorschriften, deren Befolgungsergebnisse als für ein und denselben Adressaten geltend miteinander kollidieren) den vollen Sinn der sechs deontologischen Bestimmungen, deren logische Beziehungen im deontologischen Sechseck festgelegt sind und sich mithilfe der aussagenlogischen Verknüpfungszeichen für ‚nicht‘, ‚und‘, ‚und/oder‘ und ‚nur wenn‘ leicht angeben lassen. Nicht zuletzt das dürfte Kant im Auge gehabt haben mit seiner Fußnote in der „Vorrede“ der Kritik der praktischen Vernunft, wo von der Vorschrift für einen „Redner“ und derjenigen für einen „Dichter“ hinsichtlich des Schmiedens neuer Worte gesagt wird, was dem einen (unter seiner Vorschrift) „unerlaubt“ ist, könne dem anderen unter der seinen nicht nur „erlaubt“, sondern sogar geboten sein.⁸ Freilich wird da ausdrücklich nur von Vorschriften geredet, nicht aber vom einen oder anderen sittlich-praktischen Gesetz. Doch gerade diesen Unterschied vernachlässigt man, wenn man, wie Zimmermann, das Unerlaubte der ersten Modalitätenzeile der Freiheitskategorien als das sittlich Unerlaubte deutet. Eine Differenzierung zwischen der Ebene 2 und 3 für die modale Beurteilung aller praktisch-gegenständlichen Bestimmungen der Einheit des Bewusstseins von Begehrungsmannigfaltigem wäre somit nach Zimmermanns Deutung des (auf der ersten Ebene) Unerlaubten gar nicht mehr erforderlich. Die Tafel der Freiheitskategorien,wie Zimmermann sie nimmt, wäre also redundant – im Widerspruch zu eigenen, anderen Aussagen Zimmermanns hierüber. Sie wäre, mit anderen Worten, in der einen Hinsicht redundant, in einer anderen aber nicht, und wäre „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ erst dank dieser Redundanz eine Tafel der Kategorien der Freiheit. c) Wenn man dieses absurde Deutungsergebnis vermeiden will, bleibt, wie mir scheint, kein anderer Ausweg als der, bereits das erste Modalitätskategorienpaar unter den Kategorien der Freiheit, das heißt die Kategorien für das Erlaubte und das Unerlaubte, anders zu deuten, als Zimmermann es gegen Ende seines Buchs versucht. Den Hinweis dazu liefert uns die schon erwähnte Fußnote Kants in der „Vorrede“ zur Kritik mit ihren Applikationen des Erlaubten und Unerlaubten auf den Fall eines Redners und eines Dichters unter ihren jeweiligen Vorschriften, von denen jede dort ausdrücklich als „blos mögliche praktische Vorschrift“ (KpV, Ak. 5, S. 11 Anm.) bezeichnet wird. Das unter einer solchen Vorschrift Unerlaubte mag zwar auch – in einem der Art nach zusätzlich zu qualifizierenden Sinn – untersagt sein. Keinesfalls aber ist es damit an ihm selbst schon sittlich verboten oder als Im Wortlaut: „So ist es z. B. einem Redner, als solchem, unerlaubt, neue Worte oder Wortfügungen zu schmieden; dem Dichter ist es in gewissem Maße erlaubt; in keinem von beiden wird hier an Pflicht gedacht. Denn wer sich um den Ruf eines Redners bringen will, dem kann es niemand wehren.“ (KpV, Ak. , S. Anm.)
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pflichtwidrig und der Pflicht in Realopposition entgegengesetzt verboten. Das nämlich wäre es erst, wenn es diese Stellung aufgrund des einen Faktums der Vernunft hätte, das heißt im Bewusstsein des einen Sittengesetzes, das sich in uns als pflichtbestimmend geltend macht. Letztlich ist erst dieses Faktum, über welches uns das „Erste Hauptstück“ der „Analytik der reinen praktischen Vernunft“ aufklärt und dessen Behauptung das Kapitel von der Deduktion der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft rechtfertigt, der Schlüssel zur Deutung des Unterschieds zwischen dem ersten Modalkategorienpaar auf der Stufe der (sittlichen) Möglichkeit und dem darauf folgenden Paar auf der Stufe sittlicher Wirklichkeit nebst dem auf dieser Stufe Wirklichkeitswidrigen, aber damit nicht pauschal Unwirklichen, weil sittlich Indifferenten. Dieser Schlüssel nämlich schließt uns erst den hier zu denkenden Unterschied auf zwischen einerseits demjenigen Realen, welches Objekt praktischen Denkens des apriorisch-begrifflich zu bestimmenden sittlich Möglichen sowie Unmöglichen ist, und andererseits dem sittlich Wirklichen neben dem sittlich Unwirklichen, aber in Realopposition zum sittlich Wirklichen Stehenden, wobei jeder dieser vier Begriffe aber als apriorische Bestimmung der Einheit des Bewusstseins im Mannigfaltigen des menschlichen Begehrungs- und Verabscheuungsvermögens zu denken ist. Mit diesem Aufschluss, zu dem uns der Schlüssel verhilft, haben wir dann auch die Möglichkeit, uns im kritisch-praktischen, philosophischen Denken reiner Vernunft klarzumachen, was der oben berücksichtigte Nachsatz der Nachbemerkung zur Tafel der Kategorien der Freiheit besagen will. Dort wurde uns, wie erinnerlich, bedeutet, dass die Kategorien der Modalität in der Tafel der Kategorien der Freiheit den Übergang von praktischen Prinzipien überhaupt (speziell von Maximen überhaupt sowie praktischen Vorschriften) zu denen der Sittlichkeit einleiten; aber: erst nur problematisch, das heißt ohne dass mit dem ersten Paar der Modalkategorien schon Wirklichkeit des Sittlichen gedacht wäre, weil eben nur reale Möglichkeit beziehungsweise Unmöglichkeit von Sittlichem gedacht ist. So ist unter den Kategorien des Erlaubten und Unerlaubten möglicher- oder problematischerweise Sittliches gedacht und somit noch nicht präzise unterschieden vom bloß unter der einen oder anderen praktischen Vorschrift deontologisch Möglichen beziehungsweise Unmöglichen. Dann aber, nämlich durchs moralische Gesetz, wird in den folgenden beiden Kategorienpaaren – die Einleitung des Übergangs von praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit beendend und den Übergang vollziehend – erst das moralisch Wirkliche im Gegensatz zum realoppositionell moralisch Unwirklichen gedacht und dann der weitere derartige Gegensatz thematisiert zwischen uneingeschränkt sowie vollkommen und notwendigerweise moralisch Wirklichem einerseits und andererseits diesem Wirklichen, sofern es unter sinnlichen Zusatzbedingungen eingeschränkt, insofern aber zufällig moralisch Wirkliches ist. Allemal aber wird das
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Betreffende bezüglich seiner Einheitsbestimmungen im Bewusstsein des Begehrungs- und Verabscheuungsmannigfaltigen gedacht. Mit dem zuletzt Thematisierten aber wird es umfassend gedacht, so dass mit ihm all jene Mannigfaltigkeiten unter Kategorien der Freiheit gebracht sowie in der Einheit des einen und selben Bewusstseins begriffen sind. Das so als Einheit gedachte und umfassend zu nehmende Begehrungs- sowie Verabscheuungsmannigfaltige kann dann hinsichtlich seiner Einheit aufgrund dessen, was im „Ersten Hauptstück“ der „Analytik der reinen praktischen Vernunft“ erwiesen ist, dogmatisch dargestellt werden – wenn auch wohl noch nicht in einer Kritik der praktischen Vernunft, so zumindest in systematischer doktrinaler Erkenntnis von Gegenständen rein praktischer apriorischer Erkenntnis als einem Pendant zur Transzendentalphilosophie. Bekanntlich hat Kant selbst diese ebenfalls nicht doktrinal dargestellt, sondern in seiner ersten Kritik nur ihrer Idee und ihren Prinzipien nach entworfen, später aber in einigen Vorlesungen wenigstens fragmentarisch ausgeführt. Erst wenn man das Gesagte berücksichtigt und davon ausgehend gegenständliches, aber in Realoppositionsbeziehungen stehendes sittlich Wirkliches denkt, kann man auch voll begreifen, was es heißt, dass das realoppositionelle Gegenstück dazu (im Kategorienganzen auf der 11. Ebene) das Pflichtwidrige als ein moralisch Unwirkliches ist: Es ist unwirklich nicht als Nicht-Pflicht, sondern als ein rein praktisch gedachtes Unwirkliches. In seiner empirisch zu bestimmenden Wirksamkeit hingegen, über welche uns die theoretischen Bestimmungen des Gegenstandes rein praktischen Denkens aufklären, ist dieses rein praktisch ‚Unwirkliche‘ sehr wohl wirklich, und ebenso wird es sich damit auch verhalten im pragmatischen und technisch-praktischen Denken, das vom theoretischen Erkennen zehrt. Es ist wirklich als kompakte Masse der unter Prinzipien möglicher gegenständlicher Erkenntnis sowie unter Prinzipien praktischer Vernunft überhaupt kategorial bestimmten Begehrungen und Verabscheuungen, das heißt der so gedachten und gehabten Neigungen, erwogenen oder vollzogenen Willensbestimmungen und von ihren Entscheidungen bestimmten Handlungen. Als so wirklich und zugleich pflichtwidrig gehört dieses reale oppositum zum sittlich Wirklichen gewiss auf ein und dieselbe kategoriale Ebene mit diesem. Es ist auf dieser Ebene ja ebenso assertorisch zu beurteilen wie das sittlich Wirkliche, und es ist sogar mit Apodiktizität als ein solcherart assertorisch zu Beurteilendes zu beurteilen. In der letzten der drei modal-kategorialen Ebenen wird die Wirklichkeit als eine rein praktischen Denkens, das hinsichtlich seines Gegenstandes bestimmt ist, nicht mehr verlassen. Sie wird nur noch einmal differenziert in ein Gegenständliches, das in apriorischer Hinsicht bereits dank rein praktischen Denkens vollkommen bestimmt und apodiktisch als notwendig gedacht ist, und ein anderes Gegenständliches, das sich darin nur unvollkommen, insofern aber auch nicht
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apodiktisch, bestimmen lässt, weil es lediglich unter hinzukommenden, Empirisches einschließenden Voraussetzungen pragmatischen sowie technisch-praktischen Denkens zu fassen ist und nur als unvollkommene Pflicht erkennbar, ohne dass hiervon die Apodiktizität der Bestimmungsfunktion des rein praktischen Gesetzes und der ausschließlich nur ihm Rechnung tragen müssenden 17. Kategorie⁹ tangiert würde. d) Nun bereitet es auch keine Schwierigkeit mehr, sich klarzumachen, wie die Ordnung der Eintragungen in der Tafel der Kategorien der Freiheit wenigstens in zwei Hinsichten verstanden werden muss: Sie ist einerseits eine der vernunftkritischen, aber praktisch-philosophischen Reflexion auf Bedingungen der Möglichkeit erkennenden praktischen Denkens von Gegenständen solchen Denkens. Andererseits aber ist sie auch eine Ordnung der außerphilosophischen praktischen Reflexion desjenigen, der sich in Bezugnahme auf das Mannigfaltige seines Begehrungs- und Verabscheuungsvermögens einen Willen bildet, etwas Bestimmtes zu tun oder zu unterlassen, so dass darin dann auch seine Begehrungs- und Verabscheuungsmannigfaltigkeiten voll zur Berücksichtigung kommen. – Ferner geht die Ordnung der einen sowie anderen der beiden Reflexionsweisen aus von der Befassung mit der Bildung sowie Umbildung oder aber der Anwendung einer (in diesem Fall schon gebildeten) Maxime hinsichtlich ihres (jeweils weiteren) Willensbildungspotenzials und berücksichtigt auch die grundsätzlichen Vorschriften, die bei der Maximenbildung, -umbildung und -anwendung zu beachten sind. Die Ordnung geht bei dieser praktischen Reflexion des Weiteren fort zur Berücksichtigung von mehrerlei anderem, das zur Wirkung des Faktums der Vernunft im Bewusstsein reiner Sittlichkeit, aber auch schon zur Berücksichtigung grundsätzlicher praktischer Vorschriften gehört; und sie geht von da aus fort zur Befolgung oder Vernachlässigung des im Faktum der Vernunft an uns gerichteten Kategorischen Imperativs der Sittlichkeit (der ja beim weiteren praktischen Denken allemal bereits vorausgesetzt ist). Damit geht in dieser Ordnung die Reflexion auch hinüber zu den Modalkategorien der Freiheit als Kategorien der praktischen Beurteilung von Gewolltem oder (zunächst nur) zu wollen Erwogenem, und zwar
Die Zählung der einzelnen Kategorien, die im vorliegenden Text vorgenommen wird, ergibt sich daraus, dass auf der Tafel dieser Kategorien unter dem dritten und vierten Quadranten jeweils drei geordnete Paare einzelner Kategorien – also zusammen Kategorien – verzeichnet sind, während sich unter dem ersten und zweiten Quadranten schon x – also zusammen – Kategorien finden, so dass man es insgesamt mit Kategorien der Freiheit zu tun hat. Die Zuordnung dieser Kategorien zu denen der rein apriorischen, begrifflichen Bestimmung eines Gegenstandes von Erkenntnis überhaupt wird dadurch nicht verwirrt. Wenn man Missverständnisse vermeiden (und pedantisch genug sein) will, mag man auch von Kategorienstufen, aber einzelnen Kategorien der Freiheit sprechen.
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erwogen oder gewollt als bestimmt hinsichtlich der Alternativen praktischer Möglichkeit versus Unmöglichkeit, Wirklichkeit versus Wirklichkeitswidrigkeit, rein praktisch notwendiger versus Zufälliges einschließender Wirklichkeit, wobei alle diese Modalitäten jedoch, wie gesagt, sittlich-praktische Modalitäten beziehungsweise Modalitäten in – mindestens auch – sittlich-praktischer Beurteilung sind. e) Über alles Gesagte hinaus bleibt bei solch praktischem Reflektieren Raum, das zu Beurteilende auch zu erwägen und zu beurteilen im Hinblick auf pragmatische und technisch-praktische Funktionen, welche das im Reflektieren betätigte Denken und die darin enthaltenen Kategorien haben oder ausüben können. Allemal nämlich wird auch im Erwägen oder Betätigen solcher Funktionen des betreffenden Denkens und seiner kategorialen Bestimmungen über Mannigfaltiges des Begehrungs- und Verabscheuungsvermögens reflektiert, und dies auf bewusste Einheit im Bewusstsein eines den Kategorien entsprechend positiv zu Beurteilenden oder aber negativ zu Beurteilenden hin. Und die Reflexion mündet schließlich am Ende des Durchgangs durch alle in der Ordnung vorhergehenden Kategorien darin, dass das als sittlich wirklich zu Beurteilende differenziert wird: in einerseits Sittliches, welches als in sich vollkommen zu qualifizieren ist, und andererseits dasjenige sittlich Wirkliche, welches durch die Qualifikation, sittlich Wirkliches zu sein, noch unvollkommen bestimmt ist und zu seiner weiteren praktischen Bestimmung sowie Beurteilung der Berücksichtigung zusätzlicher Bedingungen bedarf, für welche die letzte der 18 Kategorien der Freiheit wenigstens die apriorische Einheitsfunktion vorgibt. Allemal ist somit in dieser Ordnung für die Kategorien der Freiheit die Reflexion beim Kategoriengebrauch letztlich ausgerichtet auf die Frage, „ob etwas ein Gegenstand der reinen praktischen Vernunft sei, oder nicht“ (KpV, Ak. 5, S. 57). Das praktisch-philosophische Auskunftspendant zu dieser Frage gilt der Erkenntnis, dass mit adäquater Beantwortung der Frage die Kategorien der Freiheit insgesamt auch auf die Begriffe des Guten und Bösen hin anzusehen sind.¹⁰ Das philosophische Reflexionspendant zur außerphilosophischen Beantwortung der Frage hingegen erläutert uns dank des Aufschlusses über die Kategorien der Freiheit, was es heißt, wenn gleich zu Beginn des „Zeiten Hauptstücks“ der „Analytik der reinen praktischen Vernunft“ in dessen ersten beiden Absätzen behauptet wird, dass die alleinigen Objekte einer praktischen Vernunft, das heißt diejenigen, in denen diese Vernunft ihre volle Bestimmtheit findet, die sind, die (wie man so sagt) „vom Guten und Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 58) (bestimmte Objekte) sind.
Siehe dazu die folgenden Absätze des „Zweiten Hauptstücks“ (KpV, Ak. , S. ff.).
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f) So kann man schließlich,was die rein praktische Funktion der Kategorien der Freiheit betrifft, kurzerhand sagen: Diese Kategorien haben ihre rein praktische Funktion darin, die weitläufig bestimmten (beziehungsweise zu bestimmenden) Begehrungsmannigfaltigkeiten zu differenzieren in einerseits Mannigfaltiges derjenigen Objekte, die „vom Guten“ sind, und andererseits Mannigfaltiges derjenigen praktischen Objekte, die im realoppositionellen Gegensatz dazu vom „Bösen“ (nicht aber bloß ‚vom Übel‘) sind. Dass es auch sittlich indifferente Begehrungsmannigfaltigkeiten gibt, spielt bei dieser fundamentalsten Differenzierung der Objekte rein praktischen Denkens freilich keine Rolle mehr.
3 Die Kategorien der Freiheit in pragmatischer und technisch-praktischer Funktion a) Für die pragmatische Funktion haben die Kategorienpaare der letzten beiden Ordnungsstufen, das heißt der zweiten und dritten Zeile der Modalkategorien der Freiheit, vor allem die Bedeutung, uns im Bewusstsein der in ihnen gedachten sittlich wirklichen Einheit von Mannigfaltigkeiten des Begehrungs- und Verabscheuungsvermögens sowie im Bewusstsein der alternativen Einheit des sich in Realopposition dazu Befindlichen darauf aufmerksam zu machen, dass die in der Ordnung vorhergehenden Kategorien allein, in ihrer pragmatischen Funktion genommen zu einer apriorischen Bestimmung der Objekte praktischen Denkens, die dieser Funktion genügt, ausreichen, dass sie aber – erstens nicht alle Kategorien der Freiheit ausmachen, so dass ihre Objekte in der bloß pragmatischen Funktion kategorial unvollkommen bestimmt sind, also dem Mannigfaltigen des Begehrens- und Verabscheuens in dessen Bewusstsein nur zu einer unvollständigen Einheit verhelfen; dass sie – zweitens die Objekte, bloß so bestimmt, nicht dagegen gefeit sein lassen, sich mit ihrem Mannigfaltigen – als einem, das durch allein diese Einheitsfunktion im Bewusstsein unvollkommen vereinheitlicht ist – zugunsten des Pflichtwidrigen auszuwirken; und – drittens die Unterschiede in Graduierungen praktischer Forderungen, das heißt zwischen vorrangig und nachrangig zu erfüllenden derartigen Forderungen, verwischen und so – viertens, in dieser Abstraktion von den übrigen Kategorien der Freiheit genommen, zu einem defekten, jedenfalls aber einseitigen Gebrauch von den Prinzipien der praktischen Vernunft überhaupt führen.
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Zusätzlich zu all dem ist hier noch zu beachten, dass auch gemäß der letzten Ordnungsstufe der Kategorientafel, nämlich unter der letzten aller 18 Kategorien der Freiheit, für das Pragmatische in seiner spezifischen Funktion noch eine Aufgabe zu erfüllen bleibt: dem durchs moralische Gesetz allein Unbestimmten, und damit hinsichtlich unbedingter sittlicher Wirklichkeit Zufälligen an den unvollkommenen Pflichten, unter zusätzlichen objektiven Grundsätzen zu Wohlbestimmtheit zu verhelfen. b) Dasselbe gilt mutatis mutandis für die technisch-praktische Funktion der ersten 12 Kategorien der Freiheit auf den ersten neun Ebenen der Ordnung, und wiederum sowohl im Hinblick auf die Praxis des Umgangs mit dem Gegenständlichen als auch hinsichtlich philosophischer Reflexion auf diese Praxis: Wenn diese Kategorien bloß in ihrer technisch-praktischen Funktion genommen werden, so ist der – philosophischen sowie außerphilosophischen – praktischen Reflexion mittels der Freiheitskategorien nicht in vollem Umfang und bezüglich aller Mannigfaltigkeiten des Begehrens und Verabscheuens Rechnung getragen. Entsprechendes ist bei apriorisch so mangelhafter gegenständlicher Bestimmung auch hinsichtlich der Beurteilung der Praxis zu sagen, wenn diese allein unter den Kategorien der zehnten Ordnungsstufe und bloß auf deren technisch-praktische Funktion hin erfolgt. Wenn die ersten 12 Kategorien der Freiheit ausschließlich genommen werden in Ansehung desjenigen sogenannten „Guten“, das in Wahrheit bloß technischpraktisch Zweckmäßiges ist, und wenn bei der praktischen Beurteilung zusätzlich zu diesen Kategorien nur diejenigen der 10. Ordnungsstufe ihre Rolle spielen (das Erlaubte und das Unerlaubte), so kommt zu den genannten Bestimmungsmängeln noch hinzu, dass die derart unvollständig berücksichtigten Kategorien der Freiheit in ihrer bloß technisch-praktischen Funktion noch nicht einmal ausgehen auf Bestimmung der Einheit im gegenständlichen Bewusstsein eines Einzigen unter allem Mannigfaltigen des Begehrens und Verabscheuens – im Unterschied zu dem, was man immerhin bezüglich des aufs Wohl im Gegensatz zum Übel zielenden pragmatischen Fungierens derselben Anzahl von Kategorien sagen kann. Mehr noch als in ihrer pragmatischen Funktion sind die ersten 14 Kategorien daher für sich genommen in ihrer technisch-praktischen Funktion mangelhaft, und dies nicht zuletzt bei der Anwendung auf einzelne Fälle des sich bestimmenden Willens: Sie sind in Gefahr, grundsätzlich dazu beizutragen, dass apriorisch unvollständig bestimmte Einheiten von Mannigfaltigkeiten des Begehrens und Verabscheuens realen Prozessen Vorschub leisten, die dem moralisch Wirklichen entgegenwirken und das Pflichtwidrige befördern. c) Aufs Ganze gesehen gilt daher: In den drei Funktionszusammenhängen – dem rein praktischen, dem pragmatischen und dem technisch-praktischen –, in denen Kategorien der Freiheit ihre je spezifisch ausgerichtete Bedeutung als Be-
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griffe von Einheit im Gegenstandsbereich von Begehrungsmannigfaltigkeiten besitzen, hat man es allemal zu tun mit den auf der Tafel verzeichneten Kategorien, und zwar mit allen und nur mit ihnen. Mit möglichen Prädikabilien dazu mag es sich anders verhalten; aber die sind hier nicht Thema. Andere Kategorien (das heißt Stammbegriffe)¹¹ der Freiheit (genauer: der Vergegenständlichung von Freiheit) gibt es jedenfalls nicht und braucht es auch nicht zu geben. Denn die in der technisch-praktischen und pragmatischen Hinsicht positiv fungierenden (also nicht nur zur Aufklärung über einen Mangel beitragenden) ersten 14 Kategorien sind hinreichend dafür, jeweils unter den in der Tafel angegebenen Gesichtspunkten und mittels des darin Angegebenen zu bestimmen, was qua jeweilige Einheit im Bewusstsein des Begehrungs- beziehungsweise Verabscheuungsmannigfaltigen für den einzelnen Fall nach den formalen Bestimmtheiten des deontologischen Sechsecks vorgeschrieben oder untersagt oder aber mindestens eines von beidem ist und was im Unterschied dazu nicht vorgeschrieben und nicht untersagt, also in der formalen deontologischen Reflexion das Indifferente ist. Mehr als die Freiheitskategorien auf den ersten zehn Ebenen der Ordnung braucht es dazu nicht. Mehr aber als (allemal zweckbedingtes) Vorgeschrieben-, Untersagtsein, die Negation des einen oder anderen, die Alternation beider oder aber gegen beides Indifferentsein – nämlich geboten oder verboten zu sein im rein praktischen, also strikt moralischen, Sinne (mit den entsprechenden vier deontologischen Gegenstücken dazu) –, das ist in technisch-praktischen und pragmatischen Funktionszusammenhängen ohnehin nicht zu haben. Gleichwohl aber bedarf eine vollständige apriorische Bestimmung des praktischen Objekts auch in den technisch-praktischen und pragmatischen Funktionszusammenhängen zusätzlich zu den Kategorien auf den ersten zehn Ordnungsstufen auch der vier weiteren auf den letzten beiden Stufen – und das nicht nur zur apriorischen assertorischen sowie apodiktischen Auszeichnung des sittlich Wirklichen und seines entsprechenden realoppositionellen Gegensatzes. Vielmehr sind ohne diese letzten vier Modalkategorien auch alle übrigen Kategorien in ihrer technisch-praktischen und pragmatischen Funktion zur apriorischen Bestimmung des Mannigfaltigen in der Einheit des Bewusstseins praktisch unvollständig, da sie ja ohne die letzte Kategorie, welche die drei vorhergehenden Modalkategorien voraussetzt, das technisch-praktisch Richtige und das pragmatisch zum Wohl Taugliche nicht der zusätzlichen Bedingung seiner Integrierbarkeit ins sittlich Wirkliche unterwerfen. In der Kritik der reinen Vernunft nennt Kant die „Kategorien“ des reinen Verstandes seine „wahren Stammbegriffe“ und im Unterschied dazu dessen „eben so reine abgeleitete Begriffe […] Prädicabilien“ (KrV, A /B ). In der Kritik der praktischen Vernunft spricht Kant die Kategorien der Freiheit stattdessen als „Elementarbegriffe“ (KpV, Ak. , S. ) an.
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Zudem aber können sie ohne die vier Kategorien, die das sittlich Wirkliche betreffen (und somit ohne das erst darin Berücksichtigung findende rein praktische Gesetz), auch in ihrer pragmatischen und technisch-praktischen Funktion nur problematischerweise gelten. Denn die praktische Bestimmung durchs rein praktische Gesetz könnte ja alle technisch-praktischen und pragmatischen Funktionen der Kategorien dementieren, welche den letzten vier Kategorien der Tafel vorhergehen, wenngleich sie jene Kategorien selbst (als Gegenstandsbegriffe der reinen praktischen Vernunft) nicht in Frage stellen könnte. So kurz und bündig lassen sich anhand der Modalkategorien der Freiheit die rein praktische, die pragmatische und die technisch-praktische Funktion aller Kategorien der Freiheit charakterisieren. Ebenso evident wird daran auch, dass jedenfalls in diesen Hinsichten die Behauptung – ja, schon Erwägung – noch zusätzlicher Kategorien der Freiheit, die zu den in der kantischen Tafel verzeichneten hinzukommen, nicht nur überflüssig ist; sie ist vor allem systematisch abwegig. Wer gegen die geltend gemachten Gründe die Vollständigkeit des Systems der auf Kants Tafel verzeichneten Kategorien der Freiheit bestreiten wollte, müsste zumindest sagen, in welcher oben nicht beachteten Hinsicht die Vollständigkeitsbehauptung problematisch ist. Unter Voraussetzung der Kant’schen Urteilsfunktionensystematik und des darauf beruhenden transzendentalphilosophischen Kategoriensystems sowie der für die praktische Vernunft überhaupt fundamentalen Kant’schen Begriffe dürfte das gewiss schwerfallen.
4 Abschließende Bemerkungen a) Die oben in Abschnitt II. und III. gemachten Ausführungen haben trotz der entschieden behauptenden Aussagen, zu denen sie am Ende gelangen, noch erhebliche Mängel. Der Hauptmangel besteht wohl darin, dass sie nicht ganz generell und präzise auf Kants Begriff der Kategorien der Freiheit eingehen, um dann auf der Basis seiner Klärung an Exemplaren dieses Begriffs, das heißt einzelnen Kategorien der Freiheit, zu zeigen, wie die gegenstandsbestimmende Leistung der betreffenden einzelnen Kategorie in Bezug auf Mannigfaltiges des Begehrungsund Verabscheuungsvermögens – aber auch in synthetischer Verbindung mit den Kategorien des reinen Verstandes – genau zu verstehen ist und der Bildung sowie Stabilisierung der Einheit im Bewusstsein solcher Mannigfaltigkeiten dient. – Welch erhebliche Schwierigkeiten Kant hatte, sich hierüber in seiner zweiten Kritik verständlich zu machen, kann man daraus ersehen, dass er zu seinen Eintragungen in die Tafel der Kategorien – für die einzelnen Kategorien zu deren jeweiliger begrifflicher Charakterisierung, die eigentlich präzise und eindeutig sein sollte – Ausdrücke verwendet, die offenkundig den begrifflichen Gehalt der je-
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weiligen Kategorie nicht klar und deutlich darstellen. Sie explizieren ihn nicht genau in seiner jeweiligen begrifflichen Bestimmtheit, sondern verweisen allemal auf viel komplexeres, als der je besondere Begriff mit seinen Bestimmungen ist. Jede der eingetragenen Bezeichnungen soll uns zwar offensichtlich dazu dienen, jeweils den betreffenden Begriff zu identifizieren und dabei nichts zu ihm selbst hinzuzudenken. Doch die eingetragenen Ausdrücke nehmen uns die Aufgabe nicht ab, das aus eigener Kraft zu leisten. Wie das Identifikationsverfahren im Einzelnen auszusehen hätte und was es uns, richtig befolgt, über den begrifflichen Gehalt der einzelnen Kategorien verrät, wäre jedoch nicht allein an den Modalitätskategorien zu untersuchen, sondern an der ganzen Tafel. Dazu hätte aufgehellt werden müssen, was es heißt, dass i) die Kategorien der Freiheit das Mannigfaltige der Begehrungen „zu unterwerfen“ haben oder zumindest zu solchem Unterwerfen beitragen müssen; dass ii) die Unterwerfung eine des betreffenden Mannigfaltigen „der Begehrungen“ unter die Einheit des Bewusstseins zu sein hat, und zwar iii) unter diejenige einer „im moralischen Gesetze“ gebietenden praktischen Vernunft oder „eines reinen Willens a priori“. Es ist klar, dass solches Unterwerfen nicht nur darin bestehen kann, das betreffende Mannigfaltige zu einer lediglich beschreibend vorgestellten oder vorstellenden Einheit des Bewusstseins zu bringen, dass es vielmehr auch durch Hinwirken auf, und Herbeiführen von Willensentscheidungen sowie deren Umsetzung in ein der Entscheidung entsprechendes, inneres oder äußeres Handeln erfolgen muss, wobei all das unter Normen zu geschehen hat, die ebenfalls vorzustellen sind. Klar ist auch: Die gesetzgebende praktische Vernunft muss dabei so tätig sein, dass sie dem Unterwerfen wirksam gebietet. Welches aber sollen in diesem Prozess dabei die Anteile der gebietend tätigen und welches die der unterwerfend tätigen Vernunft sein und innerhalb der letzteren, das heißt bei solchem Unterwerfen, die speziellen Anteile, welche den Kategorien der Freiheit zukommen – und zukommen müssen, damit deren Beitrag der im moralischen Gesetz gebietenden praktischen Vernunft gemäß ist? Man bedenke, wie viele Betätigungen und wie verschiedene Vermögen, also Betätigungs- oder Ereignispotenziale, dabei synergetisch zusammenwirken müssen! Nämlich mindestens das Begehren beziehungsweise Verabscheuen, das Bewusstsein-Erlangen oder -Haben von … sowie alles Spezifische an der praktischen Vernunft und ihren Prinzipien überhaupt und nicht zuletzt das Spezifische der sich selbst das Gesetz gebenden, aber auch den reinen Willen darunter selbstbestimmend machenden und sein lassenden reinen praktischen Vernunft. Alles, was die praktische Vernunft betrifft, steht dabei auch zusätzlich unter Normen (oder enthält sie) für den Umgang des Bewusstseins mit nicht nur beschreibenden, sondern auch normativen begrifflichen Bestimmungen. Offenkundig kann der Beitrag, den Kategorien der Freiheit zu solch komplexer Synergie zu leisten haben, nur erfolgen, wenn er selbst ein sozusagen nur
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exekutiver Beitrag ist und als solcher den Vorgaben des Gesetzes folgt, sich dem Gesetz fügt und sich ihm gemäß in das synergetische Ganze einfügt.Was aber heißt das des Näheren für die einzelnen Kategorien der Freiheit? Worin soll in diesem komplexen Ganzen und seinem Bestimmungsprozess die spezielle Rolle jeder einzelnen dieser Kategorien bestehen? Das ist nicht leicht zu sagen. b) Zur Bewältigung dieser Probleme scheint es geboten zu sein, sich genauer, als das oben und in der bisherigen Forschungsliteratur geschehen ist, mit der Frage zu beschäftigen, wie die Abfolge der Kant’schen Angaben zu den einzelnen Kategorien auf der Tafel verstanden werden muss und was sie für den begrifflichen Gehalt der jeweiligen Kategorie besagt.Was beispielsweise bedeutet es, dass Kants Ausdrücke, welche die einzelnen Kategorien indizieren, in der Ordnung der vier Quadranten und sogar innerhalb eines jeden von diesen offensichtlich den wichtigsten Phasen eines praktischen, auf Objekterkenntnis ausgehenden Reflexionsprozesses entsprechen? Zuerst kommen die – selbst schon verschiedenartigen – praktischen Grundsätze, unter denen eine auf praktische Gegenstanderkenntnis ausgehende Reflexion überhaupt steht und die entsprechende Willensbildung zu erfolgen hat; dann die verschiedenartigen Regeln, die unter solche Grundsätze der einen oder anderen Art zu subsumieren sind; erst dann aber die Relation, in welcher sich bei allem vorhergehenden Reflektieren das Subjekt der Willensbildung zu sich selbst und zu anderem befindet (als Relation auf die für die Willenshandlungen verantwortliche Persönlichkeit, auf einen Zustand der Person und in Wechselwirkungsbeziehung einer Person auf den Zustand einer anderen); erst jedoch im Verhältnis zu diesem ganzen Begriffsgefüge, also erst an vierter Stelle, folgen dann die Gesichtspunkte, Normen und Willensbildungsergebnisse sowie Umsetzungen dieser Ergebnisse in Handlungen, welche für die reflexive praktische Beurteilung überhaupt und dann insbesondere für die moralische Beurteilung zu beachten sind. Wieder aber ist zur Aufklärung über den begrifflichen Gehalt der einzelnen Kategorien die Frage entscheidend:Wie prägt sich die unverkennbare und Kant bei seiner Anordnung der Tafel zweifellos leitende Abfolge der einzelnen Topoi an den einzelnen Kategorien aus und spezifiziert den jeweiligen Gehalt so, dass er in einer adäquaten Explikation der Kategorien auch eindeutig zu identifizieren ist? Es scheint mir eine wichtige Aufgabe weiterer Erforschung des von Kategorien der Freiheit handelnden Kant’schen Lehrstücks zu sein, hierüber mehr und Aufschlussreicheres zu sagen, als bisher gelungen ist. Beim Versuch, diese Aufgabe entschieden in Angriff zu nehmen, wird sich wahrscheinlich herausstellen, dass die Kategorien der Freiheit ihre Rolle keineswegs nur am Ende des ganzen praktischen Reflexionsprozesses haben, in welchem das „Mannigfaltige der Begehrungen“ der „im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft“ zu unterwerfen ist; dass sie also beileibe nicht
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das Ergebnis dieses Prozesses sozusagen lediglich zu ratifizieren haben.Vielmehr fungieren sie im ganzen Prozess von Anfang seines Verlaufs an und müssten daher als so tätige eigentlich auch in ihren je spezifischen Rollen für die einzelnen Prozessphasen expliziert werden. Schließlich gibt es ja – und sind für die praktische Reflexion relevant – nicht nur äußere Erscheinungen (in Raum und Zeit), sondern insbesondere auch innere, die sich voneinander nur in der Zeitfolge oder in ihrem gleichzeitigen Nebeneinander unterscheiden und in diesen Verhältnissen ebenso praktisch wie theoretisch begrifflich zu objektivieren sind. Nur wenn all dies beachtet wird, könnte dann auch rückblickend, von den letzten in der Ordnung aufgeführten Kategorien aus, „dogmatisch dargestellt“ werden, wie sich die Freiheit in den Kategorien vergegenständlicht und sich damit der Name „Kategorien der Freiheit“ rechtfertigt. Dass das nicht zu Kants Aufgabe in einer Kritik der praktischen Vernunft gehören konnte, versteht sich am Rande. Eine zulängliche Explikation und Darstellung dessen aber, was mit Kants kritischem Entwurf einer Tafel dieser Kategorien zu denken aufgegeben ist, müsste sich vor allem dieser Sachaufgabe widmen, obwohl sie die bloße Textinterpretation überschreitet. Aufs Ganze hin, aber nicht nur sehr allgemein, sondern auch bloß untersuchend gesagt, wird sich beim Wahrnehmen dieser Aufgabe wohl herausstellen, dass die einzelnen Kategorien der Freiheit im Gang des umrissenen praktischen Denkens und Reflektierens, soweit dabei apriorisch verfahren wird und sich der Vollzug für seine einzelnen Schritte nicht auf Erfahrung stützt, jeweils denjenigen begrifflichen Gehalt haben, auf dessen Beachtung es zur Gewinnung des praktisch normgemäßen und zur Vermeidung des normwidrigen jeweiligen Fortgangsschritts im Umgang des praktischen Denkens mit den Begehrungsmannigfaltigkeiten ankommt. Und der darin jeweils mitgedachten Norm entsprechend ist der Fortgang solchen Denkens dann unter den Kategorien des vierten Quadranten und gemäß deren Normen zu beurteilen. Unter den vorletzten beiden Kategorienpaaren vollzieht sich das gemäß Normen, die den Bereich der guten (inneren und äußeren) Objekte eindeutig von demjenigen der bösen trennen und für eine vollkommene Einheit des Bewusstseins von Begehrungsmannigfaltigkeiten sorgen, während sie das hierzu nicht taugliche Mannigfaltige als verboten oder aber indifferent ausgrenzen. Das so fortschreitende Denken vollzieht sich und wird vollzogen „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“. Bei bloß pragmatischer und technisch-praktischer Bestimmung und Beurteilung hingegen geschieht Entsprechendes in Ansehung von Wohl und Übel sowie von Zweckmäßigem und Zweckwidrigem – beide Male aber nur gemäß den ersten 14 Kategorien durch eine dementsprechend modifizierte Abgrenzung zwischen positiv und negativ zu Bewertendem. Die einzelnen Kategorien der Freiheit wären demnach diejenigen gänzlich apriorisch zu denkenden begrifflichen Gehalte, auf deren Beachtung es fürs jeweilige Treffen des Normgemäßen und Vermeiden des Normwidrigen an-
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kommt, das heißt einerseits fürs schrittweise Hinarbeiten aufs Gute, aber eben auch aufs Wohl und Zweckmäßige, und andererseits fürs Sichfernhalten vom Bösen, aber auch vom Übel und vom Unzweckmäßigen. Und die Gehalte der Kategorien wären sozusagen Wegmarken an jeweiligen Wegscheiden des praktischen Denkens, bei deren Beachtung beziehungsweise Missachtung es sich entscheidet, ob das praktische Denken in seinem geregelten Gang zu einer jeweiligen Einheit im Bewusstsein seines Begehrungsmannigfaltigen führt, die in je spezifischer Hinsicht – der einen oder anderen Kategorienfunktion nämlich, endgültig aber erst unter den letzten vier Kategorien – positiv und unter Zusatzbedingungen sogar als vollkommen zu bewerten ist im Gegensatz zu einer negativ und als defekt zu bewertenden Einheit des praktischen Bewusstseins. Ohne dass diese Auskunft schon voll der Sachaufgabe einer ausgeführten Lehre von den Kategorien der Freiheit gerecht würde, kann man ihrem Ergebnis wohl entnehmen: Keinesfalls geht es an, von den Kategorien, also Gegenstandsbegriffen, in denen das Unterwerfen bis zu dessen Abschluss erfolgt, nur abstrakte Vorstellungsgehalte oder nur Leistungen zu erwarten, abstrakt Allgemeines am Begehrungs- und Verabscheuungsmannigfaltigen herauszuarbeiten und dabei dessen im Bewusstsein erscheinenden Inhalten lediglich eine Form hinzuzufügen, welche äußere Gegenstände beschreibend charakterisiert. Vielmehr müssen die Kategorien in ihrem Gebrauch Leistungen sein, welche die Betätigung der praktischen Vermögen entweder von Anfang an durchdringen und das Unterworfenwerden von Anfang an vorbereiten oder sie müssen als praktische Begriffe zumindest auch Normen für die Betätigungen sein, auf welche diese als von praktischer Vernunft prinzipiierte von vorn herein abgestimmt, als noch nicht davon prinzipiierte aber abzustimmen sind. Die Gegenstände praktischen Denkens in einem Vorstellungen erlangenden, habenden und festhaltenden Bewusstsein, in welchem sie ihre Einheit finden können, sind jedoch lediglich dann abgestimmt auf gegenstandsbestimmende und zu den begrifflich bestimmten Gegenständen gehörende kategoriale Normen sowie in diesen Normen festgelegte deskriptive Begriffsgehalte, wenn das Bewusstsein schon vor seiner Vorstellung entsprechender äußerer Gegenstände den Normen entspricht und für eine der Gesetzgebung gemäße, praktische Betätigung taugt. Gegenständliche Bestimmtheit, welche die Kategorien der Freiheit dem Begehrungs- und Verabscheuungsmannigfaltigen geben, besteht freilich nur vermittels der prinzipiengemäßen Betätigung des jeweils zuständigen praktischen Vernunftvermögens. Sie besteht aber auch nur dann, wenn schon der Vermittlungsprozess die kategorialen begrifflichen Bestimmtheiten antizipiert und wenn außerdem auch deren Normen dem gegenständlichen Ergebnis des Vermittlungsprozesses immanent sind. Ebendeshalb bedarf es ja des Unterwerfens, zu dem die Kategorien ihren Dienst leisten. So eng durchdringen hier die beiden Sachverhalte einander: dass die Kategorien der
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Freiheit (am Gegenstand) „Statt haben“ und dass sie das Begehrungs- und Verabscheuungsmannigfaltige „unterwerfen“ oder mindestens unterwerfen helfen. c) Unterlassen wurde in obigen Ausführungen zu Kants Modalkategorien der Freiheit nicht zuletzt die dringend nötige Überlegung, in welchem genauen Sinn alle auf der Tafel indizierten begrifflichen Bestimmungen als Kategorien der Freiheit verstanden werden können und müssen. Die zweite meiner abschließenden Bemerkungen legte nahe, den Sinn dieser Bezeichnung mit der Objektivierung von Freiheit, die im Gang der praktischen Anwendung dieser Kategorien erfolgt, in Verbindung zu bringen. Wenn man diesen Vorschlag gelten lassen will, stellt sich jedoch sogleich die Anschlussfrage: Auf welche Weise vergegenständlicht sich die menschliche Freiheit in den Kategorien so, dass man von diesen nicht nur als aus der Freiheit stammenden apriorischen und praktisch-konstitutiven Gegenstandsbegriffen, also Kategorien, reden kann, sondern vielmehr kurz und bündig von Kategorien der Freiheit? Darüber hinaus und nicht weniger dringlich fragt sich aber auch: In welchem Sinn der Rede von Freiheit – und wessen Freiheit in den Subjekten praktischer Vernunft – werden die auf der Tafel verzeichneten Kategorien durch den Genitivausdruck „Kategorien der Freiheit“ zugeschrieben? Immerhin hat der Ausdruck ‚Freiheit‘ bei Kant viele Verwendungen und wird dabei nicht nur in verschiedenen Bedeutungen gebraucht, sondern zudem mindestens zwei, voneinander wohl zu unterscheidenden Vermögen zugeschrieben: dem Willen, als praktischer, speziell aber reiner praktischer, Vernunft,¹² und der Willkür.¹³ Damit nicht genug: Kant selber geht in seiner Metaphysik der Sitten so weit zu behaupten, nicht der Wille, sondern nur die Willkür könne „frei genannt werden“; zugleich aber kann sie nicht als das „Vermögen der Wahl, für oder wider das Gesetz zu handeln (libertas indifferentiae), definiert werden“ (MSRL, Ak. 6, S. 226). In der Kritik der praktischen Vernunft hingegen wurde unbefangen von Freiheit als Autonomie des Willens gesprochen. Zimmermann hat vorgeschlagen, diejenige Freiheit, welche im Ausdruck und Titel „Kategorien der Freiheit“ angesprochen wird, lediglich als Freiheit der Willkür zu verstehen. Ich bezweifle, dass dieser Vorschlag dem Charakter der in Rede stehenden Kategorien gerecht wird.Vor allem aber kann er nicht ohne Diskussion der mindestens im Wortlaut bestehenden Inkonsistenz zwischen Kant’schen Behauptungen der Kritik der praktischen Vernunft und der Metaphysik der Sitten akzeptiert werden. Da sich diese Diskussion nicht einer bloßen Schlussbemerkung einfügen lässt, muss ich meine hier bestehenden Zweifelsgründe unausgesprochen und die zuletzt angesprochenen Fragen offenlassen. Zimmermann aber
Siehe etwa KpV, Ak. , S. ff. Siehe dazu insbesondere MSRL, Ak. , S. , .
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Hans Friedrich Fulda
möchte ich abschließend großen Dank dafür zollen, an diese Fragen herangeführt und sie uns sehr dringlich gemacht zu haben.
Bibliographie Fulda, Hans F. (2006): Notwendigkeit des Rechts unter Voraussetzung des Kategorischen Imperativs der Sittlichkeit, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 14, S. 167 – 213. Kants Gesammelte Schriften (1900 ff.), hg. von der (Königlich) Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin. Zimmermann, Stephan (2011): Kants „Kategorien der Freiheit“, Kantstudien Ergänzungshefte Bd. 167, hg. von Manfred Baum, Bernd Dörflinger, Heiner F. Klemme und Thomas M. Seebohm, Berlin/Boston.
José María Torralba
Zur Rolle der „Typik der reinen praktischen Urtheilskraft“ und der „Kategorien der Freiheit“ in der Konstitution des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft* Abstract. The paper deals with the role of the faculty of judgement in Kant’s Critique of Practical Reason. It provides an interpretation of the role of the „Typic“ of the faculty of pure practical judgment and the categories of freedom in the constitution of the object of the will. For Kant, the object of the will is, properly speaking, a maxim. It is argued that in the second chapter of the Critique two notions of object and, thus, of maxim are used: one corresponding to the pure practical reason (a second-order maxim) and the other to the empirically conditioned practical reason (a first-order maxim). The object of the will (i. e. of the pure practical reason) is a second-order maxim, to which Kant also sometimes refers as inner attitude (Gesinnung). The categories of freedom provide the necessary knowledge in order to a priori assess any possible maxim. In particular, the „Typic“ allows the moral modality of a maxim to be determined, that is, whether it is morally possible or not. In this way, pure reason meets one of the essential requirements of autonomy: to constitute by itself the object of a will determined by the moral law. It is then justified to conceive the causality of the will independently of its matter.
1 Die Einheit der Funktionen der Urteilskraft in den drei Kritiken Bis vor Kurzem noch war die Fachwelt der Meinung, dass die Urteilskraft eine Angelegenheit sei, welche Kant nahezu ausschließlich in der Kritik der Urteilskraft behandelt, und dass es die Urteilskraft hauptsächlich mit dem Schönen und der teleologischen Ordnung der natürlichen Welt zu tun hat. Es steht ganz außer Zweifel, dass sich der größte Teil der dritten Kritik tatsächlich mit ebendiesen * Für die deutsche Übersetzung des vorliegenden Textes danke ich Javier F. Arancibia und Stephan Zimmermann.
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Dingen beschäftigt und dass Kant nicht außerordentlich redselig ist, was die Beziehung (oder Kontinuität) zwischen der Kritik der reinen Vernunft und der Kritik der praktischen Vernunft einerseits und der dritten Kritik andererseits anbelangt. Darüber hinaus glaubte man bislang in weiten Kreisen, dass die Urteilskraft kein Thema von Kants praktischer Philosophie sei (mit der einen Ausnahme, dass Kant das Schöne in der Natur für ein „Symbol der Sittlichkeit“ (KU, Ak. 5, S. 351) erachtet und dass, was in der ersten Kritik über die Urteilskraft gesagt wird in Bezug auf die Subsumtion von Objekten unter die Kategorien, in einem gänzlich anderen Kontext steht als das, was die dritte Kritik verhandelt). Zum Aufkommen dieser Auffassung hat ohne Zweifel jene Dramatik beigetragen, mit welcher Kant die Leistung beschreibt, die der Urteilskraft im System aller Kritiken zukommt: nämlich die Kluft zu überbrücken, die sich infolge der ersten und zweiten Kritik zwischen Natur und Freiheit auftut. Die Urteilskraft ist als einziges Vermögen in der Lage, wieder zu vereinen, was Verstand und Vernunft in der Abgrenzung ihrer Gegenstandsbereiche, welchen sie jeweils das Gesetz vorgeben, auseinanderreißen. Und dieser „Übergang“ erfolgt vermittels des Begriffs einer „Zweckmäßigkeit der Natur“ (KU, Ak. 5, S. 196), der uns in der ästhetischen Erfahrung sowie der Untersuchung organisierter Lebewesen begegnet. Diese durchaus gängige Auffassung ist wohl korrekt. Dennoch ist einzuwenden, dass sie unvollständig bleibt, dass sie Aspekte ausblendet, die für Kants Lehre von der Urteilskraft im Ganzen einschlägig und wichtig sind. Das neue Interesse an der Urteilskraft, welches in den letzten Jahren zu verzeichnen ist, macht es möglich, die systematische Relevanz, welche die Kritik der Urteilskraft für die Interpretation der Sache der ersten beiden Kritiken und damit das gesamte kritische Geschäft besitzt, neu auszuloten. Maßgeblich dafür waren die Studien von W. Wieland und B. Longuenesse.¹ Das Innovative dieser Studien liegt darin, dass sie die dritte Kritik nicht nur und nicht einmal vorrangig als eine Analyse von Geschmacks- und teleologischen Urteilen lesen, sondern stattdessen als eine allgemeine Theorie der Urteilskraft in Kants kritischem System. Besonders in der von Kant selber nicht veröffentlichten „Ersten Einleitung“ sowie in der von seiner Hand publizierten „Einleitung“ zur Kritik der Urteilskraft lassen sich die Schlüsselbegriffe zusammentragen, mit deren Hilfe man eine derartige allgemeine Theorie entwickeln kann. Danach ist die Urteilskraft ein Vermögen der Vermittlung, dessen wesentliche Obliegenheit in der Subsumtion besonderer Fälle unter allgemeine Begriffe besteht, sei es ausgehend vom besonderen Fall und den allgemeinen Begriff suchend, sei es umgekehrt im Ausgang von allgemeinen Begriff hin zum besonderen Fall. Darin ist Kants bekannte Un-
Vgl. Wieland (); Longuenesse (). Siehe auch Vigo (); Vigo ().
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terscheidung zwischen der bestimmenden und der reflektierenden Funktion der Urteilskraft vorhanden. Diese wird indes nicht selten so ausgelegt, dass es sich dabei um zwei verschiedene oder gar einander entgegengesetzte Leistungen der Urteilskraft handelt. In Wirklichkeit jedoch findet sich in fast allen Urteilsoperationen des menschlichen Intellekts sowohl ein Moment der Reflexion als auch eines der Bestimmung; denn die Operation der Subsumtion ist nur möglich, indem der Weg vom Besonderen zum Allgemeinen und wieder zurück beschritten wird. Demgegenüber entdeckt und traktiert die Kritik der Urteilskraft eine spezielle Art von Urteil, nämlich dasjenige, welches „bloß reflectirend“ (KU, Ak. 5, S. 179) ist.² In dieser Art Urteil, wozu Geschmacks- und teleologische Urteile gehören, tritt die Urteilskraft gleichsam in ihrer reinen Form auf, das heißt so, dass sie nicht bestimmend tätig ist. Die Analyse dieser Urteile erst erlaubt zu sehen, dass die Reflexion die fundamentale, die eigenste Tätigkeit der Urteilskraft ist. Wenn man nun von dort aus die Kritik der reinen Vernunft erneut betrachtet, gewinnen manche Textstellen in der „Analytik der Grundsätze“ eine andere Bedeutung. Gemeint ist das Kapitel „Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe“ sowie das „Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe“. Um es kurz zu machen: Der transzendentale Gebrauch der Urteilskraft, den Kant im Schematismus-Kapitel einführt, schließt in sich, dass der allgemeine Begriff (oder die Regel) und der besondere Fall, auf den jener angewendet wird, a priori gegeben sind und dass deswegen die Subsumtion gleichsam ‚mechanisch‘ vonstattengeht, will sagen ohne dass dabei irgendeine reflektierende Vermittlung nötig ist, weil es hier gar nichts ‚zu suchen‘ gibt. Obwohl Kant selber das nicht tut, können wir sagen, dass die transzendentale Urteilskraft ‚bloß bestimmend‘ tätig ist – im Gegensatz zu ihrer „bloß reflectirend[en]“ Aktivität, wie sie die dritte Kritik auseinanderlegt. Die Ausführungen zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe zeigen derweil, dass sogar in diesem ‚bloß bestimmenden‘ Gebrauch der Urteilskraft eine reflexive Vermittlung stattfindet und stattfinden muss. Denn jeder Urteilsakt schließt insofern eine reflektierende Operation ein, als er eine Synthesis von Vorstellungen in Beziehung zu dem entsprechenden kognitiven Vermögen setzt. Vor diesem Hintergrund kann man behaupten, dass Kant über ein ganz grundlegendes philosophisches Prinzip Rechenschaft zu geben versucht, welches heute normalerweise in der Wittgenstein’schen Formulierung bekannt ist: dass die Anwendung einer Regel nicht selber wiederum durch eine weitere Regel geregelt sein kann. In der Kritik der reinen Vernunft bezeichnet Kant die Urteilskraft als „Naturgabe“ oder „Mutterwitz“ (KrV, A 133/B 172), der „gar nicht belehrt, sondern
Vgl. EEKU, Ak. , S. f.
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nur geübt sein“ kann.³ Ohne Zweifel handelt es sich hier um eine tendenziell naturalistische Deutung. An ihre Stelle tritt in der dritten Kritik der Begriff der Heautonomie, wonach die Urteilskraft fähig ist, sich selbst das für den eigenen Vollzug notwendige Prinzip zu geben, namentlich für den Vollzug der Reflexion.⁴ Im Folgenden will ich die Funktion näher beleuchten, mit der die Urteilskraft in der Kritik der praktischen Vernunft auftritt.⁵ Dort findet sich am Ende des „Zweiten Hauptstückes“ der „Analytik der reinen praktischen Vernunft“ ein Kapitel, überschrieben mit „Von der Typik der reinen praktischen Urtheilskraft“, das normalerweise weder mit der dritten Kritik noch mit der ersten Kritik in Zusammenhang gebracht wird.⁶ Dabei ist es nach Kant die Bestimmung der Urteilskraft der reinen praktischen Vernunft zu entscheiden „ob eine uns in der Sinnlichkeit mögliche Handlung der Fall sei, der unter der Regel stehe, oder nicht“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Kant selber weist darauf hin, dass es sich hier um eine Betätigung der Urteilskraft handelt, die der „der reinen theoretischen“ (KpV, Ak. 5, S. 68) parallel ist. Jedoch besteht der Unterschied zwischen beiden darin, dass – während im theoretischen Gebrauch der Urteilskraft die Schemata a priori gegeben sind, auf die die reinen Begriffe des Verstandes angewendet werden – das im praktischen Gebrauch nicht möglich ist, weil „das sittlich Gute etwas dem Objecte nach Übersinnliches ist, für das also in keiner sinnlichen Anschauung etwas Correspondirendes gefunden werden kann“. Kants Auflösung dieser Aporie besteht darin, das Schema der Sinnlichkeit im Theoretischen hier im Praktischen nun zu ersetzen durch die „Form der Gesetzmäßigkeit überhaupt“ (KpV, Ak. 5, S. 70). Denn die Form der Gesetzmäßigkeit ist immer im Verstand verfügbar und kann darüber hinaus „an Gegenständen der Sinne in concreto dargestellt werden“ (KpV, Ak. 5, S. 69). So lässt sie sich als ein „Typus des Sittengesetzes“ verwenden, um unsere Handlungen moralisch zu beurteilen. Was nun aber Kant im Typik-Kapitel ausführt, ist nicht so leicht nachvollziehbar,wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn Kant unterstellt, ohne dies eigens zu vermerken, zwei unterschiedliche Bedeutungen von praktischer Urteilskraft: eine empirische (oder empirisch bedingte) und eine reine praktische Urteilskraft. Kant identifiziert einerseits das allgemeine Problem der praktischen Urteilskraft (welches beide Bedeutungen einschließt) als das der moralischen Bewertung konkreter Handlungen, die in der Sinnenwelt möglich sind, das heißt
Siehe hierfür Kulenkampff (), S. – . Vgl. KU, Ak. , S. f.; EEUK, Ak. , S. f. Vgl. Torralba (), S. – . Eine markante Ausnahme bildet Recki (). Ich folge jedoch nicht Reckis Interpretation, die die Typik der Kritik der praktischen Vernunft aus dem Begriff des Symbols in § der Kritik der Urteilskraft deutet und wonach die Typik eine Form reflektierender Urteilskraft behandelt.
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als die Antwort auf die Frage ‚Was soll ich tun?‘. Aber er weist anderseits darauf hin, dass „[h]ier“ (was die reine praktische Urteilskraft anbelangt) nicht „die Handlung in Beziehung auf ihren Erfolg“ von Belang ist, sondern die Willensbestimmung „durchs Gesetz allein“ (KpV, Ak. 5, S. 68 f.). Es geht gar nicht um eine Kausalität der Natur, auch nicht um die physische Möglichkeit einer Handlung, sondern um die Kausalität aus Freiheit und damit die moralische Möglichkeit der betreffenden Handlung. Es wird darum aufzuzeigen sein, dass sich die reine praktische Urteilskraft nicht direkt auf in der Sinnenwelt mögliche Handlungen zu beziehen vermag, sondern nur auf Handlungsmaximen, genauer auf die Form dieser Maximen. Die doppelte Bedeutung der Rede von praktischer Urteilskraft, als empirisch bedingte und als reine, ist einer der zentralen Interpretationsschlüssel meiner folgenden Überlegungen. Diese sachliche Unterscheidung entspricht nämlich dem doppelten Sinn von praktischer Freiheit⁷ sowie der Kantʼschen Unterscheidung zwischen Wille und Willkür in der Metaphysik der Sitten ⁸ und der dazugehörigen Hierarchie unserer Maximen, wie sie in der Religions-Schrift zu finden ist (Maximen erster Ordnung, Handlungsmaximen, und Maximen zweiter Ordnung, Maximen des Willens oder der Gesinnung).⁹ Es gibt einen empirisch bedingten und einen reinen Gebrauch praktischer Urteilskraft. Das korrespondiert der Unterscheidung zwischen einem empirischen und transzendentalen Gebrauch der theoretischen Urteilskraft. In der Kritik der reinen Vernunft erörtert Kant nur den einen, namentlich den reinen, Gebrauch, in welchem sowohl der allgemeine Begriff als auch der besondere Fall a priori gegeben sind und es um eine Bedingung der Möglichkeit empirischer Erkenntnisurteile geht, in denen sich unsere alltägliche Erfahrung vollzieht. Ich möchte nun behaupten, dass sich Kant in der zweiten Kritik ganz ähnlich lediglich mit dem reinen Gebrauch der Urteilskraft auseinandersetzt, der sich nicht auf einzelne Handlungen (oder auf Gegenstände des Wollens) bezieht wie etwa lügen oder Selbstmord begehen, sondern auf die Form der moralisch möglichen Gegenstände, sprich derjenigen Objekte, die einem Willen entsprechen, welcher durch einen rein-moralischen Grundsatz, das moralische Gesetz, bestimmbar ist. Im Grunde gibt es nur einen Gegenstand des Willens, der dem moralischen Gesetz genügt, und das ist das Gute. Das Böse ist dementsprechend dasjenige,was diesem nicht genügt. Und die reine praktische Urteilskraft findet ihre zentrale Aufgabe in der Ermittlung ebendes guten Objekts, das heißt in der apriorischen Bestimmung
Vgl. Schönecker (). Vgl. MSRL, AK. , S. . Vgl. RGV, Ak. , S. . Siehe dazu Timmermann (), S. – ; Schwartz ().
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der Bedingungen, welche jedes Objekt des Wollens (will sagen jede einzelne Handlung) erfüllen muss, um mit dem moralischen Gesetz in Einklang zu stehen. Dieser Gegenstand der reinen praktischen Vernunft ist durch die Kategorien der Freiheit konstituiert, und die reine praktische Urteilskraft leistet die Bestimmung seiner Modalität. Einmal konstituiert, stellt dieser Gegenstand einen normativen Rahmen dar (der des moralisch Möglichen oder Erlaubten), das in der moralischen Beurteilung herangezogen werden kann. Man kann mithin die folgende Taxonomie für die Urteilskraft aufstellen: a) Gebrauch: theoretisch und praktisch; b) Gegenstandsbereich: rein und empirisch; c) Form: (bloß) bestimmend und (bloß) reflektierend. Bisher haben wir nur den reinen Gebrauch berücksichtigt, den theoretischen wie auch den praktischen. In Bezug auf den empirischen Gebrauch muss man sagen, dass die Urteilskraft so, wie sie in ihrem theoretischen Gebrauch systematisch am Aufbau der Metaphysik der Natur mitwirkt, in ihrem praktischen Gebrauch am Aufbau der Metaphysik der Sitten beteiligt ist.¹⁰ Es ist klar, dass die Metaphysik der Sitten nur aus den metaphysischen Anfangsgründen der Rechts- und Tugendlehre besteht, weswegen das doktrinale System der Rechts- und Tugendpflichten immer noch ‚metaphysisch‘ und insofern ‚rein‘ ist. Während aber in der Kritik der praktischen Vernunft das moralische Urteil (in welchem festgelegt wird, was zu tun und was zu lassen ist) gänzlich formal ist, setzt das ausgeführte System der Pflichten in der Metaphysik der Sitten schon eine Anwendung des moralischen Gesetzes auf endliche Vernunftwesen (mit einem Körper) voraus, welch letztere mit anderen vernünftigen Wesen in Verbindung stehen und deren Handeln eine teleologische (ZweckMittel‐) Struktur aufweist.¹¹ Diese Anwendung modifiziert nicht den metaphysischen Status der Metaphysik der Sitten, weil diese nicht auf empirischem Wissen um die menschlichen Natur (Anthropologie), sondern nur auf den formalen Bedingungen der Ausübung von Freiheit basiert, welche die Vernunft aus sich allein zu erkennen vermag, das heißt ganz ohne weiteres Wissen als nur demjenigen, das in einem endlichen Wesen von der Selbsterfahrung des Gebrauchs der Kausalität aus Freiheit herrührt.¹² Beispiele für moralische Urteile über konkrete Handlungen finden sich in der Metaphysik der Sitten in den „Casuistischen Fragen“. Dort unternimmt Kant den Versuch, Handlungen, welche für uns in der Sinnenwelt möglich sind, in Verbindung zu setzen mit Tugendpflichten, das heißt solchen Pflichten, da zu be Vgl. MSTL, Ak. , S. f. In letzter Instanz leitet sich die teleologische Struktur des menschlichen Handelns aus unsere Endlichkeit ab: Es gibt eine (ontologische) Distanz zwischen dem Urheber und dem Gegenstand seines Wollens. Vgl. MSRL, Ak. , S. ff.
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urteilen ist, ob die Maxime meiner Handlung den Zwecken, die Pflicht sind, entspricht. Wie Kant richtig bemerkt, ist die Kasuistik nicht Teil des Systems, weil wir es hier schon nicht mehr mit metaphysischem Wissen zu tun haben.¹³ Aber vom Standpunkt der Urteilskraft aus gesehen, kann behauptet werden, dass diese kasuistischen Urteile das letzte Glied in der Tätigkeit praktischer Urteilskraft darstellen.Wo man über einzelne Handlungen urteilt, versucht man auszumitteln, ob die Maxime, unter welche die betreffende Handlung fällt, mit dem moralischen Gesetz in Einklang ist.¹⁴ Man könnte sagen, die Urteilskraft muss zuerst bestimmen, um welche Art von Handlung (oder Maxime) es jeweils geht, sodann muss sie diese mit den verschiedenen Tugendpflichten vergleichen, und schließlich muss sie – als Folge davon – urteilen, ob die Handlung (oder Maxime) gut ist oder böse.¹⁵ Zuletzt ist noch darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit dem praktischen Gebrauch der Urteilskraft auch eine Leistung begegnet, die eine ‚bloß reflektierende‘ genannt zu werden verdient: das Gewissen. Die Passagen in Kants Schriften, in denen er sich mit dem Thema des Gewissens beschäftigt (hauptsächlich in der Religions-Schrift und in der Metaphysik der Sitten), sind nicht nur spärlich gesät, es ist darüber hinaus keineswegs leichthin möglich, eine einheitliche Auslegung dieser Passagen zu geben. Ich glaube, die Schwierigkeit hat ihren Ursprung darin, dass das Phänomen des Gewissens für Kant aus zwei Elementen zusammengesetzt ist.¹⁶ Auf der einen Seite begreift es die Fähigkeit ein, einen Akteur dazu zu bewegen, dasjenige zu tun, was die Vernunft als richtig eingesehen hat, das heißt aufgrund der Autorität des moralischen Gesetzes, die wir gemeinhin als ‚Gewissensbiss‘ bezeichnen, zum Handeln zu motivieren. Auf der anderen Seite begreift das Gewissen eine Aktivität der Urteilskraft ein, die Kant als Urteil über das moralische Urteil kenntlich macht¹⁷ oder als Beziehung zwischen „subjective[m]“ und „objective[m]“ (MSTL, Ak. 6, S. 401) Urteil, das heißt als Feststellung der Aufrichtigkeit und Behutsamkeit, mit der das moralische Urteil
Vgl. MSTL, Ak. , S. . In diesem Punkt folge ich derjenigen Interpretation der Maxime, wonach diese aus einer praktischen Regel, welche eine Zweck-Mittel-Struktur besitzt, und einer Triebfeder zusammengesetzt ist. Die je vollzogene Handlung ist das Mittel für die Erreichung des jeweiligen Zwecks. Diese Interpretation gründet sich auf Kants Definition eines „praktischen Princip[s]“ in KpV, Ak. , S. ff. Eine andere Erklärung besteht darin, dass man wie Zimmermann sagt, die Bestimmung des Begehrungsvermögens habe eine „propositionale Struktur“ (Zimmermann (), S. , f.) und praktische Urteile seien „praktische Sätze“ (S. ) oder „praktische Regel[n]“ (S. ). Eine Maxime ist, als praktischer Grundsatz, ein Satz, der eine Bestimmung des Willens enthält (vgl. KpV, Ak. , S. ). Vgl. Enskat (); Höffe (). Vgl. Heubült (). Vgl. RGV, Ak. , S. .
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verfertigt wird. Nur wenn das Subjekt auf die richtige Weise urteilt, tut es das Richtige, indem es in Übereinstimmung mit dem handelt, was ihm als Pflicht erscheint (obwohl sein Urteil objektiv falsch sein mag und es dementsprechend dem zuwiderhandelt, was tatsächlich richtig ist). Im subjektiven Urteil zeigt sich die praktische Urteilskraft auf eine bloß reflektierende Weise, weil hier nicht die Subsumtion einer Handlung oder einer Handlungsmaxime unter das moralische Gesetz stattfindet. Wir haben es stattdessen mit der Wahrnehmung der je eigenen Subjektivität sowie der Art und Weise zu tun, wie die Subsumtion fallweise erfolgt.¹⁸ Bislang habe ich versucht, einen Grundriss der verschiedenen Formen zu skizzieren, welche die Tätigkeit der Urteilskraft annehmen kann, sowie die Beziehungen aufzuzeigen, die zwischen diesen Tätigkeitsformen bestehen. Im Weiteren werde ich zunächst (II.) den Begriff des Gegenstandes präzisieren, wie Kant ihn im „Zweiten Hauptstück“ der Kritik der praktischen Vernunft darstellt, um die zweifache Bedeutung, mit der Kant diesen Begriff benutzt, sowie dessen Verhältnis zur Lehre von den Freiheitskategorien darzutun. Danach werde ich (III.) auf die Funktion eingehen, welche die reine praktische Urteilskraft in der Bestimmung der Modalität dieses Gegenstandes und damit für die Konstitution des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft erbringt.
2 „Praktische Beziehung“ und praktischer Gegenstand Dass der Begriff des Gegenstandes in Kants Transzendentalphilosophie einen fundamentalen Stellenwert besitzt, das zu erwähnen, scheint beinahe eine Trivialität. Niemand wird ernstlich daran zweifeln, dass das Problem der Gegenständlichkeit im Bereich der theoretischen Philosophie das Problem schlechthin ist, welches die erste Kritik zu lösen unternimmt. Anders jedoch im Falle der praktischen Vernunft. Denn nur wenige würden behaupten, das zentrale Thema der Kritik der praktischen Vernunft sei die genuin praktische Gegenständlichkeit, das heißt der Gegenstand der reinen praktischen Vernunft.¹⁹ Stattdessen gilt als die zentrale Aufgabe eher die Festsetzung und Ausweisung der Wirklichkeit einer Kausalität durch Freiheit oder, was dasselbe ist, der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft. Dies verwundert insofern nicht, als Kant selber in der
Vgl. Wieland (), S. . Kant selber bedient sich nicht des Ausdrucks ‚praktischer Gegenstand‘. Ich folge hier der Sprache von Rousset (), S. . Siehe auch Llano (), S. – .
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„Einleitung“ zur Kritik bemerkt, dass, während „der theoretische Gebrauch der Vernunft […] sich mit Gegenständen des bloßen Erkenntnißvermögens [beschäftigt]“, „sich die Vernunft [im praktischen Gebrauch] mit Bestimmungsgründen des Willens [beschäftigt]“ (KpV, Ak. 5, S. 15). Die aufmerksame Lektüre der „Einleitung“ lässt allerdings erkennen, dass der Begriff des Gegenstandes durchaus präsent ist. Denn der Wille ist nach Kant „ein Vermögen“, „den Vorstellungen entsprechende Gegenstände entweder hervorzubringen, oder doch sich selbst zu Bewirkung derselben (das physische Vermögen mag nun hinreichend sein, oder nicht), d. i. seine Causalität, zu bestimmen“. Man könnte hier einwenden, dass solche „Gegenstände“ nichts anderes als die Materie des Wollens sind, wie Kant ja in „Lehrsatz III“ stipuliert: „Die Materie eines praktischen Princips ist der Gegenstand des Willens“ (KpV, Ak. 5, S. 27). Und bekanntlich erfordert die Autonomie des Willens, dass sich dieser unabhängig von der Materie, also unabhängig von vorausgesetzten Gegenständen, bestimmt. In diesem Sinne hätte der Gegenstand des Willens nur – oder hauptsächlich – eine eher negative Stellung in der Argumentation der Kritik. Nun behauptet Kant aber am Ende der „Einleitung“, dass die Untersuchung mit dem Grundsatz der reinen praktischen Vernunft (dem Gesetz der Kausalität durch Freiheit) anheben muss, welcher „die Gegenstände [bestimmt], worauf er allein bezogen werden kann“ (KpV, Ak. 5, S. 16). Das heißt, wir finden hier abermals das Schema Grundsatz-Gegenstand, welches dem Leser der ersten Kritik geläufig ist. Doch welche Gegenstände sind das, die das moralische Gesetz bestimmt? Nach meinem Dafürhalten ist es unabdinglich, darauf hinzuweisen, dass Kant mit zwei verschiedenen Bedeutungen von ‚Gegenstand‘ operiert: Dieser ist entweder ein empirisch-praktischer oder rein-praktischer Gegenstand. In einer ersten Formulierung kann man sagen, dass der empirisch-praktische Gegenstand die Materie des Wollens ist, während der rein-praktische Gegenstand derjenige ist, der durch das moralische Gesetz bestimmt wird (durch die Kategorien der Freiheit), mit dem sich Kant explizit erst im „Zweiten Hauptstück“ auseinandersetzt.Wie ich später zeigen werde, handelt es sich hier nicht um zwei verschiedene Gegenstände, sondern um verschiedene Aspekte des einen Gegenstandes unseres Willens (oder der praktischen Vernunft). Sogar in der Bestimmung der reinen praktischen Prinzipien muss es einen Bezug zum Gegenstand dieser Prinzipien geben, weil Kant den Willen als eine kausale Kraft versteht; es kann keine Bestimmung des Willens gleichsam im luftleeren Raum stattfinden, auch dann nicht, wenn es sich um die moralische Bestimmung unseres Wollens handelt.²⁰ Deswegen kann man konstatieren, dass die Aufgabe des „Zweiten Hauptstückes“ darin besteht
Vgl. KpV, Ak. , S. , f.
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darzulegen, wie reine praktische Vernunft durch sich selbst den Gegenstand des Willens konstituiert, unabhängig von der Materie dieses Willens. In gewisser Hinsicht ist das die radikalste Form der Autonomie: Es geht nicht nur darum auszuloten, welche Gegenstände (Materie) akzeptabel sind, auch nicht nur darum zu zeigen, dass reine Vernunft fähig ist, den Willen zu bestimmen (oder ihm die Triebfeder zu geben), sondern darum, dass Vernunft von sich aus und a priori den Gegenstand des Willens konstituiert, so dass eine der notwendigen Bedingungen gegeben ist, unter der eine moralische Bestimmung des Willens zustande kommt. Ohne Zweifel gehören die Abschnitte, welche Kant dem Begriff des praktischen Gegenstandes widmet, weder zu den besten noch zu den verständlichsten, die seiner Feder entstammen. Und das hat höchstwahrscheinlich dazu beigetragen, dass die Beschäftigung mit der Typik bisher derart schleppend verlaufen ist. Die meisten Interpretationen des „Zweiten Hauptstückes“ halten sich an das „Paradoxon der Methode“ (KpV, Ak. 5, S. 62), dem zufolge die Pflicht bestimmt, was gut ist, und nicht umgekehrt. Und ohne Zweifel handelt es sich dabei um eine ganz fundamentale Lehre. Doch nicht weniger wichtig sind die anderen beiden Kapitel des „Zweiten Hauptstückes“: das über die Kategorien der Freiheit und das über die sogenannte Typik der reinen praktischen Urteilskraft.²¹ Die These, die ich vorschlagen möchte, besagt, dass der Begriff des Gegenstandes, den Kant in den ersten Absätzen des „Zweiten Hauptstückes“ entfaltet, erst in diesen letzten beiden Partien vollkommen erklärlich wird. Obwohl es nicht möglich ist, einen strikten Parallelismus zwischen den Kategorien der Natur und denen der Freiheit zu ziehen, kann man doch sagen, dass letztere den Gegenstand der reinen praktischen Vernunft auf eine ähnliche Art und Weise konstituieren wie die ersteren den Gegenstand der Erfahrung: indem sie als synthetische Funktionen der Einheit a priori fungieren.²² Und der reinen praktischen Urteilskraft kommt bei dieser Konstitution eine wesentliche Aufgabe zu; sie bestimmt die Modalität des praktischen Gegenstandes, das heißt seine Beziehung auf das moralische Gesetz. Ebendarum veranschlagt sie die Form der Gesetzmäßigkeit einer intelligiblen Natur als Typus des moralischen Gesetzes.
Obwohl Kant seine Ausführungen nicht unter eine eigene Überschrift stellt und so abgegrenzt, ist es mittlerweile üblich, die Absätze KpV, Ak. , S. . – . als eine eigenständige Sinneinheit zu betrachten. Vgl. KrV, A /B .
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2.1 Die „praktische Beziehung“ Kant führt im „Ersten Hauptstück“ der Kritik der praktischen Vernunft die bekannte Unterscheidung ein zwischen sinnlicher und übersinnlicher Natur. Dabei handelt es sich nicht um zwei verschiedene Welten, sondern um zwei verschiedene Legislationen der Vernunft.²³ Im ersten Fall ist der Wille den Naturgesetzen unterworfen, während er im zweiten Fall Freiheitsgesetzen unterstellt ist. In der sinnlichen Natur müssen „die Objecte Ursachen der Vorstellungen sein […], die den Willen bestimmen“, während in der übersinnliche Natur „der Wille Ursache von den Objecten sein soll, so daß die Causalität desselben ihren Bestimmungsgrund lediglich in reinem Vernunftvermögen liegen hat, welches deshalb auch eine reine praktische Vernunft genannt werden kann“ (KpV, Ak. 5, S. 44). Die intelligible Natur ist derjenige praktische Bereich, der durch Freiheit möglich ist. Diese Natur hat ihre „objective Realität“ in „praktischer Beziehung“ (KpV, Ak. 5, S. 44), das heißt in derjenigen Beziehung, die zwischen dem Willen und den Gegenständen besteht, welche durch seine Kausalität hervorgebracht werden können.²⁴ Diese „objective Realität“ hängt nicht von der Wirklichkeit der Gegenstände ab, die durch den Willen hervorgebracht werden, sondern vom Bestimmungsgrund und in der Folge von der Fähigkeit der reinen Vernunft, die Kausalität unseres Willens zu bestimmen. Das Faktum der Vernunft garantiert uns, dass die Vernunft eine solche Fähigkeit besitzt und dass sie „objective Realität“ hat. Diese Art von „objective[r] Realität“ ist die, welche den Gesinnungen oder Maximen zu Eigen ist.²⁵ Wenn darüber hinaus das nötige physische Vermögen vorhanden ist, um den zu einem Objekt bestimmten Willen auszuführen, wäre eine solche natura archetypa auch eine natura ectypa in der Sinnenwelt.²⁶
Vgl. KU, Ak. , S. ; EEKU, Ak. , S. . Siehe ebeso KpV, Ak. , S. f., . Vgl. KpV, Ak. , S. . Obwohl Kant in seiner Terminologie nicht immer konsistent ist, ist es wichtig, „objective Realität“ nicht mit praktischer Wirklichkeit zu identifizieren. Die Kategorien der Freiheit, sofern sie Erkenntnisse stiften, sichern die objektive Realität des Begriffs des Guten. So wie man hinsichtlich der Kategorien des Verstandes sagt, dass sie objektive Realität haben, wenn sie den Bedingungen möglicher Erfahrung, den Formern sinnlicher Anschauung, genügen, hat im Fall eines praktischen Begriffs dieser objektive Realität, wenn er in Zusammenhang – der keiner der Entsprechung sein muss – mit dem moralischen Gesetzt vorkommt. Unter praktischer Wirklichkeit muss demgegenüber der verwirklichte Gegenstand solch eines Begriffes verstanden werden, der in diesem Fall die Gesinnung ist, welche durch die Bestimmung des Willens wirklich wird. Das ist die Bedeutung einer der fundamentalen Eigenschaften der Kategorien der Freiheit, dass „sie die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen, (die Willensgesinnung) selbst hervorbringen“ (KpV, Ak. , S. ). Vgl. Kobusch (), S. . Vgl. KpV, Ak. , S. .
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Der systematische Ort eines Gegenstandes der praktischen Vernunft, der Kategorien der Freiheit und der Typik der reinen praktischen Urteilskraft liegt eben in der „praktischen Beziehung“, welche die Kausalität aus Freiheit eröffnet. Hier zeigt sich der Wille als eine kausale Kraft, welche durch die reine Vernunft bestimmbar ist. Das heißt, es handelt sich dabei um eine Kausalität, deren Bestimmung nicht von den Bedingungen der sinnlichen Natur abhängig ist. Aber – und dies ist maßgeblich – die causa noumenon (oder Freiheit) darf nicht als die Kausalität des Willens verstanden werden, die Veränderungen in der sinnlichen Welt hervorbringt, sondern als die Kausalität der Vernunft, welch letztere den Willen unabhängig von vorausgesetzten Bedingung aus sich selber heraus bestimmt. Kant zufolge setzt die reine praktische Vernunft „nur den Bestimmungsgrund der Causalität des Menschen als Sinnenwesens (welche gegeben ist)“ (KpV, Ak. 5, S. 49). In diesem Zitat bezieht sich „Causalität des Menschens“ auf die Naturkausalität (deswegen „als Sinneswesen“), während sich „den Bestimmungsgrund“ setzen auf das Resultat der Kausalität aus Freiheit bezieht. Dieser Punkt ist entscheidend für das, wofür ich argumentieren werde: Die „praktische Beziehung“ hat ihren Ort in dem Bestimmungsgrund der Kausalität menschlicher Wesen.²⁷ Ohne Zweifel muss es eine ‚Kontinuität‘ von der Bestimmung der Kausalität des Willens hin zu den Veränderungen geben, welche diese in der Welt wirkt, indem beide dasselbe Subjekt angehen (das Begehrungsvermögen); aber bekanntlich gehören die Kausalität durch Freiheit und die Kausalität der Natur zu verschiedenen Gebieten, mit verschiedenen Prinzipien und Gegenständen.
2.2 Der doppelte Gegenstand der praktischen Vernunft Das „Zweite Hauptstück“ beginnt mit der folgenden Erklärung: Unter dem Begriffe eines Gegenstandes der praktischen Vernunft verstehe ich die Vorstellung eines Objects als einer möglichen Wirkung durch Freiheit. Ein Gegenstand der praktischen Erkenntniß als einer solchen zu sein, bedeutet also nur die Beziehung des Willens auf die Handlung, dadurch er oder sein Gegentheil wirklichgemacht würde, und die Beurtheilung,
Diese Argumentation wird klarer, wenn man die Unterscheidung heranzieht, die Kant in der Metaphysik der Sitten eröffnet zwischen Wille und Willkür. Damit sind zwei Seiten unseres Begehrungsvermögens benannt. In der Kritik der praktischen Vernunft hingegen kann die Rede vom Willen, als Begehrungsvermögen, eine von diesen beiden Seiten oder beide zugleich meinen. Die causa noumenon (oder Freiheit) ist die Fähigkeit des Willens, den Bestimmungsgrund der Willkür festzulegen. Auf der anderen Seite ist die Willkür eine kausale Kraft, die den Naturgesetzen unterworfen ist, d. h., sie ist eine unter den Naturursachen (obwohl sie durch Vorstellungen bestimmt ist, im Unterschied zum Instinkt bei Tieren). Vgl. MSRL, Ak. , S. .
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ob etwas ein Gegenstand der reinen praktischen Vernunft sei, oder nicht, ist nur die Unterscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, diejenige Handlung zu wollen, wodurch, wenn wir das Vermögen dazu hätten (worüber die Erfahrung urtheilen muß), ein gewisses Object wirklich werden würde. (KpV, Ak. 5, S. 57)
Diese Passage steckt voller Aporien. Denn es liegt keineswegs zutage, was Kant unter „mögliche Wirkung durch Freiheit“ versteht. Es scheint, dass die angesprochene „Wirkung“ der Gegenstand ist, welchen unser Wille in der äußeren Welt verwirklichen kann, das heißt eine Handlung als Wirkung der Kausalität unseres Willens. Doch warum behauptet Kant, dass „Gegenstand der praktischen Erkenntniß“ zu sein „nur die Beziehung des Willens auf die Handlung“ ist? Und warum kann diese Beziehung dazu führen, dass jeweils das „Gegentheil“ realisiert wird? Es ist hier nötig, die folgenden zwei Unterscheidungen einzuführen.²⁸ Erstens die zwischen Gegenstand des Begehrungsvermögens und Gegenstand der praktischen Vernunft. Der Gegenstand der praktischen Vernunft ist „die Beziehung des Willens auf die Handlung“, während der Gegenstand des Begehrungsvermögens die Wirkung ist, welche eine Handlung haben kann, das heißt dasjenige, was „wirklich werden würde“ in der sinnlichen Welt. Die Beziehung zwischen Wille und Handlung ist an sich eine Vorstellung, eine Maxime, in welcher der Gegenstand, der verwirklicht werden könnte, als Inhalt (oder Materie) auftritt. Diese Maxime ist das praktische Prinzip, das die Kausalität des Begehrungsvermögens bestimmt, ihr Bestimmungsgrund. Was Kant hier notiert, ist daher, dass durch diesen „Gegenstand“ der praktischen Vernunft der „Gegenstand“ des Begehrungsvermögens oder sein „Gegentheil“ realisiert werden mag, denn die Maxime kann denselben Gegenstand (oder dieselbe Materie) beinhalten, sei es, um ihn hervorzubringen, sei es, um seine Wirklichkeit abzuhalten. Die Maxime ist das, was festlegt, welche Beziehung der Wille (hier im Sinne des Begehrungsvermögens) zu seinem Objekt hat, ob die Beziehung eine solche der Zustimmung oder aber der Ablehnung ist. Es sei darauf hingewiesen, dass wir uns hier im empirischpraktischen Bereich befinden, denn es ist vorausgesetzt, dass der Gegenstand des Begehrungsvermögens den Willen zur Handlung motiviert und dass die dazugehörige Maxime bestimmt, ob dieser Gegenstand mit dem Prinzip der Glückseligkeit harmoniert. Deswegen ist die Maxime, durch welche die Kausalität unseres Willens bestimmt wird, in letzter Instanz abhängig vom Gegenstand des Begehrungsvermögens. Zwischen dem Gegenstand der praktischen Vernunft und dem Gegenstand des Begehrungsvermögens gibt es nur einen formalen Unterschied: Ich kann hier nicht alle Details der Argumentation anführen, die begründen, was ich vorschlagen will. Siehe dazu Torralba ().
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Der letztere ist derjenige Gegenstand, welcher durch unsere Kausalität „wirklich“ wird, während der erstere diejenige Vorstellung (Maxime) ist, von welcher die Ausübung dieser Kausalität ausgeht. Die zweite Unterscheidung, die wir treffen müssen, ist die zwischen Gegenstand der empirischen praktischen Vernunft und Gegenstand der reinen praktischen Vernunft. Der erstgenannte Gegenstand ist der, auf den wir uns soeben bezogen haben. Den zweiten Gegenstand expliziert Kant als „die Unterscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, diejenige Handlung zu wollen“. „Handlung“ darf hier nicht als Wirkung verstanden werden, als der Gegenstand des Begehrungsvermögens, sondern als die Maxime, durch welche die Kausalität des Willens allererst bestimmt wird. Es sei hier darauf hingewiesen, dass Kant in dem weiter oben zitierten Absatz zwischen der „physische[n] Möglichkeit [des Objects]“ und der „moralische[n] Möglichkeit der Handlung [Herv. d. Verf.]“ (KpV, Ak. 5, S. 57 f.) unterscheidet. Entscheidend ist dabei die moralische Möglichkeit, ist es doch darum zu tun herauszufinden, ob es möglich ist, eine bestimmte Maxime zu wollen – wobei ‚wollen‘ bedeutet: eine Maxime als Prinzip der eigenen Kausalität übernehmen. Die Unterscheidung zwischen zwei Gegenständen der praktischen Vernunft, dem der empirischen und dem der reinen, gründet auf der Unterscheidung zwischen Maximen erster und zweiter Ordnung. Eine Maxime erster Ordnung (oder Maxime der Handlung) ist eine, welche die Beziehung zwischen Begehrungsvermögen und seinem Gegenstand zum Inhalt hat, das heißt die bestimmt, ob diese oder jene Handlung anvisiert wird. Das ist die Ebene der Willkür. Eine Maxime zweiter Ordnung (oder Maxime des Willens, der Gesinnung) ist dagegen eine, die bestimmt, welche Maximen moralisch gewollt werden können – nicht weil sie mit der Glückseligkeit des jeweiligen Subjekts vereinbar sind, sondern mit dem allgemeinen moralischen Gesetz. Das ist die Ebene des Willens, der nicht auf die Handlung als Wirkung in der Welt bezogen ist, sondern auf den Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens (oder präziser der Willkür).²⁹ Die Gesinnung hat es nicht mit der Materie, sondern nur mit der Form der Maxime zu tun, und sie legt fest, welche Maximen erster Ordnung nicht als Bestimmungsgrund zugelassen werden können.³⁰ Demzufolge kann man sagen, dass der Gegenstand der reinen praktischen Vernunft eine Maxime zweiter Ordnung, sprich die Gesinnung, ist. Ganz in diesem Sinne bemerkt Kant, dass es sich nur um die Möglichkeit (oder Unmöglichkeit) handelt, eine Handlung zu wollen.
Vgl. MSRL, Ak. , S. . Vgl. RGV, Ak. , S. .
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Wie bekannt, erfordert nach Kant die Aufnahme einer praktischen Regel als praktisches Prinzip der eigenen Kausalität, welche eine Zweck-Mittel-Struktur besitzt, das Vorliegen einer Triebfeder. Aus diesem Grunde kann man behaupten, dass eine Maxime erster Ordnung, als subjektives praktisches Prinzip (das heißt als vom Subjekt aufgenommenes), aus einer praktischen Regel und einer Triebfeder besteht. Gesinnung ist dasjenige, was bestimmt, welche Handlungsziele annehmbar sind und welche nicht. Kant kennt nur zwei Maximen zweiter Ordnung: die der Achtung vor dem moralischen Gesetz und die der Selbstliebe. Wenn man eine bestimmte Gesinnung hat, ist dadurch schon festgelegt, welche Art von Beziehung zwischen dem Akteur und dem Gegenstand seines Wollens besteht, die eben ganz grundsätzlich eine doppelte sein kann: die der Autonomie oder die der Heteronomie. Autonomie und Heteronomie unterscheiden sich dahingehend, dass entweder die Gegenstände des Begehrungsvermögens das Wollen bestimmen oder aber nicht.³¹
2.3 Vom Guten als dem Gegenstand der reinen praktischen Vernunft zu den Kategorien der Freiheit Die Auslegung, die ich bislang vorgeschlagen habe, ist ohne Zweifel etwas komplex und mag überraschend anmuten. Es handelt sich aber um die meines Erachtens beste Art und Weise, der fraglichen Passage Sinn abzugewinnen.³² Von hier aus scheint mir die Bedeutung der folgenden Äußerung Kants verständlicher zu werden: „Die alleinigen Objecte einer praktischen Vernunft sind also die vom Guten und Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 58). Bekanntlich kann das Gute Kant zufolge nur in einem guten Willen bestehen, das heißt, es handelt sich um einen durch das moralische Gesetz bestimmten Willen, was aber nichts anderes bedeutet als einen Willen, dessen Gesinnung die Achtung vor dem moralischen Gesetz ist.³³ Das Böse
Das bedeutet nicht, dass es eine Inkompatibilität zwischen dem richtigen moralischen Handeln und demjenigen Handeln gibt, welches durch Neigungen den Gegenstand des Begehrungsvermögens erreichen will. Heteronomie stellt sich ein, wo die Maxime zweiter Ordnung die Selbstliebe ist. Entscheidend ist, dass die Gesinnung der Achtung für das moralische Gesetz, wenn ein Konflikt zwischen der Befriedigung natürlicher Bedürfnisse und der Erfüllung des moralischen Gesetzes aufkommen sollte, stets die Oberhand behält. L. W. Beck gibt eine ähnliche Interpretation und behauptet, dass der Begriff der reinen praktischen Vernunft – die er als „internal setting“ charakterisiert – wohl unüblich, in diesem Fall aber richtig ist: „The object of pure practical reason is not an effect of action but the action itself; the good will has itself as object“ (Beck (), S. ; vgl. S. ). Eine ähnliche Interpretation findet sich in Basaglia (), S. – . Vgl. GMS, Ak. , S. f.
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hingegen steht im Gegensatz zu diesem Willen und ist damit inkompatibel. Was wir ‚gut‘ nennen, ist eigentlich die Beziehung, in der ein so bestimmter Wille sich auf diese Weise mit seinen Objekten verbindet, das heißt mit den (Maximen der) einzelnen Handlungen. Deswegen kann Kant über das Paradoxon der Methode sagen, dass „die Begriffe des Guten und des Bösen“ eine Folge „der Willensbestimmung a priori“ sind (KpV, Ak. 5, S. 65). Und so ist es auch möglich, jene Behauptung zu verstehen, welche das Typik-Kapitel eröffnet: „Die Begriffe des Guten und Bösen bestimmen dem Willen zuerst ein Object“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Die Begriffe des Guten und Bösen ermöglichen ein Wissen davon, was zu wollen möglich, was mithin das moralisch Mögliche ist und welche Gegenstände (im Sinne einer Maxime erster Ordnung) deswegen erlaubt sind. Wie gesagt ist der Gegenstand, den sie bestimmen, die Form des Wollens: Autonomie und Heteronomie als Beziehungen des Willens. Die Kategorien der Freiheit treten nun an diesem Punkt der Argumentation auf, weil sie alle diese nur möglichen Beziehungen a priori zur Einheit des Bewusstseins bringen, das heißt all diejenigen Formen, welche mein Wollen annehmen kann. Es ist wichtig hervorzuheben, dass die Freiheitskategorien sich nicht bloß auf die reine praktische Vernunft beziehen, sondern, wie Kant bemerkt, auf die „praktische Vernunft überhaupt“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Indem „das Mannigfaltige der Begehrungen“ (KpV, Ak. 5, S. 65) von der reinen praktischen Vernunft a priori hervorgebracht wird, ermöglichen die Kategorien die Anwendung des Begriffs des Guten und Bösen auf alle Objekte des Wollens. Sie stellen die Fähigkeit der reinen praktischen Vernunft zur Gesetzgebung für alle Gegenstände vor, die sich dem Willen zeigen, oder, was dasselbe ist, sie stellen vor, dass das moralische Gesetz das Gesetz des gesamten Bereichs des Praktischen ist.³⁴ Weil sich der Gegenstand der reinen praktischen Vernunft auf die Bestimmung des Begehrungsvermögens bezieht, kann er sich nicht im luftleeren Raum konstituieren, ohne auf die verschiedenen Arten und Weisen zu achten, in der das Begehrungsvermögen bestimmbar ist.
Vgl. Benton (). Zimmermann () ist der Meinung, dass die Kategorien der Quantität, Qualität und Relation „moralindifferent“ sind (S. ) und dass die Freiheit, von der die Benennung „Kategorien der Freiheit“ kündet, eine empirische Freiheit des menschlichen Willens ist (S. ; vgl. auch S. ). Es trifft zu, dass die Kategorien sich mit der praktische Vernunft überhaupt beschäftigen, aber ihre Funktion ist, wie Kant notiert, „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen“ (KpV, Ak. , S. ). Ihre Aufgabe ist es sicherzustellen, dass das moralische Gesetz auf alle Formen des Wollens angewendet werden kann (auch auf die des sinnlich bedingten Wollens), obwohl immer die Möglichkeit bleibt, sich zu entschließen, gegen das moralische Gesetz zu handeln.
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Wie oben bereits erwähnt, ist der systematische Ort der Freiheitskategorien derjenige der „praktischen Beziehung“. Dies trägt zum Verständnis dessen bei, was Kant sagen will, wo er behauptet, dass die Freiheitskategorien „insgesammt modi einer einzigen Kategorie, nämlich der der Causalität“ sind. Meine Interpretation geht dahin, dass die Kausalität, von der hier die Rede ist, die Kausalität der Natur ist, das heißt eine der Kategorien des Verstandes. Und die Kategorien der Freiheit (oder präziser das Gute und das Böse, das heißt der Gegenstand der reinen praktischen Vernunft) beziehen sich auf die „modi“ dieser Kausalität, die vom Bestimmungsgrund der Kausalität abhängig sind. Zwei Gründe sprechen für diese Lesart. Der erste findet sich im Verfolg des angeführten Zitats: „so fern der Bestimmungsgrund derselben in der Vernunftvorstellung eines Gesetzes derselben besteht, welches als Gesetz der Freiheit die Vernunft sich selbst giebt und dadurch sich a priori als praktisch beweiset“. Wir erinnern uns, dass der Bestimmungsgrund des Wollens durch die Gesinnung festgelegt wird. Der zweite Grund ist, dass Kant das Begehrungsvermögen (oder den Willen) als eine kausale Kraft erläutert, dergestalt, dass sie in die Kausalität der Natur eingreift, indem sie gewisse Gegenstände verwirklicht. Entscheidend ist hier die Beziehung zu verstehen zwischen dem „Bestimmungsgrund“ der Kausalität und ihrer Ausübung, wie ich diese oben erklärt habe. Kausalität durch Freiheit besteht in der Fähigkeit der reinen Vernunft, in den Bestimmungsgrund des Willens einzugreifen, indem sie festlegt, welche Maximen (erster Ordnung) akzeptabel sind und welche nicht. Dieses Eingreifen gestaltet die Form des Wollens und die Art und Weise der Beziehung, welche der Wille zu seinen Gegenständen hat. Der Bereich der praktischen Beziehung wird durch die Maximen (zweiter Ordnung) festgelegt, was das einzige ist, was „praktische Wirklichkeit“ besitzt. Das Gute und das Böse sind die zwei fundamentalen Modi, in denen sich die menschliche Willkür zum Handeln zu bestimmen vermag. Zwar modifizieren sie nicht die Kausalität, aber sie konfigurieren die Art und Weise, diese auszuüben, beziehungsweise die Gesinnung, aus welcher heraus der Wille ausgeführt wird.
3 Die Typik und die drei Arten von Imperativen und die Modalitäten der Kategorien der Freiheit Das Typik-Kapitel über die reine praktische Urteilskraft beschließt das „Zweite Hauptstück“ der „Analytik“ der Kritik der praktischen Vernunft. Es beginnt mit einer expliziten Bezugnahme auf die Begriffe des Guten und Bösen, und in seinem weiteren Verlauf hebt Kant auf den Gegenstand des Willens ab. Die Kategorien der Freiheit finden dort allerdings keine ausdrückliche Erwähnung. Gleichwohl bin
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ich der Auffassung, dass die Lehre vom Typus der reinen praktischen Urteilskraft durchaus eine Einheit bildet mit dem Rest des zweiten Hauptstückes. Die Stelle, an welcher Kant das Kapitel innerhalb der Kritik platziert, liefert darauf einen ersten Hinweis. Darüber hinaus gibt es zwei weitere Gründe, die diese Interpretation stützen. Der erste ist darin zu sehen, dass die Bestimmung der moralischen Möglichkeit und Unmöglichkeit Kant zufolge mithilfe des Typus erfolgt und dass, wie oben gesehen, die Begriffe des Guten und Bösen genau dasjenige zum Inhalt haben, was ein moralisch bestimmter Wille zu wollen imstande ist. So schreibt Kant: „Wenn die Maxime der Handlung nicht so beschaffen ist, daß sie an der Form eines Naturgesetzes überhaupt die Probe hält, so ist sie sittlich-unmöglich“ (KpV, Ak. 5, S. 69 f.). Diese Probe besteht darin zu entscheiden, ob die Maxime ein Fall der Regel ist – Kant sagt: in der Subsumtion „einer mir in der Sinnenwelt möglichen Handlung unter einem reinen praktischen Gesetze“, wobei natürlich nicht „die Möglichkeit der Handlung als einer Begebenheit in der Sinnenwelt“ (KpV, Ak. 5, S. 68) infrage steht, sondern stattdessen, ob die betreffende Maxime der Handlung als Bestimmungsgrund meines Willens dienen kann. Der Typus ist das Vermittelnde, dessen sich die reine praktische Urteilskraft bedient, um diesen Vergleich oder diese Subsumtion ins Werk zu setzen.³⁵ Die „Form der Gesetzmäßigkeit überhaupt“, welche der Typus vorstellt, erlaubt es, solch eine Vermittlung zu leisten, weil diese Form sowohl an Handlungen gefunden werden kann, insofern sie Begebenheit in der Sinnenwelt sind, als auch am moralischen Gesetz, besitzt dieses doch Allgemeinheit als wesentliche Eigenschaft.³⁶ Wenn man einen Vergleich mit den Kategorien des Verstandes zieht, könnte man sagen, dass die ersten drei Gruppen an Freiheitskategorien, also der Quantität, Qualität und Relation, all diejenigen Elemente beinhalten, die notwendig sind, um den Gegenstand des Willens zu konstituieren.³⁷ Die Modalität dagegen bezieht sich nur auf die Art von Beziehung, die zwischen dem so konstituierten Gegenstand des Willens und der reinen praktischen Vernunft besteht. Die Elemente unter dem Titel der Modalität modifizieren aber nie den Gegenstand des
Der Typus ist laut Kant die folgende Regel: „Die Regel der Urtheilskraft unter Gesetzen der reinen praktischen Vernunft ist diese: Frage dich selbst, ob die Handlung, die du vorhast, wenn sie nach einem Gesetze der Natur, von der du selbst ein Theil wärest, geschehen sollte, sie du wohl als durch deinen Willen möglich ansehen könntest. Nach dieser Regel beurtheilt in der That jedermann Handlungen, ob sie sittlich gut oder böse sind“ (KpV, Ak. , S. ). Siehe dazu neuerdings Zimmermann (). Die umfangreichste Arbeit zu diesem Thema ist Zimmermann (). Ich teile seine allgemeine Interpretationslinie, obwohl ich in einigen Detailpunkten mit ihm nicht übereinstimme, wie ich weiter unten darlege.
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Willens selbst.³⁸ Die reine praktische Urteilskraft bestimmt die Modalität nur der Beziehung zwischen dem Objekt des Willens (der Maxime) und der reinen praktischen Vernunft. Die drei Kategorienpaare der Modalität sind a) das „Erlaubte und Unerlaubte“, b) „die Pflicht und das Pflichtwidrige“ sowie c) „Vollkommene und unvollkommene Pflicht“ (KpV, Ak. 5, S. 66). Wenn man jedoch den Vergleich mit den Verstandeskategorien zieht, stellt sich eine Schwierigkeit ein. Denn die drei Kategorien der Modalität sollten im Grunde moralische Modalkategorien ausmachen; trotzdem behauptet Kant, nur die dritte Modalkategorie sei eine moralische. Die ersten beiden beziehen sich demnach nicht auf die reine praktische Vernunft, sondern auf die praktische Vernunft überhaupt. Das ist deshalb so, weil die Tafel der Kategorien der Freiheit den ganzen Bereich des Praktischen abdeckt (inklusive der empirisch bedingten praktischen Vernunft). Es macht daher den Eindruck, als ob es nicht möglich ist, einen Vergleich mit den Kategorien des Verstandes zu ziehen, da der Typus nicht angewendet werden kann, um Modalitäten zu bestimmen, die keine moralischen sind. Dennoch meint Kant, und das ist der zweite Hinweis, dass die reine praktische Urteilskraft mehr als nur eine „praktische Regel der Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 67) für das Urteilen anwendet und dass nicht alle Regeln solche der reinen praktischen Vernunft sind. Darüber hinaus sagt er in einer Fußnote der „Vorrede“, wo der Sinn der Modalkategorien erläutert wird: „Es ist hier nur um den Unterschied der Imperativen unter problematischem, assertorischem und apodiktischem Bestimmungsgrunde zu thun“ (KpV, Ak. 5, S. 11), was ein klarer Hinweis auf die dreifache Untergliederung der Modalkategorien nach Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit zu sein scheint. Die Imperativen sind objektive praktische Prinzipien (oder, in diesem Zusammenhang, objektive praktische Regeln), die angewendet werden können, um den Willen zu bestimmen oder um zu beurteilen, ob eine Maxime „der Fall sei, der unter der Regel stehe, oder nicht“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Folglich entspräche die erste Modalkategorie den Imperativen der Geschicklichkeit, die zweite den pragmatischen Imperativen (denen der Klugheit) und die dritte den moralischen (oder kategorischen) Imperativen.³⁹ Es ist aber nicht leicht, auf Anhieb den Zusammenhang zwischen dem zu sehen, was Kant in dieser Fuβnote anmerkt, und den in der Tafel vorkommenden Freiheitskategorien. Dem wollen wir uns nun zuwenden.⁴⁰ Vgl. KrV, A f./B f., B , A /B . Zu dieser Terminologie siehe GMS, Ak. , S. – . Zwei Aspekte von Kants Typik werde ich hier nicht behandeln, da sie nicht direkt mit den Kategorien der Freiheit in Verbindung stehen. Wohl sind diese an sich durchaus von philosophischem Belang und relevant für Kants Denken, aber aus Platzgründen ist es mir nicht möglich,
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Obwohl Kant sehr wenig über die Kategorien der Freiheit ausführt, hat er uns zumindest den Schlüssel an die Hand gegeben, um die Modalkategorien besser zu deuten: In ihnen erfolgt, so lesen wir, „der Übergang von praktischen Principien überhaupt zu denen der Sittlichkeit“ (KpV, Ak. 5, S. 67). Die praktischen Prinzipien überhaupt sind die hypothetischen Imperative, sei es der Geschicklichkeit, sei es der Klugheit, und die praktischen Prinzipien der Moralität sind die kategorischen Imperative. Deswegen kann man als Erstes konstatieren, dass problematische Regeln solche sind, deren Inhalt eine Handlung darstellt, die nützlich ist, um einen möglichen Zweck zu erreichen; als Zweites, dass die assertorischen Regeln solche sind, die zeigen, dass eine Handlung für einen Zweck nützlich ist, welcher nicht nur möglich, sondern auch wirklich ist wie im Falle der Glückseligkeit der Menschen; und als Drittes, dass die apodiktischen Regeln ihrerseits festlegen, dass eine bestimmte Maxime notwendig ist. Folglich entspricht der Unterschied zwischen der moralischen Möglichkeit und Unmöglichkeit eines Gegenstandes, worüber vermittels des Typus zunächst entschieden wird, nicht dem ersten Kategorienpaar, dem Unterschied von Erlaubtem und Unerlaubtem. Und die Pflicht des zweiten Kategorienpaares wäre nicht eine spezifisch moralische Pflicht, sondern das Sollen, das uns aus einem jeden Imperativ entgegenspricht. Ich bin der Meinung, dass zur Lösung dieses Problems die Unterscheidung von physischer und moralischer Möglichkeit zu beachten ist oder, was dasselbe ist, die Unterscheidung zwischen technisch-
sie hier zu erörtern. Da ist erstens die Begründung dafür, warum die „Form des Naturgesetzes überhaupt“ als Typus des moralischen Gesetzes gebraucht werden kann. Kant erwähnt eine „günstige Aussicht für die reine praktische Urtheilskraft“ (KpV Ak. , S. ), weil die Form der Gesetzmäßigkeit es ermöglicht, Maximen von Handlungen (die in der Sinnlichkeit möglich sind) mit dem moralischen Gesetz zu vergleichen. Ein solcher Akt gehört zum innersten Kern der Kant’schen Ethik, wo Allgemeinheit und Notwendigkeit die charakteristischen Eigenschaften der Pflicht und des moralisch Guten sind. Auch scheint die nötige Kontinuität zwischen der Kausalität aus Freiheit und der Naturkausalität über die Form der Gesetzmäßigkeit hergestellt zu werden, welche im „Objecte überhaupt“ (KpV, Ak. , S. ) anzutreffen ist; denn obwohl eine Kausalität aus Freiheit nicht unter Objekten der Natur zu finden ist, ist sie doch auch nicht inkompatibel damit. Dies ist auch der Sinn von Kants Äußerung, wonach die Kategorien der Freiheit „den Kategorien des Verstandes gemäß“ sind. Vgl. Graband (), S. . Zweitens erfüllt die reine praktische Urteilskraft nur eine der beiden Funktionen, die dem moralischen Gesetz als praktischem Prinzip entspricht. Diese beiden Funktionen sind, den Willen rein zu bestimmen und den empirisch bestimmten Willen zu beurteilen (oder, in der Terminologie der Vorlesungen zur Moralphilosophie, principium diiudicationis und principium executionis zu sein). Kant sagt es selbst: „[…] ist diese Vergleichung der Maxime seiner Handlungen mit einem allgemeinen Naturgesetze auch nicht der Bestimmungsgrund seines Willens“ (KpV, Ak. , S. ). Dies ist wichtig, um zu verstehen, dass die Kategorien der Freiheit nur Erkenntnis über das Gute oder Böse liefern. Zu beiden genannten Aspekten siehe Torralba ().
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praktischen und moralisch-praktischen Prinzipien. Ein kategorischer Imperativ ist ein moralisch-praktisches Prinzip der Willensbestimmung, auf dem die moralische Möglichkeit eines Gegenstandes aufbaut; die problematischen und assertorischen Imperative dagegen sind technisch-praktische Prinzipien, die in der physischen Möglichkeit ihren Grund haben, das heißt in der Fähigkeit des Willens, eine Wirkung in der Welt hervorzubringen und durch eine Handlung ein Ziel zu erreichen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, was Kant über das erste und zweite Kategorienpaar der Modalität – das Erlaubte und Unerlaubte einerseits, Pflicht und das Pflichtwidrige andererseits – in jener Fußnote der „Vorrede“ bemerkt: So hat in der Tafel der Kategorien der praktischen Vernunft in dem Titel der Modalität das Erlaubte und Unerlaubte (praktisch-objectiv Mögliche und Unmögliche) mit der nächstfolgenden Kategorie der Pflicht und des Pflichtwidrigen im gemeinen Sprachgebrauche beinahe einerlei Sinn; hier aber soll das erstere dasjenige bedeuten, was mit einer bloβ möglichen praktischen Vorschrift in Einstimmung oder Widerstreit ist (wie etwa die Auflösung aller Probleme der Geometrie und Mechanik), das zweite, was in solcher Beziehung auf ein in der Vernunft überhaupt wirklich liegendes Gesetz steht (KpV, Ak. 5, S. 11 Anm.).
Es seien hier die Begriffe hervorgehoben, die Kant selber benutzt: „Vorschrift“ in Beziehung auf die „Geometrie und Mechanik“ und „Gesetz“ in Beziehung auf die praktische „Vernunft überhaupt“. In beiden Fällen kann man sagen, dass es sich um praktische Regel handelt, von denen keine eine reine ist.⁴¹ Kant illustriert dies an einem Beispiel: dem Unterschied zwischen Redner und Dichter, insofern beide sprachliche Neologismen verwenden. Da der Redner sich wirklich das Ziel aller Rhetorik, das heißt die Beredsamkeit, gesetzt hat, jedoch die Neuschöpfung von Worten damit unvereinbar ist – so jedenfalls Kant –, ergibt sich, dass es dem Redner nicht erlaubt ist, neue Worte einzuführen. Für das Ziel hingegen, welches der Dichter verfolgt, nämlich schöne Formulierungen zu schaffen, sind Neologismen keinerlei Hindernis. In diesem Beispiel wird also nicht danach geschaut, ob der Gebrauch von Wortneuschöpfungen im Allgemeinen eine adäquate Form der Kommunikation ist, sondern nur und speziell danach, ob sie mit den jeweiligen Zwecken, die sich Redner und Dichter tatsächlich gesetzt haben,verträglich sind. Kant fügt dem nun die Feststellung hinzu, dass in keinem der beiden Fälle „an Pflicht gedacht [wird]“; es handelt sich hier keinmal um eine Pflicht im moralischen Sinne.⁴² Der Grund dafür ist, dass der Gebrauch von
Vgl. Beck (), S. . Für eine andere Interpretation siehe Zimmermann (), S. – . Zimmermann zitiert diese Behauptung Kants nicht, wo er sich mit den Kategorien der Modalität auseinandersetzt. Ich
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kreativen Neuworten – im Prinzip jedenfalls – nichts mit dem moralischen Gesetz zu tun hat; wir haben es hier nicht mit einem moralisch-praktischen Prinzip, sondern bloß mit einem technisch-praktischen Prinzip zu tun: „Denn“, so Kant, „wer sich um den Ruf eines Redners bringen will, dem kann es niemand wehren“. Die Modalkategorien, die an zweiter Stelle stehen – die Pflicht und das Pflichtwidrige –, beziehen sich noch nicht direkt auf die moralische Pflicht, sondern drücken die Verbindlichkeit eines jeden Imperativs aus, er mag des Näheren ein pragmatischer oder kategorischer sein.⁴³ Ein Imperativ der Glückseligkeit befiehlt eine Handlung, das heißt die willentliche Hervorbringung einer Wirkung in der äußeren Welt.⁴⁴ Ein kategorischer Imperativ indes befiehlt sowohl eine bestimmte Handlung als auch diejenige Triebfeder, aus der heraus die betreffende Handlung hervorzubringen ist. Wenn jemand zwar das moralische Gesetz befolgt, dabei jedoch durch das Verlangen nach Glückseligkeit motiviert ist, bedeutet das die Legalität der entsprechenden Handlung. Deswegen bin ich der Meinung, dass die beiden Modalkategorien der Pflicht und des Pflichtwidrigen sich auf das beziehen, was praktische Notwendigkeit hat, so aber, dass der Wille dabei als eine natürliche Ursache betrachtet wird, als etwas, das durch technischpraktische Prinzipien bestimmt wird.⁴⁵ Die Kategorien der vollkommenen und unvollkommenen Pflicht sind zuletzt die eigentlich moralischen Kategorien. „Pflicht“ ist hier das moralisch Notwendige
gehe zwar damit dʼaccord, dass man – wie Zimmermann formuliert – im Hinblick auf manche Freiheitskategorien mit Kant gegen Kant argumentieren muss; aber die Erklärung, welche Kant für die Modalkategorien gibt, ist doch ziemlich eindeutig. Pragmatische Imperative sind auch objektive Vernunftgesetze, denn sie machen bestimmte Handlungen notwendig (vgl. GMS, Ak. , S. , – ). Die Regeln der Geschicklichkeit und diejenigen der Klugheit dagegen haben im Grunde genommen keinen imperativen Charakter, weil sie den Willen nicht einschränken. Nur wenn das Subjekt einen bestimmten Zweck tatsächlich verfolgt (wenn es z. B. ein geometrisches Problem lösen will), ist sein Wille durch das dafür Notwendige eingeschränkt (weswegen die entsprechende Regel einen imperativen Charakter annimmt). Da jedoch die Kategorien der Freiheit nicht die Bestimmung des Willens leisten, sondern lediglich das dazu notwendige Wissen bereitstellen, wird hier der Begriff des Imperativs nichtsdestotrotz als Entsprechung zur praktischen Regel eingesetzt. Was sich der Redner in dem zitierten Beispiel als Ziel setzt, ist nicht (direkt) die eigene Glückseligkeit, sondern Beredsamkeit. Das Gemeinsame beider Ziele ist, dass sie wirkliche (nicht nur mögliche) Ziele sind, weil sie tatsächlich die Kausalität seines Willens bestimmen. Der Unterschied besteht darin, dass, während die Beredsamkeit ein optionales Ziel ist, die Glückseligkeit ein notwendiges Ziel für jeden Menschen darstellt. Aber in beiden Fällen ist die Notwendigkeit eine bedingte (dadurch nämlich, dass man Redner oder überhaupt endlicher Mensch ist) und keine absolute, wie sie im Falle des kategorischen Imperativs daherkommt. Vgl. Benton (), S. , der eine ähnliche Interpretation vorschlägt, obgleich er nicht berücksichtigt, dass hier auch die hypothetischen Imperative mit einbezogen sind.
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beziehungsweise das Notwendige in einem moralisch-praktischen Sinn. Man sollte erwarten, dass die von Kant vorgestellte Regel für die Unterscheidung von vollkommenen und unvollkommenen Pflichten hilfreich ist, weil es sich um die Regel für die moralische Beurteilung von Maximen handelt. Und vielleicht hatte Kant, als er die Tafel der Kategorien abfasste, den Versuch der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten vor Augen, wo er die Unterscheidung zwischen vollkommenen und unvollkommenen Pflichten dergestalt aus dem kategorischen Imperativ ableitete, dass er die kriterielle Differenz von „denken können“ und „wollen können“ (GMS, Ak. 4, S. 424) bemühte. Ich glaube allerdings nicht, dass diese Unterscheidung nach wie vor in der Kritik der praktischen Vernunft wirksam ist. In der Tat kommt sie an keiner Stelle der Kritik vor, und auch später in der Metaphysik der Sitten nicht, wo die Unterscheidung vollkommener und unvollkommener Pflichten durchaus zentral ist für Kants Tugendlehre.⁴⁶ Der Typus als eine Regel der praktischen Vernunft ermöglicht nur, das moralisch Mögliche von dem moralisch Unmöglichen zu unterscheiden. Dass etwas moralisch möglich ist, impliziert aber noch nicht, dass es obligatorisch ist, wie das der Fall mit Tugendpflichten ist.⁴⁷ Meiner Meinung nach hat dieser Mangel einer fehlenden Entsprechung zwischen der Unterscheidung von vollkommenen und unvollkommenen Pflichten einerseits und der von moralisch Möglichem und Unmöglichem andererseits seine Wurzel nicht allein in einer leichtfertigen Textredaktion Kants, sondern darüber hinaus in dem Folgenden. Der Typus ist der kategorische Imperativ in der Form des Naturgesetzes, und man kann sagen – wenn man den Text etwas forciert –, dass es sich nur um eine Form der moralischen Beurteilung von Maximen handelt, die durch Kants andere Formeln des kategorischen Imperativs ergänzt werden muss – insbesondere die Selbstzweckformel –, um so erst das ganze Gebiet des Moralischen abzudecken.⁴⁸ Die Naturgesetzformel ist wesentlich negativ, sie ist ein Erlaubnisgesetz, während die Selbstzweckformel positive Pflichten vorschreibt. Zumindest in der Metaphysik der Sitten hängt die Unterscheidung von vollkommenen und unvollkommenen Pflichten vom Prinzip der Tugendlehre ab, welche der Selbstzweckformel des kategorischen Imperativs entspricht.⁴⁹ Die Typik kann infolgedessen lediglich dazu dienen, den allgemeinen Rahmen des moralisch Möglichen abzustecken,
S. Bobzien behauptet stattdessen – womöglich mit Blick auf die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten –, dass das dritte Kategorienpaar den Unterschied zwischen rechtlichen und ethischen Pflichten enthält. Vgl. Bobzien (), S. – . Obwohl es infolge der modalen Logik notwendig ist, dasjenige zu vermeiden, was der Pflicht widerspricht. Vgl. von Wolff-Metternich (). Vgl. MSTL, Ak. , S. f.
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innerhalb dessen andere und weiterführende Unterscheidungen zum Tragen kommen müssen, etwa die zwischen vollkommenen und unvollkommenen Pflichten. Ich vermute, dass Kant diese Unterscheidung deshalb in die Kategorientafel aufnimmt, weil man anhand der Tafel, wie er bemerkt, „den ganzen Plan von dem, was man zu leisten hat, so gar jede Frage der praktischen Philosophie, die zu beantworten, und zugleich die Ordnung, die zu befolgen ist“ (KpV, Ak. 5, S. 67), übersieht. Es scheint, dass die Tafel der Freiheitskategorien ursprünglich als Grundriss für die spätere Metaphysik der Sitten gedacht war.⁵⁰ Allerdings hat Kant sie dazu nicht verwendet. Vielleicht liegt hier das zentrale Motiv für die terminologischen Diskrepanzen und starken internen Spannungen im „Zweiten Hauptstück“ der „Analytik“ der Kritik. Es ist möglich, dass Kant all diese Dinge vor Augen hatte und dass er nicht genau wusste, wie sie zusammenzubringen sind, oder dass er schlichtweg nicht die Muße hatte, sie angemessen darzustellen. Das anzunehmen liegt etwa deshalb nahe, weil die einzige Erklärung, die Kant mit Blick auf die Modalkategorien gibt, sich in der bereits angeführten Fuβnote der „Vorrede“ zur Kritik findet. Ferner, weil die Unterscheidung zwischen vollkommenen und unvollkommenen Pflichten in der Metaphysik der Sitten offenbar eine ganz andere ist als die, mit welcher Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten arbeitet, und weil er über diese ganze Angelegenheit in der Kritik der praktischen Vernunft kein einziges Wort verliert. Auf jeden Fall lässt die hier vorgelegte Interpretation die strukturelle Beziehung erkennen, die zwischen dem Gegenstand der praktischen Vernunft, den Kategorien der Freiheit und der Typik der reinen praktischen Urteilskraft besteht. Danach ist der Gegenstand der praktischen Vernunft eigentlich eine Maxime; er besteht in der Form des Wollens, welche ihrerseits nicht anderes ist als die Beziehung zwischen dem Willen und dem, was dieser will. Die Kategorien der Freiheit enthalten die Kriterien, um alle gegebenen Maximen a priori zu beurteilen. Der Typus gestattet, die moralische Modalität einer Maxime zu bestimmen, das heißt a priori einzusehen, ob sie eine moralisch mögliche ist oder nicht. Auf diese Weise wird der Gegenstand der reinen praktischen Vernunft konstituiert, der streng genommen eine Maxime zweiter Ordnung ausmacht (die Gesinnung), weil es sich nicht um das Hervorbringen von für uns möglichen Handlungen in der Sinnlichkeit handelt, sondern um das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund des Willens, sprich das Gute und Böse. Diese ganze vorstehende begriffliche Entfaltung war notwendig, weil es, wenn Moralität keine Träumerei sein soll, notwendig ist, dass reine praktische Vernunft selber fähig ist, den Gegenstand zu
In der Tat sind in der Metaphysik der Sitten sämtliche Modalitäten moralisch.Vgl. MSRL, Ak. , S. .
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konstituieren, welcher der Bestimmung des Willens durch das moralische Gesetz entspricht. Nur so kann es eine Bestimmung der Kausalität unseres Willens unabhängig von der Materie des Willens geben. Aus den dargelegten Gründen bin ich der Auffassung, dass die Unterscheidung zwischen vollkommenen und unvollkommenen Pflichten, die das dritte Kategorienpaar der Modalität ausmacht, als eine Unterscheidung innerhalb des moralisch Möglichen verstanden werden muss. Diese Unterscheidung entspräche der zwischen Rechtspflichten und Tugendpflichten in der Metaphysik der Sitten. Die Typik grenzt den Bereich des moralisch Möglichen ab, das heißt den Bereich dessen, was von der Tugendverpflichtung erfordert wird; aber sie spezifiziert noch keine bestimmte Tugendpflicht (die Zwecke, welche Pflicht sind).⁵¹ Der Typus dient einer nur bestimmenden Funktion der reinen praktischen Urteilskraft, die weder das System der Pflichten noch die Beurteilung von einzelnen Handlungen berücksichtigt. Es handelt sich lediglich um die erste Leistung dieser Urteilskraft. Obwohl sie ohne Zweifel die fundamentalste ist, reicht sie allein jedoch noch nicht hin, um über die ganze praktische Philosophie Rechenschaft zu geben. Die Kritik ist eben noch nicht System.
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Vgl. MSTL, Ak. , S. .
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Wolfgang Bartuschat
Der eine „Gegenstand der reinen praktischen Vernunft“ und die vielen „Kategorien der Freiheit“
Abstract. This paper develops an interpretation of the passage in the Critique of Practical Reason, which is dedicated to the „categories of freedom“, by considering and discussing in more detail the context in which it is located. That is what Kant calls the „Second Chapter“ of the analytic of pure practical reason. My thesis is that this entire chapter serves as a demarcation of the, as Kant puts it there, „empiricism concerning practical reason“, that in emphasising this demarcation the typic-subchapter is a „comment“ on the „Second Chapter“ and, finally, that also the passages which deal with the categories of freedom are to be read in this respect. As a result this means, that the categories of freedom have their actual place only in the Metaphysics of Morals: in the application of the pure principles of reason to objects of desire given to moral reason, which reason has to recognise, and to which it has to respond without having to bow before it.
1 Unter dem Titel dieses Beitrages möchte ich im Folgenden eine Interpretation des Textabschnitts in der Kritik der praktischen Vernunft geben, der den „Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 65) gewidmet ist, indem ich den Kontext näher betrachte und erörtere, in welchem dieser Abschnitt steht. Dabei handelt es sich um das, wie Kant es nennt, „Zweite Hauptstück“ der Analytik der reinen praktischen Vernunft. Auf diese Weise zu verfahren ist an sich gewiss selbstverständlich, jedoch von den meisten Interpreten bislang noch nicht hinreichend berücksichtigt und umgesetzt worden. Der betreffende Abschnitt in der Kritik ist, wie man weiß, außerordentlich kurz. Das hat viele Interpreten dazu gebracht, ihm nur geringe Aufmerksamkeit zukommen zu lassen oder ihn gar als einen Fremdkörper beiseite zu schieben, welcher nur unter dem Druck eines der praktischen Vernunft fremden Systemzwangs von Kant angeführt würde.¹ Was könnte es mit einem solchen vermeint-
Erfreuliche Ausnahmen sind zwei in jüngster Zeit angefertigte und publizierte Dissertationen,
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Wolfgang Bartuschat
lichen Systemzwang in Kants Sicht auf sich haben? Kant schreibt in der „Vorrede“ zur zweiten Kritik, dass er die Begriffe und Grundsätze der reinen spekulativen Vernunft, die er in der Kritik der reinen Vernunft exponiert und begründet hat, „hier“, also in der Kritik der praktischen Vernunft, „hin und wieder“, das heißt an manchen und verstreuten Stellen, erneut erörtere, ja dass sie sogar „nochmals der Prüfung unterworfen werden“ (KpV, Ak. 5, S. 7). Das sei an sich ein unziemliches Verfahren, weil, so Kants Formulierung, „abgeurtheilte Sachen […] nicht wiederum in Anregung gebracht werden müssen“. Ich möchte dies als Ausdruck der Überzeugung Kants deuten, dass die erste Kritik, zumindest in ihren Grundzügen, ein abgeschlossenes (oder, wie er sagt, „abgeurtheiltes“) Werk ist. Weder muss es durch den in der Kritik der praktischen Vernunft erbrachten Nachweis einer positiven Unbedingtheit der reinen Vernunft, die ihr im Feld des Erkennens versagt ist, modifiziert oder gar korrigiert werden, noch ist dieses Werk für die Moralphilosophie, die ein Zweites neben der transzendentalphilosophischen Erkenntnistheorie ist, von einer konstitutiven Bedeutung, welche es erforderlich machte, die Kritik der reinen Vernunft um Elemente zu erweitern, welche Kant dort zu entwickeln vergessen hätte. Hält man daran fest, so lässt sich schlussfolgern: In der Perspektive der praktischen Philosophie dient der Rückgriff auf die Begriffe und Grundsätze der theoretischen Philosophie dem Kontrast, und darin ist dieser Rückgriff, so Kant, nicht nur erlaubt, sondern sogar „nöthig“, und zwar deshalb, weil die Vernunft im Feld des Praktischen von diesen Begriffen und Grundsätzen einen Gebrauch macht, der anders ist als der des Verstandes im Feld des Theoretischen und deshalb von jenem Gebrauch zu unterscheiden ist. Der Unterschied also ist es, der eine „Vergleichung“ erforderlich macht, die allerdings, so schreibt Kant, auch einen „Zusammenhang“ der unterschiedlichen Formen des Gebrauchs bemerken lasse. Angewandt auf unseren Gegenstand, die Kategorienlehre, könnte man vermuten, dass Kant unter dem Zusammenhang der Kategorien in ihrem bedingten Gebrauch einerseits, sprich im Erkennen, und in ihrem unbedingten Gebrauch andererseits, will sagen im moralischen Handeln, eine Gemeinsamkeit versteht, die beiden Formen ihres Gebrauchs zugrunde liegt und in ihnen sich nur unterschiedlich artikuliert. Unter diesem Aspekt wäre es naheliegend, diese Gemeinsamkeit in einer Art des Urteilens zu erblicken, die sowohl dem Verstand in seinen Operationen der Konstitution von Gegenständen der Natur als auch dem Willen in der Organisation moralischer Handlungen zugrunde liegt. Das erlaubte dann sogar, so etwas wie eine metaphysische Deduktion der „Kategorien der Freiheit“
die eine an der Universität Heidelberg von Zimmermann () und die andere an der Universität Hamburg von Puls ().
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anzunehmen und deren Zwölfzahl aus der zwölffach gegliederten sogenannten Urteilstafel herzuleiten. Das Missliche an einer solchen, auf das Urteil abhebenden Interpretation ist indessen, dass Kant in dem entsprechenden Textstück der Kritik der praktischen Vernunft nichts dergleichen bemerkt. Erst in dem nachfolgenden Kapitel „Von der Typik der reinen praktischen Urteilskraft“ spricht er von einer Urteilskraft, deren Aufgabe darin bestehe zu beurteilen, ob ein anstehender Fall des Handelns in der natürlichen Welt sich unter das zuvor und unabhängig von allen besonderen Fällen a priori bestimmte Sittengesetz bringen lasse.² Kant nennt diese Ausführungen zur Typik, und das sollte man festhalten und nicht übersehen, eine „Anmerkung“ (KpV, Ak. 5, S. 70). Eine Anmerkung ist ja eine Erörterung, die außerhalb des die Sache entwickelnden Deduktionsganges steht. Das dort Dargelegte kann also nicht dazu dienen, die Theorie der Freiheitskategorien zu begründen, abgesehen davon, dass es eine nachträgliche Begründung wäre. Die Strategie dieser Anmerkung zur Sache der Typik läuft im Wesentlichen, ganz wie es die übliche Aufgabe einer Anmerkung ist, darauf hinaus, einem verfehlten Verständnis von Sittlichkeit entgegenzuwirken. Die „gegenwärtige Anmerkung“, schreibt Kant, diene dazu „zu verhüten“, dass dasjenige, „was blos zur Typik der Begriffe gehört, […] zu den Begriffen selbst gezählt werde“, und habe zum Ziel, uns vor dem „Empirism“ sowie dem „Mysticism der praktischen Vernunft“ zu bewahren. Was das meint, wovor sich also die richtige Theorie zu bewahren hat, sei kurz skizziert. In der Beurteilung, ob mein von einem konkreten Sachverhalt in der sinnlichen Welt in Gang gebrachtes Handeln unter das in der reinen Vernunft gegründete Sittengesetz fällt, stützt sich die reine praktische Urteilskraft nicht auf die reine praktische Vernunft als dem Prinzip dieses Gesetzes selbst, sondern auf den Verstand und dessen Charakter höchster Formalität: „die Form der Gesetzmäßigkeit überhaupt“, wie sie desgleichen für Naturgesetze gilt. Deren bezeichnendes Merkmal ist eine für alle Ereignisse geltende Durchgängigkeit, die keine Ausnahme eines einzelnen Ereignisses von der allgemeinen Gesetzmäßigkeit zulässt. Was Kant im Zuge der Maximenüberprüfung in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten formuliert hat, gilt auch hier: Eine Maxime ist daraufhin zu testen, ob das, was in sie eingeht, für alle Menschen gilt und nicht nur für denjenigen, welcher die in Rede stehende Maxime da gerade hat. „Frage dich selbst, ob die Handlung, die du vorhast, wenn sie nach einem Gesetze der Natur, von der
Dass Kant im Typik-Kapitel jenes Kontrollverfahren abhandelt, dem wir gegebenenfalls unsere Maximen auf ihre Moralität hin zu unterziehen haben, vertreten etwa ebenso Höffe (), S. ff.; Zimmermann ().
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du selbst ein Theil wärest, geschehen sollte, sie du wohl als durch deinen Willen möglich ansehen könntest.“ (KpV, Ak. 5, S. 69), heißt es in der entsprechenden Passage der Typik in der Kritik der praktischen Vernunft. Dieses in Kants Augen legitime Verfahren der Maximenüberprüfung birgt allerdings die Gefahr in sich, es für etwas zu halten, was das Sittengesetz selbst charakterisiert. Das Sittengesetz wäre dann derart bestimmt, dass es die Moralität des Einzelnen über dessen gesetzeskonforme Stellung in einem Ganzen festlegt, zu dem dieser als dessen Teil gehört. Und das ist unzutreffend, weil dies das Handeln des Einzelnen teleologisch deutet und darin der Freiheit des Individuums widerstreitet. Dieses Ganze lässt sich, zumindest dem Typik-Abschnitt zufolge, in zweierlei Weisen denken. Zum einen als ein bildhaft vorgestelltes, alle bloße Sinnlichkeit überschreitendes unsichtbares Reich Gottes, in dem wir uns wiederzufinden haben – das ist der „Mysticism der praktischen Vernunft“ einer ins Überschwängliche hinausschweifenden praktischen Vernunft, den Kant freilich für nicht sehr gefährlich hält und auch schnell abtut, weil ein solches Hinausschweifen nicht der Natur des Menschen gemäß und deshalb kaum verbreitet sei. Gefährlicher ist dagegen zum anderen der „Empirism der praktischen Vernunft“, der das moralisch Gute in einen Kontext von Erfahrungsfolgen setzt, welcher einer vernünftigen Organisation dieser Folgen zu einem in sich stimmigen Ganzen bedarf. Ein solcher Empirismus sei, meint Kant, sehr vielen Menschen durchaus plausibel, offenbar so sehr, dass auch Kant selbst eine Zeit lang geneigt war, ihn zu vertreten,³ und von dem er sich deshalb nunmehr mit eigens unternommenen Anstrengungen und im besonderen Maße abzugrenzen sucht. Meine These ist, dass in der Kritik der praktischen Vernunft das ganze „Zweite Hauptstück“ der Analytik der reinen praktischen Vernunft ebendieser Abgrenzung dient, dass das Typik-Kapitel in der Betonung dieser Abgrenzung eine treffliche „Anmerkung“ zum „Zweiten Hauptstück“ darstellt und dass schließlich auch die Passagen, die sich mit den „Kategorien der Freiheit“ auseinandersetzen, in diesem Kontext gelesen werden sollten.
2 Ich komme damit zur näheren Analyse des besagten „Zweiten Hauptstücks“. Dieses ist überschrieben mit „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“. Als mittleres von insgesamt drei Hauptstücken, in welche
Siehe dazu Kants als Reflexionen zur Moralphilosophie überlieferte Notizen. Vgl. Refl, Ak. , S. – .
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sich die Analytik der reinen praktischen Vernunft auseinanderlegt, kehrt es die Abfolge der drei korrespondierenden Hauptstücke der Analytik in der Kritik der reinen Vernunft um. Jene erörtert ja zuerst unsere sinnliche Anschauung, kommt sodann auf die Begriffe zu sprechen und endet mit den einschlägigen Grundsätzen.⁴ In der Kritik der praktischen Vernunft jedoch stehen die Grundsätze nicht am Ende der Analytik, weil sie als Grundsätze der Sittlichkeit gar nicht aus einer Verknüpfung von Sinnlichkeit und Verstand resultieren, das heißt nicht in einer vernünftigen Ordnung der Vielfalt unserer sinnlichen Antriebe und Neigungen bestehen. Funktional auf diese Antriebe hin gedacht, wäre die Vernunft vielleicht, wie der reine Verstand im Erkennen, spontan, aber nicht frei. Im Feld der Sittlichkeit ist deswegen mit hier relevanten Grundsätzen zu beginnen, die aber, lässt man sie in der Freiheit und nicht in der Verknüpfung vorgegebener Daten gründen, in einen einzigen Grundsatz eingehen. Kant nennt ihn das „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 30) oder „das Sittengesetz“ (KpV, Ak. 5, S. 31). Dieses fasst reine praktische Vernunft ursprünglich in sich, die dem Menschen das Gesetz vorgibt und hierfür die Freiheit des Willens voraussetzt. Fortschreitend von diesem einen Grundsatz, in welchem die Überlegungen des „Ersten Hauptstücks“ gipfeln, charakterisiert sodann das „Zweite Hauptstück“, was der Gegenstand eines als frei verstandenen Willens ist, um zuletzt im „Dritten Hauptstück“ die bis dahin unberücksichtigt gebliebene Sinnlichkeit unter dem Titel einer subjektiven Triebfeder zu thematisieren, von der Kant meint, auch sie noch als durch reine praktische Vernunft bewirkte Folge des Sittengesetzes ausweisen zu können. Das den Ausführungen des „Dritten Hauptstücks“ zugrunde liegende Problem kann ich für den von mir hier verfolgten Zusammenhang vernachlässigen, weil es sich offenbar erst im Anschluss daran stellt. Das „Zweite Hauptstück“ beschäftigt sich mit der Frage, was denn der „Gegenstand der reinen praktischen Vernunft“ (KpV, Ak. 5, S. 57) ist. Und im Bereich dieser Frage haben die „Kategorien der Freiheit“ ihren angestammten Ort. Ist der „Gegenstand der reinen praktischen Vernunft“ aus dem Grundgesetz der Vernunft zu folgern, also aus dem Sittengesetz, dann muss er auch allein durch dieses Gesetz bestimmt sein. Deshalb, so möchte ich schließen, kann auch der „Gegenstand der reinen praktischen Vernunft“ selber lediglich einer sein. Er besteht in dem, was von einer durch den menschlichen Willen bestimmten Handlung bewirkt wird, die gewiss nicht auf Gegenständlichkeit überhaupt gerichtet ist,
Auf die umgekehrte Abfolge der Behandlung von Grundsatzanalytik, Begriffsanalytik und Triebfedernästhetik kommt Kant in der zweiten Kritik selber mehrmals zu sprechen. Vgl. KpV, Ak. , S. , .
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sondern auf, wie Kant schreibt, ein „gewisses Object“, das heißt ein je bestimmtes. Doch geht es in dem „Zweiten Hauptstück“ nicht darum, dieses je bestimmte Objekt in der Vielfalt seiner materialen Aspekte oder die auf es gerichtete je bestimmte Handlung im Kontext anderer Handlungen begrifflich zu charakterisieren, wofür es dann der Kategorien bedürfte. Es geht allein um diejenige Kausalität, die eine Handlung zu einer moralischen macht: die, in Kants Worten, „moralische Möglichkeit der Handlung“ (KpV, Ak. 5, S. 58). Ich betone: der Handlung, nicht einer Handlung. Und sie ergibt sich daraus, dass das Wollen dieser Handlung durch das Sittengesetz und nur durch es bestimmt ist. Für die begriffliche Charakterisierung einer Handlung unter dem Aspekt ihrer Moralität muss die moralische Möglichkeit dieser Handlung deshalb nicht nur der von physischen Bedingungen abhängenden Verwirklichung des intendierten Objekts begrifflich voranliegen, sondern auch jeder inhaltlichen Bestimmung des gewollten Gegenstandes. Kriterium der moralischen Qualität einer Handlung ist allein die Verfassung eines durch das Sittengesetz selbst und keinen anderen Bestimmungsgrund bestimmten Willens. In der Grundlegungs-Schrift hat Kant einen solchen Willen bekanntermaßen einen guten Willen genannt.⁵ Zwar vermeidet er hier in der Kritik den dort an prominenter Stelle gebrauchten Ausdruck, wohl um den objektiven Charakter des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft zu betonen. Der Sache nach jedoch bestimmt er diesen Gegenstand durchaus über die Verfasstheit des Willens: Es ist das Gute im Sinne einer Form des Willens. Und dieser Gegenstand ist nur einer, Kant sagt der „alleinige“ im Sinne von ausschließliche, sprich einer, der andere Kandidaten ausschließt, solche Kandidaten nämlich, die das Gute in einen dem menschlichen Willen vorangehenden und ihn motivierenden Gegenstand verlagern. Kant spricht zwar, zu Beginn des zweiten Abschnitts dieses Hauptstücks, welcher die Konsequenz der von mir referierten Überlegungen des ersten Abschnitts zieht, im Plural von „alleinigen Objecte[n]“. Doch bezieht er sich dabei auf die Zweiheit des Guten und des Bösen, welche Doppelung für Kants Argumentation aber keine sichtbare Rolle spielt. Versteht man mit Kant unter dem Guten „einen nothwendigen Gegenstand des Begehrungsvermögens“, das heißt einen solchen, der nicht je nach den Umständen und der subjektiven Disposition des betreffenden Individuums bald begehrt, bald nicht begehrt wird, dann schließt das Begehren des Guten ein, dass sein Gegenteil nicht begehrt wird, ohne dass es hierfür noch eines weiteren, besonderen Vermögens des Verabscheuens bedürfte – ganz abgesehen davon, dass eine solche Dichotomie von Begehrungsvermögen und Verabscheuungsvermögen
Vgl. GMS, Ak. , S. .
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suggerieren könnte, das Gute bestehe in der Vermeidung des Bösen und sei darin nicht aus sich heraus, sondern von einem anderen her bestimmt. Demzufolge ist der „Gegenstand der reinen praktischen Vernunft“ ein Sachverhalt, der in dem zuvor entwickelten Sittengesetz schon gelegen ist, charakterisiert durch den kargen Begriff des Guten als eine durch das Sittengesetz bestimmte Weise des Wollens. Das ist in der Tat sehr wenig, und man könnte vermuten, dass Kant damit über das „Erste Hauptstück“ überhaupt nicht hinausgegangen ist. Aber genau dieses Wenige ist ausreichend für die Strategie, welche Kant im „Zweiten Hauptstück“ verfolgt, nämlich darzutun, wie das Objekt der reinen praktischen Vernunft nicht bestimmt werden darf. Mit dem „Zweiten Hauptstück“ richtet sich Kant in erster Linie gegen unangemessene Theorien über den Gegenstand der praktischen Vernunft. Rein quantitativ gesehen, nimmt die Polemik jedenfalls den weitaus größten Teil dieses Hauptstückes ein. Sie setzt ein, unmittelbar nachdem Kant das Gute – das Böse lasse ich fortan beiseite – zum alleinigen Objekt der praktischen Vernunft erklärt hat, und behauptet, dass eine Theorie, die den Begriff des Guten nicht in der dargelegten Weise Kants ableitet, nicht anders denn falsch sein kann. Kant benennt mehrere solche falsche Theorien, die bei aller Verschiedenheit doch sämtlich darin übereinkommen, ein dem menschlichen Willen vorangehendes Objekt als gut auszuzeichnen und den Willen alsdann insofern gut zu nennen, als er sich auf dieses Objekt richtet und es begehrt. Alle diese Theorien, mögen sie nun das Objekt, welches es zu begehren gilt, in die Glückseligkeit setzen, in irgendeine Art von Vollkommenheit, das moralische Gefühl oder den Willen Gottes – dabei handelt es sich um die in der Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts vorwiegenden Auffassungen, welche Kant vor Augen hat –, alle diese Theorien stimmen darin überein, dass sie empirisch und letztlich eudaimonistisch sind (nicht allein die, welche Glückseligkeit als das letzte Ziel des Handelns propagieren, sondern ebenfalls die theologischen Moralphilosophien, die davon ganz abzusehen scheinen). Und diese Theorien sind verkehrt, weil sie den menschlichen Willen in Bezug auf ein solches Objekt nur dergestalt motiviert sehen können, dass das jeweilige Objekt dem Einzelnen etwas verspricht und dieser sich etwas von ihm, weil anders er es nicht begehrte. Kant hat das pointiert dahingehend zusammengefasst, dass ein solcher dem Willen vorangehender Gegenstand ein Gegenstand der Lust (beim Begehren) oder der Unlust (beim Verabscheuen) ist. Und Lust und Unlust sind als Gefühle in praktischer Hinsicht grundsätzlich empirisch, bei dem einen treten sie angesichts eines Objekts auf, bei dem anderen nicht. Ein auf solche Weise als gut bestimmtes Begehren hat demnach keine universelle Geltung und Verbindlichkeit, weil es sich aus Neigungen und daran gekoppelten Interessen ergibt. Das ihm korrelierende Gute ist, mit Kant, lediglich ein Wohl und sein Gegenteil ein Übel.Wohl und Übel sind damit von Kant
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als „Gegenstand der reinen praktischen Vernunft“ verabschiedet. Es scheint mir darum ausgeschlossen zu sein, die Kategorien der Freiheit in der Folge auch daraufhin verstehen zu wollen. Ergebnis dieser kritischen Betrachtung ist, „daß […] der Begriff des Guten […] nicht vor dem moralischen Gesetze (dem er dem Anschein nach sogar zum Grunde gelegt werden müßte), sondern nur (wie hier auch geschieht) nach demselben und durch dasselbe bestimmt werden müsse“ (KpV, Ak. 5, S. 62 f.). Kants parenthetischer Einschub „wie hier auch geschieht“ besagt: so wie ich, Kant, aus dem „Ersten Hauptstück“, ohne über es hinauszugehen, abgeleitet habe, wofür ich nicht mehr tun musste, als mich gegen diejenigen Gegner zu wenden, welche das Gute zum Grund des moralischen Gesetzes machen wollen. Auch sie berufen sich auf die Vernunft als praktische Vernunft, aber nicht als eine reine praktische Vernunft, sondern stattdessen als eine empirisch-bedingte. Die Maximen des Willens sind für sie so stets nur vernünftige praktische Vorschriften, die angeben, wie der Mensch angesichts seiner Neigungen und der Vielfalt seiner Interessen in diese Vielfalt eine vernünftige Ordnung hineinbringen kann, welche ihn instand setzt, das von ihm als gut angesehene Objekt tatsächlich und nach Möglichkeit im Ganzen seiner Bestrebungen, also nicht bald ja, bald nein, zu erreichen.
3 Ich komme damit zu den Kategorien der Freiheit, ganz wie Kant selbst erst nach den von mir referierten Überlegungen dahin kommt – und nach einem (von mir allerdings ausgesparten) Hinweis, dass der traditionelle Begriff des höchsten Guts an dieser Stelle des Gedankengangs (noch) nichts zu suchen hat, sondern aufgrund der ihm einwohnenden Spannung zwischen Tugend und Glückseligkeit demgegenüber in die Dialektik der reinen praktischen Vernunft zu verlagern ist. Aus dem Umstand, dass das der reinen praktischen Vernunft eingeschriebene moralische Gesetz wirklich ein Bestimmungsgrund des Willens ist, schlussfolgert Kant mit Recht, dass der reinen praktischen Vernunft Kausalität zukommt. Und er apostrophiert die in dem so bestimmten Willen wurzelnden Begriffe des Guten und Bösen als „modi dieser einen Kategorie, nämlich der der Causalität“ (KpV, Ak. 5, S. 65). Doch leitet er im unmittelbaren Anschluss daran weit mehr ab, nämlich eine Vielheit von Begriffen, die sich nicht nur auf die Zweizahl des Guten und Bösen beziehen, sondern, so legt die Textabfolge nahe, auf Handlungen als Begebenheiten in der Sinnenwelt, im Hinblick auf welche Kant dann diese Begriffe „Kategorien“ nennt, und zwar, im Unterschied zu denen des reinen Verstandes, „Kategorien der Freiheit“. Die so eingeführten Begriffe sind offensichtlich keine
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Spezifizierungen der Begriffe des Guten und Bösen.⁶ Sie bekommen vielmehr nur im Hinblick auf durch Freiheit in der Sinnenwelt ermöglichte Handlungen oder, wie Kant bei der Vorstellung der Kategorientafel bemerkt, „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ (KpV, Ak. 5, S. 66) Bedeutung. Wie auch immer dieser Bezug des Näheren zu verstehen sein mag, offensichtlich ist, dass Kant sich für die unerwartet auftauchende Mehrzahl kategorialer Begriffe an der aus der sogenannten Urteilstafel hergeleiteten Zwölfzahl der Kategorien des reinen Verstandes orientiert. Nach den bisherigen Überlegungen sollte aber klar sein, dass die Kategorien der Freiheit mit diesen Kategorien, den „Kategorien des Verstandes“ oder „der Natur“ (KpV, Ak. 5, S. 65), wie Kant auch sagt, nicht mehr als den Namen gemeinsam haben. Denn wesentlich für die Kategorien des reinen Verstandes ist ein Merkmal, das Kant für die Bestimmung des Gutseins des Willens zuvor, und das ebenso eindringlich wie ausgiebig, zurückgewiesen hat: ihre Funktionalität. Die Kategorien des reinen Verstandes haben ihre Bedeutung einzig im Hinblick auf ein von ihnen Verschiedenes, auf eine in der sinnlichen Anschauung gegebene Mannigfaltigkeit an Daten, welche von ihnen verbunden und zu einer Einheit im Bewusstsein des Verbindenden gebracht werden. Darin entzieht sich die Verbindung dieser Daten der Beliebigkeit eines bloß assoziativen Verknüpfens und verbindet sie zu einem Gegenstand, über den wir, ihn erkennend, objektiv gültige, wahrheitsfähige Aussagen treffen können. Und die Vielzahl der Kategorien ergibt sich aus der Vielzahl der Weisen verstandesmäßigen Verbindens, das heißt daraus, dass der reine Verstand das Material unserer Sinne nach verschiedenen Hinsichten durchgeht und verknüpft, nach welchen er seine Urteile über Gegenstände spezifiziert. Genau dieses Verfahren ist aber nicht auf die Moralphilosophie übertragbar. In eine Vielfalt vorgegebener Daten, im Falle unserer Handlungen ist das die Vielfalt unserer faktischen Neigungen und Interessen, eine Ordnung hineinzubringen und sie dadurch einem durch die wechselnden Umstände und Lagen bedingten Baldso-Bald-anders zu entziehen, ist gewiss vernünftig. Es wäre dies die Operation einer praktischen Vernunft, nicht aber einer reinen praktischen Vernunft, welche in unbedingter Weise gebietet und insofern nicht Ratschläge erteilt, wie man mit zum Voraus gegebenen Daten klug umgeht und zurechtkommt. Insofern ist Kants Kritik an den irrigen Auffassungen des Guten, welcher das Hauptaugenmerk des „Zweiten Hauptstücks“ gilt, zugleich eine Zurückweisung des Versuchs, die Objektivität des Guten in Analogie zum Verfahren der verstandesgeleiteten Konstitution von Gegenständen der Natur zu deuten.
So etwa Pieper (), S. , wenn sie „Gut und Böse als Kategorien der Freiheit“ anspricht.
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Das ist natürlich auch Kant wohlbewusst. Stellt er doch fest, dass die Kategorien der Freiheit sich nicht wie die reinen Verstandesbegriffe – „Bestimmungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen gegebener Anschauungen in einem Bewußtsein“ – „ursprünglich“ auf Objekte beziehen, das heißt, dass sie nicht Objekte konstituieren durch die Verbindung vorgegebener Daten einer sinnlichen Anschauung. Gleichwohl befreit sich Kant nicht von der hier ansetzenden Analogie, wenn er, im Anschluss an die aufgezeigte Differenz zwischen den Kategorien der Natur und denen der Freiheit, für das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung, also das dem reinen Verstand Fremde, das Mannigfaltige nun nicht der Begehrung, sondern im Plural „der Begehrungen“ einsetzt, also immer noch das Bild einer Vielheit vor Augen hat, die zu einer Einheit zu bringen ist.⁷ Mir scheint Kants Rede von dem „Mannigfaltigen der Begehrungen“ schief, zumindest aber missverständlich zu sein, weil es doch bei der Bestimmung des Gutseins einer Begehrung nicht darum zu tun sein kann, ein besonderes Begehren mit einem oder gar mehreren anderen Begehren zusammenzuschließen, zu einem Ausgleich zu bringen oder in einem größeren Kontext miteinander verträglich zu machen; aber genauso wenig geht es, reduziert auf nur ein Begehren und in possessiver Interpretation des Mannigfaltigen, um die Koordinierung inhaltlicher Aspekte, unter denen ein begehrter Sachverhalt dem begehrenden Subjekt erscheint.⁸ Es geht allein darum, ob der Mensch etwas, das er begehrt und insofern beabsichtigt, auch wollen kann. Und für die Beantwortung dieser Frage greift Kant auf das Sittengesetz zurück, das den menschlichen Willen unmittelbar bestimmt und solcherweise eine Form des Wollens hervorbringt, die Kant in unserem Kontext „Willensgesinnung“ (KpV, Ak. 5, S. 66) nennt. Genau darin, in der Willensgesinnung, hat Kant in den vorhergehenden Darlegungen den Begriff des Guten angesiedelt, der nicht über Objekte, welche begehrt werden, sondern ausschließlich über die Art des Begehrens von Objekten zu bestimmen ist. Für die
Im vollen Wortlaut: „[…] so werden die Bestimmungen einer praktischen Vernunft nur in Beziehung auf die letztere, folglich zwar den Kategorien des Verstandes gemäß, aber nicht in der Absicht eines theoretischen Gebrauchs desselben, um das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen, sondern nur, um das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft, oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen, Statt haben können.“ (KpV, Ak. , S. ) Possessive Interpretation meint, dass die Rede von einem „Mannigfaltigen der Begehrungen“ im Sinne eines genitivus possessivus gelesen wird. Diese Genitivform zeigt ein Verhältnis der Zugehörigkeit an. So spricht Kant bereits in der Kritik der reinen Vernunft von dem „Mannigfaltige[n] der Sinnlichkeit“ (KrV, A /B ). Und er meint damit ebendas Mannigfaltige, das jeweils einer sinnlichen Anschauung zugehört, die vielen Aspekte ihres Gehalts. Eine possessive Interpretation gibt etwa Zimmermann (), S. f.
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Ermittlung dieser Art des Begehrens bedarf es keiner Kategorien, die eine Vielzahl, sei es von Begehrungen, sei es des vielfältigen Inhalts einer einzigen Begehrung, zu einer Einheit synthetisieren müssen. Das meint Kant, wenn er sagt, die Kategorien der Freiheit beziehen sich „ursprünglich nicht […] auf Objecte“ (KpV, Ak. 5, S. 65), das heißt dass sie nicht der Ursprung von Objekten sind, sondern, wie Kant mit Entschiedenheit formuliert, die Objekte in ihrer Vielheit „als gegeben“ (KpV, Ak. 5, S. 66) voraussetzen. Dass Kant gegen eine Konstitution von Objekten als Bezugspunkt der Kategorien der Freiheit ein Gegebensein der Objekte hervorhebt, möchte ich als Hinweis darauf interpretieren, in welchem Feld die Kategorien der Freiheit anzusiedeln sind. Ihr Ort ist der, auf ein dereinst erst auszuarbeitendes System der praktischen Philosophie, eine Metaphysik der Sitten, in dem gegebene, das heißt der reinen praktischen Vernunft vorgegebene, Objekte eine zentrale Rolle spielen, zu verweisen. Ebendeshalb, aufgrund ihres Verweisungscharakters, stehen sie in der Kritik der praktischen Vernunft als ein bloßer Einschub da. Kant will zeigen oder, besser, andeuten, dass die Kritik, welche die überzogenen Ansprüche einer empirischbedingten praktischen Vernunft als illegitim zurückweist und solche der reinen praktischen Vernunft als legitim etabliert, einer Kausalität aus Freiheit das Wort redet, die sich in ihrer Unbedingtheit auf das Gebiet anwenden lässt, in dem der Mensch durch empirische Sachverhalte und seine tatsächliche, konkrete Verfassung bestimmt ist, durch etwas also, was nicht eine Folge der reinen Vernunft ist, sondern in seiner Faktizität der reinen Vernunft vorausliegt. Wie Kant anderswo schreibt: [W]ir werden oft die besondere Natur des Menschen, die nur durch Erfahrung erkannt wird, zum Gegenstande nehmen müssen, um an ihr die Folgerungen aus den allgemeinen moralischen Principien zu zeigen, ohne daß jedoch dadurch der Reinigkeit der letzteren etwas benommen, noch ihr Ursprung a priori dadurch zweifelhaft gemacht wird (MSRL, Ak. 6, S. 217).
Kant schreibt diesen Satz in der Metaphysik der Sitten, genauer in deren Einleitungsabschnitt unter dem Titel „Von der Idee und der Nothwendigkeit einer Metaphysik der Sitten“. Hier, so meine These, haben die Kategorien der Freiheit ihren eigentlichen Ort: in der Anwendung der reinen Vernunftprinzipien auf faktische Gegebenheiten, auf der moralischen Vernunft vorgegebene Objekte des Begehrens, die sie anzuerkennen hat, auf die sie also eingehen muss, ohne dass sie sich ihnen zu beugen hätte. Anders formuliert heißt dies, dass sich auch diese Objekte unter Begriffe unbedingter Freiheit bringen lassen. Natürlich sind das nicht irgendwelche Objekte, sondern solche, die aus einer qualifizierten Form menschlichen Begehrens resultieren, die Kant nämlich aus der Natur des Menschen als eines vernünftigen Wesens gewinnt. Dazu gehört das
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Streben nach Selbstverwirklichung durch Aneignung und Besitzergreifung verschiedenster Dinge, das Streben nach Vervollkommnung der eigenen Kräfte und Anlagen, aber auch das Streben nach Glücksgütern, welche zu erreichen das tugendhafte Handeln allein nicht zu garantieren vermag. Das alles sind Formen des Strebens oder, wenn man will, des Begehrens, die Kant in den metaphysischen Anfangsgründen sowohl der Rechts- als auch der Tugendlehre behandelt. Dort zeigt er, dass im Bereich des Äußeren derlei Streben zu intersubjektiven Konflikten führt, weil das, was da jeweils erstrebt wird, sprich die Objekte meines Strebens, mit dem entsprechenden Streben anderer Menschen kollidiert – augenfällig in der Eigentumstheorie der Rechtslehre.⁹ Nicht ganz so offensichtlich ist dies im Bereich des Inneren, will sagen in der Tugendlehre. Und doch lassen sich hier in den verschiedenen Arten des Wohlwollens gegenüber anderen Menschen gleichfalls Formen der Unterdrückung und Bevormundung aufweisen, welche die freie Entfaltung des Anderen behindern. In der Metaphysik der Sitten wird Kant den Nachweis führen, dass sich ein vernunftgerechter Ausgleich im zwischenmenschlichen Gegeneinander nicht auf irgendein Arrangement oder einen Interessenkompromiss stützen kann, sondern allein auf das Grundprinzip der reinen praktischen Vernunft, und das ist die Freiheit des Willens. Dass dies nicht nur möglich ist, sondern auch geschehen soll, will Kant vorgreifend schon in der Kritik der praktischen Vernunft darlegen oder wenigstens doch andeuten: dass menschliches Begehren in seiner anthropologischen Bedingtheit Ausdruck unbedingter Freiheit ist und deshalb auch in seinen Verkürzungen, die zu intersubjektiven Konflikten führen, unter den Maßstab der Freiheit, und nur unter ihn, zu bringen ist. Das ist ein Vorgriff deshalb, weil diese Form der Freiheit aus dem anthropologisch verankerten Begehren nicht gefolgert werden kann, sondern einer vorgängigen Erörterung der Struktur reiner praktischer Vernunft bedarf. Dass diese Freiheit sich im faktischen Begehren der Menschen zur Geltung bringt, kann aber andererseits aus einer Vernunft, die unbezüglich auf diese Faktizität konzipiert ist, nicht erwiesen werden. Dieser Tatbestand gehört insofern nicht zur Erörterung ihrer Struktur, ein Grund dafür, dass Kant ihn in einem bloßen Einschub verortet. Um vollends plausibel zu machen, dass dieser besagte Einschub auf die Metaphysik der Sitten vorverweist, müsste allerdings gezeigt werden, dass die dort entwickelte Lösung zwischenmenschlicher Konflikte unter dem Kriterium der Freiheitsverträglichkeit faktischen Begehrens verschiedene Hinsichten voraussetzt und in Anspruch nimmt, welche man dann zu Recht als ‚Kategorien‘ an-
Vgl. Bartuschat ().
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sprechen kann. Das kann und soll aus Gründen des Umfangs hier jedoch nicht geleistet werden.¹⁰ Gleichwohl hoffe ich, deutlich gemacht zu haben, weshalb Kant vor Aufstellung der „Tafel der Kategorien der Freiheit“ den knappen und an dieser Stelle kaum ausgewiesenen Hinweis gibt, „daß diese Kategorien nur die praktische Vernunft überhaupt angehen“ (KpV, Ak. 5, S. 66), also nicht ausschließlich die reine praktische Vernunft, aus der allein sie sich in der Tat nicht herleiten lassen. Die Tafel setzt vielmehr voraus, dass das faktische Begehren der Menschen, wenigstens in bestimmten qualifizierten Formen, Ausdruck von Freiheit ist und dass deshalb die aus ihm resultierenden Handlungen, welche der unbedingten Freiheit gar nicht gerecht werden, nichtsdestotrotz dem Kriterium der Freiheitsverträglichkeit verpflichtet bleiben. Dieses Kriterium ist unabhängig vom Urteil derer, die da handeln; hinsichtlich der Rechtsförmigkeit wie der Tugendhaftigkeit von Handlungen ist es gleichgültig dagegen, ob ein Individuum selber seine Handlungen diesem Kriterium unterstellt und danach beurteilt. Es kann für sein Tun und Lassen dessen ungeachtet missbilligt beziehungsweise von den entsprechenden Institutionen staatlicher Strafverfolgung bestraft werden. Die systematische Tafel der Freiheitskategorien, sagt Kant zum Schluss, ist der Moralphilosophie als Wissenschaft, ihrer „Gründlichkeit“ und „Verständlichkeit“, zuträglich.¹¹ Sie dient der Stabilisierung der Moralphilosophie gegen mögliche Angriffe der Gegner. Die Moralphilosophie schließt nicht aus, dass der Mensch sich für sein Verhalten in der Welt auch unter moralischem Aspekt des Urteilens bedienen muss. Ihre Rechtfertigung aber muss sich darauf nicht stützen.
Bibliographie Bartuschat, Wolfgang (1998): Recht und Handeln. Zum Verhältnis von Privatrecht und öffentlichem Recht in Kants Rechtslehre, in: Zaczyk, Rainer/Köhler, Michael/Kahlo, Michael (Hg.): Festschrift für E. A. Wolff. Zum 70. Geburtstag, Berlin/Heidelberg, S. 17 – 32.
Ich verweise hier darauf, dass in Kants Vorarbeit zur Kritik der praktischen Vernunft nicht von Kategorien der Freiheit, praktischen Kategorien oder Ähnlichem die Rede ist (vgl. VAKpV, Ak. , S. ff.), dafür aber mehrfach in den Vorarbeiten zur Metaphysik der Sitten. Vgl. VARL, Ak. , S. , ; VATL, Ak. , S. . „Dergleichen nach Principien abgefaßte Eintheilung ist aller Wissenschaft, ihrer Gründlichkeit sowohl als Verständlichkeit halber, sehr zuträglich. […] Auf diese Weise übersieht man den ganzen Plan, von dem, was man zu leisten hat, so gar jede Frage der praktischen Philosophie, die zu beantworten, und zugleich die Ordnung, die zu befolgen ist.“ (KpV, Ak. , S. ).
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Höffe, Otfried (1990): Universalistische Ethik und Urteilskraft: ein aristotelischer Blick auf Kant, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 44, S. 537 – 563. Kants Gesammelte Schriften (1900 ff.), hg. von der (Königlich) Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin. Pieper, Annemarie (2002): Zweites Hauptstück (57 – 71), in: Höffe, Otfried (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der praktischen Vernunft, Klassiker Auslegen Bd. 26, Berlin, S. 115 – 133. Puls, Heiko (2013): Funktionen der Freiheit. Die Kategorien der Freiheit in Kants Kritik der praktischen Vernunft, Kantstudien Ergänzungshefte Bd. 174, hg. von Manfred Baum, Bernd Dörflinger, Heiner F. Klemme und Thomas M. Seebohm, Berlin/Boston. Zimmermann, Stephan (2011): Kants „Kategorien der Freiheit“, Kantstudien Ergänzungshefte Bd. 167, hg. von Manfred Baum, Bernd Dörflinger, Heiner F. Klemme und Thomas M. Seebohm, Berlin/Boston. Zimmermann, Stephan (2015): Wovon handelt Kants „Typik der reinen praktischen Urteilskraft“?, in: Kant-Studien 106/3, S. 430 – 460.
Christian Krijnen
Kants „Kategorien der Freiheit“ und das Problem der Einheit der Vernunft Hans Wagner (†) zum 95. Geburtstag*
Abstract. The problem of the unity of Kant’s critical philosophy has inspired the development of German idealism from the beginning. This paper discusses the problem of the unity of theoretical and practical philosophy as the problem of an original unity that precedes Kant’s legislation of nature and freedom. Whereas from the perspective of the post-Kantian German idealists, a concept that conceives of such an original and overarching unity as freedom seems to fail in Kant, it is my thesis that within his conception of activity, Kant indeed offers a distinction for constructing such a concept. Unfortunately, Kant’s distinction remains rather implicit in his philosophy: the distinction between activity qua performance of validity, and hence the subject as the logical instance that individuates or singularises validity (intentionality, act), and activity qua realisation of validity, and hence the real or concrete subject as the factor that realises validity.
1 Die Einheit der Vernunft als Problem 1) Die Frage nach der Einheit und der Einheitlichkeit von Kants Kritizismus hat die Entwicklung der deutschen idealistischen Philosophie von Anfang an beflügelt. Ganz gleich, ob dabei sachlich an das Verhältnis von konstitutiven und regulativen Prinzipien der Erkenntnis, das von Kritik und Metaphysik oder von theoretischer und praktischer Vernunft gedacht wird beziehungsweise historisch an Reinholds Versuch, die theoretische Philosophie durch eine neue Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens (1789) mit einer angeblich fehlenden Grundlage zu versehen, an J. G. Fichtes Bemühung, in der praktischen Vernunft die Grundlage von theoretischer und praktischer Vernunft,von Denken und Wollen in der Weise eines Primats des Wollens und damit der praktischen Vernunft zu bewältigen,¹ an G. W. F. Hegels Unternehmen, durch eine Lehre von der absoluten Idee die Be-
* Hans Wagner, Kant-Forscher und einer der profiliertesten Erneuerer der Transzendentalphilosophie, lehrte von bis als Ordinarius in Bonn und wäre am Eröffnungstag unserer Bonner Kant-Tagung Jahre alt geworden. Vgl. SW I, S. ; SW III, S. f.
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schränkungen des theoretischen Erkennens unter der Idee des Wahren und des praktischen Erkennens unter der Idee des Guten ebenso aufzuheben wie das theoretische und praktische Agieren des Geistes in seiner Lehre vom freien Geist:² Es sind dies alles Bestrebungen, die in irgendeiner Form eingehen in den Entwicklungsgang des späteren Idealismus etwa der Neukantianer und deren Anliegen, die von Fichte angestoßene Debatte über einen (unkantischen) Primat der praktischen Vernunft aufzugreifen, den inaugurierten Primat von seinen praktischen Konnotationen zu befreien und zu einem umfassenden Idealismus der Freiheit fortzubilden.³ Man denke aber auch an die Systementwürfe neuerer Transzendentalphilosophen wie H. Wagner oder W. Flach.⁴ Für sie alle ist Kant Inspirator; für sie alle ist Kants Kritizismus gerade in puncto Einheit und Einheitlichkeit jedoch auch unbefriedigend – weniger eine Antwort als ein Problem. Im Folgenden soll aus aktuellem Anlass das Problem der Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft erneut zur Sprache kommen. Ich meine damit nicht das Einheitsproblem, wie Kant es in der Kritik der Urteilskraft thematisiert hat. Freilich, Kants Ausführungen zur reflektierenden Urteilskraft, zum Begriff des intuitiven Verstandes und zu dem damit einhergehenden Welt-Entwurf, der „Nomothetik der Freiheit […] und […] der Natur“ (KU, Ak. 5, S. 448) aus moralteleologischer Perspektive verbindet, haben in je unterschiedlicher Weise (unkantische) Überlegungen zu einer ursprünglichen Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft Vorschub geleistet. Kant indes hatte das Problem der Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft (das heißt der Vernunft in ihrem theoretischen und praktischen Gebrauch) in seiner dritten Kritik traktiert als Problem der Verwirklichung von Freiheit in einer naturgesetzlich determinierten Welt. Er suchte eine Verbindung der in der Kritik der reinen Vernunft und der Kritik der praktischen Vernunft grundgelegten Gesetzgebungen für das Reich der Natur und das Reich der Freiheit,⁵ soll doch der „Freiheitsbegriff“ die durch seine Gesetze aufgegebenen Zwecke in der „Sinnenwelt“ (KU, Ak. 5, S. 176) verwirklichen. Diese Problemexposition setzt offenbar die Einteilung der Vernunft in die von Kant unterschiedenen Vermögen und die von ihm in kritischer Analyse herausgearbeiteten transzendentalen Gesetzmäßigkeiten voraus. Es geht also um die Thematisierung einer nachträglichen, nicht um die Bestimmung einer ursprünglichen,
Vgl. WL II, S. ff.; Enz, §§ ff. B. Recki (, S. ) spricht in Bezug auf Cassirer von einem „Fundamentalismus der Freiheit“ und plädiert für einen Rückgang auf Kant, ohne allerdings, wie mir scheint, die Komplexität der Problemlage hinreichend ausdrücklich zu machen. Vgl. Wagner (); Flach (). Vgl. KU, Ak. , § IX.
Kants „Kategorien der Freiheit“ und das Problem der Einheit der Vernunft
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der Nomothetik der Natur und der Freiheit noch vorausliegenden und sie erst ermöglichenden Einheit beziehungsweise Nomothetik.⁶ 2) Das Erstaunliche an S. Zimmermanns unlängst erschienener Arbeit über Kants „Kategorien der Freiheit“ ist, dass er, aufgrund einer eingehenden KantInterpretation und ohne die systematischen Vorgaben Kants zu verlassen, ein ursprüngliches Einheitsmodell der Vernunft liefert, und zwar auf der Grundlage von Kants kritischer Erkenntnisbegründung in der Kritik der reinen Vernunft. ⁷ Damit präsentiert er etwas, das von Anfang an als Desiderat des Kant’schen Kritizismus empfunden wurde und zu allerhand Kants Kritizismus übersteigenden spekulativen Höhenflügen geführt hat. Freilich, Zimmermann muss im Zuge seiner Bemühung, die Einheit der Vernunft qua Ursprung der Kategorien der Natur und der „Kategorien der Freiheit“ (KpV, Ak. 5, S. 65) herauszuarbeiten, immer wieder darauf hinweisen, dass es sich um die Konstruktion einer solchen Einheit aus Kants Texten handelt; dass es dazu gerade in der Schrift, der Zimmermanns hauptsächliches Augenmerk gilt, der Kritik der praktischen Vernunft, keine unmittelbaren Textbelege gibt.⁸ Von Kant eindeutig bekundet ist allerdings, dass die Kritik der reinen Vernunft und die Kritik der praktischen Vernunft in einem gemeinsamen Vernunftbegriff begründet sind: dass es sich um ein und dieselbe reine Vernunft handelt, die sich nur unterschiedlich, nämlich in theoretischer oder in praktischer Hinsicht, betätigt.⁹ Zimmermanns Strategie zur Bestimmung der Vernunfteinheit ist daher die der „analogischen Deutung“; er spürt der Analogie zwischen den Kategorien der Freiheit und den Kategorien der Natur nach, die Kant selbst in mehreren Hinsichten herausstellt, und legt dar, dass und wie Kant die Kategorien der Freiheit analog zu den Kategorien der Natur konzipiert.¹⁰
Für das Einheitsproblem der Kritik der Urteilskraft siehe etwa Krijnen (); Krijnen (), S. ff.; Düsing (); Krämling (). – Kant redet überhaupt von der Freiheit als von einem „Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen […] Vernunft“ (KpV, Ak. , S. ). Vgl. zu Kants Schlusssteinmetaphorik eingehend Fulda (). Vgl. Zimmermann (). Zum einheitlichen Vernunftbegriff qua Denk- bzw. Urteilsvermögen siehe etwa Zimmermann (), S. , ; vgl. auch S. ; speziell zum Freiheitsbegriff S. , – , f., f.; zum Selbstbewusstsein S. f. – Illustrativ für den konstruktiven Charakter ist auch, dass sich Zimmermann (S. , ) auf Willaschek (), S. f. bezieht, wenn es darum geht, nicht nur das Erfahren (theoretische Erkennen), sondern auch das Wollen als eine „propositionale Einstellung“ aufzufassen, Willaschek selbst aber darauf hinweist, dass Kant eine solche Redeweise unbekannt war. Vgl. auch die Schwierigkeiten bezüglich der Einheit der Vernunft, mit denen sich Allison () konfrontiert sieht bei seinem Versuch, das Verhältnis von Autonomie, Freiheit und Spontaneität zu bestimmen. Vgl. KpV, Ak. , S. , , ; GMS, Ak. , S. . Zimmermann (), S. und Kap. f.
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Angesichts von Kants Schweigen zu essenziellen Momenten des Einheitsbegriffs der Vernunft kommt Zimmermann nicht umhin, Kants Philosophie in kongenialer Weise mit, um den Hegel’schen Ausdruck zweckzuentfremden, Vorund Nachsätzen auszustatten.¹¹ Das Ergebnis ist aufschlussreich. Ich skizziere knapp das für meine anschließenden Überlegungen Wichtigste, wobei ich den Terminus ‚Vernunft‘ nicht im engem Sinne verwende als Vermögen zu schließen, sondern, wie Zimmermann und Kant gelegentlich selbst, im weiten Sinne als Inbegriff der oberen Erkenntnisvermögen und entsprechend generell von theoretischer und praktischer Vernunft rede: Die Kategorien der Natur und die der Freiheit haben denselben Ursprung. Dieser liegt in der sogenannten Urteilstafel der Kritik der reinen Vernunft, das heißt in den „logischen Function[en] des Verstandes in Urtheilen“ (KrV, B 95); sie fundiert die Kategorientafeln der Natur und der Freiheit. Die Kritik der reinen Vernunft enthält insofern Kants allgemeine Vernunft- oder Rationalitätstheorie. Dieses urteilstheoretische Verständnis der Vernunft geht dem „Auseinandertreten“ von theoretischem und praktischem Vernunftgebrauch begrifflich voran, denn es betrifft deren „gemeinschaftlichen Kern“¹², das „rationalitätstheoretische Fundament“¹³; dieses Fundament „hintergreift“¹⁴ die Differenz von theoretischer und praktischer Vernunft als dasjenige, woraus Kategorien abgeleitet werden. Theoretische und praktische Urteile basieren auf denselben logischen Funktionen des Urteils. Zwar traktiert die Kritik der reinen Vernunft den theoretischen, die Kritik der praktischen Vernunft den praktischen Gebrauch der Vernunft, jedoch entwickelt die erste Kritik in der sogenannten metaphysischen Deduktion¹⁵ auch einen allgemeinen Begriff der Vernunft und legt fest,was Denken überhaupt heißt. Die Kategorien der Freiheit sind für die Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch das, was die Kategorien der Natur für die Vernunft in ihrem theoretischen Gebrauch sind. Sie konstituieren Objektivität, näherhin praktische Objektivität. Während die Naturkategorien die Erfahrung (theoretische Erkenntnis) von Gegenständen konstituieren, konstituieren die Freiheitskategorien das Wollen von Gegenständen. Beide Kategorieninbegriffe lassen sich aus den logischen Urteilsfunktionen des Denkens (usus logicus) entwickeln als Funktionen des realen, also objektiven, Gebrauchs der Vernunft (usus realis), gleich, ob bezüglich des in der sinnlichen Anschauung Gegebenen oder einer „Mannigfaltigkeit von Begehrungen“ (KpV, Ak. 5, S. 65). Die Differenz von theoretischem und praktischem
Hegel (), S. f. Zimmermann (), S. ; vgl. S. ff. Ebd., S. . Ebd., S. ; vgl. S. . Vgl. KrV, B ff.
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Gebrauch ist keine des logischen, sondern eine des realen Gebrauchs der Vernunft. Beide Konstitutionsformationen von Gegenständlichkeit müssen urteilstheoretisch verstanden werden: Kant fasst den menschlichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermögen als Denk- und damit als Urteilsvermögen. Denken ist eine sich im Urteil vollziehende Synthesis. Die theoretische Vernunft und die praktische Vernunft sind Weisen des Denkens und damit des Urteilens: Die Bestimmung von Erfahrungsgegenständen erfolgt in theoretischen Urteilen, die Bestimmung des Willens erfolgt in praktischen Urteilen. Die Vernunft betätigt sich zum einen, um das „Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein“ zu bringen, und zum anderen, um das „Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins […] zu unterwerfen“. Die Kategorien sind folglich so oder so Bestimmungen der Einheit einer Synthesis von Mannigfaltigem (sei’s einer Anschauungs- oder einer Begehrungsmannigfaltigkeit). Während die theoretische Vernunft jedoch auf Gegenstände geht, die ihr anderswoher gegeben sind, nämlich durch die sinnliche Anschauung, bezieht sich die praktische Vernunft auf Gegenstände, die sie selber hervorbringen kann; denn sie betrifft unmittelbar die Bestimmung des Willens durch die Vorstellung eines Gegenstandes. Die Freiheitskategorien sind die Prinzipien möglicher Willensbestimmung überhaupt, umfassen also die ganze praktische Vernunft: Deren Kategorienlehre betrifft den sinnlich-bedingten Willen ebenso wie den sittlich-bedingten. Wie die Naturkategorien die Formen aller Erfahrung von Gegenständen ausmachen, so die Freiheitskategorien die Formen alles Wollens von Gegenständen. 3) Zimmermann präsentiert also einen allgemeinen Vernunftbegriff, der der Differenzierung in theoretische und praktische Vernunft zugrunde liegt. Zusammen mit dem Analogiegedanken von Natur- und Freiheitskategorien führt er ihn zu einer konstruierenden Deutung der Kategorien der Freiheit. Trotz der Fülle an Belehrung gerade in puncto Einheit, gibt es diesbezüglich auch Beunruhigendes. Mag Zimmermann Kants Schweigsamkeit nicht zuletzt in der Kritik der praktischen Vernunft beklagen – ausgerechnet hier äußert Kant sich auch einmal offen und unzweideutig zur Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft, und zwar an einer Stelle in der „Kritischen Beleuchtung der Analytik der reinen praktischen Vernunft“ (KpV, Ak. 5, 89 ff.). Wenn ich recht sehe, geht Zimmermann auf diese Stelle nicht ein. Für mich indes ist sie der Ausgangspunkt des problematisierenden Teils meiner Überlegungen zu Kants Einheit der Vernunft. Der Kontext von Kants Äußerung ist die von Zimmermann erkundete Analogisierung von theoretischer und praktischer Vernunft:
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Demjenigen, der sich von den in der Analytik vorkommenden Sätzen hat überzeugen können, werden solche Vergleichungen Vergnügen machen; denn sie veranlassen mit Recht die Erwartung, es vielleicht dereinst bis zur Einsicht der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens (des theoretischen sowohl als praktischen) bringen und alles aus einem Princip ableiten zu können; welches das unvermeidliche Bedürfniß der menschlichen Vernunft ist, die nur in einer vollständig systematischen Einheit ihrer Erkenntnisse völlige Zufriedenheit findet. (KpV, Ak. 5, S. 90 f.)
Da Kant offenbar seine eigene Analogisierung gut vor Augen steht, folgt unmittelbar, dass er selbst der Meinung ist, er habe das Problem der Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft und mit ihm das des Ursprungs von Naturund Freiheitskategorien (noch) nicht gelöst. Es muss also über das von Zimmermann herausgearbeitete Einheitsmodell hinausgehende Aspekte geben, die Kant veranlassen, doch recht ausführlich von einer aufgrund des Erreichten zwar berechtigten, aber bislang unerfüllten Erwartung zu sprechen. 4) Nun kann es sich beim Einheitsproblem, das Kant dabei vorschwebt, nicht um das Einheitsproblem der Kritik der Urteilskraft handeln. Immerhin sind hier die beiden Gesetzgebungen der Natur und der Freiheit schon vorausgesetzt, und es wird nach einer Möglichkeit gesucht, die unübersehbare Kluft zwischen beiden zu überbrücken. In der „Kritischen Beleuchtung“ indes stellt Kant auf „Vergleichung“ ab: Praktische und theoretische (spekulative) Vernunft hätten dasselbe Erkenntnisvermögen „zum Grunde“, nämlich „reine Vernunft“; es müsse der „Unterschied“ beider durch „Vergleichung“ bestimmt und der „Grund“ (KpV, Ak. 5, S. 89) dieses Unterschiedes angegeben werden. Das ist eindeutig Ursprungsproblematik der Differenz,wie auch die Rede von der ‚Ableitung aus einem Prinzip‘ anzeigt. So jedenfalls aus Kants Perspektive. Die nachkantischen Idealisten, von Fichte über Hegel bis in den Neukantianismus etwa Br. Bauchs hinein, haben die Kritik der Urteilskraft auch aus dieser Einheitsperspektive gelesen und geschätzt. In ihr erblickten sie einen vielversprechenden Ansatz, um die von Kant gestellte Aufgabe der ursprünglichen Vereinigung von theoretischer und praktischer Vernunft zu bewältigen und so Kants Forderung aus der ersten Kritik, die Welt müsse „als aus einer Idee entsprungen vorgestellet werden“ (KrV, B 843 f.), gerecht zu werden. Hegel etwa lobt Kant für seinen Begriff des ‚anschauenden‘, ‚intuitiven‘ Verstandes,¹⁶ da Kant mit ihm an die Schwelle der konkreten Allgemeinheit des Begriffs stoße, auch wenn es
Schon Fichte hatte die Kritik der Urteilskraft programmatisch geschätzt.Vgl. GA I/, S. ; II/ , S. , .
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ihm nicht gelinge, die abstrakte Allgemeinheit des Begriffs zu überwinden.¹⁷ Und der vielleicht beste Kant-Kenner des Neukantianismus, Br. Bauch, wird nicht müde, Kants Kritik der Urteilskraft für deren systematische Einheitsfunktion und die Überwindung der „Isolierung“ von „Form und Inhalt“ zu rühmen.¹⁸ Ihnen allen ist das von Kant in der dritten Kritik ins Spiel gebrachte Einheitskonzept in Form eines intellectus intuitivus, das für Kant einen bloß regulativen und in diesem Sinne subjektiven Status hat, unzureichend: Es werde der gegenstandskonstituierenden, objektiven Leistung der Vernunft nicht gerecht; der Dualismus von Form und Inhalt,von Subjekt und Objekt werde nicht überwunden und ein Hinausgehen über Kant, um in den Grund von allem vorzustoßen, sei vonnöten.¹⁹ Dies führt im nachkantischen Idealismus zu radikalen Uminterpretationen der Positionen und Intentionen Kants, wie berechtigt solche Uminterpretationen auch sein mögen. Handelt es sich bei der erwarteten zukünftigen Einsicht Kants weder um das Einheitsproblem der dritten Kritik noch um eine Überbietung des hier entwickelten regulativen Einheitskonzepts im Sinne der nachkantischen Idealisten, dann gilt es, Ausschau zu halten nach einem anderen Problemkomplex, der eine Kant befriedigende Einsicht bislang verhindert hat.
2 Kants Architektonik der Vernunft als Herausforderung 1) Um die Frage nach dem Unzureichenden des bislang erreichten Einheitsbegriffs der Vernunft zu beantworten, ohne dabei die Linie des Kant’schen Gedankengangs zu verlassen beziehungsweise den Kant’schen Rahmen allenfalls zu strapazieren, braucht es ein über Kants eigene Darlegungen hinausgehendes Problembewusstsein. Dieses lässt sich gewinnen, schaut man sich erneut die Geschichte der nachkantischen Philosophie an, und zwar nicht unter dem Aspekt der Einheitskonzeption der dritten Kritik, sondern mit Blick auf einen damit zwar indirekt verbundenen, gleichwohl unabhängig von ihm thematisierbaren und thematisierten Sachverhalt: den von Fichte wirkungsmächtig angestoßenen Gedanken, das Theoretische selbst als praktisch aufzufassen, die Differenz von
Vgl.WL II, S. ; Enz, §§ ff., . Siehe auch frühe Arbeiten Hegels wie Glauben und Wissen () und die Differenzschrift (). Bauch (), S. f. u. ö.; Bauch (), S. f. u. ö.; Bauch (), S. u. ö. Vgl. zu Kants Kritik der Urteilskraft im deutschen Idealismus von Fichte bis Hegel etwa Horstmann ().
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theoretischer und praktischer Vernunft also ins Praktische zurückzunehmen und damit ein ursprünglicheres Verhältnis ins Spiel zu bringen: Für Fichte ist „das Wollen […] der eigentliche, wesentliche Charakter der Vernunft“ (SW III, S. 20 f.), das „praktische Vermögen die innigste Wurzel des Ich“ (SW III, S. 21).²⁰ Das Interesse an der Erkenntnis ist dabei sogar eine Äußerung und Anwendung des sittlichen Interesses.²¹ Worauf es Fichte dabei ankommt, ist, dass „ohne ein Streben überhaupt kein Object möglich sey“ (SW I, S. 264), dass Vernunft nur theoretisch sein kann, wenn sie auch praktisch ist,²² dass also der Wille nicht bloß nachträglich in Bezug auf ein als wahr oder gut Erkanntes ins Spiel kommt, sondern die Erkenntnis selbst von der Wirksamkeit des Willens abhängt: Wille und Denken machen keine bloß nebeneinander beziehungsweise getrennt voneinander wirksamen Vermögen aus, sondern bilden einen inneren Zusammenhang, sind wesentlich aufeinander bezogen. Noch abgesehen davon, dass bei Fichte eine über Kants Sprachgebrauch hinausgehende Bedeutung von ‚praktischer Philosophie‘ vorherrscht, ‚praktische Philosophie‘ bei Fichte also etwas anderes ist, als sie es bei Kant war:²³ Eine solche Ausdeutung der Lehre vom Primat der praktischen Vernunft ist insofern unkantisch, als Kants Primat der praktischen Vernunft,²⁴ trotz der Variationsbreite der Auslegungsvorschläge, wohl als Vorordnung des praktischen Vernunftglaubens vor das theoretische Wissen gedeutet werden muss.²⁵ Wenn heute R. Brandom betont, Intentionalität, Erkenntnis, Handlung seien normative Größen, folglich einem allumfassenden Begriff von Normativität das Wort redet und dabei Kant für diesen Gedanken lobt,²⁶ dann setzt er offenbar eine von Fichte initiierte Deutungsrichtung fort, die von Hegel und den Neukantianern aufgenommen wurde, allesamt eher orientiert am ‚Geist‘ als am ‚Buchstaben‘ Kants. Gerade eine derartige ‚aktivistische‘ Prägung der Philosophie zieht eine
Allerdings ist ‚praktisch‘ vor allem beim frühen Fichte ein mehrdeutiger Begriff: Er steht zum einen für eins der zwei Grundvermögen, zum anderen aber auch für die Einheit beider. Vgl. Siemek (); Siemek (). Vgl. SW IV, S. f. Genau auf diese Passage Fichtes spielt Br. Bauch (, S. ) in seiner Kant-Deutung an, wenn er auf die Zweckbestimmtheit der Erkenntnis zu sprechen kommt, dass also bei Kant „alle Theorie bereits unter der praktischen Bestimmung durch die Idee“ steht. Gerade in der frühen Phase (Wissenschaftslehre von ) schließt die praktische Philosophie auch eine Ästhetik und eine Lehre vom gemeinen Menschenverstand ein (GA I/, S. ); bisweilen fungiert sie auch als Synonym für die Wissenschaftslehre selbst (GA II/, S. ). Siehe dazu Breazeale (), S. f. Vgl. KpV, Ak. , S. ff. Siehe stellvertretend für viele Förster (), S. ff. Siehe etwa Brandom (), S. ; Brandom ().
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Vielzahl von höchst intrikaten systematischen Problemen nach sich, die in dieser Tradition der Philosophie, wie mir scheint, jedenfalls bislang gründlicher zur Sprache kamen als in den gegenwärtigen Reaktualisierungsversuchen prominenter Anerkennungstheoretiker.²⁷ Wie dem auch sei. Hegel hat sich genötigt gesehen, auch den Fichte’schen Versuch, theoretische und praktische Vernunft im Anfang der Grundlegung der Philosophie zur Einheit zu bringen, durch eine spekulative Ideenlehre zu überbieten.²⁸ Und im werttheoretischen Kritizismus der südwestdeutschen Neukantianer, die sich durchaus um eine Synthese von Kant und Hegel bemühen,²⁹ hat sich eine intensive und anhaltende Debatte über den Primat der praktischen Vernunft gerade angesichts der Notwendigkeit entsponnen, die unterschiedlichen Vernunftgebiete aus einem einheitlichen Grundverhältnis heraus zu verstehen³⁰ – eine Debatte, die in der Transzendentalphilosophie der Nachkriegszeit zu weiteren Versuchen der Perfektionierung eines solchen ‚axiotischen Grundverhältnisses‘ geführt hat.³¹ In all diesen Bemühungen tritt ein einheitlicher Idealismus der Aktivität und damit der Freiheit hervor, jedoch dergestalt, dass der Primat einer spezifisch praktischen Vernunft zugunsten eines allgemeinen Vernunftbegriffs preisgegeben wird. Für diesen einheitlichen Idealismus kann ein Rückgang auf Kants Architektonik der Vernunft so wenig eine Lösung sein, als Kants Verhältnisbestimmung von theoretischer und praktischer Vernunft vielmehr den Ausgangspunkt der Problemlage abgibt. Dass Kant selbst hervorgehoben hat, man könne keine Wissenschaft zustande bringen, ohne eine Idee als Zweck zugrunde zu legen,³² die Erkenntnis sich also schon für Kant als zweckbestimmt erweist³³ und damit als
Siehe dazu etwa Krijnen () und Krijnen (). Siehe dazu Krijnen (a). Hegel zeigt in seiner Logik, dass die Idee des Wahren und die Idee des Guten nur innerhalb der absoluten Idee möglich sind (vgl. WL II, S. ff.), und im Rahmen seiner Philosophie des subjektiven Geistes, dass und wie der theoretische und der praktische Geist aufeinander bezogen sind und im freien Geist zur Einheit kommen (vgl. Enz, §§ ff.). Krijnen (b). Vgl. Krijnen (), Kap. ..; Krijnen (b). Vgl. Wagner (), § und Flach (), Kap. . Für einen Neukantianer wie Rickert () u.ö. oder spätere Transzendentalphilosophen wie Wagner (), §§ und oder Flach (), insb. Kap. und gibt es so etwas wie ein allgemeines Selbstgestaltungsverhältnis (axiotisches Grundverhältnis), das der Unterscheidung von theoretisch und praktisch noch zugrunde liegt und für die philosophische Systematik maßgebend ist. Auch für Husserl etwa ist der Mensch berufen zu einem Leben in der Apodiktizität, Sein-zur-Vernunft, „Teleologischsein und Sein-Sollen“, so dass er eine Teilung der Vernunft in „‚theoretische‘, ‚praktische‘ und ‚ästhetische‘ und was immer“ ablehnt (Hua VI, S. f.). Vgl. KrV, B . Siehe auch KrV, B f.
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bestimmt durch praktische Vernunft, mag die von Fichte eingeschlagene Bahn wenigstens verständlich machen. 2) Das Problem der Kant’schen Architektonik reiner Vernunft betrifft also weniger die in der Kant-Forschung viel diskutierten internen Verhältnisse praktischer Vernunft, etwa zwischen Moral, Recht und Tugend oder einem reinen und empirischen Willen, sondern das eher selten diskutierte Verhältnis von theoretischer und praktischer Vernunft selbst.³⁴ Dies wundert angesichts der Textlage nicht – denn es ist Kant schlicht unproblematisch. Tatsächlich ist die von Aristoteles³⁵ vorgearbeitete und in der Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts aufgegriffene Einteilung der Philosophie in theoretische und praktische beziehungsweise qua Gegenstände in das Gebiet der Natur und das der Freiheit auch für Kant maßgeblich. Schon in der Kritik der reinen Vernunft heißt es wegweisend auch für die weitere Entwicklung seiner Transzendentalphilosophie: Die „Gesetzgebung der menschlichen Vernunft (Philosophie)“ hat zwei Gegenstände: „Natur und Freiheit“; die Philosophie der Natur geht auf „alles, was da ist; die der Sitten nur auf das, was da sein soll“ (KrV, B 868).³⁶ In ihrem metaphysischen Teil ist sie als Erkenntnis aus reiner Vernunft entweder „speculativ“ (theoretisch) oder „praktisch“; entsprechend gibt es eine (kritisch grundgelegte) „Metaphysik der Natur“ und eine „Metaphysik der Sitten“; die erstere enthält die reinen Vernunftprinzipien vom „theoretischen Erkenntnisse aller Dinge“, die letztere die Prinzipien, die das „Thun und Lassen“ a priori bestimmen (die „Moral“) (KrV, B 869). In der Kritik der praktischen Vernunft kehren derartige Bestimmungen wieder, wobei jetzt zugleich ausdrücklich gemacht wird, dass die Vernunft sich in ihrem praktischen Gebrauch mit „Bestimmungsgründen des Willens“ (KpV, Ak. 5, S. 15) beschäftigt. Nicht anders in der Kritik der Urteilskraft,³⁷
Es ist vielsagend, dass ein so eminenter Kant-Forscher wie H. Oberer zwar zu einer immer bestimmteren Fassung der Gliederung von Kants praktischer Philosophie in kritische Grundlegung einerseits und Metaphysik der Sitten (Ethik und Rechtslehre) anderseits gelangt ist, der Systemeinteilung von theoretischer und praktischer Philosophie, von Theorie und Praxis selbst jedoch nicht eigens auf ihren Grund geht, sondern das Verhältnis beider vor allem bezüglich des Übergangs von der dritten Antinomie (der logischen Möglichkeit der Freiheit) in die praktische Grundlegung (moralisch-praktische Wirklichkeit der Freiheit) behandelt. Vgl. Oberer (); Oberer (); Oberer (); Oberer (). Dieser Übergang wird sich insofern als überflüssig erweisen, als die objektive Realität der Freiheit schon innerhalb einer umfassenden, die Transzendentalphilosophie selbst einbeziehenden ‚theoretischen‘ Philosophie dargetan werden kann, es auch so etwas wie das ‚Faktum‘ der theoretischen Geltungsdifferenz gibt und damit das Bewusstsein des theoretisch Normiertseins im Theoretischen. Aristoteles: Eth. Nic., VI. Buch. Vgl. KrV, B . Vgl. KU, Ak. , S. f., .
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wo Kant, „wie gewöhnlich“ (KU, Ak. 5, S. 171), die Philosophie in theoretische und praktische und die korrespondierenden Gegenstände in Natur und Freiheit beziehungsweise in theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung beziehungsweise in Naturphilosophie und Moralphilosophie (als „praktische Gesetzgebung der Vernunft nach dem Freiheitsbegriffe“) einteilt.³⁸ Eine über die historische Referenz hinausgehende zureichende Begründung für diese Einteilung gibt es bei Kant nicht. Gerade angesichts seiner Ausführungen in der „Architektonik der reinen Vernunft“ (KrV, B 860) zum Verhältnis von Wissenschaft, architektonischer Einheit und der damit einhergehenden Notwendigkeit einer apriorischen Einteilung des Ganzen aus dessen Zweck, darf man jedoch ebenso eingehendere Auskunft verlangen³⁹ wie wegen des Erfordernisses, den objektiven Geltungsausweis apriorischer Begriffe durch eine transzendentale Deduktion darzutun. Aufgrund der historisch vorliegenden Lage differenziert Kant in einer Weise, in der die aktive, leistende Komponente im menschlichen Verhalten, die es etwa auch in der theoretischen und der ästhetischen Erkenntnis gibt, primär unter ‚praktischen‘ Gesichtspunkten thematisch wird und größtenteils bleibt. Die Kritiker können entsprechend geltend machen, es fehle bei Kant ein die mannigfaltigen Freiheitskonzepte beziehungsweise -ansätze seines Denkens umfassender Freiheitsbegriff, der als Einheitsgrund seiner Spezifikationen zu dienen vermag. Bei Kant herrscht die Bestimmung der Freiheit als praktischer Freiheit vor, mag er durchaus auch fundamentale Aspekte eines allgemeineren Freiheitsbegriffs herausgearbeitet haben. Zweifelsohne ist Willensfreiheit als Selbstbestimmung des Wollens eine für den Menschen eminente Freiheitsbestimmung, gleich, ob man sie, gemäß dem bei Kant uneinheitlichen Sprachgebrauch, als ‚ethisch‘, ‚moralisch‘ oder ‚sittlich‘ qualifiziert. Zwar zeigt Kant in der dritten Antinomie, und damit innerhalb der theoretischen Philosophie, dass Freiheit (qua Vermögen, spontan, also nichtkausaldeterminiert, zu handeln) denkmöglich, und im Rahmen seiner praktischen Philosophie, dass sie wirklich ist.⁴⁰ Aber schon im Nachweis der Denkmöglichkeit einer solchen kosmologischen Freiheitskausalität wird klar, dass es Kant vor allem um die Möglichkeit moralischer Freiheit für unser Handeln zu tun ist (der die
Vgl. KU Ak. , S. , f., u. ö. – wenn auch die Antwort nicht erwarten: vgl. KrV, B f. über das Verhältnis des Urhebers einer Wissenschaft zu der in seiner Wissenschaft wirksamen Idee. Zur Wandlung der kontrovers diskutierten diesbezüglichen Theoriebildung siehe etwa Düsing (); Düsing () und Wagner (b); Wagner (a).
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kosmologische Freiheit, auch transzendentale genannt, logisch vorhergeht).⁴¹ Die „Freiheit im praktischen Verstande“ definiert er in der Kritik der reinen Vernunft seinen Ethikschriften gemäß als „Unabhängigkeit der Willkür [beziehungsweise des Willens; d. Verf.] von der Nöthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit [Herv. d. Verf.]“ (KrV, B 562) und als Vermögen des Menschen, sich in solcher Unabhängigkeit „selbst zu bestimmen“. Hier wird all das praktisch genannt, was mit freier Willkür zusammenhängt: „Praktisch ist alles,was durch Freiheit möglich ist“ (KrV, B 828).⁴² Auf der Grundlage der gesicherten kosmologischen Freiheit der Kritik der reinen Vernunft dreht sich sodann alles um die Willensfreiheit. In der praktischen Philosophie (vor allem in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft), in der die Wirklichkeit oder objektive Realität der Freiheit dargetan wird, fasst Kant Freiheit von vornherein in der Perspektive des ‚Sittengesetzes‘ und damit im Kontext moralischer/sittlicher Erwägungen: Das Problem des Wollens und dessen Geltungsbestimmtheit sind der Angelpunkt. Ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen sind ihm einerlei,⁴³ Wille und praktische Vernunft fallen letztlich zusammen.⁴⁴ Vor dem Hintergrund der skizzierten Sachlage lässt sich gut verstehen, dass von Fichte über Hegel, den Neukantianismus und die Phänomenologie bis in die heutige Transzendentalphilosophie hinein Kants Gegensatz ‚theoretisch – praktisch‘ beziehungsweise ‚Natur – Freiheit‘ als unzureichend empfunden wird, um die innere Struktur der Vernunft zu explizieren, geschweige denn, dass die Moral beziehungsweise das Praktische als höchste oder tiefste Systemsphäre fungiert.⁴⁵ Wie gesagt, praktisch ist für Kant alles, was durch Freiheit möglich ist. Während die theoretische Philosophie in Kants Systematik nur zur logischen Möglichkeit des Freiheitsbegriffs gelangt und über eine ‚negative‘ Bestimmung von Freiheit (‚Nicht-Naturkausalität‘) nicht hinauskommt, lässt sich im Rahmen der praktischen Philosophie nicht nur die objektive Realität des Freiheitsbegriffs nachweisen, sondern sie liefert zugleich die ‚positive‘ Bestimmung des Freiheitsbegriffs. Darin liegt in Kants Systematik geradezu die Möglichkeit und die
Vgl. KrV, B f., f. – H. F. Fulda moniert zu Recht, Kants Idee von Freiheit in Verbindung mit der allgemeinen Naturnotwendigkeit, also Kants kosmologische Freiheitsidee, sei vom Vorgriff auf eine Metaphysik der praktischen Vernunft endlicher Subjekte geleitet.Vgl. Fulda (), S. , . Vgl. KrV, B f. Vgl. GMS, Ak. , S. . Vgl. MSRL, Ak. , S. . Siehe auch KpV, Ak. , S. , , ; GMS, Ak. , S. , , ; MSRL, Ak. , S. . Zum Einteilungsproblem des Systems siehe auch Krijnen (b), Kap. ff. und Krijnen (), speziell ....
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Aufgabe praktischer Philosophie. Sie hängt an der Gliederung ‚theoretisch – praktisch‘ beziehungsweise ‚Natur – Freiheit‘. Visiert man indes eine umfassende Philosophie der Erkenntnis an, die von vornherein sowohl die Erkenntnis kultureller Sachverhalte einbezieht als auch ihre eigene, philosophische Erkenntnis und dabei durchgängig zur Geltung bringt, dass Erkenntnis selbst immer schon zweckbestimmt, nämlich wahrheitsorientiert, ist, dann stellt sich heraus, dass Objektivität und Subjektivität der Erkenntnis, objektive Geltung und subjektiver Vollzug der Erkenntnis intrinsisch zusammengehören. Die Sphären des Theoretischen und des Praktischen lassen sich folglich nicht mehr so trennen, dass sie sich jeweils begrenzen, dass das Theoretische oder die Natur aufhört, wo das Praktische oder die Freiheit anfängt. Auch das erkennende Subjekt muss sich gemäß dem Gesetz theoretischer Verbindlichkeit verhalten können, wäre sonst doch keine Synthesis in Urteilen möglich. So gesehen bildet Kants Gliederung keinen vollständigen Gegensatz: Es kommt kein in sich begründetes Ganzes zustande, das die Vernunft ist. Vielmehr müsste es ein übergreifendes ‚quasi-praktisches‘ Moment geben, das sich jenseits des Gegensatzes von theoretisch und praktisch als Freiheit qualifiziert (ebenso wie es ein übergreifendes ‚quasi-theoretisches‘ Moment geben müsste, das sich als Normierungsdeterminante qualifiziert). Es sind dies Gedankengänge, die so weit von denen Kants nicht liegen: In der Pölitz-Metaphysik stellt Kant eingehende Betrachtungen über das Verhältnis von Spontaneität und Freiheit an. Es ergibt sich ein enger, auch das Theoretische einbeziehender Zusammenhang, den Kant trotz aller praktischen Färbung seiner Ausführungen wie folgt formuliert: „Wenn ich sage: ich denke, ich handele etc.; dann ist entweder das Wort Ich falsch angebracht, oder ich bin frei“ (V-Met-L1/ Pölitz, Ak. 28, S. 268 f.). Auf der Reflexionsebene eines solchen allgemeinen Freiheitsbegriffs angesiedelt, lässt sich das Freiheitsproblem qua Nachweis der objektiven Realität der Freiheit schon innerhalb der theoretischen Philosophie lösen; denn die Freiheit qua Selbstbestimmung gemäß theoretischer Gesetzlichkeit (Normativität) des erkennenden Subjekts erwiese sich als notwendige Bedingung möglicher Erkenntnis: Die Freiheit des Subjekts ist so objektiv real wie theoretische Erkenntnis objektiv real ist. Daraus ergeben sich gründliche Änderungen in der philosophischen Architektonik. Sie haben die nachkantischen Idealisten über Kant hinausgeführt. Ihnen kam es nicht zuletzt auf die Herausarbeitung eines Freiheitsbegriffs an, der ein durchgängiges, den Kant’schen Gegensatz ‚theoretisch – praktisch‘ umfassendes und durchdringendes Verhältnis etabliert und folglich jeglicher Spezifikation von Freiheit zugrunde liegt, gleich, ob der logischen Freiheit der Spontaneität, der Willensfreiheit, der Handlungsfreiheit, der ästhetischen Freiheit usw. Freiheit spielt schon in der theoretischen Philosophie der Gegenstandserkenntnis eine
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Rolle, denn sie ist Bestimmungsstück jeglicher vernünftigen Tätigkeit. Kants Architektonik muss daher als unzulänglich erscheinen: Vernünftig ist alles, was durch Freiheit möglich ist.
3 Vollzug und Realisierung der Geltung 1) Jedenfalls sieht es so aus. Im Folgenden will ich jedoch eine bei Kant eher implizit gebliebene Unterscheidung herausarbeiten, die das skizzierte Verhältnis von theoretischer und praktischer Vernunft kompliziert und der Architektonik Kants insofern zu einer vertieften Plausibilität verhilft, als es wenigstens der Sache nach gelingt, Freiheit zu einem durchgängigen Begriff zu machen, ohne dabei die Möglichkeit einer Spezifizierung des Praktischen zu verlieren und ohne das Theoretische in einem unkantischen Primat der praktischen Vernunft zu fundieren oder Kants Ansatz einer übergreifenden Aktivitätsbestimmung gar zu einer Selbstbewegung des Begriffs beziehungsweise zur Selbsterkenntnis der Idee als Geist zu modeln. Dazu muss man den Subjektbegriff als Begriff des agens, also des Aktiven oder Handelnden, präziser in seiner Funktion fassen, als es Kant selbst getan hat, dessen Begriffe von Freiheit, Spontaneität und Autonomie den Interpreten immer wieder Rätsel aufgegeben haben und nach wie vor aufgeben. Ohne eine bestimmtere Einsicht in die Aktivität der Vernunft, bleibt Kants Architektonik opak. Die übliche Entgegensetzung von Erkennen und Wollen trägt dem Wollen im Erkennen gewiss ungenügend Rechnung. Gleichwohl ist es trotz aller Überwindungsversuche mindestens erstaunlich, dass die Entgegensetzung von theoretischer und praktischer Vernunft, ob bei Hegel oder im Neukantianismus etwa, zurückkehrt, wenn auch in einem modifizierten Gewand. Angesichts der Textlage, die bezüglich des Einheitsproblems unbefriedigend ist, kann man im strikten Sinne kaum sagen, der Kant’sche Ansatz gebe eine übergreifende Aktivitätsbestimmung her. Vielmehr handelt es sich um einen Beitrag zur Konstruktion eines solchen Ansatzes. Meine diesbezügliche These ist, dass die Differenz zwischen Aktivität qua Aktvollzug der Geltung und damit dem Subjekt qua logischer Vollzugsinstanz (Intentionalität, Akt)⁴⁶ einerseits und Aktivität qua Verwirklichung der Geltung und damit dem Subjekt qua Realisierungsinstanz (Selbstgestaltungsinstanz) anderseits in hinreichender Bestimmtheit
– es ist hier nicht erforderlich, das Subjekt als intentionaler Grund vom Subjekt als Vollzugsgröße der Intention (Akt) zu unterscheiden. Ich nehme beide Bestimmungen für gewöhnlich zusammen als logische Qualifikationen der Vereinzelungsdimension der Geltung.
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hervorgekehrt werden muss. Das Subjekt ist Vereinzelungsinstanz der Geltung in logischer wie in realer Hinsicht. 2) Kants transzendentales Denken in der Kritik der reinen Vernunft zielt auf die Bestimmung der Ermöglichungsstruktur von Erkenntnis. An diesem transzendental-subjektivitätstheoretischen Fundierungsgedanken unterscheidet er einen objektiv-logischen und einen subjektiv-logischen Aspekt.⁴⁷ Der objektiv-logische Aspekt betrifft die Synthesis als Verbindung von reinem Verstand und reiner Sinnlichkeit. Ihr Zusammenwirken konstituiert den Gegenstand der Erkenntnis. Es stellt sich heraus, dass der Gegenstand der Erkenntnis seiner Form oder Gegenständlichkeit nach konstituiert ist durch Regeln beziehungsweise durch die Regelhaftigkeit des Denkens, letztlich durch die sich in den Kategorien entfaltende transzendentale oder ursprüngliche Einheit der Apperzeption. Die sogenannten ‚subjektiven‘ Bedingungen fundieren die Gegenständlichkeit des Denkens, genauer: das Gegenständliche im Denken, die Gegenständlichkeit des Gegenstandes. Der gegenständliche Sinn ist in der Eigenbestimmtheit des Denkens, in dessen Synthesisfunktionen begründet.⁴⁸ In diese objektiv-logische Thematik der Gegenstandskonstitution spielt eine subjektiv-logische Thematik hinein. Kant wendet sich nämlich auch dem geltungsfunktionalen Zustandekommen der Gegenstandskonstitution durch das Zusammenspiel von „Erkenntniskräften“ zu, betrachtet den „Verstand“, wie es heißt, auch „in subjectiver Beziehung“ (KrV, A XVI f.). Die Thematik der Subjektivität der Erkenntnis betrifft die Erkenntnis als Vollzug, also nicht die Gegenständlichkeit des Gegenstandes, sondern die Gegenstandsgerichtetheit des Denkens. Das Subjekt erweist sich hier als der intentionale Grund der Erkenntnis. Diese – für Kant sekundäre – Thematik spielt in der A-Auflage der Kritik, wo Kant eingehend verschiedene Synthesisformen diskutiert,⁴⁹ eine wesentlich größere Rolle als in der B-Auflage. Mit den Synthesisformen der Apprehension, Reproduktion und Rekognition bestimmt er die Vollzugsstruktur der Erkenntnis. Durch den Erkenntnisvollzug wird „alle Erfahrung, als ein empirisches Product des Verstandes möglich [Herv. d. Verf.]“ (KrV, A 98). Die Wirklichkeit der Erkenntnis also (nicht deren Bestimmtheit) kommt durch die Formen der Synthesis qua Momente des Erkenntnisvollzugs zustande. Dieser Bezug auf das Subjekt als Vollzugsinstanz bleibt insofern durchgängig erhalten, als die transzendentale Deduktion nicht nur auf den rein bestim Vgl. Krijnen (a). Die „Einheit, welche den Gegenstand nothwendig macht“, ist nichts anderes als die „formale Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen“ (KrV, A ). – die „Apprehension in der Anschauung“, die „Reproduction in der Einbildung“ und die „Recognition im Begriffe“ (KrV, A ff.).
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mungslogischen Aspekt des Gegenstandes durch den urteilsmäßigen, kategorialen Apparat abstellt, sondern zugleich eine apperzeptionstheoretische Pointierung hat, die der Bestimmungsfunktionalität des Urteils über den Begriff der Spontaneität des Bestimmens einen subjektiv-logischen Nebensinn zukommen lässt.⁵⁰ Sie betrifft die Bestimmungskompetenz des ‚Ich denke‘, die das erkennende Subjekt für sich beansprucht. Mit der Etablierung dieser Kompetenz etabliert Kant im Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption, geltungstheoretisch gesehen, zugleich ansatzweise das konkrete Subjekt. Indem es nämlich urteilt, apperzipiert es sich als der Gegenstandsbestimmung kompetent. Das erkennende empirische Subjekt wird als ein solches qualifiziert. Kant zufolge zeichnet es sich durch eine Beziehung nicht nur auf das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung aus, das es apperzipiert und das, wie Kant sagt, „in demselben Subject […] angetroffen wird“, sondern auch durch eine Beziehung auf das, wie Kant sagt, „Ich denke“, welches „muß alle meine Vorstellungen begleiten können“ (KrV, B 131 f.). Ohne die Inanspruchnahme dieser Bestimmungskompetenz gibt es keine Gegenstandsbestimmung. Gegenständliche Vorstellungen sind keine bloßen Zustandsmodifikationen des Subjekts, sondern Ergebnis einer Synthesis von Mannigfaltigem. Das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung und das Denken kommen in einem konkreten, jeweiligen Subjekt zusammen und stehen beide unter der Bedingung der transzendentalen Einheit des Selbstbewusstseins als dem fundamentalen und durchgängigen Geltungsprinzip der Erkenntnis. Erkenntnis ist Bestimmung des Gegenstandes durch ein denkendes Subjekt. Dieses erweist sich als logische Vollzugsinstanz der Geltung und damit als ein unerlässliches Moment der Erkenntnisbeziehung, als Funktion der Geltungsvereinzelung, als intentionaler Grund der Erkenntnis. Kant fasst diesen Erkenntnisvollzug, diese „Verbindung […] eines Mannigfaltigen überhaupt“ als einen „Actus der Spontaneität“ (KrV, B 129 f. u. ö.). Er fasst ihn also nicht als Freiheit. Gleichwohl muss dieser Akt der Spontaneität einen ‚Zustand von selbst anfangen können‘, das heißt nicht durch Naturkausalität bestimmt, sondern ein (transzendental, kosmologisch) freier Akt sein,⁵¹ ist er doch durch objektive Erkenntnisgesetzlichkeit bestimmbar: Der Freiheitsbegriff entspringt insofern der urteilslogischen Aktanalyse. Es spricht nichts dagegen, eine solche Intentionalitätsstruktur auch im Praktischen angelegt zu sehen; denn in der praktischen Philosophie wird die Willkür als bestimmbar durch den reinen Willen gedacht. Das Subjekt als inten-
Für eine Interpretation, in der Kants Apperzeptionstheorie in die Bestimmungslogik integriert wird, siehe Flach (), S. ff. Vgl. KrV, B .
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tionaler Grund ist im Theoretischen wie im Praktischen wirksam, auch wenn sich die logische Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzüge unterscheidet, wodurch Akte zu spezifisch theoretischen beziehungsweise praktischen Akten werden. Eine nähere Charakterisierung der spezifischen Differenzen müsste den oben schon berührten Kontrast zwischen theoretischer Vernunft beziehungsweise Erkennen und praktischer Vernunft beziehungsweise Wollen hervorkehren, also Selbstbestimmung (Freiheit) qua Bestimmung einer anderswoher gegebenen Mannigfaltigkeit und Selbstbestimmung (Freiheit) qua Bestimmung der Willkür durch den Willen thematisieren, sagen wir kurz: äußere Selbstbestimmung und innere Selbstbestimmung. 3) Darauf kommt es hier jedoch nicht an. Es kommt vielmehr darauf an, dass im Praktischen das intentionale Subjekt nicht bloß als Korrelationsmoment im Gefüge einer Geltungsgesetzlichkeit in Anspruch genommen und in dieser Funktion sodann philosophisch thematisch wird, sondern auch in einer anderen Hinsicht: in einer Hinsicht, in der es zwar im Theoretischen ebenfalls wirksam, aber eben nicht thematisch ist, da für die Geltungsbestimmtheit des Theoretischen irrelevant. Das intentionale Subjekt ist im Praktischen nämlich philosophisch thematisch in Bezug auf die Gründe seiner Selbstbestimmung, das heißt bezüglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung. Daraus ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit: die praktische. Praktische Vernunft und Wille fallen bei Kant bekanntlich zusammen. Die praktische Vernunft betrifft die Bestimmung des Willens und damit die Bestimmungsgründe des Willens. Vernünftiges Begehren ist Begehren aufgrund von ‚Begriffen‘, ‚Grundsätzen‘, ‚Regeln‘, ‚Zwecken‘, ‚Prinzipien‘, kurz: nicht von sinnlichen, sondern von begrifflichen Vorstellungen. Solches Begehren betrifft damit nicht unmittelbar das Subjekt als intentionalen Grund und damit als logische Vollzugsinstanz der Geltung, sondern als Realisierungsinstanz der Geltung. Dies wird deutlich, blickt man auf Kants Bestimmungen praktischer Vernunft: a) Während die theoretische Vernunft mit der Erkenntnis von Gegenständen zu tun hat, die ihr „gegeben“ sind, geht es der praktischen Vernunft darum, ihre Gegenstände, gemäß ihrer Erkenntnis, „wirklich zu machen“, das heißt, die praktische Vernunft hat es zu tun mit einem „Willen“ (KpV, Ak. 5, S. 89). Sie bezieht sich auf Gegenstände, die sie selber hervorbringen und damit verwirklichen kann; in ihrem praktischen Gebrauch nämlich bestimmt die Vernunft den Willen durch die Vorstellung von Objekten und verhilft diesen sodann mittels der Kausalität des Willens zur Existenz, das heißt, sie werden realisiert. Der Gegenstand des Begehrens, das Begehrte, ist nicht der Wille, sondern unsere Handlungen und deren (beabsichtigte) Folgen. Während der Gegenstandsbezug theoretischer Vernunft (also der theoretischen Vernunfterkenntnis) darin besteht, den Gegenstand „bloß zu bestimmen“, besteht der Gegenstandsbezug praktischer Vernunft (sprich der
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praktischen Vernunfterkenntnis) darin, den Gegenstand auch „wirklich zu machen“ (KrV, B IX f.). Während die theoretische Erkenntnis (Erfahrung) sich auszeichnet durch ein rezeptives Verhältnis zu ihrem Gegenstand, zeichnet sich die praktische Erkenntnis (Wollen) aus durch ein aktives, produktives Verhältnis zu ihrem Gegenstand: Bestimmung und Verwirklichung des Willens gehören in der praktischen Vernunft zusammen. Gegenstand der „praktischen Erkenntniß“ zu sein, heißt, wie Kant auch einmal formuliert, „die Beziehung des Willens auf die Handlung, dadurch er, oder sein Gegentheil, wirklichgemacht würde“ (KpV, Ak. 5, S. 57).⁵² Das Begehrungsvermögen ist für Kant geradezu das Vermögen, „durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein“ (KpV, Ak. 5, S. 9 Anm.). b) Die praktische Vernunft betrifft, logisch gesehen, zunächst die Gründe der Willensbildung und damit die Gründe der Zwecksetzung selbst.Willensbildung ist Zwecksetzung, Setzung des zu Begehrenden. Hinsichtlich der Bestimmungsgründe des Willens qua „Vermögen der Zwecke“ (KpV, Ak. 5, S. 59)⁵³ unterscheidet Kant, grob gesprochen, technisch-praktische und moralisch-praktische Prinzipien, je nachdem, ob der die Kausalität des Willens bestimmende Begriff ein Naturbegriff (letztlich: Glückseligkeit) ist oder der Freiheitsbegriff qua reine Selbstbestimmung und damit die Geltung selbst.⁵⁴ Es handelt sich dabei um zwei Ebenen der Selbstbestimmung des konkreten Subjekts, nicht um das Subjekt als Aktvollzugsgröße: Das Subjekt als Aktvollzugsgröße ist in der Selbstbestimmung des konkreten Subjekts vorausgesetzt. Indem die praktische Vernunft zunächst die Gründe der Zwecksetzung selbst betrifft, betrifft sie die Selbstgestaltung eines Zwecke setzenden (und sodann verwirklichenden) Subjekts und damit eines realen, konkreten Subjekts. – Das Verhältnis von Wille und Willkür bringt beide zusammengehörenden Momente des menschlichen Begehrungsvermögens dergestalt zum Ausdruck, als es zum einen die Dimension der Bestimmung des Willens, zum anderen die Verwirklichung des Willens durch Handlungen in den Vordergrund rückt: Handlung und Bestimmungsgrund der Handlung gehören zusammen,⁵⁵ die praktische Vernunft deckt sowohl die Dimension der Bestimmungsgründe als auch die der Entscheidung zur Ausführung des Willens ab. c) Die Unterscheidung von Subjekt qua logischer Vollzugsgröße und qua konkretem und damit realem Subjekt der Selbstbestimmung, das heißt der Selbstgestaltung, lenkt den Blick schließlich auf eine dritte Bestimmung Kants, die Siehe auch GMS, Ak. , S. : Hier denkt Kant den Willen als Vermögen, sich selbst gemäß der Vorstellung von Gesetzen zum Handeln zu bestimmen. Vgl. KU, Ak. , S. ; MSTL, Ak. , S. . Vgl. KrV, B , ; GMS, Ak. , S. ff.; KU, Ak. , S. . Siehe auch MSRL, Ak. , S. . Vgl. MSRL, Ak. , S. , ff.
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relevant ist, um zu einem bestimmten umfassenden Freiheitsbegriff zu gelangen: Kant kennt auch „Handlungen des Verstandes“ (KrV, B 94).⁵⁶ Dieser Handlungsbegriff ist jedoch sehr weit; er ist nicht auf den Bereich des Praktischen beschränkt beziehungsweise auf das absichtliche Herbeiführen eines Ereignisses in der Außenwelt.⁵⁷ In diesem weiten Sinne heißt ‚handeln‘ ganz allgemein: bewirken, einen Effekt hervorbringen. Insofern handeln auch Gemütskräfte wie Verstand oder Wille. Dabei entnimmt Kant den Terminus „Handlung des Verstandes“ zwar der neuzeitlichen Logik,⁵⁸ gibt dieser Redeweise jedoch eine urteilstheoretische Wendung: Der Verstand ist ihm ein Vermögen zu urteilen und die „Functionen des Verstandes“ lassen sich über die „Functionen der Einheit in den Urtheilen“ finden. Für das architektonische Einheitsproblem ist dieser weite Handlungsbegriff insofern unergiebig,⁵⁹ als es zur Bewältigung dieses Problems um ein besonderes Bewirken, nämlich um ein Bewirken aus Freiheit, gehen muss:⁶⁰ nicht um agere, sondern um facere. Der enge Handlungsbegriff der Metaphysik der Sitten ist da mehr als hilfreich. Hier bestimmt Kant „That“ als eine den „Gesetzen der Verbindlichkeit“ unterworfene Handlung; folglich kommt das „Subject“ nach der „Freiheit seiner Willkür“ und damit als „Urheber der Wirkung“ in Betracht. Handlung und Wirkung können dem Subjekt „zugerechnet werden“ (MSRL, Ak. 6, S. 223). Den Aktor einer solchen Handlungskonstellation bezeichnet Kant als „Person“, das heißt dasjenige Subjekt, „dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind“. Gerade wenn man (α) den Verstand als geltungsfunktionalen Inbegriff auffasst, dann handelt er im skizzierten engen Sinne nicht. Er, beziehungsweise allgemein gesprochen: die Vernunft, ist vielmehr ein Inbegriff von Geltungsgesetzen, denen das erkennende Subjekt als Vollzugsinstanz der Geltung unter-
Vgl. KrV, B . Siehe dazu Gerhardt (); Zimmermann (), S. , Anm. . Siehe dazu Brandt (), S. – . Siehe auch KrV, B , wo Kant Handlung mit „Kraft“, „Thätigkeit“ und „Substanz“ verbindet und ganz allgemein fasst als Verhältnis von „Subject“ qua Substratum (Substanz) zur „Wirkung“. Vgl. KrV, B ff. Siehe zudem den Abschnitt „Was heißt handeln“ in der Pölitz-Metaphysik. Dieser Abschnitt ist auch deshalb interessant, weil Kant hier „agere“ als Handeln im weiten Sinne unterscheidet von „facere“ als „Thun“ qua Handeln in einem engen Sinne: Handeln aus Freiheit. Über agere und facere siehe auch KU, Ak. , S. . K. Reich arbeitet, wie Kant in der Kritik der reinen Vernunft, mit diesem weiten Handlungsbegriff, wenn er die Handlung als „Funktion“ erwägt, die sich dann gerade als „Gesetz“ (Reich (), S. ) der Handlung ergibt. Als Gesetz (bzw. Einheit, Identität) der Handlung ist sie selbst freilich keine Handlung im Sinne dessen, was ihr als Fall des Gesetzes unterworfen ist.
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worfen ist, wodurch sich die Geltung (als Prinzip) vereinzelt (zum Konkretum).⁶¹ Dass die Vernunft gemäß Kants transzendentaler Wende in der Begründungsproblematik sich selbst das Gesetz gibt,⁶² das heißt autonom ist, ändert nichts an diesem Sachverhalt; denn die so gefasste Autonomie betrifft die Bestimmtheit des Gesetzes, also des Geltungsgrundes selbst. (β) Auch das Subjekt als bloße Aktvollzugsgröße, die das Mannigfaltige zur Einheit synthetisiert, handelt im engen Sinne nicht; denn als solche Vollzugsinstanz ist es gar nicht als Person, sondern nur als logisches Moment der Erkenntnisgesetzlichkeit in Anspruch genommen und damit allenfalls als logisches Vereinzelungsmoment der Geltung. (γ) Als Person, und folglich als sinnlich-intelligible Einheit, als reales, konkretes Subjekt, als Entität, die nicht nur durch Natur bestimmt, sondern auch durch Freiheit bestimmbar ist, ist der Mensch Thema der praktischen Philosophie Kants. Diese kehrt also, anders als die theoretische Philosophie, die Sollensbestimmtheit selbst des Subjekts hervor. Auch die Annahme beziehungsweise das Verwerfen von Regeln oder Zwecken ist eine Handlung des (inneren) Willkürgebrauchs; hier kommt das Subjekt als Person in Betracht und damit eine eigentümliche, eine praktische Gesetzlichkeit ins Spiel. Das Subjekt ist als das reale Subjekt, das es ist, thematisch als Realisierungsinstanz der Geltung.
4 Schluss Mit den Verfechtern einer unkantischen Primatlehre der praktischen Vernunft im Sinne eines allgemeinen, das Theoretische und Praktische übergreifenden Freiheitsbegriffs lässt sich gegen Kant ins Feld führen: Das Subjekt als Aktvollzugsgröße muss als bestimmbar durch Geltungsgesetzlichkeit, also nicht nur bestimmt durch Naturgesetzlichkeit, und daher als frei gedacht werden. Theoretische und praktische Vernunft können nicht wie bei Kant gegeneinander definiert werden. Gegen die Verfechter eines umfassenden Freiheitsbegriffs lässt sich aus Kant’scher Sicht wiederum ins Feld führen: Die Bestimmbarkeit des Subjekts durch Freiheit ist nicht eigens Thema der theoretischen Philosophie, sondern der praktischen Philosophie. Hier geht es um die Selbstgestaltung des Subjekts. Gemäß Kants Architektonik ist sie per definitionem praktisch, letztlich gar moralisch. Jegliche Zwecksetzung, auch das Streben nach theoretischer oder ästhetischer Erkenntnis, unterliegt als Zwecksetzung praktischer Gesetzlichkeit, mag sich das Subjekt im – im Kontext der praktischen Philosophie sagt Kant auch einmal, nicht der Wille, sondern die Willkür sei frei (vgl. MSRL, Ak. , S. ). Vgl. die berühmten Formulierungen aus der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (GMS, Ak. , S. ff., f.). Siehe auch KpV, Ak. , S. .
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Zuge seiner Selbstgestaltung auch theoretischer oder ästhetischer Gesetzlichkeit unterwerfen. Als eine solche Unterwerfung unterliegt sie der praktischen Gesetzlichkeit. Diese beeinträchtigt als praktische also nicht die theoretische oder ästhetische Eigengesetzlichkeit, sondern betrifft das Verhältnis des Subjekts qua Realisierungsinstanz zur Geltung. Angesichts dessen ließe sich zwar nicht dem Buchstaben, sehr wohl aber dem Geist nach von einem Primat der praktischen Vernunft sprechen: von einem Primat der Selbstgestaltung im Sinne einer generellen Umspannungsfähigkeit praktischer Normativität und damit der Geltungsverwirklichung. Sofern die praktische Vernunft rückgebunden ist an eine allgemeine Vernunfttheorie der theoretischen Vernunft, ließe sich analog auch von einem Primat der theoretischen Vernunft als Primat der objektiven Geltung des und jedweden Normierenden reden. Lässt man dies als eine Strapazierung von Kants Architektonik gelten, dann bricht eine entscheidende Differenz zu Hegel auf, der, ebenfalls von Kant ausgehend, zu einer grundlegend anderen Vernunftarchitektonik kommt. Während etwa im Neukantianismus oder in der Transzendentalphilosophie der Gegenwart Kants Selbstgestaltungsmodell sich, wenn auch in stark modifizierter Form, dahingehend gehalten hat, dass überhaupt die Welt des Menschen konzipiert wird als Ergebnis von Selbstgestaltungsverhältnissen, ganz gleich, welcher Art normativer Gesetzlichkeit sich das verdankt (samt einem dazugehörigen Geltungsprimat der ‚theoretischen‘ Vernunft), löst Hegel das Selbstgestaltungsmodell durch ein Selbsterkenntnismodell ab. In diesem Modell geht es um die Selbsterkenntnis der absoluten Idee als des absoluten Geistes, und entsprechend erweist sich die Logik nicht nur als erste, sondern durch die Realphilosophie hindurch auch als die letzte Wissenschaft des philosophischen Systems. Die Evaluation von Kants Einheitsmodell der Vernunft liefe, ginge man die Evaluierungsaufgabe gründlich an, auf eine Auseinandersetzung mit der – freilich von den üblichen ontologisch-geistmetaphysischen Vorurteilen befreiten – Hegel’schen Option hinaus und also mit dem womöglich bedeutendsten ebenjener radikalen Uminterpretationen Kant’scher Positionen und Intentionen,⁶³ die bislang beiseitegelassen wurden – die aber Freiheit zum Ursprung des philosophischen Systems machen.⁶⁴
Vgl. Krijnen (); Krijnen ( b); Krijnen (); Krijnen (). Indem Freiheit bei Hegel dem spekulativ verstandenen Begriff selbst zugedacht wird, ergibt sich ein anderes Freiheitsverständnis als bei Kant: Freiheit als durchgängiges Bei-sich-selbst-Sein im Anderen. Vgl. Fulda (). Bezüglich der Einheit der Vernunft gehen damit auch epistemologische Fragen einher, wie sie Zeidler () in seinem Versuch umtreiben, Kants urteilslogischen Ansatz schlusslogisch zu verwandeln.
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Autoreninformationen Wolfgang Bartuschat, 1964 Promotion in Heidelberg bei H.-G. Gadamer mit einer Arbeit über Nietzsche, ab 1966 Habilitationsstipendium der DFG, wissenschaftlicher Assistent an der Universität Hamburg, 1971 Habilitation ebenda mit einer Arbeit über Kants Kritik der Urteilskraft, ab 1977 Professor für Philosophie, 1994 Gastprofessor an der Humboldt-Universität Berlin und 2001 an der Université Michel de Montaigne Bordeaux, seit 2002 emeritiert, Forschungsschwerpunkte in der Geschichte der Philosophie von Descartes bis Hegel, Spinoza und Kant, Publikationen liegen unter anderem vor zu Nietzsch: Selbst sein und Negativität. Zur Problematik einer Philosophie des sich selbst vollendenden Willens (1964), Zum systematischen Ort von Kants Kritik der Urteilskraft (1972), Spinozas Theorie des Menschen (1992) und Baruch de Spinoza (1996). Manfred Baum, seit 1993 Professor für Philosophie an der Bergischen Universität Wuppertal, seit 2005 im Ruhestand, 2. Vorsitzender der Kantgesellschaft e.V., Mitherausgeber der Kant-Studien, neben zahlreichen Aufsätzen liegen als Monographie vor Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchungen zur Kritik der reinen Vernunft (1986) und Die Entstehung der Hegelschen Dialektik (21989). Jochen Bojanowski, Assistant Professor an der University of Illinois at UrbanaChampaign (USA), Forschungsschwerpunkt ist hauptsächlich Kants Moralphilosophie, neben zahlreichen Artikeln über Kant liegt als Monographie vor Kants Theorie der Freiheit. Rekonstruktion und Rehabilitierung (2006). Werner Euler, 2012– 2016 Gastprofessor an der Staatlichen Universität von Santa Catarina in Florianópolis (Brasilien), Forschungsschwerpunkte sind Kants theoretische und praktische Philosophie, insbesondere die Kritik der Urteilskraft und die Metaphysik der Sitten, Hegels Wissenschaft der Logik und Philosophie des Geistes, zuletzt erschienen ist in Buchform Natur und Freiheit. Kommentar zu den beiden Einleitungen in Kants Kritik der Urteilskraft (2016). Hans Friedrich Fulda, 1961 Promotion an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 1960 wissenschaftlicher Assistent an der Freien Universität Berlin, ab 1965 in Heidelberg, 1969 Habilitation ebenda, 1974 Ordentlicher Professor an der Universität Bielefeld, 1981 Ordinarius in Heidelberg, 1987– 1996 Präsident der Internationalen Hegel-Vereinigung, seit 1995 emeritiert, Publikationen liegen vor insbesondere zum Deutschen Idealismus (Kant, Hegel), zur Metaphysik und
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Autoreninformationen
Praktischen Philosophie, darunter Das Problem einer Einleitung in Hegels Logik (21975), hg. zus. mit R.-P. Horstmann und M. Theunissen Kritische Darstellung der Metaphysik. Eine Diskussion über Hegels Logik (1980), hg. zus. mit K. Cramer, R.-P. Horstmann und U. Pothast Theorie der Subjektivität (1987), hg. zus. mit J. Stolzenberg Architektonik und System in der Philosophie Kants (2001) und Hegel (2003). Ina Goy, Senior Lecturer in Philosophy an der Eberhard Karls Universität Tübingen, als Buchpublikationen liegen vor hg. zus. mit E. Watkins Kant’s Theory of Biology (2014), Kants Theorie der Biologie. Ein Kommentar. Eine Lesart. Eine historische Einordnung (2016) und Kant on Proofs of the Existence of God (i. Ersch.), Aufsätze zu Kants praktischer Philosophie sind erschienen unter anderem zu Immanuel Kant on the Moral Feeling of Respect (2007, 2010), Virtue and Sensibility (6:399 – 409) (2013), The Antinomy of Teleological Judgment (2015), Kritik der praktischen Vernunft (2015) und Why Animals Let Man Believe in God (2016). Theo Kobusch, seit 2003 Professor für Philosophie an der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn, Forschungsschwerpunkte sind Metaphysik, Ontologie, Religionsphilosophie, Sprachphilosophie, Geschichte der Philosophie, besonders Philosophie der Antike und des Mittelalters, Descartes, Kant, Hegel, Publikationen liegen vor unter anderem zu Sein und Sprache. Historische Grundlegung einer Ontologie der Sprache (1987), Die Entdeckung der Person (²1997), Christliche Philosophie. Die Entdeckung der Subjektivität (2006), Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters (2011) und Unser vergessenes Erbe. Spätantike Philosophie und ihr Einfluß auf die Moderne (2016). Christian Krijnen, seit 2005 Associate Professor an der Vrije Universiteit Amsterdam (Niederlande), Promotion 2001, Habilitation 2006, Arbeitsschwerpunkte sind Philosophie der Neuzeit, Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie, praktische Philosophie, Metaphysik, Kulturphilosophie sowie Wirtschafts- und Organisationsphilosophie, zahlreiche Veröffentlichungen liegen vor zu Kant, Hegel, dem Neukantianismus und der Transzendentalphilosophie der Gegenwart, darunter Nachmetaphysischer Sinn. Eine problemgeschichtliche und systematische Studie zu den Prinzipien der Wertphilosophie Heinrich Rickerts (2001), hg. zus. mit M. Heinz Kant im Neukantianismus. Fortschritt oder Rückschritt? (2007), Philosophie als System. Prinzipientheoretische Untersuchungen zum Systemgedanken bei Hegel, im Neukantianismus und in der Gegenwartsphilosophie (2008), hg. zus. mit K. W. Zeidler Gegenstandsbestimmung und Selbstgestaltung. Transzendentalphilosophie im Anschluss an Werner Flach (2011), hg. Recognition. German Idealism as an Ongoing Challenge (2014) und The Very Idea of Organization. Social Ontology Today: Kantian and Hegelian Reconsiderations (2015).
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Heiko Puls, Lehrbeauftragter am Philosophischen Seminar der Universität Hamburg, Forschungsschwerpunkte sind Kant, angewandte Ethik und Geschichte der Philosophie, als Buchpublikationen liegen neben zahlreichen Aufsätzen zu Kants praktischer Philosophie und zur angewandten Ethik vor zu Funktionen der Freiheit. Die Kategorien der Freiheit in Kants Kritik der praktischen Vernunft (2013), hg. Kants Rechtfertigung des Sittengesetzes in Grundlegung III. Deduktion oder Faktum? (2014) und Sittliches Bewusstsein und kategorischer Imperativ in Kants Grundlegung. Ein Kommentar zum dritten Abschnitt (2016). Jens Rometsch, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn, interessiert sich für das Denken der frühen Neuzeit und des Deutschen Idealismus und arbeitet derzeit vor allem über erkenntnistheoretische Themen, Publikationen sind unter anderem erschienen zu Hegels Theorie des erkennenden Subjekts. Systematische Untersuchungen zur enzyklopädischen Philosophie des subjektiven Geistes (2007). José María Torralba, 2007 Ph.D. an der Universidad de Navarra (Spanien), 2010 – 12 Visiting Scholar an der University of Chicago (USA), seit 2013 Direktor des Institute for Anthropology and Ethics an der Universidad de Navarra, seit 2014 Associate Professor ebenda, Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Handlungstheorie und Moralphilosophie, Publikationen sind erschienen unter anderem zu Leibniz, Kant, Hegel und Anscombe, darunter Libertad, objeto práctico y acción. La facultad del juicio en la filosofía moral de Kant (2009) und hg. zus. mit M. Alznauer Theories of Action and Morality. Perspectives from Philosophy and Social Theory (2016). Stephan Zimmermann, Promotion 2009 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg bei H. F. Fulda, bis 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von J. Halfwassen ebenda, danach wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart von M. Gabriel an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für theoretische Philosophie von M. N. Forster ebenda, Habilitationsprojekt „Vorgängige Gemeinsamkeit. Studie zur Ontologie des Sozialen“, Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Deutscher Idealismus (Kant, Hegel), Hermeneutik (Heidegger, Gadamer, Dilthey), Gesellschaftsvertragslehre (Hobbes, Locke, Rousseau) und Ästhetik, neben Aufsätzen und herausgegebenen Sammelbänden liegt als Monographie vor Kants „Kategorien der Freiheit“ (2011).
Personenregister Achenwall, Gottfried 27, 30 f., 38, 56 Adickes, Erich 10, 151 Albrecht, Michael 52 Allison, Henry E. 31, 43, 50 – 52, 61, 229, 311 Anderson, Georg 29 Aristoteles 21, 37, 97, 100, 318 Arndt, Hans W. 42
Descartes, René 31, 51, 134 Doyle, John P. 18 Düsing, Klaus 311, 319
Bader, Ralf M. 9, 113, 115, 123 f., 152 – 154, 167 f., 224, 232, 237, 243 Bartuschat, Wolfgang 13, 295, 306 Basaglia, Federica 283 Bauch, Bruno 314 – 316 Baum, Manfred 11, 91 Baumbach, Conrad J. A. 27 Baumgarten, Alexander G. 7, 17, 26, 30, 55, 234 Beck, Lewis W. 9, 54, 78, 85, 113 f., 125, 127, 137, 151, 177, 224, 226 f., 235, 239 f., 242, 283, 289 Bendavid, Lazarus 8, 223 Benton, Robert J. 9, 54, 113, 124, 154 f., 166, 169, 237, 284, 290 Bittner, Rüdiger 25 Bobzien, Susanne 9, 39, 54, 113, 123, 137, 152 – 155, 166 f., 226 f., 232, 237, 242 f., 291 Bojanowski, Jochen 9, 11, 51, 107, 180, 190 Brandom, Robert 316 Brandt, Reinhard 31, 33, 151, 176, 209, 211, 230, 236, 240, 327 Brastberger, Gebhard U. 8, 41 Breazeale, Daniel 316 Byrd, B. Sharon 31
Fabricius, Johann A. 26 Fichte, Johann G. 129, 309 f., 314 – 317, 320 Flach, Werner 310, 317, 324 Formey, Jean H. S. 26, 30 Förster, Eckart 316 Fraisse, Jean-Claude 9 Fulda, Hans F. 13, 247, 251, 311, 319 f., 330
Canz, I. Gottlieb 26, 38 Carpov, Jakob 26 Chalybäus, Heinrich M. 59 Courtine, Jean-François 18, 42 Cudworth, Ralph 22
Eberhard, Johann A. 68 Eidam, Heinz 85 Enskat, Rainer 275 Euler, Werner 12, 175, 218
Gerhardt, Volker 226, 327 Gilson, Etienne 18, 31 Gottsched, Johann Chr. 22 Goy, Ina 12, 84, 149 Graband, Claudia 9, 19, 39 f., 47, 49, 54, 56, 65, 151 f., 154 f., 169 f., 218, 224, 226, 232, 239, 241 f., 288 Gregor, Mary J. 29, 218 Grimm, Jacob 79 Grimm, Wilhelm 79 Haakonssen, Knud 28 Haas, Bruno 9, 112, 224, 229, 235 Hedwig, Klaus 53 Hegel, Georg W. F. 20, 27, 38, 53, 129, 141, 309, 312, 314 – 317, 320, 322, 329 f. Heubült, Willem 275 Hoffbauer, Johann Chr. 22 Höffe, Otfried 25, 275, 297 Holz, Harald 18 Honnefelder, Ludger 18 Horstmann, Rolf-Peter 315 Hruschka, Joachim 31 Hunter, Ian 28 Husserl, Edmund 317 Irrlitz, Gerd
25
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Personenregister
Jakobi, Klaus 37 Joesten, Clara 53 Jung-Stilling, Johann H.
3 f.
Kaufmann, Matthias 31 Kaulbach, Friedrich 228 Kersting, Wolfgang 31 Kierkegaard, Søren 35 Klemme, Heiner F. 78, 81, 184 Kluxen, Wolfgang 26 Knebel, Sven K. 65 f. Kobusch, Theo 9 – 11, 17, 19 – 21, 23, 26 – 28, 30 f., 34, 39, 58, 60, 78, 232, 242, 279 Kontos, Pavlos 9, 39, 227 Krämling, Gerhard 311 Krijnen, Christian 14, 309, 311, 317, 320, 323, 329 Kuehn, Manfred 18, 30 f., 33 Kulenkampff, Jens 272 Lee, Seung-Kee 9, 23, 31, 50 Leibniz, Gottfried W. 27 f., 34 f., 38, 42, 57, 138 Llano, Alejandro 276 Marty, François 9 Meier, Georg F. 17, 19, 25 f., 31, 52 f., 55 f., 58, 60 f., 63 f., 66, 68 f. Mellin, Georg S. A. 8, 49, 59, 62 – 64, 68 f., 124, 232, 237, 242 Michaelis, Christian F. 8, 40, 137 Milz, Bernhard 81 Müller, Jörn 20, 26 Munzel, G. Felicitas 43 Nenon, Thomas 239 Nettelbladt, Daniel 27, 30 f., 38 Oberer, Hariolf 318 Olivi, Petrus J. 23 Paton, Herbert J. 220 Patzig, Günther 242 Petrus de Alliaco 35 Pich, Roberto H. 20
Pieper, Annemarie 9, 45, 152, 155, 171, 223 f., 232, 242 f., 303 Pistorius, Hermann A. 11, 91 f., 96 f., 100 Platon 35, 92, 97, 100 Prien, Bernd 84 Pufendorf, Samuel 20 f., 26 – 30, 35, 37 f., 56, 58, 66 Puls, Heiko 9, 11, 19, 25, 40, 47, 49, 52, 54, 59, 64 f., 77 f., 83, 85 f., 177, 180 – 182, 203, 222, 296 Recki, Birgit 272, 310 Rehberg, August W. 8 Reich, Klaus 22, 29, 33 – 35, 40, 59, 69, 298, 310, 327 Rickert, Heinrich 317 Rometsch, Jens 12, 129, 142 Rousset, Bernard 276 Sala, Giovanni B. 85 Sänger, Monika 3, 218 Sartre, Jean-Paul 135, 139, 141 Schmid, Carl Chr. E. 8 Schönberger, Rolf 26 Schönecker, Dieter 273 Schönrich, Gerhard 9, 115, 137, 223 Schopenhauer, Arthur 27, 150 f. Schütz, Christian G. 8, 123, 125 Schwaiger, Clemens 29 f. Schwartz, Maria 273 Siemek, Marek J. 316 Simon, Josef 9, 232, 241 Spaemann, Robert 26 Stadter, Ernst 23 Stolzenberg, Jürgen 19, 45, 229 Strawson, Peter F. 151 Suárez, Francisco 53 f. Thomasius, Christian 21, 27 f. Thümmig, Ludwig Ph. 30 Timmermann, Jens 273 Tommasi, Francesco V. 18 Torralba, José M. 13, 269, 272, 281, 288 Vigo, Alejandro G. 270 von Ickstatt, Johann A. 24 von Jakob, Ludwig H. 19
Personenregister
von Kleist, Heinrich 38 von Wolff-Metternich, Brigitta-Sophie
291
Wagner, Hans 309 f., 317, 319 Wieland, Wolfgang 270, 276 Willaschek, Marcus 84, 223, 311 Winckler, Johann H. 26, 53 Wolff, Christian 17 f., 22, 25 – 32, 35, 42, 53, 55 f., 68, 179, 191, 195, 198, 221, 230, 234, 236, 240 Wolff, Michael 17 f., 22, 25 – 32, 35, 42, 53, 55 f., 68, 179, 191, 195, 198, 221, 230, 234, 236, 240 Wood, Allen W. 32, 69
339
Zeidler, Kurt W. 330 Zenker, Kay 38 Ziche, Paul 59 Zimmermann, Stephan 9, 12, 17 – 19, 23, 39, 45, 48 – 50, 55, 61 f., 65, 77 f., 83, 112, 114 f., 119, 123 f., 127, 130, 135 – 140, 142, 146, 152, 154 f., 170, 177, 199, 203, 205, 214, 217 f., 222, 230, 238, 244, 247 – 249, 251, 253 f., 267, 269, 275, 284, 286, 289 f., 296 f., 304, 311 – 314, 327 Zwanziger, Johann Chr. 8
Sachregister Analytik 1 f., 11, 22, 66, 77 f., 87 f., 92, 149, 156, 177, 180, 185, 189, 191, 204 f., 209 – 211, 213, 219, 249, 255 f., 258, 271 f., 285, 292, 295, 298 f., 313 f. analytisch 203 f., 211, 228 f. Apperzeption 45, 185, 229, 323 f. Ausnahme 55 – 57, 68, 78, 105, 114, 116, 124, 140, 161, 169, 212, 226, 231, 234 – 237, 270, 272, 295, 297 Autonomie 19, 50 – 53, 60, 62 f., 101, 144 – 146, 171, 194, 202, 239, 267, 277 f., 283 f., 311, 322, 328 Begehen 5, 55, 105, 114, 161 f., 234 – 237, 273 Begriff – der Vernunft 10, 13, 21, 51, 61, 69, 78 – 80, 83 – 89, 96 f., 99, 102, 104 f., 107 f., 111, 142, 158, 164, 176, 180, 185 f., 189 – 191, 195, 199 f., 203, 206 f., 219 – 225, 248, 251, 255, 257, 277, 279 f., 287, 289, 299, 309 – 313, 315 – 317, 319 f., 322, 329 f. – des Verstandes 2, 4 f., 7, 42, 44, 87, 89, 108, 150, 156, 177 f., 180, 184 – 186, 193, 196 – 198, 201 – 203, 206 – 208, 210 f., 220 – 222, 225 f., 234, 248, 271 f., 279, 285 – 288, 296, 303 f., 312, 323, 327 – praktisch 1 f., 4 – 7, 9 – 14, 17 – 27, 29 – 33, 40 f., 43 – 48, 50 – 55, 57, 59 – 62, 64, 66, 69 f., 77 – 80, 82 – 89, 91 – 105, 107 – 114, 116 f., 119 – 121, 123 – 127, 130, 136, 142, 144, 149, 151 – 162, 164 – 172, 176 – 178, 180 f., 184 – 211, 217 – 221, 223 – 231, 233 – 238, 240 – 244, 247, 249 – 267, 269 f., 272 – 293, 295 – 307, 309 – 322, 325 – 329 – theoretisch 2, 4 f., 7, 9 – 11, 13 f., 18 f., 24, 26, 29 f., 39 – 45, 57, 59, 78 f., 84 f., 87 f., 101, 103, 107 f., 111, 119, 122 f., 126 f., 130 f., 136, 142 f., 150 f., 156 – 159, 166, 168 f., 171, 176, 180 f., 184 – 186, 188 – 190, 192 f., 195 f., 202 f., 206 – 208, 211, 219 – 223, 225, 227 – 230, 238, 256, 265,
272 – 274, 276 f., 296, 304, 309 – 322, 325 f., 328 f. Böse 2, 5 – 7, 11, 13, 18, 43, 45 – 47, 52 f., 63 f., 66, 78, 88, 92 – 103, 105, 108, 112 – 118, 120, 122 f., 125 – 127, 149, 152 f., 155 – 164, 166 – 172, 191, 199, 201 f., 204 f., 207, 210, 213, 219, 224, 228, 239, 243 f., 247, 254, 258 f., 265 f., 273, 275, 283 – 286, 288, 292, 300 – 303 Deduktion – metaphysisch 2, 12, 20, 27 f., 33 f., 83, 221 f., 274 f., 296, 306, 312, 318 – transzendental 2, 7, 12, 32, 47, 49, 51 f., 94, 100, 104, 129, 137, 141, 144 – 146, 150, 157, 176, 179, 185 – 188, 191, 201, 207, 211, 213, 221 f., 226, 229, 233, 236, 252, 271, 273, 310, 319, 323 f., 328 Dialektik 136, 187 – 189, 191, 206, 302 Elementarbegriff 12, 17, 25, 52, 86, 89, 102 f., 117, 125, 179, 203, 220, 261 entia moralia 20, 26 – 28, 38 Erlaubt 5, 14, 48 – 50, 59 – 65, 95, 98, 104 f., 108, 116, 120 – 125, 138, 145, 159, 164 – 166, 184, 187, 196, 198, 201, 208, 233, 235, 252 – 255, 260, 271, 274, 284, 286 – 289, 296 esse morale 20 Freiheit – empirisch 12, 18, 22, 28, 31 f., 40 f., 44 – 49, 81, 99 – 102, 104, 129, 132, 137 – 146, 152, 155, 158, 163, 170 – 172, 176 f., 179, 182 f., 185, 191, 195 f., 198, 200, 204 – 209, 211 – 213, 222, 224, 226, 229, 233 f., 237, 239, 241, 243 f., 256 f., 272 – 274, 277, 281 f., 284, 287 f., 301 f., 305, 318, 323 f. – kosmologisch 150, 319 f., 324 – transzendental 2, 7, 12, 32, 47, 49, 51 f., 94, 100, 104, 129, 137, 141, 144 – 146, 150, 157, 176, 179, 185 – 188, 191, 201,
342
Sachregister
207, 211, 213, 221 f., 226, 229, 233, 236, 252, 271, 273, 310, 319, 323 f., 328 Gefühl – empirisch 12, 18, 22, 28, 31 f., 40 f., 44 – 49, 81, 99 – 102, 104, 129, 132, 137 – 146, 152, 155, 158, 163, 170 – 172, 176 f., 179, 182 f., 185, 191, 195 f., 198, 200, 204 – 209, 211 – 213, 222, 224, 226, 229, 233 f., 237, 239, 241, 243 f., 256 f., 272 – 274, 277, 281 f., 284, 287 f., 301 f., 305, 318, 323 f. – moralisch 4, 12 f., 17 – 20, 22 – 26, 28 f., 31, 33 – 40, 43 – 45, 47 – 50, 53 – 55, 57 – 69, 79 f., 83, 86 – 89, 92 f., 95 – 102, 104 f., 109 – 127, 136, 141 – 146, 152 – 163, 165 f., 168 – 172, 181 – 184, 186, 189, 191, 193 – 199, 201 – 206, 208 – 211, 213 f., 220, 224, 226, 234, 237 – 239, 243, 247, 249 – 251, 255 f., 260 f., 263 f., 272 – 279, 282 – 284, 286 – 293, 296, 298, 300 – 302, 304 f., 307, 318 – 320, 326, 329 Gesetz 2 – 5, 12, 17, 19 – 24, 32 – 36, 39, 44 – 51, 53 – 57, 60 – 65, 67, 69, 87, 89, 92 f., 95 – 102, 104 f., 109 – 113, 116 f., 121 – 124, 126, 132, 136, 138, 140 – 146, 152 f., 156 – 172, 181 – 184, 186, 189, 191 – 197, 199 – 205, 208 – 214, 220, 224 – 226, 231 – 235, 237 f., 249 f., 254 f., 257, 260, 262 – 264, 267, 270, 273 – 278, 282 – 286, 288 – 290, 292 f., 297, 299, 302, 304, 310, 320 f., 326 – 328 Gut 2, 5 – 7, 11, 13, 18, 24, 30 – 32, 35 f., 39, 45 – 47, 52 f., 59, 61, 63 f., 66, 78, 88, 91 – 103, 105, 108, 111 – 120, 122 f., 125 – 127, 136, 142, 149, 152 f., 155 – 164, 166 – 172, 182 f., 191, 199 – 202, 204 f., 207 f., 210, 213, 219, 224, 228, 231, 239, 243 f., 247, 254, 258 – 260, 265 f., 272 f., 275, 278 f., 283 – 286, 288, 292, 298, 300 – 304, 310, 314, 316 f., 320 Hauptstück – Dritte 5, 13, 18 f., 55 f., 63 f., 113, 118, 120, 124, 154, 156, 160 – 162, 164, 167, 169, 182, 187, 198, 206, 211, 233 f., 236, 238,
240, 242 f., 250 f., 257, 259, 269 – 272, 287 f., 291, 293, 299, 310, 315, 318 f., 327 – Erste 1 f., 4 – 12, 19 – 22, 25, 27 – 30, 34, 43, 49, 57, 69, 78, 80 f., 83 f., 86 f., 89, 93, 96, 108, 112, 117 f., 120 f., 123 – 125, 127, 131, 137 f., 142, 153 f., 156, 158 – 162, 167 – 170, 176, 178 – 180, 182 – 184, 187 – 191, 197 – 199, 205 – 207, 209 – 211, 213, 218, 220 – 222, 224, 229 – 231, 233 f., 236, 238, 241, 243, 248 f., 251 – 258, 260 f., 265, 270, 272 f., 276 – 279, 282 – 289, 293, 296, 299 – 302, 312, 314, 329 – Zweite 1, 3 – 8, 11 – 13, 18 f., 45, 61, 77 f., 80 – 83, 87 f., 92, 96, 104, 107, 118, 120 – 122, 124 f., 137 f., 142 – 145, 149, 153, 156, 158 – 160, 162, 164, 167, 176 – 179, 182 – 184, 187, 189 – 192, 194, 203 f., 210 f., 217, 219 f., 222, 226 f., 229, 232 – 236, 238, 241, 243, 248 – 251, 253, 257 – 259, 262, 267, 270, 272 f., 276 – 280, 282 f., 285 – 290, 292, 295 f., 298 – 301, 303 Imperativ 34, 60 – 62, 69, 92, 110, 113, 115 f., 120 – 122, 124, 152, 155, 158, 161, 209, 231, 233, 242, 247, 257, 285, 287 – 291 – hypothetische 61 f., 69, 115 f., 120, 122, 158, 167, 197, 228, 231, 240 – 242, 288, 290 – kategorische 34, 61 f., 110, 113, 124, 161, 209, 228, 233, 240 – 242, 257, 287 – 291 Kanon 136 Kategorie – der Freiheit 1 – 8, 10 – 14, 17 – 20, 22 – 25, 27, 31, 34 – 36, 38 – 41, 43 – 52, 55, 57 – 59, 62 – 64, 66 f., 69, 77 f., 82 – 84, 86 – 89, 93 f., 96 – 98, 101 – 105, 107 – 109, 110 – 113, 119 f., 123, 125, 127, 129 – 131, 134 – 137, 141 f., 144 f., 149, 151 – 161, 163 – 172, 175 – 178, 180, 182 – 187, 190 – 194, 196 – 204, 205 – 214, 217 – 220, 22 – 225, 228 f., 232 f., 235, 237, 242, 244, 247 – 251, 253 – 267, 269, 274, 277 – 280,
Sachregister
283 – 285, 287 f., 290, 292, 295 f., 298 f., 302 – 307, 309 – 314, 317 – 321 – der Modalität 7, 12 f., 48 – 50, 54, 59, 60 f., 69, 104 f., 113 f., 118, 120, 122 – 127, 153, 164 – 166, 169, 197 – 199, 230, 249 f, 251, 253, 255, 257, 259, 261 – 263, 267, 276, 286 – 289, 290, 292 f. – der Natur 2 – 8, 10, 12, 14, 20, 34, 37, 39, 46, 53, 58, 64, 66, 108, 117, 119, 122 f., 127, 136, 151, 156 – 159, 168, 176 – 179, 188, 190, 193, 196 f., 199, 201 f., 205 f, 213 f., 220 f., 222, 224 – 229, 233 f, 238, 243, 270, 273 f., 278, 280, 285 f., 288, 296 – 298, 303 – 305, 310 – 314, 318 – der Qualität 55 f., 105, 108, 114 – 116, 118, 126, 161, 187, 198, 219, 234 – 237 – der Quantität 3, 7, 13, 52, 54 f., 57, 104 f., 112 f, 117, 122, 125, 153, 159, 167, 169, 187, 217 – 219, 230 – 233, 237, 284, 286 – der Relation 3, 8, 13, 57, 59, 85, 105, 114 – 119, 162 f., 218 f, 230, 237, 240 – 244 – praktische 1 – 9, 11 – 14, 17, 20, 22 f., 34, 40, 43 f., 48, 50 f., 55, 61, 70, 77 – 79, 83 – 86, 88 f., 91 – 95, 101, 104, 107, 109 f., 116, 119, 122, 124 f., 137, 149, 151, 153, 156, 163 f., 167, 171, 175 – 180, 183 f., 189 – 192, 194, 200 – 202, 204, 206 – 208, 210 f., 217, 219 – 223, 227 f., 231 – 233, 235 f., 238, 241 – 243, 249 f., 254, 256, 259, 261, 263, 265, 267, 270, 272, 274, 276 f., 279 – 282, 285, 289, 291 f., 295 – 299, 301, 305 – 307, 309 – 313, 316 – 318, 320, 322, 325 f., 328 f. – theoretische 4, 42, 189, 200 – 202, 207, 220 f., 227, 329 Kausalität 22, 39, 41, 47, 51, 62, 78, 83, 86 f., 89, 94, 97, 101 f., 105, 119, 177, 179, 182 f., 185 – 188, 190 – 203, 205, 208 – 214, 273 f., 276 f., 279 – 283, 285, 288, 290, 293, 300, 302, 305, 325 f. Lust
96 f., 99 – 101, 222, 229, 233, 237, 239, 301
343
Mannigfaltige – der Anschauung 4, 39, 41, 44, 84, 88 f., 102, 110, 117, 177 – 179, 187, 195, 201 – 203, 220, 222, 224, 250, 263 f., 284, 304, 313, 323 f. – der Begehrung 263, 304 Maxime 5, 32, 43 f., 49, 51 – 54, 56, 67 – 69, 92 – 94, 97 – 100, 102 – 105, 107, 109 – 119, 121 – 124, 126 f., 157 – 162, 167, 171, 198, 204, 206, 208, 231 – 234, 255, 257, 273, 275, 279, 281 – 288, 291 f., 297, 302 metaphysica moralis 25 – 27, 31, 33, 38 Nicht-Pflicht
125, 253, 256
objektive Gültigkeit 43, 122, 303, 319, 321, 329 objektive Realität 13, 40 – 44, 78 – 80, 84 f., 87, 117, 143, 179 – 182, 187, 190, 194 – 196, 207 f., 228, 251, 279, 318, 320 – 321 Person 5, 22, 24, 26, 29, 33 f., 36 – 38, 47, 57 – 60, 94, 97, 102, 104 f., 118 f., 162 f., 167 – 169, 232 f., 238 – 244, 264, 328 Persönlichkeit 5, 36, 47, 57, 104 f., 117 – 119, 162 f., 168, 238 – 244, 264 Pflicht 3, 5 f., 13, 24, 28 – 30, 32 f., 48 – 50, 56, 61 f., 65 – 69, 95, 98, 104 f., 108, 113 f., 116, 118, 122 – 126, 136 f., 139 – 141, 145 f., 159, 161, 164 – 166, 235, 237, 250 – 255, 257, 260, 274 – 276, 278, 287 – 293 – unvollkommen 6, 35, 48, 67 – 69, 105, 113, 159, 164 – 166, 250 f., 256 – 260, 287, 290 – 293 – vollkommen 6, 8, 35, 48, 67 – 69, 105, 113, 134, 151, 159, 164 – 166, 250, 255 f., 258, 265 f., 278, 287, 290 – 293 Pflichtwidrig 48 f., 60 f., 65, 69, 103, 108, 114, 116, 118, 120 – 126, 159, 164 – 166, 250 – 253, 255 f., 259 f., 287, 289 f. philosophia practica universalis 21 f., 25 – 27, 29 – 33, 50, 52, 56, 61, 68 Postulat 24, 78, 83, 85 f., 152, 155, 198, 209, 238 Prädikabilie 12, 176, 179, 213, 226, 261
344
Sachregister
Selbstbewusstsein 40, 45, 183, 229, 311, 324 Sittengesetz 19, 22, 29, 36, 56, 60, 63, 100 – 103, 105, 153, 156, 158, 166, 238 f., 243, 253, 255, 272, 297 – 301, 304, 320 Stammbegriff 4, 261 Synthesis 5, 187, 220 f., 230, 235, 240, 271, 313, 321, 323 f. synthetisch 122, 150, 171, 177, 179, 192, 205, 228 f., 262, 278, 304, 324 Typik 1 f., 13, 93, 199, 219, 269, 272, 278, 280, 284 f., 287, 291 – 293, 297 f. Unerlaubt 5, 48 f., 60 – 62, 64, 69, 108, 116, 120 – 123, 159, 164, 252 – 255, 260, 287 – 289 Unlust 96 f., 99 f., 222, 229, 233, 237, 239, 301
Unterlassen 5 f., 55, 64, 66, 105, 114, 161 f., 234 – 237, 252 f., 257, 267 Urteilsform 155, 198 Urteilsfunktion 12, 176, 178 f., 213 f., 221 – 224, 228, 230, 233, 240, 242, 251, 312, 323, 327 Urteilstafel 5, 12 f., 82 f., 214, 221 – 223, 230, 233, 235, 240, 297, 303, 312 Vorschrift 5, 40, 43, 47, 53 f., 60 – 62, 69, 99, 103, 105, 112 f., 120 – 123, 127, 159 f., 164, 167, 203, 231 – 234, 253 – 255, 257, 289, 302 Willensmeinung
121, 159 f.