165 42 8MB
German Pages 170 [172] Year 1925
Die
Kartellverordnung Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom 2. November 1923
Erläutert von
Direktor
vr. Frih Haußmann »nd 0r. Adolf Hollaender Rechtsanwalt bei den Landgerichten in Berlin
Rechtsanwalt beim Kammergericht
1925 München, Berlin u. Leipzig 3. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier)
Vorwort. Die vorliegende Erläuterung zur Kartellverordnung sucht den Bedürfnisien der Praxis zu dienen. Die Rechtsprechung, besonders die de- Kartellgericht-, ist eingehend verwertet; soweit erforderlich, haben wir unS mit ihr auch rrittsch auseinandergesetzt. Besonderen Wert haben wir auf die HerauSarbeitung der Grundbegriffe gelegt. Damit hoffen wir zugleich die wiffenschastliche Durchdringung des etwas spröden RechtSftoffeS zu fördern. BolkSwirtfchastlikhe fragen und die Lorgeschichte haben wir insoweit behandelt, als dreS für das Verständnis der Verordnung erforderlich ist. Im Jntereffe der praktischen Verwendbarkeit ist auch sonst allenthalben auf Gedrängtheit der Darstellung Wert gelegt. Möge daS Buch zur Fortentwicklung des KartellrechtS beitragen. Berlin, den 24. Januar 1925.
Haußmann. Hollaender.
Inhaltsverzeichnis. Seite Literaturangaben........................................................................................................ V
Abkürzungen..............................................................................................................VII I. Wortlaut der Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Macht stellungen vom 2. November 1923 .................................................. 1 II. Amtliche Begründung................................................................................ 7 III. Erläuterung zur Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Macht stellungen ................................................................................................ 9 Borbemerkungeu................................................................................... 9 § 1 (Schristform für Kartellbindungen).. 16 § 2 (Ehrenwort und Kartellbindung)....... 33 § 3 (Beeinträchtigung der Wirksamkeit der B. durch Kartellbindung) ............................................................................... 34 § 4 (Einschreiten deS RWM. gegen Kartelle).36 § 6 (Verstärktes Einschreiten deS RWM.).48 § 6 lWiederaushebung der Maßnahmen deS RWM.) . . 49 § 7 (Inhalt der KarrG.-Entscheidung nach § 4) . . . .50 § 8 (Kündigung auS wichtigem Grunde) 52 § 9 (Präventivzensur bei Sperren usw.).. 83 § 10 (Beanstandung allgemeiner Geschäftsbedingungen usw.) 101 § 11 (Bildung deS KartG.)..................... 109 § 12 (Zuständigkeit deS KartG.)............... 112 § 13 (Entscheidung durch den Borsttzenden).116 § 14 (Einigungsstellen)................................ 117 § 15 (Befugniffe der Landesregierungen).118 § 16 (Befugnisse des Reichsernährungsministers) .... 119 § 17 (Ordnungsstrafen)................................ 119 § 18 (Kriminalstrafen)................................ 121 § 19 (ZwangSverbände)................................ 123 § 20 (Gutachten des KartG.)..................... 124 21 (Übergangsbestimmungen)................ 125 § § 22 (Verfahren, Ausführungsvorschriften).126 § 23 (Inkrafttreten)......................................126 IV. Verordnung über daS Verfahren vor dem Kartellgericht auf Grund der Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen . 127 V. AuSzug auS der Verordnung über daS ReichSwirtschaftSgericht . . 130 VI. BerfahrenSordnungen der EinigungSstellen.............................................. 144
Sachregister........................................................................................................................ 160
Literaturangaben. •) Schrift«, rechtliche« Inhalts. Flechtheim, Die rechtliche Organisation der Kartelle, 2. Auflage. Mannheim 1923. Friedländer, DaS KartellaufsichtSgesetz. Berlin 1924. Friedländer, Die Interessengemeinschaft alS Form der Konzernbildung. Berlin 1921. Geiler, Die gesellschaftlichen Organisation-formen de- neueren Wirtschaft-recht-. Mannheim IM. Goldbaum, Sartellrecht und Karlellgericht. Berlin 1924. Goldschmidt, ReichSwtrischastsrecht. Berlin 1928. Günther, Kartelle in Form von rechtsfähigen Vereinen. Mannheim 1924. Haußmann, Die Tochtergesellschaft. Berlin 1924. Hüttner, Da- Recht der Kartelle. Leipzig 1909. H. Jsav, Die Patentgemeinschaft im Dienste de- KartellgedankenS. Mannheim 1923. R. Jsay, Studien im privaten und öffentlichen Kartellrecht. Mannheim 1922. Klei«, Die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen de- Recht- der ErwerbSgesellschaften. Berlin 1914. Klinger, Die Zuständigkeit-gebiete de-Reich-wirtschastSgerichtS und de-Kartellgericht-, 3. Aust. Berlin 1924. Lehnich-Fischer, Da- deutsche Kartellgesetz. Berlin 1924. Nipperdey, Der Kontrahierung-zwang. Jena 1920. Rundstein, DaS Recht der Kartelle. Berlin 1904. Schülein, Die RechtSform der Kartelle. München 1910. Silberberg, Handbuch deS deutschen Sartellrecht-. Berlin 1912. Spiero, DaS Recht der Syndikate unter besonderer Berücksichtigung deSQuotenhandelS. Berlin 1924. Tschierschky, Da- Problem der staatlichen Kartellaufsicht. Mannheim 1923. Waldeck, Deutsche- und internationale- Kartellrecht. Berlin 1922.
b) Schrift« volkwirtschastliche« Inhalt-.
Baumgarten und Meßlony, Kartelle und Trust-. Berlin. 1906. v. B e ck e r a t h, Die Kartelle der deutschen Seidenwebereiindustrie. Karl-ruhe 1912. Calwer, Kartelle und Trust-. Berlin 1906. Cohn, Verbände, Kartelle und Syndikate im Großhandel. Berlin 1918. Feld, Anti-Dumping, Prämienklausel und Au-gletch-zölle. Tübingen 1919.
Ltteraturangaben.
VI
Hecht, Organtsation-formen der deutschen Rohstoffindustrien. Die Kohle. Kempten 1924. Kestner, Der Organisation-zwang. Berlin 1912. Liefmann, Kartelle und Trust-, 6. Auflage. Stuttgart 1924. Liesmann, Schutzzoll und Kartelle. Jena 1903. Liefmann, Die Unternehmung-formen mit Einschluß der Genossenschaften und die Sozialisierung, 3. Aufl. Stuttgart 1922. Mannstädt, Ursachen und Ziele de- Zusammenschlusse- im Gewerbe. Jem 1916. Morgenroth, Die Exportpolitik der Kartelle. Leipzig 1907. Ricklisch, Kartellbeiried. Leipzig 1909. Pohlmann, Der Staat und die Syndikate. Leipzig 1912. Schulz-Mehrtn, Formen de- Zusammenschlusse- von Untemehmunger zweckVerbesserung und Verbilligung der Produktton. Berlin 1921. Tschierschky, Zur Reform der Jndustriekartelle. Berlin 1921. Troeltsch, Die deutschen Jndustriekartelle vor und seit dem Kriege. Effm 1916.
Abkürzungen. Die üblichen Abkürzungen; außerdem Al-berg --- Alsberg, Preistreibereistrafrecht, 7. Ausl. Brodmann G. m. b. H. — Brodmann, Kommentar zum GmbH.-Gesetz. Düringer-Hachenburg — DaS Handelsgesetzbuch, erläutert von Düringer-Hachenburg-Breit-Flechtheim-Geiler. EntschRB. — Sammlung der Entscheidungen und Gutachten deS KartellgerichtS. Herausgegeben von der Karlellstelle deS ReichSverbandeS der deutschen Industrie. Flechtheim — Flechthetm, Deutsches Sartellrecht, Band I, Die rechtliche Organi sation der Kartelle. Friedländer = Friedländer, DaS KartellausfichtSgesetz. Geller, Organisation-formen — Geller, Gesellschaftliche Organisationsformen deS neueren deutschen Wirtschaft-rechtS. Goldbaum = Goldbaum, Sartellrecht und Kartellgericht. Jsay, ABG. = H. und R. Jsay, Allgemeine- Berggesetz für die preußischen Staaten. Jsay Studien = R. Jsay, Studien im privaten und öffentlichen Kartellrecht. KartG. = Kartellgericht. KartRdschau == Karlellrundschau. Kestner — Kestner, Der Organisation-zwang. Klinger — Klinger, Die Zuständigkeit-gebiete de- Reich-wirtschaft-gericht- und de- KartellgerichtS, 3. Aust. Lehnich-Fischer — Lehnich und Fischer, DaS deutsche Kartellgesetz. Liefmann — Liefmann, Kartelle und Trust-, 6. Aust. RWGE. = Entscheidungen de- ReichSwirlschastSgerichtS. Staub HGB. — Staub, Kommentar zum HGB., 11. Aust. Staub-Hachenburg, GmbH. = Staub-Hachenburg, Kommentar zum GmbH.Gesetz, 4. Aust. Spiero — Spiero, DaS Recht der Syndikate. ZfGW. = Zeitschrift für Gesellschaft-wesen.
Wortlaut der Verordnung gegeu Mtzbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom 2. November 1928?) Auf Grund des Ermächtigungsgesetzes vom 13. Oktober 1923 (RGBl. I S. 943) verordnet die Reichsregierung:
§ 1. Verträge und Beschlüsse, welche Berpflichtnngen über die Handhabnug der Erzeugung oder de» Absätze», die Anwendung von Geschäftsbedingungen, die Art der Preisftstsetznng oder die Forderung von Preise« enthaften (Syndikate, Kartelle, Konventionen «ad ähnliche Abmachnngen), bedürfen der schristlichm Form. § 2. Verträge und Beschlüsse der im § 1 bezeichneten Art, zu deren Bekrästtgung da» Ehrenwort oder eine ähnliche feierliche Berstcheravg verlangt und gegeben worden ist, find nichtig. S 3. Verträge und Beschlüsse der im § 1 bezeichneten Art find nichtig, wenn sie die Anrufung de» Kartellgericht» (§ 11) auSfchließen, erheblich erschweren oder die Wirksamkeit dieser Verordnung in anderer Weise vereiteln oder beeinträchtigen sollen.
8 4. Gefährdet ein Vertrag oder Beschluß btt im § 1 bezeichneten Art oder eine bestimmte Art seiner Durchführung die Gesamtwirtschast oder da» Gemeinwohl, so kann der ReichSwirtschaft-minister 1. beim Kartellgericht beantragen, daß der Bertrag oder Beschluß für nichtig erklärt oder die bestimmte Art seiner Durchführung untersagt wird (§ 7); 2. anordnen, daß jebtr an dem Vertrage oder Beschlusse Beteiligte jederzeit fristlos den Bertrag kündign» oder von dem Beschüiffe zurücktreten Ian»; 3. auordnen, daß ihm Abschrift aller zur Durchführung de- Bei träge» oder Beschlusse- getroffenen Vereinbarungen und Verfü gungen einzureichen ist, und daß diese Maßnahmen erst «ach Zugang der Abschrift in Kraft treten. ') Unter Berücksichtigung der Berichtigung laut Bekanntmachung vom 5. November 1923, RGBl. I ®. 1090.
Haub»»>n«Holl«e»»er, «ertenettertming.
1
2
1 Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen.
Die Gesamtwirtschaft oder da- Gemeinwohl ist insbesondere dann
al- gefährdet anzusehen, wenn in volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigter Weise die Erzeugung oder der Absatz eingeschränkt, die Preise gesteigert oder hochgehalten oder im Falle wertbeständiger Preisstelluug Zuschläge für Wagnisse (Rifiken) eingerechnet werden oder wenn die virtschastliche Freiheit durch Sperren im Einkauf oder Verkauf oder durch
Festsetzung «uterschiedlicher Preise oder Bedingungen unbillig beein trächtigt wird.
g 5.
Ist eine Nichtigkeitserklärung gemäß § 4 Abs. 1 Ziffer 1
und § 7 oder eine flnortnnng gemäß § 4 Ziffer 2 oder 3 ergangen, so kann der ReichSwirtschastSminifier anordnen, daß die EinreichungS-
pflicht gemäß § 4 Ziffer 3 auch für zukünftig« Verträge und Befchlüffe
der in § 1 bezeichneten Art gilt, bei denen 1. die gleichen Personen sämtlich oder in größerer Anzahl beteiligt
find, oder 2. Personen in leitender
oder beratender Stellung Verwendung
finden oder finden sollen, die fich bereit» bei den gemäß § 4 beanstandeten Verträgen oder Beschlüffen in einer dieser Eigen schaften betätigt haben, oder 3. er fich um die gleiche Art von Waren oder Lieferungen handelt.
§ 6. Der Reichswirtschaftsminister kann eine Maßnahme, die er »ach § 4 Abs. 1 Ziffer 2 oder 3 oder § 5 angeordnet hat, ausheben, wenn die Voraussetzungen nachträglich weggesallen find. Die Anordnung wirkt vom Zeitpunkt ihrer Zustellung ab. § 7. Im Falle des § 4 Abs. 1 Ziffer 1 hat daS Kartellgericht, wenn es die Gefährdung der Gefamtwirtschast oder des Gemeinwohlfür gegeben erachtet, den Vertrag oder Beschluß ganz oder zum Teil für nichtig zu erklären oder die bestimmte Art seiner Durchführung zu untersagen. Erachtet e- die im § 4 Abs. 1 Ziffer 2 vorgesehene Anordnung als ausreichend, so kann e- an Stelle der NichtigkeitSerllärung oder der Untersagung diese Anordnung treffen. Erklärt da» Kartellgericht einen Teil deS Vertrage» oder Beschluffe» für nichtig, so hat e» darüber zu entscheide», ob und inwieweit die
Nichtigkeit diese- Teile» die Nichtigkeit anderer Teile de» Bertrage oder Beschluffe- nach fich zieht. Da» Kartellgericht kann eine Anordnung nach Abs. 1 Satz 2 auf
heben, wenn die Voraussetzungen nachträglich weggefallm find. 8 8. Verträge oder Befchlüffe der im § 1 bezeichneten Art kann jeder Beteiligte fristlos kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. AIS wichtiger Grund ist er immer anzusehen, wenn die wirtschaft liche BewegungSfteiheit de» Kündigenden, in»besondere bei der Erzeugung,
dem Absatz oder der Preisgestaltung unbillig eingeschränkt wird.
Wortlaut bet Verordnung.
$ 9—10.
3
Darüber, ob die Kündigung zuläsfig war. entscheidet im Streit fälle da- Kartellgericht auf Antrag eine- Beteiligten. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Zugang der Kündigung zu stellen. Sitb der Antrag nicht innerhalb dieser Frist gestellt, so gilt die Kündigung als wirksam erfolgt.
§ 9. Auf Grund von Verträgen oder Beschlüssen der im § 1 bezeichneten Art dürfen ohne Einwilligung der Vorsitzenden de- Kartellgericht» Sicherheiten nicht verwertet «nd Sperren oder Nachteile von ähnlicher Bedeutung nicht verhängt werde«. Die Einwilligung ist zu versagen, wenn die Maßuahmev eine Gefährdung der Gesamtwirtschaft oder de» Gemeinwohl» entfalten oder die wirtschaftliche Bewegnng-freiheit de» Betroffenen nnbMig ein schränken würden. Die Einwillignng gilt al» erteilt, wenn der Vorsitzende binnen drei Wochen seit Eingang de» Ersuchen» nm Einwillignng eine Ent scheidung nicht getroffen hat. Bei Verträgen und Beschlüflen, die nnr für einzelne Länder oder Teile von Ländern von Bedentung find, kann der Reüfawirtschast»miuister im Einvernehmen mit der Regierung de» beteiligten Laade» bestimmen, daß für die Einwilligung an Stelle de» Vorsitzenden de» Kartellgericht» eine andere Stelle zuständig ist. Gegen die Entscheidnng de» Vorsitzenden de» Kartellgerichts oder der auf Grund des Abf. 4 bestimmten Stelle können die Beteiligten innerhalb einer Woche nach Zustellung die Entscheidung des Kartellgericht- anrvfen. Im Falle des § 4 Abs. 1 Ziffer 2 find Sicherheiten unverzüglich nach der Kündigung, im Falle be8 § 8 unverzüglich nach dem Ablauf der Frist des § 8 Abs. 3 oder «ach Zustellung der die Kündigung für zulässig erklärenden Entscheidung de» Kartellgerichts zurückzugewährm. Vereinbarungen, die an die Nichtbeteiligung an dem Vertrage oder Beschlnffe oder an die Kündignng Nachteile knüpfen, sind in den Fällen des tz 4 Abf. 1 Ziffer 2 nnb be» § 8 beut Kündigenden gegen über unwirksam. 8 10. Sind Geschäftsbedingungen ober Arten der Preisfestsetzung von Unternehmungen oder von Zusammenschlüffen solcher (Trust», Jutereffengemeinschasten, Syndikate«, Kartellen, Konventionen und ähnlichen Verbindungen) geeignet, unter Ausnützung einer wirtschaft lichen Machtstellung die Gesamtwirtschaft oder da- Gemeinwohl zu gefährden (§ 4 Abs. 2), so kann da» Kartellgericht ans Antrag de» ReichSwirtschastSminister» allgemein ausfprechen, daß die benachteiligten BertragSteile von alle« Verträgen, die unter den beanstandeten Voraus setzungen abgeschloffen find, znrücktreten können. M anzunehmen, daß
4
I
Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen.
der Vertrag auch ohae die beaustaudete Voraussetzung abgeschlossen worden wäre, so berechtigt die Tatscheidnng des AartellgerichtS nur zum Rücktritt von der beanstandeten SeschästSbedingung oder von der ans Grund der beanstandeten Art der Preisfestsetzung getroffenen Preisvereinbarung. Bei Berttägen, die die Verpflichtung zu mehreren selbständigen Teilleistungen enchaltea (SukzesfivlieserungSverträgen) ist der Rücktritt insoweit ausgeschlossen, als die Teilleistungen von beide« Vertrag-teilen vollständig erfüllt find. Die Entscheidung des AartellgrrichtS ist nach seiner nähere« Anordvang öffentlich bekannt zu machen. Das McktrittSrecht erlischt, wenn nicht der Mckttitt binnen zwei Wochen seit Bekanntmachung der Entscheidung erklärt wird. Berttäge, die «ach Bekanntmachung der Entscheidung unter den beanstandeten Voraussetzungen abgeschlossen werden, find insoweit aichttg. § 139 deS Bürgerlichen Gesetzbuches findet entsprechende
Anwendung. Streitigkeiten darüber, ob und inwieweit der Rücktritt nach Abs. 1 und 2 zulässig war oder ob Verträge ganz oder zum Teil gemäß Abs. 5 nichtig sind, entscheiden die ordentlichen Gerichte. Auf Antrag deS Reichswirtschaftsministers oder von Amts wegen kann das Kartellgericht eine Entscheidung nach Abs. 1 aufheben oder abändern, wenn die Voraussetzungen nachttäglich weggefallen sind. Die Entscheidung ist öffentlich bekanntzumachen und wirkt vom Zeitpunkt der Bekanntmachung ab.
§ 11. DaS Kartellgericht wird beim Reichswirtschaftsgericht ge bildet. ES entscheidet in bet Besetzung von einem Vorsitzenden und vier Beisitzern. Den Vorsitzenden und seine Stellvertreter bestellt der Reichs präsident. Sie müssen die Fähigkeit zum Richteramte haben. Die Beisitzer bestimmt der Präsident deS ReichSwirtschastSgerichtS. Ein Beisitzer ist ein ReichSwirtschaftSgerichtSrat; auf feine Ernennung durch den Reichspräsidenten findet die Vorschrift des § 5 der Ver ordnung über das Reichswirtschaftsgericht vom 21. Mai 1920 in der Fassung des § 65 der Entschädigungsordnung vom 30. Juli 1921 (RGBl. S. 1046) keine Anwendung Zwei Beifitzer find unter Be rücksichtigung der widerstreitenden wirtschaftlichen Belange einzuberuftn. AIS weiterer Beisitzer ist eine sachkundige Persönlichkeit einzuberuftn, von der erwartet werden darf, daß sie die Belange deS Gemeinwohlunabhängig von den widerstreitenden wirtschaftlichen Belangen vertteten werde. Die Beisitzer nach Satz 3 und 4 find Listm zu entnehmen, die der ReichSwirtschaftSminister ausstellt.
§ 12. Die Zuständigkeit des Kartrllgerichts ist auSschlirßlich. Die Entscheidung der Kartellgerichts ist endgültig und für Gerichte und Schiedsgerichte bindend, auch soweit fie die Frage der Zuständigkit deS Kartellgerichts betrifft. Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder zum Teil von einer Feststellung ab, für welche das Kartellgericht zuständig ist, so hat daS Gericht die Verhandlung bis zur Entscheidung des Kartell gerichts auSzusetzen. Die an einem solchen Rechtsstreit Beteiligten haben das Recht deS selbständigen Antrages an das Kartellgericht, wenn eS der ReichSwirtschaftSminister abgelehnt hat, einen solchen Antrag zu stellen oder binnen zwei Wochen uach Nngang eines ent sprechenden Gesuches den Antrag nicht gestellt hat. 5 18. Der Vorsitzende des Kartellgericht- kann in geeigneten Fällen ohne Hinzuziehung von Beisitzern entscheiden. Gegen die Entscheidung de» Vorsitzenden kann binnen drei Tagen nach Zustellung die Entscheidung deS Kartrllgerichts angerufen werden, 8 14. Der ReichSwirtschaftSminister kann in ihm geeignet erschei nenden Fällen zunächst ein Verfahren vor bestimmten, bei den wirt schaftlichen Verbänden bestehenden. EinignngSstellen einleiten. 8 15. Auf Ersuchen einer Landesregierung hat der ReichSwirtschastSminister zu prüft«, ob und welche der ihm nach dieser Ver ordnung zustehendrn Maßnahme» er zu ergreifen hat. Mrd um eine Maßnahme auf Grund des ß 4 Abs. 1 Ziffer 1 oder deS § 10 ersucht, so hat der ReichSwirtschaftSminister, wenn er dem Ersuchen nicht binnen zwei Wochen stattgibt, auf Verlangen der Landesregierung da» Ersuchen dem Kartellgerichte zur Entscheidung vorzulegen. 8 16. Die in den §§ 4 bi- 6, 9 Abs. 4, 10, 12 Abs. 3, 88 14,15,17 und 20 bezeichneten Aufgaben liegen dem Reich-minister für Ernährung und Landwirtschaft innerhalb seiner Zuständigkeit ob. 8 17. Wer sich über die auf dieser Verordnung beruhende Nichtigkeit eine- Vertrage- oder BeschluffeS (§§ 1 bis 3, 7, 9 Abs. 7, 8 10 Abs. 5, 8 21), oder über die Bestimmungen bt8 8 4 Abs. 1 Ziffer 3 oder der 88 6, 9 Abs. 1 oder 6 bewußt hinwegsetzt, kann auf Antrag des ReichSwirtschaftSminister- vom Kartellgerichte mit einet Ordnungsstrafe bestraft werden. Die Ordnung-straft besteht in Geld strafe, deren Höchstmaß unbeschränkt ist. 8 18 Wer es unternimmt, einen anderen in seinem geschäftlichen oder wirtschaftlichen Fortkommen zu schädigen, weil dieser von seinem Rechte nach 8 4 Abs. 1 Ziffer 2, 88 8. 10 Abs. 1 und 2 oder 8 12 Abs. 3 Satz 2 Gebrauch gemacht oder eine Anordnung oder die Ein leitung eines Verfahren- nach 88 4, 7 dis 10, 15, 16 angeregt hat, oder in der Absicht, ihn von der Ausübung dieser Befugnisse ab zuhalten, wird mit Gefängnis und mit Geldstraft bestraft.
6
L Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen.
5 19. Die Bestimmungen dieser Beiordnung gelten nicht für Berbände, deren Bildang in Gesetzen oder Verordnungen ungeordnet ist, auch nicht für Geschäftsbedingungen vnd Arte» der Preisfestsetzung (§ 10), die von einer obersten Reichs- oder Landesbehörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit angeordnet oder genehmigt find oder deren Bean standung unterliegen. 5 20. Das Kartellgericht oder fein Vorsitzender haben sich Über bestimmte, ihnen vom ReichSwirtfchastSmimster vorgelegte Fragm all dem Anwendungsgebiete dieser Verordnung gutachtlich zu äußern und
auf Ersuchen des Reichswirtschaftsministers Spitzenverbände vorher zv hören. § 21. Entbehrt ein Vertrag oder Beschluß der im 8 1 bezeich neten Art, der vor Inkrafttreten der Verordnung zustande gekommen ist, der schriftlichen Form, so wird er nichtig, wenn und insoweit er nicht binnen zwei Wochen nach Jnkrafttretm der Verordnung schriftlich bestätigt wird. Erfolgt die Bestätigung seitens eines Beteiligten nicht binnen zwei Wochen nach Inkrafttreten der Verordnung, so kann der Bprfitzende des KartellgerichtS sie auf Antrag eines anderen Beteiligten ersetzen. Der Antrag ist binnen einer Woche nach Ablauf der im Satze 2 bestimmten Frist zu stellen. Die Bestätigung durch den Vor sitzenden deS KartellgerichtS gilt hinsichtlich der Wahrung der im Satze 1 bestimmten Frist als im Zeitpunkt des an ihn gestellten Antrags hervor. Verträge und Beschlüffe der im 8 1 bezeichneten Art, zu deren Bekräftigung das Ehrenwort oder eine ähnliche feierliche Versicherung vor Inkrafttreten der Verordnung verlangt ^und gegeben worden ist,
werden nichtig, wenn und insoweit sie nicht binnen zwei Wochen nach Inkrafttreten der Verordnung ohne eine solche Bekräfttgung von den Beteiligte» bestätigt werden. 8 22. Die Bestimmungen über daS Verfahren vor dem Kartell gerichte sowie die sonstigen AuSführungSvorschristen erläßt der ReichSwirtschaftSminister. 8 23. Diese Verordnung tritt am 20. November 1923 in Kraft. Berlin, den 2. November 1923. Der Reichskanzler. Dr. Stresemann. Der Reichswirtschaftsminister.
Koeth.
II.
Amtliche Begründung?) Die vorstehend veröffentlichte Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen muß in den Gesamttahmen der Maßnahmen eingestellt werden, die die Reich-regierung auf Grund de- ErmLchtigungSgese-e- zum Zwecke der Produktion-steigerung und zur Befreiung der Wirtschaft von unproduktiven Hemmungen trifft. Wie durch die Aufhebung wichtiger Teile der Demodilmachung-verordnungen die Beweglichkeit auf dem Arbeit-markt wiederhergestellt worden ist, so sollen durch die vorliegende Verordnung ungesunde Hemmungen de- freien Wettbewerb- beseitigt werden. Die Erzeugung-- und Preispolitik der Kartelle und Konventtonen ist seit vielen Monaten Gegenstand heftiger Angriffe au- den Kreisen der Verbraucher wie auch eine- Teil- der Produzenten. Die Reich-regierung hat e- al- ihre Aufgabe angesehen, die erhobenen Klagen auf ihre Berechtigung zu prüfen und ihre Maßnahmen unter Voranstellupg allgemein-wirtschaftlicher GesichtSpuntte ausschließlich nach objektiven Maßstäben zu treffen. ES ist unbestreitbar, daß unter der Wirkung der Geldentwertung und der durch sie hervorgerufenen ProduttiouS- und Absatzverhälmiffe sich bei dm Organisattonm der Produzenten vielfach schwerste Mißstände entwickelt habe». Bei der kritischen Zuspitzung, die die wirtschaftliche Konjunktur seit dem Sommer deS JahreS erfahrm hat, und durch welche der Preis einzelner deutscher Produkte über den Weltmarktstand hinaus getrieben worden ist, besteht ein allgemeines Interesse daran, durch Wieder herstellung wirklicher Marttfreiheit eine künstliche Einschränkung der Erzeugung, übermäßige Risrkozuschläge und Preisstellungen, die durch die tatsächlichen Pro duktionskosten nicht begründet sind, nachdrücklichst zu bekämpfen und die Kreise der Produktion und deS Handel- wieder zu dem vielfach verloren gegangenen Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem Gemeinwohl zurückzuzwingen. Die Reichsregierung glaubt aber, zur Erreichung dieses von ihr entschieden angestrebtm Zieles nicht den Weg der völligen Zertrümmerung der Kartelle be schreiten zu dürft«, wie eS von manchen Gettm gefordert wird. In diesen radikalm Plänen dürfte die volkswirtschaftlich bedeutsame Funktion verkannt werdey, zu welcher verautwortungSbewußte Erzmgerorganisationen gerade in der augen blicklichen Wirtschaftskrise beruftn erscheinen. Benn durch die vorliegende Ver ordnung die Handhabe geboten werden soll, um die schädlichen Auswüchse deS KartellwesenS mit aller Schärfe zu bekämpfen, so will sie anderseits diese Organi sationen durch ihre Reinigung dazu befähigen, der Anbahnung einer lauteren GefchäftSgebarung, der Verbreitung rationeller Produktionsmethoden und einer Ver einheitlichung der Preisbildung zu dienen. Schließlich darf nicht übersehen
*) AIS Pressenotiz erschienen.
8
n. Amtliche vegründmlg.
werden, daß eine völlige Zertrümmerung der Kartelle auf die Dauer die Marktfreiheit keineswegs begünstigen, sondern gerade tn dem kommenden UmbildungSprozeß nur eine große Zahl gesunder mittlerer und kleinerer Betriebe der finanziellen Uebermacht großer Konzenre auSliesern würde. Die Durchführung der staattichen Kartellpolitik ist durch die vorliegende Verordnung dem RelchSwirtschastSminifter und einem neu zu schaffenden Kartellgericht übertragen. Wenn ein Kartellverlrag die Gesamtwirtschaft oder daS Ge meinwohl gefährdet, so kann der ReichSwirtschastSminiper beim Kartellgericht die RichtigkeitServärung deS Vertrages beantragen ober den Beteiligten da- Recht der fristlosen Kündigung gewähren. Auch kann die RechtSgültigkeit aller künf tigen Maßnahmen eines solchen Kartells von einer vorher zu erstattenden Meldung an den ReichSwirtschaftSminister abhängig gemacht werden. Bon diesem obrig keitlichen Eingriff abgesehen, kann jedeS Kartellmitglied feinen Vertrag auS wichtigem Grunde fristlos kündigen; als ein solcher gilt jede unbillige Ein schränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit. Um eine wirksame Kontrolle zu ermöglichen, wird künftig für jeden Kartellvertrag schriftliche Form verlangt. Den Abnehmern, die zu unbilligen Geschäftsbedingungen Abschlüsse getroffen haben, kann da- Kartellgericht ein RücktrittSrecht von ihren Verträgen gewähren. Dieses Reckt ist ihnen auch Einzelunternehmungen gegenüber gegeben, wenn eine Gefährdung der Gesamtwirtschast oder des Gemeinwohls unter Ausnutzung einer wittschaftlichen Machtstellung vorliegt. Die zurzeit bestehenden freien Schiedsgerichte in Kartellangelegenheiten sollen keineswegs ausgeschaltet werden. Der ReichSwirtschaftSminister kann vielmehr in geeigneten Fallen daS Verfahren zunächst vor diesen Stellen einleiten. DaS Verfahren vor dem Kartellgericht, Auf daS Verfahren vor dem Karlellgericht finden unbeschadet der Vorschriften der Verordnung vom 2. November 1928 und der nachfolgenden Bestimmungen die allgemeinen, für daS Verfahren vor dem ReichSwirlschaflSgericht geltenden Vorschriften Anwendung. Die Entscheidung des Kartellgerichts erfolgt durch Beschluß. Bor der Ent scheidung find die Beteiligten zu hören. Für daS Verfahren vor dem Karlell gericht wird eine in die Reichskaffe fließende Gebühr erhoben. Der Borfitzende deS KartellgerichiS entscheidet endgültig darüber, wer diese Gebühr zu tragen hat, und setzt ihre Höhe nach freiem Ermessen endgültig fest. Ist daS Verfahren aus Antrag deS ReichSwtrtschastSministerS oder in den Fällen des § 16 der Verordnung aus Antrag des ReichSministerS für Ernährung und Landwirtschaft eingeleitet worden, so bleibt die Gebühr außer Ansatz, insoweit dem Antrag nicht stattgegeben wird. AuS besonderen Gründen kann von der Erhebung einer Ge bühr abgesehen werden. Ter Vorsitzende deS Kartellgerichts entscheidet endgültig darüber, wer die den Beteiligten erwachsenen Kosten deS Verfahrens zu tragen Hal, und fetzl deren Höhe endgültig fest. Die dem ReichswirtschaftSminister oder in den Fällen deS § 16 der Verordnung dem Reichsminister der Ernährung und Landwirtschaft erwachsenen Kosten sind nicht zu ersetzen. DaS Reich ist zur Erstattung von Kosten nicht verpflichtet. Der Vorsitzende deS Kartellgerichts kann die Anberaumung eines Termins oder die Anordnung einer Beweis aufnahme von der Einzahlung eineS BorschuffeS zur Deckung der RdichSkasse wegen der Gebühren und Auslagen abhängig machen.
III.
Erläuterung zur Berordnuug gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstelluugeu. Som 2. November 1923 (RVBl. I S. 1067).
Auf Grund de- Ermächtigung-gesetze- vom 13. Oktober 1923 (RGBl. I S. 943) verordnet die Reich-regierung: Inhalt der vorbernerkunzr«. Seite 1. Borgeschichte und Grund de- Erlaffe- der AartB.................................. 9 2. Kurzer Ueberblick über deu Inhalt der B...............................................12 3. Recht-Mtgreit der «. .......................................................... 14 4. Charakter der B............................................................................ ... 16 6. Dauer der Geltung der B............................................................................. 15 6. Geltung der B. im besetzten Gebiet ...................... ................................ 15 7. Internationale und ausländische Kartelle und die B.................... 16 Anm. 1: Borgeschichte und Grund de- Erlasse- de- KartB.