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German Pages 268 [288] Year 2017
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 376 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Jonas Wäschle
Die internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle Koordination der Gerichtspflichtigkeit in Europa und den USA
Mohr Siebeck
Jonas Wäschle, geboren 1986; Studium der Rechtswissenschaft in Heidelberg und Aberdeen (LL.M.); Forschungsaufenthalt an der New York School of Law (NYU); Promotionsstipendien der Studienstiftung des deutschen Volkes und des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb in München; 2016 Promotion; derzeit Rechtsreferendar am Oberlandesgericht München.
ISBN 978-3-16-155017-1 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio graphie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abr ufbar. © 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwert ung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elekt ronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Wesentlichen während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Research Center for Transnational Commercial Dispute Resolution der EBS Law School und als Promotionsstipendiat am MaxPlanck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München entstanden und wurde im Juni 2016 von der EBS Law School in Wiesbaden als Dissertation angenommen. Schrifttum und Stand der Rechtsprechung wurden bis Juli 2016 berücksichtigt. Mein aufrichtiger Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Matthias Weller, Mag.rer.publ., der weitsichtig das Thema dieser Arbeit angeregt und ihre Entstehung in jeder Hinsicht gefördert hat. Er ließ mir stets die notwendige akademische Freiheit, setzte zugleich aber insbesondere durch unsere regelmäßigen Doktorandenseminare immer wieder neue wertvolle Impulse für die Arbeit. Herrn Professor Dr. Christian Heinze, LL.M. (Cambridge), bin ich zu Dank verpflichtet für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht“ gilt mein Dank den Direktoren des Max-PlanckInstituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, insbesondere Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Basedow, LL.M. (Harvard), für seine Begutachtung. Das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München bot mir mit seiner inspirierenden Atmosphäre und seiner hervorragenden Ausstattung ein akademisches Zuhause zum Verfassen der vorliegenden Arbeit. Den nötigen finanziellen Freiraum zur Ausarbeitung der Dissertation erhielt ich durch die Aufnahme in das dortige Stipendienprogramm, wofür ich sehr dankbar bin. Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. iur. Dr. rer. pol. Mark-Oliver Mackenrodt, LL.M. (NYU), der mich in dieser Zeit hervorragend betreute. Viele spannende und ertragreiche Diskussionen über den Teil zum europäischen Zivilprozessrecht führte ich insbesondere mit Dr. Martin Husovec, der scharfsinnig meine Ideen hinterfragte. Frau Professorin Dr. Anette Kur fühle ich mich sehr verbunden für die Herstellung des Kontakts zur New York University. In diesem Zusammenhang danke ich Frau Professorin Linda J. Silberman für ihre Einladung an die NYU und
VIII
Vorwort
den wertvollen Austausch zum US-amerikanischen Zuständigkeitsrecht mit ihr. Eine große Bereicherung waren auch die Einblicke in die einschlägige US-amerikanische Rechtspraxis, die mir Herr Rechtsanwalt Meir Feder in Bezug auf die von ihm vor dem US Supreme Court geführten Verfahren zur internationalen Gerichtszuständigkeit gewährte. Die Studienstiftung des deutschen Volkes förderte die Entstehung der Arbeit ideell und zudem auch den Forschungsaufenthalt in New York finanziell. Für den großzügigen Druckkostenzuschuss durch die Studienstiftung ius vivum zur Veröffentlichung der Arbeit danke ich ihrem Vorstand Herrn Professor Dr. Haimo Schack. Ein Doktorand wird bei seiner Forschung stets von seinen akademischen Vorbildern und Lehrern geprägt. Einigen von Ihnen möchte ich an dieser Stelle deshalb meinen Dank aussprechen, denn sie alle haben mich auf ihre Art mit der Materie vertraut gemacht und damit den Grundstein für die vorliegende Arbeit gelegt. Mein Interesse am internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht wurde während meiner Zeit als studentische Hilfskraft bei Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Thomas Pfeiffer am Institut für ausländisches und internationales Privatund Wirtschaftsrecht in Heidelberg geweckt. Die Begegnungen und Einblicke am dortigen Institut, insbesondere das Kolloquium bei Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Burkhard Hess, haben meine Faszination für ausländische Rechtsordnungen und den internationalen Rechtsverkehr entstehen lassen. Profitiert habe ich beim Verfassen der Arbeit auch von meinen Eindrücken während des LL.M.-Studiums an der University of Aberdeen, wo Dr. Christa Roodt und Professor Paul Beaumont mir neue Perspektiven auf das internationale Privat- und Verfahrensrecht eröffneten. Schließlich danke ich allen Freunden und Kollegen in München und Heidelberg, die mich bei der Erstellung der Arbeit auf vielfältige Weise unterstützt haben, darunter Dr. Philipp Eckel, LL.M., Lorenz Jarass, Nils Pelzer und Dr. Clemens Steinhilber, LL.M. Ein herzlicher Dank gebührt insbesondere meiner Mutter Ursula Steinle, meinem Bruder Moritz Steinle und Charlotte Schmitt für die kritische Durchsicht des Manuskripts. Seit dem Beginn meiner universitären Ausbildung begleitet hat mich meine wundervolle Frau Friederike (Dipl.LM-Ing.), ohne die mir an einigen Stellen möglicherweise die Ausdauer und Geduld zur Vollendung dieser Arbeit ausgegangen wären. Ein ganz besonderer Dank gebührt schließlich meinen Eltern, Ursula und Arnulf Steinle. Sie haben mich während meiner gesamten Ausbildung nach Kräften unterstützt und mich auf meinem bisherigen Weg mit großer Freude und Interesse begleitet. Ihnen ist die Arbeit gewidmet. München, im Februar 2017
Jonas Wäschle
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. II.
Hinführung zur Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . 1 Gang und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . 5
B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO . . . . 7 I.
Verhältnis von internationaler Gerichtszuständigkeit und materiellrechtlichem Interesse an einer effektiven Kartellrechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vereinbarungen über die Zuständigkeit (Art. 25 Abs. 1 EuGVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. 1 EuGVO) IV. Vertragsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 1 EuGVO) . . . . . . . . . . V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO) . . . . . . . . . . VI. Gerichtsstand der Niederlassung (Art. 7 Nr. 5 EuGVO) . . . . VII. Allgemeiner Gerichtsstand (Art. 4 EuGVO) . . . . . . . . . . VIII. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8 10 37 77 80 132 134 135
C. Internationale Gerichtszuständigkeit nach autonomem deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Deliktsgerichtsstand (§ 32 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vermögensgerichtsstand (§ 23 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . III. Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 Abs. 1 ZPO) . . . . . . IV. Gerichtsstandsvereinbarungen (§ 38 ZPO) . . . . . . . . . . . V. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138 141 142 143 144
D. Internationale Gerichtszuständigkeit nach US-amerikanischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 I.
Sachliche Zuständigkeit (subject matter jurisdiction) . . . . . 147
X
Inhaltsübersicht
II. III. IV. V.
Gerichtsgewalt über den Beklagten (personal jurisdiction) . . 155 Örtliche Zuständigkeit (venue) . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Forum non conveniens doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 II. Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 III. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
F. Nationale Gerichte als global governors – ein Ausblick . . . . 245 Schrifttumsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. II.
Hinführung zur Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . 1 Gang und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . 5
B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO . . . . 7 I.
II.
Verhältnis von internationaler Gerichtszuständigkeit und materiellrechtlichem Interesse an einer effektiven Kartellrechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Vereinbarungen über die Zuständigkeit (Art. 25 Abs. 1 EuGVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen im Kartelldeliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nationale Derogationsverbote . . . . . . . . . . . . . . . b) Unionsrechtliches Effektivitätsprinzip . . . . . . . . . . . 2. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsordnung zur Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Persönliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wirkung inter partes . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wirkung gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . (1) Methodischer Ansatz zur Bestimmung der Wirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Drittwirkung bei der Abtretung von Forderungen . (3) Drittwirkung bei Kaufvertragskette . . . . . . . . (4) Drittwirkung bei Gesamtrechtsnachfolge . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 12 14 17 17 20 25 26 26 27 33 35 36 36
XII
Inhaltsverzeichnis
III. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. 1 EuGVO) . 37
1. Konnexitätsformel bei kartelldeliktischen Schadensersatzklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Darlegungsmaßstab in Bezug auf den zuständigkeitsbegründenden Klägervortrag . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Dieselbe Sachlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 aa) Erkenntnisse aus der bisherigen Rechtsprechung zum Europäischen Bündelpatent . . . . . . . . . . . 47 bb) Vorliegen derselben Sachlage im Kartelldeliktsrecht . 50 (1) Kartellteilnehmer werden jeweils aufgrund ihrer eigenen Handlung verklagt . . . . . . . . . . . . . 51 (a) Gemeinsame Absatzhandlungen auf demselben Markt . . . . . . . . . . . . . . . . 51 (b) Absatzhandlungen auf jeweils verschiedenen Märkten („Gebietskartell“) . . . . . . . . . . . 52 (2) Kartellteilnehmer werden alle aufgrund der Handlung eines Beteiligten verklagt . . . . . . . . 54 (a) Unionsrechtliche Zurechnung von Verhalten . . 55 (aa) Konzept der wirtschaftlichen Einheit . . . 55 (i) Englische Rechtsprechung . . . . . . 58 (ii) Österreichische Rechtsprechung . . . 62 (iii) Deutsche Rechtsprechung . . . . . . 63 (iv) Bewertung der mitgliedstaatlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 63 (v) Übertragbarkeit des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit auf die Ebene der internationalen Gerichtszuständigkeit . . . . . . . . . . . . 65 (bb) Begehungsform der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung . . . . . . 67 (b) Zurechnung durch das jeweils anwendbare nationale Kartelldeliktsrecht . . . . . . . . . . 68 c) Dieselbe Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Zusätzlicher Missbrauchsvorbehalt in Art. 8 Nr. 1 EuGVO . . 74 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
IV. Vertragsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 1 EuGVO) . . . . . . . . . . 77 1. Sonderfall: compliance-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Vertragliche Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Kognitionsbefugnis am Vertragsgerichtsstand . . . . . . . . 79 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO) . . . . . . . . . . 80
Inhaltsverzeichnis
XIII
1. Deliktische Qualifikation von Schadensersatzansprüchen aufgrund von Kartellverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Lokalisierung des Tatorts bei Kartelldelikten . . . . . . . . . 82 a) Handlungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 aa) Ort der Kartellabsprache . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Gründungsort des Kartells . . . . . . . . . . . . . . 85 cc) Ort der Umsetzung der wettbewerbswidrigen Praxis . 86 dd) Niederlassungsort des Beklagten als Handlungsort . . 87 ee) Zuständigkeitsbegründende Handlungszurechnung . . 91 (1) Rechtsprechungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . 93 (2) Keine abweichende Beurteilung bei gleichzeitigem Vorgehen gegen mehrere Deliktstäter . . . 95 (3) Beurteilungskriterien für die Zulässigkeit einer zuständigkeitsbegründenden Handlungszurechnung 97 (4) Zuständigkeitsbegründende Handlungszurechnung im Kartelldeliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 102 ff) Gibt es ein Mosaikprinzip beim Handlungsort? . . . . 104 b) Erfolgsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Vorbemerkung: Gleichlauf von Kollisionsrecht und dem Recht der internationalen Zuständigkeit . . . . . 106 bb) Relevantes Schutzgut bei kartelldeliktischen Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (1) Abstrakte Funktionsfähigkeit des Marktes (der durch den Kartelltäter geschädigte Markt) . . 108 (2) Vermögen des betroffenen Marktteilnehmers . . . 111 (a) Kartelldeliktsschaden als zuständigkeitsrechtlich unmaßgeblicher „Folgeschaden“ oder „mittelbare Schädigung Dritter“ . . . . . . . . . . . . . . 111 (aa) Kartellschaden als bloßer „Folgeschaden“ 111 (bb) Kartellschaden als mittelbare Schädigung eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . 113 (b) Marktbezogenheit von Kartelldelikten . . . . . 115 (3) Konkret-individuelle Marktortanknüpfung (der Markt der schädigenden Transaktion) . . . . . 116 cc) Konkretisierung der Konzepte . . . . . . . . . . . . 118 (1) Erfolgsortlokalisierung anhand des konkretindividuellen Marktortprinzips . . . . . . . . . . 118 (2) Erfolgsortlokalisierung anhand der Grundsätze für die Lokalisierung des Erfolgsorts bei reinen Vermögensschäden . . . . . . . . . . . . . . . . 120
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Inhaltsverzeichnis
dd) Stellungnahme: Vorzugswürdigkeit einer konkretindividuellen Marktortanknüpfung . . . . . . . . . . 122 c) Deliktsspezifische alleinige Lokalisierung des Tatorts am Marktort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 aa) Aufgabe des Ubiquitätsprinzips . . . . . . . . . . . . 125 bb) Aufgabe des Mosaikprinzips . . . . . . . . . . . . . 127 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
VI. Gerichtsstand der Niederlassung (Art. 7 Nr. 5 EuGVO) . . . . 132 VII. Allgemeiner Gerichtsstand (Art. 4 EuGVO) . . . . . . . . . . 134 VIII. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
C. Internationale Gerichtszuständigkeit nach autonomem deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. II. III. IV. V.
Deliktsgerichtsstand (§ 32 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Vermögensgerichtsstand (§ 23 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . 141 Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 Abs. 1 ZPO) . . . . . . 142 Gerichtsstandsvereinbarungen (§ 38 ZPO) . . . . . . . . . . . 143 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
D. Internationale Gerichtszuständigkeit nach US-amerikanischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 I.
II.
Sachliche Zuständigkeit (subject matter jurisdiction) . . . . . 147 1. Shearman Act, Foreign Trade Antitrust Improvements Act und die Empagran-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis von Reichweite des materiellen Wettbewebsrechts und internationaler Gerichtszuständigkeit . . . . . . . . . .
150
153 Gerichtsgewalt über den Beklagten (personal jurisdiction) . . 155 1. Due process clause und minimum contacts doctrine . . . . . 156 a) Allgemeine Zuständigkeitsgründe (general jurisdiction) . 158
aa) Traditionelle Anknüpfungspunkte für general jurisdiction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Neuer Standard für die general jurisdiction . . . . . . 159 (1) Goodyear v. Brown (2011) . . . . . . . . . . . . . 160 (2) Daimler AG v. Bauman (2014) . . . . . . . . . . . 161 (3) Schlussfolgerungen aus Goodyear und Daimler AG 162 cc) Nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit (doing business) 164 dd) Zuständigkeitsrechtliche Konzernhaftung . . . . . . 168 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Besondere Zuständigkeitsgründe (specific jurisdiction) . . 172 aa) Deliktische Zuständigkeit (effects theory) . . . . . . . 172
Inhaltsverzeichnis
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bb) Section 12 Clayton Act als spezialgesetzliche Regelung 176 cc) Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (conspiracy theory of jurisdiction) . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 dd) Gerichtsstandsvereinbarungen ( forum selection clauses) . . . . . . . . . . . . . . . 184 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Gesetzliche Ermächtigung (statutory authorization for the exercise of judicial jurisdiction) . . . . . . . . . . . . . . . 185
III. Örtliche Zuständigkeit (venue) . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 IV. Forum non conveniens doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . 189 V. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
I. Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Zuständigkeitskonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Rechtshängigkeits- und Anerkennungskonflikte . . . . . . . 201 a) Internationale Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Urteilsanerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
II.
aa) Anerkennung von US-amerikanischen kartelldeliktischen Zivilurteilen in Deutschland . . . . . . 203 bb) Anerkennung von deutschen kartelldeliktischen Zivilurteilen in den Vereinigten Staaten . . . . . . . 205 3. Unterminierung regelungspolitischer Entscheidungen durch exzessives forum shopping . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Supranationale Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
b) Weltweites Haager Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 c) Schaffung eines internationalen Kartellgerichtshofs . . . . 217 2. Einzelstaatliche Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) US-amerikanische Gerichte als „Weltgerichte“ . . . . . . 218 b) Zuständigkeitsabgrenzung entlang der Grenzen nationaler Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Einzelfallbasierte Zuständigkeitskoordinierung durch nationale Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . 224 (1) Comity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (2) Forum non conveniens . . . . . . . . . . . . . . . 227 (3) Bewertung: Ungeeignetheit spezifischer nationalstaatlicher Rechtsinstrumente . . . . . . . 228
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Inhaltsverzeichnis
bb) Abstrakt-generelle Abstimmung der internationalen Zuständigkeit durch eine nationale Behörde . . . . . . 230 c) Zuständigkeitsabgrenzung entlang von Teilschäden (transaktionsbezogenes Mosaikprinzip) . . . . . . . . . . 232 aa) Ansatz der US-amerikanischen Rechtsprechung . . . 233 bb) Problem der Teilbarkeit des globalen Kartellschadens . 236 cc) Transaktionsbezogenes Mosaikprinzip als Koordinierungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . 238 dd) Vorschlag zur Übertragung des transaktionsbezogenen Mosaikprinzips in das deutsche Zuständigkeitsrecht . 241
III. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
F. Nationale Gerichte als global governors – ein Ausblick . . . . 245 Schrifttumsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
Abkürzungsverzeichnis a. A. anderer Auffassung a. E. am Ende Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AG Die Aktiengesellschaft Am. U. L. Rev. American University Law Review Antitrust L.J. Antitrust Law Journal Art. Artikel Aufl. Auflage AWD Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Az. Aktenzeichen BB Betriebs-Berater BeckRS Elektronische Entscheidungsdatenbank in beck-online Begr. Begründer Berkeley J. Int’l L. Berkeley Journal of International Law Beschl. v. Beschluss vom BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof Brook. J. Int’l L. Brooklyn Journal of International Law BYU L. Rev. Brigham Young University Law Review bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise Cal. L. Rev. California Law Review CCZ Corporate Compliance Zeitschrift CML Rev. Common Market Law Review Colum. L. Rev. Columbia Law Review Conn. J. Int’l L. Connecticut Journal of International Law Cornell Int’l L.J. Cornell International Law Journal Cornell L. Rev. Cornell Law Review d. h. das heißt DAJV Newsl. Newsletter der Deutsch-Amerikanischen Juristen-Vereinigung Del. J. Corp. L. Delaware Journal of Corporate Law DePaul L. Rev. DePaul Law Review Dick. L. Rev. The Dickinson Law Review Duke J. Comp. & Int’l L. Duke Journal of Comparative & International Law E.C.L.R. European Competition Law Review EBOR European Business Organization Law Review
XVIII Emory Int’l L. Rev. EuGH EuGVO
Abkürzungsverzeichnis
Emory International Law Review Gerichtshof der Europäischen Union Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 351 vom 20.12.2012, S. 1 Eur. Comp. L. Rev. European Competition Law Review EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Fla. L. Rev. Florida Law Review Fn. Fußnote Fordham Int’l L.J. Fordham International Law Journal Fordham L. Rev. Fordham Law Review FS Festschrift FTAIA Foreign Trade Antitrust Improvements Act Geo. Mason L. Rev. George Mason Law Review GPR Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union GRUR Zeitschrift der deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR Int Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Harv. Int’l L.J. Harvard International Law Journal Harv. J.L. & Pub. Pol’y Harvard Journal of Law & Public Policy Harv. L. Rev. Harvard Law Review Hastings Int’l & Comp. L. Rev. Hastings International and Comparative Law Review Hrsg. Herausgeber Hous. J. Int’l L. Houston Journal of International Law Hs. Halbsatz i. V. m. in Verbindung mit ICLQ International & Comparative Law Quarterly Ind. J. Global Legal Stud. Indiana Journal of Global Legal Studies Iowa L. Rev. Iowa Law Review IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts J. B. L Journal of Business Law J. Priv. Int. L. Journal of Private International Law JA Juristische Arbeitsblätter JZ JuristenZeitung KSzW Kölner Schriften zum Wirtschaftsrecht Law & Contemp. Probs. Law and Contemporary Problems Law & Pol’y Int’l Bus. Law and Policy in International Business Lewis & Clark L. Rev. Lewis & Clark Law Review LG Landgericht lit. Buchstabe LMK Lindenmaier-Möhring, Kommentierte BGH-Rechtsprechung Loy. Consumer L. Rev. Loyola Consumer Law Review
Abkürzungsverzeichnis Loy. L.A. Int’l & Comp. L.J.
XIX
Loyola of Los Angeles International and Comparative Law Review LugÜ Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007, ABl. L 147 vom 10.6.2009, S. 5 Maastricht J. Eur. & Comp. L. Maastricht Journal of European and Comparative Law Md. J. Int’l L. Maryland Journal of International Law Mich. J. Int’l L. Michigan Journal of International Law n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift No. number Nr. Nummer Nw. J. Int’l L. & Bus. Northwestern Journal of International Law & Business NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZKart Neue Zeitschrift für Kartellrecht OGH Oberster Gerichtshof (Österreich) Ohio St. L.J. Ohio State Law Journal OLG Oberlandesgericht para. paragraph RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rich. J. Global L. & Bus. Richmond Journal of Global Law and Business RIW Recht der Internationalen Wirtschaft Rn. Randnummer Roger Williams U. L. Rev. Roger Williams University Law Review Rom I-VO Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. L 177 vom 4.7.2008, S. 6 Rom II-VO Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. L 199 vom 31.7.2007, S. 40 S. Seite S.C. L. Rev. South Carolina Law Review sog. sogenannte/r St. John’s L. Rev. St. John’s Law Review Sw. J. L. & Trade Am. Southwestern Journal of Law and Trade in the Americas Tex. Int’l L.J. Texas International Law Journal Tul. L. Rev. Tulane Law Review U. Chi. L. Rev. University of Chicago Law Review U. Chi. Legal F. University of Chicago Legal Forum U. Ill. L. Rev. University of Illinois Law Review U. Kan. L. Rev. University of Kansas Law Review U. Pa. J. Int’l Econ. L. University of Pennsylvania Journal of International Economic Law U. Pa. J. Int’l L. University of Pennsylvania Journal of International Law
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Abkürzungsverzeichnis
u. a. und anderem U.S.F. L. Rev. University of San Francisco Law Review Urt. v. Urteil vom Va. J. Int’l L. Virginia Journal of International Law Vand. J. Transnat’l L. Vanderbilt Journal of Transnational Law Vand. L. Rev. Vanderbilt Law Review Vgl. vergleiche Vill. L. Rev. Villanova Law Review VO Verordnung Vol. volume Wash. U. L. Rev. Washington University Law Review Wis. L. Rev. Wisconsin Law Review WM Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WRP Wettbewerb in Recht und Praxis WuW Wirtschaft und Wettbewerb Yale J. Int’l L. Yale Journal of International Law ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZHR Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZPO Zivilprozessordnung ZVglRWiss Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft ZWeR Zeitschrift für Wettbewerbsrecht
A. Einleitung I. Hinführung zur Problemstellung Wirtschaftsmärkte sind in ihrer Reichweite zunehmend global. Auf globalen Märkten bilden sich vermehrt Kartelle, welche den größten Teil eines potentiel len Weltmarkts umfassen.1 Denn ein effektives Kartell muss auch Märkte abde cken, von denen aus sonst Ware zu günstigeren Preisen auf die kartellierten Märkte importiert werden könnte. Andernfalls drohte das durch das Kartell künstlich erhöhte Preisniveau auf den kartellierten Märkten durch Arbitragege schäfte unterlaufen zu werden.2 Diese „Weltkartelle“ haben den Anstoß gegeben für die vorliegende Arbeit. Die Beteiligten eines solchen Weltkartells sehen sich zum derzeitigen Stand mit einem regional begrenzten Rechtsrahmen zur Regulierung von globalen Kartellen konfrontiert. Bislang gibt es kein Weltkartellrecht3, sondern nur na tionales Kartellrecht 4 bzw. das Kartellrecht der Europäischen Union.5 Diese Rechtsregime bleiben grundsätzlich in ihrer Anwendung auf das Territorium ihres rechtssetzenden Organs begrenzt. Unter dem Gesichtspunkt der Territori alität hinkt das internationale Kartellrecht also der Entwicklung globalisierter Märkte hinterher:6 Denn globale Märkte agieren transterritorial. Für sie sind nationale Grenzen bedeutungslos. Die zentrale Herausforderung bei der Regu 1 Fernandes, 20 Conn. J. Int’l L. 267, 315 (2004–2005); Gal, 33 Fordham Int’l L.J. 1, 1 (2009–2010); Whish/Bailey, Competition Law, S. 487 f. 2 Buxbaum, 17 Ind. J. Global Legal Stud. 165, 168 (2010): “[…] it is the global aspect of the cartel’s strategy that makes it successful. Where the goods in question are fungible, the price-fixing must take place on all markets; otherwise, it could be avoided through arbitra ge.”; Michaels in: Muller/Zouridis/Frishman/Kistemaker, The Law of the Future and the Fu ture of the Law, S. 168; Schmidt, 31 Yale J. Int’l L. 211, 228 (2006); Shenefield/Beninca, WuW 2004, 1276, 1281; Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 409 f. 3 Siehe dazu umfassend: Basedow, Weltkartellrecht. 4 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe „Kartellrecht“ und „Wettbe werbsrecht“ synonym verwendet. 5 Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 220; Rill, 1992 U. Chi. Legal F. 263, 271 (1992). 6 Fox, 43 Va. J. Int’l L. 911, 911 (2003): “In the wake of globalization, national antitrust law has an imperfect fit with world markets.”
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A. Einleitung
lierung von Weltkartellen besteht vor allem darin, ein transterritoriales Wirt schaftsgeschehen durch Rechtsinstrumente mit regional begrenzter Reichweite zu regulieren.7 Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, hat sich das internationale Kartellrecht bereits früh8 von einer strikten Anwendung des Territorialitäts prinzips9 gelöst.10 Als Reaktion auf die wirtschaftliche Globalisierung wurde im US-amerikanischen Kartellrecht das Auswirkungsprinzip (sog. effects doctrine) entwickelt.11 Es erlaubt den Nationalstaaten, ihr Kartellrecht auch auf Verhaltensweisen anzuwenden, welche außerhalb ihres eigenen Territoriums stattfinden, solange diese nur Auswirkungen im regulierenden Staat entfalten. Das Auswirkungsprinzip wurde später auch in anderen Kartellrechtsordnungen übernommen, unter anderem in Europa, Australien oder Lateinamerika.12 Auf der Ebene des materiellen Kartellrechts ist es auf diese Weise gelungen, die Defizite, welche durch die territoriale Beschränkung der jeweiligen Kartell rechtsordnung bestehen, größtenteils zu überwinden. Die Etablierung des Aus wirkungsprinzips im internationalen Kartellrecht hat strukturell indessen nichts daran geändert, dass dort nach wie vor eine Inkongruenz von Regelungsgegen stand (globales Marktverhalten) und Rechtsrahmen (regional beschränktes Kar tellrecht) besteht.13 Die extraterritoriale Anwendung von Kartellrecht durch Nationalstaaten auf global relevante Wirtschaftsgeschehnisse birgt Konfliktpotential, sobald auch eine andere Rechtsordnung den Anspruch auf Regulierung des betreffenden
7 Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 220; Buxbaum, 5 German Law Journal 1095, 1106 (2004): “[…] difficulty inherent in using a system based on territorial au thority to address global economic behaviour.”; Buxbaum, 42 Va. J. Int’l L. 931, 933 (2001– 2002); Fox, 68 Antitrust L.J. 73, 73 (2000); Halfmeier in: FS Magnus, S. 433: „[…] Diskre panz zwischen globalisierten Märkten und regional beschränkter Rechtsstaatlichkeit […]“; Müller, Private Antitrust Damages Actions in the US, Germany and at the European Commu nity Level, S. 299; Tzakas, 37 DAJV Newsl. 19, 19 (2012). 8 United States v. Aluminum Co. of America, 148 F.2d 416 (2d Cir. 1945). 9 So noch in American Banana Co. v. United Fruit Co., 213 U.S. 347, 356 (1909). 10 Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 230; Wurmnest, 28 Hastings Int’l & Comp L. Rev. 205, 210 (2004–2005). 11 Ehlermann in: Schwarze, Globalisierung und Entstaatlichung des Rechts, Teilband I, S. 125; Fox, 43 Va. J. Int’l L. 911, 911 (2003). 12 Adolphsen, 1 J. Priv. Int. L. 151, 158 (2005); Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 231–32; Dabbah, The Internationalisation of Antitrust Policy, S. 187; Rill, 1992 U. Chi. Legal F. 263, 274 (1992); Wurmnest, 28 Hastings Int’l & Comp L. Rev. 205, 210–11 (2004–2005). 13 Adolphsen, 1 J. Priv. Int. L. 151, 152 (2005); Burnett, 18 Emory Int’l L. Rev. 555, 641 (2004); Halfmeier in: FS Magnus, S. 433 spricht von „Diskrepanz“.
I. Hinführung zur Problemstellung
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Verhaltens erhebt.14 Dieses Konfliktpotential hat sich in der Vergangenheit vor allem bei der Durchsetzung von Kartellrecht durch die jeweiligen Wettbewerbs behörden entfaltet. Aus heutiger Sicht konnten diese Reibungspunkte jedoch zu einem großen Teil durch eine Kooperation der Wettbewerbsbehörden entschärft werden.15 Darüber hinaus wird Kartellrecht in jüngerer Zeit verstärkt auch mit den Mitteln des Privatrechts durchgesetzt.16 Einzelne Marktteilnehmer setzen dabei ihre Abwehr- und Schadensersatzansprüche selbst vor den Zivilgerichten durch. Diese Entwicklung hin zum private enforcement schafft neue Herausfor derungen bei der privatrechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts gegenüber Weltkartellen. Reibungspunkte ergeben sich nunmehr also nicht mehr allein auf der Ebene des materiellen Kartellrechts und seiner Durchsetzung durch die Wettbewerbsbehörden, sondern verlagern sich zunehmend in den zivilprozes sualen Bereich hinein.17 Die zentrale Herausforderung dabei ist die Koordinie rung der jeweiligen nationalstaatlichen Regelungsregime. Die Regelungen zur internationalen Gerichtszuständigkeit sind hierbei von entscheidender Bedeu tung. An dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an. Sie nimmt die internatio nale Gerichtszuständigkeit bei Kartellschadensersatzklagen gegen Weltkartelle in den Blick und untersucht diese exemplarisch anhand des deutschen und des US‑amerikanischen Rechts. Die deutsch-amerikanische Perspektive wurde deshalb gewählt, weil die USA und die Europäische Union global die beiden wichtigsten Rechtsräume sind, in denen Kartellrecht privatrechtlich durchgesetzt wird. Die deutsche Rechtsordnung steht insofern exemplarisch für eines der europäischen Rechts regime. In der Europäischen Union lag der Fokus in der Vergangenheit fast aus schließlich auf der behördlichen Durchsetzung des Kartellrechts,18 während Kartellrecht in den USA seit Langem ganz maßgeblich mit den Mitteln des Pri vatrechts durchgesetzt wird.19 Dadurch ergaben sich bisher auf der Ebene der privatrechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts kaum Konflikte in Bezug auf 14 Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 231; Wood, 1992 U. Chi. Legal F. 277, 302 (1992). 15 Canenbley/Rosenthal, 26 Eur. Comp. L. Rev. 178 (2005); Devuyst in: Transatlantic Go vernance in the Global Economy, S. 134 ff.; Griffin, 67 Antitrust L.J. 159, 180–86 (1999); Müller, Private Antitrust Damages Actions in the US, Germany and at the European Commu nity Level, S. 301 ff. 16 Gutta, The Enforcement of EU Competition Rules by Civil Law; Buxbaum, 23 Berkeley J. Int’l L 474 (2005). 17 Buxbaum, 16 Loy. Consumer L. Rev. 365, 374 (2003–2004). 18 Fitchen, 5 J. Priv. Int. L. 337–38 (2009). 19 Ryngaert, Jurisdiction over Antitrust Violations in International Law, 13.2., S. 174; in den Vereinigten Staaten sind die überwiegende Anzahl der Kartellrechtsstreitigkeiten privat rechtliche Verfahren, Fort in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, S. 508, Rn. 24.
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A. Einleitung
eine Zuständigkeitsabgrenzung beim private enforcement. Die USA fungierten bisweilen als globale Instanz bei der privaten Kartellrechtsdurchsetzung. Bei Prozessen vor US-amerikanischen Gerichten stand daher meist die Frage nach der Reichweite der Jurisdiktionsgewalt der USA im Vordergrund. Überlegun gen zur Reichweite der internationalen Gerichtszuständigkeit erfolgten daher häufig aus einer einseitigen Perspektive. Diese klare Trennung der Durchsetzungssysteme verschiebt sich, seitdem auch in der Europäischen Union die privatrechtliche Durchsetzung des Kartell rechts gestärkt wurde. Diese Entwicklung wurde eingeleitet durch die Recht sprechung des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen Courage20 und Manfredi21. Dort stellte der EuGH zum ersten Mal klar, dass jedermann den ihm aufgrund einer Verletzung von Kartellrecht entstandenen Schaden einklagen können muss. Seitdem hat der europäische Gesetzgeber die privatrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts gezielt gefördert22 und mehrere Initiativen zur Stärkung des private enforcement unternommen.23 Im Dezember 2014 wurde zuletzt die Richtlinie 2014/104/EU zu den nationalen Vorschriften in Bezug auf den Kartellschadensersatz erlassen, mit der die Rahmenbedingungen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen für private Schadensersatzklagen verbes sert werden sollen.24 Die Bedeutung der Durchsetzung des Kartellrechts mit den Mitteln des Pri vatrechts wird im europäischen Rechtsraum also in Zukunft zunehmen. Vor allem im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten wird es in Zukunft wichtiger werden, die privatrechtlichen Durchsetzungsregime bei einem Vorgehen gegen Weltkartelle miteinander in Einklang zu bringen. Die internationale Gerichts zuständigkeit spielt dabei eine Schlüsselrolle. Aufgeworfen ist damit die Frage nach Lösungsansätzen für eine Koordinierung der internationalen Gerichtszu ständigkeiten bei Kartellschadensersatzklagen gegen Weltkartelle. Sie bildet das Leitbild der vorliegenden Arbeit.
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EuGH, 20.9.2001, Rs. C-453/99 (Courage). EuGH, 13.7.2006, Rs. C-295–298/04 (Manfredi). 22 Rodger in: Lianos/Geradin, Handbook on European Competition Law, S. 457. 23 Grünbuch der Europäischen Kommission vom 19.12.2005 „Schadensersatzklagen we gen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts“ [KOM(2005) 672 endgültig]; Weißbuch der Eu ropäischen Kommission vom 2.4.2008 „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“ [KOM(2008) 165 endgültig]. 24 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. L 349 vom 5.12.2014, S. 1 (nachstehend: „Richtlinie 2014/104/ EU zum private enforcement“). 21
II. Gang und Gegenstand der Untersuchung
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II. Gang und Gegenstand der Untersuchung Konzeptionell lässt sich die vorliegende Arbeit in zwei Teilbereiche unterglie dern. In einem ersten Teil werden die Regelungen zur internationalen Gerichts zuständigkeit nach deutschem und US-amerikanischen Zuständigkeitsrecht un tersucht und in ihrer Funktionsweise analysiert (Kapitel B.–D.). Diese Untersu chung soll einerseits der praktisch relevanten Frage nach der Reichweite der internationalen Gerichtszuständigkeit in Kartellschadensersatzverfahren auf den Grund gehen. Die Untersuchung der genannten Zuständigkeitsregime bildet zugleich aber auch den Ausgangspunkt für den zweiten konzeptionellen Teil der vorliegenden Arbeit. Dieser wendet sich der Frage nach einer möglichen Koor dinierung der internationalen Gerichtszuständigkeit bei privaten Kartellscha densersatzklagen gegenüber Weltkartellen im deutsch-amerikanischen Verhält nis zu (E.–F.). Die Analyse des Zuständigkeitsrechts soll dabei die notwendige Vorarbeit leisten, um hierauf aufbauend die Koordinierungsfrage untersuchen zu können. In den ersten beiden Kapiteln (B.–C.) wird die Frage der internationalen Zu ständigkeit aus der Sicht des deutschen Rechts analysiert. Zunächst wird dabei das unionsrechtliche Zuständigkeitsrecht der EuGVO25 untersucht (B.), welches gegenüber Beklagten mit Sitz in einem europäischen Mitgliedstaat zur Anwen dung gelangt und Vorrang vor dem autonomen deutschen Zuständigkeitsrecht genießt. Die Untersuchung wendet sich hier insbesondere den aktuellen Ent wicklungen des europäischen Zivilprozessrechts zu. Danach werden die autono men deutschen Zuständigkeitsvorschriften der §§ 12 ff. ZPO untersucht (C.), welche gegenüber Beklagten mit Sitz in einem Drittstaat Anwendung finden und daher für die spätere Frage der Koordinierung gegenüber den Vereinigten Staaten von Bedeutung sind. Daran anschließend richtet die Arbeit den Blick auf das US-amerikanische Recht der internationalen Zuständigkeit (D.), um den deutschen Blickwinkel durch diese in der Rechtspraxis äußerst relevante und zugleich methodisch sehr unterschiedliche Perspektive rechtsvergleichend zu erweitern. Die Erstellung der vorliegenden Arbeit fiel dabei in einen Zeitraum, in dem sich im US-amerikanischen Zuständigkeitsrecht einige aktuelle Ent 25 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zustän digkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handels sachen, ABl. L 351 vom 20.12.2012, S. 1, am 10. Januar 2015 in Kraft getreten, ehemals Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zu ständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Han delssachen, ABl. L 12 vom 16.1.2001, S. 1; im Verhältnis zu Island, Norwegen und der Schweiz: Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerken nung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007, ABl. L 147 vom 10.6.2009, S. 5.
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A. Einleitung
wicklungen abzeichnen, welche auch für die Bestimmung der internationalen Gerichtszuständigkeit bei Kartelldeliktsklagen in Zukunft von Bedeutung sein werden. Aufbauend auf der Analyse der beiden in den Blick genommenen Zuständig keitsregime wirft die Untersuchung schließlich die Frage nach einer möglichen Koordinierung privater Schadensersatzklagen bei Weltkartellen auf (E.). Die Arbeit beschränkt sich an dieser Stelle auf das Verhältnis des deutschen Rechts zu den Vereinigten Staaten. Denn im Gegensatz etwa zur Rechtslage innerhalb des Europäischen Justizraums im Anwendungsbereich der EuGVO fehlt es in diesem drittstaatlichen Verhältnis bislang an einer vergleichbaren Verfah renskoordinierung. Hierbei werden verschiedene Problemfelder wie die Entstehung von Zustän digkeitskonflikten und die daraus resultierenden Reibungspunkte auf der Ebene der internationalen Rechtshängigkeit sowie der wechselseitigen Anerkennung von kartelldeliktischen Schadensersatzurteilen herausgearbeitet. Diese Prob lemfelder werden sodann aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Zunächst untersucht die Arbeit die Möglichkeiten einer supranationalen Ver fahrenskoordinierung etwa im Rahmen des Völkerrechts oder durch ein inter nationales Abkommen zur Vereinheitlichung der internationalen Gerichtszu ständigkeit. Es wird sich zeigen, dass diese übergeordneten Lösungsansätze zum derzeitigen Stand praktisch nicht im Vordergrund stehen. Daneben werden aber auch die Möglichkeiten für eine Verfahrenskoordinie rung aus der Perspektive des nationalstaatlichen Rechts analysiert. Hierbei wer den insbesondere die bisherigen Ansätze des US-amerikanischen Zuständig keitsrechts untersucht. Dabei werden sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen des nationalstaatlichen Rechts zur Regulierung eines Weltkartells aus gelotet. Als möglicher Lösungsansatz für eine nationalstaatliche Zuständig keitskoordinierung wird das transaktionsbezogene Mosaikprinzip herausgear beitet. Die Untersuchung schließt mit einem Vorschlag zur Anpassung des deut schen Zuständigkeitsrechts und stellt diesen in einen übergeordneten Zusammenhang zu vergleichbaren Phänomenen des internationalen Wirt schaftsrechts (F.).
B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO Bei der Bestimmung der internationalen Gerichtszuständigkeit ist vorrangig die Anwendbarkeit der EuGVO als Bestandteil des Unionsrechts zu prüfen. Hin sichtlich ihres räumlichen Anwendungsbereichs setzt diese voraus, dass die be treffende Rechtsstreitigkeit einen Anknüpfungspunkt an das Hoheitsgebiet ei nes Mitgliedstaats aufweist. Aus Art. 4 und 5 der EuGVO ergibt sich systema tisch, dass dieser Anknüpfungspunkt bereits dann erfüllt ist, wenn zumindest der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EuGVO hat.1 Dem nach ist die EuGVO nur für solche kartelldeliktischen Klagen maßgeblich, die sich gegen Kartellanten mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Verordnung richten. Eine Ausnahme hierzu bildet lediglich Art. 25 Abs. 1 EuGVO, der auch gegen über Beklagten mit Sitz in einem Drittstaat Anwendung findet. In sachlicher Hinsicht setzt die EuGVO in Art. 1 Abs. 1 voraus, dass es sich bei der betreffenden Streitigkeit um eine „Zivil- und Handelssache“ handelt, wobei der Begriff „Handelssache“ einen Teilbereich der Zivilsachen darstellt.2 Der Begriff ist autonom auszulegen.3 Die EuGVO enthält keine besonderen Zu ständigkeitsgründe für kartelldeliktische Schadensersatzklagen. Für allgemeine deliktische Klagen aufgrund eines Verstoßes gegen europäisches Wettbewerbs recht hat der EuGH explizit entschieden, dass es sich dabei um Zivil- und Han delssachen im Sinne von Art. 1 Abs. 1 EuGVO handelt.4 Für Verstöße gegen nationales Wettbewerbsrecht kann insofern nichts anderes gelten. Im Ergebnis sind also die hier zur Untersuchung stehenden privatrechtlichen Schadenser satzklagen aufgrund von Kartellverstößen Zivilsachen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 EuGVO.5
Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 268 f. Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 1 EuGVO, Rn. 1. 3 Kohler, IPRax 2015, 52, 53. 4 EuGH, 23.10.2014, Rs. C-302/13 ( flyLAL-Lithuanian Airlines) Rn. 28 f. 5 Bumiller in: Wiedemann, Kartellrecht, § 60, Rn. 42. 1 2
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
I. Verhältnis von internationaler Gerichtszuständigkeit und materiellrechtlichem Interesse an einer effektiven Kartellrechtsdurchsetzung Private Kartellschadensersatzklagen weisen die Besonderheit auf, dass sie in einem engen Zusammenhang mit materiellrechtlichen Regelungsinteressen aus dem Bereich des Kartellrechts stehen. Dabei wird das Mittel der privaten Rechtsdurchsetzung bewusst in den Dienst einer übergeordneten Zielsetzung gestellt, nämlich des Interesses an funktionierenden Märkten und der Verhinde rung bzw. Beseitigung von Markthindernissen. Ein solches öffentlich-rechtli ches Regulierungsinteresse stellt etwa die effektive Kartellrechtsdurchsetzung im Sinne des unionsrechtlichen Effektivitätsprinzips dar. Insoweit als dieses Interesse aber mit den Mitteln des Privatrechts durchgesetzt werden soll, sind dabei öffentlich-rechtliche Regulierungsinteressen mit den Vorstellungen zur prozessualen Gerechtigkeit im privatrechtlichen Verfahren in Einklang zu brin gen.6 Für die nachstehende Untersuchung von Fragen der internationalen Ge richtszuständigkeit im Unionsrecht der EuGVO stellt sich damit die allgemeine Frage, inwieweit einem solchen Interessenausgleich bei der Anwendung und Auslegung der unionsrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften Rechnung zu tra gen ist. Besonders fraglich ist, ob – und wenn ja inwieweit – das Zuständigkeits recht der EuGVO durch das politisch-materiellrechtliche Interesse an einer ef fektiven Kartellrechtsdurchsetzung beeinflusst werden kann, indem etwa die Handhabung der Zuständigkeitsregelungen an diesem materiellrechtlichen Inte resse auszurichten wäre. Ein Einfluss des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes wird teilweise bereits deshalb verneint, weil dieser nur gegenüber Vorschriften des nationalen Rechts zur Anwendung gelange.7 Darauf deutet etwa der Wortlaut des Art. 4 der Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement hin.8 Diese Sichtweise greift indes zu kurz. Vielmehr muss sich der Unionsgesetzgeber, der die Einhaltung des Effektivitätsgrundsatzes von den nationalstaatlichen Rechtsordnungen ver
Wurmnest in: FS Magnus, S. 567. Danov, Jurisdiction and Judgments in Relation to EU Competition Law Claims, S. 96. 8 Art. 4 der Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement: „Im Einklang mit dem Ef fektivitätsgrundsatz gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass alle nationalen Vorschriften und Verfahren für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen so gestaltet sind und so angewandt werden, dass sie die Ausübung des Unionsrechts auf vollständigen Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schadens nicht prak tisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. […]“ (Hervorhebung durch den Verfas ser). 6 7
I. Verhältnis von internationaler Gerichtszuständigkeit
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langen kann, erst Recht selbst an diesem Grundsatz messen lassen.9 Dennoch erscheint es fraglich, ob der europäische Gesetzgeber das Zuständigkeitsrecht der EuGVO unmittelbar durch die materiellen Regelungsinteressen bei der ef fektiven Kartellrechtsdurchsetzung beeinflusst wissen will. So nahm der euro päische Gesetzgeber zwar im Vorschlag der Europäischen Kommission zur Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement Bezug auf die EuGVO, dies jedoch in ganz allgemeiner Form. Es wird lediglich auf sämtliche bestehenden und für das Gebiet des private enforcement relevanten Regelungen verwiesen.10 Diese allgemeine Bezugnahme auf die EuGVO als Ganzes spricht dafür, dass die Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement in den bestehenden Rechtsrahmen eingebettet werden soll, diesen aber als solchen unverändert lässt. Art. 15 Abs. 2 ist die einzige Stelle, an der die EuGVO durch die Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement konkret in Bezug genommen wird. Die Vorschrift ordnet dabei ausdrücklich an, dass Art. 30 als maßgebliche Vor schrift der EuGVO zur Rechtshängigkeit unberührt bleibt. Auch dies spricht dafür, dass der Unionsgesetzgeber mit der Regulierung des private enforcement nicht etwa auch die Zuständigkeitsvorschriften unter kartelldeliktischen Maß stäben modifizieren will, sondern sich vielmehr auch im Bereich des private enforcements auf die bestehende Zuständigkeitsordnung der EuGVO verlässt. Das aus dem Unionsrecht abgeleitete Interesse an einer effektiven Kartellrechts durchsetzung kann daher grundsätzlich nicht unmittelbar in die Anwendung und Auslegung der Zuständigkeitsregelungen der EuGVO einfließen. Wollte man dies ändern, so müssten die Regelungen der EuGVO an die be sondere Interessenlage der privatrechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts angepasst werden. Derartige deliktsspezifische Anpassungen der EuGVO wer den zwar vereinzelt vorgeschlagen.11 Eine solche Schaffung von sachgebiets spezifischen Zuständigkeitsvorschriften geriete aber in Konflikt mit der allge meinen Konzeption der EuGVO als Querschnittsinstrument, das die internatio nale Zuständigkeit sachgebietsübergreifend regelt. Die Ergänzung der EuGVO um spezifisch sachgebietsbezogene Zuständigkeitsgründe würde einen Präze denzfall schaffen, und es wäre zu befürchten, dass künftig auch für andere Re 9 Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 11.12.2014 zu EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 32; M. Weller, RabelsZ 77 (2013) 419, 420; M. Weller, ZVglRWiss 2013, 89, 90. 10 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über be stimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwi derhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union vom 11.6.2013, COM(2013) 404 final, S. 6. 11 Danov, Jurisdiction and Judgments in Relation to EU Competition Law Claims, S. 278 ff.; Danov, 61 ICLQ 27, 53 (2012); Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 11.12.2014 zu EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 10.
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
gelungsgebiete ähnliche Forderungen an den europäischen Gesetzgeber gerich tet werden. Eine solche Entwicklung stünde im Widerspruch zu der generellen Konzeption der EuGVO. Die bestehenden Sonderregelungen der EuGVO für Versicherungssachen, Verbrauchersachen und individuelle Arbeitsverträge rechtfertigen sich nicht aus bestimmten materiellrechtlichen Besonderheiten dieser Bereiche, sondern durch ein systematisches Ungleichgewicht bei der pro zessualen „Waffengleichheit“ im Hinblick auf die prozessuale Gerechtigkeit. Ein solches systematisches Ungleichgewicht besteht bei Kartelldelikten indes sen gerade nicht. Die Schaffung einer besonderen kartdelldeliktischen Zustän digkeitsvorschrift ist somit abzulehnen.12 Dabei bieten die bestehenden Rege lungen der EuGVO potentiellen Geschädigten ausreichende Möglichkeiten zur Eröffnung geeigneter Gerichtsstände.13 Die Herausforderung bei einer Anwen dung und Auslegung der Regelungen zur internationalen Gerichtszuständigkeit der EuGVO auf private Kartellschadensersatzklagen besteht also vor allem da rin, die bisherige Systematik dieser Regelungen einerseits nicht zu durchbre chen und andererseits trotzdem Auslegungsergebnisse zu erzielen, welche den praktischen Bedürfnissen bei diesen Verfahren Rechnung tragen.14
II. Vereinbarungen über die Zuständigkeit (Art. 25 Abs. 1 EuGVO) Als möglicher Zuständigkeitsgrund für kartelldeliktische Schadensersatzkla gen kommt zunächst Art. 25 Abs. 1 EuGVO in Betracht. Danach ist ein Gericht eines Mitgliedstaats international zuständig für die Entscheidung über eine Streitigkeit, wenn die Parteien zugunsten dieses Gerichts eine Gerichtsstands vereinbarung getroffen haben. Nach der am 10. Januar 2015 in Kraft getretenen revidierten Fassung der EuGVO ist nicht mehr erforderlich, dass zumindest eine der Parteien ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Verordnung hat, wie dies noch unter der zuvor geltenden Fassung gegolten hat. Die Vorschrift des Art. 25 Abs. 1 EuGVO wird regelmäßig dann in Betracht kommen, wenn zwi schen Kläger und Beklagtem eine schriftliche Vertragsbeziehung bestand, in nerhalb derer eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen wurde. Eine typische Fallkonstellation, in der eine Gerichtsstandsvereinbarung zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit Bedeutung erlangen kann, liegt etwa dann vor, wenn der Abnehmer eines Produkts, das Gegenstand von Kartellabsprachen Costa in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 19–23. Eilmansberger, 44 CML Rev. 431, 444 (2007). 14 In diesem Sinne M. Weller, RabelsZ 77 (2013) 419, 426. 12 13
II. Vereinbarungen über die Zuständigkeit (Art. 25 Abs. 1 EuGVO)
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war, den Verkäufer dieses Produkts auf Schadensersatz in Anspruch nimmt. In seiner Klage beruft sich der Kläger dann regelmäßig darauf, dass er infolge des Kartells einen zu hohen Preis für die kartellierte Ware bezahlt hat. Haben der Lieferant und der Abnehmer im Rahmen ihres Liefervertrags eine Gerichts standsvereinbarung getroffen, dann stellt sich die Frage, ob diese auch für die Geltendmachung deliktischer Schadensersatzansprüche gilt. Eine Gerichts standsvereinbarung begründet gemäß Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuGVO im Zweifel15 eine ausschließliche Zuständigkeit des prorogierten Gerichts und geht im Falle ihres Eingreifens dem allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 EuGVO und allen anderen besonderen Gerichtsständen der EuGVO vor. Art. 25 Abs. 1 EuGVO kann damit eine entscheidende Rolle bei der Zuständigkeitsbegründung für kar telldeliktische Klagen spielen, weil sein Eingreifen im Zweifel alle anderen nicht ausschließlichen Gerichtsstände sperrt.16 Im Kartelldeliktsrecht besteht zunächst die Besonderheit, dass Verträge, wel che gegen Kartellrecht verstoßen, ipso iure nichtig sind.17 Davon wird die Wirk samkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung, die regelmäßig in diese Verträge eingebettet sind, indessen nicht berührt. Bei ihr handelt es sich um eine eigen ständige Vereinbarung, die in Bezug auf ihre Wirksamkeit unabhängig von der Wirksamkeit des Hauptvertrages ist.18 Art. 25 Abs. 5 EuGVO regelt dies mitt lerweile ausdrücklich. Insofern ergeben sich für die Beurteilung der Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung keine kartelldeliktischen Besonderheiten. Im Übrigen erfolgt die Beurteilung der Wirkungen von Gerichtsstandsver einbarungen zweigleisig:19 Das Zustandekommen einer Gerichtsstandsverein barung – also insbesondere die Anforderungen an ihre Zulässigkeit und Form – sind in den Grenzen des Art. 25 Abs. 4 EuGVO in erster Linie nach den auto nomen Maßstäben des Art. 25 EuGVO zu beurteilen.20 Das jeweils anwendbare nationale Recht kommt nur insoweit zum Tragen, als sich unmittelbar aus Art. 25 EuGVO über die jeweilige Fragestellung kein Regelungsgehalt entneh men lässt.21 Eine solche Fragestellung, die sich nicht allein unter Rückgriff auf Art. 25 EuGVO beantworten lässt, stellt auch die Auslegung und damit die Be 15
Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuGVO spricht die widerlegliche Vermutung aus, dass das proro gierte Gericht ausschließlich zuständig sein soll. 16 Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 163. 17 Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB. 18 Herranz Ballesteros, 10 J. Priv. Int. L. 291, 297–98 (2014); Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 23, Rn. 114. 19 Dazu Magnus in: FS von Hoffmann, S. 667 f. 20 Hausmann in: Unalex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 23, Rn. 50; Wagner in: Stein/ Jonas, ZPO, Band 10, Art. 23, Rn. 32. 21 Für Beispiele hierfür siehe Geimer in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrens recht, Art. 23 EuGVVO, Rn. 82.
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
stimmung der inhaltlichen Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung dar.22 Somit erfolgt die Auslegung in Bezug auf die Reichweite der jeweiligen Ge richtsstandsklausel unter Berücksichtigung der Ziele des Art. 25 EuGVO nach nationalem Recht.23 Zuständig für die Auslegung der Reichweite einer Gerichts standsvereinbarung ist das jeweils mit der Streitigkeit befasste Gericht.24 Dieses ermittelt zuvorderst den der Vereinbarung zugrunde liegenden Parteiwillen.25
1. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen im Kartelldeliktsrecht Bevor die Reichweite von Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 EuGVO untersucht wird, ist auf einer vorgelagerten Ebene zu klären, ob die Prorogation eines bestimmten Gerichts mittels Vereinbarung speziell für den Bereich des Kartelldeliktsrechts und die damit verbundene Derogation der sonst zuständi gen Gerichte überhaupt zulässig ist. Ein mit dem zum Rechtswahlverbot des Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO26 vergleichbares spezifisches Verbot der Zuständig keitsvereinbarung für das Kartelldeliktsrecht existiert jedenfalls nicht. Es wer den bisweilen aber spezifisch kartelldeliktsrechtliche Gründe geltend gemacht, weswegen eine Gerichtsstandswahl im stark öffentlich-rechtlich geprägten Kar telldeliktsrecht unzulässig sein könnte. Wäre dem so, dann käme es im Ergebnis auf die Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung nicht mehr entscheidend an. a) Nationale Derogationsverbote Teilweise wird etwa die Unzulässigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung für das Kartelldeliktsrecht mit einem aus § 130 Abs. 2 GWB folgenden Derogati onsverbot begründet. Dieses gelte nicht nur für den Bereich des autonomen Hausmann in: Unalex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 23, Rn. 52. Wurmnest in: Nietsch/Weller, Private Enforcement: Brennpunkte kartellprivatrechtli cher Schadensersatzklagen, S. 81; Vischer in: FS Jayme I, S. 994; so auch Mankowski in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 23 Brüssel I‑VO, Rn. 62, der zur Ermittlung der sachlichen Reichweite zunächst auf die zu Art. 25 EuGVO entwickel ten Maßstäbe abstellen und „[s]obald es komplexer wird“ dann auch nationales Recht (lex causae des Hauptvertrags) heranziehen will; ähnlich: Hausmann in: Unalex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 23, Rn. 55. 24 EuGH, 10.3.1992, Rs. C-214/89 (Powell Duffryn) Rn. 37; EuGH, 3.7.1997, Rs. C-269/95 (Benincasa) Rn. 31; Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 11.12.2014 zu EuGH, 21.5.2015, Rs. C‑352/13 (CDC) Rn. 95. 25 Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 3, Art. 23 EuGVO, Rn. 81. 26 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. L 199 vom 31.7.2007, S. 40. 22 23
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deutschen Zuständigkeitsrechts, sondern gerade auch in Bezug auf Art. 25 EuG VO.27 Begründet wird dies damit, dass die Prorogation eines ausländischen Ge richts im Ergebnis dazu führen könne, dass zwingendes deutsches Kartellrecht durch das prorogierte ausländische Gericht nicht angewandt wird.28 Ein anderer Begründungsansatz geht dahin, den Umfang, in dem überhaupt eine Gerichts standsvereinbarung geschlossen werden kann, als durch das nationale Recht bestimmt anzusehen.29 Dieser Rechtsauffassung, wonach § 130 Abs. 2 GWB auch im Rahmen von Art. 25 EuGVO Anwendung finden soll, ist das OLG Stuttgart indes bereits 1990 in einer Entscheidung zu Art. 17 EuGVÜ30 entge gengetreten. Dort entschied das Gericht, dass die Vereinbarung einer Gerichts standsvereinbarung grundsätzlich auch für privatkartellrechtliche Schadenser satzklagen möglich ist.31 Dieser Rechtsauffassung ist beizupflichten. Es macht letztlich keinen Unterschied, ob man den Regelungsumfang einer Norm des Unionsrechts als durch das nationale Recht bestimmt ansieht oder ob eine Norm des europäischen Rechts unmittelbar im Sinne des nationalen Rechts ausgelegt wird. Beides stellt einen Verstoß gegen das Gebot der autonomen Auslegung dar. Die Auslegung europäischer Rechtsnormen und damit auch die Bestim mung ihres Anwendungsbereichs müssen losgelöst von nationalstaatlichem Recht erfolgen. Über die durch das Unionsrecht geregelten Einschränkungen hinsichtlich der Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen (wie z. B. Art. 25 Abs. 4 EuGVO) hinaus kommen keine weiteren Beschränkungen durch das nationale Recht in Betracht. Im Ergebnis hat Art. 25 EuGVO damit Vorrang vor etwaigen nationalen Derogationsverboten, wie etwa § 130 Abs. 2 GWB.32 Auf Grundlage der heutigen Rechtslage ergibt sich dies vor allem auch aus dem mittlerweile fortgeschrittenen Harmonisierungsstand des Unionsrechts im Bereich des europäischen Kollisionsrechts. Mit dem Erlass der Rom II-VO und der darin enthaltenen Vereinheitlichung des auf kartelldeliktische Sachverhalte anwendbaren Rechts in Art. 6 Abs. 3 hat sich die Befürchtung, dass zwingendes 27 Bumiller in: Wiedemann, Kartellrecht, § 60, Rn. 48; so tendenziell auch Staudinger/ Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 376. 28 Bumiller in: Wiedemann, Kartellrecht, § 60, Rn. 48. 29 So argumentierte die Klägerin im Verahren vor dem OLG Stuttgart, siehd dazu unten Fn. 31. 30 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtli cher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 1968, ABl. C 27 vom 26.1.1998, S. 1. 31 OLG Stuttgart, Urt. v. 9.11.1990 – Az. 2 U 16/90. 32 Dicks in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 87 GWB, Rn. 28; Geimer in: Zöller, ZPO, Anh. I, Art. 23 EuGVVO, Rn. 33; Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 3, Art. 23 EuGVO, Rn. 80; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 23 EuGVO, Rn. 22; so wohl auch Wurmnest, EuZW 2012, 933, 935; Wurmnest in: FS Magnus, S. 570.
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nationales Kartellrecht umgangen werden könnte, nun aber vollends erübrigt.33 Zu der Situation, dass ein mitgliedstaatliches Gericht – und nur zugunsten eines solchen ist eine Vereinbarung im Rahmen des Art. 25 EuGVO überhaupt mög lich – das Kartellrecht eines anderen Mitgliedstaates nicht anwendet, kann mit Erlass der vereinheitlichten Kollisionsregel des Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO nicht mehr auftreten.34 Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO verpflichtet praktisch die mit gliedstaatlichen Gerichte, das Kartellrecht anderer Mitgliedstaaten anzuwen den.35 Diesbezüglich besteht bereits keine Befürchtung, dass § 130 Abs. 2 GWB umgangen werden könnte. Insoweit als der Kläger bei einem mehrere Märkte umfassenden Wettbewerbsverstoß ein einheitliches Kartelldeliktsrecht nach Art. 6 Abs. 3 lit. b) Rom II-VO wählt, gilt uneingeschränkt der Vorrang des Uni onsrechts, sodass § 130 Abs. 2 GWB als durch Art. 25 EuGVO verdrängt ange sehen werden muss. b) Unionsrechtliches Effektivitätsprinzip In seinem Vorlagebeschluss an den EuGH im CDC-Verfahren hatte das LG Dortmund die Frage aufgeworfen, ob einer Berücksichtigung von Gerichts standsvereinbarungen im Kartelldeliktsrecht das Gebot der effektiven Durch setzung des Kartellverbots des Art. 101 AEUV entgegensteht.36 Eine Gerichts standsvereinbarung sperrt37 die anderen besonderen Zuständigkeitsgründe der EuGVO, und der Kläger ist damit für die Durchsetzung seiner kartelldelikti schen Ansprüche auf das in der Gerichtsstandsvereinbarung prorogierte Ge richt beschränkt. Insbesondere bleibt es dem potentiellen Kläger damit auch verwehrt, mehrere Ansprüche an einem Gerichtsstand über Art. 8 Nr. 1 EuG VO zu bündeln,38 was die Effektivität ihrer Durchsetzung ebenfalls merklich beeinträchtigen kann. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Kläger damit in der effektiven Durchsetzung seiner kartelldeliktischen An sprüche in einer Weise beeinträchtigt wird, dass dadurch ein Verstoß gegen das Effektivitätsprinzip begründet werden könnte. In der CDC-Entscheidung ver neinte der EuGH im Ergebnis eine Beeinträchtigung des Effektivitätsprinzips
Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 23, Rn. 37. Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 23, Rn. 37; Wurmnest in: FS Magnus, S. 571; a. A. Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 376. 35 Wurmnest in: FS Magnus, S. 571. 36 Vorabentscheidungsersuchen des LG Dortmund, Beschl. v. 29.4.2013 – Az. 13 O (Kart) 23/09 = BeckRS 2013, 10006, Rn. 39. 37 Siehe dazu oben S. XVII. 38 Collins/ Lord of Mapesbury, Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Vol. 1, 11321, S. 497. 33
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durch die Berücksichtigung von Gerichtsstandsvereinbarungen im Kartellde liktsrecht.39 Die durch das LG Dortmund aufgeworfene Problematik betrifft damit im Kern das Spannungsverhältnis zwischen einer effektiven privatrechtlichen Kar tellrechtsdurchsetzung im Sinne des unionsrechtlichen Effektivitätsprinzips und dem durch die EuGVO verwirklichten System prozessualer Gerechtigkeit. Eine mögliche Unzulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen im Hinblick auf das Effektivitätsprinzip würde voraussetzen, dass letzteres in das Zustän digkeitsrecht der EuGVO hineinzuwirken vermag. Dies wiederum würde be deuten, dass das europäische Zuständigkeitsrecht durch die Regelungen zur privatrechtlichen Kartellrechtsdurchsetzung direkt oder zumindest mittelbar beeinflusst wird.40 Ob eine solche Beeinflussung des Zuständigkeitsrechts der EuGVO durch das Effektivitätsprinzip gegeben ist, muss – wie bereits dargelegt wurde41 – im Aus gangspunkt bezweifelt werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Unionsgesetz geber mit der Regulierung der privatrechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts zugleich auch die Zuständigkeitsvorschriften modifizieren wollte. Bereichsspe zifische Lösungen sind im Rahmen der EuGVO abzulehnen. Maßgeblich ist in soweit allein die bisher entwickelte Systematik zu Art. 25 EuGVO. Selbst wenn man aber den Effektivitätsgrundsatz unabhängig vom Willen des Unionsrechts gesetzgebers als ein dem europäischen Recht grundsätzlich inhärentes und all gegenwärtiges Prinzip betrachtet, so ließe sich daraus für das Kartelldelikts recht nicht generell der Schluss ziehen, dass Gerichtsstandsvereinbarungen im Kartelldeliktsrecht unzulässig sind. Dafür bedürfte es einer Beeinträchtigung des Effektivitätsgrundsatzes etwa in einer Konstellation, wie sie dem Verfahren vor dem LG Dortmund zugrunde liegt. Nach dem durch den EuGH für das Kar telldeliktsrecht entwickelten Maßstab für das Effektivitätsprinzip muss die Durchsetzung der sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Rechtspositio nen für jedermann in einer Weise möglich sein, dass diese „[…] nicht praktisch unmöglich [gemacht] oder übermäßig erschwer[t] […]“ wird.42 Diese Formulie rung greift der europäische Gesetzgeber in der Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement auf.43 Im Bereich der internationalen Gerichtszuständigkeit bedeutet dies in erster Linie, dass der Kläger „hinreichend leicht Zugang zu ei
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EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 62. M. Weller, ZVglRWiss 2013, 89, 90; M. Weller, RabelsZ 77 (2013) 419, 420–21. 41 Siehe dazu oben S. 8 ff. 42 EuGH, 20.9.2001, Rs. C-453/99 (Courage) Rn. 29; EuGH, 13.7.2006, Rs. C-295-298/04 (Manfredi) Rn. 62, 72. 43 Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement. 40 Vgl.
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
nem Gericht findet.“44 Ein solcher Zugang wird aber auch im Falle der Geltung einer Gerichtsstandsvereinbarung gewährleistet. Der Effektivitätsgrundsatz ist dahingehend zu verstehen, dass er eine Mindestgarantie für die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Rechtspositionen darstellt.45 Eben dies deutet darauf hin, dass der Zugang zu einem ganz bestimmten, gegebenenfalls für den Kläger besonders praktischen Forum gerade nicht mehr durch den Effektivitäts grundsatz abgedeckt ist. Die gegenteilige Annahme würde auch der in anderem Zusammenhang be tonten Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte und dem damit zusam menhängenden gegenseitigen Vertrauen46 unter ihnen klar widersprechen. Be schränkt wird ein Kläger allenfalls in seiner Möglichkeit, die Klagen gegen mehrere Beklagte gegebenenfalls am Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVO zu bündeln. Eine solche Bündelung verschiedener Verfahren vor einem Gericht mag für den Kläger besonders effizient sein. Eine übermäßige Erschwerung oder gar Unmöglichmachung der Durchsetzung sei ner Rechte ist darin jedoch nicht zu sehen. Hinzu kommt, dass die Beeinträchtigung des Effektivitätsgrundsatzes in ei ner Konstellation wie derjenigen, die dem LG Dortmund zur Entscheidung vor liegt, besonders nahelag, weil sich dort ein Klägervehikel die Ansprüche abtre ten ließ und diese gebündelt über Art. 8 Nr. 1 EuGVO an einem einheitlichen Gerichtsstand geltend zu machen versucht.47 Gerade in einer solchen Konstella tion erschwert es die Berücksichtigung von potentiellen Gerichtsstandsverein barungen dem Kläger, seine Prozesstaktik effektiv zu verfolgen, weil er dann nicht mehr alle Ansprüche an einem einheitlichen Gerichtsstand geltend ma chen kann. In diesem Fall erscheint es aber bereits zweifelhaft, ob sich der Zes sionar nach einer Abtretung der Ansprüche ebenfalls in vollem Umfang auf den Effektivitätsgrundsatz berufen kann, denn Adressat des Effektivitätsprinzips ist in erster Linie der primäre Anspruchsinhaber (Zedent), also der ursprünglich Geschädigte. Lässt sich ein Klägervehikel etwaige Ansprüche von Kartellge schädigten abtreten und erzielt dadurch Effizienzgewinne, so muss dieses Klä gervehikel – wie der ursprüngliche Rechteinhaber auch – die mit der Geltend machung der Ansprüche gegebenenfalls verbundenen Nachteile tragen. Jeden falls kann sich der Zessionar nicht auf den Effektivitätsgrundsatz berufen, wenn dies bereits dem ursprünglichen Anspruchsinhaber verwehrt bleibt. Durch die rechtsgeschäftliche Abtretung der Ansprüche wird seine Schutzwürdigkeit in M. Weller in: Perspektiven des Wirtschaftsrechts, S. 179. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 210. 46 Grundlegend dazu M. Weller, 11 J. Priv. Int. L. 64 (2015). 47 Vorabentscheidungsersuchen des LG Dortmund, Beschl. v. 29.4.2013 – Az. 13 O (Kart) 23/09 = BeckRS 2013, 10006, Rn. 1, 5. 44 45
II. Vereinbarungen über die Zuständigkeit (Art. 25 Abs. 1 EuGVO)
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Bezug auf das Effektivitätsprinzip in sachlicher Hinsicht nicht erhöht. Die Fra ge, ob auch der Zessionar an die Gerichtsstandsvereinbarung gebunden ist, ist vielmehr eine Frage der persönlichen Reichweite der Gerichtsstandsvereinba rung, auf die nachfolgend noch näher eingegangen wird.48 In sachlicher Hin sicht führt das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip jedenfalls nicht zur Unzu lässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 Abs. 1 EuGVO für den Bereich des Kartelldeliktsrechts.49
2. Reichweite Die Bestimmung der Reichweite und damit insbesondere die Frage, ob kartell deliktische Ansprüche unter Gerichtsstandsvereinbarungen zu fassen sind, hat also durch die jeweiligen nationalen Gerichte durch Auslegung unter Berück sichtigung der Ziele des Art. 25 EuGVO anhand des nationalen Rechts zu erfol gen.50 a) Rechtsordnung zur Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen Nicht abschließend geklärt ist aber, wie das mit der Streitigkeit befasste Gericht dieses anwendbare nationale Recht zu ermitteln hat. Dabei ist die Frage, nach welcher Rechtsordnung die Gerichtsstandsvereinbarung ausgelegt wird, von ganz erheblicher Bedeutung, da diese kollisionsrechtliche Weichenstellung dar über entscheiden kann, ob das befasste Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung für die betreffende Streitigkeit letztlich als wirksam oder aber als unwirksam ansieht.51 Zwar steht es den Parteien frei, mit der Gerichtsstandsvereinbarung zugleich eine Rechtswahl zur Auslegung der Vereinbarung zu treffen. Dies wird aber in den seltensten Fällen tatsächlich vorkommen. Die Bestimmung des ne ben Art. 25 Abs. 1 EuGVO anwendbaren nationalen Rechts wurde bislang nicht einheitlich beantwortet: Während überwiegend eine Heranziehung des auf den Hauptvertrag anwendbaren Rechts (lex causae) befürwortet wird,52 wollen an 48
Siehe dazu unten S. 27 ff. EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 62 f. 50 Siehe dazu oben S. 12. 51 Ratković/Zgrabljićrotar, 9 J. Priv. Int. L. 245, 256 (2013); Pfeiffer in: Hess/Pfeiffer/ Schlosser, The Brussels I Regulation 44/2001, Rn. 326. 52 Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 164; Magnus in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 23, Rn. 143; Mankowski in: Rauscher, Eu ropäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 23 Brüssel I‑VO, Rn. 62; Pfeiffer in: Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, S. 2058; Pfeiffer in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Art. 23 EuGVO, Rn. 9; für eine Kombination aus autonomer Auslegung und einer Auslegung nach der lex causae des Hauptvertrags: Hausmann in: Unalex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 23, Rn. 55. 49
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dere die lex fori des mit der Sache befassten Gerichts zu Anwendung bringen. Dabei kann eine Anknüpfung an die lex fori auf zweierlei Arten erfolgen: Ent weder es wird die lex fori des jeweils angerufenen Gerichts53 angewandt, oder eine Auslegung erfolgt generell anhand der lex fori des prorogierten Gerichts,54 d. h. desjenigen Gerichts, das ausweislich der Gerichtsstandsvereinbarung zu ständig sein soll. Auf den ersten Blick wird diese Streitfrage nun durch einen im Rahmen der Revision der EuGVO neu eingefügten Zusatz in Art. 25 Abs. 1 S. 1 a. E. EuGVO zugunsten der lex fori-Lösung aufgelöst. Danach ist das in der Gerichtsstands vereinbarung benannte Gericht zuständig, „[…] es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig.“ Mit dem Recht die ses Mitgliedstaats wird also auf die lex fori des prorogierten Gerichts, die sog. lex fori prorogati, verwiesen. Mit dieser Neuerung wird in Bezug auf die mate rielle Nichtigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen ein Gleichlauf mit dem Haager Gerichtsstandsübereinkommen55 geschaffen, nach dessen Art. 5 Abs. 156 die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach der lex fori des proro gierten Gerichts zu entscheiden ist. Ausweislich des Erwägungsgrundes Nr. 20 der EuGVO ist der Verweis im Rahmen von Art. 25 Abs. 1 S. 1 a. E. EuGVO – wie bei Art. 5 Abs. 1 des Haager Gerichtsstandsübereinkommens auch57 – eine Gesamtverweisung, d. h. es wird auf die lex fori prorogati „einschließlich des Kollisionsrechts“ verwiesen.58
Tsikrikas in: FS Stürner, S. 1379; Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 23, Rn. 127. 54 Mäsch, IPRax 2005, 509, 514; Vischer in: FS Jayme I, S. 994; so wohl auch Hess, Euro päisches Zivilprozessrecht, § 6, Rn. 131. 55 Convention of 30 June 2005 on Choice of Court Agreements of the Hague Conference on Private International Law (Haager Gerichtsstandsübereinkommen). Nach Art. 31 Abs. 1 tritt das Abkommen erst in Kraft, sobald es zwei Vertragsstaaten gibt. Das Abkommen wur de bislang nur von Mexiko ratifiziert. Die USA und die EU haben das Abkommen aber bereits gezeichnet und die Justizminister der EU-Mitgliedstaaten haben am 10.10.2014 den Beitritt zum Haager Gerichtsstandsübereinkommen beschlossen, IP/14/1110. Kartellprivatrechtliche Schadensersatzansprüche sind zwar vom Übereinkommen ausgeschlossen, Art. 2 Abs. 2 lit. h), sodass ein Gleichlauf in Bezug auf das Kartelldeliktsrecht wegen dieser Bereichsaus nahme ins Leere läuft. Ein Gleichlauf bleibt aber grundsätzlich erstrebenswert. 56 Art. 5 Abs. 1 des Haager Gerichtsstandsübereinkommens lautet: “The court or courts of a Contracting State designated in an exclusive choice of court agreement shall have juris diction to decide a dispute to which the agreement applies, unless the agreement is null and void under the law of that State.” [Hervorhebung durch den Verfasser]. 57 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 2011, 252, 277; M. Weller in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Band II, Einf HProrogÜbk 2005, Rn. 22. 58 A.A. Tsikrikas in: FS Stürner, S. 1387. 53
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Die neu eingefügte Kollisionsnorm in Art. 25 Abs. 1 S. 1 a. E. EuGVO löst die bisherige Streitfrage, wie das nationale Recht im Rahmen des Art. 25 Abs. 1 EuGVO zu ermitteln ist, demnach noch nicht unmittelbar. Aus Sicht des deut schen Rechts stellt sich dann nämlich die Frage nach dem maßgeblichen Kolli sionsrecht. Nicht beantworten lässt sich diese Frage jedenfalls durch eine unmit telbare Heranziehung der Rom I-VO59 zur Bestimmung des auf die Gerichts standsvereinbarung anwendbaren Rechts, weil Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO Gerichtsstandsvereinbarungen von seinem Anwendungsbereich explizit aus nimmt. Die aufgehobenen Art. 27 f. EGBGB stehen dafür nicht mehr zur Verfü gung und sollten auch nicht für diese Zwecke wiederbelebt werden.60 In Be tracht kommt zwar eine analoge Anwendung der Regelungen der Rom I-VO.61 Jedoch läuft auch dieser Verweis an vielen Stellen in Leere, weil etwa gesondert anzuknüpfende Teilfragen wie die Geschäftsfähigkeit oder die Stellvertretung vom Anwendungsbereich der Rom I‑VO ausgenommen sind.62 In Bezug auf die von dieser Verweisung umfassten Materien hat sich damit aber wohl der lex causae-Ansatz durchgesetzt. Fraglich ist aber, ob von diesem Verweis auch das für die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art. 25 Abs. 1 EuGVO maßgebliche nationale Recht umfasst wird. Diese erfasst ausweislich ihres Wortlautes zu nächst nur Fragen der materiellen Nichtigkeit. Ob davon also etwa auch die kollisionsrechtliche Bestimmung des für die Auslegung der Gerichtsstandsver einbarung maßgeblichen nationalen Rechts umfasst wird, ist „offen“.63 Erwä genswert wäre, die Frage der Auslegung nicht als von der neu eingefügten Kol lisionsregel umfasst anzusehen und eine Auslegung im Sinne einer Direktver weisung nach dem Sachrecht der lex fori prorogati vorzunehmen. Dafür sprechen die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und der Verfahrenseffizienz. Denn das prorogierte Gericht wird die Auslegung der Gerichtsstandsvereinba rung am sichersten und effektivsten nach seinem eigenen Sachrecht vornehmen können. Wird das für die Auslegungsfrage maßgebliche nationale Sachrecht durch eine analoge Anwendung der Rom I-VO bestimmt, dann geschieht dies – sofern keine Rechtswahl im Sinne des Art. 3 Rom I-VO getroffen wurde – nach Art. 4 Rom I-VO. Dies hat den Nachteil, dass dann die darin enthaltenen Ausweichklauseln, wie z. B. dessen Abs. 3, mittelbar auch auf die Bestimmung des für die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung maßgeblichen Rechts 59
Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. L 177 vom 4.7.2008, S. 6. 60 Kindler in: FS Coester-Waltjen, S. 488. 61 von Hein, RIW 2013, 97, 105. 62 Art. 1 Abs. 2 lit. a) und g) Rom I-VO. 63 M. Weller, GPR 2012, 34, 41.
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
durchschlagen.64 Ferner ist die Auslegung einer Gerichtsstandsklausel anhand ausländischen Rechts durch den Bedarf an ausländischer Expertise nicht nur zeit- und kostenintensiv,65 sie birgt auch das Risiko, dass andere, nicht proro gierte Gerichte die Gerichtsstandsklausel anders auslegen, als das prorogierte Gericht es vermutlich getan hätte.66 Für eine Heranziehung des Sachrechts der lex fori prorogati spricht aber vor allem auch die für Gerichtsstandsvereinbarungen geänderte Rechtshängigkeits regel in Art. 31 Abs. 2 EuGVO:67 Darin erhalten die prorogierten Gerichte auf der Ebene der Rechtshängigkeit den Vorrang vor anderen Gerichten. Im Gegen satz zur Rechtslage68 unter der Vorgängerversion der EuGVO, der Verordnung (EG) Nr. 44/200169, wird die lis pendens-Regelung des Art. 29 Abs. 1 EuGVO nun im Falle von Gerichtsstandsklauseln ausnahmsweise durchbrochen. Nach Art. 31 Abs. 2 EuGVO muss ein Gericht, sobald auch das prorogierte Gericht angerufen wird, sein Verfahren aussetzen, bis das prorogierte Gericht über sei ne Zuständigkeit entschieden hat. Verfahren, in denen eine Gerichtsstandsver einbarung im Raum steht, werden damit bereits auf der Ebene der Rechtshän gigkeit zum prorogierten Gericht hin kanalisiert. Vor diesem Hintergrund wäre es wünschenswert, wenn das prorogierte Gericht unter Anwendung seines eige nen Sachrechts schnell und effektiv über die Auslegung der sachlichen Reich weite der Gerichtsstandsvereinbarung entscheiden könnte. b) Sachliche Reichweite Die wohl entscheidende Frage für Art. 25 Abs. 1 EuGVO im Zusammenhang mit kartelldeliktischen Schadensersatzansprüchen ist die Frage der sachlichen Reichweite von Gerichtsstandsvereinbarungen. In der deutschen Literatur wird teilweise davon ausgegangen, dass deliktische Ansprüche, die zu dem Vertrag, in den die Gerichtsstandsvereinbarung eingebettet ist, in einer gewissen Nähe Siehe z. B. Camilleri, der sich in 7 J. Priv. Int. L. 297, 317–18 (2011) zwar für eine Be stimmung der nationalen Rechtsordnung nach der Rom I-VO ausspricht, gleichzeitig aber auch anerkennt, dass die Aufhebung des Ausschlusses von Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO zusätzliche Änderungen in Art. 4 Rom I-VO speziell für Gerichtsstandsvereinbarungen notwendig machen würde, um sicherzustellen, dass Art. 4 Abs. 2–4 Rom I-VO auf Gerichtsstandsvereinbarungen gerade keine Anwendung findet. 65 Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 6, Rn. 131, Fn. 634. 66 Zu diesem Ergebnis kommt etwa Pfeiffer in seiner Analyse der Provimi-Entscheidung in: Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, S. 2057 ff. 67 Dazu umfassend: Mankowski, RIW 2015, 17. 68 Dazu Steinle/Vasiliades, 6 J. Priv. Int. L. 565 (2010). 69 Verordnung (EG) Nr. 4 4/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L12 vom 16.1.2001, S. 1. 64
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beziehung stehen, von den Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung umfasst werden.70 Dies hat zur Folge, dass auch diese Ansprüche im Zweifel nur am prorogierten Gericht geltend gemacht werden können. Auch die deutschen Ge richte neigen dazu, deliktische Ansprüche unter eine Gerichtsstandsvereinba rung zu fassen, wenn es sich um mit vertraglichen Ansprüchen in Konkurrenz stehende Ansprüche handelt.71 Der EuGH hat im CDC-Verfahren entschieden, dass deliktische Ansprüche für gewöhnlich nicht von einer allgemein gefassten Gerichtsstandsvereinbarung umfasst werden.72 Diese Sichtweise muss hinterfragt werden. Inhaltlich ist die im deutschen Recht verbreitete Auffassung, dass deliktische Ansprüche und damit insbeson dere auch kartelldeliktische Ansprüche von einer Gerichtsstandsklausel um fasst werden, überzeugend. Dies gilt jedenfalls insoweit, als es sich bei der ent sprechenden Vereinbarung um eine sog. Globalklausel73 handelt, mit der die Parteien versuchen, möglichst alle in ihrem Rechtsverhältnis auftretenden Strei tigkeiten einzubeziehen. Gerichtsstandsvereinbarungen unterliegen als priva tautonome Vereinbarungen den allgemeinen vertraglichen Auslegungsprinzipi en.74 Damit kommt es nach den für die Auslegung maßgeblichen §§ 133, 157 BGB zuvorderst auf den Willen der Parteien an und demnach vor allem darauf, ob die Parteien potentiell auch kartelldeliktische Ansprüche unter die von ihnen getroffene Vereinbarung fassen wollten. Eine typische Formulierung für eine global gefasste Gerichtsstandsklausel in einem internationalen Vertrag etwa lautet: Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 23, Rn. 127 für deliktische Ansprüche „[…], die mit Ansprüchen wegen Vertragsverletzung konkurrieren.“; ebenfalls die An spruchskonkurrenz für maßgeblich haltend: Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 636, Rn. 1719; Mankowski in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 23 Brüssel I‑VO, Rn. 62a „[…] jedenfalls soweit zwischen vertraglichen und delik tischen Anspruchsgrundlagen ein hinreichend enger Zusammenhang besteht.“; ohne Ein schränkung im Zweifel für die Einbeziehung: Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 6, Rn. 142; Massing, Europäisches Internationales Deliktsrecht, S. 366; a. A. dagegen Vischer in: FS Jayme I, S. 994; Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 166. 71 OLG München, RIW 1989, 901, 902; ohne Einschränkung auf solche deliktischen An sprüche, die zu vertraglichen Ansprüchen in Konkurrenz stehen, noch zu Art. 17 LugÜ: OLG Stuttgart, Urt. v. 20.4.2009 – Rs. 5 U 197/08, 1. Leitsatz und Rn. 20; für die Einbeziehung von konkurrierenden deliktischen Schadensersatzansprüchen OLG Stuttgart, Urt. v. 8.11.2007 – Rs. 7 U 104/07, 1. Leitsatz und Rn. 24; explizit in Bezug auf kartelldeliktische Ansprüche: OLG Stuttgart, Urteil vom 9.11.1990 – Rs. 2 U 16/90, Leitsatz und Rn. 39. 72 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 69. 73 Der Begriff wurde in diesem Zusammenhang von Wagner übernommen, in: Stein/Jo nas, ZPO, Band 10, Art. 23, Rn. 127. 74 Wagner, Prozeßverträge, S. 291. 70
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“The place of jurisdiction for all disputes arising out of or in connection with this legal rela tionship shall be located at […].”
Das Kriterium out of or in connection with macht es erforderlich, dass eine ge wisse (enge) Verbindung des deliktischen Anspruchs zum Vertragsverhältnis insgesamt besteht. Dies wird man bei Kartelldelikten regelmäßig annehmen können, was es rechtfertigt, kartelldeliktische Ansprüche im Zweifel der Proro gation durch die Parteien zu unterwerfen. Gerade im Kartelldeliktsrecht wird es nicht selten so sein, dass mit dem Vertrag, in den die Gerichtsstandsvereinba rung eingebettet ist, das Kartelldelikt selbst unmittelbar umgesetzt wird. In die sem typischen Fall sind das Kartelldelikt und der Vertrag, auf den sich die Ge richtsstandsvereinbarung in der Regel bezieht, eng miteinander verknüpft. Zwar mag es für den Kartellverstoß an sich genügen, dass sich die Kartellanten unter einander abgesprochen haben. Der Kartellverstoß als solcher ist möglicherweise bereits vor Abschluss des Vertrages begangen, nämlich durch die kartellrechts widrige Abrede zwischen den Kartellanten. Für die Beurteilung einer privat rechtlichen Haftung ist jedoch nicht bloß auf den materiellrechtlichen Kartell verstoß abzustellen, sondern auf das gesamte Verhalten des Deliktstäters. Die ser muss zur Begründung eines kartelldeliktischen Schadensersatzanspruchs die Absprache gerade gegenüber dem potentiellen Kläger noch umsetzen, denn sonst wird keine Haftung ausgelöst. Die Eingehung bzw. Vollziehung des Ver trags fällt hier idealtypisch mit der Begehung des Delikts zusammen. Genau hierin besteht die enge Verbindung des Kartelldelikts zum Vertragsverhältnis. Eine solche Nähebeziehung der kartelldeliktischen Ansprüche zum Vertrags verhältnis der Parteien und damit zu der im Vertrag geregelten Gerichtsstands vereinbarung wird regelmäßig auch dann vorliegen, wenn der Kläger seine Kla ge allein auf deliktische Ansprüche stützt und gerade nicht gleichzeitig ver tragliche Ansprüche geltend macht. Auf die gleichzeitige Geltendmachung vertraglicher Ansprüche kann es bei der Auslegung der Gerichtsstandsverein barung nicht entscheidend ankommen.75 Im Falle von Kartelldelikten ist es fraglich, ob dem geschädigten Kläger überhaupt regelmäßig auch vertragliche Ansprüche zur Verfügung stehen werden. Eine etwaige kartellbedingte Arg listanfechtung löst allenfalls bereicherungsrechtliche Ansprüche aus, und ein Anspruch aus culpa in contrahendo gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB wird jedenfalls nicht in allen Fallkonstellationen angenommen werden können.76 Ebenfalls zu bedenken ist, dass nicht alle mitgliedstaatlichen Rechts ordnungen überhaupt das Institut der Anspruchskonkurrenz kennen. Im franzö So aber wohl Court of Appeal, 19.11.2013, Ryanair Limited v. Esso Italiana Srl [2013] EWCA Civ 1450, Rn. 42 ff. 76 Vgl. Beitrag hierzu von Dück/Schultes, NZKart 2013, 228. 75
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sischen Zivilrecht etwa gilt der Grundsatz des non cumul, der eine konkurrie rende Geltendmachung von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen grund sätzlich verbietet.77 Machte man die gleichzeitige Geltendmachung von vertraglichen Ansprüchen neben den deliktischen Ansprüchen zur Vorausset zung, so müssten jedenfalls die französischen Gerichte zwangsläufig zu einer anderen Auslegung der sachlichen Reichweite gelangen. Dies beförderte aber eine uneinheitliche Auslegung von Art. 25 Abs. 1 EuGVO durch die mitglied staatlichen Gerichte. Gegen das Erfordernis eines konkurrierenden vertraglichen Anspruchs spricht schließlich auch, dass es für die sachliche Reichweite einer Gerichts standsklausel nicht entscheidend auf das Verhalten des Klägers ankommen kann, etwa wenn er vertragliche und deliktische Ansprüche zugleich, oder aber lediglich deliktische Ansprüche geltend macht.78 Entscheidend ist der Wille der Parteien bei der Abfassung der Gerichtsstandsvereinbarung. Die Auslegung des Willens der Parteien ist indes unabhängig von den jeweiligen Anspruchskatego rien des nationalen Rechts. Die Parteien sollen an ihrem in der Vereinbarung zum Ausdruck gebrachten Willen festgehalten werden können. Dies gilt in bei de Richtungen. So muss sich der Kläger darauf verlassen können, dass ihm im Falle einer Streitigkeit das vereinbarte Forum zur Geltendmachung seiner An sprüche auch tatsächlich zur Verfügung steht. Auf der anderen Seite muss der Beklagte den Kläger seinerseits an der Vereinbarung festhalten können. Zudem darf die Gerichtsstandsklausel nicht dadurch unterlaufen werden können, indem der Kläger bei einer ihm unliebsamen Vereinbarung bewusst nur deliktische Ansprüche geltend macht und sich so der Gerichtsstandsvereinbarung zu ent ziehen versucht. Einer Auslegung der sachlichen Reichweite von Gerichts standsvereinbarungen, die sich von den Interessen der vermeintlich schwäche ren und damit mutmaßlich benachteiligten Vertragspartei leiten lässt79, ist daher nicht zu folgen. Gegen die Erstreckung der sachlichen Reichweite einer Gerichtsstandsver einbarung auf deliktische Schadensersatzansprüche wird bisweilen geltend ge macht, dass die Parteien regelmäßig zum Zeitpunkt des Abschlusses der Ge richtsstandsklausel nicht abgesehen haben werden, dass es zu Kartellverstößen kommen kann.80 Eine Gerichtsstandsvereinbarung, die sich explizit auf Kartell delikte bezieht, wird in der Praxis aber äußerst selten vorkommen.81 Ob eine Terré/Simler/Lequette, Droit civil – Les Obligations, S. 931, Rn. 875. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 272. 79 In diesem Sinne Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße im internationalen Rechtsverkehr, S. 138 f. 80 So argumentiert etwa Vischer in: FS Jayme I, S. 996. 81 Mankowski, WuW 2012, 797, 797 f. 77 78
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solche explizite Bezugnahme auf kartelldeliktische Schadensersatzansprüche verlangt werden kann, erscheint deshalb zweifelhaft. Denn genau die Unsicher heit darüber, welche Streitigkeiten aus dem jeweiligen Vertragsverhältnis ent stehen könnten, veranlasst die Parteien in der Regel zur Abfassung einer Glo balklausel, die eine Vielzahl von noch unbekannten Szenarien abdecken soll. Vor diesem Hintergrund erscheint es bei Globalklauseln nur konsequent, den Parteien – sofern keine gegenteiligen Indizien gegeben sind – den Wunsch nach einer Erfassung möglichst vieler Ansprüche mit der Gerichtsstandsvereinba rung zu unterstellen.82 Durch den Abschluss einer Globalklausel unterstellen die Parteien zukünftige Streitigkeiten einem bestimmten Gerichtsstand, obwohl sie deren konkrete Form noch nicht kennen. Diesem mutmaßlichen – weil im Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung noch nicht vollständig konkretisier ten – Willen der Parteien würde aber nicht entsprochen, wenn eine deliktische Streitigkeit, die regelmäßig eine enge Verbindung zum jeweiligen Vertragsver hältnis aufweist, nicht unter die Gerichtsstandsvereinbarung gefasst würde. Auch der Einwand, dass Kartelldelikte, insoweit als es sich bei ihnen um vorsätzliche oder betrügerische Delikte handelt, von vornherein von Gerichts standsklauseln ausgeschlossen werden sollen83, ist nicht überzeugend. Denn die enge Verbindung zum Vertrag, auf die sich die Parteien in der Regel in ihrer Klausel beziehen, wird allein durch eine vorsätzliche oder betrügerische Bege hung nicht beseitigt. Zumindest der potentielle Kläger wird ein Interesse daran haben, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung auch für solche Fälle gilt, in denen er es mit einem besonders schurkenhaften (weil vorsätzlich und betrügerisch handelnden) Vertragspartner zu tun hat. Könnte sich der potentielle Kläger in derartigen Konstellationen, in denen er sich einem besonders rigorosen Ver tragspartner gegenübersieht, nicht mehr auf die Gerichtsstandsklausel berufen, so drohte deren Zweck durch eine vorsätzliche oder gar betrügerische Bege hungsform unterlaufen zu werden. Eine gegenteilige Schlussfolgerung zur Auslegung der Reichweite von Ge richtsstandsklauseln nach deutschem Recht lässt sich schließlich auch nicht aus der Provimi-Entscheidung84 des englischen High Court entnehmen. Dort hatte das englische Gericht über eine Klage von Geschädigten des sog. „Vitamin-Kar 82 Mankowski in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 23 Brüssel I‑VO, Rn. 62. 83 Hausmann in: Unalex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 23, Rn. 143; so tendenziell auch Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 164, die Ansprüche aus vorsätzlichen oder betrügerischen Handlungen „[…] nur dann als von einer Gerichts standsvereinbarung erfasst an[sieht], wenn die Klausel entsprechende Verhaltensweisen ex plizit in Bezug nimmt“, was praktisch nie der Fall sein wird. 84 High Court (Queen’s Bench Division), 6.3.2003, Provimi Limited v. Aventis Animal Nutrition SA and Others [2003] EuLR 517.
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tells“ zu entscheiden. Zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit im Rahmen des Art. 8 Nr. 1 EuGVO musste das Gericht die vorrangige Frage klä ren, ob etwaige, in den Lieferverträgen zwischen den Kartellgeschädigten und den beklagten Kartellanten enthaltene Gerichtsstandsklauseln einer Begrün dung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 8 Nr. 1 EuGVO entgegenstün den. Dabei hatte der High Court für die Bestimmung der Reichweite einer Ge richtsstandsvereinbarung zugunsten deutscher Gerichte deutsches Recht ange wandt85 und war dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass die entsprechende Klausel deliktische Klagen unter Anwendung des deutschen Rechts nicht umfasse.86 Die Richtigkeit dieser Anwendung deutschen Rechts durch den englischen High Court in diesem Fall lässt sich zumindest aus heutiger Sicht in Zweifel ziehen.87 Im Ergebnis sollten kartelldeliktische Ansprüche bei einer Beurteilung nach deutschem Sachrecht regelmäßig als von einer globalen Gerichtsstandsklausel im Sinne des Art. 25 EuGVO erfasst angesehen werden. c) Persönliche Reichweite Neben der Frage, welche Streitigkeiten von einer Gerichtsstandsklausel im Sin ne des Art. 25 EuGVO inhaltlich umfasst werden, stellt sich diejenige, wer von einer derartigen Vereinbarung gebunden wird. In Bezug auf die persönliche Reichweite ist nach der Rechtsprechung des EuGH bei der Prüfung einer Ge richtsstandsvereinbarung zunächst die Wirksamkeit der Vereinbarung zwi schen den ursprünglichen Parteien zu prüfen.88 Davon ausgehend ist dann in einem zweiten Schritt die wirksame Geltung gegenüber dritten Parteien zu be urteilen.89
85 Warum der High Court zur Bestimmung der Reichweite deutsches Recht angewandt hat, wird unterschiedlich beantwortet, vgl. Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 164; Mäsch, IPRax 2005, 509, 514, Fn. 40. Diese Frage kann an dieser Stelle jedoch offengelassen werden. 86 High Court (Queen’s Bench Division), 6.3.2003, Provimi Limited v. Aventis Animal Nutrition SA and Others [2003] EuLR 517, Rn. 102. 87 Siehe dazu umfassend Pfeiffer in: Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, S. 2057 ff.; eben so Bulst EBOR 4 (2003) 623, 643, 650. 88 EuGH, 19.6.1984, Rs. 71/83 (Tilly Russ) Rn. 23–26; EuGH, 16.3.1999, Rs. C-159/97 (Trasporti Castelletti) Rn. 41 ff.; EuGH, 9.11.2000, Rs. C-269/95 (Coreck Maritime) Rn. 20; EuGH, 7.2.2013, Rs. C-543/10 (Refcomp SpA) Rn. 29. 89 Siehe Nachweise in Fn 88.
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aa) Wirkung inter partes Im Grundsatz wirken Gerichtsstandsvereinbarungen nur inter partes. Sie bin den also nur diejenigen Parteien, die Teil der Vereinbarung waren.90 Für den typischen Fall eines Preiskartells auf der Angebotsseite etwa heißt dies, dass ein potentieller Kartellgeschädigter zunächst auch nur denjenigen Kartellanten am prorogierten Gerichtsstand verklagen kann, mit dem er die Gerichtsstandsver einbarung im Rahmen einer vertraglichen Beziehung getroffen hat. Für die üb rigen Kartelltäter, die nicht Teil der Vereinbarung waren, besteht am prorogier ten Forum dagegen keine internationale Zuständigkeit aufgrund der Gerichts standsvereinbarung. Den Kartelltäter, der Partei der Gerichtsstandsvereinbarung ist, kann der Geschädigte andererseits aber im Falle einer ausschließlichen Ge richtsstandsklausel nur am vereinbarten Gerichtsstand verklagen. Denn die Ge richtsstandsvereinbarung sperrt andere, gegebenenfalls eröffnete Gerichtsstän de, sodass es zuständigkeitsrechtlich zu einer Aufspaltung der Klage gegen die Partei, die Teil der Vereinbarung ist, kommt und gegen die übrigen Parteien, die nicht an die Prorogation gebunden sind. Diese zuständigkeitsrechtliche Aufspal tung führt vor allem bei einer über Art. 8 Nr. 1 EuGVO angestrebten Konzent ration aller Beklagter an einem einheitlichen Gerichtsstand zu Verwerfungen.91 bb) Wirkung gegenüber Dritten Wurde zwischen den ursprünglichen Parteien wirksam eine Gerichtsstandsver einbarung im Sinne des Art. 25 EuGVO geschlossen, so stellt sich davon ausge hend die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich gegebenenfalls auch Perso nen, die am Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung selbst nicht beteiligt waren (Dritte), auf diese Vereinbarung berufen können bzw. ob diese von ihr gebunden werden (Drittwirkung). Art. 25 EuGVO schweigt dazu, wer alles „Partei“ im Sinne dieser Vorschrift sein kann. Aus dem dargestellten Grund satz, dass Gerichtsstandsklauseln als parteiautonomes Gestaltungsmittel nur zwischen den sie abschließenden Parteien gelten, lässt sich in Bezug auf Ge richtsstandsvereinbarungen zunächst nur ableiten, dass Dritte prinzipiell nicht durch sie gebunden werden.92 Es ist aber anerkannt, dass es von diesem Grund satz Ausnahmen geben kann. Dies zeigt schon die Existenz des Art. 25 Abs. 3 EuGVO, wonach bei einem trust eine Gerichtsstandsvereinbarung auch gegen 90 Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 6, Rn. 143; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 23 EuGVO, Rn. 63; Magnus in: Magnus/Mankowski, Brussels I Re gulation, Art. 23, Rn. 160. 91 Siehe dazu oben S. 14. 92 Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 23 EuGVO, Rn. 63.
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über Dritten Wirkung entfalten kann.93 Unter welchen Voraussetzungen aber eine Gerichtsstandsvereinbarung Drittwirkungen entfaltet, ist bislang noch nicht abschließend geklärt.94 (1) Methodischer Ansatz zur Bestimmung der Wirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen gegenüber Dritten Bevor die persönliche Reichweite und damit auch die potentielle Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen in den hier relevanten Konstellationen kar telldeliktischer Schadensersatzansprüche beurteilt werden kann, muss zunächst geklärt werden, anhand welches Maßstabs die Drittwirkung zu beurteilen ist. Insbesondere die bisherige Rechtsprechung des EuGH ist diesbezüglich unein heitlich und lässt einige Fragen offen. In der Rechtssache CDC zieht der EuGH einerseits das jeweils anwendbare nationale Recht heran, um die Frage nach der Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen zu beantworten, andererseits ermittelt er diese aber auch anhand einer autonom-europäischen Auslegung am Maßstab des Art. 25 EuGVO.95 Der in der Vergangenheit bislang verfolgte me thodische Ansatz war nicht einheitlich. Diese verschiedenen Rechtsprechungs linien sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen soll ein methodischer Ansatz zur Bestimmung der Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen entwickelt werden, anhand dessen die hier interessierenden Fallkonstellationen in Bezug auf kartelldeliktische Klagen un tersucht werden können. Die wichtigste Fallkonstellation, zu der sich der EuGH in mehreren Entschei dungen96 geäußert hat, ist die einer in einem Konnossement enthaltenen Ge richtsstandsklausel. Die Rechtsprechung des EuGH hierzu lässt sich auf folgen de Kernaussage reduzieren: Eine in einem Konnossement enthaltene Gerichts standsvereinbarung, die zwischen dem Befrachter und dem Verfrachter wirksam abgeschlossen wurde, entfaltet gegenüber dem Drittinhaber des Konnossements (im Verhältnis zum Verfrachter) ihre Wirkungen, wenn der Drittinhaber nach dem anwendbaren nationalen Recht in die Rechte und Pflichten des Befrachters eingetreten ist.97 Ist diese Voraussetzung erfüllt, dann bedarf es der Zustim Hausmann in: Unalex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 23, Rn. 59. dazu: Jungermann, Die Drittwirkung internationaler Gerichtsstandsvereinba rungen nach EuGVÜ/EuGVO und LugÜ; Mohs, Drittwirkung von Schieds- und Gerichts standsvereinbarungen. 95 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 6 4 f. 96 EuGH, 19.6.1984, Rs. 71/83 (Tilly Russ); EuGH, 16.3.1999, Rs. C-159/97 (Trasporti Castelletti); EuGH, 9.11.2000, Rs. C-269/95 (Coreck Maritime). 97 EuGH, 19.6.1984, Rs. 71/83 (Tilly Russ) Rn. 24; EuGH, 16.3.1999, Rs. C-159/97 (Trasporti Castelletti) Rn. 41; EuGH, 9.11.2000, Rs. C-269/95 (Coreck Maritime) Rn. 23. 93
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mung des Drittinhabers zu der Gerichtsstandsvereinbarung nicht, damit diese ihm gegenüber Wirkungen entfaltet.98 Ist der Drittinhaber dagegen nicht in die Rechte und Pflichten des Befrachters eingetreten, dann muss das angerufene Gericht nach autonom-europäischen Maßstäben prüfen, ob der Drittinhaber der Geltung der Gerichtsstandsvereinbarung zugestimmt hat.99 Bei der Beurteilung der Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen in Konnossementen hebt der EuGH demnach in erster Linie auf die Wirksamkeit der Rechtsnachfolge nach nationalem Recht ab. Das autonom-europäische Kriterium einer Zustim mung des Dritten zur Geltung der Vereinbarung ihm gegenüber hält der Ge richtshof dagegen erst in zweiter Linie für maßgeblich. Einen anderen methodischen Ansatz verfolgte der EuGH dagegen in der Rechtssache Powell Duffryn.100 Hier hatte der EuGH über die Drittwirkung ei ner in der Satzung einer Aktiengesellschaft enthaltenen Gerichtsstandsverein barung zu entscheiden. Gegenstand der Entscheidung war die Frage, ob eine solche Gerichtsstandsvereinbarung auch gegenüber dem Neuaktionär Wirkung entfalten kann, selbst wenn dieser der Gerichtsstandsvereinbarung nicht explizit zugestimmt hatte. In methodischer Hinsicht lehnte es der EuGH ausdrücklich ab, den Begriff der „Gerichtsstandsvereinbarung“ als eine bloße Verweisung auf das nationale Recht eines beteiligten Staates anzusehen101, sondern urteilte, dass es sich dabei um einen autonomen Begriff handle.102 Auf der Grundlage dieser autonom-europäischen Betrachtung kam der EuGH schließlich zu dem Ergebnis, dass die in der Satzung einer Aktiengesellschaft enthaltene Gerichts standsvereinbarung die Anforderungen an eine Vereinbarung im Sinne des heu tigen Art. 25 EuGVO erfüllt. Mit der Entscheidung Aktionär zu werden, erklär ten sich Neuaktionäre damit einverstanden, dass die in der Satzung enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung auch ihnen gegenüber Wirkung entfalte.103 Außer Betracht bleibt an dieser Stelle die Rechtsprechung des EuGH zum Versicherungsvertrag.104 Diese betrifft zwar ebenfalls die Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen, dies jedoch ausschließlich in begünstigendem Sinn. Für eine solche ausschließlich begünstigende Wirkung von Gerichts standsvereinbarungen können nicht dieselben Maßstäbe gelten wie für eine Ver einbarung, die auch derogierende Wirkung hat. Im Zusammenhang mit kartell deliktischen Schadensersatzansprüchen kommt es vor allem darauf an, ob der EuGH, 9.11.2000, Rs. C-269/95 (Coreck Maritime) Rn. 25. EuGH, 9.11.2000, Rs. C-269/95 (Coreck Maritime) Rn. 26. 100 EuGH, 10.3.1992, Rs. C-214/89 (Powell Duffryn). 101 EuGH, 10.3.1992, Rs. C-214/89 (Powell Duffryn) Rn. 13. 102 EuGH, 10.3.1992, Rs. C-214/89 (Powell Duffryn) Rn. 14. 103 EuGH, 10.3.1992, Rs. C-214/89 (Powell Duffryn) Rn. 17–19. 104 EuGH, 14.7.1983, Rs. 201/82 (Gerling). 98
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Dritte von einer etwaigen Gerichtsstandsvereinbarung gebunden wird oder nicht. Aufschlussreich ist dagegen die Entscheidung des EuGH zur Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen, die in der Rechtssache Refcomp105 zu Ver tragsketten erging. Hintergrund dieser Entscheidung war das französische Rechtsinstitut der sog. action directe. Das französische Recht stellt dem späte ren Erwerber einer Kaufsache auch dann einen auf Mängelgewährleistung ab zielenden Direktanspruch (action directe) zur Seite, wenn dieser die Sache von einem Zwischenhändler erworben hat und nicht etwa direkt vom Hersteller. Der EuGH hatte in Refcomp darüber zu entscheiden, ob der spätere Erwerber sich dann auch auf eine auf ihn mittels der action directe übergehende Gerichts standsvereinbarung zwischen dem Hersteller und dem Zwischenhändler beru fen kann. Diese Frage beantwortete der EuGH erneut anhand einer autonom-eu ropäischen Betrachtung dahingehend, dass in einem solchen Fall keine Verein barung im Sinne einer Willensübereinstimmung zwischen dem Hersteller und dem späteren Erwerber vorlag. Dementsprechend entfalte in deren Verhältnis die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen Hersteller und Zwischenhändler kei ne Wirkung. Dieses Ergebnis verwundert zwar auf der einen Seite kaum, da der EuGH bereits in der Rechtssache Handte106 die sog. action directe nicht als vertragli chen, sondern als deliktischen Anspruch qualifiziert hatte. Bei diesem Vorver ständnis war es naheliegend eine entsprechende Vereinbarung für den Fall der action directe in Bezug auf die Gerichtsstandsvereinbarung abzulehnen, weil es ja – wie sich aus der Rechtssache Handte ergibt – bereits an einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung fehlt.107 Methodisch interessant für die vorliegen de Untersuchung ist aber vor allem, wie der EuGH zu diesem Ergebnis gelangt ist. Denn er nahm dafür erneut eine Bewertung anhand autonom-europäischer Kriterien vor und stellte gerade nicht auf das anwendbare nationale Recht ab.108 Insgesamt stellt sich die Rechtsprechung des EuGH zur Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen damit auf den ersten Blick uneinheitlich dar. Während es in früheren Entscheidungen des EuGH zum Konnossement vorran gig auf das jeweilige nationale Recht zur Bestimmung der Drittwirkungen an 105
EuGH, 7.2.2013, Rs. C-543/10 (Refcomp). EuGH, 17.6.1992, Rs. C-26/91 (Handte). 107 M. Weller, IPRax 2013, 501, 503; Pfeiffer, LMK 2013, 345995. 108 Moebus, EuZW 2013, 316, 320: „Der EuGH entschied sich aber für eine autonome Auslegung ohne Verweis auf das anwendbare Recht.“; Pfeiffer, LMK 2013, 345995: „Der EuGH nimmt daher auf der Grundlage europäisch-autonomer Wertungen im Ergebnis zu Recht an, dass es an der erforderlichen „Vereinbarung“ zwischen Hersteller und Dritten in nerhalb der Lieferkette fehle.“; Herranz Ballesteros, 10 J. Priv. Int. L. 291, 304 (2014). 106
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zukommen scheint, ist der EuGH in jüngeren Entscheidungen vermehrt dazu übergegangen, die Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen anhand ei nes autonom-europäischen Maßstabs zu bestimmen. In der CDC-Entscheidung verfolgte der EuGH nun einen Mittelweg und verlangte grundsätzlich die Zu stimmung des Dritten zur Geltung der Vereinbarung und ließ andererseits aber das Eintreten in die Rechtsposition nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht genügen, sodass es in dieser Konstellation eine Zustimmung zur Geltung nicht mehr bedürfe.109 Diese verschiedenen Herangehensweisen werfen die Fra ge nach dem richtigen methodischen Ansatz zur Bestimmung der Drittwirkung bei Gerichtsstandsvereinbarungen auf. In der Literatur wird aus der Rechtsprechung des EuGH zum Konnossement bisweilen der Schluss gezogen, dass die dort getroffenen Aussagen des EuGH verallgemeinerungsfähig sind. Eine Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinba rungen ist danach immer dann anzunehmen, wenn es nach dem jeweils anwend baren nationalen Recht zur Rechtsnachfolge kommt, und zwar ohne dass der Dritte der Geltung der Gerichtsstandsvereinbarung zugestimmt haben muss.110 Die Frage der Drittwirkung wird danach in erster Linie anhand des jeweiligen nationalen Rechts bestimmt. Diese Schlussfolgerungen gilt es zu hinterfragen. In methodischer Sicht ist zu klären, ob mit der Rechtsprechung des EuGH zum Konnossement ein breiter, die Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen ausweitender Anwendungsbereich für den Bereich „Rechtsnachfolge“ geschaf fen werden sollte, wie es in der Literatur überwiegend gesehen wird, oder ob nicht vielmehr diese Rechtsprechung tendenziell eine eng zu fassende Ausnah me für einen speziellen Regelungsfall darstellt. Die Schlussfolgerung, die Rechtsnachfolge anhand des jeweils anwendbaren nationalen Rechts führe zur Drittwirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung für bzw. gegen den Rechtsnachfolger, wird soweit ersichtlich ausschließlich auf die Rechtsprechung des EuGH zu Konnossementen gestützt. In der Entscheidung zur Rechtssache Refcomp machte der EuGH diesbezüglich aber deutlich, dass „[d]ie Reichweite dieser Rechtsprechung […] jedoch unter Berücksichtigung des ganz besonderen Charakters des Konnossements zu beurteilen […]“ sei.111 Auch der Generalanwalt betonte in seinen Schlussanträgen zu dieser Rechtssache die Besonderheiten des durch ein „[…] Konnossement begründetes Dreiecksver
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hältnisses mit seiner sehr eigenen Rechtsnatur.“112 Insofern verwundert es nicht, dass der EuGH dann auch auf diese Rechtsprechungslinie nicht zurückgegriffen hat, sondern die Drittwirkung anhand eines autonom-europäischen Maßstabes beurteilt hat. Der EuGH begründete diese Abkehr von der Beurteilung anhand des an wendbaren nationalen Rechts hin zu einer Beurteilung anhand autonom-euro päischer Maßstäben damit, dass die nationalen Rechtsordnungen im Hinblick auf die Drittwirkung von Konnossementen einheitlich seien, während es in den nationalen Rechtsordnungen in Bezug auf die action directe Unterschiede gebe. Es ist aber denkbar, dass auch die Rechtsnachfolge beim Konnossement nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht unterschiedlich beurteilt wird.113 Daher überzeugt die Argumentation des EuGH an dieser Stelle nicht. Im Ergeb nis distanzierte sich der EuGH jedenfalls klar von einer im Raum stehenden Verallgemeinerung der Rechtsprechung zu Konnossementen, indem er die auto nome Auslegung mit dem daraus folgenden Erfordernis der Vereinbarung bzw. Willensübereinstimmung zur „allgemeine[n] Regel“ erhob.114 Im Lichte dieser jüngeren Rechtsprechung erscheint es daher fraglich, ob die zu den Konnossementen ergangenen Entscheidungen die Grundlage für eine so breite Verallgemeinerung bilden können, wie dies in der Literatur vorgeschla gen wird. Überzeugender erscheint es, auch im Verhältnis zu Dritten zu verlan gen, dass eine Vereinbarung im Sinne einer tatsächlichen Willensübereinstim mung stattgefunden haben muss.115 Es ist nicht einsichtig, warum im Verhältnis zu einem Dritten – der meist auf den Inhalt der Klausel selbst gar keinen Ein fluss mehr nehmen kann – geringere Voraussetzungen hinsichtlich der Wirk samkeit gelten sollen, als dies bei den ursprünglich die Vereinbarung treffenden Parteien der Fall ist. Das zentrale Anliegen von Art. 25 EuGVO ist es, die Vor schriften zur Geltung von Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Rechtsverkehr zu vereinheitlichen und damit Vorhersehbarkeit und Rechtssi cherheit für die Parteien zu schaffen. Dieses Ziel lässt sich nur erreichen, wenn die Frage der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung einheitlich und somit autonom-europäisch ausgelegt wird.116
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Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 18.10.2012 zu EuGH, 7.2.2013, Rs. C-543/10 (Refcomp SpA) Rn. 53. 113 Moebus, EuZW 2013, 316, 320. 114 EuGH, 7.2.2013, Rs. C-543/10 (Refcomp SpA) Rn. 40. 115 So ausdrücklich in EuGH, 7.2.2013, Rs. C-543/10 (Refcomp SpA) Rn. 29: „Grundsätz lich muss ein Dritter, damit ihm eine Klausel entgegengehalten werden kann, eine entspre chende Zustimmung erteilt haben.“ 116 Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 23, Rn. 45.
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
Damit ist für die Wirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber Drit ten regelmäßig die Zustimmung dieses Dritten als ein dem autonomen Recht zu entnehmendes Mindesterfordernis zu verlangen.117 Art. 25 EuGVO trifft selbst keine Regelung dazu, wann von einer Vereinbarung im Sinne der Vorschrift ausgegangen werden kann. Ein Rückgriff auf Konzepte des nationalen Rechts verbietet sich aber aufgrund des Erfordernisses einer autonomen Auslegung. Zur Bestimmung, ob die Parteien eine Vereinbarung im Sinne des Art. 25 EuG VO getroffen haben, kann jedoch auf die im Rahmen der Wendung „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ in Art. 7 Nr. 1 EuGVO entwickelten Grund sätze zurückgegriffen werden.118 Dort ist das zentrale Kriterium die „freiwillig eingegangene Verpflichtung“.119 Dieses wird als freiwillige Selbstbindung des Verpflichteten gedeutet120, wobei eine synallagmatische Verknüpfung zweier Verpflichtungen nicht erforderlich ist.121 Die persönliche Drittwirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung setzt sich folglich aus zwei Komponenten zusam men. Zunächst muss das autonom zu bestimmende Kriterium der Zustimmung im Sinne des Art. 25 EuGVO vorliegen. Dieses wird anhand der für Art. 7 Nr. 1 EuGVO entwickelten Maßstäbe bestimmt. Daneben kommt es darauf an, ob mit der abgetretenen Forderung auch die Gerichtsstandsvereinbarung auf den Ze denten übergegangen ist. Dies wird anhand des jeweils anwendbaren nationalen Rechts beurteilt. Die Konnossemente-Rechtsprechung des EuGH ist daher tendenziell ein Sonderfall, der sich in die aktuelle Rechtsprechungslinie nicht recht einfügen will. Aus heutiger Sicht wäre es konsequenter, den entscheidenden Grund für die Drittwirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung bei einem Konnossement in der Zustimmung des Drittinhabers zur Gerichtsstandsvereinbarung zu sehen.122 So entschied auch der BGH bei einer in einem Konnossement enthaltenen Ge richtsstandsvereinbarung im Rahmen des Art. 25 EuGVO.123 Diese Zustim mung zur Drittwirkung der Gerichtsstandsvereinbarung liegt im Falle des Kon nossements in der Annahme des Konnossements, in dem die Gerichtsstandsver Pfeiffer, LMK 2013, 345995. Mankowski in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 23 Brüssel I‑VO, Rn. 39; Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 23, Rn. 42; in diese Rich tung wohl auch Leiphold in: Gottwald/Greger/Prütting, Dogmatische Grundfragen des Zivil prozesses im geeinten Europa, S. 59. 119 Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 5, Rn. 18 ff. 120 Mankowski in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 23 Brüssel I‑VO, Rn. 39a. 121 Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 5, Rn. 20. 122 Moebus, EuZW 2013, 316, 320. 123 BGH Urt. v. 15.2.2007 – Az. I ZR 40/04, Rn. 29 = NJW 2007, 2036, 2038. 117
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II. Vereinbarungen über die Zuständigkeit (Art. 25 Abs. 1 EuGVO)
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einbarung vermerkt ist.124 Gerade im internationalen Handelsverkehr wendet der EuGH auch bislang bereits großzügigere Maßstäbe an das Vorliegen einer tatsächlichen Willenseinigung an, wenn die entsprechende Praxis handelsüblich ist.125 Dies ergibt sich mittelbar auch aus der Lockerung des Schriftformerfor dernisses für den Bereich des internationalen Handels in Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c) EuGVO, denn Formerfordernisse und die Anforderungen an das Vorliegen einer tatsächlichen Willensübereinstimmung gehen im Rahmen des Art. 25 EuGVO Hand in Hand.126 Die Übernahme eines Konnossements stellt einen derartigen Handelsbrauch dar, sodass ebenso eine konkludente Zustimmung des Dritten angenommen werden könnte. Konstruktiv wäre diese Lesart der Konnossemente-Rechtsprechung eher vergleichbar mit der Entscheidung Powell Duffryn, bei der der EuGH ebenfalls von der konkludenten Zustimmung des Dritten zur Geltung der Gerichtsstandsvereinbarung ausgegangen war. (2) Drittwirkung bei der Abtretung von Forderungen Bei kartelldeliktischen Schadensersatzklagen wird die Drittwirkung von Ge richtsstandsvereinbarungen vor allem dann relevant, wenn die potentiellen Schadensersatzansprüche vor ihrer gerichtlichen Geltendmachung abgetreten wurden. Dazu kommt es etwa, wenn der Kartellgeschädigte seine Ansprüche an einen Forderungskäufer veräußert, der diese Forderungen dann gegenüber dem oder den Kartelltätern gerichtlich einklagt. Ein Beispiel dafür ist die CDC-Ent scheidung des EuGH.127 Ob derartige Strategien der Prozessfinanzierung zuläs sig sind, ist zumindest nach deutschem Recht noch nicht abschließend geklärt.128 Es ist anzunehmen, dass es gerade im Bereich von kartelldeliktischen Scha densersatzklagen auch in Zukunft zu einer Abtretung von Forderungen zum Zweck der gerichtlichen Geltendmachung kommen wird, weil die gerichtliche Durchsetzung derartiger Ansprüche komplex und für den potentiellen Kläger mit großem Aufwand verbunden ist. Die auf diese Materie spezialisierten Pro zessfinanzierer können diese Prozesse oft einfacher führen und sind in der Lage, Moebus, EuZW 2013, 316, 320. EuGH, 20.2.1997, Rs. C-106/95 (MSG) Rn. 23 f. 126 Geimer in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 23 EuGVVO, Rn. 102; Tsikrikas in: FS Stürner, S. 1378; Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 23, Rn. 43. 127 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC). 128 Das Landgericht Düsseldorf entschied mit Urteil vom 17.12.2013 – Az. 37 O 200/09 (Kart) U = WuW 2014, 183, dass die Abtretung von Schadensersatzforderungen der Kartell geschädigten an den Prozessfinanzierer Cartel Damages Claims in der der Streitigkeit zu grunde liegenden Fallkonstellation wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz nich tig und im Übrigen auch im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sei. 124 125
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
durch die Geltendmachung von Forderungen mehrerer Geschädigter Effizienz vorteile zu erzielen.129 Ein entscheidender Bestandteil ihres Geschäftsmodells besteht darin, möglichst viele der gekauften Schadensersatzansprüche zum Zweck der Kosten- und Effizienzmaximierung gebündelt an einem Gerichts stand einzuklagen.130 Um dieses Ziel zu erreichen, wird häufig der Gerichts stand des Art. 8 Nr. 1 EuGVO in Anspruch genommen, um alle Klagen an ei nem Gerichtsstand zu bündeln. Bei Forderungen, für die der Zedent eine Ge richtsstandsvereinbarung getroffen hatte, geht dies aufgrund der Sperrwirkung der Prorogationsabrede freilich nur, wenn der Zessionar nach Erwerb der ent sprechenden Forderung an diese Gerichtsstandsvereinbarung nicht gebunden ist. Ansonsten würden diese Forderungen für eine Bündelung über Art. 8 Nr. 1 EuGVO nicht zur Verfügung stehen und es müsste vor dem prorogierten Gericht geklagt werden. Für den Prozessfinanzierer ist die Frage der Drittwirkung also von entscheidender Bedeutung. Nach dem hier vertretenen methodischen Ansatz kommt es für eine etwaige Drittwirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung in Bezug auf einen abgetrete nen Anspruch darauf an, ob der Zessionar mit der Geltung der Gerichtsstands vereinbarung ihm gegenüber nach autonom-europäischer Betrachtungsweise einverstanden war, ob also im Verhältnis zu ihm eine Vereinbarung bzw. Wil lensübereinstimmung im Sinne des Art. 25 EuGVO vorliegt.131 Allein die Wirk samkeit der Rechtsnachfolge nach dem gemäß Art. 14 Rom I-VO anzuwenden den nationalen materiellen Recht genügt hierfür nicht. Eine Zustimmung zur Geltung der Gerichtsstandsvereinbarung kommt demnach im Falle der Forde rungszession vor allem in Form einer konkludenten Zustimmung des Zessionars in Betracht. Das Erfordernis des EuGH, dass es im Rahmen des Art. 25 EuGVO zu einer tatsächlichen Willenseinigung gekommen sein muss, heißt nicht, dass eine solche Vereinbarung im Sinne des Art. 25 EuGVO nicht konkludent erfol gen kann.132 Eine konkludente Zustimmung des Zessionars zur Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung ihm selbst gegenüber scheidet also nicht bereits deshalb aus, weil er diese nicht ausdrücklich bei der Abtretung artikuliert hat. Im Hinblick auf das vertragsautonome Kriterium der Zustimmung im Sinne des Art. 25 EuGVO ist bei der Forderungszession – ähnlich wie bei dem einer Eckel, WuW 2015, 4, 4. Makatsch/Abele, WuW 2014, 164, 166. 131 Anderer Ansicht, wenn auch mit gleichem Ergebnis, dagegen Jungermann, Die Dritt wirkung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen nach EuGVÜ/EuGVO und LugÜ, S. 194 f., demzufolge es entscheidend auf die Gebotenheit der Wirkung gegenüber dem Drit ten und gerade nicht auf die Zustimmung des Dritten ankommen soll. 132 Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 3, Art. 23 EuGVO, Rn. 22; Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 23, Rn. 44. 129 130
II. Vereinbarungen über die Zuständigkeit (Art. 25 Abs. 1 EuGVO)
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Gesellschaft beitretenden Aktionär – davon auszugehen, dass der Zessionar mit der zu erwerbenden Forderung auch etwaige Belastungen erwirbt, selbst wenn ihm dies im Einzelfall unrecht ist. Es kommt in erster Linie darauf an, ob er sich freiwillig bindet. Eben davon ist aber bei einer Einigung über den Forderungs übergang auszugehen. Denn der Zessionar kann die Forderung nur so erwerben, wie sie beim Zedenten bestand. Auf deren Erwerb hat er sich im Rahmen seiner Vereinbarung mit dem Zessionar geeinigt. Ob mit der Forderung auch die Ver pflichtung der durch den Zedenten getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung übergeht, ist dagegen anhand des jeweils anwendbaren nationalen Rechts zu beantworten. Ist deutsches Recht anwendbar, so geht die Gerichtsstandsverein barung in der Regel gemäß § 401 BGB auf den Zessionar über.133 (3) Drittwirkung bei Kaufvertragskette Einen von der Rechtsnachfolge zu unterscheidenden Legitimationsgrund für eine Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen bilden die sog. Vertrags ketten. In dieser Konstellation kauft ein Zwischenhändler eine Sache vom Her steller und schließt mit diesem eine Gerichtsstandsvereinbarung. Der Zwischen händler verkauft die Sache an einen späteren Erwerber. Fraglich ist in dieser Konstellation, ob die zwischen dem Hersteller und dem Zwischenhändler ge troffene Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber dem späteren Erwerber gilt. Nach dem französischen Rechtsinstitut der sog. action directe war die Geltung einer Gerichtsstandsvereinbarung auch dann anzunehmen, wenn keine aus drückliche Zustimmung oder Rechtsnachfolge vorlag.134 Der EuGH hat nun aber klargestellt, dass die Vertragskette im Zuständigkeitsrecht keine außerhalb der Grundsätze zur Geltung von Gerichtsstandsvereinbarungen gegenüber Drit ten stehende Konstellation darstellt. Darüber hinaus gibt es bei Vertragsketten keine Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarung, wenn der Dritte der Gel tung der Gerichtsstandsvereinbarung nicht ausdrücklich zugestimmt hat.135 Diese Rechtsprechung zur Drittwirkung von Gerichtsstandsklauseln bei Ver tragsketten ist auch für kartelldeliktische Schadensersatzklagen von großer Be deutung. Im typischen Fall eines Preiskartells auf der Angebotsseite etwa liegt in aller Regel ebenfalls eine Vertragskette mit mehreren Zwischenhändlern vor. Mit der Entscheidung des EuGH in Refcomp ist nun geklärt, dass die weiter hinten in der Kette stehenden Abnehmer des kartellierten Produkts jedenfalls nicht schon deshalb von den Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung zwi Rohe in: Beck’scher Online-Kommentar, BGB, § 398, Rn. 60. Gebauer, IPRax 2001, 471, 472. 135 EuGH, 7.2.2013, Rs. C-543/10 (Refcomp SpA); zur darauffolgenden französischen Rechtsprechung siehe Adam-Caumeil, RIW 2014, 1. 133
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
schen Hersteller und erstem Zwischenhändler betroffen sind, weil eine Ver tragskette vorliegt. Im Ergebnis bleibt es daher bei den dargestellten Grundsät zen zur Wirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen gegenüber Dritten im Kar telldeliktsrecht. (4) Drittwirkung bei Gesamtrechtsnachfolge Eine für kartelldeliktische Schadensersatzansprüche ebenfalls relevante Kons tellation ist diejenige der Gesamtrechtsnachfolge. So ist es etwa denkbar, dass das durch ein Kartell geschädigte Unternehmen im Zeitraum zwischen Schädi gung und gerichtlicher Geltendmachung einen neuen Rechtsträger bekommt, veräußert oder umgewandelt wird und so auf einen Gesamtrechtsnachfolger übergeht. In dieser Konstellation ist es für den Rechtsnachfolger bedeutsam, ob auch er an eine etwaige Gerichtsstandsvereinbarung seines Rechtsvorgängers mit dem potentiellen Beklagten gebunden ist bzw. davon begünstigt wird. Die Beurteilung der Drittwirkung in dieser Konstellation muss erneut vom Vorlie gen einer autonom-europäisch zu beurteilenden Vereinbarung bzw. Zustim mung durch den Rechtsnachfolger zur Geltung der Gerichtsstandsvereinbarung ausgehen. Auch hier wird oftmals keine ausdrückliche Zustimmung vorliegen, sodass allenfalls eine konkludente Zustimmung in Betracht kommt. Im Unter schied zur Forderungszession bezieht sich die Zustimmung des Rechtsnachfol gers aber auf die Geltung aller Rechte und Pflichten des Rechtsvorgängers. Es findet gerade keine selektive, am Willen des Übernehmenden ausgerichtete Drittwirkung statt. Hinzu kommt, dass der Fall der Gesamtrechtsnachfolge nä her an dem Substitutionsverhältnis liegt, mit dem der EuGH die Drittwirkung im Hinblick auf die in Konnossementen enthaltenen Gerichtsstandsvereinba rungen begründet. Die Gesamtrechtsnachfolge beinhaltet gerade die durch den EuGH diesbezüglich geforderte „Übertragung eines einzigen Vertrags mit sämtlichen darin vorgesehenen Rechten und Pflichten“136. Dies spricht auch im Fall einer Gesamtrechtsnachfolge für eine Drittwirkung von Gerichtsstandsver einbarungen.
3. Zwischenergebnis Art. 25 Abs. 1 EuGVO kommt als möglicher Zuständigkeitsgrund für kartellde liktische Schadensersatzforderungen in Betracht. Die Erstreckung von Ge richtsstandsvereinbarungen auf das Kartelldeliktsrecht wird weder durch § 130 Abs. 2 GWB, noch durch das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip ausgeschlos sen. Die Frage, nach welcher nationalen Rechtsordnung die sachliche Reichwei 136
EuGH, 7.2.2013, Rs. C-543/10 (Refcomp SpA) Rn. 37.
III. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. 1 EuGVO)
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te von Gerichtsstandsvereinbarungen im Sinne des Art. 25 Abs. 1 EuGVO be stimmt wird, ist nicht abschließend geklärt. Vorzugswürdig ist eine Heranzie hung der lex fori prorogati, also des nationalen Rechts des prorogierten Gerichts. Legt man deutsches Sachrecht zu Grunde, dann können kartelldeliktische An sprüche von sog. Globalklauseln sachlich umfasst werden. Grundsätzlich gilt eine Gerichtsstandsvereinbarung nur zwischen den Parteien, die sie vereinbart haben. Darüber hinaus kann eine Gerichtsstandsvereinbarung aber auch gegen über Dritten Geltung entfalten, sofern das autonom-europäische Kriterium der Zustimmung beim Dritten gegeben ist. Insbesondere in dem Fall, in dem Kar tellgeschädigte ihre Ansprüche an einen Prozessfinanzierer abtreten, können Gerichtsstandsvereinbarungen auch diesem gegenüber Wirkung entfalten und dadurch die Geltendmachung dieser Ansprüche am Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 EuGVO verhindern.
III. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. 1 EuGVO) Ein Zuständigkeitsgrund, der speziell für kartelldeliktische Schadensersatzkla gen von erheblicher praktischer Bedeutung ist,137 ist die Vorschrift des Art. 8 Nr. 1 EuGVO. Dieser eröffnet die Möglichkeit, mehrere Beklagte an einem ein heitlichen Gerichtsstand zu verklagen. Der Kläger kann danach am Wohnsitz gerichtsstand eines der Beklagten, des sog. Ankerbeklagten, auch die anderen Beklagten gerichtspflichtig machen. An diesem Gerichtsstand besteht eine in ternationale Zuständigkeit auch hinsichtlich der übrigen Beklagten. Der Wohn sitz des Ankerbeklagten, an dem der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft begründet wird, muss in Übereinstimmung mit Art. 4 EuGVO in einem Mit gliedstaat der Verordnung belegen sein. Auch die Annexbeklagten müssen ih ren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union haben.138 Gegenüber Drittstaatenangehörigen ist Art. 8 Nr. 1 EuGVO daher nicht an wendbar.139 137 Coester-Waltjen in: FS Kropholler, S. 748; Danov, Jurisdiction and Judgments in Rela tion to EU Competition Law Claims, S. 53; Hess in: Remien, Schadensersatz im europäi schen Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 162; Mankowski, WuW 2012, 947, 949; Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße im internationalen Rechtsverkehr, S. 126 f.; Wilderspin in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 52. 138 Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 6, Rn. 15, 17. 139 Dies hat der EuGH mit Urteil vom 11.4.2013, Rs. C-645/11 (Sapir) 3. Leitsatz verbind lich geklärt, a. A. dagegen noch: OLG Stuttgart, Urt. v. 31.7.2012 – Az.: 5 U 150/11 = EuZW 2013, 80; vgl. zur Diskussion hierzu vor der Entscheidung des EuGH in Sapir: Wagner in:
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
Durch die Möglichkeit einer gemeinsamen Klage gegen mehrere Deliktstäter an einem einheitlichen Gerichtsstand ist Art. 8 Nr. 1 EuGVO für das Kartellde liktsrecht prädestiniert. Gerade im Kartelldeliktsrecht wird dem Kläger häufig daran gelegen sein, eine Mehrheit von Beklagten in Anspruch zu nehmen.140 Die Konzentration mehrerer Klagen an einem einheitlichen Gerichtsstand über Art. 8 Nr. 1 EuGVO ist für den Kläger überdies nicht nur zuständigkeitsrecht lich interessant. Sie eröffnet ihm auch die weitere Option gemäß Art. 6 Abs. 3 lit. b) Hs. 2 Rom II-VO, die lex fori als auf alle Ansprüche einheitlich geltendes Recht zu wählen. Damit kann der Kläger bei Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 3 lit. b) Hs. 2 Rom II-VO eine sonst durch die Regelanknüpfung des Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO drohende kollisionsrechtliche Rechtszersplit terung verhindern. Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft ist nicht zuletzt auch deshalb interessant für potentielle kartelldeliktische Schadensersatzklä ger, weil der EuGH im Rahmen anderer Vorschriften einer „Bündelung“ meh rerer Beklagter an ein- und demselben Gerichtsstand kritisch gegenübersteht.141 Im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO lehnt der EuGH eine zuständigkeitsrechtli che Handlungszurechnung, über die ebenfalls eine Konzentration von Klagen gegen mehrere Deliktstäter erfolgen könnte,142 bislang nämlich ab.143 Art. 8 Nr. 1 EuGVO stellt also nach derzeitigem Stand – abgesehen von den übrigen Gerichtsständen des Art. 8 EuGVO – die einzige Möglichkeit im Rahmen der EuGVO dar, mehrere Beklagte an einem gemeinsamen Gerichtsstand gerichts pflichtig zu machen. Ob und in welchen Fällen Art. 8 Nr. 1 EuGVO für kartellrechtliche Schadens ersatzklagen aber tatsächlich fruchtbar gemacht werden kann, ist bislang nicht umfassend geklärt.144 Der systematische Verweis der Kollisionsvorschrift des Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 6, Rn. 22; eine andere Ansicht vertritt Rehbinder in: Immen ga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, § 130 GWB, Rn. 326. 140 Mankowski, WuW 2012, 947, 949; Danov, Jurisdiction and Judgments in Relation to EU Competition Law Claims, S. 53. 141 Entgegen der Ansicht von Harms in EuZW 2014, 129, 133 sind die durch den EuGH in der Rs. C‑228/11 (Melzer) getroffenen Wertungen in Bezug auf die zuständigkeitsbegründen de Handlungszurechnung nicht unmittelbar auf die Regelung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO über tragbar. 142 Siehe dazu unten S. 93 ff. 143 EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer); EuGH, 3.4.2014, Rs. C-387/12 (Hi Hotel); EuGH, 5.6.2014, Rs. C‑360/12 (Coty Germany). 144 So auch Wiedemann in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 5, Rn. 67; kritisch hinsichtlich der Anwendbarkeit: Basedow/Heinze in: FS Möschel, S. 83 f.; Harms, EuZW 2014, 129; sich für die Anwendbarkeit aussprechend: Danov, Jurisdiction and Judgments in Relation to EU Competition Law Claims, S. 54; Hess in: Remien, Schadensersatz im europä ischen Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 161; Hess, IPRax 2010, 116, 118; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 730; Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Zi
III. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. 1 EuGVO)
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Art. 6 Abs. 3 lit. b) Hs. 2 Rom II-VO auf Art. 8 Nr. 1 EuGVO legt zwar nahe, dass der europäische Gesetzgeber diese Vorschrift zumindest in manchen kar tellprivatrechtlichen Streitigkeiten für anwendbar hält.145 Art. 6 Abs. 3 lit b) Hs. 2 Rom II-VO setzt indes für seine Anwendbarkeit bereits voraus, dass es dem Kläger gelungen ist, die internationale Zuständigkeit mehrerer Beklagter über Art. 8 Nr. 1 EuGVO zu begründen („klagt der Kläger gemäß den geltenden Regeln über die gerichtliche Zuständigkeit“). Art. 6 Abs. 3 lit. b) Hs. 2 Rom IIVO trifft damit letztlich gerade keine Aussage darüber, wann im Falle einer kartelldeliktischen Schadensersatzklage auf Art. 8 Nr. 1 EuGVO zurückgegrif fen werden kann.146 Während in der mitgliedstaatlichen Rechtsprechung etwa die englischen147, österreichischen148 und niederländischen149 Gerichte von einer Anwendbarkeit des Art. 8 Nr. 1 EuGVO auf kartellprivatrechtliche Klagen auszugehen schei nen, fehlt es hierzu bislang an deutschen Entscheidungen. Auf eine Vorlage des LG Dortmund hin hat sich der EuGH in der Rechtssache CDC erstmals mit der Anwendung von Art. 8 Nr. 1 EuGVO auf kartelldeliktische Schadensersatzkla gen befasst.150 Danach kann Art. 8 Nr. 1 EuGVO grundsätzlich auch im Rahmen privatrechtlicher Kartellschadensersatzklagen zur Anwendung gelangen.151 In der dieser Entscheidung des EuGH zu Grunde liegenden Fallkonstellation war ein einheitlicher Kartellverstoß durch eine einheitliche und fortgesetzte Zuwi derhandlung der Kartellanten zuvor durch eine Entscheidung der Europäischen Kommission verbindlich festgestellt worden. Die Entscheidung deckt damit also nur eine von mehreren denkbaren Konstellationen für die Anwendung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO auf kartelldeliktische Schadensersatzklagen ab.152 vilprozessrecht, S. 235 ff.; Mankowski, WuW 2012, 947, 948 f.; Mankowski, RIW 2008, 177, 191; Müller, EuZW 2013, 130, 131; Rehbinder in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, § 130 GWB, Rn. 326; Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirt schaftsrecht, Rn. 363. 145 Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 11.12.2014 zu EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 75. 146 Basedow/Heinze in: FS Möschel, S. 72 f., die zutreffend darauf verweisen, dass aus dem Kriterium des „unmittelbar und wesentlich“ betroffenen Marktes auch ein Wille zur restriktiven Anwendung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO gefolgert werden könnte. 147 High Court (Queen’s Bench Division), 6.3.2003, Provimi Limited v. Aventis Animal Nutrition SA and Others [2003] EuLR 517, Rn. 102; Cooper Tire & Rubber Company and others v. Shell Chemicals UK Limited and others [2009] EWHC 2609 (Comm) Rn. 64. 148 OGH (Österreich), Beschl. v. 14.2.2012, 5 Ob 39/11p = WuW 2012, 1251–1260. 149 Urteil Rechtbank Den Haag, 1.5.2013, CDC Project SA 14 ./. Shell Petrolium N.V. und andere, Zaaknummer/rolnummer: C/09/414499 / HA ZA 12-293. 150 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC). 151 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 21, 25, 33. 152 Wurmnest, NZKart 2017, 2, 6.
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
1. Konnexitätsformel bei kartelldeliktischen Schadensersatzklagen Art. 8 Nr. 1 EuGVO eröffnet dem Kläger die Möglichkeit, einen einheitlichen Gerichtsstand gegen mehrere Beklagte zu schaffen. Dafür muss er darlegen, dass „[…] zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermei den, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten“. Die Vermeidung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bildet demnach die zentrale Erwägung, mit der es dem Kläger erlaubt sein soll, in einer für die EuGVO relativ weitgehenden Form verschiedene Beklagte au ßerhalb ihres allgemeinen Gerichtsstands zu verklagen.153 Keinen tauglichen (alleinigen) Legitimationsgrund zur Eröffnung des Gerichtsstands der Streitge nossenschaft bildet dagegen die Förderung der Prozessökonomie.154 Das Bestre ben, die privatrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts im Wege des private enforcement zu fördern und den Kartellgeschädigten das Durchsetzen ihrer po tentiellen Forderungen vor den Zivilgerichten zu erleichtern, kann die Ausle gung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO grundsätzlich nicht entscheidend beeinflussen.155 Die zentrale Erwägung, die hinter der Regelung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO steht, ist die Vermeidung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Diese schafft einen engen Zusammenhang zwischen den Verfahren, der es rechtfer tigt, diese Klagen einheitlich an einem Gerichtsstand zu verhandeln und damit die Annexbeklagten außerhalb ihres Heimatgerichtsstands ebenfalls an diesem einheitlichen Gerichtsstand gerichtspflichtig zu machen. Dieser enge Zusam menhang, das sog. Konnexitätserfordernis, wurde durch den EuGH in seiner Rechtsprechung zu Art. 8 Nr. 1 EuGVO entwickelt156 und fand daraufhin erst bei der Überführung des EuGVÜ in die EuGVO Eingang in den Text von Art. 8 153 EuGH, 27.9.1988, Rs. 189/87 (Kalfelis) Rn. 11; EuGH, 1.12.2011, C-145/10 (Painer) Rn. 77; Basedow/Heinze in: FS Möschel, S. 66; Coester-Waltjen in: FS Kropholler, S. 754. 154 EuGH, 13.7.2006, Rs. C-539/03 (Roche) Rn. 36; Harms, EuZW 2014, 129, 130; ebenso für die fast identische Regelung im CLIP Projekt der Max Planck Group: Heinze in: Europe an Max Planck Group on Conflict of Laws in Intellectual Property, Conflict of Laws in Intel lectual Property – The CLIP Principles and Commentary, S. 105, Rn. 2:206.C06; a. A. Koutsoukou/Pavlova, WuW 2014, 153, 162, die für eine weite Auslegung des Konnexitätser fordernisses plädieren und dies mit der Prozessökonomie begründen; ähnlich auch Basedow/ Heinze in: FS Möschel, S. 74 f., die zumindest auch auf die Prozessökonomie als Legitimati onsgrund für Art. 8 Nr. 1 EuGVO abstellen; siehe auch Wilderspin in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 50, der gar dafür plädiert, das Erfordernis der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ganz aus Art. 8 Nr. 1 EuGVO zu streichen. 155 M. Weller, ZVglRWiss 2013, 89, 93; Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprin zips, S. 309. 156 Das heutige Konnexitätserfordernis führte der EuGH in der Entscheidung EuGH, 27.9.1988, Rs. 189/87 (Kalfelis) Rn. 12 f. ein.
III. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. 1 EuGVO)
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Nr. 1 EuGVO.157 Trotz einiger Entscheidungen158 des EuGH zu Art. 8 Nr. 1 EuG VO in der jüngeren Vergangenheit sind die Konturen des Konnexitätserforder nisses gerade im Kartelldeliktsrecht indes noch nicht vollends präzisiert.159 Ausgehend vom Wortlaut des Art. 8 Nr. 1 EuGVO ist es zunächst erforder lich, dass die Gefahr besteht, dass es zu sich widersprechenden Entscheidungen kommt, sofern die Klagen nicht gebündelt am Gerichtsstand der Streitgenossen schaft verhandelt werden. Die Beurteilung, ob eine solche Gefahr besteht, macht letztlich eine Prognoseentscheidung des mit der Sache befassten Gerichts erfor derlich.160 Damit die mitgliedstaatlichen Gerichte dabei nicht stark voneinander abweichende Ergebnisse erzielen, wurde anfangs versucht, dem Konnexitätser fordernis durch eine systematische Auslegung dieses normativen Tatbestands merkmals Konturen zu verleihen. In diesem Zusammenhang wird auf den iden tischen Wortlaut des Art. 30 Abs. 3 EuGVO verwiesen.161 Dieser systematische Verweis überzeugt indes nur bedingt, weil beide Vorschriften trotz des identi schen Wortlautes unterschiedliche Ziele verfolgen162 – hier die Regelung der internationalen Zuständigkeit (Art. 8 Nr. 1 EuGVO) und dort die Regelung der Rechtshängigkeit (Art. 30 Abs. 3 EuGVO) –, sodass die Kriterien des Art. 30 Abs. 3 EuGVO jedenfalls nicht unbesehen in Art. 8 Nr. 1 EuGVO übertragen werden können.163 Denkbar wäre aber, diese Kriterien als einen Mindeststan dard für Art. 8 Nr. 1 EuGVO heranzuziehen.164 Eine konkrete Entscheidung über die Anwendungsvoraussetzungen in Einzelfällen, wie etwa in der hier un tersuchten Konstellation im Kartelldeliktsrecht, ermöglicht dies jedoch noch nicht. Für die Ausgestaltung des Konnexitätserfordernisses kommen mehrere me thodische Ansätze in Betracht. Zunächst könnte dieses fallgruppenspezifisch 157
EuGH, 13.7.2006, Rs. C-539/03 (Roche) Rn. 21. 12.12.2012, C-616/10 (Solvay); EuGH, 1.12.2011, C-145/10 (Painer); EuGH, 11.10.2007, C-98/06 (Freeport); EuGH, 13.7.2006, C-539/03 (Roche); EuGH, 13.7.2006, C-103-05 (Reisch Montage); EuGH, 7.2.2013, Rs. C-543/10 (Refcomp SpA); EuGH, 11.4.2013, Rs. C-645/11 (Sapir). 159 Leible in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 6 Brüssel I‑VO, Rn. 8. 160 Roth in: FS Kropholler, S. 891. 161 Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 6, Rn. 84. 162 Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, S. 103. 163 Heinze in: European Max Planck Group on Conflict of Laws in Intellectual Property, Conflict of Laws in Intellectual Property – The CLIP Principles and Commentary, S. 104, Rn. 2:206.C04, Fn. 5. 164 Leible in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 6 Brüssel I‑VO, Rn. 8; Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 170; M. Weller, ZVglRWiss 2013, 89, 92 spricht von „höhere[n] Anforderungen“; Roth in: FS Kropho ller, S. 891. 158 EuGH,
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und unter Heranziehung des jeweils anwendbaren Sachrechts bestimmt werden. Der Jenard-Bericht165 etwa nennt die Gesamtschuld ausdrücklich als Anwen dungsfall für einen engen Zusammenhang im Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO.166 Demzufolge wird teilweise davon ausgegangen, dass mit dem Vorliegen einer Gesamtschuldnerschaft zwischen den verschiedenen Beklagten eine ausrei chende Konnexität besteht, durch die Art. 8 Nr. 1 EuGVO zur Anwendung ge langt.167 Dies würde bedeuten, dass das Vorliegen einer Gesamtschuldnerschaft zwischen den einzelnen Beklagten für sich genommen einen engen Zusammen hang im Sinne des Konnexitätserfordernisses nach Art. 8 Nr. 1 EuGVO begrün den kann. Der Kläger müsste also lediglich das Vorliegen einer Gesamtschuld nerschaft zwischen den Beklagten darlegen und würde so der Begründung des Konnexitätserfordernisses genügen. In diesem Sinne hat etwa der Österreichi sche Oberste Gerichtshof (OGH) in einem Fall entschieden, in dem mehrere Kartelltäter auf der Grundlage von Art. 8 Nr. 1 EuGVO am Wohnsitzgerichts stand von einem der Beklagten gerichtspflichtig gemacht wurden.168 Der OGH stellte in seinem Urteil zunächst auf das aus dem Wortlaut von Art. 8 Nr. 1 EuG VO folgende Konnexitätserfordernis als zentrale Anwendungsvoraussetzung der Norm ab, beließ es sodann aber bei dem Hinweis, dass dieser Zusammen hang „allgemein“ bei Gesamtschuldnerschaft bejaht werde.169 Im Rahmen der Prüfung seiner internationalen Zuständigkeit legte der OGH dann allein das Vorliegen einer schlüssig vorgetragenen170 gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten als maßgebliches Kriterium für das Vorliegen des Konnexitätserfor dernisses zugrunde. Die Vorgehensweise des OGH greift indes zu kurz. In methodischer Hinsicht überzeugt die Entscheidung des OGH zunächst deshalb nicht, weil sie sich in der Sache kaum mit der Prüfung eines engen Zusammenhangs im Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO auseinandersetzt. Der OGH geht lediglich davon aus, dass 165 Bericht zu dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstre ckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von P. Jenard („Jenard-Be richt“), ABl. C 59 vom 5.3.1979, S. 1. 166 Jenard-Bericht, S. 26: „Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, daß zwischen den Ansprüchen gegen die einzelnen Beklagten ein Zusammenhang besteht, wie dies z. B. bei Gesamtschuldnern der Fall ist.“ 167 Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 6, Rn. 20; Fort in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, S. 511, Rn. 36; Schreiber, KSzW 2011, 37, 39. 168 OGH (Österreich), Beschluss 14.2.2012, 5 Ob 39/11p = WuW 2012, 1251. 169 OGH (Österreich), Beschluss 14.2.2012, 5 Ob 39/11p = WuW 2012, 1251, 1258. 170 Häufig wird das Vorliegen der Gesamtschuldnerschaft auch entscheidend für die Be gründung eines etwaigen Anspruchs im Rahmen der Begründetheit sein. Bringt man in die sen Fällen dann den Grundsatz der doppelrelevanten Tatsachen zur Anwendung, so reicht bereits ein schlüssiger Vortrag des Klägers, dass zwischen den Beklagten eine Gesamtschuld vorliegt. So handhabte es im vorliegenden Fall auch der OGH Österreich.
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das Konnexitätserfordernis bei Vorliegen einer Gesamtschuld zwischen den Be klagten erfüllt ist,171 begründet dies aber nicht näher. Methodisch fragwürdig ist vor allem, dass der OGH die bis dahin ergangene Rechtsprechung des EuGH zur Ausgestaltung des Konnexitätserfordernisses unberücksichtigt lässt. Dabei hat te der EuGH bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung des OGH die Auslegung des Konnexitätserfordernisses in gleich mehreren Entscheidungen präzisiert.172 Die durch den OGH verfolgte Anwendungsbestimmung zu Art. 8 Nr. 1 EuGVO, nach der die Gesamtschuld ein Anwendungsfall dieser Norm ist, stammt aus einer Zeit, als das Konnexitätserfordernis noch gar nicht in den Text des EuG VÜ aufgenommen worden war.173 Indem der OGH die Auslegung des EuGH zum Konnexitätserfordernis in seiner heutigen Fassung bei seiner Entscheidung unbeachtet lässt, entzieht er sich so ein Stück weit dem Auslegungsmonopol des EuGH zum Unionsrecht. Insofern ist eine fallgruppenspezifische Bestimmung des Konnexitätserfor dernisses des Art. 8 Nr. 1 EuGVO unter Rückgriff auf das jeweils anwendbare Sachrecht vor allem deshalb kritikwürdig, weil sie mit dem Grundsatz der auto nomen Auslegung des Unionsrechts in Konflikt gerät. Art. 8 Nr. 1 EuGVO ist autonom auszulegen.174 Das Vorliegen einer gesamtschuldnerischen Haftung zwischen den Beklagten lässt sich regelmäßig nicht verordnungsautonom be stimmen, sondern macht einen Rekurs auf das jeweils anwendbare nationale Recht erforderlich.175 Dadurch besteht jedoch die Gefahr, dass verschiedene na tionale Gerichte das Vorliegen einer Gesamtschuld und damit die Anwendbar keit des Art. 8 Nr. 1 EuGVO im Ergebnis unterschiedlich beurteilen.176 Die Be gründung des Konnexitätserfordernisses sollte stattdessen von einer autonomen Bestimmung dieses Merkmals ausgehen. Der EuGH hat hierfür in seiner bishe 171
OGH (Österreich), Beschluss 14.2.2012, 5 Ob 39/11p = WuW 2012, 1251, 1258. Aus dieser Rechtsprechungslinie ergibt sich, dass allein das Vorliegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen nicht ausreicht, um zur Anwendbarkeit des Art. 8 Nr. 1 EuGVO zu gelangen. Diese Gefahr muss vielmehr bei Vorliegen derselben Sach- und Rechts lage gegeben sein. EuGH, 13.7.2006, Rs. C-539/03 (Roche) Rn. 26; EuGH, 11.10.2007, Rs. C-98/06 (Freeport) Rn. 40; EuGH, 1.12.2011, Rs. C-145/10 (Painer) Rn. 79. 173 Der Wortlaut der Vorschrift von Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ lautete: „Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann auch verklagt werden: 1. wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht, in dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat; […]“. 174 EuGH, 27.9.1988, Rs. 189/87 (Kalfelis) Rn. 10; Roth in: FS Kropholler, S. 887 f.; Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße im internationalen Rechtsverkehr, S. 128; EuGH, 13.7.2006, C-103-05 (Reisch Montage) Rn. 30. 175 Basedow/Heinze in: FS Möschel, S. 72; ähnlich auch Mäsch, IPRax 2005, 509, 512 in Bezug auf eine Orientierung an § 60 ZPO. 176 Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 11.12.2014 zu EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 69. 172
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rigen Rechtsprechung die Grundlage gelegt. In ständiger Rechtsprechung ent scheidet der EuGH, dass allein das Vorliegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen nicht ausreicht, damit das Konnexitätserfordernis des Art. 8 Nr. 1 EuGVO erfüllt wird. Diese Gefahr müsse vielmehr bei Vorliegen dersel ben Sach- und Rechtslage gegeben sein.177 Diese Rechtsprechung muss bei einer Untersuchung der Anwendbarkeit des Art. 8 Nr. 1 EuGVO Berücksichtigung finden. Die Auslegung des EuGH stellt die entscheidende Quelle für eine Kon kretisierung der Anwendungsvoraussetzungen der EuGVO dar. Ihm kommt die Aufgabe zu, durch seine Auslegung des Unionsrechts eine einheitliche Anwen dung des Unionsrechts sicherzustellen.178 Die Rechtsprechungslinie des EuGH hat überdies den Vorteil, dass sie nicht fallgruppenspezifisch ist und deshalb auch auf andere Bereiche übertragen werden kann, in denen noch keine Ent scheidungen zur Anwendbarkeit des Art. 8 Nr. 1 EuGVO vorliegen. Gleichzeitig ist eine Beurteilung, ob in verschiedenen Verfahren das Ergehen von sich widersprechenden Entscheidungen droht, ohne jeglichen Rückgriff auf nationales Recht nur schwer machbar.179 Die Beurteilung der Konnexität kann jedenfalls nicht völlig losgelöst von dem jeweils anwendbaren Recht erfolgen; dies schon deshalb nicht, weil mit der Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf „dieselbe Rechtslage“ bereits auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit die Rechtslage als ein Bezugspunkt für die Anwendung für die Vorschrift des Art. 8 Nr. 1 EuGVO geschaffen wird. Insofern muss ein Mittelweg gefunden werden. Es muss einerseits die Aufladung der Zuständigkeitsprüfung durch die Klärung materieller Rechtsfragen vermieden werden. Andererseits sollen den noch klare Kriterien herausgebildet werden, die in Bezug auf die Handhabung des Konnexitätserfordernisses und damit der Vorschrift des Art. 8 Nr. 1 EuGVO ein Mindestmaß an Einheitlichkeit und internationalem Entscheidungseinklang versprechen. Dies kann bewerkstelligt werden, indem in einem ersten Schritt die durch den EuGH autonom entwickelten Kriterien den Ausgangspunkt für die Beurteilung der Konnexität bilden. In einem zweiten Schritt sind diese Kri terien sodann auch unter teilweiser Heranziehung des jeweils anwendbaren Rechts durch die Spezifika des Kartelldeliktsrechts auszufüllen.180 Auf dieser Ebene kann das Vorliegen einer gesamtschuldnerischen Haftung zwischen den 177 EuGH,
13.7.2006, Rs. C-539/03 (Roche) Rn. 26; EuGH, 11.10.2007, Rs. C-98/06 (Freeport) Rn. 40; EuGH, 1.12.2011, Rs. C-145/10 (Painer) Rn. 79; EuGH, 12.7.2012, Rs. C-616/10 (Solvay) Rn. 24; EuGH, 11.4.2013, Rs. C-645/11 (Sapir) Rn. 43. 178 Harms, EuZW 2014, 129, 129. 179 Coester-Waltjen in: FS Kropholler, S. 755; Lund, IPRax 2014, 140, 144. 180 Vergleiche hierzu Lund in IPRax 2014, 140, 144, der mit Verweis auf die Vorgehens weise von Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 1, Rn. 12 bezüglich des Tatbestands merkmals der Zivil- und Handelssache eine solche Auslegung auf zwei Stufen vorschlägt.
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Beklagten ein gewichtiges Kriterium zur Ausfüllung der durch den EuGH ent wickelten Anwendungsvoraussetzungen sein. Allein durch den Verweis auf das Vorliegen einer Gesamtschuld lässt sich die Anwendung des Art. 8 Nr. 1 EuG VO indes nicht begründen.181 a) Darlegungsmaßstab in Bezug auf den zuständigkeitsbegründenden Klägervortrag Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 8 Nr. 1 EuGVO und insbesonde re das Konnexitätserfordernis hat der Kläger, der sich auf diese Zuständigkeits vorschrift beruft, darzulegen. Dazu, welche Maßstäbe an das Vorbringen des Klägers diesbezüglich zu stellen sind, macht die EuGVO keine Vorgaben.182 Art. 8 Nr. 1 EuGVO enthält mit seinem zentralen Anwendungskriterium dersel ben Sach- und Rechtslage bereits auf der Ebene der internationalen Zuständig keit ein Merkmal, das einen Bezug zur Begründetheit der Klagen herstellt. Insofern liegt, gerade bei Art. 8 Nr. 1 EuGVO, die Anwendung der Lehre der doppelrelevanten Tatsachen besonders nahe. Danach kann bei zuständigkeits begründenden Tatsachen, die sowohl auf der Ebene der internationalen Zustän digkeit wie auch der Begründetheit der Klagen Bedeutung erlangen, auf Zustän digkeitsebene zunächst auf eine vollumfassende Beweisführung verzichtet wer den, und es genügt dort ein schlüssiger Vortrag des Klägers, dass diese Tatsachen gegeben sind.183 Die deutschen Gerichte wenden im Rahmen der EuGVO grundsätzlich die Lehre der doppelrelevanten Tatsachen an.184 Ihre Anwendung ist aber mangels Vorgaben der EuGVO zum Darlegungsmaßstab in Bezug auf die internationale Zuständigkeit jedenfalls vor dem Hintergrund des Unions rechts nicht zwingend. Der genaue Umfang der Kontrollpflichten, den nationale Gerichte bei der Überprüfung der internationalen Zuständigkeit zugrunde le gen, wird durch die EuGVO nicht vorgegeben.185 Gleichzeitig leitet der Ge richtshof aber aus dem Aspekt der Rechtssicherheit das Erfordernis her, dass der nationale Richter „[…] die wesentlichen Voraussetzungen seiner Zuständigkeit […] anhand schlüssiger und erheblicher Umstände, die die betreffende Partei vorträgt […] prüfen kann.“186 Der Gerichtshof gibt damit letztlich einen unions Basedow/Heinze in: FS Möschel, S. 72; Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungs prinzips, S. 296 f. 182 Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Einleitung vor Art. 2 , Rn. 24. 183 Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Einleitung vor Art. 2 , Rn. 24 ff. 184 BGH, Urt. v. 24.9.2014 – Az. I ZR 35/11 Rn. 18; BGH NJW 2005, 1435 1. Leitsatz = JZ 2005, 736 mit Anm. v. Ohly. 185 EuGH, 28.1.2015, Rs. C-375/13 (Kolassa) Rn. 59. 186 EuGH, 28.1.2015, Rs. C-375/13 (Kolassa) Rn. 61. 181
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rechtlichen Standard vor, welcher der Lehre der doppelrelevanten Tatsachen sehr nahekommt. Die Überzeugungskraft der Lehre der doppelrelevanten Tatsachen wird im Kontext der EuGVO bisweilen jedoch in Zweifel gezogen.187 An dieser Stelle ist die Diskussion jedenfalls in Bezug auf die Anwendung der Lehre der doppelre levanten Tatsachen in Bezug auf Art. 8 Nr. 1 EuGVO aufzugreifen, weil deren Anwendung gerade beim Gerichtsstand der Streitgenossenschaft in Frage ge stellt werden kann. Der Zweck der Lehre der doppelrelevanten Tatsachen be steht gerade darin, dass eine umfassende Prüfung materieller Rechtsfragen auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit vermieden werden soll. Art. 8 Nr. 1 EuGVO enthält aber mit dem zentralen Erfordernis derselben Sach- und Rechts lage gleichzeitig ein autonomes Kriterium, das einen ebensolchen Bezug zur materiellen Rechtslage bereits auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit selbst herstellt. Die nationalen Gerichte können die genauen Vorgaben, die an den Darle gungsmaßstab zu stellen sind, anhand ihres nationalen Rechts bestimmen.188 Diese Freiheit der nationalen Gerichte findet indes ihre Grenzen in der Effekti vität der EuGVO.189 Grundvoraussetzung dafür ist ein angemessener Beklag tenschutz. Die Vorschrift des Art. 8 Nr. 1 EuGVO ist aber eine der am weitest gehenden Ausnahmen vom allgemeinen Prinzip des Art. 4 EuGVO unter den besonderen Gerichtsständen der EuGVO. Der Anknüpfungspunkt ist hier – frei lich verknüpft mit der sachlichen Rechtfertigung der Vermeidung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen – allein der Wohnsitzgerichtsstand eines Mitbeklagten. Wenn aber Art. 8 Nr. 1 EuGVO dem Kläger sehr weitgehende Befugnisse einräumt, andere Beklagte außerhalb ihres Wohnsitzgerichtsstandes zu verklagen, dann liegt es nahe, den Darlegungsmaßstab, den der Kläger zur Begründung der Zuständigkeit zu erfüllen hat, kritisch zu hinterfragen. Die Lehre der doppelrelevanten Tatsachen führt dazu, dass ein Kläger, der sich durch einen schlüssigen, aber unzutreffenden Klägervortrag die Zuständig keit eines präferierten Gerichts erschleicht, im Rahmen der Begründetheit scheitern wird, wo diese Tatsachen erneut vollumfänglich geprüft werden. Ein solcher Kläger wird mit einer unbegründeten Klage den Prozess verlieren und hat gegebenenfalls die Prozesskosten zu tragen. Gerade darin wird der Grund gesehen, warum auf Zuständigkeitsebene lediglich ein schlüssiger Klägervor trag ausreicht. Diese Teleologie greift bei Art. 8 Nr. 1 EuGVO in vielen Fällen Kritisch etwa Mankowski, IPRax 2006, 454. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Vor Art. 2 EuGVVO, Rn. 8. 189 Mankowski, IPRax 2006, 454, 456; in diesem Sinne auch Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 190. 187
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aber gerade nicht.190 Art. 8 Nr. 1 EuGVO führt nämlich nicht zu einer Bünde lung der konnexen Verfahren mit der Folge, dass diese auch in ihrer Begründet heit voneinander abhingen. Er ermöglicht dem Kläger lediglich, mehrere, ge trennt voneinander zu führende Verfahren im selben Gerichtsstand zu führen. Ist aber gegen den Annexbeklagten einmal die internationale Zuständigkeit im Wohnsitzgerichtsstand des Ankerbeklagten eröffnet, dann können die Klagen gegen den Ankerbeklagten und den Annexbeklagten hinsichtlich ihrer Begrün detheit getrennte Wege gehen. Wird also die Klage gegen den Ankerbeklagten abgewiesen, weil die vom Kläger vorgetragenen doppelrelevanten Tatsachen sich in der Begründetheit als unrichtig und damit zur Anspruchsbegründung untauglich erweisen, so bleibt eine Verurteilung zu Lasten des Annexbeklagten weiterhin möglich.191 Die Streitigkeit wird dann aber in einem Forum geführt, welches dem Kläger ohne die Klage gegen den Ankerbeklagten nicht zur Verfü gung gestanden hätte. Die Anwendung der Lehre der doppelrelevanten Tatsachen ist demnach gera de beim Gerichtsstand der Streitgenossenschaft besonders kritisch zu sehen.192 Es muss präzise bestimmt werden, ob eine Doppelrelevanz vorliegt und ob die gegebenenfalls schlüssig vorgetragenen Tatsachen tatsächlich im Rahmen der Begründetheit erneut überprüft werden. b) Dieselbe Sachlage Die Auslegungskriterien, die der EuGH für das Vorliegen derselben Sachlage vorgibt, sind äußerst spärlich. Eine Beurteilung derselben Sachlage muss den noch von der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ausgehen, um eine einheit liche Auslegung von Art. 8 Nr. 1 EuGVO sicherzustellen. Insbesondere die Rechtsprechung zum Europäischen Bündelpatent ist hier von Interesse. aa) Erkenntnisse aus der bisherigen Rechtsprechung zum Europäischen Bündelpatent Die erste Entscheidung, in der der EuGH das Kriterium derselben Sach- und Rechtslage erstmals einführte, war die Rechtssache Roche.193 Dort machten die Kläger, die Inhaber eines Europäischen Patents waren, die Verletzung dieses Patents durch eine niederländische Gesellschaft sowie mehrere anderer Gesell schaften desselben Konzerns mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten geltend. Die das Patent vermeintlich Verletzenden wurden an einem einheitlichen Gerichts Althammer, IPRax 2006, 558, 562; Mäsch, IPRax 2005, 509, 513 f. Bernhard, Kartellrechtlicher Individualschutz durch Sammelklagen, S. 97. 192 Coester-Waltjen in: FS Kropholler, S. 757. 193 EuGH, 13.7.2006, Rs. C-539/03 (Roche). 190 191
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stand im Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO verklagt. Der EuGH lehnte in der Ent scheidung Roche das Vorliegen derselben Sachlage ab, „[…] da verschiedene Personen verklagt werden und die in verschiedenen Vertragsstaaten begange nen Verletzungshandlungen, die ihnen vorgeworfen werden, nicht dieselben sind.“194 Warum aber die Verletzungshandlungen der Beklagten, die vorliegend in der Vermarktung von Immundosierungskits in den Wohnsitzstaaten der Ge sellschaften bestanden, nicht dieselben waren, führte der EuGH nicht näher aus. Eine weitere Entscheidung, in der sich der EuGH in ähnlicher Form mit der Anwendbarkeit von Art. 8 Nr. 1 EuGVO bei Verletzung eines Europäischen Pa tents zu befassen hatte, war die Rechtssache Solvay.195 Dort hatte, wie in der Rechtssache Roche, eine Inhaberin eines Europäischen Patents mehreren Ge sellschaften desselben Konzerns mit Sitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten vorgeworfen, ihr Patent durch den Vertrieb eines patentrechtlich geschützten Erzeugnisses verletzt zu haben.196 Im Gegensatz zur Rechtssache Roche ging der EuGH dieses Mal jedoch davon aus, dass dieselbe Sachlage in den unter schiedlichen Verfahren gegeben sei.197 Der entscheidende Unterschied zwischen den Konstellationen in Roche und Solvay bestand darin, dass in Solvay der Vor wurf im Raum stand, dass nicht verschiedene Teile des Europäischen Patents verletzt worden seien wie in Roche, sondern dass derselbe Teil eines nationalen Patents verletzt worden sei. Diese Begründung mag im Hinblick auf das Vorlie gen einer unterschiedlichen Rechtslage zwischen beiden Fällen überzeugen. Warum sich daraus aber Unterschiede für dieselbe Sachlage ergeben, begründe te der EuGH erneut nicht detailliert.198 Sowohl in Roche als auch in Solvay wurde den Beklagten jeweils die Verlet zung von Teilen des Europäischen Patents vorgeworfen. In beiden Fällen war die vermeintliche Verletzung durch den Vertrieb von patentrechtlich geschütz ten Produkten in verschiedenen Mitgliedstaaten begangen worden.199 Der zu grunde liegende Sachverhalt – der Vertrieb eines patentrechtlich geschützten Produkts – ist in beiden Fällen der gleiche, sodass die Rechtsprechung des EuGH in dieser Hinsicht Fragen aufwirft. Ein Unterschied in Bezug auf die Sachlage könnte darin gesehen werden, dass in Roche die Verletzungshandlung 194
EuGH, 13.7.2006, Rs. C-539/03 (Roche) Rn. 27. EuGH, 12.7.2012, Rs. C-616/10 (Solvay). 196 EuGH, 12.7.2012, Rs. C-616/10 (Solvay) Rn. 12. 197 EuGH, 12.7.2012, Rs. C-616/10 (Solvay) Rn. 27. 198 Insbesondere das Abstellen auf die „Besonderheiten des Falles“ in EuGH, 12.7.2012, Rs. C-616/10 (Solvay) Rn. 27 taugt nicht zur Begründung, warum der Gerichtshof nunmehr zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich derselben Sachlage kommt, vgl. Schacht, GRUR 2012, 1110, 1112. 199 EuGH, 13.7.2006, Rs. C-539/03 (Roche) Rn. 14; EuGH, 12.7.2012, Rs. C-616/10 (Solvay) Rn. 12 f. 195
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in verschiedenen Mitgliedstaaten vorgenommen wurde, während in Solvay die Verletzungshandlungen in demselben Mitgliedstaat erfolgten. Überzeugender wäre es indes gewesen, bereits in der Rechtssache Roche von derselben Sachla ge auszugehen. Dass eine solche abweichende Beurteilung in Roche im Hinblick auf die Sachlage angezeigt gewesen wäre, zeigen auch die Ausführungen des EuGH im Rahmen seines obiter dictum zu der weiteren, nicht mehr entscheidungserhebli chen, zweiten Vorlagefrage des Hoge Raad, ob die Zugehörigkeit zu einem ge meinsamen Konzern bzw. das Verfolgen einer gemeinsamen Geschäftspolitik zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.200 In einer solchen Konstella tion, so führte der EuGH aus, sei „[…] die gleiche Sachlage gegeben […].“201 Diese vermeintlich großzügige Beurteilung der gleichen Sachlage konnte der EuGH in der Rechtssache Roche annehmen, weil er sich sogleich darauf berufen konnte, dass es dennoch an der derselben Rechtslage fehlte und diese Beurtei lung nicht zu einem anderen Ergebnis führte.202 Die mögliche Relevanz einer konzernintern abgestimmten Verhaltensweise der verschiedenen Beklagten für dieselbe Sachlage im Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO bestätigte der EuGH später außerdem in der Rechtssache Painer. Dort führte er aus: „Dabei [gemeint ist die Beurteilung eines engen Zusammenhangs und damit der Gefahr sich widerspre chender Entscheidungen] kann erheblich sein, ob die Beklagten, denen der Ur heberrechtsinhaber inhaltlich identische Verletzungen seines Rechts vorwirft, unabhängig voneinander gehandelt haben oder nicht.“203 Für die Analyse der Vorgaben des EuGH hinsichtlich derselben Sachlage ist diese (angedeutete) abweichende Beurteilung der Sachlage im Falle eines kon zernintern abgestimmten Verhaltens aber vor allem deshalb relevant, weil in anderen Konstellationen, wie etwa der hier zu untersuchenden von kartelldelik tischen Klagen, eine einheitliche Rechtslage gegeben sein kann. Kommt man aufgrund der Tatsache, dass die Beklagten eine gemeinsame Geschäftspolitik verfolgen, zu dem Ergebnis, dass dieselbe Sachlage gegeben ist, so kann dies letztlich zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 8 Nr. 1 EuGVO führen. Festzuhalten bleibt, dass eine auf einer konzernintern festgelegten gemeinsamen Geschäftspolitik beruhende Verhaltensweise der verschiedenen Beklagten auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zu derselben Sachlage führen kann. 200
EuGH, 13.7.2006, Rs. C-539/03 (Roche) Rn. 17. EuGH, 13.7.2006, Rs. C-539/03 (Roche) Rn. 34. 202 EuGH, 13.7.2006, Rs. C-539/03 (Roche) Rn. 35. 203 EuGH, 1.12.2011, Rs. C-145/10 (Painer) Rn. 83 (Klammerzusatz durch Verfasser hin zugefügt). 201
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bb) Vorliegen derselben Sachlage im Kartelldeliktsrecht Diese Erkenntnisse aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH gilt es nach stehend auf die Beurteilung derselben Sachlage im Kartelldeliktsrecht zu über tragen. Kartelldeliktische Schadensersatzklagen werden meist im Anschluss an ein behördliches Bußgeldverfahren als sog. follow-on-Klagen angestrengt. Bei einer solchen Konstellation macht sich der Kläger in der Regel die Erkenntnisse aus dem vorangehenden Bußgeldverfahren zur Begründung seines Schadenser satzanspruchs zunutze. Der Gesetzgeber, der das private enforcement mittler weile als integralen Bestandteil kartellrechtlicher Durchsetzung begreift, för dert ein solches Vorgehen. Dafür wurde die bußgeldrechtliche Entscheidung der Kartellbehörde mit einer Bindungswirkung für den Zivilprozess versehen. Nach Art. 16 Abs. 1 der VO 1/2003 dürfen die mitgliedstaatlichen Gerichte keine Ent scheidungen erlassen, die einer Entscheidung der Europäischen Kommission im Rahmen eines vorausgehenden Bußgeldverfahrens zuwiderlaufen. § 33 Abs. 4 GWB erweitert diese Bindungswirkung auf Entscheidungen der nationalen Kartellbehörden anderer Mitgliedstaaten. Nachstehend soll zunächst der Frage nachgegangen werden, inwieweit aufgrund der Bindungswirkung einer etwai gen Bußgeldentscheidung bereits eine einheitliche Sachlage geschaffen wird. Die Bindung der nationalen Zivilgerichte an eine etwaige Bußgeldentschei dung besteht nur insoweit, als sie Umstände betrifft, die den Verstoß gegen die entsprechende Kartellverbotsnorm betreffen.204 Für die zivilrechtliche Haftung im Rahmen eines Schadensersatzprozesses stellt der Kartellverstoß selbst aber nur den Grundbaustein zur Begründung des Anspruchs dar. Darüber hinaus muss der Kläger weitere haftungsbegründende Umstände wie etwa einen kon kret von ihm erlittenen Schaden und die Kausalität nachweisen. Diese individu ell schadensbegründenden Elemente werden aber nicht mehr durch die Bin dungswirkung der behördlichen Entscheidung abgedeckt, da für diese ein ande rer Maßstab gilt. Dies zeigt sich etwa daran, dass für das Verwirken des Kartellverbots bereits die kartellrechtliche Absprache für sich genommen aus reicht, während eine Absprache allein, ohne ihre Umsetzung gegenüber dem Geschädigten, noch keine schadensersatzrechtliche Haftung auslösen kann. Da mit vereinheitlicht die Bindungswirkung der kartellbehördlichen Entscheidung die Sachlage in einem sehr wesentlichen Punkt und erleichtert dem Kläger die Begründung seines Anspruchs damit erheblich. Für sich genommen kann sie aber nicht zu einer (vollständig) einheitlichen Sachlage führen.205 In diesem 204 Bornkamm in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 33 GWB, Rn. 169; Sura in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 16 VO 1/2003, Rn. 6. 205 Harms, EuZW 2014, 129, 130 f.
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Sinne sind auch die Ausführungen des EuGH in der CDC-Entscheidung zu se hen, der einerseits auf den behördlich festgestellten Verstoß im Sinne einer ein heitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung abstellt und andererseits darauf verweist, dass eine Bußgeldentscheidung nicht alle Voraussetzungen für eine zivilrechtliche Haftung umfasst.206 Bei kartelldeliktischen Schadensersatzklagen sind auf der Ebene der Sachla ge verschiedene Konstellationen denkbar. Die zugrunde liegende Sachlage un terscheidet sich dabei abhängig von der Art der kartellrechtlichen Absprache und der Art und Weise ihrer Umsetzung. Ein entscheidender Unterschied ist auch darin zu sehen, wessen Verhalten in den unterschiedlichen Klagen in Be zug genommen wird. Dabei ist einerseits denkbar, dass an das jeweilige eigene Verhalten der Deliktstäter angeknüpft wird; andererseits kommt die Begrün dung der Klagen durch das Verhalten eines Kartelltäters in Betracht, das gege benenfalls anderen Kartelltätern zugerechnet wird. (1) Kartellteilnehmer werden jeweils aufgrund ihrer eigenen Handlung verklagt Den Ausgangspunkt bei der Untersuchung derselben Sachlage bilden diejenigen Fallkonstellationen, in denen der Kläger in unterschiedlichen Verfahren gegen über mehreren Beklagten eine Schadensersatzklage auf das jeweilige eigene Verhalten der Deliktstäter stützt. In dieser Konstellation haftet jeder Kartellant für sein eigenes Verhalten. Auf dieser Grundlage ist weiter danach zu differen zieren, ob die verschiedenen beklagten Kartelltäter die schadensbegründende Handlung, nämlich das Absetzen der kartellierten Ware, alle in ein und demsel ben Markt vornehmen oder ob diese jeweils für sich genommen die Kartellab sprache in einzelnen separaten Märkten umsetzen. (a) Gemeinsame Absatzhandlungen auf demselben Markt Die erste Konstellation umfasst den Fall, in dem mehrere Kartelltäter mit Sitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten eine Kartellabsprache treffen und die kartel lierte Ware dann alle jeweils in einem bestimmten Markt, nämlich dem Markt des geschädigten Klägers, absetzen. Verklagt nun der Geschädigte die Kartel lanten jeweils an ihrem Sitz, so kommt es zu verschiedenen Verfahren vor den Gerichten der jeweiligen Wohnsitz-Mitgliedstaaten der Kartelltäter. Die diesen Verfahren zugrunde liegende Sachlage betrifft dann jeweils die Absatzhand lung des betreffenden Kartellanten eines bestimmten Produkts in ein und dem selben Markt. Die Konstellation, in der mehrere Schädiger mit Sitz in unter 206
EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 21.
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schiedlichen Mitgliedstaaten jeweils dieselbe Schädigungshandlung in ein und demselben Mitgliedstaat vornehmen, hat der EuGH in der Rechtssache Solvay dahingehend beurteilt, dass hier von einer einheitlichen Sachlage auszugehen ist.207 Die Rechtsprechung des EuGH lässt sich ins Kartelldeliktsrecht übertra gen. Eine Modifikation ist dort nur insoweit vorzunehmen, als es im Kartellde liktsrecht nicht auf den Mitgliedstaat als territorialen Bezugspunkt ankommt, sondern auf den jeweils betroffenen Markt. Unter dieser Maßgabe ist daher bei gemeinsamen Absatzhandlungen mehrerer Kartellanten auf ein und demselben Markt vom Vorliegen derselben Sachlage auszugehen.208 Kämen die Gerichte in den verschiedenen Wohnsitzmitgliedstaaten zu jeweils unterschiedlichen Er gebnissen bezüglich der Haftung der einzelnen Kartellanten, so ergingen diese Entscheidungen jedenfalls auf Grundlage derselben Sachlage, was – das Vorlie gen derselben Rechtslage vorausgesetzt – aber die Gefahr sich widersprechen der Entscheidungen mit sich brächte. Damit ist in der Konstellation, bei der verschiedene Kartellanten mit Sitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten jeweils kartellierte Ware in ein und demselben Mitgliedstaat absetzen, von derselben Sachlage im Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO auszugehen. (b) Absatzhandlungen auf jeweils verschiedenen Märkten („Gebietskartell“) Die zweite Fallkonstellation betrifft das sog. „Gebietskartell“. Hier sprechen sich Kartellanten mit Sitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten über die Preise eines Produkts ab, wobei jeder Kartellant die Absprache auf einem eigenen Markt bzw. seinem Gebiet umsetzt. Kommt es zur Abnahme von Produkten durch den Geschädigten in einem dieser Gebiete und nimmt der Schädiger nicht nur seinen Lieferanten, sondern auch die anderen Mitglieder des Gebietskartells in Anspruch, so stellt sich für ihn auf der Ebene der internationale Zuständigkeit im Rahmen des Art. 8 Nr.1 EuGVO die Frage, ob dieselbe Sachlage vorliegt. Auch hier lässt sich eine Parallele zur Rechtsprechung des EuGH im europäi schen Patentrecht ziehen. Dort hatte der Gerichtshof in der Rechtssache Roche entschieden, dass die von verschiedenen Personen in verschiedenen Mitglied staaten vorgenommenen Verletzungshandlungen nicht dieselben seien.209 Über trägt man diese Erkenntnis auf das Kartelldeliktsrecht, so legt das den Schluss nahe, dass es auch hier am Vorliegen derselben Sachlage fehlen wird. Dementsprechend wird das Vorliegen einer einheitlichen Sachlage bisweilen mit dem Argument in Zweifel gezogen, dass die jeweiligen Umsetzungsakte durch die beteiligten Kartellanten sich auf jeweils unterschiedliche Handlungen 207
EuGH, 12.7.2012, Rs. C-616/10 (Solvay) Rn. 27 ff. M. Weller, ZVglRWiss 2013, 89, 97. 209 EuGH, 13.7.2006, Rs. C-539/03 (Roche) Rn. 27. 208
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bezögen, denen jeweils unterschiedliche tatsächliche Geschehensabläufe zu grunde lägen.210 So ist es etwa denkbar, dass zwar alle Kartellanten an der kar tellrechtlichen Absprache beteiligt sind, dass sie diese aber jeweils in unter schiedlicher Form umsetzen. Verwiesen wird etwa darauf, dass den einzelnen schadensbegründenden Handlungen durch die Kartellanten jeweils verschiede ne Lieferbeziehungen und eine unterschiedliche Vertriebs- und Preispolitik zu grunde liegen können.211 Untersuchen also zwei oder mehrere Gerichte getrennt voneinander jeweils die Kartellverstöße und die schadensbegründenden Umset zungsmaßnahmen diesbezüglich gegenüber einem Geschädigten, so ist es denkbar, dass in sachlicher Hinsicht den einzelnen Verfahren jeweils so unter schiedliche Sachlagen zugrunde liegen, dass sich ein Widerspruch der sich dar aus ergebenden Entscheidungen kaum mehr ergeben kann. Dies spräche dage gen, im Übereinklang mit der Rechtsprechung des EuGH in Roche für diese Konstellation eines „Gebietskartells“ das Vorliegen einer einheitlichen Sachla ge zu verneinen. Zu der genannten Entscheidung Roche, die zum Europäischen Bündelpatent erging, besteht gerade beim Kartelldeliktsrecht aber ein wesentlicher Unter schied. Die Umsetzungsmaßnahmen der verschiedenen Kartellanten stehen alle in einem einheitlichen Gesamtzusammenhang. Denn die verschiedenen Maß nahmen der Kartellanten in ihrem jeweiligen Gebiet setzen alle jeweils die ein heitlich getroffene Kartellabsprache um. Dass ein solcher Gesamtzusammen hang zwischen den einzelnen Handlungen für die Beurteilung derselben Sach lage von Bedeutung sein kann, hat der EuGH in seiner Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt. In den Rechtssachen Roche und Painer hatte der EuGH jeweils betont, dass das Verfolgen einer gemeinsamen Strategie zum Vorliegen derselben Sachlage führen kann.212 Die Umsetzung einer zuvor mit anderen Be klagten getroffenen kartellrechtlichen Absprache erfüllt diese Voraussetzungen geradezu idealtypisch. Denn in der einem Kartellverstoß vorausgehenden Ab sprache wird genau eine solche gemeinsame Strategie festgelegt. Dies spricht dafür, dass in einem Fall, in dem die Beklagten zunächst eine Kartellabsprache treffen und diese dann jeweils für sich genommen umsetzen, im Ergebnis die selbe Sachlage angenommen werden kann.213 Die Entscheidung darüber, ob es im Verhalten der Beklagten signifikante Un terschiede gibt oder ob deren Verhalten vielmehr im Sinne einer einheitlichen Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 308. Basedow/Heinze in: FS Möschel, S. 74; Harms, EuZW 2014, 129, 131. 212 Siehe dazu oben S. 49. 213 Ashton/Henry, Competition Damages Actions in the EU, S. 185, Rn. 7.052 mit Verweis auf ein Urteil der Rechtbank Den Haag vom 1.5.2013; Koutsoukou/Pavlova, WuW 2014, 153, 157 f. 210 211
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strategischen Vorgehensweise zu werten ist, trifft das jeweils mit der Sache be fasste Gericht auf Grundlage des konkreten Sachverhalts. Der Bewertungsmaß stab ist dabei jeweils die Frage, ob die die Sachlage betreffenden Unterschiede so groß sind, dass bei dem Ergehen von abweichenden Entscheidungen noch von einem Widerspruch gesprochen werden kann. Generell spricht aber auch in die ser Fallkonstellation eines Gebietskartells vieles dafür, aufgrund der gemeinsa men Umsetzungsstrategie von einer einheitlichen Sachlage auszugehen. (2) Kartellteilnehmer werden alle aufgrund der Handlung eines Beteiligten verklagt Eine andere Ausgangssituation besteht, wenn die Teilnehmer des Kartells alle aufgrund der Handlung eines Kartelltäters verklagt werden. Den übrigen Kar telltätern wird dabei die Handlung eines ihrer Beteiligten zugerechnet. In dieser Konstellation ergäbe sich ohne die Anwendung von Art. 8 Nr. 1 EuGVO die Si tuation, dass dann mehrere Kartelltäter vor den Gerichten unterschiedlicher Mitgliedstaaten verklagt würden, etwa indem die Kartellanten jeweils an ihrem Wohnsitzgerichtsstand nach Art. 4 EuGVO gerichtspflichtig gemacht würden. Die diesen Klagen zugrunde liegende Sachlage wäre vollkommen identisch, denn eine Haftung der Beklagten wird in dieser Konstellation in allen gerichtli chen Verfahren aus dem Verhalten ein und desselben Kartellmitglieds hergelei tet.214 Ein und dieselbe identische Verhaltensweise wirkt in dieser Konstellation haftungsbegründend für alle Beklagten. Insofern ist – sofern der Kläger erfolg reich darlegen kann, dass mehrere Kartellanten für die Handlung eines von ih nen mitverantwortlich sind – von einer vollständig identischen Sachlage auszu gehen. Die Vorgehensweise, dass der Kläger sich in unterschiedlichen Verfahren ge genüber mehreren Beklagten auf die Handlung eines dieser Beklagten stützen kann, setzt aber voraus, dass den Mitbeklagten die Handlung des Erstbeklagten zugerechnet werden kann. Nur wenn alle Beklagten für die Handlungen des Erstbeklagten haften, kann sich der Kläger mit Erfolg darauf stützen, dass auch die Mitbeklagten wegen eben dieses Verhaltens verantwortlich gemacht werden können. Die Konstellation, in der alle Kartellteilnehmer aufgrund der Handlung eines Kartelltäters verklagt werden, wirft insofern weniger Fragen im Hinblick auf das Vorliegen derselben Sachlage auf, sondern stellt sich vorrangig als ein Problem der Verhaltenszurechnung auf der Ebene der internationalen Gerichts zuständigkeit dar.
214
M. Weller, ZVglRWiss 2013, 89, 99.
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(a) Unionsrechtliche Zurechnung von Verhalten Eine solche Verhaltenszurechnung kann auf unterschiedlichen Wegen begrün det werden. Eine Möglichkeit besteht darin, die im materiellen Kartellbußgel drecht entwickelten Konzepte auf den Bereich der zivilrechtlichen Haftung für Kartellverstöße zu übertragen, um mit diesen Konzepten eine zivilrechtliche Handlungszurechnung zu begründen. Aus einer solchen Übertragung folgen dann gegebenenfalls auch Konsequenzen für die Bestimmung der Gerichtszu ständigkeit im Rahmen des Kartelldeliktsrechts. Die Voraussetzungen, unter denen eine solche unionsrechtliche Haftungszurechnung begründet werden kann, sind ausschließlich anhand des Unionsrechts und nicht etwa anhand nati onalen Rechts zu beantworten.215 (aa) Konzept der wirtschaftlichen Einheit Eine Möglichkeit, im Rahmen eines einheitlichen Kartellverstoßes das Verhal ten eines Kartellanten den anderen zuzurechnen, ist die Übertragung der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit bzw. des sog. undertaking-Konzepts in den Bereich der zivilrechtlichen Haftung für Kartellverstöße und dessen Ein führung auf die Ebene der internationalen Gerichtszuständigkeit. Die Europäi sche Kommission hat im Rahmen ihrer ständigen Praxis für die Zwecke des Art. 101 AEUV unter gewissen Voraussetzungen einen eigenen, speziell für das materielle Kartellrecht geschaffenen Unternehmensbegriff entwickelt.216 Er wird in der europäischen Bußgeldpraxis als „wirtschaftliche Einheit“ bzw. als undertaking bezeichnet.217 Er basiert auf einer wirtschaftlichen Betrachtungs weise, ist unabhängig von einer bestimmten Rechtsform und hat zur Folge, dass gegebenenfalls mehrere juristische Personen, die Teil der jeweiligen wirtschaft lichen Einheit sind, bußgeldrechtlich gleichermaßen für den Kartellverstoß ver antwortlich gemacht werden können.218 Im Falle einer kapitalmäßigen (fast) vollständigen Kontrolle einer Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft spricht gar eine widerlegliche Vermutung dafür, dass die Muttergesellschaft be stimmenden Einfluss auf das Verhalten der Tochtergesellschaft ausübt. Dann kann auch die Muttergesellschaft als Teil der wirtschaftlichen Einheit für den
215 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 230; Bulst, Bucerius Law Journal 2008, 81, 93. 216 Dazu umfassend Bosch, ZHR 2013, 454 ff. 217 Allgemein zum Konzept der wirtschaftlichen Einheit und seinen Grenzen: Jones, 8 European Competition Journal 301 (2012); Kersting, WuW 2014, 1156; Odudu/Bailey, 51 Common Market Law Review 1721 (2014). 218 Kersting, WuW 2014, 1156, 1157 f.
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Kartellverstoß der Tochter belangt werden.219 In einem solchen Fall erwächst die Befugnis der Europäischen Kommission zur Verhängung eines Bußgeldes gegenüber der Muttergesellschaft nicht etwa aus einem irgendwie gearteten Zu rechnungs- oder Beteiligungsverhältnis. Sie legitimiert sich daraus, dass Mut ter- und Tochterunternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden und die Ver stöße der rechtlich eigenständigen Gesellschaften jeweils dieser wirtschaftli chen Einheit zugerechnet werden.220 Bei Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit verstößt somit diese selbst gegen Kartellrecht.221 Ein Rückbezug auf die beteiligten juristischen Personen durch deren Benennung als Schuldner der Bußgeldentscheidung erfolgt nur, damit die Entscheidung nach dem dafür maß geblichen Recht des jeweiligen Vollstreckungsstaates vollstreckbar ist.222 Ließe sich die Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit vom Bußgeldrecht auf den Bereich der zivilrechtlichen Haftung für Kartellverstöße übertragen, so ge langte man zunächst zu der Situation, dass mehrere juristische Personen auf der Ebene des materiellen Kartelldeliktsrechts für ein und denselben Kartellverstoß gegenüber einem potentiellen Geschädigten haften.223 In einem ersten Schritt gilt es daher zu klären, ob die aus dem öffentlich-rechtlich geprägten Bußgeld recht stammende Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit in den Bereich der zivilrechtlichen Haftung für Kartellverstöße übertragen werden kann. Geht man von einer derartigen Übertragung des Konzepts in den Bereich der zivil rechtlichen Haftung aus, so lassen sich gegebenenfalls Rückschlüsse auf das Recht der internationalen Zuständigkeit und im vorliegenden Fall auf die Ausle gung und Anwendung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO ziehen. Dabei gilt auch für Art. 8 Nr. 1 EuGVO der Grundsatz, dass die Auslegung des Zuständigkeitsrechts an hand der ihm inhärenten Wertungen vorzunehmen ist und dass diese Auslegung unabhängig vom jeweils maßgeblichen Sachrecht zu erfolgen hat. Bei Art. 8 Nr. 1 EuGVO besteht indes nach der hier vorgeschlagenen Auslegung die Be sonderheit, dass die Zuständigkeitsnorm mit dem Erfordernis derselben Sachund Rechtslage einen unmittelbaren Verweis auf das materielle Recht enthält. Wäre die Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit also auf die Ebene der zivil rechtlichen Haftung übertragbar, so könnte dieses Konzept wohl auch auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit zur Anwendung gelangen. EuG, 12.12.2007, Rs. T-112/05 (Akzo Nobel) Rn. 60. EuG, 12.12.2007, Rs. T-112/05 (Akzo Nobel) Rn. 58; EuGH, 29.9.2011, Rs. C-C-521/09 P (Elf Aquitane) Rn. 88; Kersting, WuW 2014, 1156, 1158. 221 Kersting, WuW 2014, 1156, 1158. 222 Bulst, 4 EBOR 623, 635 (2003); Kersting, WuW 2014, 1156, 1158; Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 670. 223 Siehe dazu Kersting, WuW 2014, 1156, 1172, der diesbezüglich sogar eine gemein schaftliche Haftung durch Anerkennung einer Außen-GbR anerkennen will – freilich be schränkt auf eine rein kartell-zivilrechtliche Haftung. 219
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Aufgeworfen ist damit die vorgelagerte Frage nach einer Übertragbarkeit der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit ins Zivilrecht. Diese Frage findet bis lang nur am Rande Beachtung und ist nicht abschließend geklärt.224 Gegen eine solche Übertragung wird vor allem das gesellschaftsrechtliche Trennungsprin zip ins Feld geführt.225 Danach bilden verschiedene juristische Personen grund sätzlich separate Haftungseinheiten und eine „Konzernhaftung“ bzw. eine Haf tung der Gesellschafter der juristischen Person ist nur in begründeten Ausnah mefällen möglich. Demgegenüber würde das Prinzip der wirtschaftlichen Einheit eine Haftung über die gesellschaftsrechtlichen Grenzen hinaus statuie ren, bei der auch die Gesellschafter einer juristischen Person haftbar gemacht werden können. Die Übertragung des Prinzips der wirtschaftlichen Einheit auf die zivilrechtliche Haftung von Kartelltätern ist mit dem im Zivilrecht gelten den Trennungsprinzip unvereinbar. Für eine Übertragung des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit wird dem gegenüber auf das Effektivitätsprinzip in der Form, wie es der EuGH in den Rechtssachen Courage und Manfredi in Bezug auf das Kartelldeliktsrecht ent wickelt hat, verwiesen.226 Verfolgte man im Bereich der zivilrechtlichen Haf tung einen formalistischen Ansatz und betrachtete alle juristischen Personen getrennt voneinander, so müsste der Schadensersatzkläger für jede einzelne ju ristische Person der wirtschaftlichen Einheit positiv darlegen, dass diese gegen Kartellrecht verstoßen hat. Der zivilrechtliche Rechtsbehelf in Form des Scha densersatzanspruchs wäre dann aber deutlich weniger effektiv als das bußgeld rechtliche Haftungsregime. Denn die Übertragung des Konzepts der wirt schaftlichen Einheit führt dazu, dass den an der wirtschaftlichen Einheit betei ligten juristischen Personen die kartelldeliktischen Handlungen über die wirtschaftliche Einheit wechselseitig zugerechnet werden können. Das Verhal ten einer (juristischen) Person der wirtschaftlichen Einheit kann damit haf tungsbegründend für alle Beteiligten des undertaking wirken. Dies führte auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit zu derselben Sachlage im Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO und könnte damit im Ergebnis zu einer sehr großzügigen Auslegung des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft in Bezug auf dieselbe 224 Für eine Übertragbarkeit: Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 232; Fort in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, S. 516, Rn. 50; Kersting, WuW 2014, 1156, 1171; Kersting, Der Konzern 2011, 445, 456 ff.; Wurmnest in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 48; so wohl auch Koutsoukou/Pavlova, WuW 2014, 153, 159; gegen eine Übertragbarkeit: Scheidtmann, WRP 2010, 499, 502 f. 225 Wurmnest in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 48; van Vormizeele, WuW 2010, 1008, 1018. 226 Bulst, 4 EBOR 623, 639 (2003); Kersting, WuW 2014, 1156, 1171; Kersting, Der Kon zern 2011, 445, 457.
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Sachlage führen. Bevor ein eigenes Konzept zur Übertragung der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit in den Bereich der zivilrechtlichen Haftung entwi ckelt wird, soll nachstehend die bisherige Rechtsprechungspraxis der mitglied staatlichen Gerichte untersucht werden. Von Bedeutung ist dabei insbesondere die Rechtsprechung der englischen Gerichte. (i) Englische Rechtsprechung Der englische High Court zieht das Konzept der wirtschaftlichen Einheit regel mäßig heran, um damit den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art. 8 Nr. 1 EuGVO zu eröffnen. In den Entscheidungen Provimi227, Cooper Tire228 und Toshiba Carrier229 wurde so jeweils die internationale Zuständigkeit engli scher Gerichte begründet. Als Ankerbeklagte im Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO fungierte dabei jeweils eine englische Tochtergesellschaft einer der Adressatin nen der Bußgeldentscheidung, die an der Umsetzung des Kartells mutmaßlich beteiligt war. Indem der bußgeldrechtlich festgestellte Kartellverstoß der Mut tergesellschaft der Tochtergesellschaft zugerechnet wurde, gehörte die engli sche Tochtergesellschaft zuständigkeitsrechtlich zum Kreis der potentiellen Schadensersatzschuldner. Anknüpfend an diese Klage gegen die englische Tochtergesellschaft ließen sich dann auch ausländische Beklagte vor englischen Gerichten über Art. 8 Nr. 1 EuGVO gerichtspflichtig machen. Im Einzelnen las sen sich der englischen Rechtsprechung des High Court bzw. des Court of Appeal folgende Aussagen zur Übertragung der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit auf Art. 8 Nr. 1 EuGVO entnehmen: Der englische High Court dehnt zunächst das Konzept der wirtschaftlichen Einheit auf der Ebene des Zuständigkeitsrechts auch auf diejenigen juristischen Personen aus, die nicht Adressat der vorausgehenden Bußgeldentscheidung wa ren.230 Dadurch können auch solche Tochtergesellschaften als Ankerbeklagte fungieren, die keine unmittelbaren Adressaten der Bußgeldentscheidung der Europäischen Kommission sind. Dies führt zu der Situation, dass die Teilneh 227 High Court (Queen’s Bench Division), 6.3.2003, Provimi Limited v. Aventis Animal Nutrition SA and Others [2003] EuLR 517. 228 High Court (Queen’s Bench Division), 27.10.2009, Cooper Tire & Rubber Company and others v. Shell Chemicals UK Limited and others [2009] EWHC 2609 (Comm). 229 Court of Appeal, 13.9.2012, KME Yorkshire Limited and others v. Toshiba Carriers Uk Ltd [2012] EWCA Civ 1190. 230 High Court (Queen’s Bench Division), 6.3.2003, Provimi Limited v. Aventis Animal Nutrition SA and Others [2003] EuLR 517, Rn. 32; High Court (Queen’s Bench Division), 27.10.2009, Cooper Tire & Rubber Company and others v. Shell Chemicals UK Limited and others [2009] EWHC 2609 (Comm) Rn. 4 und 56; High Court (Chancery Division), 19.10.2011, Toshiba Carrier UK Ltd and others v. KME Yorkshire Limited and others [2011] EWHC 2665 (Ch) Rn. 34.
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mer eines Kartells, von denen keiner der direkten Beteiligten seinen Sitz in England hat, letztlich alle gebündelt vor englischen Gerichten in Anspruch ge nommen werden können, sofern einer der Kartellanten eine englische Tochter gesellschaft hat, die als Ankerbeklagte in Betracht kommt. Inhaltlich legt die englische Rechtsprechung das Konzept der wirtschaftli chen Einheit teils bereits auf der Ebene der internationalen Gerichtszuständig keit sehr weit aus. So rechnet der High Court regelmäßig auch das Verhalten der Muttergesellschaft der Tochtergesellschaft zu und nicht, wie dies im Bußgeld recht häufig der Fall ist, in umgekehrter Richtung. Eine solche wechselseitige Zurechnung von Verhalten zwischen verbundenen Unternehmen wird zwar in der deutschen Literatur bisweilen befürwortet.231 Beispiele aus der bisherigen Rechtspraxis des Bußgeldrechts gibt es für diese umgekehrte Form der Hand lungszurechnung bislang jedoch – soweit ersichtlich – keine.232 Eine Entschei dung des EuGH zur Verhaltenszurechnung unter zwei rechtlich selbstständigen Schwestergesellschaften deutet vielmehr in die gegenteilige Richtung.233 Dass demnach eine solche umgekehrte Form der Verhaltenszurechnung von der Mut tergesellschaft an die Tochtergesellschaft möglich ist, lässt sich also bereits für die Ebene des Bußgeldrechts mit Recht bezweifeln.234 Denn der entscheidende Grund, warum im Bußgeldrecht der Muttergesellschaft das Verhalten der Toch tergesellschaft zugerechnet werden kann, ist der bestimmende Einfluss der Muttergesellschaft auf die Tochtergesellschaft. Es sind gerade diese bestehen den Kontrollmöglichkeiten, die es rechtfertigen, das Verhalten der Tochterge sellschaft der Muttgergesellschaft zuzurechnen. Diese besondere Legitimation für eine Verhaltenszurechnung besteht bei einer Zurechnung des Verhaltens von der Mutter an die Tochter aber regelmäßig nicht. Auf diesen Umstand hat der Court of Appeal im Rahmen eines obiter dictum auch explizit hingewiesen.235 Der High Court sah sich dadurch indes nicht ver 231 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 232; Kersting, Der Konzern 2011, 445, 458. 232 Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 187. 233 EuGH, 2.10.2003, Rs. C-196/99 P (Aristrain) Rn. 96: „Nach ständiger Rechtsprechung kann das wettbewerbswidrige Verhalten eines Unternehmens einem anderen Unternehmen jedoch nur dann zugerechnet werden, wenn das erstgenannte Unternehmen sein Marktver halten nicht selbstständig bestimmt, sondern vor allem wegen der wirtschaftlichen und recht lichen Bindungen zwischen ihnen im Wesentlichen die Weisungen des letztgenannten Unter nehmens befolgt hat.“ (Hervorhebung durch den Verfasser); vgl. dazu die Urteilsanmerkung von Christian Steinle, EWS 2004, 118, 120. 234 Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, S. 154 f. 235 Court of Appeal (Civil Division), 23.7.2010, Cooper Tire & Rubber Company Europe Limited and others v. Dow Deutschland Inc and others [2010] EWCA Civ 864, Rn. 45: “Al though one can see that a parent company should be liable for what its subsidiary has done on the basis that a parent company is presumed to be able to exercise (and actually exercise)
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anlasst, seine Rechtsprechung in diesem Zusammenhang zu ändern. In der Ent scheidung Toshiba Carrier geht der High Court auf die durch den Court of Appeal geäußerten Bedenken ein, um dann aber festzustellen, er sei an die Ent scheidung eines judge of co-ordinate jurisdiction, also an die frühere Rechtsprechung des High Court, gebunden, es sei denn, er sei davon überzeugt, dass diese falsch sei.236 Diese Überzeugung konnte sich der High Court indes nicht abringen, sodass es im Ergebnis, trotz der inhaltlichen Kritik des Court of Appeal an der Interpretation des undertaking-Konzepts durch den High Court, bei dessen großzügiger Auslegung bleibt. Eine Vorlage der Frage zum EuGH, wie sie der Court of Appeal dem High Court nahegelegt hatte,237 hielt der High Court bei alledem freilich nicht für erforderlich.238 In der Rechtssache Toshiba Carrier wurde Rechtsmittel beim Court of Appeal eingelegt. Der Court of Appeal bekräftigte daraufhin erneut seine Kritik an der Linie des High Court.239 Auch diese Ausführungen des Court of Appeal er folgten aber als obiter dictum.240 Da der High Court sich bereits einmal in der Sache Toshiba Carrier über die Kritik des Court of Appeal hinweggesetzt hat, ist nicht zu erwarten, dass die zuletzt geäußerte Kritik des Court of Appeal an der Linie des High Court diesen dazu veranlassen wird, seine Rechtsprechung diesbezüglich zu ändern.241 In einem internationalen Kontext maßgeblich bleibt decisive influence over a subsidiary, it is by no means obvious even in an Article 81 context that a subsidiary should be liable for what its parent does, let alone for what another subsidi ary does.” 236 High Court (Chancery Division), 19.10.2011, Toshiba Carrier UK Ltd and others v. KME Yorkshire Limited and others [2011] EWHC 2665 (Ch) Rn. 42: “I am required to follow a decision of a judge of co-ordinate jurisdiction unless I am convinced that it is wrong. […] I cannot conclude that the decision of Aikens and Teare JJ are plainly wrong.” 237 Court of Appeal (Civil Division), 23.7.2010, Cooper Tire & Rubber Company Europe Limited and others v. Dow Deutschland Inc and others [2010] EWCA Civ 864, Rn. 46. 238 High Court (Chancery Division), 19.10.2011, Toshiba Carrier UK Ltd and others v. KME Yorkshire Limited and others [2011] EWHC 2665 (Ch) Rn. 43. 239 Court of Appeal, 13.9.2012, KME Yorkshire Limited and others v. Toshiba Carriers Uk Ltd [2012] EWCA Civ 1190, Rn. 37: “[…] I will express my own view that it is clear that, save in a case where the parent company exercises ,a decisive influence’ (in the language of EU jurisprudence) over its subsidiary or the same is true of a non-parent member of the group over another member, there is no scope for imputation of knowledge, intent or unlawful con duct.” 240 Court of Appeal, 13.9.2012, KME Yorkshire Limited and others v. Toshiba Carriers Uk Ltd [2012] EWCA Civ 1190, Rn. 37: “The Provimi point does not arise in the present case […].” 241 Der High Court bestätigte zuletzt seine in Provimi, Cooper Tire und Toshiba Carrier geäußerte Auffassung in einer allgemeinen Bemerkung in High Court (Chancery Division), 23.3.2012, Nokia Corporation v. AU Optronics Corporation et al., [2012] EWHC 731 (Ch) Rn. 82.
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damit vorerst die Rechtsprechungslinie des High Court, da dieser in internatio nalen Kartellschadensersatzklagen erstinstanzlich über die Zuständigkeitsbe gründung im Rahmen des Art. 8 Nr. 1 EuGVO zu entscheiden haben wird. Die englischen Gerichte verlangen außerdem, dass die Tochtergesellschaft, die durch das Absetzen von kartellierter Ware das Kartell umsetzt und auf die sem Verhalten aufbauend als Ankerbeklagte fungieren soll, von dem Kartell Kenntnis hatte. Auch mit diesem Kriterium verfährt der High Court indes sehr großzügig, indem er es ausreichen lässt, dass Mutter- und Tochtergesellschaft Teil derselben wirtschaftlichen Einheit sind und demzufolge innerhalb dieser wirtschaftlichen Einheit Wissen wechselseitig zugerechnet werden kann.242 Methodisch erstreckt der High Court damit also nicht mehr nur ein bußgeld rechtliches Konzept, das im Rahmen der Kommissionsentscheidung zur An wendung gelangt ist, auf die zivilrechtliche Haftung, sondern er erweitert dieses Konzept auf der Ebene der zivilrechtlichen Haftung und operiert auf dieser Ebene selbstständig mit dem Konzept der wirtschaftlichen Einheit als Zurech nungsgrund. Auch dieser Auffassung, nach der quasi immer eine solche Wis senszurechnung zwischen den (mutmaßlichen) Mitgliedern der wirtschaftlichen Einheit stattfinden soll, trat der Court of Appeal in Toshiba Carrier 243 und in Cooper Tire244 entgegen. Dabei vertrat er die Auffassung, dass außer in Fällen, in denen die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf die Tochter ausübt, eine solche Wissenszurechnung nicht ohne weiteres angenommen wer den könne.245 Da es sich dabei aber erneut um ein obiter dictum handelt, ist hier ebenfalls davon auszugehen, dass sich die Rechtsauffassung des High Court in der Praxis der englischen Gerichte zunächst durchsetzen wird. Schließlich kann nach der Rechtsprechung des High Court an einen engli schen Ankerbeklagten (mutmaßlich eine englische Tochtergesellschaft von ir gendeinem der Kartellanten) bereits dann angeknüpft werden, wenn diese Zw Court (Queen’s Bench Division), 6.3.2003, Provimi Limited v. Aventis Animal Nutrition SA and Others [2003] EuLR 517 = [2003] EWHC 961 (Comm), Rn. 31; High Court (Queen’s Bench Division), 27.10.2009, Cooper Tire & Rubber Company and others v. Shell Chemicals UK Limited and others [2009] EWHC 2609 (Comm) Rn. 56. 243 Court of Appeal, 13.9.2012, KME Yorkshire Limited and others v. Toshiba Carriers Uk Ltd [2012] EWCA Civ 1190, Rn. 37: “[…] it is clear that, save in a case where the parent com pany exercises “a decisive influence” (in the language of EU jurisprudence) over its subsidi ary or the same is true of a non-parent member of the group over another member, there is no scope for imputation of knowledge, intent or unlawful conduct.” (Hervorhebung durch den Verfasser). 244 Court of Appeal (Civil Division), 23.7.2010, Cooper Tire & Rubber Company Europe Limited and others v. Dow Deutschland Inc and others [2010] EWCA Civ 864, Rn. 45. 245 Court of Appeal (Civil Division), 23.7.2010, Cooper Tire & Rubber Company Europe Limited and others v. Dow Deutschland Inc and others [2010] EWCA Civ 864, Rn. 45. 242 High
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eigniederlassung das kartellierte Produkt vertrieben und damit das Kartell mut maßlich umgesetzt hat.246 Dass diese Tochtergesellschaft das kartellierte Produkt gerade an den Kläger abgesetzt hat, scheint nicht erforderlich zu sein. Die inhaltlich sehr weit gefasste Handhabung des Konzepts der wirtschaftli chen Einheit auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit wird zudem von den englischen Gerichten durch sehr geringe Anforderungen an den Darle gungsmaßstab in Bezug auf die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen er gänzt.247 Der High Court verlangt hierfür regelmäßig, dass der Kläger einen good arguable case vorbringt. Dies setzt eine Glaubhaftmachung zuständig keitsrechtlicher Tatsachen in einer unterhalb des Beweises stehenden Form auf der Basis von Wahrscheinlichkeiten voraus248 und stellt demnach keine beson ders hohe Hürde für den Kläger dar.249 Der Darlegungsmaßstab des good arguable case ist allgemein vor dem Hintergrund unionsrechtlicher Vorgaben der EuGVO und dem Erfordernis der Effektivität bereits fragwürdig.250 In Bezug auf die Anwendung dieses Darlegungsmaßstabs auf das Konzept der wirtschaft lichen Einheit erscheinen derart geringe Beweisanforderungen aber angesichts der sehr weitgehenden zuständigkeitsrechtlichen Konsequenzen, die daraus re sultieren, besonders kritikwürdig. (ii) Österreichische Rechtsprechung Auch der OGH Österreich wendete Art. 8 Nr. 1 EuGVO bei einer Kartellscha densersatzklage an und stützte sich zur Begründung des engen Zusammen hangs der Klagen dabei auf die Rechtsprechung des EuGH zur wirtschaftlichen Einheit.251 Inhaltlich geht der OGH Österreich bei der Anwendung des Kon zepts der wirtschaftlichen Einheit indes weniger weit als etwa der englische High Court. Der OGH wendet das Konzept der wirtschaftlichen Einheit an, um damit die Haftung der Muttergesellschaft von einer der kartellbeteiligten Toch tergesellschaften zu begründen, wobei die Muttergesellschaft 100% der Anteile an der Tochtergesellschaft hielt.252 Damit bringt der OGH das Konzept der wirt 246 High Court (Queen’s Bench Division), 6.3.2003, Provimi Limited v. Aventis Animal Nutrition SA and Others [2003] EuLR 517, Rn. 26–29; High Court (Chancery Division), 19.10.2011, Toshiba Carrier UK Ltd and others v. KME Yorkshire Limited and others [2011] EWHC 2665 (Ch) Rn. 36. 247 Israel/Dimopoulous/Walton, The European Antitrust Review 2014, 306, 307. 248 Zuletzt in einem kartelldeliktischen Zusammenhang etwa Competition Appeal Tri bunal, 15.8.2013, Deutsche Bahn et al. v. Morgan Advanced Materials Plc. et al., [2013] CAT 18, Rn. 30 ff. mit Verweis auf die bisherige Rechtsprechung. 249 Mankowski, IPRax 2006, 454, 455. 250 Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Einleitung vor Art. 2 , Rn. 24. 251 OGH (Österreich), Beschluss 14.2.2012, 5 Ob 39/11p = WuW 2012, 1251. 252 OGH (Österreich), Beschluss 14.2.2012, 5 Ob 39/11p = WuW 2012, 1251, 1258 f.
III. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. 1 EuGVO)
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schaftlichen Einheit auf Zuständigkeitsebene in einem Kontext zur Anwendung, in dem jedenfalls im Bußgeldrecht die Rechtslage als geklärt angesehen werden kann. Bei den Anforderungen an den Darlegungsmaßstab wendet der OGH aus drücklich den Grundsatz der doppelrelevanten Tatsachen an und lässt einen schlüssigen Klägervortrag ausreichen. (iii) Deutsche Rechtsprechung Die deutsche Rechtsprechung hat sich bislang zur Übernahme des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit aus dem europäischen Kartellrecht in das Zivilverfah rensrecht noch nicht geäußert. Einen ersten Schritt hin zur Anerkennung der wirtschaftlichen Einheit ist der BGH aber bereits gegangen, indem er die Ver bundklausel des § 36 Abs. 2 GWB, nach der verbundene Unternehmen kartell rechtlich als Einheit anzusehen sind, auf den gesamten Anwendungsbereich des GWB für anwendbar erklärt hat.253 Auch die Kenntnis von für den zivilrechtli chen Anspruch relevanten Umständen rechnet der BGH innerhalb eines Unter nehmensverbundes zu.254 In der unterinstanzlichen Rechtsprechung gibt es ers te Anzeichen dafür, dass auch die deutschen Gerichte in gewissem Umfang bei der Beurteilung der zivilrechtlichen Haftung auf die im europäischen Bußgeld recht entwickelten Konzepte zurückgreifen werden.255 (iv) Bewertung der mitgliedstaatlichen Rechtsprechung Die Analyse der bisherigen Rechtsprechung durch die mitgliedstaatlichen Ge richte zeigt, dass die Übertragung des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit in den Bereich zivilrechtlichen Haftung für Kartellverstöße weitreichende Folgen für die Bestimmung der internationalen Gerichtszuständigkeit hat. Insbesonde re der englische High Court geht teils von einer sachlich sehr weitgehenden Übertragbarkeit des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit auf die Zuständig keitsbestimmung nach Art. 8 Nr. 1 EuGVO aus.256 Hinzu kommt, dass die Ge richte hinsichtlich der Darlegungslast für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit meist einen sehr niedrigen Standard anwenden. Der OGH Österreich wendet etwa explizit den Grundsatz der doppelrelevanten Tatsachen an und lässt einen schlüssigen Klägervortrag genügen, um auf der Ebene der internati onalen Gerichtszuständigkeit das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit zu nächst zu unterstellen. 253
BGH Urt. v. 23.6.2009 – Az. KZR 21/08, 2. Leitsatz = NJW-RR 2010, 618. BGH Urt. v. 23.6.2009 – Az. KZR 21/08, 1. Leitsatz = NJW-RR 2010, 618. 255 OLG München, Urt. v. 9.2.2012 – Az. U 3283/11 Kart, Rn. 26. 256 Bulst, 4 EBOR 623, 640 (2003): “The High Court overstretched the European law concept of ‘undertaking’.” 254
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
Eine derart weitgehende Übertragung des Konzepts der wirtschaftlichen Ein heit ruft in zuständigkeitsrechtlicher Hinsicht jedoch Bedenken hervor. Unter stellt man an dieser Stelle, dass auch das Kriterium derselben Rechtslage bei derartigen Klagen erfüllt ist bzw. erfüllt sein kann, dann wird dadurch potenti ell der Anwendungsbereich des Art. 8 Nr. 1 EuGVO signifikant erweitert. Nach dem von den englischen Gerichten anzulegenden Maßstab etwa ist es für die Anwendung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO im Kartelldeliktsrecht ausreichend, wenn einer der beklagten Kartellanten eine Tochtergesellschaft mit Sitz in England hat, die bei der Umsetzung des Kartells auch nur in geringem Umfang mitge wirkt hat. Bei international weit verflochtenen Kartellen, bei denen oft Konzer ne mit vielen Tochtergesellschaften beteiligt sind, führt dies zu einer sehr weit gehenden Wahlmöglichkeit bei der Bestimmung der internationalen Gerichts zuständigkeit. Eine solche Wahlmöglichkeit besteht dann nicht nur im Hinblick auf den potentiellen Ankerbeklagten selbst, sondern gerade auch im Hinblick auf die Annexbeklagten, die dann am Gerichtsstand des Ankerbeklagten mit verklagt werden können.257 Bedenken bestehen in zuständigkeitsrechtlicher Hinsicht etwa im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit der möglichen Gerichtspflichtigkeit für den Beklagten. Die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands ist eine der zentralen Erwägungen, die dem System der prozessualen Gerechtigkeit, das die EuGVO anzustreben ver sucht, zugrunde liegt. Für einen Kartelltäter ist es zwar grundsätzlich vorher sehbar, am Wohnsitzgerichtsstand seiner „Komplizen“, also der anderen Kar tellteilnehmer, verklagt zu werden.258 Höchst zweifelhaft ist es aber, ob es für die Komplizen auch noch vorhersehbar ist, am Wohnsitzgerichtsstand irgendei ner Tochtergesellschaft, die einer der Komplizen bei der Umsetzung der kartell rechtlichen Absprache eingebunden hat, verklagt zu werden. Die potenzielle Einbeziehung von Tochtergesellschaften führt zu einer signifikanten Auswei tung der möglichen Gerichtsstände, und zwar in Bezug auf alle Mitbeklagten. Mit dem durch den EuGH häufig wiederholten Grundgedanken, dass die beson deren Gerichtsstände nur durch spezifisch sachliche Erwägungen zu rechtferti gen und daher eng auszulegen sind,259 scheint dies kaum mehr vereinbar zu sein. Die Auslegung und Anwendung des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit wirft insofern grundlegende Be denken im Hinblick auf die Frage der prozessualen Gerechtigkeit auf. Ashton/Vollrath, ZWeR 2006, 1, 14. Mankowski, WuW 2012, 947, 949. 259 Anstelle vieler zuletzt EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 24; siehe einge hend dazu Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Zivilprozess recht, S. 27 ff. 257
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III. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. 1 EuGVO)
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Insbesondere bei der Vorschrift des Art. 8 Nr. 1 EuGVO ist auch die Wechsel wirkung zwischen der inhaltlichen Ausgestaltung der Anwendungsvorausset zungen der Norm und dem Darlegungsmaßstab260 hinsichtlich des Vorliegens dieser Anwendungsvoraussetzungen, der dem Kläger abverlangt wird, von gro ßem Interesse. Im Rahmen des Art. 8 Nr. 1 EuGVO gilt der Grundsatz: „Je großzügiger der Konnexitätszusammenhang zwischen den Klagen interpretiert wird, desto höhere Anforderungen sind an die Darlegung des Tatsachenfundus zu stellen.“261 Die Kombination aus einer sehr weitgehenden inhaltlichen Über tragung des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit einerseits und einem relativ niedrigen, dem Kläger abzufordernden Darlegungsmaßstab für die zuständig keitsbegründenden Tatsachen andererseits erscheint problematisch. (v) Übertragbarkeit des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit auf die Ebene der internationalen Gerichtszuständigkeit Eine Übertragung des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit in den Bereich der zivilrechtlichen Haftung und damit mittelbar auch in den Bereich der internati onalen Gerichtszuständigkeit erscheint grundsätzlich möglich. Diese muss sich jedoch unter spezifisch zuständigkeitsrechtlichen Erwägungen rechtfertigen lassen. Ausgangspunkt dabei muss die Bindungswirkung der Entscheidung ei ner Bußgeldbehörde im Hinblick auf das undertaking-Konzept sein. Erst die Bindungswirkung führt dazu, dass das Konzept der wirtschaftlichen Einheit auch im Bereich der zivilrechtlichen Haftung Berücksichtigung findet. Eine Be urteilung dieses Konzepts im Zivilrecht muss daher von der Form ausgehen, die das Konzept im Bußgeldrecht gefunden hat. Ob dem Konzept darüber hinaus eine eigene zivilrechtliche Bedeutung zukommen kann, erscheint dagegen frag lich. Damit stellt jedenfalls die Reichweite der Bindungswirkung den entschei denden Ansatzpunkt einer konsistenten Übertragung des Konzepts der wirt schaftlichen Einheit in den Bereich des Zivilrechts dar. Ausgehend davon lässt sich eine Unterscheidung zwischen einem reinen follow-on-Verfahren und einer stand alone-Klage treffen. Handelt es sich um eine follow-on‑Klage, bei welcher der Kläger seinen Scha densersatzanspruch und die Begründung der internationalen Gerichtszustän digkeit zumindest auch auf eine vorangehende Bußgeldentscheidung stützt, so wird es häufig so sein, dass bereits die Bußgeldbehörde das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit untersucht und gegebenenfalls auf dieser Grundlage auch ein Bußgeld verhängt hat. Eine solche Entscheidung der Europäischen Kommission wird durch Art. 16 Abs. 1 der VO 1/2003 bewusst als verbindlich 260 261
Siehe dazu oben S. 45 ff. Althammer, IPRax 2006, 558, 562.
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
für einen gegebenenfalls nachfolgenden Zivilprozess erklärt. Dafür spricht in diesem Kontext das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip, wonach sich der Klä ger die Erkenntnisse des Bußgeldverfahrens in einem nachfolgenden zivilrecht lichen Schadensersatzverfahren auch zunutze machen können soll.262 Zwar wurde im Rahmen der vorliegenden Untersuchung herausgearbeitet, dass das Zuständigkeitsrecht der EuGVO grundsätzlich nicht durch das Gebot einer ef fektiven Durchsetzung des Kartellrechts beeinflusst werden sollte.263 Jedoch gilt in dem hier vorliegenden Kontext der Übertragung der wirtschaftlichen Einheit in das Zivilrecht insoweit etwas anderes, als hier durch Statuierung der Bindungswirkung ein Hineinwirken der bußgeldrechtlichen Entscheidung ex plizit durch den Unionsgesetzgeber angeordnet wird. Die Zivilgerichte sind dabei aber nur insoweit gebunden, als es sich im zivil rechtlichen Verfahren tatsächlich um dieselbe Sachverhaltskonstellation han delt, die auch der Bußgeldentscheidung zugrunde lag. Insbesondere ist der Kreis der Adressaten, für die sich eine zivilrechtliche Haftung aus der Bußgeldent scheidung der Europäischen Kommission ergeben kann, auf die in der Entschei dung genannten Adressaten beschränkt.264 Das Zivilgericht kann diese, von der Bindungswirkung umfassten Aspekte gar nicht anders entscheiden, weil es sonst nach dem Telos des Art. 16 Abs. 1 der VO 1/2003 zu sich widersprechen den Entscheidungen kommen kann, die gerade dadurch vermieden werden sol len. Wenn aber die Gerichte schon gar keine Entscheidung treffen können, die der Bußgeldentscheidung entgegensteht, dann ist es legitim, diese Entscheidung nicht erst auf der Ebene der Begründetheit, sondern bereits auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit zu berücksichtigen. Bezüglich dieser Tatsachen reicht ein bloßer Hinweis auf die Kommissionsentscheidung. Anders stellt sich die Situation in Bezug auf die Darlegung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Einheit dar, wenn der Kläger im Rahmen einer stand alone-Klage vorgeht. Dies ist etwa der Fall, wenn der Kläger vorträgt, dass auch andere juristische Personen als diejenigen, die in der Bußgeldentscheidung ge nannt sind, Teil der wirtschaftlichen Einheit sind, oder wenn das Vorliegen ei ner wirtschaftlichen Einheit an sich erst begründet werden soll. Unter diesen Umständen kann sich der Kläger nicht lediglich auf eine Bußgeldentscheidung 262 Darauf deutet Erwägungsgrund nur 34 der Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement hin: „[…] zur Erhöhung der Wirksamkeit und verfahrensrechtlichen Effizienz von Schadensersatzklagen […] sollte die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV oder Art. 102 AEUV in einer bestandskräftigen Entscheidung einer nationalen Wett bewerbsbehörde […] in späteren Verfahren über Schadensersatzklagen nicht erneut verhan delt werden.“ Dies muss in gleicher Weise für Bußgeldentscheidungen der Europäischen Kommission gelten. 263 Siehe dazu oben S. 8 ff. 264 Vgl. zum englischen Recht: Rose, Second Cumulative Supplement, S. 343, para. 14.117.
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der Europäischen Kommission berufen. Denn die Bindungswirkung ist in per soneller Hinsicht auf die in der Bußgeldentscheidung genannten Adressaten be grenzt.265 Der Kläger hat dann alle diese Tatsachen selbstständig zu begründen in seinem klägerischen Vortrag.266 (bb) Begehungsform der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung Als weiterer unionsrechtlicher Ansatz für eine Handlungszurechnung kommt die Begehungsform der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung in Be tracht.267 Danach kann die Europäische Kommission im Rahmen eines Buß geldverfahrens bei einem komplexen und über einen längeren Zeitraum prakti zierten Kartell anstatt eines Nachweises der einzelnen Beteiligungsbeiträge durch die jeweiligen Kartellanten auf das Bestehen einer einheitlichen und fort gesetzten Zuwiderhandlung abstellen. Dadurch werden wie beim Konzept der wirtschaftlichen Einheit allen Beteiligten alle Verstöße und Verhaltensweisen zugerechnet.268 Auch diese Form der Handlungszurechnung stammt aus dem Kartellbußgeldrecht und ist dem Zivilrecht grundsätzlich fremd. Das Konzept der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung wurde bereits von der nie derländischen Rechtsprechung zur Begründung des Konnexitätserfordernisses im Rahmen des Art. 8 Nr. 1 EuGVO und damit auf der Ebene der internationa len Gerichtszuständigkeit herangezogen.269 Auch der EuGH hob im Rahmen der CDC-Entscheidung im Rahmen des Art. 8 Nr. 1 EuGVO auf die Begehungsform der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung ab.270 Welche genauen Konsequenzen daraus aber für das Vorliegen des Konnexitätserfordernisses fol gen, bleibt in der Entscheidung indes offen. Im Ergebnis ist mit dem Konzept der einheitlichen und fortgesetzten Zuwi derhandlung in gleicher Form zu verfahren wie mit dem Konzept der wirt schaftlichen Einheit: Hat also die Kartellbehörde in ihrem Bußgeldbescheid eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung einiger Kartellbeteiligter festgestellt, so gebietet es die Bindungswirkung, dies auch bei der zivilrechtli
265 Becker/Vollrath in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Kartellrecht, Art. 16 VO Nr. 1/2003, Rn. 33; Kaubisch/Sagmeister, GRUR Int 2007, 890, 891. 266 Bulst, 4 EBOR 623, 639 (2003). 267 Siehe allgemein dazu Bailey, 47 CML Rev. 473 (2010). 268 Mestmäcker/Schweitzer in: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10, Rn. 14 f. 269 Urteil Rechtbank Den Haag, 1.5.2013, CDC Project SA 14 ./. Shell Petrolium N.V. und andere, Zaaknummer/rolnummer: C/09/414499 / HA ZA 12-293, para. 4.17. 270 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 21.
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
chen Haftung zu berücksichtigen.271 In der Form, die es in der Bußgeldentschei dung der Europäischen Kommission gefunden hat, kann das Konzept auch bei der Begründung der einheitlichen Sachlage im Rahmen des Art. 8 Nr. 1 EuGVO herangezogen werden.272 Eine Heranziehung der Bußgeldentscheidung ist auch hier unter dem Aspekt des Effektivitätsgrundsatzes geboten. Die Statuierung einer eigenständigen Nachweispflicht beim Kläger in so komplexen Fällen, in denen sogar die Europäische Kommission mit ihren umfassenden Untersu chungsrechten auf die Rechtsfigur der einheitlichen und fortgesetzten Zuwider handlung zurückgreifen muss, würde die Geltendmachung der Rechte des Klä gers im Zivilverfahren signifikant erschweren oder gar ganz vereiteln.273 Eine Erschwerung der Rechtsdurchsetzung wäre nämlich insbesondere darin zu se hen, dass der Kläger dann Tatsachen, die bereits hinlänglich durch die Bußgeld entscheidung bekannt sind, noch einmal eigenständig darlegen muss. Wie be reits bei der Berücksichtigung der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit gilt jedoch auch hier, dass eine Erweiterung dieses Konzepts auf der Ebene des Zi vilrechts bzw. der internationalen Gerichtszuständigkeit zuständigkeitsrecht lich nicht in Betracht kommt. (b) Zurechnung durch das jeweils anwendbare nationale Kartelldeliktsrecht Darüber hinaus ist es auch denkbar, dass eine Zurechnung der Handlung eines Kartelltäters an andere Kartelltäter nach dem jeweils anwendbaren nationalen Kartelldeliktsrecht vorgenommen wird und sich auf diesem Weg das Vorliegen derselben Sachlage im Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO ergibt.274 Nach Art. 15 Rom II-VO bestimmt das jeweils berufene Deliktsstatut, wer alles für eine de liktische Handlung haftet. Es bestimmt insbesondere auch Fragen der Zurech nung. Das Deliktsstatut wird bei Kartelldelikten nach Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO durch Anknüpfung an den Marktort bestimmt. Die Geltung des Mosaikprinzips auf der Ebene des Kollisionsrechts durch Anknüpfung an den jeweils betroffe nen Markt führt aber dazu, dass es bei der Situation der Mithaftung nach dem Deliktsstatut zunächst immer nur um ein und dieselbe Handlung eines Kartel lanten geht, für die gegebenenfalls ein oder mehrere andere Kartellanten mit haften.275 Eine solche Mithaftung besteht dann aber immer nur „isoliert für die 271 Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 11.12.2014 zu EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 65. 272 A.A aber wohl Harms, EuZW 2014, 129, 131, Fn. 15. 273 Dies legt Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement nahe. 274 Siehe dazu M. Weller, ZVglRWiss 2013, 89, 98 ff. 275 M. Weller, ZVglRWiss 2013, 89, 99.
III. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. 1 EuGVO)
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jeweilige Absatzhandlung“.276 Sofern man also die Mithaftung dem jeweils an wendbaren nationalen Kartelldeliktsrecht entnimmt, führt das Mosaikprinzip auf der Ebene des Kollisionsrechts dazu, dass eine Mithaftung zunächst auch nur in Bezug auf die Absatzhandlung auf einem Markt statuiert werden kann. Für die Absatzhandlung in einem anderen Markt ist dann auch wieder ein ande res nationales Deliktsrecht maßgeblich. Damit schafft das jeweils anwendbare Deliktsrecht bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen dieselbe Sachlage in Bezug auf ein und dieselbe Absatzhandlung. c) Dieselbe Rechtslage Um mehrere Klagen über Art. 8 Nr. 1 EuGVO zu bündeln, ist es erforderlich, dass den verschiedenen Klagen dieselbe Rechtslage zugrunde liegt. Geklärt ist durch die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Freeport277 und Painer278 jedenfalls, dass allein das Vorgehen aufgrund verschiedener Anspruchs grundlagen im Rahmen der unterschiedlichen Klagen kein Ausschlusskriteri um für das Vorliegen derselben Rechtslage darstellt. Bei der Beurteilung dersel ben Rechtslage im Kartelldeliktsrecht besteht zunächst die Besonderheit, dass das Kartellrecht mit Art. 101 und 102 AEUV harmonisiert ist. Die geschaffene Rechtsharmonisierung führt für sich genommen indes noch nicht zu einer ein heitlichen Rechtslage, weil dadurch eine identische Rechtslage nur in Bezug auf den Kartellrechtsverstoß als solchen im Sinne des materiellen Kartellrechts ge schaffen wird. Der Kartellverstoß ist zwar notwendige Voraussetzung für einen bestehenden Schadensersatzanspruch, er ist aber nicht hinreichend, um diesen zu begründen. Die übrigen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs rich ten sich demgegenüber nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht. Diese nur teilweise Identität der Rechtslage kann zur Begründung einer einheitlichen Rechtslage im Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO nicht genügen. Unterschiede in Bezug auf die Kausalität oder die Höhe des Schadens in den nationalen Rechts ordnungen,279 die neben dem materiellen Kartellrecht zur Anwendung kom men, können eine unterschiedliche Entscheidung rechtfertigen. Dies aber schlösse die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen aus.280 Damit trägt die Rechtsharmonisierung im Rahmen des materiellen Kartellrechts allenfalls zu einer einheitlichen Rechtslage bei. Sie vermag diese allein jedoch noch nicht zu begründen. Gleiches gilt auch für die Bindungswirkung der kartellbehördli M. Weller, ZVglRWiss 2013, 89, 100. EuGH, 11.10.2007, Rs. C-98/06 (Freeport) Rn. 47. 278 EuGH, 1.12.2011, Rs. C-145/10 (Painer) Rn. 81. 279 Harms, EuZW 2014, 129, 132. 280 Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 6, Rn. 37. 276
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
chen Bußgeldentscheidung, die sich sowohl auf die Sach- wie auch auf die Rechtslage hinsichtlich des Kartellverstoßes erstreckt. Diese stellt ebenfalls in Bezug auf die in ihr enthaltenen Umstände eine einheitliche Rechtslage dar, führt aber nicht zu einer vollständig einheitlichen Rechtslage in Bezug auf Art. 8 Nr. 1 EuGVO. Dieselbe Rechtslage in mehreren Streitigkeiten kann sich aber daraus erge ben, dass für diese Streitigkeiten jeweils dasselbe nationale Sachrecht zur An wendung gelangt. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH zum Eu ropäischen Patent. In der Entscheidung Roche hatte der EuGH das Vorliegen einer einheitlichen Rechtslage noch verneint. Zur Begründung verwies der EuGH auf Art. 2 Abs. 2 und 64 Abs. 1 und 3 des Münchner Übereinkommens zur Erteilung Europäischer Patente281, wonach sich das Europäische Patent aus den einzelnen nationalen Patenten der jeweiligen Mitgliedstaaten zusammen setzt, die ihrerseits dem nationalen Patentrecht des jeweiligen Mitgliedstaats unterliegen. Der EuGH schlussfolgerte, dass bei mehreren Streitigkeiten in un terschiedlichen Mitgliedstaaten über den dortigen jeweiligen Teil des Europäi schen Patents nicht dieselbe Rechtslage vorliegt, sondern das jeweilige nationa le (Patent-)recht des betroffenen Mitgliedstaats maßgeblich ist.282 Im Gegensatz dazu sah der EuGH in der Rechtssache Solvay die einheitliche Rechtslage dann als gegeben an, wenn zwei Beklagten die Verletzung eines Europäischen Pa tents in Bezug auf denselben nationalen Teil eines Europäischen Patents vorge worfen wird. In diesem Fall hätten die jeweiligen Gerichte anhand desselben nationalen Rechts – nämlich des Rechts dieses nationalen Teils des Europäi schen Patents – zu entscheiden.283 Ist in mehreren, gegebenenfalls über Art. 8 Nr. 1 EuGVO zu bündelnden Verfahren also dasselbe nationale Recht eines Mit gliedstaats maßgeblich, so führt dies im Patentrecht zu einer einheitlichen Rechtslage im Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO. Überträgt man diese Grundsätze auf das Kartelldeliktsrecht, so ist von einer einheitlichen Rechtslage auszugehen, wenn für den kartelldeliktischen Scha densersatzanspruch, der in den verschiedenen Verfahren vor den Gerichten un terschiedlicher Mitgliedstaaten geltend gemacht wird, jeweils dasselbe (natio nale) Recht zur Anwendung gelangt. Die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts kann demnach zu derselben Rechtslage im Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO füh ren.284 Die Rechtslage in Bezug auf die Bestimmung des auf das Kartelldelikts recht anwendbaren Rechts hat sich zuletzt mit dem Inkrafttreten der Rom II-VO und deren Art. 6 Abs. 3 geändert. Das materielle Recht befindet sich darüber 281
Übereinkommen über die Erteilung Europäischer Patente vom 5.10.1973. EuGH, 13.7.2006, Rs. C-539/03 (Roche) Rn. 31. 283 EuGH, 12.7.2012, Rs. C-616/10 (Solvay) Rn. 29 f. 284 Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 303. 282
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hinaus im Wandel und eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften hinsichtlich der auf private Kartellschadensersatzklagen anwendbaren nationalen Vorschrif ten ist mit der Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement auf den Weg gebracht. Dies macht es erforderlich, bei der Beurteilung derselben Rechtslage zwischen den unterschiedlichen temporären Rechtslagen zu differenzieren. Von Interesse sind zunächst die „Altfälle“. In der heutigen Entscheidungs praxis spielen aufgrund der zeitlichen Verzögerung etwaiger Schadensersatz klagen zu den sie begründenden Kartellverstößen immer noch Fallkonstellatio nen eine Rolle, in denen Art. 6 Abs. 3 der Rom II-VO (noch) nicht zur Anwen dung gelangt, die also nicht aufgrund der derzeit geltenden Rechtslage entschieden werden.285 Nach Art. 31 f. Rom II-VO findet die Rom II-VO auf schadensbegründende Ereignisse Anwendung, die nach ihrem Inkrafttreten, also nach dem 11. Januar 2009, eingetreten sind. Maßgeblich für den Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses im Rahmen eines Kartelldelikts ist die Um setzung der kartellwidrigen Absprache, etwa durch das Absetzen von Ware zu einem kartellbedingt überhöhten Preis.286 In diesen Fallkonstellationen wenden die jeweils mit der Sache befassten nationalen Gerichte ihr autonomes Kollisi onsrecht an. Dies kann dazu führen, dass unterschiedliche nationale Gerichte aufgrund unterschiedlicher Kollisionsvorschriften zur Anwendung eines unter schiedlichen Sachrechts auf die Streitigkeit gelangen.287 Allein die Gemeinsam keit, dass die nationalen Kollisionsvorschriften überwiegend auf das Auswir kungsprinzip abstellen, kann hierfür noch nicht für eine einheitliche Rechtslage im Sinne des Konnexitätserfordernisses nach Art. 8 Nr. 1 EuGVO führen. Vom Vorliegen einer einheitlichen Rechtslage für Fälle, die noch nicht der Rom IIVO unterfallen, kann also nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Anders stellt sich die Beurteilung aber nach aktueller Rechtslage dar. Denn mit Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO wurde das Kollisionsrecht für den Bereich des Kartelldeliktsrechts harmonisiert. Danach wird das anwendbare Recht nach dem Marktort bestimmt. Der Marktort bestimmt sich ausgehend vom Sitz des Nachfragers.288 Zumindest bei dem typischen Fall eines Kartells auf der Ange botsseite, bei dem jeweils ein und derselbe Kläger gegen mehrere Beklagte vor geht, die im selben Markt tätig geworden sind, ändert sich der Marktort dem nach aber nicht in Abhängigkeit vom Sitz des jeweiligen Beklagten. Für ein und denselben Kläger ist also im Hinblick auf einen spezifischen Kartellverstoß (etwa kartellbedingt überhöhte Preise in Bezug auf ein konkretes Produkt) im 285 So etwa das derzeit noch beim LG Dortmund anhängige Verfahren, Az.: 13 O 23/09, im Nachgang zum sog. Bleichmittel-Kartell. 286 Wurmnest, EuZW 2012, 933, 936. 287 Harms, EuZW 2014, 129, 131. 288 Siehe dazu unten S. 119.
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mer derselbe Marktort maßgeblich und damit auch immer dasselbe nationale Sachrecht (Art. 24 Rom II-VO) anwendbar, und zwar hinsichtlich aller Beklag ten. Ein und dasselbe Sachrecht wird aber einen einheitlichen (meist bereits behördlich festgestellten) Kartellverstoß gegenüber allen Kartellbeteiligten mit großer Wahrscheinlichkeit gleich beurteilen, sodass sich infolge der kollisions rechtlichen Beurteilung die Annahme einer einheitlichen Rechtslage nach der zeitiger Rechtslage im Kartelldeliktsrecht ergibt.289 Von einer einheitlichen Rechtslage kann darüber hinaus jedenfalls dann aus gegangen werden, wenn der Kläger erfolgreich eine Rechtswahl zugunsten der lex fori nach Art. 6 Abs. 3 lit. b) Hs. 2 Rom II-VO trifft.290 Bei einem Vorgehen über den Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 EuGVO ist das ein nicht unwahrschein liches Szenario, da die Wahl der lex fori für alle Ansprüche Effizienz- und vor allem Kostenvorteile für den Kläger mit sich bringt. Demzufolge ist nach aktu eller Rechtslage von derselben Rechtslage im Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO auszugehen, wenn ein Geschädigter in unterschiedlichen Verfahren kartellde liktische Schäden gegen mehrere Beklagte einklagt, die alle in diesem Markt den Kläger durch ihr kartelldeliktisches Verhalten geschädigt haben. Einen entscheidenden Schritt hin zu einer einheitlichen Rechtslage bei kar telldeliktischen Schadensersatzansprüchen bringt darüber hinaus auch die Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement. Diese sieht die Harmonisie rung der nationalen Rechtsordnungen vor, sodass die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in den für Kartellschadensersatzprozesse entscheidenden Punkten einander angeglichen werden.291 Dadurch ergibt sich in der typischen Konstellation einer follow-on-Klage eine sehr weitgehende Rechtsharmonisie rung in Bezug auf den kartelldeliktischen Schadensersatz. Bezüglich des Ver stoßes entfaltet die Behördenentscheidung in der Regel Bindungswirkung (§ 33 Abs. 4 GWB und Art. 16 VO 1/2003). Hinsichtlich der übrigen Tatbestands merkmale wird die Umsetzung der Richtlinie dafür sorgen, dass es zu einer abweichenden Rechtslage nur noch in den Bereichen kommen kann, die die Richtlinie nicht regelt. Elemente des Schadensersatzanspruchs, die nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie abgedeckt sind, unterliegen aber in Bezug auf ein und denselben Kläger immer derselben nationalen Rechtsordnung. Es stellt sich in diesem Zusammenhang aber die Frage, welche Maßstäbe an das Erfordernis des Vorliegens „derselben Rechtslage“ zu stellen sind und ob bei einer Rechtsharmonisierung mittels einer Richtlinie, bei der den Mitglied Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 302 ff. Basedow/Heinze in: FS Möschel, S. 76, Fn. 55; Koutsouka/Pavlova, WuW 2014, 153, 158; Scholz/Rixen, EuZW 2008, 327, 332. 291 Siehe dazu Gussone/Schreiber, WuW 2013, 1040; Mackenrodt, GRUR Int 2013, 757; Stauber/Schaper, NZKart 2014, 346. 289
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III. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. 1 EuGVO)
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staaten definitionsgemäß ein Umsetzungsspielraum verbleibt, den Anforderun gen an dieselbe Rechtslage genügen kann. Selbst die Umsetzung einer Richtli nie in den einzelnen Mitgliedstaaten kann dann nicht zu „derselben“ Rechtslage führen, wenn man dafür die vollständige Identität der Rechtslage verlangt. Eine solche kann nur dann gegeben sein, wenn zwei Sachverhalte nach ein und dem selben Sachrecht eines Mitgliedstaats beurteilt werden. Die Rechtsprechung des EuGH zum Urheberrecht deutet indes in eine andere Richtung. Das Urheber recht der Mitgliedstaaten beruht in weiten Teilen auf Unionsrecht in Form von Richtlinien und ist sehr weitgehend harmonisiert.292 Eben diese Erwägung hat den EuGH in der Rechtssache Painer dazu veranlasst, dem nationalen Gericht die Anwendung von Art. 8 Nr. 1 EuGVO nicht von vornherein zu untersagen.293 Dies ist bemerkenswert, weil das vorlegende Handelsgericht Wien in seiner Vor lagefrage explizit darauf hingewiesen hatte, dass in dem bei ihm anhängigen Verfahren „[…] Klagen auf national unterschiedlichen, inhaltlich aber in den wesentlichen Grundzügen identischen Rechtsgrundlagen […]“294 anhängig sei en. Eine vollständig identische Rechtslage in dem Sinne, dass dieselbe Rechts lage nur gegeben ist, wenn dasselbe nationale Recht zur Anwendung gelangt, verlangt der EuGH selbst jedenfalls nicht. Richtlinienumsetzungsrecht kann, – und darauf weist der EuGH explizit hin 295 – muss aber nicht zur Schaffung einer einheitlichen Rechtslage hinreichen. Dies zu prüfen gibt er dem mit der Sache befassten nationalen Gericht auf. Diese Interpretation des Merkmals „derselben Rechtslage“ in Bezug auf die Umsetzung von Richtlinien findet auch in der Literatur überwiegend Zustim mung.296 Ein solches Verständnis derselben Rechtslage scheint auch vor dem Hintergrund des CLIP-Projekts297 der Max Planck Group als angemessen. Die dort maßgebliche Vorschrift für den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft führt in Art. 2:206 aus: “[…] disputes involve essentially the same legal situation even if different national laws are applicable to the claims against the different defendants, provided that the relevant national laws are harmonised to a significant degree by rules of a regional economic integration orga nisation of by international conventions […].”
Danach kann harmonisiertes Richtlinien-Umsetzungsrecht den Anforderungen an dieselbe Rechtslage im Rahmen des Art. 8 Nr. 1 EuGVO genügen. Die Um 292
Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, § 7, Rn. 139. EuGH, 1.12.2011, Rs. C-145/10 (Painer) Rn. 82. 294 EuGH, 1.12.2011, Rs. C-145/10 (Painer) Rn. 43. 295 EuGH, 1.12.2011, Rs. C-145/10 (Painer) Rn. 84. 296 Harms, EuZW 2014, 129, 132; Mankowski, WuW 2012, 947, 949 f.; M. Weller, ZVglR Wiss 2013, 89, 97. 297 Näher dazu Kur, GRUR Int 2012, 857. 293
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
setzung der Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement wird demzufolge in Zukunft eine Anwendung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO in Bezug auf dieselbe Rechtslage ermöglichen.
2. Zusätzlicher Missbrauchsvorbehalt in Art. 8 Nr. 1 EuGVO Eine im Rahmen des Art. 8 Nr. 1 EuGVO noch ungeklärte Frage ist, ob über das Konnexitätserfordernis hinaus ein zusätzlicher Missbrauchsvorbehalt bei der Anwendung der Vorschrift besteht. Die Vorschrift ist anfällig für prozessualen Missbrauch, weil der Kläger ein handfestes Interesse daran haben kann, gegen einen bestimmten Ankerbeklagten nur deshalb an seinem Wohnsitz vorzuge hen, um dort auch die anderen Mitbeklagten gerichtspflichtig machen zu kön nen. In Bezug auf den Missbrauchsvorbehalt sind zwei widersprüchliche Recht sprechungslinien des EuGH erkennbar. Zum einen entschied der EuGH in der Rechtssache Reisch Montage, dass Art. 8 Nr. 1 EuGVO es einem Kläger nicht erlaubt, eine Klage gegen mehrere Beklagte allein zu dem Zweck zu erheben, einen von diesen der Zuständigkeit der Gerichte seines Wohnsitzstaates zu ent ziehen.298 Zum anderen entschied der EuGH wenig später in der Rechtssache Freeport, dass Art. 8 Nr. 1 EuGVO zur Anwendung gelangt, wenn eine Konne xitätsbeziehung zwischen den Klagen besteht, und zwar „[…] ohne dass über dies gesondert festgestellt werden müsste, dass die Klagen nicht nur erhoben worden sind, um einen der Beklagten den Gerichten seines Wohnsitzstaats zu entziehen.“299 Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass diese Rechtspre chung des EuGH inkonsistent ist.300 Trotz dieser uneindeutigen Rechtsprechung scheint es nicht so zu sein, dass der EuGH einen Missbrauch im Zusammenhang mit einer auf Art. 8 Nr. 1 EuG VO gestützten Klage bei Erfüllung des Konnexitätskriteriums für schlechter dings ausgeschlossen hält. Art. 8 Nr. 1 enthält im Gegensatz zu Art. 8 Nr. 2 EuGVO kein ausdrückliches Missbrauchskriterium. Dies legt den Schluss nahe, dass es zwar einen allgemeinen Missbrauchsvorbehalt in Art. 8 Nr. 1 EuGVO gibt, dass dieser aber jedenfalls kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal dar stellt.301 Tatsächlich wird bereits die richtige Handhabung des Konnexitätskrite riums dazu führen, dass die Mehrzahl der Fälle, in denen eine missbräuchliche 298 EuGH, 13.7.2006, Rs. C-103/05 (Reisch Montage) Rn. 32; EuGH, 12.7.2012, Rs. C-616/10 (Solvay) Rn. 22. 299 EuGH, 11.10.2007, Rs. C-98/06 (Freeport) Rn. 54. 300 Leible in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 6 Brüssel I‑VO, Rn. 9a. 301 Geimer in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 6 EuGVVO, Rn. 23.
III. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. 1 EuGVO)
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Inanspruchnahme des Art. 8 Nr. 1 EuGVO droht, von vornherein mangels vor liegender Konnexität ausscheidet.302 Kein rechtsmissbräuchliches klägerisches Vorgehen ist jedenfalls darin zu sehen, dass der Kläger eine von vornherein unzulässige Klage erhebt, die es ihm erlaubt, dann auch andere Beklagte an eben diesem Gerichtsstand gerichts pflichtig zu machen. Dies hat der EuGH in Reisch Montage explizit für eine Klage gegen einen Beklagten entschieden, gegen den zum Zeitpunkt der Klage erhebung das Insolvenzverfahren eröffnet worden war und daher von vornher ein unzulässig gewesen ist.303 In einem solchen Fall wäre es vorzugswürdig, die Fragen der (offensichtlichen) Unzulässigkeit nicht im Rahmen des allgemeinen Missbrauchsvorbehalts zu berücksichtigen, sondern vielmehr bereits im Rah men der Konnexität. Bei einer offensichtlich unzulässigen bzw. unbegründeten Klage besteht nämlich von vornherein bereits keine Gefahr sich widersprechen der Entscheidungen.304 Art. 8 Nr. 1 EuGVO enthält folglich keinen allgemeinen Missbrauchsvorbehalt im Sinne des Art. 8 Nr. 2 EuGVO, dessen Prüfung Vor aussetzung für die Anwendbarkeit der Vorschrift ist. Daneben unterliegt Art. 8 Nr. 1 EuGVO aber dem allgemeinen und nicht spezifisch für Art. 8 Nr. 1 EuG VO geltenden Missbrauchsvorbehalt im europäischen Zuständigkeitsrecht. Relevanz für das Kartelldeliktsrecht hat insbesondere auch die Frage, wann die Voraussetzungen des Art. 8 Nr. 1 EuGVO vorliegen müssen. Diese Proble matik stellte sich auch im Rahmen des CDC-Verfahrens.305 Dort hatte der An kerbeklagte nach Klageerhebung einen Vergleich mit den Klägern geschlossen und war als Beklagter damit „entfallen“. Die Frage, wie sich dies auf die inter nationale Zuständigkeit gegenüber den Mitbeklagten auswirkt, hatte das LG Dortmund dem EuGH explizit zur Vorabentscheidung vorgelegt.306 Zwar droht mit dem Wegfallen der Klage gegen den Ankerbeklagten gegenüber diesem das Ergehen von sich widersprechenden Entscheidungen nicht mehr. Es gilt aber der allgemeine Grundsatz, dass die Voraussetzungen der internationalen Zustän digkeit im Zeitpunkt der Klageerhebung vorliegen müssen.307 Dieser Zeitpunkt ist nach den Grundsätzen des Art. 32 Abs. 1 EuGVO zu bestimmen, dessen Geimer in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 6 EuGVVO, Rn. 23; Leible in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 6 Brüs sel I‑VO, Rn. 9. 303 EuGH, 13.7.2006, Rs. C-103/05 (Reisch Montage) Rn. 31; kritisch insoweit Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 6, Rn. 44. 304 Coester-Waltjen in: FS Kropholler, S. 756. 305 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 26–32; LG Dortmund, Az.: 13 O 23/09. 306 Vorabentscheidungsersuchen des LG Dortmund, Beschl. v. 29.4.2013 – Az. 13 O (Kart) 23/09 = BeckRS 2013, 10006, Vorlagefrage 1b. 307 Vgl. die Wendung „[…] bei ihrer Erhebung […]“ in EuGH, 11.10.2007, Rs. C-98/06 (Freeport) Rn. 54. 302
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
Wertungen sich für diese Zwecke in das Recht der internationalen Zuständigkeit übertragen lassen.308 Eine spätere Veränderung der einmal vorliegenden Vor aussetzungen für die Anwendbarkeit des Art. 8 Nr. 1 EuGVO kann also nicht rückwirkend zur Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts führen.309 Auch wäre es kaum einzusehen, dass eine Vereinbarung im Verhältnis zwischen Klä ger und Ankerbeklagten sich zuständigkeitsrechtlich nachteilig auf die Mitbe klagten auswirken könnte. Ein für das Kartelldelikt relevanter Fall für eine solche missbräuchliche Handhabung der Zuständigkeit des Art. 8 Nr. 1 EuGVO wäre etwa in der durch das LG Dortmund angedeuteten Konstellation zu sehen. Der Kläger schließt dabei mit dem Ankerbeklagten einen Prozessvergleich, den er aber erst nach Klageerhebung öffentlich macht, damit er die Mitbeklagten Kartelltäter am Wohnsitzgerichtsstand der Vergleichspartei gerichtspflichtig machen kann. Können die Beklagten vor dem mit der Sache befassten Gericht einen solchen Missbrauch nachweisen, so kann es dem Kläger zulässigerweise verwehrt sein, sich auf den Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 EuGVO zu berufen.310
3. Zwischenergebnis Art. 8 Nr. 1 EuGVO findet auf kartelldeliktische Fälle Anwendung und bietet dem Kläger die Möglichkeit, mehrere Kartellanten an einem einheitlichen Ge richtsstand zu verklagen. Zentrale Anwendungsvoraussetzung der Vorschrift ist das Vorliegen des autonom-europäischen Kriteriums einer einheitlichen Sachund Rechtslage. Allein eine fallgruppenspezifische Begründung durch das je weils anwendbare nationale Recht, etwa bei Vorliegen einer Gesamtschuld nach nationalem Recht, reicht hingegen nicht aus. Gemeinsame Absatzhandlungen verschiedener Kartellanten auf einem Markt führen zu einer einheitlichen Sach lage. Auch bei Absatzhandlungen der Kartellanten auf jeweils verschiedenen Märkten kann eine einheitliche Sachlage gegeben sein. Schließlich kann eine einheitliche Sachlage daraus resultieren, dass den Kartelltätern ihr Verhalten nach unionsrechtlichen Maßstäben zugerechnet wird, etwa aufgrund des Vorlie gens einer wirtschaftlichen Einheit oder einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung. Nach dem Erlass der Rom II-VO sowie der Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement ist außerdem regelmäßig vom Vorliegen einer einheitlichen Rechtslage auszugehen. 308 Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 11.12.2014 zu EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 81; Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Einleitung vor Art. 2, Rn. 29. 309 Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 11.12.2014 zu EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 83. 310 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 32.
IV. Vertragsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 1 EuGVO)
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IV. Vertragsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 1 EuGVO) Bei Kartelldelikten besteht zwischen Kläger und Beklagtem häufig eine ver tragliche Beziehung, etwa bei einer Klage des Abnehmers eines kartellierten Produkts gegen seinen Lieferanten. In diesen Fällen kommt Art. 7 Nr. 1 EuGVO als weiterer besonderer Gerichtsstand für kartelldeliktische Schadensersatzkla gen in Betracht. Voraussetzung für die Eröffnung des Vertragsgerichtsstands im Sinne des Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVO ist, dass „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ den Gegenstand des Verfahrens bilden. Die Frage, ob ein An spruch vertraglicher Natur im Sinne des Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVO ist, wird au tonom bestimmt.311 Der EuGH stellte im Zusammenhang mit der Auslegung der Wendung „Ver trag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ lange Zeit auf das Merkmal der „frei willig eingegangenen Verpflichtung“ ab.312 Mit dem Urteil in der Rechtssache Brogsitter313 hat der EuGH den Begriff des vertraglichen Anspruchs nun darü ber hinausgehend konkretisiert. Danach reicht allein die Tatsache, dass eine der beiden Vertragsparteien eine auf eine zivilrechtliche Haftung abzielende Klage erhebt, nicht aus, damit der Anspruch als vertraglich im Sinne des Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVO angesehen werden kann.314 Allein eine vertragliche Beziehung zwischen Kläger und Beklagtem ist daher für eine vertragliche Qualifikation des Anspruchs nicht hinreichend. Das Bestehen eines Vertrags zwischen den Parteien ist andererseits aber auch nicht erforderlich, damit der Anspruch als vertraglich im Sinne des Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVO eingeordnet werden kann.315 Die Tatsache, dass zwar ein Vertrag bestand, dieser aber durch die kartellrecht liche Nichtigkeitsfolge nach Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB gegebenenfalls nichtig ist, ist demnach zuständigkeitsrechtlich nicht von Belang. Ebenso wenig kann die deliktische Qualifikation einer kartelldelikti schen Klage in Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO präjudiziell für das Recht der interna tionalen Zuständigkeit wirken. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Brogsitter ist vielmehr erforderlich, dass „[…] das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die ver traglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, […]“316. Dies ist nach An 311
Ständige Rechtsprechung, zuletzt EuGH, 13.3.2014, Rs. C-548/12 (Brogsitter) Rn. 21. EuGH, 17.6.1992, Rs. C-26/91 (Handte) Rn. 15; EuGH, 27.10.1998, Rs. C-51/97 (Réunion européenne) Rn. 17; EuGH, 17.9.2002, Rs. C-334/00 (Tacconi) Rn. 23. 313 EuGH, 13.3.2014, Rs. C-548/12 (Brogsitter). 314 EuGH, 13.3.2014, Rs. C-548/12 (Brogsitter) Rn. 23. 315 EuGH, 17.9.2002, Rs. C-334/00 (Tacconi) Rn. 22; Hess, Europäisches Zivilprozess recht, § 6, Rn. 48; Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 5, Rn. 22. 316 EuGH, 13.3.2014, Rs. C-548/12 (Brogsitter) Rn. 24. 312
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
sicht des EuGH anzunehmen, wenn zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verhaltens des Beklagten „[…] eine Auslegung des Vertrags zwischen dem Be klagten und dem Kläger unerlässlich erscheint, […]“317. Eine vertragliche Bezie hung zwischen den Parteien führt also nur dann zur Eröffnung des Vertragsge richtsstands nach Art. 7 Nr. 1 EuGVO, wenn es im Rahmen der Streitigkeit maßgeblich auf den Inhalt des Vertrags und dessen Auslegung ankommt.
1. Sonderfall: compliance-Klauseln Ein solcher Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen, bei dem eine Aus legung des Vertrags unerlässlich erscheint, liegt in Fallkonstellationen nahe, in denen der Vertrag zwischen Kläger und Beklagtem eine sog. compliance-Klau sel enthält.318 Eine solche compliance-Klausel ist in verschiedenen Formen denkbar. In der einfachsten Form verpflichtet sich der Verkäufer einer Ware gegenüber dem Käufer mit der Klausel, nicht an kartellwidrigen Absprachen teilzunehmen, und verspricht für den Fall einer Zuwiderhandlung dem Abneh mer einen (meist pauschalierten) Schadensersatz. Denkbar ist eine compliance-Klausel aber auch in der Form, dass der Abnehmer seinen eigenen sog. Code of Conduct, also die wesentlichen Inhalte des eigenen compliance-Programms, auf Dritte und insbesondere seine Lieferanten erstreckt. Auch auf diesem Weg kann es dazu kommen, dass der Verkäufer indirekt durch die Klausel verpflich tet wird, nicht gegen Kartellrecht zu verstoßen. Die Fallgestaltungen sind viel fältig. Diesen Fällen ist jedoch gemein, dass der Grund der Haftung nicht erst aus dem Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften erwächst, sondern seine Grundlage im Vertrag zwischen den Parteien findet. Das mit der Sache befasste Gericht muss in diesen Fällen für eine Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls die entsprechende Klausel und damit den Inhalt des Vertrags selbst auslegen, um über die Haftung entscheiden zu können. Dementsprechend ist eine kartell deliktische Klage, die auf eine compliance-Klausel gestützt wird, grundsätzlich als vertraglich im Sinne des Art. 7 Nr. 1 EuGVO zu qualifizieren. Eine solche Klage müsste am Vertragsgerichtsstand erhoben werden und der Deliktsge richtsstand stünde – weil dafür das Nicht-Vorliegen einer vertraglichen Streitig keit verlangt wird – nicht zur Verfügung. Auch bei einer im Zusammenhang mit einem kartellrechtlichen Verstoß erhobenen Feststellungsklage hinsichtlich der Nichtigkeit des Vertrags wäre von einer vertraglichen Streitigkeit im Sinne des Art. 7 Nr. 1 EuGVO auszugehen.319 317
EuGH, 13.3.2014, Rs. C-548/12 (Brogsitter) Rn. 25. zu compliance-Klauseln: Teicke/Matthiesen, BB 2013, 771; Gilch/Pelz, CCZ 2008, 131. 319 Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 6, Rn. 48. 318 Allgemein
IV. Vertragsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 1 EuGVO)
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2. Vertragliche Qualifikation Trotz zunehmender Häufigkeit von compliance-Klauseln wird es regelmäßig so sein, dass es an einer solchen Klausel fehlt. In einem solchen Fall ist zu differen zieren: Fehlt es bereits an irgendeiner vertraglichen Beziehung zwischen den Parteien, so scheidet eine vertragliche Qualifikation im Sinne des Art. 7 Nr. 1 EuGVO von vornherein aus. Dies ist etwa im Fall einer Klage eines indirekten Abnehmers des kartellierten Produkts der Fall. Eine Abgrenzung ist vor allem in denjenigen Fällen notwendig, in denen zwischen Kläger und Beklagtem eine vertragliche Beziehung besteht, wenn also z. B. der direkte Abnehmer eines Kartellanten diesen aufgrund kartellbedingt überhöhter Preise in Anspruch nimmt. Auf den ersten Blick scheint der Anspruch in diesem Fall unmittelbar mit dem Vertrag verknüpft zu sein, da aus dem Vertrag die Verpflichtung zur Abnahme und Bezahlung des kartellbedingt überhöhten Preises folgt.320 Trotz dem wäre es aber verfehlt, allein aufgrund der bestehenden Vertragsbeziehung den geltend gemachten Schadensersatzanspruch als vertraglich zu qualifizieren. Denn zum einen reicht das Bestehen einer vertraglichen Beziehung für sich genommen nicht zur Begründung einer vertraglichen Qualifikation.321 Zum an deren knüpft die Haftung hier gerade nicht an eine freiwillig eingegangene Ver pflichtung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH, sondern vielmehr an eine gesetzlich statuierte Haftung an.322 Eine kartelldeliktische Schadensersatzhaf tung kann nämlich auch ohne einen Vertrag bestehen, wobei die Haftungsvor aussetzungen genau dieselben wie bei Bestehen eines Vertrags sind. Kartellde liktische Klagen sind somit außerhalb von Sonderkonstellationen, wie etwa ei ner Haftung aufgrund von compliance-Klauseln, als nicht-vertraglich zu qualifizieren und fallen daher regelmäßig nicht in den Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1, sondern in den des Art. 7 Nr. 2 EuGVO.323
3. Kognitionsbefugnis am Vertragsgerichtsstand Im Zusammenhang mit Art. 7 Nr. 1 EuGVO stellt sich zudem die relevante Fra ge, ob das Gericht am Vertragsgerichtsstand in seiner Kognitionsbefugnis be schränkt ist, vergleichbar etwa mit der gängigen Auslegung beim Deliktsge richtsstand. Dort hat der EuGH ausdrücklich die Kognitionsbefugnis des Ge richts im Deliktsgerichtsstand beschränkt und dies mit der erforderlichen engen Becker/Kammin, EuZW 2011, 503, 505. EuGH, 13.3.2014, Rs. C-548/12 (Brogsitter) Rn. 23. 322 Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 277. 323 Withers, J. B. L 2002, 250, 260; Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 277. 320
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
Auslegung der besonderen Gerichtsstände begründet.324 Auch für den hier rele vanten umgekehrten Fall, bei dem deliktische Ansprüche im Vertragsgerichts stand geltend gemacht werden sollen, ist dies so zu handhaben.325 Zwar ist mit Recht darauf hingewiesen worden, dass eine vertragsakzessorische Anknüp fung im allgemeinen Kollisionsrecht (z. B. Art. 4 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 2 Rom II-VO) dafür spricht, dass es beim Vertragsgerichtsstand gerade keine Be schränkung der Kognitionsbefugnis in Bezug auf deliktische Ansprüche geben sollte.326 Diese Überlegung greift aber jedenfalls im Hinblick auf das Kartellde liktsrecht nicht durch, weil Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO eine vergleichbare vertrags akzessorische Anknüpfung nicht enthält. Die Gerichte im Vertragsgerichtsstand sind demnach in ihrer Kognitionsbefugnis beschränkt und es können dement sprechend keine kartelldeliktischen Schadensersatzklagen im Vertragsgerichts stand geltend gemacht werden.327
4. Zwischenergebnis Sachverhalte, die kartelldeliktische Ansprüche erzeugen, führen nicht zu ver traglichen Ansprüchen im Sinne des Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVO. Eine Ausnahme bilden compliance-Klauseln, weil dort der Anspruch unmittelbar aus der ver traglichen Abrede entspringt. Die Gerichte am Vertragsgerichtsstand sind in ihrer Kognitionsbefugnis dann aber auf vertragliche Ansprüche beschränkt und können nicht zugleich über deliktische Ansprüche am Vertragsgerichtsstand entscheiden.
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO) Die zentrale Zuständigkeitsvorschrift für ein Vorgehen gegen einen einzelnen Kartelltäter im Anwendungsbereich der EuGVO ist der Deliktsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 EuGVO. Für Ansprüche aus unerlaubter Handlung eröffnet diese Norm dem Kläger den besonderen Gerichtsstand am Tatort des Kartellde likts.
324
EuGH, 27.9.1988, Rs. 189/87 (Kalfelis) Rn. 19–21. M. Weller, RabelsZ 77 (2013) 419, 421. 326 Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVO, Rn. 79. 327 Becker/Kammin, EuZW 2011, 503, 505. 325
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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1. Deliktische Qualifikation von Schadensersatzansprüchen aufgrund von Kartellverstößen Voraussetzung dafür, dass der Kläger seine Schadensersatzklage gegen den Kartelltäter bei den Gerichten am Tatort des Delikts vorbringen kann, ist, dass sich der geltend gemachte Anspruch als deliktisch im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVO qualifizieren lässt. Dies ist autonom zu bestimmen. Der EuGH legt den Begriff „unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung“ im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVO in ständiger Rechtsprechung dahingehend aus, dass sich dieser Begriff auf jede Klage bezieht, mit der eine Schadenshaftung des Beklag ten geltend gemacht wird und die nicht an einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne des Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVO anknüpft.328 Es müssen also zwei Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine Klage als deliktisch zu qua lifizieren ist: (i) mit dem Anspruch muss eine Schadenshaftung geltend gemacht werden und (ii) bei dem Anspruch darf es sich nicht um einen vertraglichen Anspruch im Sinne des Art. 7 Nr. 1 EuGVO handeln. Die erste Voraussetzung – Geltendmachung einer Schadenshaftung – ist bei kartelldeliktischen Schadensersatzklagen geradezu idealtypisch erfüllt. Ent scheidend für die deliktische Qualifikation ist die zweite Voraussetzung. Dabei erfolgt die Abgrenzung, ob ein vertraglicher oder ein deliktischer Anspruch vorliegt, nicht etwa dadurch, dass für beide Gerichtsstände gesondert geprüft wird, ob die jeweiligen Merkmale für eine vertragliche bzw. deliktische Quali fikation vorliegen. Vielmehr ist vorrangig zu prüfen, ob der Anspruch als ver traglich im Sinne des Art. 7 Nr. 1 EuGVO einzuordnen ist. Insofern ist auf die vorstehenden Ausführungen zur vertraglichen Qualifikation von kartelldelikti schen Schadensersatzklagen zu verweisen.329 Danach sind vorbehaltlich beson derer Ausnahmefälle, wie etwa bei compliance-Klauseln, kartelldeliktische Schadensersatzklagen als deliktisch zu qualifizieren330, sodass für diese grund sätzlich der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 7 Nr. 2 EuGVO zur Verfügung steht.331
328 EuGH, 27.9.1988, Rs. 189/87 (Kalfelis) Rn. 17; EuGH, 13.3.2014, Rs. C-548/12 (Brog sitter) Rn. 20. 329 Siehe dazu oben S. 77 ff. 330 Rehbinder in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, § 130 GWB, Rn. 325; Zimmer/Leopold, EWS 2005, 149, 150. 331 Dietrich/Hartmann-Rüppel in: Gotts, The Private Competition Enforcement Review, S. 124.
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
2. Lokalisierung des Tatorts bei Kartelldelikten Die zentrale Weichenstellung im Rahmen des Deliktsgerichtsstands besteht in der Lokalisierung des Tatorts der deliktischen Handlung als dem Ort, an dem das schädigende Ereignis im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVO eingetreten ist oder einzutreten droht. Denn diese Lokalisierung entscheidet letztlich über die inter nationale Zuständigkeit. Bei Distanzdelikten gilt nach ständiger Rechtspre chung das Ubiquitätsprinzip, d. h. der Kläger hat die Wahl, ob er den Deliktstä ter am Ort der deliktischen Handlung oder aber am Ort des Deliktserfolgs ge richtspflichtig macht.332 Es gilt auch im Bereich des Kartellschadensersatzes.333 Für die nachstehenden Ausführungen zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO ist deshalb davon auszugehen, dass das Ubiquitätsprinzip auch bei Kartelldelikten Anwendung findet.334 a) Handlungsort Die erste Alternative einer Lokalisierung des deliktischen Tatorts bei einem grenzüberschreitenden Kartelldelikt ist diejenige am Handlungsort des Delikts. Der Handlungsort ist nach der Rechtsprechung des EuGH der Ort, an dem das schädigende Ereignis seinen Ausgang nahm.335 Aus Klägersicht ist der sich aus dem Handlungsort ergebende Gerichtsstand deshalb attraktiv, weil die Gerichte am Handlungsort unstreitig über den gesamten, dem Deliktsopfer entstandenen Schaden entscheiden können. Die Kognitionsbefugnis der Gerichte am Hand lungsort ist nicht beschränkt.336 Zur Lokalisierung des Handlungsorts bei Kar telldelikten kommen im Wesentlichen vier Anknüpfungspunkte in Betracht. Möglich erscheint eine Anknüpfung des Handlungsorts an den Ort, an dem die Kartellabsprache getroffen wird, oder an den Gründungsort des Kartells. Eben falls denkbar ist eine Lokalisierung am Ort, an dem diese Absprache umgesetzt wird. Möglich erscheint aber auch eine Anknüpfung an den Niederlassungsort des einzelnen Kartelltäters, von wo aus diese Vorgänge in der Regel angeleitet oder überwacht werden bzw. wo häufig die maßgeblichen Entscheidungen für das Kartelldelikt getroffen werden. 332
Ständige Rechtsprechung seit: EuGH, 30.11.1976, Rs. 21/76 (Bier) Rn. 15–19. EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 38; Kropholler/von Hein, Europäisches Zi vilprozessrecht, Art. 5 EuGVO, Rn. 84a; Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 128. 334 Zu der Frage, ob das Ubiquitätsprinzip gegebenenfalls durch eine umfassende delikts spezifische Auslegung ersetzt werden kann, siehe unten S.1255 ff. 335 EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill) Rn. 24; EuGH, 5.2.2004, Rs. C-18/02 (DFDS Troline) Rn. 41. 336 Zur Diskussion, ob beim Erfolgsort eine Beschränkung der Kognitionsbefugnis ange zeigt ist, siehe dazu unten S.1278 ff. 333
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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aa) Ort der Kartellabsprache Teilweise wird der Handlungsort an demjenigen Ort gesehen, an dem die Kar tellabsprache erfolgt.337 Auch der EuGH hält den Ort der Kartellabsprache im Rahmen der CDC-Entscheidung für maßgeblich, jedoch mit der Maßgabe, dass eine spezifische Absprache für sich allein das ursächliche Geschehen für den einem Käufer angeblich verursachten Schaden bildet.338 In diesem Zusammen hang wird darauf verwiesen, dass bereits die Absprache, ein Kartell zu bilden, einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV darstellt und die entsprechende Abrede dadurch unabhängig davon nichtig wird, ob ein Schaden entstanden ist oder nicht.339 Zwar genügt im Rahmen des materiellen Kartellrechts die Absprache als solche zur Begründung eines Verstoßes gegen das Kartellverbot.340 Derlei Wertungen des materiellen Rechts können aber nicht unbesehen in den Bereich der internationalen Zuständigkeit übertragen werden. Das Zuständigkeitsrecht unterliegt eigenen Wertungen, die von denen des materiellen Rechts abweichen können. Der EuGH definiert den Handlungsort als den Ort, an dem das schädi gende Ereignis seinen Ausgang nahm.341 Allein die Absprache unter den Kartel lanten führt indessen noch nicht zu einem Schaden bei den potentiellen Abneh mern. Denn solange diese Absprache nicht umgesetzt ist und nachteilige Wir kungen für einen Marktteilnehmer entfaltet, fehlt es an einem schädigenden Ereignis im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVO.342 Von den Wertungen des materiel len Kartellrechts lassen sich damit keine Rückschlüsse auf die Lokalisierung des Handlungsorts im Rahmen der internationalen Zuständigkeit ziehen. Vielmehr kommt im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO dem Kriterium der Sach- und Beweisnähe des ermittelten Gerichtsstands eine entscheidende Be deutung zu. Die Sach- und Beweisnähe der Gerichte am Ort des schädigenden Ereignisses legitimiert die Existenz des besonderen Gerichtsstands des Art. 7
337 Ashton/Vollrath, ZWeR 2006, 1, 8; Basedow in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law (2007), S. 250; Mankowski in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 5, Rn. 228a; Schreiber, KSzW 2011, 37, 39, jeweils alternativ zum Ort der Durchführung des Kartells. 338 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 46. 339 Ashton/Vollrath, ZWeR 2006, 1, 8; Basedow in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 33 f. 340 Bechthold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, Art. 101 AEUV, Rn. 40 ff.; Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Band 1/EU Teil1, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 55. 341 EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill) Rn. 24; EuGH, 5.2.2004, Rs. C-18/02 (DFDS Troline) Rn. 41. 342 Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 282 f.; Danov, Jurisdiction and Judgments in Relation to EU Competition Law Claims, S. 93.
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
Nr. 2 EuGVO insgesamt.343 Der Ort der Kartellabsprache ist gerade bei weitver zweigten Kartellen aber oft zufällig und hat geringen Beweiswert.344 Dies zeigt etwa das Beispiel des sog. Bildröhrenkartells.345 Dort trafen sich die Kartellan ten über einen Zeitraum von fast 10 Jahren in vierteljährlichen bzw. monatli chen (teilweise sogar wöchentlichen) Treffen an wechselnden Orten und spra chen Preise untereinander ab.346 In derartigen Konstellationen stellt bereits die schiere Häufung von Orten, an denen Kartellabsprachen vorgenommen wur den, die Eignung dieses Anknüpfungspunkts in Frage.347 Geht man nämlich vom Grundsatz aus, dass bei einem gestreckten Geschehensablauf jeder Teilakt der Deliktsbegehung als möglicher Handlungsort in Betracht zu ziehen ist,348 so führt dies gerade bei Kartelldelikten in Konstellationen wie derjenigen des Bildröhrenkartells letztlich zu einer sehr großen Vervielfältigung der mögli chen Anknüpfungspunkte.349 Tatsächlich steht die Ortswahl für die Treffen der Kartellanten oft nicht in sachlichem Zusammenhang zu dem begangenen Kar telldelikt. Im Fall des Bildröhrenkartells etwa wurden die Orte unter anderem aufgrund ihrer logistisch günstigen Lage oder der Möglichkeit, dort Golf spie len zu können, ausgewählt. Die Eignung des Orts der Kartellabsprache für ei nen sach- und beweisnahen Gerichtsstand ist in diesen Fällen nicht gegeben. Schließlich muss berücksichtigt werden, dass im Rahmen einer privaten Schadensersatzklage sehr häufig nicht der Kartellverstoß als solcher, sondern die weiteren Umstände, die einen Schadensersatz begründen, bewiesen werden sollen, wie z. B. die Kausalität und Höhe des entstandenen Schadens. Bei einer EuGH, 10.6.2004, Rs. C-168/02 (Kronhofer) Rn. 15; Ten Wolde/Knot – Weller in: Una lex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 5 Nr. 3, Rn. 4; Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 5, Rn. 119; Stadler in: Musielak, ZPO, Art. 5 EuGVVO, Rn. 21; Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 3, Art. 5 EuGVO, Rn. 53. 344 Schnur, Internationales Kartellprivatrecht nach der Rom II-Verordnung, S. 169. 345 Siehe dazu die Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 5. Dezember 2012, IP/12/1317, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-12-1317_de.htm. 346 Siehe dazu oben bei Fn. 345. 347 Withers, J. B. L 2002, 250, 260. 348 Ten Wolde/Knot – Weller in: Unalex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 5 Nr. 3, Rn. 40; Leible in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 5 Brüssel I‑VO, Rn. 88; Mäsch, Praxiskommentar, § 130 GWB, Rn. 34; Tzakas, Die Haftung für Kartell rechtsverstöße im internationalen Rechtsverkehr, S. 109. 349 Zutreffend hierzu etwa High Court (Queen’s Bench Division), 27.10.2009, Cooper Tire & Rubber Company and others v. Shell Chemicals UK Limited and others [2009] EWHC 2609 (Comm) Rn. 65 in Bezug auf Art. 7 Nr. 2 EuGVO: “I have, I confess, a sense of unease, in concluding, in the context of a Europe-wide cartel orchestrated at meetings in several countries, that the place where the harmful event occurred is England because that is where the first meeting took place. That seems to me to be unrealistic. In truth the harmful events occurred in several countries.” 343
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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sog. follow-on-Klage, bei der ein Kartellverstoß bereits durch die zuständige Wettbewerbsbehörde vorher festgestellt wurde, konzentriert sich das Schadens ersatzverfahren oft fast ausschließlich auf diese weiteren Umstände. Der eigent liche Kartellverstoß und damit der Ort der kartellrechtlichen Absprache rücken damit in Bezug auf die Beweisnähe in den Hintergrund. Insgesamt erscheint der Ort der Kartellabsprache damit für die Lokalisierung des Handlungssorts im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO wenig geeignet. Er birgt das Potential, den Handlungsortgerichtsstand enorm auszuweiten, bzw. führt zu Gerichtsständen, die unter dem Gesichtspunkt der Sach- und Beweisnähe nicht zu zufriedenstel lenden Ergebnissen führen. Daran ändert auch die durch den EuGH eingeführte Beschränkung nichts, nach der an den Ort der Kartellabsprache nur dann ange knüpft werden kann, wenn eine spezifische Absprache identifiziert wird, die zu dem eingeklagten Kartellschaden in unmittelbare Verbindung gebracht werden kann.350 Die Zurückführung eines konkreten Schadens auf eine einzelne Ab sprache wird praktisch indes nur selten in Betracht kommen und in einem sol chen Fall nur schwer nachweisbar sein.351 Selbst wenn ein solcher Nachweis gelingen sollte, so ändert dies nichts an dem Befund, dass der Ort der Absprache häufig zufällig und gerade nicht sach- und beweisnah ist. bb) Gründungsort des Kartells Der EuGH stellt zur Lokalisierung des Handlungsorts bei Kartelldelikten abs trakt auf den Gründungsort des Kartells ab.352 Dort sieht er die besonders enge Beziehung zwischen der Streitigkeit und dem Ort des schädigenden Ereignisses. Eine Lokalisierung des Handlungsorts am Gründungsort komme freilich nur dann in Betracht, wenn dieser Ort bekannt ist.353 Was genau der Gerichtshof unter dem Ort der Gründung versteht, bleibt dabei offen. Letztlich wird dafür am ehesten der Ort der initialen Kartellabsprache in Betracht kommen. Zwar mag diese initiale Absprache für die Durchsetzung des Kartells insgesamt von prägendem Charakter für das Kartell sein. An der zuständigkeitsrechtlichen Be wertung einer Anknüpfung an den Ort der Absprache ändert die Tatsache, dass es sich gerade um die erste konstitutive Absprache handelt, nichts. Insofern ist hinsichtlich des Gründungsorts des Kartells auf die Erwägungen zum Ort der Kartellabsprache zu verweisen.
350
EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 46. Wurmnest, NZKart 2017, 2, 4. 352 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 4 4. 353 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 4 4. 351
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
cc) Ort der Umsetzung der wettbewerbswidrigen Praxis Neben dem Ort, an dem die kartellrechtlichen Absprachen getroffen wurden, kommt außerdem der Ort der Umsetzung der wettbewerbswidrigen Praxis in Betracht.354 Vor allem die Erkenntnis, dass eine Absprache allein noch nicht zu einem Schaden beim Kläger führt355, wird zum Anlass genommen, stattdessen den Handlungsort an den Ort der Umsetzung der kartellrechtswidrigen Abspra che anzuknüpfen.356 Teilweise wird dies mit einem Verweis auf die Zellstoff-Ent scheidung357 des EuGH begründet.358 Dort hatte der EuGH im Rahmen der Be stimmung des räumlichen Geltungsbereichs des EG-Kartellrechts den Ort der Umsetzung des Kartells als entscheidendes Kriterium herangezogen.359 Auch diesbezüglich gilt jedoch, dass Wertungen des materiellen Kartellrechts nicht direkt in den Bereich der internationalen Zuständigkeit übertragen werden kön nen. Denn in der Zellstoff-Entscheidung ging es um die Frage, wann das EG-Kartellrecht extraterritorial, d. h. auf Kartellteilnehmer mit Sitz außerhalb der Europäischen Gemeinschaft, angewandt werden kann. Die Frage nach der extraterritorialen Anwendung des materiellen Kartellrechts ist indes eine von der Lokalisierung des deliktischen Handlungsorts zu unterscheidende Rechts frage. Bei letzterer stehen spezifische Wertungen der prozessualen Gerechtig keit im Vordergrund und gerade nicht die Frage nach einer Geltungserstreckung inländischen Kartellrechts auf ausländische Marktvorgänge. Eine Anknüpfung des Handlungsorts an den Ort der Umsetzung des Kartells birgt außerdem die Schwierigkeit, dass bestimmt werden muss, was genau unter der „Umsetzung“ der kartellrechtswidrigen Praxis zu verstehen ist. Versteht man darunter alle Vorgänge, welche dazu führen, dass die kartellrechtliche Ab sprache in der Praxis Wirkung entfaltet (z. B. die Festsetzung eines Preises für ein bestimmtes Produkt oder das Anbieten des kartellierten Produkts am Markt), so entsteht auch hier Unsicherheit in Bezug auf die Lokalisierung sol cher Umsetzungsmaßnahmen. Vor allem bei Kartellteilnehmern, die in Konzer nen organisiert sind, entstehen Schwierigkeiten, den Ort der Umsetzung präzise 354 Ashton/Vollrath, ZWeR 2006, 1, 8; Basedow in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law (2007), S. 250; Mankowski in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 5 Rn. 228a; Schreiber, KSzW 2011, 37, 39, jeweils alternativ zum Ort der Durchführung des Kartells. 355 Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 282 f.; Danov, Jurisdiction and Judgments in Relation to EU Competition Law Claims, S. 93. 356 Withers, J. B. L 2002, 250, 261. 357 EuGH, 27.9.1988, Rs. 89, 104, 114, 116, 117 und 125–129/85 (Ahlström). 358 Basedow in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law (2007), S. 250; Basedow in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 34; Maier, Mark tortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 136. 359 EuGH, 27.9.1988, Rs. 89, 104, 114, 116, 117 und 125–129/85 (Ahlström) Rn. 16.
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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zu lokalisieren. Bei weitverflochtenen Kartellen mit komplexer Entscheidungs findung entsteht daher auch bei einer Anknüpfung an die Umsetzung der kar tellrechtswidrigen Praxis die Gefahr, dass es zu einer Vervielfältigung der An knüpfungspunkte kommt.360 Der entscheidende Nachteil einer Anknüpfung an den Ort der Umsetzung beim Handlungsort im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO besteht aber darin, dass dieser Ort eine große Nähe zum Erfolgsort aufweist. Der EuGH definiert den Erfolgsort als den Ort, „[…] an dem die schädigenden Auswirkungen des haf tungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten.“361. Unab hängig davon, wie der Erfolgsort im Ergebnis genau zu lokalisieren ist,362 wird der Ort der Umsetzung der kartellrechtswidrigen Praxis nach diesem Verständ nis häufig mit dem Erfolgsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVO zusammenfal len.363 Dies gilt besonders für die mehrheitlich vertretene Auffassung, wonach der Erfolgsort an den Markt angeknüpft wird, auf dem die schädigenden Wir kungen auftreten.364 Hier könnte es zu einem Gleichlauf zwischen Handlungsund Erfolgsort kommen, was die bisherige Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO mit der Kombination aus Ubiquitätsprinzip und einer Beschränkung der Kogni tionsbefugnis am Erfolgsort hinfällig machen würde und den es deshalb zu ver meiden gilt. Auch eine Anknüpfung des Handlungsorts an den Ort der Umset zung der kartellrechtswidrigen Praxis kann deshalb im Ergebnis nicht überzeu gen. Denn es erscheint inkonsequent, sich einerseits im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO für das Ubiquitätsprinzip auszusprechen, andererseits aber diese Ent scheidung dadurch zu unterlaufen, dass Handlungs- und Erfolgsort regelmäßig übereinstimen. dd) Niederlassungsort des Beklagten als Handlungsort Wie dargestellt führt eine Anknüpfung des Handlungsorts sowohl am Ort der Kartellabsprache, als auch am Ort der Umsetzung der wettbewerbswidrigen Praxis zu der Gefahr, dass sach- und beweisferne Gerichtsstände geschaffen werden. Aufgrund der deliktstypischen Begehungsform eines Kartellverstoßes lässt sich nur schwer einer dieser beiden Orte mit zufriedenstellenden Ergebnis sen abstrakt als Anknüpfungspunkt für den Handlungsort bestimmen. Eine weitere Option ist es daher, den Handlungsort bei Kartelldelikten schlicht am Bulst, EWS 2004, 403, 405. EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill) Rn. 28. 362 Siehe dazu unten S. 104 ff. 363 Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 136 f.; Ashton/ Vollrath, ZWeR 2006, 1, 8. 364 Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße im internationalen Rechtsverkehr, S. 113. 360 361
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
Sitz des jeweiligen Kartellteilnehmers zu lokalisieren.365 Dieser Vorschlag be ruht zum einen auf der Erwägung, dass auch der Niederlassungsort bei der Be gehung des Kartelldelikts typischerweise eine Rolle spielt. Oft werden von dort die maßgeblichen unternehmerischen Entscheidungen getroffen, die letztlich zu einer Absprache bzw. Umsetzung des Kartells führen.366 Zum anderen könnte mit diesem Vorschlag eine vorhersehbare und damit dem Kriterium der Rechts sicherheit genügende Anknüpfung geschaffen werden, die jedenfalls für eine verhältnismäßig große Anzahl von Fällen zu einem sach- und beweisnahen Ge richtsstand führt. Eine Lokalisierung des Handlungsorts am Niederlassungsort des Beklagten Kartelltäters ist vor allem auch deshalb erwägenswert, weil diese sich konsistent in die bisherige Kasuistik des EuGH in Bezug auf die Handhabung besonderer Gerichtsstände und insbesondere von Art. 7 EuGVO in nur schwer lokalisierba ren Sachverhalten einfügen würde. Der EuGH hat bereits in der Vergangenheit zu Fallkonstellationen entschieden, in denen die Lokalisierung eines deliktsspe zifischen Anknüpfungspunkts im Rahmen eines besonderen Gerichtsstands aus rechtlichen oder faktischen Gründen schwierig oder unpraktikabel war. Seine Entscheidungen lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass der besondere Gerichtsstand in diesen Fällen entweder ganz entfällt oder er so ausgelegt wird, dass er letztlich mit dem allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 EuGVO zusam menfällt und damit praktisch bedeutungslos wird. Ein erstes Beispiel für diese Rechtsprechungslinie ist die für Art. 7 Nr. 2 EuGVO wegweisende Entscheidung des EuGH in Shevill367, welche Persönlich keitsrechtsverletzungen durch die internationale Verbreitung von Printmedien zum Gegenstand hatte. Hier lokalisierte der EuGH trotz einer Reihe im Vorfeld anderslautender Vorschläge368 den Handlungsort für diesen Deliktstyp am Ort der Niederlassung des Herausgebers der streitigen Veröffentlichung.369 In ganz ähnlicher Form entschied der EuGH in der Rechtssache Wintersteiger.370 Dort hatte der EuGH über die Tatortlokalisierung für Art. 7 Nr. 2 EuGVO im Zusam menhang mit der Verletzung einer nationalen Marke durch deren Verwendung Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 138 ff.; Geimer in: Zöller, ZPO, Anh. I, Art. 5 EuGVVO, Rn. 27; Leible in: Rauscher, Europäisches Zivilpro zessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 5 Brüssel I‑VO, Rn. 88d; Bulst, EWS 2004, 403, 405 f.; von Dietze in: Behrens/Hartmann-Rüppel/Herrlinger, Schadenersatzklagen gegen Kartellmit glieder, S. 39; Roth, IPRax 2016, 318, 323. 366 Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 140. 367 EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill). 368 Siehe im Einzelnen: Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldelikts recht, S. 99; sowie Kreuzer/Klötgen, IPRax 1997, 90, 93. 369 EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill) Rn. 24. 370 EuGH, 19.4.2012, Rs. C-523/10 (Wintersteiger). 365
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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als Treffervorschlag in einer Suchmaschine zu entscheiden.371 Obwohl er an sich den Standort des Servers, von dem aus die Anzeige geschaltet wird, für den relevanten Anknüpfungspunkt beim Handlungsort hielt,372 stellte der Gerichts hof letztlich auf den Ort der Niederlassung des Werbenden als den maßgebli chen Ort für die Handlungsortbestimmung ab.373 Beim Standort des Servers sei „[…] es unklar, wo er sich befindet.“374 Beim Ort der Niederlassung des Beklag ten handle es sich „[…] sowohl für den Kläger als auch für den Beklagten um einen feststehenden und feststellbaren Ort […], der daher geeignet ist, die Be weiserhebung und die Gestaltung des Prozesses zu erleichtern.“375 In diese Richtung gehen auch zwei weitere Entscheidungen. Sie entsprechen zwar nicht exakt der hier vorgeschlagenen Lösung einer Lokalisierung des Handlungsorts am Ort der Niederlassung des Beklagten, führen aber letztlich zum gleichen Ergebnis. In der Rechtssache Réunion européenne376 machte der Empfänger von Waren, die während eines Seetransports beschädigt wurden, gegen den Verfrachter deliktische Ansprüche geltend. Der EuGH kam hier zu der Einschätzung, dass der Handlungsort als der Ort des ursächlichen Gesche hens nur sehr schwer oder gar unmöglich feststellbar sei. Der Kläger müsse in einem solchen Fall den Deliktstäter „[…] vor dem Gericht verklagen, an dem der Schaden eingetreten ist.“377 Bestehende Unsicherheiten in Bezug auf die Loka lisierung des Handlungsorts wurden also dadurch beseitigt, dass der Hand lungsort schlicht für unmaßgeblich erklärt wurde und es für den Tatort allein auf den Erfolgsort ankomme. In ganz ähnlicher Form entschied der EuGH auch in der Rechtssache Besix378 in Bezug auf den Vertragsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 EuGVO. Hier ging es um eine nicht lokalisierbare, weil in jedem Mitglied staat zu erfüllende vertragliche Unterlassungspflicht. In einem solchen Fall sei etwa eine Häufung der Anknüpfungspunkte ausdrücklich abzulehnen.379 Denn diese führe dazu, dass Art. 7 Nr. 1 EuGVO als besonderer Gerichtsstand schlicht entfalle und der Kläger auf den allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 EuGVO verwiesen sei.380 Die bisherige Auslegung der besonderen Gerichtsstände durch den EuGH zeigt, dass bei einer unpraktikablen oder schwierig zu handhabenden Lokalisie 371
EuGH, 19.4.2012, Rs. C-523/10 (Wintersteiger) Rn. 10 ff. EuGH, 19.4.2012, Rs. C-523/10 (Wintersteiger) Rn. 36. 373 EuGH, 19.4.2012, Rs. C-523/10 (Wintersteiger) Rn. 37. 374 EuGH, 19.4.2012, Rs. C-523/10 (Wintersteiger) Rn. 36. 375 EuGH, 19.4.2012, Rs. C-523/10 (Wintersteiger) Rn. 37. 376 EuGH, 27.10.1998, Rs. C-51/97 (Réunion européenne). 377 EuGH, 27.10.1998, Rs. C-51/97 (Réunion européenne) Rn. 33. 378 EuGH, 19.2.2002, Rs. C-256/00 (Besix). 379 EuGH, 19.2.2002, Rs. C-256/00 (Besix) Rn. 28. 380 EuGH, 19.2.2002, Rs. C-256/00 (Besix) Rn. 49 f. 372
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
rung besonderer Gerichtsstände tendenziell eine restriktive Auslegung vorzu ziehen ist. Anstatt der Schafffung sach- und beweisferner Gerichtsstände wer den die besonderen Gerichtsstände eher in ihrem Anwendungsbereich be schränkt. Die Lokalisierung des Handlungsorts am Ort der Niederlassung des Kartelltäters tut vor dem Hintergrund der praktischen Schwierigkeiten einer Anknüpfung des Handlungsorts genau dies, indem sie zu einem praktischen Gleichlauf von Handlungsortlokalisierung mit dem allgemeinen Gerichtsstand führt. Denn der Ort der Niederlassung entspricht in der Regel dem Wohnort im Sinne des Art. 4 EuGVO. Bei juristischen Personen regelt Art. 63 Abs. 1 lit. c) EuGVO dies ausdrücklich. Dass bei einem solchen Gleichlauf kein Kläger den deliktischen Handlungsort als möglichen Gerichtsstand wählen wird, weil ein Vorgehen über Art. 4 EuGVO leichter zu begründen ist und dort die Kognitions befugnis im Gegensatz zum Deliktsgerichtsstand unbeschränkt ist, nimmt der EuGH regelmäßig hin. Diese Vorgehensweise bringt den Vorteil, dass sie vor hersehbare und damit rechtssichere Gerichtsstände schafft, wenn schon das Ziel einer Ausweitung gerichtlicher Zuständigkeit an besonders sach- und beweisna hen Orten nicht zu erreichen ist. Dies gilt selbst dann, wenn dadurch das im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO geschaffene Ubiquitätssystem ins Leere läuft.381 Diese Erwägungen lassen sich auf das Kartelldeliktsrecht für die Lokalisie rung des Handlungsorts übertragen.382 Dadurch wird insbesondere die Gesamt systematik der EuGVO, wonach das actor sequitur forum rei-Prinzip des Art. 4 EuGVO die Regel darstellt und die besonderen Gerichtsstände die Ausnahme davon, gewahrt. Wo die hinter den besonderen Gerichtsständen liegenden Er wägungen nicht greifen, kann auf diese auch nicht zurückgegriffen werden. Diese Schlussfolgerung ist eine Konsequenz aus dem Befund, dass die EuGVO gerichtliche Zuständigkeiten anhand abstrakter Anknüpfungspunkte regelt, die eine „Feinjustierung“ durch zusätzliche, dem Gericht überlassene Einzelfallab wägungen – vergleichbar etwa zum US-amerikanischen Zuständigkeitsrecht mit der due process clause – nur bedingt ermöglichen. Dabei ist die Lokalisie rung des Handlungsorts vor allem auch gegenüber Ansätzen vorzugswürdig, welche in Fallkonstellationen, in denen eine Lokalisierung des Handlungsortes nicht praktikabel erscheint, dadurch auflösen wollen, dass sie Art. 7 Nr. 2 EuG VO in Bezug auf den Handlungsort schlicht „nicht anwenden“.383 Diese Ansätze verlagern die Schwierigkeiten dann lediglich auf die Frage, ob es sich bei dem Kreuzer/Klötgen, IPRax 1997, 90, 93 f. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 284 f. 383 So etwa Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 11.12.2014 zu EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 48 und 52; ähnlich auch: Bord Na Mona Horticulture Ltd. and others v. British Polyethene Industries Plc [2012] EWHC 3346 (Comm) Rn. 86; Cooper 381
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V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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jeweiligen Fall um eine solche besondere Fallkonstellation handelt, bei der die Lokalisierung des Handlungsorts unpraktikabel erscheint. Die Lokalisierung des Handlungsorts im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO bei Kartelldelikten am Ort der Niederlassung des jeweiligen Kartellätters ist damit die vorzugswürdige Lösung. ee) Zuständigkeitsbegründende Handlungszurechnung Eine Besonderheit bei Kartelldelikten besteht darin, dass in aller Regel nicht ein einzelner Deliktstäter in nur einem Mitgliedstaat tätig wird, sondern dass meh rere Täter einen einheitlichen Deliktsplan in Form eines internationalen Kar tells durch arbeitsteiliges Zusammenwirken in jeweils unterschiedlichen Mit gliedstaaten gemeinschaftlich umsetzen. Ein Beispiel dafür sind Preisabspra chen im Rahmen eines internationalen Kartells, bei dem die Teilnehmer des Kartells im Wesentlichen in ihren Heimatmärkten die Kartellabsprachen um setzen. Diese idealtypische Begehungsform wirft in zuständigkeitsrechtlicher Hinsicht die Frage auf, ob es bei der Begründung des Deliktsgerichtsstands in diesem Fall allein auf die Handlungen des einzelnen Kartelltäters ankommt oder ob die Teilakte der einzelnen Kartelltäter bereits im Rahmen der Zustän digkeitsbegründung in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden können, sodass für den einen Kartelltäter die Handlungsbeiträge seiner Komplizen zu ständigkeitsbegründend wirken. Eine solche Gerichtspflichtigkeit auch an den Handlungsorten der Mitbeteiligten würde voraussetzen, dass die Handlungsbei träge – vergleichbar zum materiellen Deliktsrecht nach § 830 BGB – den einzel nen Deliktstätern untereinander wechselseitig zugerechnet werden können. Den Weg einer umfassenden wechselseitigen Handlungszurechnung im Rahmen des Zuständigkeitsrechts beschreitet etwa die deutsche Rechtsprechung im Rahmen des § 32 ZPO.384 In Bezug auf das europäische Zuständigkeitsrecht wurde in der Literatur die Möglichkeit einer solchen zuständigkeitsbegründenden Hand lungszurechnung lange Zeit kontrovers beurteilt.385 In seiner neueren Recht Tire & Rubber Company and others v. Shell Chemicals UK Limited and others [2009] EWHC 2609 (Comm) Rn. 65. 384 BGH Urt. v. 9.3.2010 – Az. XI ZR 93/09 Rn. 19 = BGHZ 184, 365, 371; BGH Urt. v. 22.11.1994 – Az. XI ZR 45/91 = NJW 1995, 1225, 1226; BGH Urt. v. 6.2.1990 – Az. XI ZR 184/88 = NJW-RR 1990, 604, 604; Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartell deliktsrecht, S. 205; von Hein, RIW 2011, 811, 812. 385 Ergebnisoffen: Müller, EuZW 2013, 130; eine Zurechnung ablehnend: Leible in: Rau scher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 5 Brüssel I‑VO, Rn. 88; Müller, NJW 2013, 2099; M. Weller, WM 2013, 1681, 1688; M.Weller, IPRax 2000, 202, 207 f.; eine Zurechnung befürwortend: Thole, AG 2013, 913, 914 f.; von Hein, IPRax 2013, 505; von Hein, EuZW 2011, 369, 370; von Hein, RIW 2011, 811; Mankowski in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 5, Rn. 221; Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 462.
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
sprechung hat sich der EuGH innerhalb kürzester Zeit in gleich drei Entschei dungen in einem nicht kartelldeliktsspezifischen Kontext zu dieser Frage geäu ßert und sich klar gegen die Möglichkeit einer zuständigkeitsbegründenden Handlungszurechnung ausgesprochen.386 Vor diesem Hinergrund sind die Ausführungen des EuGH in der CDC-Ent scheidung bemerkenswert. Der EuGH stellte dort die Möglichkeit in den Raum, dass mehrere Beklagte vor demselben Gericht verklagt werden können.387 Un klar bleibt in diesem Zusammenhang jedoch, ob der Gerichtshof dabei auf die Möglichkeit einer zuständigkeitsbegründenden Handlungszurechnung im Kar telldeliktsrecht abhebt oder auf die Anwendung von Art. 7 Nr. 2 EuGVO auf mehrere Beklagte, gegenüber denen jeweils für sich genommen die internatio nale Zuständigkeit über diese Vorschrift begründet wird. Letzteres wäre im Kern die Aussage, dass die Anwendung von Art. 7 Nr. 2 EuGVO bei mehreren Kartellanten unter dem Aspekt des Handlungsorts zum selben Ergebnis führen kann, und damit eine Beschreibung des status quo. Der Verweis auf die Ent scheidung Melzer spricht indes eher dafür, dass der Gerichtshof damit auf die Möglichkeit einer zuständigkeitsbegründenden Handlungszurechnung abhebt. In diesem Fall bleibt freilich völlig unklar, warum im Kartelldeliktsrecht von der bisherigen Rechtsprechungslinie in den Rechtssachen Melzer388 , Hi Hotel389 und Coty Germany390 abgewichen werden darf. Die Entscheidung des EuGH liefert deshalb – abgesehen von der kryptischen Aussage, dass unter Umständen wie denen in der Rechtssache CDC nichts dagegen spräche, mehrere Mitbeklag te zusammen vor demselben Gericht zu verklagen – kaum einen Anhaltspunkt zur Beantwortung der Frage der zuständigkeitsbegründenden Handlungszu rechnung im kartelldeliktischen Zusammenhang. Nachstehend soll daher zunächst die bisherige Rechtsprechungslinie des EuGH zur Frage der zuständigkeitsbegründenden Handlungszurechnung unter sucht werden, um in einem zweiten Schritt mögliche Rückschlüsse auf das Kar telldeliktsrecht zu ziehen und in diesem Zusammenhang die Aussage des EuGH im Rahmen der CDC-Entscheidung zur Möglichkeit, mehrere Mitbeklagte vor demselben Gericht zu verklagen, bewerten zu können.
386
EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 41; EuGH, 3.4.2014, Rs. C-387/12 (Hi Hotel) Rn. 32; EuGH, 5.6.2014, Rs. C‑360/12 (Coty Germany) Rn. 51. 387 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 47. 388 EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 41. 389 EuGH, 3.4.2014, Rs. C-387/12 (Hi Hotel) Rn. 32. 390 EuGH, 5.6.2014, Rs. C‑360/12 (Coty Germany) Rn. 51.
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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(1) Rechtsprechungsanalyse Gegenstand der ersten Entscheidung in der Rechtssache Melzer 391 war eine Kla ge aufgrund von Kapitalanlagebetrug. Der Kläger hatte beinahe einen Totalver lust seiner Vermögensanlage erlitten und verklagte den mit der Kapitalanlage betrauten Broker wegen sittenwidriger Schädigung seines Vermögens gestützt auf den Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO. Eingereicht wurde die Klage indes nicht bei den Gerichten am Sitz des Beklagten (England), von wo aus dieser die verlustbringenden Anlagegeschäfte getätigt hatte, sondern in ei nem anderen Mitgliedstaat (Deutschland), wo ein vermeintlicher Komplize des Beklagten durch Anwerbung des Beklagten für die Kapitalanlage zur Tat Bei hilfe geleistet hatte. Ein Tatortgerichtsstand unter dem Aspekt des Handlungs orts in Deutschland wurde wie folgt begründet: Der Beklagte mit Sitz in Eng land müsse sich die deliktischen Beihilfehandlungen seines (nicht mitverklag ten) Komplizen in Deutschland zurechnen lassen und sich deshalb so behandeln lassen, als ob er selbst in Deutschland tätig geworden sei. Folglich bestehe ge genüber dem Beklagten ein Deliktsgerichtsstand nach Maßgabe des Art. 7 Nr. 2 EuGVO vor deutschen Gerichten. Der EuGH verneinte die internationale Zu ständigkeit und urteilte, dass eine wechselseitige Zurechnung von Handlungs beiträgen zur Begründung der deliktischen Zuständigkeit im Geltungsbereich der EuGVO nicht in Betracht komme.392 Den beiden darauffolgenden Entscheidungen lag mit einer Urheberrechtsver letzung einerseits (Hi Hotel393) und der Verletzung einer eingetragenen Ge meinschaftsmarke andererseits (Coty Germany394) zwar jeweils ein in tatsächli cher Hinsicht sehr unterschiedlicher Sachverhalt zugrunde. Dennoch war die rechtliche Konstellation, um die es in den Entscheidungen bei der Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO ging, die gleiche: In beiden Fällen sollte wie schon in der Rechtssache Melzer jeweils ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Haupttä ter eines Delikts in einem anderen Mitgliedstaat gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVO unter dem Aspekt des Handlungsorts gerichtspflichtig gemacht werden, und zwar ohne dass der Haupttäter in letzterem Mitgliedstaat selbst in Erscheinung getreten wäre. Ein Handlungsort wurde jeweils damit begründet, dass der Haupttäter sich die Beihilfehandlung seines Komplizen in einem anderen Mit gliedstaat mit zuständigkeitsbegründender Wirkung zurechnen und sich des halb im Endeffekt so behandeln lassen müsse, als ob er selbst am Ort der Beihil fe tätig geworden sei. 391
EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer). EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 40 f. 393 EuGH, 3.4.2014, Rs. C-387/12 (Hi Hotel). 394 EuGH, 5.6.2014, Rs. C‑360/12 (Coty Germany). 392
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
Angesichts dieser Parallelen bei der rechtlichen Beurteilung erstaunt es nicht, dass der EuGH sich lediglich in der ersten Entscheidung in der Rechtssache Melzer ausführlich zur Frage der zuständigkeitsbegründenden Handlungszu rechnung äußerte und in den nachfolgenden beiden Entscheidungen praktisch nur noch auf diese Entscheidung verwies.395 Der EuGH begründete seine Ableh nung im Hinblick auf eine zuständigkeitsbegründende Zurechnung der Hand lungsbeiträge vor allem mit der Erwägung, dass bei einem Fall, in dem ein Be klagter in einem Mitgliedstaat verklagt wird, in dem er nicht selbst gehandelt hat, es „[…] an dem auf das Handeln des Beklagten gestützten Anknüpfungs punkt“ fehle.396 Damit zieht der EuGH für die Konstellation, wie sie der Rechts sache Melzer zugrunde lag, die Sach- und Beweisnähe des Gerichts im Falle einer Handlungszurechnung in Zweifel.397 Das Kriterium der Sach- und Beweisnähe trägt der besonderen Nähe des Ge richts am Tatort zu der dort vorgenommenen deliktischen Handlung Rech nung.398 Die Regelung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO geht davon aus, dass es am Ort der deliktischen Handlung besonders einfach ist, die für den Prozess erforderli chen Beweise zu erheben, und dass die Gerichte an diesem Ort besser als ande re Gerichte in der Lage sind, über die Streitigkeit zu entscheiden. Dies wird etwa daran deutlich, dass Art. 7 Nr. 2 EuGVO zugleich die örtliche Zuständig keit mitregelt.399 Damit geht Art. 7 Nr. 2 EUGVO – jedenfalls für deliktische Streitigkeiten – von einem faktischen Konnex zwischen einer deliktischen Streitigkeit und dem Ort, an dem sie vorgenommen wurden, aus. Dieser fakti sche Konnex beruht wesentlich auf dem Kriterium der räumlichen Nähe.400 Im Rahmen des Deliktsgerichtsstands ist dies die zentrale Überlegung, mit der erst die Abweichung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO als besonderer Gerichtsstand von der Grundregel des Art. 4 EuGVO legitimiert wird.401 Ausgehend von diesem Befund ist es aber im Ausgangspunkt nur konsequent, einen solchen faktischen Konnex zunächst nur für solche Handlungen anzuneh men, die auch wirklich an dem mutmaßlichen Handlungsort vorgenommen 395 EuGH, 3.4.2014, Rs. C-387/12 (Hi Hotel) Rn. 31; EuGH, 5.6.2014, Rs. C‑360/12 (Coty Germany) Rn. 50. 396 EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 30. 397 Müller, NJW 2013, 2099, 2102. 398 Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 5, Rn. 119. 399 Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 5, Rn. 109. 400 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 29.11.2012 zu EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 56. 401 EuGH, 10.6.2004, Rs. C-168/02 (Kronhofer) Rn. 15; Ten Wolde/Knot – Weller in: Una lex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 5 Nr. 3, Rn. 4; Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 5, Rn. 119; Stadler in: Musielak, ZPO, Art. 5 EuGVVO, Rn. 21; Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 3, Art. 5 EuGVO, Rn. 53.
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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wurden. Sieht man von gestreckten Geschehensabläufen einmal ab, so hat damit nach dem Verständnis des EuGH jede deliktische Handlung auch nur einen Handlungsort. Für die Frage nach der zuständigkeitsbegründenden Zurechnung von Handlungen im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO heißt dies, dass der Hand lungsort dort zu lokalisieren ist, wo der Deliktstäter selbst – und eben nicht wo der Komplize – gehandelt hat. In Fällen, in denen eine Handlung zuständig keitsrechtlich zugerechnet werden soll, greift also im Ausgangspunkt die hinter Art. 7 Nr. 2 EuGVO liegende Vermutung, dass die Gerichte am Tatort besonders sach- und beweisnah sind, nicht mehr.402 Soll der deliktische Handlungsort dar über hinaus auch am Ort der Vornahme der deliktischen Handlung durch den Komplizen lokalisiert werden können, so bedarf dies jedenfalls einer zuständig keitsrechtlichen Begründung. (2) Keine abweichende Beurteilung bei gleichzeitigem Vorgehen gegen mehrere Deliktstäter Die zuständigkeitsbegründende Zurechnung von Handlungsbeiträgen ist grund sätzlich in zwei Formen denkbar: In der ersten Konstellation geht der delikti sche Kläger isoliert gegen einen der Deliktstäter vor, dies jedoch nicht an dem Ort, an dem dieser Deliktstäter selbst gehandelt hat, sondern an dem ein ver meintlicher Beteiligter dieses Deliktstäters in Erscheinung getreten ist. Der Handlungsort des vermeintlichen Beteiligten wird dem verklagten Deliktstäter im Wege der Handlungszurechnung zugerechnet. Verklagt wird allein der De liktstäter, dem Handlungen zugerechnet werden. Der Beteiligte, auf dessen Handlungen die deliktische Zuständigkeit gestützt wird, wird nicht zugleich mitverklagt. Diese Konstellation lag allen durch den EuGH bislang zur Frage der zuständigkeitsrechtlichen Handlungszurechnung ergangenen Entscheidun gen403 zugrunde. Daneben ist eine zweite Konstellation denkbar. Dabei geht der Kläger gegen mehrere Deliktstäter gleichzeitig vor, und zwar in der Form, dass einer der Täter (erstbeklagter Täter) an seinem eigenen Handlungsort verklagt wird, ohne dass es dafür einer Handlungszurechnung bedürfte. Der oder die anderen Deliktstä ter (mitverklagte Täter) werden gleichzeitig am Handlungsort des erstverklag ten Täters gerichtspflichtig gemacht, indem ihnen die Handlung des erstver klagten Täters zum Zweck der Zuständigkeitsbegründung zugerechnet wird. Dies hat zur Folge, dass sie so zu behandeln sind, als hätten sie selbst ebenfalls an diesem Ort gehandelt. Ein solches Vorgehen gegen mehrere Deliktstäter an Müller, NJW 2013, 2099, 2102. EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer); EuGH, 3.4.2014, Rs. C-387/12 (Hi Hotel); EuGH, 5.6.2014, Rs. C‑360/12 (Coty Germany). 402 403
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einem Gerichtsstand erscheint insbesondere für die Geschädigten eines Kartells attraktiv, denn es ist für den Kläger einfacher und kostengünstiger, wenn er gegen mehrere Mitglieder des Kartells am selben Gerichtsstand vorgehen kann. Zwar haften die Mitglieder eines Kartells regelmäßig als Gesamtschuldner.404 Im Rahmen der Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement wurde indes in Art. 11 Abs. 5 eine Haftungsprivilegierung für Kronzeugen eingeführt, so dass der Kläger dennoch ein Interesse daran haben kann, gegen mehrere Be klagte vorzugehen. Insofern stellt sich für die hier zu untersuchenden kartelldeliktischen Sach verhalte die Frage, ob ein gleichzeitiges Vorgehen gegen mehrere Deliktstäter am Handlungsort von einem von ihnen gegebenenfalls eine andere, von der Rechtsprechungslinie des EuGH abweichende Beurteilung rechtfertigt. Diese Frage wurde durch den EuGH noch nicht entschieden.405 Sie stellt sich vor allem im Hinblick auf eine systematische Auslegung mit Art. 8 Nr. 1 EuGVO, denn dieser regelt ebenfalls die Situation, in der der Kläger mehrere Beklagte gebün delt am selben Gerichtsstand in Anspruch nehmen möchte. Es kommt somit darauf an, in welchem Verhältnis die beiden Vorschriften des Art. 7 Nr. 2 EuG VO und Art. 8 Nr. 1 EuGVO zueinander stehen. Ein eindeutiger Rückschluss auf die Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO ließe sich jedenfalls dann ziehen, wenn Art. 8 Nr. 1 EuGVO die Voraussetzungen, unter denen der Kläger gegen eine Beklagtenmehrheit vorgehen kann, abschlie ßend regelt.406 Dafür bestehen indessen keine Anhaltspunkte. Vielmehr ist ein wie auch immer geartetes Spezialitäts- bzw. Subsidiaritätsverhältnis zwischen den beiden Vorschriften nicht erkennbar.407 Für die Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO bedeutet dies, dass eine Konzentrierung mehrerer Klagen gegen unter schiedliche Deliktstäter am Handlungsort von einem von ihnen jedenfalls nicht bereits aufgrund systematischer Erwägungen im Zusammenhang mit Art. 8 Nr. 1 EuGVO ausscheidet. Beide Vorschriften finden gegebenenfalls nebenein ander Anwendung.408 Köhler, GRUR 2004, 99, 101; Endter, Schadensersatz nach Kartellverstoß, S. 225 f.; Bulst, EWS 2004, 403, 410; Weitbrecht, NJW 2012, 881, 883; Jüchser, WuW 2012, 1048, 1048; Krüger, WuW 2012, 6, 6. 405 von Hein, IPRax 2013, 505, 510; Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 29.11.2012 zu EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 59; a. A. wohl Müller, NJW 2013, 2099, 2102. 406 Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen vom 29.11.2012 zu EuGH, 16.5.2013, Rs. C‑228/11 (Melzer) Rn. 53; darauf weist auch von Hein in RIW 2011, 811, 813 hin. 407 von Hein, IPRax 2013, 505, 513; Müller, EuZW 2013, 130, 131 f. 408 So bereits M. Weller, IPRax 2000, 202, 207. 404
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Aus Art. 7 Nr. 2 EuGVO lassen sich also nicht unmittelbar Wertungen für oder gegen die Zurechnung von Handlungsbeiträgen bei einem kumulativen Vorgehen gegen unterschiedliche Deliktstäter ableiten.409 Insbesondere lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass eine Konzentrierung mehrerer Klagen über den Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO bereits deshalb ausscheidet, weil damit eine Gerichtszuständigkeit gegenüber einer Beklagtenmehrheit un ter anderen Voraussetzungen, als Art. 8 Nr. 1 EuGVO dies vorsieht, zugelassen würde.410 Denn der Regelungszweck der beiden Vorschriften ist jeweils ein an derer411: Bei Art. 7 Nr. 2 EuGVO ist das Kriterium der räumlichen Nähe des Handlungsorts zur deliktischen Streitigkeit und die damit einhergehende Sachund Beweisnähe des Gerichtsstands entscheidend. Art. 8 Nr. 1 EuGVO verfolgt hingegen in erster Linie das Ziel der Vermeidung von sich widersprechenden Entscheidungen. Die Frage, ob im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO ein gleich zeitiges Vorgehen gegen mehrere Deliktstäter am Handlungsort von einem von ihnen möglich ist, ist daher nicht abweichend zu beurteilen zur Variante, dass lediglich ein Beteiligter isoliert an einem fremden Handlungsort gerichtspflich tig gemacht werden soll. (3) Beurteilungskriterien für die Zulässigkeit einer zuständigkeitsbegründenden Handlungszurechnung Der Befund, dass es grundsätzlich einen deliktischen Handlungsort pro De liktstäter gibt und dieser Handlungsort (nur) am Ort der eigenen deliktischen Handlung liegt, wird in der Literatur kritisiert. Zur Begründung einer zustän digkeitsbegründenden Handlungszurechnung wird etwa auf das teilnahme rechtliche Akzessorietätsprinzip verwiesen. Insbesondere bei der bloßen Teil nahme bedürfe es stets auch des Nachweises der Haupttat. Demzufolge sei der Ort der Haupttat sach- und beweisnah.412 Diese Einschätzung verdient Zustim mung in Bezug auf die Beurteilung der Rechtslage im materiellen Recht. Dort kommt es nicht allein auf den Handlungsbeitrag des Gehilfen an, sondern es muss dort auch immer der Handlungsbeitrag des Haupttäters mit in den Blick genommen werden. Das führt zwangsläufig zu Beweiserhebungen über den Handlungsbeitrag des Haupttäters. Für die Ebene der internationalen Zuständigkeit heißt dies indessen nicht zwingend, dass am Handlungsort des Haupttäters auch eine deliktische Zustän digkeit für den Teilnehmer eröffnet werden muss. Denn zur Feststellung, ob es Mankowski in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 5, Rn. 221. So aber Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 207 f. 411 Müller, EuZW 2013, 130, 132. 412 Wagner, EuZW 2013, 544, 546. 409 410
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teilnahmerechtlich auf das Akzessorietätsprinzip ankommt, bedarf es eines Bli ckes auf das materielle Deliktsrecht im konkreten Fall. Entscheidend wäre dann aber nicht mehr nur der faktische Konnex in Form eines räumlichen Nähever hältnisses zwischen dem Ort der deliktischen Handlung und dem zuständigen Gericht. Es bedürfte vielmehr der Einbeziehung normativer Wertungen bei der Zuständigkeitsbestimmung, die vom jeweils anwendbaren nationalen Delikts recht abhängen.413 Sobald sich die Begründung einer Handlungsortzuständig keit aber nicht mehr nur über die von Art. 7 Nr. 2 EuGVO zugrunde liegende Vermutung, sondern nur noch durch Wertungen des nationalen Rechts rechtfer tigen lässt, läuft dies einer autonomen rein zuständigkeitsrechtlichen Hand lungsortbestimmung entgegen. Die autonome Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuG VO wäre gefährdet. Aus diesem Grund ist eine Übertragung des (nationalen deutschen) Akzessorietätsprinzips in das Recht der internationalen Zuständig keit im Ergebnis abzulehnen. Teilweise werden in diesem Zusammenhang auch prozessökonomische Ar gumente angeführt, wie etwa das Herbeiführen einer einheitlichen Entschei dung gegenüber allen Beteiligten.414 Soweit mit einer solchen einheitlichen Ent scheidung die Vermeidung von sich widersprechenden Entscheidungen gemeint ist, spricht dies indes nicht für die Zulassung einer Handlungszurechnung. Denn die Bündelung verschiedener Klagen zur Vermeidung von sich widersprechen den Entscheidungen hat der Unionsgesetzgeber explizit in Art. 8 Nr. 1 EuGVO geregelt. Art. 7 Nr. 2 EuGVO verfolgt hingegen eine andere Zielsetzung und nur insoweit als dieser durch die Handlungszurechnung entsprochen wird, kann eine Handlungszurechnung dort ermöglicht werden. Schließlich wird eine Zulässigkeit der wechselseitigen Handlungszurechnung mit Argumenten des Kläger- bzw. Verbraucherschutzes gerechtfertigt.415 Zu nächst ergibt sich eine Rechtfertigung der wechselseitigen Handlungszurech nung unter dem Aspekt des Kläger- bzw. Verbraucherschutzes insbesondere nicht aus den Erwägungen, die im Rahmen des § 32 ZPO zu einer gegenteiligen Auslegung führen. Dort wird eine wechselseitige Handlungszurechnung mit dem Schutz der (inländischen) Verbraucher gerechtfertigt. Es bestehe sonst die Gefahr, dass der Kläger aufgrund prozessualer Hindernisse ganz von einer An spruchsverfolgung absieht oder das nach dem internationalen Privatrecht eines anderen Forums ermittelte materielle Recht den Kläger derart benachteiligt, dass auch keine effiziente Durchsetzung der klägerischen Ansprüche zu erwar Dies befürwortend Mankowski, WuW 2012, 797, 803. So etwa Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 5, Rn. 153. 415 So etwa von Hein, der „empfindliche Lücken im prozessualen Kapitalanlegerschutz“ sieht in RIW 2011, 811, 813; ähnlich in Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVO, Rn. 83b. 413 414
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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ten ist.416 Diese Bedenken bestehen auf der Ebene der EuGVO – jedenfalls in Bezug auf das Kartelldeliktsrecht – gerade nicht. Spätestens seitdem die Aus weitung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO auf Drittstaatengangehörige im Zuge der Revi sion der EuGVO abgelehnt 417 wurde, ist klargestellt, dass Art. 7 Nr. 2 EuGVO ein Vorgehen gegen Drittstaatenangehörige im Gegensatz zu § 32 ZPO gerade nicht regeln soll. Auch für innereuropäische Sachverhalte ist nicht in gleichem Maße eine Benachteiligung des Klägers zu befürchten. Dies ergibt sich vor al lem aus der Harmonisierung des Kollisionsrechts bei Kartellverstößen in Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO, welche die Folgen eines exzessiven forum shopping merklich abmildert. Darüber hinaus enthält Art. 7 Nr. 2 EuGVO keine Ratio, mit der der Kläger im Allgemeinen oder aber ein Kläger in seiner besonderen Eigenschaft als Verbraucher generell geschützt werden soll.418 Art. 7 Nr. 2 EuGVO wäre für derartige Klägerschutzerwägungen auch nicht der richtige Ort. Im Gegensatz etwa zum Kapitalanlegerprozess werden im Rahmen des Kartelldeliktsrechts nicht nur Verbraucher auf Klägerseite stehen, sondern oft auch Unternehmen. Zwar wird gerade bei deliktischen Klagen der durch die EuGVO gewährleistete Verbraucherschutz in den Art. 17 ff. EuGVO oftmals nicht voll verwirklicht.419 Eine Korrektur kann jedoch nicht im Rahmen der Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO erfolgen. Die Möglichkeit zur Konzent rierung mehrerer Klagen gegen eine Mehrzahl von Deliktstätern am Hand lungsort von einem von ihnen ist auch nicht zwingend erforderlich, damit der Kläger seine Rechte effektiv geltend machen kann. Denn es geht bei der Frage der Handlungszurechnung allein um die Frage wo der Kläger klagen kann und nicht ob er überhaupt klagen kann. Die Frage danach, ob man dem deliktischen Kläger eine Konzentrationsmöglichkeit über Art. 7 Nr. 2 EuGVO einräumt, be trifft insoweit lediglich den spezifischen Interessenausgleich zwischen Kläger und Beklagten. Sie betrifft gerade nicht die Gewährleistung einer effektiven Rechtsdurchsetzung per se im Sinne des effet utile.420 M. Weller, WM 2013, 1681, 1686. Der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14.12.2010, KOM(2010) 748 endgültig enthielt auf S. 26 noch die Streichung der Wendung „Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mit gliedstaats hat“ aus dem Einleitungssatz des Art. 7 EuGVO. Dieser Vorschlag wurde nicht übernommen in der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 über die ge richtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zi vil- und Handelssachen ersetzt, ABl. L 351 vom 20.12.2012, S. 1. 418 EuGH, 16.1.2014, Rs. C-45/13 (Kainz) Rn. 30 ff.; so bereits Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen vom 29.11.2012 zu EuGH, 16.5.2013, Rs. C‑228/11 (Melzer) Rn. 60. 419 Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVO, Rn. 83b. 420 In diese Richtung aber wohl von Hein, IPRax 2013, 505, 511. 416
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Aufgeworfen ist damit die Frage nach möglichen Kriterien für eine Hand lungszurechnung. Als geklärt angesehen werden kann jedenfalls, dass der EuGH die Heranziehung nationalstaatlicher Konzepte der lex fori für eine Be urteilung der Handlungszurechnung ablehnt.421 Eine solche Lösung hatte das Landgericht Düsseldorf in seiner Vorlage an den EuGH in der Rechtssache Melzer angedeutet.422 Diesbezüglich ist die Linie des EuGH überzeugend. Der Re kurs auf das jeweilige nationalstaatliche Recht zur Ausfüllung von Interpretati onsspielräumen bei Vorschriften der EuGVO wäre ein klarer Verstoß gegen das Gebot der autonomen Auslegung europäischen Rechts und ist daher abzuleh nen.423 Was die weiteren Kriterien für eine mögliche Handlungszurechnung angeht, so ist zunächst sowohl der Ansatz des in der Rechtssache Melzer vorlegenden LG Düsseldorf, als auch der Ansatz des EuGH selbst, unpräzise. Beide Gerichte unterscheiden nicht klar zwischen einer zuständigkeitsrechtlichen Handlungs zurechnung und einer Zurechnung der Handlungsbeiträge im materiellen Recht. Bei dem vorlegenden LG Düsseldorf wird dies etwa dadurch deutlich, dass es § 830 BGB und nicht § 32 ZPO als mögliche Zurechnungsnorm in den Raum stellte.424 Überzeugender wäre es gewesen, auf § 32 ZPO abzustellen bzw. klar zustellen, dass der Gedanke des § 830 BGB ins Zuständigkeitsrecht übertragen werden soll.425 Dass der EuGH ebenfalls eine solche Differenzierung nicht klar vornimmt, wird dadurch deutlich, dass der Gerichtshof ausführt, die Begrün dung einer in Frage stehenden Handlungszurechnung erfordere im Ergebnis bereits auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit eine Prüfung, wie sie im Rahmen der Begründetheit erforderlich sei.426 Genau das ist aber nicht der Fall, denn die Begründung einer Handlungszurechnung auf der Ebene der internati onalen Zuständigkeit und der Ebene des materiellen Rechts ist nicht dieselbe.427 Im Hinblick auf etwaige Kriterien, nach denen eine Handlungszurechnung erfolgen könnte, ist die bisherige Rechtsprechung des EuGH jedenfalls wenig ergiebig. Hier beließ es der EuGH schlicht bei der Feststellung, dass es an einem solchen Zurechnungskonzept im europäischen Recht fehlt.428 Der EuGH hätte entweder eine detailliertere spezifisch zuständigkeitsrechtliche Begründung ge ben können, warum eine solche Handlungszurechnung von vornherein nicht in 421
EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 33 f. EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 33 f. 423 So bereits M. Weller, IPRax 2000, 202, 207. 424 EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 33. 425 Wagner, EuZW 2013, 544, 547. 426 EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 31. 427 Wagner, EuZW 2013, 544, 547. 428 EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 32. 422
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Betracht kommt oder jedenfalls letztlich abzulehnen ist. Er hätte andernfalls ein solches europäisches Konzept aber auch schlicht selbst entwickeln können429, wie er es bislang regelmäßig getan hat, wo er es für erforderlich hielt.430 Ent scheidend für die Zulässigkeit einer zuständigkeitsbegründenden Handlungszu rechnung sind damit (allein) spezifisch zuständigkeitsrechtliche Erwägungen im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO und damit insbesondere die Sach- und Be weisnähe des Forums zur Streitigkeit.431 Betrachtet man die verschiedenen denkbaren Konstellationen in denen eine mögliche Zurechnung von Handlungsbeiträgen in Betracht kommt, so ergibt sich für die verschiedenen Formen der Teilnahme ein differenziertes Bild. So erscheint es etwa in einem Fall einer möglichen Beihilfe bei der Deliktsbege hung äußerst fraglich, ob etwa ein Haupttäter sich am Ort einer in einem ande ren Gerichtsstaat vorgenommenen Beihilfe am Ort der Beihilfe wird gerichts pflichtig machen müssen. Denn dieser spielt für die Führung des Prozesses ge gen den Haupttäter vor dem Hintergrund der Sach- und Beweisnähe eine nur untergeordnete Rolle. Plakativ zeigt dies etwa das Beispiel in dem eine Tatbetei ligung sich auf eine rein psychische Beihilfe beschränkt.432 Die Rechtsprechung des EuGH in den bisherigen Fällen betraf eben diese Fallkonstellation, bei der der Haupttäter am Handlungsort des Beihilfe Leistenden verklagt werden soll. In diesem Lichte betrachtet erscheint die strikte Ablehnung einer zuständig keitsbegründenden Handlungszurechnung durch den EuGH wenig überaschend. Ähnlich ist die Sachlage bei einer Nebentäterschaft zu bewerten.433 Hier basie ren die Handlungsverläufe auf zwei jeweils völlig getrennten Handlungsgesche hen. Eine Klage gegen Nebentäter A am Handlungsort des Nebentäters B ist hier grundsätzlich sach- und beweisfern und daher abzulehnen. Schwierig und kontrovers wird die Lage beim Bestehen einer Mittäterschaft zwischen den Be teiligten. Diese wird unterschiedlich beurteilt.434 Ein deliktsübergreifender Lö Wagner, EuZW 2013, 544, 547. Die Beispiele einer „kreativen“ Rechtsfortbildung im Rahmen der EuGVO durch den EuGH sind zahlreich: Schaffung eines Mosaikprinzips in EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill), die Begründung eines Wahlrechts beim Vertragsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 lit. b) EuGVO für die Geltendmachung von Fluggastrechten sowohl am Abflug- als auch am An kunftsort in EuGH, 9.7.2009, Rs. C-204/08 (Rehder) oder die Neuerschaffung eines delikti schen Handlungsortgerichtsstands ohne Beschränkung der Kognitionsbefugnis am Mittel punkt der Interessen des Opfers in EuGH, 25.10.2011, Rs. C-509/09 und C-161/10 (eDate Advertising). 431 Müller, NJW 2013, 2099, 2102; M. Weller, WM 2013, 1681, 1684. 432 Huber, IPRax 2009, 134, 135; M. Weller, WM 2013, 1681, 1685. 433 Müller, EuZW 2013, 130, 131; von Hein, IPRax 2013, 505, 509. 434 Befürwortend: Pfeiffer in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Art. 5 EuGVO, Rn. 12 ; von Hein, IPRax 2013, 505, 509; ablehnend: M. Weller, WM 2013, 1681, 1685 f. 429
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sungsansatz zu dieser Frage ist zum derzeitgen Stand nicht in Sicht.435 Diese Frage lässt sich zum derzeitigen Stand nur deliktsspezifisch beantworten. (4) Zuständigkeitsbegründende Handlungszurechnung im Kartelldeliktsrecht Als Argument gegen eine zuständigkeitsbegründende Handlungszurechnung wird ins Feld geführt, dass es auf diese Weise zu einer Vervielfältigung der möglichen Handlungsorte in Bezug auf ein- und denselben Deliktstäter kommt. Dies stünde im Widerspruch zu der allgemeinen Linie der EuGVO, dass die besonderen, vom allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 EuGVO abweichenden Gerichtsstände, tendenziell restriktiv auszulegen sind. Eine solche Argumenta tion muss freilich immer in Bezug auf den jeweiligen Einzelfall betrachtet wer den. Folgt man nämlich für das Kartelldeliktsrecht der hier vorgeschlagenen Lokalisierung des Handlungsorts am Ort der Niederlassung des jeweiligen Kar telltäters, so beschränkt sich das Risiko für den einzelnen Kartellanten darauf, am Ort der Niederlassung eines jeden Mitkartellanten gemäß Art. 7 Nr. 2 EuG VO unter dem Aspekt des Handlungsorts verklagt zu werden. Eine nicht zu rechtfertigende Ausweitung von Art. 7 Nr. 2 EuGVO als besonderem Gerichts stand ist – nicht zuletzt in systematischer Hinsicht mit Art. 8 Nr. 1 EuGVO, der mit anderen Erwägungen zum selben Ergebnis führen kann – nicht zu erken nen. Auf das Argument einer drohenden Vervielfältigung möglicher Hand lungsorte kann es daher im Zusammenhang des Kartelldeliktsrechts nicht maß geblich ankommen. Eine kartelldeliktische Besonderheit, die in diesem Zusammenhang von ent scheidender Bedeutung sein kann, stellt der Befund dar, dass Kartelltäter in al ler Regel auf der Ebene des materiellen Rechts als Gesamtschuldner für den entstandenen Schaden haften.436 In Betracht kommt hier im Wesentlichen eine Übertragung der gesamtschuldnerischen Haftung der Deliktstäter in den Be reich des Zuständigkeitsrechts hinein.437 Zwar verbietet es sich, die fehlenden Zurechnungskriterien in der EuGVO bei einer möglichen Handlungszurech nung durch nationale Konzepte der lex fori wie z. B. § 830 BGB aufzufüllen. Denkbar ist es aber, die Zurechnungskriterien aus einem Konzept des europäi schen Rechts zu gewinnen. Durch die Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement wird in deren Art. 11 Abs. 1 festgelegt, dass die Kartelltäter als Gesamtschuldner haften. Da Thole, AG 2013, 913, 914. Köhler, GRUR 2004, 99, 101; Endter, Schadensersatz nach Kartellverstoß, S. 225 f.; Bulst, EWS 2004, 403, 410; Weitbrecht, NJW 2012, 881, 883; Jüchser, WuW 2012, 1048, 1048; Krüger, WuW 2012, 6, 6. 437 So von Hein, IPRax 2013, 505, 509. 435
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mit wäre ein europäisches Konzept der Gesamtschuld auf der Ebene des mate riellen Rechts vorhanden, das gegebenenfalls auf die Ebene der internationalen Zuständigkeit übertragen werden kann. Denkbar wäre auch, die spezifisch kar tellrechtliche Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit (undertaking) bereits auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit anzuerkennen.438 Danach können mehrere juristische Personen, die Teil der jeweiligen wirtschaftlichen Einheit sind, gleichermaßen für den Kartellverstoß verantwortlich gemacht werden. Die Begründung des EuGH, dass eine zuständigkeitsbegründende Handlungszu rechnung bereits deshalb ausscheiden müsse, weil es an einem unionsrechtli chen Konzept der Handlungszurechnung fehle,439 greift damit im Kartellde liktsrecht jedenfalls nicht. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob die Übertragung derartiger kartell rechtsspezifischer Rechtsfiguren in das Recht der internationalen Zuständigkeit hinein mit zuständigkeitsrechtlichen Erwägungen gerechtfertigt werden kann. Entscheidend dafür ist, ob eine solche Übertragung unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit und der Sach- und Beweisnähe bei einer Klage gegen ei nen Deliktstäter am Handlungsort seines Mittäters gerechtfertigt erscheint. Je denfalls unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit für die Deliktstäter scheint eine Handlungszurechnung bei Kartelltätern wenig problematisch zu sein. Die Idee einer kartellrechtlichen Absprache besteht gerade darin, dass die Täter ihr Marktverhalten koordinieren und in der Regel Vereinbarungen treffen, in welchen Märkten welcher Preis angeboten oder nachgefragt werden soll. In sofern wird der Aspekt der Vorhersehbarkeit einer Handlungszurechnung regel mäßig nicht entgegenstehen. Schwieriger ist die Sach- und Beweisnähe bei einer zuständigkeitsbegrün denden Handlungszurechnung im Kartelldeliktsrecht zu beurteilen. Hier wird es maßgeblich darauf ankommen, wessen Handlungen Gegenstand der Klage sind.440 Eine zuständigkeitsrechtliche Handlungszurechnung ist jedenfalls dann zu befürworten, wenn das entsprechende Forum auch für die Handlungen des jenigen Kartellanten, dem fremde Handlungen zugerechnet werden, zu einem sach- und beweisnahen Gerichtsstand führt. Diese Beurteilung hängt letztlich von der besonderen Ausgestaltung des Sachverhalts in jedem Einzelfall ab. Zum derzeitigen Stand scheint eine pauschalisierte Aussage zur Zulässigkeit einer zuständigkeitsbegründenden Handlungszurechnung nur schwer möglich. Das Kartelldeliktsrecht gehört aber zu den Bereichen, in denen eine zuständigkeits begründende Handlungszurechnung durchaus in Betracht kommt. Mankowski, WuW 2012, 797, 803 f. EuGH, 16.5.2013, Rs. C-228/11 (Melzer) Rn. 32. 440 Müller, EuZW 2013, 130, 133. 438 439
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ff) Gibt es ein Mosaikprinzip beim Handlungsort? Ein Mosaikprinzip, wie es der EuGH in Shevill hinsichtlich des Erfolgsortes entwickelt hatte, wird teilweise auch auf der Ebene des Handlungsortes erwo gen und zwar dergestalt, dass am jeweiligen Handlungsort nur derjenige Scha den geltend gemacht werden kann, der durch diese Handlung verursacht wur de.441 Im Gegensatz zu einem Mosaikprinzip am Erfolgsort des Delikts brächte eine solche Beschränkung der Kognitionsbefugnis des Gerichts am Handlungs ort aber schier unlösbare praktische Schwierigkeiten mit sich. Denn der durch das Delikt verursachte Gesamtschaden müsste in Teilbereiche zerlegt werden, die jeweils durch einen entsprechenden Kausalitätsnachweis auf die einzelnen Handlungen zurückgeführt werden könnten.442 Ein solcher Nachweis wäre selbst bei Vorliegen aller denkbaren Informationen kaum zu erbringen. Erst recht aber könnte eine solche Aufspaltung nicht von einem mitgliedstaatlichen Gericht vorgenommen werden, das nur über den jeweiligen Teilakt Beweis er hebt und das darüber hinaus regelmäßig auch keine umfassenden Informationen über das Gesamtdelikt haben wird. Die Einführung eines derartigen Mosaik prinzips auf der Ebene des Handlungsorts wäre nicht praktikabel und ist daher im Ergebnis abzulehnen.443 Folgt man dem hier vertretenen Ansatz, wonach der Handlungsort am Ort der Niederlassung des Beklagten zu lokalisieren ist, so stellt sich diese Frage bereits nicht, weil dann der Handlungsort regelmäßig mit dem allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 EuGVO zusammen fällt, an dem die Gerichte in ihrer Kognitionsbefugnis nicht beschränkt sind. b) Erfolgsort Geht man von der Prämisse aus, dass das Ubiquitätsprinzip im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO zur Anwendung gelangt,444 so lässt sich eine internationale Gerichtszuständigkeit auch am Erfolgsort des Kartelldelikts begründen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Erfolgsort der Ort, „[…] an dem die schä digenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten.“445 Zur Bestimmung des Erfolgsorts bei Kartellscha densersatzklagen erscheinen zwei verschiedene methodische Konzepte als Wurmnest, EuZW 2012, 933, 934; in Bezug auf den Ort der Umsetzung der kartell rechtswidrigen Praxis vertritt dies etwa Basedow in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 34. 442 Diese Schwierigkeit räumt auch Basedow ein in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 39. 443 M. Weller, WM 2013, 1681, 1685. 444 Zur Frage, ob das Ubiquitätsprinzip für Kartelldelikte gilt, siehe unten S. 125 ff. 445 EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill) Rn. 28. 441
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möglich: Einerseits ließe sich der Erfolgsort dort lokalisieren, wo der betreffen de Markt beeinträchtigt wurde, also am jeweiligen Marktort.446 Andererseits ließe sich darauf abstellen, wo sich der finanzielle Schaden, den der Kläger in folge des Kartellverstoßes erlitten hat, realisiert hat.447 Letzteres liefe im Ergeb nis darauf hinaus, in irgendeiner Form die für reine Vermögensdelikte anwend baren Anknüpfungen auch für Kartelldelikte zu bemühen. Der EuGH rekurrierte in seiner CDC-Entscheidung nicht explizit auf eines dieser beiden methodischen Konzepte. Er lokalisierte den Erfolgsort bei Kar telldelikten schlicht am Sitz des Geschädigten. Auf den Sitz des Geschädigten komme es deshalb an, weil es im Rahmen kartelldeliktischer Klagen im We sentlichen auf die spezifischen Gegebenheiten der Situation des Geschädigten ankomme.448 Der Gerichtshof schafft damit im Ergebnis einen Klägergerichts stand.449 Dies ist überraschend, weil die Schaffung eines Klägergerichtsstands in anderem Zusammenhang bislang kritisch gesehen wurde und wenn dann nur unter Heranziehung besonderer zuständigkeitsrechtlicher Erwägungen als zu lässig erachtet wurde.450 Die nachstehenden Ausführen zeigen, dass dem Ausle gungsergebnis des EuGH, welches zur Lokalisierung des Erfolgsorts am Klä gersitz führt, letztlich zwar zugestimmt werden kann.451 Eine derartige regel mäßige Anknüpfung des Erfolgsorts an den Sitz des Klägers bedarf jedoch einer methodischen Begründung und einer Würdigung unter dem Gesichtspunkt zu ständigkeitsspezifischer Wertungen. Erst dadurch kann die Schaffung eines Klägergerichtsstands als Abweichung vom allgemeinen Prinzip des Beklagten gerichtsstands gerechtfertigt werden.
Köhler, WRP 2013, 1130, 1135; Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kar telldeliktsrecht, S. 152 ff.; Mankowski, WuW 2012, 797, 804 f.; Lindacher in: FS Leipold, S. 255; Wurmnest, 53 CML Rev. 225, 224 (2016); Wurmnest, EuZW 2012, 933, 935. 447 Wo der Eintritt dieses (finanziellen) Schadens lokalisiert wird, wird unterschiedlich beurteilt. Gemeinsam ist allen diesen Ansätzen aber, dass sie auf den Schaden beim Kartell geschädigten abstellen und nicht auf den Markt. Allgemein auf den „Ort der Vermögensein buße“ verweisend: Fort in: Mäger, Europäisches Kartellrecht, S. 511, Rn. 35; auf den Abfluss des Geldes zur Bezahlung der kartellierten Ware abstellend: Mäsch, IPRax 2005, 509, 516; Leible in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 5 Brüssel I‑VO, Rn. 86d; Schreiber, KSzW 2011, 37, 39; von Dietze in: Behrens/Hartmann-Rüppel/Herrlin ger, Schadenersatzklagen gegen Kartellmitglieder, S. 39 (obwohl den Marktort für die Be stimmung des Erfolgsorts für maßgebend haltend); hingegen auf den Einkaufsort abstellend: Withers, J. B. L 2002, 250, 261. 448 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 53. 449 Stadler, JZ 2016, 1138, 1140. 450 EuGH, 10.6.2004, C-168/02 (Kronhofer) Rn. 20; siehe dazu auch unten S. 122. 451 Siehe dazu auch unten S. 132. 446
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aa) Vorbemerkung: Gleichlauf von Kollisionsrecht und dem Recht der internationalen Zuständigkeit Eine Erwägung, die für die Anknüpfung an den Marktort ins Feld geführt wird, ist der dadurch geschaffene Gleichlauf452 von internationalem Privatrecht und internationaler Zuständigkeit.453 Im Bereich des europäischen Kollisionsrechts hat sich der Unionsgesetzgeber bei Wettbewerbsdelikten für den Marktort als maßgebliches Anknüpfungskriterium entschieden. Art. 6 Abs. 3 lit. a) der Rom II-VO erklärt als Grundregel des Kartelldeliktskollisionsrechts auf außerver tragliche Schuldverhältnisse aus einem den Wettbewerb einschränkenden Ver halten das Recht des Staates für anwendbar, dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird. Ein solcher Gleichlauf hätte in prakti scher Hinsicht einige Vorteile. Er würde dazu führen, dass die über den Erfolgs ort nach Art. 7 Nr. 2 EuGVO zuständigen Gerichte am Marktort immer auch das Recht des betroffenen Marktorts und damit ihr eigenes Recht 454, anwenden könnten. Dies wäre aus Effizienzgesichtspunkten begrüßenswert. Darüber hin aus hätte diese Vorgehensweise den Vorteil, dass die Herausbildung der Kriteri en, anhand derer der Marktort zu bestimmen ist, einheitlich für EuGVO und Rom II-VO bestimmt werden könnte. Trotz dieser vor allem rechtspraktischen Gründe für einen Gleichlauf zwi schen anwendbarem Recht und internationaler Gerichtszuständigkeit steht in des die Frage im Raum, inwiefern sich die Wertungen aus dem Kollisionsrecht und im vorliegenden Fall die der Rom II-VO auf das Zuständigkeitsrecht bzw. auf die EuGVO übertragen lassen. Das Kollisionsrecht und das Recht der inter nationalen Zuständigkeit unterliegen jeweils unterschiedlichen Wertungen.455 Die Frage, welches Recht die engste Verbindung aufweist mit einem bestimm ten Sachverhalt ist eine allgemeine, abstrakt zu beantwortende Fragestellung, auf die daher im Voraus eine allgemeine, für eine Vielzahl von Fällen passende Antwort gefunden werden kann. Mit der Erklärung des Marktorts zum maßgeb lichen Anknüpfungskriterium hat der Gesetzgeber diese Anknüpfung für das 452 Grundsätzlich dazu Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und Prozessuale Gerechtig keit, S. 96 ff. 453 Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße, S. 110; Mankowski etwa hält eine Im portierung des Auswirkungsprinzips aus Art. 6 Rom II-VO für „systemkonform“; WuW 2012, 797, 805; nach Bulst ist die Heranziehung der (damals noch nicht erlassenen) Rom IIVO zur Bestimmung des Erfolgsort zumindest zu „erwägen“, Bulst, EWS 2004, 403, 406, Fn. 46. 454 Ein Verweis auf das Recht des Marktorts im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO wäre gemäß Art. 24 Rom II‑VO eine Sachnormverweisung. 455 Mankowski in: FS Heldrich, S. 867 ff.; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und pro zessuale Gerechtigkeit, S. 109–117; Samson, Die Marktortregel als allgemeines Prinzip, S. 95 f.; Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 151.
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Kollisionsrecht festgelegt. Bei der internationalen Zuständigkeit geht es demge genüber um eine ganz konkrete Fallkonstellation zwischen einem Kläger und einem Beklagten, dabei hält Art. 7 EuGVO als besonderer Gerichtsstand beson dere durch die Rechtsprechung herausgebildete Kriterien vor, anhand derer die besondere Sachnähe einer Streitigkeit zu einem bestimmten Forum nach Entste hen einer Streitigkeit ermittelt werden kann. Diese Parameter zur Bestimmung eines sachnahen Gerichts sind nicht zwingend identisch mit den Kriterien für die Bestimmung des anwendbaren Rechts. Ein solcher strikter Gleichlauf wird auch nicht durch den siebten Erwägungs grund der Rom II-VO geschaffen. Nach dieser Bestimmung soll zwar der „[…] materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung […]“ mit der EuGVO „[…] in Einklang stehen.“ Ein typisches Beispiel dafür ist etwa der Begriff des „Ausrichtens“ in der Rom I-VO, die einen wortgleichen Erwä gungsgrund Nr. 7 hat. Ein Unterschied zu der hier im Raum stehenden gleich laufenden Auslegung von Art 6 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO und Art. 7 Nr. 2 EuG VO ist jedoch darin zu sehen, dass es dabei nicht um die Auslegung eines in beiden Texten gebrauchten Begriffs geht. Nach den Befürwortern eines Gleich laufs im Rahmen der Marktortanknüpfung soll demgegenüber ein Rechtsprin zip übertragen werden. Dass zwischen Kollisionsrecht und dem Recht der internationalen Zuständig keit kein automatischer Gleichlauf besteht, hat der EuGH für den hier in Rede stehenden Einflussbereich zwischen Rom II-VO und EuGVO klar zum Aus druck gebracht. In der Rechtssache Kainz456 hatte der EuGH zur Lokalisierung des deliktischen Handlungsorts bei Produkthaftungsfällen zu entscheiden und äußerte sich angesichts der Existenz einer speziellen Kollisionsrechtsvorschrift in Art. 5 Rom II‑VO zum Verhältnis von Rom II-VO und EuGVO. Der EuGH führte darin aus, dass „[…] daraus […] jedoch nicht [folge], dass die Bestim mungen der [EuGVO] mithin im Licht der Bestimmungen der [Rom II-VO] aus zulegen wären. Die angestrebte Kohärenz kann keinesfalls zu einer Auslegung der Bestimmungen der [EuGVO] führen, die ihrer Systematik und ihren Zielset zungen fremd ist.“ Dass es langfristig durchaus zu unterschiedlichen Anknüp fungen von Tatbestandsmerkmalen kommen kann, sieht man etwa daran, dass im Rahmen der EuGVO nach der Entscheidung Zuid Chemie457 der deliktische Erfolgsort an dem Ort anzusiedeln ist, „[…] an dem der ursprüngliche Schaden beim gewöhnlichen Gebrauch des Erzeugnisses für seinen bestimmungsgemä ßen Zweck eingetreten ist.“,458 wohingegen die kollisionsrechtliche Anknüpfung 456
EuGH, 16.1.2014, Rs. C-45/13 (Kainz). EuGH, 16.7.2009, Rs. C-189/08 (Zuid Chemie). 458 EuGH, 16.7.2009, Rs. C-189/08 (Zuid Chemie) Rn. 32. 457
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der Produkthaftung durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO den Erfolgsort, also den Ort an dem der Schaden eingetreten ist, erst nachrangig berücksichtigt.459 Die Ausstrahlungswirkung des Kollisionsrechts auf das Recht der internationalen Zuständigkeit ist im Verhältnis der Rom II-VO und der EuGVO also keinesfalls absolut zu sehen und trotz des siebten Erwägungsgrunds der Rom II-VO letzt lich begrenzt. Entscheidend für die Lokalisierung des deliktischen Erfolgsorts bei Kartelldelikten sind die maßgeblichen zuständigkeitsrechtlichen Erwägun gen, die hinter Art. 7 Nr. 2 EuGVO stehen. bb) Relevantes Schutzgut bei kartelldeliktischen Ansprüchen Um zu beurteilen, wo – mit den Worten des EuGH – die schädigenden Auswir kungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintre ten,460 muss geklärt werden, was bei einer kartellprivatrechtlichen Schadenser satzklage eigentlich das haftungsauslösende Ereignis ist. Im Zusammenhang mit dem deliktischen Erfolgsort besteht das haftungsauslösende Ereignis regel mäßig in der Verletzung des deliktsrechtlich relevanten Schutzguts.461 Es stellt sich also zunächst die Frage, was im Zusammenhang mit der privatrechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts das relevante Schutzgut bei Wettbewerbsver stößen ist. (1) Abstrakte Funktionsfähigkeit des Marktes (der durch den Kartelltäter geschädigte Markt) Ein erster Ansatz sieht das relevante Schutzgut bei privatkartellrechtlichen Schadensersatzklagen in der allgemeinen Funktionsfähigkeit des Marktes. Ge schützt werden soll demnach der funktionierende Markt vor allem vor den ihn beeinträchtigenden Folgen eines verringerten Preiswettbewerbs und anderer ne gativer Konsequenzen, wie z. B. einer eingeschränkten Auswahl oder einer in folge von gehemmtem Wettbewerb unterbliebenen Innovation. Schutzgut ist nach dieser Sichtweise der jeweilige Markt selbst und nicht etwa der Teilneh mer, der sich an diesem Markt betätigt. Denn der Marktteilnehmer ist demzu folge bereits deshalb geschädigt, weil er sich einem Markt gegenüber sieht, der durch die wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen in seiner Effektivität her abgesetzt ist im Vergleich zu einem „funktionierenden“ Markt ohne derartige Beschränkungen. Etwaige Schäden bei den Marktteilnehmern selbst sind dieser Ansicht zufolge „Reflexschäden“ oder „unbeachtliche Folgeschäden“, die jeden 459
Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. c) Rom II-VO. EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill) Rn. 28. 461 Becker, EWS 2008, 228, 230; Geimer in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfah rensrecht, Art. 5 EuGVVO, Rn. 253; Grünberger, IPRax 2015, 56, 58. 460
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falls für die Zuständigkeitsbestimmung unbeachtlich sind.462 Diese Sichtweise überträgt letztlich den Zweck des Art. 101 AEUV, der in der Errichtung und Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Marktes besteht,463 auch auf pri vatkartellrechtliche Schadensersatzklagen und sieht die Funktionsfähigkeit des Marktes auch dort als relevantes Schutzgut an.464 Dabei wird ersichtlich davon ausgegangen, dass es im Kartellrecht insgesamt eine einheitliche übergeordnete Zielsetzung gibt, die dann von mehreren Durchsetzungsinstanzen auf unter schiedlichen Wegen (private und öffentlich-rechtliche Durchsetzung des Kar tellrechts) umgesetzt wird. Eine solche Übertragung der öffentlich-rechtlichen Zielsetzung des Kartell verbots hinein in das zivilrechtliche System der privatrechtlichen Kartellrechts durchsetzung ist indes kritisch zu sehen. Denn zwischen öffentlich-rechtlicher und privater Durchsetzung des Kartellrechts bestehen in konzeptioneller Hin sicht deutliche Unterschiede.465 Insbesondere die Zielsetzung der jeweils tätig werdenden Durchsetzungsinstanzen im Kartellrecht ist, abhängig davon, ob es um die öffentlich-rechtliche Durchsetzung oder um die privatrechtliche Durch setzung geht, jeweils eine andere. Der private Schadensersatzkläger etwa bringt nicht deshalb eine Klage gegen den Kartelltäter vor die Zivilgerichte, weil er als Vertreter der Allgemeinheit im Wege einer Popularklage die allgemeine Funk tionsfähigkeit des Marktes wiederherstellen will.466 Der private Schadenser satzkläger wird nicht aus altruistischen Motiven tätig, sondern wird ganz maß geblich von seinem Eigeninteresse getrieben.467 Ihm kommt es darauf an, einen durch ihn vermeintlich erlittenen Nachteil wieder auszugleichen und gerade nicht darauf, als Sachwalter der Allgemeinheit ein Marktbeeinträchtigung zu verhindern. Dieses Verständnis legt auch der europäische Gesetzgeber zugrunde, wenn er ganz bewusst die privatrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts, fördert. Das Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlicher Kartellrechtsdurchsetzung und pri vater Kartellrechtsdurchsetzung ist ein komplementäres.468 Der europäische Mankowski, WuW 2012, 797, 804. Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Band 1. EU/ Teil 1, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 3. 464 Bulst etwa sieht die Verhaltenspflicht im Zusammenhang mit kartellprivatrechtlichen Klagen als von Art. 81 EG [Art. 101 AEUV] normiert an, Bulst, EWS 2004, 403, 406. 465 Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 4 49 ff. 466 So aber Mankowski, WuW 2012, 797, 804 f. 467 Fitchen, 13 Maastricht J. Eur. & Comp. L. 381, 394 (2006); Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451, 456 f.; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, S. 77. 468 Adolphsen, 1 J. Priv. Int. L. 151, 172 (2005); Bernhard, Kartellrechtlicher Individual schutz durch Sammelklagen, S. 63; Koch, JZ 2013, 390, 396; Erwägungsgrund 5 und 6 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 462
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Gesetzgeber fördert also nicht nur deshalb die privatrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts, weil er sich dadurch eine Entlastung der Kartellbehörden bei ihrer Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften erhofft. Vielmehr soll mit dem private enforcement ein in der Vergangenheit kaum beachteter Unrechtsge halt von Kartellverstößen ausgeglichen werden, den die öffentlich-rechtliche Kartellrechtsdurchsetzung mit ihren Mitteln nicht oder jedenfalls nur unzurei chend zu erfassen vermag.469 Angesichts dieser unterschiedlichen Zielsetzun gen erscheint es nicht überzeugend, schlicht die Zielsetzung des öffentlich-recht lichen Kartellbußgeldrechts in den Bereich privatrechtlicher Kartellrechts durchsetzung zu übertragen und dementsprechend auch die Auslegung der zivilprozessualen Regelungen und insbesondere des Zuständigkeitsrechts daran zu orientieren. Zielsetzung und Schutzrichtung des öffentlich-rechtlichen Kartellrechts und der privatrechtlichen Durchsetzung desselben sind dementsprechend nicht iden tisch.470 Beide Schutzrichtungen ergänzen sich und bilden so erst zusammen den umfassenden Kartellrechtsschutz ab, den die Europäische Kommission durch die Förderung des private enforcement erst etablieren will. Diese Er kenntnis muss bei der Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften, welche Teil der privatrechtlichen Kartellrechtsdurchsetzung sind, berücksichtigt werden. Dies bedeutet für die Auslegung des Erfolgsorts im Rahmen des Deliktsge richtsstands des Art. 7 Nr. 2 EuGVO, dass das hier maßgebliche Schutzgut nicht die abstrakte Funktionsfähigkeit des Marktes an sich sein kann, sondern dass es jedenfalls eines konkreten Bezugs zu dem auf dem jeweiligen Markt tätig wer denden Individuums bedarf.471
über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwi derhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABlEU 2014 L 349, 1 ff. 469 „Ersatz für Schaden infolge von Zuwiderhandlungen gegen die EU-Wettbewerbsvor schriften kann nicht durch die behördliche Durchsetzung erwirkt werden. Die Zuerkennung von Schadensersatz fällt nicht in die Zuständigkeit der Kommission oder der einzelstaatli chen Wettbewerbsbehörden, sondern in die Zuständigkeit der einzelstaatlichen Gerichte und ist Gegenstand des Zivilrechts und zivilrechtlicher Verfahren.“ Richtlinien-Vorschlag vom 11.6.2013 „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zu widerhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union“ COM(2013) 404 final, S. 2 f. 470 Adolphsen, 1 J. Priv. Int. L. 151, 154 (2005); Costa in: Basedow/Francq/Idot, Internati onal Antitrust Litigation, S. 27; Martinek, Das internationale Kartellprivatrecht, S. 23 ff. 471 So bereits Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 149.
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(2) Vermögen des betroffenen Marktteilnehmers Ein anderer Ansatz rückt daher das betroffene Individuum ins Zentrum der Be trachtung bei der Frage nach dem relevanten Schutzgut im Kartelldeliktsrecht. Diese Auffassung sieht nicht die Beeinträchtigung des Marktes an sich, sondern den durch das kartellrechtswidrige Verhalten bedingten Schaden beim jeweili gen Marktteilnehmer als maßgeblichen Anknüpfungspunkt an.472 An diesen Schaden knüpfe das Kartelldelikt im Rahmen seiner privatrechtlichen Durch setzung und folglich auch die Bestimmung des Erfolgsorts im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO an. Der durch den kartellrechtlichen Verstoß vermittelte Schaden bestehe – in den hier zu untersuchenden Fällen von kartellprivatrecht lichen Schadensersatzklagen – regelmäßig in einem Schaden am Vermögen des einzelnen Marktteilnehmers, indem er etwa Ware zu einem kartellbedingt über höhten Preis bezieht. Dieser Auffassung zufolge weisen kartelldeliktische An sprüche eine große Nähe auf zu Ansprüchen aus Vermögensdelikten. (a) Kartelldeliktsschaden als zuständigkeitsrechtlich unmaßgeblicher „Folgeschaden“ oder „mittelbare Schädigung Dritter“ Die Bestimmung des relevanten Schutzguts im Rahmen des kartelldeliktischen Schadensersatzes muss innerhalb der hergebrachten Auslegungsgrundsätze zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO erfolgen. Zu diesen Auslegungsgrundsätzen gehört bei der Erfolgsortbestimmung, dass sog. „Folgeschäden“ einerseits und „mittelbare Schädigungen eines Dritten“ für die Lokalisierung des Erfolgsorts nicht maß geblich sein können. Eine Heranziehung des Vermögens des betroffenen Markt teilnehmers als maßgebliches Schutzgut für die Erfolgsortbestimmung scheidet aber von vornherein aus, wenn sich eine Anknüpfung daran bereits nach den hergebrachten Auslegungsgrundsätzen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO in Bezug auf Folgeschäden bzw. die mittelbare Schädigung eines Dritten verbietet. (aa) Kartellschaden als bloßer „Folgeschaden“ Einer dieser Grundsätze ist, dass sog. „Folgeschäden“473 für die Bestimmung des Erfolgsortes beim Deliktsgerichtsstand zuständigkeitsrechtlich nicht be rücksichtigt werden können. Der EuGH entschied, die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVO, könne „[…] nicht so weit ausgelegt werden, daß sie jeden Ort erfaßt, an dem die 472
Siehe dazu Nachweise oben bei Fn. 447. Teilweise wird begrifflich auch zwischen Erfolgs- und Schadensort differenziert oder begrifflich auf den „mittelbaren Schaden“ abgestellt, Geimer in: Geimer/Schütze, Europäi sches Zivilverfahrensrecht, Art. 5 EuGVVO, Rn. 254. 473
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schädlichen Folgen eines Umstandes spürbar werden können, der bereits einen Schaden verursacht hat, der tatsächlich an einem anderen Ort entstanden ist.“474 Seitdem ist es im Rahmen des Erfolgsorts bei Art. 7 Nr. 2 EuGVO anerkannt, dass der Erfolgsort nur den Ort des „Erstschadens“ bezeichnet, nicht aber den Ort eines bloßen „Folgeschadens“.475 Begründet wird diese Auslegung des Erfolgsortes in der Regel mit der Erwä gung, dass derartige finanzielle Folgeschäden regelmäßig an der Vermögenszen trale des Klägers und damit an dessen Wohnsitz eintreten werden, was in einer Vielzahl von Fällen letztlich zu einem der EuGVO grundsätzlich fremden Klä gergerichtsstand führen würde.476 Im Zusammenhang mit kartelldeliktischen Klagen wird daher teilweise geschlussfolgert, dass der Schaden, den ein einzel ner Marktteilnehmer infolge eines Kartells erleidet, ein solcher zuständigkeits rechtlich unbeachtlicher „Folgeschaden“ sei.477 Der eigentliche „Erstschaden“ sei in der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Marktes zu sehen.478 Die Konsequenz dieser Sichtweise ist, dass der finanzielle Schaden des einzelnen Marktteilnehmers als relevantes Schutzgut im Rahmen einer kartelldeliktischen Schadensersatzklage bereits deshalb ausscheidet, weil es sich dabei um einen bloßen „Folgeschaden“ handelt und ein solcher „Folgeschaden“ für die Bestim mung des Erfolgsorts im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO nach einhelliger Auf fassung nicht in Betracht kommt. Diese Sichtweise muss hinterfragt werden. Ein Beispiel für einen zuständig keitsrechtlich unbeachtlichen „Folgeschaden“ stellt etwa ein Autounfall dar, bei dem das Opfer im Mitgliedstaat A verletzt wird, sich aber im Mitgliedstaat B medizinisch behandeln lässt.479 In diesem Fall besteht im Mitgliedstaat B gera de keine internationale Zuständigkeit nach dem Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO, weil die bei der Behandlung im Mitgliedstaat B anfallenden Kos ten bloße Folgeschäden zur eigentlichen Verletzungshandlung an der körperli 474 EuGH, 19.9.1995, Rs. C-364/93 (Marinari) Rn. 14; so auch in EuGH, 10.6.2004, Rs. C-168/02 (Kronhofer) Rn. 19. 475 Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 3, Art. 5 EuGVO, Rn. 6 4; Stadler in: Musielak, ZPO, Art. 5 EuGVVO, Rn. 24; Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 5, Rn. 156; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVO, Rn. 87; Geimer in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 5 EuGVVO, Rn. 254; Leible in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 5 Brüssel I-VO, Rn. 86. 476 EuGH, 10.6.2004, C-168/02 (Kronhofer) Rn. 20; vgl. auch Leible in: Rauscher, Europä isches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 5 Brüssel I-VO, Rn. 86. 477 Mankowski, WuW 2012, 797, 804; Fitchen, 13 Maastricht J. Eur. & Comp. L. 381, 388 (2006). 478 Mankowski, WuW 2012, 797, 804. 479 Geimer in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 5 EuGVVO, Rn. 255; Stadler in: Musielak, ZPO, Art. 5 EuGVVO, Rn. 24.
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chen Unversehrtheit des Opfers im Mitgliedstaat A sind. Das Beispiel zeigt, dass es zwar vorkommen kann, dass „Erst-“ und „Folgeschaden“ sich auf unter schiedliche Rechtsgüter beziehen (die körperliche Unversehrtheit einerseits und das Vermögen andererseits). Erst- und Folgeschaden treten jedoch typischer weise beim selben Rechteinhaber ein. Im Kartelldeliktsrecht geht es aber nicht um die Frage, welche Schadensposition noch erfolgsortvermittelnd ist, sondern darum, wer überhaupt geschädigt ist. Die entscheidende, in diesem Zusammen hang zu beantwortende Frage dabei lautet, wer der Rechtsgutsinhaber des Erst schadens ist. Dies ist eine andere Frage als diejenige, welche Schadensposition noch ein „Erstschaden“ und welche Schadensposition bloßer „Folgeschaden“ ist. Eben hierin liegt aber der entscheidende Unterschied zwischen einem blo ßen „Folgeschaden“ und einer „bloß mittelbaren Schädigung eines Dritten“. Im Ergebnis scheidet der finanzielle Schaden, den ein Opfer eines Kartelldelikts erleidet, nicht schon deshalb als relevantes Schutzgut aus, weil es sich dabei um einen bloßen „Folgeschaden“ handelt. (bb) Kartellschaden als mittelbare Schädigung eines Dritten Ebenfalls nicht erfolgsortvermittelnd ist auch eine sog. „mittelbare Schädigung eines Dritten“.480 In der für diese Sichtweise maßgebenden und – soweit ersicht lich – einzigen Entscheidung des EuGH entschied der Gerichtshof, dass ein Schaden, „[…] der angeblich die Folge des Schadens ist, den andere Personen unmittelbar aufgrund des schädigenden Ereignisses erlitten haben […]“ nicht von Art. 7 Nr. 2 EuGVO erfasst werde.481 In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte ein französisches Mutterunternehmen drei deut sche Beklagte aus quasi-deliktischer Haftung in Anspruch genommen mit der Begründung, die Beklagten hätten das deutsche Tochterunternehmen der Mut ter geschädigt, wodurch letztlich der Mutter in Frankreich ebenfalls ein Scha den entstanden sei.482 Der EuGH begründete sein Ergebnis, dass der Schaden des bloß mittelbar Geschädigten zuständigkeitsrechtlich nicht maßgeblich sein könne für die Erfolgsortbestimmung damit, dass der Erfolgsort „[…] nur so ver standen werden [könne], daß er den Ort bezeichnet, an dem das haftungsauslö sende Ereignis den unmittelbar Betroffenen direkt geschädigt hat.“483
Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVO, Rn. 91; Geimer in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 5 EuGVVO, Rn. 257; Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 3, Art. 5 EuGVO, Rn. 64. 481 EuGH, 11.1.1990, Rs. C-220/88 (Dumez) Rn. 22. 482 EuGH, 11.1.1990, Rs. C-220/88 (Dumez) Rn. 1-4. 483 EuGH, 11.1.1990, Rs. C-220/88 (Dumez) Rn. 20. 480
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
Legt man die Maßstäbe dieser Entscheidung zugrunde, so liegt nach der Aus legung des EuGH dann eine zuständigkeitsrechtlich unmaßgebliche „mittelbare Schädigung eines Dritten“ vor, wenn es (i) einen unmittelbar Betroffenen gibt, der direkt geschädigt wurde und (ii) daneben einen Dritten, der infolge dieser Schädigung des direkt Betroffenen seinerseits einen Schaden erleidet. In einer solchen Konstellation kann der Schaden, den der Dritte infolge der Schädigung des unmittelbar Betroffenen erleidet, für die Erfolgsortbestimmung im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO nicht maßgeblich sein, weil er eine bloße „mittelbare Schädigung eines Dritten“ darstellt. Denn der Dritte ist zuständigkeitsrechtlich weiter vom Schaden entfernt und sein Schaden ist daher nicht erfolgsortvermit telnd. Überträgt man diese Rechtsprechungslinie nun auf das Kartelldelikts recht, so ergibt sich auf den ersten Blick folgende Situation: Unmittelbar betrof fen wäre der jeweils geschädigte Markt. Die Marktteilnehmer wären nach die ser Sichtweise dagegen Dritte und erlitten einen bloß mittelbaren Schaden. Der den Marktteilnehmern enstehende Schaden wäre demzufolge zuständigkeits rechtlich unbeachtlich. Auch diese Sichtweise wäre indes verfehlt. Es bestehen bei näherer Betrach tung einige Unterschiede zu dem maßgeblichen EuGH-Urteil in der Rechtssa che Dumez484, auf die gemeinhin verwiesen wird in diesem Zusammenhang. Im Unterschied zur Dumez-Entscheidung geht es bei Kartelldelikten nicht um eine Grenzziehung bei einem sich mittelbar fortsetzenden Schaden und damit um eine Abgrenzung gegenüber Schäden von Unbeteiligten. Bei Kartelldelikten verläuft eine Grenzziehung auf unterschiedlichen Ebenen: dem Markt als Kol lektiv aller sich darin betätigenden Individuen und den einzelnen Marktteilneh mern. Bei dieser Unterscheidung handelt es sich nicht um dieselbe Abgren zungsfrage, die der EuGH in der Rechtssache Dumez beantwortet hat. Denn es besteht insofern eine Teilidentität. Der einzelne Marktteilnehmer ist immer auch Teil des Marktes selbst. Hinzu kommt eine weitere Überlegung485: Gerade im Hinblick auf die Recht sprechung des EuGH in dem die private Kartellrechtsdurchsetzung einleitenden Urteil in der Rechtssache Courage486, erscheint es inkonsequent, den einzelnen Marktteilnehmer als bloß mittelbar geschädigten Dritten anzusehen. In diesem Urteil stellte der EuGH fest, dass die volle Wirksamkeit kartellrechtlicher Vor schriften des Unionsrechts beeinträchtigt wäre, „[…] wenn nicht jedermann Er satz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wett bewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes 484
EuGH, 11.1.1990, Rs. C-220/88 (Dumez). Zusammenhang sieht auch Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße, S. 120, Fn. 432. 486 EuGH, 20.9.2001, Rs. C-453/99 (Courage). 485 Diesen
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Verhalten entstanden ist.“487 Seitdem besteht Einigkeit darüber, dass zumindest die unmittelbare Marktgegenseite durch den Schutz kartellrechtlicher Normen bezweckt werden soll.488 Vor diesem Hintergrund erschiene es inkonsequent, wenn sich diese Schutzwirkung nicht auch auf der autonom auszufüllenden Ebene der internationalen Zuständigkeit auswirken sollte und man dort dabei bleiben würde, dass ein der unmittelbaren Marktgegenseite entstandener Kar tellschaden eine bloß mittelbare Schädigung eines Dritten darstellte. Der EuGH hat in seinem Urteil Courage zu Recht darauf hingewiesen, dass der Zweck des Kartellrechts eben nicht nur darin besteht, generell den Markt vor Beeinträchti gungen zu schützen. Vielmehr kommt dem Kartellrecht seitdem auch eine indi viduelle Schutzrichtung zu. Diese individuelle Schutzrichtung würde außer Acht gelassen, wollte man den individuellen Schaden des Kartellgeschädigten zuständigkeitsrechtlich bereits von vornherein außer Acht lassen. Damit schei det das Vermögen des betroffenen Marktteilnehmers nicht bereits deshalb als relevantes Schutzgut für Kartelldelikte aus, weil es sich dabei um einen bloßen Folgeschaden oder eine mittelbare Schädigung eines Dritten handelt. (b) Marktbezogenheit von Kartelldelikten Die Beeinträchtigung des relevanten Marktes reicht zur Begründung einer zi vilrechtlichen Haftung beim jeweiligen Marktteilnehmer nicht aus. Dieser wird erst dann geschädigt, wenn er sich an diesem Markt betätigt. Diese Marktbezo genheit ist das Charakteristikum des Kartelldelikts. Der Kartelltäter schädigt typischerweise das Vermögen des geschädigten Marktteilnehmer nicht unmit telbar, sondern indirekt durch eine unzulässige Beeinflussung des relevanten Marktes, auf dem sich der der geschädigte Teilnehmer betätigt. Die Beeinträch tigung des Marktes ist daher eine notwendige Bedingung489 für das Vorliegen eines Kartelldelikts und bildet demnach das entscheidende Abgrenzungsmerk mal zu einem reinen Vermögensdelikt. Dieser unterschiedlichen Deliktsstruk tur zwischen Kartelldelikten einerseits und reinen Vermögensdelikten anderer seits muss bei der zuständigkeitsrechtlichen Anknüpfung des deliktischen Er folgsorts Rechnung getragen werden. Dies spricht für eine Berücksichtigung des Marktorts im Rahmen der Erfolgsortlokalisierung bei Kartelldelikten und gegen eine gleichgeordnete Anknüpfung von Kartelldelikten mit reinen Vermö gensdelikten. Denn von einem zuständigkeitsrechtlich relevanten Schaden ist meist schon mit der Betätigung am jeweiligen Markt durch den Marktteilneh 487
EuGH, 20.9.2001, Rs. C-453/99 (Courage) Rn. 26. Lübbing in: Münchener Kommentar, Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), Band 2, § 33 GWB, Rn. 62. 489 Costa in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 27. 488
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mer auszugehen, etwa durch Abschluss eines Kaufvertrags, und nicht erst mit der Erfüllung des Kaufvertrags durch Bezahlung des kartellierten Produkts.490 Für eine Berücksichtigung des Marktbezugs von Kartelldelikten spricht fer ner, dass diese zwar häufig in einer Vermögensschädigung münden, dass dies indes nicht zwingend der Fall sein muss. Es sind andere Rechtsfolgen als die Zahlung von Schadensersatz bei einer kartelldeliktischen Klage denkbar, etwa dem Anspruch auf Beseitigung des Schadens oder einem Unterlassungsan spruch (vgl. § 33 Abs. 1 GWB). Es ist vorzugswürdig, die kartelldeliktische Er folgsortanknüpfung so auszugestalten, dass auch diese Rechtsfolgen von einer deliktischen Erfolgsortanknüpfung abgebildet werden und so ein einheitlicher deliktischer Erfolgsortgerichtsstand für alle denkbaren Rechtsfolgen eines Kar telldelikts geschaffen wird. Auch diese Überlegung spricht für eine Orientie rung am jeweiligen Marktort anstatt einer rein vermögensdeliktischen Anknüp fung. Schließlich ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass bei einer An knüpfung an das Vermögen des betroffenen Marktteilnehmers als relevantes Schutzgut die Gefahr besteht, dass es im Rahmen des Erfolgsortgerichtsstands zu sachfernen Gerichtsständen kommt.491 Aufgrund dieser Erwägungen ist eine alleinige Heranziehung der für eine reine Vermögensschädigung geltenden Grundsätze für die Bestimmung des Erfolgsorts bei Kartelldelikten abzulehnen. Dem entscheidenden Merkmal von Kartelldelikten in Form der Marktbezogen heit muss auf zuständigkeitsrechtlicher Ebene Rechnung getragen werden. (3) Konkret-individuelle Marktortanknüpfung (der Markt der schädigenden Transaktion) Das entscheidende Charakteristikum von Kartelldelikten besteht in ihrer Marktbezogenheit. Eine Marktortanknüpfung kann aus zweierlei Perspektiven erfolgen: Einerseits ließe sich der relevante Markt bzw. damit verbunden der relevante Marktort aus der Perspektive des Beklagten bestimmen. Relevanter Markt wäre demzufolge der durch den Beklagten beeinträchtigte Markt. Auf der anderen Seite ließe sich der relevante Markt aus der Perspektive des poten tiellen Klägers ermitteln. Damit wäre derjenige Markt relevant, auf dem sich der Kläger betätigt hat und infolgedessen mutmaßlich einen Schaden erlitten hat. Diese unterschiedlichen Ansätze führen immer dann zu demselben Ergebnis, wenn der durch den beeinträchtigte Markt und der Markt, auf dem sich der Klä ger betätigt, identisch sind. Dies ist typischerweise bei Klagen von unmittelba ren Abnehmern der Fall, die selbst auf dem kartellierten Markt tätig werden. Die unterschiedlichen Perspektiven können aber dann zu einer anderen Erfolgs 490 491
Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 152. Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 152.
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ortanknüpfung führen, wenn nicht der unmittelbare Abnehmer des kartellierten Produkts Klage gegen die Kartellanten erhebt, sondern ein indirekter Abneh mer. In dieser Konstellation können der durch das Kartell beeinflusste Markt und der Markt, auf dem sich der Kläger betätigt, verschieden sein. Denkbar ist diese Konstellation etwa in Fällen, in denen der unmittelbare Abnehmer des kartellierten Produkts den kartellbedingt überhöhten Preis in die Kalkulation seines eigenen Verkaufspreises einfließen lässt und den kartellbedingt überhöh ten Preis an die nachfolgende Marktstufe weiterreicht. Der Markt, auf dem sich ein solcher Zwischenhändler mit Waren eindeckt und dem er seinerseits seine eigene (gegebenenfalls weiter verarbeitete) Ware absetzt, müssen nicht iden tisch sein. Eine solche Berücksichtigung des indirekten Abnehmers bei der Erfolgsort lokalisierung setzt indes voraus, dass Art. 7 Nr. 2 EuGVO überhaupt auch auf den indirekten Abnehmer eines Kartells Anwendung findet. In der Literatur findet diese Frage bislang wenig Beachtung. Der englische Court of Appeal hat te darüber in einer jüngeren Entscheidung zu befinden und kam dabei zu dem Schluss, dass Art. 7 Nr. 2 EuGVO nicht nur auf den direkten Abnehmer, son dern auch auf etwaige indirekte Abnehmer Anwendung findet.492 Diese Ent scheidung verdient Zustimmung vor dem Hintergrund der Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs durch die Rechtsprechung des EuGH in den Rechts sachen Courage und Manfredi.493 Danach soll „jedermann“ den ihm durch eine Verletzung von Wettbewerbsrecht entstandenen Schaden einklagen können.494 Davon umfasst werden auch indirekte Abnehmer.495 Die Entscheidung des EuGH, wonach Kartellanten unter gewissen Voraussetzungen materiellrecht lich auch für sog. Preisschirmeffekte haften,496 fügt sich in diese Sichtweise ein. Art. 7 Nr. 2 EuGVO findet demnach auch auf indirekte Abnehmer Anwendung. Erkennt man also eine potentielle Anspruchsberechtigung der Geschädigten auf allen Marktstufen an, so erlangt der Ansatz, nach dem der relevante Markt be stimmt wird, Bedeutung. Vorzugswürdig ist insofern die Anknüpfung des de liktischen Erfolgsorts an denjenigen Markt, an dem sich der geschädigte Kläger tatsächlich bzw. potentiell betätigt und gerade nicht an denjenigen Markt, den der Kartelltäter mit seinem Verhalten schädigt. 492 Court of Appeal, 20.11.2013, Deutsche Bahn AG and others v. Morgan Advanced Materials plc and others [2013] EWCA Civ 1484, Rn. 20. 493 Bulst, ZEuP 2008, 178, 187; a. A. Rodger in: Lianos/Geradin, Handbook on European Competition Law, S. 470. 494 EuGH, 20.9.2001, Rs. C-453/99 (Courage) Rn. 26; EuGH, 13.7.2006, Rs. C-295-298/04 (Manfredi) Rn. 60. 495 Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 11.12.2014 zu EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 50. 496 EuGH, 5.6.2014, Rs. C-557/12 (Kone).
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cc) Konkretisierung der Konzepte Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zum relevanten Schutzgut bei kar telldeliktischen Klagen sind die unterschiedlichen Ansätze, die Anknüpfung an den konkret-individuellen Marktort einerseits und an den Vermögensschaden beim Kartellgeschädigten andererseits, zuständigkeitsrechtlich zu würdigen. Eine solche Bewertung anhand zuständigkeitsrechtlicher Faktoren macht es je doch erforderlich, zunächst die beiden Konzepte einer möglichen Erfolgsortlo kalisierung zu konkretisieren. Insbesondere der Marktort ist als Anknüpfungs kriterium für sich genommen zu unkonkret, als dass von ihm Rückschlüsse auf seine Eignung zu einer angemessenen Lokalisierung des Erfolgsorts ausgehen könnten.497 Bereits in einem grenzüberschreitenden Distanzdelikt, bei dem etwa der Abnehmer des kartellierten Produkts in einem anderen Staat als dem Verkaufsstaat sitzt und von dort aus die Bestellung tätigt, ist auf den ersten Blick bereits nicht eindeutig, wo der Marktort und damit der Erfolgsort liegt.498 Auch die Lokalisierung am konkret-individuellen Schadensort, die letztlich auf eine Erfolgsortlokalisierung bei Vermögensdelikten hinaus läuft, ist bislang nicht abschließend geklärt.499 (1) Erfolgsortlokalisierung anhand des konkret-individuellen Marktortprinzips Für die Erfolgsortlokalisierung bei Kartelldelikten im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO wird vielfach für eine Übertragung des kollisionsrechtlichen Auswir kungs- bzw. Marktortprinzips plädiert. Das Marktortprinzip entstammt dem Kollisionsrecht und präzisiert dort die Lokalisierung des Erfolgsorts im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO.500 Mit dem Erlass von Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO wurde das Marktortprinzip für den Bereich des Kollisionsrechts nunmehr als systemprägendes Prinzip für das Kartellprivatrecht durch den europäischen Ge setzgeber anerkannt.501 Nach Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO ist auf ein den Wett bewerb einschränkendes Verhalten das Recht des Staates anwendbar, dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird. Der kollisi onsrechtliche Anknüpfungspunkt ist dabei der Ort der wettbewerblichen Inter essenkollision.502 Dieser ist dort zu lokalisieren, wo die entsprechende Wettbe Samson, Die Marktortregel als allgemeines Prinzip, S. 34 f. Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 289. 499 Siehe dazu von Hein, IPRax 2005, 17. 500 Mankowski, RIW 2008, 177, 184. 501 Mankowski, RIW 2008, 177, 184. 502 Ahrens in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Wettbewerbsrecht, § 68, Rn. 39. 497 498
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werbshandlung Einfluss auf den Marktpartner nimmt.503 Im Falle einer Veräu ßerung von Waren oder Dienstleistungen zu einem kartellbedingt überhöhten Preis liegt dieser Ort dort, wo Nachfrage und Angebot im Hinblick auf die kar tellierte Ware aufeinander treffen.504 Befinden sich der Nachfrager und der An bietende nicht an einem Ort, so wird überwiegend der Sitz des Abnehmers bzw. des Nachfragers der kartellierten Ware als maßgeblich angesehen.505 Dies ist bei natürlichen Personen deren Wohnsitz, bei juristischen Personen dagegen der Verwaltungssitz.506 Der entsprechende geographisch relevante Markt ist dem zufolge also regelmäßig ausgehend vom Sitz des jeweiligen Abnehmers zu er mitteln. Zur Bestimmung der sachlichen und räumlichen Reichweite eines be stimmten Marktes ist auf die zum materiellen Kartellrecht erarbeiteten Grund sätze zurückzugreifen507, z. B. die Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Ge meinschaft.508 Dieser relevante Markt ist jedoch nicht zwingend identisch mit den Grenzen der Nationalstaaten und damit mit den Grenzen einer bestimmten Rechtsordnung.509 Um zur Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung zu ge langen, muss dieser Markt daher „nationalisiert“ werden, d. h. er muss in einzel ne Staaten entlang der Hoheitsgrenzen unterteilt werden.510 Von diesen entlang der jeweiligen Hoheitsgrenze verlaufenden Teilstücken des geographisch rele vanten Marktes kommen wiederum nur derjenige in Betracht, in dem der ge schädigte Abnehmer sitzt.511 Auf diese Weise gelangt man mit Hilfe des kollisi onsrechtlichen Marktortprinzips zu einer auf den jeweiligen Sachverhalt an wendbaren nationalen Rechtsordnung.
Ahrens in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Wettbewerbsrecht, § 68, Rn. 39. Francq/Wurmnest in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 120; Rehbinder in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Band 1. EU/ Teil 1, IntWbR, Rn. 31; Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 289; Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, S. 65; Mankowski, WuW 2012, 797, 806. 505 Rehbinder in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Band 1. EU/ Teil 1, IntWbR, Rn. 32; Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 147; Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 291. 506 Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 291. 507 Francq/Wurmnest in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 120; Schnur, Internationales Kartellprivatrecht nach der Rom II-Verordnung, S. 104 f. 508 ABl. C 372 vom 9.12.1997, S. 5. 509 Schnur, Internationales Kartellprivatrecht nach der Rom II-Verordnung, S. 104 f.; Adolphsen, 1 J. Priv. Int. L. 151, 161 (2005). 510 Schnur, Internationales Kartellprivatrecht nach der Rom II-Verordnung, S. 104 f.; Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 148; Mankowski, RIW 2008, 177, 185; Mankowski, WuW 2012, 797, 806. 511 Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 148 f. 503
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Überträgt man dieses Prinzip in den Bereich der internationalen Zuständig keit hinein, so gelangt man in derselben Weise letztlich zu einem Teilgebiet des sich am Sitz des jeweiligen Abnehmers orientierenden geographisch relevanten Marktes, mithilfe dessen die internationale Zuständigkeit bestimmt werden kann. Unklar bleibt indessen, wie die durch Art. 7 Nr. 2 EuGVO ebenfalls be stimmte512 örtliche Zuständigkeit auf dieser Grundlage zu ermitteln ist. Das Abstellen auf den Sitz des Abnehmers legt nahe, dass dieser dann konsequenter weise auch für die örtliche Zuständigkeit relevant ist. Im Ergebnis läuft damit die Erfolgsortlokalisierung anhand des aus dem Kollisionsrecht übernommenen Marktortprinzips darauf hinaus, auf regelmäßiger Basis einen Klägergerichts stand zu schaffen. Wie dies unter zuständigkeitsrechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten ist, gilt es nachstehend zu untersuchen.513 (2) Erfolgsortlokalisierung anhand der Grundsätze für die Lokalisierung des Erfolgsorts bei reinen Vermögensschäden Erachtet man demgegenüber den konkret-individuellen Schaden des einzelnen Betroffenen als maßgeblich für die Erfolgsortlokalisierung, so hat diese letztlich nach den Grundsätzen für die Erfolgsortbestimmung bei reinen Vermögens schäden zu erfolgen. Der private Schadensersatzkläger wird regelmäßig eine Vermögenseinbuße einklagen, die er infolge des Kartelldelikts erlitten hat. Wie aber bei reinen Vermögensschäden der Erfolgsort zu bestimmen ist, ist bislang nicht hinreichend geklärt.514 Während teilweise auf den Belegenheitsort des ge schädigten Vermögens515 abgestellt wird, befürworten andere die sog. Vermö genszentrale516 des Geschädigten als maßgebliches Anknüpfungskriterium her anzuziehen. Vereinzelt wird auch vorgeschlagen, den Erfolgsort bei reinen Ver mögensdelikten als völlig unmaßgeblich anzusehen und stattdessen den Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, allein anhand des Handlungsorts zu bestimmen.517 Auch die bisherige Rechtsprechung des EuGH, insbesondere in der Rechtssa che Kronhofer518, hat diese Unsicherheiten nicht beseitigen können. Dieser 512 Leible in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 5 Brüssel I-VO, Rn. 4. 513 Siehe dazu unten S. 122 ff. 514 M. Weller, WM 2013, 1681, 1686; von Hein, IPRax 2005, 17. 515 BGH, WM 1989, 1047, 1049; OLG München NJW-RR 1993, 703 f.; Hohloch, IPRax 1997, 312, 314; Kiethe, NJW 1994, 222, 226. 516 M. Weller, IPRax 2000, 203 in Fn. 4. 517 Schwarz, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach deutschem und europäi schem Zivilprozessrecht, S. 160 f. 518 EuGH, 10.6.2004, Rs. C-168/02 (Kronhofer).
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Rechtssache lag eine typische Fallkonstellation zugrunde, in der es um Kapital anlagebetrug im Ausland ging. Der in Österreich ansässige Kläger hatte Ver mögen auf ein Konto in Deutschland transferiert, von wo aus die Beklagten verlustreiche Vermögensgeschäfte mit dem Geld tätigten. Der EuGH urteilte, dass es bei einem Kapitalanlagebetrug an im Ausland belegenem Vermögen nicht bereits deshalb zu einem Schadensort am Wohnsitz des Klägers als sei nem Vermögensmittelpunkt führt, weil der Kläger vorgibt, dort geschädigt worden zu sein.519 Zu den hier interessierenden Konstellationen einer Vermögensschädigung durch Bezahlung eines kartellbedingt überhöhten Preises ergeben sich indessen zwei wichtige Unterschiede zu der Konstellation in der Rechtssache Kronhofer, weshalb die dortige Rechtsprechung nicht unmittelbar für die Erfolgsortbestim mung bei Kartelldelikten herangezogen werden kann. Zum einen befanden sich der Belegenheitsort des Vermögens und der Wohnort des Klägers in unter schiedlichen Mitgliedstaaten. Im Rahmen des Kartellschadensersatzes geht es jedoch um Konstellationen bei denen ein Unternehmen oder eine natürliche Per son kartellierte Ware bezieht und diese im Rahmen des regulären Geschäfts gangs bezahlt. Privatleute oder Unternehmen werden jedoch die Konten, mit denen sie operieren, regelmäßig in ihrem Sitzstaat führen und nur in Ausnah men in anderen Mitgliedstaaten.520 Ein weiterer Unterscheid besteht darin, dass im Fall Kronhofer das Vermögen erst durch die weitere deliktische Verwendung geschmälert bzw. geschädigt wurde, nachdem es zuvor auf ein ausländisches Konto transferiert worden war.521 Daraus hat die deutsche Rechtsprechung den Schluss gezogen, dass in einer Fallkonstellation, bei der die Vermögensschädi gung bereits in einer Überweisung vom am Wohnsitz belegenen Konto erfolgt, der Erfolgsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVO eben doch am Wohnsitz des geschädigten Klägers liegen kann.522 So liegt der Fall auch bei Fällen des Kar tellschadensersatzes. Dort wird spätestens die Transferierung des Geldbetrags an den Kartelltäter mit der Schädigung des Vermögens einhergehen. Im Ergeb nis lassen sich aus der Rechtssache in Kronhofer für die vorliegende Konstella tion daher nur bedingt Rückschlusse ziehen auf die Bestimmung des Erfolgsorts bei Kartelldelikten. Wendet man die verschiedenen Ansätze zur Bestimmung des Erfolgsorts bei reinen Vermögensschäden auf Kartelldelikte an, so ergibt sich Folgendes: Die zuletzt genannte Auffassung, wonach bei reinen Vermögensdelikten der Er 519
EuGH, 10.6.2004, Rs. C-168/02 (Kronhofer) Rn. 21. Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 153. 521 Vgl. BGH Urt. v. 13.7.2010 – Az. XI ZR 28/09, Rn. 31 f. = NJW-RR 2011, 197, 199; von Hein, EuZW 2011, 369, 371. 522 BGH Urt. v. 13.7.2010 – Az. XI ZR 28/09, Rn. 30 = NJW-RR 2011, 197, 199. 520
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folgsort völlig außer Betracht gelassen wird, wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchung vernachlässigt. Denn für die vorliegende Untersuchung wird da von ausgegangen523, dass das Ubiquitätsprinzip auch auf Kartelldelikte Anwen dung findet, sodass dieser Ansatz nicht in Betracht kommt. Damit verbleibt es bei den beiden Konzepten der Vermögenszentrale oder dem Ort des geschädig ten Vermögens. Im Falle von Kartelldelikten wird aber sowohl die Vermö genszentrale, als auch das geschädigte Vermögen selbst, häufig im Mitgliedstaat des Geschädigten liegen, wenn man die Prämisse zugrunde legt, dass Unterneh men bzw. Privatleute in der Regel ihre Konten an ihrem Sitzort führen. dd) Stellungnahme: Vorzugswürdigkeit einer konkret-individuellen Marktortanknüpfung Im Ergebnis wird sowohl die Anknüpfung anhand des konkret-individuellen Marktortprinzips, als auch anhand der Grundsätze für die Lokalisierung reiner Vermögensschaden häufig zu einem Klägergerichtsstand führen. Dies ist abs trakt betrachtet ein von der EuGVO eher ungewolltes Ergebnis. Die EuGVO lässt grundsätzlich die Etablierung eines Klägergerichtsstands nur in sehr en gen, gesondert zu begründenden Ausnahmefällen zu, wie etwa im Falle des Verbrauchergerichtsstands nach Art. 17 f. EuGVO. Die Schlussfolgerung, dass ein Klägergerichtsstand im Rahmen der EuGVO außerhalb dieser besonderen Fallkonstellationen aber grundsätzlich unzulässig ist, wäre indes verfehlt. Der EuGH, der selbst diese Systematik der EuGVO regelmäßig betont,524 hat selbst in der jüngeren Vergangenheit bisweilen eine Auslegung der EuGVO vorge nommen, die zumindest häufig zu einem Klägergerichtsstand führt. Beispiele hierfür sind etwa die Rechtssachen eDate525 und Wintersteiger526, in denen der EuGH in eDate einen Gerichtsstand am Mittelpunkt der Interessen des Geschä digten schuf für Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet und in Wintersteiger einen Gerichtsstand am Eintragungsort von gewerblichen Schutzrech ten, die beide häufig am Wohnsitz des Klägers belegen sein werden.527 Dies zeigt, dass ein Klägergerichtsstand durchaus denkbar ist, wenn sich dies mit besonderen sachlichen Erwägungen rechtfertigen lässt. Den entscheidenden Aspekt bei der Tatortlokalisierung im Rahmen des De liktsgerichtsstands stellt die Sach- und Beweisnähe dar. Denn es ist die Sachund Beweisnähe der Gerichte am Ort des schädigenden Ereignisses, welche die 523
Siehe dazu Nachweise oben in Fn. 333. z. B. EuGH, 10.6.2004, Rs. C-168/02 (Kronhofer) Rn. 20. 525 EuGH, 25.10.2011, Rs. C-509/09 und C-161/10 (eDate Advertising). 526 EuGH, 19.4.2012, Rs. C-523/10 (Wintersteiger). 527 Dietze, EuZW 2012, 513, 516; in Bezug auf eDate: M. Weller, LMK 2013, 342334. 524
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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Existenz des besonderen Gerichtsstands des Art. 7 Nr. 2 EuGVO an sich erst rechtfertigt.528 Für die Beurteilung der Sach- und Beweisnähe eines Gerichts stands kommt es entscheidend darauf an, was typischerweise in dem Prozess bewiesen werden soll. Bei Kartelldelikten besteht hier die Besonderheit, dass diese häufig als follow-on-Verfahren geführt werden, d. h. der Kartellverstoß des Deliktstäters wird in vielen Fällen nicht im Zentrum der Beweisaufnahme stehen. Der Schadensersatzkläger wird sich in diesen Fällen regelmäßig maß geblich auf eine etwaige, dem Zivilprozess vorangegangene Bußgeldentschei dung verlassen. denn er wäre selbst kaum in der Lage diese Informationen zu erlangen. In der typischen Fallkonstellation einer follow-on-Klage steht viel mehr der Nachweis der Kausalität und eines konkreten, beim Kläger eingetrete nen Schadens im Vordergrund. Bei diesen Fragen zeigt sich erneut die Marktbe zogenheit der Kartelldelikte. Ohne die Berücksichtigung der Verhältnisse des Marktes, auf dem sich der Geschädigte betätigt hat, werden diese Fragen nicht zu beweisen sein. Diese Überlegung spricht für die Anknüpfung an den betrof fenen konkret-individuellen Marktort. Knüpft man bei Klagen eines indirekten Abnehmers den Erfolgsort an den durch den Kartelltäter geschädigten Markt an und damit gerade nicht an den Markt, auf dem der Geschädigte tätig wird, so führt dies zu einem eher beweis fernen Gerichtsstand. Denn es wird im Prozess des mittelbaren Abnehmers ge gen den Hersteller eines kartellierten Produkts eben nicht auf die Verhältnisse im Markt zwischen Hersteller und unmittelbarem Abnehmer ankommen, son dern eher auf die Marktsituation, die der mittelbare Abnehmer vorfindet, wenn er sich an diesem Markt betätigt. Kauft also der unmittelbare Abnehmer B ein kartelliertes Produkt vom Hersteller A auf dem Markt 1 ein und verkauft dieses Produkt (unter Weiterreichung der kartellbedingten Preiserhöhung) an den mit telbaren Abnehmer C auf dem Markt 2, so wird es bei einem Schadensersatz prozess des C gegen A maßgeblich darauf ankommen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe dem C ein Schaden entstanden ist. Dafür kommt es auf die Markt verhältnisse auf Markt 2 an und nicht auf die Verhältnisse auf dem Markt 1. Insofern ist unter dem Gesichtspunkt der Sach- und Beweisnähe dem Ansatz der konkret-individuellen Marktortanknüpfung, also der Heranziehung desjeni gen Marktes auf dem sich der Kläger betätigt, der Vorzug gegenüber dem An satz, welcher auf den durch den Beklagten geschädigten Markt abstellt. Die Anknüpfung des kartelldeliktischen Erfolgsorts an den Ort, an dem der Kläger in seinem Vermögen geschädigt wurde, verdient insofern Zustimmung, 528 EuGH, 10.6.2004, Rs. C-168/02 (Kronhofer) Rn. 15; Ten Wolde/Knot – Weller in: Una lex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 5 Nr. 3, Rn. 4; Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 5, Rn. 119; Stadler in: Musielak, ZPO, Art. 5 EuGVVO, Rn. 21; Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 3, Art. 5 EuGVO, Rn. 53.
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
als sie auf den jeweiligen Geschädigten abstellt. Die Gleichbehandlung von Kartelldelikten und reinen Vermögensdelikten verkennt aber den entscheiden den Unterschied zwischen diesen beiden Deliktsformen, der in der Marktbezo genheit des Kartelldelikts besteht. Auch verkennt dieser Ansatz, dass sich die eigentliche Schädigung des jeweiligen Marktteilnehmers nicht erst mit der Be zahlung bzw. dem Abfluss eines Geldbetrags aus seinem Vermögen vollzieht. Vielmehr liegt eine Schädigung bereits dann vor, wenn sich der Marktteilneh mer an dem für ihn relevanten und durch das Kartelldelikt verfälschten Markt betätigt, indem er etwa dort einen Kaufvertrag über Ware zu einem kartellbe dingt überhöhten Preis abschließt. Die Anknüpfung an den konkret-individuellen Markt zur Lokalisierung des Erfolgsorts hat darüber hinaus den entscheidenden Vorteil, dass darüber auch einheitlich andere Ansprüche angeknüpft werden können, die nicht auf die Zah lung von Schadensersatz gerichtet sind wie etwa Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassung. Eine solche umfassende Anknüpfung aller möglichen Rechtsansprüche am einheitlich zu bestimmenden Erfolgsort scheint vorzugs würdig gegenüber einer Aufspaltung des Erfolgsorts abhängig von unterschied lichen Anspruchszielen. Der Erfolgsort von Kartelldelikten ist demzufolge an den Marktort anzuknüpfen. Dieser Marktort ist aber nicht abstrakt anhand der schädigenden Handlung des Deliktstäters zu bestimmen, sondern es ist auf den jenigen Markt abzustellen, auf dem sich der Geschädigte potentiell oder tat sächlich betätigt. c) Deliktsspezifische alleinige Lokalisierung des Tatorts am Marktort Bei der bisherigen Auslegung wurde in der Untersuchung des Art. 7 Nr. 2 EuG VO die Prämisse zugrunde gelegt, dass im Rahmen dieser Vorschrift das Ubi quitätsprinzip gilt, d. h. dass im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO zwischen Handlungs- und Erfolgsort zu unterscheiden ist. Nach der Vereinheitlichung der Kollisionsvorschriften für außervertragliche Schuldverhältnisse mit der Rom II-VO stellt sich aber die Frage, welche Konsequenzen sich aus der Neufassung des Kollisionsrechts für die Ausgestaltung des Deliktsgerichtsstands auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit ergeben.529 Die Rom II-VO hat das bis her für das Deliktskollisionsrecht bestehende Optionsrecht des Geschädigten nach Art. 40 Abs. 1 EGBGB zwischen Handlungs- und Erfolgsort beseitigt und stellt in ihrer Grundnorm des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO allein auf das Recht des Erfolgsorts ab. Daneben hat die Rom II-VO einige Sonderanknüpfungen für spezifische Deliktstypen eingeführt, so auch in Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO mit der 529 Wagner in: Stein/Jonas, Band 10, Art. 5 EuGVVO, Rn. 176–179; dies thematisiert auch Picht, GRUR Int 2013, 19, 26.
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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Einführung des Marktortprinzips für Kartelldelikte. Hier ist fraglich, inwieweit sich die Lokalisierung des Tatorts im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO daran orientieren sollte, ob also eine umfassende deliktsspezifische und damit wettbe werbsspezifische Auslegung des Tatorts bei Kartelldelikten vorzunehmen ist.530 aa) Aufgabe des Ubiquitätsprinzips Auf einer ersten Ebene ginge es bei einer solchen wettbewerbsspezifischen Aus legung um die Aufgabe des Ubiquitätsprinzips, was auf die ausschließliche Lo kalisierung des Begehungsorts des Delikts am Marktort hinausliefe, ohne dass dabei zwischen Handlungs- und Erfolgsort zu unterscheiden wäre.531 Als Argu ment für eine solche Aufhebung im Zusammenhang mit der Ausrichtung der Tatortlokalisierung an den kollisionsrechtlichen Kategorien wird im Wesentli chen der dadurch geschaffene Gleichlauf von Kollisionsrecht und dem Recht der internationalen Zuständigkeit angeführt.532 Um diese Forderung zu fundieren, wird regelmäßig auf Erwägungsgrund Nr. 7 der Rom II-VO verwiesen. Nach diesem Erwägungsgrund sollten der „[…] materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung [der Rom II-VO] […] mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 [der EuGVO] […] in Ein klang stehen.“ Zwar liegt die Aufgabe des Ubiquitätsprinzips bei Kartelldelikten gerade auf der Grundlage des in dieser Untersuchung bislang gefundenen Ergebnisses nahe. Denn nach der hier vorgeschlagenen Auslegung von Art. 7 Nr. 2 EuGVO ist der Handlungsort von Kartelldelikten am Ort der Niederlassung des Kartell täters zu lokalisieren und der Erfolgsort wird (deliktsspezifisch) am konkretindividuellen Marktort lokalisiert. Nach dieser Auslegung kommt dem Hand lungsort keine eigene Bedeutung mehr zu, weil dieser regelmäßig mit dem allge meinen Gerichtsstand des Art. 4 EuGVO zusammenfallen wird. Diese Auslegung kommt einer durch die Aufgabe des Ubiquitätsprinzips geschaffenen alleinigen Anknüpfung von Kartelldelikten am Marktort im Ergebnis sehr nahe. Die Auflösung des Ubiquitätsprinzips aufgrund einer deliktsspezifischen Auslegung weckt indes Bedenken in methodischer Hinsicht. Dies gilt insbeson dere für einen aus dem Erwägungsgrund Nr. 7 der Rom II-VO abgeleiteten an gestrebten Gleichlauf des Deliktskollisionsrechts mit dem Recht der internatio Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 804 f. Martiny in: FS Drobnig, S. 399 f.; Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451, 455; Wagner in: Stein/Jonas, Band 10, Art. 5 EuGVVO, Rn. 179; grundlegend zu dieser Frage: von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Delitktsrecht. 532 Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 804; Wagner in: Stein/ Jonas, Band 10, Art. 5 EuGVVO, Rn. 179. 530 531
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
nalen Zuständigkeit. Es wurde bereits dargelegt, dass ein solcher angestrebter Gleichlauf auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Kainz nicht absolut gesehen werden kann.533 Es muss im Einzelfall geprüft wer den, ob eine kohärente Auslegung zwischen Rom II-VO und der EuGVO unter spezifisch zuständigkeitsrechtlichen Erwägungen zu angemessenen Ergebnis sen führt. Für eine deliktsspezifische Auslegung des Deliktsgerichtsstands bei Kartelldelikten im Lichte der Rom II-VO verbleibt also von vorn herein nur in soweit Raum, als durch diese Auslegung der Systematik und Zielsetzung der EuGVO entsprochen werden kann. Ausgeschlossen ist damit aber eine pauscha le deliktsspezifische Auslegung für alle diejenigen Deliktsarten, für die die Rom II-VO eine Sonderanknüpfung vorsieht. Über eine deliktsspezifische Aus gestaltung des Deliktsgerichtsstands kann also nur in Bezug auf einzelne De liktsformen entschieden werden. Die deliktsspezifische Auflösung des Ubiqui tätsprinzips durchbräche aber die bisherige Systematik der Tatortlokalisierung im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO punktuell und würde eine Abkehr von der Konzeption der EuGVO als einheitliches Regelungsinstrument für viele De liktsformen untergraben. Dies läuft dem grundsätzlichen Ziel der Verordnung zur Schaffung von Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit entgegen. Nach der hier vorgeschlagenen Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO kann den Besonderheiten des Kartelldeliktsrechts durch eine Lokalisierung des Erfolgs orts am Marktort ausreichend Rechnung getragen werden, ohne dass dadurch vom im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO geltenden Ubiquitätsprinzip abgewi chen werden muss. Die hier vorgeschlagene Lokalisierung des Handlungsorts am Ort der Niederlassung des beklagten Kartelltäters und der dadurch bewusst in Kauf genommene Gleichlauf mit dem allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 EuGVO trägt unter anderem dem Umstand Rechnung, dass die Lokalisierung des Handlungsorts sich als insgesamt schwierig gestaltet. Auch insoweit ist dem Kriterium der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Vorrang einzuräumen. Diese Auslegung stellt aber nicht insgesamt die Geeignetheit des Handlungsorts als möglichem Tatortgerichtsstand in Frage. Denn für die Aufrechterhaltung des Wahlrechts zwischen Handlungs- und Erfolgsort gibt es gute spezifisch zustän digkeitsrechtliche Gründe, nämlich vor allem das Kriterium der Sach- und Be weisnähe beider Orte.534 Insoweit ist daher auch im Rahmen von Kartelldelikten am Ubiquitätsprinzip festzuhalten.535 533
Siehe dazu oben S. 107 f. BGH Beschluss v. 1.2.2011 – Az. KZR 8/10, Rn. 21. 535 Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVO, Rn. 84; Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 128; Schreiber, 44 The Inter national Lawyer 1157, 1161-2 (2010). 534
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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bb) Aufgabe des Mosaikprinzips Vor dem Hintergrund einer möglichen deliktsspezifischen alleinigen Lokalisie rung des Tatorts am Marktort stellt sich darüber hinaus die Frage, ob und inwie fern das im Rahmen von Persönlichkeitsverletzungen entwickelte zuständig keitsrechtliche Mosaikprinzip im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO aufrechter halten werden kann. Zu klären ist, ob die Gerichte am jeweiligen Erfolgsort in ihrer Kognitionsbefugnis auf einen lokalen Schaden beschränkt sind oder über den gesamten Schaden entscheiden können. In der Vergangenheit entsprach es der gängigen Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO bei sog. Streudelikten, dass die Gerichte am Erfolgsort nur zur Entscheidung über den im jeweiligen Mitglied staat eingetretenen Schaden international zuständig sind.536 Diese Auslegung von Art. 7 Nr. 2 EuGVO geht auf die Shevill-Entscheidung des EuGH zu Persön lichkeitsverletzungen in Printmedien zurück.537 Nach der dort entwickelten Mo saiklösung kann mit einer Klage am Erfolgsort des Delikts nur der im Forum staat angefallene Schaden eingeklagt werden, was letztlich dazu führt, dass der Gesamtschaden mithilfe der Erfolgsortzuständigkeit nur über eine Mehrzahl von Klagen an den jeweiligen Erfolgsorten erfasst werden kann.538 Das aber ist für den Kläger aufwändig und teuer und führt letztlich dazu, dass die Attrakti vität des Erfolgsortsgerichtsstands bei internationalen Delikten merklich ge schmälert wird.539 Es stellt sich daher die Frage, ob diese Mosaiklösung auch auf den Bereich des Kartelldeliktsrechts übertragen werden kann. Während teilweise davon ausgegangen wird, dass das Mosaikprinzip ein „all gemeines Prinzip“ sei, das auch auf andere Streudelikte und damit auch auf das Kartelldeliktsrecht übertragen werden müsse,540 übt ein anderer Teil in der Lite Wagner in: Stein/Jonas, Band 10, Art. 5 EuGVO, Rn. 169. EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill). 538 EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill) Rn. 33. 539 Klöpfer, JA 2013, 165, 167. 540 Explizit im Hinblick auf Schadensersatzklagen und Wettbewerbsverstöße: von Dietze in: Behrens/Hartmann-Rüppel/Herrlinger, Schadenersatzklagen gegen Kartellmitglieder, S. 41; Mankowski, WuW 2012, 797, 799; Mankowski, RIW 2008, 177, 191; Mäsch in: Mäsch, Praxiskommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 130, S. 920, Rn. 34; Massing, Europäisches Internationales Kartelldeliktsrecht, S. 362; Rodger in: Lianos/Geradin, Handbook on European Competition Law, S. 470; Wurmnest, EuZW 2012, 933, 934.; Schnur, Internationales Kartellprivatrecht nach der Rom II-Verordnung, S. 166 f.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 6, Rn. 72; Basedow in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Li tigation, S. 33; Leible in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 5 Brüssel I‑VO, Rn. 92; Hartmann-Rüppel in: Behrens/Hartmann-Rüppel/Herrlinger, Scha denersatzklagen gegen Kartellmitglieder, S. 89, der eine Beschränkung der Kognitionsbe fugnis entgegen der Rechtsprechung des EuGH wohl auf den im Mitgliedstaat des Hand lungsort entstandenen Schaden annehmen will; im Übrigen im Hinblick auf Streudelikte: Klöpfer, JA 2013, 165, 166 f.; Mankowski in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, 536 537
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
ratur diesbezüglich Zurückhaltung und hält es für „offen“, ob eine Übertragung auf das Kartelldeliktsrecht erfolgen sollte.541 Andere lehnen hingegen eine ge nerelle Übertragung des Mosaikprinzips auf andere Delikte ab.542 Auch der EuGH scheint sich in seiner jüngsten Entscheidung in der Rechtssache CDC nun von einer strikten Geltung des Mosaikprinzips gelöst zu haben. Dort wies der Gerichtshof explizit darauf hin, dass am jeweiligen Erfolgsort der gesamte Schaden eingeklagt werden könne, den der jeweilige Geschädigte erlitten hat.543 Im Zusammenhang mit dem Mosaikprinzip ist zwischen dem kollisionsrecht lichen und dem zuständigkeitsrechtlichen Mosaikprinzip zu differenzieren. Im Bereich des Kollisionsrechts eröffnet Art. 6 Abs. 3 lit. b) Rom II-VO bei Kartell verstößen mit Auswirkungen in mehreren Mitgliedstaaten, sog. Multi-State De likten, anstatt des jeweils maßgeblichen Marktortrechts die lex fori des angeru fenen Gerichts als auf den Gesamtschaden anzuwendenden Rechts zu wählen. Eine solche Wahlmöglichkeit des Geschädigten im Hinblick auf den gesamten Schaden macht nur Sinn, wenn bei Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO nach dem je weiligen Marktortrecht nicht auch schon der Gesamtschaden dem jeweiligen Recht unterstellt werden kann.544 Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO setzt damit die Exis tenz des Mosaikprinzips voraus.545 Insofern ist kollisionsrechtlich von der Gel tung des Mosaikprinzips auszugehen.546 Dies bedeutet indes nicht zwingend, dass dann automatisch auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit ebenfalls die Mosaiklösung gelten sollte, dass also die Gerichte am Erfolgsort nur für den in diesem Mitgliedstaat entstande nen Schaden zur Entscheidung international zuständig sind.547 Auch hier gilt, dass ein solcher „Gleichlauf“ im Hinblick auf die Mosaiklösung rechtspraktisch grundsätzlich begrüßenswert und vom europäischen Gesetzgeber an sich ge wünscht ist, dass die Geltung der Mosaiklösung im Bereich der internationalen
Art. 5, Rn. 208, 212; Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 374; Ten Wolde/Knot – Weller in: Unalex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 5 Nr. 3, Rn. 7. 541 Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVO, Rn. 85; dies ebenfalls offen lassend Samson, Die Marktortregel als allgemeines Prinzip, S. 159. 542 Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße, S. 366; Wittwer/Fussenegger, ZEuP 2013, 812, 825. 543 EuGH, 21.5.2015, Rs. C-352/13 (CDC) Rn. 54. 544 Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße, S. 362 f.; Mankowski, RIW 2008, 177, 188; von Hein/Kropholler, Art. 5 EuGVO, Rn. 85. 545 Siehe dazu Nachweise oben in Fn. 544. 546 Thorn in: Palandt, Rom II 6 (IPR), Rn. 12; Weller/Nordmeier in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, Art. 6 Rom II-VO, Rn. 15. 547 Ein solches bloß kollisionsrechtliches Mosaikprinzip in Betracht ziehend z. B. Wagner in: Stein/Jonas, Band 10, Art. 5 EuGVVO, Rn. 170.
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Zuständigkeit aber letztlich von den Sachrationalitäten des Rechts der internati onalen Zuständigkeit abhängt. Das Mosaikprinzip hat seinen Ursprung in der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Shevill.548 Dort hatte der EuGH den Fall einer mittels eines Printmediums begangenen Persönlichkeitsverletzung zu entscheiden. Charak teristisch für diese Fallkonstellation ist, dass ein und dieselbe Handlung auf einmal in einer Vielzahl unterschiedlicher Länder das Ansehen des Betroffenen schädigen kann. Der Schaden wird also gestreut. Eine Geltung des Mosaikprin zips bei Kartelldelikten kommt dementsprechend von vorherein nur in Betracht, wenn es sich bei Kartelldelikten ebenfalls um sog. Streudelikte handelt. Hieran bestehen indes Zweifel, denn eine Streuung von Schäden durch ein und dieselbe deliktische Handlung findet bei Kartelldelikten zwar zweifelsohne statt, indem nämlich durch ein Kartelldelikt eine Vielzahl von verschiedenen Einzelschäden verursacht werden etwa durch das Absetzen eines Produkts zu einem kartellbe dingt überhöhten Preis. Der strukturelle Unterschied zur Konstellation in Shevill besteht aber darin, dass eine Streuung auf mehrere Teilschäden nicht zwin gend in Bezug auf einen Geschädigten erfolgt (etwa durch Verletzung des Per sönlichkeitsrechts eines Geschädigten in unterschiedlichen Mitgliedstaaten), sondern dass die Streuung in Bezug auf die geschädigten Personen erfolgt (mehrere Abnehmer, die das kartellierte Produkt zu überhöhten Preisen abnehmen). Es lässt sich daher bereits insofern an der Vergleichbarkeit mit der Shevill-Ent scheidung zweifeln, obwohl überwiegend davon ausgegangen wird, dass es sich bei Kartelldelikten um sog. Streuschäden handelt.549 Für die Frage, ob eine Übertragung der Mosaiklösung auch auf Kartelldelik te erfolgen kann, kommt es damit entscheidend darauf an, inwieweit die Erwä gungen, die hinter der Shevill-Entscheidung stehen, auch im Kartelldeliktsrecht tragen. Die wohl zentrale Überlegung hinter der Shevill-Entscheidung ist die Begrenzung eines ausufernden forum shopping durch den Kläger.550 Der Ge schädigte sollte nicht bevorteilt werden, indem er die freie Wahl hat zwischen den Gerichten von vielen oder fast allen Mitgliedstaaten gegen den Deliktstäter vorzugehen.551 Insbesondere bei den der Shevill-Entscheidung zugrunde liegen den Persönlichkeitsrechtsverletzungen in Presserzeugnissen war zu befürchten, dass das potentielle Opfer dadurch praktisch eine (fast) freie Wahl des Gerichts stands am Erfolgsortgerichtsstand erhält. 548
EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill). Schaub, JZ 2011, 13, 13; Wurmnest, NZKart 2017, 2, 5 f. 550 Kreuzer/Klötgen, IPRax 1997, 90, 91 f. der auf die zur Zeit der Entscheidung Shevill vorherrschende Auffassung in Frankreich verweist, die sich der EuGH mit der Entscheidung Shevill implizit zu eigen gemacht habe. 551 Wagner in: Stein/Jonas, ZPO, Band 10, Art. 5, Rn. 172. 549
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
Eine derart ausschweifende Vervielfältigung von Erfolgsortgerichtsständen ist indessen im Kartellrecht gerade nicht in gleichem Maße zu befürchten. Zwar ist es auch hier durchaus vorstellbar, dass ein und dasselbe Opfer durch das Kartelldelikt in mehreren Märkten gleichzeitig geschädigt wird, etwa durch den Bezug kartellierter Waren in verschiedenen Märkten durch eine dezentrale Be schaffungsstrategie.552 Ebenso gut sind aber auch Fälle denkbar, bei denen der Schaden eines Abnehmers auf einen Markt beschränkt bleibt, etwa bei einem im Wesentlichen auf einem nationalen Markt tätigen Unternehmen. Eine Streu ung der Schäden erfolgt bei Kartelldelikten weniger auf verschiedene Schaden sorte in Bezug auf ein und denselben Geschädigten als vielmehr hinsichtlich einer großen Anzahl von potentiellen Geschädigten. Insofern ist bereits zwei felhaft, ob Kartelldelikte in gleichem Maße die Gefahr eines weit ausschweifen den forum shopping bergen wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Ein zentraler Unterschied553 im Hinblick auf ein unerwünschtes forum shopping durch den Kläger ist aber, dass das bei Kartelldelikten anwendbare Recht weitestgehend harmonisiert ist und zwar sowohl das Kollisionsrecht mit Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO, als auch zukünftig das materielle nationale Recht in Bezug auf kartelldeliktische Schadensersatzklagen durch die Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement.554 Der Anreiz zur Wahl eines bestimmten Gerichts stands, um dann über das internationale Privatrecht des Forums zu einer ver meintlich besonders klägerfreundlichen Rechtsordnung zu gelangen steht da mit weniger im Vordergrund als dies etwa noch bei der Ausgangslage in Shevill der Fall war. Dort hätte der Kläger praktisch die freie Wahl an Erfolgsortge richtsständen gehabt, ohne dass aber das Kollisionsrecht für Persönlichkeits rechtsverletzungen harmonisiert war. Es war zu befürchten, dass der Kläger durch die Wahl eines bestimmten Gerichtsstands und die jeweiligen Kollisions vorschriften der lex fori mittelbar auch das anwendbare Sachrecht beeinflussen könnte. Auch die mit einem ausufernden forum shopping verbundene Gefahr sich widersprechender Entscheidungen555 besteht damit nicht mehr in gleichem Maße, soweit die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts greift.556 Anreize für ein mögliches forum shopping bleiben auf etwaige Unterschiede im Prozess recht der unterschiedlichen Foren beschränkt, was im Hinblick auf den interna Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 399. Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVO, Rn. 85. 554 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Novem ber 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht we gen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABlEU 2014 L 349, 1 ff. 555 Schaub, JZ 2011, 13, 16 f. 556 In diesem Sinne allgemein und nicht kartelldeliktsspezifisch: Ten Wolde/Knot – Weller in: Unalex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 5 Nr. 3, Rn. 5. 552 553
V. Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EuGVO)
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tionalen Entscheidungseinklang viel eher tolerierbar ist.557 Unter dem Gesichts punkt der Vermeidung eines ausufernden forum shopping erscheint die Über tragung des zuständigkeitsrechtlichen Mosaikprinzips auf Kartelldelikte daher nicht zwingend. Art. 7 Nr. 2 EuGVO gründet seine Existenzberechtigung als besonderer Ge richtsstand auf die besondere Sach- und Beweisnähe der Gerichte am Ort des schädigenden Ereignisses zum begangenen Delikt und die daraus erwachsen den Streitigkeiten.558 Mit den Worten des EuGH in Shevill ist nämlich „[e]nt sprechend dem Erfordernis einer geordneten Rechtspflege, das der besonderen Zuständigkeitsregel des [Art. 7 Nr. 2 EuGVO] zugrunde liegt, […] das Gericht jedes Vertragsstaats, in dem die ehrverletzende Veröffentlichung verbreitet und das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist, örtlich am besten geeignet, um die in diesem Staat erfolgte Ehrverletzung zu beurteilen und den Umfang des entsprechenden Schadens zu bestimmen.“559 Ein entscheidender Aspekt im Hinblick auf das Mosaikprinzip ist demnach, ob das Gericht an einem Erfolgsort diese Sach- und Beweisnähe auch im Hinblick auf die übrigen Erfolgsorte aufweist, die außerhalb des Forumstaats liegen. Dies spricht dafür, bei Kartelldelikten an der Begrenzung der Kognitionsbefugnis der Gerichte am Erfolgsort festzuhalten. Denn eine Sach- und Beweisnähe der Gerichte am jeweiligen Marktort beschränkt sich grundsätzlich auf die dort an gefallenen Schäden. Für in einem anderen Markt enstandene Schäden sind die Gerichte an diesem Marktort besser geeignet Beweise zu erheben und das Ver fahren dort sachgerecht zu führen. Dies spricht dafür, auch im Kartelldelikts recht weiterhin am zuständigkeitsrechtlichen Mosaikprinzip festzuhalten. Das Mosaikprinzip wäre indes deliktsspezifisch dahingehend auszlegen, dass eine Begrenzung des einklagbaren Schadens sich auf den jeweiligen Markt und nicht auf den Mitgliedstaat bezieht, in dem der Erfolgsort lokalisiert wird. Der Kläger kann demnach am jeweiligen Erfolgsort nur diejenigen Schäden einklagen, die durch eine Betätigung am jeweiligen Markt angefallen sind.
3. Zwischenergebnis Art. 7 Nr. 2 EuGVO ist für die Geltendmachung kartelldeliktischer Ansprüche gegenüber einem einzelnen Deliktstäter ein zentraler Zuständigkeitsgrund. Im Rahmen dieser Vorschrift ist zwischen Handlungs- und Erfolgsort zu unter scheiden. Die Lokalisierung des Handlungsorts bei Kartelldelikten ist proble Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße, S. 368. Siehe dazu oben S. 84. 559 EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill) Rn. 31. 557
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
matisch. Weder eine Lokalisierung am Ort der Kartellabsprache, am Grün dungsort des Kartells, noch am Ort der Durchführung der Absprache führen zu sachgerechten Ergebnissen. In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtspre chung des EuGH in ähnlich gelagerten Fällen ist daher der Handlungsort bei Kartelldelikten am Ort der Niederlassung des jeweiligen Kartelltäters zu loka lisieren. Eine zuständigkeitsbegründende wechselseitige Zurechnung von Handlungsbeiträgen erscheint gerade im Bereich des Kartelldeliktsrechts zwar grundsätzlich möglich. Sie kann aufgrund der bisherigen restriktiven Recht sprechung des EuGH zu dieser Frage aber nur in einzelnen Fallkonstellationen zur Anwendung gelangen, sofern der Handlungsort eines Mittäters auch für seinen Komplizen zu einem sach- und beweisnahen Gerichtsstand führt. Bei der Lokalisierung des Erfolgsorts ist sowohl der Marktbezogenheit von Kartellde likten einerseits, als auch der Funktion von kartelldeliktischen Ansprüchen zur Durchsetzung individueller Rechtspositionen Rechnung zu tragen. Eine Lokali sierung des Erfolgsorts sollte daher grundsätzlich am Ort desjenigen Marktes erfolgen, auf dem der Kläger geschädigt wurde. Dies wird häufig zu einem Klä gergerichtsstand führen, was jedoch hinzunehmen ist.
VI. Gerichtsstand der Niederlassung (Art. 7 Nr. 5 EuGVO) Einen weiteren besonderen Gerichtsstand mit einiger Relevanz für kartelldelik tische Klagen bildet der Gerichtsstand der Niederlassung nach Art. 7 Nr. 5 EuG VO. Er erweitert den allgemeinen Gerichtsstand im Sinne des Art. 4 EuGVO dahingehend, dass er es dem Kläger ermöglicht, gegen ein beklagtes Stamm haus, das sich bei seiner Geschäftstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat einer von ihm beaufsichtigten Niederlassung bedient, auch am Sitzort der Niederlas sung vorzugehen. Dabei müssen einerseits Sitzort der Niederlassung und des Stammhauses in unterschiedlichen Mitgliedstaaten liegen560 und das Stamm haus muss andererseits seinen Sitz in einem Mitgliedstaat der Verordnung ha ben, was sich aus dem Einleitungssatz des Art. 7 ergibt.561 Eine Niederlassung im Sinne des Art. 7 Nr. 5 EuGVO liegt nicht bereits bei einer vorübergehenden Geschäftstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat vor, sondern der EuGH ver langt das Bestehen einer organisatorisch verselbstständigten Einheit,562 welche 560 Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVO, Rn. 100; Wagner in: Stein/Jonas, Band 10, Art. 5 EuGVVO, Rn. 190. 561 Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVO, Rn. 100; Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 3, Art. 5 EuGVO, Rn. 90. 562 Wagner in: Stein/Jonas, Band 10, Art. 5 EuGVVO, Rn. 192.
VI. Gerichtsstand der Niederlassung (Art. 7 Nr. 5 EuGVO)
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der Aufsicht und Leitung des Stammhauses unterliegt.563 Erforderlich ist außer dem eine Betriebsbezogenheit, d. h. der Gegenstand der Klage muss „aus dem Betrieb“ einer Niederlassung handeln.564 Liegen diese Voraussetzungen vor, dann eröffnet Art. 7 Nr. 5 EuGVO einen Gerichtsstand umfassend für alle Streitgegenstände.565 Eine potentielle Relevanz für kartelldeliktische Fälle weist Art. 7 Nr. 5 EuG VO vor allem in denjenigen Fällen auf, in denen sich etwa das Stammhaus an einer kartellrechtlich unzulässigen Preisabsprache beteiligt und diese dann über seine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat umsetzt. Zu denken ist hier etwa an Konstellationen, wie sie den Fällen Provimi566 und Cooper Tire567 vor dem englischen High Court zugrunde lagen. Dort hatte sich jeweils eine Mutter gesellschaft an kartellrechtlichen Absprachen beteiligt und setzte diese Abspra chen dann unter anderem durch ihre englische Tochtergesellschaft um. Zwar stand in den genannten Fällen der Gerichtsstand der Niederlassung nicht zur Diskussion und es ging vielmehr um das Eingreifen des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft nach Art. 8 Nr. 1 EuGVO. Ein Vorgehen gegen die Mutter gesellschaft am Sitz der englischen Tochtergesellschaft über den Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 5 EuGVO kommt in dieser Fallkonstellation aber in Betracht. Grundsätzlich findet der Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 5 EuGVO auf Tochter gesellschaften keine Anwendung, weil diese in der Regel selbstständig, d. h. im eigenen Namen und auf eigene Rechnung handeln und deshalb nicht unter die durch den EuGH gebildete Definition einer Niederlassung fallen, weil es insbe sondere an der effektiven Aufsicht und Leitung durch das Stammhaus fehlt.568 Dabei ist das entscheidende Kriterium für das Nicht-Eingreifen des Art. 7 Nr. 5 EuGVO aber nicht in der etwaigen rechtlichen Selbstständigkeit in Form einer eigenen Partei- und Prozessfähigkeit der Tochtergesellschaft zu sehen,569 son dern es kommt vielmehr entscheidend darauf an, dass die Tochtergesellschaft Ten Wolde/Knot – Weller in: Unalex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 5 Nr. 5, Rn. 6; Wagner in: Stein/Jonas, Band 10, Art. 5 EuGVVO, Rn. 191. 564 Näher dazu: Wagner in: Stein/Jonas, Band 10, Art. 5 EuGVVO, Rn. 202; Leible in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Bearbeitung 2011, Art. 5 Brüssel I‑VO, Rn. 108. 565 Wagner in: Stein/Jonas, Band 10, Art. 5 EuGVVO, Rn. 188. 566 High Court (Queen’s Bench Division), 6.3.2003, Provimi Limited v. Aventis Animal Nutrition SA and Others [2003] EuLR 517. 567 High Court (Queen’s Bench Division), 27.10.2009, Cooper Tire & Rubber Company and others v. Shell Chemicals UK Limited and others [2009] EWHC 2609 (Comm). 568 Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 5 EuGVO, Rn. 107; Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 3, Art. 5 EuGVO, Rn. 86; Ten Wolde/Knot – Weller in: Unalex Kommentar, Brüssel I‑VO, Art. 5 Nr. 5, Rn. 7. 569 Bruhns, Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung, S. 324; Mankowski in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 5, Rn. 281. 563
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
üblicherweise für sich selbst und gerade nicht als Außenstelle des Stammhauses auftritt. Maßgeblich dabei ist die Außenwahrnehmung und der etwaige gesetzte Rechtsschein und weniger das tatsächliche Vorliegen der objektiven Vorausset zungen für das Vorliegen einer Niederlassung im Sinne des Art. 7 Nr. 5 EuG VO.570 Damit wird zugleich aber auch deutlich, dass es von dem Grundsatz, dass Tochtergesellschaften regelmäßig keine Niederlassungen im Sinne des Art. 7 Nr. 5 EuGVO sind, auch Ausnahmen geben kann. Erforderlich ist dann aber, dass zumindest der Rechtsschein geschaffen wird, dass die Niederlassung der Aufsicht und den Weisungen des Stammhauses unterliegt und für dieses tätig wird. Jedenfalls muss das Stammhaus durch die wirtschaftlichen Aktivitäten am Ort der Niederlassung irgendwie in Bezug genommen worden sein. Die klassische Vertriebsstruktur, bei der es eine Muttergesellschaft bzw. ein Stamm haus gibt und mehrere (gegebenenfalls nationale) Vertriebsgesellschaften, wel che Waren im Rahmen eigener geschäftlicher Aktivität am Ort ihrer Niederlas sung an den jeweiligen lokalen Markt absetzen, wird daher in der Regel nicht den Gerichtsstand der Niederlassung begründen können, weil es dabei gerade an einem Bezug zum Stammhaus fehlen wird. In Ausnahmefällen ist ein ent sprechendes Auftreten der Niederlassung, bei dem der Abnehmer zwar eine rechtlich gefestigte und dauerhafte Außenstelle vorfindet, er aber das Gefühl haben wird ein Geschäft mit dem Stammhaus abzuschließen, aber denkbar. Liegt eine Niederlassung im Sinne des Art. 7 Nr. 5 EuGVO vor, so wird es auch an einer Betriebsbezogenheit der Streitigkeit nicht fehlen, weil hierunter insbe sondere auch die aus der Tätigkeit der Niederlassung resultierenden außerver traglichen Verpflichtungen zu fassen sind.571
VII. Allgemeiner Gerichtsstand (Art. 4 EuGVO) Art. 4 EuGVO ist die zentrale Zuständigkeitsnorm der EuGVO. In ihr kommt das allgemeine, die EuGVO prägende Prinzip zum Ausdruck, dass der Kläger den Beklagten grundsätzlich an dessen Wohnsitzgerichtsstand in Anspruch nehmen muss (actor sequitur forum rei). Eine Abweichung von diesem Grund satz lässt die EuGVO bei den besonderen Gerichtsständen (Art. 7 ff. EuGVO) nur mit einer besonderen sachlichen Legitimation zu. Für den Gerichtsstand des Art. 4 EuGVO genügt es dagegen, dass der Kläger am betreffenden Gerichts stand seinen Wohnsitz hat. Damit kommt Art. 4 EuGVO auch als Gerichtsstand 570 571
Mankowski in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 5, Rn. 286. Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 3, Art. 5 EuGVO, Rn. 88.
VIII. Ergebnisse
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für kartelldeliktische Klagen in Betracht. Zur Lokalisierung des Wohnsitzes verweist die EuGVO in Art. 62 Abs. 1 EuGVO auf die jeweilige lex fori des mit der Sache befassten Gerichts. Der Wohnsitz von natürlichen Personen wird durch die EuGVO nicht näher konkretisiert, sondern dem jeweils anwendbaren nationalen Recht überlassen. Möglichen Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Wohnsitzes bei juristischen Personen beugt die EuGVO vor, indem sie den Wohnsitzbegriff für juristische Personen in Art. 63 EuGVO autonom definiert, sodass mit Art. 4 EuGVO eine verhältnismäßig einfach zu handhabende Zu ständigkeitsvorschrift besteht, deren Anwendung keine Besonderheiten in Be zug auf kartelldeliktische Klagen aufweist.
VIII. Ergebnisse 1. Das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip und damit das öffentlich-rechtliche Interesse an einer effektiven Kartellrechtsdurchsetzung wirken grundsätzlich nicht in das Zuständigkeitsrecht hinein. Die Zuständigkeitsgründe der EuGVO sind allein anhand spezifisch zuständigkeitsrechtlicher Erwägungen auszuge stalten. Die Schaffung deliktsspezfischer Zuständigkeitsgründe für Kartell schadensersatzklagen im Rahmen der EuGVO ist abzulehnen. 2. Art. 25 Abs. 1 EuGVO kommt als möglicher Zuständigkeitsgrund für Kar tellschadensersatzklagen in Betracht. Nationale Derogationsverbote oder das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip stehen dem nicht entgegen. Auf der Grundlage des deutschen Sachrechts können kartelldeliktische Schadensersat zansprüche von sog. Globalklauseln sachlich umfasst werden. 3. Gerichtsstandsvereinbarungen können auch Wirkungen gegenüber Dritten entfalten. Dies gilt insbesondere für den Fall einer Abtretung von kartelldelikti schen Schadensersatzansprüchen an einen Prozessfinanzierer, der diese gericht lich geltend macht. 4. Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft in Art. 8 Nr. 1 EuGVO ist bei einem Vorgehen gegen mehrere Kartelltäter auf kartelldeliktische Schadenser satzklagen grundsätzlich anwendbar. Dafür muss bei den unterschiedlichen Klagen dieselbe Sach- und Rechtslage vorliegen. Dieses Kriterium ist auto nom-europäisch zu bestimmen und nicht etwa nur anhand des jeweiligen natio nalen Rechts. 5. Gemeinsame Absatzhandlungen der Kartelltäter im selben Markt führen zu einer einheitlichen Sachlage. Eine einheitliche Sachlage kann aber auch ge geben sein bei Absatzhandlungen auf jeweils verschiedenen Märkten. Werden die Kartelltäter alle aufgrund der Handlung eines Mittäters verklagt, weil ihnen dessen Verhalten zugerechnet wird, dann liegt ebenfalls dieselbe Sachlage im
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B. Internationale Gerichtszuständigkeit nach der EuGVO
Sinne des Art. 8 Nr. 1 EuGVO vor. Eine solche Zurechnung kann sich aus der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit ergeben. Hat die Europäische Kom mission in ihrer Bußgeldentscheidung das Bestehen einer wirtschaftlichen Ein heit festgestellt, dann kann diese Erkenntnis ins Zuständigkeitsrecht übertragen werden. 6. Nach Inkrafttreten von Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO und mit der Umsetzung der Richtlinie 2014/104/EU zum private enforcement ist bei kartelldeliktischen Klagen regelmäßig vom Vorliegen derselben Rechtslage auszugehen. 7. Kartelldeliktische Klagen sind außerhalb von Sonderkonstellationen, wie etwa einer Haftung aufgrund von compliance-Klauseln, als nicht-vertraglich zu qualifizieren und fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 son dern in den des Art. 7 Nr. 2 EuGVO. 8. Beim Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO ist bei kartelldelikti schen Klagen das Ubiquitätsprinzip anzuwenden, d. h. es ist zwischen Hand lungs- und Erfolgsort zu unterscheiden. Die Lokalisierung des Handlungsorts ist problematisch. Der Ort der Kartellabsprache, der Gründungsort des Kartells und der Ort der Durchführung der kartellrechtlichen Absprache führen zu sachund beweisfernen Gerichtsständen. Vorzugswürdig ist in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH in derartigen Fällen die Lokalisie rung des Handlungsorts am Niederlassungsort des jeweiligen Kartelltäters. 9. Eine zuständigkeitsbegründende Handlungszurechnung ist im Kartellde liktsrecht grundsätzlich denkbar. Eine solche kommt aufgrund der restriktiven Rechtsprechung des EuGH aber nur in sehr engen Grenzen noch in Betracht, wenn für den Mittäter auch am Handlungsort seines Komplizen ein sach- und beweisnaher Gerichtsstand besteht. 10. Bei der Lokalisierung des Erfolgsorts muss sowohl der Marktbezogenheit von Kartelldelikten, als auch der Funktion von kartelldeliktischen Ansprüchen zur Durchsetzung individueller Rechtspositionen Rechnung getragen werden. Eine Lokalisierung des Erfolgsorts sollte demnach am Ort desjenigen Marktes erfolgen, an dem der Kläger geschädigt wurde. Dies wird häufig zu einem Klä gergerichtsstand führen, was jedoch hinzunehmen ist. 11. Art. 7 Nr. 5 EuGVO kommt als möglicher Zuständigkeitsgrund bei kar telldeliktischen Schadensersatzklagen in Betracht, wenn bei der Umsetzung des Kartells eine Niederlassung beteiligt ist, die den Anschein erweckt, für das Stammhaus zu handeln. 12. Der Wohnsitzgerichtsstand des Art. 4 EuGVO kommt stets auch für kar telldeliktische Klagen in Betracht, weist jedoch keine kartelldeliktischen Be sonderheiten auf.
C. Internationale Gerichtszuständigkeit nach autonomem deutschen Recht Soweit der Anwendungsbereich der EuGVO als vorrangiges Unionsrecht nicht eröffnet ist, wird die internationale Zuständigkeit in kartelldeliktischen Fällen nach den allgemeinen Grundsätzen des autonomen deutschen Zivilprozess rechts ermittelt.1 Anders als bei der behördlichen Durchsetzung des Kartell rechts gilt also nicht das Prinzip der Sachrechtsanknüpfung, sondern die Fragen der internationalen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts sind grundsätz lich getrennt voneinander zu beurteilen.2 § 130 Abs. 2 GWB hat demnach für zivilrechtliche Klagen keinen originären zuständigkeitsrechtlichen Gehalt.3 Der dem autonomen deutschen Zuständigkeitsrecht zukommende Anwendungsbe reich liegt also in der Zuständigkeitsbestimmung gegenüber Beklagten mit Sitz außerhalb eines Mitgliedstaats der EuGVO bzw. des LugÜ. Für Klagen gegen die Teilnehmer eines Weltkartells, dessen Beteiligte ihren Sitz sowohl innerhalb als auch außerhalb der Europäischen Union haben, finden die Instrumente der EuGVO bzw. des LugÜ und das deutsche autonome Zustän digkeitsrecht nebeneinander Anwendung.4 Maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung beider Regelungsregime ist der Sitz des jeweiligen Beklagten. Die EuGVO setzt als vorrangig zu beachtendes Rechtsinstrument voraus, dass der Beklagte seinen Sitz in einem Mitgliedstaat der Verordnung hat.5 Gegenüber den anderen Beklagen bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach den Regelungen des deutschen autonomen Zuständigkeitsrechts. Die §§ 12 ff. ZPO werden zur Begründung der internationalen Gerichtszu ständigkeit „doppelfunktional“ angewandt, d. h. ein örtlich zuständiges Gericht 1 Immenga in: Münchener Kommentar, BGB, Band 11, Internationales Wettbewerbsund Kartellrecht, Rn. 59. 2 Stockmann in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 130 GWB, Rn. 82. 3 Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 367. 4 M. Weller in: Nietsch/Weller, Private Enforcement: Brennpunkte kartellprivatrechtli cher Schadensersatzklagen, S. 53 f. 5 Die einzige Ausnahme bildet insoweit Art. 25 EuGVO, der auch gegenüber Beklagte mit Sitz außerhalb eines Mitgliedstaats Anwendung findet, solange ein Gericht eines Mit gliedstaats prorogiert wird.
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C. Internationale Gerichtszuständigkeit nach autonomem deutschen Recht
ist zugleich international zuständig zur Entscheidung eines Sachverhalts.6 Dem entsprechend wird die internationale Zuständigkeit nach den §§ 12 ff. ZPO er mittelt. Die §§ 12, 17 ZPO eröffnen auch im Kartelldeliktsrecht einen allgemei nen Gerichtsstand am Wohnsitz, der sich bei natürlichen Personen nach § 13 ZPO richtet und bei juristischen Personen nach § 17 ZPO. Ein wichtiger Unter schied des autonomen deutschen Rechts der internationalen Zuständigkeit im Vergleich zu den Regelungen der EuGVO ist das Fehlen eines Gerichtsstands der Streitgenossenschaft. Hier ist ein Hineinwirken von Art. 8 Nr. 1 EuGVO in das nationale Zuständigkeitsrecht zu erwägen,7 was letztlich jedoch abzulehnen ist, sodass im autonomen deutschen Zuständigkeitsrecht ein Gerichtsstand gegen mehrere Beklagte allenfalls nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO begründet werden kann.8 Funktionell ist für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die die Anwendung des GWB und der Artikel 101/ 102 AEUV betreffen, nach § 87 GWB streitwertun abhängig das Landgericht sachlich zuständig. Durch die sog. 8. GWB-Novel le9 wurde § 95 Abs. 2 Nr. 1 GVG dahingehend geändert, dass kartellrechtliche Schadensersatzklagen keine Handelssachen mehr sind. Eine Beantragung der Verhandlung der Streitigkeit vor der Kammer für Handelssachen ist gemäß § 96 GVG aber weiterhin möglich.
I. Deliktsgerichtsstand (§ 32 ZPO) Der praktisch bedeutsamste besondere Gerichtsstand neben dem allgemeinen Gerichtsstand ist der Deliktsgerichtsstand nach § 32 ZPO. Schadensersatzkla gen aufgrund von Kartellverstößen sind, ebenso wie Beseitigungs- oder Unter lassungsansprüche auch im autonomen deutschen Zuständigkeitsrecht als delik tisch im Sinne des § 32 ZPO zu qualifizieren.10 § 32 ZPO knüpft die Lokalisie Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 396, Rn. 946; Massing, Europäisches In ternationales Kartelldeliktsrecht, S. 361; Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirt schaftsrecht, Rn. 366. 7 Unalex Compendium (abrufbar unter: http://www.unalex.eu/Compendium/Compen diumSearch.aspx), Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO, Rn. 7. 8 § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO findet auch gegenüber Streitgenossen mit Sitz außerhalb Deutschlands Anwendung, sofern diese einen besonderen Gerichtsstand im Inland haben: Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 3, Rn. 491; Patzina in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 1, § 36, Rn. 24; Vollkommer in: Zöller, ZPO, § 36, Rn. 2a; a. A. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 408. 9 Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. Juni 2013, BGBl. 2013 I 1738 und 1750. 10 Vollkommer in: Zöller, ZPO, § 32, Rn. 11; Wern in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 32, Rn. 11. 6
I. Deliktsgerichtsstand (§ 32 ZPO)
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rung des Deliktsgerichtsstands an den Gerichtsbezirk an, in dem die Handlung begangen ist und damit letztlich wie Art. 7 Nr. 2 EuGVO an den Tatort des De likts. Abweichend von dem auch sonst im Rahmen des § 32 ZPO geltenden Ubi quitätsprinzip, also der Lokalisierung des Tatorts sowohl am Handlungs- wie am Erfolgsort des Delikts, soll speziell bei Kartelldelikten § 32 ZPO dahinge hend teleologisch reduziert werden, dass es wie bei Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom IIVO nur auf den Erfolgsort ankommt.11 Der Erfolgsort wiederum soll in Bezug auf Kartelldelikte deliktsspezifisch ausgelegt werden, d. h. es wird auf das Aus wirkungsprinzip zur Tatortlokalisierung zurückgegriffen.12 Dementsprechend befindet sich der Tatort des Delikts (überall) dort, wo die Wettbewerbsbeschrän kung ihre Auswirkungen zeitigt.13 Dafür ist auf die zu § 130 Abs. 2 GWB ent wickelten Grundsätze zurückzugreifen,14 der selbst indes keine originäre Zu ständigkeitsfunktion erfüllt.15 Bei einem Kartell, das sich in diesem Sinne auf den bundesdeutschen Markt auswirkt, besteht also die freie Wahl an möglichen deutschen Gerichtsständen.16 Nach dem Maßstab des § 130 Abs. 2 GWB soll auch ermittelt werden, ob ebenfalls betroffene Sekundärmärkte, also Märkte auf die das kartellierte Produkt nur indirekt gelangt, noch Tatort im Sinne des § 32 ZPO sein können.17 Die gängige Auslegung des § 32 ZPO ist außerdem in mehrerlei Hinsicht deutlich weitgehender, als etwa die vergleichbare Regelung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO in der EuGVO. So wird etwa davon ausgegangen, dass ein nach § 32 ZPO international zuständiges Gericht über den durch das Delikt verursachten weltweiten Gesamtschaden entscheiden kann und nicht etwa nur über den in Deutschland eingetretenen Teilschaden.18 Die Kognitionsbefugnis der Gerichte am Deliktsgerichtsstand des § 32 ZPO ist demzufolge territorial unbeschränkt. Anders als bei Art. 7 Nr. 2 EuGVO gilt also kein zuständigkeitsrechtliches Mo 11 Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 372; Schütze in: Gloy/ Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 11, Rn. 19; Zimmer, Konkretisie rung des Auswirkungsprinzips, S. 318 f. 12 Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 367; Wern in: Prütting/ Gehrlein, ZPO, § 32, Rn. 14; Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 318. 13 Vollkommer in: Zöller, ZPO, § 32, Rn. 17. 14 Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße im internationalen Rechtsverkehr, S. 166 f.; Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 318. 15 Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 367. 16 Vollkommer in: Zöller, ZPO, § 32, Rn. 17; Klees, EWiR § 1 GZW 1/07, 240. 17 Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße im internationalen Rechtsverkehr, S. 167. 18 Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 578, Rn. 1524; Maier, Marktortanknüp fung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 207; Tzakas, Die Haftung für Kartellrechts verstöße im internationalen Rechtsverkehr, S. 166; Roth in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, § 32, Rn. 4, 48.
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C. Internationale Gerichtszuständigkeit nach autonomem deutschen Recht
saikprinzip. Im Falle der Beteiligung mehrerer Deliktstäter am Kartelldelikt besteht bei § 32 ZPO außerdem die Möglichkeit einer zuständigkeitsbegründen den Handlungszurechnung, d. h. Tatbeiträge können mit prozessualer Wirkung wechselseitig zugerechnet werden.19 Das ermöglicht es dem Kläger auch Be klagte vor deutschen Gerichten gerichtspflichtig zu machen, wenn diese selbst gar nicht im Forumstaat gehandelt haben, sich aber die Handlungen ihrer Kom plizen im Forumstaat zurechnen lassen müssen. Während bei der Frage der Kognitionsbefugnis und der zuständigkeitsbe gründenden Handlungszurechnung die Eigenständigkeit des autonomen deut schen Zivilprozessrechts betont wird, soll bei der Lokalisierung des Tatorts in Anlehnung an die europäische Kollisionsnorm des Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom IIVO eine deliktsspezifische alleinige Lokalisierung des Tatorts am Marktort er folgen. Diese teilweise Anlehnung an das europäische Recht einerseits und die Beibehaltung der selbstständigen Wertungen des autonomen deutschen Zivil prozessrechts andererseits erscheint bei einer Gesamtschau auf die Anwendung des § 32 ZPO in Kartelldelikten jedoch fragwürdig. Vorzugswürdig erscheint es, das autonome Zuständigkeitsrecht dann insgesamt stärker am europäischen Zivilprozessrecht auszurichten. Dabei verdient die Lokalisierung des Erfolgs orts am konkret-individuellen Marktort Zustimmung unter zuständigkeitsrecht lichen Erwägungen.20 Dies gilt in gleicher Form auch für § 32 ZPO. Erwägens wert erscheint vor diesem Hintergrund vielmehr eine Angleichung an das euro päische Zivilprozessrecht in den Fragen der Kognitionsbefugnis und der zuständigkeitsbegründenden Handlungszurechnung. Die zuständigkeitsbegründende Handlungszurechnung etwa hat unter dem Aspekt des Beklagtenschutzes im Rahmen des deutschen autonomen Rechts so gar deutlich weitgehendere Folgen als dies etwa im Rahmen der EuGVO der Fall wäre. Einem Beklagten erscheint es angesichts des stärker harmonisierten Euro päischen Justizraums eher zuzumuten, ihn am etwaigen zuständigkeitsferneren Handlungsgerichtsstand des Komplizen gerichtspflichtig machen, wenn dieser in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union liegt. Denn die kollisionsrechtli che Angleichung des Kartelldeliktsrechts durch Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO relati viert etwaige Nachteile für den Beklagten. Zwar erscheint es oft erstrebenswert, gerade inländischen Klägern ein Inlandsforum zu bieten. Insbesondere bei in ternationalen Kapitalanlageklagen, in denen die zuständigkeitsbegründende Handlungszurechnung eine große Rolle spielt, wird die extensive Auslegung des 19 Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 205; BGH Urt. v. 9.3.2010 – Az. XI ZR 93/09 Rn. 19 = BGHZ 184, 365, 371; BGH Urt. v. 22.11.1994 – Az. XI ZR 45/91 = NJW 1995, 1225, 1226; BGH Urt. v. 6.2.1990 – Az. XI ZR 184/88 = NJW-RR 1990, 604, 604. 20 Siehe dazu oben S. 132 ff.
II. Vermögensgerichtsstand (§ 23 ZPO)
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§ 32 ZPO oft auch von Verbraucherschutzerwägungen getrieben.21 Dieser An satz ist indes fragwürdig. § 32 ZPO ist für derartige Regelungsinteressen nicht der richtige Ort.22 Vielmehr sollte die Vorschrift des § 32 ZPO bei ihrer Anwen dung und Auslegung auf ihren ursprünglichen Zweck beschränkt bleiben: die Schaffung eines sach- und beweisnahen Gerichtsstands. Dies ist nicht in allen Fällen der zuständigkeitsbegründenden Handlungszurechnung der Fall. § 32 ZPO sollte daher in Bezug auf die zuständigkeitsrechtliche Handlungszurech nung an Art. 7 Nr. 2 EuGVO angeglichen werden und eine solche sollte im Rah men des § 32 ZPO auf diejenigen Fälle beschränkt werden, in denen sich dies aus zuständigkeitsrechtlichen Erwägungen rechtfertigen lässt. Eine Herausar beitung einer unionsrechtlichen Beteiligungsdogmatik bleibt insofern abzuwar ten. Jedenfalls wäre aber eine Angleichung des § 32 ZPO an die Vorschrift des Art. 7 Nr. 2 EuGVO wünschenswert. Im Rahmen des Unionsrechts wurde hinsichtlich Art. 7 Nr. 2 EuGVO gezeigt, dass dort die Legitimationsgrundlage für ein zuständigkeitsrechtliches Mosaik prinzip nicht mehr in vollem Umfang greift. Demgegenüber kennt § 32 ZPO ein solches Mosaikprinzip gar nicht. Dabei ließe sich gerade bei dieser Vorschrift ein Mosaikprinzip eher rechtfertigen, als im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO. Das Potential für ein ausuferndes forum shopping scheint hier bei Kartelldelik ten grundsätzlich größer zu sein, als innerhalb des stärker vereinheitlichten Eu ropäischen Justizraums.
II. Vermögensgerichtsstand (§ 23 ZPO) Ein insbesondere im internationalen Rechtsverkehr23 bedeutsamer Zuständig keitsgrund ist der Vermögensgerichtsstand des § 23 ZPO. Aus dem Erfordernis der Abwesenheit eines inländischen Wohnsitzes beim Beklagten ergibt sich, dass § 23 ZPO eine Ausnahme vom Prinzip der Doppelfunktionalität darstellt und unmittelbar die internationale Zuständigkeit regelt.24 Danach kann in dem jenigen Bezirk eine internationale Gerichtszuständigkeit begründet werden, in dem Vermögen des Beklagten belegen ist. Der Beklagte ist in diesem Fall aber nicht nur hinsichtlich des konkreten Vermögensteils, sondern umfassend hin sichtlich aller vermögensrechtlichen Ansprüche gerichtspflichtig.25 Ob darüber M. Weller, WM 2013, 1681, 1686. M. Weller, WM 2013, 1681, 1686. 23 Fischer, RIW 1990, 794, 795; Patzina in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 1, § 23, Rn. 2. 24 Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße, S. 158. 25 Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 508, Rn. 1346. 21
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C. Internationale Gerichtszuständigkeit nach autonomem deutschen Recht
hinaus zusätzlich ein hinreichender Inlandsbezug erforderlich ist für die An wendbarkeit von § 23 ZPO, wird seit längerem uneinheitlich beantwortet.26 Im Anwendungsbereich der EuGVO, also gegenüber Beklagten mit Sitz in einem Mitgliedstaat der EuGVO, ist § 23 ZPO gemäß Art. 5 Abs. 2 EuGVO nicht an wendbar.27 Auf Beklagtenseite muss also ein Drittstaatenangehöriger stehen. Auf Klägerseite eröffnet § 23 ZPO einen Gerichtsstand sowohl für In- als auch für Ausländer, sodass die Vorschrift insbesondere auch für Klagen in Betracht kommt, bei dem sowohl auf Kläger- wie auch auf Beklagtenseite ein Ausländer steht. Damit ist § 23 ZPO der wohl weitgehendste Zuständigkeitsgrund im deut schen autonomen Recht und kann dementsprechend auch bei den hier zu unter suchenden kartelldeliktischen Schadensersatzklagen zur Anwendung gelangen.
III. Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 Abs. 1 ZPO) § 21 Abs. 1 ZPO erweitert die Gerichtspflichtigkeit28 bei vermögensrechtlichen Klagen im Zusammenhang29 mit einer Niederlassung für diesbezügliche Kla gen gegen deren Inhaber30, indem er am Sitz der Niederlassung einen zusätzli chen besonderen Gerichtsstand schafft. In Abgrenzung zu Art. 7 Nr. 5 EuGVO kommt die Regelung nur dann zum Zug, wenn der Beklagte seinen Hauptsitz nicht in einem Mitgliedstaat der EuGVO hat.31 In Bezug auf das Kartelldelikts recht schafft die Vorschrift für diejenigen Fälle einen inländischen Gerichts stand, in denen die Kartellabsprache der inländischen Niederlassung eines aus ländischen Unternehmens umgesetzt wird.32 Dies wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn eine in einem Drittstaat ansässige Mutter ihr Tochterunterneh men anweist, den Vertrag im Inland in einer wettbewerbswidrigen Weise zu Stande zu bringen bzw. zu erfüllen, wenn also die Tochter die kartellrechtlichen Absprachen für die Mutter im Inland umsetzt.
26 Dies befürwortend: BGH Beschl. v. 13.12.2012 – Az. III ZR 282/11, Rn. 16 = NJW 2013, 386, 387; BGH Urt. v. 2.7.1991 – Az. XI ZR 206/90 = BGHZ 115, 90, 94; Rehbinder in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, § 130 GWB, Rn. 321; dies ablehnend: Fischer, RIW 1990, 794, 797. 27 Patzina in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 1, § 23, Rn. 24. 28 Roth in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, § 21, Rn. 1. 29 Patzina in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 1, § 21, Rn. 12; Roth in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, § 21, Rn. 20; Vollkommer in: Zöller, ZPO, § 21, Rn. 11. 30 Roth in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, § 21, Rn. 1. 31 Roth in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, § 21, Rn. 4. 32 Rehbinder in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, § 130 GWB, Rn. 318.
IV. Gerichtsstandsvereinbarungen (§ 38 ZPO)
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IV. Gerichtsstandsvereinbarungen (§ 38 ZPO) Nach den §§ 38, 40 ZPO können Parteien unter den dort genannten Vorausset zungen ein ansich unzuständiges Gericht für zuständig erklären. § 38 ZPO ist in seinem Anwendungsbereich indes deutlich beschränkter als etwa die entspre chende Regelung in Art. 25 EuGVO. Die Revision der EuGVO hat dies noch verstärkt. Nachdem Art. 25 EuGVO in seiner seit dem 10. Januar 2015 geltenden Fassung nicht mehr voraussetzt, dass mindestens eine der Parteien ihren Wohn sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat, kommt § 38 ZPO nur noch dann zur Anwendung, wenn allein ein drittstaatliches Gericht außerhalb der Europäischen Union prorogiert wird, nicht aber mehr bereits dann, wenn beide Parteien ihren Wohnsitz in einem Nicht-Mitgliedstaat der EU haben.33 Auch sind die Möglichkeiten einer Prorogation nach §§ 38, 40 ZPO von vornhe rein stärker sachlich beschränkt, als etwa nach Art. 25 EuGVO und insbesonde re dessen Abs. 4. Die entscheidende Frage im Zusammenhang mit einer Gerichtsstandsverein barung nach § 38 ZPO besteht auch im Rahmen des autonomen Zuständigkeits rechts in der Zulässigkeit einer Prorogation. Neben den allgemeinen, sich un mittelbar aus den §§ 38, 40 ZPO ergebenden Unzulässigkeits- bzw. Unwirksam keitsgründen wird vor allem auf die Unzulässigkeit einer Prorogation für den Fall verwiesen, dass das prorogierte ausländische Gericht zwingendes deutsches Recht nicht anwendet.34 Speziell in Bezug auf das Kartelldeliktsrecht wird dies etwa angenommen, wenn ein ausländisches Gericht prorogiert wird, das auf grund seiner eigenen Kollisionsvorschriften zwingendes deutsches Kartellrecht nicht anwenden würde, obwohl dieses nach § 130 Abs. 2 GWB zur Anwendung gelänge.35 Eine solche Gefahr, dass ein ausländisches Gericht deutsches Kar tellrecht nicht anwenden wird, ist aber in Bezug auf Drittstaaten durchaus real, weil die Kollisionsvorschriften in Bezug auf das materielle Kartellrecht ganz verbreitet rein einseitig ausgestaltet sind.36 Drittstaatliche Gerichte werden also regelmäßig nicht danach fragen, welches Kartellrecht auf den Sachverhalt An wendung findet, sondern lediglich, ob ihr eigenes Kartellrecht darauf ange wandt werden sollte. In diesen Fällen kann sich § 130 Abs. 2 GWB mit seinem Geltungsauftrag in Bezug auf deutsches Kartellrecht nicht durchsetzen. Darauf, ob im konkreten Fall tatsächlich die Umgehung deutschen Kartellrechts zu be Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 525. Heinrich in: Musielak, ZPO, § 38, Rn. 20; allgemein M. Weller, Ordre-public-Kontrol le internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, S. 165 f. 35 Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 375; Stockmann in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 130 GWB, Rn. 82. 36 Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße, S. 182. 33
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C. Internationale Gerichtszuständigkeit nach autonomem deutschen Recht
fürchten ist, indem etwa eine Prüfung der Kollisionsvorschriften des ausländi schen prorogierten Gerichts vorgenommen wird, kann es im Interesse Vorher sehbarkeit und der Rechtssicherheit nicht ankommen.37 Die Folge ist ein im Rahmen des deutschen autonomen Zuständigkeitsrechts für die Prorogation drittstaatlicher Gerichte im Kartell (delikts)recht geltendes Prorogationsver bot.38 Die Frage der sachlichen Reichweite einer Gerichtsstandsvereinbarung, stellt sich also nur insoweit, als die Zuständigkeit deutscher Gerichte vereinbart wird. In Bezug auf die sachliche Reichweite ist insofern auf die Ausführungen zu Art. 25 EuGVO zu verweisen39, denn in beiden Fällen richtet sich diese Fra ge nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht.
V. Ergebnisse 1. Der zentrale Gerichtsstand für kartelldeliktische Schadensersatzklagen nach dem deutschen autonomen Zuständigkeitsrecht ist § 32 ZPO. Dieser knüpft an den Tatort des Delikts an. In Bezug auf Kartelldelikte ist § 32 ZPO deliktsspe zifisch auszulegen. Zuständigkeitsbegründend ist allein der Erfolgsort. Dieser wird mittels des Auswirkungsprinzips ermittelt. Eine internationale Zuständig keit deutscher Gerichte besteht also immer bereits dann, wenn die Auswirkun gen des Kartells auch in Deutschland zu spüren sind. 2. Beim Tatortgerichtsstand des § 32 ZPO besteht im Gegensatz zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO keine Beschränkung der Kognitionsbefugnis der deutschen Ge richte, d. h. es kann am Deliktsgerichtsstand der gesamte weltweit angefallene Schaden eingeklagt werden. 3. Im Rahmen des § 32 ZPO nimmt die deutsche Rechtsprechung außerdem eine umfassende zuständigkeitsbegründende Handlungszurechnung vor. Den Kartellanten sind also ihre jeweiligen Handlungsbeiträge umfassend wechsel seitig zuzurechnen. 4. Der Vermögensgerichtsstand des § 23 ZPO sowie der Gerichtsstand der Niederlassung nach § 21 Abs. 1 ZPO finden auf kartelldeliktische Ansprüche Anwendung.
Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 217. Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 216; Rehbinder in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, § 130 GWB, Rn. 327; Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 375; Stockmann in: Loewen heim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 130 GWB, Rn. 82; Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 315 f. 39 Siehe dazu oben S. 20 ff. 37
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V. Ergebnisse
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5. Eine Vereinbarung der Zuständigkeit durch Gerichtsstandsvereinbarung ist nach § 38 ZPO nur zugunsten deutscher Gerichte möglich. Für die Vereinba rung drittstaatlicher Gerichte besteht ein umfassendes Derogationsverbot.
D. Internationale Gerichtszuständigkeit nach US-amerikanischem Recht In den Vereinigten Staaten hat die private Durchsetzung des Kartellrechts eine deutlich längere Tradition als in Europa.1 Das private enforcement steht in den USA bei der Durchsetzung des Kartellrechts sogar klar im Vordergrund.2 Inso fern bieten die Erfahrungen des US-amerikanischen Rechts mit der Frage der internationalen Gerichtszuständigkeit beim private enforcement für die europä ische Diskussion eine wertvolle Perspektive.3 Zugleich ist ein Verständnis des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts eine notwendige Voraussetzung zur Beurteilung der Frage nach einer möglichen Koordinierung von Schadenser satzverfahren gegen globale Kartelle im transatlantischen Rechtsverhältnis. Die Begründung der Zuständigkeit von US-amerikanischen Gerichten setzt sich aus drei Elementen zusammen: der mit der sachlichen Zuständigkeit vergleichbaren subject matter jurisdiction (I.), der die Gerichtsgewalt über den jeweiligen Be klagten begründenden personal jurisdiction (II.) und dem venue (III.), der seine Entsprechung in der örtlichen Zuständigkeit findet. Diese Elemente bilden den Kern der nachstehenden Untersuchung, welche sich auf die Begründung der Gerichtszuständigkeit gegenüber ausländischen Beklagten konzentriert. Systemprägend für das US-amerikanische Zuständigkeitsrecht ist dabei der Gebrauch eines verfassungsrechtlichen Tests, der due process doctrine, durch dessen Gebrauch die Idee prozessualer Gerechtigkeit verwirklicht werden soll. Dieses generalklauselartige Instrument erlaubt eine stärkere Akzentuierung von Einzelfallgerechtigkeit auf der Grundlage von Ermessen seitens des mit der Sache befassten Gerichts.4 Damit einher geht notwendigerweise ein geringeres Maß an Vorhersehbarkeit und damit Rechtssicherheit in Bezug auf die Zustän digkeitsbegründung.5 Nicht zuletzt aufgrund dieser einzelfallorientierten Her Böni, WuW 2012, 699, 699: „Wiege des Kartellrechts“. Blechia, 2012 U. Ill. L. Rev. 879, 882 (2012); Berrisch/Jordan/Salvador Roldan, 24 Nw. J. Int’l L. & Bus. 585, 591 (2003–2004). 3 Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 225. 4 Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht, Rn. 198; Weber, Europäisches Zivilprozess recht und Demokratieprinzip, S. 98. 5 Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 339 (2003–2004). 1 2
I. Sachliche Zuständigkeit (subject matter jurisdiction)
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angehensweise an Fragen der internationalen Zuständigkeit auch gegenüber ausländischen Beklagten stehen die USA in dem Ruf, ihre Zuständigkeiten als weit ausschweifend oder exorbitant zu begreifen.6 In diesem Zusammenhang fällt in der Regel das Schlagwort des transatlantischen „Justizkonflikts“.7 Das internationale Kartelldeliktsrecht ist ein Bereich, in dem dieser Justizkonflikt Bedeutung erlangen kann. Im Hinblick auf die später zu untersuchende Frage, ob es im Bereich des Kartelldeliktsrechts einen solchen Justizkonflikt gibt und wie er gegebenenfalls gelöst werden kann, soll zunächst der Frage nachgegan gen werden, ob eine Beurteilung des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts in Bezug auf das Kartelldeliktsrecht als weit ausschweifend und exorbitant ge rechtfertigt ist.8
I. Sachliche Zuständigkeit (subject matter jurisdiction) Das Gerichtssystem der USA ist zweigeteilt aufgebaut. Es gibt Gerichte auf Bundesebene ( federal courts) und Gerichte auf der Ebene der einzelnen Bun desstaaten (state courts). In beiden Gerichtszweigen gibt es den vollen Instan zenzug mit jeweils drei Gerichtsinstanzen.9 Die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen federal courts und state courts erfolgt nach der subject matter jurisdiction,10 die damit der sachlichen Zuständigkeit vergleichbar ist.11 Die subject matter jurisdiction beantwortet also die Frage, ob für eine Streitigkeit ein federal court oder ein state court zuständig ist.12 Im Gegensatz zur personal jurisdiction steht die subject matter jurisdiction nicht zur Disposition der Partei en, d. h. diese muss bei einer Klage vor einem federal court unabhängig vom Willen der Parteien vorliegen.13 6 Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 222; Hay in: FS von Hoffmann, S. 634; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, S. 45; Silberman, 28 Vand. J. Transnat’l L. 389, 395 (1995). 7 Siehe dazu: Stürner in: Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 3 ff. 8 Kritisch insofern Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 329 (2003–2004); Silberman, 52 DePaul L. Rev. 319, 322–23 (2002–2003); Silberman, 28 Vand. J. Transnat’l L. 389, 395 (1995). 9 Circuit Court – Appellate Court – Supreme Court auf der Ebene der Bundesstaaten und District Court – Court of Appeals – U.S. Supreme Court auf Bundesebene. 10 Alio, 32 DAJV Newsl. 128, 128 (2007). 11 Otto, Der prozessuale Durchgriff, S. 7; Weber, Europäisches Zivilprozessrecht und Demokratieprinzip, S. 67. 12 Joelson, An International Antitrust Primer, S. 85 f. 13 Rubin in: Cuneo/Foer, The International Handbook on Private Enforcement Of Com petition Law, S. 143.
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D. Internationale Gerichtszuständigkeit nach US-amerikanischem Recht
Grundsätzlich sind die Gerichte der Einzelstaaten, also die state courts, zu ständig. Bundesgerichte ( federal courts) können einen Fall nur zur Entschei dung annehmen, wenn das Bundesrecht ihnen die sachliche Zuständigkeit ex plizit zuweist.14 Die Bundesverfassung eröffnet in Article III Section 2 die Möglichkeit, originäre Gerichtszuständigkeiten der Bundesgerichte zu schaf fen.15 Eine solche Zuweisung der Gerichtszuständigkeit kann entweder zu einer ausschließlichen oder einer konkurrierenden Zuständigkeit der Bundesgerichte führen. Derartige Zuständigkeitszuweisungen finden sich vor allem in Title 28 des United States Code (U.S.C.), dem sog. Judicial Code.16 Eine Zuständigkeit der Bundesgerichte besteht etwa dann, wenn es in dem Prozess um Fragen des Bundesrechts geht ( federal questions)17, wenn Kläger und Beklagter aus ver schiedenen Bundesstaaten kommen (diversity of jurisdiction)18 oder in speziel len Fallkonstellationen. Beispiele für letztere sind etwa Klagen aufgrund von Verstößen gegen das Völkerrecht oder einen Staatsvertrag nach dem Alien Tort Statute19 oder Klagen gegen einen anderen Nationalstaat nach dem Foreign Sovereign Immunities Act20. Daneben gibt es Zuweisungen, die zu einer kon kurrierenden Gerichtszuständigkeit der Bundesgerichte führen, d. h. es können sowohl Bundesgerichte als auch die Gerichte der einzelnen Bundesstaaten sach lich zuständig sein. Der Kläger hat im Fall einer konkurrierenden Zuständigkeit des Gerichts eines einzelnen Bundesstaats aber die Möglichkeit, eine Verwei sung an ein Bundesgericht zu beantragen (sog. removal).21 Für Schadensersatzklagen aufgrund von Kartellverstößen besteht eine subject matter jurisdiction der federal courts in der Regel bereits aufgrund der all gemeinen Regelung des 28 U.S.C. § 1331, wonach alle Angelegenheiten, die Bundesrecht zum Gegenstand haben, den Bundesgerichten zugewiesen sind.22 Speziell für wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten weist außerdem 28 U.S.C. § 1337 (a) den federal courts die Zuständigkeit zu. Danach sind die federal courts zuständig für any civil action or proceeding arising under any Act of Congress regulating commerce or protecting trade and commerce against res14 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 7; Perry, 76 Fordham L. Rev. 1177, 1184–85 (2007); Wright/Kane, Law of Federal Courts, Chapter 2, § 7, S. 27. 15 Näher dazu Wright/Kane, Law of Federal Courts, Chapter 2, § 9, S. 32 ff. 16 Joelson, An International Antitrust Primer, S. 86; näher dazu Wright/Kane, Law of Federal Courts, Chapter 1, § 6, S. 21 ff. 17 28 U.S.C. § 1331. 18 28 U.S.C. § 1332. 19 28 U.S.C. § 1350. 20 28 U.S.C. § 1330. 21 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 9. 22 Perry, 76 Fordham L. Rev. 1177, 1185 (2007).
I. Sachliche Zuständigkeit (subject matter jurisdiction)
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traints and monopolies. Da Wettbewerbsrecht in den Vereinigten Staaten Bun desrecht ist, überschneiden sich die Zuständigkeiten des 28 U.S.C. § 1337 (a) und des 28 U.S.C. § 1331 für kartelldeliktische Schadensersatzklagen vollstän dig. Die Existenz des 28 U.S.C. § 1337 (a) lässt sich indes dadurch erklären, dass es früher im Rahmen des 28 U.S.C. § 1331 einen Mindestbetrag hinsichtlich des Streitwerts gab, den 28 U.S.C. § 1337 (a) für wettbewerbsrechtliche Streitigkei ten außer Kraft setzen sollte.23 Inhaltlich haben beide Vorschriften dieselben Voraussetzungen, indem sie verlangen, dass die Streitigkeit aus Bundesrecht hervorgeht (arising under). Dadurch kann aus heutiger Sicht die Vorschrift des 28 U.S.C. § 1337 (a) als überflüssig angesehen werden,24 weil sie als engere Vorschrift keine höheren Voraussetzungen oder andere Rechtsfolgen als der all gemeinere 28 U.S.C. § 1331 enthält. Demnach wird in den Vereinigten Staaten Kartellrecht privatrechtlich vor den federal courts durchgesetzt.25 Ein Rück griff auf die state courts ist in der Regel nicht möglich.26 Den federal courts kommt nach der Regelung des 28 U.S.C. § 1331 dann die subject matter jurisdiction zu, wenn es um eine sog. federal question geht, wenn also die Streitigkeit durch federal law bestimmt wird. Dadurch wird die Frage der subject matter jurisdiction letztlich an die Reichweite des in der Sache an wendbaren Rechts geknüpft. Handelt es sich hierbei um federal law, so kann die subject matter jurisdiction bejaht werden. Dabei wird zunächst deutlich, dass das US-amerikanische Recht nicht in gleich strenger Form zwischen der Frage der internationalen Gerichtszuständigkiet und dem anwendbaren Recht trennt.27 Es werden jedoch Tendenzen erkennbar, stärker zwischen internatio naler Gerichtszuständigkeit und dem anwendbaren Recht zu unterscheiden.28 Zugleich wird deutlich, dass die Bestimmung der Reichweite der internationa len Gerichtszuständigkeit im Rahmen der subject matter jurisdiction aus Sicht des US-amerikanischen Rechts rein einseitig erfolgt. Das US-amerikanische Zuständigkeitsrecht fragt in diesem Punkt allein danach, ob US-amerikanisches Recht auf die entsprechende Fallkonstellation angwandt werden kann, und gera de nicht danach, welches Recht zur Anwendung gelangt. Nachstehend wird dies für den Bereich des Kartelldeliktsrechts untersucht.
Erienet Inc. v. Velocity Net, Inc., 156 F.3d 513, 519–520 (3d Cir. 1998). Erienet Inc. v. Velocity Net, Inc., 156 F.3d 513, 519–520 (3d Cir. 1998). 25 Floyd/Sullivan, Private Antitrust Actions, § 1.1, S. 2. 26 Cavanagh, 26 Antitrust 43 (2011). 27 Hay/Krätzschmar, RIW 2004, 667, 669 f.; Hay/Krätzschmar, RIW 2003, 809, 810; kri tisch hierzu Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451, 452. 28 Siehe dazu unten S. 154. 23
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D. Internationale Gerichtszuständigkeit nach US-amerikanischem Recht
1. Shearman Act, Foreign Trade Antitrust Improvements Act und die Empagran-Rechtsprechung Als potentielle Rechtsquelle, die zu einer federal question führt, kommt vor al lem der Shearman Act of 1890 als die maßgebliche Regelung für wettbewerbs widrige Verhaltensweisen in Betracht. Bei der Anwendung des Shearman Act kommt es seit der Alcoa-Entscheidung29 auf das Auswirkungsprinzip (effects doctrine) an, d. h. der Shearman Act kann grundsätzlich auch in solchen Fällen zur Anwendung gelangen, in denen ein außerhalb der Vereinigten Staaten vor genommener Wettbewerbsverstoß in den USA wettbewerbsschädigende Wir kungen erzielt.30 Es kommt in diesen Fällen zu einer extraterritorialen Anwen dung des US-amerikanischen Kartellrechts. Die genauen Voraussetzungen, unter denen eine solche extraterritoriale Anwendung des Shearman Act möglich sein soll, waren aber lange Zeit unklar. Um diese Unklarheiten zu beseitigen und um die aufgrund des Auswirkungsprinzips als ausufernd empfundene ex traterritoriale Anwendung des Shearman Act zu begrenzen, wurde 1982 der Foreign Trade Antitrust Improvements Act (FTAIA) erlassen. Nach § 6a FTAIA31 findet US-amerikanisches Kartellrecht keine Anwendung auf Verhalten, das im Zusammenhang mit dem Handelsverkehr zu anderen Staaten steht, es sei denn es sind zwei kumulativ zu erfüllende Bedingungen gegeben: (i) Das Verhalten hat einen direct, substantial, and reasonably foreseeable effect in den Vereinig ten Staaten und (ii) such effect gives rise to a claim entweder nach dem Shearman Act oder dem Federal Trade Commission Act. Vor allem die zweite Voraussetzung (gives rise to a claim) wurde von den Gerichten unterschiedlich ausgelegt und sorgte lange Zeit für Unklarheiten.32 In diesem Zusammenhang müssen zwei Dinge unterschieden werden: die negati ven Auswirkungen in den Vereinigten Staaten (effects) im Sinne des Auswir kungsprinzips nach der ersten Voraussetzung von § 6a FTAIA einerseits und der durch den jeweiligen Kläger in einem Kartellschadensersatzprozess geltend United States v. Aluminum Co. of America, 148 F. 2d 416 (2d Cir. 1945). Reinker, 28 Harv. J.L. & Pub. Pol’y 297, 300 (2004–2005). 31 15 U.S. Code § 6a – Conduct involving trade or commerce with foreign nations: “Sec tions 1 to 7 of this title shall not apply to conduct involving trade or commerce (other than import trade or import commerce) with foreign nations unless – (1) such conduct has a direct, substantial, and reasonably foreseeable effect – (A) on trade or commerce which is not trade or commerce with foreign nations, or on import trade or import commerce with foreign na tions; or (B) on export trade or export commerce with foreign nations, of a person engaged in such trade or commerce in the United States; and (2) such effect gives rise to a claim under the provision of sections 1 to 7 of this title, other than this section. If sections 1 to 7 of this title apply to such conduct only because of the operation of paragraph (1)(B), then sections 1 to 7 of this title shall apply to such conduct only for injury to export business in the United States.” 32 Stanger, 2003 BYU L. Rev. 1453, 1463 (2003). 29
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I. Sachliche Zuständigkeit (subject matter jurisdiction)
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gemachte individuell erlittene Schaden (harm) andererseits. Es stellt sich in die sem Zusammenhang gerade für ausländische Kläger die Frage, ob sie sich bei der Begründung der Anwendbarkeit von US-amerikanischem Kartellrecht auf die Auswirkungstheorie berufen können, selbst wenn der von ihnen individuell erlittene Schaden nicht in den USA, sondern in einem anderen Staat angefallen ist. Dafür kommt es letztlich darauf an, wie die zweite Voraussetzung von § 6a FTAIA zu lesen ist: ob nämlich die negativen Auswirkungen in den Vereinigten Staaten (effects) im Sinne des Auswirkungsprinzips Anlass zu irgendeiner Kla ge (give rise to a claim) oder Anlass zu genau dieser Klage (give rise to the/this claim) des Klägers geben. In früheren Entscheidungen hatten die US-amerika nischen Gerichte diese Frage unterschiedlich ausgelegt.33 Nach einer weiten Lesart, die auch das Gericht in der erstinstanzlichen Ent scheidung in der Rechtssache Empagran zugrunde gelegt hatte34, mussten die negativen Auswirkungen (effects) und der individuelle Schaden (harm) gerade nicht kongruent sein mit der Folge, dass auch solche Kläger, die lediglich einen ausländischen Schaden erlitten hatten, sich auf die Anwendung des Shearman Act berufen konnten, sofern nur in den Vereinigten Staaten ebenfalls negative Auswirkungen durch eben jenes Verhalten verursacht worden waren.35 Es wäre danach ausreichend gewesen, dass der Kläger vorbringen konnte, dass die Aus wirkungen des kartellrechtswidrigen Verhaltens irgendeinen Kläger in den Ver einigten Staaten zu einer Klage berechtigen würden. Dass genau dieser jeweilige Kläger solche schädigenden Auswirkungen in den Vereinigten Staaten spü ren würde, wäre nicht erforderlich gewesen. US‑amerikanischen Gerichten wäre nach dieser Lesart eine quasi weltweite internationale Gerichtszuständig keit im Hinblick auf die subject matter jurisdiction zugekommen, sofern es nur einen potentiellen Kläger mit einem in den Vereinigten Staaten eingetretenen Schaden gegeben hätte.36 enge Auslegung hatte der Fifth Circuit in Den Norske Stat Oljeselskap AS v. HeereMac VOF et al., 241 F.3d 420 (5th Cir. 2001), cert. denied, 534 U.S. 1127 (2002) zugrun de gelegt. Danach müssen die negativen Auswirkungen (effects) auf die Vereinigten Staaten genau jene sein, die auch den individuell erlittenen Schaden begründen und Anlass zu der Klage im Sinne von § 6a FTAIA gegeben haben. Eine weite Auslegung hatte dagegen der Second Circuit in Kruman v. Christie’s Int’l PLC, 284 F.3d 384 (2nd Cir. 2002) vertreten. Danach kann der Kläger sich zur Begründung der subject matter auf negative Auswirkungen des betreffenden Verhaltens in den USA berufen, selbst wenn seine eigene Klage nicht auf diese Auswirkungen gestützt wird; zum Ganzen: Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law, Vol. IB, § 272i3, S. 300 ff.; Haas, 15 Loy. Consumer L. Rev. 99 (2002–2003); Halabi, 46 Harv. Int’l L.J. 279, 23–85 (2005); Riazi, 54 DePaul L. Rev. 1277 (2004–2005). 34 Empagran, S.A. v. F. Hoffman-LaRoche Ltd., 315 F.3d 338 (D.C. Cir. 2003). 35 So z. B. Waller, 14 Loy. Consumer L. Rev. 523, 531 (2001–2002). 36 Diamond, 31 Brook. J. Int’l L. 805, 829 (2005–2006). 33 Eine
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D. Internationale Gerichtszuständigkeit nach US-amerikanischem Recht
So hatten auch die Kläger in der Empagran-Entscheidung37, die 2004 durch den Supreme Court entschieden wurde38, argumentiert. In diesem Fall hatten geschädigte Abnehmer des sog. „Vitaminkartells“39 die Hersteller von Vita minpräparaten verklagt, nachdem das Kartell sowohl in Europa, als auch in den USA mit Rekordbußgeldern belegt worden war.40 Bemerkenswert an dem Ver fahren war vor allem, dass sowohl die Kläger, als auch die Beklagten allesamt ihren Sitz nicht in den USA hatten und auch die Schäden beim Kauf von Vita minpräparaten auf den jeweiligen Heimatmärkten angefallen waren und damit außerhalb der USA. Die notwendigen Auswirkungen auf die Vereinigten Staa ten leiteten die Kläger daraus her, dass ohne die Beeinflussung der Preise auch in den USA das Kartell insgesamt nicht funktioniert hätte und daher auch der Schaden bei den Klägern nicht entstanden wäre. Der District of Columbia Circuit des Court of Appeals hatte dieser Auffassung zunächst widersprochen und so gelangte der Fall bis zum Supreme Court. Dieser entschied, dass US-ameri kanische Gerichte nicht international zuständig seien in Fällen, in denen der Schaden der Kläger auf einem in sich unabhängigen, im Ausland eingetretenen Schaden beruhe.41 Danach findet der Shearman Act keine Anwendung auf ein im Ausland stattfindendes wettbewerbswidriges Verhalten, wenn der Kläger ei nen rein ausländischen Schaden geltend macht, der keine Verbindung zu den negativen Auswirkungen in den Vereinigten Staaten aufweist (independent foreign harm). Damit wurde jedenfalls klargestellt, dass eine Begründung der subject matter jurisdiction auf der Grundlage von weltweiten Auswirkungen eines globalen Kartells nicht ohne weiteres in Betracht kommt. Der District of Columbia Circuit des Court of Appeals, an den der Supreme Court das Verfahren zu rückverwiesen hatte, erweiterte in seinem letztverbindlichen Urteil schließlich diesen Test des Supreme Court noch und verlangte einen höheren Standard für die Ursächlichkeit zwischen den in den Vereinigten Staaten eingetretenen nega tiven Auswirkungen (effects) einerseits und dem individuell beim Kläger einge tretenen (ausländischen) Schaden (harm) andererseits. Eine bloße Ursächlich keit im Sinne der Äquivalenztheorie (but for test), die im Empagran-Verfahren wohl erfüllt gewesen wäre, weil ohne die Preiserhöhungen auch in den Verei nigten Staaten das Kartell nicht effektiv gewesen wäre und es so wohl auch nicht zu dem Schaden der Kläger außerhalb der USA gekommen wäre, reicht danach nicht mehr aus. Vielmehr bedarf es einer unmittelbaren Verursachung Empagran, S.A. v. F. Hoffman-LaRoche Ltd., 315 F.3d 338 (D.C. Cir. 2003). F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155 (2004). 39 Siehe dazu Schmidt, 31 Yale J. Int’l L. 211, 212–13 (2006). 40 Näher dazu Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451, 451, Fn. 6. 41 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 159 (2004). 37
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I. Sachliche Zuständigkeit (subject matter jurisdiction)
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im Sinne der deutschen Adäquanztheorie (proximate cause test).42 Danach lässt sich nur dann eine subject matter jurisdiction begründen, wenn die negativen Auswirkungen in den Vereinigten Staaten (effects), um die es im Rahmen der Zuständigkeitsbegründung geht, diejenigen Auswirkungen, die den individuell erlittenen Schaden (harm) beim Kläger begründen, im Sinne des proximate cause test verursacht haben. Allein die Tatsache, dass sowohl die negativen Auswirkungen (effects) als auch der individuell erlittene Schaden beim Kläger (harm) irgendwie auf dasselbe Ereignis, nämlich auf das globale Kartell, zu rückzuführen sind, reicht gerade nicht aus.43
2. Verhältnis von Reichweite des materiellen Wettbewebsrechts und internationaler Gerichtszuständigkeit Das Vorliegen einer federal question zur Begründung der subject matter jurisdiction wurde im US-amerikanischen Recht bislang überwiegend44 so verstan den, dass der Umfang der subject matter jurisdiction durch die Reichweite des Anwendungsbereichs der antitrust laws bestimmt wird.45 Auf diese Weise er halten Fragen nach der extraterritorialen Reichweite des US-amerikanischen Kartellrechts Eingang in die Zuständigkeitsbestimmung. Findet aus Sicht der US-amerikanischen Gerichte eigenes Kartellrecht Anwendung, so haben die federal courts auch die subject matter jurisdiction über diese Fälle. Nach dieser Sichtweise begrenzt also der FTAIA nicht nur die extraterritoriale Anwendung des amerikanischen Kartellrechts in materiellrechtlicher Hinsicht, sondern be grenzt zugleich auch die subject matter jurisdiction der federal courts und da mit die internationale Zuständigkeit in diesen Fällen.46 Diese bislang überwiegende Interpretation des FTAIA ist seit der Supreme Court-Entscheidung in Arbaugh47 im Jahr 2006 jedoch nicht mehr unumstrit Empagran S.A. v. F.Hoffmann-LaRoche, Ltd., 417 F.3d 1267, 1271 (D.C. Cir. 2005). Klevorick/Sykes, 3 Journal of Competition Law and Economics 309, 321 (2007). 44 Jedenfalls seit der Entscheidung Hartford Fire Insurances Ins. Co. v. California, 509 U.S. 764 (1993) wird dies so gesehen, in der die majority opinion die extraterritoriale Anwen dung des US-amerikanischen antitrust law als eine Frage der subject matter jurisdiction qualifizierte. Die dissenting opinion in dieser Entscheidung war dagegen für eine klare Tren nung zwischen zuständigkeitsrechtlichen Fragen und solchen des Kollisionsrechts eingetre ten, vgl. näher dazu Perry, 76 Fordham L. Rev. 1177, 1185 footnote 55 (2007). 45 Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 227; Hoffert, 21 Geo. Mason L. Rev. 217, 221–26 (2013); Winkler/von der Recke, NZG 2005, 241, 242; Wotherspoon, 57 Vill. L. R. 785, 785 (2012). 46 Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 227. 47 Arbaugh v. Y & H Corp., 546 U.S. 500 (2006). 42 43
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D. Internationale Gerichtszuständigkeit nach US-amerikanischem Recht
ten.48 In dieser Entscheidung ohne wettbewerbsrechtliche Relevanz äußerte sich der Supreme Court grundlegend zu der Unterscheidung zwischen der eine subject matter jurisdiction verleihenden zuständigkeitsrechtlichen Funktion einer Regelung des Bundesrechts und ihrer einen materiellrechtlichen Anspruch be gründenden Funktion.49 Der Supreme Court spitzte damit genau diejenige Un terscheidung zu, die auch in Bezug auf den FTAIA relevant ist, nämlich die Frage, ob einer Norm des Bundesrechts nur ein materiellrechtlicher Gehalt zu kommt oder ein die Zuständigkeit eines Bundesgerichts begründender Gehalt oder beides. Der Supreme Court entschied, dass von einem zuständigkeitsrecht lichen Gehalt der Vorschrift nur ausgegangen werden könne, wenn der Gesetz geber dies ausdrücklich anordne (clearly states).50 In dem in Arbaugh zu ent scheidenden Fall sei dies nicht der Fall, sodass der betreffenden Vorschrift kein zuständigkeitsrechtlicher Gehalt zukomme.51 Diese Differenzierung zwischen materiellrechtlichem und zuständigkeits rechtlichem Gehalt durch den Supreme Court haben unterinstanzliche Gerichte aufgenommen und in kartelldeliktischen Fällen auf den FTAIA übertragen. Als erstes sah sich der Third Circuit52 aufgrund der Entscheidung des Supreme Court in Arbough dazu veranlasst, erstmals von der bis dahin einheitlichen In terpretation des FTAIA als Regelung mit auch zuständigkeitsrechtlichem Gehalt abzuweichen und damit auch mit seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung53 zu brechen. In gleicher Form entschied auch der Seventh Circuit54, dass dem FTAIA kein zuständigkeitsrechtlicher Gehalt zukomme,55 und wich ebenfalls von seiner bisherigen Rechtsprechung56 ab.57 Dem steht jedoch nach wie vor die Rechtsprechung des Ninth Circuit58 entgegen, wonach dem FTAIA zuständig 48 Erste Stimmen, die sich gegen einen zuständigkeitsrechtlichen Gehalt des FTAIA aus sprachen, gab es bereits seit den 1990er Jahren, siehe Wotherspoon, 57 Vill. L. R. 785, 785–86 (2012). 49 Arbaugh v. Y & H Corp., 546 U.S. 500, 503 (2006): “This case concerns the distinction between two sometimes confused or conflated concepts: federal court ‘subject matter’ juris diction over a controversy; and the essential ingredients of a federal claim for relief.” 50 Arbaugh v. Y & H Corp., 546 U.S. 500, 515 (2006). 51 Arbaugh v. Y & H Corp., 546 U.S. 500, 515–16 (2006). 52 Animal Science Products, Inc. v. China Minmetals Corp., 654 F.3d 462 (3d Circ. 2011). 53 Carpet Group International v. Oriental Rug, 227 F. 3d 62, 69–73 (3d Circ. 2000); Turicentro v. American Airline Inc., 303 F.3d 293, 300–302 (2002). 54 Minn-Chem, Inc. v. Agrium Inc., 683 F.3d 845 (7th Cir. 2012). 55 Minn-Chem, Inc. v. Agrium Inc., 683 F.3d 845, 848 (7th Cir. 2012). 56 United Phosphorus, Ltd. v. Angus Chem. Co., 322 F. 3d 942 (7th Cir. 2003). 57 Umfassend dazu Caplan, 8 Seventh Circuit Review 250 (2013). 58 McGlinchy v. Shell Chemical Co., 845 F.2d 802, 815 (9 th Cir. 1988); United States v. LSL Biotechnologies, 379 F.3d 672, 679 (9th Cir. 2004); In re Dynamic Random Access Memory (DRAM) Antitrust Litigation, 546 F.3d 981, 990 (9th Cir. 2008).
II. Gerichtsgewalt über den Beklagten (personal jurisdiction)
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keitsrechtlicher Gehalt zukomme, sowie die Auffassung des Department of Justice und der Federal Trade Commission.59 Seitdem ist im US-amerikanischen Recht ein Streit entbrannt, ob den Regelungen des FTAIA ein zuständigkeits rechtlicher und damit ein die internationale Zuständigkeit begründender Gehalt zukommt oder nicht.60 Dieser Streit ist nicht nur in prozessualer Hinsicht von Belang,61 sondern er ist daneben auch entscheidend für die Reichweite der in ternationalen Zuständigkeit der federal courts in privaten Kartellklagen mit in ternationalem Bezug.62 Die Diskussion darum steht indes bislang noch am An fang, da es um eine zentrale Strukturfrage des US-amerikanischen Zuständig keitsrechts geht. Bis der Supreme Court sich in dieser Sache zur Interpretation des FTAIA äußert, besteht in dieser Hinsicht erhebliche Rechtsunsicherheit. Sollte sich die neue Auffassung, wonach dem FTAIA kein zuständigkeits rechtlicher Gehalt zukommt, durchsetzen, so würde dies bedeuten, dass der FTAIA und insbesondere sein § 6a keine Auswirkung auf die Bestimmung der subject matter jurisdiction hat. In dieser Regelung wurde nach bisherigem Ver ständnis die Reichweite des Shearman Act als dem maßgebenden Rechtsakt des US-amerikanischen Wettbewerbsrechts beschränkt. Gleichzeitig ging mit die ser Beschränkung eine Einschränkung der subject matter jurisdiction einher und damit auch der internationalen Zuständigkeit der federal courts. Eine sol che Auslegung des FTAIA würde demnach dazu führen, dass Fälle, in denen kein US-amerikanisches Wettbewerbsrecht zur Anwendung gelangt, nicht be reits aufgrund fehlender subject matter jurisdiction ausscheiden, sondern es auf die übrigen Elemente der Zuständigkeitsbegründung ankommt.
II. Gerichtsgewalt über den Beklagten (personal jurisdiction) Bevor ein Bundesgericht sich inhaltlich mit dem in der Klage geltend gemach ten Anspruch auseinandersetzen kann, muss der Kläger nachgewiesen haben, dass das Gericht die Gerichtsgewalt über den betreffenden Beklagten hat (personal jurisdiction). Das Erfordernis der personal jurisdiction ist eine Besonder heit des Common Law und hat im deutschen Zuständigkeitsrecht keine exakte Entsprechung.63 Es meint die Befugnis eines bestimmten Gerichts, über den Hoffert, 21 Geo. Mason L. Rev. 217, 237 (2013). Siehe etwa Hoffert, 21 Geo. Mason L. Rev. 217 (2013). 61 Caplan, 8 Seventh Circuit Review 250, 293 (2013); Wotherspoon, 57 Vill. L. R. 785, 801–04 (2012). 62 Hoffert, 21 Geo. Mason L. Rev. 217, 229 (2013). 63 Frisinger, AWD 1972, 12, 16; Wazlawik, RIW 2002, 691, 692. 59
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D. Internationale Gerichtszuständigkeit nach US-amerikanischem Recht
konkreten Beklagten ein bindendes Urteil zu sprechen.64 Zur Begründung der personal jurisdiction bei einer privaten Wettbewerbsklage reicht es jedenfalls nicht, dass der Kläger sich lediglich darauf beruft, dass der Beklagte gegen US-amerikanisches Wettbewerbsrecht verstoßen hat.65 Vielmehr müssen zwei Voraussetzungen vorliegen, damit ein federal court die personal jurisdiction über den Beklagten hat:66 (i) Die Ausübung der Gerichtszuständigkeit gegen über dem Beklagten darf nicht gegen das verfassungsrechtliche due process-Er fordernis verstoßen, der Beklagte muss also gewisse minimum contacts mit dem Forum aufweisen, und (ii) die Zuständigkeit des mit der Sache befassten Ge richts muss sich aus einer gesetzlichen Regelung ergeben (statutory authorization for the exercise of judicial jurisdiction).
1. Due process clause und minimum contacts doctrine Das due process‑Erfordernis67 wird unmittelbar aus der amerikanischen Bun desverfassung abgeleitet. Es ist das zentrale Element bei der Zuständigkeitsbe gründung im Rahmen der personal jurisdiction, mit dem prozessuale Gerech tigkeit verwirklicht werden soll. Das Fifth Amendment garantiert dem Einzel nen Schutz gegenüber Aktivitäten der Bundesregierung und verbietet einen Eingriff in die fundamentalen Rechte des Einzelnen without due process of law. In gleicher Weise findet sich im Fourteenth Amendment eine due process-Klau sel gegenüber Handlungen der Regierung des jeweiligen Bundesstaates. Unter den Schutz dieser due process clause fallen nicht nur natürliche Personen, son dern grundsätzlich auch juristische Personen und insbesondere auch Beklagte aus Staaten außerhalb der USA (sog. aliens).68 Unmittelbar aus der US-ameri kanischen Verfassung lassen sich keine Beschränkungen für die Begründung der personal jurisdiction entnehmen.69 Das Verständnis des due process-Erfor dernisses hat sich erst im Laufe der Zeit entwickelt und durch die Rechtspre chung der US-amerikanischen Gerichte seine heutige Gestalt erhalten.70 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 81; Perry, 76 Fordham L. Rev. 1177, 1188 (2007); Ryan, 54 St. John’s L. Rev. 330, 333 (1980). 65 Joelson, An International Antitrust Primer, S. 87. 66 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 81; Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 5.15, S. 377; Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedu re, S. 99. 67 Wasserman, Procedural Due Process, Chapter 6, S. 207–261. 68 Joelson, An International Antitrust Primer, S. 87; Silberman, 63 S.C. L. Rev. 591, 595 (2011–2012). 69 Wasserman, Procedural Due Process, Chapter 6, S. 208. 70 Joelson, An International Antitrust Primer, S. 87. 64
II. Gerichtsgewalt über den Beklagten (personal jurisdiction)
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Ausgangspunkt des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts ist das Territo rialitätsprinzip. Danach ist die Gerichtsgewalt eines Staates auf Personen und Gegenstände begrenzt, die sich innerhalb des Territoriums dieses Staates befin den. In der Entscheidung Pennoyer v. Neff71 aus dem Jahr 1877 bekannte sich der Supreme Court ausdrücklich zu diesem strengen Territorialitätsprinzip,72 für das Joseph Story mit seinen Commentaries on the Conflict of Laws73 den Weg bereitet hatte. Nach dem Territorialitätsprinzip haben US‑amerikanische Gerichte dann die personal jurisdiction über einen Beklagten, wenn dieser Be klagte sich im Gerichtsbezirk aufhält (presence). Das Territorialitätsprinzip konnte der Supreme Court in dieser strikten Form indes aufgrund einer zuneh menden, zunächst bundesstaatenübergreifenden und später staatsübergreifen den Verflechtung der amerikanischen Wirtschaft im Zuge der Industrialisie rung nicht aufrechterhalten. In der wichtigen Leitentscheidung International Shoe Co. v. Washington74 entschied der Supreme Court schließlich, dass es unter der Bedingung möglich sei, einen Beklagten in einem Bundesstaat zu verkla gen, in dem er sich nicht aufhält, dass der Beklagte certain minimum contacts mit dem Forumstaat hat und dass “[…] the suit does not offend ‚traditional notions of fair play and substantial justice.”75 Damit wurde das strenge Territo rialitätsprinzip aufgeweicht76 und durch das Konzept der minimum contacts doctrine ergänzt. Auf diesem Erfordernis baut die heutige Kasuistik zur Beur teilung der personal jurisdiction nun seit fast 70 Jahren auf. Das jeweils mit der Sache befasste Gericht beurteilt danach, ob der Beklagte ausreichende minimum contacts zum jeweiligen Forum aufweist, welche die Begründung der personal jurisdiction über den entsprechenden Beklagten legitimieren. Bei privaten Wettbewerbsklagen besteht insofern eine Besonderheit, als hier nach überwiegender Auffassung nicht etwa die minimum contacts zu einem be stimmten Bundesstaat beurteilt werden, sondern die Berührungspunkte zu den Vereinigten Staaten insgesamt (sog. national contacts test).77 Der Supreme Court hat einen solchen national contacts test nie ausdrücklich für mit der US-amerikanische Verfassung vereinbar erklärt.78 Dennoch wird er von der 71
95 U.S. 714 (1877). Pennoyer v. Neff, 95 U.S. 714, 720 (1877): “The authority of every tribunal is necessa rily restricted by the territorial limits of the State in which it is established.” 73 Für einen (ebenfalls indirekten) Nachweis siehe Born/Rutledge, International Civil Li tigation in United States Courts, S. 85, Fn. 38. 74 326 U.S. 310 (1945). 75 326 U.S. 310, 316 (1945). 76 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 87. 77 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 172 f.; Victor/Hood, 46 Antitrust L.J. 1063, 1081 (1978); Vorrasi, DOJ Civil Antitrust Practice and Procedure Manual, S. 188. 78 Adams in: Levy, International Litigation, S. 127. 72
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D. Internationale Gerichtszuständigkeit nach US-amerikanischem Recht
Rechtsprechung bisher bei privaten Kartellklagen nach dem Clayton Act so an gewandt.79 Bei der Prüfung des due process-Erfordernisses hat sich außerdem die Unterscheidung zwischen der general jurisdiction und der specific jurisdiction herausgebildet.80 Diese Unterscheidung wurde von Arthur von Mehren und Donald Trautman entwickelt81 und später erstmals 1984 in der Entscheidung Helicopteros82 durch den Supreme Court übernommen. Vor allem die durch zwei jüngere Urteile83 des Supreme Court eingeläutete grundlegende Neufor mulierung84 der Anforderungen an die general jurisdiction belegt aber ein drücklich, dass die Unterscheidung zwischen general und specific jurisdiction bis vor kurzem nicht annähernd so klar ausdifferenziert war, wie man dies an hand der lange zurückliegenden Unterscheidung vielleicht vermuten könnte. a) Allgemeine Zuständigkeitsgründe (general jurisdiction) Bei der general jurisdiction beruht die Zuständigkeit des Gerichts auf der engen Verbindung des Beklagten mit dem entsprechenden Forum. Hat ein US-ameri kanisches Gericht über einen Beklagten die general jurisdiction, so hat es in allen justiziablen Streitigkeiten die personal jurisdiction über diesen Beklagten, d. h. die die general jurisdiction begründenden Umstände sind losgelöst vom konkreten Streitgegenstand zu betrachten.85 Um dies zu verdeutlichen wurde auch vorgeschlagen, die Bezeichnung dispute-blind jurisdiction anstatt general jurisdiction und dispute-specific jurisdiction anstatt specific jurisdiction zu ver wenden.86 aa) Traditionelle Anknüpfungspunkte für general jurisdiction Aufgrund der sachlichen Unbeschränktheit einer auf die general jurisdiction begründeten Zuständigkeit sind die Voraussetzungen an die sie begründenden Anknüpfungspunkte grundsätzlich höher als bei der specific jurisdiction: Die general jurisdiction des Beklagten kann etwa durch Staatsangehörigkeit (citizenship), durch domicile bzw. residence bei natürlichen Personen oder durch In Re Automotive Refinishing Paint Antitrust, 358 F.3d 288, 297 (3d Circ. 2004); Access Telekom v. MCI Telecommunications Corp., 197 F.3d 694, 718 (5th Cir. 1999); Go-Video, Inc. v. Akai Electric Co., 885 F.2d 1406, 1416 (9th Cir. 1989). 80 Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 5.10, S. 359 ff. 81 von Mehren/Trautman, 79 Harv. L. Rev. 1121, 1136 (1965–1966). 82 Helicopteros Nacionales v. Hall, 466 U.S. 408, 414, Fn. 9 (1984). 83 Goodyear Dunlop Tires Operations, S.A. v. Brown, 131 S. Ct. 2846 (2011) und Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746 (2013). 84 Siehe dazu unten S. 159 ff. 85 Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 5.13, S. 370. 86 Twitchell, 101 Harv. L. Rev. 610, 613 (1988). 79
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Gesellschaftsgründung (incorporation) bei juristischen Personen im jeweiligen Forumstaat begründet werden.87 Voraussetzung ist dann jeweils außerdem eine ordnungsgemäße Zustellung der Klageschrift an den Beklagten (service of process).88 Bei Vorliegen eines traditionellen Anknüpfungspunkts für die Begrün dung der general jurisdiction wird regelmäßig davon ausgegangen, dass da durch den due process-Anforderungen Genüge getan ist. Auch das Zustellen der Klageschrift an einen Beklagten, während er sich im Gerichtsbezirk befindet (sog. transient- oder tag jurisdiction)89, wird nach wie vor im Einklang mit dem Common Law als ausreichend für die Begründung der general jurisdiction an gesehen.90 Dieser Zuständigkeitsgrund wurde im Rahmen privater Kartellkla gen gegenüber natürlichen Personen auch bereits zum Einsatz gebracht, wohin gegen eine Begründung der personal jurisdiction durch die tag jurisdiction ge genüber juristischen Personen abgelehnt wird.91 Auf der Grundlage des neuen Standards92 für die general jurisdiction nach den Entscheidungen Goodyear und Daimler wurde durch den Ninth Circuit des Court of Appeals sogar die Aufrechterhaltung der tag jurisdiction gegenüber juristischen Personen insge samt in Frage gestellt.93 bb) Neuer Standard für die general jurisdiction Mit den beiden Entscheidungen Goodyear94 und Daimler AG95 hat sich der Supreme Court zuletzt wieder mit dem Gerichtsstand der general jurisdiction intensiv befasst. Im Fokus beider Entscheidungen stand die Gerichtspflichtig keit von ausländischen Gesellschaften aufgrund einer in den USA ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit. Hieraus sollte in beiden Fällen nach Maßgabe der general jurisdiction eine Zuständigkeitsbegründung hergeleitet werden. Nach dem der Supreme Court zuletzt in der Helicopteros-Entscheidung96 im Jahr 1984 zur general jurisdiction Stellung genommen hatte, nutzte er die Gelegen heit in den neueren beiden Entscheidungen, das Konzept der general jurisdiction auf eine neue methodische Grundlage zu stellen um damit der zwischenzeit
Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 109. Siehe dazu Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 188 ff. 89 Burnham v. Superior Court, 495 U.S. 604 (1990). 90 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 102 ff. 91 Dodge, 32 Law & Pol’y Int’l Bus. 363, 366, footnote 14 (2000–2001). 92 Siehe dazu nachstehend. 93 Martinez v. Aero Caribbean, No. 12-16043 (9th Cir. Aug. 21, 2014). 94 Goodyear Dunlop Tires Operations, S.A. v. Brown, 131 S. Ct. 2846 (2011). 95 Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746 (2013). 96 Helicopteros Nacionales v. Hall, 466 U.S. 408 (1984). 87
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lichen, teils sehr unterschiedlichen und exzessiven Auslegung dieses Konzepts durch die unterinstanzlichen Gerichte97 Einhalt zu gebieten. (1) Goodyear v. Brown (2011) In der Entscheidung Goodyear v. Brown98 hatten die in den USA ansässigen Eltern zweier bei einem Busunglück in der Nähe von Paris verunglückten Söhne den Reifenhersteller Goodyear USA sowie dessen drei Tochtergesellschaften aus Luxemburg, der Türkei und Frankreich verklagt. Die Kläger beriefen sich darauf, dass die durch die Beklagten und ihren Tochtergesellschaften gemein schaftlich hergestellten bzw. vermarkteten Reifen den Unfall verursacht hätten. Die mitverklagten Tochtergesellschaften, deren internationale Gerichtspflich tigkeit streitig war, hatten weder einen Geschäftssitz, noch einen anderen An knüpfungspunkt wie beispielsweise ein Bankkonto in den USA. Auch richteten sie ihre geschäftliche Tätigkeit in keiner Form auf die USA aus. Trotzdem leite ten die Kläger den Bezug zu den US-amerikanischen Gerichten in North Carolina daraus her, dass ein kleiner Prozentsatz der von diesen hergestellten mut maßlich schadensverursachenden Reifen über andere amerikanische Tochterge sellschaften über den stream of commerce nach North Carolina gelangt seien. Der Supreme Court verneinte, anders als der North Carolina Court of Appeals, das Vorliegen der general jurisdiction für den Fall. Der North Carolina Court of Appeals hatte mit der stream of commerce-Lehre99 einen Begrün dungsansatz gewählt, durch welchen sich die specific jurisdiction, nicht aber die general jurisdiction begründen lässt.100 Ausgehend von der Leitentscheidung International Shoe und dem Gebot des Erfordernisses der traditional notions of fair play and substantial justice arbeitete der Supreme Court zunächst die Dif ferenzierung zwischen der general und der specific jurisdiction heraus, der da rin bestehe, dass ersterer auch für Klagen die personal jurisdiction vermittle, die mit den die general jurisdiction begründenden Umstände nicht in Zusam menhang stehen. Dabei betonte der Supreme Court, dass allein das Gelangen 97 Metz, IPRax 2014, 365, 366; Stein, 63 S.C. L. Rev. 527, 534 (2011–2012); Trammell, 68 Vand. L. Rev. 501, 511–12 (2015). 98 Goodyear Dunlop Tires Operations, S.A. v. Brown, 131 S. Ct. 2846 (2011). 99 Die stream of commerce-Lehre kommt in internationalen Produkthaftungsfällen zum Einsatz, um die specific jurisdiction des zumeist ausländischen Beklagten zu begründen. Danach können in solchen Fällen unter Umständen die notwendigen forum contacts des Be klagten darüber begründet werden, dass ein vom Beklagten hergestelltes oder vertriebenes Produkt über den stream of commerce bestimmungsgemäß das US-Forum erreicht, wo es dann einen Schaden anrichtet. Vgl. Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 138 ff. sowie die Entscheidung des Supreme Courts dazu in J. McIntyre Machinery, Ltd. v. Nicastro, 131 S. Ct. 2780 (2011). 100 Stein, 63 S.C. L. Rev. 527, 530 (2011–2012).
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von den Schaden verursachender Ware in das US-amerikanische Forum über den stream of commerce nicht ausreiche, um die general jurisdiction über den Beklagten zu begründen, selbst wenn dies auf einer regelmäßigen Basis erfol ge.101 Der Supreme Court stellte vielmehr klar, dass diese Form der Zuständig keitsbegründung allenfalls zur Begründung der specific jurisdiction geeignet sei.102 Zur Bestimmung der general jurisdiction verwendete der Supreme Court erstmals die folgende Formel in Bezug auf die Begründung der general jurisdiction: “A court may assert general jurisdiction over foreign […] corporations to hear any and all claims against them when their affiliations with the State are so ‘continuous and systematic’ as to render them essentially at home in the forum State.”103
Mit der Goodyear-Entscheidung stellte der Supreme Court damit klar, dass je denfalls Ansätze104, welche eine general jurisdiction allein auf eine regelmäßige wirtschaftliche Aktivität des Beklagten im Forum stützen, eine general jurisdiction nicht zu begründen vermögen.105 Derartige Ansätze können allenfalls im Rahmen der specific jurisdiction herangezogen werden. Die eigentliche Be deutung dieser Entscheidung geht jedoch weit darüber hinaus und liegt in der Einführung eines neuen Tests zur Begründung der general jurisdiction: Danach müssen die Kontakte des Beklagten zum jeweiligen Forum so stark sein, dass dieser als im Forum beheimatet angesehen werden kann (to render them essentially at home). (2) Daimler AG v. Bauman (2014) In der Entscheidung Daimler AG v. Bauman106 im Jahr 2014 hatte der Supreme Court erneut Gelegenheit, sich zum Konzept der general jurisdiction zu äußern. In dieser Entscheidung griff der Supreme Court den in Goodyear entwickelten at home-Test wieder auf, präzisierte diesen und fügte ihm weitere Einschrän kungen der general jurisdiction hinzu. In der Entscheidung Daimler AG hatten argentinische Kläger die deutsche Daimler AG vor kalifornischen Gerichten verklagt. Die Kläger lasteten der Beklagten an, während dem sog. „schmutzigen Krieg“ in Argentinien in der Zeit von 1976–1983 durch ihre argentinische Toch tergesellschaft mit den staatlichen Sicherheitskräften zusammengearbeitet zu 101 Goodyear Dunlop Tires Operations, S.A. v. Brown, 131 S. Ct. 2846, 2857 footnote 6 (2011). 102 Goodyear Dunlop Tires Operations, S.A. v. Brown, 131 S. Ct. 2846, 2855 (2011). 103 Goodyear Dunlop Tires Operations, S.A. v. Brown, 131 S. Ct. 2846, 2847 (2011). 104 Sehr weitgehend insoweit etwa Joelson, An International Antitrust Primer, S. 93. 105 Pielemeier, 16 Lewis & Clark L. Rev. 969, 989 (2012). 106 Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746 (2013).
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haben und so ebenfalls an den während dieser Zeit begangenen Verbrechen ge gen die Menschlichkeit teilgenommen zu haben. Die personal jurisdiction der deutschen Muttergesellschaft in den USA sollte dabei über ihre amerikanische Tochtergesellschaft begründet werden, welche als in Delaware inkorporierte Gesellschaft ihre Geschäfte von New Jersey aus führte und dabei unter anderem Ware nach Kalifornien absetzte. Der deutschen Daimler AG als Beklagten soll ten also die Handlungen ihrer amerikanischen Tochtergesellschaft zugerechnet werden, um so mittels deren wirtschaftlichen Aktivität in Kalifornien die personal jurisdiction über die deutsche Muttergesellschaft zu begründen. In seiner Entscheidung in Daimler AG knüpfte der Supreme Court unmittel bar an seine kurz zuvor ergangene Entscheidung in Goodyear an und übernahm den dort formulierten at home-Test.107 Beheimatet im Sinne des at home-Tests seien Gesellschaften typischerweise am Ort der Gesellschaftsgründung (place of incorporation) und am Ort der Hauptniederlassung (principal place of business).108 Dabei betonte das Gericht, dass diese Anknüpfungspunkte sich da durch auszeichnen, dass sie nur an jeweils einem Ort lokalisiert werden könnten und dass dies die Vorhersehbarkeit für den Beklagten erhöhe.109 Der Supreme Court entschied ausdrücklich, dass es seit der Entscheidung in Goodyear nicht mehr auf den continuous and systematic-Test ankommt, wonach bereits eine fortwährende und systematische wirtschaftliche Aktivität zur Begründung der general jurisdiction als ausreichend angesehen worden war.110 Danach sei ein Unternehmen quasi überall unter dem Gesichtspunkt der general jurisdiction gerichtspflichtig, wo es substantielle wirtschaftliche Tätigkeit entfalte. Viel mehr sei zur Begründung der general jurisdiction allein der in Goodyear entwi ckelte at home‑Test entscheidend.111 (3) Schlussfolgerungen aus Goodyear und Daimler AG Die Begründung der general jurisdiction hat durch die Rechtsprechung des Supreme Court in Goodyear und Daimler AG einen tiefgreifenden Wandel erfah ren.112 In diesen Entscheidungen hat das Gericht erstmals ein zentrales Kriteri um entwickelt, anhand dessen die general jurisdiction bestimmt wird. Danach kommt es für die Begründung der general jurisdiction darauf an, ob die Verbin dungen des Beklagten zum jeweiligen Forumstaat so stark sind, dass er als dort Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 760 (2013). Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 760 (2013). 109 Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 760 (2013). 110 Siehe dazu unten S. 164 f. 111 Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 761 (2013). 112 Cornett/Hoffheimer, 76 Ohio St. L.J. 101, 105 (2015): “Daimler is a game changer.” 107
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beheimatet (at home) angesehen werden kann. Dieser at home-Test ist zugleich Ausdruck eines neuen, engeren Verständnisses der general jurisdiction.113 Denn die Orte, an denen ein Beklagter beheimatet sein kann, sind begrenzt.114 Der Supreme Court nimmt bei seiner Zuständigkeitsbestimmung dementspre chend auch eine integrativere Sichtweise auf die general jurisdiction ein, indem verstärkt auch das etwaige Bestehen von Bezugspunkten zu anderen Foren ein fließen.115 Mit dem at home-Test hat der Supreme Court die general jurisdiction zugleich auf eine neue methodische Grundlage gestellt.116 Allein eine mittels einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Forumstaat vermittelten starken Präsenz (presence) im Forumstaat117 – ein traditioneller Begründungsansatz für die general jurisdiction im Einklang mit der Common Law-Lehre im Rahmen der sog. tag jurisdiction gegenüber Individuen118 – reicht jedenfalls zur Begründung der general jurisdiction nicht (mehr) aus.119 So entschied etwa der Ninth Circuit des Court of Appeals, dass eine Anwendung der sog. tag jurisdiction gegenber juris tischen Personen unter dem neu entwickelten Standard der general jurisdiction nicht mehr in Betracht kommt.120 Das neu geschaffene Kriterium, nach wel chem es darauf ankommt, dass der Beklagte im Forumstaat beheimatet (at home) ist, fußt nämlich auf einem anderen Verständnis der general personal jurisdiction. Damit nähert sich das US-amerikanische Recht mit seinem Ver ständnis der general jurisdiction deutlich an das das kontinentaleuropäische Verständnis von einem allgemeinen, streitgegenstandsunabhängigen Gerichts stand an.121 Dass dies dem Supreme Court bewusst ist, kann man daran erken nen, dass das Gericht in der Entscheidung Daimler AG etwa auf den allgemei nen Gerichtsstand nach der EuGVO verweist122 und damit verstärkt das Mittel der Rechtsvergleichung nutzt.123 Es sind bereits erste Tendenzen in der unterins Metz, IPRax 2014, 365, 370. Bollas Genetin, Akron Research Paper No. 14-05, S. 33. 115 Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 762 footnote 20 (2013): “General jurisdiction instead calls for an appraisal of a corporation’s activities in their entirety, nationwide and worldwide.” 116 Feder, 63 S.C. L. Rev. 671, 674–76 (2011–2012). 117 “The underlying rationale [of doing business] is that the extensive and continuous ac tivities of the corporate defendant in the forum state represent a manifestation of the defen dant’s presence there – analogous to the physical presence of an individual.”, Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 334 (2003–2004). 118 Siehe dazu oben S. 159. 119 Feder, 63 S.C. L. Rev. 671, 692–93 (2011–2012). 120 Martinez v. Aero Caribbean, No. 12-16043 (9th Cir. Aug. 21, 2014). 121 Metz, IPRax 2014, 365, 370; kritisch insoweit: Cornett/Hoffheimer, 76 Ohio St. L.J. 101, 116 (2015). 122 Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 763 (2013). 123 Ginsburg, 64 Cambridge Law Journal 575 (2005). 113 114
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tanzlichen Rechtsprechung erkennbar, die darauf hindeuten, dass die Gerichte die Handhabung der general jurisdiction in Zukunft deutlich restriktiver hand haben werden.124 cc) Nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit (doing business) Eine weitere Form der Zuständigkeitsbegründung, von der bislang angenom men wurde, dass sie eine general jurisdiction125 des Beklagten in den USA be gründet, ist die Vornahme einer fortgesetzten und nachhaltigen Unternehmens tätigkeit im Forumstaat in Form eines doing business. In seiner Leitentschei dung International Shoe hatte der Supreme Court geurteilt: “[…] there have been instances in which the continuous corporate operations within a state were thought so substantial and of such a nature as to justify suit against it on causes of acti on arising from dealings entirely distinct from those activities.”126
Daraus wurde später die Wendung continuous and systematic business activities entwickelt, welche als zentrales Kriterium diente, um auf der Grundlage einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit im Forum die general jurisdiction über einen Beklagten zu begründen.127 Auf dieser Grundlage haben die unter instanzlichen Gerichte der einzelnen Bundesstaaten in der Vergangenheit über den Gerichtsstand des doing business entschieden. Die genauen Konturen des doing business wurden indes weder durch eine gesetzliche Regelung, noch durch eine Entscheidung des Supreme Court jemals einheitlich festgelegt.128 Le diglich in zwei Supreme Court-Entscheidungen129 hätte überhaupt Gelegenheit dazu bestanden. Die genauen Voraussetzungen für ein doing business waren also bis zuletzt eher unklar und blieben der Entscheidungspraxis der unterins tanzlichen Gerichte überlassen.130 124 “[…], there is no way to reconclile the district court’s decision with Daimler AG.”, In re Roman Catholic Dicese of Albany, New York, Inc., United States Court of Appeals for the Second Circuit, 7 February 2014, Docket No. 13-4736-cv; Hertges v. Experian Info, Solutions, Inc., No. 13-2699, 2014 WL 346030 (D. Minn. Jan. 30, 2014) unter I.; Abelesz v. OTP Bank, 692 F3d 638, 653–659 (7th Cir. 2012). 125 Doing business als Form der Begründung einer general (personal) jurisdiction ist nicht zu verwechseln mit dem Konzept des transacting business, das lediglich zu einer enge ren streitgegenstandsbezogenen Begründung der specific (personal) jurisdiction führt, vgl. Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 333 (2003–2004). 126 International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S. 310, 318 (1945). 127 Perkins v. Benguet Consolidated Mining Co, 342 U.S. 437, 446 (1952). 128 Feder, 63 S.C. L. Rev. 671, 683 (2011–2012). 129 Perkins v. Benguet Consolidated Mining Co, 342 U.S. 437 (1952) und Helicopteros Nacionales v. Hall, 466 U.S. 408 (1984). 130 Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 335 (2003–2004).
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Kontrovers ist an doing business als Zuständigkeitsgrund vor allem seine Ver ortung als Form der general jurisdiction.131 Denn damit geht nach den Katego rien des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts einher, dass den US-amerika nische Gerichten bei der Begründung einer doing business jurisdiction dann die Gerichtsgewalt über den konkreten Beklagten im Hinblick auf alle gegen den Beklagten geltend gemachten Ansprüche zukommt, also auch hinsichtlich sol cher Ansprüche, die in keinerlei Zusammenhang zu der wirtschaftlichen Akti vität selbst stehen.132 Vor allem diese Gleichsetzung einer fortgesetzten und systematischen wirtschaftlichen Aktivität mit Anknüpfungspunkten wie etwa der Staatsangehörigkeit oder dem domicile wurden in anderen Jurisdiktionen kritisch gesehen. Dementsprechend zog das Konzept des doing business vor allem in anderen Jurisdiktionen (zumeist kritische) Aufmerksamkeit auf sich.133 Aber auch in der US-amerikanischen Literatur war das Konzept des doing business als Zuständigkeitsgrund für die general jurisdiction immer schon Kritik ausgesetzt.134 Die Zuständigkeitsbegründung durch doing business war bislang einer der Punkte, an dem sich das US-amerikanische Zuständigkeitsrecht am deutlichsten vom kontinentaleuropäisch geprägten Zuständigkeitssystem unter schied.135 Zugleich war doing business eine Konfliktstelle bei den Verhandlun gen über den Entwurf der Haager IPR-Konferenz für ein weltweites Zustän digkeits- und Vollstreckungsübereinkommen.136 Auch der Verweis auf eine mögliche Korrektur dieser weitgehenden Zuständigkeitsbegründung durch An wendung der forum non conveniens doctrine vermag diese Kritik nur zum Teil zu relativeren. Dabei kommt dem doing business als general contact gerade bei internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten137 und damit auch bei den hier zu un tersuchenden privaten Wettbewerbsklagen eine große Bedeutung zu. Vor dem Hintergrund des durch den Supreme Court in den Rechtssachen Goodyear138 und Daimler AG139 entwickelten neuen Standards für die general jurisdiction muss die Legitimität von doing business als Begründungsansatz für Clermont, 85 Cornell L. Rev. 89, 95–6 (1999–2000). Twitchell, 2001 U. Chi. Legal F. 171, 173 (2001). 133 Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, S. 59; Silberman, 63 S.C. L. Rev. 591, 614 (2011–2012). 134 Twitchell, 101 Harv. L. Rev. 610, 636 (1988); Feder, 63 S.C. L. Rev. 671, 680–83 (2011– 2012). 135 Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 333 (2003–2004); Silberman, 63 S.C. L. Rev. 591, 611 (2011–2012). 136 Gottwald in: FS Geimer, S. 231 ff.; Silberman, 63 S.C. L. Rev. 591, 614 (2011–2012); Silberman/Lowenfeld in: Essays in Honor of Arthur T. von Mehren, S. 126. 137 Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 334 (2003–2004). 138 Goodyear Dunlop Tires Operations, S.A. v. Brown, 131 S. Ct. 2846 (2011). 139 Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746 (2013). 131
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die general jurisdiction grundsätzlich hinterfragt werden.140 Zwar äußerte sich der Supreme Court in diesen Entscheidungen nicht explizit zum Konzept des doing business. Die beiden Entscheidungen verändern aber die Ausgangslage für die general jurisdiction derart grundlegend, dass dies für die Zuständig keitsbegründung über doing business nicht ohne Folgen bleiben kann.141 Die Frage nach dem Fortbestehen des doing business als Zuständigkeitsgrund für die general jurisdiction ist aus zweierlei Gründen für die vorliegende Untersu chung relevant. Zum einen kommt doing business – insoweit, als es fortbesteht – für das Vorgehen gegen die (aus US-amerikanischer Sicht) ausländischen Be teiligten eines Weltkartells als möglicher Zuständigkeitsgrund für die personal jurisdiction in Betracht. Zum anderen stellt doing business eine zentrale Prob lemstelle für die Verhandlungen um ein Haager Abkommen in Zivilsachen für die Abstimmung der Regelungen zur internationalen Zuständigkeit dar.142 Die ses wiederum ist ein mögliches Instrument für die Koordinierung von Klagen gegen Weltkartelle.143 Der Supreme Court hat mit seiner Entscheidung in Daimler AG nunmehr klargestellt, dass das Erbringen einer wirtschaftlichen Aktivität in erster Linie für ein transacting business und damit im Rahmen der specific jurisdiction zu beachten ist.144 Nimmt man den neuen at home-Standard, den der Supreme Court in Goodyear und Daimler AG etabliert hat, ernst, dann bleibt für eine Fortführung von doing business als Form der Zuständigkeitsbegründung im Rahmen der general jurisdiction wenn überhaupt nur noch ein Ansatzpunkt: Der Supreme Court hatte explizit entschieden, dass es in Ausnahmefällen (exceptional circumstances) nicht ausgeschlossen sei, dass eine general jurisdiction auch außerhalb des Gründungsorts und des Orts der Hauptniederlassung begründet werden könne, nämlich dann wenn die Gesellschaft an einem ande ren Ort essentially at home sei. Wann solche exceptional circumstances vorlie gen könnten, bleibt indes auch nach der Daimler AG-Entscheidung eher un klar.145 Als Beispiel für einen Fall, in dem ausnahmsweise eine general jurisdiction außerhalb des Ortes der Gesellschaftsgründung und dem Ort der Hauptniederlassung begründet werden kann, nannte der Supreme Court den Feder, 63 S.C. L. Rev. 671, 680–95 (2011–2012). Feder, 63 S.C. L. Rev. 671, 673, 680 (2011–2012). 142 Feder, 63 S.C. L. Rev. 671, 675 (2011–2012); dies erkannte etwa der Supreme Court in der Entscheidung Daimler AG explizit an, Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 763 (2013). 143 Siehe dazu unten S. 213 ff. 144 Goodyear Dunlop Tires Operations, S.A. v. Brown, 131 S. Ct. 2846, 2855–56 (2011); Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 757 (2013). 145 Childress III, 66 Vand. L. Rev. 197, 202 (2014); Hoffheimer, 60 U. Kan. L. Rev. 549, 599 (2012). 140 141
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Fall Perkins v. Benguet146 .147 In diesem Fall wurde eine auf den Philippinen ge gründete und dort tätige Gesellschaft in den Vereinigten Staaten im Bundes staat Ohio verklagt, obwohl weder die Streitigkeit selbst, noch die wirtschaftli che Tätigkeit der Beklagten Berührungspunkte zu Ohio hatte. Der Geschäfts führer dieser Firma war jedoch während des Zweiten Weltkriegs aufgrund der japanischen Besetzung der Philippinen nach Ohio umgezogen, von wo aus er die Geschäfte der Gesellschaft führte. Der Supreme Court hatte in diesem Fall die Begründung der personal general jurisdiction bejaht, da er Ohio als den (wenn auch kriegsbedingt nur vorübergehenden) Hauptsitz der Gesellschaft an gesehen hatte. Die Perkins-Entscheidung setzt die Messlatte an einen Fall, in dem die general jurisdiction ausnahmsweise außerhalb des Gründungsorts bzw. dem Ort der Hauptniederlassung verklagt werden kann, freilich sehr hoch.148 Dass eine Ge sellschaft, die außerhalb ihres Hauptsitzes an einem oder mehreren Orten eine signifikante wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet, diese Voraussetzungen erfüllt, erscheint nur in engen Ausnahmen überhaupt möglich.149 Denn der Supreme Court hat durch die Einführung des neuen at home-Standards die Anzahl der möglichen Foren, in denen eine general jurisdiction begründet werden kann, als Ausdruck seiner integrativeren Sichtweise auf die general jurisdiction ganz be wusst beschränkt.150 Im Ergebnis sprechen daher gute Gründe für die Annah me, dass sich eine general jurisdiction nach den neuen Maßstäben der Goodyear und Daimler AG-Entscheidungen jedenfalls für private Wettbewerbsklagen nicht mehr über doing business begründen lässt. Ein Fortbestehen von doing business als Begründungsansatz für die general jurisdiction erscheint vielmehr – abgesehen von extremen Ausnahmefällen nach dem Vorbild der Perkins-Ent scheidung – insgesamt fragwürdig.151 Entfällt das doing business als Form der Zuständigkeitsbegründung für die general jurisdiction im Zusammenhang mit privaten kartelldeliktischen Klagen, so bedeutet dies eine signifikante Verkür zung der zuständigkeitsrechtlichen Reichweite US-amerikanischer Gerichte, da Perkins v. Benguet Consolidated Mining Co, 342 U.S. 437 (1952). Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 761 footnote 19 (2013). 148 Trammell, 68 Vand. L. Rev. 501, 520 (2015). 149 Trammell, 68 Vand. L. Rev. 501, 521 (2015): “[…], in the overwhelming majority of cases, there will be no occasion to explore whether a Perkins-type exception might apply.” 150 Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 762 footnote 20 (2013): “A corporation that operates in many places can scarcely be deemed at home in all of them. Otherwise, ‘at home’ would be synonymous with “doing business” tests framed before specific jurisdiction evolved in the United States.” 151 Erichson, 66 Vand. L. Rev. 81, 90-1 (2013): “But such ‘doing business’ jurisdiction should not survive Goodyear.”; in diese Richtung auch Drobak, 90 Wash. U. L. Rev. 1707, 1725 (2013); a. A. Hoffman, 34 U. Pa. J. Int’l L. 765, 782 (2012–2013). 146 147
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dieser Zuständigkeitsgrund gerade im Kartelldeliktsrecht von großer prakti scher Relevanz wäre.152 Gerade in Bereichen, in denen es zur Bildung von Kar tellen kommt, läge es nahe, eine gerichtliche Zuständigkeit auf eine wirtschaft liche Tätigkeit des Beklagten in den Vereinigten Staaten zu stützen. Insofern ist die durch die Fälle Goodyear und Daimler AG eingeläutete Rechtsprechungsän derung gerade im Kartelldeliktsrecht von überragender Bedeutung. dd) Zuständigkeitsrechtliche Konzernhaftung Im Bereich des Kartelldeliktsrechts werden regelmäßig Unternehmen und da mit häufig juristische Personen verklagt. Oft handelt es sich dabei um Beklagte, die in einer Konzernstruktur eingegliedert sind. Diese konzernmäßige Ver flechtung wirft oft auch Fragen auf der Ebene der internationalen Gerichtszu ständigkeit bzw. der personal jurisdiction auf. So ist es etwa denkbar, dass eine im Ausland ansässige Muttergesellschaft aufgrund einer in den USA ansässigen Tochtergesellschaft verklagt werden kann. Eine solche zuständigkeitsrechtliche Konzernhaftung ist grundsätzlich sowohl im Rahmen der general als auch im Rahmen der specific jurisdiction denkbar.153 Bei dem Gebrauch dieses Kon zepts im Rahmen der specific jurisdiction muss die zuständigkeitsrechtliche Konzernhaftung im jeweiligen Kontext betrachtet werden und wird deshalb im Rahmen der einzelnen Begründungsansätze für die specific jurisdiction mitbe handelt. Besondere Gründe der jeweiligen Form der specific jurisdiction können einen zuständigkeitsrechtlichen Durchgriff zur Begründung der specific jurisdiction durchaus rechtfertigen, wenn eine Verbindung der ausländischen be klagten Gesellschaft zur Streitigkeit besteht.154 An dieser Stelle konzentriert sich die Untersuchung indes auf Fallkonstellationen, in denen die zuständig keitsrechtliche Konzernhaftung zur Begründung der general jurisdiction be gründet werden soll, wenn also die ausländische (Mutter-)gesellschaft gerade keine Verbindungspunkte zum US-amerikanischen Forum aufweist, wie etwa im Fall Daimler AG v. Bauman.
Dodge, 32 Law & Pol’y Int’l Bus. 363, 388 (2000–2001). Winship, 9 J. Priv. Int. L. 431, 441 (2013). 154 Silberman nennt etwa das Beispiel, dass über eine ausländische Muttergesellschaft die specific jurisdiction begründet werden soll, welche ein fehlerhaftes Produkt in die USA über ihre US-amerikanische Tochtergesellschaft in die USA eingeführt hat, wo dieses Produkt einen Schaden bei seinem Gebrauch verursacht hat, vgl. Silberman, 66 Vand. L. Rev. 123, 127 (2013). 152 153
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Bislang haben sich fast ausschließlich155 unterinstanzliche Gerichte mit dieser Frage befasst. Deren Entscheidungen sind indes sehr uneinheitlich.156 Dies liegt nicht zuletzt daran, dass es für die Beurteilung der zuständigkeitsrechtlichen Konzernhaftung auch auf das Recht des jeweiligen Bundesstaates ankommen kann.157 Für alle diese Fälle gilt jedoch, unabhängig vom jeweils auf die Zurech nungsfrage anwendbaren Recht, die verfassungsrechtliche due process doctrine. An klaren und einheitlichen Vorgaben durch den Supreme Court diesbezüglich fehlt es jedoch bislang.158 Dabei ist die Fülle an verschiedenen Möglichkeiten einer grenzüberschreitenden zuständigkeitsrechtlich relevanten Konzernver knüpfung groß, sodass diese im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht erschöpfend behandelt werden können. Insofern ist an dieser Stelle auf die dazu erbrachten monografischen Untersuchungen zu verweisen.159 Die nachstehen den Ausführungen beschränken sich an dieser Stelle darauf, die maßgeblichen Entwicklungslinien darzustellen, um damit ein Bild der Handhabung der Ge richtszuständigkeit durch amerikanische Gerichte in diesen Fällen zu erhalten. Ausgangspunkt von allen Überlegungen zu einem zuständigkeitsrechtlichen Durchgriff bei Unternehmensverflechtungen ist stets das gesellschaftsrechtli che Trennungsprinzip, das auch in den USA gilt,160 und das stets den Ausgangs punkt einer zuständigkeitsrechtlichen Betrachtung bildet.161 Dieser Grundsatz, dass juristische Personen auch zuständigkeitsrechtlich getrennt voneinander zu betrachten sind, wurde in der Vergangenheit durch die US-amerikanischen Ge richte indes erheblich aufgeweicht. Hierfür wurden mehrere methodische An 155 Eine ältere Supreme Court Entscheidung, United States v. Scophony Corp., 333 U.S. 795 (1948), beschäftigte sich der Frage der zuständigkeitsrechtlichen Konzernhaftung, jedoch im Rahmen von Section 12 Clayton Act und damit im Rahmen der specific jurisdiction und nicht der hier untersuchten general jurisdiction. 156 “[…] the lower court case law is a mess. Significant uncertainty looms over when, and under what circumstances, the contacts of another person or entity can be substituted for those of the defendant for jurisdictional purposes.” Hoffman, 34 U. Pa. J. Int’l L. 765, 766 (2012–2013); ähnlich auch Silberman, 66 Vand. L. Rev. 123, 127 (2013). 157 Silberman, 66 Vand. L. Rev. 123, 126 (2013). 158 Dies hebt der Supreme Court in Daimler AG ausdrücklich selbst hervor: “This Court has not yet addressed whether a foreign corporation may be subjected to a court’s general jurisdiction based on the contacts of its in-state subsidiary.” Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 759 (2013). 159 Müller-Froelich, Der Gerichtsstand der Niederlassung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, S. 342 ff.; Otto, Der prozessuale Durchgriff; Wazlawik, Die Konzernhaftung der deutschen Muttergesellschaft für die Schulden ihrer US-amerikanischen Tochtergesell schaft; Welp, Internationale Zuständigkeit über auswärtige Gesellschaften mit Inlandstöch tern im US-amerikanischen Zivilprozeß. 160 United States v. Bestfoods, 524 U.S. 51, 61 (1998). 161 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 177; Joelson, An International Antitrust Primer, S. 94; Winship, 9 J. Priv. Int. L. 431, 439 (2013).
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sätze entwickelt. Diese Ansätze stützen sich auf verschiedene methodische Be gründungen, um einen zuständigkeitsrechtlichen Haftungsdurchgriff zu errei chen. Nach der alter-ego-Theorie etwa kann ein Gericht unter gewissen Voraussetzungen verschiedene Gesellschaften als Einheit behandeln. Übt das Mutterunternehmen eine so starke Kontrolle über das Tochterunternehmen aus, dass es nicht mehr gerechtfertigt wäre, zuständigkeitsrechtlich zwischen den beiden Unternehmen strikt zu trennen, so wird die Mutter als das alter ego der Tochter behandelt und muss sich die forum contacts der Tochtergesellschaft zu rechnen lassen.162 Zentrales Kriterium für die Anwendung einer solchen alter-ego‑Theorie ist das Maß an Kontrolle zwischen den jeweiligen Gesellschaf ten.163 Ein anderer Ansatz beruht auf der sog. agency-Theorie. Danach werden nicht etwa die forum contacts zugerechnet, sondern Handlungen.164 Auf diese Weise können etwa einem Mutterunternehmen die Handlungen seines Tochter unternehmens zugerechnet werden und es lässt sich so die Zuständigkeit des Mutterunternehmens begründen. Die dargestellten Ansätze zielen alle darauf ab, die Zuständigkeit einer Kon zerngesellschaft zu begründen und zwar im Rahmen der general jurisdiction. Wie dargestellt wurde hat der Supreme Court die Vorgaben zur general jurisdiction indes einer Neuformulierung unterzogen.165 Diese Neuformulierung der general jurisdiction durch die Urteile in Goodyear und Daimler AG kann auch für die zuständigkeitsrechtliche Konzernhaftung nicht ohne Folgen bleiben.166 So hatte sich etwa der Ninth Circuit in der Rechtssache Daimler AG in seiner unterinstanzlichen Entscheidung für die Begründung der internationalen Zu ständigkeit auf die agency-Theorie gestützt, indem er eine zuständigkeitsbe gründende agency dann als gegeben ansah, wenn die Handlungen der Tochter gesellschaft für die Muttergesellschaft im Forum sufficiently important seien, dass die Muttergesellschaft diese Handlungen ansonsten selbst vornehmen müsste.167 In seinem Urteil zu Daimler AG erteilte der Supreme Court dieser Form der agency-Theorie indes eine Absage und begründete dies damit, dass diese in der Form, wie sie der Ninth Circuit verwendete, letztlich dazu führen 162 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 177; Joelson, An International Antitrust Primer, S. 94. 163 Joelson, An International Antitrust Primer, S. 94; Silberman, 66 Vand. L. Rev. 123, 127 (2013). 164 Silberman, 66 Vand. L. Rev. 123, 127 (2013). 165 Siehe dazu oben S. 173 ff. 166 Hoffman, 34 U. Pa. J. Int’l L. 765, 782–84 (2012–2013); Silberman, 66 Vand. L. Rev. 123, 126 (2013); a. A. dagegen noch vor der Entscheidung in Daimler AG v. Bauman: Peddie, 63 S.C. L. Rev. 697, 725–26 (2011–2012). 167 Bauman v. Daimlerchrysler, Copr., 644 F.3d 909, 920–922 (9th Cir. 2011).
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würde, dass immer eine solche Zurechnung möglich sei.168 Daran wird deutlich, dass es auch in Bezug auf die zuständigkeitsrechtliche Konzernhaftung – jeden falls insoweit als dadurch die general jurisdiction begründet werden soll169 – einer Neujustierung bedarf. Welche konkreten Schlussfolgerungen indes aus der Einführung des at home-Tests durch den Supreme Court für die zuständigkeitsrechtliche Konzern haftung zu ziehen sind, ist noch nicht geklärt. Teilweise wird die Auffassung vertreten, die zuständigkeitsrechtliche Konzernhaftung sei jedenfalls gegen über Beklagten mit Sitz in den Vereinigten Staaten praktisch obsolet, während für ausländische Beklagte ein Anwendungsbereich verbleibe.170 Andere Stim men sehen die Begründung der general jurisdiction über die zuständigkeits rechtliche Konzernhaftung als generell nicht mehr möglich an.171 Wiederum andere sehen für die Zwecke der general jurisdiction nur die alter-ego-Theorie als geeignet an, da diese höhere Voraussetzungen habe als die agency-Theo rie.172 Zum derzeitigen Stand ist jedenfalls absehbar, dass durch die neuere Rechtsprechung des Supreme Court die bisherige, teils weit ausschweifende Be gründung der general jurisdiction durch eine zuständigkeitsrechtliche Kon zernhaftung wird nicht unverändert aufrechterhalten werden können. Der Supreme Court hat dafür in der Rechtssache Daimler AG jedenfalls der agency-The orie in der dort angewandten Form eine klare Absage erteilt. Vieles spricht dafür, dass die bisherige Praxis eines zuständigkeitsrechtlichen Haftungsdurch griffs nicht mehr mit dem neuen Standard für die general jurisdiction vereinbar ist und damit die aus ausländischer Perspektive problematischsten Fälle der zu ständigkeitsrechtlichen Konzernhaftung im Rahmen der general jurisdiction obsolet geworden sind. ee) Zwischenergebnis Die general jurisdiction hat als Begründungsansatz für die personal jurisdiction US‑amerikanischer Gerichte durch die beiden Entscheidungen des Supreme Court in Goodyear und Daimler AG einen grundlegenden Wandel erfahren und wurde in ihrem Anwendungsbereich substantiell beschränkt. Außerhalb der tra ditionellen Anknüpfungspunkte für die general jurisdiction wie etwa citizenship, domicile oder residence bei natürlichen Personen und dem Ort der Gesell schaftsgründung bzw. dem Ort der Hauptniederlassung bei juristischen Perso Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 759–60 (2013). Schulz, 38 DAJV Newsl. 152, 157 (2013). 170 Hoffman, 34 U. Pa. J. Int’l L. 765, 782 (2012–2013). 171 “One cannot be at home through an agent.” Erichson, 66 Vand. L. Rev. 81, 91 (2013). 172 Silberman, 66 Vand. L. Rev. 123, 126 (2013). 168 169
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nen wurden die darüber hinausgehenden Fälle deutlich begrenzt. Die genauen Auswirkungen dieser neuen Rechtsprechungslinie gilt es abzuwarten. Nach der hier vertretenen Interpretation besteht aber insbesondere für die beiden Begrün dungsansätze des doing business und der zuständigkeitsrechtlichen Konzern haftung praktisch kein Anwendungsbereich mehr. Insofern wird man auch für die hier in Betracht kommenden Fälle privater Kartellklagen davon ausgehen können, dass eine Zuständigkeitsbegründung über die general jurisdiction nur dann in Betracht kommt, wenn der Beklagte in den USA beheimatet (at home) ist durch sein domicile, den Ort der Gesellschaftsgründung in den USA hat oder eine US-amerikanische Hauptniederlassung besitzt. Vor allem gegenüber aus ländischen Beklagten wird dadurch die Reichweite einer Zuständigkeitsbegrün dung US-amerikanischer Gerichte erheblich eingeschränkt. b) Besondere Zuständigkeitsgründe (specific jurisdiction) Die personal jurisdiction kann sich für das mit der Streitigkeit befasste Gericht außerdem auch durch bestimmte Anknüpfungspunkte ergeben, die mit der ei gentlichen Streitigkeit in spezifischem Zusammenhang stehen. Diese verleihen dem jeweiligen Gericht die specific personal jurisdiction über den Beklagten. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die zuständigkeitsbegründenden Umstände einen inhaltlichen Bezug haben zur Streitigkeit selbst. aa) Deliktische Zuständigkeit (effects theory) Zur Begründung der specific jurisdiction über den Beklagten wird in Bezug auf Kartelldelikte eine Anlehnung an die Lehren, welche allgemein für grenzüber schreitende Delikte entwickelt wurden, befürwortet.173 Hierbei bildet die Ent scheidung des Supreme Court in Calder v. Jones174 den Ausgangspunkt. Diese Entscheidung erging zu einer bundesstaatenübergreifenden Klage aufgrund ei ner ehrverletzenden Äußerung in einem Presseerzeugnis. Der Supreme Court entschied, dass der in Florida ansässige Verleger am Wohnsitz des vermeintlich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzten Klägers in Kalifornien verklagt wer den könne, weil die durch die Veröffentlichung und den Verkauf des Magazins begründeten Auswirkungen (effects) in Kalifornien ausreichend seien, um dort minimum contacts im Sinne der due process doctrine zu begründen.175 Dies könne angenommen werden, weil die ehrverletzenden Auswirkungen dort nicht etwa nur rein zufällig eingetreten seien, sondern weil das deliktische Verhalten 173 Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 9.7, S. 475; Dodge, 32 Law & Pol’y Int’l Bus. 363, 370–71 (2000–2001). 174 465 U.S. 783 (1984). 175 465 U.S. 783, 789 (1984).
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der Beklagten gezielt auf Kalifornien ausgerichtet worden sei (expressly aimed).176 Die Entscheidung Calder v. Jones wird als Grundlage für eine Übertra gung der dort entwickelten effects theory of personal jurisdiction auf andere Deliktsarten und insbesondere das Kartelldeliktsrecht herangezogen.177 Danach kommt es für die Begründung der specific jurisdiction zunächst darauf an, dass das Delikt im Forumstaat Auswirkungen (effects) hervorgerufen hat.178 Diese Auswirkungen ersetzen dann gegebenenfalls andere Anknüpfungspunkte im Forumstaat, etwa in Form einer physischen Präsenz des Beklagten in diesem Staat.179 Die genauen Voraussetzungen, unter denen die effects theory auf Kar telldelikte übertragen wird, sind indes noch eher unklar und werden von den Gerichten der einzelnen Bundesstaaten unterschiedlich gehandhabt.180 Einigkeit besteht zunächst nur darüber, dass allein (vorhersehbare) Auswir kungen, etwa vergleichbar mit dem Erfolgsort im Sinne des deutsch-europäi schen Zuständigkeitsrechts nach der Konzeption des US-amerikanischen Zu ständigkeitsrechts nicht ausreichend sind.181 Eine Zuständigkeit über den Be klagten, wie sie etwa § 32 ZPO oder Art. 7 Nr. 2 EuGVO statuieren, wäre wohl sogar verfassungswidrig.182 Dies lässt sich mit der Methodik der US-amerikani schen Zuständigkeitsbegründung erklären. Danach kommt es nämlich nicht auf Verbindungspunkte des Klägers zum Forum an, wie etwa die Lokalisierung eines von ihm erlittenen Schadens. Entscheidend ist vielmehr, ob es Berüh rungspunkte des deliktischen Forums zum Beklagten gibt.183 Zusätzlich erfor derlich neben etwaigen schädigenden Auswirkungen ist daher nach dem Recht der meisten (aber wohl nicht allen)184 Bundesstaaten ein bewusstes Ausrichten 176
465 U.S. 783, 789 (1984). In Re Vitamins Antitrust Litigation, 270 F. Supp.2d 15 (2003); Capra, 9 Fordham Int’l L.J. 401, 422–23 (1985–1986). 178 465 U.S. 783, 789 (1984). 179 Capra, 9 Fordham Int’l L.J. 401, 422 (1985–1986). 180 Siehe etwa in In Re Vitamins Antitrust Litigation, 270 F. Supp.2d 15 (2003) bzgl. Illi nois und Kansas; In Re Vitamins Antitrust Litigation, Misc. No. 99-197 (TFH), MDL No. 1285 (D.D.C. Oct. 30, 2001), para. 21 bzgl. Ilinois und Kalifornien. 181 Sportmart, Inc. v. Frisch, 537 F. Supp. 1254 (N.D. ILL. 1982): “The fact that [Plain tiffs] may have suffered injury here, without more, will not support the exercise of personal jurisdiction or create venue in an antitrust case as such […].”; Buxbaum/Michaels in: Base dow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 228; Zekoll/Schulz, RIW 2014, 321, 322; Metz, IPRax 2014, 365, 369. 182 Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 228; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, Rn. 73. 183 Vgl. Walden v. Fiore, 134 S. Ct. 1115, 1122 (2014). 184 Weniger strenge Anforderungen gelten etwa in Illinois und Kalifornien, vgl. In Re Vitamins Antitrust Litigation, Misc. No. 99-197 (TFH), MDL No. 1285 (D.D.C. Oct. 30, 2001), para. 21 und 23. 177
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des schadensstiftenden Verhaltens des Beklagten auf das entsprechende Forum (expressly aimed oder targeting).185 Das Erfordernis eines solchen expressly aiming oder targeting hat der Supreme Court in der Entscheidung Walden v. Fiore186 in einem deliktsrechtlichen Fall erneut bekräftigt. In diesem Fall stand eine Begründung der specific personal jurisdiction über einen Beklagten im Raum, durch ein bundesstaatenübergreifendes Delikt, welches außerhalb des Forum staats der Deliktsbegehung vermeintlich Auswirkungen (effects) hervorgerufen hatte.187 Der Supreme Court bestätigte in dieser Entscheidung seine Calder-Rechtsprechung und verwies auf die in dieser Entscheidung gebrauchte Formel des expressly aimed als entscheidendes Kriterium, um außerhalb des Forums der Deliktsbegehung auf der Grundlage der effects doctrine eine ge richtliche Zuständigkeit zu begründen.188 Die entscheidende Frage für das Kartelldeliktsrecht lautet daher, was genau für ein bewusstes Ausrichten des kartelldeliktischen Verhaltens auf ein be stimmtes Forum im Sinne eines expressly aiming oder targeting erforderlich ist. Ein bewusstes Ausrichten im Sinne der Calder-Rechtsprechung wurde etwa im Fall In Re Magnetique Adiotape Antitrust Litigation189 angenommen, in dem die deutschen und koreanischen Hersteller von Tonbändern sich über die Verkaufs preise ihrer Produkte in den USA abgesprochen hatten. In diesem Fall konnten die Kläger die Preisabsprache unmittelbar durch ein Sitzungsprotokoll von ei nem Treffen der Kartellanten in Korea nachweisen, aus dem sich die Preisab sprachen für den US-amerikanischen Markt unmittelbar ergaben. In einem sol chen Fall konnte daher auch gegenüber einem der beklagten Kartellanten, der ansonsten keinerlei Verbindungspunkte zu den USA hatte, die gerichtliche Zu ständigkeit über die effects theory in den USA begründet werden. Derartige Fälle, in denen ein express aiming durch eindeutige Beweismittel unmittelbar nachgewiesen werden kann, sind in der Praxis indes äußerst selten. 185 Dodge, 32 Law & Pol’y Int’l Bus. 363, 370–71 (2000–2001); Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 228 f. 186 Walden v. Fiore, 134 S. Ct. 1115 (2014). 187 In diesem Fall waren die Kläger, zwei Privatpersonen aus dem Bundesstaat Nevada, auf der Durchreise im Bundesstaat Georgia vom Beklagten in seiner Funktion als Beamter der US-Anti-Drogen-Behörde durchsucht worden. Der Beklagte beschlagnahmte bei den Klägern eine größere Summe an Bargeld in der Annahme dieses Geld stamme aus Drogen geschäften. Wie sich später herausstellte, war diese Beschlagnahme illegal wodurch sich die Rückzahlung des Geldes an die Kläger verzögerte. Die Beschlagnahme des Geldes stuften die unterinstanzlichen Gerichte als deliktische Handlung ein. Die Kläger erhoben folglich Klage gegen den Beklagten vor einem federal district court in Nevada in deren Heimatbun desstaat. Streitig war insbesondere die personal jurisdiction des district court über die Be klagten nach der allgemeinen deliktischen effects doctrine. 188 Walden v. Fiore, 134 S. Ct. 1115, 1124 footnote 7 (2014). 189 334 F.3d. 204 (2d Cir. 2003).
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Schwieriger ist die Anwendung der effects theory vor allem in Fällen, in denen es an solchen Beweismitteln fehlt. Was dann für ein express aiming erforderlich ist, beurteilen die Gerichte unterschiedlich. Während manche Gerichte hier eine wie auch immer geartete Form von Absicht verlangen, lassen andere die bloße Kenntnis des Beklagten, dass es durch sein Verhalten im entsprechenden Forum zu schädigenden Auswirkungen kommen wird, ausreichen.190 Ein anderer Vor schlag geht dahin, dass das express aiming marktbezogen zu bestimmen ist. Es soll also der für das jeweilige Produkt relevante Markt bestimmt werden, um die Grenzen des express aiming zu bestimmen.191 Mit der effects theory wird sich tendenziell jedenfalls immer dann eine specific jurisdiction vor US-amerikani schen Gerichten begründen lassen, wenn es dem beklagten Kartelltäter jeden falls auch darauf ankam, dass sich in dem entsprechenden Forum die wettbe werbsschädigenden Auswirkungen entfalten, indem etwa auch dort die Preisab sprachen Wirkungen zeigen sollten. Eine fallspezifische Schwierigkeit bei der Übernahme der effects theory of personal jurisdiction in das Kartelldeliktsrecht besteht außerdem gerade bei den hier im Fokus stehenden globalen Kartelldelikten darin, dass diese Delikte ganz regelmäßig nicht etwa punktuell, sondern vielmehr global Auswirkungen hervorrufen.192 Dies führt zwar einerseits dazu, dass sich die Orte, an denen Auswirkungen des Kartelldelikts auftreten, häufen, da das Kartell diese Aus wirkungen ja möglichst weitumspannend hervorrufen soll. Gemeint sind damit etwa Fälle eines (nahezu) weltumspannenden Kartells, welches dann auch welt weit effects hervorruft.193 Einerseits würde dies zur Begründung einer potentiell weltweiten Gerichtspflichtigkeit des Beklagten auf der Grundlage der weltweit verursachten effects führen.194 Andererseits gelänge man aber zu dem merk würdigen Ergebnis, dass die schiere Häufung der Auswirkungsorte den jeweils einzelnen Ort als so unbedeutend erscheinen ließe, dass man dann an einem targeting bezüglich dieses Orts zweifeln könnte.195 Es stellt sich also die Frage, 190 Für eine Form von Absicht: Bancroft Masters, Inc., v. Augusta National, 223 F.3d 1082, 1087 (9th Cir. 2000) “something more” als nur einen “ foreign act with a foreseeable effect in the forum state”; dagegen ließ der Fifth Circuit allein die Kenntnis des Forums, in dem das deliktische Verhalten schädigende Wirkungen entfalten würde, ausreichen, Revell v. Lidov, 317 F.3d 467, 475 (5th Cir. 2002). 191 Blechia, 2012 U. Ill. L. Rev. 879, 911 (2012); ähnlich auch Hovenkamp, 67 Iowa L. Rev. 485, 494 und 496 (1982). 192 Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 229. 193 Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 9.7, S. 475. 194 Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 9.7, S. 475. 195 Zur Problematik “avoid liability by multiplying wrongdoing” Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 229, Fn. 23; Dougherty, 60 Fla. L. Rev. 915, 918 (2008) mit Verweis auf die Rechtsprechung.
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ob das Forum in dem die specific jurisdiction über effects theory of personal jurisdiction begründet werden soll unter denjenigen Foren, auf die das schädi gende Verhalten ausgerichtet war gerade eine besonders prominente Rolle ein nehmen muss oder ob es unschädlich ist, dass es mehrere solcher Foren gibt. Die Rechtsprechung der unterinstanzlichen Gerichte ist hier uneinheitlich.196 Teil weise haben die Gerichte jedoch die specific jurisdiction nach der effects doctrine abgelehnt für solche Staaten, die ein express aiming verlangen, weil ein sol ches bei einem Verhalten, das insgesamt auf die Vereinigten Staaten abzielt oder jedenfalls mehrere Bundesstaaten betrifft, nach diesen Maßstäben nicht vor liegt.197 Auch in der Literatur wird bei solchen breit gestreuten Auswirkungen für eine Begrenzung der effects theory of personal jurisdiction plädiert, etwa indem nur dort eine Zuständigkeit aufgrund der effects theory begründet wird, wo diese Auswirkungen direkt und substantiell sind.198 bb) Section 12 Clayton Act als spezialgesetzliche Regelung Section 12 Clayton Act199 ist eine besondere kartellrechtsspezfische Vorschrift, über die eine gerichtliche Zuständigkeit im Rahmen der specific jurisdiction für private Kartellklagen begründet werden kann. Diese Regelung gilt nur gegen über juristischen Personen als Beklagte200, was unmittelbar aus ihrem Wortlaut hervorgeht. Gerade bei privaten Kartellklagen wird eine Klage gegen juristi sche Personen indes häufig vorkommen. Ausweislich ihres Wortlauts enthält die Vorschrift zwei Bestandteile: “Any suit, action, or proceeding under the antitrust laws against a corporation may be brought not only in the judicial district whereof it is an inhabitant, but also in any district wherein it may be found or transacts business; and all process in such cases may be served in the district of which it is an inhabitant, or wherever it may be found.”
Der erste Halbsatz vor dem Semikolon betrifft das venue-Erfordernis. Venue ist das dritte Element201 der Zuständigkeitsbegründung nach US-amerikanischem Recht und ist vergleichbar mit der örtlichen Zuständigkeit des mit der Sache befassten Gerichts. Steht fest, dass die Gerichte eines Bundesstaates die jurisdiction haben, dann wird durch das venue-Erfordernis letztlich nur noch be Siehe dazu Blechia, 2012 U. Ill. L. Rev. 879, 895 (2012). In Re Vitamins Antitrust Litigation, Misc. No. 99-197 (TFH), MDL No. 1285 (D.D.C. Oct. 30, 2001), para. 24. 198 “[…] only in fora in which the effects are direct and palpable, as opposed to merely the diffuse ‘ripple’ effects felt throughout the nation and world […]” Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 9.7, S. 475 f. 199 15 U.S.C. § 22. 200 Floyd/Sullivan, Private Antitrust Actions, § 1.2.1, S. 36. 201 Siehe dazu unten S. 183. 196
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stimmt, wo genau, also in welchem Gerichtsbezirk (district) innerhalb des je weiligen Bundesstaates, bei Vorliegen der internationalen Zuständigkeit das Verfahren geführt werden kann. Die Zielsetzung des venue-Erfordernisses ist es, den Beklagten davor zu bewahren, an einem für ihn ungünstigen Ort ver klagt zu werden.202 Ein venue kann nach dem ersten Halbsatz von Section 12 Clayton Act nur begründet werden, wenn der Beklagte eine der dort genannten drei Voraussetzungen erfüllt. Letztlich maßgeblich, weil die am weitgehendste Variante203, ist die dritte Variante, nach der ein venue im jeweiligen Gerichtsbe zirk begründet werden kann, wenn der Beklagte dort eine wirtschaftliche Tätig keit betreibt (transacts business).204 Der zweite Halbsatz erlaubt es dem Kläger in Wettbewerbsverstöße betref fenden Klagen dem Beklagten die Klage weltweit zuzustellen.205 Nach rule 4(k) (1)(c) der Federal Rules of Civil Procedure begründet das Zustellen der Klage die personal jurisdiction in den durch das Gesetz geregelten Fällen. Section 12 Clayton Act ist ein solcher gesetzlich geregelter Fall.206 Insofern enthält der zweite Halbsatz die Voraussetzungen unter denen die personal jurisdiction nach Section 12 Clayton Act begründet werden kann. Der zweite Halbsatz der Section 12 Clayton Act enthält dabei keine Beschränkung, sodass nach dieser Vorschrift eine gerichtliche Zuständigkeit potentiell im gesamten Bundesgebiet der Verei nigten Staaten begründet werden kann.207 Damit enthält der erste Halbsatz von Section 12 Clayton Act restriktivere Vorgaben für die Begründung des venue als der zweite Halbsatz es zur Begründung der personal jurisdiction vorsieht. Da von ausgehend sind zwei verschiedene Lesarten von Section 12 Clayton Act denkbar und es herrscht in Literatur und Rechtsprechung Uneinigkeit darüber, wie Section 12 Clayton Act zu lesen und anzuwenden ist. Entzündet wird dieser Leroy v. Great W. United Corp., 443 U.S. 173, 184 (1979). KM Enterprises, Inc. v. Global Traffic Technologies, Inc., No. 12-3406 (7th Cir. Aug. 2, 2013), S. 21. 204 Perry, 76 Fordham L. Rev. 1177, 1195 (2007); Wright/Miller, Federal Practice and Pro cedure, § 3818. 205 KM Enterprises, Inc. v. Global Traffic Technologies, Inc., No. 12-3406 (7th Cir. Aug. 2, 2013), p. 8; Perry, 76 Fordham L. Rev. 1177, 1191 (2007); Ryngaert, Jurisdiction over Anti trust Violations in International Law, 9., S. 112; Wright/Miller, Federal Practice and Procedu re, § 3818. 206 KM Enterprises, Inc. v. Global Traffic Technologies, Inc., No. 12-3406 (7th Cir. Aug. 2, 2013), p. 7. 207 Kingsepp v. Wesleyan University, 763 F.Supp. 22, 24 (S.D.N.Y. 1991): “In cases where Congress authorizes nationwide federal jurisdiction, as in section 12 of the Clayton Act, the district court’s jurisdiction is co-extensive with the boundaries of the United States.”; KM Enterprises, Inc. v. Global Traffic Technologies, Inc., No. 12-3406 (7th Cir. Aug. 2, 2013), S. 8. 202 203
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Streit an der Frage, wie die Formulierung “in such cases” im Rahmen des zwei ten Halbsatzes zu lesen ist. Nach einer ersten Lesart kommt der Wendung “in such cases” keine besonde re regelungstechnische Bedeutung zu und die beiden Halbsätze sind isoliert voneinander zu lesen (isolierte Lesart). In diesem Fall ließe sich die sich auf das gesamte Bundesgebiet der Vereinigten Staaten erstreckende Begründung der personal jurisdiction des zweiten Halbsatzes heranziehen, ohne dass zugleich die strikteren Vorgaben des ersten Halbsatzes hinsichtlich des venue-Erforder nisses zu erfüllen wären. Zur Begründung des venue könnte neben dem im ers ten Halbsatz von Section 12 enthaltenen venue‑Erfordernis auch auf andere Vor schriften zurückgegriffen werden, etwa auf die deutlich weitgehendere allge meine Vorschrift des 28 U.S.C. § 1391. Für die Begründung der personal jurisdiction blieben keine weiteren Beschränkungen. Section 12 Clayton Act würde gegenüber juristischen Personen als Beklagte bis auf das nach der Ver fassung und dem due process-Gebot maximal noch zulässige Maß ausge dehnt.208 Zur Begründung der personal jurisdiction erforderlich aber auch aus reichend wäre es danach, dass der Beklagte ausreichende minimum contacts zu den Vereinigten Staaten als Ganzes hat (sog. national contacts test).209 Damit wäre eine personal jurisdiction über den jeweiligen Beklagten im gesamten Bundesgebiet der Vereinigten Staaten begründet, solange dieser nur ausreichen de minimum contacts zu den Vereinigten Staaten aufweist.210 Die verfassungs rechtliche due process doctrine wäre die alleinige Begrenzung und zugleich der einzige Maßstab für eine Zuständigkeitsbegründung. Nach einer anderen Lesart sind die beiden Halbsätze in einem Zusammenhang zu lesen, d. h. die Begrün dung der personal jurisdiction bzw. die Bestimmung des venue können über Section 12 Clayton Act nur einheitlich erfolgen (integrative Lesart). Dies ergibt sich danach aus der Wendung “in such cases”, die nicht bloß einen Verweis dar stellt, sondern die Absätze hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit miteinander ver bindet. Damit könnte nur dann eine personal jurisdiction nach dem zweiten Halbsatz von Section 12 Clayton Act begründet werden, wenn zugleich auch über den ersten Halbsatz von Section 12 Clayton Act der venue begründet wer den kann. Die personal jurisdiction über den jeweiligen Beklagten kann also immer nur dort begründet werden, wo dieser zumindest eine wirtschaftliche Aktivität betreibt (transacts business).211
Perry, 76 Fordham L. Rev. 1177, 1191 (2007). Siehe dazu oben S. 157. 210 Wright/Miller, Federal Practice and Procedure, § 3818. 211 Lee, 56 Fla. L. Rev. 673, 691 (2004). 208
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Die Literaturmeinungen zu der Frage, welche der beiden Lesarten vorzugs würdig ist, sind geteilt.212 Ebenso uneinheitlich ist das Bild in der Rechtspre chung. Der Ninth Circuit213 und der Third Circuit214 haben sich für eine großzü gige, isolierte Lesart von Section 12 Clayton Act ausgesprochen, nach der die Begründung der personal jurisdiction nach Section 12 Clayton Act mit der all gemeinen venue-Regelung des 28 U.S.C. § 1391 kombiniert werden kann. Dem steht die Rechtsprechung des D.C. Circuit215 und des Second Circuit216 entge gen, welche Section 12 Clayton Act nach der engeren integrativen Lesart ausge legt haben. Auch der Seventh Circuit hat sich dieser Auslegung angeschlos sen.217 Aufgrund dieser verschiedenen Lesarten von Section 12 Clayton Act werden potentielle beklagte juristische Personen in privaten Kartellklagen der zeit in Bezug auf eine etwaige Gerichtspflichtigkeit mit erheblicher Rechtsunsi cherheit konfrontiert. Dies ist vor allem deshalb relevant, weil die verschiedenen Lesarten in Bezug auf Section 12 Clayton Act erhebliche praktische Auswirkun gen haben können. Bereits die Anwendung von Section 12 Clayton Act nach der engeren integrativen Sichtweise führt zu einer sehr weitgehenden Gerichts pflichtigkeit. Mindestvoraussetzung um sowohl den venue als auch die personal jurisdiction über Section 12 Clayton Act zu begründen ist, dass der Beklagte im entsprechenden Gerichtsbezirk eine wirtschaftliche Aktivität verfolgt (transacts business), wobei an ein transacting business weniger strenge Voraussetzun gen 218 zu stellen sind als an ein doing business. Der Supreme Court interpretiert den Terminus “transacts business” als “[t]he practical, everyday business or commercial concept of doing business or carrying on business ‘of any substan tial character’ […].”219 Insofern ist davon auszugehen, dass gegen juristische Personen potentiell jedenfalls dort eine specific personal jurisdiction begründet werden kann, wo der Beklagte eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, die diesen Maßstäben genügt. Insbesondere bei Klagen vor US-amerikanischen Gerichten Für eine isolierte Lesart: Lee, 56 Fla. L. Rev. 673, 694–96 (2004); für eine integrative Lesart: Janutis, 78 St. John’s L. Rev. 37, 66–8 (2004); Hovenkamp, 67 Iowa L. Rev. 485, 509 (1982); für eine differenzierte Anwendung von Section 12 Clayton Act nach domestic und alien corporate defendants jeweils nach integrativer bzw. isolierter Lesart Perry, 76 Fordham L. Rev. 1177, 1220 (2007). 213 Action Embroidery v. Atlantic Embroidery, 368 F.3d 1174, 1179–80 (9th Cir. 2004); Go-Video, Inc. v. Akai Electric Co., 885 F.2d 1406, 1413–1415 (9th Cir. 1989). 214 In Re Automotive Refinishing Paint Antitrust, 358 F.3d 288, 296 (3d Circ. 2004). 215 GTE New Media Services v. BellSouth Corp., 199 F.3d 1343, 1351 (D.C. Cir. 2000). 216 Daniel v. American Board of Emergency Medicine, 428 F.3d 408, 424 (2d Cir. 2005). 217 KM Enterprises, Inc. v. Global Traffic Technologies, Inc., No. 12-3406 (7th Cir. Aug. 2, 2013). 218 Joelson, An International Antitrust Primer, S. 91. 219 United States v. Scophony Corp., 333 U.S. 795, 807 (1948). 212
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gegen ausländische juristische Personen werden die Voraussetzungen für ein transacting business regelmäßig erfüllt sein, solange es sich um eine nicht ganz unerhebliche wirtschaftliche Tätigkeit handelt.220 Nach den Guidelines des Department of Justice bzw. der Federal Trade Commission lässt sich ein transacting business außerdem auch über eine Heranziehung der Grundsätze zur zu ständigkeitsrechtlichen Konzernhaftung über die agency-theory oder den alterego-Test begründen.221 Sollte ein US-amerikanisches Gericht Section 12 Clayton Act indes die wei tergehende isolierte Lesart zugrunde legen, so wäre die Gerichtspflichtigkeit für juristische Personen als Beklagte deutlich ausladender. In diesem Fall kann für die venue-Bestimmung auf die allgemeine Vorschrift des 28 U.S.C. § 1391 zu rückgegriffen werden. Nach 28 U.S.C. § 1391(b)(1) kann ein venue überall dort begründet werden, wo der Beklagte seinen Wohnsitz hat ( judicial district in which any defendant resides). Für juristische Personen bestimmt 28 U.S.C. § 1391(c)(2), dass diese überall dort ihren Wohnsitz haben, wo sie der personal jurisdiction unterworfen sind. Der zweite Halbsatz von Section 12 Clayton Act statuiert in Verbindung mit Federal Rules of Civil Procedure 4(k)(1)(c) also die personal jurisdiction im gesamten Bundesgebiet der Vereinigten Staaten.222 Nach 28 U.S.C. § 1391 kann dadurch potentiell ein venue im gesamten Bundes gebiet der Vereinigten Staaten begründet werden. Gleiches gilt für ausländische beklagte juristische Personen, gegen die nach 28 U.S.C. § 1391(c)(3) überall in den Vereinigten Staaten ein venue begründet werden kann.223 Verbleibende Be schränkung für die personal jurisdiction wäre allein das sich aus der Verfas sung ergebende due process-Gebot und das Vorliegen von minimum contacts zu den Vereinigten Staaten insgesamt. Sowohl venue als auch personal jurisdiction unterlägen keinen weiteren Grenzen und könnten bundesweit begründet wer den.224 In der Literatur wird etwa das hypothetische Beispiel gebildet, in dem eine beklagte juristischen Person mit Sitz in Europa bei Vorliegen von entspre chenden minimum contacts zum Bundesstaat New York vor einem federal court in Hawaii verklagt werden könnte,225 selbst wenn zum Bundesstaat Hawaii kei Joelson, An International Antitrust Primer, S. 93. Antitrust Enforcement Guidelines for International Operations issued by the U.S. De partment of Justice and the Federal Trade Commission, April 1995, unter 4.1. 222 Siehe dazu oben S. 177. 223 Hintergrund dieser Regelung ist, dass es für ausländische Beklagte vermeintlich irre levant ist, wo innerhalb der Vereinigten Staaten sie verklagt werden können, sofern feststeht, dass US-amerikanische Gerichte an sich international zuständig sind. 224 KM Enterprises, Inc. v. Global Traffic Technologies, Inc., No. 12-3406 (7th Cir. Aug. 2, 2013), p. 10. 225 Wright/Miller, Federal Practice and Procedure, § 3818; ein ähnliches Beispiel bildet Hovenkamp in: 67 Iowa L. Rev. 485, 509 (1982). 220 221
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nerlei konkrete Verbindungspunkte der Rechtsstreitigkeit bestehen. Die isolier te Lesart führte demnach zu einer noch größeren Ausweitung der Gerichts pflichtigkeit von beklagten juristischen Personen nach Section 12 Clayton Act. Der seit längerer Zeit226 bestehende Streit über die Auslegung von Section 12 Clayton Act ist zwar an der Formulierung “in such cases” entflammt. Eine Her anziehung des Wortlauts der Vorschrift erscheint indes nicht zielführend, da beide Lesarten diesen für ihre jeweilige Interpretation in Anspruch nehmen.227 Der Supreme Court hatte zwar entschieden, dass zwischen Section 12 Clayton Act und 28 U.S.C. § 1391 als allgemeiner venue-Regelung kein Verhältnis der Spezialität besteht, dass also 28 U.S.C. § 1391 die venue-Regelung der Section 12 Clayton Act gegebenenfalls ergänzen kann.228 Daraus lässt sich aber kein Rückschluss auf die Frage ziehen, ob die beiden Halbsätze integrativ bzw. iso liert voneinander gelesen werden müssen. Auch in der untergesetzlichen Recht sprechung ist keine klare Tendenz erkennbar.229 Die Entscheidung durch den Seventh Circuit des Court of Appeals hat sich für die integrative Lesart ausge sprochen, was tendenziell dafür spricht, dass auch andere unterinstanzlichen Gerichte dieser Lesart folgen werden. Dies hieße, dass über Section 12 Clayton Act letztlich nur dort eine Zuständigkeit begründet werden kann, wo der Be klagte eine wirtschaftliche Aktivität entfaltet (transacts business). Insgesamt müssen beklagte juristische Personen aber mit einer sehr weitgehenden Ge richtspflichtigkeit im Rahmen der personal jurisdiction nach Section 12 Clayton Act rechnen. Unabhängig davon, wie Section 12 Clayton Act ausgelegt wird, muss indes beachtet werden, dass allein die Tatsache, dass nach dieser Vorschrift für eine Klage vor einem federal court die personal jurisdiction begründet werden kann nicht heißt, dass dieses Gericht in jedem Fall international zur Entscheidung zuständig ist.230 Die Begründung der personal jurisdiction, etwa nach Section 12 Clayton Act macht nämlich die Überprüfung, ob die Zuständigkeitsbegrün dung über den jeweiligen Beklagten mit dem due process-Gebot vereinbar ist, nicht entbehrlich.231 Dafür kommt es darauf an, dass der Beklagte minimum contacts zum jeweiligen Forum aufweist. In wettbewerbsrechtlichen Fällen sind die minimum contacts des Beklagten zu den Vereinigten Staaten insgesamt ent 226 Siehe bereits Hovenkamp, 67 Iowa L. Rev. 485 (1982) der auf diese Problematik hinge wiesen hat. 227 Perry, 76 Fordham L. Rev. 1177, 1212 footnote 261 (2007). 228 KM Enterprises, Inc. v. Global Traffic Technologies, Inc., No. 12-3406 (7th Cir. Aug. 2, 2013), p. 8. 229 Lee, 56 Fla. L. Rev. 673, 687 (2004). 230 Silberman/Stein/Wolff, Civil procedure: Theory and Practice, S. 169 f. 231 Vorrasi, DOJ Civil Antitrust Practice and Procedure Manual, S. 188; Adams in: Levy, International Litigation, S. 127 f.
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scheidend und nicht etwa diejenigen zu einem bestimmten Bundesstaat.232 Da durch begründet Section 12 Clayton Act insbesondere gegenüber ausländischen Beklagten eine sehr weitgehende Basis für die Begründung der personal jurisdiction,233 die praktisch allein durch die minimum contacts doctrine im Sinne eines national contacts-test begrenzt wird. Bei ausländischen Beklagten ist die vorangehend geschilderte Streitfrage um eine isolierte oder integrative Lesart von Section 12 Clayton Act also nur insoweit von Bedeutung, als es für diese dabei um die zusätzliche Schwierigkeit geht, bei Vorliegen von entsprechenden minimum contacts überall in den USA potentiell verklagt zu werden oder aber nur am Belegenheitsort der Verbindungspunkte zu den USA wie etwa dem Ort eines transacting business. Der entscheidende Parameter für die Zuständig keitsbegründung nach Section 12 Clayton Act bleibt in beiden Fällen die due process doctrine und das Vorliegen von entsprechenden minimum contacts zu den USA. cc) Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (conspiracy theory of jurisdiction) Bei kartelldeliktischen Klagen sieht sich der Geschädigte in der Regel einer Mehrzahl von Schädigern gegenüber. Meist hat er ein Interesse daran, mehrere dieser Schädiger gleichzeitig in Anspruch zu nehmen. Aufgrund dieser struktu rellen Besonderheit bei Kartelldelikten rücken im Recht der internationalen Zu ständigkeit Konzepte in den Fokus, die ein zuständigkeitsrechtliches Vorgehen gegen mehrere Beklagte an einem Ort ermöglichen, etwa vergleichbar mit der Regelung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO. US-amerikanische Gerichte haben für diese Fälle die sog. conspiracy doctrine entwickelt. Im Gegensatz zu Art. 8 Nr. 1 EuGVO knüpft die conspiracy theory aber nicht etwa an den Wohnsitzgerichts stand eines Beklagten an, sondern hat die specific jurisdiction des unmittelbar Handelnden conspirator zur Grundlage.234 Tragender Grund, um eine conspiracy theory zuzulassen ist auch nicht das Vermeiden von sich widersprechenden Entscheidungen wie in Art. 8 Nr. 1 EuGVO, sondern schlicht die Ausweitung der Gerichtspflichtigkeit beim Handeln mehrerer Beklagter. Die conspiracy theory findet ihren Ausgangspunkt in der Erwägung, dass materiellrechtlich bei Bestehen einer conspiracy die Handlungen der einzelnen Beteiligten den jeweils anderen Beteiligten zugerechnet werden.235 Als Grund 232
Siehe hierzu oben S. 171. Vorrasi, DOJ Civil Antitrust Practice and Procedure Manual, S. 189. 234 Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 230. 235 Althouse, 52 Fordham L. Rev. 234, 235 (1983–1984); Brilmayer/Paisley, 74 Cal. L. Rev. 1, 19 (1986); Riback, 84 Colum. L. Rev. 506, 507 (1984). 233
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lage dafür wird meist auf das Institut der Stellvertretung (agency) rekurriert.236 Ein conspirator handelt dabei als Stellvertreter (agent) seines co-conspirator. Diese Überlegung des materiellen Rechts wird in das Recht der internationalen Zuständigkeit übertragen. Zugerechnet werden dann aber nicht etwa Handlun gen, sondern effects bzw. forum contacts von einem der conspirators an dessen co-conspirators, mit der Folge dass auch für diese eine entsprechende Verbin dung zum Forum vorliegt.237 Als Voraussetzung für die Anwendung der conspiracy theory werden dementsprechend meist das Bestehen einer conspiracy, die Zugehörigkeit des Beklagten zu dieser conspiracy und die Begründung der specific jurisdiction durch zumindest einen der conspirators angesehen.238 Eine Kombination etwa der effects theory of personal jurisdiction mit der conspiracy doctrine wird ausdrücklich als möglich angesehen.239 Die conspiracy doctrine macht solche forum contacts also nicht entbehrlich, sondern dient lediglich dazu, diese für einen weiter vom Forum entfernten Beklagten zu begründen. Das Erfordernis der due process clause und der minimum contacts doctrine gelten also auch und gerade für den co-conspirator, dessen personal jurisdiction durch die conspiracy theory erst begründet werden soll. Letztlich kann die Anwendung der conspiracy theory aber dazu führen, dass auch gegen einen (ausländischen) Beklagten, der selbst keine substantielle Verbindung zum Fo rum unterhält, die personal jurisdiction begründet werden kann.240 Die Entscheidungspraxis bei der Anwendung der conspiracy theory in priva ten Kartellklagen ist uneinheitlich.241 Erstinstanzliche Gerichte haben die Exis tenz der conspiracy doctrine anerkannt und diese teilweise auch zur Anwen dung gebracht.242 Andere Gerichte haben die Anwendung der conspiracy theory im Zusammenhang mit der Begründung der personal jurisdiction dagegen ab 236 Althouse, 52 Fordham L. Rev. 234, 238 und 252 (1983–1984); Brilmayer/Paisley, 74 Cal. L. Rev. 1, 19 (1986). 237 Althouse, 52 Fordham L. Rev. 234, 239 (1983–1984). 238 United Phosphorus, Ltd. v. Angus Chem. Co., 43 F. Supp. 2d 904, 912 (N.D. III. 1999); Dodge, 32 Law & Pol’y Int’l Bus. 363, 371–72 (2000–2001); andere, weitgehendere Voraus setzungen nennen etwa Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 229. 239 Capra, 9 Fordham Int’l L.J. 401, 425 (1985–1986). 240 United Phosphorus, Ltd. v. Angus Chem. Co., 43 F. Supp. 2d 904, 912 (N.D. III. 1999): “[…] if the plaintiff can satisfy the three requirements necessary under the conspiracy theory of jurisdiction, even a foreign defendant with no real contact with the forum state and no di rect business relations tied to the forum state would be subject to the court’s jurisdiction.” 241 Althouse, 52 Fordham L. Rev. 234, 236 (1983–1984). 242 In re Vitamin Antitrust Litigation., 94 F. Supp. 2d 26, 32–33 (D.D.C. 2000); United Phosphorus, Ltd. v. Angus Chem. Co., 43 F. Supp. 2d 904, 912 (N.D. III. 1999); Santana Prod. v. Bobrick Washroom Equip., 14 F. Supp. 2d 710, 717 (M.D. Pa. 1998).
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gelehnt.243 Bemerkenswert ist, dass die conspiracy theory im Rahmen der Be gründung des venue im Sinne der Section 12 Clayton Act ganz überwiegend abgelehnt wird, wenn es etwa darum geht ein transacting business des Beklag ten im Sinne des Section 12 Clayton Act im Forumstaat zu begründen.244 Zwar muss zwischen der conpiracy theory im Rahmen der Begründung der personal jurisdiction und im Zusammenhang mit der venue-Begründung unterschieden werden.245 Dennoch spricht diese klare Ablehnung im venue-Kontext eigentlich auch für eine restriktive Handhabung bei der personal jurisdiction, da die Be gründung der personal jurisdiction immer auch unter dem Vorbehalt des due process-Gebots steht. In der Praxis entscheidend wird letztlich aber sein, vor den Gerichten welches Bundesstaates eine private Kartellklage anhängig ge macht wird. Während die Gerichte einiger Bundesstaaten die conspiracy theory überwiegend anerkennen 246, wird diese von den Gerichten anderer Bundesstaa ten klar abgelehnt.247 dd) Gerichtsstandsvereinbarungen (forum selection clauses) Gerichtsstandsvereinbarungen werden von US-amerikanischen Gerichten, selbst wenn es um die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprü chen geht, in der Regel anerkannt und entsprechend dem Parteiwillen vollzo gen.248 ee) Zwischenergebnis Der Fokus einer möglichen Begründung der personal jurisdiction über Beklag te im Rahmen von privaten Kartellklagen liegt auf der specific jurisdiction. Die beiden zentralen Formen der Zuständigkeitsbegründung sind die effects theory of personal jurisdiction, also das US‑amerikanische Äquivalent des Deliktsge 243 First Horizon Merch. Servs., Inc. v. Wellspring Capital Mgmt., LLC, No. 05CA2370 (Colo. App. Apr. 19, 2007); In Re New Motor Vehicles Canadian Exp. Antitrust Litigation, 307 F. Supp. 2d 145 (D. Me. 2004); Steinke v. Safeco Ins. Co. of America, 270 F. Supp. 2d 1196 (D. Mont. 2003). 244 Kalinowski, Antitrust Laws and Trade Regulation, 8-163, § 163.03, Text zu Fn. 89–94. 245 Dodge, 32 Law & Pol’y Int’l Bus. 363, 371–72 footnote 38 (2000–2001). 246 Bogart, Circuit Conflicts in Antitrust Litigation, S. 13, Fn. 54. 247 Bogart nennt etwa Kalifornien als Bundesstaat, dessen Gerichte die conspiracy theory klar ablehnen, Bogart, Circuit Conflicts in Antitrust Litigation, S. 16. 248 Tradecomet.com LLC v. Google, 693 F. Supp.2d 370 (S.D.N.Y. 2010); ISA Chi. Wholesale, Inc. v. Swisher Int’l, Inc. No. 08-CV-6538, 2009 U.S. Dist. LEXIS 88779 at [*13]-[*15] (N.D. Ill. Sept. 25, 2009); Universal Grading Serv. v. eBay, Inc., No. 08-CV-3557 (CPS), 2009 U.S. Dist. LEXIS 49841 (E.D.N.Y. June 9, 2009); Water, Inc. v. Everpure, Inc., No. CV 08-218 ABC (SSx), 2008 U.S. Dist. LEXIS 71744 (C.D. Cal. Aug. 4, 2008); Bense v. Interstate Battery System of America, 683 F.2d 718, 720 (2d Cir. 1982); Eichel/Niehoff, RIW 2014, 329.
II. Gerichtsgewalt über den Beklagten (personal jurisdiction)
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richtsstands sowie Section 12 Clayton Act als Spezialnorm des private enforcement, der gegenüber juristischen Personen eine sehr weitgehende Zuständig keitsbegründung ermöglicht, die in vielen Fällen nur noch durch die verfas sungsrechtliche due process doctrine begrenzt ist.
2. Gesetzliche Ermächtigung (statutory authorization for the exercise of judicial jurisdiction) Neben der Wahrung des due process-Erfordernisses und dem Vorliegen von entsprechenden minimum contacts des Beklagten zum jeweiligen Forum ist das Bestehen einer statutory authorization for the exercise of jurisdiction die zweite Voraussetzung dafür, dass ein Gericht die personal jurisdiction über einen Be klagten begründen kann. Ein US-amerikanisches Gericht kann nur dann die Gerichtsgewalt über einen Beklagten ausüben, wenn es durch die Regierung des betreffenden Bundesstaats oder die Regierung des Bundes dazu ermächtigt wurde.249 Das Erfordernis einer gesetzlichen Legitimierung der Jurisdiktions ausübung gilt sowohl für die state courts als auch für die federal courts. Unter der Geltung des strengen Territorialitätsprinzips im Sinne der Pennoyer v. Neff 250 -Rechtsprechung ließ sich die Begründung der personal jurisdic tion über den Beklagten im Einklang mit den traditionellen Common Law rules in der Regel allein daraus herleiten, dass dem Beklagten die Klage persönlich zugestellt wurde.251 Die Regelungen betreffend die Zustellung der Klage waren danach zugleich die gesetzliche Autorisierung der Ausübung der personal jurisdiction.252 Das Erfordernis für eine statutory authorization spielt erst eine be deutende Rolle, seit der Entscheidung des Supreme Court in der Rechtssache International Shoe Co. v. Washington253. Seither lässt sich auch gegen Beklagte, die außerhalb des Bundesstaates des jeweiligen Gerichts eine Zuständigkeit be gründen, wenn der Beklagte nur ausreichende minimum contacts zu diesem Bundesstaat bzw. zu den Vereinigten Staaten insgesamt aufweist. Durch die International Shoe-Entscheidung wurde die Möglichkeit zur Begründung einer gerichtlichen Zuständigkeit demnach deutlich ausgeweitet gegenüber den auf der Präsenz des Beklagten aufbauenden traditionellen Common Law rules.254 Um auch für diese Fälle eine gesetzliche Ermächtigung für die Ausübung der Gerichtsgewalt über Beklagte außerhalb des betreffenden Bundesstaats zu Yeazell, Civil Procedure, S. 159. 95 U.S. 714 (1877). 251 Victor/Hood, 46 Antitrust L.J. 1063, 1076 (1978). 252 Wright/Oakley/Bassett, Federal Courts – Cases and Materials, S. 408. 253 326 U.S. 310 (1945). 254 Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 5.14, S. 375. 249
250
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D. Internationale Gerichtszuständigkeit nach US-amerikanischem Recht
schaffen, erließen die Bundesstaaten hierfür spezifische Regelungen, sog. long arm statutes, die diese Fälle näher ausgestalteten. Diese lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Entweder sie regeln für bestimmte Fälle, wann eine Be gründung der personal jurisdiction möglich ist, oder aber die entsprechenden long arm statutes dehnen die Gerichtsgewalt des jeweiligen Staates schlicht bis auf das nach der Verfassung noch zulässig Maß aus.255 In letzterem Fall bleiben das due process-Erfordernis und die minimum contacts der einzige maßgebliche Prüfungsschritt für die Begründung der personal jurisdiction. State courts be stimmen ihre gerichtliche Zuständigkeit in der Regel in Übereinstimmung mit den für sie jeweils maßgeblichen long arm statutes. Privatrechtliche Wettbe werbsrechtsklagen werden jedoch regelmäßig von den federal courts entschie den, sodass deren statutory authorization nachstehend im Vordergrund steht. Auch die federal courts wandten anfangs nur die Common Law rules zur Begründung der personal jurisdiction an.256 Auch für diese wurden indes spezi elle federal long arm statutes geschaffen zur Begründung einer statutory authorization for the exercise of jurisdiction. Die wichtigste Vorschrift hierfür ist Rule 4 (k) der Federal Rules of Civil Procedure. Diese bundesrechtliche Vor schrift verleiht in mehreren Fällen den federal courts die personal jurisdiction. Eine Möglichkeit besteht darin, dass der Beklagte der general jurisdiction eines state court unterworfen wäre und zwar in demselben Staat in dem sich auch der federal (district) court befindet. Mit anderen Worten hat also ein federal court dann die personal jurisdiction über den Beklagten, wenn dieser aufgrund der general jurisdiction eines state court im selben Bundesstaat unterworfen wäre. Für die Begründung der general jurisdiction bedarf es eines nicht unerhebli chen Anknüpfungspunkts in Form der Staatsangehörigkeit, des domicile oder der residence in diesem Bundesstaat. In den problematischen Fällen im interna tionalen Rechtsverkehr wird es daran aber oft fehlen. Die für die hier zu untersuchenden Fälle privatrechtlicher Wettbewerbskla gen bedeutendste Vorschrift ist Rule 4 (k) (1) (c) der FRCP. Danach wird die personal jurisdiction in denjenigen Fällen begründet, in denen die die Zustel lung der Klage durch ein Bundesgesetz ( federal statute) ermöglicht wird. Section 12 Clayton Act tut genau dies, indem er für private Wettbewerbsklagen die Zustellung der Klage an den Beklagten innerhalb des Bundesgebiets der Verei nigten Staaten ermöglicht. Damit ist Section 12 Clayton Act einer derjenigen Anwendungsfälle, die Rule 4 (k) (1) (c) FRCP meint.257 Für private Wettbe 255 Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 5.14, S. 376 f.; Perry, 76 Fordham L. Rev. 1177, 1190–91 (2007); Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 82 f. 256 Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 5.15, S. 377. 257 Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 5.15, S. 378, Fn. 13.
III. Örtliche Zuständigkeit (venue)
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werbsklagen wird demnach die statutory authorization durch Rule 4 (k) (1) (c) FRCP in Verbindung mit Section 12 Clayton Act begründet.258 Es besteht damit grundsätzlich eine statutory authorization für das gesamte Bundesgebiet der Vereinigten Staaten. Der maßgebliche Test, ob eine personal jurisdiction über den Beklagten wirklich begründet werden kann, besteht allein in der due process doctrine und dem Vorliegen von entsprechenden minimum contacts zu dem jeweiligen Forum.259 Auf Rule 4 (k) (2) FRCP, der andernfalls gerade gegenüber ausländischen Beklagten eine statutory authorization of personal jurisdiction begründen könnte, kommt es bei privaten Wettbewerbsklagen insoweit nicht mehr an.260
III. Örtliche Zuständigkeit (venue) Das venue-Erfordernis ist das dritte und letzte Element der Zuständigkeitsbe gründung nach US-amerikanischem Recht. Es wird in 28 U.S.C. § 1390 defi niert als “geographic specification of the proper court […] for the litigation of a civil action.” Venue ist damit vergleichbar mit der örtlichen Zuständigkeit des mit der Sache befassten Gerichts nach deutschem Verständnis. Im Rahmen des venue-Erfordernis wird also bei Vorliegen der jurisdiction eines federal court aus einem Bundesstaat bestimmt, wo genau, also in welchem Gerichtsbezirk (district) innerhalb des jeweiligen Bundesstaates das Verfahren geführt werden kann.261 Für den Bereich privatrechtlicher Wettbewerbsklagen existieren zwei spezielle venue-Regelungen: Section 4 Clayton Act262 und Section 12 Clayton Act263. Während Section 4 Clayton Act sowohl gegenüber natürlichen Personen, als auch gegenüber juristischen Personen anwendbar ist, bleibt Section 12 Clayton Act von seinem Anwendungsbereich auf die Anwendung gegenüber juristi schen Personen beschränkt. Nach Section 4 Clayton Act kann eine Klage in je dem Gerichtsbezirk angestrengt werden, in dem der Beklagte resides or is found Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 228. 259 Lee, 56 Fla. L. Rev. 673, 678 (2004); Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 10.5, S. 488 f. 260 Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 10.5, S. 488: “[…] it [Rule 4 (k) (2)] adds nothing to the jurisdiction of federal courts in cases in which there is a special federal long arm statute, as in […] and other cases.”, mit Verweis auf Section 12 Clayton Act in Fn. 6; Perry, 76 Fordham L. Rev. 1177, 1191 (2007). 261 Joelson, An International Antitrust Primer, S. 91; Yeazell, Civil Procedure, S. 164. 262 15 U.S.C. § 15. 263 15 U.S.C. § 22. 258
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or has an agent.264 Gegenüber juristischen Personen als Beklagte trifft Section 12 Clayton Act eine zusätzliche Regelung zum venue. Danach kann der Kläger den Beklagten bei einer privaten Wettbewerbsklage nicht nur im district verkla gen, in dem dieser seinen Wohnsitz (inhabitant) hat, sondern auch in jedem district, in dem er eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt (transacts business). Die speziellen venue-Regelungen für private Wettbewerbsklagen sind jedoch nicht exklusiv in ihrer Anwendbarkeit. Daneben finden die allgemeinen venue-Vorschriften und insbesondere 28 U.S.C. § 1391 Anwendung.265 Diese Vorschrift wurde durch den Venue Clarification Act mit Wirkung zum 6. Januar 2012 geändert.266 Die neue venue-Regelung unterscheidet nicht mehr wie ihre Vorgängervorschrift nach der Staatsangehörigkeit (alienage)267, sondern es kommt nunmehr im Wesentlichen darauf an, ob der Beklagte ein resident in den Vereinigten Staaten ist oder nicht.268 Ist dies der Fall, dann haben bei natürli chen Personen die Gerichte am Ort ihres domiciles den venue269, während nach 28 U.S.C. § 1391 (c) (2) gegenüber einer juristischen Person, die nach dem je weils anwendbaren Recht verklagt werden kann, überall dort ein venue begrün det wird, wo gegen diese eine personal jurisdiction begründet werden kann. Bei juristischen Personen als Beklagten rückt damit die bisherige für die speziellen venue-Regelungen in Section 4 und Section 12 Clayton Act in den Hintergrund und ist nur noch von geringer Bedeutung.270 Entscheidend ist vielmehr die Frage nach der personal jurisdiction.271 Ist der Beklagte dagegen kein resident in den Vereinigten Staaten, dann be stimmt 28 U.S.C. § 1391 (c) (3), dass ein solcher Beklagter in jedem Gerichtsbe zirk der Vereinigten Staaten verklagt werden kann. Non residents können damit – vorausgesetzt eine gerichtliche Zuständigkeit ist im Übrigen gegeben – in je dem Gerichtsbezirk der Vereinigten Staaten verklagt werden. Ihnen bleiben da mit alle auf den venue abzielenden Einwände von vornherein komplett versagt. Hintergrund dieser Regelung ist, dass das venue-Erfordernis darauf abzielt, den Beklagten davor zu bewahren, an einem für ihn ungünstigen Ort verklagt zu werden.272 Dieses Ziel spielt bei einem Vorgehen gegen ausländische Beklagte 264
15 U.S.C. § 15, lit. (a). Kalinowski, Antitrust Laws and Trade Regulation, 8-163, § 163.03 unter [2]. 266 The Federal Courts Jurisdiction and Venue Clarification Act of 2011, H.R. 394, P.L. 112-63. 267 Die alte Fassung sah in 28 U.S.C. § 1391 (d) eine Regelung vor, die ausschließlich auf Ausländer (aliens) anwendbar war. 268 Wright/Miller, Federal Practice & Procedure, § 3818. 269 28 U.S.C. § 1391 (c) (1). 270 Wright/Miller, Federal Practice & Procedure, § 3818. 271 Wright/Miller, Federal Practice & Procedure, § 3818. 272 Leroy v. Great W. United Corp., 443 U.S. 173, 184 (1979). 265
IV. Forum non conveniens doctrine
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jedoch nur eine untergeordnete Rolle.273 Für einen ausländischen Beklagten ist es bei einer bestehenden US-amerikanischen internationalen Zuständigkeit we niger erheblich als für einen inländischen Beklagten wo genau in einem be stimmten Bundesstaat er sich verteidigen muss. Entscheidend ist für einen aus ländischen Beklagten, ob er überhaupt in den Vereinigten Staaten bzw. in einem bestimmten Bundesstaat gerichtspflichtig ist. Eben dies ist aber eine Frage der jurisdiction und nicht des venue. Für non residents spielen die Regelungen zum venue damit eine eher untergeordnete Rolle. Dies gilt insbesondere auch für die speziellen venue-Regelungen für private Wettbewerbsklagen, denn die Rege lung des 28 U.S.C. § 1391 (c) (3) ist weitgehender als die spezielle venue-Rege lung des Section 12 Clayton Act, findet aber dennoch neben dieser Anwendung. Dies führt dazu, dass Section 12 Clayton Act gegenüber ausländischen Beklag ten praktisch keine eigene Bedeutung erlangt.274
IV. Forum non conveniens doctrine Eine prozessuale Besonderheit des Common Law275 stellt neben den bis hierher untersuchten Elementen der Zuständigkeitsbegründung im US-amerikanischen Recht die forum non conveniens-Lehre dar. Danach kann ein an sich zuständi ges Gericht seine Zuständigkeit ablehnen zugunsten eines anderen, vermeint lich geeigneteren Gerichts.276 Bei der Entscheidung über die Anwendung der forum non conveniens-Lehre berücksichtigt das mit der Sache befasste Gericht sowohl die privaten Belange der Beteiligten Personen, wie auch die übergeord neten Belange der Gemeinschaft.277 Grundsätzlich ist der (zulässigen) Forums wahl des Klägers jedoch der Vorzug zu gewähren, d. h. das mit der Sache be fasste Gericht darf nur dann die forum non conveniens-Lehre anwenden, wenn für das alternative Forum sprechenden Belange deutlich überwiegen.278 Forum
Otto, Der prozessuale Durchgriff, S. 6. Lee, 56 Fla. L. Rev. 673, 675–76 (2004). 275 Blair, 29 Colum. L. Rev. 1, 2 (1929); Bies, 67 U. Chi. L. Rev. 489, 492–97 (2000). 276 Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, § 3.15, S. 142; Dorsel, Forum non conve niens, S. 36 ff.; Waller, Antitrust and American Business Abroad, § 21.27. 277 Genannt wurnden in Gulf Oil Corporation v. Gilbert, 330 U.S. 501, 508 (1947) bei spielsweise: das Interesse des Klägers an einer Klage im entsprechenden Forum sowie die Sach- und Beweisnähe des entsprechenden Forums bei den privaten Belangen sowie die Ge fahr einer Überlastung des alternativen Forums sowie ein lokaler Bezug der Streitigkeit zum jeweiligen Forum bei den Belangen der Gemeinschaft. 278 Gulf Oil Corporation v. Gilbert, 330 U.S. 501, 508 (1947); Clermont in: Clermont, Ci vil Procedure Stories, S. 201, 219; Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 11.9, S. 552. 273 274
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non conveniens ist kein Teil der Zuständigkeitsbestimmung279, d. h. die Lehre findet grundsätzlich nur Anwendung, wenn das sie anwendende Gericht selbst zur Entscheidung zuständig ist.280 Ebenso muss auch feststehen, dass es ein Ge richt in einem alternativen Forum gibt.281 Die forum non conveniens-Lehre stellt letztlich einen Korrekturmechanis mus für Fälle dar, in denen die Zuständigkeitsregeln zu gerichtlichen Zuständig keiten führen, welche als zu weitgehend oder sonst konfliktträchtig empfunden werden. Kernbestandteil dieser Lehre ist ein dem mit der Sache befassten Ge richt in erheblichem Maße zukommendes Ermessen hinsichtlich seiner Zustän digkeitsausübung.282 Dies macht die forum non conveniens-Lehre nicht nur zu einem Rechtsinstitut, das dem kontinentaleuropäischen Zuständigkeitsrecht un bekannt ist. Die Lehre ist dem kontinentaleuropäischen System vielmehr „we sensfremd“ und stößt zumeist auf große Skepsis, weil dadurch die in kontinen taleuropäischen Zuständigkeitssystemen geltende Prämisse, dass Gerichtszu ständigkeit in erster Linie auf Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit aufbaut, nur sehr schwer vereinbar ist.283 Für die hier zu untersuchenden privaten Wettbewerbsklagen stellt sich indes die Frage, ob die forum non conveniens-Lehre auf diese Fälle überhaupt an wendbar ist. Denn für Verweisungen innerhalb der Vereinigten Staaten ist das Rechtsinstitut der forum non conveniens abzugrenzen von der Regelung des 28 U.S.C. § 1404.284 Diese Regelung ermöglicht die Verweisung von einem federal court an einen anderen federal court innerhalb der Vereinigten Staaten 285, wenn es in the interest of justice ist. Für solche inländischen Verweisungen stehen damit potentiell zwei gesonderte Rechtsinstitute zur Verfügung. Ein Jahr vor der Verabschiedung von 28 U.S.C. § 1404 hatte der Supreme Court in der Ent scheidung National City Lines I noch entschieden, dass die forum non conveniens-Lehre in wettbewerbsrechtlichen Fällen keine Anwendung finden könne.286 Otto, Der prozessuale Durchgriff, S. 8. Gulf Oil Corporation v. Gilbert, 330 U.S. 501, 504 (1947): “Indeed, the forum non convenience can never apply if there is absence of jurisdiction […].“ 281 Gulf Oil Corporation v. Gilbert, 330 U.S. 501, 506–507 (1947); Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S. 235, 254 footnote 22 (1981); Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 11.10, S. 554; Karayanni, Forum Non Conveniens in the Modern Age, S. 26 ff.; Rodgers in: Levy, International Litigation, S. 206. 282 Dorsel, Forum non conveniens, S. 37. 283 Reus, 16 Loy. L.A. Int’l & Comp. L.J. 455, 501 (1993–1994). 284 Brand/Jablonski, Forum Non Conveniens, S. 48 f. 285 Für mögliche Verweisungen an Gerichte außerhalb der Vereinigten Staaten scheidet die Anwendung des 28 U.S.C. § 1404 dagegen aus, Bates, 2000 U. Chi. Legal F. 281, 290 (2000). 286 United States v. National City Lines, 334 U.S. 573 (1948). 279
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IV. Forum non conveniens doctrine
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Aus Section 12 Clayton Act ergebe sich, dass der Gesetzgeber dem Kläger in privaten Wettbewerbsklagen eine weitgehende Wahlmöglichkeit hinsichtlich des venue einräumen wollte und dass die Anwendung der forum non conveniens-Lehre dieser gesetzgeberischen Intention zuwiderliefe.287 Mit der Verab schiedung der Verweisungsmöglichkeit des 28 U.S.C. § 1404 stellte sich die Frage, ob die forum non conveniens-Lehre auf wettbewerbsrechtliche Fälle an wendbar sein soll, dann aber erneut und vor einem anderen Hintergrund. Aus 28 U.S.C. § 1404, so entschied der Supreme Court in seiner Entscheidung National City Lines II288 für einen Fall der innerstaatlichen Verweisung, ergebe sich klar der Wille des Gesetzgebers in allen zivilrechtlichen Verfahren eine solche Verweisung zuzulassen 289, weshalb auch die ursprüngliche Entscheidung in National City Lines I nicht mehr aufrecht erhalten werden könne. Damit ist aus heutiger Sicht jedenfalls geklärt, dass die forum non conveniens-Lehre auf Fälle, in denen eine Verweisung innerhalb der Vereinigten Staaten stattfinden soll, auch in wettbewerbsrechtlichen Fallkonstellationen Anwendung findet. Unklar ist indessen die Anwendbarkeit der forum non conveniens-Lehre in ei nem internationalen Kontext. Hier besteht ein sog. circuit split290: Während der Second Circuit die Anwendbarkeit befürwortet291, entschied der Fifth Circuit, dass im internationalen Kontext die forum non conveniens-Lehre auch weiter hin nicht zur Verfügung stehe.292 Der Second Circuit hebt in seiner Argumenta tion hervor, dass die Entscheidung National City Lines II zu einem Fall ergan gen war, bei dem eine Verweisung innerhalb der Vereinigten Staaten angestrebt wurde und zieht daraus die Folgerung, dass hieraus kein Rückschluss für die Anwendbarkeit der forum non conveniens in einem internationalen Kontext ge zogen werden könne.293 Es bliebe demzufolge bei der durch die Entscheidung National City Lines I geschaffenen Rechtslage, wonach die forum non conveniens doctrine auch in privaten Wettbewerbsklagen Anwendung finden könne. Der Fifth Circuit sieht dagegen die wirksame Durchsetzung des Wettbewerbs rechts durch private Kläger gefährdet, wenn durch die Anwendung der forum United States v. National City Lines, 334 U.S. 573, 588 (1948). United States v. National City Lines, 337 U.S. 78 (1949). 289 United States v. National City Lines, 337 U.S. 78, 81 (1949). 290 Bates, 2000 U. Chi. Legal F. 281, 290–95 (2000). 291 Capital Currency Exch. N.V. v. National Westminster Bank PLC, 155 F.3d 603, 606 und 608 (2d Circ. 1998). 292 Industrial Investment Development Corporation v. Mitsui & Co., 671 F.2d 876, 890 footnote 18 (5th Cir. 1982), reversed on other grounds 460 U.S. 1007 (1983); dem folgend: Laker Airways Ltd v. Pan American World Airways, 586 F. Supp. 811, 818 (D.D.C. 1983): “The court fully agrees with Mitsui.“ 293 Capital Currency Exch. N.V. v. National Westminster Bank PLC, 155 F.3d 603, 608 f. (2d Circ. 1998). 287
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non conveniens-Lehre das Verfahren vor ein Gericht gelange, welches das Wett bewerbsrecht nicht in gleich wirksamer Form wie das US-amerikanische Wett bewerbsrecht durchgesetzt werde.294 Die Anwendbarkeit der forum non conveniens-Lehre in internationalen Fällen ist also nicht abschließend geklärt.295 An gesichts der großen internationalen Bedeutung dieser Frage296, stellt dies eine Quelle erheblicher Rechtsunsicherheit für internationale Kartellschadensersatz verfahren dar.
V. Ergebnisse 1. Das Kernelement des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts ist ein aus der US-amerikanischen Verfassung abgeleiteter Test, die sog. due process doctrine. Dieser erlaubt es den Gerichten bei der Handhabung der internationalen Zustän digkeit in stärkerem Maße auf der Grundlage von Einzelfallgerechtigkeit zu entscheiden. Die stärker ermessensbasierte Entscheidung bei der Zuständig keitsbegründung ist der zentrale Strukturunterschied des US-amerikanischen Rechts im Vergleich zum kontinentaleuropäischen Verständnis internationaler Gerichtszuständigkeit. 2. Das erste Element des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts stellt die subject matter jurisdiction dar, die der sachlichen Zuständigkeit nach deut schem Rechtsverständnis vergleichbar ist. Zu ihrer Begründung kommt es bei kartelldeliktischen Schadensersatzklagen darauf an, ob US-amerikanisches Wettbewerbsrecht auf die Streitigkeit Anwendung findet. Insofern wird die Reichweite der internationalen Zuständigkeit durch den Geltungsbereich des materiellen US-amerikanischen Wettbewerbsrechts begrenzt. Diese Verknüp fung von Zuständigkeitsfragen mit dem Geltungsbereich des materiellen Rechts wird auf der Grundlage einer aktuellen Supreme Court-Entscheidung auch für das Kartelldeliktsrecht jedoch zunehmend in Frage gestellt. 3. Anfangs wurde die Reichweite des US-amerikanischen Wettbewerbsrechts lediglich durch das Auswirkungsprinzip begrenzt. Nunmehr beschränkt der 1982 erlassene Foreign Antitrust Improvements Act und insbesondere dessen § 6a die Reichweite des US-amerikanischen Wettbewerbsrechts. Zu dieser Vor schrift erging 2004 die wegweisende Entscheidung des Supreme Court in EmIndustrial Investment Development Corporation v. Mitsui & Co., 671 F.2d 876, 891 (5th Cir. 1982): “A dismissal for forum non conveniens, then, would be the functional equiva lent of a decision that defendant’s acts are beyond reach of the Shearman Act.” 295 Die Anwendbarkeit befürwortend: Kresic, 52 Fordham L. Rev. 399, 416 (1983–1984); ablehnend für internationale Fälle dagegen: Bates, 2000 U. Chi. Legal F. 281, 295–311 (2000). 296 Wright/Miller, Federal Practice and Procedure, § 3818. 294
V. Ergebnisse
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pagran v. Hoffman-LaRoche, in der die Reichweite des US-amerikanischen Wettbewerbsrechts und damit auch die subject matter jurisdiction US-amerika nischer Gerichte weiter begrenzt wurden. 4. Das zweite zentrale Element des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts ist die personal jurisdiction. Sie betrifft die Befugnis des Gerichts über den je weiligen Beklagten ein bindendes Urteil sprechen zu können. Erforderlich ist danach, dass der Beklagte gewisse minimum contacts zum Forum aufweist, da mit das jeweilige Gericht seine internationale Zuständigkeit begründen kann. Bei kartelldeliktischen Klagen gegenüber ausländischen Beklagten kommt es dabei auf die minimum contacts zu den Vereinigten Staaten insgesamt und nicht zu einem bestimmten Bundesstaat an. 5. Die general (personal) jurisdiction eröffnet eine gerichtlich Zuständigkeit über den Beklagten in allen justiziablen Streitigkeiten und ist insofern mit dem allgemeinen Gerichtsstand vergleichbar. Sie wurde durch die Rechtsprechung des Supreme Court in den Entscheidungen Goodyear (2011) und Daimler (2014) durch Einführung des at home-Tests auf eine neue methodische Grundlage ge stellt und signifikant beschränkt. Nach diesem Verständnis kann eine general jurisdiction begründet werden, wenn der Beklagte im jeweiligen Gerichtsstaat als beheimatet (at home) angesehen werden kann. Eine general jurisdiction kann jedenfalls begründet werden, wenn domicile, residence, citizenship, der Ort der Gesellschaftsgründung oder der Ort der Hauptniederlassung einer juris tischen Person in den USA belegen sind. 6. Die Neufassung der general jurisdiction durch die Einführung des at home-Standards hat die Begründung einer general jurisdiction allein durch eine wirtschaftliche Tätigkeit in den USA (doing business), wie sie nach bisherigem Verständnis möglich war, radikal beschränkt. Doing business kommt nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung nicht mehr als Zuständigkeitsgrund für die general jurisdiction in Betracht. 7. Eine zuständigkeitsrechtliche Konzernhaftung ist nach US-amerikani schem Zuständigkeitsrecht zwar möglich, unterliegt jedoch Grenzen, welche im Einzelnen stark durch die Rechtsprechung der bundesstaatlichen Gerichte ge prägt sind. 8. Die personal jurisdiction wird außerdem durch die specific jurisdiction über den Beklagten begründet. Bei dieser stehen die die Zuständigkeit begrün denden Umstände im Zusammenhang mit der Streitigkeit selbst. Sie ist damit mit den besonderen Gerichtsständen nach deutschem Verständnis vergleichbar. 9. Der zentrale Zuständigkeitsgrund im Rahmen der specific (personal) jurisdiction für kartelldeliktische Klagen ist der Deliktsgerichtsstand mit der zustän digkeitsrechtlichen effects doctrine. Dieser begründet eine internationale Zu ständigeit auf Grundlage der durch das Kartell verursachten negativen Auswir
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D. Internationale Gerichtszuständigkeit nach US-amerikanischem Recht
kungen in den Vereinigten Staaten. Verlangt wird dafür ein bewusstes Ausrichten der Tätigkeit auf das US-amerikanische Forum (expressly aiming). 10. Einen spezialgesetzlicher Zuständigkeitsgrund bildet Section 12 Clayton Act. Dieser knüpft eine Begründung der internationalen Zuständigkeit über ei nen Beklagten letztlich an die Entfaltung einer wirtschaftlichen Aktivität (transacting business) an, welche aber mit der kartelldeliktischen Streitigkeit selbst in Zusammenhang stehen muss. 11. Das US-amerikanische Zuständigkeitsrecht kennt überdies mit der conspiracy theory auch einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft. Dieser knüpft aber nicht an den Wohnort eines der Beklagten an, sondern an die über diesen Beklagten bestehende specific jurisdiction. 12. Das dritte Element des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts ist das venue-Erfordernis. Es entspricht der örtlichen Zuständigeit und spielt bei Kla gen gegenüber ausländischen Beklagten nur eine untergeordnete Rolle. 13. Ein bekanntes Instrument des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts ist außerdem die Lehre des forum non conveniens, nach der ein US-amerikani sches Gericht seine Zuständigkeit ablehnen kann, sofern es ein anderes Gericht als besser geeignet zur Entscheidung über die Streitigkeit ansieht. Es ist indes nicht abschließend geklärt, ob diese Lehre in einem internationalen Kontext im Rahmen des Kartelldeliktsrechts überhaupt Anwendung findet.
E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr Für die privatrechtliche Durchsetzung von Kartellrecht gegenüber globalen Kartellen stehen allein die jeweiligen nationalen Durchsetzungsregime zur Ver fügung.1 Eine globale Durchsetzungsinstanz für Kartellschadensersatzklagen fehlt. Wie zu zeigen sein wird,2 können auch die Vereinigten Staaten diese Rol le nicht einnehmen, obwohl sie in der Vergangenheit auch gegenüber Drittstaa tenangehörigen teils ein Anziehungspunkt für private Schadensersatzkläger bei globalen Kartellverstößen waren. Die nationalen Systeme der Kartellrechts durchsetzung sind im Verhältnis zu Drittstaaten bislang jedoch nicht aufein ander abgestimmt.3 Dies gilt vor allem für die im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehende Frage der internationalen Gerichtszuständigkeit. Die jeweiligen Jurisdiktionen regeln die internationale Zuständigkeit für Kartell schadensersatzklagen durch ihr jeweiliges nationales Recht in einer eindimensi onalen nationalen Regelungsperspektive.4 Dies wird etwa daran deutlich, dass die Bestimmung des anwendbaren Kartellrechts durch die Zivilgerichte in der Regel ganz einseitig erfolgt, was dazu führt, dass eine Anwendung ausländi schen Kartellrechts durch die nationalen Zivilgerichte praktisch nicht vor kommt.5 In der bisherigen Untersuchung wurden die deutsche und die US-amerikani sche Jurisdiktion im Hinblick auf die Regelungen zur internationalen Gerichts zuständigkeit bei privaten Kartellschadensersatzklagen untersucht. Eine solche isolierte Betrachtung der nationalen Durchsetzungsregime kann im Zusam menhang mit international agierenden Kartellen indessen nur den Ausgangs punkt einer umfassenderen Betrachtung bilden. Denn der Regelungsgegenstand privatrechtlicher Kartellrechtsdurchsetzung – internationales oder gar globales Marktverhalten – bleibt nicht auf nationalstaatliche Grenzen begrenzt, sondern Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 241. Siehe dazu unten S. 218 ff. 3 Gal, 33 Fordham Int’l L.J. 1, 9 (2009–2010); Sprigman, 72 U. Chi. L. Rev. 265, 266 (2005). 4 Gal, 33 Fordham Int’l L.J. 1, 9 und 12 (2009–2010). 5 Siehe dazu unten S. 222. 1 2
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
agiert transterritorial.6 Dadurch kommt es zu Berührungspunkten der nationa len Durchsetzungsregime sowie damit einhergehenden Konflikten. Im Fokus der vorliegenden Untersuchung stehen insbesondere die Problemfelder, welche sich aus einer fehlenden Abstimmung der einzelnen nationalen Durchsetzungs regime auf der Ebene der internationalen Gerichtszuständigkeit ergeben kön nen. Es soll gezeigt werden, dass es einen Bedarf für eine Koordinierung der nationalen Durchsetzungsregime bei globalen Kartellrechtsverstößen gibt, wel cher in Zukunft weiter zunehmen wird. Diese Koordinierung erfolgt maßgeb lich über das Recht der internationalen Gerichtszuständigkeit und wird nachste hend aus der Sicht des deutschen und US-amerikanischen Rechts untersucht. Ein zentrales Anliegen bei der Koordinierung privatrechtlicher Klagen gegen globale Kartelle besteht darin, den Klägern die effektive privatrechtliche Rechtsdurchsetzung an dafür geeigneten Gerichtsständen zu ermöglichen. Konflikte in Bezug auf andere Jurisdiktionen gilt es dabei zu vermeiden.7 Die nachstehende Untersuchung soll deshalb nicht etwa die Reichweite des materi ellen Kartellrechts der beteiligten Staaten untersuchen, sondern lenkt den Blick auf eine Abgrenzung der gerichtlichen Zuständigkeit bei privatkartellrechtli chen Schadensersatzklagen gegen globale Kartelle vor den jeweiligen Zivilge richten. Dafür werden zunächst die bestehenden Problemfelder in Bezug auf die Zuständigkeitskoordinierung herausgearbeitet. In einem weiteren Schritt wer den dann mögliche Lösungsansätze für diese Problemlagen untersucht.
I. Problemfelder 1. Zuständigkeitskonflikte Im Verhältnis zu Drittstaaten und damit insbesondere im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten fehlt es aus deutscher Sicht bislang an jeglicher Form der Koordinierung der internationalen Gerichtszuständigkeit. Dadurch kann es zu Problemen bei der Zuständigkeitsverteilung kommen. Solche Zuständigkeits konflikte sind in zweierlei Formen denkbar: in Form eines negativen Zuständig keitskonflikts, bei dem es für eine bestimmte Streitigkeit an einem Gericht fehlt, das sich für international zuständig erklärt, und eines positiven Zuständigkeits konflikts, bei dem es für eine bestimmte Streitigkeit mehrere Gerichte gibt, die sich parallel und konkurrierend für international zuständig erklären. Bei kar Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 408 f.; vgl. auch Michaels, 31 DAJV Newsl. 46, 50 (2006), der dafür den Begriff des „Weltereignisses“ gebraucht. 7 Casey, 55 Am. U. L. Rev. 585, 586–87 (2005). 6
I. Problemfelder
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tellprivatrechtlichen Streitigkeiten im Zusammenhang mit weltumspannenden Kartellen sind beide Szenarien denkbar. Ein negativer Zuständigkeitskonflikt droht etwa in Fällen, die enge Berüh rungspunkte zu einem Staat aufweisen, dessen Gerichte sich nicht für internati onal zuständig erklären, z. B. weil es an einem System privatrechtlicher Kartell rechtsdurchsetzung insgesamt fehlt. Für den potentiellen Kläger bedeutet dies, dass er mit der Durchsetzung seiner Ansprüche unter Umständen vollständig scheitert, weil ihm kein Zugang zu einem Zivilgericht offensteht. Auf die Gefahr eines solchen negativen Zuständigkeitskonflikts wurde etwa im Rahmen des Empagran-Verfahrens8 hingewiesen. Bei diesem Verfahren stammten die Klä ger unter anderem aus der Ukraine, Ecuador und Panama, in denen es mutmaß lich an einem effektiven System der privatrechtlichen Kartellrechtsdurchset zung fehlte. Dieser Befund wurde teilweise zum Anlass genommen, eine breite Auslegung der internationalen Gerichtszuständigkeit durch US-amerikanische Gerichte zu fordern, um einem solchen negativen Kompetenzkonflikt zu begeg nen.9 In diesem Zusammenhang ist auch die Forderung zu sehen, US-amerika nischen Gerichten die Funktion von Weltgerichten zukommen zu lassen.10 Die zweite Gefahr im Zusammenhang mit Zuständigkeitskonflikten besteht in der Entstehung von positiven Zuständigkeitskonflikten. Die Gefahr solcher positiver Zuständigkeitskonflikte kann anhand des deutschen und des US-ame rikanischen Zuständigkeitsrechts illustriert werden. Das prominenteste Beispiel dafür ist das Vitaminkartell, welches die Gerichte in Deutschland11, England12 und den USA13 beschäftigte. Es kann zu der Situation kommen, dass sich sowohl die US-amerikanischen wie auch die deutschen Gerichte für dieselbe Streitig keit für international zuständig erklären. Dazu kann es vor allem dann kommen, wenn die Gerichte ihre internationale Zuständigkeit auf die im jeweiligen Ge richtsstaat eingetretenen schädigenden Auswirkungen des globalen Kartells stützen. Eine solche Zuständigkeitsbegründung kennt sowohl das deutsche Zu ständigkeitsrecht mit § 32 ZPO, wie auch das US-amerikanische Zuständig keitsrecht mit der effects theory of personal jurisdiction. Bei globalen Kartellen sind die negativen Auswirkungen des Kartells häufig in einer Vielzahl verschie F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155 (2004). Michaels, 31 DAJV Newsl. 46, 51 (2006). 10 Siehe dazu unten S. 236 ff. 11 OLG Karlsruhe, Urteil v. 28.1.2004 – Az. 6 U 183/03 = NJW 2004, 2243; LG Dort mund, Urteil v. 1.4.2004 – Az. 13 O 55/02 Kart. = WuW 2004, 1182 = IPRax 2005, 542. 12 High Court (Queen’s Bench Division), 6.3.2003, Provimi Limited v. Aventis Animal Nutrition SA and Others [2003] EuLR 517. 13 Empagran S.A. v. F.Hoffmann-LaRoche, Ltd., 417 F.3d 1267 (D.C. Cir. 2005); F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155 (2004). 8 9
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
dener Jurisdiktionen zu spüren oder es bestehen sogar globale Auswirkungen.14 Dies ist eine unmittelbare Folge der Funktionsweise von Weltkartellen. Diese müssen praktisch alle relevanten Märkte umfassen, damit das Kartell effektiv ist.15 Das Auswirkungsprinzip führt auf der Ebene der internationalen Gerichts zuständigkeit zu Anknüpfungspunkten zur Begründung der internationalen Ge richtszuständigkeit in verschiedenen Jurisdiktionen.16 Es kann grundsätzlich überall dort die internationale Zuständigkeit begründet werden, wo das Kartell schädigende Auswirkungen hervorruft, sofern das jeweilige Zuständigkeitsregi me eine auswirkungsbezogene Begründung der internationalen Zuständigkeit kennt. Die beiden im Rahmen der vorliegenden Untersuchung in den Blick ge nommenen Rechtsordnungen kennen mit § 32 ZPO und der effects doctrine of personal jurisdiction eine solche auswirkungsbezogene Zuständigkeitsbegrün dung. Die mehrfache Begründung der internationalen Gerichtszuständigkeit führt also jedenfalls dann zu positiven Zuständigkeitskonflikten in Bezug auf die Teilnehmer eines globalen Kartells, wenn die betroffenen Jurisdiktionen sich in ihrem Anspruch zur Zuständigkeitsbegründung überschneiden. Aus der Sicht des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts bedeutet allein die Tatsache, dass in einer bestimmten Jurisdiktion Auswirkungen des Kartells eingetreten sind, indes nicht zwingend, dass die in diesem Staat ansässigen Ge richte auch vollumfänglich zur Entscheidung über die Streitigkeit international zuständig sind. Eine Einschränkung der effects doctrine auf der Ebene der personal jurisdiction erfährt diese (jedenfalls nach bisherigem Verständnis)17 nämlich durch die subject matter jurisdiction, die ebenfalls auf der effects doctrine aufbaut. An dieser Stelle erlangt die Rechtsprechung des Supreme Court18 und des DC Circuit des Court of Appeals19 in der Rechtssache Empagran Be deutung. Danach scheidet eine Anwendung des Sherman Act und damit mittel bar die Annahme einer internationalen Gerichtszuständigkeit wegen fehlender subject matter jurisdiction aus, wenn der durch den Kläger geltend gemachte 14 Burnett, 18 Emory Int’l L. Rev. 555, 629 (2004); Casey, 55 Am. U. L. Rev. 585, 607 (2005). 15 Siehe dazu oben S. 1. 16 Adkinson in: Competition Laws in Conflict, S. 307; Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 232: “The almost universal recognition of the effects doctrine leads to overlapping jurisdictional claims.”; Hay/Krätzschmar, RIW 2003, 809, 813; Mehra, 107 Dick. L. Rev. 763, 772 (2002–2003): “The ascendance of effects-based approaches over territorial ones makes jurisdictional overlap possible in antitrust. When […] effects occur in multiple nations – the widespread acceptance of the effects test means that several nations’ antitrust regimes may apply concurrently.” 17 Näher dazu oben S. 154. 18 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155 (2004). 19 Empagran S.A. v. F.Hoffmann-LaRoche, Ltd., 417 F.3d 1267 (D.C. Cir. 2005).
I. Problemfelder
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Schaden lediglich auf einem rein ausländischen Schaden beruht (independent foreign harm). Die negativen Auswirkungen im US-amerikanischen Forum durch das globale Kartell und der individuell erlittene Kartellschaden durch den Kläger müssen vielmehr in einem qualifizierten Zusammenhang stehen (proximate cause standard).20 Es besteht also bei einer auf die schädigenden Auswir kungen des Kartells gestützten internationalen Zuständigkeit in den Vereinig ten Staaten gerade keine umfassende Gerichtszuständigkeit für den globalen Kartellschaden. Eine Zuständigkeit besteht nur insofern, als diese durch das Kartell verursachten negativen Auswirkungen im US-amerikanischen Forum mit dem individuellen Schaden des Klägers zusammenhängen. Das US-ameri kanische Recht begrenzt also zum derzeitigen Stand seine auswirkungsbezoge ne Begründung der internationalen Gerichtszuständigkeit. Anders ist die Lage dagegen bei der entsprechenden Regelung des deutschen Zuständigkeitsrechts. Der deutsche Tatortgerichtsstand nach § 32 ZPO setzt vo raus, dass es einen Erfolgsort in Deutschland gibt, um für deutsche Gerichte die internationale Zuständigkeit zu begründen. Qualifizierte Anforderungen an ei nen solchen Erfolgsort bestehen nicht. Liegt ein deutscher Erfolgsort vor, so sind deutsche Gerichte umfassend international zur Entscheidung über die Streitig keit zuständig. Der Tatortgerichtsstand des § 32 ZPO kennt dabei kein Mosaik prinzip, wie etwa beim europäischen Deliktsgerichtsstand, bei dem nur ein et waiger Teilschaden des globalen Schadens vor deutschen Gerichten eingeklagt werden kann.21 Es kann also der globale Kartellschaden eingeklagt werden, sobald ein deutscher Erfolgsort besteht. Das deutsche System internationaler Gerichtszuständigkeit ist bei einer auswirkungsbezogenen Begründung der in ternationalen Zuständigkeit demnach deutlich weitgehender als das US-ameri kanische Zuständigkeitsrecht. Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil häufig gerade dem US-amerikanischen Recht eine (zu) weit ausgreifende Zu ständigkeitspraxis unterstellt wird.22 Die auswirkungsbezogene Zuständig keitsbegründung bei globalen Kartellen zeigt, dass dieser Vorwurf jedenfalls in seiner Pauschalität verfehlt ist. Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, dass ein internationales oder sogar globales Kartell sowohl eine internationale Gerichtszuständigkeit deutscher wie Empagran S.A. v. F.Hoffmann-LaRoche, Ltd., 417 F.3d 1267, 1271 (D.C. Cir. 2005). Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 578, Rn. 1524; Maier, Marktortanknüp fung im internationalen Kartelldeliktsrecht, S. 207; Tzakas, Die Haftung für Kartellrechts verstöße im internationalen Rechtsverkehr, S. 166; Roth in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, § 32, Rn. 4 und 48. 22 Zur Kritik daran in einem nicht kartelldeliktsspezifischen Kontext: Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 329 (2003–2004); Silberman, 52 DePaul L. Rev. 319, 322–23 (2002– 2003); Silberman, 28 Vand. J. Transnat’l L. 389, 395 (1995). 20 21
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
auch US-amerikanischer Gerichte auslöst. Zu einem solchen Zuständigkeits konflikt kommt es bereits dann, wenn ein Kartell in den Vereinigten Staaten negative Auswirkungen erzeugt und dadurch die Vorgaben des Supreme Court bzw. des DC Circuit des Court of Appeals aus der Rechtssache Empagran erfüllt werden.23 Entfaltet dasselbe Kartell auch Auswirkungen auf dem deutschen Markt, so können sowohl deutsche als auch US-amerikanische Gerichte ihre internationale Zuständigkeit begründen. Weiter befördert wird diese Gefahr au ßerdem durch grundsätzliche Unterschiede im Recht der internationalen Zu ständigkeit. Verallgemeinernd lässt sich bei einem Vergleich des deutschen und des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts etwa der strukturelle Unterschied feststellen, dass das US-amerikanische Recht die internationale Zuständigkeit anhand der Verbindung des jeweiligen Beklagten zum Forum beurteilt, wäh rend das deutsch-europäische Zuständigkeitsverständnis eher die Verbindung der Streitigkeit zum jeweiligen mit der Sache befassten Gericht beurteilt.24 Deutlich geringer ist die Gefahr von Zuständigkeitsüberschneidungen dage gen, wenn ein beklagter Kartelltäter im Rahmen des allgemeinen Gerichtsstands an seinem Wohnsitz verklagt wird. Denn sowohl das deutsche als auch das US-amerikanische Zuständigkeitssystem kennen einen solchen allgemeinen Wohnsitzgerichtsstand in ähnlicher Form. Vor allem die Neuausrichtung der general personal jurisdiction in den Rechtssachen Goodyear und Daimler AG durch den Supreme Court hat hier dafür gesorgt, dass ein allgemeiner, streitge genstandsunabhängiger Gerichtsstand nach beiden Zuständigkeitssystemen praktisch nur dort besteht, wo der Kläger seinen Sitz hat. Mit diesen Entschei dungen hat sich das US-amerikanische Zuständigkeitsrecht in Bezug auf die general jurisdiction stark an das kontinentaleuropäische Zuständigkeitsrecht an genähert und den Umfang der general jurisdiction stark begrenzt. Das US-ame rikanische Zuständigkeitsrecht hat außerdem mit der faktischen Abschaffung von doing business als Zuständigkeitsgrund eine Konfliktstelle beseitigt, bei der das US-amerikanische Zuständigkeitsrecht bislang in seiner Reichweite deutlich über das deutsch-europäische Zuständigkeitsverständnis hinausgegangen ist.25 Das Konfliktpotential für etwaige Zuständigkeitskonflikte ist beim allgemeinen streitgegenstandsunabhängigen Gerichtsstand also eher gering.
Buxbaum, 16 Loy. Consumer L. Rev. 365, 370 (2003–2004). Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 331 und 355 (2003–2004). 25 Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 333 (2003–2004). 23 Vgl. 24
I. Problemfelder
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2. Rechtshängigkeits- und Anerkennungskonflikte Bei globalen Kartellklagen besteht in nicht unerheblichem Umfang das Potenti al von positiven Zuständigkeitskonflikten. Die aus der Inkongruenz der Zustän digkeitsverteilung entstehenden Konflikte setzen sich im weiteren Verfahrens verlauf auf der Ebene der internationalen Rechtshängigkeit und später bei einer potentiellen Anerkennung der daraus erwachsenden Entscheidungen fort. a) Internationale Rechtshängigkeit Im deutschen autonomen Recht ist die ausländische Rechtshängigkeit gegen über Drittstaaten als von Amts wegen zu berücksichtigender Umstand grund sätzlich beachtlich gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO analog. Dies gilt jedoch nur, wenn die Entscheidung, die aus dem ausländischen Verfahren hervorgeht, po tenziell anerkennungsfähig ist.26 Gerade im Bereich von Kartellschadensersatz klagen ist die Anerkennung von US-amerikanischen Entscheidungen aber in höchstem Maße problematisch.27 Insofern stellt sich bereits im Rahmen der Rechtshängigkeit die Frage nach der potentiellen Anerkennungsfähigkeit des aus einem ausländischen Verfahren resultierenden Urteils. Wie zu zeigen sein wird, kommt bei kartelldeliktischen Schadensersatzklagen aus den Vereinigten Staaten jedenfalls eine Teilanerkennung in Betracht,28 sodass eine Rechtshän gigkeit gegenüber Verfahren vor US-amerikanischen Gerichten grundsätzlich beachtlich sein kann. Im US-amerikanischen Recht existiert – anders als im deutschen Recht – we der eine gesetzliche Regelung zur Regulierung einer ausländischen Rechtshän gigkeit29, noch gibt es hierzu einschlägige Entscheidungen des Supreme Court.30 Herangezogen werden im Wesentlichen drei verschiedene Common Law-Instrumente, um auf unterschiedliche Art mit Rechtshängigkeitssituatio nen umzugehen: Ein erstes Instrument stellt die forum non conveniens doctrine dar.31 Mit diesem Instrument kann ein an sich zuständiges Gericht seine eigene Zuständigkeit ablehnen, wenn es ein anderes Gericht als potentiell geeigneter ansieht, über die Streitigkeit zu entscheiden. Problematisch an der forum non conveniens-Lehre ist, dass nicht sicher geklärt ist, ob diese in kartelldelikti schen Fällen gegenüber ausländischen Gerichten überhaupt Anwendung fin Becker-Eberhard in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 1, § 261 ZPO, Rn. 74. Siehe dazu unten S. 203 f. 28 Siehe dazu unten S. 205. 29 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 548. 30 Calamita, 27 U. Pa. J. Int’l Econ. L. 601, 603 (2006). 31 Siehe dazu oben S. 189. 26 27
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
det.32 Ein zweites Instrument, um mit Rechtshängigkeitssituationen aus Sicht des US-amerikanischen Rechts umzugehen, sind anti suit injunctions. Dabei handelt es sich um Prozessführungsverbote, die gegenüber einer Partei der Streitigkeit ausgesprochen werden und diese davon abhalten soll, eine Klage vor einem anderen ausländischen Gericht anzustrengen. Das US-amerikanische Recht kennt außerdem auch eine Aussetzung des Verfahrens bei einer Rechts hängigkeitssituation nach der lis alibi pendens doctrine.33 Dieses Rechtsinstitut ist gesetzlich nicht normiert und richtet sich vor allem nach der bisherigen Rechtspraxis des Common Law.34 Eine letzte Möglichkeit besteht schließlich darin, die Situation der Rechtshängigkeit schlicht hinzunehmen. Ein potentiel les Urteil vor einem Erstgericht führt dann vor dem zweitangegangenen Gericht aber gegebenenfalls zum Einwand der res iudicata, also dem Einwand der Rechtskraft.35 b) Urteilsanerkennung Die – auch für die Rechtshängigkeit – wohl entscheidende Frage ist in der poten tiellen wechselseitigen Anerkennungsfähigkeit kartelldeliktischer Zivilurteile zu sehen. Erst die Anerkennung eines Urteils im jeweiligen Vollstreckungsstaat erlaubt dem Kläger den Zugriff auf die dortigen Vermögenswerte des Beklag ten. Wie dargestellt bietet das US-amerikanische Recht Klägern in kartelldelik tischen Klagen vermeintlich Vorteile. Diese machen Klagen vor US-amerikani schen Gerichten gerade auch dann anhängig, wenn die Streitigkeit keine oder nur wenig Berührungspunkte zu den USA aufweist. Gerade in diesen Fällen gewinnt die potentielle Anerkennungsfähigkeit solcher, vor US-amerikanischen Gerichten erstrittener Urteile an Bedeutung, wenn eine Vollstreckung in den Vereinigten Staaten mangels Vermögen des Beklagten aussichtslos ist. Der Klä ger muss sein erstrittenes Urteil in einem anderen Staat für vollstreckbar erklä ren lassen. Voraussetzung dafür ist die Anerkennung des Urteils im Vollstre ckungsstaat. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten bestehen keine bilateralen Verpflichtungen für eine Anerkennung von Zivilurteilen. Das Haager Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen, das in dieser Hinsicht Abhilfe hätte schaffen können, ist bekanntlich vorerst gescheitert.36 Insofern richtet sich die Frage der Anerkennungsfähigkeit von 32
Siehe dazu oben S. 190. Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 345–46 (2003–2004). 34 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 549. 35 Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 339–40 (2003–2004); Teitz, 10 Roger Williams U. L. Rev. 1, 10 (2004–2005). 36 Siehe dazu unten S. 214. 33
I. Problemfelder
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kartelldeliktischen Urteilen nach den jeweiligen nationalen Regelungen dieser beiden Jurisdiktionen. aa) Anerkennung von US-amerikanischen kartelldeliktischen Zivilurteilen in Deutschland Spezialgesetzliche Regelungen (blocking statutes) zur Verhinderung einer An erkennung US-amerikanischer Zivilurteile, die eine Vervielfachung einer kom pensatorischen Schadenssumme zusprechen, gibt es im deutschen Recht im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen37 nicht. Die Anerkennung einer auslän dischen kartelldeliktischen Entscheidung bzw. ihre Vollstreckbarerklärung richtet sich somit nach den §§ 328, 722 f. ZPO. Anerkennungsfähig sind nach diesen Vorschriften nur Zivilurteile. Bei US-amerikanischen Urteilen, welche treble damages zusprechen, ließe sich bereits die Frage aufwerfen, ob es sich dabei noch um Zivilurteile handelt, da treble damages nach deutschem Rechts verständnis generalpräventiven Charakter haben.38 Kartelldeliktische Scha densersatzurteile werden indes sowohl von der deutschen Rechtsprechung39 als auch der Literatur40 als Zivilsachen im Sinne des § 13 GVG angesehen. Im Zen trum der Untersuchung einer etwaigen Anerkennungsfähigkeit US‑kartellrecht licher Schadensersatzurteile stehen vielmehr die Anerkennungsversagungs gründe des § 328 Abs. 1 ZPO. Gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist die Anerkennung des ausländischen Ur teils ausgeschlossen, wenn das (ausländische) Gericht im Erststaat bei Anwen dung des deutschen Rechts nicht international zuständig gewesen wäre (sog. Spiegelbildprinzip). Maßgeblich im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ist das deutsche autonome Zuständigkeitsrecht.41 Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass bei einer auswirkungsbezogenen Zuständigkeitsbegründung am Erfolgsort das deutsche autonome Zuständigkeitsrecht weitgehender als das US-amerikanische Zuständigkeitsrecht ist.42 Daher wird eine Anerkennung von US-amerikanischen Entscheidungen diesbezüglich kaum an § 328 Abs. 1
37 Vgl. für Großbritannien den Protection of Trading Interests Act 1980 c. 11, § 5; für Australien den Foreign Proceedings (Excess of Jurisdiction) Act 1984, § 9 und für Kanada den Foreign Extraterritorial Measures Act, R.S.C., ch. F-29 (1985), amended by ch. 28, 1996 S.C. 8(1). 38 Schütze in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Wettbewerbsrecht, § 11, Rn. 43. 39 BGHZ 118, 312, Rn. 69 ff. 40 Rehbinder in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, § 130 GWB, Rn. 390; Zekoll/Rahlf, JZ 1999, 384, 386. 41 Siehe dazu oben S. 137 ff. 42 Siehe dazu oben S. 198 f.
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Nr. 1 ZPO scheitern.43 Konfliktträchtiger ist die Anerkennung US-amerikani scher Entscheidungen, wenn diese sich auf einen sog. exorbitanten Gerichts stand des US-amerikanischen Rechts stützen.44 Dies ist etwa bei der transient bzw. tag jurisdiction der Fall,45 die allerdings im Rahmen des Kartelldelikts rechts nur gegenüber natürlichen Personen angewandt wird46 und daher nur eine untergeordnete Rolle spielt. Auch bei einer auf die zuständigkeitsrechtliche Konzernhaftung gestützten internationalen Zuständigkeit kommt eine Versa gung der Anerkennung nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Betracht.47 Der potentiell wichtigste Anerkennungsversagungsgrund ist ein möglicher ordre public-Verstoß durch die Anerkennung eines US-amerikanischen Urteils gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Problematisch in dieser Hinsicht sind vor allem Urteile, durch welche treble damages zugesprochen werden, wie sie Section 4 Clayton Act48 als zwingende Rechtsfolge vorsieht.49 US-amerikanische Urtei le, die punitive damages zusprechen, verstoßen jedenfalls insoweit gegen den deutschen ordre public, als diese über einen kompensatorischen Schadensersatz hinausgehen.50 Denn das deutsche Schadensersatzrecht kennt nur eine Aus gleichs- und Genugtuungsfunktion. Ihm ist eine Generalpräventions- oder Straffunktion grundsätzlich fremd.51 Zwar kann Prävention nach deutschem Rechtsverständnis „[…] eine nützliche Folge der Kompensation“ beim kartell deliktischen Schadensersatzanspruch sein.52 Soweit aber ausländische Urteile punitive damages zum Zweck der Straffunktion zusprechen, sind sie vor deut schen Gerichten nicht anerkennungsfähig.53 Ferner kann die Verhängung von punitive damages gegen das Verhältnismäßigkeitsverbot verstoßen.54 Diese Grundsätze sind auf die im Kartelldeliktsrecht von US-amerikanischen Gerich
Zekoll/Rahlf, JZ 1999, 384, 386. Schütze in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Wettbewerbsrecht, § 11, Rn. 47. 45 Schütze in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Wettbewerbsrecht, § 11, Rn. 47. 46 Siehe dazu oben S. 159. 47 Schütze in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Wettbewerbsrecht, § 11, Rn. 47. 48 15 U.S.C. § 15. 49 Umfassend dazu Bungert, ZIP 1992, 1707; Zekoll/Rahlf, JZ 1999, 384, 385. 50 BGHZ 118, 312, Rn. 72 ff.; Rehbinder in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, § 130 GWB, Rn. 390; Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 1, § 328 ZPO, Rn. 123; a. A. Baumbach/Henkel, RIW 1997, 727, 733; Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, S. 206. 51 Rehbinder in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, § 130 GWB, Rn. 390; a. A. Fuchs, ZWeR 2011, 192, 203 ff. 52 BGH, Urt. v. 28.6.2011 – Az. KZR 75/10 (ORWI) Rn. 62. 53 Wagner, AcP 206 (2006) 352, 476. 54 BGHZ 118, 312, Rn. 88. 43
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I. Problemfelder
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ten zu verhängenden treble damages übertragbar.55 US-amerikanische antitrust treble damages-Urteile sind also nicht ohne weiteres vor deutschen Gerichten anerkennungsfähig.56 Es ist aber möglich, derartige Urteile teilweise anzuer kennen, insoweit als sie kompensatorischen Schadensersatz zusprechen.57 Die ser entspricht in der Regel rund einem Drittel der zugesprochenen Summe.58 bb) Anerkennung von deutschen kartelldeliktischen Zivilurteilen in den Vereinigten Staaten Die USA sind weder Teil eines internationalen Vertrags oder Abkommens zur Anerkennung von Urteilen aus anderen Staaten,59 noch enthält die US-ameri kanische Verfassung Regelungen zur Anerkennung ausländischer Urteile.60 Die full faith and credit clause der amerikanischen Verfassung, die eine Anerken nung von Urteilen aus einem Bundesstaat in einem anderen Bundesstaat garan tiert,61 ist auf ausländische Urteile nicht anwendbar.62 Derzeit gibt es keine ge setzliche Grundlage auf Bundesebene der Vereinigten Staaten, welche die An erkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteilen regelt.63 Ausgangspunkt für die Anerkennungspraxis der einzelnen Bundesstaaten ist die Leitentscheidung Hilton v. Guyot aus dem dem Jahr 1895.64 Darin legte der Supreme Court die Basis für den Common Law-Ansatz bezüglich der Anerken nung ausländischer Urteile auf der Grundlage von comity.65 Die Entscheidung 55 Gottwald in: Münchener Kommentar, ZPO, Band 1, § 328 ZPO, Rn. 123; Rehbinder in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, § 130 GWB, Rn. 391. 56 Schütze in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Wettbewerbsrecht, § 11, Rn. 49; a. A. Zekoll/ Rahlf, JZ 1999, 384, 392. 57 Rehbinder in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, § 130 GWB, Rn. 391; Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 1139, Rn. 2974. 58 Der kompensatorische Schadensersatzanteil kann im Einzelnen höher ausfallen, wenn etwa noch weitere, schwer im einzelnen nachweisbare Schäden (ggf. pauschaliert) im Rah men der treble damages ausgeglichen werden sollen, vgl. Zekoll/Rahlf, JZ 1999, 384, 388. 59 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 1080; Schack, ZEuP 2014, 824, 826. 60 Teitz, 10 Roger Williams U. L. Rev. 1, 55 (2004–2005). 61 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 1078. 62 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 1079; Hay/ Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 24.3, S. 1442. 63 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 1080, siehe aber der Vorschlag des American Law Institute (ALI), The Foreign Judgments Recognition and Enforcement Act vom Mai 2005, siehe http://www.ali.org/index.cfm?fuseaction=publi cations.ppage&node_id=82; siehe dazu Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 359–61 (2003– 2004); Teitz, 10 Roger Williams U. L. Rev. 1, 68–70 (2004–2005). 64 159 U.S. 113 (1895). 65 Teitz, 10 Roger Williams U. L. Rev. 1, 56 (2004–2005).
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
listet mehrere Anerkennungsversagungsgründe auf, wie z. B. das Fehlen eines fairen Verfahrens im Erststaat oder die fehlende Zuständigkeit des Erstgerichts, und prägt bis heute das Verständnis US-amerikanischer Gerichte von einer An erkennung ausländischer Entscheidungen. In den einzelnen Bundesstaaten ha ben sich im Wesentlichen drei Referenzen herausgebildet, nach denen US-ame rikanische Gerichte eines Bundesstaates ausländische Entscheidungen aner kennen: Die Gerichte mancher Bundesstaaten verfahren noch nach dem traditionellen Common Law-Ansatz, für den die Entscheidung Hilton v. Guyot die Grundlage bildet. Dort hatte der Supreme Court mit einer Formel eine Rei he von Faktoren genannt, bei deren Vorliegen die Anerkennung einer ausländi schen Entscheidung möglich ist.66 Mehr als die Hälfte der Bundesstaaten sind dem Uniform Foreign Money Judgments Recognition Act (1968)67 beigetreten, der unter bestimmten Voraussetzungen ein ausländisches Urteil einem Urteil aus einem anderen Bundesstaat gleichstellt.68 Die dritte Referenz ist das Restatement (Third) of Foreign Relations Law of the United States.69 Trotz dieser unterschiedlichen Standards für die Anerkennung von ausländischen Urteilen sind die Unterschiede in den einzelnen Bundesstaaten hierzu begrenzt,70 da alle Ansätze letztlich auf der Leitentscheidung des Supreme Court in Hilton v. Guyot aufbauen.71 Im konkreten Fall einer potentiellen Anerkennung ist ein Vollstreckungsgläubiger aber darauf angewiesen, die Rechtslage nach dem Recht des jeweiligen Bundesstaates zu prüfen.72 Der praktisch bedeutsamste Grund für die Versagung der Anerkennung nach US-amerikanischem Recht ist, dass das Erstgericht nicht für die Entscheidung zuständig war. Das Erstgericht muss sowohl die subject matter jurisdiction als auch die personal jurisdiction gehabt haben. Entscheidend ist dabei, nach wel Hilton v. Guyot, 159 U.S. 202–03 (1895): “[…]where there has been opportunity for a full and fair trial abroad before a court of competent jurisdiction, conducting the trial upon regular proceedings, after due citation or voluntary appearance of the defendant, and under a system of jurisprudence likely to secure an impartial administration of justice between the citizens of its own country and those of other countries, and there is nothing to show either prejudice in the court, or in the system of laws under which it was sitting, or fraud in procu ring the judgment, or any other special reason why the comity of this nation should not allow it full effect, the merits of the case should not, in an action brought in this country upon the judgment, be tried afresh […]”. 67 Siehe die im Jahr 2005 revidierte Fassung: Uniform Foreign-Country Money Judgments Recognition Act. 68 § 3 Uniform Foreign Money-Judmgents Recognition Act. 69 §§ 481–482. 70 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 1081. 71 Strong in: Hess, Die Anerkennung im Internationale Zivilprozessrecht – Europäisches Vollstreckungsrecht, S. 58 f. 72 Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 333 (2003–2004). 66
I. Problemfelder
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cher Rechtsordnung dies zu beurteilen ist. Die US-amerikanische Praxis ist in soweit uneinheitlich.73 Nach wohl überwiegender Ansicht kommt es hierbei auf die Standards des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts an,74 was die Prü fung der due process clause mit einschließt.75 Das US-amerikanische Zustän digkeitsrecht fordert hier also dieselben Standards ein, wie etwa das im deut schen Anerkennungsrecht geltende Spiegelbildprinzip gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Hemmnisse können sich dadurch aber insbesondere dann ergeben, wenn das ausländische Zuständigkeitsrecht vom US-amerikanischen Zuständigkeits recht abweicht oder in seiner Reichweite darüber hinausgeht. Praktisch relevant wird dies etwa bei einem deutschen kartelldeliktischen Urteil, bei dem die inter nationale Zuständigkeit aufgrund eines deutschen Tatorts auf § 32 ZPO gestützt wird. Insoweit als § 32 ZPO eine Zuständigkeitsbegründung allein durch die Anknüpfung an einen inländischen (deutschen) Tatort ermöglicht, geht er über das US-amerikanische Zuständigkeitsrecht hinaus und wäre wohl in bestimm ten Konstellationen mit der due process clause unvereinbar.76 Deutsche kartell deliktische Schadensersatzurteile, bei denen die internationale Zuständigkeit auf § 32 ZPO gestützt wird, wären daher in gewissen Konstellationen wohl nicht anerkennungsfähig. Gleiches gilt für Urteile, die bei einem deutschen In landsvermögen auf § 23 ZPO gestützt werden.77 Aufgrund dieser Anerken nungshindernisse bei zentralen Zuständigkeitsvorschriften wird die Urteilsfrei zügigkeit im Bereich des Kartellschadensersatzrechts im transatlantischen Ver hältnis in nicht unerheblicher Weise eingeschränkt.
3. Unterminierung regelungspolitischer Entscheidungen durch exzessives forum shopping Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass bei globalen Kartellen auf grund ihrer ubiquitären Auswirkungen eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten zur Begründung einer auswirkungsbezogenen Gerichtszuständigkeit besteht.78 Dabei werden private Kläger grundsätzlich von anderen Interessen geleitet als 73 Born/Rutledge, International Civil Litigation in United States Courts, S. 1125 ff.; Strong in: Hess, Die Anerkennung im Internationale Zivilprozessrecht – Europäisches Voll streckungsrecht, S. 61. 74 Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 24.42, S. 1511. 75 Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 355 (2003–2004). 76 Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 228; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, Rn. 73. 77 Hay in: FS von Hoffmann, S. 635 f.; Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, § 24.42, S. 1512; Silberman, 26 Hous. J. Int’l L. 327, 355 (2003–2004). 78 Siehe dazu oben S. 214.
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
die das jeweilige Kartellrecht durchsetzenden Wettbewerbsbehörden.79 Sie kla gen dort, wo sie für sich den günstigsten Prozessausgang erhoffen. Eine Berück sichtigung der Interessen anderer Durchsetzungsregime oder anderer hoheitli cher Interessen findet grundsätzlich nicht in gleicher Form statt wie bei der be hördlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts.80 Formen der Kooperation bzw. der Rücksichtnahme, wie sie sich zwischen den nationalen Wettbewerbs behörden herausgebildet haben, fehlen im Bereich der privatrechtlichen Rechts durchsetzung.81 Weltkartelle eröffnen potentiellen Schadensersatzklägern also in besonderem Maße die Möglichkeit des forum shopping82. Im Grundsatz ist forum shopping ein zulässiges Mittel zivilprozessualer Ge staltung.83 Ein exzessives und einseitiges forum shopping zu Gunsten eines präferierten Forums befördert jedoch, gerade in dem durch öffentlich-rechtliche Wertungen unterfütterten System der Durchsetzung des Kartellrechts mit den Mitteln des Privatrechts, die Gefahr, dass die Durchsetzungsregime anderer Kartellrechtsordnungen dadurch geschwächt oder unterlaufen werden.84 Diese Gefahr besteht darin, dass sich die Kläger durch Wahl eines anderen Forums – im vorliegenden Fall vor allem der USA – den bewussten regelungspolitischen Entscheidungen eines anderen Forums entziehen können. Gemeint ist mit rege lungspolitischen Entscheidungen zunächst allgemein die Auffassung der jewei ligen Rechtsordnung darüber, wie wettbewerbswidriges Verhalten mit den Mit teln des Privatrechts bekämpft werden kann.85 Das jeweilige nicht präferierte Durchsetzungsregime wird auf diese Weise geschwächt und seine eigenen rechtspolitischen Entscheidungen in Bezug auf die privatrechtliche Durchset zung des Kartellrechts laufen teilweise ins Leere. Das Phänomen des forum shopping stellt im Zusammenhang mit der privatrechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts vor allem deshalb eine besondere Herausforderung dar, weil pri vatrechtliche Kartellklagen immer auch einen gewissen Zusammenhang mit Regulierungsinteressen der betroffenen Staaten aufweisen. 79 Adkinson in: Competition Laws in Conflict, S. 294; Buxbaum, 26 Yale J. Int’l L. 219, 236–37 (2001); Ryngaert, Jurisdiction over Antitrust Violations in International Law, 13.2., S. 176 f.; Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 449 ff. 80 Buxbaum, 26 Yale J. Int’l L. 219, 236–37 (2001); Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451, 456 f. 81 Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 416. 82 Dazu umfassend Ferrari in: FS Magnus, S. 385 ff. 83 Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 4 44, Rn. 1095 f.; Kropholler, Internatio nales Privatrecht, § 58 VI 2; Mäsch, IPRax 2005, 509, 513; Schack, Internationales Zivilver fahrensrecht, Rn. 252. 84 Adkinson in: Competition Laws in Conflict, S. 310; Zimmer, Konkretisierung des Aus wirkungsprinzips, S. 418 ff. 85 Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 419 f.
I. Problemfelder
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Besonders relevant wird diese Problematik aus deutscher Sicht im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Hier bestand jedenfalls in der Vergangenheit die Tendenz privater Schadensersatzkläger, verstärkt die USA als Forum für priva te Schadensersatzklagen in Anspruch zu nehmen. Die Gründe hierfür sind ab hängig vom Einzelfall und können vielfältig sein. Generell werden die USA aber vor allem deshalb häufig als potentielles Forum in Betracht gezogen, weil sowohl das US-amerikanische Verfahrensrecht wie auch das materielle US-ame rikanische Recht dem Kläger einige vermeintliche Vorteile bieten, die bereits hinreichend benannt wurden.86 Beim materiellen Recht ist hier in erster Linie die Möglichkeit zu nennen, als Folge für einen Kartellverstoß nach § 4 Clayton Act sog. treble damages zu erwirken.87 Auf prozessualer Ebene werden die Möglichkeit zur Vereinbarung von Erfolgshonoraren und die großzügigere Kos tenregelung in Bezug auf die Anwaltskosten bei einem Unterliegen im Prozess genannt. Auch sollen die juries, die bei den US-amerikanischen Gerichten über den Schadensersatzanspruch entscheiden, leichter zu überzeugen sein, hohe Schadensersatzansprüche zuzusprechen, als die im kontinentaleuropäischen Rechtskreis tätigen Berufsrichter vor den Zivilgerichten.88 Diese vermeintli chen Vorteile führten in der Vergangenheit zu der Tendenz, dass private Scha densersatzkläger verstärkt versuchten, ihren Schadensersatzanspruch in den USA einzuklagen. Aufgrund der daraus resultierenden verstärkten Inanspruch nahme von US-amerikanischen Gerichten, vor allem auch durch ausländische Kläger, war deshalb von den US-amerikanischen Gerichten als „Weltkartellge richten“ die Rede.89 Die Kritik an einer liberalen Handhabung der Zuständig keitsvorschriften durch die US-amerikanischen Gerichte konzentrierte sich da bei vor allem auf Fallkonstellationen, in denen die USA als Klageforum in An spruch genommen wurden, obwohl die Streitigkeit selbst keine oder nur wenig Verbindungspunkte zu den USA aufweist. Die Empagran-Entscheidung90 ist hierfür ein gutes Beispiel. Dort hatten ausländische Kläger ausländische Beklagte vor US-amerikanischen Gerichten wegen Schäden durch das sog. Vitaminkartell in Anspruch genommen, die au ßerhalb der USA angefallen waren. Alle maßgeblichen Anknüpfungspunkte waren damit außerhalb der USA belegen.91 Dennoch suchten die Kläger den Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 879 f.; Ryngaert, Jurisdiction over Antitrust Vi olations in International Law, 13.2., S. 175; Silberman, 28 Tex. Int’l L.J. 501, 502 (1993). 87 Schmidt, 31 Yale J. Int’l L. 211, 241 (2006). 88 Schmidt, 31 Yale J. Int’l L. 211, 242 (2006). 89 Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451; ähnlich auch Michaels, 31 DAJV Newsl. 46, 46 (2006). 90 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155 (2004). 91 Körber, ZWeR 2004, 591, 592; Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451, 451 f. 86
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
Weg zur US-amerikanischen Gerichtsbarkeit. In derartigen Konstellationen drohen – wie oben beschrieben – die regelungspolitischen Entscheidungen an derer Durchsetzungsregime unterlaufen zu werden. Genau auf diese Gefahren hatten einige Regierungen, darunter die deutsche Regierung, während des Empagran-Verfahrens in ihren amicus curae-Briefen hingewiesen.92 Der Supreme Court räumte daraufhin ein, dass “[…] to apply our [the United States‘] reme dies would unjustifiably permit their citizens to bypass their own less generous remedial schemes, thereby upsetting a balance of competing considerations that their own domestic antitrust laws embody.”93 Das augenscheinlichste Beispiel hierfür sind die im US-amerikanischen Recht bei Kartellverstößen nach § 4 Clayton Act zu verhängenden treble damages. Diese sind in Europa nicht nur nicht verfügbar. Sie werden vielmehr als Instrument rechtspolitischer Gestal tung bewusst abgelehnt.94 Die regelungspolitische Entscheidung, keine treble damages einzuführen, wird jedoch untergraben, wenn US-amerikanische Ge richte ihre gerichtliche Zuständigkeit für Streitigkeiten annehmen, welche kaum Verbindungspunkte zu den USA, aber dafür umso mehr Berührungspunkte zur deutschen Rechtsordnung aufweisen.
II. Lösungsansätze Ausgehend von den beschriebenen Konfliktlagen bei der privatrechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts gegen globale Kartelle, stellt sich die Frage nach adäquaten Lösungsansätzen für diese Problemlagen. Im Fokus der nach stehenden Untersuchung stehen dabei zivilprozessuale Lösungsansätze. Bilate rale Kooperationslösungen, wie etwa die Zusammenarbeit von Wettbewerbsbe hörden bei der behördlichen Durchsetzung des Kartellrechts, scheiden im Be reich der privaten Durchsetzung des Kartellrechts von vornherein aus. Auch das materielle Kartellrecht steht dabei nicht im Fokus. Zwar würde eine Rechtshar monisierung in Bezug auf das materielle Kartellrecht in einem globalen Kon text zugleich zur Reduzierung der Spannungen bei der zivilprozessualen Durch setzung führen.95 Die Realisierung einer solchen vollständigen Rechtsharmoni F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 167 (2004). F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 167 (2004). 94 Buxbaum, 26 Yale J. Int’l L. 219, 251 (2001); Sebok in: Krakau/ Streng, Konflikt der Rechtskulturen?, S. 164; Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 422 f.; so zu letzt in der Empfehlung der Kommission zu den Gemeinsamen Grundsätzen für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, C(2013) 3539, Rn. 31. 95 Basedow, Weltkartellrecht, S. 49. 92 93
II. Lösungsansätze
211
sierung im Bereich des Kartellrechts – soweit sie überhaupt gewünscht ist – ist aber jedenfalls in naher Zukunft nicht zu erwarten.96 Die globale Verbreitung des private enforcement ist dagegen eine Realität. Vorzugswürdig sind grundsätzlich übergeordnete Lösungsansatze, bei denen die Koordinierungsfrage in Bezug auf private Kartellklagen jenseits des natio nalen Zivilprozessrechts geregelt werden kann. Untersucht werden dabei die Heranziehung von Grundsätzen des Völkerrechts, ein internationales Abkom men zur Abstimmung der internationalen Zuständigkeit und die Ansiedlung privater Kartellschadensersatzklagen bei einem internationalen Gericht. Es wird sich zeigen, dass keine dieser übergeordneten Lösungsansätze zum derzei tigen Stand erfolgsversprechend ist. Deshalb wird im Anschluss daran die Frage untersucht, inwieweit auf Grundlage der aktuellen Rechtslage unter Heranzie hung des nationalen Zivilprozessrechts eine Koordinierung der internationalen Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Weltkartelle erfolgen kann.
1. Supranationale Lösungsansätze Die Herausforderungen in Bezug auf die Zuständigkeitsverteilung bei privaten Kartellklagen sind ebenso wie die Märkte, auf denen diese Kartelle gebildet werden, global. Die Möglichkeiten, welche die nationalstaatlichen Lösungsan sätze zur Bekämpfung solcher Kartelle bieten, sind grundsätzlich begrenzt.97 Globale Kartelle erstrecken sich nicht nur über Ländergrenzen hinweg, sie sind aufgrund ihrer Marktbezogenheit vielmehr entstaatlicht und gar nicht an die Grenzen staatlicher Hoheitsgebiete gebunden.98 Es liegt daher nahe, zunächst zu versuchen, diesen globalen Herausforderungen bei der privaten Kartell rechtsdurchsetzung durch übergeordnete, supranationale Lösungsansätze zu begegnen. a) Völkergewohnheitsrecht Einen Ansatzpunkt für einen solchen supranationalen Lösungsansatz stellt das Völkergewohnheitsrecht dar. Aus dem Völkergewohnheitsrecht können sich Grenzen für die Jurisdiktionsausübung von Zivilgerichten ergeben. Anlass zu der Annahme, dass das Völkerrecht Vorgaben für eine Zuständigkeitskoordi nierung macht, gibt zunächst die Empagran-Entscheidung des US Supreme 96 Heimann, Doppelte Buße bei Kartellvergehen?, S. 74; von Meibom/Geiger, EuZW 2002, 261, 264; Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451, 455; Schmidt, 31 Yale J. Int’l L. 211, 263 (2006). 97 Wurmnest, 28 Hastings Int’l & Comp L. Rev. 205, 227 (2004–2005). 98 Michaels, 31 DAJV Newsl. 46, 50 (2006).
212
E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
Court. Hier hatte der Supreme Court den Belangen und Interessen anderer Staa ten nach eigener Angabe große Beachtung geschenkt.99 Meessen hat dies zum Anlass genommen, die Empagran-Entscheidung als völkergewohnheitsrechtli ches Jurisdiktionsprinzip anzuerkennen.100 Der Entscheidung des Supreme Court in der Rechtssache Empagran und den in den amicus curae-Briefen ge äußerten Rechtsauffassungen von sechs Regierungen lässt sich nach seiner Auf fassung eine völkergewohnheitsrechtliche Regel entnehmen. Danach ist allein die Tatsache, dass in dem betreffenden Gerichtsstaat auch die Preise für die kartellierten Produkte erhöht wurden, um damit das Kartell erst effektiv zu bilden und Arbitrageeffekte zu verhindern, nicht ausreichend, um das inländi sche Kartellschadensersatzrecht auf einen solchen Fall zu erstrecken.101 Demgegenüber bezweifeln andere Stimmen, ob sich zum derzeitigen Stand dem Völkerrecht unmittelbare Grenzen für eine nationalstaatliche Jurisdikti onsausübung entnehmen lassen.102 Freilich kann nicht erwartet werden, dass dem Völkergewohnheitsrecht in ähnlich detailliertem Umfang konkrete Rege lungen zur Rechtsanwendung in einem Einzelfall wie etwa einem Parlaments gesetz oder einer entwickelten nationalen Rechtsprechung entnommen werden können.103 Aus dem völkerrechtlichen Interventionsverbot aber zum derzeitigen Stand bereits konkrete Kriterien zur Abgrenzung nationaler Gerichtszuständig keiten zu entwickeln, erscheint zu vage. Hinzu kommt, dass die nationalen Ge richte zum derzeitigen Stand weniger das Völkerrecht für eine etwaige Abgren zung der internationalen Zuständigkeit heranziehen, als vielmehr die internati onale Zuständigkeit anhand der eigenen nationalen Zuständigkeitsregelungen abgrenzen. Dies war auch die Vorgehensweise des Supreme Court in der Rechtssache Empagran.104 Durch das Ausbleiben einer Bezugnahme auf Re geln des Völkerrechts durch die nationalen Gerichte können sich daher kaum klare Kriterien des Völkergewohnheitsrechts herausbilden, anhand derer eine einheitliche Zuständigkeitsabgrenzung erfolgen könnte. 99 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 164 (2004): “First, this Court ordinarily construes ambiguous statutes to avoid unreasonable interference with the sover eign authority of other nations. This rule of construction reflects principles of customary in ternational law – law that (we must assume) Congress ordinarily seeks to follow.”; kritisch dazu Michaels in: Sloss/Ramsey/Dodge, International Law in the U.S. Supreme Court, Con tinuity and Change, S. 533 ff. 100 Meessen, WuW 2005, 1115, 1118–1122. 101 Meessen, WuW 2005, 1115, 1118 f. 102 Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 236; Reimann in: FS Stürner, S. 1782 f. in Bezug auf US-amerikanische Gerichte. 103 Meessen, WuW 2005, 1115, 1118. 104 So die Ausführungen von Professor Tomuschat anlässlich einer Podiumsdiskussion am 24.Juni 2013, Costas-Pörksen, 38 DAJV Newsl. 150, 151 (2013).
II. Lösungsansätze
213
Im Fokus der vorliegenden Untersuchung steht die Durchsetzung des Kartell rechts mit den Mitteln des Privatrechts. Anknüpfungspunkt für etwaige völker rechtliche Vorgaben muss also nicht etwa die extraterritoriale Anwendung des eigenen Kartellrechts auf einen Auslandssachverhalt durch einen Staat bzw. seine Wettbewerbsbehörden sein, sondern die Ausübung der Jurisdiktionsge walt durch die jeweiligen Zivilgerichte. Private Kläger werden aber nicht unmit telbar durch das Völkerrecht gebunden.105 Adressaten einer völkerrechtlichen Bindung im Zusammenhang mit dem private enforcement können allenfalls die mit der Streitigkeit befassten Zivilgerichte sein. Soweit man diesbezüglich über haupt eine völkerrechtliche Beschränkung annehmen will, wird hier als völker rechtlich ausreichender Minimalbezug zu einem Staat in der Regel aber bereits eine gewisse territoriale Verbindung (genuine link) angesehen.106 Diese Min destanforderung eines genuine link kann auf das internationale Zivilprozess recht übertragen werden.107 Damit kann das Völkerrecht aber allenfalls eine Jurisdiktionsausübung in extremen Ausnahmefällen untersagen, in denen es an einer solchen territorialen Verbindung gänzlich fehlt.108 Es kann damit ledig lich ein „[…] nicht zu unterschreitendes ‚Minimum‘ an zwischenstaatlicher Ordnung gewährleiste[n].“109 Vorgaben, aus denen sich Erkenntnisse für eine Koordinierung gerichtlicher Zuständigkeiten im globalen Kontext im Sinne ei nes Optimums110 der Abgrenzung gerichtlicher Zuständigkeiten ergeben könn ten, sind ihm jedoch zum derzeitigen Stand nicht zu entnehmen. b) Weltweites Haager Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen Ein geeignetes Instrument zur Koordinierung internationaler Gerichtszustän digkeiten für private Schadensersatzprozesse im Zusammenhang mit einem globalen Kartell wäre ein internationales Abkommen, welches den Bereich des Kartelldeliktsrechts sachlich umfasst und das die für die private Kartellrechts durchsetzung wichtigsten Jurisdiktionen bindet. Ein solches allgemeines Ab kommen zur Vereinheitlichung der internationalen Gerichtszuständigkeit für Zivil- und Handelssachen wird von der Haager Konferenz für Internationales
Siehe aber Halfmeier in: FS Magnus, S. 448, der eine „[…] neue völkerrechtliche Di mension der Bedeutung individueller Rechte […]“ sieht. 106 Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, S. 222 f. 107 Schütze, RIW 2009, 497, 499. 108 Neuhaus, RabelsZ 20 (1955) 201, 214; Schwartz, Deutsches Internationales Kartell recht, S. 250. 109 Meessen, ZHR 1979, 273, 275. 110 Meessen, ZHR 1979, 273, 275. 105
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
Privatrecht seit langem angestrebt.111 Nachdem ein früheres Abkommen zur Anerkennung und Vollstreckung von Zivil- und Handelssachen aus dem Jahr 1971 mangels internationaler Akzeptanz weitestgehend erfolglos geblieben war112 , wurden seit Juni 1993 erneut Anstrengungen für ein solches Abkommen unternommen, die zu einem Entwurf vom Juni 2001 geführt haben.113 Dieser umfasste sowohl Regelungen zur Vereinheitlichung der internationalen Zustän digkeit in Zivil- und Handelssachen, als auch Regelungen zur Anerkennung und Vollstreckung von Zivilurteilen. Die konkreten Verhandlungen zu diesem Ab kommen erwiesen sich jedoch vor allem im transatlantischen Verhältnis als zu nehmend schwierig114 und müssen aus heutiger Sicht als (vorerst) gescheitert angesehen werden.115 Stattdessen wurde das Projekt eines umfassenden Ab kommens für den Bereich des Zivil- und Handelsrechts in ein Abkommen für den Bereich der Gerichtsstandsvereinbarungen überführt, welches in naher Zu kunft in Kraft treten wird.116 Dieses schließt jedoch Kartellsachen und damit auch kartellprivatrechtliche Schadensersatzansprüche117 in Art. 2 Abs. 2 lit. h) generell von seinem Anwendungsbereich aus. 111 Baumgartner, The Proposed Hague Convention on Jurisdiction and Foreign Judg ments, S. 1, Fn. 6; Magnus in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Introduction, Rn. 15; Schack, ZEuP 2014, 824, 825 ff. 112 Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters, February 1, 1971, abrufbar unter: http://www.hcch.net/index_de. php?act=conventions.text&cid=78. Das Abkommen wurde von Albanien, Kuwait, den Nie derlanden, Portugal und Zypern ratifiziert. 113 Der letzte Entwurf ist derjenige der Konferenz vom 6.–20. Juni 2001, siehe Summary of the Outcome of the Discussion in Commission II of the First Part of the Diplomatic Con ference 6–20 June 2001, abrufbar unter: http://www.hcch.net/upload/wop/jdgmpd11.pdf. 114 Baumgartner, The Proposed Hague Convention on Jurisdiction and Foreign Judg ments, S. 4 f.; Hess, IPRax 2000, 342; Michaels, 27 Mich. J. Int’l L. 1003, 1008-11 (2005– 2006). 115 Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, S. 72 f.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1, 35; in einem Brief vom 22.2.2000 unterrichtete der Assistant Legal Adviser for Private International Law des US State Department den Präsidenten der Haager Konferenz da rüber, dass der Entwurf zum damaligen Zeitpunkt seitens der USA nicht zustimmungsfähig war. 116 Convention of 30 June 2005 on Choice of Court Agreements of the Hague Conference on Private International Law (Haager Gerichtsstandsübereinkommen), abrufbar unter: http:// www.hcch.net/index_en.php?act=conventions.listing. Nach Art. 31 Abs. 1 tritt das Abkom men erst in Kraft, sobald es zwei Vertragsstaaten gibt. Das Abkommen wurde mittlerweile von Mexiko und der Europäischen Union ratifiziert und tritt am 1. Oktober 2015 in Kraft. Die USA haben das Abkommen bereits gezeichnet; zum Abkommen: Beaumont, 5 J. Priv. Int. L. 125 (2009). 117 Hartley/Dogauchi, Erläuternder Bericht zum Übereinkommen vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen, S. 56.
II. Lösungsansätze
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Im April 2012 hat die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, auch auf die Initiative des Europäischen Parlaments hin118, beschlossen, das ur sprünglich geplante Projekt eines umfassenden Abkommens für Zivil- und Handelssachen wieder aufzugreifen,119 dieses Mal jedoch wohl zunächst in der Form eines reinen Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommens.120 Die ses kann und soll gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt durch Regelun gen betreffend die internationale Zuständigkeit erweitert werden.121 Die Zei chen für ein weltweites Abkommen, welches auch die gerichtliche Zuständig keit auf einer globalen Ebene vereinheitlicht, stehen also derzeit eher schlecht. Zwar lassen sich im US-amerikanischen Zuständigkeitsrecht punktuelle Annä herungen an das kontinentaleuropäische Zuständigkeitssystem erkennen.122 Ob dies allein den Durchbruch bei einer Wiederaufnahme des Projekts bringen wird, muss abgewartet werden. Nachdem das ursprünglich anvisierte Projekt eines solchen Abkommens gescheitert ist und „nur“ ein Abkommen für den Bereich der Gerichtsstandsvereinbarungen erzielt werden konnte, ist mit einer beschleunigten Aufnahme bzw. einer baldigen Kompromissfindung in naher Zukunft jedenfalls noch nicht zu rechnen. Die bisherigen Verhandlungen über ein umfassendes Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen haben außerdem gezeigt, dass insbesondere der Bereich des internationalen Kartelldeliktsrechts eines der Probleme bei der Ver einheitlichung der Zuständigkeitsvorschriften darstellt. Im Entwurf von 1999123 wäre das Kartelldeliktsrecht zwar grundsätzlich noch umfasst gewesen. Jeden falls in Bezug auf das US-amerikanische Zuständigkeitsrecht hätte dieser Ent wurf aber im Bereich des Kartelldeliktsrechts keine durchschlagende Wirkung 118 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. September 2010 zu der Untersu chung und Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (2009(2140(INI)), Rn. 15. 119 Beaumont, Nederlands Internationaal Privaatrecht 2014, 532, 535; Brand in: A Com mitment to Private International Law, S. 90; Schack, ZEuP 2014, 824, 825; M. Weller in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Band II, Einf HProrogÜbk 2005, Rn. 3. 120 Beaumont, Nederlands Internationaal Privaatrecht 2014, 532, 536; Mansel/Thorn/ Wagner, IPRax 2013, 1, 35 f.; siehe dazu den Report of the Fourth Meeting of the Working Group on the Judgments Project (3–6 February 2015) and preliminary Draft Text Resulting from the Meeting, abrufbar unter: http://www.hcch.net/upload/wop/gap2015pd07b_en.pdf. 121 Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1, 35. 122 Dazu zählt insbesondere die methodische Neuausrichtung der general personal jurisdiction, siehe dazu oben S. 173 ff. 123 Preliminary Draft Convention on Jurisdiction and Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters, Prel. Doc. No 11, abrufbar unter: http://www.hcch.net/upload/wop/ jdgmpd11.pdf.
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
erzielt.124 Denn das Abkommen schloss bei den sog. „weißen“, durch das Ab kommen vollumfänglich anerkannten Zuständigkeitsgründen125 insbesondere für Kartelldelikte den Erfolgsortgerichtsstand explizit aus126 und eliminierte damit den für diese Fälle wohl praktisch bedeutsamsten Zuständigkeitsgrund. Die Folge wäre gewesen, dass die Vertragsstaaten in weitem Umfang auf ihre nationalen Zuständigkeitsgründe verwiesen worden wären, was dazu geführt hätte, dass einerseits die internationale Zuständigkeit dadurch gerade nicht ver einheitlicht worden und andererseits die darauf basierenden Urteile auch nicht anerkennungsfähig gewesen wären. Die Erhöhung der Anerkennungsfähigkeit von US-amerikanischen Urteilen war aber eines der zentralen Motive der USA in den Verhandlungen zu dem Abkommen.127 Da die USA nach dem status quo aufgrund ihrer großen wirtschaftlichen Stärke einen erheblichen relativen Grö ßenvorteil haben,128 war die Motivation zum Abschluss eines Abkommens je denfalls in Bezug auf das Kartelldeliktsrecht dadurch begrenzt.129 Im Entwurf des Abkommens vom Juni 2001 wurde schließlich das Kartellde liktsrecht komplett vom Anwendungsbereich des Abkommens gestrichen.130 Damit wird deutlich, dass selbst die Wiederaufnahme der Verhandlungen für ein umfassendes Abkommen in Zivil- und Handelssachen einer Vereinheitli chung der Zuständigkeitsvorschriften jedenfalls für das Kartelldeliktsrecht wohl nicht zum Durchbruch verhelfen würde. Eine Lösung für die Koordinie rung der internationalen Gerichtszuständigkeit im Bereich von Kartellscha densersatzverfahren kann daher zum derzeitigen Stand noch nicht auf einem möglichen Haager Abkommen aufbauen. Die Realisierung eines solchen Ab kommens ist ungewiss. Selbst wenn es realisiert wird, wäre es zum derzeitigen Stand unwahrscheinlich, dass ein solches Abkommen Kartellschadensersatz verfahren sachlich umfasst.131 Dodge, 32 Law & Pol’y Int’l Bus. 363, 380 (2000–2001). Entwurf des Abkommens sah drei Kategorien von Zuständigkeitsgründen vor: eine weiße Liste mit eigenen Zuständigkeitsgründen des Abkommens, deren Gebrauch zu einer Anerkennung und Vollstreckung im Rahmen des Abkommens führen kann (Art. 3-16), eine schwarze Liste mit Zuständigkeitsgründen, die anzuwenden den Vertragsstaaten gene rell untersagt ist (Art. 18), und eine graue Liste mit (nationalen) Zuständigkeitsgründen, wel che die Vertragsstaaten zwar verwenden können, deren Gebrauch aber dazu führt, dass das darauf aufbauende Urteil nicht anerkannt werden kann (Art. 17). 126 Art. 10 Abs. 2. 127 Hess, IPRax 2000, 342, 343. 128 Dodge, 32 Law & Pol’y Int’l Bus. 363, 388 (2000–2001). 129 Dodge, 32 Law & Pol’y Int’l Bus. 363, 388-89 (2000–2001); allgemein zu dieser Pro blematik: Gal, 33 Fordham Int’l L.J. 1, 46 (2009–2010). 130 Art. 1 Abs. 2 lit. i). 131 Für eine Ausnahme von Kartellrecht vom Anwendungsbereich eines potentiellen Ab kommens plädiert etwa Schack, ZEuP 2014, 824, 832. 124
125 Der
II. Lösungsansätze
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c) Schaffung eines internationalen Kartellgerichtshofs Ein weiterer Vorschlag, der seit langem132 für das internationale Kartellrecht diskutiert wird, ist die Schaffung eines internationalen Kartellgerichtshofs.133 Die Einführung eines Weltkartellgerichts ist eine Idee, die bislang hauptsäch lich im Rahmen der behördlichen Durchsetzung des Kartellrechts auftaucht. Während sie dort trotz bestehender Zweifel an einer zeitnahen Realisierung grundsätzlich sinnvoll erscheint, weckt die Übertragung dieser Idee auf die pri vatrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts Bedenken. Kartellschadenser satzprozesse sind zum derzeitigen Stand Verfahren, die zu einem signifikanten Anteil auf der Grundlage von nationalem Recht entschieden werden. Oft steht bei einem Kartellschadensersatzprozess, wenn er als sog. follow on-Verfahren geführt wird, der Kartellverstoß bereits fest und Fragen der Kausalität und der Schadenshöhe stehen im Vordergrund des Prozesses, die vollumfänglich dem nationalen Recht unterstellt sind.134 Die gerichtliche Zuständigkeit eines solchen Weltkartellgerichts könnte nach Ansicht mancher Vertreter nach dem Vorbild des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgestaltet werden.135 Der Weltkar tellgerichtshof soll durch Vorabentscheidungsverfahren, welche die nationalen Gerichte bei ihrer Rechtsanwendung an den Weltkartellgerichtshof richten, eine einheitliche Durchsetzung des Kartellrechts in einem globalen Kontext sicher stellen. Damit verbunden ist die Hoffnung auf eine bessere Realisierbarkeit, da dann die streitigen Verfahren auf der Ebene der nationalen Gerichte verbleiben würden und trotzdem eine einheitliche Anwendung des Kartellrechts sicherge stellt wäre. Die Einführung eines Mechanismus über ein Vorabentscheidungs verfahren erscheint aber gerade für die privatrechtliche Durchsetzung des Kar tellrechts problematisch, da sich hier viele der prozessrelevanten Fragen auf die Auslegung und Anwendung von nationalem Recht beziehen werden. Denkbar wäre im Zusammenhang mit der privatrechtlichen Durchsetzung des Kartell rechts allenfalls, ein Weltkartellgericht zu schaffen, welches nach eigenen, ori ginären und somit vereinheitlichten Zuständigkeitsregelungen tätig wird und vor dem sämtliche privaten Kartellschadensersatzprozesse geführt werden kön nen. Diesem Gericht müsste aber die Befugnis eingeräumt werden, nach dem 132 Soweit ersichtlich stammt der erste Vorschlag hierzu von Macassey, 31 Transactions of the Grotius Society – Problems of Public and Private International Law, Transactions of the Year 1945, 232, 244 (1945). 133 Meessen, 78 The American Journal of International Law 783, 809 (1984); von Meibom/Geiger, 9 E.C.L.R. 445, 448 (2002); von Meibom/Geiger, EuZW 2002, 261, 262; Zwarensteyn, Some aspects of the extraterritorial reach of the American antitrust laws, S. 89 ff. 134 Weyer in: Frankfurter Kommentar Kartellrecht, EG Art. 81, Rn. 195. 135 von Meibom/Geiger, 9 E.C.L.R. 445, 448 (2002); Meessen, 78 The American Journal of International Law 783, 809 (1984).
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
jeweils anwendbaren nationalen Recht über die Streitigkeit zu entscheiden, was zum derzeitigen Stand kaum realisierbar wäre.
2. Einzelstaatliche Lösungsansätze Die Möglichkeiten einer Koordinierung der internationalen Gerichtszuständig keit für Kartellschadensersatzverfahren auf supranationaler Ebene sind be grenzt. Nachstehend wird daher untersucht, inwiefern eine Verfahrenskoordi nierung durch die nationalen Gerichte unter Heranziehung des jeweiligen nati onalen Zivilprozessrechts erreicht werden kann. Aufgrund ihrer Vorreiterrolle beim private enforcement und ihrer Attraktivität als mögliches Forum für aus ländische Kläger mussten sich US-amerikanische Gerichte bereits mehrfach mit den Grenzen ihrer eigenen Jurisdiktionsgewalt bei Kartellschadensersatzver fahren befassen, vor allem in Fallkonstellationen in denen keine oder nur sehr wenige Bezugspunkte zu den USA bestanden. Überlegungen, ob das jeweils mit der Sache befasste Gericht geeignet und in der Lage ist, über einen bestimmten Sachverhalt zu entscheiden, sind traditionell Teil des US-amerikanischen Zu ständigkeitsrechts. Sie spielen im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung zur internationalen Zuständigkeit eine größere Rolle als in kontinentaleuropäisch geprägten Rechtsordnungen, wo viele dieser Wertungen als durch den Gesetz geber vorgegeben angesehen werden. Besonders deutlich wird dieses Rechts verständnis bei der forum non conveniens-Lehre, die ein fester Bestandteil des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts ist. Prominente Gerichtsentscheidun gen wie Hartford Fire136 oder Empagran137 belegen, dass US-Gerichte sich ge rade im Zusammenhang mit Fällen im Kartelldeliktsrecht bereits seit einiger Zeit mit Fragen der Koordinierung der internationalen Gerichtszuständigkeit in einem globalen Kontext befassen. Insofern werden an dieser Stelle vor allem die Erfahrungen des US-amerikanischen Rechts in den Blick genommen. a) US-amerikanische Gerichte als „Weltgerichte“ Bisweilen wird vorgeschlagen, die Lücke, welche durch das Fehlen eines globa len Rechtsrahmens zur zivilprozessualen Regulierung weltumspannender Sach verhalte entsteht, durch ein Tätigwerden von nationalen Gerichten auszufül len.138 Aus der Sicht von Michaels etwa wird „[…] solange nicht internationale Hartford Fire Insurance Co. v. California, 509 U.S. 764 (1993). F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155 (2004). 138 Halfmeier in: FS Magnus, S. 4 44; Michaels in: Muller/Zouridis/Frishman/Kistenma ker, The Law of the Future and the Future of Law, S. 165 ff.; Whytock, 84 Tul. L. Rev. 67 (2009). 136 137
II. Lösungsansätze
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Gerichte existieren, die Weltereignisse umfassend, kostengünstig und für die Opfer zufriedenstellend juristisch bewältigen können, […] die Funktion von Weltgerichten durch nationale Gerichte ausgeübt werden.“139 Obwohl auch an dere Jurisdiktionen in diesem Zusammenhang genannt werden, wie etwa die Niederlande140 oder Israel141, stehen die Zivilgerichte der Vereinigten Staaten bei dieser Diskussion klar im Vordergrund. Im Zusammenhang mit der extra territorialen Rechtsanwendung und der vermeintlich exorbitanten Zuständig keitsausübung von US-amerikanischen Gerichten fiel hier in der Vergangenheit häufig das Schlagwort von US-amerikanischen Gerichten als „Weltgerichten“142 oder von einer US-amerikanischen Rechtshegemonie.143 US-amerikanische Ge richte sollen danach eine doppelfunktionale Rolle einnehmen: Neben ihrer Ei genschaft als nationale Gerichte komme ihnen die Rolle von Weltgerichten zu, die über globalrelevante und transnationale Sachverhalte urteilen. Als Welter eignisse werden dabei Ereignisse angesehen, die sich komplett von den territo rialen Bezügen entkoppelt haben und für die nationale Grenzen keine Rolle spielen, wie beispielsweise weltumspannende Kartelle.144 In Bezug auf US-amerikanische Gerichte steht der Vorschlag, nationalen Ge richten die Befugnis von Weltgerichten zu verleihen, indes im Kontrast zur jün geren Praxis in der Rechtsprechung der US-amerikanischen Gerichte. Diese handhaben ihre internationale Zuständigkeit in Fällen mit einer nur sehr schwa chen Verbindung zu den Vereinigten Staaten zunehmend restriktiv.145 Im Rah men der Morrison-Entscheidung146 begrenzte etwa der Supreme Court un längst die internationale Zuständigkeit von US-amerikanischen Gerichten für Fälle von Kapitalmarktinformationshaftung. Die Kläger, Inhaber von Aktien der beklagten australischen Bank, hatten versucht, ihre Ansprüche vor US-ame rikanischen Gerichten unter Anwendung des Securities and Exchange Act we gen fehlerhafter Wertpapierinformationen durch die australische Beklagte gel tend zu machen. Der Supreme Court beschränkte die internationale Gerichtszu ständigkeit für derartige Klagen daraufhin auf solche Wertpapiertransaktionen, Michaels, 31 DAJV Newsl. 46, 52 (2006). Halfmeier in: FS Magnus, S. 446. 141 Siehr in: FS Magnus, S. 517 f.; Einhorn, Private International Law in Israel, Rn. 859. 142 Halfmeier, RabelsZ 68 (2004) 653, 654–55; Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451, 451; Schütze, Die Allzuständigkeit amerikanischer Gerichte, S. 5 f.; Waller, 14 Loy. Consumer L. Rev. 523, 523 (2001–2002); in diese Richtung auch First, 68 Antitrust L J. 711 (2000–2001). 143 Halfmeier in: FS Magnus, S. 434; Krätzschmar in: FS Hay, S. 242. 144 Michaels, 31 DAJV Newsl. 46, 50 (2006). 145 Baker, Md. J. Int’l L. 42, 46–47 (2013); Halfmeier in: FS Magnus, S. 434–439; Metz, IPRax 2014, 365; Reimann in: FS Stürner, S. 1779 ff.; Stürner, JZ 2014, 13, 16, 19; Waller, 14 Loy. Consumer L. Rev. 523, 531–34 (2001–2002). 146 Morrison v. National Australia Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869 (2010). 139
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
die entweder in den USA gelistete Wertpapiere betreffen oder bei denen die maßgebliche Wertpapiertransaktion in den USA stattfindet,147 und zog damit der Zuständigkeit von US-amerikanischen Gerichten für solche sog. foreign cubed cases Grenzen. Eine andere aktuelle Parallelentwicklung vollzieht sich der zeit bei internationalen Menschenrechtsklagen nach dem Alien Tort Statute. Hier hat der Supreme Court in seinem Kiobel-Urteil148 die internationale Ge richtszuständigkeit von US-amerikanischen Gerichten für eine Klage von aus ländischen Klägern gegen mehrere Unternehmen mit Sitz außerhalb der USA abgelehnt. Den Beklagten wurde vorgeworfen, sich an Menschenrechtsverlet zungen in Nigeria beteiligt zu haben. Damit hat der Supreme Court einer länge ren Praxis, bei der US-amerikanische Gerichte in Menschenrechtsverletzungen zum Teil weit ausladende internationale Zuständigkeiten angenommen hat ten,149 vorerst einen Riegel vorgeschoben.150 Auch für das internationale Pro dukthaftungsrecht, das traditionell einer der Bereiche war, in denen US-ameri kanische Gerichte mit ihrer Zuständigkeitshandhabung für Aufsehen sorgten, hat der Supreme Court die internationale Gerichtszuständigkeit beschränkt. In der McIntyre-Entscheidung151 lehnte der Supreme Court die internationale Zu ständigkeit in einem Fall, in dem eine in England vermeintlich fehlerhaft herge stellte Produktionsmaschine einen Arbeiter in New Jersey in seiner körperli chen Unversehrtheit verletzte, ab. Die Begründung dafür war, dass die Maschi ne nicht direkt aus England nach New Jersey eingeführt worden sei, sondern lediglich indirekt über eine US-amerikanische Vertriebsgesellschaft nach New Jersey gelangte. Die bisherige Praxis im Kartelldeliktsrecht fügt sich in diese aktuelle Ten denz ein. Danach sehen sich US-amerikanische Gerichte zum derzeitigen Stand nicht in der Rolle von Weltkartellgerichten, die privaten Klägern auch dann zu ihrem Recht auf Kartellschadensersatz verhelfen, wenn kaum oder gar keine Verbindungspunkte zu den Vereinigten Staaten vorliegen. Sowohl der Supreme Court, als auch der District of Columbia Circuit des Court of Appeals haben hier mit ihren Urteilen in der Rechtssache Empagran der Jurisdiktionsgewalt von US-amerikanischen Gerichten für Kartellschadensersatzklagen gegen glo bale Kartelle Grenzen gezogen.152 Danach reicht es nicht aus, dass der Kläger 147 Morrison v. National Australia Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869, 2888 (2010): “[…] only in connection with the purchase or sale of a security listed on an American stock exchange, and the purchase or sale of any other security in the United Stats.” 148 Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S. Ct. 1659 (2013). 149 Siehe dazu bei Sandrock, RIW 2013, 497, 504 ff. 150 Reynolds/Zimmer, RIW 2013, 509, 514. 151 J. McIntyre Machinery, Ltd. v. Nicastro, 131 S. Ct. 2780 (2011). 152 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155 (2004); Empagran S.A. v. F.Hoffmann-LaRoche, Ltd., 417 F.3d 1267 (D.C. Cir. 2005).
II. Lösungsansätze
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sich zur Kompensation eines im Ausland eingetretenen Schadens darauf beruft, dass in den Vereinigten Staaten durch eben jenes Kartell ebenfalls schädigende Auswirkungen im Sinne der effects doctrine verursacht worden sind. Vielmehr ist danach die Jurisdiktionsgewalt US-amerikanischer Gerichte auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen ein solcher Schaden gerade durch die in den USA hervorgerufenen negativen Auswirkungen selbst entstanden ist. Dies schließt die Geltendmachung „ausländischer“ Schäden vor US-amerikanischen Gerich ten ohne weitere Bezüge zum US-amerikanischen Forum (independent foreign harm) in den meisten Fällen aus.153 Die bisherige Praxis der US-amerikanischen Gerichte zeigt also bei Fällen mit einer sehr schwachen oder nicht vorhandenen Verbindung zu den Vereinig ten Staaten eher in die gegenteilige Richtung. Zum derzeitigen Stand sind US-amerikanische Gerichte ersichtlich nicht bereit und regelmäßig wohl auch nicht in der Lage,154 die Funktion von Weltgerichten zu übernehmen.155 Diese Haltung entspricht auch dem Willen des US-amerikanischen Gesetzgebers, der den Anwendungsbereich des Sherman Act nicht auf Aktivitäten ausdehnen wollte, die sehr wenig oder gar keine Berührungspunkte zu den USA aufwei sen.156 In der Vorinstanz der Morrison-Entscheidung brachte es der Second Circuit des Court of Appeals auf den Punkt: “[…] [W]e are an American court, not the world’s court, and we cannot and should not expend our resources resolving cases that do not affect Americans or involve fraud emanating from Ameri ca.”157 US-amerikanische Gerichte sind also zum derzeitigen Stand keine Welt gerichte. Sie handhaben ihre internationale Zuständigkeit in Fällen mit starkem Auslandsbezug zunehmend restriktiver.158 Dieser Befund deckt sich mit Stim men in der Literatur, die eine Beschränkung der internationalen Jurisdiktions gewalt US-amerikanischer Gerichte nach wie vor für unabdingbar159 halten und sich gegen die Rolle von US-amerikanischen Gerichten als Weltgerichte aus sprechen.160 153
Siehe dazu oben S. 152. Choi/Silberman, 2009 Wis. L. Rev. 465, 502 (2009). 155 Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 242. 156 Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law, Vol. IB, § 273(a), S. 327; Casey, 55 Am. U. L. Rev. 585, 602-03 (2005); Fernandes, 20 Conn. J. Int’l L. 267, 296 und 300 (2004–2005); so tenden ziell auch Davis, 38 U.S.F. L. Rev. 431, 447 (2003–2004). 157 Morrison v. National Australia Bank, 547 F.3d 167, 175 (2d Cir. 2008). 158 Halfmeier in: FS Magnus, S. 433 ff. 159 Stürner, JZ 2014, 13, 19. 160 Choi/Silberman, 2009 Wis. L. Rev. 465, 502 (2009): “[…] the United States simply lacks the ability to extend its jurisdiction across the world.”; Wyant, 7 Rich. J. Global L. & Bus. 15, 43 (2008): “The U.S. courts are not ‘world courts’ and should not act in that capaci ty.” 154
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
Ein spezifisch kartelldeliktischer Grund für die Zurückhaltung US-amerika nischer Gerichte bei der Ausdehnung ihrer Gerichtszuständigkeit auf globale Sachverhalte mit kaum oder wenig Verbindungspunkten zu den USA, sind die Grenzen der extraterritorialen Anwendung von US-amerikanischem Wettbe werbsrecht. Aus Sicht des US-amerikanischen Rechts wird die Anwendbarkeit von US-amerikanischem Wettbewerbsrecht einseitig bestimmt, d. h. US-ameri kanische Gerichte fragen nicht etwa danach, welches Wettbewerbsrecht auf ei nen bestimmten Sachverhalt Anwendung findet, sondern ob US-amerikanisches Wettbewerbsrecht noch auf einen bestimmten Sachverhalt angewandt werden kann.161 Die Anwendung ausländischen Kartellrechts durch US-amerikanische Zivilgerichte ist unter gewissen Voraussetzungen zwar denkbar: Sofern etwa das US-amerikanische Gericht die original jurisdiction über eine Streitigkeit hat und es eine andere Streitigkeit gibt, die damit in engem Zusammenhang steht, kann es darüber die supplemental jurisdiction annehmen.162 Diesbezüg lich können US-amerikanische Gerichte dann ausländisches Kartellrecht an wenden.163 Eine Anwendung von ausländischem Kartellrecht durch US-ameri kanische Gerichte über diese besondere Fallkonstellation hinaus findet bislang praktisch aber nicht statt.164 Diese Praxis befolgen aber nicht nur die US-ame rikanischen Gerichte.165 Auch das deutsche Wettbewerbsrecht kennt im Ver hältnis zu Drittstaaten166 mit § 130 Abs. 2 GWB ausschließlich eine einseitige Kollisionsnorm. Fälle, in denen deutsche Zivilgerichte ausländisches Kartell recht angewandt haben, gibt es – soweit ersichtlich – bislang nicht.167 Die ein zige Ausnahme bildet insofern das Schweizer Recht, das mit Art. 137 IPRG168 eine allseitige Kollisionsnorm vorsieht. Dodge, 18 Duke J. Comp. & Int’l L. 371, 372 (2008). 28 U.S. Code § 1367. 163 Noonan, The Emerging Principles of International Competition Law, S. 272. 164 Dodge, 18 Duke J. Comp. & Int’l L. 371, 372 (2008); Dodge, 43 Harv. Int’l L.J. 161, 185 (2002); Fox/Crane, Global Issues in Antitrust and Competition Law, Chapter 8, Section C, S. 488 ff.; Wood, 10 Nw. J. Int’l L. & Bus 56, 56 (1989). 165 Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 239; Basedow, Welltkartell recht, S. 39 f.; Massing, Europäisches Internationales Deliktsrecht, S. 31. 166 Im Verhältnis zu Mitgliedstaaten der EuGVO kommt freilich die allseitige Kollisions norm des Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO zum Tragen. 167 Kiel, Internationales Kapitalanlegerschutzrecht, S. 218; Massing, Europäisches Inter nationales Deliktsrecht, S. 31. 168 Art. 137 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18. De zember 1987 (Stand am 1. Juli 2014) bestimmt: „d. Wettbewersbsehinderung – Ansprüche aus Wettbewerbsbehinderung unterstehen dem Recht des Staates, auf dessen Markt der Ge schädigte von der Behinderung unmittelbar betroffen ist. Unterstehen Ansprüche aus Wett bewerbsbehinderung ausländischem Recht, so können in der Schweiz keine weitergehenden 161
162
II. Lösungsansätze
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Die Gerichtsgewalt US-amerikanischer Gerichte wird also bereits durch die sich aus der subject matter jurisdiction ergebende Begrenzung der Reichweite des US-amerikanischen Kartellrechts beschränkt. Eine Forderung nach einer unbeschränkten nationalen Gerichtsgewalt von US-amerikanischen Gerichten ist mit diesem Ansatz inkompatibel. Denn das US-amerikanische Zuständig keitsrecht trennt nicht präzise zwischen Kollisionsrecht und dem Recht der in ternationalen Zuständigkeit. Die potentielle Bedeutung von US-amerikanischen Gerichten als Weltgerichte läge aber insbesondere in denjenigen Fällen, in de nen US-amerikanisches Recht nicht mehr zur Anwendung gelangt. Insgesamt ist damit der Ansatz, auf globale Kartellverstöße durch die Ausweitung der in ternationalen Zuständigkeit von einzelnen nationalen Gerichten zu reagieren, kritisch zu sehen. Nach derzeitigem Stand wäre dieser Ansatz jedenfalls in Be zug auf die hier besonders relevanten US-amerikanischen Gerichte nicht ohne weiteres umsetzbar. b) Zuständigkeitsabgrenzung entlang der Grenzen nationaler Gerichtsbarkeit Hinter dem Vorschlag, nationale Gerichte zu Weltgerichten zu machen, steht vor allem die Bestrebung zur Vermeidung von negativen Kompetenzkonflikten. Im Kartelldeliktsrecht ist damit letztlich das Ziel einer effektiven Durchsetzung des Kartellrechts gemeint. Es sollen vor allem Schutzlücken in Jurisdiktionen geschlossen werden, die bislang kein ausreichend effektives System der privat rechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts bereithalten. Anstatt aber schlicht die Reichweite der Zuständigkeitsregelungen von nationalen Durchsetzungsre gimen auszuweiten, wird die selektive Handhabung der internationalen Zustän digkeit zur Schließung solcher Schutzlücken erwogen. Nationale Gerichte wür den danach nur dann die internationale Zuständigkeit in einer Streitigkeit an nehmen, wenn sonst ein negativer Kompetenzkonflikt droht. Bei drohenden Zuständigkeitsüberschneidungen würden sie demgegenüber die internationale Zuständigkeit tendenziell ablehnen. Im Kartelldeliktsrecht soll es danach für die internationale Gerichtszustän digkeit insbesondere darauf ankommen, ob das alternative Forum über ein ef fektives Rechtsregime zur privatrechtlichen Verfolgung von Kartellverstößen verfügt.169 Dahinter steht die Erwägung, dass alle beteiligten Staaten ein ge Leistungen zugesprochen werden, als nach schweizerischem Recht für eine unzulässige Wettbewerbsbehinderung zuzusprechen wären.“ 169 Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 231; Michaels in: Sloss/Ramsey/Dodge, International Law in the U.S. Supreme Court, Continuity and Change, S. 537; Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451, 455; Ryngaert, Jurisdic tion over Antitrust Violations in International Law, 10.2.5., S. 133–135; Wurmnest, 28 Has tings Int’l & Comp L. Rev. 205, 220–24 (2004–2005).
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
meinsames Interesse an einer effektiven Bekämpfung von weltweiten Kartellen und deren Ahndung in einem globalen Kontext haben. Im Vordergrund stehen bei diesem Verständnis der internationalen Gerichtszuständigkeit nicht etwaige Zuständigkeits- oder Anerkennungskonflikte, sondern die Aufteilung von Res sourcen zur Durchsetzung des Kartellrechts. Die Effektivität des jeweiligen pri vatrechtlichen Kartellrechtsdurchsetzungsregimes soll vor allem eine Rolle spielen, um der Gefahr einer unzureichenden Sanktionierung internationaler Kartelle (under-deterrence) zu begegnen.170 Es sind unterschiedliche Ansätze denkbar, wie eine solche Koordinierung praktisch umgesetzt werden kann. Die bisherige Praxis zeigt, dass eine solche selektive Zuständigkeitsausübung natio naler Gerichte zum derzeitigen Stand vor allem durch die US-amerikanischen Gerichte wahrgenommen würde, weshalb sich die nachstehende Untersuchung erneut auf diese konzentriert. aa) Einzelfallbasierte Zuständigkeitskoordinierung durch nationale Gerichte Im Zusammenhang mit einer Koordinierung gerichtlicher Zuständigkeiten durch nationale Gerichte ist zunächst denkbar, eine solche Koordinierung in jedem Einzelfall den jeweils mit der Sache befassten nationalen Gerichten zu überlassen. Voraussetzung dafür ist, ob eine solche selektive einzelfallbasierte Ausübung der internationalen Zuständigkeit nach dem jeweiligen Zivilprozess recht überhaupt möglich ist. Im US-amerikanischen Recht stehen hierbei zwei unterschiedliche Rechtsinstitute zur Verfügung: die Heranziehung von comity als ein dem internationalen Recht inhärentes Rechtsprinzip und die im US-ame rikanischen Zuständigkeitsrecht fest verankerte Lehre der forum non conveniens. Beide Instrumente sind potentiell geeignet, den jeweils mit einer Streitig keit befassten US-amerikanischen Gerichten eine einzelfallbasierte, selektive Ausübung internationaler Zuständigkeit zu ermöglichen. (1) Comity Ein Instrument, welches von US-amerikanischen Gerichten zur Regulierung ihrer Zuständigkeit bzw. zur Verfahrenskoordinierung herangezogen wurde, ist die sog. comity. Dieses Rechtsinstitut geht auf die durch die niederländischen Gerichte entwickelte comitas-Lehre171 zurück und wurde durch die US-ameri kanischen Gerichte im Laufe der Zeit weiterentwickelt.172 Im zuständigkeits rechtlichen Kontext meint comity die Beschreibung desjenigen Punktes, an dem Ryngaert, Jurisdiction over Antitrust Violations in International Law, 13.2., S. 133 f. Buchmann, Positive Comity im internationalen Kartellrecht, S. 34. 172 Buchmann, Positive Comity im internationalen Kartellrecht, S. 37 ff. 170 171
II. Lösungsansätze
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aufgrund einer Berücksichtigung der Gesetze und Interessen anderer Staaten die extraterritoriale Zuständigkeitsausübung nicht mehr gerechtfertigt er scheint.173 In den USA wird zur Konkretisierung von comity im zuständigkeits rechtlichen Kontext häufig auf § 403 des Restatement (Third) of Foreign Relations Law of the United States des American Law Institute174 Bezug genommen, unter anderem zuletzt durch den Supreme Court.175 In § 403 des Restatements heißt es: “Even when one of the bases for jurisdiction […] is present, a state may not exercise jurisdiction to prescribe law with respect to a person or activity having connections with another state when the exercise of such jurisdiction is unreasonable.” § 403 des Restatement nennt dafür private und staatliche Abwä gungsfaktoren, anhand derer dies bestimmt werden kann. Die Handhabung von comity in der Praxis der US-amerikanischen Gerichte war in der Vergangenheit uneinheitlich. Eine sehr restriktive Haltung zu comity hatte etwa der Supreme Court noch in der Rechtssache Hartford Fire176 im Jahr 1993 eingenommen. Hier warfen die Kläger den in den USA und Großbritanni en ansässigen beklagten Rückversicherungen vor, durch bestimmte Vereinba rungen, die sie untereinander im Hinblick auf ihre Geschäftsstrategie gegenüber den Versicherungsunternehmen getroffen hatten, gegen den Shearman Act ver stoßen zu haben. Ein solcher Verstoß wurde angenommen, obwohl die Verein barungen in Großbritannien getroffen und umgesetzt wurden und nach briti schem Recht rechtmäßig waren. Die Beklagten bestritten die internationale Zuständigkeit des mit der Sache befassten US-amerikanischen Gerichts grund sätzlich nicht, beantragten aber, dass die US-amerikanischen Gerichte ihre Zu ständigkeit aufgrund von comity-Erwägungen ablehnen sollten. Dem folgte der Supreme Court jedoch nicht und entschied, dass nur in Fällen, in denen es einen true conflict zwischen US-amerikanischem Recht und einer anderen ausländi schen Rechtsordnung gebe, auf comity als Korrektiv für die internationale Zu ständigkeit zurückgegriffen werden könne.177 Dabei definierte das Gericht ei nen solchen true conflict äußerst eng. Ein solcher liege nur dann vor, wenn der Beklagte sich entweder nach dem Recht des einen Staates oder nach dem Recht eines anderen Staates gar nicht rechtmäßig verhalten könne. Da das britische Recht den Beklagten nicht vorgebe, sich in einer Weise zu verhalten, die gegen Schmidt, 31 Yale J. Int’l L. 211, 250 (2006). American Law Institute ist eine von der Regierung unabhängige Institution, die zu einem großen Teil aus Praktikern besteht und die sich zum Ziel gesetzt hat, das US-ame rikanische Recht klarer zu fassen und zu verbessern. Dafür gibt das ALI die sog. Restate ments heraus. 175 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 164, 165 (2004). 176 Hartford Fire Insurance Co. v. California, 509 U.S. 764 (1993). 177 Hartford Fire Insurance Co. v. California, 509 U.S. 764, 798 (1993). 173
174 Das
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
US-amerikanisches Recht verstoße, sei kein solcher true conflict gegeben. Ent sprechend könne auch keine Anwendung der comity-Lehre stattfinden, um die internationale Zuständigkeit des US-amerikanischen Gerichts abzulehnen. Mit diesen restriktiven Vorgaben für eine Anwendung von comity ließ der Supreme Court praktisch kaum mehr Raum für eine Anwendung von comity in kon fliktträchtigen internationalen Fällen und erteilte diesem Rechtsinstitut (vorläu fig) eine klare Absage.178 Diese restriktive Handhabung von comity änderte sich mit der Entscheidung Empagran179 im Jahr 2004.180 Dort setzte sich der Supreme Court intensiv mit dem Rechtsinstitut der comity auseinander und betonte, dass davon auszugehen sei, dass der Gesetzgeber die legitimen Interessen anderer Nationen berücksich tigen wolle und dass in Konfliktfällen die Harmonie von international konfligie renden Rechtsordnungen anzustreben sei.181 Dabei sprach er explizit das Rechtsinstitut der comity an,182 lehnte es letztlich aber ausdrücklich ab, die Frage der internationalen Gerichtszuständigkeit einer einzelfallbasierten Ent scheidung des jeweils mit der Sache befassten Gerichts zu überlassen. Vielmehr äußerte sich der Supreme Court kritisch zu einem einzelfallbasierten comity-Ansatz, der aus seiner Sicht zu komplex und langwierig sei und sehr aufwän dige Nachforschungen zu ausländischem Recht durch das jeweilige Gericht er forderlich mache.183 Trotz dieser ablehnenden Haltung gegenüber dem Rechtsinstitut des comity markiert die Entscheidung in der Rechtssache Empagran einen Wendepunkt, denn der Supreme Court hat darin dem Instrument der comity jedenfalls einen gewissen Raum eingeräumt.184 Die Entwicklung, die sich seit dieser Entschei dung im Hinblick auf die Berücksichtigung des Rechts und der Interessen ande rer Staaten in der US-amerikanischen Rechtsprechung vollzogen hat, wurde daraufhin als „Renaissance der Comitas“ beschrieben.185 Der Supreme Court 178 Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 224; Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451, 453; Reimann in: FS Stürner, S. 1794; Wurmnest, 28 Hastings Int’l & Comp L. Rev. 205, 218 (2004–2005). 179 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 159 (2004). 180 Siehe dazu oben S. 152. 181 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 164 (2004): “This rule of statutory construction [rule of prescriptive comity] cautions courts to assume that legislators take account of the legitimate sovereign interests of other nations when they write American laws. It thereby helps the potentially conflicting laws of different nations work together in harmony – a harmony particularly needed in today’s highly interdependent commercial wor ld.” 182 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 168 (2004). 183 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 168 (2004). 184 Ryngaert, Jurisdiction over Antitrust Violations in International Law, 10.2.3., S. 127. 185 Reimann in: FS Stürner, S. 1794.
II. Lösungsansätze
227
habe das Rechtsinstitut der comity gewissermaßen wieder zum Leben erweckt, nachdem dieses seit der Entscheidung in Hartford Fire kaum Beachtung mehr fand.186 Auf Grundlage dieser Entwicklungen wird comity nach wie vor als ein möglicher Ansatz für eine zuständigkeitsrechtliche Verfahrenskoordinierung angesehen.187 (2) Forum non conveniens Neben comity wird aus der Perspektive des US-amerikanischen Rechts zur Lö sung von international zuständigkeitsrechtlichen Konfliktlagen die forum non conveniens-Lehre bisweilen als geeignetes Instrument angesehen.188 Eine Schwierigkeit bezüglich der forum non conveniens doctrine besteht zunächst darin, dass nicht abschließend geklärt ist, ob diese Lehre in kartelldeliktischen Fällen gegenüber ausländischen Gerichten überhaupt zur Anwendung gelangen kann. Auf diese Frage wurde bereits im Rahmen des US-amerikanischen Zu ständigkeitsrechts eingegangen.189 Eine Anwendbarkeit muss an dieser Stelle trotz der bestehenden Unsicherheiten unterstellt werden, um die Eignung dieses Instruments für die Koordinierungsfrage untersuchen zu können. Nach der forum non conveniens doctrine kann ein an sich zuständiges Gericht die interna tionale Zuständigkeit zugunsten eines anderen, vermeintlich zur Entscheidung über die Sache besser geeigneten Gerichts, ablehnen. Vor allem im internationa len Kontext wird die forum non conveniens-Lehre als ein adäquates Mittel an gesehen, weil die Vermutung zugunsten einer zulässigen Forumswahl durch den Kläger, wie sie bei der innerstaatlichen Anwendung dieser Lehre von den Gerichten angenommen wird, für ausländische Kläger nicht in gleichem Maße gilt.190 Im Rahmen der forum non conveniens-Lehre wägt das mit der Sache befasste Gericht sowohl private als auch hoheitliche Belange ab, um zu beurtei len, ob ein anderes Gericht besser geeignet ist, die Streitigkeit zu entscheiden. Für eine Anwendung der forum non conveniens-Lehre wird dabei vor allem ins Feld geführt, dass diese es im Gegensatz etwa zur comity-Lehre ermöglicht, auch die privaten Interessen der beteiligten Parteien mit in die Koordinierungs
186 Diamond, 31 Brook. J. Int’l L. 805, 828 (2005–2006); Wurmnest, 28 Hastings Int’l & Comp L. Rev. 205, 219 (2004–2005). 187 Burnett, 18 Emory Int’l L. Rev. 555, 625–26 (2004); Müller, Private Antitrust Dama ges Actions in the US, Germany and at the European Community Level, S. 355; O’Brien, 9 Sw. J. L. & Trade Am. 421, 456 (2002–2003); Sprigman, 72 U. Chi. L. Rev. 265, 280 (2005). 188 Schmidt, 31 Yale J. Int’l L. 211, 255 (2006). 189 Siehe dazu oben S. 206. 190 Buxbaum/Michaels in: Basedow/Francq/Idot, International Antitrust Litigation, S. 230.
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
erwägungen einfließen zu lassen.191 Gerade beim private enforcement spielen diese privatrechtlichen Interessen eine wichtige Rolle. Zugleich ermöglicht die forum non conveniens-Lehre, wie der comity-Ansatz auch, die Berücksichti gung von nationalstaatlichen, also hoheitlichen Belangen, dies aber im Rahmen eines etablierten Rechtsinstruments.192 Erwägungen, die im Rahmen der comity-Lehre angestrengt werden, können also auch in die Abwägungsentscheidung im Rahmen der forum non conveniens-Lehre einfließen.193 (3) Bewertung: Ungeeignetheit spezifischer nationalstaatlicher Rechtsinstrumente Die bisherige Auseinandersetzung von US-amerikanischen Gerichten mit der Koordinierungsfrage in Bezug auf private Kartellschadensersatzverfahren war stark durch die Reichweite des Anwendungsbereichs des US-amerikanischen Kartellrechts und die Anwendbarkeit des FTAIA geprägt. Bei der Koordi nierungsfrage in Bezug auf kartelldeliktische Schadensersatzprozesse geht es indes eher um eine Verfahrenskoordinierung als um eine Bestimmung der Reichweite des Anwendungsbereichs des materiellen Kartellrechts. Vor diesem Hintergrund begegnet insbesondere die Heranziehung von comity zur Verfah renskoordinierung Bedenken. So sind etwa die Grenzen und genauen Anwendungsvoraussetzungen von comity als außergesetzlichem Rechtsinstitut sehr unbestimmt.194 Die bisherige Fallpraxis durch den Supreme Court war uneinheitlich und reicht nicht aus, um den unterinstanzlichen Gerichten klare Vorgaben zu machen. Die mit einer comity-Analyse verbundenen Abwägungsentscheidungen sind darüber hinaus sehr aufwändig. Es wäre zu befürchten, dass sich die Komplexität der Verfahren und ihre Dauer dadurch signifikant erhöhen würden. Insofern verdient die Ein schätzung des Supreme Court Zustimmung, dass die Anwendung von comity durch erstinstanzliche Gerichte “too complex to prove workable”195 sei. Die comity-Lehre hat den strukturellen Nachteil, dass sie nur die Berücksichtigung hoheitlicher Interessen ermöglicht. Private Belange der Parteien werden im Rahmen von comity dagegen nicht berücksichtigt.196 Eine Zuständigkeitshand habung durch die Heranziehung von comity geschieht insofern nur eindimensi onal. Es ist gerade nicht erforderlich, dass ein anderes, alternatives Forum zur Kresic, 52 Fordham L. Rev. 399, 416 (1983–1984). Kresic, 52 Fordham L. Rev. 399, 418 (1983–1984). 193 Diamond, 31 Brook. J. Int’l L. 805, 849 (2005–2006). 194 Schmidt, 31 Yale J. Int’l L. 211, 253 (2006). 195 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 168 (2004). 196 Kresic, 52 Fordham L. Rev. 399, 418 (1983–1984). 191
192
II. Lösungsansätze
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Verfügung steht.197 Eine Ablehnung der internationalen Gerichtszuständigkeit aufgrund von comity führt dazu, dass das mit der Sache befasste Gericht die subject matter jurisdiction verneint.198 Die comity-Lehre ermöglicht den US-amerikanischen Gerichten also lediglich die Ablehung ihrer internationalen Gerichtszuständigkeit, nicht aber eine positive Entscheidung zugunsten eines anderen Forums. Dies macht comity zu einem für die Koordinierung gerichtli cher Zuständigkeit ungeeigneten Rechtsinstrument.199 Notwendig für eine Verfahrenskoordinierung in einem internationalen Kon text ist demgegenüber eine umfassendere Perspektive, welche sich von der ein dimensionalen Betrachtung in Bezug auf das US-amerikanische Recht löst und verstärkt eine integrativere Sichtweise in Bezug auf eine länderübergreifende Zuständigkeitsverteilung in den Blick nimmt.200 Damit würde das US-ameri kanische Recht dem veränderten Umfeld Rechnung tragen, in dem heute eine Koordinierung privatrechtlicher Klagen bei der Durchsetzung des Kartellrechts stattfindet, bei der es nicht mehr nur allein auf die Frage ankommt, ob die US-amerikanischen Gerichte die Zuständigkeit annehmen sollten oder nicht. Die Lehre der forum non conveniens scheint dafür grundsätzlich besser geeig net zu sein. Denn hier ist es gerade eine Voraussetzung für die Anwendung dieser Lehre, dass das mit der Sache befasste US-amerikanische Gericht zu der Auffassung kommt, dass ein anderes Gericht besser geeignet ist, die Streitigkeit zu entscheiden. Voraussetzung dafür ist immer, dass eine internationale Zustän digkeit des anderen Gerichts feststeht. Die forum non conveniens-Lehre ist also vor allem für Situationen relevant, in denen es zu Zuständigkeitskonflikten zu kommen droht. Auch die Anwendung der forum non conveniens-Lehre ist aber in nicht uner heblichem Maße mit Rechtsunsicherheit verbunden. Dies liegt vor allem daran, dass forum non conveniens dem jeweils diese Lehre bemühenden Gericht eine individuelle Entscheidung abverlangt, welche in hohem Maße ermessensbasiert getroffen wird.201 Als Instrument eines übergeordneten Lösungsansatzes über das US-amerikanische Recht hinaus scheidet die forum non conveniens-Lehre bereits deshalb aus, weil dieses Rechtsinstitut nur in Common Law-Rechtsord nungen zur Verfügung steht. Insgesamt ist die Berücksichtigung der Effektivität einer ausländischen Wett bewerbsrechtsordnung – sei es im Rahmen einer comity-Analyse oder im Rah men der forum non conveniens-Lehre – durch das jeweils mit der Sache befass Kresic, 52 Fordham L. Rev. 399, 418 (1983–1984). Perry, 76 Fordham L. Rev. 1177, 1188 (2007). 199 Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 242. 200 Sprigman, 72 U. Chi. L. Rev. 265, 266 (2005). 201 Schmidt, 31 Yale J. Int’l L. 211, 256 (2006). 197 198
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
te Gericht kritisch zu sehen.202 Eine solche Bewertung der Angemessenheit und Effektivität setzte seitens des jeweiligen Gerichts sehr umfangreiche und kom plexe Ermittlungen hinsichtlich des jeweiligen ausländischen Wettbewerbs rechts voraus.203 Eine derartige Bewertung einer Rechtsordnung durch natio nale Gerichte eines anderen Staates hätte das Potential, in nicht unerheblichem Umfang Konflikte sowohl auf diplomatischer wie auch auf rechtlicher Ebene hervorzurufen.204 Um dies zu vermeiden, müsste eine Jurisdiktionsanmaßung durch ausländische Gerichte an ein Einverständnis des betreffenden Staates ge koppelt werden.205 Die Berücksichtigung der Befindlichkeiten desjenigen Staa tes, in dessen Hoheitsrechte potentiell eingegriffen wird, gestaltet sich bei der privaten Rechtsdurchsetzung aber grundsätzlich schwieriger als etwa bei der behördlichen Durchsetzung des Kartellrechts.206 Denn hier agieren private Klä ger und keine Hoheitsträger. Angesichts dieser Schwierigkeiten erscheint die einzelfallbasierte Zuständigkeitskoordinierung durch nationale Gerichte nach dem Vorbild des US-amerikanischen Rechts nicht als gangbarer Weg für eine Zuständigkeitskoordinierung. bb) Abstrakt-generelle Abstimmung der internationalen Zuständigkeit durch eine nationale Behörde Ein weiterer Vorschlag, um die internationale Gerichtszuständigkeit zu koordi nieren, ist eine selektive Zuständigkeitsausübung nach im Vorhinein festgeleg ten Kriterien. Schmidt hat in diesem Zusammenhang einen Vorschlag für priva te Kartellschadensersatzklagen vor US-amerikanischen Gerichten unterbrei tet.207 Danach sollen abstrakt-generell bestimmte Fallkonstellationen bestimmt werden, in denen es US-amerikanischen Gerichten erlaubt wäre, über Sachver halte zu entscheiden, die nur sehr wenig oder keinerlei Verbindungspunkte zu den Vereinigten Staaten aufweisen. Nach seinem Vorschlag soll das US-ameri kanische Zuständigkeitsrecht dahingehend geändert werden, dass in Fallkons tellationen, in denen (i) keine der beiden Parteien ein Staatsangehöriger der Ver einigten Staaten ist, (ii) eine der beiden Parteien die Staatsangehörigkeit eines Landes hat, dessen Recht dem Kläger für eine kartelldeliktische Schadens ersatzklage grundsätzlich einen angemessenen Rechtsbehelf zu Verfügung stellt, und (iii) wenn dieses Land eine Klage in den USA aus Gründen der Pro Casey, 55 Am. U. L. Rev. 585, 609 (2005). Wurmnest, 28 Hastings Int’l & Comp L. Rev. 205, 223 (2004–2005). 204 Wurmnest, 28 Hastings Int’l & Comp L. Rev. 205, 223 (2004–2005). 205 Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 416; Ryngaert, Jurisdiction over Antitrust Violations in International Law, 10.2.5., S 134. 206 Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips, S. 416. 207 Schmidt, 31 Yale J. Int’l L. 211, 258–61 (2006). 202 203
II. Lösungsansätze
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zessökonomie ermöglicht, eine US-amerikanische internationale Zuständigkeit ausscheidet.208 Wann ein Land dem Kläger für kartelldeliktische Schadenser satzansprüche einen angemessenen Rechtsbehelf im Sinne der zweiten Voraus setzung zur Verfügung stellt, soll durch eine jährliche Bewertung des amerika nischen Justizministeriums (Department of Justice) im Vornhinein nach abs trakten Maßstäben festgelegt werden.209 Ein ähnlicher Vorschlag wird für den Bereich der Kapitalmarktinformations haftung vorgebracht. Der Supreme Court hat für diesen Bereich einen transak tionsbezogenen Ansatz vorgegeben, d. h. eine internationale Gerichtszuständig keit wird nur dann angenommen, wenn der Kauf bzw. Verkauf des jeweiligen Wertpapiers in den USA erfolgt ist.210 Diese Vermutungsregel soll dann wider legt werden können, wenn der Handel der entsprechenden Wertpapiere in einem Land vorgenommen wurde, in dem es an einem effektiven System zur privat rechtlichen Durchsetzung von Kapitalmarktinformationshaftung fehlt.211 Da für schlagen Choi/Silberman vor, dass die United States Securities and Exchange Commission (SEC) im Vornhinein nach abstrakten Kriterien festlegt, in wel chen Ländern ein effektives System der privatrechtlichen Verfolgung von Kapitalmarktinformationshaftung gegeben ist.212 Gegenüber Ländern, in denen kein effektives System der privaten Rechtsdurchsetzung vorhanden ist, soll eine stärkere Ausdehnung der internationalen Gerichtszuständigkeit durch US-ame rikanische Gerichte erfolgen können, wohingegen gegenüber Ländern mit ei nem effektiven Durchsetzungssystem Zurückhaltung bei der Ausübung der in ternationalen Gerichtszuständigkeit geübt werden soll. Die von Schmidt und Choi/Silberman vorgebrachten Ansätze sind Ausdruck eines Bestrebens, in Fällen mit starker Auslandsberührung die Regelungen zur internationalen Gerichtszuständigkeit klarer zu gestalten und anhand abstrakter Kriterien auszurichten. Dies ist bemerkenswert, weil eine solche abstrakte Re gulierung der internationalen Zuständigkeit atypisch ist für das US-amerikani sche Zuständigkeitsrecht. Beide Ansätze sind von dem Ziel geprägt, internatio nale Jurisdiktionskonflikte durch eine Verhinderung einer zu weitgehenden exorbitanten Zuständigkeitsausübung zu vermeiden. Gleichzeitig sollen aber Schutzlücken durch eine Zuständigkeitsausweitung geschlossen werden, beson ders in solchen Fällen, in denen sonst kein adäquater Schutz zu erwarten wäre. Schmidt, 31 Yale J. Int’l L. 211, 258 (2006). Schmidt, 31 Yale J. Int’l L. 211, 258 (2006). 210 Morrison v. National Australia Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869, 2884 (2010); Dodge in: Sloss/Ramsey/Dodge, International Law in the U.S. Supreme Court, Continuity and Change, S. 548. 211 Choi/Silberman, 2009 Wis. L. Rev. 465, 503–05 (2009). 212 Choi/Silberman, 2009 Wis. L. Rev. 465, 503 (2009). 208
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
Damit begegnet dieser Ansatz indes denselben Bedenken, die bereits gegen die einzelfallbasierte Zuständigkeitskoordinierung durch nationale Gerichte vorge bracht wurden.213 Die abstrakt-generelle Bestimmung der internationalen Ge richtszuständigkeit durch eine nationale Behörde setzt voraus, dass ein auslän disches Rechtsregime im Hinblick auf seine Effektivität bewertet wird. Eine solche Bewertung ausländischer Rechtsordnungen birgt die Gefahr, dass da durch zusätzliche Konflikte geschaffen werden und stellt deshalb keinen reali sierbaren Weg zur Koordinierung der internationalen Gerichtszuständigkeit dar. c) Zuständigkeitsabgrenzung entlang von Teilschäden (transaktionsbezogenes Mosaikprinzip) Einen möglichen Ansatzpunkt für die Abgrenzung internationaler Gerichtszu ständigkeit stellt schließlich die Segmentierung des justiziablen Schadens dar. Nationale Gerichte würden etwa ihre Jurisdiktionsgewalt nur über einen Teil des globalen Kartellschadens annehmen und ihre Kognitionsbefugnis bei prob lematischen Zuständigkeitsgründen beschränken, etwa vergleichbar zu dem im europäischen Zuständigkeitsrecht im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO bekann ten zuständigkeitsrechtlichen Mosaikprinzip. Anzustreben wäre eine solche Beschränkung der Kognitionsbefugnis in erster Linie für die auswirkungsbezo gene Begründung der internationalen Zuständigkeit, weil diese im Hinblick auf die Zuständigkeitskoordinierung am problematischsten erscheint.214 Sowohl das deutsche wie auch das US-amerikanische Zuständigkeitsrecht kennen mit § 32 ZPO bzw. der effects doctrine of specific jurisdiction eine solche Form der Zu ständigkeitsbegründung. Grundsätzlich stellt die auf den negativen Auswirkun gen des Kartells aufbauende Zuständigkeitsbegründung einen verbreiteten Ge richtsstand dar, der grundsätzlich beibehalten werden sollte. Denn dort, wo sich die negativen Auswirkungen eines Kartells zeigen, besteht oft auch ein Anreiz das Kartell zu regulieren.215 Die auswirkungsbezogene Begründung internationaler Gerichtszuständig keit kann bei globalen Kartellen jedoch aufgrund der vielfach (annähernd) glo balen Auswirkungen eines Weltkartells zu einer Vervielfachung von internatio nalen Gerichtszuständigkeiten führen.216 Die internationale Zuständigkeit wür de auf diejenigen Schäden begrenzt werden, die eine enge Beziehung zur jeweiligen Jurisdiktion aufweisen. Nur die dadurch entstehenden Teilschäden könnten von den jeweiligen nationalen Gerichten auf Grundlage einer auswir 213
Siehe dazu oben S. 228. Siehe dazu oben S. 214. 215 Dodge, 32 Law & Pol’y Int’l Bus. 363, 390 (2000–2001). 216 Siehe dazu oben S. 214. 214
II. Lösungsansätze
233
kungsbezogenen Zuständigkeitsbegründung beurteilt werden. Eine Koordinie rung gerichtlicher Zuständigkeiten würde also nicht über die Ausübung interna tionaler Gerichtszuständigkeit insgesamt erfolgen, sondern durch eine Segmen tierung des globalen Kartellschadens und eine dahingehende Beschränkung der Kognitionsbefugnis der nationalen Gerichte. Eine solche Einführung eines zu ständigkeitsrechtlichen Mosaikprinzips würde sich freilich nach der hier vorge schlagenen Form auf eine auswirkungsbezogene Zuständigkeitsbegründung beschränken. Andere Zuständigkeitsgründe blieben davon unberührt. aa) Ansatz der US-amerikanischen Rechtsprechung In der US-amerikanischen Rechtsprechung lassen sich konkrete Ansätze für eine solche mosaikähnliche Segmentierung des globalen Kartellschadens und einer damit verbundenen Koordinierung der internationalen Gerichtszuständig keit erkennen. Sie ist in der Unterscheidung des Supreme Court in der Rechtssa che Empagran217 zwischen in- und auschländischen Schäden zu erblicken. Hin sichtlich solcher Schäden, die im Ausland entstanden sind und die keinerlei Bezugspunkte zu etwaigen negativen Auswirkungen des Kartells in den USA aufweisen (independent foreign harm), ist eine Begründung der internationalen Gerichtszuständigkeit danach nicht möglich.218 In Bezug auf solche Schäden sah der Supreme Court nämlich die Einmischung in eine fremde Rechtsordnung, welche durch die extraterritoriale Anwendung des US‑amerikanischen Wettbe werbsrechts notwendigerweise einhergehe, als nicht zu rechtfertigen an. Anders sei die Lage dagegen zu beurteilen, wenn es um ausländische Schäden ginge, welche einen klaren Bezug zu den USA aufwiesen.219 Allein die Tatsache, dass die Kartellanten für dieselben Produkte auch in den USA die Preise erhöht hät ten, um überhaupt erst ein effektives globales Kartell bilden zu können, reiche jedenfalls nicht aus, um die im Ausland eingetretenen Schäden zu Inlandsschä den zu machen. Geht es hingegen um im Inland, also in den USA, eingetretene Schäden, so sieht der Supreme Court praktisch keinen Anwendungsbereich für comity und damit für eine Begrenzung der internationalen Gerichtszuständig keit.220 Letztlich liegt in dieser Abgrenzung nach independent foreign harm und F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155 (2004). F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 165 (2004): “But why is it reasonable to apply those laws to foreign conduct insofar as that conduct causes independent foreign harm and that foreign harm alone gives rise to the plaintiffs claim? Like the former case, application of those laws creates a serious risk of interference with a foreign nation’s ability independently to regulate its own commercial affairs.” 219 Klevorick/Sykes, 3 Journal of Competition Law and Economics 309, 318 (2007). 220 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 165 (2004): “But our courts have long held that application of our antitrust laws to foreign anticompetitive conduct is 217
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E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
domestic antitrust injury eine Zuständigkeitsbegrenzung, die dem Mosaikprin zip nach deutschrechtlichem Verständnis sehr nahekommt.221 Ihr liegt eine Seg mentierung des globalen Kartellschadens zugrunde, die nicht etwa an die global stattfindende Kartellabsprache selbst anknüpft, sondern an die jeweilige indivi duelle Markttransaktion des geschädigten Klägers.222 Diesen Standard hat der District of Columbia Circuit des Court of Appeals, an den der Supreme Court das Verfahren zurückverwiesen hatte, aufgegriffen und weiter präzisiert.223 Auch dessen Begründung baut auf einer Unterschei dung zwischen einem individuell beim Kläger erlittenen Schaden (harm) einer seits und den in den Vereinigten Staaten eingetretenen negativen Auswirkungen (effects) andererseits auf, für deren Beziehung untereinander der District of Columbia Circuit des Court of Appeals ein besonderes Kausalitätserfordernis ein führt (proximate cause test).224 Eine Zuständigkeitsbegründung ist danach nur insoweit möglich, als die in den Vereinigten Staaten verursachten effects im Sinne der Auswirkungstheorie den innerhalb der Vereinigten Staaten erlittenen Schaden (harm) verursacht haben. Allein negative Auswirkungen des Kartells im Inland reichen nicht aus. Es muss ein Inlandsschaden beim jeweiligen Kläger angefallen sein, der auf die durch das Kartell in den Vereinigten Staaten verur sachten negativen Auswirkungen zurückzuführen im Sinne des proximate cause tests ist. Damit macht sich der District of Columbia Circuit des Court of Appeals letztlich die Unterscheidung des Supreme Court zu eigen und entwi ckelt eine Lösung, die auf der durch den Supreme Court eingeführten Unter scheidung zwischen ausländischen und inländischen Schäden aufbaut. Aufschlussreich ist insofern auch eine parallele Rechtsentwicklung bei globa len Schadensersatzklagen aufgrund von Kapitalmarktinformationshaftung. Die Sachlage im Rahmen derartiger Verfahren, bei denen typischerweise der Emit tent eines Wertpapiers falsche Angaben macht und dadurch die Investoren schä digt, ist mit globalen Kartellschadensersatzprozessen vergleichbar.225 In beiden Regelungsbereichen werden marktschützende Verbotstatbestände sowohl be hördlich als auch privatrechtlich durchgesetzt, sodass die privatrechtlichen Ver fahren durch öffentlich-rechtliche Wertungen beeinflusst werden.226 Hier wie nonetheless reasonable, and hence consistent with principles of prescriptive comity, insofar as they reflect a legislative effort to redress domestic antitrust injury that foreign anticompe titive conduct has caused.” 221 Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451, 455. 222 Buxbaum, 16 Loy. Consumer L. Rev. 365, 367 (2003–2004). 223 Empagran S.A. v. F.Hoffmann-LaRoche, Ltd., 417 F.3d 1267 (D.C. Cir. 2005). 224 Empagran S.A. v. F.Hoffmann-LaRoche, Ltd., 417 F.3d 1267, 1271 (D.C. Cir. 2005). 225 Halfmeier in: FS Magnus, S. 436; Zimmer/Höft, ZGR 2009, 662, 663. 226 Kiel, Internationales Kapitalanlegerschutzrecht, S. 221 f.
II. Lösungsansätze
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dort kann ein Verstoß zu einer breiten Streuung von Schäden über Ländergren zen hinweg bei einer großen Anzahl von Geschädigten führen. Hierzu hatte der Supreme Court im Rahmen der Morrison-Entscheidung227 über eine ähnliche Problemlage zu befinden. Dort verklagten die Käufer von Aktien die emittierende australische Bank National Australia Bank Ltd. auf grund fehlerhafter Kapitalmarktinformationen vor US-amerikanischen Gerich ten. Eine in Florida ansässige Tochtergesellschaft der Beklagten hatte von den USA aus falsche Informationen an die australische Muttergesellschaft übermit telt, die nach ihrer Veröffentlichung in Australien zu einer niedrigeren Bewer tung der Aktien der Kläger und somit zu einem Schaden bei diesen geführt hatten. Der Supreme Court hat sich in der Morrison-Entscheidung für einen transaktionsbezogenen Ansatz (transaction based approach) ausgesprochen. Anknüpfungspunkt für eine Bestimmung, ob der entsprechende Schaden noch einen inländischen Schaden darstellt oder nicht, ist nunmehr der Ort der Trans aktion, im Rahmen derer der Schaden für den invididuellen Kläger begründet wird.228 Eine internationale Zuständigkeit wird danach nur für solche Schäden begründet, welche sich auf eine in den USA vorgenommene Transaktion zu rückführen lassen. Die bisherigen Ansätze, wonach entweder an das Verhalten oder die Auswirkungen einer schädigenden Verhaltensweise angeknüpft wur de,229 hat der Supreme Court darin ausdrücklich zugunsten des transaktionsbe zogenen Ansatzes verworfen. Dieser transaktionsbezogene Ansatz wird auch für die Bestimmung der in ternationalen Gerichtszuständigkeit bei globalen Kartelldelikten befürwor tet.230 Insbesondere für das US-amerikanische Zuständigkeitsverständnis liefe dies darauf hinaus, im Rahmen der subject matter jurisdiction nicht mehr nur die Maßstäbe für das materielle Kartellrecht und damit vor allem das Auswir kungsprinzip auf die Bestimmung der Reichweite der Jurisdiktionsgewalt bei Morrison v. National Australia Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869 (2010). Morrison v. National Australia Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869, 2884 (2010); Dodge in: Sloss/Ramsey/Dodge, International Law in the U.S. Supreme Court, Continuity and Change, S. 548. 229 Aulepp, IPRax 2012, 95, 98; Buxbaum, 75 Law & Contemp. Probs. 161, 161 (2012); Choi/Silberman, 2009 Wis. L. Rev. 465, 470–76 (2009). 230 Burnett, 18 Emory Int’l L. Rev. 555, 628–29 (2004); Buxbaum, 16 Loy. Consumer L. Rev. 365, 367 (2003–2004): “In jurisdictional terms, this view appears to allocate regulatory authority over global cartel behavior on the basis of individual market transactions. Thus, a plaintiff who suffered overcharges in a transaction taking place in the U.S. market could sue in the United States, and one who suffered overcharges in a transaction in Ecuador could sue in Ecuador.”; Buxbaum, 75 Law & Contemp. Probs. 161, 165 footnote 30 (2012); Fernandes spricht ebenfalls von einem “transaction-based approach to jurisdiction“, 20 Conn. J. Int’l L. 267, 287, 289, 291, 310 und 316 (2004–2005); Rotem, 3 William & Mary Policy Review 234– 5 (2012): “Thus, the Morrison reasoning can arguably be generalized.” 227
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236
E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
privaten Kartellschadensersatzklagen anzuwenden. Für die internationale Ge richtszuständigkeit wäre demnach ein eigener zuständigkeitsrechtlicher Ansatz maßgeblich: das transaktionsbezogene Mosaikprinzip. Der jeweilige Bezugs punkt für die Reichweite der Jurisdiktionsgewalt im Rahmen von behördlicher und privater Kartellrechtsdurchsetzung wäre danach ein anderer. Während es bei der behördlichen Kartellrechtdurchsetzung maßgeblich auf die Preisabspra che und damit auf das jeweils zugrunde liegende Verhalten des Deliktstäters ankäme, ist im Rahmen der privaten Kartellrechtsdurchsetzung die jeweilige Markttransaktion der relevante Bezugspunkt. bb) Problem der Teilbarkeit des globalen Kartellschadens Der von den amerikanischen Gerichten in der Rechtssache Empagran entwi ckelte Ansatz und der Gebrauch der Formel des independent foreign harm (so wie generell die Heranziehung eines zuständigkeitsrechtlichen Mosaikprinzips) setzt die Teilbarkeit eines globalen Ereignisses voraus. Hier setzt die Kritik an dem in der Empagran-Rechtsprechung verfolgten Ansatz an. Gegen diesen wird vorgebracht, dass eine solche Teilbarkeit, etwa in einzelne regionale Märk te, bei einem Kartell, das sich auf einen Weltmarkt bezieht, nur schwer oder praktisch nicht möglich ist.231 Das Weltkartell zeichne sich gerade dadurch aus, dass die dadurch getroffenen Preisabsprachen auf einen Weltmarkt abzielten, der sich nicht in nationale oder regionale Teilmärkte untergliedern lasse.232 Für einen wirklich globalen Markt spielten nationale oder regionale Grenzen keine Rolle. Aufgrund der globalen Vernetzung gebe es keinen Teilschaden, der vom Rest des globalen Schadens unabhängig ist. Eine Aufteilung entlang solcher Grenzen sei daher auch nicht möglich und eine bloße Fiktion,233 was eine Zu ständigkeitsabgrenzung entlang von Teilschäden letztlich unmöglich mache. Ob im Empagran-Fall ein wirklich globaler Markt für Vitaminprodukte be stand, scheint im Nachhinein nicht eindeutig geklärt zu sein. Allein die Tatsa che, dass die Kartellanten auch auf dem bedeutenden US-amerikanischen Markt die Preise für Vitaminprodukte erhöhen mussten, um Arbitragegeschäfte zu vermeiden, lässt diesen Schluss noch nicht zu. Sicher ist aber, dass es bereits heute wirklich globale Märkte gibt. Beispiele hierfür sind etwa schiffsgebunde ne Schwerlastkräne zur Errichtung von Ölplattformen, von denen es nur wenige 231 Burnett, 18 Emory Int’l L. Rev. 555, 608 (2004); Fernandes, 20 Conn. J. Int’l L. 267, 316 (2004–2005); Reinker, 28 Harv. J.L. & Pub. Pol’y 297, 300 (2004–2005); diese Frage ebenfalls aufwerfend: Michaels/Zimmer, IPRax 2004, 451, 455. 232 Dodge in: Sloss/Ramsey/Dodge, International Law in the U.S. Supreme Court, Cont inuity and Change, S. 549; Hausfeld, 16 Loy. Consumer L. Rev. 361, 362 (2004). 233 Baetge in: Conflict of Laws in a Globalized World, S. 231 f.; Michaels in: Sloss/Ram sey/Dodge, International Law in the U.S. Supreme Court, Continuity and Change, S. 539.
II. Lösungsansätze
237
auf der Welt gibt234 oder Auktionshäuser235. Die entscheidende Frage ist darin zu sehen, ob der vom Supreme Court bzw. vom District of Columbia Circuit gewählte Ansatz auch in einem Fall anwendbar ist, in dem es um Schäden auf einem wirklich globalen Markt geht.236 Im Rahmen einer möglichen Anwendung des zuständigkeitsrechtlichen Mo saikprinzips auf Weltkartelle müssen zwei unterschiedliche Ebenen unterschie den werden: Das Bestehen regional abgegrenzter (Produkt-)Märkte einerseits und die Grenzen nationaler Jurisdiktionsgewalt durch die Gerichte des jewei ligen Nationalstaats. Letztere bilden die Grundlage für das zuständigkeitsrecht liche Mosaikprinzip. Dies zeigt ein Blick auf die Konstellation, in der das zu ständigkeitsrechtliche Mosaikprinzip durch den EuGH im europäischen Zivil prozessrecht entwickelt wurde. In der Shevill-Entscheidung237 stand eine grenzüberschreitende Persönlichkeitsverletzung durch Printpresserzeugnisse zur Entscheidung. Beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht handelt es sich eben falls um ein Schutzgut, für das nationale oder regionale Grenzen per se irrele vant sind, das also wie die angesprochenen globalen Produktmärkte transterri torial ist. Dennoch hat der EuGH in dieser Konstellation eine Aufteilung entlang der Grenzen der nationalen Jurisdiktionsgewalt der Gerichte der Mitgliedstaa ten vorgenommen. Nach den in der US-amerikanischen Literatur vorhandenen Ansätzen soll eine Segmentierung des globalen Kartellschadens ebenfalls ent lang normativer und nicht vorrangig entlang realer Grenzen erfolgen.238 Inso fern handelt es sich bei dem transaktionsbezogenen Mosaikprinzip um eine fiktive Segmentierung eines transterritorialen Phänomens entlang der Grenzen nationaler Jurisdiktionsgewalt. Der Einwand, dass sich auf einen Weltmarkt be ziehende Kartell lasse sich nicht in einzelne regionale Märkte unterteilen, greift daher nicht durch, weil es auf diese Unterteilung in diesem Zusammenhang nicht ankommt. Entscheidend sind die Grenzen nationaler Gerichtsgewalt. Die se sind mit den Grenzen regionaler Produktmärkte nicht zwingend identisch. Es handelt sich bei einer am Mosaikprinzip ausgerichteten Segmentierung des Ge samtschadens also stets um eine Fiktion, weil diese Teilschäden nicht zwingend in der Realität eine Entsprechung finden. 234 Den Norske Stat Oljeselskap AS v. HeereMac VOF et al., 241 F.3d 420 (5th Cir. 2001), cert. denied, 534 U.S. 1127 (2002); Waller, 14 Loy. Consumer L. Rev. 523, 531 (2001–2002): “This is a clear global market.” 235 Kruman v. Christie’s Int’l PLC, 284 F.3d 384 (2nd Cir. 2002). 236 Wurmnest, 28 Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 205, 227 (2004–2005). 237 EuGH, 7.3.1995, Rs. C-68/93 (Shevill). 238 Mehra, 107 Dick. L. Rev. 763, 773–74 (2002–2003): “[…] something like an antitrust version of the ‘contacts’ approach to personal jurisdiction.” (773); “[…] it requires courts to set up a descrete American marketplace jurisdictional zone within a world trade regime that is supposed to form an integrated whole.” (774).
238
E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
In diese Richtung lässt sich auch der Ansatz des Supreme Court in der Empagran-Entscheidung deuten. Wenn nämlich der Supreme Court zwar einerseits nicht strikt im Territorialitätsprinzip verhaftet bleiben möchte, andererseits aber grundsätzlich nicht bereit und in der Lage ist, die Rolle eines Weltgerichts zu übernehmen, dann muss er eine Trennlinie definieren, bis zu der US-amerika nische Gerichte ihre Zuständigkeit noch ausüben bzw. ab welcher sie dies nicht mehr tun. Die Formel des independent foreign harm ist eine solche Formel, welche den unterinstanzlichen Gerichten eine Entscheidungsgrundlage an die Hand geben soll, die aber nicht zwingend eine Entsprechung im Aufbau der Weltmärkte findet. Wenn also das transaktionsbezogene Mosaikprinzip als Ko ordinierungsinstrument in Betracht gezogen wird, dann geschieht dies auf der Grundlage einer an den Grenzen nationaler Gerichtsgewalt verlaufenden Seg mentierung des globalen Kartellschadens und gerade nicht entlang etwaiger re gionaler Einzelmärkte für das kartellierte Produkt. Der Einwand, ein Mosaik prinzip müsse von vornherein deshalb als Lösungsmechanismus ausscheiden, weil sich der Weltmarkt für ein global gehandeltes und kartelliertes Produkt nicht in einzelne regionale Märkte unterteilen lasse, führt jedenfalls nicht dazu, dass ein transaktionsbezogenes Mosaikprinzip als Lösungsmechanismus von vornherein ausscheidet. cc) Transaktionsbezogenes Mosaikprinzip als Koordinierungsinstrument Der Gebrauch eines solchen transaktionsbezogenen Mosaikprinzips stellt einen möglichen Ansatz der Verfahrenskoordinierung dar. Er bietet den Vorteil, dass eine Kombination aus dem Gebrauch des Auswirkungsprinzips auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit einerseits und der Beschränkung der Kogniti onsbefugnis der Gerichte am jeweiligen Auswirkungsort andererseits eine dif ferenziertere Lösung bietet als Ansätze, die nach dem Prinzip „alles-odernichts“ die internationale Zuständigkeit bestimmter nationaler Gerichte als ge geben ansehen oder ablehnen. Die Inanspruchnahme des Auswirkungsprinzips als das prägende Leitprinzip im internationalen Kartellrecht stellt zunächst si cher, dass überall dort, wo negative Auswirkungen eingetreten sind, potentiell eine gerichtliche Zuständigkeit begründet werden kann. Die schädigenden Aus wirkungen eines Kartellverstoßes werden dadurch auf der Ebene der internati onalen Zuständigkeit kongruent abgebildet.239 Die zusätzliche Komponente einer Begrenzung der Kognitionsbefugnis des jeweils mit der Sache befassten Gerichts sorgt andererseits aber dafür, dass eine Trachtman, 34 Harv. Int’l L.J. 47, 55 (1993): “[…] the effects doctrine […] provides a basis for prescriptive jurisdiction that is exactly congruent with the economic consequences of the conduct, and thus prevents externalization.” 239
II. Lösungsansätze
239
Häufung internationaler Zuständigkeiten bezüglich ein und desselben Schadens weitestgehend vermieden wird.240 Gerade bei weltumspannenden Kartellen be steht die Gefahr, dass durch globale Auswirkungen letztlich eine internationale Zuständigkeit verschiedenster Zivilgerichte begründet wird, was zu Zuständig keitsüberschneidungen führen kann. Würde der Ansatz eines zuständigkeits rechtlichen Mosaikprinzips sich als Ansatz für eine Zuständigkeitsabgrenzung durchsetzen, so könnten derartige Überschneidungen der Gerichtszuständigkeit weitestgehend vermieden oder jedenfalls reduziert werden.241 Die Beschrän kung der internationalen Zuständigkeit auf den in ihrem Jurisdiktionsbereich angefallenen Schaden durch Rechtsordnungen, wie etwa den USA, führt schließlich dazu, dass ausländische Kläger versuchen werden, ihren erlittenen Schaden in ihrer Heimatjurisdiktion einzuklagen.242 Dies fördert eine koopera tive Verteilung der internationalen Gerichtszuständigkeit bei globalen Kartell verstößen.243 Angesichts der Unterschiede in den Kartellrechtsdurchsetzungs regimen ist ein solcher Ansatz gegenüber einer Zuständigkeitsausweitung durch einzelne Rechtsordnungen vorzugswürdig. Die Beschränkung der Kognitions befugnis nationaler Gerichte ist schließlich ein Ansatz, der von anderen natio nalen Gerichten nachvollzogen werden kann, im Gegensatz etwa zu spezifi schen Common Law-Instrumenten. Die Begrenzung der Reichweite der Kogni tionsbefugnis obliegt jedem Staat und damit den nationalen Gerichten selbst.244 Der Ansatz ist daher auch von anderen Staaten umsetzbar. Mit den regelungspolitischen Zielen einer effektiven Kartellrechtdurchset zung gegenüber globalen Kartellen lässt sich eine Beschränkung der Kogniti onsbefugnis der Zivilgerichte ebenfalls vereinbaren. Aus europäischer Sicht ist das tragende Prinzip bei der privatrechtlichen Kartellrechtsdurchsetzung dasje nige der Kompensation.245 Eine stärkere Allokation der einzelnen Teilschäden eines globalen Kartells wirkt der Gefahr einer möglichen Überkompensation Mehra, 107 Dick. L. Rev. 763, 773 (2002–2003). Fernandes, 20 Conn. J. Int’l L. 267, 301–02 (2004–2005); Mehra, 107 Dick. L. Rev. 763, 773 (2002–2003): “[…] if a similar test is adopted in other jurisdictions that have private rights of actions, then jurisdiction over private claims would be apportioned to the nation within whose borders the effects that gave rise to the injury could be said to be located. As a result, reciprocal adoption of this test could eliminate overlap, and eliminate competition of antitrust law regimes, with respect to private rights of action.” 242 Buswell, 28 Del. J. Corp. L. 979, 997 (2003); Jones, 16 Loy. Consumer L. Rev. 409, 430 (2004); Ryngaert, Jurisdiction over Antitrust Violations in International Law, 10.2.5., S 132. 243 Fernandes, 20 Conn. J. Int’l L. 267, 305–06 und 317 (2004–2005). 244 Buchmann, Positive Comity im internationalen Kartellrecht, S. 52; Schack, Internati onales Zivilverfahrensrecht, Rn. 215. 245 Eckel, WuW 2015, 4, 5; Emmerich, Kartellrecht, § 40, Rn. 3; Haus/Serafimova, BB 2014, 2883, 2884. 240 241
240
E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
(over-deterrence)246 entgegen. Zugleich führt ein zuständigkeitsrechtliches Mo saikprinzip dazu, dass der relative Größenvorteil eines Landes bei der privat rechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts aufgrund seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf dasjenige Maß beschränkt wird, das anhand einer wirt schaftlichen Betrachtung gerechtfertigt erscheint.247 Private Schadensersatzkla gen sind nur ein Mittel der Kartellrechtsdurchsetzung gegenüber globalen Kar tellen.248 Für die behördliche Durchsetzung des Kartellrechts, die daneben An wendung findet, gelten die sich für US-amerikanischen Gerichte aus der Empagran-Rechtsprechung ergebenden Beschränkungen freilich nicht.249 Für sie bleibt allein das Auswirkungsprinzip maßgebend.250 Die behördliche und privatrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts haben danach zwei unter schiedliche Zielrichtungen: Während es bei der behördlichen Kartellrechts durchsetzung um eine abstrakt-generelle Durchsetzung des Kartellverbots geht, so umfasst die privatrechtliche Kartellrechtsdurchsetzung allein den Ausgleich eines konkret angefallenen Schadens bei einem Kläger. Den Bedenken hinsicht lich einer unzureichenden Ahndung von Kartellen (under-deterrence) ist daher vorrangig im Rahmen der behördlichen Durchsetzung des Kartellrechts zu be gegnen. Dafür steht den jeweiligen Wettbewerbsbehörden eine nur durch das Auswirkungsprinzip beschränkte ausladende internationale behördliche Zu ständigkeit zur Verfügung, durch welche die Bildung von Kartellen effektiv geahndet werden kann. Aus zivilprozessualer Sicht führt eine Beschränkung der Kognitionsbefugnis der Zivilgerichte dazu, dass sach- und beweisnahe Gerichtsstände geschaffen werden. Für im Ausland vorgenommene Transaktionen und dadurch angefalle ne Kartellschäden, die keinen oder wenn überhaupt nur einen minimalen Bezug zu dem mit der Sache befassten nationalen Gericht aufweisen, besteht eine sol che Sach- und Beweisnähe gerade nicht. Gegenüber einer einzelfallbasierten Zuständigkeitskoordinierung durch nationale Gerichte mit den ihnen zur Verfü gung stehenden Mitteln des nationalen Rechts, die selbst der Supreme Court als “too complex to prove workable”251 ansieht, bietet das transaktionsbezogene Mosaikprinzip einen durch die nationalen Gerichte deutlich einfacher umzuset 246 Stephan in: Sloss/Ramsey/Dodge, International Law in the U.S. Supreme Court, Con tinuity and Change, S. 556. 247 Dodge, 32 Law & Pol’y Int’l Bus. 363, 388–89 (2000–2001). 248 Siehe Choi/Silberman, 2009 Wis. L. Rev. 465, 496 (2009), die im Rahmen von Kapi talmarktinformationshaftungsprozessen genau so argumentieren. 249 Stephan in: Sloss/Ramsey/Dodge, International Law in the U.S. Supreme Court, Con tinuity and Change, S. 555. 250 Mehra, 107 Dick. L. Rev. 763, 772 (2002–2003). 251 F. Hoffman-LaRoche Ltd. v. Empagran S.A., 542 U.S. 155, 168 (2004).
II. Lösungsansätze
241
zenden Ansatz.252 Etwaige Konflikte auf der Ebene der internationalen Rechts hängigkeit oder sich widersprechende Entscheidungen durch einzelne nationale Gerichte werden dadurch verringert.253 Das Maß an Rechtssicherheit und Vor hersehbarkeit für global tätige Beklagte wird erhöht.254 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die vorliegende Untersuchung für den Bereich des Kartelldeliktsrechts gegenüber globalen Kartellen die Ein führung eines transaktionsbezogenen Mosaikprinzips durch nationalstaatliche Gerichte als einen möglichen Ansatz für die Koordinierung internationaler Ge richtszuständigkeit herausgearbeitet hat. Diesem Ansatz liegt ein eigenes Ver ständnis internationaler Gerichtszuständigkeit zugrunde, welches jedenfalls in den beiden hier untersuchten Rechtsordnungen Deutschland und den USA um setzbar ist. Ein solches, auf dem Auswirkungsprinzip aufbauendes Verständnis internationaler Gerichtszuständigkeit orientiert sich nicht etwa am Verhalten der Teilnehmer eines globalen Kartells, sondern nimmt die jeweiligen Transak tionen und den daraus entstehenden Schaden in den Blick. Auf diese Weise kann ein Mindestmaß an Koordinierung internationaler Gerichtszuständigkeit für eine auf die ubiquitären Auswirkungen eines globalen Kartells gestützte internationale Gerichtszuständigkeit erreicht werden. Die sich daraus ergeben den Beschränkungen der internationalen Zuständigkeit gelten jedoch nur für die besonderen Zuständigkeitsgründe, wie etwa § 32 ZPO oder die effects doctrine nach US-amerikanischem Zuständigkeitsrecht. Daneben bestehende Zuständig keitsgründe, wie etwa der allgemeine streitgegenstandsunabhängige Gerichts stand, bleiben davon unberührt. An diesem kann nach wie vor der gesamte glo bale Kartellschaden eingeklagt werden. dd) Vorschlag zur Übertragung des transaktionsbezogenen Mosaikprinzips in das deutsche Zuständigkeitsrecht Für die deutschen Gerichte bedeutet dies, dass sie bei der auswirkungsbezoge nen Begründung der internationalen Gerichtszuständigkeit im Rahmen des § 32 ZPO ihre Kognitionsbefugnis bei Kartellschadensersatzklagen beschränken sollten. Das geeignete Kriterium für eine solche Begrenzung stellt das transak tionsbezogene Mosaikprinzip dar. Danach besteht nur insofern eine internatio nale Gerichtszuständigkeit vor deutschen Gerichten im Rahmen des § 32 ZPO, als dadurch Schäden geltend gemacht werden, die durch Transaktionen im deut schen Markt angefallen sind. Eine solche Übertragung des transaktionsbezoge 252 Choi/Silberman, 2009 Wis. L. Rev. 465, 500 (2009) bzgl. Kapitalmarktinformations haftung. 253 Choi/Silberman, 2009 Wis. L. Rev. 465, 502 (2009). 254 Adolphsen, 1 J. Priv. Int. L. 151, 160 (2005).
242
E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
nen Mosaikprinzips in das deutsche Recht wäre auf der Grundlage des gelten den Rechts umsetzbar. Es steht den nationalen Gerichten frei, ihre Kognitions befugnis selbst für kartelldeliktische Schadensersatzklagen zu beschränken.255 Dadurch würde die Sach- und Beweisnähe für kartelldeliktische Klagen vor deutschen Gerichten gestärkt. Für die vor deutschen Gerichten auf dieser Grundlage ergehenden Urteile würde zugleich ihre Anerkennungsfähigkeit in den Vereinigten Staaten erhöht. Zum derzeitigen Stand sind deutsche Kartell schadensersatzurteile auf der Grundlage des § 32 ZPO nicht vollumfänglich anerkennungsfähig.256 Schließlich würde eine derartige Beschränkung der Ko gnitionsbefugnis deutscher Gerichte eine Koordinierung der auswirkungsbezo genen internationalen Gerichtszuständigkeit bei Kartellschadensersatzverfah ren fördern. Eine solche Rechtsangleichung würde die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Zuständigkeitsrecht in Bezug auf kartelldeliktische Scha densersatzklagen im Rahmen eines zukünftigen Haager Abkommens Berück sichtigung finden kann und nicht wie bislang von vornherein bei etwaigen Ent würfen ausgenommen bleibt.
III. Ergebnisse 1. Die privatrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts erfolgt bislang über die jeweiligen nationalen Durchsetzungsregime durch eine eindimensionale natio nale Regelungsperspektive. In Bezug auf globales Marktverhalten fehlt es an einer Koordinierung dieser nationalen Durchsetzungsregime. Die Abgrenzung der unterschiedlichen nationalen Regelungen zur internationalen Gerichtszu ständigkeit kann einen wichtigen Beitrag zur Koordinierung von Schadenser satzklagen gegen Weltkartelle leisten. 2. Die fehlende Abstimmung der Regelungen zur internationalen Gerichtszu ständigkeit kann zu Zuständigkeitskonflikten führen. Diese sind in Form nega tiver Zuständigkeitskonflikte denkbar, bei denen es an einem nationalen Gericht fehlt, welches sich für die betreffende Streitigkeit für international zuständig erklärt. Insofern als die nationalen Gerichte ihre internationale Zuständigkeit auf die im jeweiligen Gerichtsstaat eingetretenen schädigenden Auswirkungen des globalen Kartells stützen, besteht aber auch die Gefahr positiver Zuständig keitskonflikte in Form von Zuständigkeitsüberschneidungen.
Buchmann, Positive Comity im internationalen Kartellrecht, S. 52; Schack, Internati onales Zivilverfahrensrecht, Rn. 215. 256 Siehe dazu oben S. 207. 255
III. Ergebnisse
243
4. Das US-amerikanische Zuständigkeitsrecht begrenzt seine auswirkungs bezogene Begründung der internationalen Zuständigkeit auf inländische Schä den, die eine gewisse Verbindung zum US-amerikanischen Forum aufweisen. Dagegen begründet das deutsche Zuständigkeitsrecht im Rahmen des § 32 ZPO bei Auswirkungen auf dem deutschen Markt die Reichweite der internationalen Zuständigkeit sachlich nicht. Insofern ist das deutsche Zuständigkeitsrecht weit gehender als das US-amerikanische Recht. 5. US-amerikanische Kartellschadensersatzurteile sind vor deutschen Ge richten insofern, als sie treble damages verhängen, in der Regel nur teilanerken nungsfähig. Auch deutsche Urteile im Rahmen von Kartellschadensersatzkla gen sind in den Vereinigten Staaten nicht vollumfassend anerkennungsfähig. Zu Anerkennungshindernissen kann vor allem der Gebrauch der Gerichtsstände des § 32 und des § 23 ZPO führen. 6. Globale Kartelle eröffnen potentiellen Schadensersatzklägern aufgrund ihrer ubiquitären Auswirkungen regelmäßig in besonderem Maße die Möglich keit des forum shopping. Dies birgt die Gefahr, dass die regelungspolitischen Entscheidungen eines anderen Forums unterlaufen werden. Besonders deutlich wird dies im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten bei der Verhängung von treble damages für Kartellverstöße. 7. Die vorhandenen supranationalen Lösungsansätze für eine Zuständig keitskoordinierung im drittstaatlichen Verhältnis sind zum derzeitigen Stand nicht zielführend. Aus dem Völkerrecht lassen sich keine konkreten Vorgaben für eine Koordinierung der internationalen Gerichtszuständigkeit von Zivilge richten gewinnen. Die Vereinheitlichung der internationalen Gerichtszustän digkeit im Wege eines Haager Übereinkommens erscheint in naher Zukunft kaum realisierbar. Es ist unsicher, ob ein solches Abkommen das Kartelldelikts recht überhaupt umfassen würde. Auch die Etablierung eines internationalen Kartellgerichtshofs für globale Kartellschadensersatzklagen erscheint nicht umsetzbar. 8. Die im Rahmen von einzelstaatlichen Lösungsansätzen diskutierte Idee von US-amerikanischen Gerichten als Weltkartellgerichten ist abzulehnen. Die US-amerikanischen Gerichte sind zum derzeitigen Stand weder bereit noch in der Lage, die Funktion eines solchen Weltgerichts zu übernehmen. Die einseiti ge Ausweitung einzelner nationaler Gerichtszuständigkeiten erscheint nicht zielführend. 9. Die einzelfallbasierte Zuständigkeitskoordinierung durch nationale Ge richte wie z. B. anhand der im US-amerikanischen Recht zur Verfügung stehen den Rechtsinstrumente der comity oder der forum non conveniens-Lehre eignen sich nicht für eine Zuständigkeitskoordinierung im internationalen Kontext.
244
E. Zuständigkeitskoordinierung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr
10. Auch die Zuständigkeitskoordinierung anhand generell-abstrakter Krite rien, wie etwa durch die Bewertung der Effektivität anderer Rechtsregime durch eine nationale Behörde, ist nicht geeignet für eine Zuständigkeitskoordinierung. 11. Einen möglichen Ansatzpunkt für die Koordinierung der internationalen Gerichtszuständigkeit stellt die Segmentierung des globalen Kartellschadens entlang einzelner Teilschäden dar. Danach beschränken nationale Gerichte ihre Kognitionsbefugnis bei einer auswirkungsbezogenen Begründung der interna tionalen Zuständigkeit auf Schäden, die durch Transaktionen im jeweiligen Ge richtsstaat angefallen sind. Ein solches transaktionsbezogenes Mosaikprinzip entspricht dem Ansatz, den US-amerikanische Gerichte im Rahmen der Empagran-Rechtsprechung entwickelt haben. Anknüpfungspunkt für die Begrün dung der internationalen Gerichtszuständigkeit ist danach nicht das Verhalten der Kartelltäter, sondern der beim Kläger angefallene Schaden. 12. Die deutschen Gerichte sollten für eine auswirkungsbezogene Begrün dung der internationalen Gerichtszuständigkeit im Rahmen von § 32 ZPO eben falls ein solches transaktionsbezogenes Mosaikprinzip einführen. Es erlaubt eine Koordinierung der internationalen Gerichtszuständigkeit im Hinblick auf die bei globalen Kartelldelikten besonders problematische Form der auswir kungsbezogenen Zuständigkeitsbegründung. Die Einführung eines solchen Prinzips würde es wahrscheinlicher machen, dass das Kartelldeliktsrecht bei zukünftigen Projekten der Zuständigkeitsvereinheitlichung, wie z. B. einem Haager Übereinkommen, Berücksichtigung finden kann.
F. Nationale Gerichte als global governors – ein Ausblick Die in dieser Arbeit untersuchte Frage der Koordinierung der gerichtlichen Zu ständigkeit bei Kartellschadensersatzklagen gegenüber globalen Kartellen ist Teil einer übergeordneten Problemlage: die Regulierung von globalem Verhal ten mit den Mitteln des nationalen Rechts.1 Es liegt nahe, für die Regulierung globalen Verhaltens zuvorderst nach globalen Lösungsansätzen zu suchen. Wie gezeigt wurde, stehen jedenfalls im Kartelldeliktsrecht solche übergeordneten Lösungsansätze derzeit jedoch nicht zur Verfügung. Für andere globale Phäno mene wie z. B. die Kapitalmarktinformationshaftung im globalen Kontext wird man zu ähnlichen Ergebnissen kommen.2 Die Regulierung von globalen Prob lemlagen wird in vielen Bereichen daher von nationalstaatlichen Lösungsansät zen und insbesondere von nationalen Gerichten abhängen.3 Die Frage, welche Rolle die nationalen Gerichte als global governors4 einnehmen können, findet bislang nur wenig Beachtung.5 Dabei reicht ihr Einfluss bereits heute über die nationalen Grenzen hinaus, weil es bei globalen Problemlagen aufgrund der ubiquitären Auswirkungen oft zu einer exorbitanten Häufung internationaler Gerichtszuständigkeit kommen kann und sich die Akteure auf globalen Märk ten dementsprechend auf die Entscheidungen nationalstaatlicher Gerichte ein stellen müssen.6 Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, ist das globale Kartellrecht einer dieser Bereiche, für die es bei der Regulierung einer globalen Problemlage Adolphsen, 1 J. Priv. Int. L. 151, 163 (2005); siehe dazu auch oben S. 1. Grundlegend dazu Choi/Silberman, 2009 Wis. L. Rev. 465 (2009). 3 Michaels in: Muller/Zouridis/Frishman/Kistenmaker, The Law of the Future and the Future of Law, S. 172: “[…] much of globalisation will continue to be handled, quasi-unila terally, by domestic institutions, in particular domestic courts.”; Slaughter/Burke-White, 47 Harv. Int’l L.J. 327, 328 (2006); Whytock, 84 Tul. L. Rev. 67, 122 (2009). 4 Umfassend dazu: Pollack/Shaffer in: Pollack/Shaffer, Transatlantic Governance in the Global Economy, S. 287 ff.; Whytock, 84 Tul. L. Rev. 67 (2009). 5 Stephan, 38 Cornell Int’l L.J. 173 (2005), der einen nationalstaatlichen Regulierungs anstz als gegenüber supranationalen Lösungsansätzen vorzugswürdig ansieht; Wai in: Lede rer/Müller, Criticizing Global Governance, S. 244; Whytock, 84 Tul. L. Rev. 67, 122 (2009). 6 Whytock, 84 Tul. L. Rev. 67, 122 (2009). 1 Dazu 2
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F. Nationale Gerichte als global governors – ein Ausblick
maßgeblich auf nationalstaatliche Gerichte ankommt. Die in der vorliegenden Arbeit aufgeworfene Frage der Koordinierung der internationalen Gerichtszu ständigkeit wird im Rahmen zukünftiger globaler Preisabsprachen maßgeblich von nationalen Gerichten bestimmt werden. Im Vordergrund steht dabei nicht primär die Frage, ob einzelne nationale Gerichte als Weltkartellgerichte in Er scheinung treten können. Diese Idee wurde in der vorliegenden Untersuchung jedenfalls für das Kartelldeliktsrecht abgelehnt.7 Vielmehr wird es darauf an kommen, dass nationalstaatliche Gerichte sich ihres globalen Einflusses8 be wusst werden und durch gegenseitige Anerkennung von Mindeststandards im Sinne einer globalen Arbeitsteilung ein gewisses Maß an Koordinierung errei chen.9 Die Anerkennung solcher Mindeststandards betrifft dabei nicht zwin gend die Etablierung konkreter Zuständigkeitsregeln. Dies erscheint aufgrund der Verschiedenheit der nationalen Rechtsordnungen (noch) nicht realsierbar. Möglich erscheint es zum derzeitigen Stand aber, allgemeine Prinzipien zu ent wickeln, anhand derer die internationale Zuständigkeit nach dem jeweiligen na tionalen Recht legitimerweise begründet werden kann und die im internationa len Rechtsverkehr potentiell konsensfähig sind.10 Insofern als nationalstaatli che Gerichte derartige Überlegungen in die Handhabung ihrer internationalen Gerichtszuständigkeit einfließen lassen, sind sie bereits zum jetzigen Zeitpunkt global governors und können dadurch einen maßgeblichen Beitrag zu Koordi nierung der internationalen Gerichtszuständigkeit bei globalen Problemlagen leisten.
7
Siehe dazu oben S. 236. Whytock, 84 Tul. L. Rev. 67, 122 (2009). 9 Sprigman, 72 U. Chi. L. Rev. 265, 266 (2005); siehe auch Halfmeier in: FS Magnus, S. 447, der von „Arbeitsteilung zwischen nationalen Gerichten bei der Bearbeitung transna tionaler Probleme“ spricht. 10 Vgl. hierzu im Zusammenhang mit der Anerkennung ausländischer Entscheidungen Beaumont, Nederlands Internationaal Privaatrecht 2014, 532, 536 ff. 8
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Stichwortverzeichnis action directe 29, 31, 35 actor sequitur forum rei-Prinzip 90 agency-Theorie 170, 171 Akzessorietätsprinzip 97, 98 alien 156, 188 alter-ego-Theorie 170, 171 Ankerbeklagter 58, 59, 61, 75 anti suit injunction 202 at home-Test 161, 162, 163 Auswirkungsprinzip 1, 2, 7, 16, 23, 40, 45, 53, 70, 71, 72, 79, 83, 86, 90, 106, 109, 118, 119, 130, 139, 144, 150, 151, 192, 196, 198, 208, 210, 230, 235, 238, 240, 241 Bildröhrenkartell 84 Bindungswirkung 50, 65, 66, 67, 69, 72 blocking statutes 203 but for test 152
einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhand lung 51, 67, 68, 76 Erfolgshonorar 209 Europäisches Bündelpatent 47, 53 exorbitanter Gerichtsstand 204 follow-on-Klage 50 forum non conveniens 165, 189, 190, 191, 192, 194, 201, 218, 224, 227, 229, 243 forum shopping 99, 130, 141, 207, 208, 243 Gebietskartell 52 genuine link 213 Gesamtschuld 42, 43, 45, 76, 103 Gesamtschuldner 96, 102 Globalklausel 21, 24 Goodyear v. Brown 160 Hilton v. Guyot 205, 206
Calder v. Jones 172 CLIP-Projekt 73 compliance-Klausel 78 Courage 4, 15, 57, 114, 115, 117 culpa in contrahendo 22
independent foreign harm 152, 199, 221, 233, 236, 238 indirekter Abnehmer 117 International Shoe Co. v. Washington 157, 164, 185
Daimler AG v. Bauman 161 Distanzdelikt 82, 118 due process clause 90, 156, 183, 207 due process doctrine 146, 169, 172, 178, 182, 185, 187, 192
Justizkonflikt 147
effects doctrine 2, 150, 174, 176, 193, 198, 221, 232, 238, 241 Effektivitätsprinzip 8, 14, 15, 16, 36, 57, 66, 135 effet utile 99
Kapitalanlagebetrug 93, 121 Kapitalanlegerprozess 99 Kapitalmarktinformationshaftung 219, 231, 234, 241, 245 Kognitionsbefugnis 79, 80, 82, 87, 90, 101, 104, 127, 131, 139, 140, 144, 232, 233, 238, 239, 240, 241, 242, 244 Konnexitätserfordernis 40, 41, 42, 43, 44, 45, 74
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Stichwortverzeichnis
Konzernhaftung 57, 168, 169, 170, 171, 172, 180, 204 Kronzeuge 96 Lehre der doppelrelevanten Tatsachen 45, 46, 47 lis alibi pendens 20, 202 long arm statutes 186 Manfredi 4, 15, 57, 117, 249 Marktortanknüpfung 17, 21, 24, 25, 41, 46, 59, 82, 86, 87, 88, 91, 97, 105, 106, 107, 110, 116, 119, 121, 123, 126, 139, 140, 144, 199 Marktortprinzip 118 Menschenrechtsklagen 220 Mosaikprinzip 6, 69, 104, 127, 128, 129, 131, 140, 141, 199, 232, 234, 236, 237, 238, 240, 241, 244 national contacts test 157, 178 Pennoyer v. Neff 157, 185 Perkins v. Benguet 164, 167 Persönlichkeitsrechtsverletzung im Internet 122 Persönlichkeitsverletzungen in Printmedien 127 Preiskartell 26, 35 Preisschirmeffekt 117 private enforcement 3, 4, 8, 15, 40, 50, 66, 68, 71, 72, 74, 76, 96, 102, 110, 130, 136, 146, 185, 211, 213, 218, 228 Produkthaftung 108, 220 proximate cause test 153
Prozessfinanzierung 33 punitive damages 204 res iudicata 202 Spiegelbildprinzip 203, 207 stand alone-Klage 65, 66 stream of commerce-Lehre 160 Streudelikt 127 tag jurisdiction 159, 163, 204 Territorialitätsprinzip 2, 185 transacting business 164, 166, 179, 182, 184, 194 treble damages 203, 204, 205, 209, 210, 243 Trennungsprinzip (Gesellschaftsrecht) 57, 169 Ubiquitätsprinzip 82, 87, 104, 122, 124, 126, 136, 139 undertaking 55, 57, 60, 63, 65, 103 Unterlassungsanspruch 116, 124 Verbraucherschutz 98, 99, 141 Vermögensdelikt 105, 115 Vermögensmittelpunkt 121 Vertragskette 29, 35 Vitaminkartell 152, 209 Walden v. Fiore 173, 174 Weltgerichte 197, 219, 221, 223 Weltkartell 1, 6, 137, 166, 232 wirtschaftliche Einheit 55, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 76, 103