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German Pages 695 [700] Year 1891
RUSSISCHE IN
GESCHICHTE
BIOGRAPHIEN VON
N. K O S T O M A R O W.
NACH DER 2. AUFLAGE DES KUSSISCHEN ORIGINALS ÜBERSETZT VON W.
HENCKEL.
Die Herrschaft des Hauses Wladimirs des Heiligen. X. bis XVI. Jahrhundert.
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GIESSEN. J. R I C K E R 'SCHE BUCHHANDLUNG. 1891.
Inhalts-Verzeichniss. Seite
I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV. XV. XVI. XVII. XVIII. XIX. XX. XXI. XXII. XXIII. XXIV. XXV. XXVI. XXVII. XXVIII. XXIX. XXX.
Fürst Wladimir der Heilige Fürst Jaroslaw Wladimirowitsch von Kijew Der ehrw. Theodosius von Petschersk Fürst Wladimir Monomach Fürst Andreas Bogoljubskij Fürst Mstislaw der Kühne Fürst Danilo Romanowitsch von Galitsch Fürst Alexander Jaroslawitsch Newskij Jurij und Iwan Danilowitsch, Fürsten von Moskau . . Der ehrwürdige Sergius Grossfürst Dimitrij Iwanowitsch DonBkoj Die Wunderthäter von Ssolowezk Grossfürst und Goasud&r Iwan Wassiljewitsch . . . . Erzbischof Gennadios von Nowgorod Gossudär und Grossfürst Wassilij Iwanowitsch . . . . Die ehrw. Nilus Ssorskij und Wassian, Fürst Patrikejew Maxim der Grieche . Sylvester und Adaschew Matwej Ssemjonowitsch Baschkin und seine Complicen . Zar Iwan Wassiljewitsch der Grause Jermak Timofejewitsch Fürst Konstantin Ostroshskij Boris Godunow Der sogenannte Dimitrij Marina Mnlschek Wassilij Schuiskij Fürst Michail Wassiljewitsch Skopin Schuiskij . . . . Patriarch Hermogen und Procopij Ljapunow . . . . Archimandrit Dionys und Abraham Pälitzyn . . . . Kosma Sacharytsch Minin-Ssuchoruk und Fürst Dimitrij Michailowitsch Posharskij XXXI. Philaret Nikititsch Romanow
1—7 7—18 18—32 32—63 63—88 88—112 112—141 141—157 157—180 181—189 190—218 219—223 223—292 292—322 322—350 350—363 363—383 383 - 4 2 4 424—432 433—496 496—508 508—534 534—579 579—601 601—629 629—649 649—656 656—667 667—676 676—687 688—695
I.
Fürst Wladimir der Heilige. Unsre Geschichte dea Zeitalters, welches der Einführung des Christenthums voranging, ist dunkel und sagenhaft; eine unbedingte Glaubwürdigkeit können diese Sagen wohl nicht beanspruchen. Die Aufzeichnungen unsrer ersten Chronisten beginnen erst mit der zweiten Hälfte des XI. Jahrhunderts und von den in ihrem Vaterlande stattgefundenen Ereignissen des IX. und X. Jahrhunderts sind, mit Ausnahme spärlicher griechischer Nachrichten, keine andern Quellen vorhanden, als mündliche Volksüberlieferungen, die, ihrer Natur nach, dichterischen Ausschmückungen und Veränderungen unterworfen waren. Das einzige, was mit einiger Sicherheit gesagt werden kann, ist, dass das russische Volk, gleich allen andern nordeuropäischen Völkern erst mit der Einführung des Christenthums wirkliche solide Grundlagen für die Entwickelung eines bürgerlichen und staatlichen Lebens erhielt, Grundlagen, ohne die eine Volksgeschichte überhaupt nicht denkbar ist. Seit den frühesten Zeiten war die östliche Hälfte des jetzigen europäischen Russlands von Völkern finnischen und türkischen Stammes bewohnt, und auf der westlichen Hälfte lebten, ausser Völkern litthauischen und finnischen Stammes, deren Ansiedlungen bis an die baltische Küste reichten, Slawen unter verschiedenen örtlichen Benennungen, welche sich an den Ufern der Flüsse: westliche Dwina (Düna), Wolchow, Dnjepr, Pripet, Ssosh, Gorynj, Styr, Slutsch, Bug, Dnjestr, Ssula, Djessna, Akä und an deren Zuflüssen festsetzten. Sie lebten in kleinen Gemeinden vereint, deren Mittelpunkte Städte (Burgen), befestigte Vertheidigungspunkte, Stätten für Volksversammlungen und Verwaltung waren. Abmachungen, um die verschiedenen Stämme in einen Verband zusammen zu fassen, waren nicht vorhanden, auch Merkmale eines staatlichen Lebens fehlten. Diese slawisch - russischen Stämme wurden von eigenen kleinen Fürsten regiert, sie befehdeten sich gegenseitig, waren nicht imstande sich gemeinschaftlich gegen fremde Völker zu schützen und wurden deshalb häufig unterjocht. Ihre Religion bestand in der Naturverehrung, in der Annahme menschlich denkender Kräfte bei den Erscheinungen und Gegenständen der äusseren Natur, in der Anbetung von Sonne, Himmel, Wasser, Erde, Wind, Bänmen, Vögeln, Steinen u. dgl. Kostomarow-Henckel, Rnsa. Geschichte in Biogr. L 1
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I. Fürst Wladimir der Heilige.
und in allerlei Fabeln, abergläubischen Vorstellungen, Festlichkeiten und Ceremonien, die auf diese Naturverehrung basirt waren und sich nach und nach aus derselben entwickelt hatten. Die religiösen Vorstellungen fanden zum Theil ihren Ausdruck in der Form von Götzenbildern; Tempel und Priester waren nicht vorhanden, ihrer Religion fehlten daher sowohl die Merkmale der Allgemeinheit, als auch die der Unwandelbarkeit. Von einer Existenz nach dem Tode hatten sie nur unklare Vorstellungen, das jenseitige Leben dachten sie sich als eine Fortsetzung des irdischen und nahmen an, dass in jener Welt, wie in dieser, die Einen Sklaven, die Andern Herren seien. Sie verehrten ihre verstorbenen Ahnen, hielten dieselben für ihre Beschützer und brachten ihnen Opfer, auch glaubten sie an Zauberei, d. h. an das Vorhandensein geheimer Kräfte. Vor den Zauberern und Wahrsagerinnen hatten sie grossen Respect. Hiermit hingen viele abergläubische Gebräuche, wie Wahrsagerei, Besprechungen, das EnUpfen von Knoten und ähnliches zusammen. Besonders stark war der Glaube an die geheimnisvolle Macht des Worts, und dieser Glaube offenbarte sich in einer Menge von Beschwörungsformeln, die sich noch bis heute im Volke erhalten haben. Die Kenntniss von der Bereitung und Anwendung der verschiedenartigen Lebensbedürfnisse entsprach dem Zustande dieser geistigen Entwickelung. Sie verstanden aus Holz Wohnungen zu bauen, dieselben mit Ffahlwerk, Gräben und Erdwällen zu befestigen, Kähne und Fischnetze zu machen, das Feld zu ackern, Hausthiere zu hüten, konnten spinnen, weben, nähen, Speisen und Getränke (Bier, Meth, Dünnbier) bereiten, Metalle schmieden, Geschirre aus Lehm brennen, auch den Gebrauch der Gewichte, Masse und Münzen kannten sie, hatten ihre eigenen musikalischen Instrumente u. s. w. Mit Wurfspiessen, Pfeilen und theils auch mit Schwertern zogen sie in den Krieg. Ihre sich von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzenden Kenntnisse machten nur geringe Fortschritte, die Beziehungen zum byzantinischen Reich und theilweise auch die zum arabischen Orient übten aber nach und nach ihren civilisatorischen Einfluss auf die slawischen Russen aus. Nachdem in der Mitte des IX. Jahrhunderts, während eines misslungenen Feldzuges gegen Byzanz, ihre Schiffe vom Sturm vernichtet worden waren, nahmen sie von ihren Gegnern das Christenthum an; später jedoch gewann das Heidenthum wieder die Oberhand. Es traten auch viele Russen in den Dienst der byzantinischen Kaiser in Griechenland, wurden dort Christen und verpflanzten das Christenthum in ihr Vaterland. Die kijewsche Fürstin Olga empfing in der Mitte des X. Jahrhunderts die heilige Taufe. Alles dies waren jedoch nur vorbereitende Erscheinungen; unter den Fürsten des sogenannten Hauses Rjurik herrschte noch vollständige Barbarei. Diese Fürsten legten den russischen Völkern Steuern auf, suchten sie durch Unterwerfung zu vereinigen; ihre Herrschaft trug jedoch nicht einen staatlichen, sondern mehr einen räuberischen, parteigängerartigen Charakter. Sie umgaben sich mit Kriegerscharen, mit Banden verwege-
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ner Abenteurer, die auf Raub und Mord ausgingen; ihr Heer bestand aus Freiwilligen verschiedener Stämme, mit denen sie Streifzüge gegen ihre Nachbarn unternahmen. Sie überfielen Theile des byzantinischen Reichs und zogen gegen die östlichen Länder des kaspischen Meers und Transkaukasiens. Ihr Augenmerk war auf Beute gerichtet und sie betrachteten ihr Verhältniss zu den von ihnen unterworfenen Völkern lediglich unter dem Gesichtspunkt des Tributs, von dem sie soviel als nur irgend möglich zu erpressen suchten. Dieser Tribut verpflichtete aber diejenigen, die ihn erhoben, durchaus nicht zu Gegenleistungen; diese Fürsten und ihre Kriegsknechte, die nur auf Tribut und Beute ausgingen, gaben sich nicht die geringste MUhe das Leben ihrer Lehenspflichtigen irgendwie zu reformiren oder deren Sitten umzugestalten; sie Hessen ihnen ihre alte Lebensweise und kümmerten sich lediglich um den Eingang des Tributs und der Steuern. Mit der Einführung der christlichen Religion trat eine Aenderung dieser barbarischen Sitten ein; mit dem christlichen Glauben kamen sowohl Rechts- wie Staatsbegriffe, als auch die Anfänge einer geistigen und litterarischen Thätigkeit aus Byzanz, diesem zu jener Zeit auf der höchsten Stufe der Bildung stehenden Reiche, zu uns herüber. Die Annahme des Christenthums war eine Umwälzung, welche Russland verjüngte, es neu belebte und ihm die Bahn einer geschichtlichen Entwickelung öffnete. Wladimir, der den Namen „der Heilige" erhielt, ein Mann, gross in seiner Zeit, war es, der diese Wandlung herbeiführte. Die Einzelheiten seines Lebens sind uns leider nur wenig bekannt, die Chroniken, welche uns seine Geschichte überliefert haben, melden auch solche Züge von ihm, die man eher bezweifeln, als sie auf Treu und Glauben annehmen möchte; wollten wir alles beseitigen, was unser Bedenken erregt, so würden uns nur kurze Nachrichten übrigbleiben, die aber, trotz ihrer Dürftigkeit, dennoch die hervorragende Bedeutung Wladimirs für die russische Geschichte beweisen würden. Wladimir war der Sohn des kriegerischen Swjätoslaw, Fürsten von Kijew, der den Feldzug gegen die Chasaren, welche damals im südöstlichen Russland herrschten, unternommen, ihre Stadt Ssarkel am Don eingenommen, die kaukasischen Jassen und Kassogen besiegt und Bolgarien an der Donau erobert hatte. Letzteres musste er jedoch, nach hartnäckiger Vertheidigung, dem griechischen Kaiser überlassen. Auf dem Rückwege aus Bolgarien nach Russland wurde er von den Petschenegen, einem Volke türkischen Stammes, getödtet. Schon als Kind ward Wladimir auf den Fürstensitz von Nowgorod bernfen; mit seinem Onkel Dobrynja, dem Bruder seiner Mutter Maluscha, welche Haushälterin bei seiner Grossmutter Olga gewesen war, begab er sich nach Nowgorod. Nach Swjätoslaws Tode brachen unter seinen Kindern Familienkriege aus; Fürst Jaropolk von Kijew erschlug seinen Bruder, den Drewljanerfürsten Oleg. Wladimir floh mit seinem Onkel nach Schweden und kehrte 1*
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mit fremdem Kriegsvolk nach Nowgorod zurück. Die Ursache Beiner Feindschaft gegen Jaropolk war Rognjeda, des Polozkerfiirsten Rogwolod Tochter, deren Hand Wladimir begehrte, die jedoch mit den Worten: „Ich will nicht den Sohn einer Sklavin auskleiden"'), ihn abgewies e n , ihm dadurch seine niedrige Herkunft mütterlicherseits vorgeworfen hatte und im Begriff war Jaropolk zu heiraten. Wladimir eroberte Polozk, tödtete den Fürsten Rogwolod und nahm Rognjeda mit Gewalt zur Frau. Darauf bemächtigte er sich Kijews und tödtete seinen Bruder Jaropolk. Ueberhaupt schildert uns der Chronist Wladimir als einen grausamen und blutdürstigen Fürsten und als Weiberfreund; wir können dieser Darstellung jedoch nicht unbedingten Glauben schenken, denn es ist augenscheinlich, dass er absichtlich die schwärzesten Farben wählte um den heidnischen Wladimir zu schildern; desto heller konnte er dann den wunderbaren Segen der Taufe bei der Darstellung des nämlichen Fürsten hervorheben, den er nach Annahme des Christenthums im glänzendsten Lichte darstellt. Der Bericht, dass Wladimir, zur Zeit als er noch Heide war, einen grossen Theil des heutigen Russlands beherrscht habe, kann mit grosser Sicherheit als richtig angenommen werden; ebenso auch die Angabe, dass er sowohl für die Erweiterung seines Besitzes, als auch für die Befestigung seiner Macht besorgt gewesen sei. Seine Herrschaft erstreckte sich über das Nowgoroder Land längs den Ufern des Wolchow, der Newa, der Msta, der Luga; ferner über das Land von Bjelosersk, Rostow und Smolensk mit den Quellengebieten des Dnjepr und der Wolga, über das Land Polozk an der Düna, Ssewersk an der Djessna und Ssemj, über das kijewer Gebiet oder Land der Poljanen, über das Land der Drewljanen (den östlichen Theil Wolhyniens) und wahrscheinlich auch über das westliche Wolhynien. Die Radimitschen, Anwohner des Ssosh und die Wjätitschen, Bewohner des Landes an der Akä und ihrer Zuflüsse, wollten sich seiner Herrschaft nicht unterwerfen, wurden aber von ihm besiegt. Wladimir machte sogar die Jatwjägen, ein halbwildes Volk, welches die Wälder und Sümpfe des heutigen Gouvernements Grodno bewohnte, tributpflichtig. Es darf jedoch diesem Besitz kein staatlicher Charakter beigelegt werden; er beschränkte sich dort, wo die Möglichkeit dazu vorhanden w a r , auf die Eintreibung des Tributs, und eine solche Tributerhebung war eine Art von Raub. In Kijew selbst setzte sich Wladimir durch fremde Hilfe, die der Skandinavier, welche man bei uns Waräger nannte, fest. Ihnen übertrug er auch die Verwaltung der Städte, von denen aus sie mit ihren Kriegsscharen den Tribut erhoben.Im Jahre 988 nahm Wladimir das Christenthum an. Die Umstände unter denen sich dieses Ereigniss vollzog und die demselben vorangingen, wurden mit mythischen Zügen, welche von solchen mündlichen Ueberlieferungen un') Den Bräutigam auskleiden — ein Hochzeitsgebrauch — anstatt heiraten.
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zertrennlich sind, ausgeschmückt; erst bedeutend später, nachdem das Ereigniss längst schon stattgefunden hatte, fand eine Aufzeichnung desselben Btatt. Authentisch ist nur, dass Wladimir sich taufen liess und dass er gleichzeitig auch die griechische Fürstin Anna, Schwester der Kaiser Basilius und Konstantin ehelichte. Allem Anschein nach fand die Taufe in Korssun oder in Cherssones, einer griechischen Stadt am südwestlichen Ufer der Krim statt; von dort aus führte Wladimir auch die ersten Geistlichen und notwendigsten Attribute des christlichen Cultus nach Kijew ein, wo auch seine Söhne und das Volk getauft wurden. Letzteres liess sich ohne sichtlichen Widerstand im Dnjepr taufen, theils, weil in Kijew das Christenthum schon ziemlich verbreitet war, und sich die Christen daselbst in einer nicht unbedeutenden Minorität befanden, hauptsächlich aber auch deshalb, weil die russischen Heiden keine Priesterkastei hatten, die dem Volke das Verbrecherische eines solchen Abfalls, vom heidnischen Gesichtspunkt aus, erklären und sie zum Widerstand aufreizen konnte. Das älteste russisch-slawische Heidenthum hatte weder einen festausgeprägten allgemeinen Charakter noch ein positives Religionssystem; es bestand aus einer Menge abergläubischer Gebräuche und Vorstellungen, die sich auch nach der äusserlichen Annahme des Christenthums mit demselben noch vertrugen. Die Mehrzahl des Volks nahm den neuen Glauben an und liess sich taufen, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen. Der Kampf des Heidenthums mit dem Christenthum war ein rein passiver, er beschränkte sich auf das Beobachten heidnischer Lebensformen und die Beibehaltung heidnischen Aberglaubens; dieser Kampf währte noch Jahrhunderte lang nach Wladimir, er hinderte aber das russische Volk nicht, sich taufen zu lassen, denn es fand, weil es den Sinn der Taufe nicht verstand, nichts Antipathisches darin. Das Licht der neuen Lehre ging nur für Wenige, und diesen nur allmälig auf. Wladimir war ein eifriger Verbreiter des Christenthums; überall in den von ihm beherrschten Ländern liess er das Volk taufen; er baute Kirchen und setzte Geistliche ein. In Kijew selbst erbaute er die Kirche des heiligen Basilius und die der Mutter Gottes, die sogenannte ZehentKirche, weil der Fürst für den Unterhalt und die Geistlichkeit derselben den zehnten Theil seiner Einkünfte bestimmt hatte. Um den neueingeführten Glauben dauernd zu befestigen, liess Wladimir durch Vertheilung von Büchern Aufklärung verbreiten; um diesen Zweck zu fördern verordnete er auch, dass in Kijew und anderen Städten Kinder von angesehenen Hausbesitzern versammelt und im Lesen unterrichtet werden sollten. Während eines Zeitraums von etwa zwanzig Jahren entstand auf diese Weise eine Generation, die durch das höhere Niveau ihrer Anschauungen und durch grössere Kenntnisse sich weit über jenen Zustand erhob, in welchem die Eltern zurückgeblieben waren. Diese jüngere Generation bildete nicht nur die Basis der christlichen Gesellschaft in Russland, sie wurde auch die Führerin einer, zugleich mit der Religion herübergekom-
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menen Civilisation und ihr entstammten die Kämpfer und Grundpfeiler einer neuen staatlichen und bürgerlichen Organisation. Dieser Zug allein schon zeigt, dass Wladimir ein wahrhaft grosser Mann war, dass er den richtigsten Weg zur Schaffung eines neuen Lebens, eines Lebens, das er seinem noch halbwildem Volke einimpfen wollte, deutlich erkannt habe und er führte seinen Vorsatz, trotz der Hindernisse, die ihm dabei in den Weg traten, energisch durch. Der Chronist berichtet, die Mütter, welche ihre Kinder in die Schule zu schicken gezwungen wurden, hätten ihnen nachgeweint, wie man Todte beweint. Nach dem Empfange der Taufe wird Wladimir als ein Fürst von grosser Herzensgüte geschildert. Vom Geist der christlichen Liebe durchdrungen, weigert er sich sogar die Uebelthäter zum Tode zu verurtheilen; er lässt sich wohl durch die Ermahnungen der an seinem Hofe zu Kijew befindlichen Korssunschen Geistlichkeit von seinem Irrthum Uberzeugen, bestimmt aber später doch, auf den Rath seiner Bojaren und Stadtältesten, dass die Verbrecher, altem Gebrauche gemäss, nur mit einer Geldstrafe — dem Wehrgeld — gestraft werden sollen; massgebend für diesen Entschluss war auch die Erwägung, dass Geldstrafen die Mittel zur Erhaltung des Heeres vergrössern würden. Seine dem slawischen Stamme angeborne Heiterkeit verstand Wladimir mit den Anforderungen der christlichen Frömmigkeit in Einklang zu bringen. Er liebte Gelage und Festlichkeiten, zechte aber nicht blos mit seinen Bojaren, sondern trachtete danach seine Vergnügungen mit dem ganzen Volke — mit Alt und Jung — zu theilen. Seine Feste verlegte er gewöhnlich auf grosse Kirchenfeiertage oder auf den Tag der Einweihung einer Kirche, einem zu jener Zeit denkwürdigen Ereigniss. Er rief das Volk zusammen, speiste und tränkte Alle die sich einfanden, gab den Armen was sie bedurften und sorgte sogar für diejenigen, welche aus irgend einem Grunde nicht am fürstlichen Hof erscheinen konnten, indem er Speise und Trank in der Stadt vertheilen liess. Diese friedliche Thätigkeit hinderte ihn jedoch nicht seine Feinde zu bekämpfen. Die Petschenegen, ein nomadisches Räubervolk, beunruhigte damals das kijewsche Russland; schon seit einem Jahrhundert machte es von Zeit zu Zeit Einfälle ins russische Land und war, bei Lebzeiten von Wladimirs Vater und während dessen Abwesenheit, nahe daran gewesen Kijew zu erobern. Wladimir schlug sie erfolgreich zurück und sorgte sowohl für die Vergrösserung seines Kriegsheeres, als auch für die Vermehrung der Bevölkerung seines Landes. Er besiedelte die von ihm an den Ufern der Flüsse Ssula, Stugna, Trubesh, Djessna angelegten Städte und Befestigungen mit Fremdlingen aus verschiedenen, nicht nur russisch - slawischen, sondern auch finnischen Ländern. Im Jahre 992 nahm er dem polnischen König die tscherwenischen Städte im heutigen Galizien weg und vereinigte dieses von Chorwaten, einem Zweige des russisch-slawischen Stammes bewohnte Land mit Russland.
II. Fürst Jaroslaw Wiadimirowitsch von Kijeiv.
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Vor seinem Ende musste Wladimir noch ein grosses Leid erfahren: sein Sohn Jaroslaw verweigerte ihm den Gehorsam und Wladimir war schon im Begriff gegen ihn auszuziehen, als ihn, während der Vorbereitungen zu diesem Feldzuge, am 15. Juli 1015 in Berestowo, einem unweit Kijews liegenden Dorfe, der Tod überraschte.
II. Fürst Jaroslaw Wiadimirowitsch von Kijew. Jaroslaws Regierung kann als eine Fortsetzung von Wladimirs Regierung bezeichnet werden, sowohl was das Verhältniss des Fürsten von Kijew zu den beherrschten Ländern anbetrifft, als auch in Bezug auf die Verbreitung neuer, durch das Christenthum eingeführter Lebensprinzipien in Russland. Sein erstes Auftreten in der Geschichte ist das eines rebellischen Sohns gegen seinen Vater. Die Chroniken melden, dass er, als Vasall des Fürsten von Kijew in Nowgorod regierend, von diesem Lande 3000 Griwnas gesammelt habe, von denen er 2000 seinem Vater nach Kijew zu senden hatte. Jaroslaw lieferte aber dies Geld nicht ab und der erzürnte Vater rüstete ein Heer aus um den unbotmässigen Sohn zu bestrafen. Da flüchtete Jaroslaw nach Schweden um fremdes Kriegsvolk gegen den Vater zu werben; Wladimirs Tod verhinderte jedoch den Ausbruch des Kampfes. Betrachtet man die damaligen Verhältnisse, so kommt man zu der Annahme, dass noch andere, tieferliegende Ursachen der Zwietracht zwischen Sohn und Vater vorhanden gewesen sein müssen. Wladimirs Kinder hatten verschiedene Mütter. 1 ) ') Einige der Chroniken nennen Jaroslaw den Sohn der Eognjeda, andere aber widersprachen dem, und berichten, dass Wladimir von der unglücklichen polozker Fürstentochter nur einen Sohn, den Isjaslaw, gehabt und dass er Eognjeda mit diesem Sohn in das Land ihres Vaters entlassen habe. Seit dieser Zeit regierten Eognjedas Nachkommen, getrennt yon den andern Nachkommen Wladimirs, in Polozk, und zwischen ihnen herrschte fortwährend ein Familienhass, der durch die Ueberlieferungen der Vergangenheit immer neu genährt wurde. Folgende Ueberlieferung hatte sich Ton Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt: Nachdem Wladimir mit Eognjeda den Isjaslaw gezeugt hatte, verlieas er sie und wandte sich andern Frauen zu. Da machte Eognjeda, um sich und ihren Yater zu rächen, einen Anschlag gegen Wladimir, um ihn im Schlafe zu ermorden. Wladimir jedoch erwachte rechtzeitig und ergriff, in dem Moment als sie das Messer auf ihn zückte, ihren Arm. Er befahl ihr das Hochzeitsgewand anzulegen, sich in ein reichgeschmücktes Gemach zu begeben, und ihn zu erwarten : er wolle sie eigenhändig umbringen. Rognjeda aber lehrte ihren unmündigen Sohn Isjaslaw ein entblösstes Schwert zu nehmen, dem Vater entgegen zu gehen und ihm zu sagen: „Vater, glaubst Du, Du seiest allein hier!" Wladimir, durch den Anblick seines Sohnes gerührt, sprach: „Wer hätte gedacht, dass auch Du hier seiest!" Er warf das Schwert von sich, berief die Bojaren und liess sie über seine Frau zu Gericht sitzen. „Um ihres Kindes willen, tödte sie nicht", sprachen die Bojaren, „sende
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II. Fürst Jaroslaw Wladimiro witsch von Kijew.
Vor dem Tode Wladimirs war ihm unter allen seinen Söhnen Boris der liebste; dieser, und sein jüngerer Bruder Gljeb, werden in unsern Chroniken als die Söhne einer Bolgarin, nach anderen, spätem Nachrichten, als die Söhne einer griechischen Zarentochter bezeichnet. Unsre Geschichtsschreiber, welche diese differirenden Ueberlieferungen zu vereinigen suchten, meinten, die Zarentochter, welche dem heiligen Wladimir angetraut wurde, sei nicht eine rechte Schwester, sondern eine Base (Cousine) der griechischen Kaiser, eine Tochter des bolgarischen Zaren Peter gewesen. Ob sie nun eine Base von Basilius und Konstantin, oder ob sie deren rechte Schwester war, ist bis jetzt noch nicht entschieden; jedenfalls aber ist es sehr wahrscheinlich, dass Boris und Gljeb Kinder dieser Zarentochter waren und dass Wladimir, als Christ, sie seinen übrigen Söhnen deshalb vorzog, weil er sie durch ihre Geburt, als christliche Kinder einer christlichen Mutter, für gesetzmässiger hielt. Ausserdem hatten sie auch noch den Vorzug der edleren Abstammung vor den andern, da ihre Mutter aus königlichem Blute hervorgegangen war. Als Wladimir seine Söhne in die verschiedenen Länder einsetzte, behielt er Boris bei sich, mit der offenkundigen Absicht ihm, nach seinem Tode das Fürstenthum Kijew zu vermachen. Dies war wohl auch der Grund, weshalb Jaroslaw, als der Aeltere, gegen seinen Vater aufgebracht war; mehr aber noch hatte Fürst Swjätopolk, welcher noch älter als Jaroslaw war, Ursache ungehalten zu sein. In den Chroniken wird Swjätopolk als Sohn der Gattin Jaropolks, einer griechischen Nonne, bezeichnet; nach dem Tode seines Bruders habe, wie man sagt, Wladimir diese Frau im Zustande der Schwangerschaft zu sich genommen, und es sei daher unbekannt, ob Swjätopolk ein Sohn Jaropolks oder Wladimirs gewesen sei, in jedem Fall aber war er älter als alle übrigen Söhne Wladimirs. Der Tod hatte also den Krieg zwischen Wladimir und seinem Sohn verhütet. Boris befand sich damals nicht in Kijew, sein Vater hatte ihn gegen die Petschenegen gesandt. Die Bojaren, welche Boris begünstigten, verheimlichten drei Tage lang den Tod Wladimirs, wahrscheinlich um die Rückkehr dieses Lieblingssohnes zu erwarten; endlich aber mussten sie, noch vor dessen Rückkunft, den Vater beerdigen. Swjätopolk bestach die Kijewer durch Geschenke und Schmeicheleien und sie beriefen ihn zu ihrem Fürsten. Obschon ihm als Erstgebornen das Recht zur Seite sie mit ihrem Sohn auf den Stammsitz ihres Vaters zurück." So berichtet die Ueberlieferung, welche in alten Zeiten allgemein verbreitet gewesen zu sein scheint. Rogwolods Enkel, denen dies Ereigniss überliefert worden war, standen den Enkeln Jaroslawa feindlich gegenüber; denn, ausser dem Polozker Land, welches die Nachkommen Rogwolods und Rognjedas erhalten hatten, war das ganze übrige russische Land Jaroslaws Enkeln als Erbtheil zugefallen. Die Existenz dieser Ueberlieferung, welche durch die Absonderung der Fürsten von Polozk von den Nachkommen Jaroslaws, die einige Jahrhunderte hindurch währte, bestätigt wird, beweist wohl genügend, dass Jaroslaw nicht Rognjedas Sohn gewesen sein kann. Jaroslaw war aber nicht nur kein Vollbruder des Fürsten von Polozk, der schon zu Wladimirs Lebzeiten abgetheilt worden war, sondern er war auch kein Vollbruder der andern Sühne seines Vaters.
II. Fürst Jaroslaw Wladimirowitsch von Kijew.
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stand, musste er dennoch die Einwilligung des Volks zu erlangen suchen, besonders zu einer Zeit, wo noch andere Prätendenten vorhanden waren. Auch unter diesen Verhältnissen war jedoch seine Lage eine unsichere. Die erkaufte Zuneigung der Kijewer komnte sich leicht ändern und die Kinder der christlichen Zarentochter hatten ein moralisches Vorrecht vor ihm, auch konnten sie Fremdlinge heranziehen und ein besonders gefahrlicher Nebenbuhler war ihm Boris. Swjätopolk entledigte sich daher beider Brüder durch Meuchelmord. Boris wurde am Ufer der Alta, in der Nähe von Perejaslawl, Gljeb am Dnjepr, nahe bei Smolensk ermordet. Das nämliche Schicksal hatte auch der dritte Bruder, der Drewljaner Swjätoslaw, welcher, als er die Gefahr herannahen sah, nach Üngarn entfloh, in den Karpathen jedoch eingeholt und getödtet wurde. Die beiden ersteren, Boris und Gljeb, wurden später unter die Zahl der Heiligen aufgenommen; die Schilderung ihres Todes wurde ein Gegenstand dichterischer Legeijde. Längere Zeit hindurch galten diese Fürsten als die Beschützer ihres Geschlechts und des russischen Landes; dem unmittelbaren Schutze der heiligen Söhne Wladimirs wurden viele Siege der Russen über ihre Feinde zugeschrieben. Der dritte Bruder, Swjätoslaw wurde nicht der Ehre gewürdigt heilig gesprochen zu werden, wahrscheinlich deshalb, weil die Kirche den Ersteren, durch ihre Geburt von einer Mutter, welche das Christenthum in das russische Land gebracht hatte, eine höhere Bedeutung zuerkannte. Jaroslaw, vom Tode des Vaters nicht unterrichtet, kam mit den Warägern nach Nowgorod und vertheilte sie auf die verschiedenen Höfe Die Fremdlinge aber fingen an Excesse zu begehen; es bildete sich eine Verschwörung gegen sie und man tödtete etliche von ihnen auf dem Hofe eines gewissen Poromoni. Aus Rache dafür lud Jaroslaw die Urheber der Verschwörung, unter dem Vorwande eines Gelages, zu sich, nach Rakom ein (in der Nähe Nowgorods, hinter dem Jurjew-Kloster) und liess sie tödten. In der nächsten Nacht empfing er die Nachricht vom Tode seines Vaters und von der Ermordung seiner Brüder. Da trat Jaroslaw vor die Wetsche (Volksversammlung), bereuete sein treubrüchiges Verfahren gegen die Nowgoroder und fragte, ob man ihm helfen wolle. „Obschon du unsre Brüder hinschlachten liessest, Fürst, können wir dennoch für dich kämpfen!" wurde ihm geantwortet. Es ') Waräger (Yaringiar) hiessen die Eingebornen der skandinavischen Halbinseln, welche im Dienst der byzantinischen Kaiser standen und die bei ihrem Durchzuge von der Heimat nach Griechenland, die russischen Länder auf dem Wasserwege, vom Baltischen bis zum Schwarzen Meer, die Flüsse entlang, passirten. Da nun die Bussen durch diese Leute die Bekanntschaft mit den Skandinaviern machten, so Ubertrugen sie deren Standesbenennung auf die Bewohner der skandinavischen Halbinseln überhaupt. In der Folge wurde noch die Bedeutung dieser Benennung erweitert und unter dem Namen Waräger verstand man späterhin alle Westeuropäer, ähnlieh wie das gemeine Volk gegenwärtig alle Westeuropäer „Njimzy" (Deutsche) nennt. (Njftnzy, etymologisch erklärt, heisst „Stumme", also Leute, die unsre Sprache nicht sprechen können.)
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II. Fürst Jaroslaw "Wladimirowitsch von Kijew.
war den Nowgorodern v o r t e i l h a f t , Jaroslaw zu unterstützen, denn die Abhängigkeit von Kijew war ihnen lästig und wäre unter Swjätopolk, bei dessen harter Gemüthsart, noch lästiger geworden; auch wurden die Nowgoroder durch den Hochmuth der Kijewer, welche sich als ihre Herren betrachteten, beleidigt. Wenn sich die Nowgoroder daher für Jaroslaw. erklärten, so thaten sie es gleichzeitig auch im eigenen Interesse und ihre Berechnung war auch insofern nicht unrichtig, da ihnen Jaroslaw dafür einen Freibrief verlieh, der sie von der unmittelbaren Oberherrschaft Kijews loslöste und der Stadt und dem Lande Nowgorod seine ehemalige Selbstständigkeit wieder zurückgab. Jaroslaw eröffnete den Feldzug gegen den Kijewer Fürsten im Jahre 1016; die Zahl seiner Nowgoroder giebt der Chronist auf 40 000 an; auch 1000 Waräger unter Eimund, dem Sohn eines norwegischen Fürsten Ring, befanden sich bei ihm. Im Herbst zog Swjätopolk mit den Kijewern und Petschenegen dem Jaroslaw entgegen. Bei Ljubetsch am Dnjepr trafen die Feinde zusammen und standen lange (die Chronik sagt drei Monate lang) einander gegenüber; weder die Einen noch die Andern wagten es den Fluss zu überschreiten, bis endlich die Nowgoroder, von den Kijewern durch Hohn und Spott gereizt wurden: „Ach, was seid Ihr für Zimmerleute, kommet daher mit solch' einem Lahmen 1 )! Wartet, wir wollen Euch schon Häuser zimmern lassen!" — „Fürst", riefen die Nowgoroder, „greifst Du sie nicht an, so schlagen wir selbst los!" — und setzten über den Dnjepr. Jaroslaw, der unter den Kijewern einen ihm wohlgesinnten Feldherrn kannte, sandte in der Nacht einen Jüngling zu ihm und gab ihm folgenden Wink: — „Was ist zu thun? es ist nur wenig Meth gebraut, der Krieger aber sind viele!" Der Kijewer antwortete: „Obschon nur wenig Meth, aber viel Kriegsvolk da ist, muss dennoch gegen Abend gegeben werden!" Jaroslaw verstand, dass er in der nämlichen Nacht einen Ueberfall unternehmen müsse; er liess daher zur Schlacht vorrücken und gab seinem Heer folgenden Befehl: „Umbindet eure Köpfe mit Tüchern, damit wir die Unsrigen erkennen." Swjätopolk hatte sein Lager zwischen zwei Seen aufgeschlagen, und da kein Ueberfall erwartet wurde, so trank und belustigte er sich mit seinem Heer die ganze Nacht hindurch. Unvermuthet schlugen die Nowgoroder los. Die Petschenegen, welche jenseits des Sees standen, konnten Swjätopolk nicht zu Hilfe kommen und die Nowgoroder drängten ihre Feinde nach dem See zu, so dass die Kijewer gezwungen waren sich aufs Eis zu werfen; da dies aber noch dünn w a r , so ertranken viele von ihnen. Der besiegte Swjätopolk floh zu seinem Schwiegervater nach Polen und Jaroslaw zog in Kijew ein. Boleslaw, den man den Tapfern nannte, strebte danach seinen polnischen Besitz zu erweitern. Er glaubte die Gelegenheit sei günstig ') Chromez — der Lahme, Hinkende, vielleicht aber auch Choromez, Einer der gern baut.
II. Fürst Jaroslaw Wladimirowitsch von Kijew.
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seinen Vortheil wahrzunehmen und sich in den Streit der russischen Fürsten zu mengen, und rückte daher, im Jahre 1018, mit Swjätopolk vereint gegen Jaroslaw. Dieser aber kam ihnen zuvor; er rückte ihnen bis nach Wolhynien entgegen und traf sie an den Ufern des Bug. Hier wiederholte sich der russische Brauch den Feind zu verhöhnen. Jaroslaws Feldherr und Verpfleger Budyj ritt am Ufer entlang und rief, auf Boleslaw weisend, hinüber: „Warte, wir werden dir Deinen dicken Bauch mit einem Spahn durchbohren." Der tapfere Boleslaw konnte diese Schmach nicht ruhig hinnehmen; er rief den Seinen zu: „Rührt Euch solch' eine Beleidigung nicht, so will ich allein zu Grunde gehen"; dabei sprang er in den Bug, an der Stelle, wo sich eine Furt befand, und seine Polen folgten ihm. Jaroslaw war noch nicht kampfbereit und muaste mit vier von seinen Leuten nach Nowgorod fliehen. Boleslaw eroberte Kijew, gab es aber nicht an Swjätopolk zurück, sondern setzte sich darin fest und vertheilte sein Kriegsheer in den Städten. Kijew hatte für den Eroberer einen grossen Reiz; der Tribut von den unterworfenen russischen Ländern bereicherte die Stadt und der Handel mit Griechenland und dem Orient vereinigte dort die Erzeugnisse der damaligen Civilisation. Es herrschte ein lustiges Leben daselbst und Boleslaw gedachte sein Reich von hier aus zu regieren und Gesandtschaften ins westliche und östliche Reich auszusenden. Dies Verfahren aber reizte sowohl den Swjätopolk, als auch seine Kijewer; er sah sich in seinem eigenen Fürstenthum zum Vasallen eines fremden Herrschers erniedrigt und die Kijewer wurden von den Polen wie Sklaven behandelt. Endlich begannen die Russen, im Einverständniss mit Swjätopolk, die Polen todtzuschlagen. In den Städten vertheilt konnten sich diese nicht gegenseitig zu Hilfe kommen, und Boleslaw musste fliehen. Es gelang ihm jedoch sowohl die fürstliche Habe, als auch Jaroslaws Schwestern mitzunehmen. Früher schon hatte er um eine derselben, Predslawa, gefreit, hatte aber einen Korb erhalten; aus Rache dafür nahm er sie jetzt mit Gewalt. Jaroslaw, der in grosser Hast nach Nowgorod gekommen war, wollte seine Flucht noch weiter, bis übers Meer fortsetzen, aber der Possadnik Kosnjatin, Dobrynins Sohn, Hess ihn nicht' fort und befahl die Kähne zu zerschlagen; die Nowgoroder aber riefen: „Wir wollen noch für dich gegen Boleslaw und Swjätopolk kämpfen!" Eine allgemeine Kopfsteuer, auf jeden Mann vier Kuna, wurde aufgelegt, von den Aeltesten der Stadt aber musste jeder zehn Griwnas zahlen und jeder Bojar achtzehn 1 ). Waräger wurden angeworben, ein zahlreiches Heer zusammengezogen und der Feldzug gegen Kijew begann. ') Kuna, ursprünglich Kuniza, Marderfell; denn Felle waren die Werthmesser der Dinge; daher bedeutet Kuna eine Münzeinheit. Die Griwna ist eigentlich eine Gewichtseinheit, aber im übertragenen Sinne -wurde es die Bezeichnung einer grSsaern Münzeinheit, in der Art wie das englische Pfund Sterling. Eine Griwna Silber war ursprünglich gleich einem Pfund, dann wurde sie kleiner, bis zu einem halben Pfund;
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Swjätopolk, der sich durch Treubruch von Boleslaw befreit hatte, konnte nicht mehr auf ihn zählen. Als Boleslaw nicht mehr imstande war .Kijew zu halten, nahm er wenigstens die galizischen Städte, welche durch Wladimir den Polen abgenommen worden waren, wieder zurück. Swjätopolk, der, wie es scheint, nicht auf die Hilfe der Kijewer rechnen konnte, wandte sich an die Petschenegen. Jaroslaw hatte am Ufer der Alta Aufstellung genommen, an der nämlichen Stelle, wo sein Bruder Boris getödtet worden war. Hier wurde, an einem Freitag des Jahres 1019, bei Sonnenaufgang eine blutige Schlacht geschlagen. Swjätopolks Heer wurde vernichtet und er musste fliehen. Unsre Chroniken berichten, dass ein wahnsinniger Schrecken sich seiner bemächtigt hatte; seine Schwäche sei so gross gewesen, dass er sich nicht mehr auf dem Pferde halten konnte und man ihn auf einer Bahre tragen musste. So erreichte er Berestje (Brest). „Lasst uns fliehen, flieheD, man verfolgt uns!" rief er in seinem Wahn. Die in seiner Nähe befindlichen Edelknaben Hessen Erkundigungen einziehen, ob man sie verfolge, es war nicht der Fall; Swjätopolk aber schrie fortwährend: „Dort, dort! sie verfolgen uns, lasst uns fliehen!" und gestattete nicht eine Minute Aufenthalt; er floh, man weiss nicht recht wohin, „in die Wüste, zwischen die Tschechen und Lechen", und dort endete auch sein Leben. „Sein Grab befindet sich noch bis auf diesem Tag an jenem Orte", sagt der Chronist, „und es entsteigt demselben ein Gestank."') Swjätopolks Andenken ist bei den Nachkommen mit Schmach bedeckt und sein Beiname in der Geschichte ist „der Verdammte". Jaroslaw bestieg nun in Kijew den Thron 2 ) und musste dann den Kampf mit seinen übrigen Verwandten auskämpfen. Brjätschislaw, Fürst von Polozk, der Sohn seines Bruders Jsjaslaw, griff im Jahre 1021 Nowgorod an, plünderte es, nahm viele Nowgoroder gefangen und ging dann nach Polozk zurück; Jaroslaw aber, nachdem er ihn am Flusse Ssudomir eingeholt und ihm die Gefangenen und die geraubte Beute abgenommen hatte, versöhnte sich mit ihm und überliess ihm die Herrschaft von Witebsk und Uswjät. Im Jahre 1023 war Jaroslaw genöthigt mit seinem Bruder Mstislaw zu kämpfen. Dieser Fürst, alten Berichten zufolge ein stämmiger Mann, mit rothem Gesicht und grossen Augen, kühn in der Schlacht, freigebig für sein Kriegsheer, hatte vom Vater das entfernt liegende Tjmutarakan als seinen Antheil erhalten; er war wegen seiner heldenhaften Kühnheit, insbesondere aber wegen seines Zweikampfs mit dem Kassogenfürsten eine Griwna Marderfell ist annähernd sieben ein halb mal weniger als eine Griwna Silber. ') Nach skandinavischen Berichten ist Swjätopolk innerhalb Russlands Grenzen, von Warägern getödtet, umgekommen. s ) „Setzte sich auf den Tisch" — heisst es im Original, und der Verfasser bemerkt dazu: „Seit dieser Zeit heisst es von dem, die Regierung antretenden Fürsten fast stets, dass „er sich auf den Tisch gesetzt" habe. Dieser Ausdruck entspricht einer alten Ceremonie: der neue Fürst wurde thatsächlich in der Hauptkirche auf einen Tisch gesetzt und dies bedeutete die Anerkennung desselben seitens des Landes.
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Rededja berühmt. Dieser Zweikampf war lange Zeit hindurch in Russland unvergessen und ein beliebtes Thema der alten Heldengesänge. Als Beherrscher des Landes Tjmutarakan kämpften die Russen häufig mit ihren Nachbarn, den Kassogen. Deren Fürst Rededja bot einst dem Mstislaw einen Zweikampf an, mit der Bedingung, dass derjenige, welcher Sieger bleiben würde, sowohl die Habe, als auch Weib, Kind und Land des Besiegten erhalten solle. Mstislaw nahm das Anerbieten an. Rededja war von riesiger Gestalt und ausserordentlich stark und Mstislaw fing schon an zu ermatten; da richtete er sein Flehen an die allerheiligste Mutter Gottes und gelobte, falls er seinen Feind bewältigen würde, ihr zu Ehren eine Kirche zu erbauen; dann raffte er alle seine Kräfte zusammen, warf Rededja zu Boden und erstach ihn. Nach Uebereinkunft bemächtigte er sich seines Landes, seines Weibes und seiner Kinder und legte den Kassogen einen Tribut auf. Zum Dank für die Hilfe der allerheiligsten Mutter Gottes im Moment der Gefahr, baute er ihr zu Ehren eine Kirche in Tjmutarakan. Dieser fürstliche Held erhob sich nun mit den von ihm unterworfenen Kassogen gegen seinen Bruder Jaroslaw und rief die Chasaren zu Hilfe. Anfangs hatte er die Absicht, Jaroslaws Abwesenheit in Nowgorod benützend, sich Kijews zu bemächtigen, die Kijewer aber wiesen ihn ab und es scheint, dass er sie mit Gewalt weder unterwerfen konnte noch wollte. Jaroslaw rief nun die Waräger von jenseits des Meeres herbei. Es ist bemerkenswerth, dass die Fürsten jener Zeit in ihren Familienkämpfen fast stets fremde Hilfe herbei rufen mussten. So auch diesmal. Der Waräger Anführer war Jakun (Hakon), dessen Andenken in Russland sich dadurch erhielt, weil er einen mit Gold gestickten Mantel trug. Der Kampf Jaroslaws und Mstislaws begann im Lande Ssewersk, in der Nähe von Listwen. Es war Nacht und ein fürchterliches Gewitter stand am Himmel; die Waräger waren schon nahe daran die Ssewerjaner zu bewältigen, als sich der kühne Fürst Mstislaw mit seiner verwegenen Schar auf die Waräger warf und sie in die Flucht schlug; Jakun verlor sogar Beinen golddurchwirkten Mantel. Als Mstislaw das Schlachtfeld am Morgen besichtigte, rief er: „Wie sollte ich mich nicht freuen, hier liegt ein Waräger, dort ein Ssewerjaner, meine Schar aber ist vollzählig!" Seit altersher zeichneten sich die russischen Fürsten als Anführer kriegerischer Scharen aus, erst durch Annahme des Christenthums wurden sie nach und nach zu Landesregenten. Der Sieger setzte den Krieg gegen seinen Bruder nicht fort; er sandte dem nach Nowgorod geflüchteten Jaroslaw folgende Botschaft: „Du bist der älteste Bruder, sollst also Kijew haben, mir mag das linke Dnjepr-Ufer bleiben!" Jaroslaw musste sich damit einverstanden erklären. Mstislaw erwählte Tschernigow zu seiner Residenz und legte daselbst den Grund zur Erlöserkirche. Von nun an lebten die Brüder in herzlicher Eintracht und eroberten im Jahre 1031 die von Boleslaw weggenommenen galizischen Städte wieder zurück, indem sie die Schwäche
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Metschislaws, des tapferen Boleslaw Nachfolger, benutzten; Jaroslaw führte bei dieser Gelegenheit viele gefangene Polen heim und siedelte sie an den Ufern des Ross an; auch Mstislaw erhielt einen Theil der Gefangenen, die er in seinem Lande ansiedelte. Dies' war, unter anderm, der Grund, dasö sich in der Bevölkerung des Kijewschen Landes ein polnisches Volkselement einbürgerte. Mstislaw starb im Jahre 1036 auf einem Jagdzug; er hinterliess keine Kinder. Seinen Antheil erhielt Jaroslaw und von jetzt an bis zu seinem Tode blieb er, als Fürst von Kijew, der einzige Beherrscher des russischen Landes mit Ausnahme des Gebiets von Polozk. Ausser ihm lebte nur noch ein Sohn Wladimirs des Heiligen, Ssudislaw in Pskow, den Jaroslaw jedoch, bald nach Mstislaws Tode, auf eine Anklage hin, ins Gefängniss warf, wo der Unglückliche bis zu Jaroslaws Tod schmachten musste. Anfangs kam Jaroslaw häufig selbst nach Nowgorod und blieb dort längere Zeit; war er nicht dort anwesend, so liess er es durch Possadniki (Statthalter) regieren. Kosnjätin, der Sohn Dobrynins, welcher Jaroslaws Flucht übers Meer verhindert hatte, musste in der Folge dessen Zorn fühlen; er war nach Rostow verbannt und darauf in Murom getödtet. Im Jahre 1038 setzte Jaroslaw seinen Sohn Wladimir in Nowgorod ein, nach dessen Tod, im Jahre 1052 kam ein anderer Sohn Jaroslaws, Isjaslaw, an die Reihe und seit dieser Zeit herrschten in Nowgorod stets eigene Fürsten; anfangs in der Regel die ältesten Söhne der Kijewer Fürsten. Jaroslaw erweiterte das russische Gebiet durch Eroberung neuer Länder. Er nahm nicht nur den Polen die galizischen Städte weg, sondern kämpfte auch glücklich gegen die Finnen und gründete im Jahre 1030 im Lande der Esten die Stadt Jurjew, welche nach Jurij, dem christlichen Namen Jaroslaws, benannt wurde. In den Jahren 1038 und 1040 zog er gegen die Jatwjägen und Litthauer und zwang dieselben ihm Tribut zu zahlen. Die galizischen Städte bildeten noch immer ein streitiges Gebiet zwischen Polen und Russland, Jaroslaw aber fesselte sie dadurch an Russland, dass er mit dem polnischen Fürsten Kasimir Frieden schloss und ihm seine Schwester zur Frau gab, also in ein verwandtschaftliches Verhältniss zu ihm trat. Als Morgengabe >) sandte Kasimir 800 russische Gefangene zurück, welche einst dem Boleslaw in die Hände gefallen waren. Zu jener Zeit hatten die Menschen einen hohen Werth, weil Mangel an Menschenkräften zur Bestellung der Felder und zum Schutze des Landes herrschte. Wahrscheinlich überliess Kasimir damals auch die galizischen Städte dem russischen Fürsten endgültig; Jaroslaw half ihm dagegen bei der Unterwerfung Masoviens. Nicht so glücklich für Jaroslaw endete der Seekrieg gegen Griechenland, der letzte in der russischen ') Wjeno ist eigentlich die Zahlung, welche der Bräutigam nach altem Gebrauch den Eltern oder Brüdern der Braut zu leisten hat.
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Geschichte. Er brach bei Gelegenheit eines Streits zwischen russischen Kaufleuten und Griechen aus, wobei ein Russe getödtet wurde. Jaroslaw sandte 1043 seinen Sohn Wladimir und den Heerführer Wyschata gegen Byzanz, der Sturm jedoch vernichtete die russische Flotte und warf Wyschata mit 6000 russischen Kriegern an den Strand. Hier wurden sie von den Griechen umzingelt, gefangen genommen und nach Konstantinopel geführt. Dort stach man dem Wyschata und vielen andern Russen die Augen aus. Wladimir hatte unterdessen das Glück den Angriff der griechischen Schiffe auf dem Meere zurückzuschlagen und kehrte in sein Vaterland zurück. Nach drei Jahren wurde Friede geschlossen, die Geblendeten und alle übrigen Gefangenen entlassen und der griechische Kaiser Konstantin Monomachos gab, um den Frieden zu bekräftigen, seine Tochter dem Wssewolod, Jaroslaws Sohn, zur Frau. Es war dies nicht das einzige verwandtschaftliche Verhältniss Jaroslaws zu den fremden Fürsten damaliger Zeit. Eine seiner Töchter, Elisabeth, war an den norwegischen König Harald verheiratet, — den nämlichen, welcher der Nachwelt einen Gesang hinterlassen, in dem er seine kriegerischen Erfolge rühmt, sich aber beklagt, dass die russische Schöne kalt gegen ihn sei. Eine andere Tochter Jaroslaws, Anna, vermählte sich mit König Heinrich I. von Frankreich und trat in ihrem neuen Vaterlande zur römisch-katholischen Kirche über, die sich eben erst von der orientalischen, mit der sie bisher vereinigt gewesen war, getrennt hatte. Jaroslaws Söhne (wahrscheinlich Wjätscheslaw und Swjätoslaw) waren mit deutschen Fürstentöchtern vermählt. Jaroslaws Hauptverdienst besteht insbesondere in der Festigung der innnern Zustände des Landes. Eine seiner Leidenschaften war das Bauen; im Jahre 1037 wurde Kijew von den Petschenegen überfallen; Jaroslaw befand sich in Nowgorod und eilte mit Warägern und Nowgorodern dem Süden zu. Die Petschenegen, welche Kijew mit einer ungeheuren Macht angegriffen hatten, wurden aufs Haupt geschlagen. (Seither hörten diese Ueberfälle der Petschenegen auf; ein Theil derselben siedelte sich auf russischem Boden an und wir finden sie in der Folge, mit den Russen zusammen, in den Heeren der russischen Fürsten.) Zur Feier dieses Ereignisses schuf Jaroslaw die Kirche zur heil. Sophie, auf der nämlichen Stelle, an der das Gemetzel mit den Petschenegen am heftigsten gewesen war. Diese Kirche zur heil. Sophie wurde von griechischen Baumeistern errichtet und von griechischen Künstlern geschmückt. Trotz aller späteren Um- und Anbauten kann sich dieselbe auch heute noch als ein Muster byzantinischer Baukunst jener Zeit, nicht nur in Russland, sondern auch in ganz Europa sehen lassen. Bei uns ist es der einzige monumentale Bau des XI. Jahrhunderts, welcher noch verhältnissmässig gut erhalten ist. Ursprünglich war es ein längliches steinernes Gebäude, theils aus ungeheuren Platten von gebranntem Lehm und theils aus Feld-
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steinen aufgerichtet; 51 >/2 Arschin lang und etwa 76 Arschin breit; die Höhe betrug zwischen 60 und 70 A r s c h i n A u f der nördlichen, westlichen und südlichen Seite befanden sich steinerne Chöre, welche auf der südlichen und nördlichen Seite von dicken Pfeilern mit drei Bögen unten und oben gestützt waren. Das Sanktuarium w a r dreitheilig, halbr u n d , mit Fenstern versehen und hatte zwei Nebenaltare. Das Ganze wurde durch fünf Kuppeln erhellt, von denen die grösste sich über der Mitte der Kirche befand, die vier andern waren über den Chören. Altarwände, Altarpfeiler und Hauptkuppel waren mit Mosaiken verziert, die übrigen Wände mit Malereien 2 ). Von aussen hatte die Kirche eine Vorhalle, von welcher aus auf der südlichen und nördlichen Seite zwei Wendeltreppen auf den Chor führten. Die Treppen waren mit verschiedenen Abbildungen aus dem Profanleben, wie z. B. einer fürstlichen J a g d , einer fürstlichen Gerichtssitzung, Volksbelustigungen u. dgl. bemalt. (Diese Fresken existiren noch jetzt, jedoch etwas renovirt.) Ausser der Kirche zur heil. Sophie baute Jaroslaw noch die Kirche der heil. Irene (welche jetzt nicht mehr existirt), und das Kloster des heil. Georg; er erweiterte Kijew nach Westen zu und baute die sogen. Goldene Pforte und darüber die Kirche zu Maria Verkündigung. Auf seinen Befehl errichtete sein Sohn Wladimir die Kirche zur heil. Sophie in Nowgorod, 1045, nach dem Muster der von Kijew, doch in kleinerem Massstabe. Diese Kirche wurde das vornehmste Heiligthum Nowgorods. Jaroslaws Regierung zeichnete sich aus durch die Verbreitung der christlichen Religion in allen russischen Ländern. Die Generation derjenigen Kinder, denen Wladimir Schulunterricht hatte ertheilen lassen, war damals schon herangewachsen und Jaroslaw setzte diese Thätigkeit seines Vaters fort; wenigstens ist ein Bericht auf u n s gekommen, dass er in Nowgorod 300 Kinder von Starosten und Pfaffen habe sammeln und in die „Bücherlehre" abgeben lassen. Im Ssusdaler Lande kämpfte Jaroslaw im Jahre 1024 gegen das Heidenthum. Es w a r in dieser Gegend eine Hungersnoth ausgebrochen und Zauberer verbreiteten die Meinung, dass alte Weiber Korn und allerlei Vorräthe versteckt halten. In Folge dessen rebellirte das Volk und tödtete einige Weiber. Jaroslaw kam nach Ssusdal, liess die Zauberer hinrichten, warf i h r e Genossen ins Ge-
') Eine Arschin ist gleich 0,7112 Meter. ) Gegenwärtig ist vom ehemaligen Mosaikgrunde auf dem Haupt-Altargemälde noch die Abbildung der Mutter Gottes mit erhobenen Händen, iund unten, an der nämlichen Wand, ein Theil der Abbildung des heil. Abendmahls, nioch tiefer unter diesem, ein Theil von Darstellungen verschiedener Heiliger übrig. Amf den Altarpfeilern befindet sich die Abbildung der Verkündigung Mariä, links der Engel mit dem Zweige und am gegenüberstehendem Pfeiler die heil. Jungfrau spinnemd. Ausserdem ist noch ein Theil des Mosaiks der Kuppel erhalten. Die antike Wandmalerei wurde im XVII. Jahrhundert mit Kalk neu verputzt und übermalt; im XIX. Jahrhundert schlug man den neuen Mörtel wieder herunter, stellte den alten Grund wieder her und besserte ihn aus; die Arbeit ist aber nicht besonders gut gelungen umd stellenweise zu willkürlich restaurirt. s
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fängniss und belehrte das Volk, dass die Hungersnoth eine Strafe Gottes, nicht aber eine Folge der Hexerei alter Weiber sei. Das Christenthum verbreitete sich immer mehr unter dem Volke dieses Landes. In Kijew fasste der neue Glaube am tiefsten Wurzel und die Folge war, dass dort ein Kloster nach dem andern entstand. Die Vermehrung der Bischofssitze führte zur Errichtung eines über die übrigen erhabenen Hauptoder Metropolitansitzes. Gleichzeitig mit der Gründung der Sophienkirche legte Jaroslaw den Grund zur russischen Metropolitenwürde. Der erste Metropolit unter Jaroslaw war Theopempt, welcher im Jahre 1039 die Zehntenkirche, die durch Jaroslaw umgebaut worden war, einweihte. Im Jahre 1051 stellte das Concilium der russischen Bischöfe anstatt des Theopempt, den Hilarion auf, einen gebornen Russen und hervorragenden Gelehrten damaliger Zeit, wie das von ihm hinterlassene Werk „Von der Gnade und dem Gesetze" bekundet. Jaroslaw selbst war ein Freund des Lesens und liebte die Unterhaltung bücherkundiger Leute; er berief kenntnissreiche Männer und gab ihnen den Auftrag griechische W e r k e geistlichen Inhalts ins Russische zu übersetzen, die er dann abschreiben liess. Auf diese Weise entstand eine Büchersammlung, welche Jaroslaw in der Sophienkirche aufbewahrte. Es scheint der Fürst von Kijew hatte die Absicht sein Geschlecht in den Augen des Volkes zu heiligen und dies war wohl auch der Grund, weshalb er, bald nachdem er den Kijewer Fürstensitz eingenommen, die Leiche Gljebs nach Wyschgorod überführen und sie neben der Leiche des Boris bestatten liess. Seit dieser Zeit fing das Volk an nach Wyschgorod zu wallfahren um diese Reliquien zu verehren; dieselben wurden als unverweslich erklärt und bei ihren Grabstätten sollen Heilungen stattgefunden haben. Im Jahre 1044 verrichtete Jaroslaw eine eigenartige Ceremonie: er liess die Gebeine seiner Onkel Oleg und Jaropolk ausgraben, in der Zehnten-Kirche taufen und dann in der Kirche beerdigen. Jaroslaw ist es auch, dem wir die Sammlung der alten Gesetze verdanken, welche unter dem Namen „Russkaja P r a w d a " (das russische Recht) bekannt sind. Diese Sammlung, welche in verschiedenen mehr oder minder vollständigen Bearbeitungen vorhanden ist, enthält Gesetzesbestimmungen, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten erlassen wurden; das Wann und Wo ist jetzt unmöglich zu bestimmen. Die älteste, uns überlieferte Bearbeitung geht nur bis ans Ende des XIII. Jahrhunderts zurück; unzweifelhaft sind einige Theile unter den Söhnen und Enkeln Jaroslaws abgefasst, was ausdrücklich darin erwähnt ist. Die ersten siebzehn Abschnitte dieser Sammlung werden von den Gelehrten dem Zeitalter Jaroslaws zugeschrieben, obschon es nicht zu leugnen ist, dass vielleicht ein grosser Theil der nachfolgenden Partien anfänglich auch aus dieser Zeit herstammte. Der Hauptinhalt von Jaroslaws Gesetzen bezieht sich auf Injurien- und Indemnitätsfälle. Im Allgemeinen war sowohl für Mord (Todtschlag) als auch für Verstümmelung Kostomarow-Henekel, Russ. Geschichte in Biogr. I.
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III. Der ehrwürdige Theodoeios Ton Petachersk.
Wiedervergeltung gestattet. Das Wiedervergeltungsrecht für Mord konnte gesetzlich der Bruder für den Bruder, der Sohn für den Vater und der Vater für den Sohn, auch der Neffe für den Onkel ausüben. Hatte aber eine Vergeltung nicht stattgefunden, so musste dem Fürsten ein Wehrgeld, je nach dem Grad der Beleidigung und dem Stand, des Beleidigten gezahlt werden. Für die Tödtung eines freien Mannes waren 40 Griwnas, für eines Fürsten Mann aber 80 Griwnas festgesetzt. Wahrscheinlich kann die Einsetzung des sogen. „ wilden" Wehrgelds, welches dem Fürsten von der Gemeinde in dem Falle gezahlt werden musste, wenn auf deren Gebiet ein Mord stattgefunden hatte, ohne dass gegen den Mörder Klage erhoben wurde, auch auf Jaroslaws Zeit zurückgeführt werden. Derjenige , welcher bei einem Andern einen ihm gestohlenen Gegenstand entdeckte, konnte, wenn er den Diebstahl vorher öffentlich angezeigt hatte, sein Eigenthum ohne weiteres wegnehmen. War jedoch keine An. zeige von ihm gemacht worden, so musste er den Dieb vorführen, d. h. es musste untersucht werden, auf welche Weise er zu dem Gegenstand gekommen sei. Ein gleiches Verfahren fand statt, wenn es sich um einen entflohenen oder gestohlenen leibeigenen Enecht handelte. Falls der Angeklagte leugnete, wurde die Angelegenheit durch zwölf gewählte Männer entschieden. Noch vor seinem Tode setzte Jaroslaw seine Söhne in die verschiedenen russischen Länder ein. Sein ältester Sohn Wladimir in Nowgorod starb noch vor seinem Vater, im Jahre 1052. Der zweite Sohn, Isjaslaw, war in Turow, nach Wladimirs Tode übergab ihm sein Vater Nowgorod und bestimmte, dass er nach seinem Tode das Fürstenthum Kijew haben solle; in Tschernigow war Swjätoslaw, in Perejaslaw — Wssewolod, in Wladimir-Wolynsk — Igor und in Smolensk — Wjätscheslaw. Jaroslaw Btarb am 20. Februar 1054 in den Armen seines Lieblingssohnes Wssewolod und wurde in der Sophienkirche in einem Marmorsarge, der noch bis jetzt erhalten ist, beigesetzt.
in. Der ehrwürdige Theodosios YOÜ Petschersk. Zur Zeit als Bussland das Christenthum annahm, war die orthodoxe (d. h. griechische) Kirche vom Geist des Mönchthums erfüllt und die Religiosität stand unter dem Einfluss einer exclusiv klösterlichen Richtung. Es hatte sich die Vorstellung gebildet, dass der Mensch das Wohlgefallen Gottes am sichersten durch Entbehrungen, Leiden, Kasteiungen, Entsagung von den Lüsten der Welt, sogar durch Verzichtleistung auf den
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Umgang mit seinesgleichen, erringen könne; — dass der Menschen Trauer, Leiden und Thränen Gott angenehm seien, und dass, im Gegentheil, ein heiteres, ruhiges Leben führen — dem Teufel dienen bedeute und zum Verderben führe. Das Vorbild eines gottgefälligen Menschen war der von jeglichem Verkehr mit Andern losgelöste Anachoret, der Einsiedler, der sich freiwillig in eine enge Zelle, Höhle, auf einen Pfeiler oder in der Höhlung eines Baumes u. s. w. zurückgezogen, der sich mit der frugalsten, rohesten Speise begnügte, der das Gelübde des Schweigens ablegte, der seinen Leib mit schweren eisernen Ketten belastete und ihn allen Widerwärtigkeiten der Unreinlichkeit preisgab, — diesen betrachtete man als das Vorbild hoher christlicher Tugend. Konnten auch nicht Alle ein solches Leben führen, so war es doch die Pflicht Aller sich diesem Ideal zu nähern. Das Wort „Erlösung" im christlichen Sinne, stand in engster Beziehung zu einer Lebensweise, welche sich mehr oder minder in einer Richtung, wie die hier angedeutete, bewegte. Der Gottesdienst war so eingerichtet, als ob er ausschliesslich für das Klosterleben geschaffen sei: endloses Lesen und Stehen, zahlreiche Gebete und Regeln; die Symbolik und das Ceremoniell ausserordentlich complicirt, — Alles war für eine menschliche Gesellschaft berechnet, deren einzige Beschäftigung das Beten war. Selbst der Inhalt der Gebete, die zum gewöhnlichen Kirchengebrauch dienten und von Einsiedlern verfasst waren, trug mehr dem Bedürfnis des klösterlichen, als des weltlichen Lebens Rechnung. Das höchste Ideal des Christen war der vollkommene Anachoret, dann folgte, vom Standpunkt der Frömmigkeit betrachtet, die klösterliche Gemeinde, die Coelibatäre, die Fastenden und Büssenden, welche man für die wahre christliche Gemeinde hielt. Was sich ausserhalb dieses Kreises befand, „die Welt", konnte nur durch Gebete der Einsiedler und Mönche und durch grösstmöglichste Annäherung an die klösterliche Lebensweise erlöst werden. Daher kam es, dass das Fasten als eines der Hauptmittel zur Erlösung, in den Augen des Volkes die grösste Bedeutung erhielt und auch bis jetzt noch hat. Den Besuch von Klöstern hielt man für eine Gott besonders wohlgefällige Handlung und zwar um so mehr, je mehr Entbehrungen und Mühseligkeiten damit verbunden waren; der fromme Weltmensch glaubte daher sich von den ewigen Höllenqualen dadurch befreien zu können, dass er vor dem Tode entweder sein Besitzthum dem Kloster vermachte oder sich beeilte selbst noch Mönch zu werden. Obschon die Ehe von der Kirche als eine heilige Einrichtung anerkannt worden war, so schätzte man das ehelose, mönchische Leben dennoch weit höher als das eheliche und der Fromme konnte in den erbaulichen Lebensbeschreibungen und Predigten beständig Beispiele finden, wie ein heiliger Mann die Ehe vermeiden, die Weiber fliehen müsse, um ein möglichst einsiedlerisches oder klösterliches Leben zu führen. Die fromme Meinung des Volks ging in dieser Beziehung sogar noch weiter als die Lehre der Kirche, sie nannte jegliche An2*
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näherung der Geschlechter, die eheliche nicht ausgenommen, Sünde. Bekanntlich giebt es auch jetzt noch im Volke Viele, welche die ürsünde Adams und Evas aus der geschlechtlichen Verbindung herleiten, obschon eine solche Erklärung von der Kirche längst schon verworfen worden ist. Nichtsdestoweniger aber achtet die Kirche selbst das ehelose Leben höher als das Ehe- und Familienleben. Das Kloster mit seinen Regeln, mit seinen frommen Erinnerungen und üeberlieferungen hatte die Bestimmung der Mittelpunkt des geistigen Lebens, der Brennpunkt der Aufklärung zu werden, deren Strahlen die sündliche Welt erleuchten sollten. Nach religiöser Auffassung war es namentlich der Fürbitte jener Streiter, die sich von der Welt losgesagt und den breiten Pfad mit allen zeitlichen Genüssen verschmäht hatten, zu danken, wenn Gottes Langmuth diese sündige Menschheit noch verschont habe. Sie waren es, die für diese Sündenwelt beteten, und ihre Liebe, ihr Dienst für die Menschheit, bestand eben darin. In einer Zeit, wo sich die geistige Thätigkeit fast ausschliesslich in der religiösen Sphäre bewegte, oder wo sich diese Thätigkeit unter dem mächtigen Einfluss der Religion befand, das Kloster eine Schule des Volkes und die Mönche dessen Lehrer wurden, concentrirte sich in den Klöstern sowohl die Gelehrsamkeit als auch ein ansehnlicher Theil des bis auf den heutigen Tag noch erhaltenen Schriftthums, der einen fast ausschliesslich klösterlichen Charakter trägt. So war es in der byzantinischen Welt und so waren die Verhältnisse, welche von dort herüber zu uns kamen. Wenn gleichzeitig mit dieser von Byzanz entlehnten Richtung sich auch Anfänge der selbstständigen geistigen Thätigkeit eines jungen und begabten Volkes geltend machten, so konnte diese Thätigkeit doch dem klösterlichen Geist noch nicht die Wagehalten. Die Legenden von den heiligen Mönchen des Höhlenklosters waren Jahrhunderte lang das einzige Werk, welches dem ganzen russischen Volk bekannt war; ein poetisches Erzeugniss des XII. Jahrhunderts, „Das Lied vom Heere Igors" ist uns nur zufällig, in einer einzigen Handschrift, erhalten; — ein trauriger Beweis des Untergangs einer Litteraturgattung, die nicht im Stande war in dem Grad festen Fuss zu fassen, wie die Produkte der Klöster. Die Lehre von der Weltentsagung, von der Kasteiung des Fleisches, vom Anachoretenthum und dem Klosterleben kam gleichzeitig mit der Lehre des Christenthums zu uns. Obschon in den alten Chroniken von Klöstern zu Wladimirs Zeiten nichts erwähnt ist, so ist der Grund davon doch wohl der, weil damals, das Christenthum eben erst Eingang gefunden hatte; Anfänge mönchischen Lebens waren jedoch wahrscheinlich auch damals schon vorhanden. Aus Jaroslaws Zeit haben wir eine positive Nachricht, dass unter seiner Regierung in Kijew Klöster gegründet wurden und dass die Anzahl der Mönche gestiegen sei; dieser Fürst war ein Freund der Geistlichkeit, insbesondere der Mönche. Die ersten An-
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fange des Klosterlebens waren allerdings noch schwach, da es an willensstarken Leuten fehlte. Antonius und hauptsächlich Theodosios waren, als Gründer des Höhlenklosters bei Kijew, die eigentlichen Gründer des Klosterlebens. Das Graben von Höhlen um darin zu wohnen und Busse zu thun, war in Egypten Brauch und hatte sich im ganzen Orient verbreitet. Gleichzeitig mit andern religiösen Ueberlieferungen kamen auch die Berichte von den Gott wohlgefälligen Höhlenbewohnern zu uns herüber und es fanden sich Nachahmer. Der erste, welcher in der Nähe Kijews eine Höhle zu graben begann, war ein Geistlicher des Dorfes Berestowo, Hilarion, welcher später bis zur Würde eines Metropoliten aufstieg. In der von ihm verlassenen Höhle richtete sich der junge Antonius aus Ljubetsch ein, der zum Berge Athos gepilgert und dort Mönch geworden war. Nach seiner Rückkehr ins Vaterland genügte ihm das Kijewer Klosterleben nicht mehr, er siedelte sich in der Höhle an und kasteite sich. Seine Nahrung bestand nur aus Brot und Wasser und zwar genoss er beides nur je einen Tag um den andern. Bald verbreitete sich sein Kuhm in Kijew und fromme Leute brachten ihm den Lebensbedarf. Sein Beispiel veranlasste einen Geistlichen, namens Nikon, sich ihm anzuschliessen und mit ihm zusammen in der Höhle zu leben. Diesem folgte ein dritter Gefährte, Theodosios. Die Lebensgeschichte dieses Heiligen ist uns erhalten. An dem hohen Alter derselben ist nicht zu zweifeln, da wir aus Handschriften des XII. Jahrhunderts und aus dieser Lebensbeschreibung selbst ersehen, dass Nestor, der Chronist des Höhlenklosters, ihr Verfasser ist. Nach dieser Lebensbeschreibung war Theodosios aus der Stadt Wassiljew (gegenwärtig Wassiljkow) gebürtig und kam als Kind mit seinen Eltern nach Kursk. Sein Vater starb, als Theodosios 13 Jahr alt war, seine Mutter war eine Frau von finsterer, hartherziger Gemüthsart. Schweigsamkeit und Nachdenklichkeit waren die hervorragendsten Eigenschaften des Theodosios; von den Spielen der Kinder hielt er sich fern; die Religion wsr es, welche frühzeitig schon diese in sich gekehrte Natur gefesselt hatte. Sein Frömmigkeitsgefühl entwickelte sich schon in der Jugend und erfüllte ihn ganz. Es zeigte sich diese Anlage durch ein Streben nach Einfachheit; äusserliche Zeichen, die ihn von NiedrigerstehendeL unterscheiden sollten, waren ihm zuwider, glänzende Kleider konnte ei nicht leiden und er kleidete sich am liebsten so einfach wie die Sklaven, und ging auch mit ihnen zur Arbeit. Seine Mutter war darüber böse lind schlug ihn. Fromme Pilger, die aus Jerusalem gekommen waren, erzählten ihm von den Orten, an denen der Erlöser gelebt, gelehrt und gelitten hatte und er entfernte sich heimlich mit ihnen. Die Mutter holte ihn jedoch ein, schlug ihn, legte ihm Ketten an und hielt ihn so lange gefesselt, bis er ihr das Versprechen g a b , nicht mehr zu entfliehen. Als Theodosios seine Freiheit wieder erlangt hatte, fing er an Weihbrote zu backen. Auch dies ärgerte die Mutter, weil eine solche
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BescbäftigUDg ihr nicht standesgemäss schien. Dieser mütterliche Despotismus trie> den Jüngling abermals aus dem Hause, er entfloh wieder und kam in eine andere Stadt, wo er sich bei einem Geistlichen verbarg; die Mutter aber fand ihn auch diesmal und schlug ihn. Diese Unzufriedenheit der Mutter, welche die Frömmigkeit des Sohnes nicht dulden wollte, kann nur durch die heidnischen Zustände erklärt werden, in welchen sich das russische Volk damals noch befand, als das Christenthum erst seit Kurzem eingeführt war. In K u r s k , einer entlegenen, wenig bedeutenden Stadt, gab es damals noch kein Kloster; die Einwohner waren zwar schon getauft, hatten sich aber noch nicht mit dem Klosterleben vertraut gemacht und die Sitten der Mönche kamen ihnen sonderbar und fremdartig vor. Hier fand der Mann, welchen der Chronist den Herrn der Stadt nennt, — wahrscheinlich ein fürstlicher Beamter oder ein Possadnik Jaroslaws, — Gefallen an Theodosios; er nahm ihn in sein Haus auf und kleidete ihn anständig. Theodosios aber gab die ihm geschenkten Kleider den Bettlern und zog die gemeine Tracht vor. Er legte eiserne Ketten um seinen Leib, wahrscheinlich um den heiligen Einsiedlern, von denen er gehört, dass Bie.dergleichen Fesseln trugen, nachzuahmen. Als seine Mutter diese Ketten, welche den Körper ihres Sohnes wund gerieben hatten, zufällig erblickte, nahm sie ihm dieselben ab und schlug den Sohn abermals. Jetzt entschloss sich der Jüngling um jeden Preis zu entfliehen. Er hatte gehört, dass es in Kijew Klöster gäbe, und richtete nun seine Schritte dorthin um Mönch zu werden. Der Weg war weit und Theodosios kannte die Richtung nicht; glücklicher Weise traf er den Waarenzug eines Kaufmanns, der nach Kijew f u h r , und folgte ihm, ohne ihn aus den Augen zu verlieren. Hielt der Zug an, so hielt auch er an, und fuhr der Zug weiter, so setzte auch er seine Reise wieder fort. So gelangte er endlich nach Kijew. E r fand aber die Kijewschen Klöster noch weniger befriedigend, als Antonius sie gefunden hatte; da er arm war, so wollte man ihn in keinem Kloster aufnehmen, bis er endlich von Antonius hörte, sich zu ihm begab und ihn bat, dass er ihn bei sich aufnehmen möchte. „Kind, sprach Antonius, diese Höhle ist ein enger und trauriger Aufenthaltsort; Du bist noch jung, ich glaube nicht, dass Du dies trübselige Leben hier ertragen wirst." „Ehrwürdiger Vater", antwortete Theodosios, „Du erkennest Alles voraus und weisst, dass Gott es war, der mich zu Deiner Heiligkeit führte; ich will thun, was Du befiehlst." „Kind", sprach Antonius, „gelobt sei Gott, der in Dir diesen Vorsatz befestigt hat; weile hier." E r befahl dem Nikon Theodosios als Mönch aufzunehmen. Es regierte damals Fürst Jaroslaw. Erst nach vier Jahren gelang es der Mutter die Spur des verschwundenen Sohnes aufzufinden; sie kam nach
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Kijew, und nur mit vieler Mühe, durch die Vermittlung des Antonius, konnte sie ihren Sohn zu einer Zusammenkunft bewegen. Trotz aller Bitten und alles Flehens blieb Theodosios unerschütterlich ; er überredete die Mutter sogar Nonne zu werden. Um ihren Sohn zuweilen sehen zu können, fasste sie den Entschluss sich im Kloster des heil. Nikolaus (auf dem sogenannten Grabe Oskolds) einkleiden zu lassen. Die Zahl der Einsiedler vergrösserte sich nach und nach. Ein junger Mann, der Sohn eines Bojaren, kam auch um die Ermahnungen der Einsiedler zu vernehmen und entschloss sich bei ihnen zu bleiben. Nikon nahm ihn auf, und ein Anderer, der dem fürstlichen Hofe angehörte, der Castrat Jefiem, folgte ihm. Diese Ereignisse brachten den Kijewschen Fürsten Isjaslaw Jaroslawitsch dermassen gegen die Höhlenbewohner auf, dass er ihre Höhle zu zerstören drohte. Doch obschon der Fürst zürnte, so liess er die Einsiedler dennoch in Ruhe. Der Bojarensohn aber, der sich unter dem Namen Warlaam hatte einkleiden lassen, musste mit seiner Familie einen grossen Kampf bestehen. Er war verheiratet und sein Vater entführte ihn mit Gewalt aus der Höhle. Um ihn vom Mönchthum abwendig zu machen, liess er kein Mittel unversucht und beauftragte die junge Frau durch Liebe auf ihn einzuwirken. Der Erzähler schildert nun die Liebkosungen der Frau, grade so, als ob es sich um die Berückungen einer Buhlerin handele. Warlaam sass in einem Winkel, ohne die ihm dargebotene Speise zu berühren und ohne die Liebkosungen seiner Frau zu beachten; so verhielt er sich drei Tage lang, schweigend und in Gedanken Gott bittend, er möge ihn stärken und ihn von den Reizen des Weibes erlösen. Endlich, als die Eltern sahen, dass nichts mit ihm auszurichten sei, entliessen sie ihn unter Thränen; seine zur Wittwe gewordene Frau beweinte ihn und auch die Diener, welche ihn liebten weinten ihm nach; Warlaam aber wurde durch nichts gerührt. Diese Episode in der Lebensbeschreibung des Theodosios kann als Beispiel dessen dienen, was in den Werken der Mönche hauptsächlich hervorgehoben wurde: es war die ausserordentliche Bevorzugung des ledigen, mönchisshen Standes, gegenüber den Familienbanden des Ehelebens, das doch stats vom Geist der christlichen Religion und von den Satzungen der rechtgläubigen Kirche gutgeheissen und geheiligt worden war. . Wirlaam erbaute eine Kirche über der Höhle und wurde, nachdem Nikon ius Kijew nach Tjmutarakan gezogen, Abt. Von nun an begann hier da3 eigentliche Klosterleben. Bald darauf wurde Warlaam, auf Wunsch des Fürsten, als Abt an das Kloster des heil. Demetrius in Kijew versetzt und an seine Stelle trat Theodosios, von der Brüderschaft gewählt und von Antonius bestätigt und geweiht. Bis jetzt hatten die Höhlenbewohner eng und überaus karg gelebt; sie nährten sich von Brot und Wasser und nur an Sonnabenden und Sonntagen war ein Pflanzenbrei (Linsengericht) gestattet: häuüg aber, in
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Ermangelung eines solchen, mussten gesottene Kräuter genügen. Theodosios übertraf Alle an Bedürfnisslosigkeit, denn er war von sehr kräftigem Körperbau. Er bediente Alle, trug Wasser und schleppte Brennholz herbei; Alle lebten von ihrer Hände Arbeit und für den Erlös derselben wurde Korn gekauft, das jeder für sich zermahlen muSste; waren die Anderen müde und ruhten aus, so mahlte Theodosios für sie. In den Sommernächten verliess er die Höhle, entblösste seinen Leib bis zum Gürtel und flocht aus Wolle Strümpfe und Kappen, die er dann verkaufte um seinen Unterhalt zu bestreiten; während der Arbeit sang er Psalmen und liess sich von den am Dnjepr häufig vorkommenden kleinen Stechfliegen und Mücken blutig stechen. Beim Gottesdienst war er der Erste und der Letzte in der Kirche und stand während der ganzen Feierlichkeit auf dem nämlichen Fleck, ohne sich nur einen Schritt weit zu rühren. Solcher Eifer und solche Demuth flössten Ehrfurcht gegen ihn ein und brachten ihm hohen Ruhm. In seiner Würde als Abt that sich Theodosios in hohem Grade durch sein Talent als Ordner und Verwalter hervor. Die äusseren Abzeichen seiner Würde waren ihm nicht nur gleichgültig, sondern sogar zuwider; dagegen verstand er wie Niemand, in Wirklichkeit zu herrschen und hielt das Kloster durch seinen moralischen Einfluss in unbedingter Zucht und Ordnung. Er fand in der Nähe der Höhle einen günstigen Bauplatz und nach kurzer Zeit erhob sich dort eine zweite Kirche, zu Ehren der allerheiligsten Mutter Gottes; ringsherum erbaute er Zellen und übersiedelte dann mit der gesammten Bruderschaft aus den Höhlen dorthin. Einen der Brüder sandte er nach Konstantinopel zu dem Castraten Jefrem und liess ihn bitten für das neuerrichtete Kloster Regeln zu senden. Der Castrat Jefrem, ein ehemaliger Genosse des Theodosios, sandte ihm das Statut eines konstantinopoler Klosters, das sich sowohl durch die Heiligkeit seiner frommen Streiter, als auch durch Eifer für die Rechtgläubigkeit, zur Zeit der Bilderstürmerei, ausgezeichnet hatte. Dieses Statut war Jahrhunderte lang die Regel des Höhlenklosters. Theodosios war äusserst streng; er forderte von den Brüdern die peinlichste Erfüllung der Regeln und achtete stets darauf, dass sie sich ihre klösterlichen Aufgaben nicht erleichterten. Er ging des Nachts zu den Zellen hin, horchte an den Thüren und schlug mit dem Stock daran, sobald er hörte, dass die Mönche sich mit einander unterhielten. Niemandem gestattete er eigene Sachen zu besitzen und wenn er in einer Zelle dergleichen fand, so warf er es ins Feuer. Keiner von den Brüdern durfte etwas essen, ausser was beim gemeinschaftlichen Mahl gereicht wurde. Hauptsächlich aber forderte er unbegrenzten Gehorsam dem Willen des Abts gegenüber, einen stummen, widerstandslosen Gehorsam. Diesen Gehorsam stellte er höher als Fasten, höher als alle Kasteiungen, höher als das Gebet. Jede Aenderung der Befehle des Abts wurde als Sünde betrachtet. Einst wurden bei der gemeinschaft-
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liehen Mahlzeit Brote gereicht, die der Abt für den vorigen Tag bestimmt hatte; diese Aenderung war deshalb vorgenommen worden, weil am vorigen Tage noch andere Brote im Kloster vorhanden waren. Theodosios jedoch befahl die Brote ins Wasser zu werfen und der schuldige Bruder erhielt Kirchenbusse. Die Brüderschaft wurde zur buchstäblichen und strengsten Erfüllung des Willens ihres Abts erzogen; einst weigerte der Pförtner sogar dem Fürsten Isjaslaw den Eintritt ins Kloster, weil er zu einer Zeit gekommen war, in der Unbetheiligte auf Befehl des Theodosios innerhalb der Klostermauer nicht zugelassen werden sollten. Forderte der Abt von den Brüdern strenge Armuth und Fasten, so war er auch selbst, in dieser Beziehung, den Andern ein Vorbild; er ass gewöhnlich nur Roggenbrot und gesottene Kräuter ohne Oel, er frank nur Wasser; während der grossen, vierzigtägigen Fasten, bis zum Freitag der Palmwoche, schloss er sich in eine enge Höhle ein, auch trug er stets ein härenes Gewand auf dem blossen Körper und darüber einen schlichten Kittel. Seinen Körper, mit Ausnahme der Hände, wusch er nie. Obschon Theodosios seinen Mönchen eine strenge Absonderung von der Welt, die als Brutstätte aller Uebel dargestellt wurde, zur Pflicht machte, so kam er doch selbst durch Werke der christlichen Barmherzigkeit mit Weltmenschen in Berührung. In der Nähe des Klosters errichtete er ein Gehöft für Krüppel, Blinde und Lahme und überwies ihnen den zehnten Theil der Klostereinkünfte; des Sonnabends sandte er Brot in die Gefängnisse. Obschon das Kloster beständig milde Gaben empfing, so sammelte Theodosios doch keine Reichthümer, sondern vertheilte Alles in Almosen und es gab nicht selten Tage, an denen das Kloster selbst plötzlich grossen Mangel litt. In solchen Fällen vertraute Theodosios der Barmherzigkeit Gottes und es geschah häufig, dass sein Vertrauen durch unerwartete Darbringungen gerechtfertigt, und die Noth von der Brüderschaft abgewandt wurde. Weltliche wandten sich an Theodosios mit der Bitte um Schutz und "Hilfe gegen Fürsten und Richter und er half durch seine Vermittlung, denn die Fürsten und Richter beachteten Theodosios Stimme als die eines Gerechten. Es geschah nicht selten, dass Fürsten zu ihm kamen, auch luden sie ihn zu sich ein. Als er einst zum Fürsten Swjätoslaw Jaroslawitsch kam, traf er dort eine grosse, heitere Gesellschaft. Einige spielten die Harfe und Orgel, andere sangen Lieder; Theodosios hörte Alles mit trauriger Miene an und sprach dann: „Wird es wohl auch in jener Welt also sein?" Sofort befahl der Fürst, aus Achtung vor der Anwesenheit des weltentsagenden Mönchs das Fest zu unterbrechen und es kam nie wieder vor, dass Theodosios solche Festlichkeiten bei ihm antraf. Dies hinderte jedoch den Fürsten nicht, sich, in Abwesenheit des Theodosios, der Heiterkeit zu überlassen. Das gute Verhältniss zwischen Theodosios und den Fürsten hinderte ihn übrigens nicht, deren Ungerechtigkeiten zu rügen. Als Swjätoslaw
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seinen Bruder Isjaslaw vertrieb, tadelte ihn Theodosios und verglich ihn in seinem Sendschreiben mit Kain, der den Abel tödtete. Swjätoslaw wurde darüber so böse, dass er dem Abt drohte, er würde ihn einkerkern lassen. „Ich freue mich dessen, sprach Theodosios, es wäre mir das Liebste auf der Welt. Wovor sollte ich mich auch fürchten, etwa vor dem Verlust von Besitz und Reichthum? Vor einer Trennung von Kindern oder Gütern ? Nackt sind wir auf die Welt gekommen, nackt werden wir sie auch verlassen!" Der Fürst liess den von Allen verehrten Theodosios in Frieden und auch Theodosios stellte die Anklagen gegen Swjätoslaw ein; er begnügte sich ihn bei jeder Gelegenheit zu bitten, dem Bruder sein Fürstenthum zurückzugeben und liess in seinem Kloster zuerst für Isjaslaw, den Grossfürsten, und dann erst, gleichsam aus Nachsicht, für Swjätoslaw beten. Einige Erbauungspredigten des Theodosios sind uns erhalten; ein Theil derselben iBt ausschliesslich an die Klosterwelt gerichtet und bezieht sich vorzugsweise auf Gottesdienst und Klosterleben; die andern sind an die Christen überhaupt gerichtet. In einer der letzteren, „Von den Strafen Gottes" handelnd, bezeichnet Theodosios die allgemeinen Kalamitäten, wie Hungersnoth, Krankheiten, Feindesüberfälle, als Folgen unserer Sünden, durch welche Gottes Strafen hervorgerufen werden; er verdammt auch den heidnischen Aberglauben, der in der Gesellschaft, die erst seit kurzer Zeit das Christenthum angenommen hatte, noch sehr verbreitet war. Wenn man z. B. einem Mönch, einer Nonne, einem Pferd mit einer Blässe oder einem Schwein begegnete, so hielt man das für ein böses Omen, welches den Begegnenden veranlasste umzukehren. Theodosios bekämpft auch den Aberglauben, der mit dem Niesen verknüpft war, er eifert gegen Zauberei, Wahrsagerei und gegen den Glauben an Wahrzeichen; gegen das Zinsnehmen, gegen weltliche Belustigungen und Musik, welche damals mit Harfen und Schalmeien gemacht wurde; gegen Gaukler und gegen den heidnischen Brauch bei Gastmählern die Weiber zu küssen. Am meisten aber eifert er gegen die Trunksucht, welche auch damals stark verbreitet war; mässiges Trinken jedoch gestattete er. Bemerkenswerth ist, dass in seiner Antwort an Isjaslaw über einige Themata der Gottesfurcht, Theodosios sich in Bezug auf Fastenregeln toleranter ausspricht, als spätere Kirchenlehrer. Für Mittwoch und Freitag schreibt er den Weltlichen nur die Enthaltsamkeit von Fleisch vor; Klostergeistliche aber sollten auch Milchspeisen vermeiden. Das Verbot von Fleisch am Mittwoch und Freitag war nicht einmal obligatorisch; es konnte von einem Geistlichen sowohl auferlegt, als auch erlassen werden. Niemand solle sich selbst Fasten auferlegen, nur dann müsse man fasten, wenn der Beichtvater es befiehlt. An den Festen Christi und der Mutter Gottes, wenn sie auf Mittwoch oder Freitag fallen, gestattete Theodosios Fleischspeise zu geniessen. Gegen Andersgläubige war er feindselig gesinnt: „Lebet in Frieden nicht nur mit den Freunden, sondern
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auch mit den Feinden", lehrt er, ,jedoch nur mit Euren Feinden, nicht mit Gottes Feinden. Dein Feind ist, wer vor Deinen Augen Deinen Sohn oder Bruder getödtet hat, — ihm vergieb; Gottes Feinde aber sind die Juden, Ketzer und solche, die einen falschen Glauben haben . . . . Einen bessern Glauben als den unsern, giebt es nicht; er ist rein, kostbar und heilig; wer in diesem Glauben lebt, der kann von den Sünden erlöst, kann des ewigen Lebens theilhaftig werden; Diejenigen aber, welche im lateinischen, armenischen oder sarazenischen Glauben verharren, haben weder ein ewiges Leben, noch die Gemeinschaft der Heiligen." Gegen die Duldsamkeit in Glaubenssachen war er unduldsam: „Wer einen fremden Glauben preiset, der tadelt den eigenen, wer aber gleichzeitig den eigenen und den fremden Glauben preiset, — der ist ein Wankelmüthiger. Und wer zu Dir spricht: Diesen Glauben sowohl, als auch jenen, hat Gott gegeben, — dem antworte: ist Gott etwa wankelmüthig ? Die Schrift sagt: Ein Gott, ein Glaube, eine Taufe." In Bezug auf die Lateiner verbietet Theodosios den Rechtgläubigen ihnen sowohl ihre Töchter zu geben, als auch deren Töchter zu freien; er verbietet sich mit ihnen zu verbrüdern, mit ihnen in Gevatterschaft zu treten, sie zu küssen, mit ihnen zu speisen und aus dem gleichen Gefäss mit ihnen zu trinken. Wenn ein Lateiner um Essen oder Trinken bittet, so reiche man es ihm in einem besonderen Gefäss, welches alsdann ausgespült werden muss, auch soll ein Gebet darüber gesprochen werden. Er befiehlt indess den Fürsten doch auch die Ungläubigen sowohl als auch die Gläubigen zu speisen, zu kleiden und vor Elend zu schützen. Am meisten hasste Theodosios die Juden, und sein Biograph sagt, er sei zu ihnen hingegangen, habe ihnen Vorwürfe gemacht, habe sie geschmäht, sie Gottlose und Abtrünnige genannt und habe um Christi willen von ihnen getödtet sein wollen. Kurze Zeit vor Theodosios' Tode wurde mit der Grundsteinlegung einer steinernen Kirche begonnen, welche sich auf der nämlichen Stelle befand, auf welcher jetzt die Hauptkirche des Höhlenklosters steht. Die Mittel zum Bau hatte ein Waräger, Namens Schimon, geliefert. Folgende poetische Erzählung handelt von ihm: Schimon ward von seinen Onkeln aus dem Vaterlande vertrieben und ging zu Schiff um in Russland einen Dienst zu suchen. Er besass ein Kreuz (Crucifix) von zehn Ellen Länge, mit einem Gürtel, nach Einigen im Werthe von 50, nach Andern von 8 Griwnas, und mit einer goldnen Krone auf dem Haupte des Erlösers, die ihm sein Vater hinterlassen hatte. Gürtel und Krone nahm Schimon, als er die Heimat verliess, mit sich. Da hörte er einst folgende Stimme: Lege dies nicht auf Dein Haupt, sondern trage es an den Ort, der da bereitet ist für den Bau eines Tempels Meiner Mutter, und übergieb es den Händen des ehrwürdigen Theodosios, er aber wird es über den Opferaltar hängen. Nach dieser Erscheinung und während seiner Fahrt auf dem baltischen Meere
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ins russische Land, entstand ein Sturm. Schimon erschrack und glaubte Gott wolle ihn dafür strafen, dass er den Schmuck von dem Bilde Christi abgenommen habe, und that Busse; da erblickte er das Bild einer Kirche in der Luft und hörte eine Stimme, die sprach: Dies ist die Kirche, welche erbaut wird zu Ehren der Mutter Gottes und Du wirst in ihr ruhen. Miss zwanzig Ellen mit dem Gürtel in die Höhe, dreissig in die Länge und dreissig in die Breite. Schimon aber baute die Kirche nach seiner Ankunft in Kijew noch lange nicht. Da sah er abermals eine wunderbare Erscheinung. Erst nach Jaroslaws Tode, zu dessen Lebzeiten er nach Russland gekommen war, zog Schimon mit dessen Söhnen Isjaslaw, Swjätoslaw und Wssewolod gegen die Polowzer und wandte sich an Antonius um dessen Segen zu erbitten. Dieser ehrwürdige Mann aber sprach zu ihm: „ 0 , Menschenkind, es werden Viele von der Schärfe des Schwertes fallen und Viele werden niedergetreten und verwundet werden, Viele werden auch im Wasser ertrinken^ Du jedoch wirst nicht umkommen, denn Deine Bestimmung ist in der Kirche, welche hier bei den Höhlen erbaut werden wird, zu ruhen." Die Russen wurden an der Alta besiegt, Schimon ward verwundet; inmitten von Leichen und Sterbenden lag er auf dem Felde, da erblickte er plötzlich das Abbild derselben Kirche in der Luft, welche ihm über dem baltischen Meer erschienen war. Seine Wunden heilten, er berichtete dem Antonius was er gesehen, und übergab ihm die Krone und den Gürtel. Antonius nannte ihn nun Simon anstatt Schimon und übergab sein Geschenk dem Theodosios. Simon aber gewann den Theodosios sehr lieb und verschaffte ihm viele Mittel zum Bau der neuen Kirche. Das war im Jahre 1073. Darauf erschien Simon bei Theodosios und sprach zu ihm: „Vater, gieb mir das Versprechen, dass mich Deine Seele nicht nur hienieden, sondern auch nach meinem und Deinem Tode segnen wird." „Die Erfüllung dieser Bitte geht über meine Macht" antwortete Theodosios; „wenn aber die Kirche nach meinem Heimgange aus dieser Welt erbaut sein wird und wenn meine Satzungen und Regeln in ihr befolgt werden, so mag Dir das ein Zeichen sein, dass ich Macht bei Gott habe." „Der Herr hat gezeugt von Dir", sprach Simon, „ich habe es von den allerreinsten Lippen seines Bildes selbst vernommen. Bete, so wie Du für deine Mönche betest, auch für mich, für meinen Sohn Georg und für meine Nachkommen." „Ich bete nicht blos für die Mönche, sondern für Alle, die diesen Ort lieben." Simon verbeugte sich bis zur Erde und sprach: „Vater, ich gehe nicht von Dir, Du gebest mir denn Deinen Segen schriftlich." • Theodosios gab ihm ein Gebet, wie man es jetzt den Verstorbenen in die Hand drückt. Seit jener Zeit ist es in Russland Brauch den Todten geschriebene Gebete in die Hände zu stecken.
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Als Simon mit dem Bau der Kirche beschäftigt war, bat er einst den Theodosios, er möchte doch auch seine Eltern von ihren Sünden freisprechen. Theodosios erhob seine Hände und sprach: „Der Herr Zions segne Dich; er lasse Euch die Herrlichkeit Jerusalems erblicken aller Eurer Tage, im dritten und vierten Glied, bis ans letzte." Simon aber verliess den lateinischen Glauben und wandte sich zum morgenländischen, rechten Glauben. Der Grundstein der neuen Kirche wurde im Jahre 1073 durch Theodosios und den Bischof Michael, zur Zeit als Georgios Metropolit in Konstantinopel war, gelegt. Diese Grundsteinlegung gab Anlass zu den Erzählungen von den vier Meistern in Konstantinopel, welche von der Mutter Gottes selbst den Befehl erhalten hatten nach Russland zu gehen, um dort eine Kirche zu bauen und von dem Heiligenbild, das aus Griechenland gekommen, von der Mutter Gottes selbst eingehändigt worden sei, und das, als ein Kunstprodukt des Himmels, späterhin als ein Lokalheiligthum verehrt wurde. Dies war der Anfang jener Wundererscheinungen von Heiligenbildern, deren Verehrung seither in Russland eine so grosse Verbreitung fand. Auch die Auffindung des Platzes für die Kirche war von Wundern, die denen des Alten Testamentes, in der Geschichte von Gideon und Elias, ähnlich waren, begleitet. Als Theodosios zu wissen wünschte, welchen Platz Gott wohl für die Kirche auserwählt habe, da betete er, dass überall, ausser an jener Stelle, an der die Kirche stehen solle, Thau fallen möchte; und in der nächsten Nacht betete er um das Gegentheil, es möchte dort Thau fallen, wo vorher keiner war und überall ringsum solle die Erde trocken sein; — und es geschah Alles nach seinem Willen. An der Stelle, an welcher das Zeichen des Himmels den Bau der Kirche bestimmt hatte, wuchsen Sträucher; sie wurden durch Feuer, welches die Kraft von Theodosios' Gebet dem Himmel entlockt hatte, vernichtet. Als der Graben für das Fundament der Kirche gegraben werden sollte, da war es Fürst Swjätoslaw, der den ersten Spatenstich that. Von reichen Leuten liefen Geschenke ein, man gab ganze Bezirke und Dörfer für die Errichtung der Kirche her, unter der Bedingung an dieser Stelle beerdigt zu werden. Der Waräger Simon war der erste, welcher dieser Ehre theilhaftig wurde. Im nächsten Jahre, 1074, am 2. Mai verschied der ehrwürdige Theodosios, nachdem er, gegen seinen Wunsch, der Brüder Wahl entsprechend, den Stephanus als seinen Nachfolger bezeichnet hatte. Er befahl, dass man seinen Körper nach dem Tode nicht waschen und ihn in der nämlichen dürftigen Kleidung, die er bei Lebzeiten trug und in der er sterben würde, in einer Höhle bestatten solle. Die Ueberlieferung erzählt, Theodosios habe vor seinem Tode den Swjätoslaw gebeten die Höhlenkirche von der Oberherrlichkeit der weltlichen Fürsten sowohl, als auch der hohen geistlichen Würdenträger zu
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befreien, weil es die Mutter Gottes gewesen sei , nicht iibcr Menschen, die sie errichtet. Das Klostergebiet blieb daher lange Zeit hindurch eine unabhängige Gemeinde. Der weise Theodosios hatte eine feste,' moralische Verbindung zwischen allen, die dem Kloster angehörten, hergestellt. Würde von den Klosterleuten Jemand zu einer höheren geistlichen Stellung in Russland berufen, so sollte er sie nur mit Erlaubniss seiner Obern annehmen und das Kloster verlassen dürfen; er musste aber stets in dasselbe, als zu seinem Ruhesitz, wieder zurückkehren. Nur für Solche hatte der heilige Gründer des Kloster seine Fürbitte bei Gott versprochen. Kraft dieser letztwilligen Bestimmung des Gründers erhielten viele von den Höhlenmönchen, die späterhin in der russischen Hierarchie hohe Stellungen bekleideten, wo sie auch sein mochten, ihre Verbindung mit dem Kloster aufrecht. Der geistliche Zögling des Höhlenklosters, ob er nun in Rostow, in Wladimir, in Nowgorod oder in Polozk war, wandte sein Herz, vom Segen des heiligen Theodosios geleitet, stets wieder nach Kijew hin, zu dem geliebten Zufluchtsort, wie zu einem gelobten Lande des Heils, er hütete die in diesem Kloster empfangenen Vorschriften und verbreitete sie überall, wohin sein Einfluss reichte. Es ist das deutlich aus einem Denkmal der geistlichen Litteratur des XII. Jahrhunderts zu ersehen, nämlich aus dem Sendschreiben des Bischofs von Wladimir, Simon, an den Höhlenmönch Polykarp: „Wer kennt nicht den sündigen Bischof Simon und die Pracht der Kathedralkirche von Wladimir und der von Ssusdal, die ich selbst gegründet habe ? Sie sind reich an Städten und Dörfern, sammeln den Zehnten vom ganzen Lande und über alles dies herrscht unsere Unwürdigkeit! Ich sage Dir aber, all' dieser Ruhm und all' diese Ehre halte ich für Koth und würde es vorziehen als ein Spahn hinter der Pforte des Höhlenklosters zu stecken oder als Unrath dort zu liegen und von den Menschen mit Füssen getreten zu werden oder einer jener Bettler zu sein, die an der Thür des ehrwürdigen Klosters ein Almosen heischen; höher als diese vergängliche Ehre ist mir ein Tag im Hause der Mutter Gottes, denn tausend Jahre in den Wohnstätten der Sünde." Derselbe Geist, durch welchen Theodosios sich während seines ganzen Lebens auszeichnete, und der von ihm durch die Klosterregeln, welche er selbst aufgestellt hatte, bethätigt wurde, herrschte noch lange in seiner Schöpfung. Es folgte ihm eine ganze Reihe hervorragender Männer, deren Thätigkeit, aufgeschrieben und mündlich verbreitet, für andere Klöster als Vorbild diente, und die im russischen Volke die religiöse Anschauung verbreiteten, dass das Kloster der Weg zum Heil sei, dass es daher löblich und nützlich sei, den Klöstern Schenkungen zu machen, seine Reichthümer mit ihnen zu theilen, damit in denselben für das Seelenheil der Sünder gebetet werde. Diese Richtung hatte ihre lichte Seite, welche darin bestand, dass die Klöster, als Hauptvermittler des Christenthums, einen wohlthätigen
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Einfluss ausübten. Denn auch die Ungläubigsten werden diesen günstigen Einfluss nicht leugnen wollen. Anderseits aber führte die Vorliebe für Mönchswesen und Klosterleben zu einer gewissen Einseitigkeit in den religiösen Anschauungen. Die Idee, dass das ehelose Leben der die Sünden der Welt bekämpfenden Mönche Gott am wohlgefälligsten, und der Mensch der Erlösung um so näher sei, je weiter er sich von der Welt entferne, drängte die christliche Tugend aus dem weltlichen Leben hinaus. Fromme Leute strebten nun nicht mehr danach inmitten der menschlichen Gesellschaft, in der Welt selbst, Thaten der christlichen Liebe zu verrichten, — ihr Ideal eines Gott wohlgefälligen Lebens war nicht auf das irdische Alltagsleben anwendbar, im Gegentheil, es stand ausserhalb desselben. Man sagte, die Erlösung sei für den ledigen, von Seinesgleichen losgelösten Einsiedler leichter, und der Umgang mit den Weltmenschen führe unvermeidlich zur Sünde, während doch der Geist des Evangeliums das Gegentheil lehrt. Den Worten Christi, dass der, welcher um seines Erlösers und um des Evangeliums willen, nicht Vater, Mutter, Weib und Alles, was ihm in der Welt theuer ist, verlasse, seiner nicht würdig sei, gab man den Sinn, dass nur der Eintritt ins Kloster zur Seligkeit führen könne, während doch diese evangelischen Worte nur die Hintansetzung aller verwandtschaftlichen Bande zu Gunsten der Wahrheit, welche von Christi Lehre verkündet wird und die der Erlöser durch sein Leben und Sterben bekräftigte, von Christi Nachfolgern verlangen. Das Leiden für die Wahrheit, für seinen Nächsten, verwandelte sich auf diese Weise in eine Forderung des Leidens um des Leidens willen; das Mittel wurde zum Zweck, der Kampf gegen den Teufel, als Kampf gegen das Böse und gegen den Sittenverfall der menschlichen Gesellschaft, wurde mit dem Kampf gegen die Gespenster verwechselt, welche im zerrütteten Nervensystem ascetischer Einsiedler spukten. Die Ehelosigkeit, welche der Apostel einst als einen günstigen Umstand für sich, und unter gewissen Eventualitäten auch für Andere in ähnlicher Lage, zur Zeit von Verfolgungen, rühmte und empfahl, wurde zu einem absolut verdienstlichen Zustand erhoben und dadurch das Band der Familie herabgewürdigt. Das, was sich nur für sehr wenige Menschen eignete, wurde, wenn auch nicht grade zur Pflicht, so doch zur höchsten, nacheiferungswürdigsten Tugend erhoben und theilweise in eine ungeheuerliche Verhöhnung der Natur verwandelt. Schliesslich wurde die Achtung vor den Thränen, dem Kummer, der Krankheit, der Armuth und dem Unglück überhaupt, welche uns der göttliche Lehrer um des Glückes der Menschheit und um der Linderung des Kummers willen geboten hatte, — in ein absichtliches Streben nach Thränen, Kummer, Krankheit und Armuth verwandelt. So kam man logischerweise bis zur Zwecklosigkeit der Liebeswerke Christi; denn wenn das Leiden an und für sich zum Zweck wurde, so war kein Grund vorhanden, die Verminderung der Leiden auf Erden zu erstreben; im Gegentheil, es schien sogar nothwendig die Leiden der Menschen zu
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befördern. Zu solcher Absurdität gelangte die aus der Herrschaft der mönchischen Richtung im Christenthum hervorgegangene Einseitigkeit. Das Ideal christlicher Tugend ward aus der menschlichen Gesellschaft hinausbefördert und das Verlangen aufgestellt, die menschliche Natur müsse vergewaltigt werden; — die Folge des Strebens nach einem solchen Ideal war nicht selten das, was dem Geiste der christlichen Lehre direkt widersprach: Heuchelei, Selbstbetrug, Scheinheiligkeit und Verdummung. Ausser den wenigen, denen es vergönnt war das wahre mönchische Ideal zu erreichen, ausser den Armseligen, den Schwachen an Seele und Leib, die zu einer Thätigkeit in der menschlichen Gesellschaft unfähig waren, füllten sich die Klöster auch noch mit solchen Leuten, welche sich einbildeten etwas zu sein, was sie nicht waren; es waren dies jämmerliche Selbstpeiniger, die da wähnten, es sei Gott wohlgefällig, wenn der von Gott selbst verliehenen geistigen und leiblichen Natur des Menschen Gewalt angethan werde; meistens aber waren es Egoisten, Müssiggänger und Heuchler unter der Maske der Heiligkeit. Diesseits der Klostermauern aber blieb die ganze Welt in gröbster Sinnlichkeit und finstrer Unwissenheit befangen; Laster herrschten und verbreiteten sich, Gewaltt a t e n und Schändlichkeiten wurden ausgeübt, Blut floss in Strömen, die Menschen mordeten ihre Nebenmenschen und die frommen Gemüther trösteten sich damit, dass es nach Gottes Willen so, und nicht anders in der Welt sein müsse. Die Versöhnung mit Gott und mit dem eigenen Gewissen suchten sie in der Beobachtung einiger äusserlicher Vorschriften, wodurch sie glaubten ihr Leben dem mönchischen Ideal, das doch ausserhalb der Welt und der bürgerlichen Gesellschaft lag, zu nähern.
IV. Fürst Wladimir Monomach. Unter den Fürsten der älteren vortatarischen Periode, welche auf Jaroslaw folgten, hat keiner ein so grosses und gutes Andenken hinterlassen, wie Wladimir Monomach, ein thätiger, willenskräftiger russischer Fürst, der sich unter seinen Standesgenossen namentlich durch gesunden Menschenverstand auszeichnete. Um seinen Namen gruppiren sich fast alle wichtigen Ereignisse der zweiten Hälfte des XI. und des ersten Viertels des XII. Jahrhunderts der russischen Geschichte. Dieser Mann darf mit Recht der Repräsentant seiner Zeit genannt werden. Die slawischrussischen Völker, welche seit unvordenklichen Zeiten vereinzelt gelebt hatten, unterwarfen sich nach und nach der Macht der Fürsten von Kijew und auf diese Weise wurde die allmälige, langsame Bildung einer
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staatlichen Integrität zur Aufgabe ihrer gemeinsamen Geschichte. In welchen Formen und in welchem Grade diese Integrität sich entwickeln und ihre vollständige Verwirklichung erreichen konnte, — das hing dann von den darauf folgenden Bedingungen und Verhältnissen ab. Alle diese Völker hatten das ihren gesellschaftlichen Einrichtungen gemeinsame Kennzeichen, dass sie einerseits Länder bildeten, die zu ihren Vereinigungspunkten, den Städten, hin inklinirten und anderseits sich in kleinere Theile zersplitterten, die bis zu einem gewissen Grade eine Verbindung, sowohl unter sich selbst, als auch mit der grösseren Einheit unterhielten. E s entstanden daher Städte zweierlei A r t , vornehme und geringe; die letzteren hingen von den ersteren ab, hatten aber doch Merkmale einer inneren Selbstständigkeit. In den Städten versammelten sich die Repräsentanten des Landes um über ihre Angelegenheiten zu berathen, Sache des Fürsten aber war es, Recht zu schaffen, das Land zu schützen und zu verwalten. Die politische Macht des Fürsten von Kijew fand anfangs nur darin ihren Ausdruck, dass sie den Untergebenen Tribut auferlegte; ein weiterer Schritt zu dauerhafter Verbindung und Einheit unter den verschiedenen Ländern war der Brauch, die Söhne des kijewschen Fürsten auf die einzelnen Länder zu vertheilen; die Folge davon war eine Verzweigung des fürstlichen Geschlechts in Linien, die der Eintheilung und Verzweigung der Länder mehr oder minder entsprach. Diese Vertheilung der Fürstensöhne fand schon zur Zeit des Heidenthums statt; die r o h e n , barbarischen Sitten waren jedoch der Entwicklung einer neuen Ordnung nicht günstig, — die schwächern Brüder wurden von den stärkern ausgerottet. So war von Swjätoslaws Söhnen nur Wladimir allein übrig geblieben. Wladimir hatte viele Söhne und jedem von ihnen gab er ein Land. Swjätopolk aber, dem Beispiel seiner heidnischen Vorfahren folgend, begann damit seine Brüder zu vertilgen und diese Vertilgung endete schliesslich damit, dass, mit Ausnahme des Gebiets von Polozk, welches dem ältesten Sohne Wladimirs, Isjaslaw, als Antheil seiner Mutter zugefallen w a r , das ganze übrige Russland unter die Alleinherrschaft des Fürsten von K i j e w , Jaroslaw, gerieth. Eine Alleinherrschaft in unserm Sinne war dies jedoch nicht, sie führte durchaus nicht zu einer dauerhaften Verbindung der einzelnen Länder unter einander, sondern, im Gegentheil, j e mehr Länder unter die Herrschaft des einen Fürsten geriethen, destoweniger hatte dieser die Möglichkeit sie einheitlich zu verwalten und auf den Gang der Ereignisse Einfluss auszuüben. Anderseits verbreiteten sich in Russland, nach Einführung des Christenthums, zugleich mit dem neuen Glauben, auch eine gemeinsame Schriftsprache, und gleiche sittliche, politische und juridische Begriffe; und wenn die verschiedenen Länder auch ihre eigenen Fürsten hatten, so war dies doch durchaus kein Hinderniss f ü r eine innere Verbindung unter denselben. Die Fürsten, welche dem nämlichen Geschlecht entsprossen waren, bewahrten mehr oder minder die nämlichen Ansichten, Kostomarow-Henckel, Russ. Geschichte in Biogr. I.
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Gewohnheiten, Ueberlieferungen und Anschauungen; die gemeinsame Kirche war ihre Führerin und sie trugen, obschon häufig genug auch gegen ihren Willen, durch ihre Verwaltung zu der Verbreitung von Eigenart und Charakter bei, welche in allen Ländern die nämlichen waren und demgemäss zu einer Einigung führten. Nach Jaroslaw beginnt ununterbrochen jene Periode, welche man die Periode der Theilfürstenthümer nennt. Im Lande der Ssewerjanen oder Tschernigow, im Lande der Kriwitschen oder Smolensk, im wolhynier, chorwater oder galitscher Lande, überall gab es eigene Fürsten. Im nowgoroder Lande beobachtete man anfangs eine Art von Regel; dort sollte stets der älteste Sohn des Fürsten von Kijew residiren; diese Regel musste jedoch bald vor der Macht der Volkswahl weichen. Das polozker Land hatte schon früher seine eigenen Fürsten. Vom russischen oder kijewer Lande trennte sich das Gebiet von Perejaslawl, dem, nach Jaroslaws Eintheilung, noch das entfernte Rostow hinzugefügt wurde. Regeln, nach denen dieses oder jenes Land diesem oder jenem Fürsten zugetheilt wurde, gab es nicht, ebenso wenig eine Ordnung, welche die Nachfolge regelte; es fehlte sogar an einem Gesetz, welches die Rechte jeder fürstlichen Person auf dieses oder jenes Gebiet bestimmte. Daraus entstanden natürlich fortwährend Missverständnisse, die alsdann unvermeidlich zu Brüderkriegen führten. Derartige Ereignisse hemmten die Entwickelung jener civilisatorischen Anfänge, welche gleichzeitig mit der christlichen Religion in Russland Eingang gefunden hatten. Mehr noch wurde diese Entwickelung durch die Nachbarschaft nomadisirender Horden und durch beständige Kämpfe mit denselben gehemmt. Es war als ob Russland durch einen Urteilsspruch dazu verdammt wäre, fortwährend einander ablösende, von Osten herkommende Gäste bei sich zu sehen. Im X. und in der ersten Hälfte des XI. Jahrhunderts hatte es die Petschenegen auf dem Halse und seit der Mitte des XI. Jahrhunderts kamen die Polowzer an die Reihe. Der innere Hader und die fürstlichen Familienkämpfe machten Russland gänzlich schutzlos gegen eine solche Nachbarschaft und es konnte sich derselben um so weniger erwehren, da die Fürsten in ihren innern Zwistigkeiten jene Fremdlinge selbst zu Hilfe riefen. Bei einer solchen Sachlage musste die Hauptaufgabe der damaligen politischen Thätigkeit einerseits auf die Herstellung von Ordnung und Eihigkeit unter den Fürsten und anderseits auf den Schutz gegen die Polowzer, durch die Zusammenfassung aller Kräfte des russischen Landes, gerichtet sein. In der ganzen vortartarischen Periode ist keine einzige Persönlichkeit zu finden, der es gelungen wäre eine solche That dauernd und fruchtbringend zu vollziehen; von allen Fürsten aber strebte keiner mit solcher Zuversicht und mit solchem, allerdings nur temporären Erfolg diesem Ziel zu, wie Monomach; sein Name genoss daher lange Zeit hindurch Achtung und in Bezug auf sein Leben bildete sich die Meinung, dass er ein musterhafter Fürst gewesen sei.
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Wladimir wurde 1053, ein Jahr vor dem Tode seines Grossvaters Jaroalaw geboren. Er war der Sohn von Wssewolod, dem geliebtesten von Jaroslaws Söhnen. Seine übrigen Söhne sandte Jaroslaw in die verschiedenen Länder und gab jedem eines der Theilfürstenthiimer; Wssewolod aber behielt er beständig in seiner Nähe, obschon er auch ihm das benachbarte Perejaslawl und das entfernte Rostow verliehen hatte. In Wssewolods Armen starb auch der alte Jaroslaw. Wssewolods letzte Gemahlin, Wladimirs Mutter, war eine Tochter des griechischen Kaisers Konstantin Monomach und Wladimir erhielt den Namen Monomach von diesem seinen Grossvater mütterlicherseits. Er hatte also auf diese Weise drei Namen. Den fürstlichen Namen Wladimir, den Taufnamen Wassilij (Basilius) und den Grossvatersnamen Monomach. Als er dreizehn Jahr alt war, fing er mit denjenigen Beschäftigungen an, welche nach damaligen Begriffen einem Fürstensohn geziemten, dem Krieg und der Jagd. Wladimir bildete keine Ausnahme in dieser Beziehung, denn zu jener Zeit beschäftigten sich die Fürsten in der Regel schon sehr frühzeitig mit Dingen, die nach unsern Begriffen sich nur für Erwachsene eignen; sie wufden sogar im Kindesalter schon verheiratet. Wladimirs Vater sandte ihn nach Rostow, sein Weg ging durch das Land der Wjätitschen, die sich damals der fürstlichen Macht des Hauses Rjurik noch nicht ruhig unterwerfen wollten. Wladimir blieb jedoch nicht lange in Rostow, denn bald darauf finden wir ihn in Smolensk. Unterdessen begannen in Russland zwei Plagen, eine nach der andern, welche Jahrhunderte hindurch das Land zerfleischten. Zuerst waren es die fürstlichen Familienkriege. Sie fingen damit an, dass Rostislaw, des verstorbenen Wladimir Sohn und Jaroslaws Enkel, nach Tjmutarakan flüchtete, einer Stadt auf der tamanischen Halbinsel, welche damals dem Fürsten von Tschernigow gehörte, der seinen Sohn Gljeb dort eingesetzt hatte. Rostislaw vertrieb diesen Gljeb, konnte sich aber selbst auch nicht halten. Dies Ereigniss, eines unter vielen ähnlichen der nachfolgenden Zeit, erscheint namentlich deshalb bemerkenswert, weil es das erste seiner Art war. Nach diesem brachen die Feindseligkeiten zwischen den Fürsten von Polozk und Jaroslaws Nachkommen aus. Im Jahre 1067 überfiel Wsseslaw, Fürst von Polozk, Nowgorod und brandschatzte es, dafür wurde er von den Jaroslawitschs (Söhnen Jaroslaws) mit Krieg überzogen, besiegt und gefangen genommen. Im folgenden Jahre, 1068, trat eine andere Kalamität auf. Von Osten her überfluteten die Polowzer, ein türkisches Nomadenvolk, die russischen Länder und begannen sie zu verheeren. Der erste Znsammenstoss mit ihnen war ungünstig für die Russen. Der Fürst von Kijew, Isjaslaw, wurde geschlagen und dann von den Kijewern selbst, mit denen er auch früher schon sich nicht vertragen konnte, verjagt. Mit Hülfe der Polen kehrte er nach Kijew zurück, sein Sohn aher peinigte und tödtete die Kijewer, welche seinen Vater vertrieben hatten, auf bar3«
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barische Weise. Dies war der Grund, weshalb die Kijewer sich bei erster Gelegenheit von ihrem Fürsten wieder befreiten. Isjaslaw musste abermals fliehen und an seiner Stelle setzte sich sein Bruder Swjätoslaw, der früher in Tschernigow geherrscht hatte, auf den Fürstenstuhl von Kijew. Das tschernigower Land bekam Wssewolod, und seinem Sohn Wladimir Monomach wurde der Fürstensitz von Smolensk angewiesen. Während der ganzen Regierungszeit Swjätoslaws diente ihm Wladimir, als dem ältesten unter den Fürsten; denn Wssewolod, Wladimirs Vater, befand sich mit Swjätoslaw in gutem Einvernehmen. Wladimir brachte auch, auf Swjätoslaws Veranlassung, den Polen Hilfe gegen die Tschechen und kämpfte im Interesse des ganzen Jaroslawschen Stammes gegen die Fürsten von Polozk. Im Jahre 1073 starb Swjätoslaw; uud Isjaslaw, der sich diesmal, wie es scheint, mit den Kijewern und mit seinem Bruder Wssewolod vertrug, setzte sich abermals auf den kijewer Fürstenstuhl. Wssewolod führte Swjätoslaws Sohn Oleg aus WladimirWolhynsk hinweg, um seinen eigenen Sohn dort einzusetzen. Oleg, der ohne Fürstensitz geblieben war, kam nach Tschernigow zu Wssewolod. Wladimir stand damals mit diesem Fürsten auf freundschaftlichem Fuss und kam von Smolensk nach Tschernigow um ihn mit seinem Vater zu bewirthen. Oleg aber verdross es, dass das Land, wo sein Vater regiert und wo er selbst seine Kindheit verlebt hatte, nicht in seiner Gewalt sei. Im Jahre 1073 flüchtete er aus Tschernigow nach Tjmutarakan, wo, nach Rostislaw, ein ihm ähnlicher Fürst, der Flüchtling Boris, Sohn des verstorbenen Wjätscheslaw Jaroslawitsch lebte. Man muss nicht meinen, dass derartige Fürsten irgendwelche Rechte auf das, was sie beanspruchten, besassen. Damals gab es weder ein Gesetz noch einen Brauch, dass alle dem Fürstenhause angehörigen Personen durchaus auch ihr Fürstenthum haben müssten, ebensowenig wie es Regel war, dass durchaus nur solche Personen, die zu einer bestimmten fürstlichen Linie gehörten, kraft ihrer Abstammung in einem bestimmten Lande Fürsten sein mussten. Selbst aus Jaroslaws Vorschrift ist nicht zu ersehen, dass er durch die Bestallung seiner Söhne zu Fürsten der verschiedenen Länder, die Absicht gehabt habe, das Recht der von ihm Installirten auf deren Nachkommen auszudehnen. Auch Jaroslaws Söhne hatten ein solches Recht nicht geschaffen , wie bei Smolensk und Wolhynien ersichtlich ist 1 ). Nur im Lande der Kriwitschen erhielt sich die Polozker Linie beständig und in bestimmter Reihenfolge, obschon die Söhne Jaroslaws sie zu verdrängen ') Noch bevor der in Smolensk regierende 'Wjätscheslaw starb, versetzten die Fürsten den Igor aus Wolhynien dorthin und nach Igors Tode bestimmten sie Wladimir Monomach für diesen Fürstensitz, beseitigten also Igors Söhne. Ebenso war auch unter den Fürsten in Wolhynien keine erbliche Nachfolge und die Kijewer Fürsten pflegten ihre Söhne dort einzusetzen, so dass, während Isjaslaw in Kijew herrschte, sein Sohn sich in Wolhynien befand, und als sich Swjätoslaw Kijews bemächtigt hatte, dieser seinen Sohn dort einsetzte; als aber Swjätoslaw starb, und Isjaslaw wiede Fürst von Kijew wurde, herrschte Isjaslaws Sohn in Wolhynien.
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suchten. Bei der gänzlichen Unbestimmbarkeit der gegenseitigen Beziehungen, bei dem Mangel allgemein angenommener und durch die Zeit geheiligter Rechte der Fürsten auf ihren Besitz, ist es erklärlich, dass jeder Fürst, sobald er eine genügende Macht zur Verfügung zu haben glaubte, sich bemühte seinen nächsten Verwandten — insbesondere seinen Söhnen, wenn er solche hatte — geeignete Stellungen zu verschaffen. Man machte in diesem Falle durchaus keine Umstände, andere, weniger nahestehende Fürsten von ihrem Platz zu verdrängen; der Gedanke an eine Schädigung fremder Rechte konnte schon deshalb nicht in Erwägung kommen, weil solche Rechte überhaupt noch nicht existirten. Für jeden Fürsten war es selbstverständlich, dass er einen Fürstensitz zu erlangen suchte, ganz so wie sein Vater und seine Verwandten die ihrigen erlangt hatten; und sein Verlangen richtete sich vorzugsweise dorthin, wo sein Vater geherrscht hatte und wo er vielleicht selbst geboren war und sich seit seiner Kindheit mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, einst seines Vaters Stelle einzunehmen. Ein solcher Fürst konnte bei kriegerischen fremden Völkern leicht Hilfe finden. Es war also begreiflich, dass sich die nach Tjmutarakan geflohenen Oleg und Boris an die Polowzer wandten. Sie waren nicht die ersten, welche die Hilfe dieser Feinde Russlands bei den Familienfehden in Anspruch genommen hatten. Soviel uns bekannt ist, war Wladimir Monomach der erste, der eine solche Intervention Fremder eingeführt hatte; denn seinem eigenen Bericht zufolge, der in seiner Mahnrede enthalten ist, hatte er schon vor Jenen, noch bei Lebzeit seines Onkels Swjätoslaw Jaroslawitsch, die Polowzer gegen das polozker Land geführt. Oleg und Boris mit den Polowzern überfielen das Land Ssewersk. Wssewolod ging ihnen aus Tschernigow entgegen und wurde geschlagen. Oleg bemächtigte sich Tschernigows ohne besondere Anstrengung, die Tschernigower nahmen ihn auf, weil sie ihn längst kannten, wahrscheinlich war Tschernigow auch sein Geburtsort. Als später Wssewolod, gemeinschaftlich mit dem kijewer Fürsten Isjaslaw, Tschernigow dem Oleg entreissen wollte, zeigten die Tschernigower diesem ihre Anhänglichkeit durch eine energische Verteidigung. Oleg selbst war damals nicht in ihrer Mitte; die Hartnäckigkeit mit der die Tschernigower seine Ansprüche vertheidigten, war also weder durch seine Gegenwart, noch durch seine Anstrengungen unterstützt und konnte also wohl nur ihrer aufrichtigen Zuneigung für ihn zugeschrieben werden. Wladimir befand sich damals bei seinem Vater. Als diese Fürsten hörten, dass Oleg und Boris heranziehen um Tschernigow zu entsetzen und dass der Erstere die Polowzer mitbringe, hoben sie die Belagerung auf und zogen dem Feind entgegen. Die Schlacht fand auf der Njeshatin Flur, beim Dorfe gleichen Namens statt. Boris wurde getödtet, Oleg entfloh. Aber den Siegern kam ihr Sieg theuer zu stehen: Fürst Isjaslaw von Kijew war in dieser Schlacht gefallen. Nach Jaroslaws Tode kam der Fürstensitz von Kijew an Wssewolod. Tschernigow, welches nicht mehr auf Oleg hoffen konnte, unterwarf sich
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und wurde an Wladimir Monomach gegeben. Oleg und sein Bruder Roman Swjätoslawitsch versuchten 1079 Wladimir aus Tschernigow zu vertreiben, jedoch erfolglos. Wssewolod zog ihnen auf dem Wege nach Perejaslawl mit seinem Heer entgegen und befreite ohne Kampf seinen Sohn von diesen Nebenbuhlern; mit den Polowzern, die den Söhnen Swjätoslaws geholfen hatten, schloss er Frieden. Die Polowzer und ihre Genossen die Chasaren verriethen ihre Verbündeten: den Oleg schafften sie nach Konstantinopel und den Roman tödteten sie. Wladimir, als Herrscher in Tschernigow geblieben, musste sich seiner Gegner nach allen Seiten hin erwehren. Tjmutarakan entschlüpfte seiner Herrschaft abermals; dort hatten sich zwei andere Fürsten, die ohne Land geblieben waren, Söhne Rostislaw Wladimirowitschs, festgesetzt. Die Polowzer beunruhigten fortwährend das Tschernigower Land; das Bündniss, welches Wladimirs Vater vor Perejaslawl mit ihnen geschlossen hatte, konnte nicht von Dauer sein, erstens weil dieses räuberische Volk seine Verträge nicht besonders heilig hielt und zweitens, weil es, in verschiedene Horden zerfallen, die unter dem Befehle verschiedener kleiner Fürsten oder Chane standen, uneinig war; während ein Theil mit den russischen Fürsten Frieden schloss, überfiel ein anderer deren Gebiet. Es gelang Wladimir mit ihnen ziemlich fertig zu werden. So traf es sich, dass er, als zwei kleine polowzer Fürsten die Umgebung des Städtchens Starodub im Lande Ssewersk verheerten, sie mit einer andern Horde, die er zu Hilfe gerufen hatte, schlug und dann bei Nowgorod-Ssewersk die Horde eines andern polowzer Fürsten zerstreute und die Gefangenen, welche die Polowzer in ihr Lager fortführen wollten, befreite. Im Norden hatte Wladimir an den polozker Fürsten beständige Feinde. Fürst Wsseslaw überfiel Smolensk, welches auch nach der Uebergabe Tschernigows an Wladimir noch in dessen Machtsphäre geblieben war. Aus Rache dafür warb Wladimir die Polowzer und führte sie gegen das polozker Land um es zu verheeren; es galt diesmal Minsk, und, nach dem eigenen Geständniss Wladimirs, soll dort weder ein Knecht, noch ein Stück Vieh übrig geblieben sein. Auch die Wjätitschen, dieses slawische Volk, welches sich bisher noch immer hartnäckig der Macht des Hauses Rjurik entzogen hatte, züchtigte Wladimir und zog zweimal gegen die Anführer dieses Volks, Chodota und dessen Sohn, zu Felde. Auf Befehl seines Vaters machte sich Wladimir auch mit den Angelegenheiten in Wolhynien zu schaffen; Rostislaws Söhne hatten sich dieses Landes bemächtigt, — Wladimir vertrieb sie und setzte Isjaslaws Sohn Jaropolk ein; als dieser Fürst aber in Streit mit dem Fürsten von Kijew gerieth, da vertrieb er, auf seines Vaters Befehl, auch ihn und setzte den Fürsten David Igorewitsch, im darauffolgendem Jahre (1086) jedoch abermals Jaropolk in Wolhynien ein. Damals war in jener Gegend die Macht des kijewer Fürsten noch gross und er konnte nach Belieben Fürsten ein- und absetzen.
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Im Jahre 1093 starb Wssewolod. Wladimir hatte nicht die Absicht seine Stellung zur Erlangung des kijewer Fürstenstuhls zu benutzen, weil er voraussah, dass eine Familienfehde daraus entstehen würde; er berief daher selbst den in Turow herrschenden Swjätopolk, Isjaslaws Sohn, auf den Fürstensitz von Kijew, weil dieser älter als er war und weil derselbe, allem Anschein nach, eine ansehnliche Partei im kijewer Lande auf seiner Seite hatte. Während der ganzen Regierungszeit Swjätopolks blieb ihm Wladimir ein getreuer Bundesgenosse, handelte im Einverständniss mit ihm und zeigte nicht die mindeste Lust ihn -der Herrschaft zu berauben, obschon die Kijewer nicht Swjätopolk, sondern Wladimir liebten. Wladimir war, so zu sagen, die Seele des ganzen russischen Landes geworden; um seine Person drehten sich alle politischen Ereignisse desselben. Kaum hatte Swjätopolk seinen Sitz in Kijew eingenommen, als die Polowzer zu ihm Botschafter sandten mit dem Antrag Frieden zu schliessen. Swjätopolk hatte von Turow eine Drushina mitgebracht, Leute, die ihm ergeben waren. Mit ihnen berieth er sich und sie riethen ihm die polowzer Botschafter in einen Keller zu werfen. Als in Folge dessen die Polowzer Krieg anfingen und Torzkij — eines der Städtchen des kijewer Landes — belagex-ten, da liess Swjätopolk die gefangenen Botschafter frei und begehrte selbst Frieden zu schliessen; aber jetzt wollten die Polowzer nichts davon wissen. Darauf berieth sich Swjätopolk mit den Kijewern, diese aber waren verschiedener Ansicht, die Kühneren drängten zum Kampf, obschon Swjätopolk nur 800 kampfbereite und bewaffnete Männer hatte, die Andern Siethen Vorsicht an; endlich beschloss man sich an Wladimir zu wenden und ihn zu bitten, das Kijewer Land gegen die Polowzer zu vertheidigen. Wladimir zog mit seiner Drushina aus und forderte auch seinen Bruder Rostislaw auf, der in Perejaslawl herrschte, mitzuziehen. Das Heer der drei Fürsten kam an der Stugna zusammen und hier wurde Rath gehalten. Wladimir war der Ansicht, dass es jedenfalls besser wäre Frieden fcu machen, denn diesmal war die ganze Macht der Polowzer vereint; das nämliche rieth auch ein Bojar Namens Jan und noch ein anderes Mitglied der Drushina; die Kijewer aber ereiferten sich und wollten durchaus kämpfen; — man that ihnen den Willen. Die Landwehr setzte über die Stugna, rückte in drei Kolonnen, die von den drei Fürsten befehligt waren, vorwärts, marschirte durch Tripolje und stellte sich zwischen den Wällen auf. Es war am 20. Mai 1093. Hier war e s , wo die Polowzer gegen die Russen anrückten und stolz vor deren Augen ihre Fahnen entfalteten. Ihr erster Angriff galt Swjätopolk; sie schlugen ihn und wandten sich dann gegen Wladimir und Rostislaw. Das Heer der russischen Fürsten war verhältnissmässig zu schwach; sie konnten daher nicht Stand halten und mussten fliehen.
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Rostislaw ertrank in der Stugna, und auch Wladimir, als er den sinkenden Bruder retten wollte, wäre fast untergegangen. Die Leiche des Ertrunkenen wurde nach Kijew gebracht und in der Sophienkirche beigesetzt. Rosti'slaws Tod ward als eine Strafe Gottes angesehen, wegen seines grausamen Verfahrens gegen den alten Gregor, einen Mönch des Höhlenklosters. Als Rostislaw diesem Alten, von dem man erzählte, dass er die Gabe der Weissagung besässe, einst begegnete, fragte er ihn, welches wohl die Ursache seines Todes sein würde. Der alte Gregor antwortete ihm: das Wasser. Diese Antwort gefiel dem Rostislaw nicht und er liess den Alten dafür in den Dnjepr werfen. Für dies Verbrechen traf nun, wie man sagte, den Rostislaw der Tod durch Ertrinken. Damit war aber der Krieg noch nicht beendet. Die Polowzer drangen bis Kijew vor und schlugen die Russen noch einmal im gleichen J a h r , am 23. Juli, zwischen Kijew und Wyscbgorod bei Shelani, total aufs Haupt. Nach diesem Siege zerstreuten sich die Polowzer in den russischen Dörfern und machten Gefangene. Ein Zeitgenosse zeichnet in markigen Zügen den Zustand der armen Russen, welche haufenweise von den F.einden in ihre Lager getrieben wurden: „Traurig, abgemattet, erschöpft vor HuDger und Durst, nackt und barfuss, von Staub geschwärzt und mit blutenden Füssen zogen sie betrübt in die Sklaverei und erzählten einander: Ich bin aus dieser Stadt und ich aus jenem Dorf, sprachen von ihren Verwandten und richteten die thränenden Augen gen Himmel empor, zum Höchsten, der alles Verborgene kennt." Im folgenden Jahre, 1094, hoffte Swjätopolk dem Elend des russischen Volks ein Ziel setzen zu können; er schloss Frieden mit den Polowzern und heiratete die Tochter ihres Chans Tugorkan. Doch auch dieses Jahr war nicht minder unheilvoll für das russische Land. Heuschrecken verheerten die Felder und des Fürsten von Kijew Verwandtschaft mit dem Polowzer schützte Russland nicht vor den Einfällen seiner Horden. Während ein Theil.dieses Volkes Frieden und verwandtschaftliche Bande mit den Rüssen unterhielt, führte ein anderer den unversöhnlichen Nebenbuhler Wladimirs, Oleg, gegen ihn. Dieser, von den Byzantinern nach Rhodos verbannt, war nicht lange dort geblieben. Im Jahre 1093 befand er sich schon wieder in Tjtnutarakan, vertrieb von dort David Igorewitsch und Wolodar Rostislawitsch, zwei ebenso landlose Fürsten wie er, und verhielt sich eine Zeit lang daselbst ruhig. Im Jahre 1094 aber überredete er die Polowzer das Land in dem sein Vater geherrscht hatte mit ihm zu erobern. Wladimir vermied es gegen ihn zu kämpfen und überliess ihm Tschernigow gutwillig, wahrscheinlich weil Oleg noch von früherher Anhänger in Tschernigow hatte. Wladimir selbst begab sich nach Perejaslawl. Man sieht, dass Wladimirs Charakter schon damals vollständig gereift war; die Idee, dass er nicht um seines persönlichen Interesses willen,
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sondern nur für den Nutzen des ganzen russischen Landes, hauptsächlich aber mit Energie und geeinten Kräften das Land von den Polowzern befreien könne, war ihm ein Axiom geworden. Wir sahen, dass er sich bisher die grösste Mühe gab, Frieden zwischen den Russen und Polowzern zu stiften; von jetzt an aber ward er ein steter und unversöhnlicher Feind der Polowzer; er kämpfte nicht nur selbst gegen sie, sondern führte auch alle russischen Fürsten so wie alle Streitkräfte des Landes gegen sie. Er begann-diese Kämpfe durch sein Vorgehen gegen die polowzer Fürsten Kitan und Itlar. Diese waren um Friedensunterhandlungen anzuknüpfen nach Perejaslawl gekommen; ihre Absicht war natürlich die nämliche wie früher, den Frieden, wann es ihnen passte, zu brechen. Kitan stellte sich hinter der Stadt, zwischen den Wällen auf, während Itlar mit seinem Gefolge in die Stadt kam. Seitens der Russen begab sich Swjätoslaw, Wladimirs Sohn, als Geissei zu den Polowzern. Zu gleicher Zeit kam der Kijewer Slawjata, von Swjätopolk gesandt, nach Perejaslawl und rieth dem Wladimir Itlar zu tödten. Wladimir wollte sich zu solch einem Treubruch nicht verstehen, seine Leibwache aber erklärte sich mit Slawjatas Rath einverstanden und sprach: Es ist keine Sünde ihnen den Eid zu brechen, denn sie selbst brechen ihre Eide, richten das russische Land zu Grunde und vergiessen christliches Blut. Slawjata nebst andern russischen Helden unternahm es in das polowzer Lager einzudringen um Monomachs Sohn Swjätoslaw zu befreien. Mit ihnen zusammen gingen die Torken, ein den Polowzern stammverwandtes Volk, das aber im Kijewer Lande wohnte, und daher treu zu Russland hielt. In der Nacht auf den 24. Februar 1095 wurde nicht nur Swjätoslaw glücklich befreit, sondern auch Kitan getödtet, und seine Leute erschlagen. Itlar befand sich unterdessen im Hause des Bojaren Ratibor; am Morgen des 24. Februar lud man ihn mit seiner Leibwache zu Wladimir zum Frühstück ein; kaum aber waren die Polowzer in das zu diesem Zwecke' vorbereitete Haus eingetreten, da schloss man hinter ihnen die Thüren und Olbeg, Ratibors Sohn, erschoss sie von oben, durch eine an der Decke des Hauses angebrachte Oeffnung. Nach dieser Treulosigkeit, welche die Russen dadurch zu rechtfertigen suchten, dass ihre Feinde ebenso treulos seien, rief Wladimir alle Fürsten gegen die Polowzer auf und unter ihnen auch Öleg, von dem er verlangte, dass er den Sohn des getödteten Itlar herausgeben solle. Oleg aber verweigerte es und nahm auch nicht Theil an der Versammlung der übrigen Fürsten. Da beriefen Swjätopolk und Wladimir Oleg nach Kijew um über die Vertheidigung des russischen Landes zu berathschlagen: „komme nach Kijew" — Hessen ihm die Fürsten sagen, — „wir wollen hier die Ordnungen des russischen Landes in Gegenwart der Bischöfe, Aebte, der Mannen unsrer Väter und der Stadtleute festsetzen und wollen uns berathen, wie das russische Land vertheidigt werden soll". Oleg aber ant-
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wortete hochmüthig: Es will sich mir nicht schicken von Bischöfen, Aebten und gemeinen Leuten gerichtet zu werden. Da sandten ihm die Fürsten, welche ihn eingeladen hatten, folgende Antwort: Wenn du nicht gegen die Ungläubigen ziehen und nicht zu gemeinsamem Rath zu uns kommen willst, so führst du Böses gegen uns im Schilde und willst den Heiden helfen. Gott möge also zwischen uns und dir entscheiden. Das war eine Kriegserklärung. Anstatt also mit vereinten Kräften gegen die Polowzer zu ziehen, war Wladimir genöthigt seine eigenen Stammgenossen zu bekriegen. Wladimir und Swjätopolk vertrieben Oleg aus Tschernigow, belagerten ihn dann in Starodub und hielten ihn so lange umzingelt, bis er um Frieden bat. Der Friede wurde ihm bewilligt, aber unter der Bedingung, dass er durchaus nach Kijew zur Berathung kommen müsse. Kijew, sprachen die Fürsten, ist die älteste Stadt im russischen Lande, dort müssen wir zusammen kommen und Ordnung stiften. Beide Theile küssten das Kreuz; das geschah im Mai 1096. Unterdessen machten -die aufgereizten Polowzer Einfälle in Russland. Ihr Chan Bonjak mit seiner Horde brannte die Umgebung Kijews nieder uud der Schwiegervater Swjätopolks, Tugorkan, belagerte, unbeschadet seiner Verwandtschaft mit dem kijewer Fürsten, Perejaslawl. Wladimir und Swjätopolk schlugen ihn gemeinschaftlich am 19. Mai aufs Haupt, Tugorkan selbst fiel in der Schlacht und sein Schwiegersohn Swjätopolk brachte den Leichnam nach Kijew, wo er zwischen zwei Wegen, dem nach Berestowo und dem zum Höhlenkloster, beerdigt wurde. Bonjak wiederholte im Juli seinen Angriff und es gelang ihm am 20. ins Höhlenkloster einzudringen. Die Mönche ruhten nach der Frühmette in ihren Zellen, da brachen die Polowzer die Pforten auf, gingen von einer Zelle in die andere, nahmen, was ihnen in die Hände fiel, verbrannten die südliche und nördliche Pforte, kamen in die Kirche, schleppten die Heiligenbilder fort und beschimpften, den christlichen Gott und Glauben. Dann verbrannten sie noch das ausserhalb der Stadt belegene, von Wssewolod auf dem Wydubizer Hügel erbaute fürstliche Gehöft, welches man den rothen Hof nannte und das an der Stelle stand, wo später das Wydubizer Kloster erbaut wurde. Oleg dachte nicht daran sein Versprechen zu halten und zur FürstenVersammlung in Kijew zu erscheinen. Dagegen ging er nach Smolensk (wo damals, man weiss nicht wie, sein Bruder David zur Herrschaft gelangt war), warb daselbst ein Heer, zog von dort aus die Akä hinunter und griff Murom an, welches dem Sohne Monomachs, Isjaslaw gehörte, der im benachbarten Lande Rostow herrschte. (Olegs Vater, Swjätoslaw, war, als er in Tschernigow sass, gleichzeitig auch Fürst von Murom, und deshalb betrachtete Oleg Murom als sein Erbgut). Am 6. September 1096 wurde Isjaslaw in einem Handgemenge getödtet. Oleg nahm Murom ein und Hess alle dort befindlichen Rostower, Bjeloserer und Ssusdaler in
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Ketten legen. Fürst Isjaslaw hatte, wie es scheint, die Muromer mit Hilfe seiner Landsleute beherrscht. Murom und das muromer Gebiet war damals noch heidnisch, es hauste dort ein finnischer Stamm, der dem Fürsten nur aus Furcht vor dessen Drushina gehorchte, welche dort die einzige slawische Bevölkerung gewesen zu sein scheint. In Kostow, Ssusdal und Bjelosersk dagegen hatte früher schon das slawische Element Wurzel gefasst und diese Gegenden* hatten auch schon eine russische Ortsbevölkerung. Nachdem Murom von Oleg erobert worden war, nahm er auch Ssusdal ein und brandschatzte dessen Bevölkerung, einen Theil machte er zu Gefangenen, den andern versetzte er in seiije Städte und nahm ihnen ihr Besitzthum. Rostow ergab sich ihm gutwillig. Hochmüthig durch seine Erfolge, unternahm es Oleg auch Nowgorod zu unterwerfen, wo Mstislaw, ein anderer Sohn Monomachs herrschte, ein junger Fürst, den die Nowgoroder sehr liebten. Die Nowgoroder aber kamen Oleg zuvor, und ehe er noch mit seinem Heer ihr Land erreicht hatte, waren sie ihm schon bis ins Rostow-Ssusdaler Land entgegen gekommen. Oleg flüchtete, liess vor Aerger Ssusdal hinter sich verbrennen und machte erst in Murom halt. Mstislaw begnügte sich mit der Vertreibung Olegs aus dem Rostow-Ssusdaler Lande, das weder diesem noch dessen Vater jemals gehört hatte; er trug dem Oleg Frieden an und überliess es ihm sich mit seinem Vater zu verständigen. Mstislaw war deshalb so rücksichtsvoll gegen Oleg, weil dieser sein Taufvater war. Oleg stellte sich, als ob er damit einverstanden sei, fasste aber den Entschluss plötzlich über seinen Taufsohn herzufallen; die Nowgoroder hatten jedoch von dieser Absicht rechtzeitig Kunde erhalten und waren, mit den Rostowern und Bjeloserern vereint, kampfbereit. Die Feinde trafen am Flusse Kolakscha auf einander, als Oleg aber die Fahne Wladimir Monomachs bei den Gegnern wehen sah, da glaubte er Wladimir sei mit grosser Heeresmacht seinem Sohn zn Hilfe gekommen, und ergriif die Flucht. Mstislaw mit den Nowgorodern und Rostowern verfolgte ihn, nahm Murom und Rjäsan, mit deren Einwohnern er glimpflich verfuhr, und befreite die in diesen Städten von Oleg gefangen gehaltenen Rostower und Ssusdaler. Dann sandte Mstislaw seinem Gegner folgende Botschaft: „fliehe nicht weiter, sondern wende dich mit Bitten an die Fürsten, deine Brüder, sie werden dich nicht aus deinem Vaterlande vertreiben." Oleg versprach nach dem Rathe seines Besiegers zu handeln. Als Beweis, dass Monomach nicht die Absicht hatte seinen besiegten Nebenbuhler zu vernichten, und als Denkmal seiner damaligen Gesinnungen gegen Oleg, ist uns ein Brief erhalten, der nicht nur deshalb interessant ist, weil er den Fürsten Wladimir Monomach vollständig charakterisirt, sondern auch aus dem Grunde, weil dieser Brief, als seltenes Muster seiner Art, die damalige Ausdrucksweise veranschaulicht. Er schreibt: „Mein Sohn, den Du aus der Taufe gehoben hast, und der jetzt nicht weit von Dir entfernt ist, hat mich veranlasst Dir zu schreiben; er sandte einen
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von seinen Leuten mit einem Schreiben zu mir und spricht also: Wir wollen uns vergleichen und Frieden schliessen, mein Bruder aber steht vor dem höchsten Richter; wir wollen nicht seine Rächer sein, sondern Alles Gott anheim stellen; mögen Beide vor Gottes Richterstuhl treten, wir aber wollen das russische Land nicht zu Grunde richten. Ich folgte ihm und schrieb; ob Du nun mein Schreiben in Güte oder in Schimpf aufnehmen wirst, wird Deine Antwort lehren. Als mein und Dein Kind vor Deinen Augen getödtet wurde und Du sein Blut sähest, und seinen Körper, der, gleich einer kaum erblühten Blume schon verwelkte, weshalb erforschtest Du da nicht die Gedanken in deiner Seele, als Du vor ihm standest, und sagtest nicht: Weshalb that ich das? Weshalb hast Du, um der Falschheit dieser dünkelhaften Welt willen, Dir selbst eine Sünde, dem. Vater und der Mutter aber Schmerz zugefügt? Du hättest damals vor Gott Busse thun, mir einen Trostbrief schreiben und meine Schwiegertochter zu mir senden sollen. . . . Sie hat Dir weder Gutes noch Böses gethan; ich würde, anstatt Hochzeitslieder mit ihr zu singen, ihren Mann und ihre Ehe mit ihr beweint haben. Ich sah vorher weder ihre Freude noch ihre Trauung; entlasse sie also sobald als möglich, ich will zusammen mit ihr weinen und will ihr einen Platz anweisen, wie einem Turteltäubchen auf einem verdorrten Baum, während mich selbst Gott trösten wird. So war es Brauch als unsre Väter noch lebten. Sein Urtheilsspruch kam ihm von Gott, nicht aber von Dir! Wenn Du nach der Einnahme von Murom, Rostow unbehelligt gelassen und zu mir gesandt hättest, so würden wir uns verständigt haben; urtheile selbst, hättest Du zu mir, oder hätte ich zu Dir senden sollen? Wenn Du mir einen Boten oder einen Pfaffen schickest und Deine Botschaft Wahrheit enthält, so sollst Du auch Dein Gebiet wieder nehmen dürfen, unser Herz wird sich Dir zuwenden und wir werden mit einander besser leben, als bisher; ich bin weder Dein Feind noch Dein Rächer". Endlich kam das, was längst schon angestrebt worden war und durchaus nicht zur Ausführung kommen wollte, zustande. In Ljubetsch versammelten sich die Swjätoslawitschs — Oleg, David und Jaroslaw, der Kijewer Swjätopolk, Wladimir Monomach, der wolhynische Fürst David Igorewitsch und die galizisch- russischen Fürsten Wolodar und Wassilko Rostislawitschs; jeder mit seiner Leibwache und seinen Landsleuten. Der Zweck ihrer Berathung war Massregeln für den Schutz der russischen Länder gegen die Polowzer zu treffen und auszuführen. Die Leitung der ganzen Berathung hatte Monomach' übernommen. „Weshalb richten wir das russische Land zu Grunde — sprachen die Fürsten, — weshalb kämpfen wir gegen einander? Die Polowzer verheeren das Land, sie freuen sieb, wenn wir uns gegenseitig bekriegen. Von jetzt an wollen wir eines Herzens sein, lasst uns unser Erbe in Acht nehmen." Die Versammlung der Fürsten verfügte, dass Jeder in seinem Ge-
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biete herrschen solle: Swjätopolk in Kijew, Wladimir in seines Vaters Wssewolod Antheil: Perejaslawl, Ssusdal und Rostow; Oleg, David und Jaroslaw in ihres Vaters Swjätoslaw Antheil, dem Lande Ssewersk und Rjäsan; David Igorewitsch in Wolhynien und Wassilko und Wolodar in den Städten Terebowl und Peremyschl und in den dazu gehörenden Ländern, welche in der Folge Galizien genannt wurden. Alle küssten das Kreuz, um zu bekräftigen, dass, wenn Jemand unter ihnen den andern angreifen würde, alle andern sich verpflichten gegen den Zwietrachtstifter zu rüBten. „Das heilige Kreuz und das ganze russische Land komme über ihn." Dies war das Urtheil, welches damals gesprochen wurde. Bis zu dieser Epoche waren Wladimir und Swjätopolk die besten Freunde gewesen. Der Letztere war von beschränktem Verstände und schwachen Charakters, er unterordnete sich Wladimir, wie überhaupt derartige Leute sich willenskräftigeren und klügeren Männern als sie selbst sind, leicht unterzuordnen pflegen. Man weiss aber auch, dass solche Leute leicht geneigt sind diejenigen von denen sie abhängig sind, zu beargwöhnen. Sie sind ihnen zwar ergeben, im Herzen aber sind sie ihnen feindselig gesinnt. David Igorewitsch war ein geschworner Feind des terebowler Fürsten Wassilko und wollte sich dessen Land aneignen. Als er aus Ljubetsch nach Wolhynien über Kijew zurückkehrte, versicherte er Swjätopolk, dass Wassilko mit Wladimir einen bösen Anschlag gegen ihn verabredet hätten um ihm das Kijewer Land zu rauben. Wassilko war ein unternehmender Charakter; er hatte bereits die Polowzer gegen Polen geführt, dann wollte er, wie er später selbst gestand, gegen die Polowzer ziehen, aber den russischen Fürsten etwas Böses zuzufügen, lag, wenn man ihm glauben darf, wohl nicht in seiner Absicht. Swjätopolk, von David aufgehetzt, lud Wassilko zum Namensfest zu sich ein, als dieser, auf der Rückreise von Ljubetsch nach Hause, bei Kijew vorbei kam und, ohne die Stadt selbst zu berühren, im Wydubizer Kloster einkehrte und seine Fuhren voraussandte. Einer von Wassilkos Dienern, der entweder Arglist vermuthete oder der vielleicht sogar gewarnt worden war, widerrieth seinem Fürsten nach Kijew zu gehen: „Man will dich fangen" — sprach e r ; Wassilko jedoch verliess sich auf den Schwur in Ljubetsch, wurde nachdenklich, bekreuzte sich und ging hin. Es war am 5. November 1097. Wassilko betrat das Haus SwjätopolkB und traf David bei ihm. Nachdem sie sich begrüsst hatten, setzten sie sich nieder. David schwieg. „Bleibe zum Feste bei mir, sagte Swjätopolk. „Ich kann nicht, Bruder'i, antwortete Wassilko, „ich habe meine Fuhren schon vorausgeschickt." — „Nun, dann frühstücke mit uns", sagte Swjätopolk. Wassilko willigte ein. Darauf sprach Swjätopolk: „Bleibt ein wenig hier, ich will nur Einiges anordnen." Wassilko blieb mit David allein und fing ein Gespräch mit ihm an, David aber schwieg und that, als ob er nichts höre. Endlich fragte David die Diener: „Wo ist der Bruder?" — „ E r steht im Flur", antwortete man ihm. — „Ich will ihn
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holen gehen, Du aber, Bruder, bleibe ein wenig sitzen", sagte er zu Wassilko und ging hinaus. Da fesselten diesen die Diener und stellten eine Wache bei ihm auf. So verging die Nacht. Am andern Tag berief Swjätopolk eine Versammlung von Bojaren und Leuten aus dem Kijewer Land und sprach: „David sagt, dass Wassilko meinen Bruder Jaropolk getödtet und sich jetzt mit Wladimir verschworen habe, mich zu ermorden und mir meine Städte wegzunehmen." Die Bojaren und Kijewer Leute sprachen: „Fürst, du musst dein Haupt wahren; wenn David die Wahrheit spricht, so muss Wassilko hingerichtet werden, spricht er aber die Unwahrheit, so möge Gottes Rache über ihn kommen und er es vor Gott verantworten." Die Antwort war zweideutig und ausweichend. Die Aebte waren dreister und baten für Wassilko. Swjätopolk berief sich auf David. Er selbst wäre damit einverstanden Wassilko freizugeben, aber David rieth, man solle ihn blenden und sprach: „Wenn du ihn frei lassest so wird keiner von uns beiden sein Fürstenthum behalten." Swjätopolk schwankte, unterwarf sich dann dem David gänzlich und willigte in die abscheuliche Unthat. In der folgenden Nacht brachte man Wassilko gefesselt nach Bjelgorod und führte ihn in ein kleines Haus. Als Wassilko sah, dass sein Begleiter, der Schildträger, sein Messer zu wetzen begann, da errieth er, was ihm bevorstehe und er fing an zu schreien und unter Thränen Gott anzurufen. Es traten zwei Stallknechte ein, von denen der eine Namens Snowid Isetschewitsch dem Swjätopolk angehörte, der andere, Dmitry, war Davids Knecht. Sie breiteten einen Teppich aus und ergriffen Wassilko um ihn darauf zu legen. Dieser rang mit ihnen, denn er war stark und beide konnten ihn nicht überwältigen; da kamen noch andere zu Hilfe, sie banden ihn, warfen ihn nieder und nahmen ein Brett vom Ofen, das legten sie ihm auf die Brust und die Stallknechte setzten sich darauf, aber Wassilko warf sie von sich ab. Da kamen noch zwei Leute hinzu und nahmen noch ein Brett vom Ofen, das warfen sie auf den Fürsten und setzten sich darauf und drückten so stark, dass dem Wassilko die Knochen in der Brust krachten. Darauf begann Berenda, Swjätopolks Schafhirt, die Operation. In der Absicht mit dem Messer ins Auge zu stechen, stiess er zuerst vorbei und zerschnitt dem Wassilko das Gesicht; dann aber gelang es ihm beide Augen, eines nach dem andern, herauszunehmen. Wassilko verlor die Besinnung. Man nahm ihn mit dem Teppich, auf dem er lag, auf, legte ihn auf einen Wagen und fuhr mit ihm nach Wladimir zu. Als sie durch die Stadt Swishden kamen, brachte man ihn zur Frau eines Pfaffen und gab ihr das blutbefleckte Hemd des Fürsten um es zu waschen. Die Frau wusch es, zog es dem Wassilko an und weinte, durch seinen Anblick gerührt, bitterlich. Da kam Wassilko wieder zur Besinnung und rief: „Wo bin ich?" — Man antwortete ihm: „In der Stadt Swishden." —
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„Gebt mir Waaser!" sprach er. Man gab ihm Wasser, er trank und erlangte nach und'nach vollständig sein Bewusstsein wieder; da erinnerte er sich dessen, was mit ihm geschehen war und als er sein Hemd befühlte, fragte e r , weshalb man es ihm ausgezogen habe. „Ich hätte in diesem blutbefleckten Hemd am liebsten den Tod empfangen und wäre damit vor Gottes Antlitz getreten." Nach dem Mittagessen brachten wo sie am sechsten T a g eintrafen. Haus eines Einwohners von Wladimir, Mann zur Bewachung, die von zwei tschok, befehligt wurden.
ihn die Bösewichte nach Wladimir, David führte den Wassilko in das Namens Wakeg, und gab ihm dreissig fürstlichen Junkern, Ulan und Kol-
Früher als die andern Fürsten erfuhr Wladimir Monomach das Geschehene und entsetzte sich. „Dergleichen kam weder bei unsern Grossvätern noch bei unsern Vorfahren vor", sprach er, und berief sofort die tschernigower Fürsten Oleg und David zu sich nach Gorodez zur Berathung. „Man muss das Uebel wieder gut zu machen suchen", — sagte er — „sonst wird ein noch grösseres Unglück daraus entstehen; ein Bruder wird den andern umbringen, das russische Land wird zu Grunde gerichtet und die Polowzer werden sich desselben bemächtigen." Swjätoslaws Söhne David und Oleg entsetzten sich gleichfalls und sprachen: „Dergleichen ist in unsrer Familie noch nie vorgekommen." In der T h a t , es war noch nicht vorgekommen; barbarischer Brudermord hatte früher schon im fürstlichen Geschlecht stattgefunden, aber Blendung war noch nie dagewesen; diese Frevelthat hatte die griechische Civilisation dem barbarischen Russland gebracht. Alle drei Fürsten sandten ihre Männer zu Swjätopolk mit folgender Botschaft: „Weshalb hast Du eine solche Missethat im russischen Lande verübt? Weshalb hast Du das Messer unter die Brüder geschleudert? Weshalb den Bruder geblendet? Wäre er schuldig vor Dir gewesen, so hättest Du ihn in unsrer Gegenwart überführen und seine Schuld beweisen sollen, er würde dann bestraft worden sein; jetzt aber sprich: Wessen beschuldigst Du i h n ? " Swjätopolk antwortete: „David Igorewitsch sagte mir, dass Wassilko meinen Bruder Jaropolk getödtet habe und dass er auch mich tödten wolle, um sich meiner Gebiete Turow, Pinsk, Berestje und Pogorynje Zu bemächtigen; er sagte, dass er und Wladimir sich durch Eidschwur verbunden hätten, um Wladimir in Kijew und Wassilko in der Stadt Wladimir einzusetzen. Ich war genöthigt mein Haupt zu schützen. Nicht ich war es, der ihn blenden liess, sondern David, er hat ihn auch zu sich hinweg geführt." „Damit darfst Du Dich nicht ausreden — antworteten die Fürsten, — David hat ihn blenden lassen, es geschah aber nicht in Davids Stadt, sondern in der Deinigen." Wladimir beschloss mit den Fürsten und ihrem Kriegsheer gegen Swjätopolk über den Dnjepr zu ziehen und Swjätopolk wollte vor Schreck
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schon fliehen: da hielten ihn die Kijewer zurück und sandten Wladimirs Stiefmutter und den Metropoliten Nikolaus mit folgender Botschaft zu Wladimir: „Wir flehen Dich an, Fürst Wladimir, und mit Dir die Fürsten, Deine Brüder, richtet das russische Land nicht zu Grunde; beginnt Ihr unter einander zu kämpfen, so werden sich die Heiden darob freuen und werden unser Land nehmen, welches Eure Väter und Eure Grossväter mit Mühe und Tapferkeit erworben haben; sie kämpften für das russische Land und eroberten fremde Länder, Ihr aber wollt russisches Land verwüsten." Wladimir hatte grosse Achtung vor seiner Stiefmutter und liess sich durch ihr Flehen bewegen. „Es ist wahr," sagte er, „unsre Väter und Grossväter haben das russische Land in Acht genommen, wir aber suchen es zu verderben." Die nach Kijew zurückkehrende Fürstin brachte den Kijewern die frohe Botschaft, dass Wladimir zum Frieden geneigt sei. Die Fürsten standen auf dem linken Ufer des Dnjepr und verhandelten mit Swjätopolk. Endlich war ihr letztes Wort: „Wenn David an diesem Verbrechen schuld ist, so soll Swjätopolk gegen David ausziehen und ihn entweder gefangen nehmen oder ihn von seinem FUrstensitz vertreiben." Swjätopolk küsste das Kreuz und versprach nach Wladimirs und dessen Genossen Forderung zu handeln. Die Fürsten rüsteten sich nun gegen David; dieser aber, als er es erfahr, machte den Versuch sich mit Wassilko zu versöhnen und suchte ihn zu veranlassen, die Gefahr, der er um seinetwillen ausgesetzt war, von ihm abzuwenden. David rief daher in der Nacht einen Mann, Namens Wassilij zu sich, dessen Erzählung die Chronik vollständig wiedergiebt. David sprach zu ihm : „Wassilko sagte in dieser Nacht zu Ulan und Koltschok, dass er einen seiner Männer zum Fürsten Wladimir schicken möchte. Ich sende daher Dich, Wassilij, zu Deinem N a m e n s v e t t e r s a g e ihm von mir: Wenn Du deinen Mann zu Wladimir sendest, und Wladimir kehrt nach Hause zurück, so gebe ich Dir die Stadt, welche Da begehrst, entweder Wssewolosh oder Schepel oder Peremil." Wassilij begab sich zu Wassilko und theilte ihm Davids Worte mit. „Ich habe nichts dergleichen gesagt", — antwortete Wassilko, — „bin aber bereit einen Mann zu senden, damit nicht Blut meinetwegen vergossen werde; mich wundert nur, dass David mir seine Städte anbietet, während doch mein Terebowl in seiner Gewalt ist. Geh' zu David zurück und sage ihm, dass er den Kulmej zu mir sende, ich will ihn zum Fürsten Wladimir schicken. Wassilij ging zu David und sagte, als er zurückkam, dass Kulmej nicht da sei." ') Wassilko und Wassilij ist der gleiche Name, Basilius.
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Da sprach Wassilko: „Bleibe ein wenig bei mir." E r befahl seinen Dienern hinauszugehen und sagte dann zu Wassilij: „Wie ich höre, will mich David den Lechen ausliefern; er hat wohl noch nicht genug von meinem Blut und will sich noch mehr daran sättigen. Den Lechen habe ich viel Böses zugefügt und wollte ihnen noch mehr anthun, ich wollte das russische Land an ihnen rächen. Mag er mich ihnen ausliefern, ich fürchte den Tod nicht. Ich will Dir nur die Wahrheit sagen: Gott hat mich für meinen Hochmuth bestraft: ich erhielt die Nachricht, dass die Berendejer, Petschenegen und Torken zu mir kämen, und da dachte ich bei mir, wenn ich erst die Berendejer, Petschenegen und Torken habe, so sage ich meinem Bruder Wolodar und dem David: Gebt mir Euer kleineres Kriegsheer, trinkt und seid vergnügt, ich aber gehe im Winter gegen das Lechenland, erobere es bis zum Sommer, und räche das russische Land. Dann wollte ich mich auch der DonauBolgaren bemächtigen, sie bei mir ansiedeln und dann Swjätopolk und Wladimir bitten, mich gegen die Polowzer ziehen zu lassen: ich wollte mir entweder Ruhm holen oder mein Leben für das russische Land hingeben; andere Absichten trug ich weder gegen Swjätopolk noch gegen David im Herzen. Ich schwöre bei Gott und.''seiner Menschwerdung, dass ich den Brüdern nichts Böses zufügen wollte; aber Gott hat mich für meinen Uebermuth erniedrigt und gedemüthigt!" Man weiss nicht, womit diese Verhandlungen Davids mit Wassilko endeten; wahrscheinlich aber ist, dass Wassilko den Wladimir zurückhielt, denn in diesem Jahre fand kein Angriff gegen David statt. Ostern nahte, und David liess Wassilko nicht frei, sondern wollte im Gegentheil das Gebiet des Geblendeten an sich reissen; er zog mit einem Heer dorthin, aber Wolodar kam ihm bei Boshsk entgegen. David war ebenso feig wie bösartig. Er getraute sich nicht, den Kampf aufzunehmen, sondern befestigte sich in Boshsk. Wolodar belagerte ihn und sandte ihm folgende Botschaft: „Weshalb thatest Du so viel Böses und bereuest nicht? — besinne Dich!" — „War ich es etwa, der es gethan h a t ? " — antwortete David, — „ist es denn in meiner Stadt geschehen? Swjätopolk ist an Allem schuld, ich fürchtete, man würde auch mich gefangen nehmen und mir das Gleiche anthun; gezwungen, musste ich im Rathe ihm zustimmen; ich war in seinen Händen." Wolodar widersprach nicht, es war ihm nur darum zu thun, seinen Bruder aus der Gefangenschaft zu befreien. „Mag Gott darüber Richter sein", liess er David sagen, — „Du aber, entlasse meinen Bruder, und ich will dann Friede mit Dir schliessen." David war froh; er befahl den Blinden herbeizuführen und übergab ihn Wolodar. Sie schlössen Frieden und gingen auseinander. Im nächsten Frühjahr aber (1098) zogen Wolodar und Wassilko mit einem Kriegsheer gegen David. Sie erreichten die Stadt Wssewolosh, nahmen sie mit Sturm und zündeten sie an; die Einwohner entflohen. K o s t o m a r o w - H e n c k e l , Raas. Geschichte in B i o g r . I .
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Wassilko befahl, Alle zu vertilgen, und rächte sich auf diese Weise an Unschuldigen, berichtet der Chronist. Wassilko bewies dadurch, dass, obschon er unglücklich w a r , er doch das russische Land durchaus nicht so sehr liebte, wie er vorgab. Die Brüder zogen nach Wladimir, wo der feige David sich eingeschlossen hatte, und sandten den Wladimirern folgende Botschaft: „Wir sind nicht als Eure und Eurer Stadt Feinde, sondern als Feinde von Turjak, Lazarus und Wassilij gekommen; sie waren es, die David überredeten; er folgte ihnen und that Böses. Wollt Ihr für sie kämpfen, so sind wir bereit; wollt Ihr aber nicht, so gebt unsre Feinde heraus. Die Bürger von Wladimir versammelten sich und sprachen zu David also: „Gieb diese Männer heraus, wir wollen nicht für sie kämpfen, für Dich aber können wir kämpfen; lieferst Du sie nicht aus, so öffnen wir die Stadt, und Du magst dann für Dich sorgen, wie Du kannst." David antwortete: „Sie sind nicht hier, ich habe sie nach Luzk gesandt; Turjak ist nach Kijew entflohen, Wassilij und Lazarus sind in Turijsk." „Gieb die, welche von Jenen verlangt werden, heraus!" — riefen die Bürger, „wenn nicht, so ergeben wir uns." David konnte sich nicht länger sträuben; er sandte nach seinen Günstlingen Wassilij und Lazarus und gab sie preis. Die Rostislawitschs (Söhne des Fürsten Rostislaw) hängten beim Anbruch der Morgenröthe Wassilij und Lazarus vor der Stadt auf, und Wassilkos Söhne schössen mit Pfeilen nach ihnen. Nachdem sie hingerichtet waren, wurde die Belagerung aufgehoben. Nach vollzogner Strafe zog Swjätopolk, welcher bis jetzt gezögert hatte, den Urtheilsspruch der Fürsten auszuführen und David für seine Uebelthat zu züchtigen, gegen diesen. David suchte bei dem polnischen Fürsten Wladislaw Hermán Hilfe, doch dieser nahm zwar Geld von ihm, half ihm aber nicht. Nach siebentägiger Belagerung der Stadt Wladimir übergab sie David und ging nach Polen. Am Sonnabend in der Charwoche des Jahres 1098 zog Swjätopolk in Wladimir ein. Nachdem der kijewer Fürst sich Wolhyniens bemächtigt hatte, überlegte e r , dass es eigentlich nicht übel wäre, auf gleiche Weise auch die Gebiete der Rostislawitschs, um derentwillen er den Krieg gegen David geführt hatte, wegzunehmen. Wolodar, dem Angriffe zuvorkommend, ging dem Fürsten von Kijew entgegen und nahm seinen blinden Bruder mit sich. Die Feinde stiessen bei der Grenzscheide, welche Roshnowo-Pole genannt wurde, auf einander. Als die kampfbereiten Heere im Begriff waren, loszuschlagen, erschien plötzlich der blinde Wassilko mit dem Kreuz in der Hand und rief, seine Rede an Swjätopolk richtend: „Hier ist das Kreuz, welches Du geküsst hast, bevor Du mir das
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Augenlicht raubtest! Jetzt willst Du mir auch noch die Seele rauben; dieses heilige Kreuz wird zwischen uns entscheiden." Ein hartnäckiger Kampf begann; die Rostislawitschs siegten. Swjätopolk floh nach Wladimir und die Sieger verfolgten ihn nicht. „Unsere eignen Grenzen genügen uns", sprachen sie. Da traf es sich, dass die Rostislawitschs und ihr Feind David gemeinschaftliche Sache machen mussten: sie waren genöthigt, sich gegen Swjätopolk zu vertheidigen, und zwar weil dieser sie nicht in Ruhe lassen wollte. Nachdem er einen seiner Söhne, Mstislaw, in Wladimir eingesetzt hatte, sandte er den andern, Jaroslaw, zu den Ugren (Ungarn) um sie gegen Wolodar zu verwenden; er selbst aber ging nach Kijew, wahrscheinlich mit der Absicht, denselben Jaroslaw in das Land der Rostislawitschs einzusetzen, nachdem er diese daraus vertrieben haben würde, so wie er David bereits vertrieben hatte. Swjätopolk wollte die Feindschaft zwischen David und den Rostislawitschs benutzen, um seinen Söhnen deren Besitzungen zu verschaffen. David kehrte aus Polen zurück und traf mit Wolodar zusammen; die Erzfeinde versöhnten sich, David liess seine Frau bei Wolodar und machte sich auf den Weg, um die polowzer Horde, welche vom kriegerischen und grimmigen Chan Bonjak geführt wurde, anzuwerben. Wahrscheinlich war es David gelungen, Wolodar zu überzeugen, dass an der Unthat, welche an Wassilko verübt worden war, nicht er, David, sondern Swjätopolk schuld sei. Während Wolodar in Peremyschl sass, kamen die Ungarn mit ihrem König Koloman, den Jaroslaw Swjätopolkowitsch herbeigerufen hatte, und begannen die Stadt zu belagern. Glücklicherweise fand David die Polowzer in der Nähe und führte sie nach Peremyschl. Am Vorabend der Schlacht gegen die Ungarn ritt Bonjak um Mitternacht vom Heer hinweg ins Feld und fing an, wie ein Wolf zu heulen. Eine Menge Wölfe antworteten auf sein Geheul. Das war polowzer Art, die zukünftigen Ereignisse zu ergründen. „Morgen", sprach Bonjak, „werden wir die Ungarn besiegen." Die Voraussagung des polowzer Chans traf ein. Der zeitgenössische Chronist erzählt, Bonjak habe die Ungarn in einen Haufen zusammengejagt, wie der Falke die Dohlen. Die Ungarn flohen, und viele derselben ertranken in der Wagra und Ssana. David zog dann nach Wladimir und bemächtigte sich des Wladimirschen Gebiets. In der Stadt selbst sass Mstislaw Swjätopolkowitsch mit einer Garnison, die aus Bewohnern der Wladimirschen Städte, aus Berestjanern, Pinskern und Wygoschewzen bestand. David begann den Angriff, und von beiden Seiten regnete es Pfeile. Die Belagerer suchten sich durch bewegliche Thürme zu decken, die Belagerten standen auf den Mauern hinter Brettern; so war es damals Brauch im Kriege. Während dieses Hin- und Herschiessens traf, am 12. Juni 1099, ein Pfeil durch die Spalten der Bretter und tödtete den Fürsten Mstislaw. Nach seinem Tode mussten die Belagerten noch bis zum August eine lästige Umzingelung aushalten, 4*
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bis ihnen Swjätopolk endlich ein Entsatzheer sandte. Am 5. August war David nicht imstande, den neu eingetroffenen Truppen im Kampfe Widerstand zu leisten, und flüchtete zu den Polowzern. Die Sieger bemächtigten sich der Städte Wladimir und Luzk; es dauerte jedoch nicht lange, da erschien David mit Bonjak wieder und nahm ihnen beide Städte weg. Monomachs Absicht, die russischen Fürsten zu gemeinsamem Handeln gegen die Polowzer zu vereinigen, war nicht nur nicht zustande gekommen, sondern führte im Gegentheil zu einem jahrelangen Kriege zwischen den Fürsten, war also für das russische Land eine Steigerung des Uebels. Im nächsten Jahre, 1100, gelang es Monomach indess doch, einen Fürstenrath zusammen zu bringen und David Igorewitsch zu überreden, sich dem Urtheil der Fürsten zu unterwerfen. David selbst sandte in dieser Angelegenheit Botschafter zu den Fürsten. Leider sind uns die Einzelheiten der Vorbereitung zu dieser neuen fürstlichen Zusammenkunft nicht bekannt. Am 10. August kamen Wladimir Monomach, Swjätopolk und Oleg mit seinem Bruder David in Wititschew zusammen und, zwanzig Tage später, am 30. August nochmals. Diesmal war auch David Igorewitsch unter ihnen. „Wer hat sich über mich zu beklagen?" fragte David. „Du hast zu uns gesandt, — sagte Wladimir, — und geäussert, dass Du Dich einer Kränkung wegen bei uns beklagen willst. Nun, jetzt sitzest Du mit den Brüdern auf dem gleichen Teppich, sprich also! Gegen wen ist Deine Klage gerichtet? David antwortete nicht. Da setzten sich die Fürsten zu Pferde und stellten sich einzeln, jeder mit seiner Lejbwache, auf. David Igorewitsch stand abgesondert von ihnen. Die Fürsten unterhielten sich über Davids Angelegenheit; zuerst jeder Fürst mit seiner Leibwache allein, dann beratschlagten sie gemeinsam, und schliesslich sandte jeder Fürst einige von seinen Männern zu David. Diese hielten ihm folgende Rede: „Das ist's, was Dir die Brüder sagen: Wir wollen Dir den Sitz von Wladimir deshalb nicht geben, weil Du das Messer zwischen uns geworfen hast, weil Du gethan hast, was im russischen Lande noch nie dagewesen ist; wir wollen Dich aber nicht in Gefangenschaft halten, Dir nichts Böses thun; Du kannst in Bushsk und Ostrog ruhig sitzen; Swjätopolk giebt Dir ausserdem noch Dubko und Tschartorisk, und Wladimir giebt 200 Griwnas, auch Oleg und David geben Dir 200 Griwnas." Dann sandten die Fürsten an Wolodar folgende Botschaft: „Nimm deinen Bruder Wassilko zu Dir, Euch beiden soll Peremyschl gehören. Wenn Ihr wollt, so könnt Ihr bei einander leben, wollt Ihr aber nicht, so sende Wassilko zu uns, wir werden für ihn sorgen.'' Wolodar war Aber diesen Vorschlag zornig; Swjätopolk und die Swjätoslawitschs wollten die Rostislawitschs aus ihrem Gebiet vertreiben und sandten eine Einladung an Wladimir, um ihn aufzufordern, sich an diesem
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Unternehmen zu betheiligen. Dieser war nach der Zusammenkunft von Wititsehew in seine nördlichen Besitzungen gereist und befand sich, als der Ruf Swjätopolks, gegen die Rostislawitschs zu ziehen, ihn erreichte, an der Wolga. „Gehst Du nicht mit uns, so bleiben wir für uns, und Du bleibst für Dich", hatten sie ihm Bagen lassen. Es scheint, dass Wladimir auch auf der wititschewer Versammlung mit den übrigen Fürsten nicht einig war und ihre Anordnungen nicht ohne Weiteres gebilligt hat. „Ich kann nicht gegen die Rostislawitschs mit Euch ziehen", antwortete er ihnen, „denn ich will meinen Eid nicht brechen. Gefällt Euch das Letztere nicht, so haltet Euch an das Frühere", (d. h. an das in Ljubetsch Beschlossene). Wladimir war damals sehr erbittert, das bezeugen auch die Worte in seinem Testament, welche dieses Ereigniss erwähnen. Er hielt es für angemessen, bei dieser Gelegenheit die Worte des Psalters anzuführen: „Erzürne Dich nicht über die Bösen, sei nicht neidisch gegen die Uebelthäter." Die Mittel, durch welche die Fürsten ihre Zwistigkeiten bisher beigelegt hatten, entsprachen wenig dem Gerechtigkeitssinn. Wladimir war häufig blos deshalb nicht andrer Meinung, weil er die Unterdrückung der gegenseitigen Kämpfe, um die Kräfte des Landes gegen den gemeinsamen Feind, die Polowzer, intakt zu erhalten, als seine Hauptaufgabe betrachtete. Swjätopolk, als Fürst von Kijew, wünschte, gleich seinen Vorgängern, die Oberherrschaft über Nowgorod und wollte, um diesen Zweck zu erreichen, seinen Sohn in Nowgorod einsetzen, während doch Monomachs Sohn Mstislaw dort Fürst war. Trotzdem ging Wladimir auf Swjätopolks Wünsche ein, und dieser versprach, als Ersatz für Nowgorod, Mstislaw das Fürstenthum Wladimir zu geben. Monomach liess nun Mstislaw aus Nowgorod nach Kijew kommen, aber gleich darauf erschienen auch Botschafter aus Nowgorod und sprachen zu Swjätopolk: „Die, welche uns gesandt haben, befahlen uns, Dir Folgendes zu sagen: Wir wollen Swjätopolk und seinen Sohn nicht, sende ihn nur dann, wenn er zwei Köpfe hat. Wssewolod hat uns den Mstislaw gegeben, wir haben ihn gross gezogen, Du aber, Swjätopolk, bist von uns gegangen." Swjätopolk konnte gegen ihre Gründe nicht aufkommen und war auch nicht imstande, die Nowgoroder zu zwingen, ihm seinen Willen zu thun. Mstislaw kehrte also wieder zurück. Nowgorod fühlte sich durch seine Lage, inmitten unzugänglicher Sümpfe und Urwälder, geschützt; man konnte weder Polowzer noch Lechen hierherführen. Mit fremder Hilfe war also Nowgorod nicht zu überwältigen. Von nun an richtete Wladimir seine Thätigkeit nur noch auf den Schutz des Landes gegen die Polowzer. Im Jahre 1101 brachte er endlich die Fürsten so weit, dass sie sich gegen die Polowzer erhoben. Als diese aber von den Rüstungen der russischen Fürsten hörten, da kamen die verschiedenen Horden gleichzeitig und baten um Frieden. Die Russen nahmen den Frieden an, blieben aber gerüstet, um die Polowzer für den
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ersten Treubruch, den sie versuchen würden, zu züchtigen. Im Jahre 1103 ward der Friede durch die Polowzer gebrochen, und es gelang Monomach, die russischen Fürsten zum ersten Mal zu einem gemeinsamen Offensivkrieg gegen das polowzer Land zu bewegen. Die Chronik spricht von diesem Feldzug äusserst sympathisch; man erkennt daraus, dass er Eindruck auf die Zeitgenossen gemacht haben muss. Der Fürst von Kijew mit seinem Heer und Wladimir mit dem seinigen trafen in Dolobsk (am linken Ufer des Dnjepr in der Nähe Kijews) zusammen; dort, in einem Zelte, fand die Berathung statt. Swjätopolks Heer war gegen den Feldzug; man hörte rufen: „Jetzt ist Frühling, wie darf man da den Enecht vom Acker wegholen? er muss pflügen!" Wladimir aber erwiderte: „Merkwürdig, dass Ihr nicht den Enecht schonen wollt, sondern das Pferd, mit dem er pflügt; denn wenn der Knecht zu pflügen beginnt, so kommt der Polowzer und nimmt ihm sein Pferd, ihn selbst aber tödtet er mit dem Pfeil, er dringt ins Dorf und raubt Weib und Kind." Swjätopolks Schar konnte nichts darauf erwidern, und Swjätopolk sprach: „Ich bin bereit." „Was Du thust, wird sehr gut sein," antwortete Monomach. Nach der Berathung in Dolobsk luden Swjätopolk und Wladimir die tschernigower Fürsten und später auch noch andere ein, an dem Feldzug Theil zu nehmen. David folgte ihnen, Oleg aber entschuldigte sich mit Unwohlsein. Er wollte es vermeiden, gegen die Polowzer zu kämpfen, die ihm geholfen hatten, Tschernigow zu erobern, und berechnete vielleicht auch, dass ihm und seinen Kindern die Freundschaft derselben noch von Nutzen sein konnte. Es kamen mit ihren Heeren David Wsseslawitsch, Fürst von Polozk, und noch einige andere. Die Russen waren theils beritten, theils Fussvolk; das letztere kam auf Kähnen den Dnjepr entlang bis Chortiza. Nach viertägigem Marsche, von Chortiza aus durch die Steppe, stiessen sie am 4. April am Grenzorte, der Ssutenj genannt wird, auf die Polowzer und schlugen sie aufs Haupt. Es fielen gegen zwanzig polowzer Fürsten. Einer derselben, Fürst Beldjus, wurde gefangen und bot ein grosses Lösegeld in Gold, Silber, Pferden und Vieh; Wladimir aber sprach: „Ihr habt schon oft Verträge mit uns geschlossen und habt dann doch das russische Land verheert; weshalb hast Du Deine Söhne und Deinen Stamm nicht gelehrt, Verträge zu halten und christliches Blut zu schonen?" Dann liess er Beldjus tödten und seinen Körper in Stücke hauen. Die Russen erbeuteten damals viele Schafe, Rindvieh, Kamele und Sklaven. Im Jahre 1107 gedachten der kriegerische Bonjak und der alte polowzer Fürst Scharakan, sich für die früheren Niederlagen an den Russen zu rächen, wurden jedoch bei Lubny aufs Haupt geschlagen. 1109 sandte Wladimir seinen Feldherrn Dmitry Iworowitsch an den Don, und die Russen verheerten daselbst die Lager der Polowzer. Dafür zerstörten die
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Polowzer im nächsten Jahre die Umgegend von Perejaslawl. Im nächstfolgenden unternahm Wladimir wieder mit den Fürsten einen Feldzug, welcher, mehr als alle früheren, von den Zeitgenossen ruhmvoll genannt wurde. Die Ueberlieferung spricht in Verbindung mit diesem Feldzuge von wunderbaren Erscheinungen. So soll am 11. Februar eine Feuersäule über dem Höhlenkloster erschienen sein. Anfangs sei sie über dem Refectorium gestanden, von dort über die Kirche hinweg auf das Grab des Theodosios gerückt, habe sich hierauf nach Osten gewendet und sei dann verschwunden. Diese Erscheinung war angeblich von Blitz und Donner begleitet. Schriftkundige deuteten, es sei ein Engel gewesen, der den Russen Sieg über die Ungläubigen verkündet habe. Im Frühjahr in der zweiten Fastenwoche zog Wladimir mit seinen Söhnen, Swjätopolk mit seinem Sohn Jaroslaw und David mit seinem Sohn an die Ssula; sie überschritten den Pssjol, die Worskla und kamen am 23. März an den Don; am 27., dem Montag der Charwoche, schlugen sie die Polowzer am Flusse Ssalniza und kehrten dann mit Beute und mit Gefangenen zurück. Der Chronist berichtet: Da verbreitete sich bei den Griechen, Lechen, Tschechen und allen Völkern der Ruhm von den Grossthaten der Russen und gelangte sogar bis nach Rom. Von nun an hatte das Land lange Zeit hindurch Ruhe vor den Ueberfällen der Polowzer. Im Jahre 1113 starb Swjätopolk, und die Kijewer erwählten in einer Volksversammlung Wladimir Monomach zu ihrem Fürsten. Dieser jedoch zögerte, die Wahl anzunehmen. Unterdessen überfielen die Kijewer, welche mit den Erpressungen des verstorbenen Fürsten unzufrieden gewesen waren, das Haus seines Günstlings Putjata und beraubten die Juden, denen Swjätopolk während seiner Herrschaft viel nachgesehen, denen er sogar die Eintreibung der Steuern anvertraut hatte. Abermals schickten die Kijewer Abgesandte an Wladimir und liessen ihm sagen: „Fürst, komme nach Kijew; wenn Du nicht kommst, so wird auch Swjätopolks Fürstin ausgeraubt, ebenso die Bojaren und die Klöster. Es wird Deine Schuld sein, wenn die Klöster geplündert werden." Wladimir, vom ganzen Lande gewählt, kam und bestieg den Fürstenstuhl von Kijew. Die Zeit vom Antritt der Regierung Wladimir Monomachs in Kijew bis zu dessen Tode, der im Jahre 1125 erfolgte, war die Blüteperiode des alten kijewer Russlands. Weder die Polowzer noch andre fremde Völkerschaften beunruhigten nunmehr das russische Volk. Im Gegentheil, Wladimir selbst sandte seinen Sohn Jaropolk an den Don, wo dieser den Polowzern drei Städte wegnahm und sich eine Frau, die Tochter eines Jassyschen Fürsten — eine seltene Schönheit — holte. Ein anderer Sohn Wladimirs, Mstislaw, brachte mit den Nowgorodern den Tschuden am baltischen Uferlande eine Niederlage bei; ein dritter Sohn, Jurij, besiegte die Bolgaren an der Wolga. Die Theilfürsten getrauten sich nicht, Fehden untereinander anzufangen: Widerspänstige würden Wladimirs starken Arm gefühlt haben. Die ersten Versuche, Unordnungen hervorzurufen, verzieh
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Wladimir, die folgenden aber bestrafte er streng. So überzog er einst Gljeb Mstislawitsch mit Krieg, weil dieser die Stadt Slutzk überfallen und verbrannt hatte. Gljeb musste sich demüthigen und um Frieden bitten, Wladimir beliess ihn an seinem Fürstensitz in Minsk. Einige Jahre später aber, 1119, vertrieb ihn Wladimir, wahrscheinlich wegen eines ähnlichen Vergehens, und führte ihn nach Kijew, wo er starb. So versammelte Wladimir auch im Jahre 1118 die Fürsten und zog mit ihnen gegen Jaroslaw Swjätopolkowitsch, den Fürsten von Wolhynien, der sich unterwerfen und vor ihm bis zur Erde verneigen musste; dann beliess er ihn wieder in Wladimir und sagte ihm: „Komme stets, wenn ich Dich rufe!" Nachher aber überfiel Jaroslaw mit Hilfe der Lechen die Rostislawitschs, auch misshandelte er seine Frau; deshalb wurde Wladimir böse auf ihn, vertrieb ihn und gab Wladimir-Wolhynsk seinem eigenen Sohn Andreas. Jaroslaw versuchte zwar, Wladimir mit Hilfe der Lechen, Ungarn und Tschechen wieder zu gewinnen, es gelang ihm aber nicht, er wurde vielmehr im Jahre 1123 von den Lechen verrätherisch ermordet. Weniger erfolgreich war Monomachs Verhältniss zu Griechenland. Seine Tochter war an Leo, den Sohn des byzantinischen Kaisers Diogenes verheiratet; bald darauf aber trat in Byzanz eine Umwälzung ein, und Diogenes wurde durch Alexius Komnenos gestürzt. Leo wollte mit Hilfe seines Schwiegervaters in den griechischen Besitzungen an der Donau ein unabhängiges Gebiet erwerben, wurde aber von Mördern, die Komnenos ausgesandt hatte, getödtet. Leo hinterliess einen Sohn, und für diesen wollte nun Monomach das nämliche Gebiet in Griechenland, welches schon Leo erstrebt hatte, zu erlangen suchen. Anfangs gelang es auch Wladimirs Feldherrn Wojtischitsch seines Fürsten Statthalter in die griechischen Donaustädte einzusetzen; sie wurden jedoch von den Griechen wieder vertrieben, und im Jahre 1122 schloss Wladimir mit Alexius' Nachfolger Johannes Komnenos Frieden und gab ihm seine Enkelin, eine Tochter Mstislaws, zur Frau. Wladimir Monomach hat sich auch als Gesetzgeber in der Geschichte Russlands einen Namen gemacht. Schon unter Jaroslaws Kindern waren wichtige Veränderungen und Zusätze in die „Russkaja Prawda" gekommen. Die wichtigste Aenderung bestand in der Beseitigung des Vergeltungsrechts für Todtschlag; an dessen Stelle trat die Zahlung des Wehrgeldes. Diess gab Anlass zu einer grossen Umwälzung in der Gesetzgebung und zur Einführung vieler Bestimmungen, welche sich auf die verschiedenen Vergehen und Verbrechen bezogen, die durch Zahlung des Wehrgeldes in verschiedenem Betrage gesühnt werden konnten. Es wurden also die verschiedenen Summen festgesetzt, welche für Beleidigungen, Schläge, Diebstahl u. dergl. bezahlt werden mussten. Abgesehen von der Strafe des Wehrgeldes, wurde für manche Verbrechen, wie z. B. für Raub und Brandstiftung, der Schuldige zur Verbannung, Einkerkerung oder Plünderung verurtheilt. Das letztere war eine Volksstrafe, die noch aus uralter Zeit her-
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rührte. Wenn die Tödtung eines Diebes beim Ergreifen auf der That stattfand, und der Dieb noch nicht festgenommen war, wurde diess nicht als Todtschlag angesehen. Unter Monomach wurden bei einer Rathsversammlung, welche er aus den Aeltesten des Gerichts und der Verwaltung von Kijew, Bjelogorod, Perejaslawl und aus Männern seiner Leibwache berufen hatte, einige wichtige Bestimmungen festgesetzt, die zum Schutz des Volkswohlstands dienen sollten. So wurde die willkürliche Erhebung von Zinsen beschränkt; in dieser Beziehung waren grosse Missbräuche unter Swjätopolk eingerissen, die nach dem Tode dieses Fürsten zu einer Verfolgung der als Wucherer bekannten Juden führten. Wladimir bestimmte, dass der Wucherer nur drei Mal Zins nehmen durfte; nachdem er drei Mal Zins erhoben hatte, verlor er sein Kapital. Ausserdem wurde die Höhe des erlaubten Zinses bestimmt: auf eine Griwna zehn Kunas; das war ungefähr ein Drittel oder etwas mehr, wenn man die Griwna als eine Griwna Kuna annimmt 1 ). Häufige Kriege und Raubzüge der Polowzer zerrütteten die Vermögensverhältnisse; es entstanden zahlungsunfähige Schuldner, und unter diesen gab es auch Betrüger. Die Handelsunternehmungen waren mit Risico verknüpft, daher waren auch jene, welche Geld zu Handelszwecken hergaben, in Gefahr, es zu verlieren. Daraus erklären sich die hohen Zinsen. Manche Händler nahmen Waaren auf Kredit, ihnen wurden die Zinsen aufgeschlagen; das führte zu Betrügereien. Wladimir liess den Unterschied zwischen dem unschuldig zahlungsunfähig gewordenen Schuldner, der durch Feuer, Wasser oder durch den Feind Schaden erlitten hatte, und dem böswilligen und leichtsinnigen zahlungsunfähigen Schuldner, der fremde Waare verdorben, vertrunken oder durchgebracht hatte, festsetzen. Es wurde also bei Zahlungsunfähigkeit die Ursache davon in Betracht gezogen. War seine Vermögenszerrüttung aus unvorhergesehenen Ursachen entstanden, so wurde der Kaufmann nicht gewaltsam zur Zahlung angehalten, obschon man ihn nicht gänzlich von der Verpflichtung befreite. Manche borgten ihr Kapital von Privatleuten, auch von Fürsten. Wurde ein solcher Kaufmann zahlungsunfähig, so führte man ihn auf den Markt und verkaufte seine Habe. In diesem Fall hatte der Gast, d. h. der fremdstädtische oder fremdländische Gläubiger den Vorrang vor allen andern; dann kam der Fürst an die Reihe, und erst nachdem auch dieser befriedigt war, erhielten die übrigen Gläubiger den Rest. Die Raubzüge der Polowzer, der Wucher, die Habsucht der Fürsten und ihrer Beamten — Alles dies trug dazu bei, die Zahl derjenigen Armen ') Wie schon früher bemerkt, gab es eine Griwna Silber und eine Griwna Kuna. Die Silberstucke, welche jetzt noch gefunden werden, und welche man für eine Griwna Silber hält, zeigen, dass es zweierlei Art Ton Griwna Silber gab: die grosse Griwna, welche aus Silberstüeken bestand, die im Gewicht von 43 bis 49 Solotnik vorkommen, und die kleine, in Stücken yon 35 bis 42 Solotnik. Sieben Griwnas Kuna bildeten eine Griwna Silber, eine Griwna Kuna also machte annähernd 6—7 oder 5—6 Solotnik Silber aus.
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zu vermehren, welche, unvermögend sich selbst zu ernähren, eich an die Reichen verdingen mussten. Ein solcher Miethling hiess damals „Sakup". Theils liefen diese Sakups, nachdem sie von den Herren Geld voraus genommen hatten, ihnen davon, theils wurden sie auch von ihren Herren ungerechterweise ausgenutzt, bedrückt und unter verschiedenen Vorwänden sogar zu Sklaven gemacht. Monomachs Gesetz erlaubte dem Sakup, beim Fürsten oder beim Richter gegen seinen Herrn Klage zu führen; es setzte bestimmte Strafgelder für die dem Sakup zugefügten Kränkungen und Bedrückungen fest, schützte ihn gegen ungerechte Forderungen seines Herrn, wenn ein Gegenstand verloren oder verdorben war, und ihm keine Schuld beigemessen werden konnte; dagegen aber bedrohte es auch den Sakup, falls er davonlief oder sich seinen Verpflichtungen entzog, mit gänzlicher Sklaverei. Ausser den Sakups, welche auf den Höfen ihrer Herren dienten, gab es noch andere, welche, auf den Herrschaftsländern angesiedelt, durch Feldarbeit verpflichtet waren. Sie erhielten vom Besitzer Pflug und Egge, ein Beweis der Armuth des Volkes. Nicht selten kam es vor, dass der Besitzer, unter dem Vorwande, der Sakup habe seine landwirtschaftlichen Geräthe verdorben, ihn zum Sklaven machte. Daraus entstand die Nothwendigkeit, zu bestimmen, wer eigentlich als unfrei angesehen werden sollte. Die Gesetzgebung Wladimir Monomachs bestimmte nur dreierlei Fälle, die den Freien zum Unfreien machen konnten. Der erste w a r , wenn sich jemand freiwillig als Sklave verkaufte oder wenn er von einem Herrn, auf Grund früher über ihn erworbener Rechte, verkauft wurde. Ein solcher Kauf musste unbedingt vor Zeugen vollzogen werden. Ein zweiter Fall, durch den man in Sklaverei gerathen konnte, war, wenn man ein Weib sklavischer Abstammung zur Ehe nahm; (wahrscheinlich war es vorgekommen, dass Weiber durch Heirat ihre Freiheit zu erlangen versucht hatten). Der dritte Fall war, wenn ein freier Mann, ohne einen Vertrag zu schliessen, in ein Dienstverhältniss zu einem Privatmann trat; (wenn er sich ohne Vertrag den Schlüssel anbindet). Wahrscheinlich war diese Bestimmung deshalb getroffen, weil Manche in Dienst traten und sich dann Betrügereien zu Schulden kommen Hessen, die Herren aber, in Ermangelung eines Vertrags, keine Entschädigung erlangen konnten. Schuldenhalber konnte niemand unfrei werden; jeder, der ausser Stande war zu zahlen, durfte seine Schuld abarbeiten und dann seiner Wege gehn. Es scheint, dass sogar Kriegsgefangene nicht zu Sklaven gemacht werden konnten, denn in der „Russkaja Prawda" ist bei Aufzählung der Fälle, die zur Sklaverei führen, keine Rede davon. Der leibeigene Knecht war mit seinem Herrn eng verbunden, dieser musste sowohl die Schulden, als auch den Werth dessen, was der Knecht gestohlen hatte, bezahlen. Früher, unter Jaroslaw, sollte der Knecht, welcher einen freien Mann schlug, getödtet werden, jetzt aber wurde bestimmt, dass in einem solchen Falle der Herr ein Strafgeld für den Sklaven zu zahlen habe. Der Knecht konnte in der Regel nicht Zeuge sein, war aber
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kein freier Mann da, so wurde auch das Zeugniss des Unfreien, wenn dieser bei seinem Herrn ein Amt bekleidete, angenommen. F ü r einen Knecht oder Sklaven wurde kein Wehrgeld bezahlt, aber seine Tödtung, ohne dessen Verschulden, wurde durch Zahlung eines geringeren Wehrgeldes an den Fürsten bestraft. Aus einigen Anzeichen glaubt man schliessen zu dürfen, dass die Bestimmungen über £rbschaftsrechte gleichfalls auf Monomachs Zeit hinweisen. Nach damaligem russischen Gewohnheitsrecht erbten alle Söhne zu gleichen Theilen und hatten die Verpflichtung, den Schwestern bei ihrer Verheiratung eine Aussteuer zu geben; der jüngste Sohn erhielt das väterliche Gehöft. Jedem aber war freigestellt, durch Testament über seinen Besitz zu verfügen. Die Erbschaftsrechte der Bojaren und der Glieder der Drushina unterschieden sich von denen des gemeinen* Mannes dadurch, dass das Erbe der Erstem in keinem Falle dem Fürsten anheim fiel, wohl aber das Erbe des Letztern, wenn dieser kinderlos starb. Das Besitzthum der Frau war für den Mann unantastbar. Heiratete eine Wittwe nicht wieder, so blieb sie vollständige Herrin im Hause ihres verstorbenen Mannes, und die Kinder durften sie nicht hinausweisen. Eine verheiratete Frau hatte die gleichen juridischen Rechte wie der Mann; für ihre Tödtung oder Beleidigung war das gleiche Wehrgeld zu zahlen, wie bei einem Manne. Das Gericht wurde in der alten Zeit am fürstlichen Hof und auf dem Markte abgehalten, und daraus erkennen wir, dass es sowohl ein fürstliches, als auch ein Volksgericht (das Gericht der Wetsche) gab. Man darf annehmen, dass die Satzungen der „Russkaja Prawda", welche insbesondere die Beobachtung der fürstlichen Interessen berücksichtigte, das Gericht der Wetsche, — das sich auf alte Gewohnheiten und Argumentationen stützte, die durch concrete Fälle veranlasst waren, — nicht vollständig in sich aufgenommen hatte. Als Beweismittel'vor Gericht kamen Zeugenaussagen, Eid und endlich die Wasser- und Eisenprobe vor; wann die letzteren eingeführt wurden, wissen wir nicht. Die Epoche Wladimir Monomachs war eine Blütezeit künstlerischen und litterarischen Lebens in Russland. In Kijew und andern Städten wurden neue, steinerne Kirchen erbaut und mit Malereien geschmückt: unter Swjätopolk erbaute man in Kijew das Michailow'sche, mit goldnem Dach versehene Kloster, dessen Mauern noch jetzt vorhanden sind, nnd in der Nähe von Kijew das Wydubitzer Kloster, an der nämlichen Stelle, wo Wssewolods Landschloss gestanden hatte; ferner baute Wladimir noch vor seinem Tode eine prächtige Kirche an der Alta, dort, wo Boris getödtet worden war. Auch die Entstehung unserer ersten Chronik fällt in diese Zeit. Der Abt Sylvester (um 1115) vereinigte früher vorhanden gewesene Fragmente zu einer Sammlung und fügte wahrscheinlich die Erzählung der Ereignisse, deren Zeuge er selbst war, hinzu. Unter den in seiner Sammlung aufgenommenen Schriften befanden sich auch die
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Aufzeichnungen des Chronisten Nestor vom Höhlenkloster, weshalb die ganze Chronikensammlung des Sylvester, obschon mit Unrecht, in der gelehrten Welt die Benennung der Chronik des Nestor erhielt; denn bei weitem nicht Alles darin rührt von Nestor her, und Alles konnte auch nicht von einem einzigen Menschen niedergeschrieben sein. Die Idee, den Gang der Ereignisse chronologisch zu beschreiben und Jahr für Jahr zusammenzustellen, kam durch die Bekanntschaft mit den byzantinischen Chronisten auf; einige derselben, wie z. B. Harmatolos und Malalos waren damals in slawischer Uebersetzung bekannt. Sylvester war der eigentliche Vater der russischen Chronikenschreiber, er zeigte seinen Nachfolgern den Weg. Seine Sammlung wurde von andern Chronisten jahrweise fortgeführt und verzweigte sich dann in der Folge nach Massgabe der verschiedenen russischen Länder. Die unmittelbarste und, dem Orte der Entstehung nach, nächste Fortsetzung von Sylvesters Chroniksammlung war die s. g. Kijewer Chronik, welche sich vorzugsweise mit Kijewer Ereignissen beschäftigte und von verschiedenen, aufeinander folgenden Personen in Kijew geschrieben wurde. Diese Chronik greift bis zur Periode Monomachs zurück, nimmt das ganze XII. Jahrhundert durch und bricht bei den Ereignissen der ersten Jahre des XIII. Jahrhunderts ab. — Wahrscheinlich wurde zu Monomachs Zeiten Vieles aus der byzantinischen Litteratur übersetzt; wir wissen das aus zufällig erhaltenen Verzeichnissen von Handschriften, die namentlich auf das Ende des XI. und den Anfang des XII. Jahrhunderts zurückführen. Aus unserer ersten Chroniksammlung ist zu ersehen, dass russische lesekundige Leute das Alte Testament und die Lebensbeschreibungen verschiedener Heiligen in ihrer eigenen Sprache lesen konnten. Damals fing man auch an, dem Beispiel byzantinischer Biographen folgend, die Lebensbeschreibungen solcher Leute aufzuzeichnen, die, um der Heiligkeit ihres Lebens und Sterbens willen, in Kussland verehrt wurden. So stammt schon aus dieser Zeit die Lebensbeschreibung der Begründer des Höhlenklosters, Antonius und Theodosios, und der ehrwürdige Nestor, der Chronist des Höhlenklosters, legte den Grund zu einer Patristik oder Sammlung der Heiligenlegenden dieses Klosters, einem Werk, welches durch Fortsetzungen anwachsend, in der Folge für fromme, gottesfürchtige Leute eines der geschätztesten Bücher ward. In der nämlichen Periode schrieb der Mönch Jakob die Lebensbeschreibungen der heil. Olga und des heil. Wladimir; auch zwei verschiedene Legenden vom Tode der Fürsten Boris und Gljeb, von welchen die eine dem nämlichen Mönch Jakob zugeschrieben wurde, stammen aus dieser Zeit. Vom Kijewer Metropoliten Nicepborus, einem Griechen von Geburt, dem Zeitgenossen Monomachs, sind eine Kede und drei Sendschreiben erhalten, von denen zwei an Wladimir Monomach gerichtet sind; das eine dieser Sendschreiben hat einen polemischen Charakter und ist gegen die Lateiner gerichtet. Die Kirchenspaltung war damals schon eine vollendete Thatsache; unter den Schriftstellern der einen und der andern Kirche herrschte Feindschaft, und die Griechen suchten
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ihren Hass und Groll gegen die occidentale Kirche auch den Russen einzuflössen. Ein andrer Zeitgenosse Monomachs, der Abt Daniel, machte eine Reise nach Jerusalem und hinterliess eine Beschreibung derselben. Unzweifelhaft ist, dass, ausser originalen und übersetzten Werken der speziell religiösen Litteratur, damals auch eine selbstständige poetische Litteratur vorhanden war, die mehr oder minder noch den Stempel des alten Heidenthums an sich trug. In dem zufällig erhaltenen Denkmal aus dem Ende des XII. Jahrhunderts, dem Liede von Igors Heer, wird ein Sänger Bojan erwähnt, der die Ereignisse der Vorzeit, u. a. auch die des XI. Jahrhunderts, verherrlicht habe. Aus einigen Anzeichen kann man schliessen, dass Bojan auch Monomachs Heldenthaten gegen die Polowzer besungen hat. Dieser Bojan war so hoch angesehen, dass ihn die Nachwelt „Nachtigall der Vorzeit" nannte. — Monomach selbst schrieb „Ermahnungen an meine Kinder" oder das sogenannte „Vermächtniss". Er erzählt darin ausführlich die Ereignisse seines Lebens, seine Feldzüge, seine Jagden auf wilde Pferde (Auerochsen?), Eber, wilde Stiere, Elenthiere, Bären, kurz, seine Lebensweise und Beschäftigungen, aus denen seine unermüdliche Thätigkeit ersichtlich ist. Monomach giebt seinen Kindern Rathschläge, wie sie sich betragen sollen. Diese Rathschläge enthalten, ausser allgemeinen, christlichen Sittenregeln, die durch viele Auszüge aus der heil. Schrift, welche von der Belesenheit des Verfassers zeugen, unterstüzt werden, auch einige interessante Züge, die sowohl den persönlichen Charakter Monomachs, als auch seine Zeit kennzeichnen. Monomach ist durchaus kein Anhänger der Todesstrafe. Selbst wenn ein Verbrecher den Tod verdient hätte, sagt Monomach, soll man deshalb doch nicht seine Seele tödten. Es erweist sich ferner, dass die Fürsten jener Zeit sich nicht mit fürstlicher Majestät umgaben, sondern Allen zugänglich waren, die ihrer bedurften. „Die zu Euch, zu Eurem Hause und zu Eurer Mahlzeit kommen, sollt Ihr nicht verspotten." Monomach lehrt seine Kinder, Alles selbst zu thun; sie sollen Alles zu ergründen suchen, sollen sich nicht auf die Richter und Junker verlassen. Er gebietet ihnen, selbst zu richten, Wittwen, Waisen und Arme zu vertheidigen, nicht zu dulden, dass der Mächtige den Schwachen verderbe; er befiehlt auch, Alle, die zu ihnen kommen, zu speisen und zu tränken. Die Gastfreundschaft erscheint ihm als die erste der Tugenden. „Am meisten aber ehret den Gast, woher er auch zu Euch gekommen sein mag, ob er ein Abgesandter, ein vornehmer oder ein gemeiner Mann sei, Ihr sollt Alle mit Speise und Trank bewirthen, und wenn es sein kann, auch mit Geschenken. Dadurch erwirbt der Mensch Ruhm in allen Ländern." Er gebietet ihnen, die Kranken zu besuchen, den Todten die letzte Ehre zu erweisen, und eingedenk zu sein, dass Alle sterblich sind. Jedem, der ihnen begegnet, sollen sie freundliche Worte geben, sie sollen ihre Frauen lieben, ihnen aber keine Gewalt über sich einräumen; Diejenigen, welche älter sind, als sie selbst, sollen sie wie Väter, Jüngere wie Brüder ehren; die Geistlichen sollen sie
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um ihren Segen bitten, auf ihren Stand sollen sie durchaus nicht stolz sein, eingedenk dessen, dass ihnen Alles nur auf kurze Zeit von Gott anvertraut sei. Reichthümer sollen sie nicht unter der Erde verscharren, es sei dies eine grosse Siinde. Was den Krieg anbelangt, so räth Monomach seinen Kindern, sich nicht auf die Heerführer zu verlassen, sondern selbst Wachen auszustellen, sich während eines Feldzugs nicht Gelagen und dem Schlafe zu überlassen, während des Schlafes aber die Waffen nicht abzulegen. Zieht das Heer durch russisches Land, so soll in keinem Fall gestattet werden, den Bewohnern des Landes Schaden zuzufügen oder Getreide auf dem Felde zu beschädigen. Schliesslich befiehlt er ihnen noch, zu lernen und zu lesen und stellt seinen Vater Wssewolod als Beispiel auf, der, ohne sein Haus zu verlassen, fünf Sprachen erlernt habe. Am 19. Mai 1125 starb Monomach, 72 Jahr alt, bei Perejaslawl, i n ' der Nähe seiner, an der Alta erbauten, geliebten Kirche. Seine Leiche wurde nach Kijew gebracht; seine Söhne und Bojaren trugen ihn zur Kirche der heil. Sophie, wo er auch beerdigt wurde. Monomach hat ein Andenken als einer der besten unter den Fürsten hinterlassen. „Alle bösen Anschläge der Feinde — sagt der Chronist — gab Gott in seine Hände; geschmückt durch gute Gemüthsart, ruhmvoll durch Siege, war er dennoch weder hochmüthig noch ruhmredig, sondern that, nach den Geboten Gottes, Gutes auch seinen Feinden, insbesondere aber war er barmherzig für Bettler, Arme und Bedürftige, denen er, ohne sein Eigenthnm zu schonen, Alles dahin gab. Die Mönche rühmten ihn wegen seiner Frömmigkeit nnd Freigebigkeit fiir die Klöster. Diese Seelengrösse und Herzensgute, in Verein mit energischer Thätigkeit und Verstand, erhöhte ihn sowohl in den Augen der Zeitgenossen, als auch im Andenken der Nachkommen." Wahrscheinlich beziehen sich die epischen Volkslieder, welche die Zeit des Kijewer Fürsten Wladimir, — „die rothe Sonne" genannt, — besingen, die sogenannten Bylinen des Wladimir-Cyklus, nicht nur auf den heiligen Wladimir, sondern auch auf Wladimir Monomach; und in den poetischen Erinnerungen des Volkes mögen sich wohL diese zwei Persönlichkeiten in eine verschmolzen haben. Unsere Vermuthung wird durch Folgendes bestätigt: In der nowgoroder Chronik ist unter der Jahreszahl 1118 angeführt, dass Wladimir mit seinem Sohn Mstislaw, der in Nowgorod herrschte, den Amtmann (Ssotskij) Stawr mit einigen seiner Genossen, nowgoroder Bojaren wegen Fahrlässigkeiten und Beraubungen aus Nowgorod abberufen und ins Gefängniss geworfen habe. Unter den Bylinen des WladimirCyklus befindet sich nun eine vom Bojaren Stawr, den der kijewer Fürst Wladimir in den Keller geworfen habe (die Keller dienten zu jener Zeit als Gefängnisse), aber Stawr sei durch sein Weib, das sich in Männertracht verkleidet, befreit worden. Wladimir Monomachs Name war von den Nachkommen so sehr verehrt, dass späterhin die Sage entstand, der byzan-
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tinische Kaiser habe ihm die Ehrenzeichen der Kaiser- (Zaren-) Würde, Krone und Barmen1) gesandt; und einige Jahrhunderte später krönten sich die Fürsten von Moskau mit einer Krone, die sie die „Mütze" Monomachs nannten. Urtheilt man unparteiisch, so wird man nicht umhin können, zu bemerken, dass Monomach in seinen Unterweisungen und in den von ihm handelnden Fragmenten der Chronisten tadelloser und grossherziger erscheint, als in seinen Handlungen, welche die Gebrechen und die Erziehung der Zeit und der Umgebung, in der er lebte, durchblicken lassen; z. B. in Bezug auf sein Verfahren gegen die zwei polowzer Fürsten, die e r , trotz des gegebenen Worts, den Pflichten der Gastfreundschaft zuwider, tödten liess, während er doch seinen Söhnen Mässigung und Menschenliebe im Kriege einprägt. Monomach musste beiläufig selbst eingestehen, dass bei der Einnahme von Minsk, an welcher er selbst theilnahm, weder Knecht noch Vieh geschont worden waren. Obgleich er für das russische Land Sorge t r u g , vergass er sich doch schliesslich auch selber nicht und nahm den schuldigen Fürsten zur Strafe ihre Fürstent ü m e r ab, um sie seinen Söhnen zu geben. Immerhin indess bleibt ihm die grosse Bedeutung in der Geschichte, dass er, in einem Kreise lebend, der seit Kurzem erst barbarische Zustände abzustreifen begonnen hatte, sich in einer Umgebung bewegend, in der Jeder nur nach engherzigen, eigennützigen Zielen strebte, und wo die Heiligkeit des Rechts und des Vertrags kaum erst begriffen wurde, — allein es war, der damals die Fahne des für Alle gemeinsamen Rechts hochhielt und die ganze Kraft des russischen Landes darunter sammelte.
V. Fürst Andreas Bogoljubskij. In der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts kam, sozusagen, der Keim jener Richtung zum Durchbruch, welche sich während der Zeit der tatarischen Unterjochung entwickelte und im russischen Lande zur Herrschaft gelangte. Unser alter Chronist, die Zweige des slawisch-russischen Stammes aufzählend, weist auf die Poljanen, Drewljanen, Ssewerjanen u. s. w. hin; wenn er aber nach Ueberlieferungen von den Ereignissen des IX. und X. Jahrhunderts spricht, so fügt er dem russischen Ländergebiet auch Merj hinzu, ein Land, vom finnischen Stamme gleichen Namens ') Ein breites, mit Heiligenbildern geschmücktes, Schultern und Brust bedeckendes Geschmeide.
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bewohnt, welches seine Stelle in den heutigen Gouvernements Wladimir, Jaroslaw, Kostroma und in Theilen der Gouvernements Moskau und Twer einnahm, wobei er in gleiche Linie mit diesem Volke, die diesem verwandten und benachbarten Stämme von Murom, südlich von Merj, und von Wessj, nördlich von Merj, längs dem Laufe der Schexna, in der Gegend von Bjeloosero, stellt. Schon in unvordenklichen Zeiten waren slawische Ansiedler in die von diesen Völkern bewohnten Länder eingedrungen und hatten sich dort festgesetzt, wie die slawischen Benennungen der Städte Rostow im Lande Merj und Bjeloosero im Lande Wessj beweisen. Der Gang der slawischen Kolonisation in diesen Ländern ist uns leider nicht bekannt; unzweifelhaft aber ist, dass seit Einführung des Christenthums die Colonisation zunahm, dass Städte mit russischen Einwohnern entstanden, und dass die Eingebornen selbst entweder das Christenthum annahmen, mit dem Heidenthum zugleich auch ihre Nationalität einbüssten und sich allmälig mit den Russen verschmolzen, oder aber ihr Vaterland verliessen und sich weiter nach Osten zurückzogen. Unlängst erst vom Grafen Uwarow vorgenommene Aufdeckungen von Gräbern im Lande Merj beweisen, dass sowohl das Heidenthum, als auch die alte Nationalität im XII. Jahrhundert bereits im Erlöschen waren, wenigstens kann man spätere Grabstätten mit Spuren Merjscher Nationalität dieser Periode zuzählen. Schriftlichen Denkmalen zufolge, begegnen wir im XII. Jahrhundert einer bedeutenden Anzahl von zweifellos russischen Städten in diesen Gegenden: Rostow, Ssusdal, Perejaslawl-Salessky, Dmitrow, Uglitsch, Subzow, Mologa, Jurjew, Wladimir, Moskwa, Jaroslawl,Twer, Galitsch-Merjskij, Gorodez u. a. Die Unruhen im südlichen Russland veranlassten dessen damalige Bewohner sich in diesem Lande anzusiedeln. Das Volk von Merj stand auf einer niederen Kulturstufe, es hatte keinen selbstständigen politischen Körper und war auch nicht kriegerisch, wie die spärliche Anzahl von Waffen in seinen Gräbern beweist; daher unterwarf es sich leicht der Macht und dem Einfluss der Russen. In diesem Lande also, das von Ankömmlingen aus verschiedenen russischen Ländern kolonisirt worden war, bildete sich ein neuer Zweig slawisch-russischen Volksthums, aus welchem das. grossrussische Volk entstand ; dieser Zweig umfing im Laufe der nachfolgenden Geschichtsperioden alle andern Volkszweige im russischen Lande, verschlang viele von ihnen vollständig, verschmolz sie mit sich und unterwarf andere seinem Einfluss. Der Mangel an Nachrichten über den Gang der russischen Kolonisation in dieser Gegend bildet die wichtigste, durch nichts auszufüllende Lücke in unsrer Geschichte. Nichtsdestoweniger kann man, wenn man entfernte Zeiten beobachtet, diejenigen Eigenschaften herausfinden, welche allgemein als Unterscheidungszeichen des grossrussischen Volksthums gelten: die Concentration der Kräfte im eignen Lande, den Drang, die eignen Wohnplätze zu erweitern und fremde Länder zu unterwerfen. Diese Eigenschaften finden wir in der Geschichte des Kampfes Jurijs von Ssusdal gegen Isjaslaw Mstislawitsch um Kijew. Es war dies der erste Anfang einer Strömung,
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welche die übrigen russischen Länder der Oberherrschaft des ostrussischen Gebietes unterwarf. Jurij wollte in Kijew deshalb festen Fuss fassen, weil er sich im östlichen Lande augenscheinlich unbehaglich fühlte; wenn wir aber in den Geist der Ereignisse jener Zeit tiefer eindringen, so werden wir sehen, dass schon damals ein Drang der Russen des Susdaler Landes, in Kijew zu herrschen, damit verbunden war. Dieser Drang ist auch darin zu erkennen, dass Jurij, nachdem er einmal in den Besitz Kijews gelangt war, sich auch mit Hilfe seiner Susdaler dort behauptete. Die Kijewer sahen Jurijs Regierung als eine Fremdherrschaft an und erschlugen daher, nach seinem im Jahre 1157 erfolgten Tode, alle Susdaler, denen Jurij die Verwaltung des Landes anvertraut hatte. Jurijs Sohn, Andreas, dachte später gar nicht an eine Uebersiedelung nach Kijew, er wollte Kijew vom Ssusdaler Lande aus beherrschen, ebenso wie auch die übrigen russischen Länder; das Ssusdaler Land sollte künftig dieselbe Bedeutung einer Vormacht erhalten, wie sie früher Kijew besass. Mit Andreas' Regierung beginnt die Selbstständigkeit des Susdal-Rostower Landes sich scharf zu markiren, gleichzeitig aber auch das Streben desselben nach der ersten Stelle unter den russischen Ländern. Es war in dieser Epoche, wo das grossrussische Volk zuerst auf den Schauplatz der Weltgeschichte trat. Andreas war der erste g r o s s r u s s i s c h e Fürst, seine Thätigkeit war bahnbrechend für seine Nachkommen und diesen blieb es vorbehalten, unter günstigeren Verhältnissen dasjenige zu vollenden, was ihr Vorgänger ihnen vorgezeichnet hatte. Andreas war im Ssusdaler, oder genauer, im Rostow-Ssusdaler Lande geboren, dort hatte er seine Kindheit und erste Jugend verlebt, dort hatte er die ersten Eindrücke empfangen, nach denen sich seine Lebensanschauungen und seine Begriffe gebildet. Das Schicksal warf ihn in einen Strudel beständiger, innerer Kämpfe im südlichen Russland, die kein Ende nahmen. Nach Monomach, der durch die Wahl des Landes Fürst von Kijew geworden w a r , herrschten nacheinander dessen Söhne Mstislaw und Jaropolk; ihnen wurde das Land nicht streitig gemacht und wir können sie, wie ihren Vater, zu den wahren, vom Lande erwählten Fürsten zählen; denn die Kijewer hielten Monomachs Andenken hoch und liebten dessen Söhne. Aber im Jahre 1143 vertrieb der Tschernigower Fürst Wssewolod Olgowitsch Monomachs dritten Sohn, den schwachen und beschränkten Wjätscheslaw und bemächtigte sich Kijews durch Waffengewalt. Damit war der Anlass für endlose Wirrnisse im Süden Russlands gegeben. Durch die Hilfe seiner Tschernigower hielt sich Wssewolod in Kijew, er wollte es seiner Familie als Erbe sichern und schlug den Kijewern vor, seinen Bruder Igor zu wählen; diese mussten sich gegen ihren Willen damit einverstanden erklären. Kaum aber war Wssewolod im Jahre 1146 gestorben, so richtete sich die Wahl der Kijewer auf den Sohn des ältesten Monomachowitsch, den Isjaslaw Mstislawitsch, Kostomarow-l-Ienekel, Euss. Geschichte in Biogr. I.
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lind sie setzten'Igor ab. Als zu Gunsten des Letzteren dessen Brüder einen Krieg anfingen, wurde Igor Von den Kijewern vor allem Volk getödtet, obschon er bereits der Welt entsagt und sich ins Höhlenkloster zurückgezogen hatte. Isjaslaw war die Olgowitschs (Söhne Oleg Swjätoslawitschs) glücklich losgeworden, aber ein neuer, rastloser Rival, sein Onkel, der Fürst von Ssusdal, Jurij Dolgorukij, jüngster Sohn Wladimir Monomachs, erhob sich jetzt gegen ihn. Es begann ein jahrelanger Kampf und Andreas betheiligte sich daran. Die Verwickelung nahm eine solche Ausdehnung an, dass die inneren Wirren endlos zu werden drohten. Kijews Besitz wechselte einigemal zwischen Isjaslaw und Jurij, und die Kijewer wussten schliesslich nicht aus noch ein. Einmal versicherten sie Isjaslaw, dass sie für ihn in den Tod zu gehen bereit seien, dann holten sie wieder Jurij über den Dnjepr zu sich herüber und zwangen Isjaslaw zur Flucht; nachdem sie Jurij bei sich aufgenommen hatten, begannen sie wieder mit Isjaslaw zu unterhandeln, vertrieben Jurij und beriefen abermals Isjaslaw; sie unterwarfen sich überhaupt leichtfertig jeder Macht. Abgesehen von dieser Unbeständigkeit, die ihnen durch die Verhältnisse aufgezwungen zu sein schien, liebten sie eigentlich doch nur Isjaslaw und hassten Jurij mit seinen Ssusdalern. Während dieser Kämpfe hatte sich Andreas nicht nur als tapfer erwiesen, sondern er hatte auch mehrfach den Versuch gemacht, zwischen den erregten Parteien Frieden zu stiften, doch es war Alles vergebens. Im Jahre 1151, zur Zeit als Isjaslaw ein entschiedenes Uebergewicht erlangt hatte, überredete Andreas seinen Vater, sich ins Ssusdaler Land zurückzuziehen, und auch er selbst beeilte sich nach Wladimir an der Kljäsma, einem Städtchen, das ihm von seinem Vater überlassen worden w a r , überzusiedeln. Jurij aber wollte um keinen Preis den Süden verlassen und trachtete fortwährend nach Kijew, das er auch endlich, nach Isjaslaws Tode, 1154 einnahm. Seinen Sohn Andreas wollte er in seiner Nähe haben und setzte ihn deshalb in Wyschgorod ein; wahrscheinlich hatte er ihn zu seinem Nachfolger auf dem Fürstensitz von Kijew bestimmt; seinen jüngeren Söhnen verlieh er die von Kijew entfernteren Städte Rostow und Ssusdal. Aber die Aussichten im südlichen Russland konnten Andreas keineswegs fesseln. Er war ebenso tapfer als klug, ebenso berechnend in seinen Plänen als entschlossen in deren Ausführung. Seine Herrschsucht war viel zu gross, als dass er sich mit der damaligen Lage Südrusslands hätte befreunden können, wo das Loos der Fürsten beständig von den Angriffen Anderer und von der Willkür der Drushinen und Städte abhing. Auch die Nachbarschaft der Polowzer bot durchaus keine Garantie für den Bestand einer ungestörten Ordnung daselbst, weil die Polowzer sich gern dazu hergaben, den Fürsten, welche sich der Städte mit Gewalt bemächtigen wollten, zu helfen. Andreas beschloss daher, sich auf eigene Faust ins Ssusdaler Land zurückzuziehen. Es war ein wichtiger Schritt, den er that und der zeitgenössische Chronist
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hielt es für nöthig, noch besonders darauf hinzuweisen, dass Andreas sich ohne des Vaters Segen dazu entschlossen habe. Es scheint, dass Andreas damals schon den Plan gefasst hatte, sich nicht nur in das Ssusdalsche Land zurück zu begeben, sondern dass er dort auch einen Centraipunkt schaffen wollte, von dem aus Russland regiert werden sollte. Die Chronik erzählt, dass die Bojaren Kutschkow, seine Verwandten, in seine Pläne eingeweiht gewesen seien. Wir glauben, dass er, sowohl im Ssusdaler, als auch im kijewer Lande viele Anhänger gehabt habe. Erstens, weil man ihn in Rostow und Ssusdal liebte, und ihm diese Liebe dadurch bewies, dass man ihn bald darauf zum Fürsten erwählte und zweitens, weil eine ziemlich grosse Anzahl kijewer Landbewohner nach Ssusdal übersiedelte. Andreas aber, der dem väterlichen Willen entgegen gehandelt hatte, fühlte das Bedürfniss sein Vergehen durch irgend einen Rechtsgrund in den Augen des Volks zu beschönigen. Bisher gab es im Rechtsbewusstsein der Russen zweierlei Existenzberechtigungen für die Fürsten, ihre Abstammung und ihre Wahl, beide aber waren in Verfall gerathen und hatten sich überlebt, namentlich in Südrussland, Die Fürsten suchten Fürstenthümer zu erlangen, ohne auf Anciennität Rücksicht zu nehmen; und was die Volkswahl anbelangt, so hatte diese längst aufgehört den wahren Willen des Landes zu repräsentiren, sie hing jetzt vorzugsweise vom Kriegsvolk, von den Drushinen ab, so dass thatsächlich nur noch die einzige Bedingung, aus dem Hause Rjurik abzustammen, gefordert wurde, um in Russland herrschen zu können; für die Rangordnung unter den Fürsten und für die Reihenfolge der Fürstensitze, die jeder einzelne einzunehmen befugt war, existirte kein anderes Recht, als Macht und Erfolg. Es musste also eine neue Rechtsbasis geschaffen werden und Andreas schaffte sie, es war die höchste und unmittelbare Weihe durch die Religion. Im Nonnenkloster zu Wyschgorod war ein Bild der heil. Mutter Gottes, das aus Konstantinopel stammte und nach der Ueberlieferung vom heil. Evangelisten Lukas gemalt sein sollte. Von diesem Bilde wurden Wunder erzählt, u. a. auch, dass es, als man es einst an die Wand lehnte, während der Nacht den Platz verlassen und sich mitten in der Kirche aufgestellt habe, damit augenscheinlich andeutend, dass es nach einem andern Ort hingebracht sein wolle. Dieses Heiligenbild frei und offen wegzunehmen war unmöglich, man hätte es nicht zugelassen. Andreas entschloss sich also es zu rauben und ins Ssusdaler Land zu bringen, um auf diese Weise dem Lande ein Heiligthum, das von ganz Russland verehrt wurde, zu verleihen und dadurch den Beweis zu liefern, dass auf diesem Lande der ganz besondere Segen Gottes ruhe. Nachdem Andreas den Priester Nikolaus und den Diakon Nestor gewonnen hatte, führte er das wunderthätige Bild aus dem Kloster fort und flüchtete dann mit der Fürstin und seinen Genossen ins Ssusdaler Land. Die Fahrt dieses Bildes bis an seinen neuen Bestimmungsort war von Wundern begleitet, es ver5*
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richtete auf seinem Wege Heilungen. Andreas hatte im Sinne die Stadt Wladimir über die älteren Städte Rostow und Ssusdal zu erheben, hielt jedoch, bis zum geeigneten Zeitpunkt, diesen Gedanken noch geheim und zog deshalb jetzt mit dem heiligen Bilde an Wladimir vorbei, liess es also nicht an dem Orte, wo es in der Folge, seinem Plan gemäss, sich befinden sollte. Er wollte es aber auch weder nach Ssusdal, noch nach Rostow bringen, weil, seiner Ansicht nach, diesen Städten kein/Vorzug gegeben werden durfte. Da geschah zehn Werst vor Wladimir, am Wege nach Ssusdal, ein Wunder: die Pferde, welche den Wagen, auf dem sich das Bild befand, zogen, blieben plötzlich stehen; man spannte andere, stärkere vor, und auch diese waren nicht imstande, den Wagen von der Stelle zu ziehen. Der Fürst liess Halt machen und ein Zelt aufschlagen. Er brachte hier die Nacht zu und that am anderen Morgen kund, die Mutter Gottes sei ihm, mit einem Pergament in der Hand, im Traume erschienen, und habe ihm befohlen ihr Bild nicht nach Rostow zu bringen, sondern an der Stelle, wo er die Erscheinung erblickt, eine steinerne Kirche, zum Gedächtniss der Geburt Maria, zu erbauen und auch ein Kloster dabei zu errichten. Zur Erinnerung an diese Erscheinung wurde ein Bild gemalt, welches die Mutter Gottes so darstellt, wie sie dem Andreas erschienen war, mit einem Pergament in der Hand. Dann wurde an dieser Stelle ein Dorf angelegt, welches Bogoljubowo (das von Gott Geliebte) genannt wurde. Andreas liess daselbst eine reiche, steinerne Kirche errichten, deren Geräth und Heiligenbilder mit kostbaren Steinen und Email verziert, und deren Pfeiler und Thüren vergoldet waren. Dort wurde einstweilen das wunderthätige Heiligenbild aufgestellt, nachdem man es mit einem Rahmen, dessen Goldgewicht fünfzehn Pfand betrug und der mit vielen ächten Perlen, Edelsteinen und Silber geschmückt war, versehen hatte. Bogoljubowo wurde von nun an Andreas Lieblingsaufenthalt und vom Namen des Dorfs erhielt er auch den Beinamen Bogoljubskij. Was Andreas bis zum Tode seines Vaters that, wissen wir nicht; zweifellos aber ist, dass das ganze Land mit ihm zufrieden war. Als sein Vater, nach einem Gastmahl bei einem gewissen Petrila, am 15. Mai 1157 in Kijew starb, da erwählten ihn die Rostower und Ssusdaler und das ganze Land einstimmig zum Fürsten, obschon dadurch die Anordnungen Jnrijs, der Rostow und Ssusdal für seine jüngeren Söhne bestimmt hatte, umgestossen wurden. Andreas ging jedoch weder nach Ssusdal noch nach Rostow, sondern er schlug seine Residenz in Wladimir auf und erbaute daselbst, die prachtvolle Kirche zur Himmelfahrt Maria, aus weissem bolgarischen Stein, mit vergoldeter K u p p e l I n dieser Kirche stellte er
') Nach einigen Berichten hatte sie nur eine Kuppel, nach anderen — fünf; das erstere ist wahrscheinlicher, weil zu jener Zeit die Kirchen gewöhnlich nur mit einer Kuppel gebaut wurden.
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das aus Wyschgorod entführte Heiligenbild auf, welches seit dieser Zeit den Namen der Mutter Gottes von Wladimir führt. Jetzt fing Andreas an, die Absicht kund zu thun, Wladimir, das bisher nur ein Landstädtchen gewesen war, zur Hauptstadt des ganzen Landes zu machen und es über die alten Städte Rostow und Ssusdal zu erheben. Er erwog dabei, dass in alten Städten auch alte Ueberlieferungen und Bräuche beständen, welche die Macht des Fürsten beschränken. Die Rostower und Ssusdaler hatten Andreas in der Volksversammlung (Wetsche} erwählt; sie hielten die fürstliche Macht für geringer, als die Macht ihrer Wetsche; hätte also Andreas Rostow oder Ssusdal zu seiner Residenz gewählt, so hätte er beständig auf Widerspruch gefasst sein müssen und wäre genöthigt gewesen, sich den Anschauungen der Bürger anzubequemen, die stolz auf ihre Oberhoheit waren. Dagegen war es selbstverständlich, dass in Wladimir, welches ihm seine Erhöhung und sein Uebergewicht verdankte, der Volkswille Hand in Hand mit dem Willen des Fürsten gehen musste. Wladimir, früher klein und unbedeutend, vergrösserte und bevölkerte sich unter Andreas ganz beträchtlich. Eine grosse Zahl der Einwohner bestand aus südrussischen Ansiedlern, die Andreas gefolgt waren, um hier ihre Wohnstätten aufzuschlagen. Man erkennt dies aus den Grenzbezeichnungen und Ortsnamen in Wladimir; es gab daselbst einen Fluss Lybedj, eine Höhlenburg (Petscherny Gorod), eine Goldene Pforte mit einer darüber befindlichen Kirche, wie in Kijew, und auch eine ZehntenKirche der Mutter Gottes. Andreas hatte, wie in Kijew, der von ihm in Wladimir erbauten Kirche den Zehnten von seinen Herden und vom Handel verliehen, ausserdem auch noch Dörfer und die Stadt Gorochowez. E r baute viele Kirchen, gründete Klöster und geizte nicht mit Ausgaben für die Ausschmückung derselben. Ausser der Kirche zur Himmelfahrt Mariä, welche durch den Glanz des Ikonostas, der Kronleuchter, durch die Pracht der Wandmalereien und reichen Vergoldung das Staunen der Zeitgenossen erregte, erbaute er noch das Erlöser- und das Himmelfahrtskloster in Wladimir, die Kathedralkirche zum Erlöser in Perejaslawl, die Kirche des heiligen Theodor des Heerführers, dem er seine Rettung in einer Schlacht zuschrieb, als er mit seinem Vater an den fürstlichen Familienkriegen im Süden theilnahm; ferner die Kirche Mariä Schutz und Fürbitte an der Mündung der Nerla und viele andere massive Kirchen. Zu diesen Arbeiten berief Andreas Meister aus dem Westen, doch fing die russische Kunst jetzt schon an, sich selbstständig zu entwickeln, sodass bereits unter Andreas Nachfolgern russische Meister, ohne Beihülfe von Ausländern, Kirchen bauen und mit Wandgemälden ausschmücken konnten. Der Bau von Prachtkirchen ist nicht nur ein Zeichen des Wohlstandes, er zeugt auch von Andreas' politischem Takt. Jede neue Kirche war ein hochbedeutendes Ereigniss, das die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich zog und dem Erbauer Achtung erwarb. Da die Geistlichkeit zu
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jener Zeit die einzige intelligente Macht repräaentirte und Andreas es verstand, deren Liebe zu erringen, so befestigte er dadurch auch seine Macht im Volke. In der Art seines Auftretens erkannten die Zeitgenossen den frommen, gottesfiirchtigen Mann. Stets sah man ihn in der Kirche im Gebet versunken, mit Thränen der Rührung in den Augen und laut seufzend. Obschon seine Richter und die unter seinem Schutze stehenden Geistlichen sich Beraubungen und Excesse gestatteten, so schadete ihm dies doch nicht, denn er gab öffentlich den Armen Almosen, speiste pilgernde Mönche und Nonnen und erntete, wegen seiner christlichen Barmherzigkeit Lob. Es geschah nicht selten, dass er des Nachts in die Kirche ging, die Lichter eigenhändig anzündete und vor den Heiligenbildern stundenlang betete. Zu den frommen Thaten des Fürsten, die zu seinem Ruhm beitrugen, gehörten auch seine Kriege gegen die Ungläubigen. In der Nähe des dem Fürsten Andreas gehörigen Landes, an der Wolga, lag das bolgarische Reich. Die Bolgaren, ein finnischer, oder noch wahrscheinlicher ein gemischter Volksstamm, waren bereits im X. Jahrhundert zum Muhamedanismus übergetreten. Sie lebten schon seit längerer Zeit in Unfrieden mit den Russen, machten Einfälle ins russische Gebiet und hatten sich mehrfach mit russischen Fürsten herumgeschlagen; solche Kriege galten als Gott wohlgefällige Thaten. Andreas bekriegte dieses Volk zweimal, das erste Mal im Jahre 1164. Damals nahm er das Bild der heiligen Mutter Gottes, welches er von Wyschgorod entführt hatte, mit in den Feldzug; es wurde von der Geistlichkeit unter Fahnengeleit getragen. Der Fürst selbst und das ganze Heer nahm vor Beginn des Feldzugs das heilige Abendmahl. Der Krieg endete glücklich, der bolgarische Fürst musste fliehen und die Russen eroberten die Stadt Ibrahimow (in unsern Chroniken Brjächimow). Fürst Andreas und die Geistlichkeit schrieben diesen Sieg der wunderthätigen Kraft des Bildes zu. Dies Ereigniss bildete eines der zahlreichen, dem Bilde zugeschriebenen Wunder; es wurde eine Gedächtnissfeier mit Wasserweihe, welche noch bis auf den heutigen Tag am 1. August stattfindet, gestiftet. Der Patriarch von Konstantinopel bestätigte diese Feier um so lieber, weil sie mit der des griechischen Kaisers Manuel zusammenfiel, welcher einen Sieg, den man der Macht des lebenspendenden Kreuzes und des Banners mit dem Bilde Christi, des Erlösers, zuschrieb, über die.Sarazenen erfochten hatte. Weniger wohlwollend kam Patriarch Lukas Chrysowerch dem Wunsche Andreas' entgegen, als dieser sich mit der Bitte an ihn wandte, seinen Günstling Theodor zum Metropoliten von Wladimir zu weihen. Durch diese Neuerung wollte Andreas die Stadt Wladimir, welche zur Eparchie von Rostow gehörte, besonders erhöhen. Wladimir wäre dadurch nicht nur erhabener als Rostow und Ssusdal geworden, es würde sogar eine dominirende geistige Bedeutung unter den übrigen Städten des russischen
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Landes erlangt haben. Aber die Patriarchen, einem alten Brauch der orientalischen Kirche folgend, waren nicht leicht zu bewegen, irgendwelche Veränderungen in der Hierarchie vorzunehmen. Auch diesmal genehmigte der Patriarch eine solche wichtige Aenderung nicht und zwar deshalb, weil, der Bischof von Rostow, Nestor, noch am Leben, und von dem ihm feindlich gesinnten Andreas verfolgt, nach Konstantinopel entflohen war. Später jedoch, im Jahre 1168, als des Andreas Günstling Theodor nach Konstantinopel reiste, erlangte er dort seine Weihe, wenn auch nicht zur Metropolitenwürde, so doch zur Würde eines Bischofs von Rostow. Auf Andreas' Wunsch musste er jedoch, obschon er nach Rostow benannt wurde, in Wladimir wohnen, der Patriarch hatte seine Genehmigung dazu ertheilt. Auf diese Weise wurde sein geliebtes Wladimir, wenn es auch in geistlicher Beziehung nicht jene dominirende Stellung, wie Kijew erhielt, doch wenigstens als Sitz eines Bischofs höher gestellt, als Rostow. Andreas Günstling, Theodor, wurde schliesslich so stolz, dass er, seinem Fürsten nachahmend, der Kijew gleichfalls nicht beachtete, den Metropoliten von Kijew gänzlich ignorirte und nicht zu ihm hinging, um dessen Segen zu erbitten; er hielt es für genügend, vom Patriarch als Bischof eingesetzt zu sein. Da dies Verfahren aber einen alten Brauch verletzte, so wollte sich die wladimirsche Geistlichkeit ihm nicht unterwerfen und das Volk gerieth in Aufregung. Theodor liess die Kirchenthüren schliessen und verbot den Gottesdienst. Wenn man den Chroniken Glauben schenken darf, so machte sich Theodor bei dieser Gelegenheit, um seiner Oberherrlichkeit Geltung zu verschaffen, entsetzlicher Grausamkeiten schuldig. Er soll die widerspänstigen Aebte, Mönche, Priester und das gemeine Volk gepeinigt, ihnen die Bärte ausgerissen, die Köpfe abgeschlagen, die Augen ausgebrannt, die Zungen abgeschnitten und seinen Opfern ihr Eigenthum entrissen haben. Obschon der Chronist berichtet, dass Andreas, der ihn, um seine Einsetzung zu erlangen, nach Kijew gesandt, von alledem nichts gewusst habe, so kann man doch schwerlich annehmen, dass dergleichen gegen den Willen eines so herrschsüchtigen Fürsten habe geschehen können. Wenn diese Barbareien nicht übertrieben sind, so konnten sie nur mit Andreas' Wissen geschehen sein, oder er liess diese Streiche seines Günstlings ungerügt hingehen und opferte ihn erst dann, als er sah, dass die Erregung des Volkes grössere Dimensionen annahm und zu gefährlichen Consequenzen führen könnte. Wie es nun auch gewesen sein mag, kurz, Andreas verlangte endlich, dass Theodor sich zum Metropoliten von Kijew hinbegäbe, und dieser liess diesem Bösewicht die rechte Hand abhauen, die Zunge abschneiden und die Augen ausstechen. Das war byzantinischer Brauch. Es war Andreas nicht gelungen, sein Wladimir zum Range einer Metropolis zu erheben. Er bahnte jedoch vorläufig dasjenige an, was späterhin unter seinen Nachfolgern zur Ausführung gelangte. Andreas hatte seinen Fürstensitz der Wahl des Landes zu verdanken.
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und zwar zum Nachtheil seiner jüngeren Brüder, welche, der Bestimmung ihres Vaters zufolge, dort hätten herrschen sollen. Entschlossen in allem, was er that, kam er jedem Versuch, der ihm vielleicht entgegen treten und zu Familienzwistigkeiten führen konnte, zuvor, indem er seine Brüder Mstislaw, Wassilko und den achtjährigen Wssewolod (1162) vertrieb und seine zwei Neffen, Rostislaws Söhne entfernte. Die Brüder zogen mit ihrer Mutter, einer griechischen Fürstin, nach Griechenland, wo Kaiser Manuel sie freundlich aufnahm. Diese Vertreibung widerstrebte nicht nur dem Volke nicht, die Chroniken bezeichnen sie sogar als dem Willen des Landes entsprechend. Andreas vertrieb auch die Bojaren, von denen er glaubte, sie seien ihm nicht ergeben genug. Durch solche Massregeln vereinigte er in seinen Händen die unumschränkte Macht über das ganze Rostow-Ssusdaler Land und gab ihm die Bedeutung des mächtigsten unter den Ländern Busslands; frei von innern Kämpfen, war es gleichzeitig auch gegen alle Eindringlinge von aussen gesichert. Freilich vermehrte Andreas dadurch auch die Zahl seiner persönlichen Feinde, welchen jede Gelegenheit und jedes Mittel recht war, um ihn ins Verderben zu stürzen. Nachdem im Rostow - Susdaler Lande Andreas die Macht in seinen Händen hatte, wusste er mit grossem Geschick alle Umstände zu benutzen, um sein Uebergewicht in ganz Russland zur Geltung zu bringen; er ergriff Partei in allen Familienkämpfen, welche in irgendeinem russischen Lande vorkamen und suchte sie nach seinem Gutdünken zu schlichten. Sein stetes Hauptziel war, die Bedeutung Kijews herabzudrücken, es seines alten Vorrangs über die russischen Städte zu berauben und diesen Vorrang auf Wladimir zu übertragen; gleichzeitig auch sich des freien und reichen Nowgorod zu bemächtigen. Er suchte diese beiden Hauptstädte und die zu ihnen gehörenden Länder denjenigen unter den von ihm begünstigten Fürsten zu verschaffen, von denen er die meiste Dankbarkeit und Anerkennung seiner Oberhoheit erwarten durfte. Als nach Jurij Dolgorukijs Tode zwischen dem tschernigower Fürsten Isjaslaw Davidowitsch und Rostislaw, dem Bruder Isjaslaw Mstislawitschs, der Streit um Kijew ausbrach, da begünstigte Andreas Isjaslaw, obschon dieser ein Feind seines Vaters gewesen war. Im Jahre 1160 traf er mit ihm an der Woloka zusammen und rieth ihm Swjätoslaw, Rostislaws Sohn, aus Nowgorod zu vertreiben. In Nowgorod herrschten schon seit mehreren Jahren Wirren; ein Fürst nach dem andern wurde berufen und wieder vertrieben. Erst unlängst, zur Zeit Jurijs, herrschte dort Andreas' Bruder Mstislaw. Im Jahre 1158 hatten ihn die Nowgoroder verjagt und Rostislaws Söhne Swjätoslaw und David berufen; den ersteren setzten sie auf den Fürstenstuhl von Nowgorod, dem andern gaben sie Torshok. Aber auch gegen diese erhob sich bald eine feindliche Partei in Nowgorod. Auf die Unterstützung derselben zählend, sandte Andreas folgende Resolution nach Nowgorod: „Es sei Euch kundgethan, dass ich im Guten oder Bösen
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Nowgorod zu besitzen strebe und dass Ihr mir, als Eurem Fürsten, das Kreuz küssen sollt, auch dass ich Euer Bestes will." Eine solche Botschaft vermehrte die Aufregung in Nowgorod; stürmische Volksversammlungen folgten einander, Andreas Anhänger suchten dadurch, dass sie hervorhoben, Nowgorod brauche nicht zwei Fürsten, Zwiespalt zu säen, sie forderten Davids Entfernung aus Torshok. Swjätoslaw erfüllte ihre Forderung und entfernte seinen. Bruder, seine Feinde Hessen ihm aber trotzdem keine Ruhe, sondern hetzten das Volk gegen ihn auf und brachten es dahin, dass ihn ein Haufe in Gorodischtsche ergriff und unter Bewachung nach Ladoga schaffte; seine Frau wurde in das Kloster zur heiligen Barbara gesteckt, die Personen, welche zur fürstlichen Drushina gehörten, in Fesseln geschlagen, ihre Güter gebrandschatzt und die Bitte an Andreas gerichtet, ihnen seinen Sohn als Fürsten zu senden. Andreas beschloss, wenn irgend möglich, ihnen, nicht den Fürsten zu geben, den sie selbst begehren würden, sondern einen nach seiner Wahl. Er sandte ihnen daher nicht seinen Sohn, sondern seinen Neffen Mstislaw Rostislawitsch. Aber im folgenden Jahr, 1161, nachdem Isjaslaw Davidowitsch von Rostislaw besiegt und getödtet worden war, und dieser sich in Kijew festgesetzt hatte, vertrug sich Andreas mit ihm und befahl den Nowgorodern, den nämlichen Swjätoslaw Rostislawitsch, den sie unlängst erst vertrieben hatten, abermals als ihren Fürsten anzuerkennen und noch dazu, wie der Chronist sich ausdrückt, „sich ganz seinem Willen zu fügen". Es kümmerte Andreas augenscheinlich sehr wenig, ob in Nowgorod dieser oder jener Fürst herrsche, die Hauptsache war, — er musste von ihm eingesetzt sein, damit sich die Nowgoroder daran gewöhnten, ihre Fürsten von Ssusdal zu empfangen. Im Jahre 1166 starb Rostislaw von Kijew, ein willensschwacher Fürst, der mit dem Fürsten von Ssusdal schliesslich noch in gutem Einvernehmen stand und alles that, was dieser verlangte. Zum Fürsten von Kijew wurde nun Mstislaw Isjaslawitsch gewählt. Abgesehen davon, dass dieser Fürst ein Sohn des dem Andreas verhassten Isjaslaw Mstislawitsch war, mit dem sein Vater so hartnäckig gekämpft hatte, war Andreas auch persönlich diesem Fürsten abhold. Dazu kam noch, dass Mstislaw nicht zu Jenen gehörte, die sich leicht dazu verstehen, irgend jemand zu Gefallen zu leben. Der verstorbene Rostislaw hatte fünf Söhne: Swjätoslaw in Nowgorod, David, Roman, Rjurik und Mstislaw. Anfangs war Mstislaw Isjaslawitsch mit diesen seinen Vettern einig, später aber wurde, zu Andreas grosser Genugthuung, diese Freundschaft gestört. Der Zwist begann wegen Nowgorod. Die Nowgoroder harmonirten auch früher schon nicht mit ihrem Fürsten Swjätoslaw; jetzt vertrieben sie ihn, sandten dann zum kijewer Fürsten Mstislaw, und baten um dessen Sohn. Mstislaw, der sich mit Rostislaws Söhnen nicht verfeinden wollte, zögerte mit seinem Entschlüsse. Unterdessen hatte sich der gekränkte Swjätoslaw an Andreas gewandt; auch seine Brüder, die Smolensker Fürsten, nahmen Swjätoslaws Partei. Ihnen schlössen sich auch.
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die Polozker an, welche schon früher mit Nowgorod in Unfrieden lebten. Da forderte nun Andreas entschieden, dass die Nowgoroder den vertriebenen Swjätoslaw wieder aufnehmen sollten. Er liess ihnen sagen: „Ihr bekommt keinen andern Fürsten, als diesen/' und sandte dem Swjätoslaw nnd dessen Verbündeten ein Heer zur Hilfe gegen Nowgorod. Die Verbündeten verbrannten Nowyj Torg, verheerten die nowgoroder Dörfer und unterbrachen die Verbindung Nowgorods mit Kijew, um die Vereinigung der Nowgoroder mit Mstislaw von Kijew zu verhindern. Die Nowgoroder fühlten sich in ihren Rechten gekränkt, erblickten in diesem Verfahren ein gewaltsames Attentat auf ihre Freiheit, sträubten sich und widerstrebten nicht nur Andreas' Forderungen, sondern tödteten sogar den Possadnik Zacharias und einige andere Anhänger Swjätoslaws, die mit diesem Fürsten geheime Verbindungen unterhalten hatten. Sie wählten einen andern Possadnik, Namens Jakun, fanden Gelegenheit, dies alles zur Eenntniss von Mstislaw Isjaslawitsch zu bringen und baten ihn nochmals um einen seiner Söhne. Es traf sich, dass es dem kijewer Bojaren Borislawitsch grade in dieser Zeit gelungen war, Mstislaw mit zweien von Rostislaws Söhnen David und R j u r i k z u verfeinden. Als die Nowgoroder bald darauf nochmals zu Mstislaw sandten und um seinen Sohn baten, zögerte er nicht länger und sandte ihnen den Roman. Daraufhin wurden die RoBtislawitschs zu Mstislaws anerkannten Feinden. Andreas benutzte dies sofort, um gegen Mstislaw zu ziehen. Die Fürsten von Rjäsan und Murom waren ihm vorher schon freundlich gesinnt gewesen, da sie durch den Krieg gegen die Bolgaren mit ihm verbündet waren. Die Polozker schlössen, aus Feindschaft gegen Nowgorod, ein Bündniss mit ihm und in Wolhynien hatte er an dem Fürsten von Dorogobush Wladimir, einem Onkel MstislawB, der um Kijews willen sein Nebenbuhler war, einen Verbündeten. Andreas wandte sich insgeheim an die Fürsten von Ssewersk, Oleg und Igor; in Perejaslawl, unweit des D n j e p r , herrschte Andreas Bruder, der ihm treu ergebene Gljeb, bei dem sich auch sein ') Der Streit begann damit, dass die Diener der Kostislawitschs Mstislaws Pferde gestohlen und ihnen ihr Brandzeichen aufgedrückt hatten. Die Bojaren Peter und Nestor Borislawitsch versicherten David, dass Mstislaw die Absicht habe, sie zum Mittagsmahl einzuladen, um sie gefangen zu nehmen. Als nun nach einiger Zeit Mstislaw wirklich David und Rjurik zum Mittagessen einlud, da verlangten diese, erregt durch die Verleumdung der Bojaren, Mstislaw solle erst das Kreuz küssen und damit betheuern, dass er gegen sie nichts Böses im Schilde führe. Mstislaw fand sich durch diese Forderung beleidigt und auch seine Drushina theilte dies Gefühl: „Es schickt sich für Dich nicht, das Kreuz zu küssen, — sprach seine Leibwache — ohne unser Mitwissen konntest Du das, was sie behaupten, weder planen noch ausführen; wir aber wissen, dass Du Deine Brüder wahrhaft liebst und dass Du vor Gott und den Menschen Recht hast. Sende zu ihnen und sprich: ,Ich will das Kreuz küssen, um zu bezeugen, dass ich nichts TJebles gegen Euch vorhatte, Ihr aber sollt mir denjenigen herausgeben, der mich verleumdete'." Darauf küssten beide Theile gegenseitig das Kreuz, aber David erfüllte nachher Mstislaws Wunsch nicht. „Wenn ich diejenigen, welche mir etwas mitgetheilt haben, ausliefere, so wird mir künftig niemand mehr etwas sagen!" Dies war der Grund, weshalb die Freundschaft zwischen Mstislaw und den Rostislawitschs erkaltete.
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anderer Bruder, der junge Wssewolod befand, welcher, aus Konstantinopel zurückgekehrt, den Fürstensitz Osterskij Gorodez in Südrussland erhalten hatte. Es waren also gegen elf Fürsten mit ihren Drushinen und ihrem Kriegsheer. Die Ssusdaler Truppen wurden von Andreas Sohn, Mstislaw und dem Bojaren Boris Shidislawitsch befehligt. Auf Mstislaws (des kijewer Fürsten) Seite befand sich Andreas' Bruder Michael, welcher in Torshok herrschte. Mstislaw Isjaslawitsch, der keinen Angriff ahnte, hatte ihn mit den Berendejern nach Nowgorod gesandt, um seinem Sohn beizustehen ; Roman Bostislawitsch aber schnitt ihm den Weg ab und nahm ihn gefangen. Andreas' Vasallen kamen mit den Truppen verschiedener russischer Länder in Wyschgorod zusammen, schlugen anfangs März bei Kijew, in der Nähe des kirillischen Klosters, ihr Lager auf und umringten die ganze Stadt. Die Kijewer hatten auch vorher nie eine Belagerung ausgehalten, sie ergaben sich gewöhnlich jedem Fürsten, welcher sich Kijews mit Gewalt bemächtigen wollte. Auch diesmal hielten sie nur drei Tage Stand. Berendejer und Torken, welche auf Mstislaws Seite standen, neigten zum Verrath. Als der Feind gegen Mstislaw Isjaslawitschs Hintertreffen stark andrängte, sprach die kijewer Drushina: „Was stehst Du da, Fürst; wir sind j a doch nicht imstande, sie zu bezwingen!" Mstislaw floh nach Wassilew, ohne Frau und Sohn mitnehmen zu könneD. E r wurde verfolgt und man schoss nach ihm. Kijew ward am 12. März, dem Mittwoch in der zweiten Fastenwoche 1169, eingenommen, geplündert und zwei Tage lang durch Feuer verheert. Nicht Alt noch J u n g , weder Weib noch Kind, nicht Kirche und Kloster wurden verschont; sogar an das Höhlenkloster wurde Feuer gelegt. Nicht nur Privatbesitz schleppten die Sieger aus Kijew fort, sondern auch Heiligenbilder, Priestergewänder und Glocken. Dieser Ingrimm wird erklärlich, wenn man bedenkt, dass zwölf Jahre früher, nach Jurij Dolgorukows Tode, die Kijewer alle Ssusdaler bei sich getödtet hatten und dass sich jetzt unter den Ssusdalern jedenfalls auch solche Leute befanden, die ihre Verwandten zu rächen suchten. Was die Tschernigower betrifft, so hatten diese schon von früherher einen Hass gegen Kijew, und dieser Hass war noch durch den langjährigen gegenseitigen Antagonismus der Nachkommen Monomachs und Olegs gesteigert worden. Andreas hatte sein Ziel erreicht. Das alte Kijew war seiner jahrhundertelangen Suprematie entkleidet. Die vormals reiche Stadt, welche von den Ausländern das zweite Konstantinopel genannt war, hatte früher schon durch Bürgerkriege ihren vormaligen Glanz verloren; jetzt aber war sie geplündert, verbrannt und eines grossen Theils ihrer Einwohner beraubt, die entweder getödtet oder in die Gefangenschaft abgeführt worden waren. Kijew war vom übrigen Lande, das sich gleichsam für den ehemaligen Vorrang dieser Stadt rächen wollte, beschimpft und mit Schande bedeckt. Andreas setzte seinen, ihm ganz ergebenen Bruder Gljeb
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daselbst ein und nahm sich vor, auch künftig nur Fürsten nach seinem Gutdünken dort einzusetzen. Nachdem Kijew unterworfen war, wollte Andreas auch mit Nowgorod ins Gericht gehen. Die nämlichen Fürsten, welche ihm gegen Kijew geholfen, dieselben Heere, welche die alte Hauptstadt des russischen Landes zerstört hatten, zogen nun nach Norden, um Nowgorod dasselbe Schicksal zu bereiten. Der dem Andreas und seiner Politik ergebene Ssusdaler Chronist urtheilt: „Wir bestreiten nicht, dass die Nowgoroder in ihrem Recht sind, dass sie von altersher, seit den Zeiten der Vorväter unsrer Fürsten, frei sind, aber mag das auch der Fall sein, so haben ihnen die früheren Fürsten doch nicht das Recht verliehen, Eide zu brechen und Enkel und Urenkel dieser Fürsten zu beschimpfen." In drei nowgoroder Kirchen weinten drei Bilder der allerheiligsten Mutter Gottes; Bie sah das Unheil nahen, welches sich über Stadt und Land Nowgorod zusammenzog und flehte ihren Sohn an, Nowgorod nicht, gleich Sodom und Gomorrha, dem Verderben zu überliefern, sondern barmherzig zu sein und es, wie Ninivehs Bewohner, zu begnadigen. Im Winter 1170 erschien das schreckendrohende Heer vor Nowgorod — Ssusdaler, Smolensker, Rjäsaner, Muromer und Polozker. Drei T a g e bauten sie ein durch Pfahlwerk geschütztes L a g e r , und am vierten begann der Angriff. Die Nowgoroder schlugen sich tapfer, wurden aber immer schwächer. Die Feinde, auf ihren Sieg bauend, verloosten schon im voraus die nowgoroder Strassen, Weiber und Kinder unter sich, wie sie in Kijew gethan. In der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch aber, in der zweiten Fastenwoche — so erzählt die Ueberlieferung — betete der nowgoroder Erzbischof Johannes vor dem Bilde des Erlösers und vernahm folgende, vom Bilde ausgehenden W o r t e : „Gehe in die Eliasstrasse, zur Kirche des Erlösers, nimm dort das Bild der allerheiligsten Mutter Gottes und trage es auf die Zinne der Mauer — es wird Nowgorod erretten." Am nächsten T a g e trug Johannes mit den Nowgorodern das heilige Bild ans Ende der Vorstadt, zwischen der Dobrynin- und Preussenstrasse, auf die Mauer. Ein Hagel von Pfeilen fiel auf ihn nieder; dass Heiligenbild wandte sich ab und aus den Augen desselben flössen Thränen auf den Ornat des Bischofs. Da trat bei den Ssusdalern eine Sinnesverwirrung ein, sie geriethen in Unordnung und fingen a n , sich gegenseitig zu beschiessen — so berichtet die Ueberlieferung — und am Abend des 25. Februar besiegte Fürst Roman Mstislawitsch mit den Nowgorodern die Ssusdaler und ihre V e r bündeten. Der zeitgenössische Chronist erwähnt bei der Erzählung dieses Ereignisses das Heiligenbild nicht, sondern schreibt den Sieg „der K r a f t des heiligen Kreuzes, dem Beistand der Mutter Gottes und den Gebeten des Erzbischofs" zu. Die Feinde flohen, die Nowgoroder nahmen so viele Ssusdaler gefaDgen, dass diese für eine Kleinigkeit (für zwei Nagaten) 1 ) ') E i n e Griwna hatte 2 0 Nagaten. gaten annähernd 50 Kopeken.
Nach Karamsins Berechnung sind sechs Na-
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verkauft wurden. Die Legende von der Befreiung Nowgorods hatte eine wichtige Bedeutung für die Zukunft; sie unterstützte die moralische Kraft der Stadt im Kampfe gegen die Ssusdaler Fürsten. In der Folge erhielt sie auch noch eine allgemeinere kirchliche Bedeutung für ganz Russland, denn das Bild, dem man die wunderbare Errettung Nowgorods von Andreas' Kriegsscharen zuschrieb, wurde unter der Bezeichnung „Madonnenbild zur Erscheinung der heil. Jungfrau" zu einem Heiligenbilde ersten Ranges erhoben, das von ganz Russland verehrt und dessen Fest, von den Nowgorodern auf den 27. November festgesetzt, von der rechtgläubigen russischen Kirche noch bis heute gefeiert wird. Bald jedoch nahm die Feindschaft gegen Andreas wieder ab, und die Nowgoroder versöhnten sich mit ihm. Schon im nächsten Jahre wollten sie von Roman Mstislawitsch nichts mehr wissen und vertrieben ihn. Es war damals eine Missernte eingetreten und in Nowgorod herrschte Theuerung. Die Nowgoroder brauchten aus dem Ssusdaler Gebiet Getreide und dies war der Hauptgrund, weshalb sie mit Andreas Friede machten. Mit seiner Zustimmung erwählten sie Rjurik Rostislawitsch als ihren Fürsten, aber im Jahre 1172, nachdem sie ihn wieder vertrieben hatten, erbaten sie sich Andreas' Sohn Jurij. Nowgorod war jetzt deshalb im Vortheil, weil Andreas dessen Rechte achten musste, und wenn auch Nowgorod die von ihm eingesetzten Fürsten annahm, so geschah dies doch nur unter Beobachtung der nowgoroder Freiheiten. Ungeachtet der Niederlage, die Kijew durch Andreas erlitten hatte, musste dieser doch, um seine Macht daselbst aufrecht zu erhalten, noch einmal ein Heer hinsenden. Der von ihm eingesetzte Fürst Gljeb war nämlich gestorben. Mit Zustimmung der Rostislawitschs bemächtigte sich Kijews Wladimir von Dorogobush, ein ehemaliger Bundesgenosse Andreas' und Onkel der Rostislawitschs; Andreas befahl ihm aber, sich sofort hinweg zu begeben und erklärte, dass er Kijew an Roman Rostislawitsch, einen milden Fürsten von nachgiebiger Sinnesart, verleihe. „Ihr habt mich Vater genannt — liess Andreas den Rostislawitschs sagen — ich will Euer Wohl und gebe Kijew Eurem Bruder Roman." Bald darauf aber fiel es Andreas ein, Roman Rostislawitsch wieder zu vertreiben; ob er nun mit den Rostislawitschs unzufrieden war, weil sie sich, seiner Ansicht nach, zu wichtig machten, oder ob er blos die Absicht hatte, seinen Bruder in Kijew einzusetzen, — kurz, er suchte Händel mit diesen Fürsten und sandte ihnen seinen Schwertträger Michno mit der Forderung, Gregor Chotowitsch und zwei andere Personen auszuliefern; wobei er äusserte: „Sie haben meinen Bruder Gljeb getödtet und sind unsre Feinde." Die Rostislawitschs, welche recht gut wussten, dass Andreas dies nur als Vorwand brauchte, verweigerten die Auslieferung dieser Leute, die sie für unschuldig hielten und gaben ihnen Gelegenheit, sich zu retten. Andreas' Absicht war damit erreicht; er schrieb ihnen nun folgende Drohung: „Wenn Ihr Euch nicht nach meinem Willen richten wollt, so befehle ich
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Euch, dass Du, Rjurik, aus Kijew fortgehst, und D u , David, gehst aus Wyschgorod, Du aber, Mstislaw, gehst aus Bjelgorod fort; es bleibt Euch dann Smolensk, darein mögt Ihr Euch theilen.'- Roman unterwarf sich dem Urtheil und ging nach Smolensk. Andreas gab Kijew seinem Bruder Michael, mit dem er sich versöhnt hatte. Einstweilen blieb Michael noch in Tortschesk, wo er vorher geherrscht hatte, und sandte seinen Bruder Wssewolod und Neffen Jaropolk Rostislawitsch nach Kijew. Die andern Rostislawitschs aber waren nicht so folgsam, wie Roman. Sie schickten einen Boten mit einer Erklärung an Andreas; dieser aber gab ihnen keine Antwort. Da zogen sie nächtlicherweise nach Kijew, nahmen Wssewolod und Jaropolk fest, belagerten sogar Michael in Tortschesk und zwangen ihn, Kijew aufzugeben und sich mit Perejaslawl, das sie ihm abtraten, zu begnügen, worauf sie nach Kijew zurückkehrten und einen aus ihrer Mitte, den Rjurik Rostislawitsch, auf den kijewer Fürstenstuhl setzten. Der unbeständige Michael, den Andreas nach Kijew bestimmt hatte, wandte sich abermals von Andreas ab und den Rostislawitschs z u , ganz wie er sich schon einmal gegen Andreas und die Rostislawitschs und für Mstislaw Isjaslawitsch erklärt hatte. Als Andreas dies hörte, gerieth er in grossen Zorn und es kam ihm gelegen, dass da3 Verlangen an ihn gerichtet wurde, gegen die Rostislawitschs Hilfe zu leisten: der tschernigower Fürst Swjätoslaw Wssewolodowitsch, welcher während dieser Wirren sich vorgenommen hatte, Kijew für sich zu nehmen, stachelte Andreas gegen die Rostislawitschs auf; auf seine Seite traten auch noch die Söhne des Fürsten Oleg. Der Bote, welchen diese Fürsten an Andreas gesandt hatten, sprach: „Dein Feind ist auch unser Feind; wir sind zu Deinen Diensten." Der stolze Andreas rief seinen Schwertträger Michno und sprach: Geh' zu den Rostislawitschs und sage ihnen: „Ihr handelt nicht nach meinem Willen, dafür sollst Du, Rjurik, nach Smolensk zu Deinem Bruder auf Dein Erbgut gehen, und Du, David, gehst nach Berlad; ich verbiete Dir den Aufenthalt im russischen Lande; Mstislaw aber sage: Du bist der Anstifter von allem, ich befehle Dir, das russische Land zu meiden." Michno richtete den Auftrag seines Fürsten aus. Mehr als alle Andern war Mstislaw über diese Rede empört. Ein Zeitgenosse sagt von ihm: „er war von Jugend auf nicht gewöhnt, irgend jemand zu fürchten, ausser Gott allein." Mstislaw liess dem Schwertträger Michno Haare und Bart scheeren und sprach zu ihm: „Gehe hin zu Deinem Fürsten und theile ihm Folgendes von uns mit: Wir hielten Dich bis jetzt für unsern Vater und liebten Dich, Du sandtest mir aber Reden, als ob Du mich für einen Vasallen und gemeinen Mann, nicht aber für einen Fürsten hieltest; thue, was Du beabsichtigst, Gott wird richten!" Als Andreas den geschornen Michno erblickte und Mstislaws Worte vernahm, gerieth er in Wuth. Ein grosses Heer von Rostowern, Ssusdalera, Wladimirern, Perejaslawlern, Bjeloserskern, Muromern und Rjäsanern, unter dem Oberbefehl von Andreas' Sohn, Jurij und des Bojaren
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-Shidislawitsch brach nun auf. Als Andreas sie entliess, sprach e r : „Verjagt Rjurik lind David aus meinen Erblanden, Mstislaw aber nehmt gefangen, thut ihm nichts zu Leide, sondern bringt ihn zu mir." Auch die Nowgoroder vereinigten sich mit ihnen. Sie zogen durch das smolensker Land; als der arme Roman solche Gäste ankommen sah, konnte er sich ihrer nicht erwehren und musste, der Aufforderung Andreas' gehorchend, seine Smolensker mit ihnen ziehen lassen. Diese ganze Heeresmacht betrat nun das tschernigower Land und Swjätoslaw Wssewolodowitsch nebst seinen Brüdern vereinigten sich ebenfalls mit ihnen. Von der andern Seite schob Andreas die Streitkräfte des Polozker Landes, die Fürsten von Turowsk, Pinsk und Gorodnja (welche unter Polozk standen) gegen Kijew vor. Michael Jurjewitsch wandte sich von den Rostislawitschs ab und eilte, mit Wssewolod und zwei Neffen, sich Kijews zu bemächtigen; die Rostislawitschs hinderten ihn nicht daran. Rjurik schloss sich in Bjelgorod ein, Mstislaw in Wyschgorod und David wurde nach Galitsch gesandt, um Hilfe von Jaroslaw (Osmomysl) zu heischen. Das ganze Heer drängte hauptsächlich gegen Wyschgorod, um, wie Andreas befohlen hatte, Mstislaw festzunehmen. Es gab viel Lärm, Gekrach, Geschrei und Staub; nur wenig Todte, aber viel Verwundete. Neun Wochen lang stand das Heer im Felde. Jaroslaw Isjaslawitsch von Luzk, ein Vetter der Rostislawitschs, der mit dem Heer des ganzen wolhynier Landes gekommen war, strebte nach der Oberherrschaft und dem kijewer Fürstensitz; das gleiche erstrebte auch Swjätoslaw Wssewolodowitsch von Tschernigow, der älteste unter den Fürsten im Heer. Andreas selbst war nicht zugegen, um durch seinen Machtspruch diesen Streit zu schlichten. Alle diese Fürsten waren, ohne es selbst recht zu wissen, nur deshalb vor Wyschgorod erschienen, damit Andreas die Möglichkeit habe, denjenigen unter ihnen mit Kijew zu belehnen, der ihm genehm sein würde. Jaroslaw, der sich mit Swjätoslaw nicht vertragen konnte, fiel von den Verbündeten ab, trat zu den Rostislawitschs über und rückte nach Bjelgorod, um, mit Rjurik Rostislawitsch vereint, die Belagerer anzugreifen. Gleichzeitig drohte den Verbündeten auch die Ankunft der Galitscher, welche, durch David herbeigerufen, den Rostislawitschs Hilfe brachten. Ein grosser Theil der Verbündeten hatte weder Ursache noch Lust, den Krieg hartnäckig fortzusetzen. Die Smolensker waren gegen ihren Willen dazu gezwungen. Die Nowgoroder, stets unruhig und unbeständig, erkalteten leicht in einem Unternehmen, dem sie sich nur vorübergehend angeschlossen hatten; wahrscheinlich zeichneten sich auch die Polozker und andere Heereshaufen aus den weissrussischen Städten nicht durch besonderen Eifer aus, da ihnen damals die Frage, wem Kijew gehören solle, durchaus gleichgültig war. Alles dies war Grund genug, dass, als die Verbündeten die Macht ihrer Feinde wachsen sahen, in ihrem Lager plötzlich ein Aufruhr ausbrach, und sie des Nachts, noch vor Beginn der Morgendämmerung, in solcher Unordnung flohen, dass viele von ihnen bei der Ueberfahrt über-
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den Dnjepr ertranken. Mstislaw machte einen Ausfall, verfolgte sie, bemächtigte sich ihrer Fuhren und machte viele Gefangene. Dieser Sieg über zwanzig Fürsten und die Heere so vieler Länder erhöhte Mstislaw ßostislawitschs Ruhm bei seinen Zeitgenossen und gab ihm den Beinamen „ d e r Tapfere". „ S o kam e s " — sagt der Chronist — „dass Fürst Andreas, obschon in allen Dingen so klug, doch durch Masslosigkeit seinen Verstand einbüsste, dass er in Zorn gerieth, hochmüthig wurde und unnütz prahlte; Prahlerei und Hochmuth aber flösst der Teufel dem Menschen ein." Die Rostislawitschs überliessen Kijew dem Jaroslaw von Luzk, welcher, wie nicht anders zu erwarten war, daselbst nicht lange herrschte; die arme, alte Hauptstadt musste wiederum aus einer Hand in die andere übergehen. Ihr Schicksal hing aber jetzt nicht mehr, wie Andreas beabsichtigt, vom Willen des Ssusdaler Fürsten ab. Im nächsten Jahre waren die Rostislawitschs geneigt, unter der Bedingung, dass ihr Bruder Roman auf den Fürstensitz von Kijew erhoben würde, mit Andreas Friede zu machen. Es wäre Andreas natürlich angenehmer gewesen, den ihm ergebenen Roman dort zu wissen, anstatt der verhassten Nachkommen Isjaslaw Mstislawitschs oder der Olgowitschs, welche Feinde von Monomachs Erben waren; wahrscheinlich hatten die Rostislaws dieselbe Meinung, als sie mit Andreas in Berührung traten. Dieser jedoch zögerte mit seiner Antwort; „wartet ein wenig — sagte er, — ich will zu meinen Brüdern, ins russische Land, senden." Es scheint, dass Andreas sich noch nicht entschieden hatte, auf wessen Seite er sich neigen sollte; — sein unerwarteter, gewaltsamer Tod durchschnitt alle seine Pläne. Trotz seines hohen Verstandes, seiner List und seiner Kunst, die Umstände zu benutzen, war es Andreas nicht gelungen, etwas Beständiges und Dauerhaftes zu schaffen. Herrschsucht war der einzige Impuls seiner ganzen Thätigkeit, er wollte eine Lage schaffen, welche ihm gestattete, die Fürsten von einem Platz auf den andern, wie die Bauern im Schachspiel, zu versetzen, sie und ihre Truppen willkürlich hierhin und dorthin zu dirigiren, sie zu zwingen, Freundschaft oder Feindschaft unter einander zu halten und sie in die Nothwendigkeit zu versetzen, ihn, mit oder gegen ihren Willen, als ihr Oberhaupt und als den Vornehmsten unter ihnen anzuerkennen. Um dies Ziel zu erreichen, wusste er die schwankenden und häufig unervernünftigen Beziehungen der Fürsten unter einander und die unter den Städten und Ländern herrschenden Zwistigkeiten geschickt zu benutzen, die Leidenschaften der Parteien zu erwecken und zu schüren, wobei ihm sowohl die inneren Händel, als auch die Missernten im Nowgoroder Lande, dann die längst schon zwischen dem polozker und dem übrigen russischen Lande herrschende Entfremdung und die Familienfeindschaft zwischen Olegs und Monomachs Nachkommenschaft, sowie die plötzlich entstandenen Feindseligkeiten, wie z. B. der Streit zwischen den Rostislawitschs und Mstislaw Isjaslawitsch, gute Dienste leisteten. Mehr
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als dies alles aber half ihm jener barbarische, gesellschaftswidrige Zustand der noch nicht festbegründeten staatlichen Ordnung, welcher dazu beitrug, dass persönliche Zwecke als unvereinbar mit gesellschaftlichen Bestrebungen galten, ein Zustand, der die Leidenschaften durch Hoffnung auf gegenseitige Beraubung entfachte. Doch dies alles waren pur provisorische Mittel, die daher auch nur einen provisorischen Charakter hatten. Andreas hatte wohl kaum ein anderes Ideal für die Gestaltung der Zustände in den russischen Ländern, als seinen Wunsch, alle Fürsten zu beherrschen. Was aber speciell sein Ssusdal-Rostow'sches Gebiet anbelangt, so betrachtete er es als ein vom übrigen abgesondertes Land, dem er gleichsam die Aufgabe zuwies, über Russland zu herrschen. Daher war er für den Wohlstand dieses s e i n e s Landes auch besonders besorgt und bemüht, dasselbe durch ein Heiligthum zu bereichern, während er gleichzeitig Kijew, mit allem was dort seit Alters her für ganz Russland heilig war, der Verwüstung überantwortete. Wie das Ssusdal-Rostow'sche Land seine Sorgfalt lohnte, zeigt sein Tod. Nachdem Andreas seine Brüder und jene Bojaren, welche ihm nicht unterwürfig genug schienen, vertrieben hatte, regierte dieser herrschsüchtige Fürst ganz unumschränkt in seinem Lande und dachte gar nicht mehr daran, dass er vom Volke gewählt sei; er belastete das Land mit Steuern und Abgaben, die er von seinen Vögten und Dorfältesten eintreiben liess und verhängte willkürliche Todesstrafen. Die fürchterlichen Grausamkeiten, welche die Chroniken von seinem Günstling, dem Bischof Theodor, erzählen, würden, selbst wenn sie auch nur zur Hälfte wahr wären, genügen, um einen düsteren Schatten auf seine Regierungszeit zu werfen. Je älter Andreas wurde, desto hartherziger ward er. In Bogoljubowo, wo er seinen ständigen Wohnsitz hatte, erreichte ihn auch der Tod. Er hatte einen Diener, Jakim Kutschkowitsch, den er liebte, dessen Bruder er aber hatte hinrichten lassen. Da sprach Jakim zu seinen Freunden: „Heute lässt er diesen hinrichten, morgen kommt die Reihe an uns; lasst uns daher mit diesem Fürsten abrechnen!" Am Freitag, den 28. Juni 1175, versammelten sich die Verschwörer im Hause von Kutschkowitschs Schwiegersohn, Peter, um zu berathen. Es waren ihrer gegen 20 Personen und darunter auch Andreas' Kellermeister, Ambal, ein Jasse (die Jassen waren ein Volk kaukasischer Abstammung, man hielt sie für Kabardiner) und ein Jude Jefrem Moisitsch. Es ist bemerkenswerth, dass Andreas' nächste Umgebung aus Fremdlingen bestand; — man findet diesen Zug häufig bei Leuten seines Charakters. Er fühlte wohl, dass seine eigenen Landsleute Grund hatten, ihn nicht zu lieben, und glaubte daher, sich dadurch zu sichern; — er irrte sich jedoch. Es wurde beschlossen, den Fürsten noch in der nämlichen Nacht zu tödten. Die eine Chronik berichtet, Andreas habe bei verschlossener Thür allein geschlafen; andere schreiben, dass ein dienender Knabe sich in seiner Nähe befunden habe. Bevor die K o s t o m a r o w - H e n c k e l , Russ. Geschichte in Biogr. I.
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Verschwörer sich zu ihrer That anschickten, gingen sie erst in den Keller, um sich Muth zu trinken, dann kamen sie an Andreas' Schlafgemach. — Herr, Herr! rief der Eine und klopfte an die Thür. — Wer ist da? antwortete Andreas. — Prokopius! — lautete die Antwort. Prokopius war ein treuer Diener seines Fürsten. — Nein, Bursche, Du bist nicht Prokopius, erwiderte Andreas, Böses ahnend, und sah sich nach seinem Schwerte um. Das Schwert des heiligen Boris, dem er besondere Kraft zuschrieb, war in seinem Besitz, es befand sich jedoch jetzt nicht in seiner Nähe, denn der Kellermeister Ambal hatte es bei Seite geschafft. Die Verschwörer brachen nun die Thür auf und fielen über Andreas her. Der Fürst war stark und rang mit ihnen. In der Dunkelheit verwundeten die Mörder einen von den Ihren, dann aber, als sie den Fürsten erkannt hatten, stachen und schlugen sie ihn mit Schwertern, Säbeln und Spiessen. In der Meinung, dass Alles vorüber sei, gingen sie fort; der Fürst jedoch raffte seine letzten Kräfte zusammen, sprang ihnen nach, die Treppe hinab und versteckte sich im Hausflur. Die Mörder hörten ihn stöhnen. — Der Fürst ist herabgekommen! rief Einer. — Lasst uns nachsehen, sprachen die andern und liefen zum Schlafgemach zurück; der Fürst war nicht da. — Wir sind verloren, — riefen sie; — schnell, schnell, sucht ihn! Sie zündeten Lichter an und indem sie die Blutspuren auf der Treppe verfolgten, fanden sie den Fürsten hinter einem Treppenpfeiler kauernd und betend. Peter Kutschkowitsch hieb ihm die rechte Hand ab. Der Fürst konnte noch sprechen: Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist! — dann starb er. Als es hell zu werden begann, fanden die Mörder den Günstling des Fürsten, Prokopius, und tödteten ihn. Dann gingen sie abermals auf den Flur, rafften Gold, Edelsteine, Perlen und verschiedene andere Habe zusammen, packten alles auf Pferde, die von ihren Helfershelfern in Bereitschaft gehalten waren und sandten sie fort; sie selbst aber legten sich des Fürsten Rüstung an, versammelten alle ihre Gesinnungsgenossen und fragten einander: Was sollen wir thun, wenn die Leibwache aus Wladimir kommt? — Lasst uns nach Wladimir senden! — entschieden die Bösewichte. Sie sandten die Nachricht vom Geschehenen zu den Wladimirern und liessen ihnen sagen: Wenn Jemand unter Euch uns bedrohen sollte, so werden wir Euch tödten. Wir sind nicht die Einzigen, die den Anschlag gemacht haben, auch unter Euch befinden sich Theilnehmer. Die Wladimirer antworteten: Wer zu Euch gehört, mag auch bei Euch bleiben; wir haben keinen Theil daran.
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Das ganze fürstliche Haus wurde nun ausgeraubt. Das war damals so Brauch; man gab das Eigenthum eines Gerichteten der Plünderung preis. Der entblösste Leichnam des Fürsten wurde in den Gemüsegarten geworfen. Unter den fürstlichen Dienern befand sich auch ein Kijewer, Kusmischtsche. Als er den Tod des Fürsten vernahm, ging er von Einem zum Andern und fragte: Wo ist mein Herr? Man antwortete ihm: Dort im Gemüsegarten liegt er; unterstehe Dich aber nicht, ihn anzurühren! Wir Alle sagen es Dir, er soll den Hunden vorgeworfen werden, und wer ihn aufhebt, der ist unser Feind und wird getödtet. Kusmischtsche jedoch fürchtete ihre Drohungen nicht; er fand seines Fürsten Leichnam und fing an laut über ihn zu wehklagen. Ambal ging zu ihm. — Ambal, Feind! — rief Kusmischtsche, als er ihn erblickte, — wirf mir eine Decke oder sonst etwas her, um unsern Herrn darauf zu legen und ihn zu bedecken! — Hinweg, — sprach Ambal, — wir werfen ihn den Kötern vor! — Oh, Du Ketzer! — rief Kusmischtsche. — Wie? den Kötern willst Du ihn vorwerfen? Erinnerst Du Dich, Jude, wie Du gekleidet warst, als Du hier ankamst? Jetzt bist Du ganz in Sammt gehüllt, der Fürst aber liegt nackt da! sei also barmherzig und wirf mir etwas her. Ambal warf ihm einen Teppich und einen Mantel zu. Kusmischtsche verhüllte den Leichnam des Getödteten und trug ihn zur Kirche. — Oeffnet die Kapelle! sprach Kusmischtsche zu den Leuten, die er dort traf. Sie hatten sich aus Freude vollgetrunken und antworteten ihm: Wirf ihn hier in die Vorhalle; weshalb bekümmerst Du Dich um ihn! Kusmischtsche legte den Körper in die Vorhalle, bedeckte ihn mit dem Mantel und fing laut zu jammern an. — H e r r , Deine Diener kennen Dich nicht mehr; wenn aber sonst ein Gast aus Konstantinopel oder aus einem russischen Lande kam, oder wenn ein Lateiner, ein Christ oder ein Heide erschien, da sagtest D u : Führt ihn in die Kirche und in die Prunkgemächer, mögen Alle das wahre Christenthum kennen lernen und sich taufen lassen; die Bolgaren und die Juden und allerlei Heiden — Alle, welche Gottes Ruhm und den Schmuck der Kirche sahen, weinen über Dich; diese aber wollen Dich nicht einmal in die Kirche tragen lassen. Andreas' Leichnam lag zwei Tage und zwei Nächte in der Vorhalle. Die Geistlichkeit wagte nicht, die Kirche zu öffnen und Todtenmessen für ihn zu lesen. Am dritten Tage kam der Abt vom Kloster der heiligen Kosmos und Damian, wandte sich an den Klerus von Bogoljubowo und sprach: — Wie lange sollen wir noch auf die Aeltesten unter den Aebten warten? Wie lange soll noch dieser Fürst so daliegen. Oeffnet die 6*
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Kapelle, ich will das Todtenamt halten; lasst uns ihn in den Sarg legen, wo er so lange liegen mag, bis die Wuth gegen ihn nachlässt. Dann wird man aus Wladimir kommen und ihn dorthin bringen. Seinem Rathe folgend, wurde die Kirche geöffnet, der Leichnam in einen steinernen Sarg gelegt und der Todtengesang angestimmt. Man scheint es nicht verhindert zu haben. Es fand sich nun, dass die Mörder eine That vollbracht hatten, die Vielen willkommen war. Andreas' Regierung war verhasst gewesen; als das Volk hörte, dass er ermordet sei, wandte es sich nicht gegen die Mörder, sondern im Gegentheil, man setzte das Begonnene fort. Die Bo. goljubower plünderten das ginze fürstliche Haus, in welchem sich grosse Reichthümer an Gold, Silber und Prachtgewändern befanden, tödteten seine Läufer und Wachen; auch die Meister, welche Andreas um sich versammelt und denen er Arbeiten übertragen hatte, erhielten ihr Theil. In Wladimir begann das Plündern gleichfalls; aber hier machte ein Geistlicher, Namens Mikulitza (vielleicht der nämliche Nikolaus, welcher im Jahre 1155 Andreas half, das Bild der heiligen Jungfrau aus Wyschgorod zu rauben) in vollem Ornat und mit dem wunderthätigen Bilde in den Händen, einen Gang durch die Stadt, und dies brachte einen solchen Eindruck hervor, dass die Erregung sich legte. Die Nachricht von Andreas Ermordung ward bald im ganzen Lande bekannt. Ueberall gerieth das Volk in Aufregung, überfiel die fürstlichen Beamten, welche durch die Art, wie sie ihres Amtes gewaltet hatten, von Allen gehasst waren, plünderte ihre Häuser und tödtete manche. Erst nach sechs Tagen kamen die Wladimirer zur Besinnung; sie beschlossen nun, den Leichnam des Ermordeten nach Wladimir zu holen. Am 5. Juli sandten sie Theodul, den Abt des Mutter-Gottes-Klosters, mit dem Cantor Lukas und mit Trägern nach Bogoljubowo, um die Leiche von dort abzuholen; dem Mikulitza aber sagten sie: „Versammle alle Priester, legt Eure Ornate an, stellt Euch mit dem Bilde der Mutter Gottes vor der silbernen Pforte auf und erwartet die Ankunft des Fürsten." Silberne Pforte hiess jenes Stadtthor, welches nach Bogoljubowo hinausführte; an der entgegengesetzten Seite befand sich die goldene Pforte. Das Volk zog vor die Stadt hinaus. Als der Leichenzug sich näherte, das fürstliche Banner sichtbar wurde und die Todtengesänge ertönten, da trat Trauer an die Stelle des Grolls; man dachte an das Gute, das der Verstorbene gethan, und dass man ihm nicht blos Böses zu verdanken habe; man erinnerte sich an seinen Eifer für die Kirche und beweinte ihn. Er wurde in der Mutter-Gottes-Kirche beerdigt. Es ist zweifellos, dass es nicht blos eine kleine Partei war, die Andreas gehasst hatte, sondern dass dieser Hass vom Volke getheilt wurde. Anders würde man sonst den Umstand nicht erklären können, dass sein Leichnam eine ganze Woche lang unbeerdigt bleiben konnte und dass das Volk, als es den
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gewaltsamen Tod seines Fürsten erfuhr, sich nicht gegen seine Mörder, sondern gegen seine Beamten und Diener wandte. Die Rostower und Ssusdaler, besonders aber die ersteren, waren mit Andreas deshalb unzufrieden, weil er Wladimir bevorzugt hatte, und nach seinem Tode trat sofort das Gefühl des Grolls hervor. Die Rostower luden die Rostislawitschs, Andreas Neffen, zu sich ein; diese lebten im Rjäsaner Lande, weil sie sich nicht getrauten, die Besitzungen ihres Onkels zu betreten. Die Wladimirer aber forderten Andreas' Bruder Michael, der in Tschernigow lebte, auf, zu ihnen zu kommen. Es entstand wieder ein Bürgerkrieg, in dem die Rostower die Oberhand behielten und den Wladimirern einen von den Rostislawitschs, den Jaropolk, aufnöthigten. Ihre Aensserungen über die Wladimirer lauteten: „ I h r seid unsere Knechte und Steinhauer, wir werden entweder Eure Stadt verbrennen oder einen von den Unsern als Possadnik über Euch setzen." Die Rostislawitschs aber, welche nur den Rostowern allein gefällig zu sein suchten, brachten sowohl die Wladimirer, als auch das ganze Land durch ungerechte Auflagen gegen sich auf. „Wir nehmen nur unabhängige Fürsten an," sprachen die Wladimirer. Und als sie Jaropolk Rostislawitsch vertrieben und abermals Michael beriefen, da stimmte ihnen das ganze Land bei. Michael starb bald darauf, und die Wladimirer erwählten in einer Volksversammlung Jurij Dolgorukijs jüngern Sohn, Wssewolod (sein Taufname war Demetrius). Die Rostower mit den Rostislawitschs machten einen erfolglosen Versuch, sich dagegen aufzulehnen. Zu Gunsten der Rostislawitschs erhob sich der Rjäsaner Fürst Gljeb gegen Wssewolod, wurde jedoch aufs Haupt geschlagen und mit den Rostislawitschs und den Rostower Bojaren, die sich ihnen angeschlossen hatten, gefangen genommen. Gljeb starb im Gefängniss. Die Wladimirer waren gegen die Rostislawitschs so aufgebracht, dass sie, gegen Wssewolods Willen, dieselben blenden wollten. Die Ursache dieses Grolls erklärt sich aus dem Umstand, dass die Rostislawitschs mit den Rjäsanern die Polowzer gegen das Land geführt hatten. Von nun an hörten die Unruhen für längere Zeit im Rostow-Ssusdaler Lande auf. Allem Anschein nach war auch in Rostow eine Bojaren-Partei vorhanden, welche die Stadt Wladimir deshalb hasste, weil diese die Herrschaft und das Uebergewicht über das ganze Land zu erlangen suchte. Diese Partei aber konnte nicht die Liebe des Volks erringen und war deshalb auch nicht imstande, es mit sich fortzureissen. Die Einwohner von Rostow banden sogar ihre Bojaren und überlieferten sie dem Wssewolod. Als nach der Niederlage der Rjäsaner die dem Wssewolod feindlich gesinnte Partei der Rostower Bojaren zerstreut wurde, blieb Rostow ruhig. Wssewolod herrschte lange (bis 1212) und setzte Andreas' Politik zum grössten Theil fort, obschon er mit weit mehr Mässigung und Milde zu Werke ging. Er wurde vom Rostow-Ssusdaler Volke geliebt. Auch er nahm jede Gelegenheit wahr, um sein Uebergewicht und seinen Einfluss auf Nowgorod aufrecht zu erhalten, gab
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jedoch den Nowgorodern in Fällen äusserster Hartnäckigkeit nach und that, als ob er Nowgorods Freiheit achte. Es ist bemerkenswerth, dass Wssewolod bei seinen Zwistigkeiten mit Nowgorod nicht aus eigener Initiative zu harten Massnahmen schritt, sondern sich durch seine Leibwache dazu drängen liess. So geschah es z. B. auch, als er sich mit den Nowgorodern iiberworfen hatte, Torshok belagerte und im Begriff w a r , abzuziehen und Friede zu machen. Da rief ihm seine Leibwache zu: „Fürst, wir sind nicht deshalb hergekommen, um mit Jenen Küsse zu tauschen!" — und Torshok wurde erobert und eingeäschert. Viele Anzeichen lassen als erwiesen gelten, dass die Absicht, Nowgorod zu unterwerfen, nicht nur den Rostow-Susdaler Fürsten allein, sondern dem ganzen Lande eigen war, und daher kam es auch, dass die Nowgoroder nicht nur die Fürsten, sondern die Ssusdaler überhaupt so wüthend bekämpften, und sie sogar auch dann noch hassten, wenn sie mit deren Fürsten in Eintracht labten. Andrerseits behauptete Wssewolod auch die Herrschaft über die Fürsten von Rjäsan und setzte im Jahre 1208, die Unruhen im Rjäsaner Lande benutzend, seinen Sohn Jaroslaw daselbst ein. Da aber gleichzeitig mit diesem Fürsten die Ssusdaler das ganze Rjäsaner Land überschwemmten und sich der Verwaltung bemächtigten, so verloren die Rjäsaner, welche früher ihre Fürsten dem Wssewolod selbst ausgeliefert und Jaroslaw freiwillig gewählt hatten, die Geduld, erhoben sich insgesammt, schlugen die Ssusdaler in Fesseln und warfen sie in die Keller, wo viele von ihnen erstickten. Dies war der Grund, weshalb Wssewolod das Rjäsaner Land nicht behaupten konnte. Fürst Wssewolod genoss auch in Südrussland Achtung; er stiftete unter den miteinander in Streit liegenden russischen Fürsten Frieden, Bodass sogar ein Fürst im entfernten Galitsch unter seinen Schutz trat. Nach Wssewolods Tode entstand ein kurzer Bürgerkrieg, der hauptsächlich von den Nowgorodern ausging. Aber im Jahre 1219, nach dem Tode von Wssewolods ältestem Sohn Konstantin, gelangte dessen Bruder, Jurij, auf den Fürstensitz, und das Rostow-Ssusdaler Land blieb bis zum Einfall der Tataren von den inneren Fehden der Fürsten verschont. Es ist bemerkenswerth, dass mehrere dieser letzteren, Brüder und Neffen Jurijs, gleichzeitig in diesem Lande herrschten; sie waren aber alle untereinander einig, regierten auch in Eintracht mit dem Volke und ihre Macht hing vom Volke ab. Deshalb konnte auch, als Wssewolod das Land unter seine Söhne vertheilte, und Perejaslawl-Salesskij dem Jaroslaw gab, dieser, als er daselbst einzog und das Volk in der Kathedralkirche zum Erlöser versammelte, zum Volke sprechen: „Brüder von Perejaslawl! Gott hat meinen Vater zu sich genommen; er hat Euch mir und mich hat er Euch anvertraut; — sagt nun, Brüder, wollt Ihr mich als Euren Fürsten haben ?" Die Perejaslawler antworteten: „Gern, es mag so sein; Du bist unser H e r r ! " und alle küssten das Kreuz. Es war dies eine Periode des Wohlstands für das östliche Russland.
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Das Land nahm an Bevölkerung zu, es wurden Kirchen und Klöster gebaut, die Künste blühten der Art auf, dass die Bussen keine ausländischen Meister mehr brauchten; sie hatten nun ihre eigenen Baumeister und Bildermaler. Auch die aus Büchern geschöpfte Aufklärung machte Fortschritte. Der Erzbischof Kirill von Rostow sammelte eine Bücherei; unter seiner Anleitung wurden verschiedene Werke der geistlichen Litteratur aus dem Griechischen übersetzt und abgeschrieben. Einige Handschriften, die aus jener Epoche herrühren, zeigen, dass die Kunst des Abschreibens bedeutende Fortschritte gemacht hatte. Die Fürstentochter Euphrosine von Tschernigow, eine Tochter Michael Wssewolodowitschs, errichtete in Ssusdal eine Mädchenschule, in der sie Lesen, Schreiben und Kirchengesang lehrte. Die Büchergelehrsamkeit war allerdings einseitig und begünstigte das Klosterleben, fand daher auch nur in dem auserwählten Kreise von Geistlichen eine Stätte und drang nur wenig in die Volksmassen ein; sie umfasste nicht die Bedürfnisse des Lebens. Trotz alledem aber darf nicht unerwähnt bleiben, dass das Rostow-Ssusdaler Land mit diesen geringen Trieben einer Aufklärung damals doch höher stand, als die südlichen Theile des Landes, wo die zeitiger entwickelten Keime von Kenntnissen jeder Art unter den inneren Wirrnissen und den Verwüstungen der Polowzer zu Grunde gegangen waren. Die Periode Jurijs war auch einer bedeutenden Ausdehnung Russlands nach Nordosten günstig. Dort, wo die Flüsse Ssuchonja und Jug sich vereinigten, wurde die Stadt Ustjug gegründet, welche bald eine wichtige Bedeutung für den Handel erlangte. Die Kama-Bolgaren bemächtigten sich zwar dieser Stadt, Jurij jedoch schlug und zerstreute sie; er zwang die Bolgaren, Friede zu schliessen; alle Gefangenen herauszugeben, Geissein zu stellen und durch einen Eid den Frieden zu bestätigen. Andrerseits zogen die Russen längs der Wolga bis ins Land der Mordwinen und gründeten daselbst, wo Akä und Wolga sich vereinigen, Nishnij Nowgorod. Die Mordwinen waren unter der Regierung vieler kleiner Fürsten nicht imstande, dem Andränge der Russen zu widerstehen; während einige von ihren Fürsten sich an die Bolgaren um Hilfe wandten, ergaben sich andere, unvorbereitet Überfallene, den russischen Fürsten und unterwarfen sich ihnen als Vasallen. So bekämpften sich im Jahre 1228 die Fürsten zweier Mordwinenstämme, Purescha und Purgas, aufs Eifrigste. Purescha wurde des Fürsten Jurij Vasall und bat um dessen Hilfe. Purgas rief den Fürsten der Bolgaren herbei; dieser konnte aber nichts ausrichten; dagegen drangen die Russen in das Land Purgas' — Ersja — (in den Chroniken Purgassows Russland genannt), verheerten es und trieben die Mordwinen in die Urwälder. Im Jahre 1230 versuchte Purgas einen Ueberfall gegen Nishnij Nowgorod, ward aber zurückgeschlagen. Pureschas Sohn griff ihn mit den Polowzern an und verwüstete sein Gebiet gänzlich. Durch diese Ereignisse wurde die russische Kolonisation im Osten begünstigt, die Fremdlinge verliessen ihre bisherigen Wohnsitze,
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VI. FUrst Mstislaw der Kühne.
flüchteten nach Süden oder zogen über die Wolga; Reste von ihnen, die im Lande verblieben, nahmen die Taufe an und wandelten sich in kurzer Zeit zu Russen um. Das ostrussische Volkselement, welches sich nach Osten hin verbreitete, vermischte sich gleichzeitig mit fremden Stämmen und nahm, indem es die Grundbestandtheile des slawischen Volksthums beibehielt, immer mehr fremde Elemente in sich auf. So entwickelte und bildete sich nach und nach der Typus des grossrussischen Volkes.
VI. Fürst Mstislaw der Kühne. Im ersten Viertel des XIII. Jahrhunderts tritt die Thätigkeit des Fürsten Mstislaw Mstislawitsch, den seine Zeitgenossen „den Erfolgreichen" und die spätem Historiker „den Kühnen" nannten, durch glänzende Züge besonders hervor. Mit vollem Recht kann diese Persönlichkeit als ein Mustercharakter bezeichnet werden, wie ein solcher nur unter den Lebensbedingungen der vortatarischen Periode, in welcher Theilfürstenthum und Wetsche eine Rolle spielten, entstehen konnte. Dieser Fürst erlangte seine Berühmtheit nicht durch Eigenschaften, wie sie andere hervorragende Persönlichkeiten, deren Leben wir hier schildern, ausgezeichnet haben. Er verfolgte keine neuen Ziele, gab dem Gang der Ereignisse keine andere Richtung, schaffte für die Gesellschaftsordnung keine neuen Grundlagen. Im Gegentheil, er war ein Kämpe für das Alte, ein Beschützer des Bestehenden ; er stritt für das Recht, aber für jenes Recht, dessen Formen bereits vor ihm bestanden. Seine Antriebe und Bestrebungen waren ebenso schwankend, wie die Strömungen, welche sein Zeitalter beherrschten; seine Vorzüge und seine Mängel tragen den Stempel alles dessen, was das Zeitalter der Theilfttrstenthttmer im grossen Ganzen geschaffen hatte. Er war der Beste seiner Zeit, überschritt aber nicht die Grenze, welche der Geist der früheren Jahrhunderte gezogen hatte und in dieser Beziehung war sein Leben ein Ausdruck der damaligen gesellschaftlichen Zustände. In jenen Tagen erbte der Sohn, nach Ansicht der Zeitgenossen, Ehre und Schande seines Vaters. Man war von vornherein geneigt, ihn nach dem Vater zu beurtheilen. Durch dies Urtheil war die moralische Bedeutung eines Fürsten schon beim Beginn seiner Thätigkeit festgestellt. Man erwartete von ihm die Fortsetzung der Thaten seines Vaters, und nur sein späteres Schicksal hing von seinen eigenen Handlungen ab. Mstislaw Rostislawitsch, der Vater dieses Fürsten, hatte sich eines so guten Rufes erfreut, wie selten ein Fürst. Er war der Sohn Rostislaw Rostislawitschs von Smolensk, ein Urenkel Monomachs gewesen und hatte
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sich durch die heldenmüthige Vertheidigung Wyschgorods gegen die herrschsüchtigen Angriffe von Andreas Bogoljubskij Ruhm erworben. Von den Nowgorodern herbeigerufen, erfocht er einen glänzenden Sieg über die Tschuden, vertheidigte tapfer und unermüdlich Gross-Nowgorods Freiheit und genoss die begeisterte Liebe der Nowgoroder. Er starb noch jung, im Jahre 1180 in Nowgorod und ward, der einzige von allen Wahlfürsten Nowgorods, der Ehre theilhaftig, in der Kirche der heil. Sophie beerdigt zu werden. Sein Andenken war den Nowgorodern so theuer, dass sein Grab ein Gegenstand der Verehrung und er in der Folge unter die Zahl der Heiligen aufgenommen ward. Die Zeitgenossen nannten ihn „den Tapfern" und diesen Beinamen behielt er auch in der Geschichte. Aber nicht nur durch Tapferkeit, auch durch Frömmigkeit und durch Werke der Barmherzigkeit zeichnete er sich aus; Eigenschaften, welche eine fürstliche Persönlichkeit in den Augen der Zeitgenossen schmückten. Er war so sehr geliebt — und das Zeugniss des Chronisten bestätigt es — dass der Chronist, ausser dem allgemeinen Lobe, welches er den Fürsten gewöhnlich zu Theil werden lässt, auch Ausdrücke gebraucht, die ausschliesslich nur auf ihn bezogen werden können: „Er trachtete stets nach hohen Thaten; es gab kein Land, das ihn nicht liebte und ihn nicht gern zum Fürsten gehabt hätte; das ganze russische Land blieb seines Heldenmuthes eingedenk; auch die Schwarzkappen (Mönche) können nicht vergessen, wie er sie gehätschelt." Dieser Ruhm seines Vaters, diese Liebe des Nowgoroder Volkes und des ganzen russischen Landes, ebneten dem Sohne den Weg zu noch grösseren Thaten. Mstislaw Mstislawitsch ward zuerst dadurch in der Geschichte bekannt, dass er, an der Seite seines Onkels Rjurik, Tortschesk gegen Wssewolod, den Fürsten von Tschernigow, tapfer vertheidigte, jedoch Südrussland verlassen musste. Als seinen Antheil erhielt er Toröpez, das damals zum Smolensker Lande gehörte, und er lebte dort, ohne sich irgendwie besonders auszuzeichnen, längere Zeit. Als die Nowgoroder Wirren ihn zu einer glänzenden Laufbahn beriefen, war er längst nicht mehr jung und hatte schon eine verheirathete Tochter. Gross-Nowgorod war seit längerer Zeit, sowohl in engem Verbände, als auch im Hader mit dem Ssusdal-Rostower Lande und den Fürsten von Wladimir, welche hier die Oberherrschaft erlangt hatten. Seit Andreas Bogoljubskijs Zeiten waren diese Fürsten stets bestrebt, ihre Hand auf Nowgorod zu legen und suchten Fürsten aus ihrem Hause, die aber gleichzeitig ihre Vasallen bleiben mussten, in Nowgorod einzusetzen. Dieses vertheidigte seine Freiheit hartnäckig^ konnte sich aber von den Fürsten von Wladimir nicht losmachen, weil sich in Nowgorod selbst eine Partei befand, die, um ihres Vortheils willen, nach Ssusdal hinneigte. Es waren dabei auch Handelsinteressen im Spiel. Das nowgoroder Land war an landwirthschaftlichen Produkten äusserst arm, sein Wohlstand hing daher ausschliesslich vom Handel ab, und deshalb war ein unumgängliches Be-
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dürfniss vorhanden, sich mit einem Lande in guten Beziehungen zu befinden, in welchem Nowgorod Getreide und andere Rohprodukte, sowohl für den eigenen Bedarf, als auch für die Ausfuhr finden, und wohin die Nowgoroder ihrerseits ausländische Waaren absetzen konnten. Das kijewsche Russland ging seinem Verfall entgegen, es wurde fortwährend von Nomaden verheert und war, sowohl durch fürstliche Familienkriege, als auch durch die Niederlage, welche ihm Andreas Bogoljubskij beigebracht hatte, zerrüttet. Das Ssusdal-Rostower Land war aber, im Vergleich mit anderen Ländern, durch seine entfernte Lage vor den Ueberfällen der Fremdlinge viel mehr gesichert, es litt auch weniger unter Bürgerkriegen und blühte daher auf, sah seine Bevölkerung zunehmen, und gelangte so auf ganz natürliche Weise zu einer kommerziell günstigen Lage. Dazu kam noch, dass es verhältnissmässig näher als andere fruchtbare Länder an Nowgorod lag und dass die Communicationen mit ihm mehr Bequemlichkeit boten. Jede Feindseligkeit Nowgorods gegen die Fürsten dieses Landes rächte sich am Wohlstand der Stadt und an ihren Handelsinteressen. Daher gab es in Nowgorod stets reiche und einflussübende Persönlichkeiten , die um jeden Preis ein gutes Einverständniss mit jenem Lande erstrebten. Die Ssusdaler Fürsten kannten diese Abhängigkeit der nowgoroder Interessen von ihrem Lande recht gut und erlaubten sich daher leicht ein gewaltsames Vorgehen gegen Nowgorod. Während der ganzen langen Zeit, in der Fürst Wssewolod Jurjewitsch von Ssusdal herrschte, war er den Nowgorodern missliebig; sie stritten mit ihm, konnten ihn aber nicht los werden. Wssewolod seinerseits, um die Nowgoroder nicht ganz und gar gegen sich aufzubringen, schmeichelte ihnen zuweilen, that, als ob er Achtung vor Gross-Nowgorods Freiheit habe, liess sie aber dann bei Gelegenheit wiederum seine eiserne Faust fühlen. Im Jahre 1209 nahm er, um der ihm befreundeten Partei einen Gefallen zu thun, seinen älteren Sohn Konstantin aus Nowgorod hinweg und sandte seinen anderen Sohn Swjätoslaw hin, obschon die Nowgoroder ihn nicht frei gewählt hatten; blos um zu zeigen, dass er das Recht habe, in Nowgorod einen Fürsten nach seinem Belieben einzusetzen. Aber Nowgorod hatte ausser der Partei, welche in eigenem Interesse dem Ssusdaler Fürsten ergeben w a r , beständig auch noch eine Gegenpartei, die ihn hasste, und die nicht damit einverstanden war, dass man ihnen nach Gutdünken Fürsten gäbe und nähme. Diese Partei hatte damals das Uebergewicht erlangt und wandte sich gegen ihre Widersacher, die Anhänger der Ssusdaler Fürsten. Das Volk setzte den Possadnik Dmitr ab, klagte ihn an, das Volk bedrückt zu haben, und plünderte und verbrannte die Häuser der Reichen, welche sich aus Eigennutz der Ssudaler Partei angeschlossen hatten. Aus Rache dafür liess Wssewolod nowgoroder Kaufleute, welche sich in seinem Lande befanden, festhalten, ihnen ihre Waaren abnehmen und die Ausfuhr von Getreide nach Nowgorod verbieten. Das geschah im Jahre 1210.
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Zu dieser Zeit erscheint, gleichsam unerwartet, Fürst Mstislaw von Toröpez im nowgoroder Lande. Aus den alten Berichten ist nicht ersichtlich, dass ihn Jemand berufen hätte. Mstislaw erscheint als Kämpe für das Recht; Nowgorods Recht aber bestand in der Erhaltung seiner alten Freiheit. Im Winter tiberfiel Mstislaw plötzlich Torshok, ergriff Swjätoslaw Wssewolodowitschs Edelleute und den Possadnik von NeuTorshok, welcher zur Ssusdaler Partei gehörte, schlug sie in Fesseln und sandte sie nach Nowgorod, indem er den Einwohnern sagen liess: „Ich neige mein Haupt vor der heil. Sophie, vor dem Grabe meines Vaters und vor allen Nowgorodern; als ich vernahm, dass die Fürsten Euch vergewaltigen, bin ich zu Euch gekommen, — mein angestammtes Land thut mir leid." Die Nowgoroder ermannten sich, die Parteien verstummten, die eigennützigen Bestrebungen verbargen sich. Alle waren mit oder wider Willen einig. Fürst Swjätoslaw, WBsewolods Sohn, wurde mit seinen Edelleuten auf dem Hofe des Wladyka bewacht; an Mstislaw aber sandten die Nowgoroder die ehrerbietige Antwort: „Komme, Fürst und setze Dich auf den Tisch 1 )." Mstislaw kam nach Nowgorod und wurde auf den Tisch gesetzt. Sodann versammelte sich die Wehrkraft des nowgoroder Landes, und Mstislaw führte sie gegen Wssewolod; als er aber bis zur Ploska gekommen w a r , erschienen Wssewolods Abgesandte bei ihm und brachten ihm folgende Botschaft von ihrem Fürsten: „Du bist mein Sohn, ich — Dein Vater; entlasse meinen Sohn Swjätoslaw und seine Mannen, ich werde dagegen die nowgoroder Kaufleute mit ihren Waaren entlassen und den verursachten Schaden wieder gutmachen." Wssewolod war vorsichtig und verstand es, rechtzeitig einzulenken. Mstislaw hatte keinen Grund mehr, ihn zu bekämpfen. Beide Parteien küssten das Kreuz; Mstislaw kehrte nach Nowgorod, ohne einen Tropfen Blut vergossen zu haben, als Sieger zurück. Im nächsten Jahr (1211) wurde, auf Mstislaws Verlangen, der nowgoroder Wladyka Mitrophan, ein Anhänger des Ssusdaler Fürsten, abgesetzt. Obschon er mit Zustimmung der Wetsche eingesetzt worden, so war es doch auf Vorschlag Wssewolods geschehen, und deshalb hatte es jetzt den Anschein, als ob seine Erwählung nicht frei gewesen sei. Man setzte ihn also ab und verbannte ihn nach Toröpez, den Erbbesitz Mstislaws. An seine Stelle wählte man den Antonius aus dem Chutinschen Kloster. Dieser hiess vor seinem Eintritt in den geistlichen Stand Dobrynja Jadrejkowitsch und war Bojar gewesen; er hatte Zargrad (Konstantinopel) besucht, um den Heiligen seine Ehrfurcht zu bezeigen und hatte seine Reise beschrieben. Nach seiner Rückkehr war er Mönch geworden; er gehörte zu den Gegnern der Ssusdaler Partei. Mstislaw bereiste nun das nowgoroder Land, stiftete Ordnung, baute Befestigungen ') Siehe die Anmerk. 2 auf S. 12.
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und Kirchen und unternahm dann mit den Pskowern und Toröpezern zwei Feldzüge gegen die Tschuden. Im ersten eroberte er die tschudische Stadt Odenpe, im zweiten unterwarf er der Stadt Nowgorod das ganze tschudische Land bis ans Meer. Die von den Besiegten erhobene Contribution vertheilte er f zwei Drittel gab er den Nowgorodern und ein Drittel seinen Edelleuten (der Drushine). Nach seiner Rückkehr vom Feldzug gegen die Tschuden, erhielt Mstislaw eine Einladung aus Südrussland, um dort, bei einer ausgebrochenen Familienfehde, den Schiedsrichter zu machen. Der kijewer Fürst Ejurik Rostislawifsch, Mstislaws Onkel, war gestorben. Wssewolod, Fürst von Tschernigow, genannt der Rothe, hatte Rjuriks Söhne und Neffen aus dem Lande Kijew vertrieben und sich der Hauptstadt bemächtigt. Einige Jahre vorher waren seine Verwandten, die Igorewitschs, in Galitsch durch Volksgericht verurtheilt und aufgehängt worden. Wssewolod bürdete nun den vertriebenen kijewer Fürsten die Mitschuld an dieser That auf und gebahrte sich als Rächer der Hingerichteten. So bot sich denn hier abermals für Mstislaw eine Gelegenheit, das Recht zu vertheidigen. Monomachs Linie regierte seit langer Zeit in Kijew, und oft schon hatte sieb der Volkswille zu ihren Gunsten ausgesprochen. Die Olgowitschs dagegen hatten sich Kijews nur durch Gewalt bemächtigt. Mstislaw berief eine Volksversammlung und bat die Nowgoroder um Hilfe für seine vertriebenen Verwandten. Einstimmig riefen ihm die Nowgoroder zu: „Wohin Du Deine Augen richtest, Fürst, dahin wollen wir unsere Köpfe wenden!" Mstislaw rückte nun mit den Nowgorodern und seiner Drushina gegen Smolensk. Dort schlössen sich ihm die Smolensker an; als aber das Heer weiter zog, brachen unterwegs zwischen Nowgorodern und Smolenskern Zwistigkeiten aus; ein Smolensker wurde im Streit erschlagen und in Folge dessen vergrösserte sich die Misshelligkeit dermassen, dass die Nowgoroder nicht weiter mitziehen wollten. Trotz aller Ueberredung Mstislaws gehorchten ihm die Nowgoroder nicht mehr; er verabschiedete sich, also freundschaftlich von ihnen und zog mit seiner Drushina und den Smolenskern weiter. Da kamen die Nowgoroder zur Besinnung; es trat eine Wetsche zusammen, und der Possadnik Twerdislaw sprach: „Brüder, unsere Väter und Grossväter haben für das russische Land gelitten, also wollen auch wir mit unserm Fürsten gehen!" Alle zogen nun wieder Mstislaw nach r holten ihn ein und vereinigten sich mit ihm. Die tschernigower Städte, längs dem Dnjepr, wurden erobert, Retschiza erstürmt, und man näherte sich Wyschgorod. Hier kam es zu einem Handgemenge, in dem Mstislaw Sieger blieb. Zwei Fürsten aus Olegs Stamm geriethen in Gefangenschaft und die Wyschgoroder öffneten ihre Thore. Da erkannte Wssewolod der Rothe, dass seine Sache verloren sei und flüchtete über den Dnjepr; die Kijewer aber öffneten
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Mstislaw ihre Thore und beugten sich vor ihm. Mstislaw Romanowitsch, sein Vetter, wurde auf den kijewer Fürstensitz erhoben. Nachdem Mstislaw nun mit Kijew einen Vertrag geschlossen, zog er gegen Tschernigow, blieb zwölf Tage lang vor der Stadt liegen, schloss Frieden und nahm von Wssewolod, als dem Besiegten, Geschenke an. Mit Ruhm bedeckt, kehrte Mstislaw nach Nowgorod zurück. Durch seine Heldenthaten wurde Gross-Nowgorods Ansehen erhöht, denn Nowgorods Macht war es gewesen, die das Schicksal der weitentfernten russischen Gebiete bestimmt hatte. Mstislaw fand jedoch an Thätigkeit und Kriegsarbeit zu grosses Gefallen, auch missfiel es ihm, dass die Partei, welche dem Ssusdaler Land anhing, in Nowgorod nicht verschwinden wollte. Als daher eine Deputatien aus Polen bei ihm erschien, — bis dorthin war sein Ruhm bereits gedrungen, — und Fürst Leschko von Krakau ihn einlud, Galitsch, wo die Ungarn, die Wirren im Lande benützend, den Sohn ihres Königs eingesetzt hatten, diesen zu entreissen, verneigte sich Mstislaw abermals auf der Wetsche vor Gross-Nowgorod und sprach: „Ich habe Geschäfte in Russland, Ihr aber seid frei und könnt Euch einen Fürsten wählen/' und zog dann mit seiner Drushina nach Galitsch. In Galitsch regierten, im Namen des unmündigen ungarischen Königssohns Koloman, der ungarische Wojewode Benedikt der Kahle und der Bojar Ssudislaw, das Haupt der Bojarenpartei, welche die Ungarn herbeigerufen hatte. Mstislaw vertrieb beide aus Galitsch, setzte sich in der Stadt fest und verlobte seine Tochter mit Danilo, dem Fürsten von Wladimir in Wolhynien. Danilo war ein Sohn Romans, der selbst zweimal in Galitsch Fürst gewesen war, und auch Danilo war schon in seiner Jugend mehrmals von den Galitschern berufen und wieder vertrieben worden. Bald darauf geschah es, dass sich Mstislaw mit Leschko, der ihn nach Galitsch eingeladen hatte, entzweite. Fürst Danilo wandte sich an Mstislaw mit Klagen gegen Leschko, dass dieser einen Theil des wolhynier Landes an sich gerissen habe, und bat um Hilfe, um sein Eigenthum wieder zu erlangen. Mstislaw, stets dem gegebenen Worte treu, antwortete: „Leschko ist mein Freund, ich kann mich nicht gegen ihn wenden; suche Dir andere Freunde." Darauf wurde Danilo allein mit Leschko fertig und nahm diesem polnischen Fürsten jenen Theil des Landes ab, den sich derselbe angeeignet hatte. Leschko glaubte, Mstislaw habe gegen die Handlungen seines Schwiegersohnes Nachsicht geübt; er schloss daher mit den Ungarn ein Bündniss und begann gleichzeitig Mstislaw und Danilo zu bekriegen. Mstislaws Feldherren, welche die Feinde zuerst zurückwerfen sollten, machten ihre Sache schlecht und übergaben Peremyschl und Gorodok (Grodek) den Ungarn und Polen. Mstislaw überliess es dem Fürsten Danilo und dessen Vetter, Alexander Bjelskij, Galitsch zu vertheidigen, er selbst aber stellte sich am Subr auf. Alexander gehorchte nicht und entfernte sich, Danilo vertheidigte sich in der Stadt
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tapfer; als aber die Belagerung aufgehoben wurde und die Feinde sich gegen Mstislaw wandten, da befahl dieser, dass Danilo Galitsch verlassen solle. Heldenmüthig und mühevoll schlug sich Danilo mit dem Bojaren Gljeb Seremejewitsch und anderen durch und musste dabei sogar Hunger leiden; es gelang ihm aber, sich mit Mstislaw zu vereinigen. Dieser lobte ihn für seine Tapferkeit und sprach: „Gehe jetzt nach Deinem Wladimir, Fürst, ich aber will zu den Polowzern gehen und meine Schande rächen!" Mstislaw begab sich aber nicht zu den Polowzern, sondern zog nach Norden. E r hatte die Nachricht erhalten, dass die Fürsten seinem theuren Nowgorod abermals Gewalt anthaten und eilte daher, es aus der Bedrängniss zu erlösen. Nachdem Mstislaw Nowgorod verlassen, hatte die Ssusdaler Partei wieder das Uebergewicht erhalten. Durch Handelsinteressen bewogen, entschloss sie sich zur Berufung eines der Söhne Wssewolods, des Jaroslaw, eines Mannes von rücksichtslosem Charakter, auf den nowgoroder Fürstenstuhl. Der Possadnik, der Polizeiälteste und zehn angesehene Kaufleute begaben sich zu ihm. Wladyka Antonius, obschon diesem Wechsel innerlich abhold, ward genöthigt, den neuen Fürsten mit Ehrenbezeugungen zu empfangen. Dieser begann nun, seine Gegner und die ihm feindlich Gesinnten zu verfolgen. Zwei von ihnen, Jakun Subolomitsch und Thomas Dobroschtschinitsch, den Possadnik von Nowotorshok, liess er festnehmen und gefesselt nach Twer senden; dann gestattete er seinen Anhängern, indem er sie in der Wetsche aufstachelte, Jakuns Haus auszuplündern, sich dessen Frau zu bemächtigen und nahm selbst dessen Sohn gefangen. Die Gegenpartei geiieth in Aufregung. Die Prussen (Bewohner der Prussenstrasse) tödteten Jewstrat und dessen Sohn Lugota — wahrscheinlich Anhänger Jaroslaws. Der durch diese Volksjustiz erbitterte Jaroslaw liess seinen Statthalter Chötja Grigoröwitsch in Gorodischtsche und begab sich selbst nach Torshok; er hatte einen grossen Entschluss gefasst und wollte aus Torshok ein Nowgorod machen. Die Stadt Nowyj-Torg oder Torshok, ein nowgoroder Landstädtchen, hatte als Handelsplatz früher schon eine wichtige Bedeutung erlangt. Seine Bewohner fingen an, mit den Nowgorodern zu wetteifern und suchten natürlich, soviel als möglich, von Nowgorod unabhängig zu werden. Torshoks Lage war eine derartige, dass gute Beziehungen zum Ssusdaler Lande für seine Bewohner nothwendig waren. Sobald Nowgorod mit den Ssusdaler Fürsten in Streit gerieth und seitens der letzteren Feindseligkeiten gegen Nowgorod ausbrachen, musste es zu allererst Torshok büssen, — die Ssusdaler Fürsten bemächtigten sich dieses Grenzstädtchens dea nowgoroder Landes. So war 1 1 8 1 Wssewolod Jurjewitsch, der sich mit den Nowgorodern überworfen hatte, nicht imstande bis nach Nowgorod selbst vorzudringen; er eroberte daher N o w y j - T o r g und verheerte es.
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Auch früher schon waren Beispiele vorgekommen, dass nowgoroder Fürsten, Vasallen der Fürsten von Ssusdal, sobald sie von Nowgorod vertrieben wurden, nach Torshok gingen und dort einen Stützpunkt fanden, um mit Hilfe der Ssusdaler Nowgorod zu schädigen. Auf diese Weise handelte auch Fürst Jaroslaw Wladimirowitsch im Jahre 1196. Diesmal trat Jaroslaw Wssewolodowitsch noch entschiedener auf. Er hatte im Ssusdaler Lande ein Beispiel vor Augen; dort hatten die Fürsten Wladimirs Bedeutung auf Kosten der alten Städte Kostow und Ssusdal erhoben. Diesem Beispiel seines Vaters und seines Onkels folgend, wollte Jaroslaw das Nämliche im nowgoroder Lande durchführen, wollte Nowyj-Torg zur Hauptstadt des Landes machen und Nowgorod auf die Stufe eines Landstädtchens herabdrücken. Die Verhältnisse begünstigten ihn. Im nowgoroder Lande war das Getreide vom Frost vernichtet worden; es entstand eine für das arme Volk fürchterliche Hungersnoth. Jaroslaw liess keine einzige Fuhre Korn nach Nowgorod durch. Nun begann der Hunger zu wüthen. Eltern verkauften um ein Stück Brot ihre Kinder als Sklaven; die Menschen starben vor Hunger auf öffentlichen Plätzen, auf den Strassen; Todte lagen auf den Wegen und wurden von Hunden benagt. Die Nowgoroder sandten zum Fürsten Jaroslaw und baten, dass er zu ihnen kommen möchte. Jaroslaw aber antwortete nicht und hielt ihre Boten zurück. Da sandten die Nowgoroder abermals zu ihm und Hessen ihm sagen: „Komme in Dein angestammtes Land, zur heil. Sophie; willst Du aber nicht kommen, dann sage es." Jaroslaw hielt auch diese Boten zurück und antwortete nicht; diesmal aber traf er Anstalt, seine F r a u , Mstislaw Mstislawitschs Tochter, von dort hinwegzuführen. E r liess die nowgoroder Kaufleute auf den Landstrassen anhalten und behielt sie in Torshok. Da war, nach den Berichten des Chronisten, in Nowgorod grosser Kummer und Wehklagen. Unter diesen drückenden Verhältnissen erschien Mstislaw, um GrossNowgorod zu erlösen; er hatte ein von Jaroslaw entsandtes Corps von 100 Nowgorodern, die ihm den Weg nach der Stadt verlegen sollten, glücklich vermieden, — es war sogar zu ihm übergegangen. Am 11. Febr. 1216 traf der Kühne in Nowgorod ein, liess Jaroslaws Edelleute festnehmen und in Fesseln legen, erschien bei der Wetsche auf dem Hofe Jaroslaws, küsste Gross-Nowgorods Kreuz und sprach: „Entweder bringe ich die nowgoroder Männer wieder zurück und erobere die weggenommenen nowgoroder Bezirke, oder mein Haupt fällt für Gross-Nowgorod!" — „Auf Leben und Tod sind wir zu Deinem Dienst bereit!" antworteten die Nowgoroder. Vor allen Dingen sandte Mstislaw den Geistlichen Jurij von der Johanniskirche mit folgenden Worten zu Jaroslaw: „Mein Sohn, entlasse die nowgoroder Männer, entferne Dich aus Nowyj-Torg und meine Liebe soll mit Dir sein!" Jaroslaw entliess nicht nur den Geistlichen ohne ein Friedenswort, sondern liess auch, als ob er das Verlangen seines Schwieger-
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vaters beschimpfen wollte, die gefangenen Nowgoroder in Ketten schmieden und sandte sie in die Verbannung; ihre Waaren und ihr Besitzthum aber vertheilte er an seine Drushina. Die Zahl dieser Gefangenen giebt der Chronist auf 2000 an, übertreibt jedoch wahrscheinlich. Als das Gerücht davon Nowgorod erreichte, liess Mstislaw die Glocken läuten und berief das Volk zur Wetsche in Jaroslaws Hof. Dort sprach er: „Brüder, lasst uns gehen und unsere Männer, Eure Brüder, aufsuchen, lasst uns Eure Bezirke zurücknehmen; Nowyj-Torg soll kein Gross-Nowgorod werden, ebenso wenig als Nowgorod — Nowyj-Torg sein wird. Wo die heil. Sophie ist, — da ist Nowgorod. Gott und Recht sind im Grossen wie im Kleinen!" Die Nowgoroder waren nicht allein; durch Mstislaw aufgefordert, folgten ihnen die Pskowiter mit Mstislaws Bruder Wladimir, später schlössen sich auch noch die Smolensker mit Mstislaws Neffen Wladimir Rjurikowitsch an. Zum Glück für die Nowgoroder war nach Wssewolod Jurjewitschg Tode im Ssnsdaler Land selbst ein Zwist ausgebrochen, zwischen dessen älterem Sohn, Konstantin von Rostow und dem jüngeren, Jurij, dem der Vater, entgegen den Rechten des älteren Bruders, die Oberherrschaft im ssusdaler Lande vermacht hatte. Mstislaw verkündete, dass er durch Vertheidigung der Nowgoroder Sache, gleichzeitig auch für das Recht kämpfe und dass er das Recht des älteren Bruders im Ssusdaler Lande wieder herstellen wolle. Am 1. März brach das Kriegsheer auf, um über Seliger ins Feld zu ziehen; ein paar Tage später flüchteten einige vornehme Nowgoroder mit ihren Familien, denen die Entrüstung des Volks wohl böse mitgespielt haben würde, zu Jaroslaw. Als Mstislaw durch das Toröpezer Land zog, erlaubte er seinen Kriegern, Nahrung für sich und Futter für ihre Pferde zu requiriren, verbot aber aufs strengste, das Volk zu misshandeln. Swjätoslaw wollte seinem Bruder Jaroslaw zu Hilfe kommen, Mstislaw aber vertrieb ihn von Rshew. Auf seinem weiteren Zuge nahm Mstislaw Subzow ein, vereinigte sich am Flusse Wasusa mit den Smolenskern und sandte, am Flusse Cholochölnja lagernd, in seinem, der verbündeten Fürsten und Nowgorods Namen, eine Botschaft an Jaroslaw, Frieden und Sühne heischend. Jaroslaw antwortete: „Ich will keinen Frieden; seid Ihr ausgezogen, so kommt, — hundert der Unsern kommen auf Einen von Euch!" „Auf Deiner Seite, Jaroslaw, ist die Macht, — auf der unsren aber das Kreuz!" sprachen unter sich die verbündeten Fürsten. Die Nowgoroder riefen: „Auf, nach Torshok!" — „Nein, nicht nach Torshok, antwortete Mstislaw: ziehen wir nach Torshok, so verheeren wir unser eigen, nowgoroder Land; lasst uns lieber gegen Perejaslawl ziehen, dort finden wir noch einen dritten Freund." Die Nowgoroder wussten nicht, ob Jaroslaw sich in Twer oder in Torshok befinde; sie zogen nach Twer und begannen die Dörfer zu
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verheeren und zu verbrennen. Als Jaroslaw dies erfuhr, ging er nach Twer, da er aber hörte, dass seine Feinde weiter ins Ssusdaler Land gezogen seien, eilte er nach Perejaslawl. Mstislaw sandte den Bojar Jawold zu Konstantin von Rostow, um ihm Nachricht zu geben; er selbst aber mit den Nowgorodern zog in Schlitten auf dem Eise weiter. Unterwegs verbrannten sie die Städtchen Scheschja und Dubno, die Pskowiter und Smolensker aber nahmen die Stadt Kosnjatin ein. Ein Bote Konstantins brachte ihnen die Nachricht entgegen, dass dieser den Verbündeten 500 Mann Hilfstrnppen sende. Bald fing das Eis zu thauen an; sie Hessen die Schlitten im Stich, setzten sich zu Pferde und zogen nach Perejaslawl, nachdem sie erfahren hatten, dass Jaroslaw schon dort sei. An der Grenze, beim Flusse Ssara, stiess, am Sonnabend der Charwoche, den 9. April, Konstantin mit seinen Rostowern zu ihnen. Die Fürsten küssten das Kreuz, sandten die Pskowiter nach Rostow und näherten sich, nachdem sie das Osterfest miteinander gefeiert hatten, Perejaslawl. Jaroslaw war nicht mehr dort, er hatte sich zu seinem Bruder Jurij nach Wladimir begeben, wo beide eine grosse Wehrkraft zusammenzogen. Das ganze Ssusdaler Land bewaffnete sich; die Bauern wurden vom Felde hinweg in den Krieg getrieben. Den Ssusdalern schlössen sich die Muromer a n , sowohl die Städter, als auch die Vaganten (zusammengelaufene Banden aus den östlichen Steppen). „Der Sohn kämpfte gegen den Vater, der Bruder gegen den Bruder, der Sklave gegen seinen Herrn," berichtet der Chronist und deutet damit a n , dass im Ssusdaler Heer sich auch Leute aus Nowyj-Torg und sogar Nowgoroder befanden und dass unter den Nowgorodern, die gegen das Ssusdaler Land kämpften, auch Rostower mit ihrem FürsteD waren. Die versammelte Ssusdaler Heeresmacht schlug ihr Lager am Flusse Gsa auf; Mstislaw mit den Nowgorodern und Wladimir mit den Pskowitem hatten sich bei Jurjew aufgestellt, Konstantin mit den Rostowern stand am Flusse Lipiza. Mstislaw sandte den Hundertmann Larion (Hilarión) zu Jurij: „Wir grüssen Dich; von Dir haben wir keine Kränkung erfahren; — Jaroslaw ist's, der uns beleidigt hat!" Fürst Jurij antwortete: „Ich und mein Bruder Jaroslaw sind eins!" Darauf sandte Mstislaw denselben Larion mit folgenden Worten zu Jaroslaw: „Befreie meine Nowgoroder und die Männer von Nowyj-Torg, gieb die Bezirke und das Land zwischen den Flüssen, welche Du besetzt hast, zurück, schliesse Frieden mit uns und küsse das Kreuz, denn wir wollen kein Blut vergiessen." Jaroslaw antwortete: „Wir wollen keinen Frieden; Eure Männer bleiben bei mir; Ihr seid weit hergekommen; — nun aber seid Ihr wie die Fische auf dem Trockenen!" Die Nowgoroder vernahmen diese Botschaft, und Mstislaw sandte abermals zu den Fürsten und liess ihnen sagen: „Brüder Jurij und JaroK o s t o m a r o w - H e n c k e l , Rusa. Geschichte in Biogr.I.
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slaw! Wir Bind nicht gekommen, um Blut zu vergiessen, Gott verhüte, dass es soweit komme, sondern wir wollen uns mit einander vertragen, denn wir sind eines Stammes. Lasset uns Konstantin den Vorrang geben und ihn in Wladimir einsetzen, Euch aber soll das ganze Ssusdaler Land gehören." „Sage unsern Brüdern Mstislaw und.Wladimir," — antworteten Jaroslaw und J u r i j : — „gekommen seid Ihr wohl, wohin aber gedenkt Ihr eigentlich zu gehen ? Dem Bruder Konstantin sage: Ueberwinde uns, und das ganze Land wird Dein s e i n ! " Die selbstbewussten Ssusdaler Fürsten prahlten schon im Voraus mit ihren zukünftigen Siegen und veranstalteten mit den Bojaren ein Trinkgelage in ihrem Zelte. Einigen von den alten Bojaren machte der Umstand Sorge, dass auf Seiten des Gegners das durch alte Bräuche geheiligte Recht sei. Einer von ihnen, Tworimir, wandte sich an die Fürsten mit folgenden Worten: „Fürsten J u r i j und Jaroslaw! Das arme Volk ist Eurem Willen anheim gegeben; meine Meinung ist jedoch, es wäre besser, Ihr nähmet den Frieden an und gäbet Konstantin den Vorrang! Verlasst Euch nicht darauf, dass ihre Zahl geringer ist als die unsere, die Fürsten aus Rostislaws Stamm sind weise und tapfer, und ihre Mannen, die Nowgoroder und Smolensker sind kühn im Kampfe; von Mstislaw Mstislawitsch wisst Ihr aber selbst, dass er der Tapferste von Allen ist, überlegt also, Ihr Herren!" Den jungen Fürsten gefiel diese Rede nicht. Dagegen schmeichelten ihnen andere, jüngere Bojaren. Diese sprachen: „Fürst Jurij und Jaroslaw! Es ist noch nie dagewesen, weder bei Euren Vätern, noch bei Euren Grossvätern, dass Jemand ins starke Ssusdaler Land mit einem .Kriegsheer herein- und auch wieder heil herausgekommen wäre; auch wenn das ganze russische Land, die Galitscher, Kijewer, Smolensker, Tschernigower, Nowgoroder und Rjäsaner gegen uns wären, auch dann würden sie nichts gegen uns ausrichten; — was aber jene Rotten anbelangt, die decken wir mit unsern Sätteln zu." Solche Redensarten gefielen den Fürsten. Sie riefen ihre Bojaren und Anführer zusammen und hielten ihnen folgende R e d e : „Die Waare ist Euch selbst in die Hände gelaufen: Ihr könnt Rosse, Rüstungen, Kleider gewinnen; — wer aber einen Mann lebendig fängt, der soll selbst getödtet werden; auch einen solchen sollt Ihr erschlagen, dessen Schulterstück mit Gold gestickt ist, Ihr erhaltet von uns doppelten Lohn dafür! Wir wollen Niemand am Leben lassen; wer aber aus den Reihen entflieht und von uns gefangen wird, den lassen wir hängen und kreuzigen; fällt aber einer von den Fürsten in unsere Hände, den wolleD wir später richten." Nachdem Alle entlassen waren, kehrten die Fürsten in ihr Zelt zurück und fingen an, in der Ueberzeugung, dass ihnen der Sieg nicht entgehen
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könne, die Bezirke der Besiegten unter sich zu vertheilen. Jurij sprach : „ I c h , Bruder, nehme das Land Wladimir und Rostow; Du sollst Nowgorod haben, Smolensk aber soll unserm Bruder Sjwätoslaw gehören, und Kijew geben wir dem tschernigower Fürsten; Galitsch aber behalten wir selbst!" Der Chronist sagt, sie hätten sogar Schriftstücke darüber aufgesetzt und diese Schriftstücke seien nach ihrer Niederlage den Smolenskern in die Hände gefallen. Mstislaw stand mit den Nowgorodern, Pskowitern und Smolenskern immer noch in der Nähe von Jurjew. Er traute dem Fürsten von Rostow nicht recht. Obschon dieser gemeinsame Ziele mit den Nowgorodern verfolgte, gehörte er doch immerhin zu den Ssusdaler Fürsten; und hätten sich seine Brüder mit ihm verständigt, so wäre e r , falls der Krieg den Charakter eines Zweikampfs zwischen dem Ssusdaler und nowgoroder Lande angenommen hätte, doch vielleicht lieber auf ihre Seite getreten. Am Abend nach dem Gelage, welches bei den Ssusdaler Fürsten stattgefunden hatte, kam ein Bote von ihnen zu Mstislaw, mit der Aufforderung, den Kampf an der Lipiza zu beginnen. Der Krieg gewann den Anschein eines Zweikampfs; die Feinde stiessen an einer vorher bestimmten Stelle aufeinander. Mstislaw und dessen Verbündete luden sofort Konstantin zu sich ein, beriethen sich eingehend mit ihm und liessen ihn das Kreuz küssen. Er schwor, nicht zu seinen Brüdern überzugehen und seine Bundesgenossen nicht zu verrathen. Dann rückten die Nowgorod er in der Nacht an die Lipiza. Die Ssusdaler Regimenter traten gleichfalls ihren Marsch in der Nacht an; in Konstantins Lager wurden die Trompeten geblasen, und seine Krieger erhoben ein Kriegsgeschrei. Da entstand, wenn man dem nowgoroder Bericht Glauben schenken darf, bei den Ssusdalern eine Panik und selbst die Fürsten, welche eben erst die Landtheile der Besiegten im Voraus unter sich vertheilt hatten, wären fast geflohen. Bei Tagesanbruch schon befanden sich die Nowgoroder mit ihren Bundesgenossen an der Lipiza. Die Feinde, welche den Kampf an dieser Stelle, einer Ebene, bestimmt hatten, waren noch nicht da; sie zogen durch den Wald und postirten sich auf einem Berg, den man den Awdowsberg nannte. Dies veranlasste auch die Nowgoroder und ihre Verbündeten, die Lipiza zu verlassen und sich abseits, auf dem sogenannten Jurjewsberg, aufzustellen. Am Fusse desselben war ein Bach, Tuneg genannt, und auf der andern Seite des Thals befand sich der Awdowsberg, wo sich die Ssusdaler aufgestellt hatten. Eine Zeit lang standen die Feinde im Schein der Morgensonne einander gegenüber und beobachteten sich, ohne den Kampf zu beginnen. Mstislaw gab sich immer noch den Anschein, als ob er nur durch die äusserste Notwendigkeit gedrängt in den Kampf gezogen, dass Eigensinn und Unrecht der Ssusdaler Fürsten an Allem schuld sei und dass er jederzeit den Frieden vorziehen würde. Er sandte nochmals drei Männer an Jurij mit den Worten: 7*
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„Gieb Frieden! Willst Du aber den Frieden nicht, so komme in die Ebene hinab und wir werden Euch angreifen; oder wir ziehen uns an die Lipiza zurück und Ihr könnt uns angreifen!" Jurij antwortete: „Den Frieden nehme ich nicht an und werde nicht zurückweichen; Ihr seid durch unser Land gekommen, könnt Ihr da nicht auch durch dies Gestrüpp kommen?" Die Ssusdaler Fürsten hatten unten Pfähle eingeschlagen und Zäune flechten lassen; sie glaubten die Feinde würden sie in der Nacht überfallen. Als Mstislaws Jurijs Antwort erhielt, Hess er Freiwillige, tollkühne Burschen, welche den Kampf beginnen sollten, vortreten. Die tapfern Kämpen schlugen sich rastlos bis zum Abend; dann erhob sich ein heftiger Wind und es ward recht kalt. Mstislaws Krieger ärgerten sich, dass der Feind den entscheidenden Kampf vermied. Am andern Morgen entschlossen sich die Verbündeten nach Wladimir zu ziehen und fingen an aufzubrechen. Die Ssusdaler bemerkten die Geschäftigkeit im feindlichen Lager und eilten, mit der Absicht, den Nowgorodern und deren Verbündeten in den Rücken zu fallen, vom Berge herab; Jene jedoch wandten sich sofort wieder gegen sie. Da versammelten sich die Fürsten nochmals um Rath zu halten. Der rostower Fürst sprach: „Wenn wir an ihnen vorbeigehen, so fallen sie uns in den Rücken, meine Leute aber sind nicht kühn im Kampfe, sie werden auseinander laufen." Darauf erwiederte Mstislaw: „Brüder, der Berg kann uns weder helfen, noch besiegen; blickt auf die Kraft des heiligen Kreuzes und auf unser Recht; — lasst uns angreifen!" Von diesen Worten begeistert, stellten die verbündeten Fürsten ihre Truppen in Schlachtordnung auf. Als die Ssusdaler sahen; dass ihre Gegner nicht weiter rückten, stellten auch sie sich auf. Die Nowgoroder mit Mstislaw und die Pskowiter mit ihrem Fürsten nahmen die Mitte ein, an einem Ende standen die Smolensker, am andern die Rostower mit Konstantin. Bei diesem befanden sich die berühmten Helden Alexander Popowitsch mit seinem Diener Torop und Dobrynja Resanitsch mit dem Zunamen „der goldene Gürtel". Den Pskowitern gegenüber stellte sich Jaroslaw mit seinen Regimentern auf, in ihren Reihen waren die geflüchteten Einwohner Nowgorods und Nowyj-Torgs nebst den Städtern und Vaganten aus Murom. Gegenüber Mstislaw und den Nowgorodern stand das ganze Ssusdaler Land mit dem Fürsten Jurij, und gegenüber Konstantin und seinen Rostowern — dessen jüngere Brüder. Mstislaw ritt vor die Reihen der Nowgoroder und sprach: „Brüder, wir sind in ein mächtiges Land gekommen, — lasst uns auf Gott hinblicken und standhaft sein ; blickt Euch nicht um, wer flieht, wird nicht entrinnen! Brüder, wir müssen jetzt unsere Weiber, Kinder
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und Häuser vergessen; ziehet so zum Kampfe, wie Jeder am liebsten sterben möchte, der Eine zu Pferde, der Andere zu Fuss!" „Wir wollen nicht zu Rosse sterben, wir wollen, wie unsre Väter an der Kolokscha, zu Fuss kämpfen," sprachen die Nowgoroder. Sie warfen ihre Oberkleider a b , zogen die Stiefel aus und liefen barfuss und mit Geschrei vorwärts. Ihrem Beispiel folgten die Smolensker, welche aber, nachdem sie die Stiefel ausgezogen hatten, ihre Füsse umwickelten. Sie wurden von Iwor Michailowitsch befehligt; er war zu Pferde, damit ihn seine Krieger sehen konnten. Nach ihm kamen die Fürsten mit ihrer Drushina, gleichfalls zu Pferde. Von gegnerischer Seite stürmte Jaroslaws Fussvolk zuerst in den Kampf. Iwor ritt durch das Gestrüpp und sein Pferd strauchelte; das nowgoroder Fussvolk überholte ihn und kam mit dem Feind ins Handgemenge; Knüppel und Beile waren ihre Waffen; es erhob sich ein grässliches Geschrei. Die Ssusdaler flohen; die Nowgoroder schlagen Jaroslaws Banner entzwei. Darauf eilte Iwor mit den Smolenskern herbei; sie erreichten ein anderes Banner; die Fürsten mit der Drushina blieben zurück. Da rief Mstislaw, als er sah, dass seine tapferen Burschen sich zu weit vorgewagt hatten, und dass die feindliche Macht sie zu umzingeln und nieder zu werfen drohte: „Gott wolle verhüten, dass wir diese guten Leute verlassen!" Und er sprengte vorwärts, durch sein Fussvolk hindurch; die anderen Fürsten ihm nach. E& entstand ein fürchterliches Gemetzel, Jurij und Jaroslaw flohen und liessen ihre Fuhren im Stich. Vielleicht geschah es nur in der Hoffnung, dass die Gegner sich zur Plünderung verleiten lassen würden und dass sie sieb unterdessen umwenden und über sie herfallen könnten. Mstislaw aber rief: „Brüder aus Nowgorod, lasst die Fuhren stehen und schlagt den Feind, sonst kehrt er zurück und überwältigt uns." Die Nowgoroder gehorchten und kämpften tapfer weiter; die Smolensker aber liessen ab vom Kampf und begannen die Fuhren zu plündern. Mstislaw selbst ritt dreimal durch die feindlichen Reihen und schlug links und rechts mit dem Beil, welches mit einer Schnur an seiner Hand festgebunden w a r , Alles nieder. Alle stiebten auseinander; viele Ssusdaler waren unter den Beilhieben der Nowgoroder und Smolensker gefallen, viele waren während der Flucht ertrunken, viele Verwundete flüchteten nach Wladimir, Perejaslawl und Jurjew und starben dort. „So stand es," spricht der Chronist, „mit Jurijs und Jaroslaws Ruhm; ihr Prahlen war eitel gewesen und ihre starken Regimenter waren zu Staub geworden." Die Sieger erbeuteten 17 Banner Jurijs, 13 Banner Jaroslaws, gegen 100 Trompeten und Trommeln. 60 Mann waren gefangen; der getödteten Feinde zählte der Chronist 9203; beiden Nowgorodern und Smolenskern gab es nur 5 Todte; — diese Zahlen sind natürlich ersonnen. Unzweifelhaft aber ist, dass die Ssusdaler total aufs Haupt geschlagen waren. Diese wichtige Schlacht fand am Donnerstag, den 21. April 1216 statt.
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Vor allen anderen floh Jaroslaw; Jurij folgte ihm; er hatte drei Pferde zu Schanden gejagt und kam, ohne Sattel, am Mittag des gleichen Tages auf dem vierten in Wladimir barfuss und im blossen Hemde an. Es waren nur Pfaffen, Mönche, Weiber und Kinder in der Stadt zurückgeblieben, lauter unkriegerisches Volk. Als sie die Ihrigen sahen, freuten sie sich, weil sie glaubten, sie kämen als Sieger heim. Man hatten ihnen ja schon vorher versichert: die Unsern werden siegen. Aber Jurij kehrte nicht als Sieger heim; verstört ritt er um die Stadtmauer herum und rief: „Befestigt die Stadt." Da wurde aus der Fröhlichkeit ein Wehklagen. Gegen Abend, als die Flüchtlinge vom Unglücks-Schlachtfelde heimkehrten, nahm die Verwirrung zu, die Einen waren verwundet, die Anderen nackt und barfuss. Und dieser Rückzug dauerte die ganze Nacht hindurch. Am nächsten Morgen berief der Fürst eine Volksversammlung und sprach: „Brüder von Wladimir, wir wollen uns einschliessen und vertheidigen!" „Mit wem sollen wir uns einschliessen?" erwiederte man ihm, „unsre Brüder sind theils geschlagen, theils gefangen, und diejenigen, welche sich hierher geflüchtet haben, sind entwaffnet; — wer soll da kämpfen ?" „Ich weiss das Alles," sprach Jurij, nur um Eines bitte ich, liefert mich nicht aus, liefert mich weder an Mstislaw, noch an meinen Bruder Konstantin aus! Lieber will ich freiwillig die Stadt verlassen." Die Wladimirer versprachen es ihm. Am Sonntag, den 24. April, kamen die Verbündeten vor die Stadt und ritten um die Mauer herum. In der Nacht vom Sonntag auf Montag gerieth der Fürstenhof in Wladimir in Brand. Die Nowgoroder wollten die Stadt mit Sturm nehmen, Mstislaw aber liess es nicht zu; auch in der nächsten Nacht brach ein Feuer aus, die Smolensker wollten stürmen, Fürst Wladimir hielt sie jedoch zurück. Die Ursache dieser Brände, ob nur ein Zufall, ob Brandstiftung im Interesse der Belagerer, oder ob das Feuer über die Mauer geworfen war, — weiss man nicht. Nach dem zweiten Brande sandte Jurij den Fürsten seinen Gruss und liess ihnen sagen: „Thut mir heute nichts zu Leide, morgen verlasse ich die Stadt." Am nächsten Morgen erschien er mit seinen zwei jüngeren Brüdern vor Mstislaw und dessen Verbündeten und sprach: „Brüder, ich neige mich vor Euch bis zur E r d e ; lasst mir das Leben und gebt mir Brot zu essen; mit meinem Bruder Konstantin aber thut was Ihr wollt!" Jurij brachte den Fürsten Geschenke und diese versöhnten sich mit ihm. Mstislaw entschied folgendermassen: Konstantin soll Wladimir erhalten, Jurij aber gebe man Radilow-Gorodez. Sofort wurden Kähne in Bereitschaft gesetzt. Fürst Jurijs Drushina setzte sich hinein; einer von den Kähnen war für den Fürsten und seine Frau bestimmt. Jurij betete zum letzten Mal in der Mutter-Gottes-Kirche, beugte sich vor dem Grabe seines Vaters und sprach: „Gott möge meinen
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Bruder Jaroslaw dafür richten, — er war es, der mich soweit gebracht hat." Der Wladyka ging mit ihm. Konstantin zog jetzt in Wladimir ein. Die Bürger gingen ihm mit Heiligenbildern entgegen und küssten das Kreuz als Zeichen der Treue. Er beschenkte seine Verbündeten, die Nowgoroder, Pskowiter und Smolensker freigebig. Der eigensinnige und hartherzige Jaroslaw flüchtete vom Schlachtfelde mit solcher Eile, dass er vier Pferde todtjagte und erst auf dem fünften in die Stadt kam. Er war so zornig, dass er alle Nowgoroder und Smolensker, die sich in Handels- oder andern Angelegenheiten in der Stadt befanden, in Ketten legen liess. Die Nowgoroder wurden in Keller und enge Kammern geworfen, es waren ihrer gegen anderthalb Hundert und viele davon erstickten; fünfzehn Mann Smolensker wurden abgesondert gefangen gehalten, — sie blieben alle am Leben. Mstisiaw mit seinen Verbündeten kam am 3. Mai vor Perejaslawl an. Neben ihm befand sich Konstantin mit seinem Regiment. Noch bevor sie Perejaslawl erreicht hatten, kam Jaroslaw ihnen aus freien Stücken entgegen und sprach zu seinem Bruder Konstantin: ,,Bruder und Herr, ich bin Deiner Gewalt, liefere mich nicht in die Hände meines Schwiegervaters Mstisiaw, noch an Wladimir aus, sondern speise mich selbst mit Brot. Konstantin hatte die Absicht, Mstisiaw mit Jaroslaw zu versöhnen. Dieser sandte den Fürsten und den Nowgorodern reiche Geschenke; Mstisiaw aber ging nicht in die Stadt, er wollte Jaroslaw nicht sehen, forderte aber Jaroslaws Frau, seine Tochter, zu sich und verlangte, dass alle gefangenen Nowgoroder, soviel ihrer noch am Leben seien, sofort in Freiheit gesetzt und zu ihm gesandt würden. Des Siegers Forderung wurde erfüllt. Vergebens aber war es, dass Jaroslaw sich flehend an Mstisiaw wandte und ihn bat, ihm seine Frau zurückzugeben. Er gestand selbst: „Es war in der That das Kreuz, was mich erschlug." Mstisiaw aber blieb unerbittlich und reiste mit seiner Tochter nach Nowgorod ab. Durch diesen siegreichen Krieg erhöhte Mstisiaw Nowgorods moralische Bedeutung und bewies, dass man nicht ungestraft dessen Rechte und Selbstständigkeit antasten dürfe; gleichzeitig aber stellte er mit seinen Nowgorodern Ordnung im Lande Ssusdal her, wie er es früher schon in Kijew gethan hatte. Kein einziger unter den Fürsten hat soviel für Nowgorod gethan, wie Mstisiaw der Kühne; die Nowgoroder wussten jedoch wenig Vortheil aus seiner Thätigkeit zu ziehen, wie folgende Geschichte beweist. Im nächsten Jahre ging Mstisiaw, der seine Frau und seinen Sohn in Nowgorod gelassen hatte, mit den nowgoroder Bojaren nach Kijew, vielleicht um einen Feldzug nach Galitsch vorzubereiten. Nach seiner Rückkehr aus Kijew nahm er Stanimir und dessen Sohn gefangen. Wahr-
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scheinlich war die Ssusdaler Partei neu erwacht und begann Ränke gegen Mstislaw zu schmieden. Stanimir wurde indess bald wieder frei gelassen. Aehnliches geschah dann auch in Torshok, wo Mstislaws Sohn, Wassilij, gefangen war. Mstislaw liess Borislaw Nerukischinitsch dort gefangen setzen, verzieh ihm jedoch wieder und gab ihn frei. Diese Vorkommnisse bewiesen, dass auch Mstislaw, trotz Allem, was er für Nowgorod gethan hatte, nicht hoffen durfte, stets in gutem Einvernehmen mit Allen zu bleiben; er hatte Feinde daselbst. In dieser Zeit starb sein Sohn Wassilij in Torshok; man brachte dessen Leiche nach Nowgorod und beerdigte sie in der Sophienkirche, nahe bei dem Grabe seines Grossvaters. Nachdem die Trauer um seinen Sohn vorüber war, trat der Kühne vor die Volksversammlung und sprach: „Ich verneige mich vor der heiligen Sophie, vor dem Grabe meines Vaters und vor Euch. Ich will mich nach Galitsch umsehen, Euch aber werde ich nicht vergessen. Gott gebe mir ein Grab neben dem meines Vaters, bei der heiligen Sophie!" Die Nowgoroder redeten ihm zu, bei ihnen zu bleiben, — es war umsonst. Mstislaw zog fort — für immer. Es ward ihm nicht beschieden, bei der heiligen Sophie zu ruhen. Das von Mstislaw verlassene Galitsch befand sich jetzt in den Händen der Ungarn. Der Königssohn Koloman war wieder eingesetzt worden, und als ersten Feldherrn hatte man den Ban Filnij ernannt, der in unsern Chroniken „Filja der Hoffärtige" genannt wird. Mit grosser Verachtung blickte er auf die Russen herab, verglich sie mit irdenen Töpfen, sich aber nannte er einen Stein und pflegte zu sagen: „Ein Stein kann viele Töpfe zerschlagen." Noch eine andere Redensart hatte e r : „Ein scharfes Schwert, ein muthiges Pferd — ist viele Russen werth." Sein Hochmuth hatte die Galitscher gegen ihn aufgebracht, und er konnte ihnen nicht mehr trauen. Jetzt hatte Mstislaw der Kühne die Polowzer geworben und zog mit ihnen gegen Galitsch (1218). Mit ihm befand sich Wladimir Rjurikowitsch, der ihm vor Kurzem im Kampfe gegen das Ssusdaler Land beigestanden hatte. Als Filnij das Herannahen seiner Feinde vernahm, befestigte er Galitsch und verwandelte die Kirche zur Mutter Gottes, im Innern der Stadt, in eine Festung, was die Rassen, die darin eine Entweihung ihres Heiligthums erblickten, nur noch mehr gegen ihn aufreizte. Die Polen waren auf Seite der Ungarn. Noch bevor Mstislaw die Stadt erreicht hatte, zog ihm Filnij mit dem galitscher Bojaren Ssudislaw und Anderen entgegen. Die Polen bildeten die rechte Flanke seines Heeres; die Galitscher und Ungarn die linke. Auch das russische Kriegsheer war in zwei Hälften getheilt; die eine wurde von Mstislaw, die andere von Wladimir befehligt; die Polozwer blieben im Hinterhalt, um den Feind, wenn die Russen mit ihm im Handgemenge sein würden, zu überfallen. Mstislaw bemerkte, dass die Polen ziemlich entfernt von den Ungarn aufgestellt waren; er überlegte, was er am besten thun könne, trennte sich
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dann plötzlich von Wladimir und zog sich auf eine Anhöhe zurück; dort ermuthigte er sein Heer im Namen des heiligen Kreuzes. Wladimir murrte sehr über den Rückzug Mstislaws und sagte, er bringe das ganze russische Heer ins Verderben. Die Polen warfen sich nun mit grosser Wucht auf Wladimir, schlugen ihn die Flucht und verfolgten ihn so lange, bis sie das ungarische Heer aus den Augen verloren. Nun aber warf sich Mstislaw mit den Polowzern auf die Ungarn. Es entstand ein grässliches Gemetzel, und die Ungarn wurden von den Russen besiegt. Filnij selbst ward gefangen; alle seine Ungarn hatten den Muth verloren. Die Polen, welche Wladimir in die Flucht geschlagen hatten, kehrten mit vielen Gefangenen und mit Beute beladen zurück und sangen Siegeslieder; sie wussten nicht, was unterdessen mit ihren Verbündeten geschehen war. Da stiessen sie plötzlich mit den Siegern zusammen, und von der andern Seite warfen sich die geflüchteten Russen auf sie; — die Polen erlitten eine vollständige Niederlage. Die Polowzer machten Gefangene, stürzten sich habgierig auf Rosse, Waffen und Kleider; die Russen aber, auf Mstislaws Befehl, Hessen die Beute liegen und tödteten die Feinde schonungslos. Das Geschrei und Gestöhn derer, welche getödtet wurden, war in Galitsch zu hören. Ueberall auf dem Felde lagen Leichen umher, die von Niemand begraben wurden; das Wasser im Flusse war vom Blut geröthet. Mstislaw mit dem gefangenen Filnij forderte Galitsch zur Uebergabe auf und versprach bedingungslose Schonung. Filnij selbst gab den Galitschern den Rath, sich zu unterwerfen, da eine Aussicht auf Sieg vollständig ausgeschlossen sei. Mstislaw forderte dreimal zur Unterwerfung auf. Aber die in Galitsch befindlichen Ungarn sträubten sich und trieben sogar die Galitscher mit ihren Weibern und Kindern aus der Stadt hinaus, theils aus Furcht vor Verrath, theils auch, um sie während der Belagerung nicht ernähren zu müssen. Darauf erklärte Mstislaw, dass er den Belagerten nun keine Schonung mehr angedeihen lassen würde. Die Ungarn waren in ihrem Selbstvertrauen so fahrlässig, dass sie ihre Aufmerksamkeit nur auf eines von den Thoren gerichtet hatten; unterdessen aber machten die Russen einen unterirdischen Gang, drangen in die Stadt, schlugen die Ungarn, welche vor Ueberraschung ganz verblüfft waren, vom Thore zurück und öffneten es dem Mstislaw. In früher Morgenstunde zog Mstislaw in Galitsch ein. Koloman nebst seiner Frau und die vornehmsten Ungarn mit ihren Frauen hatten sich in der Mutter-Gottes-Kirche eingeschlossen. Mstislaw forderte die Uebergabe derselben. Die Ungarn wollten nichts davon hören, obschon der Durst sie bereits zu peinigen begann. Mstislaw selbst sandte ein Gefäss mit frischem Wasser an Koloman. Die Ungarn dankten für diese Grossmuth, theilten das Wasser fast tropfenweise unter sich, ohne sich indess zu unterwerfen. Endlich, als auch der Hunger sie zu quälen anfing, öffneten sie die Kirchenthür und baten um ihr Leben. Die ungarischen
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Barone mit ihren Frauen und einigen Polen wurden von den Polowzern und Küssen gefangen genommen. Koloman selbst und seine Frau sandte Mstislaw nach Tortschesk. Das Galitscher Land erkannte mit Frohlocken den Sieger als seinen Fürsten an und die der Schlacht entronnenen Ungarn wurden noch vollends vom Landvolk getödtet. Die Galitscher priesen Mstislaw als ihr „ L i c h t " , nannten ihn einen „kühnen Falken", sagten, Gott habe ihm selbst das Schwert anvertraut, um die übermüthigen Fremdlinge zu bändigen. Die Bojaren, welche zur Partei der Ungarn gehört hatten, gaben sich der Gnade des Siegers anheim. Ihr Anführer Ssudislaw kam zu Mstislaw, umfasste seine Kniee und bat um Barmherzigkeit. Mstislaw verzieh ihm nicht nur, sondern gab ihm sogar Swenigorod in Verwaltung. Danilo mit seiner Leibwache kam zu seinem Schwiegervater und beglückwünschte ihn. Sie zechten und frohlockten, und das ganze galitscher Land freute sich mit ihnen. Als der ungarische König Andreas das Unglück seines Sohnes vernahm, sandte er eine Aufforderung an Mstislaw, den Gefangenen zu entlassen, widrigenfalls er ein mächtiges Kriegsheer gegen ihn aussenden würde. Mstislaw aber war durch Drohungen nicht einzuschüchtern; er antwortete, der Sieg stünde in Gottes Hand und er, Mstislaw, sei bereit, mit Gottes Hilfe der feindlichen Macht entgegenzutreten. Nach und nach stimmte der König seinen hochmüthigen Ton herab, seine Gemahlin flehte Mstislaw durch eine besondere Gesandtschaft an, sich ihrer zu erbarmen und ihr den Sohn zurückzugeben. Die Bojaren hatten bald die schwachen Seiten von Mstislaws Charakter herausgefunden; sie machten ihren Einfluss geltend und suchten ihn auf jede Weise zum Frieden mit dem ungarischen König zu bewegen. Bei all' seiner Tapferkeit und seinem kriegerischen Sinn war Mstislaw doch stets dem Frieden geneigt und entschloss sich nur dann, Krieg zu führen, wenn sein Gegner die Forderungen nicht annahm, die er selbBt, als der Gerechtigkeit entsprechend, anerkannt hatte. Im Jahre 1221 schloss Mstislaw nicht nur Frieden mit den Ungarn und Polen, sondern sogar einen Freundschaftsbund mit dem ungarischen König; er verlobte seine Tochter Marie mit dessen Sohn Andreas und gab dem künftigen Schwiegersohn Peremyschl. Zwei Jahre später berief das Schicksal Mstislaw zu einer anderen Heldenthat. Während die russischen Fürsten und deren Drushinen ihre Kräfte in Bürgerkriegen vergeudeten, fanden im unbekannten Osten grosse Umwälzungen statt. An der nördlichen Grenze des chinesischen Reichs hatte sich Chan Temutschin, Beherrscher der Mongolen, eines Volkes, das früher den Niutsch-Tataren unterworfen gewesen war, zum Beherrscher von zahlreichen Tatarenstämmen aufgeworfen, hatte einen Theil des chinesischen Reichs zerstört Und Peking erobert; dann wandte er sich nach Westen, eroberte das mächtige und blühende Reich der Charaser-Turken 1 ), verheerte ') Buchara, Samarkand, Herat, Balk, Chiwa u. s. w.
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es und legte den Grund zu dem grössten Reich, welches jemals in Asien existirt hatte. Er beherrschte die unermesslichen Gebiete vom Amur bis zur Wolga, war Gebieter über viele Völker, die ihm Heerfolge leisten mussten und wurde Tschingis-Chan, d. i. Grosser Chan genannt. Seine Eroberungen erstreckten sich bis zu den Polowzern. Die Tataren stiessen am östlichen Ufer des Kaspischen Meeres mit den Polowzern zusammen und hier war es, wo die Polowzer mit den Alanen (den Bewohnern Dagesthans) gemeinschaftlich hausten. Um die Polowzer von diesem Bündniss zu trennen, fing der Feldherr des von Tschingis-Chan ausgesandten Heeres an, sich auf hinterlistige Weise mit den Polowzern zu befreunden, und versicherte ihnen, dass die Tataren, welche gleicher Abstammung mit ihnen seien, nicht die Absicht hätten, feindselig gegen sie aufzutreten. Die Polowzer glaubten ihnen und trennten sich von den Alanen; nachdem aber die Mongolen die Alanen besiegt hatten, unterjochten sie auch die Polowzer. Die polowzer Fürsten Jurij Kontschakowitsch und Danilo Kobjakowitsch, welche beide bereits Christen waren, wurden getödtet, und ihre Genossen von den Tataren bis an den polowzer Wall verfolgt, welcher die Grenze zwischen dem polowzer und dem russischen Lande bildete. Chan Kotjan, der Schwiegervater Mstislaws des Kühnen, eilte nach Galitsch zu seinem Schwiegersohn, mit der schrecklichen Nachricht, dass ein. unermessliches Heer unbekannter Eroberer von Osten heranrücke: „Heute haben sie unser Land erobert, morgen kommt das Eurige aü die Reihe", sprach er. Mstislaw sandte an alle russische Fürsten Boten und berief sie zur Berathung einer gemeinsamen Angelegenheit nach Kijew. Es erschienen viele Fürsten daselbst, unter anderen Mstislaw Romanowitsch von Kijew, Mstislaw der Kühne von Galitsch, Mstislaw von Tschernigow, Daniel Romanowitsch von Wolhynien, Michael Wssewolodowitsch, die Söhne Wssewolods des Rothen. Nur Jurij von Ssusdal fehlte unter ihnen. Chan Kotjan beschenkte die russischen Fürsten reichlich mit Pferden, Kameelen, Büffeln und Sklavinnen, und ein anderer polowzer Chan, Bastyj, liess sich taufen. Mstislaw der Kühne bat die russischen Fürsten dringend, die Polowzer zu unterstützen. „Helfen wir ihnen nicht," sprach er, „so vereinigen sie sich mit ihren Feinden, und deren Macht wird noch grösser." Nach langen Berathungen fassten die Fürsten den Beschluss, den Feldzug gemeinschaftlich zu beginnen. „ E s ist besser, dem Feind im fremden Lande entgegen zu kommen, als ihn im eigenen Lande zu erwarten," sprachen die Russen. Als Vereinigungspunkt wurde eine Insel des Dnjepr, die WarägerInsel (wahrscheinlich Chortiza), bestimmt. Dorthin strömten die Kijewer, die Tschernigower, Smolensker, Galitscher und Wolhynier mit ihren Fürsten. Der ganze Dnjepr war von ihren Böten bedeckt. Aus Kursk, Trubtschewsk, Putiwl kamen die Fürsten mit ihren Drushinen zu Pferde,
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und 1000 Galitscher mit ihren Feldherrn Jurij Domashiritsch und Derghikraj Wolodislawitsch fuhren den Dnjestr herab ins Meer, um von dort aus in den Dnjepr zu gelangen, wo sie am Flusse Chortiza Halt machten. Beim Sarub (einer Kriegsbefestigung) erschienen die Abgesandten der Tataren und brachten den russischen Fürsten folgende Botschaft: „Wir haben vernommen, dass Ihr, auf Anrathen der Polowzer gegen uns zu Felde zieht, wir aber haben weder Eure Städte noch Eure Dörfer angetastet; nicht gegen Euch sind wir ausgezogen, sondern gegen unsre Sklaven und Stallknechte, die Polowzer. Haltet Frieden mit uns, und wenn die Polowzer zu Euch kommen, so jagt sie davon und nehmet ihr Land in Besitz, wir wissen, dass sie Euch viel Böses gethan haben; auch dafür bekämpfen wir sie." Aber die Fürsten, anstatt ihnen Antwort zu geben, tödteten die Boten. Sie thaten es wahrscheinlich deshalb, weil die Polowzer ihnen gesagt hatten, wie hinterlistig sie betrogen worden seien, indem die Tataren ihnen zuerst Freundschaft anboten, um ßie mit den Alanen zu entzweien, und sie dann selbst überfielen. Diese Coalition fand im April 1224 statt. Als Alle beisammen waren, zog das ganze Heer den Dnjepr hinab und bezog vor Oleschje ein Lager. Hier kamen wieder tatarische Botschafter zu ihnen und sprachen: „Ihr habt den Polowzern Glauben geschenkt und unsere Boten erschlagen; jetzt wollt Ihr uns angreifen; kommt nur, wir haben Euch nichts gethan, Gott ist über uns Allen." Diesmal wurden die Boten unversehrt entlassen. Die Vorhut der Tataren begann am Dnjepr zu erscheinen. Mstislaw der Kühne überschritt den Dnjepr mit 1000 Mann; es befanden sich bei ihm Danilo Romanowitsch, Mstislaw der Stumme, Oleg von Kursk und andere junge Fürsten. Sie schlugen und zerstreuten die tatarische Vorhut. Die Flüchtlinge versteckten ihren Feldherrn Hemebeg in die Höhlung eines polowzer Grabhügels. Dort fanden ihn die Polowzer und erhielten von Mstislaw die Erlaubniss, ihn zu erschlagen. Mstislaw zog weiter. Unterdessen stritt man im Lager der Russen am Dnjepr, was diese Feinde eigentlich wohl sein möchten. Jurij Domashiritsch sagte, es sind ausgezeichnete Schützen und vorzügliche Krieger. Andere aber entgegneten ihm: Nein, es ist ein gemeines Volk, schlechter noch als die Polowzer. Die jungen Fürsten eiferten die alten an, vorwärts zu ziehen: „Mstislaw, und Du, der andere Mstislaw, lasst uns sie angreifen!" Am Dienstag, den 21. Mai, brachen die Russen ihr Lager ab und gingen in die Steppe. Sie stiessen bald auf ein tatarisches Corps. Die russischen Schützen trieben es auseinander und erbeuteten viel Vieh. Nach acht Tagen erreichten sie den Fluss Kalka, und hier trafen sie abermals mit einem Corps Tataren zusammen, das sich nach kurzem Kampf zurückzog. Mstislaw der Kühne, welcher den übrigen Fürsten vorangeeilt war,.
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befahl dem Danilo die Kalka zu überschreiten und folgte ihm dann mit der Nachhut. Plötzlich sahen sie die tatarischen Heerhaufen vor sich. „Macht Euch bereit!" rief Mstislaw. Die Russen begannen den Kampf. Der 23jährige Danilo stürzte voran und ward in der Brust verwundet, kämpfte aber, ohne darauf zu achten, weiter. Ebenso tapfer schlugen sich Mstislaw der Stumme und Oleg von Kursk. Sie konnten jedoch der tatarischen Uebermacht nicht widerstehen. Danilo wandte sein Ross um, andere folgten ihm, sogar Mstislaw der Kühne flüchtete — zum ersten Mal in seinem Leben. Unterdessen hatten die übrigen russischen Fürsten die Kalka überschritten, ein Lager bezogen und sandten Jarun mit den Polowzern voraus. Die Tataren warfen sich ungestüm auf die Polowzer, diese wandten sich zur Flucht und brachten das russische Lager in Verwirrung. Die Russen hatten noch nicht Zeit gehabt, sich zu bewaffnen, da begann schon das fürchterliche Gemetzel, und die durch die Flucht der Polowzer in Unordnung gerathenen Russen mussten weichen. Während der allgemeinen Flucht der Russen hatte sich nur Mstislaw Romanowitsch allein nicht vom Flecke gerührt. Er stellte sich mit seinem Schwiegersohn Andreas und dem dubrowizer Fürsten Alexander auf das hohe, felsige Ufer der Kalka; ein grosser Theil der Tataren verfolgte die Flüchtlinge, aber ein einzelnes Streifcorps umzingelte die drei tapferen Fürsten, welche sich durch Pfähle geschützt hatten. Sie wehrten sich drei Tage und drei Nächte hindurch, sodass es den Tataren schwer fiel, sie durch Gewalt zu überwältigen; sie nahmen daher zur Hinterlist ihre Zuflucht. Ein gewisser Ploskynja, welcher das Streifcorps befehligte, überredete die Fürsten, sich gegen ein Lösegeld zu ergeben. Zur Betheuerung, dass man sie nicht tödten würde, küsste er das Kreuz. Die Fürsten glaubten ihm und traten hervor; Ploskynja aber liess sie binden und überlieferte sie den Tataren. Diese, nachdem sie die Befestigung genommen hatten, tödteten alle daselbst befindlichen Russen, die gebundenen Fürsten aber deckten sie mit Brettern zu, setzten sich darauf, und hielten ihre Mahlzeit. Auf diese Weise mussten die unglücklichen Fürsten umkommen. Die Tataren jagten den Flüchtlingen bis hart an den Dnjepr nach und tödteten unterwegs sechs Fürsten, unter ihnen auch Mstislaw von Tschernigow. Mstislaw der Kühne entrann den Nachsetzenden, zerstörte, als er den Dnjepr erreicht hatte, die daselbst befindlichen Kähne durch Feuer und liess sie den Fluss hinabtreiben, um die Tataren zu verhindern, den Fluss zu überschreiten. Er selbst, mit dem Rest der Geschlagenen, kehrte nach Galitsch zurück 1 ). *) Der Chronist stellt Mstislaw gleichsam als den Urheber des Unglücks der Hussen an der Kalka hin; er spricht, dass er aus Neid den beiden Mstislaws nichts von den Tataren gesagt habe, als Daniel mit ihnen kämpfte; aber man kann wohl kaum diese Beschuldigung gelten lassen. Abgesehen davon, dass ein solcher Zug dem Charakter
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Diese Niederlage der Fürsten brachte eine fürchterliche Panik in Russland hervor; dieselbe wurde noch verstärkt durch das plötzliche Erscheinen des unbekannten Feindes. Der Eindruck, welchen dies Ereigniss auf die Geister ausübte, ist deutlich in folgenden Worten des Chronisten ausgeprägt: „Es kamen unbekannte Völker', von denen Niemand recht weiss, wer sie sind, woher sie kommen und was für eine Sprache sie reden; von was für einem Stamm sie sind und was für einen Glauben sie haben. Einige sagen, sie heissen Tataren, Andere nennen sie Taurmenen, noch andere Petschenegen. Die Schriftgelehrten erklären, es seien dies dieselben Völker, von denen Methodius von Patarsk sagt, Gideon habe sie vor Zeiten in die Wüste Jethra, zwischen Osten und Norden, getrieben, von dannen sie ausgehen sollen vor der Welt Ende und viele Länder unterwerfen." Nach dem Unglück, welches Mstislaw an der Kalka betroffen, war seine Lage in Galitsch nicht mehr haltbar. Die Bojaren liebten ihn nicht und schmiedeten Bänke gegen ihn, und er selbst, in seiner Einfalt, ward nicht selten ein Opfer dieser Ränke. Im folgenden Jahr, 1225, hätte er sich fast mit seinem Schwiegersohn Danilo entzweit. Fürst Alexander von Belsk, ein arglistiger Mann, der Danilo hasste, hinterbrachte dem Mstislaw, dass Danilo ihn tödten wolle und dass er die Lechen auf ihn hetze. Der aufbrausende Mstislaw glaubte dem Verleumder, und es kam zum Kriege. Aus Rache gegen Alexander verwüstete Danilo das belsker Land und schlug ein Corps von Mstislaws Truppen, welches dieser Alexander zu Hilfe gesandt hatte. Der erzürnte Mstislaw war schon im Begriff den polowzer Chan Kotjan kommen zu lassen, da wurde glücklicherweise die Verleumdung offenbar. Der von Alexander an Mstislaw abgesandte Bote Jan log ihn so ungeschickt an, dass dieser den Betrug erkannte. Schwiegervater und Schwiegersohn versöhnten sich und Mstislaw schenkte Danilo, als Zeichen seiner Freundschaft, einen seltenen Hengst und beschenkte auch Danilos F r a u , seine Tochter Anna. Seit dieser Zeit entzweiten sie sich nicht mehr. In Galitsch aber wollten die Unruhen nicht aufhören. Im Jahre 1226 machte ein Bojar, Namens Shiroslaw, seinen Genossen, den andern Bojaren, weiss, dass Mstislaw seinen Schwiegervater Chotjan aufgefordert habe, die Mstislaws, soweit er uns aus seinen früheren Thaten bekannt ist, gar nicht entsprach — war auch der Gang der Ereignisse ein derartiger, dass Mstislaws Handlungsweise an jenem Tag leicht durch andere Beweggründe erklärt werden kann. Mstislaw, der den übrigen Fürsten Toraneilte, war seit einigen Tagen nicht mehr in Berührung mit ihnen. Als er die Kalka überschritten hatte, sah er unerwartet die Tatarenhorden vor sich; er war also plötzlich genöthigt, den Kampf aufzunehmen, und sein Corps war so schwach an Zahl, dass er, bevor er noch den anderen Fürsten Nachricht geben konnte, auf seine eigene Rettung bedacht sein musste. Richtiger wäre es gewesen, Mstislaw wegen seiner nutzlosen Kühnheit und Unüberlegtheit einen Vorwurf zu machen, mit denen er, ein erfahrener Mann, mit der hitzigen Jugend Toraneilte, ohne zu überlegen, dass er plötzlich auf die feindliche Hauptmacht stossen könne, die seiner Macht doch weit überlegen war.
VI. Fürst Mstislaw der Kühne.
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Bojaren zu tödten. Diese glaubten es auch und flohen in die karpathischen Berge, von wo aus sie Mstislaw mittheilten, was ihnen Shiroslaw gesagt hatte. Mstislaw sandte einen Geistlichen, Namens Timotheus, zu ihnen. Dieser schwor, dass der Fürst nichts Böses gegen sie im Schilde führe und dass er, Thimotheus, nie dergleichen vernommen habe. Er überredete die Bojaren, zu Mstislaw zurückzukehren. Mstislaw entlarvte Shiroslaw vor ihnen und jagte ihn davon. Endlich gelang es den Bojaren dennoch, Mstislaw aus Galitsch zu verdrängen. Der Königssohn Andreas, mit dem Mstislaw seine Tochter verlobt und dem er Peremyschl gegeben hatte, flüchtete, auf Anrathen des Bojaren Ssemjunka, zu seinem Vater und stachelte ihn auf, Galitsch dem Mstislaw wegzunehmen. Die Bojaren ihrerseits stellten dem König vor, dass sie nicht Mstislaw, sondern Andreas haben möchten. Der König zog also mit seinem Heer ins galitscher Land und die Polen mit ihrem Feldherrn Pakoslaw halfen ihm. Als der König Peremyschl und Swenigorod eingenommen hatte, getraute er sich nicht, gegen Galitsch zu ziehen; die Wahrsager hatten ihm verkündet, dass er sterben müsse, wenn er Galitsch sehen würde. Er begnügte sich also, Galitschs Vorstädte wegzunehmen. Es gelang ihm, Terebowl und Tichomlja zu erobern, vor Kremenez jedoch wurde er abgewiesen und musste nach Swenigorod zurückkehren. Hier trat ihm Mstislaw entgegen; der Kampf entbrannte, der König ward geschlagen und floh eiligst nach Hause. Mstislaw überzeugte sich, dass er mit den Bojaren nicht in Frieden leben könne, er wollte daher Galitsch Danilo überlassen; die Bojaren Ssudislaw und Gljeb Seremejewitsch aber, welche damals die Hauptrolle spielten, hielten ihn davon ab. „Weder Dich noch Danilo wollen die Bojaren haben, — sprachen sie, — verheirathe Deine Tochter an den Königssohn Andreas, mit dem sie verlobt ist, und setze ihn in Galitsch ein; Du kannst es ihm ja jederzeit, wenn Du willst, wieder abnehmen; giebst Du aber Galitsch an Danilo, so bekommst Du es in Ewigkeit nicht wieder." Mstislaw, der jederzeit den Willen des Landes achtete, that, was diese Leute, welche zu jener Zeit, ihrer Macht zufolge, als die Vertreter des Landes betrachtet werden konnten, ihm anriethen. Er gab dem Andreas seine Tochter und mit ihr auch Galitsch, behielt aber Ponisje (Podolien) und ging nach Tortschesk. Bald jedoch bereute er seine Vertrauensseligkeit, denn Danilo wurde nur von den Bojaren gehasst, das gemeine Volk von Galitsch aber wünschte ihn zum Fürsten. Als Mstislaw sich davon überzeugt hatte, sandte er durch Demjan, einen Boten Danilos, folgende Botschaft an diesen: „Mein Sohn, ich habe gesündigt, indem ich Dir Galitsch vorenthielt." Gljeb Seremejewitsch bot Alles auf, um eine Zusammenkunft Mstislaws mit Danilo, der diesem Land, Haus und Kinder übergeben wollte, zu verhindern. Im folgenden Jahre (1228) starb Mstislaw; er fuhr aus Tortschesk nach Kijew, erkrankte unterwegs und, nachdem er sich nach damaliger»
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VII. Fürst Danilo Romanowitsch von Galitsch.
frommer Fürstensitte als Mönch hatte einkleiden lassen, gab er seinen Geist auf. Ein polnischer Historiker berichtet, dass er in der Kirche zum heiligen Kreuz in Kijew, die er selbst gebaut hatte, beerdigt sei 1 ).
VII. Fürst Danilo Romanowitsch von Galitsch. Im XIII. Jahrhundert drehten sich längere Zeit hindurch alle historischen Ereignisse im südwestlichen Russland um die Persönlichkeit Danilos von Galitsch. Um die Bedeutung dieses Pürsten für sein Zeitalter begreifen zu können, ist es nothwendig, einen Rückblick auf die vorhergegangenen Ereignisse in diesem Lande zu werfen. Das südwestliche Russland, das Galitscherland (Galizien), befand sich, sowohl was seine inneren Lebensformen, als auch was seine äusseren Beziehungen anbelangt, in einem solchen Zustand, dass das Band, welches es mit dem übrigen Russland vereinigte, sich immer mehr lockerte. Obschon das Bewusstsein der Volksverwandtschaft mit dem Letzteren auch hier nicht ganz erloschen war, hatte die Geschichte beiden doch zwei von einander getrennte Wege vorgezeichnet; schon im XII. Jahrhundert ist dies wahrnehmbar. Bis zum Jahre 1188 befand sich das Galitscherland im Besitze des Geschlechts von Rostislaw Wladimirowitsch (Jaroslaws I. Enkel). Wolodar, Rostislaws Sohn, wurde nach dem Tode des unglücklichen Wassilko alleiniger Fürst und hinterliess (1141) die Herrschaft seinem Sohn Wladimir, den man gewöhnlich Wladimirko nannte. Ihm folgte sein Sohn Jaroslaw, der im Liede vom Heere Igors „Osmomysl" (der Kluge, Weise, Schlaue) genannt wird. In einer einzigen Hand vereinigt, war das Land Galitsch lange Zeit hindurch von inneren Fürstenfehden verschont geblieben und befand sich, dank seinen günstigen klimatischen und Bodenverhältnissen, im Vergleich mit den übrigen russischen Ländern, in einem blühenden Zustand. Die Herrschaft der Fürsten hatte hier durchaus nicht jene monarchische Machtfülle, wie anderswo. Hier war der Fürst ein Fürst nach altem, slawischem Begriff; die Eroberung dieses chorwatischen Landes durch russische Fürsten und seine Vereinigung mit dem übrigen russischen Ländersystem unter der Herrschaft eines einzigen Fürstengeschlechtes, scheint die alterthümlichen, gesellschaftlichen Bräuche nicht verändert zu haben. Die Fürsten, welche Galitsch regierten, wurden von der Wetsche gewählt und waren von ihr abhängig. Die Wetsche selbst aber war in bekannt.
Gegenwärtig existirt diese Kirche nicht mehr und Mstislaws Grabstätte ist un-
VII. f ü r s t Danilo Romanowitsch von Galitsch.
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den Händen reicher und mächtiger Landbesitzer, der Bojaren. Sie hatten es, wie es scheint, möglich gemacht, sich so sehr über die Masse des Volks zu erheben, dass das Land ausschliesslich von ihnen regiert wurde. Es giebt übrigens Berichte, die da bezeugen, dass auch Leute von geringer Herkunft zur Bojarenwürde emporsteigen konnten, woraus hervorzugehen scheint, dass die galitscher Aristokratie nicht so sehr auf die Vornehmheit der Abstammung, als auf Glück und Reichthum gegründet war. Die galitscher Fürsten waren so sehr von der Wetsche abhängig, dass diese sich nicht nur um ihre politische Thätigkeit, sondern auch um ihr häusliches Leben bekümmerte. So geschah es z. B., dass, als Olga, die Gemahlin des Fürsten Jaroslaw, ihres Gatten Liebe verloren hatte, und dieser eine gewisse Anastasia als Geliebte zu sich nahm, die Galitscher ein solches Aergerniss nicht duldeten; sie verbrannten Anastasia und zwangen den Fürsten, mit seiner angetrauten Frau zu leben. Alle Versuche Jaroslaws, seinen legitimen Sohn zu entfernen und dem illegitimen das Erbe zuzuwenden, blieben fruchtlos. Jaroslaw starb 1187 und die Galitscher vertrieben, trotz des Testaments, den Bastard Oleg und setzten den legitimen Sohn Wladimir auf den Fürstenstuhl. Doch auch dieser Fürst fiel, wegen seines Aergerniss erregenden Betragens, dem strengen Gericht der Wetsche anheim. Er war dem Trünke ergeben, konnte seine Räthe nicht leiden, nothzüchtigte fremde Weiber und Töchter, nahm das Weib eines Pfaffen, während ihr Mann noch lebte, zur Frau und zeugte mit ihr zwei Söhne. Die Galitscher waren darüber so entrüstet, dass einige von ihnen den Fürsten gefangen nehmen und hinrichten wollten; andere jedoch forderten, dass er sich von dem Pfaffenweibe scheiden sollte und wollten ihm eine Frau nach seinem Sinn verschaffen. Wladimir, der das Leben seines geliebten Pfaffenweibes gefährdet glaubte, entfloh mit ihr und den Kindern ins Ungarland, und die Galitscher beriefen einen Fürsten aus dem benachbarten wolhynier Lande, Roman Mstislawitsch (1188). Man sagt, Roman habe selbst in Galitsch heimlich für seine Ziele gewirkt und seine Wahl betrieben. Dieser kluge, willenskräftige Fürst hielt sich nicht lange in Galitsch. Der ungarische König Béla I., an den sich der vertriebene Wladimir um Hilfe gewandt hatte, warf den Hilfe. Buchenden ins Gefängniss, eroberte Galitsch und setzte seinen Sohn Andreas daselbst ein. Roman musste zurück nach Wladimir-Wolhynsk flüchten. Die Erfolge der Ungarn wurden durch den Umstand begünstigt, dass sich in •Galitsch selbst eine Partei gebildet hatte, welche durch die Herrschaft ¿ e r Ungarn nach persönlichen Vortheilen strebte. Trotzdem aber war auch diese Macht nicht von Dauer; da die Ungarn Katholiken waren, so hatten sie das Volk in kurzer Zeit durch Missachtung der rechtgläubigen ') Den Enkel des kijewer Fürsten Isjaslaw Mstislawitsch, der in der Geschichte durch seine beständigen Kämpfe, zuerst gegen die Ssusdaler, dann gegen Jurij Dolgorukij bekannt ist. Das Geschlecht Romans stammt von Mstislaw, dem ältesten Sohn Monomachs, her. K o s t o m & r o w - H e n c k e l , Rusa. Geschickte in Biogr.I. g
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Religion gegen sich aufgebracht. Wladimir war unterdessen seiner Haft entronnen und hatte sich, mit Hilfe des polnischen Königs Kasimir de3 Gerechten Galitschs aufs Neue bemächtigt. Da wandte sich Wladimir, der seine Lage als sehr unsicher erkannte, an den Ssusdaler Pürsten Wssewolod, unterwarf sich und ganz Galitsch seiner Herrschaft und verpflichtete sich, ihm stets willfährig zu sein. Es wurde, wie es scheint, ein enges Band zwischen den äussersten Grenzmarken des damaligen russischen Ländergebiets geknüpft; dieser Vorfall hatte jedoch keine dauernden Folgen, es gab damals überhaupt nichts Dauerndes in den Beziehungen der russischen Fürsten untereinander. Nach Wladimirs Tod gelang es Roman, diesmal aber nicht durch freie Volkswahl, sondern mit Hilfe eines polnischen Kriegsheers, sich im Jahre 1198 aufs Neue Galitschs zu bemächtigen. Den Berichten des polnischen Schriftstellers Kadlubko zufolge, rächte sich Roman an seinen galitscher Widersachern fürchterlich; er liess sie viertheilen, erschiessen, bei lebendigem Leibe vergraben und tödtete sie noch durch andere, raffinirtere Qualen. Diejenigen, welche glücklich entflohen waren, lud er ein, zurückzukehren und versprach ihnen allerlei Gnadenbezeugungen; als aber einige von ihnen wirklich zurückkamen, hielt er zwar anfangs sein gegebenes Wort und überhäufte die Leichtgläubigen mit Schmeicheleien und Gunstbezeugungen, dann aber ersann er irgend einen Vorwand, um sie anzuklagen und auf die grausamste Weise hinzurichten. „Wer die Bienen nicht tödtet, kann auch keinen Honig essen!" war Romans Redensart. E r versetzte die Galitscher in eine solche Angst, dass sie den polnischen König baten, er möchte entweder das Land selbst regieren, oder durch Stellvertreter verwalten lassen. Alle diese Grausamkeiten Romans finden sich ausschliesslich nur bei dem polnischen Historiker, nicht aber in den russischen Chroniken, in denen Roman in dichterischer Weise als kühner Held, ähnlich wie Monomach, und furchtbar nur den ungläubigen Fremdlingen gegenüber dargestellt ist. „Er lebte nach den Geboten Gottes" — spricht von ihm der russische Zeitgenosse — „besiegte die ungläubigen Heiden, griff sie an wie ein Löwe, voller Zorn wie ein Luchs, Verderben verbreitend wie ein Krokodil, er durchflog ihr Land wie ein Adler." Und in der That, auch bei andern Gelegenheiten zeichnete sich dieser Fürst durch Kraft und Thätigkeit aus. Nach langen Kämpfen und Familienfehden im kijewer Russland, brachte er das Land endlich zur Ruhe, indem er es eine Zeit hindurch seiner Herrschaft unterwarf; er machte sich zwar nicht selbst zum Fürsten von Kijew, setzte aber einen Neffen als seinen Vasallen dort ein. /Die Polowzer schlug er mehr als einmal und besiegte auch die Jatwjägen und Litthauer'). Von solch einem Fürsten war noch Vieles für *) Bei den polnisch - litthauischen Historikern erhielt sich die Legende, dass er die besiegten Litthauer vor den Pflug gespannt und sie gezwungen habe, den Wald zu reuten und den Acker zu bestellen. Es habe sich aus diesem Anlass die Eedens-
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die Zukunft des südwestlichen Russlands zu erwarten. Aber im Jahre 1205 entzweite er sich mit dem polnischen Fürsten Leschko und wurde in der Schlacht bei Sawichwost getödtet. Roman hinterliess eine junge Wittwe mit zwei minderjährigen Söhnen. Der ältere, Danilo, war damals vier Jahr alt, der jüngere, Wassilko, war noch ein Säugling. Anfangs anerkannten die Galitscher den älteren Sohn Romans als ihren Fürsten und schworen, dass sie ihn getreulich schützen wollten. Ein kleines Kind in solch einem unruhigen Lande auf dem Thron zu erhalten, war aber rein unmöglich. Das galitscher Land war ein zu leckerer Bissen, sowohl für die russischen Fürsten, als auch für fremde Nachbarn, und die galitscher Bojaren zeichneten sich nicht durch Beständigkeit aus, sie waren auf Gewinn erpicht, und viele von ihnen liebten Romans Geschlecht nicht. Es erfolgte ein Angriff nach dem andern; zuerst versuchte der Vater von Romans erster F r a u , Fürst Rjurik Rostislawitsch von Kijew — den Roman, nach der barbarischen Verheerung Kijews durch die von ihm, Roman, herbeigerufenen Polowzer, als Rathgeber zu sich gelockt und ihn dann als Mönch ins Kloster gesteckt hatte — sich des Landes zu bemächtigen. Als dieser Rjurik jetzt vernahm, dass Roman nicht mehr am Leben sei, legte er die Mönchskutte a b , sammelte das kijewer Kriegsheer, warb Polowzer an und warf sich auf Galitsch. Romans Wittwe wandte sich um Schutz an den sogenannten Bruder und Freund ihres verstorbenen Mannes. Dieser sogenannte Bruder- war der ehemalige Nebenbuhler Romans, jener ungarische Königssohn Andreas, welcher mit seinem Vater ihn einst aus Galitsch vertrieben hatte; in der Folge, als Roman sich ein zweites Mal Galitschs bemächtigt hatte, schlössen sie Freundschaft und trafen die Abmachung, dass für die Familie des zuerst Gestorbenen der Ueberlebende sorgen müsse. Andreas hatte soeben erst die ungarische Krone erlangt; er hatte sein dem Roman gegebenes Versprechen nicht vergessen. Eine Zusammenkunft mit der Fürstin in Ssanoka wurde veranstaltet, er liebkoste Danilo wie seinen eigenen Sohn und gab ihm ein Hilfsheer, um Rjurik zu bekämpfen. Dieser floh wieder nach Kijew. Im nächsten Jahr aber drohte der Familie Romans ein neues Ungemach. In Tschemigow fand eine Fürstenversammlung statt; es waren da die Nachkommen Olegs von Tschernigow, ihnen schloss sich der Fürst von Smolensk mit seinen Söhnen an. Diese fassten den Entschluss, die Polowzer anzuwerben, um mit ihnen das galitscher Land zu erobern. Unterwegs gesellte sich noch Rjurik mit seinen Söhnen und Neffen, der die im kijewer Lande wohnenden Berendejer zur Heeresfolge bewogen art gebildet: „Du bist ein böser Roman, der den Litthauer vor den Pflug spannt." Dieser Bericht, der sich erst im XVI. Jahrhundert findet, verdient jedoch keine histqrische Glaubwürdigkeit. ') Ein Zweig vom türkischen Stamme, den Torken, Petschenegen und Schwarzkappen nahe verwandt. 8*
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hatte, zu ihnen. Die Verbündeten hielten auch mit den Polen Rath, denn mit diesen hatten die Galitsch er, seit Romans Tod, noch nicht Frieden geschlossen. Die Wittwe wandte sich abermals an Andreas, aber bis ein Hilfsheer aus Ungarn anlangte, war sie in einer solchen Lage, dass es gefährlich schien, dort zu bleiben, wo sie war. Von der einen Seite die Russen und Polowzer, von der andern — die Polen; Galitsch selbst war in Aufregung, und es gab dort Viele, von denen man annehmen konnte, dass sie sie mit ihren Kindern ausliefern würden. So entfloh sie mit den Kindern nach Wladimir-Wolhynsk, den Erbbesitz ihres Mannes. Die Galitscher theilten sich in Parteien, und der Bojar Wolodislaw, welcher einst von Roman verbannt worden war, gewann die Oberhand. Er hatte im Lande Ssewersk gelebt, war dort mit den Igorewitschs bekannt geworden und gab jetzt den Galitschern den Rath, diese als ihre Fürsten zu berufen. Die Igorewitschs befanden sich in dem Heere, welches gegen Galitsch zog; als sie die Aufforderung erhielten, verschwanden sie in der Nacht aus dem Heer der Verbündeten und erschienen in Galitsch. Der älteste, Wladimir Igorewitsch, wurde auf den Galitscher Fiirstenstuhl gesetzt, dem andern Bruder, Roman, gab man Swenigorod. Es blieb noch der dritte, Swjätoslaw, ohne Fürstensitz. Da sandten die Igorewitschs einen Pfaffen nach Wladimir - Wolhynsk mit folgender Botschaft an die Wladimirer : „Gebt uns die Romanowitschs heraus und nehmt Swjätoslaw als Euren Fürsten an, widrigenfalls Eure Stadt vertilgt werden soll!" Als die Wladimirer dies hörten, geriethen sie in eine solche Wuth, dass sie den Pfaffen, der ihnen diese Botschaft gebracht hatte, fast getödtet hätten. Es fanden sich jedoch Vernünftige, die da sprachen, man dürfe einen Boten nicht umbringen. Diese Vernünftigen sprachen aber nur deshalb so, weil sie schon bereit waren, die Forderungen der Igorewitschs- zu erfüllen. Die Fürstin hatte dies in Erfahrung gebracht, und nachdem sie sich mit dem Erzieher Danilos, dem Bojaren Miroslaw berathen hatte, entfloh sie des Nachts heimlich, durch eine Oeffnung der Mauer, da sie sich durch das Thor hinauszugehen fürchtete. Miroslaw trug Danilo, die Amme Wassilko; auch befand sich noch ein Geistlicher bei ihnen. Sie flüchteten sich zu Leschko, stellten sich also in den Schutz eines Mannes, den man noch als ihren Feind betrachten konnte. Der polnische Fürst empfing sie mit ritterlicher Grossmuth; er behielt die Fürstin mit Wassilko bei sich und sandte Danilo mit dem polnischen Bojaren WjätscheBlaw Lyssyj (den Kahlen) zum Ungarn Andreas, dem er Folgendes sagen liess: „Ich gedenke nicht meiner Feindschaft gegen Roman, Du aber warst sein Freund, hast geschworen, sie zu beschützen; sie sind jetzt in der Verbannung, — lass uns ihr Besitzthum wieder erringen!" Leschko zeigte jedoch für die Romanowitschs weniger Theilnahme in der That, als in Worten; er vertrieb zwar Swjätoslaw Igorewitsch, der nach der Flucht der Fürstin nach Wladimir gekommen war, übergab aber die Herrschaft nicht den Söhnen Romans, sondern dessen Neffen Alexander
VII. Füret Danilo Romanowitsch von Galitsch.
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Wssewolodowitsch, weil Leschko mit der Tochter von diesem, Gremislawa, verheiratet war. Wassilko mit seiner Mutter schickte er nach Brest. Die Brester hatten ihn selbst zu ihrem Fürsten erwählt, waren nun zufrieden und sagten, es sei ihnen zumuthe, als ob der grosse Roman bei ihnen wäre. Nach der Flucht von Romans Wittwe überlegte Andreas von Ungarn, dass Danilo doch auf seinem Fürstensitz nicht erhalten werden könnte und hinderte daher die Igorewitschs nicht, sich in Galitsch festzusetzen. Diese jedoch entzweiten sich um ihrer Beute willen bald selbst unter einander; Roman Igorewitsch vertrieb mit Hilfe seines andern Bruders, den dritten, Wladimir, und bemächtigte sich Galitschs. Darauf aber ergriff, auf Andreas' Befehl, der ungarische Feldherr Benedikt Bora den Roman Igorewitsch in der Badestube, sandte ihn nach Ungarn und begann selbst in Galitsch zu regieren. Bald jedoch brachte Benedikt durch seine Gewaltthaten und Ausschweifungen die Galitscher so gegen sich auf, dass die Igorewitschs, durch sie berufen, abermals erschienen, Benedikt vertrieben und das galitscher Land unter sich theilten, — diesmal ohne sich unter einander zu entzweien. Den Fürstensitz von Galitsch erhielt der ältere Bruder Wladimir. Dann gingen die Igorewitschs, um ihre Macht zu befestigen, mit der Absicht um, sich derjenigen Bojaren, welche durch ihre Unbeständigkeit ihnen gefährlich schienen, zu entledigen. Dieser hinterlistige Anschlag gelang aber nur gegen einige von den Bojaren; unter der Zahl der dem Tode geweihten befand sich auch ihr ehemaliger Wohlthäter, der Bojar Wolodislaw, dem sie den Fürstensitz dieses Landes verdankten. Wolodislaw vernahm noch rechtzeitig von der ihm drohenden Gefahr, es gelang ihm, mit andern Bojaren zu Andreas entfliehen, und jetzt bat er, den beim ungarischen König lebenden Danilo als Fürsten von Galitsch einzusetzen. Der König gab dem Danilo ein Hilfsheer; Peremyschl ergab sich zuerst und lieferte Swjätoslaw Igorewitsch aus. Swenigorod vertheidigte sich, ergab sich aber auch, nachdem Roman Igorewitsch, der von dort entfliehen wollte, auf der Brücke gefangen genommen worden war. Fürst Wladimir Igorewitsch entkam glücklich aus Galitsch. Jetzt wurde das Kind Danilo auf den väterlichen Fürstenstuhl gesetzt. Die gefangenen Igorewitschs wurden durch ein Volksgericht zum Hängen verurtheilt und aufgehängt; — eine Begebenheit, welche unter den damaligen Ereignissen in Russland ganz besonders hervorgehoben worden muss. Der minderjährige Danilo konnte sich inmitten der Bojaren, welche in seinem Namen regieren wollten, nicht lange halten. Seine Mutter kam nach Galitsch, — er erkannte sie nach der langen Trennung nicht mehr. Die Bojaren, aus Furcht, dass sie ihnen die Macht entwinden könnte, beeilten sich, sie zu entfernen. Als Danilo, mit Thränen in den Augen, der Mutter nacheilen wollte, ergriff einer der Bojaren die Zügel seines Pferdes. Der erregte Knabe schlug mit dem Schwert nach dem Ross und
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VII. Fürst Danilo Romanowitsch von Galitsch.
verwundete es. Die Mutter entriss ihm das Schwert und überredete ihn, in Galitsch zu bleiben; sie selbst fuhr nach Bjels. Als König Andreas dies vernahm, eilte er mit seinem Heer herbei und führte Danilos Mutter nach Galitsch zurück; den Bojar Wolodislaw aber, den an ihrer Verbannung Hauptschuldigen, führte er gefesselt nach Ungarn. Kaum aber hatte sich Andreas entfernt, da zettelten die Bojaren abermals eine Verschwörung gegen Danilo an und beriefen den Fürsten Mstislaw von Peressopniza auf ihren Fürstenstuhl. Danilo musste fliehen, und Andreas konnte ihm diesmal nicht helfen, denn zu dieser Zeit war in Ungarn selbst ein Aufstand ausgebrochen, welcher der Königin das Leben kostete. Dem nach Galitsch berufenen Mstislaw von Peressopniza gelang es auch nicht, diesen Fürstensitz zu behaupten. Der von Andreas aus Ungarn entlassene Wolodislaw kehrte zurück, und nun ereignete sich in Galitsch ein, seit dem Erscheinen des Hauses Rjurik, wie die vor Kurzem stattgefundene Hinrichtung der Fürsten, ebenfalls noch nie in Kussland dagewesenes Ereigniss: der Bojar Wolodislaw, welcher keinem Fürstengeschlecht angehörte, nannte sich Fürst von Galitsch. Es war ihm jedoch nicht vergönnt, ein neues Fürstenhaus zu gründen; Leschko, der Danilos Partei ergriffen hatte, vertrieb ihn und nahm ihn gefangen. Er starb in der Gefangenschaft, und Galitsch blieb ohne Herrscher. Es hatte damals den Anschein, als ob es weder Danilo noch sonst einem russischen Fürsten gelingen sollte, sich in dieser unruhigen Stadt dauernd zu behaupten. Leschko machte dem Andreas den Vorschlag, seinen (Andreas') Sohn Koloman mit der dreijährigen Tochter Leschkos, Salome, zu verloben und ihm Galitsch als Fürstensitz zu geben. Der Bojar Pakoslaw, der bis zu dieser Zeit ein Anhänger der Familie Romans gewesen war, brachte dieses Geschäft zustande. Um die Romanowitschs zu befriedigen, nahm man die Stadt Wladimir, das Erbtheil Romans, dem Alexander von Bjels weg und gab es Danilo (1214), den auch die Bojaren von Wladimir als ihren Fürsten begehrten. Auf diese Weise kam nun ein ansehnlicher Theil Wolhyniens in Danilos Hände. Die Städte Kamjanez, Tichomlja und Peremil gingen auf die Romanowitschs über. Längere Zeit hindurch musste nun Danilo Galitsch aufgeben. Mstislaw der Kühne, der ihm seine Tochter Anna zur Frau gegeben hatte, bemächtigte sich dieser Stadt 1 ). Danilo sammelte jetzt das Land Wolhynien unter seiner Herrschaft und nahm den Polen Berestje, Ugrowesk, Wereschtschin, Stolpje, Komow und die ganze damalige „Ukraine", d. h. den Theil Wolhyniens, welcher am linken Ufer des Bug an Polen grenzte, ab. Die Folge davon war ein Krieg, in den Mstislaw der Kühne gegen seinen Willen verwickelt wurde. Obschon dieser Krieg für Danilo und Mstislaw anfangs ') Siehe die Biographie Mstislaws des Kühnen.
VII. Fürst Danilo Romanowitsch von Galitsch.
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unglücklich ausfiel, verblieb doch dem ersteren das von ihm erworbene Gebiet. Darauf schloss Danilo mit Leschko Frieden und wandte sich gegen Alexander von Bjels, der ihn bei der Verteidigung Galitschs verlassen und ihm auf jede Weise geschadet hatte. Für die Treulosigkeit eines Fürsten musste nach damaligen Begriffen dessen Land einstehen. Danilo und Wassilko überfielen während einer Nacht Bjels und richteten daselbst eine fürchterliche Verheerung an. Lange Zeit hindurch blieb diese Nacht unter der Benennung der „bösen" in der Erinnerung der Bewohner. Auf Mstislaws Bitten liess Danilo den Fürsten Alexander in Ruhe. Im Jahre 1224 nahm Danilo mit andern Fürsten an der für die Russen so verhängnissvollen Schlacht an der Kalka theil; er zeichnete sich daselbst durch Tapferkeit aus und wurde in der Brust verwundet. Lange Zeit hatte er in der Hitze des Kampfs seine Wunde nicht beachtet, bis er sie endlich auf der Flucht, als er trinken wollte, gewahr ward. Nachdem Danilo nach Hause zurückgekehrt und von seinen Wunden genesen war, begann er wieder an der Erweiterung seiner Besitzungen zu arbeiten. Fürst Mstislaw von Peressopniza, welcher im Besitz von Luzk war, übergab sein Erbtheil an Danilo, und überliess ihm auch die Sorge für seinen Sohn. Dieser starb jedoch bald darauf. Jaroslaw, der Sohn Ingwars (eines Vetters von Roman), welcher einst in Luzk geherrscht hatte, bemächtigte sich Luzks. Als Danilo einst nach Shiditschin wallfahrtete, begegnete ihm unterwegs Jaroslaw Ingwaritsch. Die Bojaren riethen, ihn zu ergreifen. Danilo aber wies diese hinterlistige Handlung mit Entrüstung von sich. „Ich ziehe aus, um zu beten, — werde also das nicht thun," antwortete er. Als er aber nach Wladimir zurückgekehrt w a r , sandte er seine Bojaren nach Luzk. Sie ergriffen Jaroslaw und bemächtigten sich dann der Stadt. Obschon Danilo dem Jaroslaw ein anderes Besitzthum gab, geschah es doch nur unter der Bedingung, dass derselbe sein Vasall bleibe. Gleichzeitig nahm ihm Danilo auch Dorogobush fort und den Fürsten von Pinsk Tschartoryjsk, wobei er die Söhne des Pinsker Fürsten Rostislaw gefangen nahm. In allen diesen Kämpfen handelte Danilo gemeinschaftlich mit Wassilko, mit dem er sein ganzes Leben hindurch unzertrennlich verbunden war, — ein sehr seltenes Beispiel in der Geschichte der russischen Fürsten. Im Jahre 1228, nach dem Tode Mstislaws des Kühnen, bemächtigte eich Danilo der ganzen Ponisje (des Unterlandes). Eine solche Erhöhung Danilos erregte ein förmliches Complott der russischen Fürsten gegen ihn. Rostislaw von Pinsk war wegen der Wegnahme von Tschartoryjsk und der Gefangennahme seiner Söhne böse auf ihn und reizte Wladimir Rjurikowitsch gegen ihn auf; dieser trug ihm nach, dass Danilos Vater, Roman, den seinigen gewaltsam ins Kloster gesteckt hatte. Diesem Complott traten auch die Fürsten von Tschernigow nnd Ssewersk bei. Danilo erhielt aber noch rechtzeitig Kunde davon
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VII. Fürst Danilo Komanowitsch von Galitsch.
und warb die von dem ihm wohlgeneigten Pakoslaw befehligten Lechen, Die verbündeten Fürsten belagerten Kamjanez, konnten aber nichts ausrichten, um so weniger, als der von ihnen herbeigerufene polowzer Fürst Kotjan zu Danilo überging. Sie mussten den Rückzug antreten, und Danilo verfolgte sie; aber die kijewer und tschernigower Bojaren kamen im Auftrag ihrer Fürsten zu ihm und baten um Frieden. So machte Danilo alle Anschläge seiner Feinde zunichte. Dieser Erfolg erhöhte sein Ansehen unter den andern Fürsten noch mehr; er behielt nicht nur alle seine früheren Besitzungen, sondern die Pinsker Fürsten wurden ausserdem noch seine Vasallen, Wladimir Rjurikowitsch aber seit dieser Zeit sein beständiger Freund und Bundesgenosse. Im Jahre 1229 wurde Danilos Verbündeter, Leschko, in Polen getödtet. Danilo zog aus, um dessen Bruder Konrad gegen Wladislaw (den Fürsten von Opolje) beizustehen; er hinterliess seinen Vasallen, den Fürsten von Pinsk, um Wolhyniens Grenzen gegen den Ueberfall der Jatwjägen zu schützen. Die Russen drangen diesmal tiefer als je ins Innere von Polen ein; sie belagerten, gemeinschaftlich mit Konrads Bundesgenossen, Kaiisch und zwangen es zur fast kampflosen Uebergabe an Konrad. Darauf verabredeten die Russen und Polen: Wenn künftig Zwietracht unter ihnen entstünde, so sollten die Russen keinen polnischen Knecht zum Gefangenen machen dürfen, ebenso auch die Polen keinen russischen. Als Danilo aus diesem Feldzug zurückkehrte, hörte er, dass der Bojar Ssudislaw, welcher im Namen des Königssohns in Galitsch regierte, die Gelegenheit der Abwesenheit Danilos benutzen wollte, um sich des Unterlandes zu bemächtigen. Kaum aber hatte Ssudislaw Galitsch verlassen, als die mit ihm unzufriedenen Galitscher eine Gesandtschaft an Danilo sandten und ihn baten, so schnell wie möglich, noch bevor Ssudislaw zurückgekehrt se'i, zu ihnen zu kommen. Nachdem Danilo den Tyssjätschskij (Obersten) Demjan mit Truppen gegen Ssudislaw, um diesen aufzuhalten, abgefertigt hatte, eilte er selbst, der Einladung Galitschs Folge leistend, mit einem zahlreichen Heer herbei, um Ssudislaw zuvorzukommen. Dieser aber hatte ein Zusammentreffen mit Demjan vermieden, war, trotz Danilos Eile, ihm dennoch zuvorgekommen, hatte sich in Galitsch eingeschlossen, und so Danilo genöthigt, es zu belagern. Glücklicherweise gelang es Danilo, den vor der Stadt belegenen Hof Ssudislaws wegzunehmen und dort eine Menge Lebensmittel für sein Heer zu erbeuten. Dies verschaffte ihm die Möglichkeit, sich für eine langdauernde Belagerung einzurichten. Er schlug sein Lager in Uglinitschi, auf der andern Seite des Dnjestr auf. Der Tyssjätschskij Demjan und sein alter Miroslaw führten mehrere galitscher Landbojaren, welche seine Partei ergriffen hatten, zu ihm; er erhielt auch frische Truppen aus Wolhynien. Um die Stadt umzingeln zu können, musste er den Fluss überschreiten. Die Belagerten suchten es zu verhindern, machten Ausfälle und kämpften so lange auf dem Eise, bis die Eisdecke zu bersten anfing. Vergebens verbrannte
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Ssemjunko — den ein Zeitgenosse, seiner äussern Erscheinung wegen, mit einem rothen F u c h s verglich — die D n j e s t r b r ü c k e , um Danilo den Uebergang zu erschweren. E s war ein Glück für diesen, dass das F e u e r bald erlosch, nachdem es nur einen unbedeutenden T h e i l der Brücke beschädigt hatte. Danilo überschritt mit verstärkter Macht den F l u s s und umzingelte die Stadt. Unterdessen hatte er das galitscher Landvolk vom Bobrok bis zur Uschiza und dem Pruth zusammenberufen, und es strömte ihm zu. Das Land war auf Seiten Danilos, darüber konnte kein Zweifel s e i n ; die Belagerten wurden dadurch bewogen, sich zu ergeben, und Danilo zog in die Stadt ein. Seiner Freundschaft mit dem ungarischen König Andreas eingedenk, entliess er den Königssohn, seinen Schwager, nach Hause und begleitete ihn selbst bis an den Dnjestr. Zugleich mit dem Königssohn ging auch Ssudislaw. Das Volk warf ihm Steine nach und r i e f : „Hinaus, hinaus, L a n d e s v e r r ä t h e r ! " So wurde Danilo, nach j a h r e langer Abwesenheit, aufs Neue als F ü r s t in j e n e r Stadt anerkannt, aus der e r als Kind vertrieben worden war. F ü r die ungarische E h r e war es verletzend, dass der ungarische Königssohn abziehen musste. Ssudislaw gab sich alle Mühe, die Ungarn aufzureizen, das verlorene Galitsch wieder zurückzuerobern. Endlich entschloss sich Béla, Andreas Sohn, ein grosses Heer zusammenzubringen, um über die Karpathen zu ziehen. E s trat aber ein endloses Regenwetter ein, die Pferde blieben im Schlamm s t e c k e n , die Leute mussten sie im Stich lassen und auf höher gelegenen Stellen vorwärts zu kommen suchen. Nach grossen Mühseligkeiten langten sie endlich vor Galitsch an. Danilo befand sich nicht mehr in der Stadt; er hatte sie vorher schon verlassen, um die Polen und den polowzer Chan K o t j a n zu Hilfe zu rufen; in Galitsch war sein T y s s j ä t s c h s k i j Demjan zurückgeblieben. D e r ungarische Herold ritt an die Stadt heran und rief laut den Einwohnern z u : „Leute von Galitsch, der grosse König von Ungarn lässt E u c h sagen, gehorcht nicht D e m j a n ; Danilo soll nicht auf Gott und auf seine eigene Kraft rechnen. Unser König hat schon viele Länder besiegt und Galitsch wird ihm nicht widerstehen!" Demjan hielt sich t a p f e r ; die Galitscher waren auf Danilos Seite, und dieser näherte sich bereits mit einem auserlesenen Heer. Unterdessen strömte aber der Regen immer noch fort ; in F o l g e der beständigen Nässe fiel den Ungarn die Fussbekleidung ab, es entstanden Krankheiten, und eine grosse Sterblichkeit trat ein. Mancher endete auf dem Pferde, andere starben an den Wachtfeuern, manche athmeten zum letzten Mal, während sie ein Stück Fleisch in den Mund s t e c k t e n . . . Auch verursachte der R e g e n , dass der Dnjestr weit über seine Ufer trat. „ E r trieb mit den Ungarn ein böses S p i e l " — sprachen die Zeitgenossen. Der König hob die Belagerung auf und zog nach dem Pruth hin. Auch dorthin verfolgte ihn der R e g e n , und die Ungarn gingen unterwegs zu Grunde. Kaum war jedoch, Dank dem Unwetter, Danilo von seinen Feinden befreit, als in Galitsch schon wieder bojarische R ä n k e ihr Haupt gegen
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ihn erhoben. Der Urheber und Hetzer war immer wieder, jener Alexander von Bjels, Danilos beständiger, heimlicher Feind. Die Bojaren behandelten den Fürsten so rücksichtslos, dass ihm einst, bei einem Mahl, ein Bojar Wein ins Gesicht goss. Danilo nahm es geduldig hin. Auch folgender Fall kam vor: Als Wassilko sich einst in einer Bojarenversammlung befand, entblösste er im Scherz das Schwert gegen einen, den der Chronist einen „königlichen Diener" nennt. Dieser griff nach seinem Schild und die Bojaren liefen davon. Die Fürsten wunderten sich über diese Flucht, sie konnten sich dieselbe nicht erklären. Nach einiger Zeit, als Wassilko nach Wladimir gereist war, lud ein Bojar, Namens Philipp, Danilo zu einem Gastmahl ein. Danilo war im Begriff hinzufahren, da begegnete ihm unterwegs ein Bote Demjans mit den Worten: „Fahre nicht zum Gastmahl, Fürst, Bojar Philipp und Fürst Alexander wollen Dich tödten." Danilo kehrte um. Man sagte, die Bojaren Molibogowitsch, von Alexander aufgestachelt, hätten beschlossen eine Feuerebrunst zu veranlassen, um die Eomanowitschs im Wirrwarr umzubringen. Der Vorfall mit Wassilko hatte jedoch ihren Verdacht erregt, sie glaubten, die Romanowitgchs hätten von der Verschwörung Kenntniss erhalten, und dies wäre der Grund gewesen, weshalb sie sich geflüchtet hatten. Auf Danilos Befehl bemächtigte sich Wassilko der Stadt Bjels (Alexanders Erbtheil) und sein Sattelknecht Iwan Michailowitsch nahm die Molibogowitschs nebst ihren Genossen, im Ganzen 28 Mann, gefangen. Danilo verzieh ihnen; vielleicht waren die gegen sie vorgebrachten Beweise ungenügend, und alles nur unbegründeter Verdacht. Danilo hatte aber keinen Nutzen von seiner Grossmuth; er erfuhr, dass Alexander und die Bojaren abermals eine Verschwörung gegen ihn angezettelt hatten. Da entschloss er sich, mit achtzehn ihm treuergebenen Edelknaben eine Wetsche zu berufen und die Galitscher zu fragen : „Wollt Ihr mir treu sein? Ich ziehe gegen meine Feinde." Alle riefen: „Wir sind Gott und Dir treu, Herr!" Der Ssotskij (Hauptmann) Mikula führte bei dieser Gelegenheit Romans Redensart an: „Wenn man nicht alle Bienen tödtet, so kann man keinen Honig essen!" Danilo ging nun nach Peremyschl, sein Gefolge aber war ihm untreu. Fürst Alexander hatte sich bereits mit den Bojaren nach Ungarn geflüchtet, wo ihn Ssudislaw erwartete. Auf ihre Veranlassung zog König Andreas mit seinen Söhnen Béla und Andreas gegen Galitsch. Der Bojar David Wyschatitsch übergab auf Zureden seiner Schwiegermutter, welche dem Ssudislaw ergeben war, Jaroslawl dem König. Darauf ergab sich auch der Bojar Klimjata, welcher mit einem Heer gegen die Ungarn ausgezogen war, dem Feinde, und auch die übrigen Bojaren folgten seinem Verrath. Danilo musste Galitsch im Stich lassen und nach Kijew gehen, um dort, bei seinem Verbündeten, dem Fürsten Wladimir, Truppen zu werben. Der König setzte seinen Sohn Andreas wieder in Galitsch ein — es blieb jedoch nicht lange so. Danilo und Wladimir von Kijew mit den Polowzern
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schlugen die Ungarn zweimal und zogen gerade auf Galitsch los. Als die Bojaren sahen, dass der Erfolg auf Seiten Danilos sei, gingen sie zu ihm über. Das erste Beispiel gab der Bojar Gljeb Seremejewitsch. Danilo nahm sie freundlich auf und gab ihnen Ländereien, in der Hoffnung, sie nun wenigstens für eine Weile an sich zu fesseln. Fürst Alexander Bjelskij verliess die Ungarn, wandte sich gleichfalls zu Danilo und bat um Verzeihung. Danilo belagerte Galitsch und lag neun Wochen lang davor; er erwartete das Eintreten des Frostes, um den Dnjestr überschreiten zu können. Bei den Belagerten stellte sich der Hunger ein. Dem Ssudislaw, der sich beim Königssohn befand, gelang es abermals, den treulosen Alexander durch das Versprechen, ihm Galitsch zu verschaffen, von Danilo abwendig zu machen und ihn zu den Belagerten hinüberzuziehen; diese hatten jedoch keinen Vortheil davon. Der Königssohn Andreas starb während der Belagerung. Da beschlossen die Galitscher auf einer Wetsche, Danilo zu berufen, und einer seiner ehemaligen Feinde, Ssemjunka der Rothe, ritt zu Danilo hinaus und lud ihn ein, in die Stadt zu kommen. Ssudislaw und Fürst Alexander hatten die Flucht ergriffen. Der erstere war zu den Ungarn gegangen und der letztere wollte bei seinem Schwiegervater, dem Fürsten von Kijew, Schutz suchen; Danilo aber verfolgte ihn drei Tage und drei Nächte, ohne zu schlafen, erreichte ihn bei Polönnyj und ergriff ihn im Chomorschen Walde. Man weiss nicht, was Danilo mit diesem Menschen, der gegen ihn häufig so ehrlos gewesen war, angefangen hat — seit dieser Zeit wird sein Name in den Chroniken nicht mehr erwähnt. Vorübergehend tauchen jetzt in unsrer Geschichte räthselhafte und bis jetzt noch unaufgeklärte Fürsten von Bologowo auf, welche die Ufer des Bug beherrschten. Da in den Chroniken über die früheren Ereignisse in dieser Gegend gar nichts berichtet wird, und keine Möglichkeit vorhanden ist, in den Verzweigungen des Hauses Rjurik den Ursprung dieser Fürsten aufzufinden, muss geschlossen werden, dass sie zu einem andern, alten Geschlecht, das den Nachfolgern Rjuriks nicht unterworfen worden war, gehört haben. Darin bestärkt uns auch der Umstand, dass Danilo, in den Unterhandlungen mit den Polen, sie „besondere" Fürsten nennt. Nachdem Danilo sich des Unterlands bemächtigt hatte, wollte er auch sie seiner Herrschaft unterwerfen, da sie stets seine Gegner gewesen waren und bei jeder Gelegenheit die Partei seiner Feinde ergriffen hatten. Nachdem Danilo sich von den Ungarn befreit hatte, musste er noch lange mit den russischen Fürsten um Galitsch kämpfen. Während der Kijewer Fürst Wladimir Danilo half, überfiel der Tschernigower Fürst Michael, der ein Bündniss mit den Polowzern geschlossen hatte, die kijewer Besitzungen und zog vor Kijew. Danilo beeilte sich, seinem Bundesgenossen zu Hilfe zu kommen; vier Monate lang bekriegte er mit Wladimir Rjurikowitsch das tschernigower Land, und als er durch die Polessje (einem Theil von Wolhynien und Podolien) zurückkehrte, erfuhr er, dass
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die Polowzer, von seinen Feinden geführt, gegen Kijew gezogen seien. Danilos Heer war sehr erschöpft, und der alte Miroslaw, sein ehemaliger Erzieher, rieth ihm vom Angriff ab. Der kijewer Fürst theilte des Alten Meinung, aber Danilo blieb sich treu und sprach: „Ein Krieger, der sich in den Kampf begiebt, muss siegen oder sterben. Sagte ich Euch nicht ehedem selbst, dass man den ermüdeten Truppen Ruhe gönnen müsse? Jetzt aber dürfen wir uns nicht fürchten; lasst uns vorwärts g e h n ! " Bei Verzweiflungsvoll Tortschesk fand ( 1 2 3 4 ) eine blutige Schlacht statt. wehrte sich Danilo so lange, bis ihm sein braunes Ross getödtet wurde. Sein Heer wandte sich zur Flucht, Danilo selbst musste ihm folgen. Der Fürst von Kijew und Miroslaw wurden gefangen. Der Chronist legt dies Unheil dem geheimen Verrath des Bojaren Molibogowitsch zur Last. Als die galitscher Bojaren Danilos Unglück vernahmen, forderten sie Michael von Tschernigow auf, ihr Fürst zu werden, und dieser kam nach Galitsch. Danilos Gutmüthigkeit vermochte nicht, ihm die Liebe der galitscher Bojaren zu gewinnen. Sie fürchteten seine Herrschaft, die, sobald sie sich befestigt hatte, die Macht der Bojaren zerbrach und zwar um so leichter, als ihn das niedere Volk liebte. Die Bojaren, welche das ganze galitscher Land in ihrer Gewalt hatten, theilten die Einkünfte unter sich und hätten am liebsten gar keinen Fürsten gehabt, höchstens einen solchen, der ihnen den Willen that. Aber weder das eine, noch das andere konnten sie erreichen, denn wenn sie auch die Macht ihrer Stellung hochhielten, waren sie doch unter sich fortwährend uneinig. Einer suchte den andern zu bedrücken und zu verdrängen, jeder hatte seine eigenen Interessen, und daher zog der eine diesen, der andere jenen Fürsten vor. Jeder suchte mit Hilfe des Fürsten über seinen Nebenbuhler zu dominiren. Michael hielt sich in Galitsch nicht lange. Als er in eigenen Angelegenheiten nach Kijew ging, liess er seinen Sohn Rostislaw in Galitsch zurück (1235). Danilo befand sich in dem von ihm gegründeten Cholm, als ihm aus Galitsch die Nachricht zuging, dass Michael fortgereist sei und die Galitscher nach ihm verlangten. Die Bojarenwirthschaft war dem Volke lästig geworden, und es hatte sich entschlossen, die Ohrenbläserei der Bojaren nicht mehr zu beachten, sondern, um seines eigenen Vortheils willen, an Danilo endgültig festzuhalten. Dieser kam daher mit grosser Zuversicht vor Galitsch an. Die Einwohner standen haufenweise auf den Mauern; Danilo sprach zu ihnen: „ O h , Ihr Männer von Galitsch, wie lange werdet Ihr noch die Herrschaft fremder Fürsten d u l d e n ? " Alle riefen einstimmig: „Hier ist unser Herrscher, der uns von Gott gegebene!" Der Chronist fügt hinzu: „Und Alle strömten zu ihm, wie die Bienen zu ihrem Weisel." Der Bischof Artemij und der Aufseher über die fürstlichen Güter, Grigorij, wollten das Volk zurückhalten, da sie aber nichts ausrichten konnten, so traten sie — nach dem Ausdruck des nämlichen Chronisten — „schmunzelnd und schleckend" zum Fürsten Danilo heran,
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verbeugten sich vor ihm und sprachen: „Komm, Fürst Danilo, nimm Deine Stadt entgegen!" Danilo hielt seinen Einzug und steckte als Zeichen des Sieges sein Banner auf die deutsche Pforte. Feierlich betrat er die Kirche der Mutter Gottes und bestieg den Thron seines Vaters. Die Bojaren neigten sich bis zur Erde und baten um Verzeihung. — »Wir haben gesündigt" — sprachen sie — „haben uns einem fremden Fürsten zugewandt." Danilo antwortete: „Ich begnadige Euch, handelt aber künftig nicht mehr so, damit es Euch nicht schlimmer ergehe!" Rostislaw flüchtete nach Ungarn. Nach langjährigen Mühen und steten Kämpfen war Danilo nun wieder Beherrscher von ganz Galizien und Wolhynien. Er sah aber ein, dass sein Aufenthalt in Galitsch nicht von Dauer sein würde und liess sich daher in dem von ihm erbauten Cholm nieder. Als er sich einst auf einer Jagdpartie befand, — er war ein grosser Jagdfreund — kam er an eine Stelle, die ihm sehr gefiel. „Wie heisst diese Stelle?" fragte e r ; man antwortete ihm, „Cholm!" (der Hügel). „Hier soll eine Stadt Cholm entstehen," sagte er und weihte die zukünftige Stadt dem heil. Johannes Chrysosostomus. Zu jener Zeit erhielt nämlich jede neue Stadt ihren Schutzheiligen. Er erbaute sich hier ein herrschaftliches Haus und eine schöne, dem heil. Johannes geweihte Kirche. Seiner Aufforderung zur Ansiedelung, wurde aus allen Himmelsgegenden Folge geleistet. Hier befestigte sich Danilos Macht, hier gab es keine Ueberlieferungen, welche den fürstlichen Zielen widerstrebten, wie in der alten Stadt. Alle, die hier Wohnung nahmen, waren von des Fürsten Gnade abhängig und mussten daher im eigenen Interesse ihm ergeben sein. Die Uebersiedelung aus einer alten in eine neue Stadt, war damals ein für die Ruhe und Sicherheit der Fürsten beliebtes Mittel; hier konnte er, umgeben von seiner getreuen Drushina, ohne Furcht vor den Intriguen der Bojaren, in Ruhe leben; — umgeben von den Bojaren wäre dies kaum möglich gewesen. Danilos Macht erstreckte sich auch über das kijewer Land, und endlich kam auch die Stadt Kijew in seinen Besitz. Sie war, nachdem sie durch Jaroslaw von Ssusdal dem Wladimir Rjurikowitsch entrissen worden (er starb im Jahre 1236), aus eine Hand in die andere übergegangen, bis sich endlich Danilo des Landes bemächtigte. Dies geschah aber bereits kurz vor der Katastrophe, der fürchterlichen Erschütterung, welche dem Gang der russischen Geschichte eine ganz andere Wendung gab. Die Tataren, vom Mongolen-Chan Batyj, einem Enkel TschingisChans, geführt, eroberten und verheerten bereits das östliche Russland. Die Russen vertheidigten sich überall heldenmüthig; weder eine Stadt noch ein Fürst ergab sich ohne Kampf. Die Vertheidigung war aber unverständig geführt uud deshalb gänzlich erfolglos. Vor allen übrigen Ländern wurde im Jahre 1237 das rjäsaner Land vollständig verheert. Alle Städte desselben wurden bis auf den Grund zerstört, und das Land
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von Bewohnern entblösst; trotz alledem kam ihm aber das Ssusdal-rostower Land nicht zu Hilfe, um es aus seiner Noth zu erretten. Dieses musste dafür auch das nämliche Schicksal über sich ergehen lassen. Die Tataren brannten Moskau (damals blos eine Landstadt des Fürstenthums Wladimir) nieder und tödteten Alt und Jung. Am 7. Februar 1238 wurde Wladimir zerstört. Hier in der Kathedralkirche kam die Familie des Fürsten Jurij Wssewolodowitsch mit einer grossen Anzahl von Bojaren und einer Menge Volkes um. Die Tatarenhorden überschwemmten das ganze Land, zerstörten Städte und Dörfer und machten überall die Bewohner nieder. Am 4. März desselben Jahres kämpfte Fürst Jurij Wssewolodowitsch mit andern Fürsten seines Landes, am Ufer des Ssitj, einen verzweifelten Kampf gegen die Tataren, wurde aber besiegt und getödtet. Nachdem Batyj das östliche Russland verwüstet hatte, wollte er auch gegen Nowgorod ziehen, hier aber waren ihm die dichten Wälder und Sümpfe ein Hinderniss. Die Tataren zerstörten nur Torshok und wandten sich dann nach Süden. Ueberall fand Batyj verzweifelten Widerstand. Die kleine Stadt Koselsk vertheidigte sich sieben Wochen lang, und als sie endlich erobert-wurde, vergossen die Tataren daselbst so viel Blut, dass der junge Fürst Wassilij thatsächlich in Blut erstickte. Im Jahr 1239 nahmen und verbrannten sie Tschernigow und näherten sich Kijew. Batyjs Neffe, Mengu-Timur, erfreute sich am Anblick Kijews von der Sandburg aus, auf dem linken Ufer des Dnjepr. Die steineren Mauern der oberen Stadt, hinter denen die vergoldeten Spitzen der Zehnten-Kirche, der heiligen Sophienkirche und des Michaelklosters hervorblinkten, die farbigen Ziegeldächer der fürstlichen Paläste, längs dem Dnjepr, rechts unten der Podol (der untere Stadttheil Kijews) mit vielen Kirchen, links das St. Nikolaus-, das grossartige Höhlen- und das Wydubizer Kloster, welche unter sich und von der Stadt durch einen dichten Wald, der sich den steilen Berg hinaufzog, getrennt waren; — Alles dies entzückte jetzt die Blicke dieses Steppenräubers. Er sandte Boten in die Stadt und forderte sie zur Uebergabe auf. Die Boten wurden getödtet. Die Eroberer zogen sich zurück, mit der Absicht, im nächsten Jahr wiederzukommen und die Kijewer zu züchtigen. Gegen Ende des Jahres 1240 erschienen die fürchterlichen Heereshaufen Batyjs; sie waren wahrscheinlich auf dem Eise des Dnjepr gekommen. Die Tatarenhorden lagerten sich um die obere Stadt herum, wo sich jetzt die Altstadt befindet. Jenseits der Grenzen dieses Stadttheils, dem Flusse Lybedj zu, befanden sich Anbauten, welche damals natürlich bis auf den Grund zerstört wurden. Gegen Süden, in der Richtung zum St. Nikolaus- und Höhlenkloster, war ein dichter Wald. Der Chronist erzählt, die Feindesmassen seien so gewaltig gewesen, dass man vor dem Lärm der tatarischen Karren, dem Gebrüll der Kamele und dem Gewieher der Pferde in der Stadt kein Wort vernehmen konnte. Batyj begann seinen Angriff gegen die Ljader-Pforte, welche sich an der südlichen Seite befand. Tag und Nacht arbeiteten die Tataren mit ihren
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Mauerbrechern, und endlich ward die Mauer zertrümmert. Die Kijewer vertheidigten sich verzweifelt, bis die Tataren sie endlich von den Mauern herabwarfen und selbst hinaufstiegen. Dann rotteten sich die Kijewer bei der Zehntenkirche zusammen und errichteten in einer Nacht eine Befestigung um dieselbe. Als die Eroberer auch diese letztere zu zerstören anfingen, zogen sich die Kijewer mit ihrer Habe, so viel jeder zusammenraffen konnte, auf das Dach der Kirche zurück und vertheidigten sich von dort aus, so lange sie konnten, — bis endlich die Kirchenmauern unter ihnen zusammenstürzten. Der Chronist meint, in Folge der Last, wahrscheinlich aber waren die Stösse der tatarischen Mauerbrecher die Ursache. Von der Zerstörung des Podols haben wir keine Nachricht, es ist jedoch zweifellos, dass damals ganz Kijew in einen Ruinenhaufen verwandelt ward. Ebenso kann man annehmen, dass ein grosser Theil der Einwohner schon vorher entflohen war, denn die Ankunft der Tataren war längst erwartet. Der Tyssjätschskij Dmitrij, den Danilo in der Stadt gelassen hatte, gerieth, schwer verwundet, in die Hände der Tataren, Batyj befahl jedoch, ihn zu schonen, wahrscheinlich um ihn bei seinen späteren Feldzügen zu brauchen. Die erobernden Heereshaufen Batyjs zogen von Kijew aus nach Westen, Alles, was ihnen in den Weg kam, vertilgend und zerstörend. Die Stadt Kolodjashnyj (das heutige Ladyshin) ergab sich ausnahmsweise freiwillig, in der Hoffnung, verschont zu werden. Die Tataren machten jedoch sämmtliche Einwohner nieder, obschon sie in ähnlichen Fällen nicht selten die Besiegten verschont hatten. Alle wolhynischen Städte fielen der Zerstörung anheim, nur das auf einem unzugänglichen Berge belegene Kremenez ergab sich den Tataren nicht. In Wladimir wurden alle Einwohner, ohne Ausnahme, getödtet. Die Russen verliessen ihre Wohnungen in den Städten und Dörfern und verbargen sich in den Wäldern oder flohen, ohne zu wissen wohin. Danilo befand sich während dieser Zeit in Ungarn; er w a r , bevor er noch etwas von der Ankunft der Tataren erfahren hatte, nach Ungarn gegangen, um für seinen Sohn eine Braut zu werben, was ihm diesmal jedoch nicht gelang. In seiner Abwesenheit zerstörten die Tataren das verödete Galitsch. Der Tyssjätschskij Dmitrij, welcher sein Land vor noch grösserer Zerstörung bewahren wollte, überredete Batyj, nach Ungarn zu eilen und stellte ihm vor, dass sich andernfalls Ungarn und Deutsche mit grosser Macht gegen ihn vereinigen würden. Die Eroberer theilten sich in zwei Theile: der eine zog über die Karpathen nach Ungarn, der andere über Polen nach Schlesien und Mähren, von wo aus sie nach drei Jahren in ihre Steppen zurückkehrten. Danilo kam aus Ungarn zurück, ohne zu wissen, wo seine Familie und sein Bruder sich befanden, und begab sich nach Polen. Hier traf
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er die Fürstin und Wassilko, welche sich vor den Tataren verborgen hielten. Der Fürst von Masowien, Boleslaw, hatte den Flüchtlingen die Stadt Wyschgorod überlassen, und Danilo blieb so lange hier, bis er erfuhr, dass sein Gebiet von den Tataren verlassen sei. Auf der Rückkehr in sein Land, wollte er in Drogitschin Halt machen; der dortige Statthalter liess jedoch seinen Fürsten nicht herein; wahrscheinlich machte er gemeinschaftliche Sache mit den Bojaren, welche, die allgemeine Verwirrung benutzend, aufs Neue ihre Eänke gegen den Fürsten zu schmieden begannen. Danilo zog darauf mit seinem Bruder Wassilko nach Berestje, konnte sich jedoch in Folge des von den verwesenden Leichnamen ausgehenden Gestankes nicht nähern. Das nämliche Bild bot Wladimir, sie begegneten dort keiner einzigen Seele, — alle Kirchen waren mit Leichenhaufen überfüllt. Man sah, die Einwohner hatten beim Ueberfall der Tataren Zuflucht in den Kirchen gesucht und waren dort umgekommen. Danilos Aufgabe war nun, Wohnungen aufzubauen und die zerstreuten Reste der Bevölkerung zu sammeln. Unterdessen glaubten die galitscher Bojaren, welche sich des ganzen Landes bemächtigt hatten, dasselbe nach ihrem Belieben regieren zu können. Die Zeit war aber vorbei, wo sie gegen Danilos Willen aufkommen konnten. Der Bojar Dobroslaw und Ssudjitsch, eines Pfaffen Enkel, hatten sich das Unterland eigenmächtig angeeignet, und Grigorij Wassiljewitsch hatte das peremyschler Bergland in Besitz genommen. Diese Bojaren vertheilten nun die Bezirke und Einkünfte unter ihre verschiedenen Vasallen. -Dobroslaw hatte z. B. zwei Vasallen: Lasar Domashiritsch und Iwor Moliboshitsch, Leute — wie der Chronist erwähnt — von niederer Herkunft, denen dieser Bojar Kolomjsa, welches dem Fürsten früher grosse Einkünfte an Salz geliefert, zugewiesen hatte. Zum Glück für Danilo lebten diese Bojaren in Feindschaft unter einander, und obschon sie Alle ihren Fürsten hassten, so denunzirte doch einer den andern bei ihm. Ihre Feindschaft benutzend, befahl Danilo, der weder dem einen noch dem andern traute, beide festzunehmen und sandte seinen Siegelbewahrer Kirill, um eine Liste von allen Räubereien und Missbräuchen, die sie während ihrer Verwaltung verübt hatten, anzufertigen. Rostislaw Michailowitsch, der unruhige, zanksüchtige Sohn des tschernigower Fürsten, machte Danilo gleichfalls viel zu schaffen. Während Kirill im Unterlande Untersuchungen anstellte, versuchte Rostislaw, der sich mit den Fürsten von Bologowo verbündet hatte, sich Bakotas im Unterlande zu bemächtigen, hatte jedoch keinen Erfolg. Dafür rächte sich Danilo an den Bologower Fürsten, die seine Geduld lange genug missbraucht hatten. Insbesondere war er auf sie deshalb zornig, weil sie mit den Tataren im Einverständniss gewesen waren. Diese Fürsten hatten in ihrem Lande von den Tataren keine Unbill erfahren — unter der Bedingung, dass sie Hirse und Weizen für sie säen wollten. Wenn sie daher gegen Danilo feindselig aufzutreten fortfuhren, geschah es, weil
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sie auf den Schutz der Tataren zählten. Danilo hatte Ursache, sie der Undankbarkeit zu zeihen, denn er hatte sie einst aus den Händen Boleslaws, des Fürsten von Masowien, befreit und wäre ihretwegen fast in Krieg mit diesem gerathen. Jetzt rückte er, um sie für ihr Bündniss mit Rostislaw zu strafen, mit einem Heer in ihr Land und brannte ihre Städte Derewitsch, Gubin, Kobud, Kudin, Gorodez, Boshjskij und Djädjkow nieder. Rostislaw beunruhigte Danilo bis zum Jahre 1249; er war mit einer Tochter des ungarischen Königs Béla vermählt und hoffte, mit Hilfe seines Schwiegervaters, sich Galitschs bemächtigen zu können. Auch die Polen mischten sich in diese Kämpfe, denn eine andere Tochter Bêlas war mit dem Fürsten Boleslaw verheirathet, und dies war der Grund, weshalb Danilo Boleslaws Nebenbuhler, Konrad, welcher mit einer Verwandten Danilos vermählt war, beistand. Endlich, nach langwierigen, unbedeutenden Kämpfen, kam es 1249 zu einer entscheidenden Schlacht. Rostislaw zog mit einem Heer, welches aus Russen, Ungarn und Boleslawer Polen bestand, gegen die Stadt Jaroslawl. Die Ungarn waren vom Feldherrn Filnij befehligt, der von den Russen der „hoffärtige Filja" genannt wurde; es war derselbe, welcher einst von Mstislaw dem Kühnen besiegt ward. Prahlhans Rostislaw sprach: „Wüsste ich, wo Danilo und Wassilko jetzt sind, so zöge ich mit zehn Kriegern gegen sie aus!" Unterdessen veranstaltete er ein Turnier, in dem er gegen einen gewissen Worsch kämpfte ; dabei strauchelte sein Pferd, er stürzte und beschädigte 6ich die Schulter. Man hielt dies für eine schlimme Vorbedeutung. Währenddem zogen Danilo und Wassilko gegen ihn aus. Ihnen folgten die Litthauer und Polen von Konrads Seite; es befanden sich auch einige russische Fürsten dabei, welche in Danilos Dienste getreten waren. Diese Partei hatte ebenfalls ihr Vorzeichen : Ueber ihrem Heer versammelte sich ein grosser Flug Adler und Raben und kreiste kreischend über ihren Häuptern. „Das ist von guter Vorbedeutung" — sprachen die Russen. Die Schlacht fand am 17. August statt. Der ungarische Feldherr Filnij war im Hintertreffen, er hielt die Fahne und rief: „Russland kämpft schlecht; halten wir seinen ersten Anprall aus, so wird es im Handgemenge bald ermatten." Danilo jedoch griff ihn mit seinem Regiment an und brachte Verwirrung in seine Reihen. Filnijs Fahne wurde erobert und zerrissen. Ljow (Leo), ein junger Sohn Danilos, zerbrach seinen Spiess an Filnijs RüstuDg. Von der andern Seite riefen die Polen, auf die Russen weisend: „Lasst uns die Grossbärte jagen!" — „Ihr lügt, — rief ihnen Wassilko zu. — Gott ist unser Helfer!" Die Polen riefen ihr Feldgeschrei: „Keryljesch!" (kyrie eleison) und warfen sich gleichzeitig auf Wassilko, wurden jedoch von den Russen zurück und in die Flucht geschlagen. Als Rostislaw sah, dass die Ungarn und Polen flohen, ergriff auch er die Flucht. Danilo hatte einen vollständigen Sieg errungen. Der Wojewode Filnij wurde vom Schlossverwalter Andreas ergriffen, zu Danilo geführt und getödtet. Bei dieser Gelegenheit wurde auch der Kostomarow-Henckel, Russ. Geachiclite in Biogr. I.
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Urheber aller Wirren, Bojar Wolodislaw, gefangen und hingerichtet. Rostislaw machte von nun an keinen Versuch mehr, sich des Galitscher Fürstenstuhls zu bemächtigen. Sein Schwiegervater Béla gab ihm Matschwa an der Sawa, und seit dieser Zeit finden wir seinen Namen in der russischen Geschichte nicht mehr erwähnt. Im nächsten Jahr schloss Danilo, durch Vermittlung des Metropoliten Kirill, Frieden mit dem ungarischen König, und dieser gab Danilos Sohn Ljow seine Tochter zur Frau. Die Hochzeit wurde in Iswolino gefeiert. Danilo brachte die Ungarn, welche er in der Jaroslawer Schlacht gefangen hatte, als Unterpfand des Friedens mit sich und gab sie dem König. So hatte Danilo endlich, sowohl für sich, als auch für seine Länder Ruhe erlangt; mit den Ungarn sowohl, als auch mit den russischen Fürsten hatte er nun Frieden. Viel Mühe und Anstrengungen, schwere Jahre und unermüdliche Geduld hatte ihm diese Ruhe gekostet. Jetzt war er einer der mächtigsten Herrscher unter den Slawen. Bis zu dieser Zeit hielt er sich noch, dem Chan gegenüber, nicht für tributpflichtig. Die mongolischen Horden waren wie ein verderbenbringender Sturmwind über das südliche Russland nur hingebraust und hatten, obwohl fürchterliche, so doch einstweilen noch leicht verwischbare Spüren hinterlassen. Das Loos anderer russischer Fürsten hatte Danilo, dem Anschein nach, nicht betroffen. Es blieb aber nicht so; im Jahre 1250 kamen Botschafter von Batyj mit den drohenden Worten: „Gieb Galitsch!" Danilo ward betrübt. In den beständigen Kriegen mit seinen Gegnern hatte er keine Zeit gefunden, seine Städte zu befestigen und war nun nicht imstande, den tatarischen Horden, falls sie über ihn gekommen wären, Widerstand zu leisten. Er dachte über seine Lage nach und sagte dann : „Ich werde nicht meinen halben Besitz hergeben; lieber gehe ich selbst zum Chan." Wäre Danilo genöthigt gewesen, auf Galitsch, das Land, welches er durch langjährige blutige Kämpfe errungen, zu verzichten, so würde ihm ein noch grösseres Unglück gedroht haben: Nachdem sie Galitsch genommen, hätten sich die Mongolen keineswegs damit begnügt, ihn in seinem übrigen Besitz nicht in Ruhe gelassen; es war daher vernünftiger, sich vorher schon als Tributpflichtigen des Chans zu bekennen, um, falls günstige Umstände eintreten sollten, die Macht zu bewahren, gegen die Eroberer Russlands künftig anders aùfzutreten. Am 26. Oktober trat Danilo die weite Reise an. Als er durch Kijew kam, rastete er im Wydubizer Kloster und berief die Kirchenältesten und Mönche, um für ihn zu beten. Auch er richtete ein Gebet an den Archistrateg Michael, und setzte sich dann, vom Segen des Abts geleitet, ins Schiff, um nach Perejaslawl zu fahren. Hier traf er die Tataren. Der Temnik 1 ) des Chans, Kuremssa, begleitete ') Anführer eines Heeres von 10,000 Mann.
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ihn auf seiner weiteren Reise. Mühselig und furchtbar ward ihm dieser Weg. Sorgenvoll blickte er auf die heidnischen Gebräuche, welche jetzt dort herrschten, wo früher das Christenthum lebendig gewesen war, und es schreckte ihn die Befürchtung, dass er, der rechtgläubige Fürst, von den Mongolen gezwungen werden könnte, einen Strauch, das Feuer oder die verstorbenen Vorfahren anzubeten. Sein Weg führte durch die Steppe an die Wolga. Hier traf er einen gewissen Ssungur, der ihm sagte: „Dein Bruder hat den Strauch angebetet, auch Du wirst es thun müssen." — „Der Teufel spricht aus Dir," — rief der erzürnte Danilo — „möge Dir Gott die Lippen verschliessen und ich nie mehr ein solches Wort hören!" Batyj Hess ihn zu sich kommen und zum Trost für Danilo wurde er zu nichts,, was einer Götzenverehrung ähnlich gewesen wäre, gezwungen. „Danilo," — sprach Batyj zu ihm — „weshalb bist Du nicht schon früher zu mir gekommen? Es ist gut, dass Du jetzt gekommen bist. Kannst Du unsre Milch, Stuten-Kumys trinken?" „Bis jetzt habe ich dergleichen noch nicht getrunken, aber wenn Du befiehlst, werde ich es trinken." Batyj sagte ihm: „Du bist jetzt einer von den Unsern, bist Tatar, trinke also unser Getränk!" Danilo trank und sagte, er wolle jetzt die Frau des Chans begrüssen; der Chan sprach: „Geh'!" Danilo begrüsste des Chans Frau, Batyj sandte ihm Wein und liess ihm sagen: „Ihr seid nicht gewohnt, Kumyss zu trinken, trinke also Wein!" Danilo blieb 25 Tage in der Horde und wurde gnädig entlassen. Batyj überliess ihm seine Besitzungen als Erbtheil. Nach seiner Rückkehr wurde er von seinen Verwandten und Freunden zwar freudig, doch auch kummervoll begrüsst. Sie freuten sich, ihn lebend und gesund wiederzusehen, seine Erniedrigung aber betrübte sie. Diese Erniedrigung empfand das ganze russische Land mit ihm, und der zeitgenössische Chronist sprach sie aus mit den Worten: „Oh, diese tatarische Ehre ist schlimmer als schlimm! Danilo Romanowitsch, der grosse Fürst, der Beherrscher von Kijew, Wolhynien, Galitsch und anderer Länder muss auf den Knien liegen, wird Knecht genannt, es ist ihm Tribut auferlegt, er zittert für sein Leben und muss Drohungen fürchten!" Obschon die Unterwerfung unter den Chan die Fürsten einerseits erniedrigte, befestigte sie andrerseits doch auch deren Macht. Der Chan hatte Danilos Länder ihm als Erbgut übergeben, wie den anderen Fürsten die ihrigen. Früher bezeichnete Danilo, gleich den übrigen Fürsten, seine Länder als „Stammgüter", dieses Wort hatte jedoch, eine andere Bedeutung, als das spätere „Erbgut". Ersteres bedeutete nur das moralische Recht des Fürsten, dort zu regieren und zu herrschen, wo seine Vorfahren geherrscht hatten. Dies Recht hing jedoch noch von anderen Be9*
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dingungen ab: vom Willen der Bojaren und des Volks, vom Erfolg seiner Nebenbuhler, an denen es nie fehlte, von der Nachbarschaft fremder Völker und von allerlei Zufälligkeiten. Die Fürsten mussten sich stets mit eigenen Mitteln schützen und bewahren. Jetzt, nachdem sich der Fürst dem Chan unterworfen und seine Herrschaft ihm, dem Eroberer, als Eigenthum übertragen hatte, empfing er sie als Erbgut wieder zurück; nun hatte er ein Recht auf Schutz seitens desjenigen, der ihm seine Herrschaft verliehen hatte. Niemand konnte ihm jetzt dieselbe rauben, ausser demjenigen, dem er sie verdankte. Das Recht der Wetsche, welches sich entweder im Willen der Bojaren oder in dem des Volkes offenbarte, war vernichtet, denn der Fürst konnte die Unbotmässigen stets durch die Drohung mit den Tataren einschüchtern. Der Nachbarfürst getraute sich nicht mehr, wie früher, seinen Nachbar zu verjagen, denn dieser konnte an der mächtigen Horde Schutz finden. Die Fürsten wurden den Bojaren, dem Volk nnd anderen Fürsten gegenüber souverän. Die östlichen Fürsten hatten diese Lage sofort begriffen und sich leicht mit der neuen Ordnung der Dinge ausgesöhnt. Danilo aber war zu sehr an seine frühere Stellung gewöhnt, als dass er sich leicht in die neue Lage gefunden hätte. Die europäischen Begriffe waren ihm viel vertrauter, als den östlichen Fürsten. Die Schande der Knechtschaft konnte ihm durch nichts ausgeglichen werden. Sein sehnlichster Wunsch war die Befreiung vom schimpflichen Joch. Dieses Ziel konnte durch materielle Anstrengungen sowohl, als auch durch Erhöhung der moralischen Bedeutung Danilos unter den europäischen Herrschern erreicht werden. Danilos ganzes Leben war von nun an dieser Idee gewidmet und, wie wir sehen werden, nicht erfolglos. Die Freundschaft mit dem ungarischen König und sein Bündniss mit demselben, hatten Danilo in die Angelegenheiten des westlichen Europa eingeführt. Nach dem Tode des österreichisch-steyrischen Herzogs Friedrich wollte der ungarische König nicht gestatten, dass sich der deutsche Kaiser Oesterreich und die Steiermark, diese jetzt herrenlosen Länder, aneigne. Der König forderte 1252 Danilo auf, ihm beizustehen. Diese Angelegenheit sollte durch kaiserliche Botschafter in Poshga geordnet werden. Danilo traf hier die deutschen Botschafter, welche die ihnen ungewohnte Bewaffnung der Russen, ihre mit Lederrüstungen versehenen Pferde und ihre glänzenden tatarischen Waffen anstaunten. Danilo selbst ritt neben dem König, er war russisch gekleidet, sein Sattel mit gediegenem Gold beschlagen, Pfeile und Säbel waren vergoldet und verziert. Er trug einen Mantel (natürlich nicht einen Pelzmantel, denn es war ein heisser Tag) aus griechischem Stoff, geschmückt mit Spitzen und Goldborten und hatte grüne, mit Gold ausgenähte Saffianstiefel an. Sein ausgezeichnetes Rassepferd erregte Bewunderung und Lob. „Deine Ankunft auf russische Fürstenart ist mir lieber, als tausend Silberstücke," sagte ihm der König bei seiner Begrüssung. Bald darauf erhob sich ein neuer Zwist aus Anlass des österreichisch-steyrischen Erbes. Der verstorbene Friedrich hatte
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zwei Töchter hinterlassen; die eine war mit Ottokar, dem Sohn des böhmischen Königs Wazlaw vermählt, die andere, Namens Gertrud, war Wittwe des Markgrafen von Baden. Ottokar wollte, im Einverständniss mit der Partei, welche seine Ansprüche in Oesterreich vertrat, das ganze E r b e an sich reissen. Gertrud wandte sich um Schutz an Béla. Hier, an dessen Hof, machte Danilos Sohn Roman ihre Bekanntschaft und heiratete sie. Daraus entsprang Danilos Anspruch, seinem Sohn den Besitz von Oesterreich und Steyermark zuzuwenden. F ü r Danilos Herzenswünsche wäre ein Erfolg in dieser Beziehung von grosser Bedeutung gewesen. Mit Béla und dessen Schwiegersohn, dem polnischen Fürsten Boleslaw dem Keuschen verbunden, unternahm Danilo einen Feldzug gegen Ottokar, in das Opawerland (Troppau). Dieser, in seinen Folgen verfehlte Feldzug ist, nach den Worten des Chronisten, nur dadurch bemerkenswert!), weil bis dahin kein einziger russischer Fürst soweit nach Westen vorgedrungen war. Danilos Bundesgenossen, die Polen, hatten sich während dieses Krieges sehr wenig tapfer bewiesen, so dass sich Danilo bewogen fand, ihnen ins Gewissen zu r e d e n ; endlich verlor er die Geduld und sagte ihnen: „ I h r könnt gehen, wenn Ihr wollt, ich werde mit meiner kleinen Drushina allein bleiben!" Danilo litt damals an einer schlimmen Augenkrankheit, trotzdem aber ritt er beständig mit blankem Schwert umher, sammelte die Krieger und feuerte sie an. Die Verbündeten, welche die Stadt Opawa nicht erobern konnten, bemächtigten sich nur des Städtchens Nassilje (Nosselt) und zwangen den böhmischen Feldherrn Herbort als Zeichen der Unterwerfung, sein Schwert an Danilo zu senden. Dieser Krieg war nach damaligem allgemeinen Brauch von einer barbarischen Verheerung des Landes begleitet. Danilo milderte jedoch die Härte desselben; so begnügte er sich z. B. nach der Einnahme von Nassilje mit der Befreiung seiner Gefangenen, ohne Jemand etwas Böses zufügen zu lassen. Roman Danilowitsch konnte auch in der Folge nicht in den Besitz von Oesterreich gelangen. Béla änderte seine Pläne in Bezug auf Roman ; er hatte Gertrudens Sohn aus erster Ehe an seinem Hof behalten und beabsichtigte nun, ihn mit seiner Tochter zu vermählen, um ihm dann die streitigen Besitzungen zuzuwenden, und deshalb liess er auch jetzt Roman, der in Oesterreich mit Ottokar kämpfte, ohne Hilfe. Roman war mit seiner F r a u in Neuburg unweit Wien belagert und litt Noth ; er erwartete vergebens auf seine Befreiung durch Béla. Da machte ihm Ottokar folgenden Vorschlag: „Verlasse den Ungarkönig, er verspricht viel, hält aber nichts; Du bist mein Schwager, — theilen wir das Land unter uns! Und als Beweis, daBS ich es ehrlich meine, stelle ich als Zeugen: den Papst und zwölf Bischöfe." Roman jedoch handelte nach den moralischen Grundsätzen seines Vaters, der seine Bundesgenossen nie verrathen hatte, und sprach: „ I c h gab meinem Schwiegervater, dem Ungarkönig mein Wort, darf also nicht auf Dich hören. Ein gegebenes Versprechen nicht zu
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halten, ist schändlich und sündhaft." Sogar seine Frau hetzte ihn gegen Béla auf: „ E r hat mir meinen Sohn genommen," sprach sie, „und will nun auch unser Land nehmen! Seinetwegen leiden wir hier Hunger." Roman war unbeugsam. Ein ihnen ergebenes Weib machte sich heimlich aus Neuburg nach Wien auf und brachte ihnen Nahrung. Endlich wurden sie durch einen gewissen Werenger befreit, und Roman begab sich zu seinem Vater. Danilos Plan war nach dieser Seite hin vollständig misslungen. Dagegen hatten Danilos Angelegenheiten im Norden einen glücklicheren Fortgang. Die Jatwjägen, ein kriegerisches, wildes und grausames Volk, welches in den Wäldern und Sümpfen des heutigen Grodnoschen Gouvernements hauste, machten verheerende Einfälle auf russisches Gebiet und führten viele Gefangene mit sich hinweg, die sie in schwerer Sklaverei hielten. Danilo drang in ihre Schlupfwinkel, zerstörte ihre Dorfschaften und befreite alle russischen Gefangenen; zuletzt tödtete er auch ihren Fürsten Stekont in einer Schlacht, unterwarf die Jatwjägen seiner Herrschaft und legte ihnen Tribut auf. Auch mit den Litthauern verliefen seine Angelegenheiten glücklich. Dieses, einst den russischen Fürsten unterthänige Volk, hatte durch die deutschen Ritter, welche auf gewaltsame Weise die Taufe unter ihnen verbreiten wollten, die Geduld verloren. Der Conflict mit diesen neuen Feinden erweckte die schlafenden Kräfte der Litthauer, und sie kämpften nicht nur andauernd und tapfer, sondern wurden sogar ein kriegerisches und eroberungslustiges Volk. Litthauen fing an, sich auf Russlands Kosten auszubreiten. Einer ihrer Fürsten, Mindowg, gründete seine Residenz Nowogrodok auf russischem Terrain und wurde der mächtigste Fürst in ganz Litthauen. Zwei Neffen von ihm, Tewtiwill und Ediwid wurden gleichfalls Fürsten, der eine von Polozk, der andere von Smolensk, und ihr Onkel Wikint von Witebsk. Mindowg wollte sie unterwerfen; da wandten sie sich an Danilo um Hilfe. Dieser hatte, nach dem Tode seiner ersten Frau, Anna, sich mit einer Schwester Tewtiwills und Ediwids vermählt und nahm jetzt eifrig ihre Partei. Um Mindowg zu beugen, schloss er ein Bündniss mit Riga, reizte die Shmuden (einen Zweig der Litthauer) und die Jatwjägen gegen Mindowg auf und bedrängte ihn derartig, dass Mindowg, um Danilos Bündniss mit den Deutschen zu sprengen, den Wunsch zu erkennen gab, den katholischen Glauben anzunehmen. Im Jahre 1252 liess er sich in Gegenwart des päpstlichen Legaten und des deutschen Ordensmeisters taufen und ward als König gekrönt. Seine Taufe aber war Heuchelei; in seinem Innern war er Heide geblieben. Bald konnte Mindowg sich überzeugen, dass sein Bündniss mit den Deutschen zur Unterjochung führen würde und dass es besser für ihn sei, sich mit den Russen zu verständigen. Er schloss Frieden mit seinen Neffen und trug Danilo ein Friedens- und Freundschaftsbündniss an, das durch die Vermählung seiner Tochter mit Danilos Sohn, Schwarn, besiegelt werden sollte. Dies
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Bündniss brachte Midowgs Sohn, der berühmte Woischelk zustande; anfangs blutdürstig und grausam, wurde dieser litthauische Fürst, nachdem er sich zum Christenthum bekehrt hatte und Mönch geworden w a r , ein strenger Ascet. Dem Danilo ergeben, führte er ihm seine Schwester, die zukünftige Gemahlin Schwarns, zu. Der Friede wurde dadurch befestigt, dass man Danilos ältesten Sohn, Roman, Nowogrodok, Slonim und Wolkowyjsk gab, mit der Bedingung jedoch, dass er Mindowg als seinen Oberherrn anzuerkennen habe. Alle diese Erfolge waren aber für Danilos Ziele ungenügend. Er musste Bedeutung und Macht in Europa zu erlangen suchen, musste sich die Gewissheit verschaffen, dass er auf die Hilfe des Westens rechnen könne, falls er offen gegen die Tataren vorgehen würde. Um dieses Zieles willen musste er mit einer Macht in Verbindung treten, welche das ganze westliche Europa beherrschte, und eine solche Macht schien ihm der Papst zu sein. Die steten und dauernden Beziehungen, in denen Danilo zu den westlichen, katholischen Fürsten stand, waren geeignet, ihm eine hohe Meinung von der Macht des römischen Stuhls einzuflössen, obschon diese Macht damals nicht mehr imstande war, auszuführen, was sie noch ein Jahrhundert früher zustande gebracht hatte. Bereits im Jahre 1246 fing Danilo an, sich dem Papst zu nähern und den Wunsch zu äussern, sich unter den Schutz des heiligen Petrus zu stellen, um, mit dem Segen des heiligen Stuhls versehen und mit der Christenheit des Westens vereint, gegen die Mongolen zu ziehen. Die Folge dieser Beziehungen war eine Reihe päpstlicher Botschaften und Bullen. Vor allen Dingen beabsichtigte Papst Innocenz IV. die Vereinigung der russischen mit der römischen Kirche. Er sandte daher den Dominikanermönch Alexius Gezelon und Andere, um Verhandlungen über die Religion anzuknüpfen und liess sie beständig in der Nähe des russischen Fürsten verweilen. Er schrieb viele Bullen, in denen er Danilo — König nannte. Auch liesa er den Russen ihre Liturgie über das Abendmahlsbrot und das ganze Ceremöniell der griechischen Kirche und machte Danilo unter anderm auch den Vorschlag, ihn als König zu krönen. Danilo hatte aber nur ein Ziel im Auge: ernstliche Hilfe des Westens, um Russland von den Mongolen befreien zu können. „Was liegt mir an der Königskrone/' — sprach er zum päpstlichen Botschafter — „die Tataren fahren fort, uns Böses zuzufügen; wozu nützt mir eine Krone, wenn man mir nicht thatsächlich hilft!" Im Jahre 1249, nachdem Danilo die Hoffnung auf des Papstes Hilfe aufgegeben hatte, vertrieb er den Bischof Albert, den der Papst als Oberhaupt der Geistlichkeit in Südrussland eingesetzt hatte. Der päpstliche Legat zog unzufrieden aus Galizien ab. Damit endeten damals Danilos Beziehungen zum Papst. Im Jahre 1252 brachte der ungarische König eine Versöhnung zwischen Danilo und Rom zustande, und der Verkehr mit dem Papst begann aufs Neue. Im Jahre 1253 erliess dieser eine Bulle an die Christenheit Böhmens, Mährens, Serbiens und Pome-
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raniens, in der er zu einem Kreuzzug gegen die Tataren aufforderte, und im nächstfolgenden J a h r , 1254, — eine Bulle an den Erzbischof, die Bischöfe und andere Geistliche Estlands und Preussens, in der er ihnen vorschrieb, den Kreuzzug gegen die Tataren zu predigen. Danilo glaubte, das ganze östliche Europa sei zur Erhebung gegen die Eroberer Russlands bereit. Zu dieser Zeit sandte auch der Papst seinen Botschafter mit der Königskrone an Danilo; diese päpstliche Gnade war jedoch Danilo nicht besonders begehrenswerth. Als er, aus dem böhmischen Feldzug heimkehrend, in Krakau die Abgesandten antraf, sagte er ihnen: „Ich halte es für unpassend, Euch im fremden Lande zu empfangen; — später!" Im nächsten Jahr kam der päpstliche Legat Opizo mit Königskrone, Scepter und ansehnlichen Zusicherungen nach Russland. Danilo war auch jetzt noch schwankend, es bewogen ihn jedoch, den Antrag des Papstes anzunehmen, einerseits — seine Mutter, andrerseits — die polnischen Fürsten Boleslaw und Semowit. Die Letzteren mit ihren Grossen versprachen Danilo, dass sie, sobald er die Krone angenommen habe, sofort gegen die Tataren ausziehen würden. Danilo wurde also in Drogitschin feierlich gekrönt und vom päpstlichen Legaten gesalbt (1255). Die Betheuerungen des päpstlichen Legaten, dass der Papst die griechische Kirche ehre, dass er diejenigen verdamme, welche die Ritualien derselben herabsetzen, dass er bald ein Concilium, um die Vereinigung der Kirchen zu beschliessen, berufen würde, beruhigten ihn. Die Feindseligkeiten der Tataren begannen im nämlichen Jahre. Ob es nun vielleicht das Gerücht war, dass man im Westen Vorbereitungen treffe, um sie anzugreifen, welches zu den Mongolen gedrungen sein mochte, oder ob sie aufgebracht waren, weil Danilo seine Städte befestigte, — man weiss es nicht. Kuremssa, der Temnik des Chans, kam vor Bakota. Milej, wahrscheinlich ein Russe, übergab die Stadt den Tataren und wurde von ihnen als Baskak daselbst ernannt. Danilo, der damals in Litthauen beschäftigt war, sandte seinen Sohn Ljow nach Bakota. Dieser eroberte es zurück und brachte seinem Vater den gefangenen Milej. Der Verräther verstand es, Mitleid zu erregen; Ljow selbst verbürgte sich für ihn, und Danilo, der den Versicherungen seiner Treue Glauben schenkte, entliess i h n ; — M i l e j aber übergab Bakota sofort wieder den Tataren. Kuremssa rückte nun gegen Kremenez, erobert« es aber nicht. Es fand sich ein russischer Fürst, der den Zorn der Tataren gegen Danilo zu seinen Gunsten auszubeuten verstand; — es war dies Isjaslaw, Fürst von Nowgorod-Sseweisk, ein Neffe jener Igorewitschs, welche früher in Galitsch aufgehängt -wurden. Er schlug den Tataren vor, sich Galitschs zu bemächtigen und erbat ihre Hilfe. Kuremssa sagte zu ihm: „Wie? Du willst gegen Galitsch ziehen? Fürst Danilo ist grimmig, er wird Dich tödten!" Isjaslaw folgte jedoch dieser Warnung nicht und zog gegen Galitsch. Als Danilo dies hörte, sandte er seinen Sohn Roman mit einer Kriegsschaar dorthin, blieb aber selbst in der Nähe von Grubeschow, wo
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er sich mit seinen Leuten auf der Eberjagd befand und eigenhändig drei Thiere mit dem Jagdspiess erlegte. Das Fleisch überliess er seinen Kriegern und sprach: „Sollten Euch selbst die Tataren begegnen, — so braucht Ihr Euch doch nicht zu fürchten!" Man sieht daraus, dass die Tataren schon durch ihren Namen allein den Russen Furcht einflössten. Roman überfiel Isjaslaw ganz unerwartet, so dass dieser, der weder sich zu vertheidigen, noch zu entfliehen imstande war, in eine Kirche hinaufsteigen, dort drei Tage zubringen, und sich am vierten, als er es vor Durst nicht länger aushalten konnte, ergeben musste, worauf er zu Danilo geführt ward. Kuremssa, ein schwacher, indolenter Mensch, zögerte, Danilo anzugreifen und ermuthigte dadurch den russischen Fürsten. Dieser fasste den Entschluss, alle russischen Städte, bis nach Kijew hin, den Tataren wegzunehmen. Der litthauische Fürst Mindowg versprach ihm seinen Beistand. Danilo sandte ein Kriegsheer aus, das er unter den Befehl seiner Söhne Schwarn und Ljow und des Feldherr Dionys Pawlowitsch stellte. Dionys nahm Meshiboshje ein, Ljow besetzte die Ufer des Bug und vertrieb die daselbst befindlichen T a t a r e n ; Danilos und Wassilkos Heer eroberte das Bologowerland und Schwarn bemächtigte sich aller Städte östlich vom Flusse Teterew bis Shiditschew. Die Bewohner von Bjelobereshje, Tschemjatin und Bologowo sandten Botschafter an Danilo, aber die Stadt Swjägel (jetzt Nowgorod-Wolhynsk), welche Danilos Beamten aufzunehmen versprochen hatte, brach ihre Zusage und widersetzte sich. Danilo folgte seinem Sohn Schwarn, nahm Swjägel mit Sturm und zerstreute dessen Einwohner. Unterdessen begannen die Litthauer, anstatt ihrem Versprechen zufolge, Danilo zu unterstützen und mit ihm. gegen Kijew zu ziehen, — ganz unerwartet zu rauben und seine Besitzungen in der Umgegend von Luzk zu verheeren. Der gegen sie abgesandte Dworskij (Schlosshauptmann) Olexa warf sie in den See und ertränkte sie. Der Verrath der Litthauer unterbrach jedoch Danilos weitere Erfolge. Den Tataren war Fehde erklärt. Kuremssas Macht rückte gegen L u z k ; aber diese Stadt stand auf einer Insel und die Bewohner derselben hatten vorsorglich die Brücke zerstört. Die Tataren wollten Steine über den Fluss in die Stadt schleudern, da sich jedoch ein heftiger Sturm erhoben hatte, zerbrachen ihre Katapulten. Nun war es mit Kuremssas Angriffen auf Danilo zu Ende. Im Jahre 1260 wurde aber an Kuremssas Stelle ein anderer Feldherr, Namens Burandaj, ein strenger, kriegerischer Mann ernannt. Seit man Danilo den Kreuzzug versprochen hatte, waren nun fünf J a h r e vergangen, das Versprechen aber noch immer nicht erfüllt. Auf die Hilfe des Westens rechnend, hatte Danilo die Tataren gegen sich aufgebracht und war nun auf seine eigenen Kräfte angewiesen. Burandaj erschien mit einem ungeheuren Heer in Wolhynien; er machte Danilo keine Vorwürfe wegen seiner Handlungsweise, sondern sandte ihm den
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Befehl, mit ihm gemeinschaftlich gegen Litthauen zu ziehen. Danilo war froh, wenigstens eine Zeitlang von diesen Gästen verschont zu sein und sandte seinen Bruder Wassilko zu Burandaj, um gegen Litthauen vorzugehen. Der Litthauer Verrath, welcher Danilos Erfolge gehemmt hatte, rechtfertigte sein Verfahren. Die Tataren zerstreuten sich über Litthauen und verheerten es mit Feuer und Schwert. Burandaj, durch Wassilkos Gehorsam anscheinend zufrieden gestellt, entliess ihn wohlwollend nach Wladimir. Im folgenden Jahre, 1261, aber, als Burandaj aus Litthauen zurückkehrte, sandte er den Romanowitschs folgende Drohung: „Seid Ihr im Frieden mit mir, so kommt mir entgegen; wer mir nicht entgegen kommt, mit dem bin ich im Kriege." Wassilko feierte gerade die Hochzeit seiner Tochter mit dem tschernigower Fürsten und musste das Hochzeitsmahl verlassen, um den grausen Temnik zu begrüssen. Danilo ging ihm nicht entgegen, sondern sandte seinen Sohn Ljow und den Erzbischof von Cholm, Iwan, an seiner Stelle. Die Abgesandten trafen Burandaj bei Schumsk und brachten ihm Geschenke. Burandaj empfing sie drohend und fuhr Wassilko und Ljow an. Der Erzbischof war vor Schreck ganz fassungslos. Endlich sagte Burandaj den Fürsten: „Wenn Ihr mit uns in Frieden leben wollt, so zerstört alle Eure Befestigungen." Auf Hilfe war nicht zu rechnen. Beim geringsten Widerspruch hätte Burandaj die Fürsten festgenommen und Tataren ausgesandt, um Alt und Jung auszurotten. Sie waren gezwungen, sich seinem Befehl zu unterwerfen. Ljow zerstörte die Befestigungen von Lwow (Lemberg), das er selbst gegründet hatte, und von Stoshok, das Danilo erst unlängst erbaut l\atte. Wassilko aber gab Befehl, die Befestigungen von Kremenez und Luzk zu zerstören. Burandaj selbst begab sich mit Wassilko nach Wladimir, um Augenzeuge von der Zerstörung der Befestigungen dieser Hauptstadt des wolhynier Landes zu sein. Auf dem Wege dorthin machte der Temnik am Shitanj Rast, um die Nacht daselbst zuzubringen und befahl Wassilko: „Gehe hin und zerstöre Deine Stadt!" Als Wassilko in Wladimir ankam, sah er, dass es nicht möglich sei, in so kurzer Zeit, bis, zu Burandajs Ankunft, alle Mauern niederzureissen; er befahl daher Feuer anzulegen. Als Burandaj ankam, erfreute er sich am Anblick der verbrannten Mauern; dann ass er mit Wassilko zu Mittag, bezeugte ihm seine Gnade, verliess vor Anbruch der Nacht die Stadt und liess am nächsten Morgen durch seinen Tataren Baimur sagen: „Wassilko, Burandaj hat mir befohlen, Deine Stadt von Grund aus zu zerstören!" „Thue, was man Dir geheissen!" antwortete Wassilko. Baimur liess nun die Erdwälle um Wladimir abtragen. Das war ein Zeichen des Sieges der Tataren über die Russen. Darauf rief Burandaj Wassilko zu sich und befahl ihm, mit seinen Bojaren und Dienern gegen Cholm zu ziehen.
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Danilo befand sich damals nicht mehr in seiner Residenz. Der Erzbischof Iwan war dorthin voraus geeilt und hatte Danilo erzählt, was ihm in Schumsk von Burandaj widerfahren war. Den Tataren Widerstand zu leisten, war undenkbar, sich zu erniedrigen, ihnen zu schmeicheln, war Danilo unerträglich; — er floh daher nach Ungarn. Cholm war gut befestigt. Es hatte Mauerbrecher und Wurfgeschosse • Bojaren und Bürger waren bereit', den Angriff abzuwehren. Burandaj sagte zu Wassilko: „Dies ist Deines Bruders Stadt, gehe zu den Bürgern hin und veranlasse sie, dass sie sich ergeben." Er gab ihm drei Tataren und einen Dolmetscher mit, welche den Befehl hatten, zu berichten, was Wassilko den Russen sagen würde. Wassilko nahm kleine Steine mit sich, und als er mit den Tataren vor die Stadt kam, rief er: „ H e d a , D u , Knecht Konstantin, und Du, Knecht Lukä Iwankowitsch, dies ist meines Bruders und meine Stadt, ergebt Euch!" Bei diesen Worten warf er dreimal Steine auf die Erde. Der Bojar Konstantin, welcher mit den Bürgern auf der Mauer stand, begriff, was das Werfen der Steine bedeuten sollte. Wassilko, der sich nicht getraute, seine wahre Meinung mit Worten auszudrücken, gab ihnen durch Zeichen zu verstehen, was er ihnen mit Worten nicht sagen durfte. „Geh f o r t ! " rief der Bojar Konstantin, — „sonst werfen wir Dir einen Stein ins Gesicht; Du bist nicht mehr der Bruder deines Bruders, sondern sein Feind!" Die Tataren erzählten Burandaj, was sie gehört hatten, und dieser war mit Wassilko sehr zufrieden. Befestigte Städte durch Belagerung einzunehmen, gehörte nicht zu den Bräuchen der Tataren und deshalb legten sie besonderen Nachdruck darauf, dass in den von ihnen unterworfenen Ländern keine befestigten Plätze vorhanden seien. Die Tataren zogen sich zurück. Burandaj befahl Wassilko, mit ihm nach Polen zu gehen. Dieser musste wieder gegen seinen Willen gehorchen, musste Zeuge und Mithelfer der Verheerung des Landes sein. Die Tataren nahmen Ssudomir (Sendomir) mit Sturm und tödteten alle Einwohner, die aus der zerstörten Stadt fliehen wollten, weder Geschlecht noch Alter schonend. Nachdem Burandaj Polen verheert hatte, begab er sich in die Ukraine, an den Dnjepr, wo seine Lager waren. Alle Herzenswünsche Danilos waren nun zerstört. Er musste einsehen, dass auf diese Weise Russland von den Tataren nicht erlöst werden konnte. Seine Verbindung mit dem Papst hatte weder für ihn, noch für den Papst zu einem erwünschten Resultat geführt. Danilo wollte Hilfe gegen die Eroberer, und nur diese Hilfe war es, weshalb er den Schutz des Papstes begehrt hatte; die päpstliche Politik dagegen hatte nur ein Ziel im Auge: den Russen zu schmeicheln, um die russische Kirche der Herrschaft des Papstes zu unterwerfen; — die materielle Lage der Russen war dem Papst gleichgültig. Es ist begreiflich, dass Danilo, als er sah,
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dass Westeuropa ihn betrogen hatte, und als er sich von der Machtlosigkeit des Papstes, ihm zu nützen, überzeugte, — nichts mehr von diesem wissen wollte. Papst Alexander IV. hatte ihm noch im Jahre 1257 eine Bulle mit bitteren Vorwürfen gesandt, in der er ihn beschuldigte, dem päpstlichen Stuhl seine Unterwerfung verweigert zu haben, und ihn mit dem Bannfluch der Kirche bedrohte. Danilo achtete auf diese Drohungen nicht, handelte aber vollkommen ehrlich und verdiente keinen Tadel; er heuchelte nicht, sondern sprach offen aus, dass er thätige Hilfe gegen seine Feinde brauche und dass er nur unter dieser Bedingung das Versprechen geben wolle, die geistliche Oberherrschaft des römischen Oberpriesters anzuerkennen, und i w a r nur dann, wenn ein Concilium einberufen würde, das die Vereinigung der Kirchen festzustellen habe. Weder das eine, noch das andere hatte er vom Papst erlangen können; dieser war faktisch nicht in der Lage, das, was er versprochen hatte, zu erfüllen. Es ist daher begreiflich, dass Danilos Gewissen ruhig war, als er sich vom Papste abwandte. Nachdem die russischen Befestigungen zerstört waren, stand Russland mehr als früher den Einfällen der Litthauer offen. Diese griffen nun das russische Land an, um sich für den Feldzug der Tataren zu rächen, wurden jedoch von Wassilko geschlagen und vertrieben. Darauf folgte im Jahre 1262 eine Umwälzung in Litthauen; Mindowg, der sich wieder •dem Heidenthum zugewandt hatte, ward erschlagen. Sein Sohn Wojschelk, welcher sein Mönchgewand einstweilen abgelegt hatte, nahm die Würde eines Fürsten von Litthauen a n , schlug Mindowgs Feinde und wollte sich wieder in sein Kloster zurückziehen, um Danilos Sohn, Schwarn, die Regierung zu überlassen. Während dieser Ereignisse starb 1264 Danilo, der sich schon früher eine Krankheit zugezogen hatte, in Cholm und wurde daselbst in der von ihm erbauten Mutter-Gottes-Kirche begraben. Es lag etwas Tragisches im Schicksal dieses Fürsten. Vieles hatte er erreicht, was keiner von den südrussischen Fürsten erreicht hatte, und er hatte dazu Anstrengungen aufgewandt, die ein Anderer an Beiner Stelle wohl kaum ertragen hätte. Fast das ganze, vom südrussischen Stamm bewohnte Südrussland hatte er seiner Herrschaft unterworfen, da es ihm aber nicht gelungen war, sich vom Mongolenjoch zu befreien und seinem Reich eine unabhängige Stellung zu verschaffen, war er auch nicht imstande gewesen, eine dauerhafte Basis für die künftige Unabhängigkeit zu begründen. Was seine Handlungsweise gegenüber seinen westlichen Nachbarn, sowie auch sonst betraf, so war Danilo stets entschlossen und furchtlos, aber auch grossherzig und gutmüthig bis zur Naivetät, also durchaus kein feiner Politiker. Keine seiner Handlungen zeigt eine Spur von List, nicht einmal von jener Schlauheit, welche die Menschen verhindert, betrogen zu werden. Dieser Fürst war das vollständigste Gegentheil von jenen vorsichtigen und berechnenden Fürsten des östlichen Russlands,
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welche, bei aller Verschiedenheit ihrer Charaktereigenschaften, den Weg der Hinterlist und Gewaltthätigkeit von ihren Vätern und Grossvätern ererbt hatten und gewohnt waren, in den Mitteln zur Erreichung ihrer Ziele nicht wählerisch zu sein. Das östliche Russland hatte bereits festbegründete Anfänge einer Reichseinheit aufzuweisen; Südrussland dagegen, welches bereits im XIII. Jahrhundert, unter einem von den europäischen Mächten als Monarch anerkannten Fürsten ein Reich gebildet hatte, w a r , noch vor Ablauf eines Jahrhunderts nach Damlos Tode, nicht nur zerfallen, sondern sogar Fremden zur Beute geworden. Daran war unstreitig auch die geographische Lage Südrusslands und dessen Nachbarschaft — der östliche Theil Europas — schuld. Einen Theil, den östlichen, hatten die Litthauer, einen anderen, den westlichen die Polen erobert, und nachdem sich Beide zu einer einzigen Macht vereinigt hatten, ward Südrussland jahrhundertelang vom russischen Familienverband losgelöst und dem gewaltsamen Druck fremder Elemente, von deren Last es sich nur durch schwere, langwierige und blutige Anstrengungen des Volkes befreien konnte, anheim gegeben. Danilo von Galitsch aber, eine edle Persönlichkeit, erweckt mehr als irgend ein anderer Herrscher des alten Russlands Sympathie für sich und seine Thaten.
VIII. Fürst Alexander Jaroslawitsch Newskij. Das XIII. Jahrhundert war eine Zeit der fürchterlichsten Erschütterungen für Russland. Von Osten her wurde es von den Mongolen und zahllosen Tatarenhorden, die diesen unterworfen waren, überfluthet; sie verheerten das Land und vertilgten oder unterjochten dessen Bewohner. Vom Nordwesten her wurde das Land vom germanischen Element, das unter dem Banner des westlichen Katholicismus erschien, bedroht. Ein Staatsmann jener Zeit hatte die Aufgabe, Russland seinen Feinden gegenüber eine solche Stellung zu geben, in der es zum mindesten seine Existenz bewahren konnte. Denjenigen Mann, welcher die Durchführung dieser Aufgabe unternahm und der zugleich auch ein dauerhaftes Fundament legte, das die allmälige Weiterentwicklung derselben gewährleistete, konnte man gewiss einen wahren Repräsentanten seines Zeitalters nennen. Ein solcher .Mann war Fürst Alexander Jaroslawitsch Newskij. Seine Kindheit und Jugend hatte er hauptsächlich in Nowgorod verbracht. Sein Vater Jaroslaw lag fast sein ganzes Leben hindurch mit den Nowgorodern in Streit, oder er war im Begriff, sich mit ihnen zu versöhnen. Mehrmals hatten ihn die Nowgoroder seiner strengen Gemütiis-
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VIII. Fürst Alexander Jaroslawitsch Xewskij.
art und Gewaltthätigkeit halber vertrieben, und wiederholt aufa Neue zu sich berufen, gleichsam als ob sie ohne ihn nicht bestehen könnten. Fürst Alexander musste schon in jungen Jahren mit seinem Vater zusammen diese Wandlungen durchmachen. Im Jahre 1228, als er mit seinem Bruder Fjodor und zwei fürstlichen Dienern in Nowgorod zurückgelassen wurde, musste er fliehen, da er sich dem Bürgerkrieg, der damals ausbrach — eine im freien Nowgorod nicht ungewöhnliche Erscheinung — nicht aussetzen durfte. Im Jahre 1230 kehrte der Jüngling mit seinem Vater abermals nach Nowgorod zurück und verliess dann die Stadt, wie es scheint, längere Zeit hindurch nicht mehr. Vom Jahre 1236 an beginnt Alexanders selbstständige Thätigkeit. Sein Vater Jaroslaw ging nach Kijew und Alexander wurde Fürst von Gross-Nowgorod. Zwei Jahre später (1238)'feierte Nowgorod die Hochzeit seines jungen Fürsten; er vermählte sich mit Alexandra, einer Tochter des Fürsten Brjätschislaw von Polozk, wahrscheinlich des letzten der Rogwolodowitschs, welche bald darauf in Polozk durch die litthauischen Fürsten ersetzt wurden. Alexanders Trauung fand in Toröpez statt und es wurden zwei Hochzeitsgelage — die man damals „Kascha" (Grütze) nannte — eines in Toröpez, das andere in Nowgorod gefeiert, gleichsam um auch die Nowgoroder an seiner .Familienfeier theilnehmen zu lassen. Der junge Fürst war hoch gewachsen, von schöner Gestalt und seine Stimme tönte, nach dem Ausdruck eines Zeitgenossen, „wie eine Trompete vor dem Volk". — Binnen Kurzem sollte er eine wichtige That vollbringen. Die Feindschaft des germanischen Stammes gegen den slawischen, gehört zu jenen weltgeschichtlichen Erscheinungen, deren Anfangsgrund der Forschung unzugänglich ist, da er sich bis in das Dunkel vorhistorischer Zeiten verliert. Trotz aller Dürftigkeit unseres Wissens finden wir schon im grauen Alterthum nicht selten Spuren des Druckes, den der germanische Stamm auf den slawischen ausübte. Bereits seit dem IX. Jahrhtfndert beginnt die ununterbrochene, jahrhundertelange Verfolgung slawischer Stämme; die Germanen unterjochten sie, drängten sie nach Osten und zogen ihnen nach, um sie aufs Neue zu unterjochen. Das weite baltische Gebiet, das einst von zahlreichen slawischen Stämmen bewohnt war, gerieth derartig unter das gewaltsame Joch der Germanen, dass die letzten Spuren seines Volksthums verloren gingen. Weiter östlich von den baltischen Slawen, wohnten litthauische und finnische Stämme, welche jene von ihren russischen Stammesgenossen trennten. Zu diesen baltischen Slawen drang, unter dem Banner der Religion, am Ende des XII. und am Anfange des XIII. Jahrhunderts, eine kriegerische Genossenschaft der Deutschen und verband auf diese Weise die Unterjochung fremder Stämme mit der Verbreitung des Christenthums unter den Heiden und mit der Unterwerfung derselben unter den päpstlichen Hirtenstab. Es war diese kriegerische Gemeinde der Ritterorden der Kreuzherren, welcher aus zwei Aesten bestand, dem der Deutsch - Ritter oder der Ritter zur
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heiligen Jungfrau Maria und dem später (1202) gegründeten Orden der Brüderschaft des Schwertes Christi, der zur Ansiedelung unter den Finnen und Letten, den Nachbarn der Russen, bestimmt war. Beide Orden wurden später zu gemeinschaftlicher Thätigkeit vereint. Der Polozkerfürst Wladimir überliess selbst, aus Einfalt und Kurzsichtigkeit, den Fremdlingen Livonien (die heutigen baltischen Gouvernements) und gab dadurch die Veranlassung zu den langwierigen Kämpfen des nördlichen Russlands gegen die uralten Feinde des slawischen Stammes. Die herrschsüchtigen Gelüste der Deutschen wandten sich, nachdem ihnen Livonien überlassen worden war, gegen das nördliche Russland. Es trat der Gedanke hervor, die Bestimmung der livonischen Schwertritter sei nicht nur die Taufe der Heiden, sondern auch die Bekehrung der Russen zum wahren Glauben. Im Westen sah man in den Russen die Feinde des heiligen Vaters und der römisch-katholischen Kirche, sogar des Christenthums. Nowgorods Kampf mit den Deutschen war unvermeidlich. Die Nowgoroder herrschten seit längerer Zeit über bedeutende, von Tschuden bevölkerte Landstrecken, und ihr Bestreben ging dahin, sich immer weiter nach Westen auszubreiten, um alle tschudischen Stämme zu unterwerfen. Gleichzeitig verbreiteten sie auch unter ihnen die Rechtgläubigkeit, zwar langsam, aber auf friedlicherem Wege, als die Ritter des Westens. Die Deutschen hatten sich kaum in Livonien festgesetzt, da begannen auch schon die endlosen, ununterbrochenen Reibungen und Kämpfe mit Nowgorod, welche bis zu dem Kriege Alexanders währten. Die Nowgoroder halfen den Heiden, die sich nicht von den Deutschen taufen lassen wollten, und galten daher in den Augen der westlichen Christenheit als Beschützer der Heiden und als Feinde des Christenglaubens. Aehnliche Conflicte bildeten sich zwischen Nowgorod und dem katholischen Schweden um Finnland, in das von der einen Seite die Nowgoroder mit der griechischorthodoxen Taufe und von der anderen Seite die Schweden mit dem Katholicismus eindrangen; es handelte sich bei beiden Parteien zugleich um den irdischen Besitz des finnischen Gebietes. Der Papst, als Beschützer des Ordens, stachelte sowohl die Deutschen, als auch die Schweden auf, das nördliche Russland ebenso zu unterjochen, wie Livonien und Finnland. Im eroberten Livonien wurden die Heiden von den Deutschen gewaltsam zum Christenthum bekehrt ; ebenso zwangen sie auch den rechtgläubig (griechisch-russisch) getauften Eingeborenen ihren Katholicismus auf; sie thaten sogar noch mehr, denn sie übten auch einen Gewissenszwang auf jene urrussischen Ansiedler aus, deren Väter noch vor Ankunft der Ritter in Livonien eingewandert waren. Durch ihre Vereinigung mit dem Orden der Deutsch-Ritter wuchs die Macht der Schwertritter; auf päpstliche Anordnung mussten sie jedoch einen Theil Livoniens (Harrien und Wierland) den Dänen abtreten, wogegen ihnen der Papst das Recht verlieh, sich durch Unterwerfung von
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russischem Gebiet zu entschädigen. In Folge dessen warfen sich die Ritter mit einem Haufen deutscher Freiwilliger, dem Aufruf des Dorpater Bischofs Herman folgend, auf Pskow (Pleskau). Ein russischer Fürst, Jaroslaw Wladimirowitsch, führte die Feinde gegen seine Landsleute. Im Jahre 1240 bemächtigten sich die Deutschen Pskows; es hatten sich unter den Einwohnern der Stadt Verräther gefunden und einer unter ihnen, Twerdila Iwankowitsch, verwaltete die Stadt im Auftrage der Deutschen. Unterdessen rüsteten die Schweden gegen Nowgorod. Eine päpstliche Bulle hatte ihnen den Auftrag zugewiesen, den Feldzug gegen Nowgorod, — gegen die Rebellen, welche sich der Macht des Statthalters Christi nicht unterwerfen wollen, gegen die Bundesgenossen der Heiden und Feinde der Christenheit — zu beginnen. In Schweden regierte, damals, in Stellvertretung des kranken Königs, dessen Schwiegersohn Jarl Birger. Dieser Regent Birger übernahm selbst den Befehl über die heilige Schaar, welche gegen die Russen zog. In seinem Heere befanden sich Schweden, Norweger, Finnen, auch viele Geistliche mit ihren Vasallen. Birger sandte eine hochmüthige und drohende Kriegserklärung nach Nowgorod an Fürst Alexander: „Kannst Du Dich wehren, so thue es, wisse aber, dass ich bereits hier bin und Dein Land in Besitz nehme/' Auch bei den Nowgorodern nahm der Krieg einen religiösen Charakter an. Es handelte sich um den Schutz der Rechtgläubigkeit, auf die es die Feinde, welche vom Segen des Papstes ermuthigt waren, abgesehen hatten. Alexander Jaroslawitsch betete in der Kirche zur heiligen Sophie und zog mit dem nowgoroder Heer bis zur Mündung des Wolchow. Es stiessen zu ihm die von Ladoga, Vasallen jGross-Nowgorods. Die Schweden fuhren in die Newa hinein und warfen an der Mündung der Ishora ihre Anker. Wahrscheinlich sollte hier nur ein Ruhepunkt sein, sie hatten die Absicht, durch den See zu fahren und Ladoga zu überrumpeln; vor allen Dingen schien es nothwendig, diese nowgoroder Landstadt einzunehmen, um dann den Wolchow hinauf und gegen Gross-Nowgorod zu ziehen. In Nowgorod wusste man bereits von ihrer Ankunft. Alexander zögerte nicht, er setzte sie von seiner Gegenwehr zuvor in Kenntniss und näherte sich dann, am Sonntag, den 15. Juli 1240, der Ishora. Die Schweden hatten sich ruhig gelagert, — sie erwarteten ihre Feinde noch nicht. Ihre Fahrzeuge standen am Ufer und am Lande waren ihre Zelte aufgeschlagen. Plötzlich, morgens gegen 11 Uhr, erschienen die Nowgoroder vor dem schwedischen Lager, warfen sich auf den Feind und hieben mit Beilen und Schwertern auf ihn ein, bevor er noch Zeit hatte die Waffen zu ergreifen. Es zeichneten sich hier nicht wenige kühne Burschen durch ihren Heldenmuth aus, unter ihnen der nowgoroder Ssawwa, welcher sich auf Birgers Zelt warf, das in der Mitte des Lagers durch seine vergoldete Spitze hervorragte. Ssawwa durchhieb dessen Stütze und die Nowgoroder freuten sich sehr, als sie dies goldgeschmückte Zelt umstürzen sahen. Alexander selbst holte Birger ein und stiess ihm mit
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dem Spiess ins Gesicht. „ E r hat ihm seinen Stempel ins Antlitz gedrückt", — sagt der Berichterstatter. Die Schweden hatten viele Todte und Verwundete. Einen Theil der ersteren begruben sie eilig, den anderen schleppten sie in ihre Fahrzeuge, um sie im Vaterlande zu beerdigen. Dann fuhren sie in der Nacht, vor Sonnenaufgang, die Newa hinab, ins Meer. Der Nowgoroder Triumph war gross. Alexander aber entzweite sich bald darauf mit ihnen und ging nach Perejaslawl. Unterdessen aber kamen andere, ähnliche Feinde gegen Nowgorod gezogen. Es waren die Deutschen, welche Pskow erobert hatten; sie betrachteten Wodj, Ishora, die Ufer der Newa, Karelien (den Bezirk des heutigen St. Petersburger und einen Theil des Olonezer Gouvernements) als ihren wohlerworbenen Besitz und hatten diese Länder für die katholische Christenheit in Beschlag genommen. Der Papst aber hatte sie der Kirchenverwaltung des Bischofs von Oesel überlassen. Am 13. April 1241 schloss dieser Bischof Heinrich mit den Rittern einen Vertrag, in welchem er von jeder Dessjätine den zehnten Theil aller Erzeugnisse für sich beanspruchte und ihnen das Uebrige, den Fischfang, die Verwaltung und alle weltlichen Einkünfte der zukünftigen Besitzungen überliess. Die Deutschen mit den von ihnen unterworfenen Letten und Esten überfielen die Besitzungen Nowgorods, verheerten sie, eroberten die Städte Luga, Tjossowo und legten im Dorfbezirk Kaporje Befestigungen an. Die Woshanen wurden gezwungen ihnen zu helfen und diejenigen, welche sich weigerten, entliefen in die Wälder und kamen vor Hunger um. Die feindlichen Banden zerstreuten sich im Lande, kamen bis 30 Werst vor Nowgorod und tödteten die Kaufleute, welche nach Nowgorod zogen um Waaren einzukaufen. Dies waren die Verhältnisse, welche die Nowgoroder veranlassten Jaroslaw zu bitten, dass er zu ihnen kommen möchte. Jaroslaw sandte ihnen seinen Sohn Andreas. Die Deutschen aber fuhren fort den Nowgorodern Schaden zuzufügen; den Landleuten an der Luga ') Die Nowgoroder pflegten am Ausfluss der Newa ins Meer eine Wache aufzustellen, die Aufsicht Uber dieselbe hatte damals ein gewisser Pelgus, ein Woshane, der Philipp getauft worden war. Er gehörte einem tschudischen oder finnischen Stamm an, welcher das heutige Petersburger Gouvernement bewohnte. Pelgus war sehr fromm und gottesfllrchtig, er hielt strenge Fasten, hatte daher zuweilen Visionen. Als er die Schweden erblickte, ging er zu Alexander, um ihm ihre Ankunft zu melden und erzählte ihm, welche Stellungen die Schweden eingenommen hätten. „Ich hatte eine Ersoheinung, — sagte er, — als ich am äussersten Meeresrande stand; die Sonne begann kaum am Horizont empor zu steigen, da hörte ich ein fürchterliches Brausen des Meeres und erblickte ein Fahrzeug, in dessen Mitte die heiligen Brüder Boris und Gljeb standen; ihr Gewand war roth und sie hatten die Hände einander auf die Schultern gelegt. Am Rande ihres Nachens sassen Männer, die ruderten, sie waren in Nebel gehüllt und ihr Antlitz war nicht zu erkennen. Ich hörte aber wie Boris seinem Bruder, dem heil. Märtyrer Gljeb sagte: ,Bruder Gljeb! lass' rudern, wir wollen dem grossen Fürsten Alexander Jaroslawitsch, unserm Verwandten, helfen.' Und ich vernahm Boris und Gljebs Stimmen, fürchtete mich und zitterte; und das Fahrzeug entfernte sich, ich sah es nicht mehr." — „Erzähle es Niemand weiter!" sprach zu ihm Alexander. — So lautet die fromme Ueberlieferung von diesem Ereigniss. Kostomarow-Henckol,
KÜSS.
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trieben sie die Pferde und das Vieh hinweg, so dass die Felder nicht mehr bestellt werden konnten. Da kamen die Nowgoroder zur Ueberzeugung, dass Alexander allein ihnen Rettung zu bringen imstande sei. Sie sandten den Wladika Spiridon zu ihm — es handelte sich nicht allein um Nowgorod, sondern um ganz Russland — und Alexander erfüllte ihren Wunsch. E r zog sofort mit den Nowgorodern aus, um ihr Land von den Feinden zu säubern; er vertrieb deren Scharen, eroberte Koporje und behandelte die Gefangenen menschlich, liess aber doch die Woshanen uhd Tschuden, welche Nowgorod verrathen hatten, aufhängen. Darauf zog er nach Pskow, befreite es von den Deutschen und sandte zwei deutsche Statthalter Pskows gefesselt nach Nowgorod. Während sich Alexander in Pskow befand, erwartete er, dass neue feindliche Streitkräfte gegen ihn ausziehen würden; er vernahm auch bald, dass dies der Fall sei. In den ersten Tagen des April 1242 ging Alexander dem Feinde entgegen und es fand bei dem Felsen, den man den „Rabenstein am Usmenj" nennt, eine Schlacht statt, welche nicht minder berühmt ist als die Schlacht an der Newa und die in der Geschichte unter dem Namen des „Blutbades auf dem Eise" bekannt ist. Die Feinde stiessen am Sonnabend den 5. April, bei Sonnenaufgang, auf einander. Als Alexander sie nahen sah, erhob er die Hände und rief: „Entscheide Du, Herr, meinen Streit mit diesem hochmüthigen Volk!" Die Schlacht war hartnäckig und grausam, Spiesse zersplitterten mit Gekrachj das Eis wurde von Blut gefärbt und zerbarst stellenweise. Viele Menschen ertranken und die in Verwirrung gerathenen Deutschen mussten fliehen. Siegestrunken setzten ihnen, sieben Werst weit, bis ans Ssubolitscher Ufer, die Russen nach. Triumphirend kehrte Alexander in das befreite Pskow zurück. Die gefangenen vornehmen Ritter wurden zur Seite seines Rosses geführt, hinterher trieb man das gemeine Kriegsvolk. Die Geistlichkeit ging ihm entgegen und das Volk begrüsste den Sieger mit Freudenrufen. Diese zwei Siege haben in der russischen Geschichte eine wichtige Bedeutung. Die Feindseligkeiten zwischen Deutschen und Russen hörten freilich auch später noch nicht auf, besonders war es Pskow, welches mehrfach blutige Kämpfe mit dem Orden ausfechten musste, aber der Gedanke, nächst Livonien auch die nördlichen russischen Länder zu unterjochen und ihnen das Schicksal der baltischen Slawen zu bereiten, ward von den Deutschen jetzt ein für alle Mal aufgegeben. Die Päpste selbst wählten nun, anstatt drohende Bullen zu erlassen, um Kreuzzüge gegen die Russen, wie gegen die Heiden, hervorzurufen, einen ändern Weg; — sie hofften Russland durch Nuntien und deren Ueberredungskünste sich unterzuordnen. Bekanntlich erwies sich diese Maassregel als ebenso fruchtlos wie die früheren kriegslustigen Bullen. Papst Innocenz IV. sandte nun im Jahre 1251 (die betreffende Bulle
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war vom Jahr 1248 datirt) zwei Cardinäle, Galdas (oder Galdad) und Hemont an Alexander und versicherte ihn, dass Alexanders Vater dem Mönch Plano-Carpini das Versprechen gegeben habe, sich dem päpstlichen Stuhl zu unterwerfen und dass nur Jaroslaws Tod an der Nichterfüllung dieses Versprechens schuld sei. Der Papst suchte Alexander zu bewegen, seines Vaters Zusage zu erfüllen und stellte ihm die Vortheile dar, welche der russische Fürst und sein Land aus dieser Unterwerfung ziehen könnten; er versprach ihm die Hilfe der nämlichen Ritter, von denen Alexander erst unlängst die russischen Länder befreit hatte. Wir finden in den Chroniken eine Antwort Alexanders an den Papst, die augenscheinlich erst später verfasst wurde; es unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass sich Alexander von den Betheuerungen des Papstes nicht bethören liess und dass er ihm alle seine Forderungen rundweg abschlug. Nach dieser Gesandtschaft folgte eine Anzahl anderer, ähnlicher. Alexander war wohl imstande sich der Feinde aus dem Westen durch Waffengewalt zu erwehren und konnte auf diese Weise ihre Anschläge, sich des nördlichen Russlands zu bemächtigen, aufhalten; er konnte aber nicht mit den nämlichen Mitteln gegen die Feinde von Osten ankämpfen. Bei den westlichen Feinden handelte es sich einstweilen nur um die Absicht, das nördliche Russland zu unterjochen, die östlichen dagegen hatten bereits die übrigen russischen Länder erobert, hatten sie verheert und entvölkert. Bei der geringen Anzahl und bei der Armuth und Zersplitterung des Restes der damaligen russischen Bevölkerung in den östlichen Ländern, war gar nicht daran zu denken, sich vom Mongolenjoch mit Waffengewalt zu befreien; es mussten andere Wege ermittelt werden. Russland hatte eine andere historische Zukunft vor sich, die Staatsmänner Russlands andere Ideale in Aussicht. Sie konnten nichts anderes thun, als sich der Grossmuth der Eroberer anheimgeben, sich unterwerfen, sich als deren Sclaven betrachten und sich dadurch, sowohl für sich selbst als auch für ihre Nachkommen, ein sclavisches Naturell aneignen. Es war dies um so leichter, weil die Mongolen, welche Alles, was ihnen widerstrebte, erbarmungslos niedertraten, den Unterwürfigen gegenüber noch erträgliche Grossmuth und Gnade übten. Alexander, als einer der hervorragendsten Männer seines Zeitalters, erkannte, dass diese Politik eingeschlagen werden musste und befolgte sie. Schon sein Vater Jaroslaw hatte den Weg zur Horde beschritten, war aber nicht zurückgekehrt; sein Beispiel konnte daher zur Nachahmung nicht ermuntern, man konnte es nicht glücklich nennen, denn es wurde sogar behauptet, er sei in der Horde vergiftet worden. Alexander aber war glücklicher, er führte seine Reise mit einem solchen Erfolg aus, dass sie für die künftige Handlungsweise der Fürsten als Muster und Beispiel dienen konnte. Unsere Chronisten berichten, Batyj habe Alexander, in seiner Eigenschaft als Fürst von Nowgorod, selbst anbefohlen, vor ihm zu erscheinen 10*
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und habe seinen Befehl in folgende Worte gefasst: „Wenn Du Dein Land behalten willst, so komme zu mir und Du wirst meines Reiches Ehre und Ruhm sehen." Alexander kam im Jahre 1247 mit seinem Bruder Andreas in die Wolga-Horde. Nach dem Tode Jaroslaws war die Würde des Aeltesten unter den Fürsten erledigt und es hing vom Willen des Siegers a b , wem er sie geben wollte. Die Mongolen führten damals noch ein vollständiges Nomadenleben, obschon sie sich mit dem Luxus der Civilisation jener Länder, die sie unterworfen und verheert, umgeben hatten. Fest begründete Städte besassen sie an der Wolga noch nicht, dagegen aber ungeheure bewegliche, aus Kibitken bestehende und auf Karren von Ort zu Ort wandernde Städte, die nach Laune des Herrschers aufgestellt und abgebrochen werden konnten. Wo es dem Chan gefiel, da wurde eine volkreiche Nomadenstadt gegründet, die längere oder kürzere Zeit bestand. Es bildeten sich Werkstätten und Verkaufsläden, bis es dem Chan gefiel, Alles wieder aufpacken zu lassen. Dann zog eine ungeheure Karawane von Fuhrwerken, mit Stieren und Pferden bespannt, von Schaf-, Rindviehund Pferdeheerden gefolgt, weiter, um nach einigen Tagereisen abermals Halt zu machen und ihr Lager aufzuschlagen. Ein solches Lager war es, wohin unsere Fürsten kamen. Dem Brauche gemäss Hess man sie zuerst zwischen zwei Feuern hindurchschreiten, um sie vom bösen Zauber, der dem Chan vielleicht schaden konnte, zu befreien. Nachdem sie diese Reinigung überstanden hatten, wurden sie vor den Chan geführt, dem sie sich mit den üblichen Verbeugungen bis zur Erde näherten. Der Chan empfing seine Vasallen in einem mit Malereien geschmückten Filzzelt, er sass mit einer von seinen Frauen auf einer vergoldeten Erhöhung, die einem Bette glich und war von seinen Brüdern, Söhnen und Würdenträgern umgeben; zu seiner Rechten sassen die Männer, zur Linken die Weiber. Batyj nahm unsere Fürsten freundlich auf und es wurde ihm sofort klar, dass Alexander, von dem er schon viel gehört hatte, durch seinen Verstand hoch über die andern russischen Fürsten hervorrage. Nach Batyjs Verlangen mussten sich die Jaroslawitschs in die grosse Horde, zum Gross-Chan begeben. Ihr Weg ging durch die unabsehbaren Steppengebiete Mittelasiens; Beamte des Chans begleiteten sie und sorgten für frische Pferde. Vor dem üeberfall der Mongolen hatten sich viele von diesen Ländern und Städten in blühendem Zustand befunden, — jetzt lagen sie in Trümmern und waren mit Knochen bedeckt. Die unterjochten Reste der Bevölkerung mussten den Eroberern Sclavendienste leisten. Ueberall herrschte die äusserste Armuth und unsere Fürsten litten häufig Hunger, auch Frost und Durst mussten sie ausstehen. Nur wenige Städte, unter denen sich auch Taschkent befand, waren verschont geblieben. Des Gross-Chans Residenz war Kara-Korum, eine volkreiche Stadt, die von einer Lehmmauer mit vier Thoren umgeben war. Es befanden sich grosse Gebäude für „die Beamten des Chans darin, so wie
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auch Tempel der verschiedenen Glaubensbekenntnisse. Ankömmlinge aus allen von den Mongolen unterjochten Nationen drängten sich hier zusammen, auch fanden sich Europäer, — Franzosen und Deutsche — die, mit europäischen Kenntnissen ausgerüstet, Handwerke und Künste betrieben; — es war ein buntes Gemisch von Völkern und Sprachen. Ausserhalb der Stadt stand der umfangreiche, prachtvolle Palast, in welchem, bei feierlichen Gelegenheiten, der Gross-Chan auf einer von Gold und Silber strotzenden Erhöhung, wie eine Gottheit thronend, sich mit einer von seinen Frauen präsentirte. Nur von Zeit zu Zeit in seiner Hauptstadt erscheinend, zog auch der Gross-Chan, ebenso wie der Wolga-Chan, sein ganzes Leben hindurch, mit seinen unermesslichen Karawanen, von einem Ort zum andern. Dort, wo es ihm gefiel, wurde das aus unzähligen Zelten bestehende Lager aufgeschlagen und eines dieser Zelte, geschmückt mit Goldblech und reichen Kostbarkeiten, die den besiegten Völkern geraubt waren, diente zur Wohnung des Herrschers. Es entstand eine volkreiche Stadt und verschwand wieder, um an einer andern Stelle neu zu erstehen. Ueberall sah man Zeichen der äussersten Barbarei neben Spuren einer geschmacklosen Pracht. Diese garstigen, schmutzigen Mongolen , welche die Reinlichkeit für ein Laster hielten und sich von abscheulichen Speisen nährten, deren blosse Beschreibung uns Ekel erregen würde, behingen sich auf die geschmackloseste Weise mit unschätzbaren Kostbarkeiten und hielten sich, nach Gottes Willen, für die Beherrscher des Weltalls. Wir wissen nicht, an welchem Orte die Jaroslawitschs den GrossChan begrüssten; sie wurden aber huldvoll empfangen und kehrten glücklich wieder heim. Andreas ward zum Fürsten von Wladimir ernannt, Alexander erhielt Kijew; — es war dies für Alexander anscheinend ein Vorzug, denn Kijew war vornehmer als Wladimir, aber das kijewer Land war zu jener Zeit so verödet und menschenleer, dass Alexander den Titel Grossfürst nur nominell führte. Wahrscheinlich hatten die Mongolen die Ueberzeugung, dass Alexander, als der begabtere Fürst, gefährlicher für sie sei und dass sie ihm, ohne seine Treue vorher erprobt zu haben, nicht Wladimir, mit dessen Besitz die wahre Vorherrschaft über die ihnen unterworfenen russischen Länder verbunden war, verleihen durften. Der Besuch, welchen Alexander den Mongolen gemacht, hatte ihn gewiss viel gelehrt, hatte seine Ansichten in Manchem modifizirt. Er war mit den Eroberern Russlands genauer bekannt geworden und hatte die Mittel herausgefunden, durch welche ein Zusammenleben mit ihnen erträglich wurde. Grausam gegen Alle, die ihnen entgegen traten, verlangten sie nur Eines — sclavische Unterwürfigkeit. Das lag sowohl in ihren Sitten als auch in ihren Begriffen, wie überhaupt in denen aller asiatischen Völkerschaften. Ein ausserordentliches Zusammenfassen ihrer Macht, bedingunglose Unterwerfung unter ihre Führer, das völlige Auf-
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gehen des Einzelnen in der Gesammtheit und die Kunst, Alles ertragen zu können, — das waren die Eigenschaften, welche die Mongolen befähigt hatten, ihre Eroberungen auszuführen; — das strikte Gegentheil derjenigen, über welche die damaligen Russen verfügten, die, obschon sie ihre Freiheit zu vertheidigen und für dieselbe zu sterben bereit waren, es doch noch nicht so weit gebracht hatten, sich zur Yertheidigung eng an einander zu schliessen. Um nun die Möglichkeit zu erlangen, sich mit den unbesiegbaren Eroberern einzuleben, waren die Russen gezwungen, sich deren Eigenschaften anzueignen. Es war dies um so leichter, da die Mongolen es als ihr Recht betrachteten, auf Kosten der Besiegten zu leben; sie verlangten nur Unterwerfung von ihnen und kümmerten sich weiter nicht um deren Glauben und Nationalität. Im Gegentheil, sie übten eine Art von philosophischer Duldung dem Glauben und der Lebensweise der besiegten, aber fügsamen Völker gegenüber. Sie selbst glaubten an e i n e n Gott, ihr Glaube war aber mit vielen rohen, abergläubischen Vorstellungen verquickt, wie das bei dem barbarischen Zustand ihrer geistigen Entwickelung ganz natürlich war. Sie duldeten nicht nur den Gottesdienst Andersgläubiger, sondern sie urtheilten darüber sogar gewissermassen achtungsvoll. Alexanders Scharfsinn liess ihn wahrscheinlich auch bald erkennen, dass Unterwürfigkeit gegen den Eroberer den Fürsten Vortheile verschaffte, die sie früher nicht hatten. Bisher waren unsere Fürsten gezwungen, ob sie nun wollten oder nicht, ihre Herrschaft mit der Volksmacht der Wetsche zu theilen, oder sie mussten in den Reihen des Volks Anhänger werben. Eigentlich waren sie also blos die Verwalter ihrer Länder, aber weder deren Besitzer, noch deren Erbherren, noch auch deren Beherrscher. Die Mongolen verstärkten nun, theilweise aus Berechnung, andrerseits weil es ihren Ansichten entsprach, die Macht und Bedeutung der Fürsten auf Kosten der Wetsche; es war ihnen weit leichter, sich mit den gefügigen Fürsten, als mit unbeständigen Volksversammlungen zu verständigen. Dies war auch der Grund, weshalb die russischen Fürsten, nachdem sie sich dem Chan unterworfen hatten, ihre Fürstenthümer als Erblehen erhielten, und diese neue Stellung erhöhte ihre Macht derartig, dass sie das alte Recht der Wetsche im grössten Theil des russischen Landes sehr bald unterdrückt hatten. Die Würde des Aeltesten unter den Fürsten war früher fast nur nominell gewesen, jetzt aber bekam sie plötzlich eine ganz andere Bedeutung, weil der Chan selbst dem Aeltesten einen höheren Rang unter den übrigen Fürsten verliehen hatte. Alexander ging nicht nach Kijew, das ihm angewiesen worden war, sondern begab sich nach Nowgorod. So lange er noch nicht der Aelteste unter den Fürsten war, konnte er sich mit der Nowgoroder Freiheit ganz gut vertragen. Bisher hielten sich die Nowgoroder noch für unabhängig von den Tataren, nun aber, nach zwei Jahren, trat eine Umwälzung ein.
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Andreas konnte sich auf seinem Fürstensitz von Wladimir nicht halten. Er war nicht imstande, seine Ansichten und Gefühle, welche der früheren russischen Organisation angepasst und den Anforderungen der neuen politischen Ordnung diametral entgegengesetzt waren, so schnell zu wechseln. Es ward ihm schwer, ein Sclave zu werden. Er hatte sich soeben mit der Tochter Danilos von Galitsch vermählt, der sich der Nothwendigkeit, sich vor dem Chan zu beugen, bis jetzt noch entzogen hatte. Danilo betrachtete sich noch nicht als Lehensmann des Chans und suchte Mittel ausfindig zu machen, um sich von dieser lästigen Pflicht zu befreien. Die Berichte der Chroniken über diese Ereignisse sind so verworren, dass sie uns nicht erkennen lassen, wie und wodurch Andreas die Sieger gegen sich aufgebracht hatte. Es ist uns nur bekannt, dass Alexander im Jahre 1252 in die Wolga-Horde ging und dort von Ssartak, der an seines kranken und gebrechlichen Vaters Batyj Stelle die Geschäfte leitete, die Würde als Aeltester unter den Fürsten, mit dem Fürstensitz in Wladimir, erhielt. Andreas berieth sich mit seinen Bojaren und hielt es dann für's Beste, sich in die Fremde zu begeben, anstatt „dem Zaren zu dienen." Aber die Tataren zogen bereits unter der Anführung Newrjuis und anderer Feldherren gegen ihn aus, sie erreichten ihn bei Perejaslawl und schlugen ihn. Andreas floh nach Nowgorod, wo man ihn aber nicht aufnahm, und der Verbannte musste mit seiner Frau über Pskow und Kolywanj (Reval) nach Schweden gehen. Die Tataren verwüsteten Perejaslawl und vertheilten sich im Lande, wobei sie Städte, Dörfer und Menschen zu Grunde richteten, Gefangene und Vieh wegschleppten. Denn nicht nur nach mongolischem Recht, sondern nach damaliger allgemeiner Anschauungsweise, musste für die Schuld seines Fürsten das ganze Land büssen. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Frau des Fürsten Jaroslaw Jaroslawitsch gefangen und getödtet. Als Alexander die Grossfürstenwürde erhalten hatte, liess er sich in Wladimir nieder und beschäftigte sich nun vorzugsweise mit dem Wiederaufbau von Kirchen und Wohnstätten, die durch Newrjuis Horden zerstört worden waren. Nun konnte Alexander sein Haupt erheben; er fühlte seine Bedeutung und seine Macht als Erster unter den Fürsten, der nötigenfalls auch in der Horde Unterstützung finden würde. Namentlich in seinen Beziehungen zu Nowgorod ist es ersichtlich, dass er sich jetzt ganz anders benahm als früher. Während er nun in Wladimir residirte, setzte er seinen Sohn Wassilij auf den Fürstenstuhl von Nowgorod. Im Jahre 1255 hatte sich Wassilij in Nowgorod unbeliebt gemacht und die Nowgoroder vertrieben ihn daher, um an seine Stelle Alexanders Bruder, Jaroslaw, den Fürsten von Twer zu berufen, welcher damals in Pskow lebte. Dies Ereigniss war nichts Ungewöhnliches, Aehnliches hatte sich schon oft genug wiederholt und Alexander hatte es in früheren Jahren an sich selbst erlebt; er war aus Nowgorod fortgegangen, wenn man ihn
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vertrieben und wiedergekommen, wenn man ihn zurückberufen hatte, er versöhnte sich mit den Nowgorodern, nachdem er sich mit ihnen verfeindet hatte. Diesmal aber wollte er Gross-Nowgorod den Meister zeigen. Wässilij hatte sich nach Torshok geflüchtet, dessen Bewohner ihm wohlgesinnt waren. Sein Vater sammelte sofort ein Heer in Wladimir und zog nach Torshok, um seinen Willen geltend zu machen und um seinen Sohn wieder auf den nowgoroder Fürstenstuhl zu setzen. Der nach Nowgorod berufene Fürst Jaroslaw floh und in Nowgorod war nun gar kein Fürst. Ein Zwischenträger, Ratischka, theilte dem Grossfürsten dies Ereigniss mit und Alexander zog mit Wässilij gegen Nowgorod. Unterdessen war dort ein Zwiespalt entstanden. Wieder einmal trat die schon oft in Nowgorods Geschichte dagewesene Feindschaft der besseren oder höheren und der geringeren Leute, — mit anderen Worten der Bojaren und des gemeinen Volks — hervor. Possadnik war damals Ananias, ein Repräsentant und Liebling des geringen Mannes, ein gradsinniger Förderer der alten nowgoroder Ueberlieferungen und der nowgoroder Freiheit. Als die Bewohner Nowgorods das Herannahen des Grossfürsten vernahmen, bewaffneten sie sich und stellten Truppen hinter der Kirche zur Geburt Christi und bei der Eliaskirche, gegenüber den alten Befestigungen auf, um die Handelsseite (am rechten Ufer des Wolcbow), wo sich hauptsächlich die geringeren Leute aufhielten, zu schützen. Aber einige von den vornehmen Leuten hatten Anderes im Sinn; sie bildeten eine Partei unter der Führung Michalko Stepanowitschs, eines arglistigen und habsüchtigen Mannes, der, in der Erkenntniss, dass andere Zeiten angebrochen seien, die damalige Lage durchschaute und einsah, auf wessen Seite die Macht sei. In dieser Aufregung versammelten sich die Nowgoroder auf dem gewöhnlichen Platz, bei der Kirche des heil. Nikolaus, zur Wetsche. „Brüder, — sprachen sie unter einander, — wie, wenn der Fürst sagt, gebt mir meine Feinde heraus! ?" Da küssten die geringen Leute, nach der Sitte ihrer Vorväter die „Mutter Gottes", um zu bekräftigen, dass sie Alle, auf Tod und Leben, für nowgoroder Recht, für ihre Heimat, einstehen wollen. Michalko aber, der die Absicht hatte, Ananias zu tödten, um selbst Possadnik zu werden, lief mit seinen Gesinnungsgenossen ins Jurjew-Kloster. Nun verbreitete sich das Gerücht, die vornehmen Leute hätten die Absicht, Nowgorod zu überfallen und das geringe Volk zu unterdrücken. Die Nowgoroder riefen, man solle Michalko tödten und seinen Hof ausrauben, der Possadnik Ananias nahm ihn jedoch in Schutz. Er sandte Jemand aus, um seinen geheimen Feind zu warnen, und als die rasenden Nowgoroder schrieen: „Tödtet Michalko!" — da sprach Ananias: „Brüder, wenn Ihr ihn tödten wollt, so tödtet mich zuvor!" Da kam ein Abgesandter Alexanders mit folgender Botschaft an: „Gebt mir den Possadnik Ananias heraus; gebt Ihr ihn aber nicht heraus, so bin ich Euer Fürst nicht mehr, sondern werde Euch mit meiner
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Kriegsmacht überziehen." Die Nowgoroder sandten ihren W l a d y k a Dalmatus und den Tyssjätschskij Klim (Clemenz) zu Alexander und Hessen ihm s a g e n : „ F ü r s t , komme zu Deinem Tisch (Thron) und achte nicht auf die Bösewichte; zürne nicht Ananias und den Männern von N o w g o r o d . " W l a d y k a und Tyssjätschskij kehrten mit einer ablehnenden Antwort zurück. Alexander beharrte auf seinem Willen. E s beschlossen daher die Nowgoroder in der W e t s c h e : „ H a t der F ü r s t mit unsern Meineidigen Derartiges beschlossen, — so mag ihn Gott und die heil. Sophie r i c h t e n ; wir a b e r wollen ihm die Sünde nicht a n r e c h n e n ! " Alle bewaffneten sich nun und standen drei T a g e lang in Bereitschaft. E s galt bei den Nowgorodern f ü r eine unerhört ehrlose H a n d l u n g , Jemand durch Gemeindebeschluss auszuliefern. Alexander ü b e r l e g t e , würde man seinen Zweck auf friedlichem W e g e erreichen k ö n n e n , so wäre es nicht nothwendig das Volk noch länger aufzuregen und es zum Kampf zu provoziren. E r liess daher den Nowgorodern s a g e n : „ W o l l t Ihr Ananias absetzen, so will ich Euch nicht länger z ü r n e n ! " Ananias ward also abgesetzt und die Nowgoroder schlössen F r i e d e n mit Alexander. Dieser kam nach Nowgorod und wurde vom Volke, das ihn längst kannte, freudig begrüsst. Wassilij wurde aufs Neue als F ü r s t bestätigt u n d , um Alexander einen Gefallen zu erweisen, setzte man Michalko als Possadnik ein. Dies Ereigniss, obschon es durchaus bekannte Züge der nowgoroder A r t an sich trug, hatte dennoch eine neue und wichtige BedeutuDg in der Geschichte Nowgorods. E s gehörte zu den Bräuchen dieser Stadt, ihre F ü r s t e n zu vertreiben; sie duldeten wohl zuweilen fürstliche Gewaltmassregeln, vergassen auch das Vergangene leicht und beriefen die vertriebenen F ü r s t e n aufs N e u e ; — doch Alles dies geschah aus eigenem, aus nowgoroder Willen, w a r ein Charakterzug von Nowgorods Unbeständigkeit. Dass a b e r ein Grossfürst sie j e gezwungen h ä t t e , einen soeben erst vertriebenen F ü r s t e n wieder a u f z u n e h m e n , das w a r noch nie dagewesen. Alexander bewies ihnen nun, dass über i h r e r Wetsche und über ihren Parteien es noch eine andere Macht gäbe, eine Macht, von der ihr Schicksal abhänge, — die Macht des höchsten F ü r s t e n von ganz Russland, der vom mächtigen, fremden Beherrscher des russischen Landes eingesetzt worden war. E s ist freilich richtig, dass Alexander, als er in Nowgorod einzog, den Nowgorodern liebevoll entgegen kam u n d , unter Beobachtung der nowgoroder F r e i h e i t e n , Frieden mit ihnen schloss, aber in der Verkündigung seines machtvollen Willens lag schon der Vorbote einer zukünft i g e n , grossfürstlichen W i l l k ü r , welche f ü r Nowgorods Freiheiten verhängnissvoll werden sollte. E s dauerte nicht lange, da sah Nowgorod denselben Alexander abermals in seinen M a u e r n , diesmal a b e r ging er mit der nowgoroder Freiheit weniger glimpflich um. In der H o r d e hatte eine Umwälzung stattgef u n d e n ; .Batyj war gestorben und dessen Sohn, Ssartak, von seinem Onkel
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Vili. Fürst Alexander Jaroslawitsch Newskij.
Berke, der sich zum Chan aufgeworfen hatte, getödtet. Für die russischen Angelegenheiten hatte Berke den Statthalter Ulagtscha ernannt. Da tauchte plötzlich die Nachricht auf, der Chan sende seine Beamten aus, um eine Volkszählung zu veranstalten und Tribut zu erheben. Alexander eilte in die Horde, um das bevorstehende Unheil abzuwenden; es war nicht die Zahlung des Tributs, welche die Russen fürchteten, sie hatten sich darein ergeben durch die Vermittlung ihrer Fürsten Tribut zu zahlen; aber das lange Verweilen der Tataren im russischen Lande verbreitete allgemeine Furcht. Es gelang Alexander nicht, den Chan umzustimmen. Im rjäsaner, muromer ünd ssusdaler Lande erschienen tatarische Zähler; sie stellten ihre Zehent-, Hundert-, Tausendmänner und Temniks auf und schrieben die Zahl der Einwohner an, um ihnen eine Kopfsteuer aufzuerlegen, von der nur die Geistlichen ausgenommen waren. Das war der Anfang einer fremden Verwaltung in Russland und das Volk fühlte diese schwere Last. Im folgenden Jahr, 1257, begab sich Alexander abermals in die Horde, diesmal mit seinen Brüdern Jaroslaw von Twer und Andreas von Ssusdal, mit denen er sich, nachdem sie sich erst unlängst noch feindlich gegenüber gestanden, wieder versöhnt hatte. Ulagtscha forderte, dass Nowgorod sich gleichfalls der Volkszählung und der Zahlung des Tributs unterwerfen solle. Alexander hielt es für gerathen, nachzugeben, obschon Nowgorod ihm leid that. Unterdessen war aber das Gerücht, dass die tatarischen Zähler kommen würden, bereits nach Nowgorod gedrungen und den ganzen Sommer hindurch herrschte daselbst Unruhe und Bestürzung. Bisher war Nowgorod noch nicht, wie die übrigen russischen Länder, durch tatarische Waffen besiegt worden und es dachte nicht daran, freiwillig einen schimpflichen Tribut zu zahlen und dadurch seine Unterwerfung zu besiegeln. Die Vornehmen, und unter ihnen auch der Possadnik Michalko, in deren Interesse es lag, den Mächtigen willfährig zu sein, überredeten die Nowgoroder sich zu unterwerfen, das geringe Volk aber wollte nichts davon wissen. Sein Liebling Ananias war im August gestorben; nach seinem Tode hatte die Gährung zugenommen und der gehasste, ihnen aufgezwungene Michalko ward getödtet. Fürst Wassilij theilte die Gefühle der Nowgoroder. Endlich kam Alexander selbst mit den tatarischen Bevollmächtigten, um Zehnten und Zoll zu erheben. Wassilij, der sich dem Vater nicht zu widersetzen wagte, schämte sich, die Interessen der Nowgoroder zu verrathen und floh nach Pskow. Die Nowgoroder weigerten sich entschieden, den Tribut zu entrichten, nahmen aber die Abgesandten des Chans höflich auf und entliessen sie mit Geschenken und in Ehren. Hierdurch that Gross-Nowgorod kund, dass es zwar des Chans Oberherrschaft respectire, für sich selbst aber nicht anerkenne. Die Folge davon war, dass Alexander seinen Sohn aus Pskow vertrieb und ihn in das ssusdaler Land schickte; einige von den nowgoroder Bojaren aber, welche sich der Partei des geringen Mannes an-
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geschlossen und welche, wie er glaubte, Einfluss auf Wassilij gehabt hatten, Hess er gefangen nehmen und strafte sie unmenschlich: einigen liess er die Nase abschneiden, anderen die Augen ausstechen u. s. w. Das war also der Lohn, den diese Kämpfer für Nowgorods Unabhängigkeit empfingen, damit den Unterdrückern Genugthuung geschähe; der Lohn von demselben Fürsten, welcher einst Nowgorods Unabhängigkeit so glänzend gegen andere Feinde vertheidigt hatte. Im Winter von 1258 auf 1259 kam Michailo Pineschtschinitsch vom Süden herauf und theilte den Nowgorodern mit, dass des Chans Heere gegen Nowgorod ziehen und es mit Waffengewalt erobern wollen, wenn die Nowgoroder sich der Zählung nicht gutwillig unterwerfen würden. Diese Nachricht brachte eine solche Panik hervor, dass die Nowgoroder sofort nachgaben. Wahrscheinlich wurde ihre Einwilligung der Horde unverzüglich mitgetheilt, denn schon im nämlichen Winter kamen die Beamten des Chans, Barkai und Kassatschik mit ihren Weibern und grossem tatarischen Gefolge nach Nowgorod und nahmen Wohnung in Gorodischtsche, um bezirksweise den Tribut zu erheben. Als die Nowgoroder dies ungewohnte Schauspiel sahen, geriethen sie abermals in Aufregung. Die Bojaren, welche ihre selbstsüchtigen Absichten gefährdet glaubten, überredeten das Volk, sich ruhig zu verhalten und sich ins Unvermeidliche zu fügen; die geringen Leute jedoch rotteten sich in der Nähe der Sophienkirche zusammen und riefen: „Wir wollen in Ehren für die heil. Sophie und für die Häuser der Engel (Klöster?) sterben." Da wurde den Tataren für ihr Leben bange und Alexander gab ihnen den Sohn des Possadniks und andere Bojarensöhne, um sie des Nachts zu bewachen. Diese Lage ward den Tataren aber bald lästig und sie erklärten entschlossen: „Gebt uns Eure Zahl an oder wir laufen davon." Die vornehmen Leute suchten zu unterhandeln. Nun aber verbreitete sich in Nowgorod das Gerücht, dass die Vornehmen, gemeinschaftlich mit den Tataren, die Absicht hätten, Nowgorod zu überfallen. In Folge dessen versammelte sich das Volk in der Nähe der Sophienkirche und rief: „Lasst uns bei der heil. Sophie sterben!" Am nächsten Tage kam endlich Alexander mit den Tataren aus Gorodischtsche an. Da überredeten die Vornehmen das geringe Volk, sich nicht zu widersetzen, um nicht unabwendbares Elend über Nowgorod herauf zu beschwören. Der Chronist berichtet, sie seien für ihren Vortheil besorgt gewesen, für das geringe Volk aber führten sie Schlimmes herbei, denn der Tribut ward für die Reichen wie für die Armen in gleicher Höhe festgesetzt. Die Beamten des Chans ritten durch die Strassen, schrieben die Zahl der Höfe auf und entfernten sich, nachdem sie ihr Geschäft beendet hatten. ') Zwei und eine halbe Werst von Nowgorod entfernt, wo sich früher, der Ueberlieferung zufolge, noch bevor Nowgorod existirte, eine Stadt befand. Gorodischtsche ist die Bezeichnung für Ueberreste einer ehemaligen Stadt oder Festung.
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Alexander ernannte seinen Sohn Dmitrij zum Fürsten und ging dann nach Wladimir. Obschon Nowgorod späterhin keinen Beamten des Chans mehr bei sich sah, musste es doch von nun an seinen Antheil am Tribut, welcher von ganz Russland durch die Grossfürsten dem Chan gezahlt wurde, entrichten und blieb durch diese Steuer im Zusammenhang mit den übrigen russischen Ländern. Aber nicht nur in Nowgorod, sondern auch in den eroberten russischen Ländern konnten die ehemaligen freiheitlichen Formen durch Sclaverei und Bedrückung nicht ganz verdrängt werden. Kaufleute aus Chiwa hatten den Tribut in Pacht genommen; diese Leute wurden Bessermen genannt und waren Muhamedaner. Die Art, wie sie den Tribut erhoben, war eine ausserordentlich drückende. Bei Rückständen wurden hohe Zinsen aufgeschlagen und die gänzlich Zahlungsunfähigen zu Sclaven gemacht. Ausserdem reizten diese Pächter das Volk durch ihre Missachtung des christlichen Glaubens. Es dauerte daher nicht lange und das Volk ergrimmte; in Wladimir, Ssusdal, Rostow, Perejaslawl, Jaroslawl und an andern Orten wurde, nach altem Brauch, zur Wetsche geläutet und der Beschluss, die Steuerpächter zu tödten, wurde ausgeführt. Unter diesen Pächtern befand sich in Jaroslawl auch ein Russe, Namens Isossim; er war früher Mönch gewesen, war aber liederlich geworden und hatte sich dem Trünke ergeben; dann war er in die Horde gegangen, zum Muhamedanismus übergetreten und wurde Steuerpächter in seinem Vaterlande. Dieser Isossim bedrängte seine Landsleute aufs erbarmungsloseste und beschimpfte die Heiligthümer der christlichen Kirche. Die Jaroslawer erschlugen ihn und warfen seinen Leichnam den Hunden und Krähen vor. Dagegen gelang es einem andern Steuerpächter, einem gebornen Tataren, sich in Ustjug vor der Volkswuth zu retten. Sein Name war Buga, er hatte die Tochter eines Ustjuger Einwohners, Namens Marie, zur Concubine, diese gewann ihn lieb und setzte ihn von der drohenden Gefahr rechtzeitig in Kenntniss. Buga gab den Wunsch zu erkennen, sich taufen zu lassen und erhielt in der Taufe den Namen Johannes, dann heirathete er seine Marie, blieb in Russland und ward allgemein beliebt. Sein Andenken ist in den örtlichen Ueberlieferungen bewahrt, während die Bessermen im Allgemeinen, bis auf den heutigen T a g , in dem Schimpfwort „Bussurman" noch unvergessen sind. Diese Ereignisse erregten natürlich den Zorn der Beherrscher Russlands. In der Horde wurden bereits Truppen zusammen gezogen, um die Rebellen zu strafen. Chan Berke trat zum Muhamedanismus über und diese Religion verbreitete sich schnell unter seinem Volke, nament•') Bassurman oder Bussurman nennt der Russe auch heute noch den Ungläubigen, Nichtchristen, vorzugsweise den Muhamedaner, zuweilen auch im feindlichen Sinne Jeden, der nicht zur „rechtgläubigen" Kirche gehört, also jeden Fremden und Andersgläubigen — vorzugsweise aber den Asiaten und Türken.
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lieh auch deshalb, weil die grössere Anzahl der von den Mongolen unterjochten Völker, die in ihren Reihen kämpften, sich zum Muhamedanismus bekannten. Gleichzeitig begannen diese Nomaden sich auch an ein sesshaftes Leben zu gewöhnen. Es wurde an der Wolga eine grosse Stadt, Kiptschak, von ihnen erbaut, die vom Chan mit aller ihm zu Gebote stehender Pracht ausgestattet ward. Chan Berke war gegen die Russen gnädiger, als man man erwarten konnte; er verzieh ihnen nicht nur die Ermordung der Bessermen (da sie einem fremden, unterjochten Volk angehörten und ihm daher weniger am Herzen lagen, als wenn es seine Beamten gewesen wären), sondern befreite sogar auf Alexanders Bitten die Russen vom Kriegsdienst. Alexander brachte damals einen ganzen Winter und Sommer in der Horde zu, und daraus kann man schliessen, dass es ihm nicht leicht gewesen sein mag, eine derartige Begünstigung für seine Landsleute zu erwirken. Als er auf der Wolga nach Hause zurückkehrte, kam er krank in Nishnij Nowgorod an, setzte aber dennoch seine Reise fort, musste sich aber in Gorodez hinlegen und starb am 14. November 126S, nachdem er sich vorher noch als Mönch hatte einkleiden lassen. Unweit Bogoljubowo wurde seine Leiche vom Volke eingeholt und in Wladimir, in der Kirche zur Geburt Christi, beerdigt. Man sagt, der Metropolit Kirill habe, als er Alexanders Tod erfuhr, ausgerufen: „Die Sonne des russischen Landes ist untergegangen!" Vorzugsweise war es die Geistlichkeit, welche diesen Fürsten ehrte und schätzte; Alexanders Willfährigkeit dem Chan gegenüber, seine Geschicklichkeit mit ihm gut auszukommen, seine Entschlossenheit, Russland in Abhängigkeit von den Eroberern zu erhalten, um dadurch Elend und Verwüstung, welche jedem Versuch zur Befreiung unabwendbar gefolgt wären, vom russischen Volke fern zu halten, — alles dies war in vollständiger Uebereinstimmung mit derjenigen Lehre, welche von den Priestern der rechtgläubigen Kirche stets gepredigt wurde: dass wir nämlich als Ziel unseres irdischen Daseins das jenseitige Leben anzusehen haben, dass wir, ohne zu murren, jegliche Ungerechtigkeit und Bedrückung ertragen, uns jeder Macht, auch der fremden und aufgezwungenen, unterwerfen und beugen sollen.
IX. Jarij und Iwan Danilowitsch, Fürsten von Moskau. Alexander Newskij hatte vier Söhne: der älteste, Wassilij, regierte in seiner Jugend in Nowgorod, später in Kostroma, wo er auch starb; Dimitrij und Andreas lagen in blutiger Fehde um die Grossfürstenwürde;
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IX. Jurij und Iwan Danilowitsch, Fürsten von Moskau.
Letzterer zeichnete sich dadurch aus, dass er zweimal die Tataren gegen Russland führte (1282 und 1294), wodurch er fürchterliche Verheerungen verursachte, deren Folgen sich noch Jahrzehnte lang fühlbar machten. Alexander Newskijs vierter Sohn, Daniel, war, als sein Vater starb, noch ein Kind, er erhielt das Fürstenthum Moskau als seinen Antheil. Daniel war der erste unter den Fürsten, welche dies, bis dahin nur .unbedeutende Städtchen des wladimirschen Landes zur Bedeutung erhob. In den Familienkämpfen seiner Brüder, an denen er sich betheiligte, nahm er den Fürsten von Rjäsan, Konstantin, durch List gefangen, — er machte sich den Verrath der rjäsaner Bojaren zu Nutze — und behielt ihn in Haft. Dies Ereigniss war das erste Anzeichen jener Art von Selbstkräftigung, durch welche später das eben erst im Entstehen begriffene Moskau sich auszeichnete. Gleichzeitig legte Daniel damals auch den Keim zu jener Erweiterung seiner Besitzungen, welche nachmals von allen seinen Nachfolgern so consequent durchgeführt wurde. Als Iwan Dimitrijewitsch, Daniels Neffe, kinderlos starb, vermachte er ihm seine Stadt Perejäslawl, Daniel bemächtigte sich derselben unverzüglich und behauptete sie gegen die Ansprüche seines Bruders Andreas. Daniel starb im Jahre 1303, nachdem er kurz vor seinem Tode noch das Mönchsgewand angelegt hatte. Die Chroniken berichten, er sei in der hölzernen Kirche des heil. Michael, welche auf der nämlichen Stelle stand, wo sich jetzt die Erzengel-Kathedrale in Moskau befindet, beerdigt; die Ueberlieferung jedoch, welche sich in seiner Lebensbeschreibung verzeichnet findet, versetzt sein Grab ins Danielskloster, das angeblich von ihm gegründet ward. Wie dem auch sein mag, Daniel, als Stammvater des moskauer Fürstenhauses, stand bei seinen Nachkommen in hoher Achtung.') Daniel hinterliess fünf Söhne: Jurij, Iwan, Alexander, Boris und Afonassij. Jurij und Iwan waren durch ihre Thätigkeit im XIV. Jahrhundert die hervorragendsten Männer Russlands. Sie erhöhten die Bedeutung Moskaus und legten den Grund zu dessen historischer Grösse, ') Man erzählt, dass, nachdem Daniels Sohn, Iwan, das von seinem Vater erbaute Kloster ins Innere des Kreml, bei der von ihm erbauten Erlöserkirche (Spass na Borü) verlegt hatte, Daniels Grabstätte bis zur Regierung Iwans III. unbekannt gewesen sei. Dieser Grossfürst sei einat mit seiner Drushina am Ufer des Moskwaflusses entlang, bei der Stelle vorbei geritten, wo Daniel begraben war. Da strauchelte plötzlich das Pferd eines Edelknaben und es erschien diesem Edelknaben ein unbekannter Fürst und sprach: „Ich bin Fürst Daniel von Moskau, der Herr dieses Ortes, an dem ich beerdigt wurde; sage dem Grossfürsten Iwan: Du ergötzest Dich selbst, mich aber hast Du vergessen." Von nun an Hessen die Moskauer Fürsten für ihren Ahnherrn Seelenmessen lesen. Die Ueberlieferung spricht auch von anderen Erscheinungen. Fürst Iwan Wassiljewitsch erbaute an der Stelle, wo man Daniels Grab vermuthete und wo früher das von ihm errichtete Kloster gestanden haben soll, das Danilowkloster. Unter Alexej Michailowitschs Regierung wurden^ Daniels Reliquien aufgefunden.
IX. Jurij und Iwan Danilo-svitsch, Fürsten von Moskau.
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welche späterhin, nach und nach, durch die folgenden Grossfürsten erreicht wurde. Grossfürst Andrej Alexandrowitsch starb im Jahre 1304. Die Grossfürstenwürde, welche unter der Tatarenherrschaft und unter den dadurch bedingten neuen Verhältnissen viel wichtiger und bedeutungsvoller als früher geworden war, lag ausschliesslich in den Händen des Chans, des höchsten Herrschers und wahren Herrn des russischen Landes. Von Rechten, welche in irgend einer Beziehung diesem oder jenem Fürstenzweige zukamen, war keine Rede. Unter sich mochten die Pürsten immerhin ein Anciennitätsrecht beobachten, dasselbe hatte aber auch früher, schon vor Beginn der Tatarenherrschaft, keine bindende Kraft, so dass eine wirkliche Anciennität, als factisch, nur in Bezug auf das Lebensalter galt. In der Horde waren diese Rangstufen noch viel weniger massgebend. Wer dem Herrscher genehm w a r , der konnte von ihm, ohne jegliche Rücksicht, zum Grossfürsten ernannt werden. In allen despotischen Reichen Asiens, also auch in der Tatarenhorde, musste des Herrschers Gunst und das Recht ihm zu nahen, durch Gefälligkeiten gegen seine Höflinge und Geschenke an einflussreiche Personen erkauft werden. Derjenige russische Fürst, welcher irgend eine Gunst des Chans beanspruchte, oder gar die höchste Würde erlangen wollte, musste sein Ziel erstens, durch das Versprechen eines grossen Tributs und zweitens, durch Geschenke und Bestechungen an verschiedene einflussreiche Höflinge zu erreichen suchen. Die Grossfürsten würde war also käuflich. Wer über den grössten Reichthum verfügte und die nöthige Klugheit entwickelte, diesen Reichthum richtig anzuwenden, konnte diese Würde erlangen. Obschon von des Chans Willkür abhängig, war doch die Möglichkeit vorhanden, die Grossfürstenwürde vom Vater auf den Sohn zu übertragen; es war dazu nur nöthig, dass derjenige, welcher sie besass, Reichthümer sammelte und durch fortwährende Geschenke sich die Wohlgeneigtheit einflussreicher Personen in der Horde zu erhalten wusste, um auf diese Weise seinem Sohn den Weg zu ebnen, damit dieser, nach seines Vaters Tode, dessen Würde erhalte. Gleichzeitig mit der Erhöhung einer fürstlichen Linie, musste sich selbstverständlich auch dasjenige Land, in welchem diese bevorzugte Linie herrschte, aus dem Niveau der übrigen Länder emporheben. Die Stadt Wladimir hatte die Merkmale des Vorrangs fast gänzlich eingebüsst; diejenigen Fürsten, welche vom Chan die höchste Würde erhielten, waren nicht mehr verpflichtet in Wladimir zu residiren, sie konnten auf ihren früheren Sitzen verbleiben. Jetzt sollte in Russland die wichtige Frage gelöst werden: in welcher Stadt wird die Grossfürstenwürde Wurzel fassen und sich von Generation zu Generation forterben? Dieser Stadt musste eine grosse Zukunft bevorstehen. Die Horde begann bereits, trotz ihrer anscheinenden Macht, zu wanken; die Anzeichen ihres Verfalls waren sichtbar. An den Ufern des Schwarzen Meeres war eine neue Horde
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IX. Jurij und Iwan Danilowitsch, Fürsten von Moskau.
entstanden, die sich von der Wolga- oder Goldenen Horde loslöste; es war dies die Nagajer-Horde, welche die Herrschaft des Wolga-Chans nicht mehr anerkannte, und hiermit begann eine Reihe von weiteren Zerstückelungen, die schliesslich den gänzlichen Ruin der mongolischen Monarchie herbeiführten. Sogar in der Wolgahorde selbst hatte die Chanswürde aufgehört sich regelrecht zu vererben und war von gewaltsamen Umwälzungen abhängig geworden. Chan T u d a j Mengu wurde von seinen Neffen und diese von ihrem Vetter Tochta, dem Sohne Mengu Timurs, ermordet. Diese Ereignisse waren die Vorboten dessen, was späterhin in der Horde als etwas ganz Gewöhnliches galt. So lange die Horde noch mächtig w a r , konnte die Herrschaft des Grossfürsten in e i n e r fürstlichen Linie und in e i n e m russischen Lande Wurzel fassen, und zwar nur durch die Macht der Horde; hatte sich aber die grossfürstliche Herrschaft einmal befestigt, so konnte sie auch durch den Verfall der Horde nicht mehr geschwächt w e r d e n , denn inzwischen konnte sich in Russland eine feste Regel entwickeln, aus der sich nach und nach die Macht der Gewohnheit erzeugte. Eines der Mittel, um die grossfürstliche Macht zu stärken, war auch der Brauch, dass die Kriegsmacht anderer Länder in das Land des Grossfürsten hinüberströmte, wodurch natürlich die andern Länder geschwächt und deren Fürsten unwillkürlich gezwungen wurden, sich demjenigen zu unterordnen, dessen Mittel ihm eine grössere Macht verlieh. Bei den russischen Bojaren war es Sitte geworden, zu demjenigen Fürsten hinzugehen, der die grössere Macht hatte und der ihnen folglich mehr Vortheile in Aussicht stellen konnte. Sie gingen auch nicht allein, sondern ihr Gefolge, diejenigen, welche man damals Bojarenkinder nannte, ging ebenfalls mit ihnen. Mit dem Verfall der Horde musste in Russland natürlich derjenige an des Chans Stelle treten, welchem der Chan, als er noch im Besitz seiner vollen Macht war, seine Gewalt übertragen hatte, oder dessen Nachfolger, vorausgesetzt, dass sich diese ihr Uebergewicht von Geschlecht zu Geschlecht bewahrt hatten. Am Anfang des XIV. Jahrhunderts trat jene verhängnissvolle Epoche ein, welche die F r a g e lösen musste: welche von den existirenden Fürstenlinien soll die anderen beherrschen und welches russische L a n d , mit seiner Hauptstadt, soll das Centrum des russischen Reichs bilden und die auseinander strebenden Theile zusammenhalten ? Nach Andreas' Tode begann sofort sein Vetter Michail Jaroslawitsch von T w e r , der Sohn eines Bruders von Alexander Newskij, nach der grossfürstlichen Würde zu streben. Im Fürsten von Moskau, J u r i j Danilowitsch, entstand ihm jedoch ein Nebenbuhler. Auf Befehl ihres Fürsten, wollten die Bojaren von Twer Jurij daran hindern, in die Horde zu ziehen; sie beabsichtigten ihn unterwegs abzufangen, es glückte ihnen jedoch nicht und Jurij konnte sich auf einem Umweg in die Horde durchschleichen.
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Während sich diese zwei Rivalen in der Horde um die Grossfürsten•würde stritten, brachen in ihrem Namen Bürgerkriege in Russland aus. Fürst Iwan Danilowitsch vertheidigte Perejaslawl gegen die Twerer und seinen ehemaligen Bojaren Akinf, der sich dem, mit einer Drushina von 1700 Mann Bojarenkindern aus Kijew nach Moskau gekommenen Bojaren Rodion Nesterowitsch, nicht hatte unterordnen wollen. Akinf war mit seinen Söhnen zum Fürsten von Twer übergegangen. Es kam zu einem blutigen Handgemenge, in welchem die Moskauer die Oberhand behielten und Bojar Rodion eigenhändig seinen Feind Akinf erschlug, dessen Kopf auf einen Spiess steckte und ihn seinem Fürsten Iwan Danilowitsch brachte. In der Horde bekam Michael, Fürst von Twer, die Oberhand. Jurij war damals nicht in der Lage, dem Chan einen grösseren Tribut versprechen zu können, als sein Nebenbuhler. Als Michael nach Russland zurückgekehrt war (1805), begann er sofort Moskau und Jurij zu bekriegen; wahrscheinlich auch auf Zureden der Kinder des getödteten Akinf. Der Fürst von Twer war aber nicht imstande Moskau zu erobern und schloss mit den moskauer Fürsten Frieden. Die gegenseitige Feindschaft war jedoch dadurch nicht erloschen. Da Jurij die Grossfürsten würde nicht erlangt hatte, so wählte er andere Mittel, um seine und Moskaus Macht zu erhöhen. Gleich nach dem Tode seines Vaters bemächtigte er sich der Stadt Moshaisk und führte ihren Fürsten Swjätoslaw als Gefangenen nach Moskau. Im Jahre 1306 erwürgte er den rjäsaner Fürsten Konstantin, welchen sein Vater Daniel gefangen genommen und in Moskau internirt hatte. Gleichzeitig hoffte der Fürst von Moskau auch sich der Stadt Rjäsan bemächtigen zu können, dies gelang ihm jedoch nicht; der junge Fürst von Rjäsan, Jaroslaw, hatte sich vom Chan einen Jarlyk (Diplom) auf sein Fürstenthum erbeten. Aber Jurij ging deshalb doch nicht leer aus, er vereinigte Kolomna, das bis dahin zum rjäsaner Land gehört hatte, mit Moskau. Jurij und sein Bruder Iwan lebten beständig in Freundschaft; mit seinen andern Brüdern, Alexander und Boris, konnte sich Jurij aber so wenig vertragen, dass diese nach Twer zu seinem unversöhnlichen Feind fliehen mussten. Dieser Feind versuchte im Jahre 1308 abermals einen Angriff gegen Moskau, jedoch wieder erfolglos. Die gegenseitige Feindschaft wurde dadurch noch mehr gesteigert und brach endlich in einen Verzweiflungskampf um Nowgorod aus. Seit der Eroberung durch die Tataren war Nowgorod, obschon es sich einer gewissen inneren Selbständigkeit erfreute, gezwungen, grossfürstliche Statthalter bei sich in Gorodischtsche aufzunehmen und dem Grossfürsten, als Beitrag zum allgemeinen Tribut für den Chan, Steuern zu zahlen. Seit dieser Zeit war das Verhältniss zwischen Nowgorod und dem Grossfürsten beständig ein gespanntes und nicht selten sogar ein ausgesprochen feindliches. Die Grossfürsten benutzten ihr Recht der Kostomarow-Henckel, Kuas. Geschichte in Biogr.I.
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Tributserhebung um von Nowgorod so viel als nur irgend möglich Steuern zu erpressen und ihre Hand lastete schwer auf dieser Stadt. Nowgorod dagegen suchte sich dem Machteinfluss des Grossfürsten möglichst zu entziehen. Daraus entstand eine Reihe von Verträgen zwischen Nowgorod und dem Grossfilraten, in denen wir dem fortwährenden Bestreben Nowgorods begegnen, sich aus allen Kräften gegen die Prätensionen der GroBsfiirsten zu schützen und seine eigene Selbständigkeit zu wahren. Die Streitfragen waren häufig so complicirt, dass das Verhältniss der verschiedenen Grossfürsten zu Nowgorod sich fast gar nicht änderte. Bis zum Falle Gross-Nowgorods, gegen Ende des XV. Jahrunderts, gab es keinen einzigen Grossfürsten — Jurij Danilowitsch ausgenommen — mit dem sich die Nowgoroder in freundschaftlichem und herzlichem Einvernehmen befunden hätten. Auch mit Michael von Twer konnten sie Bich, seines aggressiven und habsüchtigen Charakters wegen, nur schwer vertragen. Es scheint, dass sie ihn von Anfang an nicht mochten und ihn nicht zum Grossfürsten haben wollten. Diese ihre Meinung über ihn hatten sie auch wohl schon vor seiner Abreise in die Horde ausgesprochen. Als nun Michael von dort zurückkehrte, nahmen die Nowgoroder seine Statthalter bei sich auf und schlössen einen Vertrag mit ihm, nach welchem es, altem Brauch zufolge, dem Grossfürsten nicht gestattet sein sollte, nowgoroder Bezirke durch seine Beamten zu verwalten, es mussten nowgoroder Männer sein, denen dies Amt übertragen wurde. Ferner sollte es weder dem Fürsten noch der Fürstin, den Bojaren und allen ihren Unterthanen erlaubt sein, im nowgoroder Gebiet Dörfer und Besitzungen zu erwerben, nowgoroder Leute hinwegzuführen, solche in Versatz zu nehmen, ohne Mitwirkung des Possadnik Urkunden auszustellen, Becht zu sprechen und Besitz zu vertheilen, nowgoroder Männern Landbesitz zu entziehen, den nowgoroder Handel zu beschränken u. s. w. Durch diese Urkunde wurden auch die Einkünfte bestimmt, welche der Grossfürst selbst einziehen durfte. Im Jahre 1312 brach zwischen Michael von Twer und Nowgorod ein Streit auB. Michael rief seine Statthalter a b , bemächtigte sich der Grenzbezirke TorBhok und Beshitshi (Beshezk) und liess keine Getreidefuhren nach Nowgorod passiren, obschon solche dort sehr nothwendig waren. Nowgorod hatte durch grosse Brände stark gelitten. Die Nowgoroder sandten ihren Wladika David nach Twer; Michael nahm aber den Frieden nur unter der Bedingung a n , dass ihm |eine Zahlung von 1500 Griwnas (gegen 700 Pfund Silber) geleistet würde. Nach Abschluss des Friedens setzte Michael seine Statthalter wieder ein. Durch die Zahlung dieses Tributs wurden die Nowgoroder erst recht gegen Michael aufgebracht und beschlossen im nächsten Jahr, 1313, als Michael in die Horde ging, um dem neuen Chan Usbek seine Ehrfurcht zu bezeugen, so zu handeln, wie es von altersher bei ihnen Brauch gewesen war, nämlich einen andern, „freien" Fürsten einzusetzen; sie wandten
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sich daher an Jurij Danilowitsch. Dieser sandte zuerst seinen Bojaren Fjodor Rshewskij hin, welcher Michaels Statthalter gefangen nahm, sie auf dem Hofe des Wladyka bewachen liess und die Nowgoroder an die Wolga gegen Twer führte. Da Michael selbst abwesend w a r , so trat ihnen dessen Sohn Dmitrij mit seinem Heer entgegen. Nachdem sie bis zum Eintritt der Kälte einander an den Ufern der Wolga gegenüber gestanden hatten, schlössen sie Frieden. Die Friedensbedingungen sind unbekannt, waren aber für Nowgorod günstig. Vor Beginn der Fasten kam der neuerwählte Fürst Jurij mit seinem Bruder Afanassij in Nowgorod an. Die Nowgoroder setzten ihn auf den Tisch und freuten sich, sie hofften auf eine Wiedergeburt ihrer alten Freiheit. Ihre Freude war jedoch nicht von Dauer. Im Frühjahr 1315 kam ein Befehl des Chans an Jurij, sich in der Horde einzufinden. Wahrscheinlich hatte sich Michael beim Chan Uber ihn beklagt. Jurij wagte nicht ungehorsam zu sein, er machte sich also auf den Weg und liess seinen Bruder Afanassij in Nowgorod. Unterdessen kehrte Michael nach Russland zurück; er war nicht nur vom Chan wohlwollend aufgenommen worden, sondern brachte sogar Tataren mit, um das unbotmässige Nowgorod zu züchtigen. Auf Befehl des Chans mussten auch Truppen des Unterlandes Beihilfe leisten. Michael schritt nun zur Belagerung von Torshok, wohin auch die Nowgoroder mit dem Fürsten Afonassij kamen und wo ein blutiges Treffen stattfand, in dem viele Nowgoroder den Tod fanden. Da sie sich nicht länger halten konnten, mussten sie sich in Torshok einschliessen lassen. „Gebt mir die Fürsten Afonassij und Fjodor von Rshew heraus, dann will ich mit Euch Frieden machen!" liess Michael den Nowgorodern sagen. Diese antworteten: »Wir geben Dir den Fürsten Afonassij nicht heraus, sondern wollen mit Ehren für die heil. Sophie sterben." Michael sandte ihnen zum zweiten Mal die Forderung: „so gebt mir also den Fürsten Fjodor von Rshew heraus." Der Chronist sagt, die Nowgoroder hätten ihn gegen ihren Willen ausliefern und Frieden schliessen müssen, wobei sie sich auch verpflichteten 12 000 Griwnas Silber zu zahlen. Nach Abschluss des Friedens lud Michael den Fürsten Afonassij und die nowgoroder Bojaren zu sich ein, bemächtigte sich ihrer durch Treubruch und sandte sie als Geissein, um die Zahlung der Kriegsentschädigung zu sichern, nach Twer. Ausserdem beraubte Michael die Nowgoroder und Nowotorshker noch, indem er ihnen Rüstungen, Waffen und Pferde wegnahm. Diese Bedrückungen veranlassten die Nowgoroder eine Botschaft in die Horde zu senden und über Michael Klage zu führen, ihre Boten wurden jedoch von den Twerern unterwegs abgefangen. Ein solcher Friede konnte nur dazu dienen, die Nowgoroder noch mehr zu erbittern. Ein Krieg gegen den Fürsten von Twer brach im Jahre 1317 aus. Michaels Statthalter entfernten sich aus Nowgorod und er selbst rückte mit den Streitkräften des ganzen Unterlandes gegen 11*
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N o w g o r o d D i e Nowgoroder befestigten ihre Stadt durch Pallisaden an beiden Ufern des Wolchow und stellten ihr ganzes Land auf den Kriegsfuss. Die Pskowiter, die Ladogaer, die Karelier, die Bewohner von Russa, die Ishoren und die von Wodj, alle bewaffneten sich. Der schlechte Zustand der Wege war schuld, dass Michael nicht bis Nowgorod kommen konnte. Als er bei Ustjan angelangt w a r , musste er Kehrt machen und ward für seine Verwegenheit hart bestraft. Sein Heer verirrte sich inmitten der Seen und Sümpfe und viele seiner Leute starben vor Hunger. Sie verzehrten alle ihre Pferde, benagten die Riemen, Stiefelschäfte und das Leder der Schilde, Viele kamen vor Kälte um und nur elende Trümmer waren es, die, zu Fuss und krank, mit ihren Fürsten heimkehrten. Die Nowgoroder waren nun überzeugt, der Grossfürst würde jetzt eher dem Frieden geneigt sein und sandten den Wladyka David mit der Bitte zu ihm, ihre verrätherisch der Freiheit beraubten Brüder frei zu geben. Anfangs verweigerte Michael die Erfüllung dieser Bitte, dann aber, als er hörte, dass Jurij aus der Horde zurückgekehrt und gegen ihn im Anmarsch begriffen sei, schloss er mit den Nowgorodern in Torshok Frieden. Diese fanden sich deshalb leicht bereit dazu, weil sie nicht wussten, dass Jurij ihnen so nahe sei. In dem zwischen Michael und den Nowgorodern vereinbarten Vertrag war wohl von der Rückgabe der Gefangenen, nicht aber von einer Kriegscontribution die Rede, so dass der Tribut, den Michael den Nowgorodern in Torshok auferlegt hatte, ihm wahrscheinlich nie ausbezahlt worden ist. Jurij, der sich bereits 1315 auf Usbeks Befehl in die Horde begeben hatte, war zwei Jahre lang fortgeblieben. Leider wissen wir nicht, was er dort gemacht hat; in Folge seines langen Fortseins aber gewann er Usbeks Gunst und heirathete dessen Schwester Kontschaka, welche sich taufen liess und den Namen Agathe annahm. Usbek selbst' war Muhamedaner, achtete aber, getreu den Ueberlieferungen seiner Vorfahren, alle Religionen und war besonders den Christen gegenüber tolerant. In seiner Residenz Ssaraj lebten viele Christen, die ihren Gottesdienst frei ausüben durften und sogar ihren eigenen Bischof hatten. Mit dieser Duldung stand die Thatsache im Einklang, dass Usbek in ein verwandtschaftliches Verhältniss zu einem russischen Fürsten trat und seiner Schwester gestattete, ihres Mannes Glauben anzunehmen. Jurij zog jetzt mit den Tataren gegen seinen Feind. Bei ihm befand sich Fürst Kawgadyj als Abgesandter des Chans und Anführer der Tataren. Damals kamen häufig Gesandte des Chans nach Russland, — manche Tataren gaben sich auch fälschlich als solche aus. Alle diese sogenannten Botschafter des Chans waren eine wahre Plage für die Bewohner des Landes. Wo sie mit ihren Tataren auftraten, da kehrten ') „Unterland" hiess eigentlich die Gegend am untern Laufe der Wolga; die Nowgoroder aber verstanden darunter auch das Ssusdal-ßostower Land mit seinen Verzweigungen, später sogar auch Hoskau.
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sie bei jedem Schritt die Herren heraus und behandelten die Russen als ihre Sklaven; sie raubten und verübten allerlei Gewalttaten. So auch diesmal. In der Annahme, dass Jurij beim Herrscher in Gunst stehe, schlössen sich ihm die ssusdaler Fürsten an, dies verhinderte aber die Tataren durchaus nicht, auf ihren Zügen über Kostroma, Rostow, Dmitrow und Klin, Excesse zu verüben. Unter den Tataren befanden sich auch Chiwesen und Mordwinen, welche alle gegen Twer zogen. Jurij wollte seinen Gegner bestrafen. Hatten die Tataren schon bei ihrem Durchzug durchs ssusdaler Land Eigenthum und Person der Russen nicht besonders respectirt, so begannen sie nun im Lande Twer jede menschliche Wohnung, die sie auf ihrem Wege berührten, niederzubrennen und die Menschen, welche ihnen in die Hände fielen, durch allerlei Grausamkeiten zu quälen; Michael zog ihnen ^entgegen und traf am 22. December 1317, vierzig Werst von Twer, bei dem Grenzorte, welcher Bortenjewo genannt wurde, mit ihnen zusammen. Jurijs Heer ward geschlagen, er selbst aber entkam nach Torshok. Sein Bruder Boris, seine Frau Agathe und Kawgadyj geriethen in Gefangenschaft. Aus Torshok flüchtete sich Jurij nach Nowgorod. Obschon die Nachricht von Jurijs Feldzug gegen Twer nicht rechtzeitig zu den Nowgorodern gelangt war und sie deshalb nicht imstande gewesen waren Jurij zu Hilfe zu kommen, so ergriffen sie nun doch die Partei ihres Verbündeten und auch die Pskowiter schlössen sich ihnen an. Zugleich mit der nowgoroder Landwehr zog auch Wladyka David von Nowgorod aus. Erst vor Kurzem hatten die Nowgoroder mit Michael Frieden gemacht, es wäre daher ehrlos gewesen, ihn jetzt anzugreifen, sie stellten also zuerst das Verlangen an ihn, Jurijs Forderungen zu erfüllen und beschlossen ihn erst dann zu bekriegen, wenn er ihre Forderung zurückweisen würde. Michael fürchtete den Zorn des Chans und gab nach. Jurijs Frau konnte er nicht mehr ausliefern, denn sie war in der Gefangenschaft gestorben, man sagte an Gift. Nur ihren Leichnam, welcher zur Beerdigung nach Rostow in die Mutter-Gottes-Kirche gebracht wurde, konnte Michael herausgeben. Durch Nowgorods Vermittelung kamen nun die beiden Gegner zu dem Beschluss, gemeinschaftlich in die Horde zu gehen. Kawgadyj, der Michaels Gefangener w a r , bestätigte ihm, dass er selbst Jurij beigestanden und ohne des Chans Erlaubniss Michael angegriffen habe. Nach seiner Befreiung vereinigte sich Kawgadyj mit Jurij und sie beschlossen^ alle Fürsten des Unterlandes (d. h. des ssusdal - rostower Landes) zu versammeln und die Bojaren der russischen Städte (namentlich auch die von Nowgorod) einzuladen, gemeinschaftlich in die Horde zu ziehen, um Michael zu verklagen; und so geschah es auch. Sie begaben sich Alle zu Usbek. Als Michael von dem Unwetter, dass sich über ihm zusammenzog, hörte, sandte er seinen Sohn Konstantin in die
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Horde und überlegte, was zu thun sei. Endlich beschloss e r , sich mit seinen Söhnen Dimitrij und Alexander gleichfalls auf den Weg zu machen. In Wladimir traf er den Boten des Chans, Achmyl, der im Begriff war, zu ihm zu reisen. „Der Zar ruft Dich — sprach Achmyl — eile! Wenn Du in Monatsfrist nicht eintriffst, so sendet der Chan ein Heer aus gegen Dich und Deine Stadt; Kawgadyj hat Dich beim Chan verklagt und ihm versichert, dass Du nicht in die Horde kommen würdest." Michaels Söhne und Bojaren suchten ihn zu überreden, nicht selbst hinzureisen, sondern noch einen seiner Söhne in die Horde zu senden. „Nicht Euch, meine Kinder, fordert der Zar zu sich — sagte Michael, — es ist m e i n Kopf, den er haben will. Weigere ich mich, ihm zu gehorchen, so wird mein Land erobert und viele Christen werden erschlagen. Ich aber muss doch sterben; besser daher, dass ich mein Leben für viele Andere dahingehe." Er reiste also ab und erreichte am 6. September 1318 die Mündung des Don, wo sich damals Chan Usbek aufhielt und, gleich seinen Vorfahren, nomadenartig umherzog. Dort traf Michael seinen Sohn Konstantin. Nach altem Brauch brachte Michael dem Zar, der Zarin und allen einflussreichen Würdenträgern Geschenke mit. Usbek befahl, man solle den Angeklagten Michael bewachen, liess ihn jedoch achtungsvoll behandeln. So vergingen anderthalb Monat. Endlich befahl der Chan, dass Michael Jaroslawitschs Streitsache mit Jurij von den Fürsten untersucht und ihm, dem Chan, unterbreitet werden solle. Den Freigesprochenen würde er belohnen, den Schuldigen aber hinrichten lassen. Diesem Befehl zufolge versammelten Bich die Fürsten in einer Kibitke und legten verschiedene Dokumente vor, die Michaels Verbrechen bewiesen. Er wurde angeklagt, von den Städten, die diesen Fürsten zugehörten, Steuern erhoben und solche dem Zaren nicht abgeliefert zu haben. 1 ) Bei diesem Gericht befand sich auch Kawgadyj, der sich alle erdenkliche Mühe gab, Michael anzuschwärzen. Nach Verlauf einer Woche wurde Michael vor ein anderes Gericht gestellt (wahrscheinlich war dies ein rein tatarisches) und hier wurde folgendes Urtheil gefällt: „Er hat dem Zar den Tribut vorenthalten, hat gegen den zarischen Gesandten gekämpft und den Tod der Fürstin, Jurijs Frau, verschuldet." ') Obschon in den Berichten über Michaels Ermordung diese Fürsten — „zur Horde gehörend" — genannt -werden und unsere Historiker der Ansicht sind, es seien tatarische Würdenträger gewesen, die über Michael zu Gericht sassen, so ergiebt doch der Sinn, dass die "Worte „zur Horde gehörend" erst später hinzugefügt, und dass hier die Rede von r u s s i s c h e n Fürsten sei. Tatarische Fürsten konnten Michael nicht dafllr verurtheilen, dass er von i h r e n Städten Steuern erhoben habe, denn Michael konnte von keinen tatarischen Städten Steuern erheben; thatsächlich aber hatte er, als Grosa fürst, von russischen Städten Steuern erhoben um der Horde den Tribut zu zahlen. Ausserdem wird in diesen Berichten auch erzählt, dass Jurij, als er sich in die Horde begab, um Michael anzuklagen, Fürsten aus dem Unterlande und Bojaren aus den Städten eingeladen habe, die Michael richten sollten.
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Nach dieser Verurtheilung wurde Michael von sieben 'Mann bewacht, von jedem Fürsten einer. Man legte ihm einen schweren Block um den Hals, der ihm ebenso viel Qualen zufügte, als er ihn schändete. Der Chan unternahm jetzt einen Feldzug gegen Persien und schleppte Michael in einem Wagen mit sich. Als der Chan während des Feldzuges in der Steppe sein Lager aufschlug und man daselbst einen Markt eröffnete, befahl Kawgadyj Michael mit dem Block am Halse vor allem Volk auszustellen und die Gläubiger, d. h. diejenigen, welche über Michaels ungerechte Steuererhebungen Klage führten, zusammen zu rufen. Das war ein Brauch, der später auch in das russische Gerichtsverfahren überging; man stellte den zahlungsunfähigen Schuldner auf dem Marktplatz aus nnd schlug ihn auf die Füsse. Es ist nicht ersichtlich, dass Michael geschlagen worden sei; der Klotz am Halse aber bedeutete, dass dies eine Esecution sei. „Wisse es, Michael" — sprach Kawgadyj zu ihm — „so ist es Brauch bei unserm Zaren; zürnt er Jemand, und wäre es sein Schwestersohn, so befiehlt e r , das3 man ihm einen Block auflege; vergeht aber sein Zorn wieder, so achtet er ihn wie vorher; auch Dir wird es so ergehen : ist Deine Qual vorbei, so erwartet Dich eine desto grössere Ehre beim Zaren." Kawgadyj befahl den Wächtern, den Block, welcher auf .Michaels Schultern lastete, zu unterstützen, um ihm Erleichterung zu verschaffen. Endlich, nach 26tägiger Qual, am 22. November, an einem Mittwoch, kamen Kawgadyj und Jurij Danilowitsch mit ihren Leuten — jenseits des Flusses Terek und der Berge — zu der Kibitke, in welcher sich der unglückliche Michael befand; die Mörder traten ein, warfen den Fürsten auf die Erde und ein Kusse, Namens Romanez, stiess ein Messer in des Märtyrers Herz. Als Jurij und Kawgadyj in die Kibitke traten und Michaels entblössten Leichnam sahen, warf Kawgadyj einen finstern Blick auf Jurij und sprach: „ E r war Dein älterer Bruder, gleichsam Dein Vater, weshalb also liegt sein Leichnam nackt und verlassen da!" Jurij befahl, den Leichnam mit einem Mantel zu bedecken. Es scheint, der Chan hatte noch gezögert, das gerichtliche Urtheil vollstrecken zu lassen, Jurij aber habe darauf bestanden und Michaels Tod durchaus verlangt. Sogar nach Michaels Tode rächte sich Jurij an ihm. Seine Bojaren, welche Michaels Leiche nach Russland brachten, gestatteten nicht, dass man den Leichnam unterwegs in Kirchen aufbahrte, sondern wählten Ställe dazu. Man brachte ihn nach Moskau und beerdigte ihn im Erlöserkloster. Nachdem Jurij die Grossfürstenwürde vom Chan erhalten hatte, kehrte er mit grossen Ehren nach Russland zurück und führte Michaels Sohn Konstantin, sowie dessen Bojaren und Diener als Gefangene mit sich. Die Wittwe Michaels und dessen andere Söhne wandten sich, als Bie das traurige Ende des Fürsten von Twer erfuhren, mit der Bitte an Jurij, ihnen den Leichnam des Getödteten zu überlassen, um ihn in Twer zu
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beerdigen. Nachdem er ihre Bitte eine Zeit lang unberücksichtigt gelassen hatte, willigte er endlich ein. Einer der Söhne des ermordeten Fürsten, Alexander, holte dessen Leichnam aus Moskau ab und beerdigte ihn in der Erlöserkirche in Twer. Michaels ältester Sohn, Dimitrij (der in den Geschlechtsregistern den Namen „Dimitrij mit den grimmigen Augen" führt), war, wegen der Ermordung seines Vaters dem Jurij feindlich gesinnt, musste aber einstweilen seinen Hass unterdrücken. Durch Vermittlung des Bischofs von Twer, Warssonofij wurde im Jahre 1321 zwischen Dimitrij und Jurij Friede geschlossen; der Fürst von Twer bezahlte 2000 Griwnas in Silber und verpflichtete sich, nicht nach der Grossfürsten würde zu trachten. Nachdem Jurij Grossfürst geworden war, sandte er seinen Bruder Afonassij nach Nowgorod; nach dessen Tode aber zog er, 1322, selbst dorthin und blieb daselbst. Wie es scheint, hatte er Moskau seinem Bruder Iwan überlassen und lebte als Grossfürst in Nowgorod. Jurij liebte Nowgorod und die Nowgoroder liebten ihn. Er kämpfte für Nowgorod gegen die Schweden, erbaute die Stadt Areschek (das heutige Schlüsselburg), schloss in Nowgorods Namen Frieden mit dem König von Schweden und vertrieb die Litthauer, welche häufige Einfälle ins nowgoroder Gebiet machten; im Jahre 1324 zog Jurij, um die Beleidigungen, welche die Ustjuger den Handelsleuten von Nowgorod zugefügt hatten, zu rächen, gegen Ustjug, eroberte diese Stadt und schloss mit deren Bewohnern einen für Nowgorod günstigen Frieden. Hier war es auch, wo er von den Nowgorodern auf immer Abschied nahm; sie kehrten nach Hause zurück, er aber zog an die Kama und fuhr auf derselben in die Horde hinunter. Man hatte ihn vorgefordert. Dimitrij Michailowitsch von Twer hatte Jurij verklagt, dass er von den twer'schen Fürsten Steuern erhoben und sie nach Nowgorod gebracht habe, anstatt das Geld dem tatarischen Gesandten abzuliefern 1 ). Jurij, der am 21. November 1325 in der Horde eintraf, wurde vom Fürsten Dimitrij Michailowitsch ermordet. Sein Leichnam ward nach Moskau gebracht und durch den Metropoliten Petrus und den Erzbischof von Nowgorod, Moses, der Erde übergeben. Der Chan bestrafte den Mörder, jedoch erst zehn Monate nach geschehener That. Jurijs Bruder, Iwan, mit dem Zunamen' Kalitä (von seiner Gewohnheit, einen Beutel — Kalitä — mit Geld, um Almosen zu vertheilen, bei sich zu tragen), blieb, während sein älterer Bruder lebte, lange Zeit hindurch unbemerkt; als aber Jurij die Grossfürstenwürde erlangt hatte und nach Nowgorod ging, da blieb Iwan als Fürst von Moskau zurück, ') Bei der Dürftigkeit der vorhandenen Quellen sind sowohl diese Ereignisse, als auch die Beziehungen Jurijs und Dimitrijs zur Horde, fllr uns unklar. E s existirt ein Bericht, Dimitrij habe die Grossfürstenwürde erhalten; wir wissen aber nicht mit Bestimmtheit, ob Chan Usbek im Zorn gegen Jurij, Dimitrij in dieser Würde bestätigte, ob Dimitrij sich selbst die Grossfürstenwürde beilegte, oder ob hier ein Irrthum der Chronisten vorliegt.
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und von diesem Zeitpunkte an datirt seine historische Laufbahn. In den achtzehn Jahren seiner Kegierung begann Moskau seine Machtstellung zu entfalten und sich über alle russischen Länder emporzuheben. Das Hauptmittel zu dieser Kräftigung Moskaus bestand in der ganz besonderen Geschicklichkeit Iwans, sich mit dem Chan auf guten Fuss zu stellen; er reiste häufig in die Horde, errang die Zuneigung und das Vertrauen Usbeks und schützte dadurch das moskauer Land vor den Ueberfällen tatarischer Botschafter, welche, wie schon oben erwähnt, ganz Russland durchzogen und überall Excesse verübten und Verheerungen anrichteten. Während andere russische Länder von diesem Unheil heimgesucht wurden und auch noch anderes Elend zu erdulden hatten, blieb das Gebiet des Fürsten von Moskau ruhig, nahm an Bevölkerung zu und befand sich im Vergleich mit andern russischen Ländern, in blühendem Zustand. „Die Unreinen bekriegen das russische Land jetzt nicht mehr, — sagt der Chronist, — sie haben aufgehört, die Christen zu tödten und diese können sich nun von ihren grossen Leiden und Lasten, von den Gewaltthätigkeiten der Tataren erholen, und von nun an trat Ruhe im Lande ein." Die Stadt Moskau erweiterte sich während Iwans Regierungszeit. Ausser dem Kreml, welcher das Centrum oder die innere Festung bildete, war auch die äussere Ansiedelung zur Regierungszeit Iwans mit einer Mauer aus Eichenholz umgeben. Rings um Moskau herum entstanden Dörfer. Viele Bojaren verliessen ihre Fürsten und traten in den Dienst des Fürsten von Moskau, der ihnen dagegen Ländereien verlieh; den Bojaren folgten freie Leute, welche sich für das Kriegshandwerk eigneten. Auf diese Weise wurden die Nachbarfürsten immer machtloser und daher unwillkürlich gezwungen, dem Fürsten von Moskau gefällig zu sein und sich ihm unterzuordnen. Auch Ausländer siedelten sich in Moskau an und sogar Tataren kamen, nicht als Feinde nnd Herren, sondern als Ansiedler dorthin. Sie liessen sich taufen und wurden Russen. Unter diesen tatarischen Einwanderern befand sich auch Mursa Tschet, der Ahnherr der Familie Godunow und des Boris, welcher gegen Ende des XVI. Jahrhunderts den russischen Zarenthron bestieg. Iwan war hauptsächlich um die innere Sicherheit des Landes besorgt; er verfolgte Räuber und Diebe, bestrafte sie aufs strengste, und ermöglichte dadurch, dass Handelsleute sich auf den Landstrassen frei bewegen konnten. Schon damals strömten Händler aus aller Herren Länder nach Moskau. An der Mündung der Mologa entstand ein berühmter Jahrmarkt, wo Kaufleute von Osten und Westen zusammen kamen. Dieser Jahrmarkt vermehrte die Einkünfte des Grossfürsten und hob gleichzeitig auch den Volkswohlstand. Schon in seinen ersten Regierungsjahren gab Iwan seiner Residenz, durch die Verlegung des Metropolitensitzes aus Wladimir nach Moskau, eine höhere geistige Bedeutung. Bereits im XIII. Jahrhundert hielten es
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die russischen Oberpriester nicht mehr für passend, in Kijew zu residiren, dem dünnbevölkerten Lande, der verwüsteten und verarmten Stadt, wo das ehemalige Heiligthum verödet und das Höhlenkloster menschenleer dastand, wo die Zehntenkirche in Ruinen lag und von der heiligen Sophienkirche nur noch die Mauern aufrecht standen. Die Metropoliten Kyrillus und Maximus, obschon sie sich Metropoliten von Kijew nannten,-lebten nicht in dieser Stadt, sondern führten ein Pilgerleben und hielten sich meist in Wladimir auf. Nach dem Tode des Metropoliten Maximus traten zwei Prätendenten auf, welche beide diese Würde beanspruchten; der eine, Abt Gerontius von Wladimir, war aus dem nördlichen Russland, der andere, Abt Petrus, ein Wolhynier von Geburt, aus Südrussland. Jurij Lwowitsch, Fürst von Galitsch, ein Enkel Danilos, sandte Petrus nach Konstantinopel, damit er dort die Weihe erhalte, er wollte eine Metropole bei sich in Galitsch errichten. Petrus wurde dem Gerontius vorgezogen und erhielt die Metropoliten würde (1308); anstatt aber seinen Sitz in Südrussland aufzuschlagen, übersiedelte er nach dem nördlichen Wladimir, nannte sich jedoch Metropolit von Kijew. Er hielt sich übrigens nicht beständig in Wladimir auf, sondern zog von einem Ort zum andern, um überall Priester zu weihen. Mit dem Fürsten Michael Jaroslawitsch von Twer machte Petrus eine Reise in die Horde zu Usbek und erhielt von diesem das berühmte Dokument, welches die rechtgläubige russische Geistlichkeit, ihre Familien und alle Personen, die zum russischen Kirchendienst gehören, von jeglichem Tribut befreite und vor Beleidigungen und Bedrückungen seitens der Beamten und Unterthanen des Chans schützte. Während seiner Pilgerfahrten von einem Ort zum andern, kam Petrus auch mit dem Fürsten Iwan Danilowitsch zusammen und es gefiel ihm in dessen Stadt, Moskau, besser, als in allen übrigen russischen Städten. Er liess sich hier auf längere Zeit nieder und war durch Errichtung von Kirchen für die Ausschmückung der Stadt thätig. Am 4. August 1325 legten er und Fürst Iwan den Grund zur ersten steinernen Kirche in Moskau, es war dies die Kirche zur Himmelfahrt Maria (jetzt Himmelfahrtskathedrale). Dieselbe sollte das wichtigste Heiligtham Moskaus werden und dieser Stadt die nämliche Weihe verleihen, welche vor Zeiten die von Andreas erbaute Mutter-Gottes-Kirche der Stadt Wladimir verliehen hatte. Dort, wo der Opferaltar hinkommen sollte, stellte Petrus eigenhändig ein Grab h e r : „Gott wird Dich segnen" — sprach er zu Kalitä. — „und Dir Macht geben über alle Fürsten; er wird diese Stadt über alle anderen Städte erheben und diesen Ort Deinem Geschlecht in Ewigkeit verleihen; und Dein Geschlecht wird seine Hände auf die Schultern Eurer Feinde legen und es werden Hohepriester in dieser Stadt wohnen und meine Gebeine werden hier ruhen." Dieser Prophezeihung, welche von einer Generation der anderen überliefert wurde, erinnerte man sich später Und führte sie a n , um Moskaus Macht und Grösse zu befestigen. Im folgenden Jahr, 1326, am 21. Dezember, starb Petrus; im Andenken
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der Nachkommen blieb er stets Moskaus heiliger Schutzgeist, der Urheber von dessen geistlicher Machtfülle. Petri Anordnung gemäss beendete Iwan den Bau der Kirche zur Himmelfahrt Mariä und errichtete ausserdem noch die steinerne, dem Erzengel Michael geweihte Kirche, an der Stelle einer ehemaligen hölzernen Kirche; auch bestimmte er, dass man ihn daselbst beerdigen solle. Es war dies die heutige Erzengel-Kathedrale, die allen Nachkommen Iwans als Beerdigungsstätte diente. In der Nähe seines Schlosses gründete Iwan das Kloster zur Verklärung Christi und baute eine steinerne Kirche darin. (Es ist dies die einzige Kirche Moskaus, deren Mauern noch aus jener Zeit, in der Erlöserkirche [Spass na Borü], vorhanden sind.) Ferner erbaute er die Kirche des heiligen Johannes (St. Klimakos), an der nämlichen Stelle, wo heute der Glockenthurm des Iwan Welikij steht. Iwans Bestreben Moskaus kirchliche Bedeutung zu heben, wurde auch dadurch unterstützt, dass Theognost, der Nachfolger des Metropoliten Petrus, in Moskau residirte und dass alle späteren Metropoliten diese Stadt zu ihrem Wohnsitz wählten und derselben dadurch die Bedeutung eines Vorortes der ganzen russischen Kirche verliehen. Iwan Danilowitsch wusste seine Regierungszeit geschickt zu benutzen, um einerseits seine moskauer Besitzungen zu erweitern, und um andrerseits einen entschiedenen Einfluss auf die Fürsten der übrigen russischen Länder zu gewinnen. Mehr als alles andere trug die neuentstandene Feindschaft gegen Twer dazu bei. Dort regierte Alexander, ein anderer Sohn Michaels. Nach der Hinrichtung seines Bruders trug Alexander — wie der Chronist berichtet — den Namen eines Grossfürsten 1 ). Wie es scheint, trauten die Tataren Alexander nicht, und fanden es für gerathen, Twer besonders scharf zu beobachten. Im Jahre 1327 kam der Beamte des Chans, Tscholkan, mit einem Haufen bewaffneter Tataren nach Twer, vertrieb Alexander aus seinem Hause und richtete sich daselbst als Hausherr ein. Natürlich musste dies Verfahren Furcht und Murren im Volke erregen. Man erzählte, die Tataren hätten die Absicht, alle russischen Fürsten zu tödten, Russland durch ihre Beamten zu verwalten und die Christen gewaltsam zum „bussurmanischen" Glauben (Muhamedanismus) zu bekehren. Die Tataren, welche die Gewohnheit hatten, die Russen wie ihre Sklaven zu behandeln, verübten allerhand Excesse in Twer. Am 15. August brach daher ein Aufstand gegen sie aus. Einigen Nachrichten zufolge, soll Alexander selbst, um Vater und Bruder zu rächen, die Twerer aufgehetzt haben, nach anderen Berichten habe er, im Gegen') Dies Faktum scheint uns im höchsten Grade sonderbar; wie sollte Usbek, der Alexanders Vater und Bruder hatte tödten lassen, dazu gekommen sein, diesem Fürsten den Bang desAeltesten in Bassland zu verleihen? Da die ältesten Bedaktionen unserer Chroniken durchaus nichts von der Ernennung Alexanders zum Grossfürsten erwähnen und da nur in den späteren Bedaktionen sich Nachrichten darüber vorfinden, so wären wir geneigt, diese Thatsache als unwahr abzulehnen, wenn nicht ein nowgoroder Dokument uns davon zurückhielte, aus dem zu ersehen ist, dass die Nowgoroder im Jahre 1327 Alexanders Macht Uber sich — in der Eigenschaft als Aeltester oder Grossfilrat — anerkannten. Jedenfalls liegt hier etwas uns Unbekanntes und Unverständliches Tor.
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theil, ihnen anbefohlen zu dulden, und der Ausbruch des Tumultes sei durch einen unerwarteten Zufall hervorgerufen worden. Die Tataren wollten nämlich dem Diakon Djudka eine junge, fette Stute wegnehmen. Da rief der Diakon das Volk, welches vorher schon durch die Frechheit der Tataren aufgeregt war, zu Hilfe. Man läutete die Wetsche-Glocke, das Volk rottete sich zusammen und erschlug Tscholkan und seine Tataren. Nur wenigen Pferdehirten gelang es zu entfliehen und Nachricht vom Geschehenen in die Horde zu bringen. Die Rache der Tataren war unvermeidlich. Als Fürst Iwan Danilowitsch vernahm, wa9 in Twer geschehen war, eilte er in die Horde, kam von dort mit dem Titel des Aeltesten unter den Fürsten zurück und führte Tataren herbei, um Twer zu bestrafen. Das tatarische Kriegsheer hatte fünf Temniks als Anführer. Iwan Danilowitsch forderte den Fürsten von Ssusdal auf, sich ihm anzuschliessen, und dieser wagte es nicht, ungehorsam zu sein. Das Heer kam im Winter ins Land von T w e r , brannte die Städte nieder, tödtete Alt und Jung, führte einen Theil der Einwohner in die Sklaverei und ein anderer Theil, der ohne Obdach geblieben war, erfror. So wurden die Städte Kaschin und Twer zerstört. Fürst Alexander zog mit seinem Bruder Konstantin nach Nowgorod; die Nowgoroder aber wiesen ihn ab, und er war genöthigt nach Pskow zu flüchten. Unterdessen überfielen die Tataren, die wahrscheinlich nicht wussten, dass Alexander von den Nowgorodern verjagt worden sei, das Land von Nowyj-Torg, welches zu Nowgorod gehörte, und verheerten es. Dies Ereigniss wurde erst dann aufgeklärt, als die mongolischen Botschafter in Nowgorod einzogen und daselbst 2000 Griwnas Silber und viele Geschenke erhielten. Das Gebiet von Twer war dermassen verwüstet und entvölkert, dass ein volles halbes Jahrhundert dazu gehörte, um die Spuren der Zerstörung zu verwischen. Nachdem Iwan Twer niedergeworfen hatte, zog er in die Horde, um Usbek Bericht zu erstatten. Dieser lobte ihn sehr und von nun an war Iwans Stellung noch mehr befestigt. Gleichzeitig kam auch Alexanders Bruder, Konstantin, zu Usbek, um sich ihm zu unterwerfen. Usbek nahm ihn gnädig auf, erwähnte das Vergehen, dessen sich sein Bruder schuldig gemacht, nicht, bestätigte ihn als Fürsten von Twer, ertheilte aber Iwan und allen anderen russischen Fürsten den Befehl, Alexander aufzusuchen und vor das Gericht der Horde zu liefern. Auf des Chans Befehl kam Iwan im Jahre 1329 mit dem Metropoliten, dem Fürsten von Ssusdal und zwei Fürsten von T w e r , Alexanders Brüdern, nach Nowgorod und sie sandten von dort aus Boten an Alexander. Der nowgoroder Wladyka Moses selbst und einige vornehme Nowgoroder fuhren nach Pskow und überredeten Alexander, sich freiwillig in die Horde zu begeben und „die Christen nicht dem Verderben durch die Ungläubigen auszusetzen". Alexander war bereit, dies Verlangen zu erfüllen, aber die Pskowiter
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hielten ihn zurück und sprachen: „Gehe nicht in die Horde, Herr, mag kommen, was da will, wir wollen mit Dir sterben!" Als Alexander die an ihn gestellte Forderung abwies, da brachte Iwan Danilowitsch das ganze nowgoroder Land auf die Beine und zog mit einem Heer gegen Pskow; der Metropolit Theognost aber, um Iwan gefällig zu sein, that die Pskowiter in den Kirchenbann und excommunicirte sie. Da sprach Alexander zu den Pskowitern: „Brüder und Freunde! meinetwegen sollen weder Kirchenbann noch Excommunication auf Euch lasten, ich gehe fort; Ihr aber küsset das Kreuz, als Bürgschaft, dass Ihr meine Fürstin nicht ausliefert." Alexander ging nach Litthauen, die Pskowiter aber sandten Boten an Iwan und Hessen ihm sagen: „Fürst Alexander ist abgereist, ganz Pskow, — Klein und Gross, Pfaffen, Mönche, Nonnen, Waisen, Frauen und kleine Kinder, Alle huldigen Dir, dem Grossfürsten." "Dies war die erste Ergebenheitsbezeugung Pskows an Moskau, — ein weiterer Schritt zur Erhöhung der Bedeutung des Fürsten von Moskau. Iwan gab sich mit dieser Kundgebung zufrieden und der Metropolit hob den Bann wieder auf, — er stellte seine geistliche Macht in den Dienst des Fürsten von Moskau. Die Umstände waren fortwährend günstig für diese Stadt. Obschon Alexander nach Pskow zurückkehrte und noch zehn Jahre lang dort lebte, so war er doch nun machtlos geworden; sein Bruder Konstantin regierte das verheerte Gebiet von T w e r , that dem Günstling des Zaren, dem Fürsten von Moskau, alles zu Gefallen, aus Furcht, sein Gebiet könne eine Wiederholung dessen, was es unter seinem Bruder erduldet hatte, erleben. Im eigentlichen Moskowien herrschte Iwan bereits über Moshaisk, Kolomna, Rusa, Swenigorod, Sserpuchow; dazu kam noch Perejaslawl und dessen Bezirk. Die Fürsten anderer russischer Länder befanden sich in einer solchen Lage, dass sie genöthigt waren, sowohl sich als auch ihre Länder dem Fürsten von Moskau unterzuordnen. Alexander Wassiljewitsch, Fürst von Ssusdal und die übrigen Theilfürsten des Rostow-Ssusdaler Landes wurden seine Vasallen. Nach Alexander Wassiijewitschs Tode bemächtigte sich Iwan der Stadt Wladimir und der neue ssusdaler Fürst Konstantin Wassiljewitsch musste sich mit dem begnügen, was ihm der Fürst von Moskau übrig liess. Iwan gab eine von seinen Töchtern dem Wassilij Davidowitsch von Jaroslaw zur Ehe, die andere vermählte er mit Konstantin von Rostow und verfügte eigenmächtig über die Länder seiner Schwiegersöhne. „Wehe, wehe! über die Stadt Rostow und seine Fürsten," — ruft eine alte Sage — „sie haben ihre Macht und Fürstenwürde eingebüsst und viele Rostower mussten unfreiwillig ihr Hab und Gut den Moskowitern hingeben, mussten Schläge und Wunden an ihrem Leibe erdulden." Der Bojar Kotschewa, den Iwan Danilowitsch nach Rostow gesandt hatte, wüthete unter den Einwohnern dieser Stadt, als ob sie besiegt und erobert sei. Einen der ältesten Bojaren,
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Namens Awerkij Hess er vor allem Volk an den Beinen aufhängen und ihn erbarmungslos mit Stöcken sehlagen. Aehnliche Gewalttaten kamen nicht allein in Rostow, sondern auch an allen anderen Orten vor, welche der Macht der Moskowiter unterworfen waren; diese zeigten sich, wo sie nur konnten, als die hochmüthigen Herren des übrigen russischen Volkes. Durch eine solche Handlungsweise verlor der Fürst von Jaroslawl, obschon er mit dem moskauer Fürsten verwandt war, endlich die Geduld und verbündete sich mit Alexander Michailowitsch von Twer gegen ihn. Die Fürsten von Rjäsan mussten, gegen ihren Willen, Iwan Danilowitsch gehorchen und mit ihren Truppen dorthin gehen, wohin er sie schickte. Denn Iwan stand in der Gunst des Chans und das rjäsaner Land lag auf dem Wege von der Horde nach Moskau und konnte seitens der Horde, welche die Unterwerfung unter Moskau forderte, einer grausamen Strafe für die Widersetzlichkeit seiner Fürsten gewärtig sein. Die Städte Uglitsch, Galitsch und Bjelosersk erwarb Iwan von ihren Fürsten durch Kauf; ausserdem kaufte und tauschte er noch Dörfer in der Nähe von Kostroma, Wladimir und Rostow, am Flusse Massa, Kirßhatsch und sogar im nowgoroder Lande, trotz der Verträge, welche dem Fürsten den Ankauf nowgoroder Landes untersagten. Er legte hier Kolonieen a n , besiedelte sie mit seinen Leuten und verschaffte sich dadurch die Möglichkeit, auf diesem Wege seine Macht daselbst einzuführen. Nowgorod, welches bisher noch in freundschaftlichem Verhältniss zu Moskau stand, fühlte bald die Consequenzen der Macht, zu welcher es soviel beigetragen hatte. Die Nowgoroder hatten den moskauer Fürsten so viele Dienste erwiesen, dass es füglich wohl einer längeren Frißt bedurft hätte, dass wichtigere Ursachen und unvorhergesehene Conflikte sich hätten einstellen müssen, bevor es zwischen Nowgorod und Moskau zu einem Zwiespalt zu kommen brauchte. Iwan aber war, wenn es sich um den eigenen Vortheil handelte, in der Wahl seiner Mittel nicht skrupulös. Im Jahre 1332 kam er aus der Horde, wo er sehr viele Geschenke vertheilt hatte, zurück und suchte nun Mittel und Wege, wie und womit er sich entschädigen könne. Da erinnerte er sich, dass die Nowgoroder das „sakämische" Silber besassen. Seit unvordenklichen Zeiten wurde nämlich in den sibirischen Ländern die Gewinnung von Erz und die Verarbeitung der Metalle geübt. Auch jetzt noch können die sogenannten tschudischen Bergwerke an den Ufern des Jenissej als Denkmäler ehemaliger Geschicklichkeit der Völker altaischen Stammes dienen. Nowgorod, welches den Nordosten des heutigen europäischen Russland unter der Benennung Sawolotschje (die Ufer der Dwina), Petschora und Perm, sowie einen Theil des asiatischen Russland unter der Benennung Jugrien 1 beherrschte, bezog von dort Silber, theils durch Handel, theils durch Erhebung von Tribut, den die Eingeborenen des Permer Landes, welche Nowgorod unterworfen waren, liefern mussten. Iwan Danilowitsch verlangte nun, dass ihm Nowgorod diese Einnahmequelle, welche man damals
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das sakämieche Silber nannte, abtreten solle and bemächtigte sich der Städte Torshok und Beshezkij-Werch und deren Bezirke, um ein Unterpfand für seine Forderung in Händen zu haben; — es war ein unerwartetes und treuloses Verfahren, auf diese Weise gegen Nowgorod vorzugehen , den Friedensvertrag ohne irgend einen Grund als gebrochen anzusehen. In Nowgorod herrschten damals innere Wirren, es waren in einem Jahre zwei Possadniks abgesetzt worden, man hatte die Höfe und Dörfer zweier Bojaren geplündert; wahrscheinlich standen diese Unruhen mit den gleichzeitigen Feindseligkeiten des moskauer Fürsten in Verbindung; denn stets, wenn Zerwürfnisse zwischen den Grossfürsten und Nowgorod stattfanden, gab es in Nowgorod Leute, die man für Parteigänger und Günstlinge des Grossfürsten hielt und die dafür die Wuth des erbitterten Volkes fühlen mussten. Im folgenden Jahr wiederholte Iwan Danilowitsch seine Forderung, zog mit seinen Vasallen, den Fürsten von Ssusdal und Rjäsan, in Torshok ein und blieb gegen zwei Monate daselbst. Die Nowgoroder sandten eine freundschaftliche Botschaft zu ihm und baten ihn, in Frieden nach Nowgorod zu kommen; Iwan aber achtete nicht darauf und reiste ab. Dem nowgoroder Lande kamen seine Besuche theuer zu stehen. Er zog seine Statthalter aus Gorodischtsche zurück und trat dadurch in offene Feindschaft zu Nowgorod. Nun begannen die Nowgoroder ihre Stadt zu befestigen; der Wladyka baute die steinernen Mauern des Binnenwalles, der Archimandrit des Jurjewklosters liess in der Nähe des letzteren gleichfalls Mauern aufrichten. Unterdessen machten die Nowgoroder noch einen Versuch, sich mit dem Fürsten von Moskau zu vergleichen. Wladyka Wassilij reiste mit zwei nowgoroder Bojaren zu ihm und traf ihn in Perejaslawl. Im Namen Nowgorods bot er dem Grossfürsten 500 Rubel Silber an und bat ihn, er möchte doch die Ansiedlungen aufgeben, die er, den von ihm selbst durch das Küssen des Kreuzes bestätigten Verträgen zuwider, auf nowgoroder Gebiet errichtet hatte. Iwan Danilowitsch kehrte sich nicht an diese Bitten. Jetzt bedauerten es die Nowgoroder, dass sie, um Moskaus Herrschsucht zu dienen, den Fürsten von Twer so sehr verfolgt hatten. Alexander lebte in Pskow und die Nowgoroder hatten sich seinetwegen mit den Pskowitern entzweit; der Wladyka von Nowgorod war seit sieben Jahren nicht in Pskow gewesen und strafte diese Stadt, welche Nowgorod und dem Grossfürsten ungehorsam war, durch die Verweigerung seines Segens. Nun aber reiste er wieder nach Pskow, wurde dort ehrenvoll empfangen, gab dem Fürsten Alexander seinen Segen und taufte dessen Sohn Michael. Dies war aber noch nicht genug. Nowgorod brauchte auch, um gegen Moskaus Macht einen Rückhalt zu haben, einen starken Bundesgenossen, und es trat daher mit dem Fürsten von Litthauen, Gedimin, der fast ganz Westrussland erobert hatte, in Verbindung. Dieser allein war imstande, wenn er auf Nowgorods Seite trat, den Anmassungen Iwans ein Ziel zu
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setzen. Im Oktober 1333 kam Gedimins Sohn Narimont, der in der Taufe den Namen Gljeb erhalten hatte und von den Nowgorodern zum Fürsten gewählt worden war, nach Nowgorod. Dem Brauche ihrer Vorväter gemäss, setzten ihn die Nowgoroder in der Sophienkirche auf den Tisch und gaben ihm Lädoga, die Burg Aröchow, Karölsk und die Hälfte von Kapörien als Erb- und Stammgut. Iwan Danilowitsch war unterdessen abermals in der Horde gewesen, und als er 1334 von dort zurückkehrte, nachgiebiger geworden. Hatte die Reise des Fürsten von Moskau die Nowgoroder, in der Befürchtung, er wolle die tatarische Macht gegen sie aufbieten, erschreckt, so blickte dagegen Iwan, dessen Charakter eigentlich nicht kriegerisch, sondern listig war, mit sichtlicher Unruhe auf die Freundschaft der Nowgoroder mit seinem geschwornen Feind Alexander, mehr aber noch auf deren Bündniss mit Gedimin. Nowgorod hatte allerdings die Absicht, Moskaus Anmassungen zurückzuweisen, wäre aber ebenso gern geneigt gewesen, sich mit ihm zu versöhnen; denn die Nowgoroder konnten nicht mit Sicherheit darauf rechnen, dass Gedimin ihr Interesse in solchem Grade zu dem seinigen machen würde, um einen Kampf mit dem Chan zu wagen; und selbst mit Gedimins Hilfe wäre ein Krieg Nowgorods gegen die Horde und gleichzeitig gegen die Streitkräfte derjenigen russischen Länder, welche sich unter Iwan Danilowitschs Einfluss befanden, gewagt gewesen. Dazu kam noch, dass Narimont sehr wenig zu Heldenthaten und zu einer heroischen Vertheidigung des Landes, das ihn so bereitwillig aufgenommen hatte, befähigt schien. Noch vor Iwans Rückkehr aus der Horde reiste Wladyka Wassilij zum Metropoliten Theognost, den er in Wladimir antraf. Er iberredete ihn, seinen Einfluss bei Iwan zu Gunsten des Friedens geltend zu machen. Nachdem Iwan Danilowitsch aus der Horde zurückgekehrt war, und durch Erwägungen anderer Art sowohl, als auch durch Zureden des Metropoliten sich dem Frieden zuneigte, empfing er den nowgoroder Botschafter Warfolomej Jurjewitsch nicht mehr in der früheren Weise, also nicht hochmüthig, sondern liebenswürdig, und kam dann, am 16. Februar 1334, selbst nach Nowgorod. Die Aussöhnung mit dem Grossfürsten erregte in Nowgorod grosse Freude. Diejenigen, welche Moskau wohlgesinnt waren und die es früher nicht gewagt hatten, ihre Gesinnung laut werden zu lassen, hatten jetzt die Oberhand, und übten Einfluss auf das Volk aus. Um dem Fürsten von Moskau einen Gefallen zu erweisen, wären die Nowgoroder jetzt sogar bereit gewesen, gemeinschaftlich mit den Moskowitern Krieg gegen Pskow zu führen und den Fürsten Alexander Michailowitsch gefangen zu nehmen. Sie hatten nicht nur die noch vor Kurzem vom moskauer Fürsten bewiesene Nichtachtung aller Verträge und Eide, sondern auch ihre, durch dessen Handlungsweise ihnen aufgenöthigte, Freundschaft zu den Pskowitern gänzlich vergessen. Zu einem Kriege gegen Pskow kam es allerdings nicht, aber das Verhältniss der Nowgoroder zu den Pskowitern blieb deshalb doch ein gespanntes.
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Iwan Danilowitsch berief den Nowgoroder Wladyka, den Possadnik, den Tyssätschskij und die Bojaren zu sieh nach Moskau und erwies ihnen grosse Ehrenbezeugungen. Ein dauerhaftes Freundschaftsverhältniss schien zwischen Nowgorod und Moskau neu begründet zu sein. Drei Jahre waren vergangen, da brach Iwan Danilowitsch, 1337, abermals den Vertrag und sandte ein Heer in das Dwina-(Düna?)land, mit der Absicht, sich dieses wichtigen Gebiets zu bemächtigen; der Anschlag misslang aber: mit Schande bedeckt kehrte Iwans Heer von dort zurück. Darauf wandten sich die Nowgoroder abermals an die Pskowiter; Wladyka Wassilij begab sich nach Pskow, wurde aber diesmal anders als früher empfangen. Die Pskowiter waren durch Erfahrung gewitzigt, sie hatten sich überzeugt, dass die Nowgoroder ebenso leicht bereit seien, ihnen zu schmeicheln, als, mit ihren ehemaligen Feinden verbündet, sich gegen sie zu wenden. Sie verabfolgten dem Wladyka die ihm zukommende und für ihn eingesammelte Abgabe (den Podjesd) nicht, und der Erzbischof excommunizirte sie. Zehn Jahre lang hatte nun Alexander Michailowitsch in Pskow zugebracht; das Leben eines Verbannten ward ihm überdrüssig. Er sann und sann, was er wohl thun sollte. Seine Kinder und Nachkommen, die nicht nur ihre Besitzungen, sondern mit der Zeit sogar ihre Fürstenwürde verlieren würden, thaten ihm leid. Wahrscheinlich quälte ihn auch der Gedanke, dass die Pskowiter, welche ihm ein Asyl gewährt, um seinetwillen den Bann ihres Erzbischofs ertragen mussten. Schon im Jahre 1336 hatte er seinen Sohn Fjodor (Theodor) in die Horde gesandt, um zu erfahren, ob er Aussicht habe, Chan Usbeks Verzeihung und Gnade zu erlangen. Als Fjodor zurückkehrte, brachte er tröstliche Nachrichten. Darauf sandte Alexander im Jahre 1337 eine Botschaft zum Metropoliten Theognost und bat ihn um seinen Segen, da er in die Horde ziehen wolle. Theognost segnete ihn, — wahrscheinlich war Iwan Danilowitsch gerade nicht in der Nähe, sonst würde der es wohl verhindert haben. Alexander ging also in die Horde und stellte sich ohne Weiteres Usbek vor. Unsere Chroniken berichten, wie Alexander vor seinem Zaren folgende Rede hielt: „Unumschränkter Gebieter, freier Zar! Wenn ich Dir auch viel Böses zugefügt habe, so bin ich nun doch gekommen, um Leben oder Tod von Dir zu empfangen. Was Dir Gott auch einflössen mag, ich bin auf Alles gefasst!" Dem Chan Usbek gefiel diese, mit sklavischer Ergebenheit gepaarte Offenherzigkeit sehr. „Seht" — sprach er nach "des Chronisten Ueberlieferung zu seiner Umgebung — „wie Alexander Michailowitsch durch Demuth und Weisheit sein Leben rettet!" Usbek verzieh Alexander; er liess ihm grosse Ehren erweisen und erlaubte ihm, seinen ehemaligen väterlichen Fürstensitz von Twer wieder einzunehmen. Zwei tatarische Würdenträger, Kindjak und Awdul beKostomaro-w-Henokel, Russ. Geschichte in Biogr.I. 12
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gleiteten ihn anf der Rückreise. Sein Bruder Konstantin, der in Twer geherrscht hatte, iiberliess ihm freiwillig seinen Fürstensitz. Alexanders Rückkehr war für den Fürsten von Moskau ein fürchterlicher Schlag. Wenn sein geschworner Feind, den er auf Befehl des Chans verfolgt hatte, und den er, um ihn hinrichten zu lassen, lebendig fangen wollte, jetzt des Chans Gnade erlangt hatte, so war zu erwarten, dass der begnadigte Fürst sich beim Chan einschmeicheln nnd sich bemühen würde, seinem Gegner etwas einzubrocken. Iwan Danilowitsch eilte daher in die Horde, nahm seine Söhne mit, um sie dem Chan, als dessen treueste Diener vorzustellen, und gab sich die grösste Mühe, den Fürsten von Twer anzuschwärzen und zu verleumden. Es gelang ihm; Usbek sandte einen seiner Vertrauten, Namens Istrotschej, um Alexander zfl sich zu bescheiden. Istrotschej nahm auf Usbeks Befehl und auf den Rath Iwans ein äusserst liebenswürdiges Benehmen vor Alexander an und sprach: „Der Selbstherrscher, Zar Usbek, ruft Dich und Deinen Sohn Fjodor; er will Dir viel Guteg erweisen, Du sollst Grossfürst werden und grosses Ansehen erlangen. Alexander a,ber errieth, dass etwas anderes dahinter stecken müsse. „Wenn ich in die Horde gehe," — sprach er zu seiner Umgebung — „BO bin ich dem Tode verfallen, gehe ich nicht hin, so erscheint das tatarische Kriegsheer und viele Christen werden erschlagen und in die Gefangenschaft geführt, ich aber werde schuld daran sein: es ist daher besser, ich gehe allein dem Tode entgegen," Er rüstete sich also zur Reise in die Horde und sandte seinen Sohn Fjodor voraus, um zu erfahren, was diese Berufung zu bedeuten und T^as er in der Horde zu erwarten habe. Mittlerweile zogen die twerischen Bojaren, welche die Ueberzeugung gewonnen hatten, dass es vortheilhafter sei, dem Fürsten von Moskau zu dienen, von Alexander hinweg und zu seinem Feind. Dazu wurden sie vielleicht auch noch durch den Umstand bewogen, dass Alexander neue Bojaren, unter denen sich auch Ausländer befanden, aus Pskow mitgebracht hatte; unter anderen Btand ein Deutscher, Matthias Dohl, bei ihm in grossen Ehren und es war den alten Bojaren zuwider, diesen Neulingen und Fremden nachzustehen. Fjodor kehrte nicht zurück; er wurde in der Horde zurückgehalten, konnte aber seinem Vater mittheilen, dass Zar Usbek auf ihn (den Vater) zornig sei. Alexander hatte jedoch keine Wahl. Entschloss er sich, wie ehedem, zu fliehen, so musste sein Sohn, anstatt seiner den bitteren Kelch leeren. Er machte sich also auf den Weg in die Horde. Iwan Danilowitsch kehrte, nachdem er seinen Zweck erreicht hatte, nach Hause zurück und gab Acht, was aus seinem Nebenbuhler, dessen Untergang er nach Möglichkeit vorbereitet hatte, geschehen würde. Es ist eine Ueberlieferung vorhanden, dass, als Alexander Michailowitsch die Wolga hinabfuhr, sich ein Gegenwind erhoben und sein Fahr-
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zeug zurückgetrieben habe, als ob er dem unglücklichen Fürsten weissagen wollte, dass ihm dort, wohin seine Fahrt gerichtet sei, eine Unheil drohe. Als Alexander nach grossen Schwierigkeiten die russischen Länder hinter sich hatte, hörte der Wind auf, sein Fahrzeug zurückzutreiben. Mit ihm zusammen reisten die Fürsten von Jaroslawl und Bjelosersk, welche Iwan Danilowitsch hassten und Alexander Michailowitsch beistehen wollten; aber Niemand konnte ihm helfen. Busslands Beherrscher hatte mehr Vertrauen zu Iwan Danilowitsch, als zu allen Anderen und dieser Fürst hatte seinem Souverän wohl genügende Beweisgründe gegen den Fürsten von Twer geliefert, da Usbek dem letzteren seine Gunst so schnell wieder entzogen hatte. Als der schon im Voraus zum Tode verurtheilte Fürst in der Horde eintraf, war sein Sohn Fjodor der erste, der ihm mit thränenden Augen mittheilte, dass seine Sache schlimm stünde. Darauf sagten die ihm wohlgesinnten Tataren: „Der Zar will Dich tödten! Man hat Dich aufs Schlimmste bei ihm verleumdet!" — „Was kann ich dabei thun," — antwortete Alexander, — „hat Gott meinen Tod beschlossen, wer könnte mich da erretten!" Alexander hatte dem Zaren, der Zarin und den Würdenträgern des Chans Geschenke mitgebracht. In unruhiger Erwartung verfloss ein Monat. Am 26. November 1338 erhielt Alexander die Nachricht, dass er nach drei Tagen sterben müsse. E r benutzte diese Frist, um zu beten. Endlich erschien der unheilvolle Tag. Nachdem Alexander die Frühmesse angehört hatte, sandte er zur Zarin, um zu erfahren, was ihm bevorstehe; er setzte sich zu Pferde, ritt umher und fragte, wie lange er noch auf den Tod warten solle. Man theilte ihm mit, sein Tod würde in einer Stunde erfolgen. Alexander kehrte in sein Zelt zurück, umarmte seinen Sohn und seine Bojaren und empfing das heil. Abendmahl. Seine Diener eilten mit der Nachricht herbei, dass die Henker nahen; es waren Berkan und Tscherkass, die Abgesandten des Chans. Alexander ging ihnen entgegen. Man ergriff ihn, riss ihm die Kleider herunter und führte ihn nackt und mit gebundenen Händen vor Tawlugbeg, den Beamten des Chans, der zu Pferde sass. „Tödtet ihn!" rief Tawlugbeg. Die Tataren warfen Alexander und seinen Sohn Fjodor zu Boden, tödteten sie und schlugen ihnen dann die Köpfe ab. Alexanders Bojaren und Diener stoben vor Schreck auseinander, nahmen aber später, mit Erlaubniss der Tataren, die Leichen ihrer ermordeten Fürsten und führten sie nach Twer, wo beide Fürsten neben zwei anderen, die gleichfalls in der Horde getödtet worden waren, beerdigt wurden. Iwan Danilowitsch war froh; Alexanders Tod hatte ihn nicht nur von einem unversöhnlichen Feind befreit, sondern war auch ein weiteres Zeugniss des ausserordentlichen Zutrauens, dessen er bei Chan Usbek genoss. Iwan Danilowitsch konnte nun für sich sowohl, als auch für seine Söhne mit Vertrauen in die Zukunft blicken. Seine Söhne waren 12*
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in der Horde geblieben. Nach Alexanders Tode kehrten sie mit grossen Ehrenbezeugungen von dort zurück. In Moskau herrschte grosse Freude und Fröhlichkeit. Um das gehasste Twer zu demüthigen, liess Iwan Danilowitsch die Glocke von der Erlöserkirche daselbst herabnehmen und nach Moskau bringen. Als Alexander Michailowitsch noch in der Gunst des Chans stand, suchte Iwan Danilowitsch, dem diese Gunst Furcht einflösste, sich mit den Nowgorodern auszusöhnen und sandte seinen Sohn Andreas zu ihnen. Seine Ansprüche auf das Sawolotschje (das jenseits der Wolga liegende Gebiet) hatte er damals aufgegeben; als aber Alexander ermordet war und Iwan zu der Ueberzeugung gelangte, dass des Chans Wohlwollen ihm mehr als je gesichert sei, da sprach er mit den Nowgorodern, als diese ihm ihren Antheil an Tribut für die Horde brachten, wieder ganz anders. „Das ist zu Brenig," — sagte ihnen Iwan — „der Zar hat mehr von mir verlangt, Ihr müsst also soviel, wie mir der Zar aufgeschlagen hat, zugeben!" „Von einer solchen Forderung war nie die Rede, H e r r , " — antworteten die Nowgoroder — „Du hast das Kreuz geküsst, auf dass Du nach altem nowgoroder Recht, den Verträgen Deines Vorfahren Jaroslaw Wladimirowitsch gemäss, mit Nowgorod verfahren wirst." Iwan achtete nicht darauf, befahl seinen Statthaltern Gorodischtsche zu verlassen und rüstete gegen Nowgorod. Der von den Nowgorodern erwählte Fürst Narimont (Gljeb) hatte sich entfernt, das nowgoroder Brot schmeckte ihm nicht; er war in seine Heimat Litthauen zurückgekehrt und hatte seinen Fürstensitz in Pinsk aufgeschlagen. Die Nowgoroder mussten sich einen anderen Fürsten suchen. Die Gefahr eines Krieges gegen Moskau ging jedoch diesmal an ihnen vorüber. Iwan erhielt vom Chan den Befehl, sich mit seinem Heer anderswohin zu wenden, und zwar gegen den Fürsten von Smolensk, Iwan Alexandrowitsch (aus dem Geschlecht Rostislaw Mstislawitschs, von dessen Sohn David), welcher sich gegen den Chan aufgelehnt hatte. Dies war der Grund, weshalb der Gesandte des Chans, Tawlugbeg, nach Moskau gekommen war. Dessen Verlangen erfüllend, sandte Iwan Danilowitsch mehrere von seinen Vasallen-Fürsten und das moskowische Heer unter dem Befehl seiner Feldherren gegen Smolensk, zog aber selbst nicht zu Felde. Dieser Feldzug endete resultatlos; das stark befestigte Smolensk leistete Widerstand und das Belagerungsheer zog nach einigen Tagen 'ab. Nun erinnerte sich Iwan Danilowitsch wieder an Nowgorod, — da warf ihn jedoch eine tödtliche Krankheit darnieder, er starb, nachdem er das Mönchsgewand angelegt hatte, am 31. März 1341, und ward am folgenden Tage in der von ihm erbauten Kirche zum Erzengel Michael beerdigt. Seinen Nachfolgern hinterliess er das Vermächtniss: — das von ihm mit sicherer Hand begonnene Werk der Erhebung Moskaus und die Ausbreitung von Moskaus Machtsphäre Uber alle russischen Länder fortzusetzen.
X. Der ehrwürdige Sergius. Nach Theodosios' Tode breitete sich das Mönchsthum immer weiter aus; überall, wohin das Christenthum drang, entstanden auch Klöster. Ein Theil derselben wurde von Fürsten und reichen Privatleuten erbaut und erhalten, andere wurden, nach dem Vorbild des kijewschen Höhlenklosters, von Einsiedlern gegründet, die sich zuerst in öde Gegenden begaben, dann, durch den Ruf ihrer Frömmigkeit und Enthaltsamkeit, ohne es zu beabsichtigen, Genossen heranlockten und zuletzt gewöhnlich Vorsteher von den so entstandenen Klöstern wurden. Die auf diese letztere Weise ins Leben gerufenen Klöster haben für die Geschichte Russlands eine ganz besondere Wichtigkeit, denn sie waren die Veranlassung, dass Ansiedler nach unbewohnten Gegenden hinzogen und gehörten mithin zu den Bahnbrechern der russischen Kolonisation. Dort, wo ein Kloster gegründet wurde, entstand ein Dorf oder ein belebter Flecken, es wurden die Felder bebaut und in der Nähe mancher Klöster entstanden Jahrmärkte, bildeten sich Gewerbs- und Handelscentren. Auch neue Communicationen entstanden gleichzeitig. Anfangs gaben die Mönche selbst das Beispiel der Thätigkeit und Betriebsamkeit. Der fromme Brauch, den Klöstern ganze Dörfer zu schenken, machte dieselben nicht nur zu Heimstätten der Frömmigkeit, sondern auch zu wirthschaftlichen Anstalten. Es ist überhaupt bemerkenswerth, dass dieser fromme Brauch, welcher nach und nach die Strenge des mönchischen Lebens milderte und die Klöster in sittlicher Beziehung sogar schädigte, anfangs einen wohlthätigen Einfluss ausübte: die Bewohner von Klosterbezirken erfreuten sich einer verhältnissmässig grösseren Sicherheit, denn einerseits wurden sie von den Fürsten, welche sich in gegenseitigen Fehden bekämpften, aus religiöser Scheu geschont, während andere Bezirke häufig verheert wurden, andrerseits befanden sich die Klosterbezirke während der Mongolenherrschaft auch dadurch in weit günstigerer Lage, weil sie von den Chanen gegen Erpressungen und Verwüstungen — wenigstens soweit des Chans Befehle respectirt wurden — geschützt waren, und dies war eine von den Ursachen, welche der Vermehrung der Klöster ungemein Vorschub leisteten. Seit der Mitte des XIV. Jahrhunderts nahm die Zahl der Klöster in weit grösserem Masse z u , als früher; es machte sich ein starker Hang zum Klosterleben in Russland geltend und es wurde hauptsächlich die zweite von uns erwähnte Art der Gründung von Klöstern gewählt. Einsiedler ziehen sich in öde Gegenden vom Treiben der Menschen zurück, ihnen schliessen sich Andere an, sie gründen Wohnstätten, das Volk, um diesen Einsiedlern seine Ehrfurcht zu bezeigen, strömt dorthin, in ihrer Nähe entstehen Ansiedelungen, aus den Wohnstätten der Einsiedler wandern
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abermals einzelne der Eremiten aus, suchen sich noch weiter abgelegene, öde Gegenden, gründen dort neue Wohnstätten und ziehen aufs Neue Ansiedler nach sich u. s. w. Auf diese Weise ward der ganze, unbewohnte und unzugängliche Norden mit seinen Urwäldern und Sümpfen bis ans Eismeer hin mit Klöstern bedeckt und zu diesen Klöstern hin strömten, wie zu Lebenscentren, ganze Kolonien von kühnen, arbeitsamen Leuten, die sich für den mühsamen Kampf gegen die unwirthliche Natur vorzüglich eigneten. Abgesehen vom allgemeinen ascetischen Geist, der von jeher in den religiösen Anschauungen des rechtgläubigen Russlands vorherrschte, waren im XIV. Jahrhundert auch noch andere Ursachen vorhanden, welche der Ausbreitung und Blüte des Mönchsthums besonderen Vorschub leisteten. Gerade in dieser Zeit erwiesen die Chane von Kiptschak der russischen Kirche ihre besondere Gunst; Usbek und Tschanibek schützten durch ihre Urkunden nicht nur die Geistlichkeit allein, sondern auch alle Diejenigen, welche der Kirche angehörten. Der Kirche anzugehören, war damals sehr verlockend, es war der einzige Weg, um zu einem ruhigen Leben zu gelangen. Während die strengen Einsiedler sich zu freiwilligen Entbehrungen verurtheilten, strömten zu den von ihnen gegründeten Wohnstätten unter anderen auch solche Leute hin, welche ihr bescheidenes Besitzthum möglichst erhalten, oder die Früchte ihrer schweren Arbeit ungestört geniessen wollten. Einige gaben, indem sie das Mönchgewand anlegten, wirklich oder nur scheinbar das Familienleben auf, Andere stellten sich selbst und ihre Familien den Klöstern zur Verfügung. Es gab noch einen anderen, vorübergehenden Grund, welcher dem Mönchsthum eine grosse Anzahl von Anhängern zuführte : — die furchtbare Seuche, welche im XIV. Jahrhundert die russischen Länder mehrmals entvölkerte und die von den Zeitgenossen mit so schrecklichen Farben dargestellt wurde, dass man es kaum wagen darf, diese Nachrichten buchstäblich zu nehmen. Bei allen Uebertreibungen aber unterliegt es doch keinem Zweifel, dass diese Seuche, welche sich öfters wiederholte, längere Zeit hindurch Angst und Schrecken unter dem russischen Volke verbreitete und sein Sinnen und Trachten zur Frömmigkeit wandte. Früher schon war es Sitte gewesen, das3 wenn der Russe das Herannahen des Todes fühlte, er seine Sünden durch Anlegen des Mönchsgewandes zu tilgen suchte, oder sich sogar als Büsser von der strengsten Observanz einkleiden liess; jetzt, wo Niemand sicher war, nicht schon am nächsten Tage einem plötzlichen Tode anheimzufallen, thaten Viele schon in der Jugend dasjenige, was ihre Väter im Alter und im Gefühl der Todesnähe gethan hatten. Es existiren darüber positive Nachrichten in unseren Chroniken. Der Chronist, welcher die grosse Pest von 1352 beschreibt, sagt: „Da gingen Viele, die für ihren Leib und für ihre Seele besorgt waren, ins Kloster, liessen sich zu Mönchen scheeren und kleideten sich in das zur strengsten Ascese verpflichtende Klostergewand, um dergestalt ihre Seele den Engeln zu überliefern, die da ausgesandt
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werden, sie heimzufahren; ihren Leichnam aber überliessen sie dein Grabe; und Andere, welche sich zu Hause aufs Hinscheiden ihrer Seele vorbereiteten, übergaben ihr Besitzthum den Kirchen und Klöstern... Einige übergaben auch einen Theil ihres Reichthums, Dörfer, Fischereigerechtsame, Landgüter den Kirchen und Klöstern, damit man ihrer in Ewigkeit gedenken möchte." Das Beispiel der Einen wirkte nachahmend auf die Anderen. Die im XIV. Jahrhundert weitverbreitete Sitte, Klöster zii gründen, pflanzte sich in späteren Zeiten fort, dauerte Jahrhunderte hindurch und Russland behielt diese Art der Kolonisation bis ins XVII. Jahrhundert bei. Auch in der Geschichte des Raskol (der Kirchenspaltung) finden wir diese Eigenthümlichkeit wieder. Die Klöster übten auf das Volksleben einen grossen moralischen Einfluss aus; Viele von den Gründern der Klöster wurden nach ihrem Tode verehrt; eine Menge Volkes pilgerte zu ihren Reliquien und hierdurch ward, in gewissem Sinne, die Concentrirung der sittlichen Kräfte des Volks befördert, was sich besonders an solchen Orten bemerkbar machte, wo man Heilige verehrte, die nicht nur eine locale Bedeutung hatten, sondern die in ganz Russland Ansehen genossen. Eine solche Bedeutung hatten vorzugsweise Kijews Heiligthümer, einen zweiten Rang nahmen die Heiligthümer des moskauer Landes ein. Früher, und in einem höheren Grade als alle übrigen Heiligen, welche im moskowischen Lande auftraten, erwarb sich der ehrwürdige Sergius, Gründer der berühmten Troi'zko-Ssergijewskaja Lawra, 1 ) die allgemeine Verehrung ganz Russlands; beim grossrussischen Volke stand er im Rufe eines Beschützers, Vertheidigers und Schirmers der Kirche und des Reichs. Sergius' Persönlichkeit ist auch sonst noch von historischer Bedeutung, weil er der Urheber einer grossen Anzahl von Klöstern war, von denen einige noch während seines Lebens, eine grössere Zahl erst nach seinem Tode von seinen Genossen und Schülern, oder aber von deren Schülern gegründet wurde. Sergius' Leben kann als ein vollkommenes Muster der Laufbahn und Thätigkeit aller ähnlicher Gründer von Mönchsgemeinden jener Zeit dienen. Trotz aller Verschiedenheit der Individualität, des Ortes und der Zeit, sind sie Alle in ihren Hauptzügen seine Ebenbilder. Es ist bemerkenswerth, dass dieser heilige Mann, der später als Beschützer von Moskau Und seiner Herrscher verehrt wurde, aus einem Geschlecht stammt, das in der Flucht aus seinem Heimatlande Rettung vor der anwachsenden Uebermacht Moskaus suchte. In der Lebensbeschreibung der beiden Danilowitschs (Jurijs und Iwans) erzählten wir von den Bedrückungen, welche das von Moskau beherrschte Rostow während Iwan Kalitäs Regierungszeit erdulden musste. Unter den vor der moskowischen Herrschaft Ge') Lawra ist der Ehrenname eines berühmten, starkbevölkerten Klosters, eines Klosters ersten Banges.
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flüchteten, befand sich damals auch der Bojar Kirill, ein aus einem vornehmen und reichen Geschlecht entsprossener Mann, welcher, wie viele Andere, durch Steuern, Tribut, ruinöse Heimsuchungen chanischer Botschafter und unfreiwillige Reisen mit den Fürsten in die Horde, verarmt war. Kirill zog mit seiner Gattin und seinen Söhnen Stephan, Bartholomäus und Peter nach Radonesh (12 Werst von der später errichteten Lawra entfernt), einem Fürstenthum, das Iwan Kalitä seinem Sohn Andreas hinterlassen hatte. In jener Zeit suchten die Landbesitzer Ansiedler aus fernen Gegenden heranzuziehen und ertheilten ihnen verschiedene Privilegien; dasselbe that auch Fürst Andreas. Zwei von Kirills Söhnen, Stephan und Peter, heirateten, der mittlere aber, Bartholomäus, welcher mit poetischer Phantasie und einer Neigung zum beschaulichen Leben ausgestattet war, trachtete seit seiner frühesten Jugend nach dem Klosterleben. Die Beschwerden eines Glaubenseiferers, unaufhörliche Gebete und innere Kämpfe gegen die Versuchungen, denen die Jugend ausgesetzt ist, übten auf sein lebhaftes und energisches Temperament ihren Reiz aus. Seine Eltern suchten diese Neigung zu bekämpfen: „Habe noch ein wenig Geduld," — sprachen sie — „wir sind alt, arm und hilflos, Deine Brüder sorgen mehr für ihre Frauen, als für uns. Diene uns noch eine Zeit lang, geleite uns bis ans Grab, dann kannst Du thun, was Du willst." Bald darauf fühlten sie das Herannahen des Todes, leisteten das Klostergelübde und starben. Der ältere Bruder Stephan verlor seine Frau und ging ins Kloster, Bartholomäus überliess dem verheirateten Bruder Peter sein Erbtheil, verliess das väterliche Haus und suchte in der Umgegend nach einer Stelle, um ein Einsiedlerleben zu beginnen. Anfangs hatte er seinen Bruder Stephan überredet, mit ihm zu ziehen und sie erbauten sich eine Zelle aus Holz und eine Kirche im Walde, an der nämlichen Stelle, wo jetzt die reiche Dreifaltigkeitskathedrale der Ssergijewskaja Lawra steht. Der Metropolit Theognost sandte auf Stephans Bitte Priester dorthin um die neue Kirche der heiligen Dreifaltigkeit zu weihen. Bald aber verliess Stephan seinen Bruder, das einsame Leben war ihm zu bebeschwerlich. Er ging nach Moskau, ins Kloster zur Erscheinung Christi, wo er bald darauf Abt, Beichtiger des Grossfürsten Simeon, des Tyssätschskij und verschiedener Bojaren wurde. Bartholomäus aber wandte sich an einen Abt, Namens Mitrophanus, liess sich von ihm zum Mönch scheeren und nahm den Namen Sergius an, denn es geschah an dem Tage, an welchem man das Gedächtniss des heiligen Märtyrers Sergius feierte. Dies Ereigniss fand in den ersten Regierungsjahren des Simeon statt und Sergius war damals 23 Jahre alt. Sergius blieb nun länger als ein Jahr im Walde allein, er unterzog sich den grössten Entbehrungen und der Gefahr, von wilden Thieren zerrissen zu werden; auch hatte er Visionen, wie solche von einer derartigen Vereinsamung unzertrennlich zu sein pflegen. Unterdessen verbreitete sich das Gerücht, dass an einer gewissen Stelle im Walde ein
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Glanbenseiferer nach dem Heil seiner Seele ringe; es kamen nach und nach mehrere Mönche zu ihm und bauten sich Zellen in seiner Nähe. In der hölzernen Kirche wurden Frühmesse, Vesper und Hören celebrirt, für die Liturgie aber holte man von Zeit zu Zeit einen in der Nähe wohnenden Priester. Die Mönche suchten Sergius zu überreden, dass er ihr Abt werden möchte, sie drohten sogar auseinander zu laufen, wenn er ihr Verlangen nicht erfüllen würde. Nach längerer Weigerung Hess sich Sergius zum Priester weihen und wurde vom Bischof Athanasius von Perejaslawl zum Abt ernannt. Anfangs war das neugegründete Kloster ausserordentlich arm, es zählte nur zwölf Mönche und konnte auch aus Mangel an Mitteln keine grössere Zahl aufnehmen. Man traf die Bestimmung, dass nur dann ein neuer Bruder aufgenommen werden solle, wenn einer von den Zwölfen sich entfernen würde. Beim Gottesdienst musste nicht selten ein Birkenspahn zur Beleuchtung dienen und die Liturgie wurde zuweilen ausgesetzt, weil kein Wein vorhanden war. Trotzdem verbot der Abt aufs strengste Almosen zu heischen und machte es zur Pflicht, dass Alle von eigener Arbeit oder von freiwillig dargebrachten Gaben leben sollten. Sergius selbst gab das Beispiel eines arbeitsamen Lebenswandels, er buk Brot, nähte Schuhe, schleppte Wasser herbei, hackte Holz, diente den Brüdern auf jede Weise und mied den Müssiggang durchaus; dabei aber nährte er sich ausschliesslich von Brot und Wasser. Seine ausserordentlich kräftige, gesunde Leibesbeschaffenheit ermöglichte eine derartige Lebensweise. Ebenso streng wie gegen sich, war er auch gegen Andere; auch von den Brüdern verlangte er einen Lebenswandel, wie er ihn selbst führte. Bald aber besserte sich die Lage des Klosters. Der Ruf vom heiligen Leben des Sergius und seiner Brüder verbreitete sich immer weiter und endlich traf der Archimandrit Simon aus Smolensk bei ihm ein. Dieser brachte ein bedeutendes Vermögen mit und opferte es dem Kloster des Sergius. Ihm folgte Stephan, Sergius' Bruder, mit seinem 12jährigen Sohn Iwan, den er dem Schutz des Sergius anvertraute; dieser nahm den Neffen sogleich als Mönch auf und gab ihm den Namen Theodor. Von nun an beschränkte Sergius die Zahl der Brüder seines Klosters nicht mehr, sondern nahm nach strenger Prüfung einen Jeden auf, der es wünschte. Es strömten immer mehr Andächtige zum Kloster und unter ihnen befanden sich sowohl bettelnde Pilger, die gespeist werden mussten, als auch Fürsten, Wojewoden und wohlhabende Leute, die dem Kloster reiche Gaben darbrachten. Der Glaube, dass Sergius die Gabe der Prophezeiung besitze, verbreitete sich im Volke, aber trotz dieses Rufes setzte Sergius seine frühere, einfache Lebensweise fort und behandelte mit der gleichen christlichen Liebe sowohl die Fürsten, welche das Kloster bereicherten, wie auch die Armen, welche von dort Almosen empfingen. Die öde Umgebung des Klosters bevölkerte sich nun immer mehr;
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schon während der Regierungszeit Iwan Iwanowitschs (1353—1359) entstand in der Nähe des Klosters ein Flecken und bald folgten Dörfer und Einzelhöfe; man rodete den Wald aus und ackerte das Neuland. Die Ansiedler wählten bei Streitigkeiten Sergius als ihren Richter und Friedenstifter. Sergius' Biograph erzählt als Beweis, dasa die Armen in der Regel von den Mächtigen übervortheilt werden und dass sich diese häufig des Eigenthums ihrer Nachbarn bemächtigen, folgenden Fall: Ein Bewohner des in der Nähe des Klosters befindlichen Fleckens nahm einst das Schwein eines anderen fort, um es für sich zur Nahrung zu verwenden, ohne dafür Geld zu entrichten. Der Benachtheiligte wandte sich an Sergius um Hilfe. Dieser liess den Beleidiger zu sich kommen und sprach zu ihm: „Mein Kind, glaubst Du, dass es einen Gott giebt ? Wisse also, dass er der Vater der Waisen und Wittwen, der Richter über Gerechte und Sünder ist; diejenigen aber, welche Andere berauben und sich nicht begnügen mit dem, was ihnen Gottes Gnade bescheert, die stets nach fremdem Gute trachten, werden selbst zu Bettlern und ihre Häuser werden leer; ihre Kräfte versiegen und ewige Pein wartet ihrer im zukünftigen Leben. Gieb also jenem Verwaisten das, was ihm gebührt und handele fürder nicht also." Der Schuldige gehorchte. Zu der Zeit, als Dimitrij Donskoj regierte, hatte man in Konstantinopel bereits Kenntniss von Sergius' Wirken. Patriarch Philotheus sandte ihm ein Kreuz und ein Mönchsgewand und fügte ein Schreiben hinzu, in welchem er ihm die Gründung von Klostergemeinden gestattete. Von diesem Zeitpunkt an wurde das Dreifaltigkeitskloster eine Klostergemeinschaft. Aus Hochachtung für Sergius nahm Grossfürst Dimitrij zuweilen die Gelegenheit wahr, sich an Sergius um Rath zu wenden. Im Jahre 1365, bei einem Streitfall zwischen Dimitrij Konstantinowitsch von Ssusdal und seinem Bruder Boris, der Nishnij Nowgorod betraf, reiste Sergius auf Befehl des moskauer Dimitrij und des Metropoliten Alexius nach Nishnij Nowgorod, schloss daselbst alle Kirchen und zwang Boris, seinem Bruder Dimitrij nachzugeben. Im Jahre 1385 stiftete der hochbejahrte Sergius einen ewigen Frieden zwischen den bis dahin unversöhnlichen Feinden Dimitrij von Moskau und Oleg von Rjäsan. Den grössten Ruhm aber erwarb er sich durch sein Verhalten gegenüber der Kulikower Schlacht. Als Dimitrij sich für den Feldzug gegen Mamai rüstete, fuhr er zu Sergius, um dessen Segen zu erbitten. Sergius prophezeihte ihm den Sieg und rief sowohl den Grossfürsten, als auch das ganze russische Volk zum heiligen Krieg für Russlands Befreiung auf. Als Sergius' Prophezeihung in Erfüllung gegangen war und die Russen den Sieg errungen hatten, verbreitete sich der Ruf von Sergius' Heiligkeit noch mehr. Späterhin entstand die Sage, der heilige Abt habe zweien von den Mönchen seines Klosters — Alexander Pereswöt, einem ehemaligen Bojar, und Osljabja — seinen Segen ertheilt, um mit in den Kampf zu ziehen, und beide seien in der
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Schlacht gefallen. Da von diesem Ereigniss weder In der Lebensbeschreibung des Sergiusnoch in den ältesten handschriftlichen Chroniken die Rede ist, so kann es kaum für historisch begründet gehalten werden. Da sich diese Sage aber im Gedächtniss des Volkes fortpflanzte, so übte sie einen bedeutenden moralischen Einfluss aus, welcher Ruhm Sergius' sowohl, als : auch den seines Klosters, im Andenken der Nachwelt erhöhte. Der Metropolit Alexius berief Sergius vor seinem Tode zu sich, um ihn zu seinem Nachfolger zu ernennen. Sergius wies dies Ansinnen enti schieden von sich und wollte nicht einmal das goldene Kreuz annehmen, ! das ihm Alexius anbot: „Ich habe seit meiner Jugend kein Gold ge; tragen," — sprach er — „um so mehr geziemt es mir im Alter in ; Armuth zu verharren." Unbeschadet seiner Demuth, erhob Sergius aber doch seine Stimme, sobald es sich um kirchliche Angelegenheiten handelte. | Als nach dem Tode des Alexius Grossfilrst Dimitrij seinen Günstling ! Mitjai zum Metropoliten ernennen wollte, sprach Sergius offen dagegen. Ausser dem Kloster zur heiligen Dreifaltigkeit gründete Sergius noch : mehrere andere Klöster. Einst entstand zwischen ihm und seinem älteren | Bruder Stephan, während eines Abendgottesdienstes, ein Zerwürfniss. j Stephan, der auf dem linken Chor stand, fragte den Vorsänger: „Wer hat Dir dies Buch gegeben?" „ D e r A b t ! " antwortete der Vorsänger. ; „Wer ist hier Abt," — sprach Stephan, — „war nicht etwa ich es, der sich zuerst auf diesen Platz setzte?" Sergius hörte diese Worte und kehrte, nach beendigter Vesper, nicht in seine Zelle zurück, sondern bei gab sich auf den Weg ins Machrischtschenskij-Kloster, zu seinem Freunde • Stephan von Kijew, dem Gründer dieses Klosters. Nachdem er sich mit : ihm berathen, beschloss Sergius, am Ufer des Flusses Kirshatsch, ein neues i Kloster zn gründen und sich daselbst niederzulassen. Die Brüderschaft des Dreifaltigkeitskloster wusste nicht, wo ihr Abt geblieben war und suchte ihn; als es bekannt wurde, wo er sich befinde, kam einer nach dem anderen zu ihm und siedelte sich in seiner Nähe an. Sergius erbat sich vom Metropoliten Alexius die Erlaubniss, eine Kirche zur Verkündigung Mariä bauen zu dürfen. Als sich nun die Nachricht verbreitete, dass Sergius ein neues Kloster gründen wolle, da strömten viele Menschen zu ihm, Mönche sowohl als auch Laien; sie nahmen freiwilligen Antheil am Bau der Kirche und der Zellen, und Fürsten und Bojaren gaben Geldmittel dazu her. Aber auf die dringenden Bitten der Brüderschaft des Dreifaltigkeitsklosters befahl der Metropolit dem Sergius wieder in sein erstes Kloster zurückzukehren, in das neuerbaute Kloster aber einen seiner Schüler einzusetzen. Sergius ernannte den Roman als Abt daselbst und von dieser Zeit an datirt das Kloster zur Verkündigung Mariä am Kirshatsch (im Kreise Pokrow des Gouvernements Wladimir). Von den heute noch bestehenden moskauer Klöstern sind das Andronjewund das Ssimonowkloster noch vom heiligen Sergius gegründet. Das erstere ist auf Wunsch des Metropoliten Alexius — zum Gedächtniss an
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seine Errettung aus einem Seesturm, während seiner Fahrt aus Konstantinopel, — am Ufer der Jaüsa gegründet und einem Bilde des Erlösers geweiht, welches man „das nicht von Menschenhänden geschaffene" nannte. Sergius setzte daselbst seinen geliebten Schüler und Landsmann Andronikus ein. Dies Kloster wurde bald zu einer berühmten Schule der Heiligenbilder-Malerei für ganz Russland. Das Ssimonowkloster zur Himmelfahrt Maria wurde mit der Bewilligung des Sergius und unter seiner Leitung von seinem Neffen Theodor gegründet, der später in Rostow Wladyka wurde. Der ehrwürdige Sergius besuchte seine Heimat Rostow und baute, in einer Entfernung von 15 Werst davon, am Ufer des Flusses Ustje, das Kloster der heiligen Boris und Gljeb. Im Jahre 1365 gründete e r , als er Nishnij Nowgorod aus Anlass des Streites zwischen Dimitrij und Boris heimsuchte, das St. Georgskloster am Ufer der Kljäsma (im Kreise Goröchowez). Im Jahre 1374 legte Sergius, auf Wunsch des Fürsten Wladimir Andrejewitsch, zwei Werst von Sserpuchow, den Grundstein zum Wyssozkij Kloster zur Empfängniss Mariä, am Flusse Nara und setzte als Vorsteher seinen Schüler Athanasius daselbst ein. Auf Wunsch des Dimitrij Donskoj gründete Sergius im Jahre 1378 das Dubenskijkloster am Stromenj (30 Werst südöstlich von der Lawra) und im Jahre 1380 noch ein anderes Dubenskijkloster, zur Himmelfahrt Mariä und zum Gedächtniss an die Schlacht auf dem Kulikower Felde (40 Werst von der Lawra nach Nordwesten). In Kolomna baute er das Golutwenskijkloster zu Ehren der Erscheinung Christi. In allen diesen Klöstern setzte er seine Schüler als Vorsteher ein. Einige berühmte Klöster in verschiedenen Gegenden Russlands wurden von seinen Schülern gestiftet. Einer derselben, Paulus, der einem vornehmen moskauer Geschlecht entstammte, begab sich mit Sergius' Bewilligung in den Komel'schen Urwald am Flusse Gräsowiza und lebte lange Zeit „in der Höhlung einer Linde, gleich einem Vogel"; dann ging er an den Fluss Nurma (im Gouvernement Wologda) und gründete daselbst das obnorische Kloster. Ein anderer Schüler des Sergius, Abraham, gründete mit der Bewilligung seines Lehrers in der Nähe von Galitsch (im Gouvernement Kostroma) vier Klöster. In der nämlichen Gegend gründete, nach Sergius' Tode, sein Schüler Jakob das ShelesnoborskijKloster Johannis des Täufers, 40 Werst von Galitsch. Noch ein anderer Schüler des Sergius, Methodius, gründete das Nikolauskloster am Flusse Pessnoscha (15 Werst von Dmitrow). Nach Sergius' Tode gründete einer seiner geliebtesten Schüler, Sabbas, welcher einige Jahre hindurch sein Nachfolger als Abt des Dreifaltigkeitsklosters gewesen war und dasselbe dann verlassen hatte, sein eigenes Kloster auf dem Berge Storosha (im Kreise Swenigorod), welches eines der verehrtesten Klöster Russlands wurde. Der heilige Dimitrij von Priluki kam, obschon er kein Schüler des heiligen Sergius war, als er im Perejaslawischen Gorizer Kloster lebte, zu Sergius, um sich mit ihm zu besprechen und zog dann mit dessen Zu-
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Stimmung nach dem Norden, wo er, in der Nähe von Wologda, das Priluzkijkloster gründete, welches zu einer Pflanzstätte des Mönchsthums im Nordosten wurde. Ein Genosse des Sergius war auch der berühmte Stephan, Missionär von Perm. Ueber sein Verhältniss zu Sergius existirt folgende Ueberlieferung: Als Stephan aus Perm nach Moskau reiste und beim Dreifaltigkeitskloster — obschon in grosser Entfernung — vorbeikam, da verneigte er sich nach der Richtung des Klosters hin. Sergius sass zu dieser Zeit beim Mahl und da er die Sehergabe hatte, so stand ' er auf und verneigte sich nach der Himmelsgegend hin, wo er den heil. Stephan wusste. Zum Gedächtniss an dies Ereigniss besteht auch jetzt noch in der Dreifaltigkeits-Lawra die Sitte, dass sich die Brüder während des Mahls nach der dritten Speise von ihren Sitzen erheben. Von den Schülern des Sergius erwähnen wir noch den Therapontos und besonders den Kyrill von Bjeloserk. Beide waren Urheber des Mönchthums in den Einöden des Nordens, in der Gegend von Bjeloosero. Der Erstere gründete das Therapontoskloster, der Andere das KyrilloBjeloser'sche Kloster, welches im XV. und XVI. Jahrhundert durch seine reiche Bibliothek besonderen Ruhm erlangte. Die Schüler des Kyrill von Bjelosersk waren gleichfalls eifrige Verbreiter des Mönchthums. Unter ihnen Dionys von Gluschiza und Cornelius von Komel, welche in den unzugänglichsten Gegenden des Gouvernements Wologda Klöster gründeten. Wir tibergehen Andere, die weder des Sergius Schüler, noch Schüler von diesen waren, die aber dennoch, durch sein Beispiel begeistert, dem allgemein verbreiteten Trieb, Klöster zu gründen, folgten. Sergius starb, nach einigen Berichten im Jahre 1392, nach anderen — 1397. Das letztere ist wahrscheinlicher, da er angeblich 78 Jahre alt geworden sein soll. Sein unmittelbarer Nachfolger war Nikon und auf diesen folgte der schon oben erwähnte Sabbas. Das von Sergius gegründete Kloster zur heiligen Dreifaltigkeit ist noch bis heute das vornehmste unter allen russischen Klöstern, die von ihm oder seinen Schülern und deren Nachfolgern errichtet wurden. Die Grossfürsten und Zaren huldigten der Sitte, alljährlich zum Pfingstfest das Dreifaltigkeitskloster zu besuchen und hielten es auch für ihre Pflicht, vor jedem wichtigen Unternehmen dorthin zu pilgern, und zwar häufig zu Fuss, um daselbst die Mithilfe und den Beistand des Wunderthäters Sergius zu erbitten. Die grossen Ereignisse in • der Zeit der Unruhen j erhöhten ganz besonders die historische Bedeutung der DreifaltigkeitsLawra.
XI. Grossfürst Dimitrij Iwanowitsch Donskoj. Moskaus Hegemonie, zu der die zwei Danilowitschs, Jurij und Iwan, den Grund gelegt hatten, stützte sich hauptsächlich auf den Schutz des mächtigen Chans. Iwan Kalitä dominirte über die russischen Fürsten und hielt sie namentlich dadurch unter seiner Botmässigkeit, weil alle wussten, dass ihm der Chan besonders günstig gesinnt sei und weil sie ihn deshalb fürchteten. Er verstand es, diese Lage aufs Beste auszunützen. Chan Usbek, und nach dessem Tode sein Sohn Tschanibek verliehen den moskowischen Fürsten, einem nach dem anderen, die Anciennität. Von 1341 — 1 3 5 3 war Simeon, Kalitäs ältester Sohn, Grossfürst; auf diesen folgte ein anderer Sohn Kalitäs, Iwan, von 1353 bis 1359. Diese beiden Fürsten thaten sich nicht besonders hervor. Der letztere war sowohl an Verstand als auch an Charakter ein ganz unbedeutender Mensch. Aber Moskaus Bedeutung, den übrigen Fürsten gegenüber, erhielt sich dennoch während dieser zwei Regierungsperioden durch die zeitweise Gunst des Chans für die Fürsten von Moskau. Nach Iwans Tode gerieth Moskau in grosse Geiahr, diese Bedeutung einzubttssen. Iwans Nachfolger war der neunjährige Dimitrij; und jetzt zeigte es sich, dass die Bestrebungen zu Gunsten von Moskaus Suprematie nicht allein von dessen Fürsten ausgingen, sondern dass die Ansichten und Handlungen derselben sich auch in den Gesellschaftskreisen, in welchen diese Fürsten lebten und wirkten , wiederspiegelten. Hinter dem unmündigen Dimitrij standen die moskauer Bojaren; es waren dies grösstenteils Männer, die ihrer Abkunft nach nicht Moskau angehörten; theils waren sie selbst, theils ihre Väter oder Grossväter aus verschiedenen Gegenden hierhergekommen und hatten in Moskau ein gemeinsames Vaterland gefunden; sie waren es namentlich, welche inggesammt für Moskaus Suprematie Uber Russland einstanden. Der Umstand, dass sie aus verschiedenen Gegenden nach Moskau gekommen waren und dass kein anderes gemeinschaftliches politisches Band, ausser Moskaus Schutz für Alle, sie zusammenhielt, war für ihr vereintes Wirken zu Gunsten des ihnen gemeinsamen neuen Vaterlandes vorteilhaft. Zu dieser Zeit fand in der Horde eine Umwälzung statt, und von nun an beginnt deren gänzlicher, rapider Verfall. Tschanibek ward von seinem Sohn Berdibek erschlagen, diesen aber erschlug der Feldherr Nawrus, der sich selbst zum Chan ernannte. Der Fürst von Ssusdal, Dimitrij Konstantinowitsch, zog in die Horde und erhielt dort die Grossfürsten würde. Ihn begünstigten die Nowgoroder, welche Moskaus Suprematie schwer empfanden, denn Simeon folgte den Fusstapfen seines Vaters Kalitä, er bedrückte Nowgorod und belastete es mit einer von ihm neuerfundenen Steuer, die dem „schwarzen" (ge-
XI. GrossfUist Dimitrij Iwanowitsch Donskoj.
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meinen) Volk von Nowyj-Torg unter der Bezeichnung „die schwarze Steuer" auferlegt wurde. Der mit dem Jarlyk (Diplom) des Chans zurückgekehrte Fürst von Ssusdal verlegte den Grossfürstensitz nach Wladimir und es hatte den Anschein, dass diese Stadt ihre Suprematie, die ihr von Moskau entrissen worden w a r , wieder gewinnen sollte. Aber Nawrus, der Schirmherr des ssusdaler Fürsten, ward seinerseits von einem anderen Feldherrn, Chidyr, erschlagen und dieser machte sich nun zum Chan. Die moskauer Bojaren brachten den zehnjährigen Dimitrij Iwanowitsch zu ihm. Dass der neue Herrscher die Ernennung seines Vorgängers aufhob, war ganz natürlich, er verlieh Dimitrij das Grossfürstendiplom. Diesmal handelte es sich also nicht mehr um die Persönlichkeit des moskauer Fürsten, der j a durch seine Jugend verhindert war, selbstständig zu herrschen, sondern Moskau selbst war es, das, als einer der Länderkomplexe Russlands, unter den Ländern und Städten dieses Reichs eine dominirende Bedeutung erlangt hatte; früher besass es die Suprematie daher, weil sein Fürst, dem Willen des Chans zufolge, den Vorrang vor den übrigen Fürsten hatte, jetzt, im Gegentheil, erhielt der unmündige Fürst den Vorrang namentlich deshalb, weil er Fürst von Moskau war. Nachdem jedoch Chidyr bald darauf von seinem Sohn getödtet, dieser aber gleichfalls unmittelbar nachher ermordet wurde, zerfiel die Horde nun in zwei Theile. Der mächtige Temnik Mamai stellte einen gewissen Abdullah als Chan auf, die Würdenträger von Ssaraj dagegen Chidyrs Bruder Mürid. Den Moskowitern schien anfangs die Partei Mürids die stärkere und sie erwirkten bei diesem den Grossfürstenjarlyk für Dimitrij; im folgenden Jahre (1362) Uberzeugten sie sich aber, dass Mamais Partei die stärkere sei und wandten sich nun sofort an diesen, von dem sie gleichfalls in Abdullahs Namen den Jarlyk für Dimitrij erhielten. Auf diese Weise hatte der minderjährige Fürst von Moskau von zwei Rivalen, die sich gegenseitig zu zerfleischen bereit waren, seine Bestätigung erhalten. Als Mürid erfuhr, dass der moskowische Fürst von seinem Feinde einen Jarlyk angenommen habe, sandte er einen anderen Jarlyk an den Fürsten von Ssusdal. Zwischen den beiden Nebenbuhlern wäre es nun fast zum Bürgerkrieg gekommen, aber Dimitrij von Ssusdal und sein Bruder Boris stritten sich damals gerade um Nishnij Nowgorod, und Dimitrij Konstantinowitsch, der nach dem Tode seines Bruders Andreas sich Nishnij Nowgorods bemächtigen wollte, schloss mit Moskau Frieden und gelangte dadurch in den Besitz von Nishnij Nowgorod. Im Jahre 1365 vermählte sich der 15 jährige Dimitrij mit Eudoxia, Dimitrij Konstantinowitschs Tochter. Schon während der Minderjährigkeit Dimitrijs schalteten und walteten die Bojaren in seinem Namen über das Schicksal der Theilfürsten. Im Jahre 1363 bedrängten sie den Fürsten von Rostow und vertrieben die Fürsten von Galitsch und Starodub aus ihren Gebieten. Die bedrängten und vertriebenen Fürsten nahmen ihre Zuflucht zum Fürsten von Ssusdal,
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dieser aber anerkannte selbst Moskaus Suprematie, nachdem er sich mit dessen Fürsten versöhnt hatte. Unter den damaligen Leitern der öffentlichen Angelegenheiten nahm der nicht nur von Moskau, sondern auch von der Horde hochverehrte Metropolit Alexius, welcher früher Tschanibeks F r a u , Taidula, geheilt hatte, unstreitig einen hervorragenden Platz ein; man glaubte, er sei in Besitz übernatürlicher, wunderthätiger Kräfte. Sein Segen weihte im Jahre 1364 den Vertrag zwischen Dimitrij von Moskau und dessen Vetter Wladimir Andrejewitsch, der Sserpuchow als seinen Antheil erhalten hatte. Dieser Vertrag kann gewissermassen als Vorbild für die damaligen Beziehungen des Grossfürsten zu den abhängigen Fürsten dienen. Wladimir Andrejewitsch erhielt dadurch das Recht, als Erbherr über seinen Bezirk zu verfügen, musste sich aber Dimitrij unterordnen, ihm den Tribut für den Chan entrichten, die Feinde des Grossfürsten als seine Feinde betrachten, mit seinen Bojaren und Dienern an allen Feldzügen, die Dimitrij unternehmen würde, theilnehmen und von ihm für die Dauer der Feldzüge Sold empfangen. Die Bojaren beider Fürsten durften von einem zum anderen übergehen, diese Erlaubniss erstreckte sich jedoch nicht auf die übrigen Unterthanen; die Fürsten hatten nicht das Recht, in fremden Bezirken Güter zu kaufen und es wurde, falls Rechtshändel unter den Einwohnern beiderseitiger Bezirke entstanden, ein Schiedsgericht, wie zwischen zwei gesonderten Staaten eingesetzt; konnten sich die beiderseits erwählten Richter nicht einigen, so wurde ein Superarbiter hinzugezogen. Auf diese Weise entstand zur nämlichen Zeit, als Moskau sich über die anderen russischen Länder erhob und über ihr Schicksal verfügte, im moskowischen Lande selbst eine Zerstückelung, welche natürlich die Entwickelung der Alleinherrschaft verzögerte, gleichzeitig aber wurden auch Massregeln ergriffen, um trotz dieser Zerstückelung demjenigen unter den Fürsten die Suprematie zu erhalten, der in Moskau selbst herrschte. Von der Persönlichkeit des Grossfürsten Dimitrij Douskoj können wir uns nach den Quellen keine klare Vorstellung machen. Wir sahen, dass die Bojaren während der Zeit seiner Minderjährigkeit, als er also noch nicht selbstständig auftreten konnte, die Geschäfte durchaus in demselben Geiste führten, wie der erwachsene Fürst sie selbst geführt haben würde. Beim Bericht über seinen Tod erwähnen die Chroniken, dass er sich stets mit seinen Bojaren berathen und ihren Rath befolgt habe; dass unter ihm die Bojaren wie Fürsten angesehen waren und dass er auch seinen Kindern das Gleiche anempfohlen hatte. Aus diesem Grunde ist es unmöglich, zu unterscheiden, was von seinen Handlungen ihm selbst, und was seinen Bojaren zugeschrieben werden muss; einige von den uns überlieferten Zügen führen sogar zu der VermuthuDg, dass er ein nur schwachbefähigter Mensch, der sich von Anderen leiten liess, gewesen sei, und hieraus können zum Theil auch jene in di« Augen fallenden
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Widersprüche in seinem Leben, jene Mischung von Kühnheit und Unentschlossenheit, Tapferkeit und Feigheit, Verstand und Taktlosigkeit, Geradheit und Hinterlist erklärt werden, die in der Geschichte seines Lebens überall zum Vorschein kommen. Von allen russischen Fürsten schien Michail, der Sohn Alexander Michailowitschs von Twer, für Moskau der gefährlichste zu sein. Dass er gegen die moskowischen Fürsten einen Familienhass hatte, war begreiflich, er war aber auch ein unternehmender und eigensinniger Mann von unbeugsamem Charakter. Nachdem er zuerst Fürst in Mikulina gewesen war, bemächtigte er sich Twers, nannte sich dann Grossfürst von Twer und wollte in dieser Eigenschaft seine nächsten Verwandten, die Fürsten des twerschen Landes, unterwerfen. Zwischen ihm und seinem Onkel Wassilij von Kaschin entstand ein Streit um das Gebiet des verstorbenen Fürsten Ssemjon Konstantinowitsch, der sein Land dem Michail Alexandrowitsch testamentarisch vermacht hatte. Da es sich um eine Testamentsverfügung handelte, die der kirchlichen Gerichtsbarkeit unterlag, so ward diese Angelegenheit vom Bischof Wassilij von Twer untersucht und von diesem zu Gunsten Michail Alexandra witschs entschieden. Der Oberhirt der russischen Kirche, Metropolit'Alexius, welcher für Moskaus Grösse und dessen Vortheile aufs eifrigste sorgte, war mit diesem Urtheil durchaus unzufrieden und berief Wassilij nach Moskau. Die Zeitgenossen sagen, der twersche Bischof habe daselbst grosse „Verluste" erlitten. Unterdessen sandte Moskau dem Fürsten Wassilij von Kaschin ein Hilfsheer gegen Michail Alexandrowitsch und jener zog nun gegen seinen Neffen, um ihn mit Gewalt aus Twer zu vertreiben. Aber Michail Alexandrowitsch hatte gleichfalls einen mächtigen Beschützer, den Grossfürsten Olgerd von Litthauen, welcher mit Michails Schwester Juliane verheiratet war. Die Kaschiner und Moskowiter eroberten Twer nicht, sie hatten, als Michail mit der litthauischen Hilfe ankam, nur das twersche Gebiet verheert. Der Onkel und sein Neffe, Fürst Jeremias, der seinem Onkel beistand, gaben Michail in allen Stücken nach und küssten zum Zeichen der Unterwerfung das Kreuz; Jeremias aber entfloh unmittelbar darauf zum Fürsten nach Moskau und flehte ihn an, über die twerschen Antheile seine Verfügungen zu treffen. Die Moskowiter hatten, um mit Michail fertig zu werden, andere Massregeln ersonnen. Metropolit Alexius und der Grossfürst luden Michail „liebevoll" nach Moskau vor's Schiedsgericht. Der Metropolit verpfändete sein oberhirtliches Ehrenwort, dass ihm nichts Böses widerfahren solle. Michail kam; man stellte ihn unter Bewachung und trennte ihn von seinen Bojaren, welche gleichfalls gefangen gehalten wurden. Aber Moskau hatte keinen Nutzen davon, im Gegentheil, es schadete sich dadurch. Bald darauf erschienen tatarische Botschafter aus der Horde; man weiss nicht, ob sie Michaels Befreiung forderten, oder ob die Moskowiter fürchteten, ihr Verfahren könne den Tataren unerwünscht sein, — kurz Kostomarow-H enckel, Knss. Geschichte in Biogr. I.
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Grossfürst Dimitrij Iwanowitsch Donskoj.
Michail ward entlassen und man sagt, er sei gezwungen worden, als Zeichen seiner Unterwerfung unter den Fürsten von Moskau, das Kreuz zu küssen. Unterdessen hatte Moskau Gorodok (am Flusse Stariza) weggenommen und den Fürsten Jeremias dorthin gesandt, gleichzeitig aber schickte der moskauer Fürst auch seinen Statthalter hin. Von nun an fasste Michail den Entschluss, sich um jeden Preis an Moskau zu rächen und ihm einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Die Hauptschuld an seinem Missgeschick mass er dem Metropoliten Alexius bei: „Mehr als Alle liebte ich den Metropoliten, und verliess mich auf ihn" — sprach Michail — „und er war es, der mir eine solche Schande zufügte und mich so sehr beschimpfte." Michail ging nach Litthauen zu Olgerd und stachelte ihn auf, Moskau anzugreifen. Als die Moskowiter Michail gegen sich in Harnisch brachten, da überlegten sie nicht, dass dieser einen gefährlichen Feind gegen Moskau führen könnte und hatten nicht für Schutzmittel gesorgt. Man erfuhr in Moskau von Olgerds Ueberfall erst dann, als der Fürst von Litthauen sich mit seinem Heer, seinem Bruder Kejstut, dem Neffen Witowt, verschiedenen litthauischen Fürsten, dem smolensker Heer und Michail von Twer der Grenze näherte. Dieser kriegerische Fürst Olgerd hatte die Gewohnheit, das Ziel seiner Feldzüge Niemandem anzuvertrauen; er war schnell in der Ausführung, und machte unvermuthete Ueberfälle. Dimitrijs Vasallen - Fürsten konnten der Aufforderung, Moskau zu Hilfe zu eilen, nicht rechtzeitig genug nachkommen. Es blieb daher nichts anderes übrig, als sich ausschliesslich mit den Streitkräften des moskauer Landes zu wehren. Dimitrij sandte seinen Feldherrn Dimitrij Minin gegen den Feind und Wladimir Andrejewitsch den Feldherrn Akinf Schuba. Wo die Litthauer hinkamen, da verbrannten und verheerten sie die Dörfer und tödteten die Einwohner; das ihnen entgegengesandte moskauer Kriegsheer wurde am 21. Dezember 1368, am Flusse Trostna, in Staub und Asche verwandelt; die Heerführer fielen im Kampfe. „Wo ist der Grossfürst mit seinem H e e r ? " fragte Olgerd die Gefangenen. Alle antworteten einstimmig: „ D e r Fürst ist in seiner Stadt Moskau und hat seine Streitkräfte noch nicht sammeln können." Olgerd eilte nun direkt gegen Moskau. Der Grossfürst Dimitrij, Fürst Wladimir Andrejewitsch, der Metropolit und die Bojaren nebst einer Menge Volks schlössen sich im Kreml, der eben erst, durch eine steinerne Mauer befestigt worden war, ein. Die Moskowiter zündeten die vor dem Kreml liegenden Vororte selbst an. Olgerd stand drei Tage und drei Nächte vor den Mauern des Kreml. Diesen zu erstürmen war schwierig, die Belagerten durch Hunger zur Uebergabe zu zwingen, entschloss sich Olgerd deshalb nicht, weil im Winter ein längerer Aufenthalt im Freien für die Belagerer zu beschwerlich gewesen wäre; überdies konnten unterdessen die Kriegsscharen der Vasallenfürsten Moskau zu Hilfe kommen, um es zu entsetzen. Olgerd befahl, Alles um Moskau herum, was nicht von den Russen selbst verbrannt worden war, zu ver-
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nichten. Ausser einer mit einer eichenen Mauer umgebenen Vorstadt, existirte damals jenseits der Grenze dieser Vorstadt eine Ansiedelung, die den Namen Sagorodje führte und am andern Ufer des Moskwaflusses eine ähnliche, Saretschje genannt. Die Litthauer verbrannten Alles, sie verschonten weder Kirchen noch Klöster und als sie abzogen, verheerten sie den moskauer Landbezirk, verbrannten alle Gebäude, raubten die Habe der Einwohner, trieben das Vieh hinweg, tödteten oder nahmen die Menschen, welche sich nicht rechtzeitig in den Wäldern verborgen hatten, gefangen. Nach den Berichten eines Zeitgenossen entstand durch Olgerds Verheerungen ein derartiges Elend im moskauer Lande, wie es seit Batyjs Ueberfall nicht dagewesen war. Dies waren die Folgen der ungeschickten moskowiter Politik. Obschon die Moskowiter im Geiste Kalitäs, wie dieser es ihnen vorgezeichnet hatte, handelten, so geschah es doch mit durchaus ungenügenden Mitteln; sie gedachten die Macht eines gefährlichen Feindes, des Fürsten von Twer, zu brechen, machten ihn aber noch weit gefährlicher und führten leichtsinnigerweise grosses Elend durch einen neuen Feind herbei, der noch nie einen Angriff gegen das moskauer Land versucht hatte, weil er beständig mit anderen Kriegen und mit den Angelegenheiten seines eigenen Landes beschäftigt war. Damit war noch lange nicht Alles abgethan. Moskau wollte sich nun für die Verheerungen, welche ihm die Litthauer zugefügt hatten, durch die Verwüstung des twerschen und smolensker Landes entschädigen. Zuerst plünderten die Moskowiter und mit ihnen die Wolotschanen, (d. h. die von Woloko-Lamsk), das smolensker Gebiet, aus Rache, weil die Smolensker mit den Litthauern gegen Moskau gezogen waren; und dann sandte der Grossfürst von Moskau eine Kriegserklärung an den Fürsten von Twer. Michail Alexandrowitsch flüchtete sofort nach Litthauen und das moskowische Kriegsheer zog zweimal ins twersche Land, verheerte Dörfer und ganze Bezirke und nahm unter Dimitrijs eigener Führung Subzow und Mikulin ein. Die Moskowiter trieben damals viele Gefangene und Vieh aus dem Gebiet von Twer in ihr eigenes, von den Litthauern verwüstetes Land. Die Gefangenen aus dem twerer Lande mussten im moskauer Gebiet denjenigen Theil des Volkes ersetzen, welchen die Litthauer in ihr Land hinweg getrieben hatten. Die Twerer waren, nach dem Ausdruck der Chronisten „bis aufs Aeusserste gedemüthigt". Olgerd war diesmal nicht imstande, seinem Schwager schnelle Hilfe zu leisten, denn er befand sich im Kriege mit dem Orden der Kreuzritter. Als Michail von Twer vom Elend seines Landes hörte, ward er sehr betrübt und nahm sich vor, wahrscheinlich mit Olgerds Zustimmung, an seinem Feinde auf andere Weise Vergeltung zu üben. Er reiste in die Horde und erhielt, ohne besondere Anstrengung, von dem durch Mamai eingesetzten Mamant-Sultan die Grossfürsten würde. Moskau aber erfuhr es und richtete. Schlagbäume auf, um Michail auf dem Rückwege abzu13*
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fangen. Glücklicherweise hatte Michail Anhänger in Moskau, die ihm davon Mittheilung machten und es gelang ihm, sich wieder nach Litthauen durchzuschleichen. Auf die dringenden Bitten seiner Frau entschloss sich Olgerd endlich, ihrem Bruder zu helfen. Er zog mit seinem Bruder Kejstut, den litthauischen Fürsten, Swjätoslaw von Smolensk und Michail von Twer gegen das Moskowiterland. Nachdem sie einige Tage vor Wolok gestanden, es aber nicht eingenommen hatten, kamen die Litthauer und ihre Verbündeten am 6. Dezember 1370 vor Moskau an. Dimitrij schloss sich im Kreml ein, Wladimir Andrejewitsch aber sammelte sein Heer und stellte sich in Peremyschl auf. Mit ihm vereinigten sich die Truppen von Rjäsan und Pronsk. Die Litthauer zündeten einen Theil der eben erst neuerbauten Vorstadt und die benachbarten Dörfer an, nachdem sie aber acht Tage vor dem Ereml gestanden hatten, schloss Olgerd einen Waffenstillstand mit dem Fürsten von Moskau bis zum Petritage; er beantragte sogar den Abschluss eines ewigen Friedens und schlug ein verwandtschaftliches Bündniss vor, indem er seine Tochter Helene mit dem Fürsten Wladimir Andrejewitsch vermählen wollte. Diesmal aber blieb es beim blossen Waffenstillstand. Der Winter war in diesem Jahre sehr gelind, Thauwetter trat vorzeitig ein und die Flüsse wurden eisfrei, die Wege schlecht, der Rückzug erschwert und die Russen rüsteten sich, Olgerd in den Rücken zu fallen. Ausserdem musste sich dieser beeilen, nach Hause zu kommen, da die Angelegenheit mit dem deutschen Orden seine Gegenwart erheischte. Alle diese Beweggründe veranlassten ihn, Michails Sache im Stiche zu lassen. Nachdem der Fürst von Twer von seinem Schwager verlassen worden war, reiste er abermals in die Horde. Diemal bot man ihm ein tatarisches Heer an; er konnte sich aber nicht entschliessen, die russischen Länder der Verheerung preiszugeben, weil er voraussah, dass er sich dadurch den allgemeinen Hass der Russen zuziehen würde. Michail glaubte, dass ein Botschafter des Chans, mit dem Jarlyk, der den Russen anbefiehlt, Michail als Grossfürst anzuerkennen, genügen würde. Die Horde war aber durch innere Kämpfe so sehr geschwächt, dass man sie nicht mehr wie früher fürchtete, und Dimitrij von Moskau liess die Wladimirer und die Bewohner anderer Städte schwören, ihm ihre Treue zu bewahren und die tatarischen Jarlyks, welche Unterwerfung unter den Fürsten von Twer geboten, nicht zu beachten. Dimitrij selbst stellte sich mit seinem Heer und mit Wladimir Andrejewitsch bei Perejaslawl auf. Michael kam mit dem Botschafter des Chans, Ssarychodsha, vor Wladimir an, die Wladimirer aber Hessen ihn nicht herein. Ssarychodsha berief nun Dimitrij nach Wladimir, um ihm den Inhalt des Jarlyks mitzutheilen; Dimitrij aber antwortete ihm: „Des Jarlyks wegen komme ich nicht, gestatte auch Niemandem, die Grossfürstenwürde auszuüben, für Dich aber, dem Botschafter des Zaren, ist der Weg frei." Gleichzeitig sandte er dem Ssarychodsha Geschenke. Dieser verliess nun Michail und reiste
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nach Moskau. Dort -wurde er mit solchen Ehrenbezeugungen empfangen und erhielt so reiche Geschenke, dass er gänzlich zur Partei des Dimitrij überging, ihm zuredete, zu Mamai hinzureisen und dort für ihn zu wirken versprach. Aus Aerger verheerte nun Michail Mologa, Uglitsch, Beshizkij-Werch und kehrte nach Twer zurück; in die Horde sandte er seinen Sohn Iwan. Nach Berathung mit dem Metropoliten und den Bojaren, machte sich nun auch Dimitrij selbst, mit Andreas von Rostow, den moskowischen Bojaren und Dienern auf, um Mamais Gunst zu erlangen. Der Metropolit Alexius begleitete ihn bis an die Akä und gab ihm seinen Segen mit auf den Weg. Obschon Dimitrij Mamai erzürnt hatte, konnte es doch nicht schwer fallen dessen Gunst zu erlangen, denn Mamai pflegte denjenigen zu begünstigen, von dem er am meisten erhielt. Dimitrij brachte ihm reichliche Geschenke, ausserdem wirkte aber auch Ssarychodsha zu Dimitrijs Gunsten. Trotz der Verwüstungen Olgerds war Moskau, im Vergleich mit den übrigen russischen Ländern, doch noch sehr reich; die Abgaben, welche es zu Gunsten des Chans erhob, bereicherten auch seine eigenen Kassen. Dimitrij hatte nicht nur die Möglichkeit, Mamai zu bestechen, er löste sogar für 10 000 Rubel Silber 1 ) Michails Sohn Iwan aus, der in der Horde Schulden halber festgehalten wurde und nahm ihn als Geissei mit sich nach Moskau. Dort hielt man diesen Fürsten, im Hofe des Metropoliten, bis zur Zahlung des Lösegeldes gefangen. Dimitrij empfing den Jarlyk vom Chan und Mamai bewilligte ihm sogar insofern einen Nachlass, indem er ihm den Tribut verringerte und sich mit einer kleineren Summe begnügte, als die w a r , welche unter Usbek und Tschanibek gezahlt wurde; dem Michail aber liess Mamai sagen: „Wir gaben Dir die Grossfürstenwürde, wir gaben Dir ein Heer und Macht, um Dich auf den Grossfürstenstuhl zu setzen, Du aber hast unser Heer und unsre Macht verschmäht und gesagt, Du würdest Dich durch eigene Kraft auf den Grossfürstenstuhl setzen; — siehe nun zu, wie Du allein fertig wirst, von uns aber erwarte keine Hilfe." Michail wandte sich abermals an Litthauen, aber auf Olgerds Hilfe war anscheinend nur wenig Hoffnung; während Dimitrijs Reise in die Horde waren Olgerds Gesandte nach Moskau gekommen und hatten dessen Tochter Helene mit Wladimir Andrejewitsch verlobt, im folgenden Winter fand die Hochzeit statt. Dagegen überredete Michail den Kejstut, dessen Sohn Witowt, den Andrej Olgerdowitsch von Polozk und andere litthauische Fürsten, mit ihm gegen das moskauer Land zu ziehen. Dimitrij ward unterdessen mit Oleg von Rjäsan fertig, der wahrscheinlich Michael begünstigt hatte. Olegs Hass gegen das moskowische Fürstenhaus war nicht geringer als der, des Fürsten von Twer; diese Feindschaft stammte ') Der damalige Silberrubel war ungefähr gleichwertig einer Griwna, d. i. einem halben Pfund Silber.
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noch von seinem Urgrossvater her, der seiner Zeit von Jurij Danilowitsch in Moskau erwürgt worden war. Die Rjäsaner hassten die Moskowiter wegen ihrer Anmassung und wegen ihres hochmüthigen Betragens gegen die anderen Russen. Die Moskowiter nannten die Rjäsaner „halbverrücktes Volk", die Rjäsaner schimpften die Moskowiter „Feiglinge" und sagten: um die Moskowiter zu bekriegen, brauche man keine Waffen, sondern nur Stricke, um sie zu binden. Oleg erlitt bei Skornischtschewo eine Niederlage; Dimitrij bemächtigte sich Rjäsans und gab es dem Fürsten Wladimir von Pronsk, in der Hoffnung, dieser würde ihm unterthan sein; Moskau hatte jedoch keinen Nutzen davon, denn Dimitrij musste sich gegen Michail wenden, der sich mit dem litthauischen Heer näherte, Oleg aber benutzte diesen Umstand, vertrieb den Fürsten von Pronsk und herrschte fortan wieder in Rjäsan. Im Frühjahr 1372 nahm Michail mit den Litthauern das an seinem Weg liegende Torshok den Nowgorodern weg, setzte daselbst seine Statthalter ein und brach dann ins moskowische Land ein; er versuchte auch Perejaslawl wegzunehmen, ward aber, nachdem er übrigens Dmitrow erobert hatte, zurückgeschlagen. Die Litthauer verbrannten viele Dörfer und machten Gefangene. Damit hatte dieser Kampf ein Ende. Michail kehrte in das Land Twer zurück und zwang den Fürsten von Kaschin ihm zu Willen zu sein; dann, als er vernahm, dass die Nowgoroder seine Statthalter in Torshok, die er eben erst eingesetzt, vertrieben hatten, zog er dorthin. Seine Bundesgenossen, die Litthauer, behandelten während ihres Durchzugs das twersche Land durchaus nicht freundschaftlich und Michail musste es geduldig hinnehmen. Er beeilte sich daher sie aus seinen Besitzungen hinaus und in den Bezirk von NowyjTorg zu befördern. Zwischen den Nowgorodern und Michail herrschten schon seit längerer Zeit Misshelligkeiten. Twersche Bojaren hatten im nowgoroder Gebiet Landbesitz gekauft und der Fürst von Twer, der sich für den Herrn dieser Bojaren hielt, machte auf deren Besitzthum Ansprüche geltend, obschon dasselbe in den Grenzen des nowgoroder Landes lag. Nowgorod bemühte sich lange Zeit vergebens, diese Missbräuche abzuschaffen. Ausserdem hatten die Nowgoroder, welche mit Moskau, als Michail, um die Grossfürstenwürde zu erlangen, in die Horde zog, unzufrieden waren, ihn als Grossfürsten anzuerkennen versprochen, wenn ihn der Chan bestätigen würde; jetzt aber, als sie hörten, dass Dimitrij Grossfürst geblieben, wollten sie von Michail nichts mehr wissen. Dies waren die Gründe, weshalb Michail sich Torshoks bemächtigt hatte. Als er die Nachricht erhielt, dass die Nowgoroder nicht nur seine Statthalter verjagt, sondern auch twersche Kaufleute beraubt hätten, entbrannte er in heftigem Zorn gegen Nowgorod; er gab den Krieg gegen Moskau auf und concentrirte seine ganze Macht gegen Nowgorod. Am 31. Mai 1372 erreichte er Torshok und forderte die Herausgabe derer, welche seine
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Kaufleute beraubt hatten und die Neueinsetzung seiner Statthalter. In Torshok befehligte damals der nowgoroder Feldherr Alexander Abakumowitsch, ein kühner Anführer der Uschkujniks 1 ), er wies Michails Forderungen schroff ab, trat ihm in einer Schlacht entgegen und fiel in derselben mit vielen seiner Gefährten. Die Nowgoroder mussten Torshok verlassen und flohen nach Nowgorod. Unterdessen hatten die Twerer und Litthauer eine Vorstadt niedergebrannt; da brach plötzlich ein Sturm los und viele Einwohner von Nowyj-Torg kamen in den Flammen um, andere stürzten sich ins Wasser, jene aber, welche in die feindliche Gefangenschaft geriethen, wurden getödtet und auf eine rafönirte und schimpfliche Weise gemartert. „Die Twerer — erzählt der Chronist — entblössten ehrbare Frauen und Jungfrauen, so dass sich diese vor Scham ins Wasser stürzten." Alle Kirchen wurden beraubt und verbrannt und ganz Torshok vom Erdboden vertilgt. Auf eine barbarische Art hatte sich Michail an den Nowgorodern gerächt, dafür aber schuf er sich auch gefährliche Rächer für die Zukunft. Als Michai'1 mit Beute beladen nach Twer zurückkehrte, musste er auf Dimitrijs Herannahen gefasst sein; er bat daher wieder um Olgerds Hilfe. Michails Schwester überredete ihren Mann abermals, dem Bruder beizustehen, obschon Olgerd mit dem moskauer Fürsten jetzt verwandt, weil die mit Wladimir Andrejewitsch vermählte Helene eine Tochter Olgerds aus dessen erster Ehe war. Olgerd zog im Jahre 1373 mit seinem Heer gegen Moskau. Durch diesen Zug kam er vorläufig dem Angriff Dimitrijs gegen Twer zuvor. Michail vereinigte sich mit Olgerd, aber die Moskowiter waren diesmal nicht so fahrlässig gewesen wie früher und Hessen ihre Feinde nicht bis in Moskaus Nähe kommen. Sie traten Olgerd bei Ljubutsk (in der Nähe von Kaluga) entgegen. Beide Heerhaufen standen längere Zeit hindurch zu beiden Seiten einer tiefen Schlucht^ ohne dass es zu einer Schlacht gekommen wäre. Die Grossfürsten von Moskau und von Litthauen schlössen einen Waffenstillstand. Dimitrij versprach, dass er Michai'1 nicht mehr in Twer beunruhigen wolle und Michail sollte nicht mehr nach der Grossfürstenwürde streben, auch verpflichtete sich dieser, Alles, was er in Dimitrijs Lande geraubt, zurückzuerstatten und seine Statthalter von dort abzuberufen. Sollte aber der Fürst von Twer sein Versprechen nicht erfüllen, oder würde eine Klage über ihn in der Horde geführt, so durfte Olgerd ihm nicht beistehen. Obschon Michail Olgerds Hilfe ein zweites Mal auch sobald nicht wieder auf dieselbe zählen durfte, gegen Moskau dennoch nicht auf. Es traf sich, Moskau kamen, ihn sogar selbst dazu aufstachelten. letzte Tyssätschskij Wassilij Weljaminow gestorben.
verscherzt hatte und gab er seinen Kampf dass Leute, die aus In Moskau war der Der Grossfürst hatte
') Uschkujniks waren kühne nowgoroder Gesellen, welche auf der Kama und Wolga Raubzüge ausführten.
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beschlossen, diese wichtige alte Würde, welche noch aus der Periode stammte, in der die Volksversammlungen allmächtig waren, aufzuheben. Der Tyssjätschskij wurde, ohne Betheiligung des Fürsten, vom Volke gewählt, er befehligte die Kriegsmacht, war der Repräsentant der Volkssouveränität und die Stütze des Volkswahlrechts. Dieses alterthümliche Amt stand mit den autokratischen Bestrebungen der Fürsten in grellstem Widerspruch; es war auch den Bojaren, die den Fürsten umgaben, nicht nach ihrem Herzen, denn sie wollten die alleinigen Rathgeber desselben sein und, ohne sich an den Willen der Volksgemeinde zu kehren, die Regierung des Landes mit ihm theilen. Der letzte Tyssjätschkij hatte einen älteren Sohn hinterlassen, der mit den neuen Einrichtungen unzufrieden war. Im Einverständniss mit ihm war der reiche Kaufmann Nekomat, welcher mit theurer, feiner Ellenwaare handelte. Beide flüchteten zu Michai'1 nach Twer und bewogen diesen, wieder nach der Grossfürstenwürde zu trachten. Michail ertheilte ihnen den Auftrag, einen neuen Jarlyk für ihn in der Horde auszuwirken; er selbst aber reiste nach Litthauen, um noch einen Versuch zu machen, dort Hilfe zu finden. Er musste aber bald mit leeren Versprechungen aus Litthauen heimkehren. Am 14. Juli 1375 brachte ihm Nekomat einen Jarlyk auf die Grossfürstenwürde und Michail, ohne lange zu überlegen, sandte eine Kriegserklärung an Dimitrij. Er hoffte den moskauer Fürsten, vermittelst der Streitkräfte der Horde und Litthauens, zu zermalmen und hatte sich gewaltig verrechnet. Um Dimitrij beizustehen, rüsteten sich ausser den Heeren der moskauer und wladimirer Bezirke auch die Vasallenfürsten Moskaus, welche im Kriegsfall zur Hilfeleistung verpflichtet waren. Sein Schwiegervater, der Fürst von Ssusdal mit seinen Brüdern und Kindern, führte die ssusdaler, nishegoroder und gorodezer Streitkräfte, dann kamen die Fürsten von Rostow und Jaroslawl, ausserdem schlössen sich damals die Fürsten von Ssmolensk und die aus dem Süden Moskau an; ferner aus dem alten Lande der Wjätitschen: die von Nowossil, Obolensk und Tarussa. Die letzteren wollten sich nicht der litthauischen Oberherrschaft unterwerfen, anerkannten daher freiwillig die Souveränität Moskaus über sich und traten in die Reihen seiner Vasallen. Es befanden sich unter dieser Landwehr auch solche Fürsten, die blos diesen Titel führten, die Namen von ehemaligen Theilfürstenthümern trugen, deren Länder sich aber jetzt in Besitz anderer, von Olgerd eingesetzter Fürsten befanden. So z. B. die von Starodub und Brjansk; andere, wie die von Bjelosersk und Mologa, waren deshalb nicht mehr Inhaber ihrer Fürstentümer, weil diese unmittelbar mit Moskau vereinigt waren; diese Fürsten standen im Dienst des moskauer Grossfürsten ; späterhin verfielen sämmtliche Theilfürsten ohne Ausnahme demselben Schicksal. Endlich war auch Nowgorod damals auf Dimitrijs Seite; es war froh, die Möglichkeit zu haben, sich jetzt für Torshoks Zerstörung rächen zu können. Die Nowgoroder waren in ihrer Hilfe für Moskau so
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eifrig, dass sie binnen drei Tagen nach Dimitrijs Aufruf ihre Mannschaft beisammen hätten. Die russischen Fürsten sowohl, als auch das russische Volk überhaupt, waren damals gegen den Fürsten von Twer feindlich gesinnt, weil er Unruhen anstiftete, die Litthauer gegen Eussland führte, hauptsächlich aber, weil er Mamai aufwiegelte; schon damals war in Russland das Bewusstsein gereift, dass die Zeit bald herannahen müsse, in der man vor den Tataren nicht mehr den Kopf beugen, sondern sich mit ihnen im Kampfe messen müsse. „Mamai schnaubt vor Wuth gegen uns Alle," — sprach man dazumal — „lassen wir dem Fürsten von Twer Alles hingehen, so stürzt er, mit Mamai verbündet, uns ins Verderben." Im August 1375 rückte Dimitrij mit seinen Verbündeten ins twerer Land; er nahm Mikulin ein und belagerte Twer. Vier Wochen lang stand er vor T w e r , und während dieser Zeit verbrannten seine Krieger die Dörfer, weideten das Getreide von den Feldern ab, tödteten die Bewohner des Landes oder führten sie in die Gefangenschaft. Michail, der von Niemand mehr Hilfe zu erwarten hatte, sandte den Wladyka Euphemius zu Dimitrij, um Frieden zu erbitten. Jetzt schien der günstigste Zeitpunkt gekommen zu sein, dem lästigen und verderblichen Kampf mit diesem unverbesserlichen Feinde ein Ende zu machen, das Fürstenthum Twer zu vernichten, das ganze twersche Land mit Moskau zu vereinigen und dadurch wenigstens von dieser Seite Russlands inneren Frieden wieder herzustellen. Dimitrij begnügte sich jedoch mit der unfreiwilligen Unterwerfung seines Feindes, der in seiner höchsten Noth bereit war, sich jeder erniedrigenden Bedingung zu unterwerfen, vorausgesetzt, dass er die Möglichkeit sah, dieselbe nachträglich zu umgehen. Michail übernahm Moskau gegenüber die Verpflichtung, für sich und seine Erben in das nämliche Abhängigkeitsverhältniss zu treten, in dem sich Wladimir Andrejewitsch befand, — den moskauer Fürsten als seinen Vorgesetzten anzuerkennen, auf Befehl desselben in den Krieg zu ziehen oder seine Feldherren zu senden, die Grossfürstenwürde beim Chan weder nachzusuchen noch von ihm anzunehmen, vom Bündniss mit Olgerd sich loszusagen und ihm nicht beizustehen, falls er den smolensker Fürsten, wegen dessen Antheilnahme am Feldzug gegen Twer, angreifen sollte. Michail ging ferner die Verpflichtung ein, sich nicht um die Angelegenheiten des Kaschiner Landes zu kümmern. Damit war von nun an das Land Twer in zwei von einander unabhängige Hälften getheilt und Michail Alexandrowitschs Macht erstreckte sich jetzt ausschliesslich auf die eine Hälfte. Um Nowgorod zu befriedigen, wurde der Fürst von Twer verpachtet, das Kirchen- und Privatgut, welches in Torshok geraubt worden war, zurückzuerstatten und alle Nowgoroder, welche er durch Kontrakte zu seinen Leibeigenen gemacht hatte, zu befreien. Michail versprach alles Land, welches seine Bojaren gekauft hatten und alle Waaren, welche den nowgoroder Kaufleuten weggenommen worden waren, an Nowgorod zurückzugeben. Endlich, als das Wichtigste in diesem Vertrage, war bezüglich der-Tataren
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darin festgesetzt, dass, wenn Moskau beschliessen würde, mit ihnen in Frieden zu leben und Tribut zu zahlen, so müsse auch Michail ihn zahlen, würden aber die Tataren gegen Moskau oder Twer ziehen, so waren beide Theile verpflichtet, sich gemeinschaftlich gegen sie zu erheben; würde aber der Fürst von Moskau selbst beschliessen, die Tataren anzugreifen, so sei auch der von Twer verpflichtet, ihm zu folgen. Moskau, das sich früher ausschliesslich auf die Macht der Tataren gestützt hatte, fühlte also jetzt schon soviel Kraft in sich, dass es sogar die Fürsten anderer Länder verpflichtete, ihm in einem Kriege gegen die Tataren, Heeresfolge zu leisten. Die unglücklichen Flüchtlinge, welche Michail zu einem neuen Kampf gegen Dimitrij aufgestachelt hatten, mussten, dem Vertrage gemäss, ihrem Schicksal überlassen werden. Allen anderen Bojaren und Dienern beider Ländern war freier Abzug gestattet und ihre Dörfer sollten von den Fürsten nicht in Anspruch genommen werden dürfen; Iwans und Nekomats Besitzungen aber wurden ausnahmslos dem Fürsten von Moskau ausgeliefert. Einige Jahre später lockte man diese Beiden hinterlistig nach Moskau. Dort, auf dem Kutschkower Felde (wo sich jetzt das Kloster zur Mariä Reinigung befindet), wurde am 30. August 1379 ihre öffentliche Hinrichtung vollzogen; -—soviel wie bekannt die erste in Moskau. Das Volk blickte trauernd auf den Tod des stattlichen Helden Iwan; gleichzeitig mit seinem Haupt fielen auch alle geheiligten Ueberlieferungen aus der Zeit der Wetsche und der alten Volksfreiheit. Diese Hinrichtung war jedoch kein Hinderniss für Iwans Brüder, Dimitrij zu dienen und dessen Wojewoden zu werden. Die Niederlage des Fürsten von Twer brachte Olgerd in Harnisch, aber nicht etwa gegen Dimitrij, sondern gegen den Fürsten von Smolensk, und zwar deshalb, weil dieser, den er bereits als seinen Vasallen betrachtete, sich am Kriege gegen Michail betheiligt hatte. Aus Kache verheerte Olgerd das smolensker Land und führte viele Gefangene hinweg. Weit mehr noch war Mamai um Twers willen aufgebracht und zwar gegen alle russischen Fürsten. Er fand, dass dieselben eine offenkundige Geringschätzung gegen seine Herrschaft zur Schau trugen, dass man seinen letzten Jarlyk, den er Michail verliehen hatte, gänzlich ignorirt habe. Ein tatarisches Corps überfiel nun das nishegoroder Land unter dem Vorwand, dass Nishny-Nowgorods Truppen das twersche Land bekriegt hätten und dass dafür eine Strafe statuirt werden müsse; ein anderes Corps verwüstete, unter dem gleichen Vorwand, das Land Nowossil. Darauf .überfiel im Jahre 1377 der tatarische Zarewitsch Arapscha, von der Horde des Mamai, das nishegoroder Land abermals und griff das vereinigte Kriegsheer von Ssusdal und Moskau an. Dieses erlitt in Folge eigener Fahrlässigkeit am Flusse Pjana eine Niederlage und dieser folgte die Einnahme und Verwüstung von Nishny-Nowgorod. Schliesslich sandte im Jahre 1378 Mamai noch den Mursa Begitsch gegen den Grossfürsten.
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Begitschs Heer zog durchs rjäsaner Land, der Grossfürst kam ihm jedoch zuvor, überschritt die Akä und fiel in das rjäsaner Land ein; hier an den Ufern der Wosha wurden die Tataren am 11. August total geschlagen. Als Kampfgenosse Dimitrijs trat hier Andreas, Olgerds Sohn, auf den Schauplatz. Olgerd selbst lebte nicht mehr. Dieser kriegerische Fürst war vor seinem Tode zum Christenthum übergetreten und starb, wie man sagt, als Mönch von der strengsten Observanz. Andrej Olgerdowitsch konnte sich mit seines Vaters Nachfolger, seinem leiblichen Bruder Jagello, nicht vertragen und flüchtete nach Pskow, wo er als Fürst eingesetzt wurde und dann mit den Pskowitern im Dienste Moskaus, gegen die Tataren kämpfte. Nach der Schlacht an der Wosha eroberte dieser Fürst mit Wladimir Andrejewitsch und dem Feldherrn Dimitrij Michailowitsch Bobrok, einem Wolhynier (der in den Chroniken auch Fürst genannt wird), die unter der Herrschaft Litthauens stehenden Städte und Bezirke Trubtschewsk und Starodub im Lande Ssewersk. Andreas' Bruder, Fürst Dimitrij Olgerdowitsch, der in Brjansk und Trubtschewsk regierte und sich gleichfalls mit Jagello nicht vertragen konnte, ergab sich freiwillig dem Grossfürsten, der ihm Perejaslawl-Salesskij mit allen Abgaben, d. i. fürstlichen Einkünften, verlieh. Diese feindlichen Angriffe gegen Litthauen riefen von Seiten Jagellos, Olgerds Nachfolger, einen Antagonismus gegen Moskau hervor und veranlassten ihn, mit Mamai ein Bündniss gegen den Grossfürsten Dimitrij zu schliessen. Nach der Schlacht an der Wosha beschloss Mamai, vor Allem das rjäsaner Land dafür zu strafen, dass in ihm die Niederlage der Tataren stattgefunden hatte. Die tatarischen Horden brachen ins Land, verheerten viele Dörfer, trieben eine Menge Menschen in die Gefangenschaft und verbrannten Perejaslawl-Rjäsanskij. Oleg fand nicht Zeit genug, seine Streitkräfte zu sammeln und entfloh; dann aber reiste er, um sein Land nicht noch einmal einer solchen Gefahr auszusetzen, zu Mamai, demüthigte sich und versprach, dass er ihm gegen Moskau treu dienen wolle. Mamai hatte aufgehört Schatten-Chans auf den Thron zu erheben, um in deren Namen zu herrschen; er nannte sich nun selbst Chan. Dimitrij unterwarf sich ihm nicht, die Russen zeigten der tatarischen Macht gegenüber eine offenbare Missachtung und dies erbitterte Mamai im höchsten Grade. Er beschloss, diesen unbotmässigen Sklaven eine Lektion zu ertheilen, sie an die Zeiten von Batyj zu erinnern und Russland in eine solche Lage zu versetzen, dass es\lange nicht an eine Befreiung vom Joche des Chans zu denken wagen sollte. Mamai sammelte alle Streitkräfte der Wolgahorde, nahm die Chiwesen, Burtassen und Jassen in Sold, schloss ein Bündniss mit den Genuesen, welche am Schwarzen Meer Kolonieen gegründet hatten und traf mit dem litthauer Fürsten Jagello eine Uebereinkunft, den Fürsten von Moskau gemeinschaftlich zu überfallen. Oleg von Rjäsan sandte auch von sich aus einen Bojaren an
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Jagello, um sich mit ihm zu berathen und um einen Zeitpunkt für die Vereinigung mit Mamai am Don festzusetzen; gleichzeitig aber sandte Oleg auch einen Bericht von Mamai3 und Jagellos Vorhaben an Dimitrij. Dieser hatte jedoch schon vorher Kenntniss davon. Während nun Mamai im Sommer des Jahres 1380 sein Lager an der Mündung des Flusses Woronesh aufschlug, diese Stelle zum Vereinigungspunkt seiner Horden bestimmte und Jagello daselbst erwartete, versammelte Dimitrij seine fürstlichen Vasallen zum gemeinsamen Schutze Russlands. Das Verlangen, sich von den Unterjochern zu befreien, war schon so weit gereift und hatte die Gefühle des russischen Volkes bereits so stark erregt, dass der moskauer Fürst nicht nöthig hatte, die. Streitkräfte zu erwarten und auf schleunige Sammlung derselben zu dringen. Ausser dem Fürsten von Twer, Moskaus unversöhnlichem Feind, und Oleg, der, um sein Land zu schützen, gezwungen war, Mamais Partei zu nehmen, waren alle russischen Länder und Fürsten freudig bereit, sich an dem bevorstehenden Kampf des russischen Volks gegen die Tataren zu betheiligen. Mit Dimitrij vereinigten sich die Streitkräfte der Länder Moskau, Wladimir, Ssusdal, Rostow, Nishn ij-Nowgorod, Bjelosersk, Murom, ferner die Pskowiter mit ihrem Fürsten Andrej Olgerdowitsch und die Brjansker mit Andrejs Bruder Dimitrij Olgerdowitsch. Die Chronik berichtet, dass Dimitrij damals ein Heer von 150 000 Mann zusammengebracht habe. Wenn diese Zahl auch übertrieben ist, so war die Kriegsmacht, welche gegen Mamai auszuziehen bereit war, wahrscheinlich doch sehr gross, wie aus dem allgemeinen Interesse der Russen an diesem Ereigniss zu entnehmen ist. Der Metropolit Alexius lebte nicht mehr. Er war im Jahre 1378 gestorben. Dieser Hauptrathgeber Dimitrijs hatte während der Dauer seines oberhirtlichen Amtes seine geistliche Macht hauptsächlich dazu benutzt, um Moskaus Macht zu erhöhen und dessen Interessen zu dienen. Diese Thätigkeit hatte ihm Feinde zugezogen. Nach der Inhaftnahme Michail Alexandrowitschs in Moskau, beklagte sich dieser Fürst beim Patriarchen von Konstantinopel Calixt über Alexius' Arglist und verlangte, dass man denselben vor ein Concilsgericht stellen solle. Olgerd seinerseits beklagte sich gleichfalls beim Patriarchen, dass Alexius sich weder um Kijew noch um das ganze litthauische Fürstenthum kümmere, und seine Thätigkeit ausschliesslich Moskau widme. Der Patriarch forderte Alexius vor seinen Richterstuhl, rieth ihm aber zugleich, um ein derartiges Gericht zu vermeiden, sich mit Michail und Olgerd zu versöhnen. Er schrieb an Alexius: „Wir haben Dich zum Metropoliten von ganz Russland, nicht aber von einem einzelnen Theil desselben ordinirt." Der Metropolit beachtete diese Ermahnungen nicht. Nach dem Tode des Calixt wurden die nämlichen Klagen über Alexius an den Nachfolger desselben, den Patriarchen Philotheus gerichtet. Olgerd beschuldigte den Metropoliten unter anderem auch, die aus Litthauen nach Moskau Entflohenen ihres Eides entbunden, und diejenigen dagegen, welche dem mos-
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kauer Fürsten nicht dienen wollten, verdammt zu haben; auch dass er diesem Fürsten seinen Segen zum Blutvergiessen ertheilt habe. Philotheus schrieb Ermahnungen an Alexius und forderte ihn vor's Gericht, — es war aber Alles vergebens; Alexius fuhr fort, unentwegt den Interessen Moskaus zu dienen, er wollte weder Kijew noch die litthauischen Besitzungen besuchen. Endlich, durch Olgerds Bitten bewogen, weihte der Patriarch im Jahre 1376 den Serben Cyprian als Metropoliten von Kijew. Dieser hatte sich früher schon, als ihn der Patriarch beauftragte, die Klagen gegen Alexius zu untersuchen, als Antagonist dieses Letzeren heivorgethan. Der neue Metropolit machte nun den Versuch, Nowgorod von Alexius' Herrschaft loszureissen, es gelang ihm jedoch nicht. Die Nowgoroder sprachen, sie würden Cyprian als Metropoliten nur dann anerkennen, wenn ihn der Grossfürst von Moskau anerkenne. Cyprian residirte in Kijew, er führte das Kirchenregiment in den Gebieten, welche dem Grossfürsten von Litthauen unterworfen waren und machte, nach Alexius Tode, den Versuch, nach Moskau zu kommen; Dimitrij jagte ihn jedoch davon. Der Grossfürst stellte seinen langjährigen Günstling, den Archimandrit Michail, unter dem Namen „Mitjai" bekannt, einen geborenen Moskowiter, zur Metropolitenweihe vor. Der moskauer Fürst mochte keinen anderen Oberhirten haben, als einen solchen, den die moskauer Regierung selbst dem Patriarchen zur Weihe empfehlen würde. Die damalige moskowische Geistlichkeit konnte aber Mitjai nicht leiden, selbst der hochehrwürdige Sergius war gegen ihn eingenommen; dessenungeachtet sandte Dimitrij Mitjai dennoch nach Konstantinopel, in der besten Hoffnung auf Erfolg; denn der Patriach Makarius, Philotheus Nachfolger, konnte Cyprian nicht ausstehen und war geneigt, den Wunsch des moskauer Grossfürsten zu erfüllen. So kam es, dass, als Dimitrij in den Krieg ziehen musste, Moskau ohne Metropolit war, und dieser Umstand war schuld, dass der bevorstehende Feldzug ohne den üblichen oberhirtlichen Segen stattfinden musste. Dimitrij wandte sich jedoch an den ehrwürdigen Sergius und erbat sich dessen Segen, obBchon er Mitjais wegen mit ihm entzweit war. Sergius genoss die allgemeinste Hochachtung, seinen Gebeten schrieb man eine grosse Kraft z u , und glaubte, dass er die Gabe der Prophezeihung besitze. Sergius flösste Dimitrij nicht nur Muth ein, sondern prophezeihte ihm sogar den Sieg. Diese Prophezeihung ward bald bekannt und erregte mächtig den Muth des Heeres und die Hoffnung auf Sieg. Dimitrij zog im August aus Moskau gegen Kolomna hin; von allen Seiten her stiessen die russischen Streitkräfte zu ihm. Nnn kamen Abgesandte Mamais, mit der Forderung, den Tribut in gleicher Höhe zu entrichten, in welcher ihn die Russen an Usbek und Tschanibek gezahlt hatten; Dimitrij aber antwortete ihnen, er würde nur soviel Tribut zahlen, als während seiner letzten Anwesenheit in der Horde vereinbart worden sei. Am 20. August gab der Bischof von Kolomna, Gerassim, Dimitrij
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seinen Segen, „damit er ausziehe gegen Mamai, den verdammten Fresser von rohem Fleisch, gegen den ruchlosen Jagello und den abtrünnigen Oleg, und Dimitrij zog von Kolomna aus an die Mündung der Lopasta, wo Wladimir Andrejewitsch und die übrigen Corps der moskauer Landwehr zu ihm stiessen. Am 26. und 27. August setzten die Russen über die Akä und zogen durch das rjäsaner Land an den Don. Unterwegs holte ein Eilbote mit einem Segensschreiben des hochehrwürdigen Sergius den Grossfürsten ein: „Gehe hin, Herr" — schrieb Sergius — „gehe vorwärts, Gott und die heilige Dreieinigkeit werden Dir beistehen!" Am 6. September erblickten die Russen den Don. Mamai zog schon von Woronesh her, ihnen entgegen. Die russischen Regimenter, jedes in seiner Ortstracht, stellten sich unter ihren Fürsten und Feldherren in Schlachtordnung auf; die Fürsten, Bojaren und Feldherren versammelten sich, um Rath zu halten. Die Einen sprachen: „Lasst uns über den Don gehen!" die Andern: „Gehe nicht, Fürst, der Feind ist stark; den Tataren haben sich die Litthauer und die Rjäsaner zugesellt." Mehr als alle anderen, waren es die litthauer Fürsten Andrej und Dimitrij Olgerdowitsch, welche die Russen anspornten, vorwärts zu gehen. Sie sprachen: „Bleiben wir hier, so wird das russische Heer geschwächt, überschreiten wir aber den Don, so werden Alle tapfer kämpfen und sich nicht darauf verlassen, dass sie sich im Nothfall durch die Flucht retten können; bezwingen wir die Tataren, so erlangst Du Fürst und wir Alle Ruhm, tödten sie uns, so sterben wir Alle eines gemeinsamen Todes!" Dimitrij stimmte ihnen bei. Am 7. September befahl er, in aller Eile Brücken Uber den Don zu schlagen und eine Furth ausfindig zu machen und am Sonnabend den 8., bei Tagesanbruch, befanden sich die Russen bereits auf dem jenseitigen Ufer des Stromes und bewegten sich bei Sonnenaufgang wohlgeordnet vorwärts, der Mündung des Flusses Neprjädwa zu. Es war ein trüber Tag, dichter Nebel bedeckte die Felder, in der zehnten Stunde ward es jedoch heller. Gegen Mittag kamen die unabsehbaren tatarischen Heereshaufen in Sicht. Die Vorhut der Russen und Tataren gerieth ins Handgemenge und Dimitrij mit seiner Drushina ritt selbst ins erste Treffen hinaus, um die Schlacht zu beginnen. Nach uraltem Brauch musste der Fürst, als Anführer, durch sein eigenes Beispiel den Muth seiner Krieger entfachen. Nachdem sich Dimitrij während einer kurzen Zeit mit den Tataren herumgeschlagen hatte, kehrte er zurück, um seine Regimenter in Schlachtordnung aufzustellen. Gegen 1 Uhr Mittags begann ein solches Gemetzel, wie es, nach dem Ausdruck des Chronisten, in Russland noch nie dagewesen war. Zehn Werst weit war das ungeheure kulikower Feld mit Kämpfenden bedeckt. Das Blut floss in Strömen, Alles gerieth durch einander, die Schlacht wurde zu einem Handgemenge, Leichen stürzten auf Leichen, der Russe auf den Tataren, der Tatar auf den Russen; hier verfolgte ein Tatar den Russen, dort ein Russe den Tataren. Unter den Russen befandeil sich viele, die noch
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nie einer Schlacht beigewohnt hatten, diese geriethen in Angst und fingen an zu fliehen. Die Tataren stürzten mit fürchterlichem Geschrei ihnen nach und machten sie nieder. Die Sache der Russen schien verloren; gegen drei Uhr Mittags aber trat ein Wendung ein. An der westlichen Seite des Feldes, im Walde, stand ein auserlesenes russisches Corps, welches sich dort bei Zeiten in den Hinterhalt gelegt hatte. Es wurde vom Fürsten Wladimir Andrejewitsch und vom Wolhynier Dimitrij Michailowitsch Bobrok, welcher, um Moskau zu dienen, aus Litthauen gekommen war, befehligt. Als Wladimir Andrejewitsch sah, dass die Russen sich zur Flucht wandten, und die Tataren ihnen nachjagten, da wollte er losschlagen, aber der bedächtige Bobrok hielt ihn so lange zurück, bis die tatarische Kriegsmacht, welche die Russen verfolgte, ihnen vollständig den Rücken kehrte. Da, zum Glück für die Russen, wandte sich der Wind, der bis jetzt den im Hinterhalt Liegenden ins Gesicht geweht hatte. „Jetzt ist es Zeit, Herr Fürst," — sprach Bobrok — „Väter, Brüder, Kinder und Freunde, lasst uns nun kämpfen!" Mit Ungestüm warf sich das ganze Corps auf die Tataren, welche auf keinen Angriff im Rücken gefasst waren. 1 ) Die fliehenden Russen fassten wieder Muth und warfen. sich gleichfalls auf die Tataren. Da brach über Mamais Heer eine fürchterliche Panik herein. Von zwei Seiten zugleich angegriffen, warfen die Tataren ihre Waffen weg, liessen ihr Lager, ihre Heerden, ihre Fuhren im Stich und liefen eiligst davon. Eine grosse Anzahl derselben ertrank im Flusse. Sogar der dicke Mamai nebst allen seinen Fürsten lief davon. Die Russen verfolgten die Tataren gegen dreissig Werst weit, bis zum Flusse Krassiwaja Metscha. ') Die Nachricht von dem Hinterhalt ist dem „Bericht von dem Yernichtungskampf gegen Mamai" entnommen, welcher in einer Anzahl von Handschriften auf uns gekommen, auch in der nikonischen Sammlung der Chroniken vollständig aufgenommen ist. Dieser Bericht enthält offenbar eine Menge Erdichtungen, Anachronismen und solche Ueberlieferungen, die weit später erst über die Kulikower Schlacht in der Einbildung des Volkes entstanden. In dieser Fassung kann der „ B e r i c h t " überhaupt nicht als eine zuverlässige Quelle betrachtet werden; dessenungeachtet aber glauben wir uns berechtigt, die Nachricht von jenem Hinterhalt als authentisch anzuerkennen und zwar sind es nicht nur Wahrscheinlichkeitsgrunde, die uns dazu veranlassen, sondern auch ein Vergleich mit der Schilderung, welche sich in den ältesten Abschriften der Chronik befindet. In den letzteren heisst es, ganz so wie im obenerwähnten „Bericht", dass sich die Küssen zur Flucht gewandt und die Tataren sie verfolgt hätten, dass alsdann in der neunten Tagesstunde (d. i. in der dritten Stunde, oder um drei Uhr nach unsrer Zeitrechnung), die Dinge plötzlich eine andere Wendung genommen und die Tataren, man weiss nicht Techt aus welchem Grunde, ihrerseits die Flucht ergriffen hätten. Der Chronist schreibt diesen Umschwung dem Beistand der Engel, dem Archistrateg Michail und den heiligen Kriegern Georg, Demetrius, Boris und Gljeb zu. "Wenn wir jedoch die Ereignisse vom irdischen Standpunkt betrachten, so müssen wir unwillkürlich zu dem Schluss kommen, dass eine derartige Wendung am allerwahrscheinlichsten von einer Diversion der Russen im Rücken des Feindes hervorgerufen werden konnte und die Nachricht von dem Hinterhalt ergänzt uns dasjenige, was wir auch ohnedies hätten errathen müssen, um so mehr, da nach den ältesten Handschriften, in der Beschreibung, der Schlacht, von Wladimir Andrejewitschs Thaten gar nichts erwähnt wird, obschon wir aus den früheren Ereignissen wissen, dass derselbe einer der tapfersten damaligen Fürsten gewesen sein muss.
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XI. GrossfUrst Dimitrij Iwanowitsch Donskoj. D e r S i e g w a r vollständig, es w a r e n a b e r a u c h v i e l e P ü r s t e n , B o j a r e n
und
gemeine Krieger gefallen.1)
Obschon der Grossfürst s e l b s t ,
a l s er
im Vordertreffen die Schlacht g e g e n die T a t a r e n eröffnete, nicht v e r w u n d e t ward,
trug seine R ü s t u n g
dennoch
die S p u r e n
d e s K a m p f e s an sich. 2 )
N a c h d e m nun der Grossfürst die G e f a l l e n e n beerdigt h a t t e , den
geschlagenen Feind
nicht m e h r ,
v e r f o l g t e er
sondern k e h r t e triumphirend n a c h
M o s k a u zurück u n d beschloss, sofort ein H e e r ins rjäsaner L a n d zu s e n d e n , um
es für Olegs Verrath zu v e r h e e r e n .
D i e R j ä s a n e r k a m e n indess zu
ihm, b e u g t e n sich, benachrichtigten ihn v o n der F l u c h t ihres F ü r s t e n und s p r a c h e n den W u n s c h a u s , dem F ü r s t e n v o n M o s k a u unterthan z u sein. Dimitrij sandte ihnen seine Statthalter. Mamai, der in seine S t e p p e geflohen w a r , stiess daselbst auf einen neuen Feind;
es w a r dies T o c h t a m y s c h ,
ein N a c h k o m m e n B a t y j s .
der Chan der Sajalzer H o r d e ,
E r z o g g e g e n Mamai, um ihm den T h r o n der
W o l g a h o r d e , als g e r a u b t e s Besitzthum der N a c h k o m m e n B a t y j s , z u entreissen.
Mamais B u n d e s g e n o s s e , J a g e l l o , der i h m nicht rechtzeitig
Dimitrij zu Hilfe Niederlage überliess
kommen
Kenntniss
konnte,
erhalten
kehrte,
hatte,
Mamai seinem Schicksal.
als
er
von
eilig n a c h Litthauen
Tochtamysch
gegen
der K u l i k o w e r zurück
v e r n i c h t e t e Mamai
und an
') Der Fürst Fjodor Romanowitsch von Bjelosersk und sein Sohn I w a n , FUrst Fjodor von Tarussa, sein Bruder Mstislaw, FUrst Dimitrij Monastyrew, Ssemjon Michailowitsch Mikula, ein Sohn des Tyssjätschskij Wassilij; die Akinfowitschs, Michailo und I w a n ; Iwan Alexandrowitseh, Andrej Sserkisow; Timofej Wassiljewitsch (ein anderer Sohn deB Tyssjätschskij), die Akatjewitschs, welche man Wolu'i nannte, Michailo Brenok, Ljow MoroBow, Ssemjon Melikow, Dimitrij Minitsch, Alexander Peresswet, ein ehemaliger Bojar von Brjansk und viele Andere. 2 ) In dem „Bericht von dem Vernichtungskampf gegen Mamai" wird erzählt, dass Dimitrij vor der Schlacht seinen Liebling Michail Brenok den FUrstenmantel umgehängt und sich selbst, als gemeiner Krieger, unter das Kriegsvolk gemisoht habe und dass nachher, als Brenok in der grossfürstlichen Kleidung getüdtet, und die Schlacht beendet war, Dimitrij unter einem abgehauenen Baum, bedeckt von dessen Zweigen, kaum athmend, aber ohne Wunden, im Walde aufgefunden worden sei. Eine solche Verkleidung kann nur durch Feigheit erklärt werden; man erkennt darin deutlich die Absicht, um der Gefahr zu entgehen, einen Anderen an seiner Stelle derselben auszusetzen ; insbesondere da eine schwarze Fahne und die auszeichnende Tracht den GrossfUrsten von weitem schon von Anderen unterscheiden liessen. Den Feinden wäre es naturlich erwünscht gewesen, wenn sie ihn hätten tödten und das Heer seines Hauptanführers berauben können. Nimmt man daher diesen Bericht als wahr a n , so muss man auch zugeben, dass Dimitrij nur den Vorwand, gegen die Tataren in Reih' und Glied kämpfen zu wollen, vorschützte, als er sich verkleidet unter die gemeinen Krieger mengte, in Wirklichkeit aber, um sich im Walde vor der Gefahr zu verbergen. Betrachtet man Dimitrijs Betragen zur Zeit des späteren Ueberfalls der Tataren gegen Moskau, so könnte man vielleicht schliessen, dass dieser Bericht nicht unwahrscheinlich klinge; wenn man aber berücksichtigt, dass in demselben Bericht gesagt wird, die Russen hätten die Tataren bis zum Flusse Metscha verfolgt und den Grossfürsten erst nach ihrer Rückkehr zu suchen begonnen, dass sie ihn lange gesucht und ihn endlich unter den Zweigen eines gefällten Baumes liegend gefunden haben, dass die Entfernung vom Schlachtfelde bis zum Flusse Metscha über dreissig Werst ist, so kann man wohl kaum annehmen, dass Dimitrij, während die Russen ihren Feinden bis an die Metscha nachjagten und von dort zurückkehrten (wahrscheinlich kehrten sie in Folge vonErmüdung und mit Beute beladen nur langsam zurück), die ganze Zeit hindurch, ohne verwundet zu sein, unter dem gefällten Baum gelegen habe. Das ist eine offenbare Absurdität! Die Erzählung von der Verkleidung und von dem Liegen unter dem Baum ist rein erdichtet.
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den Ufern der Kalka und machte sich zum Beherrscher der Wolgahorde. Der Besiegte floh nach Kaffa (jetzt Theodosia am östlichen Ufer der Krim) und ward dort von den Genuesen erschlagen. Tochtamysch hatte sich des Zarensitzes von Ssarai bemächtigt und sandte nun eine Freundschaftsbotschaft an Dimitrij, um ihm mitzutheilen, dass ihr gemeinschaftlicher Feind nicht mehr existire und dass er, Tochtamysch, jetzt Beherrscher der Kiptschak-Horde und aller ihr unterworfenen Länder sei. Dimitrij entliess diese Botschafter mit grossen Ehrenbezeugungen und Geschenken, ohne jedoch Zeichen von sklavischer Unterwürfigkeit zu äussern. Im folgenden Jahre sandte Tochtamysch den Zarewitscli Akchosja an alle russische Fürsten, mit der Aufforderung sich zu unterwerfen und Tribut zu zahlen. Als Akchosja bis Nishnij gekommen war, getraute er sich nicht nach Moskau zu gehen. Dies beweist, dass man sich in Moskau vor der Horde nicht mehr fürchtete und die frühere Abhängigkeit als aufgelöst ansah; ohne aber nach Mamais Vernichtung Massregeln zur gänzlichen Vertreibung der Tataren zu ergreifen; nicht einmal für den eigenen Schutz war gesorgt. Im folgenden Jahr (1382) rückte Tochtamysch heran, um Kussland für den Versuch, sich von den Tataren zu befreien, zu bestrafen. Er begann damit, seinen Dienern den Befehl zu ertheilen, die russischen Kaufleute unter den (Wolga-) Bolgaren auszuplündern und aufzugreifen, damit sie keine Nachrichten nach Moskau gelangen lassen könnten, und deren Schiffe zu seiner Anfahrtsstelle hinüberzubringen. Nachdem Tochtamysch die Wolga passirt hatte, nahm er sich vor, einen derartig plötzlichen Ueberfall zu machen, dass er sich Moskaus unvermuthet bemächtigen zu können hoffte; er rechnete dabei auf die Fahrlässigkeit der Küssen, denen ihre Siege zu Kopf gestiegen waren. Der Weg, den die Tataren einschlugen, ging durch das rjäsaner Land; um nun sein nishegoroder Land vor Verwüstung zu schützen, sandte der Fürst von Ssusdal seine zwei Söhne, Wassilij und Ssemjon zu Tochtamysch, um ihm seine Unterwerfung zu melden. Tochtamysch gestattete aber seinen Tataren gar nicht, die Zeit unterwegs mit den üblichen Plünderungen zu vergeuden, er eilte so sehr, dass ihn die nishegoroder Fürsten nur mit Mühe einholen konnten. An der Grenze des rjäsaner Landes empfing Oleg den Tochtamysch, verbeugte sich tief vor ihm und erklärte sich bereit, das tatarische Heer zu geleiten und ihm die Wege und Ueberfahrten zu zeigen; er versicherte, dass es ein Leichtes sein würde, Moskau zu erobern und Dimitrij daselbst gefangen zu nehmen. Als Führer der Tataren leitete Oleg sie absichtlich so, dass sie das rjäsaner Land umgingen; er brachte sie direct auf Sserpuchow, welches von ihnen zerstört ward. Obschon spät, erreichte die Nachricht von Tochtamyschs Feldzug Dimitrij dennoch früher, bevor die Tataren vor Moskau angelangt waren. Dimitrij zog mit seinen Bojaren und Kriegern aus der Hauptstadt hinaus, K o s t o m a r o w - H e n c k e l , Rasa. Geschichte in Biogr. I.
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vereinigte sich mit einigen Fürsten und berathschlagte, wie der Feind zurückzuschlagen sei. Die Plötzlichkeit des Ueberfalls hatte einen derartigen Eindruck hervorgebracht, dass die Fürsten, Wojewoden und Bojaren den Kopf vollständig verloren hatten. Es brach unter ihnen Uneinigkeit und gegenseitiges Misstrauen aus; der Grossfürst fürchtete sich dem Chan gegenüber zu treten, er machte Kehrt, überliess Moskau seinem Schicksal und floh, zuerst' nach Perejaslawl, dann nach Rostow und zuletzt nach Kostroma. Der von Dimitrij zur Erlangung der Metropolitenwürde abgesandte Mitjai ertrank unterwegs und einer aus seinem Gefolge, Pimen, der auf den Namen des Grossfürsten ein Dokument gefälscht hatte, ward vom konstantinopoler Patriarchen geweiht; als er jedoch nach Moskau zurückkehrte, musste er Dimitrijs Zorn empfinden und wurde nach Tschuchloma verbannt. Darauf lud der Grossfürst Cyprian nach Moskau ein und bestätigte ihn als Oberhirten; — das war im Jahre 1381. Jetzt, zur Zeit des Ueberfalls der Tataren, befand sich nun Cyprian als Metropolit in Moskau. Er war ein Fremdling und konnte daher keinen solchen Einfluss auf das Volk haben, wie ihn ein geborener Russe an seiner Stelle ausgeübt haben würde, auch waren ihm die russischen Interessen fremd und er dachte in erster Linie nur an sich selbst. Als die Nachricht von der Flucht des Grossfürsten in Moskau eintraf, entsetzte sich das Volk und gerieth in Verwirrung. Der schreckliche Feind konnte jeden Augenblick da sein und in der Hauptstadt befanden sich weder Fürst noch Feldherren. Die Einen riefen, man müsse sich im Kreml einschlössen, die Anderen wollten fliehen. Man fing an, die Glocken zu läuten und berief eine Volksversammlung. Angstgeschrei erfüllte die Stadt; das Volk schrie, man solle die Thore schliessen und Niemand hinaus lassen. Der Metropolit und die Bojaren gehörten zu den ersten, welche hinausströmten, man Hess sie passiren, plünderte sie jedoch; als aber andere ihnen nachfolgen wollten, sperrte man die Thore; Einige bewachten die Thore mit Spiessen und gezogenen Säbeln und drohten die Fliehenden zu tödten, andere warfen Steine von der Mauer auf sie herab. Endlich, bei der Ankunft des Fürsten Ostej, Olgerds Enkel, legte sich die Verwirrung einigermassen. Dieser bewog die Moskowiter - einen Theil des Volks hinauszulassen und schloss sich mit denen, die zurückbleiben wollten, im Kreml ein. Die Bojaren und die Kaufleute, welche mit Tuch und Seidenwaaren handelten, trugen ihre Waaren in den Kreml; ausser den Moskowitern war auch Volk aus der Umgegend zusammengeströmt. Alle verliessen sich auf die Stärke der steinernen Mauern und beeilten sich, mit ihren Habseligkeiten in den Kreml zu gelangen, auch Frauen mit Kindern liefen haufenweise herzu. Spätere Abschriften der Chronik melden, dass die Moskowiter damals die in der Nähe des Kreml befindliche Vorstadt selbst verbrannt hätten. Am 23. August, an einem Montag, kamen tatarische Reiter als Vorhut
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vor die Mauern des Kreml. Die Moskowiter betrachteten sie von oben herab. „Ist der Grossfürst Dimitrij hier?" fragten die Tataren. Man antwortete ihnen: „Nein!" Die Tataren ritten um den Kreml herum, besichtigten die Gräben, Mauern, Schiessscharten, das Pfahl werk und die Thore. Die frommen Leute in der Stadt beteten zu Gott, fasteten, bekannten und bereuten ihre Sünden, nahmen das heilige Abendmahl; die tapfern Burschen aber schleppten aus den Kellern der Bojaren Meth herbei, holten aus deren Vorrathskammern kostbare Gefässe und tranken sich Muth zu. „Was scheeren uns die Tataren!" sprachen sie in der Trunkenheit, — „wir fürchten uns vor den Ungläubigen nicht; unsere Stadt ist stark, die Mauern sind von Stein, die Thore von Eisen, sie werden hier nicht lange stehen bleiben! Wir werden sie von zwei Seiten fassen: von der Stadt aus schlagen wir auf sie los und unsere Fürsten werden ihnen in den Rücken fallen!" Betrunkene kletterten auf die Mauern, schrieen die Tataren an, schimpften, spieen und beleidigten sie und ihren Zaren auf jede Weise; die erbitterten Tataren drohten ihnen mit den Säbeln und zeigten, wie man sie in Stücke zerhauen würde. Die Moskowiter spielten die Tapferen, weil sie glaubten, es seien nur soviel Tataren gekommen, als von den Mauern zu erblicken waren. Gegen Abend aber erschien die ganze Tatarenhorde mit ihrem Zaren und nun erst geriethen viele der Tapferen in Furcht und Schrecken. Man fing an, sich gegenseitig zu beschiessen, unzählige Pfeile flogen hin und her. Die tatarischen Schützen waren geschickter als die russischen; ihre Reiter auf den leichten Pferden sprengten auf und ab, näherten sich den Mauern und entfernten sich wieder; in vollem Lauf beschossen sie die auf den Mauern stehenden Moskowiter und verfehlten ihr Ziel nicht; viele Russen fielen durch die Pfeile der Tataren. Ein Theil der Tataren schleppte Leitern herbei, lehnte sie an die Mauern und kletterte hinauf; die Moskowiter begossen sie mit siedendem Wasser, bewarfen sie mit Steinen, Balken und schössen mit Armbrüsten nach ihnen. Ein moskauer Tuchhändler, Namens Adam, schoss, als er einen anscheinend vornehmen Tataren bemerkte, mit der Armbrust ihm gerade ins Herz. Es war dies der Sohn eines Mursa, ein Liebling des Chans. Sein Tod verursachte Tochtamysch grossen Kummer. Drei Tage lang setzten die Tataren ihre Angriffe fort und die Bürger schlugen sie hartnäckig zurück. Endlich kam Tochtamysch zu der Ueberzeugung, dass er den Kreml mit Gewalt nicht einnehmen werde und er beschloss, ihn mit Hinterlist zu nehmen. Am vierten Tage gegen Mittag ritten die vornehmsten Mursen an die Mauern heran und baten ums Wort. Zwei Söhne des Fürsten von Ssusdal, Schwäger des Grossfürsten, befanden sich bei ihnen. Die Mursen sprachen: „Unser Zar ist gekommen, um seinen Knecht Dimitrij mit dem Tode zu strafen; er ist aber entflohen. Der Zar lässt Euch sagen, er sei nicht gekommen, um seinen Uluss zu zerstören, sondern er will ihn schonen; er verlangt nichts von Euch, wenn Ihr mit 14*
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Ehrenbezeugungen und Geschenken zu ihm herauskommt. Oeffnet die Stadt, der Zar ist Euch gnädig gesinnt. Die ssusdaler Fürsten sprachen: „Uns dürft Ihr glauben, wir sind Eure christlichen Fürsten, wir bürgen für die Wahrheit." Die Moskowiter verliessen sich auf das Wort der russischen Fürsten, öffneten die Thore und kamen gemessenen Schrittes heraus; voran Ostej, hinter ihm wurden Geschenke getragen, dann kam die Geistlichkeit in Festgewändern, mit Heiligenbildern und Kreuzen und nach ihnen die Bojaren und das Volk. Die Tataren warteten bis alle Moskowiter aus dem Thor herausgekommen waren und begannen dann, ohne Ansehn der Person, mit den Säbeln auf sie einzuhauen. Ostej war der erste, welcher fiel. Sterbend Hessen die Geistlichen Kreuze und Heiligenbilder aus den Händen sinken und die Tataren traten sie mit Füssen. Nachdem sie rechts und links Alles niedergemacht hatten, drangen sie mitten in den Kreml hinein, die einen durch die Thore, andere vermittelst der Leitern über die Mauern. Die unglücklichen Moskowiter, Männer, Weiber und Kinder, rannten besinnungslos hin und her und hofften vergebens dem Tode zu entrinnen; eine grosse Menge suchte Rettung in den Kirchen, aber die Tataren zertrümmerten die Kirehenthüren, brachen in die heiligen Stätten ein und brachten Alle, Gross und Klein, um. Den Berichten des Chronisten zufolge dauerte das Gemetzel so lange, bis schliesslich die Arme der Tataren erlahmten und ihre Säbel stumpf wurden. Alle Kirchenschätze, die grossfürstliche Schatzkammer, das Eigenthum der Bojaren, die Kaufmannsgüter — Alles ward geplündert. Es wurden damals auch viele Bücher, die aus der ganzen Stadt in die Kathedralkirchen gebracht worden waren, vernichtet; wahrscheinlich gingen in dieser Zeit auch viele Denkmäler der alten Literatur zu Grunde, welche, j wenn sie bis auf unsere Tage erhalten geblieben wären, das geistige i Leben unserer Vorzeit uns in einem viel klareren Lichte gezeigt haben würden. Schliesslich ward die Stadt angezündet und das Feuer vernichtete die wenigen Menschen, welche dem Schwerte der Tataren entronnen waren. Nachdem sie auf diese Weise Moskau heimgesucht hatten, zogen die Tataren ab. Die russische Hauptstadt, unlängst noch bevölkert und reich, bot jetzt einen fürchterlichen Anblick. Keine einzige lebende Seele befand sich mehr darin; überall in den Strassen, mitten unter verkohlten Balken und Asche, lagen Haufen von Leichen umher, und die offenstehenden Kirchen waren mit den Leichnamen der Erschlagenen angefüllt. Es war Niemand vorhanden, weder um die Todtengesänge anzustimmen, noch um die Todten zu beweinen, noch auch um die Todtenglocke zu läuten. Die Tataren zerstreuten sich auch in die anderen Städte; ein Theil derselben verheerte die Kreise Swenigorod und Jurjew, andere zogen nach Dmitrow, noch andere nach Wolok und Moshaisk; ein Tatarenhaufen verbrannte Perejaslawl; die Einwohner, welche ihre Stadt verlassen hatten,
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retteten sich auf Schiffen, mitten im See. Ueberall erschlugen die Tataren das Volk oder trieben es haufenweise in die Gefangenschaft. Die längstvergessenen Zeiten des Batyj kehrten in der Erinnerung zurück, nur mit dem Unterschied, dass zu Batyjs Zeiten die russischen Fürsten mit ihrem Volke starben, jetzt aber sass Russlands Regent mit seiner Familie in Kostroma hinter Schloss und Riegel, die anderen Fürsten hatten sich gleichfalls versteckt oder sich beeilt, durch knechtische Unterwürfigkeit des ergrimmten Herrschers Huld und Schonung zu erlangen. Nur Wladimir Andrejewitsch war der einzige, der sich selbst treu blieb; er verliess Wolok, griff ein tatarisches Corps an, schlug es aufs Haupt und machte viele Gefangene. Diese Heldenthat übte einen solchen Eindruck auf den Chan aus, das3 er ins rjäsaner Land zu retiriren begann; er fürchtete, dass die Russen, wenn sie ihre Kräfte sammeln, ihn schlagen könnten. Beweis genug, dass der tatarische Ueberfall kein solch trauriges Resultat für Moskau und ganz Russland gehabt hätte, wenn die Russen nicht so fahrlässig gewesen wären und ihr Grossfürst durch seine ehrlose Flucht sein Volk nicht der Vernichtung durch die Barbaren preisgegeben hätte. Als die Tataren durch das rjäsaner Land in die Horde zurückkehrten, verschonten sie die Besitzungen ihres Verbündeten nicht; sie verheerten das Land und führten aus demselben viele Gefangene hinweg. Oleg entfloh. Als Dimitrij mit Wladimir Andrejewitsch nach Moskau zurückkehrte, war seine erste Sorge, die Beerdigung der Leichen, um dem Entstehen von Seuchen vorzubeugen. Für 80 beerdigte Leichname zahlte er einen Rubel und muste 300 Rubel verausgaben. Diese Rechnung zeigt, dass 24 000 Menschen durch das Schwert der Tataren. umgekommen waren, abgesehen von den Verbrannten und Ertrunkenen. Nach und nach fanden sich die Ueberlebenden wieder ein, um die niedergebrannte Stadt wieder aufzubauen. Dimitrij, der nicht imstande war, sich an den Tataren zu rächen, richtete nun seine Repressalien gegen das rjäsaner Land und ververheerte es total; er wüthete noch ärger als die Tataren. Oleg befand sich ausserhalb seines Landes. Cyprian wurde aus Twer nach Moskau berufen. Er kam am 7. Oktober an. Der Grossfürst Dimitrij machte ihm Vorwürfe, dass er so kleinmüthig gewesen und entflohen sei, obschon er diesen Vorwurf selbst noch mehr verdient hatte. Der Hass des Grossfürsten gegen diesen Metropoliten war neu erwacht, weniger wegen dessen Flucht, sondern weil er nach Twer, zum Erzfeinde Dimitrijs gegangen war. Cyprian verliess nun Moskau gänzlich und ging nach Kijew, Dimitrij aber berief den verbannten Pimen auf den russischen Metropolitensitz; nach einigen Monaten jedoch war Pimen schon wieder in Ungnade gefallen und Dimitrij sandte nun den Bischof von Ssusdal, Dionys, nach Konstantinopel, um ihm dort die Metropolitenweihe geben zu lassen, gleichzeitig gab er ihm auch eine Bittschrift mit, worin er um die Absetzung des Pimen bat. Hier sehen wir zum ersten Male eine Willkür des Grossfürsten von Moskau in Bezug
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iXI. GrossfUrst Dimitrij Iwanowitsch Donskoj.
auf geistliche Angelegenheiten. Er hält sich als Selbstherrscher für berechtigt, Kandidaten für die Metropoliten würde nach seinem Gutdünken zu -wählen, sie in die Verbannung zu schicken, sie, wenn er ihnen seine Gunst wieder zuwendet, aufs Neue in ihr Amt einzusetzen und sie dann abermals in die Acht zu erklären. Die russischen Fürsten, eingeschüchtert durch Moskaus schreckliche Heimsuchung, reisten einer nach dem andern in die Horde, um dem Chan ihre Ergebenheit zu bezeugen. Eine kurze Weile nur glänzte Russlands Hoffnungsstrahl, um bald wieder durch Dimitrijs Kleinmuth zu verlöschen. Bei seinem Abzug aus Moskau nahm der Chan einen der Söhne des ssusdaler Fürsten, Wassilij, mit sich, den andern sandte er zum Vater zurück, — wie es scheint, traute er der Unterwürfigkeit von Dimitrijs Schwiegervater nicht und hielt es daher für gerathen, dessen Sohn als Geissei zurückzubehalten. Dimitrij Konstantino witsch sandte im Frühjahr, um seine Unterwürfigkeit zu zeigen, Simeon mit Ergebenheitsversicherungen und Geschenken zum Chan. Iwan, der Sohn des Boris von Gorodez, reiste gleichfalls hin und nach ihm auch sein Vater, der sich um den nishegoroder Fürstensitz bewarb, da Dimitrij Konstantinowitsch in dieser Zeit (1383) gestorben war. Darauf ging auch Michail Alexandrowitsch von Twer mit seinem Sohn Alexander in die Horde, er wählte aber einen Umweg, da er fürchtete, in Dimitrijs Hände zu fallen. Der Fürst von Twer hielt die Zeit für günstig, um wieder einmal nach der Grossfürstenwürde zu trachten. Dimitrij aber sandte im Frühjahr seinen Sohn Wassilij zum Chan. Wassilij wurde als Geissel für die Treue seines Vaters und wegen einer Schuld von 8000 Rubel, die dem Letzteren auferlegt worden war, zurückbehalten. Der moskauer Fürst erniedrigte sich damalß so sehr vor dem Chan, dass Tochtamysch ihn seiner Gnade versichern liess; dessenungeachtet aber belegte er zur Strafe Dimitrijs Besitzungen mit einem so hohen Tribut; dass auf jedes Dorf, das damals aus einem bis zwei Höfen bestand, ein halber Rubel traf. Die Städte mussten den Tribut in Gold zahlen. Dies war aber noch nicht Alles. Nun begannen des Chans Botschafter wieder im Lande umherzustreifen und Unfug zu treiben. Die Nachgiebigkeit des moskauer Fürsten war Ursache, dass der Fürst von Twer, trotz seiner Bemühungen, die Grossfürstenwürde diesmal nicht erlangte. „Ich kenne meine Ulusse selbst" — sagte ihm der Chan — „jeder russische Fürst soll mir nach altem Brauch dienen ; liess sich mein Ulussnik (Vasall) auch etwas zu Schulden kommen, so habe ich ihm dafür Furcht und Schrecken eingejagt, jetzt aber dient er mir wieder getreulich." Tochtamysch wollte Niemand verwöhnen und traute, trotz aller Ergebenheitsbezeugungen, dem Fürsten von Twer durchaus nicht; als er ihn nach Twer entliess, behielt er dessen Sohn Alexander bei sich in der Horde. Wahrscheinlich glaubte Tochtamysch auch, dass ihm Dimitrij, der sich während des Ueberfalls der Tataren als ein kleinmüthiger Feigling erwiesen hatte, weniger gefährlich sei, als der unter-
XI. GrossfUrst Dimitrij Iwanomtsch Donskoj.
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nehmendere und eigensinnigere Fürst von Twer, und er liess daher das verwüstete Land lieber von jenem verwalten. Nach einigen Jahren (1385) entfloh Dimitrij Donskojs Sohn, Wassilij, aus der Horde und sehlug sich bis in die Moldau und von dort nach Litthauen durch. Den nämlichen Versuch machte auch des Fürsten von Ssusdal Sohn, Wassilij, dessen f l u c h t jedoch misslang, der Flüchtling wurde von den Tataren eingeholt, in die Horde zurückgebracht und musste daselbst — nach dem Ausdruck des Chronisten — „die grosse Pein" auf sich nehmen. Die Feindschaft des moskauer Fürsten gegen Oleg fand 1385 ihr Ende. Die Veranlassung zur Nachgiebigkeit Dimitrijs war, dass Oleg, der sich des rjäsaner Landes wieder bemächtigt, Kolomna weggenommen hatte, wogegen die gegen ihn ausgesandten moskauer Truppen nichts ausrichten konnten. Der Friede wurde durch den ehrwürdigen Sergius vermittelt. Um diesen Frieden, der ein „ewiger" genannt wurde, zu bekräftigen, heiratete Olegs Sohn, Fjodor, Dimitrijs Tochter. Diesen Oleg malen unsere Chronisten stets mit den schwärzesten Farben und häufen allerlei Schimpfworte auf ihn; wenn wir aber vorurtheilslos sein wollen, so müssen wir gestehen, dass dieser Fürst durchaus nicht schlechter war, als alle übrigen. Das Urtheil der Geschichte wird ihn eher unglücklich als verbrecherisch nennen. Kein einziges russisches Land erlitt damals so arge Verheerungen, wie,das rjäsaner; es ward, wie wir sahen, beständig verwüstet, sowohl von den Tataren, wie auch von den Moskowitern. Oleg musste von zwei Uebeln das geringere zu wählen suchen. Nachdem die Tataren das rjäsaner Land, wegen der Niederlage an der Wosha, durch die Mo-skowiter, verwüstet hatten, war Oleg gezwungen, sich Mamai anzuschliessem, denn sonst hätte e r , noch bevor ihm die Küssen der anderen Länder zu Hilfe kommen konnten, mit den Kräften seines eigenen Landes, d e m Anprall der ganzen Horde des Mamai allein Widerstand leisten müssen. Das nämliche wiederholte sich unter Tochtamysch Die Umsicht, mit der Oleg sein Land vor dem Ueberfall der Tataren behütete, zeigt von Liebe zu seinen Unterthanen, und deshalb liebten ihn auch die Rjäsaner. Moskaus Verwüstung und die Verpflichtung, einen hohen Tribut zu zahlen, hatten den Schatz des Grossfürsten natürlich gänzlich erschöpft und Dimitrij gedachte denselben auf Eechnung Nowgorods wieder zu füllen. An scheinbar triftigen Gründen, um die Nowgoroder zu überfallen , fehlte es nicht. Die nowgoroder Zügellosigkeit hatte in letzter Zeit Orgien gefeiert; die Uschkujniks hatten Kostroma zweimal geplündert, Jaroslawl, Nishnij-Nowgorod, Wjätka überfallen und sich nicht nur an fremdem Gut bereichert, sondern sogar Menschen fortgeschleppt und an orientalische Kaufleute in die Sklaverei verkauft. Dies Verfahren begegnete in ganz Russland allgemeiner Entrüstung und daher waren die Kriegerschaaren von 29 Städten gern bereit, unter des Grossfürsten Fahnen gegen Nowgorod zu ziehen. Selbst aus einigen nowgoroder Bezirken,
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XI. GrossfUrst Dimitrij Iwanowitsoh Donskoj.
wie Torshok, Beshitschi, Wologda, schlössen sich Kriegerhaufen Dimitrij an, und nur die Grossen von Nowij-Torg (wahrscheinlich auch aus anderen Bezirken), blieben den Nowgorodern treu und flüchteten in deren Hauptstadt. Dieser Feldzug begann im Winter, vor Weihnachten 1386; der Grossfürst zog mit allen seinen Kriegerschaaren sengend und verheerend durchs nowgoroder Land. Die Nowgoroder sandten ihm ihre Botschafter entgegen und baten um Frieden. Dimitrij wollte sie gar nicht anhören, zog weiter und lagerte, anfangs Januar 1387, 15 Werst vor Nowgorod. In der Verzweiflung zündeten die Nowgoroder ihre Vorstädte an und verbrannten 24 Klöster. Die Stadt selbst wurde in der Eile mit einem Erdwall und mit Pallisaden umgeben. Nochmals sandten die Nowgoroder eine Botschaft mit dem Wladyka Alexius an den Grossfürsten. „ H e r r F ü r s t " — sprach Alexius — „ich segne Dich, Gross-Nowgorod beugt sich vor Dir; möchte doch kein Blutvergiessen zwischen uns stattfinden. Nowgorod wird Dir für seine Leute, die an die Wolga zogen, 8000 Rubel zahlen." Dimitrij wies die Bitte ab, drohte vorzurücken und Nowgorod zu erobern. Als der Wladyka mit dieser Nachricht zurückkehrte, entstand in Nowgorod ein grosser Tumult. Alle waren entschlossen, sich bis auf den letzten Mann zu vertheidigen. In Nowgorod befehligte dazumal der von den Nowgorodern zur Regierung berufene litthauische Fürst Patrikij Narimontowitsch (ein Neffe Olgerds). Am 10. Januar verbreitete sich das Gerücht, dass der Grossfürst bis an den Shilotug (einen der Flussarme des Wolchow, an der östlichen Seite der Stadt) vorgerückt sei. Alle Kriegstüchtigen, Fussvolk und Reiter, eilten vor die Stadt; unterdessen sandte man an Dimitrij abermals eine Botschaft, bestehend aus zwei Archimandriten, sieben Popen und von den fünf Stadttheilen fünf „Shityje Ljudi" (wohlhabende Leute). Dimitrij überlegte, dass seine Hartnäckigkeit Nowgorod zur Verzweiflung bringen könnte, legte sein Wichtigthun ab und nahm den Frieden an. Nowgorod verpflichtete sich, 8000 Rubel zu zahlen, von denen 3000 sofort aufgezählt wurden, die übrigen sollte der Grossfürst von der Sawolotschje (dem Dwinalande) nehmen; denn die Sawolotschanen hatten an den Räubereien auf der Wolga gleichfalls theilgenommen. Es wurden nowgoroder Bojaren dorthin gesandt, um das Geld daselbst zu erheben. Dies war nur die Geldstrafe für die verübten Räubereien, ausserdem aber hatte sich der Grossfürst noch den Tschornyj Bor ausbedungen (eine Jahresabgabe vom schwarzen, d. i. gemeinen Volk, welche von den grossfürstlichen Statthaltern durch besondere Beamte, welche man Tschernoborzy nannte, erhoben wurde). Nachdem nun der Grossfürst unter diesen Bedingungen Frieden geschlossen hatte, kehrte er nach Hause zurück. Sein Besuch hatte im ganzen nowgoroder Lande schwere Folgen hinterlassen; viele Männer, Weiber und Kinder waren von den Moskowitern in die Sklaverei abgeführt, viele Nowgoroder, durch das Kriegsvolk ausgeplündert und ihres Obdachs beraubt, mussten vor Kälte umkommen.
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Während Nowgorod durch Tributzahlungen an Moskau gekettet wurde, fiel im Westen Smolensk von der Herrschaft Moskaus ab. In Litthauen hatte eine grosse Umwälzung stattgefunden; Olgerds Sohn, der litthauische Grossfflrst Jagello, heiratete im Jahre 1386 die polnische Königin Jadw i g a , trat zum Katholicismus ü b e r , liess seine heidnischen Untertbanen römisch-katholisch taufen und war nun Beherrscher von P o l e n , ganz Litthauen, Westrussland und dessen Theilfürsten geworden. Von diesem Zeitpunkt an datirt die allmälige Vereinigung des Grossfürstenthum Litthauen mit Polen und die Ausbreitung des Katholicismus im Westen Russlands auf Kosten der Rechtgläubigkeit (d. h. der griechisch-russischen Kirche). Jagellos Vasall, sein Bruder Skyrgailo, ein Wütherich, der von Jagello die Macht über Polozk erhalten hatte, ergriff den daselbst befindlichen Fürsten Andrej Olgerdowitsch und erschlug dessen Sohn. Dafür wollte Swjätoslaw, Fürst von Smolensk, seinen Freund Andrej rächen und verheerte einen Theil Litthauen3, ward aber von Skyrgailo und dessen Brüdern geschlagen und fiel in einer Schlacht. Die Sieger überliessen nun zwar das Fürstenthum Smolensk dem Sohne Swjätoslaws, J u r i j , jedoch nur unter der Bedingung, dass er Jagellos Vasall bleibe. Dies waren die Vorläufer der nachfolgenden Unterjochung Smolensks, welche erst später, nach Dimitrijs Tode (im Jahre 1404) stattfand, nachdem der litthauische Grossfürst Witowt Kejstutowitsch den Fürsten Jurij vertrieben und seine Statthalter in Smolensk eingesetzt hatte. Während der Regierungszeit Dimitrijs anerkannte Stadt und Land Smolensk eine Zeit lang Moskaus Oberherrschaft, mit Wassilijs Thronbesteigung jedoch verlor Moskau diese Oberherrschaft auf längere Zeit. Dimitrij starb am 19. Mai 1389, im 40. Lebensjahr. E r hinterliess seinem Sohn Wassilij die Grossfürstenwürde, gab jedem seiner übrigen Söhno ein Theilfürstenthum und verpflichtete sie, ihrem ältesten Bruder, dem Grossfürsten, unterthan zu sein. Dimitrij Donskojs RegieruDgszeit gehört zu den unglücklichsten und traurigsten Epochen der Geschichte des vielgeprüften russischen Volkes. Fortwährende Verwüstungen und Verheerungen, theils durch äussere Feinde, theils durch innere Kriege, folgten einander in erschreckendem Umfange. Das moskauer Land wurde, ohne die kleineren Verwüstungen zu rechnen, •zweimal von den Litthauern verheert und erlitt dann noch den Ueberfall von Tochtamyschs H o r d e ; das rjäsaner Land wurde zweimal von den Tataren und zweimal von den Moskowitern aufs Schrecklichste verwüstet, das Gebiet von T w e r verheerten die Moskowiter mehrere Male; das smolensker Land hatte sowohl von den Moskowitern als auch von Litthauern zu leiden; das nowgoroder Land erlitt Verwüstungen von den Twerern und Moskowitern. Dazu kam noch anderes Elend. Eine furchtbare Seuche, unter d e r , wie ganz E u r o p a , auch das russische Land in den vierziger und fünfziger Jahren des XIV. Jahrhundert litt, trat wiederholt in verschiedenen Gegenden Russlands auf. In den Jahren 1363—1364 wüthete
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sie in Nishnij-Nowgorod und dessen Bezirken, dann in Perejaslawl, Wladimir, T w e r , Ssusdal, Dmitrow, Rostow, Moshajsk, Wolok und anderen Städten. Aus den Beschreibungen der Symptome, unter denen die von der Seuche Befallenen starben, erhellt, dass mehrere epidemische K r a n k heiten gleichzeitig wütheten. B e i einem T h e i l der K r a n k e n trat eine Anschwellung der Drüsen an verschiedenen Theilen des Körpers a u f , bei anderen zeigte sich Blutspeien, noch andere fühlten zuerst Hitze, dann Frost. Die K r a n k e n starben gewöhnlich nach einem oder zwei T a g e n , selten erlebten sie den dritten T a g . Die Ueberlebenden fanden kaum Zeit g e n u g , ihre Todten zu beerdigen. 1 0 0 — 1 5 0 Leichname mussten in eine gemeinschaftliche Grube geworfen werden. In Bjelosersk starb die ganze Einwohnerschaft aus; das Land verödete. Aehnliches Elend wiederholte sich auch in anderen Jahren. 1 3 8 7 entstand in Smolensk ein solch fürchterliches Sterben — wenn man den wahrscheinlich übertriebenen Berichten der Chronik glauben darf — dass nur fünf Menschen übrig blieben, welche zuletzt die Stadt verliessen und die Thore hinter sich zuschlössen. Darauf wurde Pskow von der P e s t heimgesucht, dann Nowgorod. Zu den Seuchen gesellte sich häufig die Dürre, wie z. B . in den Jahren 1 3 6 5 , 1 3 7 1 und 1 3 7 3 ; daraus entstand Hungersnoth und schliesslich traten noch Brände auf — eine in Russland ganz gewöhnliche Erscheinung. Ziehen wir diese Drangsale, welche häufig mit den Kriegsverheerungen zusammenfielen, in Betracht, so können wir uns das damalige östliche Russland nicht anders als ein verödetes und verarmtes Land vorstellen. Dimitrij selbst besass nicht die nöthige W e i s h e i t , um das schwere Loos seines Volkes zu erleichtern, ob er nun aus eigenem Antrieb oder auf den Rath der Bojaren handelte — in allen seinen Thaten sehen wir nur eine Reihe von Missgriffen. Als er sich die Aufgabe stellte, alle russischen Länder unter Moskaus Oberherrschaft zu bringen, war er nicht nur nicht imstande dies Ziel zu erreichen, sondern liess sogar dasjenige seinen Händen entgleiten, was die Verhältnisse ihm von selbst gewährt hatten. Twers und Rjäsans Macht und Selbstständigkeit konnte er nicht zerstören, er verstand es nicht einmal, sich mit ihnen um allgemein russischer Ziele willen ins Einvernehmen zu setzen und sie zu veranlassen, gemeinschaftlich mit Moskau zu handeln. Dimitrij verstand nur Aufregungen hervorzurufen und die vollkommen unschuldigen B e wohner dieser Länder unverdientem Elend auszusetzen; er brachte die Horde gegen sich auf, war aber nicht imstande, ihre zeitweilige Zerrüttung auszunützen, und Massregeln zu ergreifen, um Gefahren abzuwenden. Das Resultat seiner ganzen Thätigkeit w a r : das verwüstete Russland musste abermals vor der in den letzten Zügen liegenden Horde kriechen und sich vor ihr demüthigen.
XII. Die Wunderthäter ron Ssolowezk, Ssawwatij und Sossima. Der Trieb, in unbewohnten Gegenden Einsiedeleien zu gründen, aus denen sich dann später Klostergemeinden entwickelten, richtete sich im XV. Jahrhundert vorzugsweise auf den hohen Norden. Es entstand ein Kloster nach dem andern und jedes derselben hinterliess den nachfolgenden Generationen das Andenken an die Thaten und das heilige Leben seines Stifters. Von den damals gegründeten Klöstern erreichte jedoch kein einziges für das russische Volk eine so hohe Bedeutung, wie das in der Mitte des XV. Jahrhunderts gegründete Ssolowezkij-Kloster. Unter der spärlichen und zerstreut lebenden Bevölkerung des nördlichen Russlands bestand der Brauch, in Ermangelung von Kirchen, hölzerne Kapellen mit Heiligenbildern in den vereinzelten Dörfern zu bauen, bei denen das Volk seine Andacht verrichten konnte. Zu der einen oder anderen von diesen Kapellen kam dann zuweilen ein Geistlicher oder ein Mönchspriester mit den heiligen Sakramenten aus weiter Ferne her, um die Beichte zu hören und dem Volk das Abendmahl zu reichen. In der Nähe einer solchen Kapelle lebte gewöhnlich irgend ein frommer Greis, der durch seinen gottesfürchtigen Lebenswandel und sein strenges Fasten dem Volke Ehrfurcht einflösste. An der Mündung des Flusses Wyg, an einer Stelle, die Ssoroki hiess, lebte bei einer solchen Kapelle ein Greis, Namens Herman, der früher auf dem Weissen Meer gewesen war, und die Insel Ssolowezk oder Ssolowki kannte, zu der die Bewohner der benachbarten Küstenstriche im Sommer hin zu kommen pflegten, um daselbst Fische zu faDgen. Nachdem dieser Greis viele Jahre hindurch dort einsam gelebt hatte, traf einst ein anderer Greis daselbst ein, der Ssawwatij (Sabbatius) hiess und dessen Herkunft unbekannt ist. Vor längerer Zeit schon hatte er im Kirillo-Bjeloserskij-Kloster das Mönchsgelübde abgelegt, war aber mit der Lebensweise der dortigen Mönche nicht einverstanden und ging auf eine felsige Insel des Ladogasees, wo sich bereits das Kloster Walaam befand, dessen Mönche sich vor anderen durch strenges Fasten und durch Erdulden der grössten Entbehrungen auszeichneten. Ssawwatij lebte dort eine Zeit lang und beschloss dann, dem Beispiel anderer Gotteseiferer folgend, in eine ganz öde Gegend zu ziehen, um daselbst ein Leben der Schweigsamkeit zu führen. Er richtete seine Schritte nach Norden und traf mit Herman zusammen. Nachdem er von diesem Nachricht über die Insel Ssolowezk erhalten hatte, machte er ihm den Vorschlag, gemeinschaftlich dorthin zu gehen, um daselbst ein Einsiedlerleben zu führen. Die beiden Alten fuhren auf einem Kahn zur Insel Ssolowezk hinüber und bauten sich, eine Werst vom Meeresstrande entfernt, an einem fischreichen See eine Hütte. Bisher waren
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XII. Die Wunderthäter von Ssolowezk, Ssawwatij und Sossima.
nur ab und zu Fischer nach Ssolowki gekommen, jetzt aber beschlossen zwei Familien, die in der Nähe von Kemj an der Küste lebten, als sie vernahmen, dass sich auf Ssolowki beständige Bewohner angesiedelt hätten, sich in der Nähe dieser Einsiedler, am See niederzulassen. Den beiden Greisen war dies gar nicht lieb und man erzählte später Folgendes: Einst, an einem Sonntag, verrichtete Ssawwatij mit Herman den Abendgottesdienst und trat hinaus, um bei dem Kreuze, welches sie in der Nähe des Sees errichtet hatten, ein Weihrauchopfer zu bringen. Da hörte er plötzlich das Klagen einer Weiberstimme und sagte es Herman, welcher der Stimme nachging und ein weinendes Weib erblickte. Es war die Frau eines der Fischer, welche sich auf der Insel niedergelassen hatten. Sie sprach: Es sind mir zwei strahlende Jünglinge erschienen, die sagten mir: „Gehet hinweg von diesem Ort, Gott hat ihn für das Leben der Einsiedler, für die Verherrlichung seines Namens bestimmt; fliehet von hinnen — sonst trifft Euch der Tod." Hierauf verliessen die Fischer diese Insel und es getraute sich fürder Niemand, eine Ansiedelung auf Ssolowki zu gründen. Nach einiger Zeit jedoch verliessen die Greise gleichfalls, einer nach dem anderen, die Insel. Herman begab sich zuerst an den Fluss Onega und dann ging Ssawwatij zu der Kapelle an der Mündung des Wyg. Es war damals gerade ein Abt dorthin gekommen, der mit den heiligen Sakramenten von Dorf zu Dorf reiste. Ssawwatij nahm das heilige Abendmahl und starb am nächsten Tage. Der Abt, welcher ihm das Abendmahl gespendet hatte und ein Nowgoroder, Namens Iwan, welcher in Handelsgeschäften zufällig dorthin gekommen war, beerdigten ihn. Unterdessen war Herman an die Mündung der Ssuma gegangen und hatte sich daselbst niedergelassen. Zu ihm gesellte sich abermals ein frommer Mann; es war dies Sossima, ein Sohn des Gabriel und der Maria, reicher Leute aus dem Dorfe Toiwuj, am Ufer des Onegasees. Er hatte noch in jugendlichen Jahren seine Eltern verloren und sein ganzes Besitzthum an die Armen vertheilt, sich selbst aber dem Einsiedlerleben gewidmet. Während seines Pilgerlebens im Norden war er zu Herman gekommen, und als ihm dieser von der Ssolowezkij-Insel erzählte, da veranlasste er ihn, mit ihm wieder dorthin zu gehen. Sie machten alsdann einen Rundgang um die Insel und Sossima fasste den Entschluss künftig hier ein Kloster zu gründen. Sie suchten sich in der 'Nähe des Sees, unweit der Meeresküste, einen Platz aus, bauten sich eine Klause, fingen Fische und beteten zu Gott. Nach und nach trafen noch andere fromme Männer ein, die sich gleichfalls Klausen bauten und sich mit dem Fischfang beschäftigten. Als sich ihre Zahl nun vermehrt hatte, errichteten sie eine hölzerne Kirche zur Verklärung Christi, sandten einen aus ihrer Mitte zum Erzbischof Jonas nach Nowgorod und baten, dass er ihnen einen Abt geben möchte; Sossima aber ward Mönch. Zwei Aebte aus Nowgorod, welche nach einander dorthin gesandt wurden, hielten es auf
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der öden Insel nicht aus. Endlich baten die Brüder, Sossima möchte ihr Abt werden. Er weigerte sich lange, reiste aber schliesslich doch nach Nowgorod, um sich dort weihen zu lassen. Jetzt opferten viele nowgoroder Bojaren dem neuen Kloster silberne Gefässe, reiche Kirchengewänder und Lebensmittel. Das Kloster erlangte bald einen Ruf, insbesondere deshalb, weil es sich an einer so unbewohnbaren und anscheinend unzugänglichen Stelle befand. Fromme Pilger, die dem Kloster Geschenke brachten, strömten dahin, Sossima aber zeichnete sich durch Gastfreundschaft aus und zog dadurch noch mehr Gäste hin. Bald wurde noch eine geräumigere Kirche, zur Verklärung Christi, und dann eine weitere, zur Himmelfahrt Mariä erbaut. Jetzt erinnerte man sich auch an Ssawwatij, von dem Herman erzählt hatte; es wusste aber Niemand, wo er beerdigt sei, bis der Abt des Kirillo-Bjeloserskij-Klosters ihnen unerwartete Nachricht gab. Er hatte vom Ableben des Ssawwatij durch jenen nowgoroder Iwan, welcher zufällig diesen Ehrwürdigen beerdigt hatte, Kunde erhalten. Sossima selbst begab sich an den Wyg, grub Ssawwatijs Leiche aus und brachte sie nach Ssolowki. Man sagt, die Reliquien des heiligen Ssawwatij seien nicht nur unverwest gewesen, sondern es sei sogar ein wohlduftendes Chrisam aus ihnen hervorgequollen. Konflikte blieben dem Kloster auch nicht erspart; die Insel, auf der es sich befand, betrachtete es als sein Eigenthum; die Küstenbewohner aber, welche gewohnt waren, die Insel des Fischfangs wegen zu besuchen, kamen auch jetzt noch dorthin. Unter diesen, welche das Eigenthumsrecht des Klosters nicht anerkannten, befanden sich auch Angehörige der berühmten Possadniza Marfa Borezkaja. Sossima selbst reiste nach Nowgorod, um sich von der Wetsche ein Dokument, die. Unantastbarkeit des Besitzstandes der Insel betreffend, auszuwirken. Um seinen Zweck zu erreichen, besuchte er den Wladyka und verschiedene Würdenträger. Als er aber zur Bojarin Marfa kam, um sich über ihre Leute zu beklagen, empfing sie ihn nicht, sondern liess ihn fortjagen. Da schüttelte Sossima sein Haupt und sprach zu den ihn begleitenden Schülern: „Es werden Tage kommen, an denen die Spur der Bewohner dieses Hauses verschwunden sein wird, und es werden die Thüren desselben geschlossen sein und sich nie wieder öffnen und dieser Hof wird leer und öde sein." Unterdessen hatte ihm der Wladyka ein Dokument über den Besitz der Insel ausgewirkt, welches mit den Siegeln des Wladyka, des Possadnik, des Tyssjätschskij und der fünf Stadttheile Gross-Nowgorods versehen war. Die Bojaren machten dem Abt von Ssolowezk reiche Geschenke. Da bereute auch Marfa ihre Handlungsweise und sprach: „Ich zürnte ihm ohne Ursache, man hatte mir versichert, dass er mir mein Erbgut vorenthalten wolle." Sie sandte zu ihm, liess ihn um Verzeihung bitten und lud ihn dringend in ihr Haus zum Mittagsmahl ein. Der ehrwürdige Abt versprach zu kommen. Marfa richtete ein Festmahl her und lud Gäste ein.
Sie empfing
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XII. Die Wanderthäter von Ssolowezk, Ssawwatij and Sossima.
den Hochwürdigen mit grossen Ehrfurchtsbezeugungen, bat für sich, ihre Söhne und Töchter um seinen Segen und setzte ihn an den vornehmsten Platz. Plötzlich, während der Mahlzeit, blickte Sossima auf die sechs Bojaren, welche an der Tafel sassen, erzitterte und fing an zu weinen. Man glaubte, er habe etwas Fürchterliches gesehen. Nun rührte er keine Speise mehr an. Nach Beendigung des Mahles bat ihn Marfa nochmals um Verzeihung, ersuchte ihn, für sie und für ihre Kinder zu beten, machte ihm Geschenke und spendete zu Gunsten des Klosters ein Dorf am Flusse Ssuma. Sossima verzieh ihr, bedankte sich, blieb aber sehr betrübt. Als er Marfas Haus verliess, fragte ihn einer von seinen Schülern, Namens Daniel: „Weshalb, Vater, erschrakest und weintest D u , als Du die Bojaren erblicktest und warum berührtest Du dann keine Speise mehr?" „Ich hatte eine fürchterliche Erscheinung", sprach Sossima. „Es sassen sechs Bojaren beim Festmahl und sie hatten keine Köpfe; ich blickte noch einmal hin und sah das nämliche, ebenso auch das dritte Mal. Dies ist ihre Bestimmung, Du wirst es selbst noch erleben, erzähle aber Niemand von diesen unerforschlichen Rathschlüssen Gottes." Einer von den Bojaren, welcher an dem Festmahl bei Marfa theilgenommen hatte, Namens Pamphilius, lud Sossima ein, am nächsten Tage bei ihm zu speisen. Er hatte Sossimas Aufregung gleichfalls bemerkt und fragte ihn nach der Ursache. Der Hochwürdige offenbarte auch ihm das Geheimniss seiner Vision. Daraufhin ward Pamphilius Mönch und entging dadurch dem Unheil, welches Gross-Nowgorod bedrohte. Nach einiger Zeit drangen fürchterliche Nachrichten in Sossimas einsames Kloster. Die Nowgoroder hatten in der Vertheidigung ihrer Freiheit eine Niederlage am Flusse Schelona erlitten, und die Bojaren, welche mit Sossima bei Marfa an der Tafel gesessen hatten, waren enthauptet worden. Wieder nach einigen Jahren, als Sossima, von allem Weltlichen abgewandt, schon schwach geworden war und sich vorsorglich einen Sarg gemacht hatte, da schreckte ihn eine neue, noch fürchterlichere Nachricht von Nowgorod her aus seiner Ruhe — Gross-Nowgorod hatte seine Unabhängigkeit verloren ; seine Reichthümer waren geraubt, der Wladyka Theophilus seiner Würde entsetzt, eine Menge Bojaren und vornehme Leute waren ihres Eigenthums beraubt und in ein fremdes Land in die Sclaverei geschleppt worden. Unter ihnen befand sich auch die Bojarin Marfa, welche sammt ihren Kindern in Fesseln aus Nowgorod hinweggeführt wurde. Die Prophezeihung Sossimas war eingetroffen, — ihr Haus war verödet, die Spur seiner Bewohner verwischt. Das Unheil, welches Nowgorod im Anfange des Jahres 1478 betroffen hatte, überlebte Sossima nicht mehr lange. Er starb noch im nämlichen Jahr, am 17. April, und hinterliess seiner Brüderschaft das Vermächtniss, in Frieden zu leben und die Klosterregeln zu befolgen. Als seinen
XIII. GrossfUrst und Gossudär Iwan Wassilje witsch.
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Nachfolger in der Würde eines Abtes bezeichnete er den Bruder Arseniua. Sossima ist hinter dem Altar der Kirche zur Verklärung Christi beerdigt und sein Grab ist zu einer Wallfahrtsstätte der Frommen geworden. Die Beschreibung seiner Wunderthaten füllt ein ganzes Buch. Sossimas Kloster hatte in der russischen Geschichte stets eine hohe Bedeutung. Er selbst war ein eifriger Verbreiter des Christenthums unter den heidnischen Küstenbewohnern. In der Mitte des XVI. Jahrhunderts baute der Abt Philipp Kolytschew, der später, unter Iwan dem Grausen, Metropolit wurde, steinerne Gebäude im Ssolowezkij-Kloster und brachte durch seine Bemühungen die wirtschaftliche Lage der Insel in einen musterhaften und blühenden Zustand. Unter Zar Fjodor wurde das Ssolowezkij-Kloster mit starken, massiven Mauern und Batterien umgeben. Unter Alexej Michailowitsch gelangte es in der Geschichte der russischen Kirchenspaltung (des Raskol) zu einer grossen Wichtigkeit; die Altgläubigen vertheidigten sich daselbst längere Zeit hindurch gegen die Truppen des Zaren. Die weite Entfernung vom Mittelpunkt des Reichs war Ursache, dass dies Kloster auch stets als Verbannungsort benutzt wurde. Dessenungeachtet aber, dank der Freigebigkeit der Zaren und Privatleute, zeichnete es sich beständig durch Reichthum und Gastfreundschaft für die zahlreichen frommen Leute, welche alljährlich aus allen Theilen Russlands dorthin strömten, aus. Ssawwatij und Sossima gehören zu denjenigen, deren Namen vom ganzen russischen Volke vorzugsweise gekannt und verehrt werden. Die Frömmigkeit des Volkes hat diese zwei Heiligen, man weiss nicht weshalb, auch zu Beschützern der Bienenzucht ernannt.
XIII. Grossfürst und Gossudär1) Iwan Wassilje witsch. Die Epoche des Grossfürsten Iwan Wassiljewitsch bildet eine Uebergangsperiode in der russischen Geschichte. Diese Epoche schliesst dasjenige, was die Verheissungen vorhergegangener Jahrhunderte entwickelt hatten, ab, und eröffnet einen neuen Pfad für das, was sich in den nächsten Jahrhunderten gestalten sollte. Von dieser Epoche an datirt die Existenz eines selbstständigen, monarchischen russischen Reiches. ') Der Titel Gossudär hat im Russischen eine so vielfache Bedeutung, dass eine präoise Uerbersetzung desselben kaum möglich ist. In erster Linie heisst Gossudär — Herr; ferner auch Herrscher, Oberherr, Beherrscher, Fürst, GrossfUrst, Kaiser; sogar die Stadt Nowgorod führte den Titel Gossudär. Der Russe nennt seinen Kaiser in der Regel Gossudär — nicht Zar, wie man vielfach meint. Der Uebersetzer.
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X I I I . Grossfürst und Gossudär Iwan Wassiljewitsch.
Nach dem Tode Dimitrij Donskojs wurde dessen Sohn Wassilij Grossfürst (1385—1425), welcher, soweit wir ihn beurtheilen können, seinen Vater an Verstand überragte. Die Vergrösserung des moskauer Gebiets machte beträchtliche Fortschritte unter ihm; Moskau gelangte in den Besitz des ssusdaler und nishegoroder Landes. Nachdem er die Grossfürstenwürde vom Chan erhalten hatte, gelang es ihm, sich in der Gunst desselben so sehr zu befestigen, dass er noch Nishnij - Nowgorod, Gorodez, Meschtschera, Torussa und Murom von ihm erhielt. Nishnij - Nowgorod wurde von den Moskowitern durch Treubruch genommen; der nishegoroder Bojar Rumjänez verrieth seinen Fürsten Boris Konstantinowitsch; Wassilij Dimitrijewitsch Hess diesen Fürsten, nebst Frau und Kindern, gefangen nehmen und Nishnij-Nowgorod ward dem moskauer Gebiet auf ewige Zeiten einverleibt. Boris' Neffen, die ssusdaler Fürsten, wurden vertrieben und Ssusdal gerieth gleichfalls in Wassilijs Besitz. Obgleich sich die ssusdaler Fürsten später wieder mit dem moskauer Grossfürsten versöhnten und Erbländer von ihm erhielten, blieben sie doch, sammt ihren Nachkommen, von nun an im Dienste Moskaus, waren also nicht mehr selbstständig regierende Fürsten. Im Jahre 1395 trat ein Er.eigniss ein, welches Moskaus moralische Bedeutung erhöhte: Als es sich um einen bevorstehenden Ueberfalls Tamerlans handelte, der übrigens nicht zustande kam, liess Wassilij jenes berühmte Heiligenbild, welches Andreas einst aus Kijew nach seinem geliebten Wladimir gebracht hatte, von dort nach Moskau überführen. Dies Bild diente nun dazu, um Moskaus Vorrang und Erhabenheit über die übrigen russischen Städte die Weihe zu geben. Wassilij Dimitrijewitsch, den Fusstapfen seiner Vorgänger folgend, knechtete Nowgorod, konnte jedoch das Ziel seiner Absichten nicht vollständig erreichen. Er machte zweimal den Versuch, die Dwina-Kolonie von Nowgorod loszureissen und fusste darauf, dass sich im Dwinalande eine Partei gebildet hatte, welche die Oberherrschaft der Grossfürsten von Moskau, derjenigen Gross-Nowgorods vorzog. Aber die Nowgoroder hatten, obschon um theuren Preis, ihre Kolonieen glücklich vertheidigt. Der Grossfürst verheerte das nowgoroder Gebiet, liess Nowgoroder, welche einen Anhänger des moskauer Grossfürsten in Torshok getödtet hatten, erwürgen, zwang sie, ihm neue Abgaben (den tschornyj Bor) zu zahlen, entriss ihnen in den Bezirken von Beshezkij Werch und Wologda Ländereien ; die Hauptsache aber war, dass Nowgorod selbst den Grossfürsten nicht länger entbehren konnte und sich an ihn um Hilfe wenden musste, denn ein anderer Grossfürst, der von Litthauen, suchte Nowgorod zu erobern. Innere Wirren hatten die Horde während dieser Zeit bereits so sehr der Auflösung nahe gebracht, dass Wassilij mehrere Jahre hindurch dem Chan keinen Tribut mehr zahlte und sich bereits als unabhängig betrachtete. Da kam im Jahre 1408, ganz unerwartet, eine Invasion des tatarischen Fürsten Edigi, welcher, obschon er nicht selbst Chan war,
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XIII. GrossfUrst und Goesudär Iwan Wassiljewitsch.
denjenigen, der diesen Titel führte, vollständig beherrschte, wie es früher mit Mamai der Fall gewesen war. Wassilij Dimitrijewitsch war auf diesen Ueberfall nicht vorbereitet, er hatte auf den Verfall der Horde gerechnet und deshalb keine Vorsichtsmassregeln gegen den heimtückischen Feind getroffen, der ihn durch heuchlerisches Wohlwollen überlistet hatte. Wassilij Dimitrijewitsch entfloh, ganz wie es sein Vater gethan, nach Kostroma, er hatte jedoch besser als sein Vater für die Vertheidigung Moskaus Sorge getragen, indem er es seinem tapferen Onkel, dem Fürsten Wladimir Andrejewitsch von Sserpuchow anvertraute. Die Moskowiter verbrannten ihre Vorstadt; Edigi war nicht imstande, den Kreml zu erobern, seine Horde verheerte aber viele russische Städte und Dörfer. Moskau musste es erfahren, dass, wenn die Horde auch nicht mehr die Macht hatte Russland, wie früher, zu unterjochen, sie doch noch längere Zeit hindurch imstande war, durch plötzlichc Ueberfälle, Verheerungen und Fortschleppen der Einwohner in die Sklaverei, Furcht und Schrecken zu verbreiten. Später, im Jahre 1412, reiste Wassilij in die Horde, bezeugte dem neuen Chan Dshellaledin seine Ehrfurcht, brachte ihm den Tribut, beschenkte dessen Würdenträger und nun bestätigte der Chan den Fürsten von Moskau in der Grossfürstenwürde, obschon er kurz vorher noch diese Würde dem vertriebenen Fürsten von Nishnij-Nowgorod zu verleihen beabsichtigt hatte. Des Chans Macht über Kussland hing nur noch an einem Haar, die moskauer Fürsten konnten aber diese Macht noch eine Zeit lang benutzen, um ihre Herrschaft über Russland zu befestigen und, durch das Ansehen, welches die Macht der Horde früher genossen hatte, ihre Absichten verhüllen. Dabei aber mussten sie selbst noch Vertheidigungsmassregeln ergreifen gegen die tatarischen Ueberfälle, welche deshalb so viel Unruhe hervorriefen, weil sie von verschiedenen Seiten und von verschiedenen Bruchtheilen der in sich zerfallenden Horde ausgingen. Im Westen erreichte die unter Gedimin entstandene und unter 01gerd gewachsene Macht Litthauens ihre äusserste Grenze unter Witowt. Dem Rechte nach befand sich die Oberherrschaft über Litthauen und den von diesem unterjochten Theil Russlands in Jagellos, des Königs von Polen Händen; in der That aber wurde Litthauen durch Jagellos Statthalter und Vetter Witowt, Kejstuts Sohn, den Jagello hatte erwürgen lassen, selbstständig regiert. Witowt strebte wie seine VorgäDger nach Erweiterung des Litthauischen Reichs auf Kosten russischer Länder und unterwarf von diesen letzteren eines nach dem anderen. Wassilij Dimitrijewitsch war mit Witowts Tochter, Sophie, verheirathet und musste während seiner ganzen Regierungsdauer, der Verwandtschaft wegen, Beziehungen zu seinem Schwiegervater unterhalten, zugleich aber musste er auch gegen die herrschsüchtigen Gelüste desselben auf seiner Hut sein. Der Fürst von Moskau handelte äusserst vorsichtig, er gab wohl seinem Schwiegervater soviel als möglich nach, suchte aber sowohl sich selbst als auch Kostumarow-Henckol, Haas. Geschichte in Biogr.I.
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XIII. Grossfllrst und Gossudär Iwan Wassiljewitsch.
Russland vor ihm zu schützen. Er hinderte Witowt nicht, sich Smolensk8 zu bemächtigen; das kam hauptsächlich daher, weil der letzte Fürst von Smolensk, Jurij, ein Bösewicht im vollen Sinne des Worts war; die Smolensker zogen es daher vor, sich lieber Witowt zu unterwerfen, als ihrem Fürsten unterthan zu sein. Als aber Witowt seine Absicht, sich Pskows und Nowgorods zu bemächtigen, zu offen kundthat, da machte der moskauer Grossfürst kein Hehl daraus, dass er gegen seinen Schwiegervater rüste, und es wäre fast zum Krieg gekommen, wenn nicht im Jahre 1407 doch noch ein Friede zwischen ihnen vereinbart worden wäre, der den Fluss Ugra als Grenze zwischen den moskauer und Iitthauer Besitzungen feststellte. Der Schwiegervater überlebte seinen Schwiegersohn und unter dem minderjährigen Nachfolger Wassilijs neigte sich der Streit um die Oberherrschaft in Kussland eine Zeit lang auf Litthauens Seite. Die Unterjochung durch die Tataren hatte Regierungsformen unter den russischen Fürstenthümern entstehen lassen, welche mit den feudalen des westlichen Europa einige Aehnlichkeit hatten. Die Fürsten, welche ihre Besitzungen vom Chan als Erbtheil empfingen, befanden sich in gegenseitiger Abhängigkeit untereinander und diese Abhängigkeit der Einen von den Andern hatte, je nach Umständen, verschiedene Grade. Der moskauer Fürst war Grossfürst von ganz Russland geworden, aber in seinem Lande, unter seiner Herrschaft, befanden sich Vasallenfürsten, die ihm Gehorsam schuldig waren. Von diesen hatten einige sich eine grössere Selbstständigkeit über ihre Theilfürstenthümer bewahrt, andere dagegen waren zu Dienern des moskauer Fürsten herabgesunken. Jenseits der Grenzen des Gebiets, über welches der moskauer Grossfürst herrschte, gab es Fürsten, die sich gleichfalls Grossfürsten nannten und die auch Fürsten, welche in ihren Ländern herrschten, als ihre Vasallen betrachteten. Auf diese Weise blieben, nach Auflösung des Grossfürstenthums Ssusdal, noch ziemlich mächtige Grossfürsten, die von Twer und von Rjäsan, übrig; ausserdem begann nun auch der Fürst von Pronsk, des rjäsaner Grossfürsten Vasall, sich Grossfürst zu nennen. Den nämlichen Titel trug auch der älteste unter den Fürsten von Jaroslawl. Alle diese sogenannten Grossfürsten mussten, als Aelteste unter ihren Vasallenfürsten, ihrerseits wieder die Anciennität der moskauer Grossfürsten über sich anerkennen, und, als sie von Seiten Moskaus noch weitere Angriffe auf ihre Unabhängigkeit wahrnahmen, suchten sie natürlich in Litthauen ein Gegengewicht. Auf diese Weise kam es, dass sich, nach Wassilij Dimitrijewitschs Tode, der Grossfürst von Rjäsan, Iwan Fjodorowitsch und nach ihm auch der Fürst von Pronsk, in Witowts Dienst begaben (1427). Gleichzeitig stellte sich auch der Grossfürst von T w e r , Boris, dem litthauer Grossfürsten zur Verfügung, wobei er sich jedoch die Herrschaft über seine Vasallen, die Fürsten des twerer Landes, vorbehielt. Moskau, welches sich unter der Herrschaft eines minderjährigen Fürsten befand,
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dessen Mutter eine Tochter Witowts war, gerieth selbst unter den Einfluss des litthauer Grossfürsten, wenigstens betrachtete es Witowt selbst so; er schrieb den Deutschen, Sophie habe sich mit ihrem Sohn und dem ganzen Grossfürstenthum unter seine Vormundschaft und seinen Schutz begeben. Es fehlte Witowt nur noch die völlige Selbstständigkeit und die Königskrone, und er that sein Möglichstes um beides zu erlangen. Den Kaiser Sigismund hatte er sich schon geneigt gemacht, die polnischen Prälaten und Würdenträger Hessen jedoch eine so gefährliche Neuerung nicht zu, und stellten dem Papst vor, dass Litthauens und Russlands Trennung von Polen der Ausbreitung des römischen Katholizismus unter den Rechtgläubigen (Anhängern der griechischen Kirche) Schranken setzen würde. Der Papst verweigerte daher Witowt die Krone und dieser starb im Jahre 1430 ohne sein Ziel erreicht zu haben. Nach seinem Tode brachen in Litthauen Bürgerkriege aus. Auch in Moskau herrschten lange Zeit hindurch Wirren. Wassilij Dimitrijewitschs Nachfolger, Wassilij Wassiljewitsch, war ein Mann von äusserst beschränkten Geistesgaben; er hatte nicht nur einen schwachen Verstand, sondern auch einen schwachen Willen, war aber dabei jeder Missethat und jedes Treubruchs fähig; unter Wassilij Dimitrijewitsch hatten sich alle Glieder des Fürstenhauses in strengster Unterwürfigkeit befunden; nach dessen Tode erhob Jeder sein Haupt. Wassilij Wassiljewitschs Onkel, Jurij, suchte die Grossfürstenwürde in der Horde zu erlangen. Dem listigen und gewandten Bojaren Iwan Dimitrijewitsch Wssewoloshskij war es 1432 gelungen Jurij zu beseitigen und Wassilij Wassiljewitsch die Grossfürstenwürde zu verschaffen.. Als sich Jurij, als Onkel, auf die Anciennität seines Geschlechts berief, und bei dieser Veranlassung auf frühere Beispiele verwies, wo man den Onkel deshalb dem Neffen vorgezogen, weil er an Jahren und durch seinen Verwandtschaftsgrad der Aeltere sei, da erklärte Wssewoloshskij dem Chan, dass Wassilij die Regierungsgewalt durch den Willen des Chans erhalten habe und dass dieser Wille über alle Gesetze und Gebräuche erhaben sei; dass folglich der Chan, ohne irgendwie gebunden zu sein, seinen Uluss demjenigen geben könne, dem er ihn geben wolle. Diese Anerkennung des bedingungslosen Willens des Chans gefiel diesem, und Wassilij Wassiljewitsch wurde in der Grossfürstenwürde belassen. Nach einiger Zeit veranlasste der nämliche Bojar, — der nun gegen Wassilij aufgebracht war, weil dieser, nachdem er dessen Tochter zu heiraten versprochen, Marie Jaroslawowna, Wladimir Andrejewitschs von Sserpuchow Enkelin geehelicht hatte — Jurij, die Grossfürstenwürde seinem Neffen zu entreissen. Nun wiederholten sich in Russland die Familienkämpfe und
') Uluss heisst eigentlich ein Nomadenlager. Die Tatarenchans bezeichneten auch die von ihnen unterworfenen Städte, Bezirke und Länder als ihre Ulusse. Der Uebersetzer.
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zeichneten sich diesmal durch schändliche Verbrechen aus. J u r i j , der Bich Moskaus bemächtigt hatte, wurde wieder vertrieben und starb bald d a r a u f . Jurij's Sohn, Wassilij der Schielende, schloss mit Wassilij Wassiljewitsch F r i e d e n , brach treulos den V e r t r a g , griff Wassilij a n , wurde a b e r besiegt, gefangen genommen und geblendet (1435). Nach einigen J a h r e n fanden folgende Ereignisse s t a t t : In der goldenen Horde bllsste Chan Ulu-Machmet den T h r o n ein und bat den Grossfürsten von Moskau um Hilfe. D e r Grossfürst versagte sie ihm nicht n u r , sondern vertrieb ihn sogar aus den Grenzen des moskauer L a n d e s ; nun gründete UluMachmet mit seinen Anhängern ein Tatarenreich in Kasan an der Wolga, welches ein ganzes J a h r h u n d e r t lang Russland verheerte. Ulu-Machmet, als nunmehriger Zar von Kasan, rächte sich an dem Fürsten von Moskau, besiegte ihn in einer Schlacht und nahm ihn gefangen. N u r durch ein ungeheures Lösegeld konnte sich Wassilij Wassiljewitsch aus der Gefangenschaft befreien. Als er in seine Heimat zurückkehrte, war er genöthigt sein Volk mit hohen Steuern zu belasten und begann auch T a t a r e n in seinem Fürstenthum anzusiedeln und ihnen Ländereien zu verleihen. D a r a u s entstand Murren im Volke und der B r u d e r des Schielenden, F ü r s t Dimitrij S c h e m j a k a , wusste diesen Umstand zu benutzen. Mit den F ü r s t e n von T w e r und Moshaisk verbunden, liess er 1446 im Troizkijkloster Wassilij auf treulose Weise ergreifen und blenden. Schemjaka bemächtigte sich n u n des Grossfürstenthums und hielt den blinden Wassilij g e f a n g e n ; als e r aber sah, dass Unruhen im Volke ausbrachen, gab er den Bitten des Bischofs von R j ä s a n , J o n a s , nach und entliess den gefangenen Wassilij, nachdem er ihn durch einen Eid verpflichtet hatte nicht mehr nach der Grossfürstenwürde zu streben. Wassilij brach den Eid und seine Anhäng e r erhoben ihn wieder im J a h r e 1447 auf seinen Fürstensitz. E s ist b e m e r k e n s w e r t h , dass von diesem Zeitpunkt an sich der C h a r a k t e r von Wassilij Wassiljewitschs Regierung vollständig ändert. Als Wassilij das Augenlicht noch besass, war er ein ganz unbedeutender F ü r s t ; seit seiner Blindheit aber zeichnete sich seine Regierung durch Festigkeit, Verstand und Entschlossenheit aus. Es war augenscheinlich, dass verständige, und thatkräftige Leute im Namen des blinden Fürsten das Land regierten. Zu diesen Leuten gehörten die Bojaren F ü r s t e n P a t r i k ö j e w , die Rjäpolöwskijs, die Köschkins, die Pleschtschöjews, die Mordsows, f e r n e r die ruhmvollen Feldherren Striga-Oboldnskij und F j o d o r B a s s j ö n o k ; vor Allen aber der Metropolit Jonas. Die geistlichen Machthaber begünstigten von j e h e r das Streben nach Alleinherrschaft. E r s t e n s , weil dieselbe mit ihren kirchlichen Begriffen harmonirte, — die russische Kirche war, trotz der politischen Zerstückelung des russischen L a n d e s , stets eine einige, ungetheilte und blieb beständig ein Vorbild der politischen Einheit. Zweitens, begriff die Geistlichkeit, als Repräsentantin der einzigen geistigen Macht des Landes, mehr als alle anderen Stände, dass Zersplitterung zu fortwährenden Bürgerkriegen
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führt und des Landes Kräfte, welche zum Schutz gegen auswärtige Feinde nothweudig sind, schwäeht; sie sah in der Concentrirung der obersten Gewalt die einzige Möglichkeit einer Sicherheit für das Land und dessen Bewohner. So lange die Metropolitenwürde sich im Besitz nichtrussischer Leute befand, war es erklärlich, dass diese, dem russischen Lande durch Herkunft und Verbindung fremden Würdenträger, sich die Landesinteressen nicht besonders zu Herzen nahmen und sich vorzugsweise auf das Gebiet kirchlicher Angelegenheiten beschränkten; als jedoch geborne Russen die höchste geistliche Würde erlangten, verhielten sie sich dem russischen Lande gegenüber anders. Schon die Metropoliten Peter und Alexius hatten sich als politische Charaktere bewährt, mehr noch bewährte sich in dieser Beziehung der kluge Metropolit Jonas, dem es beschieden ward bei dem blinden, unbedeutenden Wassilij eine hervorragende Stellung einzunehmen. Jonas entstammte dem Lande Kostroma und trug den Beinamen Odnoüsch (Einohr). Als er den Bischofssitz von Rjäsan erlangte, wurde er nicht ein Anhänger der rjäsaner Localinteressen; seine Sympathien neigten zu Moskau hin, weil er, den damaligen Verhältnissen entsprechend, nur in Moskau allein das Centrum der Einigung Russlands erblicken konnte. Im Jahre 1431, nach dem Tode des Metropoliten Photius, wurde Jonas zum Metropoliten erwählt; der konstantinopoler Patriarch aber hatte bereits früher den Griechen Isidor zu dieser Würde ausersehen. Dieser Isidor nahm, in seiner Eigenschaft als russischer Metropolit, theil am Concil von F l o r e n z , welches die Union oder die Vereinigung der griechischen Kirche mit der römischen verkündete und die Bedingung aufstellte, den römischen Oberpriester als das Haupt der geeinigten Kirchen anzuerkennen. Sowohl Isidor, als auch der Patriarch von Konstantinopel und der byzantinische Kaiser, hatten sich dem Papste unterworfen. Isidor war durch und durch Grieche, seine Ziele waren ausschliesslich auf die Rettung seines im Verfall begriffenen Vaterlandes gerichtet; gleich anderen Griechen hoffte auch er, durch die Vermittelung des Papstes, Europas Macht gegen die Türkei in Bewegung zu setzen. Diese Aussichten waren es, welche die damaligen Griechen veranlassten, die jahrhundertelange Unabhängigkeit ihrer Kirche aufzuopfern. Isidors Absicht war, Russland als Waffe für griechisch-patriotische Ziele zu benutzen. In Moskau aber nahm man die Union nicht an und vertrieb Isidor. Einige Jahre hindurch blieb der moskauer Metropolitensitz vacant. Kijew hatte seinen eigenen, durch Witowt geschaffenen, Metropolitensitz, aber Moskau wollte vom kijewer Metropoliten nichts wissen. Der rjäsaner Bischof, als der von der russischen Geistlichkeit erkorene Metropolit, hatte unter dieser Geistlichkeit eine hervorragende Bedeutung und grossen Einfluss, und wurde schliesslich, im Jahre 1448, durch ein Concil russischer Wladykas, ohne Betheiligung des Patriarchen, definitiv zum Metropoliten erhoben. Dies Ereigniss war eine thatsächliche Revolution; von nun an hörte die orien-
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talisch-russische Kirche auf vom konstantinopoler Patriarchen abhängig zu sein und wurde durchaus selbstständig. Der Mittelpunkt ihrer Autorität war Moskau. Dies Ereigniss war es nun, welches Moskaus moralische Bedeutung, die bereits durch den Metropoliten Peter angebahnt, durch Alexius unterstützt worden war, und welche durch die Ueberführung des Bildes der Mutter Gottes aus Wladimir einen grossen Nimbus erhalten hatte, endgültig befestigte. Von nun an waren diejenigen russischen Länder, welche sich Moskau noch nicht unterworfen hatten, und die noch immer ihre Selbstständigkeit zu behaupten hofften, — Twer, Rjäsan, Nowgorod — durch ein geistiges Band fester an Moskau gekettet. Nachdem der blinde Grossfürst sich in Moskau festgesetzt hatte, erhob er seinen ältesten Sohu, Iwan, zum Mitregenten und dieser nannte sich nun gleichfalls, wie sein Vater, Grossfürst; damalige Vertragsurkunden bestätigen diese Thatsache. Von nun an beginnt Iwans politische Thätigkeit, welche sich nach und nach erweiterte; es ist wohl zweifellos, dass er schon bei Lebzeiten seines blinden Vaters, nach erlangter Volljährigkeit, die sich vollziehenden Ereignisse leitete, welche auf eine Stärkung Moskaus hinzielten. Fürst Wassilij Schemjaka, den man gezwungen hatte eine sogenannte „verfluchte Urkunde" zu unterschreiben, in der er sich eidlich verpflichtete allen Anschlägen gegen das Grossfürstenthum zu entsagen, stellte seine Feindseligkeiten gegen Wassilij den Blinden nicht ein. Die Geistlichkeit erliess an Schemjaka ein Ermahnungsschreiben, dieser aber achtete nicht darauf und das moskauer Heer zog mit dem jungen Grossfürsten, unter dem Segen des Metropoliten Jonas, nach Galitsch gegen Schemjaka. Dieser erlitt eine Niederlage und entfloh nach Nowgorod, welches ihm ein Asyl gewährte. Die Stadt Galitsch und ihr Bezirk wurden aufs Neue mit Moskau vereinigt. Schemjaka suchte Wassilij fortwährend zu schaden, er bemächtigte sich Ustjugs und war schon im Begriff dort festen Fuss zu fassen, wurde jedoch durch den jungen Grossfürsten Iwan Wassiljewitsch vertrieben und flüchtete sich abermals nach Nowgorod. Metropolit Jonas schloss Schemjaka durch eine Urkunde von der Kirchengemeinschaft aus, verbot allen Rechtgläubigen mit ihm zu essen und zu trinken und verurtheilte die Nowgoroder, weil sie den Geächteten bei sich aufgenommen. Damals wurde in Moskau beschlossen, sich Schemjakas durch heimlichen Mord zu entledigen; der Djak (Sekretär) Stepan Borodätyj überredete, unter Beihilfe des Bojaren Kötow, im Jahre 1453, Schemjakas Koch, seinen Herrn durch ein vergiftetes Huhn zu tödten. Schemjakas Bundesgenosse, der Fürst Iwan Andrejewitsch Moshaiskij, flüchtete darauf im Jahre 1454, ohne die Ankunft des moskauer Heeres abzuwarten, nach Litthauen. Zwei Grossfürsten, die von Twer und von Rjäsan, welche in Litthauen Unterstützung gegen Moskau zu finden gehofft hatten, sahen ein, dass auf Litthauen wenig Yerlass sei und schlössen sich daher rechtzeitig an Moskau, noch bevor dieses Gewaltmassregeln
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gegen aie ergriffen hatte. Der Erstere verheiratete seine Tochter Marie an Iwan Wassiljewitsch, den jungen Grossfürsten von Moskau und schlosa 1454, durch Vermittlung des Metropoliten Jonas, einen Vertrag, in welchem er sich und seine Kinder verpflichtete mit Moskau in Allem einig zu sein; der Letztere übergab vor seinem Tode, im Jahre 1454, seinen achtjährigen Sohn der Fürsorge des moskauer Grossfürsten, welcher ihn nach Moskau brachte und seine Statthalter ins rjäsaner Land sandte. Zu gleicher Zeit wurde auch der Fürst von Sserpuchow, Wassilij Jaroslawitsch, ein eifriger Diener Wassilij des Blinden und dessen Gefährte in Zeiten des Unglücks, auf irgend eine Verleumdung hin, ergriffen und nach Wologda verbannt, wo er mit seinen Kindern starb; sein ältester Sohn entfloh nach Litthauen. Dann flüchteten sich auch die Fürsten von Ssusdal, welche vom moskauer Grossfürsten Erbländer erhalten hatten, und die ein über sie heranziehendes Unheil ahnten, aus den ihnen verliehenen Ländern, um gefährlichen Complicationen mit Moskau auszuweichen. Im Jahre 1456 setzte sich Moskau mit Nowgorod auseinander. Bereits vorher hatte der Grossfürst Nowgorod 8000 Rubel auferlegt. Die Aufnahme, welche Schemjaka in Nowgorod gefunden, hatte die moskauer Grossfürsten in Harnisch gebracht. Die Nowgoroder waren unwillig, weil Moskau sie plünderte; sie wollten die ihnen laut Vertrag auferlegten Summen nicht zahlen; ausserdem waren auch zwischen Moskau und Nowgorod noch andere Misshelligkeiten entstanden, — nowgoroder Bojaren hatten nämlich Ländereien im rostower und bjelosersker Lande gekauft und Nowgorod erhob nun Ansprüche, dass diese Besitzungen, als Eigenthum nowgoroder Bojaren, ihm unterthan sein müssten. Der moskauer Grossfürst erklärte Nowgorod den Krieg. Seine Vasallenfürsten Striga-Obolenskij und Fjodor Bassjonok bemächtigten sich der Stadt Russa; die Nowgoroder, welche Russa zu Hilfe geeilt waren, wurden geschlagen. Der Grossfürst marschirte nun mit einem grossen Heer gegen Nowgorod und stellte sich in Jashelbizy auf. Darauf sandte Nowgorod den Bischof Euphemius, nebst alten Possadniks, Tyssjätschskijs und wohlhabenden Hausbesitzern von den fünf Stadttheilen zu ihm hinaus. Es w%rde ein Vertrag abgeschlossen und Nowgorod musste, ausser den früheren 8000 Rubeln, noch 8500 Rubel bezahlen, musste alle von Nowgorodern gekauften Ländereien, die in Gebieten lagen, welche Moskau unterthan waren, herausgeben, ferner mussten die Nowgoroder dem Grossfürsten den tschornyj Bor und gerichtliche Strafgelder zahlen. Die Hauptsache war aber, dass sich Nowgorod verpflichten musste, die von der Wetsche ausgestellten Urkunden zu annulliren und dass es künftig nur solche Urkunden ausstellen durfte, die im Namen des Grossfürsten geschrieben und mit dem grossfürstlichen Siegel versehen waren. Durch diese letztere Bestimmung wurde die nowgoroder Freiheit in ihrem innersten Wesen getroffen und der Fall von Nowgorods Unabhängigkeit im Voraus besiegelt.
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Die Nowgoroder fühlten das ihnen nahende Unheil und hassten den Fürsten von Moskau. Im Jahre 1460 kam Wassilij der Blinde mit seinen Söhnen Jurij und Andrej nach Nowgorod. Die Nowgoroder versammelten sich zur Wetsche bei der heil. Sophie und beschlossen ihn nebst seinen Kindern zu erschlagen; der nowgoroder Wladika Jonas brachte sie jedoch davon ab. „Ihr werdet keinen Nutzen davon haben, — stellte er ihnen vor — es bleibt ihm noch der älteste Sohn, Iwan; dieser wird sich ein Kriegsheer vom Chan erbitten und euch zu Grunde richten." Während Moskau Nowgorod unterdrückte, legte es gleichzeitig seine schwere Hand auf dessen zwei selbstständige Colonien Pskow und Wjätka. Pskow hatte gegen Moskau keinerlei Feindschaft gezeigt, obschon es den moskauer Fürsten missfiel, dass die Pskowiter, im Jahre 1459, Schemjakas Sohn mit einer Kirchenprozessiou empfangen und ihm drei Wochen lang Ehrenbezeugungen erwiesen hatten. Pskow, als ein freies Land, nahm, wie ehemals, Fürsten von allen Ländern bei sich auf, und ein solcher Fürst war Alexander Tschertoryshskij, aus einem litthauer Fürstengeschlecht. Im Jahre 1460 forderte der moskauer Grossfüsst, dass Tschertoryshskij, wenn er Fürst von Pskow bleiben wolle, Moskau Treue schwören müsse. Tschertoryshskij weigerte sich und verliess Pskow. Seit dieser Zeit nahmen die Pskowiter des Herrschers von Moskau Statthalter als Fürsten bei sich auf. Wjätka, eine nowgoroder Colonie, die im XIII. Jahrhundert durch Auswanderer, welche mit Nowgorod unzufrieden waren, gegründet ward, und die daher von Nowgorod stets unabhängig blieb, war den Nowgorodern sogar feindlich gesinnt; es hatte Schemjaka in seinem Kampfe gegen Wassilij den Blinden geholfen. Dafür musste es, nachdem Wassilij als Sieger aus dem Kampfe hervorgegangen war, Strafe leiden. Zweimal sandte Moskau ein Heer gegen Wjätka, in den Jahren 1458 und 1459. Der erste Feldzug misslang, im zweiten aber eroberten die moskauer Feldherren, Fürsten Rjäpolowskij und" Patrikejew, die wjätkaschen Städte Orlow und Kotelnitsch und zwangen die Wjätschanen Wassilijs Oberherrschaft anzuerkennen. Wassilij der Blinde starb am 5. März 1462 an einer misslungenen K u r , durch angezündeten Feuerschwamm. Er hatte seinen Hauptrathgeber, den Metropoliten Joiias, der am 31. März 1461 gestorben war, um ein Jahr überlebt. Wassilijs Sohn, Iwan, der vorher schon das Reich regiert hatte, blieb nun der einzige Grossfürst. Der Beginn seiner Alleinherrschaft zeigt, mit früheren Jahren verglichen, keine wesentlich neue Wendung. Iwan brauchte nur auf dem alten Weg weiter zu gehen und dasjenige fortzusetzen, was bei Lebzeiten des Vaters bereits von ihm begonnen war. Seines Vaters traurige Lebenserfahrungen hatten ihm schon seit
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seiner Kindheit gegen alle Ueberbleibsel der alten Theilfürsten- und Wetachefreiheiten eine unversöhnliche Feindschaft eingeflösst und ihn zu einem Kämpfer für die Alleinherrschaft gemacht. Iwan -war ein unbeugsamer Charakter, kalt, überlegend, gefühllosen Herzens, herrschsüchtig, beharrlich in der Verfolgung seiner Ziele, versteckt und im höchsten Grade vorsichtig; in allen seinen Handlungen ist eine Bedächtigkeit, sogar ein Zaudern erkennbar; er zeichnete sich weder durch Kühnheit, noch durch Tapferkeit aus, dagegen aber verstand er es ausgezeichnet, die Umstände zu benutzen; nie liess er sich fortreissen, handelte aber entschieden, wenn er sah, dass seine Entwürfe soweit gereift waren, dass am Erfolg nicht mehr zu zweifeln war. Die Einverleibung und möglichst enge Verbindung von Ländern mit dem moskauer Reich war das beständige Ziel von Iwans politischer Thätigkeit. In dieser Beziehung folgte er seinen Vorfahren, übertraf sie jedoch alle und hinterliess seinen Nachkommen, für eine lange Reihe von Jahren, ein Vorbild zur Nachahmung. Zugleich mit der Vergrösserung des Reichs wollte Iwan demselben auch eine streng automatische Regierungsform geben, wollte alle alten Ueberreste landschaftlicher Absonderung und Freiheit, politischer wie auch persönlicher, unterdrücken, wollte die Alleinherrschaft des Monarchen als einzigen selbstständigen Motor aller Kräfte des Reichs durchführen und alle seine Unterthanen, angefangen von seinen nächsten Verwandten bis znm letzten Bauer, zu seinen Sklaven machen. Zu alledem legte Iwan Wassiljewitsch ein festes Fundament; seine Nachfolger brauchten den Bau nur zu ergänzen und sein Werk weiter zu führen. In den ersten Jahren seiner Alleinherrschaft vermied es Iwan Wassiljewitsch, sein Hauptziel — die vollständige Einigung Russlands — hervortreten zu lassen; er zeigte sogar bei jeder Gelegenheit besonders auffällig, dass er die Rechte der Fürsten und Länder respektire, er that, als ob er ein eifriger Verfechter der guten, alten Zeit sei, liess aber dabei doch, nicht nur die in seinen ererbten Rechten liegende Macht, sondern auch das Ansehen seiner grossfürstlichen Würde fühlen. Aus Iwan Wassiljewitschs Handlungsweise erkennt man, dass er es sich zur Aufgabe gemacht hatte, all sein Thun mit der Maske des Rechts und der Gesetzlichkeit zn verhüllen und als Gegner gewaltsamer Neuerungen aufzutreten; er richtete seine Handlungen so,ein, dass es den Anschein hatte, als ob eine für ihn nützliche Neuerung nicht von ihm, sondern von Anderen hervorgerufen sei. Obgleich er auch entschlossen und kühn sein konnte, war er doch dort, wo er auf Widerstand gegen seine Unternehmungen zu stossen fürchtete, ausserordentlich vorsichtig. Nach dem Tode seines Vaters besann er sich keinen Augenblick das Fürstenthum Jaroslawl zu annectiren, denn dort war kein Widerstand zu befürchten. Jaroslawl und dessen Bezirk befand sich bisher im Besitz eigener Fürsten, die übrigens schon
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seit langer Zeit Vasallen des moskauer Grossfürsten waren. Diese Fürsten entstammten dem Geschlechte Fjodor Rostislawitsch, eines Fürsten, welcher im XIII. Jahrhundert lebte, heilig gesprochen wurde und zum Stamme derer von Smolensk gehörte. Ihr Geschlecht war jetzt in viele fürstliche Familien verzweigt, zu ihnen gehörten die Kürbskijs, Sassökins, Prosörowskijs, Lwows, Schechönskijs, Ssönssews, Schtschetinius, Ssizkijs, Schachöwskijs, Kubönskijs, Trojekürows, Schastundws, Juchötskijs u. A., ihre Besitzungen bildeten das Land Jaroslawl und sie standen unter dem ältesten ihres Geschlechts, welcher den Titel Grossfürst führte und dem die Stadt Jaroslawl gehörte; ebenso, wie es sich auch in andern Ländern, z. B. im twerschen und rjäsanschen Lande, verhielt. Grossfürst des Landes Jaroslawl war damals Fürst Alexander Fjodorowitsch, welcher ebenso machtlos, wie seine zahllosen Vasallen war. Iwan Wassiljewitsch gelangte in den Besitz von Jaroslawl und des dazu gehörigen Landes durch die Bemühungen des Djaks Alexej Poludktow; wir wissen nicht, ob sich alle Fürsten des jaroslawschen Landes dem Beherrscher Moskaus freiwillig unterwarfen, die näheren Umstände dieses Ereignisses [sind unbekannt; selbstverständlich aber war es, dass diese Fürsten, mit oder gegen ihren Willen, Alles thaten, was der mächtige Herrscher von ihnen forderte und dass Alle unter die Zahl seiner Diener traten. Iwan Wassiljewitschs Beziehungen zu den mächtigeren Fürsten von Twer und Rjäsan waren jedoch ganz andere. Mit seinem Schwager, dem Fürsten von Twer, schloss er, gleich nach dem Tode seines Vaters, einen Vertrag, in welchem das Herrscherrecht dieses Fürsten über sein Land ausdrücklich gewährleistet wurde; — es lag nicht in Iwan Wassiljewitschs Plänen, einen Nachbar, dessen Besitzungen am Wege zwischen Moskau und Nowgorod lagen, ohne dringende Notwendigkeit gegen sich aufzubringen, namentlich nicht zu einer Zeit, wo, wie der moskauer Grossfürst voraussah, absolut eine Auseinandersetzung mit Nowgorod stattfinden musste und er daher eher Veranlassung hatte sich Verbündete zu sichern, als solche für Nowgorod zu schaffen. Ueber den rjäsaner Grossfürsten konnte Moskau schon früher verfügen; Iwan Wassiljewitsch hatte ihm sein Land nicht abgenommen, sondern ihn 1464 mit seiner Schwester verheiratet ; er anerkannte zwar dessen selbstständiges Herrscherrecht, hielt ihn aber in vollständiger Abhängigkeit. Eine Veranlassung, gegen seinen Schwager feindselig aufzutreten, hatte Iwan Wassiljewitsch nicht, denn dieser getraute sich nie, ihm unfolgsam zu sein. Zwischen Iwan und Pskow war ein Konflikt entstanden. Auch bei dieser Gelegenheit zeigte Iwan, dass er die herkömmlichen Rechte scheinbar achte, zwang aber doch die Pskowiter, seine Macht und Würde anzuerkennen. Im Jahre 1463 hatten die Pskowiter einen grossfürstlichen Statthalter, der ihnen gegen ihren Willen aufgedrungen war, vertrieben, und sandten Botschafter an Iwan; um sich einen anderen zu erbitten.
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Iwan Wassiljewitsch war zornig darüber, liess die Botschafter drei Tage lang auf eine Audienz warten und that am vierten, als ob er sie nur aus Mitleid vorlasse; dann fing er an ihnen zu drohen und sagte schliesslich: „Ich will meinem Erblande P s k o w , nach altem Brauch, gnädig sein und Euch einen Fürsten nach Eurem Wunsche g e b e n ! " Und er gab ihnen den Fürsten (von Swenigorod), welchen sich die Pskowiter erbeten hatten. Iwan Wassiljewitsch liess in diesem Falle die Pskowiter f ü h l e n , dass, wenn er auch, altem Brauche zufolge, ihren Wunsch erfülle, sie dies einzig und allein seinem guten Willen und seiner Gnade zu verdanken hätten und dass, wenn er es gewollt, es auch anders hätte sein können. Nachdem er den Pskowitern, gleichsam einem alten Recht zulieb, diesmal ihren Willen gethan, handelte er ein andermal gegen ihren Willen, gleichfalls aus Achtung vor einem alten Herkommen. Die Pskowiter waren nämlich mit dem nowgoroder Wladyka unzufrieden, hatten die Absicht, sich von ihm loszusagen und baten um einen eigenen Bischof. Iwan Wassiljewitsch schlug ihnen, fussend auf altem Brauch, diese Bitte ab; dasselbe that auch der an Jonas Stelle getretene Metropolit Theodosios. Es stimmte nicht mit den Absichten der moskauer Politik überein, Nowgorods höhere Geistlichkeit gegen den moskauer Grossfürsten aufzubringen, — im Gegentheil, diese geistliche Macht konnte, da ihre eigenen Interessen mit denen Moskaus übereinstimmten, die nowgoroder Tendenzen schwächen, welche sich gegen die moskauer Alleinherrschaft richteten. In diesem Fall waren die Pskowiter gezwungen, sich dem Willen des Grossfürsten zu fügen und Hessen ihre Pläne nur deshalb fallen, weil der Grossfürst und der Metropolit in Moskau es so beschlossen hatten. Der Herrscher von Moskau sorgte aber auch dafür, dass die Nowgoroder aus diesem Anlass keinen Grund zum Wichtigthun haben sollten. Als sich Nowgorod Feldherren erbat, um mit Waffengewalt gegen Pskow vorzugehen, weil es dem Wladyka. von Nowgorod nicht gehorchen wollte, da ertheilte Iwan Wassiljewitsch den Nowgorodern dafür einen Verweis. Im Jahre 1467 begann für Russland eine schwere Zeit. Eine epidemische Krankheit, die man damals Drüsenkrankheit (Pest) nannte, brach aus; sie wüthete im nowgoroder und pskower L a n d e , ergriff im Winter auch das moskauer Gebiet, und in Städten, Dörfern und auf den Landstrassen starben viele Menschen daran. Muthlosigkeit und Furcht bemächtigten sich der Menschheit; man sprach vom Herannahen des Weltunterganges; das sechste Jahrtausend seit Erchaffung der Welt sei dem Ende nahe und dann würde das jüngste Gericht beginnen; es wurde von wunderbaren Naturereignissen berichtet, die eine verhängnissvolle Bedeutung haben sollten. Der rostower See soll zwei Wochen hindurch des Nachts so geheult haben, dass die Menschen nicht schlafen konnten, und dann habe man ein eigenthümliches Klopfen darin vernommen. Während dieser sorgenvollen Zeit und allgemeinen Niedergeschlagenheit starb
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Iwans Frau, die twersche Fürstentochter Marie. Man erzählte, sie sei vergiftet worden.') Der Tod dieser Fürstin blieb in Dunkel gehüllt und die Folge davon war, dass Iwan, von seiner Frau erlöst, die Möglichkeit hatte, nach kurzer Zeit eine zweite Ehe zu schliessen, welche durch die Folgen, welche sie hervorrief, bedeutungsvoll werden sollte. Am Hofe Iwans lebte damals ein Italiener, die zeitgenössischen Chroniken nennen ihn Iwan Frjäsin 2 ); er bekleidete das Amt eines Münzenprägers. Aller Wahrscheinlichkeit nach war der Gedanke, den Grossfürsten mit einer griechischen Zarentochter zu vermählen, von ihm ausgegangen, und es scheint, dass er es war, der die Nachricht, der Beherrscher von Moskowien sei Wittwer geworden, nach Italien gemeldet hatte. Zwei Jahre später (1469) erschien eine Gesandtschaft des römischen Kardinals Wissarion in Moskau. Dieser Kardinal, ein geborener Grieche, war früher Metropolit von Nicäa gewesen und war, zugleich mit dem russischen Metropoliten Isidor, der Union (Kirchenvereinigung) auf dem Concil zu Florenz beigetreten. Während nun sein Gefährte Isidor in sein Vaterland zurückgekehrt war, und im Kampfe gegen die Türken, am Unglückstage der Einnahme von Konstantinopel, fiel, blieb Wissarion in Rom und lebte in Ehren. Als seine Botschafter erschienen ein Grieche, Namens Jurij, und zwei Italiener: Karl, ein älterer Bruder des Münzenprägers Iwan, und ihr Neffe Antonius. Sie brachten dem Grossfürsten im Namen ihres Kardinals die Nachricht, dass eine Nichte des letzten griechischen Kaisers, Konstantin Palaeolog, die Tochter von dessen Bruder Thomas, in Rom lebe. Ihr Vater musste endlich, nachdem er sich eine Zeit lang unter dem Titel eines Despoten von Morea auf dem Peloponnes gehalten hatte, dem Beispiel vieler seiner Landsleute folgend, im fremden Lande ein Asyl suchen; er kam mit seinen zwei Söhnen Andreas und Manuel nach Italien und starb in Rom. Seine Tochter Zenai'da-Sophia (in der Folge unter dem letzteren Namen bekannt), wollte keinen römisch-katholischen Prinzen heiraten. Es hatte sich der König von Frankreich und der Herzog von Mailand um ihre Hand beworben, beide aber waren abgewiesen worden. Es würde gewiss passend sein — meinten die Botschafter des Kardinals — , wenn sich der Grossfürst von Moskau, als ein der rechtgläubigen, orientalischen
') Den Beweis dafür erblickte man darin, dass ihr Leichnam sich auffallend stark aufgebläht habe; die über ihr ausgebreitete Decke habe zuerst bis auf. die Erde hinabgehangen und nachher nicht einmal die Leiche bedeckt. Naehdem sie im Himmelfahrtskloster des Kreml beerdigt worden war, gerieth der Grossfürst gegen Natalie,, die Frau des Djak Alexej Poluiktow, welche den Gürtel der verstorbenen Fürstin an eine Wahrsagerin gesandt hatte, in Zorn. Poluiktow durfte dem Grossfürsten sechs Jahre lang nicht vor die Augen kommen. 2 ) Der Beiname Frjäsin bedeutete nichts anderes, als die Zugehörigkeit zu den Westeuropäern; man nannte die letzteren damals allgemein „ F r j ä g i " , und es scheint, dass diese Benennung nur den im Laufe der Jahrhunderte umgemodelten alten Namen W a r ä g e r bezeichnet, welcher zuerst den nördlichen Skandinaviern, dann aber den Europäern im Allgemeinen beigelegt wurde.
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Kirche angehörender Monarch, mit ihr vermählen wollte. Iwan Wasiljewitsch sandte nun 1469 seinen Münzpräger Iwan, den sogenannte Frjäsin, als Brautwerber zum Papst Paul II. und zum Kardinal Wissarion. Des moskauer Fürsten politische Thätigkeit hatte sich^unterdessen nach dem Osten gewandt. Das kasanische Reich, welches erst unlängst gegründet worden war und sich unter Wassilij dem Blinden so furchtbar gemacht hatte, beunruhigte Russland sehr; von seinen Grenzen her waren die russischen Länder fortwährenden Ueberfällen ausgesetzt und seine Horden schleppten viele Gefangene mit sich fort. Diese Ueberfälle gingen von den Tataren und von den Tscheremissen aus, — dem wildesten der finnisch-türkischen Stämme, welche den Osten des heutigen europäischen Russlands bewohnten und die von den Tataren unterjocht waren. Iwan sandte seine Heere ins Tscheremissenland, um es zu verwüsten, und hatte im Jahre 1468 Gelegenheit, einen seiner Vasallen in Kasan einzusetzen und sich auf diese Weise zum Herrn des Landes aufzuwerfen. Einige kasanische Magnaten, die mit ihrem damaligen Chan Ibrahim unzufrieden waren, hatten Kassim, einen von den Zarewitschs, denen bereits Wassilij der Blinde ein Asyl und Landbesitz in Russland verliehen hatte, zu sich eingeladen. Iwan Wassiljewitsch sandte zwei Heere nach Kasan, — das Unternehmen missglückte jedoch; theils weil Wjatka Moskaus Machterweiterung fürchtete und deshalb nicht nur keine Hilfe gegen Kasan leistete, sondern sogar auf die feindliche Seite trat. Iwan liess sich jedoch durch das erste Misslingen nicht abschrecken; er sandte 1470 abermals ein Heer gegen Kasan, bei welchem sich seine Brüder befanden. Chan Ibrahim schloss nun mit Moskau Frieden und befreite alle im Verlauf der letzten vierzig Jahre in Gefangenschaft gerathenen Russen. Zeitgenössische Nachrichten berichten, dass der Friede mit Ibrahim ganz nach dem Willen des Grossfürsten abgeschlossen wurde. Die Friedensbedingungen sind uns unbekannt, wahrscheinlich aber enthielten sie einen Theil dessen, was später von Iwan mit grösserem Erfolg erreicht wurde. Die Umstände brachten es nun mit sich, dass Iwan Wassiljewitschs Thätigkeit sich dem Norden zuwandte. Seit anderthalb Jahrhunderten hatte Moskau Nowgorods Selbstständigkeit und Wohlfahrt untergraben; Nowgorod musste Gelderpressungen, Länderraub, Verheerung seiner Bezirke über sich ergehen lassen und es ist daher erklärlich, dass man in Nowgorod Moskau längst schon hasste. Diese Wuth gegen Moskau hatte schon unter Wassilijs des Blinden Regierung einen sehr hohen Grad erreicht. Gross-Nowgorods Selbstständigkeit war bereits unterwühlt, und nun war für Moskau die Zeit gekommen, die letzten Mittel in Bewegung zu setzen. Wie es in Handelsrepubliken häufig vorkommt, war die Zahl derer, welche zu allererst ihren persönlichen Vortheil im Auge haben und nach diesem ihren Patriotismus reguliren, in Nowgorod eine sehr grosse. Schon 25 Jahre früher klagte der Chronist, dass es in Nowgorod weder Recht noch Gesetz gäbe. Ränkemacher verbänden sich
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insgeheim, um Händel anzufangen und um falsche Eide zu schwören; in der Stadt, auf den Dörfern und im ganzen Lande herrsche ein Raubsystem und das Volk sei mit unerschwinglichen Steuern belastet; überall sei Heulen und Wehklagen; man verwünsche die Obrigkeit und ganz Nowgorod, und die Nowgoroder seien ein Gegenstand des Schimpfes für ihre Nachbarn geworden. Dort, wo man egoistische Interessen höher schätzt, als alles Uebrige, sind derartige Erscheinungen unvermeidlich. Als aber die Gefahr des Untergangs von Nowgorods Selbstständigkeit immer mehr sich näherte, da bildete sich ein Kreis von Männern, die sich im Namen des Gemeinwohls vereinigten, um ihr Vaterland um jeden Preis vor der moskauer Herrschsucht zu schützen. Ein Weib, die Wittwe eines Possadniks, Marfa Borezkaja, war die Seele dieses Kreises. Leider bieten uns die Quellen zu wenig Material, um die Persönlichkeit dieser Frau gebührend zu charakterisiren; es unterliegt aber wohl keinem Zweifel, dass sie es war, die damals auf den Gang der Ereignisse den allergrössten Einfluss ausübte. Sie war Mutter zweier erwachsener, verheiteter Söhne und hatte bereits einen E n k e l . M a r f a war sehr reich; in ihrem auf der Sophienseite befindlichen nowgoroder Hofe, welchen die Zeitgenossen „wundervoll" nannten, versammelte sie gastfreundlich einen Kreis von Männern, die für die Freiheit und Unabhängigkeit des Vaterlandes einzustehen bereit waren. Männer aus den vornehmsten Bojarenfamilien, die Arbüsows, Afonässjews, Astäfjews, Grigoröwitschs, Loschinskijs, Nemirs u. A. gehörten zu diesem Kreise. Diese Männer übten auf die grosse Volksmenge einen grossen Einfluss aus und waren — wenigstens bis zur ersten Niederlage — imstande, Alles, was sie wollten, auf der Wetsche durchzusetzen. Da sie die Ueberzeugung hatten, dass GrossNowgorod nicht stark genug sei, um sich allein gegen Moskau zu vertheidigen, welches ausser dem eigenen Heer auch noch die Heere seiner Vasallenländer ausrücken lassen konnte, so beschlossen diese Patrioten, dass es am Gerathensten sei, sich unter den Schutz Kasimirs, Grossfürsten von Litthauen und Königs von Polen, zu begeben. Iwan Wassiljewitsch wusste Alles, was in Nowgorod geschah und was daselbst geplant wurde; er Hess aber die Nowgoroder seinen Zorn nicht merken und sagte ihnen in aller Sanftmuth: „Männer von Nowgorod, bessert Euch, vergesset nicht, dass Nowgorod ein Erbland des Grossfürsten ist; hütet Euch, Böses zu thun und achtet die alten Bräuche!" An der Wetsche beleidigten die Nowgoroder des Grossfürsten Botschafter und gaben auf Iwan Wassiljewitschs Ermahnungen folgende Antwort: „Nowgorod ist kein Erbland des Grossfürsten, Nowgorod ist sein eigener H e r r ! "
') Zwei ihrer Söhne ertranken im Meer; um dieses traurige Ereigniss zu verewigen, gründete Marfa das korelische Kloster, 34 Werst von Archangelsk, am Weissen Meer.
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Auch jetzt hielt der Grossfürst seinen Zorn noch an sich, Hess aber Gross-Nowgorod noch einmal sagen: „ D u , mein Erbland Gross-Nowgorod, und Ihr, nowgoroder Männer, bessert Euch; begehrt nicht meine Länder und Gewässer, haltet meinen Namen in Furcht und Ehren,, demüthigt Euch vor mir, und ich werde meinem Erbland, nach altem Brauche, gnädig sein!" Die Bojaren machten den Grossfürsten darauf aufmerksam, dass Nowgorod seiner Würde zu nahe trete. Iwan antwortete ihnen kaltblütig: „Die Wellen brechen sich am Felsen und thun ihm keinen Schaden, sie zerstieben in Schaum, vergehen und man spottet ihrer. Auch diesen Männern von Nowgorod wird es so ergehen." Ende 1470 forderten die Nowgoroder den Fürsten Michail Olelkowitsch aus Kijew auf, zu ihnen zu kommen. Es war dies einer von denjenigen Fürsten, die Nowgorod früher häufig zu sich berufen hatte, und welche bestimmte Einkünfte von einigen Bezirken bezogen, gleichsam besoldet wurden. Der nowgoroder Wladyka Jonas war jetzt gestorben. An dessen Stelle trat der durchs Loos erwählte Theophil, ein schwacher, charakterloser Mann, der von einer Seite zur anderen schwankte. Die patriotische Partei hatte damals ein so grosses Uebergewicht, das3 zwischen GrossNowgorod und Kasimir ein Vertrag zustande kam, laut welchem Nowgorod sich unter Kasimirs Oberherrschaft begab und sich von Moskau lossagte, wogegen Kasimir sich verpflichtete, Nowgorod gegen die Angriffe des Grossfürsten von Moskau zu schützen. Auch jetzt, nachdem Iwan Wassiljewitsch diese Abmachungen erfahren hatte, verliess ihn seine Kaltblütigkeit nicht. Er sandte abermals eine milde Ermahnung an Nowgorod, in der er daran erinnerte, dass Nowgorod seit vielen Jahrhunderten nur das eine Fürstengeschlecht des heil. Wladimir kenne. „Ich bin der Grossfürst, — liess er durch seinen Botschafter sagen, — ich thue Euch keine Gewalt an, ich belaste Euch nicht höher, als Ihr unter meinen Vorfahren belastet wurdet; ich will Euch und meinem Erblande noch mehr Gnade erweisen." Gleichzeitig sandte auch Metropolit Philipp, der Nachfolger des ins Kloster gegangenen Theodosios, eine Ermahnung an die Nowgoroder. Er stellte ihnen vor, dass es ein Verrath am rechten Glauben sei, wenn Nowgorod sich unter die Herrschaft eines Monarchen lateinischen Glaubens beuge. Es scheint, dass diese Ermahnung das religiöse Gefühl vieler Nowgoroder erregt hatte, der Hass gegen Moskau behielt jedoch einstweilen noch die Oberhand, denn die patriotische Partei war immer noch die stärkere. »Wir sind kein Erbland des Grossfürsten — riefen die Nowgoroder an der Wetsche — Gross-Nowgorod war von jeher ein freies Land. Gross-Nowgorod ist sein eigener Herr!" Die grossfürstlichen Botschafter wurden mit Schimpf und Schande fortgeschickt.
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Auch dieser Vorgang brachte Iwan Wassiljewitsch noch nicht in Harnisch; er sandte wiederum einen Boten, den Iwan Fjodorowitsch Toröpkow, mit wohlwollenden Ermahnungen nach Nowgorod: „Verlasse den rechten Glauben nicht, mein Erbland; verscheucht die bösen Gedanken aus Euren Herzen, Ihr Nowgoroder; schjiesset kein Bilndniss mit den Lateinern, bessert Euch und seid mir unterthan; ich will Euch gnädig sein und die alten Bräuche ehren!" Auch der Metropolit Philipp sandte ihnen noch eine Ermahnung, in der er, soweit seine Gelehrsamkeit reichte, den lateinischen Unglauben nachwies und den nowgoroder Wladyka beschwor, seine Heerde vor der Gemeinschaft mit den Lateinern zu bewahren. Dies geschah im Frühjahr 1471. Es war aber Alles vergebens, obschon der von den Nowgorodern aus Kijew berufene Fürst bereits wieder abgereist war, und, weil seine Drushina sich allerlei Unfug gestattet, kein gutes Andenken hinterlassen hatte. Die Partei der Borezkys hielt die Hoffnung auf Kasimirs Hilfe aufrecht. Erst jetzt entschloss sich Iwan Wassiljewitsch mit Waffengewalt aufzutreten. Er sandte am 31. Mai sein Heer unter dem Befehl des Wojewoden Obrasötz an die Düna, um den Nowgorodern diese wichtige Provinz zu entreissen; am 6. Juni liess er ein zweites Heer von 12,000 Mann unter dem Befehl des Fürsten Danilo Dimitrijewitsch Chölmskij an den Ilmen rücken und am 13. Juni sandte er ihm eine dritte Abtheilung, unter dem Befehl des Fürsten Wassilij Obol&iskij-Striga, an das Ufer des Flusses Msta nach. Der Grossfürst ertheilte den Befehl alle nowgoroder Flecken und Dörfer niederzubrennen und alle Menschen, ohne Unterschied des Alters und Geschlechts, zu tödten. Seine Absicht war, das nowgoroder Land möglichst zu schwächen. Zugleich mit seinen eigenen Truppen hatte der Grossfürst auch die Kriegsmacht von Pskow und Twer aufgeboten. Auf Befehl Iwan Wassiljewitschs hausten die moskauer Krieger ganz unmenschlich; ihre Feldherren Hessen, nachdem sie bei Korostynja am Ufer des Ilmen ein nowgoroder Corps geschlagen hatten, den Gefangenen Nasen und Lippen abschneiden und sandten sie so zu ihren Kameraden zurück. Die nowgoroder Hauptarmee bestand grösstentheils aus kriegsungewohnten Leuten, Handwerkern, Ackerbauern und Tagelöhnern; es war keine Einheit in diesem Heer. Am 13. Juni wurden die Nowgoroder, am Ufer des Flusses Schelonja, wo der Drjänj in die Schelonja mündet, aufs Haupt geschlagen. Iwan Wassiljewitsch, welcher mit dem Hauptheer gefolgt war, hatte in Jashelbizy Halt gemacht, und liess nun vier Anführern des nowgoroder Heeres, welche gefangen worden waren, unter ihnen auch den Sohn der Marfa Borezkaja, Dimitrij Issaakowitsch, enthaupten. 1 ) Aus Jashelbizy rückte Iwan nach Russa, von dort an den Die übrigen waren: Wassilij Sselesnjow-Güba, Kiprian Arbtisjew (oder Arsubjew und Jeremias Ssuchoschtsohök, der Mundschenk des Erzbisohofs.
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Ilmen, und traf nun Vorbereitungen, um Nowgorod mit Waffengewalt einzunehmen. Die Niederlage des nowgoroder Heeres hatte einen Umschwung in der Stimmung des nowgoroder Volks hervorgerufen. Es hatte die Ueberzeugung, Kasimir würde entweder selbst erscheinen, oder den Nowgorodern ein Hilfsheer senden, — aber Nowgorod musste vergebens auf Litthauens Hilfe warten, — denn die Deutschen in Livland hatten den an Kasimir abgesandten Boten abgefangen. Jetzt erhob das Volk ein Wehklagen und sandte seinen Erzbischof, um beim Grossfürsten Schonung zu erbitten. Der Wladyka mit den Abgesandten Gross - Nowgorods beschenkte zuerst die Brüder des Grossfürsten und dessen Bojaren und wurde dann ins grossfilrstliche Zelt geführt; dort bat er mit folgenden Worten um Gnade: „Herr Grossfürst Iwan Wassiljewitsch von ganz Russland! Um des Herrn willen sei gnädig gegen die Leute von Gross - Nowgorod, Deinem Erbland, die schuldig sind vor Dir! Erweise ihnen, Herr, Deine Barmherzigkeit, höre auf Feuer und Schwert wüthen zu lassen, versündige Dich nicht an Deinem alten Lande, schenke Deinen schuldbewussten Leuten einen Lichtblick. Sei barmherzig, spende Gnade, wie Gott sie Deinem Herzen einflösst!" Des Grossfürsten Brüder und nach ihnen auch die moskauer Bojaren, welche von den Nowgorodern Geschenke angenommen hatten, verneigten sich vor ihrem Herrn und baten für Nowgorod. Iwan Wassiljewitsch hatte schon vorher vom Metropoliten ein Schreiben erhalten, in welchem dieser ihn um Schonung für Nowgorod gebeten hatte. Er that nun, gleichsam der dringenden Fürsprache des Metropoliten, Beiner Brüder und Bojaren nachgebend, den Nowgorodern seine Gnade kund: „Ich will ablassen von meiner Feindschaft, will dem Schwerte und dem Schrecken Einhalt thun im nowgoroder Lande und will die Gefangenen ohne Lösegeld freigeben!" Es wurde ein Vertrag geschlossen. Nowgorod entsagte dem Bündniss mit Litthauen und überliess dem Grossfürsten einen Theil des Dünalandes (Sawolotschje), in welchem das nowgoroder Heer von den Moskowitern besiegt worden war. Mitten im nowgoroder Lande befanden sich bevölkerte Enklaven, auf welche andere Fürsten, besonders die von Rostow, Rechte geltend machten. Dies war nichts Ungewöhnliches, denn aus allen Gegenden 'Russlands strömten Menschen hierher. Der Grossfürst von Moskau, als Oberhaupt aller Theilfürsten und Herrscher über ihre Besitzungen, beanspruchte alle solche strittigen Ländereien als sein Erbtheil und nahm sie Nowgorod weg, wobei er sich auf ein angebliches Herkommen berief. Ausserdem musste sich Nowgorod auch zur Zahlung von Contribution verpflichten. Die Summe war auf 154/2 Tausend festgesetzt, Koatomarow-Hencke], Roes. Geschichte in Biogr. I.
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der Grossfürst liess jedoch 1000 nach.. In allem Uebrigen war dieser Vertrag eine Wiederholung dessen, was unter Wassilij dem Blinden festgesetzt worden war; die „ewigen" Vertragsurkunden wurden gleichfalls vernichtet. Treu seinem Grundsatz, systematisch vorzugehen, vernichtete Iwan Wassiljewitsch Nowgorods Selbstständigkeit nicht, sondern überliess es den Nowgorodern selbst, ihm binnen kurzem einen Vorwand zu liefern, der einen weiteren Schritt nach dem Ziel rechtfertigen sollte, welches Moskau jahrhundertelang in Bezug auf Nowgorod erstrebte. Die nächste Folge dieses unglücklichen Krieges war die Verwüstung und Entvölkerung des nowgoroder Landes, und zwar in einem Grade, wie es bei früheren Kriegen gegen die Grossfürsten nie vorgekommen war. Durch diese Verwüstungen schwächte der Herrscher von Moskau Nowgorod und erleichterte sich die zukünftige Vernichtung der Selbstständigkeit dieses Landes. Iwan Wassiljewitsch behielt Wologda und das Sawolotschje und entriss Gross-Nowgorod im folgenden Jahre, 1472, das Land Perm. Dies Land wurde unter Nowgorods Oberhoheit von eigenen kleinen Fürsten regiert, welche im XIV. Jahrhundert, als der heil. Stephanus hier predigte, das Christenthum angenommen hatten. Es waren in Perm einige Moskowiter beleidigt worden; diesen Vorwand benutzte Iwan Wassiljewitsch, um unter dem Befehl des Fjodor Pjostryj ein Heer ins permer Land zu senden. Dies moskauer- Heer zertrümmerte Perms Kriegsmacht, verbrannte Iskor und andere Städtchen des permer Landes, nahm dessen Fürst Michael gefangen, schickte ihn nach Moskau und zwang das permer Land, die Oberherrschaft des Grossfürsten von Moskau anzuerkennen. Auch hier handelte Iwan Wassiljewitsch nach seiner gewohnten Politik; er beliess das Land unter der Verwaltung von dessen Fürsten, die sich aber jetzt unter der Botmässigkeit Moskaus, anstatt Nowgorods befanden. Matwej, ein Sohn Michaels, regierte daselbst bis zum Jahre 1500; dann wurde er abgesetzt und an seine Stelle kam ein russischer Statthalter. Unterdessen hatte der nach Rom gesandte Iwan Frjäsin seinen Auftrag ausgeführt. Der Papst hatte zu der Ehe des Grossfürsten von Moskau mit der griechischen Zarewna seine Zustimmung ertheilt, den russischen Gesandten entlassen und ihm eine Urkunde eingehändigt, wonach den moskauer Delegirten die unbehinderte Einholung der Braut gewährleistet wurde. Auf seiner Rückreise besuchte Frjäsin Venedig, nannte sich dort Grossbotschafter des Grossfürsten von Moskau und wurde vom Regenten (Dogen) Nikolaus Trono ehrenvoll empfangen. Venedig führte damals Krieg gegen die Türkei und man überlegte, ob es nicht rathsam sei, einen Abgesandten der Republik Venedig mit dem moskowischen Botschafter an den Chan der Goldenen Horde zu senden, um diesen zu veranlassen, die Türken anzugreifen. Man wählte zu diesem Zwecke den Giovanni Battista Trevisano als Botschafter. Aus irgend einem Grunde
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hielt es Iwan Frjäsin für räthlich, den Zweck dieser Gesandtschaft und den wahren Rang des Botschafters dem Grossfürsten zu verheimlichen; er bezeichnete Trevisano als einen Verwandten und Kaufmann und sandte ihn privatim weiter. Nachdem Iwan Wassiljewitsch durch Frjäsin die Einwilligung des Papstes zu seiner Heirat erhalten, sandte er denselben Iwan Frjäsin, mit noch anderen Personen, sofort nach Rom, um seine Braut holen zu lassen. Nach Iwan Frjäsins Abreise erfuhr man plötzlich, dass.Trevisano kein Kaufmann, sondern ein Botschafter sei; man Hess ihm nachsetzen, holte ihn in Rjäsan ein und brachte ihn nach Moskau. Natürlich witterte der Grossfürst Böses dahinter und liess Trevisano in den Thurm stecken. Dem Frjäsin war nach seiner Rückkehr aus Rom eine verdiente Strafe für Betrug zugedacht. Iwan Frjäsin trat als bevollmächtigter Repräsentant seines Gebieters in Rom auf. An des unlängst verstorbenen Papstes Stelle regierte jetzt Sixtus IV. Dieser Papst und alle seine Cardinäle betrachteten die Werbung des moskauer Grossfürsten als eine gute Gelegenheit, die langersehnten Ziele der römischen Kirche zu fördern; erstens, die florentiner Union im russischen Reiche einzuführen und die russische Kirche dem Papst zu unterordnen und zweitens, die Kriegsmacht des russischen Landes gegen die Türken zu verwenden, da die Absicht, die Türken aus Europa zu vertreiben, in diesem Jahrhundert im Westen allgemein verbreitet war. Es war überhaupt am römischen Hofe Brauch, wenn Personen, welche des Papstes Herrschaft nicht anerkannten, sich an ihn wandten oder sich ihm zu nähern suchten, es als Bereitwilligkeit auszulegen, sich der Herrschaft des römischen Oberpriesters freiwillig zu unterwerfen. Auch diesmal sah man in der Werbung des moskauer Grossfürsten und in der durch diese Werbung bedingten Absendung einer Botschaft nach Rom, nicht allein den Wunsch nach einer Vereinigung, sondern gleichsam eine bereits vollzogene« Vereinigung des moskauer Monarchen mit der römischkatholischen Kirche. In seiner Antwort an Iwan Wassiljewitsch lobte ihn der Papst sogar schon, dass er die florentinische Union angenommen und den römischen Oberpriester als das Haupt der Kirche anerkannt habe auch sandte der Papst, gleichsam auf Wunsch des Grossfürsten, einen Legaten nach Moskau, um die betreifenden religiösen Gebräuche an Ort und Stelle kennen zu lernen und den Grossfürsten und dessen Unterthanen auf den rechten Wog zu leiten. Wahrscheinlich hatte Iwan Frjäsin, durch eine unvorsichtige Aeusserung von des Grossfürsten Ergebenheit gegen den Papst, selbst Anlass dazu gegeben; unsere Chroniken versichern, er habe sich als Katholik gerirt, obschon er während seines Aufenthalts in Russland den orientalisch-orthodoxen Glauben angenommen hatte. Am 24. Juni 1472 reiste die erkorene Braut, Zarewna Sophia, in Begleitung des päpstlichen Legaten Antonius, aus Rom ab. In ihrem 16*
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Gefolge befanden sich eine Menge Griechen und unter diesen auch ein Bevollmächtigter von Sophiens Brüdern, Namens Demetrius. Sie hatte den Seeweg gewählt, landete in Reval und kam am 13. Oktober in Pskow a n , von wo aus sie nach Nowgorod weiter reiste. In diesen beiden Städten wurde sie mit grossen Ehrenbezeigungen empfangen; in Pskow hielt sich Sophie fünf Tage lang auf, dankte den Pskowitern für ihre Gastfreundschaft und versprach ihnen, sich wegen ihrer Vorrechte beim Grossfürsten zu verwenden. Den päpstlichen Legaten starrten die Pskowiter, wegen seiner rothen Cardinalskleidung und der Handschuhe, verwundert an; am meisten fiel ihnen auf, dass dieser hohe geistliche Würdenträger weder ihren Heiligenbildern Ehrfurcht erwies, noch das Zeichen des Kreuzes machte; nur als er dem Bilde der allerreinsten Mutter Gottes nahte, bekreuzte er sich, und es wurde bemerkt, dass er dies nur auf Geheiss der Zarewna gethan habe. Ein solches Auftreten des Legaten musste in Moskau, wo man weniger als in Pskow und Nowgorod in der Lage war, die Gebräuche der westlichen Katholiken zu kennen, noch mehr Aergerniss erregen. Die Braut war bereits in der Nähe von Moskau angelangt, als dort die Nachricht eintraf, dass man überall, wo die Braut Halt mache, dem päpstlichen Legaten, der sie begleitete, ein gegossenes silbernes Crucifix — „ein lateinisches Kreuz" — vorantrage. Der Grossfürst berieth mit seinen Bojaren, ob man einen solchen Aufzug des Legaten mit dem Crucifix in Moskau dulden dürfe. Einige Bojaren meinten, man solle ihn nicht daran hindern; andere sprachen: in unserm Lande hat man nie dem lateinischen Glauben Ehren erwiesen. Der Grossfürst sandte zum Metropoliten um dessen Ansicht zu vernehmen. „Es darf nicht geduldet werden" — sagte der Metropolit — „dass der Legat auf diese Weise in die Stadt einziehe, sich nicht einmal ihr nähern darf er so; erweisest Du ihm diese Ehre, so mag er durch ein Thor in die Stadt hereinkommen, — ich aber gehe aus dem andern Thor hinaus 1 Weder dergleichen anzusehen, noch auch nur davon zu hören, geziemt uns; wer einen fremden Glanben ehrt, der beschimpft seinen eigenen." Da sandte der Grossfürst .zu dem Legaten und liess ihm sagen, dass er sein gegossenes Cruzifix verstecken möchte. Der Legat überlegte und unterwarf sich. Iwan Frjäsin suchte bei dieser Gelegenheit zu beweisen, dass man den Papst in der Person seines Legaten ehren müsse, da auch der Papst der russischen Gesandtschaft Ehre erwiesen habe. Dieser arme Italiener war gar zu kühn; er zählte auf seine dem Grossfürsten geleisteten Dienste und ahnte nicht, was ihm bevorstand. Bis fünfzehn Werst vor Moskau fuhr ein Bojar des Grossfürsten, Fjodor Davidowitsch, der Braut entgegen; nun wurde Iwan Frjäsin in Fesseln gelegt und nach Kolomna geschafft; sein Haus und Eigenthum wurden geplündert, sein Weib und seine Kinder gefangen genommen. Am 12. November zog die Braut in Moskau ein; hier war zur Voll-
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ziehung der Ehe Alles in Bereitschaft. Der Metropolit empfing sie in der Kirche; er segnete sowohl sie, als Zarewna, wie auch die Recht* gläubigen, welche in ihrem Gefolge waren, mit dem Kreuz. Aus der Kirche begab sich die Braut zur Mutter des Grossfürsten, dorthin kam auch Iwan Wassiljewitsch und die Verlobung fand statt. Der Chronist sagt, auch die Trauung sei am gleichen Tage vollzogen worden.i) Der Metropolit celebrirte die Liturgie in der hölzernen Kirche zur Himmelfahrt Mariä, welche provisorisch, an Stelle der eingestürzten steinernen, bis zur Erbauung einer neuen, errichtet worden war, und nach Beendigung der Liturgie vollzog der Protopop von Kolomna, Josias, die Trauung des Grossfürsten mit der griechischen Zarewna. Die Gesandtschaft blieb elf Wochen in Moskau. Der Grossfürst bewirthete, ehrte und beschenkte die Mitglieder derselben reichlich; der Legat musste sich aber überzeugen, dass für die Unterwerfung der russischen Kirche unter den Papst keine Aussicht vorhanden sei. Der Grossfürst überliess diese kirchliche Angelegenheit dem Metropoliten, und dieser stellte einen gewissen Nikita, einen schriftgelehrten Popensohn, zur Glaubensdisputation gegen den Legaten auf. Die Disputation blieb jedoch resultatlos. Die Russen sagen, der Legat habe dem Schriftgelehrten geantwortet, dass er keine Bücher bei sich habe und deshalb nicht mit ihm disputiren könne. Iwan Wassiljewitsch sandte Anton Frjäsin nach Venedig, um daselbst, Trevisanos wegen, eine Erklärung zu fordern. „Wie darf man auf diese Weise mit mir verfahren, — warf er der venetianischen Regierung vor, — man raubt mir meine Ehre, sendet einen Botschafter durch mein Land, ohne mir davon Mittheilung zu machen!" Der Doge von Venedig sandte Anton mit Entschuldigungen und mit der dringenden Bitte, den gefangen gehaltenen Trevisano freizulassen, zurück. Auf diese Bitte hin befreite Iwan Wassiljewitsch nicht nur den venetianischen Gesandten, er Hess ihn nicht nur seinen Auftrag in der Horde ausführen, sondern gab ihm sogar seinen eigenen Bevollmächtigten mit. Durch seine Heirath mit der griechischen Zarewna hatte Iwan Wassiljewitsch, sozusagen als Mitgift, auch die Feindschaft gegen die Türkei in Kauf genommen und wollte nun auch seinerseits Achmat zum Kriege gegen die Türkei veranlassen. Diese Gesandtschaft hatte aber keinen Erfolg. Iwan Wassiljewitsch gab dem venetianischen Gesandten 70 Rubel zur Reise, und sandte dann seinen Botschafter nach Venedig, der den Auftrag hatte zu sagen, dass man dem venetianischen Gesandten 700 Rubel gegeben habe. Dieser Botschafter Iwan Wassiljewitschs, Tolbusin, war der erste moskowische Gesandte russischer Herkunft im Westen, auf ihn folgte eine lange Reihe russischer Botschafter. Diese Gesandtschaft ist auch noch dadurch bemerkenswert!!, dass Iwan Wassiljewitsch Tolbusin ') Es war ein Donnerstag.
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den Auftrag gab, einen Meister in Italien ausfindig zu machen, der Kirchen zu bauen verstünde. Es gab damals viele Architekten in Italien, aber keiner wollte in das weitentfernte, unbekannte Land ziehen; nur einer, Fioraventi, aus Bologna gebürtig, den man seiner Geschicklichkeit wegen Aristoteles nannte, willigte ein, für einen monatlichen Gehalt von zehn Rubeln mit Tolbusin nach Moskau zu reisen; er nahm seinen Sohn Andreas und einen Schüler, Namens Peter, mit sich. Dieser Aristoteles war der erste, welcher vielen anderen fremden Künstlern den W e g bahnte. Man beauftragte i h n , die Kathedrale zur Himmelfahrt Maria zu bauen. Diese Kirche war schon zur Zeit von Kalitä gebaut worden, war aber baufällig geworden und musste abgetragen werden; zwei russische Meister, Kriwzow und Myschkin, hatten es übernommen, eine neue Kirche an Stelle der alten aufzurichten, konnten aber mit dem Gewölbe nicht znstande kommen. Aristoteles f a n d , dass die Russen weder Ziegel zu brennen, noch Kalk zu bereiten verstünden. E r befahl, Alles, was gebaut worden w a r , mit einer Maschine, die das naive Erstaunen der Russen hervorrief, zu zerschlagen. „ W i e , — sprachen sie, — wir haben drei Jahre lang an der Kirche gebaut und er braucht weniger als eine Woche, um sie zu zertrümmern!" Mehr noch bewunderten die Russen das Rad, mit dem Aristoteles die Steine beim Bau der oberen Mauern des Gebäudes emporwinden Hess. Diese Kirche wurde im Jahre 1479 vollendet und unter grossen Festlichkeiten eingeweiht. Aristoteles war ein sehr nützlicher Mann in Moskau, und zwar nicht nur als Baukundiger, denn er verstand auch Kanonen und Glocken zu giessen und Münzen zu prägen. Die Heirat des Herrschers von Moskau mit der griechischen Zarewna war ein wichtiges Ereigniss in der russischen Geschichte. An und für sich, als verwandtschaftliches Band mit dem byzantinischen Kaiserhause, war diese Verbindung nichts N e u e s , — die russischen Fürsten hatten schon öfters griechische Zarentöchter geheiratet und diese Ehen hatten, — ausser der ersten, des heil. Wladimir, — keine besonderen Folgen gehabt und keine wesentlichen Aenderungen im Leben des russischen Volkes hervorgebracht. Iwans Ehe mit Sophie aber war unter besonderen Verhältnissen geschlossen. Erstens war seine Braut nicht aus Griechenland zu ihm gekommen, sondern aus Italien, und es wurde durch diese Ehe der Verkehr zwischen dem moskowischen Russland und dem westlichen Europa eröffnet. Zweitens existirte das .byzantinische Reich bereits nicht mehr; Gebräuche, staatliche Einrichtungen, Regierungsart und Ceremoniell des Hoflebens suchten, nachdem sie ihren früheren Boden verloren hatten, einen neuen, und fanden ihn in Russland, welches sich zum nämlichen Glauben bekannte. So lange das byzantinische Reich noch existirte, blieb Russland, in politischer Beziehung, ausschliesslich Russland, obschon es das ganze kirchliche Leben des byzantinischen Reichs sich angeeignet hatte; die Griechen hatten auch gar nicht die Prätension, aus Russland ein Byzantium zu schaffen. Jetzt aber, da ein
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byzantinisches Reich nicht mehr vorhanden war, tauchte der Gedanke auf, dass Griechenland in Russland aufleben und das russische Reich ein Erbe des byzantinischen werden müsse, in der nämlichen Art, wie die russische Kirche Bein vom Bein und Fleisch vom Fleisch der griechischen Kirche geerbt habe. Es traf sich gerade recht, dass das östliche Russland zur nämlichen Zeit sich vom Tatarenjoche befreite, als Byzantium unter das Türkenjoch gerieth. Es entstand die Hoffnung, das junge russische Staatswesen könne, nachdem es sich gestärkt und befestigt haben würde, als Hauptfaktor für Griechenlands Befreiung dienen. Sophiens Ehe mit dem russischen Grossfürsten hatte die Bedeutung einer Uebertragung des Erbrechts der Paläologen auf das russische grossfürstliche Haus. Sophie hatte allerdings noch Brüder, die über ihr Erbrecht anderweitig verfügt hatten, — einer von ihnen, Manuel, hatte sich dem türkischen Sultan unterworfen, der andere, Andreas, war zweimal in Moskau gewesen, konnte sich aber dort nicht einleben, war nach Italien zurückgekehrt und hatte sein Erbrecht sowohl dem König von Frankreich, Karl VIII., als auch Ferdinand dem Katholischen von Spanien zum Kauf angeboten. In den Augen rechtgläubiger Männer konnte eine Uebertragung der Rechte byzantinisch-orthodoxer Monarchen an einen Lateiner-König nimmermehr gesetzlich erscheinen; Sophie dagegen, welche !der Rechtgläubigkeit treugeblieben und an einen rechtgläubigen Monarchen verheiratet war, welche Mutter und Urmutter von dessen Nachfolgern werden sollte und auch wurde, welche während ihres Lebens Vorwürfe und Tadel des Papstes und seiner Anhänger verdiente, die, als sie darauf bauten, die florentinische Union durch Sophiens Vermittlung in das moskowische Russland einzuführen, sich sehr in ihr geirrt hatten, — besass in dieser Beziehung weit mehr Rechte, als ihre Brüder. Das erste sichtbare Zeichen jenes Erbrechts, welches sich in Bezug auf Russland, Griechenland gegenüber, entwickelt hatte, war die Annahme des zweiköpfigen Adlers, des Wappens des oströmischen Reichs, welches von nun an Russlands Wappen wurde. Vieles änderte sich jetzt in Russland, und Vieles nahm einen byzantinischen Zuschnitt an. Es geschah diese Aenderung nicht plötzlich, sondern sie vollzog sich während der ganzen Dauer der Regierungsperiode Iwan Wassiljewitschs allmälig und wurde auch nach dessen Tode noch fortgesetzt. Am Hofe kam der hochtönende Titel „ Z a r " und das Küssen der monarchischen Hand in Aufnahme; es wurden Hofämter geschaffen, — Stallmeister, Marschall, Bettmeister (die übrigens erst gegen 'das Ende der Regierung Iwans entstanden); das Ansehen der Bojaren, als Repräsentanten der höchsten Gesellschaftsschicht, sank vor der Erhabenheit des Selbstherrschers, Alle wurden gleich, Alle seine Sklaven. Der Ehrenname „ B o j a r " sinkt nun zur Bezeichnung eines Dienstranges herab, — der Grossfürst erhebt für Verdienste zum Range eines Bojaren; ausser diesem Range entsteht noch ein anderer, etwas niedrigerer, der des Okolnitschij. So ward der Grund zu einer Beamtenhierarchie gelegt. Es scheint, die
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Einrichtung der Behörden mit ihren Djaks fällt gleichfalls in die Regierungszeit Iwan Wassiljewitschs; wenigstens existirte damals schon der „ R a s r j ä d " (die Rangordnungsbehörde), welcher die Dienstordnungen zu überwachen hatte; auch ein Gesandtschaftsbureau gab es damals schon, was daraus entnommen werden kann, weil es einen Gesandtschaftsdjak gab. Wichtiger und wesentlicher aber war die innere Wandelung, welche sich in der Grossfiirstenwiirde vollzog und die in den Handlungen des zaudernden Iwan Wassiljewitsch stark fühlbar und deutlich sichtbar wurde. Der Grossfürst war „Gossudär" und Selbstherrscher geworden. Schon bei seinen Vorgängern war eine hinreichende Disposition dazu vorhanden, die moskauer Grossfürsten waren aber bisher noch keine absolut selbstherrschendep Monarchen gewesen, der erste Autokrat war Iwan Wassiljewitsch, und er ward es hauptsächlich seit seiner Vermählung mit Sophie. Von nun an wurde sein ganzes Thun konsequenter und war ganz entschieden auf die Befestigung der Allein- und Selbstherrschaft gerichtet. Auch die seinem Zeitalter am nächsten stehenden Nachkommen erkannten dies bereits. Unter seinem Sohn Wassilij, welcher des Vaters Werk consequent fortsetzte, sagte ein russischer Mann, Berssenj, zum Griechen Maxim: „Kaum war die Mutter unsres grossen Gossudar hier angekommen, da gerieth unser Land in Confusion." Der Grieche bemerkte darauf, dass Sophie von zarischer Abkunft gewesen sei. Darauf erwiederte Berssenj: „ 0 , Herr Maxime, mag sie gewesen sein, was sie will, — uns hat sie Disharmonie gebracht; weise Leute sagen aber, ein Land, welches seinen Sitten untreu wird, ein solches Land wird keinen Bestand haben; bei uns aber hat der Grossfürst die Sitten verändert." Das Wesentliche in der Aenderung der Sitten bestand, wie desselben Berssenj Worte darthun, in der Einführung autokratischer Gewohnheiten, bestand darin, dass der Fürst jetzt aufhörte, sich, nach alter Weise, mit seinen Aeltesten zu berathen, sich dagegen in sein Schlafzimmer einschloss und alle Angelegenheiten selbdritt entschied. Später als Berssenj, ein Jahrhundert nach Iwan Wassiljewitschs Vermählung mit Sophie, schrieb Kurbskij, welcher das unumschränkte Walten des Enkels dieses Ehepaares hasste, die Initiative dieser ihm antipathischen Einrichtungen der Sophie zu; er nannte sie eine Zauberin und beschuldigte sie, Verbrechen an den Familiengliedern des Grossfürsten begangen zu haben. Es unterliegt keinem Zweifel, dass Sophie ein willenstarkes, listiges Weib war, das sowohl auf ihren Mann, als auch auf die Richtung der Regierungsangelegenheiten in Russland einen grossen Einfluss ausübte. Eines der wichtigsten Ereignisse nach der Eheschliessung Iwans und Sophiens war die gänzliche Unterwerfung Nowgorods. Iwan benutzte das alte Recht eines Fürstengerichts, um Nowgorod einiger Männer zu berauben, die er als Gegner seiner autokratischen Bestrebungen betrachtete. Im Jahre 1475 reiste er nach Nowgorod und wurde dort mit grossen Ehrenbezeigungen empfangen. In Nowgorod herrschte, wie gewöhnlich,
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Zwietracht, und es war kein Mangel an Persönlichkeiten, die bereit waren, den Grossfürsten durch ihre Klagen zu veranlassen, Gericht zu halten über nowgoroder Männer. Die Kläger (Starosten der Slawkow- und Nikitinstrasse und zwei Bojaren) meldeten sich und es traf sich, dass sie just über solche Männer Klage führten, die dem Grossfürsten, seit seinem früheren Zwiste mit Nowgorod, besonders verhasst waren. Der Grossfürst that, als ob er die alten nowgoroder Sitten ehre, und stellte die Angeklagten unter grossfürstliche Aufsicht; er liess sie auch von Seiten der Wetsche überwachen, bestimmte den Gerichtstag in Gorodischtsche und befahl, dass der nowgoroder Wladyka und die Possadniks bei seinem Gericht zugegen sein sollten. Iwan Wassiljewitsch sprach diejenigen, welche von ihren Gegnern angeklagt waren, des Ueberfalls von Höfen, des Raubes und Mordes schuldig und befahl seinen Bojaren vier von den Verürtheilten (Wassilij Onänjip, Bogdän Jässipow, Fjödor Bordzkij und Iwän Loschinskij), die sich schon im Jahre 1471 als Moskaus Gegner erwiesen hatten, festzunehmen. Gleichzeitig befahl der Grossfürst, dass man diesen noch zwei andere Personen beigeselle, obschon sie nicht von ihm gerichtet worden waren (den Iwan Afonässjew und seinen Sohn Eleutherius), unter der Anklage, die Auslieferung Nowgorods an den König von Polen geplant zu haben. Diesem Gericht wohnten die Possadniks nur der Form nach bei, und es war nur formell ein zwiefaches, d. h. fürstliches und gleichzeitig auch Volksgericht nach altem Brauch; in Wirklichkeit war es ein rein fürstliches Gericht, was daraus ersichtlich ist, weil sowohl der Wladyka, als auch die Possadniks den moskauer Grossfürsten nachträglich wiederholt um Freilassung der gefangenen Nowgoroder baten. Der Grossfürst war unerbittlich ; von den gefangenen Personen liess er sechs nach Moskau bringen und sandte sie von dort nach Murom und Kolomna in die Verbannung. Den übrigen Verürtheilten gab er die Freiheit gegen Bürgschaft, legte ihnen aber zu Gunsten der Kläger und zu seinen eigenen Gunsten die hohe Summe von 1500 Rubeln als Strafe auf. Dann liess sich Iwan Wassiljewitsch durch die Nowgoroder festlich bewirthen, und diese Festgelage kamen ihnen theuer zu stehen, denn nicht nur Jene, welche diese Festmahle ausrichteten, schenkten ihm Geld, Weine, Tuch, Pferde, silbernes und goldenes Geschirr, Fischbein, — sondern auch Andere, welche keine Feste veranstaltet hatten, kamen mit Geschenken an seinen Hof, so dass keiner von den Kaufherren und wohlhabenden Bürgern zurückblieb, ohne dem Grossfürsten seine Geschenke dargebracht zu haben. Nach Iwan Wassiljewitschs Rückkunft nach Moskau, Ende März 1476, kam der Erzbischof, die Possadniks und angesehene Leute aus Nowgorod zu ihm, ihn demüthigst um Freilassung der gefangenen Nowgoroder zu bitten. Iwan Wassiljewitsch nahm Geschenke von ihnen entgegen, liess aber die Gefangenen, für die sich die Nowgoroder verwendet hatten, nicht frei. Das grossfürstliche Gericht, welches in Gorodischtsche ab-
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gehalten worden war, hatte natürlich den Beifall derer, welche daselbst freigesprochen wurden; dies war die Veranlassung, dass einige Nowgoroder in Moskau erschienen, um gegen ihre Widersacher gleichfalls ein grossfürstliches Gericht zu beanspruchen. Eines der wichtigsten Vorrechte der nowgoroder Freiheit war, dass der Grossfürst keinen Nowgoroder ausserhalb des nowgoroder Landes richten durfte. Dieses Vorrecht ward jetzt verletzt. Der Grossfürst nahm die Klagen der Nowgoroder in Moskau an und sandte seine eigenen moskauer, nicht nowgoroder Polizeibeamten, um die Angeklagten vorzuladen. Unter diesen Bittstellern und Verklagten befanden sich auch zwei Beamte der nowgoroder Wetsche, der Beamte für Aufträge, Namens Nasär und der Djak (Sekretär) Sachär Owinow. Man nahm sie in Moskau für Abgesandte der Wetsche. Anstatt den Grossfürsten und seinen Sohn (dessen Name als der eines Mitregenten bereits in den Urkunden erwähnt wurde) wie von altersher gebräuchlich, H e r r e n (Gospodä) zu nennen, nannten diese nowgoröder Beamten sie „Gossudäri". Der Grossfürst ergriff diesen Vorwand und sandte am 24. April 1477 seine Bevollmächtigten, um anzufragen, was für ein Reich (Gossudärstwo) Gross-Nowgorod wolle; denn die von ganz Gross-Nowgorod abgesandten Botschafter hätten in Moskau von einem Reiche gesprochen. An der Wetsche antworteten die Nowgoroder, dass sie den Grossfürsten weder Gossudär genannt, noch ihnTBotschafter gesandt hätten, um von einem neuen Reich zu sprechen; ganz Nowgorod wünsche, im Gegentheil, dass Alles unverändert beim Alten bleibe. Des Grossfürsten Bevollmächtigte waren noch nicht aus Nowgorod abgereist, da fing es daselbst zu gähren an. Die Wetsche hatte am 31. Mai drei Personen hinrichten lassen, — den Wassilij Nikiforow, Sachär Owinow und dessen Bruder Kosmä. Als dies der Grossfürst vernahm, erbat er sich den Segen des Metropoliten Gerontius, der an die Stelle des verstorbenen Philipp getreten war, und zog Anfangs Oktober 1477 mit einem Heere aus, um Nowgorod mit Feuer und Schwert heimzusuchen. Twer und Pskow mussten gleichfalls ihre Heere gegen Nowgorod senden. Auch Leute aus nowgoroder Bezirken, aus Böshezk, Nowyj Torg, WolokoLamsk, schlössen sich der Kriegsmacht des moskauer Grossfürsten an, denn in diesen Grenzbezirken befanden sich Enclaven, die nicht zu Nowgorod gehörten. Es wurden im ganzen nowgoroder Land, von der Sawolotschje an bis zur Naröwa, feindliche Corps ausgesandt, um die Wohnungen der Bevölkerung niederzubrennen und diese selbst auszurotten. Die Nowgoroder hatten weder materielle Mittel, noch sittliche Kraft genug, um ihre Freiheit zu vertheidigen. Sie sandten also den Wladyka nebst Botschaftern zum Grossfürsten, um Frieden und Schonung zu erbitten. Die Botschafter trafen den Grossfürsten im ssytynschen Dorfbezirk am Ilmen. Er liess sie nicht vor sich, sondern befahl seinen Bojaren, ihnen Gross-Nowgorods Schuld klar zu machen: „Die Nowgoroder hätten
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selbst Botschafter nach Moskau gesandt, welche den Grossfiirsten Gossudar genannt hätten, jetzt aber wolle Nowgorod seine Worte widerrufen!" Schliesslich sagten die Bojaren: „Falls Nowgorod sich demiithigen wolle, so wisse es, auf welche Art es sich demiithigen müsse!" Darauf setzte der Grossfiirst am 27. November über den Ilmen und stellte sich drei Werst von Nowgorod, in einem Dorfe, welches dem geächteten Loschinskij gehörte, in der Nähe des Jurjewklosters auf. Die Nowgoroder sandten ihre Botschafter noch einmal zum Grossfürsten, aber die moskauer Bojaren Hessen sie, wie früher, nicht vor und sagten ihnen die nämlichen räthselhaften Worte: „Wenn Nowgorod sich demüthigen will, so wisse es, auf welche Art es sich demüthigen müsse." Die grossfürstlichen Truppen bemächtigten sich der umliegenden Klöster und umringten die ganze Stadt; Nowgorod war von allen Seiten eingeschlossen. Wiederum begab sich der Wladyka mit den Botschaftern auf den Weg. Auch diesmal wurden sie nicht vorgelassen; die Bojaren gaben ihnen aber keine Räthsel mehr auf, sondern erklärten ihnen geradezu: „Die Wetsche nebst der Wetscheglocke wird abgeschafft, der Possadnik ebenfalls, das nowgoroder Reich wird ebenso vom Grossfürsten beherrscht, wie das Unterland, in Nowgorod werden seine Statthalter regieren." Dagegen machten sie den Botschaftern Hoffnung, dass der Grossfürst den Bojaren ihre Ländereien nicht wegnehmen und die Nowgoroder nicht aus ihrem Lande hinaustreiben würde. Sechs Tage lang dauerte die Aufregung. Die nowgoroder Bojaren beschlossen, um ihren Privatbesitz zu retten, des Landes Freiheit aufzuopfern ; obschon im Grunde genommen nach dem Verluste dieser Freiheit für die Sicherheit des Privatbesitzes nicht die geringste Bürgschaft vorhanden war. Das Volk war nicht imstande, sich mit den Waffen zu vertheidigen, es war Niemand da, an den man sich um Hilfe wenden konnte und von nirgendher war Hilfe zu erwarten, — die Stadt war total von Allem abgeschnitten. Und abermals f u h r der Wladyka mit den Gesandten ins grossfürstliche Lager und gab die Erklärung a b , dass Nowgorod mit Allem einverstanden sei. Die Botschafter schlugen v o r , man solle einen Vertrag in diesem Sinne aufsetzen und ihn gegenseitig durch das Küssen des Kreuzes bekräftigen. Die Bojaren aber sagten, der Grossfürst würde das Kreuz nicht küssen. „Dann mögen es die Bojaren t h u n " — sagten die nowgoroder Abgesandten. „Auch die Bojaren sollen das Kreuz nicht küssen" — antworteten die Bojaren, nachdem sie diese Forderung dem Grossfürsten vorgelegt hatten. „So mag des Grossfürsten Statthalter das Kreuz küssen" — sprachen die Nowgoroder.
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„Auch dem Statthalter verbietet der Herr das Kreuz zu küssen" — antworteten die Bojaren. Die nowgoroder Abgesandten wollten mit dieser Antwort nach Nowgorod zurückkehren, wurden jedoch, ohne dass man ihnen einen Grund angab, zurückgehalten. Iwan Wassiljewitsch zögerte absichtlich, um die belagerten Nowgoroder durch Hunger und Krankheiten in die äusserste Nothlage zu versetzen und das Land vom Kriegsvolk noch mehr aussaugen zu lassen. Schliesslich, im Januar 1478, verlangte man von den Botschaftern, dass Nowgorod dem Grossfürsten die Hälfte der Ländereien des Wladyka und der Klöster und alle Bezirke von Nowyj - Torshok, gleichviel wem sie gehören mochten, abtreten solle. Nowgorod ging auf Alles ein und bat nur um Nachsicht für die armen Klöster. Man kam überein, dass von jeder Ssochä, d. h. von jedem Landstück, welches drei Obshi enthält, oder dreimal mehr als ein Mann mit einem Pferd (an einem Arbeitstag) umpflügen kann, eine Abgabe von einer halben Griwna gezahlt werden solle. Am 15. Januar mussten alle Nowgoroder dem Grossfürsten unbedingte Unterwerfung geloben und wurden darauf beeidigt. Diesem Eidschwur zufolge war Jedermann in Nowgorod verpflichtet, seinen Landsmann zu denunciren, falls er Gutes oder Böses über den Grossfürsten von ihm höre. An demselben Tage wurde die Wetscheglocke herabgenommen und ins' Lager der Moskowiter gebracht. Trotz des Versprechens, niemand aus dem nowgoroder Lande hinwegzuführen, Hess der Grossfürst im Februar desselben Jahres dennoch mehrere Personen, welche sich schon früher als Leiter der patriotischen Bewegung bethätigt hatten, ergreifen, in Fesseln schlagen und nach Moskau bringen. Unter ihnen befand sich Marfa Borezkij und ihr Enkel, — der Sohn des in der Verbannung bereits gestorbenen Fjodor. Das Besitzthum der Geächteten erhielt der Grossfürst, „es wurde zu Gunsten des Gossudär confiscirt", wie man sich damals auszudrücken begann. Nachdem der Grossfürst vier Statthalter für Nowgorod ernannt hatte, reiste er nach Moskau zurück. Die Zeitgenossen berichten, dass dreihundert Fuhren mit Beute, die den Nowgorodern geraubt worden war, auf seinen Befehl nach Moskau gesandt wurden. Auch Gross-Nowgorods Wetscheglocke brachte man nach Moskau und hängte sie auf einen Glockenthurm, wo sie, wie der Chronist erzählt, gemeinschaftlich mit den übrigen Glocken geläutet wurde. Moskau, welches seit Iwan Kalitäs Zeiten seine Grenzen stets erweiterte, hatte noch nie einen so wichtigen Landbesitz erworben; es war der ganze, ungeheure Landstrich im Norden des heutigen europäischen Russlands, vom Finnischen Meerbusen bis zum Weissen Meer, der jetzt dem Beherrscher Moskaus gehörte. Dieser Errungenschaft folgte jedoch ein Sturm. Kasimir hatte eine günstige Gelegenheit verpasst, er war
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Nowgorod nicht zu Hilfe geeilt, so lange es noch Zeit w a r , sich des Landes zu bemächtigen und damit der sich ausbreitenden Macht Moskaus eine Schranke zu setzen; jetzt schien er über diese Macht erschrocken und überlegte, wie wohl das Versäumte ungeschehen zu machen sei. Er sandte einen Botschafter an den Chan der Goldenen Horde, um diesen gegen Moskau aufzuhetzen und versprach ihm, dass er mit seiner litthauischen und polnischen Kriegsmacht gemeinschaftlich mit ihm vorgehen wolle. Auch den Nowgorodern fing er nun an zu schmeicheln und Hoffnungen in ihnen zu erwecken. Nach Nowgorods Unterwerfung war daselbst eine Partei zurückgeblieben, welche bereit war jedem Versuch zur Wiederherstellung der vernichteten Unabhängigkeit die Hand zu bieten. Es kam eine Verschwörung zustande. Die Verschwörer traten in Verbindung mit Litthauen. Sogar des Grossfürsten Brüder, Andreas der Aeltere und Boris, verbündeten sich mit den Nowgorodern; sie waren mit Iwan Wassiljewitsch unzufrieden, weil sie an der Unterjochung Nowgorods theilgenommen, Iwan Wassiljewitsch aber das eroberte Land seinen Besitzungen einverleibt hatte, ohne ihnen einen Antheil an der Beute zu überlassen. Iwan Wassiljewitsch erfuhr die Gefahr rechtzeitig und eilte im Herbst 1479 nach Nowgorod. Seine eigentliche Absicht verheimlichte er und verbreitete das Gerücht, er wolle gegen die Deutschen 'ziehen, welche damals Pskow überfallen 'hatten. Im Vertrauen auf Kasimir hatten die Nowgoroder unterdessen die grossfürstlichen Statthalter vertrieben, die Wetscheordnung wieder hergestellt und einen Possadnik und Tyssjätschskij gewählt. Der Grossfürst mit seinem ausländischen Meister Aristoteles näherte sich der Stadt, der Letztere stellte seine Kanonen auf und die Kanoniere trafen ihr Ziel. Unterdessen eroberte das grossfürstliche Kriegsheer die Vororte und Nowgorod befand sich im Belagerungszustand. Es entstand daselbst Hader und Streit, Viele waren überzeugt, dass es erfolglos sei, sich zu vertheidigen; Bie beeilten sich bei Zeiten ins grossfürstliche Lager zu kommen, um dem Herrscher ihre Ergebenheit zu bezeigen. Endlich, als die Patrioten sahen, dass sie nicht imstande seien sich zu wehren, sandten sie zum Grossfürsten, um einen Geleitsbrief für ihre Gesandten zu erbitten, welche Unterhandlungen anknüpfen sollten. Aber die Zeit der Unterhandlungen mit Moskau war für Nowgorod vorüber. „Ich bin Euer Schutz — sagte der Grossfürst, — ich bin ein Schutzbrief für die Unschuldigen; ich, Euer Gossudar; — öffnet die Thore, ich werde eintreten und keinem Unschuldigen etwas zu Leide thun." l ) Ausserdem hatte er den Bojaren verboten, zu seinen Brüdern Uberzugehen; einen der Bojaren, den Fürsten Oboldnskij-Lyka, liess er in Boris' Besitzungen gefangen nehmen. Andreas der Jüngere schloss sich seinen Brüdern, als sie sich gegen Iwan verschworen, nicht an; er war dem Grossfürsten 30000 Kübel schuldig und vermachte ihm später sein Erbland.
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Nowgorod öffnete seine Thore; der Erzbischof mit dem Kreuz kam ihm entgegen; der neue Possadnik, der neue Tyssjätschskij, die Aeltesten der fünf Stadttheile Nowgorods, die Bojaren und eine Menge Volkes, Alle warfen sich zur Erde nieder und flehten um Schonung. Iwan begab sich in die Kirche zur heil. Sophie, betete daselbst und nahm dann Wohnung im Hause des neuerwählten Possadnik Jefrem Medwedjew. Die Denuncianten brachten Iwan Wassiljewitsch eine Liste der Hauptverschwörer. Aus dieser Liste Hess er fünfzig Mann ergreifen und foltern. Unter der Folter gaben sie an, dass der Wladyka ihr Mitverschworner sei. Am 19. Januar 1480 wurde der Wladyka ergriffen, ohne vors geistliche Gericht gestellt zu werden, nach Moskau geschafft und ins Tschudowokloster eingesperrt. „Ich bekenne, — schrieb er — die Nichtigkeit meines Verstandes und die grosse Verwirrung meiner Unvernunft." Der erzbischofliche Schatz fiel dem Herrscher anheim. Die Angeklagten suchten die Schuld auf Andere abzuwälzen und darauf ergriff man noch 100 Mann, die erst gefoltert und schliesslich hingerichtet wurden. Das Eigenthum derselben ward zu Gunsten des Herrschers confiscirt. Gleich darauf wurden mehr als 1000 Familien, dem Kaufmannsstande und den Bojarenkindern angehörend, ausgewiesen, die sich in Perejaslawl, Wladimir, Jurjew, Murom, Rostow, Kostroma und Nishnij Nowgorod ansiedeln mussten. Einige Tage später trieb das moskauer Kriegsheer über 7000 Familien aus Nowgorod hinweg ins moskauer Land. Die ganze bewegliche und unbewegliche Habe der Vertriebenen kam in den Besitz des Grossfürsten. Viele der Verbannten starben unterwegs, denn es war Winter und man hatte ihnen nicht einmal Zeit gelassen, sich zur Reise zu rüsten; die Ueberlebenden wurden an verschiedenen Orten angesiedelt, den nowgoroder Bojarenkindern gab man Ländereien und an ihre Stelle wurden Moskowiter im nowgoroder Lande angesiedelt. Auch moskauer Kaufleute sandte man nach Nowgorod, an Stelle derer, die man gewaltsam ins Moskowiterland geschickt hatte. Nachdem Iwan mit Nowgorod fertig war, eilte er nach Moskau; er hatte die Nachricht erhalten, dass der Chan der Goldenen Horde gegen ihn heranrücke. Eigentlich war der moskauer GrossfUrst von der Horde bereits unabhängig ; sie befand sich damals im Zustande eines solchen Verfalls, dass abenteuernde Bursche aus Wjätka es wagen durften, die Wolga hinabzufahren und die Hauptstadt des Chans, Ssaraj, zu plündern. Der Grossfürst zahlte den erzwungenen, festbestimmten Tribut nicht mehr, sondern beschränkte sich auf blosse Geschenke, und diese hatten keineswegs mehr die Bedeutung eines Unterthänigkeitsverhältnisses, denn auch späterhin machten die moskauer Herrscher noch lange Zeit hindurch den Tatarenchans Geschenke, um die verheerenden Ueberfälle ihrer Horden zu verhüten. So wurde allmälig und fast unbemerkbar die Befreiung Russ-
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lands von der einstigen furchtbaren Mongolenherrschaft bewerkstelligt. Batyjs ehemaliges Reich war in verschiedene Chanate zerfallen, welche sich durch fortwährende innere Fehden gegenseitig zerfleischten und wenn eines dieser Chanate Moskau bedrohte, so verhinderte ein anderes die Unterjochung der russischen Hauptstadt. Der Chan der Goldenen Horde grollte, dass der Fürst von Moskau, ein Sklave seiner Vorfahren, ihm nicht gehorchen wollte. Iwan Wassiljewitsch hatte sich aber an MengliGirej, dem Chan der Krim und Feind der Goldenen Horde, einen Bundesgenossen erworben. Indessen gestalteten sich nach Beendigung der nowgoroder Affäre die Verhältnisse zeitweise so, dass der Chan der Goldenen Horde die Möglichkeit sah, einen Versuch zu wagen, um seine alten Rechte über Russland wieder herzustellen. Iwan Wassiljewitschs Bundesgenosse, Mengli-Girej, ward vertrieben und durch einen andern Chan, Senibek, ersetzt. Kasimir, Grossfürst von Litthauen und König von Polen, stachelte Achmat gegen den moskauer Herrscher auf und versprach ihm ansehnliche Hilfe; dazu kam noch, dass sich Iwan Wassiljewitsch mit seinen Brüdern entzweit hatte. Achmat glaubte also Aussicht auf Erfolg zu haben. Als er sich aber zum Feldzug zu rüsten begann, hatte sich Vieles bereits wieder geändert. Senibek war von Mengli-Girej vertrieben worden und dieser hatte sich abermals des Throns der krimschen Chane bemächtigt; der F ü r s t von Moskau hatte sich mit seinen Brüdern ausgesöhnt und ihnen ausser den Erbländern, über die sie bereits verfügten, noch andere Besitzungen versprochen. Endlich sandte Iwan Wassiljewitsch, während der Chan der Goldenen Horde von der Wolga her durch die Steppe gegen die Ufer der Akä heranzog, ein Kriegsheer unter dem Befehl des Wojewoden von Swenigorod, Wassilij Nosdrewatyj und des krimschen Zarewitsch Nordoulat, eines Bruders von Mengli-Girej, auf Schiffen die Wolga hinunter nach S s a r a j , um dieses nun schutzlos gebliebene Hauptlager der Goldenen Horde zu bedrohen. Trotz aller dieser Massregeln, welche f ü r Iwan Wassiljewitschs Vorsorge Zeugniss ablegen, beunruhigte ihn Achmats Ueberfall dennoch aufs Aeusserste; er war von Natur nicht tapfer; Tochtamyschs und Edigis Heimsuchungen Moskaus hatten sich im Gedächtniss der Nachkommen erhalten. Das Volk war in Aufregung; Gerüchte über unheilverkündende Anzeichen verbreiteten sich: in Alexin, wohin der Zug der Tataren sich richtete, sah man Sterne regenartig zur Erde niederfallen und in Funken ') Es sind darüber folgende Berichte erhalten: Als die Chans Botschafter nach Moskau sandten, gaben sie ihnen ihr Bildniss, das sogen. Bassma, mit; die GrossfUrsten mussten sich vor diesem Bilde verneigen und das Schreiben des Chans knieend anhören. Iwan Wassiljewitsch wollte sich diesem Ceremoniell nicht ftlgen, meldete sich krank und zerbrach schliesslich, als Achmat den Tribut von ihm forderte, das chanische Bassma, zerstampfte es mit den Fussen und Hess die Botschafter tödten; dies sei die Veranlassung gewesen, weshalb Achmat den Feldzug gegen Moskau unternommen habe. Diese Erzählung ist nicht glaubwürdig, weit wahrscheinlicher ist es, dass Achmat durch Kasimir gegen Moskaus Herrscher aufgehetzt wurde, wie andere gleichzeitige Berichte melden.
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zerstieben; in Moskau fingen des Nachts die Glocken von selbst an zu läuten; von der Kirche zur Geburt Mariä fiel der obere Theil herab und zertrümmerte viele Heiligenbilder. Alle diese Anzeichen galten als Vorboten des Unheils, welches mit den Tataren heranzog. Iwan Wassiljewitsch sandte ein Heer mit seinem Sohn Iwan voraus, er selbst aber blieb sechs Wochen lang in Moskau; unterdessen war seine Gemahlin aus Moskau nach Dmitrow und von dort zu Wasser nach Bjeloösero gereist. Zugleich mit ihr hatte der Grossfürst auch seinen Schatz in Sicherheit gebracht. Mit Murren wurden diese Nachrichten vom Volke aufgenommen; man konnte Sophie nicht leiden, nannte sie eine Römerin; man sprach damals, dass die russischen Bewohner des Landes von den im Gefolge der Grossfürstin befindlichen Leuten und Bojarenknechten, „den christlichen Blutsaugern", schlimmer behandelt würden, als man von den Tataren erwarten könne. Die Mutter des Grossfürsten, die Nonne Marfa, that dagegen den Entschluss kund, in der belagerten Stadt, beim Volke, auszuharren und wurde dafür vom Volke, welches, im Gegensatz zum fremdländischen, das russische Weib in ihr erblickte, allgemein gepriesen. Iwan Wassiljewitsch, von seiner Mutter und der Geistlichkeit bewogen, Hess Moskau unter der Verwaltung des Fürsten Michail Andrejewitsch Moshajskij und des Statthalters Iwan Jurjewitsch Patrikejew, und begab Bich zum Heer nach Kolomna; dort war er jedoch von eben solchen Feiglingen umgeben, wie er selbst war. Der Chronist sagt, es seien dies „reiche Geizhälse, dickbäuchige Verräther" gewesen; Bie sagten ihm: „Setze Dich nicht dem Kampfe aus, grosser Gossudar, fliehe lieber; Dein Urgrossvater Dimitrij Donskoj und Dein Grossvater Wassilij Dimitrijewitsch thaten es auch." Iwan Wassiljewitsch folgte ihren Rathschlägen, welche mit seinen eigenen Angstgefühlen übereinstimmten. Er beschloss dem Beispiel seiner Vorfahren zu folgen und nach Moskau zurückzukehren; dort empfing ihn eine Volksaufregung; ganze Haufen Volks zogen, die Ankunft der Tataren befürchtend, in den Kreml und erblickten nnn unerwartet, voll Angst und Schrecken, ihren Herrscher in der Hauptstadt, zu einer Zeit, wo ihn Alle beim Heer befindlich glaubten. Iwan war ohnehin schon beim Volke nicht beliebt, es fürchtete ihn n u r ; — jetzt aber liess dieses Volk seinem bisher unterdrückten Unwillen freien Lauf und schrie: „Du, Gossudar, verstehst uns nur zu beherrschen wenn Alles still und ruhig ist, und uns unnützerweise auszuplündern, nahet aber ein Unheil, so verlassest Du uns im Elend. Erst bringst Du den Zaren gegen Dich auf, zahlst ihm den Tribut nicht, und nun lieferst Du uns dem Zaren und seinen Tataren a u s ! " Auch die Geistlichkeit erhob ihre Stimmen; am kühnsten ertönte die des Erzbischofs von Rostow, Wassian Rylo; „Du fürchtest den Tod — sprach er zu Iwan — obschon Du nicht unsterblich bist! Weder der Mensch, noch der Vogel, noch das wilde Thier entgeht seinem Todesurtheil. Fürchtest Du Dich, so übergieb mir Deine Krieger; bin ich
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auch alt, so werde ich dennoch mein Leben nicht schonen, werde, wenn ich den Tataren gegenüberstehe, mein Antlitz nicht abwenden!" Diese Anklagen waren dem Grossfürsten unerträglich; auch in Moskau fürchtete er sich, zwar nicht vor dem Feind, sondern vor den Seinen, — er fürchtete den Aufruhr des Volks, begab sich aus der Hauptstadt hinweg, nach Krassnoje Sselo und sandte an seinen Sohn Iwan den Befehl, unverzüglich zu ihm zu kommen. Glücklicherweise war der Sohn tapferer als der Vater und gehorchte ihm nicht. Iwan Wassiljewitsch, durch diesen Ungehorsam gereizt, befahl dem Fürsten Cholmskij ihm mit Gewalt den Sohn zu bringen; aber auch Cholmskij gehorchte nicht und hütete sich Gewalt anzuwenden, als ihm des Grossfürsten Sohn sagte: „Lieber will ich hier zu Grunde gehen, als zum Vater zurückkehren!" Es war dies eine schicksalsschwere Zeit für Iwans autokratische Bestrebungen; er fühlte, dass der Volkswille aufs Neue erwachen und sich stärker als sein eigener Wille erweisen könnte. Es war gefährlicher hier zu bleiben oder, um den Tataren zu entgehen, zu fliehen, als sich in den Kampf gegen den Feind zu begeben. Iwan entschloss sich daher, wieder zum Heer zu gehen; es war eigentlich die nämliche Feigheit, die ihn dazu bewog, welche ihn veranlasst hatte, sich vom Heer zu entfernen. Unterdessen kam Achmat längs der Grenze des litthauischen Landes langsam näher, zog bei Mzensk, Ljubutsk, Odojew vorbei und blieb bei Worotynsk stehen, um Kasimirs Hilfe zu erwarten. Litthauens Hilfe blieb jedoch aus. Iwan Wassiljewitschs Bundesgenosse, Mengli-Girej, hatte Podolien überfallen und dadurch die litthauischen Kräfte in Anspruch genommen. Der Grossfilrst von Moskau kam mit seinem Heer nach Kremenez und vereinigte sich daselbst mit seinen Brüdern. Achmat zog gegen den Fluss Ugra heran, und nun kamen bereits Zusammenstösse mit den russischen Truppen vor; mittlerweile begann der Fluss zuzufrieren. Von Kremenez ging der Grossfürst nach Borissowsk und erklärte, dass er die Absicht habe, den Kampf auf einer weiten Ebene zu beginnen; hier jedoch überfiel ihn abermals die Furcht. Intime Berather redeten ihm zu, anstatt eine Schlacht zu wagen, lieber den Chan um Gnade anzuflehen. Iwan Wassiljewitsch. sandte Iwan Towärkow mit einem Bittschreiben und Geschenken zu Achmat, er bat um dessen Gnade und um Schonung für „des Zaren Uluss" — wie er seine eigenen, russischen Besitzungen dem Chan gegenüber bezeichnete. Der Chan antwortete: „Wenn er zu mir kommt und mir seine Ehrfurcht bezeugt, wie seine Väter zu den unsern in die Horde kamen und sich vor ihnen beugten, so will ich ihm gnädig sein." Grade jetzt erhielt Iwan ein Sendschreiben des Erzbischofs von Eostow, Wassian; es ist dies eines der beredtesten Denkmäler unserer alten Literatur. Dieser geistliche Hirt ermuthigte Iwan Wassiljewitsch durch Beispiele aus der heil. Schrift und aus der russischen Geschichte; er beschwor ihn, nicht auf die arglistigen Rathschläge der Feiglinge zu hören, welche ihn mit Schände bedecken. Man ersieht K o s t o m a r o i r - H e n c kel , Rnss. Geschichte in Biogr. I.
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daraus, dass es damals Leute gab, die dem Grossfürsten bewiesen, die tatarischen Zaren seien die eigentlichen gesetzlichen Herrscher Russlands und die russischen Fürsten, Iwan Wassiljewitschs Ahnen, hätten ihre Nachkommen beschworen, die Hand nicht gegen den Zaren zu erheben. Hierauf Bezug nehmend spricht Wassian: „Wenn Du meinst, unsre Vorväter hätten uns beschworen, die Hand nicht gegen den Zaren zu erheben, — so höre denn, gottesfürchtiger Zar: es giebt erzwungene Eide und es ist uns geboten, von solchen Eiden zu entbinden und sie zu erlassen ; der heilige Metropolit sowohl, als auch wir und das ganze gottesfürchtige Concilium lösen Dich von diesem Eid, segnen Dich, ihn nicht als einen Zaren, sondern als einen Räuber, Dieb und Gottlosen anzugreifen. Es ist besser zu lügen, um das Leben zu erlangen, als die Wahrheit zu reden, unterzugehen und das Land der Verwüstung, die Christen der Vernichtung, die heiligen Kirchen der Verödung und Entweihung anheimzugeben, als dem verfluchten Herodes ähnlich zu werden, der verderben musste, weil er den Eid nicht brechen wollte. Welcher Prophet, welcher Apostel, welcher Heilige war es denn, der Dich, den christlichen Zaren des grossen, russischen Landes gelehrt hat, dass man sich diesem gottbeschimpfenden, garstigen Usurpator-Zaren unterwerfen müsse? Nicht allein nnsre Sündhaftigkeit, sondern auch unsre Feigheit und unser Mangel an Gottvertrauen waren daran schuld, dass Gott den verdammten Batyj über Deine Vorfahren und Uber das ganze russische Land kommen liess; der da kam, räuberisch unser Land unterwarf, uns knechtete und sich zum Zaren über uns erhob; wir hatten Gottes Zorn damals auf uns geladen und Gott strafte uns. Aber der Gott, welcher den Pharao ersäufte und Israel erlöste, ist, von nun an bis in Ewigkeit, der alleinige Gottl Wenn Du, Herr, aus vollem Herzen bereuest und Dich unter seine starke Hand beugst und gelobst, mit vollem Verständniss und von ganzer Seele Alles das zu meiden, was Du früher thatest, — wenn Du Recht und Gerechtigkeit handhaben wirst auf Erden, Deinen Nächsten lieben, Niemandem Gewalt anthun und den Sündern Barmherzigkeit erweisen, so wird auch Gott Dir gnädig sein in schweren Zeiten; doch nicht in Worten allein sollst Du Reue zeigen, während Du in Deinem Herzen gan2 andere Gedanken hegest, — die wahre Reue besteht darin, dass man das Böse meidet." Wir wissen nicht, ob diese kühne Busspredigt gewirkt hat, ob Achmats anmassende Forderung Iwan vielleicht peinvoll berührte, oder ob, wie die Chronisten sagen, die Furcht vor der Gefahr, persönlich von Achmat zu erscheinen, Iwan daran verhinderte bis an die äusserste Grenze der Erniedrigung zu gelangen. Achmat sandte nun selbst zu ihm und liess ihm sagen: „Wenn Du nicht selber kommen willst, so sende Deinen Sohn oder Bruder!" Iwan that es nicht. Darauf sandte Achmat nochmals zu ihm: „Wenn Du weder Deinen Sohn, noch Deinen Bruder senden willst, so sende Nikifor Bassenkow." Dieser Nikifor war schon in der Horde
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GrossfUrst und Gossudär Iwan Wassiljewitsch.
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gewesen und der Chan kannte ihn. Der Grossfürst sandte auch Bassenkow nicht; vielleicht hatte er nur noch nicht Zeit gefunden, ihn zu senden, als ihn die unerwartete Nachricht erreichte, der Chan habe mit allen seinen Tataren die Ugra verlassen und sei entflohen. Während der Grossfürst und seine Räthe vor der tatarischen Macht Angst hatten, fürchteten die Tataren ihrerseits die Russen. Achmat hatte sich nur deshalb zu dem Feldzug entschlossen, weil er auf Kasimirs Hilfe gehofft hatte, Kasimir aber war nicht gekommen; nun trat Frost ein und die Tataren waren — nach dem Ausdruck der Zeitgenossen — barfuss und zerlumpt. Des Grossfürsten Bittschreiben hatte Achmat Anfangs Muth eingeflösst, als aber der moskauer Fürst später seinen Forderungen nicht nachkam, da nahm Achmat an, dass die Russen sich nicht vor ihm fürchteten; inzwischen aber hatte das unter dem Befehl von Nosdrewatyj und Nordöulat stehende Corps, welches die Wolga hinab gesandt worden war, Ssaraj angegriffen, es geplündert, und darüber waren vielleicht Gerüchte zu Achmat gelangt. Er wandte sich um, durchzog das litthauer Land und verwüstete es aus Wuth, dass ihm Kasimir nicht rechtzeitig zu Hilfe gekommen war. Iwan Wassiljewitsch kehrte triumphirend nach Moskau zurück. Die Moskowiter freueten sich, sprachen aber: Es war nicht ein Mensch, der uns rettete, nicht mit den Waffen ist das russische Land befreit worden, — Gott und die allerheiligste Mutter Gottes thaten es! Darauf kehrte auch Sophie mit ihrem Gefolge aus Bjeloösero zurück. „Vergelte ihnen, Herr, nach ihren Thaten und nach ihrer Arglist!" — spricht bei dieser Gelegenheit der Chronist. Zu Moskaus grösstem Jubel traf bald darauf die Nachricht ein, dass Iwak, der Chan der Schiban- oder Tjumen-Horde, welcher sich mit den Mursas der Nagaier verbündet hatte, Achmat am Flusse Donez überfallen und ihn, am 6. Januar 1481, eigenhändig im Schlafe getödtet habe. Er benachrichtigte den Grossfürsten von Moskau davon und dieser übersandte ihm dafür Geschenke. Es wird gewöhnlich angenommen, dass von diesem Zeitpunkte an Russland allendlich vom Mongolenjoche befreit gewesen sei; in Wirklichkeit aber war, wie bereits oben bemerkt, Russland schon früher von der Horde unabhängig. Jedenfalls ist dies Ereigniss deshalb in unsrer Geschichte von Wichtigkeit, weil es die Epoche des gänzlichen Verfalls jener Goldenen Horde bezeichnet, deren Chans Russland'in Knechtschaft gehalten hatten und die man bei uns dessen Zaren nannte. Achmats Nachfolger hatten gar keine Bedeutung mehr. Bemerkenswerth ist es, dass Kasimir, welcher die letzten Kräfte der Goldenen Horde in Bewegung gesetzt hatte, nicht nur das Ziel seiner Wünsche nicht erreichte, die wachsende Macht Moskaus nicht zu hemmen vermochte, sondern dass er sogar eine zwiefache Verheerung seines eigenen Landes dadurch herbeiführte, — durch Mengli-Girej und durch Achmat selbst, — so wie auch, das3 er dadurch selbst zur Machtverstärkung des feind17 *
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Zill. GrossfUrst und Gossudär Iwan 'Waasiljemtsch.
liehen Moskowiterreichs beitrug. Bald darauf versuchte Kasimir, mit der Absicht, seinen Misserfolg wieder gutzumachen, Achmats ohnmächtige Söhne gegen Moskau aufzuhetzen, und stellte gleichzeitig selbst ein Heer gegen Moskau in Smolensk auf; aber ehe er noch Moskaus Besitzungen Schaden zufügen konnte, überfiel Mengli-Girej, Moskaus Bundesgenosse, Kijew, verheerte es, verbrannte u. A. auch das Höhlenkloster, beraubte die Kirchen und sandte seinem Freund, dem Herrscher von Moskau, goldene Geräthe — einen Abendmahlskelch und eine Patene aus der Sophienkirche — zum Geschenk. Unterdessen gingen Vasallenfürsten Kasimirs zu Iwan Wassiljewitsch über; drei derselben, Olschanskij, Michai'1 Olelkowitsch und Fjodor Bjelskij hatten die Absicht, die russischen, bis hart an die Beresina reichenden Länder von Ssewersk Litthaufen zu entreissen und dieselben unter des moskauer Grossfürsten Botmässigkeit zu stellen. Aber die beiden Ersteren wurden von Kasimir ergriffen und hingerichtet; Bjelskij jedoch entkam nach Moskau und erhielt von Iwan Wassiljewitsch Demon .und Morewa im nowgoroder Lande als Erbbesitz. Kasimir rächte pich an dem Flüchtling, indem er dessen Frau, die sich eben erst mit Bjelskij vermählt hatte, zurückbehielt. Gleichfalls in dieser Zeit war es, dass Kasimirs Feind, Ungarns Herrscher Matthias Corvinus, mit dem Grossfürsten von Moskau in Verbindung trat, und dieser ihn, durch seinen an Matthias gesandten Djak Kurizyn bat, ihm Ingenieure und httttenkundige Meister nach Moskau zu senden. Die Letzteren brauchte der Grossfürst von Moskau nothwendig, weil er vom Vorhandensein von Erzgängen im Norden Kenntniss erhalten hatte und im Moskowiterreiche keine Leute vorhanden waren, welche mit der Ausbeutung der Erze und deren Verarbeitung umzugehen verstanden. Gleichzeitig machte auch der moldauische Hospodar Stephan, welcher sich vor Kasimir fürchtete, und der sein Besitzthum gegen Litthauens und Polens herrschsüchtige Gelüste zu schützen suchte, den Antrag, seine Tochter Helene dem Sohn des Grossfürsten von Moskau, Iwan Iwanowitsch, zu vermählen. Iwan Wassiljewitsch sandte seinen Bojaren Pleschtschejew, um Helene abzuholen. Diese reiste durch Litthauen und Kasimir hielt sie nicht nur nicht zurück, sondern sandte ihr sogar Geschenke. Er suchte also insgeheim dem Fürsten von Moskau zu schaden, und musste dafür selbst an seinen Besitzungen Schaden erleiden, fürchtete aber augenscheinlich seinen Nebenbuhler und suchte ihm offenkundige Beweise seiner Freundschaft zu geben. Am 6. Januar 1483 wurde Iwan Wassiljewitschs Sohn mit Helenen getraut und im Oktober desselben Jahres ward ihnen ein Sohn, Namens Dimitrij geboren. Iwan Wassiljewitsch freute sich sehr über die Geburt seines Enkels; er konnte damals noch nicht voraussehen, dass eine Zeit kommen könnte, wo er ein Peiniger dieses Enkels werden würde. Je grösser des Herrschers von Moskau Macht wurde, desto fühlbarer ward die Härte seines Charakters. Es füllten sich seine Gefängnisse,
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das Schlagen mit der Knute, eine öffentliche, schimpfliche Strafe, kam häufig und überall vor; soweit wir das alte Russland nach den Quellen verfolgen können, trat diese Strafart erst am Ende des XIV. Jahrhunderts auf und wurde unter Iwan Wassiljewitschs Vater häufiger angewandt. Jetzt war weder die weltliche Bevölkerung, noch die Geistlichkeit, wenn sie den Zorn des Herrschers auf sich geladen, davon befreit. Bei den Verhören kamen schreckliche Foltern vor. Iwan Wassiljewitsch sah die Notwendigkeit ein, Fremde in sein Land zu ziehen; auf Aristoteles waren Andere gefolgt, der moskauer Despot war aber wenig um die Sicherheit der Fremden besorgt; war irgend etwas nicht nach seinem Sinn, so kannte er keine Rücksichte . Es befand sich ein Deutscher, Namens Anton, als angesehener Arzt bei ihm, der zur Zeit der Hochzeit von Iwans Sohn einen unbedeutenden tatarischen Fürsten Karakutsch behandelte, welcher sich im Gefolge des in moskauer Diensten stehenden Zarewitsch Daniar befand. Diese Kur hatte einen ungünstigen Ausgang genommen. Der Grossfürst beschränkte sich nun nicht auf die Auslieferung dieses armen Deutschen an den Sohn des verstorbenen Fürsten, er bestand sogar darauf, als dieser den Arzt, nachdem er ihn gefoltert, gegen Lösegeld freilassen wollte, dass er durch die Tataren getödtet werde; und, den Willen des Grossfürsten von Moskau befolgend, schleppten die Tataren Anton unter die Brücke der Moskwa, wo sie ihn, nach des Chronisten Ausdruck, wie ein Schaf abschlachteten. Dies Ereigniss versetzte Aristoteles in eine solche Angst, dass er Iwan Wassiljewitsch bat, ihn in seine Heimat zu entlassen. Der Herrscher von Moskau hielt aber einen Jeden, der sich in seiner Gewalt befand, für seinen Sklaven; er befahl, des Architekten Besitzthum zu plündern und liess ihn im Hofe Antons gefangen setzen. Der Italiener wurde später wieder freigelassen, um seinen Dienst in dem Lande, in das er leichtsinnigerweise freiwillig gekommen war, unfreiwillig fortzusetzen. Immer consequenter und kühner arbeitete Iwan Wassiljewitsch an der Erweiterung der Grenzen seines Reichs und an der Befestigung seiner Alleinherrschaft. Den Fürsten von Wereja räumte er bei folgender Gelegenheit auf die Seite. Nach der Geburt seines Enkels Dimitrij wollte Iwan Wassiljewitsch seiner Schwiegertochter, der Mutter des Neugebornen, einen Perlenschmuck schenken, der einst seiner ersten Gattin Marie gehört hatte. Da erfuhr er plötzlich, dass Sophie, welche die grossfürstliche Schatzkammer überhaupt nie schonte, diesen Schmuck ihrer Nichte, der Griechin Marie, Gemahlin Wassilij Michailowitschs von Wereja, geschenkt habe. Iwan Wassiljewitsch ward darüber so wüthend, dass er die ganze Mitgift von Wassilijs Frau wegnehmen liess und diesen selbst gefangen setzen wollte. Wassilij entfloh mit seiner Frau nach Litthauen. Dessen Vater, Michail Andrejewitsch, erlangte seine eigene Begnadigung nur dadurch, dass er seinen Sohn verleugnete, sich verpflichtete, allen Verkehr mit ihm abzubrechen und jeden Boten, den ihm
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sein Sohn etwa senden könnte, dem Grossfürsten auszuliefern; schliess lieh machte er noch ein Testament, in welchem er, im Todesfall, den Grossfürsten als Erben seiner Besitzungen Jaroslawez, Wereja und Bjeloösero einsetzte, unter der Bedingung, dass der Grossfürst und dessen Sohn Seelenmessen für ihn lesen lassen sollten. Der Tod dieses Fürsten liess nicht lange auf sich warten (er starb im Frühjahr 1485) und man erzählte, der Grossfürst hätte diesen Tod insgeheim beschleunigt. Nachdem Iwan Wassiljewitsch sich die Besitzungen des Fürsten von Wereja im Jahre 1484 angeeignet hatte, wandte er sich nochmals gegen Nowgorod. Unter den Nowgorodern befanden sich einige, welche ihm eine Anzahl reicher Leute denuncirten, die angeblich die Absicht hatten, sich an Kasimir zu wenden. Den moskauer Machthaber gelüstete es, sich des Besitzthums der Angeklagten zu bemächtigten und der Vorwand war plausibel. Dieser Denunciation zufolge brachte man gegen 30 von den „Grössten" aus Nowgorod nach Moskau und confiscirte ihre Häuser und ihr Besitzthum in Nowgorod zu Gunsten des Herrschers. Diese Nowgoroder wurden in den Hof Towärkows, eines der Intimen Iwan Wassiljewitschs, gesperrt, dann durch einen grossfürstlichen Gerichtsbeamten auf Befehl seines Herrn gefoltert, um ihnen ein Geständniss dessen, wofür sie angeklagt waren, abzupressen. Unter den Folterqualen beschuldigten sich die Nowgoroder gegenseitig. Der Grossfürst befahl, sie Alle aufzuhängen. Als sie zum Galgen geführt wurden, flehten sie einander um Verzeihung an und gestanden, dass sie sich unter den unerträglichen Folterqualen gegenseitig verleumdet hätten. Als Iwan Wassiljewitsch dies hörte, befahl e r , dass sie nicht gehängt werden sollten; er handelte in diesem Falle so, wie Autokraten häufig zu handeln pflegen, wenn sie die Todesstrafe in qualvolle, lebenslängliche Haft verwandeln, während der Pöbel die Barmherzigkeit seiner Machthaber preist, verschlimmern sie die Strafe ihrer Feinde. Iwan Wassiljewitsch liess die Nowgoroder gefesselt in den Kerker werfen und sie mussten nun, anstatt eine kurze Leidensfrist am Galgen zu erdulden, lange Jahre hindurch im Kerker schmachten; ihre Frauen und Kinder schickte Iwan in die Verbannung. Nachdem Iwan Wassiljewitsch im Jahre 1485 seine Mutter, die Nonne Marfa, beerdigt hatte, wandte er sich gegen Twer. Am Anfang dieses Jahres, im Winter, beschuldigte der moskauer Grossfürst den von Twer, dass er Verbindungen mit Kasimir unterhalte. Zuerst liess sich Iwan Wassiljewitsch vom Fürsten von Twer eine Vertragsurkunde ausstellen, in welcher dieser scheinbar als regierendes Haupt anerkannt wurde und sich verpflichtete, mit Litthauen keinen Verkehr zu pflegen. Dann aber wurde absichtlich wieder an dem Vertrag herumgemäkelt, um Gelegenheit zu haben, Händel anzufangen. Die Vasallen des Grossfürsten von Twer, Andreas von Mikulino und Joseph von Dorogobush, verliessen den Dienst ihres Grossfürsten und traten zu dem von Moskau über. Iwan Wassiljewitsch nahm sie freundlich auf und gab ihnen Ländereien: dem ersteren
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die Stadt Dmitrow, dem andern — Jaroslawl. Ihrem Beispiel folgten viele twerer Bojaren; einer nach dem anderen ging au Moskau über; der Zeitgenosse sagt: „sie konnten die Kränkungen des moskauer Grosafürsten, seiner Bojaren und Bojarenkinder nicht länger ertragen; wo immer ihre Grenzen mit dem moskauer Gebiet zusammenstiessen, da wurde der twerer Landbesitzer vom moskauer Nachbar benachtheiligt und der erstere konnte gegen die Moskauer nie und nirgends Recht finden. In solchen Fällen war Iwan Wassiljewitsch stets auf Seiten seiner Moskauer; führte aber ein Moskauer Klage gegen einen Twerer, dann kamen sofort Drohungen von Iwan Wassiljewitsch an den Grossfürsten von T w e r , dessen Antworten gar nicht beachtet wurden. Ende August desselben Jahres rückte Iwan Wassiljewitsch mit seinen Brüdern gegen Twer aus, auch sein in erzwungener Dienstbarkeit stehender Italiener Aristoteles mit den Kanonen befand sich in seinem Gefolge. Der Vorwand zu diesem AD griff lautete: es sei ein Courier von Twer mit einem Schreiben an Kasimir aufgegriffen worden. Michail Borissowitsch sandte den Fürsten Cholmskij, seinen Vasallen, zum Herrscher von Moskau, um sich zu rechtfertigen, aber dieser liess ihn gar nicht vor sich. Am 8. September traf Iwan Wassiljewitsch vor Twer ein, am 10. verliessen die Twerer Bojaren ihren Grossfürsten, kamen haufenweise zu Iwan Wassiljewitsch und baten ihn demüthigst, sie in Dienst zu nehmen. In der folgenden Nacht entfloh der unglückliche Michail Borissowitsch nach Litthauen; sein in Twer zurückgebliebener Vasall, Fürst Michail Cholmskij, mit seinen Brüdern, seinem Sohn, den übrigen Bojaren, Landbewohnern und dem Wladyka Kassian, kamen zu Iwan Wassiljewitsch, brachten ihm Geschenke und baten um Schonung. Iwan Wassiljewitsch sandte seine Bojaren und Djaks in die Stadt, um von allen Bewohnern den Eid der Treue schwören zu lassen und sie vor Plünderung zu schützen. Dann ritt Moskaus Herrscher als Sieger in Twer ein, das so lange Moskaus Nebenbuhler gewesen • war. Er übergab es seinem Sohn Iwan Iwanowitsch und schien die Erbrechte der Theilfürsten auf diese Weise gleichsam noch respectiren zu wollen, denn Iwan Iwanowitsch war der Sohn einer twerschen Fürstentöchter und stammte mütterlicherseits von jenen Fürsten von Twer ab, deren Andenken den Twerern heilig sein konnte. Michail Borissowitsch suchte vergebens bei Kasimir Hilfe zu erlangen. Der polnische König gab dem Verbannten wohl ein Asyl, verweigerte ihm aber jegliche Hilfe und that diesen Entschluss Iwan Wassiljewitsch kund. Im Jahre 1487 wandte sich der Herrscher von Moskau abermals gegen Kasan, diesmal aber mit mehr Erfolg als früher. Eine Anzahl von Magnaten, die mit ihrem Zaren Alegam unzufrieden waren, hatte sich an den moskauer Grossfürsten gewandt. Sie wollten den jüngern Bruder Alegams, Machmet-Amin, auf den Thron erheben, dessen Mutter Nurssaltan nach dem Tode ihres Mannes, des kasaüischen Zars Ibrahim, einen Freund und Bundesgenossen Iwans, Mengli-Girej, geheirathet hatte.
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Auf Befehl des Herrschers von Moskau eroberten die Russen nach anderthalbmonatlicher Belagerung Kasan und setzten Machmet-Amin daselbst ein. Diese durchaus noch nicht definitive Unterwerfung Kasans gab von Seiten des Herrschers von Moskau Anlass zu Grausamkeiten; er liess die kasanischen Fürsten und Leibwächter (Ulans), welche zu Alegam gehalten hatten, erwürgen; den gefangenen Alegam internirte er in Wologda, dessen Mutter und Schwester aber verbannte er nach Bjelodsero. Während Iwan Wassiljewitsch sich neue Länder unterwarf, fuhr er fort, Nowgorod gänzlich zu Grunde zu richten. Es hatte sich in Nowgorod gegen den Statthalter Jakow Sacharjewitsch eine Verschwörung gebildet, deren Einzelnheiten unbekannt geblieben sind, deren Folge aber die Gefangennehmung einer grossen Anzahl von Menschen war, von denen ein Theil enthauptet, ein anderer gehängt wurde; ausserdem wurden mehr als 7000 angesehene Leute aus Nowgorod verwiesen. Sogar noch im folgenden Jahre wurden abermals gegen 1000 wohlhabende Leute aus Nowgorod ausgewiesen und in Nishnij Nowgorod angesiedelt. Iwan Wassiljewitsch liess aus dem nowgoroder Gebiet Landbesitzer fortführen und gab ihnen Landbesitz in Nishnij Nowgorod, Wladimir, Murom, Perejaslawl, Jurjew, Rostow und Kostroma, versetzte dagegen ins nowgoroder Land sogenannte Bojarenkinder aus dem moskauer Gebiet und liess ihnen Ländereien zutheilen. Früher waren die Bojarenkinder wirkliche Nachkommen verarmter Bojaren, welche nicht imstande waren, das Ansehen ihrer Vorfahren aufrecht zu erhalten, die aber, ihrer vornehmen Abkunft eingedenk, sich nicht, wie ihre Vorfahren, Bojaren, sondern nur Bojarenkinder nannten. Später begannen auch andere aus dem Kriegerstande hervorgegangene Leute, die unter der Verpflichtung, Dienste zu leisten, Landbesitz erhalten hatten, diese Standesbezeichnung anzunehmen. Durch solche Landzutheilungen schuf Iwan Wassiljewitsch einen neuen KriegerBtand; diejenigen, welche nnter dieser Bedingung Land vom Grossfürsten erhielten, besassen es nicht als erbliches, sondern nur als lebenslängliches Eigenthum, mit der Verpflichtung, jeder Aufforderung, Dienst zu leisten, sofort nachzukommen. Der Brauch, für geleistete Dienste Ländereien zu verleihen, existirte schon längst, Iwan Wassiljewitsch gab ihm nur eine weitere Ausdehnung und schmälerte auf diese Weise das Vorherrschen des Erbbesitzrechts, indem er das lebenslängliche Besitzrecht bevorzugte. Für seine autokratischen Ziele war eine solche Massregel v o r t e i l h a f t , die Landbesitzer Verdankten ihr tägliches Brod ausschliesslich dem Herrscher, ihr Land konnte ihnen jederzeit entzogen werden, sie waren gezwungen, sich um des Fürsten Gunst zu bewerben, um dem Verhängniss zu entgehen, ihr Land zu verlieren. Ihre Kinder konnten nicht auf das Erbe der Eltern rechnen, sondern waren in Bezug auf Existenzmittel, gleich ihren Vätern, ausschliesslich auf die Gnade des Herrschers angewiesen. Im Jahre 1489 wurde Wjätka definitiv annectirt.
Erst schrieb der
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Metropolit den Bewohnern Wjätkas einen drohenden Hirtenbrief, in welchem er ihnen ihren Lebenswandel vorwarf, der mit der christlichen Moral in Widerspruch stehe, dann sandte der Grossfürst unter Danilo Schtscheni (aus einem litthauischen Fürstengeschlecht) und Grigorij Morosow ein Heer hin. Chlynow ergab sich ihnen ohne Widerstand; die vornehmsten Einwohner Wjätkas, welche Einfluss auf das Volk ausübten, liess Iwan Wassiljewitsch knuten und hinrichten, mit den übrigen Bewohnern des Landes verfuhr er wie mit den Nowgorodern, die Landbesitzer trieb er aus dem Lande hinaus und siedelte sie in Borowsk, Alexin, Kremenez an und verpflanzte an ihre Stelle Landbesitzer aus dem moskauer Gebiet; auch Handelsleute vertrieb er aus dem Lande und siedelte sie in Dmitrow an. Pskow wurde von Iwan Wassiljewitsch geschont, denn es fürchtete ihn. Oefters schon hatte er der Pskowiter Geduld auf die Probe gestellt und sie an Unterwürfigkeit gewöhnt. Vor Nowgorods Niederwerfung waren die Pskowiter mit ihrem moskauer Statthalter, dem Fürsten Jaroslaw Wassiljewitsch sehr unzufrieden. Der Chronist schreibt über ihn: „Lange Jahre hindurch war in Pskow kein so hartherziger Fürst gewesen." Die Pskowiter mussten ihn vier Jahre lang ertragen, sie baten Iwan Wassiljewitsch lange Zeit vergebens, ihn zu versetzen. Entweder zog er die Sache absichtlich in die Länge und verschob seinen Entschluss, oder er nahm die Partei seines Statthalters. Als endlich die Feindseligkeit gegen diesen bis zu Schlägereien zwischen seinen Dieustleuten und den Pskowitern ausartete, da machte der Grossfürst die Pskowiter dafür verantwortlich, obwohl er überzeugt war, dass sein Statthalter der Schuldige sei. Endlich enthob er denselben seines Postens und liess ihn seinen Zorn fühlen, den Pskowitern aber gab er zu verstehen, dass er nach eigenem Gutdünken, nicht in Folge ihrer Bitten, so gehandelt habe. Nachdem Iwan Wassiljewitsch Nowgorod unterworfen hatte, versprach er den Pskowitern, die alten Bräuche zu respectiren, drohte ihnen jedoch: „Ihr aber, unsere Erbunterthanen, achtet auf unser Wort und verdienet unsere Gnade, die wir Euch erweisen, ehrlich; wisset das und erinnert Euch daran." Die Pskowiter bestrebten sich wirklich, es nicht zu vergessen und suchten die Gnade ihres Grossfürsten zu verdienen. Die Brüder desselben, welche die Pskowiter zum Schutz gegen die Deutschen herbeigerufen hatten, kamen mit ihrem Kriegsheer in Pskow an. Da erfuhren die Pskowiter plötzlich, dass sich jene mit ihrem ältesten Bruder entzweit hätten und nun baten sie dieselben nicht nur sich zu entfernen, sie erlaubten ihnen sogar nicht einmal, ihre Frauen und Kinder in Pskow zu lassen. Aber Iwan war ihnen für diesen Gehorsam gar nicht besonders dankbar; als sich die Pskowiter über die Excesse der grossfürstlichen Gesandten beklagten, da ertheilte Iwan Wassiljewitsch den Pskowitern einen strengen Verweis und nahm seine Gesandten in Schutz. Im Jahre 1485 entstand eine Gährung in den unteren Volksklassen
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X I I I . Grossfilrst und Gossudär Iwan Wassiljewitsch.
Pskows gegen die Vornehmen. Der Statthalter des Grossfürsten, Fürst Jaroslaw Wladimirowitsch, hatte mit den Possadniks ein Gesetz gemacht, das, wie es scheint, die Arbeit der Leibeigenen reguliren sollte, welches dem gemeinen Volk aber nicht gefiel. Das Volk gerieth in Aufruhr, tödtete einen Possadnik, schrieb den Leuten, welche seinem Zorn entronnen waren, das Todesurtheil, versiegelte die Häuser und das Besitzthum seiner Gegner und warf einige derselben in den Kerker. Diese Volkswillkür brachte Iwan Wassiljewitsch auf und er befahl, den Klagen der Vornehmen und seines Statthalters Folge gebend, die Verfügungen der aus gemeinem Volk zusammengesetzt gewesenen Wetsche aufzuheben und verordnete, dass Alle den Statthalter um Verzeihung bitten sollten. Das gemeine Volk glaubte nicht, dass der Grossfürst einen solchen Bescheid wirklich ertheilt habe und schickte daher von sich aus Boten zu ihm. Iwan Wassiljewitsch wies alle Erklärungen zurück und forderte das gemeine Volk von Pskow auf, sich sofort seinem Willen zu unterwerfen und den Statthalter um Verzeihung zu bitten. Die Pskowiter thaten, was ihr Fürst begehrte und sandten Boten nach Moskau, um seine Verzeihung zu erlangen. Diese Unruhen dauerten zwei Jahre und kosteten Pskow gegen 1000 Rubel. Iwan Hess auf diese Weise die Pskowiter fühlen, wie kostspielig es sei, wenn die Anordnungen der moskauer Statthalter nicht befolgt würden. Dann brachten die Pskowiter Klagen gegen den grossfürstlichen Statthalter und dessen Stellvertreter, welche in den Landstädten und Bezirken eingesetzt waren, vor. Es waren dieser Klagen so viele, dass, nach den Worten des Chronisten, es unmöglich war, sie zu zählen. Iwan Wassiljewitsch wies die Klagen ab und sagte, er würde seine Bojaren senden, um sich über Alles zu informiren. Der grossfürstliche Statthalter starb aber bald darauf an einer Seuche, welche in Pskow wüthete, und die ganze Angelegenheit war damit vonselbst erledigt. Seit dieser Zeit aber setzte der Grossfürst seine Statthalter nicht auf Bitten der Pskowiter, sondern nach eigenem Gutdünken ein und ab, die Pskowiter durften keine1 Klagen mehr gegen sie vorbringen , und so blieb es bis zum Tode dieses Grossfürsten. Im ganzen russischen Lande ausser in Pskow existirte die Wetsche nirgends mehr, noch ertönte irgendwo die Wetscheglocke; es war dies aber nur eine altertümliche Form, die für Iwans Herrschaft über Pskow factisch unschädlich war. Die Pskowiter hatten nur die Erlaubniss, sich ausschliesslich über ihre inneren Angelegenheiten zu berathen, dabei aber mussten ihre Beschlüsse in Einklang mit den Intentionen der Statthalter stehen. Diese gegen den Willen des Volks eingesetzten Statthalter und ihre in den Landstädten befindlichen Beamten gestatteten sich allerlei Gewaltthaten und Beraubungen, sie suchten Ränkeschmiede auf und Hessen durch deren Vermittlung Denunciationen gegen wohlhabende Leute einreichen, sie massten sieb, im Widerspruch mit den uralten localen Gebräuchen, das ausschliessliche Recht an, Gericht zu halten; sie verurtheilten Unschuldige,
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um sie zu berauben; beim Einfordern von Abgaben waren sie grob gegen die Einwohner, ihre Diener trieben allerhand Excesse, ohne dass man sie zur Verantwortung ziehen konnte. Selbst diejenigen, welche in ihrem Benehmen, den Einwohnern gegenüber, weniger frech waren, fänden keine Zuneigung. Die Pskowiter waren nicht imstande, sich an moskauer Art zu gewöhnen und fühlten Iwan Wassiljewitschs Hand schwer auf sich lasten. Während der Grossfürst seine Macht im Inneren des russischen Landes befestigte, fing er auch an, die ersten diplomatischen Verbindungen mit dem deutschen Reiche anzuknüpfen. Russland, welches einst, in der vortatarischen Periode, dem westlichen Theil von Europa bekannt gewesen war, hatte nach und nach vollständig aufgehört für diesen Theil Europas zu existiren und erschien nun, in der Art wie Ost-Indien, gleichsam als ein neuentdecktes Land auf der Bildfläche. In Deutschland wusste man blos, dass jenseit der Grenzen von Polen und Litthauen noch ein weites Land vorhanden sei, welches von irgend einem Grossfürsten regiert würde, der, wie man meinte, vom polnischen König abhängig sei. Im Jahre 1486 kam ein vornehmer Herr, der Ritter Poppel, nach Moskau, um über dies, den Deutschen so räthselhafte Land, Näheres auszukundschaften. In Moskau liebte man aber gar nicht, wenn Fremde vom Leben und Treiben der Russen daselbst und von den Streitkräften des Landes etwas in Erfahrung zu bringen suchten. Obschon Poppel ein Handschreiben des Kaisers Friedrich III., worin er als ein ehrlicher Mann empfohlen ward, aufweisen konnte, traute man ihm dennoch nicht und entfernte ihn aus dem Lande. Zwei Jahre später erschien Poppel abermals, diesmal aber als Gesandter des Kaisers und seines Sohns Maximilian, des römischen Königs. Jetzt wurde er freundlich aufgenommen, obschon man ihm auch jetzt noch nicht gänzlich traute. Er suchte seinen Auftrag in ein geheimnissvolles Dunkel zu hüllen und bat um eine Audienz beim Grossfürsten unter vier Augen, die ihm jedoch nicht bewilligt wurde. Iwan Wassiljewitsch wollte ihn nur in Gegenwart seiner Bojaren, des Fürsten Iwan Jurjewitsch Patrikejew, des Fürsten Danilo Wassiljewitsch Cholmskij und Jakow Sacharjitschs empfangen. Im Namen des Kaisers und dessen Sohns offerirte Poppel ein Freundschafts- und Verwandtschaftsbündniss; — er warb nm des Beherrschers von Moskau Tochter für den Markgrafen von Baden, einen Neffen des Kaisers. Die Antwort darauf ertheilte ihm nicht der Grossfürst selbst, sondern in dessen Namen der Djak Fjodor Kurizyn; er sagte ihm, dass sein Herr selbst einen Gesandten zum Kaiser schicken wolle. Poppel bat nun noch einmal um die Erlaubniss, dem Grossfürsten einige Worte im Vertrauen sagen zu dürfen, und diesmal gelang es ihm, denselben zu bewegen mit ihm auf die Seite zu treten. Dennoch aber befand er sich mit Poppel nicht ganz allein, sondern er hatte seinem Gesandtschaftsdjak Kurizyn den Befehl ertheilt, Alles was ihm der ausländische Botschafter
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sagen würde, aufzuschreiben. Das Geheimniss, mit dem sich Poppel damals trug, bestand in Folgendem: „Wir haben gehört, — sprach der Botschafter, — dass sich der Grossfürst den Königstitel vom römischen Papst erbeten habe; der polnische König aber sandte dem Papst viele Geschenke und bewog ihn, es nicht zu thun, sondern dem Grossfürsten den Königstitel zu verweigern. Ich aber sage Deiner Gnaden, dass der Papst in diesen Dingen gar keine Macht hat, dass sich dessen Macht nur über die Geistlichkeit erstreckt und dass in weltlichen Angelegenheiten nur unser Herr, der römische Kaiser, Macht hat Könige, Fürsten und Ritter zu ernennen; ist es Deiner Gnaden also gefällig, für Dich und Deine Kinder den Königstitel Deines Landes zu erlangen, so will ich beim römischen Kaiser Deiner Gnaden treuer Diener sein. Nur bitte ich Deine Gnaden davon zu schweigen und keinem einzigen Menschen etwas davon zu sagen, sonst schadet sich Deine Gnaden selbst und würde mich zu Grunde richten; denn erfährt es der polnische König, so wird er weder Tag noch Nacht ruhen, dem Kaiser Geschenke senden und ihn bitten, es zu unterlassen. Die Lechen fürchten sehr, dass Du König in Russland werden könntest, sie meinen, das ganze russische Land, welches jetzt dem polnischen König unterthan ist, würde sich dann von ihm loslösen." Poppel zählte auf die Einfalt des Herrschers von Moskau und suchte offenbar sich in dessen Vertrauen einzuschleichen; er täuschte sich jedoch, da er weder die Landessitten und Ueberlieferungen, noch Iwan Wassiljewitschs Charakter kannte. Der Grossfürst lobte ihn für seine Dienstwilligkeit, gab ihm aber, was den Königstitel anbelangt, folgende Antwort: „Wir sind, — sprach er, — von Gottes Gnaden, von jeher, seit den Zeiten unsrer Ureltern, Herren in unserm Lande, und wir sowohl, als auch unsre Ureltern sind von Gott eingesetzt; wir bitten zu Gott, dass er uns sowohl, als auch unsere Kinder, bis in alle Ewigkeit so belassen möchte, wie wir jetzt Herren sind in unserm Lande. Nie haben wir von jemand eine Bestätigung verlangt und wollen auch jetzt von niemand eine solche." In seinen Unterredungen mit Kurizyn erwähnte Poppel die Heiratsangelegenheit nochmals und schlug als Bräutigame für die beiden Töchter des Grossfürsten den sächsischen Kurfürsten und den Markgrafen von Brandenburg vor, erhielt aber gar keine Antwort darauf. Am 22. März 1489 sandte Iwan Wassiljewitsch einen Griechen, der mit Sophie nach Moskau gekommen w a r , den Jurij Trachaniotes, als Botschafter an den Kaiser und dessen Sohn Maximilian. Russische Leute, die befähigt gewesen wären Aufträge an ausländische Fürsten auszurichten, hatte der moskowitische Grossfürst nur wenige: die Sitten der Moskowiter waren noch in dem Grade roh, dass man in ihren Instructionen sogar später noch bemerken musste, sie sollten sich nicht betrinken, sich nicht prügeln und dem russischen Lande keine Schande machen. Auch diesmal
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gab man dem Griechen zwei Russen nur als Begleiter mit. Die Geschenke, welche dem Kaiser gesandt wurden, waren nur kärglich bemessen, sie bestanden aus vierzig Zobelfellen und zwei Pelzen, einen aus Hermelin, den andern aus Eichhornfellen. Der Grieche überbrachte dem Kaiser des Grossfürsten Wunsch, mit ihm und dessen Sohn in Freundschaft zu leben; was die Werbung anbetreffe, solle der Grieche erklären, dass es dem Beherrscher Moskowiens nicht passend scheine, seine Tochter irgend einem Markgrafen zur Ehe zu geben; die Vorfahren des moskauer Grossfürsten seien seit langen Jahren in Freundschaft und Verwandtschaft zu den römischen Kaisern gestanden, welche Kom dem Papst überlassen, selbst aber in Byzanz regiert hätten; wolle aber des Kaisers Sohn die Tochter des moskauer Herrschers freien, so solle der Botschafter die Hoffnung äussern, dass sein Herr geneigt sein würde, eine diesbezügliche Angelegenheit mit dem Kaiser zu verhandeln. Ausländern gegenüber taxirte Iwan Wassiljewitsch das Ansehen seines Geschlechts und Ranges höher, als daheim, denn in der Folge vermählte er seine Tochter mit einem seiner Unterthanen, dem Fürsten Cholmskij. Trachaniotes Gesandtschaft hatte noch einen andern Zweck. Der Grossfürst hatte ihm den Auftrag gegeben, im Ausland einen Meister ausfindig zu machen, der imstande wäre, Gold- und Silbererze aufzusuchen, und einen andern, der das Erz aus dem Boden zu gewinnen verstände; ferner einen geschickten Meister, welcher Städte zu belagern und einen, der aus Kanonen zu schiessen verstünde; ausserdem noch einen Maurermeister, der steinerne Paläste bauen könne, und endlich auch einen geschickten Arbeiter, der silbernes Geschirr und Pokale zu giessen, zu ciseliren und Aufschriften darauf zu graviren verstände. Jurij Trachaniotes wurde beauftragt, solche Leute anzuwerben und ihnen Handgeld zu geben; zu diesem Behuf erhielt e r , da im moskauer Reich damals Mangel an geprägtem Geld herrschte, achtzig Stück Zobel- und dreitausend Stück Eichhornfelle. Sollte er aber solche Meister, welche nach Moskau zu kommen geneigt wären, nicht finden können, so hatte der Botschafter den Auftrag, die Felle zu verkaufen und dem Grossfürsten dafür Dukaten, die, als eine Seltenheit, damals hoch geschätzt wurden, mitzubringen. Trachaniotes war von seiner Gesandtschaftsreise noch nicht zurückgekehrt, als in Iwan Wassiljewitschs Familie eine wichtige Veränderung vor sich ging. Sein ältester Sohn, der 32jährige Mitregent und Thronfolger, bekam eine Fusskrankheit, welche man damals „Kamtschjug" ') nannte. Es befand sich zu jener Zeit ein Arzt bei Hofe, Meister Leon, ein Jude, der erst vor Kurzem aus Venedig angekommen war. Er kurirte den Zarensohn durch Auflegen von mit heissem Wasser gefüllten Glas') Dahls Wörterbuch hat für diesen Ausdruck drei Erklärungen: Podagra, Lepra und Karbunkel. Der Üebers.
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XIII. Grossfürst und Gossudär Iwan "Wassiljewitsch.
gefassen, gab ihm auch einen Kräuteraufguss zu trinken und sagte zu Iwan Wassiljewitsch: Ich werde Deinen Sohn ganz bestimmt herstellen, heile ich ihn aber nicht, so magst Du mich hinrichten lassen. Der Kranke starb am 15. März 1490, und 40 Tage später Hess Iwan Wassiljewitsch den Arzt, wegen misslungener K u r , auf der Bolwänowka enthaupten. Drei Wochen nach dieser Execution, welche als ein Beispiel dessen, was den angeworbenen Ausländern in Moskau bevorstand, betrachtet werden konnte, kehrte Trachaniotes aus Deutschland zurück und brachte nicht nur einen neuen Arzt, sondern auch allerlei Meister, Maurer, Architecten, Kanoniere, Silberarbeiter und sogar einen Orgelspieler mit. Auch ein Gesandter Maximilians, Jurij Delator 1 ), kam mit ihm und brachte den Antrag zu einem Freundschaftsbündniss und Maximilians Werbung um Iwan Wassiljewitschs Tochter. Iwan Wassiljewitsch fühlte sich durch die Aussicht, seine Tochter an den zukünftigen Kaiser verheiraten zu können, sehr geschmeichelt, liess sich diese Freude aber nicht merken, sondern suchte im Gegentheil, nach seiner Gewohnheit, diese Angelegenheit in die Länge zu ziehen. Als der Gesandte den Wunsch äusserte, Iwans Tochter zu sehen und von der Mitgift zu sprechen anfing, da liess ihm der Grossfürst durch Boris Kutusow sagen: „Bei unserm Herrn ist es nicht Brauch, die Tochter vor Abschluss des Geschäfts zu zeigen, und was die Mitgift anbelangt, so haben wir nie davon gehört, dass zwischen grossen Monarchen darüber Abmachungen stattfinden könnten." Der moskauer Herrscher liebte wohl sein ganzes Leben hindurch zu nehmen, nie aber irgend etwas zu geben. Dagegen stellte Iwan Wassiljewitsch dem Gesandten folgende Bedingung, die diesen verblüffte: er verlangte, Maximilian solle sich verpflichten, seiner Frau eine griechische Kirche zu bauen und rechtgläubige Geistliche zu geben. Delator erwiederte, dass er hierfür keine Instruction habe. Es wurde dann zwischen Maximilian und dem Fürsten von Moskau ein Freundschaftsbündniss geschlossen, welches gegen Litthauen und Polen gerichtet war. Delators Gesandtschaft führte zu weiterem gegenseitigen Verkehr; Trachaniotes musste noch zweimal nach Deutschland reisen und Delator kam noch einmal nach Moskau. Unterdessen bewarb sich Maximilian um die Hand der Prinzessin Anna von der Bretagne, und der moskauer Grossfürst bedauerte sein früheres Zaudern so sehr, dass er Trachaniotes den Auftrag gab, sich zu erkundigen, ob Maximilians Werbung um die bretagnische Prinzessin nicht rückgängig gemacht werden könnte, und ob es nicht möglich sei, aufs Neue Verhandlungen, die Vermählung seiner Tochter betreffend, anzuknüpfen. Maximilian heiratete indessen Anna uud vom Jahre 1493 an hörte der Verkehr mit Oesterreich längere Zeit hindurch gänzlich auf. Es ist auffallend, dass in diesen Verhandlungen dem Grossfürsten der ') Der Name Georg wird im Russischen häufig durch „Jurij" wiedergegeben, obschon die russische Sprache auch die Bezeichnung Georgij und den volksthümlicheren Namen Jegor dafür hat. Der Uebers.
XIII. Grossfilrst und Gossudar Iwan Wassiljewitsch,
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Titel „ Z a r " und sogar „ C ä s a r " gegeben wurde, auch dass er selbst sich „Gossudar und Zar von ganz Russland" nannte; zuweilen jedoch liess er den Titel „ Z a r " fort und nannte sich blos Gossudar und Grossfürst von ganz Rassland. Während dieser Verhandlungen entledigte sich Iwan seines Bruders Andreas. Als Iwan sich mit seinen Brüdern, nachdem sich diese empört, wieder ausgesöhnt hatte, liess er sie die längste Zeit in Frieden, ohne ihnen jedoch zu trauen; er verpflichtete sie durch abermalige schriftliche Verträge und sie mussten, um ihre Treue zu bekräftigen, das Kreuz küssen und ihm schwören, weder mit inneren noch mit äusseren Feinden in Verbindung zu treten. Die Brüder fürchteten ihn und waren in beständiger Erwartung, dass ihnen ein Unheil widerfahren könnte. Einst fasste Andrej Wassiljewitsch den Entschluss, zu entfliehen, es gelang jedoch dem Bojaren Fürsten Patrikejew, eine Verständigung zwischen den Brüdern zu erzielen. Iwan Wassiljewitsch beruhigte seinen Bruder und liess dem Diener, der Andreas gewarnt hatte, die Knute geben. Der Grossfürst wartete übrigens nur auf einen Vorwand, um dem Andreas dasjenige anzuthun, was dieser befürchtete. Im Jahre 1491 verbreitete sich das Gerücht, Achmats Söhne seien im Begriff, Iwans Bundesgenossen, Mengli-Girej, anzugreifen. Der Herrscher sandte seine Truppen gegen sie aus und befahl auch seinen Brüdern, ihre Wojewoden ausrücken zu lassen. Boris gehorchte, Andreas aber folgte dem Befehle nicht. Diese Unfolgsamkeit genügte; Andreas ward nach Moskau berufen, der Grossfürst empfing ihn freundlich, sie unterhielten sich während eines ganzen Abends und trennten sich in Freundschaft. Am nächsten Tage lud der Hofmeister, Fürst Peter Schestunow, Andreas und seine Bojaren zum Mittagsmahl beim Grossfürsten ein. Als Andreas das Schloss betrat, wurde er gebeten, in ein Zimmer einzutreten, welches man „die Falle" nannte, Andreas Bojaren aber führte man in den Speisesaal der Leibwache, wo sie festgenommen und an verschiedene Orte vertheilt wurden. Der Grossfürst trat in die Falle, sprach mit seinem Bruder ganz freundlich und ging dann in ein anderes Zimmer; anstatt seiner trat der Bojar Fürst Rjäpolowskij herein und sprach zu Andreas unter Thränen: „Herr Fürst Andrej Wassiljewitsch, nach Gottes und des Herrn Grossfürsten Iwan Wassiljewitsch von ganz Russland, Deines ältesten Bruders, Willen, bist Du gefangen!" Andreas antwortete darauf: „Wie ea Gottes und des Gossudärs Wille ist, Gott wird uns richten, ich aber bin unschuldig." Er ward in Ketten geschmiedet und in den Thurm geworfen. Iwan Wassiljewitsch sandte den Bojaren Patrikejew nach Uglitsch, um Andreas Söhne, Iwan und Dimitrij, festzunehmen, zu fesseln und nach Perejaslawl ins Gefängniss zu schicken. Andreas starb 1493 im Kerker; seine Söhne mussten lange Zeit hindurch in harter Gefangenschaft schmachten, ohne je die Freiheit wieder zu erlangen. Der andere Bruder wurde verschont, denn er gehorchte dem Grossfürsten in allen Stücken, ganz ebenso, wie
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X I I I . Grossfüxst und Gossudar Iwan Wassiljewitsch.
die übrigen im Dienst befindlichen Fürsten und Bojaren, lebte dabei aber in steter Angst. Seit der Zeit, wo die Verhandlungen mit Oesterreich stattfanden, entwickelte sich auch mit anderen Ländern ein diplomatischer Verkehr; so schloss im Jahre 1490 der Zar von Tschagatai, welcher Chiwa und Buchara beherrschte, mit dem Grossfürsten von Moskau ein Freundschaftsbündniss. Im Jahre 1493 wandte sich der iberische (grusinische) Zar Alexander an Iwan und bat um dessen Schutz; in seinem Schreiben pries er, nach orientalischer Sitte, die Macht des Herrschers von Moskau in überschwenglichen Lobeserhebungen und nannte sich dessen Knecht. Dies war der erste Versuch seitens jenes Landes, dem es späterhin beschieden war, mit Russland vereinigt zu werden, sich Moskau zu nähern. Im nämlichen Jahre entstand auch ein Verkehr mit Dänemark und im folgenden ward ein Freundschaftsbündniss zwischen Dänemark und dem moskowischen Reich abgeschlossen. Endlich wandte man sich im Jahre 1492 zum ersten Mal auch an die Türkei. Schon vorher waren Kaffa und andere genuesische Colonien am Schwarzen Meer unter die Herrschaft der Türkei gerathen und die russischen Kaufleute wurden an diesen Orten bedrückt. Der Fürst von Moskau wandte sich an den Sultan Bajazet mit der Bitte um Schutz für die russischen Handelsleute. Dies war der Anfang des Verkehrs; einige Jahre später fand, durch Mengli-Girejs Vermittlung, ein gegenseitiger Austausch von Gesandtschaften statt. Im Jahre 1497 sandte Iwan den Pleschtschejew als Botschafter zü Bajazet. Obschon dieser später gegen Mengli-Girej äusserte, der russische Botschafter sei am türkischen Hofe durch seine Unhöflichkeit aufgefallen, so antwortete er Iwan dennoch ganz freundschaftlich und versprach den moskauer Kaufleuten Schutz. Dieser ganze Verkehr hatte vorläufig keine besonderen Folgen; als erster in seiner Art ist er jedoch in der Geschichte des entstehenden Moskowiterreichs beachtenswerth. Wichtiger als alle anderen Beziehungen waren die zu Litthauen. Während seiner ganzen Regierungszeit bemühte sich Kasimir, seinem moskauer Nachbar möglichst viel Schaden zuzufügen, hütete sich aber, ihm offenkundige Feindschaft zu zeigen; erst gegen das Ende seines Lebens entstanden ganz von selbst Feindseligkeiten zwischen den Unterthanen Moskaus und Litthauens. Trotz der rücksichtslosen Art, mit der Iwan die in seinem Dienst stehenden Fürsten behandelte, schien einigen von den rechtgläubigen Fürsten Kasimirs Herrschaft durchaus nicht besser zu sein, als diejenige Iwans, und dem Beispiele des Fürsten Bjelskij folgten die Fürsten Odöjewskij, der Fürst Iwan Wassiljewitsch Bjelöwskij, die Fürsten Iwan Michailowitsch und Dimitrij Fjodorowitsch Worotynskij, welche sämmtlich mit ihren Besitzungen zum Grossfürsten von Moskau übergingen. Nachdem sie nun Unterthanen des moskauer Herrschers geworden, überfielen sie die Besitzungen ihrer fürstlichen Verwandten, die unter Kasimirs Oberherrschaft geblieben waren, und nahmen ihnen
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XIII. Grossfllrst und Gossudär Iwan Waasilje witsch.
ihre Ländereien weg. Ihre Gegner fügten ihnen das Gleiche zu. Ausser diesen Grenzconflicten gab es auch noch andere; sowohl in den Grenzdistricten des moskauer Reichs als auch in denen des litthauischen, waren so viele Räuberbanden entstanden, dass die Eaufleute ohne geplündert zu werden nicht durchkommen konnten, und doch musste der ganze Handel des Moskowiterreichs nach dem Süden durch litthauische Besitzungen und durch Kijew gehen, denn auf dem directen Weg von Moskau nach dem Asowschen Meer befanden sich öde Steppen, in denen räuberische Horden nomadisirten; dieser Weg war daher vollständig unpassirbar. Die Moskowiter beschwerten sich über die litthauischen Räuber^ und die litthauischen Unterthanen über die moskauer. Diese gegenseitigen Anklagen, welche sich nach Kasimirs Tode längere Zeit hindurch fortsetzten, führten schliesslich 1492 zum Kriege. Polen und Litthauen waren unter Kasimirs Söhnen getheilt: Albrecht war König von Polen geworden, und Alexander blieb erblicher Grossfürst von Litthauen. Iwan rechnete darauf, dass Kasimirs Reich jetzt geschwächt sei, er sandte daher seine Feldherren gegen Litthauen und veranlasste seinen Bundesgenossen MengliGirej, sich gleichfalls mit seinen Horden dorthin zu wenden. Der Feldzug nahm für Iwan einen günstigen Verlauf. Die moskauer Wojewoden eroberten Meschtschowsk, Sserpejsk, Wjäsma. Die Fürsten von Wjäsma und Mesezk und andere litthauische Landbesitzer mussten mit oder gegen ihren Willen in den Dienst des moskauer Herrschers treten; aber nicht Allen ging es gut in diesem Dienst; im Januar des folgenden Jahres, 1493, wurde, einer von den früheren Ueberläufern, Iwan Lukomskij, beschuldigt, dass ihm der verstorbene Kasimir Gift gesandt habe, um den Herrscher von Moskau zu vergiften. Lukomskij wurde auf der Moskwa in einem Käfig, zusammen mit dem Polen Matthäus (oder Matthias), welcher als lateinischer Dolmetscher gedient hatte, lebendig verbrannt. Mit ihnen zugleich richtete man zwei Brüder Sselewin hin, welche beschuldigt waren, Nachrichten nach Litthauen gesandt zu haben; der eine wurde zu Tode geknutet, der andere enthauptet. Auch der ehemalige Flüchtling, Fjodor Bjelskij, der von Iwan freundlich aufgenommen worden war, ging nicht leer aus, er wurde ausgeplündert und in Galitsch in den Kerker geworfen. Der Grossfürst Alexander von Litthauen überzeugte sich, dass es ihm unmöglich sei, gleichzeitig gegen Moskau und gegen Mengli-Girej zu kämpfen; er fasste daher den Entschluss, Iwans Tochter, Helene, zu heiraten, um auf diese Weise ein dauerhaftes Band zwischen den beiden rivalisirenden Reichen herzustellen. Die Verhandlungen über diese Werbung begannen zwischen litthauischen Herren und dem vornehmsten unter den moskauer Bojaren, Iwan Patrikejew. Sie zogen sich bis zum Januar 1494 träge dahin, bis endlich um diese Zeit die von Alexander nach Moskau gesandten Bevollmächtigten einen Frieden abschlössen, in welchem sie dem Fürsten von Moskau die Gebiete der zu ihm übergegangenen Fürsten Kostomarow-Henckel, Rusa. Geschichte ia Iäiogr. I.
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XIII. Grossfürst und Gossudár Iwan Wassiljewitsch.
abtraten. Nun willigte Iwan in die Vermählung seiner Tochter mit Alexander, stellte aber die Bedingung, dasa sie nicht gezwungen werden dürfe, den römischen Glauben anzunehmen. Im Januar 1495 liess Iwan Helene mit den litthauischen Bevollmächtigten zu ihrem zukünftigen Gemahl ziehen, aber nur unter der Bedingung, dass Alexander ihr auch dann nicht gestatten dürfe, den römischen Glauben anzunehmen, wenn sie sich selbst damit einverstanden erklären würde, und dass er ihr bei ihrer Wohnung eine griechische Kirche erbauen solle. Für Iwan Wassiljewitsch war die Verheiratung seiner Tochter nur ein Mittel, um seine Hand auf das litthauische Reich legen zu können und um künftig die Grenzen seines Reichs auf Kosten derjenigen russischen Länder, welche unter Litthauens Botmässigkeit standen, zu erweitern. Er fing nun eine ganze Reihe der verschiedenartigsten Chikanen an. Alexander legte seiner Frau nicht das geringste Hinderniss in Ausübung ihres Glaubens in den Weg und lebte überhaupt in Friede und Eintracht mit ihr. Er baute ihr zwar keine eigene griechische Kirche, üb erliess es ihr aber, die in der Stadt Wilna befindliche Kirche zu besuchen; die weltlichen katholischen Herren, mehr aber noch die katholische Geistlichkeit, waren ohnehin schon unwillig, dass ihre Grossfürstin nicht Katholikin sei, sie würden sehr gemurrt haben, wenn ihr der König eine eigene orthodoxe Kirche erbaut hätte. Alexander wollte weder einen moskauer Geistlichen, noch moskauer Dienerschaft in Helenens Nähe dulden, wie sein Schwiegervater es mit der offenkundigen Absicht, am Hofe seines Schwiegersohnes Kundschafter zu haben, forderte. Helene selbst führte nicht nur keine Klagen über ihren Mann beim Vater, was Iwan gern gesehen haben würde, sie versicherte ihm sogar, dass sie sich durchaus nicht unterdrückt fühle, dass sie keinen moskauer Geistlichen bedürfe, dass ein rechtgläubiger Geistlicher in Wilna vorhanden und sie mit ihm zufrieden sei; auch dass sie weder moskauer Bedienung, noch moskauer Bojarinnen brauche, weil sich dieselben nicht anständig zu benehmen verstünden; auch könne sie dieselben nicht besolden, da der Vater ihr keine Mitgift gegeben habe. Diese Erklärungen genügten Iwan nicht; überall, wo sich ihm Gelegenheit darbot, suchte er anzuhäkeln und verlangte u. a. auch, dass ihn sein Schwiegersohn „Gossudár von ganz Russland" titulire. Selbstverständlich konnte Alexander darauf nicht eingehen, da er selbst einen ansehnlichen Theil Russlands beherrschte, und Iwan, gestützt auf diesen Titel, neue Ansprüche auf die russischen Länder, welche sich unter Litthauens Herrschaft befanden, geltend machen konnte. Auch seine früheren Beziehungen zu Mengli-Girej hielt Iwan aufrecht, er opferte ihn, seinem Schwiegersohn zulieb, nicht nur nicht auf, sondern instruirte sogar seine in die Krim gesandten Botschafter, dass sie Mengli-Girej, falls er die Absicht haben sollte, Litthauen anzugreifen, nicht daran verhindern möchten, sondern dass sie ihm zu erklären hätten, Moskau habe keinen dauerhaften Frieden mit Litthauen und der moskauer Herrscher wolle den
XIII. Grossfürst und Gossudär Iwan "Wassiljewitsch.
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Litthauern sämmtliche ursprünglich russischen Erblande abnehmen. Iwan Wassiljewitsch war also jeeinem Schwiegersohne gegenüber doppelzüngig; gegen den krimschen Chan, der ihm treue Dienste leistete, war er dagegen offenherziger. So war das Verhältniss beschaffen, in welchem sich Iwan Wassiljewitsch zu seinem Schwiegersohn bis zum Jahre 1500 befand. Die letzten Jahre des XV. Jahrhunderts zeichneten sich insbesondere durch neue Erscheinungen im Bereich der innern Zustände aus. Durch diplomatische Verbindungen wurde das östliche Russland der europäischen Welt nach und nach näher gerückt, nachdem sie lange Zeit hindurch getrennt und einander entfremdet gewesen waren; Anfänge einer Entwickelung der Künste, welche hauptsächlich dem Herrscher, der Befestigung seiner Macht, dem Comfort seines Privatlebens und auch der Ausschmückung der moskauer Kirchen gewidmet waren, kamen zum Vorschein. Nach Beendigung der von Aristoteles erbauten Kirche zur Himmelfahrt Mariä wurden in Moskau noch verschiedene andere massive Kirchen im Kreml und ausserhalb desselben erbaut. Im Jahre 1489 ward die Kathedrale zur Verkündigung Mariä, welche zur Hauskirche des Grossfürsten bestimmt war, beendet und eingeweiht. Fast zur nämlichen Zeit wurde noch eine andere Kirche zu Ehren der Mutter Gottes erbaut. Bis zu diesem Zeitpunkt wohnten die moskauer Grossfürsten ausschliesslich in hölzernen Gebäuden, überhaupt waren im ganzen russischen Norden nur Kirchen aus Stein gebaut, die Wohnhäuser waren ohne Ausnahme von Holz. Als Iwan Wassiljewitsch erfuhr, dass in fremden Ländern, wohin seine Botschafter gekommen waren, die Herrscher steinerne Gebäude bewohnen, dass sie prachtvolle Paläste besässen, in denen glänzende Feste gegeben und ausländische Botschafter empfangen werden, da befahl e r , dass man auch ihm einen steinernen Palast, um feierliche" Empfänge und Versammlungen abzuhalten, erbauen solle. Ein solcher Palast wurde vom Venetianer Markus und dessen italienischen Gehilfen von 1487 bis 1491 erbaut; er ist noch bis jetzt erhalten und unter dem Namen Granowitaja Paläta bekannt. Im Jahre 1492 Hess sich Iwan Wassiljewitsch einen Palast erbauen, um darin zu wohnen, der aber bald darauf durch eine Feuersbrunst beschädigt und 1499 vom mailänder Meister Alevizo (?) renovirt wurde. 2 ) Der Kreml wurde neuerdings mit einer stdnernen Mauer umgeben; Italiener bauten zu verschiedenen Zeiten Thürme und Thore und errichteten innerhalb des Kreml unterirdische geheime Räumlichkeiten, in denen die Herrscher ihre Schätze verbargen. l ) l i e Russen schreiben ausländische Eigennamen so, wie sie dieselben aussprechen, auch decliniren sie dieselben häufig und hängen dann Flexionssilben an; es ist daher nicht immer leicht, die ursprüngliche Orthographie dieser Namen wieder herzustellin. Derüebers. a ) Is ist bemerkenswert^ dass, während das Schloss gebaut wurde, der Herrscher zeitweise in Privathäusern wohnte, u. a. in dem Hause des Bojaren Patrikejew und in Häusern von Einwohnern bei St. Nikolaus Podkopai und in der Nähe der Jausa. 18*
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Vom Moskwaflusse bis zur Neglinnaja wurde ein Graben gezogen, den man mit Steinen auslegte. Das Beispiel des Herrschers fand Nachahmung, Die Metropoliten Gerontius und Sossima Hessen eich Paläste aus Ziegelsteinen aufführen und auch drei Bojaren bauten sich steinerne Hänser im Kreml. Doch alles dies waren nur Ausnahmen, steinerne Gebäude kamen bei den Russen nicht in Aufnahme. Es hatte sich in Russland die Ueberzeugung gebildet, dass es nützlicher und gesünder sei in Holzbauten zu wohnen. Der Herrscher selbst und auch seine Nachfolger theilten lange Zeit hindurch diese Ansicht und besassen Steinpaläste nur um des Luxus willen, zogen aber vor, selbst in hölzernen Häusern zu wohnen. Iwan Wassiljewitsch hatte eine besondere Liebhaberei für allerlei Metallarbeiten. Ausländische Meister gössen für ihn Kanonen (u. A. die Italiener Peter und Jacob Debossis; ein Debossis goss im Jahre 1482 die berühmte Zar-Kanone, welche noch jetzt ihrer ungewöhnlichen Grösse halber angestaunt wird). Im Jahre 1491 brachte Trachaniotes die Bergleute Johannes und Victor aus Deutschland mit. Sie fanden, gemeinschaftlich mit Russen, silber- und kupferhaltige Erze am Flusse Zilma, drei Werst von der Petschora entfernt; der Hauptfundort dieser Erze war jedoch nicht mehr als zehn Werst gross. Zur nämlichen Zeit fing man auch an, Metalle zu schmelzen und aus russischem Silber kleine Münzen zu prägen. Der Grossfürst erfreute sich an dem Anblick von Silber- und Goldarbeiten und es befanden sich an seinem Hof verschiedene fremde Silber- und Goldarbeitermeister, Italiener, Deutsche und Griechen. Für die Verbreitung aller Art von Kunstfertigkeiten unter dem russischen Volke geschah jedoch gar nichts. Es ist eigentümlich, dass in diesem Jahrhundert, da die Griechen, im westlichen Europa zerstreut, durch die Früchte ihrer alten Kultur ein neuaufblühendes Leben schufen und den Grund zu einer geistigen Revolution, die in der Gesohichte unter dem Namen der Renaissance bekannt ist, legten, — im Moskowiterreiche, wo griechische Religion verbreitet und dessen Herrscher mit einer griechischen Fürstin verheiratet war, diese Griechen fast gar keinen bildenden Einfluss ausübten. Die langjährige asiatische Barbarei war nicht geeignet, den Boden dazu vorzubereiten; ferner waren auch die despotischen Neigungen Iwan Wassiljewitschs und sein rücksichtsloses Verfahren mit den Ausländern daran schuld, dass sich keine grössere Anzahl der Letzteren nach Moskau zu gehen getraute, weil die für ihre Thätigkeit unumgängliche Freiheit daselbst fehlte. Der Handel unter Iwan befand sich durchaus nicht in blühendem Zustande, obschon in Moskau auch ausländische Kaufleute lebten, welche durch die Liebhaberei des Grossfürsten für seltene, in Russland noch unbekannte Produkte, angelockt worden waren; aber das russische Volk kaufte von ihren Waaren fast gar nichts. -Ueberhaupt war der Handel gegen früher im Rückgange. Im Süden war
XI n . GrossfUrst und Gossudir Iwan Wassiljewitscli.
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Kaffa, einst ein Handelscentmm am Schwarzen Meer, in die Hände der Türken gerathen; die neuen Besitzer waren nicht imstande, es in jenem blühenden Zustand zu erhalten, in welchem es sich unter den Genuesen befunden hatte; die Kaufleute genossen nicht mehr die frühere Sicherheit und die Verbindung Moskaus mit dem Schwarzen Meer war durch tatarische Horden und feindliche Conflicte Litthauens mit Moskau ausserordentlich erschwert. Im Norden hatte Nowgorod sowohl seine frühere Handelsbevölkerung, als auch seine Freiheit, welche den Handel begünstigte, verloren, und zuletzt ruinirte Iwan Wassiljewitsch 1495 den dortigen Handel noch ganz und gar. Unter dem Vorwand, die Deutschen hätten in Reval einen Russen, der bei einem nichtswürdigen Verbrechen ergriffen wurde, verbrannt, liess Iwan Wassiljewitsch alle deutschen Kaufleute in Nowgorod — nicht etwa blos die aus Reval — festnehmen und in Keller werfen, liess die nowgoroder Kaufhöfe versiegeln (es gab ihrer zwei: den gothischen und den deutschen) und sowohl die Waarenvorräthe als auch das übrige Besitzthum dieser Kaufleute zu seinen Gunsten confisciren. Nach Ablauf eines Jahres wurden sie, es waren ihrer 49, vollständig ausgeplündert, in ihre Heimat entlassen. Selbstverständlich konnte ein solches Verfahren weder der Entwickelung des Handels, noch dem Wohlstande des russischen Landes günstig sein. Das Moskowiterreich erhielt unter Iwan eine regelmässige LandOrganisation. Die Ländereien waren in Ssochäs eingetheilt. Diese Eintheilung war nicht neu, bekam aber jetzt mehr Korrektheit und Gleichförmigkeit. Es war z. B. im Jahre 1491 das twersche Land, gleich wie das moskauer, in Ssochäs eingetheilt; dem nowgoroder Land hatte man seine eigene Ssochä, welche einen andern Flächeninhalt als die moskauer hatte, belassen. Es gab dreierlei verschiedene Formen der moskauer Ssochä, je nach der Güte des Bodens. Als Bodenmass galt die Tschetj, d. i. ein Flächenraum, auf den man eine Vierteltonne Korn säen konnte. So rechnete man auf eine Ssochä guten Bodens 800, mittleren Bodens 1000 und schlechten Bodens 1200 Tschitwertj (Tschetj). Der Dreifelderwirthschaft entsprechend verstand man darunter aber den dreifachen Flächenraum. Wenn man daher von 800 Tschetj sprach, so waren damit 2400 gemeint. Heuschlag und Wald kamen dabei nicht in Betracht, sondern wurden dem Ackerland besonders hinzugerechnet. Die Ssochäs enthielten Kirchdörfer, kleinere Dörfer und Weiler, die sehr schwach bevölkert waren; ein Dorf bestand zuweilen nur aus drei, zwei und sogar nur aus einem einzigen Gehöft. Ein stärker bevölkerter Ort, wo Gewerbe betrieben wurden, hiess Possäd, es war dasselbe, was wir jetzt eine Stadt nennen. Die Possäds gehörten gleichfalls zu den Ssochäs, wurden aber iycht nach Tschetjs, sondern nach der Anzahl ihrer Höfe berechnet. Um die Zahl der Bevölkerung und die Grösse des Besitzes zu ermitteln, sandte man Beamte aus, welche Pisszy (Schreiber) genannt wurden, sie stellten die pisszöwija knigi (Grundbücher) her, in welchen die Namen der Ein-
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XIII. Grossfürst und Gossudär Iwan Wassiljewitach.
wohner, ihr Beruf, der Flächeninhalt des Landes, welches sie bearbeiteten, und die Einkünfte, welche sie bezogen, aufgeschrieben wurden. Den Einkünften entsprechend wurden Abgaben und Steuern auferlegt; im Fall der Noth wurde auch eine bestimmte Anzahl von Männern von jeder Ssochä fürs Heer ausgehoben. Ausser den auferlegten Abgaben mussten die Einwohner auch eine ausserordentlich grosse Menge von besonderen Steuern tragen. Der Handel im Innern des Landes war gleichfalls mit einer Menge von kleineren Abgaben belastet. Beim Umzug aus einem Land ins andere, aus einer Stadt in eine andere waren die Händler gezwungen, Zölle und Mauthsteuern zu entrichten, abgesehen von den kleineren Abgaben, welche beim Kauf und Verkauf verschiedener Gegenstände erhoben wurden. Alles war so eingerichtet, dass die Bewohner, sozusagen bei jedem Schritt und Tritt, dem Staate Einnahmen zuwenden mussten. Als Iwan Wassiljewitsch die Selbstständigkeit der einzelnen Länder vernichtete, hob er viele Besonderheiten, welche an der alten Zerstückelung hafteten, nicht auf, sondern machte sie seinem ausschliess. liehen Vortheil dienstbar. Dies war der Grund, weshalb die Vereinigung der Länder unter einer Herrschaft das Volk durchaus nicht von den vielen Nachtheilen befreite, unter denen es in Folge der Zerstückelung des russischen Landes gelitten hatte. In der Geschichte der Regierungszeit Iwan Wassiljewitschs zeichnete sich das Jahr 1497 durch die Herausgabe des „Ssudöbnik" aus, welcher allerlei unzusammenhängende Gesetze, das Gericht und die Justizverwaltung betreffend, enthielt. Die Gerichtsbarkeit war den Bojaren und Okolnitschijs übertragen und wurde im Namen des Grossfürsten ausgeübt. Manche Bojarenkinder erhielten „Fütterung", d. h. temporären Besitz von besiedeltem Land nebst Gerichtsbarkeit über dasselbe. In den Städten war das Gericht den Statthaltern und Amtsvorständen, unter verschiedenen Einschränkungen, übertragen; ihnen wurden Hofbeamte, Staroste und Deputirte aus den sogen, besseren (d. h. wohlhabenden) Leuten zugetheilt. Die Gerichte hatten ihre Djaks, welche die Bureauarbeiten zu besorgen hatten und „Nedjölschtschiks" (Gerichtsvollzieher), welche die auf das Urtheil bezüglichen Aufträge ausführen mussten. Als Entschädigung empfingen die Richter vom schuldigen Theil Gerichtssporteln, die in Prozenten, jedoch in verschiedener Höhe, je nach der Wichtigkeit des Gegenstandes, berechnet wurden. Bestechungen anzunehmen war verboten, Streitfälle wurden durch Zeugenverhör und durch den gerichtlichen Zweikampf entschieden; in Kriminalsachen war die Anwendung der Folter gestattet, jedoch nur dann, wenn unwiderlegliche Beweise gegen den Verbrecher vorlagen, also nicht auf die blosse Anklage hin. Der gerichtliche Zweikampf war mit hohen Gebühren zu Gunsten der Richter belastet. Der Besiegte, den man den „ Erschlagenen" nannte, wurde als Verlierender betrachtet. Bei Kriminalverbrechen wurde nur der erste Diebstahl, und auch dieser nur, wenn er nicht Kirchen- oder Menschenraub
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betraf, mit öffentlicher Züchtigung bestraft, alle anderen Kriminalverbrechen standen unter Todesstrafe. Das Zeugniss ehrlicher Leute wurde so sehr gewürdigt, dass eine Aussage von 5 bis 6 Bojarenkindern, oder von gemeinen Leuten unter Bekräftigung durch das Küssen des Kreuzes, genügte, um eine Verurtheilung wegen Diebstahl herbeizuführen. In Bezug auf leibeigene Knechte blieben die früheren Bestimmungen aufrecht; d. h. leibeigener Knecht war derjenige, der sich selbst als Sklave verkauft hatte, oder der von einer Sklavin Geborene, oder der sich mit einer Person aus dem Sklavenstande ehelich verbunden hatte. Ein in Gefangenschaft gerathener Sklave, der entflohen war, wurde frei. Im Leben der Landbewohner (Bauern) trat jedoch eine Aenderung ein: Der Ssudöbnik bestimmte, dass die Bauern von Ort zu Ort, von Dorf zu Dorf, von einem Besitzer zum andern, nur einmal im Jahr, während zwei Wochen um den Jurjewstag im Herbst (St. Georg, den 26. November), wechseln durften. Dies war der erste Schritt zur Einführung der Leibeigenschaft des Bauernstandes. Im Jahre 1498 brach in der grossfürstlichen Familie ein Zwiespalt aus, welcher Vielen, die Iwan nahe standen, das Leben kostete. Seit dem Tode seines ältesten Sohnes, der einen Sohn, Dimitrij, hinterlassen hatte, waren mehr als sieben Jahre verflossen. Wir wissen nicht, wie eich der Grossfürst in Bezug auf die Frage der Thronfolge verhielt; ob er seinen zweiten Sohn Wassilij, von der Sophie, oder seinen Enkel Dimitry, dessen Vater bereits Mitregent gewesen war, zum Thronerben bestimmt hatte. Die allgemein verbreitete Ansicht der Zeitgenossen und Nachkommen bürdete die Schuld an dem Tode des ältesten Grossfürstensohnes der Sophie auf; dass sie weder diesen Sohn, noch den Enkel der ersten Gemahlin Iwans leiden konnte, ist zweifellos; ebenso, dass sie ihrem eigenen Sohn Wassilij den Thron zu verschaffen suchte. Sophie hatte aber eine mächtige Partei gegen sich, an deren Spitze zwei einflussreiche; Bojaren, standen,, der Fürst Iwan Jurjewitsch Patrikejew und dessen Schwiegersohn, Fürst. Ssemjon Iwanowjtsch,Rjapolowskij, die. intimsten und am meisten geliebten unter allen Vertrauenspersonen des Herrschers, durch deren.Hände die wichtigsten Geschäfte gingen.. Alle ihre Anstrengungen zielten d a r a u f h i n , Iwans Gesinnungen gegen seine Frau «rkalten zu machen und dessen Neigung dem Enkel zuzuwenden. Gleichzeitig hatte auch seine Schwiegertochter Helene, die vom Schwiegervater damals sehr geliebt wurde, grossen Einfluss auf ihn. Aber auch die Gegenpartei hatte ihre eifrigen Diener. Als Iwan, bevor er noch einen entscheidenden Schritt gethan hatte, seinem Enkel grosse Liebenswürdigkeiten erwies, da schreckten Sophiens Anhänger ihren Sohn Wassilij mit der Versicherung, sein Vater beabsichtige in kürzester Frist den Enkel zur Grossfürstenwürde zu erheben und mit der Zeit könne es dann Wassilij recht schlimm ergehen. Es bildete sich eine Verschwörung, an der Fürst Iwan Pälezkij, Chrul, Skrjäbin, Güssew, Jardpkin, Pojärok u. A. Theil
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nahmen. Man beschloss, Wassilij solle aus Moskau entfliehen. Ausser seiner moskauer Schatzkammer hatte der Grossfürst auch noch Schatzkammern in Wologda und Bjeloösero; Wassilij sollte sich derselben bemächtigen und Dimitrij dann zu Grunde richten. Diese Verschwörung wurde, man weiss nicht auf welche Weise, im December 1497 entdeckt; gleichzeitig hatte der Herrscher auch in Erfahrung gebracht, dass böse Weiber mit giftigen Kräutern zu seiner Frau gekommen seien. Iwan Wassiljewitsch ward wüthend, wollte seine Frau nicht mehr sehen, liess seinen Sohn arretiren und alle oben genannten Verschwörer hinrichten, wobei ihnen zuerst Hände und Füsse und dann der Kopf abgeschlagen wurde; die Weiber, welche zu Sophie gekommen waren, wurden im Moskwaflusse ertränkt und viele Bojarenkinder eingekerkert. Schliesslich, am 4. Januar 1498, krönte Iwan Wassiljewitsch, seiner Gemahlin zum Trotz, den 15 jährigen Enkel feierlichst in der Kathedrale zur Himmelfahrt Maria, setzte ihm die sogen. „Mütze Monomachs" auf das Haupt und schmückte ihn mit den Barmen. (Siehe Anmerk. pag. 63). Es war dies die erste Krönung in Russland. Noch bevor ein Jahr verging, hatte sich Alles geändert. Iwan Wassiljewitsch war mit seiner Frau und seinem Sohn wieder ausgesöhnt und gegen Helene und seinen Enkel gleichgültig geworden. Sophiens Gegner, Iwans Bojaren, hatten seinen Zorn auf sich gezogen; seine Eigenliebe litt unter der Wahrnehmung, dass Patriköjew und Rjapoldwskij zu grosser Macht gelangt waren; wahrscheinlich wollte Iwan Wassiljewitsch sich selbst sowohl, als auch allen Andern beweisen, dass jedermann, ohne Ausnahme, sich seiner selbstherrlichen Macht zu beugen habe. Am 5. Februar 1498 wurde Fürst Ssemjön Rjapolöwskij auf dem Moskwaflusse enthauptet und zwar dafür, weil sowohl er, wie auch Patriköjew, „allzuklug und weise" sein wollten — wie Iwan sich ausdrückte. Dasselbe Schicksal stand auch den Patrikijews bevor; der Metropolit Simon jedoch bat um ihr Leben. Fürst Iwan Jurjewitsch Patrikejew und sein ältester Sohn Wassilij mussten das Mönchsgewand anlegen, der jüngere Sohn, Iwan, wurde eingekerkert. Darauf proklamirte Iwan Wassiljewitsch seinen Sohn Wassilij als Grossfürsten und Gossudär von Nowgorod und Pskow. Eine solche eigenthümliche Absonderung zweier Länder machte die Pskowiter, welche eben erst Dimitrij Iwanowitsch als ihren Herrn anerkannt hatten, stutzig. Sie konnten nicht begreifen, was das Älles zu bedeuten habe, und beschlossen, ihre Possadniks und von jedem Stadttheil drei Bojaren zum Grossfürsten zu senden, um sich Erklärungen zu erbitten. Ihr demüthiges Gesuch lautete: „Der grosse Gessudär möchte doch sein Erbland den alten Bräuchen gemäss behandeln; derjenige^ welcher Grossfürst in Moskau sei, sei auch unser Gossudär." Auch gestatteten die Pskowiter ihrem neuernannten Wladyka Gennadios nicht, Wassilijs Namen ins Kirchengebet aufzunehmen. Der Grossfürst empfing die Botschaft der Pskowiter
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völler Zorn und sprach: „Bin ich etwa nicht Herr über meine Kinder und Enkel? Wen ich will, den setze ich als Fürsten e i n ! " Mit dieser Antwort sandte er einen der Possadniks nach Pskow zurück, die andern Botschafter liess er einkerkern. Die Pskowiter unterwarfen sich, gestatteten, dass Wassilijs Name ins Kirchengebet aufgenommen werde und sandten andere Botschafter zum Grossfürsten mit den Ausdrücken vollständigster Unterwürfigkeit. Daraufhin änderte Iwan Wassiljewitsch seinen Ton, wurde freundlich und liess die Gefangenen frei. Der gekrönte Dimitrij führte eine Zeit lang den Titel eines Grossfürsten von Wladimir und Moskau fort, war aber, nebst seiner Mutter, von seinem Grossvater getrennt und dieser erklärte ihn und seine Mutter am 11. April 1502 in die Acht. Wie es scheint, wirkten hierbei nicht nur Sophiens eindringliche Vorstellungen, sondern auch Einflüsse der Geistlichkeit mit, die Helene der Theilnahme an der sogen, „jüdischen K e t z e r e i w e l c h e sich damals bemerkbar machte, beschuldigte. Wassilij wurde nun als Grossfürst von ganz Russland proclamirt. Dimitrijs Name durfte nicht mehr im Kirchengebet erwähnt werden. Zwei Jahre später starb Helene im Kerker, zu derselben Zeit, als man die Häretiker zu grausamen Todesstrafen verurtheilte (1504). Ihr unglücklicher Sohn musste Mutter und Grossvater überleben und, nach dem Willen seines Onkels, dem Nachfolger Iwans, in harter Gefangenschaft dahinsiechen. Iwans Verfahren gegen Dimitrij und Wassilij war die Verkündigung eines extremen, in Russland noch nie dagewesenen, persönlichen Despotismus; Familienwillkür vereinigte sich hier mit Herrscherwillkür. Der, welcher zu dieser Zeit Herrscher war, kannte keine Schranken; ein Throfolgenrecht exißtirte für ihn nicht; der Herrscher verleiht die Macht, übergiebt die Würde Demjenigen, welchem er sie geben will; der, welcher heute als Thronfolger gekrönt wird, schmachtet morgen im Kerker, ein Anderer, der sich im Kerker befand, wird zum Herrscher proclamirt; die Länder werden, ohne ihre Stimme erheben zu dürfen, nach Willkür getrennt und vereinigt. Der Herrscher masst sich das Recht an, das russische Land zu zerstückeln und die einzelnen Theile, nach Wohlgefallen, wie eine bewegliche Habe, zu verschenken. Iwan Wassiljewitsch, der so lange Zeit hindurch zu befehlen gewohnt w a r , und der, ohne Ansehen der Mittel, jedermann an Gehorsam gewöhnt hatte, war jetzt ein orientalischer Despot geworden. Die Zeitgenossen erzählen, sein blosses Erscheinen habe Alle zittern gemacht, vor seinem Zornesblick seien die Frauen in Ohnmacht gefallen; seine Höflinge mussten ihn in seinen Mussestunden unterhalten und waren dabei ihres Lebens nicht sicher; war er im Lehnstuhl sitzend eingeschlummert, so standen sie mit sklavischer Unterwürfigkeit um ihn herum, ohne es wagen zu dürfen, eine unvorsichtige Bewegung zu machen oder zu husten, um ihn nicht zu erwecken. Das war Iwan Wassiljewitsch, der Begründer der moskauer Alleinherrschaft. In den letzten Jahren des XV. Jahrhunderts führte Iwan Wassilje-
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witsch, als Dänemarks Bundesgenosse, einen Krieg gegen Schweden, der, ausser gegenseitiger Verheerungen, keine weiteren Folgen hatte. Wichtiger war im Jahre 1499 der Feldzug des moskauer Heeres gegen das weit abgelegene Jugrien (im nordwestlichen Winkel Sibiriens und an der östlichen Grenze des archangelschen Gouvernements). Die Russen bauten eine Festung an der Petschöra, brachten die gefangenen jugrischen Fürsten dorthin und unterwarfen das jugrische Land der Herrschaft Moskaus. Dies war der eiste Schritt zur successiven Eroberung Sibiriens, welche, mit mehr Nachdruck, gegen Ende des XYI. Jahrhunderts begann. Im Jahre 1500 brach gegen Polen und Litthauen ein Krieg aus. Das gespannte Verhältniss zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn verwandelte sich, bei Gelegenheit neuer Ueberläufereien litthauischer Vasallenfürsten, in offene Feindschaft. Zuerst war es der Fürst Ssemjon Iwanowitsch Bjelskij, welcher sich von Alexander lossagte und in Iwan Wassiljewitschs Dienste trat; ihm folgten die Nachkommen der Flüchtlinge aus dem moskauer Lande — Iwan Andrejewitsch Moshajskijs Enkel, Ssemjon, und Schemjakas Enkel, Wassilij; sie überlieferten die ihren Vätern und Grossvätern verliehenen Besitzungen dem Beherrscher von Moskau. Der Erstere hatte Tschernigow, Starodub, Gomel und Ljubetsch im Besitz, der Andere Nowgorod-Ssewersk und Rylsk. Das Nämliche thaten auch die Fürsten Mossalskij, Chotetowskij und die Bojaren von Mzensk und Sserpejsk. Als Vorwand galten die Verfolgungen der rechtgläubigen Religion. Alexander hatte den römisch-katholischen Geistlichen gestattet, die Rechtgläubigen zu bekehren und wollte auf den erledigten Sitz des kijewer Metropoliten den Bischof von Smolensk, Joseph, einen eifrigen Anhänger der florentiner Kirchenvereinigung, setzen. Die früheren Metropoliten, mit Ausnahme von Isidors Nachfolger, Gregor, waren Alle der orientalischen Rechtgläubigkeit treu geblieben. Iwan Wassiljewitsch brach den mit seinem Schwiegersohn geschlossenen Vertrag, laut welchem sich beide Seiten verpflichtet hatten, dass keiner vom:andern Fürsten mit Landbesitz aufnehmen sollte; Iwan aber kehrte sich nicht an diese Abmachung. Er sandte seinem Schwiegersohn eine Kriegserklärung und liess gleich darauf ein Heer nach Litthauen ausrücken. Die russische Kriegsmacht war damals in Schaaren eingetheilt, welche Polks (Regimenter) genannt wurden; es gab ein grosses oder Hauptpolk, ihm schlössen sich Polks linker und rechter Hand, Vorderpolk und Wachtpolk (Nachtrab) an. Die Anführer hiessen Wojewoden. Unter den Befehlshabern bestand schon damals der Brauch, die Stellen nach dem Geburtsrang zu besetzen; um die Ehre ihres Geschlechts zu wahren, betrachteten die Wojewoden es als ihre Pflicht, nur solche Posten anzunehmen, welche, dem Range nach, nicht unter anderen Posten standen, die von Personen bekleidet wurden, deren Väter oder Grossväter unterm Befehl ihrer Väter oder Grossväter gestanden hatten. Dies Beobachten der Rangverhältnisse erstreckte sich
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auch auf die Verwandten; man zog ferner in Betracht, ob Andere, Unbetheiligte, im Dienstrang aber Gleichstehende, höhere oder niedrigere Posten bekleideten. Während der tatarischen Periode war die alte Gleichheit unter den Fürsten in Verfall gerathen; die Einen waren höher gestiegen, die Andern herabgesunken; dasselbe war, wie anzunehmen, auch bei den Bojaren der Fall; als aber Fürsten und Bojaren Diener des Herrschers von Moskau geworden waren, da wurde der Begriff ihrer Geschlechtsehre durch den Dienst beim Herrscher bemessen. Dieser Brauch, welcher sich in der Folge bis zu einem Grade complicirte, wie wir ihn in der Blütezeit des Moskowiterreichs antreffen, konnte unter Iwan Wassiljewitsch erst kürzlich entstanden sein. Einerseits war er für die sich entwickelnde Selbstherrschaft nützlich, denn die Nachkommen der freien und vornehmen Geschlechter fingen an ihren Ehrgeiz hauptsächlich im Dienste des Herrschers zu befriedigen, es ist daher begreiflich, dass, bis zum Ende des XVII. Jahrhunderts, keiner von den Herrschern diesen Brauch vernichtete; — andrerseits aber hatte er auch viele Nachtheile im Gefolge, denn die Anführer stritten unter einander auch dann, wenn der Erfolg einer Action von der Einmüthigkeit des Handelns und von der Disciplin abhing. Iwan Wassiljewitsch hätte natürlich diese Rangstreitigkeiten gleich im Beginn unterdrücken können, — er that es aber nicht, dämpfte sie jedoch durch seinen autokratischen Willen. Als daher der Bojar Koschkin, welcher im Feldzug gegen Litthauen das Wachtregiment (den Nachtrab) befehligte, picht unter dem Fürsten Danilo Schtschönja stehen wollte, da liess ihm der Herrscher sagen: „Du hast nicht Danilo Schtschönja, sondern mich und meine Angelegenheiten zu bewachen. Die Wojewoden des Hauptregiments sind denen des Wachtregiments gleich. Von Schande kann da keine Rede sein." Auf diese Weise brach diesmal Iwan Wassiljewitsch die Macht der Rangordnung während der Zeit des Krieges. Er hinterliess dadurch seinen Nachfolgern das Vorbild, wie man in gewissen Fällen die Rangordnung aufheben könne, indem man nämlich verkündet, dass alle Befehlshaber ranglos seien, ohne indess die Rangordnung in ihrer Grundlage zu erschüttern. Ausser dem russischen Heer sandte. der Herrscher von Moskau nach Litthauen auch noch ein tatarisches Corps unter dem Befehl des ehemaligen Zaren von Kasan, Machmet-Amin, der, auf Wunsch der Kasaner, unlängst durch einen andern ersetzt worden war. Auch machte Iwans unwandelbarer Bundesgenosse, Mengli-Girej, einen Einfall in Südrussland. Der Feldzug nahm einen sehr günstigen Verlauf für Iwan; die Russen eroberten eine Stadt nach der andern, viele Vasallenfürsten Alexanders geriethen in Gefangenschaft oder unterwarfen sich freiwillig; so z. B. die Fürsten von Trubtschewsk (die Trubötzkijs). Am 14. Juli 1500 schlug Fürst Danilo Schtschönja das litthauische Heer aufs Haupt und nahm den Hetman (Hauptanführer) Fürst Oströshskij, «inen Nachkommen der alten wolhynischen Fürsten, gefangen. Iwan
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zwang ihn in russische Dienste zu treten. Alexanders Besitzungen hatten unter den Verheerungen furchtbar gelitten; es nützte ihm wenig, dass er im folgenden Jahr, nach dem Tode seines Bruders Albrecht, zum polnischen König erwählt wurde und ein Bündniss mit Livland schloss. Die Livländer unter der Anführung ihres Grossmeisters Plettenberg, behielten anfangs, als sie ins russische Gebiet eindrangen, die Oberhand über die Russen; als aber später eine bösartige Krankheit in ihrem Heer ausbrach, da verliessen die Kitter, nachdem sie eine Menge Leute verloren hatten, dass Pskowiterland, und die russischen Wojewoden folgten ihnen, brachen in Livland ein und verheerten es. Auch Alexanders Bündniss mit Schig-Achmet, dem letzten Chan, welcher den Titel Zar der Goldenen Horde führte, brachte ihm keine Hilfe. Schig-Achmet bot, während er Alexander diente, seine Dienste gleichzeitig auch dem moskauer Herrscher an, unter der Bedingung, dass dieser sich von MengliGirej lossage. Iwan Wassiljewitsch hielt es aber natürlich für vortheilhafter das Bündniss mit dem Chan der Krim aufrecht zu erhalten. Mengli-Girej schlug Schig-Achmet und vernichtete die Reste der Goldenen Horde total. Schig-Achmet musste nach Kijew fliehen, Alexander aber, der von seinen verrätherischen Absichten wohl gehört haben mochte, verbannte ihn nach Kowno, wo er auch starb. Iwans Tochter Helene, Alexanders Frau, befand sich in einer höchst traurigen Lage. Sie w a r , trotz aller Klugheit, die sie bisher in den Beziehungen zu. ihrem Vater bewiesen hatte, nicht imstande gewesen den Krieg zu verhüten. Sie suchte den Vater auf jede Art zu überzeugen, dass sie sich weder über Beleidigungen, noch über Bedrückungen in Bezug auf ihren Glauben, zu beklagen habe und dass folglich keine Notwendigkeit vorhanden sei, sie zu schützen. Von den polnischen und litthauischen Edelleuten wurde sie nicht geliebt, — man machte sie für das Unglück des Landes verantwortlich, argwöhnte, dass sie für Litthauen nachtheilige Verbindungen mit ihrem Vater unterhalte. Es sind sehr interessante Briefe von ihr, an ihren Vater, ihre Mutter und ihre Brüder erhalten, in denen sich Helenens Persönlichkeit, der Charakter ihres Vaters und der Geist jener Zeit abspiegeln. „Bedenke, Herr Gossudar Vater, — schrieb sie, — dass ich Deine Dienerin und Magd bin, und dass Du mich einem ebenbürtigen Bruder, wie Du selber einer bist, gegeben hast. Du weisst, mein Gossudar Vater, was Du mir mitgegeben hast und was ich ihm mitgebracht habe; dessenungeachtet hat mich der Gossudar, mein Mann, König und Grossfürst Alexander, ohne es zu bereuen, gutwillig genommen und mich in Ehren und in Gewogenheit, auch in der Liebe gehalten, welche seiner Gefährtin gegenüber, dem Manne wohlanständig ist, und hält mich auch jetzt noch auf gleiche Weise, ohne im Geringsten seine ursprüngliche Gunst und Gewogenheit zu verleugnen, er gestattet mir, den griechischen Glauben zu bekennen, meine Kirchen zu besuchen und an meinem Hofe Geistliche, Diakonen und
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Sänger zu halten, damit sowohl die Liturgie als auch andere geistliche Handlungen verrichtet werden können und zwar im litthauer Lande sowohl, als auch in Polen, in Krakau und in allen Städten. Mein Herr Gemahl hat nicht nur in dieser, sondern auch in jeder andern Beziehung seinen mit Dir geschlossenen Vertrag und Eid durchaus gehalten. Als er die grossen Klagen und das Bedrängniss seiner Grenzbewohner vernahm, sandte er'häufig Boten zu Dir, aber, Herr, seinen Unterthanen wurde keine Genugthuung, Du sandtest sogar ein Heer aus und liessest Städte und ganze Bezirke wegnehmen und versengen. Der König, seine Mutter, Brüder, Schwäger, Schwestern, der Rath seiner Edeln, das ganze Land — Alle hofften, dass mit mir aus Moskau nach Litthauen nur Gutes, ewiger Friede, verwandtschaftliche Liebe, Hilfe gegen die Heiden kommen würde, anstatt dessen aber, Vater Gossudar, sehen Alle, dass nur Böses allein mit mir zu ihnen gekommen ist: Krieg, Kriegerschaaren, Belagerung, verbrannte Städte und verheerte Bezirke; christliches Blut wird vergossen, aus Weibern werden Wittwen, aus Kindern Waisen; Gefangenschaft, Weinen, Geschrei und Gestöhn überall. So ist Deine Gunst, Deine Liebe zu mir beschaffen . . . . Was in der ganzen Welt unerhört ist, das müssen wir, Deine Kinder, von Dir, dem christlichen Herrscher erdulden ; hätte sich mein Herr eine Frau bei einem Andern geholt, so genösse er von ihm Freundschaft, gutes Leben und ewigen Frieden für seine Länder . . . Wenn Dir, Gossudar Vater, Gott keine Liebe zu Deiner Tochter gegeben hat, weshalb liessest Du mich da aus Deinem Land hinausziehen und gabst mich einem Dir ebenbürtigen Bruder zur Ehe? Es würden alsdann meinetwegen nicht so viele Menschen umgekommen sein und kein Christenblut wäre vergossen worden. Mir wäre besser gewesen zu Deinen Füssen, in Deinem Lande zu sterben, anstatt einen solchen Ruhm zu erwerben. Alle sagen, Du habest nur deshalb Deine Tochter nach Litthauen verheirathet, um das Land desto leichter ausspähen zu können . . . . Ich könnte noch mehr schreiben, vor grossem Jammer und Elend aber kann ich meine Sinne nicht sammeln; nur mit bitteren, schweren Thränen anflehen kann ich Dich, Gossudar Vater. Komme um Gottes wille n zu Dir, erinnere Dich Deiner Dienerin und der Tochter aus Deinem Blut. Lass ab von Deinem unbegründeten Zorn und von der Feindschaft gegen Deinen Sohn und Bruder; erhalte ihm Deine ehemalige Liebe und Freundschaft, die Du ihm selbst, treu Deinem gelobten Worte, in verbrieften Urkunden gegeben hast, damit durch Eure Feindschaft kein Christenblut vergossen werde, die Heiden nicht über uns lachen und Eure treulosen Verräther, deren Väter schon unsere Vorfahren in Moskau verriethen und deren Kinder in Litthauen das Nämliche thun, sich nicht freuen. Gott gebe diesen Verräthern das Nämliche, was unserm Vater von ihren Vätern widerfuhr. Sie waren es, die zwischen Euch, Gossudars, Verwirrung anrichteten und unter ihnen der Judas Ssemjon Bjelskij, welcher, als er noch hier, in Litthauen w a r , seine
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Brüder, die Fürsten Michael und Iwan, zu Grunde gerichtet und den Fürsten Fjodor in die Fremde getrieben hat. Urtheile selbst, Gossudar, ist es wohl rathsam solchen Leuten, die ihre Herren verrathen, ihre Brüder zerfleischt haben und jetzt bis an den Hals im Blute waten, die dem Kain gleichen und unter Euch, Fürsten, Verwirrung anrichten, Glauben zu schenken? . . . . Die ganze Welt, Gossudar, jammert über mich allein, beschuldigt mich, dass dies Blutvergiessen von meinem Erscheinen in Litthauen herrühre, als ob ich Dir, meinem Gossudar, schreibe und Dich dazu veranlasse; man sagt, dass so Schlimmes nie vorgekommen wäre, wenn ich es hätte verhüten wollen. Das Kind ist dem Vater lieb; welcher Vater könnte wohl ein Feind seiner Kinder sein! Ich verstehe es selbst und sehe, wie es in der Welt zugeht, dass Jeder um seine Kinderchen sorgt; nur mich allein hat Gott, um meiner Sünden willen, vergessen. Unsre Diener sogar geben ihren Töchtern eine Mitgift, weit über ihre Kräfte, man sollte es kaum für möglich halten, und sie begnügen sich damit nicht, sondern kommen jeden Monat zum Besuch, senden und bringen ihnen Geschenke und hätscheln sie; und das thun nicht etwa nur die Edelleute, nein, auch der gemeine Mann macht seinen Kindern Freude, nur mich allein trifft unsers Herrgotts Zorn, dass er mir Deine Ungnade aufbürdet. Ich, Deine Dienerin, Herr Gossudar, war nie grob gegen Dich, habe Dir nie Unrecht gethan und Dich nie durch meine Worte verletzt; falls aber Jemand etwas Anderes aussagt, so sende Herr, Deine Boten her, denen Du Glauben schenkst, damit sie Alles aufs Genaueste auskundschaften und Dir berichten . . . . Wegen Deiner grundlosen Feindseligkeit wage ich es nicht, den Verwandten des Gossudars, meines Mannes, ins Antlitz zu schauen und deshalb bitte ich Dich, meinen Gossudar, flehentlich und schluchzend, erbarme Dich über Deine armselige Magd; dulde es nicht, dass meine Feinde sich über mein Elend freuen und über meinen Jammer frohlocken. Wenn sie sehen, dass Du mir Deine Gunst zuwendest, so wird man mich fürchten und achten, verweigerst Du mir aber Deine Liebe, so werden alle Verwandte und Unterthanen meines Gossudars mich verlassen, das wirst Du selbst, Gossudar Vater, einsehen. Deine Dienerin und Magd, die polnische Königin und litthauische Grossfürstin Aljona beugt sich mit Thränen tief vor Dir, ihrem Gossudar Vater." In demselben Sinne und fast mit den gleichen Ausdrücken schrieb sie an ihre Mutter Sophie und an ihre Brüder. Die Briefe wurden durch den königlichen Botschafter, Kanzler Iwan Ssapjega (Sapieha), zugestellt. Iwan Wassiljewitschs Antwort ist gleichfalls ganz charakteristisch: „Was D u , Tochter, geschrieben hast, schickte sich nicht für Dich uns zu schreiben, — antwortete Iwan — Du schreibst als ob Dir von Deinem Mann des griechischen Glaubens wegen, keine Zumuthung ') VolksthUmliche Form für Helene.
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gemacht worden sei; uns aber ist es sehr wohl bekannt, dass Dein Mann einen vom griechischen Glauben Abtrünnigen, den Wladyka von Smolensk und den Biskup (episcopus) von Wilna und Bernhardiner Mönche zu Dir sandte, um Dich zum römischen Glauben zu bekehren. Und er sandte nicht allein zu Dir, sondern zu ganz Russland, das sich zum griechischen Glauben bekennt, um es zum römischen Glauben zu bekehren. Du aber, Tochter, solltest Gott und unsrer Verwandtschaft und unsrer Befehle eingedenk sein, Deinen griechischen Glauben festhalten und nicht zum römischen Glauben übertreten, auch der römischen Kirche und dem Papst in keiner Weise gehorchen, auch sollst Du in keine römische Kirche gehen und Deine Seele soll sich Niemand zuwenden, auch sollst Du weder mir, noch Dir, noch unserm ganzen Geschlecht Unehre anthun. Solltest Du, Tochter, dafür bis aufs Blut leiden müssen, so leide. Bitte unsern Schwiegersohn, Deinen Mann, flehentlich, dass er Dir eine griechische Kirche in Deinem Schlosse errichten und Dir Edelherren und Edeldamen griechischen Bekenntnisses geben möchte, dagegen soll er die römischen von Dir fern halten. Giebst Du aber der Versuchung nach und gehest Du, mit oder gegen Deinen Willen, zum römischen Gesetz über, so wird Deine Dir von Gott verliehene Seele verderben und unser Segen wird Dir entzogen werden; denn weder ich, noch Deine Mutter, werden Dich segnen und unserm Schwiegersohn werden wir däs nicht ungeahndet hingehen lassen. Zwischen uns wird beständige Fehde sein." Gleichzeitig mit Helenen, bemühten sich auch der Papst Alexander VI. und der ungarische König Wladislaw, Alexanders Bruder, beim Herrscher von Moskau um eine Aussöhnung mit Litthauen. Polnische Botachafter baten in Alexanders Namen um einen ewigen Frieden unter der Bedingung, dass Iwan die eroberten Plätze an Alexander zurückgebe. Iwan schlug es aus und es wurde nur ein Waffenstillstand auf sechs Jahre abgeschlossen. Iwan Wassiljewitsch gab die Länder der Fürsten, welche zu Moskau übergegangen waren, nicht heraus und erklärte schon damals ganz offen seine Ansprüche, dass Moskau, welches zum Mittelpunkt der russischen Welt geworden war, die Vereinigung derjenigen alten russischen Länder, welche an Litthauen gefallen waren, anstreben würde. „Das Erbe des Königs — sprach er — ist das polnische und litthauische Land, das russische Land aber ist unser Erbtheil. Kijew, Smolensk und viele andere Städte gehören seit alten Zeiten zu unserm Besitz, wir wollen sie wieder erlangen." Den gleichen Sinn hatte seine Antwort ein Jahr später, den Gesandten seines Schwiegersohns gegenüber, welche gekommen waren, um den Waffenstillstand in einen ewigen Frieden zu verwandeln: „Wenn ihr einen ewigen Frieden wollt, so gebt Smolensk und Kijew heraus!" Am 7. April 1503 starb Sophie und am 27. December desselben Jahres fanden in Moskau die grausamen Hinrichtungen der Anhänger der sogenannten jüdischen Häresie statt, (von der wir in der Biographie
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des Gennadios berichten werden). Unter den Hingerichteten befand sich auch einer der fähigsten Diener Iwans, Djak Kurizyn, — einer von den wenigen Russen, die diplomatische Aufträge auszuführen imstande waren. Iwans Kräfte nahmen nun immer mehr a b , und als er fühlte, dass er nicht mehr lange leben würde, da schrieb er sein Testament. E r bestimmte darin seinen ältesten Sohn Wassilij zu seinem Nachfolger, jedem seiner andern drei Söhne, Jurij, Ssemjon und Andrej, vermachte er einige Städte, ohne ihnen aber die Rechte unabhängiger Herrscher zu verleihen. Des Grossfürsten Brüder hatten in ihren Besitzungen weder die Criminalrechtspflege noch das Recht Münzen zu prägen, noch durften sie an den Pachteinnahmen des Reichs Antheil haben; der älteste Bruder ward nur verpflichtet, den jüngern j e 100 Rubel von den Zolleinnahmen zu verabfolgen. Die jüngern Brüder des Herrschers von Moskau mussten den ältern, s t r e n g und e h r l i c h , als ihren Herrn anerkennen. Sie waren jetzt weiter nichts als reiche Landbesitzer und eben solche Unterthanen, wie alle übrigen Fürsten und Bojaren. Das Einzige, was ihr Vater ihnen noch gewährte, war, dass der Grossfürst keine Ländereien in ihren Besitzungen ankaufen und sich überhaupt nicht um die Verwaltung ihres Landes kümmern sollte. Das Nämliche war aber, dem Testament zufolge, auch allen Bojaren, Fürsten und Bojarenkindern zugesichert, die vom Herrscher Schenkungsurkunden erhalten hatten; auch in den Dörfern dieser, sollte der neue Herrscher keine Ansprüche geltend machen dürfen. Auf diese Weise wurde, unter Befestigung der Alleinherrschaft und des Absolutismus, das Recht des freien Privatbesitzes nicht vernichtet; obschon factisch der absolute Herrscher stets die Möglichkeit hatte und, unter beliebigem Vorwand, sein Gelüst befriedigen konnte, das Recht des Privatbesitzes zu verletzen. Als Iwan Wassiljewitsch auf ganz positive Art das Vermögen seiner jüngeren Söhne bestimmte, übergab er seinen ganzen, reichen Mobiliarbesitz, welcher aus Edelsteinen, goldenen und silbernen Geräthschaften, Pelzwerk, Kleidern und überhaupt aus allen den Sachen bestand, die man damals unter dem Namen des „Schatzes" inbegriff, ausschliesslich seinem ältesten Sohn. Alle diese Gegenstände waren bei verschiedenen Personen, bei den Schatzmeistern, Schlossverwaltern, Djaks, Bevollmächtigten, in Aufbewahrung, und befanden sich nicht nur in Moskau, sondern auch in Twer, Nowgorod und Bjelodsero. Für Wassilij kam nun die Zeit zum Heirathen heran. Der Vater hätte ihm gern eine Braut aus irgend einem regierenden Hause verschafft und gab, um diese Absicht zu erreichen, seiner Tochter, der Königin Helene, den Auftrag, eine Braut für ihren Bruder ausfindig zu machen. Helene aber entschuldigte sich sofort, dass sie sich schwerlich selbst damit befassen könne, da ihr Vater keinen dauernden Frieden mit ihrem Mann geschlossen habe; ausserdem theilte sie ihm noch mit, dass man in den westlichen Staaten den griechischen Glauben nicht liebe, dass man die Rechtgläubigen als Nicht-
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Christen betrachte und dass niemand seine Tochter an einen rechtgläubigen Fürsten verheiraten •würde. Iwan Wassilje witsch machte den Versuch eine Tochter des dänischen Königs, seines treuen Bundesgenossen, um dessentwillen er in Schweden eingebrochen w a r , für seinen Sohn zu freien; aber der dänische König, welcher nach der Calmarer Union auch König von Schweden geworden war, wies ihn ab. Es blieb nichts anderes übrig, als für Wassilij eine Frau aus der Zahl seiner Unterthanen zu wählen. Den ersten derartigen Rath soll ein am Hofe Iwans lebender Grieche, Jurij, mit dem Beinamen „der Kleine", (wahrscheinlich Trachaniotes) gegeben haben. Sein Vorbild hatte er der griechischen Geschichte entnommen: die Kaiser von Byzanz hatten häufig Jungfrauen an ihrem Hof um sich versammelt und sich Frauen aus ihnen erwählt. Der Grieche Jurij hoffte, Wassilij würde seine Tochter heiraten, aber es kam anders. Man befahl 1500 Jungfrauen zur Brautschau an den Hof zu bringen. Unter ihnen wurden die vorzüglichsten ausgewählt und von Hebammen untersucht; aus den so Besichtigten wählte Wassilij dann Ssolomonia (Salome), die Tochter Jurij Ssaburows, eines unbedeutenden Edelmannes. In Bezug auf die Lage der Frauen im Moskowiterlande ist diese Ehe von historisch wichtiger Bedeutung; sie trug zu jener Erniedrigung und Ab. geschlossenheit bei, welche im XVI. u. XVII. Jahrhundert das Leben der höheren Klassen vorzugsweise kennzeichnete. Früher heirateten die Fürsten ebenbürtig; seit jener Zeit a b e r , als die Herrscher anfingen, sich ihre Frauen aus einer Heerde auszuwählen, verlor der Ehestand die Bedeutung einer Verbindung zwischen gleichberechtigten Familien; die Frauen, obschon zu einem hohen Rang erhoben, waren dem Mann nicht mehr ebenbürtig; der Begriff einer standesgemässen oder nichtstandesgemässen Ehe, einer Ehe, die man in Westeuropa eine Mesalliance nennt, existirte nicht. Die Gattin des Herrschers, gleichviel aus was für einer Familie, musste sich ganz und gar von den Ihrigen lossagen; ihr Vater durfte sie nicht mehr Tochter, die Brüder nicht mehr ihre Schwester nennen. Von Familienwürde konnte ebenso wenig, als von Herzenswahl bei ihr die Rede sein. Von ihrer moralischen Sinnesart wusste der Herrscher nichts, kümmerte sich auch gar nicht darum, — nur ihr Körper war Gegenstand einer Untersuchung; sie war factisch nichts als die Femella, welche die Pflicht hatte, dem Herrscher Kinder zu gebären. Unterthanin durch ihre Abstammung, fühlte sie sich stets als Sklavin dessen, der ihr Gemahl war. Der Herrscher wählte sie nach Willkür, er konnte sie auch fortjagen, — es existirte niemand, der ihre Rechte wahrnehmen durfte. Obwohl sie sich stets nur als Sklavin ihres Mannes fühlte, war sie doch zugleich auch Zarin und hatte daher, durch den ihr verliehenen Rang, keine ebenbürtige Person in ihrer Umgebung; sie war deshalb stets vereinsamt und befand sich wie in Klausur. Dafür war aber auch ihr Gemahl einsam auf seinem Throne; denn die von ihm erwählte Gemahlin konnte keine ihm ebenbürtige Gefährtin sein. In monarchischen Staaten Kostomarow-Henckel, Knss. Geschichte in Biogr. I.
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werden, insbesondere von den höheren Klassen, Manieren und Sitten des Hofs von den Unterthanen beständig nachgeahmt. In Moskau, wo Alle angefangen hatten, sich Knechte dea Herrschers zu nennen, war ein derartiger Einfluss der Hofsitten unvermeidlicher als anderswo. Es war überhaupt jetzt eine Epoche der allgemeinen Knechtung, einer Enteignung der Menschenwürde und der extremsten Selbsterniedrigung bei den Russen eingetreten und es ist daher begreiflich, dass auch die Frau gezwungen war, eine Periode der strengsten Familiensklaverei zu durchleben. Wassilijs Trauung wurde am 4. September 1505, durch den Metropoliten Simon, in der Kathedrale zur Himmelfahrt Mariä vollzogen, und am 27. October starb Iwan Wassiljewitsch im 67. Jahre seines Lebens, nachdem er 43 Jahre und 7 Monate geherrscht hatte. Sein Leichnam ruht in der steinernen Kirche des Erzengels Michael, welche er in seinen letzten Regierungsjahren, an der Stelle einer früheren Kirche, erbaut hatte. Russische Historiker nennen Iwan — den Grossen. In der That, seinen Verstand, seinen Scharfblick, die Beharrlichkeit, mit der er die von ihm angestrebten Ziele verfolgte, seine Fähigkeit, günstige Umstände rechtzeitig zu benutzen und zweckentsprechende Mittel zur Erreichung seiner Ziele zu wählen, muss man bewundern; — aber bei der Beurtheilung von Iwan Wassiljewitschs Verdiensten darf man nicht ausser Acht lassen, dass die wahre Grösse historischer Persönlichkeiten, wenn sie sich in Iwan Wassiljewitschs Lage befinden, nach dem Grad segensreichen Strebens für Schaffung eines möglichst grossen Quantums von Volkswohlstand und geistiger Entwickelung bemessen werden muss. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, lässt uns Iwan Wassiljewitschs Regierung fast gänzlich unbefriedigt. Die Grenzen seines Reichs zu erweitern und die Theile desselben durch seine Alleinherrschaft fest unter einander zu verbinden, wobei er sogar seine väterlichen Gefühle hintansetzte , ferner seine grossfürstliche Schatzkammer auf rechtmässige und unrechtmässige Weise zu füllen, — das verstand er ausgezeichnet, aber um auf eine wohlorganisirte Verwaltung des von ihm beherrschten Landes einen wohlthätigen Einfluss auszuüben, dazu war seine Regierung nur selten befähigt. Die Stärke seiner Herrschaft artete in ihm zu einem asiatischen Despotismus aus, der alle Untergebenen Iwans zu furchtsamen, stummen Sklaven herabdrückte. Dies war das politische System, welches er seinem Sohn und seinen späteren Nachkommen als Vorbild hinterliess. Seine barbarischen Hinrichtungen erzeugten Härte und Rohheit in den Sitten des Volkes. Seine unbegrenzte Habgier führte nicht etwa zu einer Bereicherung, sondern zu einer Verarmung des russischen Landes; das von ihm bewältigte Nowgorod wurde ebenso verheert, als ob es von einer Räuberhorde erobert worden wäre; während es unter der Regierung eines mächtigen Monarchen, nach Erlangung des Friedens, neue Hilfsquellen zur Vermehrung seines' materiellen Wohlstands hätte
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finden müssen. Iwan Wassiljewitschs Verfahren mit den deutschen Kaufleuten sowohl, als auch mit den nach Moskau berufenen Ausländern, konnte nur abschreckend wirken und ein Zuströmen nutzbringender K r ä f t e , an denen Russland offenbaren Mangel litt, nur verhindern. Iwan hatte durchaus nichts gethan, um in irgend einer Weise Aufklärung zu verbreiten, und wenn ein Erwachen geistiger und literarischer Thätigkeit gegen Ende des XV. und im ersten Viertel des XVI. Jahrhunderts in religiösen Sphären bemerkbar ist, so war dies Erwachen nicht ihm zu verdanken. Sein Beispiel hatte auf die Volksmoral eher einen schädlichen als einen wohlthätigen Einfluss ausgeübt. Der Einbruch Achmats war in Iwan Wassiljewitschs Leben die einzige Gelegenheit, bei der er Unerschrockenheit, Festigkeit und Opfermuth hätte zeigen, Bein Leben fürs Vaterland dahingehen können; er zeigte sich in diesem Falle aber als Feigling und Egoist. Welche Begriffe er über ehrenhafte Verhältnisse unter den Leuten hatte, und welch' ein Vorbild er seinen Unterthanen in ihren gegenseitigen Beziehungen zu geben imstande w a r , zeigt sein Gaunerstreich mit dem Repräsentanten der Republik Venedig, dem er 70 Rubel gab und dessen Auftraggeber er mittheilen liess, dass er 700 Rubel verabfolgt habe, — eine eineB Schelmen würdige Betrügerei. Unzählige Fälle von Beraubungen wurden durch allerlei anscheinend gerechte Vorwände verhüllt, deren wahre Bedeutung die Zeitgenossen jedoch ganz gut zu würdigen wussten. Des Herrschers Handlungsweise verbreitete unter seinen Unterthanen die Laster der Raubsucht, des Betrugs und der Gewaltthätigkeit gegen Schwächere. Obschon er die Alleinherrschaft erhöhte, befestigte er sie doch nicht durch Gerechtigkeit. Willkür war es, als er erst Beinen Sohn in den Kerker werfen liess; Willkür, als er dann den Enkel krönte; Willkür, als er später wieder den Enkel einkerkerte und den Sohn als seinen Thronfolger proclamirte; durch eine Bolche Handlungsweise schuf er den Grundsatz, dass der Besitz des Throns nicht von einer gesetzlichen Erbfolge, sondern vom Eigenwillen des jeweiligen Throninhabers künftig abhängig sein soll, — einen Grundsatz, welcher nur der allerdespotischsten Regierungsform eigen sein kann und der für die Wohlfahrt des Reichs und dessen Sicherheit nicht die geringste dauernde Bürgschaft gewährt. Unter solchen Verhältnissen konnte sich wohl eine sinnlose, sklavische Furcht vor der Macht, nicht aber eine bewusste Achtung vor der gesetzlichen Regierung bilden. Zu seinem Lobe könnte man vielleicht sagen, dass e r , wie die Ausländer berichten, gesucht habe die Trunkenheit im Volke zu bekämpfen; diese Thatsache ist jedoch unverbürgt, denn einer dieser Ausländer berichtet, dass Iwan Bier und Meth mit Hopfen zu brauen, Privatleuten gänzlich verboten habe, wogegen ein anderer meldet, dass er es blos nicht einem Jeden erlaubt habe. Wir wissen, dass der Handel mit geistigen Getränken im Moskowiterlande in späterer Zeit vom Fiscus betrieben wurde und dass es ausnahmsweise verschiedenen Personen und bei verschie19*
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denen Anlässen gestattet war, geistige Getränke auch in Privathäusern zu brauen. Wir können daraus den Schluss ziehen, dass Beschränkungsmassregeln in Bezug auf geistige Getränke eher den Zweck hatten, die Staatskasse zu bereichern, als die Sittlichkeit der Massen zu heben. Auch die Berichte über die damals angeblich herrschende Trunksucht dürften wohl übertrieben sein, denn der Branntwein, welcher in der Folge das russische Volk zum Trunk verleitete, war damals noch nicht verbreitet. Wahrhaft grosse Männer sind daran zu erkennen, dass sie ihren Zeitgenossen voranschreiten und ihnen den Weg weisen; das von ihnen Geschaffene trägt Keime, nicht nur einer äusserlichen K r a f t , sondern auch einer unvergänglichen, geistigen Entwickelungsfähigkeit in sich. In der Sphäre geistiger Bedürfnisse stand Iwan durchaus nicht höher, als seine Umgebung. Er schuf zwar ein Reich, es trug aber nicht den Keim der Selbstentwickelung, nicht die Befähigung und das feste Bestreben, einen unvergänglichen Volkswohlstand zu schaffen, in sich. Treu dem Vorbilde, das Iwan geschaffen, obschon durch neue Formen im gleichen Geiste ergänzt, hatte dies Reich allerdings eine Existenz von zwei Jahrhunderten, war aber in seinen Hauptgrundlagen, — welche aus einer Mischung von asiatischem Despotismus mit byzantinischen Traditionen, die ihre Zeit überlebt hatten, bestanden, — erstarrt und versteinert. Und es konnte so lange nichts hervorbringen, bis endlich Peters mächtiger Geist es auf andere Culturgrundlagen umschuf.
XIV. Erzbischof Gennadios Ton Nowgorod and die jadaisirende Ketzerei, Gegen Ende des XV. Jahrhunderts trat auf dem Gebiet der russischeu Geistesthätigkeit ein Umschwung ein, der sich vorzugsweise in religiösen Sphären bewegte; es kamen einestheils Keime jener Controversen und Deutungen in Bezug auf Ceremoniell und Wörterkram zum Vorschein, die, sich immer weiter entwickelnd, eine Erscheinung von ausserordentlicher Bedeutung, — den Raskol, die Kirchenspaltung, die Lehren der Altgläubigen mit allen ihren Meinungsverschiedenheiten hervorriefen, anderntheils traten nun auch unverkennbare Anzeichen einer religiösen Freidenkerei hervor, die auf einei Lostrennung von den Fundamentaldogmen der Rechtgläubigkeit hinsteuerte. In der Geschichte dieser beiden Richtungen nimmt der Erzbischof von Nowgorod, Gennadios, ein Mann
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von beharrlichem Charakter und von einer für die damalige Zeit aussergewöbnlichen Bildung, eine der wichtigsten Stellungen ein. Vieles aus dem Leben und der Thätigkeit dieses Mannes ist uns leider unbekannt geblieben. Wir wissen weder etwas von seiner Herkunft noch von seiner J u g e n d , nur seinen Familiennamen, Gonosow oder Gonsow, kennen wir und wissen, dass er, als Schüler des ehrwürdigen Sabbatius von Ssolowezk, in den Mönchsstand trat, später die Würde eines Archimandriten des Tschudowoklosters im Kreml bekleidete und sich in dieser Stellung an den Streitigkeiten des Metropoliten Gerontios mit dem Grossfürsten betheiligte. Wir sahen, dass bis zu dieser Zeit die geistliche Macht stets Hand in Hand mit der weltlichen ging und die Förderung und Kräftigung dieser begünstigte. Unter Iwan Wassiljewitsch erreichte die weltliche Macht ihren höchsten Gipfelpunkt, sie bedurfte jetzt die Stütze der Geistlichkeit nicht mehr so sehr, als es früher der Fall war. Die weltliche Macht war nun in der Lage, der geistlichen gegenüber nicht nur ihre Selbstständigkeit zu zeigen, sondern sie konnte es sogar wagen, sobald die Gelegenheit dazu sich darbot, ihre Herrschaft über dieselbe geltend zu machen. Ein derartiger Versuch kam in den Controversen des Metropoliten Gerontios mit Iwan Wassiljewitsch zum Vorschein. Gerontios war, allem Anschein nach, ein Mann, der sich in seiner oberhirtlichen Würde als eine Macht ersten Ranges fühlte; Iwan Wassiljewitsch aber, als weltlicher Herrscher, hatte gleichfalls nicht die mindeste Neigung, etwas von seinen Rechten aufzugeben. Das erste Mal geriethen sie im Jahre 1478 aus Anlass des Kirillo-Bjeloserschen Klosters aneinander. Dem neuinstallirten Abt dieses Klosters, Nifont, und einigen seiner Klosterbrüder war die Abhängigkeit vom Erzbischof Wassian von RoBtow lästig und er wandte sich an seinen Theilfürsten Michael von Wereja mit der Bitte, dass dieser das Kloster unter seine unmittelbare Leitung nehmen möchte. Der Fürst von Wereja wandte sich darauf an den Metropoliten Gerontios, dieser gab ihm seine Einwilligung dazu und bestätigte dieselbe durch eine Urkunde. Im Kloster aber befanden sich noch andere Mönche, die hiermit gar nicht einverstanden, sondern die dem Bischof von Rostow zugethan waren. Dieser wandte sich nun an den Grossfürsten, und Iwan Wassiljewitsch nahm Wassians Partei. Der Metropolit machte anfangs den Versuch, sich dem Grossfürsten zu widersetzen, Iwan befahl jedoch seinem Vasallen Michael vön Wereja, die Urkunde des Metropoliten zurückzugeben und drohte ein Concil von Geistlichen zu berufen, um die Angelegenheit zwischen Metropolit und Bischof zur Entscheidung zu bringen. Da erschrak der Metropolit; zur Berufung eines Concils wollte er es keinenfalls kommen lassen; er gab daher dem Grossfürsten in allen Stücken nach. Iwan Wassiljewitsch konnte aber dem Metropoliten seinen Versuch der Widersetzlichkeit nicht vergessen und fand schon im nächsten Jahre, 1479, einen Vorwand, um mit ihm anzu-
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binden. Die Einweihung der Kathedrale zur Himmelfahrt Maria fand statt. Der Metropolit machte seinen Rundgang um die Kirche von Westen nach Osten, also dem Gange der Sonne entgegen. Irgend jemand machte den Grossfürsten hierauf aufmerksam, und dieser erklärte, dass die Prozessionen von Osten nach Westen, dem Laufe der Sonne nach, gehen miissten. Hiermit war eine Frage aufgeworfen, die sowohl von der Geistlichkeit, als auch von einigen Laien sehr lebhaft debattirt wurde. Die Schriftgelehrten stöberten in den Büchern, um die Wahrheit ausfindig zu machen und bei dieser Gelegenheit berief der Grossfürst auch den Archimandrit Gennadios, damit er sich an der Lösung dieses Problems betheilige. Es scheint also, dass Gennadios schon damals durch seine Gelehrsamkeit bekannt war. Die Antwort, welche er gemeinschaftlich mit dem Bischof Wassian von Rostow abgab, schien sich zwar der Meinung des Metropoliten zu nähern, war aber so dunkel und ausweichend '), dass man die Absicht sah, Gennadios wolle es weder mit der einen noch mit der andern der streitenden Parteien verderben; vielleicht zählte er auch darauf, dass die Angelegenheit ganz von selbst in Vergessenheit gerathen würde. Und wirklich, drei Jahre hindurch ruhte der Streit, bis ihn, im Jahre 1482, der Grossfürst abermals aufnahm und verlangte, dass künftig bei Einweihung von Kirchen, der Metropolit „ d e r Sonne nach" gehen solle. Dieser aber sträubte sich dagegen. Um nun seinen Willen durchzusetzen, liess der Grossfürst die neuerrichteten Kirchen nicht von ihm einweihen. Da legte Gerontios seinen Hirtenstab in der Kathedrale zur Himmelfahrt Maria nieder und zog sich, ohne übrigens seine Messgewänder zu vergessen, ins Ssimonowkloster zurück, mit der Absicht, den Grossfürsten dadurch, dass er die Kirche ihres Oberhauptes beraubte, zu strafen. Gerontios erklärte, er wolle erst dann wieder auf seinen Sitz zurückkehren, wenn ihn der Grossfürst selbst darum bitten würde. Alle Mönche, Priester und bücherkundigen Laien waren auf des Metropoliten Seite; nur zwei Geistliche standen ihm entgegen und auf der Seite deB Grossfürsten: der Wladyka von Rostow, Joasaph (Wassians Nachfolger) und unser Gennadios. Wahrscheinlich zählten sie darauf, dass, selbst wenn des Metropoliten Anhänger die Oberhand behalten, sie dennoch in der Folge an dem Grossfürsten einen mächtigen Beschützer haben würden. Iwan Wassiljewitsch hatte es stets verstanden, rechtzeitig nachzugeben, auch diesmal überzeugte er sich von der Unmöglichkeit, der ganzen lesekundigen Welt zu widerstreben. Zuerst sandte er seinen Sohn zum Metropoliten, um diesen zur Rückkehr zu bewegen. Der Metropolit weigerte sich. Nun war Iwan genöthigt, selbst zu ihm hinzufahren und ihn zu bitten, zurückzukehren; er überliess es ihm, die Prozessionen nach ') Die gerechte Sonne Christus hat die Hölle besiegt und den Tod gefesselt und die Seelen befreit, und um dessentwillen sage ich, man wandere nach Osten, desgleichen umwandele gen Morgen.
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seiner Ueberzeugung zu leiten. Der Kampf zwischen geistlicher und weltlicher Macht war diesmal zu Gnnsten der ersteren entschieden. Nun war aber der Metropolit. gegen Gennadios erbost, weil dieser sich unterstanden hatte, ihm zu widerstreben; er suchte einen Anlass, um sich an diesem Archimandriten zu rächen und fand einen Vorwand darin, dass Gennadios am Vorabend des Festes der Erscheinung Christi, welcher auf einen Sonntag fiel, seinen Mönchen erlaubt hatte, nach der Mahlzeit das Dreikönigswasser (d. h. das an diesem Tage geweihte Wasser) zu trinken. Der Metropolit befahl nun, dass Gennadios vor ihm erscheine. Gennadios a b e r , der des Metropoliten Zorn fürchtete, floh zum Grossfürsten. Da begab sich der Metröpolit selbst zum Grossfürsten und forderte die Auslieferung des Archimandriten — und der Grossfürst gab auch diesmal nach. Gerontios bestrafte seinen Gegner mit aller zu damaliger Zeit üblichen Härte: der Archimandrit von Tschudowo wurde in Fesseln geschmiedet und in einen unter dem Palast befindlichen Eiskeller geworfen. Erst nachdem der Grossfürst sich seiner angenommen und ihn zu schonen und ihm nichts Schlimmeres anzuthun, gebeten hatte, entliess der Metropolit seinen Gefangenen und begnügte sich damit, seinen Willen durchgesetzt zu haben. Vom Jahre 1485 an eröffnete sich für Gennadioa Thätigkeit ein grösseres Arbeitsfeld; er wurde Wladyka von Nowgorod. Schon 1482, nach Theophils Absetzung, wollte Iwan Wassiljewitsch dem Gennadios diese Stellung verschaffen, wahrscheinlich deshalb, weil er ihn, in seinen Streitigkeiten mit dem Metropoliten, wegen seines Antagonismus gegen die ganze übrige Geistlichkeit und Parteinahme für die Anschauungen des Grossfürsten liebgewonnen hatte; aber auch bei dieser Gelegenheit ging Iwan Wassiljewitsch nur schrittweise vor, ohne die althergebrachten Formen mit einem Mal zu zerbrechen, obschon er bereits im Geiste beschlossen hatte, dieselben künftig zu modifiziren oder zu vernichten. Die nowgoroder Wladykas wurden in früherer Zeit so gewählt, dass unter drei Kandidaten das Loos entschied. Iwan wollte den nowgoroder Bischofssitz keinem eingebornen Nowgoroder mehr anvertrauen und hatte sich vorgenommen, Moskowiter nach Nowgorod zu senden, vorläufig beobachtete er noch die F o r m , welche bei der Wladykawahl in Nowgorod von jeher gebräuchlich war. Die Namen der drei Kandidaten, von denen einer die erzbischöfliche Würde erhalten sollte, wurden auf dem Altar der Kirche niedergelegt, unter ihnen befand sich auch der Name des Archimandriten von Tschudowo. Das Loos fiel auf einen andern Namen. Wladyka von Nowgorod wurde diesmal der Mönch des Troitzkijklosters, Sergius, der früher Protopope gewesen war. Nach einigen Monaten schon verlor Sergius den Verstand, und diesmal folgte ihm, am 12. Dezember 1484, Gennadios, ohne Wahl. Seit dieser Zeit ist bei Einsetzung der Wladykas von Nowgorod von einer Wahl durchs Loos in den Chroniken keine Rede mehr.
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Gennadios fand in seiner Eparchie ähnliche Controversen vor, wie sie in Moskau an der Tagesordnung waren. Hier stritten sich die Gelehrten um das Allelujah. Man sagt, diese Frage sei in Pskow (durch den Abt Euphrosinus) aufgeworfen worden; sie lautete: Soll man bei der Abendmesse dreimal: Allelujah, Allelujah, Allelujah, Ehre sei Dir, H e r r ! oder nur zweimal: Allelujah, Allelujah, Ehre sei Dir, H e r r ! singen? — Diejenigen, welche sich für die Richtigkeit der erstem Form aussprachen, „verdreifachten" das Allelujah, die aber, welche die andere Form verfochten, „verdoppelten" es. Die Verdoppler stützten sich auf die Behauptung, Allelujah bedeute in der Uebersetzung: „Ehre sei Dir, H e r r ! " (während es doch, wie bekannt, „Lobet den H e r r n ! " bedeutet) und sie warfen ihren Gegnern vor, dass, wenn sie das Allelujah anstatt nur dreimal — viermal aussprechen, sie dadurch die heil. Dreifaltigkeit viertheilen, mithin Ketzerei treiben. Die Erbitterung unter den Gegnern ging so weit, dass die Yerdreifacher, welche die Majorität bildeten, ein Verbot erliessen, den Verdopplern Lebensmittel auf dem Markte zu verkaufen. Die Schriftgelehrten oder sogenannten „Philosophen", welche an der Verdreifachung festhielten, behaupteten, dass ihre Gegner die Verdopplung von den Lateinern angenommen hätten. Dieser Streit hatte sich von Pskow auch nach Nowgorod verpflanzt; Gennadios betheiligte sich daran und beauftragte den Uebersetzer Dimitrij Gerassimow, welcher im Auslande gewesen war, zu untersuchen, ob die occidentale Kirche das Allelujah in der That verdoppele. Gerassimow aber brachte ihm die Antwort, dass es, nach Anschauung der occidentalen Kirche, ganz einerlei sei, ob man das Allelujah verdoppele oder verdreifache. Natürlich war der Streit dadurch nicht entschieden: die Verdoppler warfen den Verdreifachern nicht nur Lateinerthum, sondern sogar Jadaismus, selbst Heidenthum vor. Die das Allelujah betreffende Frage zog sich bis in die folgenden Jahrhunderte hinein und trat in Verbindung mit jenen andern Fragen, welche schliesslich das Wesentliche der Kirchenspaltung zwischen Alt- und Neugläubigen bildeten. In der rechtgläubigen Kirche herrschten von jeher sowohl ein umfangreiches Ceremoniell, eine complicirte Symbolik, die Verehrung von heiligen Gegenständen, als auch mönchische Ansichten über eine Gott wohlgefällige Moral. Bei der Unwissenheit des Volkes war es ganz natürlich, dass alles dies der russischen Religiosität den Charakter eines TJeberwiegens der Form über den Inhalt, des Ausdrucks über den Sinn verliehen hatte. Diese Erbschaft verdanken wir der byzantinischen Literatur, welche bei uns ganz eigenartige Früchte zeitigte; Erscheinungen wie der Streit, ob man dem Laufe der Sonne folgen oder entgegen gehen, und ob das „ A l l e l u j a h " zwei- oder dreimal gesungen werden müsse, sind ausschliessliche Eigenthümlichkeiten des russischen Lebens. Mit dieser byzantinischen Literatur kamen jedoch auch andere, total entgegengesetzte Anschauungen zu uns herüber, die man in den verschiedenen Ueber-
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Setzungen uud Nachahmungen, welche damals nur wenigen Lesekundigen zugänglich waren, verfolgen kann. Diese Anschauungen waren, im Gegentheil, auf das Ueberwiegen des Inhalts über die Form gerichtet; sie stellen die innerliche Frömmigkeit über die äusserliche, die christliche Moral höher als Vielbeterei und Fasten und verurtheilen die Unfruchtbarkeit der leeren, inhaltlosen Ceremonien. Damals, als die mönchische Frömmigkeit noch den Teufel fürchtete, gab es Leute, welche schrieben: „Alles im Menschen, das Gute sowohl, als auch das Böse, kommt vom Menschen selbst; der Teufel hat weder die Macht den Menschen vom Guten abwendig zu machen, noch die Macht ihn zum Bösen zu verleiten." Während die Mehrzahl lehrte, dass es zur Rettung der Seele nothwendig sei, beständig zu beten, den Leib durch Fasten zu kasteien, Armuth und Entbehrungen freiwillig zu ertragen, — hörte man auch andere, kühnere Reden :• „Du glaubst Gott anzubeten, thatsächlifch aber betest Du die Luft an; Gott achtet auf den Sinn, nicht auf Deine Worte. Du erwartest Deine Kettung davon, dass Du kein Fleisch issest, Dich nicht wäschst und auf der nackten Erde liegst, — auch das Vieh isst kein Fleisch und schläft nicht in Betten, sondern auf der nackten Erde" . . . . . Oder: „Was nützt es dem Menschen, dass er sich durch Hunger peinigt, wenn er keine guten Werke thut? Es ist Gott viel angenehmer, wenn man den Hungrigen speist, als dass man seinen eigenen Leib kasteiet; es ist besser, armen Wittwen Hilfe zu erweisen, als seine eigenen Glieder verdorren lassen, den Armen ihr Elend zu lindern, als selbst zu verschmachten . . . . Trachte danach innerlich zu fasten, anstatt äusserlich gewisse Speisen zu vermeiden. So wie der Körper ohne den Geist todt ist, so ist auch äusserliche Beobachtung der Vorschriften, Enthaltsamkeit u. dergl. todt, ohne den innern Gehalt, der Alles beseelt. Es ist besser, obschon die Kirchenväter es verboten haben, ein Stück trockenen Fleisches zu essen, als sich aus Hochmuth der Fleischspeise zu enthalten, sich dagegen aber an anderen schmackhaften Speisen zu sättigen" . . . . Während die Mehrzahl der Sittenprediger lehrte, man müsse Kirchen bauen und den Klöstern Geschenke machen, um Gottes Barmherzigkeit und um Erlass der Sünden zu erlangen, gab es Bücher, in denen Folgendes gelehrt wurde: „Wer einem Kloster ein Dorf schenkt, dessen Seele fällt dem Verderben anheim," . . . . oder auch: „Durch unrecht Gut Kirchen bauen und ausschmücken, bringt keinen Nutzen; den Kirchen geopferte, durch Unterdrückung von Waisen und durch Ausbeutung der Armen erworbene Reichthümer sind Gott nicht wohlgefällig; Kirchen zu schmücken sei Niemandem verwehrt, vor Allem aber sei man eingedenk, dass demjenigen, der die Armen bedrückt, Feuerqualen verheissen sind ; Die Lehre, dass mönchische Lebensweise Gott besonders wohlgefällig sei, wurde bekämpft: „Wäre eine mönchische Lebensweise Gott wirklich angenehm, so würden Christus und die göttlichen Apostel selbst Mönchsgestalt angenommen haben, wir sehen aber
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sowohl Christus als auch seine Apostel in weltlicher, nicht in mönchischer Gestalt." Sogar gegen das Almosengeben an Bettler finden wir eine scharfe Polemik: „Reicher, der Du den Armen Almosen giebst, blicke lieber auf die Sklaven, welche Deine Rinder hüten, sie lassen die Wiese Deines armen Nachbarn abweiden; Du peinigst Deine Arbeiter mit argen Qualen und ungerechten Strafen; Unsinniger, es wäre besser, Du würdest barmherzig gegen Dein Gesinde sein, ihm weder Gewalt anthun, noch es quälen, damit es nicht vor Kummer vergehe, — anstatt Almosen zu vertheilen, die durch ungerechte Ausbeutung Anderer erworben wurden." Während die Geistlichkeit blinden Glauben an die heiligen Bücher lehrte, finden sich Andeutungen, welche gegen die Authenticität alles dessen, was massenweise in die kirchliche Literatur eingedrungen war, Misstrauen ausstreuten: „Man weiss und ahnt es nicht, dass viele schriftkundige Mönche aus den göttlichen Büchern und aus den Lebensbeschreibungen der Heiligen Stellen auslassen und Anderes, was ihnen gut und nützlich dünkt, hineinschreiben, und alsdann versichern, dass es die Originalschrift der Heiligen sei." Dem allgemeinen Glauben an die Macht des Gebets und an die Fürsprache der Heiligen bei Gott widersprechend, finden wir folgende Reflexionen: , ( Wenn der Mensch nicht von selbst das Gute thut, so bringen ihm die Heiligen, auch wenn sie für ihn beten, keinen Nutzen, es bewährt sich nur der Spruch: Der Eine baut und der Andere reisst nieder." In diesen Lehren lag im Grunde genommen nichts, was gegen die Rechtgläubigkeit verstiess; sie bewiesen aber, dass Keime eines Antagonismus gegen jenes System von Lehrbegriffen über Gottesfurcht, welches sich seit Jahrhunderten Eingang verschafft hatte und von der Mehrzahl als Norm aufgestellt wurde, selbst in den allerfrömmsten Schriften vorhanden waren. Diese Keime konnten sich durch Missbräuche seitens der Geistlichkeit leicht zu einem Antagonismus gegen die Kirche selbst entwickeln. Und dies geschah auch. Nirgends aber konnte dieser Gegensatz so leicht zum Durchbruch kommen, als in Pskow. Den Psko^ witern war das Abhängigkeitsverhältniss vom Wladyka von Nowgorod, in Bezug auf Kirchenverwaltung und Gericht, längst schon lästig; wohingegen durch die Abwesenheit eines Eparchialvorstandes in Pskow, der Mangel einer gesetzlichen Ueberwachung des Gebiets der Glaubenslehre bedingt war. Nirgends konnte sich daher ein Widerstand gegen die bestehenden kirchlichen Ordnungen leichter geltend machen als in Pskow; Anlässe dazu waren stets vorhanden. Einerseits murrte die Geistlichkeit fortwährend gegen die Einmischung der Wetsche in kirchliche Angelegenheiten, andrerseits gaben der nowgoroder Wladyka und sein Sophienhof beständigen Anlass zu Klagen, sowohl wegen ihrei; Unthätigkeit in Sachen der Verwaltung und des Gerichts, als auch wegen ihrer Habsucht beim Einfordern von Steuern; für den nowgoroder Wladyka schien das Pskowiterland in kirchlicher Beziehung nichts, als eine melkende Kuh zu
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sein. Diejenigen Geistlichen, welche die Weihe zu erhalten wünschten oder eine Anstellung suchten, mussten Abgaben dafür zahlen. Es war nicht selten, dass gute Bekanntschaft mit einem Beamten des Wladyka, Geschenke und Abgaben, den Weg zu einer geistlichen Würde leichter ebneten, als das persönliche Verdienst desjenigen, der diese Würde erstrebte. Dass Jemand, der durch hervorragende Eigenschaften und Befähigung würdig war eine priesterliche Stellung zu bekleiden, nur deshalb keine erhielt, weil er nicht imstande war Geld dafür auszugeben, kam häufig vor, wohingegen ein Anderer, der Vermögen hatte, sich leicht die geistliche Würde erkaufen konnte. Beschwerden gegen diese Besteuerung, Vorwürfe, die der Kirchenverwaltung gemacht wurden, weil sie die Weihen um Geld verkaufe, waren Grundursachen der Ketzerei, welche unter dem Namen des Strigolnikthums bekannt ist. Weder können wir die Zeit genau bestimmen, wann diese Ketzerei entstand, noch kennen wir die Umstände, welche zu ihrem Entstehen die unmittelbare Veranlassung gaben; wir wissen nur, dass gegen 1374 drei Hauptverbreiter dieser Ketzerei, um Verfolgungen zu entgehen, aus Pskow nach Nowgorod flüchteten; der Name des Einen ist unbekannt, ein Anderer war der Diakon Nikita, der Dritte, ein Laie, hiess Karp. In einem Werke aus dem Ende des XV. Jahrhunderts, dem „Aufklärer" des Joseph Wolozkij, ist Karp, wegen seines schlechten Betragens, ein „Strigolnik" 1 ) genannt. Von dieser Ketzerei wissen wir also nur so viel, dass deren Anhänger Strigolniks genannt wurden. Die drei Propagandisten fanden zwar in Nowgorod Anhänger, brachten aber bald das Volk gegen sich in Aufruhr und wurden 1375 von der Brücke aus in den Wolchowfluss gestürzt. Der von ihnen ausgestreute Same der Ketzerei ging indess nicht spurlos verloren. Im Laufe des XV. Jahrhunderts wurden nicht selten in Pskow und Nowgorod Ketzer verfolgt; man tödtete sie oder warf sie in den K e r k e r ; viele zerstreuten sich und verbreiteten auf diese Weise ihre ketzerischen Lehren. Es ist beachtenswerth, dass die Rechtgläubigen gegen diese Ketzer so sehr in Wuth geriethen, dass Metropolit Photius, obschon er befiehlt, weder mit ihnen zu essen, noch zu trinken, im Jahre 1427 dem Fanatismus der Pskowiter Einhalt thun und sie dafür, dass sie die Strigolniks hinrichten liessen, tadeln musste. Es geschah aber, was stets ') In einem gleichzeitigen Sendschreiben des Patriarchen von Konstantinopel, Antonias, (Act. hist. Bd. I. S. 9) ist eine ziemlich dunkle Andeutung hiertlber vorhanden : „Meiner UnwUrdigkeit und dem ganzen heil. Concil, welches Uber die vordem bei Euch stattgefundene Ketzerei, so da ist Baskol, beratschlagten, ist von Euch berichtet worden, es habe ein gewisser K a r p , ein aus der Kirchengemeinschaft ausgestossener Diakon, ein Strigolnik, Aergerniss gegeben, und man sprach, diese durch Simonie eingesetzten Presbyter seien unwürdige" u. s. w. Man weiss nun nicht, ob hier von Karp allein, der gleichzeitig Diakon und Strigolnik war, die Rede ist, oder ob von drei Personen gesprochen wird: dem Karp, einem von der Kirche ausgestossenen Diakon und einem Strigolnik; — ist die Rede von einer einzigen Person, so ist vielleicht „Strigolnik" der Name derjenigen Ketzerei, welcher Karp angehörte, also eine Benennung, die früher schon existirte.
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geschieht, — die verfolgte Sekte erstarkte und die Verfolgungen trugen nur zu ihrer Ausbreitung bei. Gennadios wies darauf hin, dass, ungeachtet der zahllosen gewaltsamen UebersiedeluDgen früherer Einwohner und des Zuströmens anderer an deren Stelle, sich in den letzten Jahren des XV. Jahrhunderts in Nowgorod unter den Mönchen doch noch Strigolniks befanden. Die Ketzerei der Strigolniks ging von der Verdammung der Unsitte, Steuer für die Weihe eines Priesters zu erheben, aus; ferner griffen diese Ketzer die Geistlichkeit wegen ihres Eigennutzes und ihrer Habsucht an; sie gebrauchten schon damals dieselben Ausdrücke, die man auch heute noch im Volke hören kann: „Die Pfaffen sind Säufer, sie ziehen dem Lebendigen wie dem Todten das Fell über die Ohren!" Die Strigolniks lehrten, dass die von unwürdigen Priestern gespendeten Sakramente wirkungslos seien, und sie gelangten endlich so weit, die ganze damalige und frühere Geistlichkeit als eine solche hinzustellen, die nicht im Besitz der Gaben des heil. Geistes sei; sie verwarfen die ökumenischen KirchenverBammlungen, gestatteten Jedem zu lehren und zu predigen, lehnten sich auf gegen die Klöster, gegen Gaben, die dazu bestimmt waren das Heil der abgeschiedenen Seelen zu erkaufen, gegen bezahlte Seelenmessen und überhaupt gegen Alles, was die Frommen „für das Seelenheil sorgen" nannten. Es scheint auch, dass sie das Sakrament des heil. Abendmahls auf ihre eigene Weise auslegten und dass sie, anstatt der Priesterbeichte, ihre eigene Art der Busse, durch Niederwerfen auf den Boden, einführten. Obschon die Strigolniks die kirchlichen Anordnungen verwarfen, achteten sie dennoch das freiwillige Fasten, sie zeichneten sich überhaupt durch strenge Enthaltsamkeit, durch fleissiges Beten und durch Büchergelehrsamkeit aus. Während sich die Ketzerei der Strigolniks ausbreitete, verzweigte sie sich auch in viele verschiedenartige Sekten, so dass man im XV. Jahrhundert Leute von sehr differirenden Anschauungen und Meinungen mit dem gemeinsamen Namen „Strigolniks" bezeichnete. Einige von ihnen trennten sich nicht vollständig von der herrschenden Kirche, sondern hatten nur ihre eigenen, heterodoxen Meinungen über die Institutionen derselben, und diese Strigolniks waren es, welche der Metropolit Photius meinte, als er den Geistlichen anbefahl, keine Opfer von ihnen anzunehmen; es handelte sich hier also nicht um gänzlich Abtrünnige, denn solche würden der Kirche ohnehin nichts geopfert haben. Andere, welche an die Art und Weise der Einsetzung geistlicher Personen Aergerniss nahmen, trennten sich zwar von der herrschenden Kirche, leugneten aber nicht die Notwendigkeit einer rechtgläubigen Kirchengemeinschaft und würden sich derselben wohl wieder angeschlossen haben, wenn dieselbe das von ihnen als Missbrauch Bezeichnete abgeschafft hätte. Noch andere verwarfen das Mönchswesen; diese sagten, die Mönche hätten sich selbst eine eigentümliche Lebensweise ausgedacht, seien daher den evange-
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lischen und apostolischen Traditionen untren geworden; sie behaupteten, der Engel, welcher, wie die mönchische Ueberlieferung lautet, dem Pachomius ein Mönchsgewand — das Busskleid — gegeben habe, sei kein Engel, sondern ein Teufel gewesen und sei daher nicht in einem Lichtgewand, sondern in einer schwarzen Kutte erschienen. Wieder andere, die sich von der Kirche gänzlich losgetrennt hatten, führten ihren eigenen Gottesdienst ein. Noch andere wollten sowohl von den Concilien als auch von den Kirchensatzungen und Ueberlieferungen nichts wissen, sie stützten sich, wie später auch die Protestanten, lediglich auf die heilige Schrift. Einige gingen sogar bis zum reinen Deismus; sie verwarfen die Schriften der Evangelisten und Apostel und verehrten ausschliesslich Gott-Vater, den Herrn des Himmels. Die Extremsten aber leugneten sogar die Auferstehung jder Todten und das zukünftige Leben. Ausserdem gab es noch solche, deren Lehre Joseph Wolozkij „die massalianische Ketzerei" nennt; man sieht daraus, das manche sogar die Erschaffung der Welt als das Werk eines bösen Geistes ansahen. Eine solche Gährung der Geister herrschte im XV. Jahrhundert im russischen Norden, als, vor dem Falle von Nowgorods Unabhängigkeit, die Ketzerei des rationalistischen Judenthums hinzu kam. Es war im Jahre 1470, als, gleichzeitig mit dem Fürsten Michail Olelkowitsch, ein gelehrter Jude, Scaria, aus Kijew nach Nowgorod kam. Religiöse Controversen waren damals in Nowgorod an der Tagesordnung. Nicht nur in Häusern, sondern auch auf Märkten, strömten Leute, Männer sowohl als auch Weiber, aus allen Ständen zusammen, um über geistliche Dinge zu disputiren; meist mit der Absicht, die in der Kirche herrschenden Ueberlieferungen und Satzungen zu kritisiren. In diesem Chaos von Controversen und Meinungen fiel eB auch dem gelehrten Juden nicht schwer, eine neue ketzerische Lehre in Umlauf zu setzen, welche das Ziel verfolgte, die Grundlehren des jüdischen Glaubens zu verbreiten. Der erste, den Scaria verführte, war ein Pfaffe, Namens Denis; dieser brachte dann einen andern Pfaffen, Namens Alexej, dessen Gemeinde sich in der Michailowstrasse befand, zu ihm. Es waren dies denkende und für die damalige Zeit belesene Männer. Sie traten zum Judenthum über und ihre Familien folgten ihnen. Als Scaria sah, dass seine Propaganda Aussicht auf Erfolg hatte, lud er noch zwei Juden, den Schmuel ') Vielleicht sind diese Vorstellungen duroh den Einflnss der bolgarischen Sekte der Bogumilen, welche fast das Nämliche, wie die massalianische Sekte lehrt, in Altrussland eingedrungen, oder sie hatten sich später, unter dem Einflusa einer allgemeinen Gährung der Geister, nach und nach entwickelt. Es ist übrigens bemerkensw e r t , dass Spuren dieser Vorstellungen, die sich durchaus im Geist der massalianischen oder bogumilischen Ketzerei bewegen, noch bis heute in den abergläubischen Anschauungen des russischen Nordens fortleben. Eine Legende erzählt, dass Gott und der Teufel den Menschen gemeinschaftlich erschaffen haben: der Leib sei vom Teufel erschaffen und Gott habe ihm die Seele eingehaucht; daher komme es, dass der Mcnsch vermittelst des Leibes dem Teufel zu dienen suche, während der Geist zu Gott hinstrebe.
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Skarjawyj und den Moses Chapusch, nach Nowgorod ein. Alf Denis und Alexej folgten Alexejs Schwiegersohn Iwan Maximow, dessen Vater der Pope Maxim, Denis' Schwiegersohn Wassjka Ssuchoj, der Piotopope von der Sophienkirche Gabriel und noch viele andere Geistliche und Laien, die sich gleichfalls der neuen Ketzerei anschlössen. Die Neophyten wollten sich auch beschneiden lassen, aber ihre jüdischen Lehrer forderten, dass sie ihr Judenthum geheim halten und sich öffentlich für Christen ausgeben sollten. Nachdem nun die Juden ihren Zweck erreicht hatten, verschwanden* sie spurlos, wahrscheinlich verliessen sie Nowgorod. Als Iwan III. nach Nowgorod kam, nahm er die Popen Denis und Alexej mit sich nach Moskau; sie erhielten dort bald, als bücherkundige Leute, angesehene Stellungen : Alexej wurde Protopope an der Kathedrale zur Himmelfahrt Mariä und Denis erhielt dieselbe Stellung an der Erzengel-Kathedrale. Niemand hatte den geringsten Verdacht, dass diese Leute nicht gute Rechtgläubige seien. Die von den Juden propagandirte Lehre hatte rein hebräische Grundlagen. Sie lehrten die heil. Dreifaltigkeit, die Gottheit Jesu Christi und alle kirchlichen Satzungen zu verwerfen; ob sie die Neophyten auch mit dem Talmud bekannt machten und ob sie selbst an den Talmud glaubten, ist unbekannt; dagegen aber lehrten sie Astrologie und kabbalistische Wahrsagerei, und dies ist wahrscheinlich auch der hauptsächlichste Grund, weshalb sie Anhänger fanden. Nachdem sich aber die Juden entfernt hatten, konnte sich diese Lehre im rassischen Lande nicht mehr in ihrer ganzen alttestamentarischen Reinheit erhalten. Die russischen Jünger brachten allerhand freigeistige Elemente hinein und daraus entstand ein Conglomérat, welches die Gelehrten in Verzweiflung brachte. Joseph, ein Abt von Wolokolamsk, der uns einen Bericht über die judaisirende Ketzerei hinterlassen hat, führt Anschuldigungen gegen sie an, welche eher auf Verirrungen hindeuten, die mit dem reinen Judenthum nichts gemein haben und die entweder an die Abart einer christlichen Sekte oder an reinen Materialismus erinnern. Er führt unter diesen Sektirern z. B. auch solche an, welche, auf das Vorbild Jesu Christi und der Apostel fussend, das Mönchthum im Princip verwarfen und ihre Ansichten mit den nämlichen Texten der heiligen Schrift (z. B. Epistel St. Pauli anTimotheum IV, l—3) unterstützten, durch welche im XVI. Jahrhundert die westeuropäischen Protestanten die Unvereinbarkeit des Mönchthums mit dem Geist der christlichen Lehre bewiesen. Für die Anhänger des Judenthums war natürlich kein Anlass vorhanden, sich auf St. Pauli Zeugniss zu berufen, jedenfalls war dieser keine Autorität für sie. Es ist klar, dass Joseph Wolozkij, indem er gegen die judaisirenden Ketzer kämpfte, gleichzeitig auch andere ketzerische Meinungen traf. Hiermit übereinstimmend beklagt sich auch Gennadios, dass es in Nowgorod ausser den Ketzern, welche „jüdische Afterweisheit" lehren, noch andere gäbe, welche der markianischen (die Trinität leugnenden), der massalianischen,
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der sadducäischen (welche das zukünftige Leben leugnet) u. a. Häresien anhängen. F ü r die rechtgläubigen Eiferer waren alle diese Ketzereien gleich hassenswerth und mussten der Vertilgung preisgegeben werden. Nachdem sich Gennadios mit seiner Eparchie bekannt gemacht und wahrgenommen hatte, dass sich Ketzereien darin eingenistet haben, begann er dieselben eifrig zu verfolgen. Es war dies keine leichte Aufgabe. Die Ketzer waren schlau und verbreiteten ihre falschen Lehren nur dann, wenn die Umstände ihnen günstig waren; hatten sie streDg rechtgläubige Leute vor sich, so geberdeten sie sich nicht nur selbst streng rechtgläubig, sondern gerirten sich sogar als fanatische Feinde der Ketzer, die sie mit Verdammungen überschütteten; — sie hielten es f ü r keine Sünde, zu schwören und ihre Rechtgläubigkeit zu betheuern. Dagegen benutzten sie jede Gelegenheit, Schwache zu verführen und, um Anhänger zu werben, jeglichem Laster zu schmeicheln. Ihr Hauptziel bestand darin, Gleichgesinnten Priesterstellen zu verschaffen, und dies gelang ihnen auch. Nicht nur in den Städten, sondern auch auf den Dörfern waren viele Priester eingefleischte Ketzer, die das Volk, welches in Glaubensangelegenheiten unwissend war, verführten, durch liebevolles Betragen verlockten und in jeder Beziehung nachsichtig waren, um es an sich zu fesseln. Hatte Jemand gesündigt und wollte beichten, so verhiess ihm ein solcher Pfaff Vergebung der Sünden und ängstigte ihn nicht mit den Höllenqualen; — im Gegentheil, er beruhigte das angsterfüllte Gewissen des Büssenden mit der Versicherung, dass er in jener Welt nichts zu befürchten habe. Diese Ketzer erwiesen sich als kenntnissreich, schriftkundig, und weise, sie rühmten sich des Besitzes solcher heiligen Schriften, die, bei der allgemeinen Unwissenheit der Massen, die Meisten gar nicht kannten; aus diesen Schriften konnten sie leicht Stellen anführen und denselben eine willkürliche Deutung geben. Mit solchen Feinden zu kämpfen, war allerdings schwer, uDd Gennadios war nicht imstande vor 1487 auf deutliche Spuren zu kommen. Endlich traf es sich, dass einige Ketzer in betrunkenem Zustande schwatzten und einander Vorwürfe machten. Dies hinterbrachte man Gennadios, dieser gab dem Metropoliten Gerontios Nachricht davon und stellte eine Untersuchung an. Einer der Ertappten, der Pope Naüm, deckte Alles auf und brachte dem Gennadios die Psalmen, welche von den Ketzern bei ihren geheimen Versammlungen nach jüdischem Ritus gesungen wurden. Während der Untersuchung entliess man die Verdächtigen gegen Bürgschaft und Gennadios sandte dem Metropoliten und dem Grossfürsten die Protokolle seiner ersten Vernehmung; er theilte ihnen mit, dass drei von den Ketzern, die Popen Grigorij und Gerassim und der Djak Ssamson, durch Zeugenaussagen von Geistlichen und Laien überführt worden seien, die jüdische Religion gerühmt, den Sohn Gottes, die allerreinste Jungfrau Maria und die ganze rechtgläubige Religion geschmäht und über die Heiligenbilder gespottet zu haben. Gegen den vierten, den Djak Gridja aber, sei nur
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das Zeugniss des Popen Naüm vorhanden. Unterdessen hatten sieh vier von den gegen Bürgschaft entlassenen Ketzern nach Moskau geflüchtet; Gennadios hatte noch keine Ahnung, dass auch in Moskau die Ketzerei schon Wurzel gefasst habe. Denis und Alexej verführten in Moskau des Grossfürsten Günstling, den Djak Fjödor Kürizyn, den Archimandrit des Ssimonowklosters Sossim, die Djaks Istöma und Sswertschök und andere Personen. Diese Männer hatten Einfluss auf den Grossfürsten und den Metropoliten; sie stellten denselben wahrscheinlich vor, dass Gennadios übertreibe, und der nowgoroder Erzbischof erhielt lange Zeit hindurch gar keine Antwort aus Moskau. Gennadios gab sich die grösste Mühe, vom Grossfürsten und vom Metropoliten den Befehl zu erlangen, die Ketzer zu verfolgen; er wandte sich an die in Moskau befindlichen Bischöfe; zuerst schrieb er an den Bischof von Saraisk (der beständig in Moskau residirte und nur Titularbischof war) und an die von Ssusdal und Perm; er bewies ihnen, dass man in Moskau den Ketzern durch die Finger sehe, dass sie daher auch in Nowgorod kühner zu werden und die Heiligthümer zu verspotten anfingen; sie bänden den Raben und Krähen hölzerne und messingene Kreuze an, und „die Raben und Krähen setzen sich auf Aas und Koth und ziehen die Kreuze darauf herum." Endlich brachte es Gennadios' Beharrlichkeit so weit, dass der Grossfürst ein Concil einzuberufen befahl, und auf diesem Concil wurde der Beschluss gefasst, drei von den Angeklagten in Moskau öffentlich zu bestrafen und sie dann dem Gennadios zur Busse zu senden. Würden sie aber keine Reue zeigen, so solle man sie den Statthaltern des Grossfürsten in Nowgorod überantworten, damit er sie richte. Ferner wurde Gennadios beauftragt, weitere Vernehmungen zu veranstalten und diejenigen, deren Schuld erwiesen, den Statthaltern auszuliefern, damit er sie richte. Eine solche Vernehmung fand auch mit dem Djak Gridja statt. In Folge dieses Concilbeschlusses fuhr Gennadios mit den Untersuchungen fort und liess Verdächtige festnehmen. Diejenigen, welche Reue zeigten und ihr Geständniss selbst aufschrieben, wurden einer Kirchenbusse unterworfen; Gennadios liess sie in Freiheit und verbot ihnen nur, die Kirchen zu betreten; die Unbussfertigen aber und die, welche fortfuhren den jüdischen Glauben zu rühmen, sandte er zu den Statthaltern, um sie öffentlich hinrichten zu lassen. Alle jene aber, welche heuchlerischerweise Busse vor ihm geleistet hatten, flüchteten später nach Moskau und lebten daselbst nicht nur in Freiheit, sondern verbreiteten sogar die Ketzerei weiter. Geistliche, an deren Ketzerei Gennadios gar nicht zweifelte, hielten Gottesdienst in Moskau; der Pfaffe Denis, welchen Iwan mit Alexius zugleich nach Moskau mitgenommen hatte, soll bis zur äussersten Grenze der Frechheit gegangen sein und, wenn man dem Bericht des Gennadios glauben darf, während des Gottesdienstes hinter dem Altar getanzt und das Kreuz beschimpft haben. Die Straflosigkeit der Ketzer brachte Gennadios in die grösste Aufregung, aber auch die Ketzer hass-
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ten am allermeisten den nowgoroder Wladyka. Gennadios' spezieller Feind aber war der Mönch Zacharias, der früher im Njemtschinowkloster im nowgoroder Lande gewesen war. Einst erschienen bei Gennadios Mönche dieses Klosters und theilten ihm mit, sie seien eigentlich Bojarenkinder, die dem Fürsten Bjelskij gedient hätten, da habe aber der Mönch Zacharias sie ins Kloster gelockt und verhindere sie nun seit drei Jahren das heil. Abendmahl zu nehmen; sie verriethen ihm auch, dass Zacharias .selbst nicht communicire. Gennadios liess Zacharias zu sich kommen und fragte ihn: „Ist es wahr, was diese Mönche aussagen?" — „Ich habe gesündigt, Wladyka," — sprach Zacharias. Darauf machte ihm Gennadios Vorwürfe und ermahnte ihn; Zacharias aber sprach: „Bei wem soll man denn eigentlich das Abendmahl nehmen? Alle Pfaffen, Wladykas und Metropoliten sind ja durch Simonie eingesetzt!" — „Wie, auch der Metropolit?" fragte Gennadios. Zacharias antwortete: „Ehedem gingen die Metropoliten nach Konstantinopel zum Patriarchen, um sich weihen zu lassen und gaben dem Patriarchen Geld; jetzt aber geben sie heimlich den Bojaren Bestechungsgelder und die Wladykas geben dem Metropoliten Geld." — Nach diesen Aeusserungen erkannte Gennadios den Zacharias als einen Strigolnik und verbannte ihn in die Einsiedelei nach Gornetschno; bald darauf aber empfing er vom Grossfürsten ein Schreiben, dass er Zacharias bestrafen und ihn dann in sein Kloster zurücksenden solle. Gennadios liess Zacharias abermals zu sich kommen und nahm ihm das schriftliche Versprechen ab, künftig das heilige Abendmahl zu nehmen und sich einen Beichtvater zu wählen. Nachdem Zacharias dies Versprechen gegeben hatte, ging er nach Moskau und lebte daselbst nicht nur frei und unangefochten, sondern hatte sogar Umgang mit vornehmen Leuten, sowie auch Gelegenheit, Gennadios zu schaden. Er beschuldigte ihn selbst der Ketzerei und verbreitete in Nowgorod und an andern Orten Briefe, in denen er den nowgoroder Wladyka auf jegliche Weise verleumdete. Dieser Zacharias scheint von vornehmer Abkunft gewesen zu sein und gute Verbindungen gehabt zu haben; das Nemtschinowkloster, in welchem er lebte, war sein Eigenthum, und es ist daher erklärlich, dass er, obschon nicht dem geistlichen Stande angehörend, doch ein Vorgesetzter seiner Mönche war. Im Jahre 1489 starb der Metropolit Gerontios, ein Mann von unbestreitbar rechtgläubigen Ueberzeugungen, der aber gegen die Ketzer zu nachsichtig war; er liess häufig, vielleicht aus Hass gegen Gennadios, die von diesem erhobenen Anklagen unberücksichtigt und glaubte nicht an die Wahrheit alles dessen, was der nowgoroder Wladyka behauptete. Am Hofe Iwan Wassiljewitschs nahmen die Ketzer'so sehr überhand, daBS sie durch ihren Einfluss den Metropolitensitz Demjenigen verschaffen konnten, der ihnen zusagte. Der Protopop Alexej, welcher mit Iwan Wassiljewitsch aus Nowgorod nach Moskau gekommen w a r , lebte nicht mehr. Kurz vor seinem Tode hatte er den Archimandrit des K o a t o m a r o w - H e n c k e l , Rnss. Geschichte in Biogr. I.
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Simonsklosters, Sossima, als den würdigsten Nachfolger des Gerontios bezeichnet. Der Grossfürst hatte Alexej sehr lieb und liess sich durch dessen Empfehlung bestimmen. Im September 1490 fand die Wahl statt, und die geistlichen Würdenträger wählten Sossima als Metropoliten, weil sie wussten, dass der „Mächtige" (wie sie den Grossfürsten nannten) es wünsche. Gennadios war nicht zum Concil berufen worden; er hatte wohl die Absicht zu kommen, der Grossfürst aber befahl ihm zu bleiben, wo er sei; nur seine schriftliche Zustimmung zur Wahl wurde von ihm gefordert. Gennadios widersetzte sich dieser Wahl nicht, weil er gegen Sossima noch nichts vorbringen konnte, aber er war sehr beleidigt, dass man ihm nicht gestattet hatte, persönlich an der Wahl theilzunehmen. Sossima hatte kaum seinen Metropolitensitz eingenommen, als er auch schon von Gennadios eine Ablegung des Glaubensbekenntnisses forderte. Das bedeutete, Gennadios sei der Heterodoxie verdächtig. Gennadios war überzeugt, dass man ihm etwas anhaben wolle, dass seine Feinde Intriguen gegen ihn spinnen. Diese Feinde waren die Ketzer, und als den ärgsten unter ihnen betrachtete er den Zacharias. Dies war der Grund, weshalb der nowgoroder Wladyka seinen Eifer gegen die Ketzer verdoppelte. Gennadios sandte dem Sossima sein Glaubensbekenntniss nicht, sondern erklärte, dass er dasselbe, dem Brauche zufolge, bereits bei seiner Erhebung zur erzbischöflichen Würde abgelegt habe; dass er dagegen eine sofortige und strenge Untersuchung gegen die Ketzer dringend fordere; er verlangte, dass dieselben ohne Gnade und Barmherzigkeit am Leben gestraft würden. Gennadios erinnerte den Metropoliten an seine Pflicht, die Verfolgung der Ketzer beim Grossfürsten zu befürworten. „Wenn der Grossfürst die Ketzerei nicht verfolgt und diese Leute nicht hinrichten lässt, wie sollen wir da eine solche Schande von unserm Lande abwenden 1 — Sieh nur, wie die Frjägi ihren Glauben energisch vertheidigen; der kaiserliche Gesandte erzählte mir, wie der König von Spanien sein Land gereinigt habe." Gennadios machte auch auf des Herrschers Djak und Günstling, Fjodor Kurizyn, als auf die Wurzel alles Uebels aufmerksam. „Von ihm rührt das ganze Unheil her; er selbst ist ein Erzketzer und ein Beschützer der Ketzer beim Herrscher." Gennadios beschränkte sich nicht allein hierauf; er griff auch die Anordnungen des Grossfürsten, welche die Kirche betrafen, kühn an. Um in Moskau für Umbauten Raum zu gewinnen, waren baufällige Kirchen niedergerissen und an anderen Stellen neu aufgerichtet worden; — die Gebeine der Todten hatte man nach Dorogomilowo gebracht und innerhalb der Kirchenumfriedigung, auf dem Platze, welcher früher zu Beerdigungen gedieht hatte, einen Garten angelegt. Diese Verfügung nannte Gennadios eine „Landescalamität" und eine „Reichsschmach"; seine hierauf bezüglichen Betrachtungen sind als Proben damaliger Denkungsweise sehr interessant. „Die Gebeine der Todten — schrieb Gennadios — sind zwar hinausgetragen, die in Staub zerfallenen
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Leiber aber sind an der alten Stelle geblieben und ein Garten ist daranf angelegt; Moses aber untersagt es im Deuteronomion, Gärten und Bäume neben dem Opferaltar des Herrn anzupflanzen. Kennet Ihr auch die Strafe, welche den Leichenausgräbern angedrohet ist? Es handelt sich um die Auferstehung der Todten; man soll sie nicht von ihrer Stelle rücken; nur jene grossen Heiligen sind davon ausgenommen, die Gott durch ihre Wunder verherrlicht hat. Wo lange Jahre hindurch Gottes Kirchen standen, wo sich Altar und Opfertisch befanden, diese Stätten sind nicht umzäunt, sind Hunden und jeglichem Vieh zugänglichI" . . . . Sossima forderte von Gennadios, dass er seine Einwilligung zur Ernennung des Wladyka von Kolomna gebe, ohne ihm aber den Namen des zu Ernennenden mitzutheilen. Gennadios errieth, dass ein gegen die Ketzer nachsichtiger Mann an diese Stelle kommen solle und antwortete schroff: „Bevor die Angelegenheit, die Ketzer betreffend, nicht erledigt ist, darf kein Wladyka eingesetzt werden, wir können uns keinen Bischof aus fremdem Lande kommen lassen, über die unseren aber müssen wir zu Gericht sitzen, und denen, welche den Ketzern Dienste erwiesen haben oder mit ihnen Gemeinschaft hielten, Kirchenbussen auferlegen; einige müssen excommunicirt, andere abgesetzt werden." Die Forderungen, welche Gennadios beharrlich an den Metropoliten richtete, konnten allerdings erfolglos bleiben, denn auch früher schon hatte Gennadios häufig nach Moskau geschrieben und verschiedenartige Denunciationen und Indicien gegen die Ketzer eingesandt, ohne damit einen Erfolg zu erzielen; es war augenscheinlich, dass Leute, welche selbst zu den Ketzern gehörten und dem Herrscher nahe standen, Gennadios als einen unruhigen und händelsüchtigen Menschen dargestellt hatten. Während Gennadios die Rechtgläubigkeit vertheidigte, musste er gleichzeitig auch selbst Wühlereien abwehren, die seine Feinde gegen ihn in Scene setzten. Nachdem er den Brief an den Metropoliten abgesandt hatte, brach sein Zorn in einem Sendschreiben an die Erzbischöfe von Rostow, Ssusdal, Twer und Perm los; er beschwor sie, sich der Ernennung des Wladyka von Kolomna zu widersetzen und die sofortige Zusammenberufung eines ConcilB zu beantragen, um Gericht, und zwar ein strenges Gericht, Uber die Ketzer zu halten. Gennadios' Ansicht war, dass die Ketzer strenger bestraft werden müssten, als es früher von den Concilien durch blosse Verdammung geschah. „Vor offenkundiger Ketzerei kann man sich hüten — schrieb er — , wie soll man sich aber gegen Ketzer schützen, die sich Christen nennen? Einem scharfsinnigen Mann offenbaren sie sich nicht, Unerfahrene aber verschlingen sie ohne Weiteres!" Gennadios rieth seinen Collegen, den Wladykas, keinenfalls Debatten über Glaubensdogmen während des bevorstehenden Concils zu gestatten. „Die Menschen sind bei uns noch einfältig — schrieb er —, sie verstehen es nicht, gelehrt zu sprechen; es ist daher besser, keine Reden über Glaubenslehren zu dulden. Das 20*
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Concil soll keinen andern Zweck haben, als die Ketzer zu verurtheilen, zu verbrennen, aufzuhängen. Sie haben ihre Sünden bei mir gebeichtet, Sind zur Kirchenbusse verurtheilt, dann aber sind sie davon gelaufen; sie müssen scharf gefoltert werden, damit man von ihnen herausbringt, wen sie verführt haben; man muss sie gänzlich ausrotten und auch ihre Brut vertilgen." Als Schuldbeweise gegen die Ketzer galten die Aussagen, welche Gennadios bei Jenen herausgefoltert, die man ihm aus Moskau zugesandt hatte. Diese Aussagen hatte er bereits nach Moskau geschickt, dort wurde ihnen aber keine Glaubwürdigkeit beigemessen, angeblich, weil sie durch die Folter erzwungen waren; wegen dieses Misstrauens beklagte sich Gennadios bitter bei den Bischöfen. „Beim Verhör waren zugegen: ich, der Erzbischof, zwei Bojaren des Grossfürsten und mein Bojar, ausserdem noch Bojarenkinder, Aebte und Priester, und dennoch glaubt man uns nicht und beschuldigt michsogar der Lüge. Man sagt, ich hätte den Ssamssönka gepeinigt; — nicht ich war es, der ihn peinigte, sondern ein Bojarensohn des Grossfürsten; nur meine Wachen waren dabei zugegen, um Bestechungen zu verhüten. Ssamssönka gestand, dass er bei Fjodor Kurizyn gewesen sei, dass der Protopope Alexij, ferner Istöma, Sswertschök und Iwäschko Tschörnyj, welcher Bücher schreibt, zu ihm gekommen seien und den wahren Glauben beschimpft hätten. Wie konnte wohl dieser Sklave Ssamssönka wissen, was bei Kurizyn geschieht, wenn er nicht selbst zu ihm hingekommen wäre? Er weiss auch, dass der Ungar Martfnka, der mit Kürizyn aus dem Ungarlande kam, bei diesem wohnte; woher sollte Sssamssönka dies wohl wissen, wenn er nicht in Kürizyns Hause Zutritt gehabt hätte ?" Gennadios beschwor die Bischöfe, Alles zu thun, um den Grossfürsten zu veranlassen, den nowgoroder Erzbischof zu berufen, und suchte sie zu bewegen, nichts ohne seine Mitwirkung zu unternehmen. Ssamssönka und Andere gestanden auch, dass die Ketzer Christus, die allerheiligste Mutter Gottes und alle Heiligen geschmäht, dass sie die Heiligenbilder und andere heilige Gegenstände beschimpft hätten. Ssamssönka selbst sagte aus, dass er und der Pope Naüm Heiligenbilder zerspalten hätten und dass Naüm, als er an dem Bilde der Mutter Gottes vorüberging, ihr die Feige gezeigt habe. Ein anderer Ketzer, Alexej Köstjew, habe das Heiligenbild der Himmelfahrt Maria aus einer Kapelle gestohlen, es auf die Erde geworfen und mit garstigem Wasser begossen. Ein dritter, Jürka, habe ein Heiligenbild ins Wasohfass geworfen. Manche hätten auf Heiligenbildern geschlafen, Andere sich darauf gewaschen. Der Djak Makär, welcher an Fasttagen Fleisch isst, soll Heiligenbilder beBpieen und Ssamssönka aus dem Abendmahlsbrot Kreuze herausgeschnitten und sie den Hunden und Katzen vorgeworfen haben. Gennadios' Sendschreiben hatte einen sofortigen Erfolg. Sossima wollte kein Concil berufen, konnte aber dem allgemeinen Verlangen der Bischöfe und der Mehrzahl der Geistlichkeit, welche einstimmig ein Ge-
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rieht über die Ketzer forderten, nicht widerstreben. Das Concil ward am 17. October eröffnet, Gennadios war wiederum nicht eingeladen worden und die Bischöfe beschlossen, ohne ihn zu beginnen, obschon er sie ausdrücklich gebeten hatte, darauf zu bestehen, dass man ihn zum Concil berufe. Ausser den Bischöfen waren auch noch einige Klostervorstände, Priester und ehrwürdige Greise zugegen, unter denen sich auch der seiner Zeit so berühmte Nilus Ssorskij befand. Ausführliche Berichte über den Gang der Verhandlungen an diesem Concil sind leider nicht erhalten, wir kennen nur das Endurtheil. Gestützt auf die Angaben, welche Gennadios eingesandt, und auf einige Zeugenaussagen, die man in Moskau gesammelt hatte, beschuldigte das Concil den nowgoroder Protopopen Gabriel, die Priester Denis, Maxim, Wassilij, den Diakon Makarius, Denis' Schwiegersohn Wassjük, den Mönch Zacharias und die Djaks Gridja und Ssamsson, dass sie den Heiligenbildern ihre Verehrung verweigert , dieselben beschimpft und sie, als ob es Götzenbilder seien, Menschenwerk genannt, dass sie den Leib und das Blut Christi als gemeines Brot und Wein mit Wasser bezeichnet hätten. Ob bei dieser Gelegenheit den Angeklagten direkt ihr „Judenthum" vorgehalten wurde, wissen wir nicht Die Ketzer leugneten hartnäckig Alles, und was abzuleugnen unmöglich war, das bereuten sie und baten dafür um Vergebung. Das Concil entkleidete sie ihrer geistlichen Würde, verdammte sie und verurtheilte sie zur Verbannung. Einige von ihnen, wir wissen nicht welche, — wahrscheinlich die aus Nowgorod, — sandte man an GennadioB. Dieser befahl, dass man sie 40 Werst vor der Stadt in Empfang nehmen, ihnen die Kleider umwenden und sie auf Lastpferde, mit dem Gesichte dem Schwänze zugekehrt, setzen solle, auch stülpte man ihnen Helme aus Birkenrinde mit Zotteln aus Bast auf den Kopf, setzte ihnen Strohkränze auf und hing ihnen Tafeln um mit der Inschrift: „Dies ist Satans Kriegsheer". In diesem Aufzug führte man sie in die Stadt. Mit gebundenen Händen sassen sie da, das Antlitz naoh Westen gekehrt, und, dem Ausdruck Joseph Wolozkijs zufolge, dorthin blickend, wo das ewige Feuer sie erwartete. Der Wladyka befahl ferner, dass das Volk sie anspeien, sie beschimpfen und schreien solle: Dies sind Gottes Feinde und Lästerer des Christenthums. Nach dieser Ceremonie zündete man ihnen die Birkenrindenhelme auf den Köpfen an. Joseph erzählt, dass Denis bald darauf gestorben sei; einen Monat vor seinem Tode verlor er den Verstand. Ein ähnliches Schicksal traf auch Zacharias. Für die Ausrottung des ketzerischen Geistes war damit aber noch wenig gethan. Die Verbannung traf die von uns bezeichneten Personen nicht eigentlich wegen der jüdischen oder wegen, irgend einer anderen bestimmten Ketzerei, sondern nur für die antikirchlichen Handlungen und Aeusserungen, welche ebenso gut verschiedenartigen Verirrungen oder einfach einem liederlichen Lebenswandel und der Trunksucht zuge-
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schrieben werden konnten. Die vornehmsten Ketzer waren unbehelligt geblieben und lebten in Moskau unter dem Schutze der Regierung. Es •waren '.dies Fjodor Kurizyn, sein Bruder Wölk, Sswertschök, Ssemjön Klj