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German Pages 440 [441] Year 2019
Schriften zum Völkerrecht Band 236
Die Großraumtheorie von Carl Schmitt im Vergleich mit dem ostasiatischen Völkerrechtsverständnis
Von
Muwon Hong
Duncker & Humblot · Berlin
MUWON HONG
Die Großraumtheorie von Carl Schmitt im Vergleich mit dem ostasiatischen Völkerrechtsverständnis
Schriften zum Völkerrecht Band 236
Die Großraumtheorie von Carl Schmitt im Vergleich mit dem ostasiatischen Völkerrechtsverständnis
Von
Muwon Hong
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.
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Vorwort Der Staat ist heute die maßgebliche Körperschaft des politischen Lebens in Europa sowie auch in Asien. Der Staat beherrscht das Innere einer Staatsgemeinschaft und vertritt diese nach außen. Er setzt in gewisser Weise die Grenzen zwischen diesem innen und außen. Wie sind jedoch die Beziehungen zwischen den Staaten in diesen zwei verschiedenen Erdteilen? Gibt es Unterschiede zwischen Europa und Asien, wie die Beziehungen unter den Staaten verstanden worden sind? In Europa setzte sich das Westfälische System durch, d. h. die Idee einer „Anarchie der Staatenwelt“1, die durch das sog. Gleichgewichtsprinzip2 ergänzt wurde. In Ostasien hingegen bildete sich eine „Hierarchie der Staatenwelt“3 mit 1
In Europa entstand durch den Westfälischen Frieden (1648) die Idee der Souveränität des Staates als ein Axiom der Staatenwelt, das jeder Staat zu respektieren hatte. Da es zwischen Staaten keine Subordination mehr gab, resultierte daraus die „Anarchie der Staatenwelt“, in der zwischen der innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Beziehung fundamental unterschieden wird. Vgl. zur Anarchie der Staatenwelt: Menzel, Ulrich, Die Ordnung der Welt. Imperium oder Hegemonie in der Hierarchie der Staatenwelt, 2015, S. 29 – 35. Der Begriff der „Anarchie“ der Souveränitäten findet sich bereits in der Wiener Schlussakte von 1815. Vgl. Foerster, Rolf Hellmut, Europa: Geschichte einer politischen Idee, 1976, S. 256. 2 Dennoch sollte keine einzelne Großmacht so mächtig werden, dass diese die gesamte europäische Staatenwelt beherrschen könnte. Wenn ein Staat zu mächtig werden sollte, so sollten die übrigen Staaten gemeinsam diesen Staat „in die Schranken weisen“. Vgl. Morgenthau, Hans Joachim, Politics among nations, 7. Auflage, 2005, S. 214 – 216; Gulick, Edward Vose, Europe’s Classical Balance of Power: A Case history of the Theory and Practice of One of the Great Concepts of European Statecraft, 1955, S. 33 – 34. Das Gleichgewichtsprinzip wurde in Europa spätestens aufgrund des labilen politischen Zustandes in Italien zwischen den dortigen Stadtstaaten bekannt. So: Sheehan, Michael, The Balance of Power: History and Theory, 1996, S. 29 – 36; Müller, Klaus, Die Idee des europäischen Gleichgewichts in der Frühen Neuzeit, in: Hecker, Hans (Hrsg.), Europa – Begriff und Idee: Historische Streiflichter, 1991, S. 64. Beispielsweise war das Gleichgewichtsprinzip ein wichtiger Faktor bei der Bildung der Allianz gegen das Napoleonische Frankreich oder gegen Deutschland im Ersten Weltkrieg. Vgl. Morgenthau, Politics (Fn. 2), S. 209 – 212; Beloff, Max, The Balance of Power, 1967, S. 2 – 4; Gulick, Balance of Power (Fn. 2), S. 95 – 126. Im Vertrag von Utrecht von 1713 wurde das Gleichgewichtsprinzip als wichtiges völkerrechtliches Prinzip anerkannt. So: Nussbaum, Arthur, Geschichte des Völkerrechts. In gedrängter Darstellung (übersetzt aus dem Englischen durch Thiele-Fredersdorf, Herbert), 1960, S. 130; Grewe, Wilhelm, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 1984, S. 328; Paech, Norman/Stuby, Gerhard, Machtpolitik und Völkerrecht in den internationalen Beziehungen, 1994, S. 41; Sheehan, Balance (Fn. 2), S. 97 – 99; Duchardt, Heinz, Gleichgewicht der Kräfte. Convenance. Europäisches Konzert, 1976, S. 68 – 69. 3 In Ostasien hingegen galt für lange Zeit die sinozentrische Weltsicht aufgrund der Vorstellung der universalen Herrschaft durch den Träger des „Mandats des Himmels“. Die
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Vorwort
den chinesischen Dynastien im Mittelpunkt. Der Verlust der Macht Chinas im 19. Jahrhundert hatte jedoch zur Folge, dass die europäischen Grundsätze auch auf die asiatischen Staaten angewandt wurden, die zuvor Teil der sinozentrischen Ordnung waren. Insofern obsiegte das europäische gegenüber dem chinesischen Völkerrechtsmodell. Mit der zunehmenden Verflechtung der Staaten auf internationaler Ebene, auch außerhalb der Grenzen Europas, stoßen die Grundsätze des europäischen Völkerrechts an ihre Grenzen. Das Völkerrecht konnte sich nicht zu einer wirksamen Ordnung entwickeln. Die Europäer lösten dieses Problem lange Zeit dadurch, dass die Anwendung der Prinzipien des Völkerrechts auf den europäischen Raum begrenzt wurde. Staaten, die nicht dem europäischen Raum zugehörten, waren entweder aufgrund ihrer Entfernung oder ihrer geringen wirtschaftlichen Bedeutung uninteressant. Später, nachdem die Entfernungen überwunden worden waren und die wirtschaftliche Bedeutung, etwa wegen der kolonialen Ausbeutung dieser außereuropäischen Staaten, zunahm, wurde solchen nicht-europäischen Staaten einfach die Völkerrechtssubjektivität aberkannt. Im späten 19. Jahrhundert bzw. im 20. Jahrhundert änderte sich das europäische Völkerrecht jedoch entscheidend. In den Pariser Friedenskonferenzen von 1919 gründeten die Signatarstaaten den Völkerbund. Das vormals rein europäische Völkerrecht wurde zu einem globalen Völkerrecht. Das globale Völkerrecht konnte den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Europa und in Asien jedoch nicht verhindern.4 Die dadurch klar zutage getretene Unfähigkeit des Völkerrechts,5 Konflikte zwischen den Staaten effektiv zu minimieren und der Eindruck, dass Völkerrecht möglicherweise gar kein Recht ist oder zumindest keiner sich daran zu halten braucht, ist für das Völkerrecht fatal gewesen. Carl Schmitts Großraumtheorie ist eine Kritik an dem damals geltenden Völkerrecht, das sich selbst nach dem Zweiten Weltkrieg im Hinblick auf das Grundprinzip der Souveränität der Staaten nicht geändert hat, und ist ebenso ein Versuch,
Nachbarstaaten Chinas waren demnach die Vasallen Chinas und mussten Tribute leisten und ihre Könige von den chinesischen Kaisern anerkennen lassen. Innerhalb der sinozentrischen Welt gab es eine formelle Ungleichheit zwischen China und den nicht-chinesischen Staaten. Die Grenzen zwischen den Staaten waren zwar territorial klar definiert, aber die Macht der chinesischen Kaiser konnte diese territoriale Grenzen durchdringen und sich auf den gesamten sinozentrischen Raum ausbreiten. Diese Ordnung kann als „Hierarchie der Staatenwelt“ bezeichnet werden. Vgl. zur Hierarchie der Staatenwelt: Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 36 – 64. 4 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 156; Diggelmann, Oliver, Anfänge der Völkerrechtssoziologie: Die Völkerrechtskonzeptionen von Max Huber und Georges Scelle im Vergleich, 1998, S. 20 – 21. 5 Koskenniemi weist darauf hin, dass es in widersprüchlicher Weise gerade die Zeit des 20. Jahrhunderts war, in der einerseits das Völkerrecht mit Moralität in Verbindung gebracht wurde, andererseits aber die schlimmsten Verbrechen an der Menschheit begangen worden sind. Wie hier: Koskenniemi, Martti, The Gentle Civilizer of Nations: The Rise and Fall of International Law 1870 – 1960, 2001, S. 423 – 424.
Vorwort
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eine „neue Ordnung“6 zu skizzieren.7 Schmitts Großraumtheorie ist ein Vorschlag, den Staaten, die faktisch einen höheren Rang einnehmen als andere, eine Hoheitsgewalt einzuräumen, die den Nationalstaat transzendiert.8 Gleichzeitig wurde eine japanozentrische Ordnung auf der Grundlage eines „Panasianismus“ in Japan von verschiedenen Autoren und Politikern propagiert. Die japanozentrische Ordnung wurde gegen Ende des Zweiten Weltkrieges sogar als „Großostasiatische Wohl, Daitoa Kyoeiken)“ zum Staatsziel erhoben. Der standssphäre (jap. Panasianismus war dabei ein Gedankenmodell der Japaner, die durch den ersten sinojapanischen Krieg und den russisch-japanischen Krieg zur Weltmacht aufstiegen, diese japanozentrische Weltsicht umzusetzen, um den Führungsanspruch in Asien zu untermauern. Beide Weltordnungen sind hierarchisch und entsprechen somit der erwähnten sinozentrischen Ordnung, die im ostasiatischen Raum Jahrtausende als „Ordnung unter dem Himmel“ existierte.9 In dieser Arbeit wird versucht, die inhaltlichen Ähnlichkeiten sowie den Entstehungszusammenhang zwischen der Großraumtheorie von Carl Schmitt und der japanozentrischen bzw. der sinozentrischen Ordnung zu untersuchen. Dies bedeutet einerseits, dass analysiert werden soll, ob zwischen der japanozentrischen Ordnung und der Großraumtheorie gegenseitige Beeinflussung stattgefunden hat und ob es gemeinsame Wurzeln gibt. Andererseits soll in Betracht gezogen werden, ob und wie die zeitlich deutlich zuvor liegende sinozentrische Ordnung auf die japanozentrische Ordnung oder auf die Schmitt’sche Großraumtheorie gewirkt hat. Die Arbeitshypothese ist dabei, dass die Großraumtheorie von Carl Schmitt und der Großraum in Asien trotz inhaltlicher Ähnlichkeiten völlig selbstständig entstanden sind und keine ideengeschichtlichen Verknüpfungen vorliegen. Im Hinblick auf die sinozentrische und japanozentrische Ordnung ist die Hypothese dagegen, dass die letztere aus der ersteren entstammt.
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Schmitts neue Ordnung sah vor, dass die Welt in mehrere Großräume eingeteilt wird. Diese Großräume sollten untereinander sich nicht in die Angelegenheiten der anderen Großräume einmischen. Innerhalb der Großräume würden die Staaten, die dem jeweiligen Großraum angehören, von einer konkreten Ordnung geleitet, die durch den mächtigsten der Staaten innerhalb desselben Großraumes festgesetzt und durchgesetzt wird. Diesen mächtigsten Staat eines Großraumes nannte Schmitt das „Reich“. Vgl. Schmitt, Carl, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte: Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, 3. Auflage, 1941. 7 Damit verlässt Schmitt das Gebiet der Völkerrechtstheorie und nähert sich dem Bereich der politischen Wissenschaft bzw. der Theorie der internationalen Beziehungen. So auch: Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 424. 8 Dreier, Horst, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 60 (2001), S. 9 – 72 (64). 9 Bauer, Wolfgang, Geschichte der chinesischen Philosophie, 2006, S. 42 – 43.
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Vorwort
Großraum, so wie er heutzutage verstanden wird, ist ein belasteter Begriff10 und deshalb ist auch der Vergleich wahrscheinlich mit politischen, möglicherweise sogar ideologischen Vorurteilen und Bewertungen behaftet. Eine komplett neutrale Untersuchung aller Positionen wird deshalb – schon aufgrund der unvollkommenen sprachlichen Kompetenz – unmöglich sein. Allerdings soll versucht werden, anhand einschlägiger europäischer und asiatischer Quellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Großraumbegriffs in den beiden Regionen herauszufiltern. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater Prof. Dr. Horst Dreier, der mir nicht nur dieses Thema nahe brachte, sondern auch mir unendlich viel Rat und Beistand gewährte. Ebenso bedanke ich mich auch bei Prof. Dr. Stefanie Schmahl LL.M. für das zügig erstellte Zweitgutachten. Bei Prof. Dr. Walter Eykmann, MdL a.D., bedanke ich mich für die Stunden des geistigen Austausches und der konstruktiven Kritik. Auch bei Dr. Norbert Henke, Dr. Johannes Henke, Dr. Ulrich Keil, Amaury Pilleul Korte und Johannes Meyer bedanke ich mich für das mühevolle Korrekturlesen. Weiterhin danke ich meinen Eltern, Dr. Kisu Hong und Jeonglae Hwang, die mich während meines ganzen Lebens unterstützt haben. Nicht zuletzt gebührt meiner lieben Frau Mio Nakamune ein großer Dank, die mich während der langen Zeit des Anfertigens dieser Arbeit stets motiviert und ermutigt hat. Schweinfurt, im Juni 2019
Muwon Hong
10 So: Dreier, Horst, Wirtschaftsraum-Großraum-Lebensraum, Facetten eines belasteten Begriffs, in: Dreier, Horst/Forkel, Hans/Laubenthal, Klaus (Hrsg.), Raum und Recht. Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, 2002, S. 47 – 84 (47).
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Gegenstand und Vorgehensweise der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Erster Teil Europäisches Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
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A. Die Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt . . . . . . . . . . . . 23 I. Ein biographischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Ideengeschichtliche Vorgänger der Großraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 B. Die Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie . . . . . . . . . . . I. Die Raumordnung des europäischen Territorialstaates und das Konzept des Großraumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatensouveränität und Reichssouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Großraumtheorie als Theorie der Hegung des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Rechtsqualität des Völkerrechts nach europäischem Verständnis und die Großraumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kriterien für eine Großraumordnung im Sinne von Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . .
71 72 137 164 181 209
Zweiter Teil Großraumtheorie in Ostasien?
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A. Die japanozentrische Ordnung bis 1945 als Pendant zur Großraumtheorie? . . . . . . . . 212 I. Japans Entwicklung zu einer regionalen Hegemonialmacht (1854 – 1931) . . . . . 213 II. Der japanische Meishuron-Panasianismus und der Ultranationalismus Japans (1931 – 1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 B. Die Realisierung der „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jahrhundert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ordnung im sinozentrischen Raum in der ostasiatischen Geschichte . . . . . . II. Die konkrete Ordnung im sinozentrischen Raum: Der Konfuzianismus . . . . . . . III. Die sinozentrische Ordnung aus der Sicht Koreas und Japans . . . . . . . . . . . . . .
307 309 331 361
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Inhaltsübersicht Dritter Teil Staatengleichheit und Staatenhierarchie
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A. Die japanozentrische Ordnung und die Schmitt’sche Großraumtheorie . . . . . . . . . . . . 393 I. Keine gegenseitige Beeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 II. Strukturähnlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 B. Die sinozentrische Ordnung und die Schmitt’sche Großraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . I. Die hierarchische Ordnung durch das „Mandat des Himmels“ . . . . . . . . . . . . . . II. Der Konfuzianismus als konkrete Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Selbstwahrnehmung als partielle Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
397 397 398 399
C. Die Schmitt’sche Großraumtheorie als Erklärungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 I. Die Erklärung des Erfolgs der sinozentrischen Ordnung und dessen Scheitern nach der Großraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 II. Die Erklärung des Scheiterns der japanozentrischen Ordnung nach der Großraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 D. Imperialismus oder Hegemonie: Die Großraumtheorie als Modell der Staatenhierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anarchie oder Hierarchie der Staatenwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Imperialismus und Hegemonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nomos der Erde als globale Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
402 403 405 409 411
E. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Gegenstand und Vorgehensweise der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Erster Teil Europäisches Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
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A. Die Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt . . . . . . . . . . . . 23 I. Ein biographischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Carl Schmitt und Völkerrecht in der Weimarer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Schmitt im Dritten Reich: Aufstieg zum Kronjuristen des Dritten Reichs . . . . 28 3. Die „Völkerrechtliche Großraumordnung“ und das „konkrete Ordnungsdenken“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Schmitts „Fall“ innerhalb der NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 b) Außenpolitik des Dritten Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 c) Völkerrechtstheorie im Dritten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 d) Carl Schmitts Völkerrechtstheorie im Dritten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4. Schmitt nach 1945: „Nomos der Erde“, „Theorie des Partisanen“ . . . . . . . . . . 42 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Ideengeschichtliche Vorgänger der Großraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Europa-Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Mitteleuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Paneuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Konservative Revolution und Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Konservative Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3. Geopolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Die Anfänge der Geopolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Karl Haushofer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Einfluss der Geopolitik auf Carl Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
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Inhaltsverzeichnis
B. Die Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie . . . . . . . . . . . 71 I. Die Raumordnung des europäischen Territorialstaates und das Konzept des Großraumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Die Raumordnung unter dem ius publicum europaeum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Der europäische Territorialstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 aa) Die Völkerrechtsgeschichte des Territorialstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Grundkonzepte des modernen Staates im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . 76 (1) Drei-Elementen-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (2) Die Anerkennung von Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (3) Staatengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Das Kolonialvölkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 aa) Die Völkerrechtsgeschichte des Kolonialvölkerrechts . . . . . . . . . . . . . . 81 (1) Kolonialvölkerrecht im Spanischen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (2) Kolonialvölkerrecht im Französischen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (3) Kolonialvölkerrecht im Englischen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (4) Verfall des Kolonialvölkerrechts in der Zwischenkriegszeit . . . . . . . 87 bb) Konzeptionelle Trennung zwischen europäischem Völkerrecht und Kolonialvölkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Auflösung des ius publicum europaeum durch Universalisierung des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 aa) Europäisierung eines vormals globalen Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . 93 bb) Universalisierung von europäischem Völkerrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Die Raumordnung im Großraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Die Monroe-Doktrin als Prototyp der Schmitt’schen Raumordnung . . . . . . . 99 aa) Die Geschichte der Monroe-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (1) Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (2) Die Verkündung der Monroe-Doktrin und die Folgen . . . . . . . . . . . . 106 (3) Die Entwicklung der Monroe-Doktrin für die amerikanische Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Analyse der Monroe-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (1) Charakter von Doktrinen im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (2) Analyse der Monroe-Doktrin als solcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 cc) Monroe-Doktrin in Schmitts Großraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (1) Monroe-Doktrin als Präzedenzfall einer Großraumordnung . . . . . . . 120 (2) Monroe-Doktrin in der Form der Roosevelt-Corollary als Gegenbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Großraumordnung nach Carl Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 aa) Großraumordnung als Theorie der Staatenverbindung . . . . . . . . . . . . . . 127
Inhaltsverzeichnis
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bb) Beziehung von Großräumen, Reichen und Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (1) Beziehung zwischen den Großräumen als Ganzes . . . . . . . . . . . . . . 131 (2) Beziehung zwischen den Reichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (3) Beziehung innerhalb eines Großraumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (4) Beziehung der Völker verschiedener Großräume . . . . . . . . . . . . . . . 134 cc) Geltungsbereich der Großraumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 II. Staatensouveränität und Reichssouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Geschichte der Entwicklung des Souveränitätsbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Der Westfälische Frieden als Ausgangspunkt für das Souveränitätsprinzip 139 b) Souveränität in der Völkerrechtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 aa) Souveränität im Sinne von Jean Bodin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 bb) Souveränität im Sinne von Thomas Hobbes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 cc) Formalisierung und Auflösung des Souveränitätsbegriffs . . . . . . . . . . . . 145 c) Souveränität und Völkerrecht, insbesondere das Interventionsverbot . . . . . . 148 2. Souveränität im Sinne von Carl Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Souveränitätsbegriff von Carl Schmitt vor der Großraumtheorie . . . . . . . . . 152 b) Das Reich als neuer Träger der Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Souveränität des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Totales Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Das Interventionsverbot raumfremder Mächte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Großraumtheorie als Theorie der Hegung des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Das konventionelle Kriegsvölkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Entwicklung des ius ad bellum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 aa) Der gerechte Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Souveränität und Recht zum Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Mechanismen zur Hegung des Krieges nach dem europäischen Völkerrecht 168 aa) Lösungsansatz des 17. bis zum 19. Jahrhundert: Gleichgewichtspolitik 169 (1) Geschichtliche Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (2) Die Pentarchie und die Hegung des Krieges ab dem 19. Jahrhundert 170 bb) Lösungsansatz des 20. Jahrhunderts: Gewaltverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (1) Geschichtliche Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (2) Kriegsvermeidung durch den Genfer Völkerbund . . . . . . . . . . . . . . . 174 (3) Briand-Kellogg-Pakt von 1928 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (4) Scheitern des Kriegsverbots vor dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . 176 2. Die Großraumtheorie und die Hegung des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Die Prognose einer neuen Dimension des Krieges nach Carl Schmitt: Der totale Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Neue Hegung des Krieges. Vom Gleichgewichtsgrundsatz zum Großraumkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
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Inhaltsverzeichnis IV. Die Rechtsqualität des Völkerrechts nach europäischem Verständnis und die Großraumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Rechtsqualität des Völkerrechts nach der konventionellen Völkerrechtstheorie 182 a) Die naturrechtliche und die positivistische Völkerrechtslehre . . . . . . . . . . . . 183 aa) Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Positivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Die Quellenlehre des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Rechtsqualität des Völkerrechts in der Großraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Schmitt als Vertreter eines soziologischen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Die Durchsetzbarkeit von Völkerrecht als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . 194 bb) Völkerrecht als effektive Machtordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Die Großraumordnung als konkrete Raumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Nomos der Erde als Durchsetzungsmöglichkeit seiner völkerrechtlichen Großraumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 V. Kriterien für eine Großraumordnung im Sinne von Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
Zweiter Teil Großraumtheorie in Ostasien?
211
A. Die japanozentrische Ordnung bis 1945 als Pendant zur Großraumtheorie? . . . . . . . . 212 I. Japans Entwicklung zu einer regionalen Hegemonialmacht (1854 – 1931) . . . . . . 213 1. Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Von der Meiji-Restauration bis zum ersten sino-japanischen Krieg 1895 . . . 213 aa) Die Kolonialisierungsbemühungen Japans in Korea . . . . . . . . . . . . . . . . 216 bb) Die Folgen des ersten sino-japanischen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Der russisch-japanische Krieg 1905 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 aa) Der russisch-japanische Krieg und seine Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . 219 bb) Etablierung eines japanischen Großraumes in Ostasien . . . . . . . . . . . . . 222 (1) Kolonialisierung in Taiwan und Korea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (2) Die Kolonialisierung der Mandschurei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 c) Der erste Weltkrieg und die Erweiterung der japanischen Einflusssphäre in Ostasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 d) Änderung im „System der ungleichen Verträge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. Entwicklung des frühen Panasianismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 a) Okakura Tenshin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Kita Ikki . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Der koreanische Panasianismus und Ahn Junggeun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Inhaltsverzeichnis
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3. Die Entwicklung des japanischen Nationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 a) Die Entwicklung der Kokutai-Ideologie aus dem Konfuzianismus . . . . . . . . 237 aa) Die Rezeption des Konfuzianismus vor der Meiji-Restauration . . . . . . . 238 bb) Die Entstehung der Kokutai-Ideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 cc) Die Verkündung der Kokutai-Ideologie als offizielle Staatsdoktrin . . . . 241 b) Die Entstehung der japanischen Monroe-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 c) Der Nichiren-Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 II. Der japanische Meishuron-Panasianismus und der Ultranationalismus Japans (1931 – 1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Die Mandschurei-Krise und die Gründung von Mandschukuo . . . . . . . . . . . . . 248 a) Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 aa) Der Hergang der Mandschurei-Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (1) Gründung von Mandschukuo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (2) Die Rolle der Kwantung-Armee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 bb) Auswirkungen der Mandschurei-Krise auf die japanische Innenpolitik
255
cc) Auswirkungen der Mandschurei-Krise auf die japanische Außenpolitik 256 b) Die Entwicklung des japanischen Ultranationalismus und des Panasianismus 258 aa) Die Weiterentwicklung der Kokutai-Ideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 bb) Ishiwara Kanji, der Architekt der Mandschurei-Krise . . . . . . . . . . . . . . . 260 2. Die Verkündung der „Neuen Ostasiatischen Ordnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Die Weiterentwicklung des japanischen Ultranationalismus und des Panasianismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 aa) Royama Masamichi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 bb) Die Kyoto-Schule und die Neue Ostasiatische Ordnung . . . . . . . . . . . . . 269 (1) Nishida Kitaro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (2) Miki Kiyoshi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 c) Die Diskussion um die „Neue Ostasiatische Ordnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 aa) Die ultranationalistische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 bb) Die panasiatische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (1) Die Theorie der ostasiatischen Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (2) Die Theorie des ostasiatischen Bündnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 3. Die Verkündung der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ . . . . . . . . . . . . . . 284 a) Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 b) Die Raumordnung der Großostasiatischen Wohlstandssphäre . . . . . . . . . . . . 290 aa) Die Raumordnung in Ostasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 bb) Der Drei-Mächte-Pakt als „Zwischenreichischer“ Vertrag? . . . . . . . . . . 293
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Inhaltsverzeichnis c) Die Theorie der Großostasiatischen Wohlstandssphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 aa) Die Großostasiatische Wohlstandssphäre als imperialistisches Schlagwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 bb) Die Interpretation der Großostasiatischen Wohlstandssphäre durch die Kyoto-Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (1) Die Interpretation durch Nishida Kitaro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (2) Die Interpretation durch Tanabe Hajime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (3) Die Diskussion über den welthistorischen Standpunkt und Japan . . 301 cc) Völkerrecht der Großostasiatischen Wohlstandssphäre Yasui Kaoru und Tabata Shigejiro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
B. Die Realisierung der „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jahrhundert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 I. Die Ordnung im sinozentrischen Raum in der ostasiatischen Geschichte . . . . . . . 309 1. Die Entstehung eines intra-chinesischen Tributsystems zu Zeiten der ZhouDynastie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 2. Die Ausweitung des Tributsystems auf völkerrechtliche Beziehungen . . . . . . . 314 3. Die sinozentrische Raumordnung zu Zeit der Ming- und Qing-Dynastie . . . . . 319 4. Der Untergang der sinozentrischen Raumordnung zu Zeiten der Qing-Dynastie 325 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 II. Die konkrete Ordnung im sinozentrischen Raum: Der Konfuzianismus . . . . . . . . 331 1. Mandat des Himmels als konfuzianische Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 2. Das Territorium der sinozentrischen Ordnung: Die Ordnung unter dem Himmel 341 3. China und die Staaten innerhalb des sinozentrischen Raumes . . . . . . . . . . . . . . 345 a) Tributäre Beziehungen innerhalb des sinozentrischen Raumes . . . . . . . . . . . 346 aa) Die frühen Chaogong-Cefeng-Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 bb) Das spätere Chaogong-Cefeng-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 b) Das Jimi-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 4. Die Beziehung zwischen den Staaten im sinozentrischen Raum und die Beziehung Chinas zu raumfremden Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 III. Die sinozentrische Ordnung aus der Sicht Koreas und Japans . . . . . . . . . . . . . . . . 361 1. Die sinozentrische Ordnung aus dem Blickwinkel eines raumeigenen Staates: Korea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 a) Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 aa) Die Beziehung zwischen Korea und China vor der Shilla-Dynastie . . . . 363 bb) Die Eingliederung der Shilla-Dynastie in die sinozentrische Welt . . . . . 363 cc) Die Wiedereingliederung der Chosun-Dynastie in die sinozentrische Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 b) Akzeptanz der Suzeränität Chinas und die „kleine sinozentrische Welt“ . . . 370 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
Inhaltsverzeichnis
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2. Die sinozentrische Ordnung aus dem Blickwinkel eines raumfremden Staates: Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 a) Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 b) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 3. Die Invasionen Japans in die Chosun-Dynastie von 1592 und 1597 . . . . . . . . . 383 a) Die Invasionen aus der Sicht der raumfremden Macht: Die Japaner . . . . . . . 383 b) Die Invasionen aus der Sicht des Großraumstaates: Die Chosun-Dynastie
386
c) Die Invasionen aus der Sicht des Reiches: Die Ming-Dynastie . . . . . . . . . . . 387 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
Dritter Teil Staatengleichheit und Staatenhierarchie
391
A. Die japanozentrische Ordnung und die Schmitt’sche Großraumtheorie . . . . . . . . . . . . 393 I. Keine gegenseitige Beeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 II. Strukturähnlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 1. Die hierarchische Struktur der japanozentrischen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 395 2. Panasianismus als konkrete Ordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 3. Die Selbstwahrnehmung als partielle Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 B. Die sinozentrische Ordnung und die Schmitt’sche Großraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . 397 I. Die hierarchische Ordnung durch das „Mandat des Himmels“ . . . . . . . . . . . . . . . 397 II. Der Konfuzianismus als konkrete Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 III. Die Selbstwahrnehmung als partielle Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 C. Die Schmitt’sche Großraumtheorie als Erklärungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 I. Die Erklärung des Erfolgs der sinozentrischen Ordnung und dessen Scheitern nach der Großraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 II. Die Erklärung des Scheiterns der japanozentrischen Ordnung nach der Großraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 D. Imperialismus oder Hegemonie: Die Großraumtheorie als Modell der Staatenhierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 I. Anarchie oder Hierarchie der Staatenwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 II. Imperialismus und Hegemonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 III. Nomos der Erde als globale Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 E. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
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Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
Einleitung I. Zielsetzung Die vorliegende Arbeit befasst sich schwerpunktmäßig mit einem völkerrechtlichen Alternativkonzept zum geltenden Völkerrecht, das durch Carl Schmitts Großraumtheorie eine besondere Prägung erlangt hat.11 Sie behandelt eine gewissermaßen parallele geschichtliche Entwicklung des Völkerrechts zweier verschiedener Regionen, nämlich Europa und Ostasien, zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich zur Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Es geht namentlich um den Versuch der Bildung eines eigenen völkerrechtlichen Blocks in Europa durch das nationalsozialistische Deutschland und in Asien durch das imperiale Japan. Die Entwicklungen des Völkerrechts in diesen beiden Regionen soll erforscht und verglichen werden. Carl Schmitt ist als einer der prominentesten völkerrechtlichen Theoretiker und in gewisser Weise als Beobachter der damaligen Entwicklungen hervorzuheben. Seine Großraumtheorie, die als Versuch gesehen werden kann, der oben dargestellten Tendenz der Blockbildung eine völkerrechtstheoretische Grundlage zu geben, ist ein zentraler Gegenstand der Untersuchung. Das Ziel der Arbeit ist allerdings nicht primär die Völkerrechtstheorie von Carl Schmitt zu analysieren, sondern vielmehr der Versuch, seine Annahmen und Schlussfolgerungen mit der völkerrechtsgeschichtlichen Situation in Asien zu vergleichen. Die Hauptaugenmerke sollen dabei die folgenden sein: Gab es insbesondere hinsichtlich der zu Schmitt kontemporären japanozentrischen Ordnung eine Beeinflussung von Schmitt auf die Japaner oder umgekehrt? Gab es Strukturparallelen zwischen der Großraumtheorie und der japanozentrischen bzw. der sinozentrischen Ordnung? Ist es möglich, durch die Großraumtheorie die Wirkungsweise und innere Logik der japanozentrischen bzw. der sinozentrischen Ordnung zu erklären? Kann, falls die Großraumtheorie als Analysemodell taugt, die Großraumtheorie auch als Modell für ein alternatives Völkerrecht gelten?
11 Hinsichtlich der Nähe Carl Schmitts zum Nationalsozialismus siehe A. II. 2. b) des ersten Teils dieser Arbeit.
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Einleitung
II. Gegenstand und Vorgehensweise der Untersuchung Das Hauptaugenmerk der vorliegenden Arbeit liegt auf der Frage, inwiefern der sog. Großraum, der durch Carl Schmitt als völkerrechtliches Konzept eingeführt worden ist,12 in Asien möglicherweise in identischer oder vergleichbarer Weise existiert hat und inwiefern etwaige asiatischen Konzepte auch Rückschlüsse auf Schmitts eigene Ideen geben können. Der erste Teil befasst sich schwerpunktmäßig mit der Analyse des europäischen Völkerrechts und des Schmitt’schen Großraumkonzeptes. Dabei dient der erste Teil als Vorbereitung für die im zweiten Teil vorgesehene Analyse des asiatischen Völkerrechts und des anschließenden Vergleichs mit dem europäischen Völkerrecht und der Großraumtheorie. Im Abschnitt A. des ersten Teils soll deshalb zunächst ein biographischer Überblick über Carl Schmitt gegeben werden, um die Großraumtheorie in den Kontext des Gesamtwerkes von Schmitt zu stellen. Anschließend sollen die Einflüsse auf Schmitts Großraumtheorie analysiert werden. Im Abschnitt B. des ersten Teils sollen dann die einzelnen Konzepte, die der Rechtfertigung der Großraumtheorie dienen, vorgestellt werden. Dazu soll der status quo des europäischen Völkerrechts, samt geschichtlicher Entwicklung des jeweiligen Konzepts, beschrieben werden, um dann den jeweiligen Gegenentwurf von Schmitt darzustellen. Da die Großraumtheorie gleichsam ein Gegenmodell zum geltenden Völkerrecht war und Schmitt die Einführung des Großraumes aufgrund einer „Universalisierung des europäischen Völkerrechts“13 und der darauffolgenden Auflösung des Völkerrechts als Ordnung propagierte, ist eine nähere Betrachtung der Entwicklung der Völkerrechtsgeschichte bzw. der Geschichte der internationalen Politik insbesondere des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts notwendig. Die Analyse der Großraumtheorie von Carl Schmitt ist ohne einen Blick in die europäische Völkerrechtsgeschichte nicht möglich. Carl Schmitt leitet nämlich die Legitimität seiner Theorie insbesondere aus dem Umstand ab, dass das Völkerrecht, so wie es damals bestand, seiner Ansicht nach die Realität der Staatenwelt nur sehr unzureichend abbildet. Schmitts Kritik entwickelt sich von einer zunächst situationsbezogenen Kritik des Versailler Vertrages und des Genfer Völkerbundes14 in eine Darstellung 12 Die Großraumtheorie wird insbesondere in den Werken Schmitt, Carl, „Raum und Großraum im Völkerrecht (1940)“, in: Schmitt, Carl, (herausgegeben von Maschke, Günter), Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916 – 1969, 1995, S. 234 – 269; Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6); sowie Schmitt, Carl, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 1950, dargelegt. 13 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 372 – 383. 14 Beispielhaft genannt seien: Schmitt, Carl, Die Kernfrage des Völkerbundes, in: Schmollers Jahrbuch zur Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche, 1925, 48. Jahrgang, 4. Heft, S. 1 – 26; Schmitt, Carl, „Die Rheinlande als Objekt internationaler Politik (1925)“, in: Schmitt, Carl, Positionen und Begriffe: im Kampf mit Weimar-GenfVersailles; 1923 – 1939, 1940, S. 26 – 33.
Einleitung
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eines Gegenkonzeptes zum geltenden Völkerrecht in der Form der „Großraumtheorie“. Schmitt bezieht sich dabei auf die europäische Völkerrechtsgeschichte15 und versucht anhand der geschichtlichen Entwicklung darzulegen, warum bestimmte Tendenzen, die in seiner Zeit neu aufkamen, aus seiner Sicht in die verkehrte Richtung gingen. Diese Gedankengänge Schmitts sollen nachvollzogen werden. Auch soll analysiert werden, ob die Monroe-Doktrin als Beispiel einer Großraumordnung taugt. Im zweiten Teil der Arbeit wird der Blick nach Ostasien gehen, um die japanozentrische Ordnung und die sinozentrische Ordnung ins Verhältnis zur Großraumtheorie zu stellen. Im Abschnitt A. des zweiten Teils wird dafür zunächst die japanozentrische Ordnung untersucht, die durch die Proklamation der sog. „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ ihren Höhepunkt gefunden hat. Der japanische Panasianismus, insbesondere der sog. japanische Meishuron-Panasianismus, stellt dabei ein Amalgam teils widersprüchlicher Aspekte des japanischen Denkens dar und versucht den Imperialismus des japanischen Reiches auf der einen Seite und die regionale Zusammenarbeit der asiatischen Staaten untereinander auf der anderen Seite zu verbinden. Im Abschnitt B. des zweiten Teils wird dann die sinozentrische völkerrechtliche Ordnung unter den chinesischen Dynastien untersucht. Das Hauptaugenmerk wird dabei darauf liegen, ob man in dem sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jahrhundert, das auf der Hierarchie der Staaten basiert, Parallelen zur Schmitt’schen Großraumtheorie erkennen kann. Dabei soll insbesondere auch auf die Beziehung zwischen den chinesischen und koreanischen Dynastien ein Fokus gelegt werden, da diese Beziehung ein Paradebeispiel für eine hierarchische Völkerrechtsbeziehung darstellt. Im Dritten Teil werden die Ergebnisse zusammengetragen und es wird überlegt, ob die japanozentrische Ordnung tatsächlich eine Großraumordnung im Sinne von Carl Schmitt war. In diesem Kontext soll auch bewertet werden, inwiefern es Beeinflussungen Carl Schmitts auf die Denker des japanischen Panasianismus und inwiefern es Ähnlichkeiten in der Struktur des Denkens von Carl Schmitt und den japanischen Denkern gab. Es soll zudem auch bewertet werden, ob mit der sinozentrischen Ordnung nicht auch eine Großraumordnung bereits historisch existiert hatte. Danach soll aufbauend auf den Ergebnissen des Vergleiches der japanozentrischen bzw. sinozentrischen Ordnung mit der Großraumtheorie ebenfalls bewertet werden, ob die Großraumtheorie als ein Analysemittel dienen kann, um die beiden asiatischen Ordnungen zu bewerten. Zuletzt soll anhand der beiden historischen Beispiele überlegt werden, inwiefern die Großraumtheorie an sich als Modell einer alternativen hierarchischen Völkerrechtsordnung dienen kann. 15
So z. B. die Heranziehung von der „Bulle Inter Caetera (1494)“ oder dem „Vertrag von Cateau Cambresis (1559)“ um seine Theorie der globalen Linien darzulegen. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 59 – 60. Besonderes Augenmerk von Schmitt erhält jedoch die MonroeDoktrin von 1823, die er als historisches Beispiel seines neuen Völkerrechtsmodells ansieht. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 22 – 33.
Erster Teil
Europäisches Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt Die Großraumtheorie wurde 1939 durch Carl Schmitt in seinem Werk „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“16 zum ersten Mal dargelegt. Mit der Großraumtheorie meint Schmitt ein alternatives Völkerrecht, in dem die Staaten nicht mehr souverän und gleich sind, sondern nunmehr einem Reich untergeordnet sind.17 Dieses Reich bestimmt die „konkrete Ordnung“ des gesamten Großraumes und somit auch für alle Staaten, die in diesem Großraum existieren.18 Soweit jedoch die Grenze des Großraumes überschritten ist, dürfen weder das Reich noch die übrigen dem Großraum angehörigen Staaten in die Angelegenheiten eines anderen Großraumes intervenieren.19 Das Reich ist somit der Nachfolger des „souveränen Staates“20 und das Prinzip der Staatengleichheit wird durch das Prinzip der Staatenhierarchie ersetzt. Die Großraumtheorie ist also ein Versuch, den aus seiner Sicht überfälligen Schritt der Überwindung des alten völkerrechtlichen Staatsbegriffs zu leisten.21 Als Rechtfertigung seines alternativen Völkerrechts betonte Schmitt die fehlende Wirksamkeit des bestehenden Völkerrechts. Schmitt ging davon aus, dass das alte europäische Völkerrecht, das „ius publicum europaeum“, keine wirksame Raumordnung mehr darstelle, da es durch die Universalisierung des Völkerrechtes an zwei Grundvoraussetzungen fehle. Die zwei Mängel seien: das Fehlen eines Mindestmaßes von „innerer, berechenbarer Organisation und innerer Disziplin“22 aller Mitgliedstaaten der Völkerrechtsgemeinschaft und das Fehlen eines Gleichgewichtes der Mächte.23 Im Folgenden soll Schmitts Großraumtheorie im Kontext seines Gesamtwerkes betrachtet werden, um die historischen Umstände, aber auch seine grundlegenden 16
Die 1. Auflage wurde 1939 veröffentlicht. Zitiert wird die 3. Auflage von 1941. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 67. 18 Jedoch ist das Reich nicht einfach ein vergrößerter Staat und das Reich ist nicht identisch mit dem Großraum. Jedes Reich hat jedoch einen Großraum, das über den übrigen Staaten steht. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 67. 19 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49. 20 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 82. 21 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 60. 22 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 56. 23 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 57. 17
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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Positionen darzulegen und diese mit seiner Großraumtheorie in Verbindung zu setzen. Daraus soll abgeleitet werden, warum Schmitt gegenüber dem damals geltenden Völkerrecht so skeptisch war und welche Aspekte zur Konstruktion der Großraumtheorie führten. Danach sollen die einzelnen Konzepte seiner Großraumtheorie näher betrachtet werden und im Kontext zu dem konventionellen Völkerrecht gestellt werden. Im Besonderen ist das die Frage der Raumordnung, der Souveränität, der Hegung des Krieges sowie der Wirksamkeit des Völkerrechts.
A. Die Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt Bevor die Großraumtheorie als solche analysiert wird, soll zunächst ihr Platz im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt betrachtet werden. Carl Schmitt, der auch Kronjurist des Dritten Reiches24 genannt wird, war ein interdisziplinär tätiger Rechtswissenschaftler und politischer Denker, der sich u. a. in der Geisteswissenschaft, der Sozialwissenschaft sowie der Theologie betätigte.25 Trotz Widersprüchlichkeiten26 sowie oftmals auftretender Polemik wird er von manchen als „Klassiker des politischen Denkens“27 und sein Werk als „Protokoll des Jahrhunderts und als Gegenstand historisch-politischer Auseinandersetzung“28 bezeichnet. Carl Schmitt war vor allem aber ein Denker in Gegensätzen.29
24 Diese Bezeichnung stammt von Waldemar Gurian, der sich von einem einstigen Bewunderer zu einem erbitterten Gegner Schmitts entwickelte. Vgl. Blindow, Felix, Carl Schmitts Reichsordnung. Strategie für einen europäischen Großraum, 1999, S. 30, Fn. 157; Rüthers, Bernd, Entartetes Recht: Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, 1988, S. 132; Mehring, Reinhard, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall, 2009, S. 378 – 380. 25 Quaritsch, Helmut, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, 1995, 3. Aufl., S. 9. 26 Hofmann, Hasso, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, 5. Auflage (1. Auflage, 1964), 2010, S. 3 – 4. 27 So z. B. Münkler, Herfried, Erkenntnis wächst an den Rändern, Die Welt vom 07. 04. 2005; auch Hofmann sieht einen nachhaltigen Einfluss von Schmitt auf die staatsrechtliche Diskussion. Vgl. Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 1. 28 Mehring, Reinhard, Carl Schmitt zur Einführung, 2011, S. 7; auch Blasius stellt fest, dass das Gespräch über Carl Schmitt heutzutage gar „öffentliches Entzücken“ errege. So: Blasius, Dirk, Carl Schmitt: Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich, 2001, S. 9. 29 So wurde Schmitt etwa als liberal aber auch anti-liberal, als Relativist aber auch Absolutist, als Beobachter aber auch Ideologe bezeichnet. Vgl. Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 1 – 2.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
I. Ein biographischer Überblick Carl Schmitts Wirken findet in drei historischen Perioden, nämlich der Weimarer Zeit, der nationalsozialistischen Zeit und der Nachkriegszeit, statt. Auch seine völkerrechtlichen Schriften verteilen sich auf diese Zeitabschnitte. Das völkerrechtliche Schaffen von Schmitt in der Weimarer Zeit ist durch seine Auseinandersetzung mit dem Völkerrecht der Versailler Verträge und dem Genfer Völkerbund geprägt. In diesen Schriften zeigt Schmitt seine Auffassung, dass in dem neuen Völkerrecht, aus deutscher Sicht, eine unerträgliche Bindung an den status quo und, aus einer völkerrechtshistorischen Perspektive, ein Untergang des „ius publicum europaeum“ zu erblicken seien. Die Veröffentlichungen dieser Zeit können als Vorbereitung für die Großraumtheorie gesehen werden.30 Seine Großraumtheorie ist ein Gegenkonzept zur bestehenden Völkerrechtsordnung und entstand in der nationalsozialistischen Zeit. Die Großraumtheorie wurde, wie erwähnt, insbesondere in dem Werk „Die Großraumtheorie mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ von 1939 erläutert.31 Die Großraumtheorie ist das Hauptstück der Schmitt’schen Völkerrechtslehre. Mit dem Sammelband „Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar-GenfVersailles“ aus dem Jahre 1940 beginnt dann bereits eine gewisse Zäsur. Er nahm die Position eines Betrachters und nicht die eines Kämpfers ein.32 Auch in der Nachkriegszeit hat Schmitt sich mit Völkerrecht, insbesondere der Völkerrechtsgeschichte befasst. Aus dieser Zeit stammt das Werk „Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum“, das 1945 wohl bereits fertiggestellt war, aber erst 1950 erschienen ist.33 Die Schriften in dieser Zeit sind weniger eine Beschwörung des Kommenden oder eine Vorbereitung einer theoretischen Grundlage für eine alternative internationale Ordnung, sondern nur noch eine Analyse der Vergangenheit und eine fast mystisch anmutende Prophezeiung der Zukunft. Die Großraumtheorie, die nicht mehr so prominent und direkt angesprochen wird, wird zwar weiterhin als erstrebenswert bzw. sogar unumgänglich angesehen, aber eine politische Forderung zum Übergang der jetzigen völkerrechtlichen Ordnung zur Großraumordnung wird nicht mehr formuliert.34
30 Schmoeckel, Mathias, Die Großraumtheorie. Ein Beitrag zur Geschichte der Völkerrechtswissenschaft im Dritten Reich, insbesondere der Kriegszeit, 1994, S. 20. 31 Die Arbeit wurde 1941 in der vierten Auflage mit einem zusätzlichen Kapitel über den Raumbegriff in der Rechtswissenschaft erweitert. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 9. 32 Quaritsch redet von einer nunmehr „kontemplativen, fast abgeklärt wirkenden Form“. Vgl. Quaritsch, Positionen (Fn. 25), S. 122. 33 Quaritsch, Positionen (Fn. 25), S. 121; Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 21 – 22. 34 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 147 – 151.
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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1. Carl Schmitt und Völkerrecht in der Weimarer Zeit Carl Schmitt wurde am 11. 07. 1888 in Plettenberg geboren.35 Er kam 1900 aufs Gymnasium, studierte zwischen 1907 und 1910 in Berlin und München und promovierte von 1910 bis 1915 in Straßburg bei Fritz van Calker mit der Arbeit „Über Schuld und Schuldarten. Eine terminologische Untersuchung.“ Von Februar 1915 bis Juli 1919 leistete er seinen Wehrdienst ab, wobei er, parallel zum Wehrdienst, von 1916 bis 1918 als Privatdozent Strafrecht in Straßburg lehrte. 1916 habilitierte sich Schmitt mit dem Werk „Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen“, das jedoch schon 1914 publiziert wurde. 1919 erschien das Werk „Politische Romantik“.36 In den folgenden Jahren war er als Autor juristischer wie auch politischer Schriften überaus produktiv,37 wobei seine zentrale Frage die Legitimität von öffentlicher Gewalt war, die er der Legalität gegenüberstellt, wobei Legalität von Schmitt als inhaltsleerer Funktionalismus verstanden wird.38 In den Aufsätzen „Die Diktatur“ von 1912 sowie „Politische Theologie“ von 1927 wurden die Probleme des Souveränitätsbegriffs aufgegriffen und die Entwicklung eines völkerrechtlichen Legitimitätsprinzips propagiert.39 Insbesondere der Aufsatz „Der Begriff des Politischen“ von 1927 stellte eine Grundlegung seiner staatstheoretischen Position dar.40 Sie ist gleichsam auch seine wirkmächtigste Schrift, da sie radikal feststellte, dass es letztlich ein Entrinnen der „Freund und Feind“-Unterscheidung im Politischen nicht geben kann.41 „Der Begriff des Politischen“ stellt klar, dass das Politische sich durch die Unterscheidung zwischen „Freund und Feind“ kennzeichne und der Staat dies in 35 Soweit nicht anderweitig erwähnt, wurden die biographischen Daten entnommen von: Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24). 36 Quaritsch bezeichnet dieses Werk als „Historiographie, Philosophiegeschichte und Literatursoziologie, jedenfalls kein Produkt rechtswissenschaftlicher Bemühungen.“ Vgl. Quaritsch, Positionen (Fn. 25), S. 9. Shiyake berichtet, dass dieses Werk in Japan als sein bestes angesehen wird. Vgl. Shiyake, Masanori, Zur Lage der Carl Schmitt-Forschung in Japan, in: Quaritsch, Helmut (Hrsg.), Complexio Oppositorum: Über Carl Schmitt, 1988, S. 492. 37 Eine kleine Übersicht der wichtigsten Werke von Schmitt: Die Diktatur (1921), Politische Theologie (1922), Römischer Katholizismus und politische Form (1923), Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), Die Rheinlande als Objekt internationaler Politik (1925), Die Kernfrage des Völkerbundes (1925), Der Begriff des Politischen (1927), Verfassungslehre (1928), Der Hüter der Verfassung (1931), Legalität und Legitimität (1932). Vgl. Mehring, Einführung (Fn. 28), S. 188 – 189. Eine Sammlung der von ihm hervorgehobenen Aufsätze ist Schmitt, Positionen (Fn. 14). Diese Sammlung markiert gleichwohl auch eine Zäsur zu seinem bis dahin sehr aggressiven Stil. Vgl. Quaritsch, Positionen (Fn. 25), S. 122. 38 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 11. 39 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 13. 40 Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 206 – 214; Fassbender, Bardo, Carl Schmitt (1888 – 1985), in: Fassbender, Bardo/Peters, Anne (Hrsg.), The Oxford Handbook of the History of International Law, 2012, S. 1174. 41 Meier, Heinrich, Carl Schmitt, Leo Strauss und „Der Begriff des Politischen“: Zu einem Dialog unter Abwesenden, 1988, S. 11 – 12.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
letzter Konsequenz, also auch mit Mitteln des Krieges, durchsetzen müsse, um souverän zu sein.42 Seine Laufbahn als Hochschullehrer begann bereits 1919, als er an die Handelshochschule in München berufen wurde.43 Es folgten Rufe nach Greifswald und Bonn im Jahre 1921.44 1928 wurde er zur Handelshochschule in Berlin als Nachfolger für den Lehrstuhl von Hugo Preuss berufen.45 Seine Grundposition in dieser Zeit lässt sich als Ablehnung der parlamentarischen Demokratie von Weimar zugunsten eines autoritären und totalen Staates46 charakterisieren.47 Schmitt kann deshalb als Vertreter der sog. „Konservativen Revolution“ bezeichnet werden.48 Politisch gehörte er zu den Anhängern der Reichskanzler Franz von Papen und Kurt von Schleicher, die versuchten, ein autoritäres Präsidialsystem49 zu etablieren,50 und er stand einer zu starken Änderung der Verfassung skeptisch gegenüber.51
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Schmitt, Carl, Der Begriff des Politischen, 3. Auflage, 1963, S. 45; Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 206 – 214. Trotz dieser bellizistisch anmutenden Formulierungen scheute Schmitt den Krieg und konzentrierte sich auf die Möglichkeit der Hegung des Krieges. Vgl. Mehring, Reinhard, Carl Schmitt: Denker im Widerstreit. Werk-Wirkung-Aktualität, 2017, S. 98 – 99. 43 Blasius, Carl Schmitt (Fn. 28), S. 15. 44 Vgl. Noack, Paul, Carl Schmitt: Eine Biographie, 1993, S. 52 – 66. 45 Bendersky, Joseph, The Politics of an Intellectual. The Political Activity and Ideas of Carl Schmitt, 1910 – 1945, 1975, S. 160. 46 Im Jahre 1931 veröffentlichte Schmitt den Aufsatz „Wendung zum totalen Staat“, in dem er die totale Mobilmachung verteidigt. Vgl. Schmitt, Carl, „Wendung zum totalen Staat (1931)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 146 – 157. 47 Rüthers, Entartetes Recht (Fn. 24), S. 103; Blasius, Carl Schmitt (Fn. 28), S. 17 – 22. 48 Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt, Rüdiger (Hrsg.), Großraum-Denken. Carl Schmitts Kategorie der Großraumordnung, 2008, S. 193. 49 Es lässt sich eine Entwicklungslinie seiner Argumentation beobachten, die zunächst von einer Orientierung am Ausnahmezustand und von einem anthropologischen Pessimismus ausgeht, um zuletzt die Ordnung und die nationale Gemeinschaft zu betonen und dabei den Rechtsstaat zu negieren und den autoritären Nationalstaat zu bejahen. Vgl. Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 9. 50 Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 288 – 302; Dreier, Staatsrechtslehre (Fn. 8), S. 9 – 72 (14, Fn. 23); Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 162 – 163. 51 In dem 1932 erschienenen Werk „Legalität und Legitimität“ analysiert Schmitt die Weimarer Reichsverfassung und stellt fest, dass drei „außerordentliche“ Gesetzgeber existieren. Schmitt warnt davor, dass jede „Konkurrenz von Gesetzgebern verschiedener Art und einander relativierenden Gesetzesbegriffen den Gesetzgebungsstaat selbst zerstöre“. Vgl. Schmitt, Carl, Legalität und Legitimität, 5. Auflage, 1993, (Erste Auflage: 1932), S. 21. Weiterhin kritisiert Schmitt die Weimarer Reichsverfassung dahingehend, dass diese nicht in der Lage gewesen sei, zwischen den verschiedenen Interessengegensätzen zu entscheiden und durch das „Nebeneinander“ verschiedener Richtungen jedem Lager die Möglichkeit gegeben habe, den „Feind“ legal zu zerstören. Vgl. Schmitt, Legalität und Legitimität (Fn. 51), S. 91.
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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Überhaupt war diese Zeit der Weimarer Republik eine prägende Zeit für Schmitt,52 gerade als Völkerrechtler.53 Die Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg und die Unterzeichnung des Friedensvertrages von Versailles wurden gemeinhin54 und auch von Schmitt als Anfang eines tief greifenden Wandels des Völkerrechts gesehen.55 Für Deutschland bedeutete es in erster Linie einen umfangreichen territorialen Verlust, hohe Reparationsforderungen sowie unmittelbare Besetzungen des deutschen Territoriums, wie etwa des Saarlandes. Die deutsche Öffentlichkeit verstand dies als unerträgliches Diktat.56 Zudem war das Völkerrecht der Zwischenkriegszeit von Widersprüchen gekennzeichnet. So wurde einerseits der Genfer Völkerbund gegründet,57 der auf der Grundidee basierte, den Weltfrieden auf der Grundlage der Staatengleichheit zu sichern und internationale Zusammenarbeit zu fördern;58 auf der anderen Seite jedoch wurde eine „Rangordnung“ der verschiedenen Großmächte verfestigt. Speziell zeigte sich dies z. B. auf der Washingtoner Flottenkonferenz von 1922.59 Schmitt kritisiert den Genfer Völkerbund aufs Heftigste.60 Insbesondere hielt er ihm entgegen, dass er einen Zustand der „Niederlage perpetuiere“.61 Das Ergebnis der Versailler Verträge empfand er als zutiefst unbefriedigend, wie es auch sonst viele in dieser Zeit empfunden haben. In Aufsätzen wie u. a. „Die Rheinlande als Objekt 52
Huber, Ernst Rudolf, Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit, in: Quaritsch, Positionen (Fn. 25), S. 33. 53 Schmitt kann als Vertreter der Konservativen Revolution angesehen werden. Die Vertreter dieser Strömung versuchten aus der Niederlage des Ersten Weltkriegs Lehren zu ziehen. Vgl. Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 185 – 206. 54 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 679. 55 Schmitt, Kernfrage (Fn. 13), S. 1 – 26 (1 – 2). 56 Mehring, Einführung (Fn. 28), S. 32 – 33. 57 Zurecht wird von Paech/Stuby aufgezeigt, dass der Völkerbund eine „Verquickung von einer Zukunftsperspektive für eine friedliche Welt auf gleichberechtigter Basis zwischen allen Staaten der Welt“ und einen „traditionellen Diktatmechanismus des Siegers gegenüber den Besiegten“ aufweise und somit von Anfang an zum Scheitern bestimmt war. So: Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 129. 58 Verdross, Alfred/Simma, Bruno, Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis, 3. Auflage, 1984, S. 66. Es ist zu erwähnen, dass der Völkerbund von dem US Präsidenten Wilson befürwortet wurde. Die Vereinigten Staaten von Amerika traten jedoch, obgleich ursprünglich größter Befürworter des Völkerbundes, diesem niemals bei. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 128. 59 Hier wurde das Flottenverhältnis USA : Großbritannien : Japan : Frankreich : Italien = 5 : 5 : 3 : 1,5 : 1,5 etabliert. Damit entstand eine Flottenparität der zwei angloamerikanischen Mächte, und Japan wurde der zweite, Frankreich sowie Italien der dritte Rang zugesprochen. Deutschland war als Weltmacht ausgeschieden und wurde nicht einmal erwähnt. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), 680. 60 Fassbender, Bardo, Carl Schmitt (1888 – 1985), in: Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 1175. 61 Schmitt, Carl, „Das Doppelgesicht des Genfer Völkerbundes (1926)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 43 – 44.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
internationaler Politik (1925)“62 oder „Die Kernfrage des Völkerbundes (1925)“63 legte er seine Kritik dar und forderte das Selbstbestimmungsrecht der deutschen Nation. Der Genfer Völkerbund sowie die allgemeine Tendenz zur Kriegsächtung, so Schmitt, nehme jetzt den Staaten die Möglichkeit, durch eigene Kraft diese Ergebnisse zu korrigieren.64 2. Schmitt im Dritten Reich: Aufstieg zum Kronjuristen des Dritten Reichs Spätestens seit dem 24. 03. 193365 trat Schmitt als ein Verfechter des Nationalsozialismus66 auf.67 Schon kurze Zeit nach dem Ermächtigungsgesetz veröffentlichte Schmitt Beiträge, die dieses Gesetz rechtfertigen sollten.68 Er wirkte schon April 1933 bei der Ausarbeitung des Reichsstatthaltergesetzes mit und suchte die Nähe von NS-Größen wie etwa Hermann Göring.69 Am 01. 05. 1933 trat er der NSDAP bei.70 62 Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 26 – 33. Schmitt sah in Versailles eine Fremdherrschaft und im Genfer Völkerbund die Gefahr einer geistigen Unterwerfung. Es war für ihn eine rechtliche Legitimierung des status quo. Deshalb wehrte er sich gegen die Gleichsetzung von Legalität und Legitimität im Hinblick auf Versailles. Vgl. Mehring, Denker im Widerstreit (Fn. 42), S. 100. 63 Schmitt, Kernfrage (Fn. 13). 64 Schmitt, Kernfrage (Fn. 13), S. 1 – 26 (11 – 13); Mehring, Denker im Widerstreit (Fn. 42), S. 100 – 101. 65 Am 24. 03. 1933 wurde das Ermächtigungsgesetz nach Art. 76 WRVerlassen. Dies zeigte Schmitt wiederum die Hilflosigkeit der Parteien. Noch am Nachmittag des 30. 01. 1933 soll Schmitt zugestimmt haben, dass dem nationalsozialistischen Abenteuer ein schnelles Ende gesetzt werden sollte. Nur drei Monate später hatte er seine Ansicht völlig geändert. Vgl. Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 167; Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 266 – 267. 66 In seinem Aufsatz „Staat, Bewegung, Volk“ von 1933 rechtfertigte Schmitt die Machtergreifung Hitlers und sah diese als legal an. Er sprach davon, dass das Recht des nationalsozialistischen Staates nicht auf einer ihm wesensfremden und wesensfeindlichen, sondern auf seiner eigenen Grundlage ruhe. So: Dreier, Staatsrechtslehre (Fn. 8), S. 9 – 72 (22, Fn. 59, 60). 67 Vor 1933 war Schmitt noch kein Verfechter des Nationalsozialismus. Vgl. Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 301. Rüthers weist jedoch darauf hin, dass die antidemokratische und antiliberale Grundhaltung in seinem Schrifttum zum Abbau des Weimarer Staates beigetragen haben kann. Vgl. Rüthers, Entartetes Recht (Fn. 24), S. 104. Noack wiederum weist darauf hin, dass aufgrund Schmitts sarkastischen Charakters seine Äußerungen zwar opportunistisch genannt werden, nicht jedoch unbedingt einen Rückschluss auf seine Motive zulassen könnten. Vgl. Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 187 – 188. 68 Rüthers, Entartetes Recht (Fn. 24), S. 106; Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 305. 69 Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 308; Mehring, Einführung (Fn. 28), S. 60; Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 271 – 273. 70 Koenen, Andreas, Der Fall Carl Schmitt: Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches“, 1995, S. 662. Ein Aspekt dürfte gewesen sein, dass durch die „Reinigung“ der Universitäten über 1500 Universitätsprofessoren, die z. B. jüdisch, liberal, sozialistisch oder nicht-kooperativ waren, entlassen wurden. Davon profitierten indirekt auch Schmitt sowie seine Schüler, wie etwa Ernst Forsthoff oder Ernst Rudolf Huber. So: Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 273 – 275.
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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Schmitt wurde zum Wintersemester 1933/1934 auf einen neu geschaffenen Lehrstuhl an der Berliner Kaiser-Wilhelm-Universität berufen. Darüber hinaus wurde er von Hermann Göring am 11. 07. 1933 zum Preußischen Staatsrat71 ernannt.72 Im November 1933 wurde er Leiter der Fachgruppe Hochschullehrer im NS-Rechtswahrerbund.73 Am 30. 06. 1934 wurde im Zuge der „Abwehr“ des sog. Röhm-Putsches unter anderem der ehemalige Reichskanzler Kurt von Schleicher ermordet. Schmitt rechtfertigte die gesamte Mordaktion in dem Aufsatz „Der Führer schützt das Recht“.74 Sein ursprünglicher Dezisionismus wurde einem neuen „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsgedanken“ geopfert, der einer Rechtfertigung der neuen Machthaber dienen sollte.75 Auch ansonsten erfolgte eine Anpassung Schmitts an die nationalsozialistische Ideologie der NSDAP.76 Schmitt war also nicht nur ein Universitätslehrer, sondern auch ein Funktionär der NSDAP geworden.77 Die Außenpolitik des Dritten Reiches in dieser Zeit war davon geprägt, jegliche Ambitionen zu verdecken78 und durch Friedensbekundungen, wie z. B. Hitlers sog. „Friedensrede“ vom 17. 05. 1933 im Reichstag, einen Friedenswillen vorzutäuschen.79 Die nationalsozialistische Völkerrechtslehre und Außenpolitik war folglich keine schlagartige Abkehr von der Völkerrechtslehre der Weimarer Republik. Re71 Der preußische Staatsrat war ein beratendes Organ der Staatsregierung, das an den Staatsrat in der Weimarer Republik – dort ein Vertretungsorgan der preußischen Provinzen – anknüpfen sollte. Es wurde aufgrund des preußischen Ermächtigungsgesetzes durch ein Gremium ersetzt, das aus dem Gauleiter der NSDAP, einen geeigneten Vertreter der Wirtschaft und einen prominenten volksverbundenen Vertreter des öffentlichen Lebens zusammengestellt sein sollte. So: Blasius, Carl Schmitt (Fn. 28), S. 86. 72 Der preußische Staatsrat spielte im Machtgefüge der NSDAP vermutlich keine größere Rolle. Hitler hat dieses Gremium nie besucht. Vgl. Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 188 – 189. Später diente dies als eine Art „Asyl innerhalb der NSDAP“ für Schützlinge von Hermann Göring. Dadurch konnte die körperliche Unversehrtheit von Carl Schmitt gesichert werden. Vgl. Koenen, Fall Carl Schmitt (Fn. 70), S. 753 – 754; Fassbender, Bardo, Carl Schmitt (1888 – 1985), in: Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 1175; Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 281 – 283. Schmitt soll auch gesagt haben „Ich bin dankbar, dass ich Preußischer Staatsrat und nicht Nobelpreisträger geworden bin.“ So: Blasius, Carl Schmitt (Fn. 28), S. 14. 73 Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 197. 74 Schmitt argumentiert in diesem Aufsatz, dass das „Richtertum“ aus dem „Führertum“ entspringe und somit die Tat des Führers keinesfalls die „Aktion eines republikanischen Diktators sei, der in einem rechtsleeren Raum, während das Gesetz für einen Augenblick die Augen schließt, vollendete Tatsachen schafft“. Vielmehr handele es sich hierbei um echte Gerichtsbarkeit und höchste Justiz. Vgl. Schmitt, Carl, „Der Führer schützt das Recht“ (1934), in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 199 – 203; Rüthers, Entartetes Recht (Fn. 24), S. 121; Blasius, Carl Schmitt (Fn. 28), S. 119 – 141. Noack bezeichnet es als eine Jurisprudenz, die bereit war, alles zu verbrennen, was sie bis dahin vertreten hatte. Vgl. Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 196. 75 Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 193 – 194. 76 Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 194. 77 Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 197. 78 Brechtken, Magnus, Die nationalsozialistische Herrschaft, 1933 – 1939, 2004, S. 119. 79 Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 122 – 123.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
visionistische Argumentationsmuster waren schon vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten herrschend.80 Im Vergleich zur vorherigen Revisionspolitik der Weimarer Zeit,81 die auf ein europäisches Zusammenwirken Wert legte und den völkerrechtlichen Rahmen nicht verließ, war die frühe nationalsozialistische Außenpolitik von 1933 bis 1935 rigoroser, aber kein deutlicher Bruch.82 Nationalsozialisten wie Alfred Rosenberg (1893 – 1946) spielten die Rolle, die radikalen Positionen des Nationalsozialismus zu verhüllen.83 Die Attacken gegen den Versailler Vertrag sollten von den rassenideologischen Intentionen des Regimes ablenken.84 Innerhalb des Dritten Reiches jedoch lief bereits die Vorbereitung zum Krieg. Es wurde lediglich eine außenpolitische Fassade hochgehalten.85 Am 03. 02. 1933 verkündete Adolf Hitler (1889 – 1945) beispielsweise vor ranghohen Offizieren der Reichswehr das Ziel der Außenpolitik des Dritten Reiches: Die Eroberung und Germanisierung des „neuen Lebensraum(es) im Osten“.86 Ein erstes Anzeichen war sicherlich der Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund sowie aus der Abrüstungskonferenz am 14. 10. 1933.87 Die ersten Reaktionen der anderen Staaten waren jedoch noch nicht ablehnend.88 Es wurde sogar 80
Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 179. Vorstufen zur frühen nationalsozialistischen Außenpolitik war die Außenpolitik von Stresemann und danach von den Regierungen Brüning, von Papen und von Schleicher. Reichsaußenminister von Neurath blieb zudem auch nach dem 30. 01. 1933 an der Spitze des Auswärtigen Amtes, sodass ein Eindruck einer Kontinuität bestehen konnte. Vgl. Hildebrand, Klaus, Das Dritte Reich, 6. Auflage, 2003, S. 18; Bracher, Karl Dietrich, Anfangsstadium der Hitlerschen Außenpolitik, in: Michalka, Wolfgang (Hrsg.), Nationalsozialistische Außenpolitik, 1978, S. 201 – 204; Michalka, Wolfgang, Ribbentrop und die deutsche Weltpolitik. 1933 – 1940. Außenpolitische Konzeptionen und Entscheidungsprozesse im Dritten Reich, 1980, S. 176. 82 Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 18; Bracher, Karl Dietrich, Anfangsstadium der Hitlerschen Außenpolitik, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 201 – 204; Michalka, Ribbentrop (Fn. 82), S. 176. 83 Rosenberg spielte gerade zur Zeit der Weimarer Republik eine wichtige Rolle als ideologischer Mentor von Hitler. So: Michalka, Ribbentrop (Fn. 82), S. 175 – 176. 84 Vgl. beispielsweise Rosenberg, Alfred, Rede im Deutschen Reichstag am 05. 12. 1930: „Gegen die Außenpolitik des Systems“, in: Rosenberg, Alfred, Blut und Ehre. Ein Kampf für deutsche Wiedergeburt. Reden und Aufsätze von 1919 – 1933, 1938, S. 274 – 281. Später werden die antisemitischen Äußerungen deutlich stärker in den Vordergrund gebracht. Vgl. etwa: Rosenberg, Alfred, Rede am 28. 06. 1933 „Das neue Deutschland und der Vertrag von Versailles“, in: Rosenberg, Blut und Ehre (Fn. 84), S. 314 – 329; Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 183. 85 Bracher, Karl Dietrich, Anfangsstadium der Hitlerschen Außenpolitik, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 210. 86 Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 18. 87 Der Anstoß für den Austritt Deutschlands war der Mukden Zwischenfall im Jahre 1931 und der darauffolgende Austritt Japans aus dem Völkerbund im Jahre 1933, der eine Dynamik in die internationale Politik brachte, die durch den Völkerbund nicht mehr zu kontrollieren war. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), 682. 88 Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 125. 81
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ein Nichtangriffspakt mit Polen am 26. 01. 1934 geschlossen, was eine Durchbrechung der Einkreisung, die durch Frankreichs Bündnissystem erwirkt wurde, bedeutete. Letztlich handelte es sich jedoch vor allem um einen vorbereitenden Akt, um eine weitere Expansion durchzuführen.89 3. Die „Völkerrechtliche Großraumordnung“ und das „konkrete Ordnungsdenken“ Trotz der rasanten außenpolitischen Entwicklungen konzentrierte sich Schmitt erst nach 1936 wieder auf die völkerrechtlichen Themen. Schmitts Karriere innerhalb der NSDAP erlebte nämlich um das Jahr 1936 ein jähes Ende. Zweifel von NSFunktionären gegenüber der Weltanschauung Schmitts kamen schon vor 1936 auf.90 Gleichzeitig warfen NS-Juristen, die mit Schmitt in Konkurrenz standen, wie etwa Otto Koellreutter,91 Reinhard Höhn92 und Karl August Eckhardt93, ihm Opportunismus vor.94
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Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 130 – 131. So hat etwa Rosenberg Bedenken geäußert, als Schmitt zum Vertreter von Hans Frank benannt wurde. Vgl. Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 198; Fassbender, Bardo, Carl Schmitt (1888 – 1985), in: Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 1175; Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 296. 91 Koellreutter war einer der ersten Kritiker Schmitts unter den NS-Juristen. Koellreutters Kritik ging insb. auf den totalen Staat von Schmitt ein. Für Koellreutter war dies ein Ausdruck liberal-individualistischer Geisteshaltung. Für die NSDAP sei nicht der Staat die beherrschende Autorität, sondern die „artgleiche Volksgemeinschaft“. Vgl. Rüthers, Entartetes Recht (Fn. 24), S. 126; Blindow, Reichsordnung (Fn. 24), S. 42; Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 339; Koenen, Fall Carl Schmitt (Fn. 70), S. 527 – 540. 92 Höhn trat am 01. 05. 1933 in die NSDAP ein und verstand Schmitt einst als seinen geistigen Vater. Er wurde Mitarbeiter des SS-Sicherheitsdienstes und wurde im Januar 1943 Sturmführer. Schmitt förderte die Berufung Höhns als Leiter des Instituts für Staatsforschung im Herbst 1935. Bereits 1936 hatte Höhn jedoch als Rechtsreferent des Sicherheitsdienstes einen über 300–seitigen nachrichtendienstlichen Bericht über Schmitt verfasst, der den „Fall“ Schmitts vorbereiten sollte. Vgl. Koenen, Fall Carl Schmitt (Fn. 70), S. 661 – 668. 93 Eckardt war Mitglied der NSDAP, der SA und seit Oktober 1933 auch der SS. Er besaß guten Kontakt zu Heinrich Himmler. Folglich konnte er ab 01. 01. 1935 Untersturmführer des Sicherheitsdienstes werden und wurde zum persönlichen Stab Himmlers abkommandiert. 1936 warf Eckardt Schmitt vor, dem Nationalsozialismus nicht aus Überzeugung zu folgen, sondern aus reinen Opportunitätserwägungen. Vgl. Koenen, Fall Carl Schmitt (Fn. 70), S. 652 – 661. 94 Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 199 – 200. Auch sein ehemaliger Schüler Waldemar Gurian erhob den gleichen Vorwurf. Vgl. Blindow, Reichsordnung (Fn. 24), S. 30, Fn. 157; Rüthers, Entartetes Recht (Fn. 24), S. 132; Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 378 – 380. 90
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a) Schmitts „Fall“ innerhalb der NSDAP Der „Fall“ von Carl Schmitt erfolgte dann durch die offene Attacke in der SSZeitung „Das Schwarze Korps“ Nr. 49 und 50 von 1936.95 Dies kann nicht nur als ein Angriff auf Carl Schmitt, sondern auch auf Hermann Göring und Hans Frank96 verstanden werden.97 Schmitt überstand diesen Angriff politisch letztlich durch einen Brief Görings.98 Trotzdem teilte Frank am 11. 12. 1936 Himmler mit, dass er den Staatsrat Schmitt zum 01. 01. 1937 aller Ämter entheben werde.99 b) Außenpolitik des Dritten Reiches Mit dieser persönlichen Situation Schmitts ging eine Umorientierung seiner Interessen hin zum Völkerrecht einher. Die außenpolitische Orientierung des Dritten Reiches bot sich geradezu an, eine neue völkerrechtliche Ordnung zu konstruieren, da das Dritte Reich sich politisch langsam von der alten Völkerrechtsordnung verabschiedete. Bereits in der Phase ab 1935 wurde eine „Neuordnung Europas“ propagiert und militärisch umgesetzt.100 Deutlich zeigte sich dies bei der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht am 11. 03. 1935 sowie den Beschlüssen zur Erweiterung der Wehrmacht. Diese Beschlüsse waren ein klarer Bruch gegenüber dem Versailler Vertrag und den Vereinbarungen von Locarno.101 Allerdings wurde das Dritte Reich zunächst, auch aufgrund der Appeasement-Politik Englands, außenpolitisch nicht ernsthaft bedroht.102 Vielmehr wurde am 18. 06. 1935 ein Flot95 Die zwei Artikel „Eine peinliche Ehrenrettung“ und „Es wird immer noch peinlicher!“ beinhalten insbesondere den Vorwurf an Schmitt, kein bekennender nationalsozialistisch darwinistischer Rassist zu sein. Sein Rassenverständnis sei vielmehr rückgebunden an sein „Konkretes Ordnungsdenken“. Vgl. Koenen, Fall Carl Schmitt (Fn. 70), S. 726 – 732; Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 305. 96 Neben Göring war Frank einer der prominenten Förderer Schmitts im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Rechtswahrerbund, der von Hans Frank gegründet wurde, stand in gewisser Rivalität zu dem Reichsjustizministerium. Im Rahmen der Ausarbeitung eines alternativen Vorschlages zu einer nationalsozialistischen Strafprozessordnung, an der Schmitt für den Reichsrechtsführer mitarbeitete, kam es zu einem politischen Streit, der auch ein Auslöser für die Attacken der SS gegen Schmitt gewesen sein kann. So: Blasius, Carl Schmitt (Fn. 28), S. 170 – 172. 97 Koenen, Fall Carl Schmitt (Fn. 70), S. 737. 98 Goering schrieb am 21. 12. 1936 an die Hauptschriftleitung des Schwarzen Korps, dass er, ohne zu den gegen Schmitt erhobenen sachlichen Vorwürfen Stellung nehmen zu wollen, mit Nachdruck darauf hinweise, dass es nicht angehe, dass Persönlichkeiten, von denen bekannt sei, dass sie durch sein Vertrauen in ein hohes öffentliches Amt berufen worden seien, durch den Schwarzen Korps in dieser Weise herabgewürdigt würden. Vgl. Koenen, Fall Carl Schmitt (Fn. 70), S. 752; Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 201; Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 310; Blasius, Carl Schmitt (Fn. 28), S. 178 – 179. 99 Koenen, Fall Carl Schmitt (Fn. 70), S. 742. 100 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 188. 101 Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 132. 102 Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 134.
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tenabkommen zwischen Deutschland und England abgeschlossen, was dokumentierte, dass die bislang geltenden Rüstungsauflagen nicht mehr fortgalten.103 Auch die Rheinlandbesetzung am 07. 03. 1936, was ebenfalls einen Bruch des Versailler Vertrages und des Locarno-Paktes darstellte, blieb konflikt- und folgenlos für das Dritte Reich.104 Zudem bildete sich allmählich die „Achse“ zwischen Japan und Deutschland, als 25. 11. 1936 der Antikominternpakt geschlossen wurde und am 24. 10. 1937 Italien diesem beitrat.105 Einen Einblick in die wahre Denkweise der Führungsriege des Dritten Reiches gibt uns die Hoßbach-Niederschrift vom 05. 11. 1937.106 In dieser Niederschrift sind die Pläne von Hitler für die nächsten Jahre dokumentiert. Demnach sei es notwendig, „Gewinnung eines größeren Lebensraumes“ zu erreichen, um ein dem „deutschen Rassekern entsprechendes politisches Ergebnis auf dem Gebiet des Raumes“ zu haben.107 Völkerrechtlich tat sich in den Jahren 1937108 bis 1939 sehr viel. Das Dritte Reich hatte bereits 1937 einen Operationsplan für einen Überraschungsangriff gegen die Tschechoslowakei, namens „Fall Grün“,109 vorbereitet.110 Am 12. 03. 1938 mar-
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Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 135. Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 136. 105 Diese Dreierallianz bildet eine deutliche Wendemarke in der Außenpolitik Deutschlands und wurde maßgeblich durch Außenminister Ribbentrop beeinflusst. So: Michalka, Wolfgang, Vom Antikominternpakt zum euro-asiatischen Kontinentalblock, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 471 – 472; Tajima, Nobuo, The Berlin-Tokyo Axis reconsidered, in: Spang, Christian/Wippich, Rolf-Harald (Hrsg.), Japanese-German Relations, 1895 – 1945, 2006, S. 163 – 165. 106 Es handelt sich hierbei um eine Niederschrift einer internen Diskussion von führenden Militärvertretern des Dritten Reiches durch Oberst Friedrich Hoßbach. In der Niederschrift wird klar, dass es Hitlers Motivation war, den „fest geschlossenen (deutschen) Rassekern“ von „über 85 Millionen Menschen“ zu sichern und zu erhalten. Dies könne nach Hitler nur durch die Gewinnung eines größeren Lebensraumes in Europa erzielt werden. Vgl. Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 137 – 139; Michalka, Wolfgang (Hrsg.), Das Dritte Reich. Dokumente zur Innenund Außenpolitik. Band 1 „Volksgemeinschaft“ und Großmachtpolitik 1933 – 1939, 1985, S. 243 – 236. 107 Zitiert nach Hoßbach-Niederschrift vom 05. 11. 1937 abgedruckt, in: Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 139; Michalka (Hrsg.), Drittes Reich I (Fn. 106), S. 243 – 236. 108 Gerade das Jahr 1937 kann als Wendepunkt bezeichnet werden, in dem das internationale System endgültig in einen Zustand der Anarchie geraten war. So: Niedhart, Gottfried, Deutsche Außenpolitik und internationales System, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 372 – 376. 109 Der Plan sah vor, dass ein Überfall aus heiterem Himmel nicht gewünscht war. Vielmehr sei eine diplomatische Auseinandersetzung mit allmählicher Zuspitzung und darauffolgendes blitzartiges Handeln zu bevorzugen. Vgl. „Fall Grün“: Angriff auf die Tschechoslowakei, 24. 04. 1938, in: Michalka (Hrsg.), Drittes Reich I (Fn. 106), S. 250 – 252. 110 Shirer, William, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, 1960 (englisch: The Rise and Fall of the Third Reich; zitiert wird die deutsche Ausgabe übersetzt von Pferdekamp, Wilhelm und Pferdekamp, Modeste, 2000), S. 337. 104
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schierte die deutsche Wehrmacht in Österreich ein und annektierte es.111 Nach diesem Erfolg wurde die Vernichtung der Tschechoslowakei wieder aktuell.112 Es folgte die Mai-Krise,113 die vermutlich durch ein Durchsickern des „Fall(es) Grün“ begann, jedenfalls mobilisierte die Tschechoslowakei die Reserve und bereitete sich auf einen Krieg mit dem Dritten Reich vor.114 Hitler gab am 28. 05. 1938 den Befehl, das militärische Einschreiten in die Tschechoslowakei vorzubereiten.115 Vom 28. bis zum 30. 09. 1938 fand eine Konferenz zwischen Frankreich, Italien, Deutschland und England in München statt, aus der das Münchener Abkommen, eine Zustimmung der Signatarstaaten zum Anschluss des Sudetenlandes an Deutschland,116 resultierte.117 Am 14. 03. 1939 entstand die selbstständige Slowakei, sodass von der Tschechoslowakei nur noch Böhmen und Mähren, die sog. Rest-Tschechei, übrig blieb.118 Schon am 15. 03. 1939 zerschlug Hitler dann die „Rest-Tschechei“ und errichtete das 111 Am 12. 03. 1938 marschierte die deutsche Wehrmacht in Österreich ein, nachdem Ribbentrop Göring telefonisch versichert hatte, dass England nicht intervenieren werde. Zunächst sollte Österreich im Zuge einer Union mit Deutschland verbunden werden, wurde jedoch spontan völlig „angeschlossen“. Der Anschluss wurde von Großbritannien innerhalb von vierzehn Tagen anerkannt. Vgl. Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 38; Shirer, Drittes Reich (Fn. 110), S. 309. Der „Anschluss“ fand in Österreich eine breite Unterstützung und der Akt wurde nachträglich von der Mehrheit gebilligt. Die Verwaltung erfolgte nach dem Muster einer preußischen Provinz. Vgl. Röhr, Werner, System oder organisiertes Chaos? Fragen einer Typologie der deutschen Okkupationsregime im Zweiten Weltkrieg, in: Bohn, Robert (Hrsg.), Die deutsche Herrschaft in den „germanischen“ Ländern 1940 – 1945, 1997, S. 32 – 33. 112 Die Tschechoslowakei war ehemals ein Teil des Habsburger Reiches. Es war ein Staat, der aufgrund der Versailler Friedensverträge gegründet werden konnte. In der Tschechoslowakei lebten etwa 3,25 Millionen Sudetendeutsche, die ehemals zu Österreich gehört hatten. Vgl. Shirer, Drittes Reich (Fn. 110), S. 340 – 341. 113 Diese Krise wird auch Sudetenkrise genannt. Sie begann am 20. 05. 1938, als die Tschechoslowakei ihre Armee, unter der Annahme, dass ein deutscher Angriff unmittelbar bevorstehe, gegen Deutschland mobilisierte. Vgl. Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 38 – 40. 114 Shirer, Drittes Reich (Fn. 110), S. 342 – 347; Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 38 – 40. 115 Shirer, Drittes Reich (Fn. 110), S. 346. 116 Diese Gebietseroberung ohne militärische Aktion wäre ohne die „Appeasement Politik“ Englands, die Premierminister Chamberlain vertrat, nicht möglich gewesen. Vgl. Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 42. Hitler hatte bezüglich der englischen Außenpolitik ein Verständnis entwickelt und prophezeite, dass England sich raushalten werde, soweit die Handelsinteressen nicht beeinträchtigt werden. Dies verwirklichte sich auch zunächst. Vgl. Van Woerden, A. V. N., Hitlers Verhältnis zu England: Theorie, Vorstellung und Politik, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 224, 233 – 235. 117 Shirer, Drittes Reich (Fn. 110), S. 386 – 392; Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 40. Abkommen abgedruckt in: Michalka (Hrsg.), Drittes Reich I (Fn. 106), S. 56 – 258. Im Sudetenland wurden Reichsstatthalter und Gauleiter von der – zum Zeitpunkt des Einmarsches der Wehrmacht herrschenden – Sudetendeutschen Partei rekrutiert. Die Verwaltung erfolgte nach dem Muster einer preußischen Provinz. Vgl. Röhr, Werner, System oder organisiertes Chaos?, in: Bohn (Hrsg.), Deutsche Herrschaft (Fn. 111), S. 32 – 33. 118 Shirer, Drittes Reich (Fn. 110), S. 412.
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Protektorat Böhmen und Mähren.119 Die Okkupationspolitik innerhalb der besetzten Gebiete wies eine gewisse Systematik auf, die darauf gerichtet war, eine „Neue Ordnung“ innerhalb Europas zu etablieren.120 In der Umsetzung seiner außenpolitischen Vorstellungen hat das Dritte Reich also einen radikalen, hemmungslosen, nationalistischen Eroberungs- und Herrschaftsdrang gezeigt.121 Dieses Ziel – ein geschlossenes, rassisch definiertes Reich zu schaffen, dieses aufzurüsten und schließlich noch mehr Lebensraum zu erobern – wurde von Hitler stetig weiterbetrieben. Eine Zusammenarbeit mit anderen europäischen Mächten war in dieser Konstellation schon deswegen unmöglich, weil Hitler sich etwaigen Angeboten, etwa von England am 03. 03. 1938 mit dem Inhalt, Deutschland künftig an Kolonialbestrebungen beteiligen zu wollen, vollkommen verschlossen hatte. Hitlers Interesse richtete sich auf die Expansion innerhalb Europas.122 c) Völkerrechtstheorie im Dritten Reich Die Völkerrechtslehre in Deutschland wandte sich, wie bereits gesehen, nicht schlagartig von der Völkerrechtslehre in der Weimarer Republik ab, die ebenfalls von revisionistischen Argumenten geprägt war.123 Die Vertreter des Nationalsozialismus hatten jedoch eine vollständig neue Konzeption des Völkerrechts im Sinne, die durch diese als Wiederherstellung des Rechts überhaupt gesehen wurde.124 Das Völkerrecht 119 Shirer, Drittes Reich (Fn. 110), S. 417; Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 46. Der Griff nach Prag signalisierte gleichzeitig das Ende der englischen Appeasement Politik. So: Kettenacker, Lothar, Die Haltung der britischen Regierung zum Hitler-Stalin-Pakt, in: Kaminsky, Anna/Müller, Dietmar/Troebst, Stefan (Hrsg.), Der Hitler-Stalin-Pakt 1939 in den Erinnerungskulturen der Europäer, 2011, S. 396. 120 Röhr vertritt dazu die Auffassung, dass es eine gewisse Systematisierung des Okkupationssystems gegeben habe, auch wenn die Herrschaft der Nationalsozialisten in Europa durch Widersprüche und Desorganisation geprägt waren. Viele Funktionen verblieben bei den zentralen Stabstellen des NS-Regimes. Die Okkupationsverwaltung sollte zwar grundsätzlich allen anderen deutschen Dienststellen vorstehen, aber dies hing faktisch von dem Rückhalt der jeweiligen Okkupationsbehörden von Hitler ab. Letztlich sind die Gebiete zu typisieren in die offiziell annektierten Gebiete, die faktisch, aber nicht formell annektierten Gebiete, die Länder, die als „deutscher Lebensraum“ behandelt wurden, die Gebiete, die als Länder eines künftigen „Großgermanischen Reiches“ angesehen wurden, die Länder, die unter Militärverwaltung verblieben sind und die ehemals verbündeten Länder, die im Laufe des Krieges besetzt wurden. Vgl. Röhr, Werner, System oder organisiertes Chaos?, in: Bohn (Hrsg.), Deutsche Herrschaft (Fn. 111), S. 11 – 45. 121 Kluke, Paul, Nationalistische Europaideologie, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 3 (1955), Heft 3, S. 240 – 275 (274). 122 Kluke, Europaideologie (Fn. 121), 240 – 275 (247); Röhr, Werner, System oder organisiertes Chaos?, in: Bohn (Hrsg.), Deutsche Herrschaft (Fn. 111), S. 11. 123 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 179. 124 Herz, John, (unter dem Pseudonym: Bristler, Eduard), Die Völkerrechtslehre des Nationalsozialismus, 1938, S. 19.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
wurde bereits historisch als deutschlandfeindlich begriffen. Gestützt wurde die Ansicht damit, dass der Zerfall des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mit dem modernen Völkerrecht in Zusammenhang gebracht und im Gleichgewichtsprinzip eine angeblich gewollte Schwächung der europäischen Mitte gesehen wurde.125 Der Versailler Vertrag, der als Diktat der angelsächsischen Mächte verstanden wurde, gab den nationalsozialistischen Völkerrechtlern weitere Gründe, das Völkerrecht als deutschlandfeindlich anzusehen.126 Zunächst konzentrierten sich diese deshalb darauf, die Gleichberechtigung Deutschlands im Völkerrecht durchzusetzen, was 1936 als abgeschlossen festgestellt wurde.127 Der Impuls der Veränderung in der deutschen Völkerrechtslehre ging also von den Nationalsozialisten aus. Eine deutliche Abkehr von der Völkerrechtstheorie der Weimarer Zeit erfolgte jedoch erst ab 1935.128 Da ab diesen Zeitpunkt die politische Neuordnung sowie die militärische Umsetzung den völkerrechtlichen Rahmen verließen,129 wurden die Kriegsächtungstendenzen des Völkerrechts der Zwischenkriegszeit durch die nationalsozialistischen Völkerrechtler, unter anderem auch von Carl Schmitt,130 kritisiert. Dies geschah, um die Völkerrechtslehre mit der Außenpolitik des Dritten Reiches in Einklang zu bringen.131 Die nationalsozialistische Völkerrechtslehre wandte sich in der Folgezeit zu einem rassistischen Völkerrecht hin.132 Die Verbindung des Kriegsbegriffs mit dem völkischen Denken133 führte letztlich auch zur Anmaßung entscheiden zu dürfen, „wer die Welt bewohnen dürfe und wer nicht“.134
125 Diner, Dan, Rassistisches Völkerrecht: Element einer nationalsozialistischen Weltordnung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 37 (1989), Heft 1, S. 23 – 56 (28); Schulze, Hagen, Staat und Nation in der europäischen Geschichte, 2. Auflage, 2004, S. 213. 126 Diner, Rassistisches Völkerrecht (Fn. 125), S. 23 – 56 (29). 127 Herz, Völkerrechtslehre (Fn. 124), S. 172. 128 Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 261. 129 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 188. 130 Schmitt, Carl, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, 1938, (zitiert wird die 4. Auflage von 2007), S. 50 – 51; von Bogdandy, Armin/Hinghofer-Szalkay, Stephan, Das etwas unheimliche Ius Publicum Europaeum. Begriffsgeschichtliche Analysen im Spannungsfeld von europäischem Rechtsraum, droit public de l’Europe und Carl Schmitt, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 73 (2013), S. 209 – 248 (239). 131 Herz, Völkerrechtslehre (Fn. 124), S. 171. 132 Diner, Dan, Weltordnungen: Über Geschichte und Wirkung von Recht und Macht, 1993, S. 77. 133 Das Volk ist im völkischen Denken nicht mehr die rein formale Summe der Staatsangehörigen, sondern die rassisch und artbestimmte Blutsgemeinschaft. Staat und Recht haben danach den völkischen Lebensgesetzen zu entsprechen. So: Dreier, Staatsrechtslehre (Fn. 8), S. 9 – 72 (33 – 34). 134 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 189.
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Das nationalsozialistische Völkerrecht ist dabei auf eine Revolutionierung der gesamten Weltordnung, die von einer auf Gewohnheitsrecht und universell gesetzten Konsens baut, zu einem anti-universalistischen, rassisch-theoretisch begründeten Völkerrecht gerichtet.135 Die von dem Völkerrecht der Zwischenkriegszeit geforderte „Völkerrechtsgemeinschaft“ wurde abgelehnt und es wurde von einer „Völkergemeinschaft“ gesprochen. Damit wurde bereits das Ziel der Machtausweitung Deutschlands formuliert.136 Dies bedeutet für das nationalsozialistische Völkerrecht insbesondere die völlige Zerstörung des Souveränitätsbegriffes, soweit er die Existenz kleinerer Staaten sichern sollte.137 Umgekehrt ist jedoch die größtmögliche Aufrechterhaltung der Souveränität für solche Staaten, die Träger eines echten „völkischen“ Völkerrechts sind, ein Ziel des nationalsozialistischen Völkerrechts.138 Das Recht, und somit auch das Völkerrecht, hat der Erhaltung des Volkes zu dienen und das Völkische zu schützen.139 Nur bestimmte Völker wurden also als Völkerrechtssubjekte angesehen, nämlich insbesondere die germanischen Völker.140 Das Gleichheitsprinzip wurde also komplett negiert, soweit es sich nicht um ein Recht zwischen Völkern gleicher rassischer Herkunft handelt.141 Somit ergibt sich eine Hegemonietendenz des nationalsozialistischen Völkerrechts.142 Gleichzeitig wurde versucht, die Aushöhlung des Völkerrechts, insbesondere des völkerrechtlichen Vertragsrechts,143 voranzutreiben.144 Die Möglichkeit der einseitigen Aufkündigung völkerrechtlicher Verträge kam zudem auch den Revisionsabsichten des Versailler Vertrags entgegen.145 d) Carl Schmitts Völkerrechtstheorie im Dritten Reich Nach dem „Fall“ Schmitts im Jahre 1936 wurde es zunächst ruhig um Schmitt.146 Schmitt wandte sich nach seinem „Sturz“ jedoch insbesondere dem Völkerrecht147 135
Diner, Rassistisches Völkerrecht (Fn. 125), S. 23 – 56 (23). Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 184 – 186. 137 Kluke, Europaideologie (Fn. 121), 240 – 275 (273). 138 Herz, Völkerrechtslehre (Fn. 124), S. 169. 139 Diner, Rassistisches Völkerrecht (Fn. 125), S. 23 – 56 (25). 140 Herz, Völkerrechtslehre (Fn. 124), S. 69. 141 Diner, Rassistisches Völkerrecht (Fn. 125), S. 23 – 56 (34 – 35). 142 Herz, Völkerrechtslehre (Fn. 124), S. 147 – 149. 143 Dies geschah etwa dadurch, dass völkerrechtliche Verpflichtungen – etwa durch die extensive Handhabung der „clausula rebus sic stantibus“ – gelockert wurden. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 186. 144 Herz, Völkerrechtslehre (Fn. 124), S. 157; Diner, Rassistisches Völkerrecht (Fn. 125), S. 23 – 56 (24). 145 Diner, Rassistisches Völkerrecht (Fn. 125), S. 23 – 56 (41). 146 Schmitt hatte keinerlei Funktion mehr innerhalb der Partei und hatte auch keinen Kontakt mehr mit Göring und Frank. Er äußerte sich auch nicht mehr über innenpolitische Probleme. So: Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 314; Blasius, Carl Schmitt (Fn. 28), S. 181. 136
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
zu.148 Die völkerrechtliche Position ändert sich für Schmitt kaum im Vergleich zur Weimarer Zeit. Schon damals sah er eine fundamentale Änderung des traditionellen Staatensystems kommen.149 1938 begann er die neue Ordnung zu skizzieren.150 Die aggressive Außenpolitik des Dritten Reiches eignete sich für Carl Schmitt, eine neue Völkerrechtsordnung auszurufen: nämlich die völkerrechtliche Großraumordnung. Dies wurde 1938 durch das Werk „Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff“ vorbereitet.151 Nach wie vor war für Schmitt Ausgangspunkt die Unzufriedenheit mit dem Versailler Vertrag und dem Völkerbund. Am 29. 10. 1937 konnte er auf der 4. Jahrestagung der Akademie in der Gruppe „Völkerrecht“ anstelle des verhinderten Koellreutters einen Bericht über den völkerrechtlichen Kriegsbegriff vorstellen.152 Schmitt nahm den bereits im „Begriff des Politischen“ aufgegriffenen Gedanken des besonderen Extrems des „Krieges gegen den Krieg“ auf.153 Das Werk begann zunächst mit Berichten über Völkerrechtler aus Frankreich und England.154 Damit wollte Schmitt einen „status quo“ des damaligen Entwicklungsabschnittes des Völkerrechtes geben: nämlich die Tendenz hin zu einer universalen Weltordnung.155 Schmitt sah durch diese universale Weltordnung eine Wendung zum „diskriminierenden Kriegsbegriff“, der dem Staat das „Recht auf Krieg“ nimmt und den kriegsführenden Staat als „Feind der Menschheit“ darstellt.156 Die Abhandlung über den diskriminierenden Kriegsbegriff bereitete den Weg zur Großraumtheorie vor.
147 In „Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat“ von 1937 vereinigen sich etwa die Ideen des totalen Staats und totalen Krieges mit Schmitts Lehre vom „Begriff des Politischen“ und der „Freund-Feind-Unterscheidung“. Abgedruckt in: Schmitt, Carl, „Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat (1937)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 235 – 239; vgl. Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 194. 148 Vermutlich ist der Hintergrund dafür, dass das Völkerrecht im Vergleich zum Staatsrecht weniger Angriffsfläche bot. Grewe soll gesagt haben, dass er sich mehr mit Völkerrecht beschäftigt habe, da das Staatsrecht sich auf den Führerbefehl reduziert habe. Vgl. Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 220. 149 Bendersky, Joseph, Carl Schmitt: Theorist for the Reich, 1983, S. 250. 150 Zu dieser Zeit hatte das Dritte Reich, nachdem Hitler sich für den Schutz von deutschen Minderheiten im Ausland aussprach, das bestehende Staatengefüge in Mittel- und Osteuropa aufgelöst. Schmitt nahm an, dass diese Entwicklungen am besten mit der Großraumtheorie zu verstehen seien. Vgl. Bendersky, Theorist (Fn. 149), S. 250 – 251. 151 Fassbender, Bardo, Carl Schmitt (1888 – 1985), in: Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 1176. 152 Der Beitrag wurde 1938 in der Reihe der Schriften der Akademie veröffentlicht. Vgl. Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 389 – 390. 153 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 37. 154 Schmitt, Diskriminierender Kriegsbegriff (Fn. 130), S. 14 – 42. 155 Schmitt, Diskriminierender Kriegsbegriff (Fn. 130), S. 8. 156 Schmitt, Diskriminierender Kriegsbegriff (Fn. 130), S. 51.
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Unter dem Eindruck der Sudetenkrise hielt Schmitt dann am 01. 04. 1938 im Rahmen einer Jubiläumsfeier des Kieler Instituts für Politik und Internationales Recht eine Rede über die „Völkerrechtliche Großraumordnung“.157 Das Hauptinteresse seiner völkerrechtlichen Lehre wandelte sich schlagartig von der Kritik des Völkerbundes zu dem Propagieren einer Großraumordnung.158 Die Rede wurde erst einige Monate vor Kriegsbeginn in einen Aufsatz gefasst und veröffentlicht; sie erfuhr neben regem inländischen Interesse auch internationales Aufsehen.159 Die nationalsozialistische Reaktion auf die Publikation dieses Werkes war zunächst kritisch.160 Es wurde ihm vorgeworfen, dass er selbst universalistisch denke, da er das Großraummodell nicht nur für Europa, sondern weltweit anwenden wolle.161 Die größte Kritik an seinem Werk galt jedoch vor allem dem Umstand, dass seine Großraumtheorie nicht völkisch162 sei.163 Mit der Analyse, dass der Nationalstaat als Bezugsgröße des Völkerrechts ausgedient hatte, gewann seine Sichtweise neue Aktualität.164 Im Ausland galt er aufgrund von Berichten durch die „Times“ und durch die „Daily Mail“ als Sprachrohr der Außenpolitik des Dritten Reiches.165 Hitler gebrauchte in der Rede vom 28. 04. 1939 die Argumentationsmuster von Schmitt, als er auf Franklin Delano Roosevelts (1882 – 1945) Verlangen nach einer deutschen Nichtangriffserklärung antwortete:166 „Herr Roosevelt wird sich in diesem Fall sicherlich auf die Monroe-Doktrin berufen und eine solche Forderung als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des ameri-
157 Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 393; Fassbender, Bardo, Carl Schmitt (1888 – 1985), in: Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 176; Blasius, Carl Schmitt (Fn. 28), S. 185. 158 Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 394. 159 Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 396 – 397. 160 Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 216. 161 Der Grund für diese Kritik könnte etwa sein, dass die Großraumordnung sich nicht mit der rassistischen Ideologie verträgt, da diese eine Beschränkung der Rassenlehre bzw. der nationalsozialistischen Machtansprüche auf Europa bedeutet hätte. Vgl. Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 139. 162 Die völkische Lehre führte zur Konsequenz, dass der Staat keinen Eigenwert zugesprochen bekam und somit lediglich zu einem Mittel mit dem Zweck der Erhaltung rassisch wertvoller Elemente degradiert wurde. Vgl. Dreier, Staatsrechtslehre (Fn. 8), S. 9 – 72 (35). 163 Fassbender, Bardo, Carl Schmitt (1888 – 1985), in: Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 1177. Küchenhoff etwa weist darauf hin, dass der schöpferische Gedanken Carl Schmitts hoch zu veranschlagen sei, bemängelt aber, dass die Großraumtheorie keine nähere Beziehung zur völkischen Idee aufnehme. Vgl. Küchenhoff, Günther, Großraumgedanke und völkische Idee im Recht, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 12 (1944), S. 34 – 82 (42 – 43). 164 Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 214. 165 Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 217; Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 333 – 334. 166 Wobei dies nicht überbewertet werden sollte, da die Großraumtheorie nicht von Hitler übernommen wurde. Hitler spricht weiterhin vom „Lebensraum“ statt von einem „Großraum“. Vgl. Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 140.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt kanischen Kontinents ablehnen. Genau die gleiche Doktrin vertreten wir Deutschen nun für Europa, auf alle Fälle aber für den Bereich und die Belange des Großdeutschen Reiches.“167
Auch im geheimen Protokoll des Hitler-Stalin-Pakts vom 23. 08. 1939168 sowie im Drei-Mächte-Pakt vom 27. 09. 1940169 zeigen sich Ansätze eines gegenseitigen Interventionsverbotes. Der Drei-Mächte-Pakt spricht sogar ausdrücklich von Räumen, die gegenseitig anerkannt und respektiert werden sollten.170 Die Rede von Hitler und die genannten Dokumente sind im Rahmen der Kontinentalblock-Strategie von Joachim von Ribbentrop zu sehen, die Hitler lediglich als Plan B zu seiner „Lebensraum-Strategie“ betrachtete.171 Die Expansionskriege, die Hitler ab 1939 führte, folgten jedoch eher seinem Ziel der Lebensraumeroberung.172 Insofern war der tatsächliche Einfluss Carl Schmitts auf die nationalsozialistische Außenpolitik gering. Spätestens bis 1940 hätte Hitler die Möglichkeit gehabt, eine anti-angelsächsische Allianz, bestehend aus der Sowjetunion und Japan, zu schmieden und jedem seinen eigenen Großraum zu lassen. Hitler entschied sich jedoch – entgegen den Forderungen von Ribbentrop – für den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.173 Schmitt hingegen publizierte nach seinem Vortrag weiterhin über seine Großraumtheorie. Neben dem Werk „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ von 1939 folgten im gleichen Jahr die Schriften „Großraum gegen Universalismus“,174 „Der Reichsbegriff im Völkerrecht“175 sowie im Jahre 1940 die Aufsätze „Raum und Großraum im Völkerrecht“176, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1890 – 1939)“177 und „Die Raumrevolution. Durch den totalen Krieg zu einem totalen Frieden“.178 1941 veröffentlichte Schmitt mit „Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung“ eine Vorstudie zum „Nomos der Erde“, indem er die Gedanken über die Rolle des Staates, 167 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 139; Gruchmann, Lothar, Nationalsozialistische Grossraumordnung. Die Konstruktion einer „deutschen Monroe-Doktrin“, 1962, S. 11; Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 396 – 397; Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 334. 168 Abgedruckt in: Michalka (Hrsg.), Drittes Reich I (Fn. 106), S. 282; vgl. auch Fabry, Philipp, Der Hitler-Stalin-Pakt 1939 – 1941. Ein Beitrag zur Methode sowjetischer Außenpolitik, 1962, S. 78 – 81. 169 Abgedruckt in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 9 (1940), S. 872 – 873; Lu, David, Agony of Choice: Matsuoka Yosuke and Rise and Fall of the Japanese Empire, 1880 – 1946, 2002, S. 162 – 165. 170 Küchenhoff, Großraumgedanke (Fn. 163), S. 34 – 82 (37). 171 Michalka, Wolfgang, Vom Antikominternpakt zum euro-asiatischen Kontinentalblock, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 490. 172 Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 152. 173 Michalka, Wolfgang, Vom Antikominternpakt zum euro-asiatischen Kontinentalblock, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 490 – 491. 174 Abgedruckt in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 295 – 303. 175 Abgedruckt in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 303 – 313. 176 Abgedruckt in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 234 – 269. 177 Abgedruckt in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 372 – 383. 178 Abgedruckt in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 388 – 391.
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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der Piraten und der Raumrevolution in der Luft weiter entwickelte.179 Im Januar 1944 hielt Schmitt in der Berliner Universität einen Vortrag, der zur letzten Kriegspublikation „Die letzte globale Linie“180 wird.181 In diesem Aufsatz wird die MonroeDoktrin der „westlichen Hemisphäre“ in einen geschichtlichen Zusammenhang mit den spanisch-portugiesischen „Demarkationslinien (Rayas)“ des 15. Jahrhunderts und den „Freundschaftslinien (amity lines)“ des 16. bzw. 17. Jahrhunderts gebracht.182 Weiterhin analysiert Schmitt die Erweiterung der amerikanischen Linie durch die Ausdehnung der Grenzen Amerikas ins freie Meer.183 Schmitt sieht einen Widerspruch zwischen Selbstisolierung und Pan-Interventionismus.184 Aus dieser Analyse folgt dann die Forderung an sinnerfüllte, konkrete Großräume. Der Kampf dieser Großräume gegen die globale Einheit eines planetarischen Imperialismus ist der Kampf des kommenden Völkerrechts.185 Die völkerrechtlichen Werke Schmitts in dieser Zeit zeichnen einen zwiespältigen Zustand, der durch das neue Völkerrecht entstanden ist. Während die angelsächsischen Mächte durch das Mittel der „humanitären Intervention“ über Staatsgrenzen hinaus deren politische Vorstellungen auch kriegerisch durchsetzen können, sind die restlichen Staaten (u. a. auch Deutschland) daran gehalten, keinerlei Kriegshandlungen auszuüben.186 Damit wird ein zentrales Recht der staatlichen Souveränität ausgehebelt. Der Status des kriegsführenden Staates als „Feind mit Rechten“ ist vollkommen entfallen und dieser wird als „Feind der Menschlichkeit“ geächtet.187 Darüber hinaus wurde der eingeschlagene Weg der Erweiterung des ius publicum europaeum auf die ganze Welt bzw. die Auflösung des europäischen Völkerrechts als Konsequenz dieser Erweiterung beklagt. Nach Schmitts Ansicht sind die Grundpfeiler des europäischen Völkerrechts: die staatliche Souveränität und die daraus
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Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 229. Abgedruckt in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 441 – 448. 181 Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 416. 182 Schmitt, Carl, „Die letzte globale Linie“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 441. 183 Schmitt, Carl, „Die letzte globale Linie“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 443. 184 Schmitt, Carl, „Die letzte globale Linie“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 445. 185 Schmitt, Carl, „Die letzte globale Linie“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 447. 186 Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 251. 187 „Kriege der Pazifisten sind notwendigerweise besonders intensive und unmenschliche Kriege, weil sie, über das Politische hinausgehende, den Feind gleichzeitig in moralischen und anderen Kategorien herabsetzen und zum unmenschlichen Scheusal machen müssen, das nicht nur abgewehrt und definitiv vernichtet werden muss, also nicht einmal mehr sachlich zu behandelnder Feind ist.“ Vgl. Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 37. 180
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
folgende Staatengleichheit.188 Dies ist aber für viele Staaten außerhalb des europäischen Raumes gerade nicht gegeben.189 Das System des europäischen Gleichgewichts als konkrete Ordnung des bisherigen europäischen Völkerrechts lässt sich nicht auf den gesamten Globus übertragen.190 Als Konsequenz sieht Schmitt eine Notwendigkeit einer neuen Ordnung, also die Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Selbstverständlich nutzte Schmitt die Expansionsansprüche des nationalsozialistischen Deutschlands, wie sie sich etwa im Einmarsch in Österreich, der Annexion des Sudetenlandes und der Gründung des Protektorats „Böhmen und Mähren“ zeigen, für seine Großraumtheorie.191 4. Schmitt nach 1945: „Nomos der Erde“, „Theorie des Partisanen“ Nach 1945 stand Schmitt, trotz zahlreicher Veröffentlichungen, nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.192 1950 veröffentlichte Schmitt das, wohl bereits 1945 fertiggestellte Werk:193 „Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum“. Auch in dieser Abhandlung problematisierte Schmitt zunächst den Wandel und dann die Auflösung des klassischen Völkerrechts.194 Er beschrieb die Durchsetzung des universalistischen Völkerrechts und warnte vor der fehlenden „Hegung“ des Feindbegriffs und des Kriegsrechts.195 Die Wurzeln dieses ungehegten Krieges sah er im Seekriegsrecht.196 Insgesamt ist eine Kontinuität zwischen der „Großraumordnung“ und dem „Nomos der Erde“ festzustellen, auch wenn die Großraumordnung nicht mehr prominent erscheint. Der „Nomos der Erde“ stellt eine Machtgeschichte des Völkerrechts dar und zielt auf die Großmächte als Träger der Raumordnung.197 Fernerhin 188 Dieses staatsbezogene und auf ein geschlossenes Staatsgebiet bezogene Völkerrecht ist lediglich eine Zeit und raumgebundene Erscheinung und deshalb nur ein europäisches Binnenrecht. Alles was nicht zur „Familie“ gehört, ist Objekt der Okkupation. Vgl. Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 241. 189 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“,in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 377. 190 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 378. 191 Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 215. Auch Küchenhoff versteht die Großraumtheorie als eine Theorie, die im Zuge der Errichtung des Protektorats Böhmen-Mähren formuliert wurde. Vgl. Küchenhoff, Großraumgedanke (Fn. 163), S. 34 – 82 (39). 192 Dies war seinem sehr auffälligen Engagement im Dritten Reich geschuldet. Vgl. Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 249. 193 Quaritsch, Positionen (Fn. 25), S. 121; Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 21 – 22. 194 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 200. 195 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 298. 196 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 286 – 287. 197 Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 431.
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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kann also der „Nomos der Erde“ als Fortsetzung der Schmitt’schen Völkerrechtslehre und somit auch seiner Großraumtheorie gesehen werden.198 Allerdings änderte sich in gewisser Weise der Adressatenkreis seiner Theorie. In seinen völkerrechtlichen Schriften vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges versuchte Schmitt die politischen Akteure direkt zu beeinflussen, um die Ablösung des Nationalstaates voranzutreiben.199 Mit dem Aufsatz „Die letzte globale Linie“200 aus dem Jahre 1943 schloss sich bereits das Kapitel dieser kämpferischen Wirkungsphase Schmitts.201 Im „Nomos der Erde“ versucht er die Legitimität seiner Völkerrechtstheorie aus der Geschichte zu schöpfen.202 Da der „alte“ Nomos vergangen ist und der „neue“ noch nicht sichtbar ist, muss der Rechtswissenschaftler diesen in der jeweiligen geschichtlichen Welt entdecken.203 Das letzte Stadium einer Weltordnung, die keinen neuen Nomos der Erde gefunden hat, wird in dem Schmitt’schen Werk „Theorie des Partisanen“ aufgezeigt. Hier stellt Schmitt die historische Entwicklung des Partisanenbegriffs „skizzenhaft“ dar.204 Der Partisan ist kein regulärer Soldat eines Staates, sondern ein irregulärer Kämpfer, der sich für eine politische Idee einsetzt.205 Der Staat als zentrale politische Körperschaft, die stets für die Unterscheidung zwischen Freund und Feind maßgeblich ist, verblasst. Gleichzeitig entsteht – auch aufgrund der Entwicklung der Technik – ein neues absolutes Feindbild.206 Der Partisan wird zu einem absoluten Feind, der verbrecherisch und unmenschlich ist, und umgekehrt sind für den Partisanen die anderen Menschen ebenso Verbrecher und Unmenschen, die es zu vernichten gilt.207 Das Fehlen einer konkreten Raumordnung, nachdem der Staat als zentraler Garant einer solchen Ordnung weggefallen ist, führt nach Schmitt also zu einem „Weltbürgerkrieg“.208
198 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 148; Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 433. 199 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 214 – 215. 200 Abgedruckt in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 441 – 452. 201 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 244. 202 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 227. 203 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 246. 204 Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 528. 205 Schmitt, Carl, Theorie des Partisanen: Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Auflage, 1995 (1. Auflage, 1963), S. 21. 206 Schmitt, Partisan (Fn. 205), S. 94 – 96. 207 Schmitt, Partisan (Fn. 205), S. 95. 208 Mouffe, Chantal, Carl Schmitt’s warning on the dangers of a unipolar world, in: Odysseos, Louiza/Petito, Fabio (Hrsg.), The International Political thought of Carl Schmitt: Terror liberal war and the crisis of global order, 2007, S. 150.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
5. Fazit In Schmitts Großraumtheorie kreuzen sich drei Grundlinien seines rechtswissenschaftlichen Œuvre: seine Souveränitätslehre, seine Völkerrechtslehre und seine Nomoslehre. Die Souveränitätslehre sowie auch die Völkerrechtslehre wurden von Schmitt bereits in der Weimarer Zeit entwickelt. Damals kritisierte Schmitt insbesondere den Vertrag von Versailles und den Genfer Völkerbund, da er beide Abkommen als Einschränkung der Souveränität der Staaten ansah. Für Schmitt war nur derjenige souverän, der im Ausnahmezustand die Entscheidung – wer Feind oder wer Freund ist – treffen und diese Entscheidung auch mithilfe von Kriegen durchsetzen konnte. Das Gewaltverbot sah er als Instrument zum Erhalt des status quo an. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, wenn Schmitt die NSDAP spätestens ab März 1933 euphorisch unterstützte. 1933 vollzog er die Wende vom Dezisionismus zum konkreten Ordnungsdenken: Ein Schritt, der es ihm erlaubte, die nationalsozialistische Rechtslehre in sein Denken aufzunehmen.209 Erst nachdem Schmitt 1936 in Ungnade gefallen war, wandte er sich wieder verstärkt dem Völkerrecht zu. 1939 ergriff Schmitt die Möglichkeit, anlässlich der fortschreitenden Expansionen des Dritten Reiches seine Großraumordnung zu präsentieren. Diese beinhaltete eine Apologie des Expansionismus des Dritten Reiches, war aber gleichzeitig auch eine Weiterentwicklung seiner früheren völkerrechtlichen Auffassungen. Nach der Niederlage des Dritten Reiches war für Schmitt die Hoffnung, die Großraumtheorie militärisch durchzusetzen, erloschen. Schmitt hielt allerdings weiterhin an seiner Großraumtheorie als ein Modell des künftigen Völkerrechts fest, stützte sich jedoch auf eine geschichtsphilosophische Legitimation.210 Er führt den Begriff des Nomos ein, den er als Urakt der Rechtssetzung begreift und analysiert, dass der Nomos der Erde mittlerweile vergangen sei und ein neuer Nomos nur noch entdeckt werden müsse.
II. Ideengeschichtliche Vorgänger der Großraumtheorie Schmitts Denken auf bestimmte Einflüsse zu reduzieren, ist nicht einfach, da Schmitts Werk keine einheitliche Konzeption hat.211 Vielmehr existierten mehrere Grundpositionen, die unvermittelt nebeneinanderstehen212 und verschiedenen ideengeschichtlichen Ursprungs sind. 209
Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 170. Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 178. 211 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 6. 212 So etwa die Orientierung am Ausnahmezustand, der anthropologische Pessimismus, das geschlossene mythische Geschichtsbild der Menschheitsgeschichte und die Betonung der Ordnung und der nationalen Gemeinschaft. Vgl. Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 9. 210
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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In vielerlei Hinsicht ist die Großraumtheorie eine völkerrechtliche Antwort auf den Ausgang des Ersten Weltkrieges bzw. den Konsequenzen, die durch die internationale Politik und Wissenschaft gezogen wurden. Im Folgenden werden der Europäismus, die Konservative Revolution, der Nationalsozialismus sowie die Geopolitik, als kontemporäre Erscheinungen untersucht, um einen etwaigen ideengeschichtlichen Einfluss auf Schmitts Großraumtheorie festzustellen. 1. Europa-Ideen Die Vorstellung eines politischen Europas kam um 1800 als Gegenreaktion zur napoleonischen Herrschaft.213 Während das 19. Jahrhundert zwar als Zeit des Nationalstaates bezeichnet werden kann, war in dieser Zeit gleichzeitig auch der Europagedanke lebendig.214 Seit den 1860er Jahren gab es eine wachsende wirtschaftliche Verflechtung Europas, was zu einer faktischen Integration führte.215 Insbesondere die Gründung von Zollvereinen oder Zollunionen wurde im Lichte der weltwirtschaftlichen Entwicklungen von mehreren Seiten gefordert.216 Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Versailler Vertrag veränderte sich die europäische Integration entscheidend. Schmitt etwa weist auf die Energiewirtschaft hin, die sich seit dem Ersten Weltkrieg als „Großraumwirtschaft“217 entwickelt habe. Somit seien die kleinräumige Isoliertheit und Vereinzelung der früheren Energiewirtschaften überwunden.218 Der Staat erhielt zunehmend Lenkungs- und Kompetenzanteile an der Wirtschaft und hatte mehr soziale Aufgaben, sodass die Regierungen eine größere Anzahl an Integrationsaufgaben zu bewältigen hatten.219 Gleichzeitig bestätigte die Pariser Friedenskonferenz von 1919, dass viele Gemeinsamkeiten verloren gegangen waren und der Völkerbund nicht als Basis dienen konnte, um eine europäische Integration durchzuführen.220 Als Ergebnis wurde in
213
Schmale, Wolfgang, Geschichte Europas, 2001, S. 90 – 91. Schmale, Europa (Fn. 214), S. 92. 215 Schmale, Europa (Fn. 214), S. 107. 216 Dreier, Wirtschaftsraum-Großraum-Lebensraum (Fn. 10), S. 47 – 84 (50 – 51); einer der frühen Befürworter war Friedrich List. Vgl. Foerster, Europa (Fn. 1), S. 271 – 275. 217 Kluke, Europaideologie (Fn. 121), 240 – 275 (271). Beispielsweise propagierte der deutsche Industrielle (IG Farben) Carl Duisberg bereits 1933 die Notwendigkeit einer Großraumwirtschaft. Dabei meinte Duisberg keine Autarkie, sondern große, mächtige Wirtschaftsblöcke. Auch Siemens und Mannesmann begrüßten die Großraumwirtschaft. So: von Strandmann, Hartmut Pogge, Imperialism and Revisionism in Interwar Germany, in: Mommsen, Wolfgang/Osterhammel, Jürgen (Hrsg.), Imperialism and After: Continuities and Discontinuities, 1986, S. 106 – 109. 218 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 12 – 13. 219 Schmale, Europa (Fn. 214), S. 107. 220 Schmale, Europa (Fn. 214), S. 108. 214
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
den 1920er Jahren eine intensive Europadiskussion geführt, die sich auf wirtschaftliche Gesichtspunkte fokussierte.221 Auch die Schmitt’sche Großraumordnung kann in diesem Kontext gesehen werden. Der Begriff „Großraum“ hat seinen Ursprung aus der Diskussion über die europäische Großraumwirtschaft. Gleichzeitig weist Schmitt allerdings ausdrücklich darauf hin, dass er seinen Großraum nicht als technisches oder wirtschaftsorganisatorisches Thema sieht. Es geht ihm vielmehr um den organisatorischen Prozess, der für ihn auch auf Völkerrechtsebene vollzogen werden soll.222 Die wirtschaftliche Implikation eines Großraumes ist für Schmitt lediglich eine Nebenfolge, während die politische Autarkie das Hauptziel darstellt.223 a) Mitteleuropa Eine bedeutende Rolle für Schmitts224 „Großraum“-Begriff spielte der Mitteleuropagedanke von Friedrich Naumann (1860 – 1919).225 Naumanns Buch „Mitteleuropa“ von 1915 ist ein Vorschlag zur Errichtung eines föderativen, wirtschaftlich voll integrierten und von einer Zollmauer umgebenen „Oberstaates“.226 Naumann hat dort ein Bild einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Reich und der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie entworfen,227 wobei Deutschland eine hegemoniale Rolle einnahm, auch wenn Deutschland kein Oberstaat war.228 Nach Horst Dreier ist Mitteleuropa kein „Produkt eines ausschweifenden germanischen Herrschaftsgedankens“, sondern vielmehr ein Gegenentwurf gegenüber den nordamerikanischen, den britischen und den russischen Mächten.229
221
Schmale, Europa (Fn. 214), S. 109. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 12 – 13. 223 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 98. 224 Schmitt zitiert Naumann als ein Beispiel der Nutzung der Wortverbindung mit „Groß“, wie Großstaat, Großbetrieb, Großkörper usw. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 12. 225 Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 53. Der Begriff Mitteleuropa ist jedoch älter und war ein stark wirtschaftlich orientierter Begriff, der eine Zollunion zwischen Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien meinte. Vgl. Heffernan, Michael, The meaning of Europe: Geography and Geopolitics, 1998, S. 72 – 73. 226 Neumann, Franz, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933 – 1944, 5. Auflage, 2004, S. 182. 227 Die negative Abgrenzung nach Naumann ist der englisch-französische Westbund sowie das russische Reich. Jedenfalls sind das Deutsche Reich und die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie die zentralen Staaten in diesem Konzept. Vgl. Naumann, Friedrich, Mitteleuropa, 1916, S. 1. 228 Dreier, Wirtschaftsraum-Großraum-Lebensraum (Fn. 10), S. 47 – 84 (52 – 53). 229 Dreier, Wirtschaftsraum-Großraum-Lebensraum (Fn. 10), S. 47 – 84 (53). 222
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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Naumanns Begriff betont dabei stark das Wirtschaftliche,230 insbesondere die wirtschaftliche Autarkie.231 Die Fragen der Zollpolitik und der Gründung eines einheitlichen Wirtschaftsgebiets bleiben von zentraler Bedeutung.232 Die Prognose für die Zukunft von Naumann lässt sich letztlich so beschreiben, dass es einige Zentren der Welt geben wird, wie London, New York, Moskau sowie vielleicht China und Japan; andere Staaten233 hingegen zu reinen Satelliten234 werden.235 An diesen autarkisch kontinentalen Entwurf Naumanns knüpft Schmitt mit seinem Großraumbegriff unmittelbar an.236 Ein weiteres Standbein der Naumann’schen Argumentation ist die historische Komponente. Naumann vertrat den Standpunkt, dass es notwendig sei, ein über Wirtschaftserwägungen hinausgehendes neues Geschichtsbewusstsein zu entwickeln, um ein Mitteleuropa zu schaffen.237 Erst 1870/71 sei Mitteleuropa vom Einflussbereich Frankreichs befreit worden.238 Von allen mittelalterlichen Reichen sei Mitteleuropa am längsten in einem gelockerten und unorganisierten Zustande geblieben.239 Völkerrechtlich gesehen sollten gewisse staatliche Tätigkeiten zentralisiert, nicht jedoch ein neuer Staat geschaffen werden.240 Den Staaten solle lediglich eine Art „domaine réservé“ verbleiben.241
230 Vier der insgesamt acht Kapitel des Buches „Mitteleuropa“ sind dem Thema Wirtschaft, einschließlich Zollfragen, gewidmet. Vgl. Naumann, Mitteleuropa (Fn. 227), S. VI-VII. 231 Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 52; Heffernan, Europe (Fn. 225), S. 76. 232 Dreier, Wirtschaftsraum-Großraum-Lebensraum (Fn. 10), S. 47 – 84 (53). 233 Selbst wenn Deutschland und Österreich-Ungarn sich in eine Wirtschaftseinheit verschmelzen würden, sei dieses weltwirtschaftliche Gebilde noch nicht groß genug, um ein solches Zentrum zu bilden. Vgl.. Naumann, Mitteleuropa (Fn. 227), S. 104. 234 Sollte es kein Mitteleuropa geben, so befürchtete Naumann, werde Mitteleuropa im dauernden Abhängigkeitsverhältnis zu Russland stehen oder „Juniorpartner“ von England werden. Vgl. Naumann, Mitteleuropa (Fn. 227), S. 175 – 176. 235 Naumann, Mitteleuropa (Fn. 227), S. 165. 236 Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 110. 237 Naumann, Mitteleuropa (Fn. 227), S. 33. 238 Naumann, Mitteleuropa (Fn. 227), S. 52. 239 Naumann, Mitteleuropa (Fn. 227), S. 42. 240 Soweit Naumann von Oberstaat spricht, soll dies keine Entstaatlichung der Einzelteile bedeuten. Die Beschließenden und Verantwortlichen bleiben nach Naumann die souveränen Staaten. Vgl. Naumann, Mitteleuropa (Fn. 227), S. 232 – 233. 241 Als Beispiel nennt Naumann die landschaftlichen und provinziellen Besonderheiten, die Konfessionen, die Nationalitäten, das Schulwesen, die Sprachen, die innere Verwaltung, die Gemeindeverfassung sowie die Staatsverfassung. Vgl. Naumann, Mitteleuropa (Fn. 227), S. 233 – 238.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
b) Paneuropa Die paneuropäische Bewegung hatte ihren Start im Weltfriedenskongress 1924 in Berlin. Graf Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi (1894 – 1972)242 propagierte dort die Schaffung eines Paneuropas. Als Ergebnis wurde die Pan-Europa Union gegründet.243 Paneuropa bezeichnete eine Einigung Europas, die stark auf wirtschaftliche und global-politische Gesichtspunkte gestützt war.244 Im Werk „Paneuropa“ Coudenhove-Kalergis – es kann als programmatische Vorbereitung der Paneuropa-Union gesehen werden –,245 das bereits 1923 erschien, beginnt er mit der Feststellung, dass die europäische Welthegemonie zerfallen sei.246 Es gebe nunmehr fünf planetare Kraftfelder, nämlich das amerikanische, das britische, das russische, das ostasiatische und das europäische247 Kraftfeld.248 Coudenhove-Kalergi forderte eine „Monroe-Doktrin“ der Europäer.249 Ohne freiwilligen Zusammenschluss der europäischen Völker sei die Selbstständigkeit Europas in Gefahr, da ein Bestehen angesichts der europäischen Kleinstaaterei gegenüber den vier großen Weltreichen der Zukunft nicht möglich sei.250 Am Ende der Entwicklung steht für Coudenhove-Kalergi die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa.251Als Mitglieder des Paneuropas bezeichnete Coudenhove-Kalergi fast alle demokratischen und halbdemokratischen Staaten Europas.252 242 Schmitt selber bezeichnete Coudenhove-Calergis Erkenntnisse als „Schlaf- und Speisewagenphilosophie“. So: Schmitt, Carl, Die Raumrevolution. Durch den totalen Krieg zu einem totalen Frieden, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 388. Die Nationalsozialisten sahen ihn hingegen als Verfechter eines „absoluten Rassenmischmasches“ an. So: Rosenberg, Alfred, Vereinigte Staaten von Europa?, in: Rosenberg, Blut und Ehre (Fn. 84), S. 269. 243 Schmale, Europa (Fn. 214), S. 110; Foerster, Europa (Fn. 1), S. 298 – 300; Heffernan, Europe (Fn. 225), S. 125. 244 Dreier, Wirtschaftsraum-Großraum-Lebensraum (Fn. 10), S. 47 – 84 (54). 245 Dreier, Wirtschaftsraum-Großraum-Lebensraum (Fn. 10), S. 47 – 84 (54, Fn. 32). 246 Coudenhove-Kalergi, Richard Nikolaus, Pan-Europa, 1923, S. 13. 247 England und Russland sollten also nicht zu Europa gehören. Der Ausschluss erfolgte aus ideologischen Gründen, da Coudenhove-Kalergi Russland und England als exogene Bedrohungen aus ideologischer und wirtschaftlicher Sicht sah. Vgl. Ziegerhofer-Prettenthaler, Anita, Botschafter Europas: Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi und die Paneuropa-Bewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren, 2004, S. 503. 248 Coudenhove-Kalergi, Pan-Europa (Fn. 246), S. 22. 249 Coudenhove-Kalergi, Pan-Europa (Fn. 246), S. 84 – 85. 250 Coudenhove-Kalergi, Pan-Europa (Fn. 246), S. 24. 251 Der Weg zu Pan-Europa ist zunächst die Einberufung einer paneuropäischen Konferenz durch eine europäische Regierung, wie etwa Italien. Der zweite Schritt ist der Abschluss eines Schieds- und Garantievertrages, nach dem kein Angriffskrieg geführt werden darf. Der dritte Schritt ist die Bildung einer paneuropäischen Zollunion. Der letzte Schritt die Konstituierung der Vereinigten Staaten von Europa. Vgl. Coudenhove-Kalergi, Pan-Europa (Fn. 246), S. 151 – 154.
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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c) Fazit In der Europa-Idee, egal, ob diese nun Mitteleuropa oder Paneuropa heißt, sind grundsätzliche Aspekte einer Raumtheorie enthalten.253 Die Europa-Idee spielt bei Carl Schmitt dahingehend eine Rolle, dass Schmitt die europäische Völkerrechtsordnung vor dem Ersten Weltkrieg, die er als ius publicum europaeum bezeichnet, als einen wichtigen Präzedenzfall für eine konkrete Großraumordnung sieht. Die Universalisierung, die nach der Ansicht von Schmitt seinen Lauf nimmt, führt zu einer Auflösung dieser Ordnung. Durch die Bildung von Großräumen möchte Schmitt an die Europa-Idee anknüpfen. Während die Mitteleuropa-Idee oder Paneuropa-Idee auf eine Verteidigung der bisherigen wirtschaftlichen und militärischen Macht des europäischen Raums, durch einen engeren Zusammenschluss der europäischen Staaten, gerichtet ist, zielt die völkerrechtliche Großraumordnung jedoch nicht auf eine Wiederherstellung einer alten Ordnung.254 Vielmehr fordert Schmitt, die ganze Welt in Großräume einzuteilen. Die Großraumtheorie soll nach Schmitt also keine rein europäische Theorie sein, sondern ein Alternativentwurf für eine globale Völkerrechtsordnung bzw. ein alternativer Erklärungsansatz für die bereits bestehende außenpolitische Lage. 2. Konservative Revolution und Nationalsozialismus Das Verhältnis von Carl Schmitt mit seiner Großraumtheorie zum Nationalsozialismus bedarf einer differenzierten Betrachtung. Ohne Frage hat Carl Schmitt bis 1936, ob nun aus opportunistischen Gesichtspunkten oder aus voller Überzeugung, das nationalsozialistische Regime ideologisch unterstützt. Die Großraumtheorie wurde jedoch zu einem Zeitpunkt verfasst, zu dem er bereits in „Ungnade“ gefallen war. Gleichzeitig waren die internationalen Geschehnisse dieser Zeit ein geradezu idealer Boden für völkerrechtliche Abhandlungen. Unabhängig davon, ob Carl Schmitt seine 1939 veröffentlichte Großraumtheorie als einen Entwurf eines „neuen völkerrechtlichen Gedankens von weltpolitischer Tragweite“255 gesehen hat oder nicht, stellt sich die Frage, ob die Großraumtheorie von Carl Schmitt eine Wiedergabe der nationalsozialistischen Völkerrechtsagenda ist oder ein eigener alternativer Rechtfertigungsansatz der Außenpolitik des Dritten Reiches.
252
Coudenhove-Kalergi, Pan-Europa (Fn. 246), S. 36 – 37. Bendersky, Theorist (Fn. 149), S. 251. 254 Schmitt sieht das Gleichgewichtssystem vom 19. Jahrhundert als eine überholte Raumordnung an. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 16 – 18. 255 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 9. 253
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
a) Konservative Revolution Die Konservative256 Revolution ist eine Bezeichnung für eine Gruppe ideologischer Strömungen in der Weimarer Republik, deren Ziel es war, aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, die richtigen Lehren zu ziehen.257 Die Konservative Revolution war eine äußerst heterogene258 Bewegung.259 Auch Carl Schmitt260 wird gemeinhin als ein Vertreter der Konservativen Revolution gesehen.261 Die Vertreter der Konservativen Revolution262 sahen die Weimarer Republik als ein Ergebnis der Niederlage des Ersten Weltkrieges und empfanden diese als Schwächung. Sie befürchteten zudem das Aufkommen des Bolschewismus.263 Nach der Konservativen Revolution ist die Ursache des Zusammenbruchs von 1918 der „ideenmäßige“ Mangel des Kaiserreiches.264 Anders als die Briten oder die Fran256 Nach Mohler hat der Konservatismus zwei verschiedene Wurzeln. Dies ist einerseits die Verteidigung der societas christiana gegen die intellektuellen Neuerer und die uniformierenden Tendenzen des Absolutismus und andererseits die „Gegen-Aufklärung“. Vgl. Mohler, Armin/ Weissmann, Karl Heinz, Die konservative Revolution in Deutschland 1918 – 1932, 6. Auflage, 2005, S. 9 – 10. 257 Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 190 – 191. Herf fasst die Konservative Revolution so zusammen, dass es eine nationalistische Bewegung gewesen sei, die den preußischen Konservatismus überwinden wollte. So: Herf, Jeffrey, Reactionary modernism. Technology, culture, and politics in Weimar and the Third Reich, 1984, S. 21. 258 Mohler unterschied dabei zwischen den Völkischen, den Jungkonservativen, den Nationalrevolutionären, den Bündischen sowie dem Landvolk. Vgl. Mohler/Weissmann, Konservative Revolution (Fn. 256), S. 99 – 177. 259 Mohler definiert die Konservative Revolution als Versuch enttäuschter Linker und enttäuschter Rechter, aus linken und rechten Antrieben etwas Drittes zu schaffen. Vgl. Mohler, Armin, Carl Schmitt und die „Konservative Revolution“, in: Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum (Fn. 36), S. 130. 260 Die Zugehörigkeit zur Konservativen Revolution wird teilweise auch verneint. Die Konservative Revolution stand etwa unter starkem Einfluss von Nietzsche, aber Schmitt zählte Nietzsche gerade nicht zur maßgeblichen Inspirationsquelle seines Denkens. Vgl. Mohler, Armin, Carl Schmitt und die „Konservative Revolution“, in: Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum (Fn. 36), S. 131. 261 Mohler/Weissmann, Konservative Revolution (Fn. 256), S. 179; Mohler, Armin, Carl Schmitt und die „Konservative Revolution“, in: Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum (Fn. 36), S. 129, 151. Gerade der „Fall“ Carl Schmitts durch die SS erfolgte im Rahmen einer Säuberungsaktion der Erben Möller van den Brucks. Vgl. Koenen, Fall Carl Schmitt (Fn. 70), S. 672 – 673; Herf, Reactionary modernism (Fn. 257), S. 44 – 45. 262 Gesellschaftlich gesehen war die Basis der Konservativen Revolution der Mittelstand, der trotz heterogenem Berufsbild auf die schnelle Industrialisierung reagierte. So: Herf, Reactionary modernism (Fn. 257), S. 22. 263 Mohler/Weissmann, Konservative Revolution (Fn. 256), S. 90. 264 Arthur Moeller van den Bruck (1876 – 1925), ein Literaturkritiker, und einer der wichtigsten Köpfe der Konservativen Revolution publizierte etwa das Werk „Das Dritte Reich (1923)“. Dort verlangte er eine ideenmäßige Revolution, die die Einheit der Nation verbürgt und die Anstrengungen ermöglicht und legitimiert. Er forderte dazu eine Verbindung von revolu-
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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zosen, die aufgrund ihrer in der Bevölkerung verwurzelten Ideen der Englischen bzw. Französischen Revolution die eigene Bevölkerung mobilisieren konnten, war es in Deutschland nach den Vertretern der Konservativen Revolution gerade nicht möglich, weil es keine Idee gab, die die Einheit der Nation verbürgen konnte.265 Letztlich wurde auf die Verteidigung der eigenen Gemeinschaft und Kultur abgestellt.266 Der Soldat und der Bürger standen in einem Dauerkonflikt.267 Dieser Grundkonflikt wurde dann zugunsten einer totalitären Idee gelöst. Nach der Ansicht von Ernst Jünger (1895 – 1998),268 einem Vertreter der Konservativen Revolution, ist eine Umstellung aller Strukturen auf die Erfordernisse des Krieges notwendig, um die totale Mobilmachung zu erreichen. Daraus lässt sich die Notwendigkeit der Diktatur ableiten. Allerdings betrifft dies nur die „technische Seite“ der Mobilmachung.269 Essenzieller ist jedoch die mentale „Bereitschaft“.270 Diese kann jedoch nur durch eine Ideologie erfolgen, die die Bevölkerung zusammenschweißt.271 Auch Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff (1865 – 1937) behauptet, dass gerade im Frieden der Krieg vorbereitet werden müsse, da der Krieg die höchste Anspannung eines Volkes für seine Lebenserhaltung sei und ein totaler Krieg eben auch die totale Niederlage bedeuten und somit das gesamte Volk in seiner Lebenserhaltung bedrohen würde.272 Ähnlich wie Jünger verlangt auch Ludendorff eine „seelische Geschlossenheit“273 des Volkes. Interessanterweise sieht Ludendorff im japanischen Shinto-Glauben einen „arteigenen Glauben“, der es den Japanern erlaubt, als ein geschlossenes Volk aufzutreten.274 tionären und konservativen Ideen. Obwohl der Inhalt des Buches mit der Zielsetzung eines Dritten Reiches nicht viel zu tun hatte, diente der Begriff des „Dritten Reiches“ als Schlagwort für das nationalsozialistische Regime in der Folgezeit. Vgl. Mohler/Weissmann, Konservative Revolution (Fn. 256), S. 82 – 83 sowie S. 94 – 95; Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 191; Herf, Reactionary modernism (Fn. 257), S. 37. 265 Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 191. 266 Mohler/Weissmann, Konservative Revolution (Fn. 256), S. 59. 267 Schmitt, Carl, Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches: Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, 1934, (Nachdruck 2001), S. 7. 268 Mit Ernst Jünger hatte Carl Schmitt eine durchaus enge Beziehung. So riet Jünger ihm etwa davon ab, preußischer Staatsrat zu werden. So: Blasius, Carl Schmitt (Fn. 28), S. 92 – 93. 269 Jünger, Ernst, Die Totale Mobilmachung, in: Jünger, Ernst, Politische Publizistik. 1919 bis 1930 (zitiert wird die Fassung herausgegeben von Berggötz, Sven Olaf), 2001, S. 564. 270 Jünger, Ernst, Die Totale Mobilmachung, in: Jünger, Publizistik (Fn. 269), S. 565. 271 Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 192 – 193; Ludendorff, Erich Friedrich Wilhelm, Der totale Krieg, 1935, S. 10. 272 Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 191 – 192; Ludendorff, Totaler Krieg (Fn. 271), S. 10; Schulze, Staat und Nation (Fn. 125), S. 285 – 287. 273 Ludendorff, Totaler Krieg (Fn. 271), S. 17. 274 Ludendorff betont, dass das Starkhalten des Volkes nicht auf mechanischem Wege (also z. B. durch die Presse, Radiomeldung, Film und sonstigen Veröffentlichungen) und auch nicht
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Auch Carl Schmitt ist, wie Jünger oder Ludendorff, daran interessiert, die Niederlage des Ersten Weltkrieges zu analysieren und Vorschläge für einen Sieg im nächsten Krieg zu unterbreiten. Mohler,275 der Schmitt zum Lager der Konservativen Revolution zählt,276 sieht in den staatsrechtlichen Ausführungen Schmitts – zumindest in weiten Strecken – einen Versuch, die Weimarer Republik vor sich selbst zu retten. Insbesondere ab dem Beginn der 1930er Jahre vollzieht Schmitt jedoch eine deutliche Annäherung an die Vorstellung zu einem „totalen Staat“.277 Schmitt zieht bei der Formulierung seiner Großraumtheorie die gleichen Schlüsse aus dem Ausgang des Ersten Weltkrieges, wie es die Vertreter der Konservativen Revolution taten.278 Nach Schmitt ist eine Wendung zum totalen Staat zu erkennen, mit der eine totale Mobilmachung einhergeht.279 Ganz im Sinne des Begriffs des Politischen – nach Schmitts Unterscheidung von „Freund und Feind“280 – ist ein totaler Staat nur möglich, wenn es einen totalen Feind281 gibt und dieser im totalen Krieg bekämpft
durch Vorenthalten der „Wahrheit“ zu erreichen sei, sondern nur durch „einer Geschlossenheit aus der Lebensanschauung des Volkes heraus“. Vgl. Ludendorff, Totaler Krieg (Fn. 271), S. 26 – 27. 275 Mohler sieht in Schmitt einen Staatsrechtler, der nicht Kräfte in Bewegung zu bringen versuchte. Vielmehr habe er versucht, das Kräftespiel zu bändigen, und stehe somit gewissermaßen über den Dingen. Insbesondere das konkrete Ordnungsdenken von Schmitt versteht Mohler als Ausdruck dessen, was die Konservative Revolution forderte, nämlich eine Hinwendung zum Besonderen und ein Aufstand gegen die Abstraktion. Vgl. Mohler, Armin, Carl Schmitt und die „Konservative Revolution“, in: Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum (Fn. 36), S. 131, 150. 276 Mohler/Weissmann, Konservative Revolution (Fn. 256), S. 179; Mohler, Armin, Carl Schmitt und die „Konservative Revolution“, in: Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum (Fn. 36), S. 129, 151. 277 Mohler/Weissmann, Konservative Revolution (Fn. 256), S. 182. Das Dritte Reich sieht Schmitt im Übrigen nicht als totalen Staat, sondern als autoritären Staat an. Nach seiner Vorstellung würde ein solcher Staat im Normalzustand nicht in die Privatsphäre des Einzelnen eingreifen aber im Ausnahmezustand hätte der Souverän eine grenzenlose Möglichkeit zum Eingriff. Weimar hingegen kritisierte er, weil er einen Eingriff in jeden Aspekt des privaten und öffentlichen Lebens sah. Nach Bendersky zeigt dies, mit welcher Naivität Schmitt das Dritte Reich betrachtet hat. So: Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 284 – 285. 278 Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 187. 279 Schmitt, Carl, „Die Wendung zum totalen Staat (1931)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 235; Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 193. 280 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 26. 281 Der totale Feind in diesem Kontext ist die angelsächsische Weltordnung, die durch sein universalistisches Völkerrecht eine indirekte Herrschaft der Welt anstrebt. Das bezieht sich einerseits auf den Genfer Völkerbund und den Kellogg-Pakt aber auch auf den Liberalismus, der nach Schmitt ein englisches Verfassungsideal sei. So: Schmitt, Carl, „Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus (1932)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 176 – 177; Schmitt, Carl, „Die Wendung zum totalen Staat (1931)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 239.
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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wird.282 Der totale Krieg und die Großraumtheorie sind also in einer symbiotischen Beziehung, da der totale Krieg für die Durchsetzung der Großraumidee zuständig sein soll und die Großraumtheorie die Einmischung raumfremder Mächte, insbesondere der Vereinigten Staaten, in diesen totalen Krieg abhalten soll.283 Die konservative Revolution hatte eine gewisse Nähe zum Nationalsozialismus.284 Hitler selbst habe sich nach Armin Mohler als „konservativster Revolutionär der Welt“ bezeichnet und die NSDAP als eine „konservativ-revolutionäre“ Partei.285 Auch der Antisemitismus spielte eine Rolle für die Vertreter der Konservativen Revolution.286 Diese politische Nähe hielt jedoch nicht lange. Bereits 1933 sahen es die Nationalsozialisten gar als erforderlich an, sich von den Vertretern der Konservativen Revolution klar abzugrenzen, da sie zur intellektualistischen Verwässerung und Neutralisierung des Nationalsozialismus beitrügen.287 b) Nationalsozialismus Die nationalsozialistische Außenpolitik,288 deren Ziel es war, auf rassischer Grundlage eine Weltmachtposition zu erkämpfen,289 beruhte auf der Theorie des Lebensraums, die Hitler, der in dieser Hinsicht von Friedrich Ratzel und Karl Haushofer geprägt war,290 in seinem Buch „Mein Kampf“ formulierte.291 Die Lebensraumtheorie besagt im Groben, dass das Deutsche Reich flächenmäßig eingeengt sei292 und expandieren müsse, um der großen Anzahl an Reichsbürgern einen
282
Schmitt, Carl, „Die Wendung zum totalen Staat (1931)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 236; Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 194. 283 Vgl. Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 201 – 202. 284 Herf, Reactionary modernism (Fn. 257), S. 37. 285 Mohler/Weissmann, Konservative Revolution (Fn. 256), S. 205. 286 Mohler/Weissmann, Konservative Revolution (Fn. 256), S. 76. 287 Koenen, Fall Carl Schmitt (Fn. 70), S. 672 – 673. 288 Die Lebensraumideologie wurde neben Hitler auch von Heinrich Himmler, dem es um die Rassenhoheit des deutschen Volkes ging, vertreten. Neben Hitlers Außenpolitik auf der Grundlage der „Lebensraum-Ideologie“ spielten die „wilhelminischen Imperialisten“, wie z. B. Göring, die eine Großmachtposition von Deutschland anstrebten, sowie die „NS-Linken“, die eine deutsch-sowjetische Zusammenarbeit befürworteten, eine Rolle. So: Michalka, Ribbentrop (Fn. 82), S. 174 – 175. 289 Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 117. 290 Lange, Karl, „Lebensraum“ in Hitlers „Mein Kampf“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 13 (1965), Heft 4, S. 426 – 437 (430 – 431). 291 Lange, Lebensraum (Fn. 290), S. 426 – 437 (426). 292 Hitler, Adolf, Mein Kampf. Band II: Die nationalsozialistische Bewegung, 1926, S. 304 (zitiert wird die Fassung: Hartmann, Christian/Vordermayer, Thomas/Plöckinger, Othmar/ Töppel, Roman (Hrsg.), Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Band II, 2016, S. 1633).
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Platz zum Leben zu gewährleisten.293 Raum sichere nach Hitler einem Volke die Freiheit des Daseins.294 Diese vornehmlich biologisch begründete Theorie295 verband sich mit der Bekämpfung des „jüdischen“ Bolschewismus.296 Damit wurde die Eroberung russischen Bodens als Ziel festgelegt297 und geltende völkerrechtliche Strukturen wurden abgelehnt.298 Insbesondere in seinem engeren Zirkel hat Hitler aus der Vorstellung keinen Hehl gemacht, Lebensraum im Osten erobern299 und rücksichtlos germanisieren300 zu wollen.301 Die militärischen Erfolge des Dritten Reiches führten dazu, dass die Diskussionen über die Neugestaltung Europas Fahrt aufnahmen. Es ging insbesondere um eine wirtschaftliche Neuordnung Europas.302 Die kontinentaleuropäische Großraumwirtschaft, ein autonomer Währungsblock, der neben dem Dollarblock, Yenblock und Rupienblock existieren sollte.303 Es sollte ein großdeutscher Wirtschaftsraum im Sinne einer Zoll- und Währungsunion entstehen, in dem etwa die Niederlande,
293
Hitler, Adolf, Mein Kampf. Band I: Eine Abrechnung, 1925, S. 141 (zitiert wird die Fassung: Hartmann, Christian/Vordermayer, Thomas/Plöckinger, Othmar/Töppel, Roman (Hrsg.), Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Band I, 2016, S. 391); Hitler, Mein Kampf II (Fn. 292), S. 302 – 303 (zitiert wird die Fassung: Mein Kampf. Eine kritische Edition II (Fn. 292), S. 1629 – 1631). 294 Hitler, Mein Kampf II (Fn. 292), S. 303 (zitiert wird die Fassung: Mein Kampf. Eine kritische Edition II (Fn. 292), S. 1631). 295 Hitler betont etwa, dass die Natur keine politischen Grenzen kenne und die Lebewesen zunächst auf der Erde dem freien Spiel der Kräfte ausgesetzt seien. Der Stärkste habe das Herrenrecht. So: Hitler, Mein Kampf I (Fn. 293), S. 141 (zitiert wird die Fassung: Mein Kampf. Eine kritische Edition I (Fn. 293), S. 391). 296 Hitler ist der Auffassung, dass die Bolschewiki und die Juden gleichzusetzen seien. Das Judentum hätte sich im Ersten Weltkrieg und in den Revolutionen von 1917/1918 gegen Deutschland und Russland verschworen. So: Hitler, Mein Kampf II (Fn. 292), S. 316 – 317 (zitiert wird die Fassung: Mein Kampf. Eine kritische Edition II (Fn. 292), S. 1657 – 1659). 297 Hitler, Mein Kampf II (Fn. 292), S. 316 – 317 (zitiert wird die Fassung: Mein Kampf. Eine kritische Edition II (Fn. 292), S. 1657 – 1659). 298 Kluke, Europaideologie (Fn. 121), 240 – 275 (245); Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 118. 299 Hitler, Mein Kampf II (Fn. 292), S. 330 (zitiert wird die Fassung: Mein Kampf. Eine kritische Edition II (Fn. 292), S. 1687). 300 Wobei Germanisierung nicht etwa bedeutet, dass der slawischen Bevölkerung die deutsche Sprache beigebracht werden würde. Vielmehr sollte nur der Boden germanisiert und die nicht-germanische Bevölkerung ausgewiesen werden. Vgl. Hitler, Mein Kampf II (Fn. 292), S. 21 (zitiert wird die Fassung: Mein Kampf. Eine kritische Edition II (Fn. 292), S. 1001); Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 120 – 121. 301 Kluke, Europaideologie (Fn. 121), 240 – 275 (244). 302 Kluke, Europaideologie (Fn. 121), 240 – 275 (251). 303 Daitz, Werner, Die Errichtung eines Reichskommissariats für Großraumwirtschaft vom 31. 05. 1940, in: Michalka, Wolfgang (Hrsg.), Das Dritte Reich. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik. Band 2 Weltmachtanspruch und nationaler Zusammenbruch 1939 – 1945, 1985, S. 127 – 128.
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Belgien, Luxemburg und Norwegen angeschlossen werden sollten.304 Weiterhin sollte ein deutsches Kolonialreich entstehen.305 Auch Polen sollte dabei germanisiert und kolonialisiert werden.306 Neben der wirtschaftlichen Integration Europas machten sich die Nationalsozialisten jedoch wenig Gedanken über die Verfassung eines neuen Europas unter dem Dritten Reich. Europa war für die Nationalsozialisten rassisch-biologisch definiert und sollte das Herrschaftsgebiet des germanischen Reiches deutscher Nation sein.307 Letztlich sollte ein zentralistisches Reich im Mittelpunkt stehen und die übrigen Staaten sollten nicht mehr als Selbstverwaltung ausüben dürfen.308 Es sollte dabei das „Kleinstaatengerümpel … so schnell wie möglich liquidiert“ werden.309 Ein von Hitler nur kurzweilig verfolgtes Ziel,310 was starke Parallelen zu Carl Schmitt und den Geopolitiker Karl Haushofer aufzeigt,311 war die Gründung eines Kontinentalblocks. Joachim von Ribbentrop (1893 – 1946), der diese Strategie am vehementesten vertrat und sich dabei an die geopolitischen Ideen orientierte,312 wollte eine anti-britische Allianz zwischen Deutschland, Japan und Italien und nicht zuletzt der Sowjetunion errichten.313 Diese Allianz sollte eine ewige Zusammenarbeit zwischen den genannten Staaten sein und hätte zu einem „weltpolitischen
304
Clodius, Carl, Über die wirtschaftliche Gestaltung der Welt nach einem deutschen Endsieg vom 30. 05. 1940, in: Michalka (Hrsg.), Drittes Reich II (Fn. 303), S. 120; Denkschrift von Botschafter Ritter, Auswärtiges Amt, über einen von Deutschland beherrschten Großwirtschaftsraum 01. 06. 1940, in: Michalka (Hrsg.), Drittes Reich II (Fn. 303), S. 133 – 134. 305 Clodius, Carl, Über die wirtschaftliche Gestaltung der Welt nach einem deutschen Endsieg vom 30. 05. 1940, in: Michalka (Hrsg.), Drittes Reich II (Fn. 303), S. 120 – 121; Denkschrift von Botschafter Ritter, Auswärtiges Amt, über einen von Deutschland beherrschten Großwirtschaftsraum 01. 06. 1940, in: Michalka (Hrsg.), Drittes Reich II (Fn. 303), S. 135. 306 Rosenberg, Alfred, Über eine Unterredung mit Hitler über Neuordnungspläne in Ostund Westeuropa am 29. 09. 1939, in: Michalka (Hrsg.), Drittes Reich II (Fn. 303), S. 116 – 117. 307 Kluke, Europaideologie (Fn. 121), 240 – 275 (264). 308 Kluke, Europaideologie (Fn. 121), 240 – 275 (266). 309 So: Hitler, Adolf, Rede vor den Reichs- und Gauleitern über Kriegslage und Kriegsziele am 08. 05. 1943, in: Michalka (Hrsg.), Drittes Reich II (Fn. 303), S. 154. 310 Dafür war der Wunsch Hitlers zur gewaltsamen Eroberung des Ostens zu stark. So: Waddington, Geoffrey, Die NSDAP und der Niedergang des britischen Empire 1935 – 1938, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Jahrgang, Jahrgang 40 (1992), Heft 2, S. 270 – 306 (294); Michalka, Wolfgang, Vom Antikominternpakt zum euro-asiatischen Kontinentalblock, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 491. 311 Ribbentrop knüpfte maßgeblich an die Theorie des Geopolitikers Karl Haushofer an. So: Michalka, Wolfgang, Vom Antikominternpakt zum euro-asiatischen Kontinentalblock, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 489; Michalka, Ribbentrop (Fn. 82), S. 247 – 259. 312 Michalka, Wolfgang, Vom Antikominternpakt zum euro-asiatischen Kontinentalblock, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 489; Michalka, Ribbentrop (Fn. 82), S. 294. 313 Waddington, NSDAP und der Niedergang des britischen Empire (Fn. 310), S. 270 – 306 (294).
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Viereck“ geführt, das den euro-asiatischen Kontinent beherrscht hätte.314 Somit wäre ein Mitteleuropa entstanden, das unter deutscher Hegemonie gestanden hätte. Deutschland hätte auch über ein Kolonialreich in Afrika verfügt und sich somit als Weltmacht etablieren können.315 Weiterhin wollte Ribbentrop einen deutsch-französischen Ausgleich herbeiführen, sodass ein anti-britischer europäischer Block zwischen Frankreich, Italien und Deutschland entstanden wäre, wo europäische Klein- und Mittelstaaten als Juniorpartner angeschlossen worden wären.316 Die vier Achsenmächte hätten dann jeweils einen eigenen „Großraum“ gehabt, den sie beherrscht hätten und die Beziehungen zwischen den vier Achsenmächten in diesem Kontinentalblock hätte Schmitt vermutlich als „zwischenreichisch“ gesehen. Der erste Schritt dazu war der Abschluss des „Hitler-Stalin-Paktes“317 mit der Sowjetunion am 23. 08. 1939.318 Dieser Schritt war eine Abkehr der ursprünglich verfolgten Strategie ein Militärbündnis gegen die Sowjetunion zu etablieren,319 so wie es in dem am 25. 11. 1936 mit Japan geschlossenen Antikomintern-Pakt niedergelegt war.320 Der Hitler-Stalin-Pakt hatte zudem ein geheimes Protokoll,321 in dem „die Frage der Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Osteuropa erörtert“ wurden.322 Da Japan ein starkes Interesse hatte, das anti-sowjetische Mi314 Michalka, Wolfgang, Vom Antikominternpakt zum euro-asiatischen Kontinentalblock, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 488 – 489. 315 Michalka, Ribbentrop (Fn. 82), S. 303. 316 Michalka, Ribbentrop (Fn. 82), S. 304. 317 Abkommen abgedruckt in Michalka (Hrsg.), Drittes Reich I (Fn. 106), S. 81 – 282. 318 Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 66; Shirer, Drittes Reich (Fn. 110), S. 497 – 499; Lipinsky, Jan, Das Geheime Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag vom 23. 08. 1939 und seine Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von 1939 und 1999, 2000, S. 23; Ahmann, Rolf, Entstehung und Bedeutung des Hitler-Stalin-Pakts im Rahmen der Außenpolitik und Kriegsbestrebungen Hitlers 1939, in: Kaminsky/Müller/Troebst (Hrsg.), HitlerStalin-Pakt (Fn. 119), S. 125; Michalka, Ribbentrop (Fn. 82), S. 278 – 294. 319 Und im Übrigen war dieser Pakt auch eine Abkehr von Hitlers bisheriger antikommunistischer Rhetorik. Vgl. Hitler, Mein Kampf II (Fn. 292), S. 316 – 317 (zitiert wird die Fassung: Mein Kampf. Eine kritische Edition II (Fn. 292), S. 1657 – 1659); Fabry, HitlerStalin-Pakt (Fn. 168), S. 71. 320 Fabry, Hitler-Stalin-Pakt (Fn. 168), S. 5 – 17; Ahmann, Rolf, Entstehung und Bedeutung des Hitler-Stalin-Pakts im Rahmen der Außenpolitik und Kriegsbestrebungen Hitlers 1939, in: Kaminsky/Müller/Troebst (Hrsg.), Hitler-Stalin-Pakt (Fn. 119), S. 133 – 134; Tajima, Nobuo, The Berlin-Tokyo Axis reconsidered, in: Spang/Wippich (Hrsg.), Japanese-German Relations (Fn. 105), S. 172. 321 Das geheime Zusatzprotokoll wurde aufgrund einer Anregung des russischen Außenministers Molotovs, den Nichtangriffspakt auch auf territoriale Aspekte zu erweitern, vereinbart. So: Lipinsky, Zusatzprotokoll (Fn. 318), S. 40 – 41; Ahmann, Rolf, Entstehung und Bedeutung des Hitler-Stalin-Pakts im Rahmen der Außenpolitik und Kriegsbestrebungen Hitlers 1939, in: Kaminsky/Müller/Troebst (Hrsg.), Hitler-Stalin-Pakt (Fn. 119), S. 146. 322 Im geheimen Zusatzprotokoll wurde festgelegt, dass die Grenze der Interessensphäre Deutschlands und der Sowjetunion die nördliche Grenze Litauens sei. In Polen wiederum war die Grenze durch die Linien der Flüsse Narew, Weichsel und San abgegrenzt. Für Südosteuropa wurde das sowjetische Interesse an Bessarabien anerkannt. Das geheime Zusatzprotokoll ist
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litärbündnis aufrechtzuerhalten, wurde dieser Schritt als Verrat verstanden und am 24. 08. 1939 wurde der Antikominternpakt auf japanischer Seite aufgekündigt, auch wenn die „Freundschaft“ von Japan und Deutschland weitergeführt wurde.323 Wie bereits erörtert, war für Hitler jedoch das in „Mein Kampf“ propagierte Ziel, „Lebensraum“ im Osten zu schaffen, wichtiger.324 Am 01. 09. 1939 begann Hitler – da er nun durch den Hitler-Stalin-Pakt einen Zweifrontenkrieg nicht befürchten musste325 –, trotz des britisch-polnischen Beistandspaktes, der am 25. 08. 1939 abgeschlossen wurde,326 mit der Eroberung Polens.327 Hitler führte am 09. 04. 1940 seine militärischen Eroberungen fort und besetzte Dänemark und Norwegen.328 Am 10. 05. 1940 begann der Krieg gegen die Niederlande, Belgien und Frankreich und endete am 25. 06. 1940 erfolgreich für Hitler.329 Im Sommer 1940 war Hitler somit in einer Situation, in der er über die Staatenwelt Kontinentaleuropas verfügen konnte.330 Eine „verzerrte Frühform eines vereinigten Europas“ wäre möglich gewesen, wenn Hitler die Lebensraumideologie aufgegeben und den Frieden mit England und den USA angestrebt hätte.331 Stattdessen bombardierte Hitler bereits am 13. 08. 1940 England, was letztlich jedoch nicht zu einem schnellen Sieg führte.332 Hitler griff deshalb am 27. 09. 1940 wieder auf die alten Bündnispartner Japan und Italien zurück und schloss den „Drei-Mächte-Pakt“ ab.333 Am 22. 06. 1941 trat Hitler den Krieg mit der Sowjetunion los; ein Krieg, der schon seit jeher im Rahmen seiner Lebensraum-Ideologie sein Ziel gewesen war.334 Am 11. 12. 1941 wurde dann der Krieg gegen die USA erklärt.335 abgedruckt in: Michalka (Hrsg.), Drittes Reich I (Fn. 106), S. 282; vgl. auch Fabry, HitlerStalin-Pakt (Fn. 168), S. 78 – 81; Shirer, Drittes Reich (Fn. 110), S. 499 – 500; Lipinsky, Zusatzprotokoll (Fn. 318), S. 62 – 72. Nach der Kapitulation Warschaus wurde jedoch das geheime Zusatzprotokoll modifiziert und die Demarkationslinie an den Bug zurückverlegt. So: Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 68. 323 Fabry, Hitler-Stalin-Pakt (Fn. 168), S. 111 – 112; Lipinsky, Zusatzprotokoll (Fn. 318), S. 252 – 254. 324 Hitler, Mein Kampf II (Fn. 292), S. 330 (zitiert wird die Fassung: Mein Kampf. Eine kritische Edition II (Fn. 292), S. 1687) 325 Lipinsky, Zusatzprotokoll (Fn. 318), S. 77. 326 Lothar Kettenacker, Die Haltung der britischen Regierung zum Hitler-Stalin-Pakt, in: Kaminsky/Müller/Troebst (Hrsg.), Hitler-Stalin-Pakt (Fn. 119), S. 398. 327 Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 66; Shirer, Drittes Reich (Fn. 110), S. 547. 328 Shirer, Drittes Reich (Fn. 110), S. 635 – 641. 329 Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 69; Shirer, Drittes Reich (Fn. 110), S. 659 – 660. 330 Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 72. 331 Dreier, Wirtschaftsraum-Großraum-Lebensraum (Fn. 10), S. 47 – 84 (49). 332 Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 73. 333 Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 75; Drei-Mächte-Pakt abgedruckt, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 10 (1940), S. 872 – 873; Lu, Agony (Fn. 169), S. 162 – 165. 334 Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 78. 335 Hildebrand, Drittes Reich (Fn. 81), S. 79.
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Die Expansionskriege, die Hitler ab 1939 führte, folgten seinem Ziel der Lebensraumeroberung.336 Hitler entschied sich – entgegen den Forderungen von Ribbentrop – für den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.337 Die Ribbentrop’sche Kontinentalblock-Strategie hätte eine dauerhafte Neutralität gegenüber der „jüdischbolschewistischen“ Sowjetunion erfordert, was letztlich der Rassenpolitik Hitlers widersprach.338 Letztlich entschied sich Hitler gegen eine solche Allianz und für einen Blitzkrieg gegen die Sowjetunion, um seine Lebensraumeroberung weiterzuführen.339 c) Fazit Zunächst ist festzustellen, dass Hitlers Politik sich in vielerlei Hinsicht mit den Forderungen der konservativen Eliten deckte. Dies betrifft insbesondere die Wiederaufrichtung der deutschen Großmacht, die Rückgewinnung verlorener Territorien, das Streben nach einer mitteleuropäischen Hegemonie, die Feindseligkeit gegenüber Frankreich, sowie die Verachtung gegenüber Polen und der Tschechoslowakei.340 Das Dritte Reich entstand aus einer Mischung bereits unterschwellig existierender Ansätze innerhalb der deutschen Bevölkerung, insbesondere eines deutschen Sonderbewusstseins, das aus einer Mischung eines Überlegenheitsgefühls und einer Machtgläubigkeit herrührte.341 Auch Schmitts Thesen zur Großraumtheorie sind vor dem Hintergrund der Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg und vor dem anfänglichen militärischen Erfolg des Dritten Reiches her verständlich.342 Die Theorie wurde im Lichte der damaligen außenpolitischen Situation präsentiert und basierte auf einem schon vorher gebildeten Völkerrechtsverständnis, das letztlich auf eine Revision der Versailler Verträge gerichtet war. Die Großraumtheorie ist also vom Entstehungszeitpunkt her gesehen zweifellos im Hinblick auf die Situation des nationalsozialistischen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg konzipiert worden.343 Jedoch weisen die nationalsozialistische Ideologie und die Großraumtheorie von Schmitt auch Unterschiede auf. Schmitt selber hat im Nachhinein betont, dass seine Arbeiten, anders als der Nationalsozialismus, auf Wissenschaftlichkeit basierten. 336
Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 152. Michalka, Wolfgang, Vom Antikominternpakt zum euro-asiatischen Kontinentalblock, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 490 – 491. 338 Michalka, Ribbentrop (Fn. 82), S. 305. 339 Michalka, Wolfgang, Vom Antikominternpakt zum euro-asiatischen Kontinentalblock, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 491. 340 Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 152 – 153. 341 Brechtken, Herrschaft (Fn. 78), S. 154. 342 Blasius, Carl Schmitt (Fn. 28), S. 185. 343 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 133; Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 21. 337
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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Der Großraum sei gerade kein leeres Schlagwort für jede Art von Expansion, wie es die Expansionspolitik von Hitler gewesen sei.344 Auch wenn Schmitt, gleichwohl, ob seines opportunistischen Kalküls oder aus Überzeugung, ein Anhänger des Nationalsozialismus war, ist seine Großraumtheorie aus einer völkerrechtlichen Analyse der Zwischenkriegszeit abgeleitet, deren wissenschaftliche Fundierung schwer bestreitbar ist. Der Großraumbegriff steht zwar in einem unmittelbaren Zusammenhang zur Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren in der Tschechoslowakei, aber die wesentlichen Gedanken entstammten aus seiner über Jahre hinweg geleisteten Kritik am europäisch geprägten Völkerrechtssystem.345 Die Großraumtheorie kann zudem weder als biologisch-rassistisch noch als völkisch bezeichnet werden.346 Im Hinblick auf die Großraumtheorie347 lässt sich sagen, dass Schmitt, mit Ausnahme seiner Anmerkungen über die angebliche „Raumlosigkeit von jüdischen Rechtswissenschaftlern“,348 im Kern nicht rassisch argumentierte.349 Das nationalsozialistische Völkerrecht war jedoch gerade ein Versuch, das Weltsystem auf der Grundlage einer rassisch-biologischen Ordnung zu schaffen.350 Die Großraumtheorie Schmitts geht nicht von einer biologischen Substanz, also etwa einer gemeinsamen Blutsbande der europäischen Völkerfamilien, als Quelle politischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Ordnungen aus.351 Nach Schmitt soll die Raumherrschaft nicht durch eine rassische Überlegenheit, sondern durch die Kraft einer politischen Idee, letztlich wohl durch die Überlegenheit der Macht, erfolgen.352 Diese fehlende Verbindung des völkischen Lebensprinzips mit der Großraumtheorie wurde gerade von den kontemporären Juristen stark kritisiert.353 Umgekehrt ist es von der Rassenlehre her nicht erklärbar, warum die „nicht deut344
Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 142. Diner, Rassistisches Völkerrecht (Fn. 125), S. 23 – 56 (49). 346 Kluke, Europaideologie (Fn. 121), 240 – 275 (273). Unabhängig davon hat sich Schmitt nicht gegen die Rassenideologie gestellt, die im Dritten Reich immer prominenter wurde. Er befeuerte diese sogar, in dem er etwa jüdische Autoren denunzierte. So: Blasius, Carl Schmitt (Fn. 28), S. 162, 169. 347 Dass Schmitt ansonsten sehr wohl politisch gegenüber Menschen jüdischer Abstammung hetzte, steht außer Frage. So hat er etwa mit dem Aufsatz „Das Judentum in der Rechtswissenschaft (1936)“ jüdische Rechtswissenschaftler, allen voran Hans Kelsen, diffamiert. Er sprach jüdischen Autoren allgemein die Autorität ab. Nicht einmal eine wissenschaftliche Autorität eines jüdischen Wissenschaftlers konnte Schmitt akzeptieren. So auch: Dreier, Horst, „Rezeption und Rolle der Reinen Rechtslehre“, in: ders., Rezeption und Rolle der Reinen Rechtslehre. Festakt aus Anlaß des 70. Geburtstags von Robert Walter, 2001, S. 17 – 34 (26, 30). 348 Schmitt spricht von einer leeren Raumvorstellung von jüdischen Juristen. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 78. 349 von Bogdandy/Hinghofer-Szalkay, Ius Publicum Europaeum (Fn. 130), S. 209 – 248 (241); Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 144. 350 Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 7. 351 Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 21. 352 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 145. 353 So etwa Küchenhoff, Großraumgedanke (Fn. 163), S. 34 – 82 (43). 345
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
schen“ Teile Polens, der Tschechoslowakei, Bulgariens, Rumäniens und Jugoslawiens in das Dritte Reich eingegliedert wurden.354 Die Nähe von Schmitt zum Nationalsozialismus nach 1933 wird verschiedenartig zu erklären versucht. Ein Ansatz ist etwa der Opportunismus von Schmitt, ein anderer Ansatz seine katholische Außenseiterrolle, die ihn in eine latente Bedrohungssituation brachte und die ab 1936 offen zutage trat.355 Ein weiterer Ansatz ist die Erklärung mit dem Überlegenheitsgefühl, das Schmitt gehabt haben mag. Er könnte geglaubt haben, das nationalsozialistische Regime hinsichtlich rechtlicher Fragen leiten zu können.356 Die Elemente der Großraumtheorie fußen, da der Staat weiterhin noch eine zentrale Rolle spielt, auf dem alten Völkerrecht und auf bestehenden Denkfiguren der internationalen Politik, wie etwa der Monroe-Doktrin. Die Reichweite der Großraumtheorie scheint sich nicht nur auf den deutschen oder europäischen Raum zu beschränken, sondern stellt eine globale, planetarische Theorie für eine neue Völkerrechtsordnung dar. Insgesamt erinnert die Großraumtheorie zwar sprachlich an die „Lebensraum“ Politik des Dritten Reiches und weist auch eine zeitliche Nähe auf, ist aber inhaltlich unabhängig und grundverschieden.357 3. Geopolitik Das Verhältnis von Politik und Raum wird mit verschiedenen Begriffen belegt, wie z. B. politische Geographie, Geopolitik und auch Staatengeographie. Die grundsätzliche Feststellung, die diese Begriffe verbindet, ist, dass es eine Wechselbeziehung zwischen dem politisch handelnden Menschen und seiner räumlichen Umwelt gibt.358 Politische Geographie versteht sich jedoch primär als Wissenschaft, die Grundsatzuntersuchungen vornimmt, nicht jedoch politische Handlungsanweisungen erteilen möchte oder sich der Begehrlichkeiten der Tagespolitik verpflichtet sieht.359
354
Neumann, Behemoth (Fn. 226), S. 169. Vgl. Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 208 – 209. 356 So soll Schmitt in einer Befragung 1947 in Nürnberg gesagt haben, dass er sich Adolf Hitler gegenüber „geistlich unendlich überlegen gefühlt habe.“ Vgl. Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 209 – 211. 357 Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 421. In gewisser Weise existierte das GroßraumKonzept als wirtschaftlicher Begriff bereits vor der Machtergreifung der NSDAP und wurde durch das Lebensraum-Konzept ersetzt, das rassistische Züge aufwies und auf die Expansion in den Osten ausgerichtet war. So: von Strandmann, Hartmut Pogge, Imperialism and Revisionism in Interwar Germany, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 113. 358 Ante, Ulrich, Zur Grundlegung des Gegenstandsbereiches der politischen Geographie: Über das „Politische“ in der Geographie, 1985, S. 14. 359 Ante, Politische Geographie (Fn. 358), S. 14. 355
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Die Geopolitik, die sich insbesondere auch durch Karl Haushofer (1869 – 1946) von der reinen politischen Geographie abzugrenzen versuchte,360 sieht sich hingegen als Wissenschaft, die eine Vorhersage für die Machthaber machen kann, da sie die Politik als erdgebunden ansieht.361 Geopolitik ist ein besonders belasteter Begriff, da dieser vor 1945 auch entscheidend von militärischen Bedingungen und Erfahrungen geprägt war.362 Die Geopolitik wird als wissenschaftliche Grundlage des nationalsozialistischen „Lebensraumkonzept“363 und somit als wissenschaftliche Grundlage des expansionistischen Programms des Dritten Reiches verstanden.364 Im Kontext dieser Arbeit erscheint die Untersuchung der Einflüsse der Geopolitik auf Carl Schmitt notwendig, da führende Geopolitiker gerade in den Werken „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ und „Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum“ zitiert werden.365 Weiterhin nutzt Schmitt auch die Sprache der Geopolitiker.366 a) Die Anfänge der Geopolitik Als Begründer der politischen Geographie gilt Friedrich Ratzel (1844 – 1904).367 Vor Ratzel war die Geographie ausschließlich naturwissenschaftlich geprägt. Ratzel verband Evolutionismus und Migrationstheorie368 und entwickelte den Begriff des „Staates als bodenständigen Organismus“ in der politischen Geographie.369 Nach Ratzel waren Raum und insbesondere Lage die entscheidenden Faktoren für eine
360 Vgl. Haushofer, Karl, Politische Erdkunde und Geopolitik, in: Jacobsen, Hans-Adolf, Karl Haushofer – Leben und Werk – Band I: Lebensweg 1869 – 1946 und ausgewählte Texte zur Geopolitik, 1979, S. 511 – 512. 361 Ante, Politische Geographie (Fn. 358), S. 14. 362 Salewski, Michael, Geopolitik und Ideologie, in: Diekmann, Irene/Krüger, Peter/ Schoeps, Julius (Hrsg.), Geopolitik: Grenzgänge im Zeitgeist Band 1.2: 1945 bis zur Gegenwart, 2000, S. 359 – 360. 363 Die Forderung zur Eroberung von neuem „Lebensraum“ wiederum ist die frappierendste Übereinstimmung zwischen den Inhalten von „Mein Kampf“ und der späteren NS-Politik. So: Mein Kampf. Eine kritische Edition I (Fn. 293), S. 65. 364 Neumann, Behemoth (Fn. 226), S. 176; Diner, Dan, „Grundbuch des Planeten“ zur Geopolitik Karl Haushofers, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 32 (1984), Heft 1, S. 1 – 28 (1). 365 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 11, 29, 76; Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 56, 258. 366 Gerade der Begriff des „Raumes“ ist ein beliebtes Schlagwort der Geopolitik gewesen. Vgl. zum Begriff „Raum“ in verschiedenen Kontexten etwa: Dreier, Wirtschaftsraum-Großraum-Lebensraum (Fn. 10), S. 47 – 84 (74 – 79). 367 Ante, Politische Geographie (Fn. 358), S. 32; Heffernan, Europe (Fn. 225), S. 77 – 79. 368 Ante, Politische Geographie (Fn. 358), S. 32 – 34; Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 82. 369 Ratzel, Friedrich, Politische Geographie oder die Geographie der Staaten, des Verkehres und des Krieges, 1903, S. 3 – 23.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Nation.370 Raum und Lage waren nicht nur bloße Objekte der Herrschaft, sondern das eigentliche Wesen des Staates.371 Für Ratzel hat sich die bisherige Staatswissenschaft nur unzureichend mit dem Raum befasst und diesen als eine größere Art von Grundbesitz372 verstanden. Ratzel verstand den Raum allerdings nicht nur als Grundbesitz, sondern als Lebensraum. Es ist deshalb nach Ratzel die Pflicht eines Staates, den Lebensraum des Staatsvolkes zu sichern.373 Die Staaten kämpfen nach Ratzel um den knappen Raum, um diese Aufgabe zu erfüllen.374 Diese Staatsauffassung hat sich mit der Vorstellung des klassischen Völkerrechts verbunden.375 Dadurch wird der Krieg grundsätzlich als legitimes politisches Mittel angesehen.376 Dort, wo es die Lebensfähigkeit des Staates verlangt und es der Natur des „Körpers“ des Staates entspricht, müsse der Staat die politischen Grenzlinien durchbrechen.377 Insofern sind jedoch noch große Unterschiede zur Großraumtheorie erkennbar, da es Schmitt primär um die Etablierung einer konkreten Raumordnung geht, die auf indirekte Herrschaft gerichtet ist. Weiterhin zielt die Großraumtheorie auf die Etablierung einer globalen Weltordnung ab, während die Ratzel’sche politische Geographie primär aus dem Blickwinkel eines Akteurs in der Staatenwelt gerichtet ist. Ratzels Lehre wurde von Rudolf Kjellén (1864 – 1922), der den Namen Geopolitik378 prägte, rezipiert. Er verstand den Staat – in der Form des Nationalstaates379 – 370 Die Lage ist dabei für Ratzel besonders entscheidend, da diese nicht nur über das Klima und den Pflanzenwuchs, sondern auch über das Verhältnis zu den Nachbarn und letztlich auch über die Kultur bestimme. Vgl. Neumann, Behemoth (Fn. 226), S. 178. 371 Neumann, Behemoth (Fn. 226), S. 179. 372 Vgl. Ratzel, Politische Geographie (Fn. 369), Vorrede S. IV. 373 Die Pflicht des Staates, genügend Lebensraum zu sichern, um dem Staatsvolk uneingeschränkte Entfaltungsmöglichkeiten gewähren zu können, sei jedoch letztlich abhängig von Gegebenheiten, wie Lage und Raum, in denen sich der Staat befinde und der Fähigkeit des Staates, diese Umstände richtig zu deuten. Vgl. Ebeling, Frank, Geopolitik: Karl Haushofer und seine Raumwissenschaft 1919 – 1945, 1994, S. 47. 374 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 47. 375 Ratzels völkerrechtlichen Ansichten, im Kontext seiner politische Geographie, scheinen sich, insbesondere bezüglich des ius ad bellum, nicht groß von den Ansichten vieler anderer Autoren im 19. Jahrhundert zu unterscheiden. Die Verknüpfung des ius ad bellum mit dem Bedürfnis eines Staatsvolkes nach Raum ist dahingegen neu. Ratzel versteht die Durchbrechung der Staatsgrenzen primär als Expansion des Staatsgebietes. Diese sog. „raumüberwindenden Mächte“ sind offizieller Bestandteil der nationalsozialistischen Sprache geworden. Vgl. Neumann, Behemoth (Fn. 226), S. 179. 376 Ratzel, Politische Geographie (Fn. 369), S. 381; Ante, Politische Geographie (Fn. 358), S. 36; Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 82; Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 48. 377 Ratzel, Politische Geographie (Fn. 369), S. 129 – 131; Heffernan, Europe (Fn. 225), S. 79. 378 Kjelléns Staatstheorie ist ein Versuch, empirische Untersuchungsmethoden und politisch-philosophische Betrachtungen in Beziehung zu setzen. Politische Vorgänge sind nach Kjellén nicht nur durch geographische Gegebenheiten bedingt, sondern auch durch das Regime (Kratopolitik), die Bevölkerung (Demopolitik), das Wirtschaftsleben (Ökopolitik) und die
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als Lebensform, also als natürliche organische Form des Staates, in dem Volk und Staat zu einer Einheit verschmolzen werden.380 Kjellén sieht es als notwendig an, als Reaktion gegen den industrialisierten Staat des 19. Jahrhunderts, der nach seiner Ansicht die nationalen Haushalte dem Wettbewerb auf dem allgemeinen Weltmarkt ausliefert, einen autarken Staat zu propagieren.381 Dafür ist nach ihm eine Aufteilung der Welt in klar abgrenzbare Räume notwendig. Mit dieser Vorstellung einer Aufteilung der Welt in Räume, nimmt Kjellén bereits eine Kernidee von Schmitt vorweg.382 Als weiterer wichtiger Vorreiter der Geopolitik gilt auch Halford Mackinder (1861 – 1941). Mackinder formulierte die sog. „Heartland Theorie“. Nach Mackinder ist die Welt in Landmächte383 und Seemächte384 einzuteilen, und die Geschichte ist im Wesentlichen der Kampf dieser zwei Mächte.385 Für Mackinder ist derjenige, der Osteuropa beherrscht,386 derjenige der das Heartland387 und somit die Welt be-
Gesellschaft (Soziopolitik). Die Geopolitik, als Lebensäußerung des Staates auf dem räumlichen Gebiet, ist lediglich ein Teilgebiet der Politik. Der Raum ist nicht dessen allein entscheidender Faktor. Kjelléns Ziel der Geopolitik ist es, eine langfristige, behutsame Außenpolitik zu gewährleisten und somit außenpolitischen Gefahren vorzubeugen, da der Mensch seinem Staat und Volk schweren Schaden zufügen könne, sollte er entsprechend der Bedingungen und Anforderungen des Raumes handeln. Vgl. Ante, Politische Geographie (Fn. 358), S. 37; Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 49 – 50. 379 Anders als bei Ratzel ist das territoriale Element nicht mehr entscheidend, sondern die Nation. Vgl. Neumann, Behemoth (Fn. 226), S. 180. 380 Neumann, Behemoth (Fn. 226), S. 180. 381 Neumann, Behemoth (Fn. 226), S. 180. 382 Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 53. 383 Die Landmächte sind zwar in den letzten Jahrhunderten hinter den Seemächten geblieben. Durch die Entwicklung der Transportation auf dem Land, sind diese jedoch immer wichtiger geworden. Vgl. Mackinder, Halford, The Geographical Pivot of History, in: The Geographical Journal, Vol. 23, No. 4, 1904, S. 421 – 437 (433 – 434). 384 Seemächte haben demnach eine Mobilität auf dem Meer. Diese Mobilität habe den Seemächten zu einer dominanten Macht verholfen. Vgl. Mackinder, Pivot (Fn. 383), S. 421 – 437 (432 – 433). 385 Fröhlich, Stefan, Amerikanische Geopolitik, 1998, S. 55. 386 Mackinder hat seine Theorie insbesondere im Hinblick auf Russland formuliert. Er traute Russland in einer Allianz mit Deutschland zu, die Weltinsel zu beherrschen und warnte davor. Vgl. Fröhlich, Geopolitik (Fn. 385), S. 55, 58. Im Jahre 1943 erweiterte er seine Theorie dahingehend, dass er es nunmehr für möglich hielt, das Zentrum der Welt auf den Midland Ocean zu orten. Gemeint ist der Nordatlantik. Nach Mackinder könnten die Vereinigten Staaten in dieser Konstellation, Großbritannien und Frankreich jeweils als einen, mit Wasser umgebenen, Flugplatz bzw. als einen Brückenkopf nutzen. Vgl. Fröhlich, Geopolitik (Fn. 385), S. 59. 387 Mackinder teilt die Welt in die Weltinsel (Eurasien und Asien), die Überseeinseln (Großbritannien und Japan) und die außenliegenden Inseln (Amerika und Australien) ein. Das Heartland liege in der Mitte der Weltinsel. Vgl. Mackinder, Pivot (Fn. 383), S. 421 – 437 (435).
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herrscht.388 Insbesondere der Dualismus zwischen See und Land ist auch in Schmitts Raumvorstellung bedeutsam. b) Karl Haushofer Karl Haushofer ist der Repräsentant und Träger der deutschen Geopolitik.389 Karl Haushofer wurde 1869 als Sohn eines Professors geboren.390 1887 trat er in die bayerische Armee ein, bis er 1907 als Lehrer für neuere Kriegsgeschichte an die Kriegs-Akademie wechselte. 1908 wurde er an die japanische Botschaft versetzt.391 Haushofer nahm ab 1911 wieder seine Lehrtätigkeit in Deutschland auf und promovierte 1913 mit dem Thema „Der deutsche Anteil an der geographischen Erschließung Japans und des sub-japanischen Erdraums, und deren Förderung durch den Einfluss von Krieg und Wehrpolitik“.392 Ab Kriegsausbruch nahm Haushofer als Soldat am Krieg teil.393 Nach Ende des Krieges verfasste er seine Habilitationsschrift „Grundeinrichtungen in der geographischen Entwicklung des japanischen Kaiserreichs 1854 – 1919“.394 Der Aufenthalt in Japan, das sich im Aufbruch befand, beeinflusste Haushofer stark. Haushofers Reise führte ihn nach Mukden, wo er im Auftrag der deutschen Botschaft über die Vorbereitungen zum Ausbau der Bahnlinie Antung-Mukden berichten sollte, und nach Korea, das – aus heutiger geschichtlicher Nachbetrachtung – kurz vor der Annektierung durch Japan stand.395 Die weltpolitische Auffassung Haushofers wurde entscheidend vom Eindruck des militärischen Erfolg Japans im russisch-japanischen Krieg 1905 und dem folgenden Aufstieg von Japan als Großmacht geprägt.396 Für Haushofer stellte der Aufstieg Japans „eine Kraftentfaltung einer in der Weltpolitik noch unverbrauchten Nation“ dar, von der auch Deutschland seine Lehre ziehen sollte.397 Haushofer entwickelte zu dieser Zeit seine politische Konzeption; ein weltumspannendes Bündnis398 zwischen Japan, Russland und Deutschland als Gegenpol zu den angelsächsischen399 Alliierten.400 Ein Aspekt, den 388 Mackinder, Halford, Democratic Ideals and Reality. A Study in the politics of reconstruction, 1919, S. 106. 389 Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (1). 390 Jacobsen, Karl Haushofer. Band I (Fn. 360), S. 3; Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 43. 391 Jacobsen, Karl Haushofer. Band I (Fn. 360), S. 86. 392 Jacobsen, Karl Haushofer. Band I (Fn. 360), S. 91; Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 45. 393 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 45. 394 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 45. 395 Jacobsen, Karl Haushofer. Band I (Fn. 360), S. 88. 396 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 44. 397 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 45 – 46. 398 Der sog. Kontinentale Block war von Mackinders Vorstellung des Kampfes der Seemächte gegen die Landmächte geprägt. Vgl. Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (13). 399 Ähnlich wie bei Carl Schmitt waren die Angelsachsen ein Feindbild für Haushofer, die aus seiner Sicht, auf ihre maritime und handelskapitalistische Art, eine Unterwerfung durch
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er in Form der Kontinentalblock-Theorie auch später weiter verfolgte und der einen entscheidenden Einfluss auf die Großraumtheorie sowie auch auf den Außenminister des Dritten Reiches, Ribbentrop, gehabt hat. Geopolitik ist ein Versuch, die internationale Politik ethnozentrisch zu verwissenschaftlichen.401 Sie war für Haushofer als eine Lehre der Gesetze des Raumes und der Erde und der daraus erwachsenden Folgen für Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Sie sollte den Menschen zu richtigem Handeln anleiten.402 Haushofer erkannte die fünf Disziplinen nach Kjellén zwar an, wollte aber die Raumlehre über alle Arbeitsfelder erhaben wissen. Gleichwohl war für ihn der Mensch nicht ein bloßes Erfüllungsorgan der Kräfte der Erde.403 Letztlich sollte Geopolitik nicht selber Politik betreiben, aber zumindest als Staatswissenschaft die Politiker auf Handlungsmöglichkeiten hinweisen.404 Haushofer sieht Geopolitik als bio-geographische Ergänzung der einseitig „bodenfremden“ Staatslehren.405 Der Staat, im Sinne der reinen Jurisprudenz, ist für Haushofer abstrakt formalisiert und sollte als ein biologischer Organismus verstanden werden.406 Der moderne Staat ist mit dem geopolitischen Raum nach Haushofer nicht kompatibel und steht gar in einem fundamentalen weltanschaulichen Formengegensatz.407 Die Geopolitik richtet sich also gegen das abstrakte und formalisierte Staats- und Rechtsverständnis des westlichen Kapitalismus und damit auch gegen die angelsächsisch bestimmte Weltgesellschaft.408 Die Erde wird nach Haushofer – im Kampfe der Staaten etwa aufgrund eines Machtreizes oder aus der Not, den notwendigen Lebensraum zu sichern heraus,409 – ständig neu verteilt.410 Raum411 ist für Haushofer nicht bloß demographische Ideowirtschaftliche Durchdringung im Auge hatten. Vgl. Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (10 – 11). 400 Jacobsen, Karl Haushofer. Band I (Fn. 360), S. 93; Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 45. 401 Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (27). 402 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 52; Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 83. 403 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 51. 404 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 46. 405 Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 128; Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (3). 406 Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (4). 407 Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (20). 408 Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (28). 409 Nach Haushofer ist der Antrieb von Deutschland, Italien oder Japan die nicht mehr zu bewältigende Übervölkerung, während es bei Frankreich oder Großbritannien der Machtreiz sei. Dies mache einen ungeheuren ethischen Unterschied aus. Vgl. Haushofer, Karl, Staat, Raum und Selbstbestimmung, in: Haushofer, Karl, Raumüberwindende Mächte, 1934, S. 84 – 85. 410 Haushofer, Karl, Staat, Raum und Selbstbestimmung, in: Haushofer, Raumüberwindende Mächte (Fn. 409), S. 80. 411 Raum ist bei Haushofer einerseits eine Kategorie von Bewusstsein, in der sich wesentlich ein Lebensgefühl verdichtet, das auf das Engste mit den tiefen gesellschaftlichen und zivili-
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logie in Richtung kolonialer Expansion, sondern betrifft ein Lebensgefühl, das vom realen geographischen Raum unabhängig ist.412 Für Deutschland diagnostiziert Haushofer eine erhebliche geographische Enge aufgrund der demographischen Situation, da die Deutschen „raumberaubt“ und „volksgedrängt“ seien413 und sah die Notwendigkeit einer Raumerweiterung, der die völkerrechtlichen Grenzen sprengte. Einen grenzlosen Drang zur „Raumüberwindung“ und „Raumbeherrschung“ kritisierte er jedoch, soweit dieser Raum nicht für die dort lebenden Menschen nutzbringend sei.414 Krieg war für Haushofer nur unter bestimmten Prämissen akzeptierbar.415 Vielmehr sollte eine Art „Grundbuch des Planeten“ entstehen, nachdem die Welt nach natürlichen Kriterien gerecht verteilt werden sollte.416 Trotzdem akzeptierte er Waffengewalt zur Durchsetzung einer solchen neuen politischen Aufteilung.417 Dies hatte zur Konsequenz, dass er etwa die Niederlage im Ersten Weltkrieg als unvermeidliche selbst verschuldete Bestrafung des Deutschen Reiches durch die Weltpolitik sah, da die Deutschen nach seiner Ansicht zu europazentrisch und kleinräumig gedacht und somit nicht gesehen hätten, dass die Gegner Deutschland turmhoch überlegen waren.418 Durch ein kritischeres Raumbewusstsein sollte eine solche Niederlage künftig vermieden werden.419 Insofern ist die deutsche Geopolitik durchaus auch eine Revisionsideologie im Hinblick auf die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges.420 Parallelen zur Analyse des Ersten Weltkrieges von Carl Schmitt sind klar zu erkennen, da beide die Niederlage Deutschlands als Ergebnis der Fehleinschätzung Deutschlands hinsichtlich seiner Stellung in der Weltordnung sahen. Das bekannteste Werk Haushofers ist das Buch „Weltpolitik von heute“ von 1934, das u. a. „Rudolf Heß … in treuer Freundschaft“ gewidmet war.421 Darin beschreibt er den status quo Deutschlands als den eines raumbeengten und raumlosen Staats, zwischen den Mächten im Westen, die Kolonien besitzen, und den Mächten im Osten, die Raum besitzen.422 Die Welt sei im Konflikt zwischen den Mächten des satorischen Ein- und Umbrüchen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland verbunden ist. Andererseits ist Raum eine konkrete politische Vorstellung, die sich mit der so gewonnenen Denkform vermengt. Vgl. Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (17). 412 Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (18). 413 Haushofer, Karl, Weltpolitik von heute, 1935, S. 19; Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (19). 414 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 64. 415 Insbesondere war für ihn der Krieg in Europa schädlich. Vgl. Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 67. 416 Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (23). 417 Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (28). 418 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 53. 419 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 54. 420 Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (3). 421 Haushofer, Weltpolitik (Fn. 413), S. 5; Neumann, Behemoth (Fn. 226), S. 177. 422 Haushofer, Weltpolitik (Fn. 413), S. 19.
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Beharrens, wie England und Frankreich,423 und den Mächten der Erneuerung, wie Deutschland, Italien und Japan, einzuteilen.424 Insbesondere Deutschland ist nach Haushofer dabei in seiner Existenz auf ein unerträgliches Mindestmaß reduziert.425 Die Expansion von Deutschland wird deshalb in zweierlei Hinsicht gestützt. Einerseits seien Großmächte wie England und Russland bereits auf dem Zenit ihrer räumlichen Ausbreitung.426 Frankreich hingegen fehle der Wille zur Raumherrschaft427 und es befinde sich im Prozess der Schrumpfung. Andererseits gäbe es für politische Einheiten ein Mindestmaß an Größe.428 Es sei also zulässig, kleinere Staaten zu vereinnahmen.429 In diesem Punkt ist die Argumentationsrichtung Haushofers und Schmitts identisch, da auch Schmitt ein Apologet der deutschen Expansionspolitik ist. Wie die Welt nach Vereinnahmung kleinerer Staaten gestaltet sein könnte, ist in Haushofers Werk „Geopolitik der Pan-Ideen“ von 1931 dargelegt. Hier wird sein Ansatz über staatsübergreifende Weltteilzusammenfassung des ganzen Planeten geäußert.430 Nach Haushofer haben alle Pan-Ideen völkerumfassende, allumspannende Ziele, und somit den „Trieb zur Verkörperung und dann zum Wachstum im Raum“.431 Beispielhaft nennt Haushofer die Zusammenfassung von Weltteilen alten Stils, also etwa in Asien, Europa, Amerika, Afrika und Australien.432 Gleichzeitig gäbe es auch Pan-Ideen, die solch eine Aufteilung nicht zuließen, so etwa das Britische Reich, das einen weltumspannenden, ozeanisch verbundenen Streubesitz aufgebaut habe.433 Wie Mackinder sieht auch Haushofer ein dauerhaftes Gegenspiel festlandwüchsiger und meerbestimmter Pan-Ideen.434 Die bloße Existenz gegensätzlich ausgerichteter Ideologien und Systeme war für Haushofer jedoch nicht zwingend eine Gefährdung des Friedens. Erst der absolute Anspruch einer Ideologie 423
Haushofer, Weltpolitik (Fn. 413), S. 65 Haushofer, Weltpolitik (Fn. 413), S. 56. 425 Haushofer unterscheidet das deutsche Wehr- und Reichsgebiet, den geschlossenen deutschen Volksboden sowie den Bereich deutschen Sprach- und Kultureinflusses. Deutschland ist nach Haushofer auf ein unerträgliches Maß zusammengedrückt, da das Wehrgebiet kleiner sei als das Reichsgebiet. Vgl. Haushofer, Weltpolitik (Fn. 413), S. 57. 426 Haushofer, Weltpolitik (Fn. 413), S. 110. 427 Haushofer, Weltpolitik (Fn. 413), S. 111. 428 Haushofer, Weltpolitik (Fn. 413), S. 115. 429 Neumann, Behemoth (Fn. 226), S. 184. Hier ist also gut zu erkennen, dass Haushofer die Interessendurchsetzung des deutschen Imperialismus theoretisch zu rechtfertigen versuchte. Insofern ist in der deutschen Geopolitik, trotz Abstraktion und Formalisierung von Hierarchie, eine Ideologie zu sehen, die internationale Herrschaft legitimiert. Vgl. Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (2). 430 Haushofer, Karl, Geopolitik der Pan-Ideen, 1931, S. 11. 431 Haushofer, Pan-Ideen (Fn. 430), S. 7. 432 Haushofer, Pan-Ideen (Fn. 430), S. 26. 433 Haushofer, Pan-Ideen (Fn. 430), S. 46. 434 Haushofer, Pan-Ideen (Fn. 430), S. 56. 424
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auf Macht- und Herrschaftsmonopol bringe Krieg.435 Die Daseinsberechtigung solcher Pan-Ideen in der Lösung des Hauptproblems der physischen Anthropogeographie sei eine gerechte Raumverteilung.436 Dem Völkerbund spricht Haushofer solch eine Funktion schon deshalb ab, weil die zwei am stärksten mit der Verkörperung von Pan-Ideen Beschäftigten unter den großen Mächten der Erde, die USA und Sowjetunion, dem Völkerbunde fern blieben.437 Gerade bei der Vorstellung der Verteilung des Erdraumes zeigen sich starke Parallelen zu Carl Schmitt. Wie auch bei Carl Schmitt stellt sich bei Haushofer die Frage, inwieweit seine Theorien als nationalsozialistisch zu bewerten sind.438 Haushofer wird von wissenschaftlichen Geographen mittlerweile aufgrund seiner nationalsozialistischen Verwicklung apodiktisch abgelehnt.439 Als pauschales Anhängsel oder gar als ideologischer Unterbau des Nationalsozialismus kann die Geopolitik jedoch wohl nicht begriffen werden.440 Andererseits lässt sich jedoch nicht leugnen, dass sich die Geopolitiker in den Jahren 1933 – 1940 weitgehend mit den Zielen der Nationalsozialisten einverstanden erklärten.441 Das Konzept des Lebensraums von Hitler wird gar als Plagiat von der Haushofer’schen Geopolitik bezeichnet.442 Ein wesentlicher Punkt, den Haushofer mit den Nationalsozialisten nicht teilte, ist jedoch deren völkische Weltanschauung. Haushofer hatte zwar ebenfalls mannigfaltige Vorurteile gegenüber Minderheiten und auch Juden,443 meinte damit aber weniger das spezifisch biologisch-rassische Attribut.444 Vielmehr benutzte Haushofer das Attribut „jüdisch“ als eine Metapher für die Verstädterung und Industrialisierung, dem er die geopolitischen Raumvorstellungen entgegenstellte.445 Dazu kommt auch eine persönliche Komponente Karl Haushofers: Seine Frau Martha war jüdischer Abstammung und somit auch sein Sohn Albrecht. Nur mithilfe von Rudolf Heß konnte er die Existenz seiner Familie sicherstellen.446 Auch wenn Haushofer durchaus über die 435
Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 68. Haushofer, Pan-Ideen (Fn. 430), S. 83. 437 Haushofer, Pan-Ideen (Fn. 430), S. 78. 438 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 146. Diner sieht in Haushofer zumindest einen „fellow traveller“ der Nationalsozialisten. Vgl. Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (24). 439 Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 125; Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (1). 440 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 55. 441 Jacobsen, Karl Haushofer. Band I (Fn. 360), S. 461. 442 Bendersky, Theorist (Fn. 149), S. 252. Diner betont jedoch, dass er trotz diesen Einflusses auf das Werk „Mein Kampf“, wenig Einflüsse auf die nationalsozialistische Politik von Hitler gehabt habe. Vgl. Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (26). 443 Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 133. 444 Jacobsen, Karl Haushofer. Band I (Fn. 360), S. 56 – 457; Heffernan, Europe (Fn. 225), S. 135 – 137. 445 Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (7). 446 Jacobsen, Karl Haushofer. Band I (Fn. 360), S. 458; Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (8 – 9). 436
A. Großraumtheorie im Kontext des Gesamtwerkes von Carl Schmitt
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Notwendigkeit der Erhaltung der Reinheit der Herrenrasse und der Nutzung von Rassenkonflikten in anderen Staaten, um die eigene Position zu stärken, schrieb,447 kann ihm also nicht unterstellt werden, dass er von der Rassenideologie des Dritten Reiches tief überzeugt war, auch wenn er sich nicht aktiv dagegen stellte. c) Einfluss der Geopolitik auf Carl Schmitt Carl Schmitt war zweifelsohne stark von der Geopolitik beeinflusst.448 Schmitt zitierte in seinem Werk „Völkerrechtliche Großraumordnung“ ausdrücklich den Geopolitiker Karl Haushofer, den er als „Meister“ bezeichnete.449 Auch Friedrich Ratzel, der Gründer der politischen Geographie,450 und Halford Mackinder451 werden zitiert. Der Gegensatz von maritimem und territorialem Denken und die Auswirkungen dieser Gegensätze auf die Weltgeschichte scheinen für Schmitt genauso faszinierend gewesen zu sein wie auch für die Geopolitiker.452 Schmitt leitete aus diesem Unterschied von Land und Meer einen fundamentalen gegensätzlichen Staatstypus ab. Land- und Seemächte hätten nach Schmitt ein anderes Kriegsverständnis und folglich auch eine andere Raumordnung im Sinne. Den Seemächten unterstellte Schmitt, dass diese für die Universalisierung ihrer Macht bestehende konkrete Raumordnungen durchbrechen würden.453 Unter dem Deckmantel von globalen, weltumfassenden völkerrechtlichen Prinzipien würden diese einen grenzenlosen universalen Interventionismus ausüben.454 Kriege würden Seemächte als Vernichtungskriege und den Feind als „hors la loi“ verstehen.455 Somit sind die Seemächte, wie etwa die angelsächsischen Staaten, für Schmitt der primäre Feind. Die „konkrete Raumordnung“456 von Schmitt ist nämlich eine natürlich gegebene Ordnung, die das formelle Prinzip der Gleichheit der Staaten aufheben und zu einem neuen raumpolitischen Naturrecht führen würde.457 447
Haushofer, Weltpolitik (Fn. 413), S. 151 – 152. Elden, Stuart, Reading Schmitt geopolitically. Nomos, territory and Großraum, in: Legg, Stephen (Hrsg.), Spatiality, Sovereignity and Carl Schmitt. Geographies of the nomos, 2011, S. 101; Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 88. 449 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 11, 29. 450 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 76; Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 56, 258. 451 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 8. 452 Die Unterscheidung „Land und Meer“ ist bei Schmitt ein Strukturprinzip, das über die naturwissenschaftliche Größe oder über einfache geographische oder geopolitische Faktoren hinaus geht. Vgl. Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 229. 453 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 211. 454 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 34. 455 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 286 – 287. 456 Der „Nomos“ als Ortung und Ordnung ist immer eine geopolitische Ordnung. Vgl. Elden, Stuart, Reading Schmitt geopolitically. Nomos, territory and Großraum, in: Legg (Hrsg.), Spatiality (Fn. 448), S. 97. 457 Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (23). 448
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Jedoch sind auch Unterschiede festzustellen. Raum im Sinne der Geopolitik ist eine konkret politische Größe – und zwar in erster Linie Staatsgebiet und Kolonialgebiet –, während es für Schmitt um die Beschreibung einer völkerrechtlichen Geltungssphäre geht. Der Raum nach Schmitt geht über das Staatsgebiet hinaus und ist in eine konkrete und zeitgebundene weltpolitische Ordnung des Erdraumes eingebettet.458 Somit ist der Raum ein politischer Raum und bestimmt sich nach politischen und nicht demographischen oder geographischen Kriterien.459 Der Raum wird bei Schmitt vom Reich zwar beeinflusst, jedoch nicht einverleibt. Das Reich behält nur die Raumhoheit.460 Der Staat existiert mit eingeschränkter Gebietshoheit noch weiter. Ein weiterer Unterschied zeigt sich etwa in dem zentralen Begriff Schmitts, dem „Großraum“, der anders als der von den Geopolitikern genutzte Begriff „Lebensraum“ kein Ausdruck einer Raumnot oder wirtschaftlichen Notwendigkeit ist.461 Der Großraum bestimmte sich vielmehr nach eigenen Gesetzen, nämlich dem Nomos der Erde, der auf die Herstellung einer effektiven und konkreten Ordnung gerichtet ist.462 Indem Schmitt ein nach dem geltenden Völkerrecht nicht erfassbares Phänomen, nämlich die lediglich indirekte Beherrschung der schwächeren Staaten durch die stärkeren, als neues Recht festschreiben wollte, formulierte er seine Ideen offensiver als etwa Haushofer.463 Gleichzeitig ist jedoch der Stärkere selbst ein Teil des Nomos der Erde, der sich von selbst vollzieht.464 Während in der Geopolitik die einzelnen Staaten als Akteure ein organisches Wachstum, etwa durch Eroberungen, vollziehen, ohne dass dieser Vorgang ein bestimmtes Ziel, außer der Schaffung von Lebensraum, hätte, sind diese Akte bei Schmitt ein Teil des Selbstvollzugs des Nomos der Erde. Der staatlichen Entscheidung, z. B. auf Eroberung, wird einerseits eine weltgeschichtliche Bedeutung beigemessen, aber im nächsten Schritt sind diese Entscheidungen nur ein Teil der Raumgebundenheit der konkreten Ordnung.465 4. Fazit Die Großraumtheorie von Carl Schmitt ist zwar, wie ausgeführt, als völkerrechtliche Alternative zum existierenden auf Staatensouveränität und Staatengleichheit basierenden Völkerrecht konzipiert, deren Wurzeln sind jedoch nicht nur in der völkerrechtlichen Diskussion seiner Zeit zu suchen. 458
Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 228; Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 89. Bendersky, Theorist (Fn. 149), S. 53. 460 Elden, Stuart, Reading Schmitt geopolitically. Nomos, territory and Großraum, in: Legg (Hrsg.), Spatiality (Fn. 448), 99. 461 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 90. 462 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 91. 463 Ebeling, Geopolitik (Fn. 373), S. 151. 464 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 238. 465 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 233. 459
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Vielmehr ist die Großraumtheorie ein Produkt der Zwischenkriegszeit, wie sich in den inhaltlichen Parallelen dieser Lehre zu den kontemporären Geistesströmungen zeigt. Wie auch die Vertreter der Europa-Idee, wie etwa Naumann oder CoudenhoveKalergi, propagierte Schmitt eine politische Raumordnung, die über die bisherigen Staatsgrenzen hinaus ging, stellt dabei aber das Wirtschaftliche nicht so sehr in den Vordergrund. Wie auch die Konservative Revolution oder der Nationalsozialismus sah Schmitt den Krieg als legitimes Mittel zur Durchsetzung einer neuen Ordnung an und rechtfertigte den deutschen Expansionismus. Gleichzeitig strebte er jedoch ein globales Nebeneinander von Großräumen, nicht jedoch die Weltherrschaft, an. Zuletzt sind sein Vokabular und seine Gedankenmuster zwar stark von den geopolitischen Denkern beeinflusst, wie etwa die Fokussierung auf den Raum als neue völkerrechtliche Größe zeigt, aber diese haben einen deutlich formaleren Charakter, da weniger auf die „Einengung“ etwa des deutschen Volkes abgestellt wird, sondern ganz abstrakt von der Raumhoheit der mächtigeren Staaten gesprochen wird, die Schmitt als ein ranghöheres Subjekt, nämlich als Reich, einführen möchte. Insgesamt war die Überwindung der Versailler Weltordnung für all diese Strömungen ein zentrales Anliegen. Sie hatten die Rechtfertigung von der Überwindung des geltenden Völkerrechts, notfalls mithilfe von Gewalt, im Sinne. In ihrer Vehemenz und ihrem Endziel unterscheiden sich diese jedoch untereinander, und eine neue Weltordnung mit nebeneinander existierenden Großräumen findet sich letztlich nur bei Haushofer und Schmitt.
B. Die Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie Wie gesehen entstand die Schmitt’sche Großraumtheorie im weitesten Sinne als eine Reaktion auf die Änderungen des europäischen Völkerrechts nach dem Ersten Weltkrieg. Hinzu kam freilich, dass für Schmitt mit der Expansionspolitik des Dritten Reiches ein günstiger Zeitpunkt gekommen war, eine völlig neue Ordnung im Sinne der damaligen Expansionspolitik unter Hitler auszurufen. Für Schmitt war jedoch die Hauptkritik und somit das Herzstück seiner Großraumtheorie, dass das Völkerrecht nach dem Ersten Weltkrieg keine tragbare konkrete Raumordnung mehr sei, da sie die tatsächlichen Machtverhältnisse nur unzureichend abbilden konnte. Diese Kritik lässt sich in verschiedene Aspekte aufteilen, die wiederum Niederschlag in seiner Großraumtheorie gefunden haben. Dies betrifft die Auflösung des ius publicum europaeum als wirksame globale Raumordnung, die Unzulänglichkeit des Staates als Träger von Souveränität, die fehlende Hegung des Krieges unter dem Völkerrecht der Zwischenkriegszeit und der allgemeinen fragwürdigen Rechtsqualität des Völkerrechts.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
I. Die Raumordnung des europäischen Territorialstaates und das Konzept des Großraumes Raumordnungen nach Schmitt sind im Zusammenleben des Menschen von der Erde her entstammende Urakte des Rechts, die auf der „Nahme“ von Territorien gründen.466 Durch die Verbindung der Landnahme und Seenahme und einem gewissen globalen Bewusstsein467 entstand das erste „Nomos der Erde“, das ius publicum europaeum.468 Die Auflösung dieser Raumordnung sieht Schmitt als schleichenden Prozess, der maßgeblich durch die Anerkennung von nicht-europäischen Staaten erfolgte.469 Für Schmitt ist das Völkerrecht in der Zwischenkriegszeit deshalb keine konkrete Raumordnung mehr.470 Die Großraumtheorie ist ein Versuch, den Staat als maßgebliches Völkerrechtssubjekt zu überwinden, um so eine andere Raumordnung zu konstruieren.471 Schmitt sah nämlich das ius publicum europaeum als endgültig überholt an. Als Modell für seine neue Raumordnung zog Schmitt die Monroe-Doktrin heran, die er als historischen Präzedenzfall ansah. Für Schmitt ist durch die Verkündung der MonroeDoktrin eine neue Raumordnung entstanden, die eine Grundlage für den neuen Nomos der Erde bilden kann. 1. Die Raumordnung unter dem ius publicum europaeum Der erste Punkt der Kritik Schmitts an dem geltenden Völkerrecht war, wie gesehen, die Auflösung der europäischen Raumordnung des ius publicum europaeum. Das ius publicum europaeum ist für Schmitt im Wesentlichen das Recht, das aus der europäischen Landnahme einer nicht-europäischen Neuen Welt entstanden ist.472 Nach Schmitt konnte diese Ordnung nur deshalb existieren, weil es eine strikte territoriale Abgrenzung des Anwendungsbereichs des europäischen und kolonialen Völkerrechts gegeben hatte. Die Aufhebung dieser Abgrenzung, die aufgrund der Dekolonialisierung nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte, führte nach Schmitt zu einer unhaltbaren Situation, dass Großmächte und ehemalige Kolonialstaaten nun als gleichwertig behandelt werden mussten. Dadurch entfiel nach Schmitt die Grundlage 466
Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 13 – 16. Die vorglobale Einteilung der Erde hingegen war nach Schmitt keine umfassende Raumordnung. Vielmehr war diese ein Nebeneinander eher primitiver Beziehungen zwischen Klans, Sippen, Stämmen, Städten usw. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 24. 468 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 19. 469 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 377. 470 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 211. 471 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 60. 472 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 155. 467
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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für eine konkrete Raumordnung, da das Völkerrecht nicht mehr realitätsnah war.473 Für Schmitt ist dieser Sprung vom ius publicum europaeum zum universellen Völkerrecht nicht möglich, da das europäische Völkerrecht nur deshalb als konkrete Raumordnung existieren konnte, weil es eben die Unterscheidung zwischen dem Völkerrecht in Europa und dem Kolonialvölkerrecht gab.474 Die Gebietsänderungen innerhalb Europas seien von gemeinsamer Beratung und Beschlussfassung gekennzeichnet gewesen,475 während äquivalente Änderungen im Geltungsbereich des Kolonialvölkerrechts durch Ausbeutung ohne Rücksicht auf Nachbarschaft oder geographische Grenzen erwirkt worden seien.476 a) Der europäische Territorialstaat Im ius publicum europaeum ist der territoriale Flächenstaat das zentrale Prinzip der Raumordnung. Es ist in erster Linie das Recht zwischen souveränen Territorialstaaten. Der Staat ist geborenes Völkerrechtssubjekt und maßgeblicher Akteur. Er wirkt zudem entscheidend bei der Entstehung sowie dem Vollzug des Völkerrechts mit. Folglich ist auch die Raumordnung maßgeblich vom Staat beeinflusst.477 aa) Die Völkerrechtsgeschichte des Territorialstaates Der Territorialstaat ist in Europa dabei eine relativ moderne Erfindung. Das Völkerrecht vor dem 15. Jahrhundert unter der „communitas christiana“ kann noch als ein Völkerrecht mit universalem Anspruch charakterisiert werden.478 Einerseits gab es das kanonische Recht, das in der ganzen christlichen Welt Subordination forderte, andererseits den Kaiser, der als höchste weltliche Autorität Gehorsam in seinem Reich verlangte.479 Jedoch konnten weder der Kaiser noch der Papst den universalen Herrschaftsanspruch so durchsetzen, dass neben ihnen keine anderen Partikulargewalten Platz gehabt hätten.480 473 Vgl. dazu: Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 372 – 383. 474 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 143. 475 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 162. 476 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 143. 477 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 36, 120. Crawford stellt fest, dass die Möglichkeit der direkten Teilnahme an der Gestaltung des Völkerrechts ein wichtiger Aspekt der Völkerrechtssubjektivität sei. Vgl. Crawford, James, Brownlie’s Principles of Public International Law, 8. Auflage, 2012, S. 126. 478 de Moncada, Luis Cabral, Das heutige Völkerrecht und seine Grenzen, in: Barion, Hans/ Böckenförde, Ernst-Wolfgang/Forsthoff, Ernst/Weber, Werner (Hrsg.), Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, 1968, S. 105. 479 Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 19 – 24. 480 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 30 – 32; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 67; Ziegler, KarlHeinz, Völkerrechtsgeschichte, 2. Auflage, 2007, S. 100.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Mit dem Spanischen Zeitalter481 wurde klar, dass die bisherigen universalen Mächte, der Papst und der Kaiser, nicht mehr die europäische Staatengesellschaft einen konnten. Anstelle des Heiligen Römischen Reiches war nun Spanien die führende weltliche Macht.482 Der moderne Staat,483 als Subjekt des Völkerrechts, bildet sich heraus.484 Das Französische Zeitalter, also die Periode ab der Mitte des 17. Jahrhunderts, wird die Zeit des „reifen“ Absolutismus genannt.485 Das Prinzip der Souveränität verhalf der Entwicklung des Staates, sich einen organisatorischen Rahmen zu geben. Auf dieser Grundlage bildete sich eine absolutistische Regierungs- und Staatsform heraus.486 Die logische Entwicklung der Herausbildung dieser nach innen durchorganisierten absoluten Staatsform war auch, dass der Staat sich nach außen klar abgrenzte.487 Dies geschah durch die Herausbildung von Gebietsgrenzen.488 Durch den Westfälischen Frieden wurde diese Idee des „Landbesitzers“ weiter verfestigt,489 auch wenn es bis zu dem Zeitpunkt noch keine Festlegung des Territoriums als
481 Die europäische Völkerrechtsgeschichte wurde von Wilhelm Grewe in seinem Werk „Epochen der Völkerrechtsgeschichte“ in mehrere Epochen unterteilt. Namentlich sind dies das Spanische Zeitalter (1494 – 1648), das Französische Zeitalter (1648 – 1815), das Englische Zeitalter (1815 – 1919), das Zwischenkriegszeitalter (1919 – 1944) und das Moderne Zeitalter nach 1945. Auch Arthur Nussbaum sieht in seinem Werk „Geschichte des Völkerrechts“ eine ähnliche Periodisierung vor. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 19 – 25; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. XI – XII. 482 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 168; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 68; Stadtmüller, Georg, Geschichte des Völkerrechts. Teil I: Bis zum Wiener Kongreß (1815), 1951, S. 103; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 117. 483 Das Wort „status“ wird in der Neuzeit im Sinne einer politischen Einheit genutzt. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 197; Weinacht, Paul-Ludwig, Staat. Studien zur Bedeutungsgeschichte des Wortes von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert, 1968, S. 60 – 68; Krüger, Herbert, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 11 – 14. 484 Insbesondere z. B. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 197; Weinacht, Staat (Fn. 483), S. 60. 485 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 369. 486 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 33. 487 Gebietsabgrenzungen generell gab es auch bereits in der Antike oder im Mittelalter. Allerdings bildete sich die Idee eines abgeschlossenen politischen Raumes, unter exklusiver Herrschaft einer bestimmten Autorität, erst nach dem 15. Jahrhundert, insbesondere in Städten, heraus. Durch Nicollo Machiavelli (1469 – 1527) wurde die Idee des „dominum“, eines Gebiets unter einer Souveränität, eingeführt. Vgl. Khan, Daniel-Erasmus, Territory and Boundaries, in: Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 231 – 232. 488 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 374. Diese geographischen Grenzen und territoriale Geschlossenheit, dessen Herausbildung sich im Laufe des späten 18. Jahrhundert bis zum frühen 19. Jahrhundert vollzog, sind ein wichtiges Merkmal der Souveränität. Beispiele für essenzielle Rechtsbegriffe, die auf der Grundlage der Territorialität entstanden, sind das „ius soli“ im Staatsangehörigkeitsrecht und die Territorialität des Strafrechts. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 381; Zimmer, Matthias, Moderne, Staat und Internationale Politik, 2008, S. 55. 489 Khan, Daniel-Erasmus, Territory and Boundaries, in: Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 237.
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Existenzgrundlage für einen Staat gab.490 Allerdings gab es mehr und mehr Bemühungen im 17. bzw. 18. Jahrhundert, gerade etwa durch den französischen Staat, die Grenzlinien, die bislang eher als schwammige Grenzzonen erschienen, klar zu definieren.491 Diese Möglichkeit der klaren Definition ergab sich auch durch den Fortschritt der geographischen Wissenschaften im Allgemeinen.492 Die Idee des Territorialstaates blieb die maßgebliche Raumordnung – auch im Englischen Zeitalter493 sowie in der Zwischenkriegszeit. Der kapitalistische Weltmarkt, der ab der Mitte des 18. Jahrhunderts durch das maritime Empire der Briten entstand, realisierte sich durch die koloniale Expansion. Am Ende des 19. Jahrhunderts fanden sich die europäischen Staaten in dieser widersprüchlichen Situation: Die Wirtschaft agierte global, während die Politik noch auf Grundlage des Nationalstaates verweilte. Dies bedeutete gleichzeitig, dass die gerade erst hergestellte Souveränität als territorialer Flächenstaat im Hinblick auf die abstrakte Herrschaft des Weltmarktes untauglich wurde.494 Diese Situation verblieb auch noch nach dem Ersten Weltkrieg. Darüber hinaus wurden sogar ehemalige Kolonien als unabhängige Staaten anerkannt. Dies führte zu der Situation, die Carl Schmitt als Auflösung des ius publicum europaeum bezeichnete.495
490 Khan, Daniel-Erasmus, Territory and Boundaries, in: Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 233 – 234. 491 In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Lehre der „natürlichen Grenzen“ zu erwähnen, die bereits Bodin oder Grotius im Sinne von besonders stabilen Grenzen aufgrund von natürlichen Gegebenheiten, ansprachen. Die französische Außenpolitik knüpfte an diesen Kriterium an, um teils ihre Expansionspolitik zu rechtfertigen, teils aber auch um den Expansionsdrang zu regulieren. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 374 – 378. 492 Karten, die das französische Territorium unzweifelhaft darstellen konnten, wurden erst im Laufe des 18. Jahrhunderts erstellt. Kartographische Skizzierungen, als Anlage zu einen völkerrechtlichen Vertrag, um die Grenzbestimmungen klarer zu machen, wurden im Jahre 1718 zum ersten Mal eingeführt. Dies betrifft den Vertrag zwischen dem Kaiser und den niederländischen Generalstaaten von 1718. Die flandrische Grenze wurde dadurch festgelegt. Geographische Grenzbeschreibungen, wie sie in den modernen Abtretungsverträgen üblich sind, sind erst ab Ende des 18. Jahrhunderts zu finden. So etwa der Vertrag von Compo Formio vom 17. 10. 1797. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 378 – 380. 493 Dies ist die Zeit zwischen dem Berliner Kongress von 1885 und dem Ersten Weltkrieg. Es kann aber als Zeichen für den Verfall globaler britischer Dominanz gesehen werden, da die Überlegenheit – die auf industrieller Produktivität beruhte – verschwand und durch politische Rivalitäten ersetzt wurde. Das Englische Zeitalter, insbesondere die Periode von 1882 bis 1914 kann als klassische Epoche des Imperialismus gesehen werden, in der sich zwar der Nationalstaat als territoriale Hoheit vollkommen etablierte, gleichzeitig aber die gestaltende Bedeutung des Staates auf dem Weltmarkt unterminiert wurde. Vgl. Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 20 – 23. 494 Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 1; Pattloch, Peter Paul, Recht als Einheit von Ordnung und Ortung: Ein Beitrag zum Rechtsbegriff in Carl Schmitts „Nomos der Erde“, 1961, S. 113. 495 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 377.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
bb) Grundkonzepte des modernen Staates im Völkerrecht Das europäische Verständnis des modernen Staates im völkerrechtlichen Sinne entstand im Französischen Zeitalter und wurde durch das Souveränitätsprinzip maßgeblich beeinflusst. Es veränderte sich in der Folgezeit nur noch in Nuancen und existiert bis heute noch fast unverändert. (1) Drei-Elementen-Lehre Die Voraussetzung für das Vorliegen eines Staates wurde von Georg Jellinek (1851 – 1911) in seiner „Allgemeinen Staatslehre“ von 1900 dargelegt. Nach Jellinek liegt ein Staat vor, wenn die drei Elemente Staatsgebiet496, Staatsvolk497 und Staatsgewalt498 vorliegen. Die Drei-Elementen-Lehre ist ein Versuch, universelle Voraussetzungen für das Vorhandensein eines Staates herauszuarbeiten. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, soll „automatisch“ ein Staat im völkerrechtlichen Sinne vorliegen.499 Diesem Verständnis liegt zugrunde, dass der Staat – als eine „Gebietskörperschaft“ der Gesamtheit der Menschen – mehr als eine bloße Summe aller Individuen ist.500 Nach Jellinek ist die Bedeutung des Staatsgebiets, als relativ neue Voraussetzung für das Vorhandensein eines Staates,501 darin zu sehen, dass es in diesem Gebiet jeder nicht-staatlichen Macht untersagt ist, Herrschaft auszuüben (negative Bedeutung) und dass alle auf dem Gebiete befindlichen Personen der Staatsherrschaft unterworfen sind (positive Bedeutung).502 Diese Drei-Elementen-Lehre hat sich auch, trotz starker Kritik,503 als international anerkanntes Kriterium durchgesetzt. Besonders oft als Beispielsfall genannt, an dem 496
Jellinek, Georg, Allgemeine Staatslehre, 3. Auflage, 1914, S. 394 – 406. Das Staatsvolk ist nach Jellinek Subjekt wie auch Objekt staatlicher Tätigkeit. Der Staat ist nicht nur ein herrschaftlicher, sondern auch ein genossenschaftlicher Verband. Das Staatsvolk muss also eine gewisse innere Einheit aufweisen. Vgl. Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 406 – 427. 498 Die Staatsgewalt ist für Jellinek Herrschaftsgewalt, die anders als die nicht-herrschende Gewalt, über reine Disziplinarmittel hinaus, die Erfüllung erzwingen kann. Einer Staatsgewalt als Herrschaftsgewalt kann sich ein Unterworfener nicht entziehen. Vgl. Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 427 – 434. 499 Kempen, Bernhard/Hillgruber, Christian, Völkerrecht, 2. Auflage, 2012, S. 20. 500 Quaritsch, Helmut, Staat und Souveränität Band 1: Die Grundlagen, 1970, S. 21. 501 Jellinek weist darauf hin, dass Herrschaft vor der Moderne „persönlich“ und nicht „territorial“ begründet war. Vgl. Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 395. 502 Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 394. 503 Krüger etwa kritisiert an der Drei-Elementen-Lehre, dass sie naturalistische Züge aufweise und darüber hinaus drei inkommensurable Größen wider ihrer Natur voneinander isoliert und in eine Linie stellt. Den Erfolg sieht er mehr in der Handlichkeit als in Ihrer Richtigkeit begründet. Vgl. Krüger, Staatslehre (Fn. 483), S. 146. Auf gravierende Widersprüche weisen auch hin: Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 293 – 294. Quaritsch merkt an, dass die Kritiker der Drei-Elementen-Lehre es ihrerseits nicht geschafft haben, eine Definition 497
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die Rezeption der Drei-Elementen-Lehre in der völkerrechtlichen Praxis sichtbar wird, ist die Konvention von Montevideo vom 26. 12. 1933.504 (2) Die Anerkennung von Staaten Darüber hinaus ist die Anerkennung des Staates ein wichtiges Kriterium für die Frage, ob nun ein Staat im völkerrechtlichen Sinne vorliegt oder nicht.505 Die Anerkennung ist ein politischer und rechtlicher Akt506 zugleich.507 Die Souveränität eines Staates ist letztlich eine Forderung, und diese kann nur dann Bedeutung erlangen, wenn die Souveränität von anderen Staaten anerkannt wird.508 Ob in einer Anerkennung ein konstituierender Akt oder ein rein deklaratorischer Akt gesehen wird, ist strittig.509 In einem internationalen Kontext ist die Anerkennung von zu schaffen, die über eine Änderung oder Verfeinerung der begrifflichen Merkmale hinausgehen. Vgl. Quaritsch, Souveränität I (Fn. 500), S. 26. 504 Nach Art. 1 dieser Konvention ist ein Staat als Völkerrechtssubjekt gegeben, wenn „(a) eine ständige Bevölkerung, (b) ein definiertes Staatsgebiet, (c) eine Regierung und (d) die Fähigkeit, in Beziehung mit anderen Staaten zu treten“ gegeben ist. Vgl. Stein, Torsten/von Buttlar, Christian, Völkerrecht, 13. Auflage, 2012, S. 79; Herdegen, Mathias, Völkerrecht, 15. Auflage, 2016, S. 78; Hobe, Stephan, Einführung in das Völkerrecht, 9. Auflage, 2008, S. 68; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 224; Kempen/Hillgruber, Völkerrecht (Fn. 499), S. 17 Fn. 3; Crawford, Principles (Fn. 477), S. 128 – 129. 505 Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 101; Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 80 – 83; Hobe, Völkerrecht (Fn. 504), S. 71; Bleckmann, Albert, Völkerrecht, 1. Auflage, 2001, S. 36. 506 Kelsen hebt hervor, dass das Völkerrecht die Voraussetzungen, wann ein Staat im eigenen Sinne existiert, letztlich nur nach generellen Kriterien bestimmen könne und – mangels zentraler Entscheidungsinstanz – die einzelnen Staaten für sich entscheiden müssten, ob ein Staat vorliege oder nicht. Dieser einseitige Akt der Staaten gleiche einer Feststellung von Tatsachen, sei aber konstituierend, da ein Staat nicht absolut, sondern nur durch die Beziehung zu anderen Staaten rechtlich existiere. Vgl. Kelsen, Hans, Recognition in International law, in: The American Journal of International Law Vol. 35, No. 4, 1941, S. 605 – 617 (607 – 609). Charles Henry Alexandrowicz (1902 – 1974) bezeichnet diesen Akt als einen „quasi-judiziellen“ Akt, da es einerseits darum geht, nach dem Prinzip des „rule of law“ eine Tatsache festzustellen, es sich aber andererseits innerhalb dieses Prinzips auch um das Umsetzen politischer Entscheidungen handelt. Vgl. Alexandrowicz, Charles Henry, The Quasi-Judicial Function in Recognition of States and Governments, in: The American Journal of International Law Vol. 46, No. 4, 1952, S. 631 – 640 (632 – 634). Bruns weist darauf hin, dass es sich hierbei nicht um einen Akt handele, der einem Personalverband Staatsqualität verleiht, sondern lediglich um einen Akt, der bestimmt, ob der Verband Rechtssubjekt innerhalb der Völkerrechtsordnung ist. Die Anerkennung schafft nicht den Staat, sondern nur die völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit. Vgl. Bruns, Viktor, Völkerrecht als Rechtsordnung I, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1929, S. 1 – 56 (49). 507 Kelsen, Recognition (Fn. 506), S. 605 – 617 (605); Alexandrowicz, Recognition (Fn. 506), S. 631 – 640 (631). 508 Wallerstein, Immanuel, World-Systems Analysis: An Introduction, 2004, S. 44. 509 Es gibt keine Pflicht der Staaten, einen anderen Staat ausdrücklich oder stillschweigend, etwa durch die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen, anzuerkennen. Schließlich kann eine voreilige Anerkennung einer Gruppe als Staat auch als Intervention gesehen werden. Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, da es jedenfalls ohne Anerkennung der Tatsachen,
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Souveränität letztlich eine Art reziproker Handel,510 da die Anerkennung für zwei „potenzielle“ Konfliktparteien die günstigste Strategie darstellt.511 Um die politische Dimension einer Entscheidung, einen Staat anzuerkennen, deutlich zu machen, hilft ein Blick in die Völkerrechtsgeschichte. Die Beispiele der Anerkennung von den Niederlanden512 oder der Vereinigten Staaten von Amerika513 zeigen, dass für die Anerkennung einer sich als unabhängig erklärten Region die Ansicht des Mutterlandes als maßgeblich angesehen wurde. Diese Ansicht setzte sich jedoch nicht durch.514 Durch die Anerkennung der südamerikanischen Staaten bildete sich ein Prinzip heraus, das bis heute noch Bedeutung hat. Während die „Heilige Allianz“ die Anerkennung an einem inhaltlichen Legitimationsprinzip festmachen wollte und somit revolutionäre Änderungen grundsätzlich nicht anerkannte,515 haben die Engländer und die Vereinigten Staaten, wie durch die Note des britischen Außenminister Canning vom 25. 03. 1825 sichtbar, vertreten, dass es nur darauf ankomme, dass es eine „de facto“ Herrschaft über das Land, eine ausreichende Homogenität, eine Erklärung der Unabhängigkeit und eine Abschaffung des Sklavenhandels geben müsse, um einen Staat anzuerkennen.516 Die Anerkennung zu dieser Zeit hatte den Charakter einer Aufnahme in einen Klub der zivilisierten Staaten. die die Voraussetzungen für einen Staat bilden, keinen Staat geben kann. Umgekehrt kann aber auch keine Anerkennung ins Vakuum hinein erfolgen. Vgl. Alexandrowicz, Recognition (Fn. 506), S. 631 – 640 (634); Crawford, Principles (Fn. 477), S. 144 – 145, 148. 510 Kein Staat kann gezwungen werden, einen anderen anzuerkennen, da es die souveräne Entscheidung eines jeden Staates ist, mit welchem Staat er Beziehungen eingeht. Andererseits kann ein Staat auch nicht erst durch Anerkennung entstehen, da er ansonsten nicht souverän, sondern abhängig von anderen Staaten wäre. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 3001. 511 Wallerstein, World-Systems Analysis (Fn. 508), S. 44. 512 Schon vor der Unabhängigkeitserklärung der Niederlande im Jahre 1581 hat etwa Elisabeth von England geheime Verträge mit den Generalstaaten geschlossen, wobei dies jedoch, noch bis zum 17. Jahrhundert, keine Anerkennung implizierte. Letztlich konnten die Niederlande durch den Westfälischen Frieden (1648) endgültige Anerkennung genießen. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 217 – 220. 513 Aufseiten der USA formulierte Jefferson 1792 das Prinzip, dass jeder Staat – der durch den erklärten Willen der Nation gebildet würde – durch die USA anerkannt werden sollte. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 301. 514 Als Erstes erkannte Frankreich die Vereinigten Staaten von Amerika an, indem im Jahre 1778 ein Freundschafts- und Handelsvertrag sowie ein Defensivbündnis abgeschlossen wurde. Im darauffolgenden diplomatischen Austausch zwischen Frankreich und England rekurriert Frankreich darauf, dass die Vereinigten Staaten tatsächlich unabhängig seien, während England betont, dass eine Revolte keine Unabhängigkeit verschaffen könne. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 404 – 406. 515 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 506. 516 Dies war letztlich als zivilisatorischer Mindeststandard gemeint. Damit war implizit festgestellt, dass eine Anerkennung zunächst nicht mehr die Aufnahme in die europäischchristliche Staatengemeinschaft war, sondern eine Aufnahme in die zivilisierte Völkerrechtsgemeinschaft. Weiterhin bekam die Anerkennung damit eine Bedeutung als „Feststellung der Faktenlage“. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 584 – 587.
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Eine Abkehr von diesen formalen Kriterien zeigte sich im Falle der Neugründung des Staates Mandschukuo im Jahre 1931.517 Die Vereinigten Staaten kehrten in diesem Falle von der grundsätzlichen Anerkennung im Falle von effektiver Herrschaftsausübung ab und vertraten, dass solche gewaltsam geschaffenen territorialen Fakten nicht anerkannt würden. Dies geschah durch eine identische diplomatische Depesche am 07. 01. 1932, verfasst durch den Außenminister Henry Lewis Stimson, an die Regierungen von Japan und China.518 Somit rekurrierte die Stimson-Doktrin nicht nur auf den Briand-Kellogg-Pakt, sondern legte diesen zudem auch sehr weit aus.519 Die Stimson-Doktrin wurde auch von den europäischen Mächten anerkannt. Der Staat Mandschukuo wurde hingegen allgemein nicht anerkannt.520 In dieser Entwicklung sieht Schmitt eine Ausdehnung des Rechtsinstituts der Anerkennung zu einem Zustimmungsvorbehalt für alle Sachverhalte, Ereignisse, Kriege und sonstigen möglichen Gebietsänderungen.521 (3) Staatengleichheit Die Staatengleichheit besagt, dass unabhängige Staaten als solche einander rechtlich gleich sind. Sie knüpft also an die politische Existenz eines Staates als Faktum an.522 Historisch ist diese Idee älter als der Begriff des souveränen Staates523 und hat sich in der feudalistischen Epoche des Mittelalters entwickelt.524 Klassische 517 Meiertöns, Heiko, The Doctrines of US Security Policy. An Evaluation under International Law, 2010, S. 83 – 99; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 706 – 710; von Tabouillot, Wolfgang, Die Frage zur Anerkennung von Mandschukuo, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 5 (1935), S. 138 – 148 (147). 518 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 83 – 84; Graf von Mandelsloh, Asche, Die Auslegung des Kellogg-Paktes durch den amerikanischen Staatssekretär Stimson, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 3 (1933), S. 617 – 627 (622 – 623). 519 Ein zentraler Kritikpunkt des Briand-Kellogg-Pakts war, dass dieser keinerlei Verpflichtungen enthielt und zudem Krieg nicht ausdrücklich genug definierte. Es waren zudem keinerlei Sanktionen bestimmt. Nach der Stimson-Doktrin wurde der Briand-Kellogg-Pakt jedoch als bindend und Krieg als rechtlich verboten angesehen. Vgl. Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 90 – 95; Bilfinger, Carl, Die Kriegserklärungen der Westmächte und der KelloggPakt, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 10 (1940), S. 1 – 23 (16); Graf von Mandelsloh, Kelloggpakt (Fn. 518), S. 617 – 627 (617 – 618). 520 Allerdings kam es nicht einmal zu einer konsequenten inhaltlichen Prüfung der Voraussetzungen einer Anerkennung. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 706 – 710; Graf von Mandelsloh, Kelloggpakt (Fn. 518), S. 617 – 627 (618). 521 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 274. 522 Bilfinger, Carl, Zum Problem der Staatengleichheit im Völkerrecht, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 4 (1934), S. 481 – 497 (483). Habermas sieht im Prinzip der Staatengleichheit den normativen Gehalt des klassischen Völkerrechts erschöpft. Vgl. Habermas, Westen, 2004, S. 118. 523 Morgenthau sieht die Staatengleichheit gar als Synonym zum Begriff der Souveränität an. Vgl. Morgenthau, Politics (Fn. 2), S. 319 – 321; Crawford, Principles (Fn. 477), S. 448 – 449. 524 Bilfinger, Staatengleichheit (Fn. 522), S. 481 – 497 (484); Anand, Ram Prakash, Sovereign Equality of States and International Law, 2008, S. 44.
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Völkerrechtler wie Hugo Grotius (1583 – 1645), Samuel Pufendorf (1632 – 1694) oder Emer de Vattel (1714 – 1767) setzten das Prinzip der Staatengleichheit zumindest voraus.525 Die Idee der Staatengleichheit ist untrennbar verbunden mit dem Gedanken der Souveränität, da nur der Staat, der unabhängig ist, gleichgestellt wird und eine Verweigerung des Status der Gleichheit der Verweigerung der Unabhängigkeit gleichkommt.526 Gleich können die Staaten nur deshalb sein, weil sie keine Obrigkeit und keine höhere Instanz irgendwelcher Art kennen. Sie sind gleich, weil sie unabhängig sind.527 Sollte man die Völkerrechtsgemeinschaft als Rechtsgemeinschaft verstehen, wäre die Rechtsgleichheit der Mitglieder dieser Gemeinschaft notwendige Voraussetzung.528 Nur durch die Anerkennung der Gleichheit der Mitglieder kann das Individualinteresse der einzelnen Mitglieder dem Gemeinschaftsgedanken untergeordnet werden und somit eine Rechtsgemeinschaft entstehen.529 Die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit, also der Zugehörigkeit zu einer Rechtsgemeinschaft und das daraus folgende gleiche Recht als Mitglied dieser Gemeinschaft ist Grundstruktur jeder Rechtsordnung und somit auch die des Völkerrechts.530 Soweit ein Staat als Völkerrechtssubjekt anerkannt ist, erhält es eine Freiheitssphäre, alles zu tun und zu unterlassen, was nicht eine Verletzung oder Beeinträchtigung des gleichen Rechts eines anderen Staates bedeuten würde. Dieses Recht steht allen Staaten gleichermaßen zu.531 cc) Fazit Die Raumordnung in Europa seit dem Französischen Zeitalter lässt sich durch eine Ordnung zwischen gleichrangigen Gebietskörperschaften, nämlich den Staaten, charakterisieren. Diese werden durch den politisch-rechtlichen Akt der Anerkennung 525 Pufendorf etwa stellte fest, dass „alle Personen im Naturzustand gleich seien und somit auch Staaten, als Personen im Völkerrecht im Naturzustand ebenfalls gleich seien.“ Vattel wiederum argumentierte, dass Zwerge wie auch Riesen gleiche Menschen seien und somit eine kleine Republik und das mächtigste Reich ebenfalls gleich seien. Vgl. Anand, Equality (Fn. 524), S. 45. 526 Bilfinger, Staatengleichheit (Fn. 522), S. 481 – 497 (481); Dahm, Georg/Delbrück, Jost/ Wolfrum, Rüdiger, Völkerrecht. Band I/3. Die Formen des völkerrechtlichen Handelns; Die inhaltliche Ordnung der internationalen Gemeinschaft, 2. Auflage, 1989, S. 784. 527 Bilfinger, Staatengleichheit (Fn. 522), S. 481 – 497 (490). 528 Bruns, Völkerrecht I (Fn. 506), S. 1 – 56 (16); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3 (Fn. 526), S. 785. 529 Bruns, Völkerrecht I (Fn. 506), S. 1 – 56 (11). 530 Bruns, Völkerrecht I (Fn. 506), S. 1 – 56 (16). 531 Bruns, Viktor, Völkerrecht als Rechtsordnung II: Politische und Rechtsstreitigkeiten, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 3 (1933), S. 445 – 487 (460); diese Gleichheit kann als Gleichheit vor dem Recht bezeichnet werden und ist von der politischen Bedeutung der Staaten abstrahiert. So: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3 (Fn. 526), S. 786.
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gegenseitig in die Staatengemeinschaft aufgenommen. Die Konsequenz war, dass diese Gebietskörperschaft Souveränität sowie Staatengleichheit für sich beanspruchen konnte. Die Voraussetzungen der Anerkennung waren und sind immer noch an faktische Voraussetzungen gebunden, sind jedoch politisch aufgeladen. Der Hintergrund dafür ist, dass diese Raumordnung auf der Grundlage von gleichberechtigten Staaten immer den Charakter eines privilegierten Klubs hatte. Sollte eine Gebietskörperschaft nicht christlich, nicht mächtig oder nicht zivilisiert genug sein, so wurde sie nicht anerkannt. Der Territorialstaat, der sich langsam mit Durchsetzung des Souveränitätsprinzips etablieren konnte, ist auch heute noch als primäres Völkerrechtssubjekt die maßgebliche Einheit des heutigen Völkerrechts. Die Anerkennung diente als Möglichkeit, etwaige Gebietskörperschaften von diesem Status auszuschließen. b) Das Kolonialvölkerrecht Die Raumordnung des ius publicum europaeum bestand jedoch nicht nur in der Raumordnung der gleichberechtigten Staaten. Wo ein Klub der Privilegierten existiert, musste auch zwingend eine Raumordnung derjenigen existieren, denen ein solches Privileg versagt blieb. Deshalb etablierte sich neben dem ius publicum europaeum die separate Raumordnung des Kolonialvölkerrechts. aa) Die Völkerrechtsgeschichte des Kolonialvölkerrechts Das Kolonialvölkerrecht existierte als ein paralleles Völkerrecht ab dem Spanischen Zeitalter bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Die Geschichte des Kolonialvölkerrechts ist dadurch gekennzeichnet, dass den Staaten außerhalb des europäischen Raumes keine Souveränität oder Staatengleichheit eingeräumt wurde. Vielmehr wurde mit verschiedenen Begründungen versucht, die Eroberungen fremder, nicht-europäischer Staaten zu rechtfertigen. Letztlich zeigt sich ein Bild, dass das Verhältnis zwischen europäischen Staaten unter sich und zwischen europäischen und nicht-europäischen Staaten als etwas Grundverschiedenes verstanden wurde. (1) Kolonialvölkerrecht im Spanischen Zeitalter Die Geschichte des Kolonialvölkerrechts beginnt also mit der Entdeckung Amerikas durch Spanien532 im Jahre 1492, die gleichzeitig den Beginn der „Neuzeit“ markiert.533 Diese Entwicklungen führten zu grundsätzlichen Änderungen des damaligen Völkerrechts. Die Fragen, wie mit dem neu entdeckten Land vorzugehen 532 Durch die Eroberung des islamischen Granadas im Jahre 1492 konnte Spanien zudem vereint werden und entwickelte sich endgültig zu einer Vormacht in Europa. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 165; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 68; Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 25. 533 Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 67.
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und insbesondere wie dieses aufzuteilen ist, wurden ein großes Raumordnungsproblem,534 die letztlich zur Herausbildung des Kolonialvölkerrechts führten. Portugal hatte sich zuvor durch päpstliche Bullen in den Jahren 1452, 1455 und 1456 535 ein Eroberungsmonopol einräumen lassen.536 Die spanische Eroberungsmission, die durch Kolumbus erfolgreich beendet wurde, und die Investituredikte Papst Alexanders VI. brachen dieses Monopol jedoch.537 Am 04. 05. 1493 erließ der Papst Alexander VI. die Bulle „Inter caetera divinae“.538 Am 02. 07. 1494 wurde die dort festgelegte Demarkationslinie durch den Vertrag von Tordesillas539 dem Grunde nach bestätigt.540 Die Bulle „Inter caetera divinae“ wurde in der Folgezeit von den 534 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 269; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 67; Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 105; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 178. Durch die Entdeckung der Neuen Welt entstand zunächst ein erbitterter Kampf um die Land- und Seenahme und über die Teilung der Erde. Zusätzlich wurde nach und nach die Frage nach der rechtmäßigen Eroberung des neuen Territoriums aufgeworfen. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 54; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 269. 535 Im 15. Jahrhundert wurde zur Rechtfertigung von Okkupation noch auf die päpstliche Befugnis abgestellt. Portugal erlangte etwa von Papst Nikolaus V. im Jahre 1452 den Titel, heidnische Länder zu erforschen und zu erobern, ihre Einwohner zu versklaven und sich ihr Land und ihre Güter anzueignen. Die Dokumente bezeichnen die päpstliche Verfügung als eine „Schenkung (donatio)“. Es kann aber auch als eine lehnsrechtliche Investitur verstanden werden. Dies würde bedeuten, dass die europäischen Mächte das fragliche Territorium zugunsten der Kirche und im Namen der Ausbreitung der christlichen Lehre erobern, um es als Papstlehen zurück zu empfangen. Jedenfalls setzt dies voraus, dass der Papst kraft seiner apostolischen Gewalt über die Welt oder zumindest die unbewohnten und von Ungläubigen bewohnten Länder verfügen darf. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 270 – 273. Andere Beispiele sind die Bulle „Inter caetera“ von Papst Calixtus III. vom 13. März 1456, die Bulle „Aeterni Regis“ vom 21. Juni 1481 sowie die Bulle von Innozenz VIII. vom 12. 09. 1484. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 271. 536 Dieser Ansatz, die Eroberung durch religiöse Gründe zu rechtfertigen, zeigt, dass man sich noch an der mittelalterlichen Völkerrechtsordnung orientierte. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 273. 537 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 20 – 21; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 273; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 69; Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 103; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 123. 538 In dieser Bulle belehnt der Papst Spanien mit einem Territorium, das er anhand einer Linie 100 Seemeilen westlich der Kapverdischen Inseln definiert. Als Gegenzug hierfür wurde Spanien mit der Ausführung der Missionierung dieses Gebietes betraut. Die endgültige Festlegung der Schifffahrtsgrenze wird den Spaniern und Portugiesen überlassen. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 271; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 69; Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 57; Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 105. 539 Diese Konstellation konnte „funktionieren“, weil Portugal einerseits auf dem Festland gegenüber Spanien militärisch unterlegen war und deshalb nicht riskieren konnte, auf seine Rechte zu bestehen, und weil Spanien andererseits das zuvor ergangene päpstliche Edikt als „gehorsamste Kinder des Heiligen Stuhls“ nicht vollkommen ignorieren konnte. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 276. 540 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 276; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 69; Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 57; Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 21; Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 105 – 106. Hattenhauer sieht darin die Geburtsstunde des Völkerrechts, da Spanien und
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spanischen Konquistadoren so interpretiert, dass diese ihnen ein Recht gebe, den Glauben in den neuen Kontinenten zu verbreiten und diese in diesem Zuge zu erobern.541 Gegner des spanischen Bestrebens, wie etwa Frankreich542 oder England543, stellten dabei die päpstliche Verfügungsgewalt infrage, indem insbesondere das Argument der „Freiheit der Meere“544 ins Feld geführt wurde.545 Auch Völkerrechtler wie Francesco Vitoria (1483 – 1546)546, Hugo Grotius547 sowie John Milton (1608 – 1674)548 befassten sich mit diesem Problem. Letztlich verneinten alle die EntPortugal nun ihre Angelegenheiten durch völkerrechtliche Verträge und grundsätzlich ohne Papst regelten. Vgl. Hattenhauer, Hans, Europäische Rechtsgeschichte, 4. Auflage, 2004, S. 390 – 392. 541 So z. B. das „requerimiento“ von Juan Lopez de Palacios Rubios, der betont, dass der „Papst die neu entdeckten Inseln und Länder den spanischen Königen zum Geschenk gemacht habe“ und die Eingeborenen „nunmehr aufgefordert seien, die heilige Kirche als Herrin und Gebieterin der ganzen Welt anzuerkennen und dem spanischen König als deren neuen Herren zu huldigen.“ Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 280; ein anderes Beispiel ist der spanische Hofjurist von Karl V Juan Gines de Sepulveda, der die Eingeborenen als vernunftlose Barbaren betrachtete, die erst durch die spanische Herrschaft die Voraussetzung ihrer Christianisierung erhalten hätten. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 27. 542 Frankreich stellte zunächst nur die Fähigkeiten Spaniens infrage, den Missionsauftrag durchzuführen. Die später erscheinenden protestantisch-hugenottischen Gedanken gingen jedoch dahin, dass allen Völkern erlaubt sei, Handel zu treiben und Spanien und Portugal dies nicht verbieten könnten. Dieser Gedanke ist später auch in dem Werk „Freiheit der Meere“ wiederzufinden. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 286 – 287. 543 1577 – 1580 wurde Francis Drake nach Amerika gesandt, und er erklärte Kalifornien als Besitztum Englands. Elizabeth I. erwiderte 1580 den Protest des spanischen Gesandten Don Bernardino e Mendoza mit den Worten: „The pope had no right to partition the world and to give and to take kingdoms to whomever he pleased.“ Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 288 – 289. 544 Carl Schmitt hebt hervor, dass dieses Argument der „Freiheit der Meere“ nicht mit dem allgemein bekannten, jedoch terranen Denken des „Gemeinguts“ erklärt werden kann, sondern vielmehr aus der Erkenntnis kam, dass Recht nur auf dem Lande gelten kann. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 63. 545 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 304 – 306; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 124. 546 Francisco Vitoria vertrat die Meinung, dass die Gebiete, die von den Eingeborenen bewohnt werden, grundsätzlich kein „terra nullius“ seien und deshalb auch nicht okkupiert werden könnten. Allgemein war das Argument, dass die Eingeborenen nur Kannibalen und Barbaren und somit unmenschlich seien, hingegen verbreitet. So konnte die Landnahme erfolgen, da die bewohnten Gebiete demnach als herrenlos angesehen wurden. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 71 – 74. 547 Hugo Grotius kritisierte in seinem Werk „Freiheit der Meere“ das durch die Bulle geschaffene Monopol der Portugiesen und Spanier. Das Werk entstand durch einen konkreten Auftrag der niederländischen Ostindien Gesellschaft, deren Anteilseigner teilweise Bedenken hatten, ein portugiesisches Schiff in der Nähe von Malakka zu kapern. Das Gutachten von Grotius vom Jahre 1605 rechtfertigte die Handlung der niederländischen Handelskompanie. 1609 wurde das Werk unter dem genannten Titel veröffentlicht. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 114; Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 117; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 289 – 290. 548 Insbesondere verneinte Milton in seinem am 26. 10. 1655 datierten Manifest die Wirksamkeit eines Rechtstitels auf der Grundlage der „donatio papae“ sowie auch den Titel der
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scheidungsbefugnis des Papstes. Der Papst habe nur ein Schiedsrichter sein können, und die Entscheidung habe deshalb keine Wirkung auf andere Nationen entfalten können.549 Dieser doch erhebliche Widerstand der übrigen europäischen Staaten hat dazu geführt, dass die spanische Politik außerhalb des päpstlichen Titels auch das Argument der Entdeckung als Gebietserwerb entwickelte.550 Dasjenige Volk, das die Kosten, die Arbeit und Mühe der Entdeckung getragen habe, müsse berechtigt sein, die Früchte der Arbeit zu ernten. Die jüngeren Kolonialmächte hingegen hielten dieser Auffassung das Erfordernis der effektiven Okkupation entgegen und forderten somit zumindest die tatsächliche Besitzergreifung des neuen Gebietes.551 Eine alternative Rechtfertigungsargumentation war das Recht auf freien Handel und Missionierung. Vitoria argumentierte, dass die Verletzung dieses Rechtes durch die Eingeborenen ein Recht auf Eroberung begründe.552 Jedenfalls ist festzustellen, dass das zwischen den europäischen Staaten geltende Völkerrecht in gar keiner Weise auf die Kolonien Anwendung fand. (2) Kolonialvölkerrecht im Französischen Zeitalter Die Unterscheidung zwischen dem innereuropäischen und außereuropäischen Völkerrecht wurde auch im Französischen Zeitalter weitergeführt. Außenpolitik im Sinne des Gleichgewichtssystems, das sich zu diesem Zeitpunkt in Europa herausfrüheren Entdeckung. Nur die effektive koloniale Besitzergreifung sei als Besitztitel anzuerkennen. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 291 – 292. 549 Vitoria vertrat, anders als die damals wohl herrschende Ansicht, dass die Staaten der „Ungläubigen“ ebenfalls ein Teil der Völkerrechtsgemeinschaft seien. Der Papst könne den Spaniern keinen Gebietserwerbstitel verleihen. Damit lehnt Vitoria auch den Universalherrschaftsanspruch des Papstes ab. Für Vitoria steht dem Papst lediglich eine Funktion als Schiedsgericht zu. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 27; Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 108 – 109. Auch Hugo Grotius vertrat diese Ansicht; vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 289 – 291. 550 Vitoria hat diesen Titel nicht als ausreichend angesehen, um damit eine Landnahme zu begründen. Er geht sogar so weit, dass er darauf hinweist, dass die Entdeckung der Eingeborenen durch die Europäer auch keinen Landnahmetitel begründet habe. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 74 – 76. 551 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 294 – 299; Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 107; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 123. 552 Die Spanier haben nach Vitoria das Recht, mit den Eingeborenen in Verkehr zu treten und Handel zu treiben und ihnen das Christentum zu predigen. Der Papst habe lediglich Spanien dieses religiöse Recht – das grundsätzlich allen christlichen Staaten zustehe – in besonderer Weise zugestanden und einen exklusiven Missionsauftrag erteilt. Dies ist nach Vitoria der einzige Titel der Konquistadoren. Nur dann, wenn die Eingeborenen sich dem Recht der Spanier, Handel zu treiben und den christlichen Glauben zu verkünden, entgegensetzen, haben die Spanier ein Recht auf einen gerechten Krieg und somit auch die Möglichkeit, eine nach einem gerechten Krieg erfolgende Okkupation und Annexion durchzuführen. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 78, 81; Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 27 – 28; nach Vitoria wurde der Gebietserwerb durch Verträge mit den Eingeborenen oder durch kriegerische Eroberung begründet. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 283 – 285; Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 59 – 60.
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entwickelte, wurde ausdrücklich nur in Europa praktiziert. Ab dem Westfälischen Frieden von 1648 verbreitete sich zwar zwischen den europäischen Mächten zumindest die Idee, dass das europäische Recht sich auch auf die kolonialen Gebiete ausdehne, dies betraf aber nur die Geltung für die Europäer untereinander, nicht jedoch für die Kolonien selbst.553 Hinsichtlich der Frage des Gebietserwerbes schlug das Souveränitätsverständnis jedoch voll durch. Während Gebietserwerb im Spanischen Zeitalter noch auf religiöse Missionierung oder subsidiär dem Entdeckungsrecht gestützt wurde, war für das Französische Zeitalter die tatsächliche Besitznahme, gemäß der Doktrin „uti possidetis, ita possideatis (wie ihr besitzt, so sollt ihr besitzen)“, maßgeblich.554 Im Übrigen galt das europäische Völkerrecht jedoch nicht in den Kolonialgebieten. Der Kolonialbesitz sowie der Handel und die Seemacht wurden lediglich als ein Teil des Gleichgewichtssystems gesehen.555 Die Kolonialgebiete waren also bloße Objekte der europäischen Machtbalance.556 Diese Zwiespältigkeit der völkerrechtlichen Ordnung in Europa und in den Kolonialgebieten mag auch ein Grund für die Entstehung der Handelskompanien gewesen sein. Dies war eine eigenartige Form der quasi-staatlichen Herrschaft der Kolonialgebiete. Handelskompanien waren grundsätzlich private Körperschaften, die formell unabhängig557 von den jeweiligen Staaten waren.558 Die Handelskompanien können insofern als ein Konstrukt angesehen werden, die helfen sollten, die europäische Friedensordnung vor einem erbitterten Kolonialkampf zu bewahren.559
553
Insoweit kann man von einer Trennung von Macht- und Rechtssphäre reden. Vgl. Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 25; Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 244 – 245; Hattenhauer, Rechtsgeschichte (Fn. 540), S. 746 – 751. 554 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 463 – 464; Khan, Daniel-Erasmus, Territory and Boundaries, in: Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 38 – 239. 555 Die Beschränkung des politischen Gleichgewichtssystems auf das europäische Territorium durch die Einschränkung des Anwendungsbereichs des europäischen Völkerrechts auf den europäischen Kontinent wurde um die Mitte des 17. Jahrhunderts aufgegeben. Allerdings bedeutet das nicht, dass das europäische System auf den ganzen Globus ausgeweitet worden wäre. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 341. 556 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 342; Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 245 – 246. 557 Trotzdem wären die Handelskompanien ohne den Rückhalt des Mutterlandes undenkbar gewesen. Auch wenn die Handelskompanien keine unselbstständigen Organe der Staaten waren, hatten sie eine Fülle an politischer Gewalt. Ihnen wurde sogar das Recht verliehen, Krieg zur Verteidigung ihrer Handelstätigkeiten zu führen. Dies bezog sich nicht nur auf die Eingeborenen der Kolonialgebiete, sondern auch auf Handelskompanien anderer Nationen. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 351 – 352. 558 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 345 – 347; die von den Handelskompanien beherrschten Gebiete wurden als „effektiv okkupiert“ angesehen. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 101. 559 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 353.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
(3) Kolonialvölkerrecht im Englischen Zeitalter Das Kolonialvölkerrecht in der Englischen Zeit veränderte sich dahingehend, dass die Kolonialgebiete als Tauschpartner und somit als zumindest formell souveräne Einheiten anerkannt wurden. Dies war letztlich eine Konsequenz des Weltmarktes, der sich herausgebildet hatte.560 Während die Kolonialisierung im Englischen Zeitalter zunächst noch die handelskapitalistische Variante des alten Stils – also insbesondere zum Zwecke der Ausbeutung von wertvollen Rohstoffen, Sklaven sowie von Produkten – war und die Rechte der „Eingeborenen“ als nicht berücksichtigungswürdig betrachtet wurden,561 wurden mit der Zeit Kolonien grundsätzlich als Teile des Mutterlandes angesehen.562 Handelskompanien, die bis dato eine indirekte Herrschaft der europäischen Staaten ermöglichten, wurden verstaatlicht.563 Als Konsequenz mussten sich neue völkerrechtliche Konstrukte durchsetzen, damit die Kolonialgebiete, die nach wie vor wirtschaftlich lukrativ für das Mutterland waren, in neuer Weise mit dem Mutterland verknüpft werden konnten.564 Als völkerrechtliches Modell dieser neuen Beziehungen bildete sich das Protektorat565 heraus. Es entwickelte sich als eine Vorstufe zu einer Vollannexion.566 Eine weitere Form der Vorstufe einer Annexion waren die Interessensphären und Einflusssphären.567 Diese stellten eine stark aufgelockerte Form der territorialen Durchdringung 560
Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 26. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 112. 562 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 178. 563 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 549 – 551. Schmitt redet von einer lediglich „romantischposthumen“ Renaissance der Handelskompanien. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 200. 564 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 552. 565 Das Protektorat versteht sich als ein unabhängiger, jedoch schwacher Staat, der sich aus Gründen seiner Sicherheit unter den Schutz eines Stärkeren begibt. Als Gegenzug werden dem stärkeren Staat gewisse Rechte eingeräumt. Im Großen und Ganzem sollen das Protektorat und der schützende Staat jedoch unabhängig und souverän bleiben. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 553. Letztlich diente die Rechtsform Protektorat als Verschleierung einer eigentlichen Kolonie. Vgl. Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 178; Trilsch, Mirja, Protectorates and protected states, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law Volume VIII, 2012, S. 551 – 556. 566 Beispiele sind etwa Madagaskar als französisches Protektorat (1885), Korea als japanisches Protektorat (1905) sowie zahlreiche britische Protektorate, wie z. B. Gambia, die Goldküste, Nigeria und Kenia. Diese Protektorate wurden später annektiert. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 554. Als weitere Protektorate zu nennen sind die Republik Krakau und die Ionischen Inseln. Vasallenstaaten, die die Suzeränität einer anderen Oberhoheit, etwa eines türkischen Sultans, anerkannten, wie etwa Tunis, Tripolis, Ägypten, Serbien, Moldau, Walachei und Montenegro sind ähnliche Fälle. Vgl. Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 175 – 176. Madagaskar und Marokko sind weitere bekannte Fälle. Bei Monaco oder San Marino kann von einem „beschützten Staat“ gesprochen werden. Vgl. Trilsch, Mirja, Protectorates and protected states, in: Wolfrum (Hrsg.), Public International Law VIII (Fn. 565), S. 552. 567 Die Interessensphären waren herrenlose Gebiete, die an die Kolonien einer europäischen Macht angrenzten. Der betroffene europäische Staat hatte insofern ein Vorzugsrecht gegenüber anderen europäischen Staaten im Hinblick auf die künftige Kolonialisierung. Einflusssphären waren solche Gebiete, die sich in einer konstitutionellen Schwäche und gleichsam unter Ein561
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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dar und wurden durch die englische Kolonialpolitik eingeführt.568 Die letzte Form des kolonialen Völkerrechts ist die „Open-Door-Policy“,569 wie sie insbesondere in China ausgeübt wurde. Dies war eine Art der Herrschaftsausübung, in der keine einzelne Kolonialmacht einen bestimmenden Einfluss auf einen Staat ausüben konnte. Also schlossen die Kolonialmächte gemeinsam Verträge, die es erlaubten, eine gleiche Chance zur Kolonialisierung bestimmter Gebiete zu haben.570 Die OpenDoor-Policy hatte einen Doppelcharakter, da sie die Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit Chinas vor kolonialem Zugriff bewahrte, gleichzeitig jedoch aus wirtschaftlicher Sicht ausbeuterisch war.571 Die sog. „Meistbegünstigungsklausel“, die etwa in dem Zusatzvertrag zum Nanjing Vertrag von 1843 zwischen China und England eingefügt wurde, war ein Instrument, die Open-Door-Policy effektiver umzusetzen. Die Meistbegünstigungsklausel besagt nämlich, dass China die Ausnahmerechte oder Vorrechte, die es einem dritten Staat gewähren sollte, auch dem Vertragsstaat, z. B. England, gewähren müsse. Dadurch wurde jede Konzession Chinas gegenüber einem westlichen Staat gleichzeitig auf alle westlichen Staaten ausgeweitet. Diese Art von Klausel wurde sukzessive in allen Verträgen zwischen den europäischen Mächten und China aufgenommen.572 (4) Verfall des Kolonialvölkerrechts in der Zwischenkriegszeit Der Verfall des Kolonialsystems begann als Folge des Ersten Weltkriegs.573 Ehemalige Kolonien der besiegten Mächte wurden von den Siegermächten nicht mehr annektiert.574 Im Versailler Vertrag wurden vielmehr Regelungen über die Einrichtung von Mandaten eingeführt. Die Mandate wurden für ehemalige Kolonialgebiete der besiegten Mächte eingerichtet und an die Siegermächte verteilt.575
fluss eines europäischen Staats befanden. Allerdings ging die Kontrolle eines europäischen Staates nicht so weit, dass sie in einer Regelmäßigkeit ausgeübt wurde. Insofern war es nur eine partikuläre Vertragsbeziehung und war für dritte Staaten zunächst unverbindlich. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 556 – 558. 568 Im deutschen Sprachgebrauch hat sich der Begriff „Hinterland“ durchgesetzt. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 556. 569 Die Bezeichnung „Open-Door-Policy“ hat ihren Ursprung im amerikanisch-spanischen Krieg von 1898 im karibischen Raum bzw. im Pazifik. Vgl. Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 26. 570 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 559 – 566. 571 Diner, Weltordnungen (Fn. 132), S. 46. 572 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 561 – 563; Beasley, William, Japanese Imperialism 1894 – 1945, 1987, S. 16 – 17. 573 Im Neunmächtevertrag von Washington wurde sogar eine ausdrückliche Klausel aufgenommen, die eine Einrichtung von Einflusssphären in China verbot. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 558 – 559. 574 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 194. 575 Ursprünglich sollten die Mandate die Annexion ersetzen. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 282. Mandate waren de facto nur eine juristische Rechtfertigung des Kolonialismus.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Durch die Mandate wurde den Mandatar-Staaten zwar grundsätzlich die volle politische Herrschaft zugesprochen, aber gleichzeitig wurde ihnen auch eine Anzahl von Pflichten und Verboten auferlegt.576 Weiterhin wurden das „Selbstbestimmungsrecht“ sowie der „Minderheitenschutz“ zum ersten Mal ins Völkerrecht eingeführt.577 In Art. 1 Abs. 2 der Völkerbundsatzung wurde den „Dominien oder Kolonien mit voller Selbstverwaltung“ eine mögliche Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. Andere ehemalige Kolonien578 wie Australien, Indien, Kanada, Neuseeland und Südafrika gehörten gar zu den Gründernationen des Völkerbundes.579 bb) Konzeptionelle Trennung zwischen europäischem Völkerrecht und Kolonialvölkerrecht Wie bereits erläutert, wurde seit der Entdeckung Amerikas das europäische Völkerrecht und das Kolonialvölkerrecht streng getrennt. Diese durch die Bulle „Inter caetera divinae“ und den Vertrag von Tordesillas gezogene, auch als „Raya“ bezeichnete Demarkationslinie580 geht von der Prämisse aus, dass zwei gleichberechtigte Staaten anhand einer gemeinsamen geistlichen Autorität, die das Missionsgebiet und das Gebiet der Christen unterscheidet, einen Missionierungsauftrag und dabei beiläufig auch das Recht, das nicht-christliche Gebiet zu okkupieren, bekommen haben. Somit ist durch die Raya nicht nur eine Unterscheidung zwischen portugiesischem und spanischem Gebiet getroffen, sondern auch eine Unterscheidung zwischen christlichem und nicht-christlichem Territorium.581 Carl Schmitt bezeichnet diese Teilung der Erde durch Linien als „erste Versuche und Bemühungen, für die Erde im Ganzen die Maße und Abgrenzungen einer globalen
Vgl. Mommsen, Wolfgang, Aufstieg und Niedergang des europäischen Imperialismus 1870 – 1956, in: Hecker (Hrsg.), Europa (Fn. 2), S. 96. 576 Die Pflichten wurden von den Mandatarstaaten jedoch nicht immer eingehalten, und eine wirksame Kontrolle fehlte. Japan etwa errichtete entgegen seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen Militär- und Flottenbasen auf seinem Mandatsgebiet. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 282. 577 Letztlich gab es jedoch eine starke Diskrepanz zwischen den Vorstellungen, die Wilson in seinen 14 Punkten formulierte, und den letztendlichen Regelungen im Versailler Vertrag. Vgl. Schorkopf, Frank, Versailles Peace Treaty (1919), in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law Volume X, 2012, S. 663. 578 Viele ehemalige Kolonien konnten in dieser Zeit die Unabhängigkeit erlangen. So z. B. ehemalige britische Kolonien, die durch das „Statute of Westminster“ von 1931 die volle autonome Staatlichkeit zugesichert bekamen. Vgl. Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 199. 579 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 194. 580 Dies war jedoch nicht die erste Demarkationslinie. Schon 1479 wurde durch den Vertrag von Alcáçovas eine erste Demarkationslinie zwischen dem spanischen und dem portugiesischen Expansionsbereich gezogen. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 270; Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 21 Fn. 27. 581 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 59; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 272 – 273.
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Raumordnung aufzustellen“.582 Er sieht darin eine entscheidende Entwicklung des europäischen Völkerrechts, dass nun einen globalen Ansatz hatte und somit eine erste globale Ordnung wurde. Er sah darin den ersten „Nomos der Erde“.583 Eine weitere Trennung entsprang aus dem Interesse der europäischen Staaten, die Auswirkungen des blutigen Wettbewerbs in den Kolonialgebieten auf den Frieden in Europa einzugrenzen. Die Neue Welt wurde von den europäischen Staaten als „freier Raum“ gesehen, also als ein freies Feld europäischer Okkupation und Expansion.584 Allerdings standen sich nun die spanisch-portugiesische Sicht und die französischenglisch-holländische Ansicht gegenüber. Spanien und Portugal waren der Ansicht, dass die Welt durch den Papst an Spanien und Portugal verfügt und aufgeteilt worden sei. Die anderen europäischen Staaten jedoch widersprachen. Dies führte dazu, dass eine weitere Art von Linie, die sog. Freundschaftslinien, gezogen wurden.585 Diese Linien markierten den geographischen Bereich, jenseits dessen Gewaltanwendung zu keinerlei Konsequenzen in Europa führen würden, wie etwa im spanisch-französischen Vertrag von Cateau Cambresis 1559586 vorgesehen war.587 Die Freundschaftslinien kennzeichneten nach Schmitt die Grenze der territorialen Anwendbarkeit des „europäischen öffentlichen Rechts“ und somit auch die Regelungen über die „Hegung des Krieges“.588 Carl Schmitt sagt sogar, dass die Abgrenzung einer freien außereuropäischen Kampfzone dazu beigetragen habe, dass der europäische Krieg gehegt wurde.589
582
Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 54. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 19; Odysseos, Louiza/Petito, Fabio, Introduction. The international political thought of Carl Schmitt, in: Odysseos/Petito (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 208), S. 4 – 5. Dieser Schmitt’schen Ansicht kann jedoch entgegengesetzt werden, dass die tributären Expeditionen der Ming-Dynastie unter dem Kaiser Yongle im 15. Jahrhundert durchaus weitreichend waren und ein Gebiet umfassten, dass von dem Pazifik bis in den Indik reichten. Vgl. Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 209. 584 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 55; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 269; Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 107; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 123. 585 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 59. 586 Weitere Verträge dieser Art sind der Londoner Friedensvertrag von 1604 sowie das Waffenstillstandsabkommen von Antwerpen 1609. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 31. 587 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 304; Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 60; Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 30. 588 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 62; diese Ansicht kritisiert Grewe, da es tatsächlich sehr differenzierte europäisch-asiatische Vertragsbeziehungen im 16.–18. Jahrhundert gab. Vgl. Grewe, Wilhelm, Vom europäischen zum universellen Völkerrecht, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 42 (1982), S. 449 – 479 (460 – 461). 589 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 66. Diese Ansicht wird, mit Verweis auf die zahlreichen Kriege in Europa im 16. und 17. Jahrhundert, nicht geteilt von: Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 32. 583
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Diese Unterscheidung zeigte sich auch in dem Begriff der „Zivilisation“ wieder, der im Englischen Zeitalter den Begriff der „Christenheit“ ablöste590 und in diesem völkerrechtlichen Kontext insbesondere durch England und Frankreich geprägt wurde.591 Das zivilisierte Völkerrecht wurde als Produkt der europäischen Geschichte und Kultur verstanden.592 Der Begriff diente dazu, die getrennte völkerrechtliche Ordnung in Europa und in den Kolonialgebieten weiter aufrechtzuerhalten. Insbesondere in England wurde eine scharfe Trennung zwischen den „zivilisierten“ und den „barbarischen“ Völkern gemacht.593 Jeremy Bentham (1748 – 1832) etwa hebt in seinem Werk „Principles of International Law“594 Frankreich und England besonders hervor,595 wenn er von den zivilisierten Staaten spricht.596 Sein Schüler John Stuart Mill (1806 – 1873) ging sogar so weit, dass er den Barbaren als Staat keinerlei Recht zusprach.597 Auch Henry Wheaton (1785 – 1848) sieht nur die christlichen Staaten als zivilisiert598 an.599 James Lorimer (1818 – 1890) hat diese Stufung aufgenommen und in seinem Werk „Institutes of the Law of Nations“ die Menschheit in den zivilisierten, halbbarbarischen600 und wilden Teil unterteilt.601 590
Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 520; Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 80. Der Begriff ist ein spezifischer Begriff des 19. Jahrhunderts. Er bezeichnet ein westeuropäisches Kulturbewusstsein und ist eng mit dem Fortschritts- und Entwicklungsgedanken verknüpft. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 522 – 524. 592 Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 127. 593 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 531. 594 Bentham, Jeremy, Grundsätze für ein künftiges Völkerrecht und einen dauernden Frieden (Originaltitel in Englisch: „Principles of International Law“ übersetzt ins Deutsche von Klatscher, Camill), 1915, S. 97. 595 Dies ist schon deswegen überraschend, weil Bentham in seinem Werk eigentlich den größten allgemeinen Nutzen aller Nationen im Blick hat und neben der Reduktion und Festlegung der Streitkräfte der verschiedenen Nationen auch die Emanzipation der entfernt gelegenen Kolonien jedes Staates fordert. Vgl. Bentham, Völkerrecht (Fn. 594), S. 82, 96. 596 Bentham, Völkerrecht (Fn. 594), S. 97; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 526. 597 Die Ausnahme davon ist das Recht auf eine solche Behandlung, die die jeweilige barbarische Gebietskörperschaft in möglichst kurzer Zeit befähigt, ein zivilisierter Staat zu werden. Nur die allgemeinen Regeln der Moral zwischen Mensch und Mensch seien zwischen einer zivilisierten und einer barbarischen Regierung verbindlich. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 531. 598 Das Völkerrecht versteht er als partikuläres Recht der europäischen Staaten und den Vereinigten Staaten von Amerika. Trotzdem sieht er es als möglich an, dass es auch eine Grundlage für ein Völkerrecht mit nicht christlichen Staaten geben könnte. Vgl. Wheaton, Henry, Elements of International Law, 1836, S. 44 – 45; Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 115. 599 Wheaton, Elements (Fn. 598), S. 46. Insofern ist es auch konsequent, dass Wheaton die Möglichkeit eines universellen Völkerrechts verneint. Vgl. Matten, Marc Andre, Imagining a Postnational World: Hegemony and Space in Modern China, 2016, S. 83 – 84. 600 Als halbbarbarisch gelten etwa die Türkei, China und Japan. Vgl. Lorimer, James, The Institutes of the Law of Nations: A Treatise of the jural relations of separate political communities, Volume I, 1883, S. 239; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 532. 591
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Lorimer sieht es als notwendig an, eine Abstufung der Entwicklungsphasen der Staaten vorzunehmen, da er dies als naturrechtlich für geboten hält.602 Nur der zivilisierte Teil war Völkerrechtssubjekt, während der halbbarbarische Teil nur partielle Anerkennung bekommen konnte.603 Diese Unterteilung wurde in Kontinentaleuropa rezipiert.604 Konsequenz dieser gestuften Völkerrechtssubjektivität waren die sog. ungleichen Verträge, die besonders den europäischen Staaten besondere Privilegien, wie zum Beispiel eine Konsulargerichtsbarkeit, einräumten.605 Der Unterschied zur früheren Trennung zwischen Christentum und Heidentum, der mittlerweile überholt schien, war, dass nun das religiöse Element eliminiert wurde und der zivilisatorische Fortschritt überwindbar war.606 Dies bedeutete eine erhebliche Erweiterung607 des Anwendungsbereichs des europäischen Völkerrechts.608 Die Staatenkonzeption europäischer Prägung, die im Französischen Zeitalter nicht auf die Kolonialgebiete angewandt wurde, fand nun auch dort Geltung.609 In der Zwischenkriegszeit wurde die Anwendbarkeit des Völkerrechts auf alle Staaten der Welt, ungeachtet ihrer Rasse, Kultur und geographischen Lage, ausgeweitet.610 Der Gedanke, dass das Völkerrecht nur für zivilisierte Staaten gelten sollte, verschwand. Die Idee einer Trennung zwischen den „zivilisierten“, „halbzivilisier601
Lorimer unterscheidet zwischen „civilised states“, „semi-barbarous states“ und „barbarous states“ Vgl. Lorimer, Institutes (Fn. 600), S. 101 – 102, 217. 602 Lorimer, Institutes (Fn. 600), S. 94. 603 Partielle Anerkennung hat für Lorimer insbesondere die Konsequenz, dass der anerkennende Staat im Territorium des Staates, der nur partiell anerkannt wurde, eine eigene Gerichtsbarkeit einrichten konnte und das nationale Recht des partiell anerkannten Staates nicht anerkannt wurde. Vgl. Lorimer, Institutes (Fn. 600), S. 216 – 217; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 532. 604 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 532 – 534. 605 Als Beispiel kann der Nanjing-Vertrag zwischen China und England von 1842 genannt werden. Dieser Vertrag war der Prototyp der ungleichen Verträge zwischen europäischen und asiatischen Staaten. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 14 – 20; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 561; Kleinschmidt, Harald, Das europäische Völkerrecht und die ungleichen Verträge um die Mitte des 19. Jahrhunderts, 2007, S. 15 – 20. 606 Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 531; insbesondere wurden Staaten wie die Türkei oder Japan, die bislang aufgrund religiöser Unterschiede nicht Teil der europäischen Staatengemeinschaft waren, aufgenommen. Die Türkei wurde spätestens 1856 in das Europäische Konzert aufgenommen, und Japan wurde spätestens nach dem Sieg über die Qing-Dynastie 1895 als zivilisierter Staat anerkannt. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 119; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 532 – 534. 607 Die Erweiterung war in erster Linie im Hinblick auf die asiatischen Staaten sowie die Staaten des Nahen Ostens gegeben. Die Völkerrechtssubjektivität der USA sowie der südamerikanischen Staaten, nach deren Emanzipation im 19. Jahrhundert, wurde schon aufgrund deren Nähe zur christlich-europäischen Kultur nicht angezweifelt. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 541. 608 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 530. 609 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 546. 610 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 685.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
ten“ und „barbarischen“ Staaten war damit überholt.611 Die Völkerrechtsgemeinschaft wurde nun als eine von Natur gegebene universale Rechtsgemeinschaft der gesamten Menschheit verstanden.612 Dies führte zu einer Aufwertung der überseeischen Welt, die etwa in der Dekolonialisierung – die in den vierzehn Vorschlägen des amerikanischen Präsidenten Wilson vom 08. 01. 1918 seinen Anfang nahm613 – zum Ausdruck kam.614 c) Auflösung des ius publicum europaeum durch Universalisierung des Völkerrechts Bislang wurde das europäische Völkerrecht aus dem Blickwinkel der Ordnung innerhalb Europas und außerhalb Europas betrachtet. Daraus ergibt sich das Bild, dass das innereuropäische Völkerrecht eine Raumordnung zwischen formell gleichrangigen staatlichen Akteuren war. Die völkerrechtlichen Beziehungen der europäischen Staaten gegenüber den außereuropäischen Staaten hingegen zeichneten sich gerade nicht durch diese Gleichrangigkeit aus. Erst ab dem Ende des Ersten Weltkrieges änderte sich dieses Prinzip. Diese Ausgangslage kann so interpretiert werden, dass sich ein zunächst allgemeines Völkerrecht im 17. Jahrhundert regionalisiert hat und in Europa zu einer partikulären Regionalordnung geworden ist. Diese Interpretation ist für Schmitts Großraumtheorie grundlegend, da er zwar keine Rückkehr zum regionalen Völkerrecht fordert, aber versucht, durch seine Großraumordnung eine Situation zu schaffen, die die angeblichen Vorteile der europäischen Regionalordnung wiederherstellt. Umgekehrt kann der gleiche geschichtliche Vorgang aber auch so gesehen werden, dass sich ein europäisches Völkerrecht im 19. Jahrhundert in der gesamten Welt durchgesetzt hat und eine Universalisierung des europäischen Völkerrechts erfolgt ist.
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So wurde etwa Äthiopien 1923 und der Irak nach 1932 in den Völkerbund aufgenommen. Vgl. Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 197. 612 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 685 – 689. 613 Die fünf Kernaussagen sind: Abschaffung der Geheimdiplomatie und der geheimen Verträge, territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit aller Staaten, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, Gleichbehandlung aller Staaten, Verminderung der nationalen Rüstungen (bis auf einen Stand, der notwendig ist, um die innere Sicherheit aufrechtzuerhalten) sowie wirtschaftliche Gleichberechtigung. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 127 – 128; Schorkopf, Frank, Versailles Peace Treaty (1919), in: Wolfrum (Hrsg.), Public International Law X (Fn. 577), S. 658; Hattenhauer, Rechtsgeschichte (Fn. 540), S. 775. 614 Schon im 19. Jahrhundert waren überseeische Mächte politisch voll handlungsfähig. Die Aufwertung von Amerika zu einem neuen Schwerpunkt der Welt sowie die Gründung des Gegensystems von Deutschland-Italien und Japan lassen jedoch eine erhebliche Zunahme an Bedeutung erkennen. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 687 – 691.
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Diese unterschiedliche Bewertung beruht auf zwei verschiedenen Perspektiven: Das Völkerrecht kann nämlich vom Staat hin zur Staatengemeinschaft betrachtet werden und umgekehrt auch von der Staatengemeinschaft hin zum Staat. Aus der ersten Perspektive ist der Staat das ursprüngliche und die Staatengemeinschaft etwas, was vertraglich durch die Staaten gegründet wurde. Aus der anderen Perspektive ist die Staatengemeinschaft das Ursprüngliche, und der Staat leitet seine Befugnisse von der Staatengemeinschaft ab.615 Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie die geschichtliche Bewertung Rückschlüsse auf die Grundperspektive des Verhältnisses zwischen Staat und Staatengemeinschaft, die Schmitt in seiner Großraumtheorie einnimmt, gibt. aa) Europäisierung eines vormals globalen Völkerrechts Alexandrowicz vertrat die Auffassung, dass das vormals globale allgemeine Völkerrecht sich in Europa in eine besondere Völkerrechtsordnung verdichtet hatte. Er stellt in seiner Abhandlung über die Völkerrechtsgeschichte der ostindischen Nationen fest, dass die Ansicht, dass das europäische Völkerrecht zunächst unanwendbar auf die asiatischen Staaten gewesen sei, unhaltbar ist.616 Man kann also nach Alexandrowicz von der Existenz einer universellen Völkerrechtsgemeinschaft ausgehen,617 die sich nicht nur auf die christlich-europäische Völkerfamilie beschränkte.618 Im 19. Jahrhundert jedoch – so Alexandrowicz weiter – sei zu erkennen, dass solche außereuropäischen Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft als Kandidaten zur Völkerrechtsgemeinschaft degradiert wurden und das Völkerrecht als etwas Europäisches619 angesehen wird. Insoweit kritisiert Alexandrowicz insbesondere die vom Positivismus geprägte Völkerrechtslehre des 19. Jahrhunderts, die die Idee der Universalität des Völkerrechts ablehnte.620 615 de Moncada, Luis Cabral, Das heutige Völkerrecht und seine Grenzen, in: Barion/ Böckenförde/Forsthoff/Weber (Hrsg.), Epirrhosis (Fn. 478), S. 104. 616 Alexandrowicz, Charles Henry, An Introduction to the history of the law of nations in the East Indies, 1967, S. 224 – 225. 617 Im 17. Jahrhundert fand mehr Handel zwischen ostindischen und europäischen Staaten statt, und somit vermehrten sich auch die völkerrechtlichen Beziehungen. Der Umstand, dass die ostindischen Nationen ein eigenes Völkerrecht hatten und dass das ius ad bellum die Unterscheidung von Soldaten und Zivilisten sowie bestimmtes humanitäres Recht im Krieg kannte, legt für Alexandrowicz die Annahme nahe, dass es einen regen Austausch mit Europa gab. Ebenso pflegten die europäischen Staaten regen diplomatischen Austausch mit dem osmanischen Reich. Vgl. Alexandrowicz, East Indies (Fn. 616), S. 231 – 234. 618 Alexandrowicz, East Indies (Fn. 616), S. 235. 619 Für Alexandrowicz hat das klassische Völkerrecht vielleicht mono-ideologische, nämlich christliche, Wurzeln, ist aber keineswegs ein mono-ideologisches Recht und war dadurch gekennzeichnet, etwas „de jure“ anzuerkennen was „de facto“ existierte. Vgl. Alexandrowicz, East Indies (Fn. 616), S. 237. 620 Alexandrowicz, East Indies (Fn. 616), S. 235.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
bb) Universalisierung von europäischem Völkerrecht? Die Gegenansicht wird von Wilhelm Grewe und Carl Schmitt vertreten. Grewe erkennt an, dass zwar die Völkerrechtslehre im Spanischen sowie im Französischen Zeitalter immer die gesamte Menschheit als Teil der Völkerrechtsgemeinschaft gesehen habe, jedoch sei letztlich immer ein Weg gefunden worden, die europäischen Überlegenheitsvorstellungen und das christliche Gedankengut zur Geltung zu bringen.621 Außerdem sei diese Überzeugung, dass eine universelle Rechtsgemeinschaft existiere, keineswegs mit der tatsächlichen Existenz von universellem Völkerrecht gleichzusetzen.622 Im Französischen Zeitalter, also der Epoche zwischen dem Westfälischen Frieden und dem Wiener Kongress, habe sich jedoch ein spezifisches europäisches Völkerrecht herausgebildet.623 Dieses „droit public de l’Europe“624 ging im 18. Jahrhundert über das reine zwischenstaatliche Recht hinaus und beinhaltete gemeinsame Grundprinzipien öffentlicher Gewalt625 in Europa.626 Während des Zeitalters des Konstitutionalismus verloren dynastische Elemente an Bedeutung, und der Begriff „droit public de l’Europe“ konzentrierte sich auf das Völkerrecht.627 Es war eine konkrete Völkerrechtsordnung der christlichen Fürsten und Völker Europas und galt zunächst vor allem für ihre Beziehungen untereinander, war jedoch eingebettet in das universelle naturrechtliche Völkerrecht.628 Auch Carl Schmitt629 sieht die Entstehung des europäischen Staatensystems zeitlich im 16. Jahrhundert und in der Zeit des Westfälischen Friedens. Dieses 621
Grewe, Völkerrecht (Fn. 588), S. 449 – 479 (451 – 456). Grewe, Völkerrecht (Fn. 588), S. 449 – 479 (475 – 478). 623 Grewe, Völkerrecht (Fn. 588), S. 449 – 479 (461). 624 Armin von Bogdandy und Stephan Hinghofer-Szalkay weisen darauf hin, dass der Begriff „ius publicum europaeum“ eine spezifisch Schmitt’sche Mutation des Begriffs „droit public de l’Europe“ sei. Es bezeichne das Recht einer untergehenden Zivilisation, deren Zivilität im Gegensatz zur aufziehenden barbarischen Epoche darin bestehe, dass der Krieg ein anerkanntes und deshalb gehegtes Instrument der Politik bilde. Vgl. von Bogdandy/HinghoferSzalkay, Ius Publicum Europaeum (Fn. 130), S. 209 – 248 (223). 625 Abbé Gabriel Mably (1709 – 1785) etwa verstand unter dem Begriff „lois pour l’Europe“ insbesondere die Regelungen im Westfälischen Frieden und sah darin eine Rechtsordnung, welche die europäischen Mächte, losgelöst vom christlichen Naturrecht, frei gestalten können. Vgl. von Bogdandy/Hinghofer-Szalkay, Ius Publicum Europaeum (Fn. 130), S. 209 – 248 (224). 626 Etwa dynastische Erbfolgeordnungen, Heiratsverträge, höfische Konventionen und politische Maxime Vgl. von Bogdandy/Hinghofer-Szalkay, Ius Publicum Europaeum (Fn. 130), S. 209 – 248 (223). 627 von Bogdandy/Hinghofer-Szalkay, Ius Publicum Europaeum (Fn. 130), S. 209 – 248 (223). 628 Grewe, Völkerrecht (Fn. 588), S. 449 – 479 (464). 629 Von Bogdandy und Hinghofer-Szalkay betonen, dass Schmitt mit dem ius publicum europaeum ein staatengetragenes räumliches Ordnungskonzept gemeint hat, in dem es um die Hegung des Krieges durch die bindende Kraft einer spezifischen Raumordnung geht. Schmitt habe jedoch kein Recht von internationalen oder supranationalen Institutionen vor Augen 622
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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System, das als eine Art europäische Hausgenossenschaft630 bezeichnet werden kann, sei dann durch den Wiener Kongress von 1814/1815 restauriert und fortgesetzt worden.631 Jedoch sei dieses europäische Völkerrecht in einem schleichenden Prozess ersatzlos verschwunden und in ein systemloses Nebeneinander von „angeblich souveränen“ Staaten aufgegangen.632 Ein wesentliches Ereignis dafür sieht Carl Schmitt in der Entlassung Bismarcks, da er für Schmitt der letzte europäische Staatsmann war, der die Bewahrung des europäischen Systems angestrebt habe.633 Das System des Gleichgewichts, das die konkrete Ordnung des europäischen Völkerrechts dargestellt habe, sei nicht auf die gesamte Welt übertragbar gewesen.634 Diese neue universalistische Völkerrechtslehre habe also im Ergebnis die „wirkliche europäische Ordnung zerstört und dem Nihilismus des politischen Machtbetriebes einige normativistische Feigenblätter geliefert“.635 Anders als Schmitt ist Grewe der Ansicht, dass die Erweiterung des europäischen Völkerrechts in eine weltweite Rechtsordnung schon Anfang des 19. Jahrhunderts begonnen habe.636 Gründe für diese Ansicht sind, dass entscheidende Entwicklungen am Anfang des 19. Jahrhunderts stattfanden. Dies betrifft zunächst die Entwicklung eines „Weltstaatensystems“, das durch die fortschreitende überseeische Ausbreitung der europäischen Mächte entstanden ist. Insbesondere England habe diesbezüglich eine tragende Rolle gespielt, da es nach 1815 eine weltumfassende Seemacht wurde und auf der ganzen Welt Kolonialbesitz gehabt habe. Weiterhin habe sich durch die Unabhängigkeit der Staaten des amerikanischen Kontinents eine Staatenwelt gebildet, die zwar dem europäisch-christlichen System entstammte, die aber wesensgehabt. Vgl. von Bogdandy/Hinghofer-Szalkay, Ius Publicum Europaeum (Fn. 130), S. 209 – 248 (239). 630 Eine prominente Rolle spielte das „droit public“ im Vertrag von Paris aus dem Jahr 1856, in welchem dem Osmanischen Reich Zugang zu diesem „droit public“ gewährt wurde. Dies kann einerseits so verstanden werden, dass das droit public l’Europe als Ordnung der Mitte der Welt verstanden wurde. Andererseits kann dies aber auch so verstanden werden, dass die europäischen Mächte diese Ordnung als regionale Teilordnung einer größeren Globalordnung betrachteten. Vgl. von Bogdandy/Hinghofer-Szalkay, Ius Publicum Europaeum (Fn. 130), S. 209 – 248 (227). 631 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 373. 632 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 377. 633 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 372. 634 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 377 – 378. 635 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 383. 636 Grewe, Völkerrecht (Fn. 588), S. 449 – 479 (461); darin unterscheidet er sich von Schmitt, der die Wende erst am Ende des 19. Jahrhunderts sieht. Vgl. Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 376 – 377; Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 65.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
verschieden gewesen sei. Zuletzt habe sich der Zivilisationsgedanke durchgesetzt, welcher beinhalte, dass ein Mitglied der Völkerrechtsgemeinschaft ein gewisses Fortschritts- und Entwicklungsniveau aufweisen müsse und nur solche Staaten als Teil des Völkerrechts anerkannt würden. Die Idee einer weltumspannenden völkerrechtlichen Gemeinschaft sei dadurch verdrängt worden.637 Das Letztere sei die Einführung einer hierarchischen Konzeption der Völkerrechtsgemeinschaft, in der nicht-zivilisierte Staaten zu bloßen Kolonialgebieten degradiert würden.638 Es sei eine Art europäisches Sondervölkerrecht entstanden: Das System der europäischen Großmächte, die beispielsweise „Heilige Allianz (1815)“, „Quadrupel Allianz (1815)“ oder „Pentarchie (1818)“ genannt wurden.639 Aufgrund der zunehmenden Rivalität der europäischen Mächte, insbesondere bezüglich der jeweiligen Expansionspolitik, habe sich dieses spezifisch europäische Völkerrecht jedoch, spätestens nach der Entlassung von Otto von Bismarck,640 aufgelöst.641 cc) Fazit Die verschiedenen Ansichten bezüglich der Frage, wie die Veränderungen des 19. Jahrhunderts einzuschätzen sind, zeigen, dass das gleiche Phänomen höchst verschieden interpretiert werden kann. Allgemein ist jedoch unstrittig, dass es eine gewisse Hierarchisierung von europäischen und sonstigen Staaten gab, die sich jedoch alsbald wieder auflöste. Die größte Differenz zwischen der Ansicht, dass eine Europäisierung des vormals bestehenden Völkerrechts stattfand und der Ansicht, dass eine Universalisierung des europäischen Völkerrechts erfolgte, ist die Einschätzung bezüglich der Frage, ob sich nach dem Westfälischen Frieden in Europa ein spezifisches Völkerrecht gebildet habe, das einen qualitativen Sprung zum zuvor bestehenden Völkerrecht darstellte oder nicht.642 Die Vertreter der Ansicht, die eine Universalisierung des europäischen 637
Grewe, Völkerrecht (Fn. 588), S. 449 – 479 (466 – 469). Zivilisiert sind hierbei insbesondere die europäischen und nur die europäischen Staaten. Vgl. Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 374; Grewe, Völkerrecht (Fn. 588), S. 449 – 479 (470). 639 Dieser Zusammenschluss war allerdings aufgrund der Haltung Großbritanniens, das sich von der Interventionspolitik der kontinentalen Monarchien distanzierte, bereits in den 1820er Jahren gelockert. Vgl. Grewe, Völkerrecht (Fn. 588), S. 449 – 479 (472). 640 Schmitt sieht diesen Zeitpunkt als Beginn der Auflösung des europäischen Völkerrechts im „International Law“. Vgl. Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 372 – 373. Grewe weist jedoch darauf hin, dass dies nur das spezielle auf „Gleichgewicht“ basierende Völkerrecht gewesen sei, dass sich zu diesem Zeitpunkt aufgelöst habe. Die Universalisierung des eigentlichen europäischen Völkerrechts sei jedoch zuvor gewesen. Vgl. Grewe, Völkerrecht (Fn. 588), S. 449 – 479 (473 – 474). 641 Grewe, Völkerrecht (Fn. 588), S. 449 – 479 (466 – 469). 642 Zimmer, Internationale Politik (Fn. 488), S. 74. 638
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Völkerrechts annehmen, sagen übereinstimmend: Nach dem Westfälischen Frieden fand zwischen den europäischen Staaten eine besondere Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen statt. Daraus leitet sich eine besondere Hervorhebung des europäischen Völkerrechts als eine „Ordnung“ im Vergleich zu dem zuvor existierenden Völkerrecht ab. Der Meinungsunterschied zwischen Grewe und Schmitt liegt darin, dass Grewe zwischen dem spezifischen „Gleichgewichtssystem“ und dem europäischen Völkerrecht, das sich auf der Grundlage des Prinzips der Souveränität entwickelt hat, unterscheidet und eine Auflösung nur im Hinblick auf das „Gleichgewichtssystem“ gesehen hat. Schmitt jedoch geht weiter und sieht auch das auf Souveränität basierende „europäische Völkerrecht“ als unmöglich an, da viele der nicht-europäischen Staaten faktisch nicht souverän seien.643 2. Die Raumordnung im Großraum Carl Schmitt entwarf die Großraumtheorie als Gegenentwurf zum europäischen Völkerrecht, das nun nach seiner Ansicht eine Universalisierung erlebte.644 Schmitts Großraumtheorie ist also eine Antiposition gegen dieses „universalistische“ Völkerrecht.645 Die Universalisierung des Völkerrechts ist letztlich die Konsequenz einer Herrschaftsform, die nicht auf die territoriale Beherrschung, sondern auf die wirtschaftliche Beherrschung abzielt, also ein Imperialismus der Ströme.646 Schmitt führt als beispielhafte Politik in diesem Sinne die britische Politik der „Sicherheit der Verkehrswege“ an.647 Die universalistische Denkweise kann sich nach Schmitt nur von einem Weltreich aus entwickeln, dass die eigenen Interessen mit dem Interesse der Menschheit gleichsetzt.648 Ein weiteres Beispiel einer Umwandlung von einer territorial geprägten Raumherrschaft hin zu einer universalistischen Herrschaft stellen auch die Vereinigten Staaten dar.649 Deren Außenpolitik, in Form der ur643
Nach Schmitt habe man ohne jedes kritische Empfinden einen immer weiter, äußerlicher und oberflächlicher werdenden Universalisierungsprozess hingenommen und nicht bemerkt, wie die frühere konkrete Ordnung, nämlich die Hausgenossenschaft der europäischen Fürstenhäuser, Staaten und Nationen verschwand. Nach Schmitt trat an diese Stelle kein System, sondern ein systemloses Nebeneinander von Normen und ein ungeordnetes, räumlich und völkisch zusammenhangloses Nebeneinander von „angeblich gleich berechtigten“ souveränen Staaten. Vgl. Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 377. 644 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 34 – 41. 645 Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 4. 646 Hildebrand, Daniel, Imperialismus der Ströme, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 208. 647 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 36. 648 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 34 – 35. 649 Schmitt stellt dies so dar, dass die Vereinigten Staaten ein Bündnis mit dem Welt- und Menschheitsimperialismus des britischen Reiches eingegangen seien. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 41.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
sprünglichen Monroe-Doktrin, sieht Schmitt als ein Paradebeispiel für seine Großraumtheorie. Die spätere Monroe-Doktrin hingegen ist nach Schmitt eine imperialistisch-universalistische Herrschaftsideologie.650 Insofern bleibt es eine zentrale Frage für Schmitts Großraumtheorie, ob der Großraum lediglich ein „Weltimperium in der Mache“ ist651 oder ob der Großraum eine echte Alternative zu dem universalistischen Völkerrecht sein kann. Dazu ist zunächst festzustellen, dass jedes universalistische Imperium, also ein „Weltimperium in der Mache“, ein räumlich abgrenzbares Kerngebiet unter seiner direkten Kontrolle hat.652 Der indirekte Einzugsbereich muss so beherrscht werden, dass eine „ungehinderte Bewegung der Ströme“ möglich ist, was ebenfalls ein hohes Maß an Herrschaft bedeutet.653 Letztlich ist eine „Herrschaft über Ströme“ ohne „Herrschaft über Räume“ nicht denkbar.654 Im Völkerrecht herrscht eine strenge Koppelung zwischen Staat, Territorium und Souveränität, die einen Raumbegriff außerhalb des Staatsbegriffs nicht kennt.655 Für universalistische Imperien aber, wie beispielsweise das britische Empire, ist es gerade kennzeichnend, dass diese ein eigenes Machtsystem aufgebaut haben, das die traditionellen Staatengrenzen überlagert.656 Die Verletzung territorialer Integrität anderer Staaten, die gerade für Imperien kennzeichnend ist, ist jedoch stets mit dem Ende der raumbezogenen Politik sowie des traditionellen Staatenbegriffs als solchem verbunden.657 Als Konsequenz ist eine Situation gegeben, in der die alte Völkerrechtsordnung nur noch als Hülse besteht und ansonsten ein Sammelsurium von losgelösten Prinzipien in einem geopolitischen Chaos existiert.658 „International Law“ ist für Schmitt deshalb keine konkrete Raumordnung mehr.659 650
Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 31, 41. Also Universalismus als Schicksal einer Weltmacht. Vgl. Hildebrand, Daniel, Imperialismus der Ströme, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 215. 652 Hildebrand, Daniel, Imperialismus der Ströme, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 208. 653 Hildebrand, Daniel, Imperialismus der Ströme, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 211. 654 Hildebrand, Daniel, Imperialismus der Ströme, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 211. 655 Kleinschmidt, Jochen, Politische Räume, Großräume und Weltgesellschaft, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 72. 656 Kleinschmidt, Jochen, Politische Räume, Großräume und Weltgesellschaft, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 82. 657 Kleinschmidt, Jochen, Politische Räume, Großräume und Weltgesellschaft, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 73. Der Imperialismus wird deshalb auch nicht in Kategorien des Staats- oder Völkerrechts behandelt, sondern ausschließlich im Rahmen der internationalen Politik. Schmitt vermutet, dass dies geradezu gewollt ist, da die Lebensfragen der britischen Weltpolitik nicht Gegenstand der rechtswissenschaftlichen Erörterungen sein sollen. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 36. 658 Luoma-aho, Mika, Geopolitics and grosspolitics, in: Odysseos/Petito (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 208), S. 39. 651
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Es geht Schmitt also nicht um die Feststellung, dass ein mächtiger Staat, der sein eigenes Territorium unter voller Kontrolle hat, vermutlich Einfluss auf andere weniger mächtige Staaten ausüben wird. Vielmehr geht es um die Definition eines neuen Begriffs, der die strenge Koppelung von Raum und Staat löst660 und erlaubt, die tatsächlich vorhandene Herrschaft mächtiger Staaten gegenüber weniger mächtigen Staaten abzubilden,661 ohne dass dadurch die im europäischen Völkerrecht entstandenen Grundideen völlig aufgegeben werden.662 Denn nach Schmitt war die bisherige Garantie des Völkerrechts nicht irgendein inhaltlicher Gerechtigkeitsgedanke, sondern ein sachliches Verteilungsprinzip,663 also das Prinzip des Gleichgewichts der Staaten.664 a) Die Monroe-Doktrin als Prototyp der Schmitt’schen Raumordnung Dieses alternative Völkerrecht konstruierte Schmitt auf der Grundlage des historischen Beispiels der Monroe-Doktrin. Die Monroe-Doktrin ist für Schmitt ohne Zweifel das erste und auch erfolgreichste Großraumprinzip und ein zentrales Paradebeispiel für eine funktionierende Großraumordnung.665 Carl Schmitt misst der Monroe-Doktrin als „Präzedenzfall eines völkerrechtlichen Großraumprinzips“ eine hohe Bedeutung zu.666 Man spricht gar davon, dass die Großraumtheorie als eine „Generalisierung“ der Monroe-Doktrin zu verstehen sei.667 Die Monroe-Doktrin ist für Schmitt deshalb so wichtig, weil sie nicht nur eine geographische Großraumvorstellung impliziert, sondern weil die Vorstellung der Raumverteilung mit einer
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Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 211. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 55. 661 Die Großraumordnung soll den räumlichen Maßen des heutigen Erdbildes wie den neuen Begriffen von Staat und Volk gerecht werden. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 61. 662 Schmitt sagt, dass seine Großraumtheorie zwischen der alten Staatenordnung des 19. Jahrhunderts und dem universalistischen Ziel eines Weltreichs steht. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 62. 663 Freilich kann aus der jetzigen Perspektive dem entgegengehalten werden, dass trotz der exponentiellen Vermehrung der Staaten im völkerrechtlichen System die Häufigkeit der Kriege, mit Ausnahme des Zweiten Weltkrieges, nicht groß gestiegen ist und die Anzahl der Kriege pro Staat pro Jahr sogar gesunken ist. So gab es in den Jahren 1815 – 1914 insgesamt 21 Staaten im europäischen Völkerrechtssystem und 29 Kriege (also 0.014 Kriege pro Staat pro Jahr), während es 1945 – 1955 durchschnittlich 140 Staaten und 38 Kriege (also 0.005 Kriege pro Staat pro Jahr) gab. Vgl. List, Martin, Weltregionen im globalen Zeitalter, 2016, S. 47. 664 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 56 – 57. 665 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 22. 666 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 22. Ob in einem völkerrechtlichen Kontext von einem „precedent“ gesprochen werden kann, wird bezweifelt. Vgl. Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 64 ff.; Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 66 ff. 667 Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 415. 660
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
zukunftsträchtigen politischen Idee verknüpft und der Großraumgedanke damit zu einem überzeugenden Rechtsprinzip gemacht wird.668 Insbesondere die Beschränkung der politischen Betätigungsfreiheit nicht-amerikanischer Staaten in Amerika669 oder, wie es Schmitt verallgemeinert herausarbeitete, das Interventionsverbot raumfremder Mächte670 war für ihn ein zentrales Stück seiner Großraumtheorie.671 Es ist eine der wenigen außenpolitischen Prinzipien der Vereinigten Staaten von Amerika, die über 100 Jahre überdauern konnte.672 Darüber hinaus wurde die Monroe-Doktrin immer wieder als „übertragbar“673 auf andere Hemisphären angesehen674 und auch von anderen Staaten herangezogen.675 Dieser Umstand rechtfertigt es, die Monroe-Doktrin einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Dabei soll der Schwerpunkt der Betrachtung auf die völkerrechtlichen Aspekte gelegt werden.676 Ziel soll es sein, die Argumente von Schmitt zu 668
Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 209. So die Bezeichnung dieses Unterprinzips durch Kraus. Vgl. Kraus, Herbert, Die Monroe-Doktrin in ihren Beziehungen zur amerikanischen Diplomatie und zum Völkerrecht, 1913, S. 82. 670 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 30. 671 Wobei nur der Kern, nicht jedoch die Monroe-Doktrin an sich übertragbar sei. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 30. 672 Cresson, William Penn, The Holy Alliance: The European Background of the Monroe Doctrine, 1922, S. 1. Smith sieht den Anfang des Endes der Monroe-Doktrin durch den Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg. Vgl. Smith, Gaddis, The Last Years of the Monroe Doctrine 1945 – 1993, 1994, S. 39 f. 673 Schmitt betont, dass es der Grundgedanke einer völkerrechtlichen Großraumordnung sei, der eine Intervention fremder Mächte nicht zulasse, der übertragbar sei. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 30. 674 So wurde etwa Anfang des 20. Jahrhunderts, wohl auch auf Anraten von US-Präsident Theodore Roosevelt, eine Adaption der Monroe-Doktrin in Asien durch Japan versucht. Vgl. Smith, Monroe Doctrine (Fn. 672), S. 35; Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 32; die gleiche Übertragung wurde auch für Europa von dem NS-Deutschen Regime in den frühen 1940ern proklamiert. Vgl. Gruchmann, NS Grossraumordnung. Die Konstruktion einer „deutschen Monroe-Doktrin“, 1962, S. 11 ff. 675 So z. B. hat es das Dritte Reich in einer Antwortnote vom 01. 07. 1940 versucht, unter Hinweis auf die Monroe-Doktrin den Vereinigten Staaten zu verbieten, in Europa zu intervenieren. Staatssekretär Cordell Hull widersprach dieser Auffassung in einer Erklärung vom 05. 07. 1940 vehement. Originalnote abgedruckt in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 10 (1940), S. 861; so auch Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 16; Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 49. 676 So sind politische Grundsätze für die Gestaltung völkerrechtlicher Situationen als auch für die Fortbildung des Völkerrechts von herausragender Bedeutung. Vgl. Kraus, MonroeDoktrin (Fn. 669), S. 351; trotz ihres Charakters als einseitiges politisches Programm durch die Vereinigten Staaten von Amerika hat die Monroe-Doktrin Einfluss oder gar Erwähnung in zahlreichen völkerrechtlich beachtlichen multilateralen Abkommen gefunden, wie z. B. dem Artikel 21 der Satzung des Genfer Völkerbundes vom 28. 06. 1919 sowie dem 8. Kapitel der Satzung der Vereinigten Nationen vom 26. 06. 1945. Vgl. auch die Anmerkungen zur völkerrechtlichen Beachtlichkeit der Monroe-Doktrin von Schmitt, in: Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 24 f. 669
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überprüfen und zu eruieren, inwiefern die Monroe-Doktrin als Prototyp der Großraumordnung dienen kann. aa) Die Geschichte der Monroe-Doktrin Als Monroe-Doktrin wird die von James Monroe, dem fünften Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, im Rahmen der jährlichen Rede zur Lage der Nation am 02. 12. 1823 verkündete Politik bezeichnet. Diese besagt, „dass die amerikanischen Kontinente hinfort nicht als Subjekte der künftigen Kolonisation durch irgendwelche europäischen Mächte anzusehen sind.“677 Weiter wird anschließend wie folgt formuliert: „Wir schulden es deshalb der Aufrichtigkeit und den freundschaftlichen zwischen den Vereinigten Staaten und jenen Mächten bestehenden Beziehungen zu erklären, dass wir jedweden Versuch ihrerseits, ihr System auf irgendwelchen Teil dieser Hemisphäre auszudehnen, als gefährlich für unseren Frieden und unsere Sicherheit ansehen werden. In die bestehenden Kolonien oder Dependancen irgendeiner europäischen Macht haben wir uns nicht eingemischt und werden wir uns nicht einmischen. Aber wir könnten einen Eingriff seitens einer europäischen Macht in die Regierungen, die ihre Selbstständigkeit erklären und sie aufrecht erhalten haben, und deren Unabhängigkeit wir nach großer Überlegung und aufgrund gerechter Prinzipien anerkannt haben, zu dem Zwecke sie zu unterdrücken oder in irgend einer Weise ihr Schicksal zu bestimmen, in keinem anderen Lichte denn als Kundgebung eines unfreundlichen Verhaltens gegenüber den Vereinigten Staaten ansehen.“678 Diese Rede ist im Lichte der Vorhaben von Russland im Nord677 „… that the american continents, by the free and independent condition which they have assumed and maintain, are henceforth not to be considered as subjects for future colonization by any European powers …“ Vgl. Originaltext, in: Richardson, James Daniel, Compilation of the Messages and Papers of the Presidents, Band II, 1907, S. 207 ff. (209); auszugsweise in: Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 406. Auszugsweise deutsche Übersetzung in: Kraus, MonroeDoktrin (Fn. 669), S. 37. In dieser Textpassage wird das „Nicht-Kolonisierungs-Prinzip“, also das Verbot für europäische Mächte, Kolonien im amerikanischen Kontinent zu etablieren, gesehen. Vgl. Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 26. 678 „… We owe it, therefore, to candor and to the amicable relations existing between the United States and those powers to declare that we should consider any attempt on their part to extend their system to any portion of this hemisphere as dangerous to our peace and safety. With the existing colonies or dependencies of any European power we have not interfered and shall not interfere. But with the Governments who have declared their independence and maintained it, and whose independence we have, on great consideration and on just principles, acknowledged, we could not view any interposition for the purpose of oppressing them, or controlling in any other manner their destiny, by any European power in any other light than as the manifestation of an unfriendly disposition toward the United States. In the war between those new Governments and Spain we declared our neutrality at the time of their recognition, and to this we have adhered, and shall continue to adhere, provided no change shall occur which, in the judgement of the competent authorities of this Government, shall make a corresponding change on the part of the United States indispensable to their security …“ Originaltext, in: Richardson, Messages (Fn. 677), S. 218; auszugsweise in: Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 406. Auszugsweise deutsche Übersetzung in: Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669),
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Westen der Vereinigten Staaten679 und von diversen europäischen Mächten (Spanien, vornehmlich unterstützt von Frankreich und der Heiligen Allianz680) im Süden681 des amerikanischen Kontinents gehalten worden.682 Dies sollte eine deutliche Warnung gegenüber den europäischen Mächten sein. (1) Historischer Hintergrund Wie oben bereits geschildert, entstand die Monroe-Doktrin aufgrund einer außenpolitischen Drohkulisse durch Russland im Nord-Westen der Vereinigten Staaten sowie durch Spanien, Frankreich und der Heiligen Allianz im südlichen Teil des amerikanischen Kontinents. Im Folgenden soll die Entstehungsgeschichte der Monroe-Doktrin noch näher beleuchtet werden, um den Charakter der Doktrin zur Entstehungszeit besser zu verstehen. Russland spielte für die Entstehung der Monroe-Doktrin eine doppelte Rolle, da es einerseits die treibende Kraft der Heiligen Allianz war und zugleich auch territoriale Ansprüche an der Nordwestküste der Vereinigten Staaten geltend machte. Das vom Zar Alexander I.683 regierte Russland hatte aufgrund seiner Bevölkerungszahl sowie seiner militärischen Stärke eine herausgehobene Bedeutung in der damaligen Zeit.684 Die europäische Politik war von den Bemühungen des Zaren geprägt, eine
S. 38; dies wird als Ausdruck des „Nicht-Interventions-Prinzips“, also des Verbots der Einmischung für europäische Mächte in der „amerikanischen Hemisphäre“, gesehen. Vgl. Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 27. 679 Gemeint ist das Edikt des Zaren Alexander I vom 04. 09. 1821, dass er Ansprüche auf die Nordwestküste von Amerika erhebe. Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 41. 680 Die heilige Allianz ist ein Zusammenschluss der europäischer Staaten Preußen, Österreich und Russland nach den napoleonischen Kriegen durch die Konvention am 14. und 26. September 1815. Die Heilige Allianz wurde insbesondere vom russischen Zaren Alexander I vorangetrieben. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 505; Cresson, Holy Alliance (Fn. 672), S. 2. 681 Gemeint ist die Intention der europäischen Mächte, Spanien als Kolonialmacht in Südamerika wieder aufzubauen. Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 44; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 505. 682 Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 28; Cresson, Holy Alliance (Fn. 672), S. 1; Smith, Monroe Doctrine (Fn. 672), S. 22; Perkins, Dexter, The Monroe Doctrine 1823 – 1826, 1927, S. 3. 683 Zar Alexander I. wurde am 12. 12. 1777 in St. Petersburg geboren. Er wurde von seinem französisch-schweizerischen Erzieher Frédéric-César de la Harpe stark beeinflusst und kam mit der liberalen Philosophie von Rousseau oder Voltaire in Berührung. Mit 23 Jahren wurde er Zar von Russland, nachdem sein Vater 1801 ermordet wurde. Schon in seiner frühen Amtszeit bevorzugte er Konferenzen und diplomatische Lösungen der Großmächte. Im September 1804 sprach Alexander vor dem britischen Kabinett, um eine diplomatische Lösung nach den napoleonischen Kriegen vorzustellen. Dies war eine neue Ordnung, die die Großmächte Europas in eine Liga von Nationen vereinigen sollte. Vgl. Cresson, Holy Alliance (Fn. 672), S. 3 – 13. 684 May, Ernest Richard, The making of the Monroe Doctrine, 1975, S. 66.
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Allianz der Großmächte zur Aufrechterhaltung der europäischen Ordnung zu schaffen.685 Der russische Staat versuchte zu dieser Zeit, in den Vereinigten Staaten die russisch-amerikanische Handelskompanie686 zu etablieren.687 Der US-Außenminister John Quincy Adams erklärte daraufhin dem russischen Botschafter in Washington, dass jeglicher territorialer Niederlassung Russlands auf dem amerikanischen Kontinent widersprochen werde und dass der amerikanische Kontinent der europäischen Kolonisation nicht mehr zur Verfügung stehe.688 Dieser Protest der Vereinigten Staaten führte zu einer Anweisung von Zar Alexander I., das Dekret nicht anzuwenden.689 Dieser Konflikt war bis zur endgültigen Einigung mit Russland durch das St. Petersburger Kompromissabkommen vom 17. 04. 1824 eine durchaus bedeutende Motivation für John Quincy Adams, eine Klarstellung in Sachen Nichtkolonialisierungsprinzip herbeizuführen.690 Eine deutlich wichtigere Rolle spielte die spanisch-amerikanische Frage.691 Die USA sympathisierten früh mit den südamerikanischen Staaten,692 die sich von der
685 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 50; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 504; Cresson, Holy Alliance (Fn. 672), S. 2. 686 Die russisch-amerikanische Handelskompanie, die durch ein Edikt vom russischen Zaren vom 08. 07. 1799 entstand, gründete 1811 – 1812 in der Nähe des heutigen San Francisco eine Niederlassung namens Fort Ross. Dieser Umstand hat eine gewisse Rolle für die Entstehung der Monroe-Doktrin gespielt, auch wenn es kein entscheidender war. So hat John Quincy Adams, der eigentliche Autor der Monroe-Doktrin, diese Niederlassung lediglich beiläufig erwähnt. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 4 – 7; May, Monroe Doctrine (Fn. 684), S. 66 f. 687 Durch das Dekret vom 04. 09. 1821 erfolgte die erneute Bestätigung der Privilegien dieser russisch-amerikanischen Handelskompanie und die beachtliche Ankündigung, dass alle ausländischen Schiffe, die sich innerhalb 100 italienischer Meilen dem Gebiet zwischen der Beringstraße und dem 51 Breitengrades annähern würden, konfisziert würden. Dieses Dekret wurde durch die Entsendung russischer Kriegsschiffe unterstrichen. Dies führte zu einem Protest der Vereinigten Staaten und Englands, die unter der Londoner Konvention von 1818 einen bilateralen Vertrag hinsichtlich dieser Zone geschlossen hatten. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 7 f.; Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 26; Cresson, Holy Alliance (Fn. 672), S. 60; Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 42. 688 Diese Erklärung beinhaltete bereits das Prinzip der Nichtkolonisierung, einen zentralen Bestandteil der Monroe-Doktrin. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 11 f.; Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 48. 689 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 29. 690 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 18; Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 44; Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 30. 691 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 9. 692 Anders als im Nordwest-Konflikt mit Russland scheinen kommerzielle Interessen nur eine zweitrangige Rolle gespielt zu haben, da der Handel mit Spanien deutlich gewichtiger war als der Handel mit den ehemaligen südamerikanischen Kolonien. Lediglich 2,3 Prozent der amerikanischen Exporte und 1,6 Prozent der Importe gingen nach bzw. kamen von Südamerika im Jahr 1821. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 40 f. sowie S. 80 f.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
spanischen Krone lossagten.693 Zwar nahmen die USA in den anfänglichen Jahren der Unabhängigkeitsbewegung, also um 1810, eine neutrale Haltung ein, dies änderte sich jedoch mit der Unabhängigkeitserklärung durch die Republik La Plata im Jahre 1817.694 Im Jahre 1821 wurde eine von Henry Clay695 verfasste Resolution, im Falle einer Anerkennung der Staaten diese zu unterstützen, durch den US-Kongress verabschiedet. Dies führte dazu, dass Präsident Monroe im März 1822 gegenüber dem Kongress eine Empfehlung aussprach, die neuen Staaten696 anzuerkennen und Botschafter zu entsenden.697 Im Gegensatz dazu lag das Interesse der Heiligen Allianz darin, das Prinzip der Monarchie aufrechtzuerhalten.698 Die Heilige Allianz war eine Ordnung, die auf eine wohl abgewogene Gebietsverteilung sowie auf die Zusammenarbeit der Siegermächte der napoleonischen Kriege, den Großmächten Österreich, Russland, Preußen und England,699 aufbaute.700 Die Gebiete innerhalb der „gemeinsamen Domäne von Europa“ sollten demnach auch von der europäischen Gemeinschaft regiert werden.701 In einer solchen Situation war die Politik der Anerkennung der südamerikanischen Neustaaten durch die Vereinigten Staaten geradezu überraschend, da es kei-
693 Schon im Jahr 1810 wurde durch Juan de Egaña ein „Entwurf einer Erklärung der Rechte des Volkes von Chile“ verfasst, und Símon Bolivar sprach 1817 von einem amerikanischen Pakt. Diese Dokumente beinhalten insbesondere die Erklärung, dass die Nationen der Neuen Welt unabhängig seien, die amerikanischen Kontinente nicht der Kolonisierung zugänglich seien, die europäischen Staaten ihr System des Gleichgewichtes nicht auf Amerika übertragen könnten und dass europäische Staaten nicht intervenieren könnten. Vgl. Álvarez, Alejandro, The Monroe Doctrine: Its Importance in the international Life of the States of the New World, 1924, S. 8 f. 694 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 42. 695 Insbesondere Henry Clay, der Sprecher des Hauses der Repräsentanten, war ein Befürworter der Unterstützung der neuen Staaten in Südamerika. Henry Clay hatte kein hohes Ansehen bei John Quincy Adams, der ihm opportunistisches Handeln vorwarf. Allerdings hatte sein Handeln im Endergebnis die Monroe-Doktrin entscheidend mitgeprägt. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 42, 46; May, Monroe Doctrine (Fn. 684), S. 34. Clay machte am 24. 05. 1818 einen Änderungsvorschlag bezüglich des Entsendungsgesetzes eines Botschafters an La Plata. Dies hätte die Anerkennung dieses States impliziert. Er unterlag 115 zu 45. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 45; May, Monroe Doctrine (Fn. 684), S. 55. 696 Es folgten Anerkennungen von Staaten wie Rio de la Plata (Argentinien), Kolumbien, Venezuela, Buenos Aires, Chile und Mexiko. Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 43 Fn. 4; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 586. 697 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 48. 698 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 505; Cresson, Holy Alliance (Fn. 672), S. 60. 699 Frankreich trat durch den Aachener Kongress 1818 in den Kreis der Heiligen Allianz mit ein. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 505; Cresson, Holy Alliance (Fn. 672), S. 74. 700 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 505; Cresson, Holy Alliance (Fn. 672), S. 2. 701 Wobei die Großmächte grundsätzlich an allen Fragen „interessiert“ und somit entscheidungsbefugt waren, während kleinere Staaten nur für spezifische Fragen, die diese Staaten auch betreffen, befragt werden sollten. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. S. 502 f.
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nerlei Abstimmung mit den europäischen Großmächten gegeben hatte.702 Am 16. 08. 1823 kam es zwischen dem amerikanischen Botschafter Richard Rush und dem englischen Außenminister George Canning703 zu einem Gespräch, in dem sich die beiden Nationen bezüglich dieser Frage verständigen konnten.704 Canning formulierte am 20. 08. 1823 fünf Prinzipien der britischen Politik, die letztendlich den Vereinigten Staaten die Möglichkeit gab, die Monroe-Doktrin zu verkünden.705 Im Oktober 1823 erreichte diese Nachricht James Monroe. Somit hatte er auch die Gewissheit, dass Großbritannien den Vereinigten Staaten in der Unabhängigkeitsfrage der südamerikanischen Staaten beistehen würde.706 Nach einiger interner Diskussion707 konnte sich die Ansicht des US-Außenministers Adams durchsetzen, dass die Vereinigten Staaten eine selbstständige Erklärung708 abgeben sollten.709 702 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 5; Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 44. 703 Canning war der Nachfolger von Lord Castlereagh. Castlereagh, der anders als sein Nachfolger der Heiligen Allianz günstiger gesinnt war, versuchte in der Anerkennungsfrage noch die Zustimmung der restlichen europäischen Großmächte einzuholen, während Canning der Heiligen Allianz wegen ihrer interventionistischen Gesinnung deutlich skeptischer gegenüberstand. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 56 f.; Kraus, MonroeDoktrin (Fn. 669), S. 45; May, Monroe Doctrine (Fn. 684), S. 122 f. 704 Zu einer Unterzeichnung eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten kam es nicht, weil Rush sich nicht als bevollmächtigt sah, solch eine folgenreiche Erklärung abzugeben und die sofortige Anerkennung der ehemaligen südamerikanischen Kolonien zur Bedingung machte. Vgl. May, Monroe Doctrine (Fn. 684), S. 6 f.; Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 69; Bemis, Samuel Flagg, John Quincy Adams and the Foundations of American Foreign Policy, 1949, S. 377. 705 Diese Prinzipien waren: 1. Spaniens Bemühungen, die ehemaligen südamerikanischen Kolonien zurückzuerobern, sind hoffnungslos; 2. die Anerkennung der neuen unabhängigen Staaten ist eine Frage der Zeit und des Umstandes; 3. Großbritannien wird den neuen Staaten und dem Mutterland keine Hindernisse in den Weg legen, wenn es um freundliche Verhandlungen geht; 4. Großbritannien wird keine Kolonialisierung in dieser Region betreiben; 5. sollten Teile dieser Region an andere Mächte übergehen, kann Großbritannien dies nicht dulden. Vgl. May, Monroe Doctrine (Fn. 684), S. 5; Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 46; Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 64; Bemis, John Quincy Adams (Fn. 704), S. 377. 706 May, Monroe Doctrine (Fn. 684), S. 8; Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 69; Bemis, John Quincy Adams (Fn. 704), S. 382. 707 Adams und der Verteidigungsminister, Calhoun, standen für eine starke Aussprache zugunsten der spanischen Neustaaten, während der Justizminister, Wirt, sich für eine gemäßigtere Haltung aussprach. Vgl. May, Monroe Doctrine (Fn. 684), S. 219 ff.; Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 75 ff.; Bemis, John Quincy Adams (Fn. 704), S. 382 ff. 708 Durch eine selbstständige Erklärung konnten sich die Vereinigten Staaten jedoch, auch für die Zukunft, diplomatisch von Großbritannien lossagen. Vgl. Crabb, Cecil Van Meter, The doctrines of American foreign policy; their meaning, role and future, 1924, S. 17; Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 97. 709 Monroe befragte unter anderem die ehemaligen Präsidenten Jefferson und Madison, die sich für eine Kooperation mit Großbritannien aussprachen. Auch Calhoun war für eine Un-
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(2) Die Verkündung der Monroe-Doktrin und die Folgen Innerhalb der Vereinigten Staaten wurde die Verkündung der Monroe-Doktrin positiv aufgefasst.710 Dem Historiker Dexter Perkins (1889 – 1984) zufolge sind die Stimmen in der Presse überwiegend positiv ausgefallen. Skeptische Ansichten gab es nur vereinzelt.711 Es schien keine Zweifel gegeben zu haben, dass die Vereinigten Staaten das von Monroe verkündete Prinzip auch militärisch durchsetzen könnten.712 Die südamerikanischen Staaten selbst schienen zunächst nur wenige Informationen über die Hintergründe der verkündeten Monroe-Doktrin gehabt zu haben. Es erscheint also unwahrscheinlich, dass die südamerikanischen Staaten im Jahre 1823 eine unmittelbare Gefahr gespürt hätten.713 Jedenfalls begrüßten die neu entstandenen südamerikanischen Staaten die Monroe-Doktrin, die 1824 in Südamerika allgemein bekannt wurde.714 Großbritannien folgte den Vereinigten Staaten, soweit es um die Anerkennung der neuen südamerikanischen Staaten ging.715 Die britische Presse sah in der MonroeDoktrin eine klare Ansage seitens der USA, die auf die Eliminierung der Gefahr der Intervention in die Angelegenheiten der neuen südamerikanischen Staaten gerichtet war.716 Auch in Frankreich scheint die Presse zumindest Interesse an der Verkündung gehabt zu haben, auch wenn sich die Positionen, je nach politischem Lager, stark unterschieden.717 Die europäischen Diplomaten und Staatsmänner718 hingegen standen der MonroeDoktrin allesamt ablehnend gegenüber.719 Es kam allerdings niemals zu einem ofterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung. Adams war jedoch strikt dagegen. May, Monroe Doctrine (Fn. 684), S. 211 ff.; Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 48; Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 91. 710 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 144 – 149. 711 Abweichend davon war der Kongress von der Bestimmtheit der Monroe-Doktrin wohl nicht vollkommen überzeugt. Henry Clay stellte deshalb am 20. 01. 1824 zunächst einen Antrag, die Monroe-Doktrin ausdrücklich anzuerkennen; allerdings zog Clay den Antrag nach einigen Monaten wieder zurück. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 146 – 147. 712 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 145. 713 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 149 – 150. 714 Álvarez, Monroe Doctrine (Fn. 693), S. 10. 715 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 586. 716 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 162. 717 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 163. 718 Insbesondere Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich (1773 – 1859) verfasste eine deutliche Kritik der Monroe-Doktrin. Er monierte eine deutliche Abkehr von den konservativen Werten Europas. Der russische Diplomat Diederik Jacob van Tuyll van Serooskerken (1772 – 1826) analysierte die Situation und kam zu dem Ergebnis, dass den Vereinigten Staaten keine finanziellen Mittel zur Verfügung stünden, die Monroe-Doktrin militärisch durchzusetzen, sollte England dem Vorhaben nicht beiseite stehen. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 172 – 173. 719 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 166.
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fiziellen Protest gegenüber der neuen Ausrichtung der Außenpolitik der Vereinigten Staaten.720 Für die europäischen Mächte war die Monroe-Doktrin zunächst nur von einem temporären Interesse und hatte zunächst keine weitere Wirkung.721 Was darüber hinaus klar wurde, war, dass es nun eine Trennung zwischen der Alten und der Neuen Welt gab.722 (3) Die Entwicklung der Monroe-Doktrin für die amerikanische Außenpolitik Nachdem die Monroe-Doktrin 1823 verkündet wurde, übte sie zwischen den Jahren 1826 und 1843 noch keinen großen Einfluss723 auf die Außenbeziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Rest der Welt aus.724 Deshalb wird im Folgenden diese geschichtliche Änderung skizziert, um zu verstehen, welche Variante der Monroe-Doktrin Schmitts Großraumtheorie beeinflusst hat. Die Monroe-Doktrin war, wie bereits untersucht, ursprünglich eine defensive und isolationistische Doktrin.725 Dies blieb sie auch zwischen 1823 bis 1890.726 Die europäischen Mächte verstanden die Monroe-Doktrin zum Zeitpunkt ihrer Verkündung sogar als rein regionale Politik oder gar als Wahlkampfmanöver.727 Innenpolitisch mag sie, insbesondere aus dem Blickwinkel von John Quincy Adams, auch durchaus ein Mittel gewesen sein, um das „Federal Government“ durch eine äußere Gefahr – ob nun real oder nicht – zu stärken.728 Insgesamt kann aber gesagt werden, dass die Monroe-Doktrin für 20 Jahre729 in Vergessenheit geraten war.730 Die Monroe-Doktrin lebte erst wieder durch USPräsident James Knox Polk (1795 – 1849) am 02. 12. 1845, im Rahmen seiner Rede
720
Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 167. Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 257. 722 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 176. 723 Großbritannien etwa eroberte weiterhin Kolonien, wie etwa die Falkland Inseln, obwohl diese Eroberungen einen klaren Verstoß gegen die Monroe-Doktrin darstellten. Vgl. Perkins, Dexter, The Monroe Doctrine 1826 – 1867, 1933, S. 5 – 7. 724 Perkins, Monroe Doctrine 1826 – 1867 (Fn. 723), S. 4. 725 Schmitt, Carl, „Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus (1932)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 164 – 165. 726 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 30. 727 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 170. 728 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 171. 729 Erwähnenswert ist lediglich, dass US-Präsident Martin Van Buren (1782 – 1862) im Jahre 1840 die Monroe-Doktrin dahingehend erweiterte, dass eine auch nur zeitweise Okkupation eines Teiles des amerikanischen Kontinentes durch einen europäischen Staat nicht geduldet werden sollte. Vgl. Álvarez, Monroe Doctrine (Fn. 693), S. 17. 730 Perkins, Monroe Doctrine 1826 – 1867 (Fn. 723), S. 4; LaFeber, Walter, The Evolution of the Monroe Doctrine from Monroe to Reagan, in: Williams, William Appleman (Hrsg.), Redefining the Past. Essays in Diplomatic History in Honor of William Appleman Williams, 1986, S. 123. 721
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
zur Lage der Nation,731 wieder auf.732 Polk wollte insbesondere dem Versuch der europäischen Mächte, das Gleichgewichtsprinzip auf den amerikanischen Kontinent zu übertragen,733 eine klare Grenze aufzeigen.734 Zu einer zusätzlichen Erweiterung735 der ursprünglichen Prinzipien der Nichtintervention und Nichtkolonialisierung der Monroe-Doktrin kam es durch die Rede von Präsident Polk am 29. 04. 1848.736 Die wichtigste Intervention Europas im Hinblick auf die Monroe-Doktrin war jedoch der Eingriff Frankreichs, mithilfe von Spanien und England im Jahre 1861 in Mexiko eine Monarchie zu etablieren.737 Der Grund für das Eingreifen Napoleons III. war der Sezessionskrieg in den Vereinigten Staaten, der die militärischen Kräfte der USA band.738 1863 konnte Frankreich den Erzherzog Ferdinand Maximilian von Österreich (1832 – 1867) als Kaiser von Mexiko einsetzen.739 Seitens der Vereinigten Staaten blieb es bis zur ersten Hälfte des Jahres 1865 bei einer vorsichtigen740 Außenpolitik des US-Außenministers William Henry Seward (1801 – 1872).741 Der Eingriff der Vereinigten Staaten in die Situation erfolgte erst 1865 – 1866 und führte
731 Perkins, Monroe Doctrine 1826 – 1867 (Fn. 723), S. 62; LaFeber, Walter, The Evolution of the Monroe Doctrine from Monroe to Reagan, in: Williams (Hrsg.), Redefining the Past (Fn. 730), S. 127. 732 Schon in dieser Rede ging Polk über die Monroe-Doktrin hinaus und untersagte den europäischen Staaten gar eine diplomatische Interposition oder Beratung, insbesondere soweit der nordamerikanische Kontinent betroffen war. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1826 – 1867 (Fn. 723), S. 90. 733 Hintergrund waren die außenpolitischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und den europäischen Mächten in Bezug auf Texas, Oregon und Kalifornien. Insb. Großbritannien und Frankreich akzeptierten die Hegemonie der Vereinigten Staaten im amerikanischen Kontinent nicht, sondern versuchten das Prinzip des Gleichgewichts der Mächte in Amerika einzuführen. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1826 – 1867 (Fn. 723), S. 64; Kraus, MonroeDoktrin (Fn. 669), S. 83 – 89. 734 Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 35 – 36. 735 Hier wurde es den europäischen Mächten untersagt, käuflich Ländereien im amerikanischen Kontinent zu erwerben, selbst wenn die involvierten südamerikanischen Staaten einverstanden waren. Vgl. Álvarez, Monroe Doctrine (Fn. 693), S. 17; wobei gerade in der Verneinung der Verfügungsmacht der Einheimischen über ihre Ländereien die eigentliche Bedeutung dieser Verkündung liegt. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1826 – 1867 (Fn. 723), S. 178. 736 Der Anlass war, dass die Regierung von Yucatán in Mexiko den Vereinigten Staaten sowie Spanien und England die Herrschaft und Souveränität über Yucatán anbot. Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 97 – 98. 737 Perkins, Monroe Doctrine 1826 – 1867 (Fn. 723), S. 357; Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 117. 738 Perkins, Monroe Doctrine 1826 – 1867 (Fn. 723), S. 365. 739 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 124. 740 Die Monroe-Doktrin wurde in der offiziellen Sprache der damaligen Zeit nur selten referenziert, obwohl das Handeln von Napoleon III. im offenen Widerspruch zur MonroeDoktrin stand. Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 129 – 130. 741 Perkins, Monroe Doctrine 1826 – 1867 (Fn. 723), S. 465.
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zu einem Rückzug von Napoleon III.742 Insgesamt zeigt dieser Vorgang eine noch sehr zurückhaltende Anwendung der Monroe-Doktrin.743 Eine schärfere Anwendung der Monroe-Doktrin übte US-Präsident Ulysses Simpson Grant (1822 – 1885) aus, indem er das Nichttransferprinzip744 bestätigte und erweiterte.745 Die Monroe-Doktrin in dieser Form beschränkt somit den außeramerikanischen Handelsverkehr.746 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Monroe-Doktrin bis zum 20. Jahrhundert so interpretiert wurde, dass sich die Vereinigten Staaten zwar in einer Verteidigerrolle gegenüber den außeramerikanischen Mächten sahen, jedoch noch nicht in die einzelnen Angelegenheiten der inneramerikanischen Staaten intervenierten.747 In der Folgezeit erweiterte sich die Monroe-Doktrin jedoch erheblich. Nun wurde die Intervention durch die USA in die Angelegenheiten von anderen Staaten748 auf dem amerikanischen Kontinent durch die Monroe-Doktrin gerechtfertigt.749 Besonders deutlich zeigte sich diese Tendenz jedoch in der sog. Roosevelt-Corollary (auch Roosevelt-Zusatz genannt),750 die durch Präsident Theodore Roosevelt (1858 – 1919) am 06. 12. 1904 verkündet wurde.751 Während die Monroe-Doktrin 742
Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 128. So wird explizit festgehalten, dass sich die Monroe-Doktrin nur gegen die Vermehrung politischer Macht europäischer Staaten in Amerika richte. Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 124. 744 Er traf im Rahmen seiner Verkündung am 06. 12. 1869 die Feststellung, dass dieses Prinzip für alle rechtlichen Transaktionen gelte, soweit sich die Vereinigten Staaten in ihrer Sicherheit bedroht fühlen würden. Vgl. Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 31. 745 Hintergrund war ein Streit zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien über die Behandlung von Kuba. Der Transfer von Kuba von Spanien an eine andere europäische Macht wurde ausdrücklich untersagt. Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 187 – 188; LaFeber, Walter, The Evolution of the Monroe Doctrine from Monroe to Reagan, in: Williams (Hrsg.), Redefining the Past (Fn. 730), S. 129. 746 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 215 – 217. 747 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 31. 748 Eine frühe Entwicklung in diese Richtung zeigte sich bereits in der Sonderbotschaft von US-Präsident Grant vom 31. 05. 1870. Sie nahm Bezug auf die Situation in der Dominikanischen Republik und propagierte die Annexion dieser, um einer Kolonisierung durch eine europäische Macht zuvorzukommen. Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 137 – 142. 749 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 32. 750 LaFeber ist der Ansicht, dass die Roosevelt-Corollary den Namen Roosevelt-Doktrin verdient, da der Charakter der Roosevelt-Corollary ein ganz anderer sei als der der MonroeDoktrin. So LaFeber, Walter, The Evolution of the Monroe Doctrine from Monroe to Reagan, in: Williams (Hrsg.), Redefining the Past (Fn. 730), S. 123. 751 „Chronic wrongdoing, or an impotence, which results in a general loosening of the ties of civilized society, may in America, as elsewhere, ultimately require intervention by some civilized nation, and in the Western Hemisphere the adherence of the United States, however reluctantly, in flagrant cases of such wrongdoing or impotence, to the exercise of international 743
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grundsätzlich eine defensive Natur hatte, änderte sich der Charakter der Doktrin in der Zeit von Theodore Roosevelt und seiner sog. Roosevelt-Corollary752 erheblich.753 Inhaltlich bedeutete diese neue Lesart der Monroe-Doktrin die Inanspruchnahme einer besonderen Position in der westlichen Hemisphäre als Ordnungsmacht. Diese konnte nun so weit gehen, dass sogar Interventionen in andere amerikanische Staaten gerechtfertigt werden.754 Diese harte Lesart der Monroe-Doktrin wurde extern wie auch intern aufgrund der Wirkung auf die südamerikanischen Nachbarstaaten stark kritisiert und durch die „Good Neighbour Policy“ von Franklin Delano Roosevelt endgültig revidiert.755 Die Periode nach der Rücknahme des Roosevelt-Corollary wird als Phase der Multilateralisierung bezeichnet und fällt zeitlich mit der „Good Neighbour Policy“756 von Franklin D. Roosevelt zusammen.757 Sie bezeichnet die Anerkennung der Monroe-Doktrin durch mehrere völkerrechtliche Verträge. Dadurch entstand ein regionales Völkerrecht der amerikanischen Staaten.758 Eine frühe Multilateralisierung kann in der Aufnahme des sog. Monroe-Vorbehalts759 in Artikel 2 der Genfer police power“, zitiert aus: Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 33; Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 38; Perkins, Dexter, The Monroe Doctrine 1867 – 1907, 1937, S. 428. 752 Der Hintergrund der Verkündung war eine Seeblockade Venezuelas durch England, Deutschland und Italien, um kommerzielle Interessen geltend zu machen. Vgl. Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 32; dieser Anlass war lediglich ein Symptom eines Problems vieler karibischer Staaten. Diese waren aufgrund interner Schwierigkeiten oftmals nicht in der Lage, die Staatsschulden an die europäischen Gläubigerstaaten zu begleichen. Vgl. Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 38. 753 Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 34; Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 163. 754 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 33. Perkins bezeichnet dies als die außergewöhnlichste und interessanteste Evolution der Monroe-Doktrin. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1867 – 1907 (Fn. 751), S. 396 – 397. 755 Insg. hervorzuheben ist das Clark-Memorandum, in dem festgestellt wurde, dass die Monroe-Doktrin sich auf die Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und den europäischen Staaten richtete und nicht auf die inter-amerikanische Beziehung. Die Position von Roosevelt sei besser mit anderen Konzepten, wie etwa dem Recht auf Selbstverteidigung, zu erklären. Vgl. Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 41 – 42. 756 Auch Franklin D. Roosevelt behielt es sich jedoch vor, die Monroe-Doktrin von 1823 bzw. die Roosevelt-Corollary von 1904 anzuwenden. So LaFeber, Walter, The Evolution of the Monroe Doctrine from Monroe to Reagan, in: Williams (Hrsg.), Redefining the Past (Fn. 730), S. 134. 757 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 35; allerdings hat auch Wilson 1914/1915 sich bemüht, ein System der kollektiven Sicherheit zu errichten, das nicht nur auf der einseitigen Monroe-Doktrin beruht. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch am Einspruch von Chile, sodass Wilson sich der Gründung des Völkerbundes zuwandte. So Fraenkel, Ernst, Regionalpakte und Weltfriedensordnung: Zur völkerrechtlichen Entwicklung der Nachkriegszeit, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Jahrgang 2 (1954), Heft 1, S. 34 – 54 (37 – 38). 758 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 55 – 58. 759 Der Monroe-Vorbehalt wurde bereits in den Haager Friedenskonferenzen 1899 verlautbart und wurde in die Haager Schiedsgerichtskonvention sowie in das Schiedsabkommen
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Völkerbundssatzung von 1919760 gesehen werden.761 Diese Klausel sagt zwar nicht ausdrücklich, dass die Monroe-Doktrin durch die Signatarstaaten anerkannt wird,762 aber eine stillschweigende Akzeptanz kann darin trotzdem gesehen werden.763 Der eigentliche Multilateralisierungsprozess fand jedoch auf der Ebene des amerikanischen Kontinents statt. Im Lichte der Bedrohung durch die Achsenmächte764 wurden die Montevideo Konferenz 1933,765 die Buenos Aires Konferenz 1936,766 die Lima Konferenz 1938,767 die Panama Konferenz 1939,768 die Havana Konferenz 1940,769 von 1907 eingefügt. Vgl. Pohl, Heinrich, Der Monroe-Vorbehalt, in: Pohl, Heinrich, Aus Völkerrecht und Politik. Gesammelte Aufsätze, 1913, S. 129 – 155. 760 Woodrow Wilson sagte in einer Rede vom 22. 01. 1917, dass der Völkerbund ein Vorschlag sei, die Monroe-Doktrin zu einem universalen Prinzip auszugestalten. So Fraenkel, Regionalpakte (Fn. 757), S. 34 – 54 (40). 761 Dieser sagt: „Internationale Abreden wie Schiedsgerichtsverträge und Abmachungen über bestimmte Gebiete, wie die Monroe-Doktrin, welche die Erhaltung des Friedens sicherstellen, gelten nicht als mit einer der Bestimmungen der gegenwärtigen Satzung unvereinbar.“ 762 Allerdings liegt das Problem gerade in der Unbestimmtheit dieses Vorbehaltes, da sich der Inhalt der Monroe-Doktrin bzw. die Frage, wer die Reichweite des Vorbehaltes bestimmt, historisch ständig geändert hatte. Weiterhin wird die Monroe-Doktrin aufgrund ihrer Einseitigkeit kaum eine internationale Abrede oder eine regionale Abmachung sein können. Vgl. Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 63 – 65. 763 So argumentiert auch Carl Schmitt. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 16 – 17. Insgesamt ist es allerdings zweifelhaft, bereits hier eine Multilateralisierung zu sehen. Nach der Systematik der Völkerbundsatzung würde die Interpretationshoheit des rein satzungs-autonomen Begriffs „Monroe-Doktrin“ einem Organ des Völkerbundes, also etwa der Völkerbundversammlung oder dem Rat, zustehen. Dies lehnte jedoch der Ratspräsident am 01. 09. 1928 ab. Die Vereinigten Staaten hingegen haben dieses Recht stets für sich beansprucht und dies hat sich auch nach der Gründung des Völkerbundes nicht geändert, zumal die Vereinigten Staaten diesem nicht einmal beigetreten sind. Dies würde bedeuten, dass die Signatarstaaten sich an die Monroe-Doktrin dergestalt gebunden hätten, dass sie sich aus den Angelegenheiten, die die Monroe-Doktrin betreffen, heraushalten werden, ohne eine eigene Interpretationshoheit zu haben. Vgl. Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 62 – 67. 764 Die Achsenmächte forderten eine eigene Monroe-Doktrin für Asien bzw. für Europa. Dies wurde von Franklin D. Roosevelt abgelehnt. Vgl. Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 42. 765 Die Montevideo-Konferenz war die Erste Konferenz nach der Verkündung der „Good Neighbour“ Politik von Franklin D. Roosevelt. Sie führte zu einer Konvention, die das gegenseitige Nichtinterventionsprinzip festlegte. Vgl. Fenwick, Charles, The Organization of American States. The Inter-American Regional System, 1963, S. 56 – 57; Connell-Smith, Gordon, The Inter-American System, 1966, S. 83 – 91. 766 In der Buenos-Aires-Konferenz wurde über einen ständigen inter-amerikanischen Rat, bestehend aus den Außenministern aller amerikanischen Republiken, diskutiert. Das Nichtinterventionsprinzip wurde bestätigt. Vgl. Fenwick, OAS (Fn. 765), S. 59 – 62. 767 Die Lima-Konferenz stand unter dem Eindruck des Krieges. Die Vereinigten Staaten bestätigten, dass sie die kontinentale Solidarität respektieren und die anderen amerikanischen Staaten gegenüber allen fremden Mächten beschützen würden. Insofern kann von einer Multilateralisierung der Monroe-Doktrin gesprochen werden. Vgl. Fenwick, OAS (Fn. 765), S. 62 – 63. 768 In der Panama-Konferenz wurde beschlossen, eine neutrale Haltung gegenüber dem Krieg in Europa einzunehmen. Weiterhin wurde eine Sicherheitszone eingerichtet, die durch die
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
die Rio Konferenz 1942770 und die Konferenz von Mexiko Stadt 1945771 abgehalten. Durch diese Konferenzen wurde festgestellt, dass die Monroe-Doktrin als eine gemeinsame Verpflichtung aller amerikanischen Staaten galt.772 Am 30. 04. 1948 wurde die Organisation Amerikanischer Staaten gegründet. Der Rio Pakt (1947),773 der Bogota Pakt (1948) sowie die Satzung der OAS, die im Rahmen des Bogota Paktes beschlossen wurde,774 stellten in der Nachkriegszeit die Grundordnung der kollektiven inneramerikanischen Sicherheit dar.775 Es kann sogar von einem inter-amerikanischen Völkerrechtssystem ausgegangen werden.776 Allerdings beinhalten die oben genannten Verträge nur einen Aspekt der MonroeDoktrin, nämlich den der sog. hemisphärischen Sicherheit, also dass keine außeramerikanische Macht in Amerika intervenieren könne, ohne eine kollektive Reaktion aller amerikanischen Staaten befürchten zu müssen.777 Die Monroe-Doktrin blieb
kontinentale Selbstverteidigung gerechtfertigt wurde. Vgl. Fenwick, OAS (Fn. 765), S. 64 – 65; Connell-Smith, Inter-American System (Fn. 765), S. 111 – 112. 769 Aufgrund der militärischen Erfolge des Dritten Reiches war nun eine Möglichkeit des Krieges näher gerückt. Es wurde deshalb ein Beistandsabkommen abgeschlossen, das das Prinzip der kollektiven Sicherheit aufstellte. Vgl. Fenwick, OAS (Fn. 765), S. 65 – 67; ConnellSmith, Inter-American System (Fn. 765), S. 112 – 117. 770 In der Rio-Konferenz wurde die sofortige Unterbrechung der diplomatischen Beziehungen zwischen den amerikanischen Staaten mit Japan, Deutschland und Italien beschlossen. Vgl. Fenwick, OAS (Fn. 765), S. 67 – 68. 771 In der Konferenz von Mexiko-Stadt wurde der Chapultepec-Vertrag geschlossen. Dieser beinhaltete den Beschluss, eine internationale Organisation der amerikanischen Republiken auf der Basis von „Recht, Gerechtigkeit und Billigkeit“ zu gründen. Fenwick, OAS (Fn. 765), S. 69 – 72; Connell-Smith, Inter-American System (Fn. 765), S. 129 – 138. 772 Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 42; Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 34 – 37. 773 In der Konferenz von Rio 1947 wurde der Rio-Pakt abgeschlossen, der den gegenseitigen Beistand der amerikanischen Republiken beinhaltete. Weiterhin beinhaltete dieser auch die Gründung der Pan-Amerikanischen Union, die später die Organisation Amerikanischer Staaten werden sollte. Fenwick, OAS (Fn. 765), S. 75 – 79. 774 Die Bogota-Konferenz brachte die Gründung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Die Satzung sah vor, dass die Organisation sechs Organe haben sollte. Die Generalversammlung, die Konsultation der Außenminister, der ständige Rat, die Pan-Amerikanische Union, die speziellen Konferenzen und die spezialisierten Organisationen. Vgl. Fenwick, OAS (Fn. 765), S. 80 – 118; Connell-Smith, Inter-American System (Fn. 765), S. 196 – 209. 775 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 37; List, Weltregionen (Fn. 663), S. 238. 776 Fenwick weist darauf hin, dass die amerikanischen Republiken ein völkerrechtliches System geschaffen haben, das auf den gemeinsamen Schutz der Souveränität, der territorialen Integrität und der Unabhängigkeit aller Staaten gründet. Das inter-amerikanische Staatensystem basiere auf den folgenden Prinzipien: der Gleichheit der Staaten, dem Nichtinterventionsprinzip, dem Gewaltverbot, der gemeinsamen Verteidigung und der wirtschaftlichen, sozialen sowie kulturellen Kooperation. Dabei sei jedoch ausdrücklich festgestellt worden, dass das (europäisch geprägte) Völkerrecht gelten solle. Vgl. Fenwick, OAS (Fn. 765), S. 134 – 150. 777 Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 43; Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 56.
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jedoch, gerade aufgrund ihrer Einseitigkeit, als Element der amerikanischen Außenpolitik bestehen.778 bb) Analyse der Monroe-Doktrin Nachdem der historische Hintergrund der Monroe-Doktrin betrachtet wurde, ist festzustellen, dass die Monroe-Doktrin sich durch ihre Wandelbarkeit auszeichnet. Die defensiv-isolationistische Fassung und die imperialistische Fassung der MonroeDoktrin scheinen sich diametral gegenüber zu stehen. Diese erhebliche Wandlung der Monroe-Doktrin lässt die Frage aufkommen, was die Monroe-Doktrin generell ausmacht. Welche Verkündungen der amerikanischen Außenpolitik können wirklich als Monroe-Doktrin verstanden werden? Im Folgenden soll deshalb untersucht werden, welche Struktur und inhaltlichen Besonderheiten die Monroe-Doktrin aufweist. (1) Charakter von Doktrinen im Allgemeinen Die Monroe-Doktrin ist zunächst eine einseitige Haltung der Vereinigten Staaten von Amerika und keine völkerrechtliche Norm.779 Nach allgemeiner Ansicht des klassischen Völkerrechts des 19. Jahrhunderts ist eine Doktrin grundsätzlich als eine einseitige Erklärung für bestimmte Haltungen in bestimmten Situationen zu verstehen,780 jedoch keine Rechtsquelle für das Völkerrecht.781 Dies bedeutet, dass die Deutungshoheit der Monroe-Doktrin bei den Vereinigten Staaten liegt und entsprechend nach amerikanischen Interessen abgeändert werden kann.782 Weiterhin sind die Vereinigten Staaten selbst an die Doktrin nicht gebunden und haben entsprechend eine „freie Hand“, sich nicht mehr gemäß der Doktrin zu verhalten.783 Gerade diese – möglicherweise sogar gewollte – Unbestimmtheit, Dehnbarkeit und
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Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 44 – 45; Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 57. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 351, 398; Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 66; Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 146. Schatzschneider betont, dass die Analyse von Kraus im Jahre 1913 in den Jahren in das Gegenteil verkehrt worden ist. Es gebe nun – soweit man Álvarez folge – auch Argumente, dass die Monroe-Doktrin ein völkerrechtlicher Grundsatz sei. Vgl. Schatzschneider, Hellmut, Die neue Phase der Monroe-Doktrin angesichts der kommunistischen Bedrohung Lateinamerikas, 1957, S. 61 – 62. 780 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 6 f. 781 Aufgrund des vorherrschenden Prinzips der Souveränität im Völkerrecht können Normen grds. nur durch Reziprozität gebildet werden. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 324; Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 12 ff.; Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 30 – 31; Hobe, Völkerrecht (Fn. 504), S. 369 ff.; Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 9 ff.; Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 5. 782 Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 20. 783 Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 21. 779
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Veränderbarkeit sprechen dagegen, dass die Monroe-Doktrin ein völkerrechtlicher Rechtssatz ist.784 Um ein Völkerrechtssatz zu werden, müsste es eine ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung von den in Betracht kommenden Mitgliedern der Völkerrechtsgemeinschaft geben.785 Eine Doktrin ist zwar grundsätzlich eine rechtssatzähnlich eingekleidete politische Maxime,786 aber gleichzeitig auch eine Aussage, sogar unterhalb einer bloßen „opinio iuris“,787 die sich jederzeit einseitig ändern kann.788 Diese einseitige Änderbarkeit gibt auch die Grenze der Möglichkeit vor, eine Doktrin in rechtliche Kategorien zu fassen.789 Es gibt auch keine unmittelbaren Pflichten oder Rechte, die aus einer Doktrin folgen.790 Jeder Staat ist frei, eine Doktrin zu formulieren, auch wenn ein Hegemon mehr Optionen hat, diese politisch durchzusetzen. Gleichzeitig ist das Durchsetzen einer Doktrin einem Hegemonen gegenüber faktisch unmöglich.791 Eine Doktrin ist also eine einseitige Politik, die den Hegemonen vorbehalten bleibt. Insofern widersprechen Doktrinen den grundsätzlichen Prinzipien des geltenden Völkerrechts, nämlich der Souveränität aller Staaten, der formellen Gleichheit der Staaten und dem Konsensprinzip. (2) Analyse der Monroe-Doktrin als solcher Bezüglich der Monroe-Doktrin scheint es zwei inhaltlich voneinander zu trennende Fragen zu geben. Die erste Frage betrifft den Inhalt der Monroe-Doktrin an sich. Welche Forderungen haben die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1823 genau gestellt und wie wurden diese Forderungen weiterentwickelt? Die zweite Frage betrifft die Angelegenheit, welche völkerrechtliche Relevanz die MonroeDoktrin hat. Kann eine Doktrin nur außenpolitische, nicht jedoch völkerrechtliche Relevanz haben, aber dennoch ein völkerrechtlich zu beachtendes Prinzip werden? 784 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 357; gleichwohl ist der Einfluss der MonroeDoktrin auf das Völkerrecht nicht zu unterschätzen. Seit ihrem Bestehen hat die MonroeDoktrin die Interventionslehre, den Grundsatz der Staatengleichheit, die völkerrechtliche Schiedsgerichtsbarkeit und die Theorie des partikulären amerikanischen Völkerrechts beeinflusst. Vgl. Schatzschneider, Monroe-Doktrin (Fn. 779), S. 63. 785 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 358. Das entspricht dem allgemeinen völkerrechtlichen Prinzip, das Völkerrecht immer auf Konsens basieren muss, da die Staaten grundsätzlich gleich sind und jeweils Souveränität besitzen, also nur nach eigener Zustimmung gebunden werden können. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 29; Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 12; Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 34; Hobe, Völkerrecht (Fn. 504), S. 10; Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 3. 786 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 256. 787 Es fehlt an der notwendigen Bestimmtheit, dass eine bestimmte rechtliche Haltung eingenommen wird. Lediglich die Verkündung einer Doktrin kann als opinio iuris angesehen werden. Vgl. Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 249. 788 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 263. 789 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 247. 790 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 250. 791 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 252.
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Die Monroe-Doktrin hatte ursprünglich zwei zentrale Prinzipien:792 1. Die Beschränkung politischer Betätigungsfreiheit europäischer Staaten in Amerika;793 2. Die Beschränkung politischer Betätigungsfreiheit der Vereinigten Staaten in Europa794. Diese beiden Prinzipien stehen in der ursprünglichen Monroe-Verkündung vom 02. 12. 1823 in einer wechselseitigen Beziehung, die zumindest in der ursprünglichen Fassung so verstanden werden kann, dass die Vereinigten Staaten sich nicht in europäische Angelegenheiten einmischen werden, wenn die europäischen Mächte sich nicht in die amerikanischen Angelegenheiten einmischen würden.795 Diese Beschränkung der Vereinigten Staaten ist schon sehr früh gegenstandslos geworden.796 Jedenfalls in der ursprünglichen Fassung der Monroe-Doktrin war dieser Aspekt von einiger Bedeutung,797 da die Monroe-Doktrin grundsätzlich eine Isolation des amerikanischen Kontinents zum Ziel hatte.798 Dieser Isolationsgedanke der ursprünglichen Monroe-Doktrin deckt sich auch mit der zuvor von den Vereinigten Staaten gelebten Neutralitätspolitik und dem Prinzip zur Vermeidung von Allianzen. Diese Politik haben die Vereinigten Staaten schon früh vertreten und etwa im Freundschafts- und Handelsvertrag mit Frankreich 1778 aufgenommen. Diese Art der einseitigen Neutralitätsverträge799 wurde jedoch be792
Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 26; Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 66 ff. Dieses Prinzip ist ein von den Vereinigten Staaten ausgehendes und ihnen gegenüber bestehendes, unter Androhung gewaltsamer Durchsetzung im Falle seiner Nichtbeachtung erlassenes Verbot an die nichtamerikanische Staatenwelt. Nach Kraus richtet sich dieses Verbot gegen jede von nichtamerikanischer Seite ausgehende Handlung, die nach Ansicht der Vereinigten Staaten dazu geeignet ist, mittelbar oder unmittelbar einem nichtamerikanischen Staate in Bezug auf amerikanisches Gebiet politische Macht zu geben oder zu vermehren. Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 82 ff., 305. 794 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 305 ff. 795 In die bestehenden Kolonien oder Dependenzen irgendeiner europäischen Macht haben wir uns nicht eingemischt und werden wir uns nicht einmischen. Aber wir könnten einen Eingriff seitens einer europäischen Macht in die (südamerikanische) Regierungen … in keinem anderen Lichte denn als Kundgebung eines unfreundlichen Verhaltens gegenüber den Vereinigten Staaten ansehen. Vgl. Originaltext, in: Richardson, Messages (Fn. 677), S. 218; auszugsweise deutsche Übersetzung in: Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 38, 406. 796 Das „Desinteressements-Prinzip“ ist spätestens seit der Beendigung des Samoa-Streits durch den Washingtoner Vertrag 1899 oder durch die Resolution beider Häuser des amerikanischen Kongresses 1898, betreffend die Annexion von Hawaii, gegenstandslos geworden. Vgl. Schatzschneider, Monroe-Doktrin (Fn. 779), S. 7; dies ist der Entwicklung von den Vereinigten Staaten aus einem jungen und schwachen Staatswesen zu einer starken, selbstbewussten Weltmacht geschuldet. Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 339 f. 797 Es könnte z. B. als eine Art Angebot der Vereinigten Staaten zu einer Gegenleistung für die Einhaltung der Forderungen durch die Vereinigten Staaten gegenüber den europäischen Staaten gesehen werden. Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 74. 798 Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 50 ff.; Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 2. 799 Neutralitätsverträge sind Verträge zwischen kriegsführenden und nicht-kriegsführenden Mächten. Es wurden Vereinbarungen geschlossen, aber ohne dass die neutrale Macht sich am Krieg beteiligen würde. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 441. 793
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reits am 22. 04. 1793 durch eine Verkündung von US-Präsident George Washington (1732 – 1799), die eine allgemein-neutrale Position gegenüber kriegsführenden Mächten proklamierte, aufgegeben. Thomas Jefferson (1743 – 1826) und James Madison (1751 – 1836) setzten diese Neutralitätspolitik fort. 1818 wurde das Neutrality Law verkündet und somit die Verletzung der Prinzipien der Neutralität unter Strafe gestellt.800 Die Monroe-Doktrin ist in ihrer ursprünglichen Fassung eine Weiterführung dieser Politik.801 Sie diente der Sicherung der Existenz der Vereinigten Staaten.802 Das erste Prinzip der Beschränkung politischer Betätigungsfreiheit europäischer Staaten in Amerika lässt sich wiederum in zwei Unterprinzipien aufteilen:803 1. Das Verbot, amerikanisches Gebiet zu kolonialisieren (Nichtkolonisierungsprinzip);804 2. Das Verbot, in amerikanische Staaten zu intervenieren (Nichtinterventionsprinzip).805 Darüber hinaus war eine der frühen Ergänzungen der Monroe-Doktrin das „Nichttransfer Prinzip“,806 das sich 1845 durch die Polk-Corollary endgültig mit der Monroe-Doktrin verband.807 Damit untersagten die Vereinigten Staaten europäischen Mächten etwaige Grundstückstransfers in der sog. „westlichen Hemisphäre“.808 Ein weiterer Aspekt ist, dass die Vereinigten Staaten damit implizit zum Ausdruck brachten, im Zweifelsfalle auch für die Unabhängigkeit einer fremden Nation zu kämpfen.809 Räumlich gesehen bezieht sich die Monroe-Doktrin auf die „westliche Hemisphäre“ und meint damit zunächst zweifellos die zusammenhängenden Teile des amerikanischen Kontinents; aber auch benachbarte Inselgruppen, wie z. B. Kuba, gehörten dazu, soweit ein politischer Zusammenhang gegeben ist.810 Die Monroe-Doktrin wurde jedoch von Präsident John Tyler (1790 – 1862) bereits 1842 über dieses Gebiet hinaus in Richtung Ostasien ausgeweitet, als europäische 800 Dies hatte vorwiegend kommerzielle Hintergründe, da sich neutrale Mächte durch Handel mit kriegführenden Mächten einen hohen Gewinn erhoffen konnten. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 457 f. 801 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 64 f. 802 Das Zwei-Sphären-Prinzip der Monroe-Doktrin war also nur ein Mittel zum Zweck der Sicherheit. So Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 160. 803 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 66 ff.; Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 26. 804 Wobei es in der ursprünglichen Fassung um das Verbot künftiger Kolonialisierung ging und nicht um die Aufgabe alter Kolonien. Vgl. Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 15. 805 Dadurch komplettierte sich die „Einflusssphäre“ der Vereinigten Staaten in der westlichen Hemisphäre, ohne dass es eine offizielle Proklamation einer solchen gab. Vgl. Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 18. 806 Dieses Prinzip wird teilweise auch „Madison-Doktrin“ genannt. Vgl. Kraus, MonroeDoktrin (Fn. 669), S. 59. 807 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 96. 808 Perkins, Monroe Doctrine 1823 – 1826 (Fn. 682), S. 203. 809 Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 18. 810 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 299 – 302.
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Mächte Hawaii bedrohten. Mit der Annexion von Hawaii im Jahre 1898 wurde zudem – gemäß der damaligen imperialistischen Außenpolitik – die Reichweite noch einmal erweitert, weil die Inselgruppe Hawaii lediglich ein „Sprungbrett nach dem Fernen Osten“ darstellen sollte.811 1895 wurde der Anwendungsbereich der MonroeDoktrin durch den US-Außenminister Richard Olney (1835 – 1917) sogar auf die gesamte Welt erweitert.812 1912 wurde zudem eine zusätzliche inhaltliche Erweiterung der Monroe-Doktrin in dem sog. „Magdalena Bay-Fall“ durch den Kongress beschlossen, die sog. Lodge Corollary. Dadurch wurde der Erwerb von Hafeneinrichtungen in der westlichen Hemisphäre durch ausländische Mächte (hier: Das Kaiserreich Japan) verboten.813 Somit verlor die Monroe-Doktrin zunehmend den ursprünglichen isolationistischen, defensiven und rein anti-europäischen Charakter. Die Monroe-Doktrin ist ein Novum dahingehend, dass zum ersten Male ein Staat ohne jegliche Berücksichtigung der außenpolitischen Lage oder der völkerrechtlichen Beurteilung eine Sicherheitsdoktrin verkündet hatte.814 Das bedeutet jedoch nicht, dass die Monroe-Doktrin vollkommen irrelevant für das Völkerrecht war oder geblieben ist, weil sie rechtsbildenden Charakter gehabt hat.815 Zu nennen sind etwa die Auswirkungen auf das Nichtinterventionsprinzip, den Grundsatz völkerrechtlicher Gleichheit aller selbstständigen Staaten, das Arbitrationsprinzip sowie die Lehre vom Gebietserwerb.816 Zunächst stellt sich die Frage, ob die Monroe-Doktrin als solche völkerrechtswidrig ist. Die Monroe-Doktrin war zum Zeitpunkt ihrer Verkündung nach dem geltenden Völkerrecht weder zwangsläufig völkerrechtskonform noch völkerrechtswidrig.817 Erst die zusätzlichen Inhalte, die durch die Polk-Corollary sowie insbesondere durch die Roosevelt-Corollary dazu kamen, machten die Vereinbarkeit der Doktrin in der jeweils neuen Form mit dem geltenden Völkerrecht fraglich, da diese neuen Lesarten zunächst eine Androhung von Gewalt gegenüber den europäischen Mächten und dann sogar gegenüber den amerikanischen Staaten beinhal-
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Fröhlich, Geopolitik (Fn. 385), S. 30. „Today the United States is practically sovereign on this continent and its fiat is law upon the subjects to which it confines its interposition. … It is because, in addition to all other grounds, its infinite resources combined with its isolated position render it master of the situation and practically invulnerable as against any or all other powers …“ Vgl. LaFeber, Walter, The Evolution of the Monroe Doctrine from Monroe to Reagan, in: Williams (Hrsg.), Redefining the Past (Fn. 730), S. 130; Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 163. 813 Der Hintergrund war, dass japanische Unternehmen in Kalifornien Hafeneinrichtungen erwerben wollten. Damit wurde die Monroe-Doktrin auch auf asiatische Mächte erweitert. Vgl. Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 40 – 41. 814 Álvarez, Monroe Doctrine (Fn. 693), S. 22. 815 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 351 f.; Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 246 f. 816 Vgl. Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 352. 817 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 82. 812
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teten.818 Grundsätzlich galt zu dieser Zeit noch das Recht zum Krieg (ius ad bellum), sodass die Ausübung von Gewalt als solche noch nicht völkerrechtswidrig war.819 Aber selbst in der damaligen Zeit musste eine solche Art von Androhung völkerrechtlich gesondert gerechtfertigt werden. Ob dies im Rahmen des damals geltenden Rechtfertigungsgrundes der Selbstverteidigung möglich gewesen war, ist strittig.820 Die Monroe-Doktrin hat sich also mit der Zeit in eine Drohung an potenzielle Aggressoren entwickelt, die grundsätzlich nach dem jeweils geltenden Völkerrecht gerechtfertigt werden musste. Es stellt sich also die Frage, ob die Monroe-Doktrin an sich völkerrechtliche Prinzipien enthält, die diese – in der Monroe-Doktrin immanente – Drohung rechtfertigen können. Alejandro Álvarez (1868 – 1960) sagt, dass die amerikanischen Staaten im 19. Jahrhundert auf der Grundlage der Monroe-Doktrin ein eigenes amerikanisches Völkerrecht gebildet hätten.821 Zunächst sieht er hinsichtlich der Monroe-Doktrin, zumindest in der ursprünglichen Fassung, eine Zustimmung zwischen den Vereinigten Staaten und einigen südamerikanischen Staaten.822 Südamerikanische Staaten wie Kolumbien oder Brasilien versuchten 1824 einen entsprechenden Vertrag mit den Vereinigten Staaten abzuschließen, um eine etwaige Intervention von europäischen Staaten abzuwehren. 1825 erfolgte die Anerkennung der Monroe-Doktrin durch Brasilien.823 1864 wurden in Chile und in Peru Gesetze verabschiedet, die die Monroe-Doktrin bestätigten.824 Álvarez weist aber auch darauf hin, dass die Monroe-Doktrin nach der ursprünglichen Verkündung oftmals für hegemoniale Zwecke missbraucht worden sei.825 Er schlägt deshalb vor, die Monroe-Doktrin in ihrer ursprünglichen Fassung als legales Prinzip anzusehen und 818
Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 39. Das allgemeine Gewaltverbot wurde in der 2. Haager Friedenskonferenz 1907 zunächst für die Durchsetzung von Forderungen beschlossen. Es folgte eine, als eher schwach aufgefasste, verfahrenstechnische Lösung in der Völkerbundsatzung von 1919, in der ein zwingendes Vorverfahren vorgesehen war. Erst in dem Briand-Kellogg-Pakt von 1928 sowie der Charta der Vereinten Nationen von 1945 wurde jegliche Gewaltanwendung verboten. Vgl. Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 249; Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 275 f. 820 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 42. 821 Nach Álvarez repräsentiert die Monroe-Doktrin die Interessen aller amerikanischen Staaten, und alle sind sich einig, diese einzuhalten. Bezüglich der hegemonialen Politik sei dies allerdings nicht der Fall. Vgl. Álvarez, Monroe Doctrine (Fn. 693), S. 223; auch Fernwick und Connell kommen zum Ergebnis, dass es ein inter-amerikanisches Völkerrechtssystem gebe. Vgl. Fenwick, OAS (Fn. 765), S. 158 – 170; Connell-Smith, Inter-American System (Fn. 765), S. 317 – 326. 822 Álvarez, Monroe Doctrine (Fn. 693), S. 25. 823 Álvarez, Monroe Doctrine (Fn. 693), S. 10 f. 824 Álvarez, Monroe Doctrine (Fn. 693), S. 19. 825 Insbesondere weist Álvarez auch auf die Kodifikationsbemühungen von internationalem Völkerrecht in Amerika hin. Dies wurde in der zweiten und dritten Panamerikanischen Konferenz beschlossen. Die Arbeiten begannen 1912 in Rio de Janeiro. Nach einer Pause nach dem Ersten Weltkrieg wurde in der fünften panamerikanischen Konferenz beschlossen, dass die Arbeiten weitergeführt werden sollten. Vgl. Álvarez, Monroe Doctrine (Fn. 693), S. 28 f. 819
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die hegemoniale Politik von Amerika, die ebenfalls unter dem Namen MonroeDoktrin ausgeübt wurde, davon streng zu unterscheiden.826 Allerdings muss dem entgegengehalten werden, dass letztlich die Vereinigten Staaten selbst einer „Multilateralisierung“ der Monroe-Doktrin in Form eines völkerrechtlichen Vertrages erst äußerst spät827 zugestimmt haben.828 Schon zu Zeiten der Verkündung der Monroe-Doktrin wurde auf die Einseitigkeit der MonroeDoktrin großer Wert gelegt. Diese Einseitigkeit, also das Prinzip der „Freien Hand“, hat die Bedeutung des Inhaltes maßgeblich mitbestimmt.829 Die Vereinigten Staaten haben es bis zur Satzung des Völkerbundes im Jahre 1919 stets abgelehnt, die Monroe-Doktrin zum Gegenstand eines bilateralen oder multilateralen Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und den südamerikanischen Staaten zu machen. 1826 etwa sagte US-Außenminister Clay zum US-Präsidenten John Quincy Adams, dass die Vereinigten Staaten keine Verträge mit den südamerikanischen Staaten geschlossen hätten, um die Monroe-Doktrin aufrecht zu erhalten.830 Selbst in der sog. „Multilateralisierungsphase der Monroe-Doktrin“ wurde zwar ein Konzept der kollektiven Sicherheit im Rahmen der „Good Neighbour Policy“ propagiert, jedoch behielt die Monroe-Doktrin letztlich ihren einseitigen Charakter. Lediglich der Aspekt der territorialen Integrität fand Eingang in verschiedene völkerrechtliche Verträge.831 Die Vereinigten Staaten blieben beim Prinzip, dass es für die Einhaltung der Monroe-Doktrin keiner Allianz bedürfe und dass die Regierung das Interpretationsmonopol über die Monroe-Doktrin behalten sollte.832 Es scheint gerade ein Teil der Schmitt‘schen Kritik an dem geltenden Völkerrecht zu sein, dass es letztlich keinen völkerrechtlichen Erklärungsansatz für die MonroeDoktrin gab und ein völkerrechtlich so signifikantes Phänomen vollkommen dem Bereich der Außenpolitik überlassen blieb.833 Wie die Monroe-Doktrin sich in ein völkerrechtliches Gesamtkonzept einfügen kann, ja gerade ein Modell für das künftige Völkerrecht sein könnte,834 versucht Schmitt in seiner Großraumtheorie darzulegen.
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Álvarez, Monroe Doctrine (Fn. 693), S. 228. Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 42; Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 34 – 37. 828 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 358; Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 148; Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 7. 829 Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 21. 830 Álvarez, Monroe Doctrine (Fn. 693), S. 131. 831 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 56 – 58; Fenwick, OAS (Fn. 765), S. 56 – 79. 832 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 358; Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 148; Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 7. Dies stellt selbst Álvarez fest; vgl. Álvarez, Monroe Doctrine (Fn. 693), S. 16. 833 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 23 – 24; Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 212. 834 Schmitt redet von der Monroe-Doktrin als „Präzedenzfall“ eines völkerrechtlichen Großraumprinzips. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 22. 827
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
cc) Monroe-Doktrin in Schmitts Großraumtheorie Die Monroe-Doktrin nimmt in Schmitts Werk „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ sowie „Der Nomos der Erde“ einen zentralen Platz in zweierlei Hinsicht ein. Einerseits dient die Monroe-Doktrin als historisches Beispiel einer Großraumordnung mit Interventionsverbot, so wie Schmitt es sich vorstellt und zu propagieren versucht. Andererseits ist die Monroe-Doktrin in der Form der Roosevelt-Corollary gerade auch ein Beispiel für eine „Abart“, die Schmitt kritisiert.835 (1) Monroe-Doktrin als Präzedenzfall einer Großraumordnung Die Monroe-Doktrin wurde von Schmitt bereits 1930 in seinem Werk „Der Völkerbund und das politische Problem der Friedenssicherung“ behandelt.836 Schmitt sieht zu diesem Zeitpunkt in der Monroe-Doktrin ein wichtiges Ereignis, ohne das die Völkerbundsatzung oder die damalige Struktur des Völkerbundes nicht zu verstehen sei.837 In Carl Schmitts Werk „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ wird die Monroe-Doktrin dann als Präzedenzfall einer Großraumordnung behandelt. Die Besonderheit der Monroe-Doktrin für die Großraumtheorie ist, dass durch sie ein Raum, die westliche Hemisphäre, entstanden ist, der primär durch eine politische Idee, nämlich durch die Freund-Feind Unterscheidung zwischen den europäischen und amerikanischen Staaten, definiert wird.838 Es ist erneut festzuhalten, dass die ursprüngliche Monroe-Doktrin an europäische Staaten, insbesondere an die Mitgliedstaaten der Heiligen Allianz, adressiert wurde.839 Eine andere Ansicht hierzu scheint Carl Schmitt anzudeuten, wenn er die Monroe-Doktrin als Angriff gegen das „monarchistisch-dynastische Legitimitätsprinzip“, ein Prinzip, das im europäischen Raum das beherrschende Ordnungsprinzip darstellte, sieht.840 Auch wenn es bei den Verfassern der Monroe-Doktrin eine gewisse Überheblichkeit gegeben zu haben scheint, die europäischen Mächte die Prinzipien des demokratischen Regierens zu lehren, ist dem jedoch entgegenzuhalten, dass Monroe selbst etwa das Kaiserreich unter Agustín de Iturbide in Mexiko sowie das brasilianische Kaiserreich unter Dom Pedro I. anerkannt hatte.841 Es ging also weniger um die Frage der richtigen Regierungsform, sondern vielmehr um die 835
Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 31 – 32. Abgedruckt in: Schmitt, Frieden oder Pazifismus (Fn. 836), S. 281 – 330. 837 Schmitt, Carl, Der Völkerbund und das politische Problem der Friedenssicherung, in: Schmitt, Frieden oder Pazifismus (Fn. 836), S. 286. 838 Bendersky, Theorist (Fn. 149), S. 253. 839 Crabb, Doctrines (Fn. 708), S. 14; Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 30. 840 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 22. So auch Fraenkel, Regionalpakte (Fn. 757), S. 34 – 54 (38). 841 Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 68. 836
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
121
Begrenzung der Ausdehnung des europäischen Systems auf dem amerikanischen Kontinent.842 Die von Schmitt in der Großraumtheorie geforderte Struktur findet sich in dem Beispiel des amerikanischen Kontinents unter der Monroe-Doktrin größtenteils wieder. Die Vereinigten Staaten sind dabei das Reich des Großraums der „westlichen Hemisphäre“, und die restlichen Staaten des amerikanischen Kontinents sind dessen Großraumstaaten. Die durch die Vereinigten Staaten vorgegebene Ordnung strahlt auf die übrigen amerikanischen Staaten aus. Deren hervorgehobene Position ergab sich insbesondere auch aus der Aufstellung dieser Doktrin, da diese in der Geschichte der diplomatischen Beziehungen mit dem amerikanischen Kontinent immer eine gewisse Achtung erforderte. Demnach wurde es allen Staaten außerhalb des amerikanischen Kontinents untersagt, in den Großraum einzugreifen, wobei dieser Eingriff zunächst nur die Kolonialisierung und Intervention betraf, später sich aber auf andere Handlungen, wie etwa den Transfer von Eigentum, ausweitete. Auch eine konkrete Ordnung hat sich innerhalb der amerikanischen Staatenwelt spätestens zum Zeitpunkt der Multilateralisierung der Monroe-Doktrin herausgebildet. Die MonroeDoktrin avancierte zu einem allseits anerkannten Grundsatz des partiellen amerikanischen Völkerrechts. In seinem Aufsatz „Raum und Großraum im Völkerrecht“ (1940) erscheint die Monroe-Doktrin deutlich weniger prominent, wird aber klar als ein „ursprünglicher und unverfälschter kontinentaler Großraumgedanke“ aufgefasst.843 In der Publikation „Strukturwandel des Internationalen Rechts“ (1943) findet sich der Ansatz von Carl Schmitt, die Monroe-Doktrin als ein Beispiel eines selbstständigen Großraums zu sehen, wieder.844 Carl Schmitt stellt die Monroe-Doktrin als eine Linie der Selbstisolierung dar.845 Schmitt beginnt mit der Feststellung, dass die „westliche Hemisphäre“ als eine neue Sphäre gesehen wurde, in der das europäisch-christliche Völkerrecht nicht gelten soll.846 Die Monroe-Doktrin richte sich gegen das alte Europa und vertrete die Position, dass das „neue Europa“ das wahre Europa sei.847 Diesen Gedankengang entwickelt Schmitt letztlich im „Nomos der Erde (1950)“. Es ist eine Ablehnung der Anerkennung des europäischen Großmachtssystem als solches.848 Die Monroe-Doktrin ist eine Erklärung an die europäischen Staaten, dass die christlich-europäische Völkerrechtsordnung in der westlichen Hemisphäre nicht 842
Kraus, Monroe-Doktrin (Fn. 669), S. 69. Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 261. 844 Abgedruckt in: Schmitt, Frieden oder Pazifismus (Fn. 836), S. 652 – 670. 845 Schmitt, Carl, Strukturwandel des Internationalen Rechts, in: Schmitt, Frieden oder Pazifismus (Fn. 836), S. 659. 846 Schmitt, Carl, Strukturwandel des Internationalen Rechts, in: Schmitt, Frieden oder Pazifismus (Fn. 836), S. 660. 847 Schmitt, Carl, Strukturwandel des Internationalen Rechts, in: Schmitt, Frieden oder Pazifismus (Fn. 836), S. 661. 848 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 163. 843
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
gelte.849 Dieser Gedanke ist nach Schmitt auch in den Genfer Völkerbund eingedrungen, da mit dem Monroe-Vorbehalt im Art. 21 der Einfluss des Völkerbundes in Amerika ausgeschlossen sei.850 (2) Monroe-Doktrin in der Form der Roosevelt-Corollary als Gegenbeispiel Nach Schmitt vertraten die Vereinigten Staaten ab dem Zeitpunkt der Verkündung der Roosevelt-Corollary – aber auch später –, einen Universalismus, der grundsätzlich eine Intervention durch die Vereinigten Staaten in alle Angelegenheiten der anderen Staaten erlaubt. Mit dieser ubiquitären Anwendung der Monroe-Doktrin ist aber für Schmitt gleichzeitig eine verdeckte imperialistische Expansionsagenda verbunden.851 Dies zeigt auch, dass die vorher noch von den Vereinigten Staaten propagierte Reziprozität aufgegeben wurde, da die Intervention fremder Mächte in die westliche Hemisphäre nach wie vor untersagt wurde, während die Vereinigten Staaten es sich aber vorbehielten, in die Angelegenheiten anderer Staaten einzugreifen.852 Schmitt sieht es aber auch als einen der Monroe-Doktrin immanenten Selbstwiderspruch an, dass diese einen extremen, raum- und grenzlosen Pan-Interventionismus in sich trage, da die rigorose Selbstisolierung sich letztlich in ein die gesamte Erde umfassendes Interventionsprinzip verwandele.853 Das Fehlen eines eigenen Prinzips, das fähig wäre zwischen Isolierung und Intervention zu unterscheiden, wie etwa das europäische Prinzip der völkerrechtlichen Anerkennung,854 führe dazu, dass die westliche Hemisphäre nichts weiter als grenzenloser Interventionismus sei.855 Auch in „Die letzte globale Linie“ (1943) spricht Schmitt die Erweiterung der westlichen Hemisphäre an, um dann festzustellen, dass sich die Vereinigten Staaten in einem Dilemma zwischen Selbstisolierung und Pan-Interventionismus befänden.856 Die Stimson-Doktrin vom 07. 01. 1932, mit der die Vereinigten Staaten es sich vorbehalten hatten, die „Anerkennung“ zu versagen, soweit unrechtmäßige Gewalt
849
Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 211. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 228. 851 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 31 – 32. Perkins hingegen sieht in der RooseveltCorollary ein Eingeständnis einer Verpflichtung als Weltpolizei zu dienen. Vgl. Perkins, Monroe Doctrine 1867 – 1907 (Fn. 751), S. 464. 852 Bendersky, Theorist (Fn. 149), S. 254. 853 Schmitt, Carl, Strukturwandel des Internationalen Rechts, in: Schmitt, Frieden oder Pazifismus (Fn. 836), S. 664. 854 Gemeint ist die Anerkennung von Staaten im Sinne eines „Vertrauenszertifikates“, sobald einige Grundvoraussetzungen gegeben sind. Vgl. Schmitt, Carl, Strukturwandel des Internationalen Rechts, in: Schmitt, Frieden oder Pazifismus (Fn. 836), S. 668. 855 Schmitt, Carl, Strukturwandel des Internationalen Rechts, in: Schmitt, Frieden oder Pazifismus (Fn. 836), S. 668. 856 Schmitt, Carl, Die letzte globale Linie (1943), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 445. 850
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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zu einem Machtwechsel geführt hat,857 ist nach Schmitt deshalb ein Symptom dieses Interventionismus und zeigt gleichzeitig, dass die ursprüngliche Monroe-Doktrin dadurch zerstört wurde.858 Stimson hatte sogar ausdrücklich festgestellt, dass nach dem bisherigen Völkerrecht der Mandschurei-Konflikt die Vereinigten Staaten nichts angehe. Unter der neuen Doktrin, die alle wichtigen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten der Erde erfasst, sei ein Eingriff jedoch gerechtfertigt.859 dd) Fazit Die Verkündung der Monroe-Doktrin ist als historisches Phänomen ein einschneidendes Ereignis der US-Außenpolitik gewesen. Darüber hinaus ist die Monroe-Doktrin aber auch gerade in der Folgezeit für den gesamten amerikanischen Kontinent ein entscheidendes Raumordnungsprinzip geworden. Es regelte das Verhalten amerikanischen Staaten untereinander, aber auch gegenüber den außeramerikanischen Staaten. Dieses Prinzip war eine Absage der Anwendbarkeit des europäischen Völkerrechts auf den amerikanischen Kontinent und somit eine Begründung einer eigenen intra-amerikanisch internationalen Staatenwelt. Weiterhin ist durch die Monroe-Doktrin, nämlich auch schon vor der Roosevelt-Corollary, die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten formuliert worden, die jedoch mit der Zeit, zunächst im Außenverhältnis, später jedoch auch im Innenverhältnis, immer mehr intensiviert wurde. Für die Schmitt’sche Großraumtheorie ist die Monroe-Doktrin ein wichtiger Präzedenzfall sowie auch dessen Modell. Gerade was das Außenverhältnis des Großraumes sowie des Reiches mit Mächten in anderen Großräumen anbelangt, ist die Monroe-Doktrin mit dem klar formulierten Interventionsverbot identisch mit der Großraumtheorie von Carl Schmitt. Das Innenverhältnis jedoch, das Carl Schmitt im Rahmen der Großraumtheorie relativ unklar gelassen hatte, hat sich im Hinblick auf den amerikanischen Großraum mit der Zeit stark geändert. Gerade die Roosevelt-Corollary war eine Lesart der Monroe-Doktrin, die eine einseitige Subordination der anderen amerikanischen Staaten gegenüber den Vereinigten Staaten forderte. Von dieser starken Forderung ist man jedoch in der Folgezeit abgerückt und hat sich letztlich für ein System von multilateralen Verträgen entschieden, um das Innenverhältnis zu regeln. Gerade dieses Innenverhältnis dürfte jedoch für Schmitt interessant gewesen sein, da es eine neue Art der informellen Herrschaft einer Großmacht in einer Region war.860 Die amerikanische Außenpolitik hat sich weiterhin mit der Zeit von der MonroeDoktrin als Isolationsprinzip gelöst und eine grundlegende Änderung durchgemacht. 857
Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 283; Bilfinger, Kriegserklärungen (Fn. 519), S. 1 – 23 (16); Graf von Mandelsloh, Kelloggpakt (Fn. 518), S. 617 – 627 (622 – 623). 858 Schmitt, Carl, Strukturwandel des Internationalen Rechts, in: Schmitt, Frieden oder Pazifismus (Fn. 836), S. 668 – 669. 859 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 284. 860 Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 421.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Die Monroe-Doktrin wurde als außenpolitisches Schlagwort weiterhin benutzt, jedoch wurde das Isolationsprinzip, das die Monroe-Doktrin lange Zeit charakterisierte, nicht mehr konsequent aufrechterhalten. Vielmehr vertraten die Vereinigten Staaten nun einen universalistischen Ansatz. Gerade gegen diese Universalisierung wendet sich jedoch Carl Schmitts Großraumtheorie. Es muss also festgehalten werden, dass lediglich die Anfangsphase der Monroe-Doktrin als ein Beispiel für die Großraumtheorie herhalten kann. Der Umstand, dass Schmitt gerade die isolationistische Anfangsphase als Modell für seine Großraumtheorie nimmt, spricht dafür, dass es ihm insbesondere um einen autarken Entwurf Europas ging, der schon durch Friedrich Naumann propagiert wurde.861 Der Umstand, dass die Monroe-Doktrin ursprünglich ein anti-imperialistisches Prinzip war und später als Rechtfertigung einer imperialistischen Außenpolitik diente, zeigt auch die imperialistische Gefahr der Großraumordnung. Wenn sich das Modell der Schmitt’schen Großraumordnung letztlich selbst zu einem universalistischen Imperialismus verkehrt, stellt sich nämlich die Frage, ob die Großraumtheorie als solche überhaupt die Ziele erreichen kann, die sie sich selbst gesetzt hat, nämlich den Universalismus zugunsten einer konkreten Raumordnung zu überwinden. b) Großraumordnung nach Carl Schmitt Im fünften Kapitel des Werkes „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ konkretisiert Schmitt die Großraumtheorie.862 Demnach gibt es in jedem Großraum ein Reich, dessen politische Idee in den jeweiligen Großraum ausstrahlt und das für eine Verhinderung einer etwaigen Intervention raumfremder Mächte sorgt. Jedoch ist das Reich keinesfalls identisch mit dem Großraum, und die Großraumstaaten sind nicht gleichzeitig ein Bestandteil des Reiches.863 Der Zusammenhang von Reich, Großraum und Nichtinterventionsprinzip ist für Schmitt grundlegend. Nur durch das Zusammenspiel dieser Elemente ist ein „abgrenzbares Nebeneinander auf einer sinnvoll eingeteilten Erde denkbar.“864 Der Begriff des Großraumes ist für Schmitt mehr als nur eine bloße quantitativmathematische Erhöhung von Raum.865 Vielmehr geht damit eine qualitative Steigerung und darüber hinaus eine Überwindung des mathematisch-physikalisch-na861
Diner, Rassistisches Völkerrecht (Fn. 125), S. 23 – 56 (52). Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49 – 63. 863 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49. 864 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49. 865 Das Wort „Großraum“ leitet Schmitt aus dem Naumann’schen „Mitteleuropa“ ab und sieht darin einen eigentlich technisch-industriell-wirtschaftlich-organisatorischen Begriff. So Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 235. 862
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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turwissenschaftlichen Begriffes einher.866 Wie dies zu erfolgen hat, erklärt Schmitt mit dem Begriff der konkreten Ordnung und Ortung. So hat jede konkrete Ordnung867 eigene Rauminhalte.868 Das Recht ist erdhaft und auf die Erde bezogen.869 Schmitt führt den Begriff „Nomos“870 in seine Theorie ein, um ein von Gesetz,871 Regelung oder Norm unabhängigen Begriff zu verwenden. Der Begriff geht etymologisch zurück auf „nemein“872 und stellt auch eine raumhafte Dimension dar; der Begriff kommt nämlich aus „Teilen“ und „Weiden“.873 Konstituiert wird ein Nomos durch solche Landnahmen, die es im bisher existierenden Völkerrecht nicht gibt.874 Die Einteilung der Welt in Großräume ist eine solche die bisherige völkerrechtliche Dimension sprengende Landnahme. Denn die Einteilung des Globus in Großräume durch die jeweiligen Reiche verändert das bisherige Völkerrecht grundlegend. Im bisherigen Völkerrecht ist das primäre Subjekt der Staat. Dieser existiert, sobald einige Kriterien wie Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt gegeben sind. Nicht erforderlich ist, dass ein Staat eine besondere Fülle an Macht besitzt. Der mächtigste und der schwächste Staat sind in diesem System formell gleichgestellt. Jeder Staat hat eine gewisse Souveränität, insbesondere nach außen gleichgestellt zu sein und nach innen seine eigenen Angelegenheiten autonom zu regeln. Man kann 866
Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 75 – 76. Ordnung ist für Schmitt mehr als nur die Summe aller Regeln. Normen und Regeln sind lediglich ein Bestandteil und ein Mittel der Ordnung. Vgl. Schmitt, Carl, Über die drei Arten des Rechtswissenschaftlichen Denkens, 1934, S. 13. 868 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 81 – 82. 869 Nach Schmitt birgt das Land, anders als das Meer, in dreifacher Weise Wurzeln von Recht. Erstens hat die Erde in sich ein inneres Maß, da derjenige, der die Erde verwendet, die Früchte ernten kann. Zweitens zeigt der Boden feste Linien, in denen bestimmte Einteilungen sinnfällig werden. Drittens trägt die Erde auf ihrem sicherem Grunde Umzäunungen und Einhegungen usw. So in: Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 13. 870 Nomos (m|lor) hat die Bedeutung 1. das Zugeteilte, das Verteilte; 2. das Angeordnete, das Festgesetzte, der Gebrauch, der Brauch, das Herkommen, die Sitte, die Ordnung, die Satzung, die dem Menschen angeborenen Gesetze der Religion und Sitte, die Sittengesetze, die Pflichten, die Grundsätze; die Regel, die Maxime, das Sachverhältnis, daher sowohl das rechtsbeständige, für alle gültige Gesetz, insb. die alten Gesetze, als die willkürlichen Regeln eines Einzelnen kraft seiner Gewalt. So: Benseler, Gustav Eduard/Kaegi, Adolf, GriechischDeutsches Schul-Wörterbuch, 10. Auflage, 1896, S. 578. 871 Nach Schmitt bedeutet Gesetz nur noch das positivistisch gesetzte und gesollte. Also nur der bloße Wille zur Durchsetzung. So Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 39. 872 Nemein (m]ly) hat die Bedeutung 1. verteilen, austeilen, zuteil, erteilen, verleihen, beilegen, zuerkennen, zuschreiben, gewähren, widmen; anheimgeben, anweisen, überlassen, einräumen; 2. sich aneignen, besetzt halten, innehaben, besitzen, beherrschen, regieren; 3. als Weide zuteilen, weiden lassen, hüten; 4. weiden, grasen, beweiden, abweiden. So: Benseler/ Kaegi, Griechisch-Deutsches Schul-Wörterbuch (Fn. 870), S. 571 – 572. 873 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 39. 874 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 50. 867
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
sagen, dass das bisherige Völkerrecht den Globus in Staaten aufteilt. Die Staatsgrenzen gewährleisten die bisherige Raumaufteilung.875 Dieses Verständnis führt nach Schmitt jedoch zu dem Problem, dass das System nach seiner Ansicht realitätsfremd ist. Nach der Schmitt‘schen Ansicht konnten die Staatsgrenzen die Raumaufteilung nicht mehr gewährleisten, da das Staatensystem korrumpiert war.876 Der moderne Staat ist nach Schmitt vom Territorialdenken geprägt, das keinen Unterschied zwischen „Metropole“ und „Kolonie“ kennt.877 Die schwachen Staaten sind jedoch faktisch abhängig von den Weltmächten: Ein Umstand, der nach Schmitt insbesondere durch die differenzlose Ausweitung des europäischen Völkerrechts auf den Globus zutage getreten ist. Nach Schmitt war das europäische Völkerrecht ein spezifisch europäisches Binnenrecht, das die Angelegenheiten von kulturell ähnlichen und von der Macht her vergleichbaren Staaten regelte. Da dieses zunehmend auf außereuropäische Staaten ausgeweitet wurde, war ein erhebliches Problem entstanden, da die vom Völkerrecht vorausgesetzte Staatengleichheit faktisch nicht existierte.878 Das ist nach Schmitt auch nicht verwunderlich, da der territorial geschlossene Staatsbegriff seinerseits eine zeit- und raumgebundene rechtsgeschichtliche Erscheinung ist.879 Dieses Problem versucht Schmitt durch eine Überhöhung des bisherigen völkerrechtlichen Staatsbegriffs zu lösen.880 Die Welt wird in Großräume eingeteilt, die jeweils Reichen zugewiesen werden. Die Großräume sind dabei keinesfalls gleichzusetzen mit den Reichen, die die Träger der Souveränität in der Schmitt’schen Konzeption sind, obschon jedes Reich einen Großraum hat.881 Der Großraum ist eine durch eine konkrete Ordnung bestimmte homogene territoriale Einheit.882 Die „politische Idee“, die den Großraum trägt, ermöglicht eine Homogenität nach innen und eine Abgrenzung nach außen.883 Die Parallelen zu den von den Vereinigten Staaten von Amerika einseitig gesetzten Prinzipien der Monroe-Doktrin, die die „westliche Hemisphäre“ prägten und bis heute noch prägen, sind evident. Der Großraum besteht also, wie auch der amerikanische Großraum, der durch die Monroe-Doktrin entstand, aus jeweils einem Reich, das innerhalb seines Großrau875
Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 45. Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 45. 877 Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 240. 878 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 377; Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 250 – 251. 879 Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 241. 880 Nach Schmitt dient der Großraumgedanke der „Überwindung des überholten Großraumbegriffs“ Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 82. 881 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 67. 882 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 81. 883 Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 327. 876
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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mes „den Ton angibt“, und aus verschiedenen Großraumstaaten, die unter der Vorherrschaft des Reiches trotzdem noch eine Restautonomie genießen.884 Was diese Restautonomie sein soll, ist unklar. Es lässt sich jedoch aus dem Souveränitätsbegriff von Schmitt ableiten, dass letztlich die endgültige Entscheidungsbefugnis über den Umfang dieser Restautonomie beim Reich liegt.885 Den Vorteil dieser Raumordnung sieht Schmitt darin, dass durch die vollkommene Aufteilung der Erde in Großräume ein stabiler Zustand eintreten kann.886 Kleinere Gebietsstreitigkeiten können nun durch die jeweiligen Reiche geschlichtet bzw. einseitig entschieden werden, da die Reiche eine Ordnungsfunktion einnehmen und diese auch durchsetzen.887 Ausgeschlossen werden können auch Grenzstreitigkeiten zwischen Staaten, die zwei verschiedenen Großräumen angehören, da das Interventionsverbot raumfremder Mächte gilt.888 Lediglich bei den Reichen selber kann dieses Interventionsverbot nur soweit gelten, als diese dem Interventionsverbot auch zugestimmt haben, da diese im Sinne des klassischen völkerrechtlichen Verständnisses „souverän“ sind.889 Den Prototyp solcher Vereinbarung sieht Schmitt in der gemeinsamen Festlegung sog. „Freundschaftslinien“.890 aa) Großraumordnung als Theorie der Staatenverbindung Unter der grundlegenden Perspektive dieser Arbeit ist nun hier im Hinblick auf die Großraumtheorie Carl Schmitts die Frage zu stellen, inwiefern diese Formen der Staatenverbindung891 – ob staatsrechtlich,892 völkerrechtlich,893 gleich oder 884
Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 67. Schmitt redet in diesem Kontext von einer sog. Raumhoheit und unterscheidet diese von der staatlichen Gebietshoheit. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 67. 886 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 61. 887 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 67. 888 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49. 889 Schmitt redet von den wahren Kreatoren des Völkerrechts. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 65. 890 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 71 – 72. 891 Im weitesten Sinne ist schon die Setzung einer Völkerrechtsnorm zwischen zwei Staaten gleichzeitig eine Staatenverbindung. Es kann also außerhalb des allgemeinen, generellen, weltumspannenden Völkerrechts auch ein partikuläres Völkerrecht von zwei oder mehreren Staaten bestehen. Schließen sich zwei oder mehrere Staaten zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks zusammen und haben gemeinsame politische Organe, spricht man von einer Staatenverbindung im engeren Sinne. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 97 – 100, 594 – 599; Hobe, Völkerrecht (Fn. 504), S. 121 – 123. 892 Denkbar ist also eine staatsrechtliche Staatenverbindung, dessen gesamtstaatliche Beziehung durch eine innerstaatliche Verfassung erschöpfend geregelt wird. Streng genommen ist dies keine Verbindung von Staaten, da es keinerlei Gesetzgebungsorgane im Völkerrecht gibt und somit die sich verbindenden Subjekte letztlich staatsinterne Subjekte sind. Es kann jedoch ein völkerrechtlicher Vertrag historisch „an der Wiege“ des Bundesstaates stehen, auch wenn 885
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
ungleich – dem Verhältnis von Reich und Großraumstaat entsprechen. Gerade die Gründung des Protektorats894 Böhmen und Mähren895 war schließlich ein Auslöser für Schmitt, die Großraumtheorie zu entwickeln.896 Im Großraum nach der Schmitt’schen Theorie setzt das Reich die konkrete Ordnung gegenüber den übrigen Staaten durch.897 Diese Ausstrahlung der konkreten Ordnung durch das Reich hat Parallelen zu dem Hegemoniebegriff, den Heinrich Triepel (1868 – 1946)898 in seinem Werk „Die Hegemonie (1938)“ darstellt.899 dies nicht zwingend ist. Dies ist der „konstitutive Vertrag“ als bloßes rechtserzeugendes Moment. Durch ihn entsteht eine neue Rechtsordnung. Vgl. Kelsen, Hans, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts. Ein Beitrag zu einer reinen Rechtslehre, 2. Auflage, 1928, S. 279 – 283; ein Beispiel für eine staatsrechtliche Staatenverbindung ist etwa der Bundesstaat. In einer solchen Staatenverbindung ist der Bund ein Völkerrechtssubjekt und die Einzelstaaten genießen nach Maßgabe der Verfassung eine Völkerrechtssubjektivität. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 594 – 599; Hobe, Völkerrecht (Fn. 504), S. 121 – 123; Seidl-Hohenveldern, Ignaz/Loibl, Gerhard, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, 7. Auflage, 2000, S. 12 – 14. 893 Hier sind die einzelnen Glieder unmittelbar Völkerrechtssubjekte und die Beziehungen werden durch das Völkerrecht geregelt, etwa durch einen völkerrechtlichen Bundesvertrag. Vgl. Kelsen, Souveränität (Fn. 892), S. 280; ein Beispiel für eine völkerrechtliche Staatenverbindung ist ein Staatenbund, wie etwa der Deutsche Bund (1815 – 1866). Internationale Regierungsorganisationen, also der vertragliche Zusammenschluss von Staaten, sind die bedeutendste Ausprägung der Staatenverbindung. Sie können als moderner Typus des Staatenbundes gesehen werden, die konkreter als der Staatenbund sind und eine feste Struktur durch ihre auf Dauer bestellten Organe und durch einen vertraglich fest umrissenen Zweck besitzen. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 594 – 599; Hobe, Völkerrecht (Fn. 504), S. 121 – 123. 894 Das Protektorat beruht auf einem völkerrechtlichen Vertrag, in welchem der eine Staat sich dem anderen, unter Verlust eigener Völkerrechtssubjektivität, unterordnet. Vgl. Verdross, Alfred, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 1926, S. 100; als ähnliche Konstrukte können Mandatsverhältnisse genannt werden. Diese kommen durch einen Auftrag eines Staates an einen anderen Staat, dass der beauftragte Staat das Gebiet des beauftragenden Staates verwalten möge, zustande. Insbesondere die Staaten unter A-Mandaten, die unter dem Artikel 22 Abs. 4 der Völkerbundsatzung existierten, wurden als völkerrechtsfähig, aber als nicht handlungsfähig eingestuft. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 233. Triepel sieht in A-Mandaten nichts anderes als Protektorate, da dem Protektor weitreichende hegemoniale Rechte zugesprochen wurden. Allerdings ist in einem A-Mandat eine klare Beendigung vorgesehen. Vgl. Triepel, Heinrich, Die Hegemonie: Ein Buch von führenden Staaten, 1938 (Neudruck 1961), S. 284 – 285. 895 Neben dem Protektorat Böhmen und Mähren, das durch das Dritte Reich 1939 geschaffen wurde, ist das Protektorat Korea, dass durch das japanische Kaiserreich 1905 errichtet wurde, ein weiteres Beispiel für ein Protektorat. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 87 – 88; Cohen, Warren, East Asia at the Center: Four Thousand Years of Engagement with the World, 2000, S. 304; Duus, Peter, The Abascus and the Sword: The Japanese Penetration of Korea. 1895 – 1910, 1995, S. 188. 896 Noack, Carl Schmitt (Fn. 44), S. 215; Küchenhoff, Großraumgedanke (Fn. 163), S. 34 – 82 (39). 897 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49. 898 Triepel wahrte nach der Machtergreifung durch die NSDAP Distanz gegenüber dem politischen Staatsrecht. Vgl. Dreier, Staatsrechtslehre (Fn. 8), S. 9 – 72 (16).
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Hegemonie stammt aus dem Griechischen und bedeutet Oberherrschaft. Der Hegemon ist der Führer. Davon muss der Begriff „Imperium“ unterschieden werden. Er ist lateinischen Ursprungs und bedeutet Befehl, Vorschrift, Auftrag, Macht, Gewalt oder Herrschaft.900 Triepel nennt Hegemonie ein Führungsverhältnis901 zwischen einem Staat und einem oder mehreren anderen Staaten gleicher Art.902 Führung ist dabei die Leitung eines anderen Staates kraft staatlichen Willens zu einem bestimmten Ziele903 und ist von Herrschaft904 und Vormacht905 zu unterscheiden. Hegemonie und Imperium nach Triepel sind keinesfalls identisch.906 Solche imperialen Beziehungen, die bereits auf eigentlicher Herrschaft und Abhängigkeit beruhen, scheiden aus.907 Hegemonie liegt vielmehr in der Mitte zwischen bloßem Einfluss und Herrschaft.908 Triepel hat das Protektorat als ein Grundverhältnis dargestellt, aus dem sich eine Hegemonie heraus entwickeln kann, nicht jedoch muss. Meistens seien die völkerrechtlichen Protektorate von hegemonialem Charakter. Dabei schloss er jedoch die sog. kolonialen Protektorate aus, die er nur als Verschleierung einer Okkupation verstand. Er sah hier kein Verhältnis zwischen formell gleichrangigen Staaten. Vielmehr sprach er von Protektoraten zwischen Staaten und solchen Staaten niedrigerer Kultur oder geringerer Macht. Der Schützling bleibt zwar auch ein Staat im Protektoratsverhältnis, ist aber eben ein solcher niedrigeren Ranges.909
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Triepel, Hegemonie (Fn. 894), S. 138 – 149. Obwohl beide Begriffe letztlich mit Herrschaft zu tun haben, hat der Begriff „Imperium“ eine stärkere Assoziation zur Ausübung von Gewalt, während es im Begriff „Hegemonie“ ein Element der Freiwilligkeit gibt. Vgl. Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 38 – 41. 901 Der Führungsbegriff im Sinne des nationalsozialistischen Staatsrechts, an den Triepel hier anzuknüpfen scheint, sollte über eine Befehl-Gehorsams-Relation hinausgehen. Als Modell diente der Stoßtrupp-Führer. Eine Präzisierung erfuhr der Führungsbegriff jedoch nicht. So Dreier, Staatsrechtslehre (Fn. 8), S. 9 – 72 (47 – 48). 902 Triepel, Hegemonie (Fn. 894), S. 125. 903 Führer ist nach Triepel nicht schon derjenige, der Vorbild ist, sondern auch derjenige, der Vorbild sein will und auf Nachahmung drückt. Vgl. Triepel, Hegemonie (Fn. 894), S. 133 – 134. 904 Hegemonie liegt nach Triepel unter der Linie, an der die Herrschaft beginnt. Vgl. Triepel, Hegemonie (Fn. 894), S. 135. 905 Triepel sieht in Vormacht, einen Begriff der Relation, des Vergleichs der Macht. Eine Willensbeziehung zu den anderen, die durch ein „Führerverhältnis“ begründet wird, sei dadurch nicht begründet. Vgl. Triepel, Hegemonie (Fn. 894), S. 138. 906 Nach Triepel gibt es Hegemonien, die kein Imperialismus sind und es gibt Imperialismen, in denen die Hegemonie keine Heimstätte findet. Vgl. Triepel, Hegemonie (Fn. 894), S. 189. 907 Schmitt, Carl, Führung und Hegemonie (1939), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 225. 908 Triepel, Hegemonie (Fn. 894), S. 140. 909 Triepel, Hegemonie (Fn. 894), S. 280 – 285. 900
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Aus „Führung und Hegemonie“, Schmitts Rezension zu Triepels Werk „Die Hegemonie“ von 1939910, lassen sich einige seiner Grundpositionen ableiten, die wiederum ergänzend zu der Großraumtheorie betrachtet werden können.911 Schmitt sieht in dem Triepel’schen Begriff der Hegemonie einen „elastischen und in mannigfacher Weise oszillierenden, jedenfalls nicht mit dem Zollstock messbaren“ Begriff, der es jedoch erlaubt, „die komplizierten, nicht formulierten, meistens absichtlich im Zwielicht gelassenen Beziehungen zwischen führenden Staaten und Gefolgsstaaten in aller geschichtlichen Fülle darzustellen.“912 Schmitt geht aber einen Schritt weiter und sieht, anders als Triepel, eine Notwendigkeit, den Dualismus zwischen Völkerrecht und Landesrecht zu überwinden. „Reich“ oder „Bund“ könnten nicht anhand des „Staatsbegriffes“ des 19. Jahrhunderts in ein solches Schema gezwungen werden, sondern seien etwas „Drittes“.913 Als Ergebnis ist also festzuhalten, dass Schmitt mit der Großraumtheorie keineswegs eine Gründung von Staatenverbindungen im herkömmlichen Sinne verlangte. Der Großraum mag zwar den existierenden Formen der Staatenverbindung ähnlich sein, unterscheidet sich jedoch dahingehend, dass der Staatsbegriff als solcher überwunden werden soll.914 Es handelt sich also nicht um eine Gründung einer Staatenverbindung, sondern um eine neue völkerrechtliche Raumordnung, die das existierende universelle Völkerrecht weitgehend ersetzen soll. bb) Beziehung von Großräumen, Reichen und Staaten Die Beziehungen der nunmehr entwickelten Kategorien „Großraum“, „Reich“ und „Staat“ stellen ein Hauptproblem der Großraumtheorie dar. Detaillierte Ausführungen finden sich hierzu jedoch nicht.915 Dennoch ist es notwendig, den geringen Hinweisen intensiv nachzugehen, um das Gesamtkonzept der Großraumtheorie als konkrete Raumordnung für die gesamte Welt zu erfassen. Jedenfalls ist Schmitt der Ansicht, dass der strenge Dualismus zwischen Völkerrecht und Staatsrecht im Hinblick auf die Kategorie „Reich“ nicht anwendbar sei. Es handele sich um ein Verhältnis, das eine dritte Kategorie sei.916 Damit spricht 910 Schmitt, Carl, Führung und Hegemonie (1939), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 225 – 231; zuerst erschienen in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche, 63. Jahrgang, 1939, Heft 5, S. 513 – 520. 911 So etwa Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 122. 912 Schmitt, Carl, Führung und Hegemonie (1939), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 226. 913 Schmitt, Carl, Führung und Hegemonie (1939), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 228. 914 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 60. 915 Die einzigen kurzen Aussagen dazu finden sich in: Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 62; sowie in: Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 183 – 185. 916 Schmitt, Carl, Führung und Hegemonie (1939), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 228.
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Schmitt das Problem der Beziehungen von mehr oder minder in sich geschlossenen Organisationen an, die innerhalb eines bestimmten Gebietes eine Ordnungsmacht ausstrahlen, ihrerseits jedoch anderen führenden Organisationen subordiniert sind.917 Carl Schmitt geht davon aus, dass es vier denkbare Arten der Rechtsbeziehung gibt. Die Beziehung zwischen Großräumen als Ganzes, die Beziehung zwischen zwei Reichen, die Beziehung innerhalb eines Großraumes und die Beziehung der Völker verschiedener Großräume.918 Da Schmitt – außer einer Warnung, die „staatsbezogenen Begriffe“ des herkömmlichen Völkerrechts unterschiedslos auf die neuen völkerrechtlichen Beziehungen anzuwenden – keine Konkretisierung vornimmt,919 bleibt die genaue Ausgestaltung der Beziehungen offen. (1) Beziehung zwischen den Großräumen als Ganzes Schmitt erwähnt ausdrücklich neben der Beziehung zwischen verschiedenen Reichen auch die Beziehung zwischen verschiedenen Großräumen als Ganzes.920 Es lässt sich letztlich so interpretieren, dass auch hier das Reich als Repräsentant des Großraums auftritt, da der Großraum als solches kein Völkerrechtssubjekt ist. Der Wille des Großraumes wird also vom Reich repräsentiert.921 Die Beziehung der Großräume als Ganzes dürften also primär die Beziehungen zwischen den Reichen sein. Jedenfalls sind beide Beziehungen „inter-großräumische“ Beziehungen. Der Unterschied der Beziehung zwischen zwei Großräumen und der Beziehung von zwei Reichen liegt darin, dass das Erstere eine mittelbare Beziehung ist, die indirekt durch die Reiche bestimmt wird. Eine detailliertere Darlegung der Beziehung zwischen den Großräumen als Ganzes gibt Schmitt nicht. Er begnügt sich nur mit dem Hinweis, dass Großräume nicht hermetisch abgeschlossene Blöcke seien, sondern zwischen ihnen ein ökonomischer Handel und sonstiger Austausch erfolgen könne.922 Das Verhältnis der Großräume untereinander kann wohl als eines der Koexistenz mehrerer selbstständiger Gebilde gesehen werden.923 Das bedeutet, dass völlig verschiedene, aber in sich geschlossene Systeme koexistieren können, die jedoch auch einen gewissen kom917 Schmitt, Carl, Führung und Hegemonie (1939), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 225. 918 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 62. 919 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 62; Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 235. 920 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 62. 921 Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 122. 922 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 62. 923 Schmitt sah den Kampf zwischen dem planetarischen Imperialismus und den konkreten Großräumen als Kampf um die Struktur des kommenden Völkerrechts und damit als Kampf um die „Frage, ob es noch eine Koexistenz mehrerer selbstständiger Gebilde auf der Erde geben soll oder nur noch die von einem einzigen „Herrn der Welt“ konzedierten dezentralisierten Filialen regionaler oder lokaler Art“. Vgl. Schmitt, Carl „Die letzte globale Linie“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 447.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
merziellen, aber keinerlei politischen Austausch haben, soweit dieser nicht über die Repräsentanten des Großraumes, also die Reiche, erfolgt. So wird auch im Hinblick auf das Wirtschaftsrecht darauf hingewiesen, dass es durchgängiges Gemeinrecht geben kann, das jedoch letztlich ein gemeinsamer Standard ist und nicht die Beziehung zwischen den Staaten darstellt.924 Was Schmitt allerdings nicht ausspricht, ist, dass es aufgrund der Konzeption der Großraumtheorie, als Gegenthese zum angelsächsisch geprägten freien Weltmarkt kapitalistischer Prägung, natürlich grundsätzlich krisenfeste und blockadesichere Versorgungsräume geben soll, die die politische Dimension des Nichtinterventionsprinzips noch einmal deutlich machen.925 Wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen Großräumen soll auf jeden Fall vermieden werden. (2) Beziehung zwischen den Reichen Die Großraumtheorie ist insbesondere auf die Beziehung zwischen verschiedenen Reichen gerichtet.926 Dies erklärt sich insbesondere auch aus der Entstehungsgeschichte, da sich die politische Situation im Jahre 1939 so darstellte, dass das Dritte Reich im europäischen Kontinent primär den englischen927 und amerikanischen Mächten gegenüberstand. Diese sollten sich so wenig wie möglich in den europäischen Kontinent einmischen, da dies gleichzeitig bedeutet hätte, dass das Dritte Reich die europäische Vorherrschaft928 gesichert hätte.929 Unabhängig von diesem historischen Hintergrund dürfte das Verhältnis zwischen zwei verschiedenen Reichen dem Verhältnis von zwei Staaten im herkömmlichen Völkerrecht ähneln. Die äußere Souveränität des Reiches bestimmt sich analog zu dem klassischen Völkerrecht, nach dem Verhältnis zu anderen Reichen. Dies bedeutet, dass analog zur Staatengleichheit und der Staatssouveränität grundsätzlich die Reichsgleichheit und Reichssouveränität gelten, die jedoch nicht unbedingt 924
Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 185. Diner, Rassistisches Völkerrecht (Fn. 125), S. 23 – 56 (51). 926 Schmitt möchte das Reich als spezifische völkerrechtliche Größe in die Völkerrechtswissenschaft einführen und weist darauf hin, dass das bisherige Völkerrecht ein reines Staatenrecht war, obwohl es tatsächlich „Reiche“ gab. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49, 52. 927 Die Großraumtheorie ist in doppelter Weise gegen England gerichtet, da diese Theorie einerseits ein Gegenentwurf des „englischen“ universalistischen Völkerrechts ist und andererseits versucht wird, den Einfluss des angeblich raumfremden Reichs England aus dem europäischen Kontinent zu vertreiben. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 34 – 41; Eberl, Oliver, Großraum und Imperium, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 197; bezüglich England ist jedoch äußerst fraglich, ob von einer raumfremden Macht gesprochen werden kann. Vgl. Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 35. 928 Es ist auch zu erkennen, dass zunächst nur der osteuropäische Raum als der Großraum von Deutschland angesehen wurde. Frankreich etwa wurde zunächst als raumfremd verstanden, dann aber als dem europäischen Großraum zugehörig angesehen. Vgl. Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 33. 929 Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 32 – 35. 925
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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durch ein Kriegs- oder Gewaltverbot geschützt sind. Gerade diese Art von Verbot möchte Schmitt aufgrund der Gefahr eines „diskriminierenden Krieges“ gegenüber den Angreifern vermeiden.930 Es ist davon auszugehen, dass dies auch für die zwischenreichische Beziehung analog gilt. Das Interventionsverbot ist weniger als ein Kriegs- oder Gewaltverbot, sondern mehr als eine Art Vertrag analog zu den Festsetzungen der Freundschaftslinien zu sehen.931 Es ist gleichzeitig eine Regel, die sich aus dem Eigeninteresse der Reiche ergibt und somit analog zu dem Gleichgewichtsprinzip zu sehen ist. Die Verletzung dieses Interventionsverbotes führt keineswegs dazu, dass es zu einem diskriminierenden, totalen Krieg kommt. Stattdessen soll es entsprechend zu den Kabinettskriegen des 18. Jahrhunderts nur einen partiellen Krieg geben.932 Die „Hegung des Krieges“ wird durch eine Art „Gleichgewicht der Mächte“ erreicht, da sich nun ähnlich starke Reiche gegenüberstehen. „Rationale“ Akteure würden von dem Gebrauch ihres „ius ad bellum“ Abstand nehmen, da diese Option ohne einen erheblichen Selbstschaden nicht möglich wäre. (3) Beziehung innerhalb eines Großraumes Das Verhältnis innerhalb eines Großraumes ist grundsätzlich durch die Raumhoheit des Reiches geprägt. Im Verhältnis Reich und „Großraumstaaten“ innerhalb des gleichen Großraumes würde ein Subordinationsverhältnis entstehen, da es innerhalb desselben Großraumes schon definitorisch kein zweites Reich geben kann. Die innere Souveränität bleibt somit unproblematisch beim Reich. Das Verhältnis zwischen einem Reich und einem Großraumstaat innerhalb desselben Großraums nennt Schmitt als denkbare Beziehung.933 Allerdings definiert Schmitt diese Beziehung nicht explizit und lässt offen, wie ein Großraumstaat und ein Reich zueinanderstehen.934 Letztlich dürfte sich dieses Verhältnis jedoch als Subordinationsverhältnis darstellen, da die Souveränität klar beim Reich liegen soll und dieses vermutlich als totale Macht aus Stärke die konkrete Ordnung innerhalb des Großraumes aufrechterhalten soll. Die Großraumstaaten verlieren ihre Rechte nach außen und ihre innenpolitischen Rechte. Sie sind der freien Intervention durch die Reiche ausgesetzt.935 Somit werden Kriege innerhalb des Großraumes ausgeschaltet, da diese nur noch „Polizeimaßnahmen“ sind.936 Insofern ist überhaupt fraglich, ob man bei dieser Art von Staaten von souveränen territorialen Gebilden sprechen kann oder ob der Staat als solcher aufgelöst wird und in das Reich auf930 931 932 933 934 935 936
Schmitt, Diskriminierender Kriegsbegriff (Fn. 130), S. 50 – 51. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 71. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 70. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 62. Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 121. Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 127. Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 125.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
geht.937 Großraumstaaten haben nämlich lediglich einen Status als Verwaltungseinheit.938 Letztlich ist die völkerrechtliche Großraumordnung in dieser Hinsicht eine Anerkennung der Hierarchie der Staatenwelt als Rechtsinstitution, wenn sie sich als in einem geographisch zusammenhängenden Raum als gegeben erweist.939 Die Garantie von etwaigen Mindestrechten der Großraumstaaten gegenüber dem jeweiligen Reich fehlt vollkommen und lässt die Großraumtheorie, gerade im Hinblick auf die Missbrauchsgefahr, problematisch erscheinen.940 Das Verhältnis zwischen Großraumstaaten innerhalb desselben Großraumes, die eben nicht Reiche sind, sind analog zum bestehenden klassischen Völkerrecht ebenfalls von Staatengleichheit geprägt, weil es innerhalb eines Großraumes nur ein Reich geben kann. Staatensouveränität der Großraumstaaten besteht jedoch gerade nicht. Die völkerrechtlichen Verträge zwischen diesen Großraumstaaten dürften also grundsätzlich unter dem Vorbehalt der konkreten Ordnung, die das Reich ausstrahlt, stehen. Obwohl dies nicht inhärente Aufgabe des Reiches sein muss, dürfte es im erheblichen Eigeninteresse des Reiches liegen, etwaige Streitigkeiten zwischen Großraumstaaten zu schlichten bzw. zu entscheiden, da gerade der Krieg innerhalb des Großraumes durch das Reich ausgeschlossen werden soll. Das Gewaltmonopol liegt beim souveränen Reich. Insoweit ähnelt das Verhältnis zwischen den Großraumstaaten den Individuen innerhalb eines Staates, wie es Thomas Hobbes (1588 – 1679) beschrieben hat.941 Allerdings ist die übergeordnete Instanz, Reich, nicht ein Zusammenschluss der Großraumstaaten. Sie ist eine eigene Gebietskörperschaft und führt eine Fremdherrschaft innerhalb des Großraumes aus. (4) Beziehung der Völker verschiedener Großräume Auch die Beziehung der Völker verschiedener Großräume, womit Schmitt letztlich die Beziehung von Reich oder Großraumstaaten (oder deren Überbleibsel) jeweils verschiedener Großräume gemeint haben dürfte,942 bleibt von der Souverä937 Die Überwindung des Staatsbegriffes ist schließlich für Schmitt eines der zentralen Anliegen. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 82; den Begriff „Staat“ sieht Schmitt als eine zeitlich und geschichtlich gebundene Erscheinung der Säkularisierung. Sozusagen als Gegenstück zum sakralen „Kaiserreich“ des Mittelalters. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 97. 938 Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 130. 939 Gruchmann, NS Grossraumordnung (Fn. 167), S. 124. 940 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 278. 941 Siehe dazu die Ausführungen von Hobbes in B. II. 1. b) bb) im ersten Teil dieser Arbeit. 942 In „Nomos der Erde“ wird das „zwischenvölkische Recht“ als Recht zwischen Familien, Sippen, Clans, Großsippen, Stämmen und Nationen eingeteilt. Da der Kontext dieser Definition jedoch nicht zwingend auf die Großraumtheorie bezogen ist, sondern auf die alternativen Erscheinungsformen von „Völkerrecht“, kann nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass Schmitt damit zum Ausdruck bringen wollte, dass sich die Staaten innerhalb eines Raumes auflösen und in Familien, Sippen, Clans, Großsippen, Stämmen und Nationen aufgehen. Vielmehr weist Schmitt auf die Möglichkeit von zwischenvölkischem und eben auch zwi-
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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nität der Reiche geprägt. Hier ist wiederum zwischen der Beziehung zwischen Reich und Großraumstaat von jeweils verschiedenen Großräumen und zwischen Beziehungen zwischen Großraumstaaten von verschiedenen Großräumen zu unterscheiden. Schmitt sagt, dass hier stets der Vorbehalt des Interventionsverbots raumfremder Mächte gilt.943 Das Verhältnis des Reiches zu den raumfremden Großraumstaaten dürfte grundsätzlich dem heutigen Verständnis des Verhältnisses zwischen einem Individuum und einem fremden Staat ähnlich sein. Das Reich dürfte also – innerhalb seines territorial bestimmten Großraumes – grundsätzlich befugt sein, dem raumfremden Großraumstaat gegenüber ein Subordinationsverhältnis zu verlangen, so wie es auch jeder Staat gegenüber einem ausländischen Individuum tun darf. Soweit jedoch das Territorium des fremden Großraumstaates betroffen ist, so dürfte das Reich nicht intervenieren, ohne dass es eine vorherige Zustimmung des für diesen Großraum zuständigen Reiches erlangt hat. Außerhalb des reichseigenen Großraumes wird das Reich gegenüber dem Großraumstaat grundsätzlich keine direkten Berührungspunkte haben. Der raumfremde Großraumstaat wird also grundsätzlich gar nicht erst als Gesprächs- bzw. Vertragspartner des Reiches angesehen. Denn das Pendant zu einem Reich ist ausschließlich ein anderes Reich, dem der raumfremde Großraumstaat subordiniert ist. Bei etwaigen Verletzungen der Rechte des raumfremden Großraumstaates dürfte deshalb das Reich, dem eben dieser raumfremde Großraumstaat zugehörig ist, grundsätzlich zuständig sein, diese Verletzungen gegenüber dem verletzenden Reich zu ahnden. Sollte das Reich durch einen raumfremden Großraumstaat verletzt werden, dürfte das Reich wiederum das Reich, dem dieser verletzende raumfremde Großraumstaat untergeordnet ist, wegen Verletzung des gegenseitig vereinbarten Interventionsverbotes zur Rechenschaft ziehen. Ein Kriegsführungsrecht dürfte ein Großraumstaat gegenüber einem raumfremden Reich ohne Zustimmung seines Reiches nicht haben. Sollte die Zustimmung gegeben sein, ist dies aber faktisch bereits ein zwischenreichischer Krieg. Umgekehrt dürfte ein Krieg, den ein Reich gegenüber einem raumfremden Großraumstaat führt, immer zu einem zwischenreichischen Krieg führen, da das Reich, das den Großraum des bekriegten Großraumstaates beherrscht, dies als Verletzung des vereinbarten Interventionsverbotes raumfremder Mächte ansehen muss. So wird das Interventionsverbot zur Grundlage eines Gleichgewichtssystems, das den Krieg hegen soll. Die Beziehung zwischen Großraumstaaten verschiedener Großräumen dürfte zunächst ebenfalls dem klassischen Völkerrecht entsprechen; allerdings mit dem Vorbehalt der zwischenreichischen Abmachungen. Die wesentlichste Abmachung in diesem Sinne ist insbesondere das Interventionsverbot raumfremder Mächte. Dies dürfte letztlich bedeuten, dass jegliche Verträge der jeweiligen konkreten Ordnung schenstaatlichem Völkerrecht innerhalb eines Großraumes hin, die vom zwischenreichischen Völkerrecht jedoch zu unterscheiden seien. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 184. 943 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 62.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
des jeweiligen Großraumes den Reichen vorbehalten sind. Da die jeweiligen Reiche letztlich entscheiden, was dies konkret bedeutet, kann die konkrete Ordnung innerhalb eines Großraumes bestimmen, dass etwa Verträge zwischen Großraumstaaten verschiedener Großräume dem Zustimmungsvorbehalt der jeweiligen Reiche unterliegen. Die Streitschlichtung wiederum erfolgt ebenfalls immer nur kanalisiert über die Reiche. Einem Großraumstaat ist es ohne Zustimmung des Reiches des Großraumes, dem er zugehört, verboten, einen raumfremden Großraumstaat oder ein raumfremdes Reich zu bekriegen. cc) Geltungsbereich der Großraumordnung Wie bereits dargestellt, ist für Carl Schmitt die Universalisierung des europäischen Völkerrechts ein Grund seiner Auflösung als konkrete Raumordnung. Die von Schmitt propagierte Großraumordnung ist deshalb keine universale Völkerrechtsordnung, sondern gilt nur für einen begrenzten territorialen Raum.944 Dieses Selbstverständnis der jeweiligen Großräume als partielle, sphärische Ordnungen ist konstitutiv, da es die Wirksamkeit der jeweiligen Ordnung auf einen Raum begrenzt, den das Reich tatsächlich beherrschen kann. Nur so kann ein hierarchisches System auf Dauer existieren. Zu unterscheiden ist der Geltungsbereich der Großraumordnung mit dem Geltungsbereich der globalen Ordnung, dem Nomos der Erde. Diese Ordnung existiert zwischen den verschiedenen Großräumen bzw. deren Repräsentanten, also den Reichen. Die partiellen Großraumordnungen sind in gewisser Weise in den Nomos der Erde eingebettet. Die Grenze des Geltungsbereiches der jeweiligen Großraumordnung wird durch das Interventionsverbot raumfremder Mächte markiert und garantiert. Dieses Interventionsverbot ist also eigentlich kein Verbot innerhalb einer Großraumordnung, sondern ein Verbot, das die globale Ordnung, nämlich der Nomos der Erde, vorgibt. dd) Fazit Das Fazit der Untersuchung der verschiedenen Beziehungstypen ergibt, dass die Reiche letztlich als neue Träger der Souveränität die Raumordnung maßgeblich bestimmen. Der Großraum ist eine neue Art der Staatenverbindung. Dies gilt nach innen und nach außen. Innerhalb des Großraumes ist die Beziehung zwischen Reich 944
In seinem Aufsatz „Der neue Nomos der Erde“ von 1954 beschreibt Schmitt diese Möglichkeit auch ausdrücklich. Schmitt diskutiert dort drei mögliche Szenarien eines neuen Nomos der Erde: Erstens, die Einheit der Welt unter einem Herrscher über diese Welt. Zweitens, das Festhalten an der Gleichgewichtsstruktur des bisherigen Nomos und eine Weiterführung in einer modernen, den heutigen Mitteln und Dimensionen angepassten Weise. Drittens, das Bilden mehrerer selbstständiger Großräume oder Blöcke, die unter sich ein Gleichgewicht zustande bringen. Vgl. Schmitt, Carl, Der neue Nomos der Erde (1954), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 518 – 522.
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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und Großraumstaat so wie die eines Bundesstaates und einer Zentralregierung. Außerhalb des Großraumes kann nur das Reich den Großraum repräsentieren, soweit es um Außenpolitik und insbesondere den Krieg geht. Das Kriegsführungsrecht besitzt nach der Großraumtheorie nur das Reich. Kriege mit Großraumstaaten sind zudem keine Kriege mehr, sondern eigentlich nur noch ordnungspolitische Polizeimaßnahmen.945 Kriege zwischen einem Großraumstaat und einem raumfremden Reich kann es nicht geben, sondern es erfolgt immer eine Kanalisierung zu einem für den jeweiligen Großraum zuständigen Reich. Insofern kann es nur Krieg zwischen Reichen geben, die wiederum jedoch völlig frei sein sollen, einen solchen zu führen. Ein Kriegsverbot soll gerade nicht formuliert werden, was letztlich dazu führen soll, dass Kriege nur noch partiell als „Kabinettskriege“ geführt werden. Die Hegung des Krieges soll das Gleichgewicht zwischen den Reichen erwirken. Damit lässt sich auch die tragende konkrete Ordnung eines Großraumes beschreiben. Diese wird insgesamt vom Reich bestimmt und kann inhaltlich verschiedene politische Ziele und Richtungen in sich tragen. Entscheidend für Carl Schmitt ist lediglich, dass das Reich diese konkrete Ordnung bestimmt und im Rahmen seiner Machtvollkommenheit umsetzt. Um diese konkrete Ordnung nicht zu stören, wird die Intervention von raumfremden Mächten, egal ob diese den Status eines raumfremden Reiches oder eines raumfremden Großraumstaates haben, verboten. Dieses Verbot muss jedoch das jeweilige Reich selbst durchsetzen. Letztlich hängt die Großraumordnung als konkrete Ordnung also von der Macht des jeweiligen Reiches ab.
II. Staatensouveränität und Reichssouveränität Souveränität ist ein Begriff, der vom lateinischen Begriff super oder superus abstammt. Er bezeichnet die höchste Gewalt innerhalb einer politischen Ordnung.946 Der Souveränitätsbegriff ist geschichtlich gesehen ursprünglich ein Begriff, der aus dem Kampf zwischen den modernen europäischen Staaten gegen den Heiligen Stuhl und den Kaiser entstanden ist. Der Staatsgewalt, hier dem Königtum, standen im Mittelalter drei Mächte entgegen. Dies war die Kirche, die sich im Vergleich zum Staat als höherrangige Macht verstand, das Römische Reich, das die Einzelstaaten nur als Provinzen und Lehnsträger sah, und letztlich die Lehnsträger und Körperschaften im Staate, die sich als selbstberechtigte Mächte verstanden.947 Die Souveränität entwickelte sich also als
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Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 54. Heun, Werner/Honecker, Martin/Morlok, Martin/Wieland, Joachim (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 2006, S. 2173; Besson, Samantha, Sovereignty, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law Volume IX, 2012, S. 367. 947 Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 440. 946
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Theorie, um das Königtum von diesen Mächten selbstständig zu machen bzw. sich über sie zu stellen.948 Die Völkerrechtslehre des Spanischen Zeitalters zeigte bereits den Weg hin zu einem modernen Souveränitätsverständnis. Für Francesco Vitoria etwa war das Völkerrecht ein auf Konsens basiertes System einer Weltgemeinschaft (totus orbis) zwischen Staaten.949 Hugo Grotius950 ging von einer – zunächst auf die abendländische Christenheit bezogene, jedoch nicht auf diese begrenzte – 951 Völkergemeinschaft aus. Die Staaten innerhalb dieser Völkergemeinschaft seien einerseits durch Naturrecht, andererseits aber durch ein Völkerrecht, das durch Konsens aller Staaten geschaffen wird, gebunden.952 1. Geschichte der Entwicklung des Souveränitätsbegriffes Souveränität als völkerrechtlicher Begriff953 wurde aber besonders von Jean Bodin geprägt.954 Jean Bodin veröffentlichte 1576 das Werk „Six Livres de la République“, welches zwar primär ein staatstheoretisches Werk ist, jedoch durch die Einführung und Verbreitung des Begriffs der Souveränität, auch aus völkerrechtlicher Sicht, einen entscheidenden Einfluss auf die folgende Epoche hatte.955 Mit
948 Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 449; im Unterschied dazu ging es im Mittelalter insbesondere um Loyalität und Vertrauen von verschiedenen Feudalherren und deren Untergebenen. So: Zimmer, Internationale Politik (Fn. 488), S. 18, 23. 949 Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 108. 950 Grotius baute auf den spätscholastischen Völkerrechtslehren auf und verfasste mit dem 1625 veröffentlichten „De iure belli ac pacis“ ein Werk, das das Völkerrecht auch in der Folgezeit stark beeinflusste. Vgl. Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 117/119; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 125 – 127. 951 Völkerrecht ist für Grotius zwar von christlichen Idealen beseelt, jedoch säkular, da es auch im Falle gelten solle, wenn es keinen Gott geben sollte oder dieser sich nicht um die Angelegenheiten der Menschen kümmern sollte. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 120 – 121. 952 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 34 – 37. 953 Vor Bodin war Souveränität noch kein Begriff der unbegrenzten Herrschaftsbefugnis, sondern nur ein Begriff für eine temporäre und weltliche Macht. Kirchliche Angelegenheiten waren ausgenommen. Herrschaftsbefugnisse waren in erster Linie zur Durchsetzung bzw. Wiederherstellung des Rechts, was seinerseits göttlich gestiftet oder naturgegeben war, gegeben. Herrschaft war nicht territorial, sondern personenbezogen und wurde von mehreren ausgeübt. Vgl. Grimm, Dieter, Souveränität: Herkunft und Zukunft eines Schlüsselbegriffs, 2009, S. 16 – 20. 954 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 26; Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 19; Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 17; Hobe, Völkerrecht (Fn. 504), S. 37; Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 16 ff.; Besson, Samantha, Sovereignty, in: Wolfrum (Hrsg.), Public International Law IX (Fn. 946), S. 368 – 369. 955 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 34; Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 115.
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Bodin beginnt der bisherige Souveränitätsbegriff von einer verteidigenden Position in einen „Angriff“ umzuschlagen.956 Die Souveränität als Prinzip wurde dann insbesondere durch den Westfälischen Frieden etabliert.957 Der Westfälische Frieden stellt also die Entstehung des europäischen Völkerrechts (ius publicum europaeum) dar.958 Das daraus entstandene Staatensystem wird deshalb auch als Westfälisches System bezeichnet.959 Der Begriff der Souveränität entwickelte sich in der Folgezeit in einen der umstrittensten Begriffe der modernen Staatsrechtslehrer960 und wurde gleichsam ein konstitutives Prinzip moderner Politik.961 Er hat einen stetigen Bedeutungswandel durchgemacht und selbst zwischen kontemporären Denkern wurde der Begriff in verschiedensten Bedeutungen gebraucht.962 Der Begriff ist also zwar nach wie vor als grundlegendes Prinzip des bestehenden Westfälischen Systems anerkannt; es ist jedoch immer noch unklar, was Souveränität eigentlich bedeutet. a) Der Westfälische Frieden als Ausgangspunkt für das Souveränitätsprinzip Der Westfälische Friede vom 24. 10. 1648 markiert das Ende des Dreißigjährigen Krieges, dessen Hintergrund der konfessionelle Gegensatz der katholischen Kirche und des Protestantismus im Heiligen Römischen Reich seit dem frühen 16. Jahrhundert war. Der Westfälische Frieden wurde durch zwei in sich aufeinander bezogene Verträge besiegelt, die eine rechtliche Einheit bildeten.963 Der Westfälische 956
Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 454. Morgenthau, Politics (Fn. 2), S. 317. 958 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 21; Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 373. 959 List, Weltregionen (Fn. 663), S. 53. 960 Krüger weist darauf hin, dass der Begriff der Souveränität, trotz langer Vorgeschichte, die bis auf Bodin zurückgeht, keine rechte Gelegenheit hatte, eine dogmatische Entfaltung zu erfahren. Er sagt also nur aus, dass ein sozialer Verband, insbesondere seine Gewalt, die Eigenschaft habe „Zu-höchst-zu-Sein“. Vgl. Krüger, Herbert, Souveränität und Staatengemeinschaft, in: Krüger, Herbert/Erler, Georg (Hrsg.), Zum Problem der Souveränität, 1957, S. 1. 961 Zimmer, Internationale Politik (Fn. 488), S. 18. 962 Kelsen, Souveränität (Fn. 892), S. 1. 963 Gemeint ist der Vertrag von Münster (Instrumentum Pacis Monasteriense) und der Vertrag von Osnabrück (Instrumentum Pacis Osnabrugense). Der Vertrag von Osnabrück wurde zwischen dem deutschen Kaiser und der schwedischen Krone sowie ihren Verbündeten, insbesondere den evangelischen Reichsständen, geschlossen, während der Vertrag von Münster, der die Regelungen des Vertrages von Osnabrück beinhaltet, zwischen dem deutschen Kaiser und der französischen Krone sowie deren Verbündeten, also insbesondere den katholischen Reichsständen, vereinbart wurde. Vgl. Schmitt, Georg, „Westfälischer Frieden“, in: Heun/ Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.), Staatslexikon (Fn. 946), Sp. 2692; Pieper, Stefan Ulrich, Der Westfälische Friede und seine Bedeutung für das Völkerrecht, Juristische Arbeitsblätter, 957
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Frieden beinhaltet neben Entschädigungsregelungen inklusive Regelungen über Gebietsveränderungen,964 und Konfessionsregelungen965 auch die „ewige“ Reichsverfassung.966 Damit wurden den Reichsständen967 als Gliedern des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation das Recht zugesprochen, grundsätzlich außenpolitisch Bündnisse zu schließen und Kriege zu führen. Dies gab den Reichsständen einen Status, der „der Souveränität sehr nahe kommt“.968 Der Westfälische Frieden ist also ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen Staaten, die als souveräne Territorialstaaten moderner Prägung bezeichnet werden können, und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, das noch auf einem vormodernen Staatsverständnis gründete.969 Weiterhin wird deutlich, dass die päpstliche Herrschaftsgewalt keine Auswirkungen mehr auf die Geltung von Verträgen zwischen säkularen Herrschern hatte.970 1995, S. 988 – 990; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 128; Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 39. 964 Artikel X-XV des Vertrages von Osnabrück sowie § 69 – 107 des Vertrages von Münster. 965 Artikel V und VII des Vertrages von Osnabrück sowie § 47 des Vertrages von Münster. 966 Artikel VIII sowie XVII des Vertrages von Osnabrück sowie § 112 – 118 des Vertrages von Münster. 967 Die reichsverfassungsrechtlichen Regelungen lassen sich insbesondere als Föderalisierung charakterisieren. Während der Kaiser zuvor versucht hatte, einen zentralistischen Staat zu führen, wurden nun den Reichsständen weitgehende Rechte zugestanden. Alle Reichsstände erhielten die Landesherrschaft (Artikel V § 30 des Vertrages von Osnabrück) und ein Bündnisrecht, das jedoch nicht gegen Kaiser und Reich gerichtet werden durfte (Artikel VIII § 2 des Vertrages von Osnabrück). Vgl. Schmitt, Georg, „Westfälischer Frieden“, in: Heun/Honecker/ Morlok/Wieland (Hrsg.), Staatslexikon (Fn. 946), Sp. 2694; Pieper, Westfälischer Friede (Fn. 963), S. 990 – 991; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 129. 968 Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 129; Pieper, Westfälischer Friede (Fn. 963), S. 992; andererseits könnte es aber auch als Entwicklung der Reichsstände zu souveränen Staaten gedeutet werden. Bei der Behandlung des Nymweger Friedens von 1678 zeigen sich zwar die Reichsstände und der Kaiser, aber das Reich als Völkerrechtssubjekt überhaupt nicht mehr. Vgl. Duchardt, Gleichgewicht (Fn. 2), S. 34. Die Reichsstände haben allerdings keine volle Souveränität bekommen, da das Recht zum Krieg und Frieden eingeschränkt blieb. So: Zimmer, Internationale Politik (Fn. 488), S. 48. 969 Die Regelungen hatten deshalb teilweise einen völkerrechtlichen Charakter, so insbesondere die Entschädigungsregelungen. Andere Regelungen hatten aber auch einen rein innerstaatlichen Charakter, insbesondere die Reichsverfassungsregelungen und die konfessionellen Regelungen. Hier könnte also eine Art deutsche Verfassung mit internationaler Garantie durch die nicht-deutschen Signatarmächte erblickt werden. So: Zimmer, Internationale Politik (Fn. 488), S. 49; die Verhandlungen stellten die erste gesamteuropäische Konferenz dar. Vgl. Foerster, Europa (Fn. 1), S. 149. 970 Der Vertrag beinhaltete zwar noch Berufungen auf christliche Formen (Präambel der Verträge von Osnabrück und Münster), wurde aber trotz des Protestes vonseiten des Papstes Innozenz X. durchgesetzt (Artikel XVII § 3 des Vertrages von Osnabrück). Vgl. Pieper, Westfälischer Friede (Fn. 963), S. 992; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 129/130; inhaltlich wird insbesondere die Gleichstellung von Katholiken, Lutheranern und Calvinisten anerkannt. Dies beinhaltet insbesondere Regelungen, dass eine Einzelperson ein Recht auf Bethaus und Privatprediger oder zumindest ein Recht auf Hausandacht haben darf. Weiterhin durfte niemand
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Zuletzt ist auch zu erwähnen, dass durch den Westfälischen Frieden ein verfahrensrechtliches Instrumentarium zur Friedenssicherung eingeführt wurde.971 Insgesamt kann nicht von einem radikalen Umbruch des Völkerrechts durch den Westfälischen Frieden gesprochen werden, da das traditionelle politische Verständnis noch existierte. Trotzdem hatten die Regelungen des Westfälischen Friedens einen nachhaltigen Einfluss auf das europäische Völkerrecht; nämlich als eine „Initialzündung der Entstehung eines politischen Europa“.972 Der Westfälische Frieden markiert eine Entwicklung hin zur Souveränität, im Sinne von Jean Bodin,973 also dem Prinzip, dass keine Macht über einen Souverän stehen kann.974 Noch heute wird das moderne Staatensystem als Westfälisches System bezeichnet, weil damit die Grundlage einer Staatenwelt geschaffen war, in denen die Staaten grundsätzlich nach außen in souveräner Gleichheit anerkannt waren und nach innen eine souveräne Machtfülle anerkannt bekamen. b) Souveränität in der Völkerrechtstheorie Souveränität kann in die innere Souveränität, also die Fähigkeit, eine Ordnung auf dem Staatsgebiet zu organisieren, und in die äußere Souveränität, also der Fähigkeit des Staates rechtlich unabhängig nach außen zu handeln, eingeteilt werden.975 Zumindest, soweit die innere Souveränität betroffen ist, wird die Souveränität mit der Autarkie des Staates begründet.976Autarkie ist jedoch aus wirtschaftlicher Sicht eine wirklichkeitsfremde Konstruktion, da ein Staat niemals vollständig selbstwegen eines Bekenntnisses verachtet oder ausgeschlossen werden. Vgl. Schmitt, Georg, „Westfälischer Frieden“, in: Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.), Staatslexikon (Fn. 946), Sp. 2694 – 2695; Pieper, Westfälischer Friede (Fn. 963), S. 990. 971 Es war grundsätzlich verboten, mit Gewalt und mit Waffen sein Recht zu verfolgen; es musste bis zu drei Jahre versucht werden, eine gütliche Einigung herbeizuführen. Zudem waren alle dazu verpflichtet, sämtliche Bestimmungen des Friedens gegen jedermann zu schützen und zu verteidigen, notfalls mit Waffengewalt. (Artikel XVII § 5 – 7 des Vertrages von Osnabrück). Die Regelungen können ein erstes System der kollektiven Sicherheit angesehen werden. Vgl. Pieper, Westfälischer Friede (Fn. 963), S. 993; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 130. 972 Zimmer, Internationale Politik (Fn. 488), S. 52. 973 Die Wirksamkeit der Souveränitätstheorie von Bodin ist bezeichnend, weil die Reichsstände aufgrund der pro-monarchischen Haltung von Bodin und der Kaiser aufgrund der Klassifizierung des Reiches als Aristokratie (und damit des Zuspruchs der Souveränität an die Reichsstände) gute Gründe hatten, diese Theorie nicht zu rezipieren. Vgl. Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 30. 974 Bodin, Jean, Les six livres de la République, 1576, 1. Buch 8. Kapitel (zitiert wird die englische Fassung übersetzt von Tooley, M.J., Six books of the Commonwealth, 1945, S. 28 – 30). 975 Kokott, Juliane/Doehring, Karl/Buergenthal, Thomas, Grundzüge des Völkerrechts, 3. Auflage, 2003, S. 18. 976 Baumgarten, Arthur, Souveränität und Völkerrecht: Teil 1 und 2, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 2 (1931), S. 305 – 335 (314).
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ständig sein kann.977 Souveränität als absolute Unabhängigkeit ist faktisch in einem völkerrechtlichen Kontext nicht existent, wird jedoch von den Staaten aus eigenem Interesse weiterhin verteidigt.978 Die Souveränität nach innen, die in einem Staat mit Gewaltmonopol existiert, ist auf der internationalen Ebene verschiedenen Grenzen ausgesetzt,979 was zu Unstimmigkeiten des Begriffs führt.980 Trotzdem sind die Souveränität und das Nichtinterventionsprinzip allgemein akzeptierte Prinzipien des Völkerrechts.981 Gleichzeitig zeigt sich im Begriff der Souveränität die Grenze zwischen Recht und Wirklichkeit,982 da es fraglich ist, ob wirklich alle unabhängigen Staaten souverän sind oder ob dies nur auf die Großmächte zutrifft.983 Unumstritten dürfe nur der Grundsatz sein, dass jedenfalls das Völkerrecht nicht das innerstaatliche Recht bricht.984 Das klassische Völkerrecht basiert auf dem Gedanken, dass Staaten Souveränität genießen, und durchbricht die innerstaatliche Souveränität nicht. Souveränität wird jedoch den Staaten nicht durch das Völkerrecht verliehen, sondern das Völkerrecht setzt voraus, dass Staaten souverän sind.985 Die Souveränität nach außen kann also letztlich nur von den Staaten wahrgenommen werden. aa) Souveränität im Sinne von Jean Bodin Bodins Souveränitätslehre hatte, wie gesehen, großen Einfluss auf die Staatenwelt.986 Nach Bodin ist die Souveränität eine dem Souverän eigene absolute und zeitlich unbegrenzte Gewalt. Inhaber zeitlich begrenzter Gewalt waren für Bodin 977
Baumgarten, Souveränität und Völkerrecht: Teil 1 und 2 (Fn. 976), S. 305 – 334 (315). Anand spricht von der Souveränität als eine „heilige Kuh“, die trotz ihrer überholten Begrifflichkeit von den Staaten nicht aufgegeben wird. Vgl. Anand, Equality (Fn. 524), S. 181. 979 Sollte ein Staat nach außen souverän sein, würde dies dazu führen, dass das Völkerrecht einseitig von diesem Staat abgeändert werden kann, was letztlich das Völkerrecht zu einem innerstaatlichen Recht macht. Sollten hingegen die Staaten, etwa durch das „pacta sunt servanda“ Prinzip, völkerrechtlich gebunden sein, so können sie nicht vollkommen nach außen Souverän sein. Vgl. Baumgarten, Souveränität und Völkerrecht: Teil 1 und 2 (Fn. 976), S. 305 – 334 (316). 980 Baumgarten, Souveränität und Völkerrecht: Teil 1 und 2 (Fn. 976), S. 305 – 334 (307). 981 Tesón, Fernando, A Philosophy of International Law, 1998, S. 57. 982 Bruns bezeichnet Souveränität deshalb als eine Tatsache und weniger als eine Rechtsfolge. Vgl. Bruns, Völkerrecht I (Fn. 506), S. 1 – 56 (33). Koskenniemi betont, dass es zur Grammatik der Souveränitätsdoktrin gehört, dass die tatsächliche Autorität über ein Gebiet sich in der Realität widerspiegeln muss. Vgl. Koskenniemi, Martti, From Apology to Utopia: The Structure of International Legal Argument, 2005, S. 576. 983 Krüger, Herbert, Souveränität und Staatengemeinschaft, in: Krüger/Erler (Hrsg.), Souveränität (Fn. 960), S. 1. 984 Baumgarten, Souveränität und Völkerrecht: Teil 1 und 2 (Fn. 976), S. 305 – 334 (310). 985 Anand, Equality (Fn. 524), S. 15. 986 Dabei passte sich der Souveränitätsbegriff auch den jeweiligen Verhältnissen an. Vgl. Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 32; Mäder, Werner, Vom Wesen der Souveränität. Ein deutsches und ein europäisches Problem, 2007, S. 28. 978
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demnach nichts anderes als Untertanen.987 Denn der Souverän musste nach Bodin befugt sein, Gesetze, die bestehen, aufzuheben oder abzuändern, wenn diese obsolet sein sollten. Er darf also nicht an Gesetze seiner Vorgänger oder an seine eigenen Gesetze gebunden sein.988 Der Souverän kann nicht Subjekt von der Befehlsgewalt989 anderer sein.990 Souveränität bedeutet also die höchste und unabhängig ausgeübte Herrschaft,991 wobei es unerheblich ist, ob die Souveränität von einem Monarchen oder einem Personenkollektiv992 ausgeübt wird, soweit diese unteilbar ist.993 Bodin wollte damit die Herrschaft des Monarchen über das Volk auf der einen Seite und dessen Freiheit gegenüber anderen wirklichen oder angeblichen Souveränen, wie dem Papst oder dem Kaiser, auf der anderen Seite zeigen.994 Obwohl diese Souveränitätstheorie Bodins in erster Linie die inneren Angelegenheiten betrifft,995 kommt es bereits bei ihm zu Auswirkungen auf die äußeren Verhältnisse der Staaten.996 Dies wurde jedoch von Bodin nicht mit letzter Konse987
Bodin, Six livres (Fn. 974), 1. Buch 8. Kapitel (S. 24). Bodin, Six livres (Fn. 974), 1. Buch 8. Kapitel (S. 28). 989 Völlig unbegrenzt war die Souveränität nach Bodin jedoch nicht. Die Schranken des Souveräns waren etwa die „Gesetze Gottes und der Natur (leges divinae ac naturales)“. Vgl. Bodin, Six livres (Fn. 974), 1. Buch 2. Kapitel, 3. Buch 4. und 5. Kapitel (S. 56, 87); Quaritsch, Souveränität I (Fn. 500), S. 383 – 394; allerdings waren die Grenzen in einer „entkonfessionalisierten Form“. Die Kirche hatte also keine Deutungshoheit. Vgl. Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 25. Eine weitere Schranke der Souveränität waren die Gesetze, die den Souverän nicht selbst, aber die Krone als Institution betrafen. Vgl. Bodin, Six livres (Fn. 974), 1. Buch 8. Kapitel (S. 31); das Recht, das die Krone als Institution betrifft, also das „loix du Rauyaume“, ist ein spezifischer Begriff des französischen Verfassungsrechts. Dazu gehörte z. B. die „Lex salica“, und inhaltlich war etwa die Thronfolgeordnung sowie ein Veräußerungsverbot betroffen. Diese Rechte sind nicht persönliches Eigentum des Königs, sondern solche der „Krone“ als Institution. Für die anderen Herrschaftsformen hieß es folgerichtig, dass die aus der öffentlichen Domäne gewonnenen Früchte nicht privat gebraucht werden dürften. Vgl. Quaritsch, Souveränität I (Fn. 500), S. 349 – 354. 990 Bodin, Six livres (Fn. 974), 1. Buch 8. Kapitel (S. 28 – 30). 991 Nach Bodin gibt es sechs Stufen der Abhängigkeit unter dem Souveränen. Der absolute Fürst als Souverän ist gegenüber niemandem verantwortlich. Unter diesem Souverän bildet der tributäre Fürst, der zwar souverän ist, aber einem anderen Fürsten gegenüber verpflichtet ist, Tribut zu zollen, die erste Stufe. Die zweite Stufe ist der Fürst unter Schutz eines anderen Fürsten, da dieser keine Möglichkeit hat, sein Gebiet durch eigene Macht zu halten. Die dritte Stufe ist der Fürst, der zwar souverän in seinem Gebiet ist, aber gleichzeitig aufgrund eines Lehens ein Vasall eines anderen Fürsten ist. Die vierte Stufe ist der einfache Vasall, der aufgrund eines Lehens dem Fürst Dienst und Treue schulde, und die fünfte Stufe ist der Lehensvasalle. Die letzte Stufe ist der natürliche Untertan. Vgl. Bodin, Six livres (Fn. 974), 2. Buch 9. Kapitel (S. 37). 992 Die Unterscheidung zwischen einem Herrscher und dem Staat, als Staatspersönlichkeit, wurde von Bodin nicht vorgenommen. Vgl.. Mäder, Souveränität (Fn. 986), S. 55. 993 Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 24; Anand, Equality (Fn. 524), S. 17. 994 Anand, Equality (Fn. 524), S. 15 – 16; Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 23. 995 Souveränität ist in erster Linie eine interne Macht. Vgl. Anand, Equality (Fn. 524), S. 16. 996 Souveränität im 16. Jahrhundert war zunächst ein interner Begriff und die externen Auswirkungen blieben unbeachtet. Die Einsicht, dass Souveränität auf internationaler Ebene 988
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quenz bedacht. Bodin meinte nämlich, dass der Souverän zur Einhaltung von Verträgen mit anderen Souveränen verpflichtet sei, soweit die andere Seite ein Interesse daran habe.997 Dies steht jedoch im Widerspruch zur Vorstellung, dass der Souverän nicht einmal an seine eigenen Gesetze gebunden sei.998 Konsequent gedacht kann jemand nicht souverän nach außen sein, wenn er es auch nicht im Inneren ist.999 Damit ist das Problem des Westfälischen Systems bereits angesprochen: Die Machtfülle, die ein Staat nach innen zugesprochen bekommt, und die Macht, die er nach außen hat, decken sich nicht. Die äußere Souveränität ist letztlich nur eine „Eintrittskarte“ in den Club der „gleichberechtigten“ Staaten. Die Divergenz dieser zwei Extrempositionen reflektieren auch den Unterschied zwischen Großmacht und Kleinstaat. Die Großmacht kann im Westfälischen System faktisch eine Machtfülle erlangen, die der Vorstellung der inneren Souveränität nahekommt, während ein Kleinstaat sich mit formeller Gleichberechtigung begnügen muss. bb) Souveränität im Sinne von Thomas Hobbes Hobbes zieht die äußersten Konsequenzen aus Bodins Souveränitätslehre.1000 Mit der Erfahrung der englischen Religionskriege ist für Hobbes die Herstellung des inneren Friedens ein wichtiges Ziel, das er durch eine omnipotente Macht erreichen wollte.1001 Vor dem Schluss eines Herrschaftsvertrages existieren nach Hobbes ein Naturzustand und ein Naturrecht, dem jedoch jegliche Durchsetzungsmöglichkeit durch eine zentrale Macht fehlt.1002 Der Souverän besitzt kein originäres Recht, sondern erwirbt seine Macht erst durch den Gesellschaftsvertrag zwischen den Einzelnen und der Vereinigung hin zum Staat.1003 Jeder, der diesem Gesellschaftseingeschränkt werden müsse, setzte sich durch. Es war also eine Begrenzung der Souveränität durch den Souverän selbst. Vgl. Anand, Equality (Fn. 524), S. 18 – 19. 997 Bodin, Six livres (Fn. 974), 1. Buch 8. Kapitel (S. 29). Kaufmann betont, dass dies dem sakralen Charakter des völkerrechtlichen Vertrags entstammt. Vgl. Kaufmann, Erich, Das Wesen des Völkerrechts und die Clausula Rebus Sic Stantibus, 1911, S. 185. 998 Bodin, Six livres (Fn. 974), 1. Buch 8. Kapitel (S. 29 – 30). 999 Mäder, Souveränität (Fn. 986), S. 57. 1000 Zimmer betont, dass Hobbes die Reste der vormodernen Traditionen, die bei Bodin noch zu spüren waren, weitgehend abgeworfen habe. So: Zimmer, Internationale Politik (Fn. 488), S. 22; Besson, Samantha, Sovereignty, in: Wolfrum (Hrsg.), Public International Law IX (Fn. 946), S. 369. 1001 Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 32; Mäder, Souveränität (Fn. 986), S. 31; Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 463. 1002 Hobbes spricht jedoch davon, dass dies streng genommen keinerlei Gesetze seien, sondern nur Schlüsse oder Lehrsätze, die das betreffen, was zur Erhaltung und Verteidigung der Menschen dient. Ein Gesetz sei genau genommen der Befehl des Souveräns. Vgl. Hobbes, Thomas, Leviathan or the matter, form and power of a commonwealth ecclesiastical and civil (zitiert wird die deutsche Fassung: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, Übersetzt von Euchner, Walter, 1999), 1651, 18. Kapitel S. 122. 1003 Hobbes, Leviathan (Fn. 1002), 18. Kapitel S. 136.
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vertrag nicht beitritt und sich nicht fügt, kann vernichtet werden.1004 Eine Änderung ist nach der Gründung des Staates nicht mehr möglich.1005 Hobbes benennt weiterhin sechs Souveränitätsbestandteile: Gesetzgebung, Rechtsprechung, Entscheidung über Krieg und Frieden, Vergabe von Ämtern, Belohnung und Bestrafung sowie die Zuteilung von Rängen und Ehrungen.1006 Sollte eines dieser Souveränitätsbestandteile fehlen, sei der Herrscher nicht mehr souverän, da Souveränität unübertragbar und untrennbar sei.1007 Hobbes führte zudem eine Unterscheidung zwischen dem individuellen Monarchen und dem überindividuellen Staat ein.1008 Der Staat wird nämlich erst durch den Repräsentanten des Staates, den Souverän, handlungsfähig. Dieser kann nicht rechtswidrig handeln1009 und ist omnipotent.1010 Auch wenn diese Unterscheidung noch ohne große Auswirkungen bleibt, bereitet dies bereits die Frage des Trägers der Souveränität vor, die in der Folgezeit entscheidend wird. Die Folge für Hobbes ist, dass das Völkerrecht nichts anderes ist als das Naturrecht, das im Naturzustand herrscht. Eine bindende Völkerrechtsordnung gibt es nach Hobbes also nicht.1011 Diese Ansicht mündet in die sog. „internationale Anarchie“, die als Ergebnis des Souveränitätsbegriffes entsteht und zugleich auch kritisiert wird.1012 Die so verstandene Souveränität führt paradoxerweise dazu, dass es im Inneren zu einer straffen Ordnung und im Äußeren zu einer ungebundenen Freiheit kommt.1013 Diese Zuspitzung der Souveränität durch Hobbes markiert gleichzeitig auch den Wendepunkt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts befassten sich die Staatstheoretiker zunehmend mit Begrenzungen der Macht.1014 cc) Formalisierung und Auflösung des Souveränitätsbegriffs In Deutschland ist im 19. Jahrhundert eine zunehmende Formalisierung und Auflösung des Souveränitätsbegriffs zu beobachten. Dies mag der besonderen Form der deutschen konstitutionellen Monarchie geschuldet sein, die im Widerspruch zur 1004
Hobbes, Leviathan (Fn. 1002), 18. Kapitel S. 138. Hobbes, Leviathan (Fn. 1002), 18. Kapitel S. 137. 1006 Hobbes, Leviathan (Fn. 1002), 18. Kapitel S. 139 – 142; Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 32. 1007 Hobbes, Leviathan (Fn. 1002), 18. Kapitel S. 142. 1008 Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 32; Mäder, Souveränität (Fn. 986), S. 57. 1009 Hobbes, Leviathan (Fn. 1002), 18. Kapitel S. 139. 1010 Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 32 – 33. Hier ist der große Unterschied zu Bodin gegeben, da dieser den Souverän noch an Naturrecht binden wollte. So: Zimmer, Internationale Politik (Fn. 488), S. 23. 1011 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 44. 1012 Krüger, Herbert, Souveränität und Staatengemeinschaft, in: Krüger/Erler (Hrsg.), Souveränität (Fn. 960), S. 2. 1013 Krüger, Herbert, Souveränität und Staatengemeinschaft, in: Krüger/Erler (Hrsg.), Souveränität (Fn. 960), S. 3; Zimmer, Internationale Politik (Fn. 488), S. 25. 1014 Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 33 – 34. 1005
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Volkssouveränität1015 sowie der Fürstensouveränität stand.1016 In Deutschland war nämlich in der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert der Weg zu einer Volkssouveränität versperrt. Die Monarchensouveränität blieb als grundsätzliches Prinzip erhalten, wobei jedoch die deutschen Monarchen keine umfassende Souveränität in der europäischen Staatenwelt hatten. Auch wurde aufgrund des Konstitutionalismus innerstaatlich den Monarchen keine absolute Macht mehr zugewiesen.1017 Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) entwickelte den Begriff der Souveränität hin zur Staatssouveränität.1018 Der Staat ist nach Hegel als „absolute Macht auf Erden“1019 der Träger der Souveränität.1020 Der Träger der Souveränität war nicht mehr der personifizierte Monarch, sondern der Staat als solcher.1021 Diese Entwicklung hin zu einer Staatssouveränität brachte die Formalisierung des Souveränitätsbegriffs. Dies ist schon bei Jellinek gegeben,1022 der die Souveränität als Eigenschaft der Staatsgewalt sieht.1023 Nicht ein willensbegabtes Souveränitäts-
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Durch die Französische Revolution setzte sich das Konzept der Volkssouveränität als eine eigene Völkerrechtskonzeption durch. Jeder Staat könne sich nur aus eigenem freien Willensentschluss des Volkes binden und das Völkerrecht könne daher nur auf freier Willensübereinstimmung der Staaten geschaffen werden. Die Legitimationsgrundlage des Staates, die von einer breiten Masse getragen wurde, war nicht mehr das Gottesgnadentum des Monarchen, sondern der Wille der Nation, also die Volkssouveränität. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 568 – 572. Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) etwa sah den Souverän im Volke selbst. Volk, Allgemeinwille (Volonté générale) und Souveränität verschmolzen bei ihm zu einer Einheit. „Ich behaupte also, dass die Staatshoheit, die nichts anderes als die Ausübung des allgemeinen Willens ist, nie veräußert werden kann und sich das Staatsoberhaupt als ein kollektives Wesen nur durch sich selbst darstellen lässt“. Vgl. Rousseau, Jean-Jacques, Der Gesellschaftsvertrag oder die Grundsätze des Staatsrechtes, 1762, (französisch: Du Contract Social ou Principes due Droit Politique, zitiert wird die deutsche Fassung übersetzt von Denhardt, Hermann, 2005), S. 59; Besson, Samantha, Sovereignty, in: Wolfrum (Hrsg.), Public International Law IX (Fn. 946), S. 369 – 370. 1016 Hennis, Wilhelm, Das Problem der Souveränität: Ein Beitrag zur neueren Literaturgeschichte und gegenwärtigen Problematik der politischen Wissenschaften, 2003, S. 11 – 14. 1017 Grimm weist darauf hin, dass Eduard Albrecht diese Entwicklung des Staatssouveränitätsbegriffs entscheidend mitgeprägt habe. So: Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 48 – 50; so etwa auch Hermann Heller: Heller, Hermann, Staatslehre, 6. Auflage, 1983, S. 278. 1018 Mäder, Souveränität (Fn. 986), S. 110 – 111; Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 52; Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 24. 1019 Allerdings ist in Hegels Souveränitätslehre noch die Person des Monarchen entscheidend. Hegels Staat ist ein lebendiger Organismus und der Monarch ist die Persönlichkeit des Staates in Person. Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, §§ 279, 271 (zitiert wird die Ausgabe herausgegeben von Georg Lasson, 1911, S. 219, 229). 1020 Hegel, Philosophie (Fn. 1019), § 257, 331 (S. 195, 266) 1021 Der Monarch hingegen wurde als Organ des Staates angesehen. Vgl. Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 51. 1022 Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 475 – 484. 1023 Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 484 – 486.
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147
subjekt ist maßgeblich, sondern nur die Staatssouveränität.1024 Jellinek lehnt zwar die Eliminierung des Souveränitätsbegriffs1025 aus dem Staatsrecht ab,1026 gleichzeitig ist dieser jedoch für ihn nur eine juristische Hilfsvorstellung.1027 Hans Kelsen (1881 – 1973) versuchte die absolute Geltung des Souveränitätsbegriffs zu relativieren.1028 Für Kelsen sind Recht und Staat identisch.1029 Souveränität ist die Unmöglichkeit, eine Rechtsordnung aus einer höheren Ordnung abzuleiten.1030 Völkerrechtliche Normen sieht Kelsen als einen Teil dieses Rechtes an und räumt ihnen den Platz an der Spitze der Hierarchie der Normen1031 ein.1032 Der Staat leitet also seine Souveränität ebenfalls vom Völkerrecht ab.1033 Kelsen sieht das Souveränitätsproblem also nicht als Problem des Rechts im materiellen Sinne, sondern als reines logisches Problem an.1034 Für Kelsen ist die Souveränität kein Faktum, sondern eine Annahme des Betrachters.1035 Kelsen sieht in der subjektivistischen Weltanschauung, also der Theorie vom Primate der eigenen staatlichen Rechtsordnung, den Ursprung des Problems des Völkerrechts; der Ne-
1024 Einen materiellen Ansatz, der sich von der ursprünglichen Funktion des Begriffs löst, um die Staatsgewalt als maßgebliche Gewalt durchzusetzen, sieht Jellinek als verfehlt an, weil dieser zu einer Verwirrung des Begriffs beiträgt. Vgl. Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 464, 473. 1025 Hugo Preuß (1860 – 1925) hingegen geht darüber hinaus und betrachtet die Souveränität, ähnlich wie das Lehensprinzip, nur noch als historischen Begriff. Nach Preuß ist der Souveränitätsbegriff eng mit dem absoluten Staat verbunden. Mit der Veränderung der Staatsstruktur zum modernen Rechtsstaat ist nach Preuß also auch der Souveränitätsbegriff obsolet geworden. Vgl. Hennis, Souveränität (Fn. 1016), S. 21, 22. 1026 Dies sei nach Jellinek „unhistorisch“. Vgl. Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 474. 1027 Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 482. 1028 Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 307; Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 240. 1029 Der Staat ist nicht mehr als das Recht und hat keine vorrechtliche oder überrechtliche Existenz. Vgl. Röhl, Klaus/Röhl, Hans Christian, Allgemeine Rechtslehre, 3. Auflage, 2008, S. 214. 1030 Kelsen, Souveränität (Fn. 892), S. 13. Aufgrund dessen ist für Kelsen die Rechtsordnung souverän. Vgl. Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 53. 1031 Eine von Kelsen besonders hervorgehobene Norm für das Völkerrecht ist dabei der Grundsatz „pacta sunt servanda“. Diese sieht er als Grundnorm des Völkerrechts. So: Kelsen, Hans, Reine Rechtslehre, 2. Auflage, 1960, S. 223, 324. 1032 Kelsen, Reine Rechtslehre (Fn. 1031), S. 337 – 338; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 310; Dahm, Georg/Delbrück, Jost/Wolfrum, Rüdiger, Völkerrecht. Band I/1. Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte, 2. Auflage, 1989, S. 38 – 39; Fassbender, Bardo, Hans Kelsen (1881 – 1973), in: Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 168. 1033 Kelsen, Reine Rechtslehre (Fn. 1031), S. 339; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 311; Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 244; Pauly, Walter, Concepts of Universality – Hans Kelsen on Sovereignty and International Order, in: Diner, Dan/Stolleis, Michael (Hrsg.), Hans Kelsen and Carl Schmitt. A Juxtaposition, 2001, S. 46. 1034 Hennis, Souveränität (Fn. 1016), S. 28. 1035 Kelsen, Souveränität (Fn. 892), S. 15.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
gation des Völkerrechts an sich.1036 Die Selbstverpflichtung der Staaten als Geltungsgrund des Völkerrechts lehnt er ab, da diese auf die Vorstellung vom Primate der staatlichen Rechtsordnung hinauslaufe.1037 Vielmehr ist für Kelsen der objektivistischen Weltanschauung der Vorzug zu gewähren.1038 Die Souveränität des Staates ist also nur die höchste Gewalt über einen bestimmten abgegrenzten Teil der Menschheit und schon deshalb relativ; weiterhin ist sie gegenüber der Völkerrechtsordnung nicht von höherem Rang.1039 Der Umstand, dass eine Norm des staatlichen Rechts, die gegen höherrangige völkerrechtliche Normen verstoße, nicht nichtig werde, habe weniger mit der fehlenden Höherrangigkeit der völkerrechtlichen Norm zu tun, als mit dem Umstand, dass das Völkerrecht keine Nichtigkeitsfolge für völkerrechtswidriges staatliches Recht vorsehe.1040 Kelsens Konzeption führt dazu, dass die Souveränität ein abgeleitetes Recht wird. Insgesamt lässt sich also sagen, dass der Souveränitätsbegriff seinen ursprünglichen „kämpferischen“ Charakter verlor und somit eine leere Umschreibung für die Staatsgewalt wurde. c) Souveränität und Völkerrecht, insbesondere das Interventionsverbot Nachdem der Souveränitätsbegriff als solcher untersucht wurde, soll nun die Beziehung des Souveränitätsbegriffs zum Völkerrecht näher aufgezeigt werden. Während die Souveränität bei Bodin, wie dargestellt, zunächst ein primär nach innen gerichteter Begriff war, stellte der Wiener Kongress 1815 einen Wendepunkt dar, weil nun die Beziehungen nach außen maßgeblich wurden.1041 Die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Souveränität wurde notwendig. Die äußere Souveränität, also die Beziehung der Staaten zueinander, kann erst gedacht werden, wenn die schon bestehende Einheit als Staat nach außen tritt.1042 Die innere und äußere Souveränität sind letztlich zwei Aspekte der gleichen Souveränität, d. h. die Herrschaft innerhalb eines bestimmten Territoriums auf der einen Seite und die gegen1036
S. 336. 1037
Kelsen, Souveränität (Fn. 892), S. 315 – 317; Kelsen, Reine Rechtslehre (Fn. 1031),
Kelsen, Souveränität (Fn. 892), S. 169 – 170. Kelsen, Souveränität (Fn. 892), S. 316 – 317; Koskenniemi, Utopia (Fn. 982), S. 235. 1039 Kelsen, Souveränität (Fn. 892), S. 245. In seinem Werk „Reine Rechtslehre“ stellt Kelsen den Primat des Völkerrechts als pazifistische Weltanschauung und den Primat des Staatsrechtes als Weltanschauung, die der Staatssouveränität den Vorrang einräumt, dar. Die Entscheidung, für welche Weltanschauung man stehe, sei aber keine rechtliche. Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre (Fn. 1031), S. 342 – 345; in dem Werk „Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts“ spricht er sich hingegen deutlicher gegen die subjektivistische Rechtsanschauung, also die Weltanschauung, die die Staatssouveränität in den Mittelpunkt stellt, aus. So: Kelsen, Souveränität (Fn. 892), S. 316 – 317. 1040 Kelsen, Reine Rechtslehre (Fn. 1031), S. 342. 1041 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 68 – 69; Besson, Samantha, Sovereignty, in: Wolfrum (Hrsg.), Public International Law IX (Fn. 946), S. 370 – 371. 1042 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 71. 1038
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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seitige Annahme der „Unabhängigkeit“ zweier Staaten1043 auf der anderen Seite.1044 Einerseits muss ein Souverän im Inneren über sein Territorium herrschen und andererseits muss er nach außen weisungsunabhängig sein.1045 Anders gesagt, ist die interne Sphäre der staatlichen Herrschaft eine reine Rechtsvoraussetzung für die Anerkennung in der äußeren Gemeinschaftssphäre.1046 Letztlich kann gesagt werden, dass das klassische Völkerrecht eine Art Schutzwall für die innere Souveränität der Staaten darstellt.1047 Wenn aber nur Staaten Völkerrechtssubjekte sind und diese „souverän“ sind, also keinem anderen Staate unterstellt sind, können die Regelungen des Völkerrechts nur durch Selbstbindung der Staaten1048 Zwangswirkung entfalten. Wie gesehen entspricht dies aber gerade nicht der absolutistischen Definition des Souveränitätsbegriffs. Diese Aufteilung der Souveränität in eine innere und äußere Souveränität führt dazu, dass sich die Frage auftut, inwiefern es für andere Staaten möglich sein soll, die Sphäre der inneren Souveränität zu beeinflussen.1049 Weiterhin stellt sich die Frage, ob es auch Bereiche geben kann, die der Souverän auch im völkerrechtlichen Kontext frei bestimmen kann. Diese sog. „domaine réservé“ wurde in der Zwischenkriegszeit auf Artikel 15 Abs. 8 der Völkerbundsatzung gestützt.1050 Der Ständige Internationale Gerichtshof sah darin Fälle, in denen es ein völkerrechtliches Verbot gab, den jeweiligen Staat zu beschränken, was im Umkehrschluss bedeutet, dass jeder Staat von einem anderen Staat beschränkt werden kann, soweit es keine Verbotsnorm gibt.1051 Die umgekehrte Auffassung, dass es gewisse Gebiete gebe, die vom Völkerrecht nicht durchdrungen sind und es deshalb den Staaten belassen sei, nach 1043 Kelsen sieht in der äußeren Souveränität nichts anderes als „Unabhängigkeit“, was ein Teilmoment der Souveränität sei. Eine Unterscheidung in zwei verschiedene Arten der Souveränität wird abgelehnt. Vgl. Kelsen, Souveränität (Fn. 892), S. 37 ff. 1044 Souveränität und Staatengleichheit können im Kontext des Völkerrechts als zwei Seiten der gleichen Münze gesehen werden. Vgl. Anand, Equality (Fn. 524), S. 14. 1045 Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 78. 1046 Bruns, Völkerrecht I (Fn. 506), S. 1 – 56 (17). 1047 Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 80. 1048 Ein Vollzug der Regelungen durch eine „höhere Instanz“, wie sie im innerstaatlichen Recht existiert, ist nicht vorgesehen. Vgl. Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 5; Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 33; Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 8; richtigerweise ist in der Souveränität auch die Möglichkeit der unwiderruflichen Selbstaufgabe enthalten, also den Verzicht auf die Souveränität kraft Souveränität. Vgl. Krüger, Herbert, Souveränität und Staatengemeinschaft, in: Krüger/Erler (Hrsg.), Souveränität (Fn. 960), S. 3. 1049 Bruns, Völkerrecht I (Fn. 506), S. 1 – 56 (17). 1050 Art. 15 Abs. 8 des Völkerbundstatuts lautet: „If the dispute between the parties is claimed by one of them, and is found by the Council, to arise out of a matter which by international law is solely within the domestic jurisdiction of that party, the Council shall so report, and shall make no recommendation as to settlement.“ Vgl. Bruns, Völkerrecht I (Fn. 506), S. 1 – 56 (40 – 41). 1051 Bruns, Völkerrecht I (Fn. 506), S. 1 – 56 (43).
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
freiem Belieben zu verfahren, würde die Unabhängigkeit der Staaten unangemessen und ohne Rücksicht auf die berechtigten Interessen anderer Staaten schützen.1052 Das Interventionsverbot ist ein Ausdruck der völkerrechtlichen Souveränität eines Staates. Die Intervention ist nach herkömmlicher Definition ein Eingreifen eines Staates in die Angelegenheiten eines anderen Staates mittels Zwangs. Es ist somit ein Angriff auf die staatliche Souveränität des jeweiligen Staates, sei es die Einmischung in die internen Angelegenheiten oder in die unabhängige Außenpolitik eines Staates.1053 Da jedoch eine gewisse Einflussnahme, auch mit Zwangsmitteln unterhalb der Gewaltgrenze,1054 in einem Zusammenleben zwischen verschiedenen Staaten, insbesondere im Falle von Interessenkollisionen zwischen zwei Staaten, nicht völlig ausgeschlossen werden kann, ist die Intervention im klassischen1055 sowie im modernen Völkerrecht1056 unter Umständen zulässig.1057 Jedoch ist nach wie vor die Rechtfertigung von Interventionen äußerst strittig.1058 Eine Einmischung 1052
Bruns, Völkerrecht II (Fn. 531), S. 445 – 487 (446 – 448). Vgl. etwa Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 300; Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 100; Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 184; Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 278; Hobe, Völkerrecht (Fn. 504), S. 365; Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 227; Bockslaff, Klaus, Das völkerrechtliche Interventionsverbot als Schranke außenpolitisch motivierter Handelsbeschränkungen, 1987, S. 31; Habermas, Jürgen, Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, 1996, S. 176. 1054 Nach Bockslaff ist die Intervention in die „klassische Intervention“ und die „weite Intervention“ einzuteilen. Die „klassische Intervention“ sei dabei im Kern die Androhung militärischer Gewalt, während die „weite Intervention“ andere Maßnahmen, insbesondere wirtschaftliche Maßnahmen umfasse. Vgl. Bockslaff, Interventionsverbot (Fn. 1053), S. 31 – 32; Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 227. Nach Bleckmann ist jedoch die Auffassung, das klassische Interventionsverbot habe sich nur auf Androhung und Anwendung militärischer Gewalt bezogen und sei erst in neuerer Zeit auf alle Formen der Zwangsanwendung erstreckt worden, kaum zu halten. Vgl. Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 183; zumindest im Hinblick auf Art. 2 Ziff. 7 der UN-Charta, der sich an die Organe der UN richtet, muss wohl grundsätzlich jede Einmischungsart als Intervention aufgefasst werden. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 160 – 161. 1055 Im klassischen Völkerrecht existiert das Recht zum Krieg, also zur Einmischung unter Anwendung von Zwangsmitteln oberhalb der Gewaltgrenze. Vgl. Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 278 – 279. Verboten war nur die „dictatorial interference“, also die Einmischung in den vorbehaltenen Bereich. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 300. 1056 Erst nach Gründung der Vereinten Nationen im Jahre 1945 setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Souveränität der Staaten auch von sonstigen Zwangsmaßnahmen bedroht werden könnte. Im Art. 2 Ziff. 7 der UN Charta ist zwar ein Verbot in die Einmischung der „domaine réservé“ gegeben, aber dieser Bereich ist mittlerweile sehr eingeschränkt bzw. bisweilen völlig unklar. Vgl. Hobe, Völkerrecht (Fn. 504), S. 366; Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 227; Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 184. 1057 Insbesondere war im Hinblick auf die Wahrung des Gleichgewichtes die Intervention zulässig. Das allgemeine Interesse habe Vorrang vor den Sonderinteressen einzelner Staaten. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 393 – 394. 1058 Denkbar ist etwa ein Vergleich der Intervention mit der Nötigung. Die Erfüllung des Tatbestands der Intervention indiziert noch nicht zwingend die Rechtswidrigkeit. Im Falle eines Auseinanderfallens der Zweck-Mittel-Relation ist diese Intervention jedoch nicht gerechtfer1053
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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in innere Angelegenheiten des Staates ist jedenfalls als Angriff in die Impermeabilität des Staates zu werten.1059 Andererseits werden gängige Zwangsmittel, wie Handelssanktionen,1060 von manchen Autoren von vorneherein nicht einmal als Intervention angesehen, weil diese nicht in die „domaine réservé“ eingreifen würden.1061 Die Geschichte des Interventionsbegriffs zeigt, wie die Intervention mit dem Souveränitätsbegriff einherging. Intervention im Sinne einer Einmischung in Angelegenheiten eines fremden Staates war nach Ansicht der führenden Völkerrechtler im Spanischen Zeitalter für religiöse Zwecke noch zulässig.1062 Im Französischen Zeitalter wurde die religiöse Intervention allgemein abgelehnt und die Intervention nur zur Befreiung der Untertanen von einer Tyrannei als möglich angesehen.1063 Im Englischen Zeitalter wurde dann, einhergehend mit der Entwicklung des Humanitätsgedankens, die humanitäre Intervention propagiert. Die dahinterstehende Überlegung ist, dass Menschenrechte, wie etwa das Recht auf Leben, Freiheit und gesetzmäßige Ordnung, den „domaine réservé“ der einzelnen Staaten entzogen sei.1064 In der Völkerrechtspraxis des Englischen Zeitalters war die humanitäre Intervention jedoch oftmals ein Vorwand, um politische Interessen durchsetzen zu können.1065 Im Hinblick auf diese heillose Verwirrung zitiert Schmitt den französischen Diplomaten Talleyrand mit dem Satz: „Nichtintervention bedeute ungefähr dasselbe wie Intervention.“1066 tigt. Da die Souveränität zweier Staaten konkurrieren, muss das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet werden. Vgl. Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 185 – 186. 1059 Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 188. 1060 Andere wiederum weisen darauf hin, dass Handelssanktionen gerade durch die wirtschaftliche Interdependenz die völkerrechtliche Ächtung der Eigenständigkeit eines anderen Staates beinhalteten und dies letztlich eine Verletzung der Souveränität sei. Vgl. Bockslaff, Interventionsverbot (Fn. 1053), S. 37; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 301; nach Grewe entsteht diese Tendenz insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg. Diese wirtschaftlichen Eingriffe könnten nach ihm als „kalte Intervention“ bezeichnet werden, seien jedoch völkerrechtlich kaum zu fassen. Letztlich sei eine Abgrenzung der zulässigen wirtschaftlichen Einflussnahme und der rechtswidrigen Intervention nicht möglich. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 704. 1061 Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 184; Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 279. 1062 Vitoria etwa sieht eine Intervention schon bei „Tyrannei“ und Verstößen gegen universale Prinzipien der Sittlichkeit und Gerechtigkeit als gerechtfertigt an. Gentili sieht es als gerechtfertigt an zu intervenieren, wenn zum Christentum Bekehrte unterdrückt werden. Auch für Grotius ist die Unterdrückung von Christen ein Beispiel für einen Anlass, zulässigerweise Intervention zu üben. Selbst Bodin, der die Souveränität betont, sieht es als möglich an, dass ein „Fürst die Waffen ergreift, um einen von einem Tyrannen unterdrücktes Volk zu rächen.“ Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 214 – 215. 1063 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 389. 1064 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 576; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 162. 1065 Eine beispielhafte Aufzählung findet sich in: Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 577 – 579. 1066 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 391.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Auch in der Folgezeit setzte sich diese Tendenz fort. In der Zwischenkriegszeit waren die Interventionsrechte besonders ausgeweitet worden, so wie sie die Amerikaner im Rahmen ihrer interventionistischen Monroe-Doktrin vertraten. Dieser Interventionismus wurde, wie gesehen, auch von Deutschland aufgenommen. Grewe etwa weist darauf hin, dass Adolf Hitler am 20. 02. 1938 proklamierte: „Deutschland (werde) seine … begrenzteren Interessen zu vertreten und zu wahren wissen“. Zu diesen Interessen gehöre der „Schutz jener deutschen Volksgenossen …, die aus eigenem (sic!) nicht in der Lage sind, sich an unseren Grenzen das Recht einer allgemeinen menschlichen, politischen und weltanschaulichen Freiheit zu sichern.“1067 Der Interventionismus, der sich hier zeigt, geht mit der Relativierung der Souveränität der betroffenen anderen Staaten einher. 2. Souveränität im Sinne von Carl Schmitt Die Souveränität ist ein zentrales Thema der Schmitt’schen Werke als Ganzes. Es lässt sich dabei zwischen seiner Theorie der inneren Souveränität und seiner Theorie der äußeren Souveränität unterscheiden, wobei das Letztere insbesondere seine völkerrechtlichen Theorien – allen voran seine Großraumtheorie – betrifft. Aber auch seine Theorie über die innere Souveränität spielt in der Großraumtheorie eine Rolle, da letztlich die Großraumtheorie in gewisser Weise eine Übertragung der staateninternen Ordnung auf die zwischenstaatliche Ebene vorsieht. a) Souveränitätsbegriff von Carl Schmitt vor der Großraumtheorie Die Souveränitätslehre ist bereits ein zentrales Thema der frühen Schmitt’schen Werke. Schon 1921 publizierte er mit „Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf“ eine Ideengeschichte des Souveränitätsgedankens am Begriff der Diktatur. Der Diktator ist eine Figur des römischen Rechts und bezeichnet einen außerordentlichen römischen Magistrat, der nach der Vertreibung der Könige eingeführt wurde. Der Diktator hatte die Aufgabe, eine gefährliche Lage, die Grund seiner Ernennung ist, zu beseitigen, und wurde zeitlich begrenzt eingesetzt.1068 Diese Vorstellung des Diktators hat nach Schmitt auch in die moderne Souveränitätslehre Eingang gefunden. Schmitt würdigt etwa Bodin nicht nur als Begründer des modernen Souveränitätsbegriffs, sondern auch als einen der ersten, die den Zusammenhang des Problems der Souveränität mit dem der „kommissarischen Diktatur“1069 erkannt hätten.1070 1067
Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 701 – 702. Schmitt, Carl, Die Diktatur: Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, 3. Auflage, 1963, (1. Auflage, 1921), S. 1 – 2. 1069 Die kommissarische Diktatur ist eine Interpretation Schmitts von Bodins Souveränitätslehre. Der Kommissar ist eine öffentliche Person, wie ein Beamter, ist jedoch durch einen außerordentlichen Auftrag bestellt, um eine Aufgabe zu erledigen. Der eigentliche Träger der 1068
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Weiterhin analysiert er den Wandel der zunächst lediglich „kommissarischen Diktatur“ in eine „souveräne Diktatur“. In der Theorie von Rousseau, so Schmitt weiter, ist die Diktatur noch ein Regierungsproblem. Der Diktator ist noch kommissarisch, da er auf einer Ermächtigung durch den „volonté générale“ beruht.1071 Die auf Emmanuel Joseph Sieyès (1748 – 1836) beruhende Unterscheidung von „pouvoir constituant“ und „pouvoir constitué“ führt nach Schmitt jedoch zur Frage, ob es neben dem kommissarischen Diktator des „pouvoir constitué“ auch einen Diktator des „pouvoir constituant“ geben kann. Ein solcher wäre dann ein souveräner1072 Diktator.1073 1922 erregte er Aufsehen mit dem Werk „Politische Theologie“.1074 Carl Schmitt verstand dort unter Souveränität, die Macht über den Ausnahmezustand1075 entscheiden zu dürfen.1076 Der Souverän ist der höchste Richter, zugleich Befehlshaber sowie letzte Legalitätsquelle und letzte Legitimitätsgrundlage.1077 Ganz im Gegensatz zur formalistischen Souveränitätslehre Kelsens, die bereits dargestellt wurde, kann eine Norm also nicht souverän sein.1078 Souveränität setzt einen Diktator ein, der die Souveränität kommissarisch ausübt. Vgl. Schmitt, Diktatur (Fn. 1068), S. 33, 39 – 40. 1070 Schmitt, Diktatur (Fn. 1068), S. 25 – 26. 1071 Schmitt, Diktatur (Fn. 1068), S. 130. 1072 Als Beispiel für einen souveränen Diktator führt Schmitt den Nationalkonvent vom 20. 09. 1792 an. Der Nationalkonvent hatte durch den Entwurf einer Verfassung und deren Annahme am 24. 06. 1793 eigentlich seinen Auftrag erledigt. Diese Verfassung von 1793 wurde jedoch suspendiert und der Konvent wirkte fort. Der Konvent handelte unter unmittelbarer Berufung auf den pouvoir constituant. So: Schmitt, Diktatur (Fn. 1068), S. 148 – 149. 1073 Schmitt, Diktatur (Fn. 1068), S. 144 – 145. 1074 Das Werk teilt sich in drei Teile auf. Im ersten Teil wird die Dezision im Ausnahmefall als entscheidendes Kriterium genannt. Im zweiten Teil kritisiert er die zeitgenössische Staatslehre als zu normativistisch und positioniert sich für eine dezisionistisch-personalistische Souveränitätslehre. Im dritten Teil wiederum wird der Historismus von Hegel in Form einer Begriffssoziologie in die juristische Begriffsbildung eingeführt. So: Mehring, Reinhard, Pathetisches Denken. Carl Schmitts Denkweg am Leitfaden Hegels: Katholische Grundstellung und antimarxistische Hegelstrategie, 1988, S. 76 – 79. 1075 Normen können für Carl Schmitt grundsätzlich nur in normalen Situationen gelten, der Normalfall aber beweist für Schmitt nichts, nur die Ausnahme beweist alles. Vgl. Schmitt, Carl, Politische Theologie, 7. Auflage, 1996, (1. Auflage, 1922), S. 21. 1076 „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Diese Definition versteht Schmitt als Grenzbegriff, da seine Definition sich nur am Grenzfall und nicht am Normalfall orientieren kann. Vgl. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 1075), S. 13; die Ausnahme ist nach Schmitt das nicht Subsumierbare und entzieht sich einer generellen Fassung. Es sei Dezision in absoluter Reinheit und sei dann erreicht, wenn eine Situation, in der Rechtssätze gelten, noch geschaffen werden muss. Der Souverän ist derjenige, der diese Situation als Ganzes in ihrer Totalität schafft und garantiert. Vgl. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 1075), S. 17 – 18. 1077 Schmitt, Legalität und Legitimität (Fn. 51), S. 10. 1078 In dieser Hinsicht hatte Schmitts Souveränitätslehre gewisse Ähnlichkeiten mit Hermann Heller (1891 – 1933). Hermann Hellers These war, dass Souveränität eine Eigenschaft einer universalen Gebietsentscheidungs- und Wirkungseinheit ist, kraft welcher sie um des
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Schmitt betont, dass schon das Besondere an Bodins Souveränitätslehre gewesen sei, dass er klarstellt, dass der Souverän nur soweit an Gesetze gebunden und den Ständen gegenüber verpflichtet ist, solange es kein Notfall sei. Damit habe er die Dezision in den Souveränitätsbegriff eingeführt.1079 Dieser Aspekt sei aber, so Schmitt, immer mehr durch einen Katalog von Souveränitätsbefugnissen zurückgedrängt worden. Allerdings sei es gerade der Ausnahmezustand, der als Suspendierung der gesamten bestehenden Ordnung zu verstehen sei, der dem Souverän eine prinzipiell unbegrenzte Befugnis1080 verleihe.1081 Die Entscheidung nach Schmitt ist für die Überwindung des Ausnahmezustandes maßgeblich, wobei es nicht wichtig ist, wie, sondern dass überhaupt entschieden wird.1082 Entscheidend ist nicht die Frage, ob der Souverän entscheiden „darf“, im Sinne einer Kompetenzzuweisung, sondern allein, ob er entscheiden „kann“.1083 Der in der „Politischen Theologie“ aufgegriffene Gedanke wird in dem Werk „Begriff des Politischen“ von 1927 weitergeführt.1084 In diesem Werk behandelt Schmitt die Diskrepanz zwischen dem „Politischen“ und dem „Staat“ aufgrund des Wegfalls der bisherigen geistigen Strukturprinzipien, obwohl das „Politische“ dem „Staatlichen“ gleichgesetzt wird.1085 Schmitt beginnt mit dem Satz „Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus“.1086 Er stellt eine Entwicklung vom absoluten Staat des 18. Jahrhunderts über den neutralen Staat des 19. Jahrhunderts zum totalen Staat des 20. Jahrhunderts fest.1087 Der Staat solle politisch entschlossen Rechts willen sich gegebenenfalls auch gegen das Recht absolut durchsetzt. Träger der Souveränität ist also die Organisation, die die Machtausübung als Letztentscheider selbst bestimmen kann. Vgl. Heller, Hermann, Die Souveränität: Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Heft 4, 1927, S. 161, 278; Hennis, Souveränität (Fn. 1016), S. 49 – 52. 1079 Schmitt, Politische Theologie (Fn. 1075), S. 15. 1080 Nach Ernst-Wolfgang Böckenförde ist damit gesagt, dass die Souveränität nicht rechtlich einschränkbar oder abdingbar sei. Jedoch sei davon die Frage nach dem Bestehen tatsächlicher, insbesondere machtmäßiger Grenzen und politischer Bindungen der Souveränität zu unterscheiden, die es als solche oder in bestimmten Situationen faktisch nicht erlauben, die Souveränität voll auszuspielen. Vgl. Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Der Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum (Fn. 36), S. 287 – 288. 1081 Schmitt, Politische Theologie (Fn. 1075), S. 17 – 18. Dies sind insgesamt freilich sehr vage Aussagen. Jedenfalls ist in späterem Schrifttum erkennbar, dass für Schmitt die Weimarer Republik in einem Ausnahmezustand gewesen war, die nur durch die Diktatur des Reichspräsidenten abgewehrt werden konnte. Vgl. Hennis, Souveränität (Fn. 1016), S. 40. 1082 Schmitt, Politische Theologie (Fn. 1075), S. 10. 1083 Hennis, Souveränität (Fn. 1016), S. 42. 1084 Der „Begriff des Politischen“ wurde ursprünglich 1927 an der Deutschen Hochschule für Politik in einer Vortragsreihe über „Probleme der Demokratie“ vorgetragen. Vgl. Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 94. 1085 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 95. 1086 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 20. 1087 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 24.
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sein, indem er Freund und Feind deutlich unterscheidet.1088 Denn die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung zwischen Freund und Feind.1089 Die Feindschaft1090 ist eine seinsmäßige Negierung eines anderen Seins. Krieg sei dann die äußerste Realisierung der Feindschaft.1091 Feind für eine Gruppe von Menschen ist also eine ebenso gleiche Gruppe von Menschen, denen gegenüber eine reale Möglichkeit besteht, dass es zu einem Krieg kommt.1092 Insoweit verteidigt Schmitt das ius ad bellum oder sieht es zumindest als ein notwendiges Übel an.1093 Das Recht, Kriege zu führen, ist aus existenziellen Gründen notwendig,1094 da der Krieg eine Konsequenz der Feindschaft ist und die Feindschaft wiederum eine Konsequenz einer politischen Unterscheidung.1095 Da der Staat die Politik voraussetzt, kann nur ein Staat, der auch seine politische Unterscheidung in letzter Konsequenz durchsetzt, als souverän gelten. Solch ein Staat – als die maßgebende politische Einheit – hat bei sich eine ungeheure Befugnis konzentriert: Die Möglichkeit, Krieg zu führen, und damit offen über das Leben von Menschen zu verfügen.1096 Für Schmitt ist also im Begriff der „Souveränität“ das „Politische“ bereits inbegriffen. Hans Jürgen Morgenthau (1904 – 1980)1097, der seinerseits auch als einer der Gründungsväter der realistischen Schule der „Internationalen Beziehungen“ gilt,1098 formulierte in seiner Dissertation „Die internationale Rechtspflege, ihr Wesen und ihre Grenzen (1929)“ eine Replik zu dem „Begriff des Politischen“.1099 Morgenthau vertritt die Auffassung, dass die Unterscheidung von politischen und nicht-politischen Fragen nach Gegenständen unmöglich sei,1100 da jede Frage aufgrund von 1088
Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 208. Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 26. 1090 Der Feind ist dabei kein wirtschaftlicher Konkurrent oder Diskussionsgegner, sondern jemand der „physisch“ negiert wird. So: Schmitz, Mathias, Die Freund-Feind-Theorie Carl Schmitts. Entwurf und Entfaltung, 1965, S. 99. 1091 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 33. 1092 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 29. 1093 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 45. 1094 Der Krieg, der im ersten Schritt eine „ultima ratio“ ist, kehrt sich in eine „causa absoluta“ um. Der Krieg wird zum Ursprung politischen Menschenseins. So: Schmitz, FreundFeind-Theorie (Fn. 1090), S. 102 – 104. 1095 Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 209. 1096 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 46. 1097 Scheuermann, William, Carl Schmitt: The End of Law, 1999, S. 225. 1098 Hartmann, Jürgen, Internationale Beziehungen, 2. Auflage, 2009, S. 22. 1099 Scheuermann, Carl Schmitt (Fn. 1097), S. 229. 1100 Morgenthaus Analyse brachte eine Änderung des „Begriff(es) des Politischen“. Das Werk Schmitts sprach in der Fassung von 1927 noch von „purer Politik“. In der Auflage von 1932 wurde die Politik nicht nur auf einzelne Themen begrenzt, sondern einfach auf alles. Vgl. Scheuermann, Carl Schmitt (Fn. 1097), S. 229 – 230; so auch in der 3. Auflage von 1963, dessen Text identisch ist mit der Fassung von 1932. So: Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 38 – 39. Auch später wird die Trennung „juristisch“ und „politisch“ als „rein dezisionistischer 1089
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Umständen, die außerhalb ihres Gegenstandes liegen, einen politischen Charakter erhalten kann.1101 Jedoch kann es nach Morgenthau verschiedene Grade der Intensität1102 geben, je nachdem und inwiefern der Gegenstand der staatlichen Tätigkeit auf die Individualität des Staats bezogen wird.1103 Das Politische sei für die Umschreibung einer vertraglichen Verpflichtung ungeeignet, da sein Inhalt dem Wesen nach einer vertraglichen Verpflichtung widerspreche.1104 Somit verneint Morgenthau die Gerichtsfähigkeit im subjektiven Sinn für Streitigkeiten politischer1105 Art.1106 Auch wenn Morgenthau diese Bereichserweiterung vornimmt, so klingt diese Idee des Primats der Politik bereits bei Schmitt an. Diese Erweiterung des Politikbereichs auf alle denkbaren Bereiche führt in der Konsequenz zu einem hegelianischen totalen Staat, der die pluralistische Gesellschaft einigt, kontrolliert und beherrschend überordnet.1107 Der Begriff des Politischen hat im Kontext der völkerrechtlichen Abhandlungen von Carl Schmitt einen wichtigen Platz, da es die Brücke zwischen dem Dezisionismus von Carl Schmitt und seinen völkerrechtlichen Ansichten bildet.1108 Das Werk an sich hat einen sehr nach „außen“ gerichteten Charakter, auch wenn der Begriff der Politik nicht zwingend nur die Konflikte in der Staatenwelt behandelt.1109 Der Aufsatz „Begriff des Politischen“ war 1927 eine defensive Schrift gegen „die durchaus herrschende Systematik liberalen Denkens“.1110 Der Liberalismus1111 ist
Voluntarismus“ bezeichnet. So: Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 382. 1101 Morgenthau, Hans Joachim, Die internationale Rechtspflege, ihr Wesen und ihre Grenzen, 1929, S. 67. 1102 Anstatt von verschiedenen unabhängigen Domänen zu sprechen, wird nun von Intensität gesprochen. Vgl. Scheuermann, Carl Schmitt (Fn. 1097), S. 229; Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 38. 1103 Morgenthau, Internationale Rechtspflege (Fn. 1101), S. 69. 1104 Morgenthau, Internationale Rechtspflege (Fn. 1101), S. 72. 1105 Scheuermann, Carl Schmitt (Fn. 1097), S. 229 – 230. 1106 Morgenthau, Internationale Rechtspflege (Fn. 1101), S. 90. 1107 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 116; Mehring, Pathetisches Denken (Fn. 1074), S. 154 – 155. 1108 Schmitz kritisiert sogar, dass der Feindbegriff ein ausschließlich außenpolitischer Begriff sei und die innenpolitischen Aspekte in Schmitts „Begriff des Politischen“ fehlten. So: Schmitz, Freund-Feind-Theorie (Fn. 1090), S. 97. 1109 Meier betont, dass Schmitt den Begriff Krieg 77-mal in der Fassung von 1927 benutzt, den Begriff Bürgerkrieg aber kein einziges Mal. In der Fassung von 1932 wurde die Ubiquität der Politik anerkannt und auch der interne Feind als denkbar erklärt. Vgl. Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 29; Scheuermann, Carl Schmitt (Fn. 1097), S. 233. Schmitz weist darauf hin, dass der Begriff des Politischen auf das Innenpolitische übertragen dazu führen würde, dass der Staat sich ständig in einem aktuellen oder potenziellen Bürgerkrieg befände. Vgl. Schmitz, Freund-Feind-Theorie (Fn. 1090), S. 107. 1110 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 78.
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nach Schmitt eine Strömung, die „das Politische negiert“.1112 Das Werk sollte der Politik die Anerkennung verschaffen, die jedes selbstständige Gebiet für sich beansprucht.1113 Dieser Liberalismus werfe der Politik und dem Staat „Gewalt“ vor und lasse nur das gelten, was die Bedingungen der Freiheit sichert und Störung der Freiheit beseitigt.1114 Leo Strauss (1899 – 1973)1115 stellt fest, dass Schmitt versucht, die in ihrer Negation des Politischen erstaunlich konsequente Systematik des liberalen Denkens,1116 durch eine andere Systematik zu ersetzen, die das Politische anerkennt.1117 Die defensive Haltung erlaubt es, seinen Feind, nämlich den Liberalismus, als „Politiker in unpolitischem Gewand“1118 zu kritisieren.1119 Schmitt versuchte, das Unentrinnbare und Unabweisbare der Politik hervorzuheben. Selbst die angeblich unpolitischen und anti-politischen Systeme bestehen nach Schmitt aus Freund und Feind-Gruppierungen.1120 Die Unentrinnbarkeit der Politik führt zur Konsequenz, dass auch der Krieg unentrinnbar ist, da es die „metaphysischen Gegensätze“ von Freund und Feind gibt.1121 Diese Unentrinnbarkeit liegt nach Schmitt in der „bösen Natur“ und der „Gefährlichkeit“ des Menschen,1122 die er jedoch selbst als ein „anthropologisches Glaubensbekenntnis“1123 bezeichnet.1124 Die Ablehnung des Liberalismus durch Schmitt hat also ebenfalls einen 1111 Später verbindet Schmitt seine Liberalismuskritik mit der völkerrechtlichen Kritik des status quo. Nach Schmitt ist das Völkerrecht auf dem Weg zu einem Weltvölkerrecht, das den liberalen Welthandel als Axiom kennt. Durch diese neue Weltordnung sieht Schmitt den souveränen Staat gefährdet. Vgl. Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 248 – 249. 1112 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 69. 1113 Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 26. 1114 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 70. 1115 Strauss, Leo, Anmerkungen zu Carl Schmitt, der Begriff des Politischen, abgedruckt, in: Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 97 – 125. 1116 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 68 – 69. 1117 Strauss, Leo, Anmerkungen zu Carl Schmitt, der Begriff des Politischen, abgedruckt, in: Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 101. 1118 Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 27. 1119 Vgl. Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 68 – 73; Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 27. 1120 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 78; Strauss, Leo, Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, abgedruckt, in: Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 111. 1121 Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 71. 1122 Nach Schmitt setzt jede echte politische Theorie den Menschen als „böse“ voraus. Vgl. Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 61. 1123 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 58. 1124 Strauss, Leo, Anmerkungen zu Carl Schmitt, der Begriff des Politischen, abgedruckt, in: Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 113. Ein eigenes anthropologisches Konzept fehlt bei Schmitt jedoch. Kriterien für das „Gute“ oder „Böse“ finden sich nicht. So: Schmitz, Freund-Feind-Theorie (Fn. 1090), S. 112 – 113.
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wertenden moralischen Charakter.1125 Strauss analysiert daraufhin, dass die Akzeptanz der Politik nur eine Akzeptanz des Kampfes als solchen sein kann, nicht jedoch die Frage, wofür gekämpft wird.1126 Insofern vermutet Strauss, dass die Liberalismuskritik Schmitts nicht das Ende sein kann, sondern es um die „Gewinnung eines neuen Horizontes“ geht.1127 Der „Begriff des Politischen“ und der darin zutage tretende Dezisionismus ist also letztlich nur eine Vorbereitungshandlung.1128 Der Dezisionismus von Schmitt macht laut Strauss transparent, dass die „Krankheiten“ der westlichen Modernität nur durch eine Rückkehr zum klassischen Naturrecht überwindbar scheinen.1129 Die Ansätze des späteren „konkreten Ordnungsdenkens“ von Carl Schmitt sind also bereits erkennbar. Im Kontext der Großraumtheorie wird dieser Ansatz verständlich, da Schmitt durch die Übertragung der Souveränität vom Staat auf das Reich nicht nur einen Rechtsträgerwechsel oder eine reine Erweiterung des Einflussbereiches des Trägers der Souveränität bezweckt.1130 Vielmehr ging es ihm darum, die Ordnung der menschlichen Dinge, die er bereits 1934 als konkretes Ordnungsdenken, als dritte Kategorie neben Normativismus und Dezisionismus, einführte, als maßgebliche Raumordnung zu benennen; wie dies 1939 in seiner Großraumtheorie geschehen ist.1131 Das Reich als Souveränitätsträger hat die Aufgabe, diese konkrete Raumordnung im Großraum durchzusetzen.1132 Innerhalb eines Großraumes kann es einen „gleichrangigen“ Feind neben dem Reich nicht geben, da das Reich alles Politische für den Großraum bestimmt. Der Feind ist vielmehr das Raumfremde, und dem gegenüber gilt das Interventionsverbot. b) Das Reich als neuer Träger der Souveränität Das Reich ist einer der zentralen Begriffe der Schmitt’schen Großraumtheorie. Nach Schmitt sind dies die „führenden und tragenden Mächte“.1133 Bereits im geltenden Völkerrecht sieht Schmitt die Anerkennung als Großmacht als das wichtigste Rechtsinstitut des Völkerrechts für die Frage der Landnahme an, da es die Raum-
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Strauss, Leo, Anmerkungen zu Carl Schmitt, der Begriff des Politischen, abgedruckt, in: Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 122. 1126 Strauss, Leo, Anmerkungen zu Carl Schmitt, der Begriff des Politischen, abgedruckt, in: Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 123. 1127 Strauss, Leo, Anmerkungen zu Carl Schmitt, der Begriff des Politischen, abgedruckt, in: Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 125. 1128 Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 81. 1129 Scheuermann, Carl Schmitt (Fn. 1097), S. 227. 1130 Das Reich ist kein „vergrößerter Staat“. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 67. 1131 Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss (Fn. 41), S. 73. 1132 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 82. 1133 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49.
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struktur einer ganzen Völkerordnung betrifft.1134 Durch den Reichsbegriff sollen diese Großmächte nun als eine spezifische völkerrechtliche Größe in das Völkerrecht eingeführt werden,1135 und somit soll eine völkerrechtswissenschaftliche Überwindung des Staatsbegriffes geleistet werden.1136 Schmitt versucht also, dabei nicht nur den Staatsbegriff, sondern auch das völkerrechtliche Prinzip der Staatengleichheit zu überwinden.1137 aa) Souveränität des Reiches Das Raumbild des traditionellen Völkerrechts ist staatsgebietsbezogen.1138 Für Schmitt ist der Ausgangspunkt der Etablierung eines neuen Völkerrechtssubjekts die zunehmende Unfähigkeit des traditionellen Staatsgebildes, die Raumordnung aufrecht zu erhalten. Durch Möglichkeiten des Eingriffs in die Angelegenheiten eines Staates durch einen anderen Staat, etwa im Namen der humanitären Intervention, schwand die Impermeabilität des Staates und somit ein großes Stück der staatlichen Souveränität, nämlich die internen Angelegenheiten autonom regeln zu können. In diesem Kontext wurde insbesondere die Idee von allgemeingültigen Menschenrechten, die – die Staatsgrenzen übergreifend – für jeden Menschen gelten sollen, kritisch von Schmitt gesehen.1139 Gleichzeitig war es den Weltmächten, wie beispielsweise Großbritannien, nunmehr möglich, eine Entscheidungs- und Definitionsgewalt auszuüben, die eine allgemeine Ausstrahlung auf andere Staaten entfaltete.1140 Selbst das Recht, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, was für Schmitt eine essenzielle Frage der Politik und ein Merkmal von Souveränität war,1141 war somit durch die allgemeinen Menschenrechte eingeschränkt. Letztlich war für Schmitt damit die tatsächliche Souveränität der Staaten nur auf einige wenige Staaten begrenzt, während die sog. Universalisierung des europäischen Völkerrechts dazu führte, dass, zumindest formell, alle Staaten unterschiedslos souverän sein sollten.1142 Somit gab es für Schmitt ein Auseinanderfallen zwischen dem konventionellen Völkerrecht und der politischen Realität der Staatenwelt. Denn auch wenn die „schwachen“ Staaten im Normalfall eine gewisse Macht haben sollten, im Ausnahmefall würden die Großmächte entscheiden. Und wie Schmitt in seinem Werk „Politische Theologie“ schildert, ist 1134
Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 163. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49. 1136 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 60. 1137 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 196. 1138 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 66. 1139 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 141. 1140 Schmitt, Carl, „Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus (1932)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 179. 1141 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 28 – 30. 1142 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 377. 1135
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derjenige „souverän, der über den Ausnahmezustand entscheidet.“1143 In „Nomos der Erde“ sagt Schmitt, dass die Anerkennung als Großmacht – als Vorgang, der die Raumordnung betrifft – gerade im europäischen Völkerrecht des 19. Jahrhunderts das wichtigste Rechtsinstitut des Völkerrechts bezüglich der Landnahme gewesen sei.1144 Die Großmächte, als Garanten der von ihnen geleiteten Raumordnung, seien es gewesen, die zu allen wichtigen Gebietsänderungen ihre, wenn auch spatiale, Anerkennung gaben.1145 Insofern ist es konsequent, im Rahmen seiner Großraumtheorie den Reichen die Souveränität zuzusprechen. Schmitt versucht dabei, sich vom universalistischen und übervölkischen Begriff des Imperiums abzugrenzen und das Reich als ein nichtuniversalistisches, „völkisches“ Gebilde zu etablieren.1146 Das Reich bezieht sich immer auf einen Großraum, der einerseits ein Staatsgebiet, aber andererseits auch einen darüber hinausgehenden Volksboden beinhaltet.1147 Schmitt benutzt dabei den Begriff der Raumhoheit, die er von der Gebietshoheit unterscheidet.1148 Das Reich dient insofern als ein neuer, mächtigerer Träger von Souveränität, der seine politischen Ideen, also seine konkrete Ordnung, im Großraum auch tatsächlich effektiv durchsetzen kann und fremde Ideen, etwa von raumfremdem Mächten, ausschließen kann. Selbst ein irgendwie geartetes Mitspracherecht von raumfremden Mächten in raumeigenen Angelegenheiten des Reiches, wie gemeinsame verfassungsrechtliche Standards oder die Forderung nach freiem Welthandel, wird von Schmitt als Intervention gesehen und ausgeschlossen.1149 Souveränität nach Schmitt ist die Macht, über den Ausnahmezustand entscheiden zu dürfen.1150 Und für ihn ist die wichtigste Entscheidung, aus politischer Sicht, stets die Unterscheidung von Freund und Feind.1151 Diese Feindschaft muss im Extremfall sogar im Kriege enden, so dass der Souverän grundsätzlich die Macht haben muss, Kriege zu führen.1152 In der Konsequenz heißt dies, dass das Reich intern wie auch extern seine Feinde bestimmen kann und diese Feindschaften mit äußerster Gewalt, also durch Kriegsführung, ausfechten kann. Den übrigen Staaten im Großraum ist diese Macht aber versagt. 1143
Schmitt, Politische Theologie (Fn. 1075),S. 13. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 163. 1145 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 164. 1146 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 50. 1147 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 67. 1148 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 67. 1149 Von dem Interventionsbegriff wird also alles berührt, was die Politik des Reiches betreffen könnte, und gleichzeitig wird dieser Begriff durch das Reich selbst ausgelegt. Vgl. Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 104. 1150 Diese Definition versteht Schmitt als Grenzbegriff, da seine Definition sich nur an dem Grenzfall und nicht an dem Normalfall orientieren kann. Vgl. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 1075), S. 13. 1151 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 26. 1152 Mehring, Aufstieg und Fall (Fn. 24), S. 209. 1144
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bb) Totales Reich Welche Fülle an Macht dieses Reich nun im Hinblick auf den Großraum haben soll, dürfte im Begriff des totalen Staates zu erkennen sein. Das Schmitt’sche Staatsverständnis1153 ist von einer extremen Machtkonzentration geprägt,1154 die es dem Staat erlaubt, „Krieg zu führen und damit offen über das Leben von Menschen zu verfügen“.1155 Dieses Staatsverständnis, in dem die Macht des Staates so kumuliert ist, findet sich bei Hegel1156 sowie auch bei Thomas Hobbes.1157 Anders als bei Hobbes, der die Machtkonzentration zum Staat mit dem rationalen Zweck der Rettung und Erhaltung des Lebens der Einzelnen verbindet, ist bei Schmitt jedoch der Zweck des Staates das Selbstsein eines Volkes.1158 Insofern ist Schmitt näher an Hegel, der ebenfalls die Existenz des Staates als Selbstzweck begreift.1159 Schmitt führt zum Hegelschen Staatsbegriff aus, dass dieser einen „überaus praktisch-politischen geschichtlichen Sinn“ habe. Er sei „im höchsten Grade ontonom, seinsgerecht“, da der Staat „die raumhaft konkrete, geschichtliche Organisationsform“ der letzten 200 Jahre gewesen sei. Dieser habe „wenigstens auf europäischem Boden als der Träger des Fortschritts im Sinne der steigenden Rationalisierung und Hegung des Krieges gewirkt“.1160 Der so verstandene Staatsbegriff geht auch in einen von Hegel geprägten ontologischen Feindbegriff über;1161 er ist eine Negation der eigenen Existenz. Ein Krieg zwischen so verstandenen Staaten ist für Schmitt kein Krieg zwischen Familien, sondern einer zwischen Völkern; also undifferenziert und von aller Persönlichkeit frei.1162 Das Reich ist ein Ergebnis einer Überlegung über die Weiterentwicklung des totalen Staates, die mit seinem Aufsatz „Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland“ von 1933 beginnt. Schmitt unterscheidet hier zwischen dem totalen 1153 Möglicherweise hat die Kelsen’sche Staatslehre als ein Katalysator für die Schmitt’sche Staatslehre gedient. Jedenfalls steht die Orientierung an Hegel im Kontrast zu Kelsen, der für Schmitt ein „bevorzugtes Angriffsobjekt“ war. So: Dreier, Rezeption (Fn. 347), S. 17 – 34 (21 – 22). 1154 Bereits die frühen Werke Carl Schmitts stehen unter großem Einfluss von Georg Friedrich Hegel. Vgl. Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 47 Rn. 75; Mehring, Pathetisches Denken (Fn. 1074), S. 105 – 110. 1155 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 46. 1156 Hegel, Philosophie (Fn. 1019), § 331 (S. 266). 1157 Hobbes, Leviathan (Fn. 1002), 18. Kapitel S. 136. 1158 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 153 – 154; folglich ist Hobbes für Schmitt zwar ein politischer Lehrer, aber kein vorbildlicher Staatskonstrukteur. So: Mehring, Pathetisches Denken (Fn. 1074), S. 159 – 161. 1159 Hegel, Philosophie (Fn. 1019), § 258 (S. 195). Schmitt leitet diese Suprematie des Staates aus der christlichen Idee der Obrigkeit ab. So: Mehring, Pathetisches Denken (Fn. 1074), S. 122 – 123. 1160 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 121. 1161 Mehring, Pathetisches Denken (Fn. 1074), S. 182. 1162 Mehring, Pathetisches Denken (Fn. 1074), S. 185.
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Staat aus Stärke und dem totalen Staat aus Schwäche. Ein totaler Staat aus Stärke ist ein solcher, der in seinem Inneren keinerlei staatsfeindliche, staatshemmende oder staatszerspaltende Kräften aufkommen lässt.1163 Er kann Freund und Feind unterscheiden. Ein totaler Staat aus Schwäche dahingegen ist ein solcher, der sich in alle Sachgebiete, in alle Sphären des menschlichen Daseins, hineingibt und in einem rein quantitativen Sinne ein totaler Staat ist.1164 Der totale Staat ist jedoch nur total innerhalb seines Territoriums und konkurriert somit mit mehreren anderen totalen Staaten.1165 Die Großraumtheorie führt nun das Reich als neue Kategorie der Völkerrechtssubjekte ein. Die Forderung eines totalen Staates und eines neuen Völkerrechtes treffen sich im Reichsbegriff wieder. Schmitt sieht aufgrund der Auflösung des ius publicum europaeum die Notwendigkeit eines neuen Völkerrechtssubjekts, das die Grundlage eines neuen Völkerrechts, insbesondere eines neuen Kriegsrechts, sein kann; dies ist das Reich.1166 Es dürfte ein politisches Gebilde aus totaler Stärke innerhalb eines Großraumes sein. Das Reich muss sich zwar nicht in alle Angelegenheiten des Großraumes einmischen, es lässt aber keinesfalls Feinde innerhalb des eigenen Großraumes zu und entscheidet letztlich innerhalb des Großraumes über die Ausnahmezustände, die von ihm bestimmt und festgestellt werden können.1167 Somit schafft das Reich innerhalb des Großraumes eine konkrete Raumordnung und grenzt sich nach außen zu den anderen Großräumen durch das „Interventionsverbot raumfremder Mächte“ ab. c) Das Interventionsverbot raumfremder Mächte Das konventionelle Interventionsverbot ist ein Ausdruck des völkerrechtlichen Souveränitätsprinzips. Es ist ein völkerrechtlicher Grundsatz, der die eigenen Angelegenheiten eines Staates vor dem Zugriff eines anderen Staates schützen soll. Carl Schmitt kritisiert das konventionelle Interventionsverständnis, das auf zwei verschiedenartigen völkerrechtlichen Ordnungen fußte: 1. die erlaubte humanitäre Intervention, die auf dem „universalistisch-imperialistischen und raumaufhebenden“ Völkerrecht gründet und somit eine Intervention in jeden Staat ermöglicht; 2. die unerlaubte „Einmischung“ als völkerrechtliches Delikt, das auf einem staatsbezo-
1163 Schmitt, Carl, „Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland (1933)“, in: Schmitt, Positionen: im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles; 1923 – 1939, 1940 S. 187. 1164 Schmitt, Carl, „Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland (1933)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 187. 1165 Kervégan, Jean-François, Carl Schmitt and „World Unity“, in: Mouffe, Chantal (Hrsg.), The Challenge of Carl Schmitt, 1999, S. 58. 1166 Kervégan, Jean-François, Carl Schmitt and „World Unity“, in: Mouffe (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 1165), S. 67 – 68. 1167 Schmitt, Politische Theologie (Fn. 1075), S. 13.
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genen, raumverengenden und kleinräumigen Staatenrecht basiert.1168 Das Erstere würde zu einem universalistischen Eingriffsrecht ausarten, während das Letztere nur dem Status der mächtigeren Staaten diene. Das Interventionsverbot raumfremder Mächte nach der Vorstellung Schmitts hingegen ist die Antithese zum „uferlosen“ Universalismus und das Pendant zur „Unterscheidung von Freund und Feind“ in der Schmitt’schen Politiklehre.1169 Es dient nicht nur der Abgrenzung zwischen Großräumen, sondern stellt gleichsam eine Begrenzung der Ausweitung der jeweiligen Großräume dar. Schmitts Interventionsverständnis ist deshalb ein eigener Begriff und geht über das herkömmliche Interventionsverständnis1170 deutlich hinaus. In Schmitts Großraum sieht die Intervention grundsätzlich so aus, dass innerhalb eines Großraumes das Reich in alle Großraumstaaten hinein eine ordnende Funktion ausüben kann, also gerade auch intervenieren kann.1171 Raumfremde Mächte dürfen jedoch in einen Großraum nicht im Geringsten hineinintervenieren.1172 Sein Interventionsverbot soll eine vollumfängliche Souveränität der Reiche in allen Bereichen gewährleisten.1173 Das Interventionsverbot dient darüber hinaus der vollständigen Abgrenzung und Trennung der verschiedenen Großräume.1174 Eine funktionale Überlappung von Großräumen ist aufgrund der totalen Befugnis der Reiche innerhalb eines Großraumes auch nicht denkbar.1175 Dieses Modell lässt also den Schluss zu, dass innerhalb des Großraumes dem Reich eine volle Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Großraumstaaten erlaubt ist. Dies schließt auch die Gewaltanwendung mit ein, zumindest 1168 Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 251. Habermas bezeichnet diese Ansicht Schmitts als nicht weiter überraschend, da er Schmitt ein bellizistisches Verständnis von Politik unterstellt. Vgl. Habermas, Einbeziehung (Fn. 1053), S. 176. 1169 Diner, Rassistisches Völkerrecht (Fn. 125), S. 23 – 56 (51). 1170 Zunächst kritisiert Schmitt das Interventionsverständnis der Gegenwart, das auf zwei verschiedenartigen völkerrechtlichen Ordnungen fußt: 1. Die erlaubte humanitäre Intervention, die auf dem „universalistisch-imperialistischen und raumaufhebenden“ Völkerrecht gründet und somit eine Intervention in jeden Staat ermöglicht. 2. Die unerlaubte „Einmischung“ als völkerrechtliches Delikt, das auf einem staatsbezogenen, raumverengenden und kleinräumigen Staatenrecht basiert. Vgl. Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 251. 1171 Dies wird zwar von Schmitt nicht explizit gesagt, kann aber aus seinem Verständnis der Souveränität abgeleitet werden. Da nur das Reich im Großraum der Souverän ist, kann ein Großraumstaat auch letztlich nur Subjekt des Reiches sein. Vgl. Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 54. 1172 Dies wird insbesondere plastisch, wenn Schmitt den universalistischen und weltumfassenden Interventionismus des britischen Reiches kritisiert. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 34. 1173 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 104; Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 51. 1174 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 104; Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49. 1175 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 56.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
soweit es für die Ordnungserhaltung notwendig sein sollte. Soweit jedoch ein raumfremder Staat in den Großraum, sei es nun das Reich oder ein Großraumstaat, eingreifen möchte, gilt das Interventionsverbot. Raumfremden Mächten ist es also verboten, militärische Maßnahmen gegenüber Großraumstaaten oder dem Reich durchzuführen. Darüber hinaus ist jegliche Einmischung von raumfremden Mächten in die internen Angelegenheiten des Großraumes verboten. Dieses Ergebnis überrascht zunächst, da Schmitt sich als dezidierten Gegner des Gewaltverbotes aussprach, da dies letztlich nur die kriegsführenden Staaten zu „Schurken“ degradiere. Dies eskaliere gerade den Krieg.1176 Sollte jedoch die Intervention in den fremden Großraum durch ein moralisches Verbot begrenzt werden, so wird diesen Staaten ein ähnlicher Vorwurf zu Teil werden. Auch wenn das Interventionsverbot kein moralischer Völkerrechtssatz, sondern eine Art Rationalitätsregel aus einer Gleichgewichtssituation sein sollte, ist dieses Verbot nur durch die Reiche umsetzbar. Das Interventionsverbot raumfremder Mächte ist also in erster Linie doch als eine Forderung im Hinblick auf die damalige weltpolitische Lage zu verstehen.1177 Dieses Verbot führt in der Schmitt’schen Konzeption dazu, dass es mehrere Großräume nebeneinander geben und somit eine pluralistische Weltordnung anstelle einer Weltordnung unter einem Reich existieren kann. Der entscheidende Unterschied zwischen Schmitts Großraumtheorie und von einem grenzenlosen Imperialismus ist also darin zu sehen, dass es für das Reich eine Grenze seines Großraumes gibt, auch wenn diese Grenze letztlich nur durch ein „moralisches“ Verbot aufrechterhalten wird.
III. Großraumtheorie als Theorie der Hegung des Krieges Ein zentrales Problem des Völkerrechts ist seit jeher die Frage, ob und wie der Krieg mit fremden Völkerrechtssubjekten erlaubt oder nicht erlaubt ist. Die Befürworter eines Kriegsverbotes haben eine gewisse Nähe zu denjenigen, die einen Vorrang des Völkerrechts befürworten, da ein solcher Vorrang des Völkerrechts den Krieg ausrotten kann.1178 Für Carl Schmitt ist das ius ad bellum für einen Staat eines seiner wesentlichen Grundbefugnisse und Merkmal der Souveränität.1179 Für ihn ist nicht die Abschaffung, wohl aber die Hegung des Krieges, das zentrale Kernproblem einer jeden Rechtsordnung.1180
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Schmitt, Diskriminierender Kriegsbegriff (Fn. 130), S. 50 – 51. Bendersky, Politics (Fn. 45), S. 330 – 331. 1178 Baumgarten, Arthur, Souveränität und Völkerrecht: Teil 3, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 3 (1933), S. 192 – 207 (194). 1179 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 45. 1180 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 44. 1177
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1. Das konventionelle Kriegsvölkerrecht Es ist ein Interesse aller Menschen, nicht im Krieg getötet zu werden. Die Abschaffung des Krieges entspricht also dem Interesse der Menschheit.1181 Gleichzeitig findet sich im Kriege der vollendete Ausdruck der außenpolitischen Macht eines Einzelstaates, wobei gleichzeitig gefordert wird, dass vollkommen darauf verzichtet wird.1182 Dieser Widerspruch zwischen Krieg und Frieden führte dazu, dass bereits die Spätscholastiker sich mit Kriegsvermeidung beschäftigten und dabei dem Recht zum Krieg zur Geltung verhalfen.1183 Vor dem Ersten Weltkrieg war das Recht zum Kriege von der Völkerrechtslehre allgemein anerkannt. Flankiert wurde dies, so Schmitt, mit den Bemühungen der europäischen Staaten, zumindest im europäischen Raum, den Krieg möglichst als einen Konflikt zwischen unpersönlichen Staaten zu halten und ein gewisses Gleichgewicht der Staatenwelt zu etablieren, das abschreckend wirken sollte. Dies nennt Schmitt die Hegung des Krieges. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges kam es dann zur Abkehr des schrankenlosen ius ad bellum. Das Gewaltverbot wurde eingeführt und man versuchte, es durchzusetzen. Letztlich scheiterte dieser Ansatz jedoch, wie der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges demonstriert. Die Großraumtheorie versteht Schmitt eben auch als eine Theorie der Hegung des Krieges. Er knüpft dafür an die Kriegsvermeidungstheorien vor und nach dem Ersten Weltkrieg an. Für ihn ist das Kriegsverbot, das der aktuelle Trend der Zeit war, ein entscheidender Rückschritt im Vergleich zur Kriegshegung des ius publicum europaeum. Gleichwohl sieht er es als unmöglich an, das ius publicum europaeum wieder auferstehen zu lassen. Vielmehr versucht Schmitt, durch die Großraumtheorie eine neue Gleichgewichtssituation zu schaffen, die die Hegung des Krieges bewirken soll. a) Entwicklung des ius ad bellum Das konventionelle Kriegsvölkerrecht, so wie es kurz vor dem Ersten Weltkrieg existierte, entwickelte sich parallel zum Souveränitätsprinzip. Während es im Mittelalter noch die Vorstellung eines gerechten Krieges gab, die gerade impliziert, dass ungerechte Kriege eben verboten seien, wurde es im Westfälischen System eine Selbstverständlichkeit, dass es zum Grundsatz der Souveränität gehöre, dass der Souverän auch Kriege führen darf (ius ad bellum). Im Folgenden soll die Entwicklung des Völkerrechts bezüglich des Krieges bis hin zur Anerkennung des Rechts zum Krieg beleuchtet werden. Dabei soll der Zu-
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Baumgarten, Souveränität und Völkerrecht: Teil 3 (Fn. 1178), S. 192 – 207 (204). Baumgarten, Souveränität und Völkerrecht: Teil 3 (Fn. 1178), S. 192 – 207 (194). Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 24 – 25.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
sammenhang zwischen der Entwicklung des Souveränitätsbegriffs und der Anerkennung des Rechts zum Krieg jedes Einzelstaates analysiert werden. aa) Der gerechte Krieg Die mittelalterliche Vorstellung des gerechten Krieges hatte ihren Ursprung bei Augustinus und wurde von Thomas von Aquin systematisiert und weiterentwickelt.1184 Der theologische Ansatz fragt nach einem gerechten Grund (iusta causa).1185 Weiterhin bedarf es eines souveränen Herrschers (auctoritatis princeps), der den Krieg erklärt, und einer gerechten Gesinnung (intentio recta).1186 Diese theologische Auffassung, die nach dem gerechten Grund zu einem Krieg fragt, wurde im Laufe der Spanischen Epoche in den Hintergrund gedrängt, und es wurde nur noch nach formalen Voraussetzungen, insb. nach der Souveränität (auctoritas) des Kriegstreibenden, gefragt.1187 Francisco de Vitoria,1188 Balthasar Ayala (1548 – 1584),1189 Alberico Gentili (1552 – 1608)1190 wie auch Hugo Grotius1191 be1184
Von einer inhaltlichen Entwicklung kann nicht ausgegangen werden. Allerdings hat Thomas von Aquin die Systematik der Theorie des gerechten Krieges durch die logischen Begrifflichkeiten beeinflusst. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 136. 1185 Nur erlittenes oder drohendes Unrecht rechtfertigt einen Krieg. Der Krieg ist Mittel zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Friedens. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 133. 1186 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 136. Dieser Ansatz diente letztlich der Durchsetzung der Eroberungsansprüche der „christlichen“ Staaten. Es ist im Übrigen erkennbar, dass der Frieden als natürlicher Zustand gesehen wird, während der Krieg als Ausnahmezustand verstanden wird. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 23 – 24. 1187 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 240 – 241; Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 27 – 29. 1188 Francisco de Vitoria relativierte diese traditionelle Lehre des gerechten Krieges erheblich, indem er zwischen subjektivem und objektivem Unrecht unterschied. Es sei also auch möglich, dass ein beidseitig subjektiv gerechter Krieg geführt werde. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 241 – 244. 1189 Für Balthasar Ayala ist das Kriterium eines gerechten Krieges die auctoritas eines Souveräns. Jeder Krieg eines Souveräns ist gerecht. Damit kann er als einer der Wegbereiter des Kriegsrechts der Folgezeit gesehen werden. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 246. 1190 Alberico Gentili stimmte mit Ayala in seinen Grundaussagen überein. Für Gentili ist der Feind (hostis) im Kriege ein gleichberechtigter Partner. Gentili wendet seinen Blick deshalb auf das Recht im Krieg (ius in bello). Nach ihm gibt es einige formelle Pflichten, wie etwa die Kriegserklärung, die von der kriegsführenden Partei zu erfüllen ist. Gentilis Kriegsrecht ist also davongetragen, dass der Schrecken des Krieges einzudämmen sei. Diese Vorstellung von Krieg, die einem Duell angelehnt ist, ist auch im Kabinettskrieg des 18. Jahrhundert sowie in den Kriegen zwischen Staaten des 19. Jahrhunderts zu finden. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 247 – 254. 1191 Auch Hugo Grotius hatte in seinem Werk „De iure belli ac pacis“ die Begrenzung der Art und Weise der Kriegsführung, weniger aber den gerechten Grund im Auge. Hinsichtlich der Kriegsführung entwickelte er deshalb wichtige Regelungen, wie etwa die Behandlung von Kriegsgefangenen. Grotius vertrat zudem eine Lehre vom gerechten Krieg, die keinen Konnex zwischen der Rechtmäßigkeit des Kriegsgrundes und der Rechtswirkung des Krieges sah. Sollte die staatliche Autorität Krieg führen, sei es den kriegsführenden Staaten erlaubt, dem Feinde zu
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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fassten sich mit dem Problem des gerechten Grundes und relativierten dessen Notwendigkeit. bb) Souveränität und Recht zum Krieg Durch den Siegeszug der Idee der Souveränität setzte sich in der Französischen Epoche das Recht zum Krieg endgültig durch.1192 Auch der Dreißigjährige Krieg hat einen bleibenden Einfluss hinterlassen, so dass viele Staaten ein stehendes Heer aufbauten.1193 Das Recht zum Krieg („ius ad bellum“) wurde als ein Grundrecht der Staaten zur Verteidigung der eigenen Existenz verstanden.1194 Im 17. Jahrhundert bis zum 18. Jahrhundert entwickelt sich in Europa eine Form des „begrenzten Krieges“,1195 die sog. Kabinettskriege. Kriege waren ein Mittel der Politik.1196 Die Idee, dass der Souverän das Recht zur Kriegsführung habe, setzte sich endgültig durch.1197 Im 19. Jahrhundert war der Gedanke eines gerechten Krieges vollkommen verdrängt, da es letztlich keinen unparteiischen Richter gab,1198 der diese Frage entscheiden konnte.1199 Insofern kann von einer Positivierung des Kriegszustandes gesprochen werden, da der Krieg nicht mehr als nicht regulierbares
schaden. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 122 – 123; es war demnach notwendig, dass die kriegsführenden Parteien souverän sind und die Regeln des Kriegsrechts einhalten. Durch diese Relativierung und Formalisierung des gerechten Grundes, der auf beiden Seiten existieren konnte, kam es immer mehr auf die Frage der Rechtstellung der Kriegsführenden, also deren Souveränität, an. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 256 – 260. 1192 Letztlich war die Lehre des gerechten Krieges mit der Idee von einem Nebeneinander mehrerer unabhängiger Staaten inkompatibel. Vgl. Bilfinger, Kriegserklärungen (Fn. 519), S. 1 – 23 (7 – 8). 1193 Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 144. 1194 Bilfinger, Kriegserklärungen (Fn. 519), S. 1 – 23 (8). 1195 Eine direkte Beteiligung der Bevölkerung war nicht erforderlich und auch nicht erwünscht. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 144. 1196 Weiterhin existierte der Begriff der „generellen Repressalie“, also der Aufforderung an die Allgemeinheit, Vergeltungsmaßnahmen gegen einen Staat durchzuführen. Repressalien dienten oftmals als Vorstufe zu einem Krieg und wurden zunehmend von den staatlichen Stellen selbst vorgenommen, so dass die Ankündigung genereller Repressalien der Kriegserklärung gleichkam. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 238, 429 – 433; Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 86 – 87. 1197 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 428 – 429. 1198 Dadurch entstand auch die völkerrechtliche Neutralität. Die Staaten konnten zwischen Krieg und Frieden, Beteiligung und Nichtbeteiligung an bestehenden Kriegen frei wählen. Im Falle einer Nichtbeteiligung wurde ihnen jedoch das Recht entzogen, über den Inhalt ihrer Neutralität zu verfügen. Der neutrale Staat musste sich an eine gewisse institutionalisierte Neutralität halten. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 629 – 631. 1199 Insofern wurde die Frage des gerechten Krieges als eine rein ethische verstanden. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 623.
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Naturereignis,1200 sondern als ein rechtlicher Zustand angesehen wurde.1201 Der souveräne Staat hatte ein freies Kriegsführungsrecht. Trotz der zunehmend brutaleren Kriege wurde das ius ad bellum bis zum Ersten Weltkrieg nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Der Fokus der völkerrechtlichen Diskussion wandte sich vielmehr zum Recht im Krieg und zur Humanisierung der Kriegsführung hin.1202 Diese Bemühungen sind zwar noch nicht als Überwindung des „Recht(s) zum Krieg“ zu bewerten, können aber zumindest als Versuch angesehen werden, die Folgen des Krieges abzumildern. b) Mechanismen zur Hegung des Krieges nach dem europäischen Völkerrecht Mit der Entwicklung des Souveränitätsbegriffs wurde jedem Staat das Recht zum Kriege zugestanden. Das Militär und der Krieg wurden zunehmend zur letztinstanzlichen Entscheidung im Wettbewerb zwischen den Staaten.1203 Es wurde zwar nicht mehr nach dem gerechten Krieg gefragt, aber es wurden Wege gesucht, die Kriege auf andere Weise zu vermeiden. Die europäische Gleichgewichtspolitik vom 17. bis zum 19. Jahrhundert ist nach Carl Schmitt ein Beispiel für eine solche Kriegsvermeidung.1204 Nachdem die Gleichgewichtspolitik jedoch nicht in der Lage war, den Ersten Weltkrieg zu verhindern, wurde in der Zwischenkriegszeit versucht, mit den Mitteln des Völkerrechts die Kriege zu ächten und somit zu vermeiden. Im Folgenden sollen die beiden Mechanismen zur Kriegsvermeidung vorgestellt werden, die als Korrektiv zur Souveränität und dem Recht zum Krieg gelten können.
1200 Die kontinental-europäischen Staaten verstanden den Krieg dabei, angelehnt an die Kabinettskriege, als Auseinandersetzung zwischen den Staaten und ihren mit der Kriegsführung beauftragten Organen. Die angelsächsischen Staaten verstanden den Krieg jedoch, angelehnt an die Seekriege, umfassender. Alle Individuen waren demnach, wie die Regierungen selbst, unmittelbare Kriegsteilnehmer. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 628 – 629; Schmitt, Carl, „Die Wendung zum totalen Staat (1931)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 238. 1201 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 93. 1202 1864 wurde etwa, aufgrund eines Aufrufes von dem Genfer Jean Henri Dunant, die Genfer Konvention angenommen, die unter anderem vorsah, dass im Krieg Verwundete als „Neutral“ zu behandeln seien. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 249 – 250. 1203 Duchardt, Heinz, Balance of Power und Pentarchie: Internationale Beziehungen 1700 – 1785, 1997, S. 40 – 41. 1204 Nach Schmitt habe das auf den europäischen Raum begrenzte ius publicum europaeum, das den Gleichgewichtsgrundsatz in sich trage, bis zum Ersten Weltkrieg einen entscheidenden Beitrag für die Hegung des Krieges geleistet. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 112; Odysseos, Louiza/Petito, Fabio, Introduction. The international political thought of Carl Schmitt, in: Odysseos/Petito (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 208), S. 6 – 8. Schulze sieht im Gleichgewichtsgedanken auch eine gewisse Nachwirkung mittelalterlicher Vorstellungen von göttlichem und natürlichem Recht. Vgl. Schulze, Staat und Nation (Fn. 125), S. 85.
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aa) Lösungsansatz des 17. bis zum 19. Jahrhundert: Gleichgewichtspolitik Die Gleichgewichtspolitik basiert auf dem Grundgedanken, dass es eine gewisse „labile Stabilität“ geben wird, wenn zwischen mehreren Staaten eine gewisse Balance der Macht existiert, da ein stärkerer Staat nicht in der Lage sein wird, seine Interessen ungehindert durchzusetzen, weil die schwächeren Staaten ein Interesse am status quo haben1205 und somit etwaige Expansionen verhindert werden.1206 Gleichzeitig ist diese angebliche Stabilität in Wahrheit aufgrund der sich ändernden Mächteverhältnisse eigentlich eine einzige Volatilität.1207 Im Folgenden soll die Periode der Gleichgewichtspolitik in ihren Anfängen und in ihrer institutionalisierten Ausprägung als sog. Pentarchie beleuchtet werden. (1) Geschichtliche Anfänge Die Gleichgewichtspolitik entwickelte sich aus dem Versuch, unter Wahrung der Souveränität der Staaten Kriege zu vermeiden. Bereits im 18. Jahrhundert war das Gleichgewicht einer der Schlüsselbegriffe der Staatenpolitik und der politischen Publizistik.1208 Das Gleichgewichtsprinzip wurde nach dem Frieden von Utrecht von 1713 sogar als grundlegender Verfassungsgrundsatz des europäischen Völkerrechts1209 angesehen.1210 In der Staatenpraxis führte dies im 18. Jahrhundert zu einer
1205 Der Gedanke ist eigentlich nicht nur auf die Staatenwelt begrenzt, sondern kann in jeder Stufe der Gesellschaft beobachtet werden. Vgl. Beloff, Balance (Fn. 2), S. 4. 1206 Morgenthau, Politics (Fn. 2), S. 185. Habermas sieht in dem politischen Machtgleichgewicht eine Voraussetzung für die stabilisierende Wirkung des Völkerrechts. Vgl. Habermas, Westen (Fn. 522), S. 119. 1207 Morgenthau, Politics (Fn. 2), S. 186. 1208 Duchardt, Pentarchie (Fn. 1203), S. 11. Christian Wolff sah etwa angesichts des hohen Risikos für Angreifer in dem Gleichgewichtsprinzip eine Möglichkeit, Kriege zu vermeiden. Vgl. Erbe, Michael, Revolutionäre Erschütterung und Erneuertes Gleichgewicht 1785 – 1830, 2004, S. 26. 1209 Die Erhaltung des Gleichgewichts wurde gar als völkerrechtlicher Interventionsgrund anerkannt. Dahinter steckte der Gedanke, dass durch einen vernünftigen Interessenausgleich der Frieden bewahrt bleibe und das Gemeinwohl gefördert würde. Zur Erreichung dieses Zweckes konnten eben auch Interventionsmaßnahmen ergriffen werden. Im Französischen Zeitalter war das Gleichgewichtsprinzip also bereits ein konstitutiver und gültiger Rechtssatz des europäischen Völkerrechts. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 392 – 393; von Elbe, Joachim, Die Wiederherstellung der Gleichgewichtsordnung in Europa durch den Wiener Kongreß, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 4 (1934), S. 226 – 260 (231). 1210 Nachdem durch den Westfälischen Frieden das Souveränitätsprinzip 1648 von der europäischen Staatenwelt anerkannt wurde, wurde im Frieden von Utrecht von 1713 das Prinzip des Gleichgewichtes – das „iustum potentiae aequilibrium“ – als zweites wichtiges völkerrechtliches Prinzip festgehalten. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 328; Müller, Klaus, Die Idee des europäischen Gleichgewichts in der Frühen Neuzeit, in: Hecker (Hrsg.), Europa (Fn. 2), S. 66.
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teils erheblichen Einmischung von Großmächten1211 in die Angelegenheiten kleinerer Staaten.1212 Trotzdem führte diese Praxis nicht zu einer systematischen Völkerrechtslehre des Gleichgewichts der Mächte.1213 So wurde bereits die Stellung als Großmacht nicht institutionalisiert,1214 sondern basierte lediglich auf dem überlegenen militärischen1215 bzw. wirtschaftlichen Potenzial der jeweiligen Großmacht.1216 (2) Die Pentarchie und die Hegung des Krieges ab dem 19. Jahrhundert Die europäischen Großmächte1217 verdichteten unter dem Eindruck der napoleonischen Kriege1218 das Gleichgewichtsprinzip im 19. Jahrhundert dann in ein komplexes Staatensystem.1219 Im Zuge der Neuordnung der europäischen Staaten1211 Andererseits kann aber auch eine erhebliche Verringerung der Anzahl der Kriege im Vergleich zum 17. Jahrhundert festgestellt werden, die jedoch auch der Verarmung der Staaten, als Konsequenz der Kriege im 17. Jahrhundert, geschuldet war. Vgl. Duchardt, Pentarchie (Fn. 1203), S. 407; dazu kommt, dass die militärischen Auseinandersetzungen im 18. Jahrhundert oftmals gerade keine ausschlaggebende Auswirkung auf die Lösung der Konflikte hatten, sondern zunehmend die Erfahrung von „Erschöpfungsfrieden“ gemacht wurde. Da die Kriege auch nicht ideologisch aufgeladen waren, war die schnelle Beilegung der Konflikte ein wichtiges Ziel der kriegsführenden Parteien. Vgl. Duchardt, Pentarchie (Fn. 1203), S. 56. 1212 So hatte zum Beispiel die Dreiteilung Polens von 1772, 1793 und 1794 wesentlich mit dem Interessenausgleich zwischen Russland, Preußen und Österreich zu tun und weniger mit dem eigenen Interesse von Polen. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 395 – 396. Morgenthau spricht von einer gar amoralischen Sicht der Großmächte auf die Macht, die letztlich aber trotzdem zu einem gewissen Gleichgewicht führten. Vgl. Morgenthau, Politics (Fn. 2), S. 201. 1213 Duchardt, Pentarchie (Fn. 1203), S. 10. 1214 Es gab zwar einen Hierarchiegedanken der fürstlichen Diplomaten, die zwar förmlich die Gleichheit der Staaten aller europäischen Staaten akzeptierten, aber letztlich eine gewisse informelle Über- und Unterordnung der Staaten kannten. Diese Hierarchisierung der Staaten war jedoch nicht institutionalisiert. Vgl. Duchardt, Pentarchie (Fn. 1203), S. 31. 1215 Im 18. Jahrhundert war Europa in Staaten, die einen alleinigen Krieg führen können (Großbritannien und Frankreich), Staaten, die nur in Allianz mit einem anderen Staat Krieg führen können (Österreich, Russland, Preußen, Spanien, Dänemark), und Staaten, die nur Hilfstruppen beisteuern können (Portugal, Piemont-Sardinien, Schweden, Niederlande, deutsche Staaten), eingeteilt. Vgl. Duchardt, Pentarchie (Fn. 1203), S. 95. 1216 Duchardt, Pentarchie (Fn. 1203), S. 8. 1217 Der Begriff Großmacht an sich wurde im 18. Jahrhundert eingeführt und im 19. Jahrhundert allgemein gebraucht. Vgl. Baumgart, Winfried, Europäisches Konzert und nationale Bewegungen: Internationale Beziehungen 1830 – 1878, 1999, S. 147. 1218 Unter dem napoleonischen Herrschaftssystem existierte dann für eine kurze Zeit ein Regime, das eine Universalmonarchie in Anspruch nahm. Vgl. von Elbe, Wiener Kongreß (Fn. 1209), S. 226 – 260 (232 – 233). 1219 Im Vergleich zu dem Gleichgewichtssystem im 19. Jahrhundert war dieses System im 18. Jahrhundert noch schwach ausgeprägt. Das Gleichgewichtssystem war krude und einfach gestaltet, und der egoistische Machtgedanke der Staaten dominierte in den Beziehungen zwischen den Staaten. Vgl. Baumgart, Europäisches Konzert (Fn. 1217), S. 151 – 152; das neue System sollte das „soziale Gebäude Europas“ neu errichten. Vgl. von Elbe, Wiener Kongreß (Fn. 1209), S. 226 – 260 (242).
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welt durch den Wiener Kongress von 18151220 bildete sich, bereits im Rahmen der Vorkonferenzen im Jahre 1814, die sog. Heilige Allianz.1221 Die Staaten der Heiligen Allianz wurden dann mit England und Frankreich Teil des Staatensystems, das europäische Pentarchie oder Europäisches Konzert genannt wird.1222 Die Idee eines friedenssichernden Gleichgewichts wurde nun so interpretiert, dass ein „Direktorium der Großmächte“ die Geschicke Europas lenken sollte.1223 Somit wurde ein streng hierarchisches europäisches Staatensystem geschaffen. Konflikte kleinerer Staaten wurden autoritär zwischen den Großmächten geregelt.1224 Das Gleichgewichtsystem fand ursprünglich lediglich innerhalb Europas, nicht jedoch auf Angelegenheiten außerhalb von Europa, Anwendung.1225 Ein Ende dieses europäischen Gleichgewichtssystems wurde durch die Politik des englischen Außenministers George Canning forciert.1226 Canning betonte in einer Rede vom 12. 12. 1826, dass er das Gleichgewichtsystem nicht mehr auf Europa, sondern auf die ganze Welt übertragen wolle.1227 Ein Schritt, der zu der Schmitt’schen Kritik passt, dass durch die unterschiedslose Anwendung der europäischen Prinzipien auf den gesamten Globus ein systemloses Nebeneinander von Staaten entstanden sei.1228
1220 Nach den napoleonischen Kriegen war das Gleichgewichtsprinzip maßgebend für die Neuordnung Europas. Vgl. Baumgart, Europäisches Konzert (Fn. 1217), S. 146. 1221 Die Heilige Allianz bestand zwischen Russland, Preußen und Österreich. Vgl. Erbe, Gleichgewicht (Fn. 1208), S. 23. 1222 England und Russland waren zu dieser Zeit die zwei wichtigsten Großmächte. Vgl. Erbe, Gleichgewicht (Fn. 1208), S. 24 – 25. Freilich unterlag das Gleichgewichtssystem auch einem gewissen Wandel, da auch der Status der Großmächte, die sich innerhalb Europas allzuständig fühlten, durchaus wandelbar war. England war eine globale Weltmacht, die auf dem gesamten Erdball präsent war. Russland war ebenfalls eine europäisch, asiatisch und amerikanische Macht (siehe Alaska), während die kontinentalen Mächte Frankeich, Preußen und Österreich deutlich schwächer waren. Vgl. Baumgart, Europäisches Konzert (Fn. 1217), S. 148. England spielte in diesem System die Rolle des Beobachters, der jede potenziell aufkommende europäische Großmacht aufspüren und diese in Grenzen halten würde. Vgl. Beloff, Balance (Fn. 2), S. 2. 1223 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 502 – 503: Erbe, Gleichgewicht (Fn. 1208), S. 30 – 31; von Elbe, Wiener Kongreß (Fn. 1209), S. 226 – 260 (243). 1224 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 505; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 208; von Elbe, Wiener Kongreß (Fn. 1209), S. 226 – 260 (244). 1225 Außerhalb Europas existierte ein ähnlich labiles Gleichgewicht zwischen England und Russland, nicht jedoch ein institutionalisiertes Staatensystem. Vgl. Baumgart, Europäisches Konzert (Fn. 1217), S. 149 – 150. 1226 Dieser positionierte sich insbesondere gegen die Vorhaben der übrigen europäischen Großmächte, indem er etwa die Monroe-Doktrin von 1823 unterstützte. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 506; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 210 – 211. England sah sich selbst nicht als Bestandteil des europäischen Gleichgewichtssystems und griff nur ein, wenn die eigenen Handelsinteressen gefährdet erschienen. Vgl. Schulze, Staat und Nation (Fn. 125), S. 87. 1227 Morgenthau, Politics (Fn. 2), S. 202. 1228 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im ,International Law‘ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 377.
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Der letzte Versuch, noch einmal durch ein Direktorium der europäischen Großmächte eine Lösung herbeizuführen, war der Berliner Kongress von 1878,1229 der von Bismarck einberufen wurde.1230 Die rein europäische Gleichgewichtspolitik endete mit dem Berliner Kongress, da sich kein neues Europäisches Konzert mehr bilden konnte.1231 Das europäische Gleichgewichtssystem ging in eine weltweite Gleichgewichtspolitik auf, die – so Schmitt – keine ordnende Funktion ausüben konnte und letztlich zum Ersten Weltkrieg führen sollte.1232 bb) Lösungsansatz des 20. Jahrhunderts: Gewaltverbot Die zunehmende Komplexität der Staatenwelt und die dynamische Entwicklung des Machtgefüges zwischen den Großmächten führten zum Scheitern des Gleichgewichtskonzeptes in Europa. Anstelle der Gleichgewichtssicherung durch ein Europäisches Konzert strebte die Staatenwelt zunehmend ein Gewaltverbot an, das durch völkerrechtliche Institutionen und Verträge gesichert werden sollte. Letztlich konnten diese Bemühungen jedoch weder den Ersten noch den Zweiten Weltkrieg aufhalten. Im Folgenden soll die Entwicklung des Gewaltverbotes beleuchtet werden, um anschließend die Kritik von Carl Schmitt an jener Kriegsächtung besser verstehen zu können. (1) Geschichtliche Anfänge Geschichtliche Anfänge der modernen Kriminalisierung des Krieges finden sich bereits in dem Völkerrecht der Französischen Revolution, wobei man sich dabei durchaus auf die Idee des „gerechten Krieges“ zurückbesann.1233 Immanuel Kant (1724 – 1804) leistete in diesem Zusammenhang einen entscheidenden Beitrag1234 1229 Durch diesen Kongress sollte die Situation nach dem russisch-türkischen Krieg von 1877/78 geregelt werden. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 511 – 513. 1230 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 99 – 100. 1231 Letztlich wurde im Berliner Kongress eine Regelung gefunden, die Russland als nachteilig empfand. Durch den zunehmenden Einfluss der neuen Mächte, wie etwa Deutschland und Italien, sowie wegen der Rivalität der europäischen Großmächte in der fortschreitenden Kolonialisierung konnte sich in der Folgezeit kein neues Direktorium im Sinne eines Europäischen Konzerts mehr finden. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 510 – 514; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 214. 1232 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im ,International Law‘ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 381 – 382. 1233 Die Nationalversammlung kam 1790 zum Ergebnis, dass nur der Krieg gerecht sei, der zur Verteidigung der Souveränität, der Freiheit oder des Eigentums erfolgte, nicht jedoch der Angriffskrieg. Darüber hinaus wurde die Idee der Kriminalisierung des Kriegsverbrechers eingeführt. Die Kriegsverbrecher waren Feinde der Menschen und verdienten keine Schonung und keinen Kriegsgefangenenstatus. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 498. 1234 Das Werk hat auf die Friedenstheorien der Folgezeit gewirkt und insbesondere auf den Völkerbund sowie die Vereinigten Nationen einen entscheidenden Einfluss gehabt. Vgl. von Raumer, Kurt, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, 1953, S. 169. Kants „Zum ewigen Frieden“ war für die Entstehung des klassischen Liberalismus
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mit seinem Werk „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf“ von 1795, das unter dem Eindruck der Aufklärung sowie der Französischen Revolution entstand.1235 Kant sah den ewigen Frieden nicht als Utopie, sondern als durchaus erreichbares Ziel an, auch wenn es eines langwierigen Prozesses der schrittweisen Annäherung bedürfe.1236 Kant kritisierte das ius ad bellum grundsätzlich.1237 Die Ideologie des Siegs, die dem Institut des Kriegs innewohnt, stellte für Kant kein Recht dar.1238 Der Staat ist nach Kant ein durch Gesellschaftsvertrag gegründeter Verband und hat somit eine moralische Verpflichtung gegenüber der Völkerrechtsgemeinschaft.1239 Kant propagiert die Gründung eines Völkerbundes,1240 in dem eine republikanische Verfassungshomogenität bestehen sollte. Diese Homogenität würde dazu führen, dass das friedliche Nebeneinander – auch ohne völkerrechtliche Regulierung oder ausdrückliche Vereinbarung – aufgrund der Neigung der republikanischen Staaten zum Frieden gewährleistet werden kann.1241 Die Kant’sche Idee eines Völkerbundes realisierte sich zwar nicht sofort, aber bereits im 19. Jahrhundert entwickelte sich ein Bestreben, Abrüstungsabkommen abzuschließen, die letztlich in den Haager Konferenzen mündeten.1242 Die Haager entscheidend. So: Gu, Xuewu, Theorien der internationalen Beziehungen: Einführung, 1999, S. 103 – 104. Habermas bezeichnet das Werk als sozialontologischen Gegensatz zu Schmitts Völkerrechtskonzeption. Vgl. Habermas, Westen (Fn. 522), S. 187 – 193. 1235 von Raumer, Ewiger Friede (Fn. 1234), S. 152. 1236 Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 160. 1237 von Raumer, Ewiger Friede (Fn. 1234), S. 168; Habermas, Einbeziehung (Fn. 1053), S. 192. 1238 Kant, Immanuel, Frieden. Ein philosophischer Entwurf, 1795, Zweiter Definitivartikel zum ewigen Frieden (zitiert wird die Ausgabe herausgegeben von Franz Kobler, 1917, S. 31). 1239 Tesón, Philosophy (Fn. 981), S. 8. 1240 von Raumer, Ewiger Friede (Fn. 1234), S. 166 – 167; der entscheidende zweite Definitivartikel Kants dazu lautet: „Das Völkerrecht soll auf einen Förderalism freier Staaten gegründet sein.“ Vgl. Kant, Frieden (Fn. 1238), Zweiter Definitivartikel zum ewigen Frieden (S. 29). Den Begriff des Völkerbundes nutzte Kant bereits. Vgl. Kant, Frieden (Fn. 1238), Zweiter Definitivartikel zum ewigen Frieden (S. 29); für ihn war es ein Friedensbund (foedus pacificum), der alle Kriege auf immer zu beenden versucht. Vgl. Kant, Frieden (Fn. 1238), Zweiter Definitivartikel zum ewigen Frieden (S. 31). Habermas sieht die Besorgnis Kants, dass eine Weltherrschaft eines einzigen Gewaltmonopolisten entstehen könnte, als Grund dafür an, dass anstatt eines Völkerstaates ein Völkerbund propagiert worden ist. Vgl. Habermas, Westen (Fn. 522), S. 127. 1241 Gu, Internationale Beziehungen (Fn. 1234), S. 110. Habermas sieht darin die Schaffung eines Weltbürgerrechts, das den Naturzustand beenden würde und ähnlich wie das staatlich sanktionierte Recht gelten würde. Vgl. Habermas, Einbeziehung (Fn. 1053), S. 195. 1242 Die erste Haager Konferenz vom 18.05. bis zum 29. 07. 1899 sollte die Abrüstung bewirken, blieb aber weitgehend erfolglos. Es wurden lediglich einige besonders grausame Waffen verboten. Weiterhin gab es nur marginale Einigungen zur Schiedsgerichtsbarkeit und zur Errichtung eines internationalen Friedenssicherungsmechanismus. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 102 – 104; bereits die Drago-Porter-Konvention in der Zweiten Haager Friedenskonferenz von 1907 wird als Anfang des Gewaltverbots gesehen. Die Drago-PorterKonvention gründet auf der Drago-Doktrin. Dies ist ein auf den argentinischen Außenminister
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Konferenzen brachten jedoch keinerlei wirklich verbindliche Verpflichtungen für eine Kriegsvermeidung.1243 Diese völkerrechtlichen Verpflichtungen erfolgten erst durch die Völkerbundsatzung. Trotzdem sind die Haager Konferenzen als erster Versuch, den Krieg zu begrenzen und die Kriegsführung zu humanisieren, anzusehen.1244 Die Kant’sche Idee beeinflusste das idealistische Völkerrechtsdenken in der Zwischenkriegszeit entscheidend: Der Kern dieser Idee war, dass ein kosmopolitisches Nebeneinander der Staaten möglich sei. Gerade diese universalistischen Tendenzen des Kant’schen Friedens kritisiert Schmitt, da dadurch der Feind seiner Konzeption ein „ungerechter Feind“ wird, gegen den gar ein „Kreuzzug“ gerechtfertigt werden kann.1245 (2) Kriegsvermeidung durch den Genfer Völkerbund Nach dem Ersten Weltkrieg nahm die Idee der Kriegsächtung eine neue Dimension an, in deren Mittelpunkt der Genfer Völkerbund stand.1246 Obwohl sich dabei viele auf Hugo Grotius beriefen, stammte die Idee der Kriegsächtung aus der Zeit der Französischen Revolution.1247 Carl Schmitt redet in diesem Kontext von einer Wendung zu einem diskriminierenden Kriegsbegriff.1248 Der Völkerbund an sich trägt die Idee des Gleichgewichts in sich, da auf institutionalisierte Weise den Staaten, die sich nicht an das Völkerrecht halten, eine gemeinsame Reaktion angedroht wurde.1249 Der Genfer Völkerbund sah ein Frie-
Louis Drago zurückgehender Grundsatz, der wiederum aus der Monroe-Doktrin entstammt. Dieser Grundsatz besagte, dass eine bewaffnete Intervention zum Zwecke der Schuldeintreibung eine ultima ratio darstellen müsse und etwaige Mittel zur friedlichen Erledigung ausgeschöpft werden müssten. Vgl. Pohl, Heinrich, Die Porter-Konvention vom 18. 10. 1907, in: Pohl, Völkerrecht (Fn. 759), S. 156 – 164; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 473; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 64; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 254 – 255; das Dritte Haager Abkommen von 1907 erweiterte die Verpflichtungen des kriegstreibenden Staates und sah vor, dass einem Krieg zunächst eine Kriegserklärung vorausgehen müsse. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 903. 1243 Diggelmann, Völkerrechtssoziologie (Fn. 4), S. 20. 1244 Die Haager Konferenzen werden teilweise auch kritisiert, da die Solidarität der europäischen Staaten aufgegeben wurde und nunmehr auf die Gemeinschaft der zivilisierten Nationen abgestellt wurde. Dadurch sei die Möglichkeit den Krieg durch Politik zu rationalisieren, eingeschränkt geworden. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 636 – 637. 1245 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 141; die entscheidende Pointe der Kant’schen Konzeption ist, dass das so geschaffene „Weltbürgerrecht“ unmittelbar auf den Einzelnen anwendbar wäre und somit eine persönliche Haftung entstehen würde. Das führt zu einer Pan-Kriminalisierung. Vgl. Habermas, Einbeziehung (Fn. 1053), S. 211, 220. 1246 Diggelmann, Völkerrechtssoziologie (Fn. 4), S. 21. 1247 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 728. 1248 Schmitt, Diskriminierender Kriegsbegriff (Fn. 130). 1249 Beloff, Balance (Fn. 2), S. 50 – 51.
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denssicherungssystem vor, indem der Krieg1250 zwar geächtet, aber nicht ausdrücklich verboten war.1251 Der Grund des Krieges wurde in einem Mangel an Normbeachtung gesehen, und durch klare Regelungen sollte eine Kriegsvermeidung gewährleistet werden.1252 Insgesamt war die Idee eines Gewaltverbotes also noch nicht explizit in der Völkerbundsatzung enthalten. (3) Briand-Kellogg-Pakt von 1928 Der Briand-Kellogg-Pakt vom 27. 08. 1928 wurde von dem französischen Außenminister Aristide Briand (1862 – 1932) und dem amerikanischen Außenminister Frank Billings Kellogg (1856 – 1937) auf den Weg gebracht und von vielen Staaten unterschrieben.1253 Der Pakt spricht eine Ächtung des Krieges als Mittel zur Lösung internationaler Streitfälle aus und verspricht einen Verzicht des Krieges als Mittel der Politik.1254 Alle Kriege, mit Ausnahme der Selbstverteidigung,1255 wurden als Gewalt 1250
Schmitt kritisiert die Unschärfe des Kriegsbegriffes in der Genfer Völkerbundsatzung entschieden. Der Satzungsbrecher führe genauso Krieg, wie auch derjenige, der die Gegenaktion ausführe. Auch die durch die Völkerbundsatzung gebotenen Sanktionskriege seien „Kriege“. Es sei also eine Unterscheidung eingeführt worden, die nicht eingehalten werden kann. Vgl. Schmitt, Diskriminierender Kriegsbegriff (Fn. 130), S. 49 – 50. 1251 Es gab nur drei relative Kriegsverbote in den Artikeln 12, 13 und 15 sowie das Angriffsverbot des Artikels 10. Art. 12 I enthielt das Verbot, innerhalb der ersten drei Monate nach einer gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Entscheidung oder dem Bericht des Rates zum Kriege zu schreiten. Art. 13 IV 1 enthielt das Verbot, gegen ein Mitglied in den Krieg zu ziehen, dass sich der Schiedsgerichtsbarkeit unterworfen hat. Art. 15 VI enthielt ein Kriegsverbot gegen eine Partei, die sich auf ein Vermittlungsverfahren eingelassen hatte. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 136. 1252 Es sollte also nicht der Krieg verboten, sondern vielmehr ein Verfahren der Friedenserhaltung eingeführt werden. Die Staaten verpflichteten sich zunächst als Mitglieder des Völkerbundes zu den Zielen des Völkerbundes, also der Förderung der Zusammenarbeit unter den Nationen und in der Gewährleistung des internationalen Friedens und der Sicherheit. Danach wurden klare Regelungen zur Einhaltung des Friedens eingeführt. In den Artikeln 8 und 9 wurde die Rüstungsbeschränkung geregelt. Danach wurden Regelungen der friedlichen Streitbeilegung in den Artikeln 10 bis 14 etabliert und letztlich Kriegsverbote und Garantievorschriften zur Durchführung dieser Verbote in den Artikeln 16 und 17 festgelegt. Diese Sanktionsmechanismen des Artikels 16 besagten, dass ein Bundesmitglied, das entgegen den Verpflichtungen aus den Artikeln 12, 13 und 15 einen Krieg beginnt, ohne weiteres so angesehen würde, als hätte es eine Kriegshandlung gegen alle anderen Bundesmitglieder begangen. Der Rat hatte darüber hinaus eine Ad-hoc-Eingreiftruppe vorgeschlagen, die die Achtung der Bundesverpflichtungen durchsetzen sollte. Weiterhin war auch ein Ausschluss des Aggressors aus dem Völkerbund möglich. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 131 – 137. 1253 Der Briand-Kellogg-Pakt wurde zunächst im Jahre 1927 von Briand als bilaterale Vereinbarung zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich vorgeschlagen. Sie beinhaltete bereits den Verzicht auf den Krieg als politisches Mittel und die Erledigung der Streitigkeiten auf friedlichem Wege. Daraufhin schlug Kellogg vor, diese gemeinsame Erklärung von allen Großmächten unterschreiben zu lassen und auf den Krieg als Ganzes zu verzichten. Die französische Regierung machte daraufhin den Vorschlag, nur Angriffskriege zu ächten. Vgl. Borchard, Edwin, The Kellogg Treaties Sanction War, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 1 (1929), S. 126 – 131 (126). 1254 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 155.
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geächtet.1256 Es ist das erste vollumfassende Verbot des Krieges1257 als Mittel der internationalen Politik.1258 Eine Sanktion sah der Pakt jedoch nicht vor, was die Effektivität des Paktes erheblich minderte.1259 Weiterhin ist der Rechtscharakter des Paktes, gerade von deutschen Juristen, aufgrund seiner Unbestimmtheit in Zweifel gezogen worden.1260 Die Unbestimmtheit des Briand-Kellogg-Pakts führte dazu, dass es letztlich der Entscheidung der souveränen Staaten überlassen wurde, was als Angriffs- und was als Verteidigungskrieg zu verstehen sei, was letztlich einer Gestattung des Krieges als Mittel der Politik gleichkam.1261 Weiterhin räumten sich die Vereinigten Staaten sowie Großbritannien mehrere Vorbehaltstatbestände ein.1262 Dies führte dazu, dass andere Vertragsstaaten, wie etwa Deutschland, den Briand-Kellogg-Pakt als ein Oktroi verstanden und die Siegermächte des Ersten Weltkrieges, wie etwa die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich, als Nutznießer des Systems der Kriegsächtung angesehen wurden.1263 (4) Scheitern des Kriegsverbots vor dem Zweiten Weltkrieg Letztlich hatte das Kriegsverbot vor dem Zweiten Weltkrieg nur sehr wenig tatsächlichen Erfolg. Am 27. 03. 1933 verließ etwa Japan den Völkerbund. Hinter1255
Dass dadurch die zunächst sehr weitgehende Kriegsächtung stark eingeschränkt würde, war schon den Beteiligten und auch Kellogg bewusst. Jedoch wurde dem Einwand der französischen Regierung stattgegeben, dass Verteidigungskriege möglich sein müssen. Der Begriff „Selbstverteidigung“ blieb dabei freilich sehr vage und unspezifisch. Die Lesart Kelloggs, dass nur die Verteidigung gegen Angriffe auf das eigene Territorium gemeint sei, wurde jedenfalls nicht allgemein akzeptiert. Vgl. Borchard, Kellogg Treaties (Fn. 1253), S. 126 – 131 (127 – 128). 1256 Diggelmann, Völkerrechtssoziologie (Fn. 4), S. 23. 1257 Vorgänger eines Gewaltverbotes war, neben der Völkerbundsatzung, etwa das Genfer Protokoll vom 24. 10. 1924, das auf einem Kriegsverhütungssystem auf der Grundlage des Verbots des Angriffskrieges und der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit aufbaute. Schon die Ablehnung einer kollektiven Streiterledigung wurde als Angriffshandlung eingestuft. Dieses Protokoll scheiterte jedoch an dem Widerstand von Großbritannien. Auch die Genfer Generalakte für die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten vom 26. 09. 1928 konnte letztlich keinen entscheidenden Einfluss auf die politische Entwicklung nehmen. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 725; Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 137. 1258 Militärische Repressalien wurden jedoch nicht ausgeschlossen. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 903. 1259 Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 155 – 157; Diggelmann, Völkerrechtssoziologie (Fn. 4), S. 23. 1260 Vgl. etwa Bilfinger, Kriegserklärungen (Fn. 519), S. 1 – 23 (7). 1261 Bilfinger, Kriegserklärungen (Fn. 519), S. 1 – 23 (1 – 10). 1262 Für die Vereinigten Staaten war dies insbesondere die Einhaltung der Monroe-Doktrin. Für Großbritannien hingegen waren dies die sog. „besonderen Lebensinteressen“. Zur Abwehr dieser Interessen sollte also eine Ermächtigung zum Krieg für diese Staaten gegeben sein. Vgl. Bilfinger, Kriegserklärungen (Fn. 519), S. 1 – 23 (11 – 14). 1263 So etwa Bilfinger, Kriegserklärungen (Fn. 519), S. 1 – 23 (15 – 16).
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grund war der Mandschurei-Konflikt1264 und der zweite sino-japanische Krieg, die vom Völkerbund als Angriffskriege gesehen wurden1265 : Ein Vorgang, der die Wirksamkeit des Völkerbundes als solches infrage stellte.1266 Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, waren die Kriegsverbote1267 sowie der Genfer Völkerbund wirkungslos.1268 Die Probleme des Kriegsrechts nach dem Ersten Weltkrieg waren die erheblichen Unklarheiten der Regelungen und die einhergehende Moralisierung.1269 Weiterhin blieb der Völkerbund nur ein unvollständiges Abbild der Staatenwelt, da wichtige Großmächte, wie die USA, kein Mitglied waren. Ein kollektives Sicherheitssystem konnte sich deshalb nicht herausbilden.1270 Insgesamt scheiterte deshalb der Ansatz, den Krieg durch etwaige Gewaltverbote zu vermeiden. 2. Die Großraumtheorie und die Hegung des Krieges Für Schmitt ist nicht das Kriegsverbot, sondern die Hegung des Krieges, etwa durch das Gleichgewichtsprinzip des ius publicum europaeum,1271 ein erstrebens1264 Der Mandschurei-Konflikt 1931/1932 wurde von beiden Seiten heruntergespielt und nicht als Krieg angesehen. Vgl. Diggelmann, Völkerrechtssoziologie (Fn. 4), S. 23. 1265 Die Lytton Kommission stellte im Handeln Japans in China eine rechtswidrige Aggression Japans fest. Vgl. Hata, Ikuhiko, Continental expansion, 1905 – 1941, in: Duus, Peter (Hrsg.), The Cambridge History of Japan Volume 6: The Twentieth Century, 1988, S. 298. 1266 Schon zuvor hatten die Sanktionsmechanismen des Völkerbundes weder im italienischäthiopischen Konflikt 1935/36 noch im spanischen Bürgerkrieg 1936/39 eine Rolle gespielt. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 156. 1267 Lediglich nach Kriegsende konnte der Briand-Kellogg-Pakt herangezogen werden, um Kriegsverbrechen der Hauptverantwortlichen zu begründen. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 733. 1268 Die Begründungen der Kriegserklärungen von Frankreich und Großbritanniens an Deutschland beinhalteten Hinweise auf den Kellogg-Pakt. Letztlich konnten diese Hinweise jedoch keinerlei Überzeugungskraft auf die nationalsozialistische Regierung entfalten und wurden von den deutschen Juristen heftig kritisiert. Vgl. etwa Bilfinger, Kriegserklärungen (Fn. 519), S. 1 – 23. 1269 Diese Unklarheiten führten letztlich dazu, dass diejenigen Staaten, die die Lesart von wichtigen Begriffen wie etwa „Angriffskrieg“ bestimmten, auch diejenigen waren, die das Kriegsrecht faktisch monopolisieren konnten. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 731 – 732. Hintergrund dieser Auslegungsbedürftigkeit der Regelungen war die englisch geprägte Sicht, dass langfristige und bestimmte Bindungen abzulehnen seien und dass wirtschaftlicher Druck die Gewaltanwendung ersetzen könne. Vgl. Beloff, Balance (Fn. 2), S. 51. 1270 Beloff, Balance (Fn. 2), S. 52. 1271 Die „Hegung des Krieges“ war nach Schmitt die besondere Leistung, die das Gleichgewichtsprinzip für die europäische Staatenwelt gebracht hatte. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 161. Pattloch betont, dass Schmitt dieses Gleichgewichtsprinzip als wesentliches Grundlage für den Nomos der Erde angesehen hatte. Gerade in der Fragestellung nach einer Möglichkeit der Hegung des Krieges sieht er das große Verdienst Schmitts. Vgl. Pattloch, Ordnung und Ortung (Fn. 494), S. 108, 122.
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wertes Ziel. Dies gilt auch im Kontext der Großraumtheorie, die auch als Theorie zur Hegung des Krieges verstanden werden kann. Für Schmitt sind letztlich die Großmächte Träger einer jeden Raumordnung,1272 was auch im europäischen Völkerrecht des 19. Jahrhunderts der Fall gewesen sei.1273 In der europäischen Völkerrechtsordnung des 19. Jahrhunderts habe kein regelloses Chaos egoistischer Machtwillen, sondern ein Nebeneinander von gleichberechtigten Staaten auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung bestanden.1274 Kriege in diesem System waren nach Schmitt stets nur Kabinettskriege, also Kriege zwischen abstrahierten Völkerrechtssubjekten.1275 Gerade diese Entwicklung von den mittelalterlichen Kriegen zu den emotionslosen, abstrahierten und deshalb nicht-diskriminierenden Kriegen sei nach Schmitt eine große Leistung der Völkerrechtslehre des 16. bis 18. Jahrhunderts.1276 Die Fähigkeit, einen „iustus hostis“ anzuerkennen, ist der Anfang allen Völkerrechtes für Schmitt.1277 Diese Ausgangslage hat sich nach Schmitt jedoch grundlegend geändert, indem nun allgemeingültige, universelle Prinzipien der Kriegsächtung eingeführt worden seien. Kriegsverbrecher als Personen waren nun „hors la loi“;1278 der Krieg gegen diese Kriegsverbrecher wurde zum totalen Krieg.1279 Außerdem habe sich das europäische Völkerrecht nun in einem „International Law“ aufgelöst und es sei nur noch ein Nebeneinander von „angeblich souveränen“ Staaten gegeben, was das Konfliktpotenzial gesteigert habe.1280 Eine Rückkehr zum Gleichgewichtsprinzip, in dem eine Art „Weltgleichgewicht“ zwischen Staaten im herkömmlichen Sinne ausgerufen wird, ist für Schmitt nicht denkbar.1281 Im Folgenden soll die Prognose von Carl Schmitt, dass der Krieg sich von einem Kabinettskrieg zu einem diskriminierenden, totalen Krieg geändert habe, näher analysiert werden, um auf die Großraumtheorie als Theorie zur Hegung des Krieges 1272
Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 162. Das Völkerrecht des 19. Jahrhundert sei gerade durch die fortwährende Ausbalancierung der Machtverhältnisse von großen und kleinen Staaten, insbesondere durch eine Koalition der Schwächeren gegenüber einem potenziellen Hegemon, geprägt gewesen. Dieses Gleichgewicht habe eine Hegung des Krieges ermöglicht. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 56. 1274 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 139. 1275 Schmitt weist in diesem Kontext auf das Wortspiel von Rousseau hin, dass der Krieg ein „etat de guerre (Zustand des Krieges)“ sei und deshalb nur „Etat“ zu „Etat“ geführt werden könne. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 122. 1276 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 123. 1277 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 22. 1278 Schmitt, Diskriminierender Kriegsbegriff (Fn. 130), S. 50 – 51. 1279 Schmitt, Carl, „Über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind (1938)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 249 – 250. 1280 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 377. 1281 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 211. 1273
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näher eingehen zu können. Weiterhin soll dann der Vorschlag von Carl Schmitt näher angesehen werden, wie diese Gewaltpotenzierung des Krieges im Kontext der Großraumordnung „gehegt“ werden kann. a) Die Prognose einer neuen Dimension des Krieges nach Carl Schmitt: Der totale Krieg Nach Carl Schmitt ist „Krieg durchaus nicht Ziel und Zweck oder gar Inhalt der Politik, wohl aber ist er die als reale Möglichkeit immer vorhandene Voraussetzung, die das menschliche Handeln und Denken in eigenartiger Weise bestimmt1282 und dadurch ein spezifisch politisches Verhalten bewirkt.“1283 Schmitts Kriegsverständnis ist also keinesfalls bellizistisch. Vielmehr setzt er ein ontologisches Verständnis von Krieg voraus und geht auf eine neue Art von Krieg ein, die durch die Kriegsächtung bzw. durch das Kriegsverbot entstanden sei.1284 Schmitt nennt dies den diskriminierenden Krieg.1285 Durch die Kriegsächtung ist nach Schmitt nun eine neue Tendenz entstanden, dass diejenigen, die dem Kriegsverbot zuwiderhandeln, als Feinde der Menschheit angesehen würden. Dadurch sei der Krieg grenzenlos in seiner Brutalität geworden; die Aggressoren seien in gewisser Weise „machtlos“. Es sei sogar denkbar, dass ein Staat, der gegen das Gewaltverbot verstoßen habe, in seiner inneren geschlossenen Einheit aufgespalten werde und seine Regierung, die Kriegsverbrechen begangen habe, entnationalisiert und somit zu rechtlosen „Piraten“ bzw. „Gangstern“ degradiert werde.1286 Diese völlige Entrechtung des Feindes durch die Ächtung als „Kriegsverbrecher“ kann mit der Schmitt’schen Interpretation des totalen Krieges verbunden werden.
1282 Nach Schmitt liegt Krieg bereits dann vor, „wenn eine aktiv werdende Partei Krieg will.“ Vgl. Schmitt, Carl, Über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind (1938), in: Schmitt, Frieden oder Pazifismus (Fn. 836), S. 603. 1283 Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 34 – 35. 1284 Diese Ansicht findet sich schon im Werk „Begriff des Politischen“ in der Fassung von 1927. Schmitt führt aus, dass der Krieg gegen den Krieg den „Feind“ als besonders unmenschlich herabsetze und somit eine sachliche Behandlung unmöglich mache. Lediglich die definitive Vernichtung sei das einzige Ziel solcher Kriege, so dass diese besonders intensiv geführt werden würden. Vgl. Schmitt, Begriff des Politischen (Fn. 42), S. 37. 1285 Nach Schmitt war der bisherige Krieg auf paritätische Gleichbewertung zweier Parteien ausgelegt gewesen. Dritte Staaten sind in diesen Konflikt nicht einbezogen. Der Krieg ist eine Art Anerkennung einer gewissen „Ehre“, dass der Feind kein Pirat oder Gangster ist, sondern ein „Staat“ und ein „Völkerrechtssubjekt“. Die Überwindung des Begriffs des gerechten Krieges, indem jedem Staat das Recht eingeräumt wurde, für sich selbst zu entscheiden, welcher Krieg für diesen Staat gerecht sei, ist eine Grundlage dieses Kriegsrecht gewesen. Die Anmaßung bestimmter Staaten, die Gerechtigkeit eines Krieges auch für Dritte bestimmen zu können, hat nun einen diskriminierenden Kriegsbegriff hervorgerufen. Vgl. Schmitt, Diskriminierender Kriegsbegriff (Fn. 130), S. 45 – 54. 1286 Schmitt, Diskriminierender Kriegsbegriff (Fn. 130), S. 50 – 51.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Nach Schmitt ist der totale Krieg gerade durch totale Feindschaft charakterisiert.1287 Durch diese Aufhebung der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten und durch die Erweiterung des Krieges auf nicht-militärische Bereiche (wie z. B. den Wirtschaftskrieg oder den Propagandakrieg)1288 werde der Krieg auf eine neue, gesteigerte nicht mehr rein militärische Ebene geführt. Außermilitärische Bereiche sind in die feindliche Auseinandersetzung einbezogen, was zu einer qualitativen Steigerung führe.1289 Schmitt erkennt also in der Ächtung des Krieges kein Mittel zur Behebung der konstitutiven Unterscheidung zwischen Freund und Feind, sondern sieht vielmehr die Gefahr einer zusätzlichen Virulenz durch die Möglichkeit internationaler Ächtung als „hors la loi“.1290 b) Neue Hegung des Krieges. Vom Gleichgewichtsgrundsatz zum Großraumkonzept Es mag sein, dass die Schmitt’schen Ausführungen zum diskriminierenden Krieg und dann zum totalen Krieg in einen Aufruf zur totalen Mobilmachung gemündet sind. Unabhängig von der kritikwürdigen Kriegspropaganda ist Schmitt’s Analyse jedoch dahingehend Recht zu geben, dass der Begriff der Kriegsächtung die bereits überwundene Problematik des gerechten Krieges, nämlich die Moralisierung des Krieges, wieder in das Völkerrecht eingeführt hat. Somit erhöhe sich auch das Gewaltpotenzial des Krieges allgemein, da die andere Kriegspartei nicht nur als Feind des eigenen Staates angesehen werde, sondern als ein Feind der Menschheit. Paradoxerweise erhöhe die Kriegsächtung also die Gewalt in einem Krieg.1291
1287 Ein solcher Krieg ist historisch etwa in den englischen Seekriegen zu sehen gewesen, bei denen anders als im kontinental-europäischen Landkrieg keine Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten vorgesehen war. Vgl. Schmitt, Carl, „Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat (1937)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 238. 1288 Diese Ausweitung wiederum wirkt sich auch auf die Bedeutung des Kriegsverbotes als solches aus. Da das Kriegsverbot auf den militärischen Krieg, nicht jedoch auf wirtschaftliche Sanktionen gerichtet ist, prophezeit Schmitt den Staaten, die ihren Willen durch wirtschaftliche Zwangs- und Einwirkungsmöglichkeiten durchsetzen können, eine leichte Umgehungsmöglichkeit. Das Kriegsverbot dient also nach Schmitt einseitig den Großmächten zur Erhaltung des Status quo und diese können durch wirtschaftliche Sanktionen trotzdem aggressive Handlungen, ohne vom Kriegsverbot betroffen zu sein, vornehmen. Vgl. Schmitt, Carl, Über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind (1938), in: Schmitt, Frieden oder Pazifismus (Fn. 836), S. 604. 1289 Schmitt, Carl, „Über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind (1938)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 249 – 250. 1290 von Bogdandy/Hinghofer-Szalkay, Ius Publicum Europaeum (Fn. 130), S. 209 – 248 (239); Habermas, Einbeziehung (Fn. 1053), S. 227. 1291 Jedoch ist Habermas grds. Recht zu geben, wenn er sagt, dass etwaige Sanktionen und Eingriffe durch eine universalistische Weltorganisation immerhin effektiver sein können, souveräne Regierungen zu zähmen, als ein juristisch folgenloser Appell. Vgl. Habermas, Einbeziehung (Fn. 1053), S. 228.
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Die Lösung für Schmitt aus dieser Ausgangslage ist ein Nebeneinander von mehreren räumlich klar abgegrenzten und grundsätzlich autarken Großraumordnungen.1292 Schmitt bezeichnet dies als Möglichkeit, die Gefahr des totalen Krieges von Grund auf zu beseitigen.1293 Die Idee dahinter ist, dass die Mehrzahl von staatlichen Akteuren auf nur wenige „Reiche“ reduziert werden, die den jeweiligen Großraum beherrschen. Dies würde die Komplexität der Aufgabe, ein globales Gleichgewicht herzustellen, reduzieren. Weiterhin wäre der Gesamtschaden, der durch einen Krieg zwischen zwei Reichen und den jeweils mit ihnen verbundenen Großräumen zu erwarten wäre, ungleich höher, als wenn nur zwei Staaten aus einer internationalen Staatengemeinschaft sich bekriegen würden. Dies würde also bedeuten, dass die jeweiligen Reiche schon aufgrund des höheren Zerstörungspotenzials eher auf eine friedliche Lösung hinarbeiten würden. Insofern würde es zwar kein Weltgleichgewicht zwischen Staaten, aber eine Art Gleichgewicht der Reiche geben. Der Verstoß des Interventionsverbotes einer raumfremden Macht, der in diesem Kontext konstituierend ist, ist jedoch ein Prinzip, das letztlich moralischer Natur ist, wie etwa die Verletzung des Kriegsverbotes. Die Logik der Kriegshegung durch die Großraumordnung ist also wohl nur dann überzeugend, wenn die Reiche verschiedener Großräume eine solche Machtparität aufweisen, dass ein Krieg zwischen den Reichen gleichzeitig die gegenseitige Zerstörung bedeuten würde. Nur die gegenseitige Anerkennung der Reiche kann der Großraumordnung auf globaler Ebene dazu verhelfen, dass diese globale Raumordnung tatsächlich den Krieg hegt.
IV. Die Rechtsqualität des Völkerrechts nach europäischem Verständnis und die Großraumordnung Wie bereits dargestellt, ist das Völkerrecht nach konventionellem Verständnis das Recht, das zwischen gleichen, souveränen Staaten gilt. Der Widerspruch, der zwischen dem Begriff der Souveränität und dem Begriff der Bindung besteht, ist inhärent, da Souveränität gerade nur der höchsten Gewalt zukommt, die also ihrerseits nicht gebunden werden kann.1294 So gesehen ist Völkerrecht, sofern man allgemein der Souveränitätslehre folgt, also ein Recht ohne Zwangscharakter und Bindungswirkung.1295 Sollte jedoch die Völkerrechtsgemeinschaft als eine Rechtsordnung
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Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 61. Schmitt, Carl, Die Raumrevolution. Durch den totalen Krieg zu einem totalen Frieden, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 390. 1294 Anand weist zurecht darauf hin, dass die Vorstellung der inhärenten Souveränität eines Staates letztlich dazu führt, dass das Völkerrecht sowie die Völkerrechtswissenschaft sich nicht entwickeln können. Vgl. Anand, Equality (Fn. 524), S. 15. 1295 Dies lässt wiederum die Frage aufkommen, ob Völkerrecht überhaupt als Recht bezeichnet werden kann. Vgl. Schweisfurth, Theodor, Völkerrecht, 2006, S. 631. 1293
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
verstanden werden und somit eine verbindliche Beschränkung des Einzelnen beinhalten,1296 wären die Staaten nach außen hin nicht souverän.1297 Dieses Dilemma zwischen der Souveränität der Staaten und der Bindungswirkung des Völkerrechts ist ebenfalls ein zentrales Thema der Schmitt’schen Großraumtheorie, da er nur ein solches Völkerrecht als sinnvoll ansieht, das eine gewisse Ordnungsfunktion auf die Staatenwelt ausüben kann, also eine konkrete Raumordnung darstellt. Schmitt löst das Problem durch Aufteilung des Völkerrechts in bindendes partielles Großraumrecht und in den Nomos der Erde, der eine globale Raumordnung darstellt und die Verhältnisse zwischen den Großräumen regelt. Eine Großraumordnung soll also die einzelnen Staaten binden können. Der Vorschlag Schmitts mündet in ein Völkerrechtssystem auf zwei Ebenen. In der ersten Ebene gilt eine Hierarchie der Staatenwelt, in dem das Reich der oberste Souverän eines Großraumes ist. Auf der zweiten Ebene entsteht eine Gemeinschaft der Großräume, die idealerweise ein Gleichgewicht bilden. Somit schafft Schmitt ein bindendes Recht innerhalb des Großraumes. Inwiefern dies in seiner Völkerrechtslehre bedeutsam ist, soll nun aufgezeigt werden. 1. Rechtsqualität des Völkerrechts nach der konventionellen Völkerrechtstheorie In der konventionellen Völkerrechtstheorie ist die Frage der Rechtsqualität und der Bindungswirkung des Völkerrechts nach wie vor ungeklärt. Die Frage des Rechtcharakters des Völkerrechts wird teilweise als allgemein1298 akzeptiert dargestellt.1299 Umgekehrt gilt aber nach wie vor der souveränitätsbetonende Grundsatz, dass das innerstaatliche Recht nicht durch Völkerrecht durchbrochen werden 1296
So: Bruns, Völkerrecht I (Fn. 506), S. 1 – 56 (9 – 12). Bruns sieht deshalb in der Souveränität nur eine Voraussetzung für die Anerkennung als Völkerrechtssubjekt. Vgl. Bruns, Völkerrecht I (Fn. 506), S. 1 – 56 (34). 1298 Herdegen etwa weist darauf hin, dass die Staatenwelt in sehr hohem Maße die Befolgung von völkerrechtlichen Verpflichtungen als Regelfall sieht. Missachtung sei nur ein pathologischer Ausnahmefall. Vgl. Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 10 – 11. Ähnlich auch Kokott/Doehring/Buergenthal, Völkerrecht (Fn. 975), S. 7. Dennoch weisen einige Autoren darauf hin, dass erhebliche Probleme bestehen, das Völkerrecht mit dem staatlichen Recht gleichzusetzen, da es nur schwache, dezentralisierte Durchsetzungsmechanismen gibt. Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (Fn. 1295), S. 213 – 217; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/1 (Fn. 1032), S. 88 – 90; Kettemann, Matthias, Das Völkerrecht zwischen Rechtsordnung und Machtordnung: eine Abgrenzung, in: Kettemann, Matthias (Hrsg.), Grenzen im Völkerrecht, 2013, S. 247. 1299 Schweisfurth, Völkerrecht (Fn. 1295), S. 630; Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 9; Kettemann, Matthias, Das Völkerrecht zwischen Rechtsordnung und Machtordnung: eine Abgrenzung, in: Kettemann (Hrsg.), Grenzen (Fn. 1298), S. 247. Andere Autoren sehen dahingegen den Rechtscharakter des Völkerrechts als zumindest umstritten an. Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre (Fn. 1029), S. 539; teilweise wird sogar gesagt, dass das Völkerrecht ein noch werdendes Recht sei, das wie ein Embryo sei. Vgl. Baumgarten, Souveränität und Völkerrecht: Teil 1 und 2 (Fn. 976), S. 305 – 334 (317). 1297
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kann.1300 Die Völkerrechtsnorm hat also zunächst keine zwingende Bindungswirkung auf das nationale Recht; dabei ist Zwang gerade ein wesentlicher Aspekt von Rechtsnormen.1301 Dieses Spannungsverhältnis wird zusätzlich dadurch erschwert, dass völkerrechtliche Fragen weitgehend politisch aufgeladen sind.1302 Die Ansicht, dass das Völkerrecht letztlich nur als ein Produkt des Selbstinteresses der Staaten anzusehen sei, scheint also keineswegs abwegig zu sein.1303 Die Kritik Schmitts, dass das Völkerrecht, jedenfalls nach dessen Universalisierung, keine konkrete Raumordnung mehr darstelle,1304 scheint auch eine Kritik an der unzureichenden Lösung dieses Konflikts zu sein. Letztlich ist nämlich für Schmitt entscheidend, dass die Rechtsordnung die Machtordnung abbildet, was aber im Kontext des konventionellen Völkerrechts durch das faktische Fehlen der Bindungswirkung des Völkerrechts nicht möglich ist. Insofern soll zunächst die Sichtweise der konventionellen Völkerrechtslehre dargestellt werden, um die bisherigen Lösungsansätze, die Gegenstand der Kritik von Schmitt sind, zu verstehen. a) Die naturrechtliche und die positivistische Völkerrechtslehre Die Frage, ob Völkerrecht überhaupt Recht ist, ist verbunden mit der Frage, was1305 überhaupt Recht ist. Eine der gängigsten Unterscheidungen, um den Begriff des Rechts zu umschreiben, ist die Unterscheidung der positivistischen Rechtstheorie und die Theorie des Naturrechts.1306 Insofern das Völkerrecht naturrechtlich begründet wird, ist die Frage der Bindungswirkung relativ einfach. Da das Völkerrecht aufgrund von Gott, der Natur oder der Vernunft entsteht, gilt dieses auch aufgrund dieser Autoritäten. Sollte man jedoch eine positivistische Sichtweise auf das Völkerrecht haben, wird die Frage der Geltung und Bindungswirkung äußerst schwierig. 1300
Baumgarten, Souveränität und Völkerrecht: Teil 1 und 2 (Fn. 976), S. 305 – 334 (310). Hoerster, Norbert, Was ist Recht? Grundfragen der Rechtsphilosophie, 2006, S. 12. 1302 Im Falle, dass ein Staat gegen das Völkerrecht verstößt, ist also fraglich, ob es gegenüber diesem Staat überhaupt eine Sanktion geben wird, die als direkte Rechtsfolge dieses Verstoßes gewertet werden kann. Da es an einer Garantie der Unparteilichkeit fehlt, erscheinen die Sanktionen eher als politische Entscheidungen. Vgl. Baumgarten, Souveränität und Völkerrecht: Teil 1 und 2 (Fn. 976), S. 305 – 334 (312). 1303 Goldsmith und Posner etwa sagen, dass dem Völkerrecht ein eigenständiger normativer Gehalt und Einfluss auf das Staateninteresse abzusprechen sei. Sie gehen sogar so weit, dass die Einhaltung von Völkerrecht durch die Staaten immer nur ein Mittel zu einem (politischen) Zweck sei. Vgl. Goldsmith, Jack/Posner, Eric, The Limits of International Law, 2005, S. 13 – 15. 1304 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 211. 1305 Die Frage des Begriffs des Rechts wird in Rechtstheorie, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie kontrovers diskutiert. Eine Übersicht bietet etwa: Dreier, Ralf, Der Begriff des Rechts, in: Neue Juristische Wochenschrift, 1986, S. 890 – 896. 1306 Dreier, Horst, Naturrecht und Rechtspositivismus. Pauschalurteile, Vorurteile, Fehlurteile, in: Härle, Wilfried/Vogel, Bernhard (Hrsg.), „Vom Rechte, das mit uns geboren ist“. Aktuelle Probleme des Naturrechts, 2007, S. 127 – 170 (127). 1301
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Im Folgenden soll zunächst ein Blick auf die geschichtliche Entwicklung des naturrechtlichen und positivistischen Völkerrechts geworfen werden, um die Entwicklungslinie des völkerrechtlichen Naturrechts bzw. Positivismus aufzuzeigen. aa) Naturrecht Die Naturrechtslehre hat die gesamte Geschichte1307 des rechtsphilosophischen Denkens maßgeblich geprägt.1308 Nach der naturrechtlichen Theorie ist Recht, was von Natur aus, unabhängig von menschlichem Willen und menschlicher Entscheidung gilt. Die „Natur“ in diesem Zusammenhang kann sein: die Biologie des Menschen, die vernünftig strukturierte und geordnete äußere Welt, die Vernunft, die Bedürfnisse des Menschen oder auch die menschliche Einsicht.1309 Die Frage einer Rechtssetzung oder einer empirischen Feststellung ist unerheblich.1310 Demnach wäre auch ein naturrechtliches Völkerrecht denkbar, das zwischen den Staaten gilt. Dieses naturrechtliche Völkerrecht ist notwendigerweise der direkten Rechtsquelle näher, da es weder eine Judikative noch eine Legislative im Völkerrecht gibt.1311 Die naturrechtliche Völkerrechtslehre dominierte im Spanischen Zeitalter und wurde von den größten Völkerrechtslehrern der Zeit Francesco Vitoria,1312 Francisco Suarez1313 und Hugo Grotius1314 vertreten. Das Völkerrecht und das innerstaatliche Recht wurden dabei unterschiedslos unter das Naturrecht gestellt. Auch im Französischen Zeitalter gab es niemanden, der die Existenz von Naturrecht im völkerrechtlichen Kontext völlig negierte.1315 Insbesondere Thomas Hobbes prägte die 1307
Nach Preiser ist das Völkerrecht ohne Naturrecht historisch gesehen nicht denkbar. Vgl. Preiser, Wolfgang, Macht und Norm in der Völkerrechtsgeschichte, 1978, S. 17. 1308 Dreier, Naturrecht (Fn. 1306), S. 127 – 170 (128). 1309 Dreier, Naturrecht (Fn. 1306), S. 127 – 170 (128); Hobe, Völkerrecht (Fn. 504), S. 9; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 222 f.; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 151 f. 1310 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre (Fn. 1029), S. 291 – 292. 1311 Lauterpacht, Hersch, International Law Volume II: The Law of Peace, 1975, S. 331; Crawford, Principles (Fn. 477), S. 7. 1312 Für Francesco Vitoria war das Völkerrecht ein Recht einer Weltgemeinschaft (totus orbis), welches wiederum seine Grundlage auf dem Naturrecht hatte. Vgl. Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 108. 1313 Francisco Suarez führte die Theorie eines auf Vertrag und Gewohnheit beruhendem Völkerrecht ein, das für die gesamte menschliche Gesellschaft galt (societas humana). Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 28 – 29. 1314 Hugo Grotius ging von einer – zunächst auf die abendländische Christenheit bezogene, jedoch nicht auf diese begrenzte – Völkergemeinschaft aus. Die Staaten innerhalb dieser Völkergemeinschaft seien einerseits durch Naturrecht, andererseits aber durch ein Völkerrecht, das durch Konsens aller Staaten geschaffen wird, gebunden. Vgl. Paech/Stuby, Machtpolitik (Fn. 2), S. 34 – 37. 1315 Es gab jedoch nun eine Trennungslinie zwischen den Autoren, die das Naturrecht in den Vordergrund stellten, und solchen, die sich auf die Verträge und Gewohnheiten konzentrierten. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 150 – 151; die positivistische Schule war dabei der
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Völkerrechtsdiskussion mit seinem rationalistisch geprägten Naturrechtsgedanken1316 nachhaltig.1317 Seine Völkerrechtstheorie bildet den Anfangspunkt der sog. „Leugner des Völkerrechts“.1318 Durch Hobbes entstand eine Trennung zwischen dem positiven innerstaatlichen Recht und dem naturrechtlichen Völkerrecht.1319 Die Völkerrechtler in dieser Zeitperiode, wie etwa Samuel Pufendorf1320 oder Christian Wolff (1676 – 1756)1321, wurden maßgeblich von diesem Gedanken geprägt. Die naturrechtliche Völkerrechtslehre wurde dann in der Folgezeit immer mehr von der positivistischen Völkerrechtslehre verdrängt, gewann aber in der Zwischenkriegszeit wieder an Bedeutung.1322 Die naturrechtliche VölkerrechtskonzepDiplomatie und die naturrechtliche Schule der Rechtswissenschaft näher. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 419. 1316 Im Gegensatz zu den innerstaatlichen Beziehungen, wo es für Hobbes keinen Platz für Naturrecht neben dem positiven staatlichen Gesetzesrecht gab, war in den völkerrechtlichen Beziehungen das Naturrecht maßgeblich. Für Hobbes war nämlich ein „Leviathan über den Leviathan“ nicht denkbar, da die Souveränität des Staates einem solchen übergeordneten Staat keinen Raum lasse; vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 408 – 409; als Konsequenz verharren die Staaten im Naturzustand und somit auch im Krieg. Vgl. Dreier, Horst, Kants Republik, in: Juristen Zeitung, 2004, S. 745 – 804 (752). 1317 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 408. 1318 Hobbes stellte Völkerrecht mit dem Naturrecht gleich, das nur ein „ius inutile“ darstelle. Da der Staat Souverän sei und somit anderen Staaten gegenüber nicht untergeordnet sei, könne er nicht durch Völkerrecht gebunden sein. Damit leugnete er die Verbindlichkeit der Völkerrechtsordnung. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 409; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 161 f.; Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 11. Zwischenstaatlich gilt für Hobbes also das bellum omnium contra omnes weiter. Vgl. Wiegandt, Jan, Internationale Rechtsordnung oder Machtordnung? Eine Anmerkung zum Verhältnis von Macht und Recht im Völkerrecht, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 71 (2011), S. 31 – 76 (41). 1319 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 410. 1320 Samuel Pufendorf vertrat in Anlehnung an Hobbes, dass es unter den Nationen kein anderes Recht als das Naturrecht gebe. Er akzeptierte kein unabhängiges positives ius gentium und verstand die Rechtsbeziehung zwischen den Völkern nur im naturrechtlichen Kontext. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 310, 412. 1321 Auch Christian Wolff (1676 – 1756) geht wie Hobbes von einem hypothetischen Naturzustand aus, in dem das Naturrecht herrscht. Das Naturrecht und das Völkerrecht werden jedoch nicht gleichgesetzt, sondern es werden verschiedene Stufen der Völkerrechtsordnung unterschieden. Die erste Stufe ist das natürliche Völkerrecht, das zweite das freiwillige Völkerrecht, das dritte das vertragliche Völkerrecht und das vierte das Völkergewohnheitsrecht. Jeder Staat hat in einem solchen natürlichen Zustand Rechte auf Selbsterhaltung und Selbstverteidigung. Andere Staaten können nur um Beistand im Hinblick auf diese Rechte bitten und die Staaten müssen dieser „imperfekten“ Forderung auch nur soweit nachkommen, als die eigenen Rechte nicht beeinträchtigt werden. Durch Verträge könnten diese imperfekten Rechte jedoch zu „perfekten“ Rechten erstarken. Wolff sah zudem die Staaten in einer civitas maxima, einem Zusammenschluss zur Förderung des gemeinsamen Nutzens der Staaten, organisiert, der die Völker freiwillig beigetreten waren. Die Regeln der civitas maxima jedoch waren nicht freiwilliger Natur, sondern verpflichtend. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 167 – 173; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 418. 1322 Die Völkerrechtslehre der Zwischenkriegszeit ist geprägt durch den Versuch, das Scheitern des Völkerrechts im Ersten Weltkrieg zu analysieren und dadurch Verbesserungen im
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tion wurde als Reaktion zu den Defiziten der positivistischen Völkerrechtslehre, etwa von Hersch Lauterpacht (1897 – 1960),1323 wiederbelebt.1324 Lauterpacht betonte, dass das Naturrecht zwar zu Recht aufgrund seiner Willkürlichkeit und Unklarheit kritisiert werde, diese Unklarheiten aber der Willkür und Anmaßung der nackten Gewalt vorzuziehen sei.1325 Auch in Carl Schmitts Großraumtheorie finden sich naturrechtliche Argumente wieder, die für die Völkerrechtslehre der Zwischenkriegszeit durchaus typisch sind. Die in seiner Lehre geforderte „konkrete Ordnung“, die in diesem Konzept einen Idealzustand darstellt, ist letztlich naturrechtlich geprägt.1326 Auch den Nomos, den Schmitt für jede Rechtsordnung – und somit für die bisherigen wie auch die künftigen Völkerrechtsordnungen – als konstituierenden Urakt ansieht, leitet er aus einer geschichtsphilosophischen Legitimitätstheorie ab,1327 die den Nomos als überstaatlichen und von jeglichem Gesetzgeber oder Gesetzgebungsverfahren losgelösten Rechtssetzungsakt darstellt.1328 Der Nomos wird von Rechtsgelehrten nicht gesetzt, sondern lediglich aufgedeckt und jede gesetzte Norm, die im Widerspruch zum Nomos steht, kann früher oder später seine Geltung verlieren. Insofern lassen sich auch hier naturrechtliche Argumentationsmuster wiederfinden.
Völkerrecht für die Kriegsvermeidung zu erzielen. Ein Trend der Völkerrechtslehre der Zwischenkriegszeit ist die Rückwendung zu einem säkularisierten Naturrecht, wie etwa bei Grotius oder den spanischen Spätscholastikern. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 711; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 305; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 207. 1323 Lauterpacht kritisierte den Positivismus, der die Tugenden des Etatismus und der Souveränität vergessen habe und in die Nähe des Nationalismus gerückt sei. Dies habe zum Ersten Weltkrieg geführt. Lauterpacht beharrte insoweit auf der Notwendigkeit von grundlegenden Werten im Völkerrecht als Garant gegen den Irrationalismus. Vgl. Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 355, 356. Die Hervorhebung von Grotius in Lauterpachts Werk zeigt, dass Lauterpacht die Ausstattung des Völkerrechts mit ethischen Grundsätzen als wichtig ansieht. Diese seien jedoch von Grotius gerade nicht geschaffen, sondern lediglich aufgedeckt. Vgl. Lauterpacht, International Law II (Fn. 1311), S. 333, 363; damit zeigt Lauterpacht eine weitere Grundhaltung der naturrechtlichen Schule, die die Rechtsnormen als Normen ansieht, die nicht geschaffen, sondern aufgedeckt werden. Vgl. Diggelmann, Völkerrechtssoziologie (Fn. 4), S. 30; das ist ein Aspekt, der bei Schmitt ebenfalls anklingt. Vgl. Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 246. 1324 Diggelmann, Völkerrechtssoziologie (Fn. 4), S. 30; auch die Lehre des „Gerechten Krieges“ konnte aufgrund dieser Tendenz zum Naturrecht wieder an Bedeutung gewinnen. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 306 – 307. Bezeichnend ist auch der Artikel 38 des IGHStatuts, der zu dieser Zeit entworfen wurde, das als Völkerrechtsquelle die von den zivilisierten Staaten anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze kennt. Mit dieser Vorschrift hat man also den „strengen Positivismus“ im Völkerrecht bereits verlassen. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 714. 1325 Lauterpacht, International Law II (Fn. 1311), S. 333. 1326 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 35 – 36. 1327 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 15. 1328 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 239 – 240.
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bb) Positivismus Während die naturrechtliche Völkerrechtslehre für die Entstehung des modernen Völkerrechtsverständnisses bis zum Französischen Zeitalter maßgeblich war, dominierte ab dem Englischen Zeitalter bis zum Ersten Weltkrieg die positivistische Völkerrechtslehre, Sie prägt auch heute noch das Völkerrecht. Bereits im Französischen Zeitalter entwickelten sich positivistische Ansichten im Hinblick auf das Völkerrecht, etwa durch Cornelis van Bynkershoek (1673 – 1743),1329 Johann Jakob Moser (1701 – 1785)1330 oder Georg Friedrich von Martens (1756 – 1821)1331 heraus. Der Positivismus1332 im Völkerrecht ging also mit der Durchsetzung des Souveränitätsgedankens einher,1333 brachte jedoch mehrere Konstruktionsprobleme, da es keine übergeordnete Instanz gab,1334 die es vermochte, Recht zu setzen und durchzusetzen.1335 1329 Bynkershoek ging von einem positivistischen Völkerrecht aus und belegte seine Argumente deshalb auch methodisch, vorzugsweise mit Verträgen und Dekreten seiner Zeit. Für van Bynkershoek waren die vorliegenden politischen Tatsachen und nicht die allgemeinen naturrechtlichen Grundsätze maßgeblich. Insoweit sah er das Völkerrecht als veränderlich an. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 186 – 191; Stadtmüller, Geschichte (Fn. 482), S. 151. 1330 Moser bestreitet zwar die Existenz eines Naturrechts nicht, sah es aber als unbrauchbar an, weil es keine Einigkeit gebe, welche Regelungen das Naturrecht überhaupt beinhalte. Die Existenz eines Völkerrechts sieht Moser aber als gegeben an und sieht in Verträgen und in Gewohnheiten die Quellen des Völkerrechts. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 194 – 198. 1331 Martens forderte, dass man zur Ermittlung von positivem Völkerrecht in jedem einzelnen Falle nur die konkreten Beziehungen, die zwischen den betreffenden Staaten bestünden, untersuchen dürfe. Verträgen und Gewohnheiten der Großmächte sprach er jedoch eine Art ansteckender Wirkung zu. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 201. 1332 Der Positivismus wird oftmals als Gegenbegriff des Naturrechts dargestellt. Vgl. Röhl/ Röhl, Allgemeine Rechtslehre (Fn. 1029), S. 291. 1333 Die Trennung von Gerechtigkeit und Macht, die im Rahmen der Durchsetzung des Souveränitätsbegriffs zu beobachten ist, existiert auch hier. Nicht die Frage, ob eine Rechtsnorm inhaltlich gerecht ist oder nicht, ist maßgeblich, sondern die Frage, ob eine Autorität die Rechtsnorm gesetzt hat. Setzungsorientierte Rechtsdefinitionen stellen auf die Setzung des Rechts durch eine Autorität ab. Nach dem Positivismus besteht nämlich keinerlei notwendiger Zusammenhang zwischen Recht auf der einen Seite und Moral, Natur, Vernunft oder Gerechtigkeit auf der anderen Seite. Vgl. Dreier, Begriff des Rechts (Fn. 1305), S. 890 – 896 (890 – 891). Die Trennungsthese erlangt eigenständige Bedeutung, indem Positivismus die Trennung des Rechts auch von einer bloß relativistischen oder pluralistischen Moral verlangt. Die Rechtsqualität von Normen soll in keinerlei Weise von dem moralischen Status des Rechts abhängen. Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre (Fn. 1029), S. 294; Hoerster, Recht? (Fn. 1301), S. 71. 1334 Einschränkend ist zu sagen, dass der Rechtspositivismus ebenfalls versucht, eine Trennung zwischen der Rechtsgeltungs- und der Rechtsgehorsamsfrage herbeizuführen. Ob eine Norm Teil einer Zwangsordnung ist, sagt also noch nichts darüber aus, ob es eine Pflicht zur Befolgung und zum Rechtsgehorsam gibt. Vgl. Dreier, Naturrecht (Fn. 1306), S. 127 – 170 (140 – 141); Dreier, Horst, Zerrbild Rechtspositivismus. Kritische Bemerkungen zu zwei verbreiteten Legenden, in: Jabloner, Clemens/Kucksko-Stadlmayer, Gabriele/Muzak, Gerhard/ Perthold-Stoitzner, Bettina/Stöger, Karl (Hrsg.), Vom praktischen Wert der Methode. Festschrift Heinz Mayer zum 65. Geburtstag, 2011, S. 61 – 91 (67).
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Im Englischen Zeitalter festigte sich die positivistische Völkerrechtslehre.1336 Gerade im englischen Raum prägte John Austin (1790 – 1859) das Völkerrechtsdenken, der wie bereits Hobbes den Rechtscharakter des Völkerrechts leugnete.1337 Obwohl die Austin‘sche Reduzierung des positiven Völkerrechts auf ein Minimum von gelebten Völkerrechtssitten einen großen Anklang fand, wurden jedoch die naturrechtlich geprägten Vorstellungen nicht komplett vom Völkerrecht getrennt,1338 wie in den Werken von Henry Wheaton1339 oder James Lorimer1340 zu erkennen ist. Im deutschen Raum wiederum verband sich der Positivismus mit einer starken Fokussierung auf die Abgrenzung des innerstaatlichen Rechts vom Völkerrecht. Hegel, der das Völkerrecht strikt aus der Sicht des Staates verstand,1341 sah das Völkerrecht
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Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 592; Hattenhauer, Rechtsgeschichte (Fn. 540), S. 734. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 257; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 591; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 188. 1337 Austin sah das Völkerrecht – in Anlehnung an Hobbes – nicht als verbindliches Recht an, sondern verortete es in die Sphäre der Moral. Nach Austin war Recht, seinem Wesen nach, ein Befehl und setzte somit ein Über- und Unterordnungsverhältnis voraus. Das Völkerrecht jedoch sei unter gleichrangigen Staaten geschlossen und habe keinen klaren Durchsetzungsmechanismus. Völkerrecht war also letztlich nichts als die tatsächlich geübte Völkersitte. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 259; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 591 – 596; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (Fn. 480), S. 188. Somit ist sein Argument weniger ein philosophisches als vielmehr ein juristisches. So: Wiegandt, Machtordnung? (Fn. 1318), S. 31 – 76 (42); Crawford, Principles (Fn. 477), S. 9 – 11. 1338 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 596 – 597; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 264. 1339 Henry Wheaton sah Völkerrecht als Inbegriff der Verhaltensregeln an, die die Vernunft als der Gerechtigkeit entsprechend aus der Natur ableitet, die durch Gewohnheit und allgemeine Zustimmung eingeführt werden können. Vgl. Wheaton, Elements (Fn. 598), S. 46; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 597. 1340 James Lorimer verstand das Völkerrecht als Naturrecht, dass in den Beziehungen separater Nationen zueinander verwirklicht wird. Lorimer definiert gleich am Anfang seines Werkes, dass Völkerrecht das Naturrecht sei, das in den Beziehungen von separaten Nationen realisiert wurde Vgl. Lorimer, Institutes (Fn. 600), S. 217; er sah die positive Völkerrechtsdogmatik noch nicht als gefestigt an. Lorimer verstand deshalb das Naturrecht als primäre Quelle des Völkerrechts. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 598; Lorimer, Institutes (Fn. 600), S. 19 – 22. Dies war auch der Grund, warum Lorimer gegen die Staatengleichheit war. Er sah es nämlich als eine Gegebenheit der Natur an, dass Staaten faktisch ungleich seien. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 264. 1341 Nach Hegel ist der Staat die Wirklichkeit der sittlichen Idee und hat als solcher die absolute Macht auf Erden. Vgl. Hegel, Philosophie (Fn. 1019), § 257, 331 (S. 195, 266); eine rechtliche Bindung des Staates an das Völkerrecht lässt sich mit der Erhabenheit eines solchen Wesens nicht vereinbaren. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 263. Insofern kann auch Hegel zu den Leugnern des Völkerrechts gezählt werden. So: Wiegandt, Machtordnung? (Fn. 1318), S. 31 – 76 (41). Hegel sieht deshalb im Falle eines Streits zwischen Staaten nur die Möglichkeit, diese durch Krieg zu lösen. Denn völkerrechtliche Traktate sind nur im Naturzustande verbindlich, und es gibt weder höchste Schiedsrichter noch Vermittler. Vgl. Hegel, Philosophie (Fn. 1019), § 333, 334 (S. 268); Wiegandt, Machtordnung? (Fn. 1318), S. 31 – 76 (42). 1336
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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als „äußeres Staatsrecht“.1342 Georg Jellinek versuchte von dieser souveränitätsbetonenden Völkerrechtssicht abzuweichen,1343 indem er die Lehre der Selbstverpflichtung der Staaten vertrat.1344 Heinrich Triepel ging mit seinem 1899 erschienenen Werk „Völkerrecht und Landesrecht“ einen Schritt weiter und stellte auf den Gemeinwillen1345 der Staaten als Quelle für das Völkerrecht ab.1346 Das so geschaffene Völkerrecht sei jedoch vom innerstaatlichen Landesrecht zu unterscheiden und bilde eine vollkommen verschiedene1347 Rechtsordnung.1348 Auswirkungen des Positivismus im Völkerrecht zeigen sich also im überspitzten Souveränitätsbegriff1349 – sowie in der unbeschränkten Kriegskompetenz der Staaten, als direkte Folge dessen –, in der dualistischen Trennung von Völkerrecht und 1342 Hegel, Philosophie (Fn. 1019), § 330 (S. 266); Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 592. Der Begriff „äußeres Staatsrecht“ bringt zum Ausdruck, dass Völkerrecht nichts anderes sei als nationales Recht. Vgl. Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 263. 1343 Er sah in der Souveränität keine schrankenlose Macht des Staates, sondern die ausschließliche Fähigkeit rechtlicher Selbstbestimmung und Selbstbindung. Vgl. Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 593. Diese Selbstbindungslehre entstammt letztlich ebenfalls aus der Perspektive des Einzelstaates auf die Völkerrechtsgemeinschaft und ist somit auf das äußere Staatsrecht von Hegel zurückzuführen. So: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/1 (Fn. 1032), S. 35. Jellinek geht zwar auch davon aus, dass es keine Über- und Unterordnung im Verhältnis zwischen Staaten gibt, spricht jedoch von der Möglichkeit eines Koordinierungsrechtes. Dieses Koordinierungsrecht entsteht, analog zu der Entstehung einer Gesellschaft, aufgrund des Interesses der Staatengemeinschaft, die über das Interesse des einzelnen Staats hinausgeht. Vgl. Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 376 – 379. 1344 Nach Jellinek ist der Geltungsgrund des Rechts die Fähigkeit, den Willen zu bestimmen, also eine Überzeugung hervorzurufen, dass man verpflichtet sei, die Norm zu verfolgen. Vgl. Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 333 – 334; Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 200 – 201. Letztlich möchte Jellinek also die Souveränität nicht durch etwaige völkerrechtliche Verpflichtungen einschränken. So: Pauly, Concepts, in: Diner/Stolleis (Hrsg.), Kelsen and Schmitt (Fn. 1033), S. 45. 1345 Demnach komme es nicht auf den Willen der einzelnen Staaten an, sondern auf den Gemeinwillen, der durch das Zusammenwirken mit anderen Staatswillen entstehe. Vgl. Triepel, Heinrich, Völkerrecht und Landesrecht, 1899, S. 32; Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 594. Woher die Bindungswirkung einer völkerrechtlichen Vereinbarung entsteht, beantwortet Triepel damit, dass es keinen rein rechtlichen Grund für die Verbindlichkeit gebe. Der Wille, der dem Staate auferlegt wird, sei jedoch nicht ein schlechthin fremder Wille, sondern zugleich sein eigener Wille. Vgl. Triepel, Völkerrecht (Fn. 1345), S. 82. 1346 Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 593; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 261; Triepel, Völkerrecht (Fn. 1345), S. 32; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/1 (Fn. 1032), S. 35. 1347 Völkerrecht müsse zunächst vom Staat angeeignet werden, damit es auch innerstaatliches Recht werden könne. Vgl. Triepel, Völkerrecht (Fn. 1345), S. 111 – 112. 1348 Triepel, Völkerrecht (Fn. 1345), S. 111. 1349 Die Vertreter eines positivistischen Völkerrechts, wie etwa Jellinek oder Triepel, setzten wie auch die Leugner des Völkerrechts auf das Prinzip der Souveränität und entwickelten daraus den Gedanken, dass Staaten insoweit gebunden seien, als sie bestimmten Regelungen zugestimmt haben; etwa durch Vertrag oder durch Gewohnheit. Vgl. Jellinek, Staatslehre (Fn. 496), S. 376 – 377; Triepel, Völkerrecht (Fn. 1345), S. 82; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 10; Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 28; Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 31; Hobe, Völkerrecht (Fn. 504), S. 10.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
staatlichem Recht, der ausschließlichen Völkerrechtssubjektivität der Staaten sowie den Kodifikationsbemühungen des Völkerrechts.1350 Die positivistische Völkerrechtslehre stützte sich deshalb auf den Konsensualismus der Staaten1351 als Geltungsgrund.1352 Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ festigte sich1353 als völkerrechtliche Grundnorm.1354 Der gerade beschriebene Konsensualismus im völkerrechtlichen Positivismus begründet jedoch nicht zwingend die Legalität des Völkerrechts, sondern allenfalls deren Legitimität.1355 Als Konsequenz der fehlenden Legalität1356 ist die Grenze 1350
Grewe, Epochen (Fn. 2), S. 602. Dies heißt, dass völkerrechtliche Regelungen nur dann gelten können, wenn die Staaten dem zustimmen. Vgl. Besson, Samantha, Theorizing the Sources of International Law, in: Besson, Samantha/Tasioulas, John (Hrsg.), The Philosophy of International Law, 2010, S. 165. Konsequenterweise können Staaten, wenn diese völkerrechtlichen Regelungen nicht zustimmen, durch Protest eine Nichtanwendbarkeit für die eigenen Angelegenheiten begründen. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 427. 1352 Dadurch ist gewährleistet, dass die Staaten ihre Souveränität behalten, also unabhängig und grundsätzlich niemandem unterworfen sind. Sie sind somit als gleichrangig zu bewerten, da sie das befolgen, was sie zumindest stillschweigend akzeptiert haben. Dies geschieht auch deshalb, um die Einhaltung von Verträgen und Gewohnheitsrecht von anderen Staaten einfordern zu können (es wird von dem Prinzip der Gegenseitigkeit oder Reziprozität gesprochen). Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 48; Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 9; Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 3. Kaufmann betont, dass dies bedeute, dass das Völkerrecht ein vom Subordinationsrecht vollkommen zu unterscheidendes Koordinationsrecht sei. Der Staat steht über seinen Verträgen. Dies bedeutet, dass das Völkerrecht, dessen dauernde Grundlage die Verträge sind, letztlich dort seine Grenze finde, wo die Interessen der Staaten beginnen. Vgl. Kaufmann, Wesen (Fn. 997), S. 178 – 182. 1353 Verdross weist darauf hin, dass Rechtsnormen immer unlöslich auf eine Rechtsgemeinschaft bezogen sind. Solche Rechtsgemeinschaften können nebeneinander gleichgeordnet existieren, soweit diese gleich weit vom Mittelpunkt entfernt sind. Die Völkerrechtsgemeinschaft könnte also eine Rechtseinheit sein, die alle gleichrangigen positiv-rechtlichen Gemeinschaften überspannt. Nach Verdross ist es nicht notwendig, dass es eine autoritative Zentralinstanz gibt, sondern das Völkerrecht muss in sich eine einheitliche Rechtsordnung bilden. Dies kann nur der Fall sein, wenn sämtliche Völkerrechtsnormen einen Verweisungszusammenhang von berufenden und berufenen sowie von delegierenden und delegierten Normen aufweisen, also dass es letztlich eine Grundnorm gibt, die den Geltungsgrund aller Völkerrechtsnormen darstellt. Vgl. Verdross, Völkerrechtsgemeinschaft (Fn. 894), S. 4 – 12. 1354 Verdross, Völkerrechtsgemeinschaft (Fn. 894), S. 32; Kelsen, Reine Rechtslehre (Fn. 1031), S. 223. 1355 Besson, Samantha, Theorizing the Sources of International Law, in: Besson/Tasioulas (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1351), S. 166, 175; Lefkowitz, David, Sources of International Law: Some Philosophical Reflections, in: Besson/Tasioulas (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1351), S. 192. 1356 Legalität ist ein Konzept, das mit der Idee der Herrschaft des Rechts verbunden ist, also der Idee, dass die Machtausübung einer bestimmten Gesellschaft nach abstrakten und vorhersehbaren Normen erfolgt und nicht nach der subjektiven Entscheidung Einzelner. Entscheidend ist ein klarer Rahmen von öffentlichen Regeln. Die Qualität der Rechtsquellen – die durch die Klarheit des Entstehungsverfahrens bestimmt wird – ist also maßgeblich. Gerade im Völkerrecht ist die Entstehungsweise der Rechtsquellen jedoch unklar. Vgl. Besson, Samantha, Theorizing the Sources of International Law, in: Besson/Tasioulas (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1351), S. 172. 1351
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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zwischen Politik und Recht im völkerrechtlichen Kontext kaum definierbar.1357 Dieser Umstand an sich bedeutet zwar noch nicht, dass Völkerrecht kein positives Recht sein könnte, da das Recht nicht so beschaffen sein muss, dass eine Rechtsauslegung stets ohne politische Entscheidung1358 zu erfolgen habe.1359 Soweit jedoch die Legitimation des Rechtspflegeorgans in dem Willen der Rechtsunterworfenen selbst liegt, ist das subjektive Vertrauen der Rechtsunterworfenen maßgeblich.1360 Soweit politische Streitigkeiten betroffen sind, ist jedoch nicht zu erwarten, dass die Staaten der Entscheidung eines Rechtspflegeorgans vertrauen werden.1361 Oder anders ausgedrückt: Die Unterscheidung, ob eine Rechtsstreitigkeit oder eine politische Streitigkeit vorliegt, ist per se bereits eine Entscheidung der Streitparteien, und auch die Frage, ob die Streitigkeit dem Völkerrecht unterliegt, hängt somit vom Willen der Streitparteien ab.1362 Die Selbstbindung als Geltungsgrund des Völkerrechts zu sehen, führt also dazu, dass das Völkerrecht zum „äußeren Staatsrecht“ wird.1363 Konsequenterweise heißt dies aber, dass es zwischen zwei Staatsakteuren zwei verschiedene „äußere“ Rechtssphären geben wird. Somit ist kein Recht möglich, das nicht bereits vom Willen der jeweiligen Staatsakteure ohnehin getragen wird. Völkerrecht verkommt also aus der positivistischen Sichtweise zu einer Banalität oder zu einer Unmöglichkeit. b) Die Quellenlehre des Völkerrechts Die Frage nach den Rechtsquellen des Völkerrechts1364 ist gleichzeitig eine Frage nach der Legalität, der Normativität und der Legitimität des Völkerrechts.1365 Das
1357 Morgenthau, Internationale Rechtspflege (Fn. 1101), S. 54; Bruns, Völkerrecht II (Fn. 531), S. 445 – 487 (453); Koskenniemi, Utopia (Fn. 982), S. 23. 1358 Soweit jede Streitigkeit objektiv dem Völkerrecht unterliegt und durch Gerichte entschieden werden könnte, ist diese Unterscheidung auch von geringem Interesse. Vgl. Morgenthau, Internationale Rechtspflege (Fn. 1101), S. 44. 1359 Dreier, Zerrbild (Fn. 1334), S. 61 – 91 (82 – 83). 1360 Morgenthau, Internationale Rechtspflege (Fn. 1101), S. 84. 1361 Morgenthau, Internationale Rechtspflege (Fn. 1101), S. 90. 1362 Bruns, Völkerrecht II (Fn. 531), S. 445 – 487 (469). 1363 Bruns, Völkerrecht I (Fn. 506), S. 1 – 56 (5). Kaufmann hingegen sieht die Selbstbindung nicht als entscheidendes Kriterium. Selbstbindung existiere auch im subordinationsrechtlich geprägten inneren Staatsrecht. Vgl. Kaufmann, Wesen (Fn. 997), S. 190. 1364 Gemäß Art. 38 Abs. 1 des IGH Statuts sind als Völkerrechtsquelle anerkannt: a) die internationalen Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind; b) das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck von allgemeinen, als Recht anerkannten Regeln; c) die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze; sowie d) richterliche Entscheidungen und Lehrmeinungen der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 322; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/1 (Fn. 1032), S. 62 – 63.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Völkerrecht kennt keinen Numerus Clausus der Rechtserzeugungsarten1366 und hat somit das grundsätzliche Problem, dass es durch einen schwerlich definierbaren „Rechtsetzungsprozess“ gesetzt wird.1367 Als Quellen des Völkerrechts werden demnach allgemein die Verträge und das Völkergewohnheitsrecht1368 als gleichwertige Erzeugungsarten1369 angesehen.1370 Diese Rechtsquellen können von den Völkerrechtssubjekten selbst mitbestimmt und somit auch mitverändert1371 werden.1372 Die eigentliche Quelle des Völkerrechts kann also als der „Konsens“ der Staaten1373 verstanden werden.1374 1365 Besson, Samantha, Theorizing the Sources of International Law, in: Besson/Tasioulas (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1351), S. 163. Während die Souveränitätsdoktrin das Völkerrecht vom Staatsverhalten aus erklärt, versucht die Quellenlehre die gleiche Frage vom anderen Ende her zu beantworten. Die jeweiligen formalen Quellen werden also als Möglichkeit verstanden, den jeweiligen Willen der Staaten zu ermitteln. Vgl. Koskenniemi, Utopia (Fn. 982), S. 583 – 584. 1366 Dies ist die Konsequenz des Fehlens eines zentralen Gesetzgebungsorgans. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 323; Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 9; Kokott/Doehring/Buergenthal, Völkerrecht (Fn. 975), S. 21. 1367 Es gibt aufgrund des Fehlens eines zentralen Gesetzgebungsorgans keinen Numerus Clausus der Entstehungsmöglichkeiten. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 323; Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 9. 1368 Gewohnheitsrecht begreift Max Weber als „Naturrecht des historisch gewordenen“. Vgl. Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 1922 (zitiert wird die Ausgabe Zweitausendeins, 2005), Siebtes Kapitel § 7, S. 636. 1369 Ergänzend gelten die allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 380; im Artikel 38 des IGH Statuts wurde eine allgemein verbindliche internationale Formulierung der Quellen des Völkerrechts festgeschrieben. Die völkerrechtlichen Verträge werden dabei als positivistische und das Gewohnheitsrecht als naturrechtliche Komponente des Völkerrechts verstanden. Vgl. Besson, Samantha, Theorizing the Sources of International Law, in: Besson/Tasioulas (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1351), S. 165; Crawford, Principles (Fn. 477), S. 21 – 23. 1370 So z. B. die IGH-Entscheidung Nicaragua v. United States 1986 I.C.J. 14; Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 322. 1371 Selbst das Rechtsetzungsverfahren durch Vertragsschluss basiert letztlich seinerseits auf dem oben als Grundnorm bezeichneten, völkerrechtsgewohnheitsrechtlichen Grundsatz „pacta sunt servanda“, der der Wandelbarkeit unterliegt. Vgl. Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 31. Auf den naturrechtlichen Ursprung der Vertragsfreiheit weist auch Max Weber hin. Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Fn. 1368), Siebtes Kapitel § 7, S. 637 – 638. 1372 Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 30 – 31. 1373 Ausnahme dieses Konsensprinzips ist lediglich das „ius cogens“. Vgl. Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 4; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3 (Fn. 526), S. 707 – 708. 1374 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 324; Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 12; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/1 (Fn. 1032), S. 35 – 36. Bruns steht der Auffassung, Verträge als Rechtsquelle zu sehen, kritisch gegenüber und sagt, dass es keine Völkerrechtsordnung und kein Völkerrecht gebe, wenn das Völkerrecht nicht auf Rechtsgrundsätze, Rechtsinstitute und Rechtssätze von allgemeiner Geltung bestehen würde. Vgl. Bruns, Völkerrecht I (Fn. 506), S. 1 – 56 (3); wobei die Existenz eines solchen zwingenden Völkerrechtes bezweifelt werden dürfte. Das ius cogens wird von der völkerrechtlichen Literatur dem Grunde nach zwar anerkannt bzw. vorausgesetzt, es ist jedoch inhaltlich unklar, was damit gemeint ist. So: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3 (Fn. 526), S. 709 – 710.
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Es kann also gesagt werden, dass nur der Grundsatz der Staatensouveränität1375 sowie der Grundsatz „pacta sunt servanda“ im Völkerrecht eine originäre Norm des Völkerrechts bilden, die auf keine höhere Norm zurückgeführt werden kann und somit eine Art Grundlage der Verfassung der Staatengemeinschaft bildet.1376 Damit erscheint die oben erläuterte Konstruktionsproblematik des Konsensualismus auch in diesem Kontext. Die Rechtswirksamkeit des Völkerrechts ist abhängig vom Willen des Völkerrechtssubjekts. Die völkerrechtliche „Autorität“ äußert sich jedoch nur „spärlich“.1377 Dies führt zur Annahme, dass das Völkerrecht die Kräfteverhältnisse der einzelnen Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft nur unzureichend auszudrücken vermag und im besten Falle nur aussagt, welches Kräfteverhältnis1378 zum Zeitpunkt der Schaffung des Rechtszustandes zwischen den betreffenden Staaten bestanden hatte.1379 Gerade einseitige Völkerrechtsakte spielen im Völkerrecht, gemessen an der außenpolitischen Bedeutung, die eine bestimmte Rechtshandlung einer Großmacht haben kann, nur eine untergeordnete1380 Rolle. Somit stellt sich die Frage der sozialen Wirksamkeit des Völkerrechts als solche. 2. Rechtsqualität des Völkerrechts in der Großraumtheorie Die obige Darstellung zeigt, dass weder die naturrechtliche noch die positivistische Lehre eine klare Rechtssetzungsautorität kennt. Diese Unklarheit wirkt sich auch auf die Frage der faktischen Wirksamkeit des Völkerrechts aus.
1375 Bzw. der daraus ableitbare Grundsatz des Selbsterhaltungsrechts der Staaten. Vgl. Kaufmann, Wesen (Fn. 997), S. 192. 1376 Verdross, Alfred, Entstehungsweisen und Geltungsgrund des universellen völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 29 (1969), S. 635 – 653 (649). 1377 Baumgarten, Souveränität und Völkerrecht: Teil 1 und 2 (Fn. 976), S. 305 – 334 (306). 1378 Im nationalen Recht ist der „Normkomplex“ so flexibel, dass die sich ändernden Kräfteverhältnisse durch elastische Normen „aufgefangen“ werden können. Der Fall eines Zerbrechens des alten Rechtssystems im Akt der Revolution und der Zustand der Anarchie aufgrund eines fehlenden neuen Rechtssystems sind die Ausnahmen. Im völkerrechtlichen Kontext ist dies jedoch gerade die Regel, da die „Entwicklung des Völkerrechts an einen Punkt Halt gemacht hat, an dem die eigentliche Funktion eines jeden Rechtssystems erst beginnt.“ Vgl. Morgenthau, Internationale Rechtspflege (Fn. 1101), S. 74 – 75. 1379 Morgenthau, Internationale Rechtspflege (Fn. 1101), S. 75. 1380 Einseitige Rechtsakte sind dabei Erklärungen (einschließlich Kriegserklärungen), Mitteilungen (einschließlich Notifikationen eines Kriegszustandes) oder Rechtshandlungen wie die Besetzung eines staatenlosen Gebietes. Das Völkerrecht sieht für solche Rechtsakte durchaus Rechtsfolgen vor. Einseitige Rechtsgeschäfte hingegen sind etwa Anerkennung (z. B. von Staaten), der Protest eines Rechtszustandes, der Verzicht sowie das einseitige Versprechen. Sie sind zwar nicht annahmebedürftig, jedoch empfangsbedürftig. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 426 – 431; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3 (Fn. 526), S. 765 – 773.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Wie gesehen, versucht Schmitts Großraumtheorie diesem Problem auf zwei Ebenen zu begegnen. Einerseits setzt er eine völkerrechtliche Rechtssetzungsautorität innerhalb eines Großraumes, nämlich die des Reiches. Dabei sprengt Schmitt den Rahmen des existierenden Völkerrechts und propagiert als Alternative eine neue Weltordnung, die das geltende „Westfälische“ Völkerrecht1381 weitestgehend außer Kraft setzen sollte. Andererseits führt er eine weitere Ebene des Völkerrechts ein, die er als weltumfassendes Ordnungsprinzip beschreibt. Dieses Prinzip geht über die einzelne Großraumordnung hinaus und wird von Schmitt „Nomos der Erde“ genannt. Dieses alternative Völkerrecht zu propagieren zeigt, dass Schmitt dem einzelnen Rechtsanwender eine Rechtssetzungsautorität zuspricht.1382 Um die Rechtssetzungsautorität des Völkerrechts beim Rechtsanwender zu sehen, bedarf es jedoch neben der Feststellung der Defizite und eines überzeugenden Alternativkonzepts noch einer Begründung, warum dem Rechtsanwender eine solche Autorität zukommen kann. a) Schmitt als Vertreter eines soziologischen Ansatzes Das erklärte Ziel von Schmitt ist es, die Dissonanz zwischen Völkerrecht und den faktischen Machtgegebenheiten in der internationalen Staatengemeinschaft zu überwinden. In dieser Hinsicht zeigt Carl Schmitt eine Nähe zur Völkerrechtssoziologie. Die zwei völkerrechtssoziologischen Kernaspekte der Großraumtheorie sind dabei die Frage der Durchsetzbarkeit und die des Verständnisses des Völkerrechts als einer Machtordnung. Durch die Großraumordnung, mit der er das Reich als hierarchisch höherrangiges Völkerrechtssubjekt etabliert, versucht Schmitt, einerseits die Durchsetzung des Völkerrechts dem Reich als Aufgabe zuzuweisen und gleichzeitig eine Völkerrechtsordnung zu schaffen, die nach seiner Ansicht der tatsächlichen Machtordnung besser entspricht. aa) Die Durchsetzbarkeit von Völkerrecht als Ausgangspunkt Bereits die Leugner des Völkerrechts, wie etwa Thomas Hobbes oder John Austin,1383 sahen im Völkerrecht nur1384 eine Art „Schluss“ oder „Lehrsatz“.1385 Viel1381 Für Schmitt ist das „Westfälische“ Völkerrechtssystem ein ausschließlich europäisches System, das nur unter den konkreten Voraussetzungen Europas vor dem Ersten Weltkrieg als Raumordnung existieren konnte. Vgl. Odysseos, Louiza/Petito, Fabio, Introduction. The international political thought of Carl Schmitt, in: Odysseos/Petito (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 208), S. 3 – 4. 1382 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 246. 1383 Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 161 – 164 sowie S. 259. 1384 Die rechtliche Verbindlichkeit wurde jedoch abgelehnt. John Austin vertrat, dass das Völkerrecht nur eine moralische Verbindlichkeit für sich in Anspruch nehmen könne. Vgl. Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 9. 1385 Hobbes, Leviathan (Fn. 1002), 18. Kapitel S. 122.
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mehr wird auf die Notwendigkeit der sozialen Wirksamkeit hingewiesen. Dies ist weniger ein juristisches, sondern eher ein soziologisches Argument, das heute1386 allgemein befolgt zu werden scheint, wenn auf die „Effektivität“ oder „Funktionalität“ des Völkerrechts hingewiesen wird. Das Hauptproblem ist dabei die Durchsetzbarkeit des Völkerrechts,1387 die aus der Perspektive der Völkerrechtssoziologie im direkten Zusammenhang mit der Wirksamkeit steht.1388 Die Frage, ob einer Rechtsnorm Gehorsam geleistet wird, ist nach der konventionellen Sichtweise der Völkerrechtslehrer1389 keine zwingende Voraussetzung1390 für die Geltung einer Rechtsnorm.1391 Im Kontext des Völkerrechts verschärft sich jedoch das Problem der Dissonanz zwischen der normativen Ebene und der Durchsetzungsebene, da die Staaten untereinander per se kein Über- bzw. Unter1386 Herdegen etwa zitiert den Satz von Louis Henkin: „Almost all nations observe almost all principles of international law and almost all of their obligations almost all of the time“, um damit den Rechtscharakter aufgrund Wirksamkeit der Normen zu unterstreichen. An gleicher Stelle bringt er jedoch z. B. das Beispiel des Irakkriegs durch die USA und das Vereinigte Königreich als Beispiel von Fällen, in denen eines der zentralen Verbote des Völkerrechts, nämlich das „Gewaltverbot“, tatsächlich nicht eingehalten wurde. Vgl. Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 12. 1387 Die Durchsetzung hat im Völkerrecht eine erhöhte Bedeutung und wird bereits als solches Verhalten der Staaten verstanden, das auf Kongruenz der Norm- und Seinsebene bedacht ist. Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (Fn. 1295), S. 214. Habermas weist darauf hin, dass die Legitimität einer Regel zwar von ihrer faktischen Durchsetzung unabhängig sei, aber der Legitimitätsglaube der Rechtsgenossen mit der sozialen Geltung und faktischen Befolgung variiere. Vgl. Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 6. Auflage, 2017, (6. Auflage ist identisch mit 4. Auflage, 1994. 1. Auflage, 1992), S. 48. 1388 Habermas weist darauf hin, dass die soziale Geltung von Rechtsnormen sich nach dem Grad der Durchsetzung bestimmt. Vgl. Habermas, Faktizität (Fn. 1387), S. 47. 1389 Schon Martens hat darauf hingewiesen, dass es keines Zwanges bedarf, solange dem Recht entsprochen wird. Zwang sei schon deshalb kein Element des Rechts, sondern eine Folge des Unrechts. Entscheidend sei vielmehr, dass für den Nichtbefolgungsfall überhaupt Unrechtsfolgen vorgesehen sind. Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (Fn. 1295), S. 631; es kann an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass auch im innerstaatlichen Bereich nichtdurchsetzbare Rechtsnormen existieren. Verfassungsrecht etwa ist bei fehlender Befolgung durch die Staatsorgane ebenfalls nicht „durchsetzbar“, da die Verfassungsgerichte regelmäßig keine eigenen Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten besitzen. So: Wiegandt, Machtordnung? (Fn. 1318), S. 31 – 76 (50 – 51); an dieser Stelle wird die Parallelität der völkerrechtlichen und staatsverfassungsrechtlichen Arbeiten von Carl Schmitt evident. Auch im innerstaatlichen Bereich war für Schmitt stets die Durchsetzbarkeit einer politischen Entscheidung im Sinne der Legitimität entscheidender als die formaljuristische Legalität. So: Schmitt, Legalität und Legitimität (Fn. 51), S. 14 – 15. 1390 Auch nach dieser Sichtweise kann eine Völkerrechtsordnung nicht auf Dauer wirksam sein, wenn sie nicht von jenen Akteuren, die die von ihr vorgesehenen Zwangsakte setzen, also den Staaten, auch akzeptiert wird. Vgl. Hoerster, Recht? (Fn. 1301), S. 57; Kelsen, Reine Rechtslehre (Fn. 1031), S. 55. Hier liegt das Hauptargument der Leugner des Völkerrechts. So: Wiegandt, Machtordnung? (Fn. 1318), S. 31 – 76 (49). 1391 Dreier, Naturrecht (Fn. 1306), S. 127 – 170 (140); Hoerster, Recht? (Fn. 1301), S. 51; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/1 (Fn. 1032), S. 43.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
ordnungsverhältnis aufweisen und zur Wahrung der Völkerrechtsordnung auf die Durchsetzungskraft der Staaten zurückgegriffen werden muss.1392 Wenn aber Völkerrecht letztlich im Wesentlichen von der Außenpolitik kaum zu unterscheiden ist,1393 kann man von einer Verbindlichkeit nicht ausgehen.1394 Die Akzeptanz der Staatenwelt,1395 die aus der konventionellen Sicht die Bindungswirkung bzw. den Rechtscharakter des Völkerrechts begründen soll,1396 ist zudem letztlich ebenfalls eine soziologische Tatsache. Die soziologische Sichtweise auf das Völkerrecht ist deshalb davon geprägt, dass das Völkerrecht als reiner Formalismus abgetan wird, der vor der Machtpolitik keinen Bestand hat und somit auf der Grundlage von Macht und Interessen funktioniert.1397 Entscheidend ist demnach vielmehr, dass die Staaten versuchen, ihre Interessen zu wahren; ein Verhalten, das, so wie die Völkerrechtssoziologen herausstellen, eine gewisse Regularität aufweist.1398 Die rechtliche Verbindlichkeit spielt nach dieser Sichtweise in der Einhaltung der völkerrechtlichen Pflichten keinerlei Rolle, vielmehr ist die Einhaltung dieser Regeln das Ergebnis der eigenen Interessen der jeweiligen Staaten.1399 Deutlich und überzeugend1400 herausgearbeitet wurde diese Position zuletzt durch Jack Goldsmith 1392 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 46 f.; Bleckmann, Völkerrecht (Fn. 505), S. 6; Grimm, Souveränität (Fn. 953), S. 80; Schweisfurth, Völkerrecht (Fn. 1295), S. 215; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/1 (Fn. 1032), S. 34. Anders als Sitte oder Brauch stützt sich das Recht schließlich auf die artifiziell hergestellte Faktizität durch Androhung von Sanktionen. Vgl. Habermas, Faktizität (Fn. 1387), S. 47. 1393 Sollte es etwa ein völkerrechtliches Gebot geben, dieses aber außenpolitisch gesehen, selbst unter Hinnahme der völkerrechtlichen Konsequenzen, nicht opportun sein, ist der Vorwurf der Völkerrechtswidrigkeit beim Bruch dieses Gebots meist Makulatur. Die Erzwingungstheorien greifen für das Völkerrecht nicht, wenn der Rechtsverletzer keine Furcht vor Sanktionsmaßnahmen zu haben braucht. Die Interessentheorie greift nicht, wenn sich Interessenkonstellationen ändern und das nationale Interesse neu definiert wird. Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (Fn. 1295), S. 638. 1394 So war die herrschende Auffassung im 19. Jahrhundert. Dies war eine Zeit, in der die unbeschränkte Souveränität der Staaten vertreten wurde. Dies änderte sich nur allmählich etwa mit der Etablierung des Gewaltverbotes auf völkerrechtlicher Ebene. Vgl. Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 182; Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 23 – 24. 1395 Baumgarten weist darauf hin, dass die von den Positivisten vertretene Annahme, eine Bindung entstehe durch den Konsens der Staaten, übersieht, dass dies eigentlich nur eine Bindung dessen sei, der sich binden lassen wolle. Es sei also nur ein Versuch der Bindung. Vgl. Baumgarten, Souveränität und Völkerrecht: Teil 1 und 2 (Fn. 976), S. 305 – 334 (316 – 317). 1396 Herdegen, Völkerrecht (Fn. 504), S. 34; Kokott/Doehring/Buergenthal, Völkerrecht (Fn. 975), S. 10. Dies entspricht auch der Situation der Verfassung als Rechtsordnung, die von der Akzeptanz der Amtsträger abhängt, die im Einklang mit der Verfassung Zwangsakte setzen. Vgl. Hoerster, Recht? (Fn. 1301), S. 57. 1397 Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 461. 1398 Goldsmith/Posner, Limits (Fn. 1303), S. 26. 1399 Goldsmith/Posner, Limits (Fn. 1303), S. 39. 1400 Die Kritik auf diese Analyse gründet auch darauf, dass das Völkerrecht als „Abfallprodukt“ eigennütziger staatlicher Interessenverfolgung bzw. „Rhetorik“ verstanden wird. Vgl.
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und Eric Posner, die aus der Position des Staates heraus analysierten, was die „rational choice“1401 der staatlichen Akteure in deren Entscheidungssituationen sei.1402 Von dem reinen Staatsinteresse aus gesehen, ist die Einhaltung der völkerrechtlichen Verträge weniger einem Glauben an Normativität zu verdanken. Entscheidender ist die Konsequenz, die aus einem Vertragsbruch resultieren kann – wie etwa eine Vergeltung des anderen Vertragsstaates oder auch ein Reputationsverlust –, nicht jedoch eine Sanktion durch eine höhere Instanz.1403 Diesen soziologischen Ansatz1404 teilt auch Carl Schmitt.1405 Nach Schmitt wird die Faktizität durch eine politische Idee zu einer politischen Existenz erhoben und Wiegandt, Machtordnung? (Fn. 1318), S. 31 – 76 (46); Cremer, Hans-Joachim, Völkerrecht – Alles nur Rhetorik?, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 67 (2007), S. 267 – 296 (267). 1401 Der „rational choice“-Ansatz wird von Cremer kritisiert, da er die Staaten als monolithischen Block vereinfacht und somit die Komplexität des innerstaatlichen Entscheidungsprozesses ignoriert. Die Eigeninteressen der Staaten seien soziale Konstrukte, die ihrerseits erklärt werden müssen. So: Cremer, Völkerrecht (Fn. 1400), S. 267 – 296 (281). 1402 Goldsmith und Posner stellen ein Modell auf, in dem die regulären Verhaltensweisen der Staaten im internationalen Verkehr durch vier Positionen erklärt werden, in denen sich die Staaten regelmäßig befänden. Zunächst seien solche Situationen denkbar, in denen aufgrund eines partikulären Verhaltens beide Staaten profitieren und somit die Interessen übereinstimmen würden. In solchen Fällen würde das Völkerrecht nichts anderes verlangen, als was die Staaten ohnehin machen würden. Die zweite Situation sei die des Zwanges, in der von einem Staat, wegen des Interesse dieses Staates, Zwang auf einen anderen Staat ausgeübt werde. Aufgrund der wahrgenommenen Macht des stärkeren Staates werden dessen Interessen aus der Position des schwächeren Staates respektiert. Die dritte Situation, in der sich ein Staat befinden kann, ist die der Kooperation. Für diese Situation wenden Goldsmith und Posner das mathematische Spielmodell des sog. Gefangenendilemmas an. In einem Gefangenendilemma – vorausgesetzt, dass das mathematische Spiel unendlich wiederholt wird – ist die Kooperation in vielen Fällen die beste Alternative für alle Akteure. In einer solchen Situation wäre es für den einen Staat sinnvoll, einen anderen Staat anzugreifen, wenn der andere Staat diesen ignoriert (einseitige Invasion). Umgekehrt wäre es ebenfalls so. Würde der andere Staat jedoch ebenfalls angreifen, wäre dies das schlechteste Ergebnis (Krieg). Würden beide hingegen nicht angreifen (Frieden), wäre dies der status quo und somit für jeden Staat, einzeln gesehen, schlechter als die einseitige Invasion, jedoch besser als der Krieg. Gesamtheitlich gesehen ist der Krieg das schlechteste und der Frieden das beste Ergebnis. Anders gesagt liegt eine Situation vor, in der alle Staaten rational handeln und langfristig denken, vorteilhaft zu kooperieren, soweit die Vorteile einer Nicht-Kooperation im Vergleich zu den Vorteilen einer Kooperation nicht überaus hoch sind. Das Problem liegt dann in der Frage, in welcher Situation das Verhalten des jeweiligen Staates als kooperativ gewertet wird und wann nicht. Die letzte Situation ist die der Koordination. Hier ist die koordinierte Ausführung beider Staaten immer vorteilhafter als der unkoordinierte Zustand. Vgl. Goldsmith/Posner, Limits (Fn. 1303), S. 27 – 32. 1403 Goldsmith/Posner, Limits (Fn. 1303), S. 90. 1404 Soziologie ist nach Max Weber „eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“ Soziologie versucht aus empirischer Forschung heraus einen evidenten Sinn zu ermitteln. So: Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Fn. 1368), Erstes Kapitel § 1, S. 3 – 5. Rechtssoziologie setze nach Kelsen, die von ihr zu erfassenden Seinstatbestände nicht zu gültigen Normen, sondern zu anderen Seinstatbeständen in Relation. So: Kelsen, Reine Rechtslehre (Fn. 1031),
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
legitimiert die tatsächliche Herrschaftsordnung.1406 Für Schmitt ist die Souveränität einer Großmacht, nicht jedoch die eines jeden Staates, ein Faktum, an das sich das Recht zu richten hat.1407 Die Ursache des soziologischen Ansatzes sind die Mängel der positivistischen Völkerrechtslehre, die gerade in der Zwischenkriegszeit durch das Scheitern des Genfer Völkerbunds sowie des Briand-Kellogg-Pakts sichtbar wurden.1408 Dies führt zu dem Befund, dass nicht das Völkerrecht als solches, sondern vielmehr die Staateninteressen das Ordnungsprinzip der Staatenwelt sind. Das Völkerrecht, das durch den Westfälischen Frieden1409 entstanden ist, ist demnach eine Machtordnung insb. der Großmächte,1410 und die Interessen der einzelnen Staaten sind auf die eigene Mehrung der Macht gerichtet.1411
S. 108. Kelsen steht somit in einem Gegensatz zu Schmitt, da er den Staat als juristisches Konzept vollkommen getrennt vom Staat als soziologisches Konzept sieht, während Schmitt das Recht als sekundär zur faktischen Dezision ansieht. Vgl. Koskenniemi, Utopia (Fn. 982), S. 226. 1405 Schmitt hat den Vater der Lehre der Internationalen Beziehungen, Hans Morgenthau, direkt beeinflusst. Deren Unterschiede waren letztlich lediglich, dass Schmitt auf ein neues Völkerrecht spekulierte, während Morgenthau sich von den juristischen Kategorien verabschiedete und die reine Machtpolitik in den Vordergrund stellte. Vgl. Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 460; Mehring, Denker im Widerstreit (Fn. 42), S. 99. 1406 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 126. 1407 Koskenniemi spricht deshalb von dem „Ansatz der puren Fakten“. Vgl. Koskenniemi, Utopia (Fn. 982), S. 231. 1408 Diggelmann hebt hervor, dass die positivistische Völkerrechtslehre schon die Grundlagen des Völkerrechtes nicht richtig herausgearbeitet habe. So ist unklar, was die Völkergemeinschaft sein soll, die durch das Völkerrecht beherrscht wird. Auch der Rechtscharakter des Völkerrechts bleibt nicht genügend abgegrenzt von bloßen Sittlichkeiten. Konsequenterweise konnte die Völkerrechtslehre nicht mit dem Wandel des Völkerrechts, der gerade im 19. Jahrhundert an Fahrt aufnahm, Schritt halten. Zuletzt lässt die Völkerrechtslehre zudem ethische Aspekte völlig außer Betracht. Vgl. Diggelmann, Völkerrechtssoziologie (Fn. 4), S. 25 – 27. 1409 Der Realismus versteht die Entstehung des moderne Staatensystems als Ergebnis des Westfälischen Friedens. Dadurch ist ein System entstanden, unter dem souveräne politische Gebilde nach dem Territorialprinzip, Souveränitätsprinzip und Legalitätsprinzip koexistieren. Die Beziehungen zuvor sind eher interdynastische Beziehungen. Vgl. Menzel, Ulrich/Varga, Katharina, Theorie und Geschichte der Lehre von den Internationalen Beziehungen, 1999, S. 18; Hartmann, Internationale Beziehungen (Fn. 1098), S. 21. 1410 Die Grundannahme der Realisten ist dabei, dass sich die Staaten an Interessen, d. h. an Macht, orientieren. Internationale Politik ist das Streben nach Macht. Egal, was die endgültigen Ziele sein mögen, die kurzfristigen Ziele sind immer die Mehrung von Macht. Vgl. Morgenthau, Politics (Fn. 2), S. 29; Wiegandt, Machtordnung? (Fn. 1318), S. 31 – 76 (76). 1411 Das Machtstreben von Staaten ist anthropologisch notwendig, sozialorganisatorisch zwangsläufig und auch geschichtlich regelmäßig zu beobachten. Morgenthau geht, wie auch Schmitt, von einem pessimistischen Weltbild aus. Morgenthau sieht in einer Organisation von Menschen, egal auf welcher Ebene, zwangsläufig einen Kampf um Macht. So: Gu, Internationale Beziehungen (Fn. 1234), S. 62 – 65.
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Diese soziologischen Ansätze mögen der Kritik unterliegen, dass sie nichts Weiteres seien als eine reine Deskription der tatsächlichen Umstände, ohne ein gewisses Spannungsverhältnis1412 zwischen sozialer Wirksamkeit und normativen Grundsätzen.1413 Schmitt sieht es deshalb bereits als Fehler an, den Begriff „Völkerrecht“ mit „Staatsrecht“ unter der Kategorie „Recht“ zusammenzufassen. Die Normkreise hätten zunächst nichts miteinander zu tun.1414 Das Völkerrecht sollte zwar wie das innerstaatliche Recht in erster Linie eine konkrete Ordnung sein, aber anders als im innerstaatlichen Recht gebe es keine straff durchorganisierte oberste Instanz, was es schwierig mache, eine konkrete Ordnung im völkerrechtlichen Kontext zu etablieren.1415 Das Völkerrecht könne also nicht durch einen positivistischen Ansatz erkannt werden, sondern nur dadurch, dass von Anfang an auf die konkrete – also sozial wirksame – Ordnung abgestellt werde.1416 Für Schmitt sind nicht nur rein juristische Aspekte maßgeblich, sondern auch weltanschauliche, wirtschaftliche, soziologische, moralische oder politische Erwägungen.1417 Das reine Abstellen auf positivistische Normen ist für Schmitt das Beharren auf Überlagerungen vergangener Weltlagen und wirkt sich hemmend auf die richtige wissenschaftliche Erkenntnis aus.1418 Die Frage der Rechtsgeltung im Völkerrecht wird also mit der Frage verbunden, ob eine Norm auch sozial wirksam ist.1419 Die Großraumtheorie von Schmitt ist folglich ein Versuch, das Völkerrecht und die politische Wirklichkeit, nämlich die faktische Ungleichheit der Staaten, anzugleichen.1420 Dies geschieht dadurch, dass Schmitt das Reich als einen hierarchisch höherrangigen Akteur in das Völkerrecht einführt und ihm einen Großraum zuteilt. Schmitt betont dabei, dass das Völkerrecht „nur eine Reihe beziehungsloser Pseudo1412
Eine Norm, die vorschreiben würde, dass etwas geschehen solle, wovon man von vornherein weiß, dass es notwendigerweise geschehen würde, wäre sinnlos. Umgekehrt kann aber eine Rechtsnorm, die nicht zu einem gewissen Grade wirksam ist und auch befolgt wird, nicht als gültige Rechtsnorm angesehen werden. Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre (Fn. 1031), S. 10 – 11. 1413 Cremer, Völkerrecht (Fn. 1400), S. 267 – 296 (276 – 277). 1414 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 378 – 379. 1415 Die Grundannahme ist also, dass das internationale System anarchisch strukturiert sei, da eben keine oberste Instanz über den Nationalstaaten existiere. Vgl. Menzel/Varga, Beziehungen (Fn. 1409), S. 15; Auth, Günter, Theorien der Internationalen Beziehungen kompakt, 2. Auflage, 2015, S. 21. 1416 Schmitt, Carl, „Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1940)“, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 382 – 383. 1417 Schmitt, Drei Arten (Fn. 867), S. 39. 1418 Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 260. 1419 Koskenniemi, Utopia (Fn. 982), S. 226 – 227; wirksamkeitsorientierte Rechtsdefinitionen finden sich im Umkreis soziologischer Rechtstheorien. Es geht, egal, ob es die tatsächliche Bereitschaft zur Befolgung oder die tatsächliche Befolgung betrifft, letztlich darum, ob die Norm gilt. Vgl. Dreier, Begriff des Rechts (Fn. 1305), S. 890 – 896 (890). 1420 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 207.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Normen wäre“, wenn nicht der geschichtlich-politische Vorgang in Gestalt des „Raums“ berücksichtigt werden würde.1421 Der Unterschied von Schmitt zu den Soziologen oder den Vertretern der Schule der internationalen Beziehungen 1422 – die eher die moderne Welt rational verstehen wollen – ist, dass Schmitt die Wirklichkeit verändern möchte.1423 In dem neuen Völkerrecht würde das Reich, zumindest innerhalb des Großraumes, für die Durchsetzung des von ihm gesetzten Völkerrechts sorgen. bb) Völkerrecht als effektive Machtordnung Die Konsequenz für Schmitt ist es, die Völkerrechtsordnung als eine reine Machtordnung zu begreifen. Auch die „Realistische Schule“ innerhalb der Lehre der Internationalen Beziehungen,1424 insbesondere dessen Gründer Hans Jürgen Morgenthau,1425 verfolgt diesen Ansatz.1426 Ähnlich wie auch bei Schmitt ist die „Realistische Schule“ eine Gegenreaktion zur liberal-idealistischen Sichtweise,1427 die in 1421 Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 234. 1422 Es geht den Realisten nicht darum, die moralische Dimension von politischem Handeln zu verneinen, sondern darum, die moralischen Ansichten einzelner staatlicher Akteure auszublenden. Die Forderung der „Realistischen Schule“ ist, eine rationale, d. h. interessenorientierte Außenpolitik zu betreiben. Dies bedeutet nicht, dass die Realisten zwingend bei der anarchischen Weltordnung bleiben wollten. Die Realisten sehen die traditionelle Verknüpfung zwischen Staat und Interesse als ein historisches Konzept an, das jedoch durchaus überwunden werden kann. Eine Neueinteilung der Welt in größere Einheiten ist durchaus denkbar. Dieser Aspekt ist umso dringender, als es nun aufgrund der technischen Entwicklungen möglich erscheint, dass die Interessenverfolgung eines Staates zur universalen Zerstörung der gesamten Welt führen kann. Weder das normativ aufgeladene Völkerrecht noch das Prinzip des Gleichgewichtes ist in der Lage, das Machtstreben der einzelnen Akteure auf Dauer zu limitieren. Vgl. Morgenthau, Politics (Fn. 2), S. 9 – 12, 24 – 26. 1423 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 115; Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 464. 1424 Die realistische Schule wird hier stellvertretend für die Lehre der Internationalen Beziehungen genannt, da diese nach wie vor die dominante Schule der Internationalen Beziehungen ist und die restlichen Schulen aus einer kritischen Haltung gegenüber dem Realismus entstanden sind. So: List, Martin, Internationale Politik studieren. Eine Einführung, 2006, S. 25. 1425 Gu, Internationale Beziehungen (Fn. 1234), S. 54; Lemke, Christiane, Internationale Beziehungen: Grundkonzepte, Theorien und Problemfelder, 3. Auflage, 2012, S. 15; Menzel/ Varga, Beziehungen (Fn. 1409), S. 44; Ritterberger, Volker/Zangl, Bernhard/Kruck, Andreas (Hrsg.), Internationale Organisationen, 4. Auflage, 2013, S. 28. 1426 Die „Realistische Schule“ geht dabei von einem pessimistischen Menschenbild aus und spricht deshalb dem Selbsthilfeprinzip eine große Rolle zu. Vgl. Menzel/Varga, Beziehungen (Fn. 1409), S. 15. 1427 Das klassisch liberale Denken, das maßgeblich vom bereits behandelten Werk „Zum ewigen Frieden“ von Kant stammt, wurde in der Zwischenkriegszeit die maßgebliche Lehre in der akademischen Forschung und Lehre. Der Einfluss, den der Idealismus gegenüber der imperialen Politik der Großmächte vor dem Ersten Weltkrieg ausübte, führte schließlich auch dazu, dass der Völkerbund gegründet wurde. Vgl. Gu, Internationale Beziehungen (Fn. 1234),
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der Zwischenkriegszeit vorherrschend war.1428 Der Realismus ist also ein Produkt1429 der Kritik an dem als idealistisch empfundenen Denken, dass zwischenstaatliches Völkerrecht die friedliche Konfliktlösung fördere.1430 Insofern ist es wenig überraschend, dass Schmitt auf die Entstehung dieser Lehre1431 – die die Staatenwelt soziologisch zu ergründen versucht1432 – einen großen Einfluss gehabt hatte.1433 Schmitt teilt die Ansichten der Realisten, da auch sie – wie etwa Morgenthau – das Ende der europäischen Gleichgewichtsordnung diagnostizieren und die tatsächlichkonkrete Machtdistribution zwischen den Staaten als Hindernis für die Staatengleichheit ansehen.1434 Die Realisten verneinen deshalb die Herrschaft des Rechts im internationalen Kontext komplett.1435 Vielmehr repräsentiert sich das internationale System in drei Grundstrukturen: der Struktur der faktischen Machtaufteilung, der normativen Grundstruktur der formellen Staatengleichheit1436 und der polit-ökonomischen Grundstruktur, wobei, wie erläutert, die Machtverhältnisse die eigentlich interessante Grundstruktur1437 für die Realisten sind.1438 S. 103; Menzel/Varga, Beziehungen (Fn. 1409), S. 23, 38; Hartmann, Internationale Beziehungen (Fn. 1098), S. 10. 1428 Nach den Vertretern des Realismus wertete der Idealismus die politische Macht ab. Vgl. Gu, Internationale Beziehungen (Fn. 1234), S. 53 – 54. 1429 Die Grundelemente des Realismus sind dabei die bereits existierenden Bestandteile der völkerrechtlichen Lehre sowie andere Theorien der Außenpolitik, wie etwa die Gleichgewichtspolitik oder die Geopolitik gewesen. Der Realismus hat jedoch, anders als die vorherigen Theorien der Außenpolitik, diese Ansätze in eine in sich geschlossene Theorie weiterentwickelt. Vgl. Gu, Internationale Beziehungen (Fn. 1234), S. 57. 1430 Auth, Internationale Beziehungen (Fn. 1415), S. 19. 1431 Der Realismus als eigenständige Schule etablierte sich nach dem Ersten Weltkrieg, wobei es insbesondere um die Frage ging, wie ein neuer Weltkrieg verhindert werden könne. Vgl. Menzel/Varga, Beziehungen (Fn. 1409), S. 21. 1432 Lemke, Internationale Beziehungen (Fn. 1425), S. 5; Hartmann, Internationale Beziehungen (Fn. 1098), S. 9. 1433 Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 424. Für Colombo ist Schmitt zweifelsfrei als Realist anzusehen. So: Colombo, Alessandro, The „realist institutionalism“ of Carl Schmitt, in: Odysseos/Petito (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 208), S. 22. 1434 Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 460 – 461. 1435 Buchanan, Allen, The legitimacy of international law, in: Besson/Tasioulas (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1351), S. 89. 1436 Die grundsätzliche Skepsis Schmitts gegenüber dem Normativen wird also auch von den Realisten geteilt. Anders als Schmitt kam Morgenthau jedoch nicht zum Ergebnis, dass es einer neuen Weltordnung bedürfe. Vgl. Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 464; das bedeutet jedoch nicht, dass die „Realistische Schule“ sich nur auf die Analyse des ius publicum europaeum beschränkt und keine Forderungen erheben würde. Eine reine Apologie von Machtpolitik vertritt der Realismus gerade nicht. Vgl. Gu, Internationale Beziehungen (Fn. 1234), S. 67. 1437 Die politischen Institutionen und das Völkerrecht erscheinen so von der tatsächlichen Machtsituation entrückt, so dass diese für die Realisten als irrelevant für die Realität der internationalen Politik anzusehen sind. Das Völkerrecht geht nach den Realisten von einer Vielzahl von Staaten aus, die autark, undurchdringbar, gleich und souverän sind; die Realität ist
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Die Realisten bleiben dabei jedoch der Anarchie der Staatenwelt verhaftet, während Schmitt eine hierarchische Weltordnung etablieren will: eine neue Raumordnung, in der das bisherige zentrale Völkerrechtssubjekt – der Staat – entmachtet wird.1439 Während die Realisten die Völkerrechtsordnung als Ergebnis der jeweiligen Machtbeziehungen ansehen und dieser die Wirksamkeit absprechen, soweit die Machtverhältnisse vom völkerrechtlichen Sollen abweichen, sieht Schmitt im Völkerrecht mehr als das.1440 Schmitt sieht die Souveränität der Staaten und die daraus folgende Anarchie der Staatenwelt, die daraus folgte, als Institutionen des Völkerrechts, die in der alten konkreten Raumordnung des „ius publicum europaeum“ existierten und den Krieg in Europa hegten.1441 Dieser alte Nomos der Erde sei nun aber aufgelöst. Denn Universalisierung dieser völkerrechtlichen Institutionen führten nicht zur Bestätigung dieser Raumordnung, sondern vielmehr zu deren Auflösung; ein Grund, warum er einen neuen Nomos der Erde als notwendig ansieht.1442 Deshalb ist Schmitts Großraumtheorie zwar aus einer Analyse der existierenden Völkerrechtsordnung entstanden, aber kein Erklärungsversuch des status quo, sondern eine Forderung einer neuen Weltordnung. Die Großraumtheorie versucht, ein neues Völkerrecht zu etablieren, das eine konkrete – also auch eine effektiv wirksame – Raumordnung sein soll. b) Die Großraumordnung als konkrete Raumordnung Die Monroe-Doktrin als Prototyp der Großraumtheorie zeigt, dass es neben einem Raum und einem Reich auch eine Raumordnung geben muss, die im Großraum verwirklicht wird. Das Reich strahlt seine Ordnung in den ganzen Großraum aus. Gleichzeitig verbietet es die Intervention raumfremder Mächte in den jeweiligen Großraum.1443 Das Völkerrecht soll eine konkrete Ordnung sein, die sich territorial und räumlich bestimmt.1444
jedoch, dass es nur einige Supermächte und eine Vielzahl an Mini-Staaten gebe. genthau, Politics (Fn. 2), S. 5 – 8. 1438 List, Internationale Politik (Fn. 1424) S. 17 – 18. 1439 Colombo, Alessandro, The „realist institutionalism“ of Carl Schmitt, in: Petito (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 208), S. 31 – 32. 1440 Colombo, Alessandro, The „realist institutionalism“ of Carl Schmitt, in: Petito (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 208), S. 23. 1441 Colombo, Alessandro, The „realist institutionalism“ of Carl Schmitt, in: Petito (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 208), S. 24 – 25. 1442 Colombo, Alessandro, The „realist institutionalism“ of Carl Schmitt, in: Petito (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 208), S. 30. 1443 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49. 1444 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 11.
Vgl. Mor-
Odysseos/ Odysseos/ Odysseos/ Odysseos/
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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Schmitt sieht bestehende Raumordnungen, wie das Gleichgewichtsprinzip oder die Lehre der natürlichen Grenzen, als überholt an.1445 Das ius publicum europaeum war, als geschichtlich einmaliger Entwurf und Aufteilung eines in bestimmter Weise geographisch lokalisierten und zentrierten geschichtlichen Raumes, eine konkrete Ordnung.1446 Allerdings wurde das ius publicum europaeum, so Schmitt, gerade aufgrund des Fehlens einer raumhaften Ordnung in den universalistischen Gedanken der Genfer Liga „entortet“.1447 Konkret führte dies zu einem „diskriminierenden Kriegsbegriff“, da der entortete angloamerikanische Universalismus den eigenen Feind zum „Feind der Menschheit“ degradierte.1448 Als Ergebnis hätten die Völkerrechtler das Bewusstsein von der Raumordnung, die dem Recht innewohnte, verloren, so dass das Völkerrecht nur noch ein leerer Formalismus geworden war.1449 Dieser Gedanke richtet sich offensichtlich gegen die globale Ausbreitung der angelsächsischen Mächte, die geographisch zusammenhanglose Kolonien auf der ganzen Welt unter sich vereinigten.1450 Das Reich solle nun eine neue konkrete Ordnung erschaffen, die den Großraum maßgeblich definieren solle. Für den Großraum setze das Reich die konkrete Ordnung fest.1451 Das Ende der Epoche der Nationalstaaten bedeutet für Schmitt, dass es notwendig sei, durch menschliche Tat und Entschluss eine weltgeschichtliche Wende zu bewirken und eine neue Ordnung zu entwerfen.1452 Der Schöpfungsakt dieser neuen Ordnung sei die Landnahme.1453 Abgestellt wurde auf den Volksboden eines einzelnen Volkes, der über ein Staatsgebiet hinausgehe.1454 Schmitt geht davon aus, dass es eine sichere und gerechte Großraumeinteilung des Planeten geben kann, in der verschiedene Großräume in ihrer inneren und äußeren Ordnung als feste Größen bestünden.1455 Für die Aufteilung des Raumes zwischen den Großräumen gemäß einer konkreten Ordnung fehlt es jedoch an klaren Kriterien.1456 Da das Ziel der Großraumordnung, 1445 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 15 – 18; diese natürlichen Grenzen spielten noch im Rahmen des „ius publicum europaeum“ im 19. Jahrhundert ein Rolle, so etwa bei den Frankfurter Verhandlungen. Vgl. von Elbe, Wiener Kongreß (Fn. 1209), S. 226 – 260 (250). 1446 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 200. 1447 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 202. 1448 Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 416. 1449 Koskenniemi, Civilizer (Fn. 5), S. 417. 1450 Schmitt nennt dies den Grundsatz der Sicherheit der Verkehrswege. Da Großbritannien einen globalen Streubesitz an Kolonien kontrollierte, war dessen höchste Priorität, den ius publicum europaeum zu erhalten, und die Verkehrswege waren deshalb von besonderer Bedeutung. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 34 – 35. 1451 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 44. 1452 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 215. 1453 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 223. 1454 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 67. 1455 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 76. 1456 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 46.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
die Hegung des Krieges, gerade aber nur durch eine lückenlose Einteilung der Welt in Großräume ohne Überlappung oder „neutrale Gebiete“ möglich erscheint,1457 muss dies als Schwachpunkt der Großraumordnung genannt werden. Die Ausführungen zur Ausstrahlung einer konkreten Ordnung durch das Reich bleiben in Schmitts völkerrechtlichen Ausführungen recht dünn. Allerdings hat Schmitt eine identische Begrifflichkeit in seinem Werk „Über drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (1934)“ 1458 entwickelt.1459 In diesem Werk untersucht Schmitt die drei Methoden des juristischen Denkens, den Dezisionismus, den Normativismus und das konkrete Ordnungsdenken.1460 Dabei positioniert sich Schmitt, abweichend von seinem zuvor vertretenen dezisionistischen Ansatz, mehr zugunsten des konkreten Ordnungsdenkens.1461 Das Ordnungsdenken ist dadurch geprägt, dass die gegenwärtige Situation in ihrer geschichtlichen Einmaligkeit und Besonderheit zum Begriff gebracht wird.1462 Das Ordnungsdenken ist nach Schmitt insbesondere deshalb überlegen, weil es nicht nur auf die einzelnen Regelungen, die nicht nur ein Mittel der Ordnung seien, sondern immer zunächst auf die Ordnung, die mehr als nur die Summe aller Regeln sei, schaut.1463 Die konkrete Ordnung ist mehr als nur eine „Methodenlehre“. Vielmehr ist es eine Rechtsquellenlehre, die die sog. „konkrete Ordnung“1464 als eine wesentliche Rechtsquelle vor dem Gesetz etablieren möchte.1465 Schmitt kehrt sich also von seinem ehemaligen dezisionistischen Denken ab1466 und vertritt, dass der Positivismus kein selbstständiger Typus rechtswissenschaftlichen Denkens sei. Der De1457
Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 61. Entwickelt wurde die Lehre über die konkrete Ordnung aus der Institutionentheorie Maurice Haurious. Anders als dieser ist jedoch die Schmitt’sche konkrete Ordnung ein Zustand, der aufgrund und im Sinne einer Entscheidung eines Machthabers entsteht. So: Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 168 – 178. 1459 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 43; Blindow, Reichsordnung (Fn. 24), S. 11; Rüthers, Entartetes Recht (Fn. 24), S. 63; Kaiser, Joseph, Konkretes Ordnungsdenken, in: Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum (Fn. 36), S. 319 – 331. 1460 Schmitt, Drei Arten (Fn. 867), S. 8. 1461 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 168. 1462 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 170. 1463 Anders als der anfänglich zur Schau getragene Relativismus wird das konkrete Ordnungsdenken nun verabsolutiert. Der Normativismus und der Dezisionismus werden hingegen als geschichtlich tote und artfremde Denkweisen abgetan. Vgl. Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 170. 1464 Schmitt hatte dabei nicht nur zeitgeschichtliche und rechtstheoretische Tradition, sondern auch literarische und philosophische Themen und Motive seiner Zeit im Auge. Vgl. Kaiser, Joseph, Konkretes Ordnungsdenken, in: Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum (Fn. 36), S. 319. 1465 Rüthers, Entartetes Recht (Fn. 24), S. 75. 1466 Da die dezisionistische Diktatur eine Voraussetzung für Schmitts konkrete Ordnung ist, ist jedoch keine abrupte Abkehr vom Dezisionismus zu sehen. So: Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 173. 1458
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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zisionist unterwerfe sich der staatlichen Macht des Gesetzgebers, weil dieser allein die tatsächliche Erzwingbarkeit verschaffen könne.1467 Ein bloßes Faktum sei aber noch keine Rechtsquelle.1468 Die Normativisten hingegen sind nach Schmitt immer nur auf die isolierte Betrachtung der einzelnen Normen fixiert.1469 Die Betrachtung der Ordnung als eine Summe oder als ein System von Normen bezeichnet Schmitt jedoch als eine „Auflösung“ der Ordnung.1470 Das konkrete Ordnungsdenken zeichnet sich für Schmitt also auch dadurch aus, dass solche Erwägungen wie weltanschauliche, wirtschaftliche, soziologische, moralische oder politische Aspekte, die von Positivisten als nicht juristisch angesehen werden, durchaus in dem juristischen Denken eine Rolle spielen.1471 Für Schmitt kommt es also auf eine Gesamtschau an. Im Wandel des Rechtsverständnisses von Schmitt um 1933 von einem Dezisionismus hin zum konkreten Ordnungsdenken1472 ist der Einfluss Hegels zu sehen. Das Kernproblem ist dabei, die gegenüberstehenden Begriffe der Faktizität und Normativität aufzulösen. Im früheren Werk Schmitts wird der Satz Hegels „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“1473 in einer Weise interpretiert, dass nur derjenige als politische Größe existieren kann, der aufgrund einer bewussten Entscheidung ins Dasein gerufen wurde.1474 Während in seinem Werk „Politische Theologie“ noch der tatsächlichen und faktischen Macht der Vorrang eingeräumt wurde, ist für Schmitt ab 1933 die konkrete Ordnung maßgeblich.1475 Der Begriff „konkretes Ordnungsdenken“ hat also keine klare inhaltliche Definition. Es ist nicht möglich, bestimmte Prinzipien festzumachen.1476 Die konkrete Ordnung dient lediglich als ein Instrument zur Änderung und Ergänzung des jeweiligen Rechts ohne Zutun des Gesetzgebers. Der Entscheider soll erwünschte Rechtsfolgen, die im Gesetz keine Grundlage haben, aus faktischen oder ideologischen Vorgegebenheiten ableiten können.1477 Insofern kann diese Theorie der Injektion einer bestimmten Weltanschauung,1478 z. B. der nationalsozialistischen 1467
Schmitt, Drei Arten (Fn. 867), S. 8. Schmitt, Drei Arten (Fn. 867), S. 36. 1469 Schmitt, Drei Arten (Fn. 867), S. 13. 1470 Schmitt, Drei Arten (Fn. 867), S. 21. 1471 Schmitt, Drei Arten (Fn. 867), S. 39. 1472 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 168. 1473 Hegel, Philosophie (Fn. 1019), Vorrede (S. 14). 1474 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 48. 1475 Nach Schmitt wird „in Hegels Rechts- und Staatsphilosophie das konkrete Ordnungsdenken mit einer unmittelbaren Kraft … noch einmal lebendig“. Vgl. Schmitt, Drei Arten (Fn. 867), S. 45. 1476 Rüthers, Entartetes Recht (Fn. 24), S. 63 – 64. 1477 Rüthers, Entartetes Recht (Fn. 24), S. 75. 1478 Selbst in Schmitts eigener Theorie ist eine Veränderung der konkreten Ordnung festzumachen. So hat Schmitt mit der konkreten Ordnung in den Jahren 1934 bis 1936 eine 1468
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Weltanschauung, in das geltende Recht dienen.1479 Das konkrete Rechtsdenken führt also dazu, dass das Recht in der Politik aufgeht.1480 Insgesamt bleibt das konkrete Ordnungsdenken also inhaltlich leer und kann von beliebigen politischen Richtungen in Anspruch genommen werden. Das Reich kann also den Inhalt beliebig ausfüllen, sofern es die Macht hat, eine konkrete Raumordnung auch effektiv durchzusetzen. Die Struktur ist mit der Monroe-Doktrin nicht unähnlich, da auch hier der Inhalt einseitig von den Vereinigten Staaten definiert wurde und ohne die Machtfülle der USA nicht hätte durchgesetzt werden können. Entscheidend ist, dass die Großraumtheorie eine Machtkonzentration zugunsten des Reiches propagiert und raumfremde Mächte von ihrer Wirkung abgewehrt werden sollen. Dieses Prinzip wurde nämlich auch in der Geschichte der Monroe-Doktrin, soweit außenpolitisch und militärisch möglich, jederzeit hochgehalten. c) Nomos der Erde als Durchsetzungsmöglichkeit seiner völkerrechtlichen Großraumordnung Die Motivation der Schmitt’schen Großraumtheorie ist klar: Es soll keinesfalls eine Darstellung des geltenden Rechts sein, sondern ist allenfalls eine Konzeption eines alternativen Völkerrechts. Schmitt sagt selbst, dass die Darstellung des „Gedanken des Großraumes“ dazu dienen solle, „die Monopolstellung eines leeren Staatsbegriffes zu überwinden und verfassungs- wie völkerrechtlich das Reich zum maßgebenden Begriff unseres Rechtsdenkens zu erheben“.1481 Die Frage stellt sich also, ob es Schmitt bei der Großraumtheorie lediglich nur um ein Appell an die Politik ging,1482 wie nach seiner Vorstellung das Völkerrecht auszusehen habe. Im Jahre 1939 mag dies noch der Fall gewesen sein, aber ab 1942 änderte sich der Ton bei Schmitt dahingehend, dass die Geschichte ein Ergebnis absichtsloser Entwicklungen sei und der Jurist das Recht unter Beachtung der historischen Entwicklungen zu finden habe.1483 In seinem Werk „Der Nomos der Erde“ ist der Ansatz deshalb gegenüber dem Werk „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ verschieden. Hier wird bereits im Vorwort überpersönliche Einrichtung und Gestaltung als das Ergebnis eines natürlichen Wachstums aus der Eigenart des Volkes verstanden. Ab 1937 ist jedoch eine Abkehr vom völkischen Gedanken zu verorten. Danach bedeutete konkrete Ordnung für Schmitt eine überstaatliche und übervölkische Raumordnung, die in ihrer jeweiligen Besonderheit an einen geschichtlich bedingten, überindividuellen und übervölkischen Horizont gebunden ist. Vgl. Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 171, 189, 216. 1479 Rüthers, Entartetes Recht (Fn. 24), S. 76. 1480 Habermas, Faktizität (Fn. 1387), S. 189. 1481 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 82. 1482 Konkret war zumindest in „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ ein Appell an die nationalsozialistische politische Elite zu sehen. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 63. 1483 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 36.
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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konstatiert, dass das europäische Völkerrecht (ius publicum europaeum) untergehe und damit auch der alte Nomos der Erde. Schmitt fordert als Konsequenz einen neuen Nomos der Erde.1484 Die Geschichtsphilosophie Schmitts, die im „Nomos der Erde“ zu erblicken ist, geht auf die Geschichtsphilosophie Hegels zurück, die eine Vorstellung von Weltgeschichte hat, die aus der Vernunft herrührt.1485 Geschichte erscheint demnach nicht als etwas Zufälliges, sondern als Vollzug einer vorher bestimmbaren Regelmäßigkeit. An dieses geschichtsphilosophische Verständnis knüpft Schmitt an, da er vor allem durch den „Nomos der Erde“ den Ordnungsentwurf der jeweiligen Epoche, der sich durch die Schöpfungsordnung der jeweiligen geschichtlich-politischen Welt ergibt, aufdecken möchte.1486 Die Überzeugung Schmitts, dass ein neuer Nomos den alten Nomos ablösen werde,1487 der nicht von Menschen herbeigeführt wird, sondern der sich von selbst vollzieht,1488 zeigt dieselbe spekulative Überzeugung, die auch in Hegels Geschichtsphilosophie zutage tritt.1489
1484
Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 8. Weltgeschichte ist die Verwirklichung des Weltgeistes als der allgemeinen Gattung, welcher die individuellen Volksgeister und Staaten angehören. Der Weltgeist ist das unbeschränkt allgemeine sittliche Bewusstsein, das in jedem Volksgeist enthalten ist. Vgl. Hegel, Philosophie (Fn. 1019), § 340, 342, 343 (zitiert wird die Ausgabe herausgegeben von Georg Lasson, 1911, S. 270 – 271); Fulda, Hans Friedrich, Geschichte, Weltgeist und Weltgeschichte bei Hegel, in: Annalen der internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie Societas Hegeliana, 1986, S. 58 – 105 (70, 81). Dem Weltgeist wird ein Endzweck zugesprochen, nämlich dass der Geist zum Wissen dessen gelange, was er wahrhaft ist. Dieses Wissen solle gegenständlich gemacht und in der vorhandenen Welt verwirklicht werden, die sich als objektiv hervorbringe. Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Band I: Einleitung in die Philosophie der Weltgeschichte, 1837, Allgemeine Einleitung II.1.e), (zitiert wird die Ausgabe herausgegeben von Georg Lasson, 3. Auflage, 1930, S. 51 – 52). 1486 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 224. 1487 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 9. 1488 Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 238. 1489 Der spekulative Charakter zeigt sich in den von Hegel behaupteten drei Entwicklungsstufen der Weltgeschichte, die sich an der Entwicklung des Menschenseins orientieren soll. Das erste Zeitalter, das orientalische, ist mit dem Kindesgeiste zu vergleichen. In der zweiten Stufe, die dem Jünglingsalter entspricht und griechisches Zeitalter genannt wird, erfolgt die Trennung der Reflexion des Geistes. Im dritten, dem römischen Zeitalter, das dem Mannesalter des Geistes entspricht, hat das Individuum seine Zwecke für sich aber nur im Dienste eines Allgemeinen. Im vierten Zeitalter ist der Geist in die Welt gekommen und hat in dem Individuum seinen Sitz genommen. Dieses Zeitalter, das dem Greisenalter entspricht, wird germanisches Zeitalter genannt. Vgl. Hegel, Weltgeschichte (Fn. 1485), Allgemeine Einleitung III.1., (S. 135 – 136). Die Geschichtsphilosophie Hegels ist spekulativ, da der Weltgeist ein Gegenstand philosophischen Begreifens ist, dessen Struktur sich nur als zeitliche erschließt. Insofern ist die hegelsche Geschichtsphilosophie futuristisch, da sie versucht, die Vergangenheit, die der gegenwärtige Geist hat, aus einer Zukunft verständlich zu machen, über die der Betrachter in der Gegenwart nichts wissen kann. Vgl. Fulda, Hegel (Fn. 1485), S. 58 – 105 (78 – 99). 1485
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
Wie bereits festgestellt, beinhaltet Nomos ursprünglich im griechischen die Bedeutung: Messung für die Landnahme als die erste Raumteilung.1490 Der Sinn des Wortes „Nomos“ sei jedoch verändert worden und der Zusammenhang von Landnahme und Nomos verloren gegangen.1491 Bei dem Begriff Nomos geht es Carl Schmitt um die Hegung im räumlichen Sinne zur Herstellung von Recht und Frieden, also um die Hegung des Krieges.1492 Schmitt bezweckt mit der Einführung des ursprünglichen Begriffs „Nomos“, seine These zu erklären,1493 da er gerade das deutsche Wort „Gesetz“ für ungeeignet hält.1494 Mit dem Begriff „Nomos“ versucht Schmitt, einen konstituierenden raumordnenden Urakt der Landnahme zu bezeichnen, den er durch das Wort „Gesetz“ nicht getroffen sieht.1495 Solche konstituierenden Vorgänge sind nach Schmitt nichts Alltägliches, aber sie seien auch nicht abgeschlossen, sondern noch offen und in Bewegung, so dass auch heute noch ein neuer Nomos entstehen könne, auch wenn nicht jede Wegnahme von Land einen neuen „Nomos“ begründe und umgekehrt.1496 Die Entstehung eines „Nomos der Erde“ sieht Schmitt nicht bereits in dem vorglobalen Völkerrecht, das zwar eine Teilung zwischen Machtkomplexen vorsah, aber eben kein globales Bewusstsein beinhaltete.1497 Der erste „Nomos der Erde“ entstand nach Schmitt durch die Erfassung und Messung der Erde durch ein globales Bewusstsein, das im Zeitalter der Entdeckungen entstand.1498 Ein Nomos ist also nicht etwas, das entsteht, weil Machthaber bewusst einen Befehl erteilen, sondern er entsteht aus dem Faktum, dass der Urakt der Landnahme – etwa die großen Entdeckungen des 15. und 16. Jahrhunderts – durchgeführt wurde.1499 Die Geschichte ist also nur ein Ergebnis absichtsloser Entwicklungen, die durch Entscheidungen ausgelöst wurden, die ihrerseits Ergebnisse einer Suche nach jeweils zeitgemäßen Problemlösungen waren.1500 So erklärt Schmitt auch die Suche nach dem neuen 1490
Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 36. Platon verwendete den Begriff im Sinne einer Regel oder eines Gesetzes. Für Aristoteles sind die Nomoi, einzelne Regeln, ein Gegensatz zur Politeia, also eine konkrete Ordnung als Ganzes. Endgültig zerstört wurde der Zusammenhang, als Nomos, ein auferlegtes Sollen, als Gegenbegriff zur Physis, das Sein, verwendet wurde. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 37 – 38. 1492 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 44. 1493 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 39. 1494 Nach Schmitt ist das Wort „Gesetz“ durch den Missbrauch des zentralistischen Gesetzesstaates gekennzeichnet. Legalität ist somit nur noch ein Funktionsmodus der staatlichen Bürokratie, die sich an die Gesetze halten muss, die von der zuständigen zentralen Befehlsstelle ausgehen. Das einzige Korrektiv sei das hilflose Korrektiv der Legitimität. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 41. 1495 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 47. 1496 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 48. 1497 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 20 – 21, 25. 1498 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 19. 1499 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 54. 1500 Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 37. 1491
B. Konzepte des europäischen Völkerrechts und der Großraumtheorie
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„Nomos der Erde“. Schmitt sieht die Suche als einen Prozess der Wahrheitsfindung und den neuen „Nomos der Erde“ als etwas, das nur erkannt werden kann.1501 In diesen Kontext konnte Schmitt auch seine Kritik an dem „universalen Völkerrecht“ einbetten, das er, anders als das europäische Völkerrecht, nicht als konkrete Raumordnung ansah.1502 Gleichzeitig spricht er nun die Funktion der Lenker, die nach den Problemlösungen suchen, den Staatsmännern ab und dafür den Juristen zu.1503 Damit verlässt Schmitt, wie schon bei dem Begriff seiner „konkreten Ordnung“, seinen ursprünglichen Dezisionismus und wendet sich endgültig naturrechtlichen Kategorien zu.1504 Einhergehend mit der Großraumtheorie ist also eine neue Sicht auf die Entstehung des Völkerrechts gegeben, da es nicht mehr auf den übereinstimmenden Staatswillen ankommt, sondern auf das bereits geltende Faktum, das es zu erkennen gilt. Schmitt sieht gerade in seiner Großraumtheorie den neuen „Nomos“,1505 nämlich dergestalt, dass es bereits jetzt in der internationalen Ordnung diese Großräume gebe und die Reiche ihre eigenen Großräume beherrschen würden. Die Gesamtschau dieser partiellen Großraumordnungen ergibt den Nomos der Erde.
V. Kriterien für eine Großraumordnung im Sinne von Schmitt Nach der Untersuchung der Konzepte der Großraumordnung lassen sich folgende Kriterien herausfiltern, deren Vorliegen für die Geltung einer Großraumordnung im Sinne von Schmitt sprechen. Erstens, die Raumordnung muss nach innen eine hierarchische Struktur aufweisen. Das Reich als der Souverän innerhalb eines Großraumes dient der Aufrechterhaltung der inneren Raumordnung einerseits und fungiert andererseits als Repräsentant des Raumes nach Außen. Dadurch wird es möglich, dass es zwischen den Großräumen eine gewisse Gleichgewichtsordnung geben kann, die nach Schmitt auf Staatenebene unmöglich sei. Zweitens, die Raumordnung muss konkret sein. Das bedeutet, dass die oben genannten Grundsätze auch tatsächliche soziale Wirksamkeit aufweisen müssen. Die bloße Existenz von anerkannten Rechtsgrundsätzen, die jedoch in der Praxis der Außenpolitik nur eine formale Rolle spielen, ist von Schmitt gerade nicht erwünscht. Als Garant der Aufrechterhaltung einer solchen konkreten Ordnung dient, wie bereits beschrieben, das Reich, das gegenüber den einzelnen Staaten innerhalb eines Großraumes die konkrete Ordnung im jeweiligen Großraum durchsetzt. Allerdings 1501 1502 1503 1504 1505
Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 107, 140, 153. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 211 – 212. Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 37. Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 35 – 36. Schmoeckel, Großraumtheorie (Fn. 30), S. 147 – 151.
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1. Teil: Europ. Völkerrecht und die Großraumtheorie von Carl Schmitt
geht diese konkrete Ordnung über eine bloße Machtordnung hinaus und muss überregional und übervölkisch sein. Das bedeutet, dass die konkrete Ordnung eine gewisse Akzeptanz von den Großraumstaaten genießen muss, die von der reinen Machtordnung unabhängig ist. Drittens, die Großraumordnung ist eine partielle Raumordnung mit gleichwohl globalem Bewusstsein. Die Großraumordnung muss den Anspruch besitzen, nur auf einen begrenzten globalen Raum Anwendung zu finden. Eine Raumordnung, die eine universale Ordnung beansprucht, entspricht nicht der Vorstellung Schmitts. Viertens, die Raumordnung muss nach außen durch das Interventionsverbot raumfremder Mächte abgeschirmt sein. Dies bedeutet, dass es neben der partiellen Raumordnung eben auch eine gewisse globale Raumordnung gibt; nämlich den Nomos der Erde. Es muss eine Unterscheidung zwischen raumeigenen und raumfremden Ordnungen gewährleistet werden.
Zweiter Teil
Großraumtheorie in Ostasien? Im ersten Teil wurde Carl Schmitts Völkerrechtslehre behandelt. Wie dargelegt entwickelte sich in Europa, nach Schmitt, bis zum Ersten Weltkrieg eine eigene Raumordnung, in der die Souveränität und die Staatengleichheit eine wichtige Rolle spielten und das Gleichgewicht der Mächte dafür sorgte, dass diese Ordnung aufrechterhalten werden konnte. In den Räumen außerhalb Europas hingegen galt das ius publicum europaeum gerade nicht. Nach dem Ersten Weltkrieg jedoch wurde das europäische Völkerrecht unterschiedslos auf alle Staaten der Welt angewandt, was nach Carl Schmitt zur Auflösung der europäischen Raumordnung führte. Als Alternative sah Carl Schmitt deshalb ein hierarchisches Staatensystem vor, in dem ein besonders mächtiger Staat, das Reich, eine übergeordnete Rolle spielen sollte. Das Reich sollte nach diesem Konzept für einen abgeschlossenen Großraum die konkrete Ordnung herstellen und wahren. Der Zweite Teil befasst sich nun mit dem ostasiatischen Völkerrecht. Mit dem Begriff Ostasien ist dabei insbesondere der kulturell sinisch geprägte Raum gemeint; konkret also China, Japan und Korea. Die zentrale Fragestellung wird hierbei sein, ob die Großraumtheorie von Carl Schmitt im ostasiatischen Raum in einer ähnlichen Form ebenfalls bestanden haben könnte. Dabei werden zwei Systeme untersucht, die jedoch von verschiedener zeitlicher Dauer waren und auch in anderen Zeitabschnitten der Weltgeschichte – einmal vor und einmal kontemporär zu Schmitt – existierten. Das erste System ist das japanozentrische System, welches mit dem Schlagwort der sog. „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ eine besonders einprägsame Bezeichnung bekommen hat. Japan als damals noch neue und einzige asiatische Großmacht im 20. Jahrhundert versuchte als solche, die übrigen ostasiatischen Staaten in eine neue hierarchische Struktur zu integrieren. Auch hier zeigen sich wieder Parallelen zu dem Schmitt’schen Großraum. Gerade die zeitliche Parallele zur Weimarer Republik bzw. zum Dritten Reich, deren außenpolitische Situationen sicherlich auch eine Motivation für Schmitts Propagierung der Großraumtheorie war, macht die Denker der Periode des japanischen Imperialismus für diese Arbeit interessant. Der Slogan der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ wurde zwar erst durch das imperialistische Japan im Jahre 1940 verkündet, hatte seine geschichtlichen Wurzeln jedoch bereits in der davorliegenden Meiji-Zeit (1868 – 1912), insbesondere ab dem Sieg gegen China im Jahre 1895 und gegen Russland im Jahre 1905. Diese gedanklichen Wurzeln, die teilweise im Panasianismus, aber teilweise
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
auch im nationalistischen Gedankengut des „Kokutai (jap. , übersetzt „Staatskörper“ oder „Nationale Politie“)“ zu sehen sind, sind ebenfalls Gegenstand der Untersuchung. Das zweite System ist die sog. sinozentrische Welt, die im ostasiatischen Raum bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die maßgebliche Raumordnung war. China war fast 2000 Jahre lang das Zentrum eines Systems der Tributzahlung und Anerkennung. Dieses System wurde zwar nicht in jeder Epoche der Geschichte des ostasiatischen Raumes eingehalten, dennoch wurde es aber eine erstaunlich lange Zeit nicht nur einseitig durch China, sondern durchaus auch von anderen Staaten praktiziert. Die Herausbildung der tributären Beziehungen und die kulturelle Leitfunktion, die die chinesischen Dynastien gegenüber den Tributstaaten hatten, waren manchmal dem Konfuzianismus, manchmal den Handelsbeziehungen und manchmal auch den militärischen Gegebenheiten geschuldet. Jedenfalls erscheint die Annahme, dass die chinesischen Dynastien ein „Reich“ im Sinne von Carl Schmitts Großraumtheorie sind, keinesfalls von vornherein abwegig.
A. Die japanozentrische Ordnung bis 1945 als Pendant zur Großraumtheorie? Ab den 1930er Jahren wurde mit Termini wie „Neue Ordnung“ oder gar „Großostasiatische Wohlstandssphäre“ eine Ordnung gefordert, die für einen geographisch abgegrenzten Raum in Ostasien gelten sollte und hierarchisch ausgestaltet war. Diese japanozentrische Ordnung scheint gewisse Parallelen zur Schmitt’schen Großraumtheorie aufzuweisen. Die Betrachtung dieser Entwicklung einer japanozentrischen Ordnung soll Aufschluss darüber bringen, ob solche Parallelitäten eher zufällig oder einer (möglicherweise sogar gegenseitigen) Beeinflussung geschuldet sind. Dieser Abschnitt soll dabei insbesondere Japans Entwicklung von einem Staat, der selbst einst Benachteiligter im Rahmen des Systems der „ungleichen Verträge“ war, zu einem Profiteur eben dieses Systems und letztlich zu einer regionalen Hegemonialmacht zeigen. Es war die Entwicklung Japans von einem „Schüler“ der westlichen Mächte zu einem gleichberechtigten Mitspieler. Dabei adaptierte Japan zunächst das universale Völkerrecht europäischer Prägung des 19. Jahrhunderts. Als Japan jedoch seine territoriale Expansionspolitik weiter betrieb, die im Widerspruch zum Völkerrecht unter dem Genfer Völkerbund stand, lehnte Japan das europäische Völkerrecht ab und wandte sich einer eigenen völkerrechtlichen Regionalordnung zu. Um diese Entwicklungslinie zu zeigen, sollen zunächst die politische Geschichte der damaligen Zeit skizziert und danach die politischen Argumentationen der japanischen Denker und Politiker dargelegt werden. Dadurch soll ein Hauptaugenmerk auf diejenigen gerichtet werden, die eine Einigung aller asiatischen Völker an-
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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strebten und sich mit der Errichtung einer sog. „neuen internationalen Ordnung“ befassten. Es wird die Aufgabe sein zu eruieren, welche Entwicklungslinien der japanische Panasianismus nahm und wie sich dieser auf die japanozentrische Ordnung auswirkte.
I. Japans Entwicklung zu einer regionalen Hegemonialmacht (1854 – 1931) Japans Entwicklung von einem geschlossenen Staat in der Peripherie des sinozentrischen Raumes hin zu einer regionalen Hegemonialmacht in Ostasien erfolgte innerhalb einer äußerst kurzen Zeit. Der militärische Niedergang des alten Regimes der Tokugawa-Shogune und der schnelle Aufstieg des Tennos gingen einher mit der Modernisierung und Industrialisierung, die letztlich in dem Aufstieg Japans als Großmacht mündete, nachdem die Siege in den Kriegen gegen die Qing-Dynastie (1895) und Russland (1905) errungen waren. Kontemporär zu den militärischen und wirtschaftlichen Erfolgen entstanden und vermischten sich verschiedene Konzepte aus japanischen, konfuzianischen und westlichen Gedanken und bildeten die Grundlage einer Staatsideologie in Form des Panasianismus und des Ultranationalismus, die die Gedankenwelt der Japaner bis zum Zweiten Weltkrieg maßgeblich prägte. Diese Entwicklung soll im Folgenden nachvollzogen werden, um die Grundlage für einen Vergleich der Großraumtheorie Schmitts und den genannten japanischen Ideologien zu legen. 1. Geschichtlicher Hintergrund Völkerrechtsgeschichtlich war das 19. Jahrhundert in Ostasien ein Zeitraum der Kolonialisierung. Die Qing-Dynastie war bereits Mitte des 19. Jahrhunderts halbkolonialisiert. Der einzige Grund, warum es in China nicht zu einer vollen Kolonialisierung durch eine westliche Macht kam, war einerseits der Umstand, dass die westlichen Mächte in einem Wettbewerb standen, aber andererseits auch gemeinsam ein koloniales Kartell bildeten. So schöpften die westlichen Mächte den wirtschaftlichen Vorteil der ungleichen Verträge gemeinsam ab. Auch Japan wurde ab 1854 durch die USA gezwungen, die Häfen zu öffnen. a) Von der Meiji-Restauration bis zum ersten sino-japanischen Krieg 1895 Die japanischen Außenbeziehungen gegenüber den anderen ostasiatischen Staaten waren durch enge Handelsbeziehungen einerseits und ambivalente politische Beziehungen andererseits geprägt. Gegenüber den europäischen Staaten1506 ver1506 Die Sakoku-Edikte waren primär gegen die westlichen Mächte gerichtet und sollten insbesondere die Verbreitung des Christentums eindämmen. Vgl. Lee, Samsung, War and peace
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
ordnete das Tokugawa-Regime im Jahre 1635 jedoch eine Isolation Japans,1507 die auch „Sakoku“-Politik1508 genannt wird.1509 Die Sakoku-Politik sollte für das Tokugawa-Regime eine Bündelung der Außenaktivitäten der japanischen Händler bewirken und den Einfluss der Christen eindämmen.1510 Nur diejenigen europäischen Ausländer, die bereit waren, die japanischen Traditionen zu akzeptieren, konnten – unter strengen Auflagen und ständiger Überwachung – einreisen.1511 Die SakokuPolitik endete erst im Jahre 1854 durch die gewaltsame Öffnung der Häfen durch Matthew Perry und durch die Zeichnung der Verträge von Kanagawa.1512
in East Asia 2. The Historical Phases of the Modern age in East Asia and the Late Chosun , 2. (koreanisch: ), 2009, S. 200. 1507 Der Isolationismus war eine Gegenreaktion auf die Verbreitung des Christentums. Bereits unter Toyotomi Hideyoshi wurde das Christentum verboten. Durch die anfängliche Aufnahme der Außenbeziehungen etwa mit Portugal stieg die Anzahl der Christen in Japan. 1612 wurde das Christentum deshalb erneut verboten. So: Lee, Gaehwang, Die Herausbildung der Außenbeziehungen des Edo-Bakufu, in: Zentrum für koreanische Studien Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus ohne China (Koreanisch: , ( ), 2009), 2009, S. 116 – 117. Eine weitere gewichtige Rolle spielte das sog. „Wako (jap. )“ Phänomen. Gemeint sind japanische Händler, die auch als Piraten tätig waren. Die MingDynastie hatte privaten Handel verboten und deshalb war der Schmuggel von Waren für die Wako Piraten lukrativ. Hinzu kam, dass die Ming-Dynastie einen hohen Bedarf an Silber hatte und Japan seit 1530 eine zunehmende Silberproduktion. Umgekehrt war chinesische Seide in Japan sehr beliebt. Dieser inoffizielle Handel führte dazu, dass der offizielle tributäre Handel vernachlässigbar wurde. Vgl. Yasunori, Arano, The Formation of a japanocentric World Order, in: International Journal of Asian Studies, 2, 2 (2005), S. 185 – 216 (186 – 187). 1508 Die Ausnahmen dieser Außenpolitik blieben der Handel mit Korea sowie mit den Niederländern, wobei der Handel mit den Niederländern auf eine eigene Insel, Deshima, beschränkt blieb. Vgl. Laver, Michael, The Sakoku Edicts and the Politics of Tokugawa Hegemony, 2011, S. 160, 188; Lee, Gaehwang, Die Herausbildung der Außenbeziehungen des Edo-Bakufu, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 118. 1509 Die Sakoku Edikte sahen vor, dass die japanischen Schiffe nicht zu ausländischen Staaten gesendet werden durften und es der japanischen Bevölkerung nicht gestattet war ins Ausland zu reisen. Schiffe vom Ausland erhielten generell nur bis zum 20.09. eines Jahres eine Erlaubnis zu bleiben und für Schiffe, die später kamen, galt eine Fünfzig-Tages-Frist. Vgl. Laver, Sakoku (Fn. 1508), S. 16 – 17. Diese Sakoku-Politik entstammt der Selbstisolationspolitik der Ming-Dynastie, die ihrerseits darauf gerichtet war, die sinozentrische Ordnung nicht durch Handel zu verwässern. Vgl. Kim, Seongkun, Die Änderung der diplomatischen Beziehungen zwischen Chosun und der Qing-Dynastie. Mit einem Fokus auf die Chaogong, Cefeng Beziehungen, (Koreanisch: · : · , ), 2010, S. 32. 1510 Laver, Sakoku (Fn. 1508), S. 44. 1511 Yasunori, Japanocentric World Order (Fn. 1507), 185 – 216 (213). 1512 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 205; Kleinschmidt, Ungleiche Verträge (Fn. 605), S. 24 – 31; Cotterell, Arthur, Western Power in Asia. Its slow Rise and Swift Fall, 1415 – 1999, 2010, S. 162.
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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Japan musste nach der Zwangsöffnung, ähnlich wie auch China, ungleiche Verträge mit den westlichen Mächten abschließen.1513 Japan versuchte jedoch schon früh aus diesem System auszubrechen,1514 wobei dies eine erhebliche Entwicklung aus wirtschaftlicher und militärischer Sicht erforderte.1515 Dies gelang Japan im Vergleich zu etwa China auch relativ schnell. Der Vorteil gegenüber China1516 mag etwa die generell offenere Haltung gegenüber dem europäisch geprägten Völkerrecht gewesen sein.1517 Japan erlernte die Logik des europäischen Kolonialvölkerrechts und beteiligte sich als Nutznießer an der Erosion der sinozentrischen Welt.1518
1513 Beispiele dafür sind der Vertrag von Kanagawa zwischen England und Japan vom 31. 03. 1854, die Verträge zwischen Japan und England vom Oktober 1854 sowie die Verträge zwischen Japan und Russland im Februar 1855. Allerdings lag ein Unterschied mit der Situation von China darin, dass die „ungleichen Verträge“ mit Japan letztlich dazu dienten, die Seewege nach China frei zu machen. China war also ein primäres Ziel und Japan nur ein sekundäres. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 205 – 208; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 21 – 23; Duus, Abascus (Fn. 895), S. 8 – 10. 1514 Bereits 1870 versuchte Japan an dem „System der ungleichen Verträge“ als Nutznießer zu partizipieren, wobei die Qing-Dynastie eine ungleiche Beziehung mit Japan zunächst strikt ablehnte. Vgl. Duus, Peter, Japan’s Informal Empire in China, 1895 – 1937: An Overview, in: Duus, Peter/Myers, Ramon/Peattie, Mark (Hrsg.), The Japanese Informal Empire in China, 1895 – 1937, 1989 S. xix-xx; Duus, Abascus (Fn. 895), S. 14. Mommsen stellt fest, dass Japan einer der wenigen nicht-europäischen Staaten sei, der einer europäischen Kolonialherrschaft nicht unterworfen wurde. Vgl. Mommsen, Wolfgang, Aufstieg und Niedergang des europäischen Imperialismus 1870 – 1956, in: Hecker (Hrsg.), Europa (Fn. 2), S. 87. 1515 Die Iwakura Mission von 1870 war beispielsweise zunächst angetreten, um die ungleichen Verträge abzuändern. Die Teilnehmer mussten jedoch feststellen, dass dies nicht möglich war, und die Mission veränderte sich in eine Forschungsmission. Vgl. Duus, Abascus (Fn. 895), S. 14. 1516 So zeigten die Beamten der Qing-Dynastie eine eher zurückhaltende Haltung gegenüber westlichen völkerrechtlichen Abhandlungen, wie etwa das „Wanguo Gongfa“ („Elements of International Law“ von Henry Wheaton übersetzt von WPA Martin), während in Japan das westliche Völkerrecht als geltendes Recht anerkannt und das Bakufu kritisiert wurde, dass dieses die Wichtigkeit des Völkerrechtes zu spät erkannt habe. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 305 – 312. 1517 Cotterell, Western Power (Fn. 1512), S. 167. Chinas Strategie bestand darin, das bisherige Weltbild der sinozentrischen Welt aufrecht zu erhalten, was zu einer späten Reaktion auf die neue Situation führte. Vgl. Fairbank, John, The Chinese World Order: Traditional China’s Foreign Relations, 1968, S. 261; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 315; viele Staaten, die ehemals Teil der sinozentrischen Welt waren, wurden jedoch von europäischen Mächten zu Protektoraten erklärt oder annektiert. Frankreich konnte sich bereits 1858 in Saigon stationieren. Großbritannien annektierte einen Teil von Burma im Jahr 1886. Russland konnte sich 1858 sechzig Gebiete sichern, die an die Mandschurei grenzten. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 41. 1518 1879 wurde etwa das Ryukyu-Königreich, ein Staat, der bislang an China und an Japan Tribut gezollt hatte, als Teil von Japan annektiert und in die Region Okinawa umgeändert. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 327.
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aa) Die Kolonialisierungsbemühungen Japans in Korea Besonders entscheidend in diesem Zusammenhang war die zunehmende Einflussnahme Japans auf die koreanische Chosun-Dynastie.1519 Die Chosun-Dynastie, die sich auch nach Abschluss der ungleichen Verträge mit verschiedenen westlichen Mächten weiterhin primär als Teil der sinozentrischen Ordnung verstand,1520 wurde durch den Kanghwa-Vertrag vom 26. 02. 18761521 eine Halbkolonie Japans.1522 Der Kanghwa-Vertrag war ein ungleicher Vertrag, wie ihn Japan mit anderen westlichen Staaten hatte schließen müssen.1523 Darüber hinaus war dieser Vertrag auch auf die Auflösung der sinozentrischen Ordnung gerichtet.1524 Insofern kann man davon sprechen, dass Japan damit Grundsätze des europäischen Kolonialvölkerrechts emuliert hat, um die eigene Expansion zu rechtfertigen.1525 Zwischen den Jahren 1880 und 1894 kam es zwischen der Qing-Dynastie1526 und Japan zu einem Wettstreit über den Einfluss in Korea.1527 Die Qing-Dynastie versuchte, das japanische Handelsmonopol in Korea zu brechen.1528 Japan versuchte 1519 Die Chosun-Dynastie wurde schon in den 1870er Jahren von der japanischen Außenpolitik als ein mögliches Ziel der Eroberung ins Auge gefasst. Am 14. 10. 1873 wurde etwa konkret debattiert, ob Saigo Dakamori als Botschafter nach Korea gehen sollte, um dort einen Krieg zu provozieren, der Korea letztlich in einen von Japan abhängigen Staat machen sollte. Vgl. Duus, Abascus (Fn. 895), S. 31 – 42. 1520 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 287 – 288. 1521 Der Kanghwa-Vertrag war das Ergebnis einer militärischen Auseinandersetzung Japans mit der Chosun-Dynastie. Diese Auseinandersetzung begann am 20. 09. 1875, als ein japanisches Kriegsschiff, die Un’yo, vom koreanischen Militär beschossen wurde. Die Frage, ob die Un’yo wirklich nur dazu beauftragt war, wie von den Japanern behauptet, die Gewässer zu erforschen oder ob es Provokationen auf Seiten der Japaner gegeben hat, ist nicht ganz geklärt. Jedoch war kurz zuvor Moriyama Shigeru, ein Hardliner der japanischen Außenpolitik, mit der Mission gescheitert, koreanische Offizielle mit der Un’yo einzuschüchtern. Vgl. Duus, Abascus (Fn. 895), S. 43 – 44. 1522 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 42 – 44; Duus, Abascus (Fn. 895), S. 48. 1523 Er beinhaltet etwa die Öffnung von Häfen und die Erlaubnis für Japan, freien Handel in Korea zu betreiben. Vgl. Duus, Abascus (Fn. 895), S. 46 – 47. 1524 Obwohl Art. 1 des Kanghwa-Vertrages feststellt, dass Chosun ein autonomer Staat sei und gleiche Rechte wie Japan besitze, muss dies dahingehend interpretiert werden, dass sich die Chosun-Dynastie dadurch von der sinozentrischen Ordnung lossagte. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 328 – 329; Duus, Abascus (Fn. 895), S. 48. 1525 Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 106 – 113. 1526 Die Qing-Dynastie nahm die „Unabhängigkeitsklausel“ im Kanghwa-Vertrag zunächst hin, obwohl es auch als Affront gegen den „Sohn des Himmels“ verstanden werden konnte. Stattdessen wies man auf das Risiko einer Annexion durch Japan hin, wie es auch mit dem Ryukyu-Königreich geschehen sei. Vgl. Duus, Abascus (Fn. 895), S. 50. 1527 Korea war nicht nur aufgrund seiner geographischen Lage für Japan wichtig, sondern auch deswegen, weil es schwach war und es dessen „Unabhängigkeit“ gegenüber der Expansion westlicher Mächte anfällig machte. Vgl. Duus, Abascus (Fn. 895), S. 49 – 50; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 637. 1528 Dies geschah durch die Veranlassung des Abschlusses ungleicher Verträge zwischen der Chosun-Dynastie und den westlichen Mächten und stammte aus der alt-chinesischen Strategie
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hingegen in der Folgezeit, durch junge koreanische Reformer eine ähnliche Modernisierungsbewegung herbeizuführen.1529 Am 17. 10. 1882 wurden die Qing-Chosun Regularien für Kommunikation und Kommerz (kor. ; chin. ) abgeschlossen,1530 die der Qing-Dynastie erhebliche vorrangige wirtschaftliche Privilegien einräumte und ausdrücklich festhielt, dass die Chosun-Dynastie ein tributärer Staat zu der Qing-Dynastie sei.1531 Diese erneut festgestellte Abhängigkeit zur QingDynastie führte zu einem Aufstand der pro-japanischen Elite in der Chosun-Dynastie ), die jedoch nach drei Tagen am 04. 12. 1884 (sog. Gapshin-Aufstand, kor. fehlschlug.1532 Als Ergebnis dieses Aufstandes wurde am 18. 04. 1885 zwischen der Chosun-Dynastie, der Qing-Dynastie und Japan der Tianjin-Vertrag geschlossen, der vorsah, dass die Qing-Dynastie und Japan die stationierten Armeen von Korea zurücknehmen müssten.1533 Bereits 1890 verkündete Yamagata Aritomo jedoch, dass die koreanische Halbinsel in der „Interessenlinie“1534 Japans sei.1535 Im Januar 1894 kam es zu einem Aufstand koreanischer Bauern (sog. „Donghak“ ), der nicht mehr von der koreanischen Regierung Aufstand, kor. aufgehalten werden konnte.1536 Die Chosun-Dynastie bat die Qing-Dynastie im Juni 1894 offiziell um militärische Hilfe.1537 Die Situation wurde jedoch auch von Japan „Barbaren gegen Barbaren“. Zwischen 1880 bis 1881 schlossen die Russen, die Amerikaner, die Franzosen, die Italiener, die Deutschen und die Briten ungleiche Verträge mit Korea. Dies geschah aufgrund des Hinwirkens der Qing-Dynastie. Vgl. Duus, Abascus (Fn. 895), S. 50. 1529 Das Staatswesen und die Gesellschaft Koreas sollte sich fortan an der westlichen Kultur orientieren. Es wurde zum Beispiel das Tongrigimu Amun (kor. ), ein Verwaltungsorgan, das für die Modernisierung zuständig war, sowie die moderne Armeefraktion, Byulgigun (kor. ), errichtet. Vgl. Duus, Abascus (Fn. 895), S. 52. 1530 Der Begriff „Vertrag“ wurde bewusst nicht benutzt. Es waren vielmehr Regularien, die durch die Qing-Dynastie aufgezwungen wurden. Allerdings ist der Inhalt auf wirtschaftliche Ausbeutung gerichtet, sodass diese Regeln nicht dem Charakter der tributären Beziehungen entsprechen, die die beiden Staaten pflegten, sondern vielmehr den ungleichen Verträgen nachempfunden sind. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 598. 1531 Darüber hinaus wurden Berater von der Qing-Dynastie ernannt, die die Politik der Chosun-Dynastie mitsteuern sollten. Vgl. Duus, Abascus (Fn. 895), S. 54; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 593. 1532 Der größte Fehler der Reformer war, dass sie keinen Rückhalt in der Bevölkerung hatten und sich einseitig auf die Unterstützung von Japan verließen. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 630. 1533 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 634. 1534 Diese Verkündung konnte langfristig gesehen die Unterstützung von England und den Vereinigten Staaten sichern, da diese Staaten ein primäres wirtschaftliches Interesse am chinesischen Hauptland hatten. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 662. 1535 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 659. 1536 Insbesondere der Kampf gegen die Korruption wurde gefordert. Die Forderung wurde spezifisch gegen die Familie der Königin Min gerichtet, die als besonders habgierig und korrupt galt. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 675; Cotterell, Western Power (Fn. 1512), S. 169. 1537 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 690.
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genutzt, um den Einfluss in Korea zu erweitern und die japanische Armee in Korea zu stationieren. Bereits im Juni 1894 standen sich die japanische und chinesische Armee auf koreanischem Boden gegenüber.1538 Diese Situation führte letztlich zum Ausbruch des ersten sino-japanischen Krieg am 01. 08. 1894.1539 Nach dem Sieg Japans über die Qing-Dynastie,1540 kam es zur Erklärung der Unabhängigkeit der koreanischen Chosun-Dynastie gegenüber der Qing-Dynastie.1541 bb) Die Folgen des ersten sino-japanischen Krieges Der erste sino-japanische Krieg von 1895 ist aus ostasiatischer Sicht ein epochales Ereignis. Der Krieg zwischen der Qing-Dynastie und Japan war in erster Linie ein Krieg um die koreanische Halbinsel und die Mandschurei. Andererseits ging es Japan aber auch um die Vorherrschaft in Asien. Die Qing-Dynastie hingegen wurde bereits vor diesem Krieg von den westlichen Mächten vom regionalen Hegemon zu einer halbsouveränen Halbkolonie degradiert. Für sie ging es also um Schadensbegrenzung und um die Wiederherstellung der regionalen Ordnung. Somit stellt der erste sino-japanische Krieg, der in der Niederlage der Qing-Dynastie endete, das Ereignis dar, dass das endgültige Ende der sinozentrischen Ordnung markiert. China musste zudem als Folge der Niederlage am 17. 04. 1895 den Vertrag von Shimonoseki, einen ungleichen Vertrag, mit Japan schließen. Es war also das erste Mal, dass eine asiatische Nation einen für sie günstigen ungleichen Vertrag schloss.1542 Doch diese weitreichenden Änderungen konnten die westlichen Mächte nicht akzeptieren, sodass bereits am 23. 04. 1895 Gesandte des deutschen Reiches, Russlands und Frankreichs1543 beim japanischen Außenministerium erschienen und
1538
Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 693. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 46 – 48. 1540 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 289. 1541 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 255 – 256; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 290. 1542 Neben Schadensersatzforderungen sah der Shimonoseki-Vertrag vor, dass die ChosunDynastie als unabhängiger Staat anerkannt, das Taiwan und die Liaodong-Halbinsel an Japan abgetreten und das China vier Häfen für Japan geöffnet werden müsse. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 290; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 56 – 57; Nish, Ian, The Origins of the Russo-Japanese War, 1985, S. 23. Gerade die Forderung zur Öffnung der vier neuen Häfen war auch ein Versuch Japan, die westlichen Mächte zu beschwichtigen, da aufgrund der „Meistbegünstigungsklausel“ die Häfen für alle westlichen Mächte offenstehen würden. Vgl. Duus, Peter, Japan’s Informal Empire in China, 1895 – 1937: An Overview, in: Duus/Myers/ Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. xxi. 1543 Allerdings zeigte sich gerade in der Nicht-Intervention Großbritanniens und der Vereinigten Staaten bereits das Entstehen einer Allianz, die bis in die 1930er China bestimmen sollte; nämlich der angloamerikanisch-japanischen Allianz. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 330. England hatte bereits zum Anfang des ersten sino-japanischen Krieges seine Neutralität erklärt. Vgl. Nish, Ian, The Anglo-Japanese Alliance. The diplomacy of two island empires. 1894 – 1907, 1966, S. 25. 1539
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„freundlichen Rat“ anboten („sog. Drei-Parteien-Intervention“).1544 Als Ergebnis dieses Besuches verzichtete Japan am 05. 05. 1895 auf die Territorialansprüche bezüglich der Liaodong-Halbinsel und änderte den Vertrag von Shimonoseki in diesem Punkt ab.1545 Trotzdem markiert der Shimonoseki-Vertrag, selbst in abgeänderter Form, das endgültige Ende des sinozentrischen Völkerrechts.1546 b) Der russisch-japanische Krieg 1905 Der nächste Konflikt, nämlich der zwischen Russland und Japan, hatte sich bereits durch die Drei-Parteien-Intervention angedeutet. Der russisch-japanische Krieg war zwar kein Weltkrieg, hatte aber einen großen Einfluss auf die gesamte Welt, da durch diesen Krieg das Gleichgewicht in Ostasien stark geändert wurde.1547 Russland hatte nach 1895 seine Position in der Mandschurei1548 und in Korea erheblich verstärkt.1549 Japan und Russland waren also mittlerweile die stärksten Mächte in Nordchina geworden. Der russisch-japanische Krieg ist ein Ereignis, das nicht nur ein Streit über den Einfluss auf Nordchina darstellte, sondern gerade für Japan eine Möglichkeit war, sich als erste asiatische Nation darzustellen, die über eine westliche Großmacht obsiegte. aa) Der russisch-japanische Krieg und seine Auswirkungen Nach dem Rückschlag durch die Drei-Parteien-Intervention im Jahre 1895, als Japan trotz eines militärischen Sieges zu einem Kompromiss gezwungen wurde,1550 konnte Japan durch Allianzen mit England und den Vereinigten Staaten wieder an Einfluss gewinnen. Japan wurde jedoch in der Erwartung – als vollwertiges Mitglied in das „koloniale Kartell“ aufgenommen zu sein – bitter enttäuscht. Die interna1544 Nish, Russo-Japanese War (Fn. 1542), S. 26; Nish, Anglo-Japanese Alliance (Fn. 1543), S. 26 – 30. Die Drei-Parteien-Intervention führte in Japan zu einem kritischen Bild Deutschlands, insbesondere des Kaisers Wilhelm II. Vgl. Iikua, Akira, The „Yellow Peril“, in: Spang/Wippich (Hrsg.), Japanese-German Relations (Fn. 105), S. 92 – 93. 1545 Hotta, Eri, Pan-Asianism and Japan’s War 1931 – 1945, 2007, S. 53; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 58 – 59; Nish, Russo-Japanese War (Fn. 1542), S. 27; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 375. 1546 Japan, einem bislang peripheren Staat im sinozentrischen Völkerrecht, wurden wichtige Territorien von China wie Taiwan abgetreten, und die Chosun-Dynastie, als letzter tributärer Staat von China, wurde nun auch von China selbst als „unabhängig“ bezeichnet. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 376. 1547 Nish, Russo-Japanese War (Fn. 1542), S. 2. 1548 Die Boxeraufstände in China brachten Russland dazu, eine große Armee von über 100.000 Soldaten in der Mandschurei zu stationieren. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 385; Nish, Russo-Japanese War (Fn. 1542), S. 89. 1549 Nish, Russo-Japanese War (Fn. 1542), S. 30. 1550 Dieser Kompromiss enthielt jedoch bereits die Grundlagen, um eine Einflusssphäre in der Mandschurei zu errichten. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 70.
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tionale Situation hatte sich nach dem Shimonoseki-Vertrag verändert, und es gab keine gemeinsame Ausbeutung auf der Grundlage der „Meistbegünstigungsklausel“ in den ungleichen Verträgen mehr, sondern einen erbitterten Wettbewerb über koloniales Territorium.1551 Das Machtvakuum, das in China durch den verlorenen sino-japanischen Krieg von 1895, insbesondere in der Mandschurei,1552 entstand, wurde neben Japan auch von Russland1553 und den Vereinigten Staaten1554 ausgenutzt.1555 Auch in Korea nahm der Einfluss von Russland zu.1556 Anders als für Japan war für Russland jedoch die Mandschurei und nicht Korea von großer Wichtigkeit.1557 Als in China 1900 der sog. „Boxeraufstand“ ausbrach und die russische Armee als Reaktion auf Angriffe der Aufständischen auf russische Einrichtungen in der Mandschurei seine Militärpräsenz erhöhte, war Japan überzeugt, dass Russland die Mandschurei und auch Korea besetzen werde.1558 Tatsächlich ignorierte Russland die Hay-Erklärung vom 03. 07. 19001559 und ließ die Armee weiterhin in der Mandschurei stationiert.1560 1551
Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 71. Die Mandschurei bezeichnet insbesondere die drei nordöstliche Provinzen von China – ), Jirin (chin. ) und Heilongjiang (chin. ). Die Mandschurei ist Liaoning (chin. ein Territorium, das sich im Nordosten der Chinesischen Mauer befindet. Die Abgrenzung zu Korea nach Südosten ist der Yalu und Tumen Fluss und die Grenze zu Russland nach Norden markieren die Flüsse Argun, Amur und Ussuri. Vgl. Matsusaka, Yoshihisa Tak, The Making of Japanese Manchuria, 1905 – 1932, 2001, S. 1; Jansen, Marius, The Making of Modern Japan, 2000, S. 577. 1553 Auch Russland strebte durch den Bau der transsibirischen Bahn im Jahre 1891 an, seinen Einfluss, besonders in der Mandschurei, zu stärken. Alexander der Dritte befahl 1886 per Dekret eine Bahn zu bauen, die Sibirien durchquert. Russland erhoffte sich durch den Bau des transsibirischen Bahn wirtschaftliche sowie militärische Vorteile. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 397; dies wurde in Japan als Erweiterung der Einflusssphäre durch Russland in der Mandschurei gesehen. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 74. 1554 England versuchte zwar, eine Einflusssphäre in der Region zu errichten, war aber letztlich in seiner Außenpolitik zurückhaltend. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 70. 1555 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 257. 1556 Bis 1904 war der Einfluss von Japan auf Korea vergleichbar mit dem Russlands. Japan hatte zwar Eigentumsrechte an der Bahn und Rechte, das japanische Militär in Korea zu stationieren, aber keinerlei Pachtgebiete. Russland hatte ähnliche militärische Rechte. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 75. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Zuflucht des Königs der Chosun-Dynastie Gojong in der russischen Botschaft im Jahre 1896. Der Auslöser für diese Zuflucht war die Ermordung der koreanischen Königin durch die Japaner. Dieser Fall wird als generelle Vergrößerung des Einflusses von Russland auf Korea gesehen. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 410; Nish, Russo-Japanese War (Fn. 1542), S. 32; Duus, Abascus (Fn. 895), S. 118. 1557 Duus, Abascus (Fn. 895), S. 123. 1558 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 76 – 77; Nish, Anglo-Japanese Alliance (Fn. 1543), S. 92. 1559 Der wesentliche Inhalt war die Aufrechterhaltung der informellen Kolonialisierung, nicht jedoch die Verletzung der territorialen Integrität Chinas. Vgl. Nish, Ian, Some Thoughts on Japanese Expansion, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 85. 1552
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Der russisch-japanische Krieg wurde aus japanischer Seite nicht nur militärisch, sondern auch außenpolitisch vorbereitet. Eine zweite „Drei-Parteien-Intervention“ musste aus japanischer Sicht von vornherein ausgeschlossen werden.1561 Dieses Risiko sollte für die Japaner durch die Allianzen zwischen Japan und England1562 sowie zwischen Japan und den Vereinigten Staaten1563 gesichert werden. Die englisch-japanische Allianz, die 1902 unterzeichnet wurde, wurde insbesondere durch die japanische Diplomaten-Elite1564 auf den Weg gebracht.1565 Sie war eine wichtige Vorstufe für den japanischen Imperialismus.1566 Der russisch-japanische Krieg wurde von Japan am 04. 02. 1904 in der japanischkaiserlichen Konferenz („Imperiale Konferenz“) beschlossen und am 10. 02. 1904 verkündet.1567 Japan konnte aufgrund der militärischen Erfolge im Kampf von Mukden am 19. 02. 1905 sowie den Kampf von Tsushima am 27. 05. 1905 den Krieg mit relativ kleinen Verlusten gewinnen.1568 Die Vereinigten Staaten vermittelten im Juni 1905 eine Friedenskonferenz zwischen Japan und Russland.1569 Japan konnte sich durch den Vertrag von Portsmouth vom 05. 09. 1905 1570 als einer der ersten asiatischen Staaten vom „informellen Im1560
Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 428; Nish, Anglo-Japanese Alliance (Fn. 1543), S. 111. Lee stellt heraus, dass die Bedeutung der englisch-japanischen Allianz genau darin liege, dass dieses Risiko ausgeschlossen werden konnte. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 433. 1562 Nish, Anglo-Japanese Alliance (Fn. 1543), S. 36 – 41; geprägt war sie von dem Kalkül der Briten, dass Japan zwar eine ambitionierte Nation sei, aber keine Gefahr für Großbritannien darstelle, soweit die Allianz anhalten sollte. Vgl. Nish, Ian, Alliance in Decline: A study in Anglo-Japanese relations, 1908 – 23, 1972, S. 7. 1563 Auch die Vereinigten Staaten unterstützten Japan, auch wenn es keine offizielle Allianz gab. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 439. 1564 Nish, Alliance in Decline (Fn. 1562), S. 3. 1565 Die erste Allianz entstand aufgrund von Unklarheiten über China, der Mandschurei und Korea. Die Qing-Dynastie war geschwächt durch die Boxeraufstände, und es entstand eine nationalistische Bewegung. Vgl. Nish, Alliance in Decline (Fn. 1562), S. 15. Vgl. zur englischjapanischen Allianz: Nish, Anglo-Japanese Alliance (Fn. 1543), S. 204 – 228. 1566 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 77. 1567 Wobei es bereits am 08. 02. 1904 Angriffe von Japan auf die russische Flotte gab. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 410. 1568 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 442 – 443. 1569 Die Initiative für die Friedenskonferenz kam jedoch von Japan, da es aus japanischer Sicht kein Interesse auf einen langjährigen Krieg mit Russland gab. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 445 – 446. 1570 Konkret konnte Japan durch den Vertrag von Portsmouth die Herrschaft über Korea festigen und Kontrollrechte über die südliche Mandschurei, die Eisenbahn sowie das Territorium der Insel Sachalin sichern. Das Territorium der Insel Sachalin sowie die Schadensersatzforderungen wurden von Russland abgelehnt. Da Japan kein Interesse an dem Weiterführen des russisch-japanischen Krieges hatte, wurde auf Schadensersatzforderungen verzichtet. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 446 – 447; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 83 – 84. Japan konnte somit seinen Einfluss auf die Mandschurei erheblich festigen, was bereits seit dem 1561
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
perialismus“ lösen.1571 Japan wurde durch diesen Vertrag zudem offiziell zu einer Großmacht.1572 Dies bedeutete also am Anfang des 20. Jahrhunderts, dass Japan innerhalb Asiens nunmehr eine doppelte Hervorhebung genoss. Einerseits war Japan, zumindest aus militärischer Hinsicht, durch den Sieg über China bereits als stärkste asiatische Nation anzusehen, und darüber hinaus war Japan die bisher einzige asiatische Nation, die es geschafft hatte, eine europäische Macht militärisch zu bezwingen.1573 bb) Etablierung eines japanischen Großraumes in Ostasien Bemerkbar machte sich der Sieg über Russland auch in den internationalen Beziehungen. Der westliche Imperialismus, der durch die Form der „indirekten Beherrschung“ durch das System der „ungleichen Verträge“ bereits in Ostasien vorgedrungen war, stellte eine Blaupause für den japanischen Imperialismus dar.1574 Es war jedoch fraglich, ob Japan, insbesondere im Hinblick auf die Mandschurei, weiterhin am System der „ungleichen Verträge“ teilhaben würde, oder ob es darüber hinaus territoriale Ansprüche geltend machen würde, da die Sicherheit der Region eine weitaus wichtigere Rolle für Japan spielte als etwaige rein wirtschaftliche Teilhaberechte.1575
ersten sino-japanischen Krieg der Fall gewesen war. Vgl. Duus, Peter, Japan’s Informal Empire in China, 1895 – 1937: An Overview, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. xxiii. 1571 Der Begriff informeller Imperialismus trifft auf China im späten 19. Jahrhundert bzw. bis zur Mitte des 20. Jahrhundert, mit Ausnahme der Mandschurei unter der japanischen Kolonialherrschaft, besonders gut zu. Es wurde zwar niemals eine offizielle Kolonie gegründet, aber es gab u. a. mehrere ausländische Enklaven und große ausländische Übersiedlergemeinden, die extraterritoriale Rechte genossen und gegenüber der lokalen Bevölkerung diskriminierend auftraten. Weiterhin gab es eine militärische Präsenz auf See sowie auf Land und gewaltsame Interventionen in interne Angelegenheiten. So: Osterhammel, Jürgen, Semi-Colonialism and Informal Empire in Twentieth Century China: Toward a Framework of Analysis, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 290 – 291; Duus, Peter, Japan’s Informal Empire in China, 1895 – 1937: An Overview, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. xiv-xix. 1572 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 301; trotz dieses Erfolges auf internationaler Bühne wurde der Vertrag von Portsmouth in der japanischen Öffentlichkeit als nachteilig empfunden. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 54. Russland hingegen musste sich aus dem ostasiatischen Raum als imperialistische Macht verabschieden. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 447. Auch die englisch-japanische Allianz verlor an Bedeutung, während die Vereinigten Staaten ihren Einfluss stärkten. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 432 – 433. 1573 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 444. 1574 Duus, Abascus (Fn. 895), S. 11 – 12. 1575 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 85.
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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(1) Kolonialisierung in Taiwan und Korea Durch den Sieg über die Qing-Dynastie im Jahre 1895 erlangte Japan seine erste Kolonie Taiwan. Die Japaner gründeten das Amt für Angelegenheiten von Taiwan (Taiwan Jimukyoku), das unter persönlicher Aufsicht des Premierministers Ito Hirobumi stand.1576 Japan erließ dort sein eigenes koloniales Völkerrecht, das vorsah, dass die japanische Verfassung von 1899 nur für die Gebiete gelten sollte, die bereits zu diesem Zeitpunkt Teil Japans waren.1577 So mussten die Gesetze des japanischen Parlaments von den kolonialen Gouverneuren erst durch spezielle Verordnungen umgesetzt werden. Die japanische Verfassung, insbesondere die Grundrechte, galten konsequenterweise nur sehr beschränkt für die Kolonien.1578 Bereits 1896 wurde ein „Gesetz über die Gesetze und Verordnungen in Taiwan“ erlassen, das dem Gouverneur eine Gesetzgebungskompetenz für drei Jahre zuwies.1579 Die Situation in Korea war eine andere. Bereits vor der Zeit des russisch-japanischen Krieges hatte Japan sein Militär in Korea stationiert, obwohl Korea seine Neutralität verkündet hatte.1580 Da nach dem russisch-japanischen Krieg keine weiteren Widerstände zu erwarten waren, stand auch der Annexion Koreas nichts mehr im Wege.1581 Japan annektierte Korea stufenweise, nämlich zunächst mit dem Vertrag von 1905, der Korea zum Protektorat von Japan machte.1582 Durch den Vertrag von 19071583 wurden die internen Angelegenheiten Koreas dann unter die
1576 Chen, Edward It-te, The Attempt to Integrate the Empire: Legal Perspectives, in: Myers, Ramon/Peattie, Mark (Hrsg.), The Japanese Colonial Empire, 1895 – 1945, 1984, S. 240. 1577 Bereits 1895 gab es Diskussionen, ob der Anwendungsbereich der Meiji-Verfassung auf Taiwan erweitert werden sollte oder nicht. Die sofortige Anwendbarkeit der Meiji-Verfassung in Taiwan wurde noch abgelehnt, da der Widerstand der Bevölkerung in Taiwan gegenüber der Annexion zu stark war. Vgl. Chen, Edward It-te, The Attempt to Integrate the Empire: Legal Perspectives, in: Myers/Peattie (Hrsg.), Japanese Colonial Empire (Fn. 1576), S. 251. 1578 Chen, Edward It-te, The Attempt to Integrate the Empire: Legal Perspectives, in: Myers/ Peattie (Hrsg.), Japanese Colonial Empire (Fn. 1576), S. 241. 1579 Chen, Edward It-te, The Attempt to Integrate the Empire: Legal Perspectives, in: Myers/ Peattie (Hrsg.), Japanese Colonial Empire (Fn. 1576), S. 248. 1580 Insofern war Korea bereits ein „de facto“ Protektorat Japans. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 304. 1581 Duus, Abascus (Fn. 895), S. 188. 1582 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 87 – 88; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 304; Duus, Abascus (Fn. 895), S. 188; der damit verbundene Verlust der außenpolitischen Mitbestimmungsbefugnis ist bezeichnend für ein Protektorat. Vgl. Trilsch, Mirja, Protectorates and protected states, in: Wolfrum (Hrsg.), Public International Law VIII (Fn. 565), S. 553. 1583 Die Pläne von König Gojong, die Vereinigten Staaten gegen Japan auszuspielen sowie der Plan, den Protektoratsvertrag mit Japan vor dem Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzufechten, scheiterten. Als König Gojong versuchte, die Haager Friedenskonferenz im Jahre 1907 zu nutzen, um den Fall Korea in die internationale Diskussion zu bringen, zwang Ito Hirobumi, der mittlerweile – nach seiner Zeit als Premierminister von Japan – japanischer Gouverneur von Korea geworden war, König Gojong zum Rücktritt. Vgl. Duus, Abascus (Fn. 895), S. 205 – 208.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Jurisdiktion des Gouverneurs gestellt.1584 Durch Vertrag vom 22. 08. 1910 wurde Korea schließlich vollkommen1585 annektiert.1586 1911 wurde das „Gesetz über die Gesetze und Verordnungen in Korea“ erlassen, dass die Gesetzgebungskompetenz, analog zur Situation in Taiwan, auf den Gouverneur delegierte.1587 Der Gouverneur von Korea wurde innerhalb des japanischen Reiches mit sehr hohem Status und nahezu unbeschränkter Macht ausgestattet, da er nur dem Kaiser unterstand. Dem Premierminister Japans musste er zwar berichten, aber seinen Anweisungen musste er keine Folge leisten.1588 (2) Die Kolonialisierung der Mandschurei Anders als Korea, dessen Annexion wenig Widerstand von ausländischen Mächten auslöste, war die Mandschurei Teil Chinas, und eine Annexion hätte das von den westlichen Mächten aufgebaute System der „offenen Tür“ beeinflussen können.1589 Mit dem Sieg Japans im russisch-japanischen Krieg von 1904 intensivierte sich der Einfluss Japans aber auch in der Mandschurei.1590 Durch den Vertrag von Portsmouth 1905 konnte sich Japan eine Präsenz in der Mandschurei sichern1591, und im gleichen Jahre wurde die Mandschurei als Pachtgebiet1592 unter dem Regime des Völkerbundes an Japan abgetreten.1593 Allerdings 1584
Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 88; Duus, Abascus (Fn. 895), S. 209. Dadurch wurde der lange Prozess der Einverleibung Koreas in ein japanisches Territorium abgeschlossen, der von dem indirekten Imperialismus des freien Handels zur Etablierung einer Einflusssphäre über das Aufstellen eines Protektorats bis hin zur vollständigen Annexion – alle Stufen des Imperialismus – aufzeigte. Vgl. Duus, Abascus (Fn. 895), S. 241. 1586 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 89; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 305 – 306; Duus, Abascus (Fn. 895), S. 240 – 241; andere ausländische Mächte stimmten dieser Annexion ebenfalls zu. So ist bereits in dem Vertrag der englisch-japanischen Allianz 1905 das besondere Interesse Japans an Korea festgeschrieben. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 89 – 90. Die Vereinigten Staaten schlossen 1905 das sog. Taft-Katsura-Memorandum, der die gegenseitige Anerkennung der Vereinigten Staaten und Japans über die Herrschaft von jeweils den Philippinen und Korea beinhaltete. Dies war zwar kein völkerrechtlicher Vertrag, aber der Inhalt wurde tatsächlich umgesetzt. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 458 – 459; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 304. Japan schloss 1907 auch einen Vertrag mit Russland, in der die gegenseitige Anerkennung des Interesses bezüglich jeweils Korea bzw. der äußeren Mongolei anerkannt wurde. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 306. 1587 Chen, Edward It-te, The Attempt to Integrate the Empire: Legal Perspectives, in: Myers/ Peattie (Hrsg.), Japanese Colonial Empire (Fn. 1576), S. 248. 1588 Chen, Edward It-te, The Attempt to Integrate the Empire: Legal Perspectives, in: Myers/ Peattie (Hrsg.), Japanese Colonial Empire (Fn. 1576), S. 262. 1589 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 90 – 91; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 306. 1590 Der Sieg gegen eine der großen europäischen Mächte brachte den Japanern ein neues Selbstbewusstsein. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 58; Matsusaka, Japanese Manchuria (Fn. 1552), S. 54 – 59; Jansen, Modern Japan (Fn. 1552), S. 511. 1591 Jansen, Modern Japan (Fn. 1552), S. 578. 1592 1906 gründete Japan die südmandschurische Eisenbahngesellschaft. Es war einerseits ein wirtschaftlich sehr erfolgreiches Unternehmen, aber auch ein Instrument, um eine indirekte 1585
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waren die Briten und die Amerikaner damit, im Gegensatz zur Annexion von Korea, nicht einverstanden, sodass es 1906 zu einem Protest der Regierungen in London und Washington kam.1594 Als Kompromiss akzeptierte Japan die grundsätzliche Souveränität Chinas in der Region – im Sinne der Politik der „ungleichen Verträge“1595 – und die Einflusssphäre von Großbritannien und den Vereinigten Staaten in China.1596 c) Der erste Weltkrieg und die Erweiterung der japanischen Einflusssphäre in Ostasien In den 1910er Jahren1597 zogen sich die europäischen Mächte aufgrund des Ersten Weltkrieges aus Asien zurück, und die Vereinigten Staaten und Japan nahmen den Platz ein.1598 China wurde aufgrund der Revolution vom 10. 10. 1911 im März 1912 in eine Republik umgewandelt.1599 Japan erklärte am 24. 08. 19141600 gegenüber dem japanische Herrschaft in der Mandschurei zu etablieren. Vgl. Myers, Ramon, Japanese Imperialism in Manchuria: South Manchuria Railway Company 1906 – 1933, in: Duus/Myers/ Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. 104, 111, 125. Die südmandschurische Eisenbahngesellschaft war das größte Unternehmen in Japan und hatte eine Monopolstellung bezüglich des Transports und der Lagerung, sodass eine Gewinnmarge von 20 bis 30 % erzielt wurde. Vgl. Young, Louise, Japan’s Total Empire: Manchuria and the culture of wartime imperialism, 1998, S. 32. 1593 Chen, Edward It-te, The Attempt to Integrate the Empire: Legal Perspectives, in: Myers/ Peattie (Hrsg.), Japanese Colonial Empire (Fn. 1576), S. 242 – 243. 1594 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 306. 1595 Letztlich konnte Japan seine militärische Präsenz in der Mandschurei weiter aufrechterhalten, da sich weder Amerika noch Großbritannien einen offenen Schlagabtausch mit Japan leisteten. Die Vereinigten Staaten stärkten sogar die Allianz mit Japan, da der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt sich für ein Bündnis positionierte, wie das Root-Takahira Abkommen von 1908 zeigt. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 465; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 309. 1596 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 307. 1597 Japan blieb in dieser Zeit in einer Allianz mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten, da es für diese Staaten ein geostrategisches Interesse gab, Deutschlands Einfluss in Asien zu begrenzen. Japan wiederum konnte aufgrund dieser Gemengelage seine imperialistischen Ziele weitgehend durchsetzen. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 472. 1598 Dies geschah vordergründig wegen eines Territorialstreites bezüglich des Pachtgebietes Kiautschou. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 258; Auslöser war jedoch eine Anfrage Großbritanniens an Japan vom 07. 08. 1914 auf begrenzte militärische Hilfe. England war bereits seit 04. 08. 1914 mit Deutschland im Krieg. Großbritanniens Anfrage beschränkte sich auf den Angriff auf bewaffnete deutsche Handelsschiffe. Diese Eingrenzung akzeptierte Japan jedoch nicht. Vgl. Nish, Alliance in Decline (Fn. 1562), S. 118 – 123. 1599 Yuan Shikai, ein mongolischer General, wurde nach einer Vereinbarung mit Sun Yatsen, dem Anführer der Revolution, zum Präsidenten. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 102. 1600 Deutschland hatte Kiatschou bereits 1897 besetzt. Vgl. Nish, Anglo-Japanese Alliance (Fn. 1543), S. 49. Am 27. 04. 1898 wurde Kiatschou zum kaiserlichen Schutzgebiet erklärt. Zum kolonialen Rechtssystem Deutschlands in Kiautschou vgl. Mühlhahn, Klaus, Staatsgewalt und Disziplin. Die chinesische Auseinandersetzung mit dem Rechtssystem der deutschen
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Deutschen Reich den Krieg und wurde somit im Ersten Weltkrieg ein Alliierter von Frankreich, England, Russland und Italien.1601 In Folge des Sieges Japans über Deutschland bezüglich des Pachtgebietes Kiautschou und aufgrund des Umstandes, dass die westlichen Mächte in Folge des Ersten Weltkrieges „abwesend“ waren, überreichte Japan am 18. 01. 1915 an China die sog. „21 Forderungen“, die den Einfluss von Japan in China stärken sollten.1602 Nach mehreren erfolglosen Versuchen, andere ausländische Mächte zu involvieren,1603 musste Yuan Shikai die „21 Forderungen“ aufgrund der militärischen Bedrohung durch Japan am 25. 05. 1915 akzeptieren.1604 Die Vereinigten Staaten1605 sowie England1606 protestierten zwar nachträglich gegen diese Forderungen, aber
Kolonie Kiautschou, in: Voigt, Rüdiger/Sack, Peter (Hrsg.), Kolonialisierung des Rechts. Zur kolonialen Rechts- und Verwaltungsordnung, 2001, S. 125 – 152. Kiautschou wurde durch die Stadt Tsingtao an das Deutsche Reich für 99 Jahre verpachtet und war der Startpunkt für eine Eisenbahnschiene, die das Deutsche Reich nach Tsinan gebaut hatte. Außerdem war es ein wichtiger Handelshafen. Vgl. Nish, Alliance in Decline (Fn. 1562), S. 132. 1601 Obwohl die deutsch-japanische Beziehungen am Anfang des 20. Jahrhunderts, trotz der Drei-Parteien-Intervention im Jahre 1895, keinesfalls feindlich geprägt waren, sahen die Japaner zum Zeitpunkt des Ersten Weltkrieges die Allianz mit Großbritannien als wichtiger an. Vgl. Nish, Alliance in Decline (Fn. 1562), S. 130 – 131. Für Japan war in diesem Zeitpunkt die englisch-japanische Allianz von überragender Bedeutung, und die Teilnahme am Ersten Weltkrieg ist auch in diesem Kontext zu sehen. Vgl. Matsushita, Masatoshi, Japan in the League of Nations, 1968, S. 16 – 17; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 316. 1602 Diese 21 Forderungen waren in fünf Gruppen eingeteilt. Es ging erstens um die Verlängerung der Pacht des Gebiets in der Südmandschurei; zweitens um die Abtretung des deutschen Pachtgebietes in Shandong an Japan; drittens um die Sicherung weiterer Pachtgebiete in der Mandschurei und in Zentral China; viertens um ein Verbot, Häfen, Küstengebiete oder Inseln an andere Staaten zu verpachten; fünftens wollte Japan China in wichtigen politischen, finanziellen und militärischen Angelegenheiten „beraten“, was China letztlich zu einem japanischen Protektorat gemacht hätte. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 316; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 471; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 112 – 114; Martin, Bernd, The Politics of Expansion of the Japanese Empire: Imperialism or Pan-Asiatic Mission?, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 68; Cotterell, Western Power (Fn. 1512), S. 177 – 178. 1603 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 114. 1604 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 317; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 471. 1605 Mit den Vereinigten Staaten konnte ein Verständnis etabliert werden, das letztlich in der Akzeptanz der 21 Forderung mündete. Am 02. 11. 1917 wurde zwischen den Vereinigten Staaten und Japan das Lansing-Ishii Abkommen geschlossen, in dem das „spezielle Interesse“ Japans aufgrund der „territorialen Kontinuität“ anerkannt wurde. Somit kann von einer faktischen Allianz zwischen den Vereinigten Staaten und Japan gesprochen werden. Diese Allianz diente auf der Seite der Vereinigten Staaten insbesondere der Begrenzung des Einflusses von Deutschland. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 471 – 472. 1606 Für Großbritannien war der Verlust eines wichtigen Alliierten, nämlich Japans, ein höheres Risiko als der Verlust der kommerziellen Privilegien in China. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 115.
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eine entscheidende Intervention gab es nicht.1607 So konnte Japan zunächst seine 21 Forderungen durchsetzen. d) Änderung im „System der ungleichen Verträge“ Bis 1920 war die indirekte Beherrschung Chinas durch das „System der ungleichen Verträge“ letztlich nichts anderes, als die Anwendung des europäischen Kolonialvölkerrechts auf China; also eine Praxis, an der sich viele westliche Mächte und Japan beteiligt hatten. Allerdings folgte darauf eine zunehmende Tendenz der Nationalisierung Chinas1608 und Koreas.1609 Diese Erwartungen wurden jedoch enttäuscht, und das Selbstbestimmungsrecht blieb im Rahmen des Versailler Friedens auf Europa begrenzt.1610 Dies führte innerhalb Chinas zu der Bewegung des Vierten Mais und in Korea zur Bewegung des Ersten Märzes.1611 Der chinesische Nationalismus,1612 der bereits aufgrund der – als nationale Beleidigung empfundenen – „21 Forderungen“ angespornt worden war, wurde weiter durch die Versuche Japans, die Gebietsabtretungen von Shandong im Rahmen der Versailler Verträge anerkannt zu bekommen, stimuliert.1613 Das internationale System in Ostasien änderte sich dann, insbesondere angetrieben durch diese Entwicklungen infolge der Washingtoner Konferenz,1614 die 1607
Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 317. So wurde von chinesischen Medien zunehmend geäußert, dass die südmandschurische Bahn an China zurückgehen müsse. Vgl. Myers, Ramon, Japanese Imperialism in Manchuria: South Manchuria Railway Company 1906 – 1933, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. 127. 1609 Eine wichtige Rolle spielte dabei das von US-Präsident Wilson ausgehende Selbstbestimmungsrecht der Völker. Korea sowie auch China erwarteten, dass US-Präsident Wilson die unterdrückten Völker unterstützen würde und dies zur Unabhängigkeit der jeweiligen Staaten führen könnte. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 319; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 473. 1610 Der strategische Nutzen für die Vereinigten Staaten sowie England war, dass die Selbstständigkeiten der mittel- bzw. osteuropäischen Staaten die Expansion von Deutschland und Russland begrenzen würden. Kolonien von England oder Frankreich bzw. die lateinamerikanischen Staaten blieben unberührt. Das gleiche galt für die japanischen Kolonien bzw. Halbkolonien. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 474 – 475. 1611 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 318 – 319; Fairbank, John, China. A new history, 1992, S. 267 – 269. 1612 Der Nationalismus wurde zentrales Programm der beiden großen politischen Parteien in China, den Kuomintang (Nationalisten) und den Kommunisten. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 169. 1613 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 157. 1614 Es war eine internationale Konferenz, an der Großbritannien, die Vereinigten Staaten, Japan, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande, Portugal und China teilnahmen. Insbesondere die Teilnahme von China war in China mit großen Erwartungen verbunden. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 324. 1608
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zwischen November 1921 und Februar 1922 stattfand.1615 Bezüglich der chinesischen Frage wurde am 06. 02. 1922 der sog. „Neunmächtevertrag“ abgeschlossen.1616 Das Territorium Japans in der Mandschurei und in Kiautschou blieb jedoch unberührt.1617 Insgesamt stellte die Washingtoner Konferenz also keine Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker auf den ostasiatischen Raum dar, vielmehr war es ein Versuch, das System der ungleichen Verträge weiterzuführen.1618 Gleichzeitig wurde Japan durch seine Mitwirkung am Versailler Vertrag sowie der Washingtoner Konferenz (1921 – 1922) endgültig Teil des „Klubs der Großmächte“.1619 2. Entwicklung des frühen Panasianismus Panasianismus wird heutzutage als eine Idee bezeichnet, nach der die asiatischen Nationen – ggf. unter der Führung von Japan – die Invasion durch den Westen aufhalten sollen.1620 Panasianismus beinhaltet einmal die Idee, dass Asien als ein geographischer, rassischer oder kultureller Körper existiere und andererseits die
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Die Konferenz mündete in einen Nichtangriffspakt zwischen den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und Japan sowie ein Flottenabkommen zwischen den Parteien des Viermächtepaktes und Italien. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 325; Beasley, William, The Rise of Modern Japan, 3. Auflage, 2000, S. 162. 1616 Dieser sah vor, dass es keine Intervention in die internen Angelegenheiten von China geben sollte und China die Gelegenheit erhalten solle, sich zu vereinen und zu modernisieren. Das Respektieren der Souveränität, Unabhängigkeit sowie der territorialen und administrativen Integrität von China war eine Internationalisierung der „Politik der Offenen Tür“. Für China bedeutete dieses Ergebnis nur eine Bewahrung des ius publicum europaeum, da die Souveränität Chinas in den letzten 80 Jahren bereits stark ausgehöhlt war und der Pakt lediglich eine „weitere“ Aushöhlung der Souveränität untersagte. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 326; Beasley, Modern Japan (Fn. 1615), S. 163. In der vorgehenden Resolution bezüglich der Extraterritorialität Chinas vom 10. 12. 1921 wurde lediglich festgestellt, dass die westlichen Mächte bereit seien, die Extraterritorialität abzuschaffen, wenn China seine Gesetze und den Vollzug verbessern würde. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 479. 1617 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 326; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 480. 1618 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 481. 1619 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 78. 1620 Hotta hat den japanischen Panasianismus in drei verschiedene Kategorien eingeteilt: den sog. „teeistischen“ Panasianismus, den „sinischen“ Panasianismus und den „Meishuron“ Panasianismus. Mit dem teeistischen Panasianismus, dessen Name aus dem Buch „The Book of Tea“ von Okakura Tenshin hergeleitet ist, meinte Hotta einen Panasianismus, der sich insbesondere auf die kulturellen Aspekte konzentrierte und die Gemeinsamkeiten von Asien darin sah, dass Asien sich auf das Spirituelle konzentriere und somit als Gegenmodell zu den Westen zu sehen sei, der sich seinerseits nur auf materielle Werte konzentriere. Der sinische Panasianismus fokussiert sich, geographisch gesehen, deutlich stärker auf die Staaten China und Japan und stellt auf den gemeinsamen chinesischen Ursprung der Sprache, der Kultur und der Rasse ab und propagierte somit eine Allianz zwischen China und Japan. Der Meishuron-Panasianismus hingegen hatte ein klares Bild einer Vorherrschaft von Japan über Asien. Das starke japanische Kaiserreich sollte das schwache Asien in eine bessere Zukunft führen. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 30 – 49.
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Forderung, dass dieses Asien von den westlichen Imperialisten befreit werden solle und ein Gegengewicht zum Westen bilden müsse.1621 Asien ist dabei ein Begriff, der – wie auch der Begriff Europa – im alten Griechenland genutzt wurde, eben um das Territorium und das Volk östlich von Griechenland zu beschreiben.1622 Das Wort „Asien“ war den asiatischen Völkern, insbesondere dem sinozentrischen Kulturkreis, für lange Zeit fremd.1623 Vielmehr existierte in dieser Region ein eigenes Völkerrechtssystem, nämlich das sinozentrische bzw. tributäre System. Dies änderte sich erst im 19. Jahrhundert1624 mit der Demonstration militärischer und technologischer Überlegenheit der westlichen Staaten.1625 In dieser Zeit wurde der Begriff „Asien“ eingeführt und bekam eine doppelte Bedeutung. Einerseits wurde damit der geographische und politische Raum Asien bezeichnet, ohne dass auf die bisherige sinozentrische Ordnung verwiesen werden musste. Andererseits wurde durch diesen fremdgegebenen Begriff die Schwäche der asiatischen Region deutlich gemacht.1626 In allen panasiatischen Spielarten kann jedoch eine grundsätzliche Idee des „einen Asiens“ erkannt werden, das durch den gemeinsamen Kampf gegen den westlichen Imperialismus definiert wird.1627 Der Panasianismus als Idee eines einheitlichen Asiens gegen den westlichen Imperialismus, entwickelte sich bereits nach dem Opium-Krieg.1628 Der Panasianismus prägte auch entscheidend die Entwicklung des Nationalismus in den einzelnen asiatischen Staaten dahingehend, dass eine grund1621
Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 23. Gemeint waren in erster Linie die Perser. Vgl. Saaler, Sven/Szpilman, Christopher (Hrsg.), Pan-Asianism. A Documentary History Volume 1: 1850 – 1920, 2011, S. 282 – 283; andere Erklärungen sind, dass der Name von den assyrischen „Asu (Osten)“ stammt. Vgl. Safra, Jacob/Aunguilar-Cauz, Jorge (Hrsg.), Encyclopaedia Britannica Volume 14, 15. Auflage, 2007, S. 128. 1623 Der Begriff wurde im 16. Jahrhundert von jesuitischen Missionaren eingeführt und war erst zwei Jahrhunderte später allgemein gebräuchlich. Vgl. Saaler/Szpilman (Hrsg.), PanAsianism I (Fn. 1622), S. 2; Matsuda, Koichiro, The Concept of „Asia“ before Pan-Asianism, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 45. 1624 Das europäische Völkerrecht wurde unter dem Begriff „Bankoku Kouhou“ in der MeijiZeit eigeführt. Es ist eine Übernahme des chinesischen Begriffs „Wanguo Gongfa“ den Martin in seiner Übersetzung von Wheatons „Elements of International Law“ benutzte. Vgl. Ikeda, Josuke, The „Westfailure“ Problem in International Relations Theory, in: Sato, Shiro/Ikeda, Josuke/Chen, Ching Chang/Cho, Youngchul, Re-examination of „Non-Western“ International Relations Theories, Kyoto Working Papers on Area Studies No. 118 (GCoe Series 116), 2011, S. 17 – 18. 1625 Die militärische Macht wurde den Staaten China bzw. Japan in verschiedenen Kriegen von etwa England im Ersten Opiumkrieg von 1839 bis 1842 oder von Amerika, durch den erzwungenen Vertrag von Kanagawa vom 31. 03. 1854 mithilfe der sog. „schwarzen Schiffe“ demonstriert. Vgl. Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 4 – 5. 1626 Koichiro, Matsuda, The Concept of „Asia“ before Pan-Asianism, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 48. 1627 Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 34. 1628 Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 5. 1622
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sätzliche Bereitschaft der Zusammenarbeit der asiatischen Völker zur Erreichung der gemeinsamen nationalen Unabhängigkeit vorherrschte.1629 a) Okakura Tenshin Die Gedanken von Okakura Tenshin (1863 – 1913)1630 beeinflussten1631 den Panasianismus in der Folgezeit entscheidend.1632 Die Bedeutung des Panasianismus von Okakura lag darin, dass Asien nicht mehr aus dem Blickwinkel der westlichen Zivilisation verstanden wurde, so wie es viele asiatische Intellektuelle zu dieser Zeit taten, sondern aus der eigenen asiatischen Perspektive.1633 Okakura Tenshin idealisierte ein nicht-materialistisches Asien1634 und betonte die Gemeinsamkeiten der asiatischen Kultur, die er dem Westen gegenüber als ebenbürtig, vielleicht sogar 1629
Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 6. Okakura wurde in eine Samurai Familie in Yokohama geboren und lernte schon in jungen Jahren die englische Sprache. Er kam durch seine Ausbildung in der Kaisei-Schule mit der westlichen Philosophie aber auch mit der chinesischen Philosophie und der japanischen Kunst in Kontakt. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 31 – 32. Die kritische Haltung gegenüber dem Westen entwickelte Okakura in dieser Zeit, indem er etwa die Kalligraphie gegen den Vorwurf verteidigte, dass sie keine höhere Kunst sei. Er argumentierte, dass die westlichen Kriterien nicht geeignet seien, die asiatische Kunst zu bewerten, da diese vorurteilsbehaftet seien. Vgl. Tankha, Brij, Okakura Tenshin: Writing a good history upon a modern plan, in: Tankha, Brij (Hrsg.), Okakura Tenshin and Pan-Asianism: Shadows of the Past, 2009, S. 29; Tankha, Brij, Okakura Tenshin: „Asia is One“, 1903, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 93. 1631 Okakura wurde 1890 bis 1898 der Leiter der Tokioter Kunstakademie und gewann an Einfluss innerhalb der japanischen Öffentlichkeit. Er verfasste seine Hauptwerke wie „Ideals of the East“ (1901 geschrieben, jedoch erst 1938 publiziert), „The Awakening of Japan“ (1905) oder „The Book of Tea“ (1906) die auf Englisch verfasst und publiziert wurden, nach seiner Zeit als Leiter dieser Institution. Er hatte aber bereits in dieser Zeit seine späteren Werke durch seine Vorlesungen, Diskussionsbeiträgen und Notizen vorbereitet. Vgl. Tankha, Brij, Okakura Tenshin: Writing a good history upon a modern plan, in: Tankha (Hrsg.), Okakura Tenshin (Fn. 1630), S. 30. 1632 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 30; Tankha, Brij, Okakura Tenshin: „Asia is One“, 1903, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 93. 1633 Kim, Gyeongil, Das Zeitalter des Imperalismus und der ostasiatische Bund, (Koreanisch: , ), 2012, S. 71. 1634 Der bekannteste Satz Okakuras „Asia is one“, ist der erste Satz in seinem Buch „Ideals of the East“. Okakura bezieht sich dabei insbesondere auf Indien und China und sieht in diesen Kulturen trotz aller Unterschiede Gemeinsamkeiten, dass sie das Letztendliche und Universale suchten. Er vertrat also eine geographisch gesehen sehr weiträumige Definition von Asien, die äußerst unbestimmt blieb und generell als „alles was nicht europäisch ist, soweit es auf Frieden und Liebe basiert“ bezeichnet werden kann. Okakura bezeichnet die asiatische Rasse als ein „großes Netz“. Vgl. Okakura, Tenshin, Ideals of the East, 1903, S. 1 – 3. Auch die historischen Verbindungen zwischen den arabischen und hellenischen Kulturkreisen wurden für die eigene Idee abgeändert. Vgl. He, Jing, Okakura Tenshin and Pan-Asianism, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 103. Hotta betont, dass es gerade diese Unbestimmtheit war, die es erlaubte, Japans „Panasiatische“ Politik sehr schnell zu erweitern. Vgl. Hotta, PanAsianism (Fn. 1545), S. 36 – 37. 1630
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überlegen,1635 ansah.1636 Okakura stellte die östliche Zivilisation also als Gegenmodell zur westlichen Zivilisation auf.1637 Vom japanischen Nationalismus konnte sich Okakura Tenshin jedoch – trotz dieser panasiatischen Sichtweise – nicht lösen.1638 So ist Japan für Okakura ein Sonderfall, in dem sich asiatische Gedanken und Kultur ihre Reinheit erhalten haben.1639 Die „weiße Rasse“ konnte nach Okakura nur durch die „gelbe Hegemonie“ Japans besiegt werden.1640 Dies zeigt, dass sich Okakuras panasiatische Sichtweise im Hinblick auf die intra-asiatischen Beziehungen in einen egozentrischen Nationalismus wandelte.1641 Die Idee von Okakura Tenshin, eine anti-imperialistische Allianz der asiatischen Völker zu schmieden, wurde von einigen nicht-japanischen Intellektuellen hoch bewertet.1642 Der in seinem Gedanken inhärente japanozentrische Blick führte jedoch in den 1930er Jahren zu dem japanischen Panasianismus, der in seiner Form als „Großostasiatische Wohlstandssphäre“ letztlich dem westlichen Imperialismus nicht unähnlich war und als Herrschaftsideologie gegenüber den anderen Mit-Asiaten diente.1643 b) Kita Ikki Kita Ikki (1883 – 1937)1644 ist einer der umstrittensten Denker in der neueren Geschichte Japans.1645 Er gilt als ein früher Vordenker der „Großostasiatischen
1635 Europa hingegen verstand er als „Dampf“ und „Elektrizität“. Vgl. Okakura, Ideals (Fn. 1634), S. 236. 1636 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 31. 1637 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 72. 1638 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 73. 1639 Okakura, Ideals (Fn. 1634), S. 5. Japan sollte also das antiquierte China modernisieren und das von den Briten eroberte Indien befreien. Darin zeigt sich, dass Okakuras Asien im Kern so definiert wurde, um die Führungsrolle Japans zu betonen und eine rassische Hierarchie aufzubauen, in der Japan über China und Indien stand. Vgl. He, Jing, Okakura Tenshin and PanAsianism, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 102 – 103. 1640 He, Jing, Okakura Tenshin and Pan-Asianism, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 104. 1641 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 73. 1642 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 72. 1643 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 74 – 75. 1644 Kita wurde am 03. 04. 1883 geboren und wurde bereits in jungen Jahren mit westlichen Ideen konfrontiert. Bereits 1901 veröffentlichte Kita eine Serie von Zeitungsartikeln in der Sado Shinbun über die Prinzipien der Menschheit, in der er schrieb, dass es Hauptziel der sozialen Moral sei, einen starken Staat zu errichten, um anderen Ländern dieser Welt zu helfen und dafür sei es notwendig, Klassenunterschiede abzuschaffen und eine gewählte Regierung zu haben. Vgl. Tankha, Brij, Kita Ikki and the Making of Modern Japan: AVision of Empire, 2003, S. 8 – 14.
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Wohlstandssphäre“.1646 Kita versuchte dabei, Imperialismus und Sozialismus zu verbinden und argumentierte, dass die besondere Situation Japans Anfang des 20. Jahrhunderts dazu geführt habe, dass Japan eine Expansionspolitik brauche, da durch die Emigration von Japanern nach Korea und in die Mandschurei soziale Spannungen gelöst werden könnten.1647 1906 veröffentlichte Kita das Werk „Die Nationale Politie (Kokutai) und der pure Sozialismus (jap. Kokutairon Oyobi Junsei Shakaishugi ( ))“;1648 das Werk wurde innerhalb von zehn Tagen durch die japanische Regierung zensiert.1649 Kita sah in der Kokutai-Ideologie einen Status des Staates, der nicht änderbar sei und nicht im Belieben des Kaisers stehe.1650 Durch die Meiji-Restauration habe Japan einen Staat im rechtlichen Sinne gegründet, der ein Staat der Bürger sei. Es sei jedoch noch nicht zur Gründung eines politischen Wesens1651 gekommen.1652 Dieses Staatsverständnis trug Kita auch in seine panasiatischen Konzepte, die sich zwar von der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ unterschieden, jedoch deren Entstehung mitprägten.1653 1919 veröffentlichte Kita dazu den Plan zur Reorgani).1654 Kita versteht sation Japans (jap. Nihon Kaizo¯ Ho¯an Taiko¯, 1645
S. 245.
Usui, Ryuichiro, Großraum bei Kita Ikki, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48),
1646 Martin, Bernd, The Politics of Expansion of the Japanese Empire: Imperialism or PanAsiatic Mission?, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 72. 1647 Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 20. 1648 Schon zuvor hatte Kita die in Japan zu dieser Zeit vorherrschende und einseitig den Staat sowie den japanischen Kaiser verherrlichende Kokutai-Ideologie stark kritisiert. Nach Kita war bereits die Behauptung einer „ununterbrochenen Linie der japanischen Kaiser“ unhaltbar und die Aufrechterhaltung dieser Fiktion schädigend für die Bildung der japanischen Bevölkerung. 1903 argumentierte Kita sogar, dass das aktuelle Japan eine neue Nation sei und der Kaiser einen Putsch vollbracht habe, um an die Macht zu kommen. Vgl. Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 17 – 18; Usui, Ryuichiro, Großraum bei Kita Ikki, in: Voigt (Hrsg.), GroßraumDenken (Fn. 48), S. 248. 1649 Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 25. 1650 Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 34. 1651 Dies sei der Grund für ein Nebeneinander von zwei Systemen, nämlich den legalen Bürgerstaat und den wirtschaftlich gesehen patriarchal organisierten Staat. Vgl. Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 62; Usui, Ryuichiro, Großraum bei Kita Ikki, in: Voigt (Hrsg.), GroßraumDenken (Fn. 48), S. 248. Für Kita ist es deshalb wichtig, dass es zu einer Aufklärung der Bevölkerung kommt und ein konfuzianischer Staat nach dem Modell von Menzius gelebt wird. Diesen Staat nach Menzius vergleicht Kita auch mit dem platonischen Staat. Vgl. Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 63. 1652 Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 61. 1653 Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 129. 1654 Englische Übersetzung durch Brij Tankha, abgedruckt in: Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 161 – 228; das Werk diente 18 Jahre nach seinem Erscheinen, als Blaupause für einen Putsch junger Offiziere am 26. 02. 1936. Vgl. Usui, Ryuichiro, Großraum bei Kita Ikki, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 253 – 254.
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dabei die einzelnen Staaten auf völkerrechtlicher Ebene als ungleiche Subjekte, so wie es Reiche und Arme, Besitzer von Ländereien und Pächter gibt.1655 Japan müsse deshalb ein Imperium errichten, das den reichen Staaten entgegentreten könne und dafür ein Imperium für die Armen1656 einrichten.1657 Es sei wichtig, nicht dem Beispiel der Ostindischen Gesellschaft zu folgen, sondern die Staaten innerhalb des Imperiums auf der Basis von gleichen Rechten1658 zu behandeln.1659 Kita stellte dabei insbesondere auf die Zusammenarbeit mit China ab.1660 c) Der koreanische Panasianismus und Ahn Junggeun Parallel zum bereits erläuterten panasiatischen Diskurs in Japan fand am Ende des 19. Jahrhunderts auch eine Panasianismus-Debatte auf der koreanischen Halbinsel statt. Ähnlich wie in Japan wurde auf die Gefahr der weißen Rasse abgestellt und eine ostasiatische Zusammenarbeit propagiert.1661 In diesem Zusammenhang ist auch zu erkennen, dass die Koreaner die Japaner durchaus aufforderten,1662 eine Führungs1655
Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 137. Wie ein Staat innerhalb des japanischen Imperiums aussehen kann und welche Rechte er hat, beschreibt Kita im 7. Kapitel des Plans zur Reorganisation. Beispielsweise ist das bereits annektierte Korea nach Kita kein Vasall und auch keine Kolonie, sondern ein Teil des japanischen Imperiums unter dem gleichen Verwaltungssystem und dem gleichen Verwaltungsrecht. Vgl. Kita, Ikki, Plan zur Reorganisation Japans, in: Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 208. 1657 Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 138. 1658 Kita plädiert dafür, dass die Koreaner innerhalb von 25 Jahren die gleichen Teilhaberechte an der Politik haben sollten wie die Japaner und, um dies vorzubereiten, ein Selbstverwaltungssystem innerhalb von zehn Jahren einzurichten sei. Diskriminierungen, wie sie die westlichen Zivilisationen praktiziert hätten, müssten komplett gestoppt werden. Vgl. Kita, Ikki, Plan zur Reorganisation Japans, in: Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 211, 215. 1659 Kita, Ikki, Plan zur Reorganisation Japans, in: Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 213. 1660 ) aus, die Kita Im Jahre 1911 brach die chinesische Xinhai-Revolution (chin. inspirierte, in den Jahren 1916/1917 das Werk „Die Geschichte der chinesischen Revolution (China Kakumei gaishi)“ zu verfassen. Für Kita sind jedoch gerade Russland und England die Feinde Chinas, sobald die chinesische Revolution erfolgreich beendet ist, da diese China kolonialisieren wollen. Kita kritisierte deshalb die japanische Außenpolitik, die ein Bündnis mit Russland vorsah und somit das Vertrauen der Chinesen verspielte. Vgl. Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 89 – 100. In einem separaten offenen Brief, der dem Werk hinzugefügt war, verurteilte Kita 1919 die Versailler Konferenz, die er als „Narrenkomödie“ verstand, und kritisierte dabei die japanische Delegation, da sie das Hauptziel vergessen habe, zwischen Japan und China ein Bündnis zu schließen, um einen Keil zwischen Amerika und England zu treiben. Japan habe zudem den Fehler gemacht, die „21 Forderungen“ an China zu stellen und dadurch die „Bewegung des Vierten Mais“ in Gang zu setzen. Vgl. Usui, Ryuichiro, Großraum bei Kita Ikki, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 249 – 252; Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 79. 1661 Lee, Eunjeung, Der Traum von der „ostasiatischen Gemeinschaft“. Diskurse über den ostasiatischen Großraum in Südkorea, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 225. 1662 Die Propaganda des japanischen Kaiserreiches machte sich insbesondere kurz vor dem russisch-japanischen Krieg die panasiatische Rhetorik zunutze und bestimmte etwa in dem koreanisch-japanischen Vertrag vom 23. 02. 1904, dass die beiden Regierungen verpflichtet 1656
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rolle zu übernehmen.1663 Die panasiatische Debatte in Korea konnte fortan, jedoch insbesondere ab 1905, aufgrund der japanischen Zensur nicht lange weitergeführt1664 werden.1665 Die Enttäuschung über das japanische Verhalten nach dem russisch-japanischen Krieg war auch das Leitmotiv von Ahn Junggeun (1879 – 1910), als er am 26. 10. 1909 den ehemaligen japanischen Premierminister und damaligen Gouverneur des koreanischen Protektorates Ito Hirobumi1666 in Harbin erschoss.1667 Ahn, der Sohn eines konfuzianischen Gelehrten, war nach der Auflösung der koreanischen Armee im Jahre 1907 bis zum Tage des Attentats als bewaffneter Unabhängigkeitskämpfer in Wladiwostok tätig.1668 In der Zeit zwischen seiner Festnahme – unmittelbar nach dem Attentat – und dem Vollzug seines Todesurteils am 26. 03. 1910 begann Ahn im
seien, den Frieden in Ostasien herzustellen. Nach dem Sieg über Russland war diese Rhetorik jedoch nicht mehr notwendig und bereits am 15. 11. 1905 wurde der koreanisch-japanische Protektoratsvertrag erzwungen. Vgl. Seo, Yong, Die geschichtliche Bedeutung von der Theorie des ostasiatischen Friedens von Ahn Junggeun, in: Seo, Chaeyun (Hrsg.), Ahn Junggeun und die , ), 2010, Theorie des ostasiatischen Friedens (koreanisch: S. 69. 1663 , Zeitung für die Unabhängigkeit)“ räumte Die Zeitung „Tognip Shinmun (kor. Japan am 19. 07. 1899 sogar eine Rolle als Führer der ostasiatischen Länder ein. So: Lee, Eunjeung, Der Traum von der „ostasiatischen Gemeinschaft“. Diskurse über den ostasiatischen Großraum in Südkorea, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 225 – 226. 1664 Die einzige Ausnahme bildete die „Taehanmaeil Shinbo“, die im Eigentum des englischen Journalisten Ernest Thomas Bethell stand und somit extraterritoriale Rechte genoss. Diese kritisierte etwa am 10. 02. 1905, dass Japan sein Versprechen, die Nachbarländer zu zivilisieren, nicht eingehalten habe. So: Lee, Eunjeung, Der Traum von der „ostasiatischen Gemeinschaft“. Diskurse über den ostasiatischen Großraum in Südkorea, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 226 – 227. 1665 Lee, Eunjeung, Der Traum von der „ostasiatischen Gemeinschaft“. Diskurse über den ostasiatischen Großraum in Südkorea, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 226. 1666 Ito war einer der zentralen Figuren der Erzwingung des Protektoratsvertrages von 1905. Bereits im Dezember des gleichen Jahres wurde er der Gouverneur über Korea. 1907 erwirkte er Zwang auf die koreanische Regierung und ließ die koreanische Armee auflösen. So: Seo, Yong, Die geschichtliche Bedeutung von der Theorie des ostasiatischen Friedens von Ahn Junggeun, in: Seo (Hrsg.), Ahn Junggeun (Fn. 1662), S. 69. 1667 Lee, Eunjeung, Der Traum von der „ostasiatischen Gemeinschaft“. Diskurse über den ostasiatischen Großraum in Südkorea, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 227; Seo, Yong, Die geschichtliche Bedeutung von der Theorie des ostasiatischen Friedens von Ahn Junggeun, in: Seo (Hrsg.), Ahn Junggeun (Fn. 1662), S. 71. Die Reaktion der koreanischen Presse war gespalten. Die Hwangseong Shinmun sah den Akt als Mord an, während die Taehanmaeil Shinbo dies als eine patriotische Tat darstellte. Vgl. Kim, Hyunchul, Ahn Junggeun’s A Treatise on Peace in the East and Its Implications for Peace in Northeast Asia, in: The Journal of Northeast Asian History, Band 8, Nummer 2 (Winter 2011), S. 35 – 70 (48). 1668 Seo, Yong, Die geschichtliche Bedeutung von der Theorie des ostasiatischen Friedens von Ahn Junggeun, in: Seo (Hrsg.), Ahn Junggeun (Fn. 1662), S. 70.
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Gefängnis das Werk „Theorie des ostasiatischen Friedens“ zu verfassen, konnte es jedoch nicht vollenden.1669 Ahn analysiert in seinem Werk den sino-japanischen Krieg von 1895 und sah den Grund für Japans Sieg darin, dass es Japan gelungen sei, die inneren Bürgerkriege zu beenden, während die Qing-Dynastie weiterhin instabil gewesen sei.1670 Den russisch-japanischen Krieg hingegen sah Ahn als Krieg zwischen der gelben und weißen Rasse. Den Sieg Japans gegen Russland verstand Ahn als Triumph der gesamten asiatischen Rasse.1671 Durch das Erzwingen des Protektorats mit Korea habe Japan jedoch das Versprechen gegenüber Korea gebrochen.1672 Ahn jedoch sah für die Zukunft die Einheit Ostasiens als notwendig an und rechtfertigt auch das Attentat an Ito damit, dass Ito die Freundschaft zwischen Korea und Japan zerrüttet habe.1673 Für Ahn war es notwendig, dass Japan die Führerschaft über Ostasien übernimmt. Japan sollte aber dabei nicht auf kurzfristige Erfolge setzen und nicht die eigene Expansion zulasten Koreas vorantreiben.1674 Wie die Einheit Ostasiens aussehen sollte, wurde in einem Vernehmungsprotokoll vom 17. 02. 1910 festgehalten.1675 Ahns „Theorie des ostasiatischen Friedens“ beinhaltet viele Elemente des Panasianismus, so wie er auch in Japan vertreten wurde. Der Krieg und die Kolonialisierung durch die westlichen Mächte wurden als Bedrohung verstanden, die durch die Einigkeit der Asiaten abgewehrt werden kann.1676 Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass Ahn Japan die Führerschaft über dieses gemeinsame Asien zusprach, aber gleichzeitig das Attentat auf Ito Hirobumi mit seiner fehlerhaften Politik hin1669 Seo, Yong, Die geschichtliche Bedeutung von der Theorie des ostasiatischen Friedens von Ahn Junggeun, in: Seo (Hrsg.), Ahn Junggeun (Fn. 1662), S. 72. 1670 : Ahn, Junggeun, Die Theorie des ostasiatischen Friedens (koreanisch: ( ), zitiert wird die Fassung herausgegeben von Yun, Hyungdoo), 2010, S. 22. 1671 Japan sei nur deshalb siegreich gewesen, weil die Bevölkerung von Korea und der chinesischen Qing-Dynastie vereint mit Japan gegen den westlichen Feind, Russland, gekämpft haben. Der japanische Kaiser habe in der Kriegserklärung den Frieden in Ostasien und die Unabhängigkeit Koreas versprochen. Vgl. Ahn, Ostasiatischer Frieden (Fn. 1670), S. 16 – 18; Kim, Ahn Jung-geun (Fn. 1667), S. 35 – 70 (42 – 43). 1672 Ahn, Ostasiatischer Frieden (Fn. 1670), S. 29. 1673 Aufzeichnungen des fünften Verhandlungstages von Ahns Strafverfahren vom 12. 02. 1910, in: Ahn, Ostasiatischer Frieden (Fn. 1670), S. 47. 1674 Ahn benutzt in diesem Zusammenhang das Wort Mengju (Herr der Verträge). – ein Begriff, der aus der Ost-Zhou-Dynastie stammt. Vgl. Kim, Hyungmok, Ahn Junggeuns Konzept der „Theorie des ostasiatischen Friedens“, in: Seo (Hrsg.), Ahn Junggeun (Fn. 1662), S. 174. 1675 In dieser Vernehmung propagierte Ahn die Notwendigkeit gemeinsamer Häfen von Japan, Korea und der Qing-Dynastie, eine gemeinsame Friedenskonferenz sowie eine gemeinsame Armee. Weiterhin schlug er eine gemeinsame Bank und Währung der drei Länder vor. Vgl. Kim, Hyungmok, Ahn Junggeuns Konzept der „Theorie des ostasiatischen Friedens“, in: Seo (Hrsg.), Ahn Junggeun (Fn. 1662), S. 174 – 176. 1676 Ganz anders hingegen argumentierte Shin Chaeho, der den Panasianismus als Ausrede Japans für dessen Expansionismus ansah und die rassistischen Elemente kritisierte. Vgl. Kim, Ahn Jung-geun (Fn. 1667), S. 35 – 70 (48).
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sichtlich des ostasiatischen Friedens rechtfertigte. Er war also nur solange bereit, die Japaner als Teil einer ostasiatischen Gemeinschaft zu sehen, solange diese den restlichen Asiaten1677 Unabhängigkeit einräumen. d) Fazit Die Zeit zwischen dem späten 19. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war geschichtlich gesehen für Japan eine äußerst turbulente Zeit, die mit der zwangsweisen Öffnung und Demütigung durch die USA anfing und mit den militärischen Erfolgen gegen die Qing-Dynastie sowie gegen Russland endete. Diese Periode war von der erfolgreichen Modernisierung und der politischen Erneuerung durch die Meiji-Restauration gekennzeichnet. Insofern sind auch die Positionen der damaligen Panasianisten von einer gewissen Euphorie bezüglich der eigenen Erfolge einerseits und vom Misstrauen gegenüber dem Feindbild des imperialistischen Westens andererseits geprägt. Bemerkenswert ist es dabei, dass die japanischen Denker die eigene Rolle in Asien als die eines Modernisierers und Führers von ganz Asien verstanden. Japan sei, nach Okakura Tenshin sowie Kita Ikki, deshalb so hervorhebenswert, weil es sich selbst modernisiert habe und aus dem kolonialen Status ausgebrochen sei. Damit könne es als Gegenmodell zum modernen westlichen Staate gewertet werden.1678 Bei Kita könnte man bereits von einer hierarchischen Staatenordnung sprechen, die in ihrer Struktur der Großraumtheorie nicht unähnlich ist. Umso interessanter ist deshalb zu sehen, dass auch in Korea ähnliche panasiatische Tendenzen existiert haben. Zumindest vor dem Sieg Japans im russisch-japanischen Krieg scheint Japans Führerrolle akzeptiert worden zu sein. Dass diese Gedanken jedoch nach der Expansion Japans, die infolge des Sieges im russischjapanischen Krieg stattfand, keine Zustimmung mehr finden konnten, wird bei Ahn Junggeun deutlich. Dabei ähneln sich die Konzepte von Kita und Ahn zumindest dahingehend, dass Japan und der Rest Asiens kooperieren sollten, um die „raumfremden“ westlichen Mächte zu besiegen. Allerdings sieht Kita die Beziehung Japans und den Rest Asiens ausdrücklich als Subordinationsverhältnis, was bei Ahn gerade nicht der Fall ist. 3. Die Entwicklung des japanischen Nationalismus Die zweite Hauptströmung der japanischen Politik, neben dem Panasianismus, war der Nationalismus. Im 19. Jahrhundert erfolgte in Japan eine beispielhafte 1677 Ausdrücklich nannte Ahn in seinem Werk nur die Qing-Dynastie, Japan und Korea. Allerdings erwähnte er in seiner Vernehmung auch, dass auch andere asiatische Staaten, wie etwa Indien, Thailand und Vietnam in einer ostasiatischen Gemeinschaft teilnehmen könnten. Vgl. Kim, Ahn Jung-geun (Fn. 1667), S. 35 – 70 (54). 1678 Tankha, Kita Ikki (Fn. 1644), S. 159.
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Rückbesinnung auf seine religiös-nativistischen Traditionen durch die Politik.1679 Im Lichte der Veränderung des japanischen Staates1680 – sowie dessen Erfolge im 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert1681 – wurde der japanische Nationalismus1682 dann umso mehr angefacht.1683 Der japanische Nationalismus ist zunächst von der staatsphilosophisch-religiösen Seite zu betrachten, wo der Konfuzianismus, Shintoismus und der Buddhismus, jeweils in einer nationalistisch abgeänderten Form, eine große Rolle spielten. Dies war insbesondere die Kokutai-Ideologie, die durch einen Synkretismus zwischen Shintoismus und Konfuzianismus entstanden ist, und der Nichiren-Buddhismus. Weiterhin wird er auch in der japanischen Außenpolitik durchaus sichtbar, auch wenn die außenpolitische Linie der japanischen Regierung bis zu den 1920er Jahren eher dem Internationalismus zuzuordnen ist.1684 So erschien die Idee einer asiatischen Monroe-Doktrin bereits im 19. Jahrhundert, bevor Japan tatsächlich zum militärischen Regionalhegemon aufgestiegen war. a) Die Entwicklung der Kokutai-Ideologie aus dem Konfuzianismus Die staatstragende Ideologie des japanischen Kaiserreiches war bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges der Staatsshintoismus, der auch als Kokutai-Ideologie bezeichnet wird. Diese Ideologie ist das Ergebnis eines Amalgams zwischen Konfuzianismus und dem traditionellen Shintoismus.
1679 Antoni, Klaus, Shinto und die Konzeption des Japanischen Nationalwesens (Kokutai): Der religiöse Traditionalismus in Neuzeit und Moderne Japans Handbuch der Orientalistik. Fünfte Abteilung, Japan; 8. Band, 1998, S. 245. 1680 Beispielhaft zu nennen sind die Zwangseröffnung der japanischen Häfen im Jahre 1853 sowie die Meiji Restauration von 1868 bis 1890. Vgl. Fitzgerald, Charles Patrick, A Concise History of East Asia, 1966, S. 166 – 174; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 280 – 284. 1681 Insbesondere die militärischen Erfolge gegen die Qing-Dynastie im Jahre 1895 und Russland im Jahre 1905 sind zu nennen. Vgl. Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 177 – 183; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 289, 300 – 301. 1682 Diese Erfolge halfen sogar anderen asiatischen Staaten, deren nationalistische Bewegungen zu aktivieren. Diese sahen in den Errungenschaften der Japaner einen Beweis, dass asiatische Nationen gegen die westlichen Nationen siegreich sein könnten. Allerdings schlug diese Stimmung sehr schnell in eine antijapanische Haltung um, da die aggressive japanische Politik von den Nationalisten der anderen asiatischen Staaten als imperialistisch angesehen wurde. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 303 – 304. 1683 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 289; Han, Sangil, Uchida Ryohei and Japanese Continental Expansionism, 1874 – 1916, 1974, S. 1. 1684 Der Internationalismus war darauf gerichtet, dass Japan sich an die Normen von Versailles und Washington halten werde und durch Wettbewerb im freien Markt seine Position in China verfestigen würde. Fernerhin stellte sich der Internationalismus gegen diejenigen, die eine territoriale Expansion in der Mandschurei für richtig erachteten. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 82.
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aa) Die Rezeption des Konfuzianismus vor der Meiji-Restauration Die Rezeptionsgeschichte des Konfuzianismus an sich geht zwar in das 7. Jahrhundert zurück,1685 aber erst der Neo-Konfuzianismus, der durch das TokugawaBakufu1686 in das mittlerweile buddhistisch geprägte Japan eingeführt1687 wurde, prägte die Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg. Der ursprünglich traditionelle japanische Neo-Konfuzianismus veränderte sich in der Folgezeit und nahm eine von der ursprünglichen Philosophie abgeänderte Form an. Dies war der Struktur der damaligen japanischen Gesellschaft geschuldet, die stark an Clan-Interessen orientiert war. Es war nicht möglich, das ursprüngliche egalitäre Element des Konfuzianismus aufrecht zu erhalten.1688 Bereits Hayashi Razan (1583 – 1657), einer der ersten Neo-Konfuzianer des Tokugawa Japans und Berater vom Shogun Tokugawa Ieyasu, suchte deshalb eine mit dem Shintoismus verbundene Variante, die als Staatsideologie des Tokugawa-Bakufu dienen könnte.1689 Der Neo-Konfuzianismus, der den Respekt gegenüber der Hierarchie betonte und jedem Menschen nahe legte, seine natürliche Rolle in der Gesellschaft zu erfüllen, wurde von Razan dahingehend ausgelegt, dass der Shogun das „Mandat des )“ besaß.1690 Diese Verbindung des Neo-KonfuziaHimmels (chin. Tienming, nismus und des Shintoismus bildete gleichzeitig auch die Grundlage für die spätere 1685 Zu Zeiten des Kronprinzen Shotoku (574 – 622) wurde der chinesische Konfuzianismus als Verfassungsprinzip eingeführt. Vgl. Cotterell, Arthur, Asia: A Concise History, 2011, S. 230; die Reformen wurden dabei insbesondere von der Fujiwara-Familie durchgesetzt, die sich dabei stark an die Tang-Dynastie orientierte. Die chinesische Kultur kam dabei vor allem über die koreanische Halbinsel nach Japan. Vgl. Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 124; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 84 – 85. 1686 Die Einführung durch die Tokugawa-Shogune hatte insbesondere die Motivation, sich den streng moralistischen Aspekt des Neo-Konfuzianismus zum Nutzen zu machen und dadurch die Gesellschaft besser zu organisieren und zu beherrschen. Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 71 – 72; Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 163. 1687 Maßgeblich erfolgte die Rezeption durch Fujiwara Seika (1561 – 1619), einem japanischen Mönch, der in der japanischen Invasion gefangen genommen wurde und mit dem koreanischen Neo-Konfuzianismus in Kontakt kam. Vgl. Shin, Hyeonsung, Die Einführung des Neo-Konfuzianismus in Japan und der japanische Geist in der alten Lehre, in: Kim, Yongduk (Hrsg.), Das japanische Verständnis der ostasiatischen Welt – Eine Untersuchung der Genese „des japanozentrischen Weltbilds“ nach den Zeitepochen (koreanisch: , , , , , ), 2009, S. 158 – 161; Kang, Etsuko Hae-Jin, Diplomacy and Ideology in Japanese-Korean Relations: From the Fifteenth to the Eighteenth Century, 1997, S. 108 – 109. 1688 Es war also nicht möglich, eine auf Tugend basierende Herrschaft gemäß dem konfuzianischen Ideal gegen eine auf Herkunft legitimierte Herrschaft, wie sie in Japan existierte, durchzusetzen. Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 71. 1689 Die japanische Shinto-Mythologie wird dabei herangezogen, um das genealogische Legitimationsproblem der Tokugawa zu überwinden. Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 76 – 77. 1690 Goto-Jones, Christopher, Political Philosophy in Japan: Nishida, the Kyoto School and Co-Prosperity, 2005, S. 36.
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Meiji-Restauration, da nach dem Shintoismus der japanische Kaiser anstatt des Shogun im göttlichen Staat (Shinkoku) die zentrale Rolle spielt.1691 Der konfuzianische Shinto (Junka Shinto) versuchte die Aussagen des japanischen Mythos mit dem chinesischen Konfuzianismus zu verbinden, wobei dem Konfuzianismus die primäre und dem Shintoismus nur eine nachgeordnete Rolle zukam.1692 Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass sich der Neo-Konfuzianismus1693 in der Edo-Periode als Ordnungsprinzip etablierte und sich dabei an die japanischen Besonderheiten angepasst hat.1694 bb) Die Entstehung der Kokutai-Ideologie In der späteren Edo-Zeit (1603 – 1868) entwickelte sich die sog. Mito-Schule,1695 die aus der Verbindung von Shintoismus und Konfuzianismus eine neue Ideologie des sog. „Kokutai“1696 entwickelte.1697 Ausgangspunkt der Mito-Schule war eine neue Bewegung innerhalb des japanischen Shintoismus namens Kokugaku (Nationale Schule), die sich auf die antiken japanischen Schriften bezogen, diese als einzige Wahrheit akzeptierten und den Konfuzianismus und Buddhismus ablehnten.1698 Es kann also als Gegenbewegung zur fortschreitenden Sinisierung von Japan bezeichnet werden.1699 Methodisch jedoch orientierte sich die Kokugaku ebenfalls an konfu1691 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 93; Shin, Hyeonsung, Die Einführung des Neo-Konfuzianismus in Japan und der japanische Geist in der alten Lehre, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 163. 1692 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 73. 1693 Diese statische Interpretation des Konfuzianismus wurde durch Ogyu Sorai (1666 – 1728) kritisiert, der in dem politischen System der Tokugawa eine Unterdrückung der Gesellschaft sah. Vgl. Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 39 – 40. 1694 Insbesondere ist hervorzuheben, dass das hierarchische Denken des Konfuzianismus die Akzeptanz des Klassensystems in der Bevölkerung und die Loyalität gegenüber der herrschenden Klasse erhöht hat. Vgl. Shin, Hyeonsung, Die Einführung des Neo-Konfuzianismus in Japan und der japanische Geist in der alten Lehre, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 165. 1695 Der Name Mito-Schule stammt aus dem Lehensgebiet Mito, das sich im Laufe der späten Edo Zeit zu einem Zentrum der Opposition gegen den Shogun entwickelte. Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 157. 1696 Kokutai nach der Mito-Schule war die wesentliche Eigenschaft eines Landes, dass dieses von den anderen unterscheidet. Im Falle von Japan war diese Besonderheit, dass es von der shintoistischen Gottheit Amaterasu gegründet worden sei und dessen Nachkommen den Staat bis zum heutigen Tage regieren. Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 166. 1697 Wobei mit der Mito-Schule eine „synkretistische Umkehr“ erfolgte und der Konfuzianismus das sekundäre Element wurde. Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 157 – 158. 1698 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 131 – 132. 1699 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 135; für die Entstehung der späteren „nationalen Identität“ war die Sakoku-Politik jedenfalls förderlich, da der zuvor multi-ethnische Staat, in dem viele verschiedene Völker – wie etwa Koreaner oder Chinesen – zusammen lebten, nun ein Ausgrenzungskriterium für das Fremde, nicht-japanische, gefunden hatte; nämlich das (nicht
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zianischen Denkmustern, da es gerade zum Weltbild des Konfuzianismus gehört, dass das Altertum idealisiert wird.1700 Politisch gesehen forderte die KokugakuBewegung jedoch bereits in der Edo-Zeit die Restauration des japanischen Kaisertums und die Abschaffung des Shoguns.1701 Die Mito-Schule, die aus der Kokugaku-Bewegung hervorging, wurde ursprünglich von Tokugawa Mitsukuni im Jahre 1657 gegründet, um die Erstellung eines Geschichtswerks nach chinesischem Vorbild zu bewerkstelligen, das die Legitimation des japanischen Kaisers beweisen, jedoch nicht als ein Opponieren gegen den Shogun verstanden werden sollte.1702 Nach einer Periode des Stillstandes im 18. Jahrhundert erfuhr die Mito-Schule erst im Jahre 1800 unter Fujita Yukoku eine Aktualisierung und Politisierung.1703 Dabei vereinigte die Mito-Schule den Shintoismus und den Neo-Konfuzianismus nicht, sondern kehrte das Verhältnis um, sodass dem Konfuzianismus nur noch eine sekundäre Rolle neben der göttlichen Ordnung zuerkannt wurde.1704 Politisch gesehen vertrat die Mito-Schule die Wiedereinsetzung des Tennos, die Absetzung des Shoguns sowie die Vertreibung der „Barbaren“.1705 Durch die Mito-Schule waren bereits die ideologischen Grundlagen des japanischen Imperialismus gelegt.1706 Durch Aizawa Seishisai (1782 – 1863), der im Jahre 1825 sein „Shinron“ herausbrachte, wurden auch die außenpolitischen Ansichten der Mito-Schule dargelegt, die letztlich zum Konzept des „Kokutai“ führten.1707 Auch für Aizawa war die kaiserliche Linie ewig und unendlich wie das (konfuzianische) Gesetz des Mandats des Himmels; Shintoismus und Konfuzianismus wurden vereint.1708 Insofern stellte sich nun die praktische Frage, wie der Universalismus des Mandats des Himmels und der Partikularismus des japanischen Kaisertums vereint werden konnten. Die Lösung war Japan als Reich des Zentrums darzustellen, ähnlich wie China sich als „Mittleres
erwünschte) Christentum und das fehlende Verständnis für die japanische Tradition. Vgl. Yasunori, Japanocentric World Order (Fn. 1507), 185 – 216 (214). 1700 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 151. 1701 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 154. 1702 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 158 – 159. 1703 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 160. 1704 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 158. 1705 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 161. 1706 Bemerkenswert ist dabei, wie sich konfuzianische und shintoistische Elemente vereinen. Die von der konfuzianischen Traditionen geforderte „Loyalität“ und „kindlichen Pietät“ wird mit dem shintoistischen Kaiser verbunden und von jedem abverlangt. Der Kaiser ist zugleich König und Vater, der von den Göttern abstammt. Dies bedeutet also, dass der ganze Staat als eine gemeinsame göttliche Familie angesehen werden kann. Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 170 – 171. 1707 Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 41; Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 168. 1708 Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 41.
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Reich“ inszeniert hatte.1709 Der Begriff des Kokutai änderte sich dahingehend, dass es nicht mehr um den „Körper oder den Zustand des Staates“ ging, sondern um das innere Wesen, also die ewigen Eigenheiten und Werte der japanischen Nation.1710 Der Kaiser, der eine ungebrochene „Ewige Genealogie“ vorweisen konnte, war eine Verbindung zwischen den Göttern und der Menschen und stand über Nation und Staat.1711 Damit war der Grundstein für die Entwicklung in der Folgezeit in Ostasien gelegt, die sich als Aufstieg des japanischen Kaiserreiches und Propagierung einer neuen japanozentrischen Ordnung darstellen lässt. Die Kokutai-Ideologie war nun nichts anderes als eine Kaiserideologie, die das japanische Kaiserhaus ins Zentrum stellte und Japan als einen „Familienstaat“ verstand.1712 cc) Die Verkündung der Kokutai-Ideologie als offizielle Staatsdoktrin Diese Linie wurde auch von der herrschenden politischen Schicht nach der MeijiRestauration im Jahre 1868 übernommen.1713 Die Meiji-Restauration bedeutete, dass der Shintoismus den Buddhismus offiziell als Staatsreligion abgelöst hatte.1714 Dieser Staatsshintoismus1715 wiederum war eine Kombination aus dem traditionellen Shintoismus, der die Legitimationsgrundlage war,1716 und dem Konfuzianismus sowie dem westlichen Recht.1717 1709 Das zeigt sich auch darin, dass China in Japan zunächst „Chugoku“ (also Mittleres Reich), ab dem 19. Jahrhundert dann jedoch „Shina“ genannt wurde. Die Benennung von China alleine zeigt bereits, dass Japan sich nunmehr selber als Reich der Mitte verstehen wollte. Vgl. Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 42. 1710 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 168. 1711 Lavelle, Pierre, The Political Thought of Nishida Kitaro, in: Monumenta Nipponica 49:2 (1994), S. 139 – 166 (140). 1712 Lavelle, Nishida (Fn. 1711), S. 139 – 166 (140). 1713 Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 43. 1714 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 180 – 182. 1715 Der Shintoismus wurde zunächst institutionalisiert, indem die shintoistischen Priester zu Staatsbeamten wurden und eine Behörde für Shinto-Angelegenheiten (jap. Jingikan) eingeführt wurde. Der Shintoismus verlor jedoch bereits in der frühen Meiji-Periode aufgrund seiner inhaltlichen Schwächen seinen Charakter als Staatsreligion, sodass das japanische Kaiserreich die Trennung von Staat und Religion anordnete. Hintergrund war der sog. Pantheon Disput (Saijin Ronso), der den Shintoismus in zwei Lager einteilte. Der Disput wurde 1881 vom japanischen Kaiser dahingehend entschieden, dass Priester künftig keine Tätigkeit als Ethiklehrer aufnehmen und auch keine Gemeindedienste ausführen dürften. Im Jahre 1884 führte , kokka shinto), der für jedermann dies zur Aufteilung in den Staatsshintoismus (jap. verbindlich war, und den religiösen Sektenshinto, den jedermann frei wählen durfte. Trotz des Umstandes, dass der Shintoismus bis dahin in der breiten Bevölkerung keinen großen Anklang fand, konnte sich der Shintoismus zwischen dem späten 19. Jahrhundert und den 1920er Jahren ständig ausdehnen; jedoch nun als ein areligiöser Staatskult. Die geistigen Grundlagen dieses Staatsshintoismus können in der Kokutai-Ideologie zusammengefasst werden. Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 160, 206 – 213. 1716 Nach dem Shintoismus hatte das japanische Kaiserhaus eine ununterbrochene Blutlinie von zehntausend Jahren vorzuweisen und stand mit den Göttern in Verbindung. Japan sei das
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Die Vollendung dieser Entwicklung ist die Aufnahme der Kokutai-Ideologie in die Meiji-Verfassung vom 11. 02. 1889, die ihrerseits vom preußischen Verfassungsrecht beeinflusst war.1718 Die Art. 1 und 3 der Meiji-Verfassung1719 beinhalten jedoch ein klares Bekenntnis zum Staatsshintoismus.1720 In der Meiji-Verfassung ist das imperialistische Konzept des dominanten Shintoismus und des dienenden Konfuzianismus von Aizawa manifestiert.1721 Der kaiserliche Erziehungserlass vom 30. 10. 18901722 ging darüber hinaus und erklärte die Kokutai-Ideologie zu geistigem Allgemeingut und zur Grundlage der japanischen Staatsräson.1723 b) Die Entstehung der japanischen Monroe-Doktrin Während innerhalb Japans bereits in der frühen Meiji-Zeit die ersten Schritte zu einem ultranationalistischen konfuzianisch geprägten Staatskult gemacht wurden, gab sich Japan außenpolitisch – ab der Zwangsöffnung Japans bis zu den 1930er Jahren – als internationaler Akteur des Völkerrechts. Allerdings existieren einige Äußerungen von japanischen Politikern, die die Sehnsucht nach einer alternativen regionalen Ordnung vermuten lassen. So wurde die Idee der asiatischen Monroe-Doktrin in Japan1724 bereits seit 1898 diskutiert.1725 Konoe Atsumaro erklärte gegenüber dem Qing-Reformer Kang Youwei, dass China Land der Götter. Vgl. Lavelle, Nishida (Fn. 1711), S. 139 – 166 (140); Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 38. 1717 Lavelle, Nishida (Fn. 1711), S. 139 – 166 (139). 1718 Ostwald, Paul, Japans Auseinandersetzung mit der politischen Ideenwelt des Westens, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Jahrgang 1 (1953), Heft 3, S. 243 – 260 (245). 1719 Art. 1 der Meiji-Verfassung besagt: „Das Kaiserreich Großjapan wird für ewige Zeiten ununterbrochen von seinem Tenno regiert“. Art. 3 der Meiji-Verfassung besagt: „Der Tenno ist heilig und unverletzlich.“ Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 213. 1720 Die Meiji-Verfassung sieht vor, dass der Tenno eine heilige, unverletzliche Position hat und zu keinerlei Rechenschaft verpflichtet ist. Andererseits existieren Elemente der konstitutionellen Monarchie preußischer Prägung. Dies erklärt sich dadurch, dass 1889 noch widerstreitende Interessen zwischen Liberalismus und Konservatismus existierten. Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 213.214; Ostwald, Japans Auseinandersetzung (Fn. 1718), S. 243 – 260 (245 – 246). 1721 Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 43 – 44. 1722 Der Erziehungserlaß sollte die Meiji-Verfassung ergänzen und beinhaltete überwiegend konfuzianisch geprägte Verhaltensanweisungen. Vgl. Brooker, Paul, The Faces of Fraternalism. Nazi Germany, Fascist Italy, and Imperial Japan, 1991, S. 211; Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 215. 1723 Brooker, Fraternalism (Fn. 1722), S. 211; Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 211 – 214; Martin, Bernd, The Politics of Expansion of the Japanese Empire: Imperialism or Pan-Asiatic Mission?, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 67. 1724 Insgesamt wurde die Monroe-Doktrin, trotz Parallelen zu der sinozentrischen Ordnung weniger beachtet. Zum Diskurs über die Monroe-Doktrin in China siehe: Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 106 – 111. 1725 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 95; Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 183.
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und Japan gemeinsam die Verantwortung tragen, dass die asiatische Monroe-Doktrin gegenüber den Westen aufrechterhalten bleibt; nach dem Motto: „Asien den Asiaten“.1726 Besondere Berühmtheit1727 erlangte auch der Diskurs über die asiatische MonroeDoktrin zwischen dem US-Präsidenten Theodore Roosevelt und dem Vicomte Kaneko Kentaro im Jahre 1905.1728 In einem privaten Umfeld in Sagamore Hill erklärte Roosevelt, dass „Japan die einzige Nation in Asien ist, die die westliche Zivilisation versteht. … Alle asiatischen Nationen sind nun mit der dringenden Notwendigkeit konfrontiert, sich an die heutige Zeit anzupassen. Japan sollte während dieser Periode deren natürlicher Anführer sein, so wie es die USA vor vielen Jahren für den amerikanischen Kontinent war. … Eine japanische Monroe-Doktrin in Asien sollte die Versuchung eines europäischen Übergriffs aufhalten und Japan wird als Führer der asiatischen Nationen anerkannt werden.“
Weiterhin erklärte er, dass er eine japanische Monroe-Doktrin unterstützen werde, falls dies durch die japanische Regierung im Rahmen der Verhandlungen des Vertrages von Portsmouth verkündet werden würde.1729 In der Mitte der 1910er Jahren publizierte Tokutomi Iichiro1730 seine Ansichten über die asiatische Monroe-Doktrin, die insbesondere vorsahen, dass Japan die europäischen Mächte aus Asien heraustreiben müsse und dass die ostasiatische Region unter japanischer Führung vereint werden müsse. Dabei kritisierte Tokutomi die ursprüngliche Monroe-Doktrin heftig,1731 da diese mittlerweile eine Diplomatie ermögliche, die sich in Angelegenheiten einmische, die in keiner Verbindung zu 1726 Zu dieser Zeit wurde die Monroe-Doktrin als eine rein „defensive“ Doktrin verstanden. Konoe versuchte also durch diese „Andeutung“, die gemeinsame Verantwortung von Japan und China für Asien hervorzuheben. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 95 – 96; Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 50. Im gleichen Jahr publizierte Nakajima Tan das Werk „Teilung, das Schicksal Chinas (Shina bunkatsu no unmei)“, in dem er über die Teilung Chinas sprach und dabei Japans Rolle diskutierte. Er kam zum Ergebnis, dass Japan eine asiatische Monroe-Doktrin formulieren sollte, in der Asien den Asiaten gehören würde. Vgl. Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 160 – 161. 1727 Sogar Schmitt berichtet von diesem Gespräch in seinem Werk „Völkerrechtliche Großraumordnung“. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 32 – 33. 1728 Bradley, James, The Imperial Cruise: A secret history of Empire and War, 2009, S. 240 – 243. 1729 Bradley, Imperial Cruise (Fn. 1728), S. 242 – 243. 1730 Tokutomi lebte 1863 bis 1957. Er studierte in der Komamoto Schule für westliche Studien und begann in der Doshisa Akademie in Kyoto zu studieren, brach das Studium aber ab. Vgl. Swale, Alistair, Tokutomi Soho and the Asiatic Monroe Doctrine, 1917, in: Saaler/ Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 279. 1731 Tokutomi verstand die ursprüngliche Monroe-Doktrin so, dass diese eine einfache Kanonenboot-Diplomatie sei. Japans Ziel dagegen sei keine Weltvereinheitlichung, sondern die Verwirklichung der Idee, dass Asien wieder in die Hände der Asiaten gelange und die Weißen vertrieben werden. Kurz, es wurde eine östliche Autonomie angestrebt. Dies könne jedoch nur Japan verwirklichen und dies sei deshalb die Aufgabe der Japaner. Vgl. Usui, Ryuichiro, Großraum bei Kita Ikki, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 247.
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Amerika stünden.1732 Japan solle aber eine asiatische Monroe-Doktrin ohne solche „Heuchelei“ realisieren. Die Realisierung der asiatischen Monroe-Doktrin sah er als unabdingbar an. Insbesondere sei China nicht in der Lage, die Ambitionen der westlichen Mächte aufzuhalten, und werde bald kollabieren. Japan solle dieses Vakuum füllen, in dem es die asiatische Monroe-Doktrin etabliere.1733 Nach Tokutomi war es für die Verwirklichung der asiatischen Monroe-Doktrin essenziell, dass die Japaner den Respekt der übrigen Asiaten gewinnen.1734 Die asiatische MonroeDoktrin wurde als Doktrin jedoch nicht offiziell umgesetzt und wurde wie der panasiatische Slogan „Asien den Asiaten“ vorwiegend propagandistisch genutzt.1735 In den Jahren zwischen 1917 bis zur Washingtoner Konferenz (1921/1922) erklärte die japanische Regierung zwar keine asiatische Monroe-Doktrin, verfolgte jedoch eine hegemoniale Politik in China.1736 Im Jahre 1917 wurde die asiatische Monroe-Doktrin von Baron Komura in einer Rede an das Parlament erwähnt, wobei die Idee dazu dienen sollte, die Begrenzung der Immigration der Japaner nach Korea und in die Südmandschurei abzuschaffen.1737 Das Schlagwort der asiatischen Monroe-Doktrin wurde insbesondere dazu genutzt, die Position Japans im Hinblick auf seine „21 Forderungen“ gegenüber China zu stärken.1738 In den Gesprächen zwischen Lansing und Ishii im Jahre 1917, die letztlich zum Lansing-Ishii Abkommen führten, deutete Ishii Parallelen zwischen der japanischen Politik und der amerikanischen Monroe-Doktrin an.1739 Eine Anerkennung einer asiatischen Monroe-Doktrin durch die Vereinigten Staaten wurde jedoch als schwierig angesehen und von Lansing letztlich auch abgelehnt.1740 Kita Ikki erwähnte in seiner „Geschichte der chinesischen Revolution“ die asiatische Monroe-Doktrin als eine vom Himmel geschickte Aufgabe der Japaner, wobei dieses Werk das Ziel hatte, der japanischen 1732 Tokutomi, Iichiro, „Jimu ikkagen (An Opinion on Curent Issues)“ 1913 in: Saaler/ Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 283. 1733 Übersetzungen von Tokutomis „Japans Mighty Mission“ und „An Opinion on Current Issues“ abgedruckt in: Swale, Alistair, Tokutomi Soho and the Asiatic Monroe Doctrine, 1917, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 280 – 282. 1734 Tokutomi, Iichiro, „Japans Mighty Mission“ (1917) abgedruckt in: Swale, Alistair, Tokutomi Soho and the Asiatic Monroe Doctrine, 1917, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), PanAsianism I (Fn. 1622), S. 282 – 283. 1735 Young, Walter, Japan’s Special Position in Manchuria: its Assertion, Legal Interpretation and present meaning, 1931, S. 328 – 329. 1736 Young, Manchuria (Fn. 1735), S. 340. 1737 Young, Manchuria (Fn. 1735), S. 331. 1738 Young, Manchuria (Fn. 1735), S. 331 – 332. 1739 Dies geschah jedoch indirekt über eine Rede in New York am 06. 09. 1917, in der die Parallelen zwischen der westlichen und der östlichen Hemisphäre angesprochen wurden. Vgl. Young, Manchuria (Fn. 1735), S. 334 – 335. 1740 Lansings Argument war, dass die Monroe-Doktrin darauf abzielte, den Einfluss fremder Mächte auf die Entwicklung der südamerikanischen Staaten abzuwehren. Eine spezielle Privilegierung der Vereinigten Staaten sei jedoch nicht vorgesehen. Vgl. Young, Manchuria (Fn. 1735), S. 338 – 339.
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Regierung – anhand der Darlegung der chinesischen Revolution – klarzumachen, dass eine Allianz zwischen China und Japan unerlässlich sei.1741 Die Diskussion über eine asiatische Monroe-Doktrin verstummte in den 1920er Jahren zunächst,1742 nachdem Japan sich einen Platz als Großmacht gesichert hatte und in dem internationalen Kolonialkartell „mitmachen“ durfte. c) Der Nichiren-Buddhismus Ein weiterer Faktor des japanischen Nationalismus war der Nichiren-Buddhismus. Der Nichiren-Buddhismus ist eine Form des Mahayana-Buddhismus, der sich insbesondere auf das sog. Lotus Sutra bezieht und im 13. Jahrhundert durch den japanischen Mönch Nichiren verbreitet wurde.1743 Nichiren vertrat einen stark nationalistischen Buddhismus, nachdem die Regierung ein Werkzeug Buddhas zu sein habe und die Gesetze Buddhas gegenüber denen des Staates vorrangig seien.1744 Darüber hinaus vertrat er auch, dass die Befolgung des Lotus Sutra die Nation schützen könne.1745 Nach Nichiren war die Welt bereits in dem letzten Stadium ihrer Entwicklung. Die Peripherie der Welt sei das Zentrum geworden und umgekehrt. Japan sollte also das neue Zentrum des buddhistischen Kosmos werden.1746 Im 19. Jahrhundert erlangte der Nichiren-Buddhismus, der bis dato keine große Rolle gespielt hatte, durch den ehemaligen Mönch Tanaka Chigaku (1861 – 1939) große Beliebtheit.1747 Tanaka verknüpfte den japanischen Nationalismus mit der apokalyptischen Vision des ursprünglichen Nichiren-Buddhismus1748, indem einerseits angenommen wurde, dass es in Japan, insbesondere im japanischen Kaiserhaus, eine besondere Konzentration des wahren Buddhismus gäbe.1749 Andererseits wurde gleichzeitig argumentiert, dass China und Indien durch Japan zur reinen Lehre zurückgeführt werden müssten, da es das Land sei, das den reinsten Buddhismus be1741
S. 245. 1742 1743
183.
Usui, Ryuichiro, Großraum bei Kita Ikki, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), Young, Manchuria (Fn. 1735), S. S. 340. Peattie, Mark, Ishiwara Kanji and Japan’s Confrontation with the West, 1975, S. 182 –
1744 Diese Differenzierung zwischen Staatswesen und Religion war in Japan neuartig und wirkte sich auch auf spätere Denker wie Nishida Kitaro aus. Vgl. Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 33. 1745 Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 33. 1746 Iguchi, Gerald Scott, Nichirenism as Modernism: Imperialism, Fascism, and Buddhism in Modern Japan, 2006, S. 77 – 78. 1747 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 41. 1748 In dieser Vision war die Welt in drei Stadien aufzuteilen, und die Gegenwart sei das letzte Stadium des Chaos. Dies war nach dem ursprünglichen Nichiren-Buddhismus durch individuelle Erleuchtung zu überwinden. Vgl. Iguchi, Nichirenism (Fn. 1746), S. 24. Dieser apokalyptische Einschlag war nur teilweise aus dem ursprünglichen Lotus Sutra zu entnehmen. Vgl. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 40. 1749 Iguchi, Nichirenism (Fn. 1746), S. 25; Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 42.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
wahrt habe.1750 Die „Inversion der Hierarchien“ von Nichiren wurde durch Tanaka in einen modernen Kontext gebracht, um die japanische Position in der globalen Weltordnung als Kolonie umzukehren.1751 Für Tanaka war die „Weltvereinigung (jap. sekai toitsu)“ das Ziel des Nichirenismus und Japans.1752 Dazu berief sich Tanaka auch auf das Nihonshogi, insbesondere die dort beschriebene Mission, die „Acht , Hakko Ichiu)“ zu bringen, um Himmelsrichtungen unter ein Dach (jap. seiner Weltvereinigung Nachdruck zu verleihen.1753 d) Fazit Der japanische Nationalismus von 1853 bis 1931 knüpfte an einen konfuzianisch geprägten Shintoismus an. Der Shintoismus diente der Meiji-Restauration, nachdem die alte Ordnung unter dem Shogun erodiert war. Die sinozentrischen Elemente des konfuzianischen Weltbildes wurden vollkommen auf ein japanozentrisches Weltbild adaptiert. Anstelle des chinesischen Sohns des Himmels war der japanische Kaiser das Zentrum dieser Ordnung. Auch die Trennung der mystischen Elemente des Shintoismus von der staatsphilosophischen Seite des Konfuzianismus beschleunigte die Verbreitung des japanischen Staatsglaubens, der als Kokutai-Ideologie bezeichnet werden kann. Selbst der Buddhismus förderte diese Auslegung und wurde in Form des Nichiren-Buddhismus ein spezifisch-japanischer staatstreuer Buddhismus, wobei dieser eine spezifisch apokalyptische Vision in sich trug und eine Weltvereinigung forderte. Wie bereits beim Konfuzianismus in China, übertrug man im japanischen Staatsglauben das Familienmodell auf den Staat und erweiterte dieses auch auf die zwischenstaatlichen Beziehungen. Der Weg vom konfuzianisch-shintoistischen Nationalismus zum japanozentrischen Panasianismus war also nicht besonders weit. Diese Entwicklung wirkte sich auch auf die Panasianisten aus. Obwohl alle Ströme des Panasianismus eine grenzüberschreitende Vereinigung aller Asiaten proklamieren, ist nicht zu verkennen, dass in den Gedanken vieler Panasianisten gleichzeitig auch der japanische Nationalismus anklang.1754 Bei den bereits untersuchten Panasianisten Okakura Tenshin und Kita Ikki kam dies besonders zum Vorschein. 1750 Diese Ideen wurden als „heilige Mission“ dargestellt und finden sich bei vielen Autoren dieser Zeit wieder. Vgl. Iguchi, Nichirenism (Fn. 1746), S. 27; Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 42. 1751 Iguchi, Nichirenism (Fn. 1746), S. 79. 1752 Tanaka Chigaku bezeichnete den Mönch Nichiren als den „Obersten Kommandanten der Weltvereinheitlichungs-Armee“. Vgl. Iguchi, Nichirenism (Fn. 1746), S. 72. 1753 Im Kontext des Nihonshogi bedeutete dies, lediglich einen Teil von Japan zu vereinigen. Tanaka erweiterte den Slogan jedoch auf die Vereinigung der ganzen Welt. Bis 1945 diente der Slogan auch der japanischen Armee, um die eigene Mission zu rechtfertigen. Vgl. Iguchi, Nichirenism (Fn. 1746), S. 103. 1754 Beispielsweise kann bereits Okakura Tenshin genannt werden, der zwar durch den Slogan „Asia is One“ berühmt wurde, gleichzeitig jedoch die besondere Bedeutung von Japan hervorhob. Vgl. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 73.
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Der Umstand, dass der Konfuzianismus und die dazugehörige sinozentrische Weltordnung ein traditionell asiatischer Referenzpunkt war, der den Panasianisten gelegen kam, mag eine zusätzliche Rolle bei der Vermischung des japanischen Nationalismus und des Panasianismus gespielt haben. Gleichzeitig war der japanische Nationalismus ein Hindernis für Panasianisten anderer Nationen, den japanischen Panasianismus zu akzeptieren, wie das Beispiel von Ahn Junggeun deutlich macht. Obwohl der Ursprung des japanischen Nationalismus und dessen Weltbild durchaus aus traditionell chinesischem und japanischem Denken entstammt, so ist eine strukturelle Parallele zur Monroe-Doktrin zu erkennen. Diese Parallele war wohl auch den Japanern selbst bewusst, wie die Nutzung des Begriffs „japanische Monroe-Doktrin“ als Schlagwort zeigt. Auch zu Schmitts Großraumtheorie sind bereits strukturelle Ähnlichkeiten zu erkennen, da eine klare Trennung von raumeigenen und raumfremden Territorium durchgeführt und eine Hierarchie innerhalb des eigenen Raumes angestrebt wurde.
II. Der japanische Meishuron-Panasianismus und der Ultranationalismus Japans (1931 – 1945) Bereits vor der Mandschurei-Krise existierten in Japan der Panasianismus und der Nationalismus, die sich grundsätzlich kaum unterschieden. Die Kokutai-Ideologie wurde als Staatsideologie, mit Ausnahme von Kita Ikki, im Großen und Ganzen akzeptiert. Somit wurde auch die japanozentrische Ordnung als Prinzip für die Beziehung zwischen Japan und den restlichen asiatischen Staaten angesehen. Konkret wurde einerseits eine Kooperation zwischen Japan und China propagiert, andererseits wurde jedoch auch betont, dass Japan die Führerschaft zu übernehmen habe. Insofern ist die Vermischung des Panasianismus und des Nationalismus in einen Meishuron-Panasianismus1755 nicht so widersprüchlich, wie es zunächst erscheinen mag. 1755
Einer der ersten Vertreter des Meishuron-Panasianismus war Uchida Ryohei. Er sah Japans historische Mission darin, eine neue Ordnung, nämlich eine Panasiatische Liga, zu schaffen, in der gemeinsamer Wohlstand unter der Herrschaft Japans ermöglicht werden sollte. Als Gründungsziel der von ihm 1901 gegründeten Kokuryukai (Gesellschaft des schwarzen ) wurde deshalb die Verpflichtung gegenüber dem japanischen Kaiser Drachen, jap. festgelegt, die Kokutai-Ideologie durchzusetzen. Uchida Ryohei vertrat etwa in Bezug auf die koreanische Annexion, dass die Chosun-Dynastie ihre Souveränität aufgeben solle, um eine Annexion durch eine westliche Macht zu verhindern; dies sei für Asien als Ganzes eine schlechtere Lösung als eine Annexion durch Japan. Er sah Korea und China als rückständig und schwach an und sprach ihnen die Fähigkeit ab, sich selbst schützen zu können. Für Uchida Ryohei war die „Asiatische Solidarität“ letztlich nichts anderes, als Japan zum „Führer von Ostasien (Toa no Meishu)“ zu machen. Die japanische Mission, Asien zu befreien, waren für ihn nichts weiter als eine Tarnung, um das Ziel der nationalen Sicherheit und des Ausbaus der japanischen Dominanz in Asien zu erreichen. Vgl. Han, Uchida Ryohei (Fn. 1683), S. 85 – 87, 157, 312 – 313.
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In der Völkerrechtspraxis akzeptierte Japan die Prinzipien des europäischen Völkerrechts und profitierte vom semi-kolonialen Status Chinas. Im Lichte der militärischen Erfolge Japans wurde diese Einhaltung des europäischen Völkerrechts in den 1930er Jahren jedoch infrage gestellt. Die Einführung des Panasianismus und Nationalismus als Prinzipien einer neuen regionalen Ordnung wurden stärker gefordert. Die Mandschurei-Krise war ein Wendepunkt, in dem der japanische Nationalismus und Panasianismus endgültig zum herrschenden Prinzip des japanischen Regierungshandelns wurde und somit auch der Außenpolitik. 1. Die Mandschurei-Krise und die Gründung von Mandschukuo Auch wenn der japanische Nationalismus und Panasianismus eine lange Geschichte innerhalb Japans haben, war die japanische Außenpolitik seit der MeijiRestauration bis zu den 1920er Jahren vom Internationalismus1756 geprägt und stützte somit das System der ungleichen Verträge.1757 Bereits die Washingtoner Konferenz 1922 wurde in Japan kritisch betrachtet und wirkte sich ähnlich auf Japan aus wie die Versailler Verträge auf Deutschland.1758 Spätestens in den 1930er Jahren erfolgte eine Umkehr vom Internationalismus zu einem Expansionismus in der Außenpolitik Japans. Das Vertragsergebnis der Londoner Flottenkonferenz von 1930, die eine Begrenzung der japanischen Flotte enthielt, war ein Katalysator dafür.1759 Der amtierende japanische Premierminister Hamaguchi Osachi wurde am 14. 11. 1930 von einem Ultranationalisten angeschossen und starb später; dies läutete letztlich auch das Ende der internationalistischen Außenpolitik ein.1760 a) Geschichtlicher Hintergrund In den 1930er Jahren brachte die Weltwirtschaftskrise entscheidende Änderungen in das „System der ungleichen Verträge“. Die wirtschaftliche Teilhabe an einem System, in dem militärische Zurückhaltung vorausgesetzt war, war weniger lukrativ als zuvor. Die japanische Politik wandelte sich hin zu einem wirtschaftlichen Na1756 Der Internationalismus war darauf gerichtet, dass Japan sich an die Normen von Versailles und Washington halten werde und durch Wettbewerb im freien Markt seine Position in China verfestigen würde. Fernerhin stellte sich der Internationalismus gegen diejenigen, die eine territoriale Expansion in der Mandschurei für richtig erachteten. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 82. 1757 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 77. 1758 Diner, Grundbuch (Fn. 364), S. 1 – 28 (15); Martin, Bernd, The Politics of Expansion of the Japanese Empire: Imperialism or Pan-Asiatic Mission?, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 68. 1759 Dieses Ergebnis wurde als Angriff auf die Autonomie des Militärs aufgefasst. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 337; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 190; Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 80. 1760 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 79 – 81.
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tionalismus, der auf Autonomie und Selbstversorgung setzte.1761 Japan hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Großbritannien als die stärkste ausländische Macht in China abgelöst, was Japan aber nicht davon abhielt, eine direktere Kontrolle über die Mandschurei zu erstreben.1762 Bereits 1928 konnte zudem die chinesische Kuomintang-Regierung China unter sich einigen und begann das „System der ungleichen Verträge“1763 stark anzugreifen.1764 In der Mandschurei wurde die nationalistische Bewegung der Chinesen immer stärker, wie etwa die Verkündung der Kuomintang-Regierung im Herbst 1928, die drei östlichen Provinzen integrieren zu wollen, zeigt.1765 Innenpolitisch war die Zeit zwischen 1931 und 1945 ohne Zweifel eine Zeit der Veränderungen und führte hin zu einem japanischen Ultranationalismus.1766 Die genannte Londoner Flottenkonferenz von 1930 und die dadurch eingeläuteten inneren Machtkämpfe führten zum Ende der bislang existierenden Parteipolitik Japans.1767 1931 kam es zur Mandschurei Krise, die durch den sog. „Mukden-Zwischenfall“ ausgelöst wurde. Diese Vorkommnisse führten zum weiteren Aufstieg des Militärs und des Bürokratieapparates.1768 1761
S. 486.
Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 175 – 176; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506),
1762 Duus, Peter, Japan’s Informal Empire in China, 1895 – 1937: An Overview, in: Duus/ Myers/Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. xxiv. 1763 China konnte vor allem gegenüber den Vereinigten Staaten einem Teil der Zollautonomie zurückerlangen und das „System der ungleichen Verträge“ teilweise durchbrechen. Eine neue Allianz zwischen China und den Vereinigten Staaten von Amerika schien beschlossen zu sein. Dies brachte eine Isolation Japans gegen die neue Allianz zwischen China und den Vereinigten Staaten. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 172 – 173; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 487 – 488; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 334. 1764 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 487; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 172. 1765 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 144. 1766 Die Kategorisierung in Militarismus, Faschismus oder Totalitarismus spiegelt die Änderungen nur unzureichend wider. Vgl. Morris, Ivan, Japan 1931 – 1945: Militarism, Fascism, Japanism?, 1967, S. vii-ix. Die Änderung fand parallel zur Machtergreifung der Marine und der Armee und des Machtverlustes der zivilen Politiker statt. So: Nish, Ian, Some Thoughts on Japanese Expansion, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 83. Martin betont, dass es in Japan kein Regime gab, das Terror zum konstitutiven Element hatte und somit sei das Regime nicht per se faschistisch sondern restaurativ-antiwestlich gewesen. Allenfalls für den westlichen Beobachter seien faschistische Züge zu erkennen. Vgl. Martin, Bernd, Zur Tauglichkeit eines übergreifenden Faschismus-Begriffs. Ein Vergleich zwischen Japan, Italien und Deutschland, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Jahrgang 29 (1981), Heft 1, S. 48 – 73 (72 – 73). Terror ist hingegen ein wesentliches Merkmal des Nationalsozialismus gewesen. Vgl. Arendt, Hannah, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1955, S. 510 – 513. 1767 Yagami, Kazuo, Konoe Fumimaro and the Failure of Peace in Japan, 1937 – 1941: A Critical Appraisal of the Three-Time Prime Minister, 2006, S. 28; Berger, Gordon, Politics and mobilization in Japan, 1931 – 1945, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 108. 1768 Berger, Gordon, Politics and mobilization in Japan, 1931 – 1945, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 111.
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aa) Der Hergang der Mandschurei-Krise Die Wurzeln der Mandschurei-Krise gehen auf das Jahr 1905 zurück, als Japan in Folge des Sieges im russisch-japanischen Krieg eine Einflusssphäre in der Südmandschurei errichtete.1769 Dieses Gebiet wurde nach dem „System der ungleichen Verträge“ von Japan ausgebeutet, jedoch nicht vollannektiert. Dies änderte sich mit dem Mukden-Zwischenfall vom 18. 09. 1931, der von der Kwantung-Armee geplant und durchgeführt wurde.1770 Die Kwantung-Armee sabotierte mit Bombeneinsatz die südmandschurische Bahngesellschaft und machte dafür anti-japanische Chinesen verantwortlich. Unter dem Vorwand, auf den Bombenanschlag zu reagieren, eroberte die Kwantung-Armee am nächsten Tag die Stadt Mukden.1771 Japan verstieß mit seinem Vorgehen hinsichtlich des Mukden-Zwischenfalls gegen den Briand-Kellogg-Pakt von 1928.1772 Die Reaktion darauf war zunächst jedoch recht verhalten. Erst am 07. 01. 1932 versandte Stimson1773 gleichlautende Depeschen an die chinesische und japanische Regierung, dass die territorialen Änderungen in der Mandschurei völkerrechtswidrig und somit nicht anzuerkennen seien.1774
1769 Young, Japan’s Total Empire (Fn. 1592), S. 3; Matsusaka, Tak, Managing Occupied Manchuria, 1931 – 1934, in: Duus, Peter/Myers, Ramon/Peattie, Mark (Hrsg.), The Japanese wartime empire, 1931 – 1945, 1996, S. 98. 1770 Dies war eine Handlung, die ausdrücklich gegen die „Generellen Richtlinie zur Lösung des mandschurischen Problems“ der Tokioter Regierung vom Juni 1931 verstieß, die ausdrücklich festlegte, dass etwaige militärischen Aktionen in der Mandschurei für ein Jahr zurückzustellen seien. Selbst am 19. 09. 1931 wurde von der Tokioter Regierung ausdrücklich angeordnet, die feindseligen Aktionen abzubrechen. Vgl. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 114, 123. 1771 Matsusaka, Japanese Manchuria (Fn. 1552), S. 382 – 383; Jansen, Modern Japan (Fn. 1552), S. 581 – 582. Die Tokioter Prozesse brachten diesen Zusammenhang zwischen der Mandschurei-Krise und dem Mukden-Zwischenfall ans Licht. So: Hayashi, Kentaro, Japanische Quellen zur Vorgeschichte des Pazifischen Krieges, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Jahrgang 5 (1957), Heft 2, S. 199 – 207 (202); Cotterell, Western Power (Fn. 1512), S. 189. 1772 Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 83 – 84; Jansen, Modern Japan (Fn. 1552), S. 583; zum Problem der Umgehung des Briand-Kellogg-Pakts durch Einigung von China und Japan, dass es sich nicht um Krieg handele, sondern nur um „measures short of war“. Vgl. Stein/von Buttlar, Völkerrecht (Fn. 504), S. 277. 1773 Stimson hatte zunächst Neutralität erklärt. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 487; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 489. 1774 Dies ist gleichzeitig die Verkündung der sog. „Stimson-Doktrin“. Vgl. Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 84; Bilfinger, Kriegserklärungen (Fn. 519), S. 1 – 23 (16); Graf von Mandelsloh, Kelloggpakt (Fn. 518), S. 617 – 627 (622 – 623).
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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(1) Gründung von Mandschukuo Nachdem die Kwantung-Armee um Ishiwara Kanji zunächst eine Annexion plante,1775 änderte sie ihre Pläne. Sie gründete am 01. 03. 1932 den Staat Mandschukuo.1776 Die Kwantung-Armee entschied bereits am 22. 09. 1931, ohne die Tokioter Regierung zu befragen, dass Japan keine direkte Okkupation der Mandschurei anstreben sollte. Die Kwantung-Armee entschied autonom, dass die Mandschurei in einen eigenen Staat umstrukturiert werden sollte.1777 Die japanische Regierung in Tokio sollte somit vor vollendete Tatsachen gestellt werden.1778 Im Oktober 1931 wurde dafür ein Rat zur Frage der Selbstverwaltung (jap. Jichi Shidobu) eingerichtet, der die Unabhängigkeitsbewegungen der Mandschurei koordinieren und diese zur Selbstverwaltung führen sollte.1779 Bereits im Februar 1932 wurden die wichtigsten Entscheidungen,1780 wie etwa die Einsetzung des von Puyi als König von Mandschukuo (ab 1934 Kaiser), durch die Kwantung-Armee getroffen, und am 09. 03. 1932 wurde der Staat Mandschukuo ausgerufen.1781 Die Regierung in Tokio akzeptierte diese Gründung nach anfänglichen zögern im September 1932.1782 Mandschukuo war ein Staat, der zwar formal unabhängig war und von Chinesen geführt wurde; diese aber wiederum wurden von japanischen Offizieren und Beamten gesteuert.1783 1934 wurden dem japanischen Gouverneur von Kwantung seine 1775
Matsusaka, Japanese Manchuria (Fn. 1552), S. 385; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 194. 1776 Matsusaka, Japanese Manchuria (Fn. 1552), S. 385; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 195. 1777 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 147 – 148. 1778 Matsusaka, Japanese Manchuria (Fn. 1552), S. 384; Hayashi, Vorgeschichte (Fn. 1771), S. 199 – 207 (202). 1779 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 149. 1780 Die mandschurische Jugendliga und ähnliche Organisationen, die anfangs der Propaganda und Legitimation der Gründung des Staates Mandschukuo dienten, wurden nicht weiter berücksichtigt. Die mandschurische Jugendliga wurde 1928 von japanischen Zivilisten gegründet und propagierte die Gründung eines autonomen Staates, der auf rassischer Harmonie und auf dem konfuzianischen Konzept des „gerechten Weges“ basieren sollte. Die KwantungArmee wurde besonders durch das Treffen mit der mandschurischen Jugendliga am 23. 08. 1931 von der Idee der Gründung eines unabhängigen Staates in der Mandschurei konfrontiert. Vgl. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743),S. 144 – 147, 153 – 154; Matsusaka, Tak, Managing Occupied Manchuria, 1931 – 1934, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Japanese wartime empire (Fn. 1769), S. 105. 1781 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 152 – 153. 1782 Matsusaka, Japanese Manchuria (Fn. 1552), S. 193, 385; Jansen, Modern Japan (Fn. 1552), S. 586; Myers, Ramon, Japanese Imperialism in Manchuria: South Manchuria Railway Company 1906 – 1933, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. 132. Neben Japan erklärte die mittelamerikanische Republik Salvador noch die Anerkennung am 03. 03. 1934. Russland, die Vereinigten Staaten und China verweigerten die Anerkennung. Vgl. von Tabouillot, Mandschukuo (Fn. 517), S. 138 – 148 (144 – 148). 1783 Wirtschaftlich gesehen bedeutete dies jedoch eine erhebliche Investition ohne klaren Gewinn. Japan hatte mit der indirekten Herrschaft der Mandschurei als Pachtgebiet profitabel
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Rechte, auch bezüglich der mandschurischen Eisenbahngesellschaft, entzogen und auf den Botschafter von Mukden übertragen. Gleichzeitig wurde das Amt für die mandschurischen Angelegenheiten (Taiman Jimukyoku) geschaffen.1784 Anders als im Falle von Taiwan und Korea waren die Assimilierungsbemühungen aus rechtlicher sowie aus kultureller Sicht nicht vorhanden.1785 Mandschukuo war kein souveräner Staat, sondern von Anfang an eine Kolonie, auch wenn der formale Status der eines angeblich „unabhängigen“ Staates war.1786 In der Folgezeit versuchte die japanische Regierung mithilfe der Mandschurei einen wirtschaftlichen Block zu errichten.1787 Die Aktivitäten der japanischen Wirtschaftsunternehmen in der Mandschurei wurden nun in ein Wirtschaftskonstruktionsprogramm1788 eingegliedert.1789 In Japan wurde dieses Modell als Beispiel für ein System der „Koexistenz und des gemeinsamen Wohlstandes“ angesehen und ein „japanisch-mandschurischer Wirtschaftsblock“ wurde propagiert.1790 Der Zusammenbruch des „Systems der ungleichen Verträge“ aufgrund der Weltwirtschaftskrise führte auch die japanische Regierung zu der Ansicht, dass sich die Welt in „wirtschaftliche Blöcke“ eingeteilt habe und es zu einem wirtschaftlichen Krieg zwischen diesen Blöcken kommen könne.1791
gewirtschaftet, ging durch die Gründung von Mandschukuo jedoch erhebliche militärische und finanzielle Verpflichtungen ein. Vgl. Duus, Peter, Japan’s Informal Empire in China, 1895 – 1937: An Overview, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. xxviiixxix; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 195. 1784 Chen, Edward It-te, The Attempt to Integrate the Empire: Legal Perspectives, in: Myers/ Peattie (Hrsg.), Japanese Colonial Empire (Fn. 1576), S. 265. 1785 Chen, Edward It-te, The Attempt to Integrate the Empire: Legal Perspectives, in: Myers/ Peattie (Hrsg.), Japanese Colonial Empire (Fn. 1576), S. 270. 1786 Matsusaka, Tak, Managing Occupied Manchuria, 1931 – 1934, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Japanese wartime empire (Fn. 1769), S. 135. 1787 Die Mandschurei wurde in diesem Kontext gar als „Lebenslinie“ bezeichnet. Vgl. Young, Japan’s Total Empire (Fn. 1592), S. 4; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 190. 1788 Sie entsandten Wirtschaftsvertreter in „Wirtschaftsforschungsgruppen“ des Staates Mandschukuo und kontrollierten somit indirekt dessen Wirtschaftspolitik. Vgl. Matsusaka, Tak, Managing Occupied Manchuria, 1931 – 1934, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Japanese wartime empire (Fn. 1769), S. 111. 1789 Young, Louise, Imagined Empires: The Cultural Construction of Manchukuo, in: Duus/ Myers/Peattie (Hrsg.), Japanese wartime empire (Fn. 1769), S. 80 – 84; konsequenterweise wurde auch die Mandschurische Eisenbahngesellschaft stärker unter die Kontrolle des Militärs gestellt. So: Matsusaka, Tak, Managing Occupied Manchuria, 1931 – 1934, in: Duus/Myers/ Peattie (Hrsg.), Japanese wartime empire (Fn. 1769), S. 120 – 124. 1790 Young, Louise, Imagined Empires: The Cultural Construction of Manchukuo, in: Duus/ Myers/Peattie (Hrsg.), Japanese wartime empire (Fn. 1769), S. 83. 1791 Insofern sei es gerechtfertigt, das Schicksal in Ostasien in die Hand zu nehmen und ebenfalls einen Wirtschaftsblock unter der Führung Japans zu errichten. So etwa Matsuoka Yosuke in einer Rede vor dem Parlament im Januar 1931. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 189.
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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Somit war ein System geschaffen, das im Hinblick auf seine hierarchische Struktur Ähnlichkeit zu Carl Schmitts Großraumtheorie aufweist. Das japanische Kaiserreich stellte dabei das Reich dar, während die Staaten Mandschukuo, Korea und Taiwan die jeweiligen Großraumstaaten darstellten. Auffällig ist dabei, dass der Status der drei Staaten äußerst unterschiedlich war. Korea und Taiwan wurden bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts annektiert und waren somit Teil des japanischen Reiches. Beide Annexionen erfolgten noch nach der Logik des alten Völkerrechts im 19. Jahrhundert. Mandschukuo hingegen wurde als angeblich „unabhängiger“ Staat errichtet. Dies mag seine Gründe in der panasiatischen Ideologie gehabt haben, die beim Vorgehen der Kwantung-Armee eine Rolle spielte. Dies ist aber auch eine Folge der Änderung des Völkerrechts nach dem Ersten Weltkrieg. (2) Die Rolle der Kwantung-Armee Die Kwantung-Armee spielte in der Mandschurei-Krise und der Gründung von Mandschukuo eine entscheidende Rolle. Wie schon dargelegt, war die japanische Armee gemäß des Vertrags von Portsmouth bereits seit 1905 in der Südmandschurei stationiert.1792 Der Einfluss der Tokioter Regierung auf die beiden Machtfaktoren in der Mandschurei, nämlich der „Kwantung-Armee“ und der „mandschurischen Eisenbahngesellschaft“1793, war eher gering.1794 Zwar wurde 1906 die Kwantung-Militärregierung zunächst entmachtet und ein Gouverneur für die Mandschurei (Kanto Totokufu), der hierarchisch unter dem Außenministerium stand, installiert; aber der Gouverneur war weiterhin stark abhängig vom stationierten Militär.1795 Die Kwantung-Armee war also von Anfang an eine sehr unabhängige Einheit.1796 In den 1920er 1792
Bereits damals war die Kwantung-Armee für die Sicherheit der japanischen Administration und für die Wirtschaftsunternehmen in der Mandschurei zuständig. Vgl. Jansen, Modern Japan (Fn. 1552), S. 578; Young, Japan’s Total Empire (Fn. 1592), S. 30; Coox, Alvin, The Kwantung Army Dimension, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. 395 – 396; Matsusaka, Tak, Managing Occupied Manchuria, 1931 – 1934, in: Duus/Myers/ Peattie (Hrsg.), Japanese wartime empire (Fn. 1769), S. 100 – 101. 1793 Die Gesellschaft wurde aufgrund des Vertrages von Portsmouth von 1906 gegründet und hatte eine militärisch, wirtschaftlich und verwaltungstechnische Monopolstellung aufgrund der Kontrolle, die diese über den Transport ausübte. Aufgrund dieser hervorgehobenen Bedeutung und der Nähe zum japanischen Staat wird sie auch als Kern eines „Eisenbahnimperialismus“ gesehen. So: Matsusaka, Tak, Managing Occupied Manchuria, 1931 – 1934, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Japanese wartime empire (Fn. 1769), S. 98 – 100. 1794 Die japanische Regierung versuchte zwar ein Netzwerk von Konsulaten zu etablieren, konnte aber keinen entscheidenden Einfluss nehmen. Vgl. Young, Japan’s Total Empire (Fn. 1592), S. 29. 1795 Coox, Alvin, The Kwantung Army Dimension, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. 397. 1796 Das hatte auch mit dem Umstand zu tun, dass die japanische Verfassung zwischen den zivilen und den militärischen Beratern des Kaisers unterschied. Als Folge bildeten sich seit den 1910ern langsam zwei „Regierungen“ heraus, nämlich eine militärische und eine zivile. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 79 – 80. Parallel dazu geschah die gleiche Trennung auch in der Mandschurei. 1917 wurde der Kwantung-Gouverneur direkt unter den Premierminister
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Jahren hatten die Kwantung-Armee in der Mandschurei die Kontrolle übernommen.1797 In den frühen 1930er Jahren herrschte in der Kwantung-Armee die Ansicht, dass die Tokioter Regierung die Wichtigkeit der Mandschurei aus den Augen verloren habe.1798 Die japanische Armee war zudem äußerst unzufrieden mit der Regierung aufgrund der Konzessionen, die in der Londoner Flottenkonferenz von 1930 gemacht wurden.1799 Bereits 1929 wurde unter den Generalleutnant der Kwantung-Armee, Ishiwara Kanji, eine Militärinitiative geplant, die Mandschurei, möglichst ohne Unterstützung von Tokio, einzunehmen,1800 wobei auch die Expertise der mandschurischen Eisenbahngesellschaft genutzt wurde.1801 Diese Pläne mündeten letztlich im sog. Mukden-Zwischenfall vom 18. 09. 1931 und in der Gründung von Mandschukuo. Das „Endprodukt“ Mandschukuo kann zurecht als eine Chimäre bezeichnet werden, die mehrere widersprüchliche Aspekte in sich vereint, nämlich die Kwantung-Armee als Kopf,1802 die japanischen Institutionen als Körper und das alte sowie das neue China als Schwanz.1803 Selbst die Architektur der Hauptstadt Mandschukuos, Xinjing, war davon geprägt, die asiatischen Wurzeln klar hervorzuheben.1804
Terauchi Masataka gestellt, der zuvor der Kriegsminister war. Dies führte zur Stärkung des Gouverneurs der Mandschurei dahingehend, dass 1919 die militärische Führung und die zivile Führung strikt getrennt wurden. Der Kommandant der Kwantung-Armee unterstand fortan nur noch dem Militär in Tokyo und wurde mit dem Recht ausgestattet auch unabhängig operieren zu können Vgl. Coox, Alvin, The Kwantung Army Dimension, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. 399 – 400. 1797 Die Kwantung-Armee manipulierte chinesische Kriegsherren, wie etwa Chang Tso-lin, die sich in der Konsequenz gegeneinseitig bekriegten. Der chinesische Kriegsherr Chang Tsolin wurde dann 1928 von der Kwantung-Armee, ohne jegliche Anweisungen der Tokioter Regierung, ermordet. Vgl. Coox, Alvin, The Kwantung Army Dimension, in: Duus/Myers/ Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. 402 – 405. 1798 Coox, Alvin, The Kwantung Army Dimension, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. 407. 1799 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 337; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 190; Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 80. 1800 Matsusaka, Japanese Manchuria (Fn. 1552), S. 382; Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 107. 1801 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 109. 1802 Die Verteidigung des „unabhängigen“ Staates Mandschukuo wurde der KwantungArmee mithilfe einer Fiktion überlassen. Das Staatsoberhaupt, der Kaiser Puyi, zeichnete einen bilateralen Verteidigungspakt mit Japan was aber faktisch nur die Stationierung der KwantungArmee legitimierte. So: Matsusaka, Tak, Managing Occupied Manchuria, 1931 – 1934, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Japanese wartime empire (Fn. 1769), S. 108. 1803 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 116 – 117. 1804 So wurden moderne, aus Beton gebaute, Gebäude mit japanisch oder chinesisch inspirierten Ornamenten geschmückt. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 116 – 117.
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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Den stärksten Einfluss auf Mandschukuo hatte jedoch die Kwantung-Armee1805 und deren expansionistische Interpretation des Panasianismus, der durch Slogans wie „Harmonie der Fünf Rassen“ oder das konfuzianisch angehauchte Ziel der Befolgung des „Königlichen Weges“1806 zum Ausdruck kommt.1807 Die Offiziere der Kwantung-Armee verstanden sich als die Besten der Gesellschaft, die eine himmlische Aufgabe bekommen hätten, als erste nicht-weiße Menschen ein Territorium neu zu entwickeln, in denen Menschen verschiedener Rassen zusammenleben sollten.1808 Der Zugewinn an Macht von der Kwantung-Armee zeigte sich auch darin, dass der Kommandant der Kwantung-Armee nun auch den Posten des Gouverneurs und des Botschafters von Mandschukuo in Personalunion ausfüllte.1809 bb) Auswirkungen der Mandschurei-Krise auf die japanische Innenpolitik Japan wurde zwischen 1924 bis 1932 von einem Kabinett regiert,1810 das von den Parteien zusammengestellt wurde, die die Mehrheit im Unterhaus hatten.1811 Dieses politische System begann jedoch bereits 1929 zu wackeln, als das Kabinett unter Hamaguchi Osachi in den außenpolitischen Themen bezüglich des aufkommenden chinesischen Nationalismus und der Bedrohung durch die westlichen Mächte zu-
1805
Young, Louise, Imagined Empires: The Cultural Construction of Manchukuo, in: Duus/ Myers/Peattie (Hrsg.), Japanese wartime empire (Fn. 1769), S. 80. 1806 Der Begriff des Weges ist bereits in der Philosophie von Konfuzius zentral. Vgl. Meisig, Konrad, Die Ethik des Konfuzius, in: Meisig, Konrad (Hrsg.), Chinesische Religion und Philosophie: Konfuzianismus, Mohismus, Daoismus, Buddhismus Grundlagen und Einblicke, 2005, S. 4 – 5. Der königliche Weg ist eine Adaption dieses konfuzianischen Begriffs und stellt eine wohlwollende Herrschaft über ein folgsames Volk dar. Vgl. Jones, Francis Clifford, Japan’s New Order in East Asia. Its Rise and fall 1937 – 1945, 1954, S. 11. 1807 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 117. 1808 Coox, Alvin, The Kwantung Army Dimension, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Informal Empire (Fn. 1514), S. 409. 1809 Matsusaka, Tak, Managing Occupied Manchuria, 1931 – 1934, in: Duus/Myers/Peattie (Hrsg.), Japanese wartime empire (Fn. 1769), S. 118. 1810 Das Oberhaus sowie die Genro, ein Beratungsorgan des Kaisers aus erfahrenen Staatsmännern, wurden hingegen entmachtet. Vgl. Mitani, Taichiro, The establishment of party cabinets, 1989 – 1932, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 96; Beasley, Modern Japan (Fn. 1615), S. 181. Vgl. zu den Genro: Ostwald, Japans Auseinandersetzung (Fn. 1718), S. 243 – 260 (246). Der Ministerpräsident wurde in der Verfassung von 1889 vom Tenno frei gewählt. Faktisch war der Tenno jedoch an die Genro gebunden. So: Hayashi, Vorgeschichte (Fn. 1771), S. 199 – 207 (202). 1811 Aufgrund des hohen Steuerzensus waren bis 1925 nur eine knappe Millionen männlicher Personen wahlberechtigt, sodass das Wahlrecht und die Parteienpolitik nicht zu einer Massendemokratie führten. Diese Zahl erhöhte sich durch die Herabsetzung des Zensus auf 14 Millionen Wahlberechtigte. So: Ostwald, Japans Auseinandersetzung (Fn. 1718), S. 243 – 260 (247, 251).
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nehmender Kritik ausgesetzt war.1812 Es entstand eine Bewegung, der unter anderem der japanische Diplomat Matsuoka Yosuke (1880 – 1946) angehörte, die eine Neuformierung der japanischen Politik unter der „Kokutai-Ideologie“ forderte und insbesondere das parlamentarische System auflösen wollte.1813 Nach dem Attentat auf Premierminister Hamaguchi am 14. 11. 1930 und der Ermordung seines Nachfolgers Inukai am 15. 05. 1932 kam es zum Ende der Parteienpolitik.1814 Die andauernde innenpolitische Krise Japans führte schließlich zu einem Putschversuch junger Armeeoffiziere am 26. 02. 1936, die der Armeefraktion der , „Gruppe des kaiserlichen Weges“) angehörten, um die von Kita Kodoha (jap. Ikki herbeigesehnte Showa-Restauration, also eine Reform des Staatsapparates, zu vollziehen.1815 Das Ergebnis dieses Putsches war jedoch die Stärkung des Militärs, , „Kontrolldas nun unter der rivalisierenden Fraktion der Toseiha (jap. fraktion“) vereinigt wurde, da es aufgrund der Hinrichtung der Kodoha-Anhänger keine verschiedenen Fraktionen innerhalb der Armee mehr gab.1816 Der aufgrund des Putschversuches vom 26. 02. 1936 neu eingesetzte Premierminister Hirota Koki musste wegen der starken Intervention der Armee bei seiner Kabinettsbildung bereits in kürzester Zeit resignieren.1817 cc) Auswirkungen der Mandschurei-Krise auf die japanische Außenpolitik Die Mandschureikrise von 1931 – 1932 führte dazu, dass es für Japan kein Zurück mehr in der Außenpolitik in China gab.1818 Die kaiserliche Göttlichkeit und die
1812
Berger, Gordon, Politics and mobilization in Japan, 1931 – 1945, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 105 – 106. 1813 Dazu gehörte u. a.: 1. den Staat in einen Staatskörper (Kokutai) zu einigen und somit die politischen Parteien aufzulösen, 2. das parlamentarische System zu ändern, 3. den japanischen Kaiser nicht mehr als Staatsorgan zu begreifen, 4. den Liberalismus zu bekämpfen, und 5. eine kontrollierte Wirtschaft einzuführen. So: Lu, Agony (Fn. 169), S. 108. 1814 Japan wurde dann von 1932 bis 1945 von vier Admirälen, vier Generälen und drei Zivilisten regiert. Vgl. Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 28; Berger, Gordon, Politics and mobilization in Japan, 1931 – 1945, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 108. Der Aufstieg des japanischen Ultranationalismus begann mit der Änderung der japanischen Regierungszusammensetzung ab 1932. Vgl. Brooker, Fraternalism (Fn. 1722), S. 42; zum Vergleich der japanischen Ein-Parteien-Politik und dem Nationalsozialismus siehe: Krebs, Gerhard, The German Nazi Party. A model for Japan’s ,New Order‘ 1940 – 1?, in: Spang/ Wippich (Hrsg.), Japanese-German Relations (Fn. 105), S. 180 – 199. 1815 Berger, Gordon, Politics and mobilization in Japan, 1931 – 1945, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 119; Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 34; Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743),S. 188; Hayashi, Vorgeschichte (Fn. 1771), S. 199 – 207 (203). 1816 Berger, Gordon, Politics and mobilization in Japan, 1931 – 1945, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 120 – 121; Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 34 – 35; Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 189. 1817 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 38. 1818 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 199.
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Kokutai-Ideologie wurden zur Rechtfertigung einer Expansionspolitik herangezogen und waren somit Teil der offiziellen außenpolitischen Doktrin.1819 Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den westlichen Mächten und der japanischen Regierung bezüglich des Mukden-Zwischenfalls waren evident. Der Disput über den Mandschurei-Konflikt war ein weiterer Fall einer lang anhaltenden Zerrüttung1820 Japans mit den westlichen Mächten.1821 Erst 1932 wurde eine Kommission des Völkerbundes, die sog. Lytton-Kommission, in die Mandschurei entsandt, um die Lage zu untersuchen.1822 Am 15. 09. 1932 erkannte Japan den Staat Mandschukuo an und trat dann am 27. 03. 1933 aus dem Völkerbund1823 aus.1824 Japan vertrat nun die Auffassung, dass China kein organisierter Staat mehr sei und die generellen Prinzipien des Völkerrechtes nicht mehr auf ihn anwendbar wären.1825 Die Amau-Erklärung von Amau Eiji, einem Sprecher des japanischen Außenministeriums, vom 17. 04. 1934 unterstrich, dass Japan eine Intervention in China durch andere Mächte nicht dulden werde.1826 Im Dezember 1934 wurde vom Kabinett festgelegt, dass China mit Mandschukuo in eine internationale Struktur gebracht werden solle, in dem Japan den Nucleus bilde.1827 1819
Beasley, Modern Japan (Fn. 1615), S. 177. Wie mehrfach erwähnt, versandte Henry Lewis Stimson bereits am 07. 01. 1932, an die Regierungen von Japan und China eine diplomatische Depesche bezüglich der Mandschurei Krise. Diese hatte zum Inhalt, dass das Recht der Selbstverteidigung – die einzige Ausnahme des Briand-Kellogg-Paktes – nicht anerkannt werde. Deshalb sei auch die Änderung des Territoriums, die durch den rechtswidrigen Krieg erwirkt sei, nicht anzuerkennen. Vgl. Meiertöns, Doctrines (Fn. 517), S. 83 – 84; Graf von Mandelsloh, Kelloggpakt (Fn. 518), S. 617 – 627 (617 – 618, 622 – 623). 1821 Jones, New Order (Fn. 1806), S. 3; Lu, Agony (Fn. 169), S. 77. 1822 Der japanische Außenminister Uchida Yasuya, der ein nachteiliges Ergebnis der LyttonKommission vorhersah, argumentierte, dass ein Angriff auf die Rechte und Interessen Japans vorgelegen habe, und Japan deshalb diejenigen Maßnahmen ergriffen habe, die es für erforderlich gehalten habe. Vgl. Graf von Mandelsloh, Kelloggpakt (Fn. 518), S. 617 – 627 (619); Lu, Agony (Fn. 169), S. 92. Die Forderung der Anerkennung von Mandschukuo werde von Japan durchgesetzt werden, auch wenn Japan zu Asche verbrannt werde. Vgl. Hata, Ikuhiko, Continental expansion, 1905 – 1941, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 298. 1823 Dies geschah, nachdem der Völkerbund den Bericht der Lytton Kommission, der eine rechtswidrige Aggression Japans feststellte, angenommen hatte. Vgl. Hata, Ikuhiko, Continental expansion, 1905 – 1941, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 298. 1824 Hata, Ikuhiko, Continental expansion, 1905 – 1941, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 298; Jones, New Order (Fn. 1806), S. 15; von Gretschainow, Georg, Das Ende der Mitarbeit Japans im Völkerbunde, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 9 (1939), S. 55 – 64 (55). 1825 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 200. 1826 Swale, Alistair, Tokutomi Soho and the Asiatic Monroe Doctrine, 1917, in: Saaler/ Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 282; Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 96; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 200. Näheres zur Amau-Erklärung auch in Abschnitt A.I.1.b). 1827 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 200. 1820
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b) Die Entwicklung des japanischen Ultranationalismus und des Panasianismus Der japanische Ultranationalismus wurde ab den 1930er Jahren die maßgebliche Ideologie der japanischen Außenpolitik. Während die japanische Außenpolitik vor 1931 offiziell von der internationalen Abrüstung, Kooperation innerhalb des Völkerbundes und der Lösung des China-Problems durch diplomatische Verhandlungen ausging, setzte man nun auf eine autonome Außenpolitik.1828 Der „kaiserliche Weg“, der von den Ultranationalisten propagiert wurde, sah folglich vor, dass alle japanischen Untertanen bis zum Äußersten bestrebt zu sein hätten, dem Kaiser zu dienen.1829 Der japanische Kaiser Hirohito (1901 – 1989) äußerte sich – trotz seiner Bedenken gegenüber der Isolation Japans – nicht kritisch gegenüber den aufkommenden japanischen Ultranationalismus.1830 Vielmehr lobte er etwa die Kwantung-Armee für ihr Handeln in der Mandschurei-Krise, den er als Akt der „Selbstverteidigung“ verstand. Er förderte somit die ultranationalistische Bewegung.1831 Auch die Idee der asiatischen Monroe-Doktrin kam in den 1930er Jahren wieder auf,1832 die zunächst als Legitimationsgrundlage für eine mögliche japanische Annexion der Mandschurei und der Gründung des Marionettenstaates Mandschukuo diskutiert wurde.1833 Die durch Japan beanspruchte asiatische Monroe-Doktrin war Ausdruck des Selbstverständnis von Japan, in Asien eine eigenständige Regionalmacht zu sein. Gleichzeitig war die amerikanische Monroe-Doktrin ein für Japan äußerst willkommener Präzedenzfall, da es sich um eine sehr offene Doktrin handelte und gerade zu dieser Zeit die Monroe-Doktrin durch die sog. „Roosevelt Corollary“ eine starke Veränderung hin zu einem Imperialismus erlebte.1834
1828 Young sieht diese Wandlung der Außenpolitik als einen schleichenden Prozess an. So hat das Wakatsuki Kabinett die unautorisierten militärischen Handlungen der KwantungArmee legitimiert. Die Kwantung-Armee wiederum führte, trotz ausdrücklicher Anweisungen, seinen Expansionskurs fort. Auch das Inukai Kabinett konnte die Kwantung-Armee nicht kontrollieren. Während das Inukai Kabinett weiterhin eine diplomatische Lösung mit China suchte, gründete die Kwantung-Armee den Staat Mandschukuo. 1932 stellte der Völkerbund fest, dass Japan den Kellogg-Briand Pakt verstoßen habe. Saito Hiroshi, der Inukai folgte, erkannte Mandschukuo als Staat an, was letztlich zum Austritt aus dem Völkerbund durch Japan führte. Vgl. Young, Japan’s Total Empire (Fn. 1592), S. 124 – 126. 1829 Ostwald, Japans Auseinandersetzung (Fn. 1718), S. 243 – 260 (253). 1830 Bix, Herbert, Hirohito and the making of modern Japan, 2000, S. 245. 1831 Bix, Hirohito (Fn. 1830), S. 247. 1832 Vertreten wurde die „Monroe-Doktrin für Asien“ auch von der Propaganda der japanischen Armee. Vgl. Young, Japan’s Total Empire (Fn. 1592), S. 124 – 126, 148. 1833 Swale, Alistair, Tokutomi Soho and the Asiatic Monroe Doctrine, 1917, in: Saaler/ Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 282; Young, Japan’s Total Empire (Fn. 1592), S. 124. 1834 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 96.
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Besondere Aufmerksamkeit1835 erhielt dabei die bereits erwähnte Erklärung von Amau Eiji vom 17. 04. 1934, die als quasi-offizielle Politik Japans galt.1836 Darin erklärte Amau, dass Japan zwar keine territorialen Ansprüche gegenüber China geltend mache, aber dennoch etwaige Einflüsse westlicher Mächte, egal ob militärischer, finanzieller oder technischer Art, in China ausschließen werde.1837 Es war also eine Verkündung eines „Interventionsverbots raumfremder Mächte“ in den „japanozentrischen“ Großraum. aa) Die Weiterentwicklung der Kokutai-Ideologie Wie erörtert, war die Kokutai-Ideologie bereits vor den 1930er Jahren die maßgebliche Ideologie, soweit es um die japanische Innenpolitik ging. In den 1930er Jahren radikalisierte sich die Kokutai-Ideologie zunehmend wegen vorgeblicher Einzigartigkeit und weltgeschichtlicher Bedeutung der Mandschurei-Krise. Trotz Zerstrittenheit der Elite1838 wurde diese durch das einigende Element der KokutaiIdeologie zusammengehalten, die ihrerseits immer totalitärer1839 wurde.1840 1835 Auch die „Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“ berichtete im Jahre 1934 ausführlich. Friede sah in dieser Erklärung jedoch keine Verkündung einer „japanischen Monroe-Doktrin für den Fernen Osten“. Vgl. Friede, Wilhelm, Die Erklärungen Japans und über seine Politik in Ostasien (17.04.–04.05. 1943) und die Stellungnahme der Mächte, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 4 (1934), S. 597 – 608. 1836 Swale, Alistair, Tokutomi Soho and the Asiatic Monroe Doctrine, 1917, in: Saaler/ Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 282; Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 96. 1837 Darin erklärte Amau, dass „Japan und China für den Frieden von Ostasien gemeinsame Verantwortung tragen müssten. … Japan habe keinerlei territoriale Ansprüche in China, aber gleichfalls verurteile Japan den Einfluss durch ausländische Mächte auf China, im Namen der finanziellen oder technischen Assistenz, soweit diese den Frieden von Ostasien gefährde. … Insbesondere eine militärische Unterstützung gegenüber den Chinesen werde von Japan bekämpft.“ Englischer Text, in: Friede, Ostasien (Fn. 1835), S. 597 – 608 (597 – 598). Am 20. 04. 1934 unterstrich Amau, „dass Japan grundsätzlich keinen Handel zwischen China und Drittmächten verhindern werde, aber gleichsam alle notwendigen Maßnahmen ergreifen werde, wenn der Friede und die Ordnung in Ostasien gefährdet seien.“ Englischer Text, in: Friede, Ostasien (Fn. 1835), S. 597 – 608 (598). 1838 Das Londoner Flottenabkommen vom 22. 04. 1930 brachte eine ernsthafte Verwerfung zwischen dem Militär und der Zivilregierung mit sich, und der Mukden-Zwischenfall von 1931 machte offenkundig, dass die Zivilregierung die Kontrolle über das Militär verloren hatte. Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 259. 1839 Plastisch zeigt sich die Wende auch durch den verfassungsrechtlichen Streit um die Frage, ob der japanische Kaiser ein Verfassungsorgan oder eine überstaatliche Entität sei. Staatsrechtler, die den japanischen Kaiser als überstaatlich begriffen, konnten sich letztlich durchsetzen und begründeten dies mit der Kokutai-Ideologie. Insbesondere Hozumi Yatsuka erklärte das Kokutai-Prinzip zu einer unverwechselbaren Eigenheit der jeweiligen Nation und den japanischen Kaiser als die unwandelbare Besonderheit Japans. Staatsrechtler, wie etwa Minobe Tatsukichi, hingegen, die den japanischen Kaiser, ähnlich wie in Europa, als Verfassungsorgan einer konstitutionellen Monarchie ansahen, wurden in den 1930er Jahren unterdrückt. Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 263 – 264; Spang, Christian, Karl Haushofer und
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Der Höhepunkt der Kokutai-Ideologie war das Kommentarwerk „Kokutai No Hongi“, das am 20. 03. 1937 erschien und in den japanischen Schulen verbreitet wurde.1841 Das Werk legte die Grundprinzipien der Kokutai-Ideologie dar.1842 Obwohl es Staatspropaganda war,1843 war es gleichzeitig jedoch auch eine Reproduktion der Gedanken, die viele Japaner dieser Zeit teilten.1844 bb) Ishiwara Kanji, der Architekt der Mandschurei-Krise , 1889 – 1949), ein Mitglied der japanischen MiIshiwara Kanji (jap. litärelite, der zwischen 1922 und 1925 für drei Jahre in Deutschland Militärgeschichte studierte,1845 war ein zentraler Akteur der Kwantung-Armee und gilt als Hintermann des sog. Mukden-Zwischenfalls1846 bzw. auch der Gründung des Staates Mandschukuo.1847 Ishiwara plante seit dem Sommer 1929 einen „Drei-Stufen-Plan“, um die Mandschurei zu erobern und führte diesen auch durch, was letztlich zur Mandschurei-Krise führte.1848 Die Grundidee von Ishiwara wurde von dem japanischen Nichiren-Buddhismus1849 stark beeinflusst, der die apokalyptische Idee eines letzten Zeitalters beschwor und Japan eine weltbedeutsame Mission zuteilte.1850 Ishiwara war überzeugt, Japan. Die Rezeption seiner geopolitischen Theorien in der deutschen und japanischen Politik, 2013, S. 657; Beasley, Modern Japan (Fn. 1615), S. 186. 1840 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 263. 1841 Hall, Robert King (Hrsg.), Kokutai No Hongi: Cardinal Principles of the National Entity ,1937, zitiert wird die englische Fassung übersetzt von of Japan (Japanisch: Gauntlett, John Owen), 1949, S. 10; Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 266; Bix, Hirohito (Fn. 1830), S. 313. 1842 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 266; Bix, Hirohito (Fn. 1830), S. 313 – 314. 1843 Das „Kokutai No Hongi“ beginnt mit der Erzählung des Gründungsmythos Japans und der Feststellung, dass der Kaiser ein direkter Nachfahre der Sonnengöttin Amaterasu und die Blutlinie des Kaisers ununterbrochen sei. Die Verfassung Japans von 1889 wird deshalb als Verfassung dargestellt, die vom japanischen Kaiser gegeben wurde und sich somit fundamental von den europäischen Verfassungen unterscheide, die ein Vertrag zwischen den Herrschern und den Beherrschten seien. Die Mission des japanischen Volkes sei es, die westlichen Kulturen zu absorbieren und auf der Basis der östlichen Herkunft Japans zu einer eigenen neuen Kultur zu machen, um dem japanischen Kaiser zu dienen. Vgl. Hall (Hrsg.), Kokutai (Fn. 1841), S. 59, 66, 69, 161 – 162, 183. 1844 Hall (Hrsg.), Kokutai (Fn. 1841), S. 8. 1845 Ishiwara Kanji wurde in Deutschland insbesondere durch den Historiker Hans Delbrück beeinflusst. Vgl. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 30 – 31. 1846 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 133 – 135. 1847 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 141. 1848 Jansen, Modern Japan (Fn. 1552), S. 579 – 580. 1849 Ishiwara wurde dabei von dem Nichirenismus von Tanaka Chigaku entscheidend geprägt, da dieser, anders als die rein nationalistische Kokutai-Ideologie, dem japanischen Patriotismus eine weltliche Bedeutung gab. Vgl. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 42 – 43. 1850 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 40 – 41.
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dass die Vereinigten Staaten, die ihren Einfluss in Asien erweiterten, früher oder später1851 mit Japan Krieg führen würden.1852 Er war auch davon überzeugt, dass Japan und China sich zusammenschließen müssten, damit China von seinem Status als Halbkolonie „erwachen“ und Japan den Krieg gegen die USA erfolgreich führen könne.1853 Der technische Fortschritt im Militär würde zu katastrophalen Folgen führen, was letztlich auch bedeute, dass ein solcher Krieg nur einmal geführt werden könne.1854 Diese Idee des finalen Weltkrieges – den er als unausweichlich ansah – war der Grundstein der Rechtfertigung Ishiwaras für die Gewalt, die der japanische Staat in seinem expansionistischen Streben nutzte.1855 Ishiwara kann jedoch nicht einfach als „Militarist“ abgestempelt werden. Er war nicht nur aus taktischen Gründen streng gegen einen Krieg mit China, sondern aufgrund seiner panasiatischen Überzeugung.1856 Auch seine Kritik bezüglich der dominanten Haltung Japans gegenüber dem Staat Mandschukuo,1857 die er ab dem Frühjahr 1932 vertrat,1858 zeigen, dass er keineswegs einer rein imperialistischen Agenda folgte.1859 Als Ishiwara 1937 in die Mandschurei zurückkehrte, fand er einen komplett von Japan gesteuerten Staat vor.1860 Ishiwaras Reformvorschläge, die eine 1851 Die apokalyptische Vision des Nichiren-Buddhismus und seine Studien in Deutschland über militärische Geschichte brachten Ishiwara zum Ergebnis, dass Japan und die USA, als Vertreter jeweils der östlichen und westlichen Zivilisation, den finalen Krieg führen würden. Vgl. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 57 – 58, 63. 1852 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 32. 1853 Diese Idee war unter den japanischen Panasianisten nicht unüblich. Es wurde oftmals unterschieden zwischen dem tugendhaften Weg, der dem asiatisch-konfuzianischen Ideal entsprach, und dem niedrigen Weg, der letztlich nur eine Machtausübung war. Ishiwara wünschte also die Chinesen zu überzeugen und an Japans Seite zu bringen. Vgl. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 33 – 36. 1854 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 62. 1855 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 327. 1856 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 371. 1857 Brown, Roger, Ishiwara Kanji’s „Argument for an East Asian League“, in: Saaler, Sven/ Szpilman, Christopher (Hrsg.), Pan-Asianism A Documentary History Volume 2: 1920–Present, 2011, S. 202. 1858 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 154. 1859 Diese Ansicht wurde in einer Schrift von Ishiwara Kanji vom Januar 1932 „Die Position Japans in dem neuen Staat“ vertreten. Ishiwara sagt, dass Japan entschlossen alle Ideen einer eigenen Überlegenheit ablegen müsste. China hingegen müsse seinerseits seine Zurückhaltung zur Kooperation revidieren. Alle Bürokraten sollten Einwohner der Mandschurei und die Gehälter sollten für alle Rassen gleich sein. Ein System der bevorzugten japanischen Berater für chinesische Offizielle sei abzulehnen. Allerdings sah Ishiwara es auch als wahrscheinlich an, dass die Japaner die höheren Ämter besetzen würden, da viele der Japaner besser qualifiziert seien. Vgl. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 152 – 164. 1860 Ishiwara Kanji soll während dieser Zeit gegenüber Tojo Hideki, den späteren Premierminister Japans und den damaligen Chef der Kempeitai (Militärpolizei) in der Mandschurei, persönlich Kritik geäußert haben. Ishiwara hielt die Zurückhaltung der KwantungArmee gegenüber der chinesischen Bevölkerung für sehr wichtig. Tojo sah er als pedantischen
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unabhängigere Mandschurei und einen darauf aufbauenden Weg hin zu einem ostasiatischen Bündnis vorsahen,1861 wurden nicht angenommen.1862 Ab 1938 trat Ishiwara insbesondere als Vertreter der sog. Theorie des ostasiatischen Bündnisses auf, die von der Verkündung der „Neuen Ostasiatischen Ordnung“ inspiriert wurde. 2. Die Verkündung der „Neuen Ostasiatischen Ordnung“ Im Juli 1937 kam es zum Ausbruch des zweiten sino-japanischen Krieges aufgrund des sog. Zwischenfalls auf der Marco-Polo-Brücke, der bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ausgetragen wurde.1863 Nach anfänglichen militärischen Erfolgen stagnierte der Krieg mit China, sodass eine andere Herangehensweise an den chinesischen Nationalismus notwendig wurde.1864 , Am 03. 11. 1938 erklärte der Premierminister Konoe Fumimaro (jap. 1891 – 1945) die Gründung einer „Neuen Ostasiatischen Ordnung“.1865 Der politische Hintergrund dieser Entwicklung war, dass die chinesische Regierung nicht mehr ignoriert werden konnte und nun eine gemeinsame Koexistenz gefunden werden sollte.1866 Die Erklärung, die auch „Erklärung der Neuen Ostasiatischen Ordnung (jap. Toa Shinchitsujo Seimei)“ genannt wird, steht einerseits klar in einer Linie mit den imperialistischen Forderungen Japans, die etwa durch die 21 Forderungen, die Japan 1915 an China stellte, oder durch die „Amau-Erklärung“ von 1934 bereits formuliert
Bürokraten an und beschuldigte ihn gar der Korruption. Vgl. Butow, Robert, Tojo and the Coming of the War, 1961, S. 72; Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 314 – 315. 1861 Ishiwara Kanji war der Ansicht, dass Mandschukuo als ein Beispiel der erfolgreichen Zusammenarbeit notwendig sei, um auch China zu überzeugen mit Japan in einem Ostasiatischen Bündnis zusammen zu arbeiten. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 313. 1862 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 314. 1863 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 203. 1864 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 202 – 203. 1865 In dieser Erklärung stellte Konoe fest, dass die chinesische Regierung unter Chiang Kaishek die Kontrolle über China verloren habe, da die wichtigen Areale unter der Kontrolle von Japan seien. Weiterhin verkündete Konoe, dass Japan es nicht wünsche, China zu zerstören, sondern wolle, dass Japan, die Mandschurei und China zusammen Frieden und Ordnung in Ostasien wiederherstellten. Nach Konoe wolle Japan die Gefährdung des Friedens und der Unabhängigkeit in China durch den westlichen Imperialismus aufhalten. Konoe bittet deshalb China um Unterstützung, um den Kommunismus aufhalten zu können und das Gleichgewicht der Mächte wiederherzustellen. Vgl. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 202; Hotta, PanAsianism (Fn. 1545), S. 166; Brown, Roger The Konoe Cabinet’s „Declaration of a new Order in East Asia“, 1938, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism II (Fn. 1857), S. 169 – 172; Bünger, Karl, Die japanische Politik der Neuordnung Ostasiens und der Neunmächtevertrag, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 9 (1939), S. 426 – 463 (426 – 427). 1866 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 202.
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wurde.1867 Andererseits war sie ein Versuch, die nationalistische Bewegung von China durch panasiatische Argumente zu überzeugen, indem erklärt wurde, dass Japan keine Ambitionen auf chinesisches Territorium habe und auch nicht die Unabhängigkeit angreifen wolle und Japan darüber hinaus keine Feindseligkeit gegenüber dem chinesischen Volk habe.1868 Kern der Erklärung sind folgende drei Prinzipien: 1. die Respektierung der Souveränität Chinas, speziell die Hilfestellung für die Wiedervereinigung und Unabhängigkeit von China, 2. ein gemeinsamer Anti-Kominternpakt sowie 3. die wirtschaftliche Zusammenarbeit.1869 Die Erklärung richtet sich somit auch gegen die Ordnung, die durch den Neunmächtevertrag geschaffen wurde, da dieser Vertrag davon ausging, dass China kein souveräner moderner Staat sei.1870 Diese Prinzipien implizierten freilich, dass der sino-japanische Krieg so schnell wie möglich beendet werden und eine friedliche Ordnung in Ostasien etabliert werden sollte.1871 Das unmittelbare Ergebnis dieser neuen panasiatischen Richtung der japanischen Regierung war es letztlich, dass sich der Krieg mit China hinzog und ein Rückzug argumentativ schwieriger wurde.1872 Konoe Fumimaro schaffte es zwar, eine Marionettenregierung in Nanjing unter Wang Jingwei (1883 – 1944) zu gründen, der Krieg gegen die chinesische Kuomintang-Regierung jedoch stagnierte und seine Macht innerhalb der japanischen Regierung schwand, sodass er 1939 resignierte.1873 Der Panasianismus wurde ursprünglich genutzt, um die Eskalation des Krieges und die Prolongation des Kriegszustandes zu legitimieren, wurde jedoch auch seinerseits zu einer Staatsideologie mit eigener Dynamik.1874 Am 06. 08. 1939 verkündete der japanische Außenminister Matsuoka Yosuke zudem, dass seine Außenpolitik das Ziel habe, vier große Wirtschaftsblöcke in der 1867
Bünger, Neuordnung Ostasiens (Fn. 1865), S. 426 – 463 (427). Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 166; Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 202; Brown, Roger, The Konoe Cabinet’s „Declaration of a new Order in East Asia“, 1938, in: Saaler/ Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism II (Fn. 1857), S. 168. 1869 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go, Sehyeun (Hrsg.), Die ostasiatische Regionalordnung: Über das , Imperium zur Gemeinschaft (koreanisch: , , 2005), 2005, S. 168; Brown, Roger, The Konoe Cabinet’s „Declaration of a new Order in East Asia“, 1938, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism II (Fn. 1857), S. 172 – 173. 1870 Diese Argumentation wurde von Arita Hachiro in einer Pressekonferenz am 19. 12. 1938 geäußert und am 26. 01. 1939 wiederholt. Vgl. Bünger, Neuordnung Ostasiens (Fn. 1865), S. 426 – 463 (426 – 427). 1871 Anders als bei der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“, die die Ausweitung des Krieges propagiert, wurde im Rahmen der Neuen Ordnung also eine friedliche Lösung propagiert. Vgl. Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 168 – 169. 1872 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 172. 1873 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 173; Cotterell, Western Power (Fn. 1512), S. 220. 1874 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 174. 1868
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Welt zu etablieren, unter anderem Ostasien mit Japan als Führungsstaat.1875 Ein Modell, das letztlich nichts anderes wäre als die Etablierung einer asiatischen Monroe-Doktrin. a) Geschichtlicher Hintergrund Der zweite sino-japanische Krieg war eine direkte Folge der angespannten Lage zwischen Japan und China nach der Mandschurei-Krise. Bereits 1935 wurden die völkerrechtlichen Verträge, die im Rahmen der Washington Konferenzen abgeschlossen worden waren, nicht mehr verlängert, sodass die Washingtoner Ordnung zum Ende kam.1876 Am 07. 08. 1936 wurde vom Hirota-Kabinett das Dokument „Fundamente der nationalen Politik“ verabschiedet,1877 in dem bereits die Wurzeln der „Neuen Ostasiatischen Ordnung“ und der „Gemeinsamen Wohlstandssphäre“ zu finden sind.1878 Im November 1936 zeichneten Japan und Deutschland den sog. Antikomintern-Pakt und sicherten sich gegenseitig Kooperation zu, falls die Sowjetunion angreifen sollte. Zusammen mit Italien, das dem Pakt ein Jahr später beitrat, formierten sich somit die sog. Achsenmächte.1879 Japan hatte sich also nach innen und nach außen bereits auf den Krieg vorbereitet. Insgesamt war dies jedoch das Werk der Armee und weniger eine Entscheidung des Premierminister Konoe, der nicht in der Lage war, die Armee zu kontrollieren.1880 Dies wurde offensichtlich im zweiten sino-japanischen Krieg, der mit dem sog. Zwischenfall an der Marco-PoloBrücke am 07. 07. 1937 begann.1881
1875
Lu, Agony (Fn. 169), S. 157. Berger, Gordon, Politics and mobilization in Japan, 1931 – 1945, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 118. 1877 Abgedruckt auf Englisch in: Lebra, Joyce Chapmann, Japan’s Greater East Asia CoProsperity Sphere in World War II Selected Readings and Documents, 1975, S. 62 – 64. 1878 Demnach sei die tyrannische Politik der Mächte in Ostasien zu eliminieren und die Bevölkerung dieses Gebietes auf der Grundlage der Koexistenz und des gemeinsamen Wohlstandes zu überzeugen. Es sei eine enge Koalition zwischen Japan, Mandschukuo und China zu bilden und eine Expansion nach Südostasien sei vorzunehmen. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 201 – 202; Lebra, Co-Prosperity Sphere (Fn. 1877), S. 62 – 64; Jones, New Order (Fn. 1806), S. 26 – 27. 1879 Die Motivation von Japan zum Abschluss dieses Paktes war die Gefahr einer Invasion der Sowjetunion in die Mandschurei. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 221; Jones, New Order (Fn. 1806), S. 25 – 26. 1880 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 49. 1881 Konoe verfolgte zwar grundsätzlich eine Politik der Nicht-Expansion, entsandte aber aufgrund des Drucks des Militärs Truppen nach China, was zu einer weiteren Eskalation des Konfliktes zwischen China und Japan führte. Vgl. Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 48; auch der japanische Kaiser Hirohito zeigte sich zwar besorgt über die potenzielle Bedrohung durch die Sowjets, stimmte einer militärischen Beendigung des Konflikts jedoch zu. So: Bix, Hirohito (Fn. 1830), S. 319. 1876
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Nachdem der Krieg ausgebrochen war, errichtete Japan schnell eine Seeblockade gegenüber China.1882 Etwaige Versuche des Völkerbundes, eine friedliche Lösung des Konfliktes herbeizuführen, scheiterten.1883 Am 13. 12. 1937 hatte Japan jedoch bereits Nanjing erobert und im Januar 1938 kam es zum Nanjing-Massaker.1884 Dieser „militärische Erfolg“ führte zur Formulierung einer neuen Außenpolitik durch Japan am 11. 01. 1938, und zwar zur Propagierung einer engen Kooperation zwischen Japan, China und Mandschukuo, was eine Beendigung der gegenseitigen Feindseligkeiten sowie eine enge kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit umfasste.1885 Ab diesem Zeitpunkt spielte hinsichtlich der bereits annektierten koreanischen , Halbinsel der Slogan „Japan und Korea sind Eins (kor. Naeson Ilche, )“ eine überragende Rolle.1886 Japan wandelte die koreanische Halbinsel in eine Versorgungsbasis1887 für die kontinentale Expansion um.1888 Diese Politik stieß bei dem Regime der chinesischen Nationalisten und deren Anführer Chiang Kaishek auf Ablehnung, da die Japaner aus seiner Sicht den Chinesen zwar die Befreiung vom westlichen Imperialismus durch die Kooperation zwischen Japan und China propagierten, in Wahrheit aber nicht anders waren als die westlichen Kolonialmächte.1889 Die Verhandlungen mit den chinesischen Nationalisten endeten am 16. 01. 1938.1890 Japan unternahm daraufhin innenpolitische1891 wie 1882
Im August 1937 wurde von Japan ein längerer chinesischer Küstenabschnitt gesperrt, der im September 1937 noch einmal vergrößert wurde. Vgl. Bünger, Karl, Die Sperrung der chinesischen Küste durch die Japaner, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 8 (1938), S. 689 – 704 (689). 1883 Im Oktober 1937 versuchte der Völkerbund auf der Grundlage des Neunmächtevertrags, eine friedliche Beilegung des Konfliktes durch eine Konferenz in Brüssel herbeizuführen. Japan lehnte eine Teilnahme jedoch ab. Am 24. 11. 1937 beschloss der Völkerbund die Vertagung ohne ein Ergebnis. Vgl. Graf von Mandelsloh, Asche, Der chinesisch-japanische Konflikt vor dem Völkerbund und der Brüsseler Konferenz, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 8 (1938), S. 84 – 99 (91, 96 – 98). 1884 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 56; Bix, Hirohito (Fn. 1830), S. 332 – 335. 1885 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 53 – 54. 1886 Diese Politik diente dazu, Korea von einem erweiterten Territorium in einen Teil des Kerns des japanischen Kaiserreiches zu machen. Die koreanische Bevölkerung sollte politisch, wirtschaftlich und militärisch den Tenno dienen. Vgl. Jeon, Sangsook, The Characteristics of Japanese Colonial Rule in Korea, in: The Journal of Northeast Asian History, Band 8, Nummer 1 (Sommer 2011), S. 45 – 46. 1887 Auch kulturell führte Japan ab 1939 eine strikte Assimilierungspolitik durch. Ab 1939 durften keine koreanischen Namen mehr benutzt werden und ab 1940 mussten die Koreaner nur noch die japanische Sprache benutzen. Vgl. Jeon, Colonial Rule (Fn. 1886), S. 50. 1888 Jeon, Colonial Rule (Fn. 1886), S. 48. 1889 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 56. 1890 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 54. 1891 Bereits am 16. 03. 1938 wurde das nationale Mobilisationsgesetz, das ein weiterer Schritt zum Totalitarismus war, durch das Parlament verabschiedet. Am 24. 09. 1938 wurde zudem ein „Rat für die Entwicklung von Asien“ gegründet, der die Außenbeziehungen zu China
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auch außenpolitische1892 Radikalmaßnahmen, um einen schnellen Sieg im Krieg gegen China zu ermöglichen. Diese Radikalmaßnahmen wurden nicht von der Konoe-Regierung, sondern maßgeblich vom Militär bestimmt.1893 Durch die Verkündung einer „Neuen Ostasiatischen Ordnung“ am 03. 11. 1938 versuchte Konoe das chinesische Volk zur Kooperation zu überzeugen. Gleichzeitig machte er klar, dass es keine Friedensgespräche mit den chinesischen Kuomintang unter Chiang Kaishek geben werde.1894 Die Reaktion Chiang Kaisheks darauf war entsprechend kritisch.1895 In einer Rede vom 26. 12. 1938 nahm Chiang Kaishek Stellung zur Neuen Ostasiatischen Ordnung und kritisierte die wahren japanischen Absichten, China zu annektieren, die durch schwammige Formulierungen verdeckt worden seien. Die neue Ordnung ziele auf einer Versklavung Chinas durch den Ausschluss des amerikanischen und europäischen Einflusses.1896 Konoe trat am 04. 01. 1939 – zum ersten Mal – zurück, nachdem seine Versuche, den Frieden mit China herzustellen, gescheitert waren.1897 Die Beziehung zwischen Japan und Amerika waren bis zu diesem Zeitpunkt zwar angespannt, aber noch nicht feindlich.1898 Die Vereinigten Staaten übten in den 1930er Jahren gegenüber den Japanern eine gewisse Appeasement-Politik aus und griffen trotz der japanischen Expansion auch in der Mandschurei nicht entschieden ein.1899 Die übrigen westlichen Mächte nahmen etwa die Seeblockade im Jahre 1937 ebenfalls faktisch hin, auch wenn sie dem Vorgehen nicht zustimmten.1900 Die Ko-
provisorisch vom Außenministerium übernehmen und zentral behandeln sollte. Vgl. Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 58, 64 – 65. 1892 Am 30. 09. 1938 wurde ferner beschlossen, dass auch jegliche Zusammenarbeit mit dem Völkerbund, wenn auch nach dem Austritt Japans zunächst eine gewisse Kooperation aufrechterhalten wurde, eingestellt werde. Vgl. von Gretschainow, Mitarbeit Japans (Fn. 1824), S. 55 – 64 (55 – 57). 1893 Als Beispiel sei das umstrittene Nationale Mobilisierungsgesetz genannt, welches am 16. 03. 1938 durch das Parlament beschlossen wurde. Vgl. Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 57 – 58. Das Nationale Mobilisierungsgesetz führte insbesondere zur Stärkung der japanischen Konglomerate (Zaibatsu). Am Ende des Krieges hatten diese 70 % aller Bankguthaben und kontrollierten 50 % der industriellen Produktion. So: Martin, Bernd, The Politics of Expansion of the Japanese Empire: Imperialism or Pan-Asiatic Mission?, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 71 – 72. 1894 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 207. 1895 Chiang wies insbesondere auf die imperialistischen Ambitionen Japans hin. Vgl. Bünger, Neuordnung Ostasiens (Fn. 1865), S. 426 – 463 (459). 1896 Bünger, Neuordnung Ostasiens (Fn. 1865), S. 426 – 463 (461). 1897 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 72. 1898 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 260. Whyte hebt hervor, dass wichtige natürliche Ressourcen wie z. B. Öl und Stahl noch bis zu den späten 1930ern von den Vereinigten Staaten importiert wurden. Vgl. Whyte, Frederick, Japan’s Purpose in Asia, 1941, S. 37 – 42. 1899 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 304; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 488. 1900 Bünger, Sperrung (Fn. 1883), S. 689 – 704 (696).
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lonialgebiete der westlichen Mächte, die in China noch existierten, wurden von Japan anfangs1901 nicht besetzt.1902 Die Beziehungen mit dem angloamerikanischen Block, der ein gewisser Rückhalt für den Aufstieg Japans und auch für die Expansion Japans in die Mandschurei gewesen war, wurde jedoch letztlich aufgekündigt. Die Vereinigten Staaten protestierten am 06. 10. 1938,1903 also bereits vor Verkündung der Neuen Ostasiatischen Ordnung, gegen diese, da die neue Ordnung – nach Ansicht der Vereinigten Staaten von Amerika – gegen die Open-Door-Policy und somit gegen die amerikanischen Interessen verstieß.1904 Die amerikanisch-japanische Allianz wurde von den USA im Juli 1939 im Rahmen der Verkündung der Neuen Ostasiatischen Ordnung aufgekündigt, nachdem Japan zunehmend die „Open-Door-Policy“ der USA ignorierte.1905 Auch Großbritannien1906 und Frankreich1907 folgten den Vereinigten Staaten mit ihrer Ablehnung gegenüber der Neuen Ostasiatischen Ordnung.1908 Die Neue Ostasiatische Ordnung, von der sich die westlichen Großmächte zurückzogen1909 und in der sich die asiatischen Völker zusammentaten, wurde also in der internationalen Staatengemeinschaft nicht realisiert. b) Die Weiterentwicklung des japanischen Ultranationalismus und des Panasianismus Seit dem Ausbruch der Mandschurei-Krise waren der japanische Ultranationalismus und der Panasianismus nicht mehr wirklich zu unterscheiden. Dies zeigt sich auch in der Zeit nach der Verkündung der Neuen Ostasiatischen Ordnung durch 1901
Japan blockierte den Verkehr des britischen Konzessionsgebiets in Tianjin, was zu einem Streit zwischen England und Japan führte. Dieser Konflikt wurde durch den Vertrag vom 19. 06. 1940 beigelegt, der die weitgehende Akzeptanz der Forderungen Japans umfasste; es stellt überdies eine Lockerung der Position Großbritanniens, auf die Einhaltung des Neunmächtevertrags zu bestehen, dar. Vgl. Bünger, Karl, Der britisch-japanische Zwischenfall von Tientsin, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 10 (1940), S. 576 – 617 (577 – 579). 1902 Diese Gebiete konzentrierten das chinesische Finanzwesen und den Außenhandel in sich. So: Bünger, Tientsin (Fn. 1901), S. 576 – 617 (576 – 577). 1903 Protestnote abgedruckt, in: Bünger, Neuordnung Ostasiens (Fn. 1865), S. 426 – 463 (435 – 440). 1904 Bünger, Neuordnung Ostasiens (Fn. 1865), S. 426 – 463 (440). 1905 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 304; Bünger, Neuordnung Ostasiens (Fn. 1865), S. 426 – 463 (435 – 443). 1906 Der Protest Großbritanniens erfolgte am 14. 01. 1939. Protestnote abgedruckt in: Bünger, Neuordnung Ostasiens (Fn. 1865), S. 426 – 463 (457 – 458). 1907 Der Protest von Frankreich erfolgte am 19. 01. 1939. Protestnote abgedruckt in: Bünger, Neuordnung Ostasiens (Fn. 1865), S. 426 – 463 (459). 1908 Bünger, Neuordnung Ostasiens (Fn. 1865), S. 426 – 463 (456). 1909 Vielmehr führte dies zu Gewährung von Krediten an China durch die Vereinigten Staaten und Großbritannien. Vgl. Bünger, Neuordnung Ostasiens (Fn. 1865), S. 426 – 463 (460).
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Konoe Fumimaro. Trotzdem unterscheiden sich die jeweiligen Denker in ihrer Konsequenz erheblich. Es wird zwar von allen eine Führungsrolle Japans in Asien vorausgesetzt, aber das Maß der Unabhängigkeit Restasiens und die Begründung der Vorherrschaft Japans unterscheiden sich dennoch durchaus. aa) Royama Masamichi , 1895 – 1980),1910 ein Professor der juristiRoyama Masamichi (jap. schen Fakultät der Imperialen Universität Tokio, sah die Gründung einer ostasiatischen Gesellschaft als Ergebnis des Globalisierungsprozesses als unabdingbar an.1911 Royama nannte diese die „ostasiatische Kooperationsgemeinschaft (jap. Toa Ky)“. Sie sollte keine Herrschaft einer Ethnie über eine andere odotai, konstituieren,1912 sondern nur den wirtschaftlichen Wohlstand aller1913 fördern.1914 Nach Royama sollte die ostasiatische Kooperationsgemeinschaft auf der Grundlage der Bereitschaft der Nationen für das gemeinsame regionale Schicksal, ihr nationales Kapital einzusetzen,1915 gegründet werden.1916 Royama lehnte einen Imperialismus 1910 Royama wird von Ikeda als „Idealist“ kategorisiert. Vgl. Ikeda, Josuke, Japanese Vision of International Society, in: Shimizu/Ikeda/Kamino/Shiro, Japanese IR Seeking an Academic Bridge through Japan’s History of International Relations, Ryukoku University Afrasian Centre for Peace and Development Studies Research Series 5, 2008, S. 11. 1911 Masamichi, Royama, Foreign Policy of Japan: 1914 – 1939, 1941, S. 12; Han, Jung Sun, Royama Masamichi and the „Principles of an east Asian Cooperative Community“, in: Saaler/ Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism II (Fn. 1857), S. 175. 1912 Die „Politik der offenen Tür“, die zur teilweisen Kolonisierung Chinas geführt hatte, sah er im Konflikt mit der „ostasiatischen Kooperationsgemeinschaft“, soweit die koloniale Praxis der Drittstaaten nicht modifiziert werden würde. Vgl. Royama, Foreign Policy (Fn. 1911), S. 173. 1913 Kulturelle Aspekte spielten für ihn eine Nebenrolle. Vgl. Koschmann, Victor Julien, Constructing destiny: Royama Masamichi and Asian regionalism in wartime Japan, in: Saaler, Sven/Koschmann, Victor Julien (Hrsg.), Pan-Asianism in Modern Japanese History: Colonialism, regionalism and borders, 2007, S. 190. 1914 Royama, Foreign Policy (Fn. 1911), S. 170 – 171; Han, Jung Sun, Royama Masamichi and the „Principles of an east Asian Cooperative Community“, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism II (Fn. 1857), S. 178; Kamino, Tomoya, The Twenty Years’ Crisis, 1919 – 1939: An introduction of the Study of International Relations in Japan, in: Shimizu/Ikeda/Kamino/ Shiro, Japanese IR (Fn. 1901), S. 38. 1915 Dabei orientierte er sich stark an planwirtschaftlichen Beispielen in der Sowjetunion, Deutschland, Amerika und Großbritannien und sprach sich für eine „Diktatur der Vernunft“ aus, die er z. B. auch in der New-Deal-Politik Amerikas sah. Vgl. Koschmann, Victor Julien, Constructing destiny: Royama Masamichi and Asian regionalism in wartime Japan, in: Saaler/ Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 188. 1916 Dies sei zunächst, dass die asiatischen Staaten einen regionalen Zusammenschluss im Sinne einer Gemeinschaft bilden sollen. Zweitens müssten sich diese Staaten gegenseitig respektieren, da es noch keine kulturelle Homogenität gäbe. Ein regionaler Verbund, der Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie verbindet, müsse gegründet werden. Weiterhin solle diese Gemeinschaft „kooperativ“ und nicht „imperialistisch“ sein. Zuletzt dürfe die Gemeinschaft kein rein ökonomischer Block sein, da dies eine ausschließlich passive, temporäre
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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ab und plädierte für eine gemeinsame Entwicklung und eine gemeinsame Interessenverwirklichung in einer Schicksalsgemeinschaft (jap. unmei kyodai).1917 Die Friedenssicherung für Ostasien sah Royama als Erfolgsfaktor für eine solche Gesellschaft an.1918 Royama wies in diesem Kontext darauf hin, dass die verschiedenen Völker einem gemeinsamen „Raumschicksal“ unterlegen seien.1919 Royama sah also den Regionalismus als die Evolutionsstufe des Nationalismus an und propagierte die Notwendigkeit der Überwindung des Nationalismus in Asien inklusive in Japan.1920 Der Nationalismus, so Royama, war sogar ein Grund, warum der „Ferne Osten“ in seiner Entwicklung langsamer war als der Rest der Welt.1921 Der zweite sino-japanische Krieg wurde von Royama in diesem Kontext als „Erwachen von Asien“ verstanden, das durch die militärischen, politischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten von Japan angestoßen wurde.1922 Japans Expansionismus verteidigte er damit als eine Entwicklung des japanischen Nationalismus in eine angeblich „kooperative Form des Regionalismus“1923 und grenzte diesen vom europäischen Imperialismus ab.1924 bb) Die Kyoto-Schule und die Neue Ostasiatische Ordnung Die Kyoto-Schule bezeichnet eine philosophische Schule, die in der Imperialen Universität Kyoto während der Professur von Nishida Kitaro, also zwischen 1910 und 1928, entstand.1925 Während die Definition des Mitgliederkreises der KyotoVerbindung darstelle. Vgl. Koschmann, Victor Julien, Constructing destiny: Royama Masamichi and Asian regionalism in wartime Japan, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 190. 1917 Koschmann, Victor Julien, Constructing destiny: Royama Masamichi and Asian regionalism in wartime Japan, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 189; Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 175. 1918 Royama, Foreign Policy (Fn. 1911), S. 173. 1919 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 171; Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 221; Kamino, Tomoya, The Twenty Years’ Crisis, 1919 – 1939: An introduction of the Study of International Relations in Japan, in: Shimizu/Ikeda/Kamino/Shiro, Japanese IR (Fn. 1901), S. 38. 1920 Koschmann, Victor Julien, Constructing destiny: Royama Masamichi and Asian regionalism in wartime Japan, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 194. 1921 Han, Jung Sun, Royama Masamichi and the „Principles of an east Asian Cooperative Community“, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism II (Fn. 1857), S. 176. 1922 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 218 – 222. 1923 Den Konflikt zwischen Japan und China wollte Royama dadurch lösen, indem er die Kooperation der beiden Staaten betonte. Vgl. Royama, Foreign Policy (Fn. 1911), S. 171. 1924 Koschmann, Victor Julien, Constructing destiny: Royama Masamichi and Asian regionalism in wartime Japan, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 195. 1925 Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 3; Arisaka, Yoko, The Nishida Enigma The Principle of the New World Order (1943), in: Monumenta Nipponica 51 (1996), S. 1 – 21 (4).
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Schule höchst unterschiedlich ausfällt,1926 ist unstrittig, dass Nishida Kitaro im Mittelpunkt steht.1927 Obwohl innerhalb der Kyoto-Schule inhaltlich stark unterschiedliche Positionen vertreten wurden, gibt es einige Gemeinsamkeiten, wie etwa die kritische Auseinandersetzung mit der östlichen und der westlichen Philosophie, insbesondere der westlichen Konzeption der Moderne.1928 Die kritische Auseinandersetzung mit der Moderne brachte auch die Diskussion über deren Überwindung. Die Überwindung der Moderne führte letztlich zur Befürwortung einer ostasiatischen, genauer japanischen, Hegemonie.1929 Weiterhin existiert in der Kyoto-Schule eine Gemeinsamkeit, dass die Religiosität, insbesondere buddhistische Ideen, als Alternative zur konventionellen Philosophie gesehen wurden.1930 Politisch gesehen engagierten sich Vertreter der Kyoto-Schule insbesondere gegen das militaristische Regime von Tojo Hideki. So unterstützten sie den Premierminister Konoe Fumimaro, indem sie der , Showa Kenkyukai)1931 beitraten. Showa Forschungsgemeinschaft (jap. Letztlich setzten sich die Vertreter der Kyoto-Schule allesamt mit der politischen Situation Japans auseinander und vertraten die Notwendigkeit einer „neuen Weltordnung“ für den Osten.1932 Diese politischen Ideen der Kyoto-Schule werden insbesondere im Hinblick auf ihre Beziehung zum japanischen Militarismus höchst unterschiedlich bewertet.1933 1926 Beispielsweise wird der von Karl Haushofer geprägte Komaki Saneshige (1889 – 1990) nicht durchgängig als Mitglied der Kyoto-Schule genannt. Saneshige hatte den Anspruch, eine japanische Geopolitik zu etablieren, und wollte dabei die Kokutai-Ideologie mit der Geopolitik verbinden. Dabei verstand er das Ziel der japanischen Geopolitik als Harmonie zwischen den Völkern und behauptete dabei, dass es in der deutschen Geopolitik ausschließlich um Macht und Gewalt gehe. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass er 1942 die „Großostasiatische Wohlstandssphäre“ als Verwirklichung geopolitischer Ideen verstand. Um die Entwicklung der japanischen Geopolitik voranzutreiben, gründete Komaki 1937/1938 die „Yoshida no Kai (Yoshida-Gruppe)“, eine Forschergruppe, die die japanische Kokutai-Ideologie in die geopolitische Theorie einzugliedern versuchte. Die Forschergruppe konnte durch die Gründung des „Instituts für den totalen Krieg“ am 30. 09. 1940, einer Einrichtung, die dem Kabinett unterstellt war, direkten Einfluss auf die japanische Politik nehmen. Vgl. Spang, Haushofer und Japan (Fn. 1839), S. 661 – 711; Spang, Christian, Karl Haushofer re-examined, in: Spang/Wippich (Hrsg.), Japanese-German Relations (Fn. 105), S. 147. 1927 Heisig, James/Kasulis, Thomas/Maraldo, John (Hrsg.), Japanese philosophy: a sourcebook, 2011, S. 639. 1928 Heisig/Kasulis/Maraldo (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1927), S. 640 – 641. 1929 Heisig/Kasulis/Maraldo (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1927), S. 641. 1930 Heisig/Kasulis/Maraldo (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1927), S. 642 – 643. 1931 Die Showa Kenkyukai war ein zentraler Ideologieapparat von Konoe. Er versuchte darin verschiedene nationalistische Strömungen in eine kohärente Ideologie zu formen. So: Martin, Bernd, The Politics of Expansion of the Japanese Empire: Imperialism or Pan-Asiatic Mission?, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 72. 1932 Heisig/Kasulis/Maraldo (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1927), S. 641. 1933 Heisig/Kasulis/Maraldo (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1927), S. 642. So reicht die Spanne zwischen der Kritik, dass eine aktive philosophische Propagierung der japanischen Expansionspolitik stattgefunden habe über den Vorwurf einer zumindest latenten Zustimmung bis hin
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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(1) Nishida Kitaro Nishida Kitaro ist der erste Philosoph der Kyoto-Schule. Seine politische Philosophie wird von einigen als faschistisch eingestuft, da seine Schriften den japanischen Imperialismus zu legitimieren scheinen, andere wiederum sehen in ihm einen Liberalen, der versuchte, durch das Vokabular der Ultranationalisten, eine gemäßigtere Sichtweise kundzutun.1934 Diese Unklarheit brachte eine Zurückhaltung der Rezeption, die Philosophie von Nishida Kitaro in einem politischen Kontext zu sehen. Ausschließlich seine metaphysischen und religiösen Gedanken wurden zunächst aufgenommen.1935 Die Rezeption Nishidas ist mittlerweile von der Beschränkung abgewichen, dass die politische Philosophie von Nishida lediglich eine „Aberration“ seines Denkens sei.1936 Man sieht gerade in der politischen Philosophie Nishidas eine Realisierung seines Denkens.1937 Nishidas politisches Bekenntnis ist der kulturnationalistische Tennoismus, dem er eine inhaltlich-begriffliche und wissenschaftliche Grundlage zu geben versucht.1938 Die Periode des japanischen Kaiserreiches (1868 – 1945) war eine Zeit, in der eine Stellungnahme zur offiziellen Kokutai-Ideologie notwendig war.1939 Nishida hatte zwar in seinen Tagebüchern wenig Interesse an Politik offenbart, es ist jedoch auch erkennbar, dass sein anfänglicher Enthusiasmus gegenüber den politischen Entwicklungen um 1880 und seine Enttäuschung über die stark militaristische Atmosphäre in Japan in der Folgezeit sein Interesse am Zen-Buddhismus geweckt haben.1940 Nishidas Erkenntnisphilosophie ist in einem solchen Kontext zu sehen.1941 Nishidas Philosophie ist den Zen-Buddhismus, aber auch durch die westliche Philosophie geprägt.1942 Insbesondere Fichte, Hegel und Kant spielten in der Philosophie von Nishida einen entscheidenden Einfluss.1943 Für Nishida ist es weder zur Apologie der Kyoto-Schule. Vgl. Lange, Elena Louisa, Die Überwindung des SubjektsNishida Kitaros (1870 – 1945) Weg zur Ideologie, 2011, S. 220. 1934 Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 3 – 4; Michiko, Yusa, Nishida and Totalitarianism, in: Heisig, James/Maraldo, John (Hrsg.), Rude awakenings: Zen, the Kyoto school, & the question of nationalism, 1994, S. 107. 1935 Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 4 – 5. 1936 Heisig, James, Philosophers of nothingness: An Essay on the Kyoto School, 2001, S. 6. 1937 Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 5; Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 232. 1938 Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 249. 1939 Lavelle, Nishida (Fn. 1711), S. 139 – 166 (139). 1940 Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 50; allerdings hat Nishida bereits 1918 betont, dass die Kokutai-Ideologie nun ein Symbol von großer Barmherzigkeit, Altruismus und Partnerschaft werden könne. Vgl. Michiko, Yusa, Nishida and Totalitarianism, in: Heisig/Maraldo (Hrsg.), Rude awakenings (Fn. 1934), S. 109. 1941 Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 51. 1942 Brüll, Lydia, Die japanische Philosophie: Eine Einführung, 1989, S. 156. 1943 Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (4).
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
möglich, dass es eine Außenwelt unabhängig von einem Bewusstsein gibt, noch, alles als eine Erscheinungsform des Geistes zu betrachten; die Trennung von Objekt und Subjekt ist also nicht möglich.1944 Die Philosophie darf also nicht in den Bereich der Erfahrung überschreiten, sondern ihr Ansatz liegt gerade in der reinen1945 Erfahrung1946 selbst.1947 Nishida entwickelt daraus über den Begriff des Selbstbewusstseins1948 die Logik des Ortes.1949 Für Nishida gibt es die natürliche Welt als die Welt der äußeren Erfahrung; die Bewusstseinswelt als die Welt der inneren Erfahrung und die intelligible Welt als die Welt der Ideen.1950 Jede dieser Gedankenwelten hat einen logischen Ort,1951 der jedoch dieser Welt ohne eine Selbstüberschreitung nicht zugänglich ist.1952 Der letzte Ort muss also dann die Dimension des Subjekts vollständig transzendieren und somit 1944
Brüll, Japanische Philosophie (Fn. 1942), S. 157. Die Reinheit der Erfahrung ist gleichzusetzen mit ihrer Unmittelbarkeit und bedeutet, dass ein Unterschied zwischen wahrnehmendem Subjekt und wahrgenommener Welt noch gar nicht existiert. Vgl. Pörtner, Peter/Heise, Jens, Die Philosophie Japans – Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 1995, S. 348; Brüll, Japanische Philosophie (Fn. 1942), S. 158; Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 22. 1946 Nishida hat deshalb in seinem Werk „Über das Gute“ den Begriff der Erfahrung eingeführt und spricht von der „reinen Erfahrung“ als Bedingung, dass damit Gegenstände überhaupt erst erfahrbar werden, und stellt somit das Subjekt hinter die Erfahrung. Vgl. Pörtner/ Heise, Philosophie Japans (Fn. 1945), S. 342 – 343; Brüll, Japanische Philosophie (Fn. 1942), S. 1578. Dabei handelt es sich nicht um eine Abhandlung über das gute Verhalten, sondern es geht um die Frage der Quintessenz der Wirklichkeit und des Lebens. Vgl. Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 11. 1947 Brüll, Japanische Philosophie (Fn. 1942), S. 157. 1948 Der Begriff des Selbstbewusstseins ist eine Möglichkeit der Selbstbestimmung und Freiheit in Nishidas System. Die Grundbedeutung des Wissens ist das In-sich-selbst-Spiegeln. Gleichzeitig ist das, was als Wissen gedacht werden kann, im strengen Sinne urteilendes Wissen. Im Wesen des Urteils liegt, dass ein besonderes Subjekt unter ein allgemeines Prädikat subsumiert wird. Aus diesem Zusammenschluss der Urteilsformen geht die Logik des Ortes hervor. Insofern ist der Logik des Ortes eine Art Erkenntnistheorie. Anstatt vom SubjektObjekt-Gegensatz auszugehen geht Nishida vom Selbstbewusstsein aus. So: Ueyama, Shunpei, Japanische Denker im 20. Jahrhundert (Übersetzt aus dem japanischen von u. a. Michael, Burtscher), 1998, S. 157; Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 72. 1949 Die Logik des Ortes, der im Sammelband „Vom Wirkenden zum Sehenden“ (jap. Hataraku mono kara miru mono e, 1926) erschien, wird als Wende zu einem asiatischen Denken verstanden. Die Ortslogik dient dazu, die Problematik der Subjekt-Objekt-Einheit in den Begriff des „Nichts“ zu verlagern. Vgl. Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 71,99. Ueyama bezeichnet die Einführung des Selbstbewusstseins als Wechsel vom psychologischen Ausdruck des religiösen Standpunktes zu dessen logischem Ausdruck. So: Ueyama, Japanische Denker (Fn. 1948), S. 156. 1950 Brüll, Japanische Philosophie (Fn. 1942), S. 162; Ueyama, Japanische Denker (Fn. 1948), S. 158. 1951 Die Philosophie von Nishida ist also räumlich konzipiert, da das Denken die ursprüngliche Ortsbindung nur auslegen, nicht jedoch aufheben kann. Vgl. Pörtner/Heise, Philosophie Japans (Fn. 1945), S. 344. 1952 Pörtner/Heise, Philosophie Japans (Fn. 1945), S. 352 – 353. 1945
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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sich selbst enthalten und kann jedoch nicht zum Subjekt einer Aussage werden.1953 Diese letzte Stufe der Transzendenz ist selbst ein Ort, der nicht begriffen werden kann und somit ein „Nichts“; zugleich aber ermöglicht dieses „Nichts“ alles, was „ist“.1954 Der Grundbegriff der Philosophie von Nishida ist also das „absolute1955 Nichts“.1956 Nishidas politische Philosophie zeigt sich in einer Wende zwischen 1931 und 1932, in der seine Selbstbewusstseinsphilosophie vom „Inneren“ auf das „Äußere“ übertragen wird.1957 Die Ortslogik wird nun in die shintoistische Staatsdoktrin integriert und konkretisiert. So wird etwa der Tenno mit allen öffentlichen und privaten Aspekten des japanischen Lebens gleichgestellt und als „öffentlicher Ort“ dargestellt.1958 1937 war Nishida Berater der Showa Kenkyukai und arbeitete mit Premierminister Konoe Fumimaro zusammen, der das ultranationalistische Militär zu begrenzen versuchte.1959 (2) Miki Kiyoshi , 1897 – 1945) war eine der Schlüsselfiguren der Neuen Miki Kiyoshi (jap. Ostasiatischen Ordnung,1960 aber lediglich eine Randfigur in der Kyoto-Schule.1961 Miki Kiyoshi wurde 1897 geboren und studierte in Kyoto unter Nishida Kitaro1962 und später in Marburg unter Martin Heidegger1963 sowie unter Hans-Georg Gadamer.1964 1953
Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 108. Pörtner/Heise, Philosophie Japans (Fn. 1945), S. 353 – 354. 1955 Dieses „absolute Nichts“ ist kein negatives Nichts, als Gegensatz zum Sein, da selbst das Negative negiert werden soll. Dies bedeutet, dass Nishida, wie schon der Mahayana Buddhismus, „die Erscheinung zugleich als Leere und die Leere zugleich als Erscheinung“ begriffen hat und somit alles als voneinander abhängig begriffen hat. Vgl. Ohashi, Ryosuke (Hrsg.), Die Philosophie der Kyoto-Schule, 2. Auflage, 2011, S. 26. 1956 Das „absolute Nichts“ entstammt zwar aus dem Buddhistischen, ist jedoch ein Problem, das die westliche Philosophie, die sich auch selbst als eine Philosophie des Sein-Begriffs sieht, bereits angesprochen hatte. Vgl. Ohashi (Hrsg.), Kyoto-Schule (Fn. 1955), S. 23 – 24. 1957 Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 172 – 173. 1958 Lange, Nishida (Fn. 1933),S. 178. 1959 Lavelle, Nishida (Fn. 1711), S. 139 – 166 (144); Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (4); Yusa, Michiko, Nishida and the Question of Nationalism in: Monumenta Nipponica 46:2 (1991), S. 203 – 210 (205). 1960 Die Verkündung der Neuen Ostasiatischen Ordnung wurde weitgehend von der Showa Kenkyukai, insbesondere von Miki Kiyoshi, beeinflusst. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 166; Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 203. 1961 Dies ist insbesondere der Fall, wenn man diese als einen Kreis von Philosophen um Nishida Kitaro versteht. Vgl. Ohashi (Hrsg.), Kyoto-Schule (Fn. 1955), S. 13 – 14. 1962 Townsend, Susan, Miki Kiyoshi 1897 – 1945: Japan’s Itinerant Philosopher, 2009, S. 90 – 91; Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 153. 1963 Politisch jedoch unterstützte er Heidegger nicht und kritisierte seine Mitgliedschaft in der NSDAP. Vgl. Townsend, Miki Kiyoshi (Fn. 1962), S. 184. Vielmehr stand Miki politisch 1954
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Miki wurde Mitglied der Showa Kenkyukai und arbeitete an dem 1939 unter dem Namen dieser Vereinigung erschienenen Pamphlet1965 „Die Prinzipien der Gedanken über das neue Japan“.1966 Diese Schrift und die darin enthaltene Idee, dass Japan eine weltgeschichtliche Mission zu erfüllen habe, wurde auch in der Rede von Konoe Fumimaro übernommen.1967 Somit gelang es ihm, einer der Architekten der Staatspolitik in der Folgezeit zu werden, auch wenn seine Vision nach einem Kosmopolitismus letztlich in einen imperialistischen Expansionismus mündete.1968 In den „Prinzipien der Gedanken über das neue Japan (Shin Nihon no shiso genri)“ propagiert Miki eine innere Reform (insbesondere eine Überwindung des in den asiatischen Kulturen inhärent existierenden Feudalismus), die zu einer Renaissance von Ostasien und zu einem Vereinten Asien führen soll.1969 Gleichzeitig verstand Miki dies auch als eine Kritik der – für ihn zu abstrakten und atomistischen – Konzeption Kants „Zum Ewigen Frieden“1970 und als einen Versuch, eine authentische Form darzulegen, die er als „Kooperationismus (Kyodoshugi)“ bezeichnete.1971 Die ostasiatische Kooperation sollte nach Miki den Nationalismus der Staaten überwinden, indem die kleinen Nationen in eine größere Gemeinschaft „transzendieren“. Gleichzeitig soll jedoch die Nation innerhalb der „Kooperationsgemeinschaft“ erkennbar sein.1972 Somit zeigt sich ein inhärenter Widerspruch von Miki, da gesehen links. Nach seiner Rückkehr nach Japan interessierte er sich für kommunistischen Ideen und wurde sogar, nachdem er Professor an der Hosei Universität geworden war, verhaftet. Vgl. Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 153; Heisig/Kasulis/Maraldo (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1927), S. 702. 1964 Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 153; Townsend, Miki Kiyoshi (Fn. 1962), S. 128; Heisig/Kasulis/Maraldo (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1927), S. 702. 1965 Ausgangspunkt dieses Pamphlets war der Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke und die dadurch intensivierte Krise zwischen Japan und China. Vgl. Townsend, Miki Kiyoshi (Fn. 1962), S. 224 – 225. 1966 Townsend, Miki Kiyoshi (Fn. 1962), S. 223. 1967 Townsend, Miki Kiyoshi (Fn. 1962), S. 232. 1968 Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 153. 1969 Townsend, Miki Kiyoshi (Fn. 1962), S. 227 – 228. 1970 Nach Miki ist nämlich in diesem Kant’schen Werk eine Aufgabe an die Staatenwelt formuliert, die eine ethische Vorgabe außerhalb der historischen Perspektive betrachtet. Vgl. Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 154. 1971 Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 154 – 156. 1972 Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 157.
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er einerseits den Nationalismus zu überwinden versucht, gleichzeitig aber die Partikularität durch den Nationalismus bewahrt werden soll.1973 Der Widerspruch wird deutlicher, weil eine Nation, nämlich Japan, die Führungsrolle innerhalb dieser „Ostasiatischen Kooperationsgemeinschaft“ übernehmen soll.1974 Die Kooperation der ostasiatischen Staaten verstand Miki als eine Mischung von Aspekten der westlichen „Gesellschaft“, die durch Rationalismus und Verträge charakterisiert werden könne,1975 und der asiatischen „Gemeinschaft“, die durch Verbundenheit und Tradition bestimmt seien.1976 Miki Kiyoshi hielt also eine zweifache ostasiatische Selbstentwicklung für notwendig, nämlich einmal die Modernisierung, um das Niveau der westlichen Kultur zu erreichen, und einmal die Überwindung gerade dieser westlichen Kultur.1977 In diesem Sinne sieht es Miki auch als Aufgabe Japans, eine „Selbstentwicklung“ zu erreichen, um insbesondere den eigenen Nationalismus zu überwinden.1978 Miki betont, dass Japan keine imperialistische Invasion betreiben soll, da ansonsten Japan als bloßer Ersatz der westlichen Mächte gesehen würde.1979 Gleichzeitig sah er aber auch einen „natürlichen Anspruch“ Japans,1980 die Führungsrolle in der Region zu übernehmen.1981 Miki kritisierte dabei auch China, da es wegen der Forderung an mehr Freiheit übersehe, dass die Errichtung der „ostasiatischen Kooperationsgemeinschaft“ der einzige Weg sei, die Freiheit zu erlangen.1982
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Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 156. 1974 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 167. 1975 In dieser Umschreibung zeigt sich die Kritik am „Westlichen“, also dem „Liberalismus, Individualismus und Rationalismus“. Vgl. Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 154. 1976 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 168; Townsend, Miki Kiyoshi (Fn. 1962), S. 227. 1977 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 176. 1978 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 176 – 177. 1979 Townsend, Miki Kiyoshi (Fn. 1962), S. 228. Miki betonte, dass es notwendig sei, nicht nur die Welt aus dem Blickwinkel Japans zu sehen, sondern auch Japan aus dem Blickwinkel der Welt. Vgl. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 221 Fn. 39. 1980 Als Rechtfertigung führte Miki an, dass die japanische Kultur sich – anders als die westliche oder auch die chinesische Kultur – seit jeher als eine Kultur der „Inklusion“ verstanden habe. Vgl. Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 159. 1981 Townsend, Miki Kiyoshi (Fn. 1962), S. 231 – 232. 1982 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 177 – 176.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Die Errichtung einer „neuen Kultur“ durch die Auflösung des China-JapanKonfliktes verstand er als Aufgabe mit weltgeschichtlicher Bedeutung,1983 weil er darin die Lösung der Probleme des Kapitalismus einerseits und der Vereinigung von Ostasien andererseits erblickte.1984 Die westliche Kreation des Nationalismus galt es zu überwinden. Dafür war es notwendig, den japanischen Nationalismus sowie den chinesischen Nationalismus durch eine höhere Kultur1985 zu ersetzen.1986 c) Die Diskussion um die „Neue Ostasiatische Ordnung“ Im Rahmen des panasiatischen Diskurses spielte die Neue Ostasiatische Ordnung nach ihrer Verkündung eine große Rolle. Der Inhalt der Neuen Ostasiatischen Ordnung wurde in der Folgezeit von verschiedensten Seiten interpretiert. Die Strömungen lassen sich in die „Theorie des imperialistischen Asiens“, die „Theorie des japanisch-mandschurisch-chinesischen Wirtschaftsblocks“, die „Theorie der ostasiatischen Kooperation“ sowie die „Theorie des ostasiatischen Bündnisses“ einteilen.1987 Die ersten zwei Strömungen sind ultranationalistische Interpretationen, während die letzteren zwei panasiatische Lesarten der Neuen Ostasiatischen Ordnung sind. Letztlich kristallisierten sich die panasiatischen Interpretationen als Hauptströmungen heraus.1988
1983 Diese „Weltgeschichtliche Sichtweise“ übernahm Miki zweifellos von Hegel. Vgl. Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 158. 1984 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 176. 1985 Miki ging sogar so weit, in seiner Theorie eine Grundlage für eine neue Weltordnung zu sehen, nämlich über die Grenzen Asien hinaus. Ein reiner Panasianismus war für Miki zu introvertiert und geschlossen. Vgl. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 221. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 170. 1986 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 177. 1987 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 171. 1988 Die ostasiatische Kooperationstheorie wurde insbesondere von Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten vertreten, während hingegen die ostasiatische Bündnistheorie vom Militär gestützt wurde. Vgl. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 202, 212; Yun, Kiyeop, Die Großostasiatische Wohlstandssphäre und die theoretische Unterstützung durch die KyotoSchule – Bis zur Berufung auf den Hwaom Buddhismus (koreanisch: , 48 ), Wissenschaftliche Zeitschrift des Buddhismus Band 48, 2008, S. 243 – 265 (247).
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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aa) Die ultranationalistische Interpretation Die von Kanokogi Kazunobu (1884 – 1949)1989 maßgeblich vertretene „Theorie des imperialistischen Asiens (Sumera Ajia)“ interpretierte die „Neue Ostasiatische Ordnung“ als Erweiterung des japanischen Kaiserreiches unter dem japanischen Kaiser.1990 Die Legitimation sah Kanokogi dabei einerseits in der Tugendhaftigkeit des japanischen Kaisers und seiner Herrschaft im Vergleich zum materialistischen Westen und andererseits im politischen, wirtschaftlichen und militärischen Erfolg, den Japan durch seine ungebrochene Dynastie erreicht habe.1991 Kanokogis Hauptwerk Sumera Ajia (1937) wurde stark von Karl Haushofer geprägt,1992 da er einen asiatischen Block herbeisehnte, der gegen die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten sowie gegen das Britische Reich bestehen könne.1993 Die „Theorie des japanischmandschurisch-chinesischen Wirtschaftsblocks“, die unter anderem durch den Wirtschaftswissenschaftler Seichi Kojima vertreten wurde, zielte hingegen auf die wirtschaftliche Autarkie des japanischen Blocks hin und entsprach im Kern auch der „Theorie des imperialistischen Asiens“.1994 bb) Die panasiatische Interpretation Die „Theorie der ostasiatischen Kooperation“ sowie die „Theorie des ostasiatischen Bündnisses“ standen diesen Ansichten entgegen. Maßgeblich unterschieden sich diese Theorien von den ultranationalistischen Theorien dadurch, dass eine reine japanische bzw. imperialistische Vereinigung von Japan kritisiert und eine Gemeinsamkeit mit Asien gesucht wurde. Weiterhin wurde der kapitalistische Ansatz als „Wirtschaftsblock“ abgelehnt und eine Vision als „neues globales Prinzip“
1989 Kanokogi studierte in Deutschland unter Rudolf Eucken. Er blieb auch nach seinem ersten Deutschlandaufenthalt weiterhin in Kontakt mit Deutschland und wurde in den 1920ern von Karl Haushofer beeinflusst. Auch der Erfolg der NSDAP inspirierte ihn zur Gründung einer Partei nach dem NSDAP-Modell, die „Aikoku Kinroto“. Vgl. Szpilman, Christopher, Kanokogi Kazunobu: „Imperial Asia“, 1937, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism II (Fn. 1857), S. 149 – 150. 1990 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 171. 1991 Szpilman, Christopher, Kanokogi Kazunobu: „Imperial Asia“, 1937, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism II (Fn. 1857), S. 151 – 152. 1992 Kanokogi war kein Geopolitiker im engeren Sinne, jedoch an Haushofers Arbeiten interessiert. Kanokogi lobt etwa Ratzel und Haushofer in seinem Werk „Der Geist Japans“ ausdrücklich. Vgl. Kanokogi, Kazuo, Der Geist Japans, 1930, S. 36. Er war 1927 – 1929 Leiter des Kuratoriums des Berliner Japan-Instituts und es ist davon auszugehen, dass Haushofer und Kanokogi sich sogar persönlich kannten. Vgl. Spang, Haushofer und Japan (Fn. 1839), S. 515. 1993 Szpilman, Christopher, Kanokogi Kazunobu: „Imperial Asia“, 1937, in: Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism II (Fn. 1857), S. 151. 1994 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 171.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
herbeigesehnt.1995 Die „Theorie der ostasiatischen Kooperation“ wiederum wurde meist von westlich orientierten Eliten wie Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten vertreten, die „Theorie des ostasiatischen Bündnisses“ hingegen meist von Offizieren sowie von Beamten, die in der Mandschurei stationiert waren.1996 (1) Die Theorie der ostasiatischen Kooperation Die Theorie der ostasiatischen Kooperation (Toa Kyodotai) wurde insbesondere von der Showa Kenkyukai, der Denkfabrik der Konoe Regierung,1997 vertreten.1998 Die bekanntesten Vertreter sind Royama Masamichi,1999 Miki Kiyoshi2000 sowie , 1901 – 1944).2001 Die Verkündung der „Neuen Ozaki Hotsumi (jap. Ostasiatischen Ordnung“ war Höhepunkt des Einflusses der Showa Kenkyukai auf Konoe.2002 Die Showa Kenkyukai brachte den „Meishuron-Panasianismus“ einen Anstrich „intellektueller und moralischer Überlegenheit“, auch wenn sich deren Inhalt letztlich auf die Rechtfertigung des Expansionismus Japans auf chinesisches Territorium reduzieren lässt.2003 Anstatt von konfuzianischen Vokabeln wurden zunehmend westliche, insbesondere deutsche, Gedanken übertragen, um den japanozentrischen Panasianismus zu rechtfertigen.2004 Verkürzt lässt sich die Position der Vertreter der „Theorie der ostasiatischen Kooperation“ wie folgt darstellen: Es wurde eine Vereinigung Asiens unter dem reinen Japanismus oder Tennoismus abgelehnt und versucht, Gemeinsamkeiten in 1995 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 172 – 173. 1996 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 212. 1997 Die Mitglieder der Showa Kenkyukai waren zwar politisch gesehen weder inhärent links noch rechts, hatten aber einen generellen Glauben, dass Japan sich in einer historischen Aufgabenstellung befand, die Führerschaft zu übernehmen, um eine generelle Harmonie zu schaffen. Eine klare Einflussnahme auf die Showa-Kenkyukai erfolgte jedoch durch die deutschen „Pan-Germanisten“, die ebenfalls den „korrumpierten Liberalismus“ der alten westlichen Staaten kritisierten und das deutsche Volk in moralischer Hinsicht als überlegen verstanden. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 164 – 165, 169. 1998 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 173; Yun, Kyoto-Schule (Fn. 1988), S. 243 – 265 (247); Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 202 – 203; Hotta, PanAsianism (Fn. 1545), S. 164. 1999 Royama Masamichi war einer der ersten, die die Nützlichkeit der Geopolitik für die Situation in der Mandschurei hervorhoben. Vgl. Kimitada, Miwa, Pan-Asianism in modern Japan, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 29 – 30. 2000 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 176. 2001 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 209; Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 174. 2002 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 166. 2003 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 172. 2004 Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 169.
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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der asiatischen Kultur zu finden. Insofern wurde der chinesische Nationalismus vom Grunde her akzeptiert. Ein vollkommenes Ignorieren der aufkommenden nationalistischen Strömung in China war jedoch unmöglich, sodass gesagt wurde, die Kooperation könne jedoch nicht über ein Bündnis hinausgehen und die Völker und Staaten sollten ihre Eigenheit und Unabhängigkeit behalten.2005 Diese Kooperation war in erster Linie2006 eine Kooperation zwischen Japan, China und der Mandschurei.2007 Die Frage, ob der wirtschaftliche oder der kulturelle Aspekt einer ostasiatischen Kooperation wichtiger sei, war ein zentraler Streitpunkt.2008 Allerdings verstanden die Vertreter dieser Theorie den Nationalismus der Chinesen sowie der Japaner als temporäres Phänomen und vertraten, dass dieser Nationalismus einer höheren gesamtasiatischen Kooperation zu weichen habe.2009 Die Theorie der Ostasiatischen Kooperation war also eine Reaktion gegen den aufkommenden chinesischen Nationalismus, der die Verkündung der Neuen Ostasiatischen Ordnung durch Japan entgegenstand. Aber auch dem japanischen Nationalismus stand man kritisch gegenüber und verlangte eine Entwicklung hin zu einer Kultur, die von allen asiatischen Völkern akzeptiert werden könnte.2010 Insofern sah man in der gemeinsamen asiatischen Kooperation ein neues welthistorisches Prinzip.2011 Die Theorie der ostasiatischen Kooperation baut auf der bereits existierenden Tradition des sinischen Panasianismus auf und betont die Wichtigkeit einer Kooperation zwischen China und Japan. Es wird an die Asiaten appelliert, dass man gemeinsam kooperieren solle, um den fremden westlichen Mächten in der Region Einhalt zu gebieten. Gleichzeitig ist die Struktur der ostasiatischen Kooperation, gerade aufgrund der vorgesehenen Führerschaft Japans, hierarchisch. Auch wenn der Ton im Vergleich zu den sonstigen ultranationalistischen Vertretern dieser Zeit 2005
Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 216. Bezüglich der koreanischen Kolonie wurde vertreten, dass durch die Annexion bereits das Problem einer Nationenbildung geregelt wurde. Gegenüber der koreanischen Kolonie galt weiterhin die Assimilierungspolitik. Vgl. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 213 – 218. 2007 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 216. 2008 Während Miki Kiyoshi die kulturelle Kooperation betonte, war Royama Masamichi ein streng wirtschaftlich orientierter, rationaler Vertreter der „Theorie der ostasiatischen Kooperation“. Die Idee eines rein wirtschaftlichen Blocks wurde jedenfalls von allen abgelehnt. Vgl. Koschmann, Victor Julien, Constructing destiny: Royama Masamichi and Asian regionalism in wartime Japan, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 185; Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 174. 2009 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 215; Koschmann, Victor Julien, Constructing destiny: Royama Masamichi and Asian regionalism in wartime Japan, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 194. 2010 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 177. 2011 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 173. 2006
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
moderater ist, war der Führungsanspruch Japans klar formuliert. Insgesamt erinnert die Theorie der ostasiatischen Kooperation also auch stark an die Schmitt’sche Großraumtheorie bzw. an die Struktur der sinozentrischen Ordnung; wobei nun Japan und nicht China das Zentrum dieses Raumes bilden soll. (2) Die Theorie des ostasiatischen Bündnisses ) Die Theorie des ostasiatischen Bündnisses (jap. Toa Renmeiron, hingegen wurde von dem General der Kaiserlich Japanischen Armee Ishiwara Kanji vertreten, der auch der Initiator der Mandschurei-Krise war.2012 Im Vergleich zur Theorie der ostasiatischen Kooperation, in der eine Vielzahl verschiedener Strömungen existierte, hatten die Vertreter dieser Theorie eine einheitliche Organisation mit Ishiwara im Zentrum.2013 Ishiwaras Idee des ostasiatischen Bündnisses war ein Konzept, das die gemeinsame Verteidigung, die wirtschaftliche Integration und die politische Unabhängigkeit vorsah.2014 Das ostasiatische Bündnis sollte eine Föderation gleicher Staaten sein, die die Unterdrückung durch westliche Staaten beenden und nach dem Prinzip der Harmonie und der Kooperation, also dem (konfuzianistischen) „tugendhaften Weg“, geführt werden sollte.2015 Den Vorwurf, dass Japan dadurch die Gleichheit der Staaten ignoriere und einen Führungsanspruch Japans einführe, begegnete Ishiwara dadurch, dass er den japanischen Kaiser als „Führer (Meishu)“ der asiatischen Bevölkerung sah, Japan selbst jedoch nicht.2016 Damit knüpfte Ishiwara an das sinozentrische Weltbild an, das den chinesischen Kaiser, also den „Sohn des Himmels“, in den Mittelpunkt stellte, nicht jedoch zwingend den jeweiligen chinesischen Staat. Gleichzeitig versuchte er damit, auch die Kritiken der japanischen Nationalisten einzudämmen, die in seinem Konzept nichts anderes sahen als einen weiteren Völkerbund.2017 Die Idee des ostasiatischen Bündnisses vereint somit Elemente, die in Japan eine gewisse Tradition hatten. Japan wurde als der Vereiniger Asiens gegen den gemeinsamen Feind Asiens, den Westen, dargestellt, wobei Ishiwara auch anmahnte, dass Japan eine moralische Erneuerung erfahren müsse, um diese Rolle ausüben zu können.2018 2012 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 209; Yun, Kyoto-Schule (Fn. 1988), S. 243 – 265 (247). 2013 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 212. 2014 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 318 – 319. 2015 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 320. 2016 Insofern sind nach Peattie Parallelen zum britischen Commonwealth erkennbar. Vgl. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 321. Allerdings erscheinen die Ähnlichkeiten zur sinozentrischen Ordnung größer, da auch in dieser Ordnung der chinesische Kaiser als Sohn des Himmels über „alles unter dem Himmel“ regierte und nicht nur über China. Vgl. Brown, Roger, Visions of a virtuous manifest destiny, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 143. 2017 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 322. 2018 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 332 – 333.
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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Der Ausgangspunkt der Theorie des ostasiatischen Bündnisses war das Problem, dass Japan zu einem Vielvölkerstaat geworden war und somit das Völkerproblem grundsätzlich gelöst werden musste.2019 Die Hauptaussage der Vertreter dieser Theorie war, dass die asiatischen Völker befreit werden sollen. Der Geist der Errichtung des Staates Mandschukuo sollte dabei als Basis für die Zusammenarbeit aller Völker in Ostasien dienen.2020 Zwar sei das Ideal für jedes Volk, einen Staat zu gründen. Aber in der Welt der internationalen Staatengemeinschaft sei dies für schwache Völker nicht möglich. Vielmehr sei es vorzugswürdig, ein großes Territorium als Staatsgebiet zu haben und sich mit so vielen Staaten wie möglich in einem Bündnis zusammenzuschließen.2021 Die Theorie des ostasiatischen Bündnisses sah vor, dass im Hinblick auf die Tendenz der Blockbildung in der Weltgeschichte auch in Asien eine Vereinheitlichung der Verteidigung und Wirtschaft erfolgen, jedoch die Politik unabhängig bleiben müsse.2022 Insofern werden geopolitische Ideen von Karl Haushofer herangezogen.2023 Mit Unabhängigkeit war gemeint, dass die ostasiatischen Völker aus ihrer Unabhängigkeit heraus ein Bündnis schließen sollten: Dies sei der „tugendhafte Weg“.2024 Der Fokus der Vertreter dieser Theorie lag also darin, was die beste Politik für die verschiedenen asiatischen Völker sei.2025 Sie appellierten dabei jedoch an die „freiwillige“ Assimilation der eroberten asiatischen Völker2026 in die japanische Kultur.2027 Auch die Vertreter der Theorie des ostasiatischen Bündnisses sahen die Welt als eine Dichotomie zwischen West und Ost und gingen sogar darüber hinaus. Sie 2019
Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 223. Yun, Kyoto-Schule (Fn. 1988), S. 243 – 265 (247). 2021 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 225. 2022 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 223; Yun, Kyoto-Schule (Fn. 1988), S. 243 – 265 (247). 2023 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 333. 2024 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 233. 2025 In den „Eckpunkten der Errichtung eines ostasiatischen Bündnisses (toa, renmei , 1940)“ wird das Problem der Selbstbestimmung der kensetsu yoko, jap. Völker angesprochen und gesagt, dass die Selbstbestimmung der Tendenz widerspräche, dass große Räume entweder von einem Staat oder einem Bündnis mehrerer Staaten beherrscht werden. Dadurch könne die Sicherheit nicht gewährleistet werden. Vgl. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 225. 2026 Bezüglich der Koreaner wurde in den „Eckpunkten der Errichtung eines ostasiatischen Bündnisses“ hervorgehoben, dass eine direkte Herrschaft durch Japan mit der tributären Beziehung mit den chinesischen Dynastien nicht vergleichbar und somit eine neue Drucksituation für das koreanische Volk gegeben sei. Trotz dieses „Verständnisses“ wurde die Unabhängigkeit der Politik, die für die anderen Völker zugesprochen wurde, für das bereits annektierte koreanische Volk nicht anerkannt. Vielmehr wurde vertreten, dass die Koreaner mittlerweile annektiert und ein Teil von Japan seien. Allerdings wurde die Assimilierungspolitik der japanischen Gouverneure in Korea stark kritisiert. Vgl. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 226 – 229. 2027 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 227. 2020
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
verstanden Asien als ebenbürtigen, wenn nicht sogar überlegenen Teil an. Die Verbindung der asiatischen Staaten sahen die Vertreter dieser Theorie insbesondere in dem „königlichen Weg“2028 Asiens.2029 Dieser königliche Weg war demnach keine Herrschaft oder Abhängigkeit, sondern eine eigenständige Vereinigung der ostasiatischen Völker.2030 Yasuoka Masahiro (1898 – 1983) und auch Ishiwara Kanji2031vertraten einen auf der konfuzianischen Tradition basierenden „kaiserlichen Weg“ für Asien,2032 in dem der japanische Kaiser, durch unermüdlich tugendhaftes Handeln, als wahrer Führer Asiens erscheinen sollte.2033 Im November 1939 wurde die „Gesellschaft für das ostasiatische Bündnis“ gegründet,2034 die die Vorbereitung des finalen Krieges durch positive und fortschrittliche Mittel zum Zwecke hatte und sich an das Prinzip des „tugendhaften Weges“ gebunden fühlte.2035 Ishiwara veröffentlichte deshalb 1940 auch einen Appell an die japanische Armee, dass diese die chinesische Zivilisation nicht misshandeln dürfe, um die Kooperation2036 der beiden Staaten nicht zu gefährden.2037 Diese Bemühungen, ein ostasiatisches Bündnis zu schaffen, wurden jedoch durch den Kriegsminister Tojo Hideki unterdrückt und auf Anraten von Tojo auch durch das 2028 ) und den Weg des Die Diskussion über den königlichen Weg (chin. Wangdao, ) entstammt der Philosophie von Menzius. Menzius sagte, dass der Despoten (chin. Badao, Despot mit Macht ein Reich beherrsche und ein großes Reich wolle, während der König mit Tugend ein Reich führe und ein großes Reich nicht anstrebe, sondern nur die wahre Loyalität des Volkes durch eine tugendhafte Führung. Vgl. Lee, Minhong, Menzius spricht über Politik (Koreanisch: , , ), 2013, S. 83 – 85. 2029 Der Begriff „königlicher Weg“ Asiens wurde vom chinesischen Revolutionär Sun Yatsen (1866 – 1925) im Jahre 1924 verwendet. Er sagte in der japanischen Stadt Kobe, dass Japan vor der Entscheidung stehe, entweder die Katzenpfote des europäischen „Weges des Despoten“ zu sein oder die Bastion des „königlichen Weges“ Asiens. Vgl. Brown, Roger, Visions of a virtuous manifest destiny, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 75. 2030 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 233. 2031 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 321. 2032 Die Bezeichnung als „kaiserlicher Weg“ brachte eine Debatte über die Frage, ob dieser „kaiserliche Weg“ strikt vom „königlichen Weg“, der teilweise als chinesisch und deshalb fremd angesehen wurde, getrennt werden müsse oder nicht. Vgl. Brown, Roger, Visions of a virtuous manifest destiny, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 142. 2033 Brown, Roger, Visions of a virtuous manifest destiny, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 143. 2034 Ishiwara Kanji war offiziell lediglich ein Berater der „Gesellschaft für das ostasiatische Bündnis“. Aber für das Militär sowie für die Allgemeinheit wurde diese Gesellschaft als ein Kind von Ishiwara gesehen, sodass die Gesellschaft im Jahre 1941 bis auf mehr als hunderttausend Mitglieder wuchs. Vgl. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 323. 2035 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 322 – 323. 2036 Die Kooperation mit China war für Ishiwara Kanji ein zentraler Punkt. Im September 1940 konnte sogar ein chinesischer Ableger der Gesellschaft in Canton eröffnet werden und im Februar 1941 ein Ableger in Nanjing mit Wang Jingwei als Vorsitzendem. Vgl. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 325. 2037 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 324.
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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Kabinett Konoe am 14. 01. 1941 verboten.2038 Ishiwara verkündete als Reaktion in einer Rede an der Kyoto Universität, dass Tojo Hideki und nicht China der Feind Japans sei. Am 01. 03. 1941 wurde er aus dem Militärdienst entlassen.2039 d) Fazit Die von Konoe Fumimaro verkündete „Neue Ordnung“ kann nicht einfach als ein Ausdruck eines imperialistischen Expansionismus gesehen werden. Vielmehr handelt es sich um eine Vermischung von Imperialismus und einer intellektuellen Bewegung in Japan, die den westlichen Imperialismus kritisierte. Allerdings ist der Meishuron-Panasianismus, der im Ergebnis von dieser kritischen Auseinandersetzung formuliert wurde, nichts anderes als ein Expansionismus geworden, der sich in der späteren Zeit zur „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ weiterentwickelte.2040 Auch die Besorgnis gegenüber dem aufkommenden Kommunismus spielte eine gewisse Rolle, wobei die japanischen Intellektuellen teilweise den Argumenten der Kommunisten folgten und Elemente des internationalen Kommunismus, wie etwa die „Erschaffung einer internationalen Gemeinschaft“ oder die „Lösung des Konfliktes zwischen den reichen Staaten und den armen Staaten“, aufnahmen und wiedergaben.2041 Obwohl die Verkündung der „Neuen Ordnung“ durch Konoe Fumimaro selber eher aus der Showa Kenkyukai stammt und somit die Vertreter der „Theorie der ostasiatischen Kooperation“ eine nähere Beziehung zur Entstehung dieser Erklärung haben, ist die Interpretation der Vertreter der „Theorie des ostasiatischen Bündnisses“ beachtlich, da diese von Ishiwara Kanji stammt, der durch die Initiierung des Mukden Zwischenfalles die Wende der japanischen Außenpolitik zu einem aggressiveren Expansionismus anstieß und diese eben durch Panasianismus rechtfertigte. Beide Interpretationsrichtungen der „Neuen Ostasiatische Ordnung“ weisen Parallelen zur Großraumtheorie auf. Zunächst richtet sich die „Neue Ostasiatische Ordnung“ nach den Vertretern beider Richtungen gegen „raumfremde Mächte“, nämlich gegen die westlichen Kolonialmächte, die seit dem 19. Jahrhundert Asien besetzt haben und somit als Feindbild dienen sollen. Durch die „Neue Ostasiatische Ordnung“ sollte die weitere Besetzung der Asiaten durch die westlichen Kolonialmächte aufhören, was letztlich der Formulierung eines Interventionsverbotes gleichkam. Der Raum der „Neuen Ostasiatischen Ordnung“ definierte sich zu diesem Zeitpunkt insbesondere durch China, Japan (inklusive der annektierten Gebiete Korea, Taiwan und den Ryukyu-Inseln) und Mandschukuo. Weiterhin existierte nach
2038 2039 2040 2041
Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 326 – 327. Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 330. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 176. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 309.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
beiden Interpretationen ein Führungsanspruch eines „Reiches“, nämlich der des Kaiserreiches Japan. Die Theorie der ostasiatischen Kooperation erscheint ein Modell zu sein, das mehr dem europäischen Völkerrechtsverständnis entstammt, da letztlich eine Art Kooperation auf der Basis von Verträgen zwischen (formell) gleichen asiatischen Staaten gefordert wird. In der Mitte dieser Kooperation ist freilich immer der japanische Staat, der eine faktische Führerrolle übernehmen soll. Im Großen und Ganzen bleibt jedoch der jeweilige Staat das Subjekt der Kooperation. Die Theorie des ostasiatischen Bündnisses hingegen stellt auf das Völkische und Kulturelle ab und vertritt ein Modell, das eher der sinozentrischen Ordnung näherkommt. In diesem Modell sollen sich die Völker unter dem japanischen Kaiser verbünden, der nicht nur über Japan, sondern auch über die restlichen Völker herrschen soll. Die Parallelen zur sinozentrischen Ordnung, in der der chinesische Kaiser zwar sein direktes Territorium, also China, hatte, aber trotzdem gleichzeitig auch der Herrscher über die restlichen Völker war, deren Könige ihm Tribut zollten und von ihm anerkannt werden mussten, sind klar zu erkennen. Egal, welcher Interpretation man nun folgt, im Ergebnis sollte die Neue Ostasiatische Ordnung eine japanische Version des konfuzianischen2042 tributären Systems werden.2043
3. Die Verkündung der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ Im August 1940 wurde, insbesondere im Kontext der Invasion Japans in Südostasien, von der japanischen Regierung der Slogan einer „Großostasiatischen )“2044 verkündet.2045 Der Wohlstandssphäre (Dai Toa Kyoeiken jap. Hintergrund der Verkündung im August 1940 war die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Japan und den USA und die Siege von Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Die Verkündung erfolgte jedoch nicht aus einem zwingend ideologischen 2042 Konoe zielte mit der Verkündung der „Neuen Ostasiatischen Ordnung“ gezielt auf die Unterscheidung der Herrschaft durch Macht (der sog. „untere Weg (Hado)“) und der Herrschaft durch Tugend (der sog. „königliche Weg (Oodo)“) und implizierte damit, dass Japan die historische Rolle von China übernehmen würde. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 204 – 205; eine Unterscheidung, die bereits zur Zeit der Gründung von Mandschukuo angestrengt wurde. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 117 – 118. 2043 Kimitada, Miwa, Pan-Asianism in modern Japan, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), PanAsianism (Fn. 1913), S. 29. 2044 Die Übersetzung des Wortes „Kyoei“ in Wohlstand ist eigentlich etwas verkürzt. Vielmehr ist von gemeinsamen Wohlstand die Rede. Im englischen ist deshalb von der „CoPropsperity Sphere“ die Rede. Das Konzept des gemeinsamen Wohlstandes ist dabei auch stark vom „Harmoniegedanken“ bestimmt, der bereits im Artikel 1 der antiken japanischen Verfassung enthalten ist. Vgl. Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 29. 2045 Die zwei Verkündungen werden oftmals in einem Kontext gesehen. Andere wiederum sehen in der ersten Verkündung eine „geschichtlich-idealistische“ Vorstellung und in der zweiten Verkündung eine „autoritäre und rationale Sichtweise“. Vgl. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 312 – 313.
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Hintergrund.2046 Die Großostasiatische Wohlstandssphäre konnte aufgrund der angespannten außenpolitischen Situation zwischen dem angloamerikanischen Block, den Achsenmächten sowie den kommunistischen Mächten verkündet werden.2047 Am 27. 09. 1940 wurde der Drei-Mächte-Pakt geschlossen, der feststellte, dass Japan die Führungsrolle im ostasiatischen Großraum übernehmen solle.2048 Anders als noch im Jahre 1938, als die Neue Ostasiatische Ordnung verkündet wurde, spielten nun geopolitische Aspekte stärker eine Rolle.2049 Es ging weniger um die Einheit der asiatischen Rasse unter einer neuen Ordnung, sondern eher um einen wirtschaftlichen und territorialen Zusammenschluss Asiens. Was freilich bestehen blieb, war der Anspruch Japans, die Führerrolle über Asien übernehmen zu wollen. Es war also eine Bestätigung der Großostasiatischen Wohlstandssphäre auf internationaler Ebene. a) Geschichtlicher Hintergrund Am 17. 07. 1940 wurde Konoe zum zweiten Male Premierminister und ernannte Matsuoka Yosuke, einen anti-amerikanischen Politiker, der gute Beziehungen zur Armee hatte,2050 als seinen Außenminister.2051 Matsuoka Yosuke hatte, wie bereits erwähnt, eine Struktur der Welt im Sinne, in denen vier große Wirtschaftsblöcke, nämlich Ostasien, die Sowjetunion, Europa und Amerika koexistieren sollten.2052 Deshalb wurde dem Drei-Mächte-Pakt2053 eine hohe Bedeutung zugemessen.2054 Im 2046
Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 301. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 303. 2048 Küchenhoff, Großraumgedanke (Fn. 163), S. 34 – 82 (37). 2049 Kimitada, Miwa, Pan-Asianism in modern Japan, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), PanAsianism (Fn. 1913), S. 29. 2050 Matsuoka Yosuke war ein Diplomat, der lange Jahre in den USA gelebt hatte. Möglicherweise auch um seinen Hintergrund zu verschleiern, trat er ab den 1930er Jahren besonders ultranationalistisch auf. So: Lu, Agony (Fn. 169), S. 117. 2051 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 87; Lu, Agony (Fn. 169), S. 145. 2052 Dieses Ziel wurde etwa in einer Rede am 06. 08. 1939 verkündet. So: Lu, Agony (Fn. 169), S. 157. 2053 Dieser Drei-Mächte-Pakt enthielt Regelungen, die die gegenseitige Anerkennung der neuen Ordnungen in Asien und Europa betraf, aber auch die Vereinbarungen bezüglich einer gegenseitigen militärischen Beihilfe, wenn ein Staat, der bislang nicht in die Kriege involviert war, eingreifen sollte. Vgl. Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 94; Küchenhoff, Großraumgedanke (Fn. 163), S. 34 – 82 (37); Lu, Agony (Fn. 169), S. 162 – 163. 2054 Bereits am Antritt des zweiten Konoe-Kabinetts wurden die außenpolitischen Ziele wie folgt formuliert: 1. Es muss eine Kriegswirtschaft aufgebaut werden. Alle Rohstoffe müssen unter die einheitliche Kontrolle der japanischen Regierung gelangen. 2. Die japanisch-deutschitalienische Achse muss gestärkt werden. Ein Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion muss geschlossen werden. Es müssen Maßnahmen getroffen werden, um sich ehemalige Kolonien der westlichen Mächte einzuverleiben. Unnötige Konflikte mit den USA sind zu vermeiden. Allerdings ist die Neue Ostasiatische Ordnung unverzichtbar und ein Eingriff der USA nicht 2047
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Rahmen der imperialen Konferenz am 02. 07. 1941 wurde auf Vorschlag von Konoe beschlossen, eine Großostasiatische Wohlstandssphäre zu errichten.2055 Der Beschluss von 1941 war das Ergebnis einer stetigen Entwicklung der Ansicht der Staatslenker hin zu einer geopolitisch autarken Einheit. Sie zeigt sich etwa bereits in der Presseerklärung von Arita Hachiro,2056 dem Außenminister des ersten KonoeKabinetts, in der eine „Sphäre des Gemeinsamen Wohlstands“ ausgerufen wurde.2057 Am 01. 08. 1940 folgte dann der Ausruf einer „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“2058 durch Matsuoka Yosuke.2059 In einem Planungsdokument des japanischen Kabinetts vom 06. 08. 1940 wurde festgehalten, dass Japans „Militär- und Rohstoffbedürfnisse“ von primärem Interesse seien.2060 Am 27. 09. 1940 wurde der DreiMächte-Pakt zwischen Japan, Deutschland und Italien geschlossen, in dem Asien den Japanern zugesprochen wurde, Europa und Afrika jedoch den Deutschen und Italienern.2061 Weiterhin sah der Pakt vor, dass jeder Vertragsstaat verpflichtet sei, den anderen Vertragsstaaten politische, wirtschaftliche und militärische Hilfe zu leisten, wenn Staaten, die nicht Teil des sino-japanischen oder des europäischen Krieges waren, die Vertragsstaaten angreifen würden.2062 Nachdem Konoe 1941 endgültig zurückgetreten war, setzte der japanische Kaiser Hirohito als Konoes Nachfolger den bisherigen Militärminister2063 Tojo Hideki (jap. akzeptabel. 3. Chiang Kaishek muss militärisch bekämpft und Wang Jingwei muss unterstützt werden. So: Lu, Agony (Fn. 169), S. 146. 2055 Gemeint war damit die Eroberung von Südostasien. Butow, Tojo (Fn. 1860), S. 218 – 220. 2056 Arita wies seinerseits 1941 in einem Artikel darauf hin, dass die Großostasiatische Wohlstandssphäre keine japanische Erfindung war. Vgl. Spang, Haushofer und Japan (Fn. 1839), S. 559. 2057 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 226. 2058 Rede in Englisch abgedruckt, in: Lebra, Co-Prosperity Sphere (Fn. 1877), S. 72. 2059 Die Großostasiatische Wohlstandssphäre wurde als das gleiche wie die „Neue Ordnung“ und die „Sicherheitssphäre“ bezeichnet, bezog sich nun aber auch auf die niederländischen und französischen Kolonialgebiete in Südostasien. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 227; Lebra, Co-Prosperity Sphere (Fn. 1877), S. 71 – 72; Duus, Peter, The greater East Asian Co Prosperity Sphere : Dream and Reality, in: Journal of Northeast Asian History volume 5, Number 1 (June 2008), S. 143 – 154 (143). 2060 Der Drei-Mächte-Pakt sieht vor, dass Japan die Führung Deutschlands und Italiens bei der Schaffung einer neuen Ordnung in Europa anerkennt, während Deutschland und Italien die Führung Japans bei der Schaffung einer neuen Ordnung im großostasiatischen Raum anerkennen. Vgl. Küchenhoff, Großraumgedanke (Fn. 163), S. 34 – 82 (37). Im Ergebnis zeigte die japanische Beziehung zu den südostasiatischen Staaten Ähnlichkeiten zu den Privilegien der westlichen Staaten in China vor 1930 auf. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 228. 2061 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 307. Der Drei-Mächte-Pakt war die politische Grundlage für die Einverleibung der südostasiatischen Staaten in die Großostasiatischen Wohlstandssphäre. So: Lu, Agony (Fn. 169), S. 173. 2062 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 97. 2063 Coox, Alvin, The Pacific War, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 323; Butow, Tojo (Fn. 1860), S. 142 – 143.
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, 1884 – 1948)2064 ein, da er ihn als idealen Premierminister ansah, der die Moral der Armee hochhalten kann.2065 Nachdem Tojo am 18. 10. 1941 neuer Premierminister wurde, war er in einer Situation, in der die USA weiterhin auf den Rückzug aus China drängte. Tojo schätzte die Situation selber so ein, dass Japan den Krieg mit den USA nicht über das Jahr 1943 hinaus weiterführen könne. Trotzdem war er nicht bereit, die Position in China aufzugeben.2066 Für ihn war der Krieg unausweichlich, und er lehnte einen Abzug aus China ab.2067 Weiterhin sah Tojo die Expansion nach Südostasien als Notwendigkeit an, um die Rohstoffe der Region auszubeuten.2068 Für den Sieg in diesem unausweichlichen Krieg war für Tojo das Aufgeben der bereits eroberten Gebiete nicht denkbar. Seine Überzeugung war vielmehr, dass Japan aufgrund einer Weltverschwörung2069 vor einem unausweichlichen Krieg stehe.2070 Diese Einschätzung der außenpolitischen Lage behielt Tojo auch noch zum Amtsantritt.2071 Für ihn war es nur möglich, die eroberten Gebiete Japans weiter zu kontrollieren, wenn Japan die Angriffe der Alliierten stoppen könnte.2072 Der Ter2064 Tojo Hideki wurde am 30. 12. 1884 als Sohn eines Armeeoffiziers geboren. Er durchlief eine Militärausbildung und war bereits mit 21 Jahren Offizier der japanischen Armee. Als solcher nahm er an dem russisch-japanischen Krieg 1905 teil. 1919 bis 1922 verbrachte Tojo einen Studienaufenthalt in Deutschland. In der Folgezeit war Tojo ein Beamter im Kriegsministerium, bis er im März 1931 Kommandant des ersten Infanterie Regiment in Tokyo und 1934 letztlich Generalmajor wurde. Tojo konnte insbesondere aufgrund seiner Karriere als Chef der Kempeitai in der Mandschurei aufsteigen. Als im Februar 1936 die Kodoha-Fraktion einen Putsch versuchte, engagierte sich Tojo in der Mandschurei für die Toseiha-Fraktion und wurde nach dem niedergeschlagenen Putsch zum Generalleutnant und schließlich zum Kommandanten der Kwantung-Armee befördert. Während er in der Mandschurei stationiert war, freundete er sich zudem mit den späteren japanischen Außenminister Matusoka Yosuke an, der Tojo die Idee seiner Neuen Ostasiatischen Ordnung näherbrachte. 1938 wurde Tojo schließlich von Konoe zum Vize-Kriegsminister berufen. Die Gründe dafür dürften in seinem Ruf als exzellenter Beamter sowie seinem Netzwerk als Chef der Kempeitai, aber auch in dem Faktum gelegen haben, dass die Toseiha-Fraktion zu diesem Zeitpunkt allmächtig war. Vgl. Butow, Tojo (Fn. 1860), S. 5 – 16, 42 – 44, 72 – 74,115. 2065 Bix, Hirohito (Fn. 1830), S. 418; Butow, Tojo (Fn. 1860), S. 301. 2066 Coox, Alvin, The Pacific War, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 334 – 335. 2067 Bix, Hirohito (Fn. 1830), S. 419. 2068 Coox, Alvin, The Pacific War, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 324. Diese Einschätzung teilte Tojo auch dem Kaiser mit, nachdem er kurz vor seinem Amtsantritt beauftragt wurde, die Lage zu überprüfen. Vgl. Wetzler, Peter, Kaiser Hirohito und der Krieg im Pazifik. Zur politischen Verantwortung des Tenno in der modernen japanischen Geschichte, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 37 (1989), Heft 4, S. 611 – 644 (630). 2069 Bereits im Jahre 1933 war Tojo der Ansicht, dass sich die Chinesen mit der Sowjetunion und den USA gegen Japan verschworen hätten, obwohl China aufgrund der Aggression Japans in der Defensive war. Vgl. Butow, Tojo (Fn. 1860), S. 45. 2070 Butow, Tojo (Fn. 1860), S. 325. 2071 Butow, Tojo (Fn. 1860), S. 266 – 267. 2072 Jones, New Order (Fn. 1806), S. 423.
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minus „Großostasiatischer Krieg“ reflektiert diese Sicht auf den Krieg. Ohne Sieg würde eine von Japan geführte Großostasiatische Wohlstandssphäre nicht mehr existieren können. Bereits am 08. 11. 1941 präsentierte Tojo dem japanischen Kaiser seine Pläne, einen Überraschungsangriff auf Pearl Harbor zu starten.2073 Trotzdem wurden die diplomatischen Verhandlungen mit den USA zunächst aufrecht erhalten.2074 Nachdem die amerikanische Antwort auf diese Vorschläge als inakzeptabel angesehen wurden,2075 wurde am 01. 12. 1941 in der imperialen Konferenz der Krieg gegen die USA beschlossen und vom japanischen Kaiser genehmigt.2076 Am 07. 12. 1941, kurz nachdem das Ultimatum in den zwei Angeboten abgelaufen war, wurde Pearl Harbor von der japanischen Marine bombardiert.2077 Japan eroberte in der Folgezeit große Teile von Südostasien und beutete die Rohstoffe dort aus. Die Regionen wurden meist direkt unter die Verwaltung der Armee gestellt oder von Marionettenregimen beherrscht.2078 Trotz dieses klaren Zieles der Rohstoffausbeutung wurde weiterhin erklärt, dass der ewigen Frieden in Großostasien das Ziel der Errichtung der Großostasiatischen Wohlstandssphäre sei. Dort sollten alle asiatischen Völker kooperieren und eine wirtschaftliche Autarkie herstellen.2079 Im Januar 19422080 etwa verkündete der Premierminister Tojo Hideki in einer Rede vor dem japanischen Unterhaus, dass er eine „Ordnung der Koexistenz und des gemeinsamen Wohlstands basierend auf ethischen Prinzipien“ bauen wolle und dass „Japan den Nucleus bilden“ solle.2081 Die Gebiete, die für die Verteidigung 2073
Bix, Hirohito (Fn. 1830), S. 421. Japan übermittelte am 05. 11. 1941 sowie am 20. 11. 1941 zwei verschiedene Vorschläge zu einem Friedensabkommen, die Japans Verzicht auf weitere Expansion in China und Südostasien enthielten. Vgl. Bix, Hirohito (Fn. 1830), S. 424 – 425; Butow, Tojo (Fn. 1860), S. 321 – 323; Jones, New Order (Fn. 1806), S. 298 – 299. 2075 Die Verhandlungen wurden zwischen Nomura und Hull geführt. Vgl. Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 126. 2076 Jones, New Order (Fn. 1806), S. 318; Wetzler, Hirohito (Fn. 2068), S. 611 – 644 (629 – 630). 2077 Butow, Tojo (Fn. 1860), S. 370; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 232; Bix, Hirohito (Fn. 1830), S. 436. Es ist zu erwähnen, dass die Vereinigten Staaten erst im September 1940 Handelssanktionen auf Stahl und Kerosinexporten gegen Japan angeordnet hatten. Erdölexporte nach Japan wurden erst im Juli 1941 verboten. Dies zeigt, wie tief verwurzelt die Allianz zwischen den Vereinigten Staaten und Japan in Ostasien war und wie lange diese Verflechtungen nachwirkten. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 257 – 261. 2078 Jones, New Order (Fn. 1806), S. 330 – 331. 2079 Freilich war diese großostasiatische Rhetorik seitens des Tojo-Regimes kein Ausdruck eines Panasianismus, sondern diente vor allem der Rohstoffausbeutung, insbesondere in Südostasien. Vgl. Jones, New Order (Fn. 1806), S. 332, 370. 2080 Zu dieser Zeit war der Pazifische Krieg ausgebrochen und die Wohlstandssphäre bereits ein Jahr verkündet. Japan hatte Hong Kong, Malaysia und die Philippinen erobert. Vgl. Lebra, Co-Prosperity Sphere (Fn. 1877), S. 78. 2081 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 235; Lebra, Co-Prosperity Sphere (Fn. 1877), S. 79. 2074
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des größeren Ostasiens absolut notwendig seien, sollten dabei unter japanischer Herrschaft bleiben.2082 Am 01. 11. 1942 wurde schließlich das Großostasiatische Ministerium2083 gegründet, das alle außenpolitischen Beziehungen2084 zu den Staaten innerhalb der Großostasiatischen Wohlstandssphäre verantworten sollte.2085 Am 05. 11. 1943 fand zudem die Großostasiatische Konferenz in Tokio statt, in der nur die Marionettenregime Japans teilnahmen, die in der Verkündung einer „Gemeinsamen Großostasiatischen Erklärung“2086 endete.2087 Die Einwände von Togo Shigenori, dem Außenminister des Tojo-Kabinetts, der in der neuen Struktur eine Haltung sah, die die Unabhängigkeit der ostasiatischen Staaten verneine und somit die Gefahr berge, dass das Vertrauen an Japan schwinden könnte,2088 wurde abgelehnt.2089 Die tatsächliche Verwaltung der südostasiatischen Einflussgebiete geschah jedoch weitestgehend durch das Militär.2090 Nachdem sich die Niederlage im Zweiten Weltkrieg abzeichnete, versuchte Japan, durch politische Konzessionen in den eroberten Gebieten, mehr Zustimmung
2082 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 235; Lebra, Co-Prosperity Sphere (Fn. 1877), S. 80. 2083 Zuständig war das neue Ministerium für kulturelle Propaganda und die Verbreitung der japanischen Sprache und Kultur in den besetzten Gebieten. Vgl. Jones, New Order (Fn. 1806), S. 337. 2084 Das neu gegründete Ministerium sollte das Außenministerium, das Kolonialministerium, den Rat für die mandschurischen Angelegenheiten sowie den Rat für die Asiatische Entwicklung vereinigen und die Zuständigkeit über alle Botschaften in Mandschukuo, China, dem französischen Indochina, Thailand und den sonstigen Überseebehörden erhalten. Das Außenministerium hingegen sollte für „pure Diplomatie“ zuständig sein, was nach einer Erklärung von Tojo Hideki am 01. 09. 1942 der Fall sein sollte, wenn es notwendig wäre, dem betroffenen Staat „den Respekt als unabhängigen Staat“ zu zeigen. Faktisch führte dies zur Entmachtung des Außenministeriums. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 237 – 238. Das Großostasiatische Ministerium war auch in Japan stark umstritten, da es zwar einerseits zum Ausdruck brachte, dass die asiatischen Staaten eine besondere Position für Japan hatten, andererseits aber auch so interpretiert werden konnte, dass Japan die asiatischen Nachbarn als subordinierte Staaten ansah. Vgl. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 359 – 361; Jones, New Order (Fn. 1806), S. 336. 2085 Jones, New Order (Fn. 1806), S. 336; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 238. 2086 Die gemeinsame Erklärung vom 05. 11. 1943 ist in der englischen Fassung abgedruckt, in: Jones, New Order (Fn. 1806), S. 470 – 471. 2087 Diese waren das chinesische Wang Jingwei Regime, der Staat Mandschukuo, sowie die Vertreter der Regierungen von den Philippinen, Myanmar und Thailand. Vertreter für Korea oder Taiwan fehlten, da diese bereits in das japanische Kaiserreich annektiert waren. Vgl. Vgl. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 363 – 363; Jones, New Order (Fn. 1806), S. 337. 2088 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 237; Lebra, Co-Prosperity Sphere (Fn. 1877), S. 85. 2089 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 237. 2090 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 238.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
von den Einwohnern zu erlangen.2091 Die Idee der japanischen Herrschaft war folglich weniger ein kohärentes System, sondern mehr ein Konglomerat verschiedener kolonialer Regierungsformen.2092 b) Die Raumordnung der Großostasiatischen Wohlstandssphäre In der Zeit nach der Verkündung der „Neuen Ostasiatischen Ordnung“ bzw. der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ zeichnete sich langsam das Bild des japanozentrischen Großraumes ab. Japan hatte Korea bereits Anfang des 20. Jahrhunderts annektiert und in den 1930er Jahren die Mandschurei und Nordchina unter seiner Herrschaft gebracht. In den 1940er Jahren folgte die Expansion nach Südostasien. Der zweite sino-japanische Krieg stagnierte jedoch zu diesem Zeitpunkt. Korea, die Mandschurei und Nordchina bildeten also bereits den inneren Ring des japanischen Imperialismus, und Südostasien sollte nun das „äußere Imperium“ werden.2093 aa) Die Raumordnung in Ostasien Die Raumordnung in Ostasien war nach der Verkündung der Neuen Ostasiatischen Ordnung noch vom zweiten sino-japanischen Krieg geprägt. Die KuomintangRegierung akzeptierte die Neue Ostasiatische Ordnung nicht, und der Krieg stagnierte. Deshalb versuchte Japan die chinesische Regierung unter Wang Jingwei2094 als legitim anzuerkennen; dies geschah unter anderem durch einen Vertrag am 30. 11. 2091 Dies umfasste etwa, dass der Vertrag mit China abgeändert, die Grenzgebiete, die von Thailand verlangt wurden, übertragen, die Unabhängigkeit von Burma und den Philippinen akzeptiert und größere politische Teilhaberechte an die Menschen in Malaysien, Sumatra, Java und Borneo zugesprochen wurde. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 242. 2092 Die japanische Herrschaft in Asien hätte so ausgesehen, dass Burma und die Philippinen durch Marionettenregime beherrscht, mit Thailand und Indochina sowie China Protektoratsverhältnisse eingegangen und Malaysia, Java und Sumatra wie Korea oder Taiwan als direkte Kolonien beherrscht worden wäre. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 243. 2093 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 220; die Expansion nach Südostasien erforderte eine Erweiterung des Panasianismus, da die südostasiatischen Staaten weitaus weniger sinisiert waren als Japan, Korea oder China. Insofern ist die Großostasiatische Wohlstandssphäre ein Versuch, den Panasianismus als „Schicksalsgemeinschaft“ neu zu definieren. Vgl. Duus, Co Prosperity Sphere (Fn. 2059), S. 143 – 154 (147 – 148). 2094 Die Regierung von Wang Jingwei wurde am 30. 03. 1940 in Nanjing gebildet. Die Regierung war ein Zusammenschluss mehrerer Regierungen in dem von Japan besetzten Gebiet. Wang war Parteimitglied der chinesischen Nationalisten und wurde 1938 zum stellvertretenden Führer hinter dem Parteiführer Chiang Kaishek gewählt. Im Dezember 1938 machte er jedoch seine Intention öffentlich, dass er mit Japan Frieden schließen werde, und wurde von der Partei der chinesischen Nationalisten ausgeschlossen. Vgl. Bünger, Karl, Der Vertrag zwischen Japan und der Regierung Wang Chingwei, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 10 (1940), S. 768 – 803 (768 – 770); Cotterell, Western Power (Fn. 1512), S. 218.
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1940.2095 Der Vertrag knüpfte inhaltlich an die Verkündung der „Neuen Ostasiatischen Ordnung“ an.2096 Insbesondere die gemeinsame japanisch-mandschurischchinesische Erklärung, die Bestandteil des Vertrages war, berief sich auf eben diese „Neue Ostasiatische Ordnung“.2097 Die nationalistische Kuomintang-Regierung unter Chiang Kaishek erkannte den Vertrag freilich nicht an. Auch England und Amerika verweigerten die Anerkennung Wang Jingweis.2098 Das Wang-JingweiRegime blieb auch in der Folgezeit von der japanischen Regierung abhängig, wie auch die Kriegserklärung des Wang Jingwei-Regimes gegenüber Großbritannien und den USA am 09. 01. 1943 zeigt.2099 Freilich blieben die bereits besetzten Gebiete bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs weiterhin in der Großostasiatischen Wohlstandssphäre.2100 In Korea etwa wurde ab Oktober 1940 eine sog. „Kampagne der nationalen Mobilisation“ implementiert, die dazu dienen sollte, Korea als die Hauptversorgungsbasis im Krieg zu etablieren.2101 Anders war die Situation in Südostasien. Die Idee, dass Japan stärker in den „Süden expandieren“2102 sollte, korrelierte in den späten 1930er Jahren mit der Idee der nationalen Autarkie.2103 Südostasien wies wichtige Rohstoffvorkommnisse auf, die dem Ideal der wirtschaftlichen Autarkie dienten.2104 Aufgrund des Krieges in Europa wurden die Kolonialgebiete der Niederlande und Frankreichs in Südostasien im Juli 1940 durch das Kabinett unter Premierminister Konoe Fumimaro als Ziele japanischer Expansion propagiert.2105
2095
Der Vertrag sieht vor, dass China die Mandschurei und die Vorrechte Japans in China anerkennt. Weiterhin sieht es Regelungen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit und über die Schadensersatzverpflichtung Chinas vor. Vgl. Bünger, Wang Chingwei (Fn. 2094), S. 768 – 803 (787, 797 – 803). 2096 Damit war allerdings die Wang Jingwei-Regierung letztlich von Japan abhängig. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 208; Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 173; Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 68. 2097 Bünger, Wang Chingwei (Fn. 2094), S. 768 – 803 (803). 2098 Bünger, Wang Chingwei (Fn. 2094), S. 768 – 803 (780 – 781). 2099 Jones, New Order (Fn. 1806), S. 339 – 340. 2100 Mandschukuo etwa blieb nach wie vor das Marionettenregime, so wie es bereits 1932 gegründet wurde. Vgl. Jones, New Order (Fn. 1806), S. 337 – 338. 2101 Jeon, Colonial Rule (Fn. 1886), S. 58. 2102 Südostasien war bis dahin nicht im Fokus der japanischen Wirtschaftsinteressen gewesen. Nur 10 % der Exporte zwischen 1925 – 39 und weniger als 9 % der Importe von Japan gingen nach Südostasien. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 223. 2103 Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 224. 2104 Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1939 stellte eine Chance für Japan dar, nach Südostasien zu expandieren, da die europäischen Mächte ihre Kolonien nicht mehr verteidigen konnten. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 225; Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 305. 2105 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 305.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
In den ersten sechs Monaten nach Pearl Harbor siegte das japanische Militär und eroberte am 25. 12. 1941 Hongkong, am 15. 02. 1942 Malaya und Singapur und am 06. 05. 1942 die Philippinen.2106 Die neu eroberten Gebiete wurden unter die Verwaltung des Militärs gestellt und die Ausbeutung von Rohstoffen angeordnet.2107 Am 22. 01. 1942 verkündete Tojo seine Absichten, ewigen Frieden in Großostasien zu etablieren und versprach dabei die Unabhängigkeit von den Philippinen und Burma und die Unterstützung der Völker in den ehemaligen niederländischen Kolonien2108 in Südostasien.2109 Diese Versprechen wurden jedoch nicht eingehalten. Die Philippinen,2110 Malaya2111 und die indonesischen Inseln2112 wurden vom Militär kontrolliert und ausgebeutet. Die dort gegründeten Marionettenregimes wurden von der japanischen Militärpolizei, genannt Kempeitai, überwacht.2113 Auch in den übrigen Staaten in Südostasien war die Situation nicht anders. Indochina (Vietnam) wurde aufgrund eines Abkommens mit dem französischen VichyRegime vom September 1940 durch Japan besetzt.2114 Erst am 11. 03. 1945 wurde, nach einem Putsch der japanischen Besatzungstruppen gegen die Franzosen, die Unabhängigkeit von Vietnam gegenüber Frankreich erklärt, und Vietnam verkündete die Unterstützung Japans im Großostasiatischen Krieg.2115 Burma wurde, ähnlich wie
2106
Jones, New Order (Fn. 1806), S. 330. Jones, New Order (Fn. 1806), S. 331. 2108 Die japanische Armee und Marine besetzten und verwalteten die ehemaligen niederländischen Kolonien von Südostasien direkt und wandten gegenüber der lokalen Bevölkerung sowie gegenüber den Europäern und Chinesen brutale Gewalt an. Vgl. Jones, New Order (Fn. 1806), S. 370 – 374. 2109 Jones, New Order (Fn. 1806), S. 332. 2110 Die Philippinen konnten zwar am 14. 10. 1943 unter dem Kalibapi-Regime die Unabhängigkeit von Japan erklären, aber die Verfassung wurde von japanischen Kollaborateuren vorbereitet und es wurde am selben Tag ein Pakt mit Japan abgeschlossen, in dem sie sich der Großostasiatischen Wohlstandssphäre anschlossen. Vgl. Jones, New Order (Fn. 1806), S. 364 – 365; Cotterell, Western Power (Fn. 1512), S. 251. 2111 Auch Malaya wurde unter die direkte Herrschaft des japanischen Militärs gestellt und zum integralen Teil des japanischen Kaiserreiches erklärt. An den ethnischen Chinesen und die europäische Bevölkerung in Malaya, die gegen die japanische Besatzung opponierte, wurde ein Massaker verübt. Vgl. Jones, New Order (Fn. 1806), S. 382 – 383, 387; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 353; Cotterell, Western Power (Fn. 1512), S. 250. 2112 Eine Unabhängigkeit von Indonesien wurde bis zum Ende des Tojo Regimes nicht anerkannt. Vgl. Jones, New Order (Fn. 1806), S. 377 – 379; Cotterell, Western Power (Fn. 1512), S. 245 – 247. 2113 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 356. 2114 Der Inhalt des Abkommens war, dass Japan den kolonialen Besitz Frankreichs beschützen werde. Diese Situation, die der japanischen Propaganda der Großostasiatischen Wohlstandssphäre überhaupt nicht entsprach, trat ein, weil die kolonialen Strukturen in Vietnam genutzt werden sollten, um die Effektivität der japanischen Ausbeutung zu erhöhen. Vgl. Jones, New Order (Fn. 1806), S. 393 – 394; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 353. 2115 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 396 – 397. 2107
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
293
Mandschukuo, von einem lokalen nationalistischen Regime regiert,2116 das 1942 gegründet wurde.2117 Einzig Thailand, das eine stabile Regierung und ein eigenes Militär hatte und bereits am 21. 12. 1941 eine Allianz mit Japan abgeschlossen hatte, wurde als besonderer Partner2118 behandelt.2119 bb) Der Drei-Mächte-Pakt als „Zwischenreichischer“ Vertrag? Die Verkündung der „Neuen Ostasiatischen Ordnung“ führte nicht – wie von Konoe erhofft – dazu, dass China sich mit Japan verbündete, um die westlichen Mächte aus Asien zu vertreiben. Vielmehr führte dies dazu, dass die bisherigen Verbündeten, Großbritannien und die USA die Allianz mit Japan aufkündigten. Zur Absicherung der Großostasiatischen Wohlstandssphäre spielte der Drei-MächtePakt deshalb eine große Rolle. Überzeugen konnte Japan letztlich nur Deutschland und Italien, die ihrerseits von Japan die Respektierung ihrer Führerschaft bei der Schaffung einer neuen Ordnung in Europa verlangten. Das führte am 27. 09. 1940 zum Drei-Mächte-Pakt. Der Vertrag adaptiert dabei auch den Terminus „Großraum“2120 und stellt fest, dass jede Nation der Welt den ihr gebührenden Raum erhalten solle,2121 wobei jedoch Italien, Deutschland und Japan sich gegenseitig die Führerrolle anerkannten.2122 Der Pakt konnte aber nach Einschätzung von Konoe nur Erfolg haben, wenn die Sowjetunion weiterhin mit den Achsenmächten kooperieren sollte.2123 Der Neutralitätspakt zwischen Japan und der Sowjetunion vom 13. 04. 1941 war ein Versuch, diese Kooperation aufrecht zu erhalten.2124 Insofern sah es Konoe bereits als ersten 2116 Die tatsächliche Macht lag jedochauch hier beim japanischen Militär. Dieses beutete auch in Burma die Arbeitskraft der lokalen Bevölkerung aus, und die japanische Kempeitai schlug etwaigen Widerstand nieder. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 353; Jones, New Order (Fn. 1806), S. 351, 354. 2117 Die Unabhängigkeitserklärung von Burma am 01. 08. 1943 und die Kriegserklärung gegenüber Großbritannien und den USA, sowie der Allianzvertrag mit Japan wurden vom japanischen Militär vorbereitet. So: Jones, New Order (Fn. 1806), S. 354. 2118 Thailand wurden sogar Teile von Kambodscha und Laos als Gegenleistung für die Allianz mit Japan zugesprochen. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 353. 2119 Jones, New Order (Fn. 1806), S. 344 – 345. Allerdings wurden letztlich auch die thailändischen Rohstoffe ausgebeutet und die von den Japanern versprochenen Waren blieben aus, sodass sich auch in Thailand ein Widerstand gegen Japan bildete. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 353. 2120 Küchenhoff, Großraumgedanke (Fn. 163), S. 34 – 82 (37). 2121 Küchenhoff, Großraumgedanke (Fn. 163), S. 34 – 82 (78). 2122 Küchenhoff, Großraumgedanke (Fn. 163), S. 34 – 82 (48). 2123 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 96. 2124 Lu, Agony (Fn. 169), S. 04 – 207; Coox, Alvin, The Pacific War, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 325 – 326.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Verrat Deutschlands an Japan an, als der Hitler-Stalin-Pakt am 23. 08. 1939 geschlossen wurde.2125 Ein zweiter Verrat war aus seiner Sicht, als Deutschland die Sowjetunion2126 am 22. 06. 1941 angriff.2127 Der Abschluss des Drei-Mächte-Paktes wurde nun zu einem Problem, da die Verbesserung der Beziehung zwischen den USA und Japan notwendig geworden war. Aber die Versöhnung mit den USA wurde angesichts des Drei-Mächte-Pakts schwieriger. Die seit April 1941 andauernden Gespräche zwischen den USA und Japan scheiterten aufgrund der starren Haltung von Matsuoka Yosuke und dem japanischen Militär einerseits und der USA andererseits.2128 Um eine Entlassung von Matsuoka Yosuke zu vermeiden,2129 löste Konoe am 16. 07. 1941 sein zweites Kabinett auf und wurde am 17. 07. 1941 vom Kaiser beauftragt, sein drittes Kabinett zu bilden.2130 Die sich zuspitzende diplomatische Situation konnte Konoe jedoch nicht abwenden. Auch der japanische Kaiser sprach sich in der imperialen Konferenz am 06. 09. 1941 für einen Krieg mit den Vereinigten Staaten aus, wenn es notwendig sei.2131 Nachdem die Verhandlungen mit den USA auch weiterhin auf einer Akzeptanz der Forderungen der USA oder einen Krieg mit den USA hinausliefen und das japanische Militär unter dem Militärminister Tojo Hideki keinerlei Konzessionen zuließ,2132 trat Konoe am 16. 10. 1941 endgültig zurück.2133
2125 Zur Reaktion des japanischen Botschafters Oshima sowie der Beschwichtigungsversuche Ribbentrops. Vgl. Michalka, Wolfgang, Vom Antikominternpakt zum euro-asiatischen Kontinentalblock, in: Michalka (Hrsg.), Außenpolitik (Fn. 81), S. 484; Fabry, Hitler-StalinPakt (Fn. 168), S. 111 – 112; Lipinsky, Zusatzprotokoll (Fn. 318), S. 252 – 254. 2126 Ganz anders sah Konoes Außenminister Matsuoka Yosuke die Beziehung mit der Sowjetunion. Für ihn war und blieb die Sowjetunion ein zu bekämpfender Feind. Er versuchte sogar den japanischen Kaiser zu bewegen, die Sowjetunion anzugreifen. Vgl. Lu, Agony (Fn. 169), S. 207 – 208; Butow, Tojo (Fn. 1860), S. 216 – 217. 2127 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 102. Matsuoka war für eine schnelle Kriegserklärung gegenüber der Sowjetunion, aber Kriegsminister Tojo lehnte ab, da er die Eroberung von Südostasien und den sino-japanischen Krieg priorisierte. So: Coox, Alvin, The Pacific War, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 327. 2128 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 117; Lu, Agony (Fn. 169), S. 170, 215; Butow, Tojo (Fn. 1860), S. 228 – 231. 2129 Bereits am 10. 07. 1941 traf sich Konoe mit Tojo, Oikawa und Hiranuma, um die Entlassung von Matsuoka zu besprechen. Es wurde beschlossen, eine Auflösung des Kabinetts vorzunehmen, um somit Matsuoka zum Rücktritt zu zwingen. So: Lu, Agony (Fn. 169), S. 238. 2130 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 118; Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 183; Coox, Alvin, The Pacific War, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 328; Butow, Tojo (Fn. 1860), S. 232 – 233. 2131 Gerade Tojo Hideki sah den Krieg mit den Vereinigten Staaten als bereits unabwendbar an. So: Coox, Alvin, The Pacific War, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 329. 2132 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 125; Coox, Alvin, The Pacific War, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 332. 2133 Yagami, Konoe Fumimaro (Fn. 1767), S. 130; Coox, Alvin, The Pacific War, in: Duus (Hrsg.), History of Japan 6 (Fn. 1265), S. 333.
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
295
Insgesamt war die Konzeption des Drei-Mächte-Paktes eine Absicherung der jeweiligen Räume „Europa“ und „Asien“ durch die dort vermeintlich dominierenden Mächte. Insofern ist die Beziehung als „zwischenreichisch“ im Kontext der Großraumtheorie anzusehen. Weiterhin zeigt sich auch, dass es ein Gleichgewicht zwischen den genannten Großräumen, der Sowjetunion und den USA, gab. Letztlich lehnten die Reiche USA und Sowjetunion diese Ordnung ab, die potenziell ein „Nomos der Erde“ hätte werden können. c) Die Theorie der Großostasiatischen Wohlstandssphäre Der Begriff der Großostasiatischen Wohlstandssphäre war auf die Erweiterung des Krieges und auf eine Neuordnung durch Gewalt gerichtet und war deshalb keinesfalls eine logische Folge des Ausrufens der Neuen Ostasiatischen Ordnung, die zumindest offiziell auf eine gemeinsame Zusammenarbeit insbesondere mit China gerichtet war.2134 Während die Neue Ostasiatische Ordnung noch Aspekte der gemeinsamen Kultur in den Vordergrund stellte, war die Großostasiatische Wohlstandssphäre ein Produkt der Expansionspolitik nach Südostasien.2135 Das heißt freilich nicht, dass es keine Gemeinsamkeiten zwischen der Neuen Ostasiatischen Ordnung und der Großostasiatischen Wohlstandssphäre gab. So existierte auch in der Idee der Wohlstandssphäre die konfuzianisch anmutende Übertragung der Prinzipien der Familie auf den Staat und dann wiederum auf die internationale Ebene.2136 Auch existierte in der Großostasiatischen Wohlstandssphäre die Dichotomie zwischen dem Westen, der durch Gewalt und Rassismus Kolonien in Asien aufbaute und dem Osten,2137 dem eine Tugendhaftigkeit zugesprochen wurde, die in allen panasiatischen Strömen, insbesondere aber bei Nishida Kitaro und der Kyoto-Schule, existiert.2138 aa) Die Großostasiatische Wohlstandssphäre als imperialistisches Schlagwort In der offiziellen Sprache der japanischen Regierung erschien das Wort „Asiatische Wohlstandssphäre“ zuerst im Jahre 1938 in einem „Plan für die Verteidigung des Staates“ und wurde später im Juli 1940 in den „Fundamenten der nationalen Politik“ offiziell erwähnt.2139 Der Begriff der „Sphäre“ stammt aus dem in der internationalen Politik diskutierten Begriff der „Einflusssphäre“, und der „gemein2134 Lim, Seongmo, Die Theorie der ostasiatischen Kooperation und das kritische Phänomen der „neuen Ordnung“, in: Go (Hrsg.), Regionalordnung (Fn. 1869), S. 169. 2135 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 293. 2136 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 317 – 318. 2137 Freilich ist hier mit dem Osten konkret Japan gemeint. So: Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 331. 2138 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 329 – 330. 2139 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 312.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
same Wohlstand“ bezieht sich auf die ungleiche Beziehung zwischen dem industriellen Japan und dem unterentwickelten China innerhalb des Systems der ungleichen Verträge.2140 Die genaue Planung der politischen Struktur der Sphäre wurde jedoch nicht festgelegt, wobei jedoch eine Umfrage über außenpolitische Optionen von Matsuoka Yosuke im Januar 1941 zeigte, dass die Richtung dahin ging, dass Japan eine präferierte Position bezüglich der Ressourcen für die nationale Verteidigung eingeräumt bekam und die anderen Völker ansonsten so viel Autonomie genießen sollten, wie es deren Fähigkeiten erlaubten.2141 Somit war die Wohlstandssphäre in erster Linie ein Mittel, um Rohstoffe zu sichern, und die Befreiung des asiatischen Volkes von den ehemaligen Kolonialherren war nur ein zweites Ziel, wenn nicht gar ein Nebenprodukt.2142 Der Plan des Außenministeriums vom 14. 12. 1941 konkretisiert diese Richtung auch im Hinblick auf die Verteidigung der Großostasiatischen Wohlstandssphäre. Darin wurde festgelegt, dass Japan der Führer in militärischer, politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht und die anderen Staaten Satellitenstaaten, denen unterschiedliche Grade an Unabhängigkeit zugestanden würden, werden sollten.2143 Das zeigt sich auch etwa in der Erklärung Tojos vom 02. 02. 1943, der nach der Expansion Japans nach Malaya und in die ehemaligen niederländischen Kolonien in Südostasien, Japan zu den „reichen Nationen“ zählte.2144 Insgesamt muss die Großostasiatische Wohlstandssphäre allerdings als Bruch zur Neuen Ostasiatischen Ordnung oder gar als eine Antwort des japanischen Militärregimes auf die Interpretationen der Vertreter der Theorie der ostasiatischen Kooperation oder der Vertreter der Theorie des ostasiatischen Bündnisses gesehen werden.2145 Die grundsätzlichen Forderungen, die etwa Ishiwara Kanji, der Hauptvertreter der Theorie des ostasiatischen Bündnisses, aufstellte, also gemeinsame Verteidigung, politische Unabhängigkeit und Integration der Wirtschaftssysteme, mag sich auch in der Großostasiatischen Wohlstandssphäre wiederfinden.2146 Allerdings sucht man vergebens die Ermahnungen von Ishiwara, sowie auch von den Vertretern der Theorie der ostasiatischen Kooperation, davon Abstand zu nehmen, 2140
Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 233. Die Umfrage diente auch als Basis eines Memorandums des Außenministeriums vom 14. 12. 1941, stellte jedoch keine offizielle Darstellung der japanischen Politik dar. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 234 – 235. 2142 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 323. 2143 Demnach sollte Singapur, die Straits Settlements, der britische Teil von Nordborneo und Sarawak annektiert werden. Die Malay-Staaten hingegen sollten Protektorate werden. Die ehemaligen niederländischen Kolonien sollten teilweise annektiert werden und teilweise unabhängig bleiben. Die Philippinen sollten hingegen als selbstständiger Staat erhalten bleiben. Japan sollte aber spezielle Privilegien aus wirtschaftlicher und militärischer Sicht genießen. So: Jones, New Order (Fn. 1806), S. 332 – 333. 2144 Jones, New Order (Fn. 1806), S. 370. 2145 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 313. 2146 Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 334. 2141
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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Japans Führerrolle aus rassischer Überlegenheit zu definieren.2147 Insofern ist die Großostasiatische Wohlstandssphäre einerseits zwar das Endstadium des Panasianismus, aber andererseits auch ein Versuch der ultranationalistischen Regierung, die verschiedenen Ströme des Panasianismus unter die eigene expansionistische Doktrin zu einigen.2148 Der Panasianismus wurde somit reine Propaganda der japanischen Kriegs- und Außenpolitik. Die Wohlstandssphäre war also nichts anderes als eine leere Formel, die nicht durch Diskussion mit den anderen asiatischen Staaten entstand, sondern nur für die Rechtfertigung der japanischen Expansion geschaffen war.2149 bb) Die Interpretation der Großostasiatischen Wohlstandssphäre durch die Kyoto-Schule Die Kyoto-Schule hatte bereits die Entstehung der Neuen Ostasiatischen Ordnung von Konoe Fumimaro entscheidend mitgeprägt. Darin waren insbesondere Aspekte der Kooperation zwischen Japan und China sowie die Errichtung eines japanozentrischen Raumes nach dem Vorbild der konfuzianisch-sinozentrischen Ordnung enthalten. Nachdem jedoch Konoe zurücktrat und Tojo Hideki zum Premierminister aufgestiegen war, radikalisierte sich die Außenpolitik Japans noch mehr. Im Gegensatz zu dieser offiziellen Konzeption der Wohlstandssphäre, die besonders unter Premierminister Tojo vertreten wurde, suchten die Vertreter der Kyoto-Schule eine Alternative. Politische Unterstützung erhielt die Kyoto-Schule dabei insbesondere von dem Marineminister Yonai Mitsumasa (1880 – 1948), der innerhalb der Regierung eine Anti-Tojo Fraktion bildete.2150 Die Kyoto-Schule bereitete den Umsturz Tojos durch Yonai ideologisch vor.2151 In der politischen Theorie der Kyoto-Schule war weiterhin grundsätzlich der Wille sichtbar, sich für die Herstellung einer Gemeinschaft von China, Japan und der Mandschurei stark zu machen und somit die Befreiung der Asiaten zu erreichen. Gleichzeitig findet sich jedoch auch der Widerspruch, dass der Expansionismus der Japaner, wie etwa in Form der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“, unterstützt werden solle.2152
2147
Peattie, Ishiwara Kanji (Fn. 1743), S. 335. Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 350. 2149 Kim, Ostasiatischer Bund (Fn. 1633), S. 311. Duus betont jedoch, dass die schnelle Akzeptanz der Wohlstandssphäre in Japan darauf hindeutet, dass dieses Schlagwort einen „Nerv“ getroffen haben muss. Vgl. Duus, Co Prosperity Sphere (Fn. 2059), S. 143 – 154 (146). 2150 Williams, David, The Philosophy of Japanese Wartime Resistance. A reading, with commentary, of the complete texts of the Kyoto School discussions of ‘The Standpoint of World History and Japan’, 2014, S. xlii. 2151 Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 94. 2152 Yun, Kyoto-Schule (Fn. 1988), S. 243 – 265 (243); Ikeda, Josuke, Japanese Vision of International Society, in: Shimizu/Ikeda/Kamino/Shiro, Japanese IR (Fn. 1901), S. 12. 2148
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
(1) Die Interpretation durch Nishida Kitaro Nishida Kitaro nahm im Jahre 1943 in seinem Aufsatz über das „Prinzip einer neuen Weltordnung (Sekai Shinchitsujo no Genri)“ über die „weltliche Welt“ eine Apologie der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ vor. Darin betonte er, dass es Japans weltgeschichtliche Mission sei, eine „partikuläre Welt“ aufzubauen. Nur so könne Japan über sich selbst hinausgehen und an der weltlichen Welt teilnehmen.2153 Seit 1940 wandte sich Nishidas vollkommen zum politischen Diskurs hin und behandelte insbesondere die kulturelle Dichotomie des „Ostens“ und des „Westens“.2154 Nishida nahm dabei die Staatsdoktrin „Kokutai“ auf und vertrat diese fast identisch.2155 In seinem Aufsatz „Das Problem der japanischen Kultur (jap. Nihon bunka no mondai)“ von 1940 entwickelte Nishida eine philosophische Legitimierung der realpolitischen Dimension, indem er seine erkenntnisphilosophischen Termini auf die Politik übertrug.2156 Nishida begann mit einem Selbstbehauptungsdiskurs,2157 in der die eigene Einschätzung der Rolle Japans in der Weltgeschichte2158 und der von Japan zu leistende Beitrag thematisiert wurde. Hier wurden bereits die Termini der japanischen Staatsdoktrin, „Großostasiatische Wohlstandssphäre“ und „Hakko Ichiu“ verwendet.2159 Nishida betont dabei die Notwendigkeit der Hegemonisierung anstatt der Imperialisierung2160 des kaiserlichen Weges.2161 2153
Nishida, Kitaro, Das Prinzip einer neuen Weltordnung (übersetzt ins englische durch Arisaka, Yoko), in: Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (18). Yusa sieht darin keine Apologie, sondern eine Kritik am japanischen Expansionismus. Vgl. Michiko, Yusa, Nishida and Totalitarianism, in: Heisig/Maraldo (Hrsg.), Rude awakenings (Fn. 1934), S. 124. 2154 Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 216. 2155 Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 218. Der Unterschied zu der ultranationalistischen Interpretation liegt darin, dass Nishida den Kaiser als widersprüchliche Selbstidentität auffasste, der weder Herrscher noch Volk, jedoch beides gleichzeitig sei. So: Ueyama, Japanische Denker (Fn. 1948), S. 111. 2156 Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 232. 2157 Im Kern geht es Nishida um die Negierung des „Eurozentrismus“ und um die Propagierung eines japanischen Ethnozentrismus. Vgl. Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 233. 2158 Japan war nach Nishida aufgrund seiner historischen Erfahrung die einzige Nation, die als Gestalter der östlichen Kultur auftreten könne, da Japan sowohl Aspekte des Ostens wie auch des Westens aufnehmen könne. Diese östliche Kultur ist nach Nishida keineswegs der westlichen Kultur gegenüber unterentwickelt, sondern eine selbstständige Urkultur neben der westlichen Kultur. Vgl. Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 237 – 239. China hingegen sei dafür nicht geeignet, da der Konfuzianismus keine Wissenschaft sei, sondern lediglich eine pädagogische Lehre. Eine Aussage, die überrascht, wenn man bedenkt, dass letztlich auch der Shintoismus sehr stark vom Konfuzianismus geprägt ist. Nach Lange ist dies möglicherweise ein Ausdruck des Unterlegenheitsgefühls von Nishida gegenüber dem zivilisatorischen Einfluss der chinesischen Kultur auf Japan. Vgl. Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 252 – 253. 2159 Lange, Nishida (Fn. 1933),S. 236. 2160 Damit kommt Nishidas Verständnis zum Ausdruck, dass Imperialismus exklusiv für die europäische Kultur sei. Japan hingegen sei eine Vermittlerin der Welt. Vgl. Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 258. 2161 Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 253.
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
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1943 wurde Nishida von Premierminister Tojo Hideki beauftragt, eine Erklärung für die „Konferenz für das große Ostasien (Dai Toa Kaigi)“ zu schreiben.2162 Das Ergebnis war der bereits erwähnte berüchtigte Aufsatz „Das Prinzip einer neuen Weltordnung“.2163 In diesem Aufsatz begann Nishida mit der Feststellung, dass jede Weltepoche ein eigenes Projekt, eine weltgeschichtliche Mission habe und dass die heutige Welt die Epoche der globalen Selbstrealisation sei.2164 Durch diesen Prozess, der nach Nishida bereits mit dem Ersten Weltkrieg begann, aber nicht vollendet wurde, soll jede Nation ihre eigene weltgeschichtliche Mission erkennen und dabei über sich selbst hinausgehen, um an der globalen Welt, die Nishida die weltliche Welt (jap. sekaiteki )) nennt,2165 teilzunehmen.2166 Dabei soll jedoch jede einzelne sekai ( Nation zunächst ihre eigene partikuläre Welt aufbauen.2167 Eine Welt, die eine solche Selbstrealisation der Nationen und Völker negiert, ist nach Nishida lediglich eine abstrakte Welt. Die konkrete und reale Welt hingegen erlaube eine Formation der Welt nach regionalen Traditionen, die jedoch sich selbst transzendieren, um so eine weltliche Welt zu errichten.2168 Diese Selbstrealisation und Transzendenz beginne mit der Moralität des Einzelnen, der den ethnischen Egoismus überwinden und den formativen Globalismus akzeptieren müsse.2169 2162 Lavelle, Nishida (Fn. 1711), S. 139 – 166 (145); Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (5). Nishida soll im Hinblick auf die Rezeption seiner Schrift durch Tojo enttäuscht gewesen sein, da seine Vision nicht übernommen worden ist. Vgl. Michiko, Yusa, Nishida and Totalitarianism, in: Heisig/Maraldo (Hrsg.), Rude awakenings (Fn. 1934), S. 124; Yusa, Nishida (Fn. 1959), S. 203 – 210 (206). 2163 Der Aufsatz wurde im ersten Entwurf vom Militärregime als zu intellektuell abgewiesen. Nach einer überarbeiteten Fassung von Tanabe Juri, die Nishida für zu promilitaristisch hielt, überarbeitete er den Text seinerseits noch einmal abschließend. Dies mag nach Arisaka auch ein Grund sein, warum es so viele Kontroversen um Nishidas Meinung gab. Der erste Entwurf ist nicht mehr auffindbar. Der Aufsatz wird aufgrund dieser Genese, aber auch aufgrund der sehr schwammigen Begriffe, die verwendet wurden, als höchst interpretationsoffen bezeichnet. Der Aufsatz wurde als „antinationalistisch-liberal“, aber auch als „ultranationalistisch“ interpretiert. Vgl. Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (5 – 6). Lange sieht diese Revisionen letztlich nur als Teil, der zu jedem Redaktionsprozess dazugehört. Vgl. Lange, Nishida (Fn. 1933), S. 218. 2164 Nishida, Kitaro, Das Prinzip einer neuen Weltordnung, in: Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (17). 2165 Gemeint ist letztlich, den künftigen Weg Japans nicht rein nationalistisch, sondern aus einem internationalen Standpunkt stehend zu denken. So: Ueyama, Japanische Denker (Fn. 1948), S. 103. 2166 Nishida spricht sich dabei ausdrücklich gegen die Idee der Selbstbestimmung der Völker nach Wilson aus, da er diese Idee als unfähig ansieht, die jetzigen Probleme zu lösen. Vgl. Nishida, Neue Weltordnung, in: Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (18). 2167 Nishida, Neue Weltordnung, in: Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (18). 2168 Nishida, Neue Weltordnung, in: Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (20). In dieser Transzendenz wird teilweise die Kritik an den japanischen Militarismus gesehen. Vgl. Yusa, Nishida (Fn. 1959), S. 203 – 210 (207). 2169 Nishida, Neue Weltordnung, in: Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (20 – 21).
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Nishida kommt zum Ergebnis, dass dies für die Asiaten, die durch die westlichen Imperialisten als Kolonialsubjekt betrachtet wurden, bedeutet, dass sie eine partikuläre Welt, also Ostasien errichten müssten, um diese weltgeschichtliche Mission – also die „Ostasiatische Großraumssphäre“ – zu verwirklichen.2170 Nach Nishida bedarf es jedoch auch einer zentralen Figur, die das Projekt schultern kann; im Falle von Ostasien sei dies Japan.2171 Nishida sieht in der Kokutai-Ideologie nicht nur einen simplen Totalitarismus, sondern vielmehr ein Prinzip der Weltenbildung, die die Besonderheiten einzelner Nationen bzw. Völker nicht verneint.2172 Die KokutaiIdeologie beinhalte eine absolute geschichtliche Globalität, da sie erkläre, dass die japanische Nation sich selbst entleeren und andere umfassen könne. Das Aufgeben der eigenen Subjektivität des Staates sieht Nishida also als Weg zu einem formativen Globalismus.2173 (2) Die Interpretation durch Tanabe Hajime Tanabe Hajime (1885 – 1962)2174 ist mit Nishida Kitaro einer der Gründer der Kyoto-Schule und brachte mit seinem Werk „Die Logik der Spezies“2175 – eine Reihe von Arbeiten zwischen 1934 und 1940 – eine Wendung der Kyoto-Schule von rein metaphysischem Interesse zu einer tieferen Auseinandersetzung mit Geschichte und Politik.2176
2170
Nishida, Neue Weltordnung, in: Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (18 – 19). Nishida, Neue Weltordnung, in: Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (19). 2172 Nishida, Neue Weltordnung, in: Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (19). 2173 Nishida, Neue Weltordnung, in: Arisaka, Nishida (Fn. 1925), S. 1 – 21 (21); Ueyama, Japanische Denker (Fn. 1948), S. 120. 2174 Wie auch Nishida studierte Tanabe in Deutschland, nämlich in Freiburg unter Edmund Husserl und war dabei mit Martin Heidegger in Kontakt. Vgl. Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 160; Williams, David, Defending Japan’s Pacific War. The Kyoto School philosophers and post-White power, 2004, S, 81; Pörtner/Heise, Philosophie Japans (Fn. 1945), S. 363 – 362. 2175 In „Die Logik der Spezies“ kritisiert Tanabe die Ortslogik von Nishida, da dieser den Ort mit dem Nichts gleichgesetzt habe und damit das konkrete Sein der geschichtlichen Welt nicht im Blick habe. So: Pörtner/Heise, Philosophie Japans (Fn. 1945), S. 363 – 364. Tanabe entwickelt seine eigene Logik der Spezies, in der er die Spezies (oder dem Staat) dem Individuum entgegenstellt. Die Spezies ist nicht rassisch oder politisch, sondern durch Negation des Individuums definiert, da die Spezies dem Individuum bestimmte Weisen aufdränge. Solange das Individuum dies befolge, sei er zwar konform zur Spezies, negierte aber sich selbst. So: Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 162. 2176 Williams, Kyoto School (Fn. 2174), S, 19; Pörtner/Heise, Philosophie Japans (Fn. 1945), S. 342 – 364; Kim, John Namjun, The temporality of empire: The imperial cosmopolitanism of Miki Kiyoshi and Tanabe Hajime, in: Saaler/Koschmann (Hrsg.), Pan-Asianism (Fn. 1913), S. 160. 2171
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
301
Anders als Nishida hatte Tanabe ein hohes politisches Interesse und verstand sich in einem Ideologienkrieg (jap. Shutaisei) mit dem Westen stehend.2177 Die Moderne zu überwinden bedeutete für ihn, die westliche Moderne durch eine ostasiatische Moderne auszuwechseln.2178 Für Tanabe war der Weg des Tojo-Regimes zu einem Krieg kritikwürdig, auch wenn diese Kritik nicht offen, sondern subtil in seinem Werk „Der weltgeschichtliche Standpunkt und Japan“ geäußert wurde.2179 Tanabe propagiert vielmehr eine Struktur des menschlichen Zusammenlebens, das von der patriarchalischen Familie zum Staat und letztlich zur Wohlstandssphäre führt.2180 Durch den Staat sah es Tanabe als möglich an, die Irrationalität der gesellschaftlichen Existenz zu überwinden und die so gewonnene Aufklärung auch bei anderen Staaten anzuwenden. Fraglos war für ihn Japan der Archetyp eines solchen Staates.2181 Bezüglich der Wohlstandssphäre macht Tanabe keinen Hehl daraus, dass es erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Einflusses der einzelnen Staaten geben werde. Deshalb versucht Tanabe, die Notwendigkeit die Souveränität der Staaten, inklusive der Souveränität Japans einzugrenzen.2182 Er verstand die hegemoniale Führerschaft Japans jedoch – fast schon in konfuzianischer Manier – als eine zeitlich begrenzte und sagte den Tag voraus, an dem die Führerschaft an Korea, Indonesien oder am wahrscheinlichsten an China übergehen werde.2183 (3) Die Diskussion über den welthistorischen Standpunkt und Japan Die Diskussion über die Großostasiatische Wohlstandssphäre der Kyoto-Schule wurde auch in Form von Symposien geführt, wo insbesondere Nishitani Keiji, Kosaka Masaki, Koyama Iwao und Suzuki Shigetaka teilnahmen, die als „Chuo Koron“ bekannt wurden.2184
2177 Er beeinflusste somit eine Phase der politischen Aktivität der Kyoto-Schule, die zwischen 1928 und 1945 stattfand, entscheidend. Vgl. Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 19. 2178 Williams, Kyoto School (Fn. 2174), S, 30. 2179 Williams, Kyoto School (Fn. 2174), S, 69 – 72. 2180 Williams, Kyoto School (Fn. 2174), S, 73 – 74. 2181 Heisig/Kasulis/Maraldo (Hrsg.), Philosophy (Fn. 1927), S. 670. 2182 Williams, Kyoto School (Fn. 2174), S, 75. 2183 Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 55. 2184 Die Symposien haben jeweils zum Thema „Welthistorischer Standpunkt und Japan“, „Der ethische und historische Charakter der Ostasiatischen Wohlstandssphäre“ und „Die Philosophie der welthistorischen Kriege“ stattgefunden. Insbesondere das zweite Symposium am 04. 03. 1942 sowie das dritte Symposium am 24. 11. 1942 behandelten dabei die Großostasiatische Wohlstandssphäre sowie den Großostasiatischen Krieg und sind im Kontext dieser Arbeit einen näheren Blick wert. Vgl. Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. xiviii-l; Uhl, Christian, What was the „Japanese philosophy of history“?, in: Goto-Jones, Christopher (Hrsg.), Re-Politicising the Kyoto School as Philosophy, 2008, S. 113; Horio, Tsutomu, The Chuokoron discussions, their Background and Meaning, in: Heisig/Maraldo (Hrsg.), Rude awakenings (Fn. 1934), S. 289.
302
2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Am zweiten Symposium vom 04. 03. 1942 wurde die Großostasiatische Wohlstandssphäre diskutiert.2185 Diese sollte nach den Teilnehmern dieser Symposien ein „Großraum (koiki-ken)“sein,2186 in dem alle Mitglieder, ob Staaten, ehemalige Kolonien oder Staatenlose für diesen Großraum beizutragen haben. Japan sollte als Führer dieser Wohlstandssphäre die Eigeninitiative und Selbstmotivation der Mitglieder stimulieren, nicht jedoch erzwingen.2187 Eine neue Ordnung der Großräume zu gründen, bedeute zwar einerseits die wirtschaftliche Autarkie und die Verteidigung der eigenen Existenz zu erstreben,2188 andererseits aber auch das Vereinigen unter einer moralischen Ebene.2189 Die Gründung der Großostasiatischen Wohlstandssphäre wurde also als eine primär ethische Aufgabe verstanden, da das Ziel nicht die Verbesserung der Glückseligkeit der Japaner sei, sondern die Vermehrung von Verantwortlichkeit gegenüber der Region.2190 Ohne ein moralisches Rahmenwerk, so Suzuki, werde die Wohlstandssphäre ihre welthistorische Bedeutung verlieren. Konventionelle Staatenbeziehungen, die entweder auf Konsens oder auf Erzwingung beruhen, seien nicht geeignet2191 für dieses
2185
Übersetzung des Transkripts des Symposiums vom 04. 03. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 182 – 260. 2186 Der Begriff „koiki-ken“ wurde tatsächlich von Großraum abgeleitet, wobei unklar ist, ob damit Großraum im Sinne von Carl Schmitt gemeint ist. So: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 43. 2187 Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 55. 2188 Die Notwendigkeit der Großostasiatischen Wohlstandssphäre sei jedoch nicht nur in der Notwendigkeit von Rohstoffen zu sehen. Vgl. Suzuki, Shigetaka, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Der ethische und historische Charakter der Ostasiatischen Wohlstandssphäre“ vom 04. 03. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 213. 2189 Nishitani, Keiji, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Der ethische und historische Charakter der Ostasiatischen Wohlstandssphäre“ vom 04. 03. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 215; Horio, Tsutomu, The Chuokoron discussions, their Background and Meaning, in: Heisig/Maraldo (Hrsg.), Rude awakenings (Fn. 1934), S. 309 – 310; hier zeigt sich auch die in Nishitani innewohnende Überzeugung, dass die politische und geschichtliche Dimension der Nation unentrinnbar sei. Aufbauend auf dieser Überzeugung formuliert Nishitani die welthistorische Führungsrolle Japans in Asien. Vgl. Iida, Yumiko, Constituting aesthetic/moral national space, in: Goto-Jones (Hrsg.), Kyoto School (Fn. 2184), S. 88 – 91. 2190 Suzuki, Shigetaka, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Der ethische und historische Charakter der Ostasiatischen Wohlstandssphäre“ vom 04. 03. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 253. 2191 Die herrschenden Ideologien in Deutschland und Italien, die letztlich auf Totalitarismus und Rassismus basieren, seien also keine Grundlage für die Gründung eines Großraumes. Vgl. Koyama, Iwao, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Der ethische und historische Charakter der Ostasiatischen Wohlstandssphäre“ vom 04. 03. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 219 – 221; auch der Kolonialismus, wie er etwa durch Großbritannien ausgeübt wurde, sei kein Weg für Japan. Vgl. Nishitani, Keiji, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Der ethische und historische Charakter der Ostasiatischen Wohlstandssphäre“ vom 04. 03. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 226.
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
303
Rahmenwerk.2192 Vielmehr wurde als moralische Grundlage der Großostasiatischen Wohlstandssphäre das (konfuzianische) Konzept der Familie eingeführt.2193 In einer Familie seien die Eltern zwar die Führer ihrer Kinder, jedoch nicht frei, diese zu vernachlässigen oder gar zu töten. Irgendwann sei es auch notwendig, sich dem Willen der erwachsenen Kinder zu beugen. Diese genossenschaftliche Beziehung2194 sei auch auf die Großostasiatische Wohlstandssphäre übertragbar.2195 In diesem Rahmen sei es notwendig, die moralische Energie, die Japan im Rahmen der MeijiRestauration gezeigt hat, auf die gesamte ostasiatische Region zu übertragen.2196 Das dritte Symposium fand am 24. 11. 1942 statt und behandelte „welthistorische Kriege“2197 wie den Großostasiatischen Krieg.2198 Dieser Krieg wurde als totaler Krieg im Sinne von Ludendorff verstanden, der nicht konventionell mit einer Kriegserklärung beginnen und einem Friedensvertrag enden könne. Nur wenn Japan, Schritt für Schritt, seine Großostasiatische Wohlstandssphäre aufbauen und den Krieg bis zur Erschöpfung auf beiden Seiten weiterführen würde, werde auch die USA seinen eigenen Großraum errichten und somit die neue Weltordnung akzeptieren.2199 Die Wohlstandssphäre wurde als welthistorische Notwendigkeit verstanden, die nicht aufgrund eines nationalistischen Egoismus gefordert wurde, sondern aufgrund des Strebens nach militärischer Sicherheit, wirtschaftlichem Wohlstand 2192 Suzuki, Shigetaka, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Der ethische und historische Charakter der Ostasiatischen Wohlstandssphäre“ vom 04. 03. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 254. 2193 Kosaka, Masaki, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Der ethische und historische Charakter der Ostasiatischen Wohlstandssphäre“ vom 04. 03. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 241 – 242. 2194 Koyama führt an dieser Stelle den Genossenschaftsbegriff von Gierke ein. Er sieht eine Ähnlichkeit zwischen diesem Begriff und dem Begriff der Familie, insbesondere der brüderlichen Beziehung innerhalb der Familie. Vgl. Koyama, Iwao, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Der ethische und historische Charakter der Ostasiatischen Wohlstandssphäre“ vom 04. 03. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 244. 2195 Koyama, Iwao, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Der ethische und historische Charakter der Ostasiatischen Wohlstandssphäre“ vom 04. 03. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 247 – 248. 2196 Nishitani, Keiji, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Der ethische und historische Charakter der Ostasiatischen Wohlstandssphäre“ vom 04. 03. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 246. 2197 Übersetzung des Transkripts des Symposiums vom 24. 11. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 261 – 369. Uhl weist darauf hin, dass dieser „welthistorische“ Ansatz von Hegel stammt. Vgl. Uhl, Christian, What was the „Japanese philosophy of history“?, in: Goto-Jones (Hrsg.), Kyoto School (Fn. 2184), S. 117 – 120. 2198 Kosaka, Masaki, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Die Philosophie der welthistorischen Kriege“ vom 24. 11. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 262. 2199 Koyama, Iwao, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Die Philosophie der welthistorischen Kriege“ vom 24. 11. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 268 – 269; Horio, Tsutomu, The Chuokoron discussions, their Background and Meaning, in: Heisig/Maraldo (Hrsg.), Rude awakenings (Fn. 1934), S. 311.
304
2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
und der Identität als Zivilisation. Die reichen westlichen Staaten seien mittlerweile in der Lage, durch angeblich friedliche Mittel wie wirtschaftliche Sanktionen, schwächere Staaten zu erpressen.2200 Deshalb sei es für die kleineren Staaten notwendig, eine gemeinsame pan-regionale Verteidigungszone zu errichten und innerhalb dieser Grenzen wirtschaftlich autark zu sein. Ein kolonialer Raum dürfe dieser Großraum jedoch nicht sein.2201 Die Kriegsparteien seien nun nicht mehr die einzelnen Staaten oder die Gruppierungen solcher Staaten, wie die Alliierten und die Mittelmächte, sondern die Großräume.2202 Die Gründung einer Wohlstandssphäre wurde also mit dem Überleben der Nation verknüpft.2203 Daraus wurde schließlich auch die Pflicht der anderen Asiaten abgeleitet, an dem Krieg teilzunehmen. Nur wenn Japan im welthistorischen Krieg obsiege und eine Wohlstandssphäre gründe, sei es möglich, dass die Asiaten das Verbot ihrer eigenen Kolonialisierung und Ausbeutung durchsetzten. Dieses Verbot müsse auch gegenüber Japan gelten.2204 Dazu sei es notwendig, dass die Asiaten ihre eigene nationale Subjektivität überwinden und „japanisiert“ werden würden.2205 cc) Völkerrecht der Großostasiatischen Wohlstandssphäre Yasui Kaoru und Tabata Shigejiro Während die Vertreter der Kyoto-Schule eine geschichtsphilosophische Analyse der Großostasiatischen Wohlstandssphäre anstrengten, waren Yasui Kaoru (1907 – 1980) und Tabata Shigejiro (1911 – 2001) auf das Völkerrecht in der Großostasiatischen Wohlstandssphäre fokussiert.2206
2200 Koyama, Iwao, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Die Philosophie der welthistorischen Kriege“ vom 24. 11. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 321 – 322. 2201 Koyama, Iwao, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Die Philosophie der welthistorischen Kriege“ vom 24. 11. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 323 – 324. 2202 Koyama, Iwao, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Die Philosophie der welthistorischen Kriege“ vom 24. 11. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 270. 2203 Nishitani, Keiji, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Die Philosophie der welthistorischen Kriege“ vom 24. 11. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 270 – 271. 2204 Koyama, Iwao, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Die Philosophie der welthistorischen Kriege“ vom 24. 11. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 300. 2205 Nishitani, Keiji, Diskussionsbeitrag zum Symposium „Die Philosophie der welthistorischen Kriege“ vom 24. 11. 1942, in: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. 300 – 302; Horio, Tsutomu, The Chuokoron discussions, their Background and Meaning, in: Heisig/Maraldo (Hrsg.), Rude awakenings (Fn. 1934), S. 315. 2206 Ikeda, Josuke, Japanese Vision of International Society, in: Shimizu/Ikeda/Kamino/ Shiro, Japanese IR (Fn. 1901), S. 17.
A. Japanozentrische Ordnung als Pendant zur Großraumtheorie?
305
Yasui, der einen Lehrstuhl an der juristischen Fakultät der Imperialen Universität Tokio innehatte, veröffentlichte mit „Die Theorie des regional-europäischen Völkerrechts (Oshu koiki kokusaiho no kiso rinen)“ eine Rezension der Schmitt’schen Großraumtheorie.2207 Yasui übernahm dabei die Kritik von Schmitt, dass das europäische Völkerrecht mittlerweile eine Universalisierung erlebt habe, und verband diese mit der Großostasiatischen Wohlstandssphäre. Großostasien habe nun in einer neuen Ordnung zu existieren und Japan sei der Kern davon.2208 Auch übernahm er die Unterscheidung Schmitts zwischen der Raumordnung innerhalb und außerhalb des Großraumes.2209 Tabata Shigejiro, der Professor für Völkerrecht an der Imperialen Universität Kyoto war, kritisierte im Werk „Die plurale Struktur der internationalen Rechtsordnung (kokusaiho chitsujo no tagenteki kosei)“ ebenfalls die Idee einer einheitlichen Völkerrechtsstruktur.2210 Vielmehr sah er einen Pluralismus von regionalen Ordnungen kommen, die jeweils in regionalen Blöcken ihre Ausprägung fänden und gesamtheitlich eine pluralistische Rahmenordnung bildeten.2211 Er sah dabei die Idee der Staatengleichheit äußerst skeptisch.2212 d) Fazit Das Handeln der japanischen Regierung am Ende der 1930er Jahre bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war von einem ultranationalistischen Expansionismus geprägt. Auch wenn die Expansion in China durch den stagnierenden zweiten sinojapanischen Krieg nicht voranging, wurde in Südostasien ein weiterer Raum erschlossen. Die japanische Regierung machte auch keinen Hehl daraus, dass die 2207
Yasui stellt dabei zunächst das konkrete Ordnungsdenken Schmitts und Schmitts Völkerrechtslehre vor, um dann das Werk „Völkerrechtliche Großraumordnung“ zu analy) wird dabei als ein partikulär-regionales Völkerrecht verstanden, sieren. Der Großraum ( das anders als die Region kein physisch neutraler Begriff, sondern ein geschichtlich politischer Begriff sei. Vgl. Yasui, Kaoru, Die Theorie des regional-europäischen Völkerrechts (japanisch: , ), 1942, S. 17 f., 32 f., 64 f., 90 f.; Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 221 – 222; Ikeda, Josuke, Japanese Vision of International Society, in: Shimizu/Ikeda/Kamino/Shiro, Japanese IR (Fn. 1901), S. 17 – 18. 2208 Yasui, Regional-europäisches Völkerrecht (Fn. 2207), S. 112; Ikeda, Josuke, Japanese Vision of International Society, in: Shimizu/Ikeda/Kamino/Shiro, Japanese IR (Fn. 1901), S. 18. 2209 Yasui betont, dass es notwendig sei, die beiden Völkerrechtsebenen genau zu kennen, um ein neues Großostasiatisches Völkerrecht zu schaffen. Vgl. Yasui, Regional-europäisches Völkerrecht (Fn. 2207), S. 112 – 113; Ikeda, Josuke, Japanese Vision of International Society, in: Shimizu/Ikeda/Kamino/Shiro, Japanese IR (Fn. 1901), S. 18. 2210 Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 221 – 222; Ikeda, Josuke, Japanese Vision of International Society, in: Shimizu/Ikeda/Kamino/Shiro, Japanese IR (Fn. 1901), S. 18. 2211 Ikeda, Josuke, Japanese Vision of International Society, in: Shimizu/Ikeda/Kamino/ Shiro, Japanese IR (Fn. 1901), S. 18. 2212 Ikeda, Josuke, Japanese Vision of International Society, in: Shimizu/Ikeda/Kamino/ Shiro, Japanese IR (Fn. 1901), S. 19.
306
2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Expansion nach Südostasien primär der Sicherung von Ressourcen diente, die im Krieg gebraucht würden. Allerdings ist auch nicht zu übersehen, dass der Panasianismus eine entscheidende Rolle im japanischen Imperialismus gespielt hat und japanische Politiker panasiatische Rhetorik für ihre Zwecke nutzten.2213 Auch die japanischen Philosophen nutzten die bereits bekannten panasiatischen Argumentationsmuster, um die Großostasiatische Wohlstandssphäre zu rechtfertigen und von einer japanozentrischen Region unter einer konfuzianisch anmutenden Raumordnung zu träumen. Dies machte wiederum den Panasianismus für Asiaten außerhalb Japans unglaubwürdig.2214 Insbesondere nach dem Ausbruch des zweiten sino-japanischen Krieges und des Zweiten Weltkrieges wurde klarer, dass Japan den Panasianismus nur als Kriegslegitimation nutzte. Japan bezeichnete diesen Krieg als „Großostasiatischen Krieg“ und stilisierte ihn zum Kampf zwischen Ost und West. Für China jedoch waren beispielsweise die Fronten zwischen dem imperialistischen Japan auf der einen Seite und China sowie seinen westlichen Alliierten auf der anderen Seite zu verorten.2215 Insgesamt zeigt sich eine frappierende Ähnlichkeit zwischen dem japanischen Denken zu dieser Zeit und der Großraumtheorie Schmitts. Fast einhellig wurde eine hierarchische Raumordnung unter Japans Führerschaft vorausgesetzt, wie es ebenso Schmitt in seiner Großraumtheorie für Deutschland vorsah. Diese Großraumtheorie war den japanischen Denkern auch durchaus bekannt, wie die erwähnte Rezension Yasui Kaorus dokumentiert. Weiterhin wurde der äußere „raumfremde“ Feind den Asiaten, in Schmitt‘scher Manier, gegenübergestellt. Letztlich fehlte es jedoch an einer stabilen Ordnung innerhalb dieses Raumes. Eine Voraussetzung Schmitts für eine stabile Großraumordnung war jedoch, dass das Reich eine konkrete Ordnung ausstrahlen und aufrechterhalten müsse. In Ostasien war dies nicht der Fall, da der japanische Panasianismus für die restlichen Asiaten – angesichts der Brutalität der ultranationalistischen Expansionspolitik – keine hinreichende Überzeugungskraft entwickelte und die nationalistische Kokutai-Ideologie für eine allumfassende Raumordnung ungeeignet war.
2213
Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 10. Dies zeigt etwa auch der Umstand, dass 1910 Ahn Junggun ebenfalls panasiatische Vorstellungen hatte, aber mit der zunehmenden Macht von Japan in der Region die Überzeugungskraft der panasiatischen Argumente verloren ging. Vgl. Saaler/Szpilman (Hrsg.), PanAsianism I (Fn. 1622), S. 21. 2215 Saaler/Szpilman (Hrsg.), Pan-Asianism I (Fn. 1622), S. 26 – 27. 2214
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
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B. Die Realisierung der „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jahrhundert? Wie im vorhergehenden Abschnitt dargelegt, sind zwischen der Raumordnung, die die Vertreter des „Meishuron“ Panasianismus skizzierten, und der Raumordnung gemäß der Schmitt’schen Großraumtheorie starke Parallelen zu erkennen. Weiterhin zeigt uns die Untersuchung der panasiatischen Rhetorik in Japan ab dem 19. Jahrhundert, dass Japan neben der Dichotomie zwischen Ost und West auch immer eine Referenz zur alten konfuzianisch-sinozentrischen Ordnung zog, um die eigene Vorherrschaft zu rechtfertigen. Insofern stellt sich die Frage, ob nicht diese konfuzianisch-sinozentrische Raumordnung ebenfalls starke Parallelen zu Schmitt aufweist. Diese Frage stellt sich umso mehr, da dieses System einerseits über 2000 Jahre lang die Völkerrechtsordnung in Asien entscheidend geprägt hat und andererseits, weil es gerade in einem entscheidenden Punkt eine Besonderheit darstellt: Anders als bei den Großraumkonzeptionen in Europa oder auch der japanozentrischen Ordnung gab es eine Akzeptanz dieser Ordnung durch andere Staaten, vor allem durch Korea. Aus der europäischen Perspektive2216 wird diesbezüglich oftmals ausgeführt, dass es zumindest eine mit dem europäischen Völkerrecht vergleichbare systematische Völkerrechtslehre außerhalb Europas, und somit auch in Asien, nicht gegeben habe.2217 Es hätte zwar gleichartige oder ähnliche Regelungen gegeben, das asiatische, spezifisch das chinesische Völkerrecht sei jedoch nicht „zwischenstaatlich“ und somit nicht international gewesen.2218 Einer der Gründe für eine solche Annahme dürfte sein, dass die völkerrechtliche Denklogik des sog. klassischen europäischen Völkerrechts auf der formellen Staatengleichheit aufbaut, die nach dem Westfälischen Frieden als Axiom des europäischen Völkerrechts gilt. Das ostasiatische Völkerrecht jedoch basierte genau auf einem System der formellen Ungleichheit, dem tributären System, was jedoch 2216
Grewe weist darauf hin, dass die Einschränkung des Anwendungsbereiches des europäischen Völkerrechts auf die christlich-abendländischen Staaten eine Grundlage des Kolonialvölkerrechts gewesen sei. Dies dürfte auch die europäische Sicht auf das Völkerrecht außerhalb des europäischen Völkerrechts maßgeblich mitbestimmt haben. Vgl. Grewe, Völkerrecht (Fn. 588), S. 449 – 479 (453). 2217 Beispielhaft die folgende Ausführung von Reibstein: „Nur in Europa sind die Ideen von Religion und Philosophie, Recht und Staat, Moral und Gesetz in denjenigen Formen entwickelt und zueinander in Beziehung gesetzt worden, auf die sich jeder Zivilisierte ansprechen lassen muss.“ Vgl. Reibstein, Ernst, Völkerrecht: Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis Band I: Von der Antike bis zur Aufklärung, 1957, S. 23. Auch Jellinek ist der Ansicht, dass China die Vertragsbindung als zivilisatorische Entwicklungsstufe nicht erreicht habe. Vgl. Jellinek, Georg, China und das Völkerrecht, in: Deutsche Juristen-Zeitung, 1900, S. 401 – 403 (403). 2218 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 58), S. 24; Nussbaum, Geschichte (Fn. 2), S. 4.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
wiederum eine relative Stabilität innerhalb des ostasiatischen Raumes ermöglichte.2219 Der Begriff der tributären Beziehung muss hierbei von der Vasallenbeziehung unterschieden werden, da das Letztere eine wirtschaftliche, politische und militärische Abhängigkeit beinhaltet, die bei der tributären Beziehung oftmals überhaupt nicht existierte und in anderen Fällen jedenfalls nicht in einem Maße, indem man von einem völligen Verlust der „Souveränität“ nach europäischem Verständnis sprechen könnte.2220 John Fairbank (1907 – 1991) sieht die sinozentrische Welt als Archetyp für das gesamte ostasiatische Staatensystem an.2221 Fairbank geht dabei von mehreren Annahmen aus. Diese Annahmen beinhalten etwa, dass die sinozentrische Welt, die sog. ), von einer kulturellen Insel von Ordnung unter dem Himmel (chin. Tianxia, Nordchina ausging und sich in den Süden ausbreitete. Diese Ordnung bestand nach Fairbank stets als kulturelle Einheit, egal, ob diese in einem zentralistischen Staat oder in mehreren konkurrierenden Staaten innewohnte.2222 Diese sinozentrische Welt wurde von dem chinesischen Kaiser, dem sog. Sohn des Himmels (chin. Tianzi, ), beherrscht, der eine omnipotente und multifunktionale Rolle nicht nur über das jeweilige Staatsgebiet, sondern darüber hinaus über den gesamten sinozentrischen Raum hatte.2223 Diese ideologische Herrschaft des Sohnes des Himmels sollte nämlich auch auf Staaten außerhalb von China reichen, soweit sie mit China in Verbindung standen.2224 Anders als in Europa, in dem die klare Abgrenzung der Staatsgebiete und die formelle Gleichstellung aller souveränen Staaten eine tragende Rolle spielte, wurde das ostasiatische Staatensystem, auch über die sinozentrische Welt hinaus, von der Idee der Hierarchie beherrscht. Ein übergeordneter Staat übte also eine universale Herrschaft aus und ein untergeordneter Staat wurde von diesem übergeordneten beherrscht.2225 Wann sich dieses Konzept der sinozentrischen Welt in ein tributäres System institutionalisierte, ist nicht abschließend geklärt.2226 Der Ursprung dieses Systems 2219
Kang, David Chan-oong, East Asia before the West: Five Centuries of Trade and Tribute, 2010, S. 2; Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 80; List, Weltregionen (Fn. 663), S. 180. 2220 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung, Jaejung (Hrsg.), Die koreanisch-chinesische Beziehung im Kontext der Ostasiatischen Internationalen , ), Ordnung (Koreanisch: 2010, S. 271. 2221 Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 9. 2222 Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 5. 2223 Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 6; Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 72 – 73. 2224 Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 8. 2225 Der chinesische Kaiser ist hier nur ein Beispiel. Das gleiche Muster findet sich nach Fairbank auch zwischen den Mandschuren und den Mongolen, der japanischen Region Satsuma und den Ryukyu-Inseln sowie zwischen Nepal und Tibet. Vgl. Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 9; Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 75. 2226 Es wird vermutet, dass das tributäre System entweder bereits vor der Qin-Dynastie oder erst nach der Qin bzw. Han-Dynastie entstand. Vgl. Kim, Yongkoo, The Politics of Two Worlds
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
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liegt jedoch in der Zeit vor der Qin-Dynastie (221 v. Chr. – 207 v. Chr., chin. Qín, ).2227 Bis zur Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr. Han, ) war das tributäre System jedoch noch kein ständig ausgeübtes System, und es fehlte an einer Gegenseitigkeit. Mit der Zeit entwickelte es sich in ein imperialistisches Beherrschungssystem, das nicht nur auf militärischer, sondern insbesondere auf kultureller Herrschaft basierte. Zur Zeit der Ming-Dynastie (1368 – 1644, chin. ) entstanden einige auf Konsens basierende tributäre Beziehungen mit einigen Staaten, wie die ), sodass nicht mehr von einer koreanische Chosun-Dynastie (1392 – 1897, kor. einseitigen Weltsicht gesprochen werden kann. Wie schon bei der Darstellung des europäischen Rechtsdenkens muss festgestellt werden, dass die Darlegung der gesamten Geschichte eines Kulturkreises über 2000 Jahre nicht auf einigen Seiten oder in wenigen Kapiteln möglich ist und auch nicht sinnvoll sein kann. Die Untersuchung muss deshalb auf die Thematik des völkerrechtlichen Rechtsdenkens beschränkt bleiben. Trotzdem ist eine Erläuterung der groben geschichtlichen Geschehnisse unerlässlich, da nur dadurch die Entwicklung des Völkerrechts verständlich wird. Im Folgenden wird deshalb zunächst ein grober Überblick über den völkerrechtsgeschichtlichen Hintergrund des sinozentrischen Systems gegeben. Danach sollen zentrale Konzepte des sinozentrischen Systems angeschaut werden. Dies soll dabei aus dem chinesischen Blickwinkel erfolgen.
I. Die Ordnung im sinozentrischen Raum in der ostasiatischen Geschichte Allgemein wird das traditionelle asiatische und gerade das chinesische2228 Rechtsdenken mit dem Konfuzianismus2229 in Verbindung gebracht.2230 Dies kann in views The Challenge of Western International Law to Eastern Li (koreanisch: ), 1997, S. 86. 2227 Gemeint ist die Xia, Shang und Zhou-Dynastie. Vgl. Kim, Politics (Fn. 2226), S. 87. 2228 Fälschlicherweise wird oftmals auch behauptet, dass China gar kein Recht gehabt habe. Nach MacCormack entstammt diese Idee dem Buch „L’espirit des lois“ von Montesquieu. Vgl. MacCormack, Geoffrey, The spirit of traditional chinese law, 1996, S. xiii. 2229 Der sinozentrische Raum wurde durch die konfuzianische Ideologie Chinas geprägt, ohne dass diese eine heilsbringende Vision aufwies und ohne dass China diese Ideen den Nachbarländern aufzwang. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 25, 33. 2230 Dabei wird auch die Idee geäußert, dass China gar kein Recht habe, da die Riten, die im Konfuzianismus eine wichtige Ordnungsrolle spielen, das Recht obsolet mache. Allerdings kann dem so nicht zugestimmt werden, da es einerseits trotz konfuzianischer Tradition eine starke legistische Strömung im chinesischen Staatsdenken gab und darüber hinaus der Konfuzianismus das Recht nicht als solches negiert. Vgl. MacCormack, Spirit (Fn. 2228), S. 2 ff. Letztlich kann zwar nicht gesagt werden, dass chinesische Rechtskultur allgemein auf Konfuzianismus reduziert werden kann, aber es kann auch nicht geleugnet werden, dass der Konfuzianismus einen entscheidenden Einfluss auf die lange Rechtstradition Chinas hatte.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
einer stark verallgemeinerten Form auch für das Völkerrecht gesagt werden. Die Grundidee des Konfuzianismus ist, dass Staaten auf der Grundlage von Ideen, die in alten chinesischen Schriften niedergelegt sind, zu regieren sind.2231 In der Qin-Dynastie erfolgte eine legalistische Periode, und seit der darauffolgenden Han-Dynastie war das Recht stark konfuzianisch geprägt und wurde in der Tang-Dynastie (618 bis 907, chin. Tang, ) zusammengefasst.2232 Dieses Recht der Tang-Dynastie überlebte auch die folgenden Dynastien bis hin zur Qing-Dynastie (1644 bis 1912, chin. Qı¯ng, ).2233 Dem konfuzianisch geprägten Recht wohnt die sinozentrische Sichtweise inne, die zwischen der „Mitte“ und der „Peripherie“ trennt, aber gleichwohl zumindest implizit anerkennt, dass es auch außerhalb des sinozentrischen Raums Staaten gibt. In der Theorie würde dies also heißen, dass China intern, hochzivilisiert und mächtig ist, während die „Barbaren“ extern, klein und von niedrigerem Zivilisationsstandard geprägt sind.2234 Dieses System kennt zudem eine Stufung der Souveränität der einzelnen Staaten, zumindest innerhalb der Einflusssphäre der chinesischen Dynastien.2235 Deshalb ist es auch im Hinblick auf die Großraumtheorie von Ertrag, die Wurzeln des sinozentrischen Völkerrechtes vor dem 19. Jahrhundert zu betrachten. 1. Die Entstehung eines intra-chinesischen Tributsystems zu Zeiten der Zhou-Dynastie Das chinesische Völkerrecht entstand in der „Zeit der Frühlings- und Herbstannalen und der streitenden Reiche“ (chin. Chu¯nqiu¯ Zhànguó Shídài, )2236, die auch die Zeit der östlichen Zhou-Dynastie (ca. 772 bis 221 v. Chr., Allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass Konfuzianismus sich zwar in den Rechtsbüchern der chinesischen Dynastien widerspiegeln sollte, dieser Konfuzianismus sich aber auch durch stetige neue Interpretationen von dem ursprünglichen Inhalt entfernte. Vgl. Chen, Jianfu, Chinese Law: Towards an Understanding of Chinese Law, its Nature and Development, 1999, S. 4. 2231 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 29. 2232 Die Gesetze der Tang-Dynastie waren auch von Nachbarstaaten hoch angesehen und in lokale Gesetze adaptiert. Vgl. Bhatia, Harbans Singh/Tan, Chung, Legal and political system in China Volume I (Pre 1949 period), 1974, S. 29. 2233 MacCormack, Spirit (Fn. 2228), S. 2. 2234 Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 20. 2235 Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 2 – 3. 2236 Diese Zeit wird wiederum auch in die „Zeit der Frühlings- und Herbstannalen (ca. 772 bis 481 v. Chr.)“ und in die „Zeit der Streitenden Reiche (ca. 475 bis 221 v. Chr.)“ unterteilt. Ausgangspunkt dieser Unterscheidung ist, dass eines der „fünf Hegemonen (chin. Wuˇ Bà, )“ Jin, sich in drei kleinere Staaten Han, Zhao und Wei aufteilte und somit das politische Gleichgewicht ins Wanken geriet und nunmehr „sieben Großmächte (chin. Qı¯xióng, )“ sich stritten um China zu vereinen. Vgl. Keay, John, China. A history, 2009, S. 71. Unter dem formellen chinesischen Kaiser gab es fünf Ränge, die jedoch faktisch als Gleichgestellte galten.
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
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Do¯ngzho¯u, ) genannt wird.2237 Dies war eine Epoche, in der die Zhou-Dynastie (insgesamt 1122/1045 – 221 v. Chr., chin. )2238 zwar formell als zentrale Macht regierte, jedoch die Fürsten in den Regionen faktisch so unabhängig waren,2239 dass sie sich tatsächlich von der zentralen Zhou-Dynastie freisagen konnten.2240 Keiner der Feudalherren (chin. Ba, )2241 war jedoch mächtig genug, um eine universell-chinesische Dynastie aus eigener Macht gründen zu können.2242 Diese Periode war paradoxerweise auch die Blütezeit der Staatsphilosophie in China,2243 da Vgl. Cotterell, Arthur, Der Erste Kaiser von China. Der größte archäologische Fund unserer Zeit, 1981, S. 103. 2237 Die sog. Periode der Frühlings- und Herbstannalen vor der Qin-Dynastie ist für die Entwicklung des sinozentrischen Völkerrechtes vor dem 19. Jahrhundert von zentraler Bedeutung. Der Grund dafür ist, dass alle späteren chinesischen Dynastien den Ursprung und die Rechtfertigung des Chaogong-Cefeng-Systems in dieser Zeit suchen. Vgl. Kim, Politics (Fn. 2226), S. 87. 2238 Die Zhou-Dynastie konnte – die Zeiten der westlichen und östlichen Zhou-Dynastie zusammengerechnet – bis zu ihrem endgültigen Untergang, eingeleitet durch die Qin-Dynastie, etwa 800 Jahre lang bestehen. Allerdings zeigen schon die Ausführungen zu der östlichen Zhou-Dynastie, dass China keinesfalls stets zu jedem Zeitpunkt eine starke zentrale Macht besaß, sondern vielmehr mehr oder weniger autonome Regionen existierten, die sich, insbesondere nach der Verlegung der kaiserlichen Hauptstadt, als eigene Staaten erklärten. Vgl. Lee, Samsung, War and peace in East Asia 1. Two Thousand Years of Chinese World Order and the Korean Peninsula (koreanisch: , 1. 2 ), 2009, S. 40. 2239 Im Zoushi zhuan, einem Kommentar des von Konfuzius kompilierten Geschichtsbuch „Chunqiu (Die Frühlings und Herbstannalen)“, ist von bis zu 148 mehr oder weniger autonomen Staaten die Rede. Vgl. Keay, China (Fn. 2236), S. 62; Kaminski, Gerd, Chinesische Positionen zum Völkerrecht, 1973, S. 16; Hui, Victoria Tin-bor, War and State Formation in Ancient China and Early Modern Europe, 2005, S. 4; Hsu, Cho Yun, The Spring and Autumn Period, in: Loewe, Michael,/Shaughnessy, Edward (Hrsg.), The Cambridge history of ancient China, 1999, S. 547. 2240 Maßgeblich an der Schwächung beteiligt war König You von Zhou, der zugunsten seiner Konkubine Bao Si und dem gemeinsamen Sohn, die Königin Shen und den Kronprinzen Ping absetzte. Dies führte zu einem Angriff des Vaters der Königin, dem Herrscher über die Region Shen, mithilfe des Nomadenvolkes, der Quanrong. Der Kronprinz Ping wurde zum König und die Hauptstadt wurde 770 v. Chr. von Hao nach Luoyang gelegt. Das Königshaus Zhou hatte nunmehr als zentrale Macht keinerlei Bedeutung mehr. Vgl. Keay, China (Fn. 2236), S. 62; Kaminski, Positionen (Fn. 2239), S. 37; Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 4; Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 34. 2241 Die fünf Hegemonen, nämlich die Fürsten von Qi, Jin, Qin und Song sowie der König von Chu, waren die herausragenden Mächte dieser Periode. Vgl. Keay, China (Fn. 2236), S. 64. 2242 Zur graduellen Machtwanderung von Qi, Jin, Chu und letztlich auf Qin. Vgl. Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 54 – 67; Loewe/Shaughnessy (Hrsg.), China (Fn. 2239), S. 551 – 566 sowie 632 – 641; Cotterell, Arthur, Das Reich der Mitte: 5000 Jahre Geschichte und Tradition des Alten China, (übersetzt aus dem Englischen von Drube, Herbert/Reiser-von Loh, Kathrin/Siber, Karlheinz, Original Titel „The Early Civilization of China“, 1981), 1982, S. 38 – 40. 2243 Diese Vielzahl der philosophischen Schulen werden gemeinsam als die „Hundert Schulen (chinesisch Zhu¯zıˇ Baˇ ijia¯ ( ))“ bezeichnet. Dazugezählt wird u. a. der Konfuzianismus, der Legalismus, der Daoismus, der Mohismus sowie die Yin-Yang Schule. Vgl.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
die politische Realität in China ein einziger Krieg „Jeder gegen Jeden“ oder auch „Regionalfürst gegen Regionalfürst“ war und viele Philosophen dieses „Chaos“ durch ihre Philosophie zu überwinden versuchten.2244 Das Völkerrecht in dieser Zeit, dass sich noch auf die Staaten innerhalb der chinesischen Welt begrenzte, zeigte Parallelen zum europäischen Recht auf2245 und existierte immerhin über 300 Jahre in einer relativen Stabilität.2246 Das Fehlen einer zentralen Ordnungsmacht wurde in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen dadurch beseitigt, dass Bündnisverträge geschlossen und Staatenkonferenzen2247 abgehalten wurden. Es wurde zudem ein Beauftragter des Königs berufen. Dieser trug den Titel „Hegemon“ (chin. Bà, )2248 oder „Herr der Verträge“ (chin. Meng-Chu, , jap. Meishu2249).2250 Ein etwaiger stärkerer Staat wurde, soweit er versuchen sollte, eine alleinige Herrschaft zu erlangen, durch eine Allianz der schwächeren Staaten besiegt.2251 Insofern sind Parallelen zum ius publicum europaeum ersichtlich. Die Hegemonen innerhalb der intra-chinesischen Staatenwelt wechselten sich rasant ab. Zheng,2252 Qi2253 und Chu2254 wurden nacheinander Hegemonen in der Loewe/Shaughnessy (Hrsg.), China (Fn. 2239), S. 745 – 813; Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 34; Cotterell, Reich der Mitte (Fn. 2242), S. 63 – 65. 2244 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 12 – 15. Folglich gab es auch ein entwickeltes Kriegsrecht und Neutralitätsrecht. Vgl. Kaminski, Gerd, Chinas Völkerrecht und Außenpolitik: Historische Grundlagen. Das chinesische Völkerrecht der Frühlings- und Herbstperiode (770 – 475 v. Chr.), 1972, S. 76 – 93, 94 – 95. 2245 Svaverud, Rune, International Law as a World Order in Late Imperial China: Translation, Reception and Discourse. 1847 – 1911, 2007, S. 150 – 152; Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 54. 2246 Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 64, 108. 2247 Die Hauptaufgaben dieser Staatenkonferenz waren ökonomischer (z. B. gegenseitige Unterstützung bei Naturkatastrophen), militärischer (z. B. Beistand im Krieg) und rechtlicher (z. B. Bestrafung von abgefallenen Mitgliedstaaten) Art. Vgl. Kaminski, Positionen (Fn. 2239), S. 40; Kaminski, Völkerrecht (Fn. 2244), S. 30 – 31. 2248 Dieser Titel wird gängig als Hegemon übersetzt, auch wenn dies nicht unbedingt eine zutreffende Übersetzung sein mag. Vgl. Keay, China (Fn. 2236), S. 64. 2249 Dieser Begriff tritt später in der japanischen Diskussion auf. Die sog. Meishuron („Theorie des Herren des Vertrages“) besagt, dass Japan sich als neuer „Meishu“ über ganz Asien sehen sollte. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 44 – 52. 2250 Kaminski, Positionen (Fn. 2239), S. 39; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 10. Seine Aufgabe war die Aufrechterhaltung des politischen Gleichgewichts. Vgl. Kaminski, Völkerrecht (Fn. 2244), S. 29. 2251 Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 64. Als Staat wurde anerkannt, wenn ein gewisses Staatsgebiet, eine sesshafte Bevölkerung, eine fortgeschrittene Nahrungsmittelproduktion, eine organisierte Staatsführung mit chinesischen Zeremoniell, ein geordnetes Verwaltungs- und Steuersystem existierte, ein Staatskult praktiziert wurde und der Staat von anderen Mitgliedern der chinesischen Völkerrechtsgemeinschaft anerkannt wurde. Vgl. Kaminski, Völkerrecht (Fn. 2244), S. 32. 2252 Hsu, Cho-Yun, The Spring and Autumn Period, in: Loewe/Shaughnessy (Hrsg.), China (Fn. 2239), S. 552.
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Staatenwelt. Als Antwort auf die Übermacht einzelner Staaten schlug Fürst Huan von Qi2255 im Jahre 681 v. Chr. eine Konferenz (chin. Hui Meng ( )) aller chinesischen Staaten vor, um Sicherheitsfragen gerade im Hinblick auf das aktuelle aggressive Vorgehen des Königreiches Chu zu besprechen.2256 Im Jahre 632 v. Chr. konnte der Staat Jin den bisherigen Hegemon Chu besiegen,2257 jedoch nicht vollkommen zerschlagen.2258 546 v. Chr. wurde dann eine Friedenskonferenz auf Initiative kleiner Staaten einberufen, und die beiden Staaten Jin und Chu mussten einem Friedensabkommen zustimmen.2259 Insgesamt bildete sich also ein internationales System, welches der Situation in dem sog. Europäischen Konzert nicht unähnlich ist. Es gab ein bis zwei Großmächte, die den Frieden der Region bedrohten und mehrere kleinere Staaten, die ihr Gegengewicht dazu nutzten, um die Macht zwischen den beiden Konkurrenten auszubalancieren. Dieses Bündnissystem wurde bis zum Ende der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen weitergeführt.2260 Die chinesischen Staaten zu dieser Zeit konnten 2253 Mit dem langsamen Niedergang der Zheng und der Expansion der Qi konnte sich der Staat Qi in den ersten offiziellen Hegemonen entwickeln. So wurden viele Zhou-Staaten von Qi beschützt. Selbst das Könighaus beauftragte Qi Aufstände niederzuschlagen und erteilte Qi den Titel des Hegemonen. Somit konnte sich Qi als Erhalter des Mandats des Himmels und Beschützer der Zhou-Dynastie darstellen. Vgl. Hsu, Cho-Yun, The Spring and Autumn Period, in: Loewe/Shaughnessy (Hrsg.), China (Fn. 2239), S. 552; Cotterell, Erster Kaiser (Fn. 2236), S. 111. 2254 Struktur erlangte das Bündnissystem der Frühlings- und Herbstannalen um den Hegemon durch das Aufkommen der Chu. Chu war ein Staat, der außerhalb des eigentlichen ZhouTerritoriums lag und führte deshalb den Titel eines Königreichs. Chu war territorial und von der Ressourcenlage gesehen der größte und reichste Staat. Somit konnte Chu sich schnell in einen bürokratisch durchverwalteten Staat entwickeln. Vgl. Hsu, Cho-Yun, The Spring and Autumn Period, in: Loewe/Shaughnessy (Hrsg.), China (Fn. 2239), S. 556; Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 56; Cotterell, Erster Kaiser (Fn. 2236), S. 117. 2255 Qi versuchte in dieser Interstaaten-Konferenz eine Ordnung zu errichten, die auf Konsens gründete. Der Staat Qi sowie einige der anderen chinesischen Staaten haben somit im Jahre 656 v. Chr. das Königreich Chu von seinen Ambitionen abbringen können, in das Herzland von China zu expandieren. Vgl. Hsu, Cho-Yun, The Spring and Autumn Period, in: Loewe/ Shaughnessy (Hrsg.), China (Fn. 2239), S. 557; Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 57. 2256 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 10; Hsu, Cho-Yun, The Spring and Autumn Period, in: Loewe/Shaughnessy (Hrsg.), China (Fn. 2239), S. 556 – 557. 2257 Der Kampf dieser zwei Rivalen Chu und Jin – im Übrigen ein klassisches Beispiel für eine Gleichgewichtssituation – war für das nächste Jahrhundert kennzeichnend. Vgl. Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 57 – 58. 2258 Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 58. 2259 Chu versuchte etwa mit Qin eine Allianz zu gründen, während Jin versuchte mit Wu sowie mit Qi eine Allianz zu gründen. Die kleineren Staaten wurden zum Schlachtfeld für den Kampf dieser beiden Staaten. Vgl. Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 57. 2260 Im Jahre 506 v. Chr. konnte ein bis dahin relativ unbedeutender Staat, Wu, der aufgrund der Bemühungen Jins einen lokalen Rivalen von Chu aufzubauen gestärkt wurde, die Hauptstadt von Chu erobern. 484 v. Chr. besiegte Wu auch Qi. 482 v. Chr. errang Wu die Hegemonialstellung von Jin. Wu wiederum wurde aufgrund der hohen Kosten der Kriegsführung sowie auch
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
also gegenseitig nicht frei Krieg führen, ohne dass sie Strafexpeditionen gegen sich2261 oder einen partiellen Verlust der – nach europäischer Terminologie – Völkerrechtsfähigkeit zu befürchten hatten.2262 Die Vertretung des Staates nach außen oblag grundsätzlich dem jeweiligen Fürsten. Nach dem Tod eines Fürsten in dem jeweiligen Staat musste der neue Fürst, meist der älteste Sohn des Verstorbenen, erst durch die Staatengemeinschaft anerkannt werden. Für die Übergangszeit war das Beamtentum des jeweiligen Staates mit der Vertretung nach außen betraut. In der späteren Zeit der Frühlings- und Herbstannalen wurde die Macht der Beamten deshalb zunehmend stärker.2263 Insgesamt war die Zeit der Frühlings- und Herbstannalen folglich eine Zeit der Diplomaten.2264 Das chinesische System, das in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen existierte, jedoch in der folgenden Periode der streitenden Reiche langsam verschwand, ist eine überraschend offene, auf Staatengleichheit basierende Ordnung, die nicht zwingend nach Rassen unterschied. Das System konnte bestehen, weil die ZhouDynastie zwar keinerlei Macht mehr besaß, das gesamte chinesische Reich zu kontrollieren, gleichzeitig aber keiner der Feudalherren stark genug war, eine Einheit herbeizuführen.2265 2. Die Ausweitung des Tributsystems auf völkerrechtliche Beziehungen Der Bruch dieses internationalen Bündnissystems kam, sobald diese Machtbalance zu wanken begann. Die endgültige Beseitigung des Systems geschah durch das Kaiserreich Qin, als es China vereinigte. Der nach der Periode der streitenden Reiche
wegen der konstanten Feindschaft mit dem Nachbarstaat Yue, der aufgrund der Allianz mit Chu, Jin und Qi gestärkt wurde, im Jahre 473 v. Chr. von Yue besiegt und erobert. In der Folgezeit hatten Jin, Qin und Qi mit internen Problemen zu kämpfen, während Chu, Yue und Yan weiterhin expandierten. Jin wurde dann im Jahre 453 v. Chr. in drei Staaten, Wei, Han und Zhao aufgeteilt. Wei konnte aufgrund seiner starken internen Struktur, die neben einem Verwaltungsapparat auch eine Registrierung und entsprechende Besteuerung vorsah, schnell expandieren und mithilfe von Han und Zhao als neuer Hegemon aufsteigen. Als Wei allerdings versuchte Han und Zhao zu annektieren intervenierte Qi in diesen Konflikt und besiegte Wei, sodass spätestens 341 v. Chr. die Hegemonie an Qi überging. Qi konnte in der Folgezeit territorial expandieren, indem etwa der Staat Yan erobert und abhängig gemacht wurde und Chu sowie Qin besiegt wurden. Allerdings kam es auch bei Qis Hegemonie zu einem Ende, als Yan im Jahre 284 v. Chr. eine Anti-Qi-Allianz mit Zhao, Qin, Han und Wei mobilisierte. Vgl. Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 59 – 64. 2261 Zum Kriegsrecht zur damaligen Zeit. Vgl. Kaminski, Positionen (Fn. 2239), S. 56 – 61. 2262 Kaminski, Positionen (Fn. 2239), S. 43. 2263 Kaminski, Positionen (Fn. 2239), S. 47 – 49. 2264 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 9. 2265 Die zumindest formale Zustimmung der Zhou war notwendig für die Hegemonen. Vgl. Keay, China (Fn. 2236), S. 64.
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
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hervorgehende Sieger, die Qin-Dynastie mit deren Kaiser Qinshi Huangdi,2266 formulierte einen neuen Anspruch der Einheit Chinas,2267 der für die nächsten Jahrhunderte galt.2268 Erst jetzt wurden die Reformvorschläge des Legalisten Shang Yang ) radikal2269 durchgesetzt, um den Feudalherrschern ihre (390 – 338 v. Chr., chin. 2270 Macht zu nehmen. Die Qin-Dynastie konnte jedoch aufgrund des militärischen Drucks durch das Nomadenvolk der Xio¯ngnú (chin. )2271 sowie durch die in2272 ternen Unruhen nicht bestehen. Kurz nach dem Tod des Qinshi Huangdi im Jahre 210 v. Chr. löste sich die Qin-Dynastie auf.2273 Trotz des kurzen Zeitraumes des Bestehens hatte die Qin-Dynastie dennoch eine entscheidende Bedeutung für die Entstehung des sinozentrischen Raums, da China als vereinter Staat nun eine Realität geworden war und somit als ein Machtzentrum existierte, das nun vereint gegenüber den nicht-chinesischen Staaten Beziehungen pflegte, Handel trieb, Tribute forderte und Kriege führte.2274 , später nannte er sich Han Gaozu, chin. 202 v. Chr. gründete Liu Bang (chin. , 247 v. Chr. – 195 v. Chr.) die Han-Dynastie.2275 Für die Vereinigung Chinas2276 musste Liu Bang jedoch den Zentralismus der Qin-Dynastie zu einem gewissen Grade zurücknehmen, um Unterstützung von den feudalen Machthabern zu bekommen.2277
2266 Qinshi Huangdi hat einen neuen Titel Huangdi (chin. ) eingeführt, der oftmals der europäischen Bezeichnung Kaiser gleichgesetzt wird. Vgl. Kaminski, Positionen (Fn. 2239), S. 65; Cotterell, Erster Kaiser (Fn. 2236), S. 163. 2267 Der Einheitsgedanke wurde so stark eingeprägt, dass es auch Jahrhunderte später nicht mehr möglich war, ein Staatensystem unabhängiger Staaten dauerhaft herzustellen. Vgl. Kaminski, Positionen (Fn. 2239), S. 66. 2268 Diese universalistische Prägung wurde stark von den Taoisten Laoze sowie den Konfuzianer Menzius geprägt. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 15. 2269 Die Staatsideologie des Legalismus wurde mit aller Härte umgesetzt, indem „Bücher )“ wurden. Vgl. Keay, China verbrannt und Gelehrte vergraben (chin. fénshu¯ ke¯ngrú, (Fn. 2236), S. 97, Chen, Chinese Law (Fn. 2230), S. 12; Cotterell, Erster Kaiser (Fn. 2236), S. 125 – 130; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 55. 2270 Dies hatte unter anderem auch zur Folge, dass die Maße, die Währung sowie die Schrift vereinheitlicht wurden. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 16; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 56. 2271 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 17. 2272 Keay, China (Fn. 2236), S. 111 – 112. 2273 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 41; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 57. 2274 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 17. 2275 Keay, China (Fn. 2236), S. 118. 2276 Die Vereinigung konnte nur nach dem Sieg gegen den Rivalen Xiang Yu (chin. 232 v. Chr. – 202 v. Chr.), den König von Chu, vollendet werden. Xiang Yu war nach dem Tode von Qin Shi Huangdi der Erste, der sich Hegemon (Ba) nannte und militärisch die Vereinigung von China vorantrieb. Vgl. Keay, China (Fn. 2236), S. 114. 2277 Keay, China (Fn. 2236), S. 119.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
In der Han-Dynastie bildete2278 sich ein chinesisches Völkerrechtsverständnis heraus.2279 Han Gaozu musste etwa die Xio¯ngnú als einen gleichwertigen Souverän anerkennen und darüber hinaus den Xio¯ngnú sogar Tribut2280 zollen.2281 Diese Politik )“ genannt.2282 wird auch Politik der „Freundschaft (chin. hochin, Jedoch konnte die Han-Dynastie, spätestens mit den fünften Kaiser Han Wudi (chin. , 156 – 87 v. Chr.), die Beziehung mit den Xio¯ngnú dramatisch verändern,2283 indem er wichtige militärische Erfolge erzielte.2284 Zu seiner Zeit konnte die Han-Dynastie zudem Teile von Korea, der Mongolei, Vietnam und Zentralasien erobern.2285 Han Wudi führte den Konfuzianismus auch als offizielle Staatsideologie ein.2286 43 v. Chr. trat das Xio¯ngnú Königreich der inneren Mongolei in ein tributäres Verhältnis mit der Han-Dynastie ein.2287 Yang Xiong, ein Historiker der frühen Han2278
Insgesamt kann die Zeit der Qin- und Han-Dynastie als ununterbrochener Konflikt mit den nördlichen Nomadenvölkern verstanden werden. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 20; Yü, Ying-Shih, Trade and Expansion in Han China. A Study in the Structure of Sino-Barbarian Economic Relations, 1967, S. 2; Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 41; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 57. 2279 Die Beziehung zu den Xio¯ngnú prägte die Außenpolitik der Han-Dynastie besonders. Vgl. Yü, Han China (Fn. 2278), S. 9. 2280 Dieser Präzedenzfall mit den Xio¯ngnú führte dazu, dass das tributäre System – wenn auch zunächst mit der chinesischen Dynastie als tributzollenden Staat – ein fester Bestandteil der Außenpolitik der chinesischen Dynastien gegenüber den nördlichen Nomadenvölkern wurde. Vgl. Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-CefengVerhältnisse im antiken Asien in: Kim, Jeongbae (Hrsg.), Die diplomatische Beziehung zwischen Korea und China und Chaogong Cefeng, (Koreanisch: , , ), 2005, S. 33 – 34; Yü, Han China (Fn. 2278), S. 36 – 37. 2281 Speisen, Wein, Seide und Prinzessinnen wurden den Xio¯ngnú als Tribut gegeben. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 20 – 21; Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-Cefeng-Verhältnisse im antiken Asien in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 29 – 32; Hori, Toshikazu, China und die Welt des Antiken Ostasiens: Die si: nozentrische Welt und die Minderheiten, 1993, (Japanisch: , zitiert wird die koreanische Fassung übersetzt von Jung, Byungjun/Lee, Wonseok/Chae, Jihae, 2012), S. 98. 2282 Yü, Han China (Fn. 2278), S. 37 – 38. 2283 Als die Xio¯ngnú dadurch geschwächt wurden, verlangte man zunächst Geiseln und Tribute. Erst durch einen internen Streit der Xio¯ngnú 70 v. Chr. und der darauffolgenden Teilung der Xio¯ngnú in zwei Königreiche, jeweils in der inneren und in der äußeren Mongolei, kam es zu der entscheidenden Schwächung. Vgl. Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 105; Yü, Han China (Fn. 2278), S. 42 – 45. 2284 Die Freundschaftspolitik, die Gaozu einführte, wurde stark kritisiert, kostete die HanDynastie viele Ressourcen aufgrund der zu erbringenden „Geschenke“ und hatte letztlich auch keinen nachhaltigen Erfolg. Wudi führte deshalb einen aggressiveren Kurs ein. Vgl. Yü, Han China (Fn. 2278), S. 10 – 13. 2285 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 20. 2286 Dies geschah zum Beispiel, indem er als Einstellungsvoraussetzung für Beamte das Wissen aus konfuzianischen Texten verlangte. Vgl. Keay, China (Fn. 2236), S. 128 – 129. 2287 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 24 – 25. Diese Einbeziehung des Xio¯ngnú Königs (chin. ) Hu-han-yeh ( ) in das Chaogong-Cefeng-System brachte die Frage auf, Chanyu,
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
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Dynastie, bezeichnete das Verhältnis zwischen der Han-Dynastie und der Xio¯ngnú )“.2288 Bis zum Ende der frühen Hanals „indirekte Herrschaft (chin. Jimi, Dynastie (bis 9. v. Chr.) unterhielt diese mit mehreren Staaten in Asien eine tributäre Beziehung.2289 Somit entstand das frühe tributäre System. Umgekehrt mussten manchmal die chinesischen Dynastien den nicht-chinesischen Staaten, je nach Machtverhältnis, Tribut zollen.2290 Es kann also zu diesem Zeitpunkt nicht von einer sinozentrischen Ordnung in Ostasien gesprochen werden. Allerdings war es die Zeit der Han-Dynastie, in der das tributäre System zum ersten Male in einem zweifellos internationalen und völkerübergreifenden Kontext angewandt wurde.2291 Die Wurzeln des tributären Systems liegen dabei in der „Freundschafts- (Hochin-)“ Politik, die letztlich eine einseitige Tributzahlung der Han-Dynastie an die Xio¯ngnú war.2292 Der entscheidende Unterschied war jedoch, dass die Xio¯ngnú die Geschenke der chinesischen Seite nur dann erhielten, wenn sie einen symbolischen Tribut zollten.2293 Die Han-Dynastie erkaufte sich also eine politische Vormachtstellung durch einen wirtschaftlich nachteilhaften Tauschhaninwieweit die Prinzen und der Chanyu gleichgestellt werden konnten. Diesbezüglich wurde von vielen Beamten eine formelle Gleichstellung mit den Prinzen behauptet. Tatsächlich wurde der Chanyu aber eigenständig behandelt. Nach Bang ist dies eine Anerkennung, dass die Macht des Chanyu eine eigenständige ist, während die Macht der Prinzen nur abgeleitet ist. Vgl. Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-Cefeng-Verhältnisse im antiken Asien in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 37 – 38; Kim, Byeongjun, Die internationale Ordnung in Ostasien und die sinokoreanischen Beziehungen im 3. Jahrhundert n. Chr., in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 32; Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 106. 2288 Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 109. 2289 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 25. Mit der Ausweitung des Chaogong Systems auf auswärtige Beziehungen kam es auch nicht mehr zu persönlichen königlichen Tributzahlungen an den chinesischen Kaiser. Vielmehr wurden nunmehr Diplomaten geschickt, die die Tribute formell annahmen. Dies führte zu einer weiteren Formalisierung des Chaogong Systems. Vgl. Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-Cefeng-Verhältnisse im antiken Asien in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 38 – 39. 2290 Kim, Byeongjun, Die internationale Ordnung in Ostasien und die sinokoreanischen Beziehungen im 3. Jahrhundert n. Chr., in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 50 – 54. Diese Tribute, in Form von kaiserlichen Geschenken, waren für den politischen Denker der Han-Dynastie, Jia Yi (200 – 169 v. Chr., chin. ) sogar eine zentrale diplomatische Strategie gegenüber den nicht-chinesischen Staaten. In seinem Werk „Drei Standards und fünf Köder“(chin. san piao wu-erh ( )) soll er etwa vertreten haben, dass es notwendig sei den Xio¯ngnú den Glauben zu geben, dass diese vom Sohn des Himmels geliebt werden. Dies sollte durch kaiserliche Geschenke erreicht werden. Vgl. Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 28 – 29. 2291 Yü, Han China (Fn. 2278), S. 36. 2292 Yü, Han China (Fn. 2278), S. 42. 2293 Dieser symbolische Tribut hatte nur den Charakter der Verfestigung des Subordinationsverhältnisses. Deshalb wurden auch mehr Geschenke von China ausgeteilt, wenn die Xio¯ngnú Könige persönlich den chinesischen Kaiser aufsuchten. Vgl. Yü, Han China (Fn. 2278), S. 46 – 47.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
del.2294 Die spätere2295 Han-Dynastie (23 – 189)2296 hatte die tributären Beziehungen gerade mit den Xio¯ngnú so stark institutionalisiert, dass es jährliche Tributzahlungen der Xio¯ngnú und jährlich festgelegte Geschenke der Chinesen gab.2297 Nach dem Niedergang der Han-Dynastie konnte erst die Sui-Dynastie (581 – 618, chin. ) im 6. Jahrhundert China vereinigen2298 und versuchte außenpolitisch tributäre Beziehungen mit anderen Staaten aufzunehmen.2299 Auch die auf die kurzlebige Sui-Dynastie2300 folgende Tang-Dynastie2301 führte ebenfalls eine aggressivere Außenpolitik ein.2302 Die eroberten Gebiete wurden jedoch nicht direkt, sondern nach der „Politik der indirekten Kontrolle (chin. Jimifuzhou, )“ verwaltet, was eine Weiterführung des bisherigen tributären Systems war.2303 Die Tang-Dy-
2294
Yü, Han China (Fn. 2278), S. 49. Nach einer kurzen Unterbrechung durch die Xin-Dynastie unter Wang Mang zwischen 8 n. Chr. und 23 n. Chr. konnte die Han-Dynastie bis 189 n. Chr. fortbestehen. Vgl. Keay, China (Fn. 2236), S. 182. 2296 Während dieser Zeit war die Han-Dynastie der mächtigste Staat in Ostasien. Ihr Einflussgebiet erstreckte sich über die innere Mongolen, die koreanische Halbinsel und die Mandschurei. Allerdings reichte ihr Einfluss nicht bis nach Japan. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 40. 2297 Yü, Han China (Fn. 2278), S. 51. 2298 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 62 – 63. 2299 Dies geschah etwa mit Vietnam im Jahre 602. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 64. 2300 Wegen des Aufstandes, der aufgrund der immensen Kosten der militärischen Expeditionen gegenüber der Koguryo-Dynastie entstand, wurde die Sui-Dynastie mit dem Mord an Yangdi im Jahre 618 beendet. Vgl. Keay, China (Fn. 2236), S. 232. Der zweite Kaiser der SuiDynastie Yangdi versuchte daraufhin die koreanische Koguryo-Dynastie zu erobern, unter anderem aufgrund der außenpolitischen Besorgnis, dass es eine türkisch-koreanische Allianz geben könnte. In den Jahren zwischen 610 und 614 erfolgte eine mehrfache Invasion der SuiDynastie in die Koguryo-Dynastie, die aber letztlich scheiterte. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 65. 2301 Die Tang-Dynastie wurde von dem General der Sui-Dynastie, Li Yuan, im Jahre 618 gegründet. Dieser nannte sich Tang Gaozu. Die Tang-Dynastie schaffte es, Institutionen zu schaffen, die China stabilisierten. Außenpolitisch ließ Tang Gaozu keine Invasionen ausführen, wie es die Sui-Dynastie versucht hatte, sondern akzeptierte Tribute von Koguryo. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 66 – 67. 2302 Taizong eroberte die östlichen Türken und Tibet. Weiterhin griff er auch Koguryo an, wobei diese Invasion nicht erfolgreich war. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 68 – 70. 2303 Dies bedeutete, dass lokale Herrscher durch die chinesische Zentralregierung ernannt ) eine gewisse Unwurden und als Herrscher über regionale Einheiten (chin. Zhouxian, abhängigkeit behielten. Diese wurden aber von einem Generalprotektorat (chin. Duhufu, ) kontrolliert, das als obere Verwaltungsstufe errichtet wurde und von zentralen Beamten besetzt wurde. Beispiele dafür sind das „Generalprotektorat zur Eroberung des Westens“, das im Jahre 640 nach der Eroberung von Gaochang gegründet wurde sowie das „Generalprotektorat zur Eroberung des Nordens“, das im Jahre 647 nach Eroberung der Xueyantuo gegründet wurde. Vgl. Kim, Changseok, Ostasien und die koreanisch-chinesische Beziehung im 6. bis zum 8. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 105. 2295
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
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nastie schaffte es zudem auch, vor allem die verschiedenen Regionen innerhalb von China unter einer einheitlichen konfuzianischen Kultur zu vereinen.2304 Die auf die Tang-Dynastie folgende Song-Dynastie (chin. , 960 – 1279)2305 erlebte zwar im Hinblick auf die chinesische Kultur, Wirtschaft und Technologie eine Blütezeit,2306 wurde aber von den Mongolen ausgelöscht.2307 Die Einführung des chinesischen Namens Yuan (chin. ) für das Mongolenreich im Jahre 12712308 war ein Zeichen dafür, dass Khubilai Khan China als „Sohn des Himmels“ im chinesischen Sinne regieren wollte.2309 3. Die sinozentrische Raumordnung zu Zeit der Mingund Qing-Dynastie Das konfuzianisch-sinozentrische Völkerrecht lebte ab der Ming-Dynastie wieder auf und wurde stringenter2310 praktiziert.2311 Schon der erste Kaiser der Ming Dy, 1328 – 1398), knüpfte maßgeblich an die konfunastie, Hongwudi (chin.
2304
Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 59. Die Song-Dynastie existierte bis 1126 im Norden Chinas, musste aber aufgrund der Invasion der Jin-Dynastie in den Süden weichen. Vgl. Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 70; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 111; Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 96. Die Song-Dynastie existierte im Süden bis 1279. Vgl. Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 71. 2306 Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 83. 2307 Im Jahre 1260 versuchte Khubilai Khan mit einem diplomatischen „Angebot“, dass die Song-Dynastie die Mongolen als Herrscher Chinas und Khubilai Khan als „Sohn des Himmels“ akzeptieren sollten, eine tributäre Beziehung aufzubauen, was jedoch nicht gelang. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 135. Die traditionelle chinesische Sicht ist, dass das „Mandat des Himmels“ eng verknüpft mit der Tugendhaftigkeit des Kaisers sei. Die Mongolen eroberten China jedoch aufgrund der puren militärischen Macht des mongolischen Reiches. Somit war die Yuan-Dynastie nicht mit konfuzianischen Prinzipien vereinbar. Vgl. Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 35 – 36. 2308 Die Yuan-Dynastie war eines der vier Khanate, also ein Nachfolgestaat des mongolischen Reiches. Das mongolische Reich erstreckte sich über ein weites Gebiet, das über die Kultur der sinozentrischen Welt hinausging und über Zentralasien auch bis nach Europa reichte. Khubilai Khan war ein Enkel von Dschingis Khan (der zweite Sohn von Tolui Khan, dem vierten Sohn Dschingis Khans). Zur Zeit des Aufstiegs von Khubilai Khan als Großkhan war das Mongolenreich wegen der Nachfolgestreitigkeiten in vier sog. Khanate (das Khanat der Goldenen Horde in Russland, das Tschagatai Khanat in Kasachstan, das Ilkhanat in Persien und die Yuan-Dynastie in China) aufgeteilt. Vgl. Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 131 – 133. 2309 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 137. 2310 Die konsequentere Anwendung war ein Ergebnis des Umstandes, dass ab der MingDynastie die beschämende Fremdherrschaft durch nicht-chinesische Nomaden endete. Vgl. Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 34. 2311 Kim, Politics (Fn. 2226), S. 86. 2305
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
zianische Tradition an, die bereits von der Han- bis zur Tang-Dynastie praktiziert wurde. Diese Tradition beinhaltete auch die sinozentrische Weltsicht.2312 Wie schon in den vorhergehenden Dynastien brachte das Tributsystem die chinesische Überlegenheit sowie die chinesische Weltsicht zum Ausdruck, in dessen Mittelpunkt der chinesische Kaiser stand.2313 Hongwudi, der von neo-konfuzianischen Lehren2314 beeinflusst wurde, erklärte es zu seinem Ziel, die Höherrangigkeit Chinas als anerkanntes Prinzip zu etablieren2315 und eine konfuzianische Weltordnung zu schaffen.2316 Ein etwaiger Handelsüberschuss hingegen war für den NeoKonfuzianer zweitrangig.2317 Er kodifizierte das Prinzip des Sinozentrismus in den ).2318 Der Umstand, Statuten der Ming-Dynastie (chin. Dà Míng Hùidıˇan, dass die Ming-Dynastie sich als „Überstaat“ begriff, zeigt sich auch darin, dass die tributären Beziehungen durch das Ritenministerium (chin. Libu ( )) und nicht durch das Kriegsministerium verwaltet wurden.2319
2312 Beispielsweise ließ er bereits im November 1367 in Nordchina verkünden, dass er nun das Mandat des Himmels habe und somit die „Ordnung unter dem Himmel“ wiederherstellen werde. Die Mongolen hätten dieses Mandat gerade nicht gehabt. Diese Erklärungen wurden von konfuzianischen Beratern vorbereitet. Vgl. Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 34 – 35; Kim, Politics (Fn. 2226), S. 88. 2313 Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 220. 2314 Gerade die Neo-Konfuzianer im 8. bis zum 12. Jahrhundert vertraten eine Strategie der strengen Isolation und verlangten, dass jeder, der in Handelsbeziehungen mit den Chinesen eingehe, auch ein Vasall des Sohns des Himmels sein müsse. Damit standen die Neo-Konfuzianer den Eunuchen, einer Modernisierungselite, die eher einen Wirtschaftskurs vertraten, entgegen. Vgl. Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 198 – 200; Kim, Seongkun, Chaogong, Cefeng Beziehungen (Fn. 1509), S. 31. 2315 Im Jahre 1367 erklärte er gegenüber der chinesischen Bevölkerung in Nordchina, dass China bereits seit den ersten Kaisern die Barbaren von innen kontrolliert habe und die Barbaren niemals gelernt hätten China von innen zu kontrollieren. Die Mongolen hätten zwar das Geschenk des Himmels bekommen und dadurch viele Völker erobern können, aber da es den Mongolen an Tugend fehlte, seien diese vom Himmel verstoßen worden. Diese Erklärung zeigt klare konfuzianische Züge auf. Vgl. Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 34 – 35. 2316 In dieser Welt würde China den höchsten Rang einnehmen und alle übrigen Staaten darunter auf der gleichen Stufe sein. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 151; Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 35. 2317 Da die Tribute oftmals im Vergleich zu den Geschenken, die die chinesischen Kaiser ihren Vasallen übergaben, weniger Wert hatten, kann sogar davon gesprochen werden, dass die Anerkennung als Übermacht durch die nicht-chinesischen Staaten in gewisser Weise von China erkauft wurde. Fairbank sieht dies jedoch als eine zu vereinfachte Darstellung an. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank, John/Teng, Ssu Yu (Hrsg.), Ch’ing Administration: Three Studies, 1960, S. 112 – 113. 2318 Kim, Politics (Fn. 2226), S. 88. 2319 Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 121.
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Die Ming-Dynastie unterhielt in der Folgezeit2320 tributäre Beziehungen mit verschiedenen Staaten.2321 Der Einzugsbereich dieser sinozentrischen Welt umfasste auch, zumindest nach dem Verständnis der Ming-Dynastie, die Ostküste von Afrika, die arabische Halbinsel, die Küsten von Indien sowie die südostasiatischen Staaten.2322 Selbst mit Europäern wurde dieser (aus chinesischer Sicht) wechselseitige tributäre Handel dahingehend betrieben.2323 Die Prioritäten für die Ming-Dynastie lagen dabei in der Erhaltung der konfuzianischen Ordnung.2324 Dies zeigt sich auch in der Entscheidung ab 1435,2325 in eine Selbstisolation zu gehen.2326 Die tributären Beziehungen waren aus der Perspektive der Ming-Dynastie Teil ihrer konfuzianischen Ordnung.2327 Auch nachdem die Ming-Dynastie ab 1435 in den 2320 Bezeichnend dafür sind etwa die Expeditionen des Eunuchengenerals Zheng He zwischen 1405 und 1433. In dieser Expeditionsserie ging es aber neben der Wiederherstellung und Erweiterung der chinesischen Macht auch um die kommerziellen Aspekte des Tributsystems. Hingegen sind Eroberungen, die zur Erweiterung von unmittelbaren Territorium für die MingDynastie führten, eine Ausnahme gewesen. Eine dieser Ausnahmen waren die Bemühungen zwischen 1408 und 1428 Annam (Nordvietnam) zu erobern. Vgl. Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 209; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 137 – 138. 2321 So z. B. die koreanische Chosun-Dynastie. Diese begann etwa 1369 die tributären Beziehung und leistete ab 1372 in jedem dritten Jahr und ab 1403 jedes Jahr einmal Tribut und erhielt dafür „kaiserliche Geschenke“. Japan hingegen verweigerte 1374 eine Tributzahlung und leistete jedoch zwischen 1403 bis 1551 jedes zehnte Jahr „Tribut“. Vgl. Kim, Politics (Fn. 2226), S. 101. 2322 Kim, Politics (Fn. 2226), S. 89 – 90. Fairbank erkennt dabei eine Tendenz, dass die südostasiatischen Staaten sowie auch Korea schon zur frühen Ming-Dynastie, also im 14. Jahrhundert, tributären Austausch in einer hohen Frequenz pflegten, während im 15. Jahrhundert mehrere Staaten von Zentralasien als tributäre Staaten dazukamen. Im 16. Jahrhundert scheint der Kontakt zu den südostasiatischen Staaten zu schwinden und die Beziehungen zum Westen von China häufiger zu werden. Im 17. Jahrhundert wurden auch die Tributzahlungen der zentralasiatischen Staaten weniger. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 127 – 129. 2323 Dies geschah dergestalt, dass die Europäer zu einer insularen Quarantäne – etwa Macau bei den Portugiesen – zugelassen wurden und ihnen nur zeitweiser Zugriff zum Festland gewährt wurde. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/ Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 150. 2324 Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 235. 2325 Ab 1435 ging die Zahl der Gesandtschaften merklich zurück, was auch eine Korrelation zu dem Ende der Expeditionen von Zheng He aufweist. Vgl. Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 224. Fairbank sieht darin einen Sieg der Xenophobie. Vgl. Fairbank, China (Fn. 1611), S. 137 – 140. 2326 Dies geschah trotz günstiger externer Faktoren, wie etwa dem Niedergang der Mongolen und dem Fehlen eines Herausforderers. Hintergrund war der Machtkampf zwischen den Konfuzianern und den Eunuchen, wobei Letztere für eine Seeexpedition plädierten. Mit dem Tod von Kaiser Yongle wurden die Seeexpeditionen jedoch gestoppt. Neben dem Machtkampf zwischen den Konfuzianern und den Eunuchen hatte diese Wende auch mit der zu schnellen Expansion unter Yongle zu tun, die die Leistungsfähigkeit der Ming überstieg. Vgl. Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 233. 2327 Freilich wurden diese Beziehungen von China oftmals anders betrachtet als aus dem Blickwinkel der Gegenseite. Vgl. Kim, Politics (Fn. 2226), S. 89.
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Isolationismus zurückkehrte und somit auch der Zwang abnahm, tributäre Beziehungen einzugehen, wurde der Handel weitergeführt.2328 Die Interessen der MingDynastie lagen darin, die eigene Position in der sinozentrischen Welt bestätigt zu wissen. Die Interessen der anderen Seite hingegen lagen oftmals im Gewinn durch den Handel.2329 Der hegemoniale Anspruch Chinas gründete auf dem vermeintlich höheren zivilisatorischen Fortschritt, der sich insbesondere in seinem Handel widerspiegelte.2330 Der Handel, der zwar einen Rahmen für einen vielschichtigen Interessenaustausch in persönlicher, imperialer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht darstellte,2331 zeigte gleichsam aber auch die Grenzen des zu engspurigen tributären Systems auf.2332 Denn da es den Chinesen zur Zeit der Ming-Dynastie untersagt war, Privathandel außerhalb des tributären Systems zu betreiben,2333 wirkte sich das System des tributären Handels nachteilig auf die Wirtschaft aus.2334 Gleichzeitig schrumpfte die Anzahl der tributären Expeditionen dramatisch.2335 Dies führte auch zur Abnahme der Vorherrschaft der Ming-Dynastie. 1644 konnte die Qing-Dynastie2336 die Ming-Dynastie endgültig besiegen, das chinesische „Herzland“ einnehmen2337 und das „Mandat des Himmels“ für sich
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Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 226. Der Grund warum das tributäre System sich institutionalisieren konnte lag auch darin, dass es neben der rein formellen Tributzahlung auch eine wichtige Handelsroute für die nichtchinesische Gegenseite darstellte. Händler folgten den Diplomaten bis in die Hauptstadt. Manchmal schlossen die Diplomaten selber die Handelsgeschäfte ab. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 111 – 112. 2330 Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 228. 2331 Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 113. 2332 Der tributäre Handel war für den Handel mit Luxusgütern, nicht jedoch mit dem massenhaften Handel mit Rohstoffen und ähnlichem geeignet. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 176 – 177. 2333 Dies führte zur Bildung von chinesischen Enklaven in Korea, Südostasien und Japan und zu illegalem Handel. Vgl. Yasunori, Japanocentric World Order (Fn. 1507), 185 – 216 (186 – 187). 2334 Aufgrund des Anstiegs des illegalen Handels durch chinesische Piraten („Wako“) ließ die Ming-Dynastie 1567 das Verbot des privaten Handels teilweise aufheben. Vgl. Yasunori, Japanocentric World Order (Fn. 1507), 185 – 216 (189). 2335 Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 129. 2336 Die Qing-Dynastie war ein Staat, der von den Nomadentum der Jurchen gegründet wurde. Die Häuptlinge der Jurchen wurden durch die chinesischen Dynastien als Aristokraten anerkannt, mussten dafür aber die Ming-Dynastie als ihren Souverän anerkennen. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 103. 2337 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 594; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 212; Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 82. 2329
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beanspruchen.2338 Die Qing-Dynastie setzte das tributäre System der Ming-Dynastie in einer modifizierten Form bis zum Ende des 19. Jahrhunderts fort.2339 Dabei setzten sie ebenfalls auf das konfuzianische Konzept der Herrschaft.2340 In der Qing-Dynastie wurden die das tributäre System kennzeichnenden Riten zwischen dem QingKaiser (der nun der chinesische „Sohn des Himmels“ war) und den nicht-chinesischen Herrschern praktiziert.2341 Dabei wurden die tributären Staaten in zwei Kategorien eingeteilt: die von China aus gesehen südlich bzw. östlich gelegenen Staaten2342 auf der einen Seite und die nördlich bzw. westlich gelegenen Staaten2343 auf der anderen Seite.2344 In der Sammlung der geltenden Gesetze und Bräuche der Qing-Dynastie den – )“ – wurden die einzelnen Tributstaaten sowie die Frequenz und „Hùidıˇan (chin. Route der Tribute detailliert2345 dokumentiert.2346 Bemerkenswert ist, dass in der 2338 Das „Mandat des Himmels“ war bereits die Regierungsdevise des Staates Jin (chin. ), der von den Jurchen Häuptling Nurhaci (1559 – 1626) im Jahre 1616 gegründet wurde. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 23. 2339 Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 107; Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 152. 2340 Anders als die Ming Chinesen setzten die frühen Qing auf weniger Assimilation. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 226. 2341 Beispiele sind etwa, dass den nicht-chinesischen Herrschern Ernennungsurkunden oder Stempel vom chinesischen Kaiser zur Verfügung gestellt wurden oder ein aristokratischer Titel in der Qing-Dynastie anerkannt wurde. Weiterhin wurden Tribute, meist lokale Produkte, erbracht, die wiederum vom chinesischen Kaiser mit Geschenken erwidert wurden. Außerdem gab es für den nicht-chinesischen Staat gewisse Handelsvorteile. Aus der Sicht der QingDynastie waren die tributären Staaten: Korea, Ryukyu, Annam, Laos, Siam (Thailand), Sulu, Burma; aber auch Holland, Portugal, England sowie der Heilige Stuhl. Vgl. Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 10 – 11. 2342 Die Beziehungen mit den Staaten dieser Kategorie wurden weiter über das Ritenministerium verwaltet. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 135; Mancall, Mark The Ch’ing Tribute System: An interpretive Essay, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 74. 2343 Die Beziehungen waren davon geprägt, dass die Qing-Dynastie den mongolischen Adel reichlich beschenkte aber nur symbolische Tribute erhielt. Nach 1662 verschwand diese Art des Handels allmählich. Die Staaten dieser Kategorie – die meisten von ihnen waren Mongolen – wurden 1638 durch das Ministerium für Minoritäten-Angelegenheiten (chin. Lifanyuan ( )) verwaltet. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/ Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 130 – 135; Mancall, Mark The Ch’ing Tribute System: An interpretive Essay, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 72. 2344 Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 130 – 135. 2345 Fairbank hat darüber hinaus eine Tabelle aus der „Geschichte der Qing (chin. Qing Shi Kao)“ und den „Tung hua lu“ kompiliert, die einen Aufschluss auf die Frequenz der tributären Beziehungen der jeweiligen Staaten von 1662 bis 1860 gibt. Hierbei zeigt sich, dass die QingDynastie eine sehr enge Beziehung mit Korea (fast jedes Jahr gab es tributären Austausch), dem Ryukyu-Königreich (jedes zweite Jahr), Vietnam (45 mal in der genannten Zeit) und Thailand (48 mal in der genannten Zeit) pflegte, aber deutlich weniger Kontakt mit den südostasiatischen Staaten (Laos und Sulu) und den westlichen bzw. nördlichen Staaten (Nepal, Mongolen, Tibet,
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Hùidıˇan-Ausgabe von 1818 neben den tributären Staaten auch solche Staaten aufgeführt wurden, mit denen nur reiner Handel betrieben wurde, also insbesondere südostasiatische Staaten (Kelantan, Pahang und Johore, alles heute Malaysia). Das war eine Abkehr von der Doktrin der Ming-Dynastie, alle Staaten als tributär anzusehen.2347 Auch im Hinblick auf das Verbot des privaten Handels2348 hatte die QingDynastie zunächst die Politik der Ming-Dynastie übernommen.2349 Der Qing-Kaiser Kangxi schaffte jedoch den tributären Handel im Jahre 1684 ab und erlaubte2350 den privaten Handel.2351 Dies alles zeigt, dass das Prinzip der Universalität des sinozentrischen Raumes in ein realistischeres Weltbild umgewandelt wurde. Allerdings spielte dieses Weltbild letztlich nur eine subsidiäre Rolle, wie die Behandlung der Europäer zeigt. Die Europäer wurden nämlich als tributäre Staaten verstanden.
Turfan etc.) hatte. Vgl. Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 11; Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 162 – 170. 2346 Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 11; Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 108. 2347 Letztlich war dies nur eine Anerkennung der bereits existierenden Situation. In der Ming-Dynastie hatte Admiral Zhenghe Expeditionen betrieben um südostasiatische Staaten unter Kontrolle zu bringen. Nachdem diese Expeditionen im Jahre 1433 aufhörten, hörte auch die Tributzahlung auf, nicht jedoch der Handel. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 176. 2348 Das immer wiederkehrende Verbot des privaten Handels durch die chinesischen Dynastien zeigt Parallelen zur Analyse Schmitts auf, der darauf hinwies, dass der private Handel auf globaler Ebene der staatlichen Souveränität gegenüberstehe und diesen zu überwinden versuche. Schmitt analysiert, dass das britische Imperium sich diese raumüberwindenden Mächte des globalen Handels für seine Weltherrschaftspolitik zunutze machte. Gerade im Beispiel der Qing-Dynastie ist dieser Punkt besonders transparent zu erkennen. Vgl. Schmitt, Carl, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 248 – 249. 2349 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 119. 2350 Der Hintergrund dafür war, dass der maritime Handel innerhalb des Rahmens des tributären Systems nicht abgebildet werden konnte. Im 19. Jahrhundert vermehrten sich die tributären Kontakte um den expandierenden Handel abbilden zu können. Allerdings konnte auch dies die Nachfrage nicht einholen. Der illegale Handel nahm zu. An den Küstenregionen Chinas entstanden Ausländersiedlungen und Handelsbezirke, die im tributären System, in dem nur die Botschafter der tributären Staaten mit dem Kaiser und seinen Beamten in der Hauptstadt Handel zu treiben hatten, nicht vorkommen durften. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 177 – 178. 2351 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 120. Dies erfolgte zunächst über die vier Hafenstädte Shanghai, Macau, Zhangzhou und Ningpo; fremde Schiffe wurden kontrolliert und Steuern mussten entrichtet werden. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 205 – 208; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 265. Als Ergebnis konnte die Qing-Dynastie vom aufblühenden internationalen Handel profitieren. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 614; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 217; Mishra, Pankaj, From the Ruins of Empire. The Intellectuals who remade Asia, 2012, S. 137.
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4. Der Untergang der sinozentrischen Raumordnung zu Zeiten der Qing-Dynastie Der Untergang der Qing-Dynastie und der sinozentrischen Ordnung vollzog sich im 19. Jahrhundert durch die Expansion der westlichen Mächte nach Ostasien.2352 Die Opiumkriege (zwischen 1839 und 1842 sowie zwischen 1856 und 1860) markieren den Zeitpunkt des Anfangs der Kolonialisierung Chinas und gleichzeitig auch den Anfang der Auflösung der sinozentrischen Ordnung. Gleichzeitig markiert es auch den Eintritt Chinas in das europäisch geprägte Völkerrecht, wenn auch als Halbkolonie. Das 19. Jahrhundert ist also auch deshalb von Bedeutung, weil es das Zusammentreffen von zwei vollkommen verschiedenen Völkerrechtskonzeptionen darstellt: Die europäisch geprägte und die sinozentrische Völkerrechtsordnung. Die Qing-Dynastie kannte zu diesem Zeitpunkt keine außenpolitische Institution,2353 wie etwa ein Außenministerium, da es keine gleichrangigen Staaten2354 akzeptierte.2355 Es wurden von den europäischen „Tributzollenden“ die gleichen Rituale abverlangt, wie es auch durch die asiatischen Tributstaaten zu erfolgen hatte.2356 Der Bruch dieses Systems erfolgte durch den Ersten Opiumkrieg von 1839 bis 1842. Auslöser des Ersten Opiumkrieges war das Verbot des Opiumhandels durch
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Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 88. Einer der zentralen Gründe, warum die Qing-Dynastie als eine der erfolgreichsten Dynastien in China zugrunde ging, lag in der blinden Befolgung des traditionellen konfuzianisch-sinozentrischen Systems in der Außenpolitik. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 120; Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 87. Im 18. Jahrhundert war das Einkommen und der Verbrauch vergleichbar oder sogar höher als in Europa. Die Qing-Dynastie war also wirtschaftlich sehr erfolgreich. Vgl. Selden, Mark, Center and Periphery in East Asia in Three Epochs, in: Journal of Northeast Asian History Volume 5, number 1 (June 2008), S. 5 – 20 (11). 2354 Exemplarisch ist z. B. der Umgang mit den europäischen Staaten als Handelspartner, die im 19. Jahrhundert deutlich zahlreicher waren als noch in der Ming-Dynastie. Diese wurden aus Sicht der Qing-Dynastie unter dem tributären System eingeordnet. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 150. 1818 wurden in dem Hùidıˇan unter anderem Holland, Portugal, Italien und England als tributäre Staaten aufgeführt. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 156 – 157. Angelegenheiten hingegen, die Russland betrafen, wurden durch das Ministerium für Minoritäten abgewickelt. Russland wurde es erlaubt eine Art Repräsentanz in China aufrechtzuerhalten. Vgl. Banno, Masataka, China and the West 1858 – 1861: The origins of the Tsungli Yamen, 1964, S. 3. 2355 Banno, Tsungli Yamen (Fn. 2354), S. 2. 2356 Besonders die dreimalige Verbeugung und das neunmalige Schlagen auf den Kopf, ein )“, wurden durch die Europäer als Demütigung wahrgeRitual namens „kòutóu (chin. nommen. Vgl. Banno, Tsungli Yamen (Fn. 2354), S. 4. Ein weiteres Problem war, dass 1757 der private Handel durch die fremden Schiffe auf einen einzigen Hafen, nämlich Kanton, limitiert wurde. Vgl. Banno, Tsungli Yamen (Fn. 2354), S. 2; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 205 – 208; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 265. 2353
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den Kaiser der Qing-Dynastie, Daoguang (1782 – 1850), im Jahre 1838.2357 Das Verbot durch den chinesischen Kaiser wurde auch als Angriff auf die englische Krone verstanden.2358 Der Opiumkrieg brach aus und wurde trotz einer ersten Einigung2359 zwischen August 1841 und August 1842 weitergeführt. Erst im September 1842 wurde der Vertrag von Nanjing2360 unterschrieben.2361 Dieser Vertrag wurde bereits ein Jahr später durch den Vertrag von Hoomun Chai ergänzt, der unter anderem die sog. „Meistbegünstigungsklausel“2362 beinhaltete.2363 Aufgrund des Drucks, den England gegenüber der Qing-Dynastie ausübte, den Opiumhandel in China endgültig zu legalisieren, kam es 1856 zum Zweiten Opiumkrieg, der bis 1860 andauerte.2364 Der Zweite Opiumkrieg wurde durch den Ti-
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Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 270 ; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 249. 1839 wurde Charles Elliot (1801 – 1875), der erste Verwalter des englischen Handels der britischen Krone in Asien, mit dem Opiumhandel anvertraut. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 270 – 271. 2359 Sein Cousin Admiral George Elliott erreichte im Juni 1840 China und eroberte die Stadt Tianjin ohne einen Kampf. Am 20. 07. 1841 wurde ein vorläufiges Abkommen zwischen Charles Elliot und Qishan (1786 – 1854) ausgehandelt, das Folgendes vorsah: 1. Die Abtretung Hong Kongs, 2. die Zahlung von sechs Millionen Silberdollar als Schadensersatz an England, 3. die gleichwertige Behandlung der Beamten auf beiden Seiten durch beide Parteien, 4. die Fortführung des Handels. Die chinesische Fassung zeigt erhebliche Unterschiede auf, da Regelungen eingeführt waren die den Opiumhandel ausdrücklich untersagten. Diese Vereinbarungen wurden sowohl von der englischen Seite, vertreten durch Außenminister Henry John Temple (1784 – 1865), wie auch vom chinesischen Kaiser Daoguang abgelehnt. Qishin wurde vom Kaiser Daoguang sogar zum Tode verurteilt. Elliott wurde lediglich durch Pottinger ersetzt. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 274 – 277; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 251. 2360 Der Vertrag von Nanjing sah, neben hohen Reparationszahlungen von 21 Millionen Silberdollar (Artikel 4 und 7) unter anderem vor, dass erstens, Hong Kong an England abzutreten sei (Artikel 3); zweitens, fünf Hafenstädte zu eröffnen seien (Artikel 2); und drittens ein gemeinsames Zollsystem einzuführen sei (Artikel 10). Artikel 11 legt zudem fest, dass die Kommunikation zwischen England und China auf Gleichheit zu basieren habe. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 16; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 280 – 281. 2361 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 278 – 279; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 252. 2362 Fairbank hebt hervor, dass diese Klausel aus dem Willen des Qing Kaisers entstammte, der gegenüber allen Nationen unparteiisch seien wollte. Vgl. Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 260. Als China z. B. im Jahre 1844 mit den Vereinigten Staaten von Amerika den Vertrag von Wanghia schloss, in dem die Extraterritorialität – also die Gerichtsbarkeit von amerikanischen Bürgern durch amerikanische Gerichte auch für Taten, die in China begangen wurden – akzeptiert wurde, galt dies durch die Meistbegünstigungsklausel auch für England. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 281; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 253; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 16. 2363 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 281; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 252 – 253; Banno, Tsungli Yamen (Fn. 2354), S. 5; Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 16. 2364 Im Zweiten Opiumkrieg nahmen neben England auch Frankreich, Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika teil, um ihre Interessen in China durchzusetzen. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 282 – 283; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 255. 2358
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anjin Vertrag vom 26. und 27. 06. 18582365 zunächst beendet.2366 Dies markierte den Anfang des sog. „imperialistischen Kartells“ der westlichen Mächte, das in den 1860er Jahren bis in das 20. Jahrhundert fortbestand.2367 Die Qing-Dynastie hatte somit demonstriert, dass sie keine militärische Möglichkeit2368 mehr hatte, das eigene Territorium zu schützen.2369 Fairbank sieht in den Opiumkriegen nicht den Beginn der Zeit der völkerrechtlichen Verträge für China, aber sehr wohl den Anfang der letzten Tage des tributären Systems.2370 Das tributäre System galt über die Opiumkriege hinaus noch bis 1880, bis es letztlich zum Ende kam, da das System der ungleichen Verträge in China zunächst einen Zwitter zwischen dem tributären System und der europäisch geprägten Völkerrechtsordnung bildete.2371 Neben diesem System der ungleichen Verträge mit den westlichen Mächten existierte das tributäre System mit den asiatischen Staaten noch weiter.2372 Manche gehen sogar so weit und sehen in dem 2365 Allerdings wurde der Vertrag von Tianjin von der Qing-Dynastie zunächst nicht umgesetzt, sodass Russland, Frankreich und England nach einer weiteren militärischen Auseinandersetzung im Februar 1860 die Pekinger Konvention vom 18. 10. 1860 durchsetzten. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 287 – 288; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 256. 2366 Neben der Legalisierung des Opiumhandels sah dieser vor, dass die westlichen Mächte eine ständige Vertretung in Peking einrichten durften. Andere Aspekte waren die Öffnung von weiteren Häfen, die Erweiterung der Extraterritorialität und die Freiheit der Reise, des Handels und der Missionierung im Inland von China. Durch die Meistbegünstigungsklauseln wurden alle Vorteile auch solchen westlichen Mächten zugesprochen, die eine solche Klausel ausgehandelt hatten. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 283 – 286; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 256. 2367 Die Zusammenarbeit der westlichen Mächte zeigt sich etwa in der Meistbegünstigungsklausel, die in den meisten Verträgen dieser Zeit existierte und jeden diplomatischen Erfolg der westlichen Mächte gegenüber China zu einem gemeinsamen Erfolg machten. Weiterhin zeigte sich in dem Zweiten Opiumkrieg gar eine Allianz zwischen Frankreich, England, Russland und den Vereinigten Staaten gegen die Qing-Dynastie. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 289, 292, 300; Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 294 – 295; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 204. 2368 Die Hintergründe der vorzeitigen Kapitulation Chinas und der Akzeptanz der Bedingungen durch die westlichen Mächte waren auch die inneren Unruhen. Die sog. Taiping Re) von 1851 bis 1864 wurde von einer bellion (chin. Taìpíng Tı¯anguó Yùndòng, christlichen Sekte vorangetrieben und konnte wichtige Städte wie Nanjing erobern. Erst durch die Hilfe der westlichen Mächte konnte die konfuzianische Qing-Dynastie diese Rebellion stoppen. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 289, 292, 300; Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 94 – 98; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 255; Mishra, Ruins (Fn. 2351), S. 138; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 206 – 209. 2369 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 256. 2370 Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 257 – 258. 2371 Fairbank hebt hervor, dass die Öffnung der Häfen letztlich auch mit den begrenzt gestatteten tributären Handel in bestimmten Gebieten ähnlich ist. Die Meistbegünstigungsklausel sei lediglich ein Ausdruck der Unparteilichkeit des chinesischen Kaisers. Vgl. Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 260; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 315 – 316. 2372 So etwa mit Korea, Ryukyu, Laos, Siam und Vietnam Vgl. Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 262.
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System der ungleichen Verträge eine Anwendung des Jimi-Systems, in dem den europäischen „Barbaren“ gewisse Vorteile gewährt würden, aber letztlich der chinesische Kaiser die Kontrolle über diese westlichen Mächte zu haben glaubte.2373 Die Einführung der europäischen Völkerrechtslehre erfolgte in China trotz des verlorenen Opiumkrieges zunächst äußerst zögerlich.2374 Am 13. 01. 1861 wurde als Reaktion auf die Niederlage in den Opiumkriegen das Tsungli Yamen (Amt für die ) errichtet,2375 das für die Beziehungen mit Belange aller Nationen, chin. den westlichen Mächten zuständig war.2376 Es war eine Institution, die auf einem Verständnis gründet, das zwischen europäischem und traditionell sinozentrischen Völkerrecht schwankt. 1864 übersetzte William Alexander Parsons Martin (1827 – 1916)2377 das Lehrbuch für das Völkerrecht von Henry Wheaton „Elements of International Law“ ins Chinesische unter dem Titel „Öffentliches Recht aller Nationen )“.2378 Diese Übersetzung wurde in der späten (chin. Wangguo Gongfa, Qing-Dynastie eine der Hauptquellen für das offizielle chinesische Völkerrechtsverständnis.2379 Die Rezeption des europäischen Völkerrechts verlief trotzdem stockend, weil der konfuzianisch geprägte Beamtenapparat kein großes Interesse zeigte,
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Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 261; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 315. 1840 gab es bereits erste Übersetzungen von völkerrechtlichen Aufsätzen, die in der ) publiziert wurden. So Anthologie der maritimen Königreiche (chin. Haˇ iguó Túzhì, etwa Übersetzungen von Teilen des Werkes „Le Droit des Gens (1758)“ von Vattel. Vgl. Svaverud, Late Imperial China (Fn. 2245), S. 75 – 77. 2375 Das Tsungli Yamen sollte eigentlich eine Unterorganisation des Ministeriums für Riten sein, das für die Angelegenheit aller tributären Staaten zuständig war. Letztendlich wurde das Tsungli Yamen von vier mandschurischen und vier chinesischen Sekretären besetzt, die üblicherweise dem Großen Sekretariat angehörten und für außenpolitische Angelegenheiten zuständig waren und sich nur in außerordentlichen Angelegenheiten beim Tsungli Yamen zusammentrafen. Vgl. Banno, Tsungli Yamen (Fn. 2354), S. 226, 229. 2376 Für die asiatischen Tributstaaten hingegen war nach wie vor das Ministerium für Riten zuständig. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 305; Banno, Tsungli Yamen (Fn. 2354), S. 219. Das Tsungli Yamen konnte eine zentrale Außenpolitik nur in seiner frühen Phase, insbesondere vor der endgültigen Niederschlagung der Taiping Rebellion im Jahre 1864, mitgestalten und wurde nach und nach bedeutungslos. Vgl. Banno, Tsungli Yamen (Fn. 2354), S. 246. 2377 Martin versuchte darüber hinaus die Rezeption des europäischen Völkerrechts in China dadurch zu beschleunigen, dass die Parallelen zwischen dem chinesischen Völkerrechtsverständnis aufgezeigt wurden. Die Haupterkenntnis dabei war, dass die chinesische Geschichte in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen ebenfalls ein System kannte, dass dem kontemporären völkerrechtlichen Verständnis sehr nahekommt. Vgl. Svaverud, Late Imperial China (Fn. 2245), S. 98 – 100; vgl. dazu auch Hui, Ancient China (Fn. 2239). 2378 Svaverud, Late Imperial China (Fn. 2245), S. 88 – 89; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 305. Der Begriff „Alle Staaten (Wangguo)“ war ein klares Gegenbild zur „Ordnung unter dem Himmel (Tianxia)“. Es beinhaltete die Idee, dass es nun mehrere politische Ordnungen gäbe. Vgl. Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 46. 2379 Svaverud, Late Imperial China (Fn. 2245), S. 93; Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 14 – 15. 2374
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das europäische Völkerrecht zu lernen. Vielmehr hielt man an seiner alten sinozentrischen Weltsicht fest.2380 Diese Ansicht konnte sich jedoch spätestens im Hinblick auf die folgende Zeit der Desintegration des sinozentrischen Raumes zwischen den 1870ern und 1890ern2381 nicht mehr halten.2382 1895 erlitt die Qing-Dynastie dann eine Niederlage gegen das japanische Kaiserreich – einem Staat der Peripherie aus sinozentrischer Sicht.2383 Zu diesem Zeitpunkt konnte kein Zweifel mehr bestehen, dass das sinozentrische tributäre System endgültig zerfallen war. Auch innerhalb Chinas wurde die Souveränität des chinesischen Kaisers, etwa durch die Ohnmacht bezüglich der Boxeraufstände im Jahre 1900,2384 immer weiter ausgehöhlt.2385 Letztlich wurde die QingDynastie im Jahre 1911 im Zuge der sog. Shinhai Revolution2386 abgesetzt und die Republik China wurde mit Yuan Shikai als erstem Präsidenten gegründet.2387 Die Folgezeit lässt sich jedoch als Siegeszug des europäischen Begriffes der Souveränität kennzeichnen.2388 Das chinesische Völkerrechtsverständnis und das der ehemaligen tributären Staaten wandelten sich, da diese die gemeinsame Erfahrung des Imperialismus und der Kolonialisierung hatten und somit die nationale Selbstbestimmung als höchstes Gut anerkannten.2389 Die entscheidende Änderung des völkerrechtlichen Verständnisses war, dass die Kategorien Ethnizität und Rasse, die 2380
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Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 306; Svaverud, Late Imperial China (Fn. 2245), S. 90 –
2381 Vietnam und Burma, jeweils traditionelle tributäre Staaten von China, wurden im Jahre 1885 von Frankreich bzw. England zu Protektoraten erklärt. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 325. 2382 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 318. 2383 Als Folge wurde durch den Vertrag von Shimonoseki die Unabhängigkeit der koreanischen Chosun-Dynastie erklärt, Taiwan an Japan abgetreten und Teile der Mandschurei an Japan verpachtet. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 359 – 364. 2384 ) wurde von armen Bauern Der Boxeraufstand (chin. Yìhétuán Yùndòng, vorangetrieben, die sich unter der Sekte „weißer Lotus“ organisierten. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 419 – 420; Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 103 – 104: Mishra, Ruins (Fn. 2351), S. 161. 2385 Das sog. Boxer-Protokoll vom 07. 09. 1901 sah vor, dass die Qing-Dynastie ihr Militär aufzulösen hatte und dass spezielle Regionen für die Mächte England, Russland, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika einzurichten seien, wo das Militär der jeweiligen Vertragsstaaten stationiert werden durfte. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 359 – 364. 2386 Die Revolution kam durch eine Koalition von Yuan Shikai (1859 – 1916) und Sun Yatsen (1866 – 1925) zustande. Sun Yatsen war ein chinesischer Intellektueller, der in Hawaii ausgebildet wurde, in Hongkong studiert hatte und als demokratischer Nationalist bezeichnet werden kann. Yuan Shikai war ein mandschurischer General. Sun Yatsen konnte Yuan Shikai zu einem Putsch gegen die Qing-Dynastie überzeugen, indem er ihm das Präsidialamt anbot. Vgl. Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 105 – 107. 2387 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 12 – 13; Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 109. 2388 Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 13. 2389 Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 14.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
bislang im sinozentrischen Raum eine untergeordnete Rolle gespielt hatten und stets der Tugendhaftigkeit im Sinne des Konfuzianismus untergestellt wurden, in den Vordergrund rückten2390 und den Nucleus des europäisch geprägten ostasiatischen Völkerrechtsverständnisses bildeten.2391 Dies wird auch in dem Verständnis Sun Yatsens deutlich, der zwar die konfuzianische Tradition hochhielt, jedoch den im Konfuzianismus innewohnenden Universalismus aufgab und stattdessen an einen chinesischen Nationalismus, auf der Grundlage eines europäischen Souveränitätsverständnisses, appellierte.2392 Dieses Verständnis wandte Sun auch an, um seine großasiatische Politik zu formen. In einer Rede am 28. 11. 1924 im japanischen Kobe betonte Sun Yatsen die Erfolge Japans im russisch-japanischen Krieg und sah darin den Erfolg eines asiatischen Staates, der auf der Grundlage der Souveränität zur wirtschaftlichen und militärischen Großmacht aufgestiegen war, und schöpfte daraus auch die Hoffnung für den Rest Asiens.2393 Gleichzeitig betonte Sun Yatsen die Notwendigkeit, den konfuzianischen „königlichen Weg“ zu beschreiten, soweit es um die asiatische Zusammenarbeit ging.2394 Dies zeigt, dass die Idee des Einzelstaates und der Souveränität nun die sinozentrische Ordnung selbst bei den chinesischen Politikern vollkommen verdrängt hatte und als reale Voraussetzung anerkannt wurde. Gleichzeitig zeigt es aber auch, dass die konfuzianischen Werte immer noch hochgehalten wurden und als Rechtfertigung der eigenen Außenpolitik dienten. 5. Fazit Die ostasiatische Geschichte lässt sich nicht gänzlich und uneingeschränkt als sinozentrisch darstellen. Die sinozentrische Weltsicht ist lediglich eine Sicht auf die ostasiatische Geschichte, die die Chinesen fast ununterbrochen für 2000 Jahre vertraten, sodass selbst fremde Herrscher, wie etwa die Mongolen oder die Mandschuren, diese Sichtweise oder „Doktrin“ nicht ignorieren konnten. Die sinozentrische Weltsicht entwickelte sich über die Jahrtausende von einer zunächst rein chinesischen Perspektive in ein System, das auf eine kulturell homogene Sphäre bezogen war, und entwickelte sich weiter in ein System, das weltumspannend gelten sollte. Die Gleichsetzung des Inneren und des Äußeren als Teile der gesamten Welt, über die der chinesische Kaiser herrschte, war dabei eines der Hauptelemente. China war somit der Hegemon über alle Gebiete dieser Erde, egal, ob diese dem inneren Kreise oder dem äußeren Kreise der sinozentrischen Welt angehörten. 2390 Die Konsequenz war, dass die konfuzianisch geprägte Wertordnung zerfiel und als unmodern empfunden wurde. Vgl. Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 47. 2391 Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 44. 2392 Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 59 – 60; Yang, Sunchang, Die Einseitigkeit und der Pluralismus im Großasianismus von Sun Yatsen, in: Korean Journal of Political Sci, ence, 13. Band, 2. Heft, (koreanisch: 13 2 ), 2005, S. 313 – 333 (320). 2393 Yang, Sun Yatsen (Fn. 2392), S. 313 – 333 (321). 2394 Yang, Sun Yatsen (Fn. 2392), S. 313 – 333 (322).
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
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Die sinozentrische Weltsicht blieb jedoch nicht nur eine Weltsicht, sondern institutionalisierte sich ebenfalls im Laufe der Zeit und wurde von einem punktuellen Tributsystem, das zunächst nur temporäre Unterwerfungen abbildete, in der MingDynastie in ein ständiges Tributsystem umgewandelt. Dessen Hauptanliegen war nicht nur die formelle Unterwürfigkeit, sondern zumindest sekundär eben auch der Handel. Die Kombination der konfuzianischen Weltsicht mit der Wirtschaftlichkeit für alle Teilnehmer führte zu einer Abkehr von einem rein machtbasierten System und förderte die Langlebigkeit der tributären Institutionen. Die Folge war, dass es zunehmend Staaten gab, die nicht aufgrund militärischer Macht, sondern aufgrund wirtschaftlicher Gründe oder der kulturellen Überzeugung bezüglich der konfuzianisch-chinesischen Zivilisation den Status als Tributstaat akzeptierten. Weiterhin entwickelte sich die sinozentrische Ordnung dahingehend, dass selbst unter Zuständen, in denen die Chinesen nicht genügend tatsächliche Macht hatten, um als Hegemon im sinozentrischen Raum zu gelten, eine Aufrechterhaltung der sinozentrischen Weltsicht weiterhin möglich blieb. Während derartige Zustände noch bis zur Yuan-Dynastie zu einer vollkommenen Unterbrechung der Institute zur Darstellung der sinozentrischen Weltsicht führten, wurde in der Qing-Dynastie die sinozentrische Weltsicht beibehalten, obwohl die herrschende Klasse aus nichtchinesischen Mandschuren bestand. Darüber hinaus wurde auch zwischen verschiedenen Arten von Tributstaaten unterschieden, sodass die Staaten der Nomadenvölker und die südöstlichen Tributstaaten von vollkommen anderen Ministerien verwaltet wurden. Teilweise wurden sogar nicht-tributpflichtige Handelspartner akzeptiert. Dies führte dazu, dass die Qing-Dynastie mit seinem sinozentrischen Tributsystem zwar immer noch einen universellen Herrschaftsanspruch vertreten hatte, aber bereits „raumfremde Mächte“ kannte und sich somit von einer universellen Ordnung hin zu einer Ordnung für einen spezifischen Raum, nämlich den ostasiatischen Raum, entwickelte.
II. Die konkrete Ordnung im sinozentrischen Raum: Der Konfuzianismus Der untersuchte historische sinozentrische Raum scheint durchaus ein Großraum im Sinne des Schmitt’schen Modell sein zu können. Die chinesischen Dynastien könnten Reiche im Sinne der Großraumtheorie sein, da diese eine höhere Hierarchiestufe für sich beanspruchten. Gleichzeitig erscheint das System auch mehr als nur ein Ergebnis der Machtverhältnisse zu sein. Vielmehr haben die chinesischen Dynastien eine Ordnung geschaffen, die auch über die Machtverhältnisse hinaus wirksam waren. Die obigen Ausführungen zeigen, dass das sinozentrische Völkerrechtsverständnis ein vollkommen anderes war als das in Europa. Das sinozentrische Völkerrecht unterschied sich von dem europäischen Völkerrechtsverständnis insbesondere dahingehend, dass es das Konzept der nationalen Souveränität nicht gab und
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
somit die darauf basierende strenge Trennung von Gebieten und die Errichtung von Grenzen keine entscheidende Rolle spielte.2395 Viel wichtiger war die kulturelle Einheit „unter dem Himmel“, die durch den tugendhaften chinesischen Kaiser, dem „Sohn des Himmels“, geleitet wurde. Auch wenn dies zunächst nur ein Machtanspruch der chinesischen Dynastien über die Jahrhunderte war, verfestigte sich diese Idee mithilfe der konfuzianischen Philosophie als eine wirksame internationale Ordnung. Der Anspruch der chinesischen Dynastien, hierarchisch höher gestellt zu werden, und die Akzeptanz dieses Anspruchs durch die anderen Staaten innerhalb des sinozentrischen Raumes sind ein wichtiger Aspekt, den es zu verstehen gilt, um diesen Vergleich zu ziehen, da die Akzeptanz dieser Ordnung dem System eine Stabilität gegeben hat, die es ihr erlaubte, mehrere Jahrhunderte zu existieren. Der Anspruch wie auch die Akzeptanz der Hierarchie gründeten auf dem Konfuzianismus, der in der ostasiatischen Raumordnung eine wichtige Rolle spielte und bis heute noch spielt. Der Konfuzianismus war die Basis für die Herrschaft der Chinesen über den ostasiatischen Raum, die weniger auf politischer Macht als vielmehr auf kultureller Herrschaft – kurz: dem „Mandat des Himmels“ – gründete.2396 Der Konfuzianismus spielte dabei eine doppelte Rolle, da dieser für asiatische Regierungsbeamte eine Richtlinie des „guten Regierens“ bot und somit die Staatenbildung vorantrieb.2397 Aber auch mit einer sinozentrischen Sicht war verbunden, dass diese Regierungsbeamten, soweit diese nicht chinesisch waren, sich dazu veranlasst fühlten, gegenüber chinesischen Dynastien zumindest eine Grundsympathie zu empfinden.2398 Diese Sympathie ging so weit, dass chinesische Dynastien sich nur um die eigenen Grenzen sorgen mussten, nicht jedoch um etwaige Interventionen gegenüber konfuzianisch geprägten Staaten, wie zum Beispiel Korea.2399 Darüber hinaus fand die konfuzianische Ordnung durch „Riten (chin. Li, )“2400 auch auf die Staatenwelt direkte Anwendung, sodass die konfuzianische Moralordnung, die als Ordnung der Riten charakterisiert werden kann, die sinozentrische Weltordnung wurde.2401 2395
Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 87. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 109 – 110; Mishra, Ruins (Fn. 2351), S. 144 – 145. 2397 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 25. 2398 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 53. 2399 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 33 – 34. 2400 Konsequenterweise war in der Ming-Dynastie sowie in der Qing-Dynastie das „Ministerium für Riten“ für die Außenpolitik zuständig. Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 121. 2401 Die sinozentrische Weltordnung kann deshalb auch als eine Ordnung der Riten angesehen werden, für die im Zweifel die „Riten“ höher als „Recht“ zählen. Vgl. Lee, Hongjong/ Kong, Bongjin, Die Reinterpretation des Begriffs der „Hua-Yi“ in der Hua-Yi Unterscheidung „ “ , , , Chinas, (koreanisch: 15 , 2000), in: The Korean Journal of Area Studies, Band 15, 2000, S. 165 – 185 (167 – 168); Kim, Yongkoo, Der Kampf der Weltbilder und die Geschichte der Außenpolitik 2396
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1. Mandat des Himmels als konfuzianische Souveränität Wie bereits dargestellt, verlangten die chinesischen Dynastien von anderen Staaten die Akzeptanz der höheren hierarchische Stellung Chinas. Dies geschah aufgrund der Idee, dass die chinesischen Dynastien das Mandat des Himmels besitzen würden und deshalb über die Ordnung unter dem Himmel herrschen würden. Das Konzept des Mandats des Himmels ist ein Bindeglied zwischen der tatsächlichen Macht und der konfuzianischen Tugend und repräsentiert gleichsam das konfuzianische Konzept der Souveränität. Das Konzept entstand in der Zeit der frühen Zhou-Dynastie (1122/1045 – 256 v. Chr., chin. Zhou , ). Die Zhou-Dynastie war ursprünglich ein Vasallenstaat der Shang-Dynastie (ca. 1600 – 1046 v. Chr., chinesisch Sha¯ng, ), ein theokratischer Staat, der als segmentär beschrieben werden kann. Die Dynastie der Zhou konnte die Herrschaft der Shang beenden, indem sie andere Vasallenstaaten der Shang-Dynastie als Verbündete gewinnen und die Schlacht von Muye (1046 v. Chr.) für sich entscheiden konnte.2402 Dieser „Putsch“ gegen die Shang-Dynastie wurde durch das Argument gerechtfertigt, dass nun die )“ erhalten Zhou-Dynastie2403 das „Mandat des Himmels“ (chin. Tienming, habe.2404 Diese Theorie des himmlischen Mandats erlaubte es, den eigenen Machtzugriff zu rechtfertigen und der eigenen Herrschaft göttlichen Willen zuzuschreiben.2405 Darüber hinaus wurde die eigene Dynastie sogar als Teil einer älteren Ordnungstradition begriffen.2406 Zudem erlaubte diese Ordnungsvorstellung, dass die Zhou-Dynastie als sakrales Oberhaupt weiter bestehen könne, obwohl die tatsächlichen Machthaber die unabhängigen Fürsten der Einzelstaaten waren.2407 Das Konzept des Mandats des Himmels wurde auch vom Konfuzianismus rezipiert und in die konfuzianische Staatsphilosophie sowie in deren Völkerrechtsverständnis übertragen. Das Mandat des Himmels kann demnach nur durch die Tu, , der späten Chosun Dynastie, 1866 – 1882, (koreanisch: 1866 – 1882), 2001, S. 64 – 67. 2402 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 4 – 5; Keay, China (Fn. 2236), S. 48 – 52; Loewe/ Shaughnessy (Hrsg.), China (Fn. 2239), S. 292; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 39. 2403 Überhaupt wurde die Zhou-Dynastie gerne als Symbol im politischen Diskurs genutzt. Dabei wird das frühe Zhou als besonders gut verwaltetes System mit tugendhaften Herrschern dargestellt, während die späteren Zhou-Kaiser als schlechte Herrscher dargestellt wurden. Ob dies tatsächlich so war, lässt sich nicht belegen. Vgl. Svaverud, Late Imperial China (Fn. 2245), S. 150. 2404 Das Mandat des Himmels war nach der Ansicht der Zhou-Dynastie auf die Zhou übergegangen, weil die Shang ihre Tugenden vergessen hatten. Vgl. Keay, China (Fn. 2236), S. 52 – 53; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 5; Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 452; Opitz, Peter, Chinesisches Altertum und konfuzianische Klassik: Politisches Denken in China von der Chou-Zeit bis zum Han-Reich, 1968, S. 27; Kaminski, Völkerrecht (Fn. 2244), S. 18; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 40. 2405 Opitz, Konfuzianische Klassik (Fn. 2404), S. 29. 2406 Opitz, Konfuzianische Klassik (Fn. 2404), S. 31. 2407 Weber-Schäfer, Peter, Oikumene und Imperium: Studien zur Ziviltheologie des chinesischen Kaiserreichs, 1968, S. 22 – 23.
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gendhaftigkeit des Königs erlangt werden.2408 Der König ist also dazu verpflichtet, allen Menschen2409 zu dienen.2410 Insofern erfolgt eine Trennung zwischen dem König als Person und dem Staat als solchem. Nur dem Letzteren gilt die Loyalität, da der König als Person auch seine Pflicht zur tugendhaften Herrschaft vernachlässigen kann.2411 Dies führte dazu, dass der Konfuzianismus auch für die Erlangung der Herrschaftslegitimation, also dem Mandat des Himmels, gewisse moralische Qualitäten abverlangte und kein religiös begründetes „Gottesgnadentum“ zuließ.2412 Der Begriff des Mandats des Himmels war, wie bereits dargestellt, bereits in der Zhou-Dynastie entstanden und brachte zum Ausdruck, dass selbst Könige ihre Herrschaft zu legitimieren hatten, da der Himmel2413 die Legitimation und somit die Grundlage der Herrschaft zurückziehen konnte.2414. Das Mandat des Himmels wurde durch die Lehren des Konfuzius (vermutlich ) weiterentwickelt und nachhaltig ge551 – 479 v. Chr., Chinesisch Koˇ ng Zıˇ, prägt,2415 auch wenn er nicht der Urheber dieser Gedanken war.2416 Das Weltbild des Konfuzius geht von dem abstrakt-metaphysischen „Himmel“ als der absoluten Instanz von oben und der des „Menschen“ von unten aus.2417 Der „Himmel“ bestimmt das „Ming“ (chin. , „Mandat, Schicksal oder auch Befehl“) für den Menschen und der Mensch erfüllt dies durch den richtigen „Weg (chin. Do ( ))“.2418 Der Mensch muss also den rechten „Weg“ gehen, wobei dies letztlich die Erfüllung des vom Himmel bestimmten „Ming“ – also Mandat des Himmels – ist.2419 2408
Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 59. Der wahre König muss nach Konfuzius also universal sein. Vgl. Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 26. 2410 De Bary, William Theodore, The trouble with Confucianism, 1991, S. 4. 2411 Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 175. 2412 Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 59. 2413 Eine naturrechtliche Tendenz dieser Gedanken, die die Tugendhaftigkeit über das gesetzte Recht stellt, ist nicht zu verkennen. Vgl. Bhatia/Tan, China (Fn. 2232), S. 28. 2414 Opitz, Konfuzianische Klassik (Fn. 2404), S. 32. 2415 Konfuzius war der erste chinesische Philosoph, der eine Schule gründen konnte, die darüber hinaus auch Jahrtausende Einfluss ausübte. Vgl. Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 53 – 54. 2416 Konfuzius verstand sich selber als Vermittler der alten Lehren. Vgl. Bhatia/Tan, China (Fn. 2232), S. 27. Bauer weist darauf hin, dass es gerade ein Erfolgsgeheimnis von Konfuzius war, dass er sich selbst bloß als Überlieferer und Erneuerer von alten Wahrheiten bezeichnete. Vgl. Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 54. 2417 Meisig, Konrad, Die Ethik des Konfuzius, in: Meisig (Hrsg.), Chinesische Philosophie (Fn. 1806), S. 3. 2418 Meisig, Konrad, Die Ethik des Konfuzius, in: Meisig (Hrsg.), Chinesische Philosophie (Fn. 1806), S. 4 – 5. 2419 Meisig, Konrad, Die Ethik des Konfuzius, in: Meisig (Hrsg.), Chinesische Philosophie (Fn. 1806), S. 8. 2409
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In den Analekten des Konfuzius (chin. lùn yuˇ ( )), die ein von den Schülern des Konfuzius niedergeschriebenes Sammelwerk von Gesprächen ist, die Konfuzius mit jenen Schülern geführt haben soll,2420 findet sich der zentrale Begriff des Konfuzius zur Findung des richtigen Weges. Dieser ist die „Menschlichkeit (chin. Ren, ( ))“. Der konfuzianische „Menschlichkeitsbegriff“ führt dabei zu einer völligen Abkehr von der geistigen-religiösen Prägung hin zu einer Fokussierung auf das WeltlichEthische.2421 Die „Menschlichkeit“ ist immer bezogen auf andere Menschen, ist also gegenseitig (chin. Shu ( )) gemeint.2422 Für den Konfuzianismus gibt es fünf zentrale – meist hierarchische – menschliche2423 Beziehungen.2424 Dieses familienorientierte Konzept – drei dieser fundamentalen Beziehungstypen sind familiär – kann auch auf die Struktur des Staates übertragen werden.2425 Der Schluss, der sich aus diesem Bild der menschlichen Beziehung gibt, ist also, dass der Sohn sich seinen Eltern gegenüber – und analog der Diener sich seinem König gegenüber – gehorsam zu verhalten hat.2426 Der König ist nach solch einem Verständnis durchaus als Vaterfigur zu verstehen, der ein Mandat des Himmels erhalten hat.2427 Folglich war auch die Struktur der konfuzianistischen Ordnung streng hierarchisch.2428
2420
Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 55; Opitz, Konfuzianische Klassik (Fn. 2404), S. 39. 2421 Cotterell, Reich der Mitte (Fn. 2242), S. 74 – 76. Konfuzius sah dabei den „Adligen ))“ als den idealen Menschentypus an und den „kleinen Menschen (chin. (chin. Junzi ( Xiaoren ( ))“ als seinen Gegensatz. Vgl. Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 57 – 59. 2422 Meisig, Konrad, Die Ethik des Konfuzius, in: Meisig (Hrsg.), Chinesische Philosophie (Fn. 1806), S. 11. 2423 Dabei ist zu betonen, dass Konfuzius in der kindlichen Pietät (chin. Hsiao ( )), also dem freiwilligen Gehorsam des Kindes, und dem brüderlichen Gehorsam des Jüngeren (chin. Ti ( )) die Wurzeln der Menschlichkeit sieht. Vgl. Opitz, Konfuzianische Klassik (Fn. 2404), S. 60; Meisig, Konrad, Die Ethik des Konfuzius, in: Meisig (Hrsg.), Chinesische Philosophie (Fn. 1806), S. 14 – 15. 2424 Gemeint sind die – nach dem konfuzianischen Verständnis – hierarchisch aufgebauten Beziehungen zwischen dem König und den Dienern, dem Vater und dem Sohn, des Mannes und der Frau sowie des älteren und des jüngeren Bruders. Als fünfte Beziehungsart kommt noch die egalitäre Beziehung zwischen Freunden dazu. Vgl. Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 60; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 51. 2425 Chen, Chinese Law (Fn. 2230), S. 5. 2426 Das chinesische Denken ist davon geprägt, dass die Familie dann geregelt ist, wenn das Individuum kultiviert ist, der Staat gut reguliert ist und wenn die Familie gut geregelt ist. Solange dies gewährleistet ist, sah man keine Gesetze als notwendig an. Vgl. Bhatia/Tan, China (Fn. 2232), S. 26. 2427 Dieses Mandat des Himmels kann, wie dargestellt, nur durch die Tugendhaftigkeit des Königs erlangt werden. Vgl. Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 59. 2428 Dies zeigt sich auch in der konfuzianisch geprägten sinozentrischen Ordnung, die letztlich eine auf chinesischer Überlegenheit basierende Ordnung war. Vgl. Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 41.
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Die angesprochene Übertragung der konfuzianischen Hierarchie auf die Staatenwelt erfolgte durch Zuo Qiuming (556 – 451 v. Chr., chin. ), der die Werke von Konfuzius kommentierte. In seinem Werk „Frühlings- und Herbst-Chronik in der ))“ brachte er sein Überlieferung des Zuo (chin. Chunqiu Zuouzhuan ( völkerrechtliches Verständnis der konfuzianischen Lehre so zum Ausdruck, dass ein kleiner Staat einem großen Staat dienen und ein großer Staat einen kleinen beschützen sollte.2429 Allerdings zeigt sich im gleichen Werk ebenso, dass neben dieser eher pazifistischen Tendenz auch eine militante Sichtweise2430 existierte,2431 wenn Zuo Konfuzius mit dem Satz zitiert, dass die fremden Völker nichts mit dem großen Lande zu tun haben und dass es diesen wilden Völkern nicht erlaubt sein sollte, in dem florierenden Lande Unruhe zu stiften.2432 Die Übertragung des konfuzianischen Systems auf die internationalen Beziehungen von China wurde von Menzius (vermutlich 370 – 290 v. Chr., Chinesisch Mèngzıˇ, ) vollendet.2433 Menzius war ein Vertreter eines radikalen2434 volksorientierten Konzepts des Mandats des Himmels. Er sah nur in einem volksorientierten Herrscher einen wahren König, während ein Herrscher, der nur aufgrund von Macht regierte, letztlich kein König für ihn war.2435 Menzius analysierte die chinesische Geschichte2436 und vertrat, dass es eine Gesetzmäßigkeit in der Geschichte gab, in der despotische Dynastien niedergingen und neue Dynastien konstituiert
2429 Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 25. 2430 Jedenfalls soll die systematische Unterscheidung von „Zivilisierten (Hua)“ und „Barbaren (Yi)“ ihren Ursprung bereits in dieser Zeit gehabt haben. Vgl. Kim, Politics (Fn. 2226), S. 72. 2431 Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 24. 2432 Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 26. 2433 Er kann deshalb als eine Art „Paulus“ des Konfuzianismus gelten Vgl. Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 98. 2434 Soweit ein König dem Volke nicht diente, hatte er kein himmlisches Mandat und das Volk hatte deshalb die Pflicht, gegen den König Widerstand zu leisten. Vgl. Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 176. 2435 Menzius führte aus, dass die „Hegemonen (Ba)“ die Menschlichkeit ausrufen, jedoch nur aufgrund der eigenen Macht regieren und deshalb nach einem großen Reich streben, während die „Könige (Wang)“ die Tugendhaftigkeit als Grundlage nehmen und die Menschlichkeit ausführen und somit kein großes Reich anstreben. Wenn mit Macht regiert wird, ist dies nur erzwungener Gehorsam, während ein Regieren durch Tugendhaftigkeit einen wahren Gehorsam hervorruft. Vgl. Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 84 – 87; Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 35; Cotterell, Reich der Mitte (Fn. 2242), S. 78. 2436 In seiner Darstellung der mythologischen chinesischen Geschichte wurden die chinesischen Kaiser Shun oder Yü niemals durch Erbfolge, sondern durch die Befolgung des Volkes bestimmt. Vgl. Opitz, Konfuzianische Klassik (Fn. 2404), S. 75.
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wurden, die sich auf Humanität und Tugenden konzentrierten;2437 darin sah er also den Übergang des Mandats des Himmels.2438 Diese Sichtweise schlug sich auch auf die völkerrechtliche Ansicht bezüglich des „Mandats des Himmels“ nieder. Menzius war zunächst ein Vertreter eines universalen Chinas und sah die Vereinigung der Welt unter China als Ideal an.2439 Allerdings wollte Menzius keine uneingeschränkte Macht für die Könige der großen Staaten,2440 vielmehr sah er es als Pflicht der Könige von großen Staaten an, die kleinen Staaten zu beschützen.2441 Für Menzius gab es auch keinen gerechten Krieg.2442 Menzius schildert dazu in seinem Werk „König Hui von Liang“2443 (der Hauptstadt von Wei, ein „Ba“ der damaligen Zeit)2444 ein Treffen zwischen ihm und König Xuan von Qi. „König Xuan fragte: „Gibt es einen Weg, die Beziehung mit den Nachbarkönigreichen zu pflegen?“ Menzius antwortete: „Es gibt einen solchen Weg. Allerdings bedarf es eines tugendhaften Königs, der mit einem großen Staat es schafft, einem kleinen zu dienen … Es bedarf eines weisen Königs mit einem kleinen Staat, einem großen zu dienen. Derjenige, der mit einem großen Staat einem kleinen dient, genießt den Weg des Himmels, und derjenige, der mit einem kleinen Staat einem großen dient, hat Ehrfurcht vor dem Weg des Himmels. Derjenige, der den Weg des Himmels genießt, wird Himmel und Erde (also die ganze Welt) bewahren. Derjenige, der Ehrfurcht vor dem Weg des Himmels hat, wird seinen Staat bewahren.“ 2445 2437 Menzius geht von einer positiven menschlichen Natur aus, was ihn zu einer besonderen Wertschätzung des gemeinen Volkes brachte, sodass er soweit ging, das Volk – und nicht die Herrscher – als „Himmel“ zu sehen. Selbst wenn es also möglich ist, dass es gewisse Hierarchien gibt, sind die Vertreter des Staates austauschbar, insbesondere wenn diese nicht die Stimme des Himmels, also des Volkes hören. Vgl. Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 101. 2438 Opitz, Konfuzianische Klassik (Fn. 2404), S. 75 – 76. 2439 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 13. 2440 Menzius hatte bereits ein sehr modern klingendes Staatsverständnis, wenn er von den drei Kostbarkeiten eines Königs sprach: nämlich das Gebiet, das Volk und die Regierung. Vgl. Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 21. 2441 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 13 – 15. 2442 Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 26. 2443 Legge, James, The Chinese Classics: Vol II: The Works of Mencius, 1895, S. 125 – 180. 2444 Der Titel täuscht, da die Gespräche mit König Xuan von Qi den Hauptteil ausmachen. Allerdings stellt das Gespräch mit König Hui von Liang die zentrale Philosophie von Menzius über Menschlichkeit und Gerechtigkeit besser dar. Vgl. Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 54. 2445 Menzius Buch 1 Teil 2 Kapitel 3; übersetzt ins Deutsche aus dem koreanischen durch den Autor nach Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 56 – 57; Kim, Seongkun, Chaogong, Cefeng Beziehungen (Fn. 1509), S. 33; englische Übersetzung, in: Legge, Mencius (Fn. 2443), S. 150 – 180; Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 27. Original chinesisch: … …
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Menzius stellt damit zwei Prinzipien des chinesischen Völkerrechts auf, die auch in der Folgezeit maßgeblichen Einfluss auf den sinozentrischen Raum hatten. Die zwei Prinzipien sind „das Dienen des großen Staates gegenüber dem kleinen Staat“ )2446 und „das Dienen des kleinen Staates gegenüber dem großen Staat“ ( ( 2447 ). Verbunden werden diese Prinzipien mit seiner besonderen Wertschätzung der tugendhaften Politik, da er einem kleinen Staat, der tugendhaft regiert wird, eine höhere Überlebensfähigkeit zusprach als einem großen Reich, das aufgrund seiner Macht diese Tugenden vergisst.2448 Insbesondere Beziehungen zwischen Korea und China waren für eine lange Zeit durch das Prinzip des „Dienens des großen Staates“ nach Menzius geprägt.2449 Dies zeigt auch die Diskussion von Menzius über den königlichen Weg (chin. Wangdao, ) und den Weg des Despoten (chin. Badao, ).2450 Menzius sagte, dass der Despot mit Macht ein Reich beherrsche und ein großes Reich wolle, während der König mit Tugend ein Reich führe und nicht ein großes Reich, sondern nur die wahre Loyalität des Volkes durch eine tugendhafte Führung anstrebe.2451 Diese Unterscheidung der tugendhaften Herrschaft und der Herrschaft durch Macht spielte in den verschiedensten Perioden der chinesischen Geschichte eine große Rolle.2452 2446 Menzius bringt hier das Beispiel des Königs Wen von Zhou, Königs Wu von Zhou sowie Königs Tang von Shang. Allerdings ist zweifelhaft, ob diese Könige tatsächlich eine große Macht hatten oder ob das „dienen“ in diesem Falle nicht notwendig war, um den eigenen Staat zu erhalten. Vgl. Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 60. 2447 Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 59. 2448 Menzius sagt etwa, dass ein Staat in dem die Fähigen an die Ämter kommen und in der die Tugend hochgehalten wird, gut regiert werden kann und deshalb auch von großen Reichen gefürchtet wird, während ein Reich, das aufgrund seiner temporären Größe nur seine Macht genießt, sich selbst in das Verderben stürzt. Vgl. Vgl. Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 85. 2449 Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 27. 2450 Die Unterscheidung ist selbst bis in die Gegenwart anzutreffen. Sie wird in der japanischen Herrschaftsideologie ab 1931 aufgegriffen, um die japanische Expansionspolitik als eine solche der Tugendhaftigkeit darzustellen. Diesen Vergleich strengten insbesondere Vertreter des Panasianismus an, um die Expansion in der Mandschurei im Rahmen der Gründung von Mandschukuo zu rechtfertigen. Vgl. Hotta, Pan-Asianism (Fn. 1545), S. 117 – 118. Offiziell griff auch Premierminister Konoe Fumimaro darauf zurück, als er die „Neue Asiatische Ordnung“ verkündete. Vgl. Beasley, Japanese Imperialism (Fn. 572), S. 204 – 205. 2451 Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 83 – 85. 2452 Bhatia/Tan, China (Fn. 2232), S. 50. Beispielhaft ist etwa der geistliche Widerstand der konfuzianischen Elite gegen die Mongolen in der südlichen Song-Dynastie. Dieses Prinzip wurde durch Zhu Xi, den bekanntesten Neo-Konfuzianer dieser Zeit, besonders hervorgehoben, da er das Ordnungsprinzip (li, ) als unveränderlich und unendlich verstand, die Gewaltherrschaft (ba, ) jedoch für begrenzt. Vgl. Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 270. Weiterhin ist die angebliche ideologische Überlegenheit zu erwähnen, die die Qing-Dynastie gegenüber dem Westen für sich beanspruchte. Diese ethische Überlegenheit kommt durch die Interpretation der „Meistbegünstigungsklausel“ besonders zum Vorschein. Diese Klausel wurde durch die Qing-Dynastie akzeptiert, weil man es als tugendhaft ansah, alle Untertanen
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
339
Der Umstand, dass die regionalen Herrscher der östlichen Zhou-Dynastie nur als Ba ( ) bezeichnet wurden, zeigt, dass keiner sich zu dieser Zeit auf das Mandat des Himmel berufen konnte. Das Mandat des Himmels bezeichnete die Herrschaftslegitimation über die chinesische Dynastie und somit über den gesamten sinozentrischen Raum. Selbst Jahrhunderte nach dem Niedergang der Zhou-Dynastie bzw. dem Tod von Konfuzius oder Menzius beriefen sich die chinesischen Dynastien auf das Mandat des Himmels.2453 Der Konfuzianismus entstand wie auch viele andere Lehren der chinesischen Philosophie in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen, in der die Zhou-Könige zwar die Legitimation zur Herrschaft hatten, aber keine tatsächliche Macht besaßen. Andere Herrscher verfügten zwar über militärische Macht, hatten aber keine Legitimation. Diese Situation schleppte sich mehr als ein halbes Jahrtausend hin.2454 Der fortschreitende Kampf zwischen den verschiedenen Fürstentümern innerhalb der Zhou-Dynastie ließ eine Ära der Philosophen entstehen, da viele entwurzelte Adlige als Berater der Fürsten wirkten und somit den philosophischen Diskurs beflügelten.2455 Nach einer kurzen Periode des Legalismus in der Qin-Dynastie konnte sich der Konfuzianismus ab der Han-Dynastie als herrschende Ideologie etablieren.2456 Die chinesischen Historiker der nächsten Jahrhunderte waren von dieser konfuzianischen Sichtweise geprägt. Insbesondere bildete sich in der Tang-Dynastie die Idee, dass es Dynastien wie der Han-Dynastie nur aufgrund der Tugendhaftigkeit (chin. Te ( )) möglich gewesen sei, die verschiedenartigen zwischenstaatlichen Probleme zu lösen. Die Tugendhaftigkeit wurde zu einer zentralen Idee des imperialen Chinas.2457 Diese Langlebigkeit verdankt der Konfuzianismus den sog. Neo-Konfuzianern2458 in der Song-Dynastie.2459 Zhu Xi (chin. , 1130 – 1200) argumentierte, dass seit (also auch ausländische Staaten) gleich zu behandeln. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 315 – 316. 2453 So etwa die Ming-Dynastie im 14. Jahrhundert. Hongwudi verkündete im November 1367 in Nordchina, dass er nun das Mandat des Himmels habe und somit die „Ordnung unter dem Himmel“ wiederherstellen werde. Vgl. Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 34 – 35; Kim, Politics (Fn. 2226), S. 88. Ein weiteres Beispiel ist die Qing-Dynastie im 17. Jahrhundert. Im Jahre 1616 verkündete Nurhaci, dass er das „Mandat des Himmels“ besitze. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 523. 2454 Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 52. 2455 Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 53. 2456 Die Zentralisierung der Herrschaft durch die chinesischen Dynastien brachte ab der Han-Dynastie auch das Erlöschen der Legalistischen und Mohistischen Schulen mit sich. Vgl. Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 117. Die Grundideen des Legalismus verschwanden allerdings nicht vollkommen, sondern wurden vom Konfuzianismus rezipiert. Vgl. Fairbank, China (Fn. 1611), S. 62 – 63. 2457 Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 43. 2458 In der Song-Dynastie kam es zu einer Renaissance des Konfuzianismus. Dieses Wiederaufleben war Konsequenz der geschichtlichen Lage der Song-Dynastie, die anders als die
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
der Qin-Dynastie keine heiligen Herrscher geherrscht hatten, sondern nur „Hegemone (ba)“; aber trotzdem sei das Ordnungsprinzip2460 des „Himmlischen Mandats“ intakt gewesen.2461 Diese Sicht veränderte China, da die Ordnungsprinzipien nun Vorrang vor den konkreten Gegebenheiten, z. B. Machtverhältnissen, hatten, was vor allem das Selbstbild der chinesischen Kultur entscheidend beeinflusste.2462 Insbesondere prägte dies auch die Geschichtsschreibung,2463 die bis dato immer auf die Dynastien gerichtet war und deren Auf und Ab darstellte. Nun ging es vielmehr darum, ein allgemeines Ordnungsprinzip in der Geschichte zu erkennen.2464 Was jedenfalls bis zum 19. Jahrhundert blieb, ist das Verständnis, dass die Ordnung unter dem Himmel maßgeblich durch den tugendhaften Herrscher gemäß dem konfuzianischen Ideal beherrscht werden müsse.2465 Insgesamt haben die Begriffe Souveränität und Mandat des Himmels in deren jeweiligen Konzeption Ähnlichkeiten zueinander. Beide Begriffe starteten als politische Kampfbegriffe, um die Legitimation der Macht innerhalb eines Staates zu gewährleisten. Allerdings wird beim Mandat des Himmels auf die konfuzianische Tugendhaftigkeit des Herrschers abgestellt und diese wird in gewisser Weise vorausgesetzt, während die Souveränität lediglich den Umfang der Macht des Trägers der Macht umschreibt, nicht jedoch dessen moralische Qualitäten. Weiterhin sind die Begriffe besonders im Außenverhältnis grundverschieden. Während die Souveränität in Europa mit der Staatengleichheit einhergeht und sich somit auf die Unabhängigkeit eines Einzelstaates begnügt, beansprucht das Mandat des Himmels eine
Tang-Dynastie, die sich im Zentrum befand und somit kosmopolitisch sein konnte, in den Süden verdrängt und somit eine Reinigung fremder politischer Einflüsse war. Dies begünstigte eine Rückbesinnung auf die chinesischen Werte. Vgl. Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 240; Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 36 – 37. 2459 Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 241; Cotterell, Reich der Mitte (Fn. 2242), S. 237. 2460 Zhu Xis Grundphilosophie lässt sich mit dem Gegensatz zwischen dem „Ordnungsprinzip (chin. li, )“ und dem „Ätherstoff (chin. ki, )“ erklären. Ein Gegensatz den Zhu Xi zugunsten des Ordnungsprinzips auflöste. Gemeint ist ein Ordnungsprinzip, das allem innewohnt. Der Begriff bedeutet eigentlich „Linie“ in einem Stück Jade und drückt somit eine immanente Struktur aus. Mit Ätherstoff ist ein Stoff gemeint, der unabänderlich ist und den Grundstoff für alles Seiende darstellt, das sich wiederum nach bestimmten immanenten Gesetzmäßigkeiten bestimmt. Vgl. Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 252 – 269; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 98. 2461 Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 270. 2462 Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 271. 2463 Die Sicht, dass ein Ordnungsprinzip existiert, nachdem China – aufgrund der Tugendhaftigkeit des Kaisers – ein übermächtiger Staat sei, wurde durch die Fremdherrschaft der Mongolen bis ins äußerste gestört. Deshalb kommentierten die Historiker der Ming-Dynastie diese Zeit überhaupt nicht. Vgl. Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 45. 2464 Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 270. 2465 Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 38 – 40.
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
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Macht über die gesamte Ordnung unter dem Himmel und zielt somit auf eine hierarchische Ordnung zwischen China und den anderen Staaten ab. 2. Das Territorium der sinozentrischen Ordnung: Die Ordnung unter dem Himmel Nachdem das Konzept des Mandats des Himmels untersucht wurde, stellt sich die Frage, wie weitreichend der Herrschaftsanspruch und somit der Einzugsbereich des sinozentrischen Raumes sein sollte. Ähnlich wie das europäische Völkerrecht, das bis zur Beendigung des Ersten Weltkrieges fast ausschließlich nur auf die westlichen Staaten Anwendung fand und Abgrenzungslinien wie z. B. die sog. „Freundschaftslinien“ kannte, war auch im sinozentrischen Völkerrecht – trotz des offiziellen Anspruchs der Universalität des chinesischen Kaisers – eine Abgrenzung zwischen dem sinozentrischen Raum und den Territorien außerhalb dieses Raumes existent. Wie diese Struktur aussah, soll im Folgenden skizziert werden. , direkt übersetzt Himmel Die „Ordnung unter dem Himmel“ (chin. Tianxia, Unter) setzt voraus, dass es einen Himmel gibt und der „Himmlische Sohn“ dessen Befehle ausführt.2466 Viele Königreiche, nicht zuletzt die koreanischen Königreiche, nahmen freiwillig an einer solchen Ordnung teil und erhielten im Gegenzug Adelstitel durch den chinesischen Kaiser.2467 Die Funktion des Begriffes war es, eine exklusive Ordnung innerhalb eines unbekannten bzw. schnell veränderlichen Kosmos zu schaffen; also einen suprapolitischen, grenzenlosen Raum, der größer ist als ein einzelner Staat.2468 In der Zeit der westlichen Zhou-Dynastie sowie in der Periode der Frühlings- und Herbstannalen war die Ordnung unter dem Himmel ein primär religiöser Begriff.2469 Die Idee des gesamtchinesischen und somit universellen Reiches war bereits seit der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen existent, aber niemand konnte sie umsetzen.2470 Der Himmel (chin. Tian ( )) ist nach den alten Schriftzeichen durchaus
2466 Deshalb kann es unter einer solchen Ordnung auch keine zwei Söhne des Himmels geben und jeder der sich ähnlich nannte, wurde von den chinesischen Sohn des Himmels für die Aufrechterhaltung des Friedens in einem „gerechten Krieg“ bekämpft. Vgl. Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 139. 2467 Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 140. 2468 Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 32. 2469 Der Himmel war die Gottheit und der Sohn des Himmels (chin. ) ein Medium zwischen der Gottheit und der unteren Welt (chin. ), des unteren Reiches (chin. ) und des unteren Volkes (chin. ). Vgl. Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 70 – 72. 2470 Chu, Qin, Jin, Wu und Wei haben jeweils zu anderen Zeiten versucht die alleinige Herrschaft an sich zu reißen, dies aber nicht geschafft, da die Kosten des Krieges sowie das Gleichgewichtssystem dies verhinderte. Dies kann auch in der Liste der Kriege abgelesen werden, die Hui in ihrem Werk als Appendix 2 angehängt hat Vgl. Hui, Ancient China (Fn. 2239), S. 242 – 248.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
personifiziert, da es ein riesenhaftes Wesen mit einem großem Kopf ist.2471 Die ), zur Zeit Verdrängung des personifizierten Himmelsgottes, des Shangdi (chin. der Zhou-Dynastie bewirkte für die chinesische Gedankenwelt eine Säkularisierung, da auch der Himmelsbegriff selber seine ursprünglich anthropomorphe Bedeutung verlor.2472 Konfuzius sah den Himmel durchaus noch als eine personifizierte Gottheit an, konzentrierte sich jedoch auf den irdischen Vertreter des Himmels, den Sohn des Himmels, der aufgrund der Riten gleichzeitig der höchste Priester des Himmels war.2473 Menzius sagte, dass die Ordnung unter dem Himmel dem chinesischen Kaiser, die Ordnung der Staaten seinen Vasallen und die Ordnung der jeweiligen Familien den jeweiligen Vätern zugeordnet sei.2474 Diese Bewegung hin zum vergleichsweise distanzierten Begriff des Himmels war Grundlage für einen Rationalisierungsprozess von einem Natur- und Ahnenkult zu einem Staatskult.2475 Hier findet sich eine in der Geschichte einzigartige Tendenz der Chinesen: Der eigene Herrscher wurde nicht nur als Herrscher der eigenen Territorien gesehen, sondern auch als jener der „Barbaren“. Somit wiesen die Chinesen einerseits den „Barbaren“ einen festen Platz in ihrem eigenen System zu und erhoben andererseits den „Himmlischen Sohn“ zum Herrscher eines weltumspannenden universalen Systems; also die „Ordnung unter dem Himmel“.2476 Insofern war der chinesische ) und somit das BinKaiser einerseits der Tienzi (chin. Sohn des Himmels, deglied zwischen dem Himmel und dem Menschlichen; andererseits war er der ) und somit der Apex der Zivilisation.2477 Dabei wurden Huangdi (chin. Kaiser, die chinesischen Kaiser aber gerade nicht wegen ihrer Abstammung vergöttlicht, sondern weil sie das Mandat des Himmels erhalten hatten.2478 Von der „Ordnung unter dem Himmel“ zu unterscheiden ist der geographische Begriff des sog. mittleren Territoriums (chin. „Zhongyuan“, ), das nördlich der Flüsse Huanghe (chin. ) und Yangtze (chin. ) lag. Das mittlere Territorium wurde zunächst synonym mit der Ordnung unter dem Himmel verwendet. Der Begriff Ordnung unter dem Himmel breitete sich jedoch zunehmend auf den gesamten ostasiatischen Raum aus.2479 Bereits zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen wurde ein Unterschied zwischen dem Begriff der „Ordnung unter dem Himmel“ (chin. Tianxia, ) und dem „Reichs der Mitte“ (chin. Zhongguo, ) gemacht, sodass 2471
Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 43. Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 42. 2473 Allerdings konnte ein nicht tugendhafter (te) Herrscher, selbst wenn er aufgrund der Riten die entsprechende Legitimation haben möge, nicht der Sohn des Himmels sein, da es ihm an Menschlichkeit (jen) fehlt. Vgl. De Bary, Confucianism (Fn. 2410), S. 30 – 31. 2474 Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 141 – 145. 2475 Bauer, Chinesische Philosophie (Fn. 9), S. 43. 2476 Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 70. 2477 Mancall, Mark The Ch’ing Tribute System: An interpretive Essay, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 65. 2478 Opitz, Konfuzianische Klassik (Fn. 2404), S. 32. 2479 Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 140 – 141. 2472
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
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eine klare Begrifflichkeit bzgl. „Mitte“ und „Peripherie“ existierte.2480 Die „Ordnung unter dem Himmel“ war also ein Mehr zum „Reich der Mitte“. Mit der Vereinigung der chinesischen Hegemonen unter der Qin- und der Han-Dynastie wurde die „Ordnung unter dem Himmel“ in einem engeren Sinne und in einem weiteren Sinne verwendet. So war der engere Sinn gleichbedeutend mit dem „Reich der Mitte“, also dem eigentlichen direkt durch die Chinesen beherrschten Gebiet.2481 Im weiteren Sinne bezieht sich die „Ordnung unter dem Himmel“ auf die gesamte Welt, inklusive der Gebiete, die von den Nicht-Chinesen beherrscht wurden.2482 Diese erhebliche Erweiterung des Gebiets, das mit der „Ordnung unter dem Himmel“ bezeichnet wurde, ging mit der Vereinigung des „Reichs der Mitte“ durch die Qinsowie die Han-Dynastie einher.2483 Das Verständnis der „Ordnung unter dem Himmel“ als reines chinesisch geprägtes Gebiet verschwand und wurde durch einen universalistischen Anspruch2484 ersetzt. Weiterhin wurde der universelle Konfuzianismus als Kern der „Ordnung unter dem Himmel“ verstanden, sodass nicht mehr das ethnische Kriterium des „chinesischen Blutes“ maßgeblich für die Herrschaft dieses Raumes war, sondern die konfuzianisch verstandene Tugendhaftigkeit.2485 Die „Ordnung unter dem Himmel“ war also sicherlich kein geographisch klar begrenzter Raum und wurde zeitweise auf die gesamte Welt ausgeweitet. Insbesondere ab dem Beginn des chinesischen Isolationismus, ab 1435, wurde der Anspruch jedoch nur auf das Gebiet in Ostasien, inklusive Südostasien und Korea, beschränkt. Fairbank sah die sinozentrische Welt als einen Ausfluss der chinesischen Überlegenheit an, in der der chinesische Kaiser „alles unter dem Himmel“ regierte und 2480 Qin, Chu sowie Yu galten nicht als „Zhongguo“, waren jedoch Teil des „Tianxia“. Vgl. Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 20. 2481 Wie auch die Bedeutung des Begriffs „Reich der Mitte“ sich von den, direkt vom „Himmlischen Sohn“ verwalteten, Bezirken auf das gesamte, von den chinesischen Reich beherrschte, Gebiet erweiterte, erweiterte sich auch die Reichweite des Terminus „Ordnung unter dem Himmel“. Der Begriff war jedoch noch gleichbedeutend mit dem des „Reichs der Mitte“. Vgl. Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 75. 2482 Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 77. 2483 Die Idee der Vereinigung der Ordnung unter dem Himmel stammte insb. von der sog. ), deren Hauptwerk der „Chunqiu“ Kommentar, das Gongyang Gongyang Schule (chin. Zhuan (chin. ) war. Die Gongyang Schule sah den Chunqiu weniger als einen historischen Text, sondern vielmehr als eine Beschreibung des konfuzianischen Ideals durch Konfuzius. Vgl. Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 86 – 87. 2484 Dieses neue Verständnis zeigt sich auch in dem Umstand, dass bereits im 12. Jahrhundert die Jurchen, also ein nicht-chinesisches tungusisches Nomadenvolk, die Jin-Dynastie etablierten und eine eigene Ordnung unter dem Himmel propagierten. Vgl. Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 36. 2485 Dies war auch die zentrale Rechtfertigung der Herrschaft der Qing-Dynastie. Die QingDynastie hatte nach dieser Logik die rechtmäßige Herrschaft inne, weil diese die – ethnisch oder territorial nicht gebundenen – universellen konfuzianischen Werte befolgte. Vgl. Matten, Postnational World (Fn. 599), S. 37, 40 .
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
somit auch die Außenpolitik den gleichen Regeln folgen sollte wie die Innenpolitik.2486 Nach der Lehre Fairbanks ist die Einteilung der sinozentrischen Weltordnung dahingehend vorzunehmen, dass die sinische Zone den Kern ausmacht;2487 das Innere Asien, dessen Bevölkerung meist nicht-chinesische Nomaden sind, bildet den inneren Zirkel;2488 die äußere Zone, die durch „Barbaren“ bewohnt wird,2489 ist die Peripherie.2490 Nishijima Sadao sieht in dem vormodernen Ostasien ein in sich vollkommenes Gebilde, in dessen Mitte die chinesische Zivilisation zu orten ist. Dieses Ostasien bestand aus China, Korea, Japan und Vietnam. Deren kulturelle Gemeinsamkeiten, wie etwa die chinesische Schrift, der Konfuzianismus, die sinisch geprägten Gesetze und der Buddhismus,2491 kamen nicht aus einer unabhängigen Entwicklung, sondern rührten aus einer politischen Hegemonie und Kontrolle durch die chinesischen Dynastien.2492 Das feudale System der Zhou-Dynastie, das ab der Han-Dynastie eine Ausweitung auf die internationalen Beziehungen erfuhr,2493 entwickelte sich nach und nach in das tributäre System, das die „ostasiatische Welt“ prägte.2494 Auch nach Hamashita Takeshi2495 kann das sinozentrische Völkerrecht als 2486
Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S 2. Nicht zu verwechseln ist die sinische Zone mit dem chinesischen Kaiserreich an sich. Die sinische Zone beinhaltet die tributären Staaten, die geographisch wie auch kulturell den Chinesen am nächsten waren, wie Korea, Vietnam und das Ryukyu-Königreich. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 105. 2488 Die Völker dieses inneren Zirkels, die meistens Nomaden waren, waren kulturell zu den Chinesen verschieden und führten oft Kriege mit ihnen. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 105. 2489 Fairbank sieht Japan als Teil dieser äußeren Zone, was einen entscheidender Unterschied zwischen Nishijima und Fairbank darstellt. Während Fairbank dem formellen Tributakt, einen Akt den die japanischen Kaiser und Shogune nur sporadisch durchführten, eine hohe Bedeutung zumaß, konzentrierte sich Nishijima eher auf die kulturellen Aspekte und definierte Japan somit als Teil der ostasiatischen Welt. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 106 – 107. 2490 Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 2. 2491 Nishijima, Sadao, Japans Verständnis über die antike Geschichte – Die „Theorie der 2000, übersetzt ins Ostasiatischen Welt“ und Japan (Japanisch: koreanische von Song, Wanbom als „ “ ), 2008, S. 24 – 25. 2492 Kim, Changseok, Ostasien und die koreanisch-chinesische Beziehung im 6. bis zum 8. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 73; Nishijima, Ostasiatische Welt (Fn. 2491), S. 27. 2493 Dieser Schritt ist nach Nishijima entscheidend, da dadurch die Monarchen und Häuptlinge anderer Staaten in das politische System Chinas integriert werden konnten. Vgl. Nishijima, Ostasiatische Welt (Fn. 2491), S. 37 – 38. 2494 Kim, Changseok, Ostasien und die koreanisch-chinesische Beziehung im 6. bis zum 8. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 74; Nishijima, Ostasiatische Welt (Fn. 2491), S. 36 – 37. 2495 Hamashita sieht den Kern des tributären Systems im offiziellen und „begleitenden“ Handel. Vgl. Hamashita, Takeshi, China, East Asia and the Global Economy: Regional and historical perspectives, 2008, S. 18. Die stark wirtschaftlich geprägte Sichtweise von Hamashita allerdings wird von Lee abgelehnt, da diese nicht hinreichend berücksichtigt, dass die sinozentrische tributäre Ordnung eine tatsächlich wirksame politische Ordnung war. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 440. 2487
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
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eine Erweiterung der Regeln, die vormals auf die Beziehung des Zentrums und der Provinzen innerhalb des chinesischen Reiches angewandt wurden,2496 auf die ostasiatischen Staatenwelt angesehen werden.2497 3. China und die Staaten innerhalb des sinozentrischen Raumes Die Untersuchung des Mandats des Himmels und der Ordnung unter dem Himmel zeigt, dass die Beziehungen zwischen den chinesischen Dynastien und den anderen Staaten – zumindest aus der chinesischen Sicht – hierarchisch waren. Die Legitimation dieser Hierarchie wurde aus der konfuzianischen Tugend geschöpft. Dabei muss eine Unterscheidung zwischen den Staaten innerhalb des sinozentrischen Raumes – der Ordnung unter dem Himmel – und den Staaten außerhalb dieses Raumes getroffen werden. Die Interaktionen zwischen den Staaten des antiken ostasiatischen Raumes waren erst seit den 1970er Jahren Gegenstand historischer Forschungen. Viele Wissenschaftler, insbesondere Nishijima Sadao2498 und John Fairbank,2499 definieren die ostasiatische Ordnung als ein „Tributäres System“ oder anders gesagt ein System des ) und Cefeng ( )“. Demnach war innerhalb der „Ordnung unter „Chaogong ( dem Himmel“ – einem Territorium, dass, wie gesehen, kulturell stark sinisch geprägt war – eine Ausweitung der chinesischen innerstaatlichen Ordnung auf die zwischenstaatliche Beziehung gegeben. Diese erfolgte meist aufgrund der kulturellen oder wirtschaftlichen Kontrolle, die China gegenüber den anderen Staaten in diesen Raum hatte.2500 Gegen diese Sichtweise gibt es mittlerweile einige Kritiker, die darauf hinweisen, dass dies eine einseitig sinozentrische Sicht sei und diese Perspektive vernachlässige, dass die tributären Institutionen verschiedenste Bedeutungen in den jeweiligen Epochenabschnitten der ostasiatischen Geschichte hatten.2501 Die chinesischen Dynastien hatten nämlich keinesfalls über die gesamte Geschichte der letzten zweitausend Jahre eine hegemoniale Stellung. Ein Versuch, die Beziehungen zwischen den ostasiatischen Staaten in den Epochen, in denen China keine hegemoniale 2496 Die innere Ordnung von China kann als ein Nebeneinander der zentralen, mittleren und lokalen Ebene, mit einer symbolischen Hierarchie, jedoch ohne klare Funktionalität, charakterisiert werden. Vgl. Hamashita, China (Fn. 2495), S. 14. 2497 Hamashita, China (Fn. 2495), S. 13. 2498 Nishijima, Ostasiatische Welt (Fn. 2491). 2499 Vgl. dazu Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517). 2500 Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S 2; Nishijima, Ostasiatische Welt (Fn. 2491), S. 37 – 38; Hamashita, China (Fn. 2495), S. 13. 2501 Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-Cefeng-Verhältnisse im antiken Asien, in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 16; Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 241, 253; Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 103.
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Macht ausüben konnte, besser einzuordnen, wurde durch Hoshikazu Tori2502 vorgenommen, der die tributären Institutionen nur als eine Art außenpolitischer Strategie ansieht, die er als Teil eines größeren „Jimi“ Systems sieht.2503 a) Tributäre Beziehungen innerhalb des sinozentrischen Raumes Die Beziehungen zwischen China und den Staaten innerhalb des sinozentrischen Raums2504 sind von den Begriffen „Cefeng ( )“ und „Chaogong ( )“ geprägt.2505 Chaogong bedeutet dabei, dass der Diener vom Sohn des Himmels (chin. ) eine Audienz erhält (chin. Chao, ) und dabei ein Tribut darbietet Tianzi, (chin. Gong, ). Damit zeigt sich das Subordinationsverhältnis zwischen Kaiser und Diener.2506 Cefeng hingegen ist ein Akt der Ernennung (chin. Feng, ) durch eine Ernennungsurkunde (chin. Ceshu, ), in der die Position und der Titel eingetragen wurden.2507 Meistens erlangte der Staat, der das Tribut (Chaogong) erbrachte, im Gegenzug die Anerkennung (Cefeng) durch den anderen Staat.2508 Aufzeichnungen dieser tributären Beziehungen dienten stets der Bestätigung der Macht der chinesischen Kaiser und der Markierung seines Einflussbereiches.2509 2502
Vgl. hierzu Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281). Jung, Byungjun, Nachwort des Übersetzers, in: Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 351; Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 251. 2504 Die Besonderheit der sinozentrischen Welt ist dabei, dass diese nicht zwingend identisch mit dem chinesischen Kulturgebiet war. Fairbank weist darauf hin, dass viele innerasiatische Völker wie die Mongolen, die Mandschuren, die Uiguren sowie die Tibetaner von der Schrift bis hin zum Wirtschaftssystem vollkommen verschieden zu den Chinesen waren. Allerdings waren die innerasiatischen Völker für das chinesische Reich eine große Bedrohung, wenn diese nicht kontrolliert werden konnten, da diese oftmals eine militärische Übermacht besaßen. Vgl. Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 3 – 4. 2505 Nishijima, Ostasiatische Welt (Fn. 2491), S. 40; Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 2. Neben den zwei Riten Chaogong und Cefeng sind auch die Nutzung der chinesischen Kalender und Jahresbezeichnungen nach den Amtsjahren der jeweiligen chinesischen Kaiser kennzeichnend. Vgl. Kim, Seongkun, Chaogong, Cefeng Beziehungen (Fn. 1509), S. 24; Kim, Weltbilder (Fn. 2401), S. 66. 2506 Kim, Byeongjun, Die internationale Ordnung in Ostasien und die sinokoreanischen Beziehungen im 3. Jahrhundert n. Chr., in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 23; Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-CefengVerhältnisse im antiken Asien, in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 21 – 22; Kim, Seongkun, Chaogong, Cefeng Beziehungen (Fn. 1509), S. 23 – 24. 2507 Diese Art der indirekten Herrschaft wurde in der Zhou-Dynastie von den Zhou-Königen gegenüber den Feudalherren ausgeübt. Vgl. Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 108; Kim, Seongkun, Chaogong, Cefeng Beziehungen (Fn. 1509), S. 24 – 25. 2508 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 269. 2509 Eine entscheidende Entwicklung dürfte die Institutionalisierung in der Han-Dynastie sein. Da die Aufzeichnungen den Einflussbereich der jeweiligen Dynastie abbilden, ist immer zu beachten, dass diese Darstellungen vermutlich oft übertrieben sind. Vgl. Kim, Byeongjun, 2503
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Mittlerweile gibt es jedoch auch Lehrmeinungen, die besagen, dass in diesen Chaogong-Cefeng-Beziehungen keine wirkliche Über- und Unterordnung vorliege.2510 Eigentlich sei dies nichts anderes gewesen als eine Handelsbeziehung, wie dies durch die Beziehungen zu den Nomadenvölkern im Norden gezeigt wurde.2511 Jedenfalls muss die sinozentrische Ordnung nicht als Vorherrschaft einer ethnischen Gruppe verstanden werden, sondern als Herrschaft über einen Raum.2512 Der jeweilige chinesische Kaiser erkaufte sich durch das tributäre System letztlich von den Nicht-Chinesen eine formale Akzeptanz. Diese war aus der Sicht der Chinesen ein außenpolitisch vorteilhaftes, aber wirtschaftlich nachteiliges Tauschgeschäft von Tribut und Geschenk.2513 aa) Die frühen Chaogong-Cefeng-Beziehungen Das tributäre System mit den Instituten Chagong und Cefeng entwickelte sich zunächst in der chinesischen Innenpolitik. Die ersten Anfänge davon finden sich bereits in dem soziopolitischen System der Zhou-Dynastie, dem Feudalismus (chin. ).2514 Nicht der König regierte direkt in diesem System, sondern reFengjian,
Die internationale Ordnung in Ostasien und die sinokoreanischen Beziehungen im 3. Jahrhundert n. Chr., in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 28 – 29. 2510 Dies bedeutet jedoch sicherlich nicht, dass das Chaogong-Cefeng-System keinerlei politische Auswirkungen in den internationalen Beziehungen gehabt hätte. Kang weist darauf hin, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass das tributäre Systeme in reines „Hirngespinst“ der Chinesen war. Vielmehr existierte das tributäre System als ein stabiles internationales System über Jahrtausende und die chinesischen Dynastien, wie auch die Staaten, die den Chinesen Tribut zollen mussten, befolgten das System. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 13. 2511 Diese Sichtweise geht sogar so weit, die sinozentrische Interpretation der ostasiatischen Beziehungen, als chinesische Defensivstrategie zu sehen. Vgl. Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 242. 2512 Der Name „China“ kommt von der Qin-Dynastie. Der Name der Chinesen (die Han) aus der Han-Dynastie. Die Tang-Dynastie hat diese sinozentrische Ordnung nach langem Chaos wiederhergestellt. Allerdings war die herrschende Gruppe der Qin-Dynastie sowie der TangDynastie (Türken) nicht-chinesisch. Dies zeigt, dass der Begriff von China kein ethnischer, sondern ein rein geopolitischer ist. Vgl. Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 246 – 247. 2513 Yü, Han China (Fn. 2278), S. 189. 2514 Während dieser Zeit war das Tributsystem ein Herrschaftssystem des Zhou-Königs gegenüber seinen Fürsten, die Verwandten des Könighauses waren. Das Institut „Chaogong“ wurde seit der westlichen Zhou-Dynastie in China praktiziert und diente zunächst einer symbolischen Bestätigung des Gehorsams und der Verwandtschaft zwischen dem Königshaus Zhou und den Verwandten des Königshauses, die in den jeweiligen Regionen eine feudale Herrschaft ausübten. Es war also ein Institut, das nur innerhalb der Zhou-Dynastie Bedeutung hatte. Vgl. Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-Cefeng-Verhältnisse im antiken Asien in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 21 – 23.
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gionale Fürsten; sie hatten vom König ein Territorium zugewiesen bekommen.2515 Bereits zur westlichen Zhou-Dynastie lassen sich Belege finden, die auf die Existenz einer Tributleistung (Chaogong) hinweisen.2516 Innerhalb der chinesischen Staatenwelt, die sich in der Periode der Frühlings- und Herbstannalen bildete, wurde jedoch das Tributsystem durch die einzelnen chinesischen Staaten nicht mehr zugunsten des Zhou-Königs ausgeübt,2517 sondern zugunsten der stärkeren Zhou)).2518 Es dürfte aus heutiger Staaten, etwa den fünf Hegemonen (chin. Wuˇ Bà ( Sicht fast unmöglich sein, zwischen den Beziehungen innerhalb des Mehrvölkerstaates China oder den zwischenstaatlichen Beziehungen innerhalb des sinozentrischen Raumes zu unterscheiden.2519 Ob das Chaogong-Cefeng-System der Folgezeit eine Entwicklung des rein internen Chaogong-Systems der Zhou-Dynastie war, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden.2520 In der Qin-Dynastie verschwand das „Chaogong“ zunächst, da die Qin-Dynastie sich als starke zentrale Macht etablieren konnte und somit das Subordinationsverhältnis des Hauses Qin und der übrigen Regionen klar2521 war.2522 Eine andere Macht als die Qin-Dynastie wurde nicht akzeptiert.2523 Die darauffolgende Han-Dynastie
2515 Schrecker, John, The Chinese revolution in historical perspective, 2. Auflage, 2004, S. 4; Nishijima, Ostasiatische Welt (Fn. 2491), S. 33. 2516 Kim, Byeongjun, Die internationale Ordnung in Ostasien und die sinokoreanischen Beziehungen im 3. Jahrhundert n. Chr., in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 23. 2517 Dieser Umstand wiederum diente den vorherrschenden Staaten, den Ba, als Vorwand im Namen des Zhou-Kaisers Strafexpeditionen durchzuführen. Vgl. Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-Cefeng-Verhältnisse im antiken Asien in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 23 – 23 – 24. 2518 Allerdings wurde das „Chaogong“ auch hier ausschließlich innerhalb der Staaten angewandt, die als „chinesisch“ angesehen werden können. Vgl. Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-Cefeng-Verhältnisse im antiken Asien in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 23 – 26. 2519 Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-Cefeng-Verhältnisse im antiken Asien in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 18 – 23. 2520 Kim, Byeongjun, Die internationale Ordnung in Ostasien und die sinokoreanischen Beziehungen im 3. Jahrhundert n. Chr., in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 23 – 25. 2521 Folgend wurde ein zentralistisches System, in dem die Regionen nur noch Verwal), mit aller Rigorosität und tungseinheiten waren, genannt das Junxian-System (chin. Brutalität eingeführt. Vgl. Schrecker, Chinese revolution (Fn. 2515), S. 28. Das Junxian-System wurde jedoch nicht auf ausländische Territorien angewandt, da Territorien außerhalb der „Jun“ und „Xian“ genannten Verwaltungseinheiten nicht direkt dem Kaiser unterstellt waren. Vgl. Nishijima, Ostasiatische Welt (Fn. 2491), S. 37. 2522 Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-Cefeng-Verhältnisse im antiken Asien in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 23 – 26. 2523 Diese Vereinigung der Welt „unter dem Himmel“ war jedoch lediglich ideeller Art. Es kann vermutet werden, dass auch die Qin-Dynastie tributäre Beziehungen mit ihren unmittelbaren Nachbarn unterhielt. Vgl. Kim, Byeongjun, Die internationale Ordnung in Ostasien und
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hatte jedoch keine solche zentrale Macht und herrschte nur indirekt2524 über einige Gebiete. Für diese indirekt beherrschten Territorien wurden Prinzen2525 ernannt und das Chaogong wieder eingeführt.2526 Bezüglich dieser indirekten Beherrschung hat ) eine besondere Bedeutung das System der Adelsernennung (chin. Cefeng, erlangt. Das Cefeng war eine Konsequenz der indirekten Beherrschung und bestand, weil ein eigenes Regieren durch zentrale Institutionen und Beamte nicht möglich war. Anders als beim Chaogong geht es beim Cefeng insbesondere darum, dass – unter Anerkennung einer eigenen Autonomie – die Ernennung der Prinzen durch die Zentralregierung, also die Han-Dynastie, vollzogen wurde.2527 Auf diesem System baute die Grundlogik der späteren sinozentrischen Welt auf. Unter ihr war es möglich, Königen und Häuptlingen fremder Stämme chinesische Titel, wie König oder Fürst, zu verleihen; somit sind sie in das sinozentrische System integriert worden.2528 Das Chaogong-Cefeng-System wurde damit ein System der Außenpolitik. Das Chaogong-Cefeng-System war jedoch bis zum 4. Jahrhundert noch kein ständiges System in den auswärtigen Beziehung Chinas, sondern vielmehr nur eine punktuelle Erscheinung. Bereits die Gelehrten der Han-Dynastie verstanden, dass selbst bei einer vollmundigen Erklärung, dass alle Staaten tributäre Beziehungen zur Han-Dynastie zu haben hätten, letztlich nur solche Staaten dem Folge leisten würden, die auch im Einflussbereich der Han-Dynastie waren.2529 Es erscheint in den Phasen, in den die chinesischen Dynastien eine besonders starke Macht gegenüber anderen Staaten ausübten, als tatsächliche Abbildung der Machtverhältnisse. In jenen Phasen, in denen die chinesischen Dynastien keinen starken Einfluss hatten, galt es immer noch als Ausdruck einer Handelsbeziehung.2530 Insgesamt wird man das frühe Chaogong-Cefeng-System noch nicht als ständige internationale Ordnung bezeichnen können. Selbst wenn die chinesischen Dynastien ein sinozentrisches Weltbild hatten, war dieses Weltbild noch nicht zu einem indie sinokoreanischen Beziehungen im 3. Jahrhundert n. Chr., in: Jung (Hrsg.), Koreanischchinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 28. 2524 Folgerichtig etablierte sich eine Synthese zwischen dem Fengjian-System und dem ), wobei letztlich die feudalen AristoJunxian-System, das sog. Junguo-System (chin. kraten, und somit auch das feudale System, die Oberhand gewannen. Vgl. Schrecker, Chinese revolution (Fn. 2515), S. 34. 2525 Die chinesische Bezeichnung „Zhu hou wang (chin. )“ kann als „VasallenKönig“ übersetzt werden. 2526 Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-Cefeng-Verhältnisse im antiken Asien in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 26 – 27. 2527 Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-Cefeng-Verhältnisse im antiken Asien in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 37 – 38. 2528 Nishijima, Ostasiatische Welt (Fn. 2491), S. 37. 2529 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 26. 2530 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 251.
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ternationalen System erstarkt.2531 Ostasien war nicht ein einheitliches Gebiet unter einer einheitlichen (sinozentrischen) Ordnung, sondern verschiedene internationale Beziehungen existierten nebeneinander.2532 bb) Das spätere Chaogong-Cefeng-System Der Versuch, die sinozentrische Welt durch das Chaogong-Cefeng-System zu erklären, hat das generelle Problem, dass das Chaogong-Cefeng-System erst in der späteren Zeit zu einem feststehenden System wurde, auch wenn die antiken chinesischen Quellen dies anders darstellten.2533 Erst nach der (mongolischen) YuanDynastie2534 und insbesondere ab der Ming- und Qing-Dynastie konnte das Chaogong-Cefeng-System ein bedeutsames und ständiges außenpolitisches System werden.2535 In der Ming-Dynastie wurde nach der mongolischen Fremdherrschaft (YuanDynastie) die sinozentrische Welt wieder nach dem konfuzianischen Prinzip geordnet.2536 Entsprechend nahmen die Herrscher der Ming-Dynastie an, dass China den Nachbarn gegenüber überlegen sei.2537 Das Chaogong-Cefeng-System wurde, wie bereits oben erläutert, wiedereingeführt. Es wurde auch als Ausdruck des konfuzianischen Weltbilds verstanden. Ein weiterer konfuzianischer Grundsatz war, dass der chinesische Kaiser Herrscher von „allem unter dem Himmel“ und somit unparteiisch war; d. h. er musste alle Untertanen, ob Chinese oder Nicht-Chinese, gleich behandeln.2538 Die Überhöhung der Unparteilichkeit ging sogar so weit, dass es für den Ming-Kaiser Yongle als unzulässig erschien, auch nur einen Staat au2531 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 251. 2532 Kim, Byeongjun, Die internationale Ordnung in Ostasien und die sinokoreanischen Beziehungen im 3. Jahrhundert n. Chr., in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 57. 2533 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 250. 2534 Die mongolische Yuan-Dynastie führte andere Aspekte ein, wie etwa die Verpflichtung, dass die Könige persönlich zum Tribut vorsprechen mussten, die Königssöhne als Geiseln genommen wurden, ein Zensus der Bevölkerung durchzuführen war und Steuern sowie Militärbeistand zu leisten war und ein mongolischer Gouverneur direkte Herrschaft auszuüben hatte. Vgl. Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 48. 2535 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 251. 2536 Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 35. 2537 Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 36. 2538 Beispielsweise war die Ming-Dynastie neutral als Annam und Champa Krieg führten. Vgl. Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 50.
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ßerhalb der sinozentrischen Welt zu lassen.2539 Dies führte kurioserweise zu breit angelegten Expeditionen, was zur Aufnahme von Beziehungen zu 30 neuen tributären Staaten führte.2540 Die Qing-Dynastie übernahm diesen Grundsatz der Unparteilichkeit. Nachdem die Qing-Dynastie die Opiumkriege verloren und sie den westlichen Mächten Meistbegünstigungsklauseln eingeräumt hatte, verstand dies die Qing-Dynastie ebenfalls als einen Ausdruck der Unparteilichkeit des Kaisers. Wenn einer westlichen Macht ein Privileg eingeräumt wurde, so sah es die Qing-Dynastie als Pflicht an, andere westliche Mächte genauso privilegiert zu behandeln.2541 Das Chaogong-Cefeng-System war jedoch, selbst nach der eigenen Einschätzung der chinesischen Kaiser, nur dann relevant, wenn die jeweilige chinesische Dynastie eine entsprechende Macht besaß, die nicht angezweifelt werden konnte.2542 Dies zeigt sich etwa dann, dass bei den Nachbarstaaten sehr wohl zwischen den nordwestlichen Nachbarn, die in der Vergangenheit China bereits erobert hatten, und den süd-östlichen Nachbarn unterschieden wurde.2543 Letztlich kann eine zweigleisige chinesische Strategie ausgemacht werden, an der China seine Außenbeziehungen ausrichtete. Die eine Strategie ist die konfuzianisch hierarchisch geprägte, und die andere ist eine militärische.2544 Die sinozentrische Ordnung, die für über zweitausend Jahre maßgeblich für den ostasiatischen Raum war, kann so in zwei Beziehungsachsen eingeteilt werden.2545 Der Unterschied dieser beiden Beziehungsachsen ist, dass die nord-westliche Beziehungsachse mit kulturellem Unterschied und Konflikt geprägt ist, während die süd-östliche Beziehungsachse nach dem 3. Jahrhundert n. Chr. einen hierarchischen Charakter hat.2546 Dies zeigt auch der Umstand, dass während der Ming- und der Qing-Dynastie fast kein Krieg zwischen China und den Staaten der süd-östlichen Beziehungsachse herrschte, sehr wohl aber gab es militärische Konflikte zwischen China und den Staaten der nord-westlichen Beziehungsachse.2547 Diese Einteilung wurde deshalb nicht nur von Historikern heraus2539 Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 55. 2540 Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 60. 2541 Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 260; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 315 – 316. 2542 Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 53. 2543 Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 46. 2544 Lewis, James, International relations and the Imjin War, in: Lewis, James (Hrsg.), The East Asian War, 1592 – 1598: International Relations, Violence and Memory, 2015, S. 257 – 258. 2545 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 86. 2546 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 7. 2547 Von 278 militärischen Konflikten in der Ming-Dynastie waren 200 zwischen der MingDynastie und Nomadenvölkern. Von 58 militärischen Konflikten der Qing-Dynastie waren 52 zwischen der Qing-Dynastie und Nomadenvölkern. Mit den sinisierten Völkern gab es in der
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gearbeitet, sondern wurde von der Ming-Dynastie auch offiziell vorgenommen2548 und von der Qing-Dynastie sogar institutionalisiert.2549 Gerade diese süd-östliche Beziehungsachse ist der Raum, der durch Nishijima Sadao „ostasiatische Welt“2550 und durch John Fairbank „sinische Zone“2551 genannt wurde.2552 Annam (Vietnam) und Korea wurden als die engsten Verbündeten der MingDynastie angesehen und deren Angelegenheiten wurden mit besonderem Interesse verfolgt, sodass auch hier nicht von einer Unparteilichkeit gesprochen werden kann, da offensichtlich eine Sonderbehandlung der genannten Staaten erfolgte.2553 Insgesamt drückt sich darin aber auch die Vagheit und somit auch die Flexibilität des tributären Systems aus, das letztlich niemals ein multilaterales System war, sondern stets eine Gesamtheit von verschiedenen bilateralen Beziehungen darstellte und somit einer eigenen Interpretation durch den jeweiligen Tributstaat offenstand.2554 b) Das Jimi-System Der Versuch, die Außenpolitik der chinesischen Dynastien außerhalb des reinen Chaogong-Cefeng-Systems zu verstehen, wurde insbesondere durch Toshikazu Hori vorgenommen, der die verschiedenen Aspekte der chinesischen Außenpolitik, die nicht nur die Tributleistung (Chaogong) und das Ernennen von Königen (Cefeng), sondern auch andere Instrumente vorsahen, zusammengefasst als Jimi-System definierte.2555 Das Jimi-System stellt eine Politik dar, die besagt, dass mit kooperativen ausländischen Herrschern zwar eine tributäre Beziehung aufgebaut werden kann,
Ming-Dynastie 11 Konflikte und in der Qing-Dynastie lediglich einen Konflikt. Kang sieht jedoch Japan als Teil der sinischen Zone an. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 91. 2548 Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 46. 2549 Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 130 – 135; Mancall, Mark The Ch’ing Tribute System: An interpretive Essay, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 74. 2550 Korea, Japan und Vietnam sind die Staaten, die Nishijima als Teil der sog. ostasiatischen Welt sieht. Vgl. Nishijima, Ostasiatische Welt (Fn. 2491), S. 25. 2551 Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 2. 2552 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 87. 2553 Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 51. 2554 Mancall, Mark, The Ch’ing Tribute System: An interpretive Essay, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 65. 2555 Jung, Byungjun, Nachwort des Übersetzers, in: Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 351; Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15. bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 251.
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aber keine aktive militärische Intervention durchgeführt werden soll.2556 Im JimiSystem steckt also einerseits die Idee, dass es keinerlei Expansion, aber auch keine Verkleinerung des Territoriums des „Landes der Mitte (Zhongyuan)“ brauche; andererseits aber ist es auch eine Synthese der Befürworter einer Eroberung der Fremden (Yi) und der Befürworter eines Friedens mit den Yi.2557 Das Jimi-System existierte seit der Han-Dynastie und wurde in der Tang-Dynastie ), sowie in der Ming-Dynastie weitergeführt.2558 Ban Gu (32 – 92 n. Chr., chin. der das Jimi-System maßgeblich beeinflusst hatte, sagte, dass diese Politik, eine Freund-Feind-Unterscheidung (Hua-Yi) voraussetzend, die fremden (Yi) Völker als Tiere behandele und somit gewährleiste, dass die Zivilisierten (Hua) nicht mit den Yi zusammen leben müssen. Gleichwohl ermögliche dieses System durch die „Entfernung der Zähne und Krallen der Yi“, dass die Hua selbst ohne eigene Eroberungen keine militärische Bedrohungen der Yi zu befürchten brauchen.2559 Ban Gu bezog sich dabei insbesondere auf die Beziehung zwischen den Xio¯ngnú und der HanDynastie und plädierte dafür, dass die fremden Herrscher, die zur Tributzahlung an den chinesischen Kaiserpalast kämen, als Gäste (Ko)2560 zu behandeln und somit über die eigenen Vasallen oder die Beamten zu stellen seien.2561 Weiterhin plädierte er dafür, dass „Barbaren“, die außerhalb der Einflusssphäre des chinesischen Kaiserreichs lagen, zwar beobachtet, jedoch nicht aktiv angegriffen und keine formellen Beziehungen aufgenommen werden sollten.2562 )“ wurde von Yan Shigu (581 – 645), einem Autor der Der Begriff „Jimi (chin. Tang-Dynastie, wie folgt bezeichnet: „Ji bedeutet das Band, das das Pferd knebelt und Mi ist das Band, mit dem das Rind gezogen wird. Rinder und Pferde werden so im Zaum gehalten“.2563 Das Jimi-System war also ein außenpolitisches Prinzip, das darauf ausgerichtet war, die ausländischen Mächte durch eine Beschwichtigungsund Friedenspolitik zufriedenzustellen, um eine militärische Auseinandersetzung zu
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Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 266 – 267. 2557 Lee/Kong, Hua-Yi (Fn. 2401), S. 165 – 185 (181). 2558 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 267. 2559 Lee/Kong, Hua-Yi (Fn. 2401), S. 165 – 185 (181). 2560 Ban Gu sah in den Xio¯ngnú selbst in ihren Schwächephasen keine Vasallen, sondern lediglich „Gäste“. Vgl. Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 40. 2561 Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 40. 2562 Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 41. 2563 Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 109; Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 266.
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verhindern und somit auch eine „Ordnung unter dem Himmel“ herzustellen.2564 Das dieses System auch bis in die Qing-Dynastie weiterhin eine Rolle spielte, zeigt sich etwa in dem Umstand, dass die chinesischen Dynastien zwar militärisch, wirtschaftlich und kulturell eine Hegemonie darstellten, aber nur wenige Bemühungen vornahmen, um andere Kulturen zu assimilieren.2565 c) Fazit Die völkerrechtlichen Beziehungen innerhalb des sinozentrischen Raums zeichnen sich durch die tributären Beziehungen, d. h. das Chaogong-Cefeng-System, zwischen dem chinesischen Reich und den übrigen Staaten aus. Der Zeitraum, in dem es diese tributären Beziehungen gab, überspannt mehrere chinesische Dynastien und blieb, abgesehen von einigen Perioden der Fremdherrschaft, überraschend für mehrere Jahrhunderte stabil. Diese tributären Beziehungen waren die Grundlage des sinozentrischen Systems. Es ist eine klare Trennung zwischen einem früheren und späteren Tributsystem erkennbar. Das frühere Tributsystem entwickelte sich aus dem innerstaatlichen Tributsystem der Zhou-Dynastie und internationalisierte sich mit der Zeit. Das Tributsystem hatte den Charakter eines Kaufes von Gehorsam durch die anderen Länder. Eine tatsächliche Kontrolle durch die chinesischen Dynastien erfolgte jedoch nur sehr punktuell, sodass das System auch bildlich als Jimi, also einem Mann, der mit einem laxen Zügel Rinder und Pferde gebunden hält, dargestellt wurde. Mit der Fremdherrschaft der Yuan-Dynastie endete das frühe Tributsystem. Das spätere Tributsystem wurde in der Ming- und Qing-Dynastie praktiziert. Unter dem Motto der Wiederbelebung des chinesischen Konfuzianismus – nach der Herrschaft der mongolischen Yuan-Dynastie – war es für die Ming von zentraler Bedeutung, die tributären Beziehungen wieder einzuführen. Dies traf mit der generellen Zunahme des Handels der Ming-Dynastie mit den Nachbarn zusammen, sodass die tributären Beziehungen mit den Handelsbeziehungen einhergingen und bis zum Ende des Systems in der späten Qing-Dynastie weitergeführt werden konnten. Neben der geschichtlichen Unterscheidung können auch geographische Unterschiede gemacht werden. So waren die Koreaner und südlichen Nachbarn Chinas, insbesondere die Vietnamesen, immer enger in dem sinozentrischen System eingebunden als die nördlichen Nomadentümer. Während die Koreaner und die südlichen Nachbarn Chinas, also die süd-östliche Achse, seit der Ming-Dynastie eine nahezu ununterbrochene tributäre Beziehung mit China aufrecht erhielten und sich somit in ein hierarchisches System einordneten, installierten die Chinesen mit den nördlichen Nomadenvölkern ein als tributäres System getarntes Handelssystem. Die Qing-Dynastie, selber aus einem nördlichen Nomadentum abstammend, institutio2564 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 267. 2565 Selden, Center and Periphery (Fn. 2353), S. 5 – 20 (11).
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nalisierte diese unterschiedliche Behandlung sogar. So wurden die nördlichen Nomaden, meist Mongolen, ab 1638 durch das Ministerium für Minoritäten-Angelegenheiten (chin. Lifanyuan ( )) verwaltet.2566 Die Unterschiede dieser völkerrechtlichen Beziehungen zum europäischen Völkerrecht sind auf den ersten Blick evident. Die tributären Staaten waren dem chinesischen Reich gegenüber tributpflichtig. Deren Könige mussten von den chinesischen Kaisern ernannt werden. Eine Souveränität im europäischen Sinne scheint im Hinblick auf die Tributstaaten nicht zu existieren. Da es in Ostasien, anders als in Europa, für mehrere Jahrhunderte eine dominante Hegemonialmacht gab, könnte schnell angenommen werden, dass die tributären Staaten nichts anderes als unselbstständige Verwaltungseinheiten des chinesischen Reiches waren. Dies wäre allerdings ein Trugschluss. Das Tributsystem war oftmals ein Mittel für China, seinen formellen Herrschaftsanspruch durch wirtschaftliche Begünstigung des tributären Staates zu „erkaufen“. Die tributären Staaten hingegen mussten lediglich die Suzeränität Chinas formell anerkennen und genossen dafür wirtschaftliche Vorteile und ggf. militärischen Beistand. Folglich kann das tributäre System auch nicht mit dem europäischen Kolonialvölkerrecht verglichen werden. Während das Kolonialvölkerrecht darauf ausgelegt war, dass die Kolonien vom Mutterland wirtschaftlich ausgebeutet wurden, gewährte im tributären System gerade das Mutterland dem tributären Staat einen wirtschaftlichen Vorteil. Das zeigt sich auch in dem Umstand, dass tributäre Staaten selten direkt durch einen chinesischen Gouverneur beherrscht wurden, dass keine chinesischen Gesetze unmittelbar Anwendung fanden, dass neben der Ernennung des Königs keine weiteren Ämter direkt durch den chinesischen Kaiser vergeben wurden und dass keine Steuern erhoben wurden.2567 Betrachtet man die Beziehungen Chinas mit den Staaten der „nord-westlichen Achse“, wird schnell evident, dass es ständig Kriege zwischen China und diesen Staaten gegeben hat. Deshalb war die Suzeränität Chinas in diesem Falle eher eine Fassade und das tatsächliche außenpolitische Verhältnis zwischen China und den nord-westlichen Staaten faktisch von Gleichrangigkeit geprägt. Zumindest im Hinblick auf die „süd-östliche Achse“ ist die Situation jedoch anders. Hier kann eine tatsächliche Suzeränität der chinesischen Dynastien angenommen werden. Insofern erscheint gerade die Beziehung Chinas mit diesen Staaten sehr ähnlich zu der Beziehung des Reiches mit seinen Großraumstaaten im Sinne der Schmitt’schen Großraumtheorie. Die Frequenz der Tributleistungen war mit diesen Staaten, insbesondere mit den koreanischen Dynastien, ungleich höher und von zwischenzeitlichen Machtschwankungen unabhängiger. Das deutet auch auf eine gewisse Freiwilligkeit dieser Staaten hin, die tributären Beziehungen mit China weiter zu pflegen. 2566
Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 130 – 135; Mancall, Mark The Ch’ing Tribute System: An interpretive Essay, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 72. 2567 Kim, Seongkun, Chaogong, Cefeng Beziehungen (Fn. 1509), S. 30 – 31.
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4. Die Beziehung zwischen den Staaten im sinozentrischen Raum und die Beziehung Chinas zu raumfremden Staaten Die Beziehung Chinas zu anderen Staaten war zwar grundsätzlich mit der Idee verbunden, dass China eine höherrangige Stellung einnehme. Wie bereits dargestellt, konnte diese Idee nicht immer in die Realität umgesetzt werden. Vielmehr existierten Staaten außerhalb der sinozentrischen Zone, mit denen die chinesischen Dynastien trotzdem Beziehungen pflegten. Inwiefern diese sich mit den Beziehungen zwischen den chinesischen Dynastien und den Staaten innerhalb der sinozentrischen Zone unterscheiden, soll nun untersucht werden. Wie bereits dargestellt, war für das chinesische Völkerrecht die Unterscheidung von Hua (chin., , also diejenigen, die unter dem Einfluss der Tugend des chinesischen Kaisers stehen)2568 und den Yi (chin., ,2569 die Fremden)2570 konstituierend.2571 Das chinesische Selbstverständnis schon seit dem „Buch der Urkunden“ (chinesisch Shàngshu¯, ) von Konfuzius bestand darin, dass es die „Zivilisierten“ und die „Fremden“ gab.2572 „Hua“ konnte sich dabei nur das Volk nennen, das die )), zentralchinesische Ebene, also das „mittlere Territorium“ (chin. Zho¯ngyuán ( kontrollierte.
2568
Das chinesische Volk, das an Anlehnung der Han-Dynastie heutzutage „Han-Volk ( )“ genannt wird, wurde in der West Zhou Zeit bereits „Ha“ ( ) oder „Hua“ ( ) genannt. Das von den Chinesen bewohnte Gebiet jedoch wurde „Reich der Mitte“ genannt. Vgl. Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 38. 2569 Schon das Schriftzeichen Yi (chin. ) impliziert diskriminierende Tendenzen. So weist etwa Kim darauf hin, dass das Zeichen das Wort Shi (chin. bzw. ) bezeichne und somit Menschen bezeichne, die in Gebieten der Toten wohnen. Andere wiederum sind der Ansicht, dass eine Ähnlichkeit zu dem Wort Di (chin. ), also „niedrig“, bestehe. Vgl. Kim, Politics (Fn. 2226), S. 72. Erst seit der Zhou-Dynastie wurde dem Wort Yi eine diskriminierende Bedeutung beigemessen. Vgl. Lee, Jeongnam, Die Ostasiatische Ordnung von China: Im Hinblick auf die sinozentrische Ordnung und die Theorie der harmonischen Welt, (koreanisch: : , ), in: Asiatic Research Institute Working Paper Nr. 13, 2009, S. 1 – 22 (2). 2570 Der am 26. 06. 1858 geschlossene Tianjin Vertrag verbietet im Artikel 51 ausdrücklich die Nutzung des Wortes Yi ( ) in Bezug auf Engländer. Vgl. Kim, Politics (Fn. 2226), S. 72 – 73. Lee und Kim weisen jedoch darauf hin, dass die diskriminierende Interpretation des Wortes Yi letztlich aus dem historischen Text Shiji des Sima Qian stammt. Es gibt jedoch auch andere Interpretationen wie etwa im Kangxi Zidian. Hier wird Yi als „tugendhaft“ interpretiert. Vgl. Lee/Kong, Hua-Yi (Fn. 2401), S. 165 – 185 (182). 2571 Nach dieser Logik sind die „Yi“ von der Tugendhaftigkeit des chinesischen Kaisers so entfernt, dass es keinerlei zivilisatorischen Wert geben kann. Vgl. Lee, Ostasiatische Ordnung (Fn. 2569), S. 1 – 22 (1); Kim, Seongkun, Chaogong, Cefeng Beziehungen (Fn. 1509), S. 24. 2572 Kim, Politics (Fn. 2226), S. 72; Kim, Yongkoo, Diplomatic History, (koreanisch:, , ), 2006, S. 286; Kawashima, Shin, China, in: Fassbender/Peters (Hrsg.), Oxford Handbook (Fn. 40), S. 452.
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Die Aufzeichnungen im Kommentar „Zuouzhuan“ der Zhou-Periode zeigen,2573 dass die Hua zunächst nur die direkten Verwaltungsbezirke des Zhou-Königs darstellten. Ab der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen aber erweiterte sich der Begriff zu einer allgemeinen Bezeichnung für die chinesischen Staaten in der innerchinesischen Staatenwelt. Der Begriff wurde somit als Gegensatz zu den „Barbaren“ (Yi) gebraucht.2574 Schon zu Zeiten der Zhou-Dynastie bedeutete die Einordnung eines nicht-chinesischen Staates2575 als Yi jedoch noch nicht einen Ausschluss aus dem damals existierenden Bundsystem.2576 Die Yi können also nicht zwingend als „raumfremde Macht“ im Sinne von Schmitt bezeichnet werden.2577 Trotzdem ist die Hua-Yi Unterscheidung zunächst eine Unterscheidung zwischen Zivilisation und Barbarentum. Die Unterscheidung zwischen Barbarentum und Zivilisation ist keine Eigenheit der Chinesen.2578 Allerdings erscheint die Unterscheidung der Fremden und der Chinesen eine Eigenheit zu besitzen, wie sie in der europäischen Unterscheidung von
2573
Im oben bereits erwähnten Kommentar zu Konfuzius „Zuouzhuan“ findet sich ein bezeichnender Dialog zwischen dem Herrscher von Jin und einem seiner Berater aus dem Jahre 569 vor Chr., in dem die Barbaren (Yi) als Wilde und die Zivilisation (Hua) als etwas Bewahrenswertes bezeichnet werden. Ähnliches findet sich auch in der Aufzeichnung für das Jahr 661 v. Chr., in der ein Berater des Herrschers von Qi zu seinem König sagt, dass die „RongBarbaren wie Katzen oder Wölfe sind, und dass den befreundeten Hua zu helfen ist“. Vgl. Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 33 – 34. 2574 Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 34 – 35. 2575 Ein Beispiel dafür ist das Königreich Chu sowie das Fürstentum Qin. Beide waren als Hegemon in das Staatensystem eingegliedert. Im Falle vom Königreich Chu war dessen Ursprung eigentlich ein „südlicher Barbarenstamm“. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 9; Keay, China (Fn. 2236), S. 73. Auch das Fürstentum von Qin entstammte einem nordischen Barbarentum. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 16; Keay, China (Fn. 2236), S. 75. 2576 Kaminski, Positionen (Fn. 2239), S. 47. Zu den Voraussetzungen gehörte u. a. ein gewisses Staatsgebiet, eine sesshafte Bevölkerung, eine fortgeschrittene Nahrungsproduktion, eine nach chinesischem Muster organisierte Staatsführung, die im Verkehr mit anderen Staaten das chinesische Zeremoniell beachtet, sowie die Anerkennung durch andere Mitglieder der chinesischen Staatengemeinschaft. Vgl. Kaminski, Positionen (Fn. 2239), S. 40 – 41. 2577 Bereits in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen wurden die Völker, die nicht dem Zhou System angehörten, nicht als gleichwertig anerkannt. Die ausländischen Völker wurden )), östliche (chin. Dogyi ( )), westliche (chin. Xirong ( )) südliche (chin. Namman ( oder nördliche Barbaren (chin. Beidi ( )) genannt, nicht jedoch als „ausländischer Staat“ (chin. Waikuou ( )) anerkannt. Eine militärische Auseinandersetzung wurde als Unterwerfung (chin. Taofa ( )) bezeichnet, nicht jedoch als Krieg (chin. Zhan ( )). Vgl. Kim, Politics (Fn. 2226), S. 74 – 75. Die Schriftzeichen, mit denen die barbarischen Völker bezeichnet wurden, beinhalten oftmals Tiere, wie Hunde oder Würmer. Vgl. Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 27. 2578 Wobei Zivilisation (chin. Wenming, ) für den sinozentrischen Raum ein Fremdwort ist, das die Japaner im 19. Jahrhundert durch Übersetzungen in diesen Raum eingeführt haben. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 30.
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etwa „Europa“ und „Asien“ oder „Barbaren“ und „Zivilisation“ nicht existiert.2579 In der Unterscheidung zwischen Hua und Yi ist vielmehr bereits die Idee mitenthalten, dass nur China auf eine überlegene kulturelle Tradition zurückgreifen kann und dass diejenigen, die andere Riten, andere Kleider und andere Schriftzeichen benutzten, von niedererem Rang waren als die Chinesen.2580 Die Hua-Yi Unterscheidung trägt also insbesondere ein Gefühl der kulturellen Überlegenheit in sich, nicht jedoch eine ethische oder rassische. Die alte Tradition der Chinesen, sich überlegen zu sehen, war der kulturelle Hintergrund des tributären Systems.2581 Insofern ist die Hua-Yi Unterscheidung eine Unterscheidung, die nicht nur gegenüber Staaten außerhalb der sinozentrischen Ordnung angewandt wurde, sondern auch gegenüber Staaten, die Mitglieder des sinozentrischen System sind. Darüber hinaus ist mit dieser Entscheidung nicht nur eine geographische Zuordnung von Zentrum und Peripherie oder eine ethnische Unterscheidung zwischen den Freunden und den Feinden gemeint. Vielmehr ist in dieser Unterscheidung die konfuzianische Idee der Herrschaft der Tugend mitenthalten. Die Yi sind diejenigen, die noch von der Tugendhaftigkeit des Kaisers profitieren.2582 Insofern sind die Yi zwar Fremde, aber immer noch Mitglieder der sinozentrischen Weltordnung.2583 Die Hua-Yi Unterscheidung beinhaltet also eine räumliche sowie eine kulturelle Komponente, wonach die Hua im Einflussbereich der Tugend des „Himmlischen Sohnes“ 2579 Die Unterscheidung von Hua und Yi hatte in der Geschichte zwei verschiedene Stoßrichtungen. Die eine war eine defensive, xenophobische Richtung, die darauf ausgerichtet war, die Hua und die Yi zu unterscheiden und die besondere Ehrbarkeit der Hua hervorzuheben. Die zweite Richtung ist eine assimilierende, harmonisierende Richtung, die zwar zwischen Hua und Yi unterscheidet, jedoch vorsieht, dass die Hua durch ihre Tugendhaftigkeit die Yi verbessern und sinisieren, um die Ordnung unter dem Himmel zu vereinen. Die erste Richtung erschien historisch zu Zeiten, in denen die chinesischen Dynastien schwach waren und die letztere Richtung erschien zu Zeiten, in denen die chinesischen Dynastien erstarkten. Allerdings bleibt die grundsätzliche Unterscheidung zwischen den Hua und den Yi. Vgl. Lee, Ostasiatische Ordnung (Fn. 2569), S. 1 – 22 (3). 2580 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 30. 2581 Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 109; Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 37. Diese Idee der chinesischen Überlegenheit war in der chinesischen Philosophie der Frühlings- und Herbstannalen verankert und verschwand auch nach zahlreichen historischen Eroberungen und Kriegen nicht. Vgl. Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 36 – 37. 2582 Lee, Eunjeung, Der Traum von der „ostasiatischen Gemeinschaft“. Diskurse über den ostasiatischen Großraum in Südkorea, in: Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken (Fn. 48), S. 223. 2583 Lee und Kong weisen darauf hin, dass diese Unterscheidung stark aus der Perspektive der Chinesen nach der Han-Dynastie benutzt wurde und sogar gesagt werden kann, dass viele Aspekte der „Hua“-Kultur ihren Ursprung bei den „Yi“ hatten. In der Periode der Frühlings- und Herbstannalen galten die „Yi“ als besonders tugendhaft. Der mystische Kaiser Shun, der im Konfuzianismus als besonderes Vorbild gepriesen wird, soll auch ursprünglich aus einem Gebiet kommen, das den „Yi“ zugeordnet werden kann. Mit der Han-Dynastie wurden die „Yi“ jedoch als Barbaren marginalisiert. Vgl. Lee/Kong, Hua-Yi (Fn. 2401), S. 165 – 185 (178).
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sind und deshalb eine Zivilisation aufbauen können, während die Yi von diesem Einflussbereich schon räumlich entfernter sind und deshalb nicht von der Zivilisation im gleichen Maße profitieren können.2584 Die Hua hatten also eine gewisse Mission, die Yi zu zivilisieren. Dieses eher auf die Ethnie bzw. die Kultur bezogene Verständnis weitete sich auch auf das Gebietsverständnis aus. Die Bezeichnung „Reich der Mitte (chin. Zho¯ngguó ))“ entstammt aus dem feudalen System, das unter anderem durch die Zhou( Dynastie, aber auch durch die Hegemonen in der östlichen Zhou-Zeit verbreitet war. Das Reich der Mitte stellt letztlich das direkt vom Herrscher verwaltete Gebiet, also die Hauptstadt, dar, und unterscheidet sich damit von dem peripheren Gebiet.2585 Mit der allgemeinen Erweiterung des Gebietes der Hua in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen sowie der Streitenden Reiche wurde auch die Bedeutung des Reichs der Mitte auf das gesamte Gebiet der sechs Hegemonen erweitert.2586 Mit der sog. chinesischen Mauer, die der erste chinesische Kaiser Qinshi Huangdi errichten ließ, wurde die Grenze zwischen den zivilisierten Chinesen und den „barbarischen“ Nomaden auch physisch klar gezogen.2587 Dieses Freund-Feind-Denken war auch ein Mittel, um die chinesische Identität zu finden, indem die Andersartigen als unterschiedlich abgetan wurden.2588 Während der Han-Dynastie wurde das Problem mit den „Barbarenvölkern“ von dem Historiker Ban Gu angesprochen. Sein Lösungsansatz war eine durch die geographische Distanz definierte Hierarchie der außenpolitischen Beziehungen. Mit denjenigen Völ) am kern, die vom Kern des chinesischen Territoriums (chin. „Zhongyuan“, meisten entfernt sind, würden es demnach keinerlei formelle Beziehungen geben, sofern diese Völker keine Angriffe durchführen.2589 Diese Völker sind die wirklich „raumfremden Mächte“ in diesem System. Die chinesische Außenpolitik richtete sich letztlich nach dieser Logik, auch wenn dies streng genommen dem universalen Herrschaftsanspruch nicht entsprach. Die Regionen wurden direkt durch Zentralbeamte beherrscht. Die ausländischen Völker innerhalb des Staatsgebietes Chinas wurden durch eine Mischung aus zentraler Kontrolle und autonomer Verwaltung indirekt kontrolliert. Mit ausländischen Staaten innerhalb des sinozentrischen Raumes pflegte man tributäre Beziehungen. Ausländische Staaten außerhalb der sinozentrischen Ordnung wurden nicht aktiv2590 2584
Lee/Kong, Hua-Yi (Fn. 2401), S. 165 – 185 (170). Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 41 – 42. 2586 Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 44. 2587 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 68 – 70. 2588 Hori, Sinozentrische Welt (Fn. 2281), S. 60. 2589 Wang sieht in Ban Gu den ersten Theoretiker der imperialistischen Außenpolitik. Vgl. Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 41. 2590 Dies zeigt sich auch in der Tatsache, dass in der Qing-Dynastie südostasiatische Staaten, die in der Ming-Dynastie noch als tributäre Staaten geführt wurden, als reine Handelsstaaten 2585
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angegangen.2591 Besonders prägnant wird dies mit der Selbstisolationspolitik der Ming-Dynastie ab 1435.2592 Anstatt weitere Expeditionen durchzuführen, um neue tributäre Beziehungen zu erschließen, wurde ein Selbstisolationismus gepflegt, der es erlauben sollte, die existierende sinozentrische Ordnung nach dem konfuzianischen Ideal aufrecht zu erhalten.2593 Hier zeigt sich ein Ansatz, der einer Unterscheidung zwischen Großraum und raumfremden Mächten im Sinne von Carl Schmitt ähnlich ist. Diese Unterscheidung stützt sich nämlich auf die geographischen Gegebenheiten und versteht nur die geographisch zusammenhängenden Staaten, die tatsächlich von den chinesischen Dynastien indirekt kontrolliert werden konnten, als Teil der sinozentrischen Welt. Auch wenn sich eine ausgeprägte geographische Abgrenzung nicht findet, so wurde damit der Universalitätsanspruch des Mandats des Himmels relativiert. Dies kann als ein Grundstein für die regionale Großraumordnung in Ostasien gesehen werden, auch wenn dieser Aspekt nicht oft offiziell ausgesprochen wurde. Dies zeigt sich etwa in der Beziehung mit Japan. Japan war zweifelsfrei vom chinesischen Konfuzianismus geprägt,2594 wurde aber nicht in das tributäre System Chinas eingegliedert.2595 Diese Distanz von Japan und China änderte sich auch nicht bis zur Invasion Japans in die Chosun-Dynastie.2596 Auch nachdem die Ming-Dyangesehen wurden, nachdem die Kontrolle der Chinesen über diese Staaten verloren ging. Dies betrifft Kelantan, Pahang und Johore (alles heute Malaysia). Vgl. Fairbank, John/Teng, Ssu Yu, On the Ch’ing tributary system, in: Fairbank/Teng (Hrsg.), Ch’ing (Fn. 2317), S. 176. 2591 Lee, Ostasiatische Ordnung (Fn. 2569), S. 1 – 22 (3). 2592 Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 224. 2593 Dafür wurden die Bemühungen der Ming-Dynastie stärker, das bereits Existierende zu beschützen, indem etwa die „Große Mauer“ wiederaufgebaut wurde. Vgl. Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 234. 2594 Dies geschah spätestens, nachdem im 7. Jahrhundert nach Chr. der Kronprinz Shotoku den Konfuzianismus als Verfassungsprinzip eingeführt hatte. Vgl. Cotterell, Asia (Fn. 1685), S. 230. 2595 Die diplomatischen Gesandtschaften der Japaner an die Sui-Dynastie bzw. Tang-Dynastie führten weder zu einem ständigen diplomatischen Austausch, noch zu einer Ernennung (Cefeng) der japanischen Kaiser durch den chinesischen Kaiser. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 422 – 426. Auch unter der Ming-Dynastie, die eine Restauration der sinozentrisch-konfuzianischen Ordnung anstrebte und jeden Handel mit ausländischen Staaten als tributär begriff, war der tributäre Handel mit Japan äußerst sporadisch. Japan verweigerte 1374 eine Tributzahlung und leistete lediglich zwischen 1403 bis 1551 jedes zehnte Jahr Tribut. Dies diente vermutlich der Ermöglichung des Handels zwischen Japan und China. Vgl. Kim, Politics (Fn. 2226), S. 101. 2596 Die einzige Ausnahme dieser distanzierten Haltung zwischen China und Japan, die bezeichnenderweise nur für eine Generation anhielt, ergab sich in der Muromachi-Zeit, als der Shogun Ashikaga Yoshimitsu (1358 – 1408) mit der Ming-Dynastie im Jahre 1402 eine tributäre Beziehung einging und Ashikaga von dem Ming-Kaiser den Titel „König von Japan“ erhielt. Vgl. Han, Myungki, Der Imjin-Krieg aus dem Blickwinkel der internationalen Beziehungen der ostasiatischen Staaten, in: Han, Jeonghee (Hrsg.), Der Imjin-Krieg und die Veränderung der Ostasiatischen Welt (koreanisch: : ), 2010, S. 106; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 429.
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nastie diese Invasion militärisch abgewehrt hatte, wurde keine offizielle Beziehung zwischen den Staaten aufgenommen.2597 Insgesamt blieb Japan also für die chinesischen Dynastien – trotz existierender Handelsbeziehungen und kulturellen Einflusses – ein Staat außerhalb des sinozentrischen Raumes. Die Japaner waren aus Sicht der Chinesen ein Volk des „Yi“, mit dem sie sich – gemäß der Logik des JimiSystems – nicht aktiv beschäftigten. Die Behandlung der europäischen Staaten hingegen zeigt wiederum ein anderes Bild. Die Qing-Dynastie verstand, wie bereits erläutert, die europäischen Staaten als einen Teil der sinozentrischen Ordnung und somit als tributäre Staaten. Insgesamt muss also gesagt werden, dass der Universalitätsanspruch, der den Begriffen „Ordnung unter dem Himmel“ oder „Mandats des Himmels“ innewohnt, dazu führt, dass die chinesischen Dynastien ihre Außenpolitik nicht flexibel genug anpassen konnten und sich an den konfuzianischen Idealen orientierten. Dies führte dazu, dass die territoriale Einschätzung des eigenen Raumes nicht konsequent funktionierte. Im Falle von Japan hat China die Anforderungen an eine tributäre Beziehung weitgehend fallen gelassen und somit Japan als Staat außerhalb des sinozentrischen Raums gesehen. Dies diente der Stabilität des eigenen Systems, da es nur wenige militärische Auseinandersetzungen mit Japan gab. Umgekehrt versäumte es China, die europäischen Staaten ebenfalls als Staaten außerhalb des sinozentrischen Raumes zu verstehen, und verlangte die Einhaltung der Tributriten. Letztlich war diese Fehleinschätzung auch ein Grund für den Zerfall der sinozentrischen Ordnung durch die raumfremden Mächte.
III. Die sinozentrische Ordnung aus der Sicht Koreas und Japans Wenn die sinozentrische Ordnung dem Großraummodell von Carl Schmitt entsprechen sollte, so muss die Untersuchung der sinozentrischen Ordnung aus drei Perspektiven erfolgen.2598 Neben der Untersuchung aus der Perspektive der chinesischen Dynastien, die oben erfolgt ist, ist die Perspektive eines Staates innerhalb der Großraumordnung zu betrachten. Die zweite Perspektive ist also die der koreanischen Halbinsel. Die koreanischen Dynastien sind ein Paradebeispiel für Staaten innerhalb der sinozentrischen Ordnung. Diese Perspektive erlaubt uns, ein Beispiel eines vom Reich beherrschten Großraumstaats zu betrachten. Zuletzt nehmen wir die dritte Perspektive ein, die einer raumfremden Macht. Diese Perspektive kann dazu
2597 Lee, Gaehwang, Die Herausbildung der Außenbeziehungen des Edo-Bakufu, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 103 – 104. 2598 Die drei Staaten China, Korea und Japan werden auch ostasiatisches Dreieck genannt, da diese Jahrhunderte lang in einem internationalen System als eigenständige Staaten koexistierten und die ostasiatische Region beeinflussten. So: List, Weltregionen (Fn. 663), S. 178.
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beitragen, die Grenzen des sinozentrischen Raumes sichtbar zu machen. Hier bietet sich die Perspektive von Japan an. 1. Die sinozentrische Ordnung aus dem Blickwinkel eines raumeigenen Staates: Korea Die sinozentrische Weltsicht in Form der tributären Beziehungen scheint auf der koreanischen Halbinsel die klarste Ausprägung gefunden zu haben. Die koreanische Halbinsel war niemals Teil des chinesischen Territoriums, und es regierten ununterbrochen unabhängige Dynastien. Trotzdem richtete sich Korea in seiner Außenpolitik gegenüber China ganz nach dem Muster eines tributären Staates aus und rühmte sich darüber hinaus sogar, „chinesischer als die Chinesen“2599 zu sein.2600 Korea wird gar als Prototyp des tributären Staates in der sinozentrischen Weltordnung gesehen.2601 a) Geschichtlicher Hintergrund Die Dynastien auf der koreanischen Halbinsel waren zwar stets chinesisch geprägt, jedoch nicht aus militärischem Zwang, sondern freiwillig.2602 Aus der Nähe zu China leiteten die Koreaner sogar einen Anspruch auf höhere Tugendhaftigkeit im Vergleich zu Japan ab.2603 Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die koreanische Völkerrechtsgeschichte gegeben werden. Da sich die koreanischen Dynastien zwar für lange Zeit als tributärer Staat gegenüber China verstanden, andererseits aber gegenüber den japanischen Herrschern als gleichwertig, wenn nicht gar überlegen fühlten, ist Korea ein wichtiger Teil, um die Funktionsweise der sinozentrischen Welt zu verstehen.
2599 Diese Idee des sog. „Kleinen Reichs der Mitte (Sojunghwa)“ basierte darauf, dass die Qing-Dynastie von den koreanischen Konfuzianern als Herrschaft der barbarischen Nomaden gesehen wurde, die die Ming-Dynastie zwar militärisch nicht jedoch kulturell besiegen konnten. Als wichtigster Tributstaat der Ming-Dynastie sah die Chosun-Dynastie sich als die letzte Bastion für den Konfuzianismus an. Vgl. Lee, Jeongmi, Cultural Expressions of Tokugawa Japan and Choson Korea : an Analysis of the Korean Embassies in the Eighteenth Century, 2008, S. 69 – 70. 2600 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 37. 2601 Zurndorfer, Harriet, Wanli China versus Hideyoshi’s Japan, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 198. Morgenthau hingegen sah die koreanische Halbinsel als ein Beispiel eines Staates an, der von dem Gleichgewicht der Macht abhängig war. Wenn China zu schwach gewesen sei, habe Japan Einfluss auf Korea ausgeübt. Aufgrund des deutlich längeren Zeitraums der chinesischen Hegemonie kann dem aber so nicht zugestimmt werden. Vgl. Morgenthau, Politics (Fn. 2), S. 189. 2602 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 37. 2603 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 57.
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aa) Die Beziehung zwischen Korea und China vor der Shilla-Dynastie Tributäre Beziehungen zwischen koreanischen Staaten und chinesischen Dynastien gab es bereits in der Han-Dynastie. Nachdem es der Han-Dynastie gelungen war den Konflikt mit den Xio¯ngnú zu kontrollieren, eroberte der Han-Kaiser Wudi im Jahre 109 v. Chr. Wiman2604 -Chosun.2605 Es folgten kurze tributäre Beziehungen zwischen Wiman-Chosun und China, wobei diese Beziehungen eher punktuell ) schloss als erster waren.2606 Der Staat Kokuryo (37 v. Chr.–668 n. Chr., kor. koreanischer Staat eine ständige2607 Chaogong-Cefeng-Beziehung mit der späten Han-Dynastie.2608 Diese war aber letztlich auch nicht von hierarchischer Natur. Unter König Micheon (Amtszeit 300 – 331 n. Chr.) eroberte Kokuryo sogar chinesische Territorien auf der Liaodong-Halbinsel wie die Lelang- und die Daifang-Kommandatur.2609 bb) Die Eingliederung der Shilla-Dynastie in die sinozentrische Welt Nachdem Kokuryo die gesamte Liaodong-Halbinsel unter seine Herrschaft gebracht hatte,2610 war es das primäre militärische Ziel der Sui-Dynastie2611 und der 2604 Wiman-Chosun wurde im 2. Jahrhundert v. Chr. gegründet und unterstützte die Einwanderung der Han-Chinesen und wurde durch den Handel mit den Chinesen mächtig. Wiman selbst war ein chinesischer Einwanderer, der von dem König von Chosun zu einem Beamten ernannt wurde. Wiman jedoch putschte gegen den König von Chosun und konnte somit die Herrschaft ergreifen. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 263 – 264. 2605 Auf der koreanischen Halbinsel wurden nach der Eroberung vier chinesische Außenposten aufgestellt. Unter diesen Außenposten konnte Luolang (koreanisch: Nakrang) bis zum Jahre 313 aufrechterhalten werden. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 27; Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 237. 2606 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 36. 2607 Diese Beziehung begann mit der Ernennung des Königs Daemusin von Kokuryo (kor. Daemu Shingwang ( ), 4 – 44 n. Chr.) durch den Kaiser der Han-Dynastie Guangwu (chin. Hàn Gua¯ngwuˇ dì ( ), 5 v. Chr.–57 n. Chr.). Auch in der folgenden Zeit der JinDynastie (chin. , 265 – 420) und der südlichen sowie nördlichen-Dynastien (chin. , 420 – 581) blieb diese grundsätzliche Chaogong-Cefeng-Beziehung zwischen den chinesischen Dynastien und Kokuryo bestehen. Vgl. Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-Cefeng-Verhältnisse im antiken Asien in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 57 – 58. 2608 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 267. Allerdings war die Macht der chinesischen Dynastien so schwach, dass die Ernennung der Könige von Kokuryo eher reine Formalität war und die chinesischen Kaiser sich in ihrer Machtausübung auf das chinesische Festland konzentrierten. Vgl. Bang, Hyangsuk, Der Ursprung und die Veränderung der Chaogong-CefengVerhältnisse im antiken Asien in: Kim (Hrsg.), Chaogong Cefeng (Fn. 2280), S. 59. 2609 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 267. 2610 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 270 – 271. 2611 Die Kokuryo-Dynastie akzeptierte die Höherrangigkeit der Sui-Dynastie nicht und ging auch keine tributäre Beziehung ein. Die Sui-Dynastie versuchte daraufhin durch die Invasionen
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Tang-Dynastie den Staat Kokuryo zu besiegen.2612 Die Tang-Dynastie verbündete sich deshalb mit der koreanischen Shilla-Dynastie (57 v. Chr.–935 n. Chr., kor. )2613 und konnte 668 die Kokuryo-Dynastie erobern.2614 Das vereinigte Korea unter der Shilla-Dynastie akzeptierte, anders als die Koguryo-Dynastie, die Suzeränität2615 der Tang-Dynastie.2616 Die Shilla-Dynastie wurde ein Teil der sinozentrischen Ordnung2617 und blieb dies2618 auch bis zum Untergang.2619 Die Tang-Dynastie und die Shilla-Dynastie gingen im 10. Jahrhundert fast zeitgleich unter und wurden jeweils durch die Song-Dynastie und die Koryo-Dynastie (918 – 1392, kor. ) ersetzt.2620 Die Koryo-Dynastie ging eine doppelte Tributin den Jahren 598, 611 und 613 Kokuryo zu besiegen, scheiterte jedoch jedes Mal. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 272 – 280. 2612 Es kam zu Invasionen der Tang-Dynastie in den Jahren 645 und 647, die jedoch nicht erfolgreich verliefen. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 280 – 287; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 78. 2613 Diese Expansionen wurden zunächst durch eine Allianz zwischen Shilla und Baekje zurückgehalten. Allerdings startete die Shilla-Dynastie einen Angriff auf die Baekje-Dynastie. Die Kokuryo-Dynastie wiederum verlangte von der Shilla-Dynastie die Rückgabe von Territorium als Gegenleistung für eine etwaige Hilfe gegen Baekje. Dies führte zur Allianz der Shilla-Dynastie mit der Tang-Dynastie. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 287 – 288. 2614 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 290 – 291; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 78. 2615 Die Eroberung von Kokuryo und Baekje durch die Tang-Shilla Allianz, mündete im Krieg zwischen der Tang und der Shilla-Dynastie. Die Tang-Dynastie ließ 668 in Pjöngjang das „Generalprotektorat, um den Osten zu erobern“ (chin. ) errichten und versuchte dadurch eine direkte Herrschaft über die koreanische Halbinsel zu etablieren, während die Shilla-Dynastie versuchte, die ehemaligen Territorien von Baekje und Kokuryo zu annektieren. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 307. 2616 Keay, China (Fn. 2236), S. 261. Die Vereinigung der koreanischen Halbinsel unter der Shilla-Dynastie war also ein Ergebnis einer chinesischen Intervention. So: Morgenthau, Politics (Fn. 2), S. 189. 2617 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 310. 2618 Dies zeigen auch die Veränderungen der Beziehungen zwischen Shilla und Japan zwischen 671 und 689. Während des Krieges zwischen der Shilla- und der Tang-Dynastie, versuchte die Shilla-Dynastie eine Allianz mit Japan zu schmieden. Nachdem die Wahrscheinlichkeit einer Invasion durch die Tang-Dynastie aufgrund verschiedener innerer Konflikte immer kleiner wurde, verlor die Allianz mit Japan ihre Bedeutung. Aufgrund der Verbesserungen der Beziehungen mit der Tang-Dynastie, sah sich die Shilla-Dynastie wieder als Teil der sinozentrischen Ordnung und Japan als einen Staat, der außerhalb dieser Ordnung existiert. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 323 – 324. 2619 Ein Beispiel dafür ist die gemeinsame militärische Invasion gegenüber der BalhaeDynastie bzw. den Tungusen im Jahre 733. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 324. 2620 Die Tang-Dynastie wurde im Jahre 907 durch interne Rebellionen geschwächt und im Jahre 960 durch die Song-Dynastie abgelöst. Die Shilla-Dynastie verlor bereits 889 die Kontrolle über den Südwesten des Landes und es kam zu der Zeit der „späten drei Königreiche“. Koryo, ein Staat der sich selber als Nachfolger der Kokuryo-Dynastie sah, konnte im Jahre 936 den Machtkampf innerhalb der koreanischen Halbinsel für sich entscheiden. Die Liao-Dynastie, ein Königreich des Nomadenvolkes der Khitan, wurde 907 gegründet und eroberte 926 die Balhae-Dynastie und wurde somit der Herrscher über die Liaodong-Halbinsel. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 329 – 330.
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beziehung mit der Song-Dynastie sowie der Liao-Dynastie (907 – 1125) ein,2621 was als pragmatische Diplomatie verstanden werden kann und von der reinen sinozentrischen Sicht abwich.2622 Auch als die Mongolen in den 1210er Jahren die KoryoDynastie angriffen, um die Khitan zu bekämpfen, reagierte die Koryo-Dynastie darauf mit einer flexiblen Diplomatie und ging eine tributäre Beziehung ein.2623 Zwischen 1231 und 1259 wurde die Koryo-Dynastie jedoch siebenmal durch die Mongolen angegriffen, was 1259 dazu führte, dass sich die Koryo-Dynastie ergab.2624 Die Koryo-Dynastie vertrat nach der Niederlage im koreanisch-mongolischen Krieg die Meinung, dass die Yuan-Dynastie als chinesische Dynastie und weniger als mongolisches Nomadentum zu verstehen sei.2625 Es zeigt sich also, dass die Vorstellung einer sinozentrischen Welt noch intakt war. Die tributäre Beziehung zwischen Koryo und Yuan war wie folgt ausgestaltet: Neben den typischen Mitteln der Ernennung (Cefeng) des Koryo-Königs durch den Yuan-Kaiser2626 und den Tributen (Chaogong) war auch eine Abordnung der Koryo-Könige nach China vorgesehen.2627 Weiterhin kamen auch mongolische Elemente in die sinozentrisch geprägte tributäre
2621
Die Liao-Dynastie startete im Jahre 993 eine Invasion gegen die Koryo-Dynastie. Diese endete auf diplomatischem Wege. Die Koryo-Dynastie beendete die Beziehungen zur SongDynastie und verbündete sich dafür mit der Liao-Dynastie. Die Verhandlungen führte auf koreanische Seite Seo Hui, der wiederholt bestärkte, dass die Koryo-Dynastie der Nachfolgestaat der Kokuryo-Dynastie sei. Er machte aber auch deutlich, dass die Allianz zur SongDynastie aufgekündigt werden könne, was für die Liao-Dynastie von hohem strategischem Wert war. Weiterhin bot er auch an, dass die Koryo-Dynastie sich beim Kampf gegen die Jurchen beteiligen würde. Als Gegenleistung erhielt die Koryo-Dynastie Teile des ehemaligen Territoriums der Kokuryo-Dynastie zurück. Dieses Bündnis hielt jedoch nicht lange und die Liao-Dynastie führte weitere Invasionen im Jahre 1010 und 1018 durch, die durch die KoryoDynastie abgewehrt wurden und in formellen tributären Beziehungen zwischen der LiaoDynastie und der Koryo-Dynastie endeten. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 344 – 349. 2622 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 352 – 353. 2623 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 360. 2624 Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 360 – 361. 2625 Dies diente insbesondere dazu die tributäre Beziehung mit der Yuan-Dynastie, als Weiterführung derjenigen tributären Beziehungen zu verstehen, die zu den vorhergehenden chinesischen Dynastien existierten. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Koreaner im 13. bzw. 14. Jahrhundert nicht verstanden haben, dass die Yuan-Dynastie nicht-chinesische Elemente in sich trug. Vgl. Lee, Ikju, Die Weltordnung und die Beziehung zwischen Koryo und den Mongolen, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 172 – 174. 2626 Dieser Anerkennungsprozess ging so weit, dass man nicht von einer rein formalen Anerkennung sprechen kann, sondern auch davon ausgehen muss, dass tatsächlich in die interne Politik der Koryo-Dynastie eingegriffen wurde. 1298 wurde etwa König Chungseon als König ernannt aber von der Yuan-Dynastie wieder einseitig abberufen. Lediglich die Thronfolgeregelung konnte die Yuan-Dynastie nicht frei abändern. Vgl. Lee, Ikju, Die Weltordnung und die Beziehung zwischen Koryo und den Mongolen, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 182. 2627 Lee, Ikju, Die Weltordnung und die Beziehung zwischen Koryo und den Mongolen, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 192.
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Beziehung hinein.2628 Diese tributären Beziehungen waren jedoch grundsätzlich anders, weil die Mongolen die Ernennung (Cefeng) der Könige nicht nur formell durchführten, sondern sich auch tatsächlich in die Angelegenheiten der KoryoDynastie einmischten.2629 Die Abhängigkeit in dieser Zeit ging sogar so weit, dass die Koryo-Dynastie von Historikern auch als eine Verwaltungseinheit des mongolischen Reiches gesehen wurde.2630 cc) Die Wiedereingliederung der Chosun-Dynastie in die sinozentrische Welt Die Chosun-Dynastie ging schon drei Jahre nach ihrer Gründung eine tributäre Beziehung mit der Ming-Dynastie ein.2631 Der Gründer der Chosun-Dynastie Yi ) war selber 1392 durch einen Putsch gegen den Songgye (1335 – 1408, kor. König Woo der Koryo-Dynastie (1365 – 1389, kor. )2632 an die Macht gekommen, als er den Befehl verweigerte, die Ming-Dynastie anzugreifen, um der Yuan-Dy-
2628 Es wurden Forderungen gestellt, die die Mongolen nach deren Nomadentradition an eroberte Gebiete verlangt hatten. Vgl. Lee, Ikju, Die Weltordnung und die Beziehung zwischen Koryo und den Mongolen, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 194. Dies beinhaltete im Detail, dass die Könige den Kaiser persönlich aufsuchen mussten, die Königssöhne als Geisel übergeben werden mussten, ein Zensus der Bevölkerung durchzuführen war, ein Wehrdienst der Bevölkerung verlangt wurde, Steuern verlangt wurden und ein mongolischer Gouverneur eingesetzt wurde. Vgl. Wang, Gungwu, Early Ming Relations with South East Asia, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 48. 2629 Die Könige der Koryo-Dynastie mussten alle vor Ihrer Krönung ihr Leben in Peking verbringen und viele Koryo Könige wurden nach Belieben der Yuan-Dynastie ausgetauscht. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 401 – 403. 2630 Lee sieht im Status von Koryo unter der Herrschaft des mongolischen Reiches eine Grauzone zwischen einem Staat und einer bloßen Verwaltungseinheit. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 405. 2631 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 63. Selbst der Name des eigenen Staates „Chosun“ wurde von der Ming-Dynastie bestimmt. Vgl. Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 61 – 62. Seo betont, dass die tributäre Beziehung mit der Ming-Dynastie zwar eine klar hierarchische Beziehung zwischen der Ming-Dynastie und der Chosun-Dynastie erstehen ließ, die Akzeptanz dieser Ordnung jedoch eine freiwillige Entscheidung der Chosun-Dynastie war. Vgl. Seo, Wonsang, Eine Studie bezüglich des rechtlichen System der internationalen Beziehungen in den frühen Jahren der Chosun-Dynastie – Ein vergleichender Blick mit Europa- (koreanisch: , 2009–I 29 ), Korean International Law Review 2009–I, Band 29, S. 133 – 151 (145). 2632 Die Koryo-Dynastie begründete bereits im Jahre 1370 unter König Kongmin (kor. , 1330 – 1374) eine tributäre Beziehung mit der Ming-Dynastie. Einigen Aristokraten der Koryo-Dynastie opponierten jedoch gegen diese Außenpolitik, da diese immer noch mit der Yuan-Dynastie verbündet waren. Es kam zur Ermordung des König Kongmin durch die ProYuan Fraktion und als die Ming-Dynastie Teile der Liaodong-Provinz als ihr Territorium erklärte, befahl der neue König Woo der Koryo-Dynastie, der durch die Pro-Yuan Fraktion an die Macht gelangt war, im Jahre 1388 eine Invasion der Liaodong-Provinz. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 416 – 417.
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nastie beizustehen.2633 Mit der tributären Beziehung zur Ming-Dynastie kam auch der stärkere Einfluss des Neo-Konfuzianismus in die Chosun-Dynastie, die den Buddhismus als Staatsdoktrin ablöste und somit auch die kulturelle Loyalität2634 zur Ming-Dynastie stärkte.2635 Die Ming-Dynastie ihrerseits hätte die Chosun-Dynastie zwar militärisch jederzeit annektieren können, unterließ dies jedoch aus Gründen der Aufrechterhaltung des sinozentrischen Systems.2636 Für die Chosun-Dynastie wurde von der Ming-Dynastie Unabhängigkeit im Inneren sowie im Äußeren solange garantiert, als die Tribute erbracht wurden.2637 Anders als in der Zeit vor der YuanDynastie hatten die tributären Beziehungen jedoch nicht nur einen rein formellen Charakter, und die Ernennung (Cefeng) des Königs durch die Ming-Dynastie wurde nicht nur rein zeremoniell durchgeführt.2638 In der Ming-Dynastie wurden die tributären Beziehungen zum ersten Mal zu einem ständigen System.2639 Die tributären Beziehungen zwischen der Ming-Dynastie und der Chosun Dynastie hielten so lange an, weil sich unter den Eliten der Chosun-Dynastie die Überzeugung reifte, dass die Ming-Dynastie und die Chosun-Dynastie eine Vater-Sohn Beziehung2640 hätten.2641 Das Selbstverständnis der Chosun-Dynastie in der Folgezeit bis zur japanischen Invasion im 16. Jahrhundert war, dass diese sich als den wichtigsten tributären Staat,
2633 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 167. Yi holte auch schnell, auf diplomatischem Wege, eine Einwilligung für die Gründung der Chosun-Dynastie durch die Ming-Dynastie ein und die Ming-Dynastie akzeptierte dies sofort und stellte ebenfalls fest, dass keine direkte Beherrschung, sondern eine freundschaftliche Beziehung angestrebt werde. Damit wurde bereits eine tributäre Beziehung impliziert. Vgl. Kim, Seongkun, Chaogong, Cefeng Beziehungen (Fn. 1509), S. 35 – 36. 2634 Die tributäre Beziehung der Ming-Dynastie hatte zudem für die Chosun-Dynastie den Vorteil, dass diese weniger Kosten für die Verteidigung ausgeben musste und sich darüber hinaus auch als von der chinesischen Dynastie anerkannte Dynastie legitimieren konnte. Vgl. Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 258; Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 64; Seo, Chosun-Dynastie (Fn. 2631), S. 133 – 151 (145). 2635 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 62; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 4 – 5; Keay, China (Fn. 2236), S. 167; Kang, Japanese-Korean Relations (Fn. 1687), 1997, S. 64 – 65. 2636 Dies zeigt auch der spätere militärische Beistand durch die Ming-Dynastie bei der japanischen Invasion. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 105 – 106. 2637 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 63. 2638 Insofern hatten die tributären Beziehungen nun auch einen imperialistischen Charakter, der durch die Yuan-Dynastie erst in das System eingedrungen war. Vgl. Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 250. 2639 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 251. 2640 )“ bezeichnet und entstammt den Diese Art von Außenpolitik wird als „Sadae ( bereits erläuterten Werken des konfuzianischen Klassikers, Menzius. Vgl. Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 59; Kang, Japanese-Korean Relations (Fn. 1687), S. 53 – 54. 2641 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 276.
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also eine Art „Musterschüler unter den tributären Staaten“, sah.2642 Dies führte dazu, dass die Chosun-Dynastie eine gewisse Überheblichkeit gegenüber Japan und den Jurchen (Mandschuren) entwickelte und sich als ein Staat höherer Stufe ansah.2643 Diese Selbsteinschätzung der Eliten der Chosun-Dynastie stellte sich jedoch mit der Veränderung in der ostasiatischen Welt als überholt dar. Der japanische Shogun Toyotomi Hideyoshi (1537 – 1589) und die Mandschuren in China erwirkten eine Änderung der Machtverhältnisse. Dies änderte jedoch nicht zwingend das inzwischen gefestigte Weltbild der Chosun-Dynastie.2644 Dieses Bild änderte sich selbst durch die Eroberung der Ming-Dynastie durch die Mandschuren nicht. Die Mandschuren wurden schon während der Invasion Japans von der Chosun-Dynastie als potenzielle Bedrohung wahrgenommen.2645 Die japanische Invasion in das Territorium der Ming-Dynastie brachte den Mandschuren eine Gelegenheit, die Ming-Dynastie anzugreifen.2646 Dieser Angriff erfolgte 1618 durch Nurhaci und konnte durch die Allianz zwischen der Ming-Dynastie und der ChosunDynastie aufgehalten werden.2647 Als Chosun-König Kwanghaegun (1575 – 1641) eine neutrale Außenpolitik zwischen den Mandschuren und der Ming-Dynastie einführen wollte, wurde ihm vorgeworfen, dass er die Treue gegenüber der Ming-Dynastie gebrochen habe und
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Diese Haltung zeigte sich bereits im 15. Jahrhundert in der Außenpolitik der ChosunDynastie gegenüber dem Muromachi-Bakufu. Die Chosun-Dynastie sah Japan als unterentwickelt an, weil es an konfuzianischer Kultur fehle und Riten nicht eingehalten wurden. Auch gegenüber den Jurchen bestand ein Gefühl der kulturellen Überlegenheit. So: Kang, JapaneseKorean Relations (Fn. 1687), S. 65 – 66. 2643 Han, Myungki, Der Imjin-Krieg aus dem Blickwinkel der internationalen Beziehungen der ostasiatischen Staaten, in: Han (Hrsg.), Imjin-Krieg (Fn. 2596), S. 106. 2644 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 65 – 66. Dies zeigt sich etwa auch darin, dass die ( )“, die zweite erste Invasion Japans im Jahre 1592 als „Imjin Oeran (kor. Invasion im Jahre 1597 „Jeongyujaeran (kor. ( ))“, die erste Mandschurische Invasion im Jahre 1627 „Jeongmyo Horan (kor. ( ))“ und die zweite Mandschurische Invasion im Jahre 1636 „Byeongja Horan (kor. ( ))“ genannt wird. Das chinesische Zeichen „Ran ( )“ bedeutet Unruhe oder Chaos und deutet somit auf einen Bürgerkrieg hin. Unruhe „Ran ( )“ ist also zu unterscheiden von dem Krieg „Jeon ( )“ zwischen zwei souveränen Staaten. Japan hingegen nannte die eigene Invasion „ gerechte Eroberung (jap. Seibatsu ( ))“. Vgl. Lewis, James, International relations and the Imjin War, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 260. 2645 Bereits 1595, also während der Invasion Japans, gab es einen Fall in denen Mandschuren in das Territorium der Chosun-Dynastie eindrangen und getötet wurden. Nurhaci, der spätere erste Kaiser der Qing-Dynastie, wollte diese Tode rächen, wurde aber von Diplomaten der Chosun-Dynastie und Ming-Dynastie beruhigt. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 522 – 523. 2646 Zurndorfer, Harriet, Wanli China versus Hideyoshi’s Japan, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 218. 2647 Insbesondere konnte die Ming-Chosun-Allianz Siege in den Jahren 1622 und 1626 erringen und somit eine Einnahme von Peking zunächst verhindern. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 524.
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wurde im Jahre 1623 als König abgesetzt.2648 Dieser interne Machtkampf zeigt, dass die Chosun-Dynastie freiwillig dazu bereit war, das chinesische Reich vor „raumfremden Mächten“ zu schützen.2649 Deshalb fokussierten sich die Mandschuren – unter deren zweitem Kaiser Huang Taiji – auf die Invasion in das Territorium der Chosun-Dynastie und versuchten im Jahre 1627, im Rahmen einer Invasion mit der Chosun-Dynastie eine tributäre Beziehung einzugehen.2650 Dies diente dazu, einen wichtigen Vasall der Ming-Dynastie zu eliminieren.2651 Die Ideologie, dass die Chosun-Dynastie die Mitte einer eigenen kleinen sinozentrischen Welt und die Mandschuren ein „Barbarenvolk“ sei, ließ eine Anti-Qing Stimmung unter den Eliten der Chosun-Dynastie aufkommen.2652 Dies ging sogar so weit, dass Gesandte der Chosun-Dynastie es im Jahre 1636 ablehnten, sich vor dem Kaiser der Mandschuren (nun in Qing-Dynastie umbenannt) zu verbeugen.2653 Die Außenpolitik der Chosun-Dynastie kann zu diesem Zeitpunkt als Treue gegenüber der Ming-Dynastie und Ablehnung der Qing-Dynastie „ohne Rücksicht auf Verluste“ beschrieben werden.2654 Diese Haltung führte zur Niederlage der Chosun-Dynastie im Jahre 1637 und der dreimaligen Verbeugung des koreanischen Königs Injo vor dem Kaiser der Qing-Dynastie.2655 Trotz dieser erneuten Niederlage blieb die Ideologie der kleinen sinozentrischen Welt und die Treue ge-
2648 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 535; Kim, Seongkun, Chaogong, Cefeng Beziehungen (Fn. 1509), S. 56 – 58. Dies zeigt die Wirksamkeit der sinozentrischen Ordnung. Die Beamten der Chosun-Dynastie sahen sich nur für rein nationale Sachverhalte als Untergebene des Königs. Für internationale Sachverhalte jedoch war für sie der chinesische Kaiser als „Sohn des Himmels“ maßgeblich. So: Gae, Sungbum, Die andere Seite des Sinozentrismus in der späten Chosun-Zeit und dessen Erbe, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 259. Damit zeigte die Chosun-Dynastie auch nach außen, dass sie den Mandschuren gegenüber ein gefährlicher potenzieller Gegner sein kann. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 540. 2649 Diese internen Kämpfe gipfelten in der Absetzung des Königs „Kwanghaegun“. Der König „Kwanghaegun“, der nie von der Ming-Dynastie anerkannt wurde und somit vermutlich auch einen persönlichen Groll gegen die Ming-Dynastie hatte, vertrat eine realistische Außenpolitik, in der die Chosun-Dynastie sich neutral verhalten sollte. Der König Injo, der seinen Vorgänger durch einen Putsch aus dem Thron stieß wurde hingegen von strengen Konfuzianern unterstützt, die weiterhin an die Ming-Dynastie festhielten. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 535 – 538. 2650 Der Vertrag zwischen den Mandschuren und der Chosun-Dynastie sah deshalb vor, dass die Chosun-Dynastie die Beziehungen zur Ming-Dynastie abzubrechen habe. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 525; Kim, Seongkun, Chaogong, Cefeng Beziehungen (Fn. 1509), S. 80. 2651 Die unbedingte Treue gegenüber der Ming-Dynastie durch die herrschende Schicht der Chosun-Dynastie war eine der wichtigsten Gründe der Invasion. Vgl. Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 527. 2652 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 529. 2653 Dieser Affront war möglicherweise der Auslöser der zweiten Invasion der Mandschuren, der im gleichen Jahr begann. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 545; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 144. 2654 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 553. 2655 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 578.
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genüber der – nicht mehr existierenden – Ming-Dynastie erhalten.2656 Dies gipfelte sogar darin, dass König Hyojong (Amtszeit 1649 – 1659) die sog. „Theorie der Invasion des Nordens (kor. )“ verkündete und einen Krieg gegen die QingDynastie vorbereitete.2657 Bis in das 19. Jahrhundert hinein folgte die Chosun-Dynastie dieser Theorie, obwohl sie die Qing-Dynastie nach außen akzeptierte. Sie sahen die Qing-Dynastie nicht als „chinesisch“, sondern als „barbarisch“ im Sinne ihres sinozentrisch-konfuzianischen Weltbildes an.2658 b) Akzeptanz der Suzeränität Chinas und die „kleine sinozentrische Welt“ Die Chosun-Dynastie pflegte neben der hierarchischen Beziehung mit der Ming-Dynastie selbstverständlich auch Beziehungen zu anderen Staaten. Diese ), was Beziehungen standen unter dem außenpolitischen Prinzip des Gyorin ( gleichberechtigte Freundschaft zwischen Nachbarstaaten bedeutet.2659 Diese Gyorin-Politik war aber – nach dem Verständnis der Chosun-Dynastie – nur dem Wortlaut nach eine Außenpolitik zwischen zwei gleichberechtigten Subjekten, im Kern jedoch nichts anderes als eine abgeänderte Form der Jimi-Politik, die die Chinesen gegenüber den „barbarischen“ Nachbarn anwandten.2660 Die ChosunDynastie verstand sich selbst als Zentrum einer eigenen „kleinen sinozentrischen , Sojunghwa)“, in der die Chosun-Dynastie eine eigene „JimiWelt (kor. Politik“ in der Beziehung zu den Japanern oder den Mandschuren pflegte.2661 Die Chosun-Dynastie sah Japan2662 oder auch die Mandschuren (Jurchen)2663 als einen Staat bzw. ein Volk außerhalb der sinozentrischen Ordnung an und somit gemäß dem konfuzianischen Weltbild als eine minderwertigere Kultur.2664 Aus der Sicht 2656 In internen Dokumenten etwa wurden statt den Regierungsdevisen der Qing-Dynastie, nur die des letzten Kaisers der Ming-Dynastie benutzt. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 585. 2657 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 586 – 587. 2658 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 73; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 643. 2659 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 64. 2660 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 267; Kang, Japanese-Korean Relations (Fn. 1687), S. 74 – 75. 2661 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 267. 2662 Das gleiche galt aber auch für die Japaner, sodass sie sich vermutlich gegenseitig als höherrangig ansahen. Die Diplomatie konnte zunächst nur funktionieren, weil die Tsushima Region als Sprachrohr des Shoguns diente und dabei die offizielle Sprache auch abänderte. So wurde der Shogun als „japanischer König“ bezeichnet, obwohl der Shogun diesen Titel bewusst nicht benutzte. Vgl. Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 47. Die Chosun-Dynastie wiederum sah die Tsushima-Region als seinen Tributstaat an. Vgl. Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 59 – 60. Letztlich konnte keiner der Staaten die kulturelle Herrschaft über den anderen Staat für sich beanspruchen. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 73 – 74. 2663 Kim, Seongkun, Chaogong, Cefeng Beziehungen (Fn. 1509), S. 49 – 50. 2664 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 58 – 59.
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der Ming-Dynastie war diese Art des Sub-Tributsystems mit der Chosun-Dynastie als Zentrum vorteilhaft, da die Chosun-Dynastie somit die Logik der sinozentrischen Ordnung auch gegenüber Staaten wie Japan umsetzte, die für die MingDynastie zu weit entfernt waren.2665 Die Änderungen der ostasiatischen Welt durch die japanische Invasion im 16. Jahrhundert und der Niedergang der Ming-Dynastie erschütterten zwar die sinozentrische Ordnung, nicht jedoch das Weltbild, das in der Chosun-Dynastie vorherrschte. Die Ablehnung gegenüber der „barbarischen“ Qing-Dynastie ging so weit, dass man sich nun als den wahren Hüter des Konfuzianismus verstand und die Mitte der sinozentrischen Welt auf die koreanische Halbinsel verortete. Als die Restauration der Ming-Dynastie und somit der ursprünglichen sinozentrischen Welt nicht mehr möglich erschien, 2666 sah sich die Chosun-Dynastie also als das Zentrum der neuen „kleineren sinozentrischen Welt“.2667 Dies war ein neues Verständnis des Sinozentrismusses, das die Herrschaft über die sinozentrische Welt rein aufgrund der (konfuzianischen) Kultur definierte.2668Als eine eigene koreazentrische Weltsicht kann diese „kleine sinozentrische Weltsicht“ jedoch nicht verstanden werden, da sie sich lediglich auf die kulturelle Überlegenheit der chinesischen Dynastien berief.2669 Die Treue zur bereits nicht mehr existierenden Ming-Dynastie wurde so stark betont, dass die neue sinozentrische Ordnung unter der Qing-Dynastie (zumindest im Inneren) ignoriert wurde2670 und der eigene Staat mit der Ming-Dynastie gleichgesetzt wurde.2671 Erst durch die Opiumkriege und die damit verbundene Erosion der sinozentrischen Welt durch die westlichen Mächte wurden paradoxerweise die Vorbehalte 2665 Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 277 – 278. 2666 Hur, Taeyong, Das sinozentrische Bewusstsein in der späten Chosun-Zeit und dessen Nachfolge und Veränderung, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 284. 2667 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 70; Kim, Munshik, Das außenpolitische Verständnis der Gelehrten in der späten Chosun-Zeit, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 222 – 223. 2668 Kim, Munshik, Das außenpolitische Verständnis der Gelehrten in der späten ChosunZeit, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 224. 2669 Gae, Sungbom, Die andere Seite des Sinozentrismus in der späten Chosun-Zeit und dessen Erbe, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 246. 2670 Diese innere Haltung zeigte sich etwa in der Bezeichnung der Tributmissionen nach , Audienz vor China. Zu Zeiten der Ming-Dynastie wurde dafür das Wort „Jocheon (kor. dem himmlischen Sohn)“ genutzt. Zu Zeiten der Qing-Dynastie hingegen nicht. Weiterhin wurden Diplomaten der Ming-Dynastie als Cheonsa (kor. , Gesandter des Himmels) bezeichnet, während die Diplomaten der Qing-Dynastie „Chongsa (kor. , Gesandter der QingDynastie)“ genannt wurden. So: Gae, Sungbom, Die andere Seite des Sinozentrismus in der späten Chosun-Zeit und dessen Erbe, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 258 – 263. 2671 Gae, Sungbom, Die andere Seite des Sinozentrismus in der späten Chosun-Zeit und dessen Erbe, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 276 – 277.
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gegenüber den Mandschuren überwunden.2672 Ironischerweise begann durch die Einführung des auf Staatengleichheit basierenden europäischen Völkerrechts auch die Zeit der Kolonialisierung für die Chosun-Dynastie. Der japanisch-koreanische Freundschaftsvertrag von 1876, der der erste Vertrag auf der Grundlage eines europäischen Völkerrechtsverständnisses war,2673 der durch die Chosun-Dynastie geschlossen wurde, war gleichzeitig auch ein ungleicher Vertrag, der die Völkerrechtssubjektivität der Chosun-Dynastie eben nur formal anerkannte.2674 c) Fazit Die Beziehung zwischen den chinesischen Dynastien und den koreanischen Dynastien zeigt – wie bereits oben dargestellt – eine Parallele zum Schmitt’schen Großraummodell. Die Struktur eines abgegrenzten Großraumes mit einem Interventionsverbot für raumfremde Mächte existiert, zumindest ab der Ming-Dynastie, wie die Invasionen der Japaner und der Mandschuren in diesen Großraum zeigen. Die Geschichte der Beziehungen zwischen den koreanischen Dynastien und den chinesischen Dynastien lässt erahnen, dass die Kontrolle über die koreanische Halbinsel sowie über die Liaodong-Halbinsel, aufgrund zur Nähe zum chinesischen Kernland, immer ein wichtiger Stabilisationsfaktor für die chinesischen Dynastien war. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass die koreanischen Dynastien die chinesischen Dynastien oftmals in Anspruch nahmen, um das eigene Regime vor anderen Mächten, wie etwa den nördlichen Nomadenvölkern oder den Japanern, zu verteidigen. Aus dieser geographisch bedingten Interessensituation erwuchs eine Ordnung, die über den jeweiligen Einzelfall hinaus galt, für ganze Jahrhunderte stabil blieb und auch nach etwaigen Destabilisierungen sich immer wieder manifestierte. Der Kern dieser Ordnung ist das von dem Konfuzianismus geprägte hierarchische Staatenbild mit dem chinesischen Kaiser in der Mitte und der Idee Hua-Yi, also der Abgrenzung zwischen Zivilisation und Barbarentum. Diese Ordnung war bis zum 7. Jahrhundert nicht etabliert und existierte nur punktuell. Die Han-Dynastie konnte zwar weite Teile des Territoriums der ChosunDynastie erobern, aber der Versuch der Han-Dynastie, direkte Herrschaft über Teile der Liaodong-Halbinsel zu ergreifen oder der Versuch der Sui- und Tang-Dynastie, die Länder der Kokuryo-Dynastie zu erobern, zeigten, dass die Kontrolle über dieses 2672 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 643. Die ungleichen Verträge, die in der Folgezeit mit den westlichen Mächten geschlossen wurden und eine „Meistbegünstigungsklausel“ enthielten, führten zur weiteren Erosion der Chosun-Dynastie. Die Situation der Chosun-Dynastie war also vergleichbar mit der Lage der Qing-Dynastie. Vgl. Kim, Weltbilder (Fn. 2401), S. 420 – 426. 2673 Das von Wheaton übersetzte Wanguo Gongfa (Wheaton, Elements (Fn. 598)) von 1860 soll bereits 1876 in der Chosun-Dynastie bekannt gewesen sein. Vgl. Seo, Chosun-Dynastie (Fn. 2631), S. 133 – 151 (134 – 135); Kim, Weltbilder (Fn. 2401), S. 235 – 236. 2674 Seo, Chosun-Dynastie (Fn. 2631), S. 133 – 151 (135 – 136); Kim, Weltbilder (Fn. 2401), S. 200.
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Gebiet erheblichen Aufwand bedeutete und die chinesischen Dynastien keine unangefochtene Herrschaft über die koreanische Halbinsel hatten.2675 Tributäre Beziehungen existierten zwar punktuell, verfestigten sich jedoch niemals in einer ständigen Ordnung. Die Allianz zwischen der Shilla-Dynastie und der Tang-Dynastie kann jedoch als Prototyp der Beziehungen zwischen darauffolgenden koreanischen und chinesischen Dynastien verstanden werden. Einerseits konnte die Tang-Dynastie mithilfe der Shilla-Dynastie die gemeinsamen Feinde, die Baekje-Dynastie und die KokuryoDynastie, besiegen, aber andererseits ging die Abhängigkeit nicht so weit, dass die Shilla-Dynastie eine bloße Verwaltungseinheit der Tang-Dynastie wurde. Allerdings verlor die Shilla-Dynastie, zumindest nach dem europäischen Verständnis, die außenpolitische Souveränität, da die Feinde und Freunde der Shilla-Dynastie künftig durch die Tang-Dynastie bestimmt wurden. Als übergreifendes Ordnungsprinzip dieses sino-koreanischen Raumes etablierte sich der Konfuzianismus.2676 Bereits hier zeigen sich starke Ähnlichkeiten zum Schmitt’schen Großraum. Die hierarchische Staatenwelt sowie eine konkrete Raumordnung in Form der konfuzianischen Ordnung waren vorhanden. Mit der zunehmenden Schwächung der chinesischen Dynastien und der Erstarkung des nördlichen Nomadentums im 10. und 11. Jahrhundert entschied sich die Koryo-Dynastie für eine flexible Allianz mit den Nomaden. Diese Periode, in der die koreanische Koryo-Dynastie noch am ehesten wie ein europäischer Staat souveräne Außenpolitik betrieb, endete im 12. Jahrhundert in einer vollkommenen Destabilisierung durch die Mongolen, die die chinesische Song-Dynastie sowie auch die Koryo-Dynastie eroberten. Diese Periode könnte man in den Worten Schmitts so umschreiben, dass „der Zusammenbruch des Reiches eines Großraumes den Kampf um neue Ordnungen hervorruft und die Frage der Raumverteilung aufwirft.“2677 Als im 14. Jahrhundert die mongolische Yuan-Dynastie niederging, entstand auch die sino-koreanische Beziehung nach altem Muster. Die Allianz zwischen Ming und Chosun blieb ganze zwei Jahrhunderte bestehen. Auch in dieser Beziehung stellte der Konfuzianismus das übergreifende Ordnungsprinzip dar. Die Invasion der Japaner im 16. Jahrhundert zeigt, dass die Ming-Dynastie bereit war, bis ans Äußerste zu gehen, um diese Ordnung aufrechtzuerhalten. Der Umstand, dass die Chosun-Dynastie in die zwischenzeitlichen Friedensgespräche nicht involviert war, zeigt, dass die drei Kriegsparteien annahmen, dass die Ming-Dynastie auch für die Chosun2675 Die Lösung des außenpolitischen Problems Chinas war oftmals die Errichtung einer Mauer, die jedoch kostenintensiv war und auch eine Verschlimmerung der Konflikte mit den Nomadenvölkern zur Folge hatte. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 75 – 76. 2676 Der Buddhismus und der Konfuzianismus zu dieser Zeit standen nicht im Konflikt. Während der Buddhismus in der Shilla-Dynastie das religiöse Leben prägte, wurden die konfuzianischen Tugenden als ethische Richtlinie gelehrt. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 214 – 215; Fairbank, China (Fn. 1611), S. 81. 2677 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 65.
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Dynastie sprechen könne.2678 Dieses Verständnis findet sich auch im 17. Jahrhundert, als die Mandschuren sich als die Machthaber in der Region etablierten und von der Chosun-Dynastie Loyalität verlangten. König Kwanghaegun, der eine neutrale Außenpolitik versuchte, wurde von konfuzianisch geprägten Adligen aus dem Amt geputscht. Der Nachfolger Injo ging so weit, dass er sogar das Leben seines Volkes auf Spiel setzte, um der Verbeugung vor dem nicht-chinesischen Herrscher zu entgehen. Diese Periode zeigt deutlich, dass die sinozentrische Ordnung, zu der auch die sino-koreanische Beziehung gehört, eine stark idealistische und moralische Ordnung war, die über die reine Interessenlage, die im europäisch geprägten Verständnis der Außenpolitik maßgeblich ist,2679 hinaus ging, ja ihr sogar diametral entgegenstand. Das Interventionsverbot raumfremder Mächte, das zwei Jahrhunderte lang – also solange, wie die Ming-Dynastie als „Reich“ existierte – bestehen konnte und eine Einteilung der Territorien in den sinozentrischen Großraum einerseits und raumfremde Territorien andererseits tatsächlich durchsetzte,2680 wurde mit dem Niedergang der Ming-Dynastie zur reinen Theorie. Erst durch die vollkommene Eroberung der Ming-Dynastie durch die Mandschuren wurde die sino-koreanische Ordnung aufgelöst. Allerdings adaptierte die mandschurische Qing-Dynastie die gleiche Politik wie auch die Ming-Dynastie vorher. Auch wenn es Vorbehalte innerhalb der Elite der Chosun-Dynastie gab, wirkten zwischen der Qing-Dynastie und der Chosun-Dynastie die gleichen Prinzipien, wie zu Zeiten der Tang-Dynastie bzw. der Ming-Dynastie. Der Umstand, dass die Entscheidung der Qing-Dynastie, die konfuzianisch-sinozentrische Grundordnung beizubehalten, auch dazu führte, dass die sinozentrische Ordnung an sich unverändert fortbestehen konnte, zeigt noch einmal deutlich, dass die Reiche im Sinne der Großraumtheorie von Carl Schmitt die „wahren Kreatoren des Völkerrechts sind“.2681
2678
Insofern können diese Gespräche als „zwischenreichisch“ zwischen der Ming-Dynastie, als Reich des Großraumes der sinozentrischen Ordnung und zwischen Japan, als ein Staat der außerhalb dieses Großraumes lag und sich als Reich einer japanozentrischen Ordnung wähnte, interpretiert werden. Vgl. zu den „zwischenreichischen“ Völkerrechtsbeziehungen nach Schmitt, in: Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 62. 2679 So etwa die Schule des Realismus in den internationalen Beziehungen. Vgl. Lemke, Internationale Beziehungen (Fn. 1425), S. 15 – 17: Hartmann, Internationale Beziehungen (Fn. 1098), S. 21 – 28. 2680 Auf den engen Zusammenhang zwischen dem Reich und dem Interventionsverbot für raumfremde Mächte weist auch Schmitt hin. Vgl. Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 49. 2681 Schmitt, Großraumordnung (Fn. 6), S. 65.
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2. Die sinozentrische Ordnung aus dem Blickwinkel eines raumfremden Staates: Japan Japans Situation in der sinozentrischen Weltordnung ist einzigartig, da Japan zwar in die Ordnung eingebettet war, aber trotzdem eine gewisse Distanz dazu behielt.2682 Dies fängt schon damit an, dass Japan zwar manchmal Tribute leistete, aber die japanischen Tennos niemals durch chinesische Kaiser ernannt wurden.2683 Die Existenz des Tennos machte eine Anerkennung des chinesischen Kaisers als höherrangigen Herrscher für die Japaner unmöglich.2684 Während in China eine sinozentrische Weltsicht herrschte, entstand in Japan eine eigene japanozentrische Weltsicht. Diese Staatsideologie (inklusive des darin beinhalteten völkerrechtlichen Verständnisses) des 8. Jahrhunderts n. Chr. hatte einen , maßgeblichen Einfluss auf das Staatsverständnis des sog. Kokutai (jap. übersetzt: Staatskörper) im 20. Jahrhundert.2685 Die Kokutai-Ideologie des 20. Jahrhunderts und die damit verknüpfte Idee, dass der japanische Staat einzigartig sei und eine Verbindung zur Gottheit aufweise, beruht direkt auf den Aussagen, die die Quellen aus dem 8. Jahrhundert lieferten.2686 Die Kokutai-Ideologie wurde in der , Shinkoku)“ umGeschichte auch oft mit dem Begriff „Land der Götter (jap. schrieben. Die Selbstbezeichnung als „Land der Götter“ hatte eine Doppelfunktion für Japan, einerseits die zentrale Regierung zu rechtfertigen und andererseits als Staat in der Peripherie der sinozentrischen Weltordnung trotzdem eine gewisse Distanz und Unabhängigkeit zu wahren.2687 Dieses Verständnis zeigte sich in außenpolitischen Krisen – wie der Invasion durch die Mongolen oder der Kolonialisierung durch die Europäer – und in innenpolitischen Krisen – wie der Sengoku Zeit – immer wieder als starke psychologische Stütze, aber auch als Grundstein eines Überlegenheitsverständnisses des japanischen Volkes, das wiederum bei der Annexion anderer asiatischer Staaten als Argument diente.2688 , übersetzt: Land der aufgeSchon die Landesbezeichnung „Nihon (jap. henden Sonne)“ sowie die offizielle japanische Titelbezeichnung des Kaisers „Tenno (jap. , übersetzt: Himmlischer Kaiser)“, die ab der Zeit des Temmu-Tenno (jap. , 631 – 686) benutzt wurden,2689 zeigen ein Verständnis, demzufolge Japan 2682
Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 424. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 427. 2684 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 431. 2685 Kim, Bohan, Die Idee des göttlichen Staates im mittelalterlichen Japan und dessen geschichtliche Veränderung, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 71. 2686 Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 38. 2687 Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 126. 2688 Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 127 – 128. 2689 Song, Wanbum, „Der japanische Ritsuryo Staat“ und die „japanozentrische Sicht“, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 47. 2683
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das Land der Sonne und somit das Land der Mitte sei. Der Herrscher Japans sei der Sohn eines Sonnengottes.2690 Hintergrund der Einführung dieser Bezeichnungen war vor allem der Umstand, dass mit der koreanischen Baekje-Dynastie ein wichtiger Bündnispartner Japans vernichtet wurde.2691 Somit wurde es notwendig, eine japanozentrische Weltsicht zu etablieren, um die Sinisierung zu begrenzen. , übersetzt: Chronik Japans in einzelnen SchrifDas Nihonshogi (jap. ten), das im 8. Jahrhundert entstand, ist ein wichtiges Werk, in dem diese neue japanozentrische Weltsicht zum Ausdruck kommt.2692 Das beinhaltet überdies höchst umstrittene Aufzeichnungen, nach denen Japan im 3. Jahrhundert, nämlich durch die Jingu-Kaiserin, angeblich bestimmte Regionen der koreanischen Halbinsel erobert und beherrscht haben soll.2693 a) Geschichtlicher Hintergrund Im 7. Jahrhundert wurde in Japan der Staatskonfuzianismus eingeführt, spielte jedoch als spezifisches Weltbild noch keine entscheidende Rolle.2694 Das konfuzianische Konzept des „Himmels“ wurde einfach mit der japanischen Kaiserfamilie gleichgesetzt, wodurch eine Vorbestimmtheit der Menschen durch ihre Genealogie impliziert wurde.2695 Das völkerrechtliche Verständnis des Konfuzianismus, nach dem der chinesische Kaiser über alle Welt als Sohn des Himmels regierte, hatte sich ebenfalls nicht durchgesetzt.2696 Allerdings sind durchaus Parallelen zum chinesisch2690 Song, Wanbum, „Der japanische Ritsuryo Staat“ und die „japanozentrische Sicht“, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 47. 2691 Nachdem Baekje im Jahre 660 von der Tang- Shilla Allianz besiegt worden war, versuchten Japan und Baekje einen Wiederaufbau. Durch die Niederlage von Baekje und Japan gegen die alliierte Arme in der sog. Baekchongang Schlacht im Jahre 663 wurde Baekje endgültig annektiert und viele Flüchtlinge gingen nach Japan. Vgl. Song, Wanbum, „Der japanische Ritsuryo Staat“ und die „japanozentrische Sicht“, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 39 – 40; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 84. 2692 Schon der Aufbau dieses Werkes in die „Welt der Götter“, die „koreanische Halbinsel“ und die „innere Politik“ zeigen, dass die politische Situation des Nachbarlandes einen ausschlaggebenden Grund für dessen Entstehung hatte. Vgl. Song, Wanbum, „Der japanische Ritsuryo Staat“ und die „japanozentrische Sicht“, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 64. 2693 Dies betrifft insbesondere das 8. und 9. Buch über den Chuai Tenno und seiner Gattin, Jingu, im 3. Jahrhundert. Diese Aufzeichnungen sind jedoch höchst umstritten. Vgl. Song, Wanbum, „Der japanische Ritsuryo Staat“ und die „japanozentrische Sicht“, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 32. 2694 Die konfuzianischen Reformen beschränkten sich noch auf die Modernisierung der Institutionen und der Einrichtung eines zentralistischen Staatswesens. Vgl. Antoni, Kokutai (Fn. 1679), S. 28. 2695 Dieser Aspekt sorgte auch in der späteren Zeit für einen gewissen Konflikt zwischen Konfuzianismus und Shintoismus. Vgl. Goto-Jones, Nishida (Fn. 1690), S. 29. 2696 Japan ließ zwar in den Jahren 600, 607, 608 (in diesem Jahr sogar zweimal) und 614 jeweils diplomatische Gesandte in die chinesische Sui-Dynastie reisen, der Tenno wurde aber
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konfuzianischen Völkerrechtsverständnis zu erkennen.2697 Es wurde nämlich von einer Hierarchie der Staatenwelt ausgegangen, die, wie bereits im vorherigen Kapitel gesehen, in der Tang-Periode langsam auch auf der koreanischen Halbinsel konkret Gestalt annahm. Japan selber sah sich jedoch nicht als Teil dieser sinozentrischen Weltordnung an.2698 Dennoch zeigt sich, dass die sinozentrischen Ordnung adaptiert2699 wurde, um die Beziehungen der innerjapanischen Gebiete zu definieren.2700 Diese Unterscheidung zeigt Parallelen zu dem Hua-Yi-Denken der Chinesen und kann als „japanische Ordnung unter dem Himmel“ gedeutet werden.2701 Dieses japanozentrische Weltbild war jedoch noch nicht das beherrschende Weltbild Japans. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass im 8. Jahrhundert noch das buddhistische „Drei-Staaten-Weltbild“2702 dominant war, nach dem es auf der Welt nur Japan, China und Indien gab.2703 nicht vom chinesischen Kaiser durch das Cefeng-Ritual ernannt. Auch zur Zeit der TangDynastie ließ Japan Gesandte (nämlich in den Jahren 630, 653, 654, 659, 665 und 669) in die Tang-Dynastie reisen, was aber trotzdem nicht zu einem ständigen diplomatischen Austausch führte. Bemerkenswert ist, dass es eine strikte Trennung zwischen der reinen Abgabe eines Tributs (Chaogong) und der Ernennung durch den chinesischen Kaiser (Cefeng) gab. Dies ist bezeichnend für Staaten, die geographisch weit entfernt von China waren. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 422 – 426. 2697 Nach der damaligen Vorstellung war die Tang-Dynastie vielmehr ein Nachbarland (jap. )) und die Länder der koreanischen Halbinsel, Shilla, Baekje und Kokuryo Rinkoku ( tributäre Staaten gegenüber China (jap. Bankoku ( )). Vgl. Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 109; Kang, Japanese-Korean Relations (Fn. 1687), S. 81. 2698 Dieses Verständnis mag auch daher rühren, dass Japan enge Beziehungen zur koreanischen Baekje-Dynastie hatte, die durch die Tang-Shilla Allianz erobert wurde. Gerade die koreanischen Shilla-Dynastie war für Japan also ein Feindbild und die Darstellung als ein Vasall der Tang-Dynastie mag als Diffamierung des Feindes gemeint sein. Japan half sogar im Jahre 663 der koreanischen Baekje-Restaurationsbewegung in einem Krieg gegen die Tang-Shilla Allianz; wurde jedoch von dieser besiegt. Die Shilla-Dynastie wiederum versuchte im 8. Jahrhundert eine Allianz mit Japan einzugehen, um den Einfluss der Tang-Dynastie zu beschränken. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 305, 320 – 324. 2699 Es gibt bereits diplomatische Dokumente von 608, die zeigen, dass der Tenno den chinesischen Kaiser als sein Pendant ansah und ihn auch so adressierte. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 426. 2700 So wurde innerhalb der japanischen Inseln zwischen dem Gebiet, das unter dem Einfluss der (konfuzianischen) Tugendhaftigkeit des Tenno stand (jap. Kenai, ) und dem Gebiet außerhalb des Einflusses des Tenno (jap. Kegai, ) unterschieden und die Bevölkerung des Kegai wurde als Feind angesehen. Als Kegai zählten etwa die Emishi von Nordjapan und die Hayato von Südjapan. Vgl. Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 111 – 112. 2701 Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 111 – 112. 2702 Nach diesem Weltbild sind China sowie auch Japan letztlich nur periphere, kleine, Staaten. Dieses Denken wurde auch mit dem „Drei Zeitalter“-Denken des Buddhismus vermengt. Diesem Denken zufolge gibt es drei Perioden nach dem Tode Buddhas. Japan befinde sich bereits in der letzten Zeit der späten und bereits verfallenden Lehre (jap. Mapou, ), in der es nicht mehr möglich sei Erleuchtung zu erlangen. Vgl. Yun, Yusuk, Das japanozentrische
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Die koreanische Halbinsel wurde nach diesem Weltbild als abhängiger Vasallenstaat von China angesehen.2704 Japan hingegen war ein unabhängiger, wenngleich peripherer Staat. Die shintoistische Weltsicht, wie sie in der Selbstbezeichnung als „Land der , Shinkoku)“2705 sichtbar wird, bildete sich erst später heraus.2706 Götter (jap. Dies geschah durch eine Umkehr der japanischen Selbsteinschätzung; Japan wurde in das Zentrum der Welt gestellt.2707 Die Idee, nach welcher Japan als Land Gottes das Zentrum der Welt sei, wurde auch in der Folgezeit rezipiert.2708 Die ShinkokuWeltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 113. 2703 Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 112; Lee, Gaehwang, Die Herausbildung der Außenbeziehungen des Edo-Bakufu, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 94. 2704 Dieses Denken findet sich auch in dem japanischen „neuzeitlichen Drei-StaatenWeltbild“ ab dem 16. Jahrhundert wieder. Demnach besteht die Welt nunmehr aus Europa, China und Japan. Die koreanische Chosun-Dynastie sowie die Ryukyu-Inseln sind demnach abhängig von China oder Japan und sind deshalb nicht auf der gleichen Ebene zu stellen wie Japan. Vgl. Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 118 – 121. 2705 Die Bezeichnung Japans als „Land der Götter (jap. , Shinkoku)“ wird bereits im Nihon Shogi eingeführt. Diese Bezeichnung hat mit der Errichtung einer zentralen Regierung zu tun, dessen Kaiser durch die göttliche Blutlinie, von der Schöpfergöttin Amaterasu, legitimiert wird. Der Mittelpunkt dieses Landes war also der japanische Kaiser als direkter Nachfahre der Sonnengöttin Amaterasu. Vgl. Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 125. 2706 Der Begriff des „Land der Götter“ diente zunächst jedoch nur als eine Abgrenzung zu dem Shilla-Königreich. Die genaue Stelle im Nihonshogi ist das Kapitel über die Jingu Kaiserin, in dem der König von Shilla sagt, dass es östlich von Shilla ein Land der Götter, namens Japan, gebe und in diesem ein himmlischer Kaiser (Tenno) herrsche. Die Shilla-Dynastie hat zum Zeitpunkt der Errichtung des Nihonshogis die Allianz mit der Tang-Dynastie geschlossen und die koreanische Halbinsel vereint. Daraus lässt sich schließen, dass das Nihonshogi das Spannungsverhältnis zur neuen außenpolitischen Gefahr Shilla zum Ausdruck bringt. Vgl. Kim, Bohan, Die Idee des göttlichen Staates im mittelalterlichen Japan und dessen geschichtliche Veränderung, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 73; Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 125 – 126. 2707 Die japanische Selbsteinschätzung als Peripherie – fußend auf der konfuzianischen Lehre und besonders auf der buddhistischen „Drei-Staaten-Weltsicht“ –, kehrte sich mit der Theorie der lokalen Manifestation der Gottheiten (jap. , Honji Suijaku) des 11. Jahrhunderts, die den Buddhismus mit dem Shintoismus verband, ins Gegenteil; Japan schätzte sich nun als Zentrum der Welt ein. Nach dieser Theorie waren die shintoistischen Gottheiten nichts anderes als Buddha in einer anderen Form. Vgl. Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 114 – 115. 2708 Dies zeigt sich im Jahre 1185 in dem Minamoto no Yoritomo die Vorherrschaft über Japan eroberte und das sog. Kamakura-Bakufu errichtete, das Kaiserhaus in Kyoto aber be-
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Ideologie wurde also auch von der militärischen Kaste2709 befolgt.2710 Japan hatte deshalb keine tributären Beziehungen mit China, da die symbolische Herrschaft über Japan immer noch beim Tenno lag.2711 Daran änderte sich selbst im 13. Jahrhundert, angesichts der drohenden Invasion der Mongolen in den Jahren 1274 sowie 12812712 nichts.2713 Auch in der Muromachi-Zeit blieb der Gedanke, dass Japan ein Land von langer Tradition sei und dessen Eigenheit sich von einer Genealogie der Göttern ableiten könne, erhalten.2714 Dies hatte auch direkte Auswirkungen auf die Außenpolitik. Dies zeigt etwa die Ablehnung der tributären Beziehung mit der MingDynastie, als 1368 ein Gesandter der Ming-Dynastie in Kyushu ankam und diese verlangte.2715 stehen ließ. Vgl. Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 131; Cotterell, Asia (Fn. 1685), S. 234; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 120. 2709 Auch zu Zeiten der Herrschaft der Shogune, als der Tenno nur ein Schattendasein führte, ließen sich die Shogune, nicht von den chinesischen Kaisern, sondern ausschließlich vom japanischen Tenno ernennen. Minamoto no Yoritomo ließ sich etwa 1192 durch den japanischen Tenno ernennen. Vgl. Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 234. 2710 Da der Bakufu, im Vergleich zur Dynastie der Tenno, keine Tradition aufweisen konnte, wurde der Tenno als Nachfahre Gottes respektiert. Der Shogun (also das oberste Haupt der Militärs) wurde der Beschützer dieses göttlichen Nachfahren. Vgl. Kim, Bohan, Die Idee des göttlichen Staates im mittelalterlichen Japan und dessen geschichtliche Veränderung, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 82. 2711 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 427. 2712 Dies war die erste ausländische Invasion für Japan, da zu dieser Zeit fast keine Beziehungen zu der koreanischen Koryo-Dynastie oder der chinesischen Song-Dynastie sowie den nordostasiatischen Völkern bestand. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 118 – 119; Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 134 – 136; Cotterell, Asia (Fn. 1685), S. 235. 2713 Die diplomatische Korrespondenz vor der Invasion zwischen der mongolischen YuanDynastie und dem japanischen Bakufu kann noch als einseitiges Verlangen einer tributären Beziehung durch die Yuan-Dynastie und einem Ignorieren durch das japanische Bakufu charakterisiert werden. Der Hof des Tennos hatte im Jahre 1269 auf den zweiten diplomatischen Kontakt der Mongolen hin, ein Antwortschreiben vorbereitet, in dem die Göttlichkeit des Landes Japan unterstrichen wurde und jegliche militärische Auseinandersetzung von vorneherein abgelehnt wurde. Selbst dieses Antwortschreiben ist jedoch durch die Politik des Ignorierens des Bakufu niemals abgesandt worden. Vgl. Kim, Bohan, Die Idee des göttlichen Staates im mittelalterlichen Japan und dessen geschichtliche Veränderung, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 91 – 92. 2714 Dies kam 1343 durch die „Chronik der authentischen Blutlinie der göttlichen Kaiser ))“ von dem damaligen Historiker Chikafusa Kitabatake (jap. Jinno Shotoki ( (1293 – 1354) zum Ausdruck. Dies war eine Wiederauflage der Ideen des Nihonshogi. Der Hintergrund dieses Werk war der Nord-Süd-Konflikt zwischen dem neuen Muromachi-Bakufu, der den nördlichen Hof stützte und dem südlichen Hof, der sich als rechtmäßig ansah. Chikafusa wollte durch das Aufzeichnen der Blutlinie den südlichen Hof stützen. In der späteren Zeit hatte das Werk entscheidenden Einfluss auf die Kokutai-Ideologie. Vgl. Kim, Bohan, Die Idee des göttlichen Staates im mittelalterlichen Japan und dessen geschichtliche Veränderung, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 97. 2715 Der Bakufu hatte, im Vergleich zum Tenno, insgesamt wenig Einfluss auf die diplomatischen Angelegenheiten in dieser Zeit, weil die diplomatischen Beziehungen von Kyushu ausgeübt wurden und dieses Gebiet erst 1372 durch das Bakufu erobert wurde. Vgl. Cohen, East
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Eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Haltung Japans in der MuromachiZeit war die Aufnahme einer tributären Beziehung zwischen dem Shogun Ashikaga Yoshimitsu und der Ming-Dynastie im Jahre 1402.2716 Ming-China war zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich wie auch militärisch äußerst wichtig.2717 Ashikaga erhielt vom Ming-Kaiser den Titel „König von Japan“, was letztlich eine Akzeptanz der Rolle Japans als tributärer Staat und eine Eingliederung Japans in die sinozentrische Welt bedeutete.2718 Diese Akzeptanz der tributären Beziehung endete jedoch bereits in der nächsten Generation.2719 Die flexible Handhabung der tributären Riten zeigt, dass Japan die Außenpolitik weniger am konfuzianischen Ordnungsdenken orientierte, sondern an wirtschaftlichen und realpolitischen Erwägungen.2720 In der Zeit der japanischen Invasion2721 in Korea durch Toyotomi Hideyoshi ist eine klare Änderung des Weltbildes vom „Drei-Staaten-Weltbild“ hin zu einem japanozentrischen „Weltbild des göttlichen Staates“ zu erkennen.2722 Ganz anders als die außenpolitische Beziehungen zwischen der sinozentrischen Ordnung und Japans2723 waren die wirtschaftlichen Verflechtungen.2724 Der Handel blühte paradoxerweise trotz der diplomatischen Trennung zwischen Japan und China.2725
Asia (Fn. 895), S. 194. Die Aufnahme und Ablehnung von außenpolitischen Beziehungen zum Ausland blieb einzig und allein in der Entscheidung Japans. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 427. 2716 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 429. 2717 Tributäre Beziehungen mit der Ming-Dynastie fingen schon 1371 an. Diese waren jedoch eigentlich nur Handelsbeziehungen. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 170. 2718 Han, Myungki, Der Imjin-Krieg aus dem Blickwinkel der internationalen Beziehungen der ostasiatischen Staaten, in: Han (Hrsg.), Imjin-Krieg (Fn. 2596), S. 106; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 429. 2719 Trotzdem blieb das offizielle Verständnis auf Seiten der Ming-Dynastie, dass der private Handel als tributärer Austausch anzusehen sei. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 170 – 171. 2720 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 430. 2721 Die Invasion war eine Spätfolge der sog. Sengoku-Zeit. Im 15. Jahrhundert verlor das Muromachi-Bakufu mehr und mehr an Macht und Japan fiel in viele kleine Feudalstaaten auseinander, die wiederum von Feudalherren (Daimyo) beherrscht wurden. Diese sog. Sengoku-Zeit wurde von Oda Nobunaga beendet, und nachdem dieser durch einen seiner Vasallen ermordet worden war, wurde Japan im Jahre 1590 durch Toyotomi Hideyoshi vereinigt. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 169, 195. 2722 Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 149. Einer der Gründe für die Änderung dieses Staatsbildes war, dass der Vereiniger von Japan gleichzeitig auch ein Legitimationsproblem hatte und dies mithilfe seiner Innendarstellung als „überlegene militärische Macht“ zu überwinden versuchte. Deshalb verkündete Toyotomi Hideyoshi schon vor der Vereinigung Japans, dass er China erobern werde. Vgl. Yasunori, Japanocentric World Order (Fn. 1507), 185 – 216 (206). 2723 Wie bereits untersucht began Toyotomi 1592 mit der ersten Invasion der ChosunDynastie, die den einzigen militärischen Konflikt zwischen China, Japan und Korea der letzten 300 Jahre darstellt. Vgl. Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 152; Cotterell, Asia (Fn. 1685), S. 238; Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 195. Kang betont, dass dies zeigt, dass Stabilität in den
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Nach der gescheiterten Invasion Koreas durch Japan unter Toyotomi Hideyoshi,seinem Tod 1598 und der darauf folgenden Wiedervereinigung Japans unter Tokugawa Ieyasu begann die Edo-Periode (1603 – 1868).2726 Die Edo-Periode wird spätestens ab 1635 gemeinhin als Zeitalter des Sakoku (geschlossenes Land) verstanden.2727 Die Geschichtsdarstellungen räumen dieser Periode deshalb im Hinblick auf ihre Außenpolitik wenig Bedeutung ein, da gemeinhin davon ausgegangen wird, dass sich Japan freiwillig von der Weltbühne verabschiedete, bis US-Kommodore Matthew Perry im Jahre 1854 eine Wiedereröffnung des Handels erzwang.2728 Im Hinblick auf die Beziehung der Regime von Tokugawa und Toyotomi zu der sinozentrischen Ordnung zeigen sich jedoch einige Besonderheiten. Das TokugawaRegime schlug von Anfang an außenpolitisch einen anderen Weg ein als Toyotomi Hideyoshi und schloss 1609 einen Friedensvertrag mit der Chosun-Dynastie.2729 Die Chosun-Dynastie sandte dem Tokugawa-Bakufu in der Folgezeit Sonderbotschafter ),2730 die von diesem sehr feierlich empfangen wurden,2731 da (kor. Tongshisa, dies auch ein Mittel des Tokugawa-Bakufus war, das eigene Regime zu rechtfertigen.2732 Das Tokugawa-Regime versuchte, durch die guten Beziehungen mit der ChosunDynastie unabhängig von der sinozentrischen Ordnung zu werden und ein eigenes japanozentrisches System zu etablieren.2733 Aus diesem Grunde wurde mit der Mingoder Qing-Dynastie die Beziehungen zu anderen Staaten stets als Subordinationsverhältnis verstanden und keine formale diplomatische Beziehung aufrechterhalinternationalen Beziehungen der ostasiatischen Staaten ein Normalzustand war. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 1. 2724 Dies ist auch der Ausgangspunkt von Hamashita, das tributäre System Chinas als wirtschaftliche Beziehung zu verstehen. Demnach ist China als Handelszentrum und nicht als politische Macht anzusehen. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 437 – 438. 2725 Die Ming-Dynastie konnte aufgrund ihrer Umstellung auf die Silberwährung den eigenen Bedarf an Silber nicht decken und kaufte Silber von Japan. Japan wiederum hatte ein großes Interesse an den Wirtschaftsgütern, die China herstellte. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 439. Der Silberhandel kann gar als Herz der asiatischen Wirtschaftszone bezeichnet werden. Vgl. Selden, Center and Periphery (Fn. 2353), S. 5 – 20 (8). 2726 Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 196. 2727 Laver, Sakoku (Fn. 1508), S. 2; Jansen, Marius (Hrsg.), The Cambridge History of Japan Volume 5: The Nineteenth Century, 1989, S. 3. 2728 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 205. 2729 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 2; Lee, Gaehwang, Die Herausbildung der Außenbeziehungen des Edo-Bakufu, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 98. 2730 Der Name Tongshinsa impliziert bereits eine diplomatische Beziehung auf Gleichrangigkeit. So: Lee, Gaehwang, Die Herausbildung der Außenbeziehungen des Edo-Bakufu, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 101. 2731 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 7. 2732 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 8. 2733 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 8 – 9.
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ten.2734 Gegenüber der Ming-Dynastie strebte das Tokugawa-Regime zwar ebenfalls an, die Beziehungen zu verbessern; primär, um die Handelsbeziehungen wiederherzustellen.2735 Allerdings wurden diese Bemühungen Japans um 1610 eingestellt, da die Ming-Dynastie eine diplomatische Beziehung nicht akzeptierte.2736 Dies führte letztlich dazu, dass Japan seine eigene Unabhängigkeit umso stärker betonte.2737 Als die Qing-Dynastie die Herrschaft in China übernahm, wurde ebenfalls keine direkte Diplomatie aufgenommen.2738 So formierte sich in Japan eine Vorstellung, dass Japan ein mit China gleichrangiger Staat sei und analog zur sinozentrischen Welt eine japanozentrische Welt existiere.2739 Da sich jedoch letztlich Japan selber als Zentrum dieser japanozentrischen Welt sah und die Chosun-Dynastie dieses Weltbild nicht akzeptierte, sondern die japanische Kultur als „barbarisch“ bewertete,2740 wurde die Häufigkeit der Sendung der Sonderbotschafter immer geringer, bis die Beziehungen im Jahre 1811 vollkommen abgebrochen wurden.2741 Vor dem 20. Jahrhundert gab es die japanozentrische Ordnung also völkerrechtlich nicht. Am 13. 09. 1871 wurde dann der chinesisch-japanische Freundschafts- und Handelsvertrag abgeschlossen, der festhielt, dass die beiden Staaten gleichrangig seien. Damit endete auch jeglicher Zweifel, ob nicht die sinozentrische Ordnung auf Japan Anwendung finden könnte.2742 b) Fazit Die japanische Außenpolitik vom Altertum bis zur erzwungenen „Öffnung“ durch die USA im Jahre 1854 kann nicht einfach als Isolationismus abgetan werden. Vielmehr war das japanische Weltbild durch fremde Glaubensrichtungen, nämlich durch den Buddhismus und den Konfuzianismus, beeinflusst. Die Japaner synkretisierten diese fremden Einflüsse jedoch mit dem eigenen Naturglauben, nämlich dem Shintoismus. Folglich konnte der im konfuzianischen Weltbild immanente Sinozentrismus durch einen shintoistischen Japanozentrismus ersetzt werden, auch 2734
Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 10. Yasunori, Japanocentric World Order (Fn. 1507), 185 – 216 (209). 2736 Lee, Gaehwang, Die Herausbildung der Außenbeziehungen des Edo-Bakufu, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 103 – 104. 2737 Yasunori, Japanocentric World Order (Fn. 1507), 185 – 216 (211). 2738 Lee, Gaehwang, Die Herausbildung der Außenbeziehungen des Edo-Bakufu, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 123. 2739 Lee, Gaehwang, Die Herausbildung der Außenbeziehungen des Edo-Bakufu, in: Inha Universität (Hrsg.), Sinozentrismus (Fn. 1507), S. 125. 2740 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 230. 2741 Die Chosun-Dynastie entsendete Sonderbotschafter in den Jahren 1607, 1617, 1624, 1636, 1643, 1655, 1682, 1711, 1719, 1748, 1764 und 1811. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 632. 2742 Kim, Seongkun, Chaogong, Cefeng Beziehungen (Fn. 1509), S. 106 – 107. 2735
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wenn freilich eine tatsächliche japanozentrische Staatenordnung nicht existierte. Der Konfuzianismus lebte also in Japan als beherrschende Staatsideologie weiter, jedoch mit Japan – und nicht mehr mit China – im Zentrum. Der Isolationismus war also eine Art Schutz für dieses Weltbild. Er diente dazu, sich nicht durch weitere fremde Einflüsse – etwa dem Christentum – infrage stellen zu lassen. Mit der „Öffnung“ stand Japan also vor einer großen Frage: Soll das japanozentrische Weltbild aufgegeben werden und die Rolle als (noch) schwacher Staat in einem Zeitalter des Kolonialismus akzeptiert werden oder soll die japanozentrische Weltsicht weiterhin aufrechterhalten bleiben? Wie bereits untersucht, hat Japan die realpolitische Situation in Asien im späten 19. Jahrhundert analysiert und sich dem gefügt. Gleichzeitig behielt es jedoch das bereits entwickelte konfuzianisch geprägte japanozentrische Weltbild bei. Dies führte zur japanozentrischen Ordnung im 20. Jahrhundert, die bereits näher betrachtet wurde. 3. Die Invasionen Japans in die Chosun-Dynastie von 1592 und 1597 Die japanische Invasion in Korea im Jahre 1592 ist für das tributäre System der Ming-Dynastie der bedeutendste Fall gewesen und gibt auch Aufschlüsse über das tributäre System als solches. Die Invasion Japans in die Chosun-Dynastie ist zunächst ein Angriff einer raumfremden Macht in die sinozentrische Ordnung. Die Reaktion der Ming-Dynastie, nämlich die Aufwendung von erheblichen militärischen Mitteln, um der Chosun-Dynastie beizustehen, zeigt, dass diese die Invasion als Angriff auf das eigene Territorium verstand. Somit zeigt sich die Grenze des sinozentrischen Raumes und gleichwohl auch die Konsequenz der Übertretung dieser Grenze durch Japan. Die Invasion Japans ist im Hinblick auf die Schmitt’sche Großraumtheorie interessant, da es sich um einen konkreten Fall des Verstoß gegen das Interventionsverbotes einer raumfremden Macht in den sinozentrischen Großraum handelt. Inwiefern die Schmitt’sche Großraumtheorie als Erklärungsmodell dieser Invasion und dessen Verlauf dienen kann, soll untersucht werden. a) Die Invasionen aus der Sicht der raumfremden Macht: Die Japaner Toyotomi Hideyoshi2743 verkündete sein Ziel, eine neue japanozentrische ostasiatische Ordnung zu etablieren, und attackierte als erstes Ziel die koreanische Chosun-Dynastie, die sicher einer der treusten tributären Staaten innerhalb der si2743 Wie bereits gesehen war er der neue Shogun von Japan, der das Land nach einer langen Zeit der internen Zerrissenheit vereinte. Hauptsächlich war die Invasion eine Möglichkeit, die durch die langen Konflikte aufgestauten internen Kräfte ins Ausland zu dirigieren. Vgl. Cotterell, Asia (Fn. 1685), S. 238.
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nozentrischen Ordnung war und auch geostrategisch eine hohe Bedeutung hatte.2744 Toyotomi argumentierte, dass er nach Japan nun auch die Ming-Dynastie erobern werde. Die Invasion wurde damit gerechtfertigt, dass auf die Bitte von Toyotomi nicht eingegangen worden sei, den Weg zur Ming-Dynastie „frei zu machen“.2745 Toyotomi2746 benutzte in seinen Briefen an die Chosun-Dynastie dabei häufig das (konfuzianische) Argument, dass Japan das „Mandat des Himmels“ habe.2747 Toyotomi verfügte bereits im Mai 1592 über einen Drei-Staaten-Regierungsplan (jap. , Sangoku Gokusei), demzufolge nach der Eroberung der Ming-Dynastie sowie der Chosun-Dynastie2748 für Japan, China und Korea eine identische Regierungsform einzuführen sei.2749 Welche Rolle sich Toyotomi in diesem Konzept selber zugesprochen hat, ist unklar. Jedenfalls scheint er sich jedoch als einen „Kaiser der Mitte“ gesehen zu haben, an den die übrigen Staaten Tribut zu erbringen hätten.2750 2744 Die Beratungen am Hofe der Ming-Dynastie zeigen, dass die damaligen kaiserlichen Berater von der „Lippe Korea, die die Zähne von China beschützt“ redeten. Vgl. Swope, Kenneth, Ming Grand strategy and the intervention in Korea, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 179 – 180. 2745 Kang, Japanese-Korean Relations (Fn. 1687), S. 91 – 92. 2746 Auch in der Innenpolitik spielte die Vorstellung, dass Japan ein „Land Gottes“ sei eine entscheidende Rolle, um einerseits das Land zu einigen und andererseits ausländische Einflüsse, wie etwa das Christentum, das durch die portugiesischen Missionare in Japan eingeführt wurde, abzuwehren. Dies wird etwa im Artikel 1 des „Edikts zur Vertreibung der Missionare“ von 1587 deutlich, indem ausdrücklich klargestellt wird, dass Japan ein „Land Gottes“ sei. In diesem Edikt erscheint das Argument des „Land Gottes“ jedoch vermischt mit der „DreiStaaten“ Theorie. Indien sei buddhistisch, China sei konfuzianisch und Japan shintoistisch und diese drei Religionen seien eins. Die „niedrigere“ Kultur des Christentums solle sich also nicht in Japan ausbreiten. Vgl. Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 131 – 138. 2747 Im November 1590 etwa wurde dem König der Chosun-Dynastie ein Brief zugesandt, in dem die Vereinigung von Japan als Mandat des Himmels dargestellt wird und daraus abgeleitet wird, dass Toyotomi dieses Mandat auch für die Ming-Dynastie habe und Chosun diesem himmlischen Mandat Folge leisten solle. Gerechtfertigt wurde dies dadurch, dass Toyotomi ein „Sohn der Sonne (jap. nichirin no ko)“ sei. Vgl. Shin, Hori, Der Imjin-Krieg aus der Perspektive der internationalen Beziehungen von Ostasien, in: Han (Hrsg.), Imjin-Krieg (Fn. 2596), S. 150 – 157; Kitajima, Manji, The Imjin Waeran. Contrasting the first and the second invasions of Korea, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 74 – 75; Kang, Japanese-Korean Relations (Fn. 1687), S. 94 – 95. 2748 Shin zeigt dabei auf, dass die sinozentrische Ordnung auf der konfuzianischen Gedanken der „Riten (chin. Li ( ))“ aufgebaut sei, während die japanozentrische Ordnung, die sich Toyotomi vorstellte, auf Gewalt (chin. Mu ( )) basierte. Vgl. Shin, Hori, Der Imjin-Krieg aus der Perspektive der internationalen Beziehungen von Ostasien, in: Han (Hrsg.), Imjin-Krieg (Fn. 2596), S. 161. 2749 Demnach würden in allen drei Staaten ein Tenno als Staatsoberhaupt und ein Regent )) als tatsächlicher politischer Herrscher existieren. Diese Ämter hat To(jap. Kanpaku ( yotomi dabei für seine engen Verbündeten oder Familienmitglieder vorgesehen. Vgl. Shin, Hori, Der Imjin-Krieg aus der Perspektive der internationalen Beziehungen von Ostasien, in: Han (Hrsg.), Imjin-Krieg (Fn. 2596), S. 159. 2750 Dies entspricht auch der Vorstellung vieler asiatischer Staaten, die sich intern erfolgreich organisiert hatten und anfingen zu expandieren. Diese Staaten sahen sich als gleichwertig
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Im Juni 1593 verfasste Toyotomi ein Dokument, das an die Ming-Dynastie adressiert war, in dem neben den sieben Voraussetzungen für den Frieden2751 auch die Gründe für die Invasion aufgeführt wurden.2752 Die Akzeptanz der Forderungen hätten nichts anderes bedeutet als die Akzeptanz der japanozentrischen Weltordnung durch die Ming-Dynastie. Die Ming-Dynastie hingegen entschied sich,2753 Japan einen tributären Status anzubieten, und übersandte dieses Angebot im Jahre 1596 nach Osaka.2754 Erst als Toyotomi von dem Gesandten der Ming-Dynastie hörte, dass er als „König Japans“ adressiert wurde, verstand er, dass seine „Sieben Forderungen“ nicht akzeptiert wurden und die Friedensverhandlungen scheitern mussten.2755 Obwohl Toyotomi der Titel als König von Japan angeboten wurde,2756 lehnte er ab, weil mit China an und begriffen sich ebenfalls als „Land der Mitte“ in einem bestimmten abgegrenzten Raum. Dies kann als „Umkehr des Hua-Yi Gedankens (Eroberung Chinas durch die Barbaren)“ bezeichnet werden. Vgl. Shin, Hori, Der Imjin-Krieg aus der Perspektive der internationalen Beziehungen von Ostasien, in: Han (Hrsg.), Imjin-Krieg (Fn. 2596), S. 160; Kang, Japanese-Korean Relations (Fn. 1687), S. 84 – 85. 2751 Die Forderungen waren folgende: Erstens: Die Ming-Dynastie muss Toyotomi eine Prinzessin als Konkubine zur Verfügung stellen. Zweitens: Vier Provinzen der Chosun-Dynastie müssen an Japan abgetreten werden. Drittens: Der Handel zwischen der Ming-Dynastie und Japan muss wiederaufgenommen werden. Viertens: Die Chosun-Dynastie muss einen Gesandten schicken, der sich an Japan für die Rücknahme der Armee bedankt. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 483. 2752 In diesem Dokument wird die Idee, dass Japan ein Land Gottes sei und der Gott der himmlische Kaiser sei, ausdrücklich aufgeführt. Anders als bei dem „Edikt zur Vertreibung der Missionare“ war dies eine Erklärung gegenüber einem Staat, mit dem Japan sich im Krieg befand. Im Übrigen wurde nicht mehr auf die alte „Drei-Staaten-Theorie“ zurückgegriffen, die eine hervorgehobene Position von China implizieren würde. Toyotomis Position gegenüber der Ming-Dynastie impliziert also, dass Japan sich nun als Mitte von Ostasien sieht. Vgl. Yun, Yusuk, Das japanozentrische Weltbild der Sengoku Zeit und die Idee des göttlichen Staates, in: Kim (Hrsg.), Ostasiatische Welt (Fn. 1687), S. 140 – 142; Sajima, Akiko, Hideyoshi’s view of Choson Korea and Japan-Ming negotiations, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 96 – 97. 2753 Die Diskrepanz zwischen den Forderungen Japans und der Antwort der Ming-Dynastie sind auf die Sabotage der Gesandten beider Staaten zurückzuführen, sodass Toyotomi sich selbst als Kriegssieger sah, während die Ming-Dynastie ihn als Verbrecher verstand. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 483. 2754 Diese Entscheidung war innerhalb der Ming-Dynastie nicht unumstritten. Unter anderem der für die tributären Beziehungen zuständige Minister für Riten war strikt dagegen. Vgl. Zurndorfer, Harriet, Wanli China versus Hideyoshi’s Japan, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 213 – 214. 2755 Zurndorfer, Harriet, Wanli China versus Hideyoshi’s Japan, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 215; Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 483. 2756 Diese Entscheidung wurde innerhalb des Beamtenapparats der Ming-Dynastie heftig kritisiert. Einige waren sogar dagegen die allgemeinen Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten. Hintergrund war unter anderem der Verlust des Ansehens der Ming-Dynastie als unbesiegbares Großreich. Letztlich war das historische Beispiel von Ashikaga Yoshimitsu ausschlaggebend für die Entscheidung, Toyotomi Hideyoshi eine tributäre Beziehung anzubieten. Vgl. Han, Myungki, Der Imjin-Krieg aus dem Blickwinkel der internationalen Beziehungen der ostasiatischen Staaten, in: Han (Hrsg.), Imjin-Krieg (Fn. 2596), S. 122; Sajima, Akiko, Hi-
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
er annahm, dass dies den Eintritt Japans in eine tributäre Beziehung mit der MingDynastie bedeutet hätte.2757 Im Jahre 1597 erfolgte die zweite Invasion, die wiederum auf die Ming-Dynastie abzielte, jedoch durch den Tod von Toyotomi 1598 beendet wurde.2758 Die zwei Invasionen Japans unter Toyotomi Hideyoshi sind ein Angriff auf die sinozentrische Ordnung und zeigen deutlich, dass Japan sich zu dieser Zeit außerhalb dieser Ordnung2759 befand.2760 Japan verstand sich selber als raumfremde Macht und lehnte auch das Angebot ab, ein tributärer Staat der Ming-Dynastie zu werden und somit als Mitglied in den sinozentrischen Großraum aufgenommen zu werden. Toyotomi verstand das sinozentrische Tributsystem gleichwohl, da er richtigerweise die Anerkennung als „König von Japan“ gerade als Angebot zur Aufnahme eines tributären Status verstand. Insofern war der Status als raumfremde Macht außerhalb des sinozentrischen Großraumes gewollt. Auch die Konsequenz der Invasion in die Chosun-Dynastie war Toyotomi bewusst. Er sah letztlich die Ming-Dynastie – also das Reich im sinozentrischen Großraum – als sein Eroberungsziel an. b) Die Invasionen aus der Sicht des Großraumstaates: Die Chosun-Dynastie Kurz nachdem Toyotomi die Invasion in die Chosun-Dynastie startete, wurde die Hauptstadt Hanyang (heute Seoul) eingenommen.2761 Die erste Invasion konnte nur aufgrund der militärischen Hilfe2762 der Ming-Dynastie im Jahre 1593 in einen deyoshi’s view of Choson Korea and Japan-Ming negotiations, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 98. 2757 Han, Myungki, Der Imjin-Krieg aus dem Blickwinkel der internationalen Beziehungen der ostasiatischen Staaten, in: Han (Hrsg.), Imjin-Krieg (Fn. 2596), S. 121; Cotterell, Asia (Fn. 1685), S. 238; Shin, Hori, Der Imjin-Krieg aus der Perspektive der internationalen Beziehungen von Ostasien, in: Han (Hrsg.), Imjin-Krieg (Fn. 2596), S. 162. Der Hintergrund des Angebots der Ming-Dynastie war, dass die sieben Forderungen von Toyotomi Hideyoshi durch Konishi Yukinaga gefälscht wurden. Yukinaga war bekannt, dass die Ming-Dynastie einen Handel nur unter der Bedingungen der Aufnahme tributärer Beziehungen akzeptieren würde. So: Sajima, Akiko, Hideyoshi’s view of Choson Korea and Japan-Ming negotiations, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 98 – 101. 2758 Admiral Lee Sunshin konnte hierbei militärisch entscheidende Erfolge erzielen. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 490; Zurndorfer, Harriet, Wanli China versus Hideyoshi’s Japan, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 216. 2759 In der Folgezeit lagen die diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und der MingDynastie, aber auch dem Nachfolgerstaat, der Qing-Dynastie, vollkommen brach. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 430. 2760 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 499. 2761 Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 477. 2762 Zu erwähnen sind sicherlich auch die Siege der koreanischen Seemacht unter Admiral Lee Sunshin. In der ersten Invasion konnte Admiral Lee die japanische Seeflotte so sehr beschädigen, dass der Versorgungsweg für die japanische Armee abgeschnitten wurde. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 479 – 480.
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
387
Waffenstillstand münden.2763 Die Chosun-Dynastie war während dieser Friedensgespräche überhaupt nicht beteiligt.2764 Hier zeigt sich also der Umstand, dass die chinesischen Dynastien sich gegenüber „raumfremden Mächten“ als Vertreter der sinozentrischen Ordnung sahen. Die Chosun-Dynastie wurde hingegen ausgeklammert. Dies zeigt, dass das Reich den Großraum nach außen gesamtheitlich vertreten durfte. Die Folgen der Invasion Japans wurden innerhalb des sinozentrischen Raumes nach der internen Ordnung abgewickelt. Das Reich des sinozentrischen Großraumes, die Ming-Dynastie, half dem tributären Staat, der Chosun-Dynastie, die japanischen Invasoren abzuwehren.2765 Das festigte den ohnehin hohen Status der Ming-Dynastie.2766 Die Ming-Dynastie trug dabei einen signifikanten Betrag der Militärausgaben selbst.2767 Die Invasion bietet ein Beispiel dafür, dass das Reich einen raumeigenen Staat schützt und konkret militärischen Beistand leistet.2768 Im Gegenzug wurde die Suzeränität der Ming-Dynastie gegenüber der Chosun-Dynastie gerade in den Friedensgesprächen sichtbar. Es existierte eine klare Hierarchie zwischen der Ming-Dynastie und der Chosun-Dynastie. c) Die Invasionen aus der Sicht des Reiches: Die Ming-Dynastie Als die Invasion Japans bekannt wurde, entschied sich Ming-Kaiser Wanli (1563 – 1620) für eine militärische Hilfestellung gegenüber der Chosun-Dynastie. Diese Entscheidung entstand spezifisch im Hinblick auf die tributären Beziehungen, die die beiden Staaten in den letzten zwei Jahrhunderten gepflegt hatten.2769 2763 Zurndorfer, Harriet, Wanli China versus Hideyoshi’s Japan, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 212. 2764 Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 75. 2765 Anders als bei der Invasion der Mandschuren gab es, auch aufgrund der geographischen Gegebenheiten, für die Chosun-Dynastie keinerlei Alternativen, als sich mit der Ming-Dynastie zu verbünden, auch wenn die Japaner den Krieg eigentlich gegen die Ming-Dynastie führen wollten. Vgl. Gae, Sungbom, Chosun im Ostasien des 15 bis zum 17. Jahrhundert, in: Jung (Hrsg.), Koreanisch-chinesische Beziehung (Fn. 2220), S. 279. 2766 Das beste Beispiel ist, dass der König Kwanghaegun nicht durch den „Cefeng“-Ritus anerkannt wurde. Dies wird von Lee Samsung als eine Änderung des tributären Ritus von der formellen Einmischung zur tatsächlichen Einmischung in die inneren Angelegenheiten gewertet. Vgl. Lee, East Asia 2 (Fn. 1506), S. 496 – 497. 2767 Der militärische Beistand soll die Ming-Dynastie insgesamt 10 Millionen silberne Tael gekostet haben. Davon zahlte die Chosun-Dynastie lediglich 4 Millionen silberne Tael zurück. Vgl. Zurndorfer, Harriet, Wanli China versus Hideyoshi’s Japan, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 216 – 217. Die Ming-Dynastie verpflichtete die Chosun-Dynastie aber auch zur Verpflegung der Soldaten. So: Lee, Tokugawa Japan (Fn. 2599), S. 73. 2768 Zurndorfer, Harriet, Wanli China versus Hideyoshi’s Japan, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 197. 2769 Swope, Kenneth, Ming Grand strategy and the intervention in Korea, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 180 – 181; Zurndorfer, Harriet, Wanli China versus Hideyoshi’s
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
Die militärische Intervention durch die Ming-Dynastie zeigt, dass die sinozentrische Ordnung von der Ming-Dynastie nicht nur als bloßes Ideal gesehen wurde, sondern auch notfalls militärische Konsequenzen nach sich zog. Deutlich zeigt sich, dass die Ming-Dynastie ein „Interventionsverbot“ eben dieser raumfremden Macht kannte und diese auch durchsetzen wollte. Die Aufwendungen, um dieses Interventionsverbot durchzusetzen, waren zweitrangig.2770 Die japanische Invasion der Chosun-Dynastie und die militärische Reaktion der Ming-Dynastie ist geradezu ein Beleg für die These, dass der sinozentrische Raum den Schmitt’schen Großraum äußerst ähnlich war. 4. Fazit Die sinozentrische Ordnung kann in vielerlei Hinsicht als ein Gegenmodell zum ius publicum europaeum angesehen werden. Der Kern des europäischen Völkerrechts ist die Souveränität der Staaten und die Staatengleichheit. Die Gefahr, dass ein einziger mächtiger Staat zur Expansion drängt, den kleineren Staaten schadet und somit die gesamte Ordnung stört, wird durch Ordnungsprinzipien – wie z. B. das Prinzip des Gleichgewichts – begrenzt. In der sinozentrischen Welt existierten hingegen idealerweise immer die mächtigen chinesischen Dynastien und mehrere schwächere Tributstaaten. Die Perioden, in denen etwa die Staaten der Nomadenvölker ein Machtgleichgewicht mit den chinesischen Dynastien bildeten oder gar das chinesische Territorium eroberten, waren die Ausnahme. Eine Expansion des mächtigen Chinas zulasten der schwächeren Tributstaaten in der sinozentrischen Welt erfolgte jedoch selten, da der chinesische Staat nur zögerlich Eroberungskriege führte.2771 Der Grund der relativen Stabilität scheint darin zu liegen, dass der hegemoniale Status Chinas innerhalb der sinozentrischen Welt von anderen Staaten akzeptiert wurde.2772 Ohne die Akzeptanz der sinozentrischen Ordnung durch die anderen Staaten, wie Korea oder Vietnam, hätte eine solche Stabilität nicht entstehen können.2773 Diese Akzeptanz wurde geistesgeschichtlich durch den Konfuzianismus gewährleistet, der auch die Formung und Entstehung der Staaten innerhalb der sinozentrischen Welt maßgebend mitJapan, in: Lewis (Hrsg.), East Asian War (Fn. 2544), S. 198. Ganz anders war die Entscheidung der Ming-Dynastie bezüglich Malakka im Jahre 1511 als um Hilfestellung gegen die portugiesischen Invasoren gebeten wurde. Vgl. Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 79. 2770 Die japanische Invasion konnte zwar gestoppt werden, führte jedoch zu einer Schwächung der Ming-Dynastie, die letztlich auch ein Hauptgrund des Niederganges der MingDynastie war. Vgl. Cohen, East Asia (Fn. 895), S. 196; Fitzgerald, East Asia (Fn. 1680), S. 153; Lee, East Asia 1 (Fn. 2238), S. 596. 2771 Nach der Invasion der Mongolen gab es zwischen 1368 bis 1841 nur zwei Eroberungskriege zwischen China, Japan, Korea und Vietnam. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 83 – 85. 2772 List, Weltregionen (Fn. 663), S. 180. 2773 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 22 – 24.
B. „Großraumtheorie“ im sinozentrischen Völkerrecht vor dem 19. Jh.?
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prägte.2774 Gerade diese Rezeption der chinesischen Staatsphilosophie und des chinesischen Bürokratieapparates erfolgte freiwillig,2775 da die Herrscher der Staaten innerhalb der sinozentrischen Welt diese Art des Herrschens als fortschrittlich empfanden.2776 Weiterhin war es aber auch die Selbstbindung Chinas, das Subordinationsverhältnis nicht auszunutzen, das eine größere Akzeptanz des tributären Systems ermöglichte.2777 Die Herrschaft der Chinesen über den sinozentrischen Großraum ging nicht nur von militärischer oder politischer Überlegenheit, sondern auch von wirtschaftlicher und insbesondere kultureller Macht aus. Die tributären Beziehungen, die China mit solchen Staaten pflegte, waren ein Ritus, der meist von rein formeller Natur war2778 und hatte darüber hinaus oftmals eine wirtschaftliche Komponente,2779 die es für China und für die Staaten sinnvoll machte, diese Form des Austausches weiterzuführen.2780 Die Parallelen zum Schmitt’schen Großraum sind klar zu erkennen. Der „Sohn des Himmels“ ist der Souverän nicht nur über die zentralchinesische Ebene (chin. )) oder das „Reich der Mitte“ (chin. Zho¯ngguó ( )), sondern Zho¯ngyuán ( )). Der „Sohn über die gesamte „Ordnung unter dem Himmel“ (chin. Tianxia ( des Himmels“ ist jedoch lediglich selbst ein Teil der sinozentrischen Ordnung, da er nur aufgrund des „Mandat des Himmels“ Befugnisse hat, über die „Ordnung unter dem Himmel“ zu herrschen. Gleichzeitig ist der Anspruch auf eine universelle Herrschaft, der dem Begriff „Ordnung unter dem Himmel“ innewohnt, immer auf ein bestimmtes Gebiet begrenzt gewesen, das sich jedoch mit der Zeit vergrößerte oder verkleinerte. Dieser Universalismus scheint dem Großraummodell entgegenzustehen, da die Großraumordnung gerade kein universales System sein soll, sondern eben eine regionale Raumordnung. Allerdings ist auf den zweiten Blick zu erkennen – dass die sinozentrische Ordnung, trotz des Universalanspruchs des chinesischen Kaisers – eben doch ein Selbstverständnis hatte, eine regionale Macht zu sein. Die Hua-Yi Unterscheidung ist dafür konstituierend. Demnach sind nur die „Barbaren“ (Yi), die einen Kontakt mit den Chinesen hatten, auch in das sinozentrische System aufgenommen worden. Solche „Barbaren“, die vom „Reich der Mitte“ weit entfernt waren, sollten komplett 2774
Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 29. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 68. 2776 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 33 – 35. 2777 Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 62; List, Weltregionen (Fn. 663), S. 180 – 181. 2778 Die Staaten konnten meist ihre eigenen Angelegenheiten frei bestimmen. Außer des Verlangens von Tributzahlung gab es wenig Einmischung der Chinesen in die Angelegenheiten der anderen Staaten. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 57. 2779 Der Handel innerhalb der tributären Beziehung war meist ein Verlust für die chinesischen Dynastien. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 114. 2780 Kang betont, dass es für China nicht um materielle Werte, wie Reichtum oder Macht ging, da der tributäre Handel oftmals ein Verlustgeschäft war. Vielmehr ging es um Legitimität und Anerkennung als höherrangigen Staat. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 70. 2775
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2. Teil: Großraumtheorie in Ostasien?
von der sinozentrischen Ordnung ausgenommen werden. Diese Formel bietet zwar noch keine konkrete geographische Abgrenzung, zeigt aber, dass es auch konzeptionelle Grenzen der sinozentrischen Ordnung gab. Noch klarer wird die Grenze, wenn ein Blick auf die Staaten geworfen wird, die definitiv raumfremde Mächte waren, aber dennoch den chinesischen Dynastien bekannt waren. Dies trifft etwa auf die nördlichen Nomaden, die südostasiatischen Staaten auf der Malay Halbinsel oder Japan zu. Daraus ergibt sich folgendes Bild, das zumindest ab der Ming-Dynastie bis zur Qing-Dynastie (14. bis 19. Jahrhundert) galt: Der sinozentrische Großraum wird durch das „Reich der Mitte“ und die tributären Staaten gebildet. Die Beziehung zwischen dem chinesischen Reich und den jeweiligen Staaten innerhalb der sinozentrischen Ordnung lässt sich durch das tributäre System beschreiben, das eine Mischform aus einer Staatenhierarchie und einem Handelssystem war (Reich und Großraum). Darüber hinaus verbreitete sich im sinozentrischen Raum die konfuzianische Philosophie, die diese Ordnung stützte und aufrechterhielt. Der Gehorsam der Tributstaaten konnte durch diese kulturelle Herrschaft in gewisser Weise sogar freiwillig erlangt werden (konkrete Raumordnung). Das führte zu einer relativen Stabilität der Staatenwelt innerhalb des sinozentrischen Großraums (Hegung des Krieges).2781 Die Grenze des sinozentrischen Großraumes wurde dort gezogen, wo die „Barbaren“ keinen Kontakt mit dem sinozentrischen Raum hatten. Mit diesen raumfremden Mächten wurde zwar ein tributäres System angestrebt, aber in Wahrheit handelt es sich um einen reinen Staatshandel, durch den die formelle Suzeränität lediglich durch wirtschaftliche Mittel erkauft wurde. Sobald eine raumfremde Macht die Staaten innerhalb der sinozentrischen Ordnung angreifen wollte, betätigte sich die jeweilige chinesische Dynastie als Schutzmacht (Interventionsverbot für raumfremde Mächte).
2781 Wie bereits dargestellt gab es zwischen 1368 bis 1841 zwischen China, Korea und Vietnam nur einen einzigen Krieg, nämlich die Invasion der Ming-Dynastie in Vietnam. Vgl. Kang, East Asia (Fn. 2219), S. 82 – 83.
Dritter Teil
Staatengleichheit und Staatenhierarchie Die Großraumtheorie entstand aus dem Versuch Carl Schmitts, dem Westfälischen Völkerrechtssystem – einem internationalen System der Anarchie –2782 eine Alternative zu bieten. Dieses System war nach Ansicht von Schmitt nicht mehr fähig, die internationalen Beziehungen abzubilden, da es durch die Auflösung des ius publicum europaeum und der Universalisierung des Völkerrechts zu viele Staaten gab, die faktisch keine gleiche Macht besaßen, aber formell gleichgestellt wurden. Dadurch verlor das Völkerrecht – im Sinne einer konkreten Raumordnung – seine friedenstiftende Funktion. Als Alternative propagierte Schmitt deshalb die Großraumtheorie. Durch die Einteilung des Globus in mehrere Großräume, die jeweils durch ein Reich geführt werden, sollte die konkrete Raumordnung wiederhergestellt werden. Schmitt schlug also eine hierarchische Staatenwelt vor. Das Modell der Großraumordnung war die Monroe-Doktrin, die 1823 durch die Vereinigten Staaten verkündet wurde. Diese war zunächst defensiv-isolationistisch orientiert und zielte darauf ab, etwaige Interventionen oder Kolonialisierungen durch europäische Mächte auf dem amerikanischen Kontinent zu verhindern. Diese ursprünglich defensiv-isolationistische Fassung der Monroe-Doktrin zog Schmitt heran, um das Interventionsverbot für raumfremde Mächte zu begründen. Das Interventionsverbot bildete die äußere Hülle der Großräume. So wie auch das herkömmliche völkerrechtliche Interventionsverbot aus dem Souveränitätsprinzip abgeleitet wurde, war das Interventionsverbot für raumfremde Mächte Ausfluss der Souveränität der Reiche. Außenpolitik zwischen Großräumen blieb so nur noch den Reichen vorbehalten, und das Herstellen eines Gleichgewichts erschien als möglich. Das Innenleben des Großraumes, insbesondere die Beziehung zwischen dem Reich und den anderen Großraumstaaten, blieb jedoch unklar, außer dass das Reich als Garant der konkreten Raumordnung im Großraum dienen sollte. Der realpolitische Hintergrund für die Veröffentlichung des Werkes von Carl Schmitt war der Imperialismus Hitlers, der sich in der Zerschlagung der Tschechoslowakei und in der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren im Jahre 1939 zeigte. Diesen Imperialismus versuchte Schmitt mit der Großraumtheorie zu rechtfertigen.2783 Die Wurzeln der Großraumtheorie sind jedoch bereits in seinen früheren Werken zu erkennen. Deshalb ist auch nicht verwunderlich, dass Schmitt 2782
Zimmer, Internationale Politik (Fn. 488), S. 80. Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 195; Küchenhoff, Großraumgedanke (Fn. 163), S. 34 – 82 (39). 2783
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3. Teil: Staatengleichheit und Staatenhierarchie
ebenso nach dem Zweiten Weltkrieg nicht von seiner Großraumtheorie abrückte, sondern versuchte, diese durch das Werk „Nomos der Erde“ geschichtsphilosophisch zu legitimieren. Die Schmitt’sche Großraumtheorie, die zunächst eine politische Propagierung war, hat sich ab der Veröffentlichung des „Nomos der Erde“ in eine Theorie der Völkerrechtsentstehung und Völkerrechtserkennung gewandelt. Schmitt versucht nichts anderes als den Rechtswissenschaftler, also sich selbst, als Schöpfer eines neuen Nomos darzustellen, der aufgrund der geschichtlichen Lage, also dem Untergang des alten Nomos und dem Fehlen des neuen Nomos, gezwungen ist, den historischen Nomos der jeweiligen geschichtlichen Welt zu bedenken und eine raumhafte Grundverfassung der Epoche zu ermöglichen.2784 Oder anders, der Rechtswissenschaftler ist letztlich ein unselbstständiger Akteur, der im Rahmen des Selbstvollzugs der Ablösung des Nomos der Erde den neuen Nomos lediglich feststellt. Wird Schmitts Großraumtheorie so begriffen, stellt sich letztlich die Frage nach dem Entstehen des Nomos selbst und auch die Frage, wie das Entstehen des Nomos verstanden werden kann. Nur so sind auch alternative Ordnungsformen zum jetzigen Völkerrecht überhaupt diskussionswürdig. Es war deshalb in dieser vorliegenden Arbeit zu fragen, ob es eine gegenseitige Beeinflussung zwischen der Großraumtheorie und dem asiatischen Völkerrecht gab, ob es Strukturähnlichkeiten gab und ob die Großraumtheorie Aufschlüsse auf die Wirkweise der sinozentrischen Ordnung bzw. des japanischen Panasianismus geben kann. Dadurch wäre eine Erkennung oder Bestätigung der Großraumtheorie als außenpolitisches System, das tatsächlich existierte, möglich. Die zentralen Thesen als Ergebnis dieser Arbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen. 1. Die zwei kontemporären Ideologien, die Großraumtheorie von Carl Schmitt auf der einen Seite und der japanische Panasianismus auf der anderen Seite, weisen strukturelle Ähnlichkeiten auf, haben sich aber gegenseitig nicht entscheidend beeinflusst. 2. Die Großraumtheorie von Carl Schmitt weist eine erhebliche Strukturähnlichkeit mit der sinozentrischen Ordnung auf. 3. Die Großraumtheorie Schmitt gibt Aufschlüsse für die Wirkweise der sinozentrischen Ordnung und zeigt gleichsam auch auf, warum der japanische Panasianismus gescheitert ist. 4. Die Großraumtheorie Schmitts kann als Modell für ein hierarchisch aufgebautes Völkerrecht verallgemeinert werden.
2784
Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 246.
A. Die japanozentrische Ordnung und die Schmitt’sche Großraumtheorie
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A. Die japanozentrische Ordnung und die Schmitt’sche Großraumtheorie Im Folgenden soll die erste These noch einmal anhand der bislang durchgeführten Untersuchung dargestellt werden. Die erste These lautet, dass es keinen Einfluss der japanozentrischen Ordnung auf die Großraumtheorie und umgekehrt gab und dass es trotzdem strukturelle Ähnlichkeiten gab.
I. Keine gegenseitige Beeinflussung Bezüglich der Situation Asiens im 20. Jahrhundert kann man sagen, dass die Schmitt‘sche Großraumtheorie durchaus Parallelen zur japanozentrischen Ordnung aufweist.2785 Bereits die Entstehung des japanischen Meishuron-Panasianismus, der eine zentrale Ideologie der japanozentrischen Ordnung darstellt, zeigt Parallelen zur Entstehung der deutschen Großraumtheorie, auch wenn die Großraumtheorie nie zur offiziellen Staatsdoktrin des Dritten Reiches wurde. Beide Weltsichten stammen von Staaten, die Nachzügler im Hinblick auf Industrialisierung und Kolonialisierung, waren, und in beiden Staaten herrschte ein Gefühl, dass es einen raumfremden Feind gäbe, der sich in die eigenen Angelegenheiten, die sehr weit verstanden wurden, einmischte. Diese Ähnlichkeit zwischen der japanozentrischen Ordnung und der Schmittschen Großraumtheorie lässt sich auch durch die Nähe der Großraumtheorie zu den Pan-Bewegungen bzw. zum Makronationalismus erklären.2786 Schmitts Großraumtheorie weist, wie bereits behandelt, eine starke inhaltliche Korrelation einerseits mit der Geopolitik Haushofers, die ihrerseits ein Paradebeispiel einer pan-germanistischen Ideologie ist,2787 andererseits aber auch mit den pan-europäischen Ideen, z. B. der eines Coudenhove-Kalergi,2788 auf. Makronationalismus als solcher wird gerade dadurch charakterisiert, dass die Idee einer eigenen Besonderheit existiert, die von einer hervorgehobenen Werthaltigkeit sein soll.2789 Weiterhin wird zum Handeln, 2785 Williams sieht es als einen großen Mangel der Schmitt’schen Großraumtheorie an, das konfuzianische Staatssystem und Japan relativ vernachlässigt zu haben. So: Williams, Japanese Wartime Resistance (Fn. 2150), S. xxxvi. 2786 Gemeint ist ein erweiterter Nationalismus, der versucht, aufgrund von Geographie, Rasse, Religion, Sprache oder der Kombination von allem eine Einheit herzustellen, die die Staatsgrenzen durchbricht. So: Snyder, Louis, Macronationalisms. A History of the PanMovements, 1984, S. 4. 2787 Snyder, Macronationalisms (Fn. 2786), S. 60 – 63. 2788 Snyder, Macronationalisms (Fn. 2786), S. 71 – 74. 2789 Anders als beim Imperialismus geht es bei den Pan-Bewegungen primär um den politischen und nicht den wirtschaftlichen Erfolg. Auch zeigt sich die Tendenz, dass die Panbewegungen das eigene Volk als von „göttlichen Ursprungs“ begriffen. Vgl. Arendt, Totale Herrschaft (Fn. 1766), S. 339, 354. Die historische Bilanz des Makronationalismus, egal ob
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3. Teil: Staatengleichheit und Staatenhierarchie
insbesondere zur Expansion, aufgerufen.2790 Diese Merkmale finden sich auch im Panasianismus wieder, obwohl im Falle des Panasianismus im Kern eine Abwehrhaltung gegenüber den westlichen Kolonialisten das Hauptargument bildet.2791 Im Falle des Pangermanismus und Panasianismus haben die jeweiligen Staaten, die eine Führerrolle übernehmen sollten, diese ausgenutzt, um letztlich eine koloniale Politik im eigenen Großraum zu betreiben. Im Falle des Panasianismus führte dies sogar dazu, dass gegen den selbstausgerufenen Existenzgrund – nämlich die Abwehr von Kolonialismus – gehandelt wurde. Trotzdem ist im Endeffekt kein entscheidender Einfluss Schmitts auf die japanozentrische Ordnung und umgekehrt zu sehen. Yasui Kaoru rezensierte Schmitts Großraumtheorie erst 1942 mit seinem Werk „Die Theorie des regional-europäischen Völkerrechts“, also zu einem Zeitpunkt, zu dem Japan bereits eine japanozentrische Ordnung aufgestellt hatte. Die japanischen Panasianisten bedienten sich vielmehr des Beispiels der sinozentrischen Ordnung als Modell. Japan versuchte, sich als das neue China in der Region darzustellen. Der Panasianismus entstand zunächst aus der Idee der Kooperation zwischen Japan und den übrigen asiatischen Staaten, insbesondere China, jedoch vermengte er sich mit dem japanischen Ultranationalismus, der seinerseits ideologisch vom Konfuzianismus inspiriert war. Diese Verbindung zwischen japanisch verkleidetem Konfuzianismus, auch KokutaiIdeologie genannt, und asiatischem Bündnisgedanken führte zum Meishuron-Panasianismus, der ab dem Mukden-Zwischenfall den japanischen Diskurs prägte. Die prägenden Protagonisten dieser Entwicklung, Okakura Tenshin, Kita Ikki und Ishiwara Kanji, hatten mit Schmitts Großraumtheorie schon zeitlich keine Berührungspunkte. Der spätere Diskurs bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges entstand auf der Grundlage der oben erwähnten Denker. Spätere Denker, die den japanischen Meishuron-Panasianismus mitprägten, obgleich sie die aggressive militärische Expansion Japans befürworteten oder kritisierten, waren teilweise von der deutschen Geopolitik beeinflusst und führten die Ideen in den japanischen Diskurs ein. Mit Nishida Kitaro gibt es sogar einen Denker, der ein Modell der „weltlichen Welt“ vertrat, das mit der Schmitt’schen Großraumtheorie nahezu identisch ist.
II. Strukturähnlichkeiten Die Strukturähnlichkeiten der japanozentrischen Ordnung und dem Großraum nach Schmitt sind trotzdem nicht zu verkennen. Nach den Meishuron-Panasianisten Pangermanismus, Panasianismus oder Panamerikanismus, ist letztlich, dass sich dieser nicht durchsetzen konnte. Das Axiom der Staatssouveränität blieb letztlich erhalten und konnte nicht überwunden werden. Vgl. Snyder, Macronationalisms (Fn. 2786), S. 250. 2790 Snyder, Macronationalisms (Fn. 2786), S. 5 – 6; Arendt, Totale Herrschaft (Fn. 1766), S. 342. 2791 Snyder, Macronationalisms (Fn. 2786), S. 204.
A. Die japanozentrische Ordnung und die Schmitt’sche Großraumtheorie
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sollte das japanische Kaiserreich die Führerschaft über Asien übernehmen. Die raumfremden westlichen Mächte sollten sich aus den Angelegenheiten der Asiaten heraushalten, und die Japaner sollten der Garant einer „Neuen Ostasiatischen Ordnung“ werden. Die Überzeugungskraft schöpfte der Panasianismus aus einer geschichtsphilosophischen Perspektive. Für Japan war Asien an einem welthistorischen Punkt angelangt, sich von den westlichen Mächten zu befreien. Deshalb wurde propagiert, dass die anderen Asiaten sich mit Japan zusammentun sollten, um die westlichen Mächte zu besiegen. Um die Strukturähnlichkeiten näher zu untersuchen, werden die Kriterien herangezogen, die für das Vorliegen einer Großraumordnung im Sinne von Schmitt entwickelt wurden. Diese sind die hierarchische Struktur nach innen, das Vorliegen einer konkreten Ordnung sowie der Anspruch als partielle Raumordnung mit gleichwohl globalem Bewusstsein. Das Interventionsverbot raumfremder Mächte hingegen ist ein Kriterium, das nicht der Ordnung innerhalb eines Großraumes zuzuordnen ist, sondern der Ordnung zwischen mehreren Großräumen bzw. Reichen. 1. Die hierarchische Struktur der japanozentrischen Ordnung Hier wird evident, dass die Struktur des japanischen Panasianismus dem Schmitt’schen Großraum äußerst ähnlich ist. Die japanozentrische Ordnung ist eine hierarchische Staatenordnung. Auch wenn die japanischen Panasianisten dies in verschiedener Intensität vertraten, so wird klar, dass alle letztlich die Führerschaft Asiens bei Japan sahen. Insbesondere ab dem Mukden-Zwischenfall und der Gründung von Mandschukuo in den 1930er Jahren wurde dieser Gedanke der japanischen Führerschaft vorherrschende Ideologie im japanischen Diskurs. Die Meishuron-Panasianisten versuchten diese Hierarchie mit gewissen Pflichten zur Tugendhaftigkeit zu begründen. Anders als die Propaganda der MeishuronPanasianisten war die Realität jedoch eine andere. Die Beziehungen zwischen China und Korea einerseits und Japan andererseits waren seit 1895 durch eine jahrzehntelange Kolonialisierung geprägt. Japan befand sich seit dem Mukden-Zwischenfall in einem dauerhaften Krieg mit China. Die japanische Armee war zudem äußerst brutal in ihrem Vorgehen. Die panasiatische Propaganda hatte also wenig Überzeugungskraft gegenüber den Chinesen und den Koreanern. Hinter der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“, die insbesondere im Hinblick auf die südostasiatischen Staaten proklamiert wurde, stand letztlich nichts anderes als ein Imperialismus, den die japanischen Panasianisten angeblich bekämpfen wollten. Die Hierarchie innerhalb der japanozentrischen Ordnung war also eine durch wirtschaftliche und militärische Macht erzwungene Vorherrschaft.
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3. Teil: Staatengleichheit und Staatenhierarchie
2. Panasianismus als konkrete Ordnung? Somit muss letztlich auch gesagt werden, dass der japanische Panasianismus keine konkrete Raumordnung in Asien werden konnte. Eine konkrete Ordnung ist nach Schmitt nämlich eine überindividuelle und übervölkische Ordnung,2792 die über ein bloßes Faktum hinausgeht.2793 Die Hierarchie innerhalb der japanozentrischen Ordnung konnte Japan jedoch nur aufgrund seiner militärischen Überlegenheit aufrechterhalten. Die Kokutai-Ideologie, die durch die japanischen Denker als ideologischer Nucleus einer japanozentrischen Ordnung dienen sollte, war letztlich gänzlich ungeeignet für eine solche Aufgabe. Die Kokutai-Ideologie war ein japanisch gefärbter Konfuzianismus, der anstatt des chinesischen „Sohn des Himmels“ den japanischen Kaiser in den Mittelpunkt stellte. Für die konfuzianisch geprägten Staaten der ehemaligen sinozentrischen Welt konnte diese Adaption nur geringe Überzeugungskraft entfalten.2794 Die Verbündeten Japans in der japanozentrischen Ordnung waren folglich entweder Marionetten-Regime (Mandschukuo, Wang Jingwei-Regime) oder Kolonien (Korea, Taiwan, Staaten in Südostasien), die im Ergebnis aufgrund der Macht des japanischen Militärs existierten. Daran änderte auch die Verkündung einer „Neuen Ostasiatischen Ordnung“ oder einer „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ durch die japanische Regierung nichts, auch wenn diese zumindest rhetorisch eine Zusammenarbeit aller asiatischen Völker unter der Führung Japans propagierten. 3. Die Selbstwahrnehmung als partielle Ordnung Der japanische Panasianismus war von einer Freund-Feind-Unterscheidung geprägt, die als „Asien gegen die westlichen Mächte“ dargestellt werden konnte. Die Kolonialisierung durch die westlichen Mächte war für Japan bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges die Legitimationsquelle für die eigene japanozentrische Ordnung. Folglich war die japanozentrische Ordnung nicht von einem universalen Geltungsanspruch geprägt, sondern versuchte vielmehr, sich schon früh von anderen partiellen Raumordnungen abzugrenzen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Monroe-Doktrin bereits 1898 als Präzedenzfall und Modell für den ostasiatischen Raum diskutiert wurde. Das Freund-Feind-Denken war für den Panasianismus zentral, was jedoch nicht bedeutete, dass der Feind vollkommen ausgerottet werden sollte. Das Beispiel des Drei-Mächte-Pakts von 1940 zeigt, dass Japan andere 2792
Hofmann, Legitimität (Fn. 26), S. 216. Schmitt, Drei Arten (Fn. 867), S. 36. 2794 Selden weist darauf hin, dass Japan, anders als China, eine westliche Kolonialisierungspolitik übernahm und sich somit stark von der der sinozentrischen Ordnung abgrenzte. Die Brutalität der Japaner sei zudem sogar noch schlimmer als die der Europäer einzustufen. Vgl. Selden, Center and Periphery (Fn. 2353), S. 5 – 20 (12 – 13). 2793
B. Die sinozentrische Ordnung und die Schmitt’sche Großraumtheorie
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ebenbürtige Raumordnungen neben der eigenen duldete und anerkannte. Lediglich der Eingriff in die eigenen Angelegenheiten im japanozentrischen Raum war für das japanische Regime nicht akzeptabel.
B. Die sinozentrische Ordnung und die Schmitt’sche Großraumtheorie Die zweite zentrale These dieser Arbeit ist, dass die Großraumtheorie von Carl Schmitt eine erhebliche Strukturähnlichkeit mit der sinozentrischen Ordnung aufweist. Die sinozentrische Ordnung existierte über Jahrhunderte. Der Vergleich zwischen dieser Ordnung und der Schmitt‘schen Großraumtheorie erscheint schwierig, da das sinozentrische Völkerrecht in diesen 2000 Jahren mit wechselnder Stringenz angewandt wurde. Das chinesische Reich hatte Phasen der Stärke sowie der Schwäche und letztlich änderte sich auch entsprechend die Praxis der Beziehungen zwischen den ausländischen und chinesischen Mächten. Insbesondere mit den Nomadenvölkern im Norden oder Westen ließ sich keinerlei Subordinationsverhältnis ausmachen, gerade die Mongolen oder die Mandschuren eroberten sogar das „mittlere Reich (Zhongguo)“ und stellten eigene „chinesische“ Dynastien auf. Klare Parallelen zur Großraumtheorie zeigen sich hingegen in den Zeitabschnitten der Ming- und Qing-Dynastie, und zwar in den Verhältnis zu den südöstlichen Nachbarn, wie etwa Vietnam oder Korea. Die Chosun-Dynastie war seit ihrer Gründung aus eigener Überzeugung ein tributärer Staat der Ming-Dynastie. Die Ernennung der Könige (Cefeng) der Chosun-Dynastie durch die Ming-Kaiser und der tributäre Handel (Chaogong) waren institutionalisiert. Die Beziehung zu den nördlichen Nachbarn oder Japan war hingegen durchgehend durch Konflikte bzw. Nichteinmischung geprägt.
I. Die hierarchische Ordnung durch das „Mandat des Himmels“ Das Charakteristikum dieser Raumordnung war die stabile Hierarchie zwischen den chinesischen Dynastien und den jeweiligen tributären Staaten auf der Grundlage einer konfuzianischen Weltsicht. Der zentrale Begriff der chinesischen Dynastien, um deren hierarchisch höhere Stellung in der Staatenwelt zu legitimieren, war das „Mandat des Himmels“, das dem „Sohn des Himmels“ eine Herrschaft über die „Ordnung unter dem Himmel“ kraft konfuzianischer Tugendhaftigkeit zusprach. Durch die Akzeptanz des „Mandat des Himmels“ wurden auch nicht-chinesische Staaten Teil der sinozentrischen Welt. Systematisiert wurde diese Weltsicht durch die Institute der Chaogong und Cefeng. Diese stabile Hierarchie wurde teilweise auf der Grundlage eines wirt-
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3. Teil: Staatengleichheit und Staatenhierarchie
schaftlichen Tributhandels zugunsten der tributären Staaten erkauft. Die Tribute (Chaogong), die die Staaten innerhalb der sinozentrischen Ordnung erbrachten, waren regelmäßig weniger wert als die Geschenke, die der Sohn des Himmels gewährte. Weiterhin war der Akt der Ernennung der chinesischen Kaiser (Cefeng) gleichsam ein bedeutendes Mittel für die Könige, deren konfuzianische Legitimität innerhalb des jeweiligen Staates zu festigen.
II. Der Konfuzianismus als konkrete Ordnung Diese stabile Hierarchie fußte auf dem Konfuzianismus, der sich im sinozentrischen Raum als herrschende Ideologie etablierte und als Grundlage der Raumordnung diente. Der Konfuzianismus bestimmte das gesellschaftliche Leben, und die Hierarchie der Staatenwelt war letztlich ein natürlicher Bestandteil dieser Ordnung. Die hierarchische Ordnung wies durchaus auch eine gewisse Freiwilligkeit auf. Besonders klar wird dies in Zeiten, in denen die chinesischen Dynastien an militärischer Macht verloren. Hervorzuheben ist die Chosun-Dynastie, die selbst in Zeiten des schwindenden militärischen Einflusses den chinesischen Dynastien lange die Treue hielt. Dies zeigt etwa das Beispiel der Pläne der Chosun-Dynastie, die Restauration der Ming-Dynastie herbeizuführen oder der Umstand, dass König Kwanghaegun aufgrund seiner Außenpolitik, die der Ming-Dynastie und den Mandschuren gegenüber neutral war, 1623 gar abgesetzt wurde. Insofern kann gesagt werden, dass es eine konkrete Ordnung im Sinne von Schmitt gab, die sich etabliert hatte. Diese konkrete Ordnung wurde auch im Notfall auf das Äußerste verteidigt. Die Reaktion der Ming-Dynastie auf die Invasionen Japans in die Chosun-Dynastie in den Jahren 1592 und 1597 demonstrieren dies. Der Angriff von Toyotomi Hideyoshi galt der gesamten sinozentrischen Ordnung als solcher. Die Ming-Dynastie unterstützte die Chosun-Dynastie militärisch, um diese sinozentrische Ordnung im eigenen Großraum aufrecht zu erhalten. Auch die Friedensverhandlungen fanden folglich zwischen der raumfremden Macht Japan und der Ming-Dynastie als dem „Reich“ des sinozentrischen Großraums statt. Die Invasion der Mandschuren in der Folgezeit und der gescheiterte Versuch der Chosun-Dynastie, die Ming-Dynastie zu restaurieren, zeigen, dass die sinozentrische Ordnung auch durch die Chosun-Dynastie gewünscht war. Das ist besonders interessant im Kontext der Schmitt’schen Großraumtheorie, da hier offenbar wird, dass die sinozentrische Ordnung auch auf einer gewissen Freiwilligkeit der „Großraumstaaten“ gründete. Das war nur deshalb möglich, da das chinesische „Reich“ durch den Konfuzianismus eine „konkrete Ordnung“ geschaffen hatte, nach der sich nicht nur die chinesischen Beamten, sondern insbesondere auch die vietnamesischen und koreanischen Nachbarn – aus eigener Überzeugung heraus – richteten. Auch wenn es in der gesamten über zweitausendjährigen Geschichte des Sinozentrismus keine durchgehende Herrschaft der Chinesen gab, so ist trotzdem in der Zeit der Ming-Dynastie eine internationale
B. Die sinozentrische Ordnung und die Schmitt’sche Großraumtheorie
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Staatenwelt zu erblicken, die strukturell der Großraumtheorie entspricht und in der eine „konkrete Ordnung“ herrschte, die eine innere Stabilität aufwies. Woher also kommt der relative Erfolg der sinozentrischen Ordnung im Vergleich zu den anderen – gescheiterten – Makronationalismen? Dieser beruht auf der homogenen politischen Idee innerhalb der sinozentrischen Ordnung,2795 die eine integrierende Kraft ausübte. Diese „konkrete Ordnung“ war der Konfuzianismus, der anders als die Kokutai-Ideologie, die im Falle des japanischen Panasianismus dieselbe Funktion ausfüllen sollte, trotz seiner sinozentrischen Sichtweise eine weite Verbreitung und Zustimmung in ganz Ostasien aufweisen konnte. Souveränität und Nationalismus waren gegenüber dem „Mandat des Himmels“ zweitrangig. Die Könige der Tributstaaten ließen sich also von dem Sohn des Himmels anerkennen und erbrachten Tribute. Nur die Fremden, die dieser sinozentrischen Ordnung feindlich gesinnt waren, wurden bekämpft. Jederzeit wurde jedoch versucht, mit den Fremden eine tributäre Beziehung einzugehen. Damit sollten die Fremden ebenfalls von der Tugendhaftigkeit des Sohns des Himmels profitieren. Alle weiteren Fremden, die keine Berührung zu dieser sinozentrischen Welt – der Ordnung unter dem Himmel – hatten, wurden ausgeblendet.
III. Die Selbstwahrnehmung als partielle Ordnung Die sinozentrische Ordnung hatte einen universalen Geltungsanspruch. Schon der Begriff der „Ordnung unter dem Himmel“ und des „Sohn des Himmels“ macht dies deutlich. Zwar existierte parallel zu der Vorstellung der „Ordnung unter dem Himmel“ auch die Vorstellung des Hua-Yi, also der Zivilisation und des „Barbarentums“, jedoch waren die Yi ebenfalls Teil der sinozentrischen Ordnung. Die „Barbaren“ wurden aber nicht als raumfremd, sondern als Völker angesehen, die indirekt durch die chinesischen Dynastien beherrscht wurden (Jimi-System). Die Sicht der chinesischen Dynastien auf die sinozentrische Ordnung war also von einer Grenzlosigkeit geprägt. Eine Freund-Feind-Unterscheidung im Sinne einer raumeigenen und raumfremden Macht gab es zwar durchaus, wie das Beispiel der japanischen Invasion durch Toyotomi Hideyoshi zeigt, jedoch wurden die Grenzen der sinozentrischen Ordnung erst nach der Niederlage der Qing-Dynastie in den Opiumkriegen (1839 – 1842 sowie 1856 – 1860) bewusst. Obwohl der Anspruch, über die „Ordnung unter dem Himmel“ zu herrschen, für die chinesischen Dynastien stets innerhalb einer bestimmten geographischen Grenze blieb, versäumte es die Qing-Dynastie, die fehlende militärische Macht etwa durch das Anpassen ihrer außenpolitischen Strategie zu kompensieren. Das Verständnis, dass die Qing-Dynastie allen Völkern dieser Erde gegenüber eine Gleichbehandlung schuldig sei, führte dazu, dass die Qing2795 Ein Aspekt, den Schmitt für den Großraum als ausschlaggebend ansieht. So: Bendersky, Theorist (Fn. 149), S. 253.
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3. Teil: Staatengleichheit und Staatenhierarchie
Dynastie etwa die Meistbegünstigungsklauseln akzeptierte, die zu einer völligen Aushöhlung der Staatsmacht gegenüber den westlichen Kolonialmächten führte. Hier zeigt sich also ein erheblicher Unterschied der sinozentrischen Ordnung zum Schmitt’schen Großraum, da dieser gerade als partielle Raumordnung ein Bewusstsein gegenüber anderen partiellen Raumordnungen voraussetzt. Dieses Bewusstsein konnte aufgrund des Jimi-Systems nicht existieren. Die chinesischen Dynastien übten eine lockere, indirekte Herrschaft gegenüber den peripheren Staaten innerhalb des sinozentrischen Systems aus. Je ferner die Entfernung wurde, desto weniger Interesse zeigten die chinesischen Dynastien, was etwa auch der Umstand zeigt, dass die Ming-Dynastie, nach einigen Eroberungen durch Zheng He, ab 1435 eine Selbstisolation anordnete. Es existierte also bis zu diesem Zeitpunkt eine Art globales Bewusstsein, was jedoch nicht zu einer klaren Abgrenzung zwischen raumfremden und raumeigenen Ordnungen führte.
C. Die Schmitt’sche Großraumtheorie als Erklärungsmodell Die dritte These der Arbeit ist, dass die Großraumtheorie Schmitts Aufschlüsse für die Wirkweise der sinozentrischen Ordnung und deren Untergang liefert und gleichsam auch aufzeigen kann, warum die japanozentrische Ordnung gescheitert ist. Die Großraumtheorie propagiert eine partielle Raumordnung, die in einer größeren globalen Ordnung, dem Nomos der Erde, eingebettet ist. Die jeweilige Raumordnung besitzt also keinen Anspruch auf universale Geltung. Innerhalb der Raumordnung existiert eine hierarchische Ordnung mit einem Reich als Spitze. Dieses Reich strahlt auf den gesamten Großraum eine konkrete Ordnung aus, die auch über der einseitigen Perspektive des Reiches hinaus in den jeweiligen übrigen Großraumstaaten wirksam sein muss. Diese Elemente einer Großraumordnung sind in Schmitts Theorie durchaus voneinander abhängig. Die hierarchische Struktur ist nur möglich, wenn es eine konkrete Ordnung gibt, die das Reich als zentraler Akteur innerhalb dieses Systems stützt. Das Reich vollzieht zwar einerseits die konkrete Ordnung, gleichzeitig stützt es sich auch auf diese. Damit die konkrete Ordnung auch effektiv für den Großraum sein kann, ist der geographische Bereich eines Großraumes auch begrenzt. Der Anspruch zielt nicht auf einen grenzenlosen Universalismus, sondern auf einen bewussten Partikularismus.
C. Die Schmitt’sche Großraumtheorie als Erklärungsmodell
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I. Die Erklärung des Erfolgs der sinozentrischen Ordnung und dessen Scheitern nach der Großraumtheorie Durch den Umstand, dass der Konfuzianismus als konkrete Ordnung dienen konnte, lässt sich der lange Erfolg der sinozentrischen Ordnung erklären. Die sinozentrische Ordnung gründete auf der Herrschaftsideologie des Konfuzianismus, der sich im ostasiatischen Raum länderübergreifend etablieren konnte. Der Konfuzianismus bildete die Grundlage für eine konkrete Ordnung, die über Jahrhunderte und über mehrere Dynastien hinaus wirksam blieb. Der Konfuzianismus bildete die Grundlage der Familien- und Staatsethik in vielen ostasiatischen Staaten, sodass auch die darin enthaltene Völkerrechtsordnung mitrezipiert wurde. Dabei war die sinozentrische Ordnung nicht auf Expansion angelegt. Die MingDynastie verfolgte nach 1435 keinen militärischen Expansionismus mehr. Auch die Qing-Dynastie expandierte, trotz beachtlicher territorialer Eroberungen, nicht übermäßig. Die Expansion blieb aber innerhalb der Grenzen des sinozentrischen Raumes im weiteren Sinne. Anstatt von Expansionismus wurden vielmehr fremde Kulturen, etwa durch wirtschaftliche Vorteile, wie etwa Geschenke, in die sinozentrische Ordnung integriert. Je fremder die Kulturen aus Sicht der chinesischen Dynastien waren, desto indirekter wurde die vermeintliche Herrschaft ausgeübt. Trotzdem verstanden es die chinesischen Dynastien nicht, die Ordnung innerhalb des sinozentrischen Raumes und die raumfremden Ordnungen auseinanderzuhalten. Der Niedergang der sinozentrischen Ordnung begann mit der unklaren Raumabgrenzung zu anderen Völkerrechtsordnungen. Die Invasion Japans in den Jahren 1592 und 1597 war bereits ein Eingriff einer raumfremden Macht in die sinozentrische Ordnung und wurde nur mit großen Mühen durch die Ming-Dynastie abgewehrt. Letztlich war der militärische Beistand durch die Ming-Dynastie ein Vollzug der konfuzianischen Pflichten gegenüber der Chosun-Dynastie. Die Außenpolitik wurde auch in der darauffolgenden Qing-Dynastie noch als Vollzug der konfuzianischen Riten verstanden, was dazu führte, dass die QingDynastie auf der Anerkennung der formellen Hierarchie der chinesischen Kaiser bestand. Der Eingriff durch Großbritannien, die in den Ersten Opiumkrieg von 1839 bis 1842 mündete, endete letztlich in der Niederlage der Qing-Dynastie. Die Kolonialisierung durch die westlichen Mächte und der darauffolgende Kollaps der sinozentrischen Ordnung erfolgte also auch aufgrund der fehlenden Anpassungsfähigkeit der Außenpolitik der Qing-Dynastie und des Festhaltens an der raumeigenen Ordnung gegenüber raumfremden Mächten.
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3. Teil: Staatengleichheit und Staatenhierarchie
II. Die Erklärung des Scheiterns der japanozentrischen Ordnung nach der Großraumtheorie Das Scheitern der japanozentrischen Ordnung hingegen ist einfacher als der Kollaps der sinozentrischen Ordnung. Japan schaffte es nicht, eine konkrete Ordnung zu schaffen, die als allumfassende Raumordnung über die Phase der militärischen Überlegenheit des japanischen Kaiserreiches hinaus galt. Die Grundlage für die territoriale Expansion lag stets im militärischen Erfolg der japanischen Armee, nicht jedoch in der Überzeugungskraft des Meishuron-Panasianismus, den die japanischen Denker als Herrschaftsideologie zu etablieren versuchten. Letztlich war der Meishuron-Panasianismus ein Amalgam aus ultranationalistischer Kokutai-Ideologie, die ihrerseits eine japanische Adaption des Konfuzianismus darstellt, und einem Appell, die westlichen Mächte aus dem ostasiatischen Raum zu vertreiben. Das Erstere hatte gerade für den größten Staat im asiatischen Raum, nämlich China, keinerlei Überzeugungskraft. Das Letztere verspielte Japan durch seine eigene Expansions- und Kolonialpolitik. Vor 1932 wurde Japan selber im Stile der westlichen Kolonialisten tätig. Japan annektierte die koreanische Halbinsel und sicherte sich Ausbeutungsrechte in der Mandschurei. Die Gründung von Mandschukuo, der zweite sino-japanische Krieg sowie die Eroberung Südostasiens erfolgten dann zwar unter der Propaganda des Meishuron-Panasianismus. Dieser hatte aber letztlich keine Überzeugungskraft gegenüber den anderen Staaten, da sich Japan selber als Kolonialherr und nicht als Führer der Asiaten gezeigt hatte. Somit war auch die innere Stabilität der Ordnung einseitig abhängig von der militärischen Durchsetzungskraft der japanischen Armee.
D. Imperialismus oder Hegemonie: Die Großraumtheorie als Modell der Staatenhierarchie Die letzte These dieser Arbeit ist, dass sich die Großraumtheorie als ein Modell für ein hierarchisches Völkerrecht eignet. Die Geschichte in Ostasien zeigt, dass ein hierarchisches Völkerrecht durchaus existiert hat. Insbesondere die überraschend stabile Struktur der sinozentrischen Ordnung lässt die Möglichkeit offen, über eine neue Weltordnung nachzudenken, in der die Souveränität der Staaten als Axiom nicht existiert. Die Schmitt’sche Großraumtheorie könnte ein Modell für ein solch hierarchisch strukturiertes Völkerrechts sein und somit den neuen Nomos der Erde darstellen. Zugleich können die historischen Beispiele in Ostasien gerade auch dazu dienen zu eruieren, welche Aspekte in Schmitts Großraumtheorie nur unzureichend behandelt worden sind oder gar als falsch erscheinen.
D. Imperialismus oder Hegemonie
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I. Anarchie oder Hierarchie der Staatenwelt Die Anarchie der Staatenwelt, so wie es das Westfälische System voraussetzt, hat das Problem, dass die einzelnen Akteure nicht an eine völkerrechtliche Ordnung gebunden sind, sondern dieser Ordnung formell erst zustimmen müssen, damit diese überhaupt auf sie Anwendung finden kann. Die in der Staatenwelt existierende faktische Asymmetrie führt aber auch dazu, dass nur einige Staaten an dem Entstehungsprozess des Völkerrechts teilhaben können; nur die ständige Übung einiger Staaten führt zu Völkergewohnheitsrecht.2796 Dadurch ist aber bereits eine der zentralen Axiome der Anarchie der Staatenwelt, nämlich die formelle Staatengleichheit, infrage gestellt.2797 Nun mag sich der Realist auf die Selbsthilfe der einzelnen staatlichen Akteure berufen und hoffen, dass sich ein Gleichgewicht der Staatenwelt ergeben wird. Der Idealist hingegen wird im Hinblick darauf die Kooperation der vernünftigen Staaten betonen.2798 Jedenfalls ist das Westfälische Völkerrecht konzeptionell ein labiles System, da jeder Staat letztlich das eigene Interesse im Auge hat und dieses nicht immer mit der Aufrechterhaltung des Völkerrechts als Raumordnung übereinstimmen wird.2799 Die staatlichen Akteure befinden sich allgemein in einer widersprüchlichen Situation. Einerseits wollen die Staaten gegenüber den rivalisierenden Staaten im Konkurrenzkampf obsiegen und somit eine Ordnung schaffen, andererseits sind diese aber auch an der Erhaltung des anarchischen Weltsystems interessiert, da eine Machtakkumulation in Form eines Weltimperiums oder einer Welthegemonie letztlich aufgrund der Kosten der Erhaltung der politischen und militärischen Macht entweder niemals erfolgreich gewesen ist oder sich zumindest niemals für eine lange Zeit hat etablieren können.2800 Letztlich ist die Anarchie der Staatenwelt also ein System, das jeder Staat zu seinen Gunsten überwinden möchte, aber gleichwohl
2796 Herdegen, Mathias, Asymmetrien in der Staatenwelt und die Herausforderung des „konstruktiven Völkerrechts“, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 64 (2004), S. 571 – 582 (579). 2797 Herdegen, Asymmetrien (Fn. 2796), S. 571 – 582 (580). 2798 Menzel, Ulrich, Imperium oder Hegemonie? Folge 16: Das Ergebnis und der allgemeine Befund (1): Die Idealtypen von Imperium und Hegemonie. Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialwissenschaften Nr. 100, 2011, S. 7 – 8. 2799 Die Aufrechterhaltung einer Ordnung kann selbstverständlich an sich im Interesse der einzelnen staatlichen Akteure sein und somit ein öffentliches Gut darstellen. Eine überzeugende Lösung findet sich z. B. dann nicht, wenn die Nutzung eines für jeden Staat zugänglichen öffentlichen Gutes zwar einen Vorteil für den nutzenden Staat bringt, jedoch die Kosten gemeinsam getragen werden müssen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Anteil an den gemeinen Kosten, die ein Staat tragen muss, den Nutzen, den dieser Staat daraus zieht, übersteigt. Jeder Staat möchte zwar an den öffentlichen Gütern teilhaben, verweigert aber die angemessene Beteiligung an den Kosten. Vgl. Menzel, Idealtypen (Fn. 2798), S. 8 – 11. 2800 Wallerstein, World-Systems Analysis (Fn. 508), S. 56 – 58.
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3. Teil: Staatengleichheit und Staatenhierarchie
stellte es auch einen willkommenen status quo im Vergleich zu einer Hierarchie der Staatenwelt dar, in dem ein anderer Staat dominieren würde. Blickt man auf die Weltgeschichte und versucht die Zeiträume in denen Staatshierarchien vorherrschten und in denen es eine Anarchie der Staatenwelt gab einzuteilen, so sieht die Situation gespalten aus. Dies ist überraschend, da sich das Westfälische Völkerrecht eindeutig auf das anarchische Modell festlegt. Menzel sieht in der Weltgeschichte eine lückenlose Abfolge großer Mächte, die bemüht waren, für internationale Ordnung zu sorgen. Insofern existierte die Hierarchie der Staatenwelt kontinuierlich mit einigen Unterbrechungen durch eine internationale Anarchie.2801 Er unterteilt die Geschichte der internationalen Ordnung zwischen 1230 bis 1945 in sechs Weltsysteme.2802 In diesen Systemen herrschten jeweils wechselnde Imperien oder Hegemonialmächte als Ordnungsmächte, entweder allein oder in Kooperation.2803 Also ist historisch gesehen kein zwingender Grund zu sehen, warum das Völkerrecht nur die Anarchie der Staatenwelt reflektieren müsste. Die Staatenhierarchie wird allerdings trotz des Umstandes, dass alle Staaten im Hinblick auf Bevölkerungszahl, Geschichte, Ausstattung von natürlichen Ressourcen, Lage, politische Verfasstheit, Modernisierungsgrad, Wohlstand und wissenschaftlich-technische Leistungsfähigkeit unterschiedlich sind, völkerrechtlich oftmals vernachlässigt.2804 Aufgrund der spezifisch soziologischen Sichtweise Schmitts auf das Völkerrecht und dem hegelianischen Geschichtsverständnis ist in Schmitts Großraumtheorie ein Versuch zu erblicken, die Hierarchie der Staatenwelt als neues Axiom des Völkerrechts zur Anerkennung zu verhelfen. Sollte man die Sicht Schmitts teilen und die Rückkoppelung auf die tatsächlichen außenpolitischen Machtverhältnisse als eines der Grundvoraussetzungen eines effektiven Völkerrechts ansehen, ist der Ansatz, die Staatenhierarchie in die völkerrechtliche Diskussion einzuführen, nicht von vorne-
2801
Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 1123. Die Mongolen errichteten 1230 mit ihrem Imperium das erste Weltsystem, das bereits 1350 beendet wurde. In Asien etablierte sich die Ming-Dynastie und restaurierte das sinozentrische Tributsystem, während in Europa zunächst Venedig zur hegemonialen Seemacht und im Mittleren Osten die Mamelucken zur Ordnungsmacht wurden. Die Ming-Dynastie, Venedig und die Osmanen bildeten gemeinsam das zweite Weltsystem. Das tributäre System der MingDynastie wurde durch die Selbstisolation eingeschränkt, und dieses Vakuum im Indik wurde durch die Osmanen sowie Venedig eingenommen. Die neuen Seemächte Portugal und Spanien, die durch den Vertrag von Tordesillas im Jahre 1494 die Welt unter sich aufteilten, etablierten ein neues atlantisches Weltsystem. Der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) sowie der Westfälische Frieden (1648) und der Pyrenäenfrieden (1659) markieren den Übergang der Hegemonialmacht von Portugal und Spanien auf die Niederlande, England und Frankreich. Großbritannien untermauerte ab 1763 durch die britische Flotte und durch die industrielle Revolution den Führungsanspruch, der letztlich in die Ordnung Pax Britannica mündete. Diese Ordnung hatte bis zum Ersten Weltkrieg Bestand. Vgl. Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 1123 – 1131. 2803 Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 1132. 2804 Menzel, Idealtypen (Fn. 2798), S. 12 – 13. 2802
D. Imperialismus oder Hegemonie
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herein kategorisch abzulehnen. Dies zeigt auch schon bereits die ostasiatische Geschichte.
II. Imperialismus und Hegemonie Ein solches hierarchisch strukturiertes Völkerrecht setzt voraus, dass es die Interessen der Staatenwelt besser abbilden kann, als es das Westfälische System getan hat. Wie gesehen, steht die Anarchie der Staatenwelt vor dem Problem, dass eine Kooperation der Staaten immer auf einem labilen Fundament steht, da normative Regelungen nur durch Selbsthilfe durchsetzbar sind und immer damit gerechnet werden muss, dass die Nicht-Kooperation für die anderen staatlichen Akteure als vorzugswürdig im Hinblick auf die eigenen Interessen angesehen wird. In einer Hierarchie der Staatenwelt hingegen können normative Regelungen durch den hierarchisch oben stehenden Staat normlogisch leichter durchgesetzt werden, da das „Reich“ im Sinne von Schmitt nun der Souverän ist. Dass ein solches Modell für den Staat, der auf der obersten Stufe der Hierarchie steht (also dem „Reich“), vorteilhaft sein muss, bedarf wahrscheinlich keiner weiteren Diskussion. Die großen Mächte handelten in der Geschichte niemals altruistisch und hatten immer die eigene Interessenlage im Blick.2805 Sollte also die Staatenhierarchie für Großmächte keine rationale Option sein, ist das Schmitt’sche Modell bereits unrealistisch. Weiterhin ist aber auch die Frage zu stellen, wie es möglich ist, dass ein solches Modell auch gerade mit den Interessen für diejenigen Staaten, die in einer niedrigeren Position auf der Hierarchieleiter stehen, im Einklang stehen kann. Denn nur wenn auch das Interesse dieser Staaten hinreichend berücksichtigt wird, ist die Großraumtheorie als alternatives Völkerrecht langfristig durchsetzbar und kann somit eine konkrete Raumordnung darstellen. Folglich stellt sich nun die Frage, ob die Hierarchie der Staatenwelt den Interessen der stärkeren bzw. schwächeren Staaten entsprechen kann. Um diese Frage zu beantworten, ist ein Blick auf die Imperialismustheorie von Nutzen, die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, dem sog. Zeitalter des Imperialismus,2806 entstand.2807 Der englische Ko-
2805
Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 1089. Hintergrund des Imperialismus war der nachholende Industrialisierungsprozess in den kontinentaleuropäischen Kernländern und in den USA sowie der Beginn der Industrialisierung in Russland und Japan. Die etablierten Großmächte England und Frankreich wurden zunehmend durch neue Mächte wie Deutschland, USA, Russland oder Japan herausgefordert. Diese Situation führte zur Entwicklung der Geopolitik, die versuchte, theoretisch ergründete Handlungsanweisungen an die imperialistische Politik zu geben. Umgekehrt wurde auch der Imperialismus kritisch durchleuchtet und teilweise als Erscheinung eines kapitalistischen Akkumulationsprozesses verstanden. Vgl. Menzel/Varga, Beziehungen (Fn. 1409), S. 33 – 36; Zimmer, Internationale Politik (Fn. 488), S. 155. 2806
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3. Teil: Staatengleichheit und Staatenhierarchie
lonialismus entstand durch Druck der Plutokraten, die nach Investitionsmöglichkeiten suchten. Volkswirtschaftlich handelt es sich jedoch um ein Verlustgeschäft für den Staat.2808 Die Kolonien der europäischen Staaten waren meist wirtschaftlich gesehen, von einigen Ausnahmen wie Indien abgesehen, von geringer Bedeutung.2809 Vielmehr, so die These von Osterhammel, sei der Imperialismus ein Überbleibsel traditioneller Sozialstrukturen2810 und nicht die Folge von ungebändigtem Kapitalismus.2811 Als eine auf wirtschaftliche Ausbeutung gerichtete Unterart entwickelte sich deshalb der informale Imperialismus insb. in China.2812 Auch andere Kolonien, die unter der direkten Herrschaft des jeweiligen europäischen Staates standen, wurden mithilfe von lokalen Kollaborateuren2813 regiert. Eine unmittelbare Herrschaft der Großmacht war eher die Ausnahme, die Kombination von direkter und indirekter Kontrolle der Regelfall.2814 Damit kann gesagt werden, dass der klassische Imperialismus zwar aufgrund innenpolitischer Aspekte im Einklang mit dem Staatsin2807 Die Zwischenkriegszeit war nicht nur die Geburtsstunde des bereits behandelten Realismus. Vielmehr war sie auch gleichzeitig ein Nährboden für die Geopolitik und die Imperialismustheorie. So: Menzel/Varga, Beziehungen (Fn. 1409), S. 30. 2808 Menzel/Varga, Beziehungen (Fn. 1409), S. 35 – 36. 2809 Mommsen, Wolfgang, The End of Empire and the Continuity of Imperialism, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 337 – 338; Mommsen, Wolfgang, Aufstieg und Niedergang des europäischen Imperialismus 1870 – 1956, in: Hecker (Hrsg.), Europa (Fn. 2), S. 94. 2810 Entscheidend hat ein nationaler Missions- und Prestigegedanken mitgewirkt, der mit rassistischer Überheblichkeit und paternalistischer Missionsverantwortung verknüpft war. Vgl. Zimmer, Internationale Politik (Fn. 488),S. 156; Mommsen, Wolfgang, The End of Empire and the Continuity of Imperialism, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 338. 2811 Menzel/Varga, Beziehungen (Fn. 1409), S. 37. 2812 Das „koloniale Kartell“ in China, das zwischen dem 19. Jahrhundert und dem Zweiten Weltkrieg existierte, war im Kern ein wirtschaftliches Geschäftsmodell. Die Großmächte kollaborierten in diesem Modell, um die Kosten des imperialistischen Strebens niedrig zu halten und gleichzeitig die Ausbeutung durch Oligopole zu optimieren. Vgl. Osterhammel, Jürgen, Semi-Colonialism and Informal Empire in Twentieth Century China: Toward a Framework of Analysis, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 300 – 303; Mühlhahn, Klaus, Staatsgewalt und Disziplin. Die chinesische Auseinandersetzung mit dem Rechtssystem der deutschen Kolonie Kiautschou, in: Voigt/Sack (Hrsg.), Kolonialisierung (Fn. 1600), S. 126, 136. 2813 Die Bedeutung der Kollaboration für ein Okkupationsregime hat Lammers hervorgehoben. Der Eroberer und die Eroberten kollaborieren, weil dies dem Interesse beider entspricht. Die Kollaboration ermöglicht es dem bislang eigenständigem System, sich dem übergeordneten System anzupassen, dabei aber die Autonomie teilweise zu bewahren. Der Eroberer hingegen kann den Gewinn an dem eroberten Gebiet dadurch auf Dauer anlegen, das Wissen der Kollaborateure einsetzen und Aufgaben auf diese delegieren. Vgl. Lammers, Cornelis, Levels of Collaboration. A comparative study of german occupation regimes during the second world war, in: Bohn (Hrsg.), Deutsche Herrschaft (Fn. 111), S. 48 – 51. 2814 Mommsen, Wolfgang, The End of Empire and the Continuity of Imperialism, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 334 – 335.
D. Imperialismus oder Hegemonie
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teresse der Großmächte steht, die wirtschaftlichen Interessen hingegen dies nicht zwingenderweise sind.2815 Die Hegemonie ist hingegen eine deutlich weichere Art der Kontrolle und wird als Führung, nicht jedoch als Herrschaft charakterisiert.2816 Das primäre Ziel der Hegemonie ist nicht die weitere Akkumulierung der Macht und die Expansion des eigenen Kontrollbereiches durch wirtschaftliche Ausbeutung, sondern die Aufhebung der Anarchie der Staatenwelt.2817 Zu diesem Zwecke stellt der Hegemon öffentliche Güter zur Verfügung.2818 Dies kann etwa militärischer Schutz oder wirtschaftliche Stabilität sein.2819 Der Hegemon ist hier in einem Freiwilligendilemma, da er die Last zu tragen hat, aber kein anderer fähig ist, die Last zu tragen, wenn er es nicht tut.2820 Anders als das Imperium, das ebenfalls seinen unterworfenen Staaten gegenüber „Clubgüter“ zur Verfügung stellt, diese jedoch durch Ausbeutung dieser unterworfenen Staaten finanziert,2821 ist es bei den Hegemonien so, dass diese eigene Kapazitäten aufwenden.2822 Für die kleineren Staaten bedeutet dies, dass diese auch mit einem asymmetrischen Beitrag größeren Nutzen ziehen können („Freerider“ oder „Cheaprider“).2823 Nur dann werden sie auch bereit sein, die Hegemonie des großen Staates zu akzeptieren.2824 Die sinozentrische Ordnung kann hier als Paradebeispiel gelten, da die chinesischen Dynastien einerseits allen Staaten innerhalb der „Ordnung unter dem Himmel“ durch den tributären Handel einen wirtschaftlichen Vorteil verschafften und andererseits einen kulturellen Einfluss, insbesondere durch die Verbreitung der konfuzianischen Philosophie, ausübten. Aber auch die militärische Sicherheit innerhalb der sinozentrischen Ordnung wurde durch die chinesischen Dynastien gewährleistet. Wie der militärische Beistand der Ming-Dynastie gegenüber der Chosun-Dynastie bei der Invasion Japans im 16. Jahrhundert zeigt, mussten die chinesischen Dynastien erhebliche Kosten dafür tragen. Auch der tributäre Handel war für die chinesischen Dynastien meistens ein wirtschaftliches Verlustgeschäft. Für Staaten wie die Chosun-Dynastie hingegen bedeutete dies, dass etwa weniger in das Militär investiert werden musste. Darin erklärt sich auch die „Nostalgie“ der Chosun-Dynastie, die 2815 Leys, Colin, Conflict and Convergence in Development Theory, in: Mommsen/Osterhammel (Hrsg.), Imperialism (Fn. 217), S. 322. 2816 Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 40; Triepel, Hegemonie (Fn. 894), S. 125. 2817 Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 43. 2818 Öffentliche Güter sind Güter, die jeder Staat beliebig nutzen kann, ohne dass es zur Beeinträchtigung der Nutzung eines anderen Gutes führt und von deren Nutzung ein Staat nicht ausgeschlossen werden kann. So: Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 33 – 34. 2819 Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 42. 2820 Menzel, Ulrich, Imperium oder Hegemonie? Folge 16: Die Hierarchie der Staatenwelt Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialwissenschaften Nr. 95, 2010, S. 16. 2821 Menzel, Hierarchie (Fn. 2820), S. 18. 2822 Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 42 – 43. 2823 Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 35. 2824 Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 42.
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3. Teil: Staatengleichheit und Staatenhierarchie
sinozentrische Ordnung unter der Ming-Dynastie wiederherzustellen, nachdem diese durch die Qing-Dynastie niedergegangen war. Dasselbe darf für die „westliche Hemisphäre“ in bestimmten Phasen der Geschichte der Monroe-Doktrin gelten. Die USA erklärten, dass die Kolonialisierung auf dem amerikanischen Kontinent von den USA nicht geduldet werde. Dadurch konnten die südamerikanischen Staaten ihre Unabhängigkeit auch militärisch gegenüber den europäischen Staaten absichern. Für die USA hingegen bedeutete dies ein Risiko, in einen Krieg mit den europäischen Staaten eintreten zu müssen, was in Folge der Intervention Frankreichs in Mexiko auch tatsächlich geschehen ist. Als Folge waren es teilweise sogar die südamerikanischen Staaten, die eine Etablierung der Monroe-Doktrin als völkerrechtliches Prinzip forderten. Die Freiwilligkeit der südamerikanischen Staaten in eine Über-/Unterordnung einzutreten, war mit den Vorteilen verbunden, die der militärische Beistand der USA mit sich bringen würde. Gerade dieser Aspekt ist jedoch für die soziale Wirksamkeit der Großraumtheorie entscheidend. Um eine stabile und damit konkrete Raumordnung zu bilden, muss das Über-/Unterordnungsverhältnis auch in Zeiten stabil bleiben, wo der Überstaat an tatsächlicher Macht einbüßt und somit auch die Durchsetzung durch militärische oder wirtschaftliche Mittel schwieriger wird. Sonst wäre das Über-/Unterordnungsverhältnis eine reine Abbildung der faktischen Machtverhältnisse und wäre demnach keine „Ordnung“. Gerade in der sinozentrischen Ordnung sowie in dem Beispiel der Monroe-Doktrin wurde sichtbar, dass das eben nur möglich ist, wenn der Überstaat eine freiwillige Kostentragung von öffentlichen Gütern vornimmt und der Unterstaat dies als hinreichende Motivation ansieht, den Überstaat als Suzerän anzuerkennen.2825 Das ist auch der Hintergrund, warum letztlich imperialistische Modelle eines Über-/Unterordnungsverhältnisses keine stabilen Raumordnungsverhältnisse bilden können, auch wenn Schmitt dies nicht weiter spezifiziert.2826 Die einseitige Interessenverwirklichung des Überstaates führt dazu, dass es das primäre Staateninteresse der Unterstaaten sein wird, so schnell wie möglich von der Ausbeutung befreit zu werden.2827 Der westliche Kolonialismus und das so geschaffene Kolonialvölkerrecht konnten also als Raumordnung nur solange existieren, wie die tatsächlichen Machtverhältnisse zwischen Kolonialherr und Kolonie es erlaubten. Das ist auch der Grund, warum die japanozentrische Ordnung nicht die sinozentrische Ordnung er2825
Die Kosteneinsparung durch den Unterstaat kann sogar dazu führen, dass dieser den Vorsprung des Hegemonen aufholt, da er die Innovationen des Hegemonen übernehmen kann, ohne dass er die Entwicklungskosten zu tragen hat und Kosten sparen kann. Weiterhin können sie sich auch im Schatten des Hegemonen emporarbeiten. So: Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 61. 2826 Zurecht wird Schmitt deshalb als Apologet des Imperialismus kritisiert. Vgl. etwa Mehring, Denker im Widerstreit (Fn. 42), S. 395; Habermas, Westen (Fn. 522), S. 187 – 193. 2827 Während der Hochphase eines Imperiums hingegen ist die Kollaboration mit dem Imperium im Gegenzug zu etwaigen Privilegien vorteilhafter. Das Verhältnis von Kollaboration und Opposition innerhalb des Imperiums ist für die Stabilität oder Fragilität des Imperiums entscheidend. So: Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 53.
D. Imperialismus oder Hegemonie
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setzen konnte. Die japanische Außenpolitik bestand nämlich für lange Zeit darin, die Prinzipien des westlichen Kolonialismus zu verinnerlichen und auf die anderen ostasiatischen Staaten anzuwenden. Eine hegemoniale Politik hätte möglicherweise mehr Zustimmung finden können, wie auch das Beispiel des koreanischen Panasianisten Ahn Junggeun deutlich macht.
III. Nomos der Erde als globale Ordnung Das Nebeneinander von mehreren Ordnungen ist in Schmitts Großraumtheorie ein zentraler Aspekt und, wie in dem Aufsatz „Der neue Nomos der Erde“ sichtbar wird, ist es für Schmitt die präferierte Ordnung, da er glaubt, nur so die Welthegemonie einer pseudo-universellen Supermacht zu verhindern.2828 Schmitt befürwortet die Bildung mehrerer Großräume und ein Gleichgewicht unter diesen Großräumen, soweit die Großräume sinnvoll abgegrenzt und in sich homogen sind.2829 Bedenkt man Schmitts generelle Präferenz für ein hegemonial-hierarchisches Ordnungsmodell, scheint dies nicht zwingend konsistent zu sein. Ein Welthegemon könnte nämlich theoretisch ebenfalls für eine konkrete Raumordnung sorgen, soweit die Macht dieser Entität ausreichend ist. Schmitt sieht dieses Szenario als „primitiv einfach“, aber als nicht vorzugswürdig an.2830 Die Ablehnung der Welthegemonie hat bei Schmitt also nicht unbedingt den Hintergrund, dass er es als machtpolitisch unrealistisch ansieht, dass ein solcher Hegemon existieren kann.2831 Anders als seine Analyse des Völkerrechts, die gerade davon gekennzeichnet ist, das Völkerrecht als zu idealistisch anzusehen, ist bei seiner Ablehnung einer Welthegemonie ein „normativer Widerstand“ erkennbar.2832 Die Gründe dafür sind sichtbar, wenn man sich die Analyse der Dichotomie der See-2833 und Landmächte2834 noch einmal vor Augen führt. Seemächten attestiert 2828 Mouffe, Chantal, Carl Schmitt’s warning on the dangers of a unipolar world, in: Odysseos/Petito (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 208), S. 150 – 151. 2829 Schmitt, Carl, Der neue Nomos der Erde (1954), in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos (Fn. 12), S. 522. 2830 Kervégan , Jean-François, Carl Schmitt and „World Unity“, in: Mouffe (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 1165), S. 71. 2831 Die Reichweite und Substanz hierarchischer Ordnungen an der Peripherie hängen vom Stand der Transport- und Kommunikationstechnologie ab. Aufgrund der Entwicklung der heutigen Technik ist ein Welthegemon also durchaus denkbar. Vgl: Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 50 – 51. 2832 Petito, Fabio, Against world unity. Carl Schmitt and the Western-centric and liberal global order, in: Odysseos/Petito (Hrsg.), Carl Schmitt (Fn. 208), S. 174. 2833 Seemächte sind solche Mächte, die durch die Mittel der Kontrolle von Verkehrsstraßen – historisch gesehen insbesondere dem Meer – ein großes Gebiet erobern und gar einen globalen Operationsradius haben. Im modernen Sinne sind Seemächte deshalb nun Luft- oder Internetmächte. In der Zukunft möglicherweise gar Weltraummächte. So: Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 52 – 56.
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3. Teil: Staatengleichheit und Staatenhierarchie
Schmitt die Tendenz, ein universelles Monopol für sich aufbauen zu wollen.2835 Deshalb hat Schmitt den Seemächten auch die Eigenschaft zugesprochen, totale Feinde zu bestimmen und die Grenze zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten zu verwischen.2836 Eine Hegung des Krieges kann unter Seemächten nicht funktionieren, da diese den Krieg anders führen. Seemächte haben die Tendenz, ihre Feinde wie Piraten2837 – also als vernichtungswürdig und rechtlos – zu betrachten.2838 Eine Landmacht hingegen hat ein Interesse daran, die Sicherheit und Ordnung im besetzten Gebiet aufrecht zu erhalten. Der Landkrieg ist deshalb – nachdem die Religionskriege des 17. Jahrhunderts aufgehört hatten – kein totaler Krieg oder gar ein Ausrottungs- und Vernichtungskrieg gewesen.2839 Diese Unterscheidung macht auch deutlich, dass Schmitt davon ausgeht, dass ein Welthegemon wahrscheinlich eine Seemacht sein wird. Die Ablehnung der Welthegemonie hat also mit der Befürchtung zu tun, dass ein solches Regime seine Feinde als vernichtungswürdigen Feind erklären und somit die Hegung des Krieges nicht mehr funktionieren würde. Das Großraummodell von Carl Schmitt ist also nicht nur ein Modell der hegemonialen Herrschaft, sondern auch ein solches der Selbstisolation.2840 Isolationisten verlangen freilich für ihre Einflusssphären eine gewisse Vorherrschaft.2841 Allerdings verzichten sie auch auf die Intervention in die Angelegenheiten außerhalb ihrer Einflusssphären. Dadurch kann nach Schmitt die Entwicklung des Krieges zu einem globalen Weltbürgerkrieg aufgehalten werden, und es können nebeneinander existierende Großräume entstehen.2842 Hier zeigt sich allerdings auch der Schwachpunkt der Großraumtheorie. Es existieren keine Mechanismen, außer den moralischen Appellen Schmitts, die Reiche zu einer Selbstisolierung auf ihren Großraum zu zwingen. Die bloße Hoffnung, dass es ein Gleichgewicht der Reiche geben wird, ist naiv. Auch wenn die Großraumtheorie in erster Linie nur eine hegemoniale Ordnung sein kann, besteht die Möglichkeit, dass der Hegemon auch expansionistisch tätig werden kann. Innerhalb Europas mag dieses Gleichgewicht historisch existiert haben, weil der Expansionsdrang der europäischen Mächte außerhalb des europäischen Raumes durch das 2834 Landmächte hingegen kontrollieren territoriale Flächen und sind deshalb deutlich schwerfälliger im Vergleich zu Seemächten. Vgl. Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 57. 2835 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 211. 2836 Schmitt, Carl, „Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat (1937)“, in: Schmitt, Positionen (Fn. 14), S. 238. 2837 Der Pirat ist als „Feind der gesamten Menschheit“ ein universaler Feindbegriff. So: Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 34. 2838 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 286 – 287. 2839 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 295. 2840 Darin liegt auch der Kern der Monroe-Doktrin, die das Modell der Großraumtheorie darstellt. Vgl. Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 262 – 263. 2841 So wird das chinesische Tributsystem ab 1435 sowie die Monroe-Doktrin von 1823 verstanden. Vgl. Menzel, Ordnung (Fn. 1), S. 1127, 1131. 2842 Schmitt, Nomos (Fn. 12), S. 271.
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Kolonialvölkerrecht befriedigt werden konnte. Aber auf einer globalen Ebene erscheint dieses normative Prinzip letztlich nur durch die Reiche selber umsetzbar zu sein. Das führt aber dazu, dass ein Reich im Falle einer territorialen Expansion von einem angegriffenen Reich als „Feind der Menschheit“ angesehen würde und somit der gleiche Vernichtungskrieg droht, der durch die Großraumtheorie gerade vermieden werden soll.
IV. Fazit Die Großraumtheorie kann als ein Modell eines hierarchischen Völkerrechts dienen, soweit die hierarchische Struktur der jeweiligen Großraumordnungen auf einer Hegemonie gründet, die jeweiligen Großräume in einer globalen Ordnung eingebettet sind und wenn diese Ordnung auch effektiv ein Eindringen in fremde Räume abgehält. Gerade das sinozentrische Völkerrecht ist ein Präzedenzfall für Hegemonie, in dem die chinesischen Dynastien unter erheblichen Aufwendungen von finanziellen, militärischen sowie kulturellen Mitteln eine Hegemonie etablierten, in dem die kleineren Staaten, wie etwa Korea, freiwillig China als Oberstaat akzeptierten. Das Kollektivgut der Chinesen war dabei die chinesische Kultur und das sinozentrische Handelssystem, das letztlich für den tributären Staat – rein wirtschaftlich gesehen – vorteilhafter war. Der Konfuzianer Menzius brachte dies auf die Formulierung: „Es bedarf eines tugendhaften Königs, der mit einem großen Staat es schafft, einem kleinen zu dienen … Es bedarf eines weisen Königs mit einem kleinen Staat, einem großen zu dienen.“2843 Auch in dem inter-amerikanischen System, das sich in Folge der Akzeptanz der Monroe-Doktrin durch die südamerikanischen Staaten bildete, kann eine solche Hegemonie gesehen werden, auch wenn die US-Doktrin zeitweise imperiale Züge aufwies. Hier war das Kollektivgut, das die USA den südamerikanischen Staaten zur Verfügung stellte, die kollektive Sicherheit, die insbesondere durch die Militärmacht der USA garantiert wurde. Gleichsam kann hier der Grund des Scheiterns für die Großostasiatische Wohlstandssphäre des japanischen Kaiserreiches ausgemacht werden. Die Japaner versprachen den asiatischen Völkern zwar eine kollektive Freiheit und Sicherheit unter der Führung Japans, lösten dieses Versprechen jedoch nicht ein. Beispielsweise wurde bereits im russisch-japanischen Krieg das Versprechen der Unabhängigkeit Koreas verkündet, das jedoch niemals eingelöst wurde. In China propagierte Japan die Zusammenarbeit, war jedoch gleichzeitig Mitglied des kolonialen Kartells und 2843 Menzius Buch 1 Teil 2 Kapitel 3; übersetzt ins deutsche aus dem koreanischen durch den Autor nach Lee, Menzius (Fn. 2028), S. 56 – 57; englische Übersetzung in: Legge, Mencius (Fn. 2443), S. 150 – 180; Yang, Lien-Sheng, Historical Notes on the Chinese World Order, in: Fairbank, Chinese World Order (Fn. 1517), S. 27. Original chinesisch: …. … .
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beutete China wirtschaftlich aus. Ab 1931 wurde gar militärisch eingegriffen, und ab 1937 wurde ein blutiger langjähriger Krieg gegen China geführt. Die Staaten in Südostasien wurden ebenfalls mit dem Versprechen auf Befreiung konfrontiert, das jedoch nicht umgesetzt wurde. Wie auch bei den westlichen Kolonialmächten blieb es letztlich bei der Ausbeutung von Rohstoffen. Die japanischen Panasianisten, insbesondere die Vertreter der Kyoto-Schule, scheinen gerade die Wendung von einer imperialistischen zu einer hegemonialen Ostasienpolitik propagiert zu haben, wenn diese die Rückbesinnung auf den Konfuzianismus und den „tugendhaften Weg“ anmahnten. Sie wiesen – stets die Führung Japans betonend – auf die besondere Verpflichtung Japans hin, den Nationalismus zu transzendieren (Nishida Kitaro), um ein ostasiatisches Bündnis (Ishiwara Kanji) oder eine ostasiatische Kooperationsgemeinschaft (Miki Kiyoshi, Royama Masamichi) zu gründen. Für Schmitts Großraumtheorie, die eine Hierarchie der Staatenwelt für die Binnenordnungen in den jeweiligen Großräumen vorsieht, erscheint also nur eine hegemoniale Ordnung infrage zu kommen, da diese den Staateninteressen des „Reiches“ und der „Großraumstaaten“ entsprechen kann. Nur eine hegemoniale Ordnung ist auch in Phasen der relativen Schwächen des Reiches stabil, da die Interessen der Großraumstaaten darin liegt, die hegemoniale Ordnung aus eigenem Interesse aufrecht zu erhalten. Eine imperiale Ordnung hingegen kann nur solange eine konkrete Raumordnung sein, wie das jeweilige Reich auch tatsächlich die Ordnung machtpolitisch stützen kann. Wenn das Reich kollabiert, so kollabiert auch die Ordnung. Weiterhin muss das jeweilige „Reich“ eine Selbstisolation akzeptieren und darf nicht über den jeweiligen Raum hinaus in raumfremde Angelegenheiten intervenieren. Der Verstoß gegen dieses Verbot jedoch krankt letztlich an dem gleichen Problem, an dem auch das geltende Westfälische Völkerrecht krankt; die Interpretation und Durchsetzung dieser Verbote ist den jeweiligen Rechtssubjekten, also im Falle der Großraumordnung den jeweiligen Reichen, überlassen.
E. Gesamtergebnis Eingangs wurde als Gegenstand dieser Arbeit die Frage gestellt, ob ein völkerrechtliches Konzept, das der Schmitt’schen Großraumtheorie ähnlich ist, auch in Ostasien existiert habe. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass die Großraumtheorie sogar eine äußerst passende Umschreibung des sinozentrischen Völkerrechts sein kann. Die chinesischen Dynastien waren ein Hegemon im sinozentrischen Raum und konnten als solcher auch eine ordnende Funktion ausüben. Die Souveränität der einzelnen Staaten wich dem Mandat des Himmels und die tributären Staaten betrachteten die Beziehung zu den chinesischen Dynastien, analog zu dem konfuzianischen Familienbild, als Vater-Kind Beziehung. Diese Ordnung brachte auch tatsächlich eine erstaunliche Stabilität über den sinozentrischen Raum.
E. Gesamtergebnis
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Weiterhin haben diese Untersuchungen gezeigt, dass auch der japanische Panasianismus gewisse Parallelen aufweist. Es wurde ebenso aufgezeigt, dass dies daran liegt, dass die panasiatische Propaganda letztlich konfuzianische Wurzeln hatte. Die japanische Propaganda führte jedoch nicht tatsächlich dazu, dass Japan ein regionaler Hegemon wurde. Anders als die Versprechungen diente der Panasianismus im Ergebnis der Apologie des japanischen Kolonialismus. Der japanische Panasianismus und die Großostasiatische Wohlstandssphäre waren also nur oberflächlich der Großraumtheorie ähnlich, da Japan keine konkrete Ordnung etablieren konnte. Zu stark waren die Widerstände in den okkupierten Gebieten sowie in den noch nicht kolonialisierten Nachbarländern. Es konnte anhand der Großraumtheorie auch erklärt werden, warum die sinozentrische Ordnung einen deutlich größeren Erfolg hatte als die japanozentrische Ordnung und warum die sinozentrische Ordnung letztlich unterging. Die Betrachtung der japanozentrischen Ordnung durch die Großraumtheorie von Schmitt zeigten, dass es notwendig für ein stabiles und auf Dauer angelegtes hierarchisches Völkerrechtssystem ist, dass die Hierarchie Teil einer konkreten Ordnung ist und diese auch mit einer gewissen Freiwilligkeit von den anderen Großraumstaaten akzeptiert wird. Gleichsam ist es aber auch notwendig, den eigenen Raum klar von fremden Raum abzugrenzen und die Regeln innerhalb der eigenen Raumordnung nicht auf raumfremde Akteure unterschiedslos anzuwenden. Die Betrachtung dieser zwei Raumordnungen in Asien haben es uns also darüber hinaus auch erlaubt zu überlegen, wann ein Großraum eine konkrete Raumordnung bilden kann, die für Jahrhunderte stabil bleibt. Gleichzeitig zeigt uns diese Untersuchung auch, wann das Streben nach einem Großraum letztlich nur eine Apologie für reinen Expansionismus darstellt. Die Kritik an der zunehmenden Universalisierung des Völkerrechts, die zur Konzeption der Großraumtheorie geführt hatte, konnte ebenfalls anhand dieser Beispiele in Ostasien untersucht werden und es konnte festgestellt werden, dass die Hierarchie der Staatenwelt keinesfalls nur zum Nachteil derjenigen Staaten führen muss, die einen niedrigeren Rang einnehmen. Unter der Suzeränität der chinesischen Dynastien konnte der ostasiatische Raum nämlich eine lange Zeit den Frieden aufrechterhalten. Die Auflösung des sinozentrischen Völkerrechts führte hingegen zur Teil-Kolonialisierung von China. Im Hinblick auf Korea war es völkerrechtlich gesehen ironischerweise sogar gerade die Einräumung der (formellen) Staatengleichheit und Unabhängigkeit von der Qing-Dynastie, die zur Annexion Koreas durch Japan führte. Die Untersuchung der Großraumtheorie offenbart auch die Defizite der geltenden Völkerrechtsordnung, nämlich dass diese mangels zentraler Rechtssetzungs- und Rechtsdurchsetzungsinstanz moralische Appelle bleiben. Obwohl das Verhältnis der Staaten in der internationalen Gemeinschaft von Staatengleichheit geprägt sein soll, ist es eher dadurch ausgezeichnet, dass es eben sehr wohl mächtigere Staaten gibt, die die Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung maßgeblich beherrschen. Im Vergleich
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dazu bildete die sinozentrische Ordnung die tatsächlichen Machtverhältnisse eher ab. Der Konfuzianismus war innerhalb des Einzugsbereiches der sinozentrischen Ordnung die „konkrete Ordnung“. Die chinesischen Dynastien, insbesondere das Ritenministerium, interpretierten die Regelungen dieser Ordnung. Sollte die Ordnung der sinozentrischen Welt gestört werden, wurden die chinesischen Dynastien auch militärisch tätig. Wie in diesem Beispiel erkennbar, kann die Etablierung der Staatenhierarchie also die Defizite des geltenden Völkerrechts – z. B. im Hinblick auf die Durchsetzung – zumindest innerhalb eines Großraumes beheben. Ob die Großraumtheorie jedoch als ein alternatives Völkerrechtskonzept angesehen werden kann, dass die Defizite des geltenden Völkerrechts vollkommen aufheben kann, darf bezweifelt werden. Denn die Großraumtheorie ist im Kern davon abhängig, dass die Reiche eine Selbstisolation akzeptieren und nicht über ihren Großraum hinaus expandieren. Die Durchsetzung dieser rein normativen Forderung wird an das Gleichgewichtsprinzip delegiert, sodass die Großraumtheorie eigentlich der gleichen Kritik ausgesetzt werden muss wie das geltende Völkerrecht auf der Grundlage der Anarchie der Staatenwelt. Lediglich das Schadenspotenzial einer gewaltsamen Auseinandersetzung wird erhöht, was jedoch an sich den Krieg noch nicht auszuschließen vermag. Auch die Hegung des Krieges ist deshalb nur innerhalb des Großraumes möglich, da zwischen den Großräumen letztlich die gleichen Probleme existieren wie im geltenden Völkerrecht. Insofern kann abschließend gesagt werden, dass die Großraumtheorie durchaus Parallelen zur außenpolitischen Realität in der ostasiatischen Staatenwelt aufweist und somit auch als alternatives Völkerrechtssystem dienen kann. Ein hierarchisches Großraumsystem kann jedoch nur auf Dauer funktionieren, wenn die Großraumstaaten einen dauerhaften Nutzen von dem System haben und der Hierarchie zustimmen. Nur so kann eine konkrete Raumordnung entstehen. Die Ebene zwischen den jeweiligen Großräumen ist jedoch wiederum von Gleichrangigkeit geprägt. Insofern erscheinen die Vorteile, die ein System mehrerer nebeneinander existierender Großräume mit sich bringt, im Hinblick auf die Kriegsvermeidung gering zu sein.
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Personenverzeichnis Adams, John Quincy 103 f., 107, 119 Ahn, Junggeun 233 ff., 409 Aizawa, Seishisai 240 (Zar) Alexander I. 102 f. (Papst) Alexander VI. 82 Alexandrowicz, Charles Henry 77, 93 Álvarez, Alejandro 118 Amau, Eiji 257 f. Arita, Hachiro 263, 286 Ashikaga, Yoshimitsu 360, 380, 385 Augustinus 166 Austin, John 188, 194 Aquin, Thomas von 166 Ayala, Balthasar 166 Ban Gu 353, 359 Bentham, Jeremy 90, Bodin, Jean 75, 138 ff., 142 ff., 148, 151, 152, 154 Bynkershoek, Cornelis van 187 Canning, George 78, 105, 171 Chiang, Kaishek 262, 265 ff., 286, 290 f. Clay, Henry 104, 106, 119 Coudenhove-Kalergi, Richard Nikolaus 48, 71 Daoguang 326 Dom Pedro I. 120 Fairbank, John 308, 321, 323, 326, 327, 343 ff., 352 Gentili, Alberco 151, 166 Goldsmith, Jack 183, 196 f. Göring, Hermann 28 f., 32, 34, 37, 53 Grant, Ulysses Simpson 109 Grewe, Wilhelm 74, 94 Grotius, Hugo 75, 80 f., 138, 151, 166, 174, 184 f.
Hamaguchi, Osachi 248, 255 Hamashita, Takeshi 344, 381 Han Wudi 316 Haushofer, Karl 53, 55, 61 f., 64 ff., 259, 270, 277, 281, 393 Hayashi, Razan 238 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 146, 153, 156, 161, 188 f., 205, 207, 271, 276, 303, 404 Hitler, Adolf 28 ff., 33 ff., 38 ff., 53 ff., 57 ff., 68, 71, 152, 391 Hobbes, Thomas 134, 144 ff., 161, 184 f., 188, 194 Hongwudi 319 f., 339 Huang Taiji 369 Hyojong 370 Injo 369, 374 Ishiwara, Kanji 251, 254, 260 ff., 280, 282 f., 296 f., 394, 412 Iturbide, Agustín de 120 Jellinek, Georg 76, 146 f., 189, 307 Jünger, Ernst 51 ff. Kaneko, Kentaro 243 Kang, Youwei 242 Kangxi 324, 356 Kanokogi, Kazunobu 277 Kant, Immanuel 172 ff., 200, 271, 274, Kelsen, Hans 59, 77, 147 ff., 161, 197 f. Kita, Ikki 231 ff, 236, 243, 244 ff., 256, 394 Kjellén, Rudolf 62 ff., 65 Konoe, Fumimaro 262 f., 268, 270, 273 f., 283, 285 f., 288, 291, 297, 338 Kosaka, Masaki 301 Koyama, Iwao 301, 303 Kwanghaegun 368 f., 374, 387, 398 Lauterpacht, Hersch 186 Liu Bang 315
Personenverzeichnis Lorimer, James 90 f., 188 Ludendorff, Erich Friedrich Wilhelm 51 f., 303 Mackinder, Halford 63 f., 67, 69 Martens, Georg Friedrich von 187 Matsuoka, Yosuke 252, 256, 263, 285, 286, 294, 296 Menzel, Ulrich 404 Menzius 232, 282, 315, 336 ff., 342, 367, 411 Miki, Kiyoshi 273 ff., 278 f., 412 Mill, John Stuart 90 Milton, John 83 Monroe, James 101, 104 ff. Morgenthau, Hans Jürgen 155, 156, 198, 200, 362 Moser, Johann Jakob 187 Napoleon III. 108 f. Naumann, Friedrich 46 ff., 71, 124 Nishida, Kitaro 245, 269 ff., 295, 298 ff., 394, 412 Nishijima, Sadao 344 ff., 352 Nishitani, Keiji 301 ff. Nurhaci 323, 339, 368 Okakura, Tenshin 228, 230 ff., 236, 246, 394 Osterhammel, Jürgen 406 Ozaki, Hotsumi 278 Perkins, Dexter 106 Perry, Matthew 214, 381 Polk, James Knox 107 ff. Posner, Eric 183, 196 f. Pufendorf, Samuel 80, 185 Ratzel, Friedrich 53, 61 f., 69, 277 Ribbentrop, Joachim von 33 f., 40, 55 f., 58, 65, 294 Royama, Masamichi 268 ff., 278 f., 412 Roosevelt, Franklin Delano 39, 110
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Roosevelt, Theodore 100, 109 ff., 225, 243 Rush, Richard 105 Shang Yang 315 Sieyès, Emmanuel Joseph 153 Strauss, Leo 157 f., Suarez, Francisco 184 Sun, Yatsen 225, 282, 329 f. Suzuki, Shigetaka 301 ff. Tabata, Shigejiro 304 ff. Tanabe, Hajime 274, 300 ff. Tanaka, Chigaku 245 f., 260 Togo, Shigenori 289 Tojo, Hideki 261, 270, 282 f., 286 ff., 294, 297, 299 Tokugawa, Ieyasu 238, 381 Tokugawa, Mitsukuni 240 Toyotomi, Hideyoshi 214, 368, 380 f., 383 ff., 389 f. Triepel, Heinrich 128 ff., 189 Tyler, John 116 Vattel, Emer de 80, 328 Vitoria, Francesco de 166 Wang, Jingwei 263, 282, 286, 289 ff., 396 Wanli 387 Wheaton, Henry 90, 188, 215, 229, 328, 372 Wolff, Christian 169, 185 Yamagata, Aritomo 217 Yan Shigu 353 Yang Xiong 316 Yasui, Kaoru 304 ff., 394 Yi, Songgye 366 Yonai, Mitsumasa 297 Yongle 89, 321, 350 Yuan, Shikai 225 f., 329 Zheng He 321, 400 Zhu Xi 338, 340 Zuo Qiuming 336
Stichwortverzeichnis Aggression 38, 118, 175 ff., 257, 283 ff., 313 ff. allgemeine Rechtsgrundsätze 186, 191 f. Amau-Doktrin 257 f., 262 Anarchie der Staatenwelt 7, 33, 145, 202, 391, 403 ff. Anerkennung 72, 77 ff., 91, 104 ff., 110, 118 ff., 134, 149, 157 ff., 165 f., 178 f., 193, 212, 224, 244, 251, 257, 285, 291, 317, 320, 324, 346, 349, 357, 365, 375, 386, 389, 401, 404 Annexion 34 f., 42, 64, 84, 86 f., 109, 115 f., 215 f., 223 ff., 233, 247, 250 ff., 258, 265 f., 279, 281 ff., 289 ff., 296, 314, 364, 367, 375 f., 402, 413 Antikomintern-Pakt 33, 40, 55 ff., 264, 294 Appeasement 32 ff., 266 Auslegung 191 Ausnahmezustand 26, 44, 52, 153 f., 160, 162, 166 Außenpolitik – Chinas 312 ff., 325, 328, 330, 332, 344, 349, 352, 359, 361, 401 – der USA 97, 107 f., 113, 117 f., 123 f. – des Dritten Reiches 29 ff., 36, 38 f., 49, 53 ff. – Englands 220 – Frankreichs 75, 84 – Japans 214 ff., 233, 237, 248, 256 ff., 263, 265, 283, 297, 379 ff., 409 – Koreas 362, 366 ff., 398 Außenpolitik und Großraumtheorie 137, 150, 196, 200, 209, 391 äußeres Staatsrecht 189, 191 Autarkie 45 ff., 141, 277, 288, 291, 302 Autonomie 127, 243, 248 f., 296, 349, 406 Barbaren 83, 90, 217, 240, 310, 320, 328, 336, 342 ff., 353, 357 ff., 369, 372, 385, 389 f. 399
Block – angloamerikanischer Block 267, 285 – asiatischer Block 268, 276 ff., 285 – europäischer Block 56, 285 – Kontinentalblock 40, 55, 56, 58, 64, 65 – Währungsblock 54 – Wirtschaftsblock 45, 252, 263, 276 Boxeraufstand 219 ff., 329 Briand-Kellogg-Pakt 52, 79, 118, 123, 175 ff., 198, 250, 257 ff. Cefeng 345 ff., 349, 360, 365 ff., 377, 387, 397 f. Chaogong 345 ff., 348, 365, 397 f. Chaogong-Cefeng-Beziehung 311, 316 f., 320, 347 ff., 363 Chaogong-Cefeng-System 345 ff., 350 ff., 352, 354, 377 Chosun-Dynastie 216 ff., 247, 309, 321, 329, 360 ff., 366 ff., 378 ff., 383 ff., 397 ff., 401, 407 Christentum 84, 90 f., 138, 151, 184, 213 f., 240, 383 f. Clausula rebus sic stantibus 37 Demarkationslinie 41, 57, 82, 88 Dezisionismus 29, 44, 156 ff., 204 f., 209 Diktatur 25, 51, 152 ff., 204, 268 Diskriminierung 38, 133, 174, 178 ff., 203, 222, 233, 356 Doktrin 113 ff. Domaine réservé 47, 149 ff. Donghak-Aufstand 217 Drago-Doktrin 173 Drago-Porter-Konvention 173 Drei-Elementen-Lehre 76 ff. Drei-Mächte-Pakt 40, 57, 285 f., 293 ff., 396 Drei-Parteien-Intervention 219, 221, 226 Drei-Staaten-Weltbild 377 f., 384 f.
Stichwortverzeichnis Durchsetzung 42, 53, 66, 71, 81, 115, 118, 138, 144, 166, 182, 187 f., 194 ff., 200, 206, 408, 412 ff., Effektivität 176, 195, 292 Entdeckung 81 f., 84 f., 88, 208 Europa-Idee 45 ff., 71, Europäisierung 93 ff., 96 Ewiger Frieden 172 ff., 200, 274, 288, 292 Expansionismus 44, 71, 235, 248, 269, 274, 278, 283, 297, 305, 401, 413 Feindbegriff 26, 38, 41 ff., 52, 58, 69, 155 ff., 172, 174, 179 ff., 203, 306, 410 f. Flottenkonferenz 27, 248, 249, 254 Freund-Feind-Unterscheidung 25, 38, 43, 52, 120, 155 ff., 180, 353, 358 f., 396, 399 Freundschaftslinien 41, 89, 127, 133, 341 Friedenssicherung 120, 141, 171, 173, 269 Gapshin-Aufstand 217 Gebiet 33 ff., 42, 47, 55, 62 ff., 67, 70, 73 f., 76 f., 79, 83 ff., 96, 98, 104, 111, 116 ff., 125, 127, 128, 131, 140 ff., 149, 157 ff., 193, 203 ff., 318, 330, 332, 337, 343, 359, 389, 409, 410 Gebietskörperschaft 76, 80 f., 90, 134 Genfer Völkerbund 6, 20, 24, 27 f., 30, 38 f., 44 f., 52, 68, 88, 92, 100, 110 f., 118 ff., 128, 149, 172 ff., 198, 200, 212, 224, 257 f., 265, 280 Geographie 60 ff., 68 f. Geopolitik 45, 55, 60 ff., 201, 270, 277, 393 f., 405 f. Gewaltmonopol 134, 142, 173 Gewaltverbot 44, 112, 118, 133, 164 f., 172 f., 175 ff., 195 f. Gleichgewicht 22, 42, 95 f., 99, 104, 133, 136 f., 140, 150, 164 f., 168 ff., 174, 180 ff., 200 ff., 209, 211, 219, 262, 295, 310, 312, 362, 388 Gleichgewichtspolitik 168 ff. Gleichgewichtsprinzip 36, 49, 108, 133, 169 f., 177 ff., 388, 391, 403, 409, 410, 414 Gleichgewichtssystem 84 f., 97, 135, 170 f., 341
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Gleichheit der Staaten 69, 112, 114, 170, 199, 280 Globalisierung 268 Good Neighbour Policy 110, 119 Großmacht 5, 27, 42, 53, 58, 64, 67, 72, 96, 102 ff., 121 ff., 142 ff., 158 ff., 170 ff., 175, 177 f., 180, 187, 193, 198, 200 Großostasiatische Wohlstandssphäre 7, 21, 211 f., 231 ff., 263 f., 270, 276, 283 ff., 300 ff., 395 f., 411 f. Gyorin-Politik 370, Haager Konferenzen 110, 118, 173 f., 223 Handelskompanien 85 f. Han-Dynastie 308 ff., 315 ff., 339, 343 f., 346 ff., 353, 356, 358 f., 363, 372 Hegemon (Ba) 339 Hegemonie 5, 37, 48, 56, 58, 108, 128 ff., 231, 270, 314, 344, 354, 362, 402 f., 405, 407, 409 f., 411 Heilige Allianz 78, 96, 102 f., 171 Hemisphäre 41, 100 ff., 110, 116 f., 120 ff., 126, 244, 408 Herr der Verträge (Meishu, Meng-Chu) 235, 312, Hierarchie der Staatenwelt 5 ff., 134, 182, 377, 398, 403 ff., 412 f. Hitler-Stalin-Pakt 35, 40, 56 ff., 294 Hochin-Politik 316 f. Hors la loi 69, 178, 180 Hua-Yi Unterscheidung 332, 353, 356 ff., 372, 377, 385, 389, 399 Imperialismus 21, 41, 52, 67, 75, 97, 124, 129, 131, 164, 211, 221 ff., 229 ff., 240, 253, 258, 262, 265, 268, 269, 271, 283, 290, 298, 306, 329, 391, 393, 395, 402, 405 ff. Imperium 98, 129, 160, 233, 290, 324, 403 f., 407 Impermeabilität des Staates 151, 159, 201 Inter caetera divinae 21, 82, 88 Interessensphären 56, 86 Intervention 41, 77, 100, 106, 108 f., 118, 121 f., 124, 133, 137, 150 f., 160, 162 ff., 174, 202, 218 f., 221, 226 ff., 256, 257, 353, 388, 408, 410
436
Stichwortverzeichnis
Interventionsverbot (raumfremder Mächte) 22, 24, 40, 42,61, 100, 120, 123 f., 127, 133, 135 f., 148, 150, 158, 162 ff., 181, 206, 210, 259, 283, 372, 374, 383, 388, 390, 391, 395 Isolation 107, 113, 115, 117, 123 f., 214, 249, 258, 320 ff., 343, 360, 382 f., 391, 400, 404, 410, 412, 414 ius ad bellum 62, 93, 118, 133, 155, 164, 165, 167, 173 ius publicum europaeum 22, 24, 36, 41 f., 49, 61, 71 ff., 75, 81, 92, 94, 139, 162, 165, 168, 177, 201 ff., 207, 211, 228, 312, 388, 391 iustus hostis 178, Japanozentrismus 7, 19, 21, 211, 212 ff., 231, 241, 246 f., 259, 278, 290, 297, 306, 307, 374 ff., 377 ff., 393 ff., 400 ff., 408, 413 Jimi-System 317, 328, 346, 352 ff., 361, 370, 399 f. Kodoha 256, 287 Kokugaku 239 f. Kokuryo-Dynastie 363 ff., 372 f., 377 Kokutai-Ideologie 212, 232, 237, 239 ff., 247, 256 f., 259 f., 270 f., 298, 300, 306, 375, 379, 394, 396, 399, 402 Koloniales Kartell 213 Kolonialismus 87, 302, 383, 394, 408 f., 413 Konfuzianismus 212 f., 232, 234, 237 ff., 246 f., 251 f., 255, 261, 278, 280, 282, 284, 295, 297 f., 301, 303, 306 f., 309 ff., 316, 319, 320, 321, 323, 325, 327 f., 330 ff., 350 f., 354, 358, 360 ff., 367 ff., 376 ff., 382 ff., 388, 390, 393 f., 396 ff., 401 f., 407, 412 ff. Konfuzius 255, 311, 334 ff., 339, 342 f., 356 f. Konsens 37, 114, 138, 184, 190, 192 f., 196, 302, 309, 313 Konservative Revolution 45, 49 ff., 71 Koryo-Dynastie 364 ff., 373, 379 Krieg – Angriffskrieg 176 f. – Diskriminierender Kriegsbegriff 38, 133, 174, 178 ff., 203
– gerechter Krieg 166 – Hegung des Krieges 23, 26, 71, 89, 94, 133, 137, 161, 164 f., 168, 170, 177 f., 180, 204, 208, 309, 410 – Kabinettskrieg 133, 137, 166 ff., 178 – Landkrieg 180, 410, 414 – Recht zum Krieg (ius ad bellum) 62, 93, 118, 133, 140, 150, 155, 164 f., 167 f., 173 – Seekrieg 42, 168, 180 – Verteidigungskrieg 176 Kriegsächtung 28, 36, 172, 174, 176, 178 f., Kriegsführungsrecht 135, 137, 168 Kriegsverbot 137, 164 f., 175 ff., 179 f. Kriegsvermeidung 165, 168, 174 f., 186, 414 Kuomintang 227, 249, 263, 266, 290, 291 Kwantung-Armee 250 f., 253 ff., 258, 260 f., 287 Kyoto-Schule 269 ff., 295, 297 ff., 300 f., 304, 412 Landnahme 72, 83 f., 125, 158, 160, 203, 208 Lansing-Ishii Abkommen 226, 244 Lebensraum 33, 35, 39, 40, 53 f., 57 f., 60 ff., 65, 68, 70 Lebensraum im Osten 30, 54, 57 Legalität 25 f., 28, 153, 190 f., 195, 198, 208 Legitimität 20, 25 f., 28, 43, 120, 153, 186, 190 f., 195, 208, 389, 398 Liberalismus 52, 156 ff., 172, 242, 256, 275, 278 Lifanyuan 323, 355 Makronationalismus 393 Mandat des Himmels 238, 319 f., 322 f., 332 ff., 339 ff., 342, 384, 389, 397 ff., 412 Mandschukuo 79, 248 ff., 262, 264, 265, 281, 283, 284, 289, 291, 293, 338, 395 f., 402 Mandschurei 215, 218 ff., 224, 226, 228, 232, 237, 244, 247, 250 ff., 258, 260 ff., 266, 267, 278 f., 287, 290 f., 297, 318, 329, 338, 402 Mandschurei-Krise 123, 177, 247 ff., 255, 256 ff., 260 ff., 264, 267, 280 Meiji-Restauration 213 ff., 232, 236, 238 ff., 241, 246, 248, 303,
Stichwortverzeichnis Meiji-Verfassung 223, 242 Meishuron 21, 228, 247, 278, 283, 307, 312, 393 f., 402 Meistbegünstigungsklausel 87, 218, 220, 326 f., 338, 351, 372, 400 Ming-Dynastie 89, 214, 309, 319 ff., 331 f., 334, 339 f., 350 ff., 359 f., 366 ff., 379 ff., 390, 397 ff., 407 f. Mito-Schule 239 f., Mitteleuropa 46 ff., 56, 58, 124, Monroe-Doktrin – (amerikanische) Monroe-Doktrin 21, 39, 41, 60, 72, 98 ff., 171, 174, 176, 202, 206, 247, 258, 391, 396, 408, 410 f. – Asiatische Monroe-Doktrin 100, 237, 242 ff., 258, 264 – Deutsche Monroe-Doktrin 39 f. – Europäische Monroe-Doktrin 48, – Japanische Monroe-Doktrin 242 ff., 247, 258 f. – Lodge-Corollary 117 – Polk-Corollary 116 f. – Roosevelt-Corollary 109 f., 117, 120, 122 f., 258 Mukden 30, 64, 221, 249 f., 252 Mukden-Zwischenfall 30, 249 f., 254, 257, 259 f., 283, 394 f. Münchener Abkommen 34, napoleonische Herrschaft 45 napoleonische Kriege 102, 104 Nationalsozialismus 28, 30 f., 35, 45, 49, 53, 58 ff., 68, 71, 249, 256 Naturrecht 69, 91, 94, 138, 144 f., 158, 183 ff., 192 f., 195, 209, 334 Nemein 125 Neo-Konfuzianismus 238 ff., 367 Neue Ostasiatische Ordnung 267, 269, 276 f., 283 ff., 290 f., 295 Neutralität 58, 115 f., 167, 218, 223, 250, 293, 312 Nichiren-Buddhismus 237, 245 f., 260 f. Nichtangriffspakt 31, 56, 228, 285 Nichtinterventionsprinzip 111 f., 116 f., 124, 142 Nichtkolonialisierungsprinzip 103 Nichttransferprinzip 109 Nihonshogi 246, 376, 378 f.
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Nomos 44, 69, 125, 186, 208 Nomos der Erde 24, 40, 42 f., 61, 70, 72, 89, 120 f., 134, 136,160, 177, 182, 194, 202, 206 ff., 295, 392, 400, 402, 409 ff. Normativismus 158, 204 Okkupation 34 f., 42, 82, 84, 89, 107, 129, 251, 406 Open-Door-Policy 87, 267 Opium-Kriege 229, 325 ff., 371, 399, 401 Ordnung unter dem Himmel 7, 308, 320, 328, 341, 389 Ordnungsdenken (konkretes) 31 f., 44, 52, 158, 204 ff., 305, 320, 328, 333, 339 ff., 345, 354, 358, 361, 377, 389, 397, 399, 407 Panideologie – Panamerikanismus 118, 394 – Panasianismus 7, 21, 211, 213, 228 ff., 244, 246 ff., 253, 255, 258, 261, 263,267, 276 ff., 283, 288, 290, 295, 297, 306 f., 392 ff., 399, 402, 409, 412 f. – Pan-Bewegungen 393 – Paneuropäismus 48 ff. Partisanen 42 f. Pentarchie 96, 169 f., 171 Piraten 41, 179, 214, 322, 410 Positivismus 93, 183 f., 186 ff., 204, Primat der Politik 156 Protektorat 35, 42, 59, 86, 128 f., 215, 223 f., 226, 234 f., 290, 296, 318, 329, 364, 391 Qin-Dynastie 308 ff., 315, 339 f., 347 f. Qing-Dynastie 91, 213, 215 ff., 221, 223, 235, 236 f., 310, 319, 322 ff., 331 f., 338 f., 343, 350 ff., 354, 359, 361 f., 368 ff., 374, 381 f., 386, 390, 397, 399, 401, 408, 413 Qinshi Huangdi 315, 359 Rangordnung 27 Rassismus 32, 35 ff., 39, 53, 55, 59 f., 68, 228, 231, 235, 295, 297, 300, 302, 406 Rational choice 197 Raum 6 f., 29, 33, 40, 42, 49, 54, 59 ff., 63 f., 65 f., 70, 71, 74, 81, 89, 98 f., 116, 120 f., 124, 134, 158, 165, 168, 185, 188, 200, 202 f., 209 ff., 212 f., 222, 228, 247, 269,
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Stichwortverzeichnis
280 f., 283, 286, 293, 295, 297, 304 f., 308, 309 f., 315, 324, 329 ff., 338, 341 ff., 345 ff., 347 f., 351 f., 354, 356, 359, 361 ff., 383, 385, 387 f., 390, 396 ff., 401, 402, 410 ff. Raumfremd 7, 22, 24, 40, 42, 53, 61, 100, 120, 124, 127, 132, 135 ff., 160, 162 ff., 181, 202, 206, 210, 236, 247, 259, 283, 306, 331, 356 f., 359 ff., 369, 372, 374, 383, 386 ff., 390 f., 393, 395, 398 ff., 412 f. Raumhoheit 71 ff., 127, 132 f., 160 Raumordnung (konkrete) 22 f., 42 f., 49, 62, 69, 70, 75, 80 ff., 89, 92, 94, 97 ff., 123 f., 127, 130, 136, 158 ff., 162, 178, 181 ff., 194, 202 f., 206, 209 ff., 212 f., 290 ff., 305 ff., 319 ff., 325 ff., 373, 389 f., 391, 395 ff., 402 f., 405, 408 f., 412 Raumteilung 126, 208, 401 Realistische Schule 200 f. Rechtsquellen 113, 184, 186, 190 ff., 204 f. Reich 7, 22 f., 35, 40, 55 f., 70 f., 73, 80, 121, 123 f., 125 ff., 130 ff., 139 f., 158 ff., 181 f., 194, 199 f., 202 ff., 206, 209, 211 f., 224, 240, 253, 282, 284, 293 ff., 306, 331, 336, 338, 361, 373 f., 386 f., 390 f., 395, 398, 400, 405, 410 f., 412, 414 Reichsgebiet 67 Riten 309, 320, 323, 328, 332, 342, 346, 358, 368, 380, 384 f., 401, 414 Russisch-japanischer Krieg 7, 64, 219, 221, 223 f., 233 ff., 250, 287, 330, 411 Sakoku-Politik 213 f., 239, 381 Seenahme 72, 82 Selbstverpflichtung der Staaten 148, 189 Shang-Dynastie 333 Shilla-Dynastie 363 f., 373, 376 ff. Shinhai Revolution 329 Shinkoku 239, 375, 378 Shintoismus 237 ff., 246, 298, 376, 378, 382 Showa Kenkyukai 270, 273 f., 278, 283 Sino-japanische Kriege – Erster sino-japanischer Krieg 213, 218, 220, 222, 235 – Zweiter sino-japanischer Krieg 177, 262 ff., 269, 286, 290, 294, 306, 402 Sinozentrische Ordnung 7, 19, 21, 214, 216, 218, 229, 242, 247, 280, 284, 297, 307 ff.,
315, 317, 319 ff., 322, 325 ff.,330 ff., 335, 338 f., 341 ff., 350 f., 354, 356, 358, 360 ff., 364, 367, 369 ff., 374 ff., 380 f., 383, 386 ff., 392, 394, 396 ff., 407 f., 413 f. Sinozentrisches Völkerrecht 21, 219, 307 ff., 325, 328, 331, 341, 344, 397, 411 f. Sinozentrismus 212, 214 f., 229, 246, 280, 308 ff., 319, 329, 330 ff., 345, 349, 362, 365, 371, 375, 382, 398 Sohn des Himmels (Tianzi) 216, 280, 308, 317, 319, 323, 332, 341 ff., 346, 358, 369, 371, 376, 389, 396 ff. Sojunghwa 362, 370 Song-Dynastie 319, 338 f., 364 f., 373, 379 Souveränität 5 f., 23, 25, 37, 44, 74 ff., 80 f., 85, 97 f., 108, 112 f., 125, 133, 137 ff., 158 ff., 162 ff., 172, 181 ff., 186 ff., 189 f., 192, 225, 228, 247, 263, 308, 329 f., 333, 340, 355, 373, 399 – Fürstensouveränität 143, 146 – Reichssouveränität 126 f., 132, 136, 137 ff., 158 ff., 198, 391 – Staatssouveränität 37, 41, 44, 70 f., 114, 132, 134, 137 ff., 158 ff., 185, 193, 196, 202, 301, 310, 324, 388, 394, 402, 412 – Volkssouveränität 146 Staatengleichheit 22, 27, 42, 70, 79 ff., 114, 126, 132, 134, 149, 159, 188, 201, 211, 305, 307, 314, 340, 372, 388, 392, 403, 413 Staatenhierarchie 22, 390, 392, 402, 404 f., 414 Staatenverbindung 127 f., 130, 136 Staatsgebiet 42, 62, 70, 76 f., 125, 141, 159 f., 203, 281, 308, 312, 357, 359 Staatsgewalt 76, 125, 137, 146 ff. Staatsgrenze 41, 62, 71, 126, 159, 393 Staatsvolk 62, 76, 125 Stimson-Doktrin 79, 122, 250 Subordination 5, 73, 123, 133, 135, 190 f., 236, 317, 346, 348, 381, 389, 397 Sudetenkrise 34, 39 Sui-Dynastie 318, 360, 363, 372, 376 Suzeränität 86, 355, 364, 370, 387, 390, 408, 413 Taiwan 218 f., 223 f., 252 f., 283, 289 f., 329, 396
Stichwortverzeichnis Tang-Dynastie 238, 310, 318 ff., 339 f., 347, 353, 360, 364, 372 ff., 377 f. Territorialstaat 72 f., 75, 81, 140 Tianxia 328, 341, 389 siehe auch Ordnung unter dem Himmel Tokugawa-Shogunat (Tokugawa-Bakufu) 213 f., 238 f., 381 f. Toseiha 256, 287 Totalitarismus 249, 265, 300, 302 Tribut 6, 89, 143, 212, 215, 217, 281, 284, 307 f., 315 ff., 319 ff., 327, 344, 346 ff., 353, 359, 361, 363 ff., 373, 375, 377, 379 f., 384 ff., 387, 398 Tributhandel 214, 317, 321 ff., 327, 331, 360, 389, 397 f., 407 Tributstaat 212, 217, 219, 321 ff., 328 ff., 344, 351 f., 355, 359, 361 f., 367 f., 370, 377, 380, 383, 386, 387 ff., 397 ff., 411 f. Tributsystem 229, 308 ff, 314 ff., 320 ff., 327, 329, 331, 344, 345 ff., 352, 354 f., 358, 360, 371, 381, 383, 386, 389, 404, 410 Tsungli Yamen 325, 328 Tugendhaftigkeit 261, 277, 280 ff., 295, 319, 330, 332 ff., 342 f., 356, 358, 362, 377, 395, 397, 399, 411 f. Ultranationalismus 213, 242, 247 ff., 256, 258, 267, 271, 273, 276 f., 279, 285, 297 ff., 305 f., 394, 402 Universalisierung des (europäischen) Völkerrechts 20, 22, 92, 94, 96 f., 136, 159, 183, 202, 305, 391, 413 Unparteilichkeit 183, 327, 350 ff. Vertrag – Annexionsvertrag von Korea 223 f. – Kanghwa-Vertrag 216 – Ungleiche Verträge 215, 217 Vertrag von Hoomun Chai 326 Vertrag von Kanagawa 214 f., 229 Vertrag von Münster und Osnabrück (Westfälischer Frieden) 139 ff. Vertrag von Nanjing 87, 91, 263, 265, 282, 290, 326 f. Vertrag von Portsmouth 221 f., 224, 243, 253 Vertrag von Shimonoseki 218 ff., 329
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Vertrag von Tianjin 217, 267, 326 f., 356 Vertrag von Tordesillas 82, 88, 404 Vertrag von Utrecht 5, 169 Vertrag von Versailles 27 f., 44, 237, 248 Vertrag von Washington 87, Völkerbund 6, 20, 24 f., 27 f., 30, 38 f., 44 f., 52, 68, 88, 92, 100, 110 f., 118 ff., 122, 128, 149, 172 ff., 198, 200, 212, 224, 257 f., 265 f., 280 Völkergewohnheitsrecht 185, 192, 403 Völkerrecht – amerikanisches Völkerrecht 112, 114, 118 – europäisches Völkerrecht 6, 20 ff., 41 f., 49, 59, 71, 73 f., 84 f., 88 f., 91 ff., 112, 121, 123, 126, 136, 139, 141, 159 f., 168 f., 178, 207, 209, 211 f., 215 f., 227, 229, 248, 284, 305, 307, 325, 327 ff., 331, 341, 355, 372, 388, 394 – Kolonialvölkerrecht 72 f., 81 f., 84, 86 ff., 97, 215 f., 227, 307, 355, 408, 411 – Kriegsvölkerrecht 165 – Leugner des Völkerrechts 185, 189, 194 f. – naturrechtliches Völkerrecht 94, 183 ff., 187 f., 192 – positivistisches Völkerrecht 93, 183 ff., 190, 198 – sinozentrisches Völkerrecht 21, 219, 307 ff., 325, 328, 331, 341, 344, 397, 411 f. – universelles Völkerrecht 37, 42, 52, 73, 89 f., 92 ff., 97 f., 130, 132, 136, 159, 162 f., 183, 209, 212, 391, 413 Völkerrechtssoziologie 194 ff. Völkerrechtssubjekt 6, 37, 72 f., 77, 80 f., 91, 128, 131, 140, 149, 159, 162, 164, 178 f., 182, 190, 192 ff., 202, 372 Wangguo Gongfa 215, 229, 328, 372 Weg des Despoten 282, 338 Weg des Himmels 337 Weg des Kaisers 258, 282, 298 Weg des Königs 282, 284 Weg des Tugendhaften 261, 280 ff. Welthegemonie 48, 403, 409 f. Welthistorischer Standpunkt 279, 301 ff., 395 Weltliche Welt 298 ff.
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Stichwortverzeichnis
Weltmacht 7, 27, 53, 56, 98, 115, 126, 159, 171 Weltmarkt 63, 75, 86, 132 Weltreich 48, 97, 99 Westfälischer Frieden 74, 78, 85, 94, 96 f., 139 ff., 169, 198, 307, 404 Westfälisches System 5, 139, 141, 144, 165, 195, 391, 403, 405 Wiman-Chosun 363 Xio¯ngnú 315 ff., 353, 363 Yuan-Dynastie 319, 331, 350, 354, 365 ff., 373, 379 Zeitalter – englisches Zeitalter 74 f., 86, 90, 151, 187 f.
– französisches Zeitalter 74, 76, 80, 84 f., 91, 94, 151, 169, 184, 187 – spanisches Zeitalter 74, 81, 85, 138, 151, 184, 187 – Zeit der Frühlings- und Herbstannalen 310 ff., 328, 339, 341 f., 348, 357 ff. – Zwischenkriegszeit 27, 36 f., 59, 71 f., 74 f., 87, 91, 149, 152, 168, 174, 185 f., 198, 200 f., 406 Zhongyuan (mittleres Territorium) 342, 353, 359 Zhou-Dynastie 235, 309, 310 ff., 333 f., 339, 341 f., 344, 346 ff., 354, 356 ff. Zivilisation 90, 94, 96, 230, 231, 233, 243, 261, 282, 304, 310, 331, 342, 344, 357 ff., 372,399 Zollunion 45 f., 48